Title : Grundgedanken über Krieg und Kriegführung
Author : Carl von Clausewitz
Release date
: July 10, 2011 [eBook #36693]
Most recently updated: January 7, 2021
Language : German
Credits
: Produced by Norbert H. Langkau, Heike Leichsenring and the
Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr römische Zahlen und der Dr.-Titel (in der elektronischen Fassung ohne Hervorhebung wiedergegeben) sowie einzelne Wörter und Wendungen aus fremden Sprachen (hier kursiv). Gesperrt gesetzte Wörter oder Passagen sind in dieser Form übernommen.
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Im Original sind Textabschnitte, die ein zusammenhängendes Zitat aus dem Grundwerk "Vom Kriege" darstellen, voneinander mit einer (zusätzlichen) Leerzeile abgetrennt. Dies wurde hier in Form eines größeren Abstands zwischen den Absätzen nachgebildet.
General Karl von Clausewitz
Erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig
21.-30. Tausend
Das Buch Vom Kriege , das Buch aller Bücher über den Krieg, dem die nachfolgenden Sätze in der Hauptsache entnommen sind, ist im Jahre 1832 erschienen, also erst nach dem – am 16. November 1831 erfolgten – Tode des Verfassers, des preußischen Generalmajors Karl von Clausewitz. Wie so viele Werke großer Geister ist auch dieses, das Hauptwerk des größten Theoretikers der Kriegskunst, ein Fragment. Eine Sammlung von Werkstücken, Hauptlineamente hat der Verfasser selbst sie genannt. Zur letzten Durcharbeitung, Sichtung und Zusammenfassung ist er nicht gekommen. Ursprünglich hatte Clausewitz auch gar nicht die Absicht, ein vollständiges, einheitliches Buch über den Lieblingsgegenstand der Gedankenarbeit seines ganzen Lebens zu schreiben. Er wollte zunächst nichts, als ihn »in ganz kurzen, präzisen, gedrungenen Sentenzen, nach der Art Montesquieus« behandeln. Diese Körner – wie er sie einmal bezeichnet – sollten »schon mit der Sache bekannte geistvolle Menschen anziehen, ebensosehr durch das, was weiter aus ihnen entwickelt werden könnte, als durch das, was sie feststellen«. Ein System ist erst allmählich, sozusagen gegen den Willen des Schreibenden, in seine »Materialien« gekommen.
Diese erste Absicht, in Aphorismen zu sprechen, gestattet es ohne Zweifel, einmal die Grundgedanken als Körner auf einer besonderen Schale zu reichen. Der Berufssoldat, der das ganze Werk kennt und liebt, wird durch sie gewiß von neuem zu ihm hingezogen, während wohl mancher Nichtsoldat zumal in einer Zeit, in der das Gesamtleben Deutschlands nur noch die Achse des Krieges hat, es sich nun nicht länger versagen wird, einem Geistesmonument nahezutreten, das er längst hätte besitzen sollen, denn Clausewitz gehört zu den großen Erziehern der Deutschen.
Auf das Leben und die Persönlichkeit des Generals kann hier aus Raummangel nicht eingegangen werden. Es müßte ausführlich geschehen, und dies soll in der Inselausgabe des Buches Vom Kriege erfolgen, die in Vorbereitung ist. Ebenda wird über die Bedeutung und die Nachwirkung seiner Lehren das Nötige dargelegt werden. Hier sei nur kurz berichtet, daß der am 1. Juni 1780 in Burg bei Magdeburg geborene Karl von Clausewitz als junger Soldat den Rheinfeldzug mitmachte. Nach der Schlacht bei Jena geriet er dann als Bataillonsadjutant in französische Gefangenschaft. Später wirkte er im Sinne Scharnhorsts und Gneisenaus, vor allem aber als der Theoretiker des meisterlichsten aller Praktiker, Napoleons, an der Kriegsakademie zu Berlin. 1812 trat er in russische Dienste, erlebte im Hauptquartier den Feldzug von 1812 und kämpfte des weiteren während der Befreiungskriege im Stabe Blüchers.
Die Schicksale der Großen Armee in Rußland haben den tiefsten Eindruck auf Clausewitz und seine strategischen Erkenntnisse hinterlassen. Dem Mißerfolg des genialen Eroberers wissenschaftlich nachzuspüren, ist er in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens nicht müde geworden, und es zeugt von der hohen geistigen Überlegenheit dieses preußischen Offiziers, daß er bei all seiner glühenden Vaterlandsliebe sein Leben lang der gerechteste Verehrer Napoleons blieb. Unberührt vom blinden Hasse der Zeit, lag es Clausewitz ob, weiter als die Menschen von damals zu blicken und dadurch für die Zukunft seines zu einem weltmächtigen Deutschen Kaiserreiche erweiterten Vaterlandes Dauerndes zu schaffen.
Kaum geht man wohl fehl, wenn man die berühmteste These im Buche Vom Kriege: Die Verteidigung sei die an sich stärkere Form der Kriegführung – vor allem auf die unmittelbaren Erfahrungen des Generals im russischen Feldzuge zurückführt. Dieser auffälligen Lehre gebühren selbst im Rahmen dieser knappen Vorrede ein paar Worte. Jedermann in der Welt weiß, daß unsere Armee den Geist der Offensive über alles hochhält und bis ins kleinste zu betätigen strebt. Um so fremder erscheint uns die Verherrlichung der Verteidigungstheorie bei Clausewitz, der die Offensive erst aus vorheriger Defensive, aus dem Abwarten heraus entwickelt. So sehr unsere Heerführer bis auf den heutigen Tag von dem stählernen Kern der Lehren des Generals von Clausewitz, dem Vernichtungsgedanken, überzeugt sind: in dem einen Problem ist er vielumstritten worden, noch kurz vor dem großen Kriege Englands gegen unsere Daseinsberechtigung, durch den General v. Bernhardi, den Verfasser des hervorragenden Buches »Vom heutigen Kriege«, das zugleich als das bedeutendste Ergänzungswerk zum alten Clausewitz neben den gelehrten »Studien nach Clausewitz« des Generals Freiherrn v. Freytag-Loringhoven, des jetzigen Generalquartiermeisters, hier zu nennen ist.
Dresden, 1915 Hauptmann Dr. Arthur Schurig
Der Krieg ist nichts als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.
Seit Napoleon Bonaparte hat sich der Krieg, indem er zuerst auf der einen Seite, dann auch auf der anderen wieder Sache des ganzen Volkes wurde, seiner wahren Natur, seiner absoluten Vollkommenheit sehr genähert.
Der Krieg ist ein erweiterter Zweikampf. Jeder sucht den andern durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen.
Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung der Gewalt keine Grenzen.
Die Gewalt rüstet sich mit den Erfindungen der Wissenschaften aus, um der Gewalt zu begegnen. Unmerkliche, kaum nennenswerte Beschränkungen, die sie sich selbst setzt unter dem Namen völkerrechtlicher Sitte, begleiten sie, ohne ihre Kraft wesentlich zu schwächen.
Menschenfreundliche Seelen könnten leicht denken, es gäbe ein Entwaffnen oder Niederwerfen des Gegners, ohne zu viel Wunden zu verursachen, und das sei die wahre Kriegskunst. Wie gut sich das auch ausnimmt, so muß man diesen Irrtum doch zerstören, denn in so gefährlichen Dingen, wie der Krieg eins ist, sind die Irrtümer, die aus Gutmütigkeit entstehen, gerade die schlimmsten. Wer sich der Gewalt rücksichtslos bedient, bekommt ein Übergewicht, wenn der Gegner anders handelt. So muß man die Sache ansehen, und es ist ein unnützes, sogar verkehrtes Bestreben, aus Widerwillen gegen das rohe Element die Natur des Krieges zu verkennen.
Der Kampf zwischen Menschen besteht aus zwei verschiedenen Elementen: dem feindseligen Gefühl und der feindseligen Absicht. Bei wilden Völkern herrschen die dem Gemüt, bei gebildeten die dem Verstande angehörigen Absichten vor. Allein dieser Unterschied liegt nicht im Wesen von Roheit und Bildung selbst, sondern in den sie begleitenden Umständen und Einrichtungen. Er ist also nicht in jedem einzelnen Falle notwendig, sondern er beherrscht nur die Mehrheit der Fälle. Mit einem Worte: auch die gebildetsten Völker können gegeneinander leidenschaftlich entbrennen.
Gewalt, physische Gewalt ist das Mittel; dem Feinde unseren Willen aufzudringen, der Zweck. Um diesen Zweck sicher zu erreichen, müssen wir den Feind wehrlos machen . Dies ist dem Begriffe nach das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung.
Wenn der Gegner unseren Willen erfüllen soll, so müssen wir ihn in eine Lage versetzen, die nachteiliger ist als das Opfer, das wir von ihm fordern. Die Nachteile dieser Lage dürfen aber natürlich, wenigstens dem Anscheine nach, nicht vorübergängig sein, sonst würde der Gegner den besseren Zeitpunkt abwarten und nicht nachgeben. Jede Veränderung dieser Lage durch die fortgesetzte kriegerische Tätigkeit muß zu einer noch nachteiligeren Lage führen, wenigstens in der Vorstellung. Die schlimmste Lage, in die ein Kriegführender geraten kann, ist die gänzliche Wehrlosigkeit.
Nun ist der Krieg nicht das Wirken einer lebendigen Kraft auf eine tote Masse, sondern, weil ein reines Dulden auf der einen Seite kein Krieg wäre, so ist er immer der Stoß zweier lebendiger Kräfte gegeneinander. Solange ich den Gegner nicht niedergeworfen habe, muß ich befürchten, daß er mich niederwirft. Ich bin also nicht Herr meiner selbst, sondern er gibt mir das Gesetz, wie ich es ihm gebe.
Wollen wir den Gegner niederwerfen, so müssen wir unsere Anstrengung nach seiner Widerstandskraft bemessen. Diese drückt sich durch ein Produkt aus, deren Faktoren sich nicht trennen lassen, nämlich: die Größe der vorhandenen Mittel und die Stärke der Willenskraft. Die Größe der vorhandenen Mittel ließe sich bestimmen, da sie – wiewohl nicht ganz – auf Zahlen beruht. Aber die Stärke der Willenskraft läßt sich viel weniger bestimmen und nur etwa nach der Stärke des Beweggrunds schätzen.
Das Gesetz des Äußersten, die Absicht, den Gegner wehrlos zu machen, verschlingt gewissermaßen zunächst den politischen Zweck des Krieges. So wie dieses Gesetz in seiner Kraft nachläßt, diese Absicht von ihrem Ziele zurücktritt, muß der politische Zweck wieder hervortreten. Je kleiner das Opfer ist, das wir von unserm Gegner fordern, um so geringere Anstrengungen dürfen wir von ihm erwarten. Je geringer aber diese sind, um so kleiner dürfen die unsrigen bleiben. Ferner, je kleiner unser politischer Zweck ist, um so geringer wird der Wert sein, den wir auf ihn legen; um so eher werden wir uns gefallen lassen, ihn aufzugeben: also um so kleiner werden auch unsere Anstrengungen sein. So wird der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv des Krieges das Maß sowohl für das Ziel, das durch die Kriegführung erreicht werden muß, als auch für die Anstrengungen, die erforderlich sind.
Je großartiger und stärker die Motive des Krieges sind, je mehr sie das ganze Dasein der Völker umfassen, je gewaltsamer die Spannung ist, die dem Kriege vorhergeht, um so mehr wird der Krieg sich seiner abstrakten Gestalt nähern, um so mehr wird es sich um das Niederwerfen des Feindes handeln, um so mehr fallen das kriegerische Ziel und der politische Zweck zusammen, um so reiner kriegerisch, weniger politisch scheint der Krieg zu sein.
Der Krieg ist unter allen Umständen als kein selbständiges Ding, sondern als ein politisches Instrument zu denken. Nur mit dieser Vorstellungsart ist es möglich, nicht mit der sämtlichen Kriegsgeschichte in Widerspruch zu geraten.
Der Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des sozialen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löst, und nur darin ist er von den anderen verschieden. Besser als mit irgendeiner Kunst ließe er sich mit dem Handel vergleichen, der auch ein Konflikt menschlicher Interessen und Tätigkeiten ist, und viel näher steht ihm die Politik, die ihrerseits wieder als eine Art von Handel in größerem Maßstabe angesehen werden kann.
Der Krieg ist nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach in Beziehung auf die in ihm herrschenden Tendenzen eine wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elements, dem Haß und der Feindschaft, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeugs, durch die er dem bloßen Verstande anheimfällt.
Mit dem Bestreben, Grundsätze, Regeln oder gar Systeme für die Kriegführung anzugeben, setzt man sich einen positiven Zweck, ohne die unendlichen Schwierigkeiten gehörig ins Auge zu fassen, die sie in dieser Beziehung hat.
Die Kriegführung verläuft fast nach allen Seiten hin in unbestimmte Grenzen. Jedes System, jedes Lehrgebäude aber hat die beschränkende Natur einer Synthesis, und damit ist ein nie auszugleichender Widerspruch zwischen einer solchen Theorie und der Praxis gegeben.
Unstreitig gehören die der Kriegskunst zugrunde liegenden Kenntnisse zu den Erfahrungswissenschaften. Denn wenn sie auch größtenteils aus der Natur der Dinge hervorgehen, so muß man doch diese Natur selbst meistens erst durch die Erfahrung kennen lernen. Außerdem aber wird die Anwendung durch so viele Umstände modifiziert, daß die Wirkungen nie aus der bloßen Natur des Mittels vollständig erkannt werden können.
Bei der Ungewißheit aller Daten im Kriege müssen wir uns sagen, daß es eine reine Unmöglichkeit wäre, die Kriegskunst durch ein positives Lehrgebäude wie mit einem Gerüste versehen zu wollen, das dem Handelnden überall einen äußeren Anhalt gewähren könnte. Der Handelnde würde sich in allen jenen Fällen, wo er auf sein Talent angewiesen ist, außer diesem Lehrgebäude und mit ihm in Widerspruch befinden, und es würde, wie vielseitig dasselbe auch aufgefaßt sein möchte, immer dieselbe Folge wieder eintreten, von der wir schon gesprochen haben: daß das Talent und Genie außer dem Gesetze handelt und die Theorie ein Gegensatz zur Wirklichkeit wird.
Historische Beispiele machen alles klar und haben nebenher in Erfahrungswissenschaften die beste Beweiskraft.
Wenn ein Sachverständiger sein halbes Leben darauf verwendet, einen dunklen Gegenstand überall aufzuklären, so wird er wohl weiter kommen als einer, der in kurzer Zeit damit vertraut sein will. Daß also nicht jeder von neuem aufzuräumen und sich durchzuarbeiten brauche, sondern die Sache geordnet und gelichtet finde, dazu ist die Theorie vorhanden. Sie soll den Geist des künftigen Führers im Kriege erziehen, oder vielmehr ihn bei seiner Selbsterziehung leiten, nicht aber ihn auf das Schlachtfeld begleiten.
Im Kriege sind die Ideen meist so einfach und naheliegend, daß das Verdienst der Erfindung gar nicht das Talent des Feldherrn ausmachen kann. Die Hauptsache ist die Schwierigkeit der Ausführung. Im Kriege ist alles einfach, aber das Einfache höchst schwierig. Das Kriegsinstrument gleicht einer Maschine mit ungeheurer Friktion, die nicht wie in der Mechanik auf ein paar Punkte zurückgeführt werden kann, sondern überall mit einem Heere von Zufällen im Kontakt ist. Außerdem ist der Krieg eine Tätigkeit im erschwerenden Mittel. Eine Bewegung, die man in der Luft mit Leichtigkeit macht, wird im Wasser sehr schwer. Gefahr und Anstrengung sind die Elemente, in denen sich der Geist im Kriege bewegt. So kommt es denn, daß man immer hinter der Linie zurückbleibt, die man sich gezogen hat, und daß schon keine gewöhnliche Kraft dazu gehört, um nur nicht unter dem Niveau des Mittelmäßigen zu bleiben.
Beim Handeln folgen die meisten einem bloßen Takt des Urteils, der mehr oder weniger gut trifft, je nachdem mehr oder weniger Genie in ihnen ist. So haben alle großen Feldherren gehandelt, und darin liegt zum Teil ihre Größe, daß sie mit diesem Takt immer das Rechte trafen. So wird es für das Handeln auch immer bleiben. Dieser Takt reicht dazu vollkommen hin. Aber wenn es darauf ankommt, nicht selbst zu handeln, sondern in einer Beratung andere zu überzeugen, dann kommt es auf klare Vorstellungen, auf das Nachweisen des inneren Zusammenhanges an.
Alles Handeln im Kriege ist nur auf wahrscheinliche , nicht auf gewisse Erfolge gerichtet. Was an der Gewißheit fehlt, muß überall dem Schicksal oder dem Glück – wie man es nennen will – überlassen bleiben. Es gibt Fälle, wo das höchste Wagen die höchste Weisheit ist.
Man hat früher behauptet, der Krieg sei ein Handwerk. Damit war aber mehr verloren als gewonnen, denn ein Handwerk ist nur eine niedrige Kunst und unterliegt als solche auch bestimmteren und engeren Gesetzen. In der Tat hat sich die Kriegskunst eine Zeitlang im Geiste des Handwerks bewegt, nämlich zur Zeit der Condottieri. Aber diese Richtung hatte sie nicht nach inneren, sondern nach äußeren Gründen, und wie wenig sie in dieser Zeit naturgemäß und befriedigend war, zeigt die Kriegsgeschichte.
Wenn man auf der einen Seite sieht, wie das kriegerische Handeln so höchst einfach erscheint; wenn man hört und sieht, wie die größten Feldherren sich darüber gerade am einfachsten und schlichtesten ausdrücken, wie das Regieren und Bewegen der aus hunderttausend Gliedern zusammengesetzten schwerfälligen Maschine in ihrem Munde sich nicht anders ausnimmt, als ob von ihrer Person allein die Rede sei, so daß der ganze ungeheuere Akt des Krieges zu einer Art von Zweikampf individualisiert wird; wenn man dabei die Motive ihres Handelns bald mit ein paar einfachen Vorstellungen, bald mit irgendeiner Regung des Gemütes in Verbindung gebracht findet; wenn man diese leichte, sichere, man möchte sagen leichtfertige Weise sieht, wie sie den Gegenstand auffassen, – und nun von der anderen Seite die große Anzahl von Verhältnissen, die für den untersuchenden Verstand in Anregung kommen; die großen, oft unbestimmten Entfernungen, in die die einzelnen Fäden auslaufen, und die Menge von Kombinationen, die vor uns liegen; wenn man dabei an die Verpflichtung denkt, die die Theorie hat, dies alles systematisch, d. h. mit Klarheit und Vollständigkeit, aufzufassen und das Handeln immer auf die Notwendigkeit des zureichenden Grundes zurückzuführen, so überfällt uns die Besorgnis mit unwiderstehlicher Gewalt, zu einem pedantischen Schulmeistertum hinabgerissen zu werden, in den untersten Räumen schwerfälliger Begriffe herumzukriechen und dem großen Feldherrn in seinem leichten Überblick also niemals zu begegnen. Wenn das Resultat theoretischer Bemühungen von dieser Art sein sollte, so wäre es ebensogut, oder vielmehr besser, sie gar nicht angestellt zu haben. Sie ziehen der Theorie die Geringschätzung des Talentes zu und fallen bald in Vergessenheit. Und von der andern Seite ist dieser leichte Überblick des Feldherrn, diese einfache Vorstellungsart, diese Personifizierung des ganzen kriegerischen Handelns so ganz und gar der Kern jeder guten Kriegführung, daß sich nur bei dieser großartigen Weise die Freiheit der Seele denken läßt, die nötig ist, wenn sie über die Ereignisse herrschen und nicht von ihnen überwältigt werden soll.
