Drei Gaugöttinnen
Walburg, Verena und Gertrud als deutsche Kirchenheilige.
Sittenbilder aus dem germanischen Frauenleben
von
E.L. Rochholz.
1870
Vorwort.
Den ersten frühzeitigen Anlass, in den drei heiligen
Frauen, deren Namen die nachfolgende Schrift am Titel trägt,
drei nächstverwandte Wesen aus der deutschen
Götterlehre zu erblicken, hat der Verfasser in den Perioden
seines akademischen Jünglingsalters und während der
ersten Jahre seines Berufslebens empfangen, als er noch auf
Jagdgängen, Ferienreisen und Abteibesuchen der Erkundung
örtlicher Alterthümer nachzog und in andauerndem
Verkehre mit der Natur und der Bevölkerung den damals
herrschend gewesnen Glauben theilte, das Volksgedächtniss
sei ein Archiv, welches dem Forscher den Mangel an Urkunden
ergänzen helfe. Während sich ihm letzteres bald als
eine gemüthliche Täuschung erweisen musste, war ihm
darüber doch das Glück beschert, reichliche,
nachhaltige Anschauungen in sich anzusammeln, deren freundlich
fesselnde Gewalt einen einmal in uns erwachten Plan auch unter
unerwartet eintretenden Lebensänderungen nicht mehr veralten
lässt. Und so erklärt sich der Ursprung unseres Buches
als eine früh erworbene, in langer Zeitdauer gereifte und
hier erst spät zur Mittheilung gebrachte Lebensanschauung
der Art, von welcher bei Göthe (Bd. 44, 193) das runde Wort
steht: "Was man nicht gesehen hat, gehört uns nicht und geht
uns eigentlich nichts an." Als uns vor nun bald vierzig Jahren in
den heimatlichen Thälern der Altmühl und des Mains der
hier sesshafte Cultus der hl. Walburgis und Gertrud begegnete und
nicht lange hernach in den schweizerischen der Aare und des
Oberrheins uns ebenso derjenige der hl. Verena näher bekannt
wurde, zeigten schon die bestimmt abgegrenzten Landschaftsmarken,
innerhalb deren der Cult jeder dieser drei Heiligen seit
ältester Zeit bis auf die Gegenwart herrschend geblieben
ist, dass diese Drei hier nicht etwa die Patrone oder
Lieblingsheiligen ihres Bisthums, sondern die Schutzheiligen
ihres
politischen Gaues in einer Periode gewesen waren, als dessen
politische Grenzen noch keineswegs mit denen des Kirchensprengels
zusammenfielen. Waren die Heiligen aber dieses und also
zeitgenössisch gewesen mit der ältesten Gaueintheilung
dieser Landstriche selbst, so war hier ihr Bestand überhaupt
ein älterer, als der durch die Kirche veranlasste je hatte
sein können. Und also führte uns die
Gauheilige
in rückschreitender Metamorphose auf die
Gaugöttin
. Gegen diese Folgerung, die selbst von der
kirchlich approbirten Gestalt der Legende mit historischen
Angaben unterstützt wird, lässt sich mit ferner
versuchten Einwänden nicht weiter mehr aufkommen. Auch
führt ja die Gaugöttin ihre bei uns verblasste
Herrschaft über Christenmenschen anderwärts immer noch
ungeschwächt und persönlich fort, so z.B. in der
Normandie, wo nach dem Zeugnisse von Amélie Bosquet die
Aufsicht über das Land den Feen gehört, jede einen
einzelnen Kanton, hier jeden einzelnen Einwohner beaufsichtigt
und dessen Loos bei der allabendlichen Versammlung in dem
gemeinsamen Schicksalsbuche je mit einem weissen oder schwarzen
Punkte bezeichnet.
Jede Gottheit war, ein vom Heidenglauben verwirklicht
gedachtes Idealbild menschlicher Thätigkeitgewesen. Wie der
Mensch, so sein Gott. Die dem Germanen eigenthümliche
Auffassung des Eherechtes, welche ihn vor allen
Kulturvölkern des Alterthums auszeichnet, der von ihm dem
Weibe beigelegte ahnungsreiche; auf das Heilige gerichtete Sinn
(Tac. Germ. c. 8) hatte bei ihm solcherlei weibliche Gottheiten
bedingt, welche Wächterinnen der züchtigen
Geschlechterliebe, der häuslichen Ordnung, des Fleisses und
Friedens waren. Eine nächste Folge hievon war es, dass die
Frau in ihrem Hause das Amt der Herrin (dies besagt das Wort
frôwa, fráuja), in ihrem Stamme dasjenige der Itis
oder weisen Frau bekleiden und als solche die Geschäfte der
Tempeljungfrau, Priesterin, Heilräthin oder Aerztin
verwalten konnte. Auf diesem Bildungswege einer langen
Selbsterziehung wurde die Nation erst politisch gehemmt durch
furchtbare Eroberungskriege, die sie erlitt und vergalt, dann
geistig überrascht durch das in barbarischer Form
überlieferte römische Kirchenthum. Durch den ersten
Vorgang wurden die Germanengöttinnen kriegerisch
umgewandelt,
militarisirt, durch den zweiten aber vollends satanisirt, zwei
Umgestaltungen des Glaubens und Mythus, von denen unser Buch in
allen Abschnitten sittengeschichtliche Zeugnisse bietet. Und
nicht bloss die Richtschnur des öffentlichen Glaubens,
sondern ebenso die des Privatlebens wurde dabei mit in die
tiefste Erniedrigung herabgezogen. Zwar blieben echtmenschliche
Tugenden der Heidin ein allerdings nöthigender Grund, sie
später einmal zu Christentugenden zu subtilisiren und eine
Walburg, eine Verena oder Gertrud zu Kirchenheiligen zu erheben;
allein diese Vereinbarung war und blieb eine erzwungene,
innerlich unwahre, und verfälschte den sittlichen Kern des
Mythus bis zu dem Grade, dass es den irrigen Anschein gewann, als
ob hier die Legende aus dem Christencultus entsprungen wäre,
anstatt dass umgekehrt dieser bloss entlehnend dem Mythus
nachfolgte und ihn legendarisch einkleidete. Ihm selbst aber
durfte ein ehefeindlicher Klerus, der dem Cölibat den
übertriebnen Werth einer vollkommnen Tugend zuschrieb und
nur ein einziges Weib als solches anerkannte, die Himmelsherrin,
auf das ganze übrige Geschlecht aber die Ursache des
Sündenfalles zu wälzen fortfuhr, einem solchen, die
Frauenwürde verkündenden Mythus durfte der Mönch
kein Recht belassen, sondern musste ihn so weit und so
unablässig herabwürdigen, dass die Folgen davon bis
heute den Aberglauben aufzureizen vermögen. Wenn daher zwar
auf einer Seite die Jungfrau, welche schmerzenstillendes Oel
unter Segenssprüchen bereitete, als ölschwitzende
Heilige kanonisirt worden ist, so ist sie auf der andern Seite
zugleich zur Hexenmutter satanisirt: Zaubertränke brauend,
Seuchen und Misswachs herabbeschwörend, Besen salbend, das
aller Zeugung feindselige Kebsweib des Teufels in der
Walburgisnacht. Dorten war sie die ehestiftende Liebesgöttin
gewesen, hier eine Frau Mutter des Frauenhauses (S. 82. 154).
Dorten trank der Mensch auf ihren Namen die Minne, sie selbst
reichte dem in den Himmel eingehenden Helden den
Unsterblichkeitstrank; hier wird sie zwar auch eine Himmlische,
aber nur weil sie vorher als "Wirthskellnerin" tugendhaft
geblieben war (S. 149). So ursprünglich schon steckt in dem
Legenden erzählenden Mönch ein Blumauer, der die
Aeneide
travestirt. Ihm haust da ein spukender Waldteufel, wo in der
fränkischen Waldeinsamkeit des Hahnenkamms und Spessarts die
Haingöttin an ihren Maibronnen gewaltet hatte; die
Frühlingsgöttin Walburg wird ihm zum
Blocksbergsgespenste, die Seelenherrin Gertrud zur Leichenfrau,
und zur landverwüstenden Riesin wird die im Firnengolde des
unerreichten Gletschers thronende Verena
—auf des gefürchteten Gipfels
Schneebehangener Scheitel,
Den mit Geisterreigen
Kränzten ahnende Völker.
Wie sonderbar doch dieser Lohn ist, der dem deutschen Weibe
dafür ertheilt wurde, dass es in unserem Volke zuerst, unter
dem Widerstreite der Männerwelt, rein aus
Frömmigkeitsbedürfniss und Kinderliebe sich an die neue
Kirche ergab! Für treues Ausharren in den Prüfungen des
Lebens, für opferbereites, demüthiges Dulden zum Wohle
der Mitmenschen war ihm einst der Himmel zugesagt gewesen, es
hatte ihn durch eigne Seelengrösse erobert und sogar den
Preis der Vergötterung sich erworben. Dieser Himmelsgenuss
hiess der Kirchenlegende ein unverdienter, das heroische Streben
des Weibes, sich zur Würde der Gottheit empor zu heben, ein
frevelhaftes. Es wurde daher noch einmal in die Leidensschule der
gemeinen Leiblichkeit zurückversetzt, um nun erst durch ein
Mirakel erlöst zu werden. Denn von nun an sollte es nicht
mehr auf das persönliche Verdienst, sondern auf das
Geheimniss der Gnade angewiesen bleiben. Diesen zweimaligen
Bildungsweg, den das deutsche Weib in der Vorzeit einzuschlagen
hatte, haben wir als "Sittenbilder aus dem germanischen
Frauenleben" bezeichnet und nach dem doppelten Material der Mythe
und der Legende von drei heiligen Frauen zur Darstellung
gebracht. Dies ist der wissenschaftliche und patriotische Zweck
unsrer Schrift, die sich hiemit dem Antheil vorurtheilsfreier
Landsleute empfiehlt.
Aarau 1. Mai, Walburgistag 1870.
E.L.R.
Inhalt.
Quellen und Inhaltsangabe der Walburgislegende.
Walburgs und ihrer drei Brüder Taufbrunnen,
Klosterstiftungen, Grabstätten und Reliquien.—Oel,
aus Stein und Bein der Walburgisgruft fliessend; ähnliches
kirchlich verehrtes Wunderöl. Abbildungen und Embleme
Walburgis.
Walburgis Hunde, Walburgis Aehren in kirchlichen
Abbildungen und Hymnen.
Der Hund, ein Geleitsthier etlicher
Fruchtbarkeitsgöttinnen und Heiligen; verehrt als
saatenfressender Sturmwind und als breigefüttertes
Windspiel der Wilden Jagd, genannt Nahrungshund. Nackte und
süsse Hündlein als Zweckspeisen beim
Dreschermahl.—Walburgis Emblem der Aehre und der Garbe,
ihre Erscheinungsweise in den Sagen, ihre Verdüsterung in
dem Elbenglauben. Das Rechtssymbol der drei Aehren. Walburgs
Eulogienbrode.
Walburgistag, des Meien hochgezît.
Scenischer Zweikampf des Sommers und Winters, genannt den
Tod austragen, den Sommer ins Land reiten. Maienfahrt,
Laubeinkleidung und Ruthenzug.—Maigraf und
Maigräfin. Das Mailehen ausrufen. Nachtsprüche und
Liebesorakel beim Maiensetzen. Feier des Valentinstages:
sämmtliches als Abbilder eines göttlichen Werbungs-
und Vermählungsmythus,
welcher im Frühlings- und
Erntevorgang spielt.
Maiengeding und Walbernzins.
Walburgis und Martini, die beiden Jahresgedinge der
ungebotenen Gerichte, gezeigt aus den
Weisthümern.—Urkundliche Berechnung der
Gerichtskosten eines oberdeutschen Maiengedings.—Der
Rutscherzins, die Walpersmännchen und
Walperherren.—Aus der mit der Zinspflichtigkeit
verbundnen Nutzniessung bildet sich die Sage von einer auf den
Zinstag fallenden Befreiungsgeschichte der Landschaft.
Der Mythus vom Maienthau.
Landwirthschaftliche Erbsätze über den Maienthau.
Thau als Quelle von Leben, Lebensdauer und
Körperschönheit, angewendet als Heilbad, Stärke-
und Minnetrunk.—Bannbeschreitung, Oeschprozession um die
Flurzelgen und Mairitt durch die Saat. Der Mythus vom
Thau-abstreifen in seiner naturgeschichtlichen Begründung.
Thauschlepper und Thaustreicher als zaubernde Butter- und
Milchgewinner. Walburg in den Riesen- und Hexensagen.
Der Mythus vom Maienthau.
Die westfälische Walburg. Die phallischen
Götzenbilder zu Antwerpen und Emmetsheim, um Kindersegen
angerufen. Naive Arglosigkeit der bildlichen Darstellung der
Lebens- und Zeugungssymbole, deren Wiederanwendung in den
Gebildbroden zur Mittwinter- und Frühlingszeit.
Etymologische Erklärung des Namens Walburg nach dessen
freundlicher und feindlicher Anwendung.—Schluss: die
Götterjungfrau kredenzt den aus Thau, Honig, Meth, Ael und
Oel gewürzten Unsterblichkeitstrank.
Verena, eine alemannische Gauheilige.
Kirchliche Gestaltung und geographische Ausbreitung der
Verenalegende; ersteres bedingt durch die Legende von
der thebaischen
Legion, letzteres durch die Ausdehnung des Konstanzer Bisthums.
Verenas Weihkirchen und Altäre in der Schweiz, ihr
Doppelgrab und ihre Reliquien in Zurzach. Mittelhochdeutsches
Gedicht: Von sand Verene.
Verena, die Müllerpatronin.
Ihre Attribute: der schwimmende Mühlstein; ihre
örtlichen Kleinkindersteine. Die Müllerpatronin als
Ehegöttin. Der in Stein verwandelte Brodkipf und die
unerschöpflichen Mehlsäcke. Wirthschaftsregeln am
Verenentage.
Verena, die Geburtshelferin.
Ihre örtlichen Kleinkinderbrunnen, Taufbrunnen und
Wasserkirchen; die ihr geopferten Mädchen- und
Brautkränze; ihr Geburtsgürtel, Haarkamm und
Waschkrug; ihre landschaftlichen und kirchlichen Heilquellen.
Gesundheitsregeln am Verenentage. Mythische Nachklänge von
der Gewitterriesin: das Vrenelisgärtli am
Glärnischgletscher.
Verena als Frau Venus.
Das Tannhäuserlied in aargauischer Version; die Frau
Venus-Vrene des Volksliedes. Die Venus-, Feens- und
Vrenenberge, sowie die Venus- und Vrenenhäuser,
zurückgeführt aus ihrer gegenseitigen
Namensvertauschung auf den ursprünglichen Mythus.
Ihre altkirchlichen Abbildungen mit der Beigabe des Wagens,
Schiffes, Stabes, der Spindel und der Mäuse.
Specht, Kukuk und Schnecke; letztere tragen zu dritt den
Namen der Heiligen und werden in deren Namen berufen als
Lebens- und Todesboten.
Die Abgeschiedenen werden wieder zu Elben und erscheinen in
Thiergestalt. Die Maus als ausfahrende, umwandernde
Menschenseele, sowie als Rachegeist
Abgeschiedner; der ihr geopferte
Wechselzahn. Einschlägige volksmedicinische
Bräuche.
Gertrudens Mäusegespann, wiederkehrend in den
Ortssagen. Das Trinken der Gertruden-Minne, Gertrud als Fylgja
und Walküre.
Die Terracotta-Maus aus dem Grabfelde zu Rheinzabern. Das
Oxforder Weihnachtsbrod. Die Schnitternudel der Süssen
Mäuschen. Das Kalenderzeichen des Gertrudentages.
I. Walburg mit drei Aehren,
die Ackergöttin.
Erster Abschnitt.
Quellen und Inhaltsangabe der Walburgislegende.
Dem allgefeierten ersten Mai geht die Walburgisnacht
unmittelbar voraus, der heitersten Naturfreude die
verderbenbringende Hexennacht. Hier eine jungfräuliche
Maikönigin, aus dem frischen Grün der Haine über
den thauigen Anger her in unser Dorf einziehend, empfangen und
umjubelt von der maientragenden Kinderschaar; dorten aber auf
finsterer Berghöhe die entsetzliche Nachtkönigin, Hagel
und Schlossensturm, Misswachs und Seuche brauend, unkeusche
Satanstänze abhaltend, eine Feindin des Wachsthums und der
Zeugung: welch ein Contrast binnen vierundzwanzig Stunden, welche
Paarung der Brokenhexe und der Kirchenheiligen unter einem und
demselben Namen! Die nachfolgende Untersuchung strebt den
Zusammenhang dieser zwei getrennten, so hart sich
widersprechenden Hälften eines ursprünglich
einheitlichen Wesens aufzuweisen und dieselben zur würdigen
Gesammtheit eines germanischen Götterbildes zu vereinbaren.
Zu diesem Zwecke wird hier eine Skizze der Walburgislegende nach
deren ältester Aufzeichnung, unter Weglassung der
ausschmückenden kirchlichen Zuthaten, vorangestellt. Quelle
und Schauplatz der Legende ist baierisch Franken, zugleich die
Heimat des Verfassers vorliegender Ausarbeitung.
Die Quellen, auf weiche sich die Untersuchung wiederholt zu
berufen hat, sind nachfolgende.
Das Hodoeporicon oder Itinerarium (so benannt, weil es
Wilibalds Reise nach Jerusalem enthält) schrieb eine
Landsmännin und Zeitgenossin Wilibalds aus ihrer eignen und
der Diakone Erinnerung. Sie heisst die Heidenheimer ungenannte
Nonne, und war 762 ins Heidenheimer Kloster eingetreten, also
noch zu Walburgis Lebzeiten. Das Original ist erst seit Canisius
und Mabillon bekannt geworden und steht gedruckt bei Falkenstein
Cod. dipl. 447. Bei der franz. Invasion des Bisthums commandirte
der zu Marschal Ney's Armee gehörende General Dominik Joba
etliche Wochen in Eichstädt, berüchtigt als Inkunabeln-
und Gemäldedieb; er liess durch seinen Sohn am 16. Juli 1800
die Handschrift im Chorherrenstifte Rebdorf stehlen, seitdem ist
sie verloren. Sax, Gesch. des Hochstifts Eichstädt, S. 365.
Dies ist die Hauptquelle für alle übrigen
Aufzeichnungen der Walburgislegende. Die nächstfolgende
Biographie Walburgis verfasste zu Ende des 9. Jahrhunderts der
Mönch Wolfhard zu Hasenried, das spätere Herrieden a.d.
Altmühl, einer im J. 888 durch Kaiser Arnulf an das
Eichstädter Bisthum vergabten Abtei. Im J. 1309 schrieb der
Bischof von Eichstädt Philipp von Rathsamhausen Wilibalds
und 1313 auch Walburgs Legende, um deren Abfassung ihn
Königin Agnes, des ermordeten Albrecht Tochter, von ihrem
Stifte Königsfelden aus brieflich angegangen hatte. Der
Bischof überschickt ihr und ihrem Convente das verlangte
Werk, betitelt: Leben, Thaten, Tod und Wunderwerke der
seligen
Jungfrau Walburg; die Zuschrift steht gedruckt in
der Ztschr. Argovia 5, 25. Dies Werk ist zwar schon die
fünfte, aber die erste
umfassendere
Erzählung
der Legende, sagt Gretser X, 906b. Der bischöfliche
Verfasser war von Kolmar im Elsass gebürtig und starb 1322.
Bolland. 25. Febr., tom. III, 512b. Sein Werk übersetzte der
Eichstädter Stadtschreiber David Wörlein und dedicirte
es dem damaligen Bischof Konrad von Gemmingen; gedruckt zu
Ingolstadt 1608 bei Andrä Angermayer. Auf diese beiden
Schriften stützen sich nachfolgende,
von uns gleichfalls benutzte
Sammelwerke: Acta Sanctorum, saec. 3, pars secunda
287.—Bollandisten tom. 3., 25 Febr.—Gretser, Vitae
Sanctor. tom. X.—Matth. Rader, Bavaria sancta,
1704.—Alle nennenswerthe weitere Literatur über die
Walburgislegende ist verzeichnet in Rettbergs Kirchengesch. 2,
347 und 356.
Winfrid-Bonifacius, der Apostel der Deutschen, geb. 680 zu
Cirton oder Krediton in der englischen Grafschaft Devonshire,
hatte bereits bei Friesen, Sachsen und Franken das Evangelium
gepredigt, als er im Auftrage des Pabstes Gregor II. nach
Thüringen und Baiern kam und in diesem letzteren Lande zu
dem damals schon vorhandenen Bisthum Passau diejenigen zu
Regensburg, Freising, Würzburg und Eichstädt
gründete. Eine Schaar gebildeter Männer und Frauen aus
dem Angelsachsenvolke begleitete ihn dahin und übernahm die
Leitung der neuen Stiftungen. Kunigild und ihre Tochter Bertgit
verwendete er als Abtissinnen in Thüringen, Kunitrud und
Tekla setzte er ins Kloster nach Kissingen, Lioba nach
Bischofsheim an der Tauber, Walburg nach Heidenheim am
Hahnenkamm. Walburg, die Tochter des angelsächsischen
Fürstenpaares Richard und Wunna, die Schwester von Oswald,
Wunnibald und Wilibald, war auf ihres Oheims Winfrid Rath durch
Thüringen nach Baiern gereist und hier im Sualafelder Gau
mit den drei Brüdern zusammengetroffen. Dieser Gau, in dem
sie sich nun zusammen niederliessen, reichte vom Bergzuge des
Hahnenkamms in das Altmühlthal nach dem jetzigen
Eichstädt, schloss auf einer Seite das Weissenburger Gebiet
mit Gunzenhausen und Eschenbach in sich, auf der andern Seite die
Pappenheimer Mark im Ries. Hier hatte Bruder Wilibald schon
vorher im J. 740 bei Eichstädt ein Klösterlein in der
Regel des hl. Benedict gegründet und war fünf Jahre
nachher auf der Mainzer Synode (nach Rettberg 1, 353 schon im J.
741) zum ersten Bischof von Eichstädt eingesetzt worden.
Zusammen mit Bruder Wunnibald erbaute er dann am Hahnenkamm zu
Heidenheim ein gleiches Kloster,
fügte demselben 760 einen Frauenkonvent
in der Benedictinerregel bei und übergab dessen Leitung an
Walburg. Die Stellen zu den neuen Kirchenbauten pflegten die
Geschwister sich da auszuwählen, wo ihr Reiseross jeweilen
stetig wurde oder eine Quelle fand. Solcher jetzt noch für
heilkräftig gehaltener Quellen zählt man in der
Eichstädter Landschaft sechse. Ein Wilibaldsbrunnen liegt ob
dem Eichstädter Forellenweiher an der Landstrasse im
Weissenburger Walde und heisst Römleins- oder
Rimleinsbrunnen, weil der glaubenseifrige Bischof hier Römer
getauft haben soll. Der Waldberg, aus dem die Quelle fliesst, ist
in der Fronte bis zur Höhe aufgemauert und mit Quadern,
einem Thore gleich, eingefasst; eine Abbildung giebt Falkenstein,
Nordgau. Alterth. 1, cap. 1, S. 14. Der zweite Wilibaldsbrunnen
liegt zunächst dem Kloster Bergen; als der Heilige hier
heranritt, sprudelte der Quell unter dem Tritt des Rosses aus
einem Felsen von 16 F. Umfang auf und versiegt seitdem bei keiner
Sommerdürre. Der dritte liegt ob der Wilibaldsburg auf einem
der zwei grünen Höhenzüge, die den
Eichstädter Thalkessel umgeben. Dazu kommt noch am Wege nach
dem Dorfe Titing die Wilibaldsruhe, wo eine neuerlich abgegangene
Feldkapelle mit des Heiligen Bildnisse stand. Ferner erbaute er
das Stift Heilsbronn, nach jener mächtigen "Hails- oder auch
Hagelsquelle" zubenannt, die hier in einen dreikästigen
Brunnen gefasst wurde und aus 32 Röhren sprang; sie stand im
vorderen Kreuzgange und wurde im Schwedenkriege zerstört.
Eben so liess sich die Schwester Walburg im
mittelfränkischen Städtchen Heidenheim beim Ortsbrunnen
nieder, welcher der Schön- und Heidenbrunnen heisst. Als
aber Wunnibald hieher auf Besuch kam, entsprang im Klostergarten
(jetziges Rentamt) auch der Käsbrunnen, ein Hungerquell, an
welchem die Heidentaufen vorgenommen wurden. Bruder Oswald
erbaute sich beim Schlosse Hohentrüdingen das Stift
Auhausen; seine Wunderbrunnen liegen jedoch nicht hier, dagegen
ist ihm in Tirol beim Dorfe Oswald am Ifinger einer
der drei
"Jungbrunnen" dieses Landes geweiht und er selbst gilt dorten als
ein gewaltiger Wetterherr. Zingerle, tirol. Sitt. no. 794.
936.
Ueber Jahr und Tag des Todes der Geschwister widersprechen
sich die Kirchenhistoriker Gretser, Rader, Falkenstein und Pater
Luidl. Nach den neuesten und scharfsinnigen Untersuchungen von D.
Popp, Errichtung der Diöcese Eichstädt, wird von nun an
Folgendes zu gelten haben.
Wunnibald stirbt 18. Dec. 761; Walburg 25. Febr. 779; Wilibald
7. Juli 781. Letzterer wurde in der Eichstädter Kathedrale,
die beiden ersteren im Kloster Heidenheim beigesetzt. Hier liess
nachmals Abt Otkar Walburgis Erdgrab eröffnen und erblickte
drinnen die Leiche unverwest und thaufrisch: "totum corpus rore
perfusum cernebatur". Am 21. Sept. 870 tragen zwei zusammen
gebundene Rosse den Sarg nach Eichstädt und bleiben hier
freiwillig vor der Kirche zum hl. Kreuz stehen. Also liess Otkar
die Leiche hier bestatten und den Tempel Walburgiskirche
benennen. Schon auf dem Wege hieher hatten zwei Epileptische den
Sarg berührt und wurden dadurch geheilt. Ein Lahmer geht auf
Krücken voran in die Kirche zu Wilibalds Grab und ruft da:
Wilibald, gib mir das Botenbrod, deine Schwester kommt!
Darüber lässt er die Krücken fallen und ist
geheilt. Gretser 739. Gegen das eben genannte Jahr dieser
Versetzungsgeschichte streitet indess die weiter gehende
Erzählung von der Theilung der Walburg-Reliquien. Als
nämlich Walburg gestorben war, hatte ihre Gefährtin
Lioba kein Gefallen mehr an Heidenheim, sondern gründete aus
ihren reichen Mitteln im J. 870 zu Monheim ein Frauenstift in der
Benedictinerregel, und die von ihr nach Eichstädt
abgegebenen Walburgisreliquien mussten nun mit dem neuen Stifte
Monheim getheilt werden. Als man sie desshalb im J. 893 zu
Eichstädt wiederum aufgrub, zeigten sie sich mit einer
wundersamen Flüssigkeit überzogen, die bei
Berührung nicht an den Fingern kleben blieb: cineres lympha
tenui madefactos, ut quasi guttatim ab eis roris stillae
extorqueri
valerent (A. SS. 11, 293). Beide eben citirte Stellen sind in so
ferne von Belang, weil sie die ersten Andeutungen des nachmals so
berühmt gewordnen Oelflusses enthalten. So blieb also ein
Theil der Reliquien zu Eichstädt, der andere kam nach
Monheim und wurde hier an jedem Jahrestage durch vier
Stadträthe in einem silberüberzogenen Särglein in
gewohnter Prozession umhergetragen. Als aber durch die
Reformation die Klöster des Sprengels der Reihe nach
aufgehoben wurden: Solenhofen, Wülzburg, Baring, Heidenheim,
Monheim, zerstörte der Bildersturm (haereticorum furor, sagt
Rader 3, 48) auch die hl. Grüfte, so dass Wunnibalds Sarg in
Heidenheim und die silberbeschlagne Arche in Monheim spurlos
verloren giengen. Letzteres geschah erst 1542. Man sagt,
Walburgis dort verwahrt gewesener bischöflicher Stab, auf
dessen Berührung Blinde das Augenlicht wieder erhielten, sei
später auf dem Walpersberge bei Köln von den Jesuiten
verwahrt worden und alljährlich am 1. Mai im Flurumgang
durch die Felder getragen worden. A. SS. pg. 302. Wir werden
später darauf noch zurückkommen.
Von den Körpertheilen Walburgis ist in ihrer Gruft zu
Eichstädt nichts anderes mehr als nur das Brustbein
vorhanden. Dasselbe liegt dorten im Altar der Gruftkapelle der
schon 1040 renovirten und 1631 neugebauten Walburgiskirche.
Dieser Altar, ein länglichter Steinwürfel, ist in
seinem Fundament nach aussen viereckig ausgehauen, so dass er als
ein auf seine Breitseite umgelegter älterer Steinsarg
erscheint. Sein Material ist Sandstein, wie ihn die Brüche
vom benachbarten Pleinfelden ergeben. Durch seine Höhlung
geht der Länge nach eine ebne ungeschliffene Kalksteinplatte
von der Art des nächsten Eichstädterbruches, aufgesetzt
auf zwei kurze Träger aus Sandstein. Diese Bank heisst der
Gnadenstein, denn auf ihrer nackten Fläche liegt Walburgis
Brustbein. Anfangs Oktober färbt sie sich blaulicht und
überläuft mit dunstigem Stoff, der zu erbsengrossen
Perlen gerinnt und tropfenweise ehedem in einem viereckig
ausgehauenen
Mittelraume sich sammelte. So beschreibt es Gretser X, 907
(† 1625); der spätere Falkenstein, Nordgau. Alterth.
1, 31 sagt, dass diejenigen Tropfen, die nicht von oben her,
sondern von der Seite der Steinbank hervordringen, durch silberne
Abzugsrinnen in eine darunter stehende Goldschale geleitet
werden, und so schildert es auch die Bavaria (3, Abth. 2, 979)
als heute noch bestehend. Der Innenraum des Gruftsteins ist
durchweg mit Silberblech überzogen, die Vorderseite wird mit
einer von innen silberbeschlagenen Eisenthüre verschlossen.
Dies ist das Mirakel des Oelthauens, von der Kirche das
stillicidium genannt. Das Oel ist weiss und hell, geruch- und
geschmacklos und schnell verflüchtigend; unaufgesammelt soll
es am Gruftstein wie griesiges Schmalz in sich selber verstocken:
Es wird von den Klosterfrauen in kleine, langhalsige; mit Wachs
verschlossne Glasfläschlein zum Verkauf umgeleert: An Ort
und Stelle hat der Verfasser dieses in seiner Jugend eine
messingene Eichel, vergoldet und am Napfdeckel aufzuschrauben,
den Klosterfrauen abgekauft; sie enthielt wohlriechende, in dies
Oel getauchte Baumwolle nebst einem gedruckten
Gebrauchszettelchen, wornach man unter bestimmten Gebeten diese
Wolle in schmerzende Zähne und Ohren steckt. Frauen tragen
derlei geweihte Metalleicheln an dem silbernen Schnürwerk
des Mieders.
Der erste Mai galt durchgehends als der Tag, da das
Stillicidium begann. Joh. Georg Keysler, ein kirchlich
unbetheiligter, in seinen Forschungen sehr genauer Autor, weiss
in seinen Antiquitates Septentr. (Hannoverae 1720) S. 88 noch
nicht anders, als dass dieser Oelfluss erfolge cum die prima
Maji. Allein dieser Termin behagte den kirchlichen Skribenten
nicht, vielmehr scheint seit dem 17. Jahrhundert, da Gretser die
Geschichte der Eichstädter Bischöfe und dieses Mirakels
schrieb, folgende Zeit dafür zur Geltung gebracht worden zu
sein: Mit dem 12. Oktober, als dem Tage, da Walburgis Gebeine von
Heidenheim in die Gruft nach Eichstädt übertragen
wurden, beginnt das Oel zu
fliessen und fliesst fort bis 25. Februar, als
der Heiligen Todestag; alle übrigen Monate, heisst es,
bleibe der Gnadenstein unter jedem Witterungswechsel trocken.
Allein im Widerspruche mit dieser Berechnung sagt die
älteste Aufzeichnung der Legende ausdrücklich: die
apostolorum Philippi et Jacobi celebratur usque hodie festum
canonizationis Walpurgae; eodem die omni anno stillicidium
ejusdem sanctae virginis ad potandum administratur (Gretser X,
898b). Philipp und Jacobi fallen bekanntlich auf 1. Mai, dessen
altheidnische Feier gildenweise mit dem Aeltrinken begangen
wurde. Um nun diesen paganen Brauch vollends hier aus der Kirche
zu entfernen, suchte man zu erweisen, dass der 1. Mai weder
Geburts- noch Todestag, sondern nur der Canonisationstag
Walburgis sei, und kümmerte sich nicht weiter darum, dass
das Walburgisfest in verschiednen Gegenden Deutschlands schon
seit alter Zeit zu fünf verschiednen Monaten und Tagen
kirchlich begangen wurde
[1]
.
Ein fernerer Grund, der hier verschiedene Male nöthigte,
den solennen Beginn des Oelflusses auf andere Termine anzusetzen,
liegt in der Eichstädter Oelquelle selbst, die eine
intermittirende ist und ausserdem in früheren Jahrhunderten
viel reichlicher floss als heute. Oftmals bleibt sie sogar ganz
aus. So schon unter Bischof Friedrich II., welcher
1237 sammt
seinem Domkapitel von der Bürgerschaft verjagt wurde. Die
versperrte Domsakristei wurde aufgesprengt und verwüstet,
das Walburgisöl hörte auf zu fliessen. Sicherer jedoch
ist derselbe Fall, da 1713 zum grössten Schrecken des
Klosters vom 15. Februar bis 9. März fast kein Tropfen
Flüssigkeit an dem Gnadensteine bemerkbar war; nach einer
alten Tradition schob man die Schuld auf die im Convent der
Schwestern ausgebrochne Uneinigkeit. Sax, Gesch. des Hochstifts
Eichstädt, S. 283. In der Leichenrede, die der Jesuite Jos.
Giggenbach beim Tode der dortigen Abtissin Maria Anna Barbara
hielt (gedruckt zu Eichstädt 1730, 4°), heisst es S. 27:
Walburg lasse das Oel in solchem Masse aus ihrem Brustbeine
entquellen, dass man damals ein hohes grosses Glas voll davon im
Kloster zurück gestellt hatte; zur Hälfte trank es die
erkrankte Abtissin weg und sprach: Deine Kinder, o Heilige, haben
sich so stark vermehrt, dass sie entweder dursten und hungern
müssen, oder du ihnen die Muttermilch vermehren musst!
worauf jenes halbgeleerte Gefäss sich sogleich wieder ganz
mit Oel anfüllte.—Der Eichstädter Bischof Philipp
von Rathsamhausen, Verfasser der drittältesten
Walburgislegende, erzählt, wie er es selbst becherweise
gegen seine Krankheit getrunken: praecepimus nobis copiosius (de
oleo) adferri, et desiderabili haustu phialam plenam ebibimus. A.
SS. saec. III. P. II, 306. Als es einst ein ganzes Jahr nicht
mehr geflossen war und die darob verzagten Eichstädter ihren
Sittenwandel besserten, brach es so reichlich los, dass man ein
Weinlägel von einer halben Pinte, also ein wirkliches Fass,
damit anfüllen konnte. Ibid. pag. 307.
So verwundert sich auch "das Buch vom Aberglauben" (von H.L.
Fischer) Hannover 1794, Bd. 3, 118 über "die ungeheure
Menge" Walburgisöl zu Eichstädt, die in alle Gegenden
verschickt und in schweren Krankheiten statt Arzenei verbraucht
wird; es soll, sagt der Verf., wirkliches Bergöl von grosser
Durchsichtigkeit und sehr flüchtig sein; wer es bei sich
trage, behaupten die Mönche, müsse sich im
Stande der
Gnaden befinden, damit es nicht sogleich verfliege.
Dass das Oel hier nicht aus der Reliquie, sondern aus dem
Tragsteine derselben quillt, hatte die Kirche ursprünglich
nicht verheimlicht. Schon Gregor von Nazianz sagt, nicht nur der
Märtyrer Asche und Gebein, sondern auch andere den Reliquien
nahegebrachte Dinge sind heilkräftig, und so auch das Oel,
das aus den Heiligengebeinen "oder aus ihren Grabsteinen
herausfliesst." Vom Grabe der hl. Katharina erzählt Reinfrit
von Braunschweig (Grimm, Altd. Wälder 2, 185), wie ole von
irme lîbe vlôz; und das Gedicht von Katharinens
Marter (Pfeiffer, Germania 8, 179) fügt erklärend
bei:
ûz dem sarksteine,
dâ inne lît diu reine,
vil heilic ol vlûzet,
des diu werlt vil genûzet.
der iht siecheite hat,
des wirt al ze hant rat,
als man ez dar an strîchet.
In Tirol kennt man kirchlich zwei solcher ölspendenden
Steine; der eine lag ehmals in der alten Kirche zu Niedervintl
und trug die Inschrift: Brunnen des Oels, 1500; der andere ist
noch im Kirchlein St. Kosmas und Damian, bei Bozen. Aus einer
Eintiefe an seiner Oberfläche quoll Heilöl und wurde
von zahlreichen Pilgern begehrt, doch es vertrocknete für
immer, als der Eigenthümer der Kapelle damit Wucher zu
treiben begann. Zingerle, Tirol. Sag. no. 624. 625. Als zu
Eichstädt 1309 die Gebeine des hl. Gundacar erhoben wurden,
ergaben sowohl sie wie der Deckel des Steinsarges eine so
reichliche Menge fliessenden Oeles, dass der damalige Bischof
Philipp von Rathsamhausen hievon zwei Gefässe für die
Kranken anfüllen liess. Sax, Eichstädt. Hochstift S.
101. Die von Rom nach Tegernsee gebrachten Gebeine des hl.
Quirinus ergaben in dortiger Quirinuskapelle ein Heilöl, das
in kleinen Fläschlein an die Gläubigen verkauft wurde.
Heute steht diese
"Oelkapelle" noch; einige Quellen
olivengrünes Naphta entspringen unter ihrem Dache; man
sammelt jährlich davon gegen 40 Mass. Steub, Bair. Hochland,
196.
Die im Reliquiencultus so unenthaltsam gewesne Kirche hat sich
indessen auf solcherlei Steinöl allein nicht
beschränken mögen. Schon zu Justinians Zeit fliesst Oel
aus Heiligenknochen (Grimm, GDS. 140); von Orosius an meldet eine
Reihe mittelalterlicher Schriftsteller, welche in Massmanns
Kaiserchronik 3, 556 aufgeführt sind, zu Rom sei bei Christi
Geburt ein Oelbrunnen entsprungen und habe sich in die Tiber
ergossen. Zugleich fällt damals auch ein Honigregen.
Sechzehn Heilige und achterlei heilige Jungfrauen zählt
Matth. Rader, Bavaria sancta 3, 49 auf, aus deren Gebeinen
nunmehr wunderthätiges Oel fliesst. Kaspar Lang, Histor.
theolog. Grundriss 1692. 1, 84 und Abraham a Sta Clara (im Judas
der Erzschelm 4, 42) setzen diese Zählung noch weiter fort.
Mit dem Oel der hl. Helena einen Kristall zu beträufen, um
damit den Dieb zu entdecken, räth Felix Hemmerlin (1454) in
seiner Schrift de exorcismo. Gretser X, 907 nennt ferner die hl.
Elisabeth in Thüringen, die Martyrknaben zu Novara und noch
andere, deren Gebein, in Kirchenaltären ausgesetzt, Oel
giebt, und Rader 3, 41 fügt bei, Gleiches stehe der
Walburgis um so mehr zu, als sie eine im Dienste Gottes
streitende Jungfrau gewesen sei und also in diesem täglichen
Faustkampfe Oel habe schwitzen müssen:
Cur oleae stillat Walpurgis ab artubus humor?
In cavea Martis num pugil illa fuit?
Im Stil der Kirchenväter wird der mit dem Satan ringende
Christ mit dem Athleten in der Arena verglichen, dessen Leib mit
dem Oele des Gebetes gesalbt ist, damit der Feind ihn nicht
fassen könne. So sagt Pseudo-Ambrosius (de sacram. I, 2):
Venimus ad fontem—Unctus es quasi athleta Christi.
Denselben Gedanken äussert auch Chrysostomus in seiner 6.
Homilie über den Brief an die Coloss.—Nork,
Realwörtb. 3, 301.
Von der Wunderwirkung des zu Eichstädt fliessenden Oeles
sagen die Acta SS. 1. c. pg. 306, dass es Blinde, Taube und
besonders häufig Lahme geheilt habe; Gretser fügt bei,
X, 917, es fördere die Geburten, auch lutherische Frauen
hätten in Kindesnöthen damit den Versuch gemacht und
seien darüber wieder der alten Kirche beigetreten. Medibards
Hymnen (bei Gretser 801, dritte Reihe) wissen, dass es besonders
den Wolfshunger heilt:
Hinc quendam fastidiosum
Fame paene mortuum
Alloquens per visionem
Monet, ut de calice
Ejus biberet; quo facto
Esuriit solito.
Der Monheimer Knabe Beretgis, seit 3 Jahren an beiden
Füssen lahm, wurde von seiner Mutter Ratila zum
Walburgisgrabe in Monheim getragen und da auf ihr Gebet sogleich
hergestellt; worauf sie ihn der Kirche, durch die er seine
Körperkraft wieder erlangt hatte, zu lebenslänglicher
Leibeigenschaft übergab. A. SS. ibid. pag. 304. Die
mystische Kraft, welche dem Walburgisöl beigelegt wurde,
erklärt sich Jac. 5, 14: Ist einer unter euch krank, so rufe
er die Aeltesten der Gemeinde herbei, dieselben sollen über
ihn beten, nachdem sie ihn mit Oel gesalbt im Namen des
Herrn—und der Herr wird ihn aufrichten.
Da Walburgs Reliquien in vielerlei Kirchen zerstreut worden
sind (per totum mundum, ad diversas Francorum provincias S.
Walpurgis reliquiae dispersae sunt. A. SS. l.c. 306), so ist auch
in vielen Provinzen das Wunderöl zu haben gewesen. Oel,
Knochen, fünf Zähne und ein Gewandrest Walburgis wurden
zu Wittenberg jährlich am Montag nach Misericordias
ausgestellt, wobei ein Glas voll von demjenigen Oele mit
hergezeigt wurde, das aus den Gebeinen der hl. Elisabeth,
Landgräfin von Hessen, geflossen war. Das Glas ging an
Luther über, der wie J. Mathesius erzählt, es einst
seinen Joachimsthaler Gästen zu einem andächtigen
Tischtrunk aufstellte. Karl der Kahle hatte in
der Kaiserpfalz
zu Attigny (Champagne) eine Walburgiskirche erbaut; noch im J.
1720 kamen daselbst die Geistlichen von mehr als vierzig
Pfarreien am 1. Mai zusammen, um das Walburgisöl
auszuspenden. Odo, Abt zu Clugny, (Burgund) kannte in seiner
Nachbarschaft eine Walburgiskirche, in welcher die dortigen
Partikeln etliche Tage des Jahres Oel schwitzten; die Heilige
hiess dorten Sainte Vaubourg und Gualbourg. Gretser pg. 906.
Bolland. 518b. 519a. A. SS. II, pg. 307. 308.
Von altkirchlichen Abbildungen Walburgis sind folgende zu
nennen. Im Schiff der Heidenheimer Klosterkirche, die
während der Reformation verwüstet wurde (more
Lutheranae sectae, quae omnia sacra polluit, sagt Rader 3, 45)
liegt gegen das Chor zu ein 2-1/2 F. hoher Grabstein, auf welchem
Walburg in ganzer Figur ausgehauen ist, in der rechten Hand einen
Stab haltend, auf dessen Wirbel ein kleines Kreuz sitzt, in der
linken ein Buch, zu Füssen ein Wappenschild. Dieser
säulengeschmückte Aufbau mit Perlenfries gehört
den Werken der romanischen Periode an (Bavaria 3, 863). Auf einem
gegenüber liegenden ähnlichen Grabstein ist Wunnibald
ausgehauen; drunter steht die Inschrift: sepulcrum stae Walburgis
1484. Eine Abbildung davon erschien bei Brügel in Ansbach
und im Jahresberichte des histor. Vereins für Mittelfranken
1843. Der hl. Wilibald mit seiner ganzen Verwandtschaft ist
dargestellt auf einem Teppich, welcher ursprünglich in der
Eichstädter Kirche aufbewahrt wurde und nun im Münchner
Nationalmuseum ist.—Auf folgenden Stichen erscheint die
Heilige als Abtissin mit dem Stab, das Oelfläschlein in der
Hand haltend:
Fons olei Walpurg. a Jacobo Gretser, S.J. Ingolst.
1629.—P. Emil de Novara, capuccino. Breve ristretto della
Sta. principessa Walpurga. Eichst. 1722.—Matth. Rader,
Bavaria sancta. München 1704 (wiederholt das
Grabmal).—P. Goudin, Unerschöpflicher Gnadenbrunnen
der hl. Walburgis. Regensb. 1708.
Besondere Weihkirchen und Kapellen besitzt die hl. Walburg auf
dem Gebiete der Baiern, Alemannen, Franken, Burgundionen,
Niedersachsen und Friesen; soweit durch dieselben der hier zu
behandelnde Stoff vervollständigt wird, wird von ihnen im
Einzelnen ferner hier die Rede sein. Eben dieselbe Bemerkung hat
auch von den an vielfachen Orten aufbewahrten und verehrten
Walburgsreliquien zu gelten.
Auf dem bairischen Lechfelde liegt in der Gemeindeflur von
Kaufering eine sehr alte Walburgskapelle, auf ihrem eignen
Hügel stehend, von Linden beschattet, von einer Mauer
eingefriedet. Der Eintritt führt drei Stufen abwärts,
die Wand ist schwarz, das Innere finster. Im Anbau steht der
Pestkarren, die Räder sind mit Filz beschlagen, um die zur
Pestzeit gehäuften Leichen geräuschlos abzuführen.
Walburg hat jener Pest gewehrt. Diese Kirche, sagt das Volk, sei
heidnischen Ursprungs, man habe hier noch den Götzen
geopfert. Schöppner, Bair. Sagb. no. 889.
Bairische Ortschaften, vom Namen Walburg ableitend, zählt
das topographisch-statistische Handbuch des Königreichs
(München 1868) folgende auf: Walbenhof, Einöde bei
Neustadt a.d. Waldnab; Walbenreuth, Dorf bei Tirschenreuth; Dorf
Walberngrün bei Stadtsteinach; Walbertsberg bei Kunreut;
hier wird neben der Walburgskapelle unter den Linden ein Maimarkt
abgehalten, zu welchem die Landleute bis auf zehn Stunden weit
zusammen kommen. (Reynitzsch, Truhtensteine 187.)
Walburgskirchen, Dorf bei Pfarrkirchen; Walburgsreut, Weiler bei
der Stadt Hof; Walburgswinden, Einöde bei Neustadt a.d.
Aisch; Walpenreuth, Dorf bei Berneck; Walpersberg, Dorf bei
Bogen; Walpersdorf, ein Weiler bei Rosenheim, und zwei
gleichnamige Dörfer bei Rottenburg und bei Schwabach;
Walpershof,
Dorf bei Eschenbach; Walpersreuth, Weiler bei Neustadt a.d.W.;
Walperstetten, Dorf bei Dingolfing; Walperstorf, bei Landshut;
Walpertshofen, Weiler bei Dachau; Walpertskirchen, Pfarrdorf bei
Erding; Wölbersbach, Dorf bei der Stadt Hof; Wolpersreut,
Dorf bei Kulmbach; Wolperstetten, Dorf bei Dillingen; Wolpertsau,
Einöde bei Neuburg an der Donau. Diese Liste lässt sich
jedoch noch um vieles vermehren, wenn man dabei die mundartlichen
Formen des Namens Walburg mitverwerthet. Er lautet im
Altmühlthale Bürgli, in
altbairisch-oberpfälzischer Mundart Walberl (nicht zu
verwechseln mit Waberl, Wawl, Wabm, was in Altbaiern und
Mittelfranken Barbara ist), im tiroler Zillerthal Purgel u.s.w.
Einer der Hauptberge am oberbaierischen Tegernsee wird 1420 in
einem Lateingedichte des Peter v. Rosenheim als Walber
foecundissimus begrüsst. Schneller Wörtb. 4, 61.
Das schwäbische Rittergeschlecht von Waldburg, einst
Truchsessen, nunmehr würtembergische Standesherren, theilt
sich in die Linien Hohenlohe-Wb., Waldburg-Zeil, Wb.-Wurzach,
Wb.-Wolfegg. Ihr Stammschloss ist die beim gleichnamigen
Pfarrdorf gelegne Veste Waldburg, südöstlich von
Ravensburg. Vier Treppen hoch in dieser Burg liegt die
Walburgiskapelle. Von den zu Köln bei den Jesuiten
aufbewahrten Wb.-Reliquien hatten sich die Grafen Einiges
erbeten, jedoch erfolglos. Bolland. 3, 518.
Im Elsass hat Walburg drei Kirchen: 1) diejenige bei Leimen
mit der Wallfahrt zum Helgenbronn, von welcher weiter unten die
Rede sein wird; 2) zu Knörsheim bei Maurmünster; 3) bei
Biblisheim, unfern der Stadt Hagenau; sie wird im J. 1085 als
Kloster genannt (Trithem. Chron. Hirsaug. 1, 280) und 1102 vom
Schwabenherzog Friedrich I. zur Abtei erhoben. Neugart, Episc.
Const. 2, 8.
Auf einer Halbinsel der Seine stand in der Normandie eine
Walburgskapelle, diejenige Stelle bezeichnend, wo die Heilige auf
ihrem Wege aus England nach Deutschland ausgeruht hat. Gretser,
906.
Der grössere Theil der ältesten Kirchen
Niederdeutschlands ist derselben Heiligen geweiht, so zu
Gröningen, Veurne, Utrecht, Antwerpen, Arnheim, Aldenaerde,
Brügge,
Zütphen, Harlem; von ihnen wird im Einzelnen später
noch zu handeln sein.
Reliquienpartikeln von der hl. Walburgis lagen laut
Falkenstein, Nordgau. Alterth. 1, 29 im vorigen Jahrhundert in
folgenden Kirchen.
In Baiern zu Augsburg, zu Monheim und im Kloster Andechs.
Ferner zu Mainz in der Gereonskirche zu Köln ein Finger, in
der Jesuitenkirche daselbst die Hirnschale, welche dahin kam vom
benachbarten Walpersberg, einem vormaligen Kloster. In Frankreich
zu Attigny und Clugny. Die Acta fundationis monasterii Murensis
(Kloster Muri im Aargau ist 1027 gegründet) nennen bei
Herzählung der daselbst verwahrten Reliquien zu dreien malen
Knochen und Asche vom Leib der hl. Walburg. Reliquienpartikeln
des hl. Wilibald und Wunnibald und Richardis übersendete
1482 der Eichstädter Bischof Wilhelm von Reichenau an
König Heinrich VII. von England, der sie in Canterbury
verwahren liess. Ueber diese Reliquien und die der Walburg
gewidmeten Kirchen hat der Jesuite Godefredus Henschenius in
Actis SS. ausführlich berichtet.
FUSSNOTEN:
Die folgenden nennt Gretser, Vitae SS. tom. X.
25. Febr., Walburgis Todestag, wird begangen zu
Eichstädt in der Kathedrale, und zu Antwerpen in der
Basilica.—20. März: Gretser l.c. pag. 907.
1. Mai, Walburgis Translation von Heidenheim nach
Eichstädt; gefeiert in der Eichstädt. Kathedrale und
zu Antwerpen in der Basilica. Bollandisten, 25. Febr., tom.
III, 513a. Das Martyrologium des schweiz. Klosters Rheinau
stammt aus dem X. Jahrh. und setzt auf 1. Mai die Feier:
Philippi et Jacobi et S. Waldp. uir(go). Marzohl-Schneller,
Liturgia 4, 768.
4. Aug.: exitus Walburgis ex Anglia, gefeiert zu
Eichstädt (Bollandisten ibid. 514b); zu Tornacum,
Gandanum, Antwerpen und Aldenaerde: Bolland. 522; zu Veurne, in
der flandr. Diöcese Ypern: Gretser X, 912.
12. Okt.: Antwerpner Basilica und Eichstädter
Walb.kloster.
Zweiter Abschnitt.
Walburgis Hunde, Walburgis Aehren.
Unter den kirchlich sehr korrekt gehaltenen Abbildungen, mit
denen die bairischen Hofmaler und Kupferstecher Sadler, Vater und
Sohn, des Matthäus Rader Bavaria Sancta (1615)
ausgeschmückt haben, ist Bd. 3 auch das Eichstädter
Grabmal Walburgis dargestellt; wunderlich aber liegt da zwischen
den Andächtigen neben den Stufen des Steinsarges ein grosser
Hofhund, ruhig schlafend. Dass der Hund das Geleitsthier unsrer
Jungfrau gewesen, ist kirchlich in Vergessenheit gerathen; die
Acta SS. (saec. 3, tom. II, 291)
und die Bollandisten, (tom. 3, 560a) wissen
jedoch noch davon. Walburga nuncupor, spricht die Heilige, die
Nachts an die Thüre des reichen Hofbauern kommend, von den
scharfen Rüden angefallen wird; auf dieses Wort werden sie
zahm; und darum, erzählt Bischof Philipp († 1320),
habe man seiner Zeit Walburg gegen den Biss toller Hunde
angerufen. Es lässt sich indess dieses Attributthier der
Heiligen als anderen Ursprunges und aus einer viel früheren
Zeit nachweisen. Die Vorgeschichte des Bisthums Eichstädt
spielt nicht in dieser Stadt, sondern in einem Orte, welcher
römisch Aureatum heisst und schon seit Aventins Zeiten, der
1519 diese Gegenden im historischen Interesse mit einem
Empfehlungsbriefe seines bair. Herzogs bereiste, zwischen den
beiden Dörfern Rothenfels und Nassenfels an der Neuburger
Heerstrasse gesucht wird. Nach diesem Aureatum benannten sich die
Eichstädter Bischöfe Aureatensis ecclesiae episcopi,
und Walburg wird ebenso von Celtes im 2. Buche seiner Oden die
Zierde der Aureatensischen Landschaft geheissen. An den beiden
Umfangsmauern des Kirchhofs zu Nassenfels sind Votivsteine des
Mars und der Victoria eingemauert und ein dritter der Fortuna
geweihter ebendaselbst wurde 1866 in das Antiquarium nach
München gebracht. Die dortigen Feldbreiten liegen voll
röm. Geschirrtrümmer und Reste von Brennöfen,
deutlich unterscheidet man noch den Lauf der Römerstrasse.
Als nun der gelehrte Jesuite Gretser 1620 von der
Universität Ingolstadt aus Nassenfels besuchte, fand er an
dortiger Dorfkirche ein im Boden steckendes Standbild, das eine
Frau vorstellte, zu deren Füssen, von Erde
überschüttet, angeblich ein Hund liegen sollte. Gretser
schloss auf ein Dianenbild. Solcherlei Steinbilder, eine Frau
darstellend mit dem Hunde zu deren Füssen, sind seit dem J.
1647 bis auf die Neuzeit in niederrhein. Gegenden viele entdeckt
worden und tragen dorten in ihren Inschriften den Namen der
Nehalennia, eines zwar von Römerhänden gemeisselten,
aber deutschen Götterbildes der Fruchtbarkeit. In Keyslers
Antiquitat. Septentr. 236,
und in Wolfs Beiträgen 1, 149 sind diese
Bildwerke beschrieben. Aber derselbe typische Hund fehlt nun auch
in der Krypta der Heidenheimer Kirche nicht, wo Walburgis
frühestes Grab gewesen war. Panzer, bair. Sag. 1, S. 132
beschreibt diese Krypta als einen Bau, dessen Formen auf den
frühesten romanischen Stil hinweisen. Eine in der Wand der
Gruft angebrachte steinerne Console, die ehedem ein Steinbild
getragen haben musste, zeigt einen Wappenhelm mit der Helmzier
des Brackenhauptes, dessen herabhängende Ohren von zwei
Jungfrauen mit den Händen berührt werden. Man sagt,
hier seien die Abkömmlinge des Rittergeschlechtes Hund
begraben.
Die benachbart sesshaften Grafen von Oettingen-Spielberg
führen dasselbe Brackenhaupt im Wappen, schwarz und weiss
quadrirt, also genau in Form und Farbe des Hohenzollerschen
Helmkleinods: caput et collum molossi genannt in Speners
Wappenwerk. Lepsius, Kl. Schrift. 3, 164. War hier nun wirklich
die Erbgruft der adeligen Hund gewesen, so leitete bei der Wahl
derselben jedenfalls die Verwandtschaft zwischen dem Wappenthiere
jenes Geschlechtes und dem Gefolgsthiere Walburgis. Denn
Heidengöttinnen und hl. Jungfrauen sehen wir stabil vom
Hunde gefolgt. Aller Hunde erster ist Garmr, besagt die Edda von
Odhinns Hund. Grauhunde begleiten die drei Nornen. Die
Fruchtbarkeitsgöttinnen Frau Harke, Frau Gode und Frau Frick
haben stets den Hund bei sich; die zu Weihnachten bescherend
umziehende Frau Berchte heisst davon in Steiermark die
Pudelmutter (Weinhold, Weihnachts-Sp. S. 11). Die 24 Töchter
der Frû Gauden umbellen den Jagdwagen ihrer Mutter als eben
so viele Hündinnen. Colshorn, Märch. u. Sag. no. 75.
Das Hündchen der hl. drei Schwestern zu Schlehdorf war
daselbst auf einem alten Altarbilde mitgemalt zu sehen, und die
drei
steinernen
Jungfrauen zu Velburg erschienen gefolgt
von einem Hunde, welcher gleich ihnen zu Stein geworden war.
