The Project Gutenberg eBook of Römische Geschichte — Buch 2

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Title : Römische Geschichte — Buch 2

Author : Theodor Mommsen

Release date : February 1, 2002 [eBook #3061]
Most recently updated: February 3, 2020

Language : German

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE — BUCH 2 ***

  

Römische Geschichte

Zweites Buch
Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens

von Theodor Mommsen


The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some (ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek words, nor is there any differentiation between the different accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.

Contents

Zweites Buch—Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
Kapitel I. Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.
Kapitel II. Das Volkstribunat und die Dezemvirn
Kapitel III. Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie
Kapitel IV. Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.
Kapitel V. Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom
Kapitel VI. Die Italiker gegen Rom
Kapitel VII. König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens
Kapitel VIII. Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität
Kapitel IX. Kunst und Wissenschaft

Zweites Buch
Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens

— δεί ουκ εκπλήττειν τόν συγγράφεα τερατευόμενον διά τής ιστορίας τούς εντυγχάνοντας.

— der Historiker soll seine Leser nicht durch Schauergeschichten in Erschuetterung versetzen.

Polybios

KAPITEL I.
Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.

Der strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen Verfassungen, legte in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit ernannten Vorstehers eine furchtbare Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht minder schwer der Buerger. Missbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben, und hiervon die notwendige Folge waren Bestrebungen, jene Gewalt zu mindern. Aber das ist das Grossartige in diesen roemischen Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie unternimmt, weder die Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur sie entsprechender Organe zu berauben, dass nie die sogenannten natuerlichen Rechte des einzelnen gegen die Gemeinde geltend gemacht werden, sondern dass der ganze Sturm sich richtet gegen die Form der Gemeindevertretung. Nicht Begrenzung der Staats-, sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf der roemischen Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf die der Gracchen; und auch dabei vergisst man nie, dass das Volk nicht regieren, sondern regiert werden soll.

Dieser Kampf bewegt sich innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite entwickelt sich eine andere Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um politische Gleichberechtigung. Dahin gehoeren die Agitationen der Plebejer, der Latiner, der Italiker, der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Buerger genannt werden, wie die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner und die Italiker, politische Gleichheit entbehrten und begehrten.

Ein dritter Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden und der Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in demselben gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhaeltnisse Roms veranlassten die Entstehung zahlreicher Bauernwirtschaften teils kleiner Eigentuemer, die von der Gnade des Kapital-, teils kleiner Zeitpaechter, die von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten vielfach einzelne wie ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die persoenliche Freiheit anzugreifen. Dadurch ward das ackerbauende Proletariat schon so frueh maechtig, dass es wesentlich in die Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das staedtische Proletariat gewann erst in weit spaeterer Zeit politische Bedeutung.

In diesen Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermutlich nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen italischen Gemeinden. Die politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten Buergerschaft, der Krieg der Ausgeschlossenen und der Ausschliessenden, die sozialen Konflikte der Besitzenden und der Besitzlosen, so mannigfaltig sie sich durchkreuzen und ineinanderschlingen und oft seltsame Allianzen herbeifuehren, sind dennoch wesentlich und von Grund aus verschieden.

Da die Servianische Reform, welche den Insassen in militaerischer Hinsicht dem Buerger gleichstellte, mehr aus administrativen Ruecksichten als aus einer politischen Parteitendenz hervorgegangen zu sein scheint, so darf als der erste dieser Gegensaetze, der zu inneren Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte, derjenige betrachtet werden, der auf die Beschraenkung der Magistratur hinarbeitet. Der frueheste Erfolg dieser aeltesten roemischen Opposition besteht in der Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der Gemeindevorsteherschaft, das heisst in der Abschaffung des Koenigtums. Wie notwendig diese in der natuerlichen Entwicklung der Dinge lag, dafuer ist der schlagendste Beweis, dass dieselbe Verfassungsaenderung in dem ganzen Kreise der italisch-griechischen Welt in analoger Weise vor sich gegangen ist. Nicht bloss in Rom, sondern gerade ebenso bei den uebrigen Latinern sowie bei den Sabellern, Etruskern und Apulern, ueberhaupt in saemtlichen italischen Gemeinden finden wir, wie in den griechischen, in spaeterer Zeit die alten lebenslaenglichen durch Jahresherrscher ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist es bezeugt, dass er im Frieden sich demokratisch regierte und nur fuer den Krieg die Magistrate einen Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator aehnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum Beispiel die von Capua und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin einem jaehrlich wechselnden “Gemeindebesorger” (medix tuticus), und aehnliche Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks- und Stadtgemeinden Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner Erklaerung, aus welchen Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle der Koenige getreten sind; der Organismus der alten griechischen und italischen Politie entwickelt vielmehr die Beschraenkung der lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine kuerzere, meistenteils jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus sich selber. So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu erwaehlen, wie nach Romulus’ Tode der roemische Senat versucht haben soll; oder der Herr mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig Servius Tullius beabsichtigt hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen Regenten aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende des roemischen Koenigtums war. Denn mag die Geschichte der Vertreibung des letzten Tarquinius, “des Uebermuetigen”, auch noch so sehr in Anekdoten ein- und zur Novelle ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzuegen nicht zu zweifeln. Dass der Koenig es unterliess den Senat zu befragen und zu ergaenzen, dass er Todesurteile und Konfiskationen ohne Zuziehung von Ratmaennern aussprach, dass er in seinen Speichern ungeheure Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern Kriegsarbeit und Handdienste ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die Ueberlieferung in glaublicher Weise als die Ursachen der Empoerung; von der Erbitterung des Volkes zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer Mann fuer sich und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu dulden, und der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich anknuepfte, vor allem aber die Verfuegung, dass der “Opferkoenig”, den man kreieren zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten Vermittler vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und also dieser zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im roemischen Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes Geschlecht verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die gentilizischen Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf ueber nach Caere, vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab kuerzlich aufgedeckt worden ist. An die Stelle aber des einen lebenslaenglichen traten zwei jaehrige Herrscher an die Spitze der roemischen Gemeinde.

Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige Ereignis als sicher angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen weitherrschenden Gemeinde, wie die roemische war, die koenigliche Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere Generationen bei demselben Geschlechte gewesen, widerstandsfaehiger und der Kampf also lebhafter war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine Einmischung auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere Spur. Der grosse Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch chronologische Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an die Vertreibung der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine Intervention Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten Landsmannes angesehen werden, aus dem sehr zureichenden Grunde, dass die Etrusker trotz des vollstaendigen Sieges doch weder das roemische Koenigtum wiederhergestellt noch auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt haben.

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^1 Die bekannte Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten Teil ist sie aus Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile derselben zeigen bei genauerer Erwaegung sich als erfunden. Dahin gehoert, dass Brutus Reiterhauptmann (tribunus celerum) gewesen und als solcher den Volksschluss ueber die Vertreibung der Tarquinier beantragt haben soll; denn es ist nach der roemischen Verfassung ganz unmoeglich, dass ein blosser Offizier das Recht gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar ist diese ganze Angabe zum Zweck der Herstellung eines Rechtsbodens fuer die roemische Republik ersonnen, und recht schlecht ersonnen, indem dabei der tribunus celerum mit dem ganz verschiedenen magister equitum verwechselt und dann das dem letzteren kraft seines praetorischen Ranges zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf die Kurienversammlung bezogen ward.

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Sind wir ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses im Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die Verfassungsaenderung bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs abgeschafft, wie schon das beweist, dass in der Vakanz nach wie vor der “Zwischenkoenig” eintrat; es traten nur an die Stelle des einen lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die sich Feldherren (praetores) oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen (consules) ^2 nannten. Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der Annuitaet, die die Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst uns entgegentreten.

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^2 Consules sind die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul der Vorspringen exul der Ausspringer (ο εκπεσών), insula der Einsprung, zunaechst der ins Meer gefallene Felsblock.

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Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste Name der Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz eigentuemlichen Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die hoechste Macht uebertragen, sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul fuer sich so voll und ganz, wie der Koenig sie gehabt und geuebt hatte. Es geht dies so weit, dass von den beiden Kollegen nicht etwa der eine die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl uebernahm, sondern sie ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie zusammen zum Heere abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten oder Tagen bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von Anfang an stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer, der andere gegen die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise bindende Kraft und jedem der Kollegen stand es rechtlich frei, in den Amtskreis des andern zu jeder Zeit ueberzugreifen. Wo also die hoechste Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat und der eine Kollege das verbot, was der andere befahl, hoben die konsularischen Machtworte einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht roemische, so doch latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die im roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat, zu der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine Parallele zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die koenigliche Macht in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und darum das Koenigsamt nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf ein Kollegium zu uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und damit, wo es noetig war, es durch sich selber zu vernichten.

Fuer die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum einen rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher wurden verpflichtet, nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres Amtsantritts an gerechnet ^3, im Amte zu bleiben und hoerten, wie der Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit Ablauf des Jahres vor. Rechts wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung des hoechsten Amtes ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs fuer den Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem roemischen Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst belangt werden durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen, aber ein Gericht und eine Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul dagegen schuetzte, wenn er Mord oder Landesverrat beging, sein Amt auch, aber nur, solange es waehrte; nach seinem Ruecktritt unterlag er dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger.

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^3 Der Antrittstag fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen und war ueberhaupt nicht fest. Nach diesem richtete sich der Ruecktrittstag, ausgenommen, wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt eines ausgefallenen gewaehlt war (consul suffectus), wo er in die Rechte und also auch in die Frist des Ausgefallenen eintrat. Doch sind diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit nur vorgekommen, wenn bloss der eine der Konsuln weggefallen war; Kollegien von Ersatzkonsuln begegnen erst in der spaeteren Republik. Regelmaessig bestand also das Amtsjahr eines Konsuls aus den ungleichen Haelften zweier buergerlicher Jahre.

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Zu diesen hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker durch Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis, in welchem die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss, fielen mit der Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber.

Hatte ferner im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen bisher dem Koenig nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden, sondern auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte den Gnadenweg betreten duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das Valerische Gesetz (Jahr 245 Roms 500), dass der Konsul der Provokation des Verurteilten stattgeben muesse, wenn auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach Kriegsrecht erkannt war; was durch ein spaeteres Gesetz (unbestimmter Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf schwere Vermoegensbussen ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die konsularischen Liktoren, wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr auftrat, die Beile ab, die sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes gefuehrt hatten. Indes drohte dem Beamten, der der Provokation nicht ihren Lauf liess, das Gesetz nichts anderes als die Infamie, die nach damaligen Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war als ein sittlicher Makel und hoechstens zur Folge hatte, dass das Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr galt. Auch hier liegt dieselbe Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich unmoeglich ist, die alte Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der Revolution dem Inhaber der hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken streng genommen nur einen tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn also der Konsul innerhalb der alten koeniglichen Kompetenz handelt, so kann er damit wohl ein Unrecht, aber kein Verbrechen begehen und unterliegt also deswegen dem Strafrichter nicht.

Eine in der Tendenz aehnliche Beschraenkung fand statt in der Zivilgerichtsbarkeit; denn wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit ihrem Eintritt das Recht genommen, einen Rechtshandel unter Privaten nach ihrem Ermessen zu entscheiden.

Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses stand in Verbindung mit einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der Uebertragung der Amtsgewalt auf Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte dem Koenig die Ernennung von Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden, so haben die Konsuln das Recht der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer Weise geuebt. Zwar die Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess, er fuer die Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer die Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das Mandierungsrecht fuer die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten, wurde wahrscheinlich gleich bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch beschraenkt, dass dem Konsul das Mandieren fuer bestimmte Faelle vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo dies nicht geschehen war, untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie gesagt, das gesamte Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben, dass er seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann bestaetigte oder verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie geuebt, vielleicht bald nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da ein Kriminalurteil gefaellt, wo aus irgendeinem Grunde die Berufung an die Gemeinde ausgeschlossen war. Man vermied den unmittelbaren Konflikt zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und der Gemeinde selbst und ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass das hoechste Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte durch notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies die beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und Hochverrat (duoviri perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer, die quaestores parricidii. Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit da vorgekommen sein, wo der Koenig sich in solchen Prozessen vertreten liess; aber die Staendigkeit der letzteren Institution und das in beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren auf jeden Fall der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von grosser Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem Amtsantritt ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt mit ihm abtraten, deren Stellung also wie das Oberamt selbst nach den Prinzipien der Staendigkeit, der Kollegialitaet und der Annuitaet geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die niedere Magistratur selbst, wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit der magistratischen Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus der Wahl der Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt der spaeter so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten geworden.

In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur Entscheidung einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in die Pflicht des Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und des Gegenstandes der Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm auszuwaehlenden und von ihm zu instruierenden Privatmann zu verweisen.

In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des Staatsschatzes und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch wahrscheinlich sofort, mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige Gehilfen und zwar eben jene Quaestoren zugeordnet, welche ihnen freilich in dieser Taetigkeit unbedingt zu gehorchen hatten, ohne deren Vorwissen und Mitwirkung aber doch die Konsuln nicht handeln konnten. Wo dagegen solche Vorschriften nicht bestanden, musste der Gemeindevorstand in der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum Beispiel bei der Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umstaenden vertreten lassen kann.

Diese zwiefache Fesselung des konsularischen Mandierungsrechts bestand fuer das staedtische Regiment, zunaechst fuer die Rechtspflege und die Kassenverwaltung. Als Oberfeldherr behielt der Konsul dagegen das Uebertragungsrecht aller oder einzelner ihm obliegender Geschaefte. Diese verschiedene Behandlung der buergerlichen und der militaerischen Gewaltuebertragung ist die Ursache geworden, weshalb innerhalb des eigentlichen roemischen Gemeinderegiments durchaus keine stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und rein staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von aller Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden.

Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt, sondern nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem letzten gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht ausgeuebt hatte, trat nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die notwendige Kontinuitaet des Amtes bestand auch in dem republikanischen Regiment ungeschmaelert fort. Indes wurde das Ernennungsrecht wesentlich eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft, indem der Konsul verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger die Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu ernennen, die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende Vorschlagsrecht ging wohl in gewissem Sinne die Ernennung der ordentlichen hoechsten Beamten materiell auf die Gemeinde ueber; doch bestand auch praktisch noch ein sehr bedeutender Unterschied zwischen jenem Vorschlags- und dem foermlichen Ernennungsrecht. Der wahlleitende Konsul war durchaus nicht blosser Wahlvorstand, sondern konnte immer noch, kraft seines alten koeniglichen Rechts, zum Beispiel einzelne Kandidaten zurueckweisen und die auf sie fallenden Stimmen unbeachtet lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von ihm entworfene Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn das Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen war, wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern der Konsul bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen, wie einst der Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte.

Die Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht ueber auf die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien die Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die Ernennung durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die Ausuebung der gleichsam hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde ueber die Priesterinnen der Vesta kam. Um diese fueglich nicht anders als von einem einzelnen vorzunehmenden Handlungen vollziehen zu koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um diese Zeit, einen Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen Obergewalt von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten “Opferkoenig” weder die buergerliche noch die sakrale Macht des Koenigtums, sondern lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem sonstigen Charakter des roemischen Priestertums entschieden heraustretende, halb magistratische Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der bezeichnendsten und folgenreichsten Eigentuemlichkeiten dieser auf Beschraenkung der Beamtengewalt hauptsaechlich im aristokratischen Interesse hinzielenden Staatsumwaelzung.

Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul weit zurueckstand hinter dem mit Ehrfurcht und Schrecken umgebenen koeniglichen Amte, dass der Koenigsname und die priesterliche Weihe ihm entzogen, seinen Dienern das Beil genommen wurde, ist schon gesagt worden; es kommt hinzu, dass der Konsul statt des koeniglichen Purpurkleides nur durch den Purpursaum seines Obergewandes von dem gewoehnlichen Buerger sich unterschied, und dass, waehrend der Koenig oeffentlich vielleicht regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der allgemeinen Ordnung sich zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger innerhalb der Stadt zu Fuss zu gehen gehalten war.

Indes, diese Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur Anwendung gegen den ordentlichen Gemeindevorstand. Ausserordentlicher Weise trat neben und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde gewaehlten Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister populi), gewoehnlich bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum Diktator uebte die Gemeinde keinerlei Einfluss, sondern sie ging lediglich aus dem freien Entschluss eines der zeitigen Konsuln hervor, den weder der Kollege noch eine andere Behoerde hieran hindern konnte; gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den Koenig, wenn er freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle uebrigen Beamten von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer des Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse derjenigen Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht ueber deren gesetzliche Amtszeit hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als absolutes Maximum der Amtsdauer dem Diktator eine sechsmonatliche Frist gesetzt. Eine der Diktatur eigentuemliche Einrichtung war ferner, dass der “Heermeister” gehalten war, sich sofort einen “Reitermeister” (magister equitum) zu ernennen, welcher als abhaengiger Gehilfe neben ihm, etwa wie der Quaestor neben dem Konsul, fungierte und mit ihm vom Amte abtrat - eine Einrichtung, die ohne Zweifel damit zusammenhaengt, dass es dem Heermeister, vermutlich als dem Fuehrer des Fussvolkes, verfassungsmaessig untersagt war, zu Pferde zu steigen. Diesen Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl aufzufassen als eine mit dem Konsulat zugleich entstandene Einrichtung, die den Zweck hatte, insbesondere fuer den Kriegsfall die Nachteile der geteilten Gewalt zeitweilig zu beseitigen und die koenigliche Gewalt voruebergehend wieder ins Leben zu rufen. Denn im Kriege vor allem musste die Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich erscheinen und nicht bloss bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste Benennung des Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die Begrenzung auf die Dauer eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der Provokation sprechen fuer die ueberwiegend militaerische Bestimmung der urspruenglichen Diktatur.

Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren, oberste Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser Hinsicht war es nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name vorhanden sei, ernannt ward, sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde betete und opferte und in ihrem Namen den Willen der Goetter mit Hilfe der Sachverstaendigen erforschte. Fuer den Notfall hielt man sich ueberdies die Moeglichkeit offen, die volle unumschraenkte Koenigsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die Kollegialitaet und durch die besonderen Kompetenzminderungen gezogenen Schranken. So wurde die Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich festzuhalten und tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen Staatsmaennern, deren Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise ebenso scharf wie einfach geloest.

Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der Verfassung die wichtigsten Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher jaehrlich zu bezeichnen und ueber Tod und Leben des Buergers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das unmoeglich die bisherige Gemeinde sein, der tatsaechlich zum Adelstande gewordene Patriziat. Die Kraft des Volkes war bei der “Menge”, welche namhafte und vermoegende Leute bereits in grosser Zahl in sich schloss. Dass diese Menge aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten mittrug, mochte ertragen werden, solange die Gemeindeversammlung selbst im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen und damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die Gemeinde selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der Vorsteher aber faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrueckt ward, konnte dies Verhaeltnis nicht laenger aufrecht erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem Morgen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der Patrizier und der Insassen hatte durchgesetzt werden koennen. Eine Erweiterung dieser Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der umfassendsten Weise erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heisst saemtliche Nichtbuerger, die weder Sklaven noch nach Gastrecht lebende Buerger auswaertiger Gemeinden waren, in die Buergerschaft aufgenommen wurden. Der Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin rechtlich und tatsaechlich die erste Autoritaet im Staate gewesen war, wurden ihre verfassungsmaessigen Befugnisse fast gaenzlich entzogen: nur in rein formellen oder in den die Geschlechtsverhaeltnisse betreffenden Akten, also hinsichtlich des dem Konsul oder dem Diktator nach Antritt ihres Amtes eben wie frueher dem Koenig zu leistenden Treugeloebnisses und des fuer die Arrogation und das Testament erforderlichen gesetzlichen Dispenses, sollte die Kurienversammlung die bisherige Kompetenz behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen politischen Schluss mehr vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht auch in den Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbuergerschaft das Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und zu beschliessen. Die Kurienordnung wurde insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf der Geschlechterordnung beruhte, diese aber in ihrer Reinheit ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden war. Indern die Plebejer in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man allerdings auch ihnen rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen vorgekommen sein kann, sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es ist bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr begreiflich, dass nur ein Teil der Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also die neue Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem urspruenglichen Wesen zahlreiche Mitglieder zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten.

Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die Entscheidung auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja ueberwiegend politischer Prozess war, als die Ernennung der Magistrate und die Annahme oder Verwerfung der Gesetze, wurden auf das versammelte Aufgebot der Waffenpflichtigen uebertragen oder ihm neu erworben, so dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen Rechte empfingen. Damit gelangten die in der Servianischen Verfassung gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem Heer ueberwiesene Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu einer solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das souveraene Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in dieser bloss dann statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig selbst sprach oder andere sprechen hiess, nur dass bei der Provokation natuerlich beide Teile gehoert werden mussten; die einfache Majoritaet der Zenturien entschied.

Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt Stimmberechtigten sich voellig gleichstanden, also nach Aufnahme der saemtlichen Plebejer in die Kurien man bei der ausgebildeten Demokratie angelangt sein wuerde, so ist es begreiflich, dass die politischen Abstimmungen den Kurien entzogen blieben; die Zenturienversammlung legte das Schwergewicht zwar nicht in die Haende der Adligen, aber doch in die der Vermoegenden, und das wichtige Vorstimmrecht, welches oft tatsaechlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen.

Nicht in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform der Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten blieb nicht bloss ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch seine wesentlichen Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen und die von der Gemeinde gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige oder verfassungswidrige zu bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese Befugnisse wurden durch die Reform der Verfassung noch gesteigert, indem fortan auch die Bestellung der Gemeindebeamten wie der Wahl der Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung des patrizischen Senats unterlag - nur bei der Provokation ist seine Bestaetigung, soviel wir wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um Begnadigung des Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen Volksversammlung erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht fueglich die Rede sein konnte.

Indes wenngleich durch die Abschaffung des Koenigtums die verfassungsmaessigen Rechte des patrizischen Senats eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch auch, und zwar der Ueberlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des Koenigtums, fuer diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache kamen und die eine freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats auf, die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt hat. Seit aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht vorzugsweise, aber doch auch als Staatsrat fungiert; und wenn es wahrscheinlich schon in der Koenigszeit nicht als verfassungswidrig angesehen ward, dass in diesem Fall auch Nichtsenatoren an der Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die Einrichtung getroffen, dass fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen Senat (Patres) eine Anzahl nicht patrizischer “Eingeschriebener” (conscripti) beigegeben wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner Weise: die Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder des Ritterstandes, hiessen nicht “Vaeter”, sondern waren nun auch “Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss unbedingt ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden obrigkeitlichen Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da, wo es sich bloss um einen Ratschlag (consilium) handelte, es sich gefallen lassen, der an die Patrizier gerichteten Umfrage schweigend beizuwohnen und nur bei dem Auseinandertreten zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen zu geben, “mit den Fuessen zu stimmen” (pedibus in sententiam ire, pedarii), wie der stolze Adel sagte. Aber dennoch fanden die Plebejer durch die neue Verfassung ihren Weg nicht bloss auf den Markt, sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste Schritt zur Gleichberechtigung war auch hier getan.

Im uebrigen aenderte sich in den den Senat betreffenden Ordnungen nichts Wesentliches. Unter den patrizischen Mitgliedern machte sich bald, namentlich bei der Umfrage, ein Rangunterschied dahin geltend, dass diejenigen, welche zu dem hoechsten Gemeindeamt demnaechst bezeichnet waren oder dasselbe bereits verwaltet hatten, vor den uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der Abstimmung gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des Vormanns des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter Ehrenplatz. Der fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats so wenig wie der Koenig und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit. Die Wahlen in den Rat, sowohl in den engeren patrizischen wie unter die bloss Eingeschriebenen, erfolgten durch die Konsuln eben wie frueher durch die Koenige; nur liegt es in der Sache, dass, wenn der Koenig vielleicht auf die Vertretung der einzelnen Geschlechter im Rat noch einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern gegenueber, bei denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war, diese Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des Senats zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von einer Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht ueber eine bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen duerfen, ist nichts bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch nicht, da die Konsuln ja selbst dem Adel angehoerten. Dagegen ist wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner ganzen Stellung gemaess bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit weniger frei und weit mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen als der Koenig. Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats notwendig den Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn, was in dieser Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwaehlung noch nicht Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh gewohnheitsrechtlich festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh ueblich geworden zu sein, die Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu besetzen, sondern bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmaessig jedes vierte Jahr, die Liste des Senats zu revidieren und zu ergaenzen; worin doch auch eine nicht unwichtige Beschraenkung der mit der Auswahl betrauten Behoerde enthalten war. Die Gesamtzahl der Senatoren blieb wie sie war, und zwar wurden auch die Eingeschriebenen in dieselbe eingerechnet; woraus man wohl auch auf das numerische Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt ist ^4.

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^4 Dass die ersten Konsuln 164 Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum als geschichtliche Tatsache zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis dafuer, dass die spaeteren roemischen Archaeologen nicht mehr als 136 roemische Adelsgeschlechter nachzuweisen vermochten (Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 121).

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Es blieb, wie man sieht, in dem roemischen Gemeinwesen selbst bei Umwandlung der Monarchie in die Republik soweit immer moeglich beim alten; soweit eine Staatsumwaelzung ueberhaupt konservativ sein kann, ist diese es gewesen und keines der konstitutiven Elemente des Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber den Haufen geworfen worden. Es war das bezeichnend fuer den Charakter der gesamten Bewegung. Die Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die klaeglichen, tief verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines von Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das Werk zweier grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen Fortdauer ihres Kampfes klar sich bewusster politischer Parteien, der Altbuerger und der Insassen, welche, wie die englischen Tories und die Whigs im Jahre 1688, durch die gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in die Willkuerregierung eines Herrn sich umwandeln zu sehen, auf einen Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort wieder sich zu entzweien. Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des Koenigtums sich nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht maechtig genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden. Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das geringste Mass gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener Konzessionen und lassen die Zukunft entscheiden, wie das Schwergewicht der konstitutiven Elemente weiter sich stellen, wie sie ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden. Darum verkennt man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus, wenn man in ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine Veraenderung in der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren Folgen waren auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als selbst ihre Urheber sie ahnten.

Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte zu sagen, die roemische Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes entstand. Die Plebejer waren bisher Insassen gewesen, welche man wohl zu den Steuern und Lasten mit heranzog, die aber dennoch in den Augen des Gesetzes wesentlich nichts waren als geduldete Fremdlinge und deren Kreis gegen die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken kaum noetig scheinen mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die Listen eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch fern standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten verfassungsmaessig zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich befugt und zu den buergerlichen Aemtern und Priestertuemern ausschliesslich waehlbar, ja sogar der buergerlichen Nutzungen, zum Beispiel des Anteils an der Gemeinweide, vorzugsweise teilhaft blieben, so war doch der erste und schwerste Schritt zur voelligen Ausgleichung geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im Gemeindeaufgebot dienten, sondern auch in der Gemeindeversammlung und im Gemeinderat bei dessen gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken auch des aermsten Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt ward durch das Provokationsrecht.

Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier und Plebejer zu der neuen gemeinen roemischen Buergerschaft war die Umwandlung der Altbuergerschaft in einen Geschlechtsadel, welcher, seit die Adelschaft auch das Recht verlor, in gemeiner Versammlung zu beschliessen, da die Aufnahme neuer Familien in den Adel durch Gemeindebeschluss noch weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der Selbstergaenzung unfaehig war. Unter den Koenigen war dergleichen Abgeschlossenheit dem roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer Geschlechter nicht allzu selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte Kennzeichnen des Junkertums sich ein als der sichere Vorbote des bevorstehenden Verlustes seiner politischen Vorrechte und seiner ausschliesslichen Geltung in der Gemeinde. Die Ausschliessung der Plebejer von allen Gemeindeaemtern und Gemeindepriestertuemern, waehrend sie doch zu Offiziers- und Ratsherrenstellen zugelassen wurden, und die mit verkehrter Hartnaeckigkeit festgehaltene rechtliche Unmoeglichkeit einer Ehe zwischen Altbuergern und Plebejern drueckten weiter dem Patriziat von vornherein den Stempel des exklusiven und widersinnig privilegierten Adeltums auf.

Eine zweite Folge der neuen buergerlichen Einigung muss die festere Regulierung des Niederlassungsrechts sowohl den latinischen Eidgenossen als anderen Staaten gegenueber gewesen sein. Weniger des Stimmrechts in den Zenturien wegen, das ja doch nur dem Ansaessigen zukam, als wegen des Provokationsrechts, das dem Plebejer, aber nicht dem eine Zeitlang oder auch dauernd in Rom verweilenden Auslaender gewaehrt werden sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen der Erwerbung des plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die erweiterte Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger abzuschliessen. Also geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des Volkes sowohl die Gehaessigkeit des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern zurueck wie die scharfe und stolze Abgrenzung der cives Romani gegen die Fremdlinge. Aber jener staedtische Gegensatz war voruebergehender, dieser politische dauernder Art und das Gefuehl der staatlichen Einheit und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die Herzen der Nation gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen Unterschiede erst zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit sich fortzureissen.

Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung sich schieden. Begruendet zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen des roemischen Staates; denn auch die roemische Koenigsgewalt stand unter, nicht ueber dem Landrecht. Allein die tiefe und praktische Ehrfurcht, welche die Roemer wie jedes andere politisch faehige Volk vor dem Prinzip der Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen Satz des roemischen Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz gegruendete Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines Amtes gelte, obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass hierbei, solange die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden, der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung tatsaechlich fast verschwinden musste und die legislative Taetigkeit der Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt erhielt sie einen weiten Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten, und es war jetzt keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging, sein Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte.

Dies war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische Gewalt sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das Beil; dort waren die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation und der regulierten Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der Feldherr unumschraenkt wie der Koenig. Es stellte sich fest, dass der Feldherr und das Heer als solche die eigentliche Stadt regelmaessig nicht betreten durften. Dass organische und auf die Dauer wirksame Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen Gewalt getroffen werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der Verfassung; es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der Feldherr seine Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und rechtlich nichtig war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte missbilligte dieses Verfahren und es unterblieb bald, als waere es verboten. Der Gegensatz der Quiriten und der Soldaten wurzelte allmaehlich fest und fester in den Gemuetern der Buerger.

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^5 Es mag nicht ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium legitimum wie das quod imperio continetur auf dem Imperium des instruierenden Beamten beruht und der Unterschied nur darin besteht, dass das Imperium dort von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist.

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Indes, um diese Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln, bedurfte es der Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der Mitwelt mochte die Revolution zunaechst in einem andern Lichte erscheinen. Wohl gewannen die Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und gewann die neue Buergerschaft in der Gemeindeversammlung weitgreifende Befugnisse; aber das Verwerfungsrecht des patrizischen Senats, der gleichsam wie ein Oberhaus jenen Komitien in fester Geschlossenheit gegenueberstand, hob rechtlich die freie Bewegung derselben gerade in den entscheidendsten Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht imstande, den ernstlichen Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch, ihn zu verzoegern und zu verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie es aufgab, allein die Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu haben, so hatte sie in anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der Koenig war freilich Patrizier wie der Konsul, und das Recht der Senatorenernennung steht diesem wie jenem zu; aber wenn jenen seine Ausnahmestellung ueber Patrizier nicht minder wie ueber Plebejer hinausrueckte und wenn er leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen den Adel sich auf die Menge stuetzen zu muessen, so stand der Konsul, Herrscher auf kurze Frist, vorher und nachher aber nichts als einer aus dem Adel, und dem adligen Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen gehorchend, keineswegs ausserhalb seines Standes und musste der Adlige in ihm weit maechtiger sein als der Beamte. Wenn ja dennoch einmal ausnahmsweise ein der Adelsherrschaft abgeneigter Patrizier ans Regiment gerufen ward, so ward seine Amtsgewalt teils durch die vom schroffen Adelsgeiste durchdrungenen Priesterschaften, teils durch den Kollegen gelaehmt und leicht durch die Diktatur suspendiert; und was noch wichtiger war, es fehlte ihm das erste Element der politischen Macht, die Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle immer ihm eingeraeumt werden moege, wird die politische Gewalt nie in die Haende bekommen, wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der Geschaefte bleibt; denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist ihre Dauer. Folgeweise gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und zwar hauptsaechlich durch seine Befugnis, den Beamten in allen Stuecken zu beraten, also nicht der engere patrizische, sondern der weitere patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern gegenueber unvermeidlich einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen Verhaeltnisse sich geradezu umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die Regierungsgewalt an sich nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen vorsitzendem und ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme oder Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man darueber hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und Austeilung des Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen sich ueber das Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul blieb nichts als die Erledigung der laufenden Geschaefte, die Einleitung der Zivilprozesse und das Kommando im Kriege. Vor allem folgenreich war die Neuerung, dass es weder dem Konsul noch selbst dem sonst unbeschraenkten Diktator gestattet war, den gemeinen Schatz anders als mit und durch den Willen des Rates anzugreifen. Indem der Senat es den Konsuln zur Pflicht machte, die Verwaltung der Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt hatte oder doch hatte fuehren koennen, an zwei staendige Unterbeamte abzugeben, welche zwar von den Konsuln ernannt wurden und ihnen zu gehorchen hatten, aber begreiflicherweise noch weit mehr als die Konsuln selbst vom Senat abhingen, zog er die Leitung des Kassenwesens an sich, und es kann dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen Senats wohl in seinen Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden.

Die Folgen ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste Bedingung jeder Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat nicht einem Individuum, sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte eine ueberwiegend adlige Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an sich gebracht und war dabei die exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel geblieben, sondern auch der regierenden Korporation voellig unterworfen worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche Anzahl nichtadliger Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar der Teilnahme an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am Regiment ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch wichtige Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von der Korporation gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der patrizischen Konsuln, wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste zu revidieren und zu modifizieren, so nichtig es vermutlich der Adelschaft gegenueber war, konnte doch sehr wohl in ihrem Interesse gebraucht und der missliebige Plebejer mittels desselben aus dem Senat ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden werden.

Es ist darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution die Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die ganze Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass die Revolution den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe, so sehen wir Spaeteren in dieser selbst schon die Knospen der jungen Freiheit. Was die Patrizier gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren, sondern der Beamtengewalt; die Gemeinde gewann zwar nur wenige engbeschraenkte Rechte, welche weit minder praktisch und handgreiflich waren als die Errungenschaften des Adels, und welche nicht einer von Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag die Buergschaft der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts, die Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war die Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche, nicht die Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet. Darum datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre politische Existenz von dem Beginn des Konsulats.

Indes, wenn die republikanische Revolution trotz der durch sie zunaechst begruendeten Junkerherrschaft mit Recht ein Sieg der bisherigen Insassenschaft oder der Plebs genannt werden kann, so trug doch auch in der letzteren Beziehung die Revolution keineswegs den Charakter, den wir heutzutage als den demokratischen zu bezeichnen gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne Unterstuetzung der Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der Koenigsherrschaft leichter als unter derjenigen des Patriziats zu Einfluss und Ansehen gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat rechtlich keinem verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des plebejischen Ehrgeizes die Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats. Es lag dabei in der Natur der Sache, dass der regierende Herrenstand, soweit er ueberhaupt die Plebejer zuliess, nicht unbedingt den tuechtigsten Maennern, sondern vorzugsweise den Haeuptern der reichen und angesehenen Plebejerfamilien im Senat neben sich zu sitzen gestattete und die also zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den Besitz der Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann die Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit, sich in eine Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte Menge zu scheiden. Die Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit der Zenturienordnung jetzt an diejenige Klasse, welche seit der Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens vorzugsweise die buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar vorzugsweise weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern an den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern bevorzugt waren, als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel Stimmabteilungen innehatten wie die Jugend. Indem also der Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die Axt an die Wurzel und zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel in dieser das Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die ersten Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung zugleich zu der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls aristokratischen Staatsordnung die ersten Linien zog.

KAPITEL II.
Das Volkstribunat und die Dezemvirn

Die Altbuergerschaft war durch die neue Gemeindeordnung auf gesetzlichem Wege in den vollen Besitz der politischen Macht gelangt. Herrschend durch die zu ihrer Dienerin herabgedrueckte Magistratur, vorwiegend im Gemeinderate, im Alleinbesitze aller Aemter und Priestertuemer, ausgeruestet mit der ausschliesslichen Kunde der goettlichen und menschlichen Dinge und mit der ganzen Routine politischer Praxis, einflussreich in der Gemeindeversammlung durch den starken Anhang fuegsamer und den einzelnen Familien anhaenglicher Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluss zu pruefen und zu verwerfen, konnten die Patrizier die faktische Herrschaft noch auf lange Zeit sich bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche Alleingewalt verzichtet hatten. Zwar mussten die Plebejer ihre politische Zuruecksetzung schwer empfinden; allein von der rein politischen Opposition hatte der Adel unzweifelhaft zunaechst nicht viel zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge, die nichts verlangt als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der ersten Zeit nach der Vertreibung der Koenige verschiedene Massregeln, welche bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann fuer das Adelsregiment besonders von der oekonomischen Seite zu gewinnen: es wurden die Hafenzoelle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise grosse Quantitaeten Getreide fuer Rechnung des Staats aufgekauft und der Salzhandel zum Staatsmonopol gemacht, um den Buergern Korn und Salz zu billigen Preisen abgeben zu koennen, endlich das Volksfest um einen Tag verlaengert. In denselben Kreis gehoert die schon erwaehnte Vorschrift hinsichtlich der Vermoegensbussen, die nicht bloss im allgemeinen dem gefaehrlichen Bruchrecht der Beamten Schranken zu setzen bestimmt, sondern auch in bezeichnender Weise vorzugsweise auf den Schutz des kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem Beamten untersagt ward, an demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe und um mehr als dreissig Rinder ausser mit Gestattung der Provokation zu buessen, so kann die Ursache dieser seltsamen Ansaetze wohl nur darin gefunden werden, dass fuer den kleinen, nur einige Schafe besitzenden Mann ein anderes Maximum noetig schien als fuer den reichen Rinderherdenbesitzer - eine Ruecksichtnahme auf Reichtum oder Armut der Gebuessten, von der neuere Gesetzgebungen lernen koennten. Allein diese Ordnungen halten sich auf der Oberflaeche; die Grundstroemung geht vielmehr nach der entgegengesetzten Richtung. Mit der Verfassungsaenderung leitet in den finanziellen und oekonomischen Verhaeltnissen Roms eine umfassende Revolution sich ein. Das Koenigsregiment hatte wahrscheinlich der Kapitalmacht prinzipiell keinen Vorschub getan und die Vermehrung der Bauernstellen nach Kraeften gefoerdert; die neue Adelsregierung dagegen scheint von vornherein auf die Zerstoerung der Mittelklassen, namentlich des mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die Entwicklung einerseits einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits eines ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein.

Schon die Minderung der Hafenzoelle, obwohl im allgemeinen eine populaere Massregel, kam vorzugsweise dem Grosshandel zugute. Aber ein noch viel groesserer Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System der indirekten Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf dasselbe in seinen letzten Gruenden beruht; mag es aber auch an sich bis in die Koenigszeit zurueckreichen, so musste doch seit der Einfuehrung des Konsulats teils der schnelle Wechsel der roemischen Beamten, teils die Erstreckung der finanziellen Taetigkeit des Aerars auf Geschaefte, wie der Ein- und Verkauf von Korn und Salz, die Wichtigkeit der vermittelnden Privattaetigkeit steigern und, damit den Grund zu jenem Staatspaechtersystem legen, das in seiner Entwicklung fuer das roemische Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden ist. Der Staat gab nach und nach alle seine indirekten Hebungen und alle komplizierteren Zahlungen und Verrichtungen in die Haende von Mittelsmaennern, die eine Rauschsumme gaben oder empfingen und dann fuer ihre Rechnung wirtschafteten. Natuerlich konnten nur bedeutende Kapitalisten und, da der Staat streng auf dingliche Sicherheit sah, hauptsaechlich nur grosse Grundbesitzer sich hierbei beteiligen, und so erwuchs eine Klasse von Steuerpaechtern und Lieferanten, die in dem reissend schnellen Wachstum ihrer Opulenz, in der Gewalt ueber den Staat, dem sie zu dienen schienen, und in dem widersinnigen und sterilen Fundament ihrer Geldherrschaft den heutigen Boersenspekulanten vollkommen vergleichbar sind.

Aber zunaechst und am empfindlichsten offenbarte sich die vereinbarte Richtung der finanziellen Verwaltung in der Behandlung der Gemeindelaendereien, die so gut wie geradezu hinarbeitete auf die materielle und moralische Vernichtung der Mittelklassen. Die Nutzung der gemeinen Weide und der Staatsdomaenen ueberhaupt war ihrer Natur nach ein buergerliches Vorrecht; das formelle Recht schloss den Plebejer von der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes, abgesehen von dem Uebergang in das Privateigentum oder der Assignation, das roemische Recht feste und gleich dem Eigentum zu respektierende Nutzungsrechte einzelner Buerger am Gemeinlande nicht kannte, so hing es, so lange das Gemeinland Gemeinland blieb, lediglich von der Willkuer des Koenigs ab den Mitgenuss zu gestatten und zu begrenzen, und es ist nicht zu bezweifeln, dass er von diesem seinem Recht oder wenigstens seiner Macht haeufig zu Gunsten von Plebejern Gebrauch gemacht hat. Aber mit der Einfuehrung der Republik wird der Satz wieder scharf betont, dass die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloss dem Buerger besten Rechts, das heisst dem Patrizier zusteht; und wenn auch der Senat zu Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen plebejischen Haeuser nach wie vor Ausnahmen zuliess, so wurden doch die kleinen plebejischen Ackerbesitzer und die Tageloehner, die eben die Weide am noetigsten brauchten, in dem Mitgenuss beeintraechtigt. Es war ferner bisher fuer das auf die gemeine Weide aufgetriebene Vieh ein Hutgeld erlegt worden, das zwar maessig genug war, um das Recht, auf diese Weide zu treiben, immer noch als Vorrecht erscheinen zu lassen, aber doch dem gemeinen Saeckel eine nicht unansehnliche Einnahme abwarf. Die patrizischen Quaestoren erhoben dasselbe jetzt saeumig und nachsichtig und liessen allmaehlich es ganz schwinden. Bisher hatte man, namentlich wenn durch Eroberung neue Domaenen gewonnen waren, regelmaessig Landauslegungen angeordnet, bei denen alle aermeren Buerger und Insassen beruecksichtigt wurden; nur dasjenige Land, das zum Ackerbau sich nicht eignete, ward zu der gemeinen Weide geschlagen. Diese Assignationen wagte man zwar nicht ganz zu unterlassen und noch weniger, sie bloss zu Gunsten der Reichen vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle trat das verderbliche Okkupationssystem, das heisst die Ueberlassung der Domaenengueter nicht zum Eigentum oder zur foermlichen Pacht auf bestimmte Zeitfrist, sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten Okkupanten und dessen Rechtsnachfolger, sodass dem Staate die Ruecknahme jederzeit freistand und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Oel und Wein den fuenften Teil des Ertrages an die Staatskasse abzuliefern hatte. Es war dies nichts anderes als das frueher beschriebene Precarium, angewandt auf Staatsdomaenen und mag, namentlich als transitorische Einrichtung bis zur Durchfuehrung der Assignation, auch frueher schon bei dem Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt indes wurde dieser Okkupationsbesitz nicht bloss dauernd, sondern es griffen auch, wie natuerlich, nur die privilegierten Personen oder deren Guenstlinge zu und der Zehnte und Fuenfte ward mit derselben Laessigkeit eingetrieben wie das Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen Grundbesitz ein dreifacher Schlag: die gemeinen Buergernutzungen gingen ihm verloren; die Steuerlast stieg dadurch, dass die Domanialgefaelle nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse flossen; und die Landauslegungen stockten, die fuer das agrikole Proletariat, etwa wie heutzutage ein grossartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es tun wuerde, einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam die wahrscheinlich schon jetzt beginnende Grosswirtschaft, welche die kleinen Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das Gut nutzte; ein Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher war als alle jene politischen Usurpationen zusammengenommen. Die schweren, zum Teil ungluecklichen Kriege, die dadurch herbeigefuehrten unerschwinglichen Kriegssteuern und Fronden taten das uebrige, um den Besitzer entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn auch nicht zum Sklaven seines Schuldherrn zu machen, oder ihn durch Ueberschuldung tatsaechlich zum Zeitpaechter seiner Glaeubiger herabzudruecken. Die Kapitalisten, denen hier ein neues Gebiet eintraeglicher und muehe- und gefahrloser Spekulation sich eroeffnete, vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils liessen sie dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Haende gab, den Namen des Eigentuemers und den faktischen Besitz. Das letztere war wohl das Gewoehnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit fuer den einzelnen der aeusserste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen diese prekaere, von der Gnade des Glaeubigers jederzeit abhaengige Stellung des Bauern, bei der derselbe vom Eigentum nichts als die Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren und politisch zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigentums auf den Glaeubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten des Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwaelzen, ward umgangen durch das strenge persoenliche Kreditsystem, das fuer Kaufleute sehr zweckmaessig sein mochte, die Bauern aber ruinierte. Hatte die freie Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines ueberschuldeten Ackerbauproletariats nahegelegt, so musste unter solchen Verhaeltnissen, wo alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich versperrten, die Not und die Hoffnungslosigkeit unter der baeuerlichen Mittelklasse mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen.

Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen Verhaeltnissen hervorging, faellt keineswegs zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der bei weitem groesste Teil der Patrizier reich beguetert, so fehlte es doch natuerlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und ansehnlichen Familien, und da der Senat, der schon damals vielleicht zur groesseren Haelfte aus Plebejern bestand, selbst mit Ausschliessung der patrizischen Magistrate die finanzielle Oberleitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, dass alle jene oekonomischen Vorteile, zu denen die politischen Vorrechte des Adels missbraucht wurden, den Reichen insgesamt zugute kamen und der Druck auf dem gemeinen Mann um so schwerer lastete, als durch den Eintritt in den Senat die tuechtigsten und widerstandsfaehigsten Personen aus der Klasse der Unterdrueckten uebertraten in die der Unterdruecker.

Hierdurch aber ward die politische Stellung des Adels auf die Dauer unhaltbar. Haette er es ueber sich vermocht, gerecht zu regieren, und den Mittelstand geschuetzt, wie es einzelne Konsuln aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der herabgedrueckten Stellung der Magistratur durchdringen zu koennen, so konnte er sich noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten. Haette er es vermocht, die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an den Eintritt in den Senat die Gewinnung des Patriziats zu knuepfen, so mochten beide noch lange ungestraft regieren und spekulieren. Allein es geschah keines von beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die eigentlichen und unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums, verleugneten sich auch in Rom nicht und zerrissen die maechtige Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem Hader.

Indes die naechste Krise ging nicht von den staendisch Zurueckgesetzten aus, sondern von der notleidenden Bauernschaft. Die zurechtgemachten Annalen setzen die politische Revolution in das Jahr 244 (510), die soziale in die Jahre 259 und 260 (495 494); sie scheinen allerdings sich rasch gefolgt zu sein, doch ist der Zwischenraum wahrscheinlich laenger gewesen. Die strenge Uebung des Schuldrechts - so lautet die Erzaehlung - erregte die Erbitterung der ganzen Bauernschaft. Als im Jahre 259 (495) fuer einen gefahrvollen Krieg die Aushebung veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft, dem Gebot zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius die Anwendung der Schuldgesetze vorlaeufig suspendierte und sowohl die schon in Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den weiteren Lauf der Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und halfen den Sieg erfechten. Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der Friede, den sie erstritten hatten, ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit erbarmungsloser Strenge wandte der zweite Konsul Appius Claudius die Kreditgesetze an und der Kollege, den seine frueheren Soldaten um Hilfe anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien, als sei die Kollegialitaet nicht zum Schutz des Volkes eingefuehrt, sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man litt, was nicht zu aendern war. Als aber im folgenden Jahr sich der Krieg erneuerte, galt das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem ernannten Diktator Manius Valerius fuegten sich die Bauern, teils aus Scheu vor der hoeheren Amtsgewalt, teils im Vertrauen auf seinen populaeren Sinn - die Valerier waren eines jener alten Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre, nicht eine Pfruende duenkte. Der Sieg war wieder bei den roemischen Feldzeichen; aber als die Sieger heimkamen und der Diktator seine Reformvorschlaege dem Senat vorlegte, scheiterten sie an dem hartnaeckigen Widerstand des Senats. Noch stand das Heer beisammen, wie ueblich vor den Toren der Stadt; als die Nachricht hinauskam, entlud sich das lange drohende Gewitter - der Korpsgeist und die geschlossene militaerische Organisation rissen auch die Verzagten und Gleichgueltigen mit fort. Das Heer verliess den Feldherrn und seine Lagerstatt und zog, gefuehrt von den Legionskommandanten, den wenigstens grossenteils plebejischen Kriegstribunen, in militaerischer Ordnung in die Gegend von Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Huegel besetzte und Miene machte, in diesem fruchtbarsten Teil des roemischen Stadtgebiets eine neue Plebejerstadt zu gruenden. Dieser Abmarsch tat selbst den hartnaeckigsten Pressern auf eine handgreifliche Art dar, dass ein solcher Buergerkrieg auch mit ihrem oekonomischen Ruin enden muesse; der Senat gab nach. Der Diktator vermittelte das Vertraegnis; die Buerger kehrten zurueck in die Stadtmauern; die aeusserliche Einheit ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem “den Grossen” (maximus) und den Berg jenseits des Anio “den heiligen”. Wohl lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Leitung unter den zufaellig gegebenen Feldherren von der Menge selbst begonnenen und ohne Blutvergiessen durchgefuehrten Revolution, und gern und stolz erinnerten sich ihrer die Buerger. Empfunden wurden ihre Folgen durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat.

Ausser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der drueckendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch Gruendung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator verfassungsmaessig ein Gesetz durch, welches er ueberdies noch, ohne Zweifel um den Buergern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwoeren und sodann in einem Gotteshause niederlegen liess unter Aufsicht und Verwahrung zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden “Hausherren” (aediles). Dies Gesetz stellte den zwei patrizischen Konsuln zwei plebejische Tribune zur Seite, welche die nach Kurien versammelten Plebejer zu waehlen hatten. Gegen das militaerische Imperium, das heisst gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das der Konsuln ausserhalb der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt nichts; der buergerlichen ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln sie uebten, trat die tribunizische unabhaengig gegenueber, ohne dass doch eine Teilung der Gewalten stattgefunden haette. Die Tribune erhielten das Recht, welches dem Konsul gegen den Konsul und um so mehr gegen den niederen Beamten zustand, das heisst das Recht jeden von den Beamten erlassenen Befehl, durch den der davon betroffene Buerger sich verletzt hielt, auf dessen Anweisung durch ihren rechtzeitig und persoenlich eingelegten Protest zu vernichten und ebenso jeden von einem Beamten an die Buergerschaft gerichteten Antrag nach Ermessen zu hemmen oder zu kassieren, das ist das Recht der Interzession oder das sogenannte tribunizische Veto.

Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunaechst das Recht, die Verwaltung und die Rechtspflege willkuerlich zu hemmen, dem Militaerpflichtigen es moeglich zu machen, sich straflos der Aushebung zu entziehen, die Klageerhebung und die Rechtsvollstreckung gegen den Schuldner, die Einleitung des Kriminalprozesses und die Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern oder aufzuheben und was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch die Abwesenheit der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, dass der Tribun keine Nacht ausserhalb der Stadt zubringen duerfe und Tag und Nacht seine Tuer offenstehen muesse. Weiter lag es in der Gewalt des Volkstribunats, der Beschlussfassung der Gemeinde, die ja andernfalls kraft ihres souveraenen Rechts die von ihr der Plebs verliehenen Privilegien ohne weiteres haette zuruecknehmen koennen, durch ein einziges Wort eines einzelnen Tribunen Schranken zu setzen.

Aber diese Rechte waeren wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der sich nicht daran kehrte, insonderheit gegen den zuwiderhandelnden Magistrat dem Volkstribun eine augenblicklich wirkende und unwiderstehliche Zwangsgewalt zugestanden haette. Es ward ihm diese in der Form erteilt, dass das Zuwiderhandeln gegen den seines Rechts sich bedienenden Tribun, vor allen Dingen das Vergreifen an seiner Persoenlichkeit, welche auf dem heiligen Berg jeder Plebejer Mann fuer Mann fuer sich und seine Nachkommen geschworen hatte, fuer jetzt und alle Zukunft vor jeder Unbill zu schuetzen, ein todeswuerdiges Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser Kriminaljustiz nicht den Magistraten der Gemeinde, sondern denen der Plebs uebertragen ward. Kraft dieses seines Richteramts konnte der Tribun jeden Buerger, vor allem den Konsul im Amte, zur Verantwortung ziehen, ihn, wenn er nicht freiwillig sich stellte, greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft setzen oder Buergschaftstellung ihm gestatten und alsdann auf Tod oder Geldbusse erkennen. Zu diesem Zweck standen die beiden zugleich bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und Gehilfen zur Seite, zunaechst, um die Verhaftung zu bewirken, weshalb auch ihnen dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der Plebejer versichert ward. Ausserdem hatten die Aedilen selbst gleich den Tribunen, aber nur fuer die geringeren mit Bussen suehnbaren Sachen, richterliche Befugnis. Ward gegen den tribunizischen oder aedilizischen Spruch Berufung eingelegt, so ging diese nicht an die Gesamtbuergerschaft, mit der zu verhandeln die Beamten der Plebs ueberall nicht befugt waren, sondern an die Gesamtheit der Plebejer, die in diesem Fall nach Kurien zusammentrat und durch Stimmenmehrheit endgueltig entschied.

Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als ein Rechtsakt, zumal wenn es gegen einen Nichtplebejer angewandt ward, wie dies doch eben in der Regel der Fall sein musste. Es war weder mit dem Buchstaben noch mit dem Geist der Verfassung irgend zu vereinigen, dass der Patrizier von Behoerden zur Rechenschaft gezogen ward, die nicht der Buergerschaft, sondern einer innerhalb der Buergerschaft gebildeten Assoziation vorstanden, und dass er gezwungen ward, statt an die Buergerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren. Dies war urspruenglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog sich wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet.

Der Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der Aedilen und die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der Plebejerversammlung ohne Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die Gerichtsbarkeit der Konsuln und Quaestoren und der Spruch der Zenturien auf Provokation; die Rechtsbegriffe des Verbrechens gegen die Gemeinde und der Ordnungswidrigkeit wurden von der Gemeinde und deren Magistraten auf die Plebs und deren Vorsteher uebertragen. Indes diese Begriffe waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche Begrenzung so schwierig, ja unmoeglich, dass die auf diese Kategorien hin geuebte Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkuer fast unvermeidlich an sich trug. Seit nun aber gar in den staendischen Kaempfen die Idee des Rechts sich selber getruebt hatte und seit die gesetzlichen Parteifuehrer beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit ausgestattet waren, musste diese mehr und immer mehr der reinen Willkuerpolizei sich naehern. Namentlich traf dieselbe den Beamten. Bisher unterlag derselbe nach roemischem Staatsrecht, solange er Beamter war, ueberhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und wenn er auch nach Niederlegung seines Amtes rechtlich fuer jede seiner Handlungen zur Verantwortung hatte gezogen werden koennen, so lag doch die Handhabung dieses Rechts in den Haenden seiner Standesgenossen und schliesslich der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehoerten. Jetzt trat in der tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits gegen den hoechsten Beamten schon waehrend der Amtsfuehrung einschreiten konnte, anderseits gegen die adligen Buerger ausschliesslich durch die nicht adligen gehandhabt ward, und die um so drueckender war, als weder das Verbrechen noch die Strafe gesetzlich formuliert wurden. Der Sache nach ward durch die konkurrierende Gerichtsbarkeit der Plebs und der Gemeinde Gut, Leib und Leben der Buerger dem willkuerlichen Belieben der Parteiversammlungen preisgegeben.

In die Ziviljurisdiktion haben die plebejischen Institutionen nur insofern eingegriffen, als in den fuer die Plebs so wichtigen Freiheitsprozessen den Konsuln die Geschworenenernennung entzogen ward und die Sprueche hier erfolgten von den besonders dafuer bestimmten Zehnmaenner-Richtern (iudices decemviri, spaeter decemviri litibus iudicandis). An die konkurrierende Jurisdiktion schloss sich weiter die Konkurrenz in der gesetzgebenden Initiative. Das Recht, die Mitglieder zu versammeln und Beschluesse derselben zu bewirken, stand den Tribunen schon insofern zu, als ohne dasselbe ueberhaupt keine Assoziation gedacht werden kann. Ihnen aber ward dasselbe in der eminenten Weise verliehen, dass das autonomische Versammlungs- und Beschlussrecht der Plebs gesetzlich sichergestellt war vor jedem Eingriff der Magistrate der Gemeinde, ja der Gemeinde selbst. Allerdings war es die notwendige Vorbedingung der rechtlichen Anerkennung der Plebs ueberhaupt, dass die Tribune nicht daran gehindert werden konnten, ihre Nachfolger von der Versammlung der Plebs waehlen zu lassen und die Bestaetigung ihrer Kriminalsentenz durch dieselbe zu bewirken; und es ward ihnen denn dieses Recht auch durch das Icilische Gesetz (262 492) noch besonders gewaehrleistet und jedem, der dabei dem Tribun ins Wort falle oder das Volk auseinandergehen heisse, eine schwere Strafe gedroht. Dass demnach dem Tribun nicht gewehrt werden konnte, auch andere Antraege als die Wahl seines Nachfolgers und die Bestaetigung seiner Urteilssprueche zur Abstimmung zu bringen, leuchtet ein. Gueltige Volksschluesse waren derartige “Beliebungen der Menge” (plebi scita) zwar eigentlich nicht, sondern anfaenglich nicht viel mehr als die Beschluesse unserer heutigen Volksversammlungen; allein da der Unterschied zwischen den Komitien des Volkes und den Konzilien der Menge denn doch mehr formaler Natur war, ward wenigstens von plebejischer Seite die Gueltigkeit derselben als autonomischer Festsetzungen der Gemeinde sofort in Anspruch genommen und zum Beispiel gleich das Icilische Gesetz auf diesem Wege durchgesetzt.

So war der Tribun des Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und Schutz, allen zur Leitung und Fuehrung, versehen mit unbeschraenkter richterlicher Gewalt im peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl Nachdruck geben zu koennen, endlich selbst persoenlich fuer unverletzlich (sacrosanctus) erklaert, indem wer sich an ihm oder seinem Diener vergriff, nicht bloss den Goettern verfallen galt, sondern auch bei den Menschen als nach rechtlich erwiesenem Frevel des Todes schuldig.

Die Tribune der Menge (tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den Kriegstribunen und fuehren von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben sie weiter zu ihnen keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt nach die Volkstribune und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom Konsul an den Tribun und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den Konsul ist, wie schon gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation vom Konsul an den Konsul und der Interzession des einen Konsuls gegen den andern, und beide sind nichts als eine Anwendung des allgemeinen Rechtssatzes, dass zwischen zwei Gleichberechtigten der Verbietende dem Gebietenden vorgeht. Auch die urspruengliche, allerdings bald vermehrte Zahl und die Jahresdauer des Amtes, welches fuer die Tribune jedesmal am 10. Dezember wechselte, sind den Tribunen mit den Konsuln gemein, ebenso die eigentuemliche Kollegialitaet, die in jedes einzelnen Konsuls und in jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfuelle des Amtes legt und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die Stimmen zaehlt, sondern das Nein dem Ja vorgehen laesst - weshalb, wo der Tribun verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs der Kollegen genuegt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner Kollegen gehemmt werden kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und konkurrierende Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar, diese unmittelbar ausueben; wie jenen die beiden Quaestoren, stehen diesen die beiden Aedilen hierin zur Seite ^1. Die Konsuln sind notwendig Patrizier, die Tribune notwendig Plebejer. Jene haben die vollere Macht, diese die unumschraenktere, denn ihrem Verbot und ihrem Gericht fuegt sich der Konsul, nicht aber dem Konsul sich der Tribun. So ist die tribunizische Gewalt das Abbild der konsularischen; sie ist aber nicht minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln ist wesentlich positiv, die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln sind Magistrate des roemischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwaehlt die gesamte Buergerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum Zeichen dessen erscheint der Konsul oeffentlich mit dem den Gemeindebeamten zukommenden Schmuck und Gefolge, die Tribune aber sitzen auf der Bank anstatt des Wagenstuhls und ermangeln der Amtsdiener, des Purpursaumes und ueberhaupt jedes Abzeichens der Magistratur; sogar im Gemeinderat hat der Tribun weder den Vorsitz noch auch nur den Beisitz. So ist in dieser merkwuerdigen Institution dem absoluten Befehlen das absolute Verbieten in der schaerfsten und schroffsten Weise gegenuebergestellt; das war die Schlichtung des Haders, dass die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich festgestellt und geordnet ward.

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^1 Dass die plebejischen Aedilen in derselben Weise den patrizischen Quaestoren nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den patrizischen Konsuln, ist deutlich sowohl fuer die Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz der beiden Magistraturen, nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu sein scheint, wie fuer das Archivgeschaeft. Fuer die Aedilen ist der Cerestempel, was der Tempel des Saturnus fuer die Quaestoren, und von jenem haben sie auch den Namen. Bezeichnend ist die Vorschrift des Gesetzes von 305 (349) (Liv. 3, 55), dass die Senatsbeschluesse dorthin an die Aedilen abgeliefert werden sollen (I, 300), waehrend dieselben bekanntlich nach altem und spaeter nach Beilegung des Staendekampfes wieder ueberwiegendem Gebrauche den Quaestoren zur Aufbewahrung in dem Saturnustempel zugestellt wurden.

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Aber was war erreicht damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach, dass die Beamten einer unsteten und von allen Leidenschaften des Augenblicks abhaengigen Kontrollbehoerde unterworfen wurden, dass auf den Wink eines einzelnen der auf den Gegenthron gehobenen Oppositionshaeupter die Verwaltung im gefaehrlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, dass man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu konkurrierend bevollmaechtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und sie fuer alle Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, dass das Tribunat wenn nicht unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Staende beigetragen, so doch als eine maechtige Waffe in der Hand der Plebejer gedient hat, als diese bald darauf die Zulassung zu den Gemeindeaemtern begehrten. Aber die eigentliche Bestimmung des Tribunats war dieses nicht. Nicht dem politisch privilegierten Stande ward es abgerungen, sondern den reichen Grund- und Kapitalherren; es sollte dem gemeinen Mann billige Rechtspflege sichern und eine zweckmaessigere Finanzverwaltung herbeifuehren. Diesen Zweck hat es nicht erfuellt und konnte es nicht erfuellen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden Haerten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht hiess, sondern im Rechte, welches ungerecht war: und wie konnte der Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmaessig hemmen? haette er es gekonnt, so war auch damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte Besteuerung, das schlechte Kreditsystem, die heillose Okkupation der Domaenen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen Plebejer selbst an diesen Missbraeuchen kein minderes Interesse hatten als die Patrizier. So gruendete man diese seltsame Magistratur, deren handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch die notwendige oekonomische Reform unmoeglich durchsetzen konnte. Sie ist kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiss zwischen dem reichen Adel und der fuehrerlosen Menge. Man hat gesagt, das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis bewahrt. Waere dies wahr, so wuerde es wenig bedeuten; die Aenderung der Staatsform ist an sich fuer ein Volk kein Unheil, und fuer das roemische war es vielmehr ein Unglueck, dass die Monarchie zu spaet eingefuehrt ward nach Erschoepfung der physischen und geistigen Kraefte der Nation. Es ist aber nicht einmal richtig, wie schon das beweist, dass die italischen Staaten ebenso regelmaessig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den hellenischen regelmaessig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin, dass die Tyrannis ueberall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist und dass die Italiker laenger als die Griechen die nicht grundsaessigen Buerger von den Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon abging, blieb auch die Monarchie nicht aus, ja knuepfte eben an an das tribunizische Amt. Dass das Volkstribunat auch genuetzt hat, indem es der Opposition gesetzliche Bahnen wies und manche Verkehrtheit abwehrte, wird niemand verkennen; aber ebensowenig, dass, wo es sich nuetzlich erwies, es fuer ganz andere Dinge gebraucht ward, als wofuer man es begruendet hatte. Das verwegene Experiment, den Fuehrern der Opposition ein verfassungsmaessiges Veto einzuraeumen und sie mit der Macht, es ruecksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein Notbehelf, der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die sozialen Missstaende durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat.

Indes man hatte den Buergerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie zur Schlacht standen die Parteien sich gegenueber, jede unter ihren Fuehrern; Beschraenkung der konsularischen, Erweiterung der tribunizischen Gewalt ward auf der einen, die Vernichtung des Tribunats auf der andern Seite angestrebt; die gesetzlich straflos gemachte Insubordination, die Weigerung, sich zur Landesverteidigung zu stellen, die Buss- und Strafklagen namentlich gegen Beamte, die die Rechte der Gemeinde verletzt oder auch nur ihr Missfallen erregt hatten, waren die Waffen der Plebejer, denen die Junker Gewalt und Einverstaendnisse mit den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des Meuchelmoerders entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handgemenge und hueben und drueben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen. Viele Buergerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es wohl glauben. Es zeugt von dem starken Buergersinn im Volk, nicht dass es diese Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und die Gemeinde trotz der heftigsten Kaempfe dennoch zusammenhielt. Das bekannteste Ereignis aus diesen Staendekaempfen ist die Geschichte des Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen, der von Coriolis Erstuermung den Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491), erbittert ueber die Weigerung der Zenturien, ihm das Konsulat zu uebertragen, beantragt haben, wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkaeufe aus den Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte; wie andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den Tribunen auf Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen, indes nur, um zurueckzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres; jedoch im Begriff, .seine Vaterstadt fuer den Landesfeind zu erobern, habe das ernste Wort der Mutter sein Gewissen geruehrt und also sei von ihm der erste Verrat durch einen zweiten gesuehnt worden und beide durch den Tod. Wieviel darin wahr ist, laesst sich nicht entscheiden; aber alt ist die Erzaehlung, aus der die naive Impertinenz der roemischen Annalisten eine vaterlaendische Glorie gemacht hat, und sie oeffnet den Einblick in die tiefe sittliche und politische Schaendlichkeit dieser staendischen Kaempfe. Aehnlichen Schlages ist der Ueberfall des Kapitols durch eine Schar politischer Fluechtlinge, gefuehrt von dem Sabiner Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen die Sklaven zu den Waffen, und erst nach heissem Kampf und mit Hilfe der herbeigeeilten Tusculaner ward die roemische Buergerwehr der catilinarischen Bande Meister. Denselben Charakter fanatischer Erbitterung tragen andere Ereignisse dieser Zeit, deren geschichtliche Bedeutung in den luegenseligen Familienberichten sich nicht mehr erfassen laesst; so das Uebergewicht des Fabischen Geschlechtes, das von 269 bis 275 (485-479) den einen Konsul stellte, und die Reaktion dagegen, die Auswanderung der Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch die Etrusker am Cremera (277 477). Noch entsetzlicher war die Ermordung des Volkstribuns Gnaeus Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare zur Rechenschaft zu ziehen und der am Morgen des fuer die Anklage anberaumten Tages tot im Bette gefunden ward (281 473). Die unmittelbare Folge dieser Untat war das Publilische Gesetz, eines der folgenreichsten, das die roemische Geschichte kennt. Zwei der wichtigsten Ordnungen, die Einfuehrung der plebejischen Tribusversammlung und die wenngleich bedingte Gleichstellung des Plebiszits mit dem foermlichen, von der ganzen Gemeinde beschlossenen Gesetz, gehen, jene gewiss, diese wahrscheinlich zurueck auf den Antrag des Volkstribunen Volero Publilius vom Jahre 283 (471). Die Plebs hatte bis dahin ihre Beschluesse nach Kurien gefasst; demnach war in diesen ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied des Vermoegens und der Ansaessigkeit bloss nach Koepfen abgestimmt worden, teils hatten, infolge des im Wesen der Kurienversammlung liegenden Zusammenstehens der Geschlechtsgenossen, die Klienten der grossen Adelsfamilien in der Plebejerversammlung miteinander gestimmt. Der eine wie der andere Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit, Einfluss auf diese Versammlung zu ueben und besonders die Wahl der Tribune in seinem Sinne zu lenken; beides fiel fortan weg durch die neue Abstimmungsweise nach Quartieren. Deren waren in der Servianischen Verfassung zum Zweck der Aushebung vier gebildet worden, die Stadt und Land gleichmaessig umfassten (I, 105); spaeterhin - vielleicht im Jahr 259 (495) - hatte man das roemische Gebiet in zwanzig Distrikte eingeteilt, von denen die ersten vier die Stadt und deren naechste Umgebung umfassten, die uebrigen sechzehn mit Zugrundelegung der Geschlechtergaue des aeltesten roemischen Ackers aus dem Landgebiet gebildet wurden (I, 51). Zu diesen wurde, wahrscheinlich erst infolge des Publilischen Gesetzes und um die fuer die Abstimmung wuenschenswerte Ungleichheit der Gesamtzahl der Stimmabteilungen herbeizufuehren, als einundzwanzigste Tribus die crustuminische hinzugefuegt, die ihren Namen von dem Orte trug, wo die Plebs als solche sich konstituiert und das Tribunat gestiftet hatte (I, 282) und fortan fanden die Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr nach Kurien statt, sondern nach Tribus. In diesen Abteilungen, die durchaus auf dem Grundbesitz beruhten, stimmten ausschliesslich die ansaessigen Leute, diese jedoch ohne Unterschied der Groesse des Grundbesitzes und so, wie sie in Doerfern und Weilern zusammen wohnten; es war also diese Tribusversammlung, die im uebrigen aeusserlich der nach Kurien geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine Versammlung des unabhaengigen Mittelstandes, von der einerseits die Freigelassenen und Klienten der grossen Mehrzahl nach als nicht ansaessige Leute ausgeschlossen waren, und in der anderseits der groessere Grundbesitz nicht so wie in den Zenturien ueberwog. Eine allgemeine Buergerschaftsversammlung war diese “Zusammenkunft der Menge” (concilium plebis) noch weniger als die plebejische Kurienversammlung, da sie nicht bloss wie diese die saemtlichen Patrizier, sondern auch die nicht grundsaessigen Plebejer ausschloss; aber die Menge war maechtig genug, um es durchzusetzen, dass ihr Beschluss dem von den Zenturien gefassten rechtlich gleich gelte, falls er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden war. Dass diese letzte Bestimmung schon vor Erlass der Zwoelf Tafeln gesetzlich feststand, ist gewiss; ob man sie gerade bei Gelegenheit des Publilischen Plebiszits eingefuehrt hat, oder ob sie bereits vorher durch irgendeine andere verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf das Publilische Plebiszit nur angewendet worden ist, laesst sich nicht mehr ausmachen. Ebenso bleibt es ungewiss, ob durch dies Gesetz die Zahl der Tribune von zwei auf vier vermehrt ward oder dies bereits vorher geschehen war.

Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimassregeln war der Versuch des Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen zu brechen und damit den eigentlichen Quell des Uebels zu verstopfen. Er war Patrizier, und keiner tat es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten Konsulat (268 486) brachte er an die Buergergemeinde den Antrag, das Gemeindeland vermessen zu lassen und es teils zum Besten des oeffentlichen Schatzes zu verpachten, teils unter die Beduerftigen zu verteilen; das heisst, er versuchte, die Entscheidung ueber die Domaenen dem Senat zu entreissen und, gestuetzt auf die Buergerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu machen. Er mochte meinen, dass die Auszeichnung seiner Persoenlichkeit, die Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen werde, selbst in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwaeche; allein er irrte. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer traten auf seine Seite; der gemeine Mann war missvergnuegt, weil Spurius Cassius, wie Bundesrecht und Billigkeit geboten, auch den latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr Teil geben wollte. Cassius musste sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage, dass er koenigliche Gewalt sich angemasst habe, denn freilich versuchte er gleich den Koenigen, gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den Reichen unaufhoerlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie, bis unter den Kaempfen darueber das Gemeinwesen zugrunde ging.

Da ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu beseitigen, dass man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius Terentilius Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer Kommission von fuenf Maennern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts, an das die Konsuln kuenftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden sein sollten. Aber der Senat weigerte sich, diesem Vorschlag seine Sanktion zu geben, und es vergingen zehn Jahre, ehe derselbe zur Ausfuehrung kam - Jahre des heissesten Staendekampfes, welche ueberdies vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher Hartnaeckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Maenner zu Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu beseitigen: im Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier auf zehn bewilligt - freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden Jahre durch ein Icilisches Plebiszit, das aufgenommen ward unter die beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbewohnt, unter die aermeren Buerger zu Bauplaetzen erblichen Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was ihr geboten ward, allein sie hoerte nicht auf, das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahre 300 (454) kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der Hauptsache nach. Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten dazu ausserordentlicher Weise zehn Maenner von den Zenturien gewaehlt werden, welche zugleich als hoechste Beamte anstatt der Konsuln zu fungieren hatten (decem viri consulari imperio legibus scribundis), und zu diesem Posten sollten nicht bloss Patrizier, sondern auch Plebejer wahlfaehig sein. Diese wurden hier zum erstenmal, freilich nur fuer ein ausserordentliches Amt, als waehlbar bezeichnet. Es war dies ein grosser Schritt vorwaerts zu der vollen politischen Gleichberechtigung, und er war nicht zu teuer damit verkauft, dass das Volkstribunat aufgehoben, das Provokationsrecht fuer die Dauer des Dezemvirats suspendiert und die Zehnmaenner nur verpflichtet wurden, die beschworenen Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes wurde noch eine Gesandtschaft nach Griechenland geschickt um die Solonischen und andere griechische Gesetze heimzubringen, und erst nach deren Rueckkehr wurden fuer das Jahr 303 (451) die Zehnmaenner gewaehlt. Obwohl es freistand, auch Plebejer zu ernennen, so traf doch die Wahl auf lauter Patrizier - so maechtig war damals noch der Adel -, und erst als eine abermalige Wahl fuer 304 (450) noetig ward, wurden auch einige Plebejer gewaehlt - die ersten nichtadligen Beamten, die die roemische Gemeinde gehabt hat.

Erwaegt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein anderer Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschraenkung der konsularischen Gewalt durch das geschriebene Gesetz an die Stelle der tribunizischen Hilfe zu setzen. Von beiden Seiten musste man sich ueberzeugt haben, dass es nicht so bleiben konnte, wie es war, und die Permanenzerklaerung der Anarchie wohl die Gemeinde zugrunde richtete, aber in der Tat und Wahrheit dabei fuer niemand etwas herauskam. Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribune in die Administration sowie ihre Anklaegertaetigkeit schlechterdings schaedlich wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat dem gemeinen Mann gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische Rechtspflege war, indem es als eine Art Kassationsgericht die Willkuer des Magistrats beschraenkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein geschriebenes Landrecht begehrten, von den Patriziern erwidert, dass dann der tribunizische Rechtsschutz ueberfluessig werde; und hierauf scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist vielleicht nie bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das Tribunat ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage kam, nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat zurueckgewinnen zu koennen. Die der Plebs gegebene Zusage, dass ihre beschworenen Freiheiten nicht angetastet werden sollten, kann bezogen werden auf die vom Tribunat unabhaengigen Rechte der Plebejer, wie die Provokation und der Besitz des Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu sein, dass die Zehnmaenner bei ihrem Ruecktritt dem Volke vorschlagen sollten, die jetzt nicht mehr nach Willkuer, sondern nach geschriebenem Recht urteilenden Konsuln wiederum zu waehlen.

Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich erbitterten Gemueter hueben und drueben diesen friedlichen Austrag annehmen wuerden. Die Dezemvirn des Jahres 303 (451) brachten ihr Gesetz vor das Volk und, von diesem bestaetigt, wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln eingegraben, auf dem Markt an der Rednerbuehne vor dem Rathaus angeschlagen. Da indes noch ein Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304 (450) wieder Zehnmaenner, die noch zwei Tafeln hinzufuegten; so entstand das erste und einzige roemische Landrecht, das Gesetz der Zwoelf Tafeln. Es ging aus einem Kompromiss der Parteien hervor und kann schon darum tiefgreifende, ueber nebensaechliche und blosse Zweckmaessigkeitsbestimmungen hinausgehende Aenderungen des bestehenden Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im Kreditwesen trat keine weitere Milderung ein, als dass ein - wahrscheinlich niedriges - Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer Strafe - charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb - bedroht ward; der strenge Schuldprozess blieb wenigstens in seinen Hauptzuegen ungeaendert. Aenderungen der staendischen Rechte waren begreiflicherweise noch weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied zwischen steuerpflichtigen und vermoegenslosen Buergern, die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen wurden vielmehr aufs neue im Stadtrecht bestaetigt, ebenso zur Beschraenkung der Beamtenwillkuer und zum Schutz des Buergers ausdruecklich vorgeschrieben, dass das spaetere Gesetz durchaus dem frueheren vorgehen und dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Buerger erlassen werden solle. Am bemerkenswertesten ist die Ausschliessung der Provokation an die Tribuskomitien in Kapitalsachen, waehrend die an die Zenturien gewaehrleistet ward; was sich daraus erklaert, dass die Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren Vorstehern in der Tat usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische Kapitalprozess notwendig fiel, waehrend es vielleicht die Absicht war, den aedilizischen Multprozess beizubehalten. Die wesentliche politische Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der jetzt foermlich festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen Prozessformen und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der oeffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung der Kontrolle der Publizitaet unterworfen und der Konsul genoetigt ward, allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen.

Der Ausgang des Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb - so wird berichtet - den Zehnmaennern nur noch uebrig, die beiden letzten Tafeln zu publizieren und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie zoegerten indes; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch immer nicht fertig sei, fuehrten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres ihr Amt weiter, was insofern moeglich war, als nach roemischem Staatsrecht die ausserordentlicherweise zur Revision der Verfassung berufene Magistratur durch die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht gebunden werden kann. Die gemaessigte Fraktion der Aristokratie, die Valerier und Horatier an ihrer Spitze, soll versucht haben, im Senat die Abdankung der Dezemvirn zu erzwingen; allein das Haupt der Zehnmaenner, Appius Claudius, von Haus aus ein starrer Aristokrat, aber jetzt umschlagend zum Demagogen und zum Tyrannen, gewann das Uebergewicht im Senat, und auch das Volk fuegte sich. Die Aushebung eines doppelten Heeres ward ohne Widerspruch vollzogen und der Krieg gegen die Volsker wie gegen die Sabiner begonnen. Da wurde der gewesene Volkstribun Lucius Siccius Dentatus, der tapferste Mann in Rom, der in hundertundzwanzig Schlachten gefochten und fuenfundvierzig ehrenvolle Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem Lager gefunden, meuchlerisch ermordet, wie es hiess, auf Anstiften der Zehnmaenner. Die Revolution gaerte in den Gemuetern; zum Ausbruch brachte sie der ungerechte Wahrspruch des Appius in dem Prozess um die Freiheit der Tochter des Centurionen Lucius Verginius, der Braut des gewesenen Volkstribuns Lucius Icilius, welcher Spruch das Maedchen den Ihrigen entriss, um sie unfrei und rechtlos zu machen und den Vater bewog, seiner Tochter auf offenem Markt das Messer selber in die Brust zu stossen, um sie der gewissen Schande zu entreissen. Waehrend das Volk erstarrt ob der unerhoerten Tat die Leiche des schoenen Maedchens umstand, befahl der Dezemvir seinen Buetteln, den Vater und alsdann den Braeutigam vor seinen Stuhl zu fuehren, um ihm, von dessen Spruch keine Berufung galt, sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine Gewalt. Nun war das Mass voll. Geschuetzt von den brausenden Volksmassen entziehen der Vater und der Braeutigam des Maedchens sich den Haeschern des Gewaltherrn, und waehrend in Rom der Senat zittert und schwankt, erscheinen die beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den beiden Lagern. Das Unerhoerte wird berichtet; vor allen Augen oeffnet sich die Kluft, die der mangelnde tribunizische Schutz in der Rechtssicherheit gelassen hat, und was die Vaeter getan, wiederholen die Soehne. Abermals verlassen die Heere ihre Fuehrer; sie ziehen in kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf den heiligen Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch weigern die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt endlich, wo der Buergerkrieg schon da war und der Strassenkampf stuendlich beginnen konnte, jetzt entsagen die Zehnmaenner ihrer angemassten und entehrten Gewalt, und die Konsuln Lucius Valerius und Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich, durch den das Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die Dezemvirn endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius und Spurius Oppius, im Gefaengnis sich das Leben nahmen, die acht anderen ins Exil gingen und der Staat ihr Vermoegen einzog. Weitere gerichtliche Verfolgungen hemmte der kluge und gemaessigte Volkstribun Marcus Duilius durch den rechtzeitigen Gebrauch seines Veto.

So lautet die Erzaehlung, wie der Griffel der roemischen Aristokraten sie aufgezeichnet hat; unmoeglich aber kann, auch von den Nebenumstaenden abgesehen, die grosse Krise, der die Zwoelf Tafeln entsprangen, in solche romantische Abenteuerlichkeiten und politische Unbegreiflichkeiten ausgelaufen sein. Das Dezemvirat war nach der Abschaffung des Koenigtums und der Einsetzung des Volkstribunats der dritte grosse Sieg der Plebs, und die Erbitterung der Gegenpartei gegen die Institution wie gegen ihr Haupt Appius Claudius ist erklaerlich genug. Die Plebejer hatten damit das passive Wahlrecht zu dem hoechsten Gemeindeamt und das gemeine Landrecht errungen; und nicht sie waren es, die Ursache hatten, sich gegen die neue Magistratur aufzulehnen und mit Waffengewalt das rein patrizische Konsularregiment zu restaurieren. Dies Ziel kann nur von der Adelspartei verfolgt worden sein, und wenn die patrizisch-plebejischen Dezemvirn den Versuch gemacht haben, sich ueber die Zeit hinaus im Amte zu behaupten, so ist sicherlich dagegen in erster Reihe der Adel in die Schranken getreten; wobei er freilich nicht versaeumt haben wird geltend zu machen, dass ja auch der Plebs ihre verbrieften Rechte geschmaelert, insbesondere das Tribunat ihr genommen sei. Gelang es dann dem Adel, die Dezemvirn zu beseitigen, so ist es allerdings begreiflich, dass nach deren Sturz die Plebs jetzt abermals in Waffen zusammentrat, um die Ergebnisse sowohl der frueheren Revolution von 260 wie auch der juengsten Bewegung sich zu sichern; und nur als Kompromiss in diesem Konflikt lassen die Valerisch-Horatischen Gesetze von 305 (449) sich verstehen. Der Vergleich fiel wie natuerlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und beschraenkte abermals in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Dass das Volkstribunat wieder hergestellt, das dem Adel abgedrungene Stadtrecht definitiv festgehalten und die Konsuln danach zu richten verpflichtet wurden, versteht sich von selbst. Durch das Stadtrecht verloren allerdings die Tribus die angemasste Gerichtsbarkeit in Kapitalsachen; allein die Tribune erhielten sie zurueck, indem ein Weg gefunden ward, ihnen fuer solche Faelle die Verhandlung mit den Zenturien moeglich zu machen. Ueberdies blieb ihnen in dem Recht, auf Geldbussen unbeschraenkt zu erkennen und diesen Spruch an die Tribuskomitien zu bringen, ein ausreichendes Mittel, die buergerliche Existenz des patrizischen Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf Antrag der Konsuln von den Zenturien beschlossen, dass kuenftig jeder Magistrat, also auch der Diktator bei seiner Ernennung verpflichtet werden solle, der Provokation stattzugeben; wer dem zuwider einen Beamten ernannte, buesste mit dem Kopfe. Im uebrigen behielt der Diktator die bisherige Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine Amtshandlungen nicht wie die der Konsuln kassieren.

Eine weitere Beschraenkung der konsularischen Machtfuelle war es, dass die Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewaehlten Zahlmeistern (quaestores) uebertragen ward, die zuerst fuer 307 (447) ernannt wurden. Die Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister fuer den Krieg wie auch der beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt ueber auf die Gemeinde; der Konsul behielt statt der Wahl nur die Wahlleitung. Die Versammlung, in der die Zahlmeister erwaehlt wurden, war die der saemtlichen patrizisch-plebejischen ansaessigen Leute und stimmte nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine Konzession an die diese Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien beherrschende plebejische Bauernschaft liegt.

Folgenreicher noch war es, dass den Tribunen Anteil an den Verhandlungen im Senat eingeraeumt ward. Zwar in den Sitzungssaal die Tribune zuzulassen, schien dem Senat unter seiner Wuerde; es wurde ihnen eine Bank an die Tuer gesetzt, um von da aus den Verhandlungen zu folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht hatte sich auch auf die Beschluesse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus einer beratenden zu einer beschliessenden Behoerde geworden war, was wohl zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit fuer die ganze Gemeinde verbindend werden sollte; es war natuerlich, dass man seitdem den Tribunen eine gewisse Beteiligung an den Verhandlungen in der Kurie einraeumte. Um auch gegen Unterschiebung und Verfaelschung von Senatsbeschluessen gesichert zu sein, an deren Gueltigkeit ja die der wichtigsten Plebiszite geknuepft war, wurde verordnet, dass in Zukunft dieselben nicht bloss bei den patrizischen Stadtquaestoren im Saturnus-, sondern ebenfalls bei den plebejischen Aedilen im Cerestempel hinterlegt werden sollten. So endigte dieser Kampf, der begonnen war, um die Gewalt der Volkstribune zu beseitigen, mit der abermaligen und nun definitiven Sanktionierung ihres Rechts, sowohl einzelne Verwaltungsakte auf Anrufen des Beschwerten als auch jede Beschlussnahme der konstitutiven Staatsgewalten nach Ermessen zu kassieren. Mit den heiligsten Eiden und allem, was die Religion Ehrfuerchtiges darbot, und nicht minder mit den foermlichsten Gesetzen wurde abermals sowohl die Person der Tribune als die ununterbrochene Dauer und die Vollzaehligkeit des Kollegiums gesichert. Es ist seitdem nie wieder in Rom ein Versuch gemacht worden, diese Magistratur aufzuheben.

KAPITEL III.
Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie

Die tribunizischen Bewegungen scheinen vorzugsweise aus den sozialen, nicht aus den politischen Missverhaeltnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter Grund vorhanden zu der Annahme, dass ein Teil der vermoegenden, in den Senat aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder entgegen war als die Patrizier; denn die Privilegien, gegen welche die Bewegung vorzugsweise sich richtete, kamen auch ihnen zugute, und wenn sie auch wieder in anderer Beziehung sich zurueckgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch keineswegs an der Zeit scheinen, ihre Ansprueche auf Teilnahme an den Aemtern geltend zu machen, waehrend der ganze Senat in seiner finanziellen Sondermacht bedroht war. So erklaert es sich, dass waehrend der ersten fuenfzig Jahre der Republik kein Schritt geschah, der geradezu auf politische Ausgleichung der Staende hinzielte.

Allein eine Buergschaft der Dauer trug dieses Buendnis der Patrizier und der reichen Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte ein Teil der vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefuehl gegen ihre Standesgenossen, teils infolge des natuerlichen Bundes aller Zurueckgesetzten, teils endlich, weil sie begriffen, dass Konzessionen an die Menge auf die Laenge unvermeidlich waren und dass sie, richtig benutzt, die Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats zur Folge haben und damit der plebejischen Aristokratie das entscheidende Gewicht im Staate geben wuerden. Wenn diese Ueberzeugung, wie das nicht fehlen konnte, in weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an der Spitze ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm, so hielt sie in dem Tribunat den Buergerkrieg gesetzlich in der Hand und konnte mit dem sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingungen zu diktieren und als Vermittler zwischen beiden Parteien fuer sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen.

Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem Sturz des Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, dass das Volkstribunat sich nicht beseitigen liess; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu bemaechtigen und sich desselben zur Beseitigung der politischen Zuruecksetzung ihres Standes zu bedienen.

Wie wehrlos der Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenueberstand, zeigt nichts so augenscheinlich, als dass der Fundamentalsatz der exklusiven Partei, die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen, kaum vier Jahre nach der Dezemviralrevolution auf den ersten Streich fiel. Im Jahre 309 (445) wurde durch das Canuleische Plebiszit verordnet, dass die Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen als eine rechte roemische gelten und die daraus erzeugten Kinder dem Stande des Vaters folgen sollten. Gleichzeitig wurde ferner durchgesetzt, dass statt der Konsuln Kriegstribune - es gab deren damals, vor der Teilung des Heeres in Legionen, sechs, und danach richtete sich auch die Zahl dieser Magistrate - mit konsularischer Gewalt ^1 und konsularischer Amtsdauer von den Zenturien gewaehlt werden sollten. Die naechste Ursache war militaerischer Art, indem die vielfachen Kriege eine groessere Zahl von obersten Feldherren forderten, als die Konsularverfassung sie gewaehrte; aber die Aenderung ist von wesentlicher Bedeutung fuer den Staendekampf geworden, ja vielleicht jener militaerische Zweck fuer diese Einrichtung mehr der Vorwand als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach altem Recht jeder dienstpflichtige Buerger oder Insasse gelangen, und es ward also damit das hoechste Amt, nachdem es voruebergehend schon im Dezemvirat den Plebejern geoeffnet worden war, jetzt in umfassender Weise saemtlichen freigewordenen Buergern gleichmaessig zugaenglich gemacht. Die Frage liegt nahe, welches Interesse der Adel dabei haben konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des hoechsten Amtes verzichten und in der Sache nachgeben musste, den Plebejern den Titel zu versagen und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form zuzugestehen ^2. Einmal aber knuepften sich an die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamts mancherlei teils persoenliche, teils erbliche Ehrenrechte: so galt die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier gegeben, der nicht dieses selbst verwaltet hatte; so stand es den Nachkommen eines kurulischen Beamten frei, das Bild eines solchen Ahnen im Familiensaal auf- und bei geeigneten Veranlassungen oeffentlich zur Schau zu stellen, waehrend dies fuer andere Vorfahren nicht statthaft war ^3. Es ist ebenso leicht zu erklaeren wie schwer zu rechtfertigen, dass der regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst als die daran geknuepften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden liess und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen musste, den tatsaechlich hoechsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des kurulischen Sessels, sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte, dessen Auszeichnung eine rein persoenliche war. Von groesserer politischer Bedeutung aber als die Versagung des Ahnenrechts und der Ehre des Triumphs war es, dass die Ausschliessung der im Senat sitzenden Plebejer von der Debatte notwendig fuer diejenigen von ihnen fiel, die als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor den uebrigen um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten; insofern war es allerdings fuer den Adel von grosser Wichtigkeit, den Plebejer nur zu einem konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat selbst zuzulassen.

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^1 Die Annahme, dass rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das volle, den plebejischen nur das militaerische Imperium zugestanden habe, ruft nicht bloss manche Fragen hervor, auf die es keine Antwort gibt, zum Beispiel, was denn geschah, wenn, wie dies gesetzlich moeglich war, die Wahl auf lauter Plebejer fiel, sondern verstoesst vor allem gegen den Fundamentalsatz des roemischen Staatsrechts, dass das Imperium, das heisst das Recht, dem Buerger im Namen der Gemeinde zu befehlen, qualitativ unteilbar und ueberhaupt keiner anderen als einer raeumlichen Abgrenzung faehig ist. Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem letzteren die Provokation und andere stadtrechtliche Bestimmungen nicht massgebend sind; es gibt Beamte, wie zum Beispiel die Prokonsuln, welche lediglich in dem letzteren zu funktionieren vermoegen; aber es gibt im strengen Rechtssinn keine Beamten mit bloss jurisdiktionellem wie keine mit bloss militaerischem Imperium. Der Prokonsul ist in seinem Bezirk eben wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter und befugt, nicht bloss unter Nichtbuergern und Soldaten, sondern auch unter Buergern den Prozess zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der Praetur der Begriff der Kompetenz fuer die magistratus maiores aufkommt, hat er mehr tatsaechliche als eigentlich rechtliche Geltung: der staedtische Praetor ist zwar zunaechst Oberrichter, aber er kann auch wenigstens fuer gewisse Faelle die Zenturien berufen und kann ein Heer befehligen; dem Konsul kommt in der Stadt zunaechst die Oberverwaltung und der Oberbefehl zu, aber er fungiert doch auch bei Emanzipation und Adoption als Gerichtsherr - die qualitative Unteilbarkeit des hoechsten Amtes ist also selbst hier noch beiderseits mit grosser Schaerfe festgehalten. Es muss also die militaerische wie die jurisdiktionelle Amtsgewalt oder, um diese, dem roemischen Recht dieser Zeit fremden Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen zugestanden haben. Aber wohl moegen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2, 2, S. 137) meint, aus denselben Gruenden, weshalb spaeterhin neben das gemeinschaftliche Konsulat die - tatsaechlich laengere Zeit den Patriziern vorbehaltene - Praetur gestellt ward, faktisch schon waehrend des Konsulartribunats die plebejischen Glieder des Kollegiums von der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die spaetere Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Praetoren mittels des Konsulartribunats sich vorbereitet haben.

^2 Die Verteidigung, dass der Adel an der Ausschliessung der Plebejer aus religioeser Befangenheit festgehalten habe, verkennt den Grundcharakter der roemischen Religion und traegt den modernen Gegensatz zwischen Kirche und Staat in das Altertum hinein. Die Zulassung des Nichtbuergers zu einer buergerlich religioesen Verrichtung musste freilich dem rechtglaeubigen Roemer als suendhaft erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe bezweifelt, dass durch die lediglich und allein vom Staat abhaengige Zulassung in die buergerliche Gemeinschaft auch die volle religioese Gleichheit herbeigefuehrt werde. All jene Gewissensskrupel, deren Ehrlichkeit an sich nicht beanstandet werden soll, waren abgeschnitten, sowie man den Plebejern in Masse rechtzeitig das Patriziat zugestand. Nur das etwa kann man zur Entschuldigung des Adels geltend machen, dass er, nachdem er bei Abschaffung des Koenigtums den rechten Augenblick hierzu versaeumt hatte, spaeter selber nicht mehr imstande war, das Versaeumte nachzuholen.

^3 Ob innerhalb des Patriziats die Unterscheidung dieser “kurulischen Haeuser” von den uebrigen Familien jemals von ernstlicher politischer Bedeutung gewesen ist, laesst sich weder mit Sicherheit verneinen noch mit Sicherheit bejahen, und ebensowenig wissen wir, ob es in dieser Epoche wirklich noch nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger Anzahl gab.

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Indes trotz dieser kraenkenden Zuruecksetzung waren doch die Geschlechterprivilegien, soweit sie politischen Wert hatten, durch die neue Institution gesetzlich beseitigt, und wenn der roemische Adel seines Namens wert gewesen waere, haette er jetzt den Kampf aufgeben muessen. Allein er hat es nicht getan. Wenn auch ein vernuenftiger und gesetzlicher Widerstand fortan unmoeglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld fuer die tueckische Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen und der Kniffe; und so wenig ehrenhaft und staatsklug dieser Widerstand war, so war er doch in einem gewissen Sinne erfolgreich. Er hat allerdings schliesslich dem gemeinen Mann Konzessionen verschafft, zu welchen die vereinigte roemische Aristokratie nicht leicht gezwungen worden waere; aber er hat es auch vermocht, den Buergerkrieg noch um ein Jahrhundert zu verlaengern und jenen Gesetzen zum Trotz das Regiment noch mehrere Menschenalter hindurch tatsaechlich im Sonderbesitz des Adels zu erhalten.

Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach wie die politische Kuemmerlichkeit ueberhaupt. Statt die Frage ueber die Zulassung oder Ausschliessung der Buergerlichen bei den Wahlen ein fuer allemal zu entscheiden, raeumte man, was man einraeumen musste, nur fuer die jedesmal naechsten Wahlen ein; jaehrlich erneuerte sich also der eitle Kampf, ob patrizische Konsuln oder aus beiden Staenden Kriegstribune mit konsularischer Gewalt ernannt werden sollten, und unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Ermuedung und Langweile zu ueberwinden, keineswegs als die unwirksamste.

Man zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte hoechste Geaalt, um die unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in die Laenge zu ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte Jahr stattfindende Feststellung des Budgets und der Buerger- und Steuerlisten, welche bisher durch die Konsuln bewirkt worden war, schon im Jahre 319 (435) zweien von den Zenturien aus dem Adel auf hoechstens achtzehn Monate ernannten Schaetzern (censores) uebertragen. Das neue Amt ward allmaehlich zum Palladium der Adelspartei, weniger noch wegen seines finanziellen Einflusses als wegen des daran sich knuepfenden Rechts, die erledigten Plaetze im Senat und in der Ritterschaft zu besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter- und Buergerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe Bedeutung indes und die moralische Machtfuelle, welche spaeterhin der Zensur beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.

Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quaestur getroffene wichtige Aenderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder aus. Die patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf sich stuetzend, dass wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch mehr Offiziere waren als Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut wie zum Militaertribunat auch zur Quaestur befaehigt erschien, setzte es durch, dass fuer die Quaestorenwahlen auch plebejische Bewerber zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu dem aktiven Wahlrecht auch das passive fuer eines der ordentlichen Aemter. Mit Recht ward es auf der einen Seite als ein grosser Sieg, auf der anderen als eine schwere Niederlage empfunden, dass fortan zu dem Kriegs- wie zu dem Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und passiv gleich wahlfaehig waren.

Trotz der hartnaeckigsten Gegenwehr schritt der Adel doch nur von Verlust zu Verlust; die Erbitterung stieg, wie die Macht sank. Er hat es wohl noch versucht, die der Gemeinde vertragsmaessig zugesicherten Rechte geradezu anzutasten; aber es waren diese Versuche weniger berechnete Parteimanoever als Akte einer impotenten Rachsucht. So namentlich der Prozess gegen Maelius, wie unsere allerdings wenig zuverlaessige Ueberlieferung ihn berichtet. Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte waehrend schwerer Teuerung (315 439) Getreide zu solchen Preisen, dass er den patrizischen Magazinvorsteher (praefectus annonae) Gaius Minucius beschaemte und kraenkte. Dieser beschuldigte ihn des Strebens nach der koeniglichen Gewalt; mit welchem Recht, koennen wir freilich nicht entscheiden, allein es ist kaum glaublich, dass ein Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben sollte. Indes die Behoerden nahmen die Sache ernsthaft, und auf die Menge Roms hat der Zeterruf des Koenigtums stets aehnliche Wirkung geuebt wie der Papstzeter auf die englischen Massen. Titus Quinctius Capitolinus, der zum sechstenmal Konsul war, ernannte den achtzigjaehrigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum Diktator ohne Provokation, in offener Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene, sich dem Befehl zu entziehen; da erschlug ihn der Reiterfuehrer des Diktators, Gaius Servilius Ahala, mit eigener Hand. Das Haus des Ermordeten ward niedergerissen, das Getreide aus seinen Speichern dem Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu raechen drohten, heimlich ueber die Seite gebracht. Dieser schaendliche Justizmord, eine Schande mehr noch fuer das leichtglaeubige und blinde Volk als fuer die tueckische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben, so hatte sie umsonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut vergossen.

Wirksamer als alle uebrigen Mittel erwiesen sich dem Adel Wahlintrigen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein muessen, zeigt am besten, dass es schon 322 (432) noetig schien, ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natuerlich nichts half. Konnte man nicht durch Korruption oder Drohung auf die Stimmberechtigten wirken, so taten die Wahldirektoren das uebrige und liessen zum Beispiel so viele plebejische Kandidaten zu, dass die Stimmen der Opposition sich zersplitterten, oder liessen diejenigen von der Kandidatenliste weg, die die Majoritaet zu waehlen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei derselben nicht eine Nichtigkeit in der Voegelschau oder den sonstigen religioesen Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu entdecken nicht ermangelten. Unbekuemmert um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels der Ahnen liess man den Satz sich feststellen, dass das Gutachten der priesterlichen Sachverstaendigenkollegien ueber Voegelzeichen, Wunder und aehnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen binde, und es in ihre Macht kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung eines Gotteshauses oder sonst eine Verwaltungshandlung, sei es Gesetz oder Wahl, wegen religioeser Nullitaeten zu kassieren. Auf diesem Wege wurde es moeglich, dass, obwohl die Waehlbarkeit der Plebejer schon im Jahre 333 (421) fuer die Quaestur gesetzlich festgestellt worden war und seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345 (409) der erste Plebejer zur Quaestur gelangte; aehnlich haben das konsularische Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast ausschliesslich Patrizier bekleidet. Es zeigte sich, dass die gesetzliche Abschaffung der Adelsprivilegien noch keineswegs die plebejische Aristokratie wirklich und tatsaechlich dem Geschlechtsadel gleichgestellt hatte. Mancherlei Ursachen wirkten dabei zusammen: die zaehe Opposition des Adels liess sich weit leichter in einem aufgeregten Moment der Theorie nach ueber den Haufen werfen, als in den jaehrlich wiederkehrenden Wahlen dauernd niederhalten; die Hauptursache aber war die innere Uneinigkeit der Haeupter der plebejischen Aristokratie und der Masse der Bauernschaft. Der Mittelstand, dessen Stimmen in den Komitien entschieden, fand sich nicht berufen, die vornehmen Nichtadligen vorzugsweise auf den Schild zu heben, solange seine eigenen Forderungen von der plebejischen nicht minder wie von der patrizischen Aristokratie zurueckgewiesen wurden.

Die sozialen Fragen hatten waehrend dieser politischen Kaempfe im ganzen geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische Aristokratie sich des Tribunats zu ihren Zwecken bemaechtigt hatte, war weder von der Domaenenangelegenheit noch von der Reform des Kreditwesens ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder fehlte an neugewonnenen Laendereien noch an verarmenden oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neueroberten Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312 (442), des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr aus militaerischen Gruenden, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs in ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das Gesetz des Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius und Spurius Metilius im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung saemtlicher Staatslaendereien - allein sie scheiterten, was charakteristisch fuer die damalige Situation ist, an dem Widerstand ihrer eigenen Kollegen, das heisst der plebejischen Aristokratie. Auch unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu helfen; allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persoenliche Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg waehrend der gallischen Belagerung, als Vorkaempfer aufgetreten sein fuer die unterdrueckten Leute, mit denen sowohl die Kriegskameradschaft ihn verband wie der bittere Hass gegen seinen Rivalen, den gefeierten Feldherrn und optimatischen Parteifuehrer Marcus Furius Camillus. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefaengnis abgefuehrt werden sollte, trat Manlius fuer ihn ein und loeste mit seinem Gelde ihn aus; zugleich bot er seine Grundstuecke zum Verkauf aus, laut erklaerend, dass, solange er noch einen Fussbreit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei, Patrizier wie Plebejer, gegen den gefaehrlichen Neuerer zu vereinigen. Der Hochverratsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung des Koenigtums, wirkte mit dem tueckischen Zauber stereotyp gewordener Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum Tode, und nichts trug sein Ruhm ihm ein, als dass man das Volk zum Blutgericht an einem Ort versammelte, von wo die Stimmenden den Burgfelsen nicht erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der hoechsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker ueberlieferte (370 384).

Waehrend also die Reformversuche im Keim erstickt wurden, wurde das Missverstaendnis immer schreiender, indem einerseits infolge der gluecklichen Kriege die Domanialbesitzungen mehr und mehr sich ausdehnten, anderseits in der Bauernschaft die Ueberschuldung und Verarmung immer weiter um sich griff, namentlich infolge des schweren Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der Einaescherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364 390). Zwar als es indem Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit der Soldaten zu verlaengern und sie, statt wie bisher hoechstens nur den Sommer, auch den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft, die vollstaendige Zerruettung ihrer oekonomischen Lage voraussehend, im Begriff war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklaerung zu verweigern, entschloss sich der Senat zu einer wichtigen Konzession: er uebernahm den Sold, den bisher die Distrikte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf den Ertrag der indirekten Abgaben und der Domaenen (348 406). Nur fuer den Fall, dass die Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene Anleihe betrachtet und von der Gemeinde spaeterhin zurueckgezahlt ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche Fundament, eine reelle Verwertung der Domaenen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch haeufige Umlagen hinzu, die den kleinen Mann darum nicht weniger ruinierten, dass sie offiziell nicht als Steuern, sondern als Vorschuesse betrachtet wurden.

Unter solchen Umstaenden, wo die plebejische Aristokratie sich durch den Widerstand des Adels und die Gleichgueltigkeit der Gemeinde tatsaechlich von der politischen Gleichberechtigung ausgeschlossen sah und die leidende Bauernschaft der geschlossenen Aristokratie ohnmaechtig gegenueberstand, lag es nahe, beiden zu helfen durch ein Kompromiss. Zu diesem Ende brachten die Volkstribune Gaius Licinius und Lucius Sextius bei der Gemeinde Antraege dahin ein: einerseits mit Beseitigung des Konsulatribunats festzustellen, dass wenigstens der eine Konsul Plebejer sein muesse, und ferner den Plebejern den Zutritt zu dem einen der drei grossen Priesterkollegien, dem auf zehn Mitglieder zu vermehrenden der Orakelbewahrer (duoviri, spaeter decemviri sacris faciundis, 1, 191) zu eroeffnen; anderseits hinsichtlich der Domaenen keinen Buerger auf die Gemeinweide mehr als hundert Rinder und fuenfhundert Schafe auftreiben und keinen von dem zur Okkupation freigegebenen Domanialland mehr als fuenfhundert Iugera (= 494 preussische Morgen) in Besitz nehmen zu lassen, ferner die Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren Feldarbeitern eine zu der Zahl der Ackersklaven im Verhaeltnis stehende Anzahl freier Arbeiter zu verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug der gezahlten Zinsen vom Kapital und Anordnung von Rueckzahlungsfristen Erleichterung zu verschaffen.

Die Tendenz dieser Verfuegungen liegt auf der Hand. Sie sollten dem Adel den ausschliesslichen Besitz der kurulischen Aemter und der daran geknuepften erblichen Auszeichnungen der Nobilitaet entreissen, was man in bezeichnender Weise nur dadurch erreichen zu koennen meinte, dass man die Adligen von der zweiten Konsulstelle gesetzlich ausschloss. Sie sollten folgeweise die plebejischen Mitglieder des Senats aus der untergeordneten Stellung, in der sie als stumme Beisitzer sich befanden, insofern befreien, als wenigstens diejenigen von ihnen, die das Konsulat bekleidet hatten, damit ein Anrecht erwarben, mit den patrizischen Konsularen vor den uebrigen patrizischen Senatoren ihr Gutachten abzugeben. Sie sollten ferner dem Adel den ausschliesslichen Besitz der geistlichen Wuerden entziehen; wobei man aus naheliegenden Ursachen die altlatinischen Priestertuemer der Augurn und Pontifices den Altroemern liess, aber sie noetigte, das dritte, juengere und einem urspruenglich auslaendischen Kult angehoerige grosse Kollegium mit den Neubuergern zu teilen. Sie sollten endlich den geringen Leuten den Mitgenuss der gemeinen Buergernutzungen, den leidenden Schuldnern Erleichterung, den arbeitslosen Tageloehnern Beschaeftigung verschaffen. Beseitigung der Privilegien, buergerliche Gleichheit, soziale Reform - das waren die drei grossen Ideen, welche dadurch zur Anerkennung kommen sollten. Vergeblich boten die Patrizier gegen diese Gesetzvorschlaege ihre letzten Mittel auf; selbst die Diktatur und der alte Kriegsheld Camillus vermochten nur ihre Durchbringung zu verzoegern, nicht sie abzuwenden. Gern haette auch das Volk die Vorschlaege geteilt; was lag ihm am Konsulat und an dem Orakelbewahreramt, wenn nur die Schuldenlast erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die plebejische Nobilitaet nicht popular; sie fasste die Antraege in einen einzigen Gesetzvorschlag zusammen und nach lang-, angeblich elfjaehrigem Kampfe gab endlich der Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre 387 (367) durch.

Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls - sie fiel auf den einen der Urheber dieser Reform, den gewesenen Volkstribunen Lucius Sextius Lateranus - hoerte der Geschlechtsadel tatsaechlich und rechtlich auf, zu den politischen Institutionen Roms zu zaehlen. Wenn nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze der bisherige Vorkaempfer der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fusse des Kapitols auf einer ueber der alten Malstatt der Buergerschaft, dem Comitium, erhoehten Flaeche, wo der Senat haeufig zusammenzutreten pflegte, ein Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem Glauben sich hin, dass er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluss des nur zu lange fortgesponnenen Haders erkannte. Die religioese Weihe der neuen Eintracht der Gemeinde war die letzte oeffentliche Handlung des alten Kriegs- und Staatsmannes und der wuerdige Beschluss seiner langen und ruhmvollen Laufbahn. Er hatte sich auch nicht ganz geirrt; der einsichtigere Teil der Geschlechter gab offenbar seitdem die politischen Sonderrechte verloren und war es zufrieden, das Regiment mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in der Majoritaet der Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich nicht. Kraft des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimitaet zu allen Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu gehorchen, wo sie mit ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten sich die roemischen Adligen noch verschiedene Male, in offener Verletzung der vorgetragenen Ordnung, zwei patrizische Konsuln ernennen zu lassen; wie indes, als Antwort auf eine derartige Wahl fuer das Jahr 411 (343), das Jahr darauf die Gemeinde foermlich beschloss, die Besetzung beider Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten, verstand man die darin liegende Drohung und hat es wohl noch gewuenscht, aber nicht wieder gewagt, an die zweite Konsulstelle zu ruehren.

Ebenso schnitt sich der Adel nur in das eigene Fleisch durch den Versuch, den er bei der Durchbringung der Licinischen Gesetze machte, mittels eines politischen Kipp- und Wippsystems wenigstens einige Truemmer der alten Vorrechte fuer sich zu bergen. Unter dem Vorwande, dass das Recht ausschliesslich dem Adel bekannt sei, ward von dem Konsulat, als dies den Plebejern eroeffnet werden musste, die Rechtspflege getrennt und dafuer ein eigener dritter Konsul, oder, wie er gewoehnlich heisst, ein Praetor bestellt. Ebenso kamen die Marktaufsicht und die damit verbundenen Polizeigerichte sowie die Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu ernannte Aedilen, die von ihrer staendigen Gerichtsbarkeit, zum Unterschied von den plebejischen, die Gerichtsstuhl-Aedilen (aediles curules) genannt wurden. Allein die kurulische Aedilitaet ward sofort den Plebejern in der Art zugaenglich, dass adlige und buergerliche Kurulaedilen Jahr um Jahr abwechselten. Im Jahre 398 (356) wurde ferner die Diktatur, wie schon das Jahr vor den Licinischen Gesetzen (386 368), das Reiterfuehreramt, im Jahre 403 (351) die Zensur, im Jahre 417 (337) die Praetur Plebejern uebertragen und um dieselbe Zeit (415 339) der Adel, wie es frueher in Hinsicht des Konsulats geschehen war, auch von der einen Zensorstelle gesetzlich ausgeschlossen. Es aenderte nichts, dass wohl noch einmal ein patrizischer Augur in der Wahl eines plebejischen Diktators (427 327) geheime, ungeweihten Augen verborgene Maengel fand und dass der patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum Schlusse dieser Periode (474 280) nicht gestattete, das feierliche Opfer darzubringen, womit die Schatzung schloss; dergleichen Schikanen dienten lediglich dazu, die ueble Laune des Junkertums zu konstatieren. Ebensowenig aenderten etwa die Quengeleien, welche die patrizischen Vorsitzer des Senats nicht verfehlt haben werden, wegen der Teilnahme der Plebejer an der Debatte in demselben zu erheben; vielmehr stellte die Regel sich fest, dass nicht mehr die patrizischen Mitglieder, sondern die zu einem der drei hoechsten ordentlichen Aemter, Konsulat, Praetur und kurulischer Aedilitaet gelangten, in dieser Folge und ohne Unterschied des Standes zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien, waehrend diejenigen Senatoren, die keines dieser Aemter bekleidet hatten, auch jetzt noch bloss an der Abmehrung teilnahmen. Das Recht endlich des Patriziersenats, einen Beschluss der Gemeinde als verfassungswidrig zu verwerfen, das derselbe auszuueben freilich wohl ohnehin selten gewagt haben mochte, ward ihm durch das Publilische Gesetz von 415 (339) und durch das nicht vor der Mitte des fuenften Jahrhunderts erlassene Maenische in der Art entzogen, dass er veranlasst ward, seine etwaigen konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung der Kandidatenliste oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu machen; was denn praktisch darauf hinauslief, dass er stets im voraus seine Zustimmung aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist die Bestaetigung der Volksschluesse dem Adel bis in die letzte Zeit der Republik geblieben.

Laenger behaupteten begreiflicherweise die Geschlechter ihre religioesen Vorrechte; ja an manche derselben, die ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschliessliche Waehlbarkeit zu den drei hoechsten Flaminaten und dem sacerdotalen Koenigtum sowie in die Genossenschaften der Springer, hat man niemals geruehrt. Dagegen waren die beiden Kollegien der Pontifices und der Augurn, an welche ein bedeutender Einfluss auf die Gerichte und die Komitien sich knuepfte, zu wichtig, als dass diese Sonderbesitz der Patrizier haetten bleiben koennen; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454 (300) eroeffnete denn auch in diese den Plebejern den Eintritt, indem es die Zahl der Pontifices und der Augurn beide von sechs auf neun vermehrte und in beiden Kollegien die Stellen zwischen Patriziern und Plebejern gleichmaessig teilte.

Den letzten Abschluss des zweihundertjaehrigen Haders brachte das durch einen gefaehrlichen Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators Q. Hortensius (465-468 289-286), das anstatt der frueheren bedingten die unbedingte Gleichstellung der Beschluesse der Gesamtgemeinde und derjenigen der Plebs aussprach. So hatten sich die Verhaeltnisse umgewandelt, dass derjenige Teil der Buergerschaft, der einst allein das Stimmrecht besessen hatte, seitdem bei der gewoehnlichen Form der fuer die gesamte Buergerschaft verbindlichen Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt ward.

Der Kampf zwischen den roemischen Geschlechtern und Gemeinen war damit im wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden Vorrechten noch den tatsaechlichen Besitz der einen Konsul- und der einen Zensorstelle bewahrte, so war er dagegen vom Tribunat, der plebejischen Aedilitaet, von der zweiten Konsul- und Zensorstelle und von der Teilnahme an den rechtlich den Buergerschaftsabstimmungen gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich ausgeschlossen; in gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen Widerstrebens hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich fuer ihn in ebenso viele Zuruecksetzungen verwandelt. Indes der roemische Geschlechtsadel ging natuerlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen geworden war. Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner und ausschliesslicher entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die Hoffart der “Ramner” hat das letzte ihrer Standesprivilegien um Jahrhunderte ueberlebt; nachdem man standhaft gerungen hatte, “das Konsulat aus dem plebejischen Kote zu ziehen”, und sich endlich widerwillig von der Unmoeglichkeit dieser Leistung hatte ueberzeugen muessen, trug man wenigstens schroff und verbissen sein Adeltum zur Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fuenften und sechsten Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu aergern, aber dies hat es denn auch nach Vermoegen getan. Einige Jahre nach dem Ogulnischen Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt dieser Art vor: eine patrizische Frau, welche an einen vornehmen und zu den hoechsten Wuerden der Gemeinde gelangten Plebejer vermaehlt war, wurde dieser Missheirat wegen von dem adligen Damenkreise ausgestossen und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier nicht zugelassen; was denn zur Folge hatte, dass seitdem in Rom eine besondere adlige und eine besondere buergerliche Keuschheitsgoettin verehrt ward. Ohne Zweifel kam es auf Velleitaeten dieser Art sehr wenig an und hat auch der bessere Teil der Geschlechter sich dieser truebseligen Verdriesslichkeitspolitik durchaus enthalten; aber ein Gefuehl des Missbehagens liess sie doch auf beiden Seiten zurueck, und wenn der Kampf der Gemeinde gegen die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine sittliche Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden Schwingungen desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der entschiedenen Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszaenkereien, das oeffentliche und private Leben der roemischen Gemeinde ohne Not durchkreuzt und zerruettet.

Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck des von den beiden Teilen der Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen Kompromisses, die Beseitigung des Patriziats, im wesentlichen vollstaendig erreicht. Es fragt sich weiter, inwiefern dies auch von den beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden kann und ob die neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert und die politische Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander zusammen; denn wenn die oekonomische Bedraengnis den Mittelstand aufzehrte und die Buergerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein notleidendes Proletariat aufloeste, so war die buergerliche Gleichheit damit zugleich vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache nach zerstoert. Die Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich der Bauernschaft, war darum fuer jeden patriotischen Staatsmann Roms nicht bloss eine wichtige, sondern von allen die wichtigste Aufgabe. Die neu zum Regiment berufenen Plebejer aber waren ueberdies noch, da sie zum guten Teil die gewonnenen Rechte dem notleidenden und von ihnen Hilfe erhoffenden Proletariat verdankten, politisch und sittlich besonders verpflichtet, demselben, soweit es ueberhaupt auf diesem Wege moeglich war, durch Regierungsmassregeln zu helfen.

Betrachten wir zunaechst, inwiefern indem hierher gehoerenden Teil der Gesetzgebung von 387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Dass die Bestimmung zu Gunsten der freien Tageloehner ihren Zweck: der Gross- und Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern wenigstens einen Teil der Arbeit zu sichern, unmoeglich erreichen konnte, leuchtet ein; aber hier konnte auch die Gesetzgebung nicht helfen, ohne an den Fundamenten der buergerlichen Ordnung jener Zeit in einer Weise zu ruetteln, die ueber den Horizont derselben weit hinausging. In der Domanialfrage dagegen waere es den Gesetzgebern moeglich gewesen, Wandel zu schaffen; aber was geschah, reichte dazu offenbar nicht aus. Indem die neue Domaenenordnung die Betreibung der gemeinen Weide mit schon sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation des nicht zur Weide ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch gegriffenen Maximalsatz gestattete, raeumte sie den Vermoegenden einen bedeutenden und vielleicht schon unverhaeltnismaessigen Voranteil an dem Domaenenertrag ein und verlieh durch die letztere Anordnung dem Domanialbesitz, obgleich er rechtlich zehntpflichtig und beliebig widerruflich blieb, sowie dem Okkupationssystem selbst gewissermassen eine gesetzliche Sanktion. Bedenklicher noch war es, dass die neue Gesetzgebung weder die bestehenden, offenbar ungenuegenden Anstalten zur Eintreibung des Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere Zwangsmassregeln ersetzte, noch eine durchgreifende Revision des Domanialbesitzes vorschrieb, noch eine mit der Ausfuehrung der neuen Gesetze beauftragte Behoerde einsetzte. Die Aufteilung des vorhandenen okkupierten Domaniallandesteils unter die Inhaber bis zu einem billigen Maximalsatz, teils unter die eigentumslosen Plebejer, beiden aber zu vollem Eigentum, die Abschaffung des Okkupationssystems fuer die Zukunft und die Niedersetzung einer zu sofortiger Aufteilung kuenftiger neuer Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch die Verhaeltnisse so deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an Einsicht war, wenn diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man kann nicht umhin, sich daran zu erinnern, dass die plebejische Aristokratie, also eben ein Teil der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsaechlich privilegierten Klasse es war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und dass einer ihrer Urheber selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen Ueberschreitung des Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht umhin, sich die Frage vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich verfahren und nicht vielmehr der wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem Wege gegangen sind. Damit soll indes nicht in Abrede gestellt werden, dass die Bestimmungen der Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und dem Tageloehner wesentlich nuetzen konnten und genuetzt haben. Es muss ferner anerkannt werden, dass in der naechsten Zeit nach Erlassung des Gesetzes die Behoerden ueber die Maximalsaetze desselben wenigstens vergleichungsweise mit Strenge gewacht und die grossen Herdenbesitzer und die Domanialokkupanten oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben.

Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer Energie als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet, soweit gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der Volkswirtschaft zu heilen. Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fuenf vom Hundert des Wertes der freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon, dass sie der nicht wuenschenswerten Vermehrung der Freigelassenen einen Hemmschuh anlegte, die erste in der Tat auf die Reichen gelegte roemische Steuer. Ebenso suchte man dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das Zinsmaximum sukzessiv von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf fuenf vom Hundert (407 347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt und endlich (412 342) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere toerichte Gesetz blieb formell in Kraft; vollzogen aber ward es natuerlich nicht, sondern der spaeter uebliche Zinsfuss von eins vom Hundert fuer den Monat oder zwoelf vom Hundert fuer das buergerliche Gemeinjahr, der nach den Geldverhaeltnissen des Altertums ungefaehr damals sein mochte, was nach den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder sechs vom Hundert ist, wird wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der angemessenen Zinsen festgestellt haben. Fuer hoehere Betraege wird die Einklagung versagt und vielleicht auch die gerichtliche Rueckforderung gestattet worden sein; ueberdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor das Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren Bussen verurteilt. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses durch das Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward dadurch teils jedem Schuldner, der seine Zahlungsfaehigkeit eidlich erhaertete, gestattet, durch Abtretung seines Vermoegens seine persoenliche Freiheit sich zu retten, teils das bisherige kurze Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und festgestellt, dass kein roemischer Buerger anders als auf den Spruch von Geschworenen hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden koenne.

Dass alle diese Mittel die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse wohl hie und da lindern, aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden Notstand zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von Vorschuessen aus der Staatskasse im Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher Terminzahlungen im Jahre 407 (347) und vor allen Dingen der gefaehrliche Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo das Volk, nachdem es neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte erreichen koennen, hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger Angriff der aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es sehr ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung des Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer nutzlos zu erklaeren, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird, aber darum nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich umgekehrt fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals schon dieser Angelegenheit bemaechtigt gehabt und ob es wirklich so gewaltsamer und gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie zum Beispiel die Kuerzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten reichen nicht aus, um hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug erkennen wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer bedrohten und bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von oben herab vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm durch Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das aristokratische Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu schwach und zu sehr in egoistischen Standesinteressen befangen war, um durch das einzige wirksame Mittel, das der Regierung zu Gebote stand, durch die voellige und rueckhaltlose Beseitigung des Okkupationssystems der Staatslaendereien, dem Mittelstande aufzuhelfen und vor allen Dingen die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, dass sie die gedrueckte Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute.

Eine wirksamere Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder konnte, brachten den Mittelklassen die politischen Erfolge der roemischen Gemeinde und die allmaehlich sich befestigende Herrschaft der Roemer ueber Italien. Die vielen und grossen Kolonien, die zu deren Sicherung gegruendet werden mussten und von denen die Hauptmasse im fuenften Jahrhundert ausgefuehrt wurde, verschafften dem ackerbauenden Proletariat teils eigene Bauernstellen, teils durch den Abfluss auch den Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme der indirekten und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage der roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei, von der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu erheben. War auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar verloren, so musste der steigende Durchschnittssatz des roemischen Wohlstandes die bisherigen groesseren Grundbesitzer in Bauern verwandeln und auch insofern dem Mittelstand neue Glieder zufuehren. Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend auf die grossen neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg und den Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam dem Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem vereinigte eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden mit der roemischen und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand; endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die Faktionen zum Schweigen, und wenn der Notstand der Bauernschaft auch keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen verstopft wurden, so leidet es doch keinen Zweifel, dass am Schlusse dieser Periode der roemische Mittelstand im ganzen in einer weit minder gedrueckten Lage sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Koenige.

Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre 387 (367) und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne allerdings erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als die Patrizier noch in der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie untereinander an Rechten und Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten, so gab es jetzt wieder in der erweiterten Buergerschaft dem Gesetze gegenueber keinen willkuerlichen Unterschied. Diejenigen Abstufungen freilich, welche die Verschiedenheiten in Alter, Einsicht, Bildung und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit Notwendigkeit hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das Gemeindeleben; allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der Regierung wirkten gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig hervortreten zu lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus, die Buerger durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden, geniale Naturen aber nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Roemer hielt mit der Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward instinktmaessig von oben herab mehr zurueckgehalten als gefoerdert. Dass es Reiche und Arme gab, liess sich nicht verhindern; aber wie in einer rechten Bauerngemeinde fuehrte der Bauer wie der Tageloehner selber den Pflug und galt auch fuer den Reichen die gut wirtschaftliche Regel, gleichmaessig sparsam zu leben und vor allem kein totes Kapital bei sich hinzulegen - ausser dem Salzfass und dem Opferschaelchen sah man Silbergeraet in dieser Zeit in keinem roemischen Hause. Es war das nichts Kleines. Man spuert es an den gewaltigen Erfolgen, welche die roemische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf den Pyrrhischen Krieg nach aussen hin errang, dass hier das Junkertum der Bauernschaft Platz gemacht hatte, dass der Fall des hochadligen Fabiers nicht mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert worden waere als der Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und Patriziern betrauert ward, dass auch dem reichsten Junker das Konsulat nicht von selber zufiel und ein armer Bauersmann aus der Sabina, Manius Curius, den Koenig Pyrrhos in der Feldschlacht ueberwinden und aus Italien verjagen konnte, ohne darum aufzuhoeren, einfacher sabinischer Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn selber zu bauen.

Indes darf es ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht uebersehen werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie nicht so sehr hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon laengst hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien von der Menge sich ausgeschieden und im Mitgenuss der senatorischen Rechte, in der Verfolgung einer, von der der Menge unterschiedenen und sehr oft ihr entgegenwirkenden Politik sich mit dem Patriziat verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die gesetzlichen Unterschiede innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die den gemeinen Mann vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem unabaenderlichen Rechts- in ein nicht unuebersteigliches, aber doch schwer zu uebersteigendes tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege kam frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber an sich blieb nach wie vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die roemische eine rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener zwar aeusserlich von dem armen Insten sich wenig unterscheidet und auf gleich und gleich mit ihm verkehrt, aber nichtsdestoweniger die Aristokratie so allmaechtig regiert, dass der Unbemittelte weit eher in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe Schulze wird. Es war wichtig und segensreich, dass nach der neuen Gesetzgebung auch der aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine seltene Ausnahme, dass ein Mann aus den unteren Schichten der Bevoelkerung dazu gelangte ^4, sondern es war wenigstens gegen den Schluss dieser Periode wahrscheinlich schon nur moeglich mittels einer Oppositionswahl. Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber eine entsprechende Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle Gleichstellung der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der neue Herrenstand das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich auf denselben pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die Opposition bestehen und tat in allen und jeden Stuecken das gleiche. Da die Zuruecksetzung jetzt nicht mehr die Buergerlichen, sondern den gemeinen Mann traf, so trat die neue Opposition von vornherein auf als Vertreterin der geringen Leute und namentlich der kleinen Bauern; und wie die neue Aristokratie sich an das Patriziat anschloss, so schlangen sich die ersten Regungen dieser neuen Opposition mit den letzten Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen. Die ersten Namen in der Reihe dieser neuen roemischen Volksfuehrer sind Manius Curius (Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius (Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose und nichtwohlhabende Maenner, beide - gegen das aristokratische Prinzip, die Wiederwahl zu dem hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken - jeder dreimal durch die Stimmen der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde gerufen, beide als Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen Privilegien und Vertreter des kleinen Bauernstandes gegen die aufkeimende Hoffart der vornehmen Haeuser. Die kuenftigen Parteien zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden Seiten vor dem Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius Claudius und der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persoenliche Gegner, haben durch klugen Rat und kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam ueberwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten Feldherrntuechtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss war wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich ueber ihm die Haende.

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^4 Die Armut der Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen Anekdotenbuechern der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht grossenteils auf Missverstaendnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens, welches sich recht gut mit ansehnlichem Wohlstand vertraegt, teils der alten schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem Ertrag von Pfennigkollekten zu bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die autoschediastische Beinamenerklaerung, die so viel Plattheiten in die roemische Geschichte gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert (Serranus).

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Die Beendigung der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die verschiedenartigen und verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem Mittelstande aufzuhelfen, die inmitten der neugewonnenen buergerlichen Gleichheit bereits hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen aristokratischen und einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt worden. Es bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter diesen Veraenderungen das neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen Beseitigung der Adelschaft die drei Elemente des republikanischen Gemeinwesens, Buergerschaft, Magistratur und Senat, gegeneinander sich stellten.

Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb nach wie vor die hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale Souveraen; nur wurde gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den ein fuer allemal den Zenturien ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich den Wahlen der Konsuln und Zensoren, die Abstimmung nach Distrikten ebenso gueltig sein solle wie die nach Zenturien, was fuer die patrizisch-plebejische Versammlung das Valerisch-Horatische Gesetz von 305 (449) einfuehrte und das Publilische von 415 (339) erweiterte, fuer die plebejische Sonderversammlung aber das Hortensische um 467 (287) verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, aber auch, dass, abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der plebejischen Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung alle Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem Vermoegen des Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die erstere eine nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit groesserer Bedeutung war es, dass gegen das Ende dieser Periode die uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansaessigkeit, zum erstenmal in Frage gestellt zu werden anfing. Appius Claudius, der kuehnste Neuerer, den die roemische Geschichte kennt, legte in seiner Zensur 442 (312), ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die Buergerliste so an, dass der nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige Tribus und alsdann nach seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie aufgenommen ward. Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, um vollstaendig Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des Appius, der beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, uebernahm es in seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschliessen, dass den Grundsaessigen und Vermoegenden effektiv die Herrschaft in den Buergerversammlungen blieb. Es wies die nicht grundsaessigen Leute saemtlich in die vier staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den Jahren 367 (241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn bis auf einunddreissig stieg, also die von Haus aus bei weitem ueberwiegende und immer mehr das Uebergewicht erhaltende Majoritaet der Stimmabteilungen, wurden den saemtlichen ansaessigen Buergern gesetzlich vorbehalten. In den Zenturien blieb es bei der Gleichstellung der ansaessigen und nichtansaessigen Buerger, wie Appius sie eingefuehrt hatte. Auf diese Weise ward dafuer gesorgt, dass in den Tributkomitien die Ansaessigen ueberwogen, waehrend fuer die Zenturiatkomitien an sich schon die Vermoegenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und gemaessigte Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr noch wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Grossen (Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch auf die nicht ansaessigen Buerger erstreckt, anderseits dafuer Sorge getragen, dass in der Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere dem der meistenteils des Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven, derjenige Riegel vorgeschoben ward, welcher in einem Staat, der Sklaverei zulaesst, ein leider unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein eigentuemliches Sittengericht, das allmaehlich an die Schatzung und die Aufnahme der Buergerliste sich anknuepfte, schloss ueberdies aus der Buergerschaft alle notorisch unwuerdigen Individuen aus und wahrte dem Buergertum die sittliche und politische Reinheit.

Die Kompetenz der Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr allmaehlich zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu waehlenden Magistrate gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist es besonders, dass seit 392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in jeder der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von der Buergerschaft ernannt wurden. In die Administration griff waehrend dieser Periode die Buergerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der Kriegserklaerung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten und namentlich auch fuer den Fall festgestellt, wo ein an Friedens Statt abgeschlossener laengerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht rechtlich, aber tatsaechlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst ward eine Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn die regierenden Behoerden unter sich in Kollision gerieten und eine derselben die Sache an das Volk brachte - so, als den Fuehrern der gemaessigten Partei unter dem Adel, Lucius Valerius und Marcus Horatius, im Jahre 305 (449) und dem ersten plebejischen Diktator Gaius Marcus Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459 (295) ueber ihre gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen konnten; und als der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier beschloss und ein Konsulartribun deswegen an die Gemeinde sich wandte - es war dies der erste Fall, wo ein Senatsbeschluss vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde gebuesst. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk die Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg erklaert hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401 353); und spaeter, als der Senat den demuetig von den Samniten erbetenen Frieden ohne weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen das Ende dieser Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen der Distriktversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich Befragung derselben bei Friedensschluessen und Buendnissen; es ist wahrscheinlich, dass diese zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz von 467 (287).

Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der Buergerversammlungen begann der praktische Einfluss derselben auf die Staatsangelegenheiten vielmehr, namentlich gegen das Ende dieser Epoche, zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung der roemischen Grenzen entzog der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als Versammlung der Gemeindesaessigen konnte sie frueher recht wohl in genuegender Vollzaehligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie wollte, auch ohne zu diskutieren; aber die roemische Buergerschaft war jetzt schon weniger Gemeinde als Staat. Dass die zusammen Wohnenden auch miteinander stimmten, brachte allerdings in die roemischen Komitien, wenigstens, wenn nach Quartieren gestimmt ward, einen gewissen inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier und da Energie und Selbstaendigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der Persoenlichkeit des Vorsitzenden und vom Zufall abhaengig, teils den in der Hauptstadt domizilierten Buergern in die Haende gegeben. Es ist daher vollkommen erklaerlich, dass die. Buergerversammlungen, die in den beiden ersten Jahrhunderten. der Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit haben, allmaehlich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden Beamten zu werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der zum Vorsitz berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluss der Gemeinde galt als der legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. An der Erweiterung aber der verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft war insofern nicht viel gelegen, als diese weniger als frueher eines eigenen Wollens und Handelns faehig war, und als es eine eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab - haette eine solche damals bestanden, so wuerde sie versucht haben, nicht die Kompetenz der Buergerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor der Buergerschaft zu entfesseln, waehrend es doch bei den alten Satzungen, dass nur der Magistrat die Buerger zur Versammlung zu berufen und dass er jede Debatte und jede Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei, unveraendert sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende Zerruettung der Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die Urversammlungen sich wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das Regiment weder foerdernd noch stoerend eingriffen.

Was die Beamtengewalt anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade das Ziel der zwischen Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl aber eine ihrer wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen Kaempfe, das heisst des Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat noch die einige und unteilbare wesentliche koenigliche Amtsgewalt gewesen und hatte der Konsul wie ehemals der Koenig noch alle Unterbeamten nach eigener freier Wahl bestellt; an Ende desselben waren die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit, Strassenpolizei, Senatoren- und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von dem Konsulat getrennt und an Beamte uebergegangen, die gleich dem Konsul von der Gemeinde ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das Konsulat, sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und gewoehnlichen Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat zwar ueber Praetur, Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem Einschaetzungsamt, an das ausser den wichtigsten finanziellen Geschaeften die Feststellung der Buerger-, Ritter- und Senatorenliste und damit eine durchaus willkuerliche sittliche Kontrolle ueber die gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie vornehmsten Buerger gekommen war. Der dem urspruenglichen roemischen Staatsrecht mit dem Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der begrenzten Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und zerfetzte und zerstoerte den aelteren des einen und unteilbaren Imperium. Einen Anfang dazu machte schon die Einsetzung der staendigen Nebenaemter, namentlich der Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt ward sie durch die Licinischen Gesetze (387 367), welche von den drei hoechsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden fuer Verwaltung und Kriegfuehrung, den dritten fuer die Gerichtsleitung bestimmten. Aber man blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie rechtlich durchaus und ueberall konkurrierten, teilten doch natuerlich seit aeltester Zeit tatsaechlich die verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae) unter sich. Urspruenglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in deren Ermangelung durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die anderen konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen Kompetenzbestimmungen ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer Jahr die Geschaeftskreise abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter die konkurrierenden Beamten verteilte, aber doch durch Ratschlag und Bitte auch auf die Personenfragen entscheidend einwirkte. Aeussersten Falls erlangte der Senat auch wohl einen Gemeindebeschluss, der die Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die Regierung diesen bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden die wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse, den Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat zu rekurrieren und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den aeussersten Fall endlich konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom Amt suspendieren, indem nach einer nie rechtlich festgestellten und nie tatsaechlich verletzten Uebung der Eintritt der Diktatur lediglich von dem Beschluss des Senats abhing und die Bestimmung der zu ernennenden Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem ernennenden Konsul, doch der Sache nach in der Regel bei dem Senat stand.

Laenger als in dem Konsulat blieb in der Diktatur die alte Einheit und Rechtsfuelle des Imperium enthalten; obwohl sie natuerlich als ausserordentliche Magistratur der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz hatte, gab es doch rechtlich eine solche fuer den Diktator noch weit weniger als fuer den Konsul. Indes auch sie ergriff allmaehlich der neu in das roemische Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet ein aus theologischem Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer religioesen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch, ohne Zweifel formell verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz als nichtig behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so wiederholte bei den spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen, die zuerst 403 (351) und seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition der Magistratur sich nicht, sondern auch die Diktatoren erachteten fortan durch ihre Spezialkompetenzen sich gebunden.

Endlich lagen in dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher kurulischer Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift, dass derselbe Mann dasselbe Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjaehrigen Zwischenzeit solle verwalten koennen, sowie in der spaeteren Bestimmung, dass das tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur, ueberhaupt nicht zum zweitenmal bekleidet werden duerfe (489 265), weitere sehr empfindliche Beschraenkungen der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark genug, um ihre Werkzeuge nicht zu fuerchten und darum eben die brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu lassen; tapfere Offiziere wurden sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden ^5, und es kamen noch Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in achtundzwanzig Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus (384-483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet und drei Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der Schrecken der Feinde gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr.

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^5 Wer die Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl zum Konsulat nicht zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung des Amtes besonders nach drei bis vier Jahren ist, so haeufig sind nachher die Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber. Doch finden sich, namentlich waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311), Ausnahmen in sehr grosser Zahl. Streng hielt man dagegen an der Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es findet sich kein sicheres Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen kurulischen (Liv. 39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet), wohl aber von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet und des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur (Fast. Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12); des Konsulats und der Diktatur (Liv. 8, 12).

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Waehrend also der roemische Beamte immer vollstaendiger und immer bestimmter aus dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen mehr innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im Gemeinwesen zu einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt gewesen, den Geringen und Schwachen. durch eine gewissermassen revolutionaere Hilfsleistung (auxilium) gegen den gewalttaetigen Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin gebraucht worden, um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen und die Privilegien des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein demokratisches Ideal als eine politische Moeglichkeit, sondern auch der plebejischen Aristokratie, in deren Haenden das Tribunat sich befinden musste und befand, vollkommen ebenso verhasst und mit der neuen, aus der Ausgleichung der Staende hervorgegangenen, womoeglich noch entschiedener als die bisherige aristokratisch gefaerbten, Gemeindeordnung vollkommen ebenso unvertraeglich, wie es dem Geschlechtsadel verhasst und mit der patrizischen Konsularverfassung unvertraeglich gewesen war. Aber anstatt das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem Ruestzeug der Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die Volkstribune, die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein in den Kreis der regierenden Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien der staendischen Kaempfe gleich diesen die legislatorische Initiative erwarben, so empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann, aber vermutlich bei oder bald nach der schliesslichen Ausgleichung der Staende, gleiche Stellung mit den Konsuln gegenueber der tatsaechlich regierenden Behoerde, dem Senate. Bisher hatten sie, auf einer Bank an der Tuer sitzend, der Senatsverhandlung beigewohnt, jetzt erhielten sie gleich und neben den uebrigen Beamten ihren Platz im Senate selbst und das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu ergreifen; wenn ihnen das Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des roemischen Staatsrechts, dass den Rat nur gab, wer zur Tat nicht berufen war und also saemtlichen funktionierenden Beamten waehrend ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam. Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende Vorrecht der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen Beamten nur den Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu versammeln, zu befragen und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es war das nur in der Ordnung: die Haeupter der plebejischen Aristokratie mussten denen der patrizischen im Senate gleichgestellt werden, seit das Regiment von dem Gesellschaftsadel uebergegangen war auf die vereinigte Aristokratie. Indem dieses urspruenglich von aller Teilnahme an der Staatsverwaltung ausgeschlossene Oppositionskollegium jetzt, namentlich fuer die eigentlich staedtischen Angelegenheiten, eine zweite hoechste Exekutivstelle ward und eines der gewoehnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung, dass heisst des Senats, um die Buergerschaft zu lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu hemmen, wurde es allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch die Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen Aristokratie zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen der aristokratischen Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des Tribunats zusammenhaengt, so kann doch nicht verkannt werden, dass auf die Laenge sich nicht mit einer Behoerde regieren liess, welche nicht bloss zwecklos war und fast auf die Hinhaltung des leidenden Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung berechnet, sondern zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer eigentlich anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle Ohnmacht der Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der Roemer aufs engste an das Gemeindetribunat sich geheftet, und man braucht nicht erst an Cola Rienzi zu erinnern, um einzusehen, dass dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die Menge entspringende Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht beseitigt werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen die Sache zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten Kern nach revolutionaeren Magistratur blieb immer noch innerhalb des aristokratisch regierten Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und fuer die Zukunft, in den Haenden einer dereinstigen Umsturzpartei, eine schneidende und gefaehrliche Waffe; indes fuer jetzt und noch auf lange hinaus war die Aristokratie so unbedingt maechtig und so vollstaendig im Besitz des Tribunats, dass von einer kollegialischen Opposition der Tribune gegen den Senat schlechterdings keine Spur sich findet und die Regierung der etwa vorkommenden verlorenen oppositionellen Regungen einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der Regel durch das Tribunat selbst Herr ward.

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^6 Daher werden die fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln, Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst).

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In der Tat war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne Widerstand seit der Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach Beseitigung der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschraenkungen erfahren.

Ein weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt erfolgte durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den hoechsten Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf die Zensoren. Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher, auch das Recht des mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten, einzelne Senatoren wegen eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben wegzulassen und somit aus dem Senat auszuschliessen, wo nicht eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer formuliert ^7 und somit jenes eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem das hohe Ansehen der Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen konnten, da zumal beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen, einzelne der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr herrschenden Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie selbst in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen.

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^7 Diese Befugnis sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der Buergerliste waren wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt, lagen aber tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Buergerrecht vergibt die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis der Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der verliert das Buergerrecht nicht, kann aber die buergerlichen Befugnisse nicht oder nur an dem geringeren Platz ausueben bis zur Anfertigung einer neuen Liste. Ebenso verhaelt es sich mit dem Senat: wen der Zensor in seiner Liste auslaesst, der scheidet aus demselben, solange die betreffende Liste gueltig bleibt - es kommt vor, dass der vorsitzende Beamte sie verwirft und die aeltere Liste wieder in Kraft setzt. Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an, was den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten, welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autoritaet vermochte. Daher begreift man, wie diese Befugnis allmaehlich stieg und wie mit der steigenden Konsolidierung der Nobilitaet dergleichen Streichungen gleichsam die Form richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam als solche respektiert wurden. Hinsichtlich der Feststellung der Senatsliste hat freilich auch ohne Zweifel die Bestimmung des Ovinischen Plebiszits wesentlich mitgewirkt, dass die Zensoren “aus allen Rangklassen die Besten” in den Senat nehmen sollten.

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Entscheidend aber beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte dieser Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu konstituieren, indem es demjenigen, der kurulischer Aedil, Praetor oder Konsul gewesen war, sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im Senat verlieh und die naechst eintretenden Zensoren verpflichtete, diese Expektanten entweder foermlich in die Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus denjenigen Gruenden, welche auch zur Ausstossung des wirklichen Senators genuegten, von der Liste auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl dieser gewesenen Magistrate bei weitem nicht aus, um den Senat auf der normalen Zahl von dreihundert zu halten; und unter dieselbe durfte man, besonders da die Senatoren- zugleich Geschworenenliste war, ihn nicht herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen Wahlrecht immer noch ein bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch die Bekleidung eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten Senatoren - haeufig diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt verwaltet oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen Feind im Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten - zwar an der Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des Senats und derjenige Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung sich konzentriert, ruhte also nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen nicht mehr auf der Willkuer eines Beamten, sondern mittelbar auf der Wahl durch das Volk; und die roemische Gemeinde war auf diesem Wege zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit, dem repraesentativen Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe gekommen, waehrend die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte, was bei regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber schweigender Mitglieder.

Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der Senat huetete sich wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen oder offenbare Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition Handhaben darzubieten; er liess es sogar geschehen, wenn er es auch nicht foerderte, dass die Buergerschaftskompetenz im demokratischen Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die Buergerschaft den Schein, so erwarb der Senat das Wesen der Macht: einen bestimmenden Einfluss auf die Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das gesamte Gemeinderegiment.

Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum wagte es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen Antrag an die Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der Senat durch die Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine lange Reihe von Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime zu ersticken oder nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten Fall hatte er als oberste Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch die Nichtausfuehrung der Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der Senat ferner unter stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in Anspruch, in dringenden Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation durch Buergerschaftsbeschluss, von den Gesetzen zu entbinden - ein Vorbehalt, der von Haus aus nicht viel bedeutete und allmaehlich so vollstaendig zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer Zeit sich nicht einmal mehr die Muehe gab, den ratifizierenden Gemeindebeschluss zu beantragen.

Was die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und von politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den Senat; auf diesem Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den Diktator zu bestellen. Groessere Ruecksicht masste allerdings auf die Gemeinde genommen werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden, die Gemeindeaemter zu vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt wurde, sorgfaeltig darueber gewacht, dass diese Beamtenwahl nicht etwa in die Vergebung bestimmter Kompetenzen, namentlich nicht der Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden Kriegen, uebergehe. Ueberdies brachte teils der neu eingefuehrte Kompetenzbegriff, teils das dem Senat tatsaechlich zugestandene Recht, von den Gesetzen zu entbinden, einen wichtigen Teil der Aemterbesetzung in die Haende des Senats. Von dem Einfluss, den der Senat auf die Feststellung der Geschaeftskreise namentlich der Konsuln ausuebte, ist schon die Rede gewesen. Von dem Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar, als den Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht in dem eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb desselben wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die Frist verlaengert war, nach Ablauf derselben fortfuhr, “an Konsul” oder “Praetor Statt” (pro consule, pro praetore) zu fungieren. Natuerlich stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447 (307) und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch blossen Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der uebermaechtige und klug vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die Wahlen, welcher dieselben nicht immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen Kandidaten lenkte.

Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing Krieg, Frieden und Buendnis, Kolonialgruendung, Ackerassignation, Bauwesen, ueberhaupt jede Angelegenheit von dauernder und durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte Finanzwesen lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr fuer Jahr den Beamten in der Feststellung ihrer Geschaeftskreise und in der Limitierung der einem jeden zur Verfuegung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen Faellen rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem Privaten durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten als nach vorgaengigem Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der laufenden Angelegenheiten und in die richterliche und militaerische Spezialverwaltung mischte das hoechste Regierungskollegium sich nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Takt in der roemischen Aristokratie, um die Leitung des Gemeinwesens in eine Bevormundung des einzelnen Beamten und das Werkzeug in eine Maschine verwandeln zu wollen.

Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der bestehenden Formen eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens in sich schloss, leuchtet ein; dass die freie Taetigkeit der Buergerschaft stockte und erstarrte und die Beamten zu Sitzungspraesidenten und ausfuehrenden Kommissarien herabsanken, dass ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider verfassungsmaessiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten Formen, die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionaer und usurpatorisch. Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch die ausschliessliche Faehigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der Geschichte gerechtfertigt erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil es anerkennen, dass diese Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig begriffen und wuerdig erfuellt hat. Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die freie Wahl der Nation; bestaetigt von vier zu vier Jahren durch das strenge Sittengericht der wuerdigsten Maenner; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhaengig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Staende; alles in sich schliessend, was das Volk besass von politischer Intelligenz und praktischer Staatskunde; unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen Fragen und in der Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung des staendischen Haders dienstbar gewordene tribunizische Interzession, war der roemische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfuelle und sicherem Mut die erste politische Koerperschaft aller Zeiten - auch jetzt noch “eine Versammlung von Koenigen”, die es verstand, mit republikanischer Hingebung despotische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach aussen fester und wuerdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu verkennen, dass die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie in den ihre Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten parteiisch verfuhr und dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier haeufig von ihr nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der grosse, in schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische Buerger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst des Eintritts in den Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz der militaerischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale Eintracht und nahmen dem Unterschied der Staende jene Erbitterung und Gehaessigkeit, die den Kampf der Patrizier und Plebejer bezeichnen; und da die glueckliche Wendung der aeusseren Politik es mit sich brachte, dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum fuer sich fanden, ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so hat das roemische Volk in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke verstattet zu sein pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke durchzufuehren vermocht, eine weise und glueckliche Selbstregierung.

KAPITEL IV.
Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.

Nachdem die Entwicklung der roemischen Verfassung waehrend der zwei ersten Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die aeussere Geschichte Roms und Italiens wieder zurueck in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit, als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besassen unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbuendeten Karthager. Wenn auch Massalia unter steten und schweren Kaempfen sich behauptete, so waren dagegen die Haefen Kampaniens und der volskischen Landschaft und seit der Schlacht von Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In Sardinien gruendeten durch die vollstaendige Eroberung der Insel (um 260 500) die Soehne des karthagischen Feldherrn Mago die Groesse zugleich ihres Hauses und ihrer Stadt, und in Sizilien behaupteten die Phoeniker waehrend der inneren Fehden der hellenischen Kolonien ohne wesentliche Anfechtung den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder beherrschten die Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den oestlichen Gewaessern waren ihre Kaper gefuerchtet.

Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der latinischen Landschaft zu gewinnen, war fuer Etrurien, das von den volskischen in seiner Klientel stehenden Staedten und von seinen kampanischen Besitzungen allein durch die Latiner geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das feste Bollwerk der roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und die Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats nach der Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig Lars Porsena von Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte, fand er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat im Frieden (angeblich 247 507) nicht bloss alle Besitzungen am rechten Tiberufer an die naechstliegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also die ausschliessliche Herrschaft ueber den Strom auf, sondern lieferte auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und gelobte, fortan des Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als sei die Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern.

Allein die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward gluecklich abgewendet durch das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame Gefahr aufeinander angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das etruskische Heer, das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den Mauern von Aricia die Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige Hilfe der den Aricinern zur Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir wissen nicht, wie der Krieg endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon damals den verderblichen und schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist nur, dass die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer sich dauernd zu behaupten nicht vermochten.

Bald ward die hellenische Nation zu einem noch umfassenderen und noch entscheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens genoetigt. Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskoenig fuehrte auch Karthago in die Bahnen der persischen Politik - wie denn selbst ein Buendnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwuerdig ueberliefert ist - und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der grossartigsten politischen Kombinationen, die gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die phoenikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen. Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und raechte das eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt - besiegten die Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure Heer des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so vollstaendig, dass der Krieg damit zu Ende war und die Phoeniker, die damals noch keineswegs den Plan verfolgten, ganz Sizilien fuer eigene Rechnung sich zu unterwerfen, zurueckkehrten zu ihrer bisherigen defensiven Politik. Noch sind von den grossen Silberstuecken erhalten, welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons, Damareta, und anderer edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug geschlagen wurden, und die spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Koenigs von Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges.

Die naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion und Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine stehende Flotte gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg erfochten bald darauf die Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280 474) ueber die tyrrhenische Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pindaros in der ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden, den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: “Hiaron des Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von Kyma” ^1.

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^1 Fιάρον ο Διομένεος καί τοί Συρακόσιοι τοί Δί' Τύραν' από Κύμας.

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Waehrend diese ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die Spitze der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den italischen Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige aus Rom (243 511) das achaeische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent sich unbestritten zu der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der Tarentiner durch die Iapyger (280 474), die schwerste, die bis dahin ein Griechenheer erlitten hatte, entfesselte nur, aehnlich wie der Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des Volksgeistes in energisch demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen nicht mehr die Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen Gewaessern, sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die letzteren beschraenkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen. Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die Verbindung zwischen den kampanischen und den noerdlichen Etruskern unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von Syrakus, um der tuskischen Piraterie gruendlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die Insel Korsika und die etruskische Kueste verheerte und die Insel Aethalia (Elba) besetzte. Ward man auch nicht voellig Herr ueber die etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn das Kaperwesen zum Beispiel in Antium bis in den Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu haben scheint -, so war doch das maechtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen die verbuendeten Tusker und Phoeniker. Einen Augenblick freilich schien es, als muesse die syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413) die Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern unterstuetzten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den Dorern. Nach dem schmaehlichen Scheitern der attischen Expedition ward Syrakus so unbestritten die erste griechische Seemacht, dass die Maenner, die dort an der Spitze des Staates standen, die Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und ueber beide Meere Italiens ins Auge fassten; wogegen anderseits die Karthager, die ihre Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch auf ihrer Seite die Ueberwaeltigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der Verfall der sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen Macht auf der Insel, die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen, koennen hier nicht erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte gegen dies der neue Herr von Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367), die empfindlichsten Schlaege. Der weitstrebende Koenig gruendete seine neue Kolonialmacht vor allem in dem italischen Ostmeer, dessen noerdlichere Gewaesser jetzt zum erstenmal einer griechischen Seemacht untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und kolonisierte Dionysios an der illyrischen Kueste den Hafen Lissos und die Insel Issa, an der italischen die Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend bewahrten nicht bloss die “Graeben des Philistos”, ein ohne Zweifel von dem bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die Jahre seiner Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter Kanal an der Pomuendung; auch die veraenderte Benennung des italischen Ostmeers selbst, wofuer seitdem anstatt der aelteren Benennung des Ionischen Busens die heute noch gangbare des “Meeres von Hadria” vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese Ereignisse zurueck ^2. Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die Besitzungen und Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios durch die Erstuermung und Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri (369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn auch sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios’ Tode die inneren Unruhen in Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444 (310) Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer Korsika fuerchten, das sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die alte tuskisch-phoenikische Symmachie, die noch zu Aristoteles’ Zeit (370-432 384-322) bestand, ward damit gesprengt, aber die Schwaeche der Etrusker zur See nicht wieder aufgehoben.

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^2 Hekataeos († nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484-409) kennen den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespuelende Meer (K. O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23). In weiterer Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen Meeres zuerst bei dem sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336).

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Dieser rasche Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde unerklaerlich sein, wenn nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen Griechen sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die schwersten Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der Schlachten von Salamis, Himera und Kyme ward, dem Berichte der roemischen Annalen zufolge, zwischen Rom und Veii ein vieljaehriger und heftiger Krieg gefuehrt (271-280 483-474). Die Roemer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im Andenken geblieben ist die Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge der inneren Krisen sich freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die Verteidigung der Grenze gegen Etrurien uebernommen hatten, hier aber am Bache Cremera bis auf den letzten waffenfaehigen Mann niedergehauen wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens den Krieg beendigte, fiel fuer die Roemer insofern guenstig aus, als er wenigstens den Status quo der Koenigszeit wiederherstellte; die Etrusker verzichteten auf Fidenae und den am rechten Tiberufer gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber moegen die Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von Himera gewesen sein oder nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls zusammen.

Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die Etrusker; und kaum war deren kampanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch schon nicht mehr imstande war, den Angriffen der sabellischen Bergvoelker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua fiel 330 (424) und die tuskische Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung von den Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die kampanischen Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion schwer zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hilfe der Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in Kampanien aus der Geschichte verschwindet; kaum dass einzelne etruskische Gemeinden eine kuemmerliche und verlorene Existenz sich dort fristeten.

Aber noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im noerdlichen Italien ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker.

Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die italische, die germanische und die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen tuechtigen und noch mehr glaenzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staatliche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der menschlichen Entwicklung sich gruendet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich fuer den freien Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich naehrend und in den Eichenwaeldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhaenglichkeit an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den Staedten und Flecken zusammen zu siedeln und diese bei ihnen frueher, wie es scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben. Ihre buergerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht bloss wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen Nationen anfaenglich gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an ernstem Buergersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich schicken, ist die militaerische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen die schwere Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen. “Die hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse”, sagt ihr Geschichtschreiber Thierry, “sind die persoenliche Tapferkeit, in der sie es allen Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit.” Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: “auf zwei Dinge geben die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit” ^3. Solche Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren die geschichtliche Tatsache, dass die Kelten alle Staaten erschuettert und keinen gegruendet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern, das heisst zu marschieren; dem Grundstueck die bewegliche Habe vorziehend, allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk betreibend als geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und allerdings mit solchem Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern zugesteht. Es sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen: grosse, nicht sehnige Koerper, mit zottigem Haupthaar und langem Schnauzbart - recht im Gegensatz zu Griechen und Roemern, die das Haupt und die Oberlippe schoren -, in bunten gestickten Gewaendern, die beim Kampf nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit ungeheurem Schild nebst dem langen schlechtgestaehlten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten verstanden. Zum Renommieren dient alles, selbst die Wunde, die oft nachtraeglich erweitert wird, um mit der breiteren Schmarre zu prunken. Gewoehnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwaerme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich frueh wie bei den Libyern und den Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Roemern und Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten sie den einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden verhoehnt hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie gegeneinander in glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die Zechgelage hernach nicht fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kaempfen und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie der Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser Staat, nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.

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^3 Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).

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So schildern uns die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst sich nur mutmassen. Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen und germanischen Voelkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen Mutterland in Europa eingerueckt, wo sie in fruehester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begruendeten ^4, gegen Norden hin uebersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Sueden die Pyrenaeen ueberschreitend und mit den iberischen Voelkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indes stroemte ihre erste grosse Wanderung vorbei und erst von den westlichen Laendern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene Zuege, die sie ueber die Alpen und den Haemus, ja ueber den Bosporus fuehrten und durch die sie der Schrecken der saemtlichen zivilisierten Nationen des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben sind, bis Caesars Siege und die von Augustus geordnete Grenzverteidigung ihre Macht fuer immer brachen.

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^4 Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass die Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst die der letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des grossen Baumes, von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften indogermanischen Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen und Italokelten und betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder in Italiker und Kelten gespalten haetten. Geographisch ist diese Aufstellung sehr annehmbar, und auch die geschichtlich vorliegenden Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls in Einklang bringen da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen worden ist, fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch ueber die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass ihre Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden duerften.

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Die einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten hat, berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen folgendermassen ^5. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze damals wie noch zu Caesars Zeit der Gau der Biturigen (um Bourges) stand, habe unter dem Koenig Ambiatus zwei grosse Heeresschwaerme entsendet, gefuehrt von den beiden Neffen des Koenigs, und es sei der eine derselben, Sigovesus, ueber den Rhein in der Richtung auf den Schwarzwald zu vorgedrungen, der zweite, Bellovesus, ueber die Graischen Alpen (den Kleinen St. Bernhard) in das Potal hinabgestiegen. Von jenem stamme die gallische Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die aelteste keltische Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt, der den Gau der Cenomaner mit den Staedten Brixia (Brescia) und Verona begruendet habe. Unaufhoerlich stroemte es fortan ueber die Alpen in das schoene ebene Land; die keltischen Staemme samt den von ihnen aufgetriebenen und fortgerissenen ligurischen entrissen den Etruskern einen Platz nach dem andern, bis das ganze linke Poufer in ihren Haenden war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt Melpum (vermutlich in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die schon im Potal ansaessigen Kelten mit neugekommenen Staemmen vereinigt hatten (358? 396), gingen diese letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses und begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu bedraengen. Es waren dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen Strasse, ueber den Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien eingedrungenen Boier; sie siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo die alte Etruskerstadt Felsina, von den neuen Herren Bononia umgenannt, ihre Hauptstadt wurde. Endlich kamen die Senonen, der letzte groessere Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist; er nahm seine Sitze an der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis Ancona. Aber einzelne Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach Umbrien hinein, ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen sein; denn noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in keltischer Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten hin die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten Jahrhunderts sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf dasjenige Gebiet beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und heute noch traegt.

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^5 Die Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar (Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der Wanderung des Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt wird, gehoert unzweifelhaft nicht der einheimischen, natuerlich zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren chronologisierenden Forschung und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle und Einwanderungen moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden.

Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausfuehrung von Wickham und Cramer, nicht daran zu zweifeln, dass der Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht ueber die Kottischen Alpen (Mont Genèvre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern ueber die Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging; den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten Sagenreminiszenz oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit den noerdlich von der Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass der Poeninischen Alpen gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben.

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Unter diesen, wie auf Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der verschiedensten Voelker, der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der Kelten brach die eben noch so gewaltig und so ploetzlich in Latium und Kampanien und auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der Verlust der Seeherrschaft, die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker gehoert derselben Epoche an, wo die Insubrer und Cenomaner am Po sich niederliessen; und eben um diese Zeit ging auch die durch Porsena wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und fast geknechtete roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. Im Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er zu der Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als er im Jahre 309 (445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber es waren Grenzgefechte und Beutezuege, die fuer beide Teile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu maechtig da, als dass Rom einen ernstlichen Angriff haette unternehmen koennen. Erst der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung vertrieben, die Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars Tolumnius, unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher gluecklich fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae ward genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis mehr und mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den bisher noch verschonten Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der Waffenstillstand Ende 346 (408) abgelaufen war, entschlossen sich die Roemer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii gefuehrt ward.

Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewaehrt haben soll, ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser Ereignisse bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier mit bis dahin unerhoerter Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten Kampfpreis. Es war das erstemal, dass ein roemisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das erstemal, dass die Gemeinde aus Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte. Aber es war auch das erstemal, dass die Roemer es versuchten, sich eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre Waffen ueber die alte Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen. Der Kampf war gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden Unterstuetzung bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des gefuerchteten Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung gewaehrte als den Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation verlassen dastand und nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm Zuzug leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten wuerden diese Nichtteilnahme der noerdlichen Gemeinden allein schon genuegend erklaeren; es wird indes erzaehlt und es ist kein Grund es zu bezweifeln, dass zunaechst innere Parteiungen in dem etruskischen Staedtebund, namentlich die Opposition der aristokratischen Regierungen der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern beibehaltene oder wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der uebrigen Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an dem Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische Gemeinde kaum imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst unentwickelten Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer grossen und festen Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und verlassen wie sie war, unterlag die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem ausharrenden Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst seinem Volke die glaenzende Bahn der auslaendischen Eroberungen auftat. Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang die in den Festspielen Roms bis in spaete Zeit fortgepflanzte Sitte des “Veienterverkaufs”, wobei unter den zur Versteigerung gebrachten parodischen Beutestuecken der aergste alte Krueppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte als “Koenig der Veienter”. Die Stadt ward zerstoert, der Boden verwuenscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das maechtige Volsinii, das in bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige Sage sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii, an demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen; aber es liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Der doppelte Angriff von Norden und Sueden und der Fall der beiden Grenzfesten war der Anfang des Endes der grossen etruskischen Nation.

Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden Voelkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr untereinander sich aufreiben und auch Roms neu aufbluehende Macht von den fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der Dinge, die dem natuerlichen Lauf der Politik widersprach, beschworen ueber die Roemer der eigene Uebermut und die eigene Kurzsichtigkeit herauf.

Die keltischen Scharen, die nach Melpums Fall ueber den Fluss gesetzt waren, ueberfluteten mit reissender Geschwindigkeit das noerdliche Italien, nicht bloss das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und laengs des Adriatischen Meeres, sondern auch das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige Jahre nachher (363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen Senonen belagert; und so gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte tuskische Stadt die Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere vielleicht weise gewesen, dieselbe zu gewaehren und zugleich die Gallier durch die Waffen und die Etrusker durch den gewaehrten Schutz in Abhaengigkeit von Rom zu bringen; allein eine solche weitblickende Intervention, die die Roemer genoetigt haben wuerde, einen ernsten Kampf an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag jenseits des Horizonts ihrer damaligen Politik. So blieb nichts uebrig, als sich jeder Einmischung zu enthalten. Allein toerichterweise schlug man die Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch toerichter meinten diese, den Kelten durch grosse Worte imponieren und, als dies fehlschlug, gegen Barbaren ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu koennen: sie nahmen in den Reihen der Clusiner teil an einem Gefecht und der eine von ihnen stach darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde. Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit Maessigung und Einsicht. Sie sandten zunaechst an die roemische Gemeinde, um die Auslieferung der Frevler am Voelkerrecht zu fordern, und der Senat war bereit, dem billigen Begehren sich zu fuegen. Allein in der Masse ueberwog das Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden; die Genugtuung ward von der Buergerschaft verweigert, ja nach einigen Berichten ernannte man die tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar zur Konsulartribunen fuer das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen Annalen so verhaengnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das heisst der Heerkoenig der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm - die Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte sich gegen Rom. Solche Zuege in unbekannte und ferne Gegenden waren den Galliern gelaeufig, die unbekuemmert um Deckung und Rueckzug als bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom aber ahnte man offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so gewaltigen Ueberfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom waren, ueberschritt eine roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat ihnen den Weg. Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenueber der Muendung des Baches Allia in den Tiberfluss, trafen die Heere aufeinander und kam es am 18. Juli 364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern wie gegen Raeuber, uebermuetig und tolldreist in den Kampf unter unerprobten Feldherren - Camillus hatte infolge des Staendehaders von den Geschaeften sich zurueckgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rueckzugs? Aber die Wilden waren Maenner von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern so neu wie schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die Kelten im rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten sie im ersten Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig; von den Roemern, die den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein grosser Teil bei dem Versuch, denselben zu ueberschreiten, seinen Untergang; was sich rettete, warf sich seitwaerts nach dem nahen Veii. Die siegreichen Kelten standen zwischen dem Rest des geschlagenen Heeres und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem Feinde preisgegeben; die geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin gefluechtete Mannschaft reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei Tage nach der Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein. Haetten sie es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloss die Stadt, sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu besetzen und notduerftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte, liess man nicht auf die Burg - man hatte kein Brot fuer alle. Die Menge der Wehrlosen verlief sich in die Nachbarstaedte; aber manche, vor allem eine Anzahl angesehener Greise, mochten den Untergang der Stadt nicht ueberleben und erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und pluenderten, was an Menschen und Gut sich vorfand und zuendeten schliesslich vor den Augen der roemischen Besatzung auf dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungskunst verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens war langwierig und schwierig, da die Lebensmittel fuer den grossen Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen liessen und diesen die benachbarten latinischen Buergerschaften, namentlich die Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck sich entgegenwarfen. Dennoch harrten die Kelten mit einer unter ihren Verhaeltnissen beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer dunkeln Nacht nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im kapitolinischen Tempel und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet ward und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene Loesegeld anzunehmen. Das hoehnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es aufgewogen werde vom roemischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren.

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^6 Dies ist nach der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die Einnahme Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerruettete roemische Jahrzaehlung verschoben.

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Die fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli und der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben gewesen und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden - all die Einzelheiten dieses unerhoerten Ereignisses gingen ueber von der Erinnerung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt, und noch wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen sind, seit jene welthistorischen Gaense sich wachsamer bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom verordnet werden, dass in Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der gesetzlichen Privilegien vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort rechnen nach den Jahren von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit widerhallen in der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis in die griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten beizuzaehlen. Sie aendert eben nichts in den politischen Verhaeltnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine spaet und schlecht erfundene Erzaehlung den Helden Camillus wieder nach Rom zurueckbringen laesst; wie die Fluechtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahnsinnige Gedanke einiger mattherziger Klugheitspolitiker, die Buergerschaft nach Veii ueberzusiedeln, durch Camillus’ hochsinnige Gegenrede beseitigt ist, die Haeuser eilig und unordentlich - die engen und krummen Strassen Roms schrieben von dieser Zeit sich her - sich aus den Truemmern erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe zu nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit fester zu knuepfen. Der Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss zweier politischer Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstoert wird, sofort wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier sind noch oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387 (367), wo Camillus sie bei Alba schlug - der letzte Sieg des greisen Helden, der sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal Diktator gewesen und viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im Jahre 393 (361), wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine volle Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog; im Jahre 394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem Collinischen Tor mit den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt; im Jahre 396 (358), wo ihnen der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine nachdrueckliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie sogar den Winter ueber auf dem Albaner Berg kampierten und sich mit den griechischen Piraten an der Kueste um den Raub schlugen, bis Lucius Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im folgenden Jahr sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles (370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege, wie schreckhaft und beschwerlich sie sein mochten, waren mehr Ungluecksfaelle als politische Ereignisse und das wesentlichste Resultat derselben, dass die Roemer sich selbst und dem Auslande in immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der zivilisierten Nationen Italiens gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren erschienen - eine Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint gefoerdert hat.

Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um Veii zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden Kraeften erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als der schwere Arm Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach wiederholten Niederlagen der Etrusker blieb das ganze suedliche Etrurien bis zu den Ciminischen Huegeln in den Haenden der Roemer, welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue Buergerbezirke einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten durch die Anlage der Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit roemischen Kolonisten bedeckte Landstrich der vollstaendigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten zwar die naechstliegenden etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii sich gegen die roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die Erbitterung war, die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzlung der saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen Gefangenen, dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii; allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403 351) musste Caere, das, als den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten buesste, die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmaelerten Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen Bunde aus- und in das Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen zunaechst fuer einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes nicht ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche den untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der caeritischen Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne aktives und passives Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung der Selbstverwaltung, so dass an die Stelle der eigenen Beamten bei der Rechtspflege und Schatzung die roemischen traten und am Orte selbst ein Vertreter (praefectus) des roemischen Praetors die Verwaltung leitete - eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche Form der Untertaenigkeit, wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine rechtlich fortbestehende, aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde umgewandelt ward. Nicht lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine urspruengliche latinische Nationalitaet auch unter der Tuskerherrschaft sich bewahrt hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit war ganz Suedetrurien in der einen oder anderen Form der roemischen Suprematie unterworfen. Tarquinii und wohl das noerdliche Etrurien ueberhaupt begnuegte man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400 Monate fuer lange Zeit zu fesseln (403 351).

Auch im noerdlichen Italien ordneten sich allmaehlich die durch und gegen einander stuermenden Voelker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen. Die Zuege ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten Verteidigung der Etrusker in ihrer beschraenkteren Heimat und der ernstlichen Gegenwehr der maechtigen Roemer, zum Teil wohl auch infolge uns unbekannter Veraenderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apenninen bis hinab an die Abruzzen waren jetzt die Kelten im allgemeinen die herrschende Nation und namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer schlaffen und oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht tief in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum ausschliesslichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier keltische Ansiedler mit aelteren etruskischen oder andersartigen Staemmen sich vermischten, gestattet unsere ungenuegende Kunde ueber die Nationalitaet der spaeteren Alpenvoelker nicht auszumachen; nur die Raeter in dem heutigen Graubuenden und Tirol duerfen als ein wahrscheinlich etruskischer Stamm bezeichnet werden. Die Taeler des Apennin behielten die Umbrer, den nordoestlichen Teil des Potals die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen Bergen behaupteten sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem mittleren Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die Insubrer und Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste von Ariminum bis Ankon, in der sogenannten “Gallierlandschaft” (ager Gallicus) die Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier muessen die etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden haben, etwa wie Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine Insellage geschuetzt war, war noch in der Kaiserzeit eine tuskische Stadt und auch in Atria am Po, wo zahlreiche Vasenfunde gemacht sind, scheint das etruskische Wesen fortbestanden zu haben; noch die unter dem Namen des Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste Kuestenbeschreibung nennt die Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur so erklaert sich auch, wie etruskische Korsaren bis weit ins fuenfte Jahrhundert hinein das Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb nicht bloss Dionysios von Syrakus die Kuesten desselben mit Kolonien bedeckte, sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kuerzlich entdeckte merkwuerdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere beschloss.

Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich behaupten, es waren das einzelne Truemmer und Splitter der frueheren Machtentwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von einzelnen noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen halbfreien Etruskern die Anfaenge derjenigen Zivilisation aus, die wir spaeterhin bei den Kelten und ueberhaupt den Alpenvoelkern finden. Schon dass die Keltenschwaerme in den lombardischen Ebenen, mit dem sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich bleibend ansaessig machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge der Handwerke und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten, ja den Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die Etrusker zugekommen.

Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in Kampanien und der ganzen Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich vom Ciminischen Walde den Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die Zeiten der Macht und des Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber. In engster Wechselwirkung mit diesem aeusseren Sinken steht der innere Verfall der Nation, zu dem die Keime freilich wohl schon weit frueher gelegt worden waren. Die griechischen Schriftsteller dieser Zeit sind voll von Schilderungen der masslosen Ueppigkeit des etruskischen Lebens: unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der Stadt preisen den tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber Timaeos und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und der etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und franzoesischen Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt das einzelne in diesen Berichten auch ist, so scheint doch mindestens die Angabe begruendet zu sein, dass die abscheuliche Lustbarkeit der Fechterspiele, der Krebsschaden des spaeteren Rom und ueberhaupt der letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den Etruskern aufgekommen ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel an der tiefen Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben sind davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden wir aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des Koenigtums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen Staaten Etruriens durchgefuehrt gewesen zu sein scheint, rief in den einzelnen Staedten ein Patrizierregiment hervor, das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschraenkt sah. Selten nur gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle etruskischen Staedte zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt nicht den entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die ausschliessliche Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen und allen Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette verderben muessen, wenn nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht haetten, die Ansprueche der gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder Voelker einigermassen zu befriedigen und dem Ehrgeiz andere Bahnen zu oeffnen - dieser Kampf gegen das politische und was in Etrurien besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich zugrunde gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an Grundbesitz, konzentrierten sich in den Haenden von wenigen Adligen, waehrend die Massen verarmten; die sozialen Umwaelzungen, die hieraus entstanden, erhoehten die Not, der sie abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den bedraengten Aristokraten, zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 (266) nichts uebrig, als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung, aber zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten. Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der roemischen Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den Etruskern von aussen, von einen andern italischen Stamm, den Samniten.

KAPITEL V.
Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom

Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der Form der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung sowohl auf das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf die innere Ordnung der latinischen Gemeinden selbst nicht ohne maechtige Rueckwirkung bleiben konnte, leuchtet an sich ein und geht auch aus der Ueberlieferung hervor; von den Schwankungen, in welche durch die Revolution in Rom die roemisch-latinische Eidgenossenschaft geriet, zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben schillernde Sage von dem Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul Aulus Postumius (255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner gewonnen haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes zwischen Rom und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten Konsulat (261 493). Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die Hauptsache, das Rechtsverhaeltnis der neuen roemischen Republik zu der latinischen Eidgenossenschaft, am wenigsten Aufschluss; und was wir sonst ueber dasselbe wissen, ist zeitlos ueberliefert und kann nur nach ungefaehrer Wahrscheinlichkeit hier eingereiht werden.

Es liegt im Wesen der Hegemonie, dass sie durch das blosse innere Schwergewicht der Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft uebergeht; auch die roemische ueber Latium hat davon keine Ausnahme gemacht. Sie war begruendet auf die wesentliche Rechtsgleichheit des roemischen Staates und der latinischen Eidgenossenschaft; aber wenigstens im Kriegswesen und in der Behandlung der gemachten Eroberungen trug dies Verhaeltnis des Einheitsstaates einer- und des Staatenbundes anderseits die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der urspruenglichen Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg und Vertrag mit auswaertigen Staaten, also die volle staatliche Selbstbestimmung sowohl Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen Bundes gewahrt, und es stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher Kriegfuehrung Rom wie Latium das gleiche Kontingent, in der Regel jedes ein “Heer” von 8400 Mann ^1; aber den Oberbefehl fuehrte der roemische Feldherr, welcher dann die Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer (tribuni militum), nach eigener Wahl ernannte. Im Falle des Sieges wurden die bewegliche Beute wie das eroberte Land zwischen Rom und der Eidgenossenschaft geteilt, und wenn man in dem eroberten Gebiet Festungen anzulegen beschloss, so wurde nicht bloss deren Besatzung und Bevoelkerung teils aus roemischen, teils aus eidgenoessischen Aussendlingen gebildet, sondern auch die neugegruendete Gemeinde als souveraener Bundesstaat in die latinische Eidgenossenschaft aufgenommen und mit Sitz und Stimme auf der latinischen Tagsatzung ausgestattet.

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^1 Die urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv. 1, 52; 8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb. 6, 26 hervor.

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Diese Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit, sicher in der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten der Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt haben. Am fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und Vertragsrecht der Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg und Vertrag kam ein fuer allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die latinischen Truppen muessen in aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner gewesen sein; spaeter wurden dazu wo nicht ausschliesslich, doch vorwiegend roemische Buerger genommen ^3. Dagegen wurde nach wie vor der latinischen Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres Kontingent zugemutet als das von der roemischen Gemeinde gestellte war; und ebenso war der roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente nicht zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug als besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten Anfuehrer ^4 zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen Eidgenossenschaft auf einen Anteil an der beweglichen Beute wie an dem eroberten Lande blieb formell bestehen; aber der Sache nach ist der wesentliche Kriegsertrag ohne Zweifel schon in frueher Zeit an den fuehrenden Staat gekommen. Selbst bei der Anlegung der Bundesfestungen oder der sogenannten latinischen Kolonien waren in der Regel vermutlich die meisten und nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn auch dieselben durch die Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger einer eidgenoessischen Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der neugepflanzten Ortschaft haeufig eine ueberwiegende und fuer die Eidgenossenschaft gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche Mutterstadt.

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^2 Dass in den spaeteren Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es den latinischen Gemeinden untersagt war ihre Kontingente von sich aus zu mobilisieren und allein ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich Dionysios (8, 15).

^3 Diese latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum, welche spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen und alae aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae der Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen des roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der Konsul jene wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5. Da nun nach dem alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier werden kann, es gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner zum Fuehrer einer roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer einer latinischen Legion zu bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu, dass die tribuni militum durchaus und die praefecti sociorum wenigstens in der Regel Roemer waren.

^4 Dies sind die decuriones turmarum und praefecti cohortium (Polyb. 6, 21, 5; Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und sonst). Natuerlich wurden, wie die roemischen Konsuln von Rechts wegen, in der Regel auch tatsaechlich Oberfeldherren waren, vielleicht durchaus, mindestens sehr haeufig auch in den abhaengigen Staedten die Gemeindevorsteher an die Spitze der Gemeindekontingente gestellt (Liv. 23, 19; Orelli 7022); wie denn selbst der gewoehnliche Name der latinischen Obrigkeiten (praetores) sie als Offiziere bezeichnet.

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Die Rechte dagegen, welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger einer der verbuendeten Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten, wurden nicht beschraenkt. Es gehoerten dahin namentlich die volle Rechtsgleichheit in Erwerb von Grundbesitz und beweglicher Habe, in Handel und Wandel, Ehe und Testament, und die unbeschraenkte Freizuegigkeit, sodass der in einer Bundesstadt verbuergerte Mann nicht bloss in jeder andern sich niederzulassen rechtlich befugt war, sondern auch daselbst als Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der passiven Wahlfaehigkeit an allen privaten und politischen Rechten und Pflichten teilnahm, sogar wenigstens in der nach Distrikten berufenen Gemeindeversammlung in einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen befugt war ^5.

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^5 Es wurde ein solcher Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger einem ein fuer allemal bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor jeder einzelnen Abstimmung nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen diesmal zu stimmen hatten, durch das Los festgestellt. Der Sache nach kam dies wohl darauf hinaus, dass in der roemischen Tribusversammlung den Latinern eine Stimme eingeraeumt ward. Da der Platz in irgendeiner Tribus die Vorbedingung des ordentlichen Zenturiatstimmrechts war, so muss, wenn die Insassen auch in der Zenturienversammlung mitgestimmt haben, was wir nicht wissen, fuer diese eine aehnliche Losung festgesetzt gewesen sein. An den Kurien werden sie gleich den Plebejern teilgenommen haben.

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So etwa mag in der ersten republikanischen Zeit das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu der latinischen Eidgenossenschaft beschaffen gewesen sein, ohne dass sich ausmachen liesse, was darin auf aeltere Satzungen und was auf die Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht.

Mit etwas groesserer Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der einzelnen zu der latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden nach dem Muster der roemischen Konsularverfassung als Neuerung bezeichnet und in diesen Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich die verschiedenen Gemeinden zu der Abschaffung des Koenigtums an sich recht wohl voneinander unabhaengig gelangt sein koennen, so verraet doch die gleichartige Benennung der neuen Jahreskoenige in der roemischen und den uebrigen Gemeindeverfassungen von Latium sowie die weitgreifende Anwendung des so eigentuemlichen Kollegialitaetsprinzips ^6 augenscheinlich einen aeusseren Zusammenhang; irgend einmal nach der Vertreibung der Tarquinier aus Rom muessen durchaus die latinischen Gemeindeordnungen nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert worden sein. Es kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen Verfassungen mit derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst einer spaeteren Epoche angehoeren; indes spricht die innere Wahrscheinlichkeit vielmehr dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er bei sich die Abschaffung des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt hatte, dieselbe Verfassungsaenderung auch den Gemeinden der latinischen Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des ernsten und den Bestand des roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage stellenden Widerstandes, welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die koeniglichen Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen Gemeinden Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium die Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende gewaltige Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der Veienter, der Heereszug des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen haben, die latinische Nation bei der einmal festgestellten Form der Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden Anerkennung der Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne Zweifel auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung der hegemonischen Rechte sich gefallen zu lassen.

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^6 Regelmaessig stehen bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei Praetoren. Daneben kommen in einer Reihe von Gemeinden auch Einzelbeamte vor, welche dann den Diktatortitel fuehren - so in Alba (Orelli-Henzen 2293), Tusculum, Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45; Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli 2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli 3324), Nomentum (Orelli 208, 6138, 7032; vgl. W. Henzen in Bullettino dell’ Istituto 1858, S. 169) und Aricia (Orelli 1455). Dazu kommt der aehnliche Diktator in der civitas sine suffragio Caere (Orelli 3787, 5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd. 1, S. 31, obwohl irrig nach Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen Beamten von Fidenae (Orelli 112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern hervorgegangenen Priestertuemer (der Diktator von Caere ist zu erklaeren nach Liv. 9, 43: Anagninis - magistratibus praeter quam sacrorum curatione interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch der Bericht Macers und der aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur Zeit seines Falls nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren gestanden habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist vermutlich bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution der ohne Zweifel gleich der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen albanischen Diktatur, bei welcher Darstellung ueberdies die demokratische Parteistellung ihres Urhebers mit im Spiel gewesen sein wird. Es steht dahin, ob der Schluss gueltig ist und nicht, auch wenn Alba zur Zeit seiner Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern stand, die Abschaffung des Koenigtums in Rom nachtraeglich die Verwandlung der albanischen Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren konnte.

All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache wie besonders auch in den Namen wesentlich mit der in Rom durch die Revolution festgestellten Ordnung in einer Weise ueberein, die durch die blosse Gleichartigkeit der politischen Grundverhaeltnisse nicht genuegend erklaert wird.

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Die dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach allen Seiten hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern. Dass die Etrusker nur kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium blieben und die Verhaeltnisse hier bald wieder in die Lage zurueckkamen, welche sie in der Koenigszeit gehabt hatten, wurde schon dargestellt; zu einer eigentlichen Erweiterung der roemischen Grenzen kam es aber nach dieser Seite hin erst mehr als ein Jahrhundert nach der Vertreibung der Koenige aus Rom.

Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der Umbrer bis hinab zu der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und die in der Epoche, in welche die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium selbst kaempfend und erobernd vordrangen, haben spaeterhin die Roemer trotz der unmittelbaren Nachbarschaft sich verhaeltnismaessig wenig beruehrt. Die schwache Teilnahme derselben an dem verzweifelten Widerstand der oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht selbst aus den Berichten der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es begegnen hier keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen Gebiet so zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit zusammen, dass die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit sich ueber Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am Tifernus und Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen zu haben, deren Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war.

Bei weitem heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die, oestlich von Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am Nordrande des Fuciner Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern grenzten ^7, und der Volsker, welche suedlich von den um Ardea sesshaften Rutulern und den suedwaerts bis Cora sich erstreckenden Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung des Lirisflusses nebst den vorliegenden Inseln und im Innern das ganze Stromgebiet des Liris besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich jaehrlich erneuernden Fehden, die in der roemischen Chronik so berichtet werden, dass der unbedeutendste Streifzug von dem folgenreichen Kriege kaum unterschieden und der historische Zusammenhang gaenzlich beiseite gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt werden; es genuegt hinzuweisen auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen wir, dass es den Roemern und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von den Volskern zu trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der Gegend zwischen dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen Bergen und den Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner und die Volsker zunaechst sich beruehrt und selbst gemischt durcheinander gesessen zu haben ^8. In dieser Gegend haben die Latiner die ersten Schritte getan ueber ihre Landesgrenze hinaus und sind Bundesfestungen im Fremdland, sogenannte latinische Kolonien zuerst angelegt worden, in der Ebene Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem Albaner Gebirge selbst und Suessa in der pomptinischen Niederung, in den Bergen Norba (angeblich 262 492) und Signia (angeblich verstaerkt 259 495), welche beide auf den Verbindungspunkten zwischen der aequischen und volskischen Landschaft liegen. Vollstaendiger noch ward der Zweck erreicht durch den Beitritt der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Roemer (268 486), welcher die Volsker vollstaendig isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte gegen die suedlich und oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man begreift es, weshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden anderen in Rat und Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer waren seitdem wenig gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen Pluenderzug gegen sie zu unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der Kuestenebene suedlich mit Latium grenzten, unterlagen frueh; ihre Stadt Ardea wurde schon im Jahre 312 (442) in eine latinische Kolonie umgewandelt ^9. Ernstlicher widerstanden die Volsker. Der erste namhafte Erfolg, den nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen abgewannen, ist, merkwuerdig genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361 (393), das, solange Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit Latium in Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft versucht und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459) machte die Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande erhielten infolge eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377 389-377) die Roemer die entschiedene Oberhand im antiatischen und pomptinischen Gebiet. Satricum, unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385) mit einer latinischen Kolonie belegt, nicht lange nachher wahrscheinlich Antium selbst sowie Tarracina ^10, das pomptinische Gebiet ward durch die Anlage der Festung Setia (372 382, verstaerkt 375 379) gesichert und in den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und Buergerbezirke verteilt. Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber keine Kriege mehr gegen Rom gefuehrt.

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^7 Die Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio oberhalb von Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien Carsioli (am oberen Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den Bezirk des spaeteren Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als derjenige Rest der Aequer, welchem nach der Unterwerfung durch die Roemer und nach der Assignierung des groessten Teils des Gebiets an roemische oder latinische Kolonisten die munizipale Selbstaendigkeit verblieb.

^8 Allem Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen, urspruenglich volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf dem Volskergebirge urspruenglich latinisch.

^9 Nicht lange nachher muss die Gruendung des Dianahains im Walde von Aricia erfolgt sein, welche nach Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein tusculanischer Diktator vollzog fuer die Stadtgemeinden des alten Latiums Tusculum, Aricia, Lanuvium, Laurentum, Cora und Tibur und die beiden latinischen Kolonien (welche deshalb an der letzten Stelle stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus Ardeatis Rutulus). Das Fehlen Praenestes und der kleineren Gemeinden des alten Latium zeigt, wie es auch in der Sache liegt, dass nicht saemtliche Gemeinden des damaligen Latinischen Bundes sich an der Weihung beteiligten. Dass sie vor 372 (382) faellt, beweist das Auftreten von Pometia und das Verzeichnis stimmt voellig zu dem, was anderweitig ueber den Bestand des Bundes kurz nach dem Zutritt von Ardea sich ermitteln laesst.

Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen darf mehr als den meisten der aeltesten Ueberlieferungen Glauben beigemessen werden, da die den italischen Staedten gemeinsame Jahreszaehlung ab urbe condita allem Anschein nach das Gruendungsjahr der Kolonien durch unmittelbare Ueberlieferung bewahrt hat.

^10 Als latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten Cassischen Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem karthagischen Vertrag vom Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also sind die Staedte latinische Kolonien geworden.

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Aber je entschiedenere Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und Herniker gegen die Etrusker, Aequer, Volsker und Rutuler davontrug, desto mehr entwich aus ihm die Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl in der frueher dargestellten, aus den bestehenden Verhaeltnissen mit innerer Notwendigkeit sich entwickelnden, aber darum nicht weniger schwer auf Latium lastenden Steigerung der hegemonischen Gewalt Roms, zum Teil in einzelnen gehaessigen Ungerechtigkeiten der fuehrenden Gemeinde. Dahin gehoeren vornehmlich der schmaehliche Schiedsspruch zwischen den Aricinern und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo die Roemer, angerufen zu kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen den beiden Gemeinden streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen, und als ueber diesen Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden, das Volk zu den Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom festhielt, die noch schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der schon erwaehnten Aussendung roemischer Kolonisten in die reiche Stadt, unter die die Laendereien der Anhaenger der antiroemischen Partei ausgeteilt wurden (312 442). Hauptsaechlich indes war die Ursache, weshalb der Bund sich innerlich aufloeste, eben die Niederwerfung der gemeinschaftlichen Feinde; die Schonung von der einen, die Hingebung von der anderen Seite hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des anderen nicht mehr meinte zu beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den Latinern und Hernikern einer- und den Roemern anderseits gab die naechste Veranlassung teils die Einnahme Roms durch die Kelten und dessen dadurch herbeigefuehrte augenblickliche Schwaeche, teils die definitive Besetzung und Aufteilung des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Verbuendeten gegeneinander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in grosser Anzahl an dem letzten Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen; jetzt mussten die namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383), Praeneste (372-374, 400 382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur (394, 400 360, 354) und selbst einzelne der im Volskerland von dem roemisch-latinischen Bunde angelegten Festungen wie Velitrae und Circeii mit den Waffen bezwungen werden, ja die Tiburtiner scheuten sich sogar nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden gallischen Scharen gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum gemeinschaftlichen Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe bemeisterte Rom die einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381) genoetigt, seine politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den roemischen Buergerverband als untertaenige Gemeinde (civitas sine suffragio) einzutreten, so dass die Stadt ihre Mauern und eine wenn auch beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene Beamten und eine eigene Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger als roemische das aktive und passive Wahlrecht entbehrten - der erste Fall, dass eine ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige Gemeinde einverleibt wurde.

Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396 362-358), in dem der erste der Plebs angehoerige konsularische Oberfeldherr Lucius Genucius fiel; allein auch hier siegten die Roemer. Die Krise endigte damit, dass die Vertraege zwischen Rom und der latinischen wie der hernikischen Eidgenossenschaft im Jahre 396 (358) erneuert wurden. Der genauere Inhalt derselben ist nicht bekannt, aber offenbar fuegten beide Eidgenossenschaften abermals und wahrscheinlich unter haerteren Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die in demselben Jahr erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im pomptinischen Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische Macht.

In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis zwischen Rom und Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte Schliessung der latinischen Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht sicher zu bestimmen ist, ob sie Folge oder, wie wahrscheinlicher, Ursache der eben geschilderten Auflehnung Latiums gegen Rom war. Nach dem bisherigen Recht war jede von Rom und Latium gegruendete souveraene Stadt unter die am Bundesfest und Bundestag teilberechtigten Kommunen eingetreten, wogegen umgekehrt jede einer anderen Stadt inkorporierte und also staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der Bundesglieder gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art festgehalten, dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie weniger als dreissig stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter eingetretener oder auch ihrer Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen wegen zurueckgesetzter Gemeinden des Stimmrechts entbehrten. Hiernach war der Bestand der Eidgenossenschaft um das Jahr 370 (384) folgender Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser einigen jetzt verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom und stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio und dem Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und Praeneste, am Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia, Corioli und Lanuvium, in den volskischen Bergen Cora, endlich in der Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die von Rom und dem latinischen Bunde angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen Rutulergebiet und in dem der Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia und Circeii. Ausserdem hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht sicher bekannt sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht. Auf diesem Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig stimmberechtigten Orten blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem unabaenderlich stehen; weder sind die spaeter gegruendeten latinischen Gemeinden, wie Sutrium, Nepete, Antium, Tarracina, Cales, unter dieselben eingereiht, noch die spaeter der Autonomie entkleideten latinischen Gemeinden, wie Tusculum und Lanuvium, aus dem Verzeichnis gestrichen.

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^11 In dem von Dionysios (5, 61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig latinischen Bundesstaedte, dem einzigen, das wir besitzen, werden genannt die Ardeaten, Ariciner, Bovillaner, Bubentaner (unbekannter Lage), Corner (vielmehr Coraner), Carventaner (unbekannter Lage), Circeienser, Coriolaner, Corbinter, Cabaner (vielleicht die Cabenser am Albaner Berg, Bullettino dell’ Istituto 1861, S. 205), Fortineer (unbekannt), Gabiner, Laurenter, Lanuviner, Lavinaten, Labicaner, Nomentaner, Norbaner, Praenestiner, Pedaner, Querquetulaner (unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner, Senner, Tiburtiner, Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner (unbekannter Lage) und Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen teilnahmeberechtigter Gemeinden, wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum (Liv. 37, 3), Lanuvium (Liv. 41, 16), Bovillae, Gabii, Labici (Cic. Planc. 9, 23) stimmen mit diesem Verzeichnis. Dionysios teilt es bei Gelegenheit der Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im Jahre 256 (498) mit, und es lag darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies Verzeichnis als der bekannten Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu betrachten. Allein da in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten Verzeichnis der Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der Zwoelf Tafeln sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften Jahrhundert bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig 1850, S. 33), so muss dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen sein; und es ist bei weitem die einfachste Annahme, darin das Verzeichnis derjenigen Orte zu erkennen die spaeterhin als die ordentlichen Glieder der latinischen Eidgenossenschaft betrachtet wurden und die Dionysios, seiner pragmatisierenden Gewohnheit gemaess, als deren urspruenglichen Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem Verzeichnis, wie es zu erwarten war, keine einzige nichtlatinische Gemeinde; dasselbe zaehlt lediglich urspruenglich latinische oder mit latinischen Kolonien belegte Orte auf - Corbio und Corioli wird niemand als Ausnahme geltend machen. Vergleicht man nun mit diesem Register das der latinischen Kolonien so sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet worden Suessa Pometia, Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361 393), Satricum (369 385), Sutrium (371 383), Nepete (371), Setia (372 382). Von den letzten drei ungefaehr gleichzeitigen koennen sehr wohl die beiden etruskischen etwas spaeter datieren als Setia, da ja die Gruendung jeder Stadt eine gewisse Zeitdauer in Anspruch nahm und unsere Liste von kleineren Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt man dies an, so enthaelt das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382) ausgefuehrte Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem Verzeichnis gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae, des latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa Pometia, ohne Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia, wahrscheinlich weil im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen nennt, hinter ΣΗΤΙΝΩΝ ausgefallen ist ΣΙΓΝΙΝΩΝ. Im vollkommenen Einklang hiermit mangeln in diesem Verzeichnis ebenso alle nach dem Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen Kolonien wie alle Orte, die wie Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384) der roemischen Gemeinde inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten, wie Tusculum, Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind.

Was das von Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu Plinius’ Zeit untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten Ortschaften betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei Dionysios stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die Dionysischen Carventaner zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils ganz unbekannte Ortschaften ohne Zweifel teils jene siebzehn nicht stimmenden Gemeinden, groesstenteils wohl eben die aeltesten, spaeter zurueckgestellten Glieder der albanischen Festgenossenschaft, teils eine Anzahl anderer untergegangener oder ausgestossener Bundesglieder, zu welchen letzteren vor allem der alte, auch von Plinius genannte Vorort Alba gehoert.

^12 Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418) Kolonie geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6) hierueber schweigt, kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden sein, da die Stadt teils nicht an der Kueste lag, teils auch spaeter noch im Besitz der Autonomie erscheint, noch eine latinische, da es kein einziges zweites Beispiel einer im urspruenglichen Latium angelegten latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen dieser Gruendungen geben kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo, da zumal als verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die gemeine Buerger- mit der kolonialen Assignation verwechselt worden.

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Mit dieser Schliessung der Eidgenossenschaft haengt auch die geographische Fixierung des Umfanges von Latium zusammen. Solange die latinische Eidgenossenschaft noch offen war, hatte auch die Grenze von Latium mit der Anlage neuer Bundesstaedte sich vorgeschoben; aber wie die juengeren latinischen Kolonien keinen Anteil am Albaner Fest erhielten, galten sie auch geographisch nicht als Teil von Latium - darum werden wohl Ardea und Circeii, nicht aber Sutrium und Tarracina zur Landschaft Latium gerechnet.

Aber nicht bloss wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht ausgestatteten Orte von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten, sondern es wurden dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander isoliert, als die Verkehrs- und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft (commercium et conubium) einer jeden von diesen Gemeinden zwar mit der roemischen, nicht aber mit den uebrigen latinischen gestattet ward, so dass also zum Beispiel der Buerger von Sutrium wohl in Rom, aber nicht in Praeneste einen Acker zu vollem Eigentum besitzen und wohl von einer Roemerin, nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder gewinnen konnte ^13.

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^13 Diese Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft begegnet zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8, 14); da indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher Teil ist, zuerst fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen Kolonien begann und 416 (338) nur generalisiert ward, so war diese Neuerung hier zu erwaehnen.

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Wenn ferner bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie Bewegung gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen Gemeinden Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die zwei neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein Heiligtum gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet von aehnlichen der roemischen Hegemonie Gefahr drohenden Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel nicht zufaellig, in spaeterer Zeit sich kein weiteres Beispiel.

Ebenso wird man die weitere Umgestaltung der latinischen Gemeindeverfassungen und ihre voellige Ausgleichung mit der Verfassung Roms dieser Epoche zuschreiben duerfen; denn wenn als notwendiger Bestandteil der latinischen Magistratur neben den beiden Praetoren spaeterhin die beiden mit der Markt- und Strassenpolizei und der dazu gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen erscheinen, so hat diese offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden Macht in allen Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer Polizeibehoerden sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden Einrichtung der kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um diese Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied einer Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen Gemeindeordnungen im polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden Massregeln.

Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des pomptinischen Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie straffer anzuziehen und die saemtlichen latinischen Staedte in eine so abhaengige Stellung zu bringen, dass sie faktisch vollstaendig untertaenig wurden. In dieser Zeit (406 348) verpflichteten sich die Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen Handelsvertrag, den Latinern, die Rom botmaessig seien, namentlich den Seestaedten Ardea, Antium, Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen; wuerde aber eine der latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen sein, so sollten die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie etwa erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie den Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die roemische Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt, die der einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste und wagte.

Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch wenigstens der latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf den dritten Teil von Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest der ehemaligen Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging, war wichtig genug, um die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in dieser Zeit unter den Latinern gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde standen, latinische Reislaeufer zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre fuehrende Gemeinde; sondern im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische Bundesversammlung, den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen nach stand eine abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen Bundesgenossenschaft in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte ein Zusammenstoss mit einer anderen italischen Nation, die wohl imstande war, der vereinigten Macht des latinischen Stammes ebenbuertig zu begegnen. Nach der Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den Roemern im Sueden zunaechst kein bedeutender Gegner gegenueber; unaufhaltsam naeherten ihre Legionen sich dem Liris. Im Jahre 397 (357) ward gluecklich gekaempft mit den Privernaten, 409 (345) Sora am oberen Liris besetzt. Schon standen also die roemischen Heere an der Grenze der Samniten, und das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400 (354) die beiden tapfersten und maechtigsten italischen Nationen miteinander schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der Krise innerhalb der latinischen Nation in drohender Weise sich verschlingenden Kampfes um die Oberherrschaft Italiens.

Die samnitische Nation, die, als man in Rom die Tarquinier austrieb, ohne Zweifel schon seit laengerer Zeit im Besitz des zwischen der apulischen und der kampanischen Ebene aufsteigenden und beide beherrschenden Huegellandes gewesen war, war bisher auf der einen Seite durch die Daunier - Arpis Macht und Bluete faellt in diese Zeit -, auf der andern durch die Griechen und Etrusker an weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen Macht um das Ende des dritten (450), das Sinken der griechischen Kolonien im Laufe des vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen Westen und Sueden ihnen Luft und ein samnitischer Schwarm nach dem andern zog jetzt bis an, ja ueber die sueditalischen Meere. Zuerst erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name der Kampaner seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts vernommen wird; die Etrusker wurden hier erdrueckt, die Griechen beschraenkt, jenen Capua (330 424), diesen Kyme (334 420) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon frueher, zeigen sich in Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des vierten Jahrhunderts mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume Zeit vor 364 (390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese Zeit betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das Ende des vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten Eidgenossenschaft der Brettier ^14, die, ungleich den andern sabellischen Staemmen, nicht als Kolonie, sondern im Kampf von den Lucanern sich losgemacht und mit vielen fremdartigen Elementen sich gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen Griechen sich des Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische Staedtebund ward 361 (393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der verbuendeten Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber selbst die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von Syrakus, der aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine Landsleute gemeinschaftliche Sache machte. Waehrend Dionysios den grossgriechischen Flotten die Herrschaft ueber die italischen Meere entriss, ward von den Italikern eine Griechenstadt nach der andern besetzt oder vernichtet; in unglaublich kurzer Zeit war der bluehende Staedtering zerstoert oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten, wie zum Beispiel Neapel, gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als durch Waffengewalt, wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu bewahren; durchaus unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das durch seine entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den Messapiern unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt, wenngleich auch diese Stadt bestaendig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und genoetigt war, in oder griechischen Heimat Buendnisse und Soeldner zu suchen.

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^14 Der Name selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der Bewohner des heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte Ableitung ist ohne Zweifel erfunden.

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Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten die samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger und unter sich nicht zusammenhaengender griechischer Pflanzstaedte und der apulisch-messapischen Kueste. Die um 418 (336) abgefasste griechische Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen Samniten mit ihren “fuenf Zungen” von einem Meer zum andern an und am Tyrrhenischen neben sie in noerdlicher Richtung die Kampaner, in suedlicher die Lucaner, unter denen hier wie oefter die Brettier mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste von Paestum am Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird. In der Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor sie sich beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem festen staedtischen Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt die Herrschaft dieses Stammes langsam nach allen Seiten sich aus, zwar in verhaeltnismaessig engen Grenzen, aber festen Fuss fassend, wo sie hintritt, teils durch Gruendung von befestigten Staedten roemischer Art mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch Romanisierung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine einzelne fuehrende Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend die Eroberung des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine wirkliche Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen Eidgenossenschaft eher geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm, der neue Sitze gesucht und gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine Wege. Die samnitischen Scharen erfuellen einen unverhaeltnismaessig weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii, Kroton, Metapont, Herakleia, Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und oefters abhaengig, bestehen fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren Staedten werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel, Poseidonia, Laos, Hipponion blieben, wie die erwaehnte Kuestenbeschreibung und die Muenzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Griechenstaedte. So entstanden gemischte Bevoelkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen Brettier ausser samnitischen auch hellenische Elemente und selbst wohl Ueberreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen; aber auch in Lucanien und Kampanien muessen in minderem Grade aehnliche Mischungen stattgefunden haben. Dem gefaehrlichen Zauber der hellenischen Kultur konnte auch die samnitische Nation sich nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo Neapel frueh mit den Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel selbst die Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein samnitischer Bevoelkerung, nahmen griechische Weise und griechische Stadtverfassung an, wie denn auch die heimische Gauverfassung unter den veraenderten Verhaeltnissen unmoeglich fortbestehen konnte. Die kampanischen Samnitenstaedte begannen Muenzen zu schlagen, zum Teil mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch Handel und Ackerbau der Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die erste an Ueppigkeit und Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den Berichten der Alten zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen zuvorgetan hat, spiegelt sich namentlich in dem Werbewesen und in den Fechterspielen, die beide vor allem in Capua zur Bluete gelangt sind. Nirgends fanden die Werber so zahlreichen Zulauf wie in dieser Metropole der entsittlichten Zivilisation; waehrend Capua selbst sich vor den Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht zu bergen wusste, stroemte die streitbare kampanische Jugend unter selbstgewaehlten Condottieren massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief diese Landknechtfahrten in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter noch darzustellen sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso bezeichnend wie die Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht ihre Entstehung, aber ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar waehrend des Gastmahls Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem Rang der geladenen Gaeste abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten samnitischen Stadt, die wohl ohne Zweifel auch mit dem hier noch nachwirkenden etruskischen Wesen eng zusammenhaengt, musste fuer die ganze Nation verhaengnisvoll werden; wenn auch der kampanische Adel es verstand, mit dem tiefsten Sittenverfall ritterliche Tapferkeit und hohe Geistesbildung zu verbinden, so konnte er doch fuer seine Nation nimmermehr werden, was die roemische Nobilitaet fuer die latinische war. Aehnlich wie auf die Kampaner, wenn auch in minderer Staerke, wirkte der hellenische Einfluss auf die Lucaner und Brettier. Die Graeberfunde in all diesen Gegenden beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem Luxus gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das prachtvolle gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Haeusern der Toten entheben, lassen ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten Sitte der Vaeter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale aus dem Norden mitgebrachte ward von den Lucanern und Brettiern aufgegeben und mit der griechischen vertauscht, waehrend in Kampanien das nationale Alphabet und wohl auch die Sprache unter dem bildenden Einfluss der griechischen sich selbstaendig entwickelte zu groesserer Klarheit und Feinheit. Es begegnen sogar einzelne Spuren des Einflusses griechischer Philosophie.

Nur das eigentliche Samnitenland blieb unberuehrt von diesen Neuerungen, die, so schoen und natuerlich sie teilweise sein mochten, doch maechtig dazu beitrugen, das von Haus aus schon lose Band der nationalen Einheit immer mehr zu lockern. Durch den Einfluss des hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in den samnitischen Stamm. Die gesitteten “Philhellenen” Kampaniens gewoehnten sich, gleich den Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der Berge zu zittern, die ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen und die entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter ungeschmaelert bewahrt, war aber auch darueber mit den uebrigen samnitischen Voelker- und Buergerschaften voellig zerfallen.

In der Tat war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die Roemer ueber den Liris fuehrte. Die Sidiciner in Teanum, die Kampaner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzen drohten, Hilfe bei den Roemern (411 343). Als das begehrte Buendnis verweigert ward, bot die kampanische Gesandtschaft die Unterwerfung der Stadt unter die Oberherrlichkeit Roms an, und solcher Lockung vermochten die Roemer nicht zu widerstehen. Roemische Gesandte gingen zu den Samniten, ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern, das Gebiet der befreundeten Macht zu respektieren. Wie die Ereignisse weiter verliefen, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15; wir sehen nur, dass zwischen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es ohne vorhergehenden Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer freie Hand erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die Volsker am oberen Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden, erklaert sich aus den gewaltigen Anstrengungen, die eben um diese Zeit die Tarentiner machten, sich der sabellischen Nachbarn zu entledigen; aber auch die Roemer hatten guten Grund, sich mit den Samniten so schnell wie moeglich abzufinden, denn der bevorstehende Uebergang der suedlich an Latium angrenzenden Landschaft in roemischen Besitz verwandelte die laengst unter den Latinern bestehende Gaerung in offene Empoerung. Alle urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den roemischen Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen gegen Rom, mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von den ausserhalb der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten Volskerstaedte Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung beteiligten. Dass die Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den Roemern angetragenen Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der roemischen Herrschaft wieder ledig zu werden, bereitwillig ergriffen und, trotz des Widerstandes der an dem Vertrag mit Rom festhaltenden Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche Sache mit der latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen die noch selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die ueber den Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren durch den Aufstand der Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein Sieg konnte sie retten. Bei Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und Sinuessa) ward die entscheidende Schlacht geliefert (414 340): der Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus erfocht ueber die vereinigten Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg. In den beiden folgenden Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch Widerstand leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die ganze Landschaft zur Unterwerfung gebracht.

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^15 Vielleicht kein Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger entstellt als die Erzaehlung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius, Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgendermassen. Nachdem 411 (343) beide Konsuln in Kampanien eingerueckt waren, erfocht zuerst der Konsul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus ueber die Samniten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der Kollege Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpass durch Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius gefuehrten Abteilung entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward am Eingang der Caudinischen Paesse bei Suessula von den beiden Konsuln geschlagen; die Samniten wurden vollstaendig ueberwunden - man las vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfelde auf - und zum Frieden genoetigt, in welchem die Roemer Capua, das sich ihnen zu eigen gegeben, behielten, Teanum dagegen den Samniten ueberliessen (413 341). Glueckwuensche kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug verweigert hatten und gegen Rom zu ruesten schienen, wandten ihre Waffen statt gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner, waehrend die Roemer zunaechst durch eine Militaerverschwoerung der in Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412 342), dann durch die Einnahme von Privernum (413 341) und den Krieg gegen die Antiaten beschaeftigt waren. Nun aber wechseln ploetzlich und seltsam die Parteiverhaeltnisse. Die Latiner, die umsonst das roemische Buergerrecht und Anteil am Konsulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit den Sidicinern, die vergeblich den Roemern die Unterwerfung angetragen hatten und vor den Samniten sich nicht zu retten wussten, und mit den Kampanern, die der roemischen Herrschaft bereits muede waren. Nur die Laurenter in Latium und die kampanischen Ritter hielten zu den Roemern, welche ihrerseits Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und den Samniten. Das latinische Heer ueberfiel Samnium; das roemisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fuciner See und von da an Latium vorueber in Kampanien einmarschiert war, die Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Kampaner am Vesuv, welche der Konsul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst durch die Hinrichtung seines eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden Sohnes die schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege Publius Decius Mus die Goetter versoehnt hatte durch seinen Opfertod, endlich mit Aufbietung der letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite Schlacht, die der Konsul Manlius den Latinern und Kampanern bei Trifanum lieferte, machte dem Krieg ein Ende; Latium und Capua unterwarfen sich und wurden um einen Teil ihres Gebietes gestraft.

Einsichtigen und ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser Bericht von Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das Kriegfuehren der Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33); der selbstaendige Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu den Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom und Latium; der unerhoerte Marsch des roemischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet nach Capua, waehrend ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht zu reden von dem ebenso verwirrten wie sentimentalen Bericht ueber den Militaeraufstand von 412 (342) und den Geschichtchen von dem gezwungenen Anfuehrer desselben, dem lahmen Titus Quinctius, dem roemischen Goetz von Berlichingen. Vielleicht noch bedenklicher sind die Wiederholungen; so ist die Erzaehlung von dem Kriegstribun Publius Decius nachgebildet der mutigen Tat des Marcus Calpurnius Flamma, oder wie er sonst hiess, im Ersten Punischen Kriege; so kehrt die Eroberung Privernums durch Gaius Plautius wieder im Jahre 425 (329), und nur diese zweite ist in den Triumphalfasten verzeichnet; so der Opfertod des Publius Decius bekanntlich bei dem Sohne desselben 459 (295). Ueberhaupt verraet in diesem Abschnitt die ganze Darstellung eine andere Zeit und eine andere Hand als die sonstigen glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die Erzaehlung ist voll von ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten Anekdoten, wie zum Beispiel der von dem setinischen Praetor, der auf den Stufen des Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war, das Konsulat zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen des Titus Manlius herausgesponnenen; von ausfuehrlichen und zum Teil bedenklichen archaeologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die Geschichte der Legion (von der die hoechst wahrscheinlich apokryphe Notiz ueber die aus Roemern und Latinern gemischten Manipel des zweiten Tarquinius bei Liv. 1, 52 offenbar ein zweites Bruchstueck ist), die verkehrte Auffassung des Vertrages zwischen Capua und Rom (meine Geschichte des roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A. 122), die Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische Buendnis, die bina iugera bei der Assignation gehoeren. Unter solchen Umstaenden erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der anderen und oft aelteren Berichten folgt, von all diesen Ereignissen schlechterdings nichts kennt als die letzte Schlacht bei Trifanum; welche auch in der Tat schlecht passt zu der uebrigen Erzaehlung, die nach poetischer Gerechtigkeit schliessen sollte mit dem Tode des Decius.

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Die Folge des Sieges war die Aufloesung des latinischen Bundes. Derselbe wurde aus einer selbstaendigen politischen Konfoederation in eine bloss religioese Festgenossenschaft umgewandelt; die altverbrieften Rechte der Eidgenossenschaft auf ein Maximum der Truppenaushebung und einen Anteil an dem Kriegsgewinn gingen damit als solche zu Grunde, und was derart spaeter noch vorkam, traegt den Charakter der Gnadenbewilligung. An die Stelle des einen Vertrages zwischen Rom einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits traten im besten Fall ewige Buendnisse zwischen Rom und den einzelnen eidgenoessischen Orten. Zu diesem Vertragsverhaeltnis wurden von den altlatinischen Orten ausser Laurentum auch Tibur und Praeneste zugelassen, welche indes Stuecke ihres Gebiets an Rom abtreten mussten. Gleiches Recht erhielten die ausserhalb Latium gegruendeten Gemeinden latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem Kriege beteiligt hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander, welche fuer die nach dem Jahre 370 (384) gegruendeten Orte bereits frueher festgestellt worden war, ward also auf die gesamte Nation erstreckt. Im uebrigen blieben den einzelnen Orten die bisherigen Gerechtsame und ihre Autonomie. Die uebrigen altlatinischen Gemeinden sowie die abgefallenen Kolonien verloren saemtlich die Selbstaendigkeit und traten in einer oder der anderen Form in den roemischen Buergerverband ein. Die beiden wichtigsten Kuestenstaedte Antium (416 338) und Tarracina (425 329) wurden, nach dem Muster von Ostia, mit roemischen Vollbuergern besetzt und auf eine engbegrenzte kommunale Selbstaendigkeit beschraenkt, die bisherigen Buerger zu Gunsten der roemischen Kolonisten ihres Grundeigentums grossenteils beraubt und, soweit sie es behielten, ebenfalls in den Vollbuergerverband aufgenommen. Lanuvium, Aricia, Nomentum, Pedum wurden roemische Buergergemeinden mit beschraenkter Selbstverwaltung nach dem Muster von Tusculum (l, 360). Velitraes Mauern wurden niedergerissen, der Senat in Masse ausgewiesen und im roemischen Etrurien interniert, die Stadt wahrscheinlich als untertaenige Gemeinde nach caeritischem Recht konstituiert. Von dem gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel die Laendereien der veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger verteilt; mit diesen Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier neuer Buergerbezirke im Jahre 422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom die ungeheure Bedeutung des gewonnenen Erfolges empfand, zeigt die Ehrensaeule, die man dem siegreichen Buergermeister des Jahres 416 (338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte errichtete, und die Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den Schnaebeln der unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren.