Die Kriegskunst im eigentlichen Sinne ist die Kunst, sich der gegebenen Mittel im Kampfe zu bedienen. Wir können sie nicht besser als mit dem Namen der Kriegführung bezeichnen. Dagegen werden allerdings zur Kriegskunst im weiteren Sinne auch alle Tätigkeiten gehören, die um des Krieges willen da sind, also die ganze Schöpfung der Streitkräfte, d. i. Aushebung, Bewaffnung, Ausrüstung und Übung.
Es ist für die Realität einer Theorie höchst wesentlich, diese beiden Tätigkeiten zu trennen, denn es ist leicht einzusehen, daß, wenn jede Kriegskunst mit der Einrichtung der Streitkräfte anfangen und diese für die Kriegführung, sowie sie dieselben angegeben, bedingen wollte, sie nur auf die wenigen Fälle anwendbar sein könnte, wo die vorhandenen Streitkräfte dem gerade entsprächen. Will man dagegen eine Theorie haben, die für die große Mehrzahl der Fälle geeignet, für keinen aber ganz unbrauchbar sei: so muß sie auf die große Mehrheit der gewöhnlichen Streitmittel, und bei diesen auch nur auf die wesentlichsten Resultate gebaut sein.
Die Kriegführung ist also die Anordnung und Führung des Kampfes. Wäre dieser Kampf ein einzelner Akt, so würde kein Grund zu einer weiteren Einteilung sein. Allein der Kampf besteht aus einer mehr oder weniger großen Zahl einzelner in sich geschlossener Akte, die wir Gefechte nennen und die neue Einheiten bilden. Daraus entspringt nun die ganz verschiedene Tätigkeit, diese einzelnen Gefechte in sich anzuordnen und zu führen, und sie unter sich zum Zweck des Krieges zu verbinden. Das eine ist die Taktik , das andere die Strategie genannt worden.
Es ist also nach unserer Einteilung die Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, die Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges.
Der Krieg ist ein bestimmtes Geschäft. Und wie allgemein auch seine Beziehung sei, und wenn auch alle waffenfähigen Männer eines Volkes dasselbe trieben, so bliebe es doch immer ein solches: verschieden und getrennt von den übrigen Fähigkeiten, die das Menschenleben in Anspruch nehmen.
Vom Geiste und Wesen dieses Geschäfts durchdrungen sein, – die Kräfte, die in ihm tätig sein sollen, in sich üben, erwecken und aufnehmen, – das Geschäft mit dem Verstande ganz durchdringen, – durch Übung Sicherheit und Leichtigkeit in ihm gewinnen, – ganz darin aufgehen, – aus dem Menschen übergehen in die Rolle, die uns darin angewiesen wird: das ist die kriegerische Tugend des Heeres in jedem einzelnen.
Die kriegerische Tugend ist für die Teile überall, was das Genie des Feldherrn für das Ganze ist.
Je mehr ein Feldherr gewohnt ist, von seinen Soldaten zu fordern, um so sicherer ist er, daß die Forderung geleistet wird. Der Soldat ist ebenso stolz auf überwundene Mühseligkeiten als auf überstandene Gefahren. Aber nur im Boden einer beständigen Tätigkeit und Anstrengung gedeiht dieser Keim, auch nur im Sonnenlicht des Sieges.
Wenn wir ein rohes Volk betrachten, so ist ein kriegerischer Geist unter den einzelnen Menschen viel gewöhnlicher als bei den gebildeten Völkern, denn bei jenen besitzt ihn fast jeder einzelne Krieger, während bei den gebildeten eine ganze Masse nur durch die Notwendigkeit und keineswegs durch inneren Trieb mitfortgerissen wird. Aber unter rohen Völkern findet man nie einen eigentlich großen Feldherrn und äußerst selten, was man ein kriegerisches Genie nennen kann, weil dazu eine Entwicklung der Verstandeskräfte erforderlich ist, die ein rohes Volk nicht haben kann.
Der Krieg ist das Gebiet der Gefahr. Es ist also Mut vor allen Dingen die erste Eigenschaft des Kriegers.
Der Mut ist doppelter Art: einmal Mut gegen die persönliche Gefahr, und dann Mut gegen die Verantwortlichkeit, sei es vor dem Richterstuhl irgendeiner äußeren Macht, sei es vor dem einer inneren, nämlich des Gewissens.
Der Mut gegen die persönliche Gefahr ist wieder doppelter Art. Erstens kann er Gleichgültigkeit gegen die Gefahr sein. Sei es, daß sie aus dem Organismus des Individuums oder aus Geringschätzung des Lebens oder aus Gewohnheit hervorgehe, in diesen Fällen ist der Mut als ein bleibender Zustand anzusehen.
Zweitens kann er aus positiven Motiven hervorgehen, wie Ehrgeiz, Vaterlandsliebe, Begeisterung jeder Art. In diesem Fall ist der Mut nicht sowohl ein Zustand als eine Gemütsbewegung, ein Gefühl.
Es ist begreiflich, daß beide Arten von verschiedener Wirkung sind. Die erste Art ist sicherer, weil sie, zur zweiten Natur geworden, den Menschen nie verläßt; die zweite führt oft weiter. Der ersteren gehört mehr die Standhaftigkeit, der zweiten mehr die Kühnheit an. Die erste läßt den Verstand nüchterner, die zweite steigert ihn zuweilen, verblendet ihn aber auch oft. Beide vereinigt geben die vollkommenste Art des Mutes.
Der Krieg ist das Gebiet körperlicher Anstrengungen und Leiden. Um dadurch nicht zugrunde gerichtet zu werden, bedarf es einer gewissen Kraft des Körpers und der Seele, die, angeboren oder eingeübt, gleichgültig dagegen macht. Mit diesen Eigenschaften, unter der bloßen Führung des gesunden Verstandes, ist der Mensch schon ein tüchtiges Werkzeug für den Krieg, und diese Eigenschaften sind es, die wir bei rohen und halbkultivierten Völkern so allgemein verbreitet antreffen.
Die Kühnheit ist vom Troßknecht bis zum Feldherrn hinauf die edelste Tugend, der rechte Stahl, der der Waffe ihre Schärfe und ihren Glanz gibt.
Der Geist der Kühnheit kann in einem Heere zu Hause sein, entweder weil er es im Volke ist oder weil er sich in einem glücklichen Kriege unter kühnen Führern erzeugt hat.
Je höher wir unter den Führern hinaufsteigen, desto notwendiger wird es, daß der Kühnheit ein überlegender Geist zur Seite trete, daß sie nicht zwecklos, nicht ein blinder Stoß der Leidenschaft sei. Denn immer weniger betrifft es die eigene Aufopferung, immer mehr knüpft sich die Erhaltung anderer und die Wohlfahrt eines großen Ganzen daran. Was also bei dem großen Haufen die zur zweiten Natur gewordene Dienstordnung regelt, das muß in dem Führer die Überlegung regeln, und hier kann die Kühnheit einer einzelnen Handlung schon leicht zum Fehler werden. Aber dennoch bleibt es ein schöner Fehler, der nicht angesehen werden darf wie jeder andere. Wohl dem Heere, wo sich unzeitige Kühnheit häufig zeigt! Es ist ein üppiger Auswuchs, aber der Zeuge eines kräftigen Bodens. Selbst die Tollkühnheit, d. h. die Kühnheit ohne allen Zweck, ist nicht mit Geringschätzung anzusehen. Im Grunde ist es dieselbe Kraft des Gemüts, nur ohne alles Zutun des Geistes, in einer Art von Leidenschaft ausgeübt. Nur wo die Kühnheit sich gegen den Gehorsam auflehnt, wo sie einen ausgesprochenen höheren Willen geringschätzend verläßt: da muß sie, nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen des Ungehorsams, wie ein gefährliches Übel behandelt werden; denn nichts geht im Kriege über den Gehorsam.
Der Mut ist immer das erste Element im Krieger, aber er erhält sich in den höheren Regionen großer Verantwortlichkeit nur dann, wenn ihn ein kräftiger Kopf unterstützt. Darum gelangen von so vielen braven Soldaten so wenige dazu, mutige und unternehmende Feldherren zu sein.
Die Kühnheit hat im Kriege eigene Vorrechte. Über den Erfolg des Kalküls mit Raum, Zeit und Größe hinaus müssen ihr noch gewisse Prozente zugestanden werden, die sie jedesmal, wo sie sich überlegen zeigt, aus der Schwäche der anderen zieht. Sie ist also eine wahrhaft schöpferische Kraft. Das ist selbst philosophisch nicht schwer nachzuweisen. Sooft die Kühnheit auf die Zaghaftigkeit trifft, hat sie notwendig die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs für sich, weil Zaghaftigkeit schon ein verlorenes Gleichgewicht ist. Nur wo sie auf besonnene Vorsicht trifft, die, man möchte sagen, ebenso kühn, in jedem Falle ebenso stark und kräftig ist als sie selbst, muß sie im Nachteil sein. Das sind aber die seltenen Fälle. In der ganzen Schar der Vorsichtigen gibt es eine ansehnliche Mehrheit, die es aus Furchtsamkeit ist.
Solange eine Truppe voll guten Muts mit Lustigkeit und Leichtigkeit kämpft, ist für den Feldherrn selten Veranlassung da, große Willenskraft in der Verfolgung seiner Zwecke zu zeigen. Sowie aber die Umstände schwierig werden, und das kann, wo Außerordentliches geleistet werden soll, nie ausbleiben, so geht die Sache nicht mehr von selbst wie mit einer gut eingeölten Maschine, sondern die Maschine selbst fängt an, Widerstand zu leisten, und diesen zu überwinden, dazu gehört die große Willenskraft des Führers.
Kriegsgewohnheit kann kein Feldherr seinem Heere geben, und schwach ist der Ersatz, den Friedensübungen gewähren, schwach im Vergleich mit der wirklichen Kriegserfahrung, aber nicht im Vergleich mit einem Heere, bei dem auch diese Übungen nur auf mechanische Kunstfertigkeiten gerichtet sind. Die Übungen des Friedens so einzurichten, daß ein Teil jener Friktionsgegenstände darin vorkomme, daß das Urteil, die Umsicht, selbst die Entschlossenheit der einzelnen Führer geübt werde, dies ist von viel größerem Wert, als die glauben, die den Gegenstand nicht aus Erfahrung kennen. Es ist unendlich wichtig, daß der Soldat, hoch oder niedrig, auf welcher Stufe er auch stehe, diejenigen Erscheinungen des Krieges, die ihn beim erstenmal in Verwunderung und Verlegenheit setzen, nicht erst im Kriege zum erstenmal sieht. Sind sie ihm früher nur ein einziges Mal vorgekommen, so ist er schon halb damit vertraut. Das bezieht sich selbst auf körperliche Anstrengungen. Sie müssen geübt werden, weniger, daß sich die Natur, als daß sich der Verstand daran gewöhne. Im Kriege ist der neue Soldat sehr geneigt, ungewöhnliche Anstrengungen für Folgen großer Fehler, Irrungen und Verlegenheiten in der Führung des Ganzen zu halten und dadurch doppelt niedergedrückt zu werden. Dies wird nicht geschehen, wenn er bei Friedensübungen darauf vorbereitet wird.
Ein anderes, weniger umfassendes, aber doch höchst wichtiges Mittel, die Kriegsgewohnheit im Frieden zu gewinnen, ist das Heranziehen kriegserfahrener Offiziere anderer Heere. Selten ist in Europa überall Frieden, und nie geht der Krieg in den anderen Weltteilen aus. Ein Staat, der lange im Frieden ist, sollte also stets suchen, von diesen Kriegsschauplätzen sich einzelne Offiziere, aber freilich nur solche, die gut gedient haben, zu verschaffen, oder von den seinigen einige dahin zu schicken, damit sie den Krieg kennen lernen.
Wie gering auch die Anzahl solcher Offiziere zur Masse eines Heeres erscheinen möge, so ist doch ihr Einfluß sehr fühlbar. Ihre Erfahrungen, die Richtung ihres Geistes, die Ausbildung des Charakters wirken auf ihre Untergebenen und Kameraden.
Nicht immer bringt es ein gewöhnlicher Mensch im Gefecht bis zur völligen Unbefangenheit und zur natürlichen Elastizität der Seele, und so mag man denn erkennen, daß mit Gewöhnlichem hier wieder nicht auszureichen ist, was um so wahrer wird, je größer der Wirkungskreis ist, der angeführt werden soll. Enthusiastische, stoische, angeborene Bravour, gebieterischer Ehrgeiz, auch lange Bekanntschaft mit der Gefahr, viel von alledem muß da sein, wenn nicht alle Wirkung in diesem erschwerenden Mittel hinter dem Maß zurückbleiben soll, das auf dem Zimmer als ein gewöhnliches erscheinen mag.
Wie sorgfältig man sich auch den Bürger neben dem Krieger in einem und demselben Individuum ausgebildet denken, wie sehr man sich die Kriege nationalisieren, und wie weit man sie sich in eine Richtung hinausdenken möge, entgegengesetzt derjenigen der ehemaligen Condottieri: niemals wird man die Individualität des Geschäftsganges aufheben können, und wenn man das nicht kann, so werden auch immer diejenigen, die es treiben, und solange sie es treiben, sich als eine Art von Innung ansehen, in deren Ordnungen, Gesetzen und Gewohnheiten sich die Geister des Krieges vorzugsweise fixieren. Und so wird es auch in der Tat sein. Man würde also bei der entschiedensten Neigung, den Krieg vom höchsten Standpunkt aus zu betrachten, sehr unrecht haben, den Innungsgeist mit Geringschätzung anzusehen, der mehr oder weniger in einem Heer vorhanden sein muß.
Ein gewisser schwerer Ernst und strenge Dienstordnungen können die kriegerische Tugend einer Truppe länger erhalten, aber sie erzeugen sie nicht. Sie behalten darum immer ihren Wert, aber man soll sie nicht überschätzen. Ordnung, Fertigkeit, guter Wille, auch ein gewisser Stolz und eine vorzügliche Stimmung sind Eigenschaften eines im Frieden erzogenen Heeres, die man schätzen muß, die aber keine Selbständigkeit haben. Das Ganze hält das Ganze, und wie bei dem zu schnell erkalteten Glase zerbröckelt ein einziger Riß die ganze Masse. Besonders verwandelt sich die beste Stimmung von der Welt beim ersten Unfall nur zu leicht in Kleinmut und, man möchte sagen, in eine Art von Großsprecherei der Angst: das französische sauve qui peut . Man hüte sich, Geist des Heeres und Stimmung im Heere zu verwechseln!
Ein Heer, das im zerstörendsten Feuer seine gewohnten Ordnungen behält, das niemals von einer eingebildeten Furcht geschreckt wird und der begründeten den Raum Fuß für Fuß streitig macht, das, stolz im Gefühl seiner Siege, auch mitten im Verderben der Niederlage die Kraft zum Gehorsam nicht verliert, nicht die Achtung und das Zutrauen zu seinen Führern, dessen körperliche Kräfte in der Übung von Entbehrung und Anstrengung gestärkt sind wie die Muskeln eines Athleten, das diese Anstrengungen ansieht als ein Mittel zum Siege, nicht als einen Fluch, der auf seinen Fahnen ruht, und das an alle diese Pflichten und Tugenden durch den kurzen Katechismus einer einzigen Vorstellung erinnert wird, nämlich der Ehre seiner Waffen: ein solches Heer ist vom kriegerischen Geiste durchdrungen.
Wieviel Großes dieser Geist, diese Gediegenheit des Heeres, diese Veredelung des Erzes zum strahlenden Metall schon geleistet, sehen wir an den Makedoniern unter Alexander, den römischen Legionen unter Cäsar, an der spanischen Infanterie unter Alexander Farnese, den Schweden unter Gustav Adolf und Karl XII., den Preußen unter Friedrich dem Großen und den Franzosen unter Bonaparte. Man müßte absichtlich die Augen verschließen gegen alle historischen Beweise, wenn man nicht zugeben wollte, daß die wunderbaren Erfolge dieser Feldherren und ihre Größe in den schwierigsten Lagen nur bei einem so potenzierten Heere möglich waren.
Soll der Feldherr den beständigen Streit mit dem Unerwarteten glücklich bestehen, so sind ihm zwei Eigenschaften unentbehrlich, einmal ein Verstand, der auch in dieser gesteigerten Dunkelheit nicht ohne einige Spuren des inneren Lichtes ist, die ihn zur Wahrheit führen, und dann Mut, diesem schwachen Lichte zu folgen. Der erstere ist bildlich mit dem französischen Ausdruck coup d'oeil bezeichnet worden, der andere ist die Entschlossenheit.
Wir glauben, daß die Entschlossenheit einer eigentümlichen Richtung des Verstandes ihr Dasein verdankt, und zwar einer, die mehr kräftigen als glänzenden Köpfen angehört. Wir können diese Genealogie der Entschlossenheit dadurch belegen, daß es eine große Anzahl von Beispielen gibt, wo Männer, die in niederen Regionen die größte Entschlossenheit gezeigt hatten, diese in den höheren verloren. Obgleich sie das Bedürfnis haben, sich zu entschließen, so sehen sie doch die Gefahren ein, die in einem falschen Entschluß liegen, und da sie mit den Dingen, die ihnen vorliegen, nicht vertraut sind, so verliert ihr Verstand seine ursprüngliche Kraft, und sie werden nur um so zaghafter, je mehr sie die Gefahr der Unentschlossenheit, in die sie gebannt sind, kennen, und je mehr sie gewohnt waren, frisch von der Faust weg zu handeln.
Bei dem coup d'oeil und der Entschlossenheit liegt es uns ganz nahe, von der damit verwandten Geistesgegenwart zu reden, die in einem Gebiete des Unerwarteten, wie der Krieg es ist, eine große Rolle spielen muß; denn sie ist ja nichts als eine gesteigerte Besiegung des Unerwarteten. Man bewundert die Geistesgegenwart in einer treffenden Antwort auf eine unerwartete Anrede, wie man sie bewundert in der schnell gefundenen Aushilfe bei plötzlicher Gefahr. Beide, diese Antwort und diese Aushilfe, brauchen nicht ungewöhnlich zu sein, wenn sie nur treffen; denn was nach reiflicher und ruhiger Überlegung nichts Ungewöhnliches, also in seinem Eindruck auf uns etwas Gleichgültiges wäre, kann als ein schneller Akt des Verstandes Vergnügen machen. Der Ausdruck Geistesgegenwart bezeichnet gewiß sehr passend die Nähe und Schnelligkeit der vom Verstande dargereichten Hilfe.
Man ist gewöhnt, sich den einfachen, tüchtigen Soldaten als Gegensatz zu denken zu den überlegsamen oder an Erfindungen und guten Einfällen reichen Köpfen und den im Bildungsschmuck aller Art glänzenden Geistern. Nun ist dieser Gegensatz keineswegs ohne wirklichen Rückhalt, aber er beweist nur nicht, daß die Tüchtigkeit des Soldaten bloß in seinem Mute bestehe, und daß es nicht auch einer gewissen eigentümlichen Tätigkeit und Tüchtigkeit des Kopfes bedarf, um nur das zu sein, was man einen guten Degen nennt. Wir müssen immer wieder darauf zurückkommen, daß nichts gewöhnlicher ist als das Beispiel von Männern, die ihre Tüchtigkeit verlieren, sobald sie zu höheren Stellen gelangen, denen ihre Einsichten nicht mehr gewachsen sind. Wir müssen aber auch immer wieder daran erinnern, daß wir von vorzüglichen Leistungen reden, von solchen, die Ruf in der Art von Tätigkeit geben, der sie angehören. Es bildet daher jede Stufe des Befehls im Kriege ihre eigene Schicht von erforderlichen Geisteskräften, von Ruhm und Ehre.
