Title : Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
Author : Ludolf Wienbarg
Release date
: June 1, 2004 [eBook #12660]
Most recently updated: December 15, 2020
Language : German
Credits : Produced by Charles Franks and the DP Team
Produced by Charles Franks and the DP Team
Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
Gegen Ersteres und fuͤr Letzteres
beantwortet von
Dr. Ludolf Wienbarg
Motto: ceterum ceterumque censeo….
Hamburg
bei Hoffmann und Campe
1834
Dem Nestor norddeutscher Patrioten
dem Freunde veredelter Natur und Menschheit
Herrn Baron von Voght
gewidmet.
Verehrungswuͤrdiger Greis!
Ich habe nie das Gluͤck Ihrer persoͤnlichen Bekanntschaft genossen, aber ich kenne Ihre Schoͤpfungen, die bluͤhenden Spuren Ihrer menschenfreundlichen Hand. Bereits als Knabe besuchte ich sehr oft von Altona aus das schoͤne Flottbeck. Hier woͤlbt sich keine Ulme, keine Buche, die Sie nicht gepflanzt, hier steigt von hundert freundlichen Daͤchern kein Rauch in die Luft, der nicht Weihrauch fuͤr Sie waͤre. Das wußte ich schon als Knabe und so kam es, daß ich an Ihrem Namen zuerst den Begriff und die Bedeutung eines Menschenfreundes, eines Patrioten lernte. Eine gluͤcklichere Abstraktion, ein wuͤrdigeres Bild wird selten der jugendlichen Seele geboten.
Nehmen Sie, Verehrungswuͤrdiger, diesen Ausdruck meiner fruͤhgefaßten und in reiferem Alter nur genaͤhrten und befestigten Achtung guͤtig auf.
Eutin , am 1. December 1833.
Ludolf Wienbarg.
Vorwort.
Wenn die Patrioten bisher uͤber die Kluft der Staͤnde, die Rohheit und Unempfaͤnglichkeit Volkes in Niedersachsen mit Recht bittere Klage fuͤhrten, oder im Großen Verbesserungsplaͤne entwarfen, so stand ihnen die niedersaͤchsische oder plattdeutsche Volkssprache nur sehr im Hintergrunde und kam weder im Guten, noch im Boͤsen so recht in Betracht. Ich glaube nachzuweisen, ja mit Haͤnden greiflich zu machen, daß sie die Wurzel alles Uebels, der Hemmschuh alles Bessern ist.
Gehe hin, meine kleine Schrift, und spreche! Drei Dinge wuͤnsche ich dir, Fluͤgel, Feinde und Freunde. Die Fluͤgel wuͤnsche ich dir, damit du dich nach allen Seiten verbreitest, die Feinde und Freunde, damit du nach alten Seiten besprochen wirst. —
* * * * *
Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und Schreibung stimmen buchstaͤblich uͤberein[1]. Anders in Mittel- und Suͤd-Deutschland. Goͤthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwaͤrtig hoͤrt man's der Sprache der Gebildeten Suͤd-Deutschlands ab, in welcher Provinz sie zu Hause gehoͤren. Daher kann man wol behaupten, daß mancher niedersaͤchsische Handwerker reiner hochdeutsch spricht, als der Wuͤrzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von Gottsched mit dem Privilegium der Klassizitaͤt begabt worden ist. Allein man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine lebendige ist, da der Norden fein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des Worts aus Buͤchern, zumal aus der lutherischen Bibeluͤbersetzung gelernt, nicht aber wie Mittel- und Suͤd-Deutschland durch lebendig uralte Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.
Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller Beschraͤnktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im hoͤheren Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden Hauptdialekten des Nordens und Suͤdens, schon ohnehin im Saͤchsischen sich beruͤhrend eine Sprache schuf, die, wenn auch mit Vorwalten des suͤddeutschen Elements, jedem deutschen Ohr zugaͤnglich und verstaͤndlich sein, die eine gemeinsame Sprache aller Deutschen vorbereiten sollte. Aus den edelsten Metallen des unerschoͤpflichen deutschen Sprachschachtes gegossen, ward sie in Luthers Haͤnden die Glocke, welche die Reformation, den dreißigjaͤhrigen Krieg, die ganze neue Geschichte eingelaͤutet hat.
Mehr als den Griechen der Saͤnger der Odyssee und Ilias muß uns Deutschen, Katholiken wie Protestanten, der Uebersetzer der Bibel gefeiert sein. Die altionische Sprache gehoͤrte nicht dem Dichter, sondern der Nation an. Die Sprache der Bibeluͤbersetzung aber mußte sich erst geltend machen durch die Gewalt des Genius, sie gehoͤrte Luther an in dem Sinn, wie man nur irgend auf diesem Gebiet das Eigentumsrecht fuͤr eine Person in Anspruch nehmen darf.
Denkt euch, Luthers Sprache waͤre nicht durchgedrungen. Zerrissen waͤre das maͤchtigste Band, das Suͤd und Nord umschlingt. Der Norden wuͤrde nichts vom Suͤden, der Suͤden nichts vom Norden wissen.
Die theuersten Namen, die jetzt im Herzen der ganzen Nation wiederklingen, wuͤrden hie und da in einem Winkel Deutschlands genannt werden und etwa die Eitelkeit ihrer Landsleute aufblaͤhen, alle großen Maͤnner, die in unserm Vaterlande die Sprache Luthers geredet, alle Genien der ernsten und froͤhlichen Wissenschaft, auf die wir unsern Stolz setzen, ja welche die Vorsehung selbst uns zum erhebenden Selbstgefuͤhl erweckt zu haben scheint, wuͤrden mit vergeblicher Sehnsucht ihre Fluͤgel uͤber Deutschland ausgebreitet haben, waͤren von ihrer Geburt an zur Verschrumpfung und Laͤhmung bestimmt gewesen. Es ist so viel Ungluͤck seit Luther uͤber dieses arme Land hingegangen, daß man zweifeln koͤnnte, ob nur der Name Deutschland, Deutscher, ehre. Luthers Schriftsprache, dieses Schwerdt, das Wunden schlug und heilte, uͤber dem unsaͤglicher Wirrwarr sich schwebend erhalten hatte.
Das kaiserliche Reichsschwerdt ist zerbrochen, Luthers Sprache ist
Reichsschwerdt geworden, glanzvoller, schwungreicher, maͤchtiger,
gefuͤrchteter, als je eins in der Hand eines Hohenstaufens oder
Habsburgers geblitzt hat.
Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, der Muth hat Dich gestaͤhlt, die
Freiheit Dich geschliffen, der Kampf Dich erprobt.
Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, rein bist Du von den Blutflecken der Religionskriege, rein und gesaͤubert vom Geifer theologischer Streithaͤhne, vom Rost des gelehrten und amtlichen Pedantismus.
Fuͤhrt es ihr Soͤhne des Lichts, denn ihr seid unuͤberwindlich mit dieser Waffe.
Beruͤhrt es nicht, ihr Kinder der Nacht, denn es ist scharf und faͤhrt zuruͤck auf eure eigenen Schaͤdel.
* * * * *
Man kann Werth und Wuͤrde der deutschen Schriftsprache lebhaft anerkennen und dennoch wuͤnschen, daß die ober- und niederdeutschen Dialekte sich im Munde des Volkes lebendig erhalten. Ich theile diesen Wunsch nicht. Was namentlich die Frage betrift, welche den Gegenstand dieser kleinen Schrift ausmacht: „ ist die niedersaͤchsische Volkssprache zu pflegen oder auszurotten? “ so antworte ich aus innigster Ueberzeugung und aus Gruͤnden, welche ich darlegen werde: sie ist auszurotten, durch jedes moͤgliche Mittel auszurotten .
Verstaͤndigen wir uns uͤber etwas sehr Wesentliches. Daß die plattdeutsche Sprache der Zeit verfallen und aussterben wird, ist keine Frage mehr.
Eine jede Sprache, die nicht Schriftsprache, Sprache der Bildung, des gerichtlichen Fortschrittes, der politischen, religioͤsen, wissenschaftlichen, artistischen Bewegung ist, muß bei dem Stand und Gang unserer Kultur einer Schrift- und Bildungssprache Platz machen, muß wie die frisische in Holland, wie die zeltische in Bretagne, die baskische in Spanien allmaͤhlig aussterben. Auszusterben ist das nothwendige und natuͤrliche Schicksal der plattdeutschen Sprache. Nichts kann sie vom Untergang retten. Schreibt plattdeutsche Lustspiele, Idyllen, Lieder, Legenden — umsonst; das Volk liest euch nicht — liest es nur den Reineke de Vos? — ihr begruͤndet keine plattdeutsche Literatur, ihr macht die verbluͤhende Sprachpflanze durch euren poetischen Mist nicht bluͤhender — sie wird aussterben. Ihr preiset diese Sprache als alt, ehrlich, treu, warm, gemuͤthlich, wohlklingend — ihr habt Recht oder nicht — sie wird aussterben. Das ist das unerbittliche Gesetz der Notwendigkeit.
Allein, es ist wahr, das Nothwendige ist nicht immer das Wuͤnschenswerthe. Gar vieles begiebt sich in Natur und Geschichte mit Nothwendigkeit, was nicht bloß die Klage des Thoren, sondern auch den gerechteren Schmerz des Weisen erregt. Immer ist es des denkenden Menschen wuͤrdig, sich dessen, was geschehen wird und muß, bewußt zu werden, immer der sittlichen Kraft und Wuͤrde desselben schaͤdlich und unwuͤrdig, sich willen- und wunschlos vor der Nothwendigkeit zu beugen. Nicht selten gelingt Aufschub Vertagung, wo auch nicht, der Mensch darf sich frei sprechen von Leichtsinn, traͤger Sorglosigkeit, er hat sich das Recht und die Beruhigung erworben, animam salvavi auszurufen.
Darum frage ich eigentlich, ist es wuͤnschenswerth, daß Niedersachsens alte Sprache sich aus der Reihe der lebendigen verliert; wenn das, soll man ihren Untergang der Zeit uͤberlassen oder soll man diesen beschleunigen; wenn letzteres, welches sind die Mittel dazu?
* * * * *
Um die deutsche Gemuͤthlichkeit ist es ein schoͤnes Ding und was kann
namentlich dem Niedersachsen gemuͤtlicher sein, als seine angeborne
Sprache. Doch ein schoͤneres Ding ist der muthige Entschluß, die
Gemuͤthlichkeit einstweilen auszuziehn, wenn sie uns zu
enge
wird.
Grade das behaupte ich von der und gegen die plattdeutsche Sprache. Sie ist dem Verstand der Zeit laͤngst zu enge geworden, ihr Wachsthum hat bereits mit dem sechszehnten Jahrhundert aufgehoͤrt, sie kann die geistigen und materiellen Fortschritte der Civilisation nicht fassen, nicht wiedergeben und daher verurtheilt sie den bei weitem groͤßten Theil der Volksmasse in Norddeutschland, dem sie annoch taͤgliches Organ ist, zu einem Zustande der Unmuͤndigkeit, Rohheit und Ideenlosigkeit, der vom Zustand der Gebildeten auf die grellste und empoͤrendste Weise absticht.
Habe ich Recht ober Unrecht? Steht es nicht so mit dem Volk in Hannover,
Westphalen, Meklenburg, Holstein u.s.w.? Wurzelt nicht das Hauptuͤbel im
absoluten Unvermoͤgen der taͤglichen Umgangssprache, den noͤthigsten
Ideenverkehr zu bewerkstelligen?