In gleicher Weise ward in dem suedlichen volskischen und dem kampanischen Gebiet die roemische Herrschaft durchgefuehrt und befestigt. Fundi, Formiae, Capua, Kyme und eine Anzahl kleinerer Staedte wurden abhaengige roemische Gemeinden mit Selbstverwaltung; um das vor allem wichtige Capua zu sichern, erweiterte man kuenstlich die Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte die Gemeindeverfassung im roemischen Interesse und kontrollierte die staedtische Verwaltung durch jaehrlich nach Kampanien gesandte roemische Beamte. Dieselbe Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf dem volskischen Privernum, dessen Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen fundanischen Parteigaenger Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, fuer die Freiheit dieser Landschaft den letzten Kampf zu kaempfen - er endigte mit der Erstuermung der Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus im roemischen Kerker. Um eine eigene roemische Bevoelkerung in diesen Gegenden emporzubringen, teilte man von den im Krieg gewonnenen Laendereien, namentlich im privernatischen und im falernischen Gebiet, so zahlreiche Ackerlose an roemische Buerger aus, dass wenige Jahre nachher (436 318) auch dort zwei neue Buergerbezirke errichtet werden konnten. Die Anlegung zweier Festungen als Kolonien latinischen Rechts sicherte schliesslich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420 334) mitten in der kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua beobachtet werden konnten, und Fregellae (426 328), das den Uebergang ueber den Liris beherrschte. Beide Kolonien waren ungewoehnlich stark und gelangten schnell zur Bluete, trotz der Hindernisse, welche die Sidiciner der Gruendung von Cales, die Samniten der von Fregellae in den Weg legten. Auch nach Sora ward eine roemische Besatzung verlegt, worueber die Samniten, denen dieser Bezirk vertragsmaessig ueberlassen worden war, sich mit Grund, aber vergeblich beschwerten. Ungeirrt ging Rom seinem Ziel entgegen, seine energische und grossartige Staatskunst mehr als auf dem Schlachtfelde offenbarend in der Sicherung der gewonnenen Landschaft, die es politisch und militaerisch mit einem unzerreissbaren Netze umflocht.

Dass die Samniten das bedrohliche Vorschreiten der Roemer nicht gern sahen, versteht sich; sie warfen ihnen auch wohl Hindernisse in den Weg, aber versaeumten es doch jetzt, wo es vielleicht noch Zeit war, mit der von den Umstaenden geforderten Energie ihnen die neue Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar Teanum scheinen sie nach dem Vertrag mit Rom eingenommen und stark besetzt zu haben; denn waehrend die Stadt frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom nachsucht, erscheint sie in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der samnitischen Macht gegen Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl erobernd und zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die Dauer sich festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae, wodurch nur die Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst erleichtert ward, und schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria (Ceccano) und Luca (unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas Beispiel folgend, sich (424 330) den Roemern zu eigen gaben. Die samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass die roemische Eroberung Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor sie sich ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil in den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen Politik der Eidgenossenschaft zu suchen ist.

KAPITEL VI.
Die Italiker gegen Rom

Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten den Suedosten der Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische Kaufmannsrepublik, immer ernstlicher bedroht von den lucanischen und messapischen Haufen und ihren eigenen Schwertern mit Recht misstrauend, gewann fuer gute Worte und besseres Geld die Bandenfuehrer der Heimat. Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit einem starken Haufen den Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an demselben Tage, wo Philipp bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie die frommen Griechen meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute neunzehn Jahre frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen Heiligtums. Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein, Alexander der Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des Grossen. Mit den mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen Fahnen die Zuzuege der Griechenstaedte, namentlich der Tarentiner und Metapontiner; ferner die Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich den Griechen sich von der sabellischen Nation bedroht sahen; endlich sogar die lucanischen Verbannten selbst, deren betraechtliche Zahl auf heftige innere Unruhen in dieser Eidgenossenschaft schliessen laesst. So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen. Consentia (Cosenza), der Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland angesiedelten Sabeller, fiel in seine Haende. Umsonst kommen die Samniten den Lucanern zu Hilfe; Alexander schlaegt ihre vereinigte Streitmacht bei Paestum, er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der suedoestlichen Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff, den Roemern die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten in ihren Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete Erfolge waren den Tarentiner Kaufleuten unerwuenscht und erschreckend; es kam zum Kriege zwischen ihnen und ihrem Feldhauptmann, der als gedungener Soeldner erschienen war und nun sich anliess, als wolle er im Westen ein hellenisches Reich begruenden gleichwie sein Neffe im Osten. Alexander war anfangs im Vorteil: er entriss den Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder her und scheint die uebrigen italischen Griechen aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen die Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen ihnen und den sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu vermitteln. Allein seine grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache Unterstuetzung bei den entarteten und entmutigten Griechen und der notgedrungene Parteiwechsel entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel er von der Hand eines lucanischen Emigrierten (422 332) ^1. Mit seinem Tode kehrten im wesentlichen die alten Zustaende wieder zurueck. Die griechischen Staedte sahen sich wiederum vereinzelt und wiederum lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut es gehen mochte, zu schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch auswaertige Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von Syrakus die Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten aufs neue das Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen, wieder ihre Blicke nach Kampanien und Latium wenden.

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^1 Es wird nicht ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern herruehrt und der Synchronismus dieser und der roemischen fuer die gegenwaertige Epoche noch bloss approximativ festgestellt ist. Man huete sich daher, den im allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ostitalischen Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen zu wollen.

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Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten. Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und zertruemmert, der letzte Widerstand der Volsker gebrochen, die kampanische Landschaft, die reichste und schoenste der Halbinsel, im unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz der Roemer, die zweite Stadt Italiens in roemischer Klientel. Waehrend die Griechen und Samniten miteinander rangen, hatte Rom fast unbestritten sich zu einer Machtstellung emporgeschwungen, die zu erschuettern kein einzelnes Volk der Halbinsel die Mittel mehr besass und die alle zugleich mit roemischer Unterjochung bedrohte. Eine gemeinsame Anstrengung der jedes fuer sich Rom nicht gewachsenen Voelker konnte vielleicht die Ketten noch sprengen, ehe sie voellig sich befestigten; aber die Klarheit, der Mut, die Hingebung, wie eine solche Koalition unzaehliger, bisher grossenteils feindlich oder doch fremd sich gegenueberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich nicht oder doch erst, als es bereits zu spaet war.

Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der griechischen Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste Macht in Italien die samnitische Eidgenossenschaft und zugleich diejenige, die von den roemischen Uebergriffen am naechsten und unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu, in dem Kampf um die Freiheit und die Nationalitaet, den die Italiker gegen Rom zu fuehren hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu uebernehmen. Sie durfte rechnen auf den Beistand der kleinen sabellischen Voelkerschaften, der Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in baeuerlicher Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der Aufruf eines verwandten Stammes sie mahnte, zur Verteidigung der gemeinsamen Gueter die Waffen zu ergreifen. Wichtiger waere der Beistand der kampanischen und grossgriechischen Hellenen, namentlich der Tarentiner, und der maechtigen Lucaner und Brettier gewesen; allein teils die Schlaffheit und Fahrigkeit der in Tarent herrschenden Demagogen und die Verwicklung der Stadt in die sizilischen Angelegenheiten, teils die innere Zerrissenheit der lucanischen Eidgenossenschaft, teils und vor allem die seit Jahrhunderten bestehende tiefe Verfehdung der unteritalischen Hellenen mit ihren lucanischen Bedraengern liessen kaum hoffen, dass Tarent und Lucanien gemeinschaftlich sich den Samniten anschliessen wuerden. Von den Sabinern und den Marsern als den naechsten und seit langem in friedlichem Verhaeltnis mit Rom lebenden Nachbarn der Roemer war wenig mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralitaet; die Apuler, die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die natuerlichen Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen Etrusker, wenn ein erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen wuerden, liess sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- und Hernikerland lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber mussten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die nationale Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den uebrigen Voelkern Zeit gab zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum Sammeln der Kraefte; ein einziger gluecklicher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die Geschichte darf dem edlen Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine Pflicht begriffen und getan hat.

Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und Samnium infolge der bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am Liris erlaubten und unter denen die Gruendung von Fregellae 426 (328) der letzte und wichtigste war. Zum Ausbruch des Kampfes aber gaben die Veranlassung die kampanischen Griechen. Seitdem Cumae und Capua roemisch geworden waren, lag den Roemern nichts so nahe wie die Unterwerfung der Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen Inseln im Golf beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige noch nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von dem Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen, ihnen zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als zu schlaff waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten in der Tat eine starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer dem Namen nach den Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427 327) und begannen die Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine Weile gewaehrt hatte, wurden die kampanischen Griechen des gestoerten Handels und der fremden Besatzung muede; und die Roemer, deren ganzes Bestreben darauf gerichtet war, von der Koalition, deren Bildung bevorstand, die Staaten zweiten und dritten Ranges durch Sondervertraege fernzuhalten, beeilten sich, sowie sich die Griechen auf Unterhandlungen einliessen, ihnen die guenstigsten Bedingungen zu bieten: volle Rechtsgleichheit und Befreiung vom Landdienst, gleiches Buendnis und ewigen Frieden. Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten sich der Besatzung durch List entledigt hatten, der Vertrag abgeschlossen (428 326).

Im Anfang dieses Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom Volturnus, Nola, Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein teils ihre sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer, welche die optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der List und des Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei an Capuas Vorgang einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass diese Staedte nicht lange nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer Rom oder doch neutral erklaerten.

Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den Roemern in Lucanien. Das Volk war auch hier mit richtigem Instinkt fuer den Anschluss an die Samniten; da aber das Buendnis mit den Samniten auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein grosser Teil der regierenden Herren Lucaniens nicht gemeint war, die eintraeglichen Pluenderzuege einzustellen, so gelang es den Roemern, mit Lucanien ein Buendnis abzuschliessen, das unschaetzbar war, weil dadurch den Tarentinern zu schaffen gemacht wurde und also die ganze Macht Roms gegen Samnium verwendbar blieb.

So stand Samnium nach allen Seiten hin allein; kaum dass einige der oestlichen Bergdistrikte ihm Zuzug sandten. Mit dem Jahre 428 (326) begann der Krieg im samnitischen Lande selbst; einige Staedte an der kampanischen Grenze, Rufrae (zwischen Venafrum und Teanum) und Allifae, wurden von den Roemern besetzt. In den folgenden Jahren durchzogen die roemischen Heere fechtend und pluendernd Samnium bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie mit offenen Armen empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der Mut der Samniten war gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen zurueck und mit ihnen die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus Papius, welcher den roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die samnitische Volksgemeinde beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde zu erbitten und durch die Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn sich leidlichere Bedingungen zu erwirken. Aber als die demuetige, fast flehentliche Bitte bei der roemischen Volksgemeinde keine Erhoerung fand (432 322), ruesteten sich die Samniten unter ihrem neuen Feldherrn Gavius Pontius zur aeussersten und verzweifelten Gegenwehr. Das roemische Heer, das unter den beiden Konsuln des folgenden Jahres (433 321), Spurius Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen Caserta und Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage zahlreicher Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria eng eingeschlossen haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz Apuliens hing, in grosser Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zu rechter Zeit anlangen, so konnte kein anderer Weg eingeschlagen werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo spaeter als Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische Chaussee von Capua ueber Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg fuehrte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln umschlossen und nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt zugaenglich war. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Roemer, ohne Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue gesperrt und stark besetzt; zurueckmarschierend erblickten sie den Eingang in aehnlicher Weise geschlossen und gleichzeitig kroenten die Bergraender rings im Kreise sich mit den samnitischen Kohorten. Zu spaet begriffen sie, dass sie sich durch eine Kriegslist hatten taeuschen lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern in dem verhaengnisvollen Pass von Caudium. Man schlug sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das roemische Heer war gaenzlich unfaehig zu manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig ueberwunden. Die roemischen Generale Boten die Kapitulation an. Nur toerichte Rhetorik laesst dem samnitischen Feldherrn die Wahl bloss zwischen Entlassung und Niedermetzelung der roemischen Armee; er konnte nichts Besseres tun als die angebotene Kapitulation annehmen und das feindliche Heer, die gesamte augenblicklich aktive Streitmacht der roemischen Gemeinde mit beiden hoechstkommandierenden Feldherren, gefangen machen; worauf ihm dann der Weg nach Kampanien und Latium offenstand und unter den damaligen Verhaeltnissen, wo die Volsker und Herniker und der groesste Teil der Latiner ihn mit offenen Armen empfangen haben wuerden, Roms politische Existenz ernstlich gefaehrdet war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militaerkonvention zu schliessen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den ganzen Hader beendigen zu koennen; sei es, dass er die unverstaendige Friedenssehnsucht der Eidgenossen teilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es, dass er nicht imstande war, der kriegsmueden Partei zu wehren, dass sie den beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die gestellten Bedingungen waren maessig genug: Rom solle die vertragswidrig angelegten Festungen - Cales und Fregellae - schleifen und den gleichen Bund mit Samnium erneuern. Nachdem die roemischen Feldherren dieselben eingegangen waren und fuer die getreuliche Ausfuehrung sechshundert aus der Reiterei erlesene Geiseln gestellt, ueberdies ihr und ihrer saemtlichen Stabsoffiziere Eideswort dafuer verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer entlassen, unverletzt, aber entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer gewann es nicht ueber sich, den gehassten Feinden die schimpfliche Form der Waffenstreckung und des Abzuges unter dem Galgen durch zu erlassen.

Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und um das Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich diejenigen, die ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer dessen Erfuellung verantwortlich dem Feinde auszuliefern. Es kann der unparteiischen Geschichte wenig darauf ankommen, ob die roemische Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den Buchstaben des Rechts gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats denselben verletzt hat; menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer hier kein Tadel. Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen Staatsrecht der kommandierende General befugt oder nicht befugt war, ohne vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen; dem Geiste und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest, dass in Rom jeder nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz der buergerlichen Gewalten gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag von Rat und Buergerschaft Frieden schloss, mehr tat, als er tun durfte. Es war ein groesserer Fehler des samnitischen Feldherrn, den roemischen die Wahl zu stellen zwischen Rettung ihres Heeres und Ueberschreitung ihrer Vollmacht, als der roemischen, dass sie nicht die Seelengroesse hatten, die letztere Anmutung unbedingt zurueckzuweisen; und dass der roemische Senat einen solchen Vertrag verwarf, war recht und notwendig. Kein grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als unter dem Druck der aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind Anerkenntnisse einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn jede Nation mit Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege mit den Waffen zu zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an einem Vertrage gleich dem Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher Feldherr moralisch genoetigt worden ist, geduldig festzuhalten, wenn die frische Schande brennt und die Kraft ungebrochen dasteht?

So brachte der Friedensvertrag von Caudium nicht die Ruhe, die die Friedensenthusiasten in Samnium toerichterweise davon erhofft hatten, sondern nur Krieg und wieder Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten durch die verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die geschaendete Waffenehre, die preisgegebenen Kameraden. Die ausgelieferten roemischen Offiziere wurden von den Samniten nicht angenommen, teils weil sie zu gross dachten, um an diesen Ungluecklichen ihre Rache zu ueben, teils weil sie damit den Roemern wuerden zugestanden haben, dass das Buendnis nur die Schwoerenden verpflichtet habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig verschonten sie sogar die Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war, und wandten sich vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward von ihnen besetzt, Fregellae ueberfallen und erstuermt (434 320), bevor die Roemer die aufgeloeste Armee wieder reorganisiert hatten; was man haette erreichen koennen, wenn man den Vorteil nicht haette aus den Haenden fahren lassen, zeigt der Uebertritt der Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber Rom war nur augenblicklich gelaehmt, nicht geschwaecht; voll Scham und Erbitterung bot man dort auf, was man an Mannschaft und Mitteln vermochte und stellte den erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr gleich ausgezeichneten Fuehrer Lucius Papirius Cursor an die Spitze des neugebildeten Heeres. Dasselbe teilte sich; die eine Haelfte zog durch die Sabina und das adriatische Litoral vor Luceria, die andere ebendahin durch Samnium selbst, indem die letztere das samnitische Heer unter gluecklichen Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen unter den Mauern von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben ward, als dort die roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler, namentlich die Arpaner, leisteten dabei den Roemern wichtigen Beistand, vorzueglich durch Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum Entsatz der Stadt eine Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab sich Luceria den Roemern (435 319): Papirius genoss die doppelte Freude, die verlorengegebenen Kameraden zu befreien und der samnitischen Besatzung von Luceria die Galgen von Caudium zu vergelten. In den folgenden Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so sehr in Samnium gefuehrt ^3 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst zuechtigten die Roemer die samnitischen Verbuendeten in dem apulischen und frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und den Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig ward Satricum zur Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall bestraft. Alsdann zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die Grenzstadt gegen Samnium Saticula (vielleicht S. Agata de’ Goti) eroberten (438 316). Jetzt aber schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie wenden zu wollen. Die Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald darauf die Nolaner auf ihre Seite; am oberen Liris vertrieben die Soraner selbst die roemische Besatzung (439 315); eine Erhebung der Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das wichtige Cales; selbst in Capua regten sich lebhaft die antiroemisch Gesinnten. Ein samnitisches Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in der Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu geben (440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen und, nachdem die samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314), wieder genommen. Die Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer Strenge unterdrueckt, ehe der Aufstand recht zum Ausbruch kam, und gleichzeitig ein eigener Diktator ernannt, um die politischen Prozesse gegen die Fuehrer der samnitischen Partei in Capua einzuleiten und abzuurteilen, so dass die namhaftesten derselben, um dem roemischen Henker zu entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das samnitische Heer vor Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien gezwungen; die Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend, ueberschritten den Matese und lagerten im Winter 440 (314) vor der Hauptstadt Samniums Bovianum. Nola war von den Verbuendeten preisgegeben; die Roemer waren einsichtig genug, durch den guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen Bundesvertrag die Stadt fuer immer von der samnitischen Partei zu trennen (441 313). Fregellae, das seit der caudinischen Katastrophe in den Haenden der antiroemischen Partei und deren Hauptburg in der Landschaft am Liris gewesen war, fiel endlich auch, im achten Jahre nach der Einnahme durch die Samniten (441 313); zweihundert der Buerger, die vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom gefuehrt und dort zum warnenden Beispiel fuer die ueberall sich regenden Patrioten auf offenem Markte enthauptet.

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^2 Es sind dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern die einer anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde ohne Stimmrecht konstituierten Stadt bei Arpinum.

^3 Dass zwischen den Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein foermlicher zweijaehriger Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als unwahrscheinlich.

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Hiermit waren Apulien und Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur endlichen Sicherstellung und bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes wurden in den Jahren 440 bis 442 (314 bis 312) in demselben eine Anzahl neuer Festungen gegruendet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolierten und ausgesetzten Lage wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward, ferner Pontiae (die Ponzainseln) zur Sicherung der kampanischen Gewaesser, Saticula an der kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer gegen Samnium, endlich Interamna (bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca (Sessa) auf der Strasse von Rom nach Capua. Besatzungen kamen ausserdem nach Caiatia (Cajazzo), Sora und anderen militaerisch wichtigen Plaetzen. Die grosse Militaerstrasse von Rom nach Capua, die der Zensor Appius Claudius 442 (312) chaussieren und den dazu erforderlichen Damm durch die Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die Sicherung Kampaniens. Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der Roemer; es galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische Festungs- und Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von beiden Seiten schon waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon schnitt die Linie von Rom nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander ab, wie einst die Festungen Norba und Signia die Volsker und Aequer getrennt hatten; und wie damals auf die Herniker, stuetzte Rom sich jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mussten erkennen, dass es um ihrer aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag, und dass es die allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon fuenfzehn Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen.

Die naechsten Bundesgenossen der Samniten waeren die Tarentiner gewesen; allein es gehoert zu dem ueber Samnium und ueber Italien ueberhaupt waltenden Verhaengnis, dass in diesem zukunftbestimmenden Augenblick die Entscheidung in den Haenden dieser italischen Athener lag. Seit die urspruenglich nach alter dorischer Art streng aristokratische Verfassung Tarents in die vollstaendigste Demokratie uebergegangen war, hatte in dieser hauptsaechlich von Schiffern, Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt ein unglaublich reges Leben sich entwickelt; Sinn und Tun der mehr reichen als vornehmen Bevoelkerung wehrte allen Ernst des Lebens in dem witzig und geistreich quirlenden Tagestreiben von sich ab und schwankte zwischen dem grossartigsten Wagemut und der genialsten Erhebung und zwischen schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es wird auch in diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter und altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft sein, daran zu erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor dieser Zeit (389) nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am Dionysienfest die ganze Stadt berauscht sah, und dass das parodische Possenspiel, die sogenannte “lustige Tragoedie” eben um die Zeit des grossen samnitischen Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser Lotterwirtschaft und Lotterpoesie der Tarentiner Eleganten und Literaten liefert die Ergaenzung die unstete, uebermuetige und kurzsichtige Politik der Tarentiner Demagogen, welche regelmaessig da sich beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da ausblieben, wo ihr naechstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der caudinischen Katastrophe Roemer und Samniten sich in Apulien gegenueberstanden, Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien geboten, die Waffen niederzulegen (434 320). Diese diplomatische Intervention in dem italischen Entscheidungskampf konnte verstaendigerweise nichts sein als die Ankuendigung, dass Tarent aus seiner bisherigen Passivitaet jetzt endlich herauszutreten entschlossen sei. Grund genug hatte es wahrlich dazu, wie schwierig und gefaehrlich es auch fuer Tarent selbst war, in diesen Krieg verwickelt zu werden: denn die demokratische Machtentwicklung des Staates hatte sich lediglich auf die Flotte geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf die starke Handelsmarine Tarents, unter den grossgriechischen Seemaechten den ersten Rang einnahm, bestand die Landmacht, auf die es jetzt ankam, wesentlich aus gemieteten Soeldnern und war in tiefem Verfall. Unter diesen Umstaenden war es fuer die tarentinische Republik keine leichte Aufgabe, an dem Kampf zwischen Rom und Samnium sich zu beteiligen, auch abgesehen von der wenigstens beschwerlichen Fehde, in welche die roemische Politik die Tarentiner mit den Lucanern zu verwickeln gewusst hatte. Indes bei kraeftigem Willen waren diese Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden; und beide streitende Teile fassten die Aufforderung der tarentinischen Gesandten, mit dem Kampf einzuhalten, in diesem Sinne auf. Die Samniten als die Schwaecheren zeigten sich bereit, derselben nachzukommen; die Roemer antworteten durch die Aufsteckung des Zeichens zur Schlacht. Vernunft und Ehre geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer Gesandten jetzt die Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu lassen; allein in Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und man hatte dort bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch gespielt. Die Kriegserklaerung gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen unterstuetzte man lieber gegen Agathokles von Syrakus, der frueher in tarentinischen Diensten gestanden hatte und in Ungnade entlassen worden war, die oligarchische Staedtepartei in Sizilien und sandte, dem Beispiel Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel, die in der kampanischen See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314).

Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die namentlich durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden zu sein scheinen. Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren Waffenstillstandsvertrag von 403 (351) schon einige Jahre frueher zu Ende gegangen war. Die roemische Grenzfestung Sutrium hatte eine zweijaehrige Belagerung auszuhalten, und in den heftigen Gefechten, die unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Roemer in der Regel den kuerzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Fuehrer, nicht bloss im roemischen Etrurien das Uebergewicht der roemischen Waffen wiederherstellte, sondern auch kuehn eindrang in das eigentliche, durch die Verschiedenheit der Sprache und die geringen Kommunikationen den Roemern bis dahin fast unbekannt gebliebene etruskische Land. Der Zug ueber den noch von keinem roemischen Heer ueberschrittenen Ciminischen Wald und die Pluenderung des reichen, lange von Kriegsnot verschont gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die roemische Regierung, welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte und die Ueberschreitung der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet untersagt hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten etruskischen Macht zu begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen zusammen. Allein ein rechtzeitiger und entscheidender Sieg des Rullianus, die lange im Andenken des Volkes fortlebende Schlacht am Vadimonischen See, machte aus dem unvorsichtigen Beginnen eine gefeierte Heldentat und brach den Widerstand der Etrusker. Ungleich den Samniten, die nun schon seit achtzehn Jahren den ungleichen Kampf fochten, bequemten sich schon nach der ersten Niederlage drei der maechtigsten etruskischen Staedte, Perusia, Cortona und Arretium, zu einem Sonderfrieden auf dreihundert (444 310) und, nachdem im folgenden Jahre die Roemer noch einmal bei Perusia die uebrigen Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu einem Frieden auf vierhundert Monate (446 308); worauf auch die uebrigen Staedte vom Kampfe abstanden und in Etrurien vorlaeufig Waffenruhe eintrat.

Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg nicht geruht. Der Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den bisherigen auf die Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer Plaetze; aber im naechsten Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere Wendung. Rullianus’ gefaehrliche Lage in Etrurien und die ueber die Vernichtung der roemischen Nordarmee verbreiteten Geruechte ermutigten die Samniten zu neuen Anstrengungen; der roemische Konsul Gaius Marcius Rutilus wurde von ihnen besiegt und selber schwer verwundet. Aber der Umschwung der Dinge in Etrurien zerstoerte die neu aufleuchtenden Hoffnungen. Wieder trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der gegen die Samniten gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger in einer grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die Eidgenossen ihre letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die Buntroecke mit den Gold-, die Weissroecke mit den Silberschilden wurden hier aufgerieben und die glaenzenden Ruestungen derselben schmueckten seitdem bei festlichen Gelegenheiten die Budenreihen laengs des roemischen Marktes. Immer hoeher stieg die Not, immer hoffnungsloser ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308) legten die Etrusker die Waffen nieder; in ebendemselben ergab die letzte Stadt Kampaniens, die noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu Wasser und zu Lande gleichzeitig angegriffen, unter guenstigen Bedingungen sich den Roemern. Zwar fanden die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den Hernikern traten zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was mit entscheidendem Gewicht gegen Rom in die Waagschale haette fallen koennen, wenn die Etrusker noch unter Waffen gestanden haetten, vermehrte jetzt bloss die Erfolge des roemischen Sieges, ohne denselben ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten, einen Zug nach Rom zu unternehmen, verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der Armee von Samnium den Weg, ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten hindern koennen, und dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen. Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner wurden besiegt, ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen Staemme noch dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch allmaehlich Samnium von dieser Seite tatsaechlich allein. Aber unerwartet kam ihnen Beistand aus dem Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft der Herniker, wegen ihrer unter den samnitischen Gefangenen vorgefundenen Landsleute von den Roemern zur Rede gestellt, erklaerte diesen jetzt den Krieg (448 306) - mehr wohl aus Verzweiflung, als aus Berechnung. Es schlossen auch einige der bedeutendsten hernikischen Gemeinden von vornherein sich von der Kriegfuehrung aus; aber Anagnia, weitaus die ansehnlichste Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung durch. Militaerisch ward allerdings die augenblickliche Lage der Roemer durch diesen unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der Burgen von Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch einmal war den Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia fielen ihnen in die Haende. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet schnell den von Rom ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese auch dem in Samnium stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren. Die Samniten baten um Frieden, indes vergeblich; noch konnte man sich nicht einigen. Erst der Feldzug von 449 (305) brachte die letzte Entscheidung. Die beiden roemischen Konsularheere drangen, Tiberius Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius von Kampanien aus durch die Bergpaesse, Lucius Postumius vom Adriatischen Meere her am Biferno hinauf, in Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes, Bovianum, sich die Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum erstuermt. Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und Arpinum ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den Frieden zu erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Staemme, die Marser, Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die Bedingungen, die Rom gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen wurden zwar einzeln gefordert, zum Beispiel von den Paelignern, allein sehr bedeutend scheinen sie nicht gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis zwischen den sabellischen Staaten und den Roemern wurde erneuert (450 304).

Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen Friedens ward auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar zwar hatten beide Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die Tarentiner hatten dem langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang bis zu Ende untaetig zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern gegen die Bundesgenossen Roms, die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar hatten sie in den letzten Jahren des Samnitischen Krieges noch einmal Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten. Teils die bedraengte Lage, in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe sie selbst brachten, teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende Gefuehl, dass Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten unerfreulichen Erfahrungen abermals einem Condottiere sich anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf der spartanische Prinz Kleonymos mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine ebenso starke, in Italien angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier, der kleineren Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22 000 Mann stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee noetigte er die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine samnitisch gesinnte Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont ihnen aufgeopfert ward. Noch standen die Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts hinderte den Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen und das Gewicht seines starken Heeres und seiner Kriegskunst fuer die Freiheit der italischen Staedte und Voelker in die Waagschale zu werfen. Allein Tarent handelte nicht, wie Rom im gleichen Falle gehandelt haben wuerde; und Prinz Kleonymos selbst war auch nichts weniger als ein Alexander oder ein Pyrrhos. Er beeilte sich nicht, einen Krieg zu beginnen, bei dem mehr Schlaege zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit den Lucanern gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und liess es in dieser Stadt sich wohl sein, waehrend er redete von einem Zug gegen Agathokles von Syrakus und von der Befreiung der sizilischen Griechen. Darueber machten denn die Samniten Frieden; und als nach dessen Abschluss Rom anfing, sich um den Suedosten der Halbinsel ernstlicher zu bekuemmern und zum Beispiel im Jahre 447 (307) ein roemischer Heerhaufen das Gebiet der Sallentiner brandschatzte oder vielmehr wohl in hoeherem Auftrag rekognoszierte, ging der spartanische Condottiere mit seinen Soeldnern zu Schiff und ueberrumpelte die Insel Kerkyra, die vortrefflich gelegen war, um von dort aus gegen Griechenland und Italien Piratenzuege zu unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich gelassen und zugleich ihrer Bundesgenossen im mittleren Italien beraubt, blieb den Tarentinern sowie den mit ihnen verbuendeten Italikern, den Lucanern und Sallentinern, jetzt freilich nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen nachzusuchen, das auf leidliche Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint. Bald nachher (451 303) ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im sallentinischen Gebiet gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit roemischer Hilfe abgeschlagen.

Roms Sieg war vollstaendig; und vollstaendig ward er benutzt. Dass den Samniten, den Tarentinern und den ferner wohnenden Voelkerschaften ueberhaupt so maessige Bedingungen gestellt wurden, war nicht Siegergrossmut, die die Roemer nicht kannten, sondern kluge und klare Berechnung. Zunaechst und vor allem kam es darauf an, nicht so sehr das suedliche Italien so rasch wie moeglich zur formellen Anerkennung der roemischen Suprematie zu zwingen als die Unterwerfung Mittelitaliens, zu welcher durch die in Kampanien und Apulien schon waehrend des letzten Krieges angelegten Militaerstrassen und Festungen der Grund gelegt war, zu ergaenzen und zu vollenden und die noerdlichen und suedlichen Italiker dadurch in zwei militaerisch von jeder unmittelbaren Beruehrung miteinander abgeschnittene Massen auseinanderzusprengen. Darauf zielten denn auch die naechsten Unternehmungen der Roemer mit energischer Konsequenz. Vor allen Dingen benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den in der Tiberlandschaft einstmals mit der roemischen Einzelmacht rivalisierenden und noch nicht voellig beseitigten Eidgenossenschaften der Aequer und der Herniker aufzuraeumen. In demselben Jahre, in welchem der Friede mit Samnium zustande kam (450 304), ueberzog der Konsul Publius Sempronius Sophus die Aequer mit Krieg; vierzig Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig Tagen; das gesamte Gebiet mit Ausnahme des engen und rauhen Bergtals, das noch heute den alten Volksnamen traegt (Cicolano), wurde roemischer Besitz und hier am Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung Alba mit einer Besatzung von 6000 Mann gegruendet, fortan die Vormauer gegen die streitbaren Marser und die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso zwei Jahre darauf am oberen Turano, naeher an Rom, Carsioli, beide als Bundesgemeinden latinischen Rechts.

Dass von den Hernikern wenigstens Anagnia sich an dem letzten Stadium des Samnitischen Krieges beteiligt hatte, gab den erwuenschten Grund, das alte Bundesverhaeltnis zu loesen. Das Schicksal der Anagniner war natuerlicherweise bei weitem haerter als dasjenige, welches ein Menschenalter zuvor den latinischen Gemeinden im gleichen Fall bereitet worden war. Sie mussten nicht bloss wie diese das roemische Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern verloren auch gleich den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres Gebiets am oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man bedauerte nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen Gemeinden Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren; denn da sie die Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband einzutreten, hoeflich ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu noetigen, mangelte, musste man ihnen wohl nicht bloss die Autonomie, sondern selbst das Recht der Tagsatzung und der Ehegemeinschaft auch ferner zugestehen und damit noch einen Schatten der alten hernikischen Eidgenossenschaft uebrig lassen.

In dem Teil der volskischen Landschaft, welchen bis dahin die Samniten im Besitz gehabt, banden aehnliche Ruecksichten nicht. Hier wurden Arpinum und Frusino untertaenig und die letztere Stadt eines Drittels ihrer Feldmark beraubt, ferner am oberen Liris neben Fregellae die schon frueher mit Besatzung belegte Volskerstadt Sora jetzt auf die Dauer in eine latinische Festung verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte Volskergebiet vollstaendig unterworfen und ging seiner Romanisierung mit raschen Schritten entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und Etrurien scheidet, wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und beide durch Festungen gesichert. Die noerdliche, aus der spaeter die Flaminische wurde, deckte die Tiberlinie; sie fuehrte durch das mit Rom verbuendete Ocriculum nach Narnia, wie die Roemer die alte umbrische Feste Nequinum umnannten, als sie dort eine Militaerkolonie anlegten (455 299). Die suedliche, die spaetere Valerische, lief an den Fuciner See ueber die eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba. Die kleinen Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die Umbrer, die Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal Alba, die Marser, die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang nicht aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel sich zwischen Samnium und Etrurien. Der grossen Strassen- und Festungsanlagen zur bleibenden Sicherung Apuliens und vor allem Kampaniens wurde schon gedacht; durch sie ward Samnium weiter nach Osten und Westen von dem roemischen Festungsnetz umstrickt. Bezeichnend fuer die verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man es nicht notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher Weise durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die bisherige Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der roemischen Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von dort nach Arretium durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch brauchbarem Stande halten zu lassen ^4.

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^4 Die Operationen in dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die Anlage der Chaussee von Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass schon vor dieser Zeit die Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt worden ist. Allein eine roemische Militaerchaussee kann sie in dieser Zeit dennoch nicht gewesen sein, da sie, nach ihrer spaeteren Benennung der “Cassischen Strasse” zu schliessen, als via consularis nicht frueher angelegt sein kann als 583 (171); denn zwischen Spurius Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493, 486), an den natuerlich nicht gedacht werden darf, und Gaius Cassius Longinus, Konsul 583 (171), erscheint kein Cassier in den roemischen Konsuln- und Zensorenlisten.

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Die hochherzige samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede verderblicher war als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie handelte danach. Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer Waffenruhe wieder an sich zu regen; noch standen ferner daselbst einzelne etruskische Gemeinden gegen die Roemer unter den Waffen und es wechselten hier kurze Waffenstillstaende mit heftigen, aber erfolglosen Gefechten. Noch war ganz Mittelitalien in Gaerung und zum Teil in offenem Aufstand; noch waren die Festungen in der Anlage begriffen, der Weg zwischen Etrurien und Samnium noch nicht voellig gesperrt. Vielleicht war es noch nicht zu spaet, die Freiheit zu retten; aber man durfte nicht saeumen: die Schwierigkeit des Angriffs stieg, die Macht der Angreifer sank mit jedem Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum fuenf Jahre hatten die Waffen geruht und noch mussten all die Wunden bluten, welche der zweiundzwanzigjaehrige Krieg den Bauernschaften Samniums geschlagen hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische Eidgenossenschaft den Kampf erneuerte. Den letzten Krieg hatte wesentlich Lucaniens Verbindung mit Rom und die dadurch mitveranlasste Fernhaltung Tarents zu Gunsten Roms entschieden; dadurch belehrt, warfen die Samniten jetzt sich zuvoerderst mit aller Macht auf die Lucaner und brachten hier in der Tat ihre Partei ans Ruder und ein Buendnis zwischen Samnium und Lucanien zum Abschluss. Natuerlich erklaerten die Roemer sofort den Krieg; in Samnium hatte man es nicht anders erwartet. Es bezeichnet die Stimmung, dass die samnitische Regierung den roemischen Gesandten die Anzeige machte, sie sei nicht imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen, wenn sie samnitisches Gebiet betraeten.

Der Krieg begann also von neuem (456 298), und waehrend ein zweites Heer in Etrurien focht, durchzog die roemische Hauptarmee Samnium und zwang die Lucaner Frieden zu machen und Geiseln nach Rom zu senden. Das folgende Jahr konnten beide Konsuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifernum, sein treuer Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei Maleventum, und fuenf Monate hindurch lagerten zwei roemische Heere in Feindesland. Es war das moeglich, weil die tuskischen Staaten auf eigene Hand mit Rom Friedensverhandlungen angeknuepft hatten. Die Samniten, welche von Haus aus in der Vereinigung ganz Italiens gegen Rom die einzige Moeglichkeit des Sieges gesehen haben muessen, boten das Aeusserste auf, um den drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien und Rom abzuwenden; und als endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den Etruskern in ihrem eigenen Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich in der Tat der etruskische Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal die Entscheidung der Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstrengungen, um drei Heere zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Verteidigung des eigenen Gebiets, das zweite zum Einfall in Kampanien, das dritte und staerkste nach Etrurien; und wirklich gelangte im Jahre 458 (296) das letzte, gefuehrt von Egnatius selbst, durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner im Einverstaendnis waren, ungefaehrdet nach Etrurien. Die Roemer nahmen waehrend dessen einige feste Plaetze in Samnium und brachen den Einfluss der samnitischen Partei in Lucanien; den Abmarsch der von Egnatius gefuehrten Armee wussten sie nicht zu verhindern. Als man in Rom die Kunde empfing, dass es den Samniten gelungen sei, all die ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker von den noerdlichen gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das Eintreffen der samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast allgemeinen Schilderhebung gegen Rom geworden sei, dass die etruskischen Gemeinden aufs eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften kriegsfertig zu machen und gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward auch in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheiratete in Kohorten formiert - man fuehlte hueben und drueben, dass die Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging, wie es scheint, mit Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295) stellten die Roemer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und den hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in Etrurien, welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen verstaerkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter ueber ein Drittel roemische Vollbuerger, zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war Umbrien, wo die Strassen aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet zusammenliefen; nach Umbrien liessen auch die Konsuln teils am linken, teils am rechten Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abruecken, waehrend zugleich die erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um womoeglich die etruskischen Truppen von dem Platz der Entscheidung zur Verteidigung der Heimat abzurufen. Das erste Gefecht lief nicht gluecklich fuer die Roemer ab; ihre Vorhut ward von den vereinigten Galliern und Samniten in dem Gebiet von Chiusi geschlagen. Aber jene Diversion erreichte ihren Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch die Truemmer ihrer Staedte hindurchgezogen waren, um auf der rechten Walstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die Nachricht von dem Einfall der roemischen Reserve in Etrurien ein grosser Teil der etruskischen Kontingente von der Bundesarmee, und die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als es am oestlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur entscheidenden Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser Tag. Auf dem rechten Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit seinen beiden Legionen gegen das samnitische Heer stritt, stand die Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf dem linken, den Publius Decius befehligte, wurde die roemische Reiterei durch die gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon begannen hier auch die Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den Priester Marcus Livius heran und hiess ihn zugleich das Haupt des roemischen Feldherrn und das feindliche Heer den unterirdischen Goettern weihen; alsdann in den dichtesten Haufen der Gallier sich stuerzend suchte und fand er den Tod. Diese heldenmuetige Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feldherrn, war nicht vergeblich. Die fliehenden Soldaten standen wieder, die Tapfersten warfen dem Fuehrer nach sich in die feindlichen Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu sterben; und eben im rechten Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der Konsular Lucius Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten linken Fluegel. Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke und den Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen, und endlich wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Tore des Lagers fiel. 9000 Roemer bedeckten die Walstatt; aber der teuer erkaufte Sieg war solchen Opfers wert. Das Koalitionsheer loeste sich auf und damit die Koalition selbst; Umbrien blieb in roemischer Gewalt, die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten, noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die Heimat. Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe wieder von den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460 (294) um Frieden; Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt alle dem Bunde gegen Rom beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf vierhundert Monate. Aber die Samniten dachten anders: sie ruesteten sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit jenem Mute freier Maenner, der das Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen kann. Als im Jahre 460 (294) die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten, stiessen sie ueberall auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius erlitt eine Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien eindringen und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris verwuesten. Im Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei Aquilonia eine grosse Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16 000 Weissroecke, mit heiligem Eide geschworen hatte, den Tod der Flucht vorzuziehen. Indes das unerbittliche Schicksal fragt nicht nach Schwueren und verzweifeltem Flehen; der Roemer siegte und stuermte die Festen, in die die Samniten sich und ihre Habe gefluechtet hatten. Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die Eidgenossen gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit beispielloser Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch manchen Vorteil im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462 292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des Siegers von Caudium, erfocht sogar fuer sein Volk einen letzten Sieg, den die Roemer niedrig genug an ihm raechten, indem sie ihn, als er spaeter gefangen ward, im Kerker hinrichten liessen (463 291). Aber nichts regte sich weiter in Italien; denn der Krieg, den Falerii 461 (293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl mochte man in Samnium sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein noch imstande war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es waren dieselben Ursachen wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents herbeifuehrten: das innere Missregiment und der abermalige Uebertritt der Lucaner zur roemischen Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch die nicht ungegruendete Furcht vor Agathokles von Syrakus, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht stand und anfing, sich gegen Italien zu wenden. Um das Jahr 455 (299) setzte dieser auf Kerkyra sich fest, von wo Kleonymos durch Demetrios den Belagerer vertrieben war und bedrohte nun vom Adriatischen wie vom Ionischen Meere her die Tarentiner. Die Abtretung der Insel an Koenig Pyrrhos von Epeiros im Jahre 459 (295) beseitigte allerdings zum grossen Teil die gehegten Besorgnisse; allein die kerkyraeischen Angelegenheiten fuhren fort, die Tarentiner zu beschaeftigen, wie sie denn im Jahre 464 (290) den Koenig Pyrrhos im Besitz der Insel gegen Demetrios schuetzen halfen, und ebenso hoerte Agathokles nicht auf, durch seine italische Politik die Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465 289) und mit ihm die Macht der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu spaet; Samnium, des siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr vorher (464 290) mit dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal wurden, wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Roemern keine schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht einmal Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die roemische Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen Wege fortzuschreiten, und ehe man an die unmittelbare Eroberung des Binnenlandes ging, zunaechst das kampanische und adriatische Litoral fest und immer fester an Rom zu knuepfen. Kampanien zwar war laengst untertaenig; allein die weitblickende roemische Politik fand es noetig, zur Sicherung der kampanischen Kueste dort zwei Strandfestungen anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue Buergerschaften nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz in das volle roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die Unterwerfung der Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten Samnitischen Krieges war, so schloss sich an das Ende des Zweiten diejenige der Sabiner. Derselbe Feldherr, der die Samniten schliesslich bezwang, Manius Curius, brach in demselben Jahre (464 290) den kurzen und ohnmaechtigen Widerstand derselben und zwang die Sabiner zur unbedingten Ergebung. Ein grosser Teil des unterworfenen Gebiets wurde von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an roemische Buerger ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum, Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine suffragio) aufgezwungen. Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht gegruendet; die Landschaft kam vielmehr unter die unmittelbare Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis zum Apennin und den umbrischen Bergen. Aber schon beschraenkte man sich nicht auf das Gebiet diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich gezeigt, dass die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien nur gesichert war, wenn sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der Roemer jenseits des Apennin beginnt mit der Anlegung der starken Festung Hatria (Atri) im Jahre 465 (289), an der noerdlichen Abdachung der Abruzzen gegen die picenische Ebene, nicht unmittelbar an der Kueste und daher latinischen Rechts, aber dem Meere nah und der Schlussstein des gewaltigen, Nord- und Sueditalien trennenden Keils. Aehnlicher Art und von noch groesserer Bedeutung war die Gruendung von Venusia (463 291), wohin die unerhoerte Zahl von 20000 Kolonisten gefuehrt ward; die Stadt, an der Markscheide von Samnium, Apulien und Lucanien, auf der grossen Strasse zwischen Tarent und Samnium in einer ungemein festen Stellung gegruendet, war bestimmt, die Zwingburg der umwohnenden Voelkerschaften zu sein und vor allen Dingen zwischen den beiden maechtigsten Feinden Roms im suedlichen Italien die Verbindung zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu gleicher Zeit auch die Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt hatte, von dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich, als die Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst fast ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts bestehende Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich bis in die Abruzzen und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach Capua, waehrend die beiden vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia, gegen Osten und Sueden auf den Verbindungslinien der Gegner angelegt, dieselben nach allen Richtungen hin isolierten. Rom war nicht mehr bloss die erste, sondern bereits die herrschende Macht auf der Halbinsel, als gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt diejenigen Nationen, welche die Gunst der Goetter und die eigene Tuechtigkeit jede in ihrer Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im Rat und auf dem Schlachtfeld sich einander zu naehern begannen und, wie in Olympia die vorlaeufigen Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf, so auf der groesseren Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und Rom sich anschickten zu dem letzten und entscheidenden Wettgang.

KAPITEL VII.
König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens

In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen ihre roemischen Herren damit zu aergern, dass sie als die Ursache der roemischen Groesse das Fieber bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11. Juni 431 (323) in Babylon verschied. Da es nicht allzu troestlich war, das Geschehene zu ueberdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem, was haette kommen moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht gewesen sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern die Erde streitig gemacht haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass Alexander mit solchen Gedanken sich trug; und man braucht auch nicht, um sie zu erklaeren, bloss darauf hinzuweisen, dass ein Autokrat, der kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen versehen ist, nur schwer die Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines griechischen Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben zahllosen andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten Gelegenheit genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen und Beziehungen dort anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen Verbindungen im Orient musste den Blick des gewaltigen Mannes notwendig auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag es in seinen Absichten, die nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die tyrische Kolonie in eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus Karthago gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes mochten dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit den Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene Gedanken gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein griechischer Mann die ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die ganze materielle Fuelle des Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten; mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Lebens, die Gruendung des Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, wohl aber spaltete sich sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten Hader der verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen Kultur im Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und verkuemmert. Bei solchen Verhaeltnissen konnten weder die griechischen noch die asiatisch-aegyptischen Staaten daran denken, im Okzident festen Fuss zu fassen und gegen die Roemer oder die Karthager sich zu wenden. Das oestliche und das westliche Staatensystem bestanden nebeneinander, ohne zunaechst politisch ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb den Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen oekonomischer Art stellten sich fest; wie denn zum Beispiel der rhodische Freistaat, der vornehmste Vertreter einer neutralen Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448 (306) einen Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat, wie er begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der caeritischen und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung, die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus nach Italien und namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen Beziehungen, die zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt Sparta bestanden, nur in sehr untergeordneter Weise mit; im ganzen waren die Werbungen nichts als kaufmaennische Geschaefte, und Sparta, obwohl es regelmaessig den Tarentinern zu den italischen Kriegen die Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.

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^1 Die Erzaehlung, dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach Babylon geschickt, geht auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin. nat. 3, 5, 57), aus dem die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schoepften. Kleitarchos war allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte; und bei dem Schweigen der zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.; Liv. 9, 18) und dem voellig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum Beispiel die Roemer dem Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und dieser die zukuenftige Groesse Roms vorhergesagt haben soll, wird man nicht umhin koennen, diese Erzaehlung zu den vielen anderen durch Kleitarchos in die Geschichte eingefuehrten Ausschmueckungen zu stellen.

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Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass er seinen Stammbaum zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass er, waere er friedlicher gesinnt gewesen, als “Koenig” ueber ein kleines Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in isolierter Freiheit haette leben und sterben koennen. Man hat ihn wohl verglichen mit Alexander von Makedonien; und allerdings die Gruendung eines westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Grossgriechenland, Sizilien gebildet haetten, das die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvoelker des hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder gedraengt haben wuerde - dieser Gedanke ist wohl gross und kuehn wie derjenige, der den makedonischen Koenig ueber den Hellespont fuehrte. Aber nicht bloss der verschiedene Ausgang unterscheidet den oestlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen Armee, in der namentlich der Stab vorzueglich war, dem Grosskoenig vollkommen die Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das neben Makedonien stand etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine nennenswerte Armee nur durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf zufaelligen politischen Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von Sekundaerstaaten; Alexander hinterliess sein Erbland vollkommen gesichert durch die unbedingte Untertaenigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater zurueckbleibende Heer, Pyrrhos buergte fuer die Integritaet seines eigenen Gebietes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Fuer beide Eroberer hoerte, wenn ihre Plaene gelangen, die Heimat notwendig auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches zu sein; allein eher noch war es ausfuehrbar, den Sitz der makedonischen Militaermonarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syrakus eine Soldatendynastie zu gruenden. Die Demokratie der griechischen Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, liess sich in die straffen Formen des Militaerstaats nun einmal nicht zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er die griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende Staemme lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des Despoten war der Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar erwuenscht. Im Okzident konnten die Roemer, die Samniten, die Karthager auch ueberwunden werden; aber kein Eroberer haette es vermocht, die Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln oder aus den roemischen Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. Was man auch ins Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte der Gegner - ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausfuehrbare, der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung; jener als die Vollziehung einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwuerdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und einer neuen Phase der Zivilisation, dieser als eine geschichtliche Episode. Alexanders Werk ueberlebte ihn, obwohl der Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Scheitern aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kuehne und grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muss Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren Verwandten sowenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon Ludwig dem Elften.

Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epiroten, eine eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil der ritterlichen und liebenswuerdigen Persoenlichkeit desselben, aber mehr doch noch dem Umstande gilt, dass er der erste Grieche ist, der den Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen jene unmittelbaren Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spaetere Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen der Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen Kraft - dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher appelliert hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt. Wenn aber auf der Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht politischen Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen, dass der Sieg Roms ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der ueber Gallier und Phoeniker, und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken beginnt, wenn die Lanze zersplittert und Helm und Schild beiseite gelegt ist.

Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser (um Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer Lehnsmann, nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen Familienpolitik hineingerissen ward und darin zuerst sein Reich und dann das Leben verlor (441 313). Sein damals sechsjaehriger Sohn ward von dem Herrn der illyrischen Taulantier, Glaukias, gerettet und im Laufe der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein Knabe, von Demetrios dem Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes Fuerstentum (447 307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der Gegenpartei wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger Fuerstensohn im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn zu beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter Antigonos machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall Alexanders hatte seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem Urteile des ergrauten Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt der erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die unglueckliche Schlacht bei Ipsos brachte ihn als Geisel nach Alexandreia an den Hof des Gruenders der Lagidendynastie, wo er durch sein kuehnes und derbes Wesen, seinen alles nicht Militaerische gruendlich verachtenden Soldatensinn nicht minder des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos Aufmerksamkeit auf sich zog als durch seine maennliche Schoenheit, der das wilde Antlitz, der gewaltige Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen Damen. Eben damals gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal in Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus die Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm daheim zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine Politik zu nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der Koenigin Berenike einen Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen Zwecke, indem er dem jungen Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone zur Gemahlin gab und dem geliebten “Sohn” zur Rueckkehr in die Heimat seinen Beistand und seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296). Zurueckgekehrt in sein vaeterliches Reich fiel ihm bald alles zu; die tapferen Epeiroten, die Albanesen des Altertums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begeisterung an dem mutigen Juengling, dem “Adler”, wie sie ihn hiessen. In den um die makedonische Thronfolge nach Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren erweiterte der Epeirote sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an dem ambrakischen Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja selbst einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der Makedonier selbst. Ja, als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien vom Thron gestuerzt war, trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden, denselben freiwillig an (467 287). In der Tat, keiner war wuerdiger als Pyrrhos, das koenigliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit gleichbedeutend zu werden begannen, leuchtete hell Pyrrhos’ persoenlich unbefleckter und sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des makedonischen Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fernhielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben Pyrrhos recht eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich Alexander in seinem Haus, im Freundeskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen erhielt und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen stets von sich abgewehrt hatte; er, der gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber das seltsam ueberspannte makedonische Nationalgefuehl, das den elendesten makedonischen Herrn dem tuechtigsten Fremden vorzog, die unvernuenftige Widerspenstigkeit der makedonischen Truppen gegen jeden nicht makedonischen Fuehrer, welcher der groesste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eumenes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen Fuersten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herrschaft ueber Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht auch zu hochherzig war, um sich dem Volke gegen dessen Willen aufzudraengen, ueberliess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467 287). Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebildete Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhandlungen ueber die Kriegskunst schrieb, konnte unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass er zu gesetzter Zeit im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters durchsah und von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu wiederholen und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen Thron, so war ueberhaupt in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte der Erste sein und also nicht der Zweite. So wandten sich seine Blicke in die Weite. Die Koenige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit, gemeinschaftlich zu helfen, dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie fuehrte, dessen war er gewiss. Eben damals stellten die italischen Verhaeltnisse sich so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte, was vierzig Jahre frueher Pyrrhos’ Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen Plaene zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer die hellenische Nation zu gruenden.

Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 (290) fuer Italien herbeigefuehrt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen Ligue gegen die roemische Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser Voelkerschaft, die durch ihre Parteinahme fuer Rom die Tarentiner waehrend der Samnitischen Kriege gelaehmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen hatte, waren dafuer von den Roemern die Griechenstaedte in ihrem Gebiet preisgegeben worden; und demgemaess hatten sie nach abgeschlossenem Frieden in Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach der anderen zu bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner, Stenius Statilius, und aufs aeusserste bedraengt, wandten sich, ganz wie einst die Kampaner die Hilfe Roms gegen die Samniten in Anspruch genommen hatten und ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Freiheit und Selbstaendigkeit, mit der Bitte um Beistand gegen die Lucaner an den roemischen Senat. Da das Buendnis mit diesen durch die Anlage der Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden war, gewaehrten die Roemer das Begehren der Thuriner und geboten ihren Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Roemern ergeben habe, abzulassen. Die Lucaner und Brettier, also von den maechtigeren Verbuendeten betrogen um den Anteil an der gemeinschaftlichen Beute, knuepften Verhandlungen an mit der samnitisch-tarentinischen Oppositionspartei, um eine neue Koalition der Italiker zustande zu bringen; und als die Roemer sie durch eine Gesandtschaft warnen liessen, setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen Rom mit einem neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht bloss die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker, die Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu vereinigen. In der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang zahlreiche gallische Haufen; das roemische Heer, das der Praetor Lucius Caecilius den treu gebliebenen Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter den Mauern dieser Stadt von den senonischen Soeldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit 13000 seiner Leute (470 284). Die Senonen zaehlten zu Roms Bundesgenossen: die Roemer schickten demnach Gesandte an sie, um ueber die Stellung von Reislaeufern gegen Rom Klage zu fuehren und die unentgeltliche Rueckgabe der Gefangenen zu begehren. Aber auf Befehl des Senonenhaeuptlings Britomaris, der den Tod seines Vaters an den Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen die roemischen Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es konnten grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen Landschaften diesen Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es nicht bereits getan, sich gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die Samniten, immer fuer die Freiheit einzustehen willig, den Roemern den Krieg erklaert zu haben; aber geschwaecht und von allen Seiten eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig nuetzen, und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Waehrend unter den Gegnern Buendnisse verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner zusammengebracht wurden, handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die Senonen zu empfinden, wie gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen. Der Konsul Publius Cornelius Dolabella rueckte mit einem starken Heer in ihr Gebiet; was nicht ueber die Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen aus der Reihe der italischen Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von seinen Herden lebenden Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl ausfuehrbar; wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die gallischen Schwaerme bilden, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien, Griechenland, Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten Nachbarn und Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg fortfuehrten und deren senonische Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht mehr als Mietlinge fochten, sondern als verzweifelte Raecher der Heimat; ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog gegen Rom, um fuer die Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der Feinde Rache zu nehmen und vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben Senonen es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber den Tiber in der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von den Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das Jahr darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine Feldschlacht gewagt hatten, liessen die Boier ihre Bundesgenossen im Stich und schlossen fuer sich mit den Roemern Frieden (472 282). So war das gefaehrlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig zusammenfand, und dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den Jahren 469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472 282) der Konsul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der Stadt, befreite dieselbe, schlug die Lucaner in einem grossen Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre Retter erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii und namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager Absichten zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten Vorteil. Die Vernichtung der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende Strecke des adriatischen Litorals in die Haende gegeben; ohne Zweifel im Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die schon drohende Invasion der Epeiroten eilte man, sich dieser Kueste sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um 471 283) eine Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte eine roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen Gewaesser, offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort die roemischen Besitzungen zu decken.

Die Tarentiner hatten seit dem Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden gelebt. Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der Senonen zugesehen, sich die Gruendung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung von Thurii und Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die roemische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer in die tarentinischen Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor Anker ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber; die alten Vertraege, die den roemischen Kriegsschiffen untersagten, oestlich vom Lakinischen Vorgebirg zu fahren, wurden in der Buergerversammlung von den Volksmaennern zur Sprache gebracht; wuetend stuerzte der Haufen ueber die roemischen Kriegsschiffe her, die, unversehens nach Piratenart ueberfallen, nach heftigem Kampfe unterlagen; fuenf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der roemische Admiral selbst war in dem Kampf gefallen. Nur der souveraene Unverstand und die souveraene Gewissenlosigkeit der Poebelherrschaft erklaert diese schmachvollen Vorgaenge. Jene Vertraege gehoerten einer Zeit an, die laengst ueberschritten und verschollen war; es ist einleuchtend, dass sie wenigstens seit der Gruendung von Hatria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und dass die Roemer im guten Glauben an das bestehende Buendnis in den Golf einfuhren - lag es doch gar sehr in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den Tarentinern durchaus keinen Anlass zur Kriegserklaerung darzubieten. Wenn die Staatsmaenner Tarents den Krieg an Rom erklaeren wollten, so taten sie bloss, was laengst haette geschehen sollen; und wenn sie es vorzogen, die Kriegserklaerung statt auf den wirklichen Grund vielmehr auf formalen Vertragsbruch zu stuetzen, so liess sich dagegen weiter nichts erinnern, da ja die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Wuerde erachtet hat, das Einfache einfach zu sagen. Allein dass man, statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern, die Flotte mit gewaffneter Hand ungewarnt ueberfiel, war eine Torheit nicht minder als eine Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation, wo die Gesittung ploetzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben, als vermoege die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet auszuwurzeln.

Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen nach dieser Heldentat die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung infolge der Ueberrumpelung kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und bestraften die Thuriner, dieselben, die die tarentinische Politik den Lucanern preisgegeben und dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom gedraengt hatte, schwer fuer ihren Abfall von der hellenischen Partei zu den Barbaren.

Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei solcher Macht und nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag im Interesse Roms, die tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich gelten zu lassen, und die leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb den Antrag, den eine Minoritaet in begreiflicher Erbitterung stellte, den Tarentinern sofort den Krieg zu erklaeren. Vielmehr wurde die Fortdauer des Friedens roemischerseits an die maessigsten Bedingungen geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung der Gefangenen, Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls der Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu geben, ein roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium einrueckte. Die Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu vergeben, diese Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust der reichen Kaufstadt durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein Abkommen noch moeglich sei. Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten, scheiterte - sei es an dem Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die Notwendigkeit erkannten, den Uebergriffen Roms je eher desto lieber mit den Waffen entgegenzutreten, sei es bloss an der Unbotmaessigkeit des staedtischen Poebels, der sich mit beliebter griechischer Ungezogenheit sogar an der Person des Gesandten in unwuerdiger Weise vergriff. Nun rueckte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber statt sofort die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er noch einmal auf dieselben Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er zwar die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten und schlug die staedtischen Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Loesegeld entlassen und man gab die Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck der aristokratischen Partei in der Stadt das Uebergewicht geben und damit den Frieden herbeifuehren werde. Die Ursache dieser Zurueckhaltung war, dass die Roemer die Stadt nicht dem Epeirotenkoenig in die Arme treiben wollten. Die Absichten desselben auf Italien waren kein Geheimnis mehr. Schon war eine tarentinische Gesandtschaft zu Pyrrhos gegangen und unverrichteter Sache zurueckgekehrt; der Koenig hatte mehr begehrt, als sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich entscheiden. Dass die Buergerwehr vor den Roemern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man sich sattsam ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom, den die Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend bereit waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die roemische Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien hielten in der Stadt sich fast die Waage; endlich blieb die Oberhand der Nationalpartei, wobei ausser dem wohl gerechtfertigten Motiv, sich, wenn einmal ueberhaupt einem Herrn, lieber einem Griechen als Barbaren zu eigen zu geben, auch noch die Furcht der Demagogen mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen, durch die Umstaende erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht saeumen werde, Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten Schaendlichkeiten zu nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er erhielt den Oberbefehl ueber die Truppen der Tarentiner und der uebrigen gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht, in Tarent Besatzung zu halten. Dass die Stadt die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen, in Italien nicht laenger als noetig zu bleiben, vermutlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, waehrend welcher er dort noetig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen. Dennoch waere ihm die Beute fast unter den Haenden entschluepft. Waehrend die tarentinischen Gesandten - ohne Zweifel die Haeupter der Kriegspartei - in Epeiros abwesend waren, schlug in der von den Roemern jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem roemisch Gesinnten uebertragen, als die Rueckkehr der Gesandten mit dem abgeschlossenen Traktat in Begleitung von Pyrrhos’ vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte. Bald fasste eine festere Hand die Zuegel und machte dem klaeglichen Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos’ General Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt; ihm folgte zu Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stuermischen, zahlreiche Opfer fordernden Ueberfahrt der Koenig selbst. Er fuehrte nach Tarent ein ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend aus den Haustruppen, den Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten, teils aus dem makedonischen Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die Koenig Ptolemaeos von Makedonien vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils aus aetolischen, akarnanischen, athamanischen Soeldnern; im ganzen zaehlte man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschuetzen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel weniger, als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre zuvor den Hellespont ueberschritt.

Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht zum besten, als der Koenig kam. Zwar hatte der roemische Konsul, sowie er die Soldaten Milons anstatt der tarentinischen Miliz sich gegenueber aufziehen sah, den Angriff auf Tarent aufgegeben und sich nach Apulien zurueckgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes von Tarent beherrschten die Roemer so gut wie ganz Italien. Nirgends in Unteritalien hatte die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien hatten die Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge (473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe der Koenig zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen Truppen uebertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter ins Feld stellen zu koennen erklaert; zu diesen grossen Worten bildete die Wirklichkeit einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos uebertragen, war noch erst zu schaffen, und vorlaeufig standen dazu hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen zu Gebot. Der Koenig befahl die Anwerbung eines italischen Soeldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die dienstfaehigen Leute aus der Buergerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten die Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg wie eine andere Ware fuer ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine Art Kontraktbruch, dass der Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber zu erfechten. Je mehr die Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen sich gefreut hatte, des laestigen Postendienstes los zu sein, desto unwilliger stellte man jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den Saeumigen musste mit Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang bei allen der Friedenspartei Recht, und es wurden sogar mit Rom Verbindungen angeknuepft oder schienen doch angeknuepft zu werden. Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan wie eine eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser einquartiert, die Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (συσσίτια) suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore mit epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner wurden als Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln waren notwendig, da es schlechterdings unmoeglich war, sich in irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu verlassen; erst jetzt konnte der Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen im Felde beginnen.

Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man entgegenging. Um vor allem die Treue der Bundesgenossen, das heisst der Untertanen zu sichern, erhielten die unzuverlaessigen Staedte Besatzung und wurden die Fuehrer der Partei der Unabhaengigkeit, wo es notwendig schien, festgesetzt oder hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl Mitglieder des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg selbst wurden grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer ausgeschrieben, von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent eingemahnt, ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der Hauptstadt. Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein und trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war natuerlich nach Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als moeglich ihren Abmarsch, um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu erreichen und ihn zu hindern, die Samniten und die uebrigen gegen Rom in Waffen stehenden sueditalischen Aufgebote mit seinen Truppen zu vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das Umsichgreifen des Koenigs sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in den Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen Roms ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius - entriss den Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in die Haende zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der Nationalhass der Kampaner gegen die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen ueber das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern niedergemacht hatte; und so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen Soeldnern des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher Weise gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische Besatzung niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen gelang es den Roemern, durch ein schwaches Korps, das an die lucanische Grenze rueckte, und durch die Besatzung von Venusia die Lucaner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hindern, waehrend die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden Zahl von Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem Konsul Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur Deckung der tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia ^2 mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280). Die Roemer erzwangen unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang ueber den Siris und eroeffneten die Schlacht mit einem hitzigen und gluecklichen Reiterangriff; der Koenig, der seine Reiter selber fuehrte, stuerzte und die griechischen Reiter, durch das Verschwinden des Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den feindlichen Schwadronen das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze seines Fussvolks, und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal trafen die Legionen und die Phalanx im Stoss aufeinander und immer noch stand der Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Koenigs, und weil er an diesem heissen Tage die Ruestung des Koenigs getragen hatte, glaubte das Heer zum zweitenmal, dass der Koenig gefallen sei; die Reihen wurden unsicher, schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu haben und warf seine saemtliche Reiterei den Griechen in die Flanke. Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes durch die Reihen des Fussvolks schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen. Gegen die Reiter wurden die bis dahin zurueckgehaltenen Elefanten vorgefuehrt; die Pferde scheuten vor ihnen, die Soldaten wussten den gewaltigen Tieren nicht beizukommen und wandten sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen, die nachsetzenden Elefanten loesten endlich auch die geschlossenen Glieder des roemischen Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der trefflichen thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter den Fluechtenden an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht, so waere das roemische Heer aufgerieben worden; so gelang es, den Rest der roemischen Truppen ueber den Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust war gross: 7000 Roemer wurden tot oder verwundet von den Siegern auf der Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; die Roemer selbst gaben, wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld zurueckgebrachten Verwundeten, ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch Pyrrhos’ Heer hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten Soldaten bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten waren gefallen. Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die roemische Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mag der Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war, spaeterhin diesen Sieg einer Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er auch nicht so toericht war, wie die roemischen Poeten nachher gedichtet haben, in der Aufschrift des von ihm in Tarent aufgestellten Weihgeschenkes diese Selbstkritik dem Publikum mitzuteilen. Politisch kam zunaechst wenig darauf an, welche Opfer der Sieg gekostet hatte; vielmehr war der Gewinn der ersten Schlacht gegen die Roemer fuer Pyrrhos ein unschaetzbarer Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf diesem neuen Schlachtfeld sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend etwas, musste der Sieg von Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit und Energie einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war fuer die Roemer verloren; Laevinus zog die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien. Die Brettier, Lucaner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter dem Druck der kampanischen Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstaedte saemtlich dem Koenig zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die roemische Besatzung aus; von ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er sie den Italikern nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten zu Pyrrhos ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern zeigte sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie schwer sie auch lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen. Venusia, obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt unerschuetterlich fest an Rom. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere Haltung der ritterliche Koenig durch die ehrenvollste Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, in sein Heer einzutreten; allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht, sondern mit einem Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm bei ihm Dienste.

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2 Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.

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Pyrrhos bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militaer, um das Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann, um nicht denjenigen Augenblick, der ihm die guenstigste Stellung gewaehrte, rechtzeitig zum Friedensschluss zu benutzen. Jetzt hoffte er unter dem ersten Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen zu koennen, dass die griechischen Staedte in Italien frei wuerden und zwischen ihnen und Rom eine Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als abhaengige Verbuendete der neuen griechischen Macht ins Leben traeten; denn darauf gingen seine Forderungen: Entlassung aller griechischen Staedte - also namentlich der kampanischen und lucanischen - aus der roemischen Botmaessigkeit und Rueckgabe des den Samniten, Dauniern, Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch schwerlich vermieden werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst zu beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sizilien gewonnen, vielleicht Afrika erobert war.

Mit solchen Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos’ vertrauter Minister, der Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler, den seine Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann der Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen laesst, hatte Auftrag, die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer seine Besiegten in der Tat empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des Koenigs, selber nach Rom zu kommen, zu erkennen zu geben, durch die im Munde des Feindes so wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch wohlangebrachte Geschenke die Gemueter zu des Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz, alle Kuenste der Kabinettspolitik, wie sie an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia erprobt waren, gegen die Roemer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien es der Klugheit gemaess, einen Schritt zurueck zu tun und abzuwarten, bis der gefaehrliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht mehr sein wuerde. Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor 442 312, Konsul 447, 458 307, 296), der seit langem sich von den Staatsgeschaeften zurueckgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den Senat fuehren liess, hauchte die ungebrochene Energie einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem juengeren Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem Koenig das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht unterhandle, solange auswaertige Truppen auf italischem Gebiet staenden, und das Wort wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der gewandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr durch diesen maennlichen Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber imponieren lassen - er erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm erschienen sei wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu Gesicht bekommen.

Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen in Kampanien eingerueckt war, brach auf die Nachricht von ihrem Abbruch sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu erschuettern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber die Roemer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des Heroldes, “an die Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu lassen”, hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge Mannschaft sich scharenweise zur Aushebung gedraengt; mit den beiden neugebildeten Legionen und dem aus Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte Laevinus, staerker als vorher, dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen denselben Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen anzuknuepfen. So straff war die Haltung der Roemer, dass ausser den unteritalischen Griechen kein namhafter Bundesstaat es wagte, vom roemischen Buendnis abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst. Durch die reiche Landschaft, deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung schaute, zog er gegen Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den Uebergang ueber den Liris und gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr als acht deutsche Meilen von Rom entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm entgegen; aber ueberall schlossen die Staedte Latiums ihm die Tore, und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus Laevinus ihm nach, waehrend von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der soeben mit den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich abgefunden hatte, eine zweite roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst die Reserve unter dem Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts uebrig als umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den vereinigten Heeren der beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot sich keine Gelegenheit, einen Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter herankam, raeumte der Koenig das feindliche Gebiet und verteilte seine Truppen in die befreundeten Staedte; er selbst nahm Winterquartier in Tarent. Hierauf stellten auch die Roemer ihre Operationen ein; das Heer bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des Senats die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter Zelten kampierten.

So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280). Der Sonderfriede, den Etrurien im entscheidenden Augenblick mit Rom abgeschlossen hatte, und des Koenigs unvermuteter Rueckzug, der die hochgespannten Hoffnungen der italischen Bundesgenossen gaenzlich taeuschte, wogen zum grossen Teil den Eindruck des Sieges von Herakleia auf. Die Italiker beschwerten sich ueber die Lasten des Krieges, namentlich ueber die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten Soeldner, und der Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des unpolitischen wie unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, dass die Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge politisch unloesbar sein moege. Die Ankunft einer roemischen Gesandtschaft, dreier Konsulate, darunter der Sieger von Thurii, Gaius Fabricius, liess einen Augenblick wieder die Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte sich bald, dass sie nur Vollmacht hatte, wegen Loesung oder Auswechselung der Gefangenen zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er entliess zur Feier der Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass sie es hielten und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies, hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die Ehrlosigkeit der spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit bezeichnender Weise gefeiert.

Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und rueckte in Apulien ein, wohin das roemische Heer ihm entgegenkam. In der Hoffnung durch einen entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in diesen Landschaften zu erschuettern, bot der Koenig eine zweite Schlacht an und die Roemer verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen beide Heere aufeinander. Unter Pyrrhos’ Fahnen fochten ausser seinen epeirotischen und makedonischen Truppen die italischen Soeldner, die Buergerwehr - die sogenannten Weissschilde - von Tarent und die verbuendeten Lucaner, Brettier und Samniten, zusammen 70000 Mann zu Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, ueber 8000 Reiter und 19 Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage die Latiner, Kampaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner und Arpaner; auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000 roemische Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die Vorzuege der roemischen Manipularordnung erkennend, hatte auf den Fluegeln die lange Front seiner Phalangen vertauscht mit einer der Kohortenstellung nachgebildeten unterbrochenen Aufstellung in Faehnlein und, vielleicht nicht minder aus politischen wie aus militaerischen Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner eigenen Leute die tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die Roemer fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche, zum Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste befestigt waren - gewissermassen das Vorbild der Enterbruecken, die im Ersten Punischen Krieg eine so grosse Rolle spielen sollten.

Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten Tage im Nachteil, da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen Flussufern, wo sie gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie zu entwickeln, noch Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen. Am zweiten Tage kam dagegen Pyrrhos den Roemern in der Besetzung des durchschnittenen Terrains zuvor und erreichte so ohne Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestoert entfalten konnte. Vergeblich stuerzten sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem Angriff von vorn, doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen Legionen zum Weichen zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf den roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und Schleudersteine vertrieben und der Bespannung die Straenge zerschnitten hatte und nun die Elefanten gegen die roemische Linie anprallten, kam dieselbe ins Schwanken. Das Weichen der Bedeckungsmannschaft der roemischen Wagen gab das Signal zur allgemeinen Flucht, die indes nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe Lager die Verfolgten aufnahm. Dass waehrend des Haupttreffens ein von der roemischen Hauptmacht abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte epeirotische Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der roemische Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die Roemer auf alle Faelle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das roemische Heer ueber den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen Berichte auf roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den Verwundeten war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt hatte, waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war es ein Sieg, den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare Lorbeeren; als Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig Ehre, aber seine politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos bedurfte eines glaenzenden Erfolges, der das roemische Heer aufloeste und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den Anstoss zum Parteiwechsel gab; da aber die roemische Armee und die roemische Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das griechische Heer, das nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung auf laengere Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben und in die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer diesmal in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich, dass militaerisch die Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso nachstanden, wie politisch die lose und widerspenstige Koalition den Vergleich nicht aushielt mit der festgegruendeten roemischen Symmachie. Wohl konnte das Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr wie die von Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg vernutzte die Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die Roemer schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel, wie die griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen und gewaltigen Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen Kombinationen. Pyrrhos fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus, weil die militaerische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, bevor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben wuerde. Es war bei seinem ungeduldigen Naturell vorauszusetzen, dass er den ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen Pflicht sich zu entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu entfernen, boten bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.

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^3 Diese Zahlen scheinen glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl an Toten und Verwundeten, fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer sogar auf roemischer 5000, auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um an einem der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich ist, die fast ausnahmslose Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Luege bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.

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Nach Agathokles’ Tode (465 289) fehlte es den sizilischen Griechen an jeder leitenden Macht. Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten unfaehige Demagogen und unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten die Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestoert aus. Nachdem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem seit Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun und die ganze Insel unter ihre Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und die Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen, dass sie ihre Rettung suchen musste in dem Schutz ihrer Mauern und in auswaertiger Hilfe; und niemand konnte diese gewaehren als Koenig Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann, sein Sohn, der damals sechzehnjaehrige Alexander, des Agathokles Enkel, beide in jeder Beziehung die natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn von Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus Ersatz darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches zu sein. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter aehnlichen Bedingungen dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um 475 279), und durch eine seltene Fuegung der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der grossartigen, zunaechst auf den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Plaene des Epeirotenkoenigs.

Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen und sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich enger zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten Handelsvertraege jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen Pyrrhos (475 279), dessen Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn Pyrrhos roemisches oder karthagisches Gebiet betrete, der nicht angegriffene Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet Zuzug leisten und die Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle Karthago die Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den Roemern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide Staaten sich das Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schliessen. Der Zweck des Vertrages war auf roemischer Seite, einen Angriff auf Tarent moeglich zu machen und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was beides ohne Mitwirkung der punischen Flotte nicht ausfuehrbar war, auf seiten der Karthager, den Koenig in Italien festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen zu koennen ^4. Es lag also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich des Meeres zwischen Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische Flotte von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der sizilischen Meerenge. Die Mamertiner, die fuer ihre Frevel gegen die griechische Bevoelkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn Pyrrhos in Sizilien und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an die Roemer und Karthager und sicherten diesen die sizilische Seite des Passes. Gern haetten die Verbuendeten auch Rhegion auf der gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt gebracht; allein verzeihen konnte Rom der kampanischen Besatzung unmoeglich, und ein Versuch der vereinigten Roemer und Karthager, sich der Stadt mit gewaffneter Hand zu bemaechtigen, schlug fehl. Von dort segelte die karthagische Flotte nach Syrakus und blockierte die Stadt von der Seeseite, waehrend gleichzeitig ein starkes phoenikisches Heer die Belagerung zu Lande begann (476 278). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die Angelegenheiten keineswegs so, dass er und seine Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres 476 (278) Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und obwohl bisher die Roemerin diesem Kriege nur Niederlagen erlitten hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich ermattet fuehlten und den Frieden herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch, ein leidliches Abkommen zu erlangen. Der Konsul Fabricius hatte dem Koenig einen Elenden zugesandt, der ihm den Antrag gemacht, gegen gute Bezahlung den Koenig zu vergiften. Zum Dank gab der Koenig nicht bloss alle roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei, sondern er fuehlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner, dass er zur Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen Frieden antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden bequeme. Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere Antwort. Wollte der Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende fallen und damit seinen grossen Plan sich zerstoeren lassen, so blieb ihm nichts anderes uebrig, als seine italischen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz der wichtigsten Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken. Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den Klagen und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige bessere Zeiten oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurueck, des Koenigs Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte noch im Fruehjahr 476 (278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus ein.

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^4 Die spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis die Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die karthagische Hilfe in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig gewesen, und die Tatsachen sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklaert sich nicht aus solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von Pyrrhos ganz und gar nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor Rhegion kaempften die Karthager allerdings fuer Rom.

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Nach Pyrrhos’ Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner ueberall sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes der Kampf ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran teils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils wohl auch die Erschoepfung der Roemer, von deren furchtbaren Verlusten das Sinken der Buergerrolle von 473 (281) auf 479 (275) um 17000 Koepfe zeugt. Noch im Jahre 476 (278) gelang es dem Konsul Gaius Fabricius, die bedeutende tarentinische Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden zu bringen, der ihr unter den guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward. Im Feldzug von 477 (277) schlug man sich in Samnium herum, wo ein leichtsinnig unternommener Angriff auf die verschanzten Hoehen den Roemern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann nach dem suedlichen Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden. Dagegen kam bei einem Versuch, Kroton zu ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den Roemern zuvor; die epeirotische Besatzung machte alsdann sogar einen gluecklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes gelang es endlich dem Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu bestimmen und der unverteidigten Stadt sich zu bemaechtigen (477 277). Wichtiger war es, dass die Lokrenser, die frueher die roemische Besatzung dem Koenig ausgeliefert hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat suehnend, die epeirotische erschlugen; womit die ganze Suedkueste in den Haenden der Roemer war mit Ausnahme von Rhegion und Tarent. Indes mit diesen Erfolgen war man im wesentlichen doch wenig gefoerdert. Unteritalien selbst war laengst wehrlos; Pyrrhos aber war nicht bezwungen, solange Tarent in seinen Haenden und ihm damit die Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und an die Belagerung dieser Stadt konnten die Roemer nicht denken. Selbst davon abgesehen, dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios den Belagerer umgeschaffenen Festungskrieg die Roemer gegen einen erfahrenen und entschlossenen griechischen Kommandanten im entschiedensten Nachteil waren, bedurfte es dazu einer starken Flotte, und obwohl der karthagische Vertrag den Roemern Unterstuetzung zur See verhiess, so standen doch Karthagos eigene Angelegenheiten in Sizilien durchaus nicht so, dass es diese haette gewaehren koennen.

Pyrrhos’ Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte ungehindert erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge veraendert. Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstaedte in kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen Besitzungen entrissen. Kaum vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne Nebenbuhler herrschenden karthagischen Flotte sich die Karthager in Lilybaeon, die Mamertiner in Messana, und auch hier unter steten Angriffen, zu behaupten. Unter solchen Umstaenden waere in Gemaessheit des Vertrags von 475 (279) viel eher Rom im Fall gewesen, den Karthagern auf Sizilien Beistand zu leisten, als Karthago mit seiner Flotte den Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt aber war man eben von keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht zu sichern oder gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe erst angeboten, als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese ihrerseits hatten nichts getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den Sturz der karthagischen Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Vertraege hatte Karthago sogar dem Koenig einen Sonderfrieden angetragen und gegen den ungestoerten Besitz von Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen sizilischen Besitzungen zu verzichten, sogar dem Koenig Geld und Kriegsschiffe zur Verfuegung zu stellen, natuerlich zur Ueberfahrt nach Italien und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es war einleuchtend, dass mit dem Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des Koenigs die Stellung der Karthager auf der Insel ungefaehr dieselbe geworden waere, wie sie vor Pyrrhos’ Landung gewesen war; sich selbst ueberlassen waren die griechischen Staedte ohnmaechtig und das verlorene Gebiet leicht wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und ging daran, sich selber eine Kriegsflotte zu erbauen. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies spaeter getadelt; es war vielmehr ebenso notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht durchzufuehren. Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte, um Lilybaeon zu erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim anzugreifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so grossem Erfolg getan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im Sommer 478 (276), wo er Karthago gedemuetigt vor sich sah, Sizilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen festen Fuss in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknuepfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag.

Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos’ Stellung beruhte auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien wie er Ptolemaeos hatte in Aegypten herrschen sehen; er respektierte die Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Vertrauten zu Amtleuten ueber die Staedte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab anstatt der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu Richtern, sprach Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus und selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und beherrschte Sizilien nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern als Koenig. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Begriffen sich ein guter und weiser Regent zu sein duenken und auch wirklich sein, so ertrugen doch die Griechen diese Verpflanzung des Diadochensystems nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in langer Freiheitsagonie aller Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das karthagische Joch dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue Soldatenregiment. Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den Karthagern, ja mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte wieder, sich auf der Insel zu zeigen und, ueberall von den Griechen unterstuetzt, machte es reissende Fortschritte. Zwar in der Schlacht, die Pyrrhos ihm lieferte, war das Glueck wie immer mit dem “Adler”; allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der Insel war und was kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich entfernte.

Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos einen zweiten: er ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich musste er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager ganz verdraengt und damit den Unzufriedenen den letzten Rueckhalt abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte; hier war nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt wenig gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb, den nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glaenzende Wiederkehr auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich gestellt hatte, koennen nur geloest werden von eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das Ehrgefuehl zu beherrschen vermoegen; und eine solche war Pyrrhos nicht.

Die verhaengnisvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres 478 (276). Unterwegs hatte die neue syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu bestehen und buesste darin eine betraechtliche Anzahl Schiffe ein. Die Entfernung des Koenigs und die Kunde von diesem ersten Unfall genuegten zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Staedte dem abwesenden Koenig Geld und Truppen und der glaenzende Staat brach schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der Koenig selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in den Herzen seiner Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk an der Hingebung fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht nur kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos’ Unternehmen gescheitert, der Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der es fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist, der den Krieg nicht mehr als Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um in wildem Wuerfelspiel sich zu betaeuben und womoeglich im Schlachtgetuemmel einen Soldatentod zu finden. An der italischen Kueste angelangt, begann der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions zu bemaechtigen, aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den Angriff ab, und in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig selbst verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen ueberrumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen Besatzung schwer buessten, und pluenderte den reichen Schatz des Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen. So gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und nicht mehr begruessten die Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen und die Hoffnung, damit man den Koenig fuenf Jahre zuvor empfing, waren gewichen, den Verbuendeten Geld und Mannschaft ausgegangen. Den schwer bedraengten Samniten, in deren Gebiet die Roemer 478/79 (276/75) ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig im Fruehjahr 479 (275) ins Feld und zwang bei Benevent auf dem Arusinischen Felde den Konsul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die Heeresabteilung, die den Roemern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte sich waehrend des Nachtmarsches in den Waeldern und blieb im entscheidenden Augenblick aus; und nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die Elefanten die Schlacht, aber diesmal fuer die Roemer, indem sie, von den zur Bedeckung des Lagers aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht, auf ihre eigenen Leute sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in ihre Haende fielen 1300 Gefangene und vier Elefanten - die ersten, die Rom sah, ausserdem eine unermessliche Beute, aus deren Erloes spaeter in Rom der Aquaedukt, welcher das Aniowasser von Tibur nach Rom fuehrte, gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu halten, und ohne Geld sandte Pyrrhos an seine Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung nach Italien gesteuert hatten, die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch in der Heimat fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab. Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese Weigerungen liess Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479 275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei dem stetigen und gemessenen Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem verzweifelten Spieler eine Aussicht eroeffnen mochte. In der Tat gewann er nicht bloss schnell zurueck, was von seinem Reiche war abgerissen worden, sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas’ ruhiger und umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und der Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine letzten Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden Erfolg mehr und fand sein Ende in einem elenden Strassengefecht im peloponnesischen Argos (482 272).

In Italien ist der Krieg zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam verenden die letzten Zuckungen der nationalen Partei. Zwar so lange der Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm es gewagt hatte, dem Schicksal in die Zuegel zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend, gegen Rom die feste Burg von Tarent. Mochte auch nach des Koenigs Entfernung in der Stadt die Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos darin den Befehl fuehrte, wies ihre Anmutungen ab und liess die roemisch gesinnten Staedter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet hatten, auf ihre eigene Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen beliebte, ohne darum seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos’ Tode eine karthagische Flotte in den Hafen einlief und Milon die Buergerschaft im Begriff sah, die Stadt an die Karthager auszuliefern, zog er es vor, dem roemischen Konsul Lucius Papirius die Burg zu uebergeben (482 272) und damit fuer sich und die Seinigen freien Abzug zu erkaufen. Fuer die Roemer war dies ein ungeheurer Gluecksfall. Nach den Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz, Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht hatten, laesst sich bezweifeln, ob die damalige Strategik ueberhaupt imstande war, eine wohlbefestigte und wohlverteidigte und von der See her zugaengliche Stadt zur Uebergabe zu zwingen; und welche Wendung haetten die Dinge nehmen moegen, wenn Tarent das in Italien fuer die Phoeniker geworden waere, was in Sizilien Lilybaeon fuer sie gewesen war! Indes das Geschehene war nicht zu aendern. Der karthagische Admiral, da er die Burg in den Haenden der Roemer sah, erklaerte, nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem Vertrage gemaess den Bundesgenossen bei der Belagerung der Stadt Hilfe zu leisten, und ging unter Segel nach Afrika; und die roemische Gesandtschaft, welche wegen der versuchten Okkupation von Tarent Aufklaerung zu fordern und Beschwerde zu fuehren nach Karthago gesandt ward, brachte nichts zurueck als die feierliche und eidliche Bekraeftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man denn auch in Rom vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten, vermutlich durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den Roemern zurueck; aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die Mauern niedergerissen werden.

In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch ward, unterwarfen sich endlich auch die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die Haelfte des eintraeglichen und fuer den Schiffbau wichtigen Silawaldes abtreten mussten.

Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe fuer den gebrochenen Fahneneid wie fuer den Mord der rheginischen Buergerschaft und der Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus, Hieron, unterstuetzte darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung von Lebensmitteln und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der roemischen Expedition gegen Rhegion kombinierten Angriff auf deren Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien, die Mamertiner in Messana. Die Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in die Laenge; dagegen wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnaeckig und lange sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Roemern erstuermt, was von der Besatzung uebrig war, in Rom auf offenem Markte gestaeupt und enthauptet, die alten Einwohner aber zurueckgerufen und soviel moeglich in ihr Vermoegen wieder eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz Italien zur Untertaenigkeit gebracht. Nur die hartnaeckigsten Gegner Roms, die Samniten, setzten trotz des offiziellen Friedensschlusses noch als “Raeuber” den Kampf fort, sodass sogar im Jahre 485 (269) noch einmal beide Konsuln gegen sie geschickt werden mussten. Aber auch der hochherzigste Volksmut, die tapferste Verzweiflung gehen einmal zu Ende; Schwert und Galgen brachten endlich auch den samnitischen Bergen die Ruhe.

Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine Reihe von Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als Zwingburgen fuer Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263), als Vorposten gegen die Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum (um 490 264) und die Buergerkolonie Castrum novum; die Fortfuehrung der grossen Suedchaussee, welche an der Festung Benevent eine neue Zwischenstation zwischen Capua und Venusia erhielt, bis zu den Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des letzteren Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger des tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch einige Kriege mit den kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmaelert ward, den Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die Gegend von Salernum verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium (487, 488 267, 266), den umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266), welche letzte nach der Austreibung der Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Durch diese Anlagen ward die Herrschaft Roms ueber das unteritalische Binnenland und die ganze italische Ostkueste vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze ausgedehnt.

Bevor wir die politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte Italien von Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf die Seeverhaeltnisse im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es waren in dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im ganzen ueberwog trotz der grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles (437-465 317-289) und Pyrrhos (476-478 278-276) voruebergehend zur See erlangten, doch hier Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer Seemacht zweiten Ranges herab. Mit Etruriens Bedeutung zur See war es voellig vorbei; die bisher etruskische Insel Korsika kam, wenn nicht gerade in den Besitz, doch unter die maritime Suprematie der Karthager. Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle gespielt hatte, ward durch die roemische Okkupation gebrochen. Die tapferen Massalioten behaupteten sich wohl in ihren eigenen Gewaessern; aber in die Vorgaenge auf den italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die uebrigen Seestaedte kamen kaum noch ernstlich in Betracht.

Rom selber entging dem gleichen Schicksal nicht; in seinen eigenen Gewaessern herrschten ebenfalls fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus aus und ist in der Zeit seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so untreu geworden, dass es die Kriegsmarine gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so toericht gewesen, bloss Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium lieferte zum Schiffbau die schoensten Staemme, welche die geruehmten unteritalischen bei weitem uebertrafen, und die fortdauernd in Rom unterhaltenen Docks beweisen allein schon, dass man dort nie darauf verzichtet hat, eine eigene Flotte zu besitzen. Indes waehrend der gefaehrlichen Krisen, welche die Vertreibung der Koenige, die inneren Erschuetterungen in der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und die ungluecklichen Kriege gegen die Etrusker und die Kelten ueber Rom brachten, konnten die Roemer sich um den Stand der Dinge auf dem Mittelmeer nur wenig bekuemmern, und bei der immer entschiedener hervortretenden Richtung der roemischen Politik auf Unterwerfung des italischen Kontinents verkuemmerte die Seemacht. Es ist bis zum Ende des vierten Jahrhunderts (ca. 350) kaum von latinischen Kriegsschiffen die Rede, ausser dass auf einem roemischen das Weihgeschenk aus der veientischen Beute nach Delphi gesandt ward (360 394). Die Antiaten freilich fuhren fort, ihren Handel mit bewaffneten Schiffen und also auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben und der “tyrrhenische Korsar” Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener Zeit zaehlten sie schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so wuerde bei der Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als ein Vorteil gelegen haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem Verfall der roemischen Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung der latinischen Kuesten durch eine griechische, vermutlich sizilische Kriegsflotte im Jahre 405 (349), waehrend zugleich keltische Haufen das latinische Land brandschatzend durchzogen. Das Jahr darauf (406 348), und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck dieser bedenklichen Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und die Phoeniker von Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen Bundesgenossen, einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische Urkunde, von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf uns gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die libysche Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle ausgenommen, nicht zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr gleich den einheimischen auf Sizilien, soweit dies karthagisch war, und in Afrika und Sardinien wenigstens das Recht, gegen den unter Zuziehung der karthagischen Beamten festgestellten und von der karthagischen Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren abzusetzen. Den Karthagern scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium freier Verkehr zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die botmaessigen latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als Feinde den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen - noch gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in dieselbe Zeit gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen Rom und Tarent, von dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass er laengere Zeit vor 472 (282) abgeschlossen ward; durch denselben verpflichteten sich die Roemer, gegen welche Zusicherungen tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser oestlich vom Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig vom oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.

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^5 Die Nachweisung, dass die bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht dem Jahre 245 (509), sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist in der Roemischen Chronologie bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben worden.

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Es waren dies Niederlagen so gut wie die an der Allia, und auch der roemische Senat scheint sie als solche empfunden und die guenstige Wendung, die die italischen Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der demuetigenden Vertraege mit Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben, um die gedrueckte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten Kuestenstaedte wurden mit roemischen Kolonien belegt: der Hafen von Caere, Pyrgi, dessen Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit faellt; ferner an der Westkueste Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre 425 (329), die Insel Pontia 441 (313), womit, da Ardea und Circeii bereits frueher Kolonisten empfangen hatten, alle namhaften Seeplaetze im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder Buergerkolonien geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und Sinuessa im Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481 (273), und am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr 471 (283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der Beendigung des Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium hinzukommt. In der groesseren Haelfte dieser Ortschaften, den Buerger- oder Seekolonien ^6, war die junge Mannschaft vom Dienst in den Legionen befreit und lediglich bestimmt, die Kuesten zu ueberwachen. Die gleichzeitige wohlueberlegte Bevorzugung der unteritalischen Griechen vor ihren sabellischen Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden Neapolis, Rhegion, Lokri, Thurii, Herakleia, und deren gleichartige und unter gleichartigen Bedingungen gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum Landheer vollendete das um die Kuesten Italiens gezogene roemische Netz.

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^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia, Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena gallica und Castrum novum.

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Aber mit einer staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden Generationen haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner des roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die Kriegsmarine des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss gebracht ward. Einen gewissen Grund dazu legte schon nach der Unterwerfung von Antium (416 338) die Abfuehrung der brauchbaren Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die gleichzeitige Verfuegung indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu enthalten haetten ^7, charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie ohnmaechtig damals die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre Seepolitik noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als sodann die sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in die roemische Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede dieser Staedte sich verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige Kriegshilfe zu stellen, zu einer roemischen Flotte wenigstens wieder einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden weiter infolge eines eigens deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei Flottenherren (duoviri navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im Samnitischen Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert selbst die merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur Gruendung einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446 (308) geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306) erneuerte Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und Sizilien betreffenden Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unveraendert blieben, wurde den Roemern ausser der Befahrung der oestlichen Gewaesser jetzt weiter die frueher gestattete des Atlantischen Meers, sowie der Handelsverkehr mit den Untertanen Karthagos in Sardinien und Afrika, endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung auf Korsika ^8 untersagt, sodass nur das karthagische Sizilien und Karthago selbst ihrem Handel geoeffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung der roemischen Kuestenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden Seemacht: sie zwang die Roemer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen, sich von den Produktionsplaetzen im Okzident und im Orient ausschliessen zu lassen - in diesen Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der oeffentlichen Belohnung des phoenikischen Schiffers, der ein in den Atlantischen Ozean ihm nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit Aufopferung seines eigenen auf eine Sandbank gefuehrt hatte - und ihre Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen Mittelmeers vertragsmaessig zu beschraenken, um nur ihre Kueste nicht der Pluenderung preiszugeben und die alte und wichtige Handelsverbindung mit Sizilien zu sichern. Die Roemer mussten sich fuegen; aber sie liessen nicht ab von den Bemuehungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine durchgreifende Massregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier Flottenquaestoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen der erste in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der zweite von Cales, damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus die kampanischen und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus die transapenninischen Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des vierten ist nicht bekannt. Diese neuen staendigen Beamten waren zwar nicht allein, aber doch mitbestimmt, die Kuesten zu ueberwachen und zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. Die Absicht des roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See wiederzugewinnen und teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, teils den von Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils sich von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage. Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des letzten italischen Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang Koenig Pyrrhos die beiden grossen Staedte noch einmal - es war das letzte Mal - zum Abschluss einer Offensivallianz; allein die Lauigkeit und Treulosigkeit dieses Buendnisses, die Versuche der Karthager, sich in Rhegion und Tarent festzusetzen, die sofortige Besetzung Brundisiums durch die Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen deutlich, wie sehr die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.

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^7 Diese Angabe ist ebenso bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati populo est) wie an sich glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht bloss von Kolonisten, sondern auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom aufgenaehrten Buergerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die griechischen Berichte, dass Alexander der Grosse († 431 323) und Demetrios der Belagerer († 471 283) in Rom ueber antiatische Seeraeuber Beschwerde gefuehrt haben sollen. Der erste aber ist mit dem ueber die roemische Gesandtschaft nach Babylon gleichen Schlages und vielleicht gleicher Quelle. Demetrios dem Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er die Piraterie im Tyrrhenischen Meer, das er nie mit Augen gesehen hat, durch Verordnung abschaffte, und undenkbar ist es gerade nicht, dass die Antiaten auch als roemische Buerger ihr altes Gewerbe noch trotz des Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; viel wird indes auch auf die zweite Erzaehlung nicht zu geben sein.

^8 Nach Servius (Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen Vertraegen bestimmt, es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager roemischen Boden betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral bleiben (ut neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque Carthaginienses ad litora Romanorum - Corsica esset media inter Romanos et Carthaginienses). Das scheint hierher zu gehoeren und die Kolonisierung von Korsika eben durch diesen Vertrag verhindert worden zu sein.

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Begreiflicherweise suchte Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen Seestaaten zu stuetzen. Mit Massalia bestand das alte enge Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom nach Delphi gesandte Weihgeschenk ward daselbst in dem Schatzhaus der Massalioten aufbewahrt. Nach der Einnahme Roms durch die Kelten ward in Massalia fuer die Abgebrannten gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur Vergeltung gewaehrte dann der roemische Senat den massaliotischen Kaufleuten Handelsbeguenstigungen und raeumte bei der Feier der Spiele auf dem Markt neben der Senatorentribuene den Massalioten einen Ehrenplatz (graecostasis) ein. Eben dahin gehoeren die um das Jahr 448 (306) mit Rhodos und nicht lange nachher mit Apollonia, einer ansehnlichen Kaufstadt an der epeirotischen Kueste, von den Roemern abgeschlossenen Handels- und Freundschaftsvertraege und vor allem die fuer Karthago sehr bedenkliche Annaeherung, welche unmittelbar nach dem Ende des Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand.

Wenn also die roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der Landmacht auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene Kriegsmarine der Roemer keineswegs war, was sie nach der geographischen und kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen, so fing doch auch sie an, allmaehlich sich aus der voelligen Nichtigkeit, zu welcher sie um das Jahr 400 (354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und bei den grossen Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phoeniker mit besorgten Blicken diese Bestrebungen verfolgen.

Die Krise ueber die Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte heran; zu Lande war der Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der Herrschaft der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische Befugnisse dabei die roemische Gemeinde den saemtlichen uebrigen italischen entzog und in ihren alleinigen Besitz nahm, das heisst, welcher staatsrechtliche Begriff mit dieser Herrschaft Roms zu verbinden ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt, und es mangelt selbst, in bezeichnender und klug berechneter Weise, fuer diesen Begriff an einem allgemeingueltigen Ausdruck ^9. Nachweislich gehoerten dazu nur das Kriegs- und Vertrags- und das Muenzrecht, so dass keine italische Gemeinde einem auswaertigen Staat Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von der roemischen Gemeinde erlassene Kriegserklaerung und jeder von ihr abgeschlossene Staatsvertrag von Rechtswegen alle uebrigen italischen Gemeinden mit band und das roemische Silbergeld in ganz Italien gesetzlich gangbar ward; und es ist wahrscheinlich, dass die formulierten Befugnisse der fuehrenden Gemeinde sich nicht weiter erstreckten. Indes notwendig knuepften hieran tatsaechlich viel weitergehende Herrschaftsrechte sich an.

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^9 Die Klausel, dass das abhaengige Volk sich verpflichtet, “die Hoheit des roemischen freundlich gelten zu lassen” (maiestatem populi Romani comiter conservare), ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend spaeterer Zeit aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche Bezeichnung der Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit das Verhaeltnis bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich in aelterer Zeit offiziell auf dasselbe angewendet worden.

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Im einzelnen war das Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der fuehrenden Gemeinde standen, ein hoechst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht, ausser der roemischen Vollbuergerschaft, drei verschiedene Klassen von Untertanen zu unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als es irgend moeglich war, ohne den Begriff eines staedtischen Gemeinwesens fuer die roemische Kommune voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet war bis dahin hauptsaechlich durch Einzelassignation in der Weise erweitert worden, dass das suedliche Etrurien bis gegen Caere und Falerii, die den Hernikern entrissenen Strecken am Sacco und am Anio, der groesste Teil der sabinischen Landschaft und grosse Striche der ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in roemisches Bauernland umgewandelt und meistenteils fuer deren Bewohner neue Buergerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von Capua abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle diese ausserhalb Rom domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen Gemeinwesens und eigener Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet entstanden hoechstens Marktflecken (fora et conciliabula). In nicht viel anderer Lage befanden sich die nach den oben erwaehnten sogenannten Seekolonien entsandten Buerger, denen gleichfalls das roemische Vollbuergerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig bedeutete. Gegen den Schluss dieser Periode scheint die roemische Gemeinde damit begonnen zu haben, den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher oder nah verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren; welches wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso vermutlich auch fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im eigentlichen Latium, dann am Ausgang dieser Periode (486 268) auf die sabinischen Staedte erstreckt ward, die ohne Zweifel damals schon wesentlich latinisiert waren und in dem letzten schweren Krieg ihre Treue genuegend bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die nach ihrer frueheren Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte Selbstverwaltung auch nach ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband; mehr aus ihnen als aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der Zeit die roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die roemische Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis in die Naehe von Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach Tarracina erstreckt haben, obwohl freilich von einer eigentlichen Grenze hier nicht die Rede sein kann und teils eine Anzahl Bundesstaedte latinischen Rechts, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Circeii, sich innerhalb dieser Grenzen befanden, teils ausserhalb derselben die Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des falernischen Gebiets, der Stadt Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr, ebenfalls volles Buergerrecht besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt oder in Doerfern vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien zerstreut sich fanden.

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^10 Dass Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so auch zuerst dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich, und vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt von Cicero (Mut. 8, 19) municipium antiquissimum genannt.

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Unter den untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine suffragio), abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom roemischen Praetor erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die bisherigen Ordnungen wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach fuer sie der roemische Praetor oder dessen jaehrlich in die einzelnen Gemeinden entsandte “Stellvertreter” (praefecti). Den besser gestellten von ihnen, wie zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die Selbstverwaltung und damit der Fortgebrauch der Landessprache und die eigenen Beamten, welche die Aushebung und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden schlechteren Rechts, wie zum Beispiel Caere, wurde auch die eigene Verwaltung genommen, und es war dies ohne Zweifel die drueckendste unter den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit. Indes zeigt sich, wie oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das Bestreben, diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert waren, der Vollbuergerschaft einzuverleiben.

Die bevorzugteste und wichtigste Klasse unter den untertaenigen Gemeinden war die der latinischen Staedte, welche an den von Rom inner- und selbst schon ausserhalb Italien gegruendeten autonomen Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und stetig durch neue Gruendungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen Stadtgemeinden roemischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden immer mehr die eigentlichen Stuetzen der roemischen Herrschaft ueber Italien. Es waren dies nicht mehr diejenigen Latiner, mit denen am Regiller See und bei Trifanum gestritten worden war - nicht jene alten Glieder des albischen Bundes, welche der Gemeinde Rom von Haus aus sich gleich, wo nicht besser achteten und welche, wie die gegen Praeneste zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfuegten furchtbar strengen Sicherheitsmassregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden Reibungen namentlich mit den Praenestinern beweisen, die roemische Herrschaft als schweres Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich entweder unter oder in Rom aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und mit Ausnahme von Praeneste und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch selbstaendige Gemeinden. Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit bestand vielmehr fast ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn an in Rom ihre Haupt- und Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten fremdsprachiger und anders gearteter Landschaften durch Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an Rom geknuepft waren, die als kleine Tyrannen der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz wegen wohl an Rom halten mussten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die endlich, infolge der steigenden materiellen Vorteile des roemischen Buergertums, aus ihrer wenngleich beschraenkten Rechtsgleichheit mit den Roemern immer noch einen sehr ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum Beispiel ein Teil der roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu werden pflegte und die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des Staats ihnen wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig blieben allerdings auch hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten Selbstaendigkeit nicht aus. Venusinische Inschriften aus der Zeit der roemischen Republik und kuerzlich zum Vorschein gekommene beneventanische ^11 lehren, dass Venusia so gut wie Rom seine Plebs und seine Volkstribune gehabt und dass die Oberbeamten von Benevent wenigstens um die Zeit des Hannibalischen Krieges den Konsultitel gefuehrt haben. Beide Gemeinden gehoeren zu den juengsten unter den latinischen Kolonien aelteren Rechts; man sieht, welche Ansprueche um die Mitte des fuenften Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese sogenannten Latiner, hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft und in jeder Beziehung sich ihr gleich fuehlend, fingen schon an, ihr untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu empfinden und nach voller Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der Senat bemueht, diese latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom waren, doch nach Moeglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken und ihre bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die Aufhebung des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer ehemaligen vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der wichtigsten denselben zustaendigen politischen Rechte ist schon dargestellt worden; mit der vollendeten Unterwerfung Italiens geschah ein weiterer Schritt und wurde der Anfang dazu gemacht, auch die bisher nicht angetasteten individuellen Rechte des einzelnen latinischen Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu beschraenken. Fuer die im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und ebenso fuer alle spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die Bevorzugung vor den uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche Gleichstellung ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und Wandel sowie im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den bisher gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle Freizuegigkeit, die Befugnis eines jeden ihrer Buerger, durch Uebersiedelung nach Rom das volle Buergerrecht daselbst zu gewinnen, fuer die spaeter eingerichteten latinischen Pflanzstaedte beschraenkt auf diejenigen Personen, welche in ihrer Heimat zu dem hoechsten Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen blieb es gestattet, ihr koloniales Buergerrecht mit dem roemischen zu vertauschen. Es erscheint hier deutlich die vollstaendige Umaenderung der Stellung Roms. Solange Rom noch, wenn auch die erste, doch nur eine der vielen italischen Stadtgemeinden war, wurde der Eintritt selbst in das unbeschraenkte roemische Buergerrecht durchgaengig als ein Gewinn fuer die aufnehmende Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses Buergerrechts den Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft als Strafe ihnen auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein herrschte und die uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich um: die roemische Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu bewahren, und machte darum der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende; obwohl die Staatsmaenner dieser Zeit doch einsichtig genug waren, wenigstens den Spitzen und Kapazitaeten der hoechstgestellten Untertanengemeinden den Eintritt in das roemische Buergerrecht gesetzlich offenzuhalten. Auch die Latiner also hatten es zu empfinden, dass Rom, nachdem es hauptsaechlich durch sie sich Italien unterworfen hatte, jetzt ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte.

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^11 V Cervio A. f. cosol dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius L. f. consol dedicavit.

^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den Volaterranern das ehemalige Recht von Ariminum, das heisst, setzt der Redner hinzu, das Recht der “zwoelf Kolonien”, welche nicht die roemische Civitaet, aber volles Commercium mit den Roemern hatten. Ueber wenige Dinge ist soviel verhandelt worden wie ueber die Beziehung dieses Zwoelfstaedterechts; und doch liegt dieselbe nicht fern. Es sind in Italien und im Cisalpinischen Gallien, abgesehen von einigen frueh wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreissig latinische Kolonien gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben - Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und da Ariminum von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese neue Ordnung zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen mit, weil dies die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische Kolonie war -, so heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das ariminensische. Damit ist zugleich erwiesen, was schon aus anderen Gruenden die hoechste Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle nach Aquileias Gruendung in Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den Buergerkolonien gehoerten.

Den Umfang der Rechtsschmaelerung der juengeren latinischen Staedte im Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir uebrigens nicht voellig zu bestimmen. Wenn die Ehegemeinschaft, wie es nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts weniger als ausgemacht ist (oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130 Dind.), ein Bestandteil der urspruenglichen bundesgenoessischen Rechtsgleichheit war, so ist sie jedenfalls den juengeren nicht mehr zugestanden worden.

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Das Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse, wie zum Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in voellige Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies nicht der Fall war, wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten verhaeltnismaessig sehr umfassende Rechte; wieder andere, wie zum Beispiel die tarentinischen und die samnitischen Vertraege, moegen sich der Zwingherrschaft genaehert haben.