Eine sehr große Kluft liegt zwischen einem Feldherrn, d. h. einem entweder an der Spitze eines ganzen Krieges oder eines Kriegstheaters stehenden General und der nächsten Befehlshaberstufe unter ihm, aus dem einfachen Grunde, weil dieser einer viel näheren Leitung und Aufsicht unterworfen ist, folglich der eigenen Geistestätigkeit einen viel kleineren Kreis bietet. Dies hat denn veranlaßt, daß die gewöhnliche Meinung eine ausgezeichnete Verstandestätigkeit nur in jener höchsten Stelle sieht und bis dahin den gemeinen Verstand für ausreichend erachtet. Ja, man ist nicht abgeneigt, in einem unter den Waffen ergrauten Unterfeldherrn, den seine einseitige Tätigkeit zu einer unverkennbaren Geistesarmut geführt hat, eine gewisse Verdummung zu erblicken, und bei aller Verehrung für seinen Mut über seine Einfalt zu lächeln. Es ist nicht unser Vorsatz, diesen braven Leuten ein besseres Los zu erkämpfen. Dies würde nichts zu ihrer Wirksamkeit und wenig zu ihrem Glück beitragen, sondern wir wollen nur die Sachen zeigen, wie sie sind, und vor dem Irrtum warnen, daß im Kriege ein bloßer Bravo ohne Verstand Vorzügliches leisten könne.
Wenn wir schon in den niedrigsten Führerstellen für den, der ausgezeichnet sein soll, auch ausgezeichnete Geisteskräfte fordern und diese mit jeder Stufe steigern, so folgt daraus von selbst, daß wir eine ganz andere Ansicht von den Leuten haben, die die zweiten Stellen in einem Heere mit Ruhm bekleiden; und ihre scheinbare Einfalt neben dem Polyhistor, dem federtätigen Geschäftsmann, dem konferierenden Staatsmann soll uns nicht irre machen an der ausgezeichneten Natur ihres werktätigen Verstandes. Freilich geschieht es zuweilen, daß Männer den Ruhm, den sie sich in niederen Stellen erworben haben, in die höheren mit hinüberbringen, ohne ihn dort wirklich zu verdienen. Werden sie nun in diesen nicht viel gebraucht, kommen sie also nicht in die Gefahr, sich Blößen zu geben, so unterscheidet das Urteil nicht so genau, welche Art von Ruf ihnen zukommt; und so tragen solche Männer oft dazu bei, daß man einen geringeren Begriff von der Persönlichkeit faßt, die in gewissen Stellen noch zu glänzen vermag.
Die ausgezeichneten Feldherren sind niemals aus der Klasse der vielwissenden oder gar gelehrten Offiziere hervorgegangen. Meistens konnten sie ihrer ganzen Lage nach auf keine große Summe des Wissens eingerichtet sein. Darum sind auch die immer als lächerliche Pedanten verspottet worden, die es für die Erziehung eines künftigen Feldherrn nötig oder auch nur nützlich halten, mit der Erkenntnis aller Details anzufangen. Es läßt sich ohne große Mühe beweisen, daß sie ihm schaden wird, weil der menschliche Geist durch die ihm mitgeteilten Kenntnisse und Ideenrichtungen erzogen wird. Nur das Große kann ihn großartig, das Kleine nur kleinlich machen, wenn er es nicht wie etwas ganz Fremdes ganz von sich stößt.
Je höher wir in den Führerstellen hinaufsteigen, um so mehr wird Geist, Verstand und Einsicht in der Tätigkeit vorherrschend, um so mehr wird also die Kühnheit, die eine Eigenschaft des Gemüts ist, zurückgedrängt, und darum finden wir sie in den höchsten Stellen so selten, aber um so bewunderungswürdiger ist sie auch dann. Eine durch vorherrschenden Geist geleitete Kühnheit ist der Stempel des Helden. Diese Kühnheit besteht nicht im Wagen gegen die Natur der Dinge, in einer plumpen Verletzung des Wahrscheinlichkeitsgesetzes, sondern in der kräftigen Unterstützung jenes höheren Kalküls, den das Genie, der Takt des Urteils in Blitzesschnelle und nur halb bewußt durchlaufen hat, wenn er seine Wahl trifft. Je mehr die Kühnheit den Geist und die Einsicht beflügelt, um so weiter reichen diese mit ihrem Flug, um so umfassender wird der Blick, um so richtiger das Resultat. Aber freilich immer nur in dem Sinne, daß mit den größeren Zwecken auch die größeren Gefahren verbunden bleiben. Der gewöhnliche Mensch, um nicht von den schwachen und unentschlossenen zu reden, kommt höchstens bei einer eingebildeten Wirksamkeit auf seinem Zimmer, entfernt von Gefahr und Verantwortlichkeit, zu einem richtigen Resultat, soweit nämlich ein solches ohne lebendige Anschauung möglich ist. Treten ihm aber Gefahr und Verantwortlichkeit überall nahe, so verliert er den Überblick, und bliebe ihm dieser etwa durch den Einfluß anderer, so würde er den Entschluß verlieren, weil da kein anderer aushelfen kann.
Es ist eine sehr hervorstechende Eigentümlichkeit großer Feldherren, im Unglück und in der Bedrängnis so wenig als möglich aufzugeben, sich und dem Glücke zu vertrauen und es darauf ankommen zu lassen, ob bessere Zeiten ohne große Verluste zu erreichen sind. Gelingt es, so sind wir geneigt, jedesmal alles für sichere Rechnung und klares Bewußtsein zu halten, was erst bloß dunkles Wagen war.
Je hervorstechender diese Eigentümlichkeit ist und je mehr wir die innere Zuversicht bewundern, auf die alles gegründet gewesen zu sein scheint, um so geneigter ist man, dieses hartnäckige Verweilen auf einer Station der Laufbahn als eine notwendige Bedingung, als ein unfehlbares Zeichen der Größe im Unglück zu betrachten. Hätte Napoleon im Jahre 1812 im Oktober jenseits Moskau durch irgendeinen Ministerwechsel in Petersburg noch einen vorteilhaften Frieden erhalten, so spräche man mit der höchsten Bewunderung von der Ausdauer, die man jetzt für eine Art Raserei ansieht.
Daß sich unser Urteil so sehr nach dem Erfolge richtet, ist nichts weniger als unvernünftig, denn in den meisten Fällen bleibt uns doch nicht viel anderes übrig. Der Erfolg einer Unternehmung ist gewissermaßen die Rechenprobe, und es ist sehr natürlich, daß man sich an sie hält.
Dieser natürlichen, instinktartigen Richtung entgegen sieht man oft, daß sich eine dünkelvolle Kritik darin gefällt: in den bestgelungensten Unternehmungen gerade die größten Fehler zu entdecken. In den meisten Fällen sind diese Urteile wirklich nicht viel besser, als wenn ein Arzt behaupten wollte, ein Kranker, dem er das Leben abgesprochen, lebe zu Unrecht weiter.
Wer sich in einem Elemente bewegen will, wie der Krieg es ist, darf durchaus aus seinen Büchern nichts mitbringen als die Erziehung seines Geistes. Bringt er fertige Ideen mit, die ihm nicht der Stoß des Augenblicks eingegeben, die er nicht aus seinem eigenen Fleisch und Blut erzeugt hat, so wirft ihm der Strom der Begebenheiten sein Gebäude nieder, ehe es fertig ist. Es wird den anderen, den Naturmenschen, niemals verständlich sein und wird gerade unter den ausgezeichnetsten von ihnen, die selbst wissen, was sie wollen, das wenigste Vertrauen genießen.
Der vollkommenste Generalstab mit den richtigsten Ansichten und Grundsätzen reicht nicht hin, die ausgezeichnete Führung einer Armee zu bedingen, wenn die Seele eines großen Feldherrn fehlt. Die einer großen Feldherrnnatur angeborene Richtung des Blickes und des Willens aber ist auch da ein vortreffliches Korrektiv gegen die sich in ihre eigenen Pläne verwickelnde Generalstabsgelehrsamkeit, wo sie dieser übrigens als Instrument nicht entbehren kann.
Da der Krieg kein reines Produkt notwendiger Beziehungen von Zweck und Mittel ist, sondern immer etwas von der Natur des Glückspiels behält, so kann auch die Kriegführung jenes Elements durchaus nicht entbehren, und der Feldherr, der zu wenig Neigung zu diesem Spiel hat, wird, ohne es zu ahnen, hinter der Linie zurückbleiben und im großen Kontobuche der kriegerischen Erfolge in eine tiefere Schuld geraten, als er denkt.
Der Führer im Kriege muß das Werk seiner Tätigkeit einem mitwirkenden Raume übergeben, den seine Augen nicht überblicken, den der regste Eifer nicht immer erforschen kann, und mit dem er bei dem beständigen Wechsel auch selten in eigentliche Bekanntschaft kommt. Diese höchst eigentümliche Schwierigkeit muß er durch eine eigentümliche Geistesanlage besiegen, die, mit einem zu beschränkten Ausdruck, der Ortssinn genannt wird. Es ist das Vermögen, sich von jeder Gegend schnell eine richtige geometrische Vorstellung zu machen und als Folge davon sich in ihr jedesmal leicht zurechtzufinden. Offenbar ist dies ein Akt der Phantasie. Zwar geschieht das Auffassen dabei teils durch das körperliche Auge, teils durch den Verstand, der mit seinen aus Wissenschaft und Erfahrung geschöpften Einsichten das Fehlende ergänzt und aus den Bruchstücken des körperlichen Blicks ein Ganzes macht. Aber daß dies Ganze nun lebhaft vor die Seele trete, ein Bild, eine innerlich gezeichnete Karte werde, daß dies Bild bleibend sei, die einzelnen Züge nicht immer wieder auseinanderfallen, das vermag nur die Geisteskraft zu bewirken, die wir Phantasie nennen.
Es ist natürlich, daß auch die Anwendungen dieses Talents sich nach obenhin erweitern. Müssen sich Husar und Jäger auf einer Patrouille in Weg und Steg leicht zurechtfinden, und bedarf es dafür immer nur weniger Kennzeichen, einer beschränkten Auffassungs- und Vorstellungsgabe, so muß der Feldherr sich bis zu den allgemeinen geographischen Gegenständen einer Provinz und eines Landes erheben, den Zug der Straßen, Ströme und Gebirge immer lebhaft vor Augen haben, ohne darum den beschränkten Ortssinn entbehren zu können. Zwar sind ihm für die allgemeinen Gegenstände Nachrichten aller Art, Karten, Bücher, Memoiren, und für die Einzelheiten der Beistand seiner Umgebungen eine große Hilfe, aber gewiß ist es dennoch, daß ein großes Talent in schneller und klarer Auffassung der Gegend seinem ganzen Handeln einen leichteren und festeren Schritt verleiht, ihn vor einer gewissen inneren Unbeholfenheit schützt und weniger abhängig von andern macht.
Die sehr große Masse von Kenntnissen und Fertigkeiten, die der kriegerischen Tätigkeit im allgemeinen dienen, und die nötig werden, ehe ein ausgerüstetes Heer ins Feld rücken kann, drängen sich in wenige große Resultate zusammen, ehe sie dazu kommen, im Kriege den endlichen Zweck ihrer Tätigkeit zu erreichen, so wie die Gewässer des Landes sich in Ströme vereinigen, ehe sie ins Meer kommen. Nur diese sich unmittelbar ins Meer des Krieges ergießenden Tätigkeiten hat der kennen zu lernen, der sie leiten will.
Der Feldherr braucht weder ein gelehrter Geschichtsforscher, noch Publizist zu sein, aber er muß mit dem höheren Staatsleben vertraut sein, die eingewohnten Richtungen, die aufgeregten Interessen, die vorliegenden Fragen, die handelnden Personen kennen und richtig ansehen. Er braucht kein feiner Menschenbeobachter, kein haarscharfer Zergliederer des menschlichen Charakters zu sein, aber er muß den Charakter, die Denkungsart und Sitte, die eigentümlichen Fehler und Vorzüge derer kennen, denen er befehlen soll. Er braucht nichts von der Einrichtung eines Fuhrwerks, der Anspannung der Pferde eines Geschützes zu verstehen, aber er muß den Marsch einer Kolonne seiner Dauer nach unter den verschiedenen Umständen richtig zu schätzen wissen. Alle diese Kenntnisse lassen sich nicht durch den Apparat wissenschaftlicher Formeln und Maschinerien erzwingen, sondern sie erwerben sich nur, wenn in der Betrachtung der Dinge und im Leben ein treffendes Urteil, wenn ein nach dieser Auffassung hin gerichtetes Talent tätig ist.
Das einer hochgestellten kriegerischen Tätigkeit nötige Wissen zeichnet sich durchaus aus, daß es in der Betrachtung, also im Studium und Nachdenken, nur durch ein eigentümliches Talent erworben werden kann, das, wie die Biene den Honig aus der Blume, als ein geistiger Instinkt aus den Erscheinungen des Lebens nur den Geist zu ziehen versteht, und daß es neben Betrachtung und Studium auch durch das Leben zu erwerben ist. Das Leben mit seiner reichen Belehrung wird niemals einen Newton oder Euler hervorbringen, wohl aber den höheren Kalkül eines Condé oder Friedrichs des Großen.
Irgendein großes Gefühl muß die großen Kräfte des Feldherrn beleben, sei es der Ehrgeiz wie in Cäsar, der Haß des Feindes wie in Hannibal, der Stolz eines glorreichen Unterganges wie in Friedrich dem Großen.
Der Kriegsplan faßt den ganzen kriegerischen Akt zusammen. Durch ihn wird er zur einzelnen Handlung, die einen letzten endlichen Zweck haben muß, in dem sich alle besonderen Zwecke ausgeglichen haben. Man fängt keinen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in ihm erreichen will. Das erstere ist der Zweck, das andere das Ziel. Durch diesen Hauptgedanken werden alle Richtungen gegeben, der Umfang der Mittel, das Maß der Energie bestimmt. Er äußert seinen Einfluß bis in die kleinsten Glieder der Handlung hinab.
Zwei Hauptgrundsätze umfassen den ganzen Kriegsplan und dienen allen übrigen zur Richtung.
Der erste ist: das Gewicht der feindlichen Macht auf so wenige Schwerpunkte als möglich zurückzuführen, wenn es sein kann, auf einen; wiederum den Stoß gegen diese Schwerpunkte auf so wenige Haupthandlungen als möglich zu beschränken, wenn es sein kann, auf eine; endlich alle untergeordneten Handlungen so untergeordnet als möglich zu halten. Mit einem Wort, der erste Grundsatz ist: so konzentriert als möglich zu handeln.
Der zweite Grundsatz lautet: so schnell als möglich zu handeln, also keinen Aufenthalt und keinen Umweg ohne hinreichenden Grund stattfinden zu lassen.
Jeder Plan zu einem Feldzuge ist die Auswahl eines Weges unter tausend denkbaren. Je größer die kriegführenden Staaten sind und die Massen, die sie in Bewegung setzen, um so größer ist die Zahl der möglichen Kombinationen, und es ist ganz unmöglich, alle zu erschöpfen. Darum bleibt man auch mehr oder weniger immer dabei stehen, einen fertigen Plan hinzustellen und es dem Takt des Urteils zu überlassen, das Treffende wie das Fehlerhafte daran herauszufühlen. Einem geraden, d. h. unverdrehten Verstande wird die Wahrheit und das Richtige ohne weitere Entwickelung der Gründe schon in der bloßen Aufstellung im Augenblicke klar. Ein solcher Verstand hat für die Wahrheit eine Art musikalisches Gefühl, das unreine Verhältnisse wie Mißtöne leicht unterscheidet.
Besonders zu berücksichtigen beim Eindringen in ein Land ist die Hauptstadt. Jede Hauptstadt hat ein großes strategisches Gewicht, die eine mehr als die andre: diejenige mehr, die den Begriff der Hauptstadt stärker in sich vereinigt, und die am meisten, die der Knoten politischer Parteiungen ist. Letzteres ist der Fall mit Paris.
Der Schwerpunkt des französischen Reiches liegt in seiner Kriegsmacht und in Paris. Jene in einer Hauptschlacht besiegen, Paris erobern, die Überreste des feindlichen Heeres über die Loire zurückwerfen, muß unser Ziel sein. Die Herzgrube Frankreichs liegt zwischen Paris und Brüssel. Dort ist die Grenze von der Hauptstadt nur dreißig Meilen entfernt.
Auch als Nebenunternehmung ist ein Angriff auf das südliche Frankreich verwerflich, denn er weckt nur neue Kräfte gegen uns. Jedesmal, wenn man eine entfernte Provinz angreift, rührt man Interessen und Tätigkeiten auf, die sonst geschlummert hätten.
Die Theorie fordert die kürzesten Wege zum Ziel und schließt die Erörterung über rechts und links, hierhin oder dorthin, von der Betrachtung ganz aus. Napoleon hat niemals anders gehandelt. Die nächste Hauptstraße von Heer zu Heer oder von Hauptstadt zu Hauptstadt war ihm immer der liebste Weg.
Es war einer der allerbesten Grundsätze des Meisters (Bonaparte) in den Feldzügen von 1796 und 1797: sich auf den untergeordneten Punkten mit so wenig Truppen als möglich zu behelfen, um auf dem Hauptpunkte recht stark zu sein.
Die Centra gravitatis in der feindlichen Kriegsmacht zu unterscheiden, ihre Wirkungsweise zu erkennen, ist ein Hauptakt des strategischen Urteils. Man wird sich nämlich jedesmal fragen müssen, welche Wirkungen das Vorgehen und Zurückgehen des einen Teils der gegenseitigen Streitkräfte auf die übrigen hervorbringen wird.
Wenn wir die neueste Kriegsgeschichte ohne Vorurteil betrachten, so müssen wir uns gestehen, daß die Überlegenheit in der Zahl mit jedem Tag entscheidender wird. Wir müssen also den Grundsatz, möglichst stark im entscheidenden Gefecht zu sein, allerdings jetzt etwas höher stellen, als er vielleicht ehemals gestellt worden ist.
Mut und Geist des Heeres haben zu allen Zeiten die physischen Kräfte gesteigert und werden es auch ferner tun. Aber wir finden in der Geschichte Zeiten, wo eine große Überlegenheit in der Einrichtung und Ausrüstung der Heere, andere, wo eine solche Überlegenheit in der Beweglichkeit ein bedeutendes moralisches Übergewicht gab.
Die Heere sind in unseren Tagen einander an Bewaffnung, Ausrüstung und Übung so ähnlich, daß zwischen den besten und den schlechtesten kein sehr merklicher Unterschied in diesen Dingen besteht. Die einen sind die Erfinder und Anführer in den besseren Einrichtungen, und die anderen die schnell folgenden Nachahmer. Selbst die Unterfeldherren, die Führer der Korps und Divisionen, haben überall, was ihr Handwerk betrifft, ziemlich dieselben Ansichten und Methoden, so daß außer dem Talent des obersten Feldherrn, das schwerlich in einem konstanten Verhältnis zu der Bildung des Volkes und Heeres zu denken, sondern ganz dem Zufall überlassen ist, nur noch die Kriegsgewohnheit ein merkliches Übergewicht geben kann. Je mehr das Gleichgewicht in allen jenen Dingen besteht, um so entscheidender wird das Machtverhältnis.
