Title : Die Brüder Wright
Author : A. Hildebrandt
Release date
: February 1, 2004 [eBook #10914]
Most recently updated: June 27, 2020
Language : German
Credits
: E-text prepared by David Starner, Michael Wymann-Böni,
and Project Gutenberg Distributed Proofreaders
Der Prophet gilt nichts im Vaterlande! Dieses alte Sprichwort will andeuten, dass infolge der Unvollkommenheit der menschlichen Natur das Verdienst hervorragender Männer oft nicht so gewürdigt wird, wie es seiner Bedeutung nach sein müsste. Die meisten Menschen können sich eben nicht über das Alltägliche erheben und dem Gedankenfluge weitausschauender Zeitgenossen folgen. Neid und Missgunst stellen sich den Grossen dieser Erde entgegen, und die Rivalität der Konkurrenten, die alles verkleinern und herabziehen. Im Kampfe um die Eroberung der Luft haben wir zwei hervorragende Fälle dafür gehabt, wie sich die Bahnbrecher nur mühselig zu Anerkennung durchzuringen vermögen. Wir haben aber hier gleichzeitig ein seltenes Beispiel, wie zwei Männer noch bei Lebzeiten die grösste Anerkennung ihrer Zeitgenossen gefunden haben. Der Gedanke an die Eroberung der Luft ist so bestechend, dass er in den weitesten Schichten der Völker ganz aussergewöhnlichen Anteil findet. Bislang beherrschte der Mensch nur zwei Dimensionen. Jetzt hat er auch begonnen, sich die dritte Dimension, die Luft, zu erobern. Zeppelin und Wright sind die Könige der Luft. Ihnen beiden ist es zu danken, dass wir anfangen, die Luft sowohl mit Fahrzeugen, „leichter als die Luft“, als auch mit solchen, die „schwerer als die Luft“ sind, zu beherrschen. Beide haben lange arbeiten müssen, bis sie der Welt die Richtigkeit ihres Gedankenfluges beweisen konnten. Beide sind sie viel geschmäht und mit Schmutz beworfen worden. Der Name Zeppelin ist heute nicht nur dem deutschen Volke bekannt, er hat überall ausgezeichneten Klang. Ueberall widmet man dem greisen Forscher eine Verehrung, wie man sie den grössten Helden aller Zeiten kaum entgegengebracht hat. Auch an Wright haben wir Europäer viel gesündigt. Man ging sogar soweit, die beiden Brüder, die bereits im Jahre 1905 die grössten Erfolge erzielt hatten, in Umprägung des Wortes „die fliegenden Brüder“—„die lügenden Brüder“ zu nennen. Erst im Jahre 1908 konnten sie, die auch bei ihren Landsleuten in Amerika wenig Glauben gefunden hatten, beweisen, welch gewaltigen Fortschritt sie in ernster Arbeit gemacht hatten. Verfasser folgt der Anregung, eine allgemein verständliche Abhandlung über die Gebrüder Wright zu schreiben, mit um so grösserer Freude, als er ziemlich der einzige war, der unentwegt die beiden genialen Erfinder in Wort und Schrift verteidigt und niemals an dem Wert ihrer Mitteilungen gezweifelt hat. Bei der Abfassung der kleinen Schrift kommt es dem Verfasser sehr zu statten, dass er bei einem Besuch in Amerika sowohl den Lehrer der Brüder Wright, den jetzt 77 Jahre alten hervorragenden Ingenieur Chanute, und dessen Assistenten Herring, wie die Stätten, an denen die Flugmaschine geboren wurde, kennen lernte. Besonders zu Dank verpflichtet ist er dem in Gross-Lichterfelde lebenden Baumeister Gustav Lilienthal, der ihm in früheren Jahren authentisches Material über seinen Bruder Otto Lilienthal, den Altmeister der Fliegekunst übermittelt hat, ferner dem in New York lebenden Ingenieur Herring, sowie auch Ingenieur Chanute in Chicago, der umfangreiches Material der ersten Flugversuche in Amerika zur Verfügung gestellt hat; endlich dem Bischof Milton Wright zu Dayton in Ohio, der sowohl beim Besuch des Verfassers eingehende mündliche Angaben gemacht hat, als auch jetzt in bereitwilligster Weise altes Material über seine Familie und seine Söhne zur Verfügung stellte. Orville Wright ist nun nach Berlin gekommen, wo er auf Veranlassung des „Lokal-Anzeigers“ sein bis jetzt unübertroffenes Können vorführen will. Noch sind wir erst im Anfangsstadium des Kampfes um die Eroberung der Luft, und viel Arbeit ist nötig, ehe wir einigermassen sicher die Luft beherrschen. Mögen die Vorführungen von Wright für unsere deutschen Erfinder und namentlich für diejenigen, die sie finanziell unterstützen wollen und müssen, ein Ansporn zur weiteren Förderung sein.
Berlin , August 1909.
A. Hildebrandt.
Die Wrights führen ihren Stammbaum bis in das 14. Jahrhundert zurück. Viele hervorragende Leute, deren Namen auch in der Geschichte verewigt sind, haben der Familie angehört. Von grossmütterlicher Seite stammen sie aus Holland, wo die ersten Aufzeichnungen bei Lord Afferden Ende des 14. Jahrhunderts beginnen und bis in die heutige Zeit vollständig fortgeführt sind. Die Nachkommen des Lords wanderten später nach Amerika aus und siedelten sich um das Jahr 1650 in Long Island an. Die Grossmutter Katherine Reeder war verwandt mit dem Gouverneur Andrew H. Reeder, der in Kansas im Jahre 1854 die Zügel der Regierung inne hatte. Väterlicherseits können die Vorfahren zurückgeführt werden bis zu John Wright, der im Jahre 1538 das Gut Kelvedon Hall im Kreise Essex in England erwarb. Sein und seiner Frau Olive Nachkomme im vierten Grade, Samuel Wright, wanderte im Jahre 1630 nach Amerika aus und siedelte sich 6 Jahre später als Farmer in Springfield in Massachusetts an. Hier wurde er bald zum Diakon der ersten puritanischen Kirche und später zum Pfarrer der Gemeinde erwählt. Nach segensreichem Wirken entschlief er sanft im Jahre 1665 zu Northampton. Seine Nachkommen blieben in Neu-England und manche berühmten Leute sind aus ihnen hervorgegangen. Zu nennen sind Edmond Freeman, Reverend Joshua Moody, Reverend John Russell, John Otis und John Porter in Windsor. Durch den letzten sind die Wrights verwandt geworden mit dem berühmten amerikanischen General Ulysses S. Grant und mit dem Präsidenten Grover Cleveland; ferner mit dem bekannten General Joseph Warren in Bunkerhill. Der Grossvater Wrights, Silas Wright, war Senator der Stadt New York und später Gouverneur des Staates New York. Er besass umfangreiche Güter, um deren Bewirtschaftung er sich selbst kümmerte. Seine Kinder wurden gleichfalls zu Landleuten erzogen. Er starb in New York im Jahre 1847.
Wir Deutschen haben den Ruhm, den ersten fliegenden Menschen, der mit einer Flugmaschine ohne Motor die Luft durchsegelte, unsern Landsmann nennen zu dürfen. Uns verbindet aber auch ferner Verwandtschaft mit den Königen der Fliegekunst, mit Wrights. Der Grossvater mütterlicherseits, John G. Koerner, war geboren in einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Schleiz im Fürstentum Reuss jüngerer Linie. Die Frau dieses im 86. Lebensjahre verstorbenen Koerner, eine geborene Fry, war Amerikanerin, aus Landen deutschen Sprachgebiets, wahrscheinlich der Schweiz, stammend; nähere Angaben fehlen. Ihre Tochter wurde am 30. April 1831 in Hillsborough in Virginia geboren. Im Jahre 1859 vermählte sie sich, die inzwischen mit ihrer Familie auf eine Farm zu Union County in Indiana verzogen war, als jüngstes von 5 Kindern mit Milton Wright, dem Vater der beiden Luftschiffer. Dieser ist am 17. November 1828 in Rush County in Indiana geboren. Er folgte dem Berufe seiner ältesten Vorfahren und hielt mit 22 Jahren seine erste Predigt am 17. November 1850. Infolge einer ausgezeichneten Erziehung, die ihm sein Vater hatte zuteil werden lassen, brachte er es bald im geistlichen Stande zu hohen Würden. Er wurde reisender Minister der lutherischen Brüdergemeinde, Präsident des Kirchenrats, und amtiert bereits seit 24 Jahren als Bischof. Die Erfüllung seines Berufes brachte es mit sich, dass er viele und grosse Reisen zur Inspektion der verschiedenen ihm unterstellten Kirchengemeinden ausführte; hat er doch nicht weniger als 200 000 Meilen in amtlicher Eigenschaft auf der Eisenbahn durchmessen. Auf seinen Reisen erwarb er sich einen praktischen Blick und grosses Verständnis für die verschiedensten Lebensstellungen; seinen Kindern liess er eine ausgezeichnete Erziehung und Schulbildung zuteil werden. Leider starb seine Frau bereits am 4. Juli 1889 zu Dayton in Ohio. Der Tod hatte sie von einem langen und schweren Leiden erlöst. Besonders Wilbur Wright hatte sich bemüht, seiner Mutter die letzten Lebensjahre zu erleichtern, so dass ihm deswegen auch eine besondere Anerkennung seines Vaters zuteil geworden ist.
Milton Wright hatte sieben Kinder, von denen gegenwärtig noch fünf am Leben sind. Wilbur, am 16. April 1867 in Henry County geboren, ist der dritte Sohn. Ihm folgten am 19. August 1871 Orville und am 19. August 1874 Katherine, die beide in Dayton geboren wurden.
Eigenartig ist die Angabe des alten Bischofs, dass gerade die Erfinder keine so gute Erziehung genossen haben wie seine anderen Kinder. Keiner von beiden besuchte eine Hochschule, beide haben sich durch ihre eigene Intelligenz in der Technik zu bedeutender Stellung emporgearbeitet. Wilbur berechtigte anscheinend in seiner Jugend zunächst nicht zu grossen Hoffnungen, obgleich er sehr intelligent war und eine rasche Auffassungsgabe besass.
Das erste Interesse für die Flugtechnik wurde bei den Brüdern im Sommer 1878 geweckt, als ihr Vater eines Tages nach Hause kam und plötzlich aus seinen Händen ein Spielzeug in die Luft fliegen liess, das auch heute noch unter dem Namen Helicoptere—Schraubeflieger—bekannt ist. Dieses kleine Ding war aus einem Rahmenwerk von Kork und leichtem Bambus gefertigt und mit Papier überklebt. Die Schrauben wurden durch ein starkes Band von Kautschukschnüren in Bewegung gesetzt, das eng zusammengedreht wurde. Nur kurze Zeit blieb das zerbrechliche Spielzeug in den Händen der Knaben erhalten; aber die Erinnerung an diese ersten Flugversuche haftete fest im Gedächtnis beider. Einige Jahre später begannen sie selbst ihr altes Spielzeug nachzubilden, wobei sie das eine immer grösser als das andere fertigten. Aber sie machten die eigentümliche Erfahrung, dass die grösseren Maschinen immer schlechter flogen. Schliesslich wurden sie in ihren weiteren Experimenten entmutigt und wandten ihr Interesse dem Drachensteigen zu, ein Sport, der in Amerika durch die Franklinschen Drachenaufstiege zum Studium elektrischer Erscheinungen besonders weite Verbreitung gefunden hat. Als sie älter wurden, gaben sie auch diesen Sport auf, der, wie sie selbst sagten, nicht mehr für Jungen in ihrem Alter passte.
Erst die Versuche Lilienthals und besonders das Nachdenken über seinen tragischen Tod weckten in ihnen die alte Passion zur Flugtechnik wieder. Sie studierten mit grossem Interesse die Werke von Chanute, Marcy, Langley, Mouillard und anderen über die Fortschritte und Untersuchungen des flugtechnischen Problems, und bald gingen sie zu praktischen Versuchen über.
Die Mitbürger von Dayton, die irgendwie in nähere Berührung mit Wilbur und Orville Wright gekommen sind, haben seinerzeit dem Verfasser gegenüber das äusserst bescheidene Wesen der beiden gerühmt. Besonders auch hoben sie hervor, wie sich die Erfinder aus einfachen Verhältnissen emporgearbeitet hätten und mit grossem Fleiss ihrer Fahrradfabrik einen Ruf weit über ihre Heimatstadt hinaus gesichert hätten. Ihre vielseitige Bildung wurde ebenfalls anerkannt, und man konnte sich in ihrer Gesellschaft davon überzeugen, wie gut sie beschlagen waren in der Literatur, in der Musik, Kunst und selbst in der Malerei. Sie sind nicht einseitige fanatische Flugtechniker, sondern verfolgen alle Fortschritte der Luftschiffahrt und brechen keineswegs etwa den Stab über die Konkurrenten, die auf dem Gebiete der aerostatischen Luftschiffahrt tätig sind.
Sie haben in ihrer eigenen Fabrik auch wie gewöhnliche Arbeiter gelernt, und die Franzosen waren überrascht, als sie sahen, wie Wilbur Wright in Le Mans eigenhändig und ohne jede fremde Hilfe im Arbeiterkittel seine Maschine zusammensetzte. Allerdings besass er ein gewisses Misstrauen, das sich auf mancherlei schlechte Erfahrungen stützte. So zum Beispiel wollte er als Klaviersaitendraht nur das Material verwenden, das er sich aus Amerika mitgebracht hatte. Er war sich eben auch bewusst, dass es bei einer so heiklen Maschine, wie es ein Drachenflieger ist, auch auf das Unwesentlichste ankommt, wenn man Erfolg erzielen will.
Die Pünktlichkeit der Brüder ist ebenfalls ganz hervorragend. Allen Verabredungen folgen sie zur Minute, und nie braucht ein bestellter Arbeiter auch nur eine Sekunde auf ihr Erscheinen zu warten.
In den Einöden bei Kill Devil hatten sie gelernt, ein äusserst einfaches Feldleben zu führen. In Le Mans schlief Wilbur Wright in einem einfachen Bett, eigentlich nur in einer grossen Kiste, die bei Tage mittels einer Leine an die Decke gezogen wurde und bei Nacht auf dem Fussboden neben seinem Flieger Platz fand. Dabei bestand der Fliegerschuppen nur aus roh zusammengezimmerten Brettern, und der Raum war keineswegs behaglich, da der Wind über die Ebene des Schiessplatzes zu Auvours mit ungeschwächter Kraft dahinbrausen kann. In Pau bewohnten sie allerdings schon ein komfortableres Quartier, jedoch immer noch gegen das einfachste Zimmer eines einfachen Hotels bescheiden zu nennen.
Beide Brüder sind von grosser Zurückhaltung; sobald sie jedoch jemand bei näherer Bekanntschaft schätzen gelernt haben, so tauen sie etwas mehr auf. Man hat das Gefühl, dass man Leute vor sich hat, auf die man sich in jeder Beziehung und in allen Lagen des Lebens verlassen kann. Ihre Schweigsamkeit ist ja genügend bekannt geworden. Ihre Physiognomie ist meistens sehr ernst; aber bei näherem Verkehr hellt sich das freundliche Auge Wilbur Wrights lebhaft auf. Ihre Ruhe verlieren sie nie. Ob auf den Feldern Tausende von Zuschauern auf einen Flug warteten, ob Prinzen oder Geschäftsleute, die ihre Patente zu erwerben gedachten, sich unter ihnen befanden, nie liessen sie sich zu etwas drängen, das sie nicht wollten; nie liessen sie sich verleiten, einen Flug-Versuch zu wagen in einem Wetter, das ihnen ungünstig war. Die Statur der beiden ist mittelgross. Wilbur ist mit 1,80 Meter etwas grösser als sein Bruder Orville. Beide sind sehr schlank und zeigen nur Muskeln und Sehnen. Man sieht ihnen an, dass sie sich ihr ganzes Leben lang mit einem Sport beschäftigt haben, bei dem es hauptsächlich auf ein sicheres Auge und grosse Geistesgegenwart ankommt. In ihrer Lebensweise sind sie stets überaus nüchtern und enthaltsam gewesen. Auch bei den feierlichsten Anlässen waren sie nicht zu bewegen, Alkohol zu sich zu nehmen. Sie sind fromm, nicht äusserlich vor den Augen der Leute, sondern aus innerem Gefühl. Dies ist leicht verständlich, wenn man an den alten Bischof Wright, der als Priester höchstes Ansehen geniesst, denkt. So haben sie, die heute doch nicht mehr jung sind, in ihrem Leben noch nie eine Andachtsstunde versäumt und es als selbstverständlich erachtet, die Sonntage von jeder Art Arbeit freizuhalten.