Panzer, Bair. Sag. 1, S. 25. 289. 290. Es ist daher kein
Absprung, wenn die
Sage das überirdische Hündchen auch der
Jungfrau Maria zum Gesellschafter giebt; Belege hiefür:
Schmitz Eiflersagen vom J. 1847, 43. Hocker, Moselsag. 168. Das
hölzerne Altarbild Marias in der Kapelle Marienbrunn zu
Baden-Baden steht gerade über der daselbst sprudelnden
Quelle, neben demselben ist der Hund in Stein gehauen, der das
Bild aus dem Brunnen gescharrt hat. Baader, Bad. Sag. 131. Aus
diesem Grunde ist der Hund nicht bloss das Wahrzeichen der Burgen
gewesen (so am Schlosse Hornberg: Schnezler, Bad. Sagb. 2, 591),
sondern steht auch an Kirchen ausgehauen, wie an der
Laurentiuskirche zu badisch Bretten und an der eben
erwähnten Kapelle zu Marienbrunn; derselbe galt da von so
alter Abkunft, dass man, z.B. von der Hundskapelle bei Innsbruck
sagt, sie sei ein Heidentempel gewesen. Zingerle, Tirol. Sitt.
no. 950.
Ueber die Farbe dieses Hündchens belehrt uns die
Farbensymbolik; als das freundlich-wohlthätige Geleitsthier
der schönen Weissen Frau ist es gleichfalls ein weisses,
aber die Hunde der Sturmnacht sind schwarz, die des Gewitters
feuerroth. So erklärt es sich in Mythe und Opfer. Der Rost,
der während der Hitze der Hundstage das Getreide
befällt, war dem Römer versinnlicht durch das
Götterpaar des Robigus und der Robigo, die beide den Namen
des Kornbrandes tragen und in der umbrisch-etruskischen
Götterlehre Rupinie und Hunta hiessen. Ihnen war das Fest
der Rubigalien geweiht, indem man in den Tagen vom Entstehen des
Getreidekorns in seiner Hülse bis zu seinem Heraustreten aus
der Fruchtscheide durch den Priester zu Rom am Hundsthore
(Catularia porta) rothe Hündchen schlachten und verbrennen
liess. Damit suchte man den Brand in Rebe und Kornähre
abzuwehren, weil man den glühenden Hundsstern für die
Ursache des Getreidebrandes hielt. Erklärend sagt daher
Ovid. Fast. 4, 941:
Für den Hund des Gestirns wird Dieser geopfert am
Altar,
Und erleidet den Tod wegen des Namens allein.
Aus ähnlichem Grunde musste in Deutschland der
Frohnknecht
alljährlich zur Zeit der Hundstage die überalten Hunde
todtschlagen, zu Leipzig im April und August, in Norddeutschland
zur Fasnacht. J.P. Schmidt, Fastelabendgebräuche. Rostock
1793, 150. 153. Waren diese für die Landwirthschaft
gefährlichen Fristen vorüber, so vergötterte man
das Thier als den Vermittler der Fruchtbarkeit (Cicero I de nat.
Deor.), oder man streute ihm Brod und Mehl. Zu
Niederösterreich wird am 28. Dec. (Kindleinstag) Mehl und
Salz gemengt zur Dachfirst hinausgestellt; das wird das Wind- und
Feuerfüttern genannt. Zerführt der Wind dies Opfer, so
sind im nächsten Jahre keine schädlichen Stürme zu
befürchten. Ein Weib in Munderkingen setzte schwarzes Mus
zum Dache hinaus: "man müsse die Windhunde füttern."
Birlinger, Schwäb. Sag. 1, 191 und no. 301. Das eben
angeführte Beispiel zeigt, dass man dies den Winden
gebrachte Spendopfer sprachlich missverstehend auf die Windhunde
anwendete, da das Wort Wind in unsrer Sprache beides bezeichnet
ventus und velter. War der erste Schnee gefallen, ehe Frost und
Sturm die keimende Saat beschädigen konnten, so sagte unsre
Vorzeit: gib den winden brôt, eȥ hat gesnîget.
Grimm RA. 256. Hatte man den Hund (Sturmwind) des W. Jägers
Hackelberg in ein Haus herein gelassen, so lag er da den Winter
über an der Herdstelle und frass nichts als Asche; zum
Ersatz aber war ein so mildherziges Haus im Frühjahr drauf
mit Milch und Butter reichlich gesegnet. Haupt, Ztschr. 6, 117.
Kuhn Nordd. Sag. no. 2. Dazu galten noch bestimmte
Pflichtigkeiten der Lehensleute. Moscherosch im Phil. von
Sittewald (Strassburg 1665) 2, 167 schreibt: Die Eylff Hunde
(erhalten) jeder 4 Mietschen (französ. miche). Eine Offnung
von 1469 verpflichtet die Lehensleute gegen den aufreitenden
Vogt: vnd hät er zwen wind mit jm traben, denen söllent
sy geben ain hûslaib. So bildet sich aus der Vorstellung
vom Windhund der W. Jagd der Begriff des sogenannten
Nahrungshundes, ein Name, der am Ober- und Mittelrhein für
jeden geheimnissvollen Haussegen gilt. Hat man ausgedroschen,
so erhalten die
oberdeutschen Drescher zum Schlussmahl gekochte
Mehlspätzlein, die man in Baiern Nackete Hündlein
heisst; wer aber bei der Arbeit einen Tölpelstreich gemacht
hat, bekommt eine Strohpuppe, die Hundsfud; beiderlei Namen sind
Sinnbilder der Fruchtbarkeit. Gebackene Hündlein wirft man
zur Abwehr der Feuersbrunst in die Flammen. Panzer, Bair. Sag. 2,
516. Von den die Saaten zerwühlenden Hunden des Windes
sprang die Vorstellung über auf den Biss der wüthenden
Hunde, hielt aber in beiden Fällen die Kornähre und das
Brod noch immer als Bindemittel fest. Sieht man im Felde zum
ersten Male Roggen blühen (dies fällt auf
Walburgistag), so nimmt man drei blühende Aehren und
streicht sie stillschweigend durch den Mund, dann wird man nie
von tollen Hunden gebissen. Curtze, Waldeck. Volksüberlief.
S. 402. Ein latein. Gebetbüchlein: Cultus divae Walburgae,
Augsb. 1751, bringt S. 23 einen also beginnenden Hymnus:
Walburga venit: cedite
vesane grex, molossi!
Cedunt, pavent, obmutuit
os impotens latrandum.
Um Amberg sagt man zu den Kindern, die ausgehen: Nehmt Brod
mit, dass euch kein Hund anbellt (Bavaria 2, 305); in Schwaben
lautet dieselbe Formel: Ich will Brod mitnehmen, damit mich kein
Hund beisst. Birlinger, Schwäb. Sag. 1, no. 706. So pflegten
schon die phigalischen Arkadier nach dem Festessen die Hand an
den Brodresten abzuwischen und diese beim Heimgehen einzustecken,
damit ihnen auf dem nächsten Kreuzwege die Hekate mit ihren
Hunden nichts anhaben konnte (Athenäus 4, 149 C.). Denn auch
dieser Hekate fielen Hundeopfer, von denen sie Dea canicida,
canivora genannt war.
Coleri Oeconomia, Mainz 1645, lib. XI, pg. 403. 410 schreibt
vor: Um thörichter Hunde Biss an Menschen und Vieh zu
kuriren, gieb meyische Butter auf ein Stück Brod gestrichen.
Item, schneide einen Meywurm entzwei, mach
ein Löchlein ins Brod, steck
ihn hinein, kleib es oben mit Brod zu, schmiere Meyenbutter
drüber, lass es aufessen. Dies ist ao. 1591 zweimal probiert
worden an Hunden. Bisweilen werden die Kühe toll; reissen an
den Strängen, zittern und beben, als ob einer mit der Axt
vor ihnen stände und sie erschlagen wollte. Da gebe man
ihnen eine Butterschnitte zu essen und lasse sie im Namen Gottes
immerhin laufen. Die Mecklenburger Bauern, bemerkt Coler ebenda,
lib. XII, 479, geben den Hunden geschabet Silber (Abschabsel
einer Silbermünze) auf Butterbrod, so sollen sie nicht toll
werden.—Die Fortdauer dieses Brauches in
Süddeutschland besteht darin, dass man am 1. Mai das
Festmahl der Ankenschnitten, sg. Ankebrüt bereitet,
Schnitten mit Butter und Honig reichlich bestrichen, und auch dem
Vieh beim ersten Austrieb davon verabreicht, damit es in keinen
bösen Wind komme. Wir werden hievon im fünften Kapitel
unter der Form der berittenen Ankenschnittenprozession von
Beromünster noch einmal zu handeln haben. Unter den von
Walburg gewirkten Mirakeln wird eines in Lateinversen von einem
unbekannten Bruder Medinbard besungen; diese Rhythmen "ex
pervetusto codice" stehen abgedruckt bei Gretser (tom. X, pg.
803) und erzählen von einem am Wolfshunger leidenden
Mädchen, das an Walburgs Grab zu Monheim mittelst eines
Bissens Brodes so geheilt wird, dass sie fortan keine andere
Nahrung mehr geniesst als Käse und Milch.
Sualaveldico in pago
Fuit quaedam faemina,
Quae languore fortissimo
Aegrotare coeperat.
Namque tam intemperata
Edendi ingluvies
Incessit semisanatam,
Ut nulla edulii
Abundantia valeret
A suis saturari,
Exhaustis jam parentibus,
Sed fame accrescente
Anxiata hinc dolore
Hinc pudore maximo.
Tandem divinitus tale
Occurrit consilium.
Rogat suos se deferri
Ad Walpurgae gratiam.
Quo delata, biduanis
Incumbebat precibus,
Quibus exorata virgo
Gradiendi miserae,
Qua privata diu fuit,
Sospitatem reddidit.
Bona quaedam monialis,
Vocato preabytero,
Benedici panem fecit
Redditque famelicae.
Quo gustato nequam illa
Fames voracissima,
Virgine sacra favente,
Coepit se subtrahere,
Sic paulatim decrescendo,
Ut prius accreverat.
Sic crescente fastidio,
Pro mira esurie,
Tandem nil aliud cibi
Praeter solum caseum,
Nihil de potu gustare
Nisi tantum lac poterat.
Dieses Wunder des geheilten Wolfshungers und die
Bändigung der Hundswuth gab Anlass, Walburgis Haupt-Emblem,
das der Aehre, dahin misszuverstehen, als ob dasselbe sich nur
auf diesen Einzelfall beziehe. So behauptet es die Schrift
Christliche Kunstsymbolik, Frankf. 1839. Allein die den
winterlichen Sturmwinden wehrende Maigöttin muss nothwendig
auch die Korngöttin selbst sein und als solche ist sie
kirchlich wirklich dargestellt worden. "Der Heiligen Leben, das
Summerteil" (Augsb. 1482) bildet Bl. 51 Walburgis ab mit einem
Büschel in der Hand, welcher Kornähren bezeichnet.
Ebenso verzeichnet M. Hubers Hdb. d. Kupferstecher VII, 79, no. 5
die Abbildung Mariae als "Nostre Dame de trois épis", mit
drei Aehren in der Hand einem Landmanne erscheinend. Die
Bedeutung dieses Attributes liegt in folgenden Sätzen der
Landwirthschaft ausgesprochen: "Korn wird gesäet auf Mariae
Geburt und schosset vmb Waldpurgi" König, Schweiz.
Haussbuch, Basel 1706, 142. "Wenn der Roggen vor Walburgis
schosset und vor Pfingsten blüht, so wird er vor Jacobi
nicht reif." Prätorius, Blockesberg S. 558. Betrachte man
diese Erbsätze nun auch in den nachfolgenden Legenden. Maria
bittet ihren über das sündige Menschengeschlecht
erzürnten Sohn, nicht alle Feldfrucht zumal zerstören
zu wollen, sondern doch noch so viel an den Aehren stehen zu
lassen, als genug ist für Hund und Katze, d.h. für ein
ganzes Hausgesinde. Der Heiland thuts, und seitdem wallfahrtet
man zur Muttergotteskirche von Dreienähren, die beim
elsäss. Stifte Katzenthal gelegen ist. Ebenso lässt
Maria da, w sie sich die Stelle zu ihrer Wallfahrt im Pinzgauer
Kirchthale
erwählt, mitten aus dem Winterschnee drei Aehrenhalme
hervorwachsen, welche nun ihr dortiges Altarbild in der Hand
trägt. Kaltenbäck, Mariensag. no. 122. Den Halm einer
Kornähre brachen und vereinigten die römischen
Brautpaare und benannten nach demselben den Eheabschluss
stipulatio. Träumt man von geschnittnem Korn, so bedeutet
es, dass man die Liebste verlieren werde. Denselben Doppelsinn
des ehelichen und des Ackersegens hat nun auch der
Aehrenbüschel in Walburgis Hand. Wenn sie in der
Walburgisnacht vom reitenden W. Jäger verfolgt wird, sie,
der Frühlings-Genius der aufkeimenden Pflanzenwelt, von dem
noch einmal losbrechenden Frostriesen verfolgt, so verbirgt sie
sich in den innersten Fruchtkeim des jungen Saatfeldes. Denn,
sagt der Volksglaube, man kann der W. Jagd nur entgehen, wenn man
in ein Kornfeld flüchtet. So birgt nach dem
färöischen Volksliede auch Wodan den Bauernsohn vor des
Riesen Verfolgung ins Fruchtkorn:
Ein Kornfeld liess da Wodans Macht
Geschwind erwachsen in einer Nacht.
In des Ackers Mitte verbarg alsbald
Wodan den Knaben in Aehrengestalt.
Als Aehre ward er mitten ins Feld,
In die Aehren mitten als Korn gestellt:
"Nun steh hier ohne Furcht und Graus,
Wenn du mich rufst, führ ich dich nach Haus!"
Neun Nächte vor dem 1. Mai (erzählt Grohmann,
Böhm. Sagb. 1, 44) ist die hl. Walburgis auf der Flucht,
unaufhörlich verfolgt von wilden Geistern und von Dorf zu
Dorf ein Versteck suchend. Man lässt ihr daher im Hause
einen Fensterschalter offen, hinter dessen Fensterkreuz, sie vor
den daher brausenden Feinden gesichert ist. Dafür legt sie
ein kleines Goldstück auf das Gesimse und flieht weiter. Ein
Bauer, der sie einst auf ihrer Flucht im Walde traf, beschreibt
sie als eine Weisse Frau mit langwallendem Haare, eine Krone auf
dem Haupte, ihre Schuhe sind feurig (golden), in den Händen
trägt sie einen dreieckigen Spiegel
(der alles Zukünftige zeigt)
und eine Spindel (wie Berchta). Ein Trupp weisser Reiter
(Schimmelreiter) strengte sich an, sie einzuholen. So sah sie
auch ein anderer Bauer, welcher Regen fürchtend Nachts noch
sein Getreide einführte (das mandelweise aufgeschobert noch
draussen lag). Die Heilige bat ihn, sie in eine Garbe zu
verstecken. Kaum hatte ihr der Bauer willfahrt, als die Reiter
vorüber brausten. Des andern Morgens fand er in den
heimgeführten Aehren statt Roggen Goldkörner. Daher
wird die Heilige auch abgebildet mit einer Garbe. So sieht man
ferner, erzählt Vernaleken, Alpensag. S. 75, zwischen den
Orten Strass und Lind in Untersteiermark neben einem Tannenwalde
zur Zeit des Vollmondes eine Gestalt gehen, die statt des Kopfes
eine feurige (goldne) Garbe trägt. Diese Erscheinungsweise
war in den kleinen Städten des bair. Frankenwaldes am
Walburgistag Anlass zu einer gemeinsamen Volksbelustigung
gewesen.
Plätze, Strassen und Häuser waren da mit
Birkenreisern besteckt: Den Festumzug eröffnete der Walber,
ein vom Scheitel bis zur Zehe in Stroh gewickelter Mann, dem die
Aehren in Form einer Krone über dem Kopfe zusammengebunden
waren. Alle Gewerksleute mit den Emblemen ihres Handwerkes
begleiteten ihn, zu Spott und Trutz (gegen den hinter den Ofen
treibenden Winter) ihre Hantierung ausübend. Heute gilt
dorten nur noch der vor dem Wirthshause aufgepflanzte Walberbaum,
den der zum Spassmacher herabgesunkene Stroh-Walber umtanzt:
Bavaria III, 1, 357. In Niederösterreich sind besonders die
Erntetage der hl. Walburg geweiht, sie durchgeht da alle Aecker,
Matten und Gärten und trägt die schon vorhin
erwähnte Spindel mit sich, die mit einem sehr feinen Faden
vollgeweift ist. Nachdem sie auch hier auf ihrer Flucht vor dem
Schimmelreiter vom erntenden Bauern in eine Garbe gebunden und
auf den Wagen geladen ist, bekommt dieser des andern Tages statt
Korn Gold auszudreschen. Vernaleken, Alpensag. S. 110. 371. Der
den Lohjungfern und Moosfräulein nachsetzende
Schimmelreiter, der sie quer über sein Ross legt und die
sich
Sträubenden in Stücke reisst, hat sich in der
französischen Legende zweimal verkörpert und kirchlich
lokalisirt. Um die Liebe Solangia's, einer Winzerstochter aus dem
südfranzös. Dorfe Villemont, hatte der Oberherr der
Provence vergebens geworben, er jagte ihr daher zu Pferde nach,
holte sie ein, warf sie auf sein Ross und sprengte mit seiner
Beute der Stadt zu. Als sie sich beim Uebersetzen eines
Flüsschens herabschwang und entfloh, wurde sie, abermals
ereilt und mit einem Schwerthiebe enthauptet. Nunmehr werden
zweimal jährlich im Frühling ihre Reliquien
prozessionsweise um die Fluren getragen in der Voraussetzung,
dass sie Unwetter und Wind stillt und dem Flachs- und Reblande
Gedeihen gibt. Godefrid. Henschenius, Acta SS. tom. II, ad diem
10. Maii. Ein gleiches Prozessionsfest begeht am 1. Mai das
Pfarrdorf Mazorit in der Auvergne zu Ehren der hl. Jungfrau
Florina. (Rom feierte vom 28. April bis 1. Mai das Floralienfest
zur Erinnerung an die vergötterte sabinische Nymphe Flora,
die einst im Frühling umherirrend sich dem Zephyr ergab und
daher die Macht über die Blüthen der Bäume und
Blumen bekam). Florina, ein Bauernmädchen aus dem Weiler
Estourgoux, verbarg sich, um den ihr nachstellenden Buhlern zu
entrinnen, in der Felseinöde des dortigen
Cousathälchens, und als ein Versucher sie hier
aufspürte, schwang sie sich von einem der Felsen auf den
gegenüberstehenden des rechten Cousa-Ufers durch die Luft
und liess in beiden ihre Fusstapfen zurück, die nun mit
Kreuzen gekrönt sind. Unter grossem Zudrange des Volkes
werden jährlich am 1. Mai die Gebeine der Heiligen aus der
Kirche zu Mazorit bis zur Einsiedelei dieses Thälchens
getragen, und mag der Himmel an diesem Tage noch so regendrohend
aussehen, so hat noch stets ein günstiger Wind das
Gewölk vertrieben, sobald jener Umgang von Mazorit heran zu
rücken pflegt. A. SS. Henschenii tom. I, ad diem 1. Maii, de
S. Florina, Virg. et Mart.
Die in der Walburgisnacht auf den Wiesen tanzenden und auf den
Blocksberg fahrenden Hexen sind arge Trübungen
einer
ursprünglich edleren Vorstellung von gütig gesinnten
und für den Erntewachsthum bemüht gewesenen Geistern.
Sie alle theilen, bei näherer Untersuchung, emsig das
Geschäft ihrer Herrin Walburgis. In einer siebenbürgner
Sage bei Müller, S. 382, stösst ein Bauer, der seinen
Sack Mehl aus der Mühle heimträgt, auf einen Trupp
Truden, die auf dem Erlenanger tanzen. Er grüsst sie:
Gott vermîr ich iren danz,
Gott vermîr ich iren kranz!
Freundlich antworten sie: Gott segne euch den Sack, dass er
nie des Mehles ledig wird!
Der Volksglaube sagt zwar, die Trud nehme die unholden
Gestalten an von Kehrwisch, Flederwisch und Besenreis
(Schönwerth, Oberpfalz 1, 209); allein damit verbürgt
er nur, dass man der Frühlingsgöttin nach
überstandenem Winter Besen, Kehrwisch und Ofengabel als
abgebraucht beim Freudenfeuer verbrannte und noch verbrennt. Auf
der Stelle, wo die Nachtmahr ausruht, heisst es ferner, da
wächst im Korn schwarzer Raden, am Baume der Maerentakken
(Mistel) und der Hopfen wird brandig (Wolf, Ndl. Sag. S. 689).
Aber gerade damit wird nur in abergläubischer
Verdüsterung wiederholt, was sonst von dem segensreichen
Charakter des Alb und der Elbin gilt, dass sie unter
verschiedenen Namen als Mittagsgespenst (Meridiana), Roggenmuhme,
Tremsemutter, Alte, Kornbaby, Kornkind und Kornengel,
Preinscheuche im wogenden Kornfelde umgehen, geisterhaft auf der
Spitze der Aehren ausruhen, oder in Liebe des Schutzgeistes
reinen Jünglingen und Jungfrauen sich zugesellen. Nur etwas
braucht man von ihnen zu haben, um sie festzuhalten; der im Bette
Erwachende findet dann statt des von ihm ergriffnen Strohhalms
oder Federflaums eine schöne, bis auf den Schleier
splitternackte Jungfrau bei sich im Schlafgemache. Spricht der
Aberglaube vom Trudenfuss, Flederwisch und Federkiel der Mahr,
von der Schmetterlingsgestalt des Toggeli, nennt man in
Augsburger Mundart den Schmetterling Kohlweissling
Milchtrut
,
anderwärts Molkendieb (Weinhold, Schles.
Wörtb. 62): so wird damit einbekannt, dass statt des
Gespenstes einst eine Valküre galt, die in Schwanenhemd und
Vogelgewand allüberall ihren Schützling umflog,
wesshalb noch der Fünfort, Alpfuss oder Trudenfuss, ndl.
marevoet, an die Stubenthüren gekreidet wird, zwei in
umgekehrter Richtung der Winkel stehende Dreiecke. So tummelt das
Nachtschrättelein die Stallrosse und zöpft ihnen
Schweif und Mähne, dass sie schwitzen; denn es ist
gleichfalls nur die lächerliche Verschrumpfung jener
himmlischen Valküre, die auf den Thaurossen des Morgens
heranritt, Helden Hilfe bringend und dem Felde die Frucht.
Solcher Abkunft dunkel noch eingedenk, schreibt der Volksglaube
vor, gegen den Besuch der Nachtmahr
zwei Sicheln
gekreuzt
vors Bette zu legen.
Die Rechtsformel Drei Halme bedeutete drei Jahre und drei
Jahresernten; das Sinnbild dreier Aehren ebenso das Obereigenthum
und Erbgut. Die zu Lucca Erblehen vom dortigen Waisenhause
hatten, mussten dahin am 1. Mai einen reichlich geschmückten
Maibaum überbringen und verloren ihr Lehen, wenn daran die
drei vorgeschriebnen Kornähren mangelten: Grimm, RA. 128.
205. 361. Der oberpfälzer Bilmesschnitter pflückt
drei
Aehren vom fremden Acker, damit fliegt ihm dessen
Ernte in seine eigne Scheune. Schönwerth 1, 432.
Hier zum Schlusse dieses Abschnittes ein Kirchenwunder von
Walburgis Eulogienbroden.
Eulogia nannte man beim Gottesdienste der ersten
Christengemeinden jede zur Kirche mitgebrachte Brod- und
Weinration, die man hier priesterlich einsegnete und zum Schlusse
mit allen Anwesenden gemeinsam verzehrte. Es war ein Liebesmahl
zu dem Zwecke, die Ungleichheit vor dem weltlichen Gesetze und
den Unterschied von Arm und Reich mindestens bei den
religiösen Zusammenkünften aufzuheben und zu bekennen,
dass Alle vor ihrem gemeinsamen Gotte gleich seien. Ein
ähnlicher Brauch war nun
auch dem deutschen Heidenthum geläufig
gewesen und dauerte noch lange fort in dem Bruderschaftswesen der
Geldonien, deren angelsächsischer Name
Friedensbürgschaft hiess. In ihnen stand Einer für
Alle; Gott, auf dessen Namen jede Geldonie beschworen war, sollte
Alle bei ihrem Rechte bewahren. Eine natürliche Folge hievon
war die Pflege und Versorgung derjenigen Vereinsmitglieder, die
unverschuldet in Dürftigkeit geriethen. Die reichlichen
Brod- und Fleischvertheilungen, die mit den Germanenopfern
nachweisbar verbunden waren, verbürgen dies, und ausserdem
war es eine Sache der Nothwendigkeit, für die Mahlzeit
derjenigen reichlich zu sorgen, welche in unwirthlichen, gering
bevölkerten Landstrichen und unter der Ungunst der Witterung
weite Märsche auf sich nehmen mussten, um sich bei den
allgemeinen Versammlungen rechtzeitig einfinden zu können.
Das Christenthum vermochte daher diese religiösen Mahlzeiten
der Germanen nicht abzuschaffen, sondern suchte sie dem
kirchlichen Cultus nur anzupassen: "Es ist durchaus nothwendig,"
schreibt Pabst Gregor d. Gr. an die angelsächsischen
Bischöfe (Beda Ven., hist. Angl. lib. 1, c. 30), "dass man
diese Feier der Heiden bestehen lässt, nur muss man ihr
einen andern Grund unterschieben, sie auf die Kirchweihen
verlegen, den Festplatz mit grünen Maien umstecken, Thiere
schlachten und ein kirchliches Gastmahl veranstalten. Doch soll
man nicht ferner zu Ehren des Satans Thieropfer bringen, sondern
das Geschlachtete zum Lobe Gottes und um der Sättigung
willen geniessen." An die Stelle solcher Gesammtmahlzeiten trat
später vorzugsweise das blosse Brod, so wie es heute noch in
den Kirchen der romanischen Länder an den Gedächtniss-
und Festtagen unter dem Namen Eulogienbrod (deutsch Oblei, franz.
pain béni) überreichlich an Jedermann ausgetheilt
wird. Bevor diese Reduction allgemein durchgesetzt war, gab die
Kirche ihren Bedürftigen jeglicherlei Gattung von Speise. So
wurde in der Monheimer Kirche unmittelbar nach dem daselbst
erfolgten Begräbnisse Walburgis Fleisch, Brod, Käse,
Fische,
und
Bier unter die Wallfahrer
als Eulogie
ausgetheilt (A. SS.
saec. 3. II, pg. 302), und ebenso wurden von den Letzteren
Esswaare und Getränk jeder Art in die dortige Kirche
getragen, um daselbst theils aufgeopfert, theils zum eignen
Genusse in Gesellschaft der Andächtigen gebraucht zu werden.
Rinder, Schweine, Brodsäcke und Trinkgeschirre werden
genannt, die den Wallfahrern hier entwendet, dann aber unter der
Patronin Beistand wunderbar wieder aufgefunden wurden. Der
Nachdruck der hievon handelnden Erzählungen verbleibt jedoch
immer auf dem geweihten Brode. Hierüber hat der unbekannte
Bruder Medinbard verschiedene Lieder gesungen, von denen ein
kürzeres hier nachfolgt. Die Begebenheit ist diese. Ein
blindgebornes Mädchen zu Kempten hört Nachts im Traume
sagen: Willst du den Wucher der Himmelswolke einmal erblicken und
die grüne Breite der Gefilde, so back weisse Spendbrode und
trage sie zum Walburgisgrab in Monheim. Das Mädchen thats,
überbrachte dahin die Brode und liess sie auf den Altar
legen. Da erschienen zwei Klosterhühner am Altare, "duae
gallinae, id est Sanctimoniales geminae", welche sie bereits in
ihrem Traume erblickt hatte, frassen die Brode weg, untersuchten
den Grund des Erscheinens der Blinden somit angelegentlich und
das Mädchen war darüber sehend geworden (ibid. pag.
300). Verwunderlich bleiben hier diese auf dem Altar weidenden
Hühner. Sie lassen nicht auf die gewöhnlichen
Zinshühner schliessen, von denen in der lex Alam. 22 gesagt
ist, dass die Leibeignen regelmässig fünfe der Kirche
zu entrichten haben (Grimm RA. 374), denn deren Weideplatz ist
nicht der Altar; es müssen vielmehr heilige gewesen sein,
und als solche galten einst die weissen (Troll, Gesch. von
Winterthur 7, 183) und gelten noch die schwarzen. Letztere werden
noch für heilsame Thiere gehalten (Schönwerth, Oberpf.
Saga 1, 346), der Gefahr entgangen sein und ein schwarzes Huhn
kirchlich geopfert haben ist altbairisch synonym. Schmeller Wtb.
2, 199. Im Uebrigen ist das Huhn, sowie das Ei, allgemeines
Symbol
der
Fruchtbarkeit, besonders der ehelichen. Des Morgens nach der
Brautnacht wurde dem Ehepaar das gebratene Bräutel- und
Minnehuhn vors Bette gebracht. RA. 441.
Puella quaedam ab ipsis
Heu caeca cunabulis,
Audita opinione
Virginis eximiae,
Desiderio flagravit
Veniendi maximo.
Quam quidam in visione
Nocturna submonuit,
Oratorium adiret
Tanti desiderii,
Oblatas mundas offerret,
Altari imponeret.
Quas illatas statim binae
Gallinae comederent;
Quibus pastae deservirent
Matris excubiis.
Venit, attulit, imponit,
Preces fudit intimas.
Astant duae moniales
Gallinae videlicet,
Praevisae in visione,
Quae oblatas colligunt,
Et requirunt diligenter
Quae, unde, cur venerit.
Quibus illa dum exponit
Singula veraciter,
Domino propitiante
Et beata Virgine,
Incognitum lumen coeli
Novis hausit oculis.
Dritter Abschnitt.
Walburgistag, des Meien hochgezît.
Der meie der ist rîche,
er füeret sicherlîche
den walt an sîner hende,
der ist nu niuwes loubes vol:
der winter hat ein ende.
Neidhart von Reuenthal (1234).
Sommer und Winter waren einstmals unter die Zahl der
göttlichen Wesen unsrer Vorzeit gerechnet gewesen; die
Volkssitte im Verein mit unsrer älteren Sprachweise
lässt hierüber keinen Zweifel übrig. Die Edda
nennt den Sumar den Sohn des selig freundlichen Mannes
Svâsudhr; der Winter dagegen (Vetr) hat den Vindlôni
und Vindsvalr zum Vater, den Windkühl und Windschweller, der
selbst wieder vom feuchten und nassen Vâsadhr abstammt.
Koberstein, Weimar. Jahrb. 5. Sommer und Winter messen sich in
einem Zweikampfe, und dessen scenische Aufführungen
waren ein
Brauch, welcher sich von Schweden und Gothland an bis nach
Südbaiern und der Schweiz erstreckt hat. Der Mai wird aus
dem Walde in den Heimatsort herein abgeholt; dies geschieht
jedoch nicht ohne heftigen Widerspruch des Winters, der es erst
auf einen förmlichen Kampf ankommen lässt. Deshalb muss
der knabenhafte Mai bewaffnet und unter kriegerischem Lärm
die Landschaft betreten. Er entbietet ein grosses Turnier und
kommt gewappnet auf den Plan:
sein panzer was ein grüenes graȥ,
sein koller darauf ein weisser klee,
sein halsperg was veyolvar,
sein bugler wag von rosenbluet.
er füert in seiner hende
ein sper, was michel lanc
vnd was eitel vögelingesang.
A. Keller, Altd. Erzählungen, pg. 85. Dieser Aufzug des
in Laub gekleideten, zu Rosse einziehenden Maikönigs geschah
auf Walburgis oder 1. Mai und hiess:
den Sommer in das Land
reiten
.
[Nachtrag 1]
In
Dänemark war er der Maigraf genannt, der sich aus den
Jungfrauen des Ortes seine Maigräfin, die Majinde,
erwählte, indem er seinen Blumenkranz von der Schulter ihr
zuwarf; in Thüringen war es der in Pappellaub eingebundne
Graskönig, der im Dorfe vom Rosse stieg, sein Laubgewand
aufschnitt und dessen befruchtende Zweige auf die Saatfelder
steckte. Oder es kam da, wo Pfingsten den Anfang des Lenzes
bezeichnet, der Pfingstkönig auf die Brautwerbung geritten
und führte die im Busche versteckt, gehaltene Prinzessin im
Triumphe heim; sie heisst in Flandern Pfingstblume, Pinxterbloem,
in England the queen of the May, in der Provence
Rosenmädchen, Mayo, zu Thann im Elsass Maienröslein. An
diesem letzteren Orte trägt am Walburgistage ein Kind einen
bändergeschmückten Maien um, ein anderes mit einem
Korbe nimmt die Gaben in Empfang, und das Gefolge singt vor den
Häusern:
Maienröslein, kehr dich dreimal 'rum,
Lass dich beschauen 'rum und 'num.
Maienröslein, komm in grünen Wald hinein,
Wir wollen alle lustig sein;
So fahren wir vom Maien in die Rosen.
Im Verlaufe des Liedchens wird den Leuten, die nicht Eier,
Brod, Wein, Oel spenden wollen, angewünscht, dass der Marder
die Hühner nehme, der Stock keine Trauben, der Baum keine
Nüsse, der Acker keine Frucht mehr trage; denn das
Erträgniss des Jahres hängt von dem kleinen
Frühlingsopfer ab. Stöber, Elsäss. Volksb. 1842,
56. Fällt der Nachdruck der scenischen Festaufführung
auf das Vertreiben des Winters, so nennt man dasselbe den Tod
austragen, oder wie im böhmischen Saazer Kreise, mit dem
Bändertod herumgehen, weil der Zug der Knaben Hut und Brust
mit Bändern geschmückt hat. Dabei trägt der
König einen mit Goldpapier beklebten Rockenstiel als
Scepter, zwischen zwei Brauthütern folgt ihm sein
Töchterlein. Letztere melden, dass der Tod um die
Königstochter werben lasse. Hierauf erscheint dieser selbst,
statt der Waffe ein Bündel Lichtspäne (Schleissen) in
der Hand tragend, und wird vom erzürnten Vater
niedergestochen. In Südschweden rückten am 1. Mai zwei
Reiterschaaren von verschiednen Seiten in die Städte, die
eine angeführt vom Winter, der in Pelze gehüllt, mit
Handspiessen bewaffnet, Schneeballen und Eisschollen auswarf, die
andere vom Blumengrafen, der mit Laub und Erstlingsblumen
bekleidet war; sie hielten ein Speerstechen, worin der Sommer den
Winter überwand und durch Ausspruch des umstehenden Volkes
für den Sieger erklärt wurde. War die Witterung des
Tages recht rauh, so legte der Winter den Spiess ab, streute
glühende Asche aus einem Eimer und liess von seiner Rotte
Feuerkugeln unter die Zuschauer werfen. War Sonnenschein, so nahm
dies der Blumengraf auf seine Ehre und rückte mit frischen
Birken- und Lindenzweigen hervor, die man lange zuvor in den
warmen Stuben mit Mühe zum Grünen gebracht hatte.
Ein Gastmahl
und Trinkgelage, glänzender als es durch Speerkämpfe
errungen wird, schloss das Turnier. So die Beschreibung bei Olaus
Magnus, Bischof von Upsala, Schwed. Chronik (verdeutscht 1560) 15
Buch, Kap. 4. Geschichtlich denkwürdig (schreibt Uhland,
Pfeiffer's Germania 5, 276. 279) ist ein westfälischer
Mairitt, welchen die Bürger von Soest im J. 1446
während ihrer Fehde gegen den Bischof von Köln
ausführten. Auf Walburgistag, "da man nach alter Sitte in
den Maien zu reiten pflegte", wollten die Soester dies nicht
unterlassen; wiewohl sie sich vor ihren Feinden zu wahren hatten.
Sie zogen mit grosser Kriegsmacht aus der Stadt in den Arnsberger
Wald, wo sie ihre Schaaren ordneten, fielen dann mit Raub und
Brand in die Grafschaft Arnsberg, zerstörten Dörfer und
Vesten, führten Heerden, Güterwagen, selbst
aufgefangene Frauen, die jedoch vor der Stadt wieder frei
gelassen wurden, mit hinweg und kamen, nachdem sie der
verfolgenden Feinde sich erwehrt, mit Frieden und Freude "unter
dem grünen Maien" nach Hause. Wie hier der grüne Mai,
unter welchem das Kriegsheer einreitet, im Arnsberger Walde
gehauen wird, so rücken am Frühlingsfeste die
Knabenschaften an zahlreichen Orten Oberdeutschlands in ihre
Gemeindewälder bewaffnet aus und hauen sich zum Feste die
Ruthen und Stäbe, wornach dorten das Maifest der Stabtag
oder Ruthenzug heisst. Diese Kadettenzüge sind beschrieben
im
Alemann. Kinderlied
und
Kinderspiel
, pg. 490.
Häufig knüpft sich eine Ortssage daran von einem zu
derselben Zeit einst gegen den Feind erfochtenen Siege, wornach
der mit Uebermacht eingedrungene Gewalts- und Zwingherr
erschlagen und ihm die schon erbeutete Rinderheerde wieder
abgejagt worden, oder wornach seine Zwingburg listig erstiegen,
er sammt seiner Mannschaft niedergemacht und so Landschaft und
Ort in einem Wurfe befreit worden sein sollen. Hievon wird im
Abschnitte
Maiengeding
noch besonders die Rede sein. Der
Brauch des Mailehen-Ausrufens ist bis auf die Gegenwart in der
Eifel, Rheinpfalz
und Hessen ein Innungsrecht der örtlichen
Knabenschaften gewesen. Um Kirchheimbolanden, Stetten u.s.w. in
der Pfalz werden in der ersten Mainacht, die heiratsfähigen
Mädchen in öffentlicher Versammlung zur "Versteigerung"
einzeln ausgerufen und dem Höchstbietenden zugeschlagen. Der
Erlös ist kein unbedeutender (Bavaria IV. 2, 364). Ebenso
werden sie in der Gegend der Ahr zum "Mailehen" ausgeboten und
den Käufern einzeln zugetheilt. Die für beide Theile
daraus entspringende Verpflichtung ist gegenseitige Zucht; eigene
Hüter "Schützen" sind beauftragt, Uebertretungen beim
Sittengerichte der Knabenschaft zur Anzeige und Bestrafung zu
bringen, ein Sittengesetz, das ehmals im ganzen Eifellande
üblich gewesen war (Schmitz, Eifl. Sag. 1, 32). In der
Hessischen Lahn- und Schwalmgegend werden die Mädchen unter
Peitschenknall, Freudenfeuern und Pistolenschüssen
gleichfalls ins Mailehen gegeben und in der Walburgisnacht
einzeln ausgerufen. Lynker, Hess. Sag. no. 317
[2]
.
Den Brauch, die Jungfrauen ins Mailehen zu geben und die
Wittwen mit zum Brautkauf auszurufen, kann man nunmehr aus dem
Leben der hl. Bilihildis nachweisen, über deren Zeitalter
freilich sich nur das mit Bestimmtheit sagen lässt, dass ihr
Name in den Martyrologien des 10. Jahrhunderts genannt wird.
Rettberg, Kirchengesch. 2, 303. Sie war als Heidenmädchen
einer Adelsfamilie aus Veitshochheim in die Klosterschule nach
Würzburg gethan worden und sah hier das berühmte
Maispiel mit an, das die gleichfalls noch heidnischen Mainfranken
alljährlich zu begehen pflegten. Dasselbe findet sich
beschrieben in der von Herbelo
metrisch verfassten Vita S. Bilihildis (Ignaz
Gropp, Collectio Scriptor. Wirceburg. 1741, 791). Statt dieses
breiten unbeholfenen Berichtes, der ohnedies wie ein
Polizeibericht des vorigen Jahrhunderts über unsre
Volkssitten lautet, folgt hier bloss ein sachgetreuer Auszug.
Nach altem Herkommen, das wie eine religiöse Satzung galt,
hielt das Frauengeschlecht der Mainfranken alljährlich im
Frühling zu Ehren der Venus und der Vesta ein Spiel ab,
wobei ohne Mann und nackt getanzt wurde. Sämmtliche Wittwen
unter fünfzig Jahren und alle mannbaren Mädchen traten
mit auf, nackt, in bunten Farben schimmernd, Blumen- und
Laubgewinde in den Händen tragend. Während eine Schaar
den Reihen führte, ergötzte sich die andere am Anblick
der Gespielinnen und fühlte sich zu frischem Beginne
angespornt. Das Männervolk machte dabei den Zuschauer. Den
Vornehmen ergötzte die vornehme Haltung, den Bauern die
ländliche oder volksthümliche. Ein Jeder erlas sich
unter ihnen die künftige Gattin, und wenn auch noch nicht
vertraut mit ihrem Gemüthe, traf er hier nach ihrer
Wohlgestalt bereits im voraus seine Wahl. Alle bei diesem Feste
geschlossnen Eheverträge hatten das Jahr über ihre
Geltung bis zum Herbstfeste, das man unter abermaligem Tanze in
einer Scheune begieng. Indem so der Mann sich eine Frau
erwählte, die er noch nicht näher als vom blossen
Anblick kennen gelernt hatte, beobachtete er ein heidnisches
Herkommen, für dessen Gesetzgeber und "
König
" er
sich selber hielt. Jedoch keineswegs mit dem gleichen Erfolg
konnten diese Mädchen sich den Titel der
"
Königin
" beilegen, wenn eben diejenigen Männer,
welche hier beim Tanze mit der Brautfackel der Venus gefangen
worden waren, über dieses Spiel als über einen blossen
Scherz nachher tausendmal gelacht haben. Ganz anders that daher
die selige Bilihildis, die nicht spielend, sondern allein
kirchlich die Verlobte eines Mannes werden wollte: unter
Thränen bewog sie ihren Vater, beim König Chlodwig
Anzeige zu machen von diesem sittenwidrigen Frauentanze, worauf
alsdann der Regent
durch ein Edikt dem deutschen Venusspiel ein Ende
machte. So weit Herbelo's Nachricht.
Der Ehemann, welcher, hier
König
genannt wird, ist
im heutigen Frühlingsspiele der Maigraf oder
Lauchkönig, die von ihm erwählte Braut die
Maikönigin oder Prinzessin. Die Jungfrauen und Wittwen
versammeln sich zum vorbestimmten Festtanze, um unter die
zuschauenden Männer ins Mailehen vertheilt zu werden. Sie
sind bemalt und bekränzt, tragen Laubguirlanden, Abends
Fackeln: lauter Einzelzüge unsrer heutigen
Frühlingsbräuche. Damit erledigt sich auch die von
Herbelo wiederholt genannte nuda cohors muliebris in ludo nudo
ludens; denn diese besteht keineswegs aus nackten, sondern aus
entblössten Tänzerinnen, d.i. aus solchen, die als
Botinnen des Frühlings Frauenmantel und Haube abgelegt
haben, hochgeschürzt, blossarmig und baarhäuptig in den
Reihen treten, ums fliegende Haar den Kranz aus Walburgiskraut
geflochten (Osmunda lunaria und Botrychium lun.). Ist hier von
der Mönchsphantasie ein züchtiger Frühlingstanz
schon zum nackten Ball gemacht, gegen den der angebliche
Frankenkönig Chlodwig einschreiten muss, so haben auch die
Orgien der nackten Weiber am Blocksberge keine andere
Entstehungsquelle, als eben dieses grausame Missverständniss
von Seite des Klerus.
Doch wir kehren zurück zu den ferneren Volksbräuchen
der Walburgisfeier. In derselben Mainacht werden
glattgeschälte, schmuckbehangene Bäumchen auf die
Dorfbrunnen und der Liebsten vors Fenster gesteckt, damit jene
das Jahr über klar fliessen, und diese eben so lange wieder
frisch und schön bleibt. Man wählt dazu besonders die
Zweige der Eberesche mit ihren rothen Beeren, davon heisst sie
selber der Wolbermay (Prätorius, Blockesberg, 460). Die
Reime, die man an den Baum hängt oder vor dem Kammerfenster
des Mädchens hersagt, ergehen sich in den gleichen
Sinnbildern:
Grüss dich Gott durch eine Hand voll Seiden,
Alle frischen Herzen will ich deiner wegen meiden.
Grüss dich Gott durch einen Seidenfaden,
Gott bewahre dich im finstern Gaden.
I lôss sie grüessen durh e höchi
Tanne,
die Zît isch cho zum Wîben—und zum
Manne,
I lôss sie grüessen durh es Hämpfeli
Thau:
i wött, mî Holdi wär mî Frau.
Rosmeri und Zypresse,
ass i de nit vergesse;
Rosmeri und Nägeli drî,
g'hörsch, i möcht gern bî der
sî!
bî der sî, wie's Rösli hockt
am-ene einige Stengel:
Der Herr ist schön, sî Frau ist schön
und s' Chind ist wie ne Engel.
Aber dieser Maibaum wird nur der Getreuen gesetzt, "ein
dürrer Walberbaum" kommt zur schmerzlichen und entehrenden
Ueberraschung vor das Fenster der Verführten (Bavaria II,
269), oder ein Strohpopanz, Namens Walburg, wird der Faulen
aufgesteckt, die zu dieser Zeit ihr Land noch nicht umgegraben
hat. Kuhn, Nordd. Sag. S. 376. Inzwischen erforscht zur selbigen
Nacht das Mädchen ihre Zukunft aus mehrfachen von Walburg
selbst herrührenden Liebesorakeln. Die Heilige trägt
eine aufgeweifte Spindel. Auf diese bezieht sich der
österreichische Brauch des Fadenziehens, welchen Vernaleken,
Alpensag. no. 92. 93 meldet. Die Mädchen, welche Lust haben,
ihres Zukünftigen Beschaffenheit vorauszuwissen, setzen sich
Mitternachts in einen Kreis und nehmen einen feinen
Gespinnstfaden ihrer eignen Arbeit, der jedoch drei Tage vorher
hinter einem Mariabilde gehangen hat. Während er im Kreise
herum durch die Finger läuft, spricht man stille und mit
geschlossnen Augen:
Voaten, i ziech di,
Walpurga, i bid di,
zag von main Man
alle Seiten an.
Wie dabei der Faden sich anfühlt, weich und glatt, hart
und fest, so werden des einstigen Mannes Eigenschaften
sein. Das
oberpfälzer Bauernmädchen schleudert ungesehen ihren
Schuh über den Peuntbaum und horcht, aus welcher Gegend her
wiederholtes Hundegebell herüberschallt; eben daher wird
einst der Werber zu ihr kommen. Ihr Spruch lautet:
Hunderl, ball, ball,
ball über neunmal,
ball über's Land,
wau mein feins Liab wahnd.
Schönwerth, Oberpf. Sag. 1, 139. So verhilft hier der
Hund, Walburgs Geleitsthier, und dorten Walburgs Flachsfaden zum
Gelingen des Liebeszaubers.
Das vorhin geschilderte Mailehen, die Vertheilung der
mannbaren Mädchen an die jungen Ortsburschen, fand bei den
Moselfranken nicht am 1. Mai, sondern am ersten Sonntag in
Fastnachten statt und hiess daselbst der
Valentinstag
; es
wurde 1799 polizeilich verboten (Hocker, Moselthal 24). Eine
Waldhöhle bei Ebersberg in Oberbaiern mit einer dabei
stehenden Linde hatte dem umwohnenden Volke zum Versammlungsorte
gedient, um hier den Teufel (Valant) heidnisch zu verehren. Ein
heiliger Mann, Konrad von Heuwa, zerstörte beide von Grund
aus und liess an der Stelle ein
Valentins
kirchlein
erbauen. Schöppner, B. Sagb. no. 70. Dies führt uns auf
den am 14. Febr. in England gefeierten Valentinstag, das eigentl.
Fest, der Jugend und der Liebe hier, wie im nördlichen
Frankreich, in Belgien und den Niederlanden. Es ist ein
vorausbegangner, vordatierter Maitag oder Walburgistag. Eine alte
Stadtsage Londons erklärt, dass sich am 14. Febr. die
Vögel zu paaren beginnen, und ein gleichfalls alter
Sprachgebrauch nennt darum das Männchen Valentin, das
Weibchen Valentinne, sprich Wallen-tein. Dies trifft genau
zusammen mit dem von Russwurm veröffentlichten Holzkalender
der Inselschweden, in welchem der 1. Mai mit folgender
Kalenderrune verzeichnet steht: ein nach oben gekehrter Halbring,
in dessen Mitte ein kleinerer liegt, ist das Sinnbild des Eies
im Neste der zu
dieser Zeit wieder brütenden Vögel. Alles
überschickt sich in England an diesem Tage kleine Geschenke
und anonyme Liebeserklärungen. Es liegt uns ein Bericht des
Londoner Postamtes vom Valentinstag 1857 vor. Um 9 Uhr Morgens
wurden 150,000 Briefe aufgegeben; um 10 Uhr 25,000; um 11 Uhr
175,000; Mittag 12,000—bis zum Abend noch einmal weitere
60,000, so dass an diesem Tage (ausser den vielen
bezüglichen Inseraten der 145,000 Zeitungsnummern) 422,000
Briefe ausgetragen wurden, d.h. zwei- bis dreimalhunderttausend
mehr, als an allen übrigen Tagen des Jahres. Dafür zum
Entgelt erhalten dieses Tages die Briefträger eine besondere
Mahlzeit, bestehend aus Rostbraten und Ale (Schweizerbote, Zugabe
no. 6, 11. Febr. 1860). Auch dabei galt ehemals die Sitte,
Liebsten und Liebste durchs Loos zu ziehen und daran die
Verpflichtung gegenseitigen Wohlwollens oder sogar bleibender
Treue zu knüpfen. Allbekannt ist das dahin zielende
Liebeslied der Hamletischen Ophelia:
Guten Morgen, es ist St. Valentinstag
so früh vor Sonnenschein,
ich junge Maid am Fensterschlag
will euer Valentin sein.
Noch heute, berichtet Reinsberg (Festl. Jahr, 34) sind
Landmädchen des festen Glaubens, der erste Mann, den sie am
Morgen dieses Tages erblicken, werde ihr Valentin und einst ihr
Ehemann, vorausgesetzt, dass er nicht mit ihnen im gleichen Hause
wohne, nicht ihr Anverwandter und kein Verheirateter sei. Daher
stellen sich junge Männer oft schon vor Sonnenaufgang in der
Nähe des Hauses oder an der Strasse auf, wo ihre Geliebten
vorüber kommen müssen, und diese wiederum gehen bei
ihren Gängen lieber eine halbe Stunde um, wenn sie dadurch
einem Nichtersehnten aus dem Wege gehen können, oder sitzen
mit zugemachten Augen den halben Morgen hinter dem Fenster, bis
sie die Stimme desjenigen hören, den sie gern möchten.
Suchen wir die Erklärung und den Zusammenhang des also
gefeierten
Valentintages sammt den vorausgeschilderten Maibräuchen, so
finden wir dafür den nordischen Natur-Mythus von der
Brautwerbung der Götter. Das in zwei Hälften getrennte
Sonnenjahr wird gelenkt von zwei Mit-Odhinen. Erst hat sich der
winterliche Uller-Odhin zum Alleinherrscher der Erde aufgeworfen.
Vergebens will ihn Wali-Odhin verdrängen, er ist noch
kinderlos. Da wirbt er um Rinda (die hart gefrorne Wintererde),
spröde sträubt sie sich gegen seine Liebe, bis er sie
mit dem Zauberstab des Lichtpfeils gerührt hat. Als sie ihm
darauf den gleichnamigen Sohn Wali gebiert, entflieht
Uller-Odhin, gehüllt in Pelze und dahinschreitend auf
Schlittschuhen, in den Hochnorden zurück. Dies der
äusserlichste Umriss der Mythe; volle Gestalt gewinnt sie
erst durch unsere altdeutschen Gottheiten und Stammhelden, und
alle Einzelzüge der späteren Sagen und Bräuche
finden dabei ihr überraschendes Verständniss. Mit der
aufsteigenden Frühlingssonne wird Wuotans, und Frouwas
Hochzeitsfest gefeiert, wird Gerda von Freyr, Brunhilde von
Gunther und Sigfried durch Wettspiele erworben, in dieser
wonnigsten Zeit des Jahres grünen und schimmern dann alle
Höhen von den bei der Götterhochzeit abgehaltenen
Festtänzen. Dann sagen sich die Menschen, das sei der Zug
aller Zauberweiber zum Broken, an diesem ersten Maitage
müssten die Hexen den letzten Schnee vom Blocksberge
wegtanzen (Kuhn, Nordd. Sag. 376), oder ebenso an Mariae
Lichtmess müssten unsre Frauen im Sonnenschein tanzen, damit
die Schneeflocken am Pilatusberge vergehen und der Flachs so hoch
wachse wie die Sprünge der Tänzer sind. Ob dabei das
Fest auf 14. Februar, oder auf Walburgis und 1. Mai, oder auf 12.
Mai, oder gar erst auf Pfingsten angesetzt wird, verschlägt
nichts und ist eine blosse Folge späterer Zeiteintheilung.
In den Volksbräuchen ist noch vielfach die Rechnung nach dem
alten Kalender beibehalten und folglich wird da der 12. Mai als
der frühere erste begangen und der Tag Pancratius hat
übernommen, was sonst vom Tage Walburgis galt. Da muss man
Lein
säen
und dabei recht lange Schritte machen (Thüringen, Hessen);
oder die älteste Jungfrau des Hauses muss am Fasnachtstage
(Harz), oder an Lichtmess (Meklenburg) rückwärts vom
Tische springen; oder die Hausfrau muss einige Stücke tanzen
und dabei recht hoch springen (Schlesien, Mark); oder man steckt
beim Säen die Harke oder grosse Hollunderzweige senkrecht in
die Erde (Meklenburg, Thüringen)—alles, damit der
Flachs gut gerathe und eben so hoch wachse. Wuttke, Volksabergl.
Aufl. 1, S. 184. Hauptgehalt aller dieser Bräuche aber
bleibt in gleicher Wiederkehr der erneute Wucher des Erdreiches
und die Fruchtbarkeit der neuen Liebesbündnisse. Von der
deutschen Heldensage an bis hinab in das Kindermärchen vom
Dornröschen wird hievon gesungen und gesagt. Denn wenn die
in der Waberlohe schlummernde Brunhilde von Sigfried aus dem
Zauberschlafe geweckt und zum Weibe erworben wird, so ist diese
Waberlohe das im Mittagsstrahle flimmernde, träumerisch
nickende Aehrenfeld, Brunhilde ist die darin ruhende
Nährkraft. Sigfried, von dem gesagt ist, dass wenn er durchs
Kornfeld schritt, die Aehren nur an den Thauschuh seiner
Schwertspitze reichten, ist die grosse Gestalt des Schnitters.
Voranschreitend zertheilt er die Halme, hinter ihm schlagen sie
wieder zusammen, bis seine Sichel alle gefällt hat. Dies
heisst in der Edda: Sigfried sprengt zu Ross in die von Feuer
umgebne Burg, nimmt der Schlafenden den Helm vom Haupte,
schneidet ihr mit seinem Schwerte den Panzer, der weder Haken
noch Nesteln hat, von Brust und Armen, worauf sie erwacht, ein
Trinkhorn mit Meth füllt, dem Befreier überreicht und
ihn die Runen gebrauchen lehrt, die Sieg-, Meth-, Sturm-, Rechts-
und Machtrunen. Solche Weisheit bewundernd ruft Sigfried: Keine
andere als dich will ich zum Weibe haben!
Wohin aber in diesem sagenhaften Göttergewimmel mit
Walburgis? Auch sie, obschon sie unter dem Einflusse der Kirche
eine ehelos lebende Heilige geworden ist, war einst
eine
Schönheitsgöttin gewiesen, von welcher das Glück
der ehelichen Liebe und das Gedeihen der ländlichen Arbeiten
ausgieng. Von ihrer Frauenschönheit berichtet noch eine
oberpfälzische Sage (Schönwerth 1, 389), die alle
Spuren hohen Alterthums an sich trägt. Bekanntlich pflegten
sich Heiden- und Christenpriester gegenseitig in
Religionsdisputationen über die Vorzüge ihrer Himmel
und Himmlischen zu messen, und der Streit endete manchmal damit,
dass beide Theile es auf einen Augenschein, auf ein visum
repertum ankommen liessen. So kommt es zwischen einem Priester
und einem Heidenweibe (Hexe) denn auch einmal zur Frage, wer
schöner sei, die Heidengöttin Walburg oder die
Himmelsjungfrau Maria. Der Vorgang ist folgender. Eine Hexe
beichtet ihren Stand einem Geistlichen, erklärt aber auf
dessen Abmahnen, ihren Versammlungen wohne die Mutter Gottes
leibhaftig bei, er möge sie nur bei der nächsten
Ausfahrt begleiten und sich selber überzeugen. Am bestimmten
Tage setzt sich der Mann mit der Hexe in einen Wagen und
fährt durch die Lüfte, bis man Glocken läuten
hört. Da senkt sich der Wagen und man steht in der Mitte
einer prachtvollen, mit einer zahllosen Menge angefüllten
Kirche: In der That wandelte auch die Mutter Gottes leibhaftig
auf dein Altar herum, voll Glanz und Schönheit. Doch dem
Priester schien sie zu üppig und verführerisch, er
sprang auf den Altar und hob ihr ein verborgen gehaltenes
Crucifix mit den Worten unter die Augen: Bist du die Mutter des
Herrn, so sieh hier deinen Sohn! Da erloschen mit einem mal
sämmtliche Lichter, dichte Finsterniss und Stille herrschte,
der Pater stiess sich an rauhen Steinen und als es gegen Tag
gieng, befand er sich im Gemäuer eines Galgens.—Wir
werden dieselbe hl. Walburg ebenso noch als heidnisch verehrte
Venus von der Kirche selbst angeben hören; denn allerdings
sind schon die bisher von ihr gemeldeten Züge unkirchlich
genug: der Hund an der Kette und der Flachsfaden auf der Spindel
sind ihre Orakel; ihre nächtlichen Höhenfeuer
leuchtendem Reihentanze der Liebenden
und diese werden ohne Priester
zusammen gegeben; ihr Heilbad ist der Maienthau, ihr Keiltrunk
der Maibrunnen und das frische Oel des Feldes; statt eines
Marterwerkzeuges trägt sie Garbe und Aehre, gleich ihrem
Bruder Oswald. Sie wandelt das Saatkorn in Gold, sie geht in
goldnem Schuh und trägt eine goldne Krone, sie ist selber
das reifende Aehrenfeld. Ihr antikes Abbild ist Pindars
"röthlichfüssige Demeter" (Olymp. 6, 94) und die
römische Ceres rubicunda, die in rothgelben Grannen reifende
Gerstensaat.
FUSSNOTEN:
Der immer gleichlautende Auskündungsspruch:
Heut zum Lehen,
Morgen zur Ehe,
Ueber ein Jahr zu einem Paar—
steht schon in Lersners Frankf. Chronik 3 B. 6 K. und wird
dorten dem von den Kaisern ausgeübten Ehezwangsrechte
unterschoben, welches von Heinrich VII. 1232 aufgehoben worden
sein soll.
Vierter Abschnitt.
Maiengeding und Walbernzins.
Je nach der Eintheilung des Jahres in zwei, drei oder vier
Jahreszeiten waren eben so viele Volksversammlungen (Allding),
allgemeine Opferfeste und Gerichtszeiten des Jahres anberaumt. Zu
zweit auf Sommer und Winter verlegt, hiessen die Gerichte
Maigeding und Herbstgeding, nach späterer christlicher
Benennungsweise Walburgis und Martini. Seit den karolingischen
Kapitularien werden drei ungebotene Gerichte durchgehends
üblich (tria generalia placita) und fallen auf Sommer
(Walburgis), Herbst (Martini), und Winter (Weihnachten).
Ungebotene Gerichte hiessen sie im Gegensatze der vom
Gerichtsherrn den Unterthanen gebotenen, weil erstere in ihrem
Zusammentreffen mit gleichmässig vorausbestimmten Fristtagen
allgemein gewusst waren und keiner vorgängigen Ansagung
bedurften. Sie entschieden nicht bloss über Mein und Dein,
sondern auch über die Idealgüter von Freiheit und Ehre,
somit über Krieg und Frieden, und ihre Aussprüche waren
die allgiltigen der Volkssouveränetät, wie sie unsre
Zeit in ihren Landsgemeinden, Ständeversammlungen und
Parlamenten anerkennt. Sie benannten sich nach Nächten, weil
der Tag
sich
aus der Nacht gebiert und daher der landwirthschaftliche Kalender
nach Neumond und Mondabnahme rechnet. Die Zeit der Zwölften
(Weihnachten bis Dreikönig) nennt man in Schwaben und dem
angrenzenden Theile der Schweiz Klöpfleinsnächte und
Nidelnächte; in Baiern Rauch-, Löselnächte und
Gennachten; in Deutschböhmen Undernächte; bei den
heidnischen Angelsachsen hiessen sie Mutternächte. In
gleicher Analogie spricht man von Fasnacht, Rumpelnacht und der
durch die Ortspolizei gewährten Freinacht. So hiess denn
auch das Maigericht Walburgisnacht, dänisch noch Valdborg
aften (Abend). "An sant Walipurg abent ze ingaende maien" pflegt
die Zeitbestimmung zu lauten in den Klingnauer Urkunden aus dem
14. Jahrhundert. Anfänglich steht das Walburgsgericht noch
zu Zweit mit dem Wintergerichte zusammen, erst später auch
mit dem Herbstgerichte zu Dritt. Die Offnung des Dorfgerichtes zu
Sondernau von 1615 setzt zweimaliges Jahresgericht fest, das
Mertensgericht (11. Nov.) und das Welbermael, Walburgismahlzeit
am 1. Mai. Zöpfl, Alterth. des Deutsch. Reichs und Rechts 1,
306. Dagegen sagt die Offnung des Dorfes Wettingen (gedruckt im
Wetting. Archiv 125): "Wir söllend ouch dry rechte geding da
haben, der soll eines sin vff Sannt Waldpurgen tag in Meyen acht
tag vor oder meh, das andere vff Sannt Martinstag, das dritt vff
sannt Hilarien." Dieselbe Bestimmung in dem Dinggerichte zu
Dietikon und Schlieren v.J. 1259 steht verzeichnet: Argovia 1,
78. Dabei blieb Walburgis auch später in den Städten
ein Termin der Aemter-Erneuerung; "jerlichen zu Meyen, wann Statt
und Ampt Räth zusammen schwerend", heisst es im Zuger Recht
1566. Hds. Sammlung der Aargau. Histor. Gesellsch. Die
Taglöhner-Ordnung von Oppenheim von 1523 bestimmt nach
derselben Frist den Beginn der Zwischenrast bei der
täglichen Handarbeiten: "dass sich die tagloner ein stund
schlafens underziehen an iren tagarbeiten und das anheben, so der
stock ein blatt überkompt, dass einer ein aug domit bedecken
müge, nemlich von Philipp Jacobi (1. Mai) bis uf
Margaretha (13.
Juli)." Mone, Oberrhein. Ztschr. 1, 196. Im Alterthum hatten die
Gerichtsversammlungen mit Fest- und Trinkgelagen geendet, die
für die Verköstigung der weither gekommenen Mannschaft
nicht zu umgehen waren. Daraus entsprang der Brauch bei den
späteren Land- und Markgerichten, den Gerichtsherrn und
seine Leute zu beköstigen, den Schöffen Trank und
Speise zu verabreichen und ihnen einen Zinskuchen mit dem
hineingebackenen Trinkpfenning auf den Heimweg zu verehren. Die
Kosten wurden aus den eingezogenen Bussen bestritten. Hier folgt
eine Kostenberechnung des Maiengerichtes im Fronhof zu Wolen in
den Freienämtern, v.J. 1620, handschriftl. im Archiv Muri,
Scrin. L, I. Das Stift Muri war zu Wolen Lebens- und
Untergerichtsherr; der obergerichtliche Entscheid stand beim
Landvogt zu Baden, der daher nebst Landschreiber, Weibel und
Substituten mit anwesend sein musste. Das Stift hatte ausser in
Wolen auch noch in den Dörfern Muri, Boswil und Bünzen
dieselbe Judicatur. Wie hoch sich nun die Kosten dieser hier
jährlich
achtmal
wiederholten Gerichtstage für
den Lehensherrn beliefen, zeigt folgendes Aktenstück.
Rechnung was Ao. 1620 im Meyengricht zu Wollen verzert und
verbrucht worden. Dass mal vnd Abentrunk 23 Gld. 38
Sch.—Ueberzehrung ob Ihr Herren verritten 2 Gld. 10
Sch.—Durch die HHn. Landvogt, Landschryber, ire Diener,
Pfarer vnd Weibel am Nachtmal verzert 3 Gld. 10
Sch.—für Höuw vnd Haber über Nacht 1 Gld.
8 Sch.—Hrn. Landvogt Brämen v. Zürich verehrt
an einem Goldstuck 14 Gld. 2 Pf.—Sinem Diener 1
Kronen.—Hn. Landschryber Zur Louben an einer Spanischen
Dublon 7 Gld. 1 Pf.—Sinem Substituten 1 Gld.—In die
Kuchj 1 Gld. Summa 55 Gld. 36 Sch.
Alterthümlich und von naiver Umständlichkeit waren
die Bräuche, unter denen die Ortschaften jeweilen ihren Zins
zu überbringen hatten.
Der Walpertszins musste vom hessischen Dorfe Salzberg
am Knütl
alljährlich am Walburgistag zu Buchenau in Betrag von sechs
Hellern alter hessischer Münze bezahlt werden. Der
Gemeindemann, der ihn überbrachte, hiess das
Walpertsmännlein. Er musste des Morgens früh Schlag
sechs Uhr in Buchenau eintreffen und auf einem besondern Stein an
der Schlossbrücke sich niedersetzen. Verspätete er
sich, so verdoppelte sich progressiv mit jeder Stunde der Zins,
am Abend hätte ihn die ganze Gemeinde nicht mehr zu zahlen
vermocht. Vorsichtshalber schickte daher die Gemeinde stets zwei
Abgeordnete zusammen ab. Hatte das Walpertsmännchen seine
sechs Heller im Schloss bezahlt, so wurde es nach Vorschrift hier
drei Tage lang bewirthet. Schlief es während dieser Zeit
nicht ein, so waren die Zinsherren verpflichtet, es
lebenslänglich zu verpflegen; geschah jedoch das Gegentheil,
so wurde es augenblicklich aus dem Schlosse hinausgeschafft.
Schon an dreihundert Jahre war diese Zinszahlung im Gebrauche und
bestand noch im Anfange dieses Jahrhunderts. Lynker, Hess. Sag.
no. 338. Grimm RA. 388. Dies war der sg. Rutscherzins, welcher,
wenn an vorbestimmter Tages- und Stundenfrist abzutragen
verabsäumt, nach Tagen und Stunden wuchs. Blieb der
Braunschweigische Maigassenzins, der nur 3 Mgr. 2 Pf. betrug, am
Zinstage aus, so verdoppelte er sich von Tag zu Tag. Im Dorfe
Schernberg hatte man ihn auf Philipp-Jacobi Mann für Mann
auf einen breiten Stein unter freiem Himmel zu erlegen, wer sich
hier um eine weitere Stunde zu spät einstellte, bezahlte ihn
je doppelt und dreifach. (Grimm ibid.). Aber auch dabei kamen dem
Verspäteten noch mancherlei kleine Hilfsmittel zu gut,
welche gesetzlich erlaubt waren und ihn der drohenden Busse
wieder enthoben. Dass der Zinsende nach Herkommen ein
Gegengeschenk erhielt, welches mit der Zeit für ganze
Gemeinden zu nicht unbeträchtlichen Nutzniessungen sich
gestaltete, lehren folgende Bräuche und Sagen.
Walperherren hiessen vormals die vier Rathsmeister Erfurts,
die jährlich an Walburgis nach altem Rechte hinaus
in den Wald
Wagweide zogen, welcher dem Churfürsten von Mainz
zugehörte, und sich 4 Eichen schlugen. Gleichzeitig kam dann
sämmtliche Bürgerschaft ihnen dahin nach und hielt in
dem fürstlichen Schlosse ein dreitägiges Einlager bei
Musik, Tanz und Schmauss. Heut zu Tage begeben sich schon an
Walburgis Vormittag alle hammerführenden Gewerke der Stadt
in jenen Wald und halten da bei Tanz und Gesang bis tief in die
Nacht aus, Bier wird fässerweise mitgefahren. Mit Eichlaub
bekränzt singt der heimkehrende Zug:
Willst du mit nach Walpern gehn,
Willst du mit, so komm!
Dies nannte man den Grünenmaitag. Aehnlich begeht
daselbst die Schusterzunft den grünen Montag, welcher der
erste ist nach Jacobi. Sie bekränzt nebst ihren
Wohnhäusern die Strassen zum Paul, zu den Predigern und die
Schuhgasse. Dies Ehrenrecht soll ihnen von Kaiser Rudolf für
die Tapferkeit ertheilt worden sein, mit der sie und die
übrigen hammerführenden Gewerke ein Raubschloss im
Steigerwalde zerstörten, von dem aus die Orte des
Thüringerwaldes lange belästigt worden waren. Zwei
Knaben, mit Goldketten und anderem Geschmeide geschmückt,
pflegte man sonst zu Pferde in der Stadt herum zu führen, es
sollen die zwei Söhnlein der Edelfrau jenes Schlosses
gewesen sein (man benennt es wechselnd bald Dienstberg, bald
Greifenberg), die mit all ihren Kostbarkeiten behängt die
Sieger fussfällig um Schonung ihres Lebens anflehten und
Gnade fanden. So die Sage. Allein was in dieser die angeblichen
Raubritter geworden sind, waren ursprünglich die
Winterunholde, denen der Sommer abgewonnen wird. Denn die
städtischen Urkunden, so sagt der Erfurt. Stadt- und
Landbote v. 1846, enthalten nichts, was dieser Geschichte einer
zerstörten Raubburg aufhelfen könnte, wohl aber dass
der Grünenmaitag ein Ueberrest des sg. Schwörtages ist,
an welchem die Handwerker jährlich der vom Mainzer Bischof
neugesetzten Obrigkeit huldigen mussten. Der Bischof
bestätigte
ihnen dagegen neuerdings ihre Rechte, wofür die Schuster dem
Schultheissen zwei Paar bunte Schuhe überreichten, gemacht
aus dem Filz, den die Hutmacher gleicherweise abzuliefern hatten.
Berlepsch, Chron. d. Gewerke 4, 157. Der Sinn solcher
pseudohistorischer Sagen von einem gelungenen Kriegszuge der
Bürger und Bauern gegen das Herrenschloss, oder einer
militärischen Execution gegen den Herrschaftswald ist
einfach der, dass mit dem Entrichten des Walburgiszinses
örtliche Holzrechte verbunden waren. In einem niederl.
Volksliede (Uhland in Pfeiffers Germania V.) bringt der Zinsbauer
(wahrscheinlich für die Nutzung überlassener
Ländereien) seinem Lehensherrn ein Fuder Holz und zugleich
der Frau "den kühlen Mai".
Wie sich der Sieg Gideons über die Midianiter (Richter 6,
37) an den Thau knüpft, der auf Gideons ausgebreitetes Fell
so reichlich fällt, dass man des Morgens eine Schale Wassers
daraus zu füllen vermag, so ist auch in den deutschen
Lokalgeschichten aus dem Glauben an die Wunderkräftigkeit
des Maienthaues, und aus dem Brauche, beim Maigerichte bewaffnet
zu erscheinen, den Walburgiszins Mann für Mann gemeindeweise
zu entrichten, die häufig sich wiederholende Tradition
entstanden, dass an eben diesem Zinstage die politische
Unabhängigkeit der Landschaft durch einen glücklichen
Waffenstreich errungen worden sei. Die Maifahrt wird zur
Kriegsfahrt umgestempelt. Die Friesen- und die Schweizersage
trifft hier zusammen. Den Unterwaldnern werden die
"Walperkühe" (Grimm, RA. 822), die sie dem Zwingherrn
zinsen, der Anlass, die Vögte auf Sarnen und Rozberg zu
vertreiben und deren Burgen zu brechen; die Ditmarschen datiren
ihren Freiheitstag von dem Zinskorn, das sie nicht länger
auf das Schloss der Walburgsaue liefern wollen. Die
Unterwaldnersage ist allbekannt, noch unbeachtet aber folgende
ditmarsische, die in Neocorus Chronik steht, Ausgabe von
Dahlmann. Das älteste und festete Gebäu im
Ditmarschenlande war die Grafenburg Bocklenburg in der Wolberaue
gelegen. Ihr
älterer Name war Walburg, sagt Dahlmann im Neocorus 1, 565;
ein Eigenthum der Grafen von Stade, in unmittelbarer Nähe
des jetzigen Kirchdorfes Burg; ihre Zerstörung durch die
aufständischen Bauern fällt 15. März 1145.
Müllenhoff, Glossar zum Quickborn 1856, S. 315. Der Graf
hatte den reichen Bauern Heine zu Gast geladen, ihn reichlich
bewirthen und mit Saitenspiel ergötzen lassen, wofür
der Bauer nun wiederum den Grafen zu sich bat. Aber statt auf die
Polsterbank setzte er ihn auf strotzende Kornsäcke, statt
der Tafelmusik musste Schwein, Schaf, Kuh und Ross den Hof
durchlärmen. Solcher Wohlstand reizte die habsüchtige
Gräfin Walburg und sie beredete ihren Gemahl, dass er die
Schatzung, die er den Bauern schon seit Jahren nachgesehen hatte,
gerade jetzt zur Zeit einer Theuerung in allen
Rückständen einforderte. Am Martinsabend führten
denn die Bauern eine lange Reihe von Kornwagen zum Schlosse
hinauf. Auf dem ersten sass eine schöne Dirne, dem Grafen zu
Willen bestimmt; allein in den Säcken des zweiten Wagens
lagen Bewaffnete eingenäht. Als der Zug das Schlossthor
erreicht und gesperrt hatte, ertönte das Losungswort:
Rühret die Hände,
Zerschneidet die Gebände!
Damit schnitten die Verborgnen sich aus den Kornsäcken,
zuckten die Waffen und nahmen das Schloss ein. Der Graf war in
das innerste Gemach entsprungen, allein seine zahme Elster kam
schreiend ihm nachgeflogen und verrieth ihn, er wurde aus dem
Verstecke gerissen und erstochen. Die Gräfin sprang aus dem
Fenster in die vorbeifliessende Aue hinab und hat mit ihrem Tode
dieser Trift den Namen Wolbersaue gegeben. Und dieses
Landstück, fügt Neocorus bei 1, 264, ist von solcher
Fruchtbarkeit gewesen, dass man einmal 14 Tonnen Buchweizen
darauf erntete. Auch eine Wallfahrt zum Haupte St. Peters war
daselbst. Ein kupfernes Kreuz, das dorten ein Bauer aus dem Boden
gepflügt und daheim aufbewahrt hatte, entsprang ihm wieder
und stellte sich in
die Wallfahrtskirche, wo es heilkräftige
Wirkungen that: it wolde in de Kerken unnd S. Peter sterken.
So wird Walburgs Göttermythe zur Kirchenlegende, ihre
Burg zur Wallfahrtskirche, sie selbst zur hartherzigen
Gaugräfin und Burgfrau, mit deren Untergang die Steuer der
Leibeignen aufhört und die politische Selbständigkeit
des Gaues beginnt. Noch ein kleiner Schritt weiter, und die
hartherzig Zins eintreibende Gräfin Walburg verwandelt sich
an einem oder jedem der drei altgebotenen Zinstage zur
saatenvertilgenden Walburgishexe, aus der Tagfahrt zu Gericht
wird eine Nachtfahrt auf den Broken.
Dreimal
des Jahres
müssen die Hexen ihre drei hohen Tagsatzungen abhalten, sagt
Prätorius Blockesberg (1668) 499, und zergrübelt sich
über die Frage, warum doch dieser Heiligen Kirchtag so sehr
vom Teufel entweiht werde; darum wohl, meint er, weil diese
Heilige dem Satan so viel Abbruch gethan; nun halte er alle Jahre
Abrechnung mit ihr und lasse von seiner Burse ihren Feiertag
verschimpfiren.
Eine ähnliche Frühlingssage, bei welcher jedoch noch
deutlicher der Nachdruck auf das Walburgisfeuer und die Maibraut
fällt, theilt W. Menzel (Vorchristl. Unsterblichkeitslehre
1, 128) mit aus Curickens Beschreibung von Danzig 1688 S. 39, und
aus Temme-Tettau's Ostpreuss. Sag. no. 208. 209. Auf dem
Hagelsberge, an dessen Fusse nun Danzig liegt, hatte der
böse König Hagel eine Burg erbaut, von wo aus er die
Fischer an der Weichselmündung brandschatzte und ihre Weiber
und Töchter entehrte. Dazu hatte er seine eigne Tochter
Berchta dem Sohne des Schultheissen Hulda verlobt, weigerte sich
aber nachher, sie ihm zu geben. Da kam der Abend, an welchem der
Sitte gemäss ein grosses Feuer auf dem Berge angezündet
und der übliche Reigentanz um das Feuer gehalten wurde.
Diesen unschuldigen Vorwand benutzte Hulda mit andern
Jünglingen, sich der Burg zu nähern und dieselbe
plötzlich zu überfallen. König Hagel, der dem
Tanze des Volkes mit Vergnügen zugesehen hatte, wurde
ermordet und rief sterbend: O Tanz, o Tanz,
wie hast du mich verrathen! Und
davon soll das nachmals erbaute Danzig seinen Namen erhalten
haben.
Der Name der Frühlingsgöttin Holda-Berchta ist hier
in der Sage zwischen Bräutigam und Braut getheilt. Damit
diese Beiden, nachdem sie bereits ins Mailehen gegeben sind, ein
Paar werden können, wird der winterliche Tyrann, König
Hagel, vertrieben und seine Burg beim Walburgisfeuer
zerstört. An ihre Stelle tritt eine gewerbfleissige grosse
Stadt.
Fünfter Abschnitt.
Der Mythus vom Maienthau.
Von der Adventzeit bis zu Ostern lässt die katholische
Kirche täglich die Rorate-Messe singen, die ihren Namen
trägt von der Stelle Jesaia's 45, 8: Rorate, coeli, desuper
et nubes pluant justum; thauet, Himmel, den Gerechten! Wolken,
regnet ihn herab! Diesen vom Himmel fallenden Segen erhoffte das
Heidenthum von der Thaugöttin selbst und sah ihn
erfüllt mit deren Ankunft in der Walburgis- und
Johannisnacht. Nur von der ersteren ist hier die Rede.
Mit banger Erwartung geht unser Landmann in der Walburgisnacht
zu Bette und beim ersten Tageslicht tritt er vor sein Haus; ist
da kein reichlicher Thau zu sehen oder hat es gereift, so ist
seine Hoffnung auf eine erkleckliche Jahresernte schon halb
dahin. Selbst wenn ihm im Heumonat darauf noch soviel Futter
wächst, er traut demselben keine Nahrungskraft zu, es hat ja
keinen Maithau bekommen; es ist ohne Salz und Schmalz. Lieber ist
er daher nur mit halb so viel Heu zufrieden, als mit einem
doppelten Heuerträgniss ohne Maienthau oder ohne Regen an
Walburgis. "Regen auf Walburgisnacht hat stets ein gutes, Jahr
gebracht. Walburgisfrost ist schlimme Post". In Meklenburg
heisst es vom
Walburgisregen, er bringe ein unfruchtbares Jahr, weil mit ihm
(vgl. Wolf, Beitr. 2,367) von den göttlichen Mächten
die Festfeuer zurückgewiesen werden. Wenn es dagegen an den
drei ersten Maitagen reichlich thauet, so braucht es den ganzen
Monat über keinen mehr. Maienthau macht grüne Au. Oder,
der Bauer rechnet auch in arithmetischer Progression also: Thaut
es im Mai fünfmal, so erwartet man eine Viertelsernte;
zehnmal, so giebts eine halbe; fünfzehnmal, so giebts eine
volle Ernte. Thau auf der Wiese ist Geld in der Truhe. Als
König Gustav III. von Schweden einem ostgothländer
Bauern, der ihm vorgestellt wurde, einen kostbaren Ring zeigte
und ihn über dessen muthmasslichen Werth befragte, meinte
der Landmann lächelnd: doch wohl nicht so viel, wie ein
Schauer Regen im Mai. Kann man, sagt der Aargauer, am ersten Mai
genugsam Thau gewinnen, so kann man daraus Gold läutern.
Daher trägt die hl. Walburg feurige (goldne) Schuhe
(Vernaleken, Alpensag. S. 92); daher trägt bei den
Hexenversammlungen eine der Frauen am rechten Fusse den Goldschuh
(Grimm, Myth. 1025); daher redet das Kindermärchen (Grimm 3,
no. 99) von der Lebenstinctur des Goldwassers; daher taucht in
der Walburgisnacht im Gewässer der Bode die goldne Krone der
Prinzessin Brunhilde hervor und schwimmt bis zum Morgen obenauf.
Kuhn, Nordd. Sag. no. 193; "daher sammeln die Alchimisten im Majo
Regenwasser in grosse Krüge, dass sie sich das ganze Jahr
durch nach Bedürfniss damit behelfen können." Coler,
Almanach (Mainz 1645, 59). Den Slaven ist in einem einzigen
Tropfen Thau eine Wunderwelt enthalten, er soll des Menschen
ganze Lebensgeschichte enthüllen, wenn man ernstlich
hineinschaut. Haupt-Schmaler, Wend. Volksl: 1, S. 381. Die
Perlenmuschel hat ihre Perlen nicht vom Meer, sondern vom Himmel
selbst, schreibt Konrad von Megenberg im Buch der Natur (Augsb.
bei H. Schönsperger 1499, Bl. pj und piij): sy begeret des
hymeltawes, recht als ein fraw jres liebes begert. das ist, da
das taw allermeyst fellt, so trinken
sie das begeret taw in sich und
werdent schwanger. ist das taw klar vnd lauter, so werdent die
margariten gar fein. Aehnlich in Fr. Rückerts
Vierzeilen:
Die Rose stand in Thau,
Es waren Perlen grau;
Als Sonne sie beschienen,
Da wurden sie Rubinen.
Aus Erde und Thau formte der Schöpfer Adams Fleisch und
Blut; so sagen die Evangelien der Vorauer Handschrift (ed.
Diemer, Deutsche Ged. S. 319-330):
uon dem leime gab er ime daȥ fleiſch,
der tow becechenit den ſweihc.
übereinstimmend mit der Bibelstelle: Ich will Israel wie
ein Thau sein, dass es soll blühen wie eine Rose. In das
Fruchtholz des Waldes flüchten beim Weltuntergange die
beiden letzten Menschen Lif und Lifthrasir, Leben und
Lebenskraft, und fristen sich da vom Morgenthau, bis neue
Menschengeschlechter aus ihnen hervorgehen. Das Fruchtholz, die
Oesch, kann ohne Thau nicht tragen; kein Maienthau, kein
Holzwuchs, heisst es; wenn man einen Baum im Maienthau
schüttelt, so stirbt er ab. Der Ritter, der die drei letzten
Bäume bei seinem Hause fällen will, sieht des Morgens
unter ihnen drei Jungfrauen sitzen, die über den Untergang
des Waldes klagen und mit den zerrinnenden Thautropfen
verschwinden. Er liess hierauf die Bäume stehen und sein
Geschlecht blieb in Wohlstand. Wenn die Engel im Himmel weinen,
um Gottes Erbarmen für die Menschen rege zu halten, so
entsteht daraus unser Thau; dies lautet in Grieshabers Deutsch.
Pred. 1, S. 42: wer sint diu wazzer ob dem firmamente? daȥ
sint die erwelten und die behaltenen. sieh und merke ain
grôȥ wunder. diu wazzer ob dem himmel, der kumet ain
ȥeher niemer noch niemer her ab, wan daȥ,
sûmeliche maister wèn, daȥ daȥ tov
daruȥ werde. Ein unbethaut bleibender Ort ist ein
verwünschter, wie hier hernach noch des Weiteren zu
berichten sein wird. Da Jonathan und Saul in der Schlacht
gefallen sind, wehklagt
David: Ihr Berge zu Gilboa, es müsse weder
thauen noch regnen auf euch, Jonathan ist auf deinen Höhen
erschlagen! 2 Sam. 1, 21. Wo Gespenster und Hexen umgehen,
wächst kein Gras; daher in G. Bürgers Romanze:
Im Garten des Pfarrers von Taubenheim,
Da ist ein Plätzchen, da wächst kein Gras,
Das wird von Thau und von Regen nicht nass.
Wo neun Tage hinter einander kein Thau liegt, da liegt ein
Schatz (verzaubert) vergraben. Coler, Oeconomia. Auf dem
Wiesenweg, welcher der Sibilla Weiss Kirchgang gewesen, bleibt
kein Thau und Reif behangen. Panzer, BS. 2, pg. 54.
Maienthau ist eine Quelle der Körperschönheit, des
Liebreizes und der Langlebigkeit. Daher der Kinderspruch:
Wenns thaut, wirds grön,
werden alle Jungfern schön.
Mairegen, mach mich gross! pflegen die im Regen laufenden
Knaben auf der Gasse zu rufen. Eos hat täglich ihren
altersgrauen Gatten Titon mit Thau neu zu beleben. Hellfunkelnder
Thau trieft perlend hernieder und frischgrünende Hyacinthen
sprossen empor, wo auf dem Ida Zeus die Hera umarmt. Mit dem
Wasser aus dem Paradiese, erzählt Konrad v. Würzburg in
seinem Trojan. Krieg—verjüngt Medea Jasons alten
Vater. Die drei Marien gehen zu des Herren Grab durch den Thau
(Uhland, Volksl. 832, 3):
Es giengen drei heilige Frawen
zu Morgens in dem Tawe.
So schön ist die Geliebte, dass der Minnesänger
Christian von Hameln dem bethauten Anger keine hellere Zier zu
schenken weiss als ihren nackten Fuss darauf:
Her Anger, bitet, daȥ mir swaere sul
bůȥen
ein wîp, nâch der mîn herȥe
stê;
sô wünsche ich, daȥ si mit
blôȥen füeȥen
noch hiure müeȥe ûf iu gê.
Man bereitete daher im Mittelalter aus dem Thau der Blumen
verschiedene kosmetische Mittel, z.B. aus der Pflanze
Sonnnenthau
einen nach ihr genannten Liqueur Ros solis, nun Rossoglio
genannt. Der Zierbaum, den man im bair. Lechrain in der Mainacht
der Liebsten vors Kammerfenster setzt, muss nebst Aepfeln und
Bändern stets mit einer vollen Rosogliflasche behangen sein.
Leoprechting, Lechrain 177. Ans den Blumen der zum Johannisfeste
geflochtnen Johanniskronen kocht man in Sachsen einen
heilkräftigen Thee. Sommer, Thüring. Sag. 148. 156.
Die Alchemilla vulgaris, Thaumantel, Thauschüssel,
Parasol und Frauenmäntelchen genannt, bietet dem Sennen
nicht nur das milchergiebigste Gras, man destillirt das in ihrem
Kelche sich sammelnde Wasser als Heilmittel; zehn solcher
Blumenkelche voll Thau stillen Jedem den Durst. Schönwerth,
Oberpfalz 2, 132. Die Salbe Oli-rongé wird zu Saintes
Maries in der Provence bereitet, indem man an Johannis zwischen
Morgenröthe und Sonnenaufgang aromatische Kräuter
sammelt und sie in Olivenölflaschen verschliesst. Wolf,
Beitr. 2, 394. Um das ganze Jahr frische Rosen im Zimmer zu
haben, legt man Rosenknospen in einen mit Wein gefüllten und
verschlossnen "Walburgischen Krauss." Kunst- und
Wunderbüchlein, S. 233. Um seltne Küchenkräuter
jahrelang frisch und schmackhaft zu haben, verordnet die
Kuchemaistrey (Incunabel o.O.D.u.J.) Blatt 22: vach tawwasser mit
einem reinen neugewaschnen leinentuch, das keg auf einer wisen
hin vnd her, druck es auȥ in ein sauber kandel vnd bayȥ
(beize) die kreüter darinnen. Eben diese Gewinnungsweise
schreibt Konr. v. Megenberg, Bl. e
3
gegen Ausschlag
vor: so (der mensch) sich denn wescht mit dem taw vnd darinn
waltz des morgens, ee die Sunn den taw benimpt, so wirt er rein
an seiner haut. o Maria, hilf vnd taw mit genaden auf vns
reüdige menschen!
Eine Bernersage aus dem Habkerenthal wird mir also
mitgetheilt. In einer Höhle des Berges Harder, die vom
Pfarrhause des Dorfes Habchen aus erblickt wird, lebten ehemals
Zwerge. Die Bauernschaft im Thale stand mit
diesen Erdmännlein in gutem
Einvernehmen und nach altem Brauch stellte man ihnen jedes
Frühjahr einen Krug Maienthau an einen bestimmten Ort, wo
ihn die Zwerge abholten und in die Höhle trugen. Sie badeten
damit ihre neugebornen Kinder und wuschen sich Windeln und
Weisszeug; zum Entgelt dafür überschickten sie den
Bauern Honigthau, worauf die Bienenzucht im Thale besonders
gedieh. Nun, nachdem die Zwerge ausgewandert oder gestorben sind,
hängt ihre Höhle voll milchweisser Steinzapfen, lauter
im Bad verspritzter Maienthau, der sich zu Milch versteinert hat,
und heisst davon das Mondmilchloch.
In der Normandie, der Bretagne und den Pyrenäen badet das
Volk die Fieber ab, indem es sich am Johannistage nackt im Thau
des Haberfeldes wälzt: se rouler ce jour-là le matin
dans la rosée, ou se baigner dans une fontaine guerit de
la gale et de toutes maladies cutanées. De Nore, Coutumes,
mythes et traditions. 127. 231. 262. Dasselbe thun die
Saalfeldischen Mädchen Nachts in den Flachsfeldern. Grimm,
Myth. Abgl. no. 519. "Ich werde," schreibt Coler, Almanach 62,
"von erfahrnen Leuten berichtet, dass der Maienthau grindichten,
scherbichten Leuten gesund sein soll, wenn sie sich früh
nacket drein wälzen. Die Medici nennen solchen Thau rorem
matutinum in vere, S. Walpurgisthau."—Isländer und
Schweden pflegten in Thau zu baden, um damit Krankheiten
wundersam zu heilen: Finn Magnusen, Lexikon mythol. 72. Die
Engländer setzten eine Metze Haber oder eine Korngarbe unter
den Nachthimmel und wuschen sich mit dem darauf gefallnen. Thau
gegen Pestansteckung. Liebrecht, Gervas. Tilbur. pg. 2. Der
Altbaier wäscht sich im Maienthau, dazu sprechend:
Das hilft für's Gah,
für's Bläh,
für'n U'flat.
Das Gah ist gäher Tod und fallendes Uebel; Bläh die
Rinderaufgelaufenheit, Stillfülli; Unflat der Aussatz.
Panzer, BS. 2, 30. "Morgenthau ist gut für abgehauene
Füsse, gut
für abgehauene Arme, für ausgestochene Augen", so
sprechen die drei himmlischen Jungfrauen, bestreichen den
Verstümmelten und alsbald ist er wieder ganz und heil.
"Benetze deine Augenhöhlen mit Morgenthau, der auf den
Baumblättern liegt", sprechen die drei Schwäne zu dem
von der Stiefmutter geblendeten Mädchen. Haltrich,
Siebenbürg. Märch. S. 36. 216. "Heute Nacht fällt
ein Thau, sagt die Krähe, so wunderheilsam: wer blind ist
und bestreicht seine Augen damit, der erhält sein Gesicht
wieder." Grimm, KM. no. 107. Dies ist der im böhmischen
Märchen "Nachttraum der hl. Walburgis" allen Geblendeten
verkündete Heilthau (bei Gerle 1, no. 7, citiert in Grimms
KM. 3, 342). So geschah es nach Ostern in der Weissen Woche in
Beisein des Frankengrafen Adalbert zu Monheim, dass ein Blinder
am dortigen Grabe Walburgis plötzlich wieder sehend geworden
war. Act. SS. saec. 3, pars 2, pag. 305.
Alle schwer Genesenden pflegt man gemeinlich auf den
näher rückenden Mai zu vertrösten als auf die Zeit
ihrer gänzlichen Herstellung. Stillschweigend ist also
vorausgesetzt, dass dieser Termin die besonderen Mittel
gewähre, welche bislang dem Kranken gemangelt haben. Da
bereitet man folgende Nervensalbe. Man schneidet am 1. Maimorgen
Halme und Blätter aus dem Kornacker, zerwiegt sie und presst
sie mit heisser Maibutter zu einem Pflaster. Gegen
Augenentzündung blickt man eine halbe Stunde unbeschrieen in
den Maithau. Gegen den Wolf (fratte Schenkel) sitzt man nackt ins
Feld hinein. Das Rind, das an der Blutschwine, Abzehrung, leidet,
wird in den Thau gestellt, das Zugvieh und das Ross
hineingetrieben, wenn es einen "Hauptfehler" hat. Die
Sommersprossen, Leberflecken und Merzensprickeln, die einem der
Merz ins Gesicht gespieen hat, reibt man am Maimorgen mit einem
thaugetränkten Tüchlein wieder weg. Vom Dorfe Leimen,
im elsäss. Sundgau, eine halbe Stunde entfernt, fliesst im
Orte Helgenbronn neben der dortigen Walburgiskapelle ein
kräftiger Wasserquell, Helgenbronn und Kinderbrunnen
genannt.
Am 1.
Mai kommen die Mütter mit ihren siechen Kindern hieher, um
sie zu baden; häufiger noch geschieht es auch an Johannis,
24. Juni, dass man hier die durch Sommersprossen verunstaltete
Haut wäscht. A. Stöbers briefl. Mittheil. Kaspar
Scheidt, Mayenlob (abgedruckt in Hubs Volksbb. des XVI. Jahrh. S.
316) beschreibt die allgemeine Sitte ausführlich und
anmuthig, ins Maienbad zu reisen; die Bresthaften, die ihre
Häuser nicht verlassen können, lassen sich im Mai
daheim warme Bäder zurichten, es fahren die jungen Weiber
darein, wenn sie noch keine Frucht zu erlangen vermochten, und
wenn man daher ein Bild des Maien malt, so pflegt man zwei
Eheleute beisammen im Wasserbade abzubilden, oder ein mit
fröhlichen Leuten unter Trommel- und Pfeifenklang dahin
ziehendes Schiff, oder junge wettschwimmende
Gesellen.—König Albrecht hatte 1308 gerade seine
Badefahrt beendet, im Städtchen Baden das Maifest abgehalten
und war auf dem Wege, seine Gemahlin Elisabeth im benachbarten
Rheinfelden abzuholen, als er am linken Reussufer von seinem
Neffen und dessen Mitverschwornen meuchlings erschlagen wurde.
Nicht lange, so ergieng gegen die Mörder die Blutrache. Ihre
Burgen wurden gebrochen, ihre Burgmannschaften enthauptet, auch
nicht die Kinder verschont. Agnes, des Ermordeten Tochter, so
erzählt die Sage, soll dazumal durch das Blut der drei und
sechzig Mann der Besatzung von Farwangen geschritten sein unter
den grausigen Worten: "Jetzt im Blute derer gehend, die mir
meinen frommen Herrn ermordet haben, bade ich in Maienthau". Die
typisch gewesene allgemeine Redensart, aus welcher diese Sage
entstanden, wiederholt sich z.B. in dem Liede vom baier.
Krieg:
die Teutschen wurden wohlgemut,
sie giengen in der ketzer plut,
als wer's ain mayentawe.
Uhland, Schriften: "Sommer und Winter".
Auch symbolische Maibäder gab es, sowohl kirchlicher als
bürgerlicher Art. Noch vor etlichen Jahren giengen
Schulmeister
und Chorknaben in der Kolmarer Gegend mit Weihwasser, genannt
Heilwag, von Haus zu Haus, und besprengten damit dreimal die
Bewohner unter den Worten:
Heiliwog, Gottesgob,
Glück ins Hus, Unglück drus!
Stöber, Elsäss. Sag. no. 231. In der Oberpfalz
lautet dieser Spruch, nach Panzers BS. 2, 301:
O du guter Walbernthau,
Bringe mir, so weit ich schau,
In jedem Hälmlein Gras ein Tröpflein
Schmalz!
Im Vinschgau werden am 1. Mai die "Madlen gebadet". Jedes
Mädchen, das sich am Wege zeigt, wird von den Burschen gegen
ein Bächlein gejagt und da begossen oder getaucht. Beim
Schemenlaufen in der Perchtenmaskerade darf die Kübelmarie,
"Kübele-Maja", nicht fehlen, eine Maske, die in den Brunnen
springt und die Zuschauer begiesst. Zingerle, Tirol. Sitt. no.
747. 986. Wer zuerst vom Pflügen oder Aussäen
heimkehrt, wird in der Oberpfalz aus einem Verstecke heimlich mit
einer Schüssel Wasser begossen. Schönwerth 1, 400. Zu
Wall in Böhmen bläst am 1. Mai der Dorfhirte alle
übrigen Hirtenjungen zusammen, die dann eiligst dem
Sammelplatze zulaufen. Wer zuletzt kommt, wird begossen.
Reinsberg, Festl. Jahr 138. In Marseille begiesst man sich zu
Johannis gegenseitig mit wohlriechenden Wassern. Simrock, Myth.
587. Am Himmelfahrts- und Pfingsttage wurde durch jenes Loch des
Kirchengewölbes, durch das die hölzernen Figuren des
Salvators und der Taube emporschwebten, angezündetes Werg
auf die Zuschauer herabgeworfen und Wasser gegossen. Wiedemanns
Chronik d. St. Hof.
Diese Züge führen über zum Thau- und
Minnetrinken. Gervasius von Tilbury (ed. Liebrecht, Otia
imperialia, pg. 2) meldet aus dem 13. Jahrh., wie zu seiner Zeit
in England der Morgenthau selbst bei Vornehmen als Pfingsttrank
galt, und zugleich hat A. Kuhn (Nordd. Sag. S. 512) nachgewiesen,
dass dieser Brauch noch heutigen Tages in Edinburg
auf dem
öffentl. Platze des Arthurssitzes begangen wird. In dasselbe
13. Jahrh. fällt die Meldung von der Waldprozession, welche
das Domkapitel zu Evreux am 1. Mai abhielt und sich da Zweige
hieb zur Ausschmückung des Doms. Je zwei Tage vorher hatte
es seit 1270 die Seelmesse für den Cleriker Bouteille zu
begehen. Hiebei war im Kirchenchor ein Leichentuch aufs Pflaster
ausgebreitet, an dessen vier Enden vier gefüllte
Weinflaschen mit der fünften in der Mitte standen, die den
Chorsängern preisgegeben wurden. Flögel, Gesch. des
Groteskkomischen 170. 233. Vielleicht, dass man diesen welschen
Mönchsbrauch aus dem altrömischen Feste der Anna
Perenna (Ovid. Fast. 3, 523) ableiten möchte, wo an den
Merz-Iden das Volk aus der Stadt an die ländlichen Ufer des
Tiber zog und hier Laub- und Schilfhütten errichtete. So
manchen Schluck da der Trinker nach einander aus dem Weinbecher
thun konnte, auf so viele Lebensjahre hoffte er es zu bringen.
Allein das vom Römerthum unberührt gebliebne
Skandinavien kennt gleichwohl eine ähnliche Sitte. Die
Bewohner Stockholms feiern den 1. Mai mit einer Art Auswanderung
in den Thiergarten, wo man sich in den vielfachen Wirthschaften
"Mark in die Knochen trinkt". Den Ursprung des Brauches kennt man
dorten nicht mehr und schiebt ihn auf den Befreier Gustav Wasa,
der am 1. Mai seinen Einzug in die Stadt hielt und sie von den
Bedrängnissen einer langen Belagerung rettete. Allg. Augsb.
Ztg. 1858, no. 132. Die deutschen Landschaften kennen
ähnliche Wasser- und Weingelage, die altherkömmlich auf
dieselben Tage fallen. In der Gemarkung von hessisch Gambach
fliesst der Ehlborn (Oel lautet in dortiger Mundart Ehl), der ein
so besonders gutes Wasser hat, dass die zu Gambach Sterbenden
darnach zu verlangen pflegen. Wenn darum Kranke Wasser aus dem
Ehlborn fordern, so gilt dies als ein Zeichen ihres nahen Todes,
denn ein solcher Trunk, sagen die Leute, ist gleichsam die letzte
Oelung. Wolf, Hess. Sag. no. 206. Dem Pfingstborn bei der
Hanauischen Stadt Steinau schrieb man besondere Heilkraft zu,
sammelte auf
der dortigen Pfingstwiese den Maienthau, trank denselben und
wusch sich damit, und wenn alljährlich die Steinauer Kinder
mit ihren Eltern hier heraus zum Frühlingsfeste zogen, so
trugen sie eine Menge irdener kleiner Krüge mit, die ihnen
als Trinkgefässe dienten, Pfingstinseln genannt. Lynker,
Hess. Sag. no. 329. Zum Rimleinsbrunnen im Weissenburger Walde,
wo Wilibald die Heiden taufte, macht alljährlich die
Eichstädter Schuljugend ihren Waldmarsch und geniesst
daselbst die für dies Jugendfest altgestifteten
Ergötzlichkeiten. Die Quelle, die an der alten
Walburgskirche zu holländisch Gröningen entspringt, ist
unversiegbar und der Schatz der Stadt. Bolland. 522. Des
Jungbrunnens, welchen Walburgs anderer Bruder Oswald am Ifinger
in Tirol entspringen liess, ist schon im Vorhergehenden gedacht
worden. Damit der Ordelbach zu Eichstädt, der über eine
achtzig Fuss hohe Bergwand gegen das Walburgiskloster,
niedergeht, beim Anschwellen im Frühlinge sein Felsenbette
nicht sprenge, wird von den Nonnen heiliges Oel durch eine
Felsenspalte in sein Wasser hinab gegossen. Schöppner, Bair.
Sagb. no. 1136. Beim Brunnenkranzfeste zu Bacherach tragen Knaben
und Mädchen die Symbole der künftigen Ernte im Orte
umher, Semmel und Speck an Säbel gespiesst, und Eier und
Butter in Körbchen. Die darauf gesammelten Gaben werden
folgenden Tages beim Brunnenmeister verzehrt "in dickem Brei mit
gelben Schnitten". Allverbreitet ist heute der dem Birkenbaume
abgezapfte Maitrank und der mit Waldmeister angesetzte Maiwein;
jedoch wohin sie beide und die vorhin genannten Maigetränke
zielen, sagen uns einige im Erblassen begriffene Traditionen. Auf
dem Walpersberge bei Dresden sitzt in der Walburgisnacht und zu
beiden Sonnenwenden der Teufel auf hohem Stuhle und vertheilt an
die Anwesenden Schwerter, um zu kämpfen. Dieser Teufel ist
Odhin, die Versammelten sind die Einheriar, welche nach
beendigtem Schwertkampfe von den methschenkenden
Schlachtjungfrauen bedient werden. Menzel, Odin 240. Daher
tritt an die
Stelle Walburgis zu dieser Festzeit oft auch die huldreiche Frau
Holle und bietet den Verjüngungstrank. Bei thüringisch
Arnstadt liegt der kräuterreiche Bergwald Walperholz, der
einst auf seiner Höhe ein Walburgiskloster getragen haben
soll. An einer Waldecke, genannt zur Hohenbuche und Jagdbuche,
ist ein Rundplatz, wo niemals Gras und Kraut wächst, denn
dahin ist der Geist einer betrügerischen Bierzapferin
gebannt. Sie heisst Frau Holle, in altväterischer Tracht
umgeht sie jene Buche und ruft: Vollmass, Vollmass! Bechstein,
DSagb. no. 587. Damit ist die öl- und älschenkende
Walburg als eine thauspendende Walküre angedeutet; noch dazu
waltet sie in jenem durch das schon erwähnte, hier
abgehaltene Maifest der Arnstädter bedeutsam gemachten
Walde. Reynitzsch, Truhtensteine 187, hat hievon geschrieben.
Ausdrücklich erzählt die Walburgislegende (Act. SS.
tom. 2, pg. 301, cap. V), wie Fürstentöchter an
Walburgis Grabe zu Monheim den ankommenden Pilgern Trank und
Speise darreichen. Dabei kommt ein kostbares, im Kreise herum
gebotenes Trinkgefäss (hanapp) plötzlich abhanden und
kann weder wieder zum Vorschein gebracht, noch die Art seines
Verschwindens ermittelt werden. Doch als die Wallfahrer, wieder
auf der Heimreise begriffen, sich über jenen Verlust
besprachen, stand es plötzlich unversehrt vor ihnen in Mitte
ihres Weges. Es wurde ins Kloster zurückgeschickt und hier
als ein neues Wunderzeichen aufbewahrt. Walburg heisst ferner ein
runder Steinthurm hohen Alters bei der unterfränkischen
Stadt Eltmann, er war von drei reichen Nonnen erbaut und konnte
nicht anders eingenommen werden als durch ein blindes Ross, das
man drei Tage hatte dursten lassen; alsdann verrieth es durch
Stampfen den Belagerern die geheime Wasserleitung. Im
benachbarten Hahnenwalde ist die Sigfrieds- und Drachensage
lokalisirt. Panzer, BS. 1, no. 186. Walbele, Walberles- und
Walburgisberg sind die volksthümlichen Namen der
Erenbürg, eines hohen sattelförmigen Berges beim
oberfränkischen Dorfe Wiesentau; das urkundlich 1062 genannt
wird und ein
Bestandtheil des karolinger Königshofes Forchheim gewesen
war. Des Berges Gipfel ist mit Steinwällen abgegrenzt, an
seinem Fusse liegen Grabhügel, aus denen man antiquarisch
berühmtgewordene kupferne Streitäxte erhoben hat. Hier
war das Schloss von drei schönen Fräulein, die beim
Trocknen die Wäsche nur in die Luft warfen, so blieb sie
hängen. Panzer, BS. 1, no. 157. Auf dem Giebel steht eine
Walburgiskapelle, bei der am 1. Mai Wallfahrt und Jahrmarkt
abgehalten wird; Tausende kommen von allen Seiten herauf, schon
vor Sonnenaufgang zieht man den Berg hinan. Die Aussicht
über die blüthenreiche Landschaft ist reizend;
zahlreiche Wirthe sorgen für unerschöpfliche Libationen
bei den gleichzeitigen Brandopfern der duftenden Bratwürste.
So erfüllt sich der alttestamentliche Segensspruch 1. Mos.
27, 28, in allen Theilen:
Gott geb dir des Himmels Thau
Und die Fettigkeit der Au
Und die Fülle der Halmen
Und den Most der Palmen.
Die Festbräuche beim Sommerempfang, da man zu den wieder
fliessenden Brunnquellen in hellen Haufen hinausrückte, die
darauf gegründeten örtlichen Wasserrechte in
Scheingefechten vertheidigte, mit Waldzweigen geschmückt wie
ein wandelnder Wald heimkehrte und die frischen Maien um den
Ortsbrunnen steckte—haben sich als das Fest der
Bannbeschreitung, der Oeschprozession und des Mairittes hier und
da noch gefristet, und vervollständigen diesen vorliegenden
Abschnitt vom Maienthau nicht nur, sondern schliessen ihn erst
wirklich nachdrucksam ab.
Vom 1. Mai an werden in oberdeutschen Landgemeinden die
Grenzbesichtigungen des Bannkreises unter den verschiednen
Benennungen der Bereisung, Landleite, Bannbeschreitung, des Flur-
und Fohrumganges vorgenommen. Die ganze männliche
Bevölkerung des Ortes, Jung und Alt, ist verpflichtet daran
Theil zu nehmen und wird den Tag über auf Gemeindekosten
verpflegt. Die dabei vorkommende
symbolische Gedächtnisschärfung, die
an der mitziehenden Jugend bei jedem neuen Marksteine mit
Ohrenzupfen, Ohrfeigen und Einstutzen (auf den Stein stossen)
vorgenommen wird, ist hinlänglich bekannt; eben so wenig
bedarf es einer Beschreibung, wie viel Pulver dabei aus den
Knabenpistolen verknallt und welches Weinquantum vom
Männerdurst weggetrunken wird, um dann nach lustigem
Tagwerke dem Küchleinbackwerk entgegen zu ziehen, dessen
würziger Duft vom Vaterorte her entgegen dampft. Die
städtischen Bürgerschaften pflügten ebenso unter
grossem militärischen Aufwande ihr Gebiet zu umgehen, haben
jedoch seit dem Schlusse des vorigen Jahrhunderts der Kosten
wegen es in Vergessenheit gerathen lassen. Dagegen haben sich
katholischer Seits zu Stadt und Land die Oeschprozessionen
reichlich noch behauptet. So nennt man den auf 1. Mai fallenden
kirchlichen Flurumgang, bei welchem an vier in den verschiednen
Zelgen der Dorfflur errichteten Altären die vier Evangelien
abgelesen werden; der Priester besprengt die Flur mit geweihtem
Wasser und besegnet sie mit dem Wetter- oder Schauerkreuz. Unter
den bei diesem Bittgange durch Bischof Wessenberg seit 1805
vorgeschriebnen Versikeln und Liedern schliesst ein von der
ganzen Gemeinde gesungenes:
Deine milde Hand giebt Segen,
Giebt uns Sonnenschein und Regen.
So wird der Umgang im aargauer Frickthal und im jenseitigen
Schwarzwalde abgehalten. Anderwärts geschieht dies schon am
Markustage, 25. Apr. In Tirol glaubt man, diese Prozession sei
älter als das Christenthum selbst, denn schon der Heiland
habe derselben beigewohnt. Zingerle, Tirol. Sitt. no. 720; und
allerdings findet sie sich unter dem Namen Rogationes schon unter
den Karolingern kirchlich eingeführt (Rettberg, Kirchgesch.
2, 791) und war eine Fortsetzung der alten Robigalien; zur Abwehr
des Rostes im Getreide veranstaltet. Diese Bittgänge waren
unter dem Namen der Hagelfeier-Predigten selbst bei der
protestantischen Bevölkerung
an der Elbe üblich und durch ein
besonderes Volksgelübde daselbst gestiftet gewesen. Die
dortigen Lutheraner ruhten jährlich drei halbe Werktage von
aller Arbeit und begaben sich zur Anhörung einer Predigt,
durch die man zugleich dem Hagelschlag wehrte. Eine solche Rede
findet sich in Zerrenners Ackerpredigten, Magdeburg 1783,
282.
Ein sehr alter und imponirender Zweig dieser Feste war der
Mairitt; schon die Reimchronik von der Soester Fehde (bei
Emminghaus, Memorabil. Susat. 1749, 660) nennt ihn einen Brauch
aus alter Zeit: Up Walpurgis, als men in den meien plach tho
riden na alter zede und gewonte. Die Ankenschnittenprozession zu
luzernisch Beromünster wird bereits in der Urkunde von 1223
erwähnt bei Neugart, cod. diplom. no. 190. Sie wird am
Himmelfahrtstage von den Stiftsherrn, den Rathsgliedern des
Ortes, der Dragonermannschaft und den sich anschliessenden
Wallfahrern zu Pferde abgehalten, Kreuz, Fahnen und Monstranz
folgen zu Rosse mit, vom Rosse herab wird gepredigt. Der Ritt
geht vom Städtlein weg auf aargauisches Gebiet nach
Maihausen, wo der Hofbauer nach alter, auf dem Gute haftender
Verpflichtung jedem beritten Mitkommenden eine frische
Ankenschnitte bereit halten muss, die dieser seinem Reitpferde
ins Maul stösst. Diese und ähnliche berittene
Prozessionen sind bereits ausführlich beschrieben in den
Naturmythen
(Leipzig 1862) S. 17; nur das mittlerweile neu
gefundene Material wird hier nachgetragen. Der Blutritt in
Schwäbisch-Weingarten wird am sg. Wetterfreitag, am Tage
nach Himmelfahrt abgehalten. Mit Ausschluss der Wallfahrer zu
Fusse hat man dabei schon über siebentausend Reiter
gezählt. Franz Sauter, Kloster Weingarten 1857, 35. In den
oberschwäbischen Dörfern findet der Maithauritt am 1.
Mai Morgens um 1 Uhr statt und kehrt mit Sonnenaufgang wieder
heim. Man lagert in einem Walde, ist guter Dinge und lässt
am Rückwege die bequem gelegnen Wirthshäuser nicht
unbesucht. Birlinger, Schwäb. Sag. 2, no. 123.
Bei den
Vlamingen heissen die am 1. Mai veranstalteten kirchlichen
Umritte Marienprozessionen, doch fällt derjenige zu
Anderlecht bei Brüssel auf Pfingsten, der in Haeckendover
bei Tirlemont auf Ostern. Bei letzterem wird unter zahlreichen
Pistolenschüssen dreimal die Kirche umritten, dann gehts mit
verhängtem Zügel quer über die Felder, indem man
annimmt, dadurch werde die Ernte eine gesegnetere. Ein Bauer, der
sich diesem Herumtraben auf seinem Felde widersetzte, fand
nachher alle Aehren leer. Wolf, Ndl. Saga no. 345. In Anderlecht
ward ehemals derjenige, welcher nach dreimaligem Wettjagen der
erste am Kirchenportal anlangte, zu Ross und mit dem
Bänderhut auf dem Haupte von dem ganzen Kapitel in die
Kirche geführt, da mit einem Rosenkranz geschmückt und
feierlich wieder hinaus geleitet. Reinsberg, Festl. Jahr. 140.
Beim sg. Königsreiten in österreich. Schlesien, wobei
Dorfrichter, Geschworene und alle Pferdebesitzer der Gemeinde,
geistliche Lieder singend, die Ackerzelgen umreiten, wird der
beste Wettrenner König. In Sachsen gilt um Pfingsten das
Kranzreiten nach einem geschmückten Baum, ist aber in
Nietleben bereits zum "Betteln reiten" herabgesunken. Sommer,
Thüring. Saga S. 154. Unsre rechtgläubigen Bauern,
bemerkt über die fränkische Bevölkerung in der
Ansbacher Gegend Reynitzsch (Truhtensteine 143), reiten ihre
Pferde am Ostertage ins Osterbad, gleichwie wir an demselben Tage
uns neue Kleider anschaffen und die Zimmer ausweissen lassen.
Johannes Boem, genannt Aubanus, von seiner Geburtsstadt Aub in
Unterfranken, schrieb 1530 De moribus, legibus et ritibus
gentium, woraus Ign. Gropp (Collectio Scriptor. Wirceburg.) den
Abschnitt mittheilt, welcher das Frankenland betrifft; hier ist
der würzburgische Pfingstritt also beschrieben: Pentecostes
tempore ubique fere hoc agitur. Conveniunt quicunque equos habent
aut mutuare possunt, et cum Dominico corpore, quod sacerdotum
unus, etiam equo insidens, collo in bursa suspensum defert,
totius agri sui limites obequitant, cantantes supplicantesque, ut
segetes Deus ab
omni injuria et calamitate conservare velit. Alljährlich
zweimal, am 10. Mai und am zweiten Pfingsttage, begeht das
südfranzösische Dorf Villemont das Kirchenfest seiner
Ortsheiligen Solangia und trägt deren Reliquien in
Prozession hinaus auf die Almende, welche Solangiafeld heisst und
den von der Heiligen gegangenen Pfad noch aufweist, auf welchem
das Gras stets schöner und dichter steht als auf dem
angrenzenden Weideland. Da dieser Pfad die Zahl der
Andächtigen, die oft bis auf Fünftausend anwächst,
nicht zu fassen vermag und folglich da und dorten in die Saat
hinausgeschritten wird, die um Pfingsten schon ziemlich hoch
steht, so nimmt diese dabei gleichwohl keinen Schaden, sondern
richtet sich schon zwei Tage nachher wieder selbst auf; ein
Wunder, von welchem sich Prinz Heinrich von Bourbon im J. 1637
mit eignen Augen überzeugt haben soll. Das Gegentheil aber
erfolgte an dem Flachsacker eines Geizigen, als der
Eigenthümer hier der Prozession den Durchgang verweigerte;
es fiel Mehlthau, der Sonnenstrahl schlug zu und die Anpflanzung
wurde brandig. Godefr. Henschenius in Actis SS. tom. II, ad diem
10. Maii.
Solcherlei Frühlingsbräuche, die jungen Saaten
prozessionsweise zu umreiten und zu durchreiten, stützen
sich auf heidnischen und auf alttestamentlichen Glauben und
wollen Abbilder sein eines den Göttern selbst beigelegten
gleichen Thuns. Die Psalmenstelle 65, 12—Du krönest
das Jahr mit deinem Gut und deine Fusstapfen triefen von
Fett—liess eine Gottheit erblicken, welche das reifende
Kornfeld persönlich beschreitet und mit ihrer Fussspur
ertragsfähig macht, weshalb das Kirchenlied von Nikolaus
Hermann "Um gut Gewitter und Regen" Strophe 9 jene Worte
nachdrücklich wiederholt:
Umkrön das Jahr mit deiner Hand,
Mit deinen Fussstapfen düng das Land.
Hier ist der hl. Benno durchgegangen, sagen die preussischen
Wenden von besonders gesegneten Feldern (Preusker, Vaterl.
Vorzeit); von dem auf den Bergwiesen striemenweise
fetter und
üppiger wachsenden Grase sagt der Tiroler, hier ist der
fromme Graf Leonhard geritten, hier ist der Alpgeist mit
schmalzigen Füssen drüber gegangen (Zingerle, Tirol.
Sag. no. 963. Tirol. Sitt. no. 314); hier ist der Kornweg des
ausreitenden Rodensteiners, sagt der Hesse von den durch die noch
grüne Frucht hinziehenden gelben Streifen vorreifender
Kornähren. Wolf, Hess. Sag. no. 31. 56. Von den über
die Spitzen des Aehrenfeldes hinschwebenden Hufen des
Götterrosses versprach sich die Landwirthschaft vormals
denselben Vortheil, den sie heute von den Merzwinden erwartet,
diese haben nemlich dem jungen Halme Widerstandskraft gegen die
sommerlichen Strichregen und Windstösse zu geben, dann wird
er sich weniger lagern und die Aehre weniger ins giftige
Mutterkorn schiessen. Auf eine ganz nahverwandte
landwirthschaftliche Erfahrung stützt sich auch der Ritt in
den Maienthau. Bekanntlich hängt die Befruchtung der
Kornähren vom Samenstaub ab, den der Wind durch die Bewegung
der Blüthen ausschüttelt und verbreitet. Diese
Verbreitung geschieht aber bei der Unregelmässigkeit der
Bewegung nur unregelmässig, daher bleiben viele Hülsen
der Aehren taub. Der aargauer Bauer im Freienamte übt nun
seit alter Zeit folgende Methode zur künstlichen
Unterstützung der Befruchtung aus. Von beiden Breitseiten
des Kornackers ziehen zwei Männer ein Seil über der
Höhe des blühenden Getreides hin und streifen damit
gelinde den Morgenthau ab. Dadurch werden nun einige der Aehren
zwar "ringrostig", nemlich etwas brandig gemacht, die
übrigen aber gegen das Sichlagern gestärkt und der
ausfallende Samenstaub wird in ihnen gleichförmig vertheilt.
So wird also Brand und Mutterkorn verhütet, die aus einer
und derselben Ursache, aus nicht stattgefundner Befruchtung
entstehen. Dieser Naturvorgang ist von den Griechen
vergöttert, in Kunstgebilden dargestellt und bis auf die
Athene übertragen worden. Unterhalb der Akropolis zu Athen
stand der Thurm der Winde, unter dessen acht Relieffiguren auf
einer seiner acht Seiten der
Ostwind (Apeliotes), der den gedeihlichen
Saatregen mit sich führt, dargestellt war als ein Genius mit
heitrer Miene, geflügelt, mit flatterndem Gewande
einherschwebend, in den Falten seines Mantels einen Bienenkorb
tragend und neben reifenden Früchten eine Kornähre.
Droben auf der Akropolis stand die Athenestatue, die den Beinamen
Pandrosos (Allesbethauende) führte, als eine andere Demeter
verehrt wurde und Aehren in der Hand trug (Welcker, Griech.
Götterl. 1, 313). Diesen ihren Beinamen hatte sie nach
demjenigen der drei Töchter des Cekrops, welche Aglauros
(Schimmernde), Herse (Thau) und Pandrosos (Allthauig) hiessen und
den Erysichthon (Ackermann) zum Bruder hatten, der auch Aithon
(Brand und Mehlthau) hiess. Die Thaufeste, Ersephorien, sollten
dem Mehlthau steuern und waren der Athene gewidmet.
Betrachten wir dieselben Anschauungen, wie sie in Sprache und
Mythe unsrer deutschen Vorzeit sich ausgedrückt haben.
Thau, goth. daggvus, ahd. touwi, gehört nach Kuhns
Vermuthung (Weber, Ind. Stud. 1; 327) zu sanskrit. dôha
Milch, ableitend, von duh, ziehen, ducere, so dass also im
Vorgange des Thauens das Geschäft des Melkens und
Milchausdrückens erblickt wurde. Friesisch thavan, anglisch
ton heisst waschen. Hundertfältig stimmen nun Mythen und
Bräuche in der Annahme überein, aus dem rechtzeitigen
Abstreifen des am Halme hängenden Morgenthaues lasse sich
Milch und Butter gewinnen, als gediegenes Produkt fertig
herauspressen, und das in diesen Thau getriebene Milchthier
ergebe doppeltes Milchquantum. Die Synode zu Ferrara 1612
verbietet, Tücher in der Nacht vor Johannis Baptistae unter
den Himmel zu breiten in der Absicht, den Thau aufzufangen.
Liebrecht, Gervas. Tilb. S. 230; gleichwohl ertheilt Schnurr im
Oekonom. Kalender besonderen Unterricht, wie man den Himmelsthau
vom schossenden Getreide mit subtilen Tüchern aufzufangen
und diese in Gefässe auszuwinden habe, denn solcher Thau sei
unsres
Landes
Manna. Prätorius, Blockesberg S. 559. Grohmann, Böhm.
Abergl. S. 132 berichtet Folgendes von einem nun verstorbenen
Simanek aus Kaurim. Er schmückte in der Walburgisnacht seine
Kuh mit grünen Zweigen und einer Decke, zog sich selbst
nackt aus und führte das Thier durch den Thau. Heimgekehrt
drückte er die thaubenetzte Decke in ein Gefäss aus,
indem er dabei mit den vier Zipfeln umgieng wie beim Melken, und
gab das gewonnene Wasser den Thieren unter die Tränke. Sie
waren dann das ganze Jahr milchreich. Es ist eine von Sachsen bis
nach Ostfriesland nachgewiesne Sitte, abwechselnd um Mai, Ostern
oder Pfingsten, den Frühthau zu gewinnen, indem man die
Heerde hineintreibt oder ihn mit Wettritt und Wettlauf feierlich
abstreift. Die am frühesten ausgetriebene Weidekuh bekommt
einen langen Maibusch an den Schwanz gebunden, erhält den
Preisnamen Daufäjer, Dauschlöpper, das wettrennende
Ross den Namen Thaustrauch, weil sie den ersten Thau erfolgreich
weggefegt haben, und werden mit dem am Rennziel auf der Stange
steckenden Blumenmaien oder Brodweck beschenkt. Kuhn, Nordd. Sag.
S. 380-88. Westfäl. Sag. 2, S. 165. Ebenso gilt in Holland
das Daauwtrappen und Daauwslaan. Allein die egoistische Natur des
Menschen, die bei jedem Begegnisse den Neid des Andern
voraussetzt, verkehrt den heiligen Thau zum Zaubermittel; darum
gehen denn auch die Hexen um Weihnachten in die Wintersaat und
erhorchen die Zukunft, auf Walburgis in das grüne Korn, auf
Pfingsten ins Roggenfeld, um in Thau zu baden, mit den hinter
sich her gezogenen Tüchern ihn aufzusammeln, daheim
auszupressen und so die Milch jeder fremden Weidekuh für
sich zu gewinnen. Schönwerth, Oberpf. 3, 172. Daher heissen
die Hexen in Holstein Daustrîker. Die ao. 794 zu Frankfurt
versammelten Bischöfe erklärten eine letztjährige
Hungersnoth daraus, dass der Teufel den Leuten, welche den
Zehnten nicht entrichten, damals die Aehren ausgefressen habe:
experimento enim didicimus in anno, quo illa valida fames
irrepsit,
ebullire vacuas annonas a daemonibus devoratas et voces
exprobriationis auditas. Schmidt, Gesch. d. Deutsch. 1, 575.
Niedlich lauten die Histörchen von den Zwergen, die sich des
gleichen Vortheils zu bedienen suchen und darüber
kläglich entdeckt werden. Wenn die Zwerge im Harz in die
Erbsenfelder giengen, hatten sie ihre unsichtbar machenden
Nebelkappen auf. Allein die Leute nahmen einen Pflugstrick oder
eine lange Stange und fuhren damit oben über das Feld hin.
Damit fielen den Zwergen die Nebelkappen vom Kopfe, sie wurden
sichtbar und konnten tüchtig durchgeprügelt werden.
Pröhle, Harzsag. 1, 199. 210. Um sich nun gegen die
Nachstellungen der Hexen sicher zu stellen, kommt man ihnen auf
folgende Weise zuvor. Man breitet in der Walburgisnacht ein
weisses Tischtuch im Hofe aus, auf dem neunerlei Arten Kornes
durch einander geschüttelt liegen, lässt sie vom
Nachtthau benetzt werden und füttert damit sämmtliche
Hausthiere vom Stier bis zum Huhn hinab. Darstellungen aus dem
Gebiet des Abgl., Grätz bei Kienreich 1801, S. 9. Da auf
ähnlich magische Weise auch der Butterraub ausgeübt
wird, so ist das Gegenmittel hier wiederum ein gleiches: am 1.
Mai alle Speisen recht stark zu schmalzen, Ankenschnitten, in der
Schweiz eine dickgestrichene
Ankenbrüt
, am
Familientische zu essen, allen Hausthieren davon zukommen zu
lassen und dem Weidevieh beim ersten Austrieb ein solches
Stück zu geben. Vom hexenhaften Buttergewinn erzählt
Jac. Sprenger im Hexenhammer, pars 2, quaest. 1, cap. 14 folgende
Begebenheit. An einem Maitag empfanden mehrere zusammen über
Feld Spazierende grosse Lust, frische Maibutter zu geniessen. Sie
standen zufällig an einem Flusse. Ich will euch solche
besorgen, sprach einer von ihnen, wartet nur ein wenig. Er gieng
in den Fluss, setzte sich mit dem Rücken gegen den Lauf,
rührte mit den Händen rückwärts und es
dauerte nicht lange, so brachte er eine förmliche
Butterballe zum Vorschein, wie sie die Bauern im Mai machen. Die
Gesellen fanden sie beim Verkosten ganz
trefflich schmeckend.—Ein
aargauer Bauernsprichwort sagt rationalisirend: Wer am Maitag
Gras häufelt, der kann an der Auffahrt schon eine Ankenballe
in seiner Matte bergen. Der gelehrte Abt Trithemius dagegen
versichert in seinem für Kaiser Max I. verfassten Liber octo
questionum (gedruckt bei Joh. Hasselberger 1515) alles Ernstes in
der sechsten Frage: Exploratum habemus, maleficas in fluminibus
concitatis hausisse butyrum temporibus. Daher heisst es, in der
Walburgisnacht fliege der Drache um und trage seinen
Gläubigen Butter und Schmalz aus fremden Häusern zu.
Was er nicht weiter schleppen kann, speit er auf die
Schwindgruben; die gelbweissen Algen in Tellergrösse, die
man auf dem Düngerhaufen zuweilen erblickt, heissen daher
Drachenschmalz. Schönwerth, Oberpfalz 1, 394. 396. Mit
demselben Morgenthau erwartet man auch den Honigregen; denn, sagt
Carrichter, des Kaisers Maximilian II. Leibarzt, in der Teutschen
Speisskammer (Strassburg 1614) S. 69: "Da die Bienen im Herbste,
obschon dann noch immer Blumen vorhanden sind, keinen Honig mehr
eintragen können, so ist daraus zu ersehen, dass der Honig
nicht aus den Blumen, sondern aus dem Thau bereitet wird, der zur
Zeit des Siebengestirns auf die Blumen fällt;" und daher
erzähle Galenus, 3. B. de alimentis, die Bauern hätten
am Morgen, wenn sie Honig auf den Bäumen kleben gesehen, ein
Freudenlied gesungen: "der grosse Jupiter im Himmel droben regnet
uns Honig auf das Feld!" Unsre Bauernregel besagt: Viel Honigthau
im Mai giebt starke Bienenschwärme. Thau und Honigfall wird
von einem Engel uns zugebracht, er liefert, nach Hebels Alemann.
Gedichten:
Mengmol e Hämpfeli Bluememehl,
Mengmol e Tröpfli Morgethau.
Da beides die ausschliessliche Nahrung der Unsterblichen ist,
so ist sie darum auch so süssschmeckend; denn, sagt
Hebel:
Dört oben wachst kei Gras, dört wachse numme
Rosinli.
Die böhmische Haingöttin Medulina hat ihren Namen
vom
Honigtranke
Meth. Sie ist eine Weisse Frau, die in der einen Hand ein
Körbchen mit Pflanzen, in der andern einen Strauss
trägt. Im Frühlinge trägt das Volk Honig in die
Wälder, stellt ihn auf die Baumstöcke und spricht:
Medulina, da hast du, du giebst es übers Jahr wieder!
Grohmann, Böhm. Sagb. 1, 134. Im finnischen Epos Kalewala,
15. Gesang, wird erzählt, wie der ertrunkene
Lemminkäinen von der Mutter wieder ins Leben gebracht wird.
Alle Besegnungen und Heilmittel wollen ihm aber nicht wieder zum
Sprachvermögen verhelfen. Da fleht die Mutter ein
Honigbienchen an, es möchte hinauf in den neunten Himmel
fliegen, wo Gott aus seinem Honigkeller die zu Schaden gekommenen
Kinder salbt. Das Bienchen bringt von dieser Salbe herbei, die
Mutter stillt des Sohnes Schmerzen und die Sprache kehrt auf
seine Zunge zurück.
Das grosse Kapitel des Hexenglaubens liegt nun zwar mit der
Walburgisnacht hier nahe genug zusammen; gleichwohl soll es nur
so weit berührt werden, als dadurch der innerliche Grund
seiner missgestalteten Meinungen an der Hand der bisher
vorgetragnen Angaben zur Verdeutlichung gebracht werden kann.
Füllt der Königssohn im Zauberschlosse drei Flaschen
mit dem Wasser des Lebens und heilt damit den alten kranken
König (Grimm KM. 3, S. 178), so taucht dagegen die Hexe am
Walpernabend ihren Finger in sieben Bouteillen, beschmiert sich
damit und fährt so auf den Blocksberg. Kuhn, Nordd. Sag. S.
192. Dies aber sind ursprünglich jene Zinnkannen und
silbernen Kannen, die beim Bergquell Salibrunnen an der
Waldwohnung der Erdmännchen stehen (Aargau. Sag. 1, S. 198),
oder die nächtlicher Weile vom Ritterschloss Breuerberg in
der Wetterau zum zerstörten Nonnenkloster Erlesberg
hinüber wandern. Wolf DMS. no. 454.—Das Horn, aus
welchem zum Maienfest Minne getrunken wird, ist golden, wird in
verschiedenen Kirchen aufbewahrt und als Altarkelch gebraucht;
selbst das Bestehen ganzer Geschlechter ist an seine Erhaltung
geknüpft
(Menzel, Odin 250-53); das Trinkhorn aber am Blocksberg ist ein
Kuhfuss und sein Inhalt ein seuchenträchtiger Satanstrank.
Mit Fackeln wird Saat und Gras aus dem Boden gezündet, unter
Glockenklang mit Musik und Gesang der Lenz geweckt, doch auch
dieser dichterisch erfundene Brauch verkehrt sich ins
Dämonische und wird sein eignes Gegentheil. Dann heisst das
Entzünden der nächtlichen Freudenfeuer überall das
Hexenbrennen, und aus dem lustigen Frühlingsbrauch, die nun
endlich in Ruhe kommenden Besen und Schürgabeln in Flammen
aufgehen zu lassen, macht der Unverstand einen Luftritt der
Zauberer auf dem Besenstiel und ein sich selbst Verbrennen des
Satans in Bocksgestalt. Während noch im J. 1839 das
Märzfest im Bergell unter Trommelschlag und Hörnerklang
begangen wurde, wobei ein jeder im Zuge Kuhschellen umgebunden
trug und läutete, "
damit das Gras wächst
"
(Leonhardi, Rhätische Sitt. 1844), gilt im kathol. Frickthal
und in dem benachbarten badischen Schwarzwald kirchlich das
Reifläuten im Mai, wie das Gewitterläuten im Sommer. Im
tiroler Innthale umgeht am Jörgentage, 24. April, die
russige Prozession die Felder. Mit Kuh- und Hausglocken, mit
Hafen und Pfannen lärmend, im unflätigsten Sennenhemde
und mit berusstem Gesichte, Kröten und Eidechsen zur Schau
tragend, durchstreifen die Bursche das Gemeindefeld und werden
bei ihrer Rückkehr ins Dorf dafür beschenkt. Und damit
alle sittlichen Vorstellungen so recht vom Gaul auf den Esel
kommen, tritt an die Stelle der rossetummelnden Saatenreiter die
hässliche Bocksreiterei und der teufelsverschworene
Bilmesschnitter. Auf einem schwarzen Bocke, am Fusse die Sichel
angeschnallt, durchreitet und durchschneidet er den Aufwuchs
ganzer Ackerbreiten. J. Feifalik hat in der österreich.
Gymnas. Ztschr. 1858, 410 aus einer Hds. des Olmüzer Archivs
einen Segensspruch veröffentlicht gegen "die Pylweisse om
sent Wolbrygh-obent"; der Besegner giebt dabei dem Stallthiere
eine geweihte Kerze zu verschlucken. "Es wor am Walburgisobende
geschahn,
wenn
de Pülewesen osfaren", schreibt hievon der Schlesier A.
Gryphius, Dornrose 51 (nach Weinholds Schles. Wörtb. 1855,
10). Mit Heilöl salbt die Schlachtenjungfrau den
wundgewordnen Krieger; mit dem aus ihrem Brustbein fliessenden
Oel heilt Walburg die Kranken; aber die zum Tanze ausfahrende
Walburgishexe bestreicht sich mit einem in den Oberpfälzer
Sagen Schönwerths 1, 372 ausführlich besprochnen
Hexenöl, und wenn sie darüber im fremden Stalle
betroffen wird, "streicht ihr der Bauer dafür den Buckel,
dass sie Oel giebt". Alpenburg, Tirol. Sag. 1, 290. Thôrs
Tochter heisst Thrudhr, d.h. die Tretende; denn nachdem der
Ackergott, ihr Vater, das Korn hat reifen lassen, lässt sie
die vollen Garben in der Tenne austreten. Hierauf aber wird die
Trud zum Alp, welcher den Schlafenden auf die Brust tritt, dass
er erstickt, oder, wenn ihr dieser mangelt, die neubelaubten
Bäume reitet, dass man alle Verkrüppelungen an Eschen
und Fichten Trudenpfötschen nennt. Das Stallthier wurde des
Milch- und Buttergewinnes wegen in den Maienthau hinaus
getrieben, dass es zuletzt dem thaumähnigen Rosse der
jungfräulichen Walküren glich; statt ihrer aber liess
hierauf der grobe Aberglaube die Trude Nachts in den Stall
schleichen und die Thiere reiten, dass sie des Morgens abgehetzt
und voll Schweiss dastehen, nur Mähne und Schweif ist von
unbekannter Hand in zierliche Frauenzöpfchen geflochten.
Statt die Häuser mit Maien zu schmücken und den
Walbernbaum aufzupflanzen, werden so viele Ruthen auf den
Düngerhaufen gesteckt, als man Rinder hat, die Kinder machen
sich aus Weiden kleine Galgen und überspringen sie in die
Wette; wer dabei nicht anstösst, in dessen Hause werden die
Milchkühe ergiebig. Haupt-Schmaler, Wend. Volksl. 2, 224.
Ein förmliches Treibjagen wird gegen die Hexen angestellt;
mit knallenden Peitschen werden sie aus der Dorfflur
hinausgehauen, dies ist das Hexen-Tuschen, Hexen-Auspletschen in
der Oberpfalz (Schönwerth 1, 312), das
Maibutter-Ausschnellen in Tirol (Zingerle, Sitt. no. 783), das
Hinausblitzen in Deutschböhmen
(Reinsberg, Festl. Jahr 137). Mit
einem tüchtigen Schuss Pulver schiesst man in die auf die
Hausschwelle gesetzte Milchschüssel, dass kein Tropfen davon
drinnen bleibt; dann hört die Kuh auf, blaue Milch zu geben.
Darstell. aus d. Gebiet des Abgl. (Grätz 1801) S. 126. So
weit erstreckt sich die Umwandlung alles Natürlichen ins
Zauberhafte, so weit gieng die Gesunkenheit des ursprünglich
so gesunden Volksbegriffs. Aller lebensfrohe rüstige
Volksbrauch ist in Boshaftigkeit verkehrt. Wird im 13.
Jahrhundert vielfach gegen den Volksglauben an sg. Nymphen
gepredigt, so heissen diese doch immer noch schöne
Jungfrauen, die mit brennenden Wachslichtern in den Ställen
die Thiere besorgen, dass des Morgens Wachstropfen in den
Mähnen der Rosse kleben; sie erscheinen unter schattigen
Waldbäumen, verbinden sich dem Getreuen in Liebe, stillen
dem Armen Hunger und Durst, ihre Herrin ist nach dem gelehrten
Ausdrucke jener Zeit latein. Abundantia, die romanische dame
Abonde, die Königin Habundia, unsre deutsche Göttin
Fulla. Wo sie erscheinen, da bringt es dem Hause Glück und
Vorsput. So anfangs als Allgütige verehrt, sind sie nun
feindselig und gefürchtet; erst eine überirdisch
schöne Holda, dann eine triefäugige Unholdin; erst eine
thaufrische Walburgis, unter deren Schritt der Acker von Oel
trieft, zuletzt eine Anna Walper von Wertheim, die im peinlichen
Protokoll v.J. 1644 bekennt, den Teufel beim Hexentanze in einer
eisernen Schellenkappe mitgesehen zu haben. Wolf, Ztschr. f.
Myth. 4, 23. Sogar zu der finnisch-ehstnischen Bevölkerung
ist dieser Name gedrungen, vermittelt durch die Schweden; der
Heiligen Festtag heisst Wolpripääw (Russwurm, Eibofolke
2, 263. 1, 74. 98). Die Serben nennen den Hexenritt na Walporu.
Haupt-Schmaler, Wend. Volksl. 2, 265. Noch bevor diese
Satanisierung der deutschen Götter durch die Kirche genugsam
durchgeführt werden konnte, verwandelten sie sich mit ihrer
im Volksglauben nicht bezweifelten Macht erst ins Riesenhafte. In
rückwärtsschreitender Betrachtung unseres Gegenstandes
zeigen
wir nun
die Jöten- und dann die Walkürennatur Walburgis und
sind damit am Schlusse.
Sechster Abschnitt.
Walburg, die Göttin der Zeugung und
Ernährung.
Der Ordensneid der Jesuiten gegen die von ihnen
unabhängigen Diöcesen und Stifte gab den ersten Anlass,
die Walburgislegende in ihrem Gesammtzusammenhang zu betrachten,
während man sie bis dahin fast nur in ihrer lokalen
vereinzelten Tradition aufgefasst und dargestellt hatte. Die
Ingolstädter Jesuiten, unter ihnen Gretser voran, wollten
der niederdeutschen Walburg nicht die kirchliche Geltung der
oberdeutschen zuerkennen. Jene, behaupteten sie, sei die sg.
Walburga Westfalica, eine gewesene Nienheerser oder Herswender
Nonne im Kloster bei Paderborn, die Schwester des dortigen
Bischofs Liuthard, die um 840 gelebt habe und nebst ihrem Bruder
877 von den Vandalen erschlagen worden sei. Sie sei nur selig
gesprochen worden, dagegen die Eichstädter Walburg sei
bereits im J. 779 gestorben und canonisirt; erst ihr Ruhm habe
jener westfälischen Namensschwester zu einigem kirchlichen
Ansehen verholfen. Diesem Vorgeben steht indess in der
Kirchengeschichte Niederdeutschlands alles Mögliche
entgegen. Der grössere Theil der dortigen alten
Stiftskirchen ist der hl. Walburg schon seit so alter Zeit
geweiht, dass man daselbst von der Walburgiskirche zu
Gröningen behauptet, sie sei ein Heidentempel der
Göttin
Walburg gewesen, und dass man in der
Walburgiskirche zu Veurne (Diöcese Ypern) sogar noch die
Stelle zeigt, wo dieser Göttin Menschenopfer gebracht worden
sein sollen. Wolf, Ndl. Sag. no. 309, S. 696. Bollandisten l.c.
522. Die Annahme eines sehr hohen Alters dieser Kirchen wird
zugleich durch ihren Baustil unterstützt; die
zu
Gröningen ist eine Rotunde mit thurmähnlichen Mauern
und steht auf einem Gange, welcher unterirdisch bis zum
Nachbardorfe Helgen führen soll. Diejenige zu Antwerpen, in
der dortigen Altstadt gelegen, heisst Burg (castrum), in ihrer
Krypta soll Walburgis auf ihrer Herreise aus England gewohnt und
die Gastfreundschaft der Stadt genossen haben. Je weiter man nun
den Walburgiscult nordwärts verfolgt, um so mehr tritt seine
heidnische Abkunft hervor, und Walburg nimmt da nebst ihrem
bischöflichen Bruder die vergröberte Gestalt der Riesen
an. Schon im Harz wird
Wilibald
ein Hüne genannt
(Pröhle, Harzsag. 1, 275); um Harlem aber gilt Walburg als
die Heerden weidende und Strandräuber vertilgende Riesin
Walberech. Seeräuber ersäuft sie, Viehdiebe frisst sie
lebendig auf; dann nimmt sie ihre Ochsen unter den rechten Arm,
ihre Rosse unter den linken, steckt die Schafe zusammen in die
Haare ihres Hauptes und geht so in einem Schritte von Holland
nach England hinüber. Wolf, Ndl. Sag. no. 28. Als eine
gleich ungestüme Heidenfrau, menschliches Mass
überschreitend, gilt Walburg in Schweden, wovon in
Wedderkop's Bildd. a.d. Norden, 2. Th. die Rede ist. Nicht anders
erzählt die, irische Legende von der Hexe Moll Wallbee in
Beeckmakshire, sie habe das Schloss Hao in einer Nacht erbaut und
die Steine dazu von Dollgellen in der Schürze hergetragen.
Als ihr dabei im Laufen ein Kiesel in den Schuh kam, schleuderte
sie ihn heraus; er fiel auf den Kirchhof von Clowes, drei Meilen
von Dollgellen, da liegt er noch, neun Fuss lang und einen dick.
(Vulpius) Curiositäten Bd. 8, 240. Endlich hat sich jene
Walburga Westfalica sogar als eine Antwerpner Venus
herausgestellt, deren Abbildung in Wolfs Beiträgen 1, Tafel
II, Figur 1, lehrt, dass sie keineswegs die antike Venus gewesen
ist, sondern ein deren antiken Namen tragendes deutsches
Götterbild. Es ist ein über dem Antwerpner Steenport in
die Mauer eingelassenes, halb erhaben gehauenes Steinbild, das
noch in seinen ursprünglichen
Umrissen zu erkennen, in seinen Besonderheiten
aber abgemeisselt ist; dasselbe hat langes Haar, hebt beide Arme
bis zur Kopfhöhe anbetend empor und zieht die aus einander
gespreizten Beine herauf. Dass es ein Götterbild war,
urtheilt Wolf, l.c. 107, darin stimmen alle älteren
Geschichtschreiber Antwerpens überein, unter denen auch der
berühmte Bollandist Papebrochius; dafür spricht ferner
die allgemeine Verehrung, deren es genoss, dafür zeugt auch,
dass unfruchtbare Frauen ihm Kränze und Blumen opferten, die
Manneszeichen, die es phallisch trug, abschabten und als
Heilpulver tranken, um bald des Mutterglückes theilhaftig zu
werden. Davon berichten Mart. Zeiller, Itin. Gall. Bl. 527;
Goropius Becanus, Origin. Antverp. pg. 26; J.B. Gramaye,
Antiquitt. Antverp. lib. II, pg. 13, und selbst die Bollandisten
III, 521. Bei dem geringsten Zufalle, sagt Becanus, welcher
Antwerpner Frauen begegnet, ob sie ein Küchengeschirr
zerbrechen, oder sich die Zehe verstauchen, rufen sie ohne
weiteres dieses priapische Bild laut an, und selbst bei den
Anständigsten ist solche alte Unsitte noch im Schwange. Die
Ortslegende, deren Gramaye erwähnt, erzählt, dass der
hl. Willibrord, als er hier die Bekehrung begann, die heidnische
Anbetung dieser steinernen Walburgis schon vorgefunden und an
ihrer Stelle den Dienst der hl. Walburgis eingeführt habe.
Die Heiden hätten jedoch von diesem Idol ihrer Venus nur
sehr zähe abgelassen, und daher rühre denn der bei den
dortigen Weibern andauernde schmutzige Brauch, deren
Hartnäckigkeit in Sachen des Aberglaubens allbekannt sei.
Somit steht der Cult einer vorchristlichen, norddeutschen
Walburgis fest, welche in der Mönchsprache Venus und, da sie
phallische Abzeichen trug, Priapus genannt worden ist. Ihre
Hermaphroditengestaltung entspringt aus den ursprünglichen
Grundbegriffen der eddischen Götterlehre, zu Folge welcher
die Gottheit doppelgeschlechtig ist, um sich selbst ins
Unendliche fort zu erzeugen. Dem Urriesen Ymir erwuchs unter dem
linken Arme Mann und Weib. Tuisco, der vaterlose Stammgott,
erzeugt aus
sich selbst den Sohn Mannus. Die Ackergöttin Walburg musste
doppelgeschlechtig sein, wie die Pflanze und das Samenkorn ein
Zwitter ist. Als weiblicher Liebesgott erscheint sie priapisch,
gleich dem männlichen Liebesgotte Freyr, (ahd. Frô),
welchen Adam von Bremen Fricco unter der ausdrücklichen
Beifügung benennt, er werde phallisch abgebildet, walte
über Regen und Sonnenschein und stehe den Werken des
Friedens und der Ehe vor: cujus simulachrum fingunt ingenti
priapo; si nuptiae celebrandae sunt, sacrificia offerunt
Fricconi. Sein Name gründet in der Wurzel prî =
freien, woraus auch Πρίαπος,
selbst stammt. Freyrs Schwester Freyja (gleich der altslavischen
Prija = Venus) ist daher die Ehefrau ausschliesslich. Es ist nun
gewiss ausserordentlich bedeutsam, dass sich ganz dieselbe
Verehrung heidnisch-phallischer Bildwerke im Eichstädter
Gebiete, als dem süddeutschen Schauplatze der Wirksamkeit
der hl. Walburg, wieder findet. In dem zwischen den Städten
Eichstädt und Weissenburg am Ausgänge des grossen
Weissenburger Waldes gelegnen Dorfe Emmetsheim findet sich unter
mehrfachem römischem Grundgemäuer im Garten des
dortigen Wirthshauses ein antiker Steinwürfel, dessen eine
Seite die Grabinschrift einer römischen Ehefrau, die andere
die eines Merkuraltares trägt. Letztere zeigt die Herme
einer stark gebrüsteten Frau; auf der andern ist eine nackte
Figur sitzend dargestellt mit aus einander gespreizten Beinen,
beide Hände am Phallus haltend. Beide Figuren sind an den
Einzeltheilen vorsätzlich verstümmelt. Noch im vorigen
Jahrhundert setzten sich unfruchtbare Weiber auf dieses
Steinbild, um dadurch zum Kindersegen befähigt zu werden,
und als der Markgraf von Ansbach am 7. April 1721 hier
durchreisend den Stein besah und um ihn für seine
Kunstsammlung anzukaufen, sich an den Eichstädter Bischof
wendete, wurde ihm die Antwort, dass diese Gruppe als
Nahrung
des Wirthes
in statu quo zu belassen sei. Sax, Gesch. v.
Eichst. 1857, S. 287. Von der Mönchsweisheit wurde dieses
Bild abwechselnd bald der
Götze Miplezeth (1 Könige 15, 13), bald
Priapus genannt. Falkenstein, Nordgau. Alterth. 86. "Der
Phallusdienst, sagt Grimm, Myth. 1209, entspringt in der Kindheit
der Völker aus einer schuldlosen Verehrung des zeugenden
Prinzips, die eine spätere, ihrer Sünde bewusste Zeit
ängstlich mied." Voltaire war der Urheber der tiefen
Bemerkung, dass schlüpfrige religiöse Ceremonien nichts
gemeinsam haben mit schlüpfrigen nationalen Sitten. In dem
Essar sur les moeurs ch. 143, Oeuv. 17, 341 sagt er: "Unsre
Vorstellungen über Wohlanständigkeit veranlassen uns zu
glauben, ein uns schamlos erscheinender Brauch könne nichts
anderes als eine Erfindung der Zügellosigkeit sein. Allein
es ist unglaublich, dass Sittenverderbniss jemals bei irgend
einem Volke die Stifterin religiöser Ceremonien gewesen
wäre. Im Gegentheile ist es verbürgt, dass dergleichen
Bräuche bereits in den Zeiten der Sitteneinfalt entstanden
und dass man dabei keinen andern Gedanken hatte, als die Gottheit
in dem uns von ihr gegebnen Lebenssymbole zu verehren. Ein
derartiger Feierbrauch hatte den Zweck, die Jugend für ihre
Reife zu begeistern und kann nur einem ergreisten Gehirne in
abgeklärten, abgefeimten oder moralisch ruinirten Epochen
lächerlich erscheinen."
Folgerichtig wurde nun die Göttin der Fruchtbarkeit nicht
nur in ihrer Körpergestalt priapisch gedacht, sondern auch
die von ihr kommende Frucht, in gleicher Weise künstlich
geformt, zum Genusse dargeboten. Daher weihte man den Gottheiten
des Ackerbaues phallisch geformte Kuchen. Priape, aus Weizenmehl
gebacken, erwähnen Martial (XIV, 61: Priapus siligneus; IX,
3: siligneus cunnus) und der Scholiast zu Juvenal II, 53: membra
virilia, de melle et fermento composita. Unseren eignen Vorfahren
war diese Sitte keineswegs fremd. Joh. Campegius De re cibaria
1560 schreibt: aliae placentae repraesentant virilia (si diis
placet); adeo degeneravere boni mores, ut etiam christianis
obscoena et pudenda in cibis placeant. Sunt etiam quos cunnos
saccharatos appellent. Dass solcherlei Kuchen (miches), die
weiblichen
Theile darstellend, vorzugsweise in der Auvergne gebacken wurden,
bemerkt Dulaur De divinites generatrices 226 und fügt noch
hinzu: dans plusieurs parties de la France on fabrique des pains,
qui ont la figure du Phallus. Aehnliche Landesbräuche
umgeben uns noch ringsum, man braucht nur die Augen zu
öffnen. Das Milchbrod der fränkischen Eierweckchen, in
bekannter zweideutiger Form gebacken, heisst in Ansbach
Klärungsweck; dieser Name wird daselbst nicht etwa von
Eierklar abgeleitet, sondern von der Clairon († 1803 zu
Paris), des letzten Ansbacher Markgrafen Hofmaitresse, deren
Lieblingsspeise diese feine Brodgattung gewesen sein soll. Archiv
f. Oberfranken V. 2, 93. Das altbairische breite Eierweckel wird
als Geschenk nur an Mädchen gegeben, dagegen das
stangenartige Weissbrod des Kipferl nur an Bursche. Dass man in
den oberbair. Gegenden beiden Brodformen sexuelle Bedeutung
unterlegt, beweisen die um Rosenheim und im Chiemgau
hierüber gesungenen Schnaderhüpfeln, in denen das
stuprum variirt wird. Aehnlich ist das obscöne Gebildbrod
der Meissner Fummeln, über welche Schäfer im ersten
Theil der deutschen Städtewahrzeichen 1858 gehandelt hat,
und dasjenige der verschiedenartig, stets schimpflich zubenannten
Nonnenkräpflein. Deutsche Festbrode, gebacken in Gestalt der
in den Cannstatter Grabhügeln aufgefundenen
Frôbildchen, welche das gleiche Symbol des Belebens und
Wiedererweckens an sich tragen (Memminger, Beschreib. des OA.
Cannstatt, 18), heissen in Oberdeutschland Mannoggel, Nikolause,
Klausmänner, Hanselmänner, Grittebenze; in
Niederdeutschland Sengterklas, Klaskerlchen u.s.w. Die weibliche
ähnlich gestaltete Brodfigur wird gewöhnlich nur die
Frau genannt. Beiden ist gemeinsam, dass ihnen Augen,
Brüste, Rockknöpfe aus Korinthen eingesetzt sind, dass
sie beide Arme in die Seite einstemmen und ihre Beine weit aus
einander spreizen; daher auch ihr Name Gritte, Grittebenz,
altbair. Beingrattel, varus oder valgus. Es ist in ihnen, also
die Stellung der beiden vorhin beschriebenen Steinbilder
zu Antwerpen
und Emmetsheim typisch wiederholt. Alle diese Formen sind
symbolische, dem mythischen Zeitalter und den Urvorstellungen der
Menschheit angehörende, und müssen eben darum gegen
unser Sittengesetz verstossen, weil dieses im Bewusstsein des
Naturmenschen noch gänzlich schlummert.
Bis hieher ist verspart geblieben, den Namen Walburg zu
erklären und mit den Hauptzügen seines Mythus in
Verbindung zu bringen. Wie der bisher vorgetragene Sagenkreis in
zwei Hälften sich scheidet, in ein lichtes
Frühlingsgebiet und in ein dämonisches Nachtreich, so
führt auch die Etymologie des Namens in diese Doppelwelt.
Die schönere Seite mache hier den Beginn, weil sie
sprachlich die ergiebigere ist.
Wenn der liebende Wuotan im Frühlingsbeginne seine
Vermählung mit der Himmelsherrin (Freyja, Frouwa) feiert, so
trägt er den ahd. Beinamen des Liebesgottes Wunscio,
nordisch Oski, und ist begleitet von einem Liebesheere von
Brautjungfern, welche die schwanenweissen Wünschelfrauen,
Schwanenjungfrauen sind, nord. ôskmeyjar,
Wunschmädchen. Das Wort Wunsch stammt aus wunia, bedeutet
Lust und Liebe, und führt uns sogleich 1) auf Walburgis
Mutter
Wunna
, aus deren Namen die Lateinlegende eine Bona
mater, und die niederdeutsche Legende eine
Frau Guta
bildete (Gretser 749), eine in der deutschen Heldensage
vielgenannte Ahnfrau der Heldengeschlechter. Sodann führt
Wunsch 2) auf den Namen eines der Brüder Walburgis,
Wunnibald: der den Wonnewunsch Gewährende.
Als Wunnas Oheim sodann wird in dem von Othlon verfassten
Leben des Bonifacius dieser Bekehrer Winfrid genannt (der Frieden
Gewinnende); diese beiden Namen alliteriren zum Namen Wunnibald
und stellen also durch gleichen Wortstamm und gleichen Anlaut,
auch sprachlich eine Sippe dar. Des andern Bruders Wilibald Name
knüpft sich an den eddischen Beinamen Odhins, Vili, opes und
felicitas bedeutend. Dem Namen Winfried entspricht der ahd.
Frauenname Winburc, demjenigen Wilibalds eine ahd.
Wiliburc und
Willahild; und vorgreifend sei bemerkt, dass die englische
Königstochter Werburga auch Walburg hiess: Wêrburga,
Wulferi, Merciorum regis et Ermenildae filia, quae saepius etiam
Walpurga dicitur. Basnage bei Canisius tom. II. 3, 266. Walburgis
Vater heisst Richard, d.i. dives, potens, wieder allmächtige
Gott gleicherweise der Reiche genannt wurde. Sämmtliche
Namen in Walburgis' Sippschaft sind also nächstverwandt mit
den höchsten Götternamen. Der Himmel nun, in den jenes
Liebesheer geflügelter Jungfrauen das Götterpaar
geleitet, ist Walhall, nordisch Valhöll, und der
silbergedeckte Saal darin heisst Valaskiâlf, der Wunschhof,
also eine Wahlburg, eine Burg der Auserwählten. In gleicher
Namensbildung wie Walburg besteht der angelsächsische Name
der Friedensgilde: Fridborg, d.i. Friedensbürgschaft.
Allein jenem Wonnemonat der Vermählung Odhins geht des
Gottes stürmische Brautwerbung im Mittwinter (den
Zwölften) voraus, wo die leidenschaftlich Wünschenden
zu Verwünschten, die Liebenden zu Wüthenden, ihre
Hochzeitsreigen zu geschlechtlichen Hexentänzen werden
(Grimm, Ueber den Liebesgott). Dann ändert sich die
Bedeutung des Wortes wal (von valjan, eligere). Die Gemahlin
Freyja wird eine Valfreyja, die sich mit Odhin in die Leichen der
auf der Walstatt Erschlagnen theilt, die Jungfrauen ihres
Gefolges sind die Walküren, welche die auf dem Wal Gefallnen
auswählen und für den Himmel erküren. Die Wolen,
sonst nach der Seherin Wala genannt, werden schicksalspinnende
Parzen. Nun sind es Schildjungfrauen, die unter Wetterleuchten
durch den Nachthimmel niederreiten. Sie stehen unter dem Helme,
ihre Brünne ist blutbespritzt, Feuer zuckt auf ihrem Speer.
Noch fliesst Thau aus den Mähnen ihrer Rosse herab und
reiche Ernten trägt dann der wildbefeuchtete Boden; aber
zugleich flattert das Schlachtfeld von windgebauschten weissen
Kriegsmänteln, als fiele ein dichtes Schneegestöber,
und von ihren Zaubergesängen
verwandelt sich der Nachtthau in Reif und
Hagelschlag. Noch ist ihre Gestalt schwanenweiss, geflügelt
umschwebt Kara ihren im Kampfe stehenden Helgi so nahe, dass
dieser zum Hiebe ausholend, sie selbst in den Fuss trifft. Allein
dieser Schwanenfuss wird zugleich verkehrt in den gegen die Hexen
auf die Thüren gekreideten Trudenfuss, oder es erscheint das
leichenankündende Gespenst des Holzweibleins gar in Gestalt
einer weissen Gans (Schönwerth, Oberpf. Sag. 1, 268). Der
Schwanenfuss wird zum Gänsefuss verkrüppelt, aus der
Königin Berta wird eine Königin Gansfuss, Reine
pédauque. Wollen sich die Bollandisten III, 516b
erklären, warum die hl. Werburg so häufig mit der hl.
Walburg verwechselt werde, so sehen sie den Grund hievon darin,
dass beiden die Wildgänse gehorsam gewesen seien. Dahin
gehören nun die vielfachen Wunder, die am Walburgisgrabe zu
Monheim an Klumpfüssigen geschehen, wie z.B. eine Frau
Manswind aus dem bairischen Markt Trutinga (Wassertrüdingen)
dorten Heilung ihres Klumpfusses gesucht und gefunden hat. A. SS.
l.c. 304. Die den Thau bescheerende, schwanenfüssige
Walküre und der für seinen gelähmten Fuss im Thau
Heilung suchende Kranke erscheinen sachverwandt; in der L. Bajuv.
4, 10 und 5, 16 wird der Fussgelähmte nach alemannischem
Ausdrucke tautragil genannt, der Thauschlepper, wie in Friesland
die Hexe daustrîker heisst, weil sie in schädigender
Absicht den Maienthau mit plumpem Fusse vom Grase streicht. Grimm
RA. 94. 630. An frühzeitigen Uebergängen des Namens
Walburg in das Gebiet des Dämonischen kann es daher nicht
mangeln. Walahild heisst eine der Walküren; Walgund ist die
im Hugdietrich und im Wolfdietrich besungene Königstochter;
Walber eine nordd. Riesin; Walberan der riesig starke,
kriegsgewaltige König (im mhd. Gedichte König Laurin),
welchen Dietrich im Zweikampfe nicht zu besiegen vermag. Der
Versammlungsplatz der Hexen auf Island heisst Valakirkja und
liegt am Ingolfsfjall, einem hervorragenden Berge des dortigen
Südlandes.
Vala wird dorten die böse Stiefmutter genannt im
Märchen von Schneewittchen. Maurer, Isländ. Sag. 107.
280. Die niederd. Hexe Valrîderske ist eine Pferdemahr, die
sich zu ihrem Nachtritte fremder Rosse heimlich bedient,
schweissbedeckt stehen diese Morgens darauf im Stalle. Simrock,
Myth. 421. So viel über den Namen Walburg, insoweit er der
Reihe der Bedeutungen nach zuerst die in der Wünschelburg
wohnende Götterjungfrau, dann eine steinschleudernde Riesin,
eine leichensammelnde Walküre, ein die Früchte und
Thiere zehntendes Zauberweib bezeichnet hat. Herabgesunken zur
landschaftlichen Sagengestalt, hat Walburg es im Hochnorden,
gleich dem übrigen Riesengeschlechte, ausschliesslich mit
der Viehzucht zu thun und wird darüber zur Göttin der
W. Jagd. Bei dem 1588 zu Nürnberg abgehaltenen grossen
Fasnachtszuge erschien das Wilde Heer unter Anführung "der
Frau Holda auf einem schwarzen wilden Rosse; als die wilde
Jägerin stiess sie ins Horn, schwang die knallende Peitsche,
schüttelte ihr Haupthaar wild umher wie ein wahrer
Wunderfrevel, und der mitzuschauende bamberger Bischof sprach zum
Markgrafen Albrecht von Ansbach: Das ist eure Jagdgöttin;
dieser aber erwiederte: Bannet das Ungethüm, aber nur heute
nicht!" Vulpius, Curiositäten, Bd. 10, S. 397. In
Mitteldeutschland geht sie mit dem Geschäfte des Flachsbaues
und Spinnens um; in Süddeutschland erst erscheint sie als
Ackerbauerin und siedet Bier. Bei diesem letzterwähnten
Geschäfte nimmt sie den Namen der Frau Holle (die
Huldreiche) an. "Der gemeine Mann nennt sie Frau Holle und die
Mägde auf den Dörfern verstecken ihre Spindeln vor
ihr", sagt im J. 1812 von ihr ein thüringischer Bericht,
Curiositäten, Bd. 2, 472; und eine schon ältere Notiz
in Prätorius, Blockesberg S. 457 lautet: "Am Walburgisabend
darf man weder spinnen noch auch das Garn nur auf der Spindel
lassen, sonst machen die Hexen Bratwürste daraus, d.h.
ungleichfädiges Garn. Die Thüringer geben vor, dann
ziehe Frau Holla herum und verwirre oder hole das
Garn."—
Das schicksalwebende Wunschmädchen webt das Eheband,
darum wird am Garnfaden in der Walburgisnacht das S. 40 bereits
erwähnte Liebesorakel erforscht, und neun gesponnene
Flachsknoten sind heilsam (Myth. 1182); als flachsspinnende
Schwanenjungfrau erscheint es ferner sowohl im Liede von Wieland
dem Schmied (Simrock, Myth. 345), als auch in der schlesischen
Spillaholle (die Spindelhulda), und diese wohnt im Hollabrunn
(Vernaleken, Alpensag. 121), um hier kinderlosen Eltern deren
Wunschkinder herauszuschöpfen.
In der Niederlausitz heisst Walburgis Holpurga (Pott,
Familiennamen, 117), in der Oberpfalz nennt man die Hexenausfahrt
zu Walburgis die Hullfahrt, das Hullfahren, und der
bezügliche Schimpfname ist Hullsluder. Schönwerth 3,
177. Hier thut zugleich der Spirantenwechsel das Seinige zur
Namens-Umgestaltung; wie aus Wuotan ein niederd. Wôd und
Hoden wurde (englisch Robin Hood), so aus Walburg eine Frau Wulle
und Frau Hulle. Was in den Zwölften gesponnen wird, das
besudeln Frau Holle und Frau Wolle, Frau Hulle und Frau Wulle.
Kuhn, NS. 417. Ebenda 418 heisst Frau Hilde
Verhellen
, bei
Müllenhoff 178
Ver-Wellen
. Der bierschenkenden Frau
Holle, welche im Walperholz bei Arnstadt Volles Mass ausruft, ist
schon im vorletzten Abschnitte gedacht worden, und mit diesem
Geschäfte Walburgis als einer den Maienthau spendenden,
älschenkenden Frühlingsgöttin werde hier
abgeschlossen.
Im Herzen des bairischen Fruchtlandes werden jene drei letzten
Aehren oder Aehrenbüschel des Ackers, welche die Schnitter
zum Opfer stehen lassen, bekränzt, umbetet, umtanzt und eben
so genannt, wie Walburgis dritter Bruder heisst, Oswald, d.i. der
allwaltende Ase. Dieses Aehrenopfer ist in einer Passauer Urkunde
des 13. Jahrh. Wûtfutter genannt (Panzer BS. 2, 505), hat
ebenso in Meklenburg unter denn Namen Wode gegolten und war also
in diesen beiden, geschichtlich sich fremdgebliebnen Landstrichen
ein dem Wuotan geweihtes Ernteopfer, bei welchem
man das
Wodelbier
als Trankopfer darbrachte. Eben diese heidnische
Erinnerung ist christlich personificirt worden im hl. Oswald, und
so hat denselben Zingerle in seiner Ausgabe der Oswaldslegende
pg. 74 nachgewiesen. Diese beiden leiblichen Geschwister, Oswald
und Walburg, tragen in ihrer Hand das Attribut der drei Aehren.
Bruder Oswald besitzt bei dem nach ihm benannten tiroler Dorfe
eine geheiligte Quelle, die als des Landes Jungbrunnen gilt
(Zingerle, Sitten no. 936); die Schwester Walburg spendet nebst
solchen Heilquellen das besondere Heilöl: es ist dies die
Nährkraft des unter dem Einflusse des Maienthaues sich
bildenden Getreidekornes. Der Thau, der aus der Mähne des
Walkürenrosses trieft, verleiht dem Erdboden seine Lebens-
und Befruchtungsquellen; aus dem Trinkhorne bietet hierauf die
Walküre Oelrun den von ihr gebrauten Seligkeitstrank dem in
den Himmel Eingehenden. Wie war oder ist nun der Name dieses
Trankes? Zum Meth führt am Weissen Sonntag, 8 Tage nach
Ostern, der altbair. Bursche sein Mädchen, es soll sich
dabei schön und stark trinken. Schmeller, Wörtb. 3,
360. Der Litthauer nennt sein Hausbier, das bei keinem
häuslichen Feste fehlen darf, Alus, das Bärtige, denn
es wird aus der grannenreichen Gerste gebraut; der Alus hat
Hörner, sagt er von der Stärke dieses Getränkes,
ja Gerste bedeutet ihm überhaupt so viel wie Getränk.
Schleicher, Litthau. Märch. 1857, S. 3. 149. 160. Von der
Wirkung des Münchner Bockbieres pflegt der Baier eben
dasselbe zu sagen: der Bock hat ihn gestossen. Ob wir nun obige
Walküre Oelrun in ihrem Namen ableiten von Alarun,
allwissend durch die um ihr Trinkhorn geschrieben stehenden
Runen, oder von Aelrun, die den Göttern den Stärketrank
kredenzende, so verschlägt diese doppelte Etymologie hier in
der Sache selbst nichts; Ael und Oel, beiderseits der Begriff der
Lebensnahrung, ableitend von goth. aljan lat. alere, ist hier
längst in den Eigennamen und in die bezüglichen Symbole
eingedrungen. Der Skandinavier nennt das
Bier, das er im Heidenthum den
Alfen opferte (âlfablôt), heute das Engelbier:
Engelöl (Mannhardt, Mythen 326). So braut man seit Altem in
England das Ale, in Rostock Oelbier (Coler, Oeconomia lib. 2, pg.
23), in Breslau Schöps, in Wollin Bockhänger (Klemm,
Nahrung, 335), in München Bock, dessen Ausschank daselbst
mit dem 1. Mai beginnt und anzudauern hat bis Pfingsten. Er
hält dorten somit dieselben Termine ein, die kalendarisch
für das Gedeihen der Kornsaat und kirchlich für das
Fliessen des Walburgisöles gegolten haben.
Vorahnend hat Uhlands realistische Dichterphantasie den Inhalt
des hier abgeschlossnen Mythenkreises, wie folgt,
umschrieben:
Auf den Wald und auf die Wiese,
Mit dem ersten Morgengrau,
Träuft ein Quell vom Paradiese,
Leiser frischer Maienthau.
Wenn den Thau die Muschel trinket,
Wird in ihr ein Perlenstrauss;
Wenn er in den Eichstamm sinket,
Werden Honigbienen draus.
Mit dem Thau der Maienglocken
Wäscht die Jungfrau ihr Gesicht,
Badet sie die goldnen Locken
Und sie glänzt vor Himmelslicht.
Selbst ein Auge rothgeweinet
Labt sich mit den Tropfen gern,
Bis ihm freundlich nieder scheinet
Thaugetränkt der Abendstern.
II. Verena mit dem Kamme,
die Kindsmutter.
Erster Abschnitt.
Verena, eine Gauheilige.
Kirchliche Gestaltung und geographische Ausbreitung der
Verenalegende; ersteres bedingt durch die Legende von der
Thebaischen Legion, letzteres durch die Ausdehnung des Konstanzer
Bisthums. Verena's Weihkirchen und Altäre in der Schweiz.
Ihr Doppelgrab und ihre Reliquien in Zurzach. Mittelhochdeutsches
Gedicht
von sand Verene
.
Die heidnische Verenasage wurde in ihrer Vereinsamung
frühzeitig der Kirchenlegende der Thebaischen Legion
einverleibt und gewann dadurch eine Verbriefung ihres eignen
hohen Alters und ihren ersten Zusammenhang mit der frühesten
schweizerischen Kirchengeschichte. Bekanntlich ist die Legende
von der Thebaischen Legion aus Oberitalien und Savoyen her in die
Schweiz gedrungen, und hat sich von da Rhein abwärts weiter
ausgebreitet. Sie handelt von einer zu Thebae in Aegypten
gestandenen römischen Legion, welche dorten zum
Christenthume übergetreten, dann nach Italien und unter
Constantius Chlorus nach Helvetien versetzt, schliesslich zu
Martinach, die Theilnahme an einem heidnischen Opfer verweigernd,
decimirt worden sein soll. Einzelne, diesem Blutbade entronnen,
gelangten an die Aare und den Rhein und erlitten hier,
unermüdlich den Christenglauben ausbreitend, gleichfalls den
Martyrertod. Wo dieses in Helvetien geschah, da sind denselben
die ältesten Stifte und Kirchen geweiht worden; so dem hl.
Mauritius zu Martinach in Wallis und zu Bern; dem Ursus und
Victor zu Solothurn; Felix, Exuperantius und Regula zu dritt in
Zürich
u.s.w. Die mit dieser Soldatengeschichte ganz äusserlich
vereinbarte Verenenlegende berichtet, entkleidet ihrer
märchenhaften Zuthaten, ungefähr Folgendes.
Verena, eine junge Christin zu Anfang des vierten
Jahrhunderts, begleitete jene Thebaische Legion, in welcher sie
einige Verwandte hatte, aus Afrika nach Italien und verblieb,
beim Abmarsche der Truppen nach Helvetien, zu Mailand, um sich
hier der Krankenpflege gefangener Christen zu widmen. Als sie
jedoch die Kunde von dem gewaltsamen Tode der Ihrigen vernahm,
wanderte sie, um deren Gräber zu besuchen, über die
Alpen nach Martinach in Wallis und nach Solothurn. An diesem
letzteren Orte abermals die Armen und Kranken pflegend und die
christliche Lehre verbreitend, wurde sie vom römischen
Statthalter in den Kerker geworfen, jedoch wieder freigegeben,
als ihr Gebet ihm Genesung von lebensgefährlicher Krankheit
erwirkt hatte. Zu neuer Uebung werkthätiger Menschenliebe
schifft sie hierauf auf der Aare nach dem Dorfe Koblenz; begiebt
sich von da in das benachbarte Zurzach, weil sie vernommen hat,
dass dorten bereits eine Christengemeinde besteht, und nimmt hier
ihre bleibende Wohnstatt. Sie besorgt als Dienstmagd, eines
Priesters Hauswesen und widmet ihre Zwischenzeit der Pflege der
ausserhalb des Ortes in einem Siechenhause sich selbst
überlassnen Aussätzigen; ihnen überbringt sie, was
sie sich von ihrer eignen Nahrung abbricht, Brod und Wein. Aber
der Knecht jenes Priesters verdächtigt sie der Veruntreuung
im Haushalte. Während sie eines Tages sich wieder zu den
Siechen begeben will, tritt ihr argwöhnischer Herr
unversehens hervor und stellt sie zur Rede, der herzugeschlichene
Knecht hebt den Deckel vom Krüglein, das sie trägt.
Siehe, da findet sich statt des Weines nichts als Lauge und statt
des Brodes ein Kamm, beides zur Reinigung der Kranken bestimmt.
Für den Rest ihrer Tage bezog sie eine Klause neben jenem
Siechenhause und setzte die Werke der Barmherzigkeit fort. Ueber
ihrer Grabstätte ward erst eine kleine Kapelle gebaut,
nachmals wurden ihre
Gebeine erhoben und in die Zurzacher Stiftskirche
versetzt. An der Hand der Thebaer-Legende, die Anfangs des
vierten Jahrhunderts spielt, wird das Jahr von Verenas Ankunft zu
Zurzach auf 323 und ihr Tod auf 344 mit naiver Zweifellosigkeit
angesetzt.
Die Thebaische Legende ist eine romanisch-katholische Sage
über die geschichtliche Thatsache, dass und wie die
arianischen Burgundionen, denen im J. 443 die Landschaft
Sapaudia, d.h. die Gegend von Lyon, Genf und Hochsavoyen, von
Reichs wegen eingeräumt worden war, sich der dortigen
Römerchristen durch militärische
Massen-Niedermetzelungen zu entledigen versucht hatten. Die
nachmalige Verquickung dieser Legende mit dem hebräischen
und dem antiken Sagenkreise begann der romanisch-katholische
Klerus und setzte der deutsche in römisch-kirchlichem
Interesse fort. Man lokalisirte sie daher in allen denjenigen
Städten und Stiften Deutschlands besonders, in denen zuerst
das politische und dann das kirchliche Römerthum das
herrschende gewesen war. Daher finden sich die Altäre,
Reliquien und Historien der Thebäer schon von Alters her vor
in Bonn, Köln, Trier, Xanten, Mainz, Augsburg, Regensburg,
Sitten, Genf, Solothurn. Auch das kleine Zurzach war eine solche
Legionenstadt der Römer gewesen. Seit dem Jahre 1000
verfasst der Klerus dieser Städte die sg. Weltchroniken, als
deren Hauptwerk die deutsche "Kaiserchronik" gilt, alle von den
Thebäern entweder anhebend oder zu deren Preise endigend.
Dass auch die Schweiz in ihren Stiften Tendenzchroniken dieser
Art im Mittelalter besass, darüber sind Nachweise gegeben in
den Mittheill. des St. Gall. geschichtsforsch. Vereines 1862,
Heft 1. Von der hl. Verena ist jedoch in diesen Werken noch
nirgend die Rede; nicht desshalb, weil jene ursprünglich
nicht zu den Thebäern gehörte oder zu schwierig mit
diesen zu vereinbaren gewesen wäre, denn was hätte die
phantastische Kühnheit dieser gelehrten Mönche nicht
mit einander verschwistert! sondern desshalb, weil Verena nur auf
alemannischem
Boden ihre Giltigkeit gehabt hatte, hier als Gauheilige nur
allmählich kirchliche Anerkennung fand und in den
übrigen Kirchensprengeln unbekannt, ja förmlich
ausgeschlossen blieb. Die ritterlichen Thebäer wurden, volle
6666 Mann stark, der stummen Demuth des barmherzigen Weibes
vorgezogen. Recht auffallende örtliche Missverhältnisse
stellen dies ins Licht. Der Kirchenkalender des Bisthums Sitten
ist durchaus auf die zu Agaunum (angeblich St. Moritz in Wallis)
geschehene Enthauptung der Thebäer gegründet; allein er
lässt am 1. Sept., als dem kirchlichen Gedächtnisstage,
Verenas, nicht diese feiern, sondern den hl. Egidius, der als
Einsiedler die Rhonemoräste bewohnt und urbar gemacht hatte.
Das gleiche Missverhältniss findet auch in der Diöcese
Solothurn statt. Die beiden Thebäer Ursus und Victor sind
Patrone der Stadt Solothurn und werden dorten mit eignen
Weihkirchen, Prozessionen und Bruderschaften verehrt; nicht aber
zugleich auch Verena, die doch jenen beiden hieher nachgezogen
war und hier unter Verfolgungen gelebt und gewirkt hat. Zwar
trägt die dortige am linken Ufer der Aare liegende
Einsiedelei noch den Namen Verenae und ist mit einer
gewölbten, von einem Eremiten gehüteten Kapelle
versehen, einst der Wohnort der Jungfrau; dennoch feiert die
Solothurnische Kirche den Verenentag nicht. Ja nicht einmal
dasjenige Martyrologium; welches für die Zurzacher
Stiftsherren ursprünglich das massgebende war, enthält
Verenas Namen und Gedächtnissfest, wie dies unzweifelhaft
aus des Minoriten Paulus Schwenger Römischem Martyrologium
erhellt, verbessert von Pabst Benedictus XIV. Cöln 1753, S.
212 und Anhang S. 16. Diese Thatsachen beweisen, dass Verenas
kirchlicher Cultus überhaupt erst spät in Aufnahme
gekommen ist, dass die Heilige auf dem Gebiete von Kleinburgund,
obschon sie hier gewohnt, unbekannt geblieben und also mit der
dorten einheimischen Thebäerlegende ursprünglich
gleichfalls nicht verschwistert gewesen ist. Sie ist eine
Alemannin, gehört dem Konstanzer Sprengel an und hat erst
diesem ihre kirchliche Reception zu verdanken.
Das Konstanzer
bischöflich approbirte Breviar vom J. 1509 (gedruckt bei
Erhardtus Ratdolt, civis Augustensis, Calcographus) lässt
die Heilige nicht erst auf den vorhin geschilderten Umwegen,
sondern gleich anfänglich zu den Alemannen kommen und da
heftig durch den Teufel versucht werden: nam Alemanorum gens
dyabolo subdita; es setzt den Verenatag, 1. Sept., als einen
doppelten Feiertag an und stellt ihm jenen des hl. Egidius
entweder nach oder verlegt diesen auf den Samstag voran, wenn
Verenatag auf einen Sonntag fiele.
Um daher zu erfahren, wie weit sich vordem der Verenacultus
erstrecken konnte, muss man die Grenzen des Konstanzer Sprengels
betrachten. Das Konstanzer Bisthum, das herkömmlicher
Annahme zu Folge nach gänzlicher Zerstörung
Vindonissas, des ursprünglichen Bischofsitzes, um das Jahr
600 nach Konstanz verlegt und hier mit einer neuen
Gebietsausdehnung über einen grossen Theil Alemanniens
begabt wurde, hatte den wahrscheinlichen Zweck, die noch
heidnischen Alemannen für den Christenglauben zu gewinnen.
Es war das ausgedehnteste aller Bisthümer. Vom Gotthard
reichte es über den Neckar bei Marbach und zum Kloster
Hirschau bei Calw, dreissig deutsche Meilen von Nord nach
Süd, zwanzig von Ost nach West, von Kempten bis gegen
Strassburg. Vor der Reformation zählte es 1760 Pfarrkirchen,
350 Klöster, 17,000 Priester und Mönche; nach der
Reformation war es noch immer in 66 Archidiakonate eingetheilt.
Diejenigen von letzteren, die für unsre lokale Frage
belangreich, weil im schweizerischen Theile des Bisthums gelegen
sind, finden sich in Jak. Rasslers zu Ende des 16. Jahrh.
gelieferter Beschreibung genannt, es sind folgende. Thurgau,
Schaffhausen, Zürichgau, Aargau diesseits der Aare, Luzern,
Zug, Unterwalden, das Bernergebiet diesseits der Aare und
aufwärts über die Seen ins Oberhasle bis zu den
Aarequellen; Uri mit Ausnahme des Thales Urseren, das von jeher
unter dem Bischof von Chur gestanden; Schwyz, Glarus, Appenzell,
der nördliche Theil des
Kant. St. Gallen mit Toggenburg, der Grafschaft
Rapperswil, der March und Uznach; ausgenommen waren hier Gaster,
Sargans und das Rheinthal, als zu Chur gehörend. Dazu
zählte ferner: das Frickthal; Stadt Basel mit einem kleinen
Theile der rechtsrheinischen Landschaft; die Markgrafschaft Baden
mit dem Schwarzwalde; zwei Drittel des Herzogth. Würtemberg,
die beiden hohenzollerischen Lande, das baierische Algäu,
der untere Theil des österreich. Rheinthals nebst mehreren
vorarlberg. Dekanaten und Gotteshäusern. Dasselbe
zählte in seinem schweizerischen Territorium noch zu Anfang
dieses Jahrhunderts bei einer Viertelmillion Kommunikanten, also
mit Ausschluss der Zahl der Kinder. Nüscheler,
Gotteshäuser der Schweiz, führt diejenigen schweiz.
Ortskirchen an, in denen die Heilige entweder Patronin war oder
Altäre besass. Im Bisthum Chur folgende: zu Niederurnen und
Wesen (I, 139). Im Konstanzer Bisthum: zu Kleinbasel. (II, 9), zu
Gächlingen, Kt. Schaffhausen (19), zu thurgauisch Ermatingen
(52), zu Mülheim (55), Märstätten (57),
Langrickenbach (77), Wärtbühl (169), Rickenbach (172),
Nesslau (182), Wil (185), Matzingen (212), diese sämmtlich
im Thurgau gelegen. Magdenau im St. Gallerlande (97), zum Hl.
Geist in der Stadt St. Gallen (127), Ellikon und Stäfa im
Kt. Zürich; Risch im Kt. Zug (Staub, der Kt. Zug 1869, S.
69). Von den übrigen im Aargau, in den Kantonen und den
deutschen Nachbarländern der Verena geweihten Kirchen,
Kapellen, Wallfahrten und Taufbrunnen wird im Verlaufe dieser
Kapitel besonders gehandelt werden; einige von ihnen werden des
hohen Alters wegen Heidenkirchen genannt und die Volkssage
(Naturmythen S. 115) berichtet von der Zurzacher, sie sei lange
die einzige weitum auf beiden Ufern des Rheines gewesen, und
daher hätten zu ihren entfernt wohnenden Kirchgängern
selbst die Erdmännchen von Dangstetten im Schwarzwalde
gehört.
Uebergehend auf die Gründung und frühesten
Schicksale der Zurzacher Stiftskirche, muss voraus bemerkt
werden,
dass
die ältesten Stiftsurkunden in mehrfachen
Feuersbrünsten und Verwüstungen verloren gegangen und
die noch vorhandenen immer noch nicht kritisch untersucht sind.
Das Stift wird im neunten Jahrhundert eine "kleine Abtei" genannt
(Neugart, C.D. 1, 427) und kommt auf folgende Weise
frühzeitig an das benachbarte Kloster Reichenau. Karl der
Dicke hat auf Bitte seiner Gemahlin Richardis, die nachmals in
den Stiften Andlau und Seckingen selber den Schleier nahm, in
einer auf dem Schlosse Bodman am 14. Oct. 881 ausgestellten
Urkunde Zurzach demjenigen Orte zur Einverleibung bestimmt, in
welchem einst seine Leiche begraben würde; und dieses
geschah nachmals zu Reichenau. Das Original dieser Urkunde ist
längst nicht mehr vorhanden und hat niemals auf seine
Echtheit untersucht werden können. Zwischen ihr und der
nachfolgenden Urkunde, die abermals nach Namen und Jahrzahl
durchaus zweifelhaft bleibt, liegt eine ungemein grosse
Zeitlücke. Eberhard, Truchsess von Waldburg, der 48ste
Konstanzerbischof, soll im J. 1265 Stift und Marktflecken Zurzach
von Reichenau um 310 Mark Silbers angekauft haben. Inzwischen
verarmte das Kloster durch abermalige Feuersbrunst, so wie durch
Krieg und Plünderung dergestalt, dass es von den
Mönchen verlassen wurde; des vorgenannten Bischofs
Nachfolger, der Habsburgergraf Rudolf II., soll es wieder erbaut
und 1279 in ein Collegiat- oder Chorherrenstift umgeändert
haben, und der auf den genannten folgende Konstanzerbischof
Heinrich II. hat 1294 dem Stifte die Zurzacher Pfarrkirche
incorporirt. Diese Angaben sind zusammen entnommen: Casp. Lang,
Histor.-theolog. Grundriss der christl. Welt, 1692. Aber in
diesem eben genannten Jahre 1294 werden Chorherrnstift,
Münsterkirche und Klostergebäude abermals in Asche
gelegt. Diese bis zum Ende des 13. Jahrhunderts so dürftig
fliessenden und so wenig bedeutsamen Quellen gewinnen indessen
aus der ältesten Ortslegende, deren Abfassung bis 1005
zurückgeht, einige werthvolle Ergänzungen, die den
damaligen Ort, seine Lage
und Umgebung unzweifelhaft richtig
veranschaulichen. Eine dieser kleinen Erzählungen führt
sogleich auf die zwei bedeutendsten Punkte des dortigen
Verenakultus, auf die Moritzenkapelle und die Münsterkirche,
damit aber auf die Verena-Reliquien, auf deren Zahl, Bestand und
Schicksal unsre Untersuchung hernach überzugehen hat.
An jenem Rheinufer bei Zurzach, wo ehemals eine
altrömische Stadt gestanden hatte, wurde zu Ehren Verenas
und der thebaischen Legion ein Kirchlein erbaut und geweiht.
Allein man liess hier aus Nachlässigkeit das Ewige Licht
ausgehen oder versäumte an den vorgeschriebnen Tagen sogar
die Messe zu singen. Da traten Warnungszeichen ein. Lichtschimmer
erfüllte Nachts die Umgegend, dass selbst der im jenseitigen
Dorfe wohnhafte Priester (in Rheinheim) ihn wahrnahm;
Engelsstimmen erfüllten die Luft mit Gesange, und wenn die
Zurzacher Wächter darüber verwundert dem Orte zueilten,
fühlten sie sich wie gebannt und vermochten keinen Schritt
von der Stelle zu thun. Da kam einst der Alemannenherzog Burchard
(der zweite dieses Namens stirbt 826), in Verfolgung eines
kriegerischen Gegners begriffen, mit seinen Reisigen von jener
Uferstelle gegen die Stadt geritten, als hinter ihm vom Flusse
her des gleichen Weges strahlende Männer, im feierlichen
Schritte Lieder singend, nachrückten, die mit Kreuzen und
Lichtern einen aufgebahrten Sarg begleiteten. Plötzlich
erhob sich der Zug von der Strasse in die Luft, schwebte
über das herzogliche Gefolge hinweg gegen den Flecken und
verschwand hier in dem Fenster an der Ostseite der
(Marien-)Kirche, ohne dass dasselbe offen gestanden oder nachmals
eine Beschädigung gezeigt hätte. Dieses Wunder ergriff
den Herzog, unter Beistimmung seiner Begleiter entzog er die
Strasse, auf der er sich eben befand, dem weltlichen Besitze und
übergab sie der Ortskirche unter dem Namen
Wîhegaȥȥa, Heiliger Weg. Denn dies ist die Gasse
gewesen, welche einst täglich Verena gewandelt war, um den
Kranken ihren Beistand zu leisten.
Diese kurze Erzählung berichtet, dass schon im 9.
Jahrhundert Verenas Reliquien von ihrer ursprünglichen
Ruhestätte in der Mauritiuskapelle am Rheinufer in die
Marienkirche versetzt worden sind, die dann zur Stiftskirche
erhoben wurde, und gewährt eben damit volle Sicherheit
über den ältesten Ruheort der Heiligen, nemlich
über die zehn Minuten vom Flecken entfernte, am Zurzacher
Rheinufer gelegene Aufburg. Dieser unser Schluss wird
unterstützt von dem Passionale der Würzburger Cartusia,
das bis ins 10. Jahrhundert zurückreicht und 1583 gedruckt
worden ist; in diesem heisst es: "In der Nähe von Zurzach
lag noch ein anderer Ort am Ufer des Rheines mit vielen
Aussätzigen und Armen." Die vorhin genannte
Weihegasse
eben ist es, die von Zurzach nach diesem Orte
führt, da hinaus trägt Verena den Aussätzigen
Speise und Trank, dorten erbaut sie ihre Zelle und beschliesst
ihr Leben. Aufburg und Kirchlibuck heisst hier eine nördlich
vom Flecken am hohen Rheinufer liegende Häusergruppe, lauter
Ruinentrümmer der Vorburg und des Brückenkopfes der
römischen Rheinfeste Tenedo. Die Constructionen dieses
Kastells hat Ferd. Keller in den Zürch. Antiquar. Mittheill.
12, 305 beschrieben. Nebenan am Rheinufer stehen noch
fünfzehn Eichenpfähle von der römischen
Jochbrücke, etliche davon sind beim günstigen
Wasserstand des Jahres 1857 gehoben worden, nicht ohne grosse
Mühe, denn sie staken mit ihren eisernen Stiefeln in einem
Gusslager von Kalkmörtel. Innerhalb des römischen
Kastellgrabens liegt der Hügel Kirchlibuck mit seiner
kleinen Mauritiuskapelle, bis heute ein Eigenthum der
Verena-Bruderschaft, zugleich ein Belustigungsort der Jugend, wo
stabil das österliche Eierpicken abgehalten wird. Hieher
zieht am Osterdienstage die Prozession der Stiftsherren und der
religiösen Sodalitäten; derjenige Priester, der dabei
die Predigt zum Ruhme Verenas abzuhalten hat, trägt zugleich
der Heiligen rechte Hand in einer Silberkapsel und stimmt die
Auferstehungshymne an, und wie einst es Herzog Burchards Vision
voraus erblickte,
so zieht dann die Prozession psalmensingend mit
dem Heilthum wieder in die Stiftskirche zurück.
Die urkundlichen Nachrichten über specielle, in Zurzach
kirchlich verwahrte Reliquien Verenas beginnen erst mit dem J.
1347 und knüpfen sich hier an den Namen der Königin
Agnes, Alberts Tochter und Wittwe des Ungarnkönigs Andreas.
Am 2. Sept. jenes Jahres erst wird die bis dahin seit 1294 in
ihren Brandtrümmern gelegne Stiftskirche in Gegenwart der
Königin neu geweiht. Als damals bereits vorhanden gewesne
Reliquien werden genannt Verenae Leib und Haupt nebst solchen der
11,000 Jungfrauen; die Fürstin fügt Peters- und
Georgsreliquien hinzu, selbst aber verehrt und schenkt sie
nachmals dem Stifte Königsfelden 1357: ein geschlagen
silberin hovpt mit sant Verenen heiltum. Argovia 5, S. 98 und
133. Bei dem höchst ungeregelten Haushalte des Stiftes wurde
es zu Zurzach Sitte, Verenas "Reliquiensärglein" in
Nothfällen aus der Kirche zu nehmen und in Privathäuser
zu tragen, und der Konstanzer Bischof Heinrich III. muss diesen
Missbrauch durch ein besondres Reskript verbieten. Nach einem
abermaligen Stiftsbrande 1471 und abermaliger Einweihung wird ein
Verzeichniss der Reliquien aufgenommen, welches nunmehr in Hubers
Gesch. des Stift. Zurzach, 1869, S. 45 wörtlich mitgetheilt
steht; es ergiebt für unsere Zwecke: In der runden
vergoldeten Monstranz sind damals Partikeln Verenae enthalten; in
der grossen kupfervergoldeten Monstranz ein Zahn Verenae; in der
kleinen silbernen Monstranz gleichfalls Partikeln, im kleinen
Sarkophag (Reliquienkiste) ein Zahn Verenae; in einem
Eichenkistlein Asche und Gebein derselben; im Sarge des 1465
verstorb. Probstes Lidringer eine Partikel vom Kruge Verenae.
Alle diese Ueberbleibsel wurden zerstreut und vernichtet, als
1529 die Kirchenreform auch in Zurzach durchgesetzt wurde. Den
Hergang schildert Heinr. Küssenberg, seit 1521 Kaplan im
benachbarten Klingnau, wir folgen hier den aus seiner Handschrift
entnommenen Notizen Hubers l.c. 74-132. Stiftskirche,
Pfarrkirche, Moritzkapelle
und Verenagruft wurden ausgeräumt, in
letzterer jedoch die Reliquien, wie es das Mehr der
Gemeinde-Abstimmung beschlossen hatte, unversehrt gelassen. Nach
Eröffnung der Verenagruft fand sich nichts anderes vor als
"eine kleine Truhe, ein Stücklein von Verenas Krug und
Holztrümmer von Verenas Todtenbaum". Ihre übrigen
Reliquien lagen in der Sakristei im sg. Grossen Sarg. Dieser
enthielt ein in einem hölzernen Särglein (Schrein)
eingeschlossenes zweites aus Eisen, in welchem nebst
Rückgratstrümmern vier apfelgrosse Lehmkugeln waren,
zusammengebacken mit Asche und Kohle.
[Nachtrag 2]
Während man Sarg und Inhalt ins Feuer warf, wurden zwei
dieser Kugeln durch einen Knaben aus der Flamme gezogen und
nachher von der Frau Rechburgerin dem Landvogt nach Baden
überbracht. Von den vier Reliquienbehältern blieben
unversehrt ein kleines vergoldetes Särglein, ein grosses und
der Röhrknochen eines Armes; diese drei Stücke wurden
nachmals den Chorherren wieder zugestellt und sind noch heutigen
Tages zu Zurzach, der Röhrknochen wird seitdem für
Verenas Arm gehalten. Vom Haupte der Heiligen fand sich nichts
vor. Zwar wird von katholischer Seite behauptet, der damals
flüchtig gegangene, Apostat Stiftscustos Prugker habe Haupt
und Arm Verenas mit sich nach Luzern genommen, und beides sei dem
Stifte nachmals wieder zugestellt worden; besonders der damalige
Libellist Joh. Salat zu Luzern giebt vor: "1532 kam sant Vrenen
Helltum und anderes, so geflökt worden, wider gen Zurzach."
Allein in eben diesem Jahre beklagen sich die dortigen
Stiftsherren bei der Tagsatzung über die erlittene
Beraubung, deren Schaden an blossem Kirchengeräthe
mindestens 5,152 Gld. betrage, und das mit eingereichte
Verzeichniss der verlornen Gegenstände schliesst mit der
Betheuerung: "das hochwürdig Helthum St. Vrenen mag mit keim
gut bezalt werden,
dess wir beroubt sin worden
." Huber
l.c. 93. Unverwüstet waren allein geblieben: "Eine kupferne
Hand, ist vergült, mit St. Verena strel; an St. Verena Bild
ein beschlagen Gürteli; Silber von St. Verena
köpfli
(d.i. Stauf)". Von dem Haupte der Patronin hatte das Stift
Jahrhunderte lang nur eine kleine Partikel besessen, welche in
der vorhin erwähnten Lateinurkunde von 1347 doppelsinnig
genannt wird: caput, auro et lapidibus pretiose decoratum, also
eben dasselbe Bruchstück, welches der Stiftspropst Joh.
Huber 1869 eine kleine "köstlich eingefasste Partikel"
nennt, l.c. 131. Da erscholl im J. 1657 die Kunde, das ganze
Haupt liege verwahrt im tiroler Damenstifte zu Hall. Auf die
gestellte Anfrage, wie dasselbe dorthin gekommen, antwortete das
Haller Pfarramt, dies könne man bei so vielerlei
Heilthümern in specie nicht eigentlich wissen. Durch
Vermittlung eines Jesuiten wurde es gegen andere Reliquien
ausgetauscht und 1658 feierlich in die Zurzacher Stiftskirche
übertragen, wobei jener Jesuitenpater die Festpredigt hielt.
Huber l.c. 131.
Dies ist die Geschichte von den Verena-Reliquien, von welchen
die Urkunde vom 1. April 1294 (Kopp, Eidgenöss. Bünde
3, 279) zuerst Erwähnung thut und also sich ausdrückt:
ecclesia Sancte Verene in Zvrcach, in qua preciosus thesaurus
corporis et reliquiarum gloriose virginis Sancte Verene
desiderabiliter requiescit. Hier wird sie vorfrüh eine
Heilige genannt, während sie 1290, als ihr der Zürcher
Scholasticus Berthold in der Konstanzer Johanniskirche einen
Altar stiftet, erst nur eine
selige
Jungfrau heisst.
Neugart, Episc. Const. 2, 666. Von noch andern
wunderthätigen Reliquien Verenas, die ausserhalb der Schweiz
kirchlich aufbewahrt sind, wird in den folgenden Abschnitten an
geeigneter Stelle die Rede sein. Ein zu Zurzach verloren
gegangenes ferneres Alterthum ist Verenas Fingerring. Jener
Priester, in dessen Hause sie als Magd dient, hat ihr einen
goldnen gesteinten Fingerring anvertraut. Diesen stiehlt ein
Bösewicht, wirft, da der Priester darnach forscht, aus Angst
das Kleinod in den Rhein und zeiht die Magd der Untreue. Da
überbringen zwei Fischer einen Salmen, in dessen Magen sich
der Ring wieder findet. Diese vielen Völkern ohnedies
gemeinsame Sage erinnert hier
jeden Leser an Polykrates von Samos, dessen
vorsätzlich ins Meer geschleuderter Ring gleichfalls im
Bauche des Tafelfisches wieder zum Vorschein kommt. Allein in der
samischen Sage wird er wettweise weggeworfen, um dadurch zu
erweisen, wie das damit leichtsinnig verschleuderte Glück
nur um so gehäufter zum Glückskinde zurückkehren
müsse. Ein tieferer Sinn dagegen wohnt in der Verenasage.
Die arme Dienstmagd ist durch einen misstrauischen Priester und
durch die Tücke eines Schalks in ihrem guten Rufe
beeinträchtigt; waffenlos steht das Aschenbrödel dem
sie vernichtenden Gerüchte ausgesetzt. Damit trifft man eben
auf den Lieblingszug der deutschen Sage: die Unschuld wird eine
Zeit lang dem äussern Elende preisgegeben, um dadurch
schliesslich in ein um so höheres Licht empor gerückt
zu werden; schweigende Frauendemuth erweist sich am Ende
stärker als die arglistigste Bosheit.
Durch das bisher Vorgetragene ist nachfolgendes Ergebniss
gewonnen. Die Alemannin Verena ist durch die romanische
Kirchenlegende dem Heiligenkreis der fremdländischen
Thebäer zugesellt worden. Ueber ihrem ersten Grabe erbaute
man dem hl. Moritz und seinen Legionären die Kapelle zur
Aufburg, über ihrer späteren Gruft die der Maria
geweihte Stiftskirche mit den Altären der Thebäer. Ihre
Reliquien sogar werden mit denjenigen der 11,000 Jungfrauen
verschwistert, nur vereinbart mit deren Reihe aufbewahrt und
aufgezählt. Deutlich verräth sich dadurch die
Bemühung, Verenas Namen und Kult zu einem kirchlich
gerechtfertigten zu stempeln, indem man sie mit dem
männlichen und dem weiblichen Aufgebote hier der 6666
Thebäer und dorten mit dem des Frauenheeres der hl. Ursula
verschmolz. Jedoch die nationale Mythe ist zäher als dieser
legendenbildende Mechanismus der Kirche. Stückweise streift
Verena den ihr geliehenen Fremdschmuck wieder ab, in dem sie
umgebenden Heiligengewimmel bleibt sie isolirt, wie sie es
ursprünglich gewesen, eine in der Wildheit ihrer Waldquellen
und Gebirgsströme einsam fortwaltende
Naturgöttin. Als solche macht
sie sich in den nachfolgenden Abschnitten geltend.
Das hier beginnende mittelhochdeutsche Gedicht Von sand Verene
ist enthalten in no. 2677 der Wiener Handschriften. Dorten hatte
Hoffmann v. F. es eingesehen und mit den beiden Anfangsversen
citirt in seinem Berichte über die Wien. Hdss. no. 35. 42.
Das Gedicht ist seither weder im Auszug noch sonst wie bekannt
gemacht. Auf meinen Wunsch liess es Prof. Franz Pfeiffer in Wien
(† 29. Mai 1868) für vorliegende Arbeit diplomatisch
getreu copieren.
[106b]
Von sand verene (roth)
Verena diu edel meit,
als, uns daȥ puch von ir ſeit.
Die was —— ——
und eȥ quam alſo,
[106c]
Do der cheiser maximian
furt mauricium mit im dan
Her gen deutschen landen,
ſi begunde nach im belangen
So ſer, daȥ ſi im fůr nach,
wanne vil gerne ſi in ſach.
Verena was ein christenin,
und do ſi quam ze meilan in,
Die geuangen christen
die heimpt ſi an den vristen
Vnd bechlagt mit in ir not,
dar zue ſi in helfe pot
Mit trinchen und mit eȥȥen.
uerena, die vermeȥȥen,
Si lie durch nieman daȥ
durch vorhte noch durch haȥ,
Swa die christen warn erſlagen
und auch da ſi warn begraben,
Die ſtaete sůcht ſi alle tage
mit weinen vnd mit chlage.
Mit reinem leben was ſi ſus
pei einem, der hieȥ, maximus.
Nu wart ir ſchir alda geseit,
daȥ mauricij ſchar preit
Durch got wer erſlagen,
daȥ begunde die vrowe chlagen
Vnd wolde nicht leng
r
da bestan,
ſi fůr ub
r
die alben dan
Vnd ze einem waȥȥer ſi quam,
daȥ ist genant aram.
Alda vant ſi einen man,
der gevlohen was chomen dan
Der ſagt ir die rechten maere,
wie eȥ mauricio ergangen waer.
Davon wolt ſi nicht furbaȥ,
in einer chlauſe ſi da ſaȥ
Mit chlage und mit leide.
da warn inne reine meide,
Der leben was alſo gestalt,
ſi waer iunc oder alt,
Daȥ ſi anders lebte nicht
wan chraut, arbaiȥ und anders nicht,
[106d]
Des lebte ſi daȥ gantz iar;
daȥ quam auch von ier werch dar
Vnd des tages ein lutzel brot,
daȥ man igleicher pot.
Nu was dapei ein getwerch,
daȥ verchauft den meiden ir werch
Vnd chauft in da mit ettewaȥ,
daȥ die ſamenunge gaȥ
Anders lebten die vrowen nicht,
gab man in aber immer icht,
Des enpiȥȥen ſi nimmer
und gabens durch got immer.
Sus was geſtalt ir reines leben.
got hat verene den geist gegeben,
Daȥ man vber al daȥ lant
ir leben vil rein erchant,
Daȥ man ſei het fur heilic gar,
daȥ auch ſi was furwar.
Wan got durch ſei tet wunder
mit zeihen besunder.
Auȥſetzig behaft macht ſi slecht,
plint, chrump macht ſi gerecht.
Solcher dinge tet ſi vil
mit got auff daȥ zil,
Daȥ man sei d
r
meide muet
r
nant
weiten uber al daȥ lant.
Nu was in der gegent da
ein richter ſam anderswa,
Der het got gar verchorn.
dem was der meide leben zorn,
Vnd daȥ man ier ſo wol ſprach;
mit zorn er daȥ an ier rach,
Wan er die vrowen vie,
dehein gut er ier nie geschehen lie.
Doch quam zaller zeit zu ir
ein liechter iungelinch fir
[3]
,
Der pot ier guten trost,
ſi wurde ſchir da von erlost.
Doch vragt ſi in, wer er wer?
do ſprach er offenwaer,
Er waer ir mag mauricius,
und mit der rede alſus
[107a]
Quamen zu mauricio hin in
alle die gesellen ſin
Und grueȥten die vrowen ſchone,
damit ſchieden ſi davon.
Nu wart derſelbe richter
vberladen mit ſichtum ſwer,
Der gedacht rechte wider,
er lief hin und viel nider
Chlagunde für die reinen meit
und ſeinen ſichtvm er ir chleit.
Doch pat ſi got umb in,
der richter gie geſunt hin
Vnd mit groȥȥer gedult
bat im vergeben ſein ſchulde.
Daȥ was yſa getan,
die magt wart do leidich lan
Vnd gie zu iern ſwestern wider,
da ſi got diente ſider.
Nu quamen die swest
r
auch in not,
daȥ ſi ninder heten prot
Vnd groȥȥen hunger liten
doch mit dultichleichen ſiten.
Ier werches acht man nicht ein har,
wan eȥ was ein hunger iar.
Do verena die not erſach,
zu got von himel ſi do ſprach:
Wan du deiner geſchefte gist
ier leibnar zu rechter frist,
Jesu christ, du waiſt wol,
weȥ dein gesinde leben ſchol.
Do ſi daȥ vollen geſprach,
vor der chlause man ligen ſach
Viertzig ſekche mit mele vol.
er gedacht ir not da wol,
Wan daȥ prot wuchs in ier munde,
daȥ ſi lange vñ manic ſtunde
Heten da von ier leipnar,
des lobt got die rein ſchar.
Nu was verena, die genende,
chumen an ier lebens ende,
Vnd do ſi nu ſiech wart,
ier andacht ſich nie verchart.
[107b]
Da ſi vercheren ſcholt daȥ leben
und den geist widergeben,
Do quam unser vrowe dar
mit der hymelischen ſchar;
Vnd do verena ſei erſach,
zu gotes mueter ſi do ſprach:
Waȥ gernde han ich,
daȥ gotes mueter siechet mich?
Do sprach unser vrowe zu ier:
verena, volge mir,
Da hin, da du immer mer
vreude hast ane ſer.
Mit der rede ſi verſchied,
got ir ſele da beriet
Der ewigen gnaden.
die vrowe wart begraben
In der chlause alda,
die noch haiȥȥet z
r
zyaca,
[4]
[Nachtrag 3]
Da got wol ſcheinen lie,
daȥ er ſei minte hie.
Wand nieman wirt entwert,
der rechter dinge an ſei gert.
Nu derhoret got dehein pet ſo gern,
ſo daȥ wir ſeiner hulden gern,
Dem gibt er, der die ſůhet,
vil gern, ſwer ir geruhet
Mit hertzen und mit andacht.
daȥ wir ze hulden in werden pracht,
Des helf uns maria
und ir dirne uerena. amen.
FUSSNOTEN:
Zweiter Abschnitt.
Verena, die Müllerpatronin.
Ihre Attribute: der schwimmende Mühlstein; ihre
örtlichen Kleinkindersteine; die Müllerpatronin als
Ehegöttin, der in Stein verwandelte Brodkipf und die
unerschöpflichen Mehlsäcke. Wirthschaftsregeln am
Verenentage.
Alljährlich am Verenatage lassen die Müller im
aargauer Surbthale die Mühlsteine schärfen und die
Mühlbäche putzen. Denn Verena, deren Wahrzeichen: Kamm
und Krüglein, an allen Mühlen und Banngemarkungen des
Surbthales eingehauen sind, hat einst ihre dreimalige
Wohnstätte an den Strömen zu Koblenz und Zurzach
aufgeschlagen gehabt und gilt hier als die den Gang aller
Wassergewerke beeinflussende Patronin der Müller, Schiffer
und Fischer. Hiefür sei ein Einzelzug vorangestellt aus der
ältesten Aufzeichnung der Verenalegende vom J. 1005 in Pertz
Mon. 6, 457. Unter den Gütern, die ein Mann zu seinem
Seelenheile dem Zurzacher Stifte abzutreten gelobt hatte, befand
sich eine besonders werthvolle Mühle. Als nun den Mann
hinterher die gemachte Vergabung wieder reuete, suchte er
wenigstens noch etwas an ihr zu schmälern und änderte
den Lauf des Mühlebaches, indem er ihn auf seine
Landstücke zog. Allein ohne fremdes Zuthun und ohne dass es
vorher einen Tropfen geregnet hatte, schwoll der Bach
plötzlich mit Macht an, riss dem Manne das Wohnhaus weg und
trat dann wieder in sein ursprüngliches Bette zurück.
Nun kam
Jener
eilends zum Altar der Heiligen und gab ihr alles treulich auf,
was er ihr so unklug hatte entfremden wollen.—Ebenso
bändigt sie den Gläubigen zu lieb die verheerenden
Ströme. Beim Anschwellen der Gebirgswasser stieg einst zur
Zeit der Ernte der Rhein um Zurzach zu solcher Höhe, dass er
alle Kornfluren überschwemmte. Man suchte Abhilfe durch
Gebet und Feldprozession, allein da durfte Niemand wagen, mit
Kreuz und Fahne den Fluthen zu nahen, die über die ganze
Feldbreite hinstürzten. Doch in dem Augenblicke, als man zur
Prozession auszog, trat der Rhein in sein altes Bette
zurück, und schon in der Mittagssonne standen die Aehren
wieder schön aufgerichtet und wohlbehalten da, die am Morgen
bereits entwurzelt schienen. Als eine Schnittermagd, vom
Garbenbinden jenseits des Rheines heimkehrend, auf der Ueberfahrt
mit dem Weidling umschlug, hielt Verena mit der einen Hand ihr
den Mund zu und führte sie mit der andern wie durch ein
Gewölbe unter den Wellen weg ans Zurzacher Ufer.
Während die Heilige noch bei Solothurn in jenem Felsenthale
wohnte, das nun in den reizenden Park der Verena-Einsiedelei
umgewandelt ist, war sie zweifacher Verfolgung ausgesetzt: in der
Stadt durch den hier gebietenden heidnischen Präfekten
Hirtacus
[6]
und in ihrer Klause durch den
Teufel. Dieser schleuderte einen Felsen gegen ihre Wohnung, jenen
ungeheuern erratischen Block, der dorten oberhalb dem Dache der
Zelle zu sehen ist und die Krallen des Bösen
eingedrückt trägt. Eine friedlichere Wohnstatt
aufsuchend, nahm sie einen Mühlstein, der an der Solothurner
Aare zur Verladung lag, fuhr auf diesem den Fluss hinab durchs
Aargau, und landete auf einer Insel beim Fischerdorfe Koblenz, in
dessen Nähe die Aare in den Rhein mündet. In der Gegend
wütheten eben Seuchen, von den Ausdünstungen eines
Leichenackers
herrührend, den der Strom unterwühlt hatte; aber die
Krankheit hörte auf, indem Verena Heilquellen aus dem Boden
bohrte. Das benachbarte Stift Zurzach vernahm ihre Ankunft und
beeilte sich, eine so wohlthätige Frau zu sich heim zu
führen.
[5]
Auch ihren Mühlstein
wollte man nicht zurücklassen. Man lud ihn auf einen Wagen
und hatte ihn bis zum Koblenzer Wegkreuz gebracht. Hier aber
blieb aller Vorspann erfolglos, man war nicht im Stande Wagen
oder Stein weiter zu schaffen; doch zurück nach Koblenz
zogen ihn die Rosse mühelos, wo er nun neben der Thüre
der Kapelle in der Einsenkung der Mauer hinter einer Vergitterung
aufgestellt ist, geschmückt mit dem Schnitzbilde der
Heiligen. Man misst ihm übernatürliche Kraft bei. Auch
ist das Gewölbe, das ihn verwahrt, ganz allein unversehrt
geblieben, als 1795 eine Feuersbrunst Dorf und Kapelle
einäscherte; es hängt voll wächserner Füsse
und Aermchen, welche die Leute opfern, wenn einem ihrer Kinder
ein Schaden heilen soll. Seither ist die Kapelle erneut und
erweitert worden und dabei die Inschrift verschwunden, die sonst
über dem Steine zu lesen stand:
Auf diesem Stein hier aus der Aaren
Die heilig Verena ist gefahren
Ohne Ruder, Schiff und Schalten,
Wie solches geglaubt die frommen Alten.
Die Koblenzer sind seitdem bewährte Fischer und Fergen,
die auf den Rath der Heiligen die Stüdlerzunft
gründeten; erst vor einigen Jahren ist sie bei Aufhebung
sämmtlicher Zünfte mit eingegangen. Dieser
Genossenschaft der Laufenknechte stand ein von allen
Landvögten verbrieftes Fährrecht mit der Obliegenheit
zu, sämmtliche den Rhein zwischen Zurzach und Basel
befahrende Schiffe und Güter durch
die dortigen Strudel (genannt
Laufen) zu führen. Am Gewölbe der Zurzacher
Stiftskirche hängt daher ein kunstreich geschmiedetes
Votivschifflein. Eine aus Tatian von Grimm Gramm. 3, 437
angeführte ahd. Glosse lautet:
verenna
cymba; was
sonst ahd. verſcif heisst, nhd. Fähre. Graff,
Sprachschatz 3, 587 citiert aus Tatian:
mit ferennu
quamun
, navigio venerunt.
Allein Verena, die Müllerpatronin, übt zugleich auch
das Geschäft der Liebesgöttin; somit ist vorerst das
Einheitliche im Wesen dieses Doppelgeschäftes hier
nachzuweisen, um damit einen besondern Theil des heidnischen
Cultus zu entblössen, der im Verenacultus nachklingt. Die
Ackerbau-Terminologie wird von jeher auf die geschlechtlichen
Beziehungen übertragen, die ehliche Verbindung auf die
Erdbefruchtung, auf die Demeter. Des Mannes That heisst
griechisch ackern, besäen, besamen; das weibliche Saatfeld
heisst sabinisch sporium, der ihm Entsprossene spurius, der
Ausgesäete (Bachofen, Gräbersymbolik 204). So hat auch
Mahlen und Mühle in den Sprachen erotische Bedeutung. Bei
Theokrit (4, 58) ist
μυλλος cunus; Festkuchen
dieses Namens, aus Sesam und Honig gebacken, wurden bei den
grossen Thesmophorien den Göttinnen zu Ehren in Syrakus
umhergetragen. Athenäus XIV, 647 A. Den Sinn des griech.
μυλλω (coire) und des Wortspiels
bei Petronius: molere mulierem, drückt unsre eigne Sprache
in gleicher Weise aus. In Simrocks Volksliedern no. 285 erwiedert
die Müllerin ihrem um Einlass anpochenden Gemahl:
Ich steh fürwahr nicht aufe,
Ich lass dich nicht herein;
Ich hab die Nacht gemalen
Mit sechs jungen Knaben.
Davon bin ich so müd.
Der durch die Buhlin der Kraft beraubte Samson muss den
Mahlstein drehen: Richter 16, 21. Daher ist die Mühle in
unsern ältesten Sagen der Ort der Liebesabenteuer. Der
Landpfleger Pilatus ist nach dem gleichnamigen ahd. Gedichte
vom rheinischen
König ausserehelich mit der Pyla erzeugt, des Müllers
Atus Tochter. Ausserehlich ist Karl der Grosse erzeugt und
geboren auf der Reismühle am bair. Würmsee. Aretin,
Bair. Sag. 1803. Schöppner, Sagenb. no. 22. König
Heinrich III. erbaute Kloster Hirschau in der Nähe jener
Mühle, darin er war geboren worden; sie steht noch und gilt
für eines der ältesten Gebäude in Hirschau. Vgl.
Schönhuth, Burgen Würtembergs 1, 88. Meier,
Schwäb. Sag. S. 336. Ebenso steht heute noch im
würtemberger Schussenthale die Grieslemühle, in der die
eilf ausgesetzten Welfenkinder, die Ahnherren der Hohenzollern,
erzogen worden. Birlinger, Schwäb. Sag. no. 340. Aventins
Chronik berichtet, wie Herzog Ott von Baiern die Brandenburger
Mark dem Kaiser verkauft und die Kaufsumme daheim mit der
hübschen Müllerin auf der Gretelmühle lustig
verzehrt. Grimm DS. no. 496. Vom Ehebruch der stolzen Frau
Müllerin erzählt alles Volkslied bis auf Göthes
"Der Müllerin Verrath". Vom Jahre 1322 bis 1802 galt zu
Augsburg der Name Hahnreimühle für eine der
städtischen Mühlen. Im Mühlgraben liegt jener
grosse Stein, hinter dem die Amme die Kinder herausholt. Wolf,
Ztschr. f. Myth. 3, 31. Als alles Riesengeschlecht im Blute des
erschlagnen Ymir ertrinken musste, rettete sich der einzige
Bergelmir sammt seiner Frau in einem Mühlkasten. Myth. 426.
Aber Mahlstein und Saatkorn gestalten sich dem fortschreitenden
Begriffe zum heiligen Religions- und Rechtssymbol. Darum
führen selbst die alles verleihenden Lichtgötter Apollo
und Zeus den Beinamen
μυλευς, bei den
eleusinischen Göttinnen wird ehliche Treue beschworen, der
Ceres legifera opfert die bräutliche Dido, der römische
Cerestempel diente als Gesetzesarchiv. Auf einem Mehlfasse hat
die wendische Braut zu sitzen, während sie von ihren
Freundinnen zur Hochzeit geschmückt wird. Haupt, Lausitzer
Sagenb. 1, 183. In diesem Sinne ist das Volkslied (bei Uhland 1,
S. 76) von der Mühle zu verstehen, welche reines Gold und
treue Liebe mahlt:
Dort niden in jenem Holze
Leit sich ein Mülen stolz,
Sie malet uns alle Morgen
Das Silber, das rothe Gold.
Dort hoch auf jenem Berge
Da geht ein Mülenrad,
Das malet nichts denn Liebe
Die Nacht bis an den Tag.
Damit hört denn auch jene schreiende Unsinnlichkeit der
Legende auf, dass die Heiligen ihre Wasserreisen auf einem
Mühlsteine machen, wie Verena auf der Aare und der
Wüstenheilige Antonius auf der Wolga. Auch die Stadtpatronin
Zürichs, zugleich die angebliche Gefährtin der
Thebäer, die hl. Regula, muss die gleiche Wunderfahrt
gemacht haben, denn ihr Mühlstein lag einst am Seeufer bei
Herrliberg, da wo es urkundlich
Im steinin Rad
heisst.
Reithard, Sag. a.d. Schweiz.—St. Jakob von Compostella
macht seine Meerfahrt in einem steinernen Troge und landet damit
zu Ira in Galizien; der hl. Quirinus, genannt Boicus, wird mit
einem Mühlstein am Halse in die Günz gestürzt und
schwimmt damit in diesem reissenden Gewässer. Rader, Bavaria
Sancta 1, 23. Die hl. Laurentia, mit einem Stein am Halse ins
Meer versenkt, gieng auf dem Wasser einher, als wäre es
festes Feld. Sie wird alljährlich am 1. Okt. in der
Hauptkirche zu Ancona gefeiert, wo ihre Gebeine ruhen. Jac.
Schmid, Kleine Ehehaltenlegend 1, 86. Der Mühlstein der hl.
Brigida ist neben ihrer Kirche zu Kyldare in Schottland an der
innern Klosterpforte aufgestellt und wird bei
Krankheitsfällen als wunderthätiger Heilstein
berührt. Canisius, Thesaur. Eccles. I, 414. seq. Die
Flüsse und Seen sind die Adern, durch welche die
älteste Kultur in die Länder floss, und die Mühle
mit ihren Werkzeugen giebt die Bilder und Symbole her, unter
denen die Sprache diesen Vorgang bezeichnet. Bei dichtfallendem
Schnee sagt der Schwabe: das kommt durch den groben Beutel; der
Franke: Müller und Becken schlagen sich mit Säcken; der
Aargauer: sie putzed (die Himmlischen fegen
das Korn), sie ritered (sieben es),
der Staub flügt (wie beim Worfeln des Ausdrusches), sie
schüttid: schütten die Frucht auf, die in dichtem
Strome aus der Worfelmühle schiesst. Nach Kärntner
Volksrede entsteht der Donner dadurch, dass unser Herrgott
Getreide in den Kasten schüttet. Wolf, Ztschr. f. Myth. 3,
30. Im Liede von der Himmelsmühle (Uhland, no. 344)
knüpft Matthäus die Kornsäcke auf, Lukas
lässt reiben, Marcus schroten u.s.w. Damit steht denn auch
zusammen, dass die Mühle im alten Rechte als Freistätte
gilt und ein in diesem befriedeten Ort begangner Frevel mit dem
Tode bestraft wird. Der Schwabenspiegel bestimmt: diu müle
hat ouch beȥȥer reht danne ander hiuser. swer in der
müle stilet korn oder mel vier phenninge wert, dem sol man
hût unde har abslahen. ist eȥ vier schillinge wert,
man sol in henken. Und eben daher stand auch dem Mühlstein
eine besondere Rechtsanwendung zu, auf welche Grimm RA. 935
verwiesen hat. Es findet sich nemlich in einem alten Liede
folgende Prüfung erwähnt über Beschaffenheit und
Abkunft eines noch ungebornen Kindes: Die Schwangere steht am
Ufer des Rheins, ein Mühlstein wird gerollt; fällt er
rechts, so trägt sie einen Knaben, links, ein Mädchen;
geht er aber zu Grund, so ists ein Metzenkind.—Der
jungfräulichen Verena Mühlstein aber ist ein
schwimmender
; unter ihrer Obhut steht alle rechtlich
erworbene Frucht: die auf dem Felde, in der Mühle und im
Mutterschosse. Bereits sind in der histor. Zeitschrift Argovia 3,
15 die mehrfachen örtlichen Felsen und erratischen
Blöcke des Aargaus aufgezählt, welche den Namen
Kleinkindersteine und eine dem gemässe Ortstradition an sich
tragen. Hier kommen nur die auf Verena bezüglichen in
Betracht. Jener vorhin erwähnte Felsblock in der Solothurner
Verena-Einsiedelei trägt ein über Faustgrösse
ausgerundetes Loch, das man für die Spuren der Hacke der
Ammenfrau ausgiebt, die hier den Bedarf an Kindern für die
Stadt heraushackt. Wolf, Ztschr. f. Myth. 4, 1. Dasselbe gilt
gleichfalls in dem eben genannten Dorfe Koblenz
vom Kalchofen,
einem ofenförmig gewölbten, isolirten Kalkfelsen am
dortigen linken Rheinufer. Derselbe Glaube herscht im
Schwabenlande, weil bis dahin der Verenacultus kirchlich gereicht
hatte. Eine Felshöhle beim Bergschlosse Teck auf der
würtemberger Alb heisst Frena-Bubelinsloch und besitzt eine
Sage über zwei hier im Fels erzeugte und gross gewordne
Knaben. Antiquarius des Neckarstroms 1740, 46.
Ein fernerer auf die Korn- und Mühlengöttin
hindeutender Zug ist enthalten in dem Schicksale des
Schwesternhauses, das die Heilige zu Solothurn gegründet
hatte. Es brach ein Hungerjahr ein, die Schwestern konnten ihre
Handarbeiten nicht mehr verkaufen und litten bittern Mangel. Da
geschah es, dass eines Morgens eine Reihe Säckchen Mehl von
unbekannter Hand vor die Thüre gestellt wurden und die aus
diesem Mehl gebacknen Brode wuchsen den Essenden unter dem Kauen.
Im alten Constanzer Breviar, das Erhard Ratdolt 1509 druckte,
heisst es darüber:
Dum panis victus solitus
exhaustus fuit plenius,
farris pastus positus
est ad fores celitus.
Aber schon Notkers Legende (bei Canisius II, 3 Th. 170) giebt
wundersüchtig die bestimmte Zahl dieser Säcke an
quadraginta sacci, und Christoph Greuter zu Augsburg hat sie
sogar in Kupfer gestochen; ein Nachstich steht in Richters
Schrift, Sigprangender Triumphwagen Verenae. Augsb. 1736, 42. Der
Notkerischen Fassung scheint unser mhd. Gedicht (107a)
nacherzählt zu sein:
vor der clause man ligen sach
viertzig ſekche mit mele vol.
er gedacht ir not da wol,
wan daȥ prot wuchs in ier munde.
Dasselbe Wunder und, unter dem gleichen Namen unsrer Verena
wird durch Kuhns Nordd. Sag. no. 70 aus dem Bezirke von
Halberstadt gemeldet. Wenn da der Bauer zwischen Weihnachten und
Dreikönig, zur Zeit der Zwölften,
sein Mehl von der Boitzenburger
Mühle heimfährt, so begegnet ihm Frû Freen und
verlangt, dass er die Säcke öffne und ihren Hunden
ausschütte. Thut er dies folgsam, so findet er die
Säcke wohlgefüllt des andern Tages an derselben
Wegstelle wieder. Hier ist Freens Name zusammengefallen in den
der Heidengöttin Frêa (wie Paulus Diaconus Wodans
Gemahlin nennt), welche zur Zeit der Zwölften sich an die
Spitze der Wilden Jagd stellt und unter dem Namen der alten Frick
(ein Diminutiv des Namens Freyja) mit ihren zwölf Jagdhunden
das Land durchstürmt. Der Name Frêne wird von Kuhn
l.c. S. 414 und 415 ausdrücklich als um Halberstadt
bestehend bestätigt, und der vierte Abschnitt unsres
vorliegenden Berichtes wird diese auffallende
Namensverwandtschaft zwischen Wodans Gemahlin und der
aargauischen Gauheiligen erläutern.
Verena ist zugleich eine der vielen Heiligen, welche
abgebildet werden, Brod und Wein überbringend. Bereits hat
der spottlustige Nachbarscherz sich dieses Zuges der
Verenalegende zu seinen örtlichen Schwänken bedient. Er
erzählt, wie einst das kleine Städtchen Klingnau an der
Aare von einer Feuersbrunst so ganz zerstört worden, dass
auch sämmtliche Kirchenglocken mitverbrannten und man sich
mit einer irdenen behelfen musste, deren Schall denn nicht weit
reichte. Mit dieser musste man läuten, als die hl. Verena
auf ihrer Reise nach Zurzach hier den Strom herab gefahren kam.
Kling au! rief man ärgerlich zur stummen Glocke empor, in
der Hoffnung, die Heilige werde dem Tone folgen und hier ihr
Absteigequartier nehmen. Allein diese wusste voraus, wie hier das
tägliche Brod schmeckt, und fuhr ihres Weges weiter. Seitdem
gilt der Spottreim:
Wenig Brod und sûre Wî:
ach Gott, wer möcht' au z'Klinglau sî!
Die Aargau. Sagen no. 491 berichten ferner, als Dienstmagd
eines Priesters in Zurzach habe sich Verena die tägliche
Nahrung abgebrochen, um die benachbart wohnenden Siechen damit zu
speisen. Darüber der Entwendung verdächtigt,
tritt ihr der
argwöhnische Priester plötzlich in den Weg und
untersucht. Doch der Wein in ihrem Krüglein ist nun in
Lauge, und der mitgenommene Brodkipf in einen Kamm verwandelt,
beides als zur Reinigung der Aussätzigen dienend. Daher
kommt es, dass die Bildsäulen Verenas bald Waschkanne und
Kamm, bald Weinkrug und Brodkipf in der Hand haben. Das
Krüglein der Heiligen ist, wie die älteste Aufzeichnung
berichtet, ursprünglich steinern gewesen und hatte die Form
einer antiken Urne; seine Bestimmung musste damit nicht
nothwendig die des Wein- oder Waschnapfes sein, da auch das
Trockengemässe vor Alters steinern war. Das Zürcher
Frauenmünsterstift berief sich 10. Christm. 1282 auf einen
in seinem Kloster aufbewahrten Stein, in welchem der
Klostergründer König Ludwig das Mass eines
Kornviertels
hatte aushauen lassen. Geschichtsfreund 8,
19.
Hier ist Gelegenheit, eine Legenden-Parallele an der
gleichfalls unbeachteten Gestalt einer andern deutschen
Gauheiligen aufzuzeigen. Es ist dies die Kraichgauer und Tiroler
Heilige Notburga, von deren Cultus Schnezler, Bad. Sagb. 2, 587,
und Zingerle, Tirol. Sitt. no, 964 berichten. Auch sie
zähmte wilde Ströme, lehrte Acker- und Weinbau, pflegte
und speiste die Armen, verstand sich auf die Heilkunde, hat ihre
mehrfachen Grabkirchen und Taufbrunnen und lebt, wie die hl.
Verena, mehr in der stillen Volksverehrung als im theologischen
Gedächtnisse fort. Als Viehmagd diente sie im Tiroler
Schlosse Rothenburg im untern Innthal und hatte die Schweine zu
füttern. Für jeden Armen sparte sie sich eine
Schürze voll Brod und einen Becher Weins auf; wenn aber ein
geiziger Späher sie darüber anhielt, verwandelte sich
die Gabe in Hobelscheiten und in Sautränke. Als sie auf dem
Bauernhofe Eben im Unterinnthal diente, kam dort mit ihr der alte
Segen in den gesunknen Hausstand zurück; wollte man sie
jedoch über die Feierabendzeit im Felde fortarbeiten lassen,
so machte sie das Gesinderecht geltend, hob die Sichel in die
Höhe,
liess sie aus und diese blieb in der Luft hängen. Sie ist
die Patronin der Dienstmägde geworden, wie sie selbst in
ihrem Geburtsdorfe Ameres als Magd gestorben ist. Vor ihren
Leichenwagen spannte man zwei weisse Stiere und liess sie gehen,
wohin sie wollten. Als sie an den brückenlosen Inn kamen,
wich der Fluss zurück und liess Wagen und Leichengefolge
trocknen Fusses hinüberschreiten. Jenseits auf dem
Ebenberge, wo die Stiere anhielten, begrub man die Jungfrau und
errichtete eine Kapelle über dem Grabe, die seit 1434 zur
Wallfahrtskirche vergrössert wurde. Auch ihre ehemalige
Magdkammer im Schlosse Rothenburg ist in eine Kapelle umgebaut
worden. Panzer, BS. 2, no. 62. Als Notburga ins Kraichgau kam,
überschwamm sie auf einem schneeweissen Hirschen den Neckar
und verbarg sich in einer Höhle, die beim würtemberger
Dorfe Hochhausen gezeigt wird. Vom Schlosse Hornberg her
überbrachte ihr der Hirsch täglich das Brod, ans Geweih
gespiesst, und mit seinem Geweih schaufelte er der Sterbenden ihr
Grab. Jetzt noch zeigen die Kraichgauer übers Feld hin den
Weg, welchen das treue Thier einschlug. Ueber die hl. Rategundis
von bair. Wolfratshausen berichtet Jac. Schmid, Leben hl. Hirten
und Bauern (Augsb. 1750) 3, 16, als Dienstmagd auf dem Schlosse
Wellenburg bei Augsburg habe sie Milch und Butter von ihrer
täglichen Kost sich abgespart und den Aussätzigen des
nächsten Siechenhauses zugetragen; als der argwöhnische
Schlossherr sie auf dem Wege dahin betraf und untersuchte,
verwandelte sich Butter und Milch in ihrer Schürze in einen
Strehl und in warme Lauge.
Zum Schlosse folgen einige obrigkeitliche Vorschriften und
landwirthschaftliche Regeln, die sich an den 1. September als den
Verenatag knüpften.
Der Verenatag begann den Herbst und war damit ein allgemeiner
Zins-, Frist- und Verfalltag. Das Schwyzer Landbuch (ed. Kothing,
S. 76) verbietet im J. 1519, "dass man vor sant Frenentag kein
Murmotten (Murmelthier), weder alt noch jung, fachen soll." Mit
diesem Tage geht
noch im Kanton die gebannt gewesene Jagd wieder
auf. In den V Gerichtsbezirken des Altaargaus (Zofingen, Aarau,
Kulm, Lenzburg und Brugg) galt die Berner Gerichtssatzung und mit
ihr also auch derselbe Gerichts-Stillstand, Gerichts-Ferien. Eine
dieser fünf "geschlossnen Zeiten" dauerte acht Tage vor dem
ersten Sonntag vor Verenentag bis acht Tage nach dem auf Verena
nächstfolgenden Sonntag. Die Berner Obrigkeit hat im J. 1595
in Folge der Kirchenreformation vier jährliche
Communionszeiten und darunter die letzte auf den Verenentag
angesetzt. Polizeibuch der Stadt Bern, ad ann. 1655.—Das
"Verzeichnuss der Statt Aarow-Ordnungen und Breuch" von 1688
(Aarau. Stadtarchiv) setzt fol. 86 die obrigkeitlichen
Visitationen der Weinkeller alljährlich auf Verena und
Martini an.
Von den Bauernregeln über die Witterung am 1. September
sind unter unserer Landbevölkerung folgende üblich.
Wenn's Vreneli z'morndes s'Chrüegli ûsleert,
draejet, löset, umg'heiet, brünnelet—und z'Abig
s'Chitteli wider tröchnet, denn isch guet; denn solch ein
richtiger Witterungswechsel ist der Aussaat des Kornes und der
Keimung des Samens besonders günstig. Wenn es an Verena
schön Wetter war, so erzählen die Bauern im Frickthaler
Dorfe Gansingen, so sassen unsre Leute am Tische und assen ruhig
ihr Vesperbrod; wenn es aber regnete, so hiengen sie den Kornsack
an und standen zum Säen hinaus. Wenns a d'Verena regnet,
muess de Bu'rsma s'Brod unter de Arm neh; wenn aber nit, so chan
er's frölich hinter'm Tisch esse. Der Solothurner Bauer
muss, wenn Verena Regen bringt, Tag und Nacht zu Acker fahren und
sein Brodsäcklein, das Zimmis-chörbli, worin der
Abendimbiss ist, mit ans Kummetscheit henken, ans Jochholz am
Kummetkopf. Illustrirte Schweiz 1862, 259.—
Verenatag günnt d'Stiel ab jedem Hag; denn an diesem
Tage, heisst es, ist alles Obst reif und der Fruchtstiel
abgetrocknet; ist es aber ein strenger Regentag, so fault das
Obst hernach auf den Hurden.
A d'Vrenetag got der Chabis uf e Rôt; der Krautskopf
berathet sich, ob er von diesem Tage an noch wachsen wolle; nimmt
er nicht zu, so ist er daheim geblieben und nicht mit in Rath
gegangen. Vrein am Rain trägt s' Abendbrod heim: das
Vesperbrod wird von dieser Zeit an nicht mehr aufs Feld gebracht,
s' Vreneli zündt a, und s' Mareili löscht ab: die
Hausarbeiten bei Licht, die Kiltabende und Liebesnächte
begannen mit 1. Sept.; mit Mariae Verkündigung, 25.
März, giengen sie wieder zu Ende. Heute aber beginnen die
Lichtarbeiten gewöhnlich erst mit 2. Nov. und schliessen mit
dem Josephstag, 19. März.
FUSSNOTEN:
A Solodoro igitur
discedens proficiscitur,
ubi Rhenus labitur,
Zurziacham graditur.
Verena-Hymnus im Constanzer Breviarium von 1509, gedr. bei
Eberhardus Ratdolt.
Diabolus quendam tyrannum sub potestate Romani nominis
inflammavit, sagt die Originallegende; erst später wird
der Name Hirtacus dazu gefügt. Auch das mhd. Gedicht nennt
ihn einfach Richter.
Dritter Abschnitt.
Verena, die Geburtshelferin.
Ihre örtlichen Kleinkinderbrunnen, Taufbrunnen und
Wasserkirchen; die ihr geopferten Mädchen- und
Brautkränze; ihr Geburtsgürtel, Haarkamm und Waschkrug;
ihre örtlichen und kirchlichen Heilquellen.
Gesundheitsregeln am Verenentage. Mythische Nachklänge von
der Gewitterriesin: das Vrenelisgärtli am Glärnisch
u.s.w.
Wir beginnen mit dem Kindersegen, welchen die Heilige
verleiht, und stellen hiefür diejenigen Erzählungen
voran, welche der ältesten zwischen die Jahre 1005 bis 1032
fallenden Aufzeichnung der Verenalegende (bei Pertz 6, 457)
angehören. Diese von G. Waitz nachgewiesene Zeitbestimmung
gilt namentlich auch für diejenigen Thatsachen, über
welche der Verfasser jener Bruchstücke entweder als
Augenzeuge berichtet, oder die er an bekanntere Herschernamen
jener Periode anknüpft.
Der Burgundenherzog Konrad war mit seinem Eheweibe
Machthilde
lange kinderlos geblieben. Sie wallfahrteten endlich nach Zurzach
ins Verenenstift, beteten hier und vertheilten reichliches
Almosen, und in der ersten Nacht nach der Heimkehr empfieng die
Herzogin einen Thronfolger.
Heriman, der zweite Alemannenherzog dieses Namens (997), hatte
Gerbirga geehlichet, des vorhin erwähnten Burgundenherzogs
Konrad Tochter, und obwohl schon mehrere Töchter, doch noch
keinen Sohn bekommen. Sobald aber die Eltern zum Grabe Verenas
wallten, wurden sie auch mit einem solchen beglückt. Dieser
war, wie Casp. Lang beifügt (Histor. theol. Grundriss der
christl. Welt 1692. 1, 477), Herman III., der indess nicht zu
seinen Jahren kam und schon 1012 wieder starb.
Reginlinda, des Alemannenherzogs Burkhard II. Wittwe, lebte in
zweiter Ehe mit dem Herzog Heriman, der jenem Burkhard 826 in der
Regierung nachgefolgt war. Zu gleichem Zwecke, wie die Vorigen,
machten die beiden Neugetrauten einen Kirchgang nach Zurzach und
übernachteten daselbst im Stifte. Hier träumte
Reginlinda von der Empfängniss, die sie sich wünschte,
und gebar darauf die Tochter Ida, die nachmals Liudolf, Kaiser
Ottos I. Sohn, zum Weibe nahm.
Eine adelige Frau im Elsass hatte früherhin in
kinderloser Ehe gelebt, hierauf sich zur hl. Odilia verlobt und
dann drei Töchter bekommen. Durch die hl. Verena hingegen
erhielt sie erst noch Zwillingssöhne, denn diese Heilige
besonders ist es, welche die Eltern mit Mädchen und Knaben
begnadet. So war ein kinderloser Frankengraf öfters von den
Zurzacher Stiftsherren eingeladen worden, er möchte sich zu
ihnen begeben, die Heilige anflehen und ihr einen wenn noch so
geringen Theil seines Reichthums opfern, dafür werde er
seinen Wunsch nach Söhnen erfüllt sehen. Jedoch er
spottete mit seiner Frau dieses Rathes. Was sollen uns diese
Pfaffen helfen? pflegte er zu sagen, sind sie nicht selbst die
Unvermögenden und an Mannesart
die Allerletzten? Darauf wurde sein
Weib vom Blitz erschlagen und er starb hin ohne Leibeserben.
Ein Höriger des Stiftes hatte ein an Abkunft ihm gleiches
Weib geheiratet, allein von dem Erbe, das ihnen beiden mehrfach
zufiel, entrichteten sie dem Stifte nicht nur keinerlei Zins,
sondern sie liessen sich auch in allerlei Schmähungen
über derlei Pflichtigkeiten aus und machten sich sammt ihren
Kindern zuletzt ganz aus der Gegend fort. Dafür starben er
und sein Weib eines jähen Todes, und seine Nachkommenschaft,
die jetzt noch unter uns lebt, leidet durchgängig an
Gliederlähmung.
So viel erzählen die ältesten Aufzeichnungen der
Legende über den durch Verena gespendeten Ehesegen; nicht
besonders mit erwähnt aber ist, dass derselbe herstammt aus
der in dortiger Stiftskirche fliessenden Heilquelle. Man steigt
zu ihr durch die Sakristei auf mehreren Stufen hinab und
schöpft das Wasser mit einem bereit stehenden Zieheimer; es
wird flaschenweise heimgetragen und als Waschmittel gegen Haut-
und Augenübel gebraucht, Kindbetterinnen soll es besonders
dienlich sein; auch das Abgestandene wird noch auf das Krautfeld
gesprengt und vertilgt das Ungeziefer. Von diesem Umstande
scheint nachfolgende Ortssage zu handeln, die man der Mittheilung
des Kandidaten E. Schmid von Zurzach, † zu Heidelberg,
verdankt.
Eine Zurzacher Frau war Wöchnerin und schickte ihren Mann
bei Nacht in das Städtchen Klingnau hinüber, um eine
Ammenfrau herbeizuholen, deren es im damaligen Dorfe Zurzach noch
keine gab. Der Weg dahin geht stundenweit über den sehr
wilden, 700 F. hohen Achenberg. Auf engen Felsentreppen ersteigt
man die letzte Höhe zum Rothen Kreuz, einer einzelnen
Station der hier errichteten Wallfahrt zur Schmerzhaften Mutter
Gottes. Diese Stelle ist jedoch ein gefürchteter Spukort.
Wer seine hierher angelobte Wallfahrt zu thun versäumt hat,
muss nach dem Tode hier umgehen; davon kommen die feurigen
Männer her, die man ein knarrendes Wägelchen über
die Waldwipfel
hinfahren sieht, oder die ledig laufenden Rosse, die sich vom
Begegnenden an das Halstuch binden lassen, dann aber zu einer
Grösse anschwellen, dass weder Tuch noch Hand mehr zu ihnen
emporreicht. Als der ausgeschickte Mann diese ihm sonst
wohlbekannte Höhe erreichte, soll, wie man berichtet,
dichtes Gebüsch ihm den Durchweg versperrt haben, so dass er
verirrte und statt nach Klingnau an die Aare hinab, weitab bis zu
deren Mündung in den Rhein gerieth. Denn am andern Morgen
fanden ihn Schiffer des Dorfes Koblenz oberhalb des dortigen
Laufen, eines Rheinstrudels, todt am Ufer. Diese Erzählung
scheint ein Fingerzeig zu sein, dass man die Geburtshülfe
zunächst bei der Heiligen in Zurzach selbst, und nicht in
dem fremden Aarthale zu Klingnau hätte suchen sollen. Denn
dafür eben fliesst in der Zurzacher Stiftskirche jener
heilkräftige Brunnen. Die hier hinabsteigenden Wallfahrer
dürfen sich einen Krug voll unentgeltlich schöpfen,
dagegen erkaufen sie sich das Oel aus der hier brennenden
Gruftlampe und wenden es daheim gegen Augenübel an;
letzteres ein Brauch aus der frühesten Zeit des
Christenthums, dem schon Gregorius von Nazianz das Wort redet. So
heilte Oel, aus der Kirchenlampe zu. St. Gallen geholt,
gleichfalls kranke Augen. Casp. Lang, Theol. histor. Grundriss
(1692) 1, 513. 1036. Ein gleiches Mirakel ist in der
Gertrudislegende erzählt, A. SS. sec. II, pg. 470: Ein
blindes Eheweib wird von ihrem Gemahl ans Gertrudengrab in der
Nivellerkirche geführt und kommt hier zufällig unter
eine der Kirchenlampen zu stehen, welche trieft und des Weibes
Mantel beschüttet. Die Umstehenden nehmen daraus Anlass, der
Blinden Augen damit zu bestreichen, und diese wird dadurch auf
der Stelle sehend.
Noch einen solchen Brunnen von gleichfalls befruchtender
Wirkung besitzt die Heilige in den Bädern der Stadt Baden.
Dies ist das Verenabad, das von je her ein Freibad gewesen war,
dessen sich Arme und Presthafte unentgeltlich bedienen konnten.
Vormals lag es unter offnem Himmel;
nunmehr hat es Einwandung und
Bedachung; in seinem unmittelbar über der Quelle gebauten
Bassin finden gegen hundert geduldige Menschen zusammen Platz,
die aus allen Kantonen auf Staatskosten hieher geschickt
werden.
Der heisse Sprudel tritt unmittelbar aus dem Boden ins Bassin
durch eine Oeffnung, welche das Verenenloch heisst. Daran steht
eine Steinsäule errichtet mit der holzgeschnitzten bemalten
Figur der Heiligen. Junge Ehefrauen, die sich nach einem Erben
sehnen, verschaffen sich hier des Nachts, wenn das verbrauchte
Wasser abgeflossen ist, durch den Bademeister heimlich Zutritt;
sie senken ein Bein in die Röhre hinab, durch die der
Sprudel emporwallt, lassen es recht durchwärmen und sind der
sicheren Hoffnung, dieses Verfahren helfe zur baldigen
Erfüllung ihrer mütterlichen Wünsche. Das Alter
dieses Frauenbrauches erhellt aus der 1578 zu Basel erschienenen,
von Dr. Heinrich Pantaleon verfassten "Wahrhaftigen und
fleissigen Beschreibung der uralten Statt und Graveschafft Baden,
sampt ihren heilsamen warmen Wildbedern, so in dem Ergöw
gelegen"; hier heisst es auf S. 73: "Es ist aber hie ein
abergleubischer Won vorhanden. Dann es vermeinen hie jren vil,
wann ein unfruchtbare Fraw darinnen bade, vñ ein fůss
in dz loch stosse, da dz wasser herfür quillet, es werde St.
Verena bey Gott erwerben, dz sie fruchtbar werde."—Dass
dieser Wahn vormals ein weit verbreiteter gewesen, lernt man aus
Lynker, Hess. Sag. S. 17 kennen, wo es heisst vom Teich der Frau
Holle: "Frauen, die zu ihr in den Brunnen steigen, macht sie
gesund und fruchtbar, denn eben aus ihm kommen auch die
neugebornen Kinder." Diese mütterliche Göttin Holda
gleicht also vollkommen der von den Albanesen verehrten
Geburtsgöttin Ora, einem Wünschelweibe, vermöge
deren Macht das Kind genau in derjenigen Gestalt geboren wird, in
der es gewünscht worden ist. Hahn, Griechisch-albanes.
Märch. 1, S. 37. Holda hütet die Seelen der Ungebornen
unter dem Spiegel der Brunnen, übergiebt sie als
Fröschlein und Fischlein dem Seelenbringer Storch
für die
gebärenden Mütter, damit sie ins leibliche Dasein
eingehen können, und nimmt die unmündig wieder
Hinsterbenden abermals zu sich in die kristallne Tiefe. Daher
stammt die allverbreitete, überall lokalisirte Sage von den
Kinderbrunnen, wo die Kleinen um die Mutter Gottes spielend
herumsitzen und mit Honig und Erdbeeren aufgenährt werden.
Schon altdeutsche Dichter bedienten sich dieser Vorstellung zum
Preise der geheimnissvollen Geburt Jesu durch die hl. Jungfrau;
so um 1260 der Dominikanermönch Eberhart von Sax, der von
der Mutter Gottes sagt:
du bist der gezeichent brunne,
darin schein diu lebendiu sunne.
Und Nachklänge solcher Gleichnisse leben im Kinderreim
vom Storch fort:
Storch—Storch—Steine,
Mit dem langen Beine,
Mit dem kurzen Knie:
Jungfrau Marie
Hat ein Kind gefunden
In dem goldnen Brunnen.
Wer solls (aus der Taufe) heben?
Der Gothe und die Göthen.
Am Queckbrunnen zu Dresden stand schon 1312 ein Marienbild;
jetzt ziert ihn ein fliegender Storch, der sowohl im Schnabel,
als auch in den Fängen und zudem auf jedem Flügel je
ein Wickelkind trägt. Dieses Wasser macht unfruchtbare
Frauen zu gesegneten Kindsmüttern. Schäfer,
Städtewahrzeichen 1, 120. Zu den in den Aargau. Sagen 1, S.
17 bereits verzeichneten schweiz. Kleinkinderbrunnen lassen sich
nachträglich noch folgende aargauische anführen. In der
Stadt Aarau war es bis zum Jahre 1812 obrigkeitlich festgesetzt
gewesen, den Stadtbach alljährlich am Verenatag abschlagen
zu lassen. Da man der Annahme zufolge aus seinen Brunnenstuben
den Säuglingsvorrath holte, so steht dieser Kleinkinderbach
noch immer in besonderer Geltung. Sobald man nun den abgestellten
Bach eines Abends wieder anlaufen lässt, zieht ihm die
gesammte Stadtjugend unter
Fackelschein mit laubumflochtnen Stäben
entgegen und ruft zum Takte der wirbelnden Knabentrommeln:
Der Bach chunnt, der Bach chunnt:
Sind mini Buebe-n-alli gsund?
Jo jo jo!
Der Bach ist cho, der Bach ist cho:
Sind mini Buebe-n-alli do?
Jo jo jo!
In der Stadt Rheinfelden holt man das neue Schwesterlein aus
der dortigen Brunnenstube; im benachbarten Laufenburg aus dem
Stinkenden Brünnli (über Gipslager ablaufend), am Fusse
des Ebenberges; in Oberfrick aus dem altverschütteten
Spagenbrunn, im Dorfe Küttigen aus dem Stampfelgraben des
dortigen Mühlbaches, im Dorfe Koblenz aus der die
Gemeindegrenze bildenden Quelle. Zu den gleichbedeutenden in der
übrigen Schweiz gehören folgende: der Waldweiher
Dreibrunnen in der toggenburgischen Stadt Wyl (Sailer, Chronik
von Wyl 1, 123); der Dorfbach mit seinem Findlingsblock zu Aegeri
im Kt. Zug; der Stempbach in Stans, und der Seltenbach in
luzernisch Escholzmatt, der noch dadurch bemerkenswerth ist, dass
er den Namen der deutschen Glücksgöttin Frau Saelde
trägt. Lütolf, Fünfort. Sag, S, 550.
Solcherlei Quellen mit altheidnischem Cultus mussten von den
Bekehrern entweder diabolisirt oder, wenn es die Umstände
erlaubten, in Taufbrunnen mit Taufkirchen umgewandelt werden. Der
hl. Remaclus vertrieb den Teufel aus einem Brunnen, in welchem er
sich hatte huldigen lassen (Schmitz, Eiflersag. 2, pag. 114), und
macht nun auch jene Weiber fruchtbar, die sich in die Fusstapfe
hinein stellen, welche bei der Quelle Groossbek zu Spaa seinen
Namen trägt. Wulf, Ndl. Sag. S. 227. Dass dieser vertriebne
Brunnenteufel ein heidnisches Wasserweib gewesen sein musste,
erklärt uns die Kirche ausdrücklich. Abt Tritheim
beantwortet dem Kaiser Maximilian I. im J. 1508 achterlei Fragen
über die Geisterwelt (Liber octo questionum. Oppenheim,
Joh. Hasselberg
1515, 20. Sept.) und entwickelt dabei über die Wassernixen
folgende Theorie. "Die in Seen und Flüssen hausenden Geister
sind wie des Wassers Ungestüm trügerisch, reizbar und
grausam. Wollen sie sich sichtbar machen, so erscheinen sie, wie
es die Weichlichkeit des ihnen zur Wohnstatt gegebnen feuchten
Elementes bedingt, in Frauengestalt. Wie daher schon das
Alterthum den Najaden, Nereiden und Nymphen durchgehends
weibliches Geschlecht gab, so nennt sie auch unser Volksmund
Wasserfrawen
. Diese lassen sich an Flüssen und
Quellen blicken, kämmen ihr langes Frauenhaar, reden die
Menschen an und ziehen sie in ihre Spiele. Die Heiligen und die
Engel jedoch, deren Gemüthszustand unwandelbar ist, nehmen
insgesammt keine andere Erscheinungsweise an als die
männliche, und niemals ist davon zu lesen, dass ein reiner
Geist sich in Weibesgestalt gezeigt habe."—Die
gegentheilige Anschauung greift aber Platz, wenn die Kirche
Ursache hat, gegen die heidnisch verehrte Quelle tolerant zu
sein; alsdann heisst es: Wer in eine Quelle spuckt, speit dem
lieben Gott ins Gesicht; und daher rührt es, dass in unsren
an Quellen, Strömen und Seen so reichen oberdeutschen
Landschaften die geschichtlich ältesten Christentempel
Wasserkirchen heissen und sind. Die zürcherische dieses
Namens ist rings von den Seewellen umspült und in ihrer
Unterkirche fliesst das Heiligbrünnlein. Wasserkirchen sind
ferner diejenigen zu Konstanz, Lindau, Wettingen, Reichenau und
Rheinau. Auf der Rheininsel zu Säckingen siedelt sich der
hl. Fridolin an, auf derjenigen bei Stein wird der hl. Otmar
begraben. Alle diese Orte sind altchristliche Niederlassungen,
theils schon aus der römischen, theils aus der
merowingischen Periode. Ufnau, des Zürchersees grösste
Insel, deren Kirche 1140 geweiht wurde und Mutterkirche war
für einen grossen Theil der Weiler und Höfe am untern
See, war schon zur Zeit der irischen Apostel ein Sitz des
Christenthums. Diese Kirche sowohl wie auch die am
gegenüberliegenden Ufer zu Stäfa war der hl. Verena
geweiht.
Schweiz. Anz. f. Gesch. 1859, 39. In der Stadt Zürich
bestand bis zur Reformation das kleine Nonnenkloster der
Schwestern von Konstanz, welches hiess zu
St. Verena in
Brunngassen
; es wurde 1551 von dem berühmten Buchdrucker
Christoph Froschauer angekauft und heisst bis heute zur
Froschau.
Beschert Verena die Kinder, so muss sie nothwendig auch die
Schirmvögtin der Ehebündnisse sein, und wir sehen dies
deutlich aus den ihr kirchlich geopferten Gegenständen,
vornemlich den Brautkrönlein. Die katholischen
Landmädchen zwischen der untern Aare und dem Rheine tragen
bei besondern kirchlichen oder weltlichen Festanlässen den
krönleinartigen Kopfschmuck der Tschäppelein, chapelet.
Er besteht aus einem mit Seidenblumen und Goldflintern reich
umsponnenen Drahtgeflechte, das sich sanft über den Scheitel
hin wölbt, oder statt dessen ist es auch ein kleines
Sammtkäppchen, oben napfförmig abgerundet und mit
Korallen gestickt; es ist so winzig, dass es oben mittels eines
Seidenfadens über das Haar gebunden werden muss. Ist nun in
der Landschaft von Leuggern, das Kirchspiel genannt, ein
Mädchen getraut, so hat sie ans Verenagrab nach Zurzach zu
wallfahrten und hier am Grabgitter ihr Tschäppelein zum
Opfer aufzuhängen; es ist ein Dank dafür, unter die
Haube gekommen zu sein. Erscheinen dann im Herbste die Züge
der übrigen Wallfahrerinnen, so nehmen sie ein solches
Brautkränzchen vom Gitter und setzen es während ihres
Gebetes selbst auf. Ein so grosser Vorrath von Käppchen
häuft sich hier an, dass man die veralteten darunter
alljährlich am Charsamstag abnimmt und in dem Osterfeuer,
das vor der Kirche angezündet wird, mitverbrennt. Etwas
Aehnliches besteht auch im Fischerdorfe Koblenz, in dessen
Kapelle jener Mühlstein verwahrt liegt, auf dem Verena von
Solothurn auf der Aare hieher gefahren sein soll. Wird nun hier
nach alter Gepflogenheit alljährlich im Frühling der
Gemeindebann von Jung und Alt umschritten, so dürfen bei
diesem Männergeschäfte die Mädchen allein sich
nicht mit
anschliessen, sie sollen vielmehr die Krapfen für die
Heimkehrenden indess fertig backen. Alsdann aber brechen sie sich
Feldblumen und flechten in die Wette Kränze daraus ins Haar,
die gleichfalls Schäppeli heissen, tragen diese zur
Dorfkapelle und überhängen damit die
Horizontalstäbe des Eisengitters, hinter welchem Verenas
Mühlstein geborgen liegt. Der Heiligen Schnitzbild, drei
Fuss hoch und bemalt, steht auf diesem Stein. Zum Schlusse
erscheint der Sigrist, setzt den schönsten der geopferten
Kränze der Heiligen aufs Haupt und schmückt mit den
übrigen den Grundstein.
Unter den wenigen Reliquien Verenas, von denen man
überhaupt Kunde hat, ist es gerade ihr Gürtel, der sie
als eine die Ehen und Geburten beschirmende Heilige aufs
deutlichste bezeichnet. Dieser war in dem ehemaligen
schwäbischen Reichsstifte Roth verwahrt, einem mit
regulirten Chorherrn besetzt gewesnen Gotteshause. Die Frage, wie
er aus dem entlegnen Zurzach bis dahin kommen konnte, beantwortet
sich aus der Grösse und Ausdehnung des ehemaligen Bisthums
Konstanz, das wirklich bis über den Neckar bei Marbach
reichte. Dieser Gürtel, schreibt Richter (Sigprangender
Triumphwagen Verenae, Augsburg 1736, pg. 42 und 81), wird nach
allgemeinem Brauche den Frauen bei schweren Geburten gebracht.
Des römischen Kaisers Rudolf Sohn, Herzog Johannes, Landgraf
in Elsass, ist so durch Verenas vielvermögenden Beistand zur
Welt geboren worden.
Hier folgt eine Reihe von Heilquellen, die im Aargau und
dessen Nachbarlandschaften unter Verenas Namen altverehrt
sind.
Der Fussweg vom Rheinflecken Zurzach in das Städtchen
Klingnau an der Aare führt über den Achenberg. Auf der
Hochebene dieses beträchtlichen Bergzuges steht umgeben von
tiefen Waldungen ein Bauernhof mit alter Wirthschaftsgerechtsame,
benachbart eine durch den Bischof Sigismund von Konstanz 1062
eingeweihte Kapelle sammt Wallfahrt zur Schmerzhaften Mutter
Gottes. Jeden Samstag wird
hier Messe gelesen, im Monat Mai eine
Feldprozession und ein Jahrmarkt abgehalten. Die günstige
Jahreszeit, des Berges wilde Schönheit mit seiner
erstaunlichen Fernsicht ins Hegau und Klettgau hinüber, die
Wunderthätigkeit des Ortes und der den andächtigen
Besuchern gewährte päpstliche Ablass führt alsdann
zahlreiche Schaaren des Landvolkes aus dem Elsass und Schwarzwald
hier zusammen. Man kocht im Freien ab und lagert des Nachts um
hohe Feuer. Doch kein Wallfahrer verlässt den Berg, ohne
nicht` über eine in Felsen gehauene Treppe zu der Schlucht
beim Rothen Kreuz hinab zu steigen, wo die Wegscheide in das
Aarthal hingeht. Hier trinkt er am wunderthätigen
Verenabrünnlein und lässt auch für seine Kranken
daheim ein Krüglein voll anlaufen. Ueber diese Waldquelle
geht folgende Sage.
Zur Zeit der ehemaligen Zurzacher Herbstmesse, die auf den 1.
September als den Festtag Verenae fiel und der Schliessmarkt
hiess, kam ein wenig bemittelter Mann aus dem Städtchen
Klingnau hier bergan gestiegen in der Absicht, seinen Kindern so
wohlfeile Winterschuhe einzukaufen, als sie auf jener
berühmten Ledermesse Zurzachs zu haben waren. Das Geld aber,
das ihm dazu nicht ausreichte, hoffte er bei ein paar gutherzigen
Leuten daselbst vielleicht geliehen zu bekommen. In solchen
unsichern Betrachtungen erreichte er das Verenabrünnlein,
traf hier einen ihn freundlich anredenden Mann und theilte ihm
seine heutige Absicht mit. Der Unbekannte verwies ihn an die
Bergquelle. "Schon mancher Andere, sagte er, hat in deiner Lage
hier die leere Hand in den Wassersprung gesteckt und sie
gefüllt herausgezogen; aber die Bedingung bleibt dabei, dass
man nicht vorwitzig nach oben schaue." Mit diesen Worten gieng
der Fremde seines Weges und der arme Mann hinab zur Quelle. Hier
stand wirklich ein Kistchen voll Geld, und so viel er mit zwei
Händen fassen konnte, nahm er sogleich heraus. Aber jenes
Unbekannten Wort, Schau nicht nach oben! kam ihm jetzt gar zu
wunderlich vor; noch
vor dem Kistchen knieend, wendete er mit
blinzelnder Neugier das Gesicht auf, und ach! da hieng gerade
über seinem Kopfe gewaltig sausend ein umrollender
Mühlstein. Eilends entsprang der Mann den Weg zurück
nach Klingnau, hatte seine Hand voll Geld auf den Bergmatten
verstreut, musste sich daheim zu Bette legen und soll bald
hernach an einem Zehrfieber gestorben sein.
Was soll hier dieser Mühlstein wohl besagen? Hinter ihm
schwebt die Müllerpatronin Verena und will in ihrer
Mildthätigkeit nicht gesehen sein. Es ist dies zwar ein
öfters sich wiederholender Sagenzug, siehe Aargau. Sag. no.
173; allein gerade auf die hl. Verena bezogen, findet er sich
auch im Luzernerlande wieder. Eine Dienstmagd aus dem Dorfe
Büttisholz im Entlebuch berichtet uns, dass in ihrer
Pfarrkirche Verena die erwählte Patronin sei. Man zeigt
dorten mitten im Felde der Gemeindemark eine Bodenvertiefung, in
welcher sonst eine Quelle entsprang Namens Goldloch und
Verenaloch. Man schrieb derselben die gleiche befruchtende
Wirkung zu wie dem Verenabad der Stadt Baden, und die Ortssage
fügt bei, wer ehemals in der Abenddämmerung mit
abgewendetem Gesichte die Hand in dieses Wasser tauchte, empfieng
aus einer weiblichen ein Goldstück. Als nun Knaben von
Büttisholz einst in der Verabredung hieher gekommen waren,
nach empfangenem Goldstücke schnell sich umzuschauen,
erblickten sie eine schöne Jungfrau, die nach einem
Augenblicke wieder verschwand; doch Tags darauf ergab es sich,
dass auch die Quelle versiegt war.
Fäsi, der seine Helvet. Erdbeschreibung im J. 1766
herausgegeben, berichtet Bd. 2, 491, am Fusse des Aargauer
Jurapasses Schafmatt sei schon in ältester Zeit ein Bad
gewesen zur Erquickung der Reisenden, die über diesen
steilen Berg wanderten. Aber man habe die Hauptquelle, die auf
des Berges Sommerseite am sg. Klopfen lag, abgegraben und in die
Badstube des Dorfes Oltigen hinabgeleitet. Dieser Quelle
gegenüber entspringe das Verenawasser. Ebenso
hat Gabriel
Walser im Kartenblatte Kanton Basel des Homannischen Atlas an der
Schafmatt bei Oltigen angemerkt:
Verenaloch
; und es ist
dies dasselbe, dessen die Aargauer Sag. no. 1 mit dem
Beifügen gedenken, dass die aus dem Elsass über den
Jura nach Einsiedeln ziehenden Wallfahrer betend auf die Kniee
fallen, sobald sie dieser Quelle nahen. Denselben Namen
trägt, wie schon bemerkt worden, auch der Sprudel im Freibad
zu Baden.
Hier ist auch jene Verenakapelle zu erwähnen in der
Nähe der Stadt Zug, gelegen am Fusse des Kaminstals, einer
Berghöhe an der alten Strasse, die nach Aegeri und weiter
nach Einsiedeln führt; auch hier ist ein herkömmlicher
Rastort der Wallfahrer. Am Altar dieses in Kreuzform gebauten
Kirchleins war früherhin eine Inschrift angebracht und
meldete, der Bau sei 1661 erneuert und 1684 durch den Konstanzer
Bischof Müller in Verenas Ehren eingeweiht worden; seither
ist noch zweimal eine Renovirung nöthig gewesen. Anfangs des
vorigen Jahrhunderts wurde der Zuger Rathsherr Merz nach Zurzach
abgesendet, um im dortigen Stift einen Reliquientheil vom Arme
der Heiligen nebst einem Atteste über der Reliquie Echtheit
in Empfang zu nehmen. Nachdem die Zuger Klosterfrauen diese neu
erworbne Partikel kostbar gefasst hatten, wurde sie am 15. Sept.
1709 aus der Oswaldskirche der Stadt in Prozession zur Kapelle
hinausgetragen "unter dem Knallen der Mörser und
Doppelhaken". Zahlreiche Votivtafeln an den Kapellenwänden
verkündigen des Ortes Wunderthätigkeit. Unweit des
Kirchenportals stand bis zum Jahre 1810 das St.
Verenabrünneli, der Brunnenstock geschmückt mit der
Figur der Heiligen, allein die Brunnenleitung scheint von einem
benachbarten Hofbesitzer abgegraben worden zu sein. Gleichwohl
haben damit die Wallfahrten zur Kapelle nicht aufgehört, wie
der Zugerkalender vom J. 1858, welchem diese Angaben entnommen
sind, ausdrücklich berichtet: "Bist du krank und die
Gütterli (Arzneigläschen) des Doktors wollen nicht
anschlagen, so muss ich dir sagen,
dass in dieser Kapelle wirksam zu beten ist,
besonders am Verenentage selbst. Da hast du alljährlich
Gelegenheit in einer Festpredigt das Lob der Heiligen zu
hören. Auch wird dir den Sommer hindurch so ein kühler
Spaziergang in der Frühe überaus gut thun. Du bekommst
dadurch Appetit und findest Stärkung für deine schwache
Leber im nahen Röthelberg, sofern dir Verena nicht eins aus
ihrem Krüglein einzuschenken geruht."
Die dreierlei Statuen, die der hl. Verena in Zurzach, Baden
und Herznach errichtet stehen, stammen aus alter Zeit, sind zu
kirchlichen Ehren gesetzt und haben übereinstimmend die
gleichen Attribute: die Heilige trägt in der einen Hand die
Krause, d.i. ein langhalsiges Weinkrüglein, in der andern
hält sie einen zweireihigen Haarkamm. Das Schnitzbild auf
dem Kapellenaltare zu Herznach im Frickthal
[7]
hat in der Rechten statt des Krügleins zwar den langen
Brodkipf, doch gleich daneben, auf der Flügelthüre
dieses Altars angemalt, ist dasselbe Bildniss wiederholt, hier
aber mit Kamm und Krug. Dasselbe Abzeichen ist auch in Blunschi's
Zugerkalender noch vom J. 1823 zu sehen, der für das
nichtlesende Landvolk bestimmt gewesen war und statt der
Heiligennamen deren Figuren oder Symbole in kleinen Holzschnitten
giebt. Hier ist unterm 1. September eine aufrecht stehende Katze
zu sehen, die in den Vorderpfoten den langgezahnten zweireihigen
Haarkamm hält und zu Füssen ein geschnäbeltes
Giesskännlein stehen hat. Aus diesen beiden Attributen
Verenas hat die ältere Legende auf eine opferwillige
menschenfreundliche Jungfrau geschlossen die ihr Leben der Pflege
Anderer so weit widmete, dass sie sogar den Schmuz der
verlassenen Armuth nicht scheute. Daher hebt das von uns S. 108
ff. mitgetheilte
mhd. Gedicht 106a den von ihr geheilten Aussatz
hervor:
auzſetzig behaft macht ſi ſlecht,
plint, chrump macht ſi gerecht.
In diesem Sinne erzählt dann auch Richter, Sigprangender
Triumphwagen Verenae, S, 51: "Sie that den Kranken die Speisen in
den Mund, bereitete ihnen die Betten, kehrte den Boden,
säuberte die Kleider, wusch alte Erbschäden aus und
zwagete die mit Siechthum beladenen Häupter." Auf solche
Anschauung hin wurden nachmals die "Armenbäder", wie
dasjenige in der Stadt Baden, gegründet, jeder Gast hatte
sein Krüglein mit Lauge und seinen Kamm selber mitzubringen.
Die dortige Verena-Bruderschaft, die durch Papst Urban seit 1625
neu bestätiget worden, ist nach dem dritten Paragraphen
ihrer Satzungen verpflichtet, Erkrankte heimzusuchen, Armen
Almosen und bestimmte jährliche Spendmähler zu
verabreichen.
Das Steinkrüglein Verenas wird in der ältesten
Legendenaufzeichnung gleichfalls mit einer besondern
Wundergeschichte bedacht. Hirten fanden dasselbe einst an jenem
Rheinufer bei Zurzach, heisst es da, wo vormals eine
Römerstadt gestanden hatte, es war eine steinerne Urne, die
man hernach kirchlich aufbewahrte. Als einst eine treue Wittwe
ihrem verstorbnen Gemahl so lange nachweinte, dass sie
darüber erblindete, erschien ihr nachts die Heilige und
sprach: "Noch ist der Steinkrug vorhanden, der mir diente den
Siechen das Haupt zu baden und den Angesteckten die Kleider zu
waschen, daraus wasche dich gleichfalls." Die Frau suchte und
fand an jenem Uferplatze die Urne, wusch sich daraus und bekam
das Augenlicht wieder. Die gleiche Hilfe gewährte dasselbe
einem Rosshirten, der von seinem unbarmherzigen Herrn geblendet
worden war. Auch auf die weibl. Fruchtbarkeit hat es Beziehung
gehabt; der Abgl. (Grimm no. 440, Ehstnisch no. 22) warnt
schwangere Weiber, sich auf eine Wasserkanne oder sonst auf ein
Wassergefäss zu setzen, sie würden sonst zu viel
Töchter gebären.
Ein Stück von diesem Verenakrüglein hat
nachmals der Fürstabt von St. Blasien erworben und
dafür den Zehnten im ganzen Amte Waldshut an das Zurzacher
Stift abgetreten. Darum erhob dieses letztere den Zehnten, bis zu
dessen allgemeiner Ablösung, in folgenden acht badischen
Nachbargemeinden: Kadelburg, Aettwil, Gortwil, Thiengen,
Rheinheim, Küssennacht, Dangstetten und Bechtisbohl. In der
Krypta der Stiftskirche steht Verenas steinernes Grabmal, ein von
hohem Alter zeugendes, kunstloses Werk; obenauf liegt in
Lebensgrösse gehauen ihr Bild in Matronenkleidung, doch zum
Zeichen bewahrter Jungfräulichkeit in fliegenden Haaren, es
hält in der Linken den zweireihigen Kamm, in der rechten
einen Wasserkessel am eisernen Tragringe. Die den
Niedrigkeitsdiensten der Bade- und Wäschermagd aus
Menschenliebe sich unterziehende Heilige ist in Zurzach mehr als
bloss kirchlich verehrt, sie ist dorten zum Ortsgeiste geworden
und heisst die Weisse Frau. Das mitten im Marktflecken stehende
Haus zum Weissen Rössli ist ihr Aufenthalt. Aus dem
Vorhöflein desselben schreitet um Mitternacht vor hohen
Festtagen eine stattliche schneeweisse Frau hervor und begiebt
sich zum mittleren Brunnen auf dem Marktplatze. Hier spült
sie ihr Weisszeug aufs sorgfältigste, und stolzen Ganges
kehrt sie auf jenen Vorhof zurück. Dass dieser Hausname zum
Weissen Ross auf die dem Verenadienste kirchlich geweiht gewesnen
Rosse zu beziehen sein wird, erklärt sich auch aus
nachfolgender Ortssage. Die sogenannten vier Gotteshöfe in
der aargau. Gemeinde Reckingen sind ein Mannslehen, welches auf
vier dortigen Bauerngeschlechtern ruht, wofür diese
verpflichtet sind, dem Stifte Zurzach Zehnten und Bodenzins von
den 80 Juchart haltenden Gütern zu entrichten, die
Unterhaltung der dazu gehörenden Antoniuskapelle zu
bestreiten und für den Messpriester den Messwein zu liefern.
Seitdem nun Zehnten- und Bodenzinspflicht hier wie sonst im
ganzen Lande gesetzlich abgelöst worden ist, haben diese
Höfe ein dem Stifte Zurzach schuldendes Grundzinskapital
von Fr. 6259 zu
verzinsen, die Verwaltung des Kapellenfonds aber ist aus
geistlicher Hand an den Gemeinderath von Reckingen
übergegangen und hat seit dem Jahre 1854 die gründliche
Erneuerung der Kapelle zur Folge gehabt. Diene letztere liegt in
demjenigen Hofe, der nach seinem vierstöckigen Meierhaus das
Grosse Haus genannt wird. Aus ihm, erzählt man, kommt zu
gewissen Zeiten des Nachts ein Füllen gelaufen, umtrabt das
Gebäude, wird darüber zusehends grösser und ist
mit einem male wieder unsichtbar. Bemerkenswerth ist nun hiebei
der angebliche Umstand, dass Frauen niemals das Füllen
erblicken, wohl aber statt dessen eine weissgekleidete Frau,
welche gleichfalls das Haus umgeht, an dessen vier Ecken
bedächtig stehen bleibt und hierauf ihren Weg in die
Antoniuskapelle nimmt, wo sie verschwindet.
Da Frau Hulle, welche gleich Verenen den Geburten hilfreich
beisteht, in Franken auf einem Rosse einher kommt, und
Schwangere, welche nähig sind ("übergehen"), einem
Schimmel Haber aus ihrer Schürze zu geben pflegen (Wolf,
Beitr. 2, 407), so werden jene Sagen darauf deuten, dass dem im
Dienste Verenas stehenden Priester ein Dienstross zu seinen
Amtsverrichtungen gestellt werden musste, und dass die Neuzeit
diese Stiftung aufgehoben hat. Dem Kloster Königsfelden
wurde Ross und Harnisch geopfert (Argovia 5, 32), auf ein
gleiches Rüstpferd lässt die Ortssage von
Mittel-Schneisingen schliessen, wornach der dortige Dorfgeist in
der Kapelle des Ortes wohnt und Kapellenthierlein heisst. Aargau.
Histor. Tascheub. 1862, S. 54. Ortsgeister in Schweden heissen
Kirchenzaum und Kirchenhalfter weil dieses Reitzeug, zum Dienste
des Priesters bestimmt, in den dortigen Kapellen hieng. Das Ross,
das Ludwig der Baier im Treffen bei Ampfing geritten, vermachte
er unmittelbar darauf der Kapelle in Grünthal bei
Vilsbiburg, die davon bis jetzt Sattelkapelle heisst. Holland,
Ludwig der Baier und sein Stift Ettal, 1860, 6.
Mit ihrem andern Attribute, dem Kamme, zeigt die
sagenhafte
Verena sich in einem bei Ober-Siggenthal (Bez. Baden) liegenden
Wäldchen, das nach einem tief eingeschnittenen Wasserbette
das Tobelhölzli heisst. Am südlichen Waldrande, hart am
Fusswege, der nach Kirchdorf geht, sprudelt dorten eine
schöne Quelle, an der ein uraltes Weibchen sitzt und sich
das Haar kämmt. Neben ihr grast das gespenstische, aber
unschädliche Nachmittagslamm. Auch das Mütterlein ist
freundlich, nur will sie in ihrem Geschäfte nicht
gestört und von den Vorübergehenden nicht etwa
ausgelacht sein, sonst setzt es für den Spötter gewiss
einen geschwollenen Kopf ab. Das ist das Tobel-Vreneli.
Anderwärts heisst sie nach ihrem in der Sonne blitzenden
Kamm das Strähl-Anneli, oder nach ihrem buschigen Grauhaar
das Heuel-Mütterli, denn Heuel bezeichnet den verzausten
Hollenkopf. Zu Tegerfelden erscheint sie sogar noch in vollem
Liebreize nackter Jungfrauenschönheit, zieht einen Goldkamm
durch die Locken und lässt ihr gelbes Ringelhaar bis auf die
Spitze der Grashalme niederfliessen. Von allen diesen
Erscheinungsweisen berichten bereits die Aarg. Sag. 1, S. 131.
240 und die Naturmythen S. 139. Einen Silberkamm und eine
Badstande hinterliess auch die hl. Wiborada aus Klingnau im
Aargau; jener wurde in der St. Galler Stiftskirche verwahrt und
gegen Kopfweh gebraucht, in dieser genasen Kranke wunderbar.
Murer, Helvetia sacra. Diese Wiborada war nicht bloss Verenas
Landsmännin gewesen, sie hatte sich auch dem gleichen
Geschäfte gewidmet, die Haarpflege zu leiten und den Aussatz
zu heilen; somit besass also einst der Aargau zwei weibliche
Schutzpatrone gleicher Art. Es widerstrebt nun zwar unsern
ästhetischen Begriffen geradezu, eine so widerwärtige
Krankheit, wie der Aussatz ist, der Pflege der Schönheits-
und Liebesgöttin selbst zu unterstellen; das Alterthum aber,
auch das klassische, hatte Grund, hierin anders zu denken, und
sprach sich darüber eben so offenherzig aus, wie die
Verenasage thut. Suidas, der zum Namen Aphrodite bemerkt, dass
die Römer ihre Bildsäule mit einem
Kamme in der Hand vorstellten,
erzählt hiebei: Als einst die römischen Frauen die
Krätze befiel, mussten sie sich das Haar abschneiden und die
Kämme wurden ihnen entbehrlich. Darauf flehten sie zur
Aphrodite, ihnen die Haare wieder wachsen zu lassen, und ehrten
sie mit einer Bildsäule, die den Kamm trug.
Die landschaftlichen Gesundheitsregeln, mit welchen dieser
Abschnitt schliesst, zeigen nun die Verena zweifellos und
wirklich in der ihr beigeschriebenen Rolle: sie verleiht hier dem
ihr folgsamen Mädchen das schöne Haupthaar und zugleich
den schönen Schatz. Am 1. September, als dem kirchlich
gefeierten Verenentage, ist es in der Altgrafschaft Baden, deren
Gebiet von der Limmat zum Zurzacher Rhein reicht, durchgehends
katholische Sitte, die Kinder frisch zu kleiden, wie es sonst nur
um Neujahr oder Ostern geschieht. Damit glaubt man die Kleinen
auf ein neues vor Krankheit geschützt zu haben. Am gleichen
Tage ist es in jener Landschaft Hausbrauch, dass die Mutter an
allen Köpfen ihrer Kinder eine gründliche Wäsche
abhält, dem jüngsten Mädchen wird der erste Zopf
geflochten; das behütet vor Kopfweh und giebt einen feinen
Haarwuchs. Hält sich das Kind widerwillig unter dem Kamme,
so gilt folgender Reim:
Chind, bis ietz still und fîn,
oder es chunnt Frau Vrin,
die het ne grosse Striegel
und zert di kech am Riegel.
Der Riegel bezeichnet in der Mundart den Haarbüschel. Die
Frau Vrin ist also hier eine Drohgestalt, wie in Schöppners
Bair. Sagenb. no. 1282 die lange Agnes, welche die Leute am Bache
mit Bürste und Stahlkamm behandelt, bis Haut und Haar
abgeht. Man macht dem kleinen Mädchen dabei weis, der neue
scharfe Kamm und ein dreimaliges Abwaschen des Kopfes sei
nothwendig, wenn dereinst ein eben so saubrer Liebhaber sich
anmelden solle, und hiefür hat man folgendes
Sprüchlein:
Ach mî liebi Jumpfere Vre',
gsehst, i ha kes Schätzeli meh,
strähl und wäsch mi doch au nett,
dass mî Hansli Freud ab mer het!
Auch in Segensformeln wird ihr Name noch genannt. Ein unter
dem Namen "Albertus Magnus Egyptische Geheimnisse" noch bei
unserm katholischen Landvolke verbreitetes Zauberbüchlein
giebt in seinem 3. Hefte pg. 19 folgendes Mittel an, die Warzen
(nicht aber die
Wanzen
, wie Simrocks Mythologie III, 377
druckt) zu vertreiben: Man haucht im Namen der Dreieinigkeit
über die Warzen und spricht dreimal:
In Verena veranschaulicht sich jene krankenpflegende, weise
vorsorgende, geduldig ausdauernde Barmherzigkeit, die eine
Eigenthümlichkeit des weiblichen Geschlechtes ist. Schon
durch seine besondere, vorempfindende Zartheit ist das
Frauengemüth von hingebender Menschenliebe erfüllt.
Weil es mehr aufs Einzelne und Besondere achtet, so vermag es
sieh mit schneller Erkenntniss in die Schicksalslage Anderer zu
versetzen; weil es eine vorherschende Anlage zu besonnener
praktischer Hilfe hat, so übernimmt es freiwillig das
Geschäft der Krankenpflege und vollzieht es im Einzelnen mit
grösserem Glücke als der Mann, da es weniger schnell
als er in Dienstleistungen ermüdet, mehr und länger als
er zu dulden, zu entbehren, auszudauern vermag in Mühen und
Nachtwachen. So erscheint das Weib allen Völkern
während grosser allgemeiner Leiden als eine heroische,
opferwillige Seele, und ist daher mit Recht im Glauben und in der
Kunstdarstellung der Rettungsengel für die schmerzbehaftete
Welt geworden.
Mit Befriedigung erkennt der Forscher in diesen
Charakterzügen Verenas, wie es dem humanen Geiste der
christlichen Lehre gelang, die zum Märchen gewordne Gestalt
einer heidnischen Hilfs- und Heilgöttin allmählich "zur
demüthigstillen Erscheinungsweise einer Grauen Schwester",
wie Gelpke
(Schweiz. Kirchengesch. 1, 180) charakteristisch sagt, zu
entgöttern und zugleich wieder empor zu heben. Aber etliche
Spuren der Heidengöttin bleiben hinter dem kirchlichen
Heiligenschein immer noch erkennbar, wie denn Verena noch heute
zuweilen den ihr geweihten Altar verlässt, um unter
mancherlei Namen und Gestalt draussen an den gewohnten
Büschen und Quellen des Waldes einer wilden Naturfreude
nachzuschweifen. Kaum würde man dann die Göttin oder
die Heilige noch in ihr vermuthen, trüge sie nicht ihren
alten Namen oder ihre geweihten Abzeichen. Denn dann wird sie
wieder ein "alt heidnisch Wassergötzli", wie der Berner H.R.
Grimm (Schweizer Chronica 1786, 249) sie bezeichnend genannt hat,
und schon die rohe Härte, mit der sie ungläubigen
Missethätern die Strafe zumisst, lässt ihr und ihrer
Legende hohes Alter erkennen. Als jener Knecht des Zurzacher
Priesters sie fälschlich der Veruntreuung im Haushalte
anklagt, muss nicht bloss er sogleich erblinden und zeitlebens
vom fallenden Weh geplagt sein, sondern auch keins seiner
Blutsverwandten stirbt hin ohne Siechthum, Lähmung,
Blindheit und Tobsucht. Dafür, dass ein Weib eigensinnig am
Verenentag daheim bleibt und spinnt, während Alles sich in
die Kirche begiebt, wird sie von den Rückkehrenden im
fallenden Weh gefunden, die Kunkel noch in den Händen
festgeklammert; ebenso wuchs einem Manne, der am Festtage im
Walde holzte, die Axt in der erstarrten Hand fest.
Gleichfürchterlich bestraft sie den Bauern, der an ihrem
Kirchenfest sein Heu auf der Wiese schobert, und so noch
Aehnliches. Dieses Uebermass barbarischer und leidenschaftlich
dreingreifender Körperstärke herscht besonders in den
mehrfach von Verena handelnden Gebirgssagen vor, wie solche sich
in den deutschen und rhätischen Alpen finden. Sie trägt
in Bünden, Engadin und an der bairisch-tirolischen Grenze
den Namen
Verein
, gebildet wie die rhätischen
Ortsnamen Madulein (Bez. Zutz, im Oberengadin, urkdl. 1139
Madulene), oder wie Luzein und Valzein im Prätigau (urkdl.
Valzena). Eine
solche Verein-Alpe liegt bei altbair. Mittenwald (Steub,
Herbsttage in Tirol, S. 251), eine andere an der
weitläufigen Eiswüste des Selvretta. Hier hat die
"Fremd-Vereina" ihre zwei besondern Höhlenwohnungen in der
Col die Balma und Baretto-Balma. Die letztere ist stets
reingekehrt, wie ausgeblasen, und duldet auch kein bischen Laub,
Holz oder Stein in sich; es lässt nichts drinnen, sagen die
Hirten und staunen das Geheimniss an (Tscharner, Statist. v.
Bünden 1, 140. 258. Bündner VolksBl. 1832, 214). Am
namhaftesten aber ist das bekannte Vrenelisgärtli, jenes
weithin durch die Schweiz schimmernde Firnfeld des
Glärnisch, 9,353 Fuss über Meer, das sich wegen der
angeblichen Ausschweifungen des Sennenvolkes aus blühenden
Matten in ewige Gletscher verwandelt hat.
Nachfolgende eigenthümliche Sage hierüber beruht auf
der schriftl. Mittheilung, die wir dem Hn. Heinr. Gessner, Lehrer
in zürch. Lunnern, zu verdanken haben. Bei letztgenanntem
Orte im Bezirk Affoltern liegt am südlichen Fusse des Albis
der unheimliche Türlersee, der tiefste im ganzen
Zürcher Lande. Seinen Namen hat er von seiner Lage, da er an
des Berges Engpasse und Thore: turilin, gelegen ist. Er sammt der
Umgegend gehörte in der Vorzeit einer starken, herrischen
und arbeitsrüstigen Frau an, die beim Volk Frau Vrene hiess.
Da begab es sich, dass die Leute von Heferschwil, einem Weiler
der Gemeinde Metmenstetten, wegen einer fruchtbaren Gemarkung am
Jungalbis mit dieser Frau in einen heftigen Eigenthumsstreit
geriethen, der kein Ende nahm, weil sie in ihrem Stolze sich
weigerte vor einem Richter des Landes zu erscheinen. Mit
Hülfe fahrender Schüler zog sie in einer einzigen Nacht
einen tiefen breiten Graben durch das ganze Jungalbis und schied
so ihr Eigenthum für immer vom Gelände der Gegner. Der
Graben war gezogen bis zum Türlersee, es fehlte nur noch der
letzte Spatenstich, so würden die Wasser sich über ganz
Heferschwil ergossen haben. In diesem Augenblick aber erfasste
einer der fahrenden Schüler
die Frau und entführte sie durch die
Lüfte auf die Westseite des Glärnisch, setzte sie hier
auf einer weiten grünenden Berghalde ab, wies ihr diese zum
Aufenthalt an und sprach: "Hier kannst du gartnen, Vrene!" Dorten
hat sie darnach so lange Zeiten gehaust, bis dieser schöne
Alpengarten endlich sich in eine weite Firnstrecke verwandelte.
Noch steht Frau Vrene daselbst, den Spaten in der Hand, zur
Eissäule erstarrt, mitten in dem von Felsmauern eingefassten
Schneefelde, das bis ins Knonauer Amt herüberblinkt.
Dieser eben erwähnte Graben am Jungalbis ist
rechtsgeschichtlich seit alter Zeit bekannt und trägt in der
Offnung von Borsikon (Grimm, Weisthümer 1, S. 51) den
auffallenden Namen Kriemhiltengraben. Nach einer zweiten hievon
handelnden Volkssage, mitgetheilt in Meyer's Zürch.
Ortsnamen no. 182, waren die Bewohner von Heferschwil mit jener
Kriemhilt gleichfalls in Zwist gerathen, und die Erzürnte
schwur, sie werde den Türlersee abgraben, seis nun Gott lieb
oder leid. Durch einen kleinen Berg, der zwischen dem See und dem
Weiler liegt, begann sie den Durchstich mit einer Schaufel, so
gross wie ein Scheunenthor. Da erregte Gott einen gewaltigen
Sturm, der ihre Schaufel zerbrach und sie selbst von der Erde
fortriss bis auf den Glärnisch in Vrenelis Gärtli.
So reicht also die Verenasage in die unorganische primitive
Steinzeit zurück. Der erratische Block, aus dem Verena die
Neugebornen hervorholen lässt; der Mühlstein, auf dem
sie wilde Ströme befährt; die Felsklüfte,
Hochalpen und Gletscher, die ihren Namen tragen; die heissen
Sprudel, die sie aus dem Boden stampft und mit dem Finger aus der
Rheininsel hervor bohrt—verkünden eine
ursprüngliche Riesenjungfrau, deren roh angelegte Gestalt
später ins Satanische umgeschlagen haben würde,
hätte die Kirche sie nicht frühzeitig noch
christianisirt. Statt der Heiligen besässe man alsdann eine
alles versteinernde Hexe; oder statt der demüthig dienenden
Priestermagd nur eine diebische Pfaffenkellnerin, die der
Unterschlagung beschuldigt
entspringt, über die ganze Breite des Thales
setzt und ihre Fussspur drüben in die Felsenplatte der
jenseitigen Thalwand eindrückt.
FUSSNOTEN:
In dieser Herznacher Verenakapelle, und nachmals in dortiger
Pfarrkirche, waren pfarrgenössisch die Frickthaler
Dorfschaften: Ueken, Zeihen, Denspüren, Ober- und
Niederasp, schliesslich auch Häner am Schwarzwald, ob
Laufenburg.
Vierter Abschnitt.
Verena als Frau Venus.
Das Tannhäuserlied in aargauischer Version; die Frau
Venus-Vrene des Volksliedes; die Venus-, Feens- und Vrenberge,
die Venus- und Vrenenhäuser, aus ihrer gegenseitigen
Namensvertauschung zurückgeführt auf den
ursprünglichen Mythus.
Nachfolgender Liedtext wurde von einer im vorigen Jahrzehnt
verstorbnen Matrone, der Frau Meyer auf dem Tromsberge, im
aargau. Bezirk Baden, auf dem Siechbette ihrem Arzt Dr. Al.
Minnig zu Baden in die Feder diktirt. Der Text kommt demjenigen
am nächsten, welcher einst von Stalder in Entlebuch
gleichfalls nach mündlicher Ueberlieferung aufgeschrieben
und an Lassberg übergeben wurde, der ihn im Anzeiger 1832,
240 veröffentlichte. Daraus entnahm ihn Uhland für
seine Sammlung no. 297 C., und nach dieser Fassung sind hier
unten alle Einzelverse unseres Textes besonders bezeichnet, die
mit jenem Stalderischen übereinstimmen. Was die
Literaturgeschichte des Tannhäuser-Liedes betrifft, die
schon von Uhland begonnen worden, so steht sie seither in
Gödekes Deutsche Dichtung im Mittelalter (1854, S. 580) bis
zur Vollständigkeit aufgeführt.
Tannhäuser war ein junges Bluet,
Der wot gross Wunder gschaue,
[8]
Gieng auf Frau Vrenelis Berg
Zu selbige schöne Jungfraue.
Wo er auf Frau Vrenelisberg ist cho,
Chlopft er an a d'Pforte:
Frau Vrene, wend er mi inne loh,
Will halte eu'e Orde!
"Tannhäuser, i will der mi Gspile ge
Zu-m-ene ehliche Wib."
[9]
Diner Gspilinne begehr ich nit,
Min Leben ist mer z'lieb.
Diner Gspilinne darf i nüt,
Es ist mir gar hoch verbotte,
Sie ist ob em Gürtel Milch und Bluet
Und drunter wie Schlangen und Chrotte.
Tannhauser sass am Figebaum,
Drunter er war entschlafe.
Es chunt em für i sinem Traum,
Er müess uf Rom wallfahrte.
[11]
Wo er in d'Stadt Rom inne chunt
Wohl unters höchsti Thor,
Frogt er dem oberste Priester noh,
Wo in der Stadt Rom wär.
Wo er i d'Chille ie chunt,
Vor'm Pobst thet er sich gneige:
Gott grüeze eure Heilige, Pobst,
Mine Sünd will i eu azeige.
Der Pobst het do en düere-düere Stab,
Vo Dürri war er gspalte:
"So wenig de Stab meh z'grüene chunt,
So wenig magst du Ablass erhalte."
[12]
Und wenn i nümme z'Gnade chum
Und nümme mag werde bihalte,
So gohn i uf Frau Vrenis Berg
Und leben bîn ihr im Walde.
Es goht nit meh als dritthalb Tag,
So fieng der Stab a z'gruene,
Er treit es Laub so grüen wie Gras,
Darzue drei schöni Blueme.
[10]
De Pobst schickt sine Botten us,
Sie wüsset ehn niene meh z'gwahre;
Er schickt sie us in alli Land,
Der Tannhuser blibt verfahre.
Sie chömmet uf Frau Vrenelis Berg,
Chlopfet a d'Pforte und die ist gschlosse
Tannhuser soll do usse cho,
Sine Sünde eigen ehm nochg'losse!
"Zun-ech usse cho, das chan i nit,
Do muess i bliben inne.
Muess bliben bis am Jüngste Tag,
Dä gohts mer erst, wies cha und mag!"
Tannhuser sitzet am steinige Tisch,
Der Bart wachst ihm drum umme,
Und wenn er drümal ummen isch,
So wird der Jüngst Tag bald chumme.
Er frogt Frau Vreneli all Fritig spot,
Öb der Bart es drittmol umme goht
Und der Jüngsti Tag well chumme.
Ein im Sarganserthale gegen Ragaz hin gelegner Hügel, an
dessen südlichem Fusse vormals die Gerichtsstätte des
Bezirks gewesen war und wo Urkunden ausgefertigt wurden, von
denen jetzt noch einige im dortigen Oberlande vorhanden sind,
heisst im Munde älterer Leute der Frau Vrenes Berg und Frau
Venesberg. Er gilt als ein Schloss voll feenhafter Jungfrauen.
Hier mitten unter romanischem Spracheinfluss behauptete sich bis
auf die Neuzeit das oberalemannische Verena-Tannhäuserlied,
und wurde nach einem zu jenem Feenschlosse angeblich
gehörenden Thiergarten "das Thiergetlied vom Vrenesberg"
genannt. Mittheill. des St. Galler histor. Vereines, Heft 4, 198.
Wie aber kommt die hl. Verena an der Stelle der Venus in das
Tannhäuserlied und was ist der Sinn dieses Liedes, wenn ihm
die Heilige einverleibt werden konnte? Bereits Grimm (Myth. 283.
913. 1212) hatte unter dieser doppelnamigen Frau Venus-Vrene die
Göttin Freyja gemuthmasst; seine Ahnung, wird durch die
seither weiter vorgerückte Sagen- und Sprachforschung
bestätigt.
Die echte Göttersage hiezu ist erhalten in dem eddischen
Liede von
Fiölsvinnr und erzählt also. Die Göttin Freyja war
dem Halbgotte Odhr vermählt und von diesem verlassen worden.
Vordem hatte sie wegen ihres berühmten Halsgeschmeides die
Schmuckfrohe geheissen, Menglöd; nun aber empfieng sie den
neuen Namen die Thränenschöne, denn um den verlornen
Gemahl durchsuchte sie alle Länder und weinte ihm goldne
Thränen nach. Sie mied der Männer Gemeinschaft; erbaute
sich auf einer Waldhöhe eine Halle, über deren
Schutzwehren Niemand einzudringen vermochte, und lebte hier mit
heilkundigen Mädchen einträchtig zusammen. "Hilfeberg
heisst die Höhe, wo sie wohnen, allen Lahmen und Siechen
Hilfe schaffend; keine Krankheit ist, die sie nicht zu wenden
wüssten." Da kehrte der die Welt durchreisende Odhr nachmals
wieder zurück und sprach zum Wächter des Berges: "Reiss
auf die Thüre, Wächter! auf kalten Wegen komm ich her,
die Schicksalsschwestern sind an meiner langen Säumniss
schuld, doch geh und frag erst Menglöd, ob sie mich noch
liebt?" Da emfieng sie den Langersehnten mit Küssen und
sagte: "Lang sass ich auf dem Berge, Tag und Nacht nach dir
blickend, endlich hat sich mein Sehnen erfüllt; mein lieber
Freund ist gekommen, nun sind wir beide fröhlich!" Die
Verwandtschaftszüge zwischen diesem Mythus und dem
Tannhäuserliede sind einstweilen folgende.
Odhr-Tannhäuser wandert aus dein Waldberge der Freyja-Vrene
weit in die Welt fort bis nach Rom, kehrt aber, weil bei allen
Menschen verkannt und verstossen, wieder heim, wo inzwischen die
verlassne Geliebte mit ihrer Jungfrauenschaar den Orden
heilkundiger, hilfreicher Schwestern gestiftet hat, und pocht am
Thore. Der Wächter (der getreue Eckart) erkennt seinen Herrn
und führt ihn in den Berg. Draussen lässt er den
dürren Wanderstab liegen, der sogleich an zu grünen
fängt; drinnen ruht er am Steintische und bemisst das nun
nicht mehr unterbrochne Glück nach der Länge des
Bartes, der ihm dreimal um den Tisch herumwachsen wird.
Entzückt über diese doppelte Unendlichkeit ewiger Zeit-
und Liebesdauer,
befragt er jeden Freitag seine Freyja-Vrene, ob
nun noch ein jüngster Tag gedenkbar sein könne. Zur
Bekräftigung dieser gegebnen Erklärung sowohl als der
sogleich mitzutheilenden Etymologie der bezüglichen
Eigennamen, fügen wir ein paar Sagenbruchstücke bei,
die zu dem Kostbarsten gehören, was in der letzten Zeit zu
Tage kam. Pröhle's Harzsagen 2, S. 209-211 berichten: Es war
eine Frau, die wohnte im Walde auf einem königlichen Schloss
und hiess Frû Frêen und Frû Frîen. Sie
war einmal im Himmel gewesen und da von den Sterblichen um Rath
befragt worden. Um ihren Freier aufzufinden, durchzog sie die
ganze Welt, doch da er ihr immer wieder verschwand, brach sie in
ein furchtbares Weinen aus. Davon hat man in Ilseburg noch
folgenden Reim:
Frû Frîen
wolle geren frîen
un konne keinen krien,
da feng se an de schrîen.
Noch Anfangs Juli 1855 wurde diese weissgekleidete Frau Freen
von einen Burschen aus Ilsenburg im dortigen Walde gesehen.
Dieselbe um ihren verschwundnen Gemahl trauernde Göttin
heisst in Wolf's Hess. Sagen no. 12 die Huldgöttin, Frau
Holl: "Bei Fulda im Walde liegt ein Stein, in dem man Furchen
sieht; da hat Frau Holl über ihren Mann so bittre
Thränen geweint, dass der harte Stein davon erweichte." Dass
diese Holl die Göttin Freyja wirklich ist, wurde neuerlich
durch den aufgefundenen Namen Friggaholda beurkundet (Mannhardt,
Mythen 295). Freyja selbst ist die von Paulus Diaconus als
Gemahlin Wodans genannte Frêa (ahd. Frouwa, domina) und
lebt in den niedersächs. Sagen bald unter den diminutiven
Namensformen der Frau Freke und Frick, bald besonders um
Halberstadt und Drübeck als Frû Frîen, Frû
Frêen fort. Kuhn, Nordd. Sag. no. 70 und S. 414. 519. Mit
diesen niederdeutschen Namensformen und Sagen der
Schönheits- und Liebesgöttin stehen nun die
oberdeutschen desselben Wortstammes in
frî, mulier formosa,
entspricht das alemann. Adverb frein, frîn: pulcher,
venustus. "Bis mer hübsch frîn", sei mir hübsch
artig, hübsch sittsam, sagt das Berner Mädchen zu einem
allzu stürmischen Liebhaber; "de sim-mer jo die freinste
Lüt", gar allerliebste Leute, heisst es luzernerisch.
Firmenich 2, 578. 594. Mit diesem Schönheitsprädikate
übereinstimmend bezeichnet in Hebels alemann. Gedichten der
Frauenname Vrene ausschliesslich die Geliebte und Schöne.
Der Stamm des Wortes geht durch die indogermanischen Sprachen;
gothisch frijon ist amare, sanskrit priya bedeutet angenehm und
geliebt; die Pflanze Frauenhaar (capillus Veneris) heisst
irländisch Freyjuhâr, dänisch Fruêhâr
und Venusgräs, norwegisch Mariagras, weil die Schönheit
das höchste Epithet bleibt, das an Göttinnen
hervorgehoben wird. Myth. 279. Es entgeht uns keineswegs, dass
hiebei die beiden von der Edda auseinander gehaltenen Namen und
Figuren der Göttinnen Freyja (Freyrs Schwester) und Frigg
(Odhins Gemahlin) wieder in eins zusammen fallen; allein dieselbe
Verwechslung war sogar schon den nordischen Quellen geläufig
und hat darin ihre Berechtigung, dass beide ursprünglich nur
die in zwei Seiten auseinander gegangene eine Himmels- und
Herzensherrin eines älteren Göttersystems gewesen sind,
welches vor der Trennung der nordischen Götter in Asen und
Vanen bestanden hat. Aus der launenhaften Gemahlin Odhins Fricke,
die mit dem Gemahl als Windsbraut einherstürmt und
Leichenfelder zehntet, hat der auf die Naturreligion der
Asenlehre folgende feinere Vanenglaube eine familiäre,
wirthschaftlich-besorgte Freyja gestaltet; in ihr ist die
frühere Grausamkeit veredelt als Tapferkeit, Sonnenschein
und Regen ist ihr unterthan, wo sie naht, trieft Segen auf Land
und Menschen, zeugend und zeitigend ist sie die Gottheit der
Liebe und Ehe. So urtheilt über die Vanengötter
überhaupt Weinhold D. Frauen, 30.
Aus dem Vorausstehenden ergiebt sich also, dass die
angeführten Namen der Göttin, eddisch Freyja,
langobardisch Frea, niederdeutsch Freen und Frien, oberdeutsch
Vren nur landschaftlich verschiedene Namensformen einer und
derselben Göttin sind. Seit wann aber ist die Frau Vrene des
schweiz. Tannhäuserliedes im hochd. Liedtexte eine Frau
Venus im Venusberge geworden? Seit den Ritterdichtungen des
Mittelalters, in denen die Minnegöttin modisch und gelehrt
die frow Venus und ihr Palast der Venusberg hiess, und seitdem
dann auch die theologische Literatur dieselbe Benennungsweise
nachahmend in ihre zahllosen Teufels- und Hexengeschichten
übertrug. Geiler von Keisersberg, in den Predigten von der
Omeiss 36, lässt die Hexen in
Frau Fenusberg
fahren;
schon fünfzig Jahre vor ihm nennt Joh. Nider († 1440)
im Formicarius zum gleichen Zwecke den
Venusberg
, und nach
hessischen Hexenakten von 1628 regiert im Venusberg
Frau
Holda
. Wolf, Ztschr. f. Myth. 1, 273. "Der Teufel pflegt
gemeiniglich seine Hochzeitleute auf dem Venusberg mit
Kröten
zu traktieren", schreibt der Arzt Lebenwaldt
in seiner Hausarznei, 1695, S. 262. Eben daher ist Frau Vrene im
Tannhäuserliede selber eine Verdammte, von welcher die
Strophe 4 sagt:
Sie ist ob em Gürtel Milch und Bluet
Und drunter wie Schlangen und Chrotte.
Folgerichtig wurden dann seit dem 14. Jahrhundert die
öffentlichen Frauenhäuser Venushäuser genannt und
nach der einmal vorhandenen Namensverwechslung zugleich auch
Vrenenhäuser. Ein Stadtquartier Hamburgs mit einem besondern
Hügel, das den Dirnen zum Wohnorte angewiesen war, heisst
Venusberg. Antiquarius des Elbstromes 1741, 761. Zu Basel war die
jetzige Malzgasse ehedem das Quartier der Malazen oder
Aussätzigen, und seit man letztere aus der Stadt wegwies,
das Dirnenquartier gewesen, und das dortige Frauenhaus hiess
beiderlei, Vrenen- und Venushaus. Davon sagt Pamphilus Gengenbach
in der Gauchmatt (ed. K. Gödeke, S. 151):
zuo Basel in der Malentz gassen
do hat sich fraw Venus nider glassen.
Auch dieser Umstand dient uns zur Erklärung einer
sonderbar lautenden Ueblichkeit. Der vorgeschriebne Weg, welchen
die am Verenatag zu Zurzach begangene Kirchenprozession
einzuhalten hat, geht vom Stift zu der ausserhalb des Ortes beim
Rhein liegenden Moritzkapelle und führt an einer alten Linde
vorbei, deren zerklüfteter Stamm mit Ziegelsteinen
ausgemauert ist. Man sagt, dahinter sei einst die Pest vermauert
worden. An der Stelle dieses Baumes stand zu Verenas Lebzeiten
das schon von der ältesten Legendenaufzeichnung
erwähnte Siechenhaus, das erst in diesen fünfziger
Jahren abgebrochen worden ist; neben demselben soll das offne
Frauenhaus gestanden haben, dessen Mitglieder in jenem die
untersten Dienstleistungen zu besorgen gezwungen waren. So oft
nun nachmals der Landvogt von Baden zur Eröffnung der
Zurzacher Dult im Flecken einritt, erwartete ihn unter dieser
Linde "eine fahrende Dirne", mit der er einen Tanz um den Baum
thun musste. Dafür erhielt sie einen Gulden Zehrgeld,
gestiftet von jener Königin Agnes, die zum Seelenheile
Albrechts, ihres erschlagnen Vaters, das Kloster
Königsfelden bei Brugg erbaut hatte. Gerbert in seiner
Taphographie thut dieses also entstandenen "Metzentanzes"
ebenfalls Erwähnung, verlegt ihn aber fälschlich unter
die Linde des Städtchens Brugg, also dem Stifte
Königsfelden zunächst. So war Verena die Patronin der
Frauenhäuser und Metzen geworden.
Die Zeit der Entstehung der Zurzacher Jahrmärkte ist noch
nicht aufgehellt; Kaiser Sigismunds Bestätigungsbrief und
Kaiser Friedrichs hernach wiederholte Approbirung nennt schon die
zwei dortigen Jahresmessen, die erste mit dem Sonntag nach
Pfingsten beginnend, die andre mit dem zweiten Montag nach
Bartholomäitag. Sie werden abwechselnd Dult und Messe
genannt. Der erstere Name stammt keineswegs aus dem latein.
indultum, der obrigkeitlichen oder kirchl. Erlaubniss, sondern
aus goth. dulds, ahd. tuld,
das in den Glossen als ein zur Zeit des Neumonds
begangenes Fest übersetzt wird und mithin ein im Heidenthum
entsprungenes Wort ist. Grimm, GDS. 72. Somit könnte die
Zurzacher Dult schon mit einem heidnischen Verenafeste
zusammengefallen sein, wie sie hernach mit dem christlichen Feste
daselbst wirklich und ausschliesslich zusammenhieng. Kirchen und
Klöstern wurde frühzeitig das Marktrecht verliehen; die
Kirche zu Magdeburg besass dasselbe schon 929, die Elsasser Abtei
Selz seit 982, und daher rührt der andere Marktname Messe.
Er bezeichnet den kirchlich begangenen Festtag eines
örtlichen Heiligen und den gleichzeitig abgehaltnen, von
zahlreichen Pilgerzügen besuchten Jahrmarkt. Alle
orientalischen Karavanenzüge gehen von einer Tempelstadt aus
oder enden bei einer solchen; alle Jahrmärkte des
Abendlandes tragen Kalendernamen der Heiligen; daher denn im
Worte Messe der Doppelbegriff des Handelsverkehrs und des
Gottesdienstes vereint liegt.
Jedoch nicht hinter allen den Orts- und Geschlechtsnamen,
welche häute Venus heissen, ist ursprünglich diese
wirklich zu suchen, und es ist bei unserem gegenwärtigen
Zwecke keineswegs überflüssig zu zeigen, wie hierin das
so vielfach wiederkehrende Wortmissverständniss sich erzeugt
hat. Veni heisst der neckende Berggeist am Trüdinger beim
Dorfe Eib an der Rezat, nächst der Stadt Ansbach; er wohnt
hier auf dem Schlossberge auf dem Venibuck im Veniloch, Die
Eingebornen nennen diesen Ort Venesberg, allein auf dem
lithograph. neuen Steuerblatte steht er bereits als Venusberg
verzeichnet. Bavaria III, 2. S. 941. Das Adelsgeschlecht der
Feniberger war sesshaft zu Bogen, unterhalb Regensburg am linken
Donauufer; sein Wappenbrief aber vom J. 1662 zeigt die Venus vor
einem grünen Hügel stehend. Anz. des German. Museums
1860, 88. Das sächs. Dorf Venusberg, zwei Stunden von
Wolkenstein, heisst urkundl. Fenigs- und Feinigsberg.
Grässe, Sag. v. Tannhäuser, 18. Ein Finisloch,
ausserhalb Marburg gelegen, heisst gleichfalls Venusloch. Lynker,
Hess. Sag. no. 152.
Das Staatshandbuch des Grossherzgth. Weimar
führt nicht weniger als sechs Beamte des Namens Venus auf:
Bechstein, Mythe 1854, Heft 1, 53. Dass nun diese Namen
unmöglich alle dem Latein abgesehen sein können,
empfand schon Fischart, der in seiner Uebersetzung von Bodinus
Dämonomanie, 1591, S. 67 vom Venusberg bei Breisach
berichtet und was man von den darin, schlafenden Rittern singt
und herumträgt; allein, fügt er bei, man pflegt im
deutschen Volksliede den Namen Venus aus dem Worte Fin und dieses
wiederum aus jenem abzuleiten. Hier nun ist die richtige
Ableitung folgende. Aus dem romanischen Worte Fee (fatua), ein
weiblicher Schutz- und Gefolgsgeist, bildet sich der mhd. Name
Feine und aus diesem die Pluralform Feenesleute, wie die
Erdmännchen in Vernalekens Oesterreich. Mythen, 23 heissen.
Die altfranz. Form Faye lebt noch im waatländer Patois fort,
Fayres bezeichnet da die gespenstischen Weissen Frauen und geht
ins Rhätische über, denn im Kt. Glarus heissen die
Waldgespenster pluralisch Fayer, gälisch Fairys. Wird also
der Quarzfelsen auf der Spitze des Feldberges im Taunus
abwechselnd Brunnhildenbett, Teufelskanzel und Venusstein
genannt, so steht nun fest, dass der letztere Name die als Feen
dorthin verwünschten bösen Geister bezeichnet und dass
sie Veensleute sind. Nicht unter diese Namensreihe gehört
jedoch der Name des Grafen Rudolf von Fenis, ein
Minnesänger, † um 1196; dessen Burg beim Bernerdorfe
Vingelz zwischen dem Bielersee und dem Seelande gelegen ist; sein
und seiner Burg urkundlicher Name ist Fenils, ableitend von
latein. fenus, Ertrag, fenile, Heuboden, hier in der
örtlichen Bedeutung von Schlossscheune und Vorburg.
Das nun gewonnene Ergebniss ist einfach und befriedigend.
Vrene, die Liebesgöttin, wird vom höfischen Geschmacke
zur Venus antikisirt, durch die Kirche zur Patronin der
Siechenhäuser, durch die Zeitsitte zur Mutter der
Frauenhäuser erhoben und erniedrigt, und durch romanischen
Spracheinfluss zur Königin der Feen gemacht, mit
denen sie im
Zauberberge wohnt. Der mit der Liebesgöttin in ihrem
schattigen Lusthain (im Tann) hausende Gemahl heisst eben so
erklärlich Tannhauser. Auf den bairisch-salzburgischen
Ritter und Minnesänger Tannhuser († um 1266) darf,
obschon er ein Zeitgenosse des im Liede mitgenannten Pabstes
Urban ist (der IV. dieses Namens † 1268), schon deshalb
nicht geschlossen werden, weil sich die Tannhäusersage, wenn
auch unter anderem Namen, in Schottland und Schweden wiederholt.
Belege hiefür giebt Grimm Myth. 888.
FUSSNOTEN:
III. Gertrud mit der Maus,
die Allerseelenherrin.
Die heilige Gertrud, ahd. Kêredrûd, trägt den
heidnischen Namen einer germanischen Walküre und
Speerjungfrau. Der mythologische Name Thrûdhr bezeichnet
sowohl Thôrs und Sifs Tochter, als auch eine der von der
Edda genannten 13 mit Odhin in die Schlacht reitenden
Schlachtjungfrauen. Das altnord. Appellativ thrudhr, ags. thrydh,
bezeichnet das Mannweib, virago; Gertrud also ist eine Jungfrau,
die den Gegner im Waffenkampfe niedertritt, wie unser jetziges
Wort Trude ebenfalls die den Schläfer auf die Brust tretende
Nachtmahre, den ihn im Traume reitenden Alp, bezeichnet. Der
Trude ist daher der fünfeckige Trudenfuss eigen, dessen
Missgestalt aus dem Schwanenfusse der schwanengeflügelten
Walküre entstanden ist. Eine Alptrudis und Albedrudis wird
im Polyptychon Irminonis (sec. 8) unter den fränkischen
Frauen genannt; ebendaselbst eine Ermendrudis (Dienerin des
Gottes Irmin), eine Anstrudis (der Asen Dienerin), eine
Electrudis (ahd. Alahtrûd), die das Heiligthum, alah,
verwaltende Tempeljungfrau. Die ahd. Frauennamen Wolchandrud,
Himildrud bezeichnen die geisterhaften Wetterfrauen, welche auf
den Wolken tanzen, dass Regen fällt; eine ahd. Glosse bei
Graff 5, 522 übersetzt trutari mit saltator, und jetzt noch
giebt der Volksglaube den Truden das Geschäft, in der
Walburgisnacht den Schnee vom Blocksberg wegtanzen zu
müssen. Da die Walküre zugleich die den Lebensfaden
spinnende Schicksalsschwester oder Norne ist, so vertauscht sie
den Speer gegen Rockenstab und Spindel, und so wird die hl.
Gertrud,
gleich
den Göttinnen Freyja, Holda und Berchta, spinnend
dargestellt, auf einem Wagen fahrend, ausnahmsweise sogar zu
Rosse sitzend. Wie die eben genannten Göttinnen mit ihrem
Erscheinen die Menschen zum Anbau des Kornes und Flachses
auffordern, so stehen in Gertruds Dienst die
Frühlingsvorboten Specht, Kukuk und Schnecke, tragen von ihr
den Beinamen und werden zugleich zu Todesboten; denn wie Freyja
sich mit Odhin in die Seelen der im Waffenkampfe Gefallnen
theilt, so wird Gertrud als Seelenherrin geschildert, und ihr
Geleitsthier, die nächtlich wühlende Maus, kündet
mit ihrem Erscheinen nicht bloss die Reife der Saat, sondern auch
Misswachs, Seuche und Tod an. In Folge dessen versöhnt man
die Heilige mit Trank- und Speiseopfern, indem man die
Gertrudenminne trinkt und das Erntebrod der Süssen
Mäuschen bäckt.
Dies ist der äusserliche Umriss dieser
heidnisch-christlichen Gestalt.
Ueber die Abkunft der geschichtlichen Gertrud schwebt schon
ihre älteste Legende in vielfältigen
Widersprüchen, die aus der Bemühung entstanden sind,
die Heilige in der Familie der Pipiniden und Karolinger
unterzubringen. Ihr ältester Biograph ist ein Mönch in
Nivelles, zugleich ein Zeuge ihres im dortigen Kloster 658
erfolgten Todes: A. SS. sec. II, pag. 467. Ihm zu Folge ist das
brabanter Stift Nivelles, zwischen Brüssel und dem
hennegauischen Gebirg gelegen, durch Pipins I. Gemahlin Ita um
640 gegründet und wird von deren Tochter Gertrud als erster
Abtissin regiert. Der Interpolator dieser Lebensbeschreibung,
gleichfalls ein Niveller Mönch im 10. Jahrhundert,
erzählt, dass Gertrud, um den Werbungen eines austrasischen
Herzogs auszuweichen, nach Franken entflohen sei und hier
längere Zeit in dem von ihr gestifteten Frauenkonvent
Karleburg am Main im Spessart ein gottgeweihtes Leben
geführt habe. Allein die Benediktiner fügen dieser
Angabe hinzu, dieselbe verwechsle die Pipinentochter mit einer
andern Heiligen desselben Namens, die unter Karl d. Gr. gelebt
habe. Und so
gilt die hl. Gertrud bei den Mainfranken bis heute als Karls
Tochter, welcher man dorten die Klostergründungen und
Vergabungen zu Karleburg und zu Neustadt am Main beilegt, ja man
führt daselbst noch eine dritte hl. Gertrud an, welche eine
Tochter des Grafen Berger von Sulzbach und nachmalige Gattin des
Königs Konrad III. gewesen ist. Das Ergebniss von dem allen
ist, dass Gertrud bei den Mainfranken wie bei den Friesen
frühzeitig eine volksthümliche Verehrung genoss, und
dass man aus eben dieser Ursache ihre Genealogie nachmals an das
grösste deutsche Kaiserhaus anknüpfte. Auch ihre
frühzeitig erfolgte kirchliche Anerkennung steht ausser
Zweifel; ihr sind in Belgien allein mindestens bei vierzig
Kirchen geweiht, A. SS. l.c.. pag. 475; ihr Name steht im
Rheinauer Martyrologium mitverzeichnet, welches dem 8.
Jahrhundert angehört, und das nach ihr benannte
Gertruidenburg am südlichen Ufer der Maas, das auf ihren
Wunsch eingeweiht sein soll, wird schon 992 als eine
Marienkapelle genannt. Reitberg, Kirchgesch. 2, 543. Ueberall
treffen so die ihr beigelegten Stiftungen oder die von ihr
gegründeten Kirchen mit den frühesten Anfängen des
Christenthums in Deutschland zusammen.
Ihre kirchlichen Embleme und Abbildungen sind nachfolgende. In
der Abtei zu Nivelles, wo sonst ihr wunderthätiges
Sterbebette kirchlich verwendet wurde, wird nun ihr Wagen
aufbewahrt. Bock, Eglise abbat. de Nivell. 4, 25. In
holländischen Kirchen ist sie abgemalt, in einer Hand den
Hirtenstab, in der andern ein Trinkgeschirr haltend, welches
stabil die Form eines Schiffleins hat. Mit diesem giebt sie sich
als die Patronin der Reisenden zu erkennen, die beim Abschied
"Sinte Geerteminne" trinken, um dadurch gute Herberge zu finden.
Wolf, Ndl. Sag. S. 434. Einen gleichen Stab, aber mit einem
Blumenkranz behangen, trägt Gertrudens hölzernes
Standbild in der Kapelle zu bairisch Hermatshofen. Panzer, BS. 2,
no. 246. Dieser Stab wird sich später als ein Rockenstab,
der Blumenkranz als
das Gertrudenkraut herausstellen. Am Titelblatte
des Gertrudenbuches, Köln 1506, ist sie abgebildet am Rocken
spinnend, an welchem drei Mäuse hinauflaufen; in ihr Kleid
sind Zauberzeichen eingewoben, zwei, Weihrauchfässer
schwingende Engel umschweben sie. Blunschi's Kalender aus der
Stadt Zug vom J. 1823, und ebenso der Krainische Bauernkalender
bezeichnen den 17. März, als den Gertrudentag, durch zwei
Mäuslein, die an einer aufgeweiften Spindel nagen. Eine
damit correspondirende Stelle in Konrads von Dankratsheim
Namensbüchlein (edd. Strobel) lautet:
so kumet die liebe sant Geretrud,
die so entschlief in gottes willen,
und stulen die ratten und miuse ir spillen
und trugen sie in ir miuseloch.
Auf einem Gemälde, das vordem im Strassburger
Münster gewesen, auf das sich Schilter in seinen Anmerkungen
zu Könighovens Chronik 571 beruft, war der Strassburger
Bischof Wilderolf zu sehen, zu Schiffe fahrend, umschwommen von
Mäusen und überragt von St. Gertrud. Von diesen beiden
in der Gertrudslegende sich wiederholenden Emblemen, dem Schiffe
und der Maus, wird nachher ausführlicher die Rede sein;
für jetzt seien die landwirtschaftlichen und
bürgerlichen Ueblichkeiten hier vorangestellt, die sich an
den Gertrudentag und an dessen Zeitthiere anreihen.
Betrachten wir die an den Gertrudentag (17. März) sich
knüpfenden Kalenderregeln. Weil mit dem 25. Nov. (als am
Katharinentage) der Winter, und mit dem 17. März der
Frühling beginnen soll, so ziehen mit dem letzteren Termin
die Hausmäuse aufs Feld. Davon heisst es bei Lasicz:
Gertrudis mures a colis mulierum abigit. Altbairisch: Gertraud
lauft d'Maus go Feld aus. Quitzmann, Bajwaren 124. Am
Gertrudentag lauft die Maus den Rocken hinauf und beisst den
Faden ab. Schmeller, Wörtb. 2, 71. Mit diesem Tage werden
also die Spinnabende eingestellt und es beginnt die Gartenarbeit,
weshalb die Heilige auch als die erste Gärtnerin
verehrt ist.
Die Frühlingswärme kommt, die Bienen nehmen ihren
Ausflug, das Stallthier geht wieder zur Weide. Davon reden
folgende Sprüche;
Sünte Katherin
smitt den ersten Stên in 'nen Rhîn.
Sünte Gerderut
tüht ne wi'er herut. (Aus Köln.)
Sankt Gertraud
führt die Kuh ins Kraut,
das Ross zum Zug,
die Bienen zum Flug.
Gerdrut
geht das Schoof mit dem Lamme ruut. (Aus dem
Waldeckischen.)
Sant Gertrud
Säit Zibelä und Chrût.
(Schweizerisch.)
Wichtiger und von weiter reichendem Ziele werden diese
Kalenderregeln, wenn man sie auf Specht, Kukuk und Schnecke
ausdehnt und diese als im Dienste Gertrudens stehend aufweist.
Alle drei werden von der Kalenderregel in dieselbe Zeitfrist
gesetzt. Der Specht heisst Schweiz. Merzafülli, d.i. Fohlen;
Gertrudentag fällt auf 17. März und die Bauernpraktika
sagt: Schreit der Kukuk früh im März, so giebts einen
guten Frühling.
Der Schwede nennt den Schwarzspecht Gjertrudsfuglen und
erzählt von ihm folgendes Märchen, enthalten in
Asbjörnsen's Norske Folke-Eventyr 1866, no. 2. Christus und
Petrus erscheinen reisemüde und hungrig bei einer
brodbackenden Frau, welche Gertrud hiess und eine rothe Haube
trug. Auf Beider Bitte nahm sie ein bischen Teig in die
Backpfanne und thats übers Feuer, doch das Bischen gieng
sogleich hoch auf und füllte das ganze Geschirr. Dieser
Kuchen war ihr für ein Almosen zu gross; zum zweiten male
nahm sie noch weniger Teig, doch auch dieser bekam dieselbe
Grösse, und als nun zum dritten male dasselbe geschah,
sprach das Weib: Ihr müsset ohne Almosen gehen,
all mein
Gebäcke wird zu gross für euch! Zur Strafe
verwünschte der Herr die Geizige in den Gertrudenvogel, der
noch ihre rothe Haube trägt und kohlschwarz ist wie sie, als
sie zum Schornstein hinausfuhr. Beständig hungernd hackt sie
nach Futter in die Baumrinde.—Dieselbe Sage in deutscher
Version lautet bei Simrock, Myth. 3, 23 also: Christus gieng an
einem Beckerladen vorüber, wo frisches Brod duftete, und
sandte einen der Jünger hin, um ein Stück zu erbitten.
Der Becker schlug es ab, doch die Beckersfrau, die mit ihren
sechs Töchtern von ferne stand, gab es heimlich her.
Dafür sind diese zusammen als das Siebengestirn an den
Himmel versetzt, der Becker aber ist zum Kukuk geworden. In
Prätorius Weltbeschreibung und darnach in Grimms Myth. 641
wird eben dasselbe also berichtet. Ein Becker hat zur theuern
Zeit den armen Leuten von ihrem Teig gestohlen und, wenn Gott den
Teig im Ofen segnete, ihn herausgezogen, bezupft und dabei
gerufen: Guck! guck! (ei sieh!) Dafür ist er in einen
Raubvogel verwandelt, der unaufhörlich dieses Geschrei
wiederholt. Im aargauer Freienamt gilt hierüber folgende
Spielart. Ein hungernder Knabe wollte einem Marktweibe ein
Brodwecklein abkaufen, sie, forderte aber so viele Kreuzer
dafür, als man auf des Kindes flache Hand hinzählen
könne. Das Büblein gieng darauf ein und machte sein
hingestrecktes Händchen immer hohler und schmaler. Da die
Alte nun in ihrem Zählen gar nicht fertig werden wollte,
noch ein Plätzchen und wieder eins auf der Kinderhand zu
suchen, so rief zuletzt der Knabe voll Hunger und Verdruss: So
flieg und ruf Kukuk! Alemann. Kinderlied, S. 78.
So wird hier der Specht, ursprünglich ein
nahrungsspendender Bote Gottes, ein die Nahrung hartherzig
verweigernder Theuerungsgeist und geht in die Gestalt des
gleichfalls eigennützig gefassten Kukuk über. Daher
heisst es von diesem letzteren, er sei ein diebischer
verwünschter Beckerknecht und trage davon sein fahles,
mehlbestaubtes Gefieder. Dies besagen die nachfolgenden
Kindersprüche:
Kukuk stahl Weggen.
[13]
—Kukuk,
Beckenknecht!
[14]
—Kukuk,
Speckbub!
[15]
—Kukuk,
schniet Speck up!
[16]
.—Der Gugger uf em
dürre Nast, er bettelt Brod und wird nicht nass.
[17]
Der Sauerklee, Oxalis
acetosella, der zur nemlichen Zeit blüht, da des Kukuks Ruf
ertönt, heisst in Deutschland Kukukskohl, in der deutschen
Schweiz Guggerbrod, franz. pain de coucou, tessinisch pan cuculo,
romansch paun e caschöl cucu (Butterbrod), und weil seine
säuerlichen Blättchen von den Kindern genascht werden,
auch Herrgottensüpple, Herrgottenbrod. Fr. Staub, das Brod,
1868, 6. Auch die süssen Keime des Habermarks (Tragopogon)
heissen Guggichbrödle.
Der Vogel schenkt oder raubt also Brod und Butter, Speck und
Speckwecken, nemlich solcherlei Kuchen, die man nach beendigter
Fastenzeit um Ostern bäckt, mit Speckwürfeln belegt und
Speckwähen benennt. Die Rolle des Diebes wird ihm beigelegt,
weil er nur so lange seinen Ruf ertönen lässt, als die
Brütezeit dauert und er die Eier andrer Vögel
aussäuft. Ist diese Zeit vorüber und es beginnt die
Reife der Frühkirschen, so sieht er auch diese, heisst es,
in seiner Gier für buntgesprenkelte Eier an und frisst deren
so viele, dass ihm die Stimme verfällt und er nur noch
heiser ruft. Die Sage von der durch ihn erregten Theuerung
knüpft sich an sein zeitweilen verspätetes Erscheinen
und an sein über die geregelte Frist andauerndes Rufen. Die
oberfränkischen Bussbacher sollen ihn daher einmal bei
langem Regenwetter mit dem Backwisch verjagt haben. Panzer, BS.
2, no. 285. Er soll nur so lange rufen, als das Siebengestirn am
Himmel steht, in welches jene Beckerin mit ihren Töchtern
verwandelt ist; das ist bis Ende Juni. Die appenzeller
Bauernregel sagt hierüber: Wenn d'Henne abwärts
gönd, schlôt s'Brod ab, wenn s'ûfwärts
gönd,
schlôt 's ûf. Hält der Vogel diese Frist nicht
mit ein, so entsteht Nahrungsmangel, dessen Opfer er selber
zuerst wird; hievon erzählt folgender venetianer Spruch:
Am achten des Aprils,
da soll der Kukuk kommen;
Kommt er am achten nicht,
so ist er todt oder gefangen.
Kommt er am zehnten nicht,
so hängt er gefangen im Zaun.
Und kommt er am zwanzigsten nicht,
so ist er gefangen im Korn;
Und kommt er am dreissigsten nicht,
so ass ihn der Hirt mit Polenta.
Weil mit des Kukuks zeitgemässem Erscheinen zugleich der
Anbau in der ganzen Gemeindeflur beginnt, so heisst er in
schwäbisch Mundingen Oeschhei, d.i. der Flurhege (vgl.
Holzhei; Wieshei: der Bannwart), und daraus erklärt sich
vollständig der Schwabenstreich des Städtchens
Haiterbach, welches gegen die verspätete Ankunft des Vogels
Kirchengebete abhielt. Wolf, Ztschr. 1, 440. Der appenzeller
Spruch bestimmt: Am dritten Abrelle muss der Gugger grüene
Haber schnelle (anraunzen). Schreit er nach Johannis von Norden
her, so bringt er in Zürich einen sauern Wein; fliegt er den
Wohnhäusern zu nahe, eine Jahrestheuerung (Gessner's
Thierbuch, Von den Vögeln LXXI). Hält er den richtigen
Termin ein, so ist er nachdrucksam der Zeitvogel und kann um
Wohlstand und Lebensdauer zugleich befragt werden, so dass er
beides bis in den Brodkorb hinein prophezeien wird; daher ruft
ihm der Schwabe zu, in Meiers Kinderreim. no. 87:
Schrei sie mir in Deckelkräbe
Wie viel Jahr darf ich noch lebe?
Dieselbe Anfrage ergeht auch an die Schnecke, welche wie
Specht und Kukuk, ein den Lenz, die Jahresfruchtbarkeit und die
Lebensdauer verkündendes Thier ist und im Dienste Gertrudens
gestanden hat;
[Nachtrag 4]
man ruft
ihr in einem Jeverschen Kinderspruche (Mannhardt, Ztschr. f.
Myth. 3, 222):
Kukuk, Kukuk, Gerderut:
stäck dîne vêr Hörns herut!
Um so besser stehts um das berufende Kind, je pünktlicher
ihm die Schnecke ihre vier Fühler zeigt; es erkrankt, wird
kreuzlahm, wenn es in die Fühler zwickt. Alemann. Kinderl.
S. 97. Aus Göthes Lied Frühlingsorakel ist die Sitte
allbekannt, nach der Zahl der im April gehörten ersten
Kukuksrufe die Hochzeitsfrist, die Zahl der Kinder und der
Lebensjahre voraus zu bestimmen; aber Vorbedingung dazu ist, dass
man dem Vogel erst einen Thron baue, von dem herab er seine
Weissagung ertheile, dies ist ein aus Binsen geflochtner Sessel,
westfälisch der Kukukesstaul genannt (Woeste in Wolfs
Ztschr. 2, 95). Alsdann spricht man:
Gugguger im Sessel,
Gieb mir dein Geld zu lesen,
Will dein Geld dir wieder geben,
Sag, wie viel Jahr thu ich leben?
Andr. Strobel, Geistl. Kartenspiel, Sulzbach 1693, 1 Th. 118.
In Sommers Thüring. Sag. no. 9 kommt in den Zwölften
unter wunderbarem, weit vernehmbarem Sausen, eine Frau durch die
Luft geflogen, welche die Gestalt einer gewöhnlichen Taube
hat, aber an ihren Füsschen ein kleines Schilfstühlchen
mitträgt, das sie, wenn sie müde wird, auf den Boden
stellt, um darauf auszuruhen. Sie selbst berührt die Erde
nie, wo sie aber das Stühlchen hinsetzt, da grünt und
blüht es im folgenden Sommer am schönsten und
fruchtbarsten. Am Morgen des Dreikönigtages wird die Taube
wieder zur Frau. Hier ist der Frühlingsbote, Kukuk oder
Taube, die ihn aussendende Himmelsherrin selbst, nemlich Frigg
die Göttermutter, die nach Paulus Diaconus Frea heisst und
neben dem Gemahl Gwodan auf dem goldnen Thron in Walhalla sitzt.
Als Frühlingsgöttin steht Freyja-Frigg der grossen
Maifeier vor, denn in den Niederlanden heisst der Mai
Vrymänd. Compte rendu, Bruxelles 1843.
VII. 1, 29. Menzel, Vorchristl. Unsterblichkeitslehre, 2,
243.
Im aargauer Frickthale pflegen die Kinder dem Kukuk zu
rufen:
Gugger uf em grüene Ast,
Du, mi liebe, schüeche Gast:
Gugg mer doch, bis au so guet,
Wie mängis Jahr no han i z'guet?
Wer während dem ungerades Geld bei sich trägt und
auf den Sack schlägt, dem geht es das Jahr über nicht
aus, eine Volksmeinung, von welcher der Berner Volksdichter G.J.
Kuhn (Volkslieder 1819, 93) ein Liebespaar also reden
lässt:
Hans ghört di z'erst, er gryft i Sack
u sucht sys Geld: "O tusi Drack (Drache!),
dass i kei Batze by mer ha,
jetz wird's mer wol s'ganz Jahr so ga!"
Un Aenni lost und fraglet di:
Wie mängs Jahr ächt no leben i?
Von der gleichen Frage eines alten Weibes berichtet der
Zürcher Chirurg Rud. Gwerb, Leuth- und Vychbesägnen,
Zürich 1646, 13: "Vnd da der guckguck Fünffe
herfür geschrauwen, da vermeinte das thorachte alte weyb
anders nichts, dann das sy noch fünff jahre zu leben hette.
Sie fiel aber bald in eine schwäre krankheit und da sie zum
sterben sich zuzerüsten vermanet worden, wolte sie nicht
dran, dann der guckguck hette jhren anders verheissen. Vnd ob es
gleichwol mit jhren auff dem letzten gepfiffen, bliebe sie doch
jmmer auff jhrer meinung und als sie jetz kein wort mehr reden
kondte, streckte sie noch fünft finger auff, andeutende,
dass sie, nach des guckgucks gesang noch fünff jahr zu leben
habe. Das heisset auff das vogelgeschrey achten!"
Von demjenigen, dessen Leben augenscheinlich zu Ende geht,
sagt man, der hört auch den Kukuk nicht mehr; was man
verwünschen will, das soll des Kukuks werden, sich zum Kukuk
scheren. Der die Lebensdauer weissagende Vogel wird also damit
zum Propheten des Todes. "Der Kukuk auf dem Dache bringt den Tod
ins Haus." Hahn, Albanes. Studien l, 158. Als Vogel der Trauer
gilt er in kleinrussischen Liedern. Myth. 646. Nach serbischem
Glauben
verwandeln sich die Seelen Verstorbener in Kukuke, man findet
daher auf den hölzernen Grabkreuzen in Serbien so viele
Kukuke abgebildet, als Angehörige um einen Todten trauern,
und von einem Serbenmädchen, dem der Bruder gestorben war,
wird erzählt, dass es nie mehr habe den Kukuksruf hören
können, ohne nicht in heftiges Weinen auszubrechen.
Friedreich, Symbolik 534, nach Hanusch, Slaw. Mythus. 317.
Dieselbe Rolle des Leichenvogels ist ihm im finnischen Epos
Kalewala zugetheilt; da klagt die alte Mutter, deren Tochter Aino
beim Frühlingsbade ertrunken, im nächsten
Frühjahre:
Aelter wird mein Ellenbogen,
Schwächer wird mein Handgelenke,
Ja, der ganze Körper zittert,
Wenn des Kukuks Ruf ich höre!
Schiefner's Uebers. 24. Kukuk und Specht treffen auch in ihrem
ältesten Mythus überein. Altpolnisch hiess der Kukuk
Zywie und war ein verwandelter Gott: opinabantur enim, supremum
hunc universi moderatorem transfigurari in cuculum. Myth. 643.
Dasselbe behauptet auch das griech. und römische Alterthum
vom Specht. In Kreta zeigte man sein Grab und eine Säule
dabei mit der Aufschrift: Hier liegt nach seinem Tode Picus der
Zeus (Πῖκος ὁ
Ζεύς), und ebenso hatte er nach
altrömischer Mythe die ausgesetzten Zwillingssöhne des
Mars, Romulus und Remus, aufgeässt und hiess davon Picus
Martius. In der tiroler Gemeinde Wangen ist sein Name "der
Wangener Gott". Zingerle, Tir. Sag. no. 1064. Die berühmte
Springwurzel, vor welcher die Thüren der Schatzkammern und
Gefängnisse aufspringen, liegt in seinem Neste; statt seine
Jungen mit ihr zu füttern, lässt er sie von dem Baume
fallen, unter den man ein rothes Tuch breitet. Wer sie dann in
den Mund nimmt, versteht aller Vögel Sprache. Wie Zeus sich
in den Kukuk verwandelt und sich auf den Scepterstab der Here
setzt, so wird der Specht auf Gertrudens Stab weissagend gesessen
haben; dieser Stab selbst wird theils zur erlösendem
Springwurzel,
theils zur Spindel, theils verwandelt er deren Flachs in Gold.
Ueberdies verleiht der Specht (ableitend von ahd. spahi, prudens,
der spähende) seinen Namen eben jenem Spessart (urkundl.
spechtes-hart), welcher der Schauplatz war von Gertrudens
Thätigkeit in Ostfranken, und so heisst das Thier mit
wiederholtem Nachdruck Gertrudenvogel.
Wie diese eben beschriebnen Frühlingsthiere, weil sie
dämonische sind, aus Glücksboten sich in vorahnende
Todesboten verkehren, so geschieht dies vornemlich mit Gertrudens
besonderem Gefolgsthiere, der Maus. Die Seelen der Abgeschiedenen
werden zuerst von Gertrud empfangen, um sich da entweder in gute
oder in böse Elbe zu verwandeln; als solche erscheinen sie
hierauf wieder als schädigende oder als bescherende
Mäuse. Diesen Satz aus der Lehre von der Seelenwanderung
nehmen wir nunmehr in Ausführung.
Wie Holda-Berchta die unmündig Verstorbenen, und
Valfreyja die in der Schlacht Gefallenen zu sich nimmt, so haben
nach älterem Kirchenglauben die Seelen der Abgeschiedenen
ihre erste Herberge bei St. Gertrud zu nehmen. Hievon handelt
eine Handschrift des XV. Jahrh., welche Grimm Myth. 54 citirt:
Aliqui dicunt, quod, quando anima egressa est, tunc prima nocte
pernoctabit cum beata Gerdrude, secunda nocte cum archangelis,
sed tertia nocte vadit sicut diffinitum est de ea. Erweitert
findet sich dieser merkwürdige Glaubenszug in Nik. Gryse's
niederd.
Spegel
, auf welchen Schiller, Meklenburger Thier-
und Kräuterbuch 3, 41 verweist: Se geven ock vor, wenn de
Seele vth dem Minschen varet, so moth se de erste Nacht Herberge
hebben by S. Gerderuten, darumme ock S. Gerderuten Kercke
gemeinlyken vor de Döre der groten Stede gebuwet syn; und
darnâ moth se ůuer dat Leuuer-Meer. Dieser hier das
Lebermeer genannte Todtenstrom war auf jenem vorhin schon
erwähnten Münstergemälde dargestellt, das den
Bischof Wilderolf und St. Gertrud zu Schiffe zeigte, und wird in
der Sage von Hattos Mäusethurm zum Rheinstrom. Hievon
später.
Gertrudens Kirche und die von den Geistern darin abgehaltene
Todtenmesse spiegelt sich ab in der Nürnberger Sage von der
Jungfrau Gertraud Stromer. Der Patrizier Imhof, an dem dieser
Jungfrau ganzes Herz hieng, war, weil sie ihm ihre Liebe verhehlt
hatte, ihrer Freundin zu Theil geworden, starb nach kurzer Ehe
und auch Gertraud überlebte ihn nicht lange. Drei Wochen
nach diesem letzteren Todesfall gieng am Allerseelentag 1430 die
Wittwe Imhof vor Tag in die Frühmesse nach St. Lorenz, hier
aber befiel sie der unheimliche Eindruck, als wären statt
der Gemeinde und Geistlichkeit lauter Verstorbene versammelt. Als
sie nun, um anzufragen, aus ihrem Stuhle trat und eine vor ihr
knieende Jungfrau leise auf die Schulter klopfte, erkannte sie in
dieser ihre vor drei Wochen begrabne Freundin Gertraud. Auf deren
Rath verliess sie so eilig die Kirche, dass sie ihren Mantel
vergass, floh heim, erkrankte heftig und trat darauf ins
Klarissenkloster. Hier starb sie nach etlichen Jahren und zwar
gleichfalls am Morgen des Allerseelentages. Schöppner, Sagb.
no. 1147. Die Heilige ist hier zu einer gleichnamigen
Nürnberger Patrizierin geworden, welche über das stumme
Todtenheer, in dessen Mitte sie ist, allein Auskunft zu geben
vermag, deren Herzenszug aber noch immer die Liebe ist zu dem
ehemaligen Geliebten. Von diesem Naturell der Walküre
liefert die Gertrudensage noch mehrere nachher zu behandelnde
Einzelheiten; hier ist vorerst der Glaube zu zeigen, dass die
Abgeschiedenen die Gestalt von Mäusen annehmen.
Die Seelenherrin selbst ist die Weisse Frau und auch sie
erscheint als Weisse Maus. Müller-Schambach,
Niedersächs. Sag. S. 269; dazu ebendas. no. 7. 264.
Lübecks Stadtwahrzeichen ist eine in dortiger Marienkirche
abgebildete Maus, die an der Wurzel eines Baumstrunkes nagt; sie
sei ein Weib gewesen, die über dem Wunsche, niemals zu
sterben, zu mehrhundertjährigem Alter kam, zur Grösse
einer Maus zusammenschrumpfte und unter einem Glaskästchen
in dortiger Kirche aufbewahrt wurde. Bechstein
DSagb. no. 212.
Letzteres stimmt mit der Sage vom thebanischen Seher Tiresias,
der fünf, ja sogar neun Menschenalter gelebt haben und nach
seinem Tode in eine Maus verwandelt worden sein soll. Nork,
Realwtb. 4, 382. Die Blocksbergsscene im Göthe'schen Faust
schildert das plötzliche Ende der gespenstischen
Tänzerin: "Mitten im Gesange sprang ein weisses
Mäuschen ihr aus dem Munde." Im aargauer Volksglauben finden
sich folgende Sätze. Wenn der von Gemeinde wegen
aufgestellte Feldmauser drei weisse Mäuse fängt und
tödtet, so kommt er in die Hölle. Wer eine weisse Maus
quält, dem fressen die übrigen das Korn von der
Schütte. Vor der französ. Invasion 1798 waren im
Hauptgange des Rathhauses zu Aarau, wo die Schildwache stand, in
jeder Nacht auf Himmelfahrt zwölf weisse Mäuse zu
erblicken, die man für zwölf verwünschte
Rathsherren hielt; so erzählt uns die Bauernfrau Schenker
aus solothurnisch Däniken.—Weisse Mäuse,
berichtet V. Grohman über Böhmen, geniessen in diesem
Lande eine Art religiöser Verehrung, man macht ihnen ein
Lager zwischen den Stubenfenstern und pflegt sie, damit nicht mit
ihnen das Glück des Hauses sterbe. Ein Nest weisser
Mäuse zu finden ist nur Sache eines Sonntagskindes. Auf
Schloss Drazic werden sie eigens gezüchtet, und lässt
man ihrer eine in die Kornscheune laufen, so schüttet da das
Getreide um die Hälfte mehr als sonst. Wer eine Maus
zertritt, der führt den Teufel ins Haus. Zingerle, Tirol.
Sitt. S. 55. Je weisser der Zahn, von dessen Ausfall man
träumt, um so näher verwandt der Freund, dessen Tod
drauf erfolgt (Aargau).
[18]
Dem Aberglauben gelten auch
die rothen Mäuse in einem ähnlichen Sinne. Der Zauberer
in Obermumpf vermochte einem mit offnem Munde Schlafenden als
rothes Mäuschen
bis ins Herz hinunter zu schlupfen. Aargau. Sag.
2, S. 152. Dagegen ereifert sich der niederd. Pfarrer
Männling in seinen Curiositäten, Frkf. 1713: "Ists
nicht schreckliche Dummheit, dass man sich bereden lässt,
die Seele des Menschen sei eine rothe Maus, welche, wenn man
schlafe, aus dem Munde heraus spaziere!" Eben solcherlei Sagen
von in Gestalt der Mäuse auswandernden Seelen wollen wir nun
folgen lassen.
Einer thüringer Magd, die in der Gesindestube über
der Arbeit entschlafen ist, kommt ein
rothes Mäuschen
zum Munde heraus und geht durchs offenstehende Fenster davon. Ein
mit zuschauendes Dienstmädchen rüttelt die Schlafende
von ihrer Stelle, ohne sie erwecken zu können. Das
Mäuschen kehrte hierauf zurück, suchte hin und her nach
der vorigen Stelle, fand sie nicht mehr und verschwand zuletzt.
Nun aber erwachte die Schlafende nicht wieder, sondern blieb
todt. Grimm, DS. 1, S. 335. In Gestalt eines
weissen
Mäuschens
kommt der Alb durchs Schlüsselloch ins
Schlafzimmer und drückt den Sohn. Die Mutter, welche
vorsorglich schon ein Tuch über die Brust des Schlafenden
gebreitet hat, legt es nun, da sie ihn stöhnen hört, an
den vier Enden zusammen, thuts in die Schublade der Kommode und
lässt den Schlüssel dran stecken. In derselben Stunde
war im Nachbarorte ein Mädchen plötzlich gestorben und
sollte nach drei Tagen begraben werden. Da traf sichs, dass der
Sohn, der seit dieser Zeit vom Alb frei geblieben war, am dritten
zufällig den Schlüssel von der Schublade abzog, worin
jenes Tuch lag. Sogleich schlupfte ein weisses Mäuschen
durchs Schlüsselloch und lief zur Thür hinaus.
Gleichzeitig hatte man im Nachbarorte schon den Sarg schliessen
wollen, als ein Mäuschen zur Thüre herein und in den
Mund der Leiche gelaufen kam, diese öffnete die Augen und
gehörte wieder dem Leben an. Wolf, Hess. Sag. no. 95.
Dieselbe Begebenheit in Sommers Thüring. Sag. no 40. In
gleicher Gestalt kommt die Nachtmahr zum schlafenden Gesellen
geschlichen und wird in gleicher Weise von ihm gefangen; kaum hat
er das
Schlüsselloch der Kammerthüre verstopft, so sieht er
statt der Maus ein wunderschönes Mädchen splitternackt
hinter dem Ofen sitzen. Ibid. no. 96. Kuhn, Westfäl. Sag.
no. 247. Wenn der Bergmeister Hinten auf dem Harze seinen
Nachmittagsschlaf zu machen pflegte, kam eine Maus aus seinem
Munde gekrochen und schlupfte in die Erde, doch zur vorbestimmten
Minute erschien sie wieder und kroch in den Mund zurück.
Alsdann wachte der Bergmeister unter heftigem Schnarchen auf, zog
rasch seinen Fahrhabit an und fuhr in den Schacht. Dies that er
nie vergeblich, denn sicher hatte er jedesmal durch die Maus
Nachricht erhalten, dass die Knappen falsch gearbeitet oder gar
die Grube verlassen hatten. Pröhle, Harzsagen 1, S. 68. Die
Wache der Landsknechte sieht ihrer einen in der Mittagsrast
einschlafen, da kommt ein kleines weisses Thierlein, gleich einer
Wiesel, aus seinem Munde dem nächsten Bächlein
zugelaufen und will hinüber. Der zuschauende Knecht legt
sein entblösstes Schwert wie eine Brücke über den
Graben, das Thierlein geht darüber hin und verschwindet.
Nach einer kleinen Weile wieder kommend, findet es jenseits die
vorige Brücke nicht mehr, da mittlerweile der Kriegsknecht
sein Schwert weggethan. Also brückte dieser ihr abermals,
das Thierlein kam herüber, näherte sich dem Schlafenden
und kehrte in seine vorige Herberge ein. Als die Spiessgesellen
den Erwachenden befragten, was ihm im Schlafe begegnet,
antwortete er: Mir träumte, ich wäre gar müd und
hellig von wegen eines fernen weiten Weges, den ich zog, und auf
dem Wege musste ich zweimal über eine eiserne Brücke.
Grimm, DS. no. 455. Ebenfalls als Wiesel fährt die Seele
eines schlafenden Hirtenknaben aus. Wolf, Hess. Sag. no. 98. Der
Prototyp dieser Sage ist nach der Aufzeichnung von Paulus
Diaconus 3,34 und Aimoinus 3,3: der Frankenkönig Guntram,
dessen Seele in eines Schlängleins Gestalt aus des
Schlafenden Munde kommt, auf einem Schwerte den Bach
überschleicht, in einen Berg schlieft und rückkehrend
über die nämliche Schwertbrücke in den Mund
des Königs
zurück geht. Der Erwachende erzählt, vom grossen Flusse
mit Eisenbrücken geträumt und im hohlen Berge den Hort
der Ahnen erblickt zu haben. Grimm, DS. no. 428 (zweite Aufl. no.
433).
[19]
Einige ähnliche Sagen
aus Böhmen theilt Grohmann mit in Apollo Smintheus pg. 22.
Die ausfahrende Seele nimmt auch noch anderer Thiere Gestalt an,
zumal geflügelter. Aus dem Munde schlafender Hexen bricht
eine Fliege (Grimm, DS. 2. Aufl. no. 408), eine Hummel, Wespe,
ein Schmetterling hervor. Grimm, Myth. 1031, und Vonbun,
Beiträge 2, 83. So viel von den Mäusen als ausfahrenden
und umwandernden Menschenseelen. Sind die Mäuse damit
Geister, so können sie sowohl Segens- als auch Rachegeister
werden, den Freund beschützen und den Feindseligen
vertilgen, und daraus wird ihr Erscheinen überhaupt den
Völkern allgemein zum Omen. Das Gleichgültigere sei
hier wiederum vorangestellt, um zum historisch Wichtigen
emporzuführen. Unser übelverstandner Ausdruck maustodt,
anstatt mhd. murztot, holländ. morsdood, spielt auf Maus und
Scheermaus an, deren Stossen im Wohnhause auf den Tod des
Hausherrn gedeutet wird. Träumt man von Mäusen, so wird
es nächstens etwas Ungerades geben; klettert die Maus an der
Zimmerwand, so entsteht Hauszank; raschelt sie im Bettstroh, so
betrifft den Schläfer schon am Morgen Unheil; nagt sie an
seinem Kleide, so stirbt dieser bald. Verlassen sämmtliche
Mäuse mit einem Male das Haus, so ist dies mit Aussterben
bedroht; man sagt: viel Müs, wenig Lüt. Salom. Landolt,
Reime und Lieder, Aarau 1845, sagt S. 326 von der Maus:
Der Aberglaube redt re noh,
(Me cha zwar uf das G'schwätz nid goh,
Glaubt' i's, i müesst mi schäme):
Verlöi die Fründi d'Wohnig ganz,
Geb's i dem Hus en andre Tanz,
Das heisst, es g'hei bald z'säme.
Mäuse verkündeten den Ausbruch des marsischen
Krieges, als sie die Silberschilde zu Lanuvium benagten, und den
Tod des Feldherrn Carbo, als sie dessen Schuhriemen zerbissen.
Cicero de Divin. 2, 27. Plinius HN. 8, 82. Als die
Philistäer die Bundeslade geraubt und in Dagons
Götzentempel aufgestellt hatten, schlug Jehovah sie mit der
Beulenpest und ihre Felder mit dem Mäusefrasse (percussit
inimicos in posteriora. Psalm 77, 66). Nach sieben Monaten
lieferten sie die Arche wieder zurück und übersandten
dazu in einem Kästlein als Sühnkleinode fünf
goldne Mäuse und fünf goldne Aerse, beides nach er Zahl
der mit der Doppelplage heimgesucht gewesnen philistäischen
Landschaften. 1. Sam. 6, 4. Aehnliche Sühnbilder sind dem
ganzen antiken Alterthum gemeinsam. Der Priesterkönig
Sethon, der die Pest abgewendet hatte, erhielt dafür eine
Bildsäule, welche in der einen Hand eine Maus hielt. Herodot
2, 141. Vergoldete Aehren und goldne Mäuse wurden der
phönizischen Ceres zum Sühnopfer gebracht. Welcker,
Griech. Götterl. 1, 484. Im kretensischen und im
äolischen Dialekt bedeutet Apollos Beiname Smintheus eine
Feldmaus, Münzen von Tenedos stellen ihn mit dem Pestpfeil
und der Maus dar, sowie auch eine Münze von Metapont die
sechszeilige Gerstenähre zugleich mit der Wanderheuschrecke
und der Maus aufweist. O Heer, Pflanzen der Pfahlbauten. Selbst
Athene, wie man sie auf Gemmen dargestellt sieht (Tassie no.
1585), trägt die Maus auf dem Brustharnisch oder auf der
Schulter. Menzel, Vorchristl. Unsterblichkeitslehre 1, 22. In
allen diesen Sinnbildern ist mithin die Pestseuche an den
Misswachs, dieser an den Mäusefrass geknüpft, und die
agrarischen Gottheiten nehmen das ihnen in Form einer Maus
dargebrachte Opfer an und heben die herschenden Uebel
auf, indem sie
die Mäuse vertilgen. Dieselbe Abhülfe wird nun aber
auch durch die hl. Gertrud gewährt, welche, indem sie die
Mäuseplage aufhebt, zugleich die Seuchen abwendet. So lange
schon Gertrud ein Standbild in der Kapelle zu baierisch
Hermatshofen besitzt, hat sie von diesem Orte stets die
Viehseuchen abgehalten. Panzer, BS. 2, 157. Dahin gehört die
allbekannte Sage vom Rattenfänger zu Hameln. Da sich an sie
die Geschichte von der magischen Pfeife knüpft, mit deren
Tone die Mäuse vertrieben werden, und hiervon noch
später bei Gelegenheit der in Mausform gebackenen Erntenudel
wiederum die Rede sein muss, so folgt hier diese Hamelner
Geschichte in der Fassung nach, wie sie Balth. Becker in der
Bezauberten Welt lib. 4, S. 157 des Mart. Tschockius Fabula
Hamelensis nacherzählt. Als die Stadt Hameln a.d. Weser im
J. 1284 mit einem Haufen Mäuse und Ratten geplagt war, die
alle Frucht wegfrassen, kam man mit einem fremden Mann
überein, der sich gegen Geld erbot, sie aus der ganzen
Gegend wegzuschaffen. Er holte aus seiner Henktasche eine Pfeife
hervor und sowie er darauf spielte, kamen die Mäuse aus den
Hauswinkeln, Dächern und Dachrinnen zu Haufen hervor und
folgten ihm zur Weser. Er trat sein Kleid aufschürzend in
den Strom, die Thiere ihm nach und ertranken. Nach verrichteter
Sache begehrte er den bedungenen Lohn. Allein die Bürger
waren nicht geneigt zu bezahlen. Da erschien er am folgenden
Mittag wieder, diesmal in Jägertracht, sein Hut war
purpurfarbig, seine Gestalt von erschreckender Länge, und
nun spielte er eine andere, von der gestrigen weit verschiedene
Pfeife. Da liefen ihm binnen einer Stunde alle Kinder der Stadt
zu, vom vierten bis zum zwölften Altersjahre, die
führte er, 130 an der Zahl, in eine Höhle des vor dem
Thor gelegenen Koppenberges, und keins von ihnen ist nach diesem
wieder gesehen worden. Man sagt, er habe sie zweihundert Meilen
weit unter der Erde fort his nach Siebenbürgen und dorten
erst wieder ans Licht geführt; denn seitdem spricht man in
diesem Lande niedersächsisch.—So
lassen sich auch in Wolfs Hess.
Sag. no. 14 die Bauern um Lorsch alles Feldungeziefer und alles
Gewitter, durch einen Einsiedler aus dem Lande pfeifen, als sie
ihm aber den Lohn dafür vorenthalten, ist der Ameisen- und
Grillenregen nebst dem Mäuseheere wieder da. Von neuem wird
der Mann berufen, nun kommen jedoch auf seinen Pfiff alle Schafe
und Schweine des Dorfes ihm in den Lorschersee, und zuletzt alle
Kinder in den Tannenberg nachgelaufen und bleiben verloren.
Dieselbe Sage ist auch in dem bei Paris gelegnen Dorfe
Drancyles-Nouis lokalisirt gewesen, wo im J. 1240 der Mönch
Angionini mit dem Erbieten erschien, den Ort von seinen Ratten
und Mäusen zu befreien. Er lockte alle diese Thiere in einen
Fluss, wo sie ertranken. Doch da man ihm den versprochnen Lohn
vorenthielt, stiess er in ein Horn, worauf sich alle Zuchtthiere
des Dorfes, Pferde, Rinder, Schweine und Gänse, um ihn
sammelten, mit denen er davon gieng. Nork, Myth. der Volkssag.
392. Die Uebereinstimmung dieser Erzählungen lehrt, dass die
Mäuse, weil sie Geister sind, nur dem magischen Ton der
Pfeife gehorchen und damit hinweggelockt werden. Wie man mit der
Bastpfeife im Frühling den Fruchtkeim in die Pflanze zu
blasen meint (Alemann. Kinderl. S. 182); wie der Seefahrer dem
Fahrwinde pfeift, so glaubt man, die pfeifende Maus werde durch
sanfte Musik angezogen, durch schreiende verjagt. Du singst mir
alle Mäuse aus dem Hause, sagt man abmahnend dem zur Unzeit
singenden Kinde. Zur Vertreibung der Mäuse bedient man sich
folgenden Mittels. Aus dem Hinterfusse einer gefangnen Ratte
schneidet man ein Pfeifchen und umgeht damit blasend am
Charfreitag das Haus, oder man hängt dem gefangnen Thiere
ein Glöckchen an und lässt es laufen; es springt aus
dem Hause und alle übrigen folgen ihm. Grohmann, Bedeut. d.
Mäuse, S. 26. Abergl. aus Böhmen S. 62. 66. Denselben
Zweck hatten die Pfeifchen im Schweife der hölzernen
Spielrösschen und die thönernen, die man an der Stelle
des Schwänzleins in
die Erntenudel der gebacknen Mäuschen
steckt. Dass damit magisch fortgelockt werden sollte, ergiebt die
Umschrift an der grossen Abteiglocke in würtembergisch
Weingärten; die Glocke wurde 1490 gegossen und ihre
Umschrift lautet nach Sauten (Kloster Weingarten, 1857, 48):
Osanna heiss ich, den Todten pfeif ich.
Es ist daher gewiss ein lautredender Zug der Sage, wenn
Bischof Hatto in seinem Thurm zu Bingen von den Mäusen bei
lebendigem Leibe gefressen wird, weil er bei einer Hungersnoth
die Armen unter dem Vorgeben einer Brodvertheilung in eine
Scheune lockte, sie sammt dieser verbrannte und der Sterbenden
Geschrei mit den Worten verhöhnte: Höret, wie meine
Mäuse pfeifen! Hattos Tod im J. 973 und seine Verhasstheit
bei den Unterthanen wird nebst der eben berührten Sage von
Trithemius in der Hirsauer Chronik 1, 116 erzählt und zur
Unterstützung dieser Begebenheit, wie es scheint, dorten S.
140 ein ähnlicher Fall vom J. 995 hinzugefügt über
einen Grafen von Rotenburg in Franken. Auch der Schlossherr einer
am thurgauer Seeufer versunken liegenden Wasserburg
Güttingen soll sich desselben Frevels schuldig gemacht haben
und ebenso von den Mäusen aufgefressen worden sein.
Puppikofer, Gesch. des Kt. Thurgau, 121. Es haben W. Menzel (Odin
229); Felix Liebrecht (Ztschr. f. Myth. 2, 405. 3, 307), und
jüngsthin besonders ausführlich Grohmann (Apollo
Smintheus, S. 78 ff.) über diesen Mythus und dessen
zahlreiche Sagen gehandelt, in der Erklärung desselben aber
sich keineswegs geeinigt. Der Sinn kann kein zweifelhafter sein.
Der Erntegott schickt Undankbaren die Mäuseplage und damit
die Hungersnoth ins Land. Der um seine Vorräthe besorgte
Gewaltsherr entledigt sich der bei ihm Brod suchenden Unterthanen
mit Gewalt, aber die Geister der von ihm Gemordeten verfolgen ihn
in Gestalt der Mäuse bis in seine Wasserburg, wo er der
gemeinsamen Seuche erliegt. Mäuse werden daher Gottes
Heerzug genannt, weil sie sich mit jeder Seuchenzeit einstellen.
Das Brüderpaar, das sich vor der Pest auf den
Irchelberg
flüchtet, erwürgt sich da in der Hungersnoth um einer
gefangenen Maus willen. Bluntschli, Memorabilia Tigurina 1, 117.
Zur Zeit des Beulentodes war es in den Hexenprozessen eine
stehende Inquisitionsfrage, ob die angeklagte Person auch
Mäuse gehext habe. Aargau. Sag. 2, 172. Und daher stammt die
gegen jeden Flausenmacher gebräuchliche Phrase: Mach mir
keine Mäuse. "Die Festung macht Mäuse und will sich
nicht ergeben", heisst es ebenso in Göthes
Bürgergeneral, 9. Auftritt.
Die den Körper in Mausgestalt verlassende und wieder
besuchende Seele hat zu dem Spielreim Anlass gegeben, bei dem man
mit den Fingern über die Brust des Kindes hinauf tippt,
sprechend:
Kommt ein Mäuschen,
will ins Häuschen,
da 'nein, da 'nein!
Aus demselben Glaubensgrunde dachte aber die Vorzeit
verpflichtet zu sein, den Mäusen Recht und Gericht halten zu
sollen. Bei dem Prozesse, welchen die tiroler Gemeinde Stilfs
1590 gegen die Schädigung der Lutmäuse beim Amte Glurns
anhängig machte, erhielten beide Parteien ihren Procurator,
das Gericht war mit eilf namhaften Männern besetzt, für
Anklage und Entlastung wurden Zeugen abgehört und der
Beschluss lautete: Die Lutmäuse seien gehalten binnen 14
Tagen den Landstrich gänzlich zu verlassen, jedoch unter
freiem Geleite gegen Hund, Katze und jeden andern Feind; "wo aber
ains oder mehr der Tierlein schwanger wäre, oder Jugend
halber nicht fortkommen möchte, dieselben sollen ein
weiteres sicheres Geleit fernere 14 Tage lang haben." Zingerle,
Sag. no. 708. Aehnliches geschah auch vor dem Rathscollegium zu
Autun 1540, welches die Mäuse als Saatenverwüster
anklagen und verurtheilen liess; der Mäuse Anwalt jedoch,
Barthol. Cassanäus, nachmaliger Präsident des Pariser
Parlaments, machte den Einwurf, die Verurtheilten seien noch
nicht dreimal vorgeladen und könnten, so lange die Strassen
durch Hunde und Katzen unsicher
seien; füglich auch nicht erscheinen.
Diebolt, Histor. Welt, 1715, S. 1117.
Von hier aus übergehend zu den der Kornmaus dargebrachten
Ernteopfern, findet sich Raum zur Einschaltung der an dies Thier
geknüpften volksmedizinischen Bräuche, deren
allverbreiteter gleichfalls auf ein Opfer hinausläuft.
Bekanntlich wirft das Kind beim Zahnschichten den Wechselzahn ins
Mausloch und verlangt dafür von der Maus einen neuen, dessen
Dauerhaftigkeit nach Stein, Bein, Eisen, Silber und Gold bestimmt
wird.
[20]
In Pforzheim spricht man
(Grimm, Abgl. no. 631): Mäuschen, da hast du einen
hölzernen Zahn, gieb mir einen beinernen dran.—In
Schlesien: Mäusel, ich geb dir ein Beindel, gieb mir ein
Steindel.—Mäuschen, ich geb dir einen knöchernen
Zahn, gieb du mir einen eisernen. Kuhn, Westfäl. Sag. 2, S.
34. Im Aargau heisst es (Alemann. Kinderl. S. 338):
Müsli, Müsli, nimm de Zah,
gim-mer en schöne goldige dra,
frei en schöne wîsse,
ass ech's Brod cha bîsse.
Das Kind wirft seinen ausgefallenen Zahn, wenn ihn die Mutter
nicht selber verschluckt, hoch gegen Himmel:
Seh, liebe Herrgett, en Zah!
Gieb mer wider en andre dra.—
In Würtemberg wirft es ihn über sich und spricht
beim Schneidezahn:
Se, Mäusle, has du dean Za,
sez mer derfür en andra na!
Beim Mahlzahn heisst es:
Wolf, Wolf, da has en Za,
gi mer derfür no koen Biberza!
Birlinger, Schwäb. Sag, 1, no. 570.
Biber
ist
schwäbisch Name des wälschen Hahns (Birlinger,
Schwäb. Wörtb. 61) und bedeutet hier: lass mir den Zahn
nicht krumm wie einen Vogelschnabel wachsen. Ein altarabischer
Spruch in
Rückerts Morgenländ. Sagen 2, 264 opfert den
Schichtzahn gleichfalls der Sonne:
Liebes Kind, nimm deinen Zahn,
Der dir ausgefallen,
Wirf ihn zu der Sonn' hinan,
Sprich mit frohem Lallen:
Gieb mir einen bessern dran!
Und du wirst von allen
Neuen Zähnen keinen Zahn
Schwarz und schief und stumpf empfahn,
Sondern jeden wohlgethan.
Kind, so lehrt' es mich dein Ahn.
Dem Sonnengotte Freyr ward von den Göttern die Sonne,
Lichtalfenheim, zum Zahngebinde geschenkt. Grimm, GDS. 154. Der
Zahn ist also eine Himmels- und Sonnengabe; der ausfallende erste
Milchzahn heisst in Süddeutschland Wölfle (Alemann.
Kinderlied, S. 337), Wolfszähne werden dem zahnenden Kinde
umgehangen, vielleicht in altheidnischer Rücksicht auf den
Sonne und Mond verschlingenden Weltenwolf, dem auch Gott Freyr
zum Opfer fällt.
In Hahns Griechisch-albanes. Märchen no. 10 und 101
lässt sich die Prinzessin, die einen Zahn verloren, bald
einen goldnen, bald einen silbernen einsetzen, besiegt darauf
ihres Vaters Feinde, befreit das Land und wird des fremden
Prinzen Gemahlin. Dass der erste Wechselzahn wirklich in Gold
gefasst und so am Armring getragen wurde, ist nebst anderen dahin
einschlägigen Bräuchen des Alterthums im eben genannten
Alemann. Kinderliede pag. 338 bereits geschichtlich nachgewiesen.
Der hellfunkelnde, unverwüstliche Zahn des im Boden oder in
Höhlen wohnenden Thieres soll auch dem jungen Menschen zu
Theil werden, wenn er seine Zähne in den Boden säet;
darum streut auf Athenes Geheiss Kadmos die Zähne des
erschlagnen Drachen in die fruchtende Ackererde, und aus ihnen
erwachsen die Stammväter des kadmeischen Thebens. Den
Schneidezahn wirft man der Maus hin, den Mahlzahn dem Wolfe,
heisst es; der erste Zahn heisst in Süddeutschland
Wölfle, und wölfen ist
zahnen: Aus Wolfs- und Rosszähnen bestand
die Halsschnur, die man zahnenden Kindern sonst umhieng, und
selbst unter den Fundstücken, die man seit 1857 aus den
Pfahlbauten des Bodensees erhebt, zeigen sich die Zähne des
Bären und Wolfes, durchbohrt, um an Schnüren als
Amulette getragen zu werden. Zürch. Antiq. Mitthll. 12, Heft
3, 139. Damit stimmt die doppelte Notiz bei Plinius überein
HN. 28, cap. 78, und 30, cap. 7: Wolfzähne werden zahnenden
Kindern gegen Erschreckung, und Pferden gegen Ermüdung
angehängt, ausgerissene Maulwurfszähne gegen
Zahnschmerz. Weil die Maus Alles benascht, streut man dem
naschenden Kinde heimlich eine gepulverte Maus auf die Speise,
damit soll der eine Dieb den andern abschrecken. Höchst
auffallend aber bleibt der sg. Maustrank, ein Volksmittel, von
welchem die älteste und die neueste Zeit zu erzählen
hat. Das Pönitentiale des hl. Bonifacius und dasjenige von
Angers (Poenitentiale Andegavense) schreiben dem Priester vor,
die Frage an sein Beichtkind zu stellen, ob es von dem
zauberhaften Maus- oder Wieseltrank genossen habe: edisti de
liquore, in quo mus aut mustella mortua invenitur? Das Verbot
gegen diesen Trank wird von mehreren Kirchenschriftstellern,
darunter Regino und Burchard von Worms wiederholt, zugleich den
Bischöfen aufgetragen, bei der jährlichen
Kirchenvisitation strenge Nachforschung hierüber
anzustellen. Auffallender Weise aber lebt die Unsitte bis heute
fort. In baierisch Rosenheim gilt als probates Mittel gegen
Epilepsie eine Maus, die gewiegt, gekocht und verspeist werden
muss, und ein sehr verbreitetes kostspieliges Geheimmittel,
welches von Frankreich aus in Ruf gekommen ist, besteht nach
neuerlich angestellter Analyse aus pulverisirten Mäusen.
Bavaria 1, 464. Nun behauptet zwar die uns persönlich
umgebende schweizerische Volksmedicin, Bettnässer seien
dadurch zu heilen, dass man ihnen eine in Wein destillirte Maus
zu trinken gebe; allein man lasse sich hiebei nicht dadurch
irreleiten, dass auch schon Plinius NG. 30, c. 47 den Kindern,
welche
den Harn
nicht verhalten können, gepulverte Mäuse unter der
Speise zu essen verordnet; denn diese Heilmethode gründet
sich auf ein blosses Wortspiel und steht nicht in entfernter
Beziehung zu jenem dem Thiere beigemessenen, dämonischen
Charakter. Nach dem Medicinischen Lehrsatze, Gleiches mit
Gleichem zu vertreiben, schlägt nemlich Plinius vor, die
Muskelschwäche am Halse der Harnblase durch eine
eingenommene Maus zu heilen, da latein. musculus beides ist,
Muskel und Mäuslein. Die deutsche Medicin nahm nicht bloss
diese gleiche Benennungsweise, sondern auch die daran
geknüpfte Heilmethode an, um so mehr, als beides
ursprünglich unter dem Einflusse der wälschen
Universitäten zu Padua und Montpellier stand. Peter
Vffenbachs Newes Artzneybuch ist eine Uebersetzung der Chirurgie
des Hieron. Fabricius ab Aquapendente, Professors zu Padua, und
schreibt daher (Frankfurter Ausgabe von 1605, S. 127)
wörtlich nach: "Das Bettharnen der Kinder entsteht, wenn das
Mäusslin, so umb den Hals der Harnblasen herumbliegt,
verletzt wird und dem Willen des Menschen nicht mehr gehorchen
kann." Die späteren Aerzte gebrauchen denselben Ausdruck und
pflanzen den daran geknüpften Aberglauben fort. "Der Geist
kumpt durch die müssly vnd neruen vssgespreitet zum hirn",
schreibt der Zürcher Arzt Jak. Rueff, von Empfengknussen,
Zürich 1554, Blatt 126b; Johann von Muralt lehrt in seinem
Hippocrat. Helvet., Basel 1692, 45: "Wann die junge Kinder so
hart verstopft, also dass jhnen der Leib auflauft, so gib jhnen
ein wenig Mausskoht mit der Muttermilch ein."
Ein ähnliches Wortspiel scheint nach Nork,
Realwörterb. 3, 125, der schon vorhin erwähnten Stelle
l. Sam. 6, 5 zu Grunde zu liegen, weil die dorten enthaltenen
Stichwörter Pestbeule und Maus im Hebräischen
stammverwandt sind und Maus im Syrischen auch ein Geschwür
bedeutet.
Der Name Maus, sanskrit mûscha, abgeleitet von der
Wurzel mûsch, stehlen, bezeichnet einen Dieb, weshalb denn
das indische Gesetzbuch Yajnavalkya III, 214 (übers.
von Stenzler)
zustimmend besagt: "Eine Maus wird der Getraidedieb sein, denn
wie die verschiednen Gegenstände sind, so sind auch die
Gattungen der lebenden Wesen." Das Wort behält diesen
Begriff in allen indogermanischen Sprachen bei: mausen bedeutet
stehlen. Quasi mures semper edimus alienum cibum, lässt
Plautus in den Gefangenen den Schmaruzer sagen. In des Hieron.
Bock Teutscher Speisekammer, 1555, sagt das Vorwort:
Mein frischgebachen brot
muoss leiden vil der not
von hunden vnd von katzen,
von meusen vnd von ratzen,
zerhülchen's, schliefen drein,
wolt, sie schwimmen im Rhein!
Die Regeln der Haus- und Landwirthschaft setzen daher seit
ältester Zeit für bestimmte Zeitfristen allgemein
beobachtete Ueblichkeiten fest, durch die man dem
schädlichen Einfluss des Thieres zuvorzukommen glaubte,
indem man theils ihm selbst, theils den Geistern opferte, in
deren Gefolge es erschien. Deutliche Spuren hievon liegen noch in
unseren Fasnachts- und Erntebräuchen. Man darf um
Weihnachten und Fasnacht, wo die Elben in Mausgestalt ihre
Julzeit, halten (Volksglauben in der Mark), oder wo nach
oberdeutschem Glauben Berchta-Holla ihren Umzug hält, nicht
spinnen, sonst zerzausen die Mäuse den Flachs. Das
Mäuslein beisst! ist ein besonderes Drohwort, gleichwie im
Gedichte von den Sieben Schwaben der gewichtigste Fluch lautet:
Dass dich das Mäuslein beisst! denn alles was man in der
Fasnacht spinnt, das fressen die Mäuse (Aargau). Man darf
alsdann die Mäuse auch nicht bereden, sonst stehlen sie das
Korn von der Schütte. Anstatt Maus sagt man dann (nach Kuhns
Nordd. Sag. pg. 411) Bönlöper,
Scheunenbodenläufer, in Dänemark Tede, die Kleinen.
Noch im vorigen Jahrhundert hielt man diesen Brauch so fest, dass
der dänische Ortspfarrer Laurids Muns († 1774)
während der berufenen Weihnachtszeit bei seinen Pfarrkindern
stets nur Herr Tede genannt wurde. Handelmann, Nordalbing.
Weihnacht. pg.
13. Die Rindfleischsuppe, die vom Fasnachtsdienstag im Kochkessel
übrig bleibt, schüttet man gegen die Kornmäuse in
die Mauslöcher. H.L. Fischer, Buch v. Abgl. 1790. 1, 237. In
Grochwitz bei Torgau bäckt man die Fasnachtsküchlein.
in einer Eisenform, von der es heisst, man stosse mit ihr dem
wühlenden Maulwurf die Schnauze ab. Man erkauft also hier
das Gedeihen der künftigen Ernte mit einem Opferbrode
voraus. Dasselbe gilt in Altbaiern; hier wird dem Gesinde des
Hofbauern die Mehlspeise der gebacknen Mäuschen als
Fasnachtsgericht aufgesetzt; dafür hat es theils bei Nacht,
theils schon vor Sonnenaufgang die Strohbänder für die
Garben der Ernte vorauszuflechten; da die Mäuse dieser
Nachtarbeit nicht mit zusehen können, so werden auch die
Garben vor ihnen sicher bleiben, jedoch vermehren sich die
Mäuse, wenn man ihnen über dieser Arbeit flucht.
Bavaria 2, 300.
Beim Einbringen des Korns stellt man drei Garben mit den
Aehren nach unten gekehrt in die Tenne; dies gehört den
Mäusen, die hiemit sich begnügen und den Geizigen
heimsuchen mögen. Die Beinchen vom Osterfleischkuchen,
welcher aus Teig mit gehacktem Kalbfleisch besteht, streut man
gegen das Wühlen des Maulwurfs in dessen frische Gänge.
Grohmann, Böhm. Abgl. S. 58. In böhmisch Raudnitz hebt
man vom Schmalz, worin man die Fasnachtskrapfen bäckt, bis
zur Ernte auf und salbt damit die Räder des Erntewagens.
Sobald dieser vor der Scheune ankommt, fragt der abladende Knecht
den Fuhrmann: Was fährst du? Dieser antwortet: Die Katze
für die Mäuse. Alsdann werden keine Mäuse in die
Scheune kommen. Schon die Brosamen vom Weihnachtsmahl
schüttet man in die Scheunentenne und spricht:
Mäuschen, esst diese Bröckchen und lasset das Getreide
in Ruhe! Grohmann, Apollo Smintheus 38. 27. Im Wittgensteinischen
wird in die erste Scheunengarbe ein Käse gebunden und der
sie Abladende fragt den Fuhrmann Wann haben wir Christtag?
Antwort: Ich weiss es nicht. Ei, erwiedert Jener, so wissen die
Mäuse auch nicht, wo ich
meine Gerste hinlege. Kuhn, Westf. Sag. 2, S.
187. In des Albertus Magnus Egypt. Geheimnissen Heft 3, 73 heisst
es: "Wann du das Korn zum ersten einführst, so nimm die
erste Garbe, die du in den Baren legst, in deine rechte Hand und
sprich:
Da leg ich dem Menschen das Brot
und allen Mäusen den bittern Tod."
Meklenburger Erntebrauch ist, den ersten Kornwagen nicht
abzuhalmen, auf dass die Mäuse das Korn nicht fressen.
Schiller, Thier- und Kräuterb. 3, S. 9a.
Hier folgt nun eine Beschreibung der zu verschiednen
Jahreszeiten in Mausform gebackenen Zweckbrode.
Mit erstem Frühlingsbeginn nimmt die oberdeutsche
Bäuerin junge Salbeiblätter, wickelt sie in Eierteig
und bäckt sie in Butter ab; hinten muss dann der Blattstiel
gleich einem Mausschwänzchen aus der Nudel vorstehen. Die um
dieselbe Zeit für den Marktverkauf gebackenen grösseren
Brodnudeln haben eben dieses Schwänzchen, doch ist es ein
thönernes, damit die Kinder darauf pfeifen können. Marx
Rumpolts Kochbuch von 1581, Bl. 167b wählt zur Einlage in
dieses Mehlmäuslein die Pflanzen Bertram, Borrag und U.
Frauen Blätter. Noch älter ist folgende Notiz in der
Inkunabel Kuchenmaistrey, o.O.u.J. Blatt 19. 20: ein gutz
gebachen von Salvey. nim dür leutzbiren vnd mach sie
schôn. seüd sie weich vnd stoss sie in einem morsser.
bestreich ein saluenblat damit vnd deck ein anders daruber, druck
sie auch sitlichen zusammen, dz sie auch bey einander bleiben.
mach ein straubenteiglein mit honig vnd wein, zeuch es dardurch
vnd bach es. Auch Fischart im Gargantua cap. 8 singt von dieser
Nudel:
Bachen wir ein Küchelein,
Meuselein und Streubelein
Und trinken auch den kühlen Wein,
Kaku-kaka-nai,
Dass man fröhlich sei.
In A. Corrodi's Zürcher Idyll De Dokter (Winterthur 1860,
S. 45) heisst
es von der städtisch bereiteten gezuckerten Mausnudel:
Müsli, weischt, du kännsch es ja wol, sind gar
nid z' verachte,
Wämmä de Zucker nid spart und wämmä
cha gnueg devu esse.
Beim aargauer Landvolke im Frickthal und im Hallwiler Seethal
wird nach beendigtem Kornschnitte dem Gesinde die Müslinudel
aufgestellt, aus Kernenmehl, schmalzgebacken. Unter demselben
Namen wird sie in Altbaiern demjenigen unter den Dreschern
heimlich zugeschoben, auf den der letzte Drischelschlag gefallen
war, und er heisst davon beim Dreschermahl scherzweise der
Maushüter. Panzer, BS. 1, no. 405. In Frankreich
schätzt man einen in Arras, Béthune und St. Quentin
einheimischen Käse-Pfannkuchen Namens Ratons, beides
bezeichnend, Ratte und Eierkuchen. Ein Steinbild in der
Nürnberger Lorenzokirche mit einer eignen Sage wird für
eine Ratte mit der Bratwurst angesehen. Schöppner, Sagb. no.
641.
Gertruds Name verräth sich zwar bei diesen Erntespeisen
nicht, wohl aber werden die ihr geweihten Pflanzen und
Wappenthiere in den weiteren Erntebräuchen, besonders beim
Heuschnitt erwähnt. In Schwaben sammelt man am
Himmelfahrtstage Mausöhrleinkraut, gnaphalium dioicum, und
hängt es gegen Blitzschlag in Haus und Stall. Meier, Sag. 2,
399; in Baiern wirft man Frauenschühlein, melilotus, und
Gertrudenkraut gegen Abwendung des Hagelschlags ins
Sonnewendfeuer. Panzer, BS. 1, 212. Gertruds Wagen und Gespann
ist in nachfolgenden Sagen hervorgehoben. In der Stadt Grimmen
fährt in der Walburgisnacht ein mit vier Mäusen
bespannter Wagen umher, dessen Kutscher hahnenfüssig ist.
Temme, Volksag. von Pommern und Rügen 329. Hier ist in des
Kutschers Gestalt Donars Erntehahn nicht zu verkennen. Beim
Prinzessinnen- oder Teufelsstein, einem Felsblock bei
Köpenick, erscheint abwechselnd der Geist eines alten
Mütterleins, das gebückt am Stabe geht, oder einer
Prinzessin, die ihr Haar kämmend sich im Spiegel des
dortigen Sees beschaut und dreimal um die Köpenicker
Flur getragen
zu sein verlangt; dabei kommt ein schwer geladner Heuwagen heran,
von vier kleinen Mäusen gezogen. Kuhn, Märk. Sag. no.
111. Bei Marne in Südditmarschen fliesst der Geldsot, in
welchem ein Braukessel mit einem grossen Schatz versenkt liegt;
nächtlich kommt dorten ein Fuder Heu gefahren, von sechs
weissen Mäusen gezogen und vom Schimmelreiter begleitet.
Letzterer aber ist bekanntlich Wuotan selbst. Bechstein, DSagb.
no. 171. Wie hier der Geldsot eine Wunderquelle ist, so kennt
solche nach Gertrud benannte Heilquellen besonders die Legende
der Rhön- und Spessartgegenden, wo die Heilige als Karls des
Grossen Tochter gilt. In den gekräuselten Wellen der
Mainströmung glaubt man dorten nächtlicher Weile
Gertrudens Fussspuren schimmern zu sehen;
[21]
wo sie zum Gebete
niedergekniet hat im Felde bei Rohrlaha, bleibt die Stelle ewig
unbebaut (Herrlein, Spessartsag. 68. 126. 127. 131.) Ihr daselbst
kirchlich verwahrter Mantel wird Frauen umgehängt, welche
Mütter zu werden wünschen. Das Gebet zu ihr lindert die
Geburtsschmerzen und fördert die Geburten. Jac. Schmid,
Leben hl. Hirten und Bauern, 3. Th. 52. Der Kinderbringer Storch
ist daher unter ihren Attributen und sitzt an den ihr geweihten
heilkräftigen Quellen. Zingerle, Gertrudenminne S. 50.
Schöppner, Bair. Sagb. n. 976. In der Gertrudenkapelle zu
Bamberg hörte jener Edelknabe, der auf den "Gang zum
Eisenhammer" (Schillers Ballade) geschickt war, erst noch die
Messe und entgieng darüber dem Tode. Schöppner, no.
207. Während sie auf Schloss Karleburg am Main einen
Frauenconvent gründete,
wurde ihrem Priester Atalong von Schulknaben die
Stelle verrathen, wo die Leiche des hl. Kilian unrühmlich
verscharrt in einem Rossstalle lag. Da Atalong dieser Nachricht
misstraute, so liess ihn dafür der Heilige erblinden,
stellte ihn jedoch alsbald wieder her, nachdem er einer ihm zu
Theil gewordenen Vision Folge gegeben hatte. So meldet die alte
Aufzeichnung (bei Ign. Gropp, Collectio Scriptor. Wirceburg.
799), ohne jedoch den Vorgang der Heilung Atalongs zu berichten;
letzteres thut die lebende Sage. Gertrud gieng eines Tages von
der Karleburg nach dem benachbarten Waldzell, an dessen
Klösterlein sie Stiftungen gemacht hatte, und blieb
erschöpft und dürstend in der Einsamkeit stehen, als
plötzlich ein Storch vor ihr aufflog. Zur Stelle entsprang
die Gertrudisquelle, deren Wasser kranke Augen heilt. Bavaria IV.
1, 493. Archiv des histor. Vereins von Unterfranken 13, 154.
Nun ist noch des Brauches zu gedenken, der
altherkömmlich, weitverbreitet, und langandauernd gewesen
ist: Gertrudis Minne zu trinken.
Der Germane weihte dem Angedenken (ahd. minni ist memoria)
seiner Götter und Stammhelden bei Opfern, Hochzeiten,
Abschiedsschmäussen feierlich den ersten oder letzten
Becher. Wie die Alemannen eine Kufe Bier sotten, um sie auf
Wuotans Minne zu trinken, meldet aus der ersten Hälfte des
siebenten Jahrhunderts die Lebensbeschreibung des hl. Columban.
Nach der Bekehrung trank das unter christlicher Hülle
fortlebende Heidenthum "Krists, Michaels, Marien, Gertruden und
Johannis-minni." Grimms Myth. 53 ff. hat darüber aus unsern
einheimischen Quellen vom 11. Jahrhundert. an eine Reihe
Belegstellen gesammelt, deren Ergebniss ist, dass es im
Mittelalter vorzugsweise zwei Heilige waren, zu deren Ehre Minne
getrunken wurde, Gertrud und Johannes der Evangelist. Dasselbe
zeigt auch J.V. Zingerle's Schriftchen: Johannissegen und
Gertrudenminne (Wiener Jahrbücher 1862). Heut zu Tage
scheint diese
kirchliche Sitte nur, noch für Johannis zu gelten (so z.B.
im Kanton Wallis); Gertrudenminne zu trinken war in Holland und
Belgien allgemein üblich gewesen und soll dorten aus Abscheu
vor dem Andenken an den Verräther Gysbrecht abgekommen sein,
dem sein Schlachtopfer, Graf Floris von Holland, vergeblich
Gertrudenminne zugetrunken hatte. Wolf, Ndl. Sag. S. 699. Den
Johannissegen pflegt man heute des Reiseschutzes wegen zu
trinken; mit dem Gertrudensegen aber glaubte man für den
Fall, dass der Scheidende von seiner Reise nicht mehr zurück
kehre, sich eine
gute Herberge
jenseits zu sichern, da der
abgeschiednen Seele ihre erste Nachtruhe eben bei St. Gertrud
angewiesen ist; und darum wurde diese Heilige aus einer
Seelenherrin später eine Patronin der Reisenden. Das Glas,
aus dem man in den Niederlanden ihre Minne trank, hatte die Form
eines Schiffchens (Wolf, Beitr. 2, 108), als Andeutung nicht
bloss der weiteren Reisen, die man in den Niederlanden zu Schiffe
machte, sondern jener weitesten, welche über den Todesstrom
führt und unsern Ausdruck Absegeln für Sterben zur
Folge hat. Von dieser Seelenüberfahrt handelt Deutscher
Glaube und Brauch 1, 173, und dorten ist die redende Stelle aus
einer Einsiedler Handschrift angeführt: "wenn die menschen
sterbend, so far die sel durch das wasser." Darum auch zeigte das
schon erwähnte Strassburger Kirchengemälde St. Gertrud
mit zu Schiffe, und die Gertrudenlegende (A. SS. sec. II. pag.
465) berichtet, wie die Schiffer des Klosters Nivelles bei
heiterem Wetter einem wundersam grossen Fahrzeuge begegnen, das
sich rasch in ein stürmendes Meerungeheuer verwandelt und
ihnen den Untergang droht, aber sogleich versinkt, als sie
dreimal Gertrudens Hilfe anrufen. Aus solchem
schiffähnlichem Trinkgeschirre schenkte Gertrud den Schatten
den Erinnerungstrank, wie Freyja und ihre Walküren den Asen
den Meth. Ein Nachklang an dieses in Walhall ausgeübte
Mundschenkenamt liegt noch in der Gertrudenlegende der
Bollandisten, A. SS. tom. I. ad diem VI. Januarii, wornach
eine andere
Gertraud, welche hier nur Venerabilis genannt ist, in ihren
jüngeren Jahren Kellnerin in verschiednen Wirthshäusern
Hollands gewesen war; sie trägt den Beinamen Von Osten, weil
sie unter den Zechliedern der Wirthsgäste das geistliche
Lied "Es taget auf von Osten" gedichtet und öfters
hergesungen hat. Sie war ein Bauernkind aus dem Dorfe Voorburch,
zwischen Delfft und Grafenhaag, trat mit ihren beiden Freundinnen
Lielta und Diewardis, die gleichfalls Dienstmädchen gewesen,
in das Beginenhaus zu Delfft und starb hier 1358. Bei andern
Autoren wird sie abwechselnd eine Beata und Sancta genannt.
Die in der Figur Gertruds enthaltenen Züge der
Walküre sind ausser ihrem schon anfangs erklärten
mythischen Namen nachfolgende.
Sie ist des von ihr erwählten Mannes schützender
Gefolgsgeist, seine Fylgja, lässt sich mit ihm in ein
Ehebündniss ein, schützt ihn mit Gefahr ihres eignen
Lebens vor den feindlichen und den höllischen Waffen, reitet
für ihn ins Gefecht und hinterlässt ihm, wenn sie nach
dem Schluss des Schicksals verschwinden muss, einen gesegneten
Besitz und tüchtige Nachkommenschaft. Die elbische Waldfrau,
welche des Hofbauern Untermoser Eheweib geworden war, hatte
diesem untersagt, sie je um ihren Namen zu befragen. Einst aber
war er Ohrenzeuge, wie ein an der Wiese vorbeigehendes
Waldfräulein im Gespräche mit seinem Weibe dieses
Gertrud nannte; unvorsichtig wiederholte er ihr diesen Namen und
weinend musste sie hierauf Mann und Kinder für immer
verlassen. Scheidend ergriff sie einen Eisenstab, stiess ihn ins
Feld und sprach: So lange von dem Stecken noch eine Ader bleibt,
wird jeder Untermoser gut hausen. Und dies Wort ist bis heute in
Erfüllung gegangen. Panzer, BS. 2, S. 46. In Wolfs Ndl. Sag.
no. 42 und 358 ist ein ähnliches Bündniss im Tone der
Ritterzeit erzählt. Riddert von Berkhof hatte sich dem
Teufel verschrieben, veranstaltete nach abgelaufener Frist seinen
Freunden ein grosses Abschiedsmahl; trank ihnen zum Schlusse
einen Becher Geerdenminne
zu und ritt darauf der Linde beim Kirchhofe von
Heppener entgegen, wo der Böse bereits seiner wartete; doch
der Satan konnte ihm nichts anhaben, denn nun sass hinter Riddert
die hl. Gertrud, deren Minne er vorhin getrunken, selbst mit zu
Rosse. Dieser Vorfall war später in der Heppener Kirche
künstlich gemalt zu sehen. Mittelhochd. Dichtungen tragen
ähnliches auf die hl. Maria über, die als Schutzgeist
eines Gefährdeten hinter ihm mit zu Rosse sitzt; mehrfache
deutsche Sagen lassen sie sogar mit oder für den
Schutzbefohlnen aufs Turnier ziehen und in Gefechten
mitkämpfen. Wolf, Beitr. 1, 192, folgert daraus, dass Maria
hier an die ursprüngliche Stelle der kriegerischen Frouwa
getreten sei, welche als Valfreyja zwar auf ihrem
Götterwagen mit zum Kampfe fuhr, allein als Vorsteherin der
reitenden Walküren gleichfalls das Schlachtross besteigt und
sich ins Schlachtgetümmel mischt; eben dahin sei denn auch
jene Kirche in Vorderditmarschen zu deuten, deren Name ist Unse
leve Fru up dem perde.
Im Jahre 1867 hat J.V. Scheffel, der Verfasser des Ekkehart,
auf einem gallorömischen Grabfelde zu Rheinzabern das
Stellfigürchen einer aus Terracotta geformten Maus nebst
demjenigen eines Hähnchens ausgegraben und beides uns zu
einem höchst schätzbaren Andenken übersendet. Der
Fundort, das alte Tabernae Rhenanae, der ergiebigste an
römischen Alterthümern in der ganzen Rheinpfalz, hat
jüngst auch zur Entdeckung eines wohlerhaltnen Brennofens
geführt; man erhob daselbst eherne Legionsadler,
Broncefigürchen, Meilensteine, Münzen aus dem 4.
Jahrhundert. Im benachbarten Orte Hert wurde 1829 ein dem
unsrigen ganz gleiches Hähnchen aus Glas gefunden. Die Figur
der Maus ist phallisch dargestellt und entspricht dadurch dem
Hahn, dem Symbol der Regenerationskraft. Die Maus trägt eine
Schelle um den Hals gebunden; denn nach Apollodor (Fragmente)
wurde für Sterbende Erz an einander
geschlagen und die Spartaner
geleiteten ihre Könige unter Glockenton zu Grabe; "der
Erzklang sollte die Seele reinigen und entzaubern von der Macht
der Dämonen." Creuzer 4, 401. Ebenso verkündet das
Krähen des Hahnes das Licht des neuen Tages.
Ein zweites Abbild, die Maus mit den vier Jungen, ist uns
durch Hn. Hermann Brunnhofer aus Oxford überbracht worden.
Die Figur ist aus ungesäuertem Teig gebacken und mit
Eierklar glasirt. Die Landleute aus der Umgegend von Oxford
pflegen derlei Brodfigürchen auf den dortigen
Weihnachtsmarkt zum Verkauf zu tragen. Sie sind zwar nicht zum
Essen bestimmt, sonder dienen als Zierat auf Thür- und
Kamingesimse, finden aber ihr Ende zuletzt doch im
Kindermagen.
FUSSNOTEN:
Selbst der altmexikanische Glaube schon schrieb vor: Ein
Wechselzahn muss in ein Mausloch gelegt werden, sonst wachsen
die Zähne nicht mehr. Waitz, Anthropol. der
Naturvölker 4, 165.
Firmenich, Völkerstimm. 3, 112.
Simrock, Kinderbuch 1, no. 338. 340.
Simrock, Kinderbuch 1, no. 338. 340.
Curtze, Waldecker Volksüberlief. S. 285.
Harun al Raschid träumte, alle seine Zähne seien
ihm ausgefallen; der Traumdeuter erklärte dies dahin, der
Monarch werde alle seine Verwandten überleben.
Rosenöl, oder Sagen des Morgenlandes 2, 85. Das
Wahrzeichen der indischen Todesgöttin Kali ist der
schwarze Zahn, der alles benagende Zahn der Zeit.
In dem Gebetbuch Himmlisches oder Geheiligtes Jahr,
Einsiedeln bei Reymann 1686, Erster Theil, ist unterm 28.
März der hl. König Guntram abgebildet, schlafend
unter einem Baume neben einem Bächlein. Ueber dieses legt
der Kriegsknecht das Schwert, und die aus Guntrams Munde
gekommene Maus läuft darüber dem Berge zu, der im
Hintergrunde mit offnem Thore sich zeigt. Das dazu gesetzte
Gebet ruft den hl. Guntram an, weil er seine Schätze den
Armen geschenkt und dafür einen ihm von Gott im Schlafe
gezeigten verborgnen Schatz erworben habe.
Die hl. Jutta von Sangershausen, erst eine Kammermagd der
hl. Elisabeth von Thüringen, nachher Dienstmagd auf einem
Hofe bei Kulm in Preussen, überschritt hier die grossen
Teiche, die zwischen ihrer Wohnstatt und der Stadt lagen, jeden
Sonntag, um rechtzeitig in die Messe nach Kulm kommen zu
können. Noch lange nach ihrem Tode war ihre Fussspur in
jenem Gewässer wahrzunehmen. Jac. Schmid, Kleine
Ehehaltenlegend 2, 39. So sieht man in mondhellen Nächten
auf den Wellen der Aare bei Gauenstein die Fusstapfen
schimmern, welche hier Königin Berta zurückgelassen.
Aargau. Sag. no. 2. Sämmtliches erinnert an Homers
silberfüssige Thetis und goldenfüssige Hera.
Nachträge.
Die Beschreibung, wie man bei der Feier der Maispiele
den
Sommer ins Land ritt
und in Scheingefechten den Winter
besiegte, hat ihre neueste Vervollständigung gefunden
durch die drei Bildergruppen eines altdeutschen Teppichs auf
der Wartburg, dessen Contouren im Anzeiger des German. Museums
1870, no. 3 mitgetheilt sind. Sie stellen die Berennung und
Vertheidigung einer Burg durch Wilde Männer dar. Aus einem
Laubwalde sprengen sechs Reiter hervor, Laubzweige schwingend,
um Haupt und Lenden Epheukränze tragend, jeder auf einem
phantastischen adlerklauigen Rosse, dem sg.
Wasser-
oder
Pfingstvogel
. Voraus reitet der Maikönig, kenntlich
durch seine offne Goldkrone mit dem Ornamente der drei stumpfen
Blätter, über welche sein Hirschgeweih emporragt.
Daher heisst er in Oberdeutschland
Hirzmontagreiter
.
Um die
Hüfte trägt er einen Gürtel von Rosen. Er und
sein Gefolge schiesst mit Pfeil und Speer Rosen in die
gegenüberliegende Burg. Ihre Absicht steht auf den sie
umgebenden Spruchbändern zu lesen.
Wol vf alle mine wilden man,
wir wellent festen und buirge han.
Schiessen alle, nieman lôss abe
an büte gewinnen, will einer habe.
Die angegriffne Burg ist mit einem Wassergraben umgeben, den
ein vor den Sommerreitern her eilender Jüngling mit herbei
getragnen Brettern zu überbrücken strebt. Von den
Zinnen herab kämpfen fünf dicht in Wollenfliesse
gekleidete Männer, die Winterkönige; denn auch sie
tragen Kronen wie der Maikönig und schiessen und
schleudern lauter Lilien. Ihr Burgwart am Söller
stösst ins Rom; das Spruchband über ihnen besagt
Vnser vesten, die ist wol behůt
mit gilgen, klewen, rosenbůt.
Links im Bilde, woher die Reiter kommen, wird auf blumigem,
von allen Frühlingsthieren belebtem Rasen ein grosses
Lustzelt aufgeschlagen, in welchem die Maikönigin bereits
Platz genommen hat. Auch sie trägt die offne Goldkrone im
wallenden Haare. Ueber ihre Kniee ist ein Tafeltuch gebreitet,
darauf Kopf und Schinken des zerlegten Ebers; zwei
Gesellschafter bedienen sie.—Schon Friedrich Panzer hat
im zweiten Bande seines Sagenwerkes auf Taf. IV die Gestalt des
Wasservogels
abbilden lassen, wie er sie auf einem
Wandbilde zu Forchheim im dortigen alten Schlosse, jetzigem
Rentamt, vorgefunden. Die 3 Fuss lange, 2 Fuss hohe Figur zeigt
einen Reiter, in der Festmaske des Wasservogels agirend. Vor
dem Gesichte hat er eine ungemein lang geschnäbelte
Vogellarve, mit welcher ein wallender Kinnbart, ein massiver
Ring im Ohre und auf dem Haupte die offene Krone verbunden ist,
die gleichfalls das dreifache Blätterornament zeigt. Im
Luft hängt ein kurzes krummes Schwert (das sg.
Pfingstschwert
), in der Linken
schwingt er die Lanze, mit der
Rechten lenkt er die aus Kettenblumen enggeflochtnen Zügel
seines schwanenhalsigen Rosses. Ross und Reiter sind von
Seerosen arabeskenhaft umrankt.
Als man beim Bildersturm zu Zurzach 1529 die Verenareliquien
untersuchte und vernichtete, fanden sich in einem
Eisensärglein neben Rückgratstrümmern vier
apfelgrosse Lehmkugeln. In den von mir eröffneten und
beschriebnen heidnischen Waldgräbern zu Lunkhofen haben
sich ganz gleiche Lehmkugeln in der Asche des Leichenbrandes
vorgefunden und werden nun in der aargauer
Alterthümersammlung aufbewahrt; vgl. Argovia V, 265.
Das mhd. Gedicht von der hl. Verena nennt den Ort Zurzach
Zerzyaca
. Durch diese Namensform wird die sprachlich
schon sich verrathende späte Entstehung dieses Gedichtes
weiter bestätigt. Es leitet nemlich der Ortsname Certiacum
ab von einem bei Egid Tschudi in der
Gallia comata
S.
137, und in Stumpfs Schweiz. Chronik erwähnten
römischen Votivsteine zu Zurzach, welcher dem
Junius
Certus
aus dem Voltinianischen Geschlechte von seinem
gleichnamigen Erben gesetzt worden. Dieser Stein ist nachmals
durch Unvorsichtigkeit zerschlagen, die oft citirte Inschrift
aber längst als unecht erkannt worden.
Die beiden Gefolgsthiere Gertrudens, Kukuk und Specht,
gelten mancher Orten gleichmässig als weissagende
Liebesboten. In Deutschböhmen entnimmt man aus dem
Spechtschrei ein Wahrzeichen, ob man bald heiraten werde; der
Specht hat es bestätigt, sagt man dann. Grohmann, Abgl. S.
70.
Wortregister.
[A]
[B]
[E]
[F]
[G]
[H]
[K]
[L]
[M]
[O]
[P]
[R]
[S]
[T]
[V]
[W]
Ankenbrüt.
Ankenschnittenprozession.
Ara, Aarefluss bei Solothurn.
arbaiz, Erbsen.
Aufburg bei Zurzach, röm. Castrum.
Becker und
Beckerin, in Kukuk und Specht verwünscht.
Bilihildis, hl., aus fränkisch Veitshochheim.
Brod,
den Elementen geopfert.
[1]
phallische Zweckbrode.
[1]
[2]
Brodkipf Verenas und Rategundis,
in einen Kamm verwandelt.
[1]
[2]
[3]
Brunnen Walburgis,
Brustbein Walburgis.
Butterschnitte,
als Präservativ und
Heilmittel.
[1]
[2]
bei kirchl. Prozessionen.
[1]
Buttergewinn, zauberischer.
Elben in
Mausgestalt.
Emmetsheimer Steinbild phallisch.
Erntebrode.
Ernteopfer.
Eulogienbrod.
Fadenziehen, ein
Liebesorakel.
Florina von Mazorit, die den Wintersturm stillende Flurheilige.
Gertraud von
Osten.
Gertrud,
Verstorbene beherbergend.
[1]
[2]
Gertrudenkirchen,
Gertrudenminne trinken.
[1]
[2]
Gertrudentag, Kalenderregeln.
[1]
[2]
Gertrudenvogel.
[1]
[2]
[3]
Gertrudens Fusstapfen in den
Mainwellen.
[1]
G's Spindel mit den zwei
Mäusen.
[1]
G's Schiff als Trinkgefäss.
[1]
Gnadenstein Walburgis.
Hagel, ein
König.
Hagelfeierpredigten.
Hagelsquelle.
Heiden- und Schönbrunnen.
Heidenkirchen,
als spätere Walburgskirchen.
[1]
[2]
als spätere Verenakirchen.
[1]
Heilquellen
Verena's.
Heilwag.
Helgenbronn.
Holpurga.
Honigfall.
Hund,
als Walburgis Gefolgsthier.
[1]
als das anderer Göttinnen.
[1]
gegen Sturmwind und Kornbrand
geopfert.
[1]
Hühner, kirchlich geheiligte.
Käsbrunnen.
Kleinkinderbrunnen.
Kleinkindersteine.
Klumpfüsse,
durch Walburg geheilt.
[1]
[2]
[3]
Konstanzer Bisthumsgrenzen.
Kornähre,
Mittel gegen Hundebiss.
[1]
Mariae und Walburgis Emblem,
[1]
Sinnbild von Obereigenthum.
[1]
der Truden Zaubergestalt.
[1]
Korngarbe, Walburgis Versteck.
Kriemhiltengraben am Jung-Albis.
Kukuk,
ein verwünschter Becker.
[1]
auf dem Binsenstühlchen
weissagend.
[1]
als Theuerungsprophete.
[1]
Lehmkugeln,
in Heidengräbern,
s. Nachträge
.
Lebermeer.
Maibad.
Maiengericht, dessen Kostenbetrag.
Maienthau,
Maienthau der Erdmännlein.
[1]
Maigraf, Maigräfin.
Mailehen ausrufen, Fest der heidnischen Mainfranken.
Mairitt.
Mauritius, Verenas Verwandter.
Maus,
als Seele wandernd.
[1]
[2]
[3]
[4]
als antikes Stellfigürchen
in Gräbern.
[1]
in Gestalt des Zweckbrodes.
[1]
[2]
als Stadtwahrzeichen.
[1]
Maus weisse, geheiligt.
Maustrank.
Mausöhrleinkraut.
Mäusegespann.
Mäuse machen.
Metzentanz in Zurzach.
Minnetrinken.
Mühle als Ort der Liebesabenteuer.
Mühlstein,
als Rechtsmittel bei der
Abkunftsprobe.
[1]
Müllerbräuche am Verenentage.
Oel,
hl., ein Augenmittel.
[1]
aus Heiligenknochen.
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
Ortschaften des Namens Walburg.
Oswald, Walburgs Bruder, ein gleichnamiges Ernteopfer.
Osterbad, reiten ins.
Pfeife, magisch
wirkende.
Phallische Götterbilder, ihr Zweck.
Reimsprüche
beim Meienpflanzen.
Richard, Walburgis Vater.
Rimleins- und Römleinsbrunnen.
Roggenähre, Mittel gegen tolle Hunde.
Ross,
Rutscherzins.
Schnecke, als
Kukuk angerufen.
Schuh,
goldner Walburgis.
[1]
[2]
Schuhwerfen als Liebesorakel.
[1]
Schuhzins am Walberfeste.
[1]
Silber geschabtes, gegen die Tollwuth.
Solangia, die hl. von Villemont, den Flachsbau schützend.
Sommer,
den, ins Land reiten.
[1]
s.
Nachträge
.
Specht,
als Gertrudenvogel ein
verwünschter Becker.
[1]
ein verwandelter Gott.
[1]
als Liebesorakel
s. Nachträge
.
Spindel,
Spinnverbot an Walburgis.
Stärketrunk.
Stillicidium Walburgs.
Storch, Gertrudens Vogel.
Strähl-Anneli.
Teufelsstein in
Verenae Einsiedelei.
Thau abstreifen,
zu Milch- und Buttergewinn.
[1]
als Mittel gegen Kornbrand.
[1]
Thautrinken.
Tobel-Vreneli.
Valentinstag.
Venes- und Vrenesberge.
Venus in deutschen Orts- und Geschlechtsnamen.
Venus-Vrene,
in dem mundartl.
Tannhäuserliede.
[1]
in den Ritterdichtungen.
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Die Venus- und Vrenenhäuser.
[1]
Verena,
ihre Namensformen.
Niederdeutsch: Frû
Frêen und Frû Frîen.
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Schweiz: Frau Vrein. Frau Vrin.
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Ve. als Gebirgsriesin.
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Verenagrab, mit den aufgeopferten
Brautkrönlein.
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Verenaloch:
auf der Schafmatt im Jura.
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Verenatag als Gerichtstermin;
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Gesundheits- und
Wirthschaftsregeln.
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Verenae,
Heilquellen.
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Kamm und Krüglein.
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Kapellen und Kirchen i.d.
Schweiz.
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Kapelle, ein Römercastrum.
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Kindersegen bescherend.
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vierzig Mehlsäcke.
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Vrenelisgärtli, Gletscher am Glärnisch.
Walber,
der Führer des
Maienzugs:
in eine Korngarbe gebunden.
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Walburg,
als Flur- und Ortsname.
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mundartl. Namensformen.
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Die Heilige:
als Heidengöttin.
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vor dem W. Jäger in die
Korngarbe flüchtend.
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Walburgis-kirchen,
als Heidenkirchen.
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Reliquien:
Brustbein, ölschwitzend.
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[3]
in Wittenberg und Köln.
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Schönheitswettstreit.
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Spindel und Goldschuh.
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Steinernes Venusbild.
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phallisch dargestellt.
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Walburgistag,
als ungebotne Gerichtszeit.
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Sage von der auf diesen Zinstag
fallenden Befreiungsgeschichte der Landschaft:
in Unterwalden und Friesland.
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Walper,
Anna, als Hexe inquirirt.
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Walperherren, Walpermännchen
und -zins.
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Wasserkirchen.
Wasserfrauen.
Wasservogel,
Wechselzahn, der Maus geopfert und der Sonne.
Wiborada, die hl. v. Klingnau.
Wîhegazza.
Wilibald,
der hl.:
Wilibalds-Brunnen und -Ruhe.
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Wolbersaue, Schloss in Ditmarschen.
Wolbermai.
Wolbrygabend.
Wolfszahn, Amulett.
Wunna und Wunnibald, Mutter und Bruder Walburgis.