Die absolute Stärke ist in der Strategie meist ein Gegebenes, an dem der Feldherr nichts mehr ändern kann. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, daß der Krieg mit einem merklich schwächeren Heer unmöglich sei. Der Krieg ist nicht immer ein freier Entschluß der Politik, und am wenigsten ist er es da, wo die Kräfte sehr ungleich sind. Folglich läßt sich jedes Machtverhältnis im Kriege denken, und es wäre eine sonderbare Kriegstheorie, die sich da ganz lossagen wollte, wo sie am meisten gebraucht wird.
Das sukzessive Heranziehen der Kräfte zu nachhaltigen wiederholten Stößen, das in der Taktik eine so unendlich wichtige Sache ist, ist in der Strategie ganz gegen die Natur der Dinge. Es ist einer der Hauptgrundsätze der Strategie, alle vorhandenen Streitkräfte gleichzeitig in den Kampf zu führen, oder, im Falle sie nicht alle gebraucht werden, so viel als zur Sicherung des Erfolgs notwendig sind. Nur das, was zum Augenblicke, da das Handeln eintreten muß , durchaus nicht beschafft werden kann , nur das darf zur Reserve und zum nachhaltigen Gebrauch verwendet werden.
Theoretisch klingt es ganz gut: Der Bataillonskommandeur ist verantwortlich für die Ausführung des gegebenen Befehls, und da das Bataillon durch die Disziplin zu einem Stück zusammengeschweißt ist, sein Führer aber ein Mann von anerkanntem Eifer sein muß, so dreht sich der Balken um einen eisernen Zapfen mit wenig Friktion. So ist es aber in Wirklichkeit nicht. Das Bataillon bleibt immer aus einer Anzahl Menschen zusammengesetzt, von denen, wenn es der Zufall will, der unbedeutendste imstande ist, einen Aufenthalt oder sonst eine Unregelmäßigkeit zu bewirken.
Diese entsetzliche Friktion, die sich nicht wie in der Mechanik auf wenige Punkte konzentrieren läßt, ist überall im Kontakt mit dem Zufall und bringt Erscheinungen hervor, die sich gar nicht berechnen lassen, eben weil sie zum großen Teil dem Zufall angehören.
Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen. Was man hier vom Offizier fordern kann, ist ein gewisses Unterscheiden, das nur Sach- und Menschenkenntnis und Urteil geben können. Das Gesetz des Wahrscheinlichen muß ihn leiten. Diese Schwierigkeit ist nicht unbedeutend bei den ersten Entwürfen, die auf dem Zimmer und noch außerhalb der eigentlichen Kriegssphäre gemacht werden, aber unendlich größer ist sie da, wo im Getümmel des Krieges selbst eine Nachricht die andere drängt. Die meisten Nachrichten sind falsch, und die Furchtsamkeit der Menschen vermehrt die Kraft der Lüge und Unwahrheit. In der Regel ist jeder geneigt, das Schlimme eher zu glauben als das Gute. Jeder ist geneigt, das Schlimme etwas zu vergrößern, und die Gefährlichkeiten, die auf diese Weise berichtet werden, obgleich sie wie die Wellen des Meeres in sich selbst zusammensinken, kehren doch wie jene ohne sichtbare Veranlassung immer von neuem zurück. Fest im Vertrauen auf sein besseres inneres Wissen muß der Führer dastehen wie der Fels, an dem sich die Welle bricht. Die Rolle ist nicht leicht. Wer nicht von Natur mit leichtem Blute begabt oder durch kriegerische Erfahrungen geübt und im Urteil gestärkt ist, mag es sich eine Regel sein lassen, sich gewaltsam, d. h. gegen das innere Niveau seiner eigenen Überzeugung, von der Seite der Befürchtungen ab auf die Seite der Hoffnungen hinzuneigen. Er wird nur dadurch das wahre Gleichgewicht erhalten können. Diese Schwierigkeit, richtig zu sehen, die eine der allergrößten Friktionen im Kriege ausmacht, läßt die Dinge ganz anders erscheinen, als man sie gedacht hat. Der Eindruck der Sinne ist stärker als die Vorstellungen des überlegenden Kalküls, und dies geht so weit, daß wohl noch nie eine einigermaßen wichtige Unternehmung ausgeführt worden ist, wo der Befehlshaber nicht in den ersten Momenten der Ausführung neue Zweifel bei sich zu besiegen gehabt hätte. Gewöhnliche Menschen, die fremden Eingebungen folgen, werden daher meistens an Ort und Stelle unschlüssig; sie glauben die Umstände anders gefunden zu haben, als sie solche vorausgesetzt hatten, und zwar um so mehr, da sie auch hier sich wieder fremden Eingebungen überlassen. Aber auch der, der selbst entwarf und jetzt mit eigenen Augen sieht, wird leicht an seiner vorigen Meinung irre. Festes Vertrauen zu sich selbst muß ihn gegen den scheinbaren Drang des Augenblicks waffnen. Seine frühere Überzeugung wird sich bei der Entwicklung bewähren, wenn die vorderen Kulissen, die das Schicksal in die Kriegsszenen einschiebt, mit ihren dick aufgetragenen Gestalten der Gefahr weggezogen, und der Horizont erweitert ist. Dies ist eine der großen Klüfte zwischen Entwerfen und Ausführen.
Das Heer gleicht einem Baume. Aus dem Boden, auf dem er wächst, zieht er seine Lebenskräfte. Ist er klein, so kann er leicht verpflanzt werden; dies wird aber schwieriger, je größer er wird. Ein kleiner Haufe hat auch seine Lebenskanäle, aber er schlägt leicht Wurzeln, wo er sich befindet; nicht so ein zahlreiches Heer. Wenn also von dem Einfluß der Basis auf die Unternehmungen die Rede ist, so muß allen Vorstellungen immer der Maßstab zugrunde liegen, den die Größe des Heeres bedingt.
Stets hat die Schweiz ängstliche Neutralität beobachtet. Seit Jahrhunderten ist sie allen europäischen Händeln fremd geblieben. Es gehört also ein viel größerer Übermut, eine entschiedene Geringschätzung aller alten Verhältnisse dazu, sich zu einem Einbruche in die Schweiz zu entschließen, als zur Überwältigung anderer Staaten, obgleich die Schweiz einen hohen Wert als Angriffsstation hat, weil man durch ihren Besitz imstande ist, das Innere Frankreichs mit einer Invasion zu bedrohen, ohne vor den französischen Festungen stehen bleiben zu müssen.
Wenn ein Heer zu einer Unternehmung vorschreitet, sei es, um den Feind und sein Kriegstheater anzugreifen oder sich an den Grenzen des eigenen aufzustellen, so bleibt es von den Quellen seiner Verpflegung und Ergänzung in einer notwendigen Abhängigkeit und muß die Verbindung mit ihnen unterhalten, denn sie sind die Bedingungen seines Daseins und Bestehens. Diese Abhängigkeit wächst intensiv und extensiv mit der Größe des Heeres. Nun ist es aber weder immer möglich noch erforderlich, daß das Heer mit dem ganzen Lande in unmittelbarer Verbindung bleibt, sondern nur mit dem Stück, das sich gerade hinter ihm befindet und folglich durch seine Stellung gedeckt ist. In diesem Teile des Landes werden dann, soweit es nötig ist, besondere Anlagen von Vorräten gemacht und Veranstaltungen zur regelmäßigen Fortschaffung der Ergänzungskräfte getroffen. Dieses Stück des Landes ist also die Grundlage des Heeres und aller seiner Unternehmungen; es muß als ein Ganzes mit demselben betrachtet werden. Sind die Vorräte zu ihrer größeren Sicherheit in befestigten Orten angelegt, so wird der Begriff einer Basis dadurch verstärkt, aber er entsteht nicht erst dadurch, denn in einer Menge von Fällen findet dies nicht statt.
Aber auch ein Stück des feindlichen Landes kann die Grundlage eines Heeres bilden, oder wenigstens mit dazu gehören. Denn wenn ein Heer im feindlichen Lande vorgerückt ist, werden eine Menge Bedürfnisse aus dem eingenommenen Teile gezogen. Die Bedingung ist in diesem Fall, daß man wirklich Herr dieses Landstrichs, d. h. der Befolgung der Anordnungen gewiß ist.
Die Bedürfnisse eines Heeres muß man in zwei Klassen teilen, nämlich die, die jede angebaute Gegend gibt, und andere, die es nur aus den Quellen seiner Entstehung ziehen kann. Die ersten sind hauptsächlich Unterhalts- und die zweiten Ergänzungsmittel. Die ersteren kann auch das feindliche Land, die letzteren in der Regel nur das eigene liefern, z. B. Menschen, Waffen und meistens auch Munition.
Sind einmal die Anstalten zur Ergänzung und Ernährung des Heeres in einem gewissen Bezirk und für eine gewisse Richtung getroffen, so ist selbst im eigenen Lande nur dieser Bezirk als die Basis des Heeres zu betrachten, und da eine Veränderung hierin immer Zeit und Kraftaufwand erfordert, so kann auch im eigenen Lande das Heer seine Basis nicht von einem Tage zum andern verlegen, und darum ist es auch in der Richtung seiner Unternehmungen immer mehr oder weniger beschränkt.
Die Verpflegung der Truppen bietet, wie sie auch geschehen möge (durch Magazine oder Beitreibungen), immer solche Schwierigkeiten, daß sie eine sehr entscheidende Stimme bei der Wahl der Maßregeln hat. Sie ist oft der wirksamsten Kombination entgegen und nötigt, der Nahrung nachzugehen, wo man dem Siege, dem glänzenden Erfolge nachgehen möchte. Durch sie vorzüglich bekommt die ganze Maschine die Schwerfälligkeit, durch die ihre Wirkungen so weit hinter dem Fluge großer Entwürfe zurückbleiben.
Wo aus irgendeinem Grunde der Gang der Begebenheiten weniger reißend ist, wo mehr ein gleichgewichtiges Schweben und Abwägen der Kräfte stattfindet, da ist das Unterbringen der Truppen unter Dach und Fach ein Hauptgegenstand der Aufmerksamkeit des Feldherrn.
Ohne in Bonaparte den leidenschaftlichen Spieler zu verkennen, der sich oft in ein tolles Extrem wagte, kann man doch wohl sagen, daß er und die ihm vorangegangenen Revolutionsfeldherren in Rücksicht auf die Verpflegung ein mächtiges Vorurteil beiseite geschafft und gezeigt haben, daß diese nie anders als unter dem Gesichtspunkt einer Bedingung, also niemals als Zweck betrachtet werden müsse.
Übrigens verhält es sich mit der Entbehrung im Kriege wie mit der körperlichen Anstrengung und der Gefahr. Die Forderungen, die der Feldherr an sein Heer machen kann, sind durch keine bestimmten Linien begrenzt. Ein starker Charakter fordert mehr als ein weichlicher Gefühlsmensch. Auch die Leistungen des Heeres sind verschieden, je nachdem Gewohnheit, kriegerischer Geist, Vertrauen und Liebe zum Feldherrn oder Enthusiasmus für die Sache des Vaterlandes den Willen und die Kräfte des Soldaten unterstützen. Aber das sollte man wohl als Grundsatz aufstellen können, daß Entbehrung und Not, wie hoch sie auch gesteigert werden mögen, immer nur als vorübergehende Zustände betrachtet werden und daß sie zu reichlichem Unterhalt, ja wohl auch einmal zum Überfluß führen müssen. Gibt es etwas Rührenderes als den Gedanken an so viele tausend Soldaten, die, schlecht gekleidet, mit einem Gepäck von dreißig bis vierzig Pfund belastet, sich auf tagelangen Märschen in jedem Wetter und Wege mühsam fortschleppen, Gesundheit und Leben unaufhörlich auf das Spiel setzen und sich dafür nicht einmal in trockenem Brote sättigen können. Wenn man weiß, wie oft dies im Kriege vorkommt, so begreift man in der Tat kaum, wie es nicht öfter zum Versagen des Willens und der Kräfte führt, und wie eine bloße Richtung der Vorstellungen im Menschen fähig ist, durch ihr nachhaltiges Wirken solche Anstrengungen hervorzurufen und zu unterstützen.
Wer also dem Soldaten große Entbehrungen auferlegt, weil große Zwecke es fordern, der wird, sei es aus Gefühl oder aus Klugheit, auch die Entschädigung im Auge haben, die er ihm dafür zu andern Zeiten schuldig ist.
Über das Maß eines Marsches und die dazu erforderliche Zeit ist es natürlich, sich an die allgemeinen Erfahrungssätze zu halten.
Für unsere neueren Heere steht es längst fest, daß ein Marsch von drei Meilen (21 Kilometer) das gewöhnliche Tagewerk ist, das bei langen Zügen sogar auf zwei Meilen (14 Kilometer) heruntergesetzt werden muß, um die nötigen Rasttage einschalten zu können, die für die Herstellung alles schadhaft Gewordenen bestimmt sind.
Ein einzelner mäßiger Marsch nutzt das Instrument nicht ab, aber eine Reihe von mäßigen tut es schon, und eine Reihe von schwierigen natürlich viel mehr.
Auf der Kriegsbühne selbst sind Mangel an Verpflegung und Unterkommen, schlechte, ausgefahrene Wege und die Notwendigkeit beständiger Schlagfertigkeit die Ursachen der unverhältnismäßigen Kraftanstrengungen, durch die Menschen, Vieh, Fuhrwerk und Bekleidung zugrunde gerichtet werden.
Man muß sich auf eine große Zerstörung seiner eigenen Kräfte gefaßt machen, wenn man einen bewegungsreichen Krieg führen will, danach seinen übrigen Plan errichten und vor allem die Verstärkungen, die nachrücken sollen.
Die Entfernung (eines Heeres) von der Quelle, aus der die unaufhörlich sich schwächende Streitkraft ebenso unaufhörlich erzeugt werden muß, nimmt mit dem Vorrücken zu. Eine erobernde Armee gleicht hierin dem Licht einer Lampe. Je weiter sich das nährende Öl heruntersenkt, um so kleiner wird die Flamme.
Festungen sind ein eigentlicher Schild gegen den feindlichen Angriff, dessen Strom sich an ihnen bricht wie an Eisblöcken.
Ein Verteidigungsheer ohne Festungen hat hundert verwundbare Stellen. Es ist ein Körper ohne Harnisch.
Offenbar ist die Wirksamkeit einer Festung aus zwei verschiedenen Elementen zusammengesetzt, dem passiven und dem aktiven. Durch das erste schützt sie den Ort und alles, was in ihm enthalten ist; durch das andere übt sie einen gewissen Einfluß auf die auch über ihre Kanonenschußweite hinaus liegende Umgegend.
Die Unternehmungen, die die Besatzung einer Festung sich erlauben darf, sind immer ziemlich beschränkt. Selbst bei großen Festungen und starken Besatzungen sind die Haufen, die dazu ausgesandt werden können, in Beziehung auf die im Felde stehenden Streitkräfte meistens nicht beträchtlich, und der Durchmesser ihres Wirkungskreises beträgt selten über ein paar Märsche. Ist die Festung aber klein, so werden die Haufen ganz unbedeutend, und ihr Wirkungskreis wird meist auf die nächsten Dörfer beschränkt sein. Solche Korps aber, die nicht zur Besatzung gehören, also nicht notwendig in die Festung zurückkehren müssen, sind dadurch viel weniger gebunden, und so kann durch sie die aktive Wirkungssphäre einer Festung, wenn die übrigen Umstände dazu günstig sind, außerordentlich erweitert werden.
Erzherzog Karl hat als erster aller Theoretiker den Satz ausgesprochen, daß das Gebirge dem Verteidiger nachteilig sei, wobei wir hinzufügen: insofern eine große Entscheidung gesucht wird oder zu befürchten ist.
Mit der Hauptmacht ist das Gebirge womöglich zu vermeiden und seitwärts liegen zu lassen oder vor oder hinter sich zu behalten. Im übrigen ist das Gebirge im allgemeinen sowohl in der Taktik wie in der Strategie der Verteidigung ungünstig. Es raubt die Übersicht und hindert die Bewegungen nach allen Richtungen. Es zwingt zur Passivität.
Der Mittel gibt es im Kriege nur ein einziges. Es ist der Kampf. Wie mannigfaltig dieser auch gestaltet sei, wie weit er sich von der rohen Entledigung des Hasses und der Feindschaft im Faustkampfe entfernen möge, wie viel Dinge sich einschieben mögen, die nicht selbst Kampf sind: immer liegt es im Begriff des Krieges, daß alle in ihm erscheinenden Wirkungen ursprünglich vom Kampf ausgehen müssen.
Es bezieht sich also alle kriegerische Tätigkeit notwendig auf das Gefecht, entweder unmittelbar oder mittelbar. Der Soldat wird ausgehoben, gekleidet, bewaffnet, geübt, er schläft, ißt, trinkt und marschiert, alles nur, um an rechter Stelle und zu rechter Zeit zu fechten.
Endigen somit im Gefecht alle Fäden kriegerischer Tätigkeit, so werden wir sie auch alle auffassen, indem wir die Anordnung der Gefechte bestimmen. Nur von dieser Anordnung und ihrer Vollziehung gehen die Wirkungen aus, niemals unmittelbar von den ihnen vorhergehenden Bedingungen. Nun ist im Gefecht alle Tätigkeit auf die Vernichtung des Gegners oder vielmehr seiner Streitfähigkeit gerichtet, denn dies liegt in seinem Begriff. Die Vernichtung der feindlichen Streitkraft ist also immer das Mittel, um den Zweck des Gefechts zu erreichen.
Dieser Zweck kann ebenfalls die bloße Vernichtung der feindlichen Streitmacht sein, aber dies ist keineswegs notwendig, sondern es kann auch etwas ganz anderes sein. Sobald nämlich das Niederwerfen des Gegners nicht das einzige Mittel ist, den politischen Zweck zu erreichen, sobald es andre Gegenstände gibt, die man als Ziel im Kriege verfolgen kann: so folgt von selbst, daß diese Gegenstände der Zweck einzelner kriegerischer Akte werden können, also auch der Zweck von Gefechten.
Wäre die Schlacht auch nicht das kräftigste, das gewöhnlichste und wirksamste Mittel der Entscheidung, so würde es doch hinreichen, daß sie überhaupt zu den Mitteln der Entscheidung gehört, um die stärkste Vereinigung der Kräfte zu fordern, die die Umstände irgend gestatten. Eine Hauptschlacht auf dem Kriegstheater ist der Stoß des Schwerpunktes gegen den Schwerpunkt. Je mehr Kräfte man in dem einen oder andern versammeln kann, um so sicherer und größer wird die Wirkung sein. Also jede Teilung der Kräfte, die nicht durch einen Zweck hervorgerufen wird (der entweder selbst durch eine glückliche Schlacht nicht erreicht werden kann, oder der den glücklichen Ausgang der Schlacht selbst bedingt), ist verwerflich.
Das Gefecht ist die eigentliche kriegerische Tätigkeit; alles übrige ist nur Träger. Gefecht ist Kampf, und in ihm ist die Vernichtung oder Überwindung des Gegners der Zweck.
Was ist die Überwindung des Gegners? Immer nur die Vernichtung seiner Streitkraft, sei es durch Tod oder Wunden oder auf was für eine andere Art, sei es ganz und gar, oder nur in einem solchen Maße, daß er den Kampf nicht mehr fortsetzen will. Wir können also, solange wir von allen besonderen Zwecken der Gefechte absehen, die gänzliche oder teilweise Vernichtung des Gegners als den einzigen Zweck aller Gefechte betrachten.