Als allgemeine Regel kann wohl angenommen werden, dass nicht bloss die latinische und hernikische, von denen es ueberliefert ist, sondern saemtliche italische Voelkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur Bedeutungslosigkeit abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde mit anderen italischen die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das gemeinsame Beratschlagungs- und Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner wird, wenn auch in verschiedener Weise, dafuer gesorgt worden sein, dass die Wehr- und Steuerkraft der saemtlichen italischen Gemeinden der fuehrenden zur Disposition stand. Wenngleich auch ferner noch die Buergermiliz einer- und die Kontingente “latinischen Namens” anderseits als die wesentlichen und integrierenden Bestandteile des roemischen Heeres angesehen wurden und ihm somit sein nationaler Charakter im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht bloss die roemischen Passivbuerger zu demselben mit herangezogen, sondern ohne Zweifel auch die nichtlatinischen foederierten Gemeinden entweder, wie dies mit den griechischen geschah, zur Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet, oder, wie dies fuer die apulischen, sabellischen und etruskischen auf einmal oder allmaehlich verordnet worden sein muss, in das Verzeichnis der zuzugpflichtigen Italiker (formula togatorum) eingetragen. Durchgaengig scheint dieser Zuzug eben wie der der latinischen Gemeinden fest normiert worden zu sein, ohne dass doch die fuehrende Gemeinde erforderlichenfalls verhindert gewesen waere, mehr zu fordern. Es lag hierin zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede Gemeinde verpflichtet war, ihr Kontingent selbst auszuruesten und zu besolden. Nicht ohne Absicht wurden darum vorzugsweise die kostspieligsten Kriegsleistungen auf die latinischen oder nichtlatinischen foederierten Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine zum groessten Teil durch die griechischen Staedte instand gehalten und bei dem Rossdienst die Bundesgenossen, spaeterhin wenigstens, in dreifach staerkerem Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft angezogen, waehrend im Fussvolk der alte Satz, dass das Bundesgenossenkontingent nicht zahlreicher sein duerfte als das Buergerheer, noch lange Zeit wenigstens als Regel in Kraft blieb.

Das System, nach welchem dieser Bau im einzelnen zusammengefuegt und zusammengehalten ward, laesst aus den wenigen auf uns gekommenen Nachrichten sich nicht mehr feststellen. Selbst das Zahlenverhaeltnis, in welchem die drei Klassen der Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbuergerschaft standen, ist nicht mehr auch nur annaehernd zu ermitteln ^13 und ebenso die geographische Verteilung der einzelnen Kategorien ueber Italien nur unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau zugrunde liegenden leitenden Gedanken liegen dagegen so offen vor, dass es kaum noetig ist, sie noch besonders zu entwickeln. Vor allem ward, wie gesagt, der unmittelbare Kreis der herrschenden Gemeinde teils durch Ansiedelung der Vollbuerger, teils durch Verleihung des Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie es irgend moeglich war, ohne die roemische Gemeinde, die doch eine staedtische war und bleiben sollte, vollstaendig zu dezentralisieren. Als das Inkorporationssystem bis an und vielleicht schon ueber seine natuerlichen Grenzen ausgedehnt war, mussten die weiter hinzutretenden Gemeinden sich in ein Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen; denn die reine Hegemonie als dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So stellte sich, nicht durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern durch das unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die Klasse der herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den Mitteln der Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung der Beherrschten durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und Einrichtung einer moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer Gemeinden, sowie die Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den verschiedenen Kategorien der Untertanen. Wie Cato in seinem Hausregiment dahin sah, dass die Sklaven sich miteinander nicht allzu gut vertragen moechten, und absichtlich Zwistigkeiten und Parteiungen unter ihnen naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im grossen; das Mittel war nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung desselben Mittels war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die Verfassung nach dem Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment der wohlhabenden und angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit der Menge in einer natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition stand und durch seine materiellen und kommunalregimentlichen Interessen darauf angewiesen war, auf Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste Beispiel in dieser Beziehung gewaehrt die Behandlung von Capua, welches als die einzige italische Stadt, die vielleicht mit Rom zu rivalisieren vermochte, von Haus aus mit argwoehnischer Vorsicht behandelt worden zu sein scheint. Man verlieh dem kampanischen Adel einen privilegierten Gerichtsstand, gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt in jeder Hinsicht eine Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht unbetraechtliche Pensionen - sechzehnhundert je von jaehrlich 450 Stateren (etwa 200 Taler) - auf die kampanische Gemeindekasse an. Diese kampanischen Ritter waren es, deren Nichtbeteiligung an dem grossen latinisch-kampanischen Aufstand 414 (340) zu dessen Scheitern wesentlich beitrug und deren tapfere Schwerter im Jahre 459 (295) bei Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen das kampanische Fussvolk in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen Kriege von Rom abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die roemische Praxis: die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der abhaengigen Gemeinden durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das roemische Interesse auszubeuten, gibt die Behandlung, die Volsinii im Jahre 489 (265) widerfuhr. Es muessen dort, aehnlich wie in Rom, die Alt- und Neubuerger sich gegenuebergestanden und die letzteren auf gesetzlichem Wege die politische Gleichberechtigung erlangt haben. Infolge dessen wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den roemischen Senat mit dem Gesuch um Wiederherstellung der alten Verfassung; was die in der Stadt herrschende Partei begreiflicherweise als Landesverrat betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen Strafe zog. Der roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger und liess, da die Stadt sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische Exekution nicht bloss die in anerkannter Wirksamkeit bestehende Gemeindeverfassung von Volsinii vernichten, sondern auch durch die Schleifung der alten Hauptstadt Etruriens das Herrentum Roms den Italikern in einem Exempel von erschreckender Deutlichkeit vor Augen legen.

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^13 Es ist zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht genuegende Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfaehigen roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf etwa 20000 veranschlagen. Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von Veii die unmittelbare roemische Mark nicht wesentlich erweitert worden; womit es vollkommen uebereinstimmt, dass von der ersten Einrichtung der einundzwanzigste Bezirk um das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch keine bedeutende Erweiterung der roemischen Grenze lag, bis auf das Jahr 367 (387) neue Buergerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuss der Geborenen ueber die Gestorbenen, durch Einwanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag bringen, so ist es doch schlechterdings unmoeglich, mit den engen Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die ueberlieferten Zensuszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der waffenfaehigen roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362 (392), wofuer eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr werden diese Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf einer Linie stehen und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete aeltere Zensusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz detaillierten Zahlenangaben sich gefallen und sich verraten.

Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts beginnen die grossen Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle ploetzlich und betraechtlich steigen musste. Es ist glaubwuerdig ueberliefert, wie an sich glaublich, dass um 416 (338) man 165000 roemische Buerger zaehlte, wozu es recht gut stimmt, dass zehn Jahre vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien zaehlte man im fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem ersten Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige Buerger. Diese Zahlen sind sicher genug, allein aus einem anderen Grunde geschichtlich nicht vollstaendig brauchbar: dabei naemlich sind wahrscheinlich die roemischen Vollbuerger und die nicht, wie die Kampaner, in eigenen Legionen dienenden “Buerger ohne Stimme”, wie zum Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend doch die letzteren faktisch durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen (Roemische Forschungen, Bd. 2, S. 396).

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Aber der roemische Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das einzige Mittel, der Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Maessigung der Gewalthaber ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden die Autonomie gelassen oder verliehen, die einen Schatten von Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil an Roms militaerischen und politischen Erfolgen und vor allem eine freie Kommunalverfassung in sich schloss - so weit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum verzichtete Rom von vornherein mit einer in der Geschichte vielleicht beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit auf das gefaehrlichste aller Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu besteuern. Hoechstens den abhaengigen keltischen Gauen moegen Tribute auferlegt worden sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl auf die Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden Buergerschaft abgewaelzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere nach Verhaeltnis bei weitem staerker als die Bundesgenossenschaft und in dieser wahrscheinlich wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem staerker in Anspruch genommen als die nichtlatinischen Bundesgemeinden; so dass es eine gewisse Billigkeit fuer sich hatte, wenn auch von dem Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach ihm die Latinerschaft den besten Teil fuer sich nahmen.

Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der italischen zuzugpflichtigen Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle sich zu bewahren, genuegte die roemische Zentralverwaltung teils durch die vier italischen Quaesturen, teils durch die Ausdehnung der roemischen Zensur ueber die saemtlichen abhaengigen Staedte. Die Flottenquaestoren hatten neben ihrer naechsten Aufgabe auch von den neugewonnenen Domaenen die Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der neuen Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten roemischen Beamten, denen gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen ward und bildeten zwischen dem roemischen Senat und den italischen Gemeinden die notwendige Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die spaetere Munizipalverfassung zeigt, in jeder italischen ^14 Gemeinde die Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte, jedes vierte oder fuenfte Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu der die Anregung notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den Zweck gehabt haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat den Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens zu bewahren.

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^14 Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor, deren Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert ist.

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Mit dieser militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen eines neuen, ihnen allen gemeinsamen Namens zusammen, der “Maenner der Toga”, was die aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker, was die urspruenglich bei den Griechen gebraeuchliche und sodann allgemein gangbar gewordene Bezeichnung ist. Die verschiedenen Nationen, welche diese Landschaften bewohnten, moegen wohl zuerst sich als eine Einheit gefuehlt und zusammengefunden haben teils in dem Gegensatz gegen die Hellenen, teils und vor allem in der gemeinschaftlichen Abwehr der Kelten; denn mochte auch einmal eine italische Gemeinde mit diesen gegen Rom gemeinschaftliche Sache machen und die Gelegenheit nutzen, um die Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf die Laenge das gesunde Nationalgefuehl notwendig sich Bahn. Wie der “gallische Acker” bis in spaete Zeit als der rechtliche Gegensatz des italischen erscheint, so sind auch die “Maenner der Toga” also genannt worden im Gegensatz zu den keltischen “Hosenmaennern” (bracati); und wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des italischen Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen Einfaelle sowohl als Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem die Roemer teils in dem grossen Nationalkampf an die Spitze traten, teils die Etrusker, Latiner, Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der sogleich zu bezeichnenden Grenzen gleichmaessig noetigten, unter ihren Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin schwankende und mehr innerliche Einheit geschlossene und staatsrechtliche Festigkeit und ging der Name Italia, der urspruenglich und noch bei den griechischen Schriftstellern des fuenften Jahrhunderts, zum Beispiel bei Aristoteles, nur dem heutigen Kalabrien eignet, ueber auf das gesamte Land der Togatraeger. Die aeltesten Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral bis in die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis an den Aesis oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden, von Italikern kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum jenseits des Apennin, Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie Ariminum, Glieder der Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische Buergergemeinden waren, doch als geographisch ausserhalb Italien gelegen. Noch weniger konnten die keltischen Gaue des Apennin, wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne derselben in der Klientel von Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt werden. Das neue Italien war also eine politische Einheit geworden; es war aber auch im Zuge, eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende latinische Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur die Entwicklung dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des latinischen Rockes Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache war. Dass aber die Roemer schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten, zeigt die uebliche Erstreckung des latinischen Namens auf die ganze zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft ^16. Was immer von diesem grossartigen politischen Bau sich noch erkennen laesst, daraus spricht der hohe politische Verstand seiner namenlosen Baumeister; und die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation spaeterhin unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem grossen Werke das Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so fein wie fest um ganz Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der roemischen Gemeinde zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat anstatt Tarents, Lucaniens und anderer durch die letzten Kriege aus der Reihe der politischen Maechte geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in das System der Staaten des Mittelmeers ein. Gleichsam die offizielle Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom durch die beiden feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von Alexandreia nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie auch zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel schon eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der aegyptischen Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen um Sizilien ringen sollte, so stritt Makedonien mit jener um den bestimmenden Einfluss in Griechenland, mit dieser demnaechst um die Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte nicht fehlen, dass die neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten, ineinander eingriffen und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis hineingezogen ward, den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen Nachfolgern zum Tummelplatz abgesteckt hatten.

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^15 Diese aelteste Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen Ortschaften ad fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der Strasse nach Florenz, die zweite an der Kueste unweit Livorno lag. Etwas weiter suedlich von dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine, valle della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430).

^16 Im genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich nicht. Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem Ackergesetz von 643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve Latini quibus ex formula togatorum [milites in terra Italia imperare solent]; ebenso wird daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus unterschieden und heisst es im Senatsbeschluss ueber die Bacchanalien von 568 (186): ne quis ceivis Romanus neve nominis Latini neve socium quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird von diesen drei Gliedern sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen und neben den Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht (W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied in der Bedeutung waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii Italici (Sall. Iug. 40), so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen Sprachgebrauch fremd, der wohl ein Italia, aber nicht Italici kennt.

KAPITEL VIII.
Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität

In der Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb der roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle Neuerung die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst und in untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die einzelnen Buerger auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des Beamten zu suchen, wegen Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae) zu erkennen. Bei allen Bussen von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern, oder, nachdem durch Gemeindebeschluss vom Jahre 324 (430) die Viehbussen in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als 3020 Libralassen (218 Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die Entscheidung im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den vagen Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich alles, was man wollte, bringen und durch die hoeheren Stufen der Vermoegensbussen alles, was man wollte, erreichen; es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit dieses arbitraeren Verfahrens weit mehr offenbart als beseitigt, dass diese Vermoegensbussen, wo sie nicht gesetzlich auf eine bestimmte Summe festgestellt waren, die Haelfte des dem Gebuessten gehoerigen Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen Kreis gehoeren schon die Polizeigesetze, an denen die roemische Gemeinde seit aeltester Zeit ueberreich war: die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche die Salbung der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden Kraenzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die Raeucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein untersagten, die Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens zehn beschraenkten und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten - gewissermassen das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus den staendischen Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher sowohl wie gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige Aneignung von okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese und aehnliche Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und oft auch das Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine Befugnis eines jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen Ordnungswidrigkeit eine Busse zu erkennen und, wenn diese das Provokationsmass erreichte und der Gebuesste sich nicht in die Strafe fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im Laufe des fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen Lebenswandels sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei und aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das roemische Budget und die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils um von sich aus Luxussteuern aufzulegen, welche von den Luxusstrafen nur der Form nach sich unterschieden, teils besonders um auf die Anzeige anstoessiger Handlungen hin dem tadelhaften Buerger die politischen Ehrenrechte zu schmaelern oder zu entziehen. Wie weit schon jetzt diese Bevormundung ging, zeigt, dass solche Strafen wegen nachlaessiger Bestellung des eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass ein Mann wie Publius Cornelius Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des Jahres 479 (275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er silbernes Tafelgeraet zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besass. Allerdings hatten nach der allgemein fuer Beamtenverordnungen gueltigen Regel die Verfuegungen der Zensoren nur fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst durchgaengig fuer die naechsten fuenf Jahre rechtliche Kraft, und konnten von den naechsten Zensoren nach Gefallen erneuert oder nicht erneuert werden; aber nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis von einer so ungeheuren Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus einem Unteramt an Rang und Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern das erste ward. Das Senatsregiment ruhte wesentlich auf dieser doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbitraerer Machtvollkommenheit versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der Gemeindebeamten. Dieselbe hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel genuetzt und viel geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der den Schaden fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass bei der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen Sittlichkeit und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese Zeit recht eigentlich bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch doch von diesen Institutionen fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit hauptsaechlich durch sie niedergehalten worden ist, auch die gewaltige und oft gewaltsame Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten alten Ordnung und Sitte in der roemischen Gemeinde eben auf diesen Institutionen beruhen.

Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung zwar langsam, aber dennoch deutlich genug eine humanisierende und modernisierende Tendenz sich geltend. Die meisten Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche mit dem Solonischen Gesetz uebereinkommen und deshalb mit Grund fuer materielle Neuerungen gehalten werden duerfen, tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien Assoziationsrechts und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber die Grenzstreifen, die dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe des Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich fortan durch Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen konnte. Das Schuldrecht ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein Jahrhundert nachher, durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie Bestimmung ueber das Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach aeltestem roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den Todesfall bisher geknuepft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das Zwoelftafelgesetz oder dessen Interpretation dem Privattestament dieselbe Kraft beilegte, welche dem von den Kurien bestaetigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen Durchfuehrung der Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar absolute vaeterliche Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift, dass der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurueckfallen, sondern fortan frei sein solle; woran bald durch eine - streng genommen freilich widersinnige - Rechtsdeduktion die Moeglichkeit angeknuepft ward, dass sich der Vater freiwillig der Herrschaft ueber den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht wurde die Zivilehe gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen ebenso notwendig wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche Gewalt verknuepft war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche Gewalt geschlossenen Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der Vollgewalt des Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Noetigung zum ehelichen Leben ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einfuehrung Camillus als Zensor im Jahre 351 (403) seine oeffentliche Laufbahn begann.

Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung. Vor allen Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der oberrichterlichen Gewalt durch die gesetzliche Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung des Beamten, fortan nicht mehr nach dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem geschriebenen Buchstaben im Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden (303, 304 451, 450). Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege taetigen roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in Rom erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden nachgeahmte Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die Schnelligkeit und Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den Aedilen kam natuerlich zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern sie teils fuer die auf offenem Markt abgeschlossenen Verkaeufe, also namentlich fuer die Vieh- und Sklavenmaerkte die ordentlichen Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es waren, welche in dem Buss- und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder, was nach roemischem Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten. Infolgedessen lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das ebenso unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in ihrer Hand. Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen Leute gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten drei Nacht- oder Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie wurden mit der naechtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der Aufsicht ueber die Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald, vielleicht schon von Haus aus eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit geknuepft hat ^1. Mit der steigenden Ausdehnung der roemischen Gemeinde wurde es endlich, teils mit Ruecksicht auf die Gerichtspflichtigen, notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene, wenigstens fuer die geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen, was fuer die Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf die entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten Anfaenge einer neben der eigentlich roemischen sich entwickelnden roemisch-munizipalen Jurisdiktion.

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^1 Die frueher aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits der aeltesten Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten Staatsordnung Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische Chronologie bis auf Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist die gut beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465 (289) ernannt wurden (Liv. ep. 11), einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche Deduktion des Faelschers Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer vor 450 (304) Erwaehnung tut, einfach zu verwerfen. Anfaenglich wurden ohne Zweifel, wie dies bei den meisten der spaeteren magistratus minores der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den Oberbeamten ernannt; das papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf die Gemeinde uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall, da es den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts erlassen.

^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der Kolonie Antium zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist an sich klar, dass wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte, seine Rechtshaendel alle in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften wie Antium und Sena sich nicht durchfuehren liess.

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In dem Zivilverfahren, welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon frueher uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des Koenigtums gesetzliche Vorschrift; und dieser Trennung hat das roemische Privatrecht seine logische und praktische Schaerfe und Bestimmtheit wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde die bisher der unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung ueber den Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und neben dem Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die Magistratsgewalt einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im Kriminalverfahren wurde das Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur rechtlich gesicherten Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach Verhoerung (quaestio) von dem Beamten verurteilt und berief sich auf die Buergerschaft, so schritt der Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhoer (anquisitio), und wenn er nach dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde seinen Spruch wiederholt hatte, wurde im vierten Termin das Urteil von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen. Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die Saetze, dass das Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des Hauses eine Verhaftung stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft zu vermeiden und es jedem angeklagten und noch nicht verurteilten Buerger zu gestatten sei, durch Verzicht auf sein Buergerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht das Vermoegen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen - Saetze, die allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich fuer die Beschraenkung der Todesstrafe von dem groessten Einfluss gewesen sind. Indes wenn das roemische Kriminalrecht fuer den starken Buergersinn wie fuer die steigende Humanitaet dieser Epoche ein merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so litt es dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schaedlich nachwirkenden staendischen Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen Gemeindebeamten war die Ursache, dass es in dem roemischen Kriminalverfahren eine feste Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte Voruntersuchung fortan nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil letzter Instanz in den Formen und von den Organen der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem Gnadenverfahren niemals verleugnete, ueberdies noch die Behandlung der polizeilichen Bussen auf das aeusserlich sehr aehnliche Kriminalverfahren nachteilig zurueckwirkte, wurde nicht etwa missbraeuchlich, sondern gewissermassen verfassungsmaessig die Entscheidung in den Kriminalsachen nicht nach festem Gesetz, sondern nach dem willkuerlichen Belieben der Richter gefaellt. Auf diesem Wege ward das roemische Kriminalverfahren vollstaendig grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der politischen Parteien herabgewuerdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann, als dies Verfahren zwar vorzugsweise fuer eigentliche politische Verbrechen, aber doch auch fuer andere, zum Beispiel fuer Mord und Brandstiftung zur Anwendung kam. Dazu kam die Schwerfaelligkeit jenes Verfahrens, welche im Verein mit der republikanisch hochmuetigen Verachtung des Nichtbuergers es verschuldet hat, dass man sich immer mehr gewoehnte, ein summarisches Kriminal- oder vielmehr Polizeiverfahren gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem foermlichen zu dulden. Auch hier ueberschritt der leidenschaftliche Streit um die politischen Prozesse die natuerlichen Grenzen und fuehrte Institutionen herbei, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Roemer allmaehlich der Idee einer festen sittlichen Rechtsordnung zu entwoehnen.

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^3 Man pflegt die Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen; vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen ueber die Nichtswuerdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das beispiellos schwankende und unentwickelte roemische Kriminalrecht koennte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren Vorstellungen auch diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach scheinen moechte, dass ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes ein krankes. Abgesehen von allgemeineren staatlichen Verhaeltnissen, von welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhaengt, liegen die Ursachen der Trefflichkeit des roemischen Zivilrechts hauptsaechlich in zwei Dingen: einmal darin, dass der Klaeger und der Beklagte gezwungen wurden, vor allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu motivieren und zu formulieren; zweitens darin, dass man fuer die gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ bestellte und dies an die Praxis unmittelbar anknuepfte. Mit jenem schnitten die Roemer die advokatische Rabulisterei, mit diesem die unfaehige Gesetzmacherei ab, soweit sich dergleichen abschneiden laesst, und mit beiden zusammen genuegten sie, soweit es moeglich ist, den zwei entgegenstehenden Forderungen, dass das Recht stets fest und dass es stets zeitgemaess sein soll.

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Weniger sind wir imstande, die Weiterbildung der roemischen Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man einfach fest an der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den Unglauben in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles Irdischen, auf der die roemische Religion beruhte, noch am Ende dieser Epoche war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einfuehrung des Silbercourants im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott “Silberich” (Argentinus), der natuerlicherweise des aelteren Gottes “Kupferich” (Aesculanus) Sohn war.

Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie frueher; aber auch hier und hier vor allem ist der hellenische Einfluss im Steigen. Erst jetzt beginnen den hellenischen Goettern in Rom selber sich Tempel zu erheben. Der aelteste war der Tempel der Kastoren, welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und am 15. Juli 269 (485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich knuepft, dass zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar nach der Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen Markt am Quell der Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend gesehen worden seien, traegt ein durchaus unroemisches Gepraege und ist ohne allen Zweifel der bis in die Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der Dioskuren in der beruehmten, etwa ein Jahrhundert vorher zwischen den Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras geschlagenen Schlacht in sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische Apoll wird nicht bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem Einfluss griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach besonderen Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute (360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt gebaut (323 431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende dieser Periode fuer die Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter Weise mit der alten roemischen Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4, und fuer den von Epidauros im Peloponnes erbetenen und feierlich nach Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463 291). Einzeln wird in schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das Eindringen auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so 326 428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu tun.

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^4 In der spaeteren Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst bei der Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843, S. 472).

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In Etrurien dagegen wird, waehrend die Nation in politischer Nichtigkeit und traeger Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels, der stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei und das Bettelprophetenwesen sich allmaehlich zu jener Hoehe entwickelt haben, auf der wir sie spaeter dort finden.

In dem Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veraenderungen nicht ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die zur Bestreitung der Kosten des oeffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozessbussen um das Jahr 465 (289) verfuegt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen Staatsbudgets, wie es die vermehrte Zahl der Staatsgoetter und Tempel mit Notwendigkeit mit sich brachte. Unter den ueblen Folgen des Staendehaders ist es schon angefuehrt worden, dass man den Kollegien der Sachverstaendigen einen unstatthaften Einfluss einzuraeumen begann und sich ihrer bediente, um politische Akte zu kassieren, wodurch teils der Glaube im Volke erschuettert, teils den Pfaffen ein sehr schaedlicher Einfluss auf die oeffentlichen Geschaefte zugestanden ward.

Im Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein. Die uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf der Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel zu Pferde fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht haben mag, war in der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die altdorische Hoplitenphalanx von wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe ersetzt worden, welche fortan das Schwergewicht des Kampfes uebernahm, waehrend die Reiter auf die Fluegel gestellt und, je nach den Umstaenden zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich als Reserve verwandt wurden. Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr gleichzeitig in Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die Manipularordnung, jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Aufloesung und Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die Teilung der alten legio von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische Phalanx hatte durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor allem dem Spiess beruht und den Wurfwaffen nur eine beilaeufige und untergeordnete Stellung im Treffen eingeraeumt. In der Manipularlegion wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen beschraenkt und den beiden ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich italische Wurfwaffe gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes viereckiges oder rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das vielleicht urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle erfunden worden war, aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder ueberging und von dem vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten in die feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert eine bei weitem groessere Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten hatte haben koennen; denn die Wurfspeersalve war zunaechst nur bestimmt, dem Angriff mit dem Schwert die Bahn zu brechen. Wenn ferner die Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige Lanze, auf einmal auf den Feind geworfen werden musste, so wurden in der neuen italischen Legion die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber in der Schlachtordnung unaufloeslich fest verknuepften Einheiten taktisch voneinander gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloss, wie gesagt, in zwei gleich starke Haelften, sondern jede von diesen trat weiter in der Tiefrichtung auseinander in drei Treffen, das der Hastaten, das der Principes und das der Triarier, von ermaessigter, wahrscheinlich in der Regel nur vier Glieder betragender Tiefe und loeste in der Frontrichtung sich auf in je zehn Haufen (manipuli), so dass zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen ein merklicher Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten taktischen Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den Vordergrund trat, wie dies aus der schon erwaehnten entscheidenden Rolle des Handgemenges und Schwertgefechtes deutlich hervorgeht. Eigentuemlich entwickelte sich auch das System der Lagerverschanzung; der Platz, wo der Heerhaufe wenn auch nur fuer eine einzige Nacht sein Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit einer regelmaessigen Umwallung versehen und gleichsam in eine Festung umgeschaffen. Wenig aenderte sich dagegen in der Reiterei, die auch in der Manipularlegion die sekundaere Rolle behielt, welche sie neben der Phalanx eingenommen hatte. Auch das Offiziersystem blieb in der Hauptsache ungeaendert; nur wurden jetzt jeder der zwei Legionen des regelmaessigen Heeres ebenso viele Kriegstribune vorgesetzt, wie sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also die Zahl der Stabsoffiziere verdoppelt. Es duerfte auch in dieser Zeit sich die scharfe Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren, welche sich ihren Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem Schwerte zu gewinnen hatten und in regelmaessigem Avancement von den niederen in die hoeheren Manipel uebergingen, und den je sechs und sechs den ganzen Legionen vorgesetzten Kriegstribunen, fuer welche es kein regelmaessiges Avancement gab und zu denen man gewoehnlich Maenner aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer von Bedeutung geworden sein, dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die Stabsoffiziere gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem Jahre 392 (362) ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl vergeben ward. Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge Kriegszucht unveraendert. Nach wie vor war es dem Feldherrn gestattet, jedem in seinem Lager dienenden Mann den Kopf vor die Fuesse zu legen und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen Soldaten mit Ruten auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss wegen gemeiner Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier gestattet hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine Abteilung sich hatte ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war. Dagegen bedingt die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere militaerische Schule als die bisherige phalangitische, worin das Schwergewicht der Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch kein eigener Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie vor Buergerheer blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht, dass man die bisherige Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab und sie nach dem Dienstalter ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt ein unter die leichtbewaffneten, ausserhalb der Linie besonders mit Steinschleudern fechtenden “Sprenkler” (rorarii) und avancierte aus diesem allmaehlich in das erste und weiter in das zweite Treffen, bis endlich die langgedienten und erfahrenen Soldaten in dem an Zahl schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton und Geist angebenden Triarierkorps sich zusammenfanden.

Die Vortrefflichkeit dieser Kriegsordnung, welche die naechste Ursache der ueberlegenen politischen Stellung der roemischen Gemeinde geworden ist, beruht wesentlich auf den drei grossen militaerischen Prinzipien der Reserve, der Verbindung des Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und Defensive. Das Reservesystem war schon in der aelteren Verwendung der Reiterei angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen und die Aufsparung der Veteranenkernschar fuer den letzten und entscheidenden Stoss vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische Phalanx den Nahkampf, die orientalischen mit Bogen und leichten Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader den Fernkampf einseitig ausgebildet hatten, so wurde durch die roemische Verbindung des schweren Wurfspiesses mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt worden ist, ein aehnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung durch die Einfuehrung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve dem Angriff mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem gestattete es den Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des Offensivkrieges miteinander zu verbinden und die Schlacht je nach Umstaenden zu verweigern oder zu liefern, und im letzteren Fall sie unter den Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern einer Festung zu schlagen - der Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt durch Stillsitzen.

Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine roemische oder wenigstens italische Um- und Fortbildung der alten hellenischen Phalangentaktik ist, leuchtet ein; wenn gewisse Anfaenge des Reservesystems und der Individualisierung der kleineren Heerabteilungen schon bei den spaeteren griechischen Strategen, namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur, dass man die Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch nicht vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden und ob sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich nicht mehr nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen gruendlich verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die keltische Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die Gliederung der Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten und allein gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat; und damit stimmt es zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der bedeutendste roemische Feldherr der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus, als Reformator des roemischen Kriegswesens erscheint. Die weiteren an den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg anknuepfenden Ueberlieferungen sind weder hinreichend beglaubigt noch mit Sicherheit einzureihen ^5; so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der langjaehrige samnitische Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des roemischen Soldaten, und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskuenstler aus der Schule des grossen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im roemischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat.

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^5 Nach der roemischen Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich viereckige Schilde; worauf sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild (clupeus, αςπίς)von den Samniten den spaeteren viereckigen Schild (scutum, θυρεός) und den Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51, 38; Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Mueller und die bei Marquardt, Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angefuehrten). Allein dass der Hoplitenschild, das heisst die dorische Phalangentaktik nicht den Etruskern, sondern den Hellenen unmittelbar nachgeahmt ward, darf als ausgemacht gelten. Was das Scutum anlangt, so wird dieser grosse zylinderfoermig gewoelbte Lederschild allerdings wohl an die Stelle des platten kupfernen Clupeus getreten sein, als die Phalanx in Manipel auseinandertrat; allein die unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus dem Griechischen macht misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den Samniten. Von den Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda aus σφενδόνη, wie fides aus σφίδη, oben). Das Pilum gilt den Alten durchaus als roemische Erfindung.

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In der Volkswirtschaft war und blieb der Ackerbau die soziale und politische Grundlage sowohl der roemischen Gemeinde als des neuen italischen Staates. Aus den roemischen Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten mit dem Pfluge. Die Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte die furchtbaren inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts herbei, an denen die junge Republik zugrunde gehen zu muessen schien; die Wiedererhebung der latinischen Bauernschaft, welche waehrend des fuenften teils durch die massenhaften Landanweisungen und Inkorporationen, teils durch das Sinken des Zinsfusses und die steigende Volksmenge Roms bewirkt ward, war zugleich Wirkung und Ursache der gewaltigen Machtentwicklung Roms - wohl erkannte Pyrrhos’ scharfer Soldatenblick die Ursache des politischen und militaerischen Uebergewichts der Roemer in dem bluehenden Zustande der roemischen Bauernwirtschaften. Aber auch das Aufkommen der Grosswirtschaft in dem roemischen Ackerbau scheint in diese Zeit zu fallen. In der aelteren Zeit gab es wohl auch schon einen - wenigstens verhaeltnismaessig - grossen Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine Gross-, sondern nur eine vervielfaeltigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen darf die mit der aelteren Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch der spaeteren bei weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 387 (367), dass der Grundbesitzer neben den Sklaven eine verhaeltnismaessige Zahl freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl als die aelteste Spur der spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft angesehen werden ^6; und es ist bemerkenswert, dass gleich hier bei ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich auf dem Sklavenhalten ruht. Wie sie aufkam, muss dahingestellt bleiben; moeglich ist es, dass die karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den aeltesten roemischen Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht steht selbst das Aufkommen des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, das Varro um die Zeit der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln, wie weit diese Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich gegriffen hat; nur daran, dass sie noch nicht Regel gewesen sein und den italischen Bauernstand noch nicht absorbiert haben kann, laesst die Geschichte des Hannibalischen Krieges keinen Zweifel. Wo sie aber aufkam, vernichtete sie die aeltere, auf dem Bittbesitz beruhende Klientel; aehnlich wie die heutige Gutswirtschaft grossenteils durch Niederlegung der Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in Hoffeld entstanden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der Bedraengnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das Einschraenken dieser Ackerklientel hoechst wesentlich mitgewirkt hat.

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^6 Auch Varro (rust. 1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen Ackergesetzes offenbar als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten Laendereien; obgleich uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den Beinamen zu erklaeren.

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Ueber den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die Muenzen. Dass in Italien, von den griechischen Staedten und dem etruskischen Populonia abgesehen, waehrend der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemuenzt ward und als Tauschmaterial anfangs das Vieh, spaeter Kupfer nach dem Gewicht diente, wurde schon gesagt. In die gegenwaertige Epoche faellt der Uebergang der Italiker vom Tausch- zum Geldsystem, wobei man natuerlich zunaechst auf griechische Muster sich hingewiesen sah. Es lag indes in den Verhaeltnissen, dass in Mittelitalien statt des Silbers das Kupfer zum Muenzmetall ward und die Muenzeinheit sich zunaechst anlehnte an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es zusammenhaengt, dass man die Muenzen goss, statt sie zu praegen, denn kein Stempel haette ausgereicht fuer so grosse und schwere Stuecke. Doch scheint von Haus aus zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhaeltnis (250 : 1) normiert und die Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf ausgebracht worden zu sein, so dass zum Beispiel in Rom das grosse Kupferstueck, der As, dem Werte nach einem Skrupel (= 1/288 Pfund) Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter ist es, dass die Muenze in Italien hoechst wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und zwar eben von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das Vorbild auch zur Regulierung des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus sich verbreitete ueber eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen Stellung, die Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete. Wie alle diese Gemeinden formell unabhaengig nebeneinander standen, war gesetzlich auch der Muenzfuss durchaus oertlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes Muenzgebiet; indes lassen sich doch die mittel- und norditalischen Kupfermuenzfuesse in drei Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die Muenzen im gemeinen Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind dies teils die Muenzen der noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen etruskischen und der umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium, teils die des oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen der italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes Verhaeltnis gesetzt zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien seit alter Zeit gangbar waren und deren Fuss sich auch die italischen Einwanderer, zum Beispiel die Brettier, Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und sogar die Roemer selbst fuer ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten. Danach wird auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen sein, welche unter sich verkehrten gleich fremden Voelkern.

Im ueberseeischen Verkehr bestanden die frueher bezeichneten sizilisch-latinischen, etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen Handelsbeziehungen auch in dieser Epoche fort oder gehoeren ihr vielmehr recht eigentlich an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten Periode zusammengefasst worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch ebensowohl auf die gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch hierfuer die Muenzen. Wie die Praegung des etruskischen Silbergeldes auf attischen Fuss und das Eindringen des italischen und besonders latinischen Kupfers in Sizilien fuer die ersten beiden Handelszuege zeugen, so spricht die eben erwaehnte Gleichstellung des grossgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und apulischen Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen Spuren fuer den regen Verkehr der unteritalischen Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem ostitalischen Litoral. Dagegen scheint der frueher wohl lebhaftere Handel zwischen den Latinern und den kampanischen Griechen durch die sabellische Einwanderung gestoert worden zu sein und waehrend der ersten hundertundfuenfzig Jahre der Republik nicht viel bedeutet zu haben; die Weigerung der Samniten, in Capua und Cumae den Roemern in der Hungersnot von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe zu kommen, duerfte eine Spur der zwischen Latium und Kampanien veraenderten Beziehungen sein, bis im Anfang des fuenften Jahrhunderts die roemischen Waffen die alten Verhaeltnisse wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es noch gestattet sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der Geschichte des roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus der ardeatischen Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der erste Barbier aus Sizilien nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem gemalten Tongeschirr zu verweilen, das vorzugsweise aus Attika, daneben aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, Kampanien und Etrurien gesandt ward, um dort zur Ausschmueckung der Grabgemaecher zu dienen und ueber dessen merkantilische Verhaeltnisse wir zufaellig besser als ueber irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel unterrichtet sind. Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung der Tarquinier fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden Gefaesse des aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die zahlreicheren des strengen Stils der ersten (450-400), die des vollendet schoenen der zweiten Haelfte des vierten (400-350) angehoeren, und die ungeheuren Massen der uebrigen, oft durch Pracht und Groesse, aber selten durch vorzuegliche Arbeit sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert (350-250) beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die Hellenen, von denen die Italiker diese Sitte der Graeberschmueckung entlehnten; aber wenn die bescheidenen Mittel und der feine Takt der Griechen sie bei diesen in engen Grenzen hielten, ward sie in Italien mit barbarischer Opulenz und barbarischer Verschwendung weit ueber das urspruengliche und schickliche Mass ausgedehnt. Aber es ist bezeichnend, dass es in Italien lediglich die Laender der hellenischen Halbkultur sind, in welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet; wer solche Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar zu den Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut erstickende etruskische und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das schlichte samnitische Wesen diesem toerichten Luxus zu allen Zeiten fern; in dem Mangel des griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso fuehlbar wie in dem Mangel einer samnitischen Landesmuenze die geringe Entwicklung des Handelsverkehrs und des staedtischen Lebens in dieser Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es, dass auch Latium, obwohl den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und Kampanien und mit ihnen im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz enthalten hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen Praeneste, dass wir hierin den Einfluss der strengen roemischen Sittlichkeit, oder, wenn man lieber will, der straffen roemischen Polizei wiederzuerkennen haben. Im engsten Zusammenhange damit stehen die bereits erwaehnten Interdikte, welche schon das Zwoelftafelgesetz gegen purpurne Bahrtuecher und den Goldschmuck als Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des silbernen Geraetes mit Ausnahme des Salzfasses und der Opferschale aus dem roemischen Hausrat wenigstens durch das Sittengesetz und die Furcht vor der zensorischen Ruege; und auch in dem Bauwesen werden wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben her laenger als Volsinii und Capua eine gewisse aeussere Einfachheit bewahren, so werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem Ackerbau seine Bluete von Haus aus beruhte, darum noch nicht als unbedeutend gedacht werden duerfen und nicht minder den Einfluss der neuen Machtstellung Roms empfunden haben.

Zu der Entwicklung eines eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer unabhaengigen Handwerker- und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache war neben der frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen Zentralisierung des Kapitals vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum ueblich und in der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, dass die kleineren staedtischen Geschaefte sehr haeufig von Sklaven betrieben wurden, welche ihr Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch von Freigelassenen, fuer welche der Herr nicht bloss sehr oft das Geschaeftskapital hergab, sondern von denen er sich auch regelmaessig einen Anteil, oft die Haelfte des Geschaeftsgewinns ausbedang. Der Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren ohne Zweifel in stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass die dem grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im fuenften Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt und nach Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden ^7. Allein da der Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum groessten Teil in die Kassen der grossen Haeuser floss, so kam ein industrieller und kommerzieller Mittelstand nicht in entsprechender Ausdehnung empor. Ebensowenig sonderten sich die Grosshaendler und grossen Industriellen scharf von den grossen Grundbesitzern. Einerseits waren die letzteren seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und Kapitalisten und in ihren Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und Lieferungen und Arbeiten fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem starken sittlichen Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen auf den Grundbesitz fiel, und bei seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst gegen das Ende dieser Epoche einige Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon in dieser Zeit gewoehnlich, dass der glueckliche Spekulant mit einem Teil seiner Kapitalien sich ansaessig machte. Es geht auch aus der politischen Bevorzugung der ansaessigen Freigelassenen deutlich genug hervor, dass die roemischen Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege die gefaehrliche Klasse der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern.

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^7 Die Vermutung, dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer die Dindia Macolnia in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen sei, wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein Lucius Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.

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Aber wenn auch in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand noch eine streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen. Deutlich weist darauf hin die zunehmende Zahl der in der Hauptstadt zusammengedraengten Sklaven, wovon die sehr ernsthafte Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419) zeugt, und noch mehr die steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich werdende Menge der Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die Freilassungen gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen Rechte der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten. Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse Majoritaet der freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel widmen musste, sondern es war auch die Freilassung selbst bei den Roemern, wie gesagt, weniger eine Liberalitaet als eine industrielle Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil an dem Gewerb- oder Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung fand als bei dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die Zunahme der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der kommerziellen und industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in Hand gegangen sein.

Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des staedtischen Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der staedtischen Polizei. Es gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser Zeit an, dass die vier Aedilen unter sich die Stadt in vier Polizeibezirke teilten und dass fuer die ebenso wichtige wie schwierige Instandhaltung des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren und groesseren Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze, fuer die gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die Beseitigung den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere, uebler Gerueche, fuer die Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend- und Nachtstunden und ueberhaupt fuer die Offenhaltung der Kommunikation, fuer die ununterbrochene Versorgung des hauptstaedtischen Marktes mit gutem und billigem Getreide, fuer die Vernichtung gesundheitsschaedlicher Waren und falscher Masse und Gewichte, fuer die besondere Ueberwachung von Baedern, Schenken, schlechten Haeusern von den Aedilen Fuersorge getroffen ward.

Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die Epoche der grossen Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei Jahrhunderte der Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und dem Aventin und der grosse Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der Stadt ebenso wie den fronenden Buergern ein Greuel gewesen sein, und es ist bemerkenswert, dass das vielleicht bedeutendste Bauwerk der republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, der Cerestempel am Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher in mehr als einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige zurueckzulenken suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie mit einer Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer sicher nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte selbst der Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der Verhaeltnisse zu stemmen. Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Zensur (442 312) das veraltete Bauernsystem des Sparschatzsammelns beiseite warf und seine Mitbuerger die oeffentlichen Mittel in wuerdiger Weise gebrauchen lehrte. Er begann das grossartige System gemeinnuetziger oeffentlicher Bauten, das, wenn irgendetwas, Roms militaerische Erfolge auch von dem Gesichtspunkt der Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat und noch heute in seinen Truemmern Tausenden und Tausenden, welche von roemischer Geschichte nie ein Blatt gelesen haben, eine Ahnung gibt von der Groesse Roms. Ihm verdankt der roemische Staat die erste grosse Militaerchaussee, die roemische Stadt die erste Wasserleitung. Claudius’ Spuren folgend, schlang der roemische Senat um Italien jenes Strassen- und Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und ohne das, wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der Simplonstrasse die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine militaerische Hegemonie bestehen kann. Claudius’ Spuren folgend, baute Manius Curius aus dem Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite hauptstaedtische Wasserleitung (482 272) und oeffnete schon einige Jahre vorher (464 290) mit dem sabinischen Kriegsgewinn dem Velino, da wo er oberhalb Terni in die Nera sich stuerzt, das heute noch von ihm durchflossene breitere Bett, um in dem dadurch trockengelegten schoenen Tal von Rieti fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum und auch fuer sich eine bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten selbst in den Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der hellenischen Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein anderes. Um die Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln das Silbergeschirr sich zu zeigen ^8 und das Verschwinden der Schindeldaecher in Rom datieren die Chronisten von dem Jahre 470 (284). Die neue Hauptstadt Italiens legte endlich ihr dorfartiges Ansehen allmaehlich ab und fing nun auch an, sich zu schmuecken. Zwar war es noch nicht Sitte, in den eroberten Staedten zu Roms Verherrlichung die Tempel ihrer Zierden zu berauben; aber dafuer prangten an der Rednerbuehne des Marktes die Schnaebel der Galeeren von Antium und an oeffentlichen Festtagen laengs der Hallen am Markte die von den Schlachtfeldern Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde. Besonders der Ertrag der Bruechgelder diente zur Pflasterung der Strassen in und vor der Stadt oder zur Errichtung und Ausschmueckung oeffentlicher Gebaeude. Die hoelzernen Buden der Fleischer, welche an den beiden Langseiten des Marktes sich hinzogen, wichen zuerst an der palatinischen, dann auch an der den Carinen zugewandten Seite den steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz zur roemischen Boerse. Die Bildsaeulen der gefeierten Maenner der Vergangenheit, der Koenige, Priester und Helden der Sagenzeit, des griechischen Gastfreundes, der den Zehnmaennern die Solonischen Gesetze verdolmetscht haben sollte, die Ehrensaeulen und Denkmaeler der grossen Buergermeister, welche die Veienter, die Latiner, die Samniten ueberwunden hatten, der Staatsboten, die in Vollziehung ihres Auftrages umgekommen waren, der reichen Frauen, die ueber ihr Vermoegen zu oeffentlichen Zwecken verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades, wurden auf der Burg oder auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also ward, nachdem die roemische Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom selber eine Grossstadt.

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^8 Der wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde schon gedacht. Fabius’ befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), dass die Roemer zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben haetten (αισθέσθαι τού πλόντου), ist offenbar nur eine άbersetzung derselben Anekdote ins Historische; denn die Besiegung der Sabiner faellt in Rufinus’ erstes Konsulat.

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Endlich trat denn auch Rom als Haupt der roemisch-italischen Eidgenossenschaft wie in das hellenistische Staatensystem, so auch in das hellenische Geld- und Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und Mittelitaliens mit wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die sueditalischen Staedte dagegen durchgaengig Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und Muenzsysteme gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in Italien gab. Im Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf die Praegung von Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz Italien geltender Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in Rom zentralisiert, nur dass Capua seine eigene, zwar unter roemischem Namen, aber auf abweichenden Fuss gepraegte Silbermuenze auch ferner behielt. Das neue Muenzsystem beruhte auf dem gesetzlichen Verhaeltnisse der beiden Metalle, wie dasselbe seit langem feststand; die gemeinsame Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr pfuendigen, sondern auf das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in Kupfer 3 1/3, in Silber 1/72 eines roemischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr als die attische Drachme. Zunaechst herrschte in der Praegung noch die Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der aelteste Silberdenar hauptsaechlich fuer Unteritalien und fuer den Verkehr mit dem Ausland geschlagen worden. Wie aber der Sieg der Roemer ueber Pyrrhos und Tarent und die roemische Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen Staatsmanne dieser Zeit zu denken geben mussten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl nachdenklich diese neuen roemischen Drachmen betrachten, deren flaches, unkuenstlerisches und einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen wunderschoenen der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich duerftig und unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie die Barbarenmuenzen des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot und Korn ungleich sind, sondern mit ihrer selbstaendigen und gewissenhaften Praegung von Haus aus jeder griechischen ebenbuertig sich an die Seite stellen.

Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von den Voelkerkaempfen um Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwaeltigung der Samniten und der italischen Griechen bewegten, der Blick sich wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm ebenfalls ueberall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse, durch welche die roemische Buergerschaft die Fesseln des Geschlechterregiments sprengte und die reiche Fuelle der nationalen Bildungen Italiens allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu bereichern. Durfte auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den grossen Gang der Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen Gestaltung hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch seine Aufgabe nicht, wenn er, aus der zertruemmerten Ueberlieferung einzelne Bruchstuecke ergreifend, hindeutete auf die wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als frueher das roemische in den Vordergrund trat, so ist dies nicht bloss in den zufaelligen Luecken unserer Ueberlieferung begruendet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der veraenderten politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationalitaet die uebrigen italischen immer mehr verdunkelt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass in dieser Epoche die Nachbarlaender, das suedliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland sich zu romanisieren anfingen, wovon der fast gaenzliche Mangel von Sprachdenkmaelern der alten Landesdialekte und das Vorkommen sehr alter roemischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugnis ablegt; die Aufnahme der Sabiner in das volle Buergerrecht am Ende dieser Periode spricht dafuer, dass die Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste Ziel der roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien zerstreuten Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht bloss militaerisch, sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Posten des latinischen Stammes. Die Latinisierung der Italiker ueberhaupt ward schwerlich schon damals beabsichtigt; im Gegenteil scheint der roemische Senat den Gegensatz der latinischen gegen die uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu haben und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in den offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden noch nicht. Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst die staerkste Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen Sprache und Sitte in Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits an, die uebrigen italischen Nationalitaeten zu untergraben.

Gleichzeitig wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies die Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit ueber die uebrigen Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht unberuehrt. Die merkwuerdigste Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fuenften Jahrhundert Roms allmaehlich seine barbarische Mundart ablegte und sich im stillen hellenisierte. Es erfolgte dies aehnlich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch Kolonisierung, sondern durch Zivilisierung, die mit dem tarentinischen Landhandel Hand in Hand gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht es fuer die letztere Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollstaendiger durchfuehrten als die Tarent naeher wohnenden, aber bestaendig mit ihm hadernden Sallentiner, und dass die am fruehesten graezisierten Staedte, zum Beispiel Arpi, nicht an der Kueste gelegen waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen staerkeren Einfluss uebte als auf irgendeine andere italische Landschaft, erklaert sich teils aus seiner Lage, teils aus der geringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, teils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die uebrigen italischen gegenueberstehenden Nationalitaet. Indes ist schon frueher darauf aufmerksam gemacht worden, dass auch die suedlichen sabellischen Staemme, obwohl zunaechst sie im Verein mit syrakusanischen Tyrannen das hellenische Wesen in Grossgriechenland knickten und verdarben, doch zugleich durch die Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier und Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte, wie die Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls die Ansaetze einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser Epoche angehoerenden Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien rivalisiert; und wenn Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben sind, so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des beginnenden und immer steigenden Einflusses griechischer Bildung. In allen Zweigen der roemischen Entwicklung dieser Epoche, in Gesetzgebung und Muenzwesen, in der Religion, in der Bildung der Stammsage stossen wir auf griechische Spuren, und namentlich seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts, das heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint der griechische Einfluss auf das roemische Wesen in raschem und stets zunehmendem Wachstum. In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung der auch sprachlich merkwuerdigen “graecostasis”, einer Tribuene auf dem roemischen Markt fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst die Massalioten. Im folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme Roemer mit griechischen Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus, Philon, Sophos, Hypsaeos aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen, wovon die Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), das aelteste uns bekannte Beispiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde Weise, ohne Gemeindebeschluss an oeffentlichen Orten den Vorfahren Ehrendenkmaeler zu errichten, womit der grosse Neuerer Appius Claudius den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilde mit den Bildern und den Elogien seiner Vorfahren aufhaengen liess (442 312); so die im Jahre 461 (293) bei dem roemischen Volksfest eingefuehrte Erteilung von Palmzweigen an die Wettkaempfer; so vor allem die griechische Tischsitte. Die Weise, bei Tische nicht wie ehemals auf Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu liegen; die Verschiebung der Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die Stunde zwischen zwei und drei Uhr nachmittags nach unserer Rechnung; die Trinkmeister bei den Schmaeusen, welche meistens durch Wuerfelung aus den Gaesten fuer den Schmaus bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben, was, wie und wann getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gaesten gesungenen Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern Ahnengesaenge waren - alles dies ist in Rom nicht urspruenglich und doch schon in sehr alter Zeit den Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren diese Gebraeuche bereits gemein, ja zum Teil schon wieder abgekommen. Man wird daher ihre Einfuehrung spaetestens in diese Zeit zu setzen haben. Charakteristisch ist auch die Errichtung der Bildsaeulen des “weisesten und des tapfersten Griechen” auf dem roemischen Markt, die waehrend der Samnitischen Kriege auf Geheiss des pythischen Apollon stattfand; man waehlte, offenbar unter sizilischem oder kampanischem Einfluss, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen schon im fuenften Jahrhundert unter den vornehmen Roemern war, beweisen die Gesandtschaften der Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer, wenn auch nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach, und des Kineas nach Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem fuenften Jahrhundert die jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften widmeten, durchgaengig die Kunde der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich erwarben.

So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die Erde sich untertaenig zu machen; und die sekundaeren Nationalitaeten, wie die samnitische, keltische, etruskische, verloren, von zwei Seiten her bedraengt, immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft.

Wie aber die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem Hoehepunkt ihrer Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Beruehrung anfangen sich zu durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche Mangel alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem roemischen Wesen gegenueber der unendlichen stammlichen, oertlichen und menschlichen Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schaerfe hervor. Es gibt keine gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche von der Einsetzung der roemischen Republik bis auf die Unterwerfung Italiens; in ihr wurde das Gemeinwesen nach innen wie nach aussen begruendet, in ihr das einige Italien erschaffen, in ihr das traditionelle Fundament des Landrechts und der Landesgeschichte erzeugt, in ihr das Pilum und der Manipel, der Strassen- und Wasserbau, die Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in ihr die Kapitolinische Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen gezeichnet. Aber die Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind spurlos verschollen und die italischen Voelkerschaften nicht voelliger in der roemischen aufgegangen als der einzelne roemische Buerger in der roemischen Gemeinde. Wie das Grab in gleicher Weise ueber dem bedeutenden wie ueber dem geringen Menschen sich schliesst, so steht auch in der roemischen Buergermeisterliste der nichtige Junker ununterscheidbar neben dem grossen Staatsmann. Von den wenigen Aufzeichnungen, welche aus dieser Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine ehrwuerdiger und keine zugleich charakteristischer als die Grabschrift des Lucius Cornelius Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre nachher in der Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schoenen Sarkophag in edlem dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub des Besiegers der Samniten einschloss, ist der folgende Spruch eingeschrieben:

Corneliús Lucíus - Scípió Barbátus,

Gnaivód patré prognátus, - fórtis vír sapiénsque,

Quoiús fórma vírtu - teí parísuma fúit,

Consól censór aidílis - queí fuít apúd vos,

Taurásiá Cisaúna - Sámnió cépit,

Subigít omné Loucánam - ópsidésque abdoúcit.

Cornelius Lucius - Scipio Barbatus,

Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug wie tapfer,

Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen,

Der Konsul, Zensor war bei - euch wie auch Aedilis,

Taurasia, Cisauna - nahm er ein in Samnium,

Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln.

So wie diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen anderen, die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben, es nachruehmen, dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner gewesen; aber weiter war auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl nicht bloss Schuld der Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier, Fabier, Papirier und wie sie weiter heissen, uns in einem menschlich bestimmten Bild entgegentritt. Der Senator soll nicht schlechter und nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein als die Senatoren alle; es ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein Buerger die uebrigen uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und hellenische Bildung noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene Ausschreitungen straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in der Verfassung. Das Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die Buerger muessen sich alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich sei.

Allerdings macht schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung sich geltend; und die Genialitaet und Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es ist nur ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307, 296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf die lange Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die Beschraenkung des vollen Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen Leute gesprengt, der das alte Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius datieren nicht bloss die roemischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch die roemische Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik - die Veroeffentlichung eines Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische Sprueche, selbst Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf ihn darum noch nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener Oppositionspartei beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand; in ihm war vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige maechtig, der Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er in dem fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und gewoehnlicher Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius an dem oeffentlichen Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner Amtsfuehrung wie in seinem Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein Athener, nach rechts wie nach links hin Gesetzen und Gebraeuchen entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der politischen Buehne abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend, in der entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate ueberwand und Roms vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und feierlich aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die Goetter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie des einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der eine unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum Rate gingen und an der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner lauschten, auf deren Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So wurden ungeheure Erfolge um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen Gemeinwesen kommt es auf keinen Menschen besonders an, weder auf den Soldaten noch auf den Feldherrn, und unter der starren sittlich-polizeilichen Zucht wird jede Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer bezahlt mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen Laesslichkeit, der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens.

KAPITEL IX.
Kunst und Wissenschaft

Die Entwicklung der Kunst und namentlich der Dichtkunst steht im Altertum im engsten Zusammenhang mit der Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der vorigen Epoche wesentlich unter griechischem Einfluss, zunaechst als ausserordentliche Feier, geordnete Dankfest der roemischen Gemeinde, die “grossen” oder “roemischen Spiele”, nahm waehrend der gegenwaertigen an Dauer wie an Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu. Urspruenglich beschraenkt auf die Dauer eines Tages wurde das Fest nach der gluecklichen Beendigung der drei grossen Revolutionen von 245, 260 und 387 (509, 494 und 367) jedesmal um einen Tag verlaengert und hatte am Ende dieser Periode also bereits eine viertaegige Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das Fest wahrscheinlich mit Einsetzung der von Haus aus mit der Ausrichtung und Ueberwachung desselben betrauten kurulischen Aedilitaet (387 367) seinen ausserordentlichen Charakter und damit seine Beziehung auf ein bestimmtes Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der ordentlichen, jaehrlich wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes blieb die Regierung beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich das Hauptstueck, das Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss des Festes stattfinden zu lassen; an den uebrigen Tagen war es wohl zunaechst der Menge ueberlassen, sich selber ein Fest zu geben, obwohl Musikanten, Taenzer, Seilgaenger, Taschenspieler, Possenreisser und dergleichen Leute mehr nicht verfehlt haben werden, gedungen oder nicht gedungen, dabei sich einzufinden. Aber um das Jahr 390 (364) trat eine wichtige Veraenderung ein, welche mit der vielleicht gleichzeitig erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in Zusammenhang stehen wird: man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei Tage im Rennplatz ein Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene Vorstellungen auf demselben zur Unterhaltung der Menge. Um indes nicht auf diesem Wege zu weit gefuehrt zu werden, wurde fuer die Kosten des Festes eine feste Summe von 200000 Assen (14500 Taler) ein fuer allemal aus der Staatskasse ausgeworfen und diese ist auch bis auf die Punischen Kriege nicht gesteigert worden; den etwaigen Mehrbetrag mussten die Aedilen, welche diese Summe zu verwenden hatten, aus ihrer Tasche decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit oft und betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass die neue Buehne im allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon ihr Name (scaena σκηνή). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer Spielleute und Possenreisser jeder Art bestimmt, unter denen die Taenzer zur Floete, namentlich die damals gefeierten etruskischen, wohl noch die vornehmsten sein mochten; indes war nun doch eine oeffentliche Buehne in Rom entstanden und bald oeffnete dieselbe sich auch den roemischen Dichtern.

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^1 Was Dionys (6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2, S. 40) und, schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42) von dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen Gruenden schlagend die Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) zeigt, vielmehr von den roemischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und zwar nach seiner Gewohnheit im Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi maximi missverstanden.

Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach der Ursprung des Volksfestes, statt wie gewoehnlich auf die Besiegung der Latiner durch den ersten Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der Latiner am Regiller See zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55; Dion. Hal. 7, 71). Dass die wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius aufbehaltenen Angaben in der Tat auf das gewoehnliche Dankfest und nicht auf eine besondere Votivfeierlichkeit gehen, zeigt die ausdrueckliche Hinweisung auf die jaehrliche Wiederkehr der Feier und die genau mit der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 Or.) stimmende Kostensumme.

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Denn an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische “Vaganten” oder “Baenkelsaenger” (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu Stadt und von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit gestikulierendem Tanz zur Floetenbegleitung vor. Das Mass war natuerlich das einzige, das es damals gab, das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung lag den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach dem Muster jener eintoenigen, bald improvisierten, bald rezitierten Ballaten und Tarantellen vorstellen duerfen, wie man sie heute noch in den roemischen Osterien zu hoeren bekommt. Dergleichen Lieder kamen denn auch frueh auf die oeffentliche Buehne und sind allerdings der erste Keim des roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge der Schaubuehne sind in Rom nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern in bemerkenswerter Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die Zwoelf Tafeln treten dem ueblen und nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloss auf Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man auf einen Mitbuerger verfertigt oder ihm vor der Tuere absingt, schwere Kriminalstrafen setzen und die Zuziehung von Klagefrauen bei der Bestattung verbieten. Aber weit strenger als durch die gesetzlichen Restriktionen ward die beginnende Kunstuebung durch den sittlichen Bann getroffen, welchen der philisterhafte Ernst des roemischen Wesens gegen diese leichtsinnigen und bezahlten Gewerbe schleuderte. “Das Dichterhandwerk”, sagt Cato, “war sonst nicht angesehen; wenn jemand damit sich abgab oder bei den Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein Bummler.” Wer nun aber gar Tanz, Musik und Baenkelgesang fuer Geld betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden Bescholtenheit eines jeden durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das Mitwirken bei den landueblichen maskierten Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher Mutwille betrachtet ward, so galt das Auftreten auf der oeffentlichen Buehne fuer Geld und ohne Masken geradezu fuer schaendlich, und der Saenger und Dichter stand dabei mit dem Seiltaenzer und dem Hanswurst voellig in gleicher Reihe. Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmaessig fuer unfaehig erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der Buergerversammlung zu stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein schon bezeichnend genug ist, die Buehnendirektion betrachtet als zur Kompetenz der Stadtpolizei gehoerig, sondern es ward auch der Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die gewerbmaessigen Buehnenkuenstler eine ausserordentliche arbitraere Gewalt eingeraeumt. Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter Auffuehrung ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten Leute ebenso reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern es waren auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung und Einsperrung zu verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass Tanz, Musik und Poesie, wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen Buehne sich zeigten, den niedrigsten Klassen der roemischen Buergerschaft und vor allem den Fremden in die Haende fielen; und wenn in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt eine zu geringe Rolle spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich beschaeftigt haetten, so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte sakrale und profane Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar hochgehaltene latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische unterdrueckt war, schon fuer diese Zeit gueltig erachtet werden.

Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch die Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern wurden je nach Beduerfnis regelmaessig von den Vortragenden selbst verfertigt. Von schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wusste man spaeterhin nichts aufzuzeigen als eine Art roemischer ‘Werke und Tage’, eine Unterweisung des Bauern an seinen Sohn ^2, und die schon erwaehnten pythagoreischen Gedichte des Appius Claudius, den ersten Anfang hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig geblieben ist von den Dichtungen dieser Epoche nichts als eine und die andere Grabschrift im saturnischen Masse.

Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so gehoeren auch die Anfaenge der roemischen Geschichtschreibung in diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen Aufzeichnung der merkwuerdigen Ereignisse wie der konventionellen Feststellung der Vorgeschichte der roemischen Gemeinde.

Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an das Beamtenverzeichnis an. Das am weitesten zurueckreichende, das den spaeteren roemischen Forschern vorgelegen hat und mittelbar auch uns noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des kapitolinischen Jupitertempels herzuruehren, da es von dem Konsul Marcus Horatius an, der denselben am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln Publius Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291 der Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis: von da an jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels einen Nagel zu schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass- und Schriftgelehrten der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche die Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen und also mit der aelteren Monat- eine Jahrtafel verbinden; beide werden seitdem unter dem - eigentlich nur der Gerichtstagtafel zukommenden - Namen der Fasten zusammengefasst. Diese Einrichtung mag nicht lange nach der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein, da in der Tat, um die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu koennen, die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im gallischen Brande (364 390) zugrunde gegangen und die Liste des Pontifikalkollegiums nachher aus der von dieser Katastrophe nicht betroffenen kapitolinischen, so weit diese zurueckreichte, ergaenzt worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis zwar in den Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus den Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen aber von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen zurueckgeht, leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe nur unvollkommen und annaehernd wieder, da die Gemeindevorsteher nicht mit dem Neujahr, ja nicht einmal mit einem ein fuer allemal festgestellten Tage antraten, sondern aus mancherlei Veranlassungen der Antrittstag sich hin und her schob und die haeufig zwischen zwei Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der Rechnung nach Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser Vorsteherliste die Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den Antritts- und Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit anzumerken; und auch dies mag frueh geschehen sein. Ausserdem aber wurde die Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in der Weise hergerichtet, dass man durch Akkommodation jedem Kalenderjahr ein Beamtenpaar zuteilte und, wo die Liste nicht ausreichte, Fuelljahre einlegte, welche in der spaeteren (Varronischen) Tafel mit den Ziffern 379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet sind. Vom Jahre 291 (463) ist die roemische Liste nachweislich, zwar nicht im einzelnen, wohl aber im ganzen, mit dem roemischen Kalender in Uebereinstimmung, also insoweit chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit des Kalenders selbst dies verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47 Jahrstellen entziehen sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der Hauptsache gleichfalls richtig sein ^3; was jenseits des Jahres 245 (509) liegt, ist chronologisch verschollen.

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^2 Erhalten ist davon das Bruchstueck:

Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst du, Knabe,

Einernten grosse Spelte.

Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin als das aelteste roemische galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv. georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14).

^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben Anlass zum Verdacht und moegen spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl der Jahre von der Koenigsflucht bis zum Stadtbrande auf 120 abzurunden.

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Eine gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in sakralen Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des kapitolinischen Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief.

Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik, ganz wie aus den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die mittelalterliche, hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der Anlegung einer foermlichen, die Namen saemtlicher Beamten und die merkwuerdigen Ereignisse Jahr fuer Jahr stetig verzeichnenden Chronik (liber annalis) durch die Pontifices. Vor der unter dem 5. Juni 351 (403) angemerkten Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich die vom 20. Juni 354 (400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik keine Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen derselben fangen erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt an, glaublich zu lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen und die von Gemeinde wegen gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst seit der zweiten Haelfte des fuenften Jahrhunderts regelmaessig in die Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein nach hat die Einrichtung eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit zusammenhaengt, die eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum Zweck der Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre in der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch nachdem sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex obliege, Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere Zeit, Finsternisse und Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer angesehener Maenner, die neuen Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse der Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben und diese Anzeichnungen in seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu jedermanns Einsicht aufzustellen, war man damit von einer wirklichen Geschichtschreibung noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige Aufzeichnung noch am Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie der Willkuer spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender Deutlichkeit die Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456 (298) in den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die spaeteren Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden Bericht zu gestalten; und auch wir wuerden, selbst wenn uns das Stadtbuch noch in seiner urspruenglichen Fassung vorlaege, schwerlich daraus die Geschichte der Zeit pragmatisch zu schreiben vermoegen. Indes gab es solche Stadtchroniken nicht bloss in Rom, sondern jede latinische Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch ihre Annalen besessen, wie dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea, Ameria, Interamna am Nar deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser Stadtchroniken haette vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen lassen, wie es fuer das fruehere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in Rom spaeterhin es vorgezogen, die Luecke vielmehr durch hellenische oder hellenisierende Luege zu fuellen.

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^4 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift erobert Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz Lucanien.

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Ausser diesen freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten offiziellen Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und vergangenen Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient haetten. Von Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich in den vornehmen Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen Geschlechtstafeln festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem Gedaechtnis auf die Wand des Hausflurs zu malen. An diesen Listen, die wenigstens auch die Aemter nannten, fand nicht bloss die Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich hieran auch wohl frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden, welche in Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden wesentlich nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des Toten, sondern auch in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner Ahnen; und so gingen auch sie wohl schon in fruehester Zeit traditionell von einer Generation auf die andere ueber. Manche wertvolle Nachricht mochte hierdurch erhalten, freilich auch manche dreiste Verdrehung und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt werden.

Aber wie die Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren ebenfalls in diese Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer waren natuerlich dieselben wie ueberall. Einzelne Namen, wie die der Koenige Numa, Ancus, Tullus, denen die Geschlechtsnamen wohl erst spaeter zugeteilt worden sind, und einzelne Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch Koenig Tarquinius und die Vertreibung des tarquinischen Koenigsgeschlechts mochten in allgemeiner, muendlich fortgepflanzter wahrhafter Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte die Tradition der adligen Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzaehlungen mehrfach hervortreten. In anderen Erzaehlungen wurden uralte Volksinstitutionen, besonders mit grosser Lebendigkeit rechtliche Verhaeltnisse symbolisiert und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung vom Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des Koenigs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden Ordnung in der Sage von Horatius Cocles ^5, die Entstehung des Gnadenurteils der Gemeinde in der schoenen Erzaehlung von den Horatiern und Curiatiern, die Entstehung der Freilassung und des Buergerrechts der Freigelassenen in derjenigen von der Tarquinierverschwoerung und dem Sklaven Vindicius. Ebendahin gehoert die Geschichte der Stadtgruendung selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die allgemeine latinische Metropole Alba anknuepfen soll. Zu den Beinamen der vornehmen Roemer entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius Valerius der “Volksdiener” (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten um sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den heiligen Feigenbaum und andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in grosser Menge Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber ein Jahrtausend spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen. Eine gewisse Zusammenknuepfung dieser verschiedenen Maerchen, die Feststellung der Reihe der sieben Koenige, die ohne Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung ihrer Regierungszeit insgesamt auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang offizieller Aufzeichnung dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser Epoche stattgefunden: die Grundzuege der Erzaehlung und namentlich deren Quasichronologie treten in der spaeteren Tradition mit so unwandelbarer Festigkeit auf, dass schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die literarische Epoche Roms gesetzt werden muss. Wenn bereits im Jahre 458 (296) die an den Zitzen der Woelfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz gegossen an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so muessen die Roemer, die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer Vaterstadt nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius lesen; sogar die Aboriginer, das sind die “Vonanfanganer”, dies naive Rudiment der geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon um 465 (289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der Chronik, dass sie zu der Geschichte die Vorgeschichte fuegt und wenn nicht bis auf die Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung der Gemeinde zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und es ist auch ausdruecklich bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das Gruendungsjahr Roms angab. Danach darf angenommen werden, dass das Pontifikalkollegium, als es in der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts anstatt der bisherigen spaerlichen und in der Regel wohl auf die Beamtennamen sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der Anlegung einer foermlichen Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang fehlende Geschichte der Koenige Roms und ihres Sturzes hinzufuegte und, indem es auf den Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245 (509), zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur scheinhaften Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen Erzaehlung herstellte. Dass bei dieser aeltesten Aufzeichnung der Urspruenge Roms auch der Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt hat, ist kaum zu bezweifeln; die Spekulation ueber Ur- und spaetere Bevoelkerung, ueber die Prioritaet des Hirtenlebens vor dem Ackerbau und die Umwandlung des Menschen Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz griechisch aus, und selbst die Truebung der echt nationalen Gestalten des frommen Numa und der weisen Egeria durch die Einmischung fremdlaendischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu den juengsten Bestandteilen der roemischen Vorgeschichte zu gehoeren.

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^5 Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius (nat. 36, 15, 100).

^6 Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche zwischen der Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward. Wodurch man gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum Beispiel die oben eroerterte Feststellung des Flaechenmasses.

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Analog diesen Anfaengen der Gemeinde sind auch die Stammbaeume der edlen Geschlechter in aehnlicher Weise vervollstaendigt und in beliebter heraldischer Manier durchgaengig auf erlauchte Ahnen zurueckgefuehrt worden; wie denn zum Beispiel die Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen des Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von dem Sohne des Pythagoras Mamercus, der “Wohlredende” (αιμύλος) genannt, abstammen wollten.

Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden hellenischen Reminiszenzen diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der Geschlechter wenigstens relativ eine nationale genannt werden, insofern sie teils in Rom entstanden, teils ihre Tendenz zunaechst nicht darauf gerichtet ist, eine Bruecke zwischen Rom und Griechenland, sondern eine Bruecke zwischen Rom und Latium zu schlagen.

Es war die hellenische Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen Aufgabe sich unterzog. Die hellenische Sage zeigt durchgaengig das Bestreben, mit der allmaehlich sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und mit Hilfe ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfaehrt sie dabei selten naiv. Ein Bericht wie der des aeltesten Rom erwaehnenden griechischen Geschichtswerkes, der sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus (geschlossen 330 424): dass ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia, das heisst nach der brettischen Halbinsel gewandert sei - ein solcher, einfach die Stammverwandtschaft der Roemer, Siculer und Brettier historisierender und von aller hellenisierenden Faerbung freier Bericht ist eine seltene Erscheinung. Im ganzen ist die Sage, und je spaeter desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die ganze Barbarenwelt darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder doch unterworfen; und frueh zog sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den Westen. Fuer Italien sind weniger die Herakles- und Argonautensage von Bedeutung geworden, obwohl bereits Hekataeos († nach 257 497) die Saeulen des Herakles kennt und die Argo aus dem Schwarzen Meer in den Atlantischen Ozean, aus diesem in den Nil und zurueck in das Mittelmeer fuehrt, als die an den Fall Ilions anknuepfenden Heimfahrten. Mit der ersten aufdaemmernden Kunde von Italien beginnt auch Diomedes im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer zu irren, wie denn wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen Fassung der Sage nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die Landschaften am Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum Gebiet der Odysseussage gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414 (340) schloss, und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich dieser. Von troischen Seefahrten weiss die ganze aeltere Poesie nichts; bei Homer herrscht Aeneas nach Ilions Fall ueber die in der Heimat zurueckbleibenden Troer. Erst der grosse Mythenwandler Stesichoros (122-201 632-553) fuehrte in seiner ‘Zerstoerung Ilions’ den Aeneas in das Westland, um die Fabelwelt seiner Geburts- und seiner Wahlheimat, Siziliens und Unteritaliens, durch den Gegensatz der troischen Helden gegen die hellenischen poetisch zu bereichern. Von ihm ruehren die seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel her, namentlich die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem Soehnchen und dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater aus dem brennenden Ilion davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer mit den sizilischen und italischen Autochthonen, welche besonders in dem troischen Trompeter Misenos, dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges, schon deutlich hervortritt ^7. Den alten Dichter leitete dabei das Gefuehl, dass die italischen Barbaren den Hellenen minder fern als die uebrigen standen und das Verhaeltnis der Hellenen und der Italiker dichterisch angemessen dem der homerischen Achaeer und Troer gleich gefasst werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue Troerfabel mit der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich sich weiter ueber Italien verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen Odysseus und Aeneas durch die thrakische und molottische (epeirotische) Landschaft nach Italien, wo die mitgefuehrten troischen Frauen die Schiffe verbrennen und Aeneas die Stadt Rom gruendet und sie nach dem Namen einer dieser Troerinnen benennt; aehnlich, nur minder unsinnig, erzaehlte Aristoteles (370-432 384-322), dass ein achaeisches, an die latinische Kueste verschlagenes Geschwader von den troischen Sklavinnen angezuendet worden und aus den Nachkommen der also zum Dableiben genoetigten achaeischen Maenner und ihrer troischen Frauen die Latiner hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich Elemente der einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und Italien wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach Sizilien verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche der Sizilianer Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-, Aeneas- und Romulusfabeln ineinandergeflossen ^8. Aber der eigentliche Vollender der spaeter gelaeufigen Fassung dieser Troerwanderung ist Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der sein Geschichtswerk 492 (262) schloss. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst Lavinium mit dem Heiligtum der troischen Penaten und dann erst Rom gruendet; er muss auch schon die Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage eingeflochten haben, da bei ihm Dido Karthagos Gruenderin ist und Rom und Karthago ihm in demselben Jahre erbaut heissen. Den Anstoss zu diesen Neuerungen gaben, neben der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich vorbereitenden Krise zwischen den Roemern und den Karthagern, offenbar gewisse nach Sizilien gelangte Berichte ueber latinische Sitten und Gebraeuche; im wesentlichen aber kann die Erzaehlung nicht von Latium heruebergenommen, sondern nur die eigene nichtsnutzige Erfindung der alten “Sammelvettel” gewesen sein. Timaeos hatte von dem uralten Tempel der Hausgoetter in Lavinium erzaehlen hoeren; aber dass diese den Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion mitgebrachten Penaten gaelten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen hinzugetan, wie die scharfsinnige Parallele zwischen dem roemischen Oktoberross und dem Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen Heiligtuemer - es waren, sagt der wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe von Eisen und Kupfer und ein toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich durften eben die Penaten noch Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem geschaut werden; aber Timaeos war einer von den Historikern, die ueber nichts so genau Bescheid wissen als ueber unwissbare Dinge. Nicht mit Unrecht riet Polybios, der den Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am wenigsten aber da, wo er - wie hier - sich auf urkundliche Beweisstuecke berufe. In der Tat war der sizilische Rhetor, der das Grab des Thukydides in Italien zu zeigen wusste und der fuer Alexander kein hoeheres Lob fand, als dass er schneller mit Asien fertig geworden sei als Isokrates mit seiner ‘Lobrede’, vollkommen berufen, aus der naiven Dichtung der aelteren Zeit den wuesten Brei zu kneten, welchem das Spiel des Zufalls eine so seltsame Zelebritaet verliehen hat.

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^7 Auch die troischen Kolonien” auf Sizilien, die Thukydides, Pseudoskylax und andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer troischen Gruendung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den Troern zurueckgehen.

^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom gefluechtete Frau Rome oder vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem Koenig der Aboriginer Latinos und gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos und Telegonos. Der letzte, der ohne Zweifel hier als Gruender von Tusculum und Praeneste auftritt, gehoert bekanntlich der Odysseussage an.

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Inwieweit die hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie zunaechst in Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen an den odysseischen Kreis, welche spaeterhin in den Gruendungssagen von Tusculum, Praeneste, Antium, Ardea, Cortona begegnen, werden wohl schon in dieser Zeit sich angesponnen haben; und auch der Glaube an die Abstammung der Roemer von Troern oder Troerinnen musste schon am Schluss dieser Epoche in Rom feststehen, da die erste nachweisliche Beruehrung zwischen Rom und dem griechischen Osten die Verwendung des Senats fuer die “stammverwandten” Ilier im Jahre 472 (282) ist. Dass aber dennoch die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung ist, beweist ihre im Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige Lokalisierung; und die Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre Ausgleichung mit der roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall erst der Folgezeit an.

Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so genannt ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte, liess sie in einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie ebenso bezeichnenden wie fuer uns empfindlichen Weise die gleichzeitige italische Geschichte so gut wie vollstaendig liegen. Kaum dass Theopomp von Chios (schloss 418 336) der Einnahme Roms durch die Kelten beilaeufig gedachte und Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos, Herakleides von Pontos († um 450 300) einzelne Rom betreffende Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit Hieronymos von Kardia, der als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen italische Kriege erzaehlte, wird die griechische Historiographie zugleich Quelle fuer die roemische Geschichte.

Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz eine unschaetzbare Grundlage durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in den Jahren 303, 304 (451, 450). Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln bekannte Weistum ist wohl das aelteste roemische Schriftstueck, das den Namen eines Buches verdient. Nicht viel juenger mag der Kern der sogenannten “koeniglichen Gesetze” sein, das heisst gewisser, vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form koeniglicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ausserdem sind vermutlich schon seit dem Anfang dieser Periode wenn nicht die Volks-, so doch die wichtigsten Senatsbeschluesse regelmaessig schriftlich verzeichnet worden; wie denn ueber deren Aufbewahrung bereits in den fruehesten staendischen Kaempfen mitgestritten ward.

Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte, stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich fest. Sowohl den jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke herausgegriffenen Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige Maenner sich wenden zu koennen, welche den Rechtsgang kannten und nach Praezedentien oder in deren Ermangelung nach Gruenden eine Entscheidung an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices, die es gewohnt waren, sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die Goetterverehrung bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu werden, gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die Tradition, die dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die Formeln der rechten Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der all diese Klagen zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die Gerichtstage angab, wurde um 450 (300) von Appius Claudius oder von dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekanntgemacht. Indes dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste Wissenschaft zu formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da. Dass die Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem Volk sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist begreiflich, wenn auch die Erzaehlung, dass der erste plebejische Pontifex Publius Sempronius Sophus (Konsul 450 304) und der erste plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Konsul 474 280) diese Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher Mutmassung Spaeterer ist als Ueberlieferung.

Dass die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen italischen Sprachen vor diese Periode faellt und schon zu Anfang derselben die lateinische Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre halb muendliche Tradition stark modernisierten Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln, welche wohl eine Anzahl veralteter Woerter und schroffer Verbindungen, namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber doch keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des Verstaendnisses darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit der der alten Litaneien uebereinkommen. Wenn die Roemer im Anfang des siebenten Jahrhunderts Muehe hatten, Urkunden des fuenften zu verstehen, so kam dies ohne Zweifel nur daher, dass es damals in Rom noch keine eigentliche Forschung, am wenigsten eine Urkundenforschung gab. Dagegen wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung und Gesetzesredaktion auch der roemische Geschaeftsstil zuerst sich festgestellt haben, welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an feststehenden Formeln und Wendungen, endloser Aufzaehlung der Einzelheiten und langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts nachgibt und sich dem Eingeweihten durch Schaerfe und Bestimmtheit empfiehlt, waehrend der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Aerger nichtsverstehend zuhoert. Ferner begann in dieser Epoche die rationelle Behandlung der einheimischen Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir sahen, das sabellische wie das latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff die Verschleifung der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren Konsonanten aehnlich um sich wie im fuenften und sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber eine Reaktion ein: im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute d und r, im Lateinischen die zusammengefallenen Laute g und k wieder geschieden und jeder mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u, fuer die es im oskischen Alphabet von Haus aus an gesonderten Zeichen gemangelt hatte und die im Lateinischen zwar urspruenglich geschieden waren, aber zusammenzufallen drohten, traten wieder auseinander, ja im Oskischen wird sogar das i in zwei lautlich und graphisch verschiedene Zeichen aufgeloest; endlich schliesst die Schreibung sich der Aussprache wieder genauer an, wie zum Beispiel bei den Roemern vielfaeltig s durch r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren fuehren fuer diese Reaktion auf das fuenfte Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war um das Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden; der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius nannte, war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r anstatt des s wird dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt. Ohne Zweifel steht die Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen Aussprache im Zusammenhang mit dem steigenden Einfluss der griechischen Zivilisation, welcher eben in dieser Zeit sich auf allen Gebieten des italischen Wesens bemerklich macht; und wie die Silbermuenzen von Capua und Nola weit vollkommener sind als die gleichzeitigen Asse von Ardea und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache rascher und vollstaendiger sich im kampanischen Lande reguliert zu haben als in Latium. Wie wenig trotz der darauf gewandten Muehe die roemische Sprache und Schreibweise noch am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus dem Ende des fuenften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen namentlich in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut und n im Inlaut und in der Unterscheidung der Vokale o u und e i die groesste Willkuer herrscht ^9; es ist wahrscheinlich, dass gleichzeitig die Sabeller hierin schon weiter waren, waehrend die Umbrer von dem regenerierenden hellenischen Einfluss nur wenig beruehrt worden sind.

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^9 In den beiden Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und des gleichnamigen Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut der Beugungen regelmaessig, doch findet sich einmal Luciom und einmal Gnaivod; es steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios; cosol, cesor und consol censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi), hec (Nom. Sing.) neben aidilis, cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist bereits vollstaendig durchgefuehrt; man findet duonoro (= bonorum), ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum, plusima. Unsere inschriftlichen Ueberreste reichen ueberhaupt im allgemeinen nicht ueber den Rhotazismus hinauf; von dem aelteren s begegnen nur einzelne Spuren, wie noch spaeterhin honos, labos neben honor und labor und die aehnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf neu gefundenen Grabschriften von Praeneste.

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Durch diese Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muss auch der elementare Schulunterricht, der an sich wohl schon frueher aufgekommen war, eine gewisse Steigerung erfahren haben. Wie Homer das aelteste griechische, die Zwoelf Tafeln das aelteste roemische Buch waren, so wurden auch beide in ihrer Heimat die wesentliche Grundlage des Unterrichts und das Auswendiglernen des juristisch-politischen Katechismus ein Hauptstueck der roemischen Kindererziehung. Neben den lateinischen “Schreibmeistern” (litteratores) gab es natuerlich, seit die Kunde des Griechischen fuer jeden Staats- und Handelsmann Beduerfnis war, auch griechische Sprachlehrer (grammatici ^10), teils Hofmeister-Sklaven, teils Privatlehrer, die in ihrer Wohnung oder in der des Schuelers Anweisung zum Lesen und Sprechen des Griechischen erteilten. Dass wie im Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei dem Unterricht der Stock seine Rolle spielte, versteht sich von selbst ^11. Die elementare Stufe indes kann der Unterricht dieser Zeit noch nicht ueberstiegen haben; es gab keine irgend wesentliche soziale Abstufung zwischen dem unterrichteten und dem nichtunterrichteten Roemer.

Dass die Roemer in den mathematischen und mechanischen Wissenschaften zu keiner Zeit sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewaehrt sich auch fuer die gegenwaertige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches mit Sicherheit hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn versuchten Regulierung des Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf der alten, hoechst unvollkommenen Trieteris beruhenden vertauschen mit dem damaligen attischen der Oktaeteris, welcher den Mondmonat von 29½ Tagen beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf 368¾ a vielmehr auf 365¼ Tage ansetzte und demnach bei unveraenderter gemeiner Jahrlaenge von 354 Tagen nicht, wie frueher, auf je vier Jahre 59, sondern auf je acht Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die roemischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des geltenden Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjaehrigen Zyklus nicht die Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu verkuerzen, also diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu 22 und 21 Tagen anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und theologische Bedenken, namentlich die Ruecksicht auf das eben in die betreffenden Februartage fallende Jahrfest des Terminus, zerruetteten die beabsichtigte Reform in der Art, dass der Schaltjahrfebruar vielmehr 24- und 23taegig ward, also das neue roemische Sonnenjahr in der Tat auf 366¼ Tag auskam. Einige Abhilfe fuer die hieraus folgenden praktischen Uebelstaende ward darin gefunden, dass, unter Beseitigung der bei den jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren Rechnung nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich gewoehnte, wo es auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen eines Sonnenjahrs von 365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen Jahre von 304 Tagen zu rechnen. ueberdies kam besonders fuer baeuerliche Zwecke der auf das aegyptische 365¼taegige Sonnenjahr von Eudoxos (blueht 386 368) gegruendete Bauernkalender auch in Italien frueh in Gebrauch.

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^10 Litterator und grammaticus verhalten sich ungefaehr wie Lehrer und Maître; die letztere Benennung kommt nach dem aelteren Sprachgebrauch nur dem Lehrer des Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu. Litteratus ist juenger und bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern den gebildeten Mann.

^11 Es ist doch wohl ein roemisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als ein Stueck der guten alten Kindererziehung anfuehrt:

wenn nun du darauf nach Hause kamst,

In dem Jaeckchen auf dem Schemel sassest du zum Lehrer hin;

Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt,

Faerbte deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.

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Einen hoeheren Begriff von dem, was auch in diesen Faechern die Italiker zu leisten vermochten, gewaehren die Werke der mit den mechanischen Wissenschaften eng zusammenhaengenden Bau- und Bildkunst. Zwar eigentlich originelle Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber wenn durch den Stempel der Entlehnung, welcher der italischen Plastik durchgaengig aufgedrueckt ist, das kuenstlerische Interesse an derselben sinkt, so heftet das historische sich nur um so lebendiger an dieselbe, insofern sie teils von einem sonst verschollenen Voelkerverkehr die merkwuerdigsten Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so gut wie vollstaendigen Untergang der Geschichte der nichtroemischen Italiker fast allein uns die verschiedenen Voelkerschaften der Halbinsel in lebendiger Taetigkeit nebeneinander darstellt. Neues ist hier nicht zu sagen; aber wohl laesst sich mit schaerferer Bestimmtheit und auf breiterer Grundlage ausfuehren, was schon oben gezeigt ward, dass die griechische Anregung die Etrusker und die Italiker von verschiedenen Seiten her maechtig erfasst, und dort eine reichere und ueppigere, hier, wo ueberhaupt, eine verstaendigere und innigere Kunst ins Leben gerufen hat.

Wie voellig die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer aeltesten Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist frueher dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die pyramidalisch gedeckten Graeber, der tuscanische Tempel sind nicht oder nicht wesentlich verschieden von den aeltesten hellenischen Bauwerken. Von einer Weiterbildung der Architektur bei den Etruskern waehrend dieser Epoche hat sich keine Spur erhalten; wir begegnen hier weder einer wesentlich neuen Rezeption noch einer originellen Schoepfung - man muesste denn Prachtgraeber dahin rechnen wollen, wie das von Varro beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das lebhaft an die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der aegyptischen Pyramiden erinnert.

Auch in Latium bewegte man waehrend der ersten anderthalb Jahrhunderte der Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen, und es ist schon gesagt worden, dass mit der Einfuehrung der Republik die Kunstuebung eher gesunken als gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit kaum ein anderes architektonisch bedeutendes latinisches Bauwerk zu nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am Circus erbaute Cerestempel, der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen Stiles gilt. Aber gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das italische und namentlich das roemische Bauwesen: es beginnt der grossartige Bogenbau. Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewoelbe fuer italische Erfindungen zu erklaeren. Es ist wohl ausgemacht, dass in der Epoche der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen noch nicht kannten und darum fuer ihre Tempel die flache Decke und das schraege Dach ausreichen mussten; allein gar wohl kann der Keilschnitt eine juengere, aus der rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung der Hellenen sein, wie ihn denn die griechische Tradition auf den Physiker Demokritos (294-397 460-357) zurueckfuehrt. Mit dieser Prioritaet des hellenischen Bogenbaus vor dem roemischen ist auch vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen wird, dass die Gewoelbe an der roemischen Hauptkloake und dasjenige, welches ueber das alte, urspruenglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus spaeterhin gespannt ward, die aeltesten erhaltenen Bauwerke sind, bei welchen das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr als wahrscheinlich, dass diese Bogenbauten nicht der Koenigs-, sondern der republikanischen Periode angehoeren und in der Koenigszeit man auch in Italien nur flache oder ueberkragte Daecher gekannt hat. Allein wie man auch ueber die Erfindung des Bogens selbst denken mag, die Anwendung im grossen ist ueberall und vor allem in der Baukunst wenigstens ebenso bedeutend wie die Aufstellung des Prinzips; und diese gebuehrt unbestritten den Roemern. Mit dem fuenften Jahrhundert beginnt der wesentlich auf den Bogen gegruendete Tor-, Bruecken- und Wasserleitungsbau, der mit dem roemischen Namen fortan unzertrennlich verknuepft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den Griechen fremden, dagegen bei den Roemern vorzugsweise beliebten und besonders fuer die ihnen eigentuemlichen Kulte, namentlich den nicht griechischen der Vesta, angewendeten Form des Rundtempels und des Kuppeldachs ^12.

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^12 Eine Nachbildung der aeltesten Hausform, wie man wohl gemeint hat, ist der Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom Viereck aus. Die spaetere roemische Theologie knuepfte diese Rundform an die Vorstellung des Erdballs oder des kugelfoermig die Zentralsonne umgebenden Weltalls (Fest. v. rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast. 6, 267f.); in der Tat ist dieselbe wohl einfach darauf zurueckzufuehren, dass fuer die zum Abhegen und Aufbewahren bestimmte Raeumlichkeit als die bequemste wie die sicherste Form stets die kreisrunde gegolten hat. Darauf beruhten die runden Schatzhaeuser der Hellenen ebenso wie der Rundbau der roemischen Vorratskammer oder des Penatentempels; es war natuerlich auch die Feuerstelle - das heisst den Altar der Vesta - und die Feuerkammer - das heisst den Vestatempel - rund anzulegen, so gut wie dies mit der Zisterne und der Brunnenfassung (puteal) geschah. Der Rundbau an sich ist graecoitalisch wie der Quadratbau und jener der Kammer eigen, wie dieser dem Wohnhaus; aber die architektonische und religioese Entwicklung des einfachen Tholos zum Rundtempel mit Pfeilern und Saeulen ist latinisch.

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Etwas Aehnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht unwichtigen Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalitaet oder gar von Kunstuebung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch aus den festgefuegten Steinplatten der roemischen Strassen, aus ihren unzerstoerbaren Chausseen, aus den breiten, klingend harten Ziegeln, aus dem ewigen Moertel ihrer Gebaeude redet die unverwuestliche Soliditaet, die energische Tuechtigkeit des roemischen Wesens.

Wie die tektonischen, und womoeglich noch mehr, sind die bildenden und zeichnenden Kuenste auf italischem Boden nicht so sehr durch griechische Anregung befruchtet, als aus griechischen Samenkoernern gekeimt. Dass dieselben, obwohl erst die juengeren Schwestern der Architektur, doch wenigstens in Etrurien schon waehrend der roemischen Koenigszeit sich zu entwickeln begannen, wurde bereits bemerkt; ihre hauptsaechliche Entfaltung aber gehoert in Etrurien, und um so mehr in Latium, dieser Epoche an, wie dies schon daraus mit Evidenz hervorgeht, dass in denjenigen Landschaften, welche die Kelten und Samniten den Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts entrissen, von etruskischer Kunstuebung fast keine Spur begegnet. Die tuskische Plastik warf sich zuerst und hauptsaechlich auf die Arbeit in gebranntem Ton, in Kupfer und in Gold, welche Stoffe die reichen Tonlager und Kupfergruben und der Handelsverkehr Etruriens den Kuenstlern darboten. Von der Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei betrieben wurde, zeugen die ungeheuren Massen von Reliefplatten und statuarischen Arbeiten aus gebranntem Ton, womit Waende, Giebel und Daecher der etruskischen Tempel nach Ausweis der noch vorhandenen Ruinen einst verziert waren, und der nachweisliche Vertrieb derartiger Arbeiten aus Etrurien nach Latium. Der Kupferguss stand nicht dahinter zurueck. Etruskische Kuenstler wagten sich an die Verfertigung von kolossalen, bis zu fuenfzig Fuss hohen Bronzebildsaeulen, und in Volsinii, dem etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend Bronzestatuen gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien, wie wohl ueberall, weit spaeter begann und ausser inneren Ursachen auch durch den Mangel eines geeigneten Materials zurueckgehalten ward - die lunensischen (carrarischen) Marmorbrueche waren noch nicht eroeffnet. Wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der suedetruskischen Graeber gesehen hat, der wird die Nachricht nicht unglaublich finden, dass die tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika geschaetzt wurden. Auch die Steinschneidekunst ward, obwohl sie juenger ist, doch auch in Etrurien vielfaeltig geuebt. Ebenso abhaengig von den Griechen, uebrigens den bildenden Kuenstlern vollkommen ebenbuertig, waren die sowohl in der Umrisszeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei ungemein taetigen etruskischen Zeichner und Maler.

Vergleichen wir hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so erscheint es zunaechst gegen die etruskische Fuelle fast kunstarm. Allein bei genauerer Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht entziehen, dass sowohl die sabellische wie die latinische Nation weit mehr als die etruskische Faehigkeit und Geschick fuer die Kunst gehabt haben muessen. Zwar auf eigentlich sabellischem Gebiet, in der Sabina, in den Abruzzen, in Samnium, finden sich Kunstwerke so gut wie gar nicht und mangeln sogar die Muenzen. Diejenigen sabellischen Staemme dagegen, welche an die Kuesten der Tyrrhenischen oder Ionischen See gelangten, haben die hellenische Kunst sich nicht bloss wie die Etrusker aeusserlich angeeignet, sondern sie mehr oder minder vollstaendig bei sich akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein in der einstmaligen Landschaft der Volsker deren Sprache und Eigentuemlichkeit spaeterhin sich behauptet haben, haben sich bemalte Terrakotten gefunden von lebendiger und eigentuemlicher Behandlung. In Unteritalien ist Lucanien zwar in geringem Grade von der hellenischen Kunst ergriffen worden; aber in Kampanien wie im brettischen Lande haben sich Sabeller und Hellenen wie in Sprache und Nationalitaet so auch und vor allem in der Kunst vollstaendig durchdrungen und es stehen namentlich die kampanischen und brettischen Muenzen mit den gleichzeitigen griechischen so vollstaendig auf einer Linie der Kunstbehandlung, dass nur die Aufschrift sie von ihnen unterscheidet. Weniger bekannt, aber nicht weniger sicher ist es, dass auch Latium wohl an Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an Kunstsinn und Kunstuebung hinter Etrurien zurueckstand. Offenbar hat die um den Anfang des 5. Jahrhunderts erfolgte Festsetzung der Roemer in Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales in eine latinische Gemeinde, der falernischen Landschaft bei Capua in einen roemischen Buergerbezirk, zunaechst die kampanische Kunstuebung den Roemern aufgeschlossen. Zwar mangelt bei diesen nicht bloss die in dem ueppigen Etrurien fleissig gepflegte Steinschneidekunst voellig und begegnet nirgends eine Spur, dass die latinischen Gewerke gleich den etruskischen Goldschmieden und Tonarbeitern fuer das Ausland taetig gewesen sind. Zwar sind die latinischen Tempel nicht gleich den etruskischen mit Bronze- und Tonzierat ueberladen, die latinischen Graeber nicht gleich den etruskischen mit Goldschmuck angefuellt worden und schillerten die Waende jener nicht wie die der etruskischen von bunten Gemaelden. Aber nichtsdestoweniger stellt sich im ganzen die Waage nicht zum Vorteil der etruskischen Nation. Die Erfindung des Janusbildes, welche wie die Gottheit selbst den Latinern beigelegt werden darf, ist nicht ungeschickt, und originellerer Art als die irgendeines etruskischen Kunstwerks. Die schoene Gruppe der Woelfin mit den Zwillingen lehnt wohl an aehnliche griechische Erfindungen sich an, ist aber in dieser Ausfuehrung sicher wenn nicht in Rom, so doch von Roemern erfunden; und es ist bemerkenswert, dass sie zuerst auf den von den Roemern in und fuer Kampanien gepraegten Silbermuenzen auftritt. In dem oben erwaehnten Cales scheint bald nach seiner Gruendung eine besondere Gattung figurierten Tongeschirrs erfunden worden zu sein, das mit dem Namen der Meister und des Verfertigungsorts bezeichnet und in weitem Umfang bis nach Etrurien hinein vertrieben worden ist. Die vor kurzem auf dem Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altaerchen von gebranntem Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik genau den gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes schliesst dies nicht aus, dass auch griechische Meister fuer Rom gearbeitet haben. Der Bildner Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten Tonfiguren fuer den uralten Cerestempel verfertigt hat, scheint kein anderer gewesen zu sein als der Lehrer des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 450). Am belehrendsten sind diejenigen Kunstzweige, in denen uns teils nach alten Zeugnissen, teils nach eigener Anschauung eine vergleichendes Urteil gestattet ist. Von latinischen Arbeiten in Stein ist kaum etwas anderes uebrig als der am Ende dieser Periode in dorischem Stil gearbeitete Steinsarg des roemischen Konsuls Lucius Scipio; aber die edle Einfachheit desselben beschaemt alle aehnlichen etruskischen Werke. Aus den etruskischen Graebern sind manche schoene Bronzen alten strengen Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und dergleichen Geraetstuecke erhoben worden; aber welches dieser Werke reicht an die im Jahre 458 (296) am ruminalischen Feigenbaum auf dem roemischen Markte aus Strafgeldern aufgestellte bronzene Woelfin, noch heute den schoensten Schmuck des Kapitols? Und dass auch die latinischen Metallgiesser so wenig wie die etruskischen vor grossen Aufgaben zurueckschraken, beweist das von Spurius Carvilis (Konsul 461 293) aus den eingeschmolzenen samnitischen Ruestungen errichtete kolossale Erzbild des Jupiter auf dem Kapitol, aus dessen Abfall beim Ziselieren die zu den Fuessen des Kolosses stehende Statue des Siegers hatte gegossen werden koennen; man sah dieses Jupiterbild bis vom Albanischen Berge. Unter den gegossenen Kupfermuenzen gehoeren bei weitem die schoensten dem suedlichen Latium an; die roemischen und umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast bildlos und oft wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius Fabius in dem 452 302 dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol ausfuehrte, erwarben in Zeichnung und Faerbung noch das Lob griechisch gebildeter Kunstrichter der augusteischen Epoche; und es werden von den Kunstenthusiasten der Kaiserzeit wohl auch die caeritischen, aber mit noch groesserem Nachdruck die roemischen, lanuvinischen und ardeatischen Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen. Die Zeichnung auf Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die Handspiegel, sondern die Toilettenkaestchen mit ihren zierlichen Umrissen schmueckte, ward in Latium in weit geringerem Umfang und fast nur in Praeneste geuebt; es finden sich vorzuegliche Kunstwerke unter den etruskischen Metallspiegeln wie unter den praenestinischen Kaestchen, aber es war ein Werk der letzteren Gattung, und zwar ein hoechst wahrscheinlich in dieser Epoche in der Werkstatt eines praenestinischen Meisters entstandenes Werk ^13, von dem mit Recht gesagt werden konnte, dass kaum ein zweites Erzeugnis der Graphik des Altertums so wie die ficoronische Cista den Stempel einer in Schoenheit und Charakteristik vollendeten und noch vollkommen reinen und ernsten Kunst an sich traegt.

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^13 Novius Plautius goss vielleicht nur die Fuesse und die Deckelgruppe; das Kaestchen selbst kann von einem aelteren Kuenstler herruehren, aber, da der Gebrauch dieser Kaestchen sich wesentlich auf Praeneste beschraenkt hat, kaum von einem anderen als einem praenestinischen.

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Der allgemeine Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine gewisse barbarische Ueberschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils der voellige Mangel innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister fluechtig skizziert, verschwendet der etruskische Schueler schuelerhaft den Fleiss; an die Stelle des leichten Materials und der maessigen Verhaeltnisse griechischer Werke tritt bei den etruskischen ein renommistisches Hervorheben der Groesse und Kostbarkeit oder auch bloss der Seltsamkeit des Werkes. Die etruskische Kunst kann nicht nachbilden, ohne zu uebertreiben: das Strenge wird ihr hart, das Anmutige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die Ueppigkeit zur Zote, und immer deutlicher tritt dies hervor, je mehr die urspruengliche Anregung zuruecktritt und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen findet. Noch auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen und dem hergebrachten Stil. Sei es, dass die anfaengliche freundlichere Beruehrung mit Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst auszustreuen gestattete, eine spaetere Epoche der Feindseligkeit aber den juengeren Entwicklungsstadien der griechischen Kunst den Eingang in Etrurien erschwerte, sei es, was wahrscheinlicher ist, dass die rasch eintretende geistige Erstarrung der Nation die Hauptsache dabei tat: die Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe, auf welcher sie bei ihrem ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte, wesentlich stehen - bekanntlich ist dies die Ursache gewesen; weshalb die etruskische Kunst, die unentwickelt gebliebene Tochter der hellenischen, solange als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch als das strenge Festhalten des einmal ueberlieferten Stils in den aelteren Kunstzweigen beweist die unverhaeltnismaessig elende Behandlung der spaeter aufgekommenen, namentlich der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf Muenzen, wie rasch aus der etruskischen Kunst der Geist entwich. Ebenso belehrend sind die gemalten Gefaesse, die in den juengeren etruskischen Grabstaetten in so ungeheurer Anzahl sich finden. Waeren dieselben so frueh wie die mit Umrissen verzierten Metallplatten oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern gangbar geworden, so wuerde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in wenigstens relativer Guete dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche, in welcher dieser Luxus emporkam, misslang die selbsttaetige Reproduktion vollstaendig, wie die vereinzelten mit etruskischen Inschriften versehenen Gefaesse beweisen, und man begnuegte sich darum, dieselben zu kaufen, statt sie zu formen.

Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein weiterer bemerkenswerter Gegensatzinder kuenstlerischen Entwicklung der suedlichen und der noerdlichen Landschaft. Es ist Suedetrurien, hauptsaechlich die Bezirke von Caere, Tarquinii, Volci, die die gewaltigen Prunkschaetze besonders von Wandgemaelden, Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten Tongefaessen bewahren; das noerdliche Etrurien steht weit dahinter zurueck, und es hat zum Beispiel sich kein gemaltes Grab noerdlich von Chiusi gefunden. Die suedlichsten etruskischen Staedte Veii, Caere, Tarquinii sind es, die der roemischen Tradition als die Ur- und Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten; die noerdlichste Stadt Volaterrae, mit dem groessten Gebiet unter allen etruskischen Gemeinden, steht von allen auch der Kunst am fernsten. Wenn in Suedetrurien die griechische Halbkultur, so ist in Nordetrurien vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen dieses bemerkenswerten Gegensatzes moegen teils in der verschiedenartigen, in Suedetrurien wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten Nationalitaet, teils in der verschiedenen Maechtigkeit des hellenischen Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich sehr entschieden geltend gemacht haben muss; die Tatsache selbst ist nicht zu bezweifeln. Um so mehr musste die fruehe Unterjochung der suedlichen Haelfte Etruriens durch die Roemer und die sehr zeitig hier beginnende Romanisierung der etruskischen Kunst verderblich werden; was Nordetrurien, auf sich allein beschraenkt, kuenstlerisch zu leisten vermochte, zeigen die wesentlich ihm angehoerenden Kupfermuenzen.

Wenden wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch dies keine neue Kunst geschaffen; es war einer weit spaeteren Kulturepoche vorbehalten, aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der hellenischen Tektonik verschiedene Architektur zu entwickeln und sodann mit dieser harmonisch eine neue Bildnerei und Malerei zu entfalten. Die latinische Kunst ist nirgend originell und oft gering; aber die frisch empfindende und taktvoll waehlende Aneignung des fremden Gutes ist auch ein hohes kuenstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat die latinische Kunst barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie voellig im Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhaengigkeit der Kunst Latiums wenigstens in ihren frueheren Stadien von der sicher aelteren etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro immerhin mit Recht angenommen haben, dass bis auf die im Cerestempel von griechischen Kuenstlern ausgefuehrten nur “tuscanische” Tonbilder die roemischen Tempel verzierten; aber dass doch vor allem der unmittelbare Einfluss der Griechen die latinische Kunst bestimmt hat, ist an sich schon klar und liegt auch in eben diesen Bildwerken sowie in den latinischen und roemischen Muenzen deutlich zu Tage. Selbst die Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet auf die Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen Kunstanregung. Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo die latinische Kunst ihre frischesten Blueten trieb; die roemischen Asse und die roemischen Denare werden von den latinischen Kupfer- und den seltenen latinischen Silbermuenzen an Feinheit und Geschmack der Arbeit bei weitem uebertroffen und auch die Meisterwerke der Malerei und Zeichnung gehoeren vorwiegend Praeneste, Lanuvium, Ardea an. Auch stimmt dies vollstaendig zu dem frueher bezeichneten realistischen und nuechternen Sinn der roemischen Republik, welcher in dem uebrigen Latium sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben kann. Aber im Lauf des fuenften Jahrhunderts und besonders in der zweiten Haelfte desselben regte es denn doch sich maechtig auch in der roemischen Kunst. Es war dies die Epoche, in welcher der spaetere Bogen- und Strassenbau begann, in welcher Kunstwerke wie die Kapitolinische Woelfin entstanden, in welcher ein angesehener Mann aus einem altadeligen roemischen Geschlechte den Pinsel ergriff, um einen neugebauten Tempel auszuschmuecken und dafuer den Ehrenbeinamen des “Malers” empfing. Das ist nicht Zufall. Jede grosse Zeit erfasst den ganzen Menschen; und wie starr die roemische Sitte, wie streng die roemische Polizei immer war, der Aufschwung, den die roemische Buergerschaft als Herrin der Halbinsel oder richtiger gesagt, den das zum erstenmal staatlich geeinigte Italien nahm, tritt auch in dem Aufschwung der latinischen und besonders der roemischen Kunst ebenso deutlich hervor wie in dem Sinken der etruskischen der sittliche und politische Verfall der Nation. Wie die gewaltige Volkskraft Latiums die schwaecheren Nationen bezwang, so hat sie auch dem Erz und dem Marmor ihren unvergaenglichen Stempel aufgedrueckt.