Zum näheren Verständnis der ersten praktischen Arbeiten der Brüder Wright ist es erforderlich, die Entwickelung der Flugtechnik in Deutschland ins Auge zu fassen. Hier war es dem Ingenieur Otto Lilienthal gelungen, als erster Mensch die Luft mehrere 100 Meter weit zu durchfliegen. Weiteren technischen Kreisen ist er auch bekannt geworden als Erfinder eines ausgezeichneten Kleinmotors, der seinerzeit für Luftschiffahrtszwecke besonders geeignet erschien, leider jedoch nicht in der richtigen Weise gewürdigt wurde. Auf die Arbeiten dieses hervorragenden Mannes müssen wir deshalb im folgenden etwas näher eingehen.
Otto Lilienthal wurde am 24. Mai 1848 zu Anklam in Pommern geboren. Schon als Junge von 13 Jahren hat er im Verein mit seinem noch jetzt in Gross-Lichterfelde bei Berlin lebenden Bruder Gustav das Fliegen mit den primitivsten Mitteln versucht. Die ersten Flügel, die sich die Brüder bauten, bestanden aus Klappen, welche an die Arme gebunden wurden. Die Versuche wurden meist bei Nacht ausgeführt, weil die Knaben den Spott ihrer Schulgenossen fürchteten. Sie versuchten, schwebend in die Luft zu gelangen, indem sie mit ihren Klappen einen Hügel herabliefen. Lange Jahre wurden dann die Fliegeversuche aufgegeben. Während des Studiums an der Berliner Gewerbe-Akademie fertigte sich Otto Lilienthal in den Jahren 1867/68 seinen komplizierten Apparat an, der vier kleine und zwei grosse Flügel besass, die abwechselnd auf- und niederschlugen. Es gelang ihm bei den Experimenten durch seine Beinbewegung ein Gewicht von 40 Kilogramm zu heben.
Durch einige Studiengenossen hatte der Mathematik-Professor von den Arbeiten Lilienthals gehört und unterliess nicht, ihm sagen zu lassen, es könne ja nicht schaden, wenn er sich mit flugtechnischen Berechnungen die Zeit vertriebe, er möge aber um himmelswillen nicht Geld für solche Sachen ausgeben! Damals war von Staats wegen durch eine besondere Gelehrten-Kommission gerade festgestellt worden, dass der Mensch ein für allemal nicht fliegen könne; es war daher sehr begreiflich, dass man diejenigen, welche sich mit dem Flugproblem beschäftigten, direkt für Narren hielt.
Nach dem Kriege 1870/71, in dem Otto Lilienthal als Einjährig-Freiwilliger des Garde-Füsilier-Regiments—Maikäfer genannt—die Belagerung von Paris mitmachte, wurden die Flugversuche mit besseren technischen Hilfsmitteln nach den eingehendsten Experimenten und Studien wieder aufgenommen, wobei sein Bruder Gustav ihn tatkräftigst unterstützte. Die Maschinen bestanden aus ganz einfachen gewölbten Segelapparaten, die den ausgebreiteten Fittichen eines schwebenden Vogels glichen. Als Gestell diente Weidenholz, als Bezug mit Wachs getränkter Schirting. Festgehalten und gehandhabt wurde der Apparat dadurch, dass man beide Unterarme in entsprechende Polsterungen des Gestelles legte und zwei Handgriffe anfasste. Die Flügelflächen waren anfangs 10, später 8 Quadratmeter gross bei einer Klafterung von 7 Metern und 2 Metern grösster Tiefe. Auch 14 Quadratmeter grosse Flügel kamen gelegentlich zur Verwendung; ihr Gewicht betrug 20 Kilogramm, dazu kam das Gewicht von Lilienthal mit 80 Kilogramm, so dass also insgesamt 100 Kilogramm zum Schweben gebracht werden mussten.
Den einfachen Segelflächen fügte Lilienthal später Steuerflächen hinzu, um eine bessere Einstellung gegen den Wind zu erreichen. Die ganze Bauart der Flugsegel glich in allen Teilen einem Sprengwerk, dessen einzelne Glieder nur auf Zug und Druck beansprucht wurden. Grösste Festigkeit wurde hierdurch mit grösster Leichtigkeit verbunden. Oft stürzte er sich mit diesen Segeln von beliebigen Höhen in die Luft und erreichte stets sicher wieder den Boden.
Um den Transport des Apparates zu erleichtern und ihn vor einem eventuell eintretenden Unwetter zu sichern, wurde die Maschine so eingerichtet, dass sie in einer halben Minute zusammengeklappt werden konnte. Das Auseinanderlegen dauerte ebenfalls nur zwei Minuten. Unter den ausgebreiteten Flügeln konnte man sogar Schutz vor dem Regen finden; 20 Personen hatten unter der schützenden Hülle Platz.
Eingeleitet wurde das Fliegen durch Abschweben gegen den Wind von einem erhöhten Standpunkt. Bei den ersten Sprüngen betrug die Höhe des Sprungbrettes einen, später zwei Meter. Sechs bis sieben Meter weite Sprünge von fünf Metern Höhe wurden mit Anlauf erzielt. Das Landen vollzog sich schon ausserordentlich leicht. Der Gleit- und Segelflug, der auch in neuester Zeit in den Mitgliedern des Schlesischen Flugsportklubs wieder eifrige Anhänger gefunden hat, muss nach den Angaben Lilienthals, wie folgt, ausgeführt werden:
„Man läuft mit gesenkten Flügeln dem Winde bergab entgegen, richtet im geeigneten Augenblick die Tragefläche um Weniges auf, so dass sie annähernd horizontal zu liegen kommt, und sucht, nun in der Luft dahinschwebend, durch die Schwerpunktslage dem Apparat eine solche Stellung zu geben, dass er schnell dahin schiesst und sich möglichst wenig senkt. Anfänger werden gut tun, eine Berglehne zu wählen, über welcher sie in geringer Höhe dahingleiten. Die erste Regel ist, die Beine nach vorn ausgestreckt zu halten und sich beim Landen mit dem Oberkörper hintenüber zu werfen, so dass der Apparat sich aufrichtet und die Bewegung verlangsamt. Das Auffliegen und das Niedersteigen muss stets genau gegen den Wind gerichtet sein. Das vertikale feststehende Steuer sorgt schon dafür, dass in der Ruhe sich der Apparat genau gegen den Wind einstellt. Die liegende Steuerfläche verhindert, wie man dieses an jeder sich setzenden Krähe sehen kann, dass der Apparat nach vorn sich überschlägt, was gewölbte Flächen sonst gern tun. Beim Landen aber darf das liegende Steuer das schnelle Aufrichten des Apparates nicht hindern, es muss sich durch den von unten kommenden Luftdruck um seine Vorderkante drehend aufrichten können, darf also nur eine Hubbegrenzung nach unten haben.
„Besonders zu warnen ist vor folgendem Fehler: Der Uebende schwebt in der Luft und fühlt sich plötzlich vom Winde angehoben, wie gewöhnlich ungleichmässig; beispielsweise der linke Flügel mehr als der rechte. Die schiefe Lage treibt ihn nach rechts hinüber. Unwillkürlich streckt der Neuling nach rechts auch seine Beine aus, weil er den Anprall zur Erde nach rechts voraussieht. Die Folge ist, dass der schon tiefer liegende rechte Flügel noch mehr belastet wird, und der Flug schnell nach rechts sich senkt, bis die rechten Flügelspitzen im Erdreich sitzen und zerknicken. Für Leib und Leben ist weniger Gefahr vorhanden, denn der Apparat bildet nach allen Seiten ein wirkungsvolles Prellwerk, welches die Wucht des Stosses abfängt.“
Abweichungen von der geraden Richtung werden durch Verlegen des Schwerpunktes nach der einen oder andern Seite durch Ausstrecken der Beine bewirkt, wodurch die Flugrichtung abgelenkt wird.
Mehrfach gelang es Lilienthal auf diese Weise sogar, eine vollkommene Drehung auszuführen, so dass er wieder auf seinen Abflugspunkt zuflog. Der Einfluss des Windes zeigte sich bei den Fliegeversuchen frappant. Sobald ein etwas lebhafterer Wind kam, schwebte er hoch über den Köpfen einer staunenden Menge fort, unter Umständen sogar momentan in der Luft auf einer Stelle schweben bleibend.
Sehr unangenehm empfand Lilienthal bei seinen Flügen stärkere, plötzlich auftretende Windstösse, weil bei ihnen die Gefahr vorlag, dass sie—wenn auch nur einen Augenblick—den Apparat von oben treffen könnten, wodurch er unfehlbar in die Tiefe gestürzt und zerschellt worden wäre.
Bei den grössten Flächen—14 Quadratmeter—büsste Lilienthal die Stabilität ein. Gleichzeitig wurde ihm auch die Landung bei stärkeren Winden und grösseren Flächen sehr bedenklich. Wie er selbst sagt, hat er oft in der Luft einen förmlichen Tanz aufführen müssen, um, vom Winde hin und her geworfen, das Gleichgewicht zu behaupten; aber stets gelang es ihm, glücklich zu landen. Er wurde hierdurch jedoch notgedrungen zu den Versuchen geführt, die Lenkbarkeit und leichte Handhabung zu verbessern.
Anfangs hatte er die Lenkung durch einfache Verlegung des Schwerpunktes mit seinem Körper bewirkt, die um so günstiger vonstatten ging, je kleiner die Flügelflächen wären. Da nun bei stärkerem Winde die Anwendung kleinerer Flächen keinen besonderen Nutzen gewährte, vielmehr sich die Notwendigkeit herausstellte, eine grössere Fläche zum Heben zu gewinnen, so versuchte er zwei parallele Flächen übereinander anzubringen. Es gelang dies überraschend gut. Der Doppelapparat hatte nur 5-1/2 Meter Spannweite bei zwei Trageflächen von je 9 Quadratmetern, deren obere etwas über der unteren lag.
Die erreichte Höhe wurde ganz bedeutend grösser, oft wurde der Abfliegepunkt um ein erhebliches Stück überflogen, sobald die Winde bis über 10 Meter in der Sekunde stark waren.
Beim Landen bei geringem Winde musste der Apparat vorn durch Zurücklegen des Körpers gehoben und dann unmittelbar über dem Boden die Beine wie beim Sprunge, schnell vorgeworfen werden, da sonst der Körper einen sehr unangenehmen Stoss erhalten hätte. Bei etwas stärkerem Winde dagegen senkte der Apparat sich sehr sanft zur Erde.
Bei den aufgeführten Uebungen hat Lilienthal stets die hebende Kraft des Windes deutlich gespürt, und er sagt ausdrücklich, dass der Wind auch eine Bewegung ähnlich dem Kreisen der Vögel hätte einleiten und den Apparat nach links oder rechts drehen wollen; aber infolge der Nähe des Berges, von dem er abgeflogen sei, hätte er sich nicht darauf einlassen dürfen.
Als Uebungsplatz hatte sich Lilienthal 1891 einen günstigen Platz zwischen Werder und Gross-Kreuz ausgesucht, wo sich auf grossen freiliegenden Höhen ein Absprung von 5 bis 6 Metern erzielen liess. Hier machte er seine Versuche gemeinschaftlich mit einem Techniker seiner Maschinenfabrik, Hugo Eulitz. Der jetzige Professor im Meteorologischen Institut zu Berlin, Dr. Kassner, hat seinerzeit zahlreiche vortreffliche Aufnahmen Lilienthals und seines Assistenten angefertigt, die auf der Frankfurter Luftschiffahrts-Ausstellung ausgestellt sind. Die Flugweite wuchs hier auf 20-25 Meter. 1892 suchte er sodann die 10 Meter hohen Abhänge bei Steglitz und Südende auf. Im Anfang des folgenden Jahres baute er auf der Maihöhe bei Steglitz einen Schuppen, so dass er eine Absprunghöhe von 10 Metern erzielte. Ende desselben Jahres zog er dann fort nach den Rhinower Bergen zwischen Rathenow und der Dosse, wo sich Hügelketten bis zu 60 Meter Höhe befinden. Auf dem Stöller Berge fand er sogar eine Absprunghöhe von 80 Metern. Die Senkung der Hügel betrug etwa 10 bis zu 20 Grad.
Als Lilienthal zuerst hier übte, war er sehr ängstlich. Er sagte selbst: „Als ich in diesem Jahre zum erstenmal an diesem Bergabhange mein Flugzeug entfaltete, überkam mich freilich ein etwas ängstliches Gefühl, als ich mir sagte: Von hier ab sollst du nun in das tief da unten liegende, weit ausgedehnte Land hinaussegeln! Allein die ersten vorsichtigen Sprünge gaben mir bald das Bewusstsein der Sicherheit zurück, denn der Segelflug ging hier ungleich günstiger vonstatten, als von meinem Fliegeturme. Der Wind bäumte hier nicht so auf wie vor dem letzteren, wo ich jedesmal beim Passieren der Absprungkante einen ungleichmässigen Windstoss von unten empfing, der mir oft verhängnisvoll zu werden drohte.“
Hier hat sich der einzige, allerdings glücklich verlaufene Unfall ereignet, der bei den zahlreichen Flügen vorgekommen ist, sowie auch der spätere Todessturz. Die erste Havarie fand auf dem Stöllen-Berge 1895 statt. Der dabei benutzte Apparat hatte ein genaues, mit der Kreislinie fast zusammenfallendes Parabelprofil, bei dem der Pilot sich mit dem Hinterkörper bedeutend hintenüber legen musste, um in der Luft mit dem Apparat nicht vornüber zu schiessen. Lilienthal schildert seinen Unfall in der „Zeitschrift für Luftschiffahrt“ vom Jahre 1895, wie folgt: „Bei einem von grosser Höhe ausgeführten Segelfluge gab dies—Hintenüberlegen des Körpers—die Veranlassung, dass ich bei gestreckten Armen in eine Körperlage geriet, bei welcher der Schwerpunkt zu weit nach hinten lag, während es mir bei der bereits eingetretenen Ermüdung nicht möglich war, die Oberarme wieder vorzuziehen. Als ich so in 20 Metern Höhe mit etwa 15 Metern Geschwindigkeit dahinsegelte, richtete sich der hinten zu sehr belastete Apparat immer mehr auf und schoss schliesslich durch seine lebendige Kraft senkrecht in die Höhe. Ich hielt mich krampfhaft fest, sah nichts als den blauen Himmel mit weissen Wölkchen über mir und erwartete den Moment, wo der Apparat hintenüberschlagen würde, um meine Segelversuche vielleicht für immer zu beenden. Plötzlich jedoch hielt der Apparat im Ansteigen inne und ging rückwärts aus der Höhe wieder herab, lenkte in kurzem Kreisbogen durch den schräg aufwärts gerichteten Horizontalschweif mit dem Hinterteil wieder nach oben, stellte sich hierbei auf den Kopf und sauste nun mit mir aus etwa 20 Meter Höhe senkrecht zur Erde hinunter. Mit klarem Bewusstsein, die Arme und den Kopf voran, den Apparat immer noch an den Handhaben festhaltend, stürzte ich dem grünen Rasen zu.—Ein Stoss, ein Krach, und ich lag mit dem Apparat auf der Erde. Eine Fleischwunde an der linken Seite des Kopfes, mit dem ich auf das Apparatgestell geschlagen war, und das verstauchte linke Handgelenk waren die einzigen schlimmen Folgen dieses Unfalles. Der Apparat war, so wunderbar es klingt, ganz unversehrt. Ich selbst sowohl wie mein Segelzeug waren gerettet worden, durch den elastischen Prellbügel, den ich wie durch eine höhere Fügung gerade zum ersten Male vorn am Apparat angebracht hatte. Der aus Weidenholz hergestellte Prellbügel selbst war vollkommen zersplittert, seine einzelnen Teile hatten sich fuss-tief in die Erde eingebohrt, so dass sie nur mit Anstrengung herausgezogen werden konnten.“
Dieser Unfall gab zu einigen Veränderungen Veranlassung: Der Angriffspunkt der Hände wurde mehr nach hinten gerückt, und es wurde dafür gesorgt, dass der Oberkörper nicht mehr ganz hintenüberfallen konnte. Lilienthal schloss aus seinen früheren und späteren Versuchen, dass man die Profilfläche, trotz ihrer vorzüglichen Tragewirkung bei freien Segelflügen, nicht bis zu ein Zwölftel der Flügelbreite ausdehnen dürfe, sondern nur bis zu ein Fünfzehntel oder ein Achtzehntel.
Um nicht mehr von der Windrichtung abhängig zu sein, errichtete er sich schliesslich im Jahre 1894 in Gross-Lichterfelde eigens einen kegelförmigen Hügeln von 15 Metern Höhe und 70 Metern Grundlinie, der oben zur Aufnahme der Flugapparate ausgebaut war. Die Höhe dieses Hügels wurde später auf 30 Meter vergrössert. Hier vermochte er nach allen Himmelsrichtungen abzufliegen. Viele Hunderte von Flügen hat Lilienthal mit grosser Sicherheit ausgeführt, so dass er schliesslich seine Versuche über den Gleitflug als abgeschlossen betrachten konnte. Er wollte nunmehr einen grossen Schritt weiter gehen und zum Bau einer Motor-Flugmaschine schreiten, die ein Gewicht von 40 Kilogramm erhielt bei einer Leistung von 2 1/2 Pferdestärke. Auf dem Stöllenberge bei Rhinow hatte er am 9. August wieder einen Gleitflug ausgeführt und dabei die Steuerung eines horizontalen Schweifes, der durch Kopfbewegungen betätigt wurde, versucht. Bei einem zweiten Fluge, der zunächst bis zur halben Länge in gerader Richtung vorwärts ging, neigte sich nach den Angaben eines Augenzeugen der Apparat plötzlich nach vorn und schoss pfeilschnell aus der Höhe von 15 Metern zur Erde, sich dabei überschlagend. Mit gebrochenem Genick wurde Lilienthal aus den Trümmern hervorgezogen, und am 10. August erlag er seinen schweren Verletzungen.
Dieser tragische Unglücksfall schreckte in Deutschland für die kommende Zeit ab, weitere Flugversuche zu unternehmen. Auch der Bruder Lilienthals befasste sich, von anderen Arbeiten in Anspruch genommen, nicht mehr mit der Flugfrage. Erst jetzt hat er das Studium wieder aufgenommen und ist im Begriff, einen Flugapparat zu erbauen.
Man vergass über den Todessturz vollkommen die begeisterte Schilderung, die Lilienthal selbst 1894 von seinen Flugversuchen gegeben hat:
„Man braucht bei diesem Segeln keine Kraftleistung und hat nur durch die Schwerpunktslage den Apparat zu steuern. Nebenbei ist es ein grossartiges Vergnügen, von den Bergen und Hügeln weit in das Land hinauszuschweben, so dass für die Laien wie für die Fachleute ein solcher Fliegesport ebenso unterhaltend wie lehrreich als auch kräftigend sich zeigt. Es ist keine einzige Belustigung im Freien denkbar, welche mit soviel Uebung in der Gewandtheit des Körpers, mit so viel Schärfung der Sinne und Förderung der Geistesgegenwart verbunden wäre, als dieses schwungvolle Dahingleiten durch die Luft. Wir können uns minutenlang in der Luft aufhalten, auf Strecken von mehreren hundert Metern mit Kurierzuggeschwindigkeit die Luft durchschneiden und dennoch sanft und gefahrlos uns wieder zur Erde niederlassen.“
In England und Amerika hatte man sich inzwischen eifrigst mit der Verfolgung der Lilienthalschen Gedanken beschäftigt. In England war es besonders der Marine-Ingenieur Percy Sinclair Pilcher, der bereits im Jahre 1894 sich von Lilienthal einen Flugapparat kaufte, mit dem er zahlreiche Versuche anstellte. Naturgemäss kam er hierbei auch zur Entwickelung selbständiger Ideen, und er konstruierte sich, nachdem er verschiedene Versuche mit dem amerikanischen Kastendrachen von Hargrave angestellt hatte, mehrere eigene Apparate, die sich namentlich durch grössere Stabilität auszeichnen sollten als ihr deutsches Vorbild. Die Versuche mit Drachen führten Pilcher dazu, seine Apparate an einer Schnur auszuprobieren. Er liess eine 300 Meter lange Leine an dem Drachenflieger befestigen und durch galoppierende Pferde unter Benutzung einer Flaschenzug-Uebertragung gegen den Wind anziehen. Sobald nun der Flieger unter der Drachenwirkung hoch in der Luft schwebte, legte der Luftschiffer seinen Körper langsam vor, schnitt die Halteleine durch, um alsbald, in sanft absteigender Bahn gleitend, wieder zur Erde niederzukommen. Auch eine mit einem 4 PS. Petroleummotor versehene Flugmaschine hatte er gebaut. Am 30. September 1899 wurden zu Stanfordpark bei Market Harborough verschiedene Angehörige des englischen Aeroklubs, dessen Mitglied er 1907 geworden war, auch der bekannte Flugtechniker Major Baden-Powell, zu Versuchen eingeladen. In der geschilderten Weise liess er seinen Flugapparat durch die Pferde in Bewegung setzen, die Leine wurde zerschnitten, und der Luftschiffer glitt wie ein grosser Vogel in sanftem Gleitfluge zur Erde. Nachdem die Startvorrichtung schnell wieder in Ordnung gebracht war, begann der zweite Versuch. Der Flieger kam, durch Regen beschwert, erst langsam in die erforderliche Geschwindigkeit und stieg dann bis auf eine Höhe von 10 Metern. Plötzlich brach das Schwanzruder mit lautem Krachen zusammen, der Apparat kippte, ähnlich wie bei Lilienthal, nach vorn über und fiel, sich überschlagend, zur Erde. Unter den Trümmern lag Pilcher bewusstlos und wimmernd. Mit Mühe konnten ihn zufällig anwesende Aerzte aus dem Trümmerhaufen herausziehen und nach Hause transportieren. Zwei Tage darauf starb er jedoch, ohne vorher das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Man vermutet, dass durch den Regen sich die Stricke verkürzten und das Gerüst des Hintersteuers durch gleichzeitige starke Beanspruchung brach. In England hat dann hauptsächlich Baden-Powell weitere Versuche in der Flugtechnik angestellt, die namentlich dazu führten, dass er für Kriegszwecke Drachen erbaute, mit Hilfe deren man Menschen in die Luft zu heben vermochte.
In Amerika haben die Lilienthalschen Versuche besonders bei dem Ingenieur Octave Chanute Verständnis geweckt. Am 18. Februar 1832 in Paris geboren, kam er bereits als 6jähriges Kind nach Amerika. Chanute hat sich in seiner neuen Heimat einen bedeutenden Namen als Ingenieur im Eisenbahnwesen gemacht, wo er beim Bau von Bahnen eine sehr fruchtbare Tätigkeit entwickelt hat; manche gute Erfindung verdankt ihm ihre Existenz. Durch das Vertrauen seiner Landsleute wurde er seinerzeit zum Präsidenten des Vereins amerikanischer Ingenieure erwählt. Sein Interesse für die Luftschiffahrt ist auf die Jahre 1876 und 1878 zurückzuführen. Zu jener Zeit sammelte er alle Projekte über Luftschiffahrt, deren er habhaft werden konnte. Da er aber durch seine Berufstätigkeit ausserordentlich in Anspruch genommen war, steckte er das neue Studium eines Tages wieder auf, band alle Schriftstücke zu einem Bündel zusammen und legte sie beiseite.
Erst 11 Jahre später gewann er wieder Zeit, sich mit seiner alten Lieblingsidee zu beschäftigen. Er machte eine Studienreise nach Europa, deren Ergebnis er nach seiner Rückkehr in verschiedenen Vorträgen und Artikeln niederlegte. Damals schrieb Chanute das in Luftschifferkreisen weltberühmte Buch: „Progress in Flying Machines“—Fortschritte auf dem Gebiete der Flugmaschinen—, in dem er eine kritische Uebersicht aller bis dahin gemachten Experimente gab. Er war zu der Ansicht gekommen, dass namentlich der Gleichgewichtsmangel ein Haupthindernis aller Fortschritte sei. Sein Streben ging deshalb dahin, diesen Mangel zu beseitigen. Er machte unzählige Versuche mit den verschiedensten Formen von Flächen und kam zu dem Resultat, dass sein Leiter-Drachen, bei dem die Tragezellen durch ein Diagonal-Rahmenwerk in jeden beliebigen Winkel zur Luftströmung eingestellt werden konnten, die besten Resultate ergab. Der einer Trittleiter sehr ähnlich sehende, aus drei kastenförmigen Hargrave-Drachen zusammengesetzte Flieger erwies sich als ausserordentlich stabil. Chanute erbaute alsdann einen Gleitflieger in einer solchen Grösse, dass ein Mann durch die Fläche getragen werden konnte.
In seinen Veröffentlichungen gab er damals der Ansicht Ausdruck, es sei nötig, bei den Versuchen sehr vorsichtig zu Werke zu gehen, was dazu führte, dass man mit leichtem Hohne ihm vorwarf, dieser Rat sei wohl leicht zu geben, aber schwer zu befolgen. Nunmehr wollte er seine Ratschläge in die Tat umsetzen und baute einen Vieldecker nach dem Prinzip seines Leiter-Drachens, der am Mittelgestell mehrere Paar sich um ihre Achse drehende Flügel besass, die durch Federkraft in Spannung gehalten wurden. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied seiner Konstruktion vor derjenigen Lilienthals. Während dieser das Gleichgewicht durch die Bewegung seiner Beine halten musste, wurde bei dem Chanuteschen Apparat das Gleichgewicht automatisch durch den Wind gehalten, der die Flügel selbsttätig je nach seiner Kraft in eine geringere oder grössere Neigung einstellte. Die neue Maschine erwies sich als sehr stabil, als sie im freien Segelfluge nach Lilienthalscher Art in Sanddünen am Michigansee, zirka 50 Kilometer von Chicago entfernt, versucht wurde. Jedoch war der Neigungswinkel zu steil. Als Uebelstand zeigte sich, dass die vorderen Flügel die Luft nach abwärts führten und dadurch die Tragkraft der übrigen verminderten. Chanute brachte nacheinander bis zu fünf Paar Flächen am vorderen Teile an, und der Neigungswinkel wurde dadurch verringert, bis er etwa dieselbe Neigung erhielt, wie bei den Lilienthalschen Gleitfliegern.
Im Dezember 1895 gewann sich Chanute die Hilfe des Ingenieurs Herring, der sich schon mehrere Jahre mit aviatischen Versuchen beschäftigte und einen seiner Lilienthalschen Flieger, die er schon in New York erprobt hatte, für weitere Versuche umbaute.
Beim weiteren Ausbau seiner Apparate stellte Chanute zur Verminderung des Luftwiderstandes einen Dreiflächenflieger her, aus dem sich schliesslich der Doppeldecker entwickelt hat, der jetzt bei grosser Haltbarkeit durch eine sinnreiche Brücken-Diagonal-Tragband-Konstruktion nur ein Minimum von Material erfordert. An diesen Apparaten war ein sehr praktischer selbstregulierender Mechanismus angebracht, den Herrings erfunden hatte. Die praktischen Segelflugversuche wurden im Dune-Park im Jahre 1896 ausgeführt. Im ganzen machten Chanute selbst sowie seine Assistenten, Herring, Avery und Butusoff, etwa 2000 Gleitflüge ohne den geringsten Unfall, wenn auch die Flugmaschine in einigen Fällen leicht beschädigt wurde.
Im Jahre 1902 baute Chanute einen dritten Typ, bei dem das Gleichgewicht durch Vor- und Zurückschwingen der Flügel um ihre Achse gehalten wurde. Dieser Dreidecker hatte ausgezeichnete Resultate und wurde den Brüdern Wright zu Versuchen übergeben. 1904 stellte Chanute zu St. Louis einen Apparat zum Vorwärtsziehen eines Gleitfliegers aus; er hatte dabei die Experimente Pilchers vor Augen, der, wie schon erwähnt, seine Flugmaschine durch Pferde in die Luft fierte. Chanute benutzte zum Hochfieren seiner Apparate einen auf einen Wagen gesetzten Dynamo.
In der Folge gab er aber, als die Brüder Wright immer mehr hervortraten, seine Experimente auf. Einerseits veranlasste ihn hierzu sein hohes Alter—er ist gegenwärtig 77 Jahre alt—und anderseits war er zu den Wrights in nähere Beziehungen getreten und hatte in ihnen Leute schätzen gelernt, die mit grosser Energie und Sachkenntnis sich dem Flugproblem widmeten. Ihre mechanischen Vorkenntnisse, ihre grosse Praxis in der Kleinmechanik und ihre körperliche Behendigkeit befähigten die beiden seiner Ansicht nach, das Werk zu einem durchschlagenden Erfolge zu führen. Er hat ihnen deshalb nach Aufgabe seiner Versuche soviel wie möglich geholfen; er ist ihnen mit dem reichen Schatz seiner Erfahrungen beigesprungen und bei ihren Berechnungen behilflich geworden. Später, als man den Mitteilungen über die Erfolge Wrights nirgends Glauben schenken wollte, hat er sich durch Wort und Schrift bemüht, ihnen die verdiente Anerkennung zu verschaffen. Wenn in der Geschichte der Luftschiffahrt das Wirken der Wrights gewürdigt wird, so darf man keinesfalls den Namen Chanute dabei vergessen, der in selbstloser Weise im Interesse der Flugtechnik gewirkt hat.
Wilbur Wright schildert seinen und seines Bruders aeronautischen Werdegang eingehend in der Zeitschrift des Vereins der westamerikanischen Ingenieure vom Dezember 1901 unter dem Titel: Einige aeronautische Versuche (Some Aeronautical Experiments). Das in der Jugend schon bezeigte Interesse an Flugversuchen wurde bei Wilbur Wright zuerst wieder im Jahre 1896 neu geweckt, als der Telegraph die Nachricht nach Amerika brachte, dass der deutsche Flugtechniker Lilienthal bei seinen aufsehenerregenden Experimenten abgestürzt und umgekommen sei. Er begann darüber nachzudenken, wodurch wohl der Sturz dieses Mannes hervorgerufen worden sei, der doch schon eine grosse Anzahl von Flügen glücklich ausgeführt hatte. Zunächst studierte er die modernen Bücher, die sich namentlich mit dem Vogelflug beschäftigten, so besonders das Werk von Professor Marey. Als bald darauf auch sein Bruder Orville sich für das Flugproblem zu interessieren begann, beschlossen beide, praktische Versuche zu unternehmen. Die meisten Misserfolge hatten nach ihrer Ueberzeugung ihren Hauptgrund in ungenügender praktischer Uebung der Fliegekunst. Sie rechneten sich aus, dass Lilienthal während 5 Jahren im ganzen nur ungefähr 5 Stunden im freien Fluge zugebracht habe. Als Fachleute in der Fahrradtechnik verglichen sie diese Studienzeit mit den Vorübungen eines Radfahrers, der doch auf keinen Fall in lebhaften Strassen fahren könne, wenn er nur 5 Stunden lang Fahrversuche angestellt hätte. Freilich, Lilienthal hatte—das mussten sie anerkennen—bei seiner geringen Uebungszeit ausserordentlich viel gelernt und eine Steigerung der Dauer eines ununterbrochenen Fluges auf 10 Sekunden musste man schon als gewaltigen Fortschritt betrachten.
Sie beschlossen, eine Maschine zu erbauen und sie bei einer Windstärke von etwa 28 Kilometer Geschwindigkeit pro Stunde zu erproben. Von vornherein sollten die Proben zunächst an einer Schnur wie bei einem Drachen, vorgenommen werden. Der anfänglich grösser geplante Gleitflieger wurde etwa 18 Quadratmeter gross gemacht. Die Maschine war ein Doppeldecker mit zwei grossen Trageflächen nach dem System Chanutes. Doch hatten die Brüder schon ganz wesentliche Aenderungen an ihrer Maschine vorgenommen. Der sonst übliche „Schwanz“ war fortgelassen und durch eine kleinere Tragfläche ersetzt, die sich vor den Hauptflächen befand. Hierdurch gedachten sie ein Kippen des Apparates zu verhindern, indem der Winddruck durch die Wirkung auf die kleine Fläche als Gegenlast zu den grossen diente. Eine weitere grundsätzliche Aenderung bestand darin, dass der Pilot nicht, wie es bisher immer geschehen war, sich in aufrechter, sondern in liegender Stellung befand.
Ueber die Vorteile der horizontalen Lage des Luftschiffers im Gleitflieger hat sich Wilbur Wright wiederholt geäussert. Hauptsächlich betont er, dass der Widerstand eines Körpers gegen die Luft in aufrechter Stellung fast dreimal so gross ist als in waagerechter Haltung. Während Lilienthal und seine Nachfolger Chanute, Herrings und Pilcher annahmen, dass pendelnde Bewegungen der Beine nach vorn, rückwärts und nach den Seiten wesentlich zur Sicherheit des Fluges und zur Erhaltung des Gleichgewichts beitrügen, sind die Wrights durch ihre jahrelangen Versuche zur Erkenntnis gekommen, dass gerade ihre Lage beim Fliegen bedeutende Vorzüge biete. Vor allen Dingen finden wir bei ihnen das Bestreben, sich möglichst eins mit der Maschine zu fühlen. Sie gehen dabei von der ganz richtigen Annahme aus, dass sie dadurch die kleinsten Gleichgewichtsstörungen leichter bemerken und ihnen durch geringe Verschiebungen in der Lage ihres Körpers entgegenwirken können. Auch die Lenkbarkeit ist in dieser Stellung grösser. Wenn der Wind plötzlich einen grösseren Druck auf die Tragflächen ausübt, wird die Schrägstellung viel leichter bewirkt, wenn der Aviatiker nur mit den Armen in der Maschine hängt, als wenn er darin liegt, denn der pendelnde Körperteil des Menschen wird bei solchen Veränderungen der Tragflächenlage nicht mitbetroffen, weswegen der Widerstand gegen derartige Gleichgewichtsstörungen in diesem Falle viel geringer ist. Nur bei der Abfahrt und beim Landen bietet die hängende Lage Vorteile, weil der Pilot keiner fremden Hilfe bedarf und allein gegen den Wind anlaufen kann. Die Wrights nun mussten entweder, wie sie zuerst taten, mit ihrem Apparat gegen den Wind anlaufen und sich, sobald der Flieger ins Schweben kam, turnend in liegende Stellung bringen, oder aber, wie sie es zuletzt taten, durch zwei Leute in die Luft fieren lassen. Ebenso konnten sie bei der Landung durch ihre Beine leichter den Stoss federnd auffangen. Für längere Gleitflüge nun ist die hängende Lage ausserordentlich ermüdend. Auch die ausgleichenden Bewegungen gegen die Gleichgewichtsstörungen erfordern einen unverhältnismässig grossen Kraftaufwand, der lange Flüge überhaupt ausschliessen würde. In horizontaler Lage fallen diese Kraftanstrengungen überhaupt fort, da die Maschine schon infolge grösserer Trägheit schwerer die Tendenz der Stabilität verlieren wird. Dass die Art dieser Gleitflüge nur auf weichem Boden ausführbar wäre, sei allerdings der Nachteil, immerhin aber sei die Gefahr, sich beim Landen zu verletzen, weit geringer, als man annähme. Die Brüder haben Landungen nach beiden Methoden versucht und sich bei keiner verletzt. Das seitliche Gleichgewicht und die Steuerung, die bei Lilienthal und Chanute durch die Bewegung des Luftschiffers hervorgerufen wurde, sollte schon bei dem ersten Wrightschen Apparat durch eine Krümmung der Haupttragefläche bewirkt werden, auf deren nähere Beschreibung wir weiter unten zurückkommen wollen.
Ein hervorragend geeignetes Flugfeld wurde in Kitty Hawk in Nordkarolina gefunden, einem kleinen Orte auf der Landzunge, die Albe-Marle-Sund vom Atlantischen Ozean scheidet. Zunächst liessen die Brüder Wright den Gleitflieger wie einen Drachen bei einer Luftströmungsgeschwindigkeit von 40-50 km in der Stunde steigen, wobei die Flächen sich unter einem Winkel von etwa 3 Grad einstellten. Sobald aber der Flieger mit einer Person belastet wurde und bei einem Wind von 40 km aufstieg, stellten sie sich auf 20 Grad. Es ergab sich nun aber bald, dass an schönen Tagen Winde von 50 km in der Stunde, die eine bedeutend grössere Hubkraft zeigten, seltener waren, und dass es deshalb unmöglich war, Tag für Tag und Stunde für Stunde zu üben. Durch die Versuche erkannte man auch schon, dass die seitliche Stabilität weit besser gehalten werden konnte, wenn man die Trageflächen durch Hebel drehte, als wenn der Luftschiffer durch Körperbewegungen Gleichgewichtsstörungen entgegen wirken wollte. Bei den Versuchen an einer Schnur wurden die Steuerhebel von unten aus durch Leinen bewegt.
Die Zeit, in der praktische Uebungen mit dem bemannten Flieger nicht angestellt werden konnten, wurde dazu benutzt, Messungen von Hub und Zug bei verschiedenen Belastungen und mit verschiedenen Krümmungsgrössen der Flächen zu unternehmen. Hierbei stellte es sich heraus, dass das Krümmungsverhältnis von 1:22—Krümmung zur Tiefe der Tragfläche—das sie bei ihrer ersten Konstruktion angewandt hatten, einen nicht so guten Hub ergab, als das Verhältnis 1:12.
Die Gleitflugversuche wurden 6 km südlich von Kitty Hawk von dem Kill-Devil-Sandhügel unternommen, der bei einer Neigung von 9,5 Grad eine Höhe von 35 m hat. Die Brüder wagten jedoch erst dann vom Boden in die Luft zu springen, wenn der Wind etwa eine Stundengeschwindigkeit von über 20 km besass. Zunächst rannte der Experimentator von einer Stelle etwas unterhalb des Gipfels gegen den Wind vorwärts, schwang sich in die Luft und turnte dann schnell in die liegende Stellung. Da dies immer die Stabilität sehr störte, wurden die Gleitflüge bald mit Hilfe zweier an den Seiten der Flächen stehenden Leute eingeleitet, welche die Maschine führten und mit ihr eine Strecke vorwärts liefen. Die Landung erfolgte wider Erwarten ausserordentlich leicht. Wenn auch die Geschwindigkeit des Fluges 35 km in der Stunde betrug, so nahm doch weder der Flieger noch der Fahrer irgendwelchen Schaden. Die Maschine gehorchte ausserordentlich leicht auch den leisesten Bewegungen der vorn angebrachten Steuerflächen.
Nachdem die Gleitflugversuche des Jahres 1900 beendet waren, fassten die Wrights die gewonnenen Resultate zusammen und stellten folgende Sätze auf:
1. Praxis ist der Schlüssel des Fluggeheimnisses.
2. Der Luftschiffer soll sich in horizontaler Lage befinden.
3. Eine schmale Tragfläche, die eine umgekehrte Neigung hat als die
Haupttrageflächen, ist zur Steuerung erforderlich.
4. Die Steuerung muss bewirkt werden können, ohne dass der Pilot seine
Stellung verändert, und endlich
5. die seitliche Stabilität wird weit besser durch Verwinden der Trageflächen
gewährleistet, als durch Körperbewegungen.
Im Jahre 1901 vergrösserten die Wrights ihre Maschine auf 35 Quadratmeter und gaben den Trageflächen eine Wölbung von 1:12. Somit waren sie, was Grösse der Trageflächen und ihre Wölbung anbelangt, auf dieselben Grössen gekommen, wie sie von Lilienthal anfänglich konstruiert waren. Dieser hatte zwar eine geringere Wölbung 1:15 bzw. 1:18 zuletzt angewendet, aber er hatte festgestellt, dass die grösste Hubkraft bei einer Krümmungsflache von 1:12 vorhanden war, jedoch gleichzeitig auch erfahren, dass das Gleichgewicht hierbei schwerer zu halten war. Am 27. Juli begannen im Beisein Chanutes die neuen Versuche, die bald zu einer Verringerung der Krümmung führten. Nach kurzer Zeit schon gelang es ihnen wieder die alte Praxis zu erwerben und 100 Meter weit zu gleiten; nach mehreren Tagen bereits konnten sie schon in einem kräftigeren Winde von 25 bis zu 45 km Geschwindigkeit durch die Luft segeln. Die Erfolge bewirkten, dass die Wrights, die ursprünglich das Fliegen nur als Sport betrachteten, nunmehr wissenschaftlich die einschlägigen Fragen zu lösen versuchten. Sie bauten sich mehrere Modellmaschinen für Winddruckmessungen und machten eine grosse Reihe von Versuchen mit den verschiedensten Oberflächen, die unter einem Winkel von 0-45° in Intervallen von 2-1/2 Grad eingestellt waren.
So theoretisch wohl vorbereitet nahmen sie im August 1902 auf dem alten Felde bei Kitty Hawk ihre Versuche wieder auf. Im Jahre 1900 hatte die Breite ihres Fliegers 5,64 Meter betragen, die Tiefe 1,52 Meter, die gesamte Oberfläche mit Steuer 15,6 Quadratmeter und das Gewicht 21,8 Kilogramm. 1901 wurden die Grössenverhältnisse auf folgende Zahlen gebracht: Breite 6,7 Meter, Tiefe 2,13 Meter, Oberfläche 21,0 Quadratmeter, Gewicht 45,5 Kilogramm; 1902 auf 9,75 Meter, 1,52 Meter, 28,4 Quadratmeter und 53,0 Kilogramm.
Der Abstand der in Etagen angeordneten Haupttrageflächen betrug etwa 1,40 Meter. Das vertikale Horizontalsteuer wurde verdoppelt und mit seiner 1,3 Quadratmeter grossen Fläche wie ein zweiteiliger Schwanz an der hinteren Seite angebracht. Das Gestell, bestand aus Fichtenholz, das mit Stahldrähten in Brückenkonstruktion zusammengehalten wurde. Das Verspannen der Drähte war auf geniale Weise durchgeführt in der Weise, dass man beliebig später die Drähte anziehen oder lösen konnte. Als Material war Klaviersaitendraht benutzt worden. Die Bespannung der Flächen war mit Ballonstoff erfolgt, der eine geringe oder fast gar keine Durchlässigkeit für die Luft besitzt. Die erste Konstruktion aus durchlässigem Stoff hatte sich als ungeeignet erwiesen.
Wieder wurden die Versuche zunächst an einer Fesselleine ohne Bemannung begonnen, und erst, als die Stabilität der neuen Maschinen unzweifelhaft feststand, begannen die Brüder mit den Gleitversuohen. Beide erlangten alsbald eine ausserordentliche grosse Uebung und lernten vor allen Dingen den Einfluss des mit wechselnder Richtung und Kraft blasenden Windes kennen. Natürlich blieben den beiden auch Unfälle nicht erspart, und gelegentlich erlitt auch ihre Maschine einige Havarien. Doch im allgemeinen sind diese Zwischenfälle nur gering zu nennen gegen die grosse Anzahl der Flüge. Insbesondere ist es bemerkenswert, dass die Landungen normalerweise immer sehr sanft vor sich gingen. Der Flugmaschine hat man bekanntlich gerade vorgeworfen, dass die Landungen meist mit sehr heftigem Stosse von statten gehen müssten, weil die Hilfe des Gasauftriebes fehle. Der Vergleich, den man hierbei mit der Landung eines Freiballons gezogen hat, hat sich als genau so unzutreffend erwiesen, wie bei den Landungen mit schweren Motorballons, deren Niedergehen auf die Erde man sich ohne heftigen Stoss gar nicht vorstellen konnte. Vorzüglich bewährte sich gerade bei den Landungen das vordere Höhensteuer, das, im letzten Moment etwas gehoben, die Landung besonders sanft gestaltete.
Die Gleitversuche gelangen schliesslich in diesem Jahre auch bei Windgeschwindigkeiten bis zu 16,7 Metern in der Sekunde. Die Flugdauer betrug im allgemeinen bis zu 15 Sekunden, doch wurde sie schliesslich schon bis zu 26 Sekunden gesteigert. Im ganzen wurden im Jahre 1902 etwa 1000 Flüge unternommen, deren längster bei einer Flugdauer von 26 Sekunden eine Strecke von 622,5 Metern betrug.
Nunmehr fassten die Brüder den Plan, einen Motor in ihre Maschine einzubauen; sie nahmen deswegen zunächst eingehende Messungen vor über die Hubkraft ihres Apparates und stellten fest, welche Motorkraft zum Heben ihrer Maschinen bei den verschiedenen Windgeschwindigkeiten erforderlich war. Das Gewicht der Maschine von 1902 betrug 53,0 Kilogramm, dazu kamen die Gewichte der beiden Piloten: Wilbur Wright 61,4 Kilogramm und Orville Wright 65,2 Kilogramm, so dass also im ganzen entweder 114,4 Kilogramm oder 118,2 Kilogramm zu heben waren. Es stellte sich heraus, dass bei 25 km Windgeschwindigkeit die Hubkraft etwa 1-1/2 PS betrug, bei 40 km Geschwindigkeit 2 PS. Die Landung ging meist in einem Winkel vor sich, der zwischen 6 Grad 10 Min. und 7 Grad 20 Min. schwankte. Durch diesen geringen Winkel wurde die Landung ebenfalls sehr erleichtert. Anfangs des Jahres 1903 wurden diese Versuche noch weiter fortgesetzt, und gelegentlich, bei starkem Winde vermochte Wilbur Wright 72 Sekunden in der Luft zu bleiben, wobei er durch den Wind zeitweise über derselben Stelle am Boden in der Luft gehalten oder zurückgetrieben wurde. Die zurückgelegte Strecke betrug bei diesem Rekordflug nicht mehr als 30 Meter. Der geplante Motorflieger war für ein Gewicht von 300 kg berechnet und sollte 8 PS besitzen. Die Schrauben waren sehr einfach konstruiert und den in der Schiffahrt angewandten nachgeahmt. Bei den Motorproben veränderten sie jedoch die Form ihrer Schrauben und gelangten zu der Form, die noch heute ihre Maschine besitzt. Der Nutzeffekt betrug ursprünglich 66 Proz., demnach ein Drittel mehr als bei den Schrauben, welche die Flugtechniker Maxim und Langley angewandt hatten; heute soll er über 70 Proz. betragen. Ende 1903 begannen sodann die Flugversuche mit dem Motorflieger.