Die unmittelbare Vernichtung der feindlichen Streitkräfte ist überall das Vorherrschende. Wir stellen also das Vernichtungsprinzip auf. Indessen befinden wir uns in der Strategie und nicht in der Taktik und dürfen also nicht von den Mitteln sprechen, die jene haben mag, mit wenig Kraftaufwand viel feindliche Streitkräfte zu vernichten, sondern müssen daran erinnern, daß wir unter unmittelbarer Vernichtung die taktischen Erfolge verstehen. Unsere Behauptung lautet also, daß nur große taktische Erfolge zu großen strategischen führen können, oder, bestimmter ausgedrückt, daß die taktischen Erfolge von vorherrschender Wichtigkeit in der Kriegführung sind.
Die Frage, ob ein einfacher Stoß oder ein mehr zusammengesetzter, kunstvoller größere Wirkung hervorbringt, mag unzweifelhaft für den letzteren entschieden werden, solange der Gegner als ein leidender Gegenstand gedacht wird. Allein jeder zusammengesetzte Stoß erfordert mehr Zeit, und diese Zeit muß ihm gegönnt werden, ohne daß durch einen Gegenstoß auf einen der Teile das Ganze in den Vorbereitungen zu seiner Wirkung gestört wird. Entscheidet sich nun der Gegner zu einem einfacheren Stoß, der in kurzer Zeit ausgeführt ist, so gewinnt er den Vorsprung und stört die Wirkung des großen Plans. Man muß also bei dem Werte des zusammengesetzten Stoßes alle Gefahren in Betracht bringen, die man während seiner Vorbereitung läuft, und kann ihn nur anwenden, wenn man vom Gegner nicht zu fürchten braucht, durch einen kürzeren gestört zu werden. Sooft dies der Fall ist, muß man selber den kürzeren wählen und in diesem Sinne so weit hinuntersteigen, als es der Charakter, die Verhältnisse des Gegners und andere Umstände nötig machen. Verlassen wir die schwachen Eindrücke abstrakter Begriffe und steigen wir ins wirkliche Leben hinab, so wird ein rascher, mutiger, entschlossener Gegner uns nicht Zeit zu weitaussehenden künstlichen Zusammensetzungen lassen, und gerade gegen einen solchen bedürfen wir der Kunst am meisten. Hiermit, scheint es uns, ist das Vorherrschen der einfachen und unmittelbaren Erfolge vor den zusammengesetzten schon gegeben.
Unsere Meinung ist also nicht, daß der einfache Stoß der beste sei, sondern daß man nicht weiter ausholen dürfe, als der Spielraum erlaubt, und daß dies immer mehr zum unmittelbaren Kampf hinführen wird, je kriegerischer der Gegner ist. Also weit entfernt, den Gegner nach der Richtung zusammengesetzter Stöße hin überbieten zu dürfen, muß man vielmehr suchen, ihm nach der entgegengesetzten Richtung hin immer voran zu sein.
Was ist nun unter Vernichtung der feindlichen Streitkraft zu verstehen? Eine Verminderung derselben, die verhältnismäßig größer ist als die unsrer eigenen. Wenn wir eine große Überlegenheit der Zahl über den Feind haben, so wird natürlich diese absolute Größe des Verlustes für uns kleiner sein als für ihn und folglich schon als ein Vorteil betrachtet werden können. Nur der unmittelbare Gewinn, den wir im gegenseitigen Zerstörungsprozeß machen, kann als Zweck des Gefechts betrachtet werden, denn dieser Gewinn ist ein absoluter, der die Rechnung des ganzen Feldzugs durchläuft und sich am Schluß immer als reiner Gewinn erweist. Jede andere Art des Sieges über unseren Gegner aber würde entweder ihren Grund in anderen Zwecken haben, von denen wir hier ganz absehen, oder nur einen einstweiligen relativen Vorteil geben. Ein Beispiel soll uns dies klarmachen.
Wenn wir unsern Gegner durch eine geschickte Anordnung in eine so nachteilige Lage versetzt haben, daß er das Gefecht ohne Gefahr nicht fortsetzen kann und er sich nach einigem Widerstande zurückzieht, so können wir sagen, daß wir ihn auf diesem Punkt überwunden haben. Haben wir aber bei dieser Überwindung gerade in demselben Verhältnis an Streitkräften eingebüßt als er, so wird bei der Schlußrechnung des Feldzugs von diesem Siege, wenn man einen solchen Erfolg so nennen könnte, nichts übrigbleiben. Es kommt also das Überwinden des Gegners, d. h. die Versetzung desselben in einen solchen Zustand, daß er das Gefecht aufgeben muß, an und für sich nicht in Betracht und kann deshalb auch nicht in die Definition des Zweckes aufgenommen werden, und so bleibt denn, wie gesagt, nichts übrig als der unmittelbare Gewinn, den wir im Zerstörungsprozeß gemacht haben. Es gehören aber dahin nicht bloß die Verluste, die im Verlauf des Gefechts vorkommen, sondern auch die, die nach dem Abzug des besiegten Teils als unmittelbare Folge eintreten.
Nun ist es eine bekannte Erfahrung, daß die Verluste an physischen Streitkräften im Laufe des Gefechts selten eine große Verschiedenheit zwischen Sieger und Besiegtem zeigen, oft gar keine, zuweilen auch wohl eine sich umgekehrt verhaltende, und daß die entscheidendsten Verluste für den Besiegten erst mit dem Abzug eintreten, nämlich die, die der Sieger nicht mit ihm teilt.
Der Verlust an physischen Streitkräften ist nicht der einzige, den beide Teile im Verlauf des Gefechts erleiden, sondern auch die moralischen werden erschüttert, gebrochen und gehen zugrunde. Es ist nicht bloß der Verlust an Menschen, Pferden und Geschützen, sondern an Ordnung, Mut, Vertrauen, Zusammenhang und Plan, der bei der Frage in Betracht kommt, ob das Gefecht noch fortgesetzt werden kann oder nicht. Die moralischen Kräfte sind es vorzugsweise, die hier entscheiden, und sie waren es allein in allen Fällen, wo der Sieger ebensoviel verloren hatte wie der Besiegte.
Das Verhältnis des physischen Verlustes ist ohnehin im Laufe des Gefechts schwer zu schätzen, aber das Verhältnis des moralischen nicht. Zwei Dinge geben ihn hauptsächlich kund. Das erste ist der Verlust des Bodens, auf dem man gefochten, das andere das Übergewicht der feindlichen Reserven. Je stärker unsere Reserven im Verhältnis zu den feindlichen zusammenschwinden, um so mehr Kräfte haben wir gebraucht, das Gleichgewicht zu erhalten. Schon darin tut sich ein fühlbarer Beweis der moralischen Überlegenheit des Gegners kund, der auch selten verfehlt, im Gemüt des Feldherrn eine gewisse Bitterkeit und Geringschätzung seiner eigenen Truppen zu erzeugen. Aber die Hauptsache ist, daß alle Truppen, die schon anhaltend gefochten haben, mehr oder weniger wie eine ausgebrannte Schlacke erscheinen. Sie haben sich verschossen, sind zusammengeschmolzen; ihre physische und moralische Kraft ist erschöpft, auch wohl ihr Mut gebrochen. Eine solche Truppe ist somit auch, abgesehen von der Verminderung ihrer Zahl, als ein organisches Ganze betrachtet, bei weitem nicht mehr, was sie vor dem Gefecht war, und daher kommt es, daß sich der Verlust an moralischen Kräften an dem Maß verbrauchter Reserven wie an einem Zollstock kundtut.
Jedes Gefecht ist also die blutige und zerstörende Ausgleichung der Kräfte, der physischen und moralischen. Wer am Schluß die größte Summe von beiden übrig hat, ist der Sieger.
Im Gefecht war der Verlust der moralischen Kräfte die vorherrschende Ursache der Entscheidung. Nachdem diese gefallen, bleibt jener Verlust im Steigen und erreicht erst am Schluß des ganzen Aktes seinen Höhepunkt. Es wird also auch das Mittel, den Gewinn in der Zerstörung der physischen Streitkräfte zu machen, was der eigentliche Zweck des Gefechts war.
Die verlorene Ordnung und Einheit macht oft sogar den Widerstand einzelner verderblich. Der Mut des Ganzen ist gebrochen. Die ursprüngliche Spannung über Verlust und Gewinn, in der die Gefahr vergessen wurde, ist aufgelöst; und den meisten erscheint die Gefahr nun nicht mehr wie eine Herausforderung des Mutes, sondern wie das Erleiden einer harten Züchtigung. So ist das Instrument im ersten Augenblick des Sieges geschwächt und abgestumpft und darum nicht mehr geeignet, Gefahr mit Gefahr zu vergelten.
Diese Zeit muß der Sieger benutzen, um den eigentlichen Gewinn an der physischen Kraftzerstörung zu machen. Nur was er hierin erreicht, bleibt ihm gewiß. Denn die moralischen Kräfte kehren im Gegner nach und nach zurück; die Ordnung wird wieder hergestellt, sein Mut wieder gehoben, und es bleibt in der Mehrheit der Fälle nur ein sehr geringer Teil vom errungenen Übergewicht zurück, oft gar keins. Und in einzelnen, obgleich seltenen Fällen entsteht wohl gar durch Rache und stärkeres Anfachen der Feindschaft eine umgekehrte Wirkung. Dagegen kann, was an Toten, Verwundeten, Gefangenen und an erobertem Geschütz und sonstigem Kriegsgerät gewonnen ist, niemals aus der Rechnung verschwinden.
Die Verluste in der Schlacht bestehen mehr in Toten und Verwundeten, die nach der Schlacht mehr in verlorenem Geschütz und Gefangenen. Die ersteren teilt der Sieger mehr oder weniger mit dem Besiegten; die letzteren nicht, und deshalb finden sie sich gewöhnlich nur auf der einen Seite des Kampfes oder wenigstens dort in bedeutender Überzahl.
Geschütze und Gefangene sind darum jederzeit als die wahren Trophäen des Sieges betrachtet worden und zugleich als sein Maßstab, weil sich an ihnen sein Umfang unzweifelhaft kundtut.
Daß sich die in dem Gefecht und seinen ersten Folgen zugrundegerichteten moralischen Kräfte nach und nach wiederherstellen und oft keine Spur ihrer Zerstörung lassen, ist zumeist der Fall bei kleinen Abteilungen des Ganzen, seltener bei großen.
Wir dürfen das verlorene Gleichgewicht der moralischen Kräfte nicht darum gering achten, weil es keinen absoluten Wert hat und nicht unfehlbar in der endlichen Summe der Erfolge erscheint. Es kann von einem so überwiegenden Gewicht werden, daß es mit unwiderstehlicher Gewalt alles niederwirft.
Über den Verlust an Toten und Verwundeten sind die gegenseitigen Berichte nie genau, selten wahrhaft und in den meisten Fällen voll absichtlicher Entstellung. Selbst die Zahl der Trophäen wird selten ganz zuverlässig gegeben, und wo sie nicht sehr bedeutend ist, kann auch sie noch Zweifel an dem Siege übriglassen. Vom Verlust an moralischen Kräften läßt sich außer den Trophäen gar kein gültiges Maß angeben. Es bleibt also in vielen Fällen das Aufgeben des Kampfes als der einzige wahre Beweis des Sieges allein übrig. Es ist mithin als Bekenntnis der Schuld, als das Senken des Paniers zu betrachten, durch das dem Gegner Recht und Überlegenheit in diesem einzelnen Falle eingeräumt wird, und diese Seite der Demütigung und Scham, die von allen übrigen moralischen Folgen des umschlagenden Gleichgewichts noch zu unterscheiden bleibt, ist ein wesentliches Stück des Sieges. Dieser Teil allein ist es, der auf die öffentliche Meinung außerhalb des Heeres wirkt, auf Volk und Regierung in beiden kriegführenden Staaten und in allen beteiligten anderen.
Das Aufgeben der Absicht ist nicht gerade identisch mit dem Abzug vom Schlachtfeld, selbst da, wo der Kampf hartnäckig und anhaltend geführt worden ist. Niemand wird von Vorposten, die sich nach einem hartnäckigen Widerstande zurückziehen, sagen, sie hätten ihre Absicht aufgegeben. Selbst in Gefechten, die die Vernichtung der feindlichen Streitkraft zur Absicht haben, kann der Abzug vom Schlachtfelde nicht immer als ein Aufgeben der Absicht angesehen werden, z. B. bei vorher beabsichtigten Rückzügen, bei denen das Land Fuß für Fuß streitig gemacht wird. In den meisten Fällen ist das Aufgeben der Absicht von dem Abzuge vom Schlachtfelde schwer zu unterscheiden, und der Eindruck, den jenes in und außer dem Heere hervorbringt, ist nicht geringzuschätzen.
Für Feldherren und Heere, die keinen ausgemachten Ruf haben, ist dies eine eigene, schwierige Seite mancher sonst in den Umständen begründeten Verfahrungsarten, wo eine Reihe mit Rückzug endigender Gefechte als eine Reihe von Niederlagen erscheinen kann, ohne es zu sein, und wo dieses Erscheinen von sehr nachteiligem Einfluß werden kann. Es ist dem Ausweichenden in diesem Falle nicht möglich, durch die Darlegung seiner eigentlichen Absicht dem moralischen Eindruck überall vorzubeugen, denn um das mit Wirksamkeit zu tun, müßte er seinen Plan vollständig bekanntmachen, was, wie sich versteht, seinem Hauptinteresse zu sehr entgegenliefe.
Die Dauer eines Gefechts ist gewissermaßen als ein zweiter, untergeordneter Erfolg zu betrachten. Dem Sieger kann ein Gefecht niemals schnell genug entschieden sein, dem Besiegten niemals lange genug dauern. Der schnelle Sieg ist eine höhere Potenz des Sieges, die späte Entscheidung bei der Niederlage ein Ersatz für den Verlust.
Kein Gefecht entscheidet sich in einem einzelnen Moment, obwohl es in jedem Gefechte Momente von großer Wichtigkeit gibt, die die Entscheidung hauptsächlich bewirken. Der Verlust eines Gefechts ist ein stufenweises Niedersinken der Wage. Es gibt aber bei jedem Gefecht einen Zeitpunkt, wo man es als entschieden ansehen kann, so daß der Wiederanfang ein neues Gefecht und nicht die Fortsetzung des alten wäre. Über diesen Zeitpunkt eine klare Vorstellung zu haben, ist sehr wichtig, um sich entscheiden zu können, ob ein Gefecht von einer herbeieilenden Hilfe noch mit Nutzen wieder aufgenommen werden kann.
Oft werden in Gefechten, die nicht wiederherzustellen sind, neue Kräfte vergeblich geopfert. Oft wird versäumt, die Entscheidung zu wenden, wo dies noch füglich geschehen könnte.
Jedes Gefecht ist ein ganzes, in dem sich die Teilgefechte zu einem Gesamterfolge vereinigen. In diesem Gesamterfolg liegt die Entscheidung des Gefechts.
Je kleiner der Teil der Streitkraft ist, der wirklich gefochten, je größer der ist, der als Reserve durch sein bloßes Dasein mitentschieden hat, um so weniger kann uns eine neue Streitkraft des Gegners den Sieg wieder aus den Händen winden. Der Feldherr wie das Heer, die es am weitesten darin gebracht haben, das Gefecht mit der größten Ökonomie der Kräfte zu führen und überall die moralische Wirkung starker Reserven geltend zu machen, gehen den sichersten Weg zum Siege. Man muß den Franzosen, besonders wenn Bonaparte sie führte, eine große Meisterschaft darin einräumen.
Ferner wird der Augenblick, wo beim Sieger der Zustand der Gefechtskrisis aufhört und die alte Tüchtigkeit zurückkehrt, um so früher eintreten, je kleiner das Ganze ist. Eine Reiterfeldwache, die ihren Gegner spornstreichs verfolgt, wird in wenig Minuten wieder die alte Ordnung gewinnen, und länger dauert auch die Krisis nicht. Ein ganzes Regiment Reiterei braucht dazu schon mehr Zeit. Noch länger dauert es beim Fußvolk, wenn es sich in einzelne Schützenlinien aufgelöst hat, und wieder länger bei Abteilungen von allen Waffen, wenn ein Teil diese, der andre jene zufällige Richtung eingeschlagen und dies eine Störung der Ordnung veranlaßt hat, die gewöhnlich dadurch erst schlimmer wird, daß kein Teil recht weiß, wo der andre ist.
Wieder später tritt dieser Augenblick ein, wenn die Nacht den Sieger in der Krisis überrascht; und endlich tritt er später ein, wenn die Gegend durchschnitten und verdeckt ist.
Die Gefahr, sich auf zwei Seiten schlagen zu müssen, und die noch drohendere, keinen Rückzug zu behalten, lähmen die Bewegungen und die Kraft des Widerstandes und wirken auf die Alternative von Sieg und Niederlage; ferner steigern sie bei der Niederlage den Verlust und treiben ihn oft bis an die äußerste Grenze, d. h. bis zur Vernichtung. Der bedrohte Rücken macht also die Niederlage zugleich wahrscheinlicher und entscheidender.
Hieraus entsteht ein wahrer Instinkt für die ganze Kriegführung und besonders für die großen und kleinen Gefechte: nämlich die Sicherung des eigenen Rückens und die Gewinnung des feindlichen. Er folgt aus dem Begriff des Sieges, der, wie wir gesehen haben, noch etwas anderes als bloßes Totschlagen ist.
Die Wirkung einer Überraschung in Seite und Rücken ist immer gesteigert, und ein in der Krisis des Sieges Begriffener ist in seinem ausgereckten und zerstreuten Zustande weniger imstande, ihr entgegenzuwirken. Wer fühlt es nicht, daß ein Seiten- und Rückenanfall, der im Anfang des Gefechts, wo die Kraft gesammelt und für solche Fälle immer vorgesehen ist, wenig bedeuten würde, ein ganz anderes Gewicht im letzten Augenblick des Gefechtes bekommt.
In den meisten Fällen wird eine von der Seite oder im Rücken des Gegners herbeikommende Hilfe viel wirksamer sein, sich wie dasselbe Gewicht an einem längeren Hebelarm verhalten, so daß man also unter solchen Umständen die Herstellung eines Gefechts mit derselben Kraft unternehmen kann, die auf dem geraden Wege nicht zugereicht hätte. Hier, wo die Wirkungen fast jeder Berechnung ausweichen, weil die moralischen Kräfte ganz das Übergewicht gewinnen, ist das rechte Feld der Kühnheit und des Wagens.
Der alte, auch von Napoleon betonte Grundsatz, daß der Befehlshaber einer abgesonderten Kolonne immer seine Richtung dahin zu nehmen habe, wo heftiger Kanonendonner die Krise einer Entscheidung andeutet, kann nur für solche Fälle gelten, wo der Befehlshaber einer abgesonderten Kolonne durch die Umstände in eine zweifelhafte Lage gesetzt worden ist, in der sich die frühere Klarheit und Bestimmtheit seiner Aufgabe in die Ungewißheit und die Widersprüche der Entscheidung verliert, die in der Wirklichkeit des Krieges so häufig sind. Anstatt untätig stehenzubleiben oder ohne bestimmten Zweck umherzuirren, wird ein solcher Befehlshaber freilich besser tun, seinem Nachbar zu Hilfe zu eilen, wenn ein heftiges Feuer dessen Not andeutet.
Die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte ist das Hauptprinzip der Kriegführung und für die ganze Seite des positiven Handelns der Hauptweg zum Ziel.