Daß ich in beiden Unrecht haͤtte. Aber den Stein, den diese Anklage gegen die plattdeutsche Sprache als eine Feindin der Volksbildung, der geistigen Thaͤtigkeit erhebt, derselbe gewigtige Stein muß erhoben werden von jedem Niedersachsen, jedem Deutschen, dem der materielle und geistige Zustand von Millionen Bruͤdern, dem die Gegenwart und die Zukunft Deutschlands nicht gleichguͤltig ist.
* * * * *
Halte ich einen Augenblick inne. Ob diese Schrift auch Leser findet, die in hohe aristokratische Privilegien eben in dem geruͤgten Gebrechen, eben in dem Umstand, daß die plattdeutsche Sprache seit drei Jahrhunderten nichts gelernt, eine Tugend derselben entdecken? Soll ich Ruͤcksicht auf solche Leser nehmen? Soll ich die reine Absicht, die mir vorschwebt, durch alle Blaͤtter mir verbittern?
Aber es giebt solche, du kennst solche! Wolan denn, mache ich es gleich und auf einmal mit ihnen ab.
Ja, ihr Herren, diese Sprache hat nichts gelernt seit dem sechszehnten Jahrhundert, sie hat sich mit keiner einzigen Idee, keinem einzigen Ausdruck der neuen Geschichte bereichert, sie hat nicht einmal ein Wort fuͤr Bildung, nicht einmal ein Wort fuͤr Verfassung — ja, ihr Herren, sie ist noch ganz und gar die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts, die Sprache der Hetzjagden, der Peitschenhiebe, der Hundeloͤcher, die Sprache des Bauernkrieges und — spuͤrt ihr nichts vom kurzen Takt der Dreschflegel darin, und seht ihr nicht etwas von kurzem Messer, geschwungener Sense, geballter Faust als Titelvignette vor den Ausgaben plattdeutscher Lexika paradiren? — Taͤuscht euch nicht, sie ist noch immer die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts und schleppt die gebrochenen Ketten sichtbar mit sich umher, und pfluͤgt und ackert jeden Fruͤhling und jeden Herbst den alten Grimm in die alten Furchen hinein. O sie ist schrecklich treu, schrecklich dumm und gemuͤthlich; aber laßt euch sagen, sie hat wenig Religion, nur sehr wenig und sie kennt, wenn sie wild wird, den Teufel besser als den lieben Gott. Woruͤber ihr euch nicht sehr zu verwundern habt; denn als sie katholisch war, da war das Christenthum, die Messe naͤmlich, lateinisch und als sie lutherisch wurde, wurde das Christenthum, Predigt und Katechismus hochdeutsch. Bedenkt auch nur, betet denn gegenwaͤrtig ein einziger Bauer oder Bauernknecht das Vaterunser und den Glauben in der Sprache, worin er seinen Gevatter bewillkommt, im Kruge Schnaps und Bier fordert oder dem Steuereinnehmer einen derben Fluch zwischen den Zaͤhnen hinterherschickt? Wahr ist es also, diese Sprache hat nichts gelernt, allein sie hat auch nichts vergessen , es sei denn ihre alten Lieder, ihren froͤhlichen Gesang und eben das Vaterunser, das sie fruͤher doch, wie ich glaube, hat beten koͤnnen.
Nehmt euch ein Bild zu Herzen, das ich euch, — das ich Allen vorhalte.
Eine Sprache, die stagnirt, ist zu vergleichen mit einem See, dem der bisherige Quellenzufluß versiegt oder abgeleitet wird. Aus dem Wasser, woruͤber der Geist Gottes schwebte, wird Sumpf und Moder, woruͤber die unreinen Geister bruͤten. Der Wind mag wehen woher er will, er gleitet spurlos uͤber die stuͤrmisch gruͤne Decke hin Der Himmel ist blau und heiter oder stuͤrmisch gefaͤrbt, das ruͤhrt ihn nicht, keine Sonne keine Wolke spiegelt sich mehr auf der truͤben Flaͤche. Bild der Unzufriedenheit, der Gleichguͤltigkeit, der Tuͤcke, der Gefahr. Wehe dem Mann, der im Truͤben fischen will und ausgleitet — was helfen ihm ruͤstige Arme, Schwimmkunst, er versinkt, er erstickt im tauben Schlamm.
Die Sprache ist das Volk.
* * * * *
Ja wohl, die Sprache ist das Volk und es gab eine Zeit wo das niedersaͤchsische Volk und die niedersaͤchsische Sprache poetisch waren. Das ist sehr lange her, die Zeit war heidnisch und der Germane von Poesie, Muth, Stolz und Freiheit durchdrungen. Die kuͤhnsten Gedichte aus dieser „rauhen Vorzeit,“ wenn gleich schon vom Duft der Klostermauern angewittert und durch Moͤnchsfedern auf die Nachwelt gekommen, verraten niedersaͤchsischen Dialect.
Ich weiß nicht ob viele meiner Leser sich Begriff und Vorstellung machen von der wunderbaren Natur einer Sprache, die einem vermeintlich barbarischen und rohen Sittenzustande angehoͤrt. Diese muͤssen mir, und wenn nicht mir, Jakob Grimm, dem Linnaͤus der deutschen Sprachgeschichte auf's Wort zu glauben, daß keine Sprache gegenwaͤrtig auf dem Erdboden gesprochen wird, die an Bau und Kuͤnstlichkeit jener alt-plattdeutschen Sprache das Wasser reichte. Die grammatische, innerliche Gediegenheit hatte sie mit den aͤltesten Grundsprachen und mit ihrer oberdeutschen Schwester gemein und uͤbertraf diese vielleicht an Klang, Kraft und Wohllaut. Allein, das Schicksal wollte ihre Schwester erheben und sie fallen lassen. Jene hat im Verlauf der Zeit auch unendlich viel von ihrer leiblichen Schoͤnheit und jugendlichen Anmuth eingebuͤßt, allein sie hat Gewandtheit, Schnelle, Feinheit des Ausdrucks, Begriffsschaͤrfe, vermehrte Zahl der Combinationen zum Ersatz dafuͤr eingetauscht. Die niedersaͤchsische Sprache dagegen hat ihre Jugend und staͤhlerne Kraft verloren; ohne an Verstand und innerer Feinheit zu gewinnen. Ihre grammatischen Formen wurden zerstoͤrt und in noch hoͤherem Grade, als die der Schwestersprache, aber ohne daß man bemerken konnte, daß der scharfe Gaͤrungsprozeß der antiheidnischen neueuropaͤischen Bildungsfermente an der Aufloͤsung einigen Antheil genommen, sondern ersichtlich und durch dumpfes truͤbes Verwittern, das auch Holz und Stein und alles Leblose oder Absterbende allmaͤhlig abnagt und zerfrißt.
Als die althochdeutsche Sprache in die mittelhochdeutsche uͤberging, schaute diese als Siegerin auf dem Turnierplatze des deutschen Geistes umher, sie war es geworden ohne Kampf. Sprache des maͤchtigsten und kunstliebendsten Kaiserhauses, lebte sie im Munde der Fuͤrsten, Ritter, Saͤnger mit und ohne Sporn, Saͤnger mit und ohne Krone, welche die elegante Literatur ihres Zeitalters begruͤndeten, war sie, was mehr sagen will, die Sprache des Nibelungenliedes und anderer deutschen Nationalgedichte, welche mit Ausnahme jener aͤltesten Reliquien theils nie, theils nur in spaͤterer Uebersetzung im Plattdeutschen schriftsaͤssig wurden.
Welcher Bann, frage ich, lag uͤber der niedersaͤchsischen Literatur? Derselbe Bann, der uͤber dem Volk und seiner Geschichte lag. Es sollte die maͤchtige Naturkraft, die einst diesen Stamm beseelte, stocken und starren und als truͤber Bodensatz des germanischen Geistes zuruͤckbleiben.
Welche Kette von Hemmnißen, betaͤubenden und zerreißenden
Ungluͤcksschlaͤgen nur bis zum sechszehnten Jahrhundert!
Karl des Großen Sachsenkrieg, gewaltsam blutige Ausrottung des Wodandienstes ohne wahrhafte Anpflanzung der Christusverehrung, Sachsen und Slaven stoßen sich hin und her und mischen sich unter einander, die alte Sachsenfreiheit schwindet, die Leibeigenschaft nimmt furchtbar uͤberhand, der Krumstab zu Bremen ist schwach und gewaͤhrt keinen Schutz, das saͤchsische Kaiserhaus uͤbertreibt die Großmuth und entaͤußert sich seiner zu Wuͤrde und Glanz so nothwendigen Stammbesitzungen, Heinrich der Loͤwe, die welfische Macht geht unter, deren Sieg uͤber die hohenstaufische Norddeutschland so gehoben haͤtte wie ihre Niederlage Suͤddeutschland emporbrachte, selbst der belebende Einfluß der Hansa zeigt sich nur im Sinnlichen, nicht im Geistigen wohlthaͤtig, ihr Seehandel nach dem Norden macht sie nur mit Voͤlkern und Sitten bekannt, die noch roher waren, als sie selbst; Dagegen Suͤd-Deutschlands Handelsstaͤdte, Nuͤrnberg, Augsburg mit dem hoch gebildeten Oberitalien in Verkehr standen.
Und nach dem fuͤnfzehnten Jahrhundert! Muß ich nicht Luther selbst und die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, daß die unmittelbaren Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinaus wirkenden Begebenheit, wie fuͤr ganz Deutschland, so insbesondere auch fuͤr Niedersachsen nicht gluͤcklich, nicht segenbringend waren? Welch ein Gemaͤlde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende Juristen, blutduͤrstige Obrigkeiten, dumpfer Haß, aͤchzende Kirchengesaͤnge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und Teufelsbesessenheit[2]. Welch ein Gemaͤlde des Aeußeren: der dreißigjaͤhrige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme norddeutscher Staͤdte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus fruͤherem Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Koͤnige, wie schon fruͤher und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz daͤnischer Koͤnige, selbst Brandenburgs steigende Groͤße, die zu guter letzt die Wagschaale der Macht und des politischen Einflusses uͤberwiegend auf jene nordoͤstlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer Stammbevoͤlkerung urspruͤnglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Saͤfte und Kraͤfte sich konsolidirt und ausgebildet hatten.
Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen
Ergaͤnzung ich dem Geschichtforscher uͤberlasse.
Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der niedersaͤchsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine eigentuͤmliche Literatur unter ihm geltend machen[3], wie konnte die Volkssprache selbst sich der Entwuͤrdigung und Verschlechterung entziehen? Auf welcher Bildungsstufe muͤßte die neuere Zeit Volk und Sprache antreffen, wie tief unter der noͤthigsten Fassungskraft, wie selbst ohne Ahnung dessen, was zur Begruͤndung und Sicherung eines verbesserten Staatslebens elementarisch vorauszusetzen?
* * * * *
Allein, hoͤre ich Jemand einwerfen, wenn auch die plattdeutsche Sprache ganz dem Bilde gleicht, das du von ihr entworfen, wenn sie selbst auch unfaͤhig ist, Element der Volksbildung zu sein, so erwartet eigentlich auch Niemand dieses Geschaͤft von ihr, das ja von der allgemein verbreiteten und verstandenen hochdeutschen Sprache laͤngst uͤbernommen und verwaltet wurde.
Antwort: uͤbernommen aber nicht verwaltet. Damit behauptet man einen Widerspruch gegen alle Vernunft und Erfahrung. Selbst die allgemeinste Erlernung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache uͤbt so lange gar keinen oder selbst nachteiligen Einfluß auf die Volksbildung, als neben ihr Plattdeutsch die Sprache des gemeinen Lebens bleibt.
Allerdings wird die hochdeutsche Sprache als Organ der Volksbildung uͤberall in Niedersachsen angewendet. Es gibt wol wenig Doͤrfer, wo die Jugend nicht Gelegenheit findet, das Hochdeutsche ein wenig verstehen, ein wenig sprechen, ein wenig lesen und ein wenig schreiben zu lernen. Die Leute muͤssen wol. Amtmann, Pfarrer, Bibel, Gesangbuch, Katechismus, Kalender sprechen hochdeutsch. Ohnehin sind die Kinder schulpflichtig und beim Hobeln setzt es Spaͤhne ab.
Allein, Jedermann weiß, plattdeutsch bleibt ihr Lebenselement. Das sprechen sie unter sich, zu Hause, im Felde, vor und nach der Predigt. Das kommt ihnen aus dem Herzen, dabei fuͤhlen sie sich wohl und vergewissern sich, daß sie in ihrer eigenen Haut stecken, was ihnen, sobald sie hochdeutschen, sehr problematisch wird.
Der erste Schulgang macht in der Regel auch die erste Bekanntschaft mit der hochdeutschen Sprache. Mit Haͤnden und Fuͤßen straͤubt sich der Knabe dagegen. Ich bedaure ihn, er soll nicht bloß seine bisherige Freiheit verlieren, unter die Zuchtruthe treten, buchstabiren lernen, was auch andern Kindern Herzeleid macht; er soll uͤberdies in einer Sprache buchstabiren und lesen lernen, die er nicht kennt, die nicht mit ihm aufgewachsen ist, deren Toͤne er nicht beim Spiel, nicht von seiner Mutter, seinem Vater, seinen kleinen und großen Freunden zu hoͤren gewohnt war. Alles was er von diesem Augenblick an liest, lernt, hoͤrt in der Schule und unter den Augen des Lehrers, klingt ihm gelehrt, fremd, vornehm und tausend Meilen von seinem Dorf entfernt. Daß der rothe Hahn in seiner Fibel kraͤht und der lebendige in seinem Hause krait , scheint ihm sehr sonderbar. In der Bibel nennen sich alle Leute du , der Unterlehrer sagt zum Oberlehrer sie , er aber ist gewohnt, bloß seine Kameraden zu dutzen, Vater, Mutter und andere Erwachsene mit he und se anzureden. Kommt an ihn die Reihe zu lesen, laut zu lesen, so nimmt er die Woͤrter auf die Zunge und stoͤßt sie heraus wie die Scheiben einer Frucht, die er nicht essen mag, weil er sie nicht kennt. Was er auswendig lernt, lernt er nicht einwendig. Was ihm allenfalls noch Vergnuͤgen macht, ist der gemeinschaftliche Gesang am Schluß der Schule und auf Kirchbaͤnken. Von Natur mit einer hellen durchdringenden Stimme begabt, wetteifert er mit dem Chor um die hoͤchsten Noten, betaͤubt seinen Kopf und findet eine Art Vergnuͤgen und Erholung darin, dieselben Verse des Gesangbuches bloß herauszuschreien, die er zu anderer Zeit auswendig lernen muß.
Erreicht er das gesetzliche Alter, so wird er konfirmirt. Wer ist froher als er. Nun tritt er voͤllig wieder in das plattdeutsche Element zuruͤck, dem er als Kind entrissen wurde. Er hat die ersten Forderungen des Staates und der Kirche erfuͤllt. Er hat seinen Taufschein durch seinen Confirmationsschein eingeloͤs't. Ersteren bekam er ohne seinen Willen zum Geschenk, um letzteren mußte er sich, auch wider seinen Willen, redlich abplacken.
Auf beide Scheine kann er spaͤter heiraten und Staatsbuͤrger werden.
Was ist die Frucht dieses Unterrichts? Er hat rechnen, lesen und schreiben gelernt. Er kann auch lesen und schreiben, aber er lies't und schreibt nicht. (Umgekehrt der franzoͤsische Bauer, der kann nicht lesen, aber er laͤßt sich vorlesen). Ich frage also, was ist die Frucht dieses hochdeutschen Unterrichts? Welchen Einfluß uͤbt derselbe auf sein Geschaͤft, auf seine Stellung als Familienvater, Staatsbuͤrger, Glied der Kirche, der sichtbaren, wie der unsichtbaren?
Folgen wir ihm, wenn er aus der Kirche kommt. Die Predigt ist herabgefallen, der Gesang verrauscht wie ein Platzregen auf seinen Sonntagsrock, zu Hause zieht er diesen aus und haͤngt ihn mit allen Worten und himmlischen Tropfen, die er nicht nachzaͤhlt, bis zum kuͤnftigen Sonntag wieder an den Nagel. Frage: kann er die hochdeutsche Predigt hochdeutsch durchdenken, spricht er mit Nachbaren, mit Frau und Kindern hochdeutsch vom Inhalt derselben, ist er gewohnt und geuͤbt, ist er nur im Stande, den religioͤsen Gedankengang in's Plattdeutsche zu uͤbersetzen? Antwort: schwerlich. Frage: hat ihn die Predigt das Herz erwaͤrmt, den Verstand erleuchtet? Antwort ein Schweigen. Armer Bauer, vor mir bist du sicher, ich lese dir daruͤber den Text nicht. Kannst du etwas dafuͤr, daß der Kanzelton nicht die Grundsaite deines Lebens beruͤhrt, daß jener Nerv, der von zart und jung auf gewohnt ist, die Worte der Liebe, der Herzlichkeit, des Verstaͤndnisses in dein Inn'res fortzupflanzen, nicht derselbe ist, der sich vom Klang der hochdeutschen Sprache ruͤhren laͤßt. Wer auf der Gefuͤhlsleiter in deine Herzkammer herabsteigen will, muß wollene Struͤmpfe und hoͤlzerne Schuh anziehen, in schwarzseidenen Struͤmpfen dringt man nicht bis dahin. Wuͤßte man nur, begriffe man nur, wie es in deinem einfaͤltigen Kopf zusteht und daß die hochdeutschen Woͤrter und die plattdeutschen Woͤrter, die du darin hast sich gar nicht gut mit einander vertragen, sich nicht verstehn und sich im Grund des Herzens fremd, ja feind sind. Die plattdeutschen Woͤrter sind deine Kinder, deine Nachbaren, dein alter Vater, deine selige Mutter, die hochdeutschen sind der Schulmeister, der Herr Pastor, der Herr Amtmann, vornehme Gaͤste, die dir allzuviel Ehre erweisen, in deinem schlechten Hause vorzukehren, mit dir vorlieb zu nehmen, Woͤrter in der Perruͤcke, in schwarzem Mantel, welche deine und deiner plattdeutschen Wort Familie Behaglichkeit stoͤren, dich in deiner Luft beeintraͤchtigen, dir bald von Abgaben, bald von Tod und juͤngsten Gericht vorsprechen, Grablieder uͤber deinen Sarg singen werden, ohne sich uͤber deine Wiege gebuͤckt und Eia im Suse und andere Wiegenlieder gesungen zu haben. Armer Bauer, ich habe dich immer in Schutz genommen und diese Schrift, obgleich du sie nicht lesen wirst, ist eigentlich nur fuͤr dich und zu deinem Heil und Besten geschrieben. Viele Leute aus der Stadt klagen dich an, daß du trotz deiner Einfalt verschmizt bist, trotz deiner Rohheit nicht weniger als Kind der Natur bist, sie sagen, daß du dir eine und die andere Gewissenlosigkeit gar wenig zu Herzen nimmst. Aber ich habe ihnen immer geantwortet, unser Bauer hat nicht zu wenig Gewissen, er hat zu viel. Er hat zwei Gewissen, ein hochdeutsches und ein plattdeutsches, und das eine ist ihm zu fein, das andere uns zu grob und dickhaͤutig. Zu diesem wird ihm in seinem eigenen Hause der Flachs gesponnen, jenes webt ihm die Moral und die Dogmatik; in dem einen sitzt er wohl und warm und es ist sein Kleid und Brusttuch so lange er lebt, in dem andern friert ihn und er haͤlt es nur deswegen im Schrank, um damit einmal anstaͤndig unter die Schaar der Engel zu treten.
Ist ihm sein Verhaͤltniß zum Staat durch den hochdeutschen Unterricht vielleicht klarer geworden, als sein Verhaͤltniß zur Kirche? Erwirbt er sich durch das hochdeutsche Medium, das einzige, das ihm Aufschluͤsse uͤber eine so wichtige Angelegenheit geben kann, Kenntnisse von seinen Rechten und Pflichten im Staats-Verein, ist ihm dadurch ein Gefuͤhl von Selbststaͤndigkeit, ein Bewußtsein von den Grenzen der Freiheit und des Zwanges, von Gesetz und Willkuͤhr aufgegangen, Gemeinsinn geweckt: sein dumpfes egoistisches Selbst zu einem Bruderkreise erweitert, der Wohl und Weh an allen Gliedern zugleich und gemeinschaftlich spuͤrt? Wie das alles? Seine Beamte klaͤren ihn nicht auf und er selber — er liest nicht, er nimmt keine Schrift, kein Blatt zur Hand, er laͤßt sich auch nicht vorlesen, das ist gelehrt, hochdeutsch, geht uͤber seinen Horizont, laͤßt sich nicht weiter besprechen, sein Verstand hat kaum einen Begriff, seine Sprache kein analoges Wort dafuͤr. Armer Bauer. Und wenn Wunder geschaͤhen und die tausend Stimmen der Zeit, die fuͤr dich und an dich gesprochen, dein Ohr nicht erreichen, wenn sie sich verwandelten und ergoͤßen in eine goͤttliche Stimme, die vom Himmel riefe: Bauer, hebe dein Kreuz auf und wandle — du wuͤrdest liegen bleiben und sprechen: das ist hochdeutsch.
Wie er seine Acker vorteilhafter bestellen, seine Geraͤthe brauchbarer einrichten, nuͤtzlicher dieses und jenes betreiben, wohlfeiler dieses und jenes haben koͤnne, das lehren ihn Blaͤtter und Schriften, von Gesellschaften oder Einzelnen herausgegeben, vergebens: er liest sie nicht. Schlaͤgt man ihm sonstige Verbesserungen und Veraͤnderungen vor, so schuͤttelt er den Kopf und bleibt starrsinnig beim Alten. Dat geit nich, dat wil ik nich, dat kan ik nich, ne dat do ik nich ; ungluͤckselige, stupide Worte, wie viele beabsichtigte Wohlthaten macht ihr taͤglich scheitern, habt ihr scheitern gemacht. Unseliger Geist der Traͤgheit, der hier mit der Sprache Hand in Hand hinschlentert, mit dieser vereint, durch diese gestaͤrkt allem Neuen und Bewegenden Feindschaft erklaͤrt. Wann erlebt der Menschenfreund, daß dieses unsaubere Paar geschieden wird. Wann erscheint die Zeit, wo diese Eselsbruͤcke zwischen Gestern und Vorgestern abgebrochen wird, wo die einzig; moͤgliche Verbindungsstraße zwischen der heutigen Civilisation und dem norddeutschen Bauer, die hochdeutsche Sprache, diesem wahrhaft zugaͤnglich gemacht wird? Aermster, ich klage dich ja nicht an, ich bedaure dich ja nur.
Oder muß es so sein, muß der deutsche Bauer ein Klotz, ich sage ein Klotz bleiben. Ist es sein ewiges Schicksal nur die Plage des Lebens und nicht deßen Wohlthaten zu genießen? Wird sich nicht einmal seine enggefurchte Stirn menschlich erheitern, ist es unvereinbar mit seinem Stande, seinem Loose, gebildeter Mensch zu sein, mit gebildeten Menschen auf gleichem Fuß zu leben, sich nicht allein mit Spaten und Pflug, sondern auch mit Kopf und Herzen zu beschaͤftigen?
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Das sind sehr exotische Ideen in Niedersachsen! Ich weiß, ich weiß. Ich will sie aber aussprechen, ich will sie vertheidigen, ich will das Meinige dazu thun, daß einheimische Ideen, Fragen und Wuͤnsche daraus werden. Lange genug ist die Bildung ein ausschließliches Vorrecht einiger Menschen, gewißer Staͤnde gewesen. Das muß aufhoͤren, gebildet sollen alle Menschen sein, gelehrt wer will. Volksbildung, und nicht bloß wie bisher Volksunterricht, soll und wird das Ideal, das Feldgeschrei der Zeit werden. Unsere Gelehrten, unsere Beamte, unsere guten Koͤpfe unter den Schriftstellern werden ihren Hochmuth fahren lassen, sich des Volkes erbarmen, und sich einmal erinnern, daß sie selber in der Mehrzahl aus dem Volke stammen. Noch im vorigen Jahrhundert gab sich so ein Gelehrter, Philosoph, Dichter, der vielleicht aus dem dunkelsten Stande geboren war, die laͤcherliche Miene, als ob er unmittelbar aus dem Haupt des Gottes der Goͤtter entsprungen sei und den Olymp besser kenne, als das Haus der armen Frau: die ihn mit Schmerzen geboren und mit Thraͤnen, Sorgen und Entbehrungen groß gezogen hatte. Kein Dichter stuͤrmte seinen Schmerz und Unmuth uͤber die Erniedrigung des Volks in die Saiten, kein Gelehrter schaͤmte und graͤmte sich, die ihm von Natur naͤchsten und liebsten Wesen von sich getrennt zu sehn durch eine ungeheure geistige Kluft, welche nur die Bildung der alten und neuen Welt auszufuͤllen vermogte. Lessing schreibt den Nathan, und beweist, daß der Jude eben so viel Anspruͤche habe auf den Himmel als der Christ, aber er schreibt nichts, worin er beweist, daß der Bauer, sein Vetter, eben so viel Anspruͤche habe den Nathan zu lesen, als der vornehme und gebildete Stadtmensch. Winkelmann steht am Fuße des Vatikans und erfuͤllt die Welt mit Orakelspruͤchen uͤber die Schoͤnheiten des Apoll von Belvedere, uͤber das goͤttliche zornblickende Auge, die geblaͤhten Nasenfluͤgel, die veraͤchtlich aufgeworfene Unterlippe, „eben hat er den Pfeil abgesandt nach den Kindern der Niobe, noch ist sein Arm erhoben,“ und im selbigen Augenblicke vielleicht, als er dieses spricht, hebt sein Vater, ein armer Altflicker, gedruͤckt und gebuͤckt uͤber den Leisten hingebogen, Pfriem und Nadel in die Hoͤhe, blickt mit geisttodten, stumpfen Augen auf einen Kinderschuh und gewaͤhrt den Anblick eines Menschen, gegen den gehalten der letzte Sclave des Praiteles, der an die Palaͤste der altroͤmischen Großen wie ein Hund angekettete Thuͤrwaͤchter apollinische Gestalten waren.
Volksbildung, o das Wort hat einen griechischen Klang in meinen Ohren und ich muß daher fast bezweifeln, ob es auch von meinen Landsleuten gehoͤrig verstanden wird. Schulleute und Gelehrte werden schon wissen, was ich meine, ich brauche nur die Woͤrter zu nennen: γυμναςτιχα, studia liberalia, id est , wie mein alter Schuldirektor glossirend hinzufuͤgte, studia libero homine digna . Fuͤr das groͤßere Publikum muß ich mich wol zu einer etwas umstaͤndlichern Erklaͤrung anschicken und besonders fuͤr diejenigen, welche nicht begreifen, wie das Volk nicht bloß unterrichtet, in Lesen und Schreiben geuͤbt, sondern auch gebildet werden solle.
Zur Volksbildung, wie zu jeder Bildung gehoͤrt zweierlei, etwas Negatives und etwas Positives. Sage ich aber vorher, daß ich die Saiten nicht zu hoch spanne und daß ich so dem natuͤrlichen Muthwillen der Knaben die ganze koͤrperliche Gymnastik, und der Gunst der Goͤtter ihren Schoͤnheitssinn, ihre musikalische Praxis und dergleichen uͤberlasse. Im Negativen ist die Aufgabe der Bildung, die vis inertiae der rohen Natur vertreiben und bezwingen zu helfen — das Kapitel ist weitlaͤufig — es besteht aber die vis inertiae , die Erbsuͤnde des menschlichen Geschlechts, darin, daß im Allgemeinen der ungebildete Mensch — was nun gar der norddeutsche Bauer — Selbstdenken scheut, Vorurtheile pflegt, fremde Meinungen herleiert, Thier der Gewohnheit, tausendstes Echo, Sclave von Sclaven ist, besteht, wie schon die Bibel sagt, darin, daß er Augen hat zu sehen und nicht sieht, Ohren um zu hoͤren und nicht hoͤrt, besteht, um alles kurz zusammenzufassen, darin, daß er sich seines eigenen Verstandes, seines eigenen Gefuͤhls, seines eigenen Willens nur in den wenigsten Augenblicken des Lebens bewußt wird. — Der weichenden Kraft der Traͤgheit folgt, wie eine elastisch nachdruͤckende Feder, die allmaͤhlich hervorspringende Kraft der Thaͤtigkeit. Diese soll beschaͤftigt werden, angemessenen Stoff finden, eine bestimmte Richtung erhalten. Das ist das Geschaͤft der Bildung im Positiven, das ist das Saͤen des Weizenkorns, wenn der Acker von Steinen gereinigt, von unfruchtbarer traͤger Last befreit, durchbrochen, gepfluͤgt und gefurcht. Trieb, Lust und Kraft zum Verarbeiten des Saamenkorns in sich spuͤrte. Mensch und Acker, diese beiden uraͤltesten, natuͤrlichsten und durch den religioͤsen Stil aller heiligen Urkunden gleichsam geweihten Vergleichungsobjekte, sind sich hauptsaͤchlich darin aͤhnlich, daß der Schoͤpfer uͤber beide das Wort ausgesprochen hat: erst gepfluͤgt und dann gesaͤet — erst den starren traͤgen Zusammenhang der Oberflaͤche, der Gemuͤthsdecke durchbrochen, dann hinein mit dem lieben Korn und — jedem Feld das seinige nach Art des Beduͤrfnisses, nach Guͤte und Beschaffenheit des Bodens[4].
Lehrer, wollt ihr mehr als Lehrer, wollt ihr Bildner des Volks sein, lehrt denken, denken und abermals denken. Gedankenlosigkeit fuͤr eine Suͤnde, bestraft sie wie einen Fehler, bindet meinetwegen euren Schuͤlern ein symbolisches Brett vor den Kopf oder stellt sie mit dem Kopf an die bretterne Wand, oder haͤngt ihnen, wie die Englaͤnder thun, Eselsohren an, oder setzt sie, wie unsere Alten thaten, mit dem Steiß auf hoͤlzerne Esel und vor allen Dingen, huͤtet euch, selbst die Esel zu sein.
Ich bin aber gar nicht gesonnen, bloß den Lehrern ex professo die Volkserziehung anheim zu stellen — ihnen dieselbe auf den Stuͤcken zu laden, sollte ich wol sagen, bedenke ich das Loos so vieler tausend braven Maͤnner, die bei kuͤmmerlichem Brod ihre taͤgliche Noth und Sorge haben. Nur immer die Lehrer, nur alles auf ihre Kappe, nur alle Sorge, allen schlechten Erfolg der Erziehung auf ihren Antheil gewaͤlzt. Das ist bequem, bequem freilich, aber nicht patriotisch. Jeder Patriot ist gelegentlich und er sucht die Gelegenheit — Erzieher, Bildner der Menschen, in deren Umgebung er lebt, hier hebt er einen Stein auf, dort ist sein Wort eine Pflugschaar, welche ein Stuͤck harter Kruste aufreißt, dort ein Saamenkorn, das sich heimlich und zu einstiger Frucht in die Spalten des Gemuͤths einsenkt.
Volksbildung, Wunsch meiner Wuͤnsche, Ideal, nicht traͤumerisches,
abgoͤttisches, ruͤckwaͤrts gewandtes, aufwaͤrts in den leeren Himmel
blickendes, ich glaube an Dich; Ideal, das keinem Dichter vielleicht
Stoff zum Besingen gibt, das vielleicht unter der Wuͤrde des
Metaphysikers steht, das die scholastische Zunft Ketzerei schilt und der
Politiker belaͤchelt, Ideal meiner Seele, Ideal aller Patrioten, im
Namen aller spreche ich es aus, ich glaube doch und noch immerfort an
Dich.
Laßt ihr gebildeten Niedersachsen die alten Feudalvorurtheile uͤber den Stand eurer Bauern die unreifen Ansichten uͤber ihre Bildungsfaͤhigkeit fallen und fahren; erstere sind so roh, wie leider der Bauernstand jetzt noch selber, letztere so intellektuell hochmuͤthig, wie man nur immer von einem Stand exklusiv Gebildeter im und uͤber'm Volk erwarten kann. Bedenkt aber, was ich sage. Ein Leibnitz, zehn Jahr mit sich allein im dunkeln feuchten Kerker, kann so dumm und albern werden, daß Gaͤnsejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden, aber doch mit denselben Atomen ihres Hirns uͤber die Erscheinungen in der Welt, uͤber Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden und aufloͤsen, Gedanken bilden, Urtheile faͤllen und uͤberhaupt sollen sie geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schaͤrfer oder abstrakt einseitiger durchgefuͤhrt die Lehre von urtheilbaren beseelten Weltstaͤubchen zum Resultat hatten.
Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser auseinandersetzen — wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren zu reveniren Gelegenheit finden solltet.
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Im vorherigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschließlich nur auf die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des Landmanns Ruͤcksicht genommen[5]. Es ist aber auch schwer, wenn von der gewerbtreibenden Klasse, der großen Bevoͤlkerung norddeutscher Staͤdte die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die plattdeutsche Sprache, wo sie dem taͤglichen Umgang angehoͤrt, uͤber die Koͤpfe verhaͤngt. Man stoͤßt sich da, wo der Block liegt, nur sind die Pfaͤhle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf dem Lande begrenzen und umpfloͤcken, hier mehr roh, dort mehr spießbuͤrgerlich abgeschaͤlt und hollaͤndisch uͤberpinselt, das ist der Unterschied. Doch giebt es besonders aus groͤßeren norddeutschen Staͤdten, eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den mittleren achtbaren Staͤnden, Handwerker u.s.w. haben in neuer und neuester Zeit angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung zur hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als von ihren Vaͤtern und Vorfahren eingenommen wurde. Ruͤhmlich ist es, was diese fuͤr ihre Kinder thun, mit wie viel Opfern sie oft ihren Lieblingen Gelegenheit verschaffen, sich fuͤr ihren kuͤnftigen Stand so zu befaͤhigen, daß sie nicht, wie jetzt noch die Meisten aus dieser Klasse, mit leeren Haͤnden und offenen Maͤulern den Strom der Einsichten, Ideen, Kenntnisse und Bestrebungen an sich voruͤberrauschen sehen, der Europa, Amerika, die Welt erfuͤllt. Ruͤhmlich und verstaͤndig zugleich, denn es leitet sie der richtige Takt in der Beobachtung, daß Besitz und Vermoͤgen in der Welt immer mobiler werden, daß im raschen Wechsel der Dinge, außer dem blinden Gluͤck, worauf zu rechnen Thorheit waͤre, Verstand und Kenntnisse, die aͤchten Magnete sind, um den aus den Taschen der Erwerbenden und Genießenden lustig hin und her wandernden Besitz anzuziehen, zusammenzuhalten und zu vermehren.
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Waͤhrend der niedersaͤchsische Bauer bis uͤber Kopf und Ohren im Plattdeutschen steckt, der Buͤrgersmann aber schon anfaͤngt, sich zwangloser, als bisher, des hochdeutschen Mediums zu bedienen, sollte man vom Gebildeten par exellence , vom Musensohn, vom Beamten des Staats und der Kirche u.s.w. aussagen duͤrfen, daß er sich mit voͤlliger Freiheit und Lust in hochdeutscher Sprache und Bildung bewegte und vom plattdeutschen Idiom nur außer und unter diesem Kreise Gebrauch machte. Allein die Sache verhaͤlt sich anders. Ich muß in dieser Hinsicht Gedanken aͤußern, Erfahrungen mittheilen, welche meinem Gegenstande eine ganz eigentuͤmliche uͤberraschende Wendung geben.
Thatsache ist naͤmlich, daß die plattdeutsche Sprache Haus- und Familiensprache in Tausenden von Beamtenfamilien, Lieblingssprache auf allen norddeutschen Universitaͤten ist. Diese Sprache also, die ich als Schranke alles Strebens und Lebens, als Feindin der Bildung betrachte, ist dieses so wenig in den Augen vieler meiner Landsleute, daß sie den vertrautesten Umgang mit ihr pflegen, daß sie ihr, der von Kanzel und Lehrstuhl und aus guter Gesellschaft laͤngst Vertriebenen, eine Freistaͤte am Heerde ihres Hauses gewaͤhren.
Hier im Schooß der Familien erscheint sie als Exponentin der innigsten Verhaͤltnisse. In Scherz und Ernst fuͤhrt sie oft das Wort, sie ist Vertraute der Gattenliebe, Organ der Kindererziehung, Sprache des Herzens, Lehrmeisterin der Sitte und praktischer Lebensklugheit. Hier hat sie auch meistens ihre Rohheiten abgelegt, kehrt die beste Seite heraus und scheint sich, gleichsam durch ihr Ungluͤck gebessert, des Vertrauens wuͤrdig zu machen.
Kommt hinzu, daß ihre Schutzherrn nicht selten Maͤnner von Talent, Geist und Namen sind. Beruͤhmte Lebende koͤnnte ich anfuͤhren, ich begnuͤge mich den seligen Johann Heinrich Voß zu nennen, der nicht allein in Eutin, sondern noch in Heidelberg bis an seinen Tod mit Frau, Familie und norddeutschen Gaͤsten am liebsten und oͤftersten plattdeutsch sprach.
Das sind Thatsachen. Wie gleiche ich sie aus mit der Behauptung, die plattdeutsche Sprache sei Feindin der Bildung, des Ideenwechsels, der geistigen Lebendigkeit; jetzt, da ich selbst nicht umhin konnte, Maͤnner von Geist und Talent, von Gelehrsamkeit, rastloser Thaͤtigkeit, Maͤnner wie Voß als plattdeutsche zu bezeichnen?
Freilich, ich koͤnnte den nachteiligen Einfluß der plattdeutschen Sprache eben nur auf das Volk und die Volksbildung beschraͤnken. Ich koͤnnte mich etwa, um dem gebildeten Plattdeutschen allen Anstoß aus dem Wege zu raͤumen, folgendermaßen daruͤber ausdruͤcken: absolut dem Geiste lethal ist das Plattdeutsche nur, wo hochdeutsch, sanskrit und boͤhmische Doͤrfer gleich bekannt sind, wie hie und da in Pommern und Meklenburg; was denn von den groͤßten Freunden des Plattdeutschen zugegeben werden muͤßte, da gar nicht zu laͤugnen, daß an sich und fuͤr sich dasselbe nichts Lebendes und Bewegendes enthalte, sondern Todt und Stillstand selber sei; geistig hemmend und laͤhmend bleibt aber das Plattdeutsche immer noch aus der Stufe der Gesellschaft, wo ihm zwar das Hochdeutsche verstaͤndlich naͤher getreten, aber noch als ein Fremdes gegenuͤber steht; ohne schaͤdlichen Einfluß und gleichsam indifferent fuͤr Geist und Bildung zeigte sich die plattdeutsche Sprache, da, wo sie der hochdeutschen nicht als Fremde gegenuͤber steht, sondern schwesterlich zur Seite geht.
Allein, ich fuͤrchte, indifferent ist ein Ausdruck, der hier schon aus allgemeinen psychologischen Gruͤnden unstatthaft erscheint. Zwei Sprachen auf der Zunge sind zwei Seelen im Leibe. Ist die eine Sprache die geliebtere, die Herzenssprache, so ist die andere, fuͤr welche Zwecke sie auch aufgespahrt wird, um ihren schoͤnsten Anteil am Menschen zu kurz gekommen. Sie raͤcht sich, indem sie das nicht zuruͤckgiebt, was sie nicht empfaͤngt, sie schließt ihre innerste Weihe nicht auf und laͤßt sich wol als aͤußeres Werkzeug mit großer Kunst und Kuͤnstelei, aber nicht als zweites Ich mit Liebe und Freiheit gebrauchen.
Der hochdeutschen Sprache verdankt jeder Niedersachse sein veredeltes Selbst, ihr der aus dem Volk geborne Redner, Dichter, Schriftsteller sein Alles und Ruf und Namen im Kauf. Kann er ihr sein Herz dafuͤr nicht zuruͤckschenken, kann er sie nicht zur Sprache seiner haͤuslichen Freuden und Leiden machen, muß sie verstummen, sobald er gemuͤthlich wird, so steht sein gebildetes und veredeltes Selbst im geheimen Kontrast zu seinem intimen Selbst und es wird sich daher auch an seiner Bildung, an seinen Gedichten, Reden, Schriften diese Einseitigkeit, dieser Widerspruch offenbaren und nachweisen muͤssen.
Menzel hat's bekanntlich an Johann Heinrich Voß unternommen. Die Stelle in Menzels Literatur, die Voß betrift, ist bitter, frivol, einseitig, aber sie ist bedeutend und hat dieselbe nachwirkende Sensation hervorgebracht, wie das Urtheil uͤber Goͤthe, das freilich noch einseitiger ausgefallen ist und sich selbst à la Pustkuchen laͤcherlich machte. Als ich Menzels Worte zum erstenmal las, fuͤhlt ich mich empoͤrt. Zeig dich nur erst als so einen niedersaͤchsischen Bauer , wie du den Voß zum Spotte nennst, rief ich im Zorn aus; allein ich mußte mir einen Augenblick darauf selbst sagen, daß diese Anmuthung an einen Suͤddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang und daß doch zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem Zugestaͤndnisse lag. Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht uͤber Voß als Dichter und Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung Vor dessen großen, zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach uͤbertriebener, philologischer Bewunderung und niedersaͤchsischem Patriotismus roch. Ich fand, daß er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr Zwang angethan, daß er zu roh und willkuͤhrlich an ihr gezimmert und losgehaͤmmert und daß kein Deutscher, selbst Voß nicht, solche Woͤrter, Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwaͤrtig lautet mein Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voß bestaͤtigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine Liebe nicht voͤllig inne, daher erschloß sie ihm nicht ihr eigenes Herz, ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfraͤuliche Natur, die Bluͤthe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im zaͤrtlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber durch Willkuͤhr und Zwang ihr abgewinnen kann.
Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung aͤußert, der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter Niedersachsen, welchen Einfluß er auch uͤbe auf die intellektuellen wahren oder ertraͤumten Beduͤrfnisse, auf die verfeinerte Civilisation, Bildung oder Verbildung der Zeit — ich schattire absichtlich diese Ausdruͤcke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber beschraͤnkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit angehoͤrt gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen laßt — der Gebrauch sei ein guter und treflicher in Ruͤcksicht auf den Charakter der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Vaͤter auch ihre alte ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit sich auf die Enkel fortpflanze.
Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn da aus schlichtem, patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßvaͤter so ganz diesem schmeichelhaften Silbe glichen. Es ist sonderbar damit, man spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht vermacht die Sage davon an das aufbluͤhende und die gute alte Zeit selbst laͤßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um einige Stieg Jahre aͤlter, als die aͤltesten lebenden Menschen. Ich muß laͤcheln, wenn ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und Geschichtschreiber denke, wenn sie, um das moralische Maͤhrchen nicht zu Schanden werden zu lassen, sorgenvoll spaͤhende Blicke in die Vergangenheit werfen, um auch nur einen Zipfel, einen Saum von der Schleppe der alten Guten oder guten Alten zu erhaschen. Man gebe nur Acht, wie listig sie sich dabei benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar ins Gesicht sehen, sie sagen nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im Gegentheil wimmeln die Blaͤtter ihrer Geschichte nicht selten eben vorher von klaͤglichen Zustaͤnden, Schwaͤchen, Lastern und Erbaͤrmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie dem Abschluß einer auserwaͤhlten, kleinen, glaͤnzenden Periode sich naͤhern; dann aber, wenn der Vorhang faͤllt, die grellen Farben sich schwaͤchen, die boͤsen Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten Sitten entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie auf ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmuͤthig zu, da geht sie, da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alte Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das ahnen die guten Leute nicht.
Fuͤr jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietaͤt und ein wohlthuendes Gefuͤhl, sich seine Vorfahren als durchgaͤngig honette Leute vorzustellen. Der dunkele Buͤrgerliche oder Baͤuerliche kann dieser Vorstellung wenigstens ohne großen geschichtlichen Anstoß und Widerspruch nachhaͤngen, er hat hierin einen Vortheil vor den beruͤhmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen buͤrgerlichen Familien die Vorstellung vom Großvater, Urgroßvater als altdeutschen Degenknopf die herschende und die liebste. Schwaͤcher und allgemeiner bezeichnet sind die epitheta ornanti fuͤr baͤuerliche Vorfahren, Degenknoͤpfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und der Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa die Ausdruͤcke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf sie anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Wort deutsch nur hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens nicht vorkommt, eben so wenig, wie die fruͤherhin angefuͤhrten Woͤrter Bildung und Verfassung, so daß die Redensart „das gebildete und verfassungsmaͤßige Deutschland“ in plattdeutscher Sprache noch weniger als eine Redensart und gar nichts ist.
Nach dieser vorlaͤufigen Verstaͤndigung waͤre zunaͤchst der Hauptsatz einzuraͤumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie uͤber, und — Folgesatz — wird ihnen zeitlebens etwas ausdruͤcken oder anhaͤngen, was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht fuͤr die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will — das aber — Nach- und Beisatz — den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu erleichtern geeignet sein mag.
Letzteres betrachte ich in der That fuͤr sein unwichtiges Moment. Man sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und Beamtenfamilien unter seinen natuͤrlichsten und vortheilhaftesten Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in deren Mitte er sich fuͤr verrathen und verkauft halten wuͤrde, so trift er in jenen gleichsam naͤhere und entfernte Anverwandte und sieht in deren haͤuslichem Leben wie in einen Spiegel, worin sein eigenes mit verschoͤnerten Zuͤgen ihm vertraulich entgegentritt.
Doch ist keiner geringen Anzahl von diesen Familien die hoͤchst dringende Warnung zu ertheilen, vor dem allmaͤhligen herabsinken auf die baͤuerliche Stufe der Kultur auf der Hut zu sein. Da sich im Plattdeutschen einmal nichts Gescheutes sprechen laͤßt, so nimmt die plattdeutsche Gemuͤtlichkeit nur zu leicht den Charakter der Traͤgheit an. Das Beduͤrfniß bedeutenderer Conversationen, zarterer Beruͤhrungen, die nur in einer gebildeten Sprache moͤglich sind, regt sich immer schwaͤcher, die einfache Sitte verwandelt sich in rohe, das Herzliche ins Laͤppische, das Gerade in's Plumpe, das Derbe in's Ungeschlachte und es tritt nur zu oft jener traurige Ruͤckschritt der Civilisation ein, den man Verbauerung nennt. Damit ist dem Bauer auch nicht geholfen, der Familie, den Kindern noch weniger.
Wer sich also in seiner Neigung und Vorliebe fuͤr das Plattdeutsche im Haͤuslichen auf einen Heros der deutschen Literatur wie Johann Heinrich Voß oder einen Pfarrer, wie Klaus Harms zu berufen gedenkt, der thut wohl, sich zuvoͤrderst die Fragen vorzulegen: bist du des Umschwungs deines geistigen Raͤderwerks auch so gewiß und sicher, wie jene, laͤufst du keine Gefahr, dich fuͤr die Wissenschaft abzustumpfen, die Bewegung der Zeit aus dem Auge zu verlieren; darfst du nicht befuͤrchten, dich und deine Familie an den Bettelstab des Gedankens zu bringen, deinen Kindern eine unersaͤtzliche Zeit zu rauben, sie unerzogen in die Welt zu stoßen und mit deinem ganzen Hause an den untersten Fuß der Civilisation herabzugleiten?
Das moͤgten doch immer Fragen sein, die einer aͤngstlich gewissenhafter
Beantwortung werth sind.
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Aber die plattdeutsche Sprache, ist, wie erwaͤhnt, Lieblingssprache auf allen norddeutschen Universitaͤten und das wenigstens wird ihr waͤrmster Freund nicht gut heißen koͤnnen.
Hier tritt sie als gefaͤhrlichste Bundesgenossin aller jener zahlreichen Uebel und Hemmnisse auf, die sich von Anfang an auf unsere Universitaͤten verschworen zu haben scheinen, um die Humanitaͤt im Keim zu ersticken. Hier legt sie die idyllische ehrbare Miene ab, wodurch sie sich in laͤndlichem Pfarrhause Frau und Toͤchtern empfiehlt, zwanglos grob, ungenirt gemuͤtlich wandert sie in den Auditorien aus und ein, den Mund immer offen und nur pausirend, wenn der Professor spricht und der Student Religionsphilosophie, Metaphysik, Naturlehre und andere hochdeutsche sublimia in sein Heft eintraͤgt. Zum Teufel ihr Herren favete linguis! wie kommt die Sprache Boͤotiens in Minervens Tempel. Ihr koͤnnt freilich antworten, wie kommt Minervens Tempel zu unserer Universitaͤt, die nur eine alte wankende Ruine aus dem Mittelalter ist. Recht! aber wo euer Fuß hintritt, da soll Athen sein, geweihter Boden sein — soll , sage ich, denn warum sonst haben die Goͤtter dem jugendlichen Fuß die Sehne der Ungeduld und des heiligen Zorns verliehen, die mit einem Tritt zerstampft, was das Alter mit beiden Haͤnden nicht aus dem Wege schaffen kann, warum anders, als damit ihr Schoͤneres, Besseres, Heiligeres aus dem Boden zaubern sollt. Ihr versteht mich nicht? Ich verstehe euch auch nicht, ich verstehe die edle norddeutsche Jugend nicht, die sich auf dem Musensitz einer Sprache bedient, die dem Dunkel des Geistes, der Barbarei vergangener Zeiten angehoͤrt. Macht es dieser Jugend Scherz, ihre eigenen Studien, das akademische Leben, den duͤrren Scholastizismus und die Pedanterie des akademischen Instituts zu parodiren, zu travestiren, so sehe ich allerdings weder großen Uebermuth in diesem Scherze, noch verkenne ich, wie sehr die plattdeutsche Sprache, ja schon ihr Klang, zu diesem Zweck sich eignet[6]; allein Scherz muß Scherz, das heißt fluͤchtig und wechselnd bleiben, und wenn derselbe Scherz und dieselbe Travestie drei Jahre alt wird, so muß man ein sehr ernsthaftes und langweiliges Gesicht dazu machen.
Kann man nicht heiter, gesellig, witzig, selbst wenn Lust und Laune danach, derb und spaßhaft im Element des Hochdeutschen sein. Ist die Sprache unserer Bauern humoristischer als die Sprache Abrahams a Sancta Clara, Lichtenberg, Jean Pauls. O ich kenne die niedersaͤchsischen Witze, sie stehen alle in einem kleinen grobloͤschpapiernen Buch mit feinen Holzschnitten, das jaͤhrlich in diesem Jahre gedruckt wird. Es tritt darin auf „der Ruͤbezahl der Luͤneburger Haide,“ der Repraͤsentant des niedersaͤchsischen Volkshumors, der geniale Till und ruͤlpst auf die anmuthigste Weise lauter Witze vor sich hin, die aus einer Zeit stammen, wo das Volk nur den groben Wanst, dagegen die Ritterschaft den Arm, die Geistlichkeit den Kopf des Staatsungeheuers repraͤsentirte.
Oder was zieht ihr vor an der plattdeutschen Sprache? Ich weiß die Antwort nur zu gut, „sie macht uns Spaß[7]; sie ist uns gemuͤthlich.“ Chorus von Goͤttingen, Rostock, Greifswalde, Kiel, sie macht uns Spaß, sie ist uns gemuͤthlich, es wird uns wohl dabei! Auch in Jena, Heidelberg, Berlin, Bonn, wohin wir kommen und wo unserer zwei bis drei beisammen sind, da ist sie mitten unter uns. Sie gehoͤrt mit zum Wesen der norddeutschen Landsmannschaft und das waͤre kein braver Holsat oder Meklenburger, oder Oldenburger, der nicht wenigstens drei Plattituͤden am Leibe haͤtte, plattes (Muͤtze) auf dem Kopf, plattes (Mappe) unter'm Arm und das liebe Platt im Munde.
O Jugend, akademische, Bluͤthe der Norddeutschen, sei nicht so duftlos. Dufte etwas nach dem Geist der Alten — ich meine nicht deiner eigenen — bethaue deine Bluͤthen und Blaͤtter mit etwas Naß aus der Hippokrene, durchdringe sie mit etwas Oel aus der Lampe der Philosophie, empfinde, fuͤhle wenigstens nur die heiße Thraͤne des Unmuts und des Schmerzes, die der Genius deines Vaterlands auf dich herabtraͤufelt.
O Jugend, akademische, ihm ist uͤbel, wenn dir wohl ist. Mephistopheles freilich lacht und spoͤttelt dazu und wenn er dich in Auerbachs Keller platt und wohlbehaglich sitzen sieht so ruft er seinem Begleiter zu:
Da siehst du nun, wie leicht sich es leben läßt?
Dem Völkchen da wird jeder Tag zum Fest.
Wie hat sich seit den Tagen des Faustus die Welt veraͤndert, was ist
nicht alles in den letzten 30, in den letzten 13, in den letzten 3
Jahren geschehen und dieses Voͤlkchen ist noch immer das alte geblieben?
Wo kommt es her? Wo geht es hin?
Es gibt Ausnahmen, wie sollte es nicht. Aber ich spreche, wie immer in dieser Schrift, vom großen Haufen, und der ist auf unsern Universitaͤten noch immer der alte Stamm und das Plattdeutsche seine hartnaͤckigste Wurzel.
Es hat fast den Anschein, als muͤßte der Bauer erst mit gutem Beispiel vorangehn und die Sprache der Bildung gegen den Dialekt der Rohheit eintauschen, ehe der Student sich dazu entschließt.
Wie noͤthig thaͤte es Manchem, um auch nur den aͤußern Schein seines Standes im Gespraͤch und Umgang mit Gebildeten zu retten. Ich schaͤme mich's zu sagen, welche Erfahrungen ich gemacht habe.
Wie noͤthig aber thut es Jedem, sich unablaͤssig in einer Sprache zu bewegen, die ihm erst zu der Herrschaft uͤber sein Wissen verhelfen soll; wie noͤthig Jedem, sich einer Sprache zu entschlagen, welche diese Herrschaft mißgoͤnnt und streitig macht, welche wie das lichtlose dumpfe Chaos dicht hinter seiner aufzubauenden Welt lauert.
Ohnehin fordert die hochdeutsche Sprache Uebung, viel Uebung. Sie faͤllt
Einem nicht so in den Mund, wie dem Franzosen das franzoͤsische. Das
Talent sich fertig und gelaͤufig auszudruͤcken, ist immer noch ein
selteneres, am seltensten in Nord-Deutschland. Sprache und Gedanke,
Sprache und Gelehrsamkeit stehen haͤufig im ungeheuersten
Mißverhaͤltniß. Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die
Geschwaͤtzigkeit als eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese
Wortplage, die so viele Sprechende befaͤllt, dieses Stottern, Ringen,
Raͤdern und Braͤchen, das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder
Triviales zu Tage foͤrdert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf
eine klaͤgliche Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem
Umtausch hin.
Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der geruͤgte Uebelstand auf norddeutschen Universitaͤten im haͤßlichsten Licht. Der tuͤchtigste Kopf kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven erwehren, das so regelmaͤßig wie der Rinnenguß einer Wassermuͤhle Tag fuͤr Tag auf ihn eindringt. Es gehoͤren elastische Denkfibern, gluͤckliches Gedaͤchtniß (auch gluͤckliches Vergessen) und vor allem Freundesgespraͤche dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen und das heiligste Gut der Persoͤnlichkeit, das Stoffbeherrschende, selbstbewußte, selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allem Freundesgespraͤche, sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln, Betrachten, Denken sind nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt, wird verwirrt, chaotisch und das eben ist der geistige Zustand der meisten jener Gelehrten, deren Sprechen ich so eben als Sprachangst und Sprachplage bezeichnet habe.
Mit welchen Farben soll ich den barocken, laͤcherlich traurigen Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. Ochsen nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens taͤglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleißig ihren Karren Pandekten, Dogmatik u.s.w. in die Scheune ihres Gedaͤchtnisses.
Liegt da das taͤgliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, laͤßt's liegen, wo es liegt und — wird gemuͤthlich, plattdeutsch.
Humaniora , erfrischende, belebende, hoͤher hinantreibende Vortraͤge, hoͤrt sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hoͤren, da leider an vielen Orten die Humaniora nur als Antiquitaͤten gelesen werden.
Klingt es nicht manchmal als Ironie, wenn der Bauer seinen Sohn, oder des Amtmanns, Schulzen, einen Studeermakergesellen nennt? — O norddeutsche, studirende Jugend, nimm das platt aus dem Munde!
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Bis hierher hatte ich das Niedergeschriebene einem Freunde vorgelesen. Ich fragte diesen um sein Urtheil. Ich bin uͤberrascht, sagte er nach einigem Zoͤgern: Ich habe uͤber den Einfluß der plattdeutschen Sprache bisher nicht weiter nachgedacht, und das moͤgte wohl der Fall mit den meisten kuͤnftigen Lesern dieser Bogen sein. Nichts destoweniger habe ich diesen Einfluß dunkel und unangenehm empfunden; er macht, besonders wenn man aus dem Suͤden zuruͤckkehrt, einen aͤhnlichen Eindruck, wie die veraͤnderte Athmosphaͤre, die fahle Luft und das haͤufige Regenwetter des Nordens. Man findet sich darein, wie in ein nothwendiges Naturuͤbel. Allein mit der Sprache ist es wol ein Anderes. Sie haben Recht, wenn Sie einmal fruͤher aͤußerten, man muͤsse sich selbst gegen das Nothwendige, das der physischen oder moralischen Ordnung angehoͤrt, in Position setzen. Sie haben mir, darf ich sagen, ordentlich die Brust erleichtert, indem Sie mich auf einen bestimmten Landesfeind aufmerksam machen, mit dessen Vertilgung das Feld fuͤr die norddeutsche Civilisation gewonnen scheint. Das wird und muß nach Lesung Ihrer Schrift, das Gefuͤhl aller Patrioten sein, denen es in dieser Zeit wie Alpdruͤcken auf dem Herzen liegt. O wohl! o wohl! Die plattdeutsche Sprache ist das absolute Hemmniß des oͤffentlichen Lebens, der Bildung und Humanitaͤt in Niedersachsen. So lange diese Sprache dem gemeinen Leben angehoͤrt, werden, wie bisher, Mastochsen, Gaͤnsebruͤste und westphaͤlische Schinken die Hauptprodukte unserer Civilisation bleiben. Gegen die Civilisation selbst macht die plattdeutsche Sprache nicht allein gleichguͤltig, sondern tuͤckisch und feindselig gestimmt. Warum ist das nicht laͤngst zur Sprache gebracht, Gegenstand des allgemeinsten und lebhaftesten Interesses geworden.
Sie vergessen, sagte ich, daß Voß, Harms, Scheller, Baͤrmann und andere wackere Maͤnner die Theilnahme des Publikums fuͤr diese Sprache, selbst fuͤr eine Literatur in derselben, haben in Anspruch nehmen wollen.
Ich weiß, erwiederte er, ich habe unter andern den „ Bloottuͤgen ,“ den Henrik von Zuͤphten vom Pastor Harms gelesen. Damals dachte ich nichts anderes dabei, als daß so ein plattdeutsches Buch unbequem und schwer zu lesen und wahrscheinlich noch unbequemer zu schreiben sei.
Was den Henrik von Zuͤphten betrift, bemerkte ich dagegen, so scheint mir der Verfasser einen Ungeheuern Mißgriff in der Wahl des Stoffes gethan zu haben. Ich schaͤtze die alten Dithmarsen sehr hoch. Sie waren ein tapferer, unbezaͤhmlicher, ordentlich nach Freiheit und Unabhaͤngigkeit duͤrstender Menschenschlag, Bauern zu Pferde mit dem Schwerdt in der Hand, die Schweizer des Nordens oder vielmehr Wittekinds und seiner Sachsen ungebeugte und ungebrochene Enkel bis in's fuͤnfzehnte und sechszehnte Jahrhundert hinein. Nur weiß ich nicht, ob ein lutherischer Pfarrer von Heute, selbst wenn er geborner Dithmarse ist, einer so durchaus heidnischen Mannheit Gerechtigkeit widerfahren lassen kann; denn obwol die dithmarsische Groͤße und Freiheit in christliche Zeiten fiel und die Verehrung der Jungfrau Maria in diesem Lande gerade hoͤher getrieben wurde, als, wie es scheint, andeswo im Norden, so erhielt doch der hochfahrende und kampflustige Sinn der Einwohner durch sie nur eine sehr schwache christliche Faͤrbung und wol schwerlich hat die Brust eines mutigen Dithmarsers aus Furcht vor dem Himmel, der Geistlichkeit oder eigener Gewissenszartheit christliche Demuth dem Muth uͤbergeordnet, wie man solches in den Ritterbuͤchern des Mittelalters liest. Doch mag es damit sein, wie es will; ich muß bekennen, daß ich uͤberhaupt keinen Geistlichen zum Geschichtschreiber wuͤnsche, speziell nicht zum Dithmarsischen. Was mir aber auffiel, war, daß Pastor Harms sich grade einen Moment aus der dithmarsischen Geschichte gewaͤhlt hatte zur plattdeutschen Darstellung, der auf so schneidende Weise mit der altvaͤterischen, derben Bonhommie, die er dieser Sprache im Eingang nachruͤhmt, im Kontrast steht: der Maͤrtyrertod des ersten lutherischen Predigers in Dithmarsen. Diese kalte Wuth, dieser Hohn menschlichen Gefuͤhls, diese Spurlosigkeit alles Barmherzigen, womit hier der arme Mann einem langsamen und schauderhaften Tode uͤberliefert wird, macht nicht nur an sich einen boͤsen Fleck in der dithmarsischen Geschichte aus, sondern erinnert auch sehr zur Unzeit, daß diese beste Zucht niedersaͤchsischer Maͤnner, die Dithmarsen, von jeher neben ihrer Tapferkeit und eisernen Sitte, mit asiatischer Barbarei an Gefuͤhllosigkeit gegen Feind und Freund gewetteifert haben, was den allerdings wol auf eine derbe und rohe, aber keineswegs auf so eine „alte und gemuͤthliche“ Sprache hindeutet, wie's so etwa von einem unserer friedlichen und gutmuͤthigen Philister heutiger Zeit verstanden wird. — Fuͤgen Sie noch hinzu, sagte hierauf mein Freund, daß das Dithmarsen der Gegenwart, das noch ganz und gar plattdeutsch ist, und wo auch noch wirklich das beste platt[8] gesprochen wird, weder in moralischer noch in gesellschaftlicher Beruͤhrung ein sehr glaͤnzendes Lob auf dasselbe zuzulassen scheint. Die Armuth, Trunkfaͤlligkeit, die ungeheure Zahl der veruͤbten Mordbraͤnde in Dithmarsen deuten auf einen sehr versunkenen sittlichen und buͤrgerlichen Zustand. Eben er, der mit herrlichem Eifer fuͤr die Verbreitung religioͤser und moralischer Lebensflammen erfuͤllte Pastor Harms hat in patriotischen Schriften seinen Schmerz daruͤber ausgesprochen. Was kann er aber, sage ich jetzt mit vollster Ueberzeugung, von der Mithuͤlfe einer Sprache erwarten, welche aller Mittheilung unbesiegliche Schranken entgegenstellt und das wahre Grab des hoͤheren Leben ist. Es staͤnde zu wuͤnschen, daß ein dithmarsischer Patriot den nachteiligen Einfluß der Sprache auf die Fortschritte der Civilsation und selbst auf die schoͤnere Humanitaͤt einer ausgezeichneten Einzelbildung aus der Allgemeinheit Ihrer Schrift uͤbertragen moͤge auf Dithmarsen und die Dithmarsen, wie sie sind und was sie vermoͤge ihrer Sprache sind und nur sein koͤnnen.
Ihr Wunsch ist der meinige, ich werde ihn, wie uͤberhaupt unser Gespraͤch, vor's Publikum bringen, und zwar als integrirenden Theil meines Aufsatzes. Denn, glauben Sie mir, ohne Ihr Hinzukommen wuͤrde ich mich nie zur Herausgabe desselben bestimmt haben.
Sie scherzen, oder wollen etwas sagen, was mir nicht klar ist.
Hoͤren Sie nur und urtheilen Sie selbst. Ich habe bisher darzustellen gesucht, daß die plattdeutsche Sprache sowol an sich unfaͤhig sei, die Keime der Civilisation zu fassen als auch, so lange sie taͤgliche Umgangssprache in Niedersachsen bliebe, alles Bemuͤhen zur Civilisation durch das Mittel der hochdeutschen Sprache vereiteln muͤsse. Ich habe diese Wahrheit nicht allein auf die unteren Kreise beschraͤnkt, ich habe fuͤhlbar zu machen gesucht, wie ohne unterliegende allgemeine Volksbildung, auch die hoͤhere Bildung des Einzelnen gefaͤhrdet sei und zum Beispiel die Extreme auf der jetzigen Leiter unserer Kultur, Bauer und Student oder Studirter, sich in demselben rohen und bildunglosen Medium wieder beruͤhren. Habe ich, wie ich meine und getrost der oͤffentlichen Stimme uͤberlasse, dieses mit unabweisbarer Handgreiflichkeit nachgewiesen, so werde ich allerdings der Uebereinstimmung aller Patrioten in der Behauptung gewiß sein, es sei nicht wuͤnschenswerth, daß die ohnehin aussterbende und vermodernde plattdeutsche Sprache, gehegt und gepflegt werde, es sey im Gegentheil wuͤnschenswerth, daß sie sich je eher je lieber aus dem Reiche der Lebendigen verliere. Und somit waͤre denn im verhofften guten Fall hie und da eine Meinung, eine Ansicht uͤber das Wuͤnschenswerthe und nicht Wuͤnschenswerthe in dieser Angelegenheit oͤffentlich angeregt. Aber sagen Sie mir, was ist eine Privat-Meinung, die einen frommen Wunsch zur Folge hat, im Angesicht eines oͤffentlichen Gegenstandes, oder Widerstandes, der nichts meint und wuͤnscht, der nur so eben sich seiner breiten Fuͤße bedient, um seine plumpe und gedankenlose Existenz durch alle Meinungen hindurch zu schieben und sich trotz aller Meinungen auf den Beinen zu behaupten, bis er etwa von selbst umfaͤllt, Meinungen und Ansichten haben wir im Ueberfluß, vortrefliche. Woran fehlt's? Am Korporativen der Meinung, welches die oͤffentliche Meinung ist, welche die That mit sich fuͤhrt. Wuͤrde ich sonst, wenn ich nicht das fruchtlose Hin- und Hermeinen des Publikums zu gut kennte, mir die Beantwortung der ironischen Frage aufgelegt haben, ob man den wuͤnschenswerthen Untergang der Sprache ruhig sich selbst und der Zeit uͤberlassen oder etwas dafuͤr thun, denselben moͤglichst beschleunigen solle? Sie sehen aber wol, daß es mir damit nicht Ernst gewesen sein kann; denn bringt die wahre und lebhafte Darstellung eines großen Uebels nicht unmittelbar und fuͤr sich das Gegenstreben, den Wunsch und das Umsehen nach Mitteln zur Abstellung desselben hervor, so ist alles weitere Reden und Zureden rein uͤberfluͤssig, falls es nicht, wie bei manchen Maaßregeln gegen die Cholera, mit aͤußerm Zwang und obrigkeitlichem Befehl verbunden ist.
Ich weiß aber nicht, was mir sagt, daß Sie im Auffassen dieser Angelegenheit der Repraͤsentant von sehr vielen Norddeutschen sind. Die Wahrheit hat auf Sie ihren vollen Eindruck nicht verfehlt, Sie freuen sich, ihren allgemeinen truͤben Mißmuth einem bestimmten Feind gegenuͤbergestellt zu sehen, Sie sinnen auf Mittel, ihn anzugreifen, Sie halten ein allgemeines lebhaftes und daher wirksames Interesse als durchaus in der Sache begruͤndet.
So ist es, erwiederte mein Freund. Und ich glaube, auch darin irren Sie nicht, wenn Sie mich nach Ihrem Ausdruck fuͤr den Repraͤsentanten einer sehr namhaften Zahl und Klasse von Norddeutschen halten. Bedenken Sie nur allein den Stand des Schullehrers, der Jahr aus Jahr ein an der plattdeutschen Jugend sich fruchtlos abquaͤlt und gleichsam tagtaͤglich Wasser ins Faß der Danaiden schoͤpft. Ihm vor allen wird ihre Schrift neuen Muth und Anstoß geben. Das Hauptmittel, davon sind Sie ohne Zweifel auch uͤberzeugt, liegt in den Haͤnden dieser Maͤnner.
Aber, fuͤgte er fragend hinzu, welchen Schluß geben Sie ihrer Arbeit? Ich denke doch, Sie lassen, wenn auch die zweite Frage billig ausfaͤllt, die dritte nicht ganz unbeantwortet. Welche Mittel halten Sie fuͤr die Ausrottung der plattdeutschen Sprache fuͤr die wirksamsten? Mir und meinen Kollegen, wie gesagt, liegt vorzuͤglich daran.
Ich trug meinem Freunde darauf den folgenden Abschnitt vor, bemerkte aber, daß ich von ihm selbst oder von einem Genossen seines Standes etwas Erschoͤpfenderes in dieser Hinsicht verhoffte.
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Wer aber soll helfen gegen das Plattdeutsche im Volk? Wie kann dem
Hochdeutschen geholfen werden?
Wer? Alle Welt, nur der Staat nicht. Was der Staat gegen das plattdeutsche und fuͤr das Hochdeutsche thun konnte, hat er gethan, indem er jene aus der Kirche verbannt und sie vom Gerichtshofe ausschloß.
Wer diese Schrift verbreitet, sie selbst oder ihre Ideen, wer sie oͤffentlich angreift oder vertheidigt, wer ihr neue Gesichtspunkte hinzufuͤgt, deren es noch so viele giebt, wer die bereits aufgestellten modificirt, rektificirt, der hilft, er mag wollen oder nicht ; denn er hilft eine oͤffentliche Meinung bilden. Beleuchtet dieses gedankenlose Monstrum, Hannoverisches Platt, Meklenburgisches Platt und wie es sich uͤberall nennt, von hinten oder von vorne, von der besten oder von der schlechtesten Seite, beleuchtet es nur, und glaubt mir, jedes Licht uͤbt eine chemische Zerstoͤrung auf sein Volumen aus. Besprecht es, besprecht es nur und seid uͤberzeugt, jedes Wort im Guten oder Boͤsen ist ein Zauberbann, der ihm einen Fuß seines Gebietes verengt.
Das ist das Schoͤne mit der guten Sache und der oͤffentlichen Meinung und der neuen Zeit; wenn die drei einmal in Bewegung sind und sich auch nicht suchen, so verfehlen sie sich doch nicht.
Ja, ich zweifle nicht, die oͤffentliche Meinung wird sich bilden und sie wird grollen, wie ich, mit dem Plattdeutschen und das Grollen wird uͤber die Koͤpfe unserer Bauern hinfahren und wird — ansteckend sein.
Die Ansteckung ist die Hauptkraft der oͤffentlichen Meinung und das
Wunderbarste an ihr.
Die wichtigsten Exekutoren der legislativen Gewalt oͤffentlicher Meinung sind aber in unserm Fall unstreitig die Schullehrer, insbesondere die auf dem Lande. Auf den Grad des Anteils, der Einsicht, des guten Willens dieser großen, nuͤtzlichen, im Stillen wirkenden Klasse von Staatsbuͤrgern, deren Einfluß auf die Bildung der Landleute bedeutend groͤßer ist, als der Pastoraleinfluß, kommt unendlich viel an.
Fassen diese, wie es ihnen zukommt und wie zu erwarten, die Sache der Civilisation mit Eifer auf, durchdringen sie sich von der Nothwendigkeit einer ununterbrochenen Attake auf das Plattdeutsche, stehen sie, wie es ihre Gewohnheit ist, beharrlich auf ihrem Stuͤck, so will ich sehen, welche wundergleiche Veraͤnderung dieses schon im Ablauf von zehn Jahren in einem Verhaͤltniß von Hoch zu Platt hervorbringen wird.
Ihre Hauptaufgabe waͤre, dahin zu streben, das Hochdeutsche vertraulicher und herzlicher zu machen — ein Weg, der nur durch die Fertigkeit und Unbekuͤmmertheit der Zunge hindurchgeht. Ihre Arbeit ist in der Schule, in den Familien, vor der Kommuͤne. Was die Schule betrift, so wuͤrde ich den Rath geben, in den ersten Schuljahren die Kinder weder zum Schreiben noch zum Lesen anzuhalten, nur zum Sprechen. Das Warum leuchtet ein. Auch die Aelteren muͤßten haͤufiger mit Sprech- und Denkuͤbungen beschaͤftigt werden — welche Gelegenheit zugleich auf den Verstand und durch diesen gegen die plattdeutsche Sprache zu wirken, in welcher dem Knaben von Haus aus alle fruͤhere Vorurtheile und Dummheiten eingepropft sind. Besondere Ruͤcksicht verdienen die Maͤdchen. Ihre Gemuͤther sind weicher, empfaͤnglicher, ihr Organ, gewoͤhnlich auch ihr Verstand leichter zu bilden und — sie sollen einmal Muͤtter, Hausfrauen, das heißt auf dem Lande, fuͤr das juͤngste Geschlecht im Hause alles in allem werden. Auch im aͤlterlichen Hause bleibt viel zu wirken, besonders auf Hausfrauen und aͤltere Toͤchter; der heiterste, zwangloseste Gesellschafter ist hier der beste, er bringt bald ein unterhaltendes Buch (kurze und erbauliche Geschichten, keine langweilige faselnde), bald einen interessanten Gegenstand zur Erzaͤhlung mit, eine Anekdote aus der Zeitgeschichte, oder meinentwegen einen Fall aus der Nachbarschaft, dem Dorfe mit, der, wie er versichert, sich im Plattdeutschen nicht ausnimmt. Fuͤr die ganze Komuͤne ist er wirksam durch Einfuͤhrung periodischer Blaͤtter, Zeitungen, auf gemeinschaftliche Kosten zu halten und regelmaͤßig in Versammlung der Maͤnner vorzulesen, allenfalls durch aͤltere, der Konfirmation entgegengehende Knaben, als beneidete und ehrenvolle Belohnung ihrer Fortschritt im Lesen und Sprechen des Hochdeutschen.
Ich deute nur an, aber ich komme mir vor, ich wuͤßte es auch auszufuͤhren als Schullehrer auf dem Lande, und Tausende besser als ich.
So viel ist gewiß, waͤre ich Schullehrer, so wuͤrde ich fuͤr's Erste nur ein Ziel kennen: mein Dorf zu verhochdeutschen.
Leeres Stroh wuͤrde ich glauben zu dreschen, so lange nicht die Garbe der hochdeutschen Sprache und Bildung mir auf dem freien Felde waͤchst.
Eine Buͤrgerkrone wuͤrde ich glauben verdient zu haben, wenn man mir im
Alter nachruͤhmte: er hat diesen Flecken, sein Dorf, das sonst so
dunkle, dumpfe, plattdeutsche Nest, mit der Kette der Civilisation in
Kontakt gesetzt durch Ausrottung der plattdeutschen und Einfuͤhrung der
Bildungssprache Deutschlands.
Fußnoten:
[1] Doch auch mit Ausnahme gewisser oͤrtlicher und provinzieller
Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die
Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der
Lokaltinten nicht enthalten.
[2] Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach Der Reformation und Hauptsaͤchlich im protestantischen Norddeutschland gefuͤhrt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß boͤser Geister zu Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfaͤllen selbst oft mit dem persoͤnlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genaͤhrt hatte, diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert vielleicht mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition.
[3] Reineke de Vos ist von hollaͤndischer und franzoͤsischer Abkunft, wenn auch die Maͤhrchen von Fuchs und andern Thieren urspruͤnglich in Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein, obgleich sie sehr gelungen ist; man koͤnnte sie den Schwanengesang dieser Sprache nennen.
[4] Wollte ich zu diesem, wie gesagt, naturrohen Bilde ein mehr dem Spiel der Phantasie angehoͤriges hinzufuͤgen, so vergliche ich den bloßen Lese- und Schreibunterricht unserer Landkinder mit der Unvernunft und Thorheit eines Ackermannes, der seinem Acker die Instrumente zur Bearbeitung, Spaten und Pflug, zur Selbstbearbeitung hinwirft.
[5] Was koͤnnte ich anfuͤhren, wollte ich von der niedrigsten Klasse norddeutscher Staͤdte sprechen, die sich, wie der Hamburger Poͤbel in Schnapps und unreinstem Plattdeutsch waͤlzt.
[6] Wo willst Du hin, fragte Jemand einen Meklenburgischen Scholaren, der gerade auf den Postwagen stieg. Die Antwort war: Na Rostock, ik will mi op de Wissenschaften leggen.
[7] Weniger Spaͤße.
[8] Doch nicht rein, sondern mit friesischen Woͤrtern untermischt.
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Von demselben Verfasser sind bei uns erschienen:
Wienbarg , Dr. L., Holland in den Jahren 1831 und 32, 2 Bde. 8, 833-34. 2 Thlr. 16 Gr.
—— —— Jason. Episches Gedicht nach Pindar. Uebersetzt, bevorredet und erlaͤutert; mit einem Zueignungsgedicht an Jason Sabalkansky. 8. 830. 4 Gr.
—— —— Paganini's Leben und Charakter nach Schottky. Mit
Paganini's Bildnis. gr. 8. 830. 12 Gr.
Unter der Presse befindet sich:
—— —— aͤsthetische Feldzuͤge. Dem jungen Deutschland gewidmet. 8.