Bei der Arbeit hatte die Flugmaschine verschiedene Veränderungen erfahren. Der Motor erhielt 16 PS und wog, Vergaser und Schwungrad eingeschlossen, 62,7 Kilogramm. Es wurden zwei Propeller unmittelbar hinter den Haupttrageflächen angebracht, die sich in verschieden gerichtetem Sinne mit 1200 Touren in der Minute drehten. Der Motor, Viertakt-Benzinmotor mit 4 Zylindern, war in der Fabrik der Wrights gebaut. In einer Stunde wurden 4,5 Kilogramm Benzin verbraucht.
Die Trageflächen hatten eine Breite von 12,25 Metern, eine Tiefe von 6,12 Metern und eine Oberfläche von 48 Quadratmetern. Am 17. Dezember 1903 wurden an einem kalten und windigen Tage zu Kill Devil bei Kitty Hawk in Gegenwart von nur 5 Personen die ersten Flugversuche mit dem Motorflieger unternommen. Dieser Tag ist demnach als Geburtstag der ersten freifliegenden mit eigener Kraft vorwärts getriebenen Flugmaschine anzusehen . Allerdings hatte bereits im Jahre 1898 der schon erwähnte Flugtechniker Herring am Michigansee einen 9 Sekunden langen Flug mit einem Flieger ausgeführt, aber die Wiederholung gelang nicht; es war eben nur ein Sprung unter günstigen Verhältnissen gewesen.
Der Anflug erfolgte von einem 60 m hohen Hügel, die Windgeschwindigkeit, die mit einem Anemometer gemessen wurde, betrug 9,72 m in der Sekunde zur selben Zeit, als der Windmesser der meteorologischen Station zu Kitty Hawk etwa 12 m in der Sekunde registrierte. Die Anfahrt wurde genau gegen den Wind gerichtet. Der auf Schlittenkufen montierte Apparat glitt mittels eines nur 20 cm hohen Rades auf einer Holzschiene zunächst etwa 10,25 m vorwärts und erhob sich bei Einstellung des Steuers in schräger Richtung bis zu einer Höhe von etwa 3 Metern, in welcher er in gerader Linie weiterflog. Der erste Flug dauerte 12 Sekunden. Dies ist zwar eine bescheidene Leistung, war jedoch von allerhöchster Bedeutung, da nunmehr die Konstrukteure sicher waren, dass ihr Flieger mit Motor genau so stabil in der Luft war, wie früher ihr Gleitflieger. Ein zweiter und dritter Versuch dauerte schon etwas länger, und endlich bei dem vierten Versuch wurde eine Strecke von 260 Metern in 59 Sekunden zurückgelegt. Die letzte Landung ging nur deshalb so früh vor sich, weil der Führer das Steuer eine Kleinigkeit zu stark gedreht hatte. Die Maschine folgte sofort diesem leisen Druck und kam zum Boden herab, ehe der Pilot das Steuer wieder umzustellen vermochte. Die Geschwindigkeit über dem Erdboden betrug 14,47 Meter in der Sekunde, in der Luft bis zu 15,65 Meter.
Als jedoch nach der Landung Wrights mit ihren Gästen die Resultate dieses bedeutsamen Tages besprachen, achteten sie in begreiflicher Erregung nicht genügend auf ihre Maschine. Ein plötzlicher Windstoss hob den Apparat empor, und obgleich einer der Zuschauer, ein Mann von herkulischer Gestalt, hinzusprang und ihn noch an den Trageflächen zu halten versuchte, wurde er umgerissen, der Flieger vom Winde emporgehoben und mit solcher Gewalt auf die Erde geworfen, dass er schwere Beschädigungen erlitt. [Footnote: The Wright Brother’s Aeroplane of Orville und Wilbur Wright,—The Century Magazine, September 1908.]
Hierdurch erfuhren die Versuche eine Unterbrechung, und da gleichzeitig der Winter zu weit vorgeschritten war, begaben sich die Brüder mit den Resten ihrer Maschine in ihre Heimat zurück. Hier machten sie sich sofort an die Wiederherstellung bzw. an den Neubau ihres Fliegers. Als wesentliche Aenderung ist hierbei der Einbau eines Motors von 25 PS zu bemerken. Nunmehr wurden die Versuche auf der Huffmann-Prärie bei Simms-Station, 17 Kilometer östlich von Dayton in Ohio, fortgesetzt. Bankdirektor Huffmann, der Besitzer dieses Landes, stellte den Brüdern ein geeignetes Terrain zur Verfügung. Die Versuche begannen im August 1904. Die Fortschritte waren anfangs nur gering, weil das schlechte Wetter und heftige Regengüsse die Experimente sehr störten. Ausserdem machte ihnen die Erhaltung des Gleichgewichtes noch viele Schwierigkeiten; sie sahen ein, dass sie von der Lösung dieser wichtigen Frage noch weit entfernt waren. Wir sehen sie deshalb fleissig weiter üben bis zu Ende des Jahres. Nur im Juli werden die Flüge zeitweise ausgesetzt. Am 15. September bereits konnten sie 800 Meter mit einer Kurve zurücklegen, und am 26. September wird ein vollkommener Kreisflug zustande gebracht, bei dem nach den Messungen eines Richardschen Anemometers 1630 Meter in der Luft und 1400 Meter über dem Boden zurückgelegt wurden. Die Angaben des Windmessers hatten bei ruhiger Luft stets mit der gemessenen Distanz übereingestimmt. Die längsten Flüge fanden am 9. November und am 1. Dezember statt. An diesem Tage wurden 4-1/2 Kilometer mit einer Geschwindigkeit von 51 Kilometer in der Stunde zurückgelegt. Am 9. November war der mit einem Passagier bemannte Flieger noch mit fünfzig Pfund, am 1. Dezember sogar mit 70 Pfund Eisenstangen belastet worden. Die Geschwindigkeit betrug 60 Kilometer in der Luft und 75 Kilometer über dem Boden. Am 9. November erreichte die Flugdauer 5 Minuten 4 Sekunden, am 1. Dezember 4 Minuten 52 Sekunden. Im ganzen wurden im Jahre 1904 105 Landungen ausgeführt. Im Frühjahr 1905, bei Beginn der besseren Jahreszeit, wurden die Versuche fortgesetzt, aber erst am 6. September gelang es, durch Zurücklegung von 4,5 Kilometer den Rekord des Vorjahres zu schlagen. Am 26. September legten sie eine Strecke von 17,961 Kilometern—10 englische Meilen—in 18 Minuten 9 Sekunden zurück. Das Benzinreservoir reichte damals für 20 Minuten, jedoch gingen immer einige Minuten bei dem Ingangsetzen des Motors verloren. Am 29. September wurden sogar 19,57 Kilometer in 19 Minuten und 55 Sekunden durchmessen.
Bei allen diesen Versuchen führten die Wrights schon Wendungen aus, bei denen sie häufig über den Köpfen der Zuschauer mehrfach hin und her flogen und fast immer zu ihrem Landungsort zurückkehrten. Schnell steigerte sich nun die Flugdauer, nachdem die Erfinder ein grösseres Benzinreservoir eingefügt hatten. Am 3. Oktober betrug die zurückgelegte Strecke bereits 24,5 Kilometer, die in 25 Minuten und 5 Sekunden durchflogen wurden, am 4. Oktober 33,45 Kilometer in 33 Minuten und 17 Sekunden, und am 5. Oktober deckten die Piloten eine Strecke von 38,956 Kilometern in 38 Minuten und 3 Sekunden. Dies war der Rekord, den sie in der Nähe von Dayton erreichten.
Natürlicherweise erlitten sie auch mehrfach Pannen. Gelegentlich erhitzte sich ein Lager oder der Motor wurde warm, das Oel ging vorzeitig aus und was der Kinderkrankheiten noch mehr sind. In der Folge wohnten viele Einwohner von Dayton ihren Flügen bei, aber man sprach sich in den Zeitungen sehr wenig anerkennend darüber aus. Es wurde über die kurze Dauer der Flüge gespottet, was darin seinen Grund hatte, dass man von den langen Flügen der europäischen Lenkballons gelesen hatte und einen Unterschied zwischen dem Flug eines aerostatischen und eines aerodynamischen Luftschiffes nicht zu machen vermochte. Die Leute hielten beides für dasselbe und würdigten deshalb die hervorragenden Leistungen ihrer Landsleute absolut nicht. In den absprechenden Zeitungsnachrichten liegt auch der Grund, dass man in Europa den Angaben der Wrights keinen Glauben schenkte. Man versteifte sich darauf, wenn wirklich die beiden Brüder solche langen Flüge ausgeführt hätten, so würden die Amerikaner in weit höherem Masse Reklame für sie gemacht haben. Man würde ihnen im Handumdrehen genügend Geld zur praktischen Verwertung ihrer Maschine gegeben haben.
Sobald die Nachricht von den Erfolgen des Jahres 1905 nach Europa gelangt war, nahm sich der rühmlichst bekannte französische Flugtechniker Artilleriehauptmann Ferber des Gegenstandes an und schrieb zunächst an den ihm persönlich bekannten Chanute in Chicago, der ihm die Angaben der Wrights bestätigte. Im Oktober 1905 richteten alsdann die beiden Wrights einen Brief an Ferber, der folgenden Wortlaut hatte:
Dayton, 9. Oktober 1905.
Geehrter Herr!
Als wir Ihren letzten Brief erhielten, fassten wir gerade die Ergebnisse
unserer Versuche zusammen und glaubten, auf Ihre Frage über den praktischen
Wert unseres Fliegers bald antworten zu können. Wir haben länger mit der
Antwort warten müssen, als wir dachten. Wir wollten erst längere Flüge, als die
in der letzten Saison abwarten, die nur fünf Minuten dauerten; heute können wir
kühn behaupten, dass unser Flieger für künftige praktische Verwendung geeignet
ist.
Unsere Versuche im vergangenen Monat haben uns gezeigt, dass wir jetzt
Maschinen bauen können, die wirklich für verschiedene Zwecke, militärische
usw., brauchbar sind. Am 3. Oktober haben wir einen Flug von 24,535 Kilometer
in 25 Minuten 5 Sekunden gemacht. Dieser Flug wurde dadurch beendet, dass sich
ein Lager aus Mangel an Oel heisslief. Am 4. Oktober haben wir eine Entfernung
von 33,456 Kilometern in 33 Minuten 17 Sekunden erreicht. Wieder lief die
Transmission warm, aber wir konnten zum Abflugsplatz zurückkehren, ohne landen
zu müssen. Am 5. Oktober dauerte unser Flug 38 Minuten 3 Sekunden und bedeckte
eine Distanz von 39 Kilometern. Die Landung wurde durch Benzinmangel erzwungen.
Ein Oeler hatte der Ursache abgeholfen, welche die früheren Flüge verkürzt
hatte. Die Zuschauer dieser Flüge begeisterten sich so, dass sie ihre Zunge
nicht mehr hüten konnten. Da unsere Versuche bekannt zu werden anfingen,
entschlossen wir uns, sie einzustellen, bis wir einen einsameren Platz gefunden
hätten.
Wir haben die letzten Jahre vollständig damit verbracht, unsern Flieger zu
vollenden, und wir haben wenig darüber nachgedacht, was wir damit machen
würden, wenn er fertig wäre. Aber unsere jetzige Absicht ist, ihn zuerst den
Regierungen zu Kriegszwecken anzubieten, und wenn Sie glauben, dass Ihre
Regierung dafür interessiert werden könnte, so würden wir gern deshalb mit ihr
in Verbindung treten.
Wir sind bereit, Maschinen nach Vertrag zu liefern, abnehmbar erst nach
einem Versuch über 40 Kilometer, wobei die Maschine einen Lenker und einen
Benzinvorrat für mehr als 100 Kilometer tragen soll. Wir könnten auch einen
Kontrakt machen, in dem die Strecke des Versuchsfluges grösser als 40 Kilometer
ist, aber dann wäre der Preis der Maschine höher.
Wir könnten diese Maschinen auch für mehr als eine Person Belastung bauen.
Ergebenst
(gez.) W. und O. Wright.
Um sich von der Richtigkeit dieser Angaben zu überzeugen, richtete Hauptmann Ferber an den ihm persönlich bekannten Ingenieur Chanute ein Schreiben, in dem er ihn bat, ihm über die Leistungen der Wrights Auskunft zu geben. Er erhielt darauf folgenden Bescheid:
Chicago, 9. November 1905.
Lieber Hauptmann Ferber!
Soeben habe ich Ihren Brief vom 26. Oktober erhalten. Meiner Meinung nach
können Sie in die Angaben, die Ihnen die Brüder Wright über ihre Versuche
gemacht haben, vollstes Vertrauen setzen. Ich selbst hatte nur Gelegenheit,
einem kleinen Fluge über einen halben Kilometer beizuwohnen, dagegen haben mir
die Brüder wöchentlich Nachricht über ihre Versuche zukommen lassen, und
Freunde, die selbst Zeugen der Experimente waren, haben mir diese Angaben
bestätigt, als ich, um einem geplanten Fluge von 60 Kilometer in der Stunde
beizuwohnen, vorige Woche in Dayton war. Leider konnte dieser Flug infolge zu
grossen Sturmes nicht stattfinden. Die Wrights haben sich Frankreich, das die
Fortschritte auf dem Gebiete der Lenkballons seit dem Jahre 1885 geheimgehalten
hat, zum Beispiel genommen. Auf ihre Bitte haben die Zeitungen in Dayton über
die Versuche Schweigen bewahrt. Es ist wohl eine Indiskretion begangen worden.
Es wurde ein Artikel veröffentlicht, der aber bereits zurückgezogen ist. Die
Wrights wollten Ihnen übrigens am 4. November selbst schreiben.
Mit vorzüglicher Hochachtung
C. Chanute.
Am 4. November war inzwischen auch von den Wrights selbst nachfolgendes Schreiben an Hauptmann Ferber eingetroffen:
Dayton, 4. November 1905.
Geehrter Herr!
Wir haben Ihren Brief vom 20. Oktober erhalten und
machen Ihnen unser Kompliment. Niemand in der Welt kann mehr als
wir Ihre Leistung anerkennen. Es ist aber ein grosser Sprung vom
Aeroplan ohne Motor, mit seiner leichten Kontrolle, zur Entdeckung
ausreichender und wirksamer Methoden, um Herr des so ungelehrigen
Aeroplans mit Motor zu werden. Nach den Experimenten so
fähiger Leute wie Langley, Maxim und Ader, die Millionen
ausgegeben und Jahre ohne Resultat daran gewandt haben, hätten
wir es nicht für möglich gehalten, vor fünf oder
zehn Jahren eingeholt zu werden. Frankreich ist eben günstig
gestellt. Aber wir glauben nicht, dass das den Wert unserer
Erfindung vermindern könnte. Denn, wenn es bekannt wird, dass
man in Frankreich Experimente mit Motorfliegern gemacht hat, werden
die anderen Nationen gezwungen sein, Zuflucht zu unserm Wissen und
unserer Praxis zu nehmen. Russland und Oesterreich von Unruhen
heimgesucht, ein Weltbrand kann jeden Augenblick ausbrechen. Keine
Regierung wird mit einer Flugmaschine im Hintertreffen stehen
wollen. Um ein Jahr früher als die andern fertig zu sein, wird
man den Betrag, den wir für unsere Erfindung fordern, gering
finden.
Obwohl Sie in Frankreich voran sein mögen, werden
Sie wünschen, unsere Erfindung zu kaufen, zum Teil, um die
Kosten eigener Versuche zu vermeiden, zum Teil, um sich über
den Stand unserer Kunst bei den Nationen zu unterrichten, die dabei
sind, uns die Geheimnisse unserer Maschine abzukaufen.
Aus diesen Gründen würden wir darein
willigen, unsern Preis für die französische Regierung auf
eine Million Francs herabzusetzen, zahlbar, nachdem der Wert
unserer Erfindung in Gegenwart offizieller Persönlichkeiten
durch einen Flug von 50 Kilometer in weniger als einer Stunde
festgestellt ist. Der Preis schliesst eine vollständige
Maschine ein, Instruktion über die Grundlagen unserer Kunst,
Formeln für den Bau unserer Maschine, Schnelligkeit,
Oberfläche usw., Instruktion von Personal für den
Gebrauch der Maschine. Diese Instruktion würde natürlich
in der gewünschten Form gegeben werden.
Ihre ergebenen
(gez.) W. und O. Wright.
Hauptmann Ferber antwortete den beiden Brüdern, dass es unmöglich wäre, auch nur die geringste Unterstützung von der französischen Regierung zu erhalten, wenn nicht zuvor eine aus französischen und amerikanischen Gelehrten bestehende Kommission die Maschine geprüft hätte. Die Wrights wollten aber das Geheimnis ihrer Erfindung sicher gewahrt wissen, und hatten anderseits eine heilige Scheu vor dem Gutachten der am grünen Tisch arbeitenden Gelehrten, die ja schon häufiger ein grosser Hemmschuh für die Entwickelung der Luftschiffahrt gewesen waren; sie erklärten deshalb, von ihren Bedingungen nicht abgehen zu können. Eine ganze Reihe von Veröffentlichungen finden in der Folge noch statt, und selbst der Aeroklub von Amerika, der eine Reihe Zeugnisse angesehener Mitbürger von Wright veröffentlicht, vermochte niemand von der Wahrheit der Angaben über die geheimnisvollen Flieger zu überzeugen, und überall belegte man in Europa die Wrights mit dem wenig schönen Ausdruck „die lügenden Brüder“. Verfasser, der die flugtechnischen Arbeiten seit langen Jahren aufs genaueste verfolgt hatte, beschloss der Bedeutung der Sache wegen keine Aufwendungen zu scheuen und selbst an Ort und Stelle in Dayton in Ohio Nachforschungen anzustellen. Er reiste deshalb im Oktober 1907 dahin und besuchte dort am 4. Oktober den alten Bischof Wright. Ausserdem wurden eine Anzahl der angesehensten Bürger der Stadt Dayton, die etwa 85000 Einwohner zählt, eingehend befragt. Ein dem „Berliner Lokalanzeiger“ zur Verfügung gestellter Bericht hierüber sei im folgenden unter Weglassung der hier schon angegebenen Konstruktionseinzelheiten wiedergegeben.
Lokalanzeiger Nr. 588 vom 18. November 1907.
Die Flugmaschine der Gebrüder Wright.
Dayton (Ohio), Ende Oktober.
„'Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte', so kann man auch von dem Drachenflieger der Gebrüder Wright sagen! Dass die beiden eine Flugmaschine gebaut haben, weiss jeder Fachmann; auch glaubt man es meist, dass sie mit dieser frei in der Luft geflogen sind; dass sie aber längere Strecken mit grosser Geschwindigkeit zurückgelegt haben und dabei wieder an die Abfahrtsstelle zurückgekehrt sind, das wird heute noch von den meisten Luftschiffern bestritten! Um die Sache zu klären, habe ich hier an Ort und Stelle bei zehn Augenzeugen eingehende Nachforschungen angestellt, auf Grund deren ich zu der Ueberzeugung gelangt bin, dass alle Angaben über diese Flugmaschine auf voller Wahrheit beruhen.“
Es folgen nun einige Angaben über die ersten Versuche, alsdann fährt der Artikel wie folgt fort:
„Grosses Aufsehen erregten nun die am 12. März 1906 von den Erfindern veröffentlichten Daten über die mit dem Motorluftschiff erzielten Erfolge. Danach sollte schliesslich als beste Leistung am 5. Oktober 1905 ein Flug von 38,956 Kilometern in 38 Minuten 3 Sekunden vollendet worden sein. Wenn diese Angaben den Tatsachen entsprachen, so war damit das Zeitalter des ballonlosen lenkbaren Luftschiffes angebrochen! Die Fachwelt verhielt sich zunächst abwartend und dann ablehnend. Hierzu war auch aller Grund vorhanden. Erst hiess es, die amerikanische Regierung habe die Flugmaschine für eine Million Dollars angekauft; dann plötzlich wurde dies dementiert und man hörte, Wrights versuchten in Frankreich ihre Erfindung los zu werden. Die Verhandlungen zerschlugen sich aber, weil die Konstrukteure die Forderung stellten, man solle ihnen ihr Luftschiff unbesehen für eine Million Dollars abnehmen; allerdings verpflichteten sie sich, nach Inkrafttreten des Vertrages den Flieger in einem 50 Kilometer langen Fluge vorzuführen. Auf solche Abmachungen wollte aber niemand eingehen. Demnächst hörte man nichts mehr von den Wrights, bis der Aeroklub von Amerika erklärte, auf Grund seiner Untersuchungen sei er zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Angaben der Brüder auf Wahrheit beruhten. Aus Interesse zur Sache beschloss ich, an Ort und Stelle selbst Nachforschungen anzustellen und die Angelegenheit zu klären. Zunächst nahm ich Fühlung mit den beiden Konkurrenten der Wrights, Herring in New York und Chanute in Chicago. Jener erklärte mir, dass er nach Rücksprache mit Augenzeugen die gemachten Angaben nicht mehr bezweifeln könne; die Sache sei so einfach, dass er hoffe, mit Hilfe eines von ihm erprobten leichten Motors, der nur 1 Pfund (etwa 3/4 deutsche Pfund) pro Pferdekraft wöge, die Leistungen bei weitem zu übertreffen. Chanute dagegen hatte selbst einen Flug von 3/4 Meile (1,2 Kilometer) gesehen und erkannte rückhaltlos an, dass Wrights das Flugproblem in tadelloser Weise gelöst hätten. Die Maschine sei äusserst einfach, und der Flug habe sich in überraschend sicherer Weise vollzogen. Er, Chanute, sei zu der Einsicht gekommen, dass die Brüder auf dem richtigen Wege seien, und er habe deshalb schweren Herzens seine langjährigen Versuche eingestellt, weil er mit ihnen nicht mehr konkurrieren könne. [Footnote: Siehe auch Seite 24 unten und Seite 25.] Auf meinen Wunsch machte er mir einige Zeugen der Flüge namhaft.
„Demnächst begab ich mich mit einem berufenen Aeronauten, dem seit 15
Jahren in New York lebenden deutschen Ingenieur Karl Dienstbach, nach Dayton in
Ohio und besuchte hier den Vater den Brüder, den alten anglo-amerikanischen
Bischof Milton Wright. Der etwa 70jährige Greis bestätigte mir mit einfachen
Worten, dass er dem längsten Fluge beigewohnt hätte. Er sei zufällig dazu
gekommen; von ständiger Sorge um das Schicksal seiner Söhne gequält, die sich
so wagehalsigen Flugübungen hingegeben hätten, sei er häufig auf das
Versuchsfeld gegangen und so Zeuge verschiedener Aufstiege geworden. Ueber
nähere Einzelheiten wollte er sich nicht äussern. Hätte ich nach den
Unterredungen mit den beiden Konkurrenten der Wrights noch irgend welche
Zweifel gehabt, sie wären nach dem Besuche des Vaters zerstreut worden. Ich
meine, es kann nur wenige misstrauische Leute geben, die diesem alten,
ehrwürdigen Priester nicht Glauben schenken. Doch das persönliche Gefühl sollte
bei dieser wichtigen Sache kein bestimmendes Wort mitsprechen; es galt daher,
auch gänzlich unparteiische Leute aufzusuchen.
„Wir 'verhörten' des weiteren Mister C.S. Billmann, Sekretär eines
Bankinstituts. In lebhafter Weise rief er aus: 'Well, sie fliegt!' Dann
schilderte er, wie überwältigend es ausgesehen habe, als die Flugmaschine vom
Boden emporgestiegen und in leicht wellenförmiger Bahn etwa in Baumhöhe über
die Felder dahingeflogen sei; wie leicht sie dem Steuer gehorcht hätte und zur
Landung gekommen sei; 'wie eine Ente' habe sie sich auf den Boden
niedergelassen. Auf nähere Einzelheiten über die Konstruktion liess er sich
jedoch auch nicht ein. Er schloss mit den Worten, den Brüdern sei auch bester
pekuniärer Erfolg zu wünschen, sie seien feingebildete Leute, die in harter
Arbeit gross geworden wären.
„Weit mitteilsamer war ein junger Apotheker, namens Reubens
Schindler, der als ungebetener Gast seinerzeit einem längeren Fluge beigewohnt
hatte. Er sei an einem Tage, an dem er einen Probeflug vermutet habe, dem Vater
Wright von weitem gefolgt und so Zeuge einer tadellosen Fahrt geworden.
Zufällig kam in die Apotheke auch ein Arbeiter, der ebenfalls als Zaungast bei
einem Flugversuch zugegen gewesen war und uns unter breiter Darstellung auch
der nebensächlichsten Umstände die Angaben des Herrn Schindler bestätigte.
„Von hier aus lenkten wir unsere Schritte zu einem alten
Spenglermeister, Henry Webbert, der die Flugmaschine häufig in der Werkstatt
seines Sohnes gesehen hatte. Dieser biedere Handwerksmeister behandelte uns mit
grosser Zurückhaltung, machte uns aber doch höchst interessante Angaben über
den Flug selbst und über die Landung. Das Luftschiff sei so sanft auf den Boden
heruntergekommen, 'wie ein Truthahn, der vom Baume herabfliegt'. In bezug auf
die Geschwindigkeit übertrieb der alte Herr allerdings etwas mit der
Behauptung, 50 Meilen (80 Kilometer) seien in einer Stunde zurückgelegt.
„Sehr viele Einzelheiten über die Konstruktion des Flugapparates
erfuhren wir sodann von einem deutschen Eisenwarenhändler, namens Frank
Hamburger, der sehr scharf beobachtet hatte und seine Schilderungen durch
einige Skizzen anschaulicher zu machen suchte. Auch der Apotheker William Foots
zeigte für Technik grösseres Verständnis und gab uns einzelne wertvolle
Aufschlüsse, während der Ingenieur Laurenz Wright zwar die Tatsache der Flüge
bestätigte, im übrigen aber jegliche Auskunft über Aussehen der Maschine
verweigerte.
„Zum Schluss gelang es uns, noch zwei höchst wichtige Leute zu sprechen: C.V. Ellis, höheren Justizbeamten, und Torrence Huffmann, Präsident der grössten Bank der Stadt. Die Unterredung mit diesen angesehenen Leuten war uns ganz besonders deshalb wertvoll, weil wir von ihnen Aufschluss erhielten über die Gründe dafür, dass in Amerika nicht mehr Wesens von den bedeutenden Erfolgen der Wrights gemacht worden ist. Nach den ersten wohlgelungenen Flügen hätten die Brüder eine grosse Anzahl Bürger zur Besichtigung eingeladen; beim Herausbringen aus dem Schuppen sei aber das Luftschiff beschädigt worden, und deshalb wären die Versuche aufgegeben worden. Das enttäuschte Publikum habe von da an der Sache ein grosses Misstrauen entgegengebracht; die Wrights dagegen hätten seitdem niemand mehr eingeladen und den Zeitpunkt weiterer praktischer Versuche geheimgehalten. Der Bankpräsident meinte ausserdem, er sehe den praktischen Wert der Maschine nicht ein; vor allem erscheine es ihm als ein grosser Fehler, dass sie nur von einem langen Schienengleise auffliegen könne.“
Es folgen sodann wieder einige Konstruktionseinzelheiten, und dann schliesst der Bericht:
„Die Versuche haben auf einer rechteckigen, von Bäumen und einem Schuppen umgebenen Wiese stattgefunden, die einen Umfang von etwa einer Meile (1,6 Kilometer) hat. Beim längsten Flug ist dieses Feld etwa 30 Mal umflogen worden. Die Flüge sind sowohl bei ruhigem Wetter als auch bei starkem Winde ausgeführt worden.
„Ich glaube, die Tatsache des Vorhandenseins der ersten praktisch
erprobten Flugmaschine kann wohl niemand mehr ernstlich bestreiten; es ist
unmöglich, dass sich so viele angesehene Leute der verschiedensten
Berufsklassen und des verschiedensten Alters verabredet haben sollten, einem
Erfinder zuliebe das Blaue vorn Himmel herunterzulügen. Bei einem so langen
'Verhör', das nach vorher genau festgesetztem Programm angestellt worden ist,
hätten sie sich in einzelne Widersprüche verwickeln müssen. Es sei im übrigen
bemerkt, dass ich aus Zeitmangel nur 10 Leute aufgesucht habe; fast jeder
einzelne hatte mir noch weitere Zeugen namhaft gemacht. Warum nun aber weigern
sich die Gebrüder Wright, ihren Flieger eventuellen Käufern vor Abschluss des
Vertrages in freiem Fluge vorzuführen? Wenn sie wirklich so grosse Erfolge
erzielt haben, hätten sie doch das Tageslicht nicht zu scheuen gehabt!
„Auch hierfür glaube ich eine plausible Antwort gefunden zu haben.
Der Flieger ist eben so einfach, dass sie fürchten, der Käufer wendet nach
Besichtigung keine so hohe Summe, wie eine Million Dollars, an. Ausserdem
glaube ich, dass eine sehr grosse Uebung dazu gehört, die Flugmaschine zu
führen.
„Es wird nicht jeder Luftschiffer imstande sein, sofort damit
loszufahren, sondern es gehört grosse Geschicklichkeit dazu, die sich die
Brüder Wright durch ihre zahlreichen Gleitflüge vorher erworben hatten.
„Ich bin nun der Ansicht, dass wir jetzt, nachdem es erwiesen ist,
dass man auch mit Luftschiffen, deren Gewicht nicht durch Gasballon getragen
wird, fliegen kann, uns ernstlich der Konstruktion von Flugapparaten zuwenden
müssen. Dagegen bin ich der festen Ueberzeugung, dass es nicht der hohen Summe
von vier Millionen Mark bedarf, wenn wir deutsche Ingenieure und
Flugtechniker—ich nenne z. B. Regierungsrat Hofmann in Berlin—mit
dieser Aufgabe betrauen. Wir werden dann sicher nicht den amerikanischen
Erfindern nachstehen.
„Hauptmann a.D. Hildebrandt.“
Diese Veröffentlichung fand auch auszugsweise Platz in verschiedenen deutschen, amerikanischen, englischen und französischen Zeitungen. Aber nur wenige Leute waren auch durch diese Darstellung überzeugt, im Gegenteil, mancher hervorragende deutsche Fachmann warf Verfasser noch bis zum Juni 1908 vor, er habe sich arg düpieren lassen. Nunmehr kam aber am 10. Februar 1908 aus New York die Nachricht, dass die amerikanische Regierung 3 Aeroplane bestellt habe, einen bei den Gebrüdern Wright für 25000 Dollar, den zweiten bei dem hier schon genannten Herring für 20000 Dollar und den dritten bei einem Flugtechniker Skott in Chicago für 1000 Dollar. Die Bedingungen, unter denen die Regierung die Abnahme der Flieger vollziehen wollte, waren folgende: „Die Abnahmeversuche finden statt unter Aufsicht des Signalkorps in Fort Myers in Virginia. Die verlangten Leistungen sind folgende: 1. eine Schnelligkeitsprüfung über eine Strecke von 16 Kilometer 900 Meter auf einer Fahrt hin und zurück; 2. ein Flug von einstündiger Dauer über eine Strecke von 64,30 Kilometer—40 Meilen—ohne Zwischenlandung. Der Aeroplan muss mit zwei Personen bemannt sein. Jede Maschine kann drei Abnahmefahrten unternehmen.“ Wenn ein Apparat weniger als 40 Meilen in der Stunde zurücklegt, so wird der Kaufpreis vermindert. Bei einer geringeren Geschwindigkeit als 36 Meilen in der Stunde wird die Maschine nicht abgenommen; wird dagegen eine grössere Geschwindigkeit erreicht, so wird der Kaufpreis erhöht. Bei einer Geschwindigkeit von 60 Meilen in der Stunde wird er sogar fast verdoppelt. Sobald irgend ein Punkt des Programms nicht genau eingehalten werden sollte, wird 10 Proz. der gestellten Kaution zurückbehalten. Die Wrights hatten 2500 Dollar Kaution zu stellen. Im Mai 1908 begaben sich nun die beiden Brüder in ihre alte Einöde zu Kill Devil bei Kitty Hawk, wo sie, weit entfernt von den wenig Anerkennung zeigenden Mitbürgern ihrer Heimatstadt, ungestört arbeiten konnten.
Ihre Versuche hatten den Zweck, die während der fast dreijährigen Pause verlorene Uebung wieder zu erreichen. Es wurden eine Anzahl von Flügen in der Zeit vom 14. bis 16. Mai ausgeführt, die zunächst in gerader Linie gegen den Wind gingen und alsdann mit dem Ausfahren von Kreisen endeten. Der längste Flug dauerte 7 Minuten 29 Sekunden, und führte bei einer Windgeschwindigkeit von 8 Metern in der Sekunde über eine Strecke von 8,03 Kilometern. Rekordflüge waren nicht beabsichtigt; die Flüge wurden meistenteils nur von einem ausgeführt.
Schon am 10. April hatte sich in Frankreich infolge der Bemühungen des erst kürzlich von der französischen Regierung für seine Verdienste um die Flugtechnik mit dem Kreuze der Ehrenlegion ausgezeichneten Herrn Hart O’Berg unter Leitung von Lazare Weiller eine Gesellschaft gebildet, die für die Summe von 500000 Francs die französischen Patente der Wrights ankaufen wollte. Am 1. Juni traf Wilbur Wright in Paris ein, um dort mit Hilfe seines Bevollmächtigten Hart O’Berg die Bedingungen zu erfüllen.
Orville Wright blieb einstweilen in Amerika, wo er in Fort Myers am 3. September mit den Abnahmefahrten begann. Als erster Passagier wurde in dem Aeroplan der Leutnant Frank P. Lahm mitgenommen, der seinerzeit im ersten Gordon-Bennett-Wettfliegen von Paris aus Sieger geblieben war. Als zweiter Passagier wurde Major Squir vom Signalkorps mitgenommen, und als dritter nahm am 17. September der Leutnant Selfridge an der Seite Orvilles Platz. An jenem Tage war der Durchmesser der Schrauben um 3 Zentimeter vergrössert. In 30 Meter Höhe riss plötzlich einer der Steuerdrähte; dadurch geriet der korrespondierende Draht, nunmehr schlaff geworden, in die Schraube, der Flieger geriet ins Schwanken und senkte sich aus 30 Meter etwas herab, überschlug sich sodann und stürzte mit einem heftigen Stoss auf den Boden. Orville Wright hatte einen komplizierten Schenkelbruch, eine Stirnwunde und verschiedene Kontusionen erlitten. Leutnant Selfridge stöhnte noch etwas und hauchte bald sein Leben aus. Die Versuche in Amerika wurden nunmehr ausgesetzt, da Orville Wright längere Zeit zu seiner Wiederherstellung bedurfte. Er hatte bereits sehr schöne Resultate erzielt und einen Weltrekord geschaffen. Am 12. September 1908 hatte er einen Flug von einer Stunde 15 Minuten und 20 Sekunden in einer Höhe von etwa 60 Metern zurückgelegt.
Wilbur Wright hatte sich inzwischen mit Hart O’Berg nach Le Mans begeben, wo er auf dem Rennplatze von Hunaudiere am 8. August seine Versuche begann. Anfangs gelangen die Versuche nicht so gut, namentlich deshalb nicht, weil Wright in der Betätigung der Steuerhebel unsicher geworden war. Die Maschine war für zwei Personen eingerichtet. Seine ersten Versuche unternahm er allein; er musste sich also wieder an die Steuerung allein gewöhnen. Da der Rennplatz zu klein war, siedelte er bald nach dem Schiessplatz Auvours über, wo er sich einen kleinen Schuppen bauen liess, in dem er seinen Aeroplan unterbrachte und auch sich selbst einquartierte. Auf dem Rennplatz war der längste Flug am 13. August mit 8 Minuten 13 Sekunden ausgeführt worden. Die Versuche wurden am 21. August auf dem Schiessplatze Auvours fortgesetzt. Den Dauerrekord mit einem Passagier stellte er am 3. Oktober mit einem Fluge von 55 Minuten 37,2 Sekunden mit Franz Reichel vom „Figaro“ auf. Am 18. November schuf er mit 110 Metern Höhe seinen Weltrekord, und am 21. September schlug dann Wilbur Wright auch den Rekord seines Bruders, indem er 1 Stunde 31 Minuten und 25 Sekunden in der Luft blieb und 66,6 Kilometer zurücklegte. Am 16. September hatte er zum ersten Male einen Passagier, den französischen Luftschiffer Ernest Zens, mitgenommen.
Am 7. Oktober bestieg als erste Dame den Führersitz Frau Hart O’Berg. In der Folge sind dann eine grosse Anzahl von Flügen mit den verschiedensten Passagieren an Bord durchgeführt worden, und am 31. Dezember stellte Wilbur Wright mit einem Fluge von 2 Stunden 20 Minuten und 23 Sekunden den Dauerweltrekord auf. 124,7 Kilometer betrug die hierbei zurückgelegte Strecke. Er gewann damit den grossen Preis, der von Michelin gestiftet war und 20000 Francs betrug.
Die französischen Patente wurden nunmehr von der Weiller-Gesellschaft unter der Bedingung übernommen, dass Wilbur Wright drei Schüler, die ihm von der Gesellschaft bezeichnet würden, im Lenken seines Aeroplans ausbilde. Er verlegte sein Versuchsfeld am 3. Januar nach Pau in Südfrankreich, wo ihm die Stadt bei Pontlong ein grosses Aerodrom erbaut hatte. Seine ersten Schüler waren Paul Tissandier, Graf Lambert und der Hauptmann der französischen Genietruppen Lucas Gerardville. Bereits am 6. Januar führte er hier seine ersten Flüge aus und errang sich am 8. durch einen Flug von 112 Kilometern den Preis von Triaca. Am 15. Februar fuhr Wilburs Schwester Katherine zum erstenmal im Aeroplan mit dem Bruder. Am 17. Februar liess sich König Eduard in Pau den Apparat vorführen und wohnte einem Aufstiege bei, der eine halbe Stunde dauerte. Fünf Tage später besichtigte König Alfons von Spanien, der eigens von San Sebastian gekommen war, die Flugmaschine. Am 6. März wurden die Brüder durch den Titel eines „Doktor-Ingenieurs“, den ihnen die Technische Hochschule in München verliehen, ausgezeichnet. Am 8. April machte Wright mit seinen Schülern den letzten Aufstieg in Pau, erklärte ihre Ausbildung für beendet und begab sich nach Rom, um seinen Aeroplan dort der italienischen Regierung vorzuführen und einen Schüler auszubilden. Unmittelbar nach seiner Abreise von Pau wurde der dort benutzte, ziemlich stark mitgenommene Apparat im Auftrage der französischen Regierung nach Paris geschafft, um dort im Konservatorium der Künste und des Handwerks Aufstellung zu finden. Auch in Rom gelang es Wilbur, ganz Italien durch seine hervorragenden Leistungen von seinem grossen Können zu überzeugen. Am 24. April führte er seinen Apparat dem Könige von Italien vor, und bereits am 28. April konnte sein Schüler, der Genieleutnant Calderara, trotz starken Regens selbständig einen Flug von 35 Minuten Dauer vollführen. Durch Aussetzen des Motors stürzte der Apparat damals aus einer Höhe von drei Metern zur Erde herab, der Lenker blieb unverletzt, während das Steuer brach und die Schraubenachse verbogen wurde. In kurzer Zeit konnten die Schäden an der Maschine aber beseitigt werden, und am 6. Mai sehen wir Calderara einen neuerlichen Flug unternehmen, der aber infolge eines Ohnmachtsanfalles des Aviatikers ein tragisches Ende nehmen sollte. In einer Höhe von 40 Metern kippte der Aeroplan um, die Maschine stürzte zu Boden und begrub den Lenker unter ihren Trümmern. Die beiden Steuer waren gebrochen, die Tragflächen und die Spanndrähte verbogen und zerrissen. Calderara hatte mehrere Brüche und eine Gehirnerschütterung erlitten und wurde nach Rom ins Spital gebracht. Bereits nach Monatsfrist war er geheilt. Auch die Maschine war wiederhergestellt worden, so dass der Offizier am 19. Juli abermals einen kurzen Flug unternahm. Später wurde von seinem behandelnden Arzte festgestellt, dass er zu Ohnmachtsanfällen neige, weshalb er das Lenken von Aeroplanen endgültig aufgeben musste.
Der Wrightsche Flieger ist ein Doppeldecker, der seinen Ursprung in den Konstruktionen von Chanute hat. Zwei parallele, auf 1/20 ihrer Tiefe gekrümmte, 12,5 Meter klafternde Flächen haben 1,8 Meter Abstand voneinander. Die Tiefe der Trageflächen beträgt 2 Meter. Das aus Holz bestehende Gerippe der Flächen ist mit Baumwollstoff bespannt; ihre Oberfläche beträgt 50 Quadratmeter. Die konkave Seite ist nach unten gerichtet. Die Krümmung nimmt nach vorne hin zu, wo die vorderen Kanten einige Zentimeter dick sind. Die Verspannung erfolgt in Gitterkonstruktion durch Holz und Klaviersaitendraht. Das Material ist amerikanisches Tannenholz, dass sich sowohl im Luftschiffbau, als auch früher schon im Bootsbau infolge grosser Festigkeit und geringen Gewichts bewährt hat. Drei Meter vor den Hauptflächen befindet sich das Höhensteuer, das aus zwei spindelförmigen Flächen besteht von 5,25 Zentimeter Breite und 0,80 Meter Tiefe. Zwischen den Höhensteuern befinden sich noch zwei halbmondförmige vertikal angeordnete Flächen. Das Steuer für die Horizontale befindet sich 2,7 Meter entfernt hinter den Trageflächen. Es besteht aus zwei langen vertikalen Flächen, die 1/2 Meter auseinanderstehen. Das Steuer kann auch in vertikaler Richtung bewegt werden, um Beschädigungen durch Aufstossen bei der Landung zu vermeiden. Der Sitz für den Führer und einen Begleiter befindet sich auf der vorderen unteren Tragefläche, wo sich hinter ihm der Motor und rechts von ihm der Kühler befindet. Der Motor ist ein Viertaktmotor mit 4 Zylindern, er entwickelt 25 PS und wiegt in betriebsfähigem Zustande 90 Kilogramm, so dass also 3,6 Kilogramm auf eine Pferdestärke kommt. Er ist nach den ureigensten Ideen der Wrights gebaut, und macht etwa 1400 Touren. Der Motor treibt zwei aus Holz gefertigte, mit Tuch überklebte Schrauben von 2,80 Meter Durchmesser. Der Antrieb erfolgt durch Ketten, die in Röhren geschützt laufen. Die Schrauben drehen sich mit 450 Touren.
Die Tourenzahl des Motors kann weder durch Gasdrosselung, noch durch Verstellen des Zündpunktes verändert werden. Die Verminderung der Fluggeschwindigkeit wird lediglich durch Aufrichten des Fliegers mittels des Höhensteuers bewirkt. Die Maschine ist auf Schlittenkufen montiert. Die Steuerung erfolgt durch Betätigung zweier rechts und links vom Führersitz befindlichen Hebel; die Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung des linken Hebels hat Fallen oder Steigen des Fliegers zur Folge. Mit dem rechten Hebel wird das Horizontalsteuer und gleichzeitig auch die Verwindung der Tragflächen bewirkt. Gerade das letzte bedeutet eine Haupteigenschaft des Wrightschen Fliegers.
Durch die Verwindung wird die Stabilität des Fliegers in unsteten Luftströmen gehalten. Wenn beispielsweise ein Windstoss von links den Apparat nach rechts kippen will, so vermehrt man auf der rechten Seite den Luftwiderstand durch Vergrösserung der Wölbung, also durch Verwinden der Fläche nach unten. Gleichzeitig wird der Luftwiderstand links, wo der seitliche plötzliche Luftstrom auftrifft, vermindert durch Verminderung der Wölbung, das heisst durch Verwinden der hinteren Fläche nach oben. In gleicher Weise, wie eben geschildert, muss verfahren werden, wenn der Apparat eine Wendung nach rechts fahren soll. Alsdann beschreibt die rechte Kante des Fliegers, die sich auf der inneren Seite der Kurve befindet, einen kleineren Weg, als die linke Kante, die sich auf der äusseren Seite der Kurve befindet. Demnach legt die rechte Kante einen kleineren Weg zurück, als die linke, und man muss die Geschwindigkeit rechts etwas einschränken. Durch Verwinden der rechten Fläche nach unten erhöht man den Luftwiderstand, vermindert also die Schnelligkeit; durch Verwinden der linken Fläche nach oben vermindert man den Luftwiderstand und erhöht demnach die Geschwindigkeit. Nach den Mitteilungen Wrights kommt es dabei darauf an, anfangs zwar bei einer Wendung das Steuer für die betreffende Richtung einzustellen, aber möglichst bald wieder umzulegen, um ein Kippen zu vermeiden. Beim Balancehalten ist es erforderlich, genau das Gegenteil von dem zu tun, was ein Radfahrer tut. Dieser legt sich nach innen in die Kurve und bringt den Schwerpunkt nach innen. Bei der Flugmaschine muss man den Schwerpunkt nach aussen halten, weil sonst der Apparat ins Kippen kommt.
Das Ausführen von Wendungen und das hierbei zur Erhaltung der seitlichen Stabilität erforderliche Verwinden geschieht in der Weise, dass beispielsweise der rechte Hebel nach vorwärts gezogen wird, wodurch die Steuerdrehung nach rechts erfolgt. Gleichzeitig drückt man aber diesen Hebel auch nach links, wodurch die Verwindung in der Weise eintritt, dass die Kanten der rechten Trageflächen nach unten und die der linken nach oben gerichtet werden.
Kürzlich haben die Wrights ein neues Patent eingereicht, in dem sie zwei kleine vertikale Flächen beschreiben, die noch durch einen dritten ergänzenden Hebel betätigt werden. Diese vertikal stehenden kleinen Flächen sollen das Gauchissement, wie man die Verwindung im Französischen nennt, verstärken und das Gegengewicht in der Balance halten. Der Start der Wrightschen Flugmaschine erfolgt durch eine besondere Vorrichtung, Pylon genannt. Wie schon erwähnt, ruht die Maschine in der Mitte mit den dort befindlichen Querverbindungen auf einer Holzschiene. An den beiden Seiten wird sie durch je eine mit einem kleinen Rad versehene Plattform im Gleichgewicht erhalten. Die Schiene wird meist genau gegen den Wind gerichtet. Einige Meter hinter dem Schienenanfang, genau in der Mitte hinter dem Flugapparat, wird ein 8 Meter hoher pyramidenförmiger Turm aufgestellt, in dessen Mitte ein 700 Kilogramm schweres Gewicht sich befindet, das durch ein Seil, wie es die Figur auf Seite 62 zeigt, mit dem Aeroplan in Verbindung steht. Vor Beginn des Anfluges wird das Gewicht in dem Turm hochgezogen und alsdann der Flugapparat durch eine Sperrklinke an der Schiene befestigt. Sobald nun die Schrauben angeworfen sind und der Motor seine volle Geschwindigkeit entwickelt hat, löst der Führer die Sperrklinke und alsbald zieht das fallende Gewicht den Aeroplan mit allwachsender Geschwindigkeit nach vorwärts. Das Höhensteuer hat hierbei eine Neigung nach unten, so dass durch den Winddruck der Apparat fest gegen die Schiene gedrückt wird. Gegen Ende der Schiene fällt das Ende des Seils von selbst von dem Haken des Fliegers ab, der Führer stellt eine Kleinigkeit das Höhensteuer ein und die Flugmaschine beginnt zu schweben. Es kommt nun darauf an, in der Luft die Balance durch fortwährende Betätigung des linken Steuerhebels zu halten, wobei die Bewegungen jedoch äusserst gering sein müssen, weil der Flieger auf die leiseste Anstellung der Flächen reagiert.
Beim Seitwärtsschieben des Hebels A gehen die Schnüre in der Pfeilrichtung von B nach A, von C und D nach B. Hierdurch werden die Holzstreben CE und DP in der Pfeilrichtung nach unten gedrückt und damit die Kanten der oberen und unteren Trageflächen ebenfalls nach unten bewegt. Die Holzstreben nehmen nunmehr die Stellung HG und KI ein. Die Verwindung der rechten Flächen ist erreicht. Von E und F führen Schnüre nach L. Diese werden folgegemäss ebenfalls in der Pfeilrichtung nach unten bewegt und übertragen die Bewegung über L und M nach N und O. Die Holzstreben NP und OQ werden nach oben gezogen und nehmen die Stellung RS und TU ein. Damit hat der Führer die Verwindung der linken Trageflächen bewirkt.]
Das Gewicht G hängt an einem Tau, das über die Rolle A zu der fast am Ende der Holzschiene angebrachten Rolle B läuft. Von hier geht das Tau zur Maschine, wo es bei C an einem Haken befestigt ist. Zwischen B und C befindet sich noch ein Flaschenzug, welcher der besseren Uebersichtlichkeit halber auf der Zeichnung fortgelassen ist.]
Am 5. Mai haben sich Wilbur und Orville Wright mit ihrer Schwester Katharina zunächst nach England begeben, wo ihnen der dortige Luftschifferklub eine goldene Medaille in feierlicher Sitzung übergab und die beiden Brüder zu Ehrenmitgliedern der Gesellschaft ernannte. Alsdann reisten sie mit einem Schiff des Norddeutschen Lloyds nach New York und wurden hier mit allen Ehren von den Mitgliedern des amerikanischen Luftschifferklubs und einer zahlreichen Menschenmenge mit grossem Jubel empfangen. Sie begaben sich von da in ihre Heimatstadt. Als sie zur Mittagsstunde in Dayton ankamen, empfingen sie unter Glockengeläut und Kanonendonner mehr als tausend Menschen. Man brachte die beiden Brüder in einem Wagen nach Hause, der von vier Schimmeln gezogen wurde; in diesem Wagen hatte auch ihr Vater mit zwei Lieblingsenkelkindern Platz genommen. Ein ganzer Zug von Wagen begleitete sie sodann in feierlichem Zuge nach Hause. Am Abend bewegten sich in der kleinen Strasse, wo sich das Haus des alten Bischofs befindet, weit über 10000 Menschen, alte Freunde, Nachbarn und Mitbürger der Stadt, um sie zu begrüssen. Die Stadtverwaltung hatte alle öffentlichen Gebäude dekoriert und beflaggt, und die drei grösseren Plätze von Dayton herrlich illuminiert. Auch die Einwohner waren in Beflaggung und Illumination nicht sparsam gewesen, so dass Dayton ein prächtiges Bild gab, wie man es noch nie zuvor gesehen hatte.
Am 17. und 18. Juni hatte die Stadt eine grosse Feierlichkeit veranstaltet, bei der drei goldene Medaillen den Brüdern überreicht wurden: eine von der Nation, eine vom Staate Ohio und eine von der Stadt Dayton. Doch die Mission der beiden Brüder war noch nicht erfüllt; alsbald begaben sie sich nach Washington, wo Orville Wright die Abnahmefahrten für die amerikanische Regierung begann. Nach anfänglich kleinen Havarien, die bei neuen Apparaten fast immer vorkommen, jedoch in zwei, drei Fahrten bald beseitigt sind, zeigte der Flieger wieder, was er leisten konnte, und schon am 20. Juli blieb Wright 80 Minuten in der Luft und legte dabei in der Stunde 45 Meilen zurück. Damit waren die Bedingungen, welche die amerikanische Regierung gestellt hatte, erfüllt und nunmehr konnte sich Orville nach Europa begeben, um Berlin sein Können zu zeigen und Piloten auszubilden für die deutsche Gesellschaft „Flugmaschine Wright“, die aus der Motorluftschiff-Studiengesellschaft und der Luftfahrzeug-Gesellschaft hervorgegangen ist, um Flieger nach der Bauart der Brüder Wright und anderer Erfinder herzustellen. Damit dürften wir auch in Deutschland bald so weit sein, dass der Flugsport allgemeine Verbreitung findet.
A. Hildebrandt
Hauptmann a.D.
Berlin W. 30
Martin Luther-Straße 10.
Berlin W. 30, den 21. April 1909
Mr.
Bishop Wright, Esqu.
Dayton (Ohio).
Dear Sir,
Relating to the acquaintance which to make of you I had the Honour at the
end of October in 1907 during my visit at Dayton I beg to adress to you with a
demand to day. I am going to write a book about your celebrated sons. I should
be very thankful to you for willing send me some material. I should like to
have any dates of the youth of your sons, of the first experiences and also of
you and the lated Madame Wright; perhaps do you write me also of your feeling,
having had during the bold experiences of your sons. If You could let me have
portraits of you and the lated Madame Wright, of your children and your house
at Dayton, I should very obliged to you. Please, will you have then the
kindness, to get reproduce such pictures an my account and to send me the
wished materiel as soon as possible, as I have to make haste, for being the
book ready still before the visit of your sonns in Germany.
Hoping, that you will accomplish my wishes and thanking you beforehand, I
remain, Dear Sir,
Yours very most obedient
[Signature: Capt. A. Hildebrandt.]
A. Hildebrandt
Hauptmann a. D.
Berlin W. 30
Martin Luther-Straße 10.
Berlin W. 30. den 22. Mai 1909.
Bishop Milton Wright, Esquire,
Dayton (Ohio)
Dear Sir,
With best thanks I confirm you the receipt of your kind letter of the 11th
inst. Your family-history has interested me very much. I shall make use of them
soon. But about something I am not clear. You write: “This brings us in
line with general United States Grant and Grover-Cleveland.” I do not
know, if you mean two persons, the same general Grant and general Grover from
Cleveland? Also I thank you for your photograph. It is of moment to me, also to
have still photographs of the late Madame Wright and her father, Mr. John
Koerner, whom Germany the native has been of. I should like to get still other
photographs of your children Wilbur and Orville, presenting them in young years
and also of Miss Katherine and if you have still a photograph presenting your
whole family joined. At last you would oblige me much for sending me pictures
also of your present house, the flight-square near Dayton and the whole sight
of Dayton. As being immodest of me, to pronounce so many wishes to you, I
propose and beg you, to give order to anybody, to procure me all the wished
photographs and pictures on my account. With great interest I am awaiting your
further informations, promised me in your letter, about the youth of your sons
and the matter, how these are gotten to the intention to make experiences with
a flying mashine. [Hand-written note: I cannot found(?) Schleits in
Saxony?]
Thanking you once more for the material, which to send me, you have had the
kindness, I remain, Dear Sir,
Yours most obedient
[Signature: Hildebrandt]
[Hand-written note: PS. The pictures are not ready, I have to have them copied. M.W.]
Dayton, Ohio, June 5, 1909.
Capt. A. Hildebrant,
Berlin, Germany.
Dear Sir:
You did not quite understand my letter. It was General Ulysses S. Grant
that I wrote of, and President Grover Cleveland, of whom I spoke. They were two
presidents of our country, decended like myself from John Porter of Windsor
(16_37) from whom I am also descended. Hence they are distant cousins of ours,
and of each other.
My wife’s father was a regular German in his looks. He was born six
miles west of Scleitz in Saxony, the southwest part, as you will see on any
large map of Saxony. The family, of whom we never had any group picture, is as
follows:
Milton Wright, born November 17, 1828, in Rush County, Indiana.
Susan Catharine (Koerner) Wright, born near Hillsboro, Virginia, April 30,
1831.
Reuchlin Wright, born in Grant County, Indiana, March 17, 1861.
Lorin Wright, born in Fayette County, Indiana, November 18, 1862.
(These two older brothers are still living, are married, and have lovely
children—Reuchlin three, Lorin four, Reuchlin’s oldest
married).
Wilbur Wright, born, in Henry county, Indiana, April 16, 1867.
Otis Wright and Ida Wright (twins) born April 24, 1870, in Dayton, Ohio.
(Without sickness or pain, they died at 13 and 18 days of age).
Orville Wright, born August 19, in Dayton, Ohio, 1871.
Katharine Wright, born in Dayton, Ohio, August 19, 1874.
They were all good children. And they are all of unimpeachable morals yet.
Reuchlin is a deacon on the Congregational Church, in Tonganoxie, Kan. They are
about equal in intellect, the others having had better education than the
inventors. Katharine graduated in the Classical Course in Oberlin College, and
teaches in Dayton High School. I am a traveling minister in the United Brethren
in Christ, served several years as pastor, ten as presiding elder, eight as
editor of our Church paper, and twenty-four as bishop. As bishop and editor I
was elected by General Conference every four years, those offices being filled
every four years by a ballot election. In filling my duties, I have visited all
the states west of the River, and territories; and all states east of the
Mississipi, except the six New England states and five others. In all I have
traveled by rail, over two hundred thousand miles. My change of residence every
two years must account for my three older children being born in three
different counties in Indiana. Mrs. Wright, the sweetest spirit earth ever
knew, died twenty years ago, in Dayton, July 4, 1889. From that on I raised the
children, left to my care. All the children sprang to help their mother, but
Wilbur cared for her, prolonged her life, and I gave him five hundred dollars
for his incomparable care for her. [Hand-written note: He had no promise of
reward.]
Their first interest in the art of flying, they date back to about the year
1879, when I brought home to them a Heliocoptere, a toy which could fly. Later
on they began to watch Lilienthal, and followed him to his death, in the art of
gliding. Their first active work began in the year 1900, when as a vacation,
they built a gliding machine on the coast of North Carolina, and each year in
the fall of the year, spent a few weeks there till in 1903, they attached a
gasoline motor to it and flew, December 17th, four short flights. They flew
against the wind and made at the longest only about a half mile, counting the
velocity of the wind. In actual measurment considerably less than a half mile.
The place of flight was on the sandy plain near Kill Devil Mills, in Dare
County, four miles from Kitty Hawk in Cerrituck County. The following two
summers and falls, they experimented at Simson’s(?) Station (a mere
stopping place, on the Dayton and Springfield traction railroad, a perfectly
level meadow ground) where they made a few miles flight, but in 1905,
September, they flew as much as twenty-four miles, at one flight. They flew no
more for part of two years, but began negotiations for the sale of their
invention. In 1908, they engaged to a Company in France, to sell their rights,
and sold to the United states government a single machine at twenty-five
thousand dollars, they in each case, to perform certain exploits with the
machine. Time crowding on them to meet engagements, they separated in June
1908, Wilbur going to France, and Orville remaining to complete at Ft. Myer
(near Washington) the United States contract. Of Wilbur’s scalding his
arm in regulating his machine, and his successful trial, before his arm was
well, all have read. But Orville having his machine ready at Ft. Myer, went far
ahead of Wilbur, but an easily avoided defect in his machine, having under
strain caused friction between the propeller of his machine and a wire,
and—far worst of all broke the management of the
tail
of his
machine, a most important part—he was on a machine in the air over one
hundred feet high, with his control of the machine rendered useless, and after
sinking to about seventy-five feet, his machine descended vertically, to the
death of Lieutenant Selfridge, two hours later, and a tremendous jolt to
himself and the breaking of a thigh bone (left leg, one third way down toward
the knee) which confined him in the hospital for several weeks, and from which
he will entirely recover. But Wilbur learning of Orvilles disaster, and
reproached as far behind him, rose to the situation, and in a few days, was
ahead of anything Orville had done, to the great joy of his brother. The rest
you know. Wilbur in France and Rome earned his conracts, and came home with
Orville and their Sister Katharine, and they were hailed at the depot of his
city, with the ringing of bells, the firing of cannon, and by over a thousand
people, and the same at home, at the noon hour, and at night more than ten
thousand people came out as old friends and neighbors to see them, the most
splendid illumination of the street, and decoration of the buildings for three
squares, being the order of the occasion. The city brought them on their
arrival, home in a train of coaches, thier carriage being drawn with four white
horses, in which rode with them their father and two favorite grandchildren,
Leontine and Horace Wright.
The boys were natural workmen in wood or metal. Their father’s
family, their mother’s family (and the mother herself) were inventive and
ingenius. The father at eighteen years invented a type-writer, having never
heard. It is useless to develop inheritance in their invention.
The city (Dayton) has decreed them two days (Jne 17 and 18), on which,
besides innumerable ceremonies, they will be given three gold medals; One voted
by the nation, one by the State, and another by the City.
Yours truly,
[Signature: Milton Wright]
A. Hildebrandt
Hauptmann a.D.
Berlin W. 30
Martin-Luther-Straße 10.
Berlin W. 30, den 28. Huni 1909.
Bishop
Milton Wright, Esquire,
Dayton (Ohio).
Dear Sir,
For the two letters, you had the kindness to send me in last time, be thanked
very much. With great interess I am awaiting the pictures, which you advised me
of. I shall try now, to discover the native place of Mr. John G. Koerner, the
father of the late Madame Wright.
Now still once more many thanks for the pains, you have had!
I am with great estime
ever Yours very truly
[Signature: A. Hildebrandt.]
Berliner Lokal-Anzeiger
Redaktion.
Berlin SW 68,1
Zimmerstrasse 37-41.
9. Juli 1909
Dear Sir,
I wired to you: “Bishop Wright, Dayton. Book must be stamped. Please
send photographs.”
The biography of your sons shall be published of possible as book already
in 14 days. Therefore I should lik to recives instantly the photographs
requested from you. If it were not possible to you to send me all photographs
by retourn of mail, please send later the rest, for. I should use the other
pictures for german papers.
I thank you for your endeavaurs and hope, shortly to see in Berlin your
souns and Mis Katherine.
With best regards
yours
[Signature: gez. Captain Hildebrandt]
A. Hildebrandt
Hauptmann a.D.
Berlin W. 30
Martin-Luther-Straße 10.
Berlin W. 30, den 18. Juli 1909.
Bishop Milton Wright, Esquire,
Dayton (Ohio).
Dear Sir!
With many thanks I confirm you the receipt of the two pictures and your
letter of the 3rd inst., by which you have made me great pleasure. I shall make
use of the pictures as soon as possible.
Thanking you once more for your kindness and being always at your service,
I remain, Dear Sir
ever Yours truly
[Signature: A. Hildebrandt.]