Diese Vernichtung der Streitkräfte findet hauptsächlich im Gefecht statt.
Nur große und allgemeine Gefechte geben große Erfolge.
Am größten werden die Erfolge, wenn sich die Gefechte in eine große Schlacht vereinigen.
Nur in einer Hauptschlacht regiert der Feldherr mit eigenen Händen.
Aus diesen Wahrheiten ergibt sich ein Doppelgesetz, dessen Teile sich gegenseitig tragen, nämlich, daß die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte hauptsächlich in großen Schlachten und ihren Erfolgen zu suchen ist, und daß der Hauptzweck großer Schlachten die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte sein muß.
Die Hauptschlacht ist als der konzentrierte Krieg, als der Schwerpunkt des ganzen Krieges oder Feldzuges anzusehen. Wie sich die Strahlen der Sonne im Brennpunkt des Hohlspiegels zu ihrem vollkommenen Bilde und zur höchsten Glut vereinigen, so vereinigen sich Kräfte und Umstände des Krieges in der Hauptschlacht zu einer zusammengedrängten höchsten Wirkung.
Nicht bloß der Begriff des Krieges führt uns dahin, eine große Entscheidung nur in einer großen Schlacht zu suchen, sondern auch die Erfahrung. Von jeher haben nur große Siege zu großen Erfolgen geführt, bei dem Angreifenden unbedingt, bei dem Verteidiger mehr oder weniger. Selbst Bonaparte würde das in seiner Art einzige Ulm nicht erlebt haben, wenn er das Blutvergießen gescheut hätte. Vielmehr ist es nur als eine Nachmahd der Siegesfälle seiner früheren Feldzüge anzusehen. Es sind nicht bloß die kühnen Feldherren, die verwegenen, die trotzigen, die ihr Werk mit dem großen Wagstück entscheidender Schlachten zu vollbringen gesucht haben, es sind die glücklichen insgesamt. Und von diesen können wir uns bei einer so umfassenden Frage die Antwort gefallen lassen.
Der Hauptschlacht im Kriege ist nichts an Wichtigkeit zu vergleichen, und die höchste Weisheit der Strategie offenbart sich in der Beschaffung der Mittel zu ihr, in ihrer geschickten Feststellung nach Ort, Zeit und Richtung der Kräfte und in der Ausnutzung ihres Erfolges.
Der Impuls zur Hauptschlacht, die freie sichere Bewegung zu ihr, muß von dem Gefühl eigener Kraft und dem klaren Bewußtsein der Notwendigkeit, mit anderen Worten: er muß von dem angeborenen Mut und von dem durch große Lebensverhältnisse geschärften Blick ausgehen.
Die Größe eines Sieges steigt nicht bloß in dem Maße, als die besiegten Streitkräfte an Umfang zunehmen, sondern in höheren Graden. Die moralischen Wirkungen, die der Ausgang eines großen Gefechts hat, sind größer beim Besiegten als beim Sieger; sie werden Veranlassung zu größeren Verlusten an physischen Kräften, die dann wieder auf die moralischen zurückwirken und so sich gegenseitig tragen und steigern. Auf diese moralische Wirkung muß man daher ein besonderes Gewicht legen. Sie findet in entgegengesetzter Richtung bei beiden Teilen statt. Wie sie die Kräfte des Besiegten untergräbt, so erhöht sie die Kräfte und die Tätigkeit des Siegers. Aber die Hauptwirkung liegt doch im Besiegten, denn hier wird sie die unmittelbare Ursache zu neuen Verlusten, und außerdem ist sie mit der Gefahr, den Anstrengungen und Mühseligkeiten, überhaupt mit allen erschwerenden Umständen, zwischen denen sich der Krieg bewegt, homogener Natur, tritt also mit ihnen in Bund und wächst durch ihren Beistand, während beim Sieger sich alle diese Dinge wie Gewichte an den höheren Schwung seines Mutes legen. Man findet also, daß der Besiegte sich viel tiefer unter die Linie des ursprünglichen Gleichgewichts hinuntersenkt, als der Sieger sich über sie erhebt.
Die Hauptschlacht ist um ihrer selbst willen da, um des Sieges willen, den sie geben soll und der in ihr mit der höchsten Anstrengung gesucht wird. Dies ist die Geistesspannung, nicht bloß des Feldherrn, sondern seines ganzen Heeres bis zum letzten Troßknecht hinab. Zu allen Zeiten und nach der Natur der Dinge waren Hauptschlachten niemals unvorbereitete, unerwartete, blinde Dienstverrichtungen, sondern ein großartiger Akt, der aus der Masse der gewöhnlichen Tätigkeiten teils von selbst, teils nach der Absicht der Führer hinreichend hervortritt.
Gewöhnlich kommen beide Teile mit sehr geschwächten körperlichen Kräften in die Schlacht, denn die Bewegungen, die unmittelbar vorhergehen, haben mindestens den Charakter dringender Umstände. Die Anstrengungen, die das Ausringen eines langen Kampfes kostet, vollenden die Erschöpfung. Dazu kommt, daß der siegende Teil nicht viel weniger durcheinandergekommen und aus seinen ursprünglichen Ordnungsfugen gewichen ist als der Besiegte und somit das Bedürfnis hat, sich zu ordnen und mit frischer Munition zu versehen. Alle diese Umstände versetzen den Sieger selbst in einen Zustand der Krisis. Es ist zwar ein Entreißen des Sieges nicht zu befürchten, aber nachteilige Gefechte bleiben doch möglich. Außerdem hängt sich nun das volle Gewicht des sinnlichen Menschen mit seinen Bedürfnissen und Schwächen an den Willen des Feldherrn. Alle die Tausende, die unter seinem Befehl stehen, haben das Bedürfnis nach Ruhe und Stärkung, haben das Verlangen, die Schranken der Gefahr und Arbeit vorderhand geschlossen zu sehen. Nur wenige, die man als Ausnahmen betrachten kann, sehen und fühlen über den gegenwärtigen Augenblick hinaus. Nur in diesen wenigen ist, nachdem das Notwendige vollbracht ist, noch so viel freies Spiel des Mutes, um noch an die Erfolge zu denken, die in solchem Augenblick als eine bloße Verschönerung des Sieges, als ein Luxus des Triumphes erscheinen. Alle jene Tausende aber haben ihre Stimme im Rate des Feldherrn, denn durch die ganze Stufenfolge der übereinandergestellten Führer haben diese Interessen des sinnlichen Menschen ihren sicheren Leiter bis ins Herz des Feldherrn. Dieser selbst ist mehr oder weniger durch geistige und körperliche Anstrengung in seiner inneren Tätigkeit geschwächt, und so geschieht es denn, daß meistens aus diesem rein menschlichen Grunde weniger geschieht, als geschehen könnte, und daß überhaupt, was geschieht, nur vom Ruhmdurst, der Energie und wohl auch der Härte des obersten Feldherrn abhängt.
Ist der große Sieg erfochten, so soll von keiner Rast, von keinem Atemholen, von keinem Besinnen, von keinem Feststellen usw. die Rede sein, sondern nur von der Verfolgung, von neuen Stößen, wo sie nötig sind, von der Einnahme der feindlichen Hauptstadt, vom Angriff auf die feindlichen Hilfsheere, oder was sonst als Stützpunkt des feindlichen Staates erscheint.
Führt uns der Strom des Sieges an feindlichen Festungen vorbei, so hängt es von unserer Stärke ab, ob sie belagert werden sollen oder nicht. Bei großer Überlegenheit wäre es ein Zeitverlust, sich ihrer nicht so früh als möglich zu bemächtigen. Sind wir aber des ferneren Erfolges an der Spitze nicht sicher, so müssen wir uns vor den Festungen mit so wenigem als möglich behelfen, und das schließt ihre gründliche Belagerung aus. Von dem Augenblick an, wo die Belagerung einer Festung uns zwingt, mit dem Vorschreiten des Angriffs innezuhalten, hat dieser in der Regel seinen Kulminationspunkt erreicht. Wir fordern also ein schnelles, rastloses Vordringen und Nachdringen der Hauptmacht. Wir haben es schon verworfen, daß sich dieses Vorschreiten auf dem Hauptpunkte nach dem Erfolg auf den Nebenpunkten richtet. Solange der Feldherr seinen Gegner noch nicht niedergeworfen hat, solange er glaubt, stark genug zu sein, um das Ziel zu gewinnen, so lange muß er es auch verfolgen. Er tut es vielleicht mit steigender Gefahr, aber auch mit steigender Größe des Erfolgs. Kommt ein Punkt, wo er es nicht wagt, weiterzugehen, wo er glaubt, für seinen Rücken sorgen, sich rechts und links ausbreiten zu müssen, – wohlan, so ist dies höchstwahrscheinlich sein Kulminationspunkt. Die Flugkraft ist dann zu Ende, und wenn der Gegner nicht niedergeworfen ist, wird es höchstwahrscheinlich nicht mehr geschehen.
Alles, was der Feldherr zur intensiven Ausbildung seines Angriffs durch Eroberung von Festungen, Pässen, Provinzen tut, ist zwar noch ein langsames Vorschreiten, aber nur ein relatives, kein absolutes mehr.
Jeder Zwischenraum von einem Erfolg zum andern gibt dem Feinde neue Aussichten. Die Wirkungen des früheren Erfolges haben auf den späteren einen sehr geringen Einfluß, oft keinen, oft einen negativen, weil sich der Feind erholt oder gar zu größerem Widerstand entflammt wird oder neue Hilfe von außen bekommt, während da, wo alles in einem Zuge geschieht, der gestrige Erfolg den heutigen mit sich fortreißt, der Brand sich am Brande entzündet.
Einer der wichtigsten und wirksamsten Grundsätze in der Strategie ist es: einen Erfolg, den man irgendwo erfochten hat, auf der Stelle so weit auszunutzen, als es die Umstände gestatten.
Die Energie, mit der das Verfolgen geschieht, bestimmt hauptsächlich den Wert des Sieges. Die Verfolgung ist ein zweiter Akt des Sieges, in vielen Fällen sogar wichtiger als der erste. Indem sich die Strategie hier der Taktik nähert, um von ihr das rollende Werk in Empfang zu nehmen, läßt sie den ersten Akt ihrer Autorität darin bestehen, diese Vervollständigung des Sieges zu fordern.
Das erste Verfolgen hat verschiedene natürliche Grade.
Der erste ist, wenn es mit bloßer Reiterei geschieht. Dann ist es im Grunde mehr ein Schrecken und Beobachten als ein wahrhaftes Drängen, weil der kleinste Bodenabschnitt gewöhnlich hinreicht, den Verfolgenden aufzuhalten. Soviel die Reiterei bei einer erschütterten und geschwächten Truppe gegen den einzelnen Haufen vermag, so ist sie doch gegen das Ganze immer nur die Hilfswaffe, weil der Abziehende seine frischen Reserven zur Deckung seines Rückzugs verwenden und so beim nächsten, unbedeutendsten Bodenabschnitt durch die Verbindung aller Waffen mit Erfolg widerstehen kann. Nur ein in wahrer Flucht und gänzlicher Auflösung befindliches Heer macht hier eine Ausnahme.
Der zweite Grad ist, wenn die Verfolgung durch eine starke Vorhut von allen Waffen geschieht, bei der sich natürlich der größte Teil der Reiterei befindet. Ein solches Verfolgen drängt den Gegner bis zur nächsten starken Stellung seiner Nachhut oder bis zur nächsten Aufstellung seines Heeres.
Der dritte und stärkste Grad ist, wenn das siegreiche Heer selbst im Vorgehen bleibt, soweit die Kräfte reichen. In diesem Fall wird der Geschlagene die meisten Aufstellungen, zu denen ihm die Gegend einige Gelegenheit bietet, auf die bloßen Anstalten eines Angriffs oder einer Umgehung wieder verlassen.
Aber auch bei diesem ersten Verfolgen bleibt die Wirksamkeit des Sieges in den seltensten Fällen stehen, und es fängt nun erst die eigentliche Bahn an, zu der der Sieg die Schnellkraft verliehen hat. Dabei kann man wieder drei Grade unterscheiden: ein bloßes Nachrücken, ein eigentliches Drängen und einen Parallelmarsch zum Abschneiden.
Der wirksamste Grad der (weiteren) Verfolgung ist der Parallelmarsch nach dem nächsten Ziel des feindlichen Rückzuges. Jedes geschlagene Heer wird hinter sich, näher oder entfernter, einen Punkt haben, dessen Erreichung ihm zunächst stark am Herzen liegt, sei es, daß sein fernerer Rückzug dadurch gefährdet werden kann, wie bei Straßenengen, oder daß es für den Punkt sehr wichtig ist, ihn vor dem Feinde zu erreichen, wie bei Hauptstädten, Magazinen usw., oder endlich, daß das Heer auf diesem Punkte neue Widerstandsfähigkeit gewinnen kann, wie bei festen Stellungen, Vereinigung mit anderen Korps usw.
Bei der absoluten Gestalt des Krieges, wo alles aus notwendigen Gründen geschieht, alles rasch ineinandergreift, kein, wenn ich so sagen darf, wesenloser neutraler Zwischenraum entsteht, gibt es wegen der vielfältigen Wechselwirkungen, die der Krieg in sich schließt, wegen des Zusammenhanges, in dem, streng genommen, die ganze Reihe der aufeinanderfolgenden Gefechte steht, wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat, über den hinaus das Gebiet der Verluste und Niederlagen beginnt – wegen aller dieser natürlichen Verhältnisse des Krieges, sage ich, gibt es nur einen Erfolg, nämlich den Enderfolg . Bis dahin ist nichts entschieden: nichts gewonnen, nichts verloren. Hier muß man sich beständig sagen: das Ende krönt das Werk.
Der Entschluß, das Gefecht aufzugeben, entspringt in der Hauptschlacht mehr als in irgendeinem andern Gefechte aus dem Verhältnis der übrigbleibenden frischen Reserven. Denn nur diese haben noch alle moralischen Kräfte, und die vom Zerstörungselement bereits ausgeglühten Schlacken zusammengeschossener und geworfener Bataillone können nicht auf gleiche Linie mit ihnen gestellt werden. Auch der verlorene Boden ist ein Maßstab verlorener moralischer Kräfte, wie wir anderswo gesagt haben. Er kommt wohl mit in Betracht, doch mehr als ein Zeichen eines erlittenen Verlustes denn als der Verlust selbst, und immer bleibt die Zahl der frischen Reserven das Hauptaugenmerk beider Feldherren.
Gewöhnlich nimmt eine Schlacht ihre Richtung schon von vornherein, wiewohl auf eine wenig merkliche Art. Oft ist sogar diese Richtung schon durch die Anordnungen, die für sie getroffen sind, auf eine sehr entschiedene Weise gegeben, und dann ist es Mangel an Einsicht desjenigen Feldherrn, der die Schlacht unter so schlimmen Bedingungen eröffnet, ohne sich ihrer bewußt zu werden. Allein wo dieser Fall auch nicht stattfindet, liegt es in der Natur der Dinge, daß der Verlauf der Schlachten mehr ein langsames Umschlagen des Gleichgewichts ist, das bald, aber, wie gesagt, anfangs nicht merklich, eintritt und dann mit jedem neuen Zeitmoment stärker und sichtlicher wird, als ein oszillierendes Hin- und Herschwanken, wie man sie sich, durch unwahre Schlachtenbeschreibungen verführt, gewöhnlich denkt.
In den meisten Fällen wird der Feldherr den Verlust des Gleichgewichts lange schon vor dem Abzug gewahr, und die Fälle, wo irgendeine Einzelheit unvermutet stark auf den Hergang des Ganzen einwirkt, haben ihr Dasein meistens nur in der Beschönigung, mit der jeder seine verlorene Schlacht erzählt.
Der besiegte Feldherr sieht den schlimmen Ausgang gewöhnlich schon eine geraume Zeit vorher, ehe er sich zum Aufgeben der Schlacht entschließt. Allerdings gibt es Fälle, wo eine Schlacht schon eine sehr entschiedene Richtung nach einer Seite genommen hatte und doch eine Entscheidung nach der anderen Seite hin bekommen hat, aber sie sind nicht die gewöhnlichen, sondern selten. Indes auf diese seltenen Fälle rechnet jeder Feldherr, gegen den sich das Glück erklärt, und er muß darauf rechnen, solange ihm irgendeine Möglichkeit der Wendung bleibt. Er hofft, durch stärkere Anstrengungen, durch eine Erhöhung der übrigbleibenden moralischen Kräfte, durch ein Sichselbstübertreffen oder auch durch einen glücklichen Zufall den Augenblick noch gewendet zu sehen, und treibt dies so weit, wie Mut und Einsicht es in ihm miteinander abmachen.
Das Verhältnis der übrig bleibenden frischen Reserven gibt meistens den Hauptgrund zur völligen Entscheidung ab. Der Feldherr, der seinen Gegner darin von entschiedener Überlegenheit sieht, entschließt sich zum Rückzug. Es ist gerade die Eigentümlichkeit der neueren Schlachten, daß alle Unglücksfälle und Verluste, die in ihrem Verlauf stattgehabt haben, durch frische Kräfte gutgemacht werden können, weil die neuere Art, wie die Truppen ins Gefecht geführt werden, ihren Gebrauch fast überall und in jeder Lage gestatten. Solange also der Feldherr, gegen den der Ausgang sich zu erklären scheint, noch eine Überlegenheit an Reserve hat, wird er die Sache nicht aufgeben. Aber von dem Zeitpunkt an, wo seine Reserven anfangen schwächer zu werden als die feindlichen, ist die Entscheidung als gegeben zu betrachten, und was er nun noch tut, hängt teils von besonderen Umständen, teils von dem Grade des Mutes und der Ausdauer ab, die ihm gegeben sind und die auch wohl in unweisen Starrsinn ausarten können.
Wenn auf der einen Seite der gebieterische Stolz eines siegreichen Eroberers, wenn der unbeugsame Wille eines angeborenen Starrsinns, wenn das krampfhafte Widerstreben einer edlen Begeisterung nicht vom Schlachtfelde weichen wollen, wo sie ihre Ehre zurücklassen sollen, – so rät auf der anderen Seite die Einsicht, nicht alles auszugeben, nicht das Letzte aufs Spiel zu setzen, sondern so viel übrig zu behalten, als zu einem geordneten Rückzuge nötig ist.
Wie hoch auch der Wert des Mutes und der Standhaftigkeit im Kriege angeschlagen werden muß und wie wenig Aussicht der auf den Sieg hat, der sich nicht entschließen kann, ihn mit der ganzen Kraftanstrengung zu suchen, so gibt es doch einen Punkt, über den hinaus das Verharren nur eine verzweiflungsvolle Torheit genannt werden kann.
Ein in Feindesland Zurückgehender bedarf in der Regel einer vorbereiteten Straße. Einer, der unter sehr schlimmen Verhältnissen zurückgeht, bedarf ihrer doppelt. Einer, der in Rußland 120 Meilen weit zurück will, braucht sie dreifach. Unter vorbereiteter Straße verstehen wir eine, die von seinen Etappentruppen besetzt war und auf der er Magazine findet.
In der verlorenen Schlacht ist die Macht des Heeres gebrochen worden, noch mehr die moralische als die physische. Eine zweite, ohne daß neue vorteilhafte Umstände ins Spiel kommen, würde zur gänzlichen Niederlage, vielleicht zum Untergange führen. Das ist ein militärisches Axiom. Nach der Natur der Sache geht der Rückzug bis zu dem Punkt, wo sich das Gleichgewicht der Kräfte wiederhergestellt haben wird, sei es durch Verstärkung oder durch den Schutz bedeutender Festungen, oder durch große Abschnitte des Bodens oder durch die Ausdehnung der feindlichen Macht. Der Grad des Verlustes, die Größe der Niederlage wird diesen Moment des Gleichgewichtes nähern oder entfernen, noch mehr aber der Charakter des Gegners. Wie viele Beispiele gibt es nicht, daß das geschlagene Heer sich in einer geringen Entfernung wieder aufgestellt hat, ohne daß seine Verhältnisse seit der Schlacht sich im mindesten verändert hätten. Der Grund davon liegt entweder in der moralischen Schwäche des Gegners oder darin, daß das in der Schlacht gewonnene Übergewicht nicht groß genug ist, um zu einem nachdrücklichen Stoße zu führen.
Das erste, was sich der Einbildungskraft – und man kann auch wohl sagen: des Verstandes – in einer unglücklichen Schlacht bemächtigt, ist das Zusammenschmelzen der Massen, dann der Verlust des Bodens, der mehr oder weniger immer, und also auch beim Angreifenden, eintritt, wenn er nicht glücklich ist. Dann die zerstörte ursprüngliche Ordnung, das Durcheinandergeraten der Teile, die Gefahren des Rückzugs, die mit wenig Ausnahmen immer, bald schwächer, bald stärker, eintreten. Nun der Rückzug, der meist in der Nacht angetreten oder wenigstens die Nacht hindurch fortgesetzt wird. Gleich bei diesem ersten Marsch müssen wir eine Menge von Ermatteten und Verstreuten zurücklassen, oft gerade die Bravsten, die sich am weitesten vorgewagt, die am längsten ausgeharrt haben. Das Gefühl, besiegt zu sein, das auf dem Schlachtfelde nur die höheren Offiziere ergriff, geht nun auf alle Klassen bis zum Gemeinen über, verstärkt durch den abscheulichen Eindruck, so viel brave Gefährten, die gerade in der Schlacht uns erst recht wert geworden sind, in Feindeshänden zurücklassen zu müssen, und verstärkt durch das erwachende Mißtrauen gegen die Führung, der mehr oder weniger jeder Untergebene die Schuld seiner vergeblich gemachten Anstrengung beimißt. Und dieses Gefühl, besiegt zu sein, ist keine bloße Einbildung, über die man Herr werden könnte. Es ist die offenkundige Wahrheit, daß der Gegner uns überlegen ist, eine Wahrheit, die in den Ursachen so versteckt sein konnte, daß sie vorher nicht zu ersehen war, die aber beim Ausgang immer klar und bündig hervortritt, die man auch vielleicht vorher erkannt hat, der man aber in Ermangelung von etwas Handgreiflicherem Hoffnung auf den Zufall, Vertrauen auf Glück und Vorsehung, mutiges Wagen entgegenstellen mußte. Nun hat sich dies alles als unzulänglich erwiesen, und die ernste Wahrheit tritt uns streng und gebieterisch entgegen.
Wer auf dem allgemeinen Rückzuge nach verlorener Schlacht glaubt, durch einige schnelle Märsche einen Vorsprung zu gewinnen und leichter einen festen Stand zu bekommen, begeht einen großen Irrtum. Die ersten Bewegungen müssen so klein als möglich, und im allgemeinen muß es Grundsatz sein, sich nicht das Gesetz des Feindes aufdringen zu lassen. Diesen Grundsatz kann man nicht befolgen ohne blutige Gefechte mit dem nachdringenden Feind, aber der Grundsatz ist dieses Opfers wert. Ohne ihn kommt man in eine beschleunigte Bewegung, die bald ein Stürzen wird und dann an bloßen Nachzüglern mehr Menschen kostet, als die Schlachten der Nachhut gekostet hätten, außerdem aber die letzten Überreste des Mutes vernichtet.
Eine starke Nachhut, von den besten Truppen gebildet, vom tapfersten General geführt und in den wichtigsten Augenblicken von der ganzen Armee unterstützt, eine sorgfältige Benutzung der Gegend, starke Hinterhalte, sooft die Kühnheit der feindlichen Vorhut und die Gegend Gelegenheit dazu geben, kurz die Einleitung und der Plan zu förmlichen kleinen Schlachten: das sind die Mittel zur Befolgung jenes Grundsatzes.
Die Schwierigkeiten des Rückzuges sind natürlich größer oder kleiner, je nachdem die Schlacht unter mehr oder weniger günstigen Verhältnissen gefochten, und je nachdem sie mehr oder weniger ausgehalten worden ist. Wie man aus allem ordnungsmäßigen Rückzuge kommen kann, wenn man sich gegen einen überlegenen Gegner bis auf den letzten Mann wehrt, zeigen die Schlachten von Jena und Belle-Alliance.
Um die Schwächen oder Fehler des Gegners zu benutzen, nicht einen Zollbreit weiter zurückzugehen, als die Gewalt der Umstände erfordert, hauptsächlich aber, um das Verhältnis der moralischen Kräfte auf einem so vorteilhaften Punkt als möglich zu erhalten, ist ein langsamer, immer widerstrebender Rückzug, ein kühnes, mutiges Entgegentreten, sooft der Verfolgende seine Vorteile im Übermaß benutzen will, durchaus nötig. Die Rückzüge großer Feldherren und kriegsgeübter Heere gleichen stets dem Abgehen eines verwundeten Löwen, und dies ist unstreitig auch die beste Theorie.
Was ist der Begriff der Verteidigung? Das Abwehren eines Stoßes. Was ist also ihr Merkmal? Das Abwarten dieses Stoßes. Dieses Merkmal macht jedesmal die Handlung zu einer verteidigenden, und durch dieses Merkmal allein kann im Kriege die Verteidigung vom Angriff unterschieden werden. Da aber eine absolute Verteidigung dem Begriff des Krieges völlig widerspricht, weil bei ihr nur der eine Teil Krieg führen würde, so kann auch im Kriege die Verteidigung nur relativ sein, und jenes Merkmal muß also nur auf den Gesamtbegriff angewendet, nicht auf alle Teile von ihm ausgedehnt werden. Ein einzelnes Gefecht ist verteidigend, wenn wir den Anlauf, den Sturm des Feindes abwarten. Eine Schlacht, wenn wir den Angriff, d. h. das Erscheinen vor unserer Stellung, in unserem Feuer, abwarten. Ein Feldzug, wenn wir das Betreten unseres Kriegstheaters abwarten. In allen diesen Fällen kommt dem Gesamtbegriff das Merkmal des Abwartens und Abwehrens zu, ohne daß daraus ein Widerspruch mit dem Begriff des Krieges folgt, denn wir können unsern Vorteil darin finden, den Anlauf gegen unsere Bajonette, den Angriff auf unsere Stellung und auf unser Kriegstheater abzuwarten. Da man aber, um wirklich auch seinerseits Krieg zu führen, dem Feinde seine Stöße zurückgeben muß, so geschieht dieser Akt des Angriffs im Verteidigungskriege gewissermaßen unter dem Haupttitel der Verteidigung; d. h. die Offensive, deren wir uns bedienen, fällt innerhalb der Begriffe von Stellung oder Kriegstheater. Man kann also in einem verteidigenden Feldzuge angriffsweise schlagen, in einer verteidigenden Schlacht angriffsweise seine einzelnen Korps und Divisionen gebrauchen, endlich in einer einfachen Stellung gegen den feindlichen Sturm schickt man ihm sogar noch die offensiven Kugeln entgegen. Die verteidigende Form des Kriegführens ist also kein unmittelbarer Schild, sondern ein Schild, gebildet durch geschickte Streiche.
Was ist der Zweck der Verteidigung? Erhalten. Erhalten ist leichter als gewinnen. Schon daraus folgt, daß die Verteidigung bei vorausgesetzt gleichen Mitteln leichter ist als der Angriff. Worin liegt aber die größere Leichtigkeit des Erhaltens oder Bewahrens? Darin, daß alle Zeit, die unbenutzt verstreicht, in die Wagschale des Verteidigers fällt. Er erntet, wo er nicht gesät hat. Jedes Unterlassen des Angriffs aus falscher Ansicht, aus Furcht, aus Trägheit, kommt dem Verteidiger zugute. Dieser Vorteil hat den Preußischen Staat im Siebenjährigen Kriege mehr als einmal vom Untergang gerettet.
Dieser sich aus Begriff und Zweck ergebende Vorteil der Verteidigung liegt in der Natur aller Verteidigung. Beati sunt possidentes. Ein anderer, der aus der Natur des Krieges hinzukommt, ist der Beistand der örtlichen Lage, den die Verteidigung vorzugsweise genießt.
Die Verteidigung hat einen negativen Zweck: das Erhalten; der Angriff einen positiven: das Erobern. Und da dieses die eigenen Kriegsmittel vermehrt, das Erhalten aber nicht, so muß man sagen: die verteidigende Form des Kriegführens ist an sich stärker als die angreifende.
Ist die Verteidigung eine stärkere Form des Kriegführens, die aber einen negativen Zweck hat, so folgt von selbst, daß man sich ihrer nur so lange bedienen muß, als man ihrer der Schwäche wegen bedarf, und sie verlassen muß, sobald man stark genug ist, sich den positiven Zweck vorzusetzen. Da man nun, indem man unter ihrem Beistand Sieger wird, gewöhnlich ein günstigeres Verhältnis der Kräfte herbeiführt, so ist auch der natürliche Gang im Kriege, mit der Verteidigung anzufangen und mit der Offensive zu enden. Es ist also ebensogut im Widerspruch mit dem Begriff des Krieges, den letzten Zweck die Verteidigung sein zu lassen, als es Widerspruch war, die Passivität der Verteidigung nicht bloß vom Ganzen, sondern von allen seinen Teilen zu verstehen. Mit andern Worten: ein Krieg, bei dem man seine Siege bloß zum Abwehren benutzen und gar nicht widerstoßen wollte, wäre ebenso widersinnig wie eine Schlacht, in der die absoluteste Verteidigung (Passivität) in allen Maßregeln herrschen sollte.
Wie der Vorteil der Gegend zum Siege beiträgt, ist an sich verständlich genug, und es ist nur das eine zu bemerken, daß hier nicht bloß von den Hindernissen die Rede ist, die dem Angreifenden bei seinem Vorrücken aufstoßen, wie: steile Gründe, hohe Berge, sumpfige Bäche, Hecken usw., sondern daß es auch ein Vorteil der Gegend ist, wenn sie Gelegenheit gibt, uns verdeckt darin aufzustellen. Selbst von einer ganz gleichgültigen Gegend kann man sagen, daß der ihren Beistand genießt, der sie kennt.
Der Verteidiger hat den Vorteil der Gegend, der Angreifende den des Überfalls in der Strategie wie in der Taktik. Vom Überfall ist aber zu bemerken, daß er in der Strategie ein unendlich wirksameres und wichtigeres Mittel ist als in der Taktik. In dieser wird man einen Überfall selten bis zum großen Sieg ausdehnen können, wogegen ein Überfall in der Strategie nicht selten den ganzen Krieg mit einem Streich geendigt hat. Dagegen ist zu bemerken, daß der Gebrauch dieses Mittels große, entschiedene, seltene Fehler beim Gegner voraussetzt, es daher in die Wagschale des Angriffs kein sehr großes Gewicht legen kann.
Hat die Verteidigung einmal das Prinzip der Bewegung in sich aufgenommen (einer Bewegung, die zwar später anfängt als die des Angreifenden, aber immer zeitig genug, um die Fesseln der erstarrenden Passivität zu lösen), so wird der Vorteil der größeren Vereinigung und der inneren Linien ein sehr entscheidender und meistens wirksamerer zum Siege, als die konzentrische Figur des Angriffs. Sieg aber muß dem Erfolg vorhergehen. Erst muß man überwinden, ehe man an das Abschneiden denken kann. Kurz, man sieht: es besteht hier ein ähnliches Verhältnis, wie das zwischen Angriff und Verteidigung überhaupt. Die konzentrische Form führt zu glänzenden Erfolgen, die exzentrische gewährt die ihrigen sicherer; jenes ist die schwächere Form mit dem positiveren, dieses die stärkere Form mit dem negativen Zweck. Dadurch, scheint uns, sind diese beiden Formen schon in ein gewisses schwebendes Gleichgewicht gebracht. Fügt man nun hinzu, daß sich die Verteidigung, weil sie nicht überall eine absolute ist, auch nicht immer in der Unmöglichkeit befindet, sich der konzentrischen Kräfte zu bedienen, so wird man mindestens kein Recht mehr haben, zu glauben, daß diese Wirkungsart allein hinreichend sei, dem Angriff ein ganz allgemeines Übergewicht über die Verteidigung zu gewähren, und so wird man sich von dem Einflusse befreien, den diese Vorstellungsart bei jeder Gelegenheit auf das Urteil auszuüben pflegt.
Der Vorteil der inneren Linien wächst mit den Räumen, auf die sich diese Linien beziehen. Bei Entfernungen von einigen tausend Schritten oder einer halben Meile kann natürlich die Zeit, die man gewinnt, nicht so groß sein, wie bei Entfernungen von mehreren Tagesmärschen oder gar von zwanzig bis dreißig Meilen; die ersteren, nämlich die kleinen Räume, gehören der Taktik an, die größeren der Strategie. Wenn man nun freilich in der Strategie auch mehr Zeit zur Erreichung des Zwecks braucht als in der Taktik, und eine Armee nicht so schnell überwunden ist wie ein Bataillon, so nehmen doch diese Zeiten in der Strategie auch nur bis zu einem gewissen Punkt zu, nämlich bis zur Dauer einer Schlacht, und allenfalls der paar Tage, um die sich eine Schlacht ohne entscheidende Opfer vermeiden läßt. Ferner findet ein noch viel größerer Unterschied in dem eigentlichen Vorsprung statt, den man in dem einen und dem andern Fall gewinnt. Bei den kleinen Entfernungen in der Taktik: in der Schlacht, geschehen die Bewegungen des einen fast unter den Augen des andern; der auf der äußeren Linie Stehende wird also die seines Gegners meistens schnell gewahr. Bei den größeren Entfernungen der Strategie geschieht es wohl höchst selten, daß eine Bewegung des einen nicht wenigstens einen Tag dem andern verborgen bleibt, und es gibt Fälle genug, in denen, besonders wenn die Bewegung nur einen Teil betraf und in einer beträchtlichen Entsendung bestand, dies wochenlang verborgen geblieben ist. Wie groß der Vorteil des Verbergens für denjenigen ist, der durch die Natur seiner Lage am meisten imstande ist, davon Gebrauch zu machen, läßt sich leicht einsehen.
Ein schneller, kräftiger Übergang zum Angriff – das blitzende Vergeltungsschwert – ist der glänzendste Punkt der Verteidigung. Wer sich ihn nicht gleich hinzudenkt, oder vielmehr, wer ihn nicht gleich in den Begriff der Verteidigung aufnimmt, dem wird nimmermehr die Überlegenheit der Verteidigung einleuchten; er wird immer nur an die Mittel denken, die man durch den Angriff dem Feinde zerstört und sich erwirbt, welche Mittel aber nicht von der Weise abhängen, den Knoten zu schürzen, sondern ihn aufzulösen. Ferner ist es eine grobe Verwechselung, wenn man unter Angriff immer einen Überfall versteht und sich folglich unter Verteidigung nichts als Not und Verwirrung denkt.
Freilich faßt der Eroberer seinen Entschluß zum Kriege früher als der harmlose Verteidiger, und wenn er seine Maßregeln gehörig geheimzuhalten weiß, wird er diesen wohl auch überraschen können. Aber das ist etwas dem Kriege Fremdes. Der Krieg ist mehr für den Verteidiger als für den Eroberer da, denn der Einbruch hat erst die Verteidigung hervorgerufen und mit ihr den Krieg. Der Eroberer ist immer friedliebend, wie Bonaparte auch stets von sich behauptet hat. Er zöge ganz gern ruhig in unsern Staat ein. Damit er dies aber nicht könne, darum müssen wir den Krieg wollen, und also auch vorbereiten, d. h. mit andern Worten: es sollen gerade die Schwachen, der Verteidigung Unterworfenen immer gerüstet sein, um nicht überfallen zu werden. So will es die Kriegskunst.
Das frühere Erscheinen auf dem Kriegstheater hängt in den meisten Fällen von ganz andern Dingen ab, als von der Angriffs- oder Verteidigungsabsicht. Diese sind also nicht die Ursache, aber oft die Folge davon. Wer früher fertig wird, geht, wenn der Vorteil des Überfalls groß genug ist, aus diesem Grunde angriffsweise zu Werke, und der, welcher später fertig wird, kann den Nachteil, der ihn bedroht, allein durch die Vorteile der Verteidigung noch einigermaßen ausgleichen.
Indessen muß es im allgemeinen als ein Vorteil des Angriffs angesehen werden, von der früheren Bereitschaft diesen schönen Gebrauch machen zu können; nur ist dieser allgemeine Vorteil keine unabtrennbare Notwendigkeit für jeden einzelnen Fall.
Wie kein Verteidigungsfeldzug aus bloßen Verteidigungselementen zusammengesetzt ist, so besteht auch kein Angriffsfeldzug aus lauter Angriffselementen, weil außer den kurzen Zwischenperioden eines jeden Feldzugs, in denen sich beide Heere in der Verteidigung befinden, jeder Angriff, der nicht bis zum Frieden reicht, notwendig mit einer Verteidigung enden muß.
Auf diese Weise ist es die Verteidigung selbst, die zur Schwächung des Angriffs beiträgt. Dies ist so wenig eine müßige Spitzfindigkeit, daß wir es vielmehr als den hauptsächlichsten Nachteil des Angriffs betrachten, dadurch später in eine ganz unvorteilhafte Verteidigung versetzt zu werden.
Und hiermit ist denn erklärt, wie der Unterschied, der in der Stärke der offensiven und defensiven Kriegsform ursprünglich besteht, nach und nach geringer wird.
Der Zweck des Angriffs ist: in den Besitz unseres Kriegstheaters oder wenigstens eines bedeutenden Teils davon zu gelangen, denn unter dem Begriff des Ganzen muß wenigstens die größere Masse desselben verstanden werden, da der Besitz eines Landstrichs von wenigen Meilen in der Strategie in der Regel keine selbständige Wichtigkeit hat. Solange also der Angreifende in diesem Besitz noch nicht ist, d. h. solange er, weil er sich vor unserer Macht fürchtet, entweder noch gar nicht zum Angriff des Kriegstheaters vorgeschritten ist, oder uns in unserer Stellung noch nicht aufgesucht hat, oder der Schlacht, die wir ihm liefern wollten, ausgewichen ist, so lange ist der Zweck der Verteidigung erfüllt, und die Wirkungen der Verteidigungsmaßregeln sind also erfolgreich gewesen. Aber freilich ist dieser Erfolg ein bloß negativer, der zu einem eigentlichen Rückstoß zwar nicht unmittelbar die Kräfte geben kann. Er kann sie aber mittelbar geben, d. h. er ist auf dem Wege dazu, denn die Zeit, die verstreicht, verliert der Angreifende, und jeder Zeitverlust ist ein Nachteil und muß auf irgendeine Art den schwächen, der ihn erleidet.
Selten, oder wenigstens nicht immer, schreibt sich der Feldherr genau vor, was er erobern will, sondern er läßt es von den Ereignissen abhängen. Sein Angriff führt ihn oft weiter, als er gedacht hat.
Wir haben gesehen, daß die Verteidigung im Kriege überhaupt, also auch die strategische, kein absolutes Abwarten und Abwehren, also kein vollkommenes Leiden ist, sondern ein relatives, folglich von mehr oder weniger offensiven Prinzipien durchdrungen. Ebenso ist der Angriff kein homogenes Ganze, sondern mit der Verteidigung unaufhörlich vermischt. Zwischen beiden findet aber der Unterschied statt, daß die Verteidigung ohne offensiven Rückstoß gar nicht gedacht werden kann, daß dieser ein notwendiger Bestandteil der Verteidigung ist, während beim Angriff der Stoß oder Akt an sich ein vollständiger Begriff ist. Die Verteidigung ist ihm an sich nicht nötig, aber Zeit und Raum, an die er gebunden ist, führen ihm die Verteidigung als ein notwendiges Übel zu. Denn erstens kann er nicht in einer stetigen Folge bis zur Vollendung fortgeführt werden, sondern erfordert Ruhepunkte, und in dieser Zeit der Ruhe, wo er selbst neutralisiert ist, tritt der Zustand der Verteidigung von selbst ein. Zweitens ist der Raum, den die vorschreitende Streitkraft hinter sich läßt und den sie zu ihrem Bestehen notwendig braucht, nicht immer durch den Angriff an sich gedeckt, sondern muß besonders geschützt werden.
Es ist also der Akt des Angriffs im Kriege, vorzugsweise aber in der Strategie, ein beständiges Wechseln und Verbinden von Angriff und Verteidigung, wobei aber letztere nicht als eine wirksame Vorbereitung zum Angriffe, nicht als eine Steigerung desselben anzusehen ist, also nicht als ein tätiges Prinzip, sondern als ein bloßes notwendiges Übel, als das retardierende Gewicht, das die bloße Schwere der Masse hervorbringt. Sie ist seine Erbsünde, sein Todesprinzip. Wir sagen: ein retardierendes Gewicht, weil, wenn die Verteidigung nichts zur Verstärkung des Angriffs beiträgt, sie schon durch den bloßen Zeitverlust, den sie darstellt, seine Wirkung vermindern muß.
Jeder Angriff muß mit einem Verteidigen enden. Wie dies beschaffen sein wird, hängt von Umständen ab. Sie können sehr günstig sein, wenn die feindlichen Streitkräfte zerstört sind, aber auch sehr schwierig, wenn dies nicht der Fall ist. Bei jedem Angriffe muß daher auf die ihm notwendig anhängende Verteidigung Rücksicht genommen werden, um sich auf die Nachteile, denen er unterworfen ist, gefaßt zu machen.
Wo der Sieg gesucht wird, darf der offensive Teil in der Verteidigungsschlacht niemals fehlen, und von diesem offensiven Teile aus können alle Wirkungen eines entscheidenden Sieges hervorgehen, so gut wie aus einer reinen Offensivschlacht, so daß für die strategische Kombination im Grunde zwischen Angriffs- und Verteidigungsschlacht gar kein Unterschied besteht.
Was wir von der Defensivschlacht gesagt haben, wirft schon ein großes Licht auf die Offensivschlacht.
Wir haben dort die Schlacht im Auge gehabt, in der die Verteidigung am stärksten ausgesprochen ist, um ihr Wesen fühlbar zu machen. Die wenigsten Schlachten sind aber von dieser Art; die meisten sind halbe Renkontres, in denen der Defensivcharakter sehr verloren geht. Anders verhält es sich mit der Offensivschlacht. Sie behält ihren Charakter unter allen Umständen. Die Haupteigentümlichkeit der Offensivschlacht ist das Umfassen oder Umgehen.
Das Gefecht mit umfassenden Linien gewährt an sich ganz offenbar große Vorteile. Es ist indes ein Gegenstand der Taktik. Diese Vorteile kann der Angriff nicht aufgeben, weil die Verteidigung ein Mittel dagegen hat. Denn dieses Mittel kann er selbst nicht anwenden, insofern es mit den übrigen Verhältnissen der Verteidigung zu eng zusammenhängt. Um den umfassenden Feind mit Erfolg wieder umfassen zu können, muß man sich in einer ausgesuchten und wohleingerichteten Stellung befinden. Aber was viel wichtiger ist, nicht alle Vorteile, die die Verteidigung darbietet, kommen wirklich zur Anwendung. Die meisten Verteidigungen sind dürftige Notbehelfe; die Mehrzahl der Verteidiger befindet sich in einer sehr bedrängten und bedrohten Lage, in der sie, das Schlimmste erwartend, dem Angriff auf halbem Wege entgegenkommen. Die Folge davon ist, daß Schlachten mit umfassenden Linien oder gar mit verwandter Front, die eigentlich die Folge eines vorteilhaften Verhältnisses der Verbindungslinien sein sollten, gewöhnlich die Folge der moralischen und physischen Überlegenheit sind.
So wie in der Verteidigungsschlacht der Feldherr das Bedürfnis hat, die Entscheidung möglichst lange hinzuhalten und Zeit zu gewinnen, weil eine unentschiedene Verteidigungsschlacht gewöhnlich eine gewonnene ist, so hat der Feldherr in der Angriffsschlacht das Bedürfnis, die Entscheidung zu beschleunigen; aber andrerseits ist mit der Übereilung große Gefahr verbunden, weil sie zur Verschwendung der Kräfte führt.
Eine Eigentümlichkeit der Angriffsschlacht ist in den meisten Fällen die Ungewißheit über die Lage des Gegners. Sie ist ein wirkliches Hineintappen in unbekannte Verhältnisse. Je mehr sie das ist, um so mehr ist Vereinigung der Kräfte geboten; um so mehr ist Umgehen dem Umfassen vorzuziehen.
Daß die Hauptfrüchte des Sieges erst im Verfolgen errungen werden, ist an anderer Stelle hervorgehoben. Der Natur der Sache nach ist bei der Offensivschlacht die Verfolgung in höherem Maße ein unerläßlicher Teil der ganzen Handlung als in der Verteidigungsschlacht.
Ein Stillstand im kriegerischen Akt ist streng genommen ein Widerspruch mit der Natur der Sache, weil beide Heere wie zwei feindliche Elemente einander unausgesetzt vertilgen müssen, so wie Feuer und Wasser sich nie ins Gleichgewicht setzen, sondern so lange aufeinander einwirken, bis eines ganz verschwunden ist. Was würde man von zwei Ringern sagen, die sich stundenlang umfaßt halten, ohne eine Bewegung zu machen? Der kriegerische Akt sollte also wie ein aufgezogenes Uhrwerk in stetiger Bewegung ablaufen. Aber so wild die Natur des Krieges ist, so liegt sie doch an der Kette der menschlichen Schwächen.
Richten wir einen Blick auf die Kriegsgeschichte, so finden wir so sehr das Gegenteil von einem unaufhaltsamen Fortschreiten zum Ziel, daß ganz offenbar Stillstehen und Nichtstun der Grundzustand der Heere mitten im Kriege ist und das Handeln die Ausnahme. Es sind dabei drei Ursachen zu bemerken.
Die erste, die einen beständigen Hang zum Aufenthalt hervorbringt und dadurch ein retardierendes Prinzip wird, ist die natürliche Furchtsamkeit und Unentschlossenheit des menschlichen Geistes, eine Art von Schwere in der seelischen Welt.
Im Flammenelement des Krieges müssen die gewöhnlichen Naturen schwerer erscheinen. Die Anstöße müssen also stärker und wiederholter sein, wenn die Bewegung eine dauernde werden soll. Wenn nicht ein kriegerischer, unternehmender Geist an der Spitze steht, der sich im Kriege wie der Fisch im Wasser in seinem rechten Element befindet, oder wenn nicht große Verantwortlichkeit von oben drückt: wird Stillstand zur Tagesordnung und das Vorschreiten zu den Ausnahmen gehören.
Die zweite Ursache ist die Unvollkommenheit menschlicher Einsicht und Beurteilung, die im Kriege größer ist als irgendwo, weil man kaum die eigene Lage in jedem Augenblick genau kennt, die des Gegners aber, weil sie verschleiert ist, aus wenigem erraten muß. Dies bringt denn oft den Fall hervor, daß beide Teile auch da einen und denselben Gegenstand für ihren Vorteil ansehen, wo das Interesse des einen überwiegend ist.
Die dritte Ursache, die wie ein Sperrad in das Uhrwerk eingreift und von Zeit zu Zeit gänzlichen Stillstand hervorbringt, ist die größere Stärke der Verteidigung. Es kann vorkommen, daß beide Teile zugleich zum Angriff sich nicht bloß zu schwach fühlen, sondern es wirklich sind.
Jeder Angreifende, der an seinem Gegner vorbeigehen will, ist in zwei ganz entgegengesetzte Bestrebungen verwickelt. Ursprünglich will er vorwärts, um den Gegenstand des Angriffs zu erreichen. Die Möglichkeit aber, jeden Augenblick von der Seite angefallen zu werden, erzeugt das Bedürfnis, nach dieser Seite hin in jedem Augenblick einen Stoß, und zwar einen Stoß mit vereinter Macht, zu richten. Diese beiden Bestrebungen widersprechen sich und erzeugen eine solche Verwickelung der inneren Verhältnisse, eine solche Schwierigkeit der Maßregeln, wenn sie für alle Fälle passen sollen, daß es strategisch kaum eine schlimmere Lage geben kann. Wüßte der Angreifende mit Gewißheit den Augenblick, wo er angefallen werden wird, so könnte er mit Kunst und Geschick alles dazu vorbereiten, aber in der Ungewißheit darüber und bei der Notwendigkeit des Vorschreitens kann es kaum fehlen, daß, wenn die Schlacht erfolgt, sie ihn in höchst dürftig zusammengerafften und also gewiß nicht vorteilhaften Verhältnissen findet.
Eine strategische Umgehung mit der Absicht einer Gefechtsentscheidung hat, verglichen mit einem gewöhnlichen Angriff, den Charakter einer größeren Entscheidung, denn die Größe der Erfolge wird gesteigert, ihre Wahrscheinlichkeit aber vermindert. Eine solche Unternehmung ziemt also an sich dem Stärkeren, der durch seine Überzahl die Sicherheit des Erfolgs schon in einem gewissen Grade hat und dem es um einen recht großen Erfolg zu tun sein muß. Aber freilich kann man im Kriege niemals feststellen wollen, wie hoch der Feldherr seine eigene Kraft, d. h. sein Talent und sein Glück, in Anschlag bringen darf. Dies muß ihm schlechterdings überlassen bleiben: also der Grad der Kühnheit, womit er seinen Weg verfolgt. Die Theorie kann nur fordern, daß er die objektiven Verhältnisse alle kennt und richtig beurteilt, also nicht wagt, ohne es zu wissen.
Niemals wird man sehen, daß der Staat, der in der Sache eines andern auftritt, diese so ernsthaft nimmt wie seine eigene. Eine mäßige Hilfsarmee wird abgesandt. Ist sie nicht glücklich, so sieht man die Sache ziemlich als abgemacht an und sucht so wohlfeil als möglich herauszukommen.
Aber selbst dann, wenn zwei Staaten wirklich gegen einen dritten Krieg führen, so betrachten sie diesen doch nicht immer gleichmäßig als einen Feind, den sie vernichten müssen, damit er sie nicht vernichte, sondern die Angelegenheit wird oft wie ein Handelsgeschäft abgemacht; ein jeder legt nach Verhältnis der Gefahr, die er zu bestehen, und der Vorteile, die er zu erwarten hat, eine Aktie von soundsoviel hunderttausend Mann ein und tut, als könne er dabei nichts als diese verlieren.
Die Sache würde eine Art von innerem Zusammenhang haben, und die Theorie des Krieges dabei weniger in Verlegenheit kommen, wenn diese zugesagte Hilfe dem im Kriege begriffenen Staate völlig überlassen würde, so daß er sie nach seinem Bedürfnis brauchen könnte. Alsdann wäre sie wie eine gemietete Truppe zu betrachten. Allein davon ist der Gebrauch weit entfernt. Gewöhnlich haben die Hilfstruppen ihren eigenen Feldherrn, der nur von seiner Regierung abhängt und dem diese ein Ziel steckt, wie es sich mit der Halbheit ihrer Absichten am besten verträgt.
Es ist eine Eigentümlichkeit der Kriegführung Verbündeter, die nicht von der äußersten Gefahr zur Einheit und Konsequenz gedrängt wird, daß die geteilten politischen Interessen ihr Spiel treiben, Uneinigkeit, Widersprüche und zuletzt völligen Unsinn hervorbringen.
Wenn eine Macht allein Krieg führt, mag sie Zeit und Kräfte nach Gefallen verschwenden. Es entsteht wenigstens kein zweiter Nachteil daraus. Aber bei einem Bündniskriege kann es nie fehlen, daß auffallende Untätigkeit des einen den andern entweder zu ebensolcher veranlaßt oder so empört, daß ein baldiger Bruch des Bündnisses erfolgt.
Schon die Führung einer Armee, von der drei Viertel einem fremden Monarchen gehört, ist ein Auftrag ganz andrer Art als die Führung einer Armee entweder als Landesherr oder wenigstens mit der Autorität einer nach und nach in ihr erworbenen Feldherrnwürde. Wer fühlt nicht, daß man in seinem eigenen Hause ein ganz anderer Herr ist als in einem fremden, trotz aller übertragenen Machtvollkommenheit?
Man kann ganz allgemein sagen, daß alle die unglücklichen Kriegsunternehmungen, die durch eine Reihe von Fehlern hervorgebracht sind, niemals in ihrem inneren Zusammenhang so beschaffen sind, wie die Allgemeinheit glaubt. Die Leute, die handeln, wenn sie auch zu den schlechtesten Feldherren gehören, sind doch nicht ohne gesunden Menschenverstand und würden nimmermehr solche Torheiten begehen, wie der Laie und die historischen Kritiker ihnen in Bausch und Bogen anrechnen. Die meisten Beurteiler wären erstaunt, wenn sie alle die näheren Motive des Handelns kennen lernten, und höchstwahrscheinlich ebensogut verleitet worden wie der Feldherr, der jetzt wie ein halber Schwachkopf vor uns steht. Fehler müssen allerdings vorhanden sein; nur liegen sie gewöhnlich tiefer, in Fehlern der Ansicht und in Schwächen des Charakters, die nicht auf den ersten Blick als solche erscheinen, sondern die man erst auffindet und deutlich erkennt, wenn man alle Gründe, die den Besiegten zu seinem Handeln bestimmt haben, mit dem Erfolg vergleicht. Dieses Finden des Wahren hinterher ist der Kritik gestattet; es kann ihr nicht höhnisch vorgeworfen werden, sondern ist ihr eigentliches Geschäft, das aber allerdings viel leichter ist als das Treffen des Rechten im Augenblick des Handelns.
Es ist darum in der Tat eine Torheit, wenn wir fast sämtliche Armeen den Grundsatz befolgen sehen, über unglückliche Kriegsereignisse so wenig als möglich bekanntzumachen. Die Dinge, bis ins einzelne bekanntgemacht, werden sich immer viel besser ausnehmen als in Bausch und Bogen.
So wie das Schlachtfeld strategisch nur ein Punkt ist, so ist die Zeit einer Schlacht strategisch nur ein Moment, und nicht der Verlauf, sondern das Ende und Ergebnis einer Schlacht ist eine strategische Größe.
In der Strategie gibt es keinen Sieg. Der strategische Erfolg ist von der einen Seite die günstige Vorbereitung des taktischen Sieges. Je größer dieser strategische Erfolg ist, um so wahrscheinlicher wird der Sieg im Gefecht. Von der anderen Seite liegt der strategische Erfolg in der Ausnutzung des erfochtenen Sieges. Je mehr Ereignisse die Strategie durch ihre Kombinationen nach einer gewonnenen Schlacht in die Folgen derselben hineinzuziehen, je mehr sie von den nachfallenden Trümmern, deren Grundfeste durch die Schlacht erschüttert worden, an sich zu reißen vermag, je mehr sie in großen Zügen eintreibt, was in der Schlacht selbst mühevoll einzeln errungen werden mußte, um so großartiger sind ihre Erfolge.
Die Kriegskunst auf ihrem höchsten Standpunkte wird zur Politik, aber freilich einer Politik, die statt Noten zu schreiben, Schlachten liefert.
Man sagt eigentlich etwas ganz anderes, als man sagen will, wenn man, was häufig geschieht, vom schädlichen Einfluß der Politik auf die Führung des Krieges spricht. Es ist nicht dieser Einfluß, sondern die Politik selbst, die man tadeln sollte. Ist die Politik richtig, d. h. trifft sie ihr Ziel, so kann sie auf den Krieg in ihrem Sinne auch nur vorteilhaft wirken; und wo diese Einwirkung vom Ziel entfernt, ist die Quelle nur in der verkehrten Politik zu suchen.
Die Aufgabe und das Recht der Kriegskunst der Politik gegenüber ist es hauptsächlich, zu verhüten, daß die Politik Dinge fordere, die gegen die Natur des Krieges sind, daß sie aus Unkenntnis über die Wirkungen des Instruments Fehler begehe im Gebrauche desselben.
Nichts ist im Leben so wichtig, als genau den Standpunkt zu ermitteln, von dem die Dinge aufgefaßt und beurteilt werden müssen, und dann an ihm festzuhalten. Denn nur von einem Standpunkt aus können wir die Masse der Erscheinungen in ihrer Einheit auffassen, und nur die Einheit des Standpunkts kann uns vor Widersprüchen sichern.
Gehört der Krieg der Politik an, so wird er ihren Charakter annehmen. Ist sie großartig und kräftig, so wird es auch der Krieg. Nur durch diese Vorstellungsart wird der Krieg zur Einheit, nur mit ihr kann man alle Kriege als Dinge einer Art betrachten, und nur durch sie wird dem Urteil der rechte und genaue Stand- und Gesichtspunkt gegeben.
Die ungeheuren Wirkungen der Französischen Revolution nach außen sind offenbar viel weniger in neuen Mitteln und Ansichten der französischen Kriegführung zu suchen, als in der ganz veränderten Staats- und Verwaltungskunst, im Charakter der Regierung, im Zustande des Volkes usw. Daß die anderen Regierungen alle diese Dinge unrichtig ansahen, – daß sie mit gewöhnlichen Mitteln Kräften die Wage halten wollten, die neu und überwältigend waren: das alles sind Fehler der Politik. Man kann sagen: die zwanzigjährigen Siege der Revolution sind hauptsächlich die Folge der fehlerhaften Politik der ihr gegenüberstehenden Regierungen gewesen, wenn auch der eigentliche Überfall, von dem sich die Intelligenz getroffen fühlte, innerhalb der Kriegführung stattfand.
Wenn blutige Schlachten ein schreckliches Schauspiel sind, so muß dies eine Veranlassung sein, den Krieg mehr zu würdigen, aber nicht die Waffen, die man führt, nach und nach aus Menschlichkeit stumpfer zu machen, bis einmal wieder einer dazwischenkommt mit einem scharfen Schwerte und uns die Arme vom Leibe weghaut.
Ein Fürst oder Feldherr, der seinen Krieg genau nach seinen Zwecken und Mitteln einzurichten weiß, nicht zu viel und nicht zu wenig tut, gibt dadurch den größten Beweis seines Genies. Aber die Wirkungen dieser Genialität zeigen sich nicht sowohl in neuerfundenen Formen des Handelns, die sogleich in die Augen fallen, als im glücklichen Endergebnis des Ganzen. Es ist das richtige Zutreffen der stillen Voraussetzungen, es ist die geräuschlose Harmonie des ganzen Handelns, die wir bewundern sollten und die sich erst im Gesamterfolge verkündet.
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig