Title : Wallenstein. 1 (of 2)
Author : Alfred Döblin
Release date : October 11, 2013 [eBook #43931]
Language : German
Credits : Produced by Jens Sadowski
1920
S. Fischer/Verlag/Berlin
Erste bis dritte Auflage
Alle Rechte vorbehalten, besonders das der Übersetzung
Copyright 1920 S. Fischer, Verlag
N achdem die Böhmen besiegt waren, war niemand darüber so froh wie der Kaiser. Noch niemals hatte er mit rascheren Zähnen hinter den Fasanen gesessen, waren seine fältchenumrahmten Äuglein so lüstern zwischen Kredenz und Teller, Teller Kredenz gewandert. Wäre es möglich gewesen neben dem schweren kopfhängerischen Büffel zu seiner Linken, dem grauen Fürsten von Carafa, Hieronymus, und dem stolz schluckenden und gurgelnden Botschafter Seiner Heiligkeit im heißen Rom, — rot schimmernd die seidene knopfgeschlossene Soutane, purpurn unter dem Tisch die Beine mit Strümpfen und Schuhen, bei den schneeweißen zappelnden der deutschen Majestät — so hätte Ferdinand jeden den Vorhang durchlaufenden Kammerknaben, jeden Aufträger Vorschneider, erhaben mit schwarzem Stab abschreitenden Oberstkämmerer mit üppigem „Halloh“ empfangen, ihm zugezwinkert: „Heran! Näher! Nicht gezögert, Herrchen, haha. Hier sitzt er.“ Kaute, knabberte, biß, riß, mahlte, malmte. Der Oberküchenmeister bewegte sich an den gelbseidenen Tapeten entlang, beäugte freudig listig durch das seitliche Gestänge des Baldachins die muskulösen Lippen Ferdinands, die wie Piraten die anfahrenden Orlogs entleerten, die Backentaschen, die sich rechts und links wulsteten, sich ihre Beute zuwarfen, sich schlauchartig entleerten, von der quetschenden Zunge sekundiert.
Weich rauschte die Harfe, die deutsche Querpfeife näselte. Sprung an, Sprung ab: es hieß hurtig sein, die Becher heranschleppen; wer ißt, liebt keine Pausen; was schluckt, muß spülen. Ferdinands Lippen wollten naß sein, sein Schlund naß, sie verdienten’s reichlich, droschen ihr Korn.
Im Reich — wovon ließ sich sprechen — im Reich ging’s gut daher. Die Böhmen geschlagen, Ludmilla und Wenzel, die heiligen, hatten die Hand von ihren tollen Verehrern gezogen: da saßen sie auf dem Sand, haha, samt Huß, allen Brüderschaften, ihrer Waldhexe Libussa, dem Pfalzgrafen Friedrich. Der Pfalzgraf — wovon ließ sich sprechen — der Pfalzgraf schleppte seine Königskleider im Sack, am Strick hinter sich her, im Frühjahrsdreck hinter sich her, schreiend durch die Gassen, ungeübter Bänkelsänger auf Märkten, auf Dörfern: „Keiner da, der mir was zu fressen gibt? Zehn Kinder und kein Ende, keiner da, der uns den Bauch stopft? Habe die englische Königstochter zur Frau, in Böhmen war ich König; das ‚war‘ freut mich armen Hansen wenig.“ Wer wird sprechen in solchen Zeiten.
Man läßt ihn trollen, das freche süße Zweibein, man wird ihn tüchtig lausen, daß ihm das Fell blank wird. Aber Malvasier. Aber Alikante. Aber Böhmerwein von Podskal. Aber grüne Bisamberger, Traminer aus Tirol; aber Bacharach und Braubach, die feuchten, spitzschuhigen, klingelnden vom Rhein. Auf dem gepreßten Schweinskopf Äpfel: aber Mersheimer darüber und Andlauer; Elsaß, das herrliche Elsaß.
Wem hat es der Ingwer angetan, der Ingwer an der Rehkeule, daß er ihn verachten will. Die Hühner sind erschlagen; auf Silberschüsseln gebahrt; von feinen weißen Kerzen beleuchtet. Die Blicke von zwanzig Gewaltherren und Fürsten voll Lobs auf sie gerichtet; in Mandelmilch schaukeln sie Rümpfe, Beinchen und Hälse, Rosinen zum Haschen um sie gebreitet, ihre kandierten Schnäbelchen füllend. Spitzt die Münder, salbt die Lippen mit Speichel, im Strome fließenden, aus allen Bronnen geeimerten.
Heran Pfälzer Most. Die feuerspeiende Büchse, treffliches Symbol für ein Weingefäß: da läßt sich leicht der Malefizer finden, der hier ersterben will. Und soll es der Erwählte Römische Kaiser sein, es muß geschossen sein, in der Minute, im Nu, aus der großen Büchse, die der Obermundschenk sich auf die Schulter lädt; der Kaiser richtet zielt und schießt, jach in den Schlund des tobenden Narren, des hingewälzten lachenden Kobolds in der braunen Schellenkapuze, während der Herr sich die weißen Spitzenärmel schüttelt, in den Stuhl sinkt, nach der Serviette ruft und vor Inbrunst vergeht: „Noch einmal!“
Trompeter schmetterten zu sechs vom Chor herunter, aus dem goldenen Käfig des Balkons, der Heerpauker schlug bum. Zwischen der Musik saß der Kaiser hinter dem Wildschweinsbraten in Pfeffer, einen weißen Hut mit der Reiherfeder auf dem leicht glatzigen Kopf, seine Ohren durch das Raspeln seiner Zähne nicht gehindert dem Schmettern zu folgen. Sansini, Zinkenmusikus, übte sein hohes Werk; verborgene Diskantisten und Kastraten pfiffen rollten wirbelten; sie umspielten die wenig sich drehende Ruhe des Basses, den eine weiche Stimme ansprach, beschwor.
Zur Linken des melancholischen Spaniers ein schmales wangenloses Ziegengesicht, über dem stumpfen Lederkoller die krebsrote Atlasschärpe, aus grünen dünnen Ärmeln langspinnig zielend gegen das Millefioriglas, Karl von Liechtenstein, Oberstburggraf, Statthalter in Prag, sprach von Heidelberg und dem geflohenen Winterkönig, daß noch frostiges schwankendes Wetter sei und man jetzt nur schwierige Landstraßen finde, besonders wenn man es eilig habe. Ein Abt biß seinem Kapaun das Bein ab, addierte, während es zerkrachte, das zurückgebliebene Kurpfälzische Silbergeschirr, das ihm in Böhmen von frommen Wallonen überreicht war. Und auch der alte Harrach, knuspernd an Krammetsvögeln, huldvoll über seinem Stuhle schwebend, graziös, kahlköpfig, hielt sich an die Prozesse und Konfiskationen in dem geschlagenen Land, da wären tot der Peter von Schwamberg, Ulrich Wichynski, Albrecht von Smirsitzky, davongelaufen, werden das Wiederkehren vergessen.
Hitzig schmetterten die Trompeten. Einen Augenblick sahen alle Herren auf, die in den spanischen Krausen, die in den gestickten niederländischen Spitzenkragen auf bunten und verbrämten Jacken, die in den ungarisch grün verschnürten Wämsern, in den duftigen französischen Westen und Purpurüberwürfen, Kardinäle, Äbte, Generale und Fürsten, und ihnen schauerte, als wenn es eine Kriegsfanfare wäre. Rasch war Musik und Geist eingelenkt. Wollüstig fühlten alle erwärmten Nerven das Gespensterheer des geschlagenen blondlockigen prächtigen Friedrich durch den Saal ziehen, reiten durch das Klingen, Tosen der Stimmen, Becher, Teller, von dem herabhängenden Teppich des Chors herunter auf die beiden flammenden Kronleuchter zu, brausend gegen den wallenden Vorhang, den die Marschälle und Trabanten durchschritten: prächtig zerhiebene Pfälzerleichen, Rumpf ohne Kopf, Augen ohne Blicke, Karren, Karren voll Leichen, eselgezogen, von Pulverdunst und Gestank eingehüllt, in Kisten wie Baumäste gestaucht, kippend, wippend, hott, hott durch die Luft.
Oh wie schmeckten die gebackenen Muscheln, die Törtchen und Konfitüren Seiner Kaiserlichen Majestät. Schand und Schmach, daß einer Graf, Fürst, Erzherzog, Römischer Kaiser werden kann und der Magen wächst nicht mit; die Gurgel kann nicht mehr schlucken, als sie faßt; der schlaue Abt von Kremsmünster wie der Kaiser, der Fürst von Eggenberg, der Liechtensteiner wie der Kaiser, der Oberstsilberkämmerer, der Oratoriendiener, der Truchseß, Vorschneider, Tapetenverwahrer, Küchentürsteher wie der Kaiser, Marchese Hyacintho di Malespina, Ugolino di Maneggio, Thomas Bucella, Christoph Teuffel, der Organist Placza wie des Heiligen Römischen Reiches alles übersteigende gesalbte Kaiserliche Majestät, in einem Takt raspelnd an einer Waffel.
Oh wie schmeckte dem Kaiser unter seinem weißen Reiherhut der Tokaier aus dem Venezianer Glas. Wie schlug er sich den Schenkel, warf sich tiefer in das Gestühl, vergrub sein im Gelächter entlarvtes Gesicht im Schoß.
D urch die verhängten Bogenfenster summte Abendgeläut, als Ferdinand mit glühenden Wangen vor seinem zurückgeschobenen Stuhl stand auf leicht schwankenden Knien; die herabgesunkenen prallen nassen Hände trocknete ihm rechts und links ein Kämmerer ab. Und mit verschwimmenden Blicken, tief und langsam schnaufend stand er vor der Tafel, den Gästen Trabanten Kammerherrn. Die Stühle rückten, die Servietten fielen auf den Boden, die Edelknaben sprangen mit den silbernen Gießkannen und Waschbecken zurück hinter die Stühle. Die Gäste hatten sich auf die Füße gestellt, bogen die Nacken gerade, klemmten die Lippen ein.
Der Fürst von Carafa wich zuerst auf einen Blick des Oberhofmarschalls gegen die Wand, die Musik brach ab. Vor der kleinen Bronzesäule des drachentötenden Herkules stemmte der Spanier, das böse hitzedurchwühlte Wisent, sich auf, hob die Schultern. Und als wäre die Reihe der Herren am Tisch ein Wurm, dessen Kopf sich zur Wand bog, so rollten sie nacheinander weg vom Tische an die blitzende Brokattapete, und der Wurm schwankte, schlug vorwärts rückwärts.
Untersetzt, dickleibig, auf den kurzen Säulen der steif gewordenen Beine trug sich vom obersten Platz unter dem Baldachin her Kaiser Ferdinand der Andere. Von dem Ufer der dampfenden damastgebetteten Gerüche, von den gelben roten weißen Quellen riß er sich los. Seine blanken Wangen strotzten vor Wohlgefallen, Fuß setzte sich vor Fuß; er zog den weißen Hut vor jedem Herrn, ohne den Kopf nach links zu ihnen zu drehen. Graubärtig folgte auf spitzen Füßen der Kammerherr vom Dienst; vor der blauen Samtjacke, der hohlen Brust ließ er vom Hals herab den goldenen Schlüssel schaukeln, trug Mantel und Gebetbuch hinter der Majestät. Der Leibarzt darauf mit niedergeschlagenen Augen, im schwarzen Tuchrock, Thomas Mingonius, Verwalter kaiserlicher Gebrechen; seine Nase schnüffelte; die Lippchen trieb er zum steifen Rüssel vor. Zwei Kammertürhüter unhörbar.
Und wie an einem Efeuspalier Blatthaufen nach Blatthaufen sich unter dem Windstoß duckt, verneigten sich die Herren. Carafa hatte längst seinen Kopf wieder vor der Brust hängen, als die weinrote Exzellenz Eggenberg den Leib einzog, seufzend sich wieder einrenkte. Verneigt hatte sich vor dem Träger der Krone des deutschen Reiches, dem Herrn zu Ungarn Böhmen Dalmatien Krain Slavonien, unbeschränktem Erzherzog zu Österreich, Herzog zu Burgund Steiermark Kärnten Württemberg, vor dem Szepterschwinger in Ober- und Niederschlesien, Grafen zu Habsburg, Grafen zu Tirol, Grafen zu Görz, verneigt neben dem vielgeliebten Hans Ulrich von Eggenberg, dem freundlichen spitzbärtigen Kavalier, dem alten Schlemmer, das unruhige Pergamentmännlein in violetter Robe, trüben Auges, Herr Anton Wolfrath, Mönch Abt Bischof Fürst Nichts. Verneigt edlen Gesichts, zypressenschön, mit Perlenringen in den Ohren, die Strenge der Blicke aufgelockert vom Weindunst, der Sohn des italienischen Spezereihändlers Verda, residierend auf dem Neuen Markt, Johann Baptist von Werdenberg, Graf und Hofkanzler. Der schwarze dichthaarige Böhme Questenberg, Graf Gerhard, nicht lange noch Registrator, gewaltig unter seinem Schnurrbart blasend, der sich sträubte und aufstellte, glotzäugig, Bärenbeißer mit Wulstlippen. Verneigt Zdenka von Lobkowitz. Verneigt im Schmuck des Goldenen Vließ der sehr bleiche Geheimrat Meggau.
Ganz unten am Vorhang stand der Oberst der Leibgarde in hohen Reiterstiefeln, schimmerndes Wehrgehenk über dem hellgelben zobelverbrämten Wams, Neidhard von Marsberg, kolossal von seinen Schultern schauend, schäumend in süßer Betäubung, an seinem spanischen Kragen reißend: „Bärenhäuter! Schelme! Malefizverbrecher!“ Wußte nicht wer, konnte in Wut und Verehrung nur noch die Arme über die klirrende Brustwölbung verschränken, auf die Knie sinken hinter dem schon verschwundenen Kaiser.
N ach dem Empfang des Primas von Ungarn erbat sich der Kaiser Urlaub von seinen Ministern. Er brauchte mit einer erzwungenen Freundlichkeit diesen Ausdruck. Es war den Herren bekannt, daß dem Fürsten Wien seit Monaten nicht behagte, daß er sich mit dem Gedanken trug, gänzlich nach Prag zu verziehen, in den prächtigen düstern Gemächern des Matthias und Rudolf zu hausen; es ließ sich schwer fassen, was dahinter steckte. Man schob es auf die unaufhörlich wirkende Trauer um seine tote Frau; sie lag schon seit fünf Jahren in Grätz, in der Kapelle der heiligen Martyrin Katharina; man dachte an Ferdinands Zorn über den Adel Wiens, der ihn bei dem Protestantensturm auf das Schloß vor einigen Jahren im Stich gelassen hatte. Aber diese Gestalt des Habsburgers, seine Mimik, wie er, noch triefend von den Soßen Weinen der Festmähler, sich vom Sitz erhob, gegen Schrems hinausritt, nach dem Wallfahrtsort Hoheneich, fast unbegleitet, nach flüchtigen Abschiedsworten, war dem Hof und den Räten auffällig.
In Hoheneich stand ein niedriges Kirchlein; innen zwischen zwei Pfeilern in ihre Mauer eingelassen, gleich an der Pforte, eine Eichentür, mitten zerklüftet, von Eisenklammern zusammengehalten, altersbraun unscheinbar. Ein frecher Landadliger hatte einmal diese alte Kirchentür verrammelt, als eine Prozession von Schrems heraufkam; im Gebüsch saß er mit seinen Spießgesellen, um sich an dem Spektakel zu ergötzen. Die Chorknaben schwangen die Rauchfässer, die Monstranzen klangen, vorn der Fahnenträger senkte das Seidentuch auf der Treppe: die Tür sprang auseinander, die Kinder sangen weiter! Der Edelmann wollte im Schreck sich aus dem Ginster erheben, den beiden andern stiegen Reuetränen in die Augen. Sie rissen die grünen Sträucher vor sich auseinander, ihre Waffen blieben im Gras, sie trabten langsam gegen den Zug hin, bis man Steine gegen sie schleuderte, als sie sich anschließen wollten. Der Edelmann lief beiseite, stieß einen Schrei aus, aber zu seinem Entsetzen fuhr ein greuliches Gebrüll aus seiner Kehle. Als er sich umdrehte nach seinen Freunden, liefen da zwei starke Bulldoggen; er selbst wedelte mit dem Schwanz, war ein rippendürrer brauner Fleischerhund, der sich die Brust begeiferte. An einem Galgen unweit des Orts hat man später die drei Hunde erschlagen und eingescharrt.
Der Grasboden federte unter den Tritten der Pferde, sie fielen in ruhige Gangart. Die Erde wurde weich, spitze Halme stellten sich mit rauhen Scheiden auf, scharrten an den Pferdehälsen. Die Hufe planschten in Pfützen, das schwarze Wasser spritzte an den Bug der Tiere, über die Beine der Herren. Der weiße Windhund Ferdinands, ebenmäßiges hohes Gebäude mit langen Behängen, lief spielend. Als sie die Schlagbrücke hinter sich hatten, die wüste Uferfläche des untern Werd durchritten, kreischte Jonas, auf einem Maulesel kläglich nachtrabend, jenseits zwischen den Halmen fast verschwindend, streckte am Häuschen des Brückenwärters Arme und Beine nach ihnen aus: „Weh, weh!“ Zwei Herren trabten zu ihm. Seine braune Bergmannsgugel mit dem Hahnenkamm schüttelte sich heftig, die hohen Eselsohren klatschten herum. „Ich nehme Abschied von Wien. Nehmt Abschied mit mir.“ Und zottelte über die schallende Brücke, schwenkte drüben vor den wartenden Reitern sein Mäntelchen, listig lächelnd, spitz lachend, schlug die Klapper. Die Donau lag vor ihnen, ein feuchtwarmer Wind blies herüber. „Stäubt ab, edle Herren. Nehmt nichts mit von Wien. Versagt es der ehrbaren Stadt nicht, ihr Hab und Gut wieder zu erstatten, die Häscher könnten sonst hinter uns kommen.“ Sie folgten belustigt, schaukelten Umhang und Überwurf gegen den rollenden Fluß. Ferdinand sah das braune verwachsene Geschöpf scharf an, gab ihm nach einer Weile seinen Achselmantel. Unter Verbeugungen gegen das breite Gewässer, gegen den Stefansdom und die starken Basteien schüttelte der Wicht das bestickte Tuch, klopfte es zärtlich mit seiner Klapper, übergab es dem nachdenklichen Herrn. Es sei nunmehr sauber, kehlte er gedämpft und versöhnlich, frei vom Staub des hohen Marktes, der Freiung, Bendlergasse, des Grabens und — des Hohen Rates. Ein Peitschenschlag des Stallmeisters brachte ihn auf sein Grautier.
Neben der Buchenallee, die sie ritten, erhoben sich Hügel mit dichtem Unterholz. Vorsichtig gingen die Herren das Gestrüpp an, dann schleuderten die Pferde unter den Asthieben die Köpfe, ihre Zungen warfen unruhig das Trensengebiß, sie drängten kauend zurück vor dem Finstern, strauchelten, bogen auf den Weg. Auf den hochbeinigen Tieren tanzten die glänzenden Herren von Windstößen gefangen und freigegeben zwischen Schwarzdornhecken Ochsenzäunen über die Wiesen. Sie kehrten nicht ein in die Meierei vor Schrems . Ferdinand schien es vor Ungeduld nicht auszuhalten, im Steigbügel schluckte er ein Glas saure Milch. Über Sturzäcker, durch lichtes Stangengehölz. Schwarzbeinig gegen die Luft auf einem Hügel der Hundegalgen mit drei Standbalken.
Bei seinem Anblick war der Kaiser wie ausgewechselt. Sie gingen neben ihren abwärts schnüffelnden raffenden Tieren um das leere Gestell. Übermütig bellte der antrottende Tafelrat auf dem Esel. Graf Paar, ernst, blondbärtig, blauer Samthut, blaue Kniebänder, führte die Pferde, die mit zuckenden Lippen gebückt zu weiden begannen. Man beschloß sich ins Gras zu legen, zu schmausen. Paar und der Narr liefen nach Hoheneich hinauf. Auf einem kleinen Leiterwagen schleppten sie nach einer halben Stunde den erschrockenen Diakon im Chorhemd auf die stille Wiese nebst zwei verschüchterten Scholaren, hoben herab ein Tönnchen Wein, Gläser Teller, ganze Schinken, rohe Eier, Lattich. Den Wagenplan rissen die Herren herunter, der Kaiser aber wollte nicht darauf sitzen, er knipste Grasspitzen ab, schnellte seinen Begleitern Blumenköpfe ins Gesicht, zerblies vorsichtig Pusteblumen und war, ehe der Karren mit Butter Salz Brot angetrieben war, sitzend am Galgen eingeschlafen. Sein gelbfahles, faltiges Gesicht im Schlaf so freundlich, daß es schien, als unterhielte er sich im Traum mit Kindern. Der Windhund beschnüffelte ihn, schob seinen Hut mit der langen Schnauze vom Schoß herunter, streckte sich mächtig aus, die Vorderpfoten auf den Jagdgamaschen Ferdinands.
Eine straffe ältliche Gestalt in Schwarzbraun mit Silberschnüren lehnte an einem Birnbaum, den starken aschfarbenen Kinnbart zupfend, ließ den Hut auf die Erde fallen, flüsterte: „Wir sind auf der Flucht, ihr Herren.“
Jonas näselte: „Auf der Flucht, ihr Herren.“
Mansfeld setzte sich neben die andern, weiter flüsternd: „Vielleicht geht’s nur nach Wolkersdorf. Vielleicht auch nach Steiermark.“
„Oder geradeswegs zum Bassa von Ofen, oder zum Großherrn in der Türkei,“ grinste Jonas.
Mansfeld langte herüber, packte ihn, ohne das Gesicht zu verziehen am Hals, kippte ihn in der Luft um, preßte ihn auf den Bauch, zischelnd: „Nicht quaken, Frosch. Nicht quaken, Frosch.“
Der plärrte, kroch losgelassen aus der Runde. Graf Paar zog die Beine an, umschlang die Knie: „Der Herr Oberstallmeister beliebten etwas zu meinen.“
Seufzte Mansfeld, dessen Augen unruhig gingen: „Es wird etwas geschehen müssen.“
Kalt Paar: „Vermeine, wir sind keine Hunde, die die Sau zu verbellen haben.“
Der Kinnbärtige streichelte seine rosa Hutfeder sehr langsam. Da lag lang auf dem Rücken ein junger Baron, warf sich nicht einmal herum in seinem kostbaren Scharlachkleid; mit seinen schrägstehenden Augen, die aus einem bronzefarbenen glatten Gesicht blickten, verfolgte er weiße schimmernde Wolkenberge: man möge tun, wie man denke; jedoch denke er nicht wie der Graf Paar.
„Also wir verbellen das Wild?“
Der Baron ruckte kleiderscharrend hoch, saß dicht neben Paar, fixierte ihn, zog die Beine in den Scharlachhosen ein, umschlang die Knie: der Herr sei Liebling des Kaisers und liebe den Kaiser, möchte keiner ihm verwehren nach Belieben zu tun.
Leise erklärte der Oberstallmeister, er müsse des Erzherzogs Leopold Hoheit benachrichtigen, wenn sie etwas Sonderliches befürchten würden; er könne sich dem nicht entziehen, auch die Exzellenz Eggenberg, den Abt Anton und den Beichtvater müsse er rechtzeitig aufklären; es müsse um des Heilands willen etwas geschehen.
Eine Herde weißer Gänse schnarrte und schrie getrieben an ihnen vorbei. Paar stand nach einer Pause auf; meinte finster, es brenne nicht, die Herren seien ängstlich. Im übrigen seien in jedem Dorf Pferde da, um Nachrichten zu überbringen, auch Burschen, die reiten könnten. Er sei kein Herr vom Rat, sei nur der Person der Kaiserlichen Majestät Dienst schuldig. Als sich der bronzene Kopf des prächtigen Barons, des Peter Mollert, gegen ihn hob, lachte Paar heftig, überfuhr dann plötzlich maßlos den staunenden; der Kaiser brauche Hilfe, das sähe man. Ob man sich als Schmarotzer am Kaiser bewähren wollte, was diese Reden von Benachrichtigungen des Hofes besagen sollten, er werde den Kaiser wecken, ihn aufklären, ihn ihnen entreißen. Der Baron wich mit seinen glitzernden Augen dem Grafen aus, bat, mit Mansfeld Blicke tauschend, sich nicht stören zu lassen, jedoch auch nicht den Schlaf des Herrn durch überlautes Schelten zu stören. Er sog an einem Halm. Mansfeld pfiff durch die Zähne.
„Was bin ich mehr als ein Hundsfott,“ grollte Paar, „wenn ich nicht zum Bassa von Ofen mit ihm rennen wollte, wofern es ihm in den Sinn kommt. Wäre sonst nichts als ein Fleck Speichel an seinem Rock.“
Mollert streckte sich golden und scharlachrot im Grün aus. Klar und kalt beobachtete der rüstige Mansfeld den Kaiser, scharf verfolgt von dem glühenden Grafen, der sich seitlich von ihm, die zornzitternde Unterlippe biß.
Freundlich lächelte am Galgen lehnend der Herr mit dem gelben kindlichen Gesicht im Schlaf; die Peitsche war ihm aus der Hand gesunken. Mit leichtem Satz sprang der Hund über seinen Körper auf die andere Seite.
I m schwarzen Jesuiterkleid, den viereckigen Flachhut in der Linken, führte der Pater den zögernden Fürsten in die Kirche. Die Tür fiel hinter ihnen zu. Auf dem kleinen Altar vorn brannten zwei hohe weiße Kerzen, unsicher leuchtend, ein Kruzifix aus Metall zwischen ihnen. Durch den finstern Gang wurde der Fürst geführt. Seinen kleinen grünen Hut legte er vor sich auf den Teppich der Stufe, der Pater kniete neben ihm. Ohne den Kopf zu beugen kniete der grauhaarige Fürst. Als wenn er aus der Wand etwas auf sich zukommen sähe, hielt er den Hals steif. Er wartete wie auf einen feindlichen Angriff, vor einer fürchterlichen unsichtbaren Front. Sein Mund war gepreßt, in seinen geballten Händen sammelte sich der Schweiß. Er kniete, aber er saß auf einem gepanzerten Roß im Harnisch, eine schwere Lanze unter dem Arm, rührte sich nicht.
Als der Pater das Zeichen zum Aufbruch gab, konnte sich der erstarrte Mann nicht erheben; er fiel auf die Hände, vergaß dann seinen Hut auf der Stufe. Wie ein Blinder war er in die Kirche gegangen, schweißüberflutet verstört bewegte er sich draußen an der blauen lerchendurchjubelten Luft. Der Geistliche gab ihn höflich lächelnd den Herren ab. Tief verneigte sich der Kaiser vor dem Geistlichen. In einer schweren Aufregung saß er am Spieltisch des Schlößchens, schwieg wie die andern.
M an brach früh auf zur Wildschweinjagd. Es ging nach Begelhof. In die neblige Luft ritt man hinein, das Laub stiebte Nässe, der Kuckuck rief fern im Holz, wonnig vergruben die Pferde im fuderhohen Blattwerk ihre glatten Füße. Je mehr die Sonne stieg, um so heftiger wurde der Vogelgesang, schallend riefen sich die Finken und Stare an, mit schwerem Flügelschlag segelten aus dem niedrigen Tannenwald dicke schwarze Krähen in das aufgebrochene Feld, lärmten heiser, siedelten sich an um Wurmlöcher. Die krummen Rücken der Reiter wurden grader, die Stumpfheit verblaßte in den Augen, die Körper, noch eben schwer sackend, fühlten sich in das elastische Wiegen und Schreiten der Pferde ein. Es ging flach nach Begelhof hinein. Von dort vieltöniges Kläffen. Am Holzhäuschen des Rüdenmeisters, vor den langen Zwingerhütten, Rendezvous. Morgentrunk im Freien. Fünf Hörner riefen in die Sättel.
Da wimmelten um die starken Rüdenknechte die Koppeln der französischen Hunde, Schweißhunde, Saufinder, die schwarze und braunschwarz gezeichnete Meute. Hinter den Kätnerhütten auf den Äckern bewegten sich ängstliche Bäuerlein, versteckten sich. Braunkappige Landleute trabten in Gruppen feldeinwärts, führten schwere Gäule, Karren zum Zugrobot, suchten die schmalen Saumpfade, hinter einander gereiht, aus den Hütten bedroht von halblauten Rufen und raschen Fäusten. In der Nähe pfiff es, lärmte plötzlich: die Wildkästen waren geöffnet worden, draußen rannte der vom Licht geblendete Keiler, die Hunde jaulend und springend, sich überkugelnd, rissen besessen an den Leinen. Die Riemen sausten über sie. Der Anjagdruf. Da rasten die Hunde, vor den Wind geworfen, leise knurrend mit tiefen Ruten in die Ackerfurchen. Das Feld setzte sich in Bewegung.
Und wie sie ritten auf der Fährte des todesbangen verzweifelten Schwarzkittels, über die stark duftende aufgerissene Fläche der Äcker, da fingen die Herzen der Herren zu beben an; das Herz Ferdinands bebte in der alten Lust, die Hitze stieg aus dem weißen Pferdefell in seine Arme, wogte aus den Schultern zurück in die Hände, um die Hüfte. Unter dem Silbergurt für das starke Schweißschwert schwelte die Luft so wild, daß sie das feine panzermaschige Hemd durchdringen, sich dem flatternden weißgrünen Überrock mitteilen mußte. Geschnürt war das Griffholz des Schwertes, lang und fest die Klinge mit den tiefen Rinnen, kurz vorne das zweischneidige blanke blutheischende Messer. Wind war nicht mehr Wind, Wald nicht Wald, Morast nicht Morast. Die Pferde flogen, kaum den Boden tastend, um ihre Hälse wehte Dampf. Zäune Häuschen Büsche sprangen mit einem Satz gegen sie, hinter sie zurück. Die Pupillen der Kavaliere unter den windschwellenden Federhüten, unter den roten Stirnen verengerten sich in der blitzenden Helligkeit, die Lider drückten sich zusammen in wachsender Inbrunst. In Reihen wurden die Herren über Hürden und Schwarzdornhecken gehoben. Die Tiere rissen, die Hinterhufe abstoßend, die gekrümmten Vorderbeine an die aufgerichtete Brust; im Schweben warfen sie Erdballen nach rückwärts, die Hinterhufe schlossen sich aneinander, während schon die Vorderbeine wie Fühler nebeneinander vorgestreckt gegen den neuen Boden tasteten, der sie empfing, sie weiter schwang. Gespitzte Ohren nach vorn.
Sehnsüchtiger, lockend der helle Chor der Hunde. Der Boden wurde knietief, der Eber warf sich zwischen durchbrauste Gehöfte, durchschwamm Tümpel. Koppeln hinterdrein, Pferde hinterdrein, Jäger obenauf. Flechtwerk, Furten, Dickicht. Vier knappe Sekunden stand der schwermütige böse schwarzplumpe Keiler, mit den kurzen morastigen Beinen, die Schnauze an dem halslosen Kopf gesunken, dann brach er in das kühle Unterholz. Kopfüber die Hunde in das Dickicht, im Schwarm eingesogen, verschwunden. Herren und Pferde abprallend am Gebüsch warfen sich im Anschwung links herum, nach rechts vor.
Mit rotgeäderten Augen, keuchend Ferdinand und einige Herren, versunken, verloren auf den stoßenden Rücken, wutertrunken, berauscht. Man schoß in den Wald, das Pferd wand sich unter den Sporen, das Geläute der Hunde klang näher ferner durch die Schwärze aus dem Brombeergewirr. Sie kämpften gegen das Dickicht, arbeiteten schweißgeblendet berstend vor Grimm und Lust gegen Äste Gestrüpp Tier. Rings war der wüste Keiler umfaßt, die Meute jauchzte im brechenden Unterholz. Da zappelten die Hunde unter dem Schimmel Ferdinands, der die Peitsche besinnungslos hob, die Krücke auf die Nase des stöhnenden Tieres schmetterte. Auf den Hinterbeinen stand es auf, drehte sich, zwei Schritt zurück, warf drehend umstürzend seinen Herrn zwischen die flüchtenden Hunde, sich selbst gegen einen schaukelnden Fichtenstamm, an den es mit den Füßen hieb, grimmig hilflos auf dem Rücken strampelnd wie ein Käfer. Heiß quietschte winselte die Rüde, der von den fallenden Füßen des Reiters eine Flanke aufgerissen war.
Paar, aus seiner Besessenheit geweckt durch das Keifen des Tieres, rückwärts blickend, sprang ab, taumelte nach hinten, stürmte: „Mansfeld, Mollert,“ die weiter preschten. Wie er die starren Asthaufen übersprang, stellte sich der Schimmel mit wütendem Werfen und Ruck auf die Knie, stand zitternd flankenschlagend aufgeregt neben dem Kaiser, der mit blaurotem Nacken auf dem Nadellager bäuchlings hingestreckt war.
Als Paar ihn umdrehte, richtete er sogleich den Oberkörper auf, sah blicklos, die Arme hinter sich auf den Boden stemmend zwischen den Pferdebeinen hindurch. Wie eine Puppe wurde er von Paar gegen einen Stamm geschoben. Seine Sporen rissen Bahnen in den Boden, dabei flaute sein Gesicht ab, er faltete die Hände, senkte wie betrübt den nadelbeklebten Kopf, bewegte die Lippen. Jenseits des Dickichts klingelte hörbar die Jagd, das Wild war ins Feld entwischt. Mit Ächzen schob sich der Kaiser in die Knie. Dann stand da das Pferd, seine Schabracke, Graf Paar hielt seine Schultern, drängte die Jagdflasche an seine Lippen.
Trübe wurden die Augen des Kaisers, er ließ sich hochheben, blickte jammervoll den Kammerherrn an, der an seinem Gurt nestelte, um das Schwert abzuschneiden. Lange standen sie so, die Lippen zitterten dem Fürsten, konvulsivisch zuckten seine Schultern: „Was ist geschehen. Was war das?“ Er stammelte, schluckte Wein aus der Flasche, die ihm Paar in die Linke gepreßt hatte, sprudelte gedankenlos den Rest auf den Boden.
„Was denn, Majestät?“
„Paar, ich war bald hin. Es hat mich bald erwischt. Ich muß beten. Ich muß beten.“ Er murmelte, rieb sich die verschmierten Hände, wimmerte verwirrt. „Es hat eines Zeichens bedurft. Ich habe es nicht erwartet.“ Er stöhnte, saß auf einem Baumstrunk, wischte sich Blut von dem abgeschürften Scheitel, flüsterte mit steifen Blicken auf den Grafen, die Hände ballend: „Wir sollen uns nicht fürchten. Wir haben die Gewalt in Händen. Was hat der Graf Paar zu sagen?“
„Nichts, Eure Majestät.“
Er schmetterte sich die Faust gegen die Brust, streckte in steigender Erregung das sprühende zuckende Gesicht gegen den blassen Mann auf. „Nichts, Eure Majestät“ hauchte er. Stumm donnerte Ferdinand noch einmal gegen seine Brust, den Mund offen, schäumte, erhob sich taumlig, schüttelte den zurückweichenden Mann an den Schultern. „Sieh an. Willst du mich ausforschen. Wer hat dich geschickt?“
„Majestät fielen vom Pferd, ich ritt dicht vorauf im Feld.“
Hin stürzte Ferdinand mit Klagen auf die Knie: „Gestorben beinah, ohne Beichte wär’ ich gestorben. Das Leben verlassen, befleckt, unbefreit.“
Paar biß sich auf die Lippen, in Scham und Ehrfurcht zog er den Kaiser hoch, faßte ihn unter den Arm, führte ihn, während er mit der Linken das Horn anhob, blies. Dem Herrn floß von der Stirn ein Blutstreifen über den Nasenrücken gegen den Mund. Als wäre nichts geschehen, folgte der Herr, schräg auf dem Hinterkopf den Hut mit der zerbrochenen Feder, blieb nach einer Weile stehen, horchte ins Gehölz, lächelte seinen Begleiter an, gefesselt von Betäubung, die ihm sanft über das Gehirn und den Hals strich: „Blas noch einmal. Schön bläst du.“ Er ging pirschend voran, mit dem Schweinsschwert fuchtelnd, die Augen mondhaft weich, die Züge gleichgültig entspannt. Der gequälte Paar lief um ihn, die beiden Pferde lockte, zog er, plauderte, öffnete traurig Büsche vor dem Herrn.
Ein plötzlicher Gedanke zuckte durch ihn: Wenn der Kaiser fliehen wollte, — er wußte nicht, warum er es wollte, aber wenn, — dann jetzt. Die Jagd konnte nicht rasch zu Ende sein. Jetzt. Es war alles von ihm vorbereitet, die Wagen und Knechte standen bereit am Fährmannshaus von heut ab. Der Kaiser wollte fliehen, er konnte ihn aus einer dunklen Not erretten, er war in seiner Gewalt, es konnte keiner dazwischen fahren. Jetzt.
Um Paar drehte sich der Wald. Nur einen Moment wehrte er sich gegen den Gedanken. Im Augenblick aus dem Dickicht, auf den Pferden. Paar biß die Zähne zusammen, schwang die Peitsche: „Hoh!“
Sturzäcker. Der Kaiser hing dumpf an seinem Tier, sah auf die Mähne, ab und zu auf den Horizont, bisweilen warf er antreibend die Zügel. Das Tier lief ebenmäßig neben Paars. Kein Klingeln der Meute mehr, kein Rufen Lachen der Herren. Meilenweite Grasfläche, links blauumdunstete Hügelreihen; wenn der Wind die Luft hoch warf, regten sich dahinter schwarzgrüne Baumkronen. Paar lechzte über den Kopf seines Tieres hinweg, sein ernstes Gesicht zitterte in vielen Bündelchen, seine geschlitzten weißgrünen Ärmel schwollen zu Glocken auf, die linke Hand mit den Zügeln nackt erdig; zerrissen die hohe Spitzenmanschette des rechten Handschuhs. Die Pferde ruckten sprangen; in der ungeheuren Heide zappelten sie wie Schwimmer im Meer, arbeiteten, auf ab, die kleinen hüpfenden Tiere.
In die anwiegende Luft stöhnte Paar, dunkel verzweifelt: „Mein Heiland, tu ich recht.“ Er rief zur Seite: „Wir sind schon weit.“ Es klang nicht, es konnte niemand gehört haben. Er rief: „Wir sind schon so weit.“ Weg war es, zwanzig fünfzig Schritt hinter ihnen. Hatte es jemand gehört. Der Schall am Munde weggeschnappt. Das Trappeln der Pferde ließ sich nicht hören, das Riemenzeug knarrte nicht; im raschen Takt Gießen Strömen des Bluts in den Ohren, Verdunkeln des Blicks.
Der Kaiser hing auf seinem Schimmel. Geheimnisvoll erregt klang es herüber: „Wir sind schon weit, so weit.“
„Graf Paar.“ Der Schall am Munde weggeschnappt. „Paar, Hans, Hans.“ Anwiegte der Wind, schwappte um Brust Gesicht, schloß sich im Rücken zusammen. „Langsamer, Hans. Reit’ langsamer. Hörst, du mich?“
Der Kaiser. Er saß aufrechter, den Hut knautschte er vor sich am Sattel, die Linie geronnenen Bluts über der Nase. Paar riß die Zügel an. „Wo sind wir, Hans?“
„Eine halbe Stunde noch.“ Die Pferde liefen rascher. „Wohin führst du mich? Wo läuft der Keiler?“ „Wir sind schon weit. Majestät werden sehen.“ Paars Stimme jauchzte fast; seine Mienen wechselten zwischen Angst und Zärtlichkeit. „Da ist Rauch. Sie verbrennen Kraut auf dem Feld. Es ist verabredet. Da die Fahne.“ Schroff fiel die Ebene, jäh klangen Rufe hinauf. Am Ufer eines weißblinkenden Flußlaufes weideten Viehherden, neben einem Fährmannshaus liefen Menschen, standen Wagen. Hellblau schwelten Rauchwolken in die Steppe herüber. Dem Grafen strahlten die Augen, er brüllte frenetisch herunter, winkte. Eine Wolkenwand stand schwarz jenseits des Wassers, dicke Tropfen fielen, die Gräser sprühten blitzten in der matten Sonne.
„Gerettet. Es sind die Wagen. Unsere Wagen. Die Leute sind treu. Hier! Hooo—ah hooo—ah!“ Der Kaiser spannte sich zusammen, sein Pferd schluckte, rückwärts gerissen das Maul aufsperrend, Luft, tanzte auf den Hinterbeinen. Paar, ihn überschießend, kehrte um, atemlos, entzückten Gesichts, atemlos atemlos: „Es sind die Wagen. Mögen mich Majestät enthaupten. Rettung. Wir sind gerettet.“
Heiser rief der Kaiser, die Augen bis zur Weiße aufreißend, mit der rechten Hand auf die anrennenden Knechte mit Piken und Partisanen weisend: „Wer sind die? Was wollen die?“ Paar Arme hebend: „Bleibt stehen. Bei den Wagen bleiben. Nicht hierher! Es sind ja unsere Leute.“ Der Kaiser donnerte: „Hund, Bestie, hab’ ich dir befohlen, mich hierher zu bringen. Schalk du, ich metzle dich nieder auf der Stelle. Wo hast du mich verschleppt? Was soll ich, was willst du mit mir?“ Paar abgesprungen glutrot schweißübergossen hängte sich an den Hals des fremden Rappen: Der Kaiser solle kommen, der Kaiser solle sich nicht fürchten, es sei geschehen, er sei gerettet, es könne ihm nun nichts widerfahren; die Freiheit, wohin er befehle, die Leute sind zuverlässig, Gewänder liegen bereit.
Und in Ferdinand, während er vor Wut berstend das Pferd herumwarf, den Mann beiseite schleuderte, die Sporen einsetzte, schwebte schon, die Flammen zu heulendem Entsetzen anblasend der Gedanke: So steht es um mich, so weit bin ich; entlarvt.
Die unendliche Steppe. Der dünne schräge Fadenregen zog hinter ihnen her, überrieselte sie, legte einen grauen Schleier vor sie. Paars Pferd drängte sich an seins, Paar drängte sich verlangend, Hände hinlangend an ihn, rief etwas dem Mann zu, der den Kopf auf die Brust vor dem Wasser senkte. Die Sätze verschluckt, die Stimme schrie, beschwor den andern, suchte ihn vom Pferd zu bewegen. Um des Heilands willen nicht zurück, er möchte vertrauen, o vertrauen. Von drüben die Worte: „Wo ist die Jagd? Führt mich zurück. Ihr seid verloren sonst.“ Immer weiter in die rieselnde Dämmerung. Die lautlosen Pferde. Hinter dem Kaiser, zu seiner Seite, jagte Paar. In dem Kaiser stieg die Angst, saß an seinem Rücken, auf seinen Schultern: „Der Satan ist da.“ Gehölz zur Rechten, schwellendes federndes Moos. Flitzend zwischen Stangen, gespensterhaft vorbei Hütten Zäune. Schonungen rauchten vorüber. Der Graf erblichen wurde von einer Betäubung, einer Stirn umschließenden Abwesenheit befallen; eine Erstarrung durchdrang seine Brust von Minute zu Minute stärker; ein hopsendes Fleischgestell warf das Pferd auf ab, auf ab.
Hörner, viele Hörner, grelles Blasen. Menschenrufe. Schwarze Haufen auf dem Feld, bellende Hunde. In ein Gewimmel von Knechten stürmten sie ein. Lange später hetzten die Herren an, die aus den Wäldern von der Suche zurückkehrten.
Blaß stierte der Kaiser regentriefend neben seinem Pferd. Die Herren legten ihm Mäntel und Tücher um. Er sei gestürzt im Dickicht, er hätte sich mit dem Grafen Paar verirrt. Knechte jagten nach einem Feldscher. Paar schritt erschöpft hinterher, gab keine Antwort.
I m Schlößchen sagte Ferdinand zu ihm, er sei ein Verräter. Als Paar nur stumm niederfiel, befahl Ferdinand ihm, sich still zu verhalten, sich ohne weiteres aus seiner Umgebung zu entfernen. Als Paar sich der Tür näherte, schäumte der Kaiser, dem Tränen in den Augen standen, vor Zorn: „Hans, ich muß dich vor Gericht stellen, ich muß dir den Kopf abschlagen lassen, ich muß dich ins Eisen werfen lassen. Du bist ein Schelm, du bist ein —. Verrucht bist du, ein Schuft bist du, ich kann dich nicht so gehen lassen.“
Kopf gesenkt stand der völlig leere Paar, der noch die nassen verschmutzten Jagdkleider trug.
„Ich weiß nicht, ob ich dir verzeihen kann. Ich kann nicht. Ich kann nicht.“
Wie Paar kniete, bückte sich der Kaiser, den schwarzen Seidenrock mit der Linken zusammenraffend, schlug ihm zweimal mit der Faust auf den Kopf, stieß ihm gegen die rechte Schulter, spie aus. Der Graf wankte rückwärts, lag halb am Boden.
Heiser Ferdinand: „Du bleibst noch hier.“ Er ging vor den abendlich beschienenen Fenstern hin und her. Nach einer Weile sagte er: „Geh jetzt. Du bist still. Am Hofe bleibst du, bis ich dich fortschicke.“
Als der Fürst in größter erschreckender Unruhe zur Frühmesse erschien, mit graugrünem geschrumpften Gesicht aus Hoheneich von der Beichte zurückkehrte, wagte niemand sich ihm zu nähern. Dann fiel bei der Mahlzeit das Wort „Dighby“, es wurde in den Gartenzelten von Tisch zu Tisch geworfen. Der Kaiser fragte, am ganzen Leib fliegend. Man wußte nur, daß er, der englische Gesandte, einen drolligen hochmütigen Einzug in Wien gehalten habe, daß, wie vom Abt Anton verlautete, der englische König Vermittlung anbiete zwischen der Römischen Majestät und dem Pfälzer samt seinem noch kämpfenden Anhang. Der Oberstallmeister wartete lange, bis der Kaiser etwas herausbrachte.
„Uns ist ein guter Tag beschieden, Graf Mansfeld. Laßt Euch die schlimme Jagd gestern nicht gereuen. Wir bleiben nicht hier. Nach Wien! Laßt uns Herrn Dighby begrüßen.“
W ie den hoffnungslos Verirrten ein ferner Lichtschein von einem Haus, aus einem Stall, von dem Wachtfeuer einer Söldnerhorde, von einem Waldbrand, so zog Ferdinand Dighby an, der englische Gesandte, vom König Jakob zum Grafen von Bristol ernannt, von Brüssel aus dem Quartier der spanischen Infantin hergereist. Ferdinand hieß Reisewagen beschaffen, um bequem zu fahren.
„Nach Wien geht es, meine lieben Herren, mein lieber Mollert, Graf Mansfeld. Es gibt Frieden im Reich, ihr werdet sehen. Was halten wir uns auf, wenn solche Freude für alle Welt bereitet wird. Nach Wien!“
Unter den Herren war auf der Rückfahrt nur ein Gerede: wie man die unerwartet rasche Heimkehr feiern wolle. Erst fieberte der Kaiser; in ihm schwang es stürmisch auf und ab, durchschwoll ihn mit gewaltsamer Bewegung vom Hals bis in den Leib, ließ ihn lachen, sich freuen, sich vorwenden zurückwenden, Hände schütteln, nicht zur Ruhe kommen. Der blitzende Mollert lag halb im unverdeckten Wagen, stolz schweigend wie immer. Der Oberstjagdmeister strahlte, daß der mißlungene Tag vergessen war, Paar saß im letzten der sechs Wagen unter fröhlichen halbfremden Kavalieren, mit scheuen Blicken, oft seine Hände betrachtend, die den Zügel geworfen hatten zu der Entführung des Kaisers, an allen vorbei sehend, ab und zu ohne es zu merken dumpf stöhnend, so daß man schon am Tage vorher ihn umging, jetzt von ihm abrückte. Die silbernen Partisanen der Trabanten zuckten über den Wegen wie schnellende Vögel. Ein wildes Bangen durchwallte von Zeit zu Zeit den Kaiser. Französisch, spanisch, deutsch, italienisch plauderte es sich auf den Wagen, Duelle am Ochsengrieß, Karussell und Ringelstechen. Hinter den Worten regten sich die zierlich gezähmten Appetite, die kennerischen Geschmäcker, grenzenlose Bankettier- und Pokuliersucht. Die Arme fechtsüchtig, das Zwerchfell lachsüchtig, ihre Zungen verwaiste Teller, Münder ungefüllte Backofenlöcher. Es hieß Speichel schlucken, staubige Luft essen, mit blitzend verdrehten Augen von zarten Braten träumen. Und dann sollten die Abende kommen mit Kerzen, Fackeln, Trabanten schwerfüßig vor den Türen, die Tische frei, Karten und Würfel über das blanke Holz, heißwangige Spieler, zähe Bankhalter, französische Liköre, Wein in Fudern, Trumpfen: „Meineidige Höllenhunde!“ „Pestilenzialische Teufel!“ „Herr Bruder, jetzt frißt mich der Satan oder ich habe gewonnen.“
Nach Wien! Kein Verzug! Gesegnet sei Dighby, Graf von Bristol!
Die Wagen schütterten auf den Chausseen, die Pferde sprengten mit Hussa hoh; von Dorf zu Dorf wartete Vorspann. Der Staub erhob sich, auf seiner Woge glitten sie vorwärts. Zwei Fanfaren vorn, zwei Fanfaren zur Seite, zwei Fanfaren hinten. Sie sahen und hörten nichts. Und als die Herren in Wien einfuhren, dachte weder der seidige Mollert, noch Nostiz, noch Mansfeld, noch Ferdinand der Andere an Dighby, den Träger einer englischen Botschaft. Der Hohe Markt, die Balkons des Grabens, Gassen nach Gassen, der Petersplatz. Schweres Dröhnen vom Stefansturm, das Türkengeläut; die Wagen hielten, die Herren knieten auf der Straße, der Kaiser im Wagen. Vor dem sonnenüberfluteten Burgplatz, zwischen den Hatschierreihen vorquellend Bettlergelichter Beghinen Minoriten Barfüßer. Mit übermütiger Wucht warf Mollert aufstehend seinen Geldsack einem Savojardenbuben an die Brust, daß der umtaumelte, andere sich balgten.
Da wußte bald Dighby, daß die Römische Majestät wieder residiere in der Burg. Auch die hohen Staatsmänner wußten es, die Karussells fanden statt, Vorbereitungen zu einer Maskerade, Bauernwirtschaft im Prater. Aber mehr wußten sie nicht, morgen nicht, übermorgen nicht. Bis in die Nacht leuchteten die Bogenfenster der Burg aus den großen und kleinen Ritterstuben mit den fröhlichen Herren. Dazwischen ging der Kaiser herum, sann und sann, ohne Rat, wen er sprechen sollte, wen er schicken sollte zu Gurland, seinem Schatzmeister, nach Gold und vielen vielen Geschenken, um Dighby sich willig zu machen.
E ines Morgens wandte sich König Jakob mit wegwerfender Miene von dem eleganten Dialektiker und Lüstling ab, seinem Kanzler Buckingham, dessen feine rosa Seidenstrümpfe ihn reizten: er würde sich in den Garten an die Frühlingsluft tragen lassen; mag denn das Volk recht haben, mag einer nach dem Kontinent fahren, sich die Finger verbrennen an dem Brei, den dieser Narr Friedrich sich eingebrockt hat. Einen Sprung fast einen halben Meter hoch auf dem Teppich des Audienzzimmers machte der sehr junge Lord, als der schlaffe König, kaum den Kopf bewegend, fortgefahren war. Dann zählte er seine Schritte, ein zwei drei vier, er war an der Türe, eine gerade Zahl, die Sache würde gut verlaufen. Und während Jakob zankend die Mistbeete abdecken ließ und sich heimlich darüber grämte, daß seine Tochter Elisabeth in ihrer Liebesraserei sich diesem geleckten deutschen Kurfürsten, diesem Windbeutel, an den Hals geworfen hätte, seine schöne stolze Tochter, erteilte Buckingham hochmütig drei trotzigen Parlamentsherren Auskünfte orakelhafter Art in seiner Villa, beiläufig hinwerfend, daß man sich nunmehr des geschlagenen Böhmenkönigs annehmen werde, spöttisch genießend, wie den betrübten Lohgerbern ihre Agitationsstoffe fortschwammen, benachrichtigte den Lord Dighby. Von London fuhren nach Portsmouth darauf mit dem Lordkanzler, unter dem Schutz derselben fünfzig eisengeharnischten Arkebusiere — gelbe und rote Ärmel, wüst unter dem hochgeschlagenen Visier blickend, auf trampelnden gemästeten Gäulen — zwei deutsche Herren, die sich nicht abschütteln ließen, Rusdorf und Pavel, kurpfälzische Räte. Sprachen öfter heftig auf französisch den Lordkanzler an, der sie nach Belieben anhörte oder englische Worte hinwarf, die sie nicht verstanden.
Dighby verbat sich in Portsmouth den Anhang dieser beiden Herren, worauf Buckingham die Achseln zuckte: es ließe sich nichts machen gegen sie, ohne das Parlament zu erregen. Naserümpfend ließ sich der junge Graf von Bristol die beiden Pfälzer vorstellen; er und Buckingham zwinkerten sich lächelnd zu, als bei der Abfahrt unter Verbeugungen nach vielen Seiten die deutschen Räte das Schiff bestiegen.
Vom Ostersonntag bis Dienstag reiste der Brite um Wien herum, Mauern und Basteien studierend, über Wälle kariolend, wieder in die waldversenkten Nachbardörfer eintauchend, nach Hernals hinein, über den Laurenzergrund, Altlerchenfeld, Nikolsdorf, den Rustschacher, Schutt, die Taborstraße, wo die Juden hausten, Mariahilf. Während alle Kirchen vom Jubelgesang der Menschen erschollen über die Auferstehung des allerliebsten Herrn Jesu, die Türme vom Glockenschwung bebten, schlug sich Dighby vom dicken Rotenturmtor zum Turm Im Elend, Schotten- und Jörgenturm und Sankt Marx. Und als er das Siechenhaus im Regen des Ostermontags passiert hatte, schickte er zwei Knechte zur Heinersbastei, verlangte für morgen beim Torschreiber Einlaß zum Kärntnertor. Junge Burschen ritten langbebändert über die Felder, trieben die Pferde in den Bach. In der Nacht weckte ihn Feuerschein in seiner Herberge; da schwang man draußen brennende Besen, zog grünes Volk singend, Asche streuend ins Freie.
Der geschwollene Lord ließ die zwanzig Mann pikenbewehrter Stadtgarde, die ihn am Kärntnertor erwarteten, bis Mittag stehen. In einer Sänfte kam er, warf seine Kalbsaugen nach den zierlichen Mädchen, den auf Stelzen spazierenden Fräulein, ließ halten, um einer Gruppe Minoriten kopfschüttelnd unter die Kapuzen zu schauen. Am Hohen Markt war Gedränge; ein Umzug wurde erwartet. Mit Flöten und Pauken hoch zu Roß ließ sich die Bäckerinnung erblicken, weißstrumpfig Meister und Gesellen, perlgrau die Beinkleider, blaue Jacken, silberne Schnallen an den Schuhen. Vom Salzgrieß waren sie aufgebrochen. Über einen bekränzten blutjungen Gesellen auf schneeweißem Pferde wurden unter Jubelrufen aus Fenstern, Balkons Blumen geschüttet; angestemmt an die Brust trug er den riesigen Türkenbecher, drei erschlagene Janitscharen, ziseliert in Silber, dazu drei Bäcker und das Heidenschußhaus mit der entdeckten klaffenden Mine, dem Ort ihres Triumphes. In einer verschlossenen Sänfte hinter dem Lord fuhr man die beiden giftigen Pfälzer. Rusdorf hatte sich in Nürnberg englische Lakaientracht verschafft; nur unter der Bedingung, sie tragen zu dürfen, war er mit Pavel nach Wien gedrungen. Sie ängstigten sich hinter ihren Vorhängen, kein Wort ließen sie im Gedränge verlauten.
Als nach zwei Tagen der Abt Anton von Kremsmünster, Kammerpräsident, sie in seinem stillen Refektorium empfing, ein ehrerbietiger schlaffwangiger Herr, der überaus verschüchtert schien, wehmütig demütig um sich blickte, von Zeit zu Zeit entsetzt vor einer Motte zusammenfuhr und sich entschuldigend, fast weinend, sein Käppchen verlierend hinter ihr her durch das Zimmer rannte, vergeblich nach allen Seiten klatschend, schmerzvoll seinen Gästen die leeren roten Handteller zeigend, als er sie empfing, bat er mit dem Abgesandten des Königs von England und den Beratern des pfälzischen Kurfürsten getrennt verhandeln zu dürfen. Die Verbeugung wurde steif beantwortet; die deutschen Herren blieben den Bescheid schuldig, warfen sich ratlose Blicke zu. Dighby, ungeschlacht, wilder blonder Kinnbart, Fäuste in den Weichen, die beiden fixierend wie ein bekanntes absonderliches Tierpaar, machte eine demonstrierende Handbewegung: die Herren seien noch nicht so weit, sie würden wohl morgen antworten.
In ihrem Quartier, von Dighby aufgesucht und befragt, weigerten sie sich überhaupt zu antworten, würden sich erst beraten. Sie kämen selbständig für den Böhmerkönig und pfälzischen Kurfürsten, würden sich aber gewiß nicht trennen lassen in der Diskussion von England. Er fragte den Reitstock wirbelnd, ob sie der Verhandlung ein Bein stellen wollten, ob er also warten solle, bis sie etwa Kuriere zu ihrem Herrn schickten. Die Herren spien einsilbig Wörtchen aus den Mundwinkeln wie „Pflicht“, „unabänderlich“, „Beschluß“.
„Wollt mich tribulieren, ihr Herren von Heidelberg. Seid aber hier auf heißem Boden, wisset.“
Knauten: „Unabänderlich. Muß sein.“
„Können die Herren ihre Anliegen selbst betreiben. Scheinen zu glauben, ich wäre ihretwegen zur Stelle. Bin Gesandter des englischen Königs und Parlaments, das beleidigt ist. Das ist alles.“
„Gut. Gut. Verstehen. Der Herr verstatte.“
„Verstatte. Ich habe Zeit.“
„Unsere Dienste dem Herrn. Gott zum Gruß.“
„Nun, nun, die deutschen Herren. Machen wir Parlament oder Boxkampf?“
Schob seine blauseidenen Ärmel hoch, Stock zwischen den starken Zähnen, wies seine dicken Muskeldrähte. Minutenlang stand er da, wiegte die Arme. Sie gingen geduckt auf und ab, Hände auf dem Rücken. Er zog den zerknitterten Stoff wieder herunter, stampfte mit grobem Lachen hinaus.
Der Kaiser war nicht da. Als er da war, empfing er nicht. Die Wut der beiden Pfälzer Räte, daß Dighby in Wien flanierte, sich um nichts kümmerte, vielleicht für sich verhandelte.
Spät abends trat er in die Gaststube ihres Quartiers, wo sie unter den Kerzen saßen, Honigbier tranken. Auf der Schwelle schrie Dighby, dessen Masse im Dunkeln sich unsicher bewegte: „Rusdorf.“
„Der Herr?“
„Rusdorf, kusch dich!“
Der entsetzt.
„Hui hui. Was ich sag’. Kusch dich.“
„Er ist verrückt,“ flüsterten die Räte.
„Auf den Tisch, hopp.“
„Was.“
„Hopp auf den Tisch.“ Mit schütternden Schritten Dighby näher. Pavel hauchte: „Er ist verrückt. Tus.“ Rusdorf im langen braunen Rock vor Dighby ausweichend sprang plötzlich auf den Tisch neben das Bier, hob den Arm: „Ich protestiere im Namen meines königlichen und kurfürstlichen Herrn.“
„Bist ganz still. Der andre.“
Der sagte gar nichts, achtete verkniffenen Gesichts auf Dighbys Mund.
„Der andre.“ Als Dighby zum dritten Male brüllend ansetzte: „Der —“ stieg Pavel zusammenfahrend auf Tisch, Stuhl, setzte sich auf die Kante der Tischplatte gegenüber Rusdorf. Zufrieden nickte der Große: „Ist schön. Ist schön. Runter vom Tisch.“ Nahm sich eine Kerze, ging hinaus, vor sich leuchtend. Allein die beiden. Sie tasteten sich auf Pavels Zimmer, schlossen die Tür, sahen sich an, machten eine Bewegung, als wollten sie sich in die Arme fallen, griffen sich nach den Händen.
Pavel stöhnte: „Was bleibt uns übrig, als uns umzubringen.“
Rusdorf gebrochen: „Herr Bruder.“
Pavel konnte sich nicht beruhigen: „Er kommt öfter. Verlaßt Euch darauf. Es war das erstemal. Er hat es heute erst versucht.“
„Es kommt noch schlimmer. Und — wir müssen unserem Herrn dienen.“
„Unser armer armer König.“
Als Dighby am nächsten Mittag kam, saß Rusdorf, der aus Furcht nicht das Quartier verließ, allein da. Ohne ein Wort zu sagen, hob Dighby den Stock. Dann pfiff er. Flehentlich sagte Rusdorf: „Der Herr treibt es zu weit. Weiß der Herr nicht, wem wir dienen?“
Der pfiff.
„Einem hochgeborenen Herrn, dem Schwiegersohn des Königs von England.“
Es bedurfte nur eines Schritts von Dighby, um Rusdorf auf den Tisch zu bringen neben eine Breischale.
Der Lord, Hut Stock Degen auf die Diele schmetternd, rückte sich den Stuhl zurecht, langte nach dem Krug, fragte schluckend den Rat: „Wie war das mit seinem Herrn. Es gefiel mir.“ Rusdorf beschwor ihn leise, mit einem gewissen vertraulichen Ton in der Stimme, er möchte doch Vernunft annehmen, ihre gemeinsamen Interessen bedenken, die Verwandtschaft ihres Herrn und alles; sie müßten sich persönlich verstehen lernen, da ihre Sachen Hand in Hand gingen. Dighby fragte, wessen das fast ausgetrunkene Weinglas sei; und zum maßlosen Entsetzen Rusdorfs rief der Lord nach dem Hausdiener, der sogleich eintrat, an der Tür stutzend stehen blieb. Wein wollte der Lord; für den Herrn oben auf dem Tisch ein neues Glas.
Rusdorf hatte nicht vermocht, vom Tisch herunterzusteigen; ein kleiner Blick Dighbys von unten hielt ihn fest. Jetzt saß er, die Augen mit den Händen verhüllend, da, stumm, während der Lord schmatzte schluckte, ihm kräftig zum Abschied die Schulter schlug.
Rusdorf erwähnte gegen Pavel diesen Besuch nicht. Er sah es kommen, wie Dighby mit dem Stock spielte, daß er Hiebe von ihm kriegte. Mit schmerzlichem Verständnis suchte er die Unerzogenheit und Wildheit Dighbys auf sich zu lenken, damit mit Pavel die Geschäfte von statten gingen; verteidigte öfter den Lord vor Pavel, Jugend hat keine Tugend.
„Wir waren nicht besser, als wir jung waren. Ich selbst, Pavel, in Altdorf, o jeh!“ Leckte sich zärtlich die Lippen.
Pavel saß allein an der Mittagstafel. Dighby herein: „Wo ist der andre?“
„Ich weiß nicht. Ich weiß, aber ich antworte nicht.“
Dighby öffnete stumm die Tür zur Nebenkammer: „Ruß! Ruß! Rusdorf!“
Über die Stiege: „Rusdorf. Her. Ran.“ Im grüntuchenen Schlafrock, mit dem roten Schlafkäppchen tappte etwas aus einer zweiten Seitenkammer.
„Aber schneller, wenn ich bitten darf.“
Rusdorf stand unsicher vor ihm, flüsternd: „Mein Gott, Lord, Graf, redet nicht mit mir in dem Ton.“
Der zischte zwischen den Zähnen: „Ich schlag mich mit dem herum. Wo steckt Ihr denn, verdammter Schnappsack?“
„O Gott, mein Allmächtiger. Vor Pavel, Lord.“
„Still. Geh mir voraus.“
Zeigte mit dem Stock auf Pavel, der still dasaß, mit seinem Degengriff spielte.
„Was ist?“ fragte unglücklich Rusdorf.
„Er soll auf den Tisch. Vorwärts.“
Er nahm, die Augenbrauen hochziehend, den Stock zwischen die Zähne, kreuzte den Arm.
Rusdorf bettelnd, das Käppchen abziehend: „O Lord.“
Der bewegte sich nicht.
Rusdorf streichelte ihm die Hand, machte ein kläglich inniges Gesicht, bat ihn sehr leise, in die Nachbarkammer zu kommen; er dachte sich da vor dem Lord zu entwürdigen, wie der es wollte.
Dighbys Runzeln blieben steif.
Zaghaft näherte sich Rusdorf dem andern am Tisch, flehte vor Pavel: „Unser armer Herr.“
Der bewegte keine Miene, schien Rusdorf nicht zu kennen.
„Unser armer Herr,“ bettelte Rusdorf. „Geht“, flüsterte er.
Pavels Degen wippte am Boden. Rusdorf sah sich nach Dighby um, der stand still, scharf blickend wie Pavel.
„Kommt, geht auf den Tisch. Ich setz mich mit Euch, wir haben es gestern gekonnt. Es ist ja gleich vorbei.“
Er faßte ihn um die Schulter. Ihn schauderte vor der Berührung des blauen Tuches. Der hatte mit der Schulter gezuckt, den Oberkörper vorwärts, rückwärts geworfen. Abgeschüttelt, seitlich stolpernd fiel Rusdorf auf die Hände.
„So!“ stand er demütig vor dem Grafen. Der, den Stock im Gebiß, zeigte mit den Blicken auf Pavel.
Weinend, leise und zornig vor dem Tisch: „Ihr dürft es nicht so lange hinziehn. Ich vermag es dann selbst nicht. Es geht über meine Kraft. Wenn ich dies alles erdulde von, von dem Übeltäter.“
Kaum hörbar: „Geht.“
„Ihr müßt. Ihr müßt. Was hab ich euch denn getan.“
„Kommt mir nicht mit ‚geht‘. Was mir recht ist, ist Euch billig. Ihr dürft nicht Euer Spiel mit mir treiben.“
„Rusdorf, laßt meine Hand.“
Der schäumte: „Nennt mich nicht beim Namen.“
Er faßte ihn vor der Stuhllehne um die Taille. Pavel, ohne sich zu bewegen, steif wie ein Baumstamm, wurde wenig angehoben. Dann stieß er dem stöhnenden Mann den Degenkorb gegen die Schläfen.
Der ließ aufschreiend los.
Dighby spuckte im ruhigen Anschreiten den Stock auf den Boden, klopfte Pavel auf die Schulter: „War gut so, Herr.“
Drei Tage blieb Rusdorf darauf unsichtbar. Kam lärmend heraus, in alle Ecken sich umblickend. Was inzwischen geschehen sei. Stünde noch alles auf demselben Fleck wie früher. So mache man Geschichte.
„Der Herr Bruder hat keinen Grund sich zu ereifern.“
Und der Graf von Bristol, immer frisch hinter den Hunden und dicken Weibern her; Wirtschaft, saubere Wirtschaft. Frech kreischte er, als Dighby um Mittag erschien. Der ließ es sich schmecken, ohne ihn zu beachten, konversierte mit Pavel. Nur beim Abschied konnte sich der Graf nicht enthalten, auf der Schwelle den erregten Rat mit einem kleinen Peitschenhieb abzuwehren.
„Lustig getäuscht!“ duckte sich der, „noch einen, recht, noch einen.“
Als er noch zur Vesperzeit fluchte rumorte, verließ ihn auch Pavel.
Nach schrecklichster Überwindung, fast berauscht vor Angst, betrat dicht hinter ihm Rusdorf die Gasse. Seine hitzigen Blicke, sein Lippenbeben, halblautes Selbstgespräch, die englische Tracht fielen auf; die Jungen, die nachliefen, schrie er an; die Männer Handwerker Studenten suchte er über Straßen Wege auszuforschen, verließ sie lächelnd mitten in der Antwort. Verzweifelnd schritt er an der Spitze eines kleinen Volkshaufens, wußte sich nicht Rat, als sich betrunken zu geben, unter wildem Gejohl nach Stunden wieder vor dem Quartier zu erscheinen, heraufgeholt von Dighby, der ihm finster die Kleider abnahm.
Nunmehr ging er frisch im eigenen Kleid öfter aus, begegnete ihm nichts. Setzte sich weiter in Bewegung. Und eines Tages erfuhr der Lord den unverhofften Besuch eines Geheimschreibers des kaiserlichen Hohen Rats, von dem er zu seinem Erstaunen hörte, daß seine Bemühungen im erfreulichen Einklang mit den Absichten Seiner Majestät wären und daß der Anberaumung einer Audienz nichts mehr im Wege stände.
An den Haaren zog der Lord den lachenden Rusdorf heraus aus der Kammer: „Hinter meinem Rücken agiert! Ohne mich zu fragen, ohne mich zu informieren. Ihr! Ihr! Wer ist die Pfalz. Ich würg den Herrn.“ Entzückt kläffte Rusdorf dagegen. Wildes Lamentieren Dighbys, der davonrannte.
Pavel, der zugegen war, schleppte seine schwermütige Gestalt durch den Raum, voll Ekels über den Briten und seinen Gefährten. Der Triumph des andern klang kaum an seine Ohren. Als ihn abends Dighby aufstöberte, roh schreiend, ob der Herr auch etwas gegen ihn im Sinne habe, sagte Pavel matt, er würde den Herren beiden nicht lange mehr zur Last fallen, der Herr möchte nichts von ihm befürchten.
Rusdorf, der sich an Pavel drängte, las abends entsetzt die auf dem Tisch ausgebreiteten Papiere, Abschiedsbriefe; ruhig ließ ihn der gewähren. Als aber Rusdorf nach seiner Hand greifen wollte, fuhr der andre wie gestochen zurück, leise scharf ausstoßend: „Scheusal. Viehisches. Schmieriges. Nicht mich angerührt.“
Rusdorf weinte: „Wir können nichts machen ohne Dighby. Verzeiht mir.“
„Rühr der Herr mich nicht an.“
„Ich weiß mir keinen Rat.“
„Es mag sein, wie dem Herrn gefällt. Nur möchte ich ihn bitten, mir bald aus dem Gesicht zu gehen.“
„Was will der Herr Bruder tun. Wo will er hin?“
Der schwieg.
„Bruder, Herzensbruder, ich muß dir etwas sagen. Du darfst nicht weg. Bruder, du magst deine Briefe abschicken oder nicht. Ich will es nicht hindern. Nein, du wirst nicht weggehen. Ich, ich laß dich nicht.“
„Wie aber gedenkt Herr Rusdorf das zu hindern.“
„Das mag der Herr nicht fragen.“
„Ich werde noch heute Dighby und den Herrn verlassen.“
„Ihr werdet das Haustor nicht zumachen. Ihr könnt nicht. Ihr zwingt mich. Ihr mögt denken, ob ich Ehre habe oder nicht. Mich tragt Ihr nicht so zum Gespött hinaus mit Euch, Herr. Ich muß bei Dighby bleiben.“
„Ihr werdet sehen.“
„Ich fleh’ Euch an, es nicht zu versuchen.“
Rusdorf kniete, wimmerte vor dem andern, der sehr traurig von ihm abrückte.
Zwei Stunden später wurde Pavel, verkleidet über die halbdunkle Stiege hinabschleichend, am untersten Absatz aus der Finsternis von zwei Degenstößen getroffen, durchbohrt am Oberarm und beiden Schenkeln, daß er mit Wehgeheul hinsank. Rusdorf mit dem blutignassen Stahl entwischte in eine Seitengasse.
N ikolaus Gurland, aus dem Sumpf der böhmischen Verwaltung vor dem Krieg nach Wien gekrochen, war ein Misanthrop. Die wüsten Herren von der Landtafel hatten die kleinbürgerliche Rechenmaschine vergeblich zu kujonieren versucht. Seine trostlosen Berichte Memorials Denkschriften an den verstorbenen Kaiser Mathias hatten schon böses Blut bei diesen Herren gemacht; seine langweiligen Zahlen über den Rückgang des Bergwerkertrags in Joachimstal Kuttenberg Ratiboric waren nicht zu widerlegen. Da er immer einen verwitterten blauen Tuchanzug trug und sich nicht um Politik scherte, regelmäßig zur Messe ging, beichtete, konnte man ihm nur zusetzen durch Verweise wegen Vernachlässigung amtlicher Würde in Tracht Gebaren, ihm demütigende Belehrungen erteilen über Umgang mit Behörden. Tief getroffen kaufte er sich einen kostbaren Federhut, zog sich blaue Strümpfe an, schwang einen zierlichen Degen, aber die breiten böhmischen Schuhe schleppte er an den Füßen, den Mantel trug er wie ein Paket unter dem linken Arm. Der Chef, ungerührt, ging ihn eines Tages mit einer frechen Bestechung an; da sah Gurland, daß er mitmachen oder gehen müsse. In Wien wurde er wegen seiner Griesgrämigkeit, des unpersönlichen Mißtrauens, der ruhelosen Strenge und Reinlichkeit von Behörde zu Behörde geschoben. Den Don Marradas, einen großartigen liederlichen Herrn am Hofe, seinen Hausnachbarn, bewahrte er durch private Rechnungsführung vor schwerer Überwucherung; Don Marradas ritt neben der Kutsche des Kaisers und war Kapitän der Hatschiere. So daß dem böhmischen Sekretär Nikolaus Gurland das Letzte geschah, er sturzartig, seiner Verwirrung ungeachtet, in das Amt des Schatzmeisters gelangte. Seine bürgerlichen Sonderheiten waren nun geheiligt; an den Wänden Straßenmauern schlich er wie sonst, hohe Bediente Würdenträger wichen vor ihm aus.
Schiefschultrig feingesichtig, einen mausgrauen Mantel um den niedrigen Leib, stand eines Mittags Kaspar Frey, der Römischen Majestät alter Geheimsekretär aus erzherzoglichen Zeiten, vor Gurlands erhöhtem Schreibpult. Die Tür hatte er fest hinter sich angezogen. Er nahm die Zeit des unruhigen gelbgesichtigen Mannes oben mit höfischen nichtssagenden Redensarten und Pausen in Anspruch. In einem hintern Flügel der Burg lag die Schreibstube; Gurland, schwarze mißtrauische Blicke werfend, schnalzte im Chorgestühl heftig an einem Entenkiel. Kaspar Frey suchte ihn freundlich zu stimmen, reizte ihn, nahm auf der rotbezogenen Besucherbank Platz. Schließlich gab er zögernd Auskunft, auch daß er im Namen des Kaisers käme. Der unzugängliche Mann oben, dem man vieles geboten hatte, schwieg lange. Was Frey vortrug, überstieg alles Frühere; er sollte zum Mitwisser Mittäter eines unglaublichen Unterschleifes gemacht werden; der Kaiser nicht, eine verwegene Person steckte dahinter, denn Frey war sicher nur Zwischenträger. Als sich die Tür hinter dem Abgesandten schloß, nachdem er eine halbe Zusage empfangen hatte, die ihn sicher machen sollte — in zwei Stunden hoffte Gurland ihn nach einem kurzen Überschlag ganz zufrieden zu stellen —, kramte der erschrockene Mann drin fiebrig mit seinen gelben Fingern nach seiner Seidenmütze. Er setzte sie sich auf seinen glatten starken Schädel, zischelnd rief er nach seinen Schuhen, auf dicken Pantoffeln schlendernd. Zum Kaiser; es war sonst sein eigenes Verderben.
Ferdinand, aus der Kapelle zurückkehrend, empfing ihn traurig. Er streichelte ihm die Hand: „Er kam in meinem Auftrag.“ Und als der entsetzt noch einmal fragte, sagte Ferdinand leise: „Ja, wirst du vermögen zu schweigen. Und wenn du es nicht kannst, sag es nur ruhig. Du wirst mich nicht kränken. Du wirst in allen Ehren bleiben.“ Gurland fassungslos, Tränen in den Augen, fühlte seine Nasenhöhlen sich weiten; ein kühles Prickeln schlich um die Oberlippe. Er sagte nur „ja“, fiel ihm zu Füßen. In seiner Schreibstube erwog er, ob er abdanken solle; seine Unruhe steigerte sich zur Verzweiflung. Frey kam. Er lief gegen ihn, konnte nichts sagen; alles, was er begehre, wolle er erfüllen; warum er keine Zeile, keinen Ring vom Kaiser mitgebracht hätte.
Als gegen Abend die Rollknechte in dem Amalienhof der Burg die leinenverpackten Geräte, kleinen Kisten auf ihren Wagen gehoben hatten, sich in Bewegung setzten unter Begleitung starker, als Knechte verkleideter Hatschiere, hatte Gurland sich im Danksagen Verzeihungbitten gegen Frey gesättigt.
Der geschwollene Lord schmetterte die Türe seiner Kammer zu; Rusdorf mußte ihm tragen helfen; vor dem Bett des melancholischen Pavel stolzierte händereibend der Lord, zwei Kerzen brannten auf dem Tisch; Faulbett Fensterbank Gesims Parkett bestellt mit kaiserlichen Gaben; auf dem kleinen Stollenschränkchen, dem buntgemusterten, mit gewundenen hohen Beinen, eine breite schwere gelbblinkende Schale, eine goldene Waschschüssel.
„So viel sind wir wert, den Herren! Herr von Meggau, Herr von Trautmannsdorf machen saure Gesichter, werfen mit großen dicken Worten. Der Kaiser schickt Geschenke!“
Pavel: „Der Kaiser mag nicht eins sein mit seinem Hofe.“
„Der Kaiser ruft mich zu einer Audienz.“
Rusdorf sondierte, ob er zur Audienz wolle.
„Freilich, ich werde ihn anhören. Dann um ein Geschenk bitten für Herrn Rusdorf. He.“
„Bitte der Herr um nichts. Wenn ich rate, gehe der Herr lieber nicht hin.“
„Das wäre.“
„Der Herr glaube mir. Ferdinand hielt Euch für einen käuflichen Schindhund. Den verruchten bestialischen Sinn wird der Herr bald erkennen. Ist kein Friede zwischen Habsburg und unsern evangelischen Häusern.“
„Neidet mir der Herr meine Lorbeeren. Will der Herr, begleit er mich, sei er mein Diener.“
„Die Zeiten sind vorbei.“
Dighby zynisch lachend: „Ich werde achten, wann der Herr seinen Degen trägt. Man muß sich ja vor ihm fürchten.“
D er Habsburger ritt. Dighby zu Fuß wegen seines Hüftwehs.
Kühler Buchenwald bei Wolkersdorf, warmer böiger Maiennachmittag. Aufgescheuchte Haselhühner Marder, aus Sumpfwiesen der Lichtungen grelles Gequak der Frösche. Der Kaiser leicht gekleidet, weißes Wams geblümt mit Anemonen, bauschige Ärmel, Schlitze mit goldenen Borten; am einfachen Ledergurt quer über die Brust das Wehrgehenk; die Beine in den roten, weiten Kniehosen; hinter ihm wehte der schwarze Mantel gelbgefüttert. Er plauderte gleichgültige Dinge, schwenkte oft seinen Tummler, so daß er leicht heruntergebeugt mit einem Anflug von Verlegenheit und Besorgnis das Gesicht seines gleichmütigen Begleiters studieren konnte. Um seine Familie fragte er den Lord, der einherschritt mit dem Krückstock, tief über dem Magen den Orden am blauen Atlasband; mit dem platten schmalkrämpigen Hut sich Luft fächelnd an seine roten vollen Backen; oft mußte sich der Lord bücken, wenn er mit der großen Goldrosette seiner Halbschuh im Strauchwerk hängen blieb; noch dicker quoll beim Aufrichten in der spanischen Krause sein Hals. Der Kaiser sprach von Italien, setzte Feinheiten beim Saustich auseinander, erkundigte sich nach schottischen Hunden, schwoll über von Jagdgeschichten. Mitten über einen Waldpfad schnürten zwei Füchse dicht hintereinander dahin; der stärkere, der Rüde, voran mit einer Fasanenhenne, die Fähe mit einem zappelnden Junghasen. Dighby zuckte vorsichtig nach, der Kaiser lachte herunter über seine Gespanntheit; stellte ihm frei, morgen den Bau zu graben, die Welpen auszuheben. Noch einmal dankte Dighby für die Gastgeschenke. O, der englische Herr möge nur sehen, daß es nicht an ihm läge, wenn sich Schwierigkeiten erhöben. Er habe mit Freuden von den Ausgleichsbemühungen des Gesandten gehört, Meggau und Eggenberg hätten ihm berichtet, auch in die Denkschriften der Pfälzer Legaten hätte er geblickt. Ob sich die Majestät von der Triftigkeit der britischen Argumente überzeugt hätte. „Weiß, weiß. Meint es gut. Ist Euer Verwandter, der Pfälzer Kurfürst. Der Herr weiß, daß beim Ausgleich mein hoher bayrischer Schwager mitzusprechen hat; fasse der Herr es gut und glimpflich an; an meinem guten Willen soll es nicht fehlen. Was hat ihm sein Souverän Sonderliches ans Herz gelegt?“
„Dem flüchtigen Kurfürsten zu seinem erbeigentümlichen Land auf jede Weise zu verhelfen, zu protestieren, daß der Krieg in deutsche Länder getragen werde, da Friedrich den Krieg nicht geführt hat gegen des deutschen Kaisers Majestät, sondern gegen einen habsburgischen Kronprätendenten, er selbst erwählter böhmischer König; zu protestieren gegen die Reichsacht —.“
„Weiß, weiß, die Gründe sind mir bekannt. Sonst nichts Sonderliches?“
„Die Protestierenden werden es im Heiligen Reiche nicht leicht hinnehmen, wenn einem ihrer Glieder ein gewaltsames Leid geschieht. Wie dem sei, will der englische Souverän und sein Parlament nicht ruhig zusehen, wie ihren Glaubensverwandten Gewalt angetan wird.“
„Spreche der Herr nur weiter.“
„Der böhmische Zwischenfall ist erledigt, ist von Ihrer deutschen Majestät siegreich aus der Welt geschafft. Dies scheint uns ein Ende der Angelegenheit. Über Schadloshaltung, persönliche Sicherung sind die englischen Berater bereit, mit Friedrich in Verhandlung einzutreten; wir verhoffen uns einer guten Wirkung auf ihn.“
„Bringe der edle Graf das in München an, Schwierigkeiten und Annäherungen. Haltet nicht zurück. Mein Schwager wird Euren Gründen gerecht werden. Von mir seid gewiß: ich grolle dem Hitzkopf, dem pfälzer Friedrich, nicht; ich weiß, auch der englische Souverän hat seine Pein mit ihm gehabt und sein böhmisches Abenteuer nicht gebilligt. Ich wünschte, der britische Hof hätte vorher Einfluß auf ihn gehabt.“
„Der britische Souverän wird erfreut sein von der Friedensliebe und der Wohlgesinntheit Eurer Majestät durch mich zu erfahren.“
„Ihr müßt nach München. Der bayrische Herzog ist meine rechte Hand im Krieg gewesen; es ist nur billig, daß er es beim Friedenschaffen ist. Sagt ihm auch, daß ich Euch nach meinen Kräften begabt und empfangen habe. Sagt — nein. Vielleicht ist es besser, Ihr sagt es nicht. Nein, sagt ihm nichts davon.“ Er lächelte fremdartig, wehmütig den aufmerksamen Lord an: „Mein Herr Schwager in München ist ein absonderlicher Mann. Ich weiß nicht, wie er es aufnehmen wird; er ist oft melancholisch. Tut nach Belieben. Es gibt nichts zu verbergen.“
Über Mittag an der ländlichen kaiserlichen Tafel im Wolkersdorfer Schlößchen verweilend, wurde Dighby bei Tisch vom alten Harrach, seinem vergnügten, gewandt englisch parlierenden Nachbarn, eröffnet, daß der Kaiser dem Herrn für die Münchner Tour noch Gesellschaft mitschicken wolle, die ihm zur Seite stände bei Audienzen, ihn auf dem Laufenden erhalten möge über Wiener Ansichten, Kenner des bayrischen Herzogs. Den Nachmittag zuvor war dies festgesetzt zwischen dem Herrscher und einigen Mitgliedern der Hofkammer; erregt, fast bettelnd sagte Ferdinand: „Wir müssen alles anwenden. Wir dürfen uns nicht scheuen, jedes Mittel dranzusetzen, um zum Frieden zu gelangen.“
Und keiner der sehr klugen edlen Berater wußte, warum sich der Kaiser so um den Frieden härmte.
Nur Trautmannsdorf, der verwachsene kleine Mann, der verschwiegene, ahnte etwas, als angefangen wurde von dem Bayern, und der Kaiser davon nicht abkam, nicht abkam. Er dachte an die auffallende Begrüßung, die Ferdinand zu München erfahren hatte bei der jubelnden Rückkehr aus der Krönungsstadt Frankfurt, Ferdinand, eben zum Kaiser gewählt, gesalbt. Die eisige Maske des dunkelbärtigen Wittelsbachers, der neben seinem liebenswürdigen gebückten Vater, dem schneeweißen Verschwender und Bankrotteur, vor den Mauern der Stadt an den kaiserlichen Zehnspänner trat, stumm dem lachenden übersprudelnden Österreicher gegenübersaß in dem spiegelnden Kristallwagen. Über den Köpfen der drei Regenten brannte abends ein Feuerwerk am Isartor, an der Langen Brücke, ab, Kanonen wurden auf allen Wällen gelöst, die Donnerschläge rollten majestätisch in die dunkle schwere Sommerluft hinein. Erst am Tage darauf in der schönen und reichen Kapelle der Fürsten, angesichts des silbergetriebenen Altars, vor den wunderbaren Reliquien des Heiligen Ambrosius, des Heiligen Stephan, der Walpurga, Damiana, Agatha, Crispina, gedachte der glückstrunkene Herrscher Böhmens, und daß seine Erblande in Aufruhr und Abfall waren. Höllisch verzog sich auf dem Rückgang in die Ritterstube einen Augenblick das marmorfeine Gesicht Maximilians. Stiller wurde zwischen den Seidentapeten, den gewirkten stolzen Bildern aus Bayerns Geschichte der Kaiser; in drückendem Pomp umgingen ihn die Ritter mit blauen und roten Röcken. Eines Tages war ihm abgezwungen im fast schweigenden Hin und Her die Führung im kommenden Krieg: für die Gestellung der Heereshilfe mit den Streitkräften der Liga das unumschränkte Direktorium der katholischen Verteidigung bei Maximilian, absolute Gewalt im Kommando bei Maximilian; nicht Verhandlung noch Frieden ohne ihn. Und als der Kaiser unterschrieben hatte, war es an einem Montag gewesen, dem zweiten im Monat, an dem der Herzog Gerichtstag hielt, zwei Tage vor der Abreise, daß der Kaiser mit Maximilian eine lange Stunde in des Herzogs Sommerstube eingeschlossen verweilte. Die Stube lag zur ebenen Erde, gewölbt war sie, Figuren hatte Peter Candro an die Wände gemalt, blau und weiß war der Boden gepflastert; auf dem Sims im Umkreis prächtige Köpfe in Bronze, Marmor. Eine lange Stunde war nur zu hören Stampfen mit dem Fuß, klirrendes Hinfallen eines Degens, die flüsternde drohende beschwörende Stimme des Habsburgers; die langen Pausen vor den knappen befehlerischen Sätzen des Wittelsbachers, die aus der Stummheit kamen, wie Bulldoggen aus ihrer Wachhütte. Zwei stille Wartetage. Jähe Abreise. Der Kaiser erst gebrochen, dann finster.
„Ich schicke dem Grafen von Bristol so viele gewandte Herren mit, auf daß ihm nichts mißglücke. München ist eine Festung — der edle Herr wird davon wenig vernommen haben — die im heiligen Römischen Reiche, vielleicht auf der ganzen Erdfläche nicht ihresgleichen hat. Ja, lächle der edle Herr nicht; noch sieben Tage, und er wird mir glauben.“
„So geht der Bote des Königs Jakob einem ehrenreichen Strauß entgegen. Die Basteien des vielbenannten von Groote sollen mich locken.“
„Keine Ehre werdet Ihr ernten, Lord Dighby; ich will Euch lächeln lassen; Ihr ahnt nicht, wie vermessen Ihr seid. Eure Artillerie wird Euch in ein zwei Wochen nicht mehr bedünken wie ein Kinderstecken. Eure Artillerie wird Euch aus den Händen gerungen sein, ehe Ihr erkundet habt, wo der Feind steht.“
„Redet Kaiserliche Majestät von Ihrem durchlauchtigen Schwager in Bayern?“
„Bildlich, Lord, und in Eurem Sinne. Er ist mein Freund, und ich kenne ihn. Segne Euch Gott, Lord, auf Eurem Weg. Seid gewiß, was ich Wünsche und Gebete an Euch wenden kann, wandert mit. Seid furchtsam, ich beschwör Euch, zittert vor ihm, als wäret Ihr Tag und Nacht von Gespenstern und Teufeln heimgesucht. Zittert; erinnert Euch daran, daß ich es Euch gesagt habe. Nehmt alles, was Ihr sehen und erfahren werdet, nicht für einen Ausdruck des Gemüts, sondern für etwas anderes, was Ihr spät entdecken werdet. Ich beschwör Euch, gedenkt meiner Worte. Fürchtet den Herzog, er ist stark; er hätte es verdient, statt meiner auf dem kaiserlichen Stuhl zu sitzen.“
„Ich bin glücklich, jetzt auf meinem rechten Platz zu stehen. Ich zittere, aber nur vor Ungeduld. Herzlichkeit ist mir unbekannt, Freude kann ich schwer in meine Sprache übersetzen. Meine Artillerie steht zu Diensten. Der Feind soll sich hüten.“
Ferdinand lachte kindlich, blickte ihn verschleiert an, strich ihm die Hand, klopfte ihm die Wange; er flüsterte: „Euer Hüftweh scheint schon behoben. Schlagt ihn nur nieder; in die Knie, Lord, in die Knie; so ist’s recht: aber Euch wird der Kopf abgeschlagen. Geht. Was kann ich noch für Euch tun? Wollet gut von uns denken.“
A ls Dighby zurückkehrte in sein Quartier, noch nicht erholt von seiner Verblüffung, trat er zum Schlaftrunk, noch im weißen Überrock, den hohen, platten Filzhut auf dem Schädel, mit zerdrückter spanischer Krause, schütternd, lachend, armeausstreckend in Pavels Kammer: „Der Kaiser hat mir ein Bündnis angetragen. Wißt Ihr auch, gegen wen?“
Rusdorf schlich vom dunklen Eckschemel her, schaute ihm in das volle blutstrotzende Gesicht, auf das das Kerzenlicht fiel. Dighby klatschte in die Hände: „Bei Gott, ihr Herren. Gegen wen in Bayern? Unsere Sache steht ausnehmend gut.“ Und während er mit den flatternden roten Hosenbändern, weißbestrumpft um den Tisch ging, aus dem Glas schluckte, das ihm Rusdorf bot, schüttete er sein stolzes Lachen aus: „Ich verlange Räumung der besetzten Gebiete, Schadenersatz, Sühnegelder oder Land. So sprechen die Herren doch.“
Rusdorf: „Zunächst: was hat der Kaiser geboten?“
„Die Herren werden nachgeben müssen. Gewiß. Wir müssen zu einem Ende kommen; das ist notwendig. Gebt nach. England braucht Ruhe.“
„Das hat der Kaiser gesagt? Der Herr schien mit einem andern Ton herzukommen.“
„Scher euch das nicht, was für ein Lied ich pfeife. Die Herren haben nachzugeben. Wir müssen uns gegen Spanien regen. Der Augenblick ist da. Sonst geht’s um Hals und Kragen.“
„Das hat der Kaiser gesagt?“
„Wir müssen die Hände endlich frei haben von euch. Ihr kennt unsre Lage nicht. Wir haben genug an dem deutschen Narrengezänk. Um den Kniefall vor dem Kaiser kommt euer Kurfürst nicht herum.“
Pavel saß aufrecht im Bett; seine Beine, verwickelt wie sie waren, ließ er herunterfallen, die Augen des kranken Mannes glühten: „Herr, was untersteht Ihr Euch?“
Dighby nahm den letzten Schluck, rückte leicht an seinem Hut: „Zum Gruß. Die Herren werden nicht gefragt werden.“
Prächtig schlurrte er über die Schwelle.
Rusdorf, seinen Schemel an das Bett ziehend, mit vibrierender Stimme: „Ihr seht, Pavel, worauf es hinausgehen soll. Es war vorauszusehen. Man will über unsre Köpfe, über den Kopf unsres gnädigsten Herrn weg, den Frieden schließen. Wir werden die Festlichkeit zu bezahlen haben. Es ist nichts als ein Spiel, was man mit uns treibt in England. Die Herren treten sich nicht die Schuhe ab für uns. Man hat uns den rohesten mitgegeben, damit wir’s gut merken. Gewiß, verlaßt Euch darauf. Es ist eine Farce, was sie mit uns treiben, nichts als Theater, Sand in die Augen für ihr Volk, das uns wohl will. O, wenn wir das Parlament aufklären könnten, wie sie mit uns Schindluder treiben.“
Pavel mit glühenden Augen aufrecht: „Beruhige sich der Herr. Wir werden antworten, ohne daß man uns fragt.“
Sanft und zage suchte Rusdorf nach seiner Hand auf der Decke: „Wird der Herr abreisen können?“
„Ich denke.“
„Wir sind jetzt nötiger als sonst. Es wäre mir doppelt bitter, jetzt den Herrn allein zu lassen.“
„Rusdorf, wir werden noch einmal miteinander fechten müssen.“
Der hielt sich die Ohren zu, mit verbissener Miene: „Erinnert Euch nicht. Wir wollen unserm Herrn dienen. Wir wollen nicht an uns denken. Wie früher, Pavel, wie früher.“
Pavel starrte vor sich mit unbewegtem Gesicht: „Ich will nach Hause, Rusdorf.“
„Ihr sollt.“
„Ihr sollt; fahrt auch nach Hause.“
„Habt Geduld. Steht mir nur jetzt noch bei, Pavel. Wir können nicht nachgeben. Diesen Frieden muß ich zerstören. Ich gebe ihm nicht nach, und sollte mich der Satan selber packen.“
Nach zwei Tagen packten die Herren ihre Sachen; hoffnunggeschwellt brach Lord Dighby nach München, der Stadt des frommen Maximilian, auf; die beiden Pfälzer hinterher.
A ls es ruchbar unter den deutschen Fürsten wurde, daß über den Pfälzer Friedrich die Acht verhängt war, erschrak der alte Pfalzgraf Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg in seinem sonnigen weltabgelegenen Winkel.
Zwischen seinen Schachteln mit Diamanten kramend, über geschnitzten Kirschkernen grübelnd, die Becher aus Rhinozeroshorn abtastend und versteckend, hörte er zitternd von dem großen Krieg, denn er war aus dem gleichen Hause wie der glanzvolle geächtete Mann, dem der Engländerkönig seine Tochter gegeben hatte. An seinen Ebenholzkrücken schlich er in seine Kanzlei über weite brütende Gänge, murmelnd und händeringend seinen Kanzler, den Sartorius aus Dillingen, zu befragen. Nichts lag ihm so am Herzen, als daß alles im tiefsten Geheimnis bliebe, daß der Kanzler schwiege, daß man mehrere besondere Chiffernschlüssel anlege für diese Sache, daß auch die Söhne nicht eingeweiht würden. Besonders jener Sohn nicht, der mit einer herzoglich bayrischen Prinzessin sich vermählt hatte, denn dieser war stolz und ehrsüchtig, ein Habenichts ohne den Vater, immer mit den Augen auf dem Glanz des Münchner Hofes, das versunkene versponnene Neuburg verachtend.
„Der Krieg ist ein Totengräber,“ murmelte der Alte auf der verschlissenen Samtbank wichtig und hitzig zu dem Kanzler, „er sargt Leutchen ein, die eben noch mit graden Beinen tanzten, und uns alte Tröpfe holt er aus dem Kasten, lüftet uns; werden uns die Menschen, das Volk und die Stände, anstarren, daß wir noch leben. Der Philipp Ludwig von Neuburg! Ei, regiert denn der Wolfgang Wilhelm nicht, der wackere, der die Bayrische heimgeführt hat? Nein, der alte Philipp Ludwig hütet noch sein artiges Gärtlein, erfreut sich der Mispeln, Amaranthus und Tausendschöns wie immer. Sieh an, sieh an. Hat das große Sterben abgeschlagen, das Kriebeln und das böhmische Schafgift. Er lebt, Kanzler, ohne Zähne, am Stecken hängt er, die Finger krumm, die Knie krumm, der Darm will nicht. Der Kopf schläft uns den halben Tag und die ganze Nacht, kaum daß wir uns besinnen zu essen und Gott zu loben. Wir wären schon längst tot, wenn nicht unser Kamerad wäre, der uns ein Gläschen Wein brächte von Zeit zu Zeit und die Beine einriebe.“
„Was wird Durchlaucht tun?“
„Warten, Kanzler, wie bisher. Wir haben Zeit, wir sind ja nicht jung. Geduld, Geduld, rennt Ihr zwanzig Meilen und keucht Euch das Herz aus dem Mund, wir kommen noch nach. Die Welt kommt schon zu uns.“
„Ich werde auf Befehl Eurer Durchlaucht zunächst zwei Pläne entwerfen über unsere Ansprüche an den Nachlaß des Ächters.“
Der im Wolfspelz drehte ihm schräg mit Wackeln den Kopf zu, den dünnen Mund offen, blinzelte mißtrauisch: „Es ist nicht nötig zu planen. Was sind das für Pläne. Aus Plänen und planen wird nichts. Hört auf mich. Man darf nichts überstürzen. Laßt das. Seht mir zu, daß das Geheimnis gewahrt bleibt. Schreibt nichts auf, um Jesuwillen, schreibt nichts auf.“
„Und wenn Durchlaucht von plötzlichen Ereignissen überrascht werden, von Einmischungen fremder?“
Der zitterte, winkte mit den Armen ab, unterbrach, sich am Ohrläppchen zupfend: „Nicht so, Kanzler. Ihr dürft nicht so sprechen. Es wird nichts herkommen, den alten Neuburger überraschen. So weit sind wir nicht. In dieser Weise fangen wir nicht an. Geht mir aus dem Wege mit Euren Sachen. Grübelt nicht weiter nach. Mein Gott, ich hätte nicht darüber reden sollen. Soll denn mein ganzes Haus umgestürzt werden. Wir müssen warten. Ich werde Euch sagen, wann Ihr nachdenken sollt, wann Ihr mithelfen sollt.“
Abgehend streichelte er ihm den Handrücken, süßlich lächelnd, meckernd, jammerte leise.
Der Kanzler wackelte lang und knickrig die beiden Stufen zu dem Schreibschrank hinauf, seufzend trat er ein, spielte mit der Papierschere am Tisch. Es war Mißtrauen, was der Fürst äußerte; innerlich fieberte der Alte. Es sollte niemand daran teilnehmen. Ungeheuer war der Geiz des ehemals lustigen Mannes gestiegen, was er nicht in Diamanten und Kuriositäten anlegte, versteckte er in Eisenkästen und Kisten, die er auch in Gärten vergrub. Er klagte über jeden Gulden, den er für Ausbesserungen des Schlosses, neue Livreen ausgeben mußte. Ganz unfürstlich hatte er vor einigen Jahren seine Gemahlin begraben lassen, nachdem er sich nicht gescheut hatte zu erklären, solche Bestattung sei ihr Wunsch gewesen, der Wunsch der Fürstin, die unter seiner Habsucht und Nörgelei allmählich erstarrt war in dem stillen Neuburg und noch einmal wenig aufgelebt war nach der Vermählung des ältesten Sohnes, der sich vom Hof fernhielt. Sie wußte, daß der Pfalzgraf sie wie eine Bettlerin verscharren würde. Jetzt konnte man ihn bestehlen, wenn man wollte; er vergaß, was er eben angriff; die wenigen Diener, die ihm anhingen, bewahrten seine Habe, indem sie ihn einschlossen, wo sie ihn trafen.
In den nächsten Wochen fand man den Fürsten, der Sommer und Winter in einen Wolfspelz sich einmummte, von kleinen Zettelchen umgeben, die er gierig aufraffte, sobald er erwachte, und sammelte, bei sich versteckte, in Taschen, Pantoffeln, den Hosen, hinter irgendeinem Ofen, an dem er unbemerkt vorbeiging.
Einmal kamen die Bauern vor die Schloßrampe, mit ihren struppigen Haaren, biederen und grimmigen Mienen, plumpen Schuhen, die Hahnenfeder steil auf den kleinen Hüten, trugen Klagen vor gegen zwei Amtmänner, einen Rentmeister, machten große Pausen, hoben immer wieder die Hände. Es würde zu viel schlechtes Geld ins Land geschleppt; sie wollten Salz nicht um doppeltes Geld kaufen, sondern da, wo es am billigsten sei; die Juden sollten vertrieben werden; der Rentmeister erhebe Wegzoll überall, aber sie wollten nur da zahlen, wo gute Wege seien; man möchte den Amtleuten das unberechtigte Holzschlagen in den Gemeindewaldungen verbieten.
Der Alte mit dem Kanzler auf der Rampe keifte mit den Gärtnern, daß sie die Bauern vor das Schloß gelassen hätten, wo überall frischer weißer Sand gestreut sei. Die Bauern sollten sich nicht beifallen lassen, denselben Weg zurückzugehen durch den Park und alles zu verdrecken und betrampeln; sie würden geführt werden um das Schloß herum, dann hätte einer hinter dem andern den Küchenweg zu spazieren. „Was wollt ihr eigentlich hier?“ schrie er schnüffelnd, an seinem Ohrläppchen arbeitend, „wißt ihr nicht, wo ihr hingehört? Warum geht ihr nicht an eure Arbeit? Ihr sollt machen und marschieren, wo ihr hergekommen seid. Wißt ihr Tröpfe, was ihr seid? Bärenhäuter, Fuchsschwänzer! Mir die Wege vertrampeln! Fort mit euch! Kriegt Hunde an den Hals.“
Und während sie langsam, störrisch, mit verzerrtem Gesicht, niedergeschlagenen Augen an ihm vorbeizogen, wie man sie führte, und sich verneigten, schmähte der kleine Alte mit rotem Kopf auf sie und spuckte; sie sollten nicht ihr Geld verspielen, in den Badehäusern sitzen und schwätzen. Dardanisches Spiel, Cinque, Sesse, die Filzlaus! Die verdammten Spötter und Schnurrer, die sie auf die Dörfer riefen, Seiltänzer Eisenfresser, fahrende Fräulein, und die Abgaben verweigern der Obrigkeit! Zu saufen wie Soldaten und reiche Herren!
Als sie davongemurrt waren, spie er auf den Gängen und Stiegen noch aus, lachte schlimm; die Weiber steckten dahinter mit ihrem sündhaften Begehren nach Putz und Quinquireleien; tut man bald gut, das Hexenvolk von den Äckern zu verjagen. Der Kanzler, beim Durchschreiten einer Hofgalerie, meinte leise, die Amtleute müßten höher bezahlt werden. Böse meinte der Fürst: „Recht so, recht so. Die Herren sollen wissen, wer regiert! Nichts da von Nachgeben. Lassen wir uns die Welt über den Kopf wachsen, Sartorius?“
Brummelnd meinte er etwas von dem böhmischen Schafgift, das ihm nichts angetan habe.
Am Geländer stand er auf seinen Krücken fast eine halbe Stunde, vor sich zischelnd, den Kanzler nicht beachtend, lebhaft gestikulierend. Zog seinen Mantel fest, sah an dem Kanzler auf. In der Kanzlei, mit flüsternder Stimme, gab er dem verblüfften Mann Befehl, alles stehen und liegen zu lassen; in einer Woche wolle er mit ihm eine Reise antreten.
Philipp Ludwig verabschiedete sich nicht von seinen Söhnen; es hieß, er mache einen Jagdbesuch bei seinem Nachbarn, dem Markgraf von Burgau. Unter dem Kopfschütteln des Haushofmeisters und allen Hofgesindes bestieg er mit fünf Mann Gefolge die Reisewagen, nachdem er noch schniefend dem Vertreter des Kanzlers Acht empfohlen hatte „auf die arglistigen Bauern“. Soviel Geld und Pretiosen er im Gepäckwagen transportieren konnte, nahm er mit; heimlich schlossen sich eine halbe Tagereise hinter der Stadt zwei Rotten Berittene an, die er gedungen hatte als Geleit. So zog er stattlich durch die Grafschaft Scheyern Pfaffenhofen. Dort brach die Achse des Gepäckwagens vor dem Krug. Geschrei Lamentieren des Fürsten, der tiermäßig vermummt sich nicht bewegen konnte unter seinen Pelzkappen, gestrickten italienischen Hemden, wattierten Wämsern, Strümpfen aus Lammfell. Seine Furcht, die Sache könnte ruchbar werden, man könnte Verdacht schöpfen in Neuburg, die Söhne könnten etwas merken, die Berittenen könnten den Gepäckwagen plündern. Verängstigt schnaufte er aus seinem Fellhaus heraus mit dem steifen stummen Kanzler, ob man die beiden Rotten nicht fortschicken solle; man hätte den Bock zum Gärtner gesetzt; aber dann sei man den wartenden Soldaten und Fechtbrüdern ausgeliefert. Er gab dem Kanzler ein Galgenmännchen in die Hand, er selbst umklammerte mit jeder Faust zwei: „Greift sie fest, daß nichts geschieht.“ Die Berittenen mußten sich, als die Achse gestützt war, vierzig Schritt hinter dem Wagenzug halten. Über Dachau Nymphenburg näherte man sich nach zwei Tagen München. Der Pfalzgraf, übergeschäftig, hocherregt, wagte sich aus seinem tierischen Kerker heraus, schweißbegossen, bisweilen völlig wirr im Wagen nach vielem Schwatzen Disputieren und Aushorchen legte er als seinen neusten Trumpf hin, daß man in München nicht so kurzerhand vorgehen könne, wie wenn es sich um die Privatsache von Hinz und Kunz handle, daß man nicht so einfach gerade ausgehe, seine Kammerdiener und Läufer schicke, sich von einem Hofmeister ein Losament anweisen lasse, einen Besuch abstatte, Gegenbesuch erfolge, Geschenke Gegengeschenke Besprechungen Banketts Zechereien des Gefolges, Ausritte Karussells. Dabei bringe man eine Sache von solchem Gewicht leicht ins Lächerliche, bringe sie zum Versanden zwischen lauter Gerede und Höflichkeit.
Kurz und gut, er sähe gänzlich ab von einer persönlichen Rücksprache mit dem Herzog Maximilian, gänzlich und überhaupt.
Was dann nun sei, geschehen solle, sann besorgt der Kanzler; so müsse man wohl umkehren. Also, fuhr der Pfalzgraf fort, er sähe gänzlich davon ab. Er für seine Person. Es sei seine Ansicht, durchaus seine Privatsache. Er hindere niemanden, eine abweichende Ansicht, Meinung zu haben; im Gegenteil, es sei jeder sogleich verpflichtet, sie vorzutragen, zu vertreten. In ihm war kurz vor dem Ziel, vor dem fernen Blinken der Liebfrauenkirche die entsetzlich beschämende Furcht aufgetaucht, der ganzen Situation nicht gewachsen zu sein; die Persönlichkeit des Bayernherzogs drohte; ihm graute davor, sie könne sich an ihm, dem Neuburger ehrwürdigen Pfalzgrafen, vergreifen, irgendwie ihm respektlos begegnen. Er fühlte sich, noch nicht eingetreten in die Stadttore, überwunden von Widerwillen, einem Durcheinander peinlicher Bilder; sah sich schon auf einem Sessel in der feierlichen bayrischen Residenz, schwerhörig wie er war, unfähig den Spitzen und Feinheiten von Maximilians Worten zu begegnen; ein ängstigendes Schauspiel.
Er ließ sich Kissen in den Rücken schieben, die Vorhänge schließen, einen langsamen Schritt anschlagen. Diese Trockenheit in Bayern, klagte er. Er werde jedenfalls, wenn es denn sein solle, den Maximilian im Hintergrund beobachten fassen erwischen. Dabei blinzelte er seinen gespannt nachdenkenden Kanzler, die trübe ehrliche Gestalt, an, ob der ihm nicht irgendwie zuvorkäme. Der rang die Hände, hatte einen heißen Ton in der Kehle: „Was machen wir, Durchlaucht? Mein Heiland, die ganze Fahrt, die lange Fahrt; und Durchlaucht werden erschöpft sein.“
„Ja, erschöpft. Er hat es gefaßt, Kanzler. Ich bin erschöpft. Mehr als das, völlig unbrauchbar. Mir fehlt nur das Bett. Ich bin ein alter Mann.“
Er bat auch um das Kissen des Kanzlers: „Ihr seid ein verständiger Mann. Ich hätte keinen bessern mitnehmen können. Wir werden ein wenig schlummern.“
Während der Kanzler entsetzt Minute nach Minute zählte, sie sich den nördlichen Stadttoren näherten, schlummerte der Fürst oberflächlich, murmelte befriedigt, man dürfe in keinem Fall Dinge überstürzen; jeder sehe, daß er müde sei; er möchte das Weitere übernehmen. Als er zwischen den leicht gehobenen Lidern den Blick des Kanzlers erkannte, wiederholte er sanft: „Übernehmt nur das Weitere. Ich werde Euch Vollmacht erteilen.“ „Aber Durchlaucht.“ „Kanzler, Ihr braucht mich gar nicht viel fragen. Ich habe Vertrauen zu Euch; ich hatte es schon immer, konnte es nur selten offen äußern. In den Jahrzehnten, die Ihr um mich seid, habt Ihr die Grundsätze meiner Regierung genugsam kennengelernt. Ihr habt Euch längst — ich weiß ja, seid nicht zu bescheiden — alle Selbständigkeit in den Regierungsmaßnahmen erworben.“
Der wand sich, verneigte sich, errötete, hob die Finger an die Schläfe.
Der Fürst ließ den Wagen halten, schlief eine halbe Stunde. Er lächelte im Weiterfahren erquickt den andern an: „Ich habe, wenn ich Euch gelehrten und wohlerzogenen Mann betrachte, die wirkliche und ehrliche Meinung, daß Ihr die Neuburger Regierung ganz in meinem Sinn führen könntet. Als Nachfolger könnte ich mir niemand lieber wünschen als Euch. Wie schlapp bin ich. Doch ein müdes, morsches Haus.“
Als der Kanzler gebeten hatte in seinem Schreck, neben dem Wagen spazieren zu dürfen — er gedachte Zeit zur Überlegung zu gewinnen, indem er das Tempo des Wagens verlangsamte — blickte ihn der Alte, drin langhingestreckt, den rechten Arm anhebend, listig an; ob er auch das Galgenmännchen ordentlich drücke; dies sei die Hauptsache; dann passiere nichts; Maximilian trage wohl keins; da sei man ihm über. Im übrigen wisse er etwas; das Einfachste sei, der Kanzler vertrete ihn beim Herzog. „Tretet ihm ruhig entgegen. Lasset Euch von seinen Praktiken nicht imponieren. Ihr fühlt ihm auf den Zahn; wie leicht ist das. Übermorgen kehren wir heim oder einen Tag später, wenn das Wetter gut bleibt.“
„Und Ihr, Durchlaucht?“
„Und ich? Wir sind hier Fremder, ein Gast des Neuburger Pfalzgrafen. Macht Euch darum keine Sorgen. Ich werde Euch Direktiven geben, wenn ich mich restauriert habe.“
Wieder rang der die Hände, es ginge nicht, der Fürst als sein Begleiter, es ginge wider den Respekt, um Himmels willen, welche Verirrung, welche Verwirrung, welche Herausforderung göttlichen Grolls.
„Mein Lieber,“ gähnte gutmütig der Fürst, die Augen geschlossen, „wage Er es nur. Wir befehlen es Ihm, und so ist Er jeder Verantwortung vor göttlicher und menschlicher Behörde ledig.“
„Aber um Jesu willen, der Respekt, der Respekt vor Eurer pfalzgräflichen Gnaden. Was soll der Herr Herzog in Bayern und ihr erlauchter Hof von mir denken, daß ich glaube, im Namen des Neuburger Fürsten selbständig verhandeln zu können.“
Befriedigt nahm das der Pfalzgraf an; es werde nicht peinlich sein, jedenfalls nicht sehr; er werde alles in die Wege bringen, freilich etwas peinlich bleibe es. „Gegen Euer Durchlaucht Haus, gegen die Anverwandten, die hohen Vorfahren.“ „Freilich, es ist peinlich, bitter peinlich. Es ist ein Unrecht gegen das Haus. Aber es muß sein. Wir verantworten es. Wir befehlen Euch, uns während unsrer Schwäche nach Vermögen zu vertreten.“
Ruhelos trabte draußen der Kanzler; in einem plötzlichen Entschluß küßte er die auf dem Wagenschlag ruhende runzlige Hand des Alten, demütig, tief demütig innerlich um Verzeihung bittend für alles Zukünftige.
Die Reiter abgedankt, am Abend am Schwabingtor von der Torwache eingelassen, vom Schreiber vermerkt als Neuburger Kanzler Sartorius nebst unterschiedlichem respektierlichem Anhang bezogen sie Quartier in der berühmten Herberge „Der Strauß“. Tapsig schritt der Fürst neben seinem verlegenen Kanzler her in unsäglichem Behagen. Er lachte kräftig, wie er sah, daß man dem Heiligen Benno hierzulande in der Frauenkirche täglich mehrere Zentner Kerzen verbrannte. Am Weinmarkt stand das mächtige Landschaftshaus. Der Geheime Rat Jocher nahm im Alten Hof, in einem Gemach der Hofkriegskammer, den Vortrag des Neuburgers entgegen; recht wenig Haltung zeigte der Kanzler vor dem starken großen würdevollen Mann, der ihn mit überlegener Höflichkeit zur Stiege begleitete.
„Wir bleiben bis zum Bescheid,“ erklärte Philipp Ludwig. Eine Mietssänfte führte ihn den halben Tag durch die Stadt; der Fürst kam nicht aus dem Lachen heraus. Wie sie alles zeigten, nichts versteckten: Bilder Schmuckwerk Tapisserien, Bauten über Bauten, vierstöckige Häuser, Prunkfassaden, Kirchen voller Reichtümer. „Haltet den Beutel zu,“ kicherte er abends dem Sartorius in der Schlafkammer zu, „was gibt es für Narren. Unser Neffe Maximilian hat viel Geld, schönes schönes Geld. Seht an: er verdient es nicht. Er wirft es weg.“
Aus der mürrischen einsilbigen Äußerung des Herzogs machte Jocher die umständliche Belehrung an Sartorius, der sie ehrerbietig entgegennahm, daß die Kur nach Ächtung des Pfälzers natürlich an den Kaiser zurückfalle, der sie weitergebe; gäbe er sie dem erklärten Ächter nicht wieder, so einem Bruder, einem bestimmten nächsten näheren Anverwandten, und so fort. Sei alles Sache des Kaisers und der Hofkammer; diese gelehrte Institution verdiene jegliches Vertrauen; möge jeder gewiß sein, daß sein Recht dort und bei Erwählter Römischer Majestät ruhe wie in Gottes Schoß.
Jocher schickte vor dem Abschied, da er bei einem Gegenbesuch einen alten einfältigen Gesellen als des Sartorius Reisebegleiter im „Strauß“ antraf, einen gewandten bessern Mann, der München kannte. Dieser setzte sich, grob wie er war, nachmittags ohne weiteres in der Kammer des Fürsten fest, warf die kostbaren Kisten die Treppe herunter auf den Vorflur, lachte den vor Zorn stammelnden, der abends angetragen wurde, samt dem völlig rat- und hilflosen Kanzler, schallend vor dem Gesinde aus, ja verhöhnte ihn, als er ihm zitternd befahl, die Kammer zu räumen. Hin und her lief auf dem Flur der Pfalzgraf nachts in seiner Wut, wurde nach lebhaftem Wortwechsel von dem Kavalier vor die Tür gesetzt, in der Nachtmütze, Kerze in der Hand, Schlafrock um den Körper. Die Nacht über saß er betäubt auf dem Treppenabsatz, beim ersten Hahnenschrei wurde das Tor von Frauen geöffnet, die in die rückwärts gelegenen Stallungen mit Kannen und Eimern schlurrten und vor ihm aufschrien und noch Zeter schrien, als er schon in der ehemaligen Kammer seines Kanzlers sich Knie und Schenkel rieb, heftige leise Selbstgespräche führend gegen den Kavalier. Entschieden verbat sich aber der Fürst am folgenden Tage von Sartorius jede Beeinflussung des Kavaliers; er wahre seine Rechte selbst, wünsche nicht bevormundet zu werden; damit ordnete er die sofortige Abreise an.
Zwei Stunden weit hinter München geleitete sie der Münchner mit fröhlichem Geplauder und Späßen. Es bereitete dem Herrn ein rechtes Gaudium, den alten fremden Gesellen zu malträtieren. Zu einer förmlichen Pufferei Knufferei hinter dem Rücken des Kanzlers kam es, der verzweifelt vieles davon beobachtete, durch die Winke Philipp Ludwigs bedeutet wurde zu schweigen. Seitwärts bog dann der Wagenzug des Fürsten in ein lichtes Gehölz; stundenlang schlief er weich auf Bettpolstern unter dem Wagenplan, nachdem er sich gierig sattgegessen getrunken hatte. Nach dem Erwachen fragte er nach den Geschenken, die Sartorius in München empfangen hätte. Im Gras wurde vor ihm ein Kistchen geöffnet; es schälte sich aus eine silberne Aderlaßschale, eine hohe Majolikavase, ein Löwe als Lichthalter aus vergoldeter Bronze. Er drehte die Stücke nach allen Seiten, beklopfte sie, daß das Heu abfiel. Nachdem er das Einpacken beaufsichtigt hatte, in sein Pelzwerk eingeschlagen, auf seinen Wagenplatz gehoben war, die Berittenen antrabten, gab er Befehl nach Regensburg. Seine Augen blitzten: „Meint Ihr, mich hätte das erschreckt mit dem Hundsfott? Die Antwort meines Neffen Maximilian hat mich genugsam in jeder Minute belustigt. Was tut der Herzog anders als ausweichen. Totschweigen ist die Taktik dieser Welt, wenn es sich um rechtmäßige Ansprüche handelt.“ Er kicherte fröhlich: „Geh nach Hause, hat mein Neffe gesagt; wenn man alt ist, tut man nichts Gescheiteres als sterben. Neuburg ist so schön, hat so schöne Gärten, Lauben, Äcker, soviel Vieh, und an Kühen fehlt’s nicht für Butter und Sahne und Milch. Die Wälder stecken bis Burgau und Dillingen voll Hirschen und Fasanen; Forellen schwimmen in den Bächen, und die Hechte und Karpfen. Geh nach Hause, sieh dir deine Brillanten an.“ Er rieb sich die Nase, brummelte aus seinem Sack: „Schlau geantwortet, Herr Max in Bayern. Hat der Herr Sartorius etwas Auffälliges gesehen in seiner Stadt München?“ „Genugsam, Durchlaucht. Reichtümer in vieler Form.“
„Und was hat er davon gedacht?“
Der Kanzler schwieg, er freute sich, daß sein Herr prahlte.
„Empörung habe ich gedacht. Ich lobe den Krieg. Der Krieg scheint mir doch mehr Gerechtigkeit zu haben als das Wiener Gericht: seht mich. Wäre nicht dem unruhigen Pfälzer die schwere Prager Schlacht begegnet, so — ja, so wäre ich schließlich doch gestorben, es wäre mein fleischliches Los gewesen. Und hätte bis zu meinem Tode mich glücklich vermeint, weil ich meine Hand bis an den Knöchel in eine Schachtel mit Edelsteinen stecken kann. Statt dessen —“ Giftig blickte er hervor, er spie über den Wagenschlag.
Der Kanzler verneigte sich: „Es war ein Glück, daß Durchlaucht nicht offen in München erschienen sind.“
„Es hätte Skandal Schlägerei gegeben in offenem Gespräch beim Herzog.“
Er wog die Geschenkkiste in der Hand, fragte mißtrauisch, ob Sartorius nicht vielleicht noch eine zweite empfangen hätte, vergessen.
Philipp Ludwig fuhr nach Wien völlig unangemeldet, die Namen der Geheimen Räte und Kämmerer, ihre persönlichen Verhältnisse waren ihm unbekannt; gedachte wie Blitz und Donner dort einzuschlagen; es bedurfte keiner Vorbereitung zur Entladung.
Auf das Schiff, das ihn die Donau hinuntertrug, stellte er offen auf Deck sein Wappenschild. Sehr wenig adlig zog er, vor Wien aussteigend, gegen die Stadt; ingrimmig knurrte er gegen Sartorius: „Ich komme von Rechts wegen. Lasse sich der Herr das nicht grämen.“
Die erste Erkundung, die er einzog, war am Stubentor, wo ein großes Bad war. Dort hinein schickte er einen Kammerdiener zu dem Badmeister, vertraulich auszufragen, wo sich an einer der Hauptstraßen oder Märkte eine nennenswerte Herberge fände. Der Badmeister, auf den Klang des Namens Pfalzgraf von Pfalz-Neuburg, ließ sich nicht verdrießen, den Topf Wasser, mit dem er die heißen Steine besprengte, auf die Fliesen zu stellen, halbnackt, den linken Arm voller Badewedel herauszutreten vor seine Tür, dem eingepelzten mürrischen Herrn tiefe Verbeugungen zu machen; das schäbige Gefolge stieß ihn sogleich ab; er mußte sich lange auf ein vornehmes Losament besinnen. Sein muskulöser Gehilfe, halbnackt wie er, kam hinzu. Der schwang sich auf einen dicken scheckigen Gaul, den er für einige empfangene Heller an der Mähne aus dem Stall zog; ungezäumt ritt er der Sänfte mit den beiden Fremden — die Kammerdiener zogen durch den Kot und Morast — voraus, sein Badelaken um die Schulter, „hü, hüah, hüäho!“ schreiend, die Glocke schellend, an jeder Straßenkreuzung, an die Fenster hinein zum Bad Schröpfen Aderlassen einladend, öfter anhaltend, lärmvolle Gespräche mit Passanten führend. Die entschuldigenden, bedauernden Bemerkungen des Kanzlers winkte der Fürst, als sähe höre er nichts, ab. „Kommen unser Recht zu holen. Lassen wir das.“
In dem Gewölbe seiner Hauskapelle am Tage St. Urban, watend knöcheltief in Rosen vieler Farben, empfing der Abt von Kremsmünster, von Schultern, Ärmeln des schwarzen Seidentalars die roten duftenden Blätter schüttelnd, lächelnd den Pfalzgraf von Pfalz-Neuburg, einen harthörigen hinkenden Mann, der sonderlich unsauber in Tuch und Fell gekleidet war, sich knapp verneigte, die Mütze lüftete, sich mit offenbarer Erleichterung aus dem blauen behangenen durchflochtenen überfüllten Raum in einen sehr hohen kreisrunden Vorraum von seinem schäbig livrierten Kammerdiener führen ließ. Von oben fiel helles Sonnenlicht durch bunte Scheiben auf die Fliesen; gütig schob der Abt dem Fremden einen Fußteppich zu; zwei Sessel auf den lichtbespielten Fliesen, Wände, die sich über ihre Köpfe einander entgegenhoben, mehrfaches Echo bei jedem lauten Wort.
Der Pfalzgraf knaute, er habe bei eben erfolgtem Besuch in München sich nicht der Unterstützung seines Anverwandten und erlauchten Neffen, des Herzog Maximilians Liebden, zu erfreuen gehabt, zu seinem Bedauern. Dieser habe Gleichgültigkeit gegen ein wichtiges Familieninteresse prätendiert. Sei ja die Acht namens des Reiches über den Pfälzer Kurfürst verhängt, werde von Reiches wegen über Kur und vielleicht auch Kurlande weiter verfügt werden; melde er für die ehemals mitbelehnte Linie Pfalz-Neuburg Ansprüche an, nach Goldener Bulle, Hausgesetzen, Reichsgesetzen seine Erbschaft und bekenne sich dafür. Der Abt fragte nach schriftlichen Vorgängen, indem er den Blick senkte. Und dann weiter, ob er in München also gewesen sei, und wenn erlaubt, mit welchem näheren Zweck. Um dem Bayernherzog die Hand zu schütteln für seine Tapferkeit gegen die böhmischen Rebellen, für erwiesene Treue gegen des Römischen Kaisers Majestät. Und ferner. Nichts weiter, er hätte sich verpflichtet gefühlt, Dank abzustatten als alter Reichsfürst, auch zu bewirken, daß die Sachen in rascheren Fluß gerieten, wenn Maximilian sich ebenso tapfer wie in der Verteidigung des Reiches in der Verfechtung der Konsequenzen zeige. Nun? Nun, Maximilian sei Ritter, Kämpfer vom alten Schlag. Diplomatisches liege ihm nicht; es sei nichts weiter von ihm zu erwarten. Antonius flatterte ein rosa Blatt aus dem weiten Ärmel seines Talars; er rieb es sich lächelnd über die Lippen, zerdrückte es zwischen den Fingern der Linken; versprach sich der Schriftstücke sorgfältig anzunehmen. Wie es der erlauchten Neuburger Familie ginge, von der er immer so Erfreuliches vernehme durch den Probst von Ellwangen. Der Fürst, sich an seine Stöcke klammernd, hörte scharf und mißtrauisch, gab halbe Antwort, ließ sich von dem Kammerdiener, in Furcht, man könne versuchen ihn zu beeinflussen, rasch in seine Sänfte führen. Der Abt betrachtete lange den Sessel des Fürsten, schüttelte neue Rosenblätter aus seinem Talar, rief einen braunkuttigen dienenden Scholar; man möchte zu Herrn Jesaias Leuker, dem bayrischen Gesandten schicken; er wollte mit ihm sprechen, von dem kuriosen Besuch erzählen, was sich davon denken ließe.
M ittags im Saal des Noviziatengebäudes der Gesellschaft Jesu zu Sankt Anna, vor einer Aufführung des „Heldenmütigen Ritters Michael“, der kleine stille Abt im Gewimmel der lichtblauen Talare aus der Lilienburse, der schwarzen Röcke von Sankt Anna, blitzende Hoftrachten, zwischen Rosenkränzen, knisternden Schärpen Wehrgehenken erwartungsvollem Lächeln. Leuker wußte nichts von dem Neuburger Besuch in München, war dann nicht wenig erschreckt — sie gingen kopfgebeugt zur alten Kirche herüber, der Kaiser betrat den Theatersaal — als ihm blitzschnell einfiel, daß seit fünf Tagen Marcheville, der französische Geschäftsträger, ein beweglicher verschlagener Gesell, ebenso elegant wie zweideutig, im Besitz ungeheurer Summen und mit völlig undurchsichtigen Zielen, in Wien logiere, ohne erkenntlichen Zweck, wohl aber private Besuche mache, auch in der Herrengasse, wo der kuriose Neuburger logierte. Und ebenso erschreckt war der Abt selber. Unter den alten Buchen vor der Kirche fragte er, ob denn des Herzogs in Bayern Durchlaucht irgend etwas habe verlauten lassen, mittelbar oder unmittelbar, was vielleicht zu Ohren jenes armseligen Pfalzgräfleins gelangt sei, in ihm die unsinnige Vermutung erweckt habe, es sei etwas verfügt betreffend Kurlande und Kurwürde des Ächters. Der andre fühlte, daß ein leiser unruhiger Ton in der Stimme des Würdenträgers klang; er lachte herzlich, herzlicher, als er gewollt hatte. Oder ob vielleicht das Französlein selbst etwas Kompetentes wüßte; es stecke etwas dahinter, daß Marcheville auftauche, sich hinter das Pfalzgräflein stecke. Sie standen sich unsicher am Kirchenportal gegenüber. Leuker meinte gelassen, er werde bei seinem Fürsten anregen, daß auf den blöden Neuburger, den Anverwandten des Hauses eingewirkt werde. Dieser Mann irre zweifellos halb gedankenlos im Reich umher, lasse sich benutzen, könne dem Ansehen des Hauses nur gefährlich werden. Antonius seufzte, schüttelte ihm die Hand; er sei freilich ein kurioser Mann, der Pfalzgraf von Pfalz-Neuburg, „aber Ihr wißt selbst, Marcheville ist in dem Falle noch kurioser. Marcheville hat gar keinen Sinn für deutsche Sonderbarkeiten; er will etwas. Er weiß irgend etwas besser als Ihr und ich.“ „Er wird sich einen Spaß mit dem Alten machen vor seinem Gefolge,“ lächelte der Bayer. Und diese leichtfertige Bemerkung aus dem Munde des gewiegten Leuker beunruhigte den Abt aufs höchste, sein Begleiter mußte so gut wissen als er, daß Marcheville keine Späße machte; dann wußte auch Leuker mehr als er. Und da stand er und lächelte aufdringlich.
Hastig ging nach einigen höflichen Worten Antonius in den Saal zurück; Gesang scholl ihm entgegen. Ferdinand auf erhöhtem Purpursitz blickte ihn freundlich an. Der gelehrte Leuker, der stämmige gesundheitstrahlende kaum ergraute Mann fand erst nach einer halben Stunde sich über den Gartenweg zurück. Verwirrt nicht über das Gebaren und die Bemühungen des armseligen halbtoten Neuburgers, aber über Marcheville, über seine dunklen Wege hinter dem Rücken des halbtoten Narren; Marcheville sein Freund, beinah sein Freund! Und Bayern hatte den Kaiser doch im Sack! Samt der Kur! Begünstigt von diesem Frankreich!
Von seinem Besuch in München ab war Philipp Ludwig dem Franzosen nicht aus den Augen gekommen. Der würdevolle Jocher ließ zu ihm ein Wort fallen bei einer intimen Information über des Neuburgers possierliche Gesandtschaft im „Strauß“. Als der Pfalzgraf das Stubentor passierte, begleiteten ihn schon zwei Geschöpfe Marchevilles; in der Herrengasse nahe dem Gitterbrunnen und dem Haus der Landstände wohnte der Neuburger; ihm gegenüber logierte seit einigen Tagen völlig privat, seinen Schmetterlingssammlungen hingegeben, der französische Geschäftsträger. Ein nachbarlicher Besuch, rasch gemacht, wurde am nächsten Tage erwidert. Ehe Neuburg daran dachte, eine Audienz zu erbitten oder Fühlung mit dem Kabinett zu nehmen, trat Marcheville ohne Maske als französischer Gesandter in seine Gaststube, überbrachte besondere Empfehlungen des Sehr Christlichen Königs aus der Hand des Staatssekretärs Puisieux. Neuburg mußte die Konferenz rasch abbrechen, der Schreck war zu groß, gegen die Welschen hegte er ungemeinen Haß; daß der Geschäftsträger selbst kam mit einem offensichtlichen Auftrag seines jungen mutigen Souveräns, daß Frankreich die Pfalzgrafschaft Pfalz-Neuburg diplomatisch anging, warf seine Fassung über den Haufen. Im Erker, im dicht verhängten, vor einem Fäßchen Rosinen suchte er sich neben Sartorius, dem seriösen, der immer aus dem Schlaf gestört schien, zu erholen. Als sie beide ohne Haltung auf den Schemeln saßen, die Rosinenstengel in Wein hängen ließen, die nassen Beeren rissen schluckten, flüsterte entgeistert der Kanzler: „Wie soll man sich gegen ihn benehmen. Es ist keine Schreibstube da, keine Dienerschaft, keine Geschenke; es fehlt an allem.“
„Ich kann nicht meinen ganzen Säckel hergeben für —“ schrie der Pfalzgraf, Körner spuckend, die Stengel zertretend; „es wächst mir über den Kopf.“ Sartorius stimmte bei; es sei entsetzlich.
„Wollen wir weg?“
„Wollen wir nicht fliehen?“ in einem Atem fast mit seinem Kanzler der Fürst, „wir können nicht wissen, was sich aus diesen Dingen entwickelt. Das Beispiel des Heidelberger Friedrich ist nah genug, nah genug. Die Prager Schlacht hat gewirkt. Bei mir braucht es keine Prager Schlacht. Ich strecke meine Hände nicht nach fremdem Gut aus; ich insurgiere nicht.“ Er knirschte mit den Zähnen: „Wenn sie mich stürzen wollen, als Geächteten, bei mir geht es leichter. Mir dreht man als altem Hahn den Hals um.“
Er dürfe nicht mehr empfangen werden, bestimmte der Kanzler.
„Es geht schwer, es geht schwer,“ ächzte der Fürst, „wir wohnen zu dicht beisammen, er beobachtet mich. Sind die Läden geschlossen? Laßt die Roßknechte nicht heraus, meine Sänfte soll immer im Haus bleiben, die Pferde —“ Gebrochen lehnte er sich zurück: „Ich weiß, wir können uns nicht wehren.“
Und wie er mit geschlossenen Augen auf dem Schemel hing, stieg in dem Kanzler, der die Becher beiseite schob, die Furcht auf, er möchte wieder ermüden wie auf der Reise nach München und ihm alles überlassen.
Der Fürst winselte: „Es müssen Leute geholt werden, gelehrte, man muß sie zusammentrommeln, einen Staatsrat, man muß sich ordnungsmäßig konstituieren, beraten. Ich kann sonst nicht.“ Er hatte trockene Lippen, blickte erschöpft: „Wir müssen ihm das sagen. Ich habe meine Minister nicht da, nicht vollzählig da, ich kann nicht ohne sie beschließen; es widerstrebt mir, es ist nicht Tradition in Neuburg.“
„Und Ihr,“ giftig fuhr er dem Kanzler vor das sich hochstreckende Gesicht, „seid nicht mein Minister. Ihr seid mein Geheimschreiber. Nichts weiter.“ Der verneigte sich: „Ich werde es ihm sagen.“
Philipp Ludwig raufte sich auf dem Gange die weißen Schläfenhaare: „Wien! Wien! Die Prager Schlacht!“
„Durchlaucht,“ klopfte nach einer Weile Sartorius an seiner Schlafkammer an, „in Neuburg sind die Kirschen und Johannisbeeren reif; die Stachelbeeren auch. Mit den Erdbeeren wird’s bald vorbei sein. Es ist noch Zeit. Der Pommernherzog schickt bald seinen Künstler mit den Auslagen.“
Den nächsten Besuch des weichen edlen Seigneurs trübte das starke Mißtrauen, das der Fürst an den Tag legte; kaum sprach er; sein Geheimschreiber neben ihm machte bei der Audienz Notizen auf der Schreibtafel. Marcheville wies dem mürrisch ungeduldig zu Boden starrenden Herrn dieselben Gründe vor, die von ihm selbst in den vier Neuburger Denkschriften niedergelegt waren, die Ansprüche Neuburgs auf die Kurwürde und pfälzisches Land, gestützt auf die Verwandtschaft mit dem letzten Kurinhaber, auf die Mitbelehnung, die Goldene Bulle, Hausgesetze, gültigen Reichsgesetze. Der Sehr Christliche König wolle nicht versäumen, erklärte der Geschäftsträger, die geöffneten Hände mit tiefer Verneigung nach hinten schwenkend, sich rechtzeitig der Gunst des neuen Kurfürsten zu versichern.
Neuburg, obwohl äußerlich in Haltung, ruhig mit dem eingeladenen Fremden bei einer kleinen Vormahlzeit, war bis zum Erliegen erschüttert. So sicher hatte er seine Sache nicht gehalten. So also lagen die Dinge. O verruchte Welt. Der Herzog in Bayern weiß, wie es steht; er schweigt. Der Kaiser weiß, wie es steht, schweigt; der Abt Antonius von Kremsmünster. Er, der alte Neuburger, der treu zum Reich gehalten hatte in jedem Augenblick, der kein Unrecht getan hatte sein langes Leben, sollte bei evangelischem Glauben vom jesuitisch beratenen Kaiser noch, bevor er in die Grube fuhr, grob übertölpelt werden. Würde der Marcheville sich zu ihm begeben, ihm geradezu auflauern, wenn dieser schlaue Franzose sich nicht rechtzeitig in seine Gunst setzen wollte? Eine Stimme gegen Habsburg wollte er gewinnen, verhindern, daß der Sohn Ferdinands deutscher König würde: darauf kam es dem an. Von Wien, ja von der Burg her schwieg man; von da hatte sich noch kein Fuß in die Herrengasse bewegt. Dabei jagten die Kuriere durch die Straßen, Musik schallte aus der Burg; Kämmerer Ausläufer in jeder Gasse, aber keiner zu ihm.
Marcheville wurde hochmütig durch einen Kammerdiener bedeutet, Besuche bei des Pfalzgrafen von Pfalz-Neuburg Philipp Ludwig Durchlaucht einige Tage zuvor seiner Kanzlei anzumelden. Und als der Gesandte erschien, ließ Philipp Ludwig sich verleugnen; ein würdiger Empfang wurde ihm bereitet in einer großen Kammer der Herberge, wo er sich auf eine gepolsterte Bank setzen mußte vor vier gemieteten Herren, zwei albernen Magistern und zwei schäbigen Theologiebeflissenen; den federkratzenden Herren erklärte er freundlich, bald wiederzukommen. Er durchschaute die Sache, erklärte dem Kanzler, er werde zur Aushaltung der Kanzlei selbst beitragen, bot auch, entsetzt über die Formlosigkeit des Auftretens seines Prätendenten, diesem ohne weiteres einige tausend Taler an, die der Pfalzgraf als Ehrengabe annahm, ohne darauf aber im mindesten Haushaltung, Kleidung besser auszustatten. Weitere tausend Taler, dem Kanzler zugesteckt, führten zum Ziel; mehrere vierspännige Wagen standen zur Verfügung, eine kleine Dienerschaft warf sich in Neuburgische Livree. Und wie ein wütendes, noch lichtscheues Tier erschien der Pfalzgraf, in galloniertem Samt und Zobelpelz, auf allen Ämtern, sprach bei den Mitgliedern des Geheimen Rates, der Hofkammer persönlich vor, hinterließ Denkschriften, die unter französischer Obhut ausgearbeitet waren, Denkschriften an alle Kurfürsten katholischer und protestantischer wie kalvinischer Religion, insbesondere, an den von Mainz, als des Reiches Kanzler, und abgegeben bei dem Türhüter des Reichhofrats für dieses oberste Reichsjustiztribunal, die Person des Kaisers selbst vorstellend. Die Mitglieder ihrer Adels- und Doktorbank beging Sartorius.
Die es lasen, der Abt von Kremsmünster, dann Doktor Wolfrath als Präsident der Hofkammer, die Herren vom Geheimen Rat Eggenberg Trautmannsdorf Breuner waren verblüfft über den Protest, der doch wohl eine offene Tür einrannte, besonders über seinen pointierten Schluß: es dürfe keinesfalls der Kurhut ohne Achtung der Neuburgischen Ansprüche, ohne ihre Prüfung vergabt werden; gegen jegliche etwa schon geschehene Entscheidung lege er feierlich Rechtsverwahrung ein; nur ein Deputationstag unter Zuziehung aller Kurfürsten könne hier das Recht finden.
Die Denkschrift war teils absurd lächerlich, teils verwirrend; für den Abt Anton, der sie scharf verbarg vor dem zudringlichen Spion des bayrischen Herzogs, dem Jesaias Leuker, war sie qualvoll.
Da geschah, daß eine zunächst unbekannte interessierte Partei einen Schritt tat, um sich des lästigen, noch nicht sehr auffälligen Mannes zu entledigen. Sie gedachte ihn verunglücken zu lassen. Von dem Führer seiner Roßbahre irregeführt — ungewiß, ob mit Absicht oder zufällig — geriet der Fürst, nur von einem welschen Agenten begleitet, in das Gewirr jener ärmlichen Gassen, die sich im Süden der Stadt nahe den Toren hinziehen und die Unterschlupfsorte den Bettlern und ihren Familien bieten. Unter diese, vor einem Wunderhof, trat der Bahrenführer, nach dem Weg fragend. Zwei Kamasiere — abgedankte sündhafte Scholare — hielten das vordere Roß fest, wollten sprechen, da machte einer von ihnen, anscheinend vom Roß geängstigt, einen Satz, stieß aus den Umstehenden einen Mann um, der sogleich einen Krampfanfall erlitt, die Backen aufblies, schäumte, so gut ein geübter Gauner kann, der über ein Stück Seife im Mund verfügt. Eine Frau, die blaß beiseite gestanden hatte, hielt den Krampfenden bei den Händen, schrie um ihren Mann, wandte sich an die andern, verlangte eine Entschädigung. Sie schickten die Bahre samt dem Franzosen weg, den alten Fürsten führten sie auf den Hof, sprachen ihm freundlich zu. Am nächsten Tage durchsuchten Soldaten der Stadtgarde die Gasse ohne Erfolg; ein Bettler, der sich als Sterzenmeister ausgab, führte sie. Dem französischen Geschäftsträger, dem feinen Marcheville, aber stieg das Blut vor Freude zu Kopf, als sein Agent ihm verängstigt den bedauerlichen Verlauf der Spazierfahrt schilderte. Er fuhr stolz bei Kremsmünster vor, bei dem Oberhofstallmeister, beim spanischen Gesandten, sprach voll Schmerz von seinem Hausnachbarn, dem Neuburger Pfalzgrafen, seinem wahrhaft väterlichen Freund, und wie dies möglich sei, was für ein entsetzlicher Vorfall das sei; er bitte dringend darum, daß von allen maßgebenden Stellen Nachforschungen angestellt würden; bei Ognate dem Spanier, wagte er, freilich lachend, die Bemerkung hinzuwerfen, man müsse geradezu auf den Gedanken kommen, es hätte jemand Interesse daran, den alten freundlichen Herrn bei Seite zu schaffen; ob nicht auch bei jenen durchgesickert sei aus den Kanzleien, der Herr betriebe hier Ansprüche auf die Pfälzer Kur, über die sonderbare Gerüchte verbreitet seien. Dem Abt Antonius wie dem Fürsten Eggenberg war die Angelegenheit um so peinlicher, als auch der Spanier sich nicht der entsetzlichen Vermutung entschlagen konnte, hier sei kurzer Prozeß gemacht, und es beklagte, daß das Ganze ziemlich ungeschickt angestellt sei von den bayrischen Herren. Denn er nahm als sicher an, daß Herr Doktor Leuker dahinter steckte. Abt Anton und Eggenberg aber fürchteten etwas viel Schlimmeres und waren glücklich, als Alles den Herrn Leuker mit dem Vorfall in Verbindung brachte, und nicht, wie sie, die völlig undurchdringliche Kaiserliche Majestät. Durch das wilde Herumposaunen des Franzosen sahen sie sich verhindert, den Vorfall zu vertuschen, wie sie gewillt waren; sie mußten vor aller Öffentlichkeit energische Maßnahmen zur Aufdeckung der Sache ergreifen.
Mit größter Besorgnis setzten die hohen Herren die Sache mit allen Einzelheiten selbst ins Werk. Eine gründliche Visitierung der Sitze der Gatterklopfer und Fechtbrüder in ihren Hauptzechen, im Königsklosterhaus, in der Kotluke erfolgte. Die beiden Sterzenmeister des Bezirks, in dem der Vorfall sich ereignete, wurden auf das städtische Rumorhaus geschleppt, ausgepeitscht und ihnen die gelinde Frage gestellt, wo sich der Pfalzgraf befinde; dies geschah sehr im Geheimen; Kremsmünster war in Person zugegen, um sogleich alles vertuschen zu können, falls eine Allerhöchste Person dahinter stecke. Sie hatten im Narrenkotter hinter dem Hohen Markt bei völliger Nahrungsentziehung vier und zwanzig Stunden Zeit, weiter über die Frage nachzudenken. Die Befragung ergab nichts. Aber wie die wilden Wölfe fielen dann die beiden freigelassenen in ihre Quartiere auf der hochgelegenen Laimgrube und an der Windmühle ein, sie plünderten mit einem handfesten Troß die Mirakelkeller, bunten Haushaltungen; aus den verfallenen Häusern, den Winkeln der Sackgassen sprangen vor ihnen die abenteuerlichen Schatzgräber im Vagantenkostüm, die braunbemalten Christianer, vergaßen ihre Kutten Stricke und Muschelhüte, die Pilgerstäbe warf man hinter ihnen drein, die plumpen ungefügen Schwangeren liefen wie Wiesel, verloren im Sprung ihre Bauchwülste. Eine verängstigte Besprechung der Zechen am Abend, nachdem ihnen unvermutete Ansengung des ganzen Bezirks angedroht war, hatte den Erfolg, daß man die Spuren der zwei Scholaren und des Weibes des Krampfkranken ermittelte; sie verrieten, der Fürst schwimme mit dem Anfallstäuscher und einem alten Weib die Donau herunter, fände sich aber alle zwei Tage, auch drei Tage in der Nähe des Quartiers; die beiden andern warteten auf eine Geldsumme, von wem wußten sie nicht, auch nicht für welche Zwecke, ob als Lösegeld oder sonst wofür. Das Boot wurde am folgenden Tage schon von den unruhigen Leuten erwischt, wie es am unteren Wehr an einer wüsten Stelle nahe dem Judenquartier anlegen wollte; zwei Insassen, an Land gestiegen, machten Reißaus; auf einer Bootsbank, mit einem Ruder bewaffnet, saß der alte barhäuptige Pfalzgraf, mit halbnacktem Oberkörper, mit hohen Soldatenstiefeln, in polnischen Samthosen, drohte jeden niederzuschlagen, der sich ihm näherte, sprang dann zwischen dem Schilf am Hinterteil des Boots ins Wasser, wurde gefaßt, ans Ufer gelegt. Die beiden Sterzenmeister redeten ihm freundlich und ehrerbietig zu, er glaubte aber, jetzt erschlagen zu werden, hielt stammelnd die gefalteten Hände vor den Mund, die Augen krampfhaft geschlossen. Nach einer Stunde erst ritten eine Anzahl Herren an, dabei der Kanzler; er sah mit tiefer Bewegung den Zustand seines gnädigen Fürsten, seine Verstörung, das schwappende abgemagerte Bäuchlein, die weißhaarige fette Brust, über dem schlaffhäutigen faltenreichen Hals das kleine dünne Köpflein. Vergraust lag Philipp Ludwig in seinem Bett; während man ihm zusprach, es sei auf ein hohes Lösegeld abgesehen gewesen, blieb er dabei, sie hätten ihn umbringen wollen; das alte furchtbare Weib hätte fast stündlich gesagt, er würde geschlachtet werden, er solle seine Seele darauf vorbereiten, sie warteten nur auf den Lohn für die Tat. Der Kanzler saß von Angst geschüttelt neben dem Bett, bebend, wie ihn die hochfürstlichen Söhne empfangen würden, wenn er ohne des Pfalzgrafen Durchlaucht zurückkehren würde. Nicht eine Woche war um, da fuhr der Neuburger wieder ab; den Kanzler ließ er auf Drängen Marchevilles zur Vertretung seiner Rechte zurück.
Und während der Fürst im sonnigen Neuburg herummarschierte, kein Ende fand des Kommandierens Schreiens Verwirrens in Gesprächen mit seinen Söhnen Bedienten, durchgreifende Organisationen des Steuer- und Heerwesens verfügte, widerrief, wurde der knickbeinige Kanzler in Wien herumgejagt von Marcheville, spöttisch, neckisch wieder fallengelassen, wie es die Situation gerade mit sich brachte. Nach Neuburg lief eines Tages ein Kurier mit dem Bescheid der Hofkammer, daß sie Kenntnis genommen habe von seiner Denkschrift, ihn seinerzeit über den Lauf der Angelegenheit orientieren werde, eine Erklärung, die der wieder abgemattete Philipp Ludwig aufatmend empfing und den Befehl an Sartorius abgehen ließ, sofort zurückzukehren; er schrieb ihm eigenhändig ein Brieflein: „Nun mag es weitergehen. Kommt nach Hause. Ich habe meine Hand im Spiel und ziehe sie nicht wieder heraus.“
U nd in der Tat: noch lange nach seiner Abreise wirkte sein kurzer Besuch in Wien. Seine sonderbaren drohenden, offenbar tief informierten Denkschriften konnten nicht anders erklärt werden als unter bestimmten fatalen Voraussetzungen. Kremsmünsters Kopf war geschwollen, er ließ sich für keinen der fremden Geschäftsträger und Gesandten sprechen, Eggenberg hatte die Taktik, alles abzulehnen und sich gänzlich ahnungslos zu zeigen; es liefen Anfragen über Anfragen ein aus den Kanzleien mehrerer Kurfürsten betreffend die Neuburger Denkschrift. Noch war nach auswärts nicht verlautet der Überfall auf diesen geheimnisvollen Kronprätendenten, der Spanier war schamlos genug zu insinuieren: wenn nicht Bayern ein Interesse an dem Verschwinden des Pfalzgrafen hätte, so vielleicht die kaiserliche Hofkammer; man wolle die Geheimabmachungen des Wiener Hofes mit dem Herzog Maximilian nicht zu früh preisgeben, man hätte sich resolut entschlossen, aber es sei anders verlaufen.
In dieses aufgeregte, sich selbst steigernde Ungewiß platzte ein Büchlein hinein, das vom Norden verbreitet, frommen überaus angesehenen Damen zur Kenntnis gelangte. Fast zu gleicher Zeit wie in Dresden am protestantischen Hofe des Kurfürsten Johann Georg dieses Büchlein gelesen wurde unter Kopfschütteln Geschrei, übergab es in Wien bei der Garderobe der würdigen frommen Stifterin Gräfin Polyxena von Muschingen ihre Kammerzofe. Dieses schöne unbedeutende Kind hatte es von einem eben gewonnenen Liebhaber, einem reichen jungen Herrn nebst einem ansehnlichen Douceur erhalten; der junge Herr, der ihr so angenehm zu Gemüte sprach, war kein Kavalier, aber Vorreiter bei Seiner Exzellenz, dem Marquis Marcheville, der sich in der Stadt verlustierte. Der Vorreiter sagte dem lieblichen Hernalser Geschöpf, dies sei ein frommes Buch; sie würde vielleicht ihrer Herrin eine große Freude bereiten, wenn sie es ihr übergebe; sie möchte sich auch etwas daraus vorlesen lassen, es würden ihr manche Gnaden dadurch zuteil werden. Zu ihrem Entzücken sah auch das Mädchen, daß wirklich die Gräfin — die erst gelacht hatte, als sie ihr schämig das Buch übergab, mit der Bemerkung, es hätte auf ihrer Schwelle gelegen, ob es wohl ein Gebetbuch sei oder einen Ablaß ankündige — daß die Gräfin freudig erst allein, dann mit ihrem Hauskaplan das Büchlein durchlas. Sie blieb aber dabei, es hätte vor ihrer Kammertür gelegen, als man ihr noch einmal zusetzte, und wurde dann beschützend gegen die ernsten Worte des Kaplans sanft von der Gräfin gestreichelt. Frau Polyxena von Muschingen lag zu dieser Zeit nichts so sehr am Herzen, als von Rom ein Breve zu erlangen zur Gründung eines Klosters für den Orden der unbeschuhten Karmeliterinnen. Sie stand in einer langwierigen Korrespondenz mit einigen italienischen Oberinnen solcher Klöster, deren Frömmigkeit einen überwältigenden Eindruck auf sie gemacht hatte bei einer Reise nach der heiligen Stadt. Die Dame wußte jetzt nichts Wichtigeres, als den beiden andern Damen ihres Komitees das unglaubliche glückliche Geschehen zu berichten, das aus dem Büchlein sich ergab, welches ihr auf so merkwürdige Weise zugestellt war. Auch die hohen ihr wohlwollenden Würdenträger des Hofes wollte sie aufsuchen, lebendig und erregt wie sie war, ihnen danken und glückwünschen für diesen großen Erfolg und sich mit ihnen aus voller Seele freuen über diesen Gewinn für die heilige Kirche. Denn nichts andres ließen diese einfachen, vielleicht indiskret veröffentlichten Briefe erkennen: man hatte am Kaiserhof einen großen katholischen Entschluß gefaßt, folgerichtig wie das Vorgehen gegen die gottlosen und aufrührerischen Böhmen: man wollte das katholische Deutschland um eine große Zahl abgefallener verführter Seelen bereichern, mit der Fürsorge des Landesvaters unlöslich und energisch die Sorge um das Seelenheil verbinden. Die kalvinischen Landesteile des Majestätsverbrechers Friedrich von der Pfalz sollten in katholische Hände kommen, in die allersichersten kurfürstlichen Hände, die des bayrischen Maximilian. Wer, der selbst Ferdinands edle religiöse Gesinnung kannte, hätte dieses von ihm erwartet, das ihn in die Reihe der gottseligsten Herrscher stellte.
In der schwülen Wärme des Nachmittags fuhr die von Muschingen mit ihrer Kutsche bei der Reichsgräfin Auguste von Abensberg-Treue vor, die Kutsche der Dame schloß sich ihr an; alsdann bei der Gräfin Kollonits. Die drei alten Damen stiegen am Kienmarkt aus, dort lagen Bretter vor einem Haus; von ihren Kammerfrauen geführt, rauschten sie seidig tiefverschleiert in den Flur, der sehr breit, niedrig, aber ganz leer war. Und so auch die Treppen Stiegen Höfe Diele Säle; es war das verlassene Haus des Hans von der Seligstadt, welcher als Magister der sieben freien Künste hier gehaust hatte; sieben Bücher waren auf das Hausschild gemalt. Hier sollte den Karmeliterinnen ein Heim bereitet werden. In der Stube, wo den Damen Sessel bereitgestellt waren, konnten sie ihr überschwellendes Herz nicht bezähmen; der Raum wurde zum Zeugen der hohen Freude der Damen, welche sich gegenseitig zum Weinen rührten. Man hatte noch das Glück, den galanten alten Grafen Harrach, dessen erkrankte Gemahlin an dem Werke für die Nonnen teilnahm, zu erwarten. Und wie er kam, wurde er von Freudenausbrüchen überschüttet und konnte in seiner frischen vergnügten Art dankend lange nicht zu der Ursache dieser Freude vordringen. Dann wurde er verlegen, einsilbig, bat um das Büchlein, mußte rasch zu seiner Gemahlin, deren Zustand ihn nicht befriedigte. Er suchte abends noch den Fürsten Eggenberg auf, der grade ausgefahren war, um ihn zu besuchen; es stellte sich bei der Begegnung auf dem Hohen Graben heraus, daß die Gräfin Muschingen schon bei ihm gewesen war, um auch ihm Glück zu wünschen. Als noch bei der gemeinsamen Fahrt zum Abt von Kremsmünster sich ergab, daß die Dame auch hier gewesen war, dankend und jubelnd, schrieb ihr Harrach einen Zettel, sie möchte Verschwiegenheit über die besprochene wichtige Sache bewahren, er bäte sie darum aus einem bestimmten Grund, steckte aber den Zettel auf das Lächeln der Herren resigniert zu sich.
Der Inhalt des Büchleins war nicht mißverständlich. Es enthielt unter dem Namen „Spanische Kanzlei“ eine kleine Anzahl von Briefen aus der Hand des Kaisers, des Bayernherzogs, eines Kapuziners, der als Unterhändler agierte, als Anhang eine summarische Aufstellung der aus dem Briefwechsel hervorgehenden Beschlüsse und Tatsachen. Die Briefe waren nach Datierung Stilfeinheiten Intimitäten zweifellos echt. Die pfälzische Kur war mündlich dem Bayern zugesagt, über einen Teil der kurpfälzischen Länder war anscheinend in bindender Weise verfügt zugunsten des Herzogs. Weder Kammer noch Kurfürstenkolleg war gefragt. Man mußte sich morgen in der Frühe zu einer Besprechung zusammenfinden.
E s kam nicht zu dieser Besprechung. Als sie zu Hause eintrafen, fanden sie kaiserliche Hatschiere vor, welche Einladungen zu einer morgen stattfindenden Beratung in der Burg überbrachten. Ferdinand wußte nichts von dem kursierenden Büchlein; eine Unruhe und plötzlicher Entschluß waren die Veranlassung zur Anberaumung der Sitzung. Jetzt mußte Dighby in München schon alles von Maximilian erfahren haben; wenn nicht heute, so morgen übermorgen würden die protestantischen Emissäre Lärm schlagen in Wien.
Der Nachmittag mit Ungeduld verbracht, stundenlanges Beten und Bezwingen der Bitterkeit. Rasches Herabsteigen zu dem tiefgelegenen Sitzungssaal am Morgen. Ein Tisch mit zwei Schreibern in der Mitte, acht Herren standen von niedrigen Wandbänken auf; Eggenberg, wurde vom Schreiber verlesen, war erkrankt, daher nicht anwesend. Dann, während sich der Kaiser hutbedeckt auf den einsamen Stuhl an der Querwand unter das Kruzifix setzte, las Kaspar Frey, sein alter Geheimsekretär, schiefschultrig feingesichtig, zwei Briefe Maximilians vor, worin sich der Herzog nachhaltig und uneingeschränkt bereit erklärte, mit seiner und der Liga Streitkräften dem Kaiser in Böhmen zu Hilfe zu kommen. Ferdinand nahm das Wort, stark auf das Foliantenpack auf dem Tisch blickend, mit gewöhnlicher Stimme erklärend, daß er als Direktive für die Verhandlungen und Beschlüsse von Hofkammer und Geheimem Rat mitzuteilen hätte, daß er und sein Haus wünschen müßten, das Verhalten und Verdienst Maximilians in jenen gefährlichen Zeitläufen genugsam zu würdigen. Er habe sich daher entschlossen, die Gerechtigkeit nicht aufzuhalten. Nach bereits zurückliegender persönlicher Rücksprache mit ihrer Liebden, dem bayrischen Herzog, glaube er den Weg gefunden zu haben zur allgemeinen Satisfaktion. Dem reichskundigen erklärten Ächter Friedrich von der Pfalz sei die Kurwürde und das Erbtruchsessenamt abzusprechen, die Würden nach Verdienst seinem Schwager, ihrer Liebden dem Herzog in Bayern zu übertragen. Zum Ausgleich der entstandenen Kriegskosten, des Aufwandes und erfolgten Verlustes, und zur Auslösung des verpfändeten Landes ob der Ems sei es angemessen, ihrer Liebden die Oberpfalz hypothekarisch zu überantworten und einzuräumen. Er dürfe verhoffen, so nach kaiserlichem Vermögen seinen Verbündeten saturiert zu haben, wegen der beständigen erzeigten Treue Liebe Affektion und hohen Dienste, die er mit Daransetzung der eigenen Person Land Leute Gut und Blut erwiesen habe. Die Herren hatten sich noch nicht gesetzt, da verließ Ferdinand, der sonst nie einer Beratung fernblieb, den Saal, ohne einen eines Wortes gewürdigt zu haben.
Die Herren saßen verdutzt. Dann war es ein Entschluß des menschenkundigen alten Abtes Anton, der in Anbetracht der besonderen Umstände Aufhebung der Sitzung empfahl. In Questenberg war die Raserei so groß, daß er am Schreibertisch stehend einen Stuhl verkrampft in der Hand hielt; der Stuhl saß an seinem Handteller fest wie eine Schlange, die sich darein verbissen hatte; mit einem wütenden Ruck schleuderte er den Stuhl auf die Erde: „Und wissen die Herren, was dies ist? Das ist Krieg mit England, Dänemark, vielleicht mit Frankreich. Das ist Zerfall mit den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg.“ Leise vor Grimm zitternd der alte Harrach neben ihm über die leere Tischplatte gebeugt: „Es ist so. Ich habe es gesagt. Der Maximilian geht um. Wir können es nicht wehren.“
I m Ring seiner Mauern Wälle und Basteien lag Wien; Häuser, Türme, Kirchen gemauert an Häuser, Märkte, Gäßchen, überschwellend gegen die Donau, jenseits den Werd mit Steinen bedrückend, mit tastenden Fingern nach der Venedigerau, dem Rustschacher, den beiden weiten Galizinwiesen. Handwerkerfüllte Straßen, Plätze voller Feilscher Kaufbuden Reitern und Sänften Tamtamschläger Theriakausrufer. Brüllende Büttel hinter geschorenen Missetätern, die den schweren Schandstein am Hals schleppten; Badeknechte ins Hörnlein stoßend, türkische Becken schlagend. Aus Klöstern stießen Schwärme von Nonnen, schwarz und weiß, geschuht ungeschuht, traten lispelnd kreuzwindend in die Kirchen, die weihrauchgeschwängerten Gänge, unter die Bilder der wilden Schmerzen, der Inbrunst und Verzückung. Seiltänzer und fahrende gelustige Fräulein kreuzten ihren Weg, lockten in die Holzschuppen auf dem Neuen Markt. Soldaten aus den Kriegen des Kaisers, die gegen Bethlen Gabor gefochten hatten, die Böhmen am Weißen Berg zerrieben hatten: wüste Prunkfedern in den Nacken zwischen den Schultern wallend, oder nach vorn in die Stirn bis auf den Mund, grellbunte Schärpen, hohe Stiefelschäfte, weit überfallend mit farbigem Tuch ausgelegt. Kosaken mit breitem schmutzigem Gesicht in langen, blauen Röcken, hohen Lammützen; ihre kleinen Augen blinkten vor Lust, sie gurrten mit ihren Weibern, die sich Schürzen und Röcke mit Perlen bestickt hatten. Feine Pagen tänzelten in engen Strumpfhosen, mit koketten Bändern besteckt; Bürgerfräulein, die die Haare gescheitelt trugen, oder gewellt in den Nacken herab über die Ohren, die an ihren Häubchen nestelten, Korallenhalsbänder begriffen, grüne Mieder, leichte lose Blusen, oder kurzröckig mit hohen ungarischen Stiefeln. Kavaliere à la mode, Spiel- Fecht- und Saufkumpane, Filzhüte mit aufgeschlagenen Krämpen, wallonische Reiterkragen breit auf den Schultern, wild die Stiegen herunter, auf die Pferde; große Hunde hinter ihnen her, dienernde Wirte an den Gasttüren. Zwischen Brettern ein toter Mensch, von der Leichenbrüderschaft getragen, hinaus nach dem Friedhof auf der Wieden. Blinde am Hohen Graben, die Augen ausgestochen wegen Münzverbrechen, Meineidige ohne Hände, Zungenlose, Nasenlose, Ohrenlose in Grüppchen vor den Kirchen, Näpfe und Blechbüchsen schwenkend. Studenten mit Degen und Bandelier an der Lampelburse, der Rosenburse, ernst spazierend, auch krawallbedürftig nach Handwerksgesellen ausschauend. Aufgeblasene Gestalten, reitend, die edelsteingeschmückte Hand auf dem Rücken, in englische Tücher gekleidet, von reitender Dienerschaft gefolgt. Über ein versonntes Gäßchen huschend in violetter Soutane ein Bischof, das Käppchen auf der Tonsur; der Gürtel wehte nach aus einem Flur. Stadtgardisten zogen ihre Spieße hinter sich her durch Staub und Kot, stellten sich um Brunnen, würfelten, suchten sich stille Plätze. Umeinander trieben in Häusern Spelunken Kellern lärmende stille kranke Menschen, Haushälter Schaffner Kellermeister Küchenjungen Rauchfangkehrer Goldmacher Gewandschneider Spengler Kalendermacher Brauknechte Messerschmiede Wanderburschen Kaufherren Ratsschreiber Kerzengießer Hökerinnen Witwen, die nach einem Mann schnappten, Dragoner, die nicht dienen wollten, Lumpen, die das Leben in der Sackgasse schön fanden, Bauern, denen der Viehhändler um die Ohren schlug, Pergamentmacher Riemer Häutekäufer Messingschläger Kuppler mit Halseisen, eilige dünne Juden, Advokaten Kommissionare, quarende Kinder im Sand, wandernde Buchhändler aus Sachsen, Böhmen mit bemalten Brieflein in Umhängekästen.
Um sie herum standen die spitzgiebligen Häuser mit Ziegeldächern, mit Schieferdächern, bemalten Fassaden, in Fachwerk, Balkons vorstreckend, die in Stein, Paläste mit Bildsäulen an der Auffahrt, ornamentierten Fenstern, Häuschen mit mächtigen Schildern und lustigen Namen, Schulen, Sankt Tibold Sankt Niklas Sankt Johann Sankt Sebastian Sankt Maria Magdalena Sankt Falern Sankt Michael Sankt Sebastian das Studentenspital, zu unserer lieben Frau. Thronend in aller Mitte der Stefansdom, seine Turmspitze durchbrochen, tausendfach durchlässige Maschen aus Eisen, fast verwehend in die Luft wie eine blasse Flamme am Tag; am Knauf, warnend vor den fernen blutdürstigen Türken, der Halbmond mit dem Stern.
Breit fußte neben dem Augustinerkloster an der Mauer das riesige Massiv der Burg, viereckig, ellbogenartig die Ecktürme ausstemmend, drei hohe Stock ragend. Darin hauste der Gewaltigste des Heiligen Römischen Reiches inmitten seines ungeheuren Trosses, beschützt von der Trabantengarde und den kaiserlichen Hatschieren, hundert Mann samt Fourieren und Trompetern unter Don Balthasar, ihrem Kapitän. Benedicite und Gratias an der Tafel sagten sieben Kapläne. Für seine Küche sorgten Mundköche Meisterköche Unterköche Bratenköche Suppenköche Küchenträger Holzmacher Adjunkten. Im Keller dienten Hofkeller Kellerschreiber Kellerdiener Fuhrleute Mundjungen, seine Vorratskammern füllten Einkäufer Marktträger Hoffleischer. Obertafeldecker für seinen Tisch, Kammertafeldecker Tischaufwärter Edelknaben Offiziertafeldecker. Hohe adlige Mundschenken hatte er in Zahl, Matthias di Verdina, Michael de Alverngia, Erasmus von Hirschberg, Johann von Grünthal, Chorasinsky. Den goldenen Schlüssel des Kammerherrn trugen dreiunddreißig Edle, dabei Graf Wenzel von Würben, Graf Julius von Salm, Baron Peter Ernst von Mollert, Johann Graf Paar, Wolf von Auersberg. In den Fluren, großen und kleinen Höfen, auf den Stiegen drängten sich die Stallmeister Bereiter Hoftrompeter Fechtmeister Büchsenspanner Sattelknechte Sänftenmeister Waffenpolierer Stallbediente im spanischen Stall, im Klepperstall, Leibkutscher Vorreiter Stalljungen. In den Stallungen standen neunzig Tummelrosse, achtzig Reitklepper, sechzig Kutschpferde, zweiundzwanzig Maulesel. Um die Seele des Kaisers mühten sich neben dem Beichtvater der Pater Johann Weingärtner, der Hofkaplan Paul Knorr von Rosenrot. Eine starke Hofkapelle erfreute ihn mit Musik, Johann Valentini war ihr Kapellmeister; es sangen für ihn berühmte Sänger; Peter da Naghera sang. Alt, Diskant Luka Salvatori, Graf Ossesko. Seinen Leib hatte er großen Ärzten anheimgegeben, Managetta war Doktor der vier Fakultäten, dazu Mingonius, Mahlgießer, Johann Junker.
Während er noch schlief, traten am grauen Morgen mächtige Herren seiner Regierung aus ihren Schlafkammern, nahe der Burg, am Petersplatz, bei Sankt Michael, am Bischofshof. Langsame Reitrosse, knirschende Karossen, Roßbahren trugen sie aus der wenig klappernden Stadt zusammen gegen die Burg vor ein zurücktretendes Haus, hochgieblig mit Fachwerk, vielfenstrig, mit geschwungener Gesimsverzierung. Um das Haus lief eine Vorhalle, von bunten eckigen Holzsäulen getragen. Weit schwang darunter der Torbogen mit fürstlichem Wappenschild, öffnete das Dunkel zur Stiege: das Haus Eggenbergs. Dann standen lange die Sänften und Karossen vorhangwehend auf dem regenweichen Platz, die Pferde nickten mit ihren Puscheln, schüttelten die Klingeln an ihren geflochtenen Mähnen, wetzten die Hufe, während der Regen über sie floß.
In der trüben Ritterstube lag Eggenberg auf dem Faulbett, das schräg gegen die Mitte des Raumes gedreht war; er lag im dicken Schlafrock darauf, rotwangig, lebendig, mit schalkhaften Augen, hatte eine blaue Seidenmütze bis über die Ohren gezogen und begrüßte jeden Herrn mit beiden Händen. Sie schoben sich um den schlankfüßigen Eckofen, unter den Holzsims und seine Geweihe und Pokale, an die Fensterbank, beklopften erregt im Gespräch die runden Butzenscheiben.
Dröhnend fuhr nach einigen ruhigen Äußerungen Eggenbergs der untersetzte bärbeißerische Questenberg heraus: „Stehen wir hier nach dem unerhörtesten Sieg der Geschichte? Das heißt den Siegespreis aus der Hand geben. Das heißt: nicht Habsburg hat gesiegt, sondern Wittelsbach. Und nicht Wittelsbach, sondern England, Dänemark, die Protestanten, denen wir billigen Kriegsgrund geben und die wir gegen uns vereinen.“ Wilde Beschuldigungen warf er gegen Trautmannsdorf, der still, klein, verwachsen, als wenn er nicht dazu gehörte, auf der Fensterbank saß, daß dieser Graf und Beauftragte des Hohen Rats und der Kammer dabei war, als jene unseligen Beeinflussungen des Kaisers durch den Bayern stattfanden, ohne daß er sich gemüßigt gefühlt hätte, den Hohen Rat wenigstens nachträglich zu informieren. Begütigend meinte Eggenberg, dies sei wohl nicht möglich gewesen, wegen der sehr geheimen Natur der Besprechungen; hätte doch Questenberg selbst, sein lieber Gast, bei vielen Gesprächen mit Herrn Doktor Jesaias Leuker nicht vermocht, etwas Sonderliches aus ihm herauszuziehen. Der verwachsene kleine Mann sah nicht auf; er danke Herrn von Questenberg für den Hinweis, er hätte manches vermutet, wie der ehrwürdige Abt Anton auch; doch beteure er, auf der Krönungsreise oft mit der Römischen Majestät gesprochen und sie nach Vermögen beeinflußt und beraten zu haben; insbesondere sei der Erbschaft des Pfälzers gedacht worden und daß in München nicht Endgültiges vorgenommen werden sollte. Ferdinand sei nach der Krönung im Rausch gewesen, sein Glück, seine Gehobenheit hätte die ganze Reise bis München gedauert, mit Entzücken hätte er das deutsche Land gesehen, hätte mit vielen ehrenwerten Deputationen Abgeordneten Ständen verkehrt; einen wahrhaften Kaiser, Mehrer des Reichs hätten sie alle in ihm erblickt. Aus Dankbarkeit hätte es ihn zuletzt zu seinem hohen Schwager Maximilian gedrängt. Und dann — Trautmannsdorf sah die nachdenklichen Herren mit seinen großen samtbraunen Augen an. Sie schwiegen. Der graziöse zarte Harrach schüttelte sich entsetzt: „Wittelsbach steht wieder auf.“
Als wenn er mit sich spräche, schloß Trautmannsdorf die ruhigen Augen: „So bliebe nur zu bedenken, ob man jene auch mir bis jetzt verborgenen Maßnahmen des Kaisers als einen Regierungsakt aufzufassen gewillt ist.“ Hans Ulrich Eggenberg schob sich die Mütze hoch, er traute seinen Ohren nicht. „Wir können dem Hohen Rat,“ fuhr der Verwachsene im schwarzen Seidenwams fort, „nicht anders helfen, als indem wir auf eine gute Weise jene Maßnahmen annullieren. Es läßt sich anscheinend nicht leugnen, daß die Maßnahme unliebsam, ja gefährlich ist. Alsdann wollen wir weiter debattieren.“ Er hatte zu seinem Freund Kremsmünster am Ofen herübergeblickt, der lächelte ihm traurig zu: „Und werden den Teufel mit Beelzebub austreiben. Ihr seid ein Rechtslehrer, wie ihn Bologna nicht hat. Aber Logik hat hier nur stumpfe Zähne; sie beißt doch das kaiserliche Wort nicht tot.“
„So wird es nötig sein, mit des Herzogs in Bayern Durchlaucht in Verhandlungen zu treten.“ Er dachte laut weiter. Lächelnd respondierte Abt Anton: „Mag Euer Liebden dies im Ernst vorschlagen? Wird Ihm gewiß niemand verwehren, diese Verhandlungen zu führen.“ „So wird es nötig? sein —“ Trautmannsdorf biß sich auf die Lippen. Anton ermunterte: „Sprecht nur.“
„Es gibt auch Mittel, die man verwendet, wenn man eine Fährlichkeit für sehr groß erachtet und ihre Abwendung wirklich und von Herzen wünscht. Mittel selbst gefährlicher Art. Es gibt, wie den liebwerten Herren und Exzellenzen bekannt ist, nicht nur hier Männer, denen die Durchführung des kaiserlichen Entschlusses verderblich erscheint und erscheinen wird. Die Kurfürsten werden insgesamt als nicht gefragte Partei sich gekränkt erweisen, sonderlich die Durchlauchten von Sachsen und Brandenburg, welche samt ihrem Anhang in nicht vorzusehender Weise protestieren werden. Ich vermeine, wir werden jedenfalls nicht hindern, auch nicht hindern können, wenn sie sich gekränkt erweisen. Oder wenn sie Widerstand leisten, im Geheimen oder auf dem Deputationstag.“
„Sehr kühn,“ Herr von Strahlendorf mit salbungsvoller Stimme, pfeilerartig lang hinter Eggenbergs Bett über den Saal schauend, „drücke sich der Herr deutlicher aus; er empfiehlt: wir stecken uns hinter das hohe Kollegium.“
„Ich empfehle nicht,“ fuhr der vor den Butzenscheiben fort, „auch rate ich nicht. Wir überlegen. Die Frage lautet: ist die kaiserliche Maßnahme gefährlich, also: sollen Mittel dagegen ergriffen werden. Wer ist der Kaiser? Ein Habsburger. Leidet die Macht Habsburgs Einbuße durch jene Maßnahme? “
Questenberg dröhnte: „Die Kur an Bayern abgeben, heißt unmittelbar an den Säulen des Erzhauses rütteln.“
Harrach blickte rechts und links: „Zum wenigsten droht Gefahr. Vielleicht können wir sie noch bannen.“
Hoheitsvoll schüttelte Strahlendorf, der Vizekanzler, den gepuderten Kopf: „Man wird mich auf keinem Wege sehen, wo es gegen den frommen Kaiser geht. Die Maßnahme des Kaisers mag dem gewöhnlichen Geschäftsgang widersprechen, sie ist aber entsprungen einem echt katholischen Gemüt; der Jubel unserer christlichen Stände wird keine Grenze finden, wenn sie kund wird. Daß Bayern die Oberpfalz erhält, wird unausbleiblich sein; daß es den Kurhut an sich nimmt, werden spätere Zeiten zu den großen Beweisen unsrer Frömmigkeit rechnen; denn nun ist für alle Zukunft gesichert der katholische deutsche Kaiser. Halten die Herren dies fest; sie werden an dem Beschluß nichts mehr zu tadeln finden.“
„Und Kursachsen,“ schrie Questenberg, „und Brandenburg? Und England und Dänemark?“
Eggenberg unterbrach nachsichtig: „Es wird freilich schwer halten, die Kurfürsten nicht zu verstimmen. Und noch schwerer, Krieg zu führen.“
Der Abt lächelte, er verwaltete die Finanzen: „Schwer. Die Säckel sind nicht grade voll.“
Wieder regte sich Trautmannsdorf, der angestrengt den hageren hölzernen Reichsvizekanzler studiert hatte: „Es ist ausnehmend richtig, was mein Herr von Strahlendorf gefunden hat, daß die neue Wendung der Dinge einen Sieg der Frömmigkeit darstellt. In Zukunft, solange wenigstens das Heilige Römische Reich blüht, wird kein protestantischer Kaiser möglich sein. Dies ist ja auch unser aller Herzenswunsch. Aber gewiß ist auch das Gegenstück: der Grimm der protestantischen Kurträger, welche ja nunmehr noch dem Namen nach mitküren, jedoch nur essen dürfen, wie’s ihnen die Katholischen vorsetzen. Das wird ihnen nicht gefallen, sie werden versuchen, Einfluß zu gewinnen; sobald sie sich zusammentun, ist vereitelt, was grade gewollt war: es wird zwei Reiche geben, ein kaiserliches, freilich katholisches, und ein protestantisches. Das Reich ist zerfallen. Besser ist, sie nicht in die verzweifelte Minorität drängen; katholisch sein — aber mit ihnen.“
Strahlendorf warf ihm einen strengen Blick zu: „Der Krieg ist gewonnen. Der wahre Glaube hat gesiegt. Es ist folgerichtig, dem Katholizismus das verfallene Land und den verfallenen Kurhut zu überantworten. Das Gegenteil ist Schwäche.“
Laut seufzte der Abt: „Ach die Stärke. Möge der Herr mein Amt übernehmen. Tadle er uns nicht zu sehr.“
„So konkludiere ich:“ Fürst Eggenberg sah jedem einzelnen der Herren unter die Augen, „es ist das Recht des Kaisers, jene Maßnahme zu treffen oder getroffen zu haben. Es ist das Recht der Kurträger, sie nicht zu billigen. Voraussichtlich wird Streit mit den Kurträgern, sicher mit einigen Anhängern des Pfälzers entstehen. Wir müssen uns auf Unruhe und Krieg vorbereiten. Möglich ist eine schwierige Rivalität Wittelsbachs, besonders nach der Aufnahme ins Kolleg.“
Alle schwiegen bedrückt; ungebeugt nur Strahlendorf.
Der Abt hob den Finger: „Dies sind Fakta. Laßt uns Rat finden, Rat, wie einem möglichen Unheil begegnen.“
Viel ruhiger war der schwarze Questenberg geworden; er brütete, mit dem Rücken gegen die Wand, vor sich; wollte sprechen, hielt wieder an. Harrach streichelte ihm friedlich die Schulter: „Wenn der Blitz in ein Haus eingeschlagen ist, soll man nicht nur nachsinnen, wo man sich am besten hätte verstecken können, welche Gebete man hätte sprechen sollen, welche Heiligen anrufen.“ Mit tiefer Stimme Questenberg: „Ich weiß. Wir werden dem Kaiser nicht in den Rücken fallen. Das Geschehene ist schmerzlich, vielen unter uns ist es schmerzlich. Wir dienen alle unserm Kaiser. Mag unser liebwerter Fürst Eggenberg der Römischen Majestät mündlich, mit jeglicher Sanftheit, unsre Ergebenheit und unsre Bedenken, wie er sie vernommen hat, anzeigen.“ Trautmannsdorf flüsterte gespannten Gesichts eindringlich durch den Raum: „Vor allem: wir wissen nicht, was den hohen Herrn veranlaßt hat, wider seinen Willen der Durchlaucht in Bayern nachzugeben. Wir wissen es nicht. Es heißt auf der Hut sein vor der Durchlaucht. Es heißt, sich ergeben und entschlossen vor den Kaiser stellen. Jeglicher Wiederkehr vorbauen.“
Nachdem der erschöpfte Eggenberg mehrfach Schweigen über die Beratung anempfohlen hatte, damit es nicht erscheine, als ob Zwiespalt zwischen der Majestät und ihrem untertänigen Rat bestände, faßte man den Beschluß, die Übergabe der erledigten Kur an den Bayern nicht zu behindern, zugleich die Majestät um eine gemeinsame Audienz anzugehen.
Z u Mollert und Mansfeld lächelte der Kaiser auf dem Wege von der Kirche: „Es ist mir leichter, liebe Herren, es geht mir besser. Wie nennt man wohl den, der krank ist und versäumt, zum Arzt zu schicken?“
„Er ist sicher nicht — der Dümmste.“
„Laß nur, Mollert,“ winkte Ferdinand. „Vielleicht ist er nicht dumm, vielleicht ist er nicht klug. Wer eine Sünde begangen hat, soll beichten gehen.“
Nachmittags hörte er, sein Rat Eggenberg sei erkrankt, und als er ihn in seiner Wohnung aufsuchen wollte, hieß es, er sei aufs Land gegangen. Der Kaiser schickte ihm seinen Arzt Mingovius zu; Kaspar Frey fuhr mit, um zu fragen, ob von Dighby Depeschen da wären; Eggenberg möge sich im übrigen nicht zu früh nach Wien bemühen, sich recht pflegen. Die Antwort kam, es seien Depeschen von Dighby da; er schrieb, er hoffe die Festung bald niedergelegt zu haben; von andrer Seite sei mitgeteilt worden, Dighby hätte mit den Türken und Tataren gedroht, falls Maximilian nicht nachgebe.
„Der tolle Kerl,“ freute sich Ferdinand und staunte. Draußen blühte der Frühling, herrlich über alles Denken. Nach langem Hin und Her brachte der feine zierliche Doktor Frey heraus, er hätte verlauten hören, die Herren Geheimen Räte hätten sich betroffen gefühlt durch die Mitteilungen des Kaisers; eine — nun — eine sonderbare Stimmung herrsche unter ihnen.
„Du machst Späße, Frey?“ Ferdinand überlief es kalt: „Sie verlassen mich? Sie helfen mir nicht?“
„Sie klagen; sie fühlen sich gekränkt, daß man sie nicht gefragt hat. Sie halten den getroffenen Entschluß für gewagt, für gefährlich.“
„Und wie denken sie auf Abhilfe?“
„Es ist nicht ersichtlich.“
„Das sind meine Räte. Was brauche ich Kammer und Rat. Daß sie mir wie Doggen in den Nacken fallen. Es ist nicht ausdenkbar. Du wiederholst mir. Und Eggenberg ist nicht krank.“
„Der Fürst ist gestern in sein Quartier zurückgekehrt.“
Bleich, entschieden, leise Ferdinand: „Nein, das habe ich nicht um sie verdient.“ Er stand plötzlich dicht bei Frey: „Um Jesu willen, was sagst du mir.“ Damit taumelte Ferdinand in seine Arme. „Schick nach Eggenberg,“ flüsterte er.
„Er kommt nicht.“
„Eggenberg soll kommen.“
„Er kommt, wenn Majestät befehlen. Aber er wird nicht gut sprechen.“
„Trautmannsdorf?“
„Ebenso.“
„Der Abt Anton.“
„Ebenso.“
„Ich soll sie anbetteln. Sie wissen ja nicht; es liegt nicht an mir. Ich will zu ihnen.“
„Bleiben Majestät.“
„Sie müssen es in die Hand nehmen.“
„Sie wollen etwas gegen Majestät.“
„Gegen mich. Gegen mich. Es ist zum Lachen, zum Schreien. Wer bin denn ich? Es kommt ja nicht auf mich an.“
„Sie wissen, daß es auf einen Krieg geht.“
Starr: „Sie wissen? Auch das?“
„Sie halten den Krieg für unvermeidlich.“
„Nein, nein. Sie lassen mich in Maximilians Gewalt. Sie helfen mir nicht. Ihnen liegt nichts daran, mich und das Haus zu retten. Es gibt nichts Unvermeidliches. Sie haben sich noch nicht von ihren Stühlen bewegt. Dighby ist hingefahren. Er tut etwas. Was tun sie? Sie nennen sich krank und sind es nicht. Sie verschwören sich gegen mich.“
Der alte Frey schüttelte den Kopf: „Die Herren tun nicht gut an Eurer Majestät.“
„O, du bist ja der einzige. Bist du der einzige, sag ihnen, steck ihnen zu, sieh zu, wie du’s kannst; was soll ich denn machen, mir ist der Mund geschlossen, ich kann nicht zu ihnen, du hast ja recht. Aber: es sei nichts geschehen damit, mit der Rebellion. Nichts. Sie sollten sich Dighby ansehen, er ist ein Fremder, ein Brite, und tut mehr für mich als sie.“
Ernst nahm Frey das hin.
D as Audienzgesuch der fünf Herren lag vor. In den Kaiser aber war der Zorn gedrungen, nicht über die Herren, sondern über die Knechtung, die diese Sache über seine Seele ausübte. Seine Augen Porzellanschälchen mit blaßblauen Rundungen bemalt, hell, fast weißlich. Wenn die kleinen Pupillen sich verengerten, gaben die Augen noch mehr Licht ab. In dunklen Gängen, auf Treppen nachts schwebten sie wie zwei Kelche nebeneinander.
Seine glashellen Augen belehrten den alten Frey rasch: der Kaiser heischte die Herren zu sprechen.
„Was begehrt ihr von mir?“ schrie er sie ohne Form an.
— Sie wollten als berufene Ratgeber der Krone ihre Stimme erheben.
— Wenn der Kaiser ihren Rat wünsche, werde er ihn einfordern; er vermöge zu denken; man möge nicht glauben, er brauche das Gängelband.
— Das Vertrauen des Kaisers zu seinem Geheimkolleg hätte sich zu ihrem tiefen Gram getrübt.
— Der Kaiser bete zu Gott und den Heiligen; er sei nicht mehr unbeschützt; er würdige die Herren nach Verdienst.
— Das Geheimkolleg fühle schmerzlich, aber doch mit einer gewissen Befriedigung, daß die Majestät ihrer nicht mehr bedürfe.
— Er werde sie gehen heißen, wenn es ihm beliebe. Sie möchten sich des nicht gewünschten aufsässigen Tones entschlagen. Ob man nicht wisse, wer Kaiser sei, er, Ferdinand der Andere von Habsburg, oder Hans Ulrich von Eggenberg oder der kleine Trautmannsdorf.
Zu Boden neigte sich Trautmannsdorf; sie hätten den Spott nicht verdient; der bayrische Herzog reibe sich an Habsburg; sie wollten ihm das wehren; sie hätten den Spott nicht verdient.
Lippenbeißend stand Ferdinand da: „Ich werde mit Euch reden, Graf Trautmannsdorf, wenn wir zu zweit allein sind. Jetzt muß Euer Kopf sehr heiß sein.“
Dem glühten die Augen im Kopf; unwillkürlich machte er einen Schritt vorwärts.
„Blickt zur Tür,“ brüllte der Kaiser, „blickt zur Decke, wagt nicht, mich so anzugaffen. Ich rufe die Wache und lasse Euch in Eisen werfen. — Ich will Euch nicht hören, Euch allesamt nicht. Ihr seid meine Feinde; wie wagt Ihr es, über Max zu reden. Geht hinaus! Thornradel! Zum zweitenmal! Habt Ihr nicht etwas in der Tasche, ein Schriftstück, das ich unterschreiben soll? Seht Ihr nicht die Kette an meinem Hals, mit der Ihr mich erwürgen wollt. Ich will Euch nicht sehen.“
Tiefblaß, zähnebeißend, gab Trautmannsdorf den andern einen Wink mit den Augen.
Vom Schreibtisch zurückkehrend fragte Ferdinand, wer von den Herren zu dieser Audienz geraten habe. Als Fürst Eggenberg sich nannte, bedachte sich der Kaiser lange: „Ich will den Herrn anhören. Der Herr erwäge aber, mit wem er spricht, und erwäge jedes Wörtlein.“
Der sprach. Als er geredet, hatte er keinen Satz gesprochen, der nicht klug und vorsichtig schattiert gewesen wäre und dem Kaiser nicht jeden Weg zum Nachgeben geöffnet hätte.
Ferdinand trank seinen Wein; eine Zeitlang drehte er den Herren den Rücken halb, scheinbar ins Glas blickend. Er war tief beschämt. Er war von namenlosem Grimm auf Maximilian erfüllt.
Die Herren boten ihm ihre Hilfe gegen den Bayern an; sie durchschauten ihn; er war nicht mehr ihr Kaiser; er mußte ihre Hilfe annehmen.
Er sagte, wer von den Herren noch etwas hinzusetzen wolle, möge sprechen. Er ging auf und ab, um eine grüne Marmorsäule. Als er sie mit der schlaffen Hand berührte, sah er in der blanken Fläche sein langes, hochgezogenes Spiegelbild. Er erschrak, das Bild taumelte seitlich herunter, er ging weiter.
Eggenberg erklärte, Rat und Kammer würden unverzüglich das Nötige zur Übertragung der Kur an Bayern bereitstellen. In Verwirrung, zermahlen und zerfasert, konnte Ferdinand nur lächeln. Er reichte jedem die Hand. Sie wußten angesichts seines zerstreuten Gebarens nicht, ob sie entlassen waren.
Bis er aufblickte und ihnen zunickte, die Arme über die Brust verschränkend.
W as Ferdinand tags drauf nach langem Sinnieren und Seufzen begann, war ein überstürztes Briefschreiben und Kuriersenden nach der Stadt, deren Name vor seinen Augen brannte. Hatte er einen Brief beendet und verschlossen, so war er für Stunden ruhig, in denen er sich labte, um die Auseinandersetzung wieder zu beginnen. Es mußte leise alles vor sich gehen, weder Obersthofmeister noch Beichtvater noch Geheime Räte durften etwas erfahren, geräuschlos rasch ohne Pausen sollte alles hinter ihrem Rücken vollendet werden. Er trug eine kleine Schreibtafel am Gürtel, die er nicht einmal seinem Leibkammerdiener abtrat; und während der Tafel ereignete es sich bisweilen, daß er in tiefer Umwölkung Notizen aufmalte. Seine Stimmung war heiterer als vorher, aber leicht erregt und gespannt. Wieviele Briefe er an Dighby schrieb, allmählich, von Tag und Nacht zu Tag, wußte er nicht. Es war ein Schwall, während er glaubte, eben begonnen zu haben. Zuerst war es Dighby, der Graf von Bristol, ein vor kurzem neu eingetroffener britischer Sondergesandter, mit einem rauhen Wesen, blutrotem Gesicht, häßlichen aufdringlichen Blicken, einer Ischias, dem er schrieb. Bald setzte er sich mit einem andern auseinander, der für ihn in München im Geheimen wirkte, sein eigner vertrauter Sondergesandter, sein intimer, unausgesprochen ihm anheimgegebener Freund, sein Glückswunder. Von Tag zu Tag war diesem mehr zu sagen. Er mußte die Briten aufklären und doch nicht aufklären, ein Brief sagte zu viel, einer zu wenig. In München mußte Dighby gehört haben, was geschehen war; aber es war nicht so geschehen, er hatte mit ihm kein Doppelspiel getrieben, indem er ihn zur Vermittlung ermutigte, und doch war alles schon gebunden und nicht mehr auflösbar und neu zu knüpfen. Er mußte ihm zu verstehen geben, zwischen den Zeilen, daß es ganz anders war, daß er sich nicht gebunden hatte, sondern daß er einmal gefesselt worden war, in einem verwirrten betäubten Augenblick, in dem er nicht rechnen konnte oder wie es sonst gewesen war. Daß er damals sonderbar eingeschüchtert worden war von Bayern, nachgab, seine junge Kaiserwürde schon verloren glaubte, sich aus Scham nicht hatte offenbaren können. Das mußte schmeichelnd in halber Abbitte zwischen den Zeilen geseufzt werden. Und gebeten werden um Befreiung — jedoch nicht zu deutlich, denn man war Römische Majestät und jener Brite, und ein Ungläubiger. Mit Politik mußte alles versteckt und maskiert werden; welches lebhafte Interesse mußte nicht England haben, den Bayern zum Nachgeben zu zwingen, um des pfälzischen Kurfürsten, des englischen Schwiegersohnes und seiner Kinder willen; ja Ferdinand ging so weit, durchscheinen zu lassen, daß er appellieren möchte an das Interesse Englands, eine starke protestantische Partei auf dem Festlande zu haben; schmerzlich und grausam weh tat ihm diese Bemerkung. Er hielt diesen Brief, vor dem er sich selbst entsetzte, lange zurück, trug ihn bei sich, mußte ihn von sich reißen, um ihn seinem alten Frey in die Hand zu drücken. Jeder Brief erklärte neu, kühner. Und er erwartete keine Antwort, dachte nie daran, was Dighby meinen würde, glaubte jahrelang mit ihm umgegangen zu sein.
Eggenberg, dessen Haus durch einen Geheimgang mit der Burg verbunden war, staunte, als der Kaiser öfter unversehens mit geröteten Wangen freudig und müde bei ihm erschien, gedankenlos plauderte, sich an sein Bett setzte, eine große Zärtlichkeit gegen ihn und andre an den Tag legte, daß er Gnadengeschenke verteilte, ohne sich um Gurlands Bedenken zu kümmern; er beschenkte Gurland selbst noch.
Die Briefe aber liefen alle durch die Hände des feinen gewissenhaften und automatischen Gelehrten Kaspar Frey. Dieser hatte keine Neigung, sich zu lebhaft in die Geschäfte seines Herrn zu mischen; sein Respekt war zugleich Bequemlichkeit; ein Schutz vor übermäßiger Inanspruchnahme. Ihm fehlte die Herzlichkeit; sein scharfes Urteil war im Laufe der Jahrzehnte eingerostet im humanistischen Spintisieren über Virgil und Sueton. Für Ferdinand war das Geheimnis des Briefes vollendet mit dem Binden des Fadens, gelegentlich siegelte er. Das Übrige vertraute er Frey an. So kamen ein zwei ungesiegelte Briefe den üblichen Weg in die Hände des Obersthofmeisters, der bei der Auffälligkeit der Situation, der Häufigkeit von Briefen an diesen englischen Empfänger, Verdacht schöpfte, heimlich einen las, ihren Inhalt auf der Stelle dem verblüfften Eggenberg mitteilte, bevor er den kaiserlichen Siegel beifügte. Eggenberg wagte angesichts des unglaublichen Vorfalls nur noch den höchst verschwiegenen Abt Anton ins Geheimnis zu ziehen; Behutsamkeit schien ihm das Wichtigste für den Augenblick. Sie kamen in der stillen Behausung des Abtes umeinandergehend überein, nunmehr planmäßig jeden Brief zu öffnen aufzufangen und entsprechend seinem Inhalt zu handeln. Der Obersthofmeister hatte schon unabhängig von ihnen die Öffnung der letzten Briefe vorgenommen; jetzt erfolgte dies im verschlossenen Dienstzimmer des Meggau in der Burg vor den beiden Geheimen Räten. Es schien einmal, als hätte Ferdinand Verdacht geschöpft, sein Kurier lief unprotokolliert durch; da ließ ihn Meggau auf der Straße hinter Wien niederwerfen von gedungenen Zigeunern; dieser Brief enthielt den erschreckenden Hinweis auf das evangelische Interesse des Königs Jakob. Es schlug dem Faß den Boden aus. Man konnte nicht ohne Trautmannsdorf weiter. Erstaunlicherweise zeigte der sich gar nicht verwundert, schien etwas ähnliches vermutet zu haben. Nach seinem Rat wurden alle Briefe durchgelassen, aber dauernd die Kuriere auf den Straßen niedergeworfen und beraubt; dem Kaiser sollte Mitteilung werden von der Unsicherheit der Wege durch malkontente Ungarn und entlassene Söldner.
Furchtbar, unerwartet schwer traf dieser Bericht den versunkenen, ja zärtlich ausgeglichenen, verspielten Kaiser. Jäh brüllte er, man vernachlässige die Sicherheit seiner Korrespondenz. Steif und kalt standen vor ihn gerufen Eggenberg und Trautmannsdorf, entschlossen, nichts zu antworten. Es fehlte nicht viel, daß der Kaiser sich zu direkten Drohungen gegen sie herbeiließ. „Man hat Interesse an meinen Briefen,“ schrie verzweifelt Ferdinand. Er konnte nicht fassen, daß die Worte, die er mit Liebe gemalt hatte, vor nichtswürdige berechnende Gesichter gezogen waren, auf der Straße lagen. Rasend war er; geschändet, tief beleidigt kam er sich vor. Und im Hintergrund verstand er, was man mit ihm vornahm. Was diese hier mit ihm vornahmen. Der jähe Umschwung ließ ihn verwirrt fünfmal dasselbe fragen. Rasch gingen die Räte. Eggenberg war draußen im Vorsaal leichenblaß, zitterte; er war so erschüttert, daß er nur immer sagte: „Es muß ein Ende nehmen damit, Trautmannsdorf.“ Abt Anton gab ihm bekümmert recht. Der verwachsene Graf hielt sich still für sich; etwas Geduld; die Situation würde sich bald klären.
I n diesen Tagen war es, wo der Kapuzinermönch Valeriano Magno, eine Kreatur Maximilians, seit Wochen unterwegs, am Hofe ankam, um im Auftrag seines Fürsten die Ausstellung eines Diploms, betreffend die Übertragung der Kur an Max zu erbitten. Schweigend verwies ihn Ferdinand an den Abt Anton zurück, der noch erzählte, jener Mönch komme, wie verlaute, aus Paris, wo Bayern sonderbare Fühlung mit dem Staatssekretär Puisieux genommen hätte. „Warum nicht?“ lachte stoßweise der Kaiser. „Ja, warum nicht,“ bekreuzigte sich Anton.
„Singt mir was vor,“ schrie der Kaiser den Johann Valentini an; und der Chor mußte stundenlang in der Antikamera singen. Die Sänger waren erschöpft, der Tenor Pichelmayer versagte, der Kaiser wanderte ruhelos an einer Wand vor einem Gobelin, welches die Befruchtung Ios darstellte, hin und her; schwieg die Kapelle, so schrie er bald gegen die Bänke: „Ihr sollt singen.“ Er ließ sich Tirolerwein kommen; dann mußten die Streicher und Flötisten spielen; er wurde nicht müde zu wandern. Keiner der vertrauten Kammerherrn vermochte an ihn heran; Frey erlebte nichts als unverständliche Jähzornausbrüche.
Wie eines Mittags Ferdinand, gedunsener Kopf, sehr starre Augen, durch ein Fenster auf einen kleinen Burghof blickte, saß da einsam neben einem leeren Wagen in der braunen Bergmannsgugel sein Narr Jonas auf dem Steinboden und arbeitete etwas. Rasch schlug Ferdinand das Fenster zu, stieg, dem Diener abwinkend, auf einer Wendeltreppe hinab. Der Hof grasbewachsen, heiß, leer. Es lag da vor einem Schuppen ein Sandhaufen. Ohne daß der Zwerg ihn beachtete, setzte sich der Kaiser, ohne Hut, in grauer loser Joppe, auf ein geschlossenes Faß am Eingang des Schuppens. Es tat ihm wohl, hier zu sitzen; wie gedrängt war er heruntergegangen; es tat ihm sehr wohl. An einen Balken legte er den Kopf, dachte an nichts, während er gerade vor sich blickte. Dann fiel ihm ein, es möchte möglich sein, hier zu schlafen; schob sich tiefer unter den kleinen Schuppen, atmete tief und, wie er die Augen schloß, schlief er schon, fest und streng, wie er begehrte. Nach einer Weile rührte der Narr mehrmals den Schuh des Kaisers. Der Kaiser zuckte, öffnete die Augen.
Der alte Schalk gurgelte heimlich, neugierig zudringend: „Hast mir zugeguckt, Ferdel?“
Der rührte sich nicht.
„Gelt, hast mir zugeguckt. Sag’s . Was meinst du?“ Als der nicht antwortete, machte sich der Wicht an sein Geschäft.
Nach einer Weile schwebte der Schatten Ferdinands von rückwärts über das Zeichenbrett des Narren; der Kleine hob listig den Finger: „Gell, du hast mir zugeguckt. Ich arbeite, ich arbeite.“
„Was ist?“ Der Narr hatte auf einem Kistenbrett im Sand große leere Folianten liegen; aus einem Krügchen goß er Tinte vorsichtig über sie, tuschte die Tinte sorgfältig in breiten Pinselstrichen aus in die Ecken, an die Ränder.
„Ich dichte.“
„Was ist mit der Tinte?“
„Ich schreibe ein großes Werk über die Sterne, den Himmel, die Hexen und die Teufel. Bald ist’s geschehen.“
Wie sonderbar, daß der Kaiser nicht lächelte, starr und streng auf die Bogen sah, das Gesicht nicht verzog; er schlief wohl noch.
„Wenn die Sonne schön warm und hell scheinen wird diese Woche, ist es fertig. Es kommt nur auf die Sonne an, Ferdel, im Dunkel geht es nicht voran.“
„Was ist.“
„Wenn du mich nicht verraten willst, grüner Löwe, will ich’s sagen. Und wenn du mir etwas geben willst.“
„Was ist.“
Er bewegte sich vorwärts. Der Narr greinte: „Jeden Bissen schnappen sie mir vor der Nase weg. Wenn du gestern gesehen hättest, von den Forellen. Kaum hab ich etwas gesehen davon.“
„Komm mit.“
Weinend schleppte der Zwerg sich hinter ihn, deckte mit einem Sack alles sorgfältig zu: „Nicht schlafen kann ich vor Kummer. Aber doch bin ich ihnen allen über.“
Er sah den Mann neben sich strahlend an: „Ich zeig’s dir. Komm zurück. Ich schreibe ein großes Werk über die Geister. Die Weisheit muß verbreitet werden unter die Menschen. Aber es dauert alles so lange, hab ich gesehen, ein Buch jahrelang, jahrelang. Viele Weise sterben, grüner Löwe, ehe sie ihr Buch fertig haben. Und darum —“
Er sah zu, wie sich Ferdinand wieder in den Sand setzte, fragte gespannt: „Aber du verrätst mich nicht.“
„Nichts, nichts.“
„Es gibt viele, die mir alles absprechen und mich am liebsten umkommen lassen würden.“ Bang hob er den kleinen Tintenkrug unter dem Brett hervor, wies ihn: „Sieh selber, was ich für einer bin. Mein Buch ist, wenn unser Herr Petrus am Himmel will, bald fertig. Ich laß es dich zuerst sehen dann.“ Und der Kleine goß über einen frischen Bogen Papier einen Strom Tinte, fing an zu wischen, entzückt plappernd: „Sieh an, wie es geht. Sieh, wie es läuft. Ich mache es auf einmal. Da, eine ganze Seite auf einmal, aus dem Fäßlein kommt der Brunnen. Im Nu. Gewischt in die Ecke, eins, zwei. Ich bin nicht so dumm, mir Federchen schnitzeln, in die Tinten stoßen, Tröpflein herausfischen. Ja, glaub’s schon, kann lange fischen, bis das Fäßlein leer ist. Und wenn das Fäßlein nicht eintrocknet, fischen sie drei Jahre daran. Seht bei mir. Das ist der ganze Witz. Flink, hurtig, im Nu. Sieh her, Ferdel, hier unten.“
Auf dem Sand standen sechs kleine Krüge. „Seit gestern,“ flüsterte geheimnisvoll der Schalk, deckte sie rasch zu. „Ich hol die Krüglein aus deiner Kanzlei, sie schimpfen, daß sie weg sind; morgen setz ich ihnen mein erstes Büchlein hin, die Krüglein daneben: werden sie Augen reißen. Ist von Gespenstern, Hexen und allen sieben Gestirnen, hab mir weidlich alle ausgedacht und hurtig drauflosgeschrieben. O, was sie alles drin lesen werden; auch von dir, Ferdel, und meinen Feinden! Finden sich alle drin.“
„Nun muß ich sorgen, lieber Jonas, daß du Doktor werdest ohne Studium und Examen.“
Glücklich, die Händchen schlagend: „O, wann gibst du mir meinen Schmaus? O, du wirst sehen, es wird noch besser. Wenn du mich bloß nicht verrätst.“
„Nur zu trinken, Jonas. Feiern wir dich auf der Stelle; zeig mir, wo es in den Keller geht.“
„Komm, ich weis’ dir’s.“
Mütterlich deckte er seinen Platz ab. Dicht am Schuppen in die Mauer war eine niedrige kistenverstellte Tür eingelassen, an sie schob er sich heran; eine Stiege senkte sich herab; schwerer kühler Geruch schwoll herauf.
„Wo bist du, Jonas?“
„Sst. Still. Ich bin unten. Vielleicht hört uns jemand. Komm. Hier.“
„Bist du allein?“
„Nein.“
„Wer ist bei dir?“
„Der Wein, der Jonas und du. Wir alle drei.“
Der Kaiser tastete sich herunter. „Setz dich gleich hier an die Stiege, Jonas, in den Winkel. Und laß die Tür auf, damit wir sehen können.“
„Ferdel, kannst du am Hahn trinken?“
„Hol mir einen Becher, wo du willst; leise; stehen überall Leute.“
Lange Stille in dem Dunkel. Große Umrisse von schwarzen Fässern, Tonnen, Bottichen, Leitern lösten sich; der Keller wuchs in die Tiefe.
„Jonas!“
„Hier das artige Becherlein. Ich bediene dich.“
„Wir wollen dich feiern, Jonas, morgen schenk ich dir deinen Zuckerzweig.“ Sie tranken, tranken. Jonas lachte manchmal herausplatzend schallend, bald fing auch der Kaiser an. Jonas schrie: „Herr Rektor, Euer Liebden haben keine rote Robe an. Es ehrt mich nicht genugsam.“
„Jonas,“ sagte nach einer Weile Ferdinand, „bring mir meinen Hund.“
Schon schlich der Zwerg davon. „Hier, Ferdel, hier ist das Hündelein.“
Es war eine Katze. Der Kaiser hatte sie auf den Armen, rang mit ihr. „Ich kann sie nicht halten.“ Jonas, mit einem Griff am Nacken, preßte sie ihm an die Brust; sie hielt still.
Die blauen großen Augen des Kaisers, die grellen Schlitze des Tiers. „Gebt mir Euer Messer, Herr Doktorande. Das Kätzlein muß mir sein Fell für einen roten Mantel verkaufen.“ Er vertiefte sich in den ängstlichen lauernden Blick, suchte sie plötzlich am Hals zu packen. Die Katze schlug um sich, der Zwerg zustürzend aber hatte ihr im Nu mit seiner scharfen Klinge den Hals durchgeschnitten. Während sie noch hell pfiff, spritzte, zappelte, auf die Steine kollerte, schlitzte er ihr kreischend knirschend das Fell von der Kehle bis zum Schwanz, riß es rechts links von dem heißen nassen Rumpf ab, von den zitternden Beinchen.
Ferdinand schluckte heftiger den Wein. Das dunstige blutende Fellchen legte er sich auf den Rücken, rieb sich die Finger.
Die Glocke schlug oben im Hof. „Jonas, lauf hinauf, ehe wir anfangen, dich zu feiern. Rasch. Spute dich. Sag meinem Leibdiener, du hättest einen Auftrag von mir zu bestellen. Sag’s dem Kammerherrn in meiner Vorkammer. Wenn man mich suchen sollte, — ich hielte Sitzung ab. Sie sollen’s dem Abt Anton bestellen. Hier hast du meinen Ring, und bring ihn gleich wieder.“
Der Narr schaukelte den Kopf: „Ich soll nicht erzählen, wo du sitzest?“
„Nicht erzählen, Jonas.“
„Was wird mein armer Buckel dazu sagen?“ quarte er.
„Scher dich!“
Atemlos kam er bald angestürzt: „Sie waren hinter mir her. Ich hab sie irregeführt.“
„Mein Ring.“
Der Narr hatte ihn an.
„Schelm, gib den Ring.“
Ferdinand spie, während er den Schalk schüttelte: „Zu saufen, Kerl. Was du hast. Ich hab Durst, Kerl.“
Der entwischte, blieb weg, laut schmatzte er in der Nähe. Ferdinand taumelte zu ihm in den Winkel, wo eine Laterne brannte; da stopfte der Kobold Rettich, trocknes Brot. Ferdinand brüllte lachend: „Verfluchtes Vieh,“ riß den Korb her; der Schalk hielt sich schreiend am Henkel, sie stopften rissen schluckten und spien zerrten. Das Katzenfell, das rutschte, legte sich Ferdinand immer wieder auf die linke Schulter. Allein ließ er hingestreckt seinen Becher vollaufen, schlürfte, während ihm der Kopf wackelte und er den Korb vor die Brust zog. Plötzlich machte der Narr einen Ruck, kroch mit seiner Beute zehn Schritt davon, kreischte giftig: „Nichts kriegst du mehr! Verrecken kannst du, Dieb abscheulicher.“ Er saß im Dunkeln versteckt. „Gibst mir Rettich, du Hund?“ „Verrecken kannst du.“ Ferdinand kroch auf allen Vieren mit baumelndem Kopf, rief heiser, drohte bettelte. Der Schalk verzog sich weiter. Listig bat der Kaiser: „Ein Stückchen, Herr Doktor, bloß ein Stückchen.“ „Nichts, gar nichts. Nicht die Krume kriegst du Strolch.“ „Ich will was haben,“ brüllte der Kaiser, „ich kann nicht verrecken hier.“ „Du Dieb, ich werde dir zeigen.“ „Was habe ich dir getan, Jonas.“ „Nichts. Verrecken! Verrecken!“ „Ein Stückchen.“ Ferdinand saß unter einem laufenden Faß, flennte: „Nichts gibt er mir. Seht den Kerl an, den Jonas. Den ganzen Korb hat er voll. Das wird kein Doktor.“ „Verrecken.“ Da hob Ferdinand, sich auf den Bauch werfend, an der Katzenleiche ausgleitend, mit den Beinen strampelnd, sinnlos aus vollem Halse brüllend, die Arme auf, schmetterte sie auf den Boden, salbte sich aufbäumend sein Gesicht mit dem Schmutz: „So behandelst du mich, so behandelst du mich. Ich verklag dich. “ Wütend rutschte der Zwerg heran, schlug von hinten mit dem Korb gegen seine Beine. „Verklagen, du mich? Du Dieb.“ „Er bringt mich um. Hilfe. Grausame Not. Was habe ich dir getan.“
„Verleumder, mich willst du verklagen.“
„Laß meinen Fuß.“
Oben stiegen Leute scheltend heran, warfen Licht in den Raum.
Der Zwerg geiferte frohlockend: „Jetzt sieh zu, wie du auswischst! Haha. Vor denen da! Du Dickwanst.“ Johlte gegen das Gewölbe bei Ferdinand: „Hier bin ich! Walkt den Dieb!“
Kroch weg, schleuderte seinen leeren Korb zurück, meckerte vergnügt, mit dem linken Schuh des Herrn klappernd, dicht zu ihm schlüpfend, drehte er einen Hahn auf; der Weinstrom prasselte auf die Steine. Da heulte beim Anblick des leeren Korbs der Kaiser vor den beiden Küferknechten, die ihn drohend anhoben, dann den beschmierten Sabbernden zitternd zurechtsetzten.
„Alles hat er gefressen. Er ist schlecht. Es ist kein Gelehrter. Er ist ein Siebenfraß, ein unbarmherziger. Mich läßt er verrecken. Fangt ihn doch. Den unbarmherzigen Schelm. Gottseibeiuns.“
G raf Johann Paar war seit Hoheneich nicht am Hof erschienen. Ferdinand sagte knirschend zu Frey, der sich vor ihm entsetzte: „Ich will gnädig mit ihm verfahren, mit dem Hans. Will ihm nicht Hatschiere schicken, sondern dich und den Jonas. Ihr beiden sollt ihn holen.“ Dann schwankte er lange, ob er nicht seinen Leibkammerdiener schicken sollte. Gebunden wurde dann eines Nachts Paar von Hatschieren auf einem Wagen in die Burg gefahren, ohne Hut, ohne Degen, wie sie ihn in seiner Stadtherberge ergriffen hatten. „Wahrhaftig,“ höhnte der Kaiser, der ihn in der Schlafkammer sitzend empfing, „der Graf Paar.“
Dünnlippig stand er da, die gefesselten Hände auf dem Rücken. „Ich war ehrsüchtig,“ erklärte der langsam, „der Mollert hatte mich gereizt. Ich hab mich von der Eifersucht auf Mollert bewegen lassen.“
Der Kaiser lachte giftig. Der blieb dabei: er bereue. Ferdinand fragte: „Das war es, das war alles?“
Paar dachte an die Stöße, die er erduldet hatte; langsam wiederholte er, er sei eifersüchtig auf Mollert gewesen. Der Kammerdiener mußte ihm die Fesseln abnehmen; es stünde ihm frei, in seine Heimat zu fahren. Er sah nicht, wie der Leibdiener sich beiseite wandte, die bettelnden zerreißenden Blicke des fast unbeherrschten Ferdinand, sah nicht, daß Ferdinand schrecklich erblassend im Begriff war, wackelnd auf seinem Sitz sich an seine Brust zu werfen.
Er fiel vor Ferdinand auf die Knie; starren rachsüchtigen Herzens sagte er: er bereue.
Der Kaiser bat ihn entsetzt um Entschuldigung, hieß ihn gehen.
B ei der zweiten Besprechung, die Dighby auf den weiten geweihprunkenden Korridoren der Alten Residenz zu München mit dem Geheimrat Richel führte, — einem Herrn so groß wie er, so breitschultrig wie er, mit glattrasiertem verärgertem bäurischem Gesicht, mißtrauischen Blicken, von unbestimmtem Alter, — meinte der Herr am Geländer der Wendeltreppe zu ihm, wenn es dem englischen Edlen beliebe, nach Thalkirchen oder sonst in die Umgebung zu spazieren: es sei sehr schön hier; die Witterung gut, er möchte es nicht versäumen; des Herzogs Bescheid träfe ihn rechtzeitig. Dighby amüsierte sich vor den Pfälzern, daß dieser furchtbare Unruhstifter, diese männliche Kriegsfurie, der Maximilian, nicht aus dem Beten herauskäme; wenn man nach ihm frage, immer heißt es: er ist zur Messe, er hält Andacht, heute Beichte, morgen Beichte, der Herzog belagere förmlich den lieben Gott. Er witzelte in seiner selbstvergnüglichen Art: ob der Max vielleicht darum so viel bete, damit kein anderer an Gott herankäme.
Schwere Luft wehte in München. Das mönchisch strenge Wesen des Hofes drückte auf die Stadt. Fensterln und Gunkeln war verboten, die üppigen gemeinsamen Badestuben aufgehoben; still trollten des Herzogs Maximilian einzige Freunde, die Brüder vieler Orden, Nonnen durch die Straßen der Stadt; Weibsen, die zu kurze Röcke trugen, Männer, die in Spinnstuben lachten, wußten, was ihnen drohte; in Eisen auf Wochen, wen die Lust anwandelte zu schuhplatteln. Lord Dighby zog in krebsrotem Gewand zu Roß über den großen Markt mit einem Schwanz von zehn gemieteten Knechten, purpurn wie er; er mußte es tobend dulden, daß beim Aveläuten sich keulenbewehrte Büttel auf sie stürzten, sie auf die Erde warfen und nicht eher erheben ließen, als das Geläut zu Ende war. Vor den Obersten Hofmeister, den majestätischen hochgeborenen Grafen Johann zu Hohenzollern stürmend, fand er keineswegs Ohr; es schien sogar, als ob dieser Graf Mißfallen darüber empfand, daß die Büttel nicht auch ihn selbst niedergeworfen hätten.
Nun langten die erstaunlichen Briefe des Kaisers Ferdinand bei Dighby an, von vielbemerkten kaiserlichen Kurieren getragen, Briefe, über die sich nicht schweigen ließ. Dighby geriet in immer größeres Entzücken; er begann für sein Verhältnis zum Kaiser Ausdrücke zu finden wie: der könne ihm nicht entwischen. Er unterließ Antworten nur, weil er nicht wußte, welche familiäre Anrede er dem Kaiser geben sollte. Ohne weiteres langte er eben angekommene Briefe, oft unentsiegelt, lässig dem Rusdorf oder dem weniger gewiegten Pavel; es war Langeweile, was ihn dazu veranlaßte. Prahlende Äußerungen stieß er in der Öffentlichkeit aus; er drohte, er gebe dem Herzog noch zwei Wochen Zeit zur Besinnung; dann kümmerte er sich um nichts; wagte es, während die Räte sich in der Masse versteckten, an einer Prozession bedeckten Hauptes herausfordernd vorbeizureiten. Die Räte waren verständnislos für die Briefe des Kaisers. Schon traf Rusdorf beklommen Anstalt, sich dem sehr gnädigen Dighby wieder zu unterwerfen. Da blieben die Briefe aus. Dighby größenwahnsinnig merkte tagelang nichts; argwöhnisch, schließlich spöttisch forschte Rusdorf. Nach einer Woche wunderte sich der Lord. Vielleicht, daß er hätte antworten sollen; aber es machte ihm zuviel Mühe; irgend etwas nagte dazu an ihm, lähmte seine Hand; seine Gedanken sprach höhnisch der spitzgesichtige Rusdorf aus: der Kaiser hätte ihn zum Besten gehabt. Einen Boten fertigte Hals über Kopf der Brite ab nach Wien, den Kaiser fragend; er kam zurück mit dem Briefe und einem Vermerk der Hofkanzlei zu Händen des Abtes Anton: das Schreiben trüge irrtümlich die Adresse des Kaisers. Die Wut dröhnte durch den Lord, er war betrogen, planmäßig England, planmäßig verhöhnt. Die Augen der Räte leuchteten.
Die Torwache hatte dem Herzog gemeldet, daß Kuriere in den erzherzoglichen Farben fast täglich zu dem englischen Gesandten liefen; der Kammerdiener Verduckh erkundete, berichtete Näheres. Da traf Maximilian Anstalten zu antworten.
Die Sorte Bauernmädchen bei Thalkirchen behagte Dighby vortrefflich; er griff zu; Liebesszenen arteten in Schlägereien aus: das gefiel ihm. Die beiden bayrischen Ehrenkavaliere waren sehr besorgt, daß es zu Zwischenfällen käme, wollten gern schweigen, auch die Pfarrer besänftigten, denn der Engländer verspielte wilde Summen an sie und ihr Gehalt war mager.
Schon vier Wochen trieben sie zu dritt ihr Unwesen rings um Thalkirchen; da stand eines Nachts der Graf von Bristol hinter seiner Herberge in einem Kohlfelde, hatte eine Zaunlatte in der Hand, verteidigte sich gegen einen anspringenden messerbewehrten untersetzten Bauernburschen, der weite Hosen und sonst nichts trug. Dighbys seidener Schlafrock war bis über eine Schulter aufgerissen. Und während des Kampfes, der von beiden Seiten stumm mit großer Entschlossenheit geführt wurde, erleuchtete sich der Himmel mit einem auffallenden, immer stärker und breiter flammenden Rot. Beide sahen unruhig beim Schlagen und Zustoßen auf, kamen überein, den Kampf auszusetzen, in der nächsten Nacht sich wieder zu treffen.
Der Lord weckte, da sich zudem ein ferner ungewöhnlicher Lärm erhob, seine Herren, die erschreckt den Schein sahen; es klang, als ob in einem riesigen Feuer ganz München zusammenprasselte; dann wie eine Schlacht mit Menschengeschrei Wagengefahre Schießen. Sie liefen auf einen Hügel. Der Feuerschein stand über München. Erregt standen sie; ob es nicht bald Morgen würde; der Weg durch den Wald war im Finstern ungangbar. Mit dem ersten Grauen zogen sie die Pferde aus dem Stall; schwarz traten die Bäume aus der Dämmerung hervor, die Dorfstraße wurde kenntlich. Lord Dighby saß zuerst oben; in seiner Ungeduld stürzte er sogleich, fluchte, blieb im Steigbügel hängen. Der heranstolpernde Bursche, mit dem er gefochten hatte, half ihm freundlich auf; sie winkten sich zu. Roß hinter Roß trabten sie vorsichtig durch die Waldung. Das Rasseln Klirren Dröhnen wurde vernehmbarer. Die Hauptchaussee auf München war erreicht; da standen zehn Mann mit Musketen quer über dem Weg: Durchritt auf München untersagt; wollten sie in die Stadt, müßten sie im Bogen herum durch den Wald. Keine Auskunft; ständen seit dem Abend hier. Als sie zu dritt auf die von Süden einfallende Chaussee stießen, war der Weg verstopft und es war die bayrische Armee selbst, mit Fußvolk Artillerie und Reiterei, mit Troß Bagage Munition und allem Volk, das durch München rückte. Es ging nach Norden. Dighby wurde mitgerissen; war eingekeilt zwischen Wagen. Sie stiegen ab; sie hielten im Getümmel ihre Pferde fest am Zaum, da man sie ihnen mit List und Gewalt nehmen wollte; man ließ das Pech der Fackeln auf ihre Hände tropfen. Sie kamen zwischen zwei Trupps Wallonen. Offen trugen die Herren ihren blanken Degen in der Hand. Dem Lord gelang es, vor dem Austritt aus der Stadt, sich herauszuhauen; die beiden anderen kamen nach Stunden zum Vorschein, ohne Degen und Hut, nachdem ihnen ein geschmeichelter Kornett zu ihren Pferden verholfen hatte. Stundenlang mußte Dighby in seiner Herberge sitzen in heftigem Zorn, denn die Straßen waren überfüllt. Er trieb am Abend seinen Kammerdiener zu Richel: wann er ihm eine Aufwartung machen könnte. Statt Antwort kam am folgenden Vormittag ein unbekannter Herr in Jesuitentracht zu ihm mit einem kurzen Empfehlungs- und Beglaubigungsschreiben des Geheimrats: dies sei der gestrenge, besonders vertraute, vielliebe Herr von der Gesellschaft Jesu, der Pater und gelehrte Doktor Jakob Keller, Rektor des Münchener Kollegs, in alles wohl eingeweiht und dem britischen Gesandten zu schuldiger Observanz bereit. Er erklärte mit lieblichen Worten, des Herren williger Freund um so mehr zu sein, als er eben zurzeit den Besuch des englischen Jesuitenprovinzials Partius empfangen habe, der überaus angenehme Zeitungen aus diesem wohlregierten Lande gebracht habe. Der Anblick des Paters, der ihm gleich diesen fatalen Knüppel zwischen die Beine warf, vermehrte seinen Zorn; er begehrte zu wissen, was der Herr Rektor bei ihm abzulegen hätte. Und als sich der friedlich zu Rede und Antwort erbot, toste er los, was dies sei, dieser Heereszug mitten im Frieden, während der Friedensverhandlungen; welche deutschen Methoden sich hier kundtäten nach den freundlichen, huldreichen Worten des Kaisers. Was den Herrn Rektor, der sich zu setzen verschmähte bei seiner Gnaden dem Lord und Grafen, ehrlich betrübte, sofern nämlich ihm nichts bis zu diesem allerdings wichtigen Augenblick von einem Frieden bewußt sei zwischen der bayrischen Durchlaucht und dem proskribierten Ächter, vielmehr übe der Herzog im Namen des Heiligen Reiches, wie verabredet, die Exekution gegen jenen aus, der in der Oberpfalz erschreckend hause; man würde bald das bedauerlich heimgesuchte Land von seinen Brandschatzern befreit und in den allgemeinen deutschen Frieden einbezogen haben. Auch Dighby blieb an seinem Stuhl stehen, fragte heiser, warum man aber, warum aber der wohledle Herr Bartholomäus Richel, seiner Durchlaucht in Bayern Vizekanzler und geheimer Rat, ihm dies verschwiegen habe bei seinem zweimaligen Besuche, wiewohl des Längeren und Breiteren Kriegs- und Friedensfragen durchgegangen seien. Warum habe man oder Herr Richel angehört, daß er beruhigende Depeschen nach England und dem Haag schickte.
O, man werde doch nicht wagen, einem erfahrenen Gesandten von dem Rufe des Lord Dighby Vorschriften zu machen über seine Depeschen. Wie überaus erfreut Herr Richel, dieser würdige und fromme Mann, von dem Besuche und der ausgesprochenen Friedensliebe des hohen Gastes gewesen sei, wie sehr er bedauert hätte, nicht auch die beiden pfälzischen Räte zu empfangen, die sich auf Abgabe ihrer Instruktionen und Denkschriften beschränkt, könne er bezeugen. Bei länger dauerndem mündlichen Verkehr der beiden Parteien, daran zweifle er, der Jakob Keller, nicht, wäre ihr Verhältnis zum wohledlen Bartholomäus Richel noch herzlicher geworden und er hoffe auch jetzt noch, daß man keinen Vorwurf auf diesen untadligen Herrn werfe.
Dies sei also ein Krieg zur Besetzung der Oberpfalz? Es könne doch nicht bestritten werden.
Keineswegs. Keineswegs könne es freilich auch behauptet werden. Es sei die Reichsexekution gegen den Ächter Mansfeld, der auf oberpfälzischem Boden stände.
Dighby warf den Stuhl ab; diesen Boden verteidige sein Herr, sein Landesfürst, ferner der Kurfürst Friedrich; gegen ihn kämpfe der Bayernherzog, man solle es nur zugeben und nur schnöde die Verhandlungen brechen.
Beliebe der Herr solche Untat nicht von einem frommen Mann wie Richel und gar herzoglicher Durchlaucht zu glauben. Die Verhandlungen sollen um des Erlösers willen nicht abgebrochen werden, der ganze, tief religiöse Standpunkt der bayrischen Regierung widerstrebe einem kriegerischen Wesen, immer sollten die Verhandlungen weiter gehen, immer weiter. Ja, er, der Keller, sei hier, um die Punktation zu fördern.
Verhandeln? England jetzt verhandeln? Er warne den Herrn.
Der Pater schaute in seinen Hut. So läge es gewiß nicht an Bayern, wenn das Friedenswerk nicht gefördert werde; das betrübe ihn bitterlich. Gerade in diesem Augenblick würde man ergiebig verhandeln können und zweifellos am besten nach der Vollendung der Exekution. So müsse er „Vale“ sagen.
An der Tür meinte er lächelnd, bevor er sich bedeckte: so wisse er freilich auch nicht, ob er bei dem Herrn Lord die Geneigtheit des Herzogs vorbringen sollte, ihn in Audienz zu empfangen; eben sei der Herzog zurückgekehrt; sein Erstes sei die Frage nach dem Unterhändler gewesen.
„ W o habt Ihr gesteckt, Ihr Herren; hinter dem Gitter, im Affenkäfig? Habt Ihr geschaut, gewinkt, wie sie Trompeten geblasen haben? War ein Spaß, nicht wahr?“
Rusdorf hatte sich bei anhebendem Getöse nachts aufgemacht, hatte sich von der zechenden Stadtwache zwei Begleiter erzwungen, war mit ihnen, während Pavel die Papiere im Losament bewachte, das jeden Augenblick unter Vorwänden geplündert werden konnte, zur alten Residenz, zum Richel, Jocher oder wen er träfe, gedrungen, um inständig Auskunft zu erbitten. Hatte sich vor die verschlossenen Tore drohend gestellt, war wegen seiner Neigung, französische Brocken zu gebrauchen, für einen Spion von einem vorüberziehenden Schwerereitertrupp gehalten worden. Die Stadtwache verließ ihn auf finsterer fackeldurchwehter Straße; man beschimpfte und kujonierte ihn. Troßbuben Sergeant Profoß, wen er fragte, jauchzten aber dasselbe: „Es geht auf die Oberpfalz“. Keine neue Frage änderte die Gewißheit: man überfiel mit Übermacht sein Land, sein Heimatland. Dann bebte Pavels Schlafkammer unter dem verzweifelten Wutgeschrei des bettgeworfenen kleinen Rats und dem bitteren Gestöhn des knieend betenden anderen. An ihre Fenster schlug der freche Lärm der vorüberwandernden Regimenter, das Fauchen des verwüstenden siegesdurstigen räuberischen Heereswurms, Fackellicht auf Fackellicht bläkte gegen ihre Decke; die Nacht rückte vor. Volkes ohne Ende! Ihr armes Land sollte ersäuft werden.
Als Dighby mit zerrauften Kleidern wild am Morgen in ihre Zimmer fuhr, schwankten sie übernächtig zorngebläht vor ihn; er mußte sich erschreckt den Hut abreißen, in eine Ecke drängen, sie schienen halb wahnsinnig ihn meucheln zu wollen. Schrieen „Verrat“ über ihn: „der Herr hat uns an den Bayern verkauft, er hat es uns angedroht, er hat es getan; ein Pfaffenhund ist er“. Er zog sich knirschend zwischen ihren Degen an die Tür, sie wollten ihm nicht glauben, daß er selbst übertölpelt sei; erst standen zwei Hunde vor ihm, jetzt wiesen schnarchende Bestien ihre Zähne. Nicht Dighby war es, sondern Pavel, sich am Stock schleppend, der befahl mit einer knirschenden Ruhe, sogleich aufzubrechen aus Bayern, das treulose verlockende höllische Land zu verlassen und sich zu Mansfeld zu schlagen. Die Wagen wurden ihnen vom herzoglichen Hofe nebst Salvaguardia an alle Truppenteile gestellt, das Bedauern ausgesprochen, die Herren so eilig zu sehen.
Hinter Amberg stießen sie nach Tagen auf die schwärmenden Vorhuten Mansfelds. Sie ließen den Grafen von Bristol nicht los, bis er die kostbaren Geschenke des Kaisers Ferdinand mit Einschluß der goldenen Waschschüssel verkauft, den Ertrag gezwungenermaßen dem Bastard geschenkt hatte. Nach einer furchtbaren Szene zwischen den dreien in der Gegend von Cham hinter dem abgebrochenen Hauptquartier des Feldherrn verließ Dighby die deutschen Herren, verließ über Brüssel bläkend rachedürstig den Kontinent.
Die beiden wandten sich nach Norden, nach dem Haag, an den Pfälzer Erzratgeber, den Doktor Ludwig Camerarius. Rusdorf wollte nicht säumen, nicht rasten; das bayrische Heer, die Wiener Tage brannten in seinem Herzen; er trug die Flamme weiter; Camerarius hieß ihn den Dänenkönig und den Schweden aufstacheln.
Pavel trennte sich bei der Abreise aus dem Haag von ihm; er lehnte weitere Gesandtendienste ab; sehr freundlich und gütig sagte der schwermütige kranke Mann zu dem springenden anderen: „Es ist gut, was der Herr vor hat, mein Segen ist bei ihm. Doch wird er sehen, wir haben die Fortuna nicht auf unserer Seite. Wird bald alles wieder anfangen wie in London und Wien; werden betteln; man wird uns nichts ersparen. Ich bin dem nicht gewachsen“. Mit vieler Liebe umarmten sie sich vor dem Postwagen; auch Rusdorf zerbiß sich schluchzend den Mund.
Als Doktor Jesaias Leuker, prächtig in Zobel getan, einen goldenen Gnadenpfennig an der Halskette, blutroten Gesichts die kaiserliche Antikamera betrat, stand gebückt ein schwarzer ungeheurer Mann neben dem Stuhl des Kaisers, der Beichtvater Lamormain, ein Luxemburger. Bemalte Leinewand und bunte Tafeln waren auf dem Teppich vor ihnen hingeschichtet. Ferdinand hielt den Kopf gesenkt, als Leuker vom siegreichen Vormarsch auf die Oberpfalz berichtete. Als er sein mattes aufgedunsenes Gesicht ihm wieder zugewandt hatte, sagte er halb fragend zu Lamormain und dem Bayern zugleich: „So möge unser frommer Schwager auf dem Zuge von uns jeder Hilfe und Vorschubs gewärtig sein“.
Und während er den Blick suchend richtete auf das Bildchen in seiner Rechten — die blaumantlige Maria mit dem geneigten Haupt, einen goldenen Stern auf der rechten Schulter, in einem Schutthaufen am Tiber von Dominikus a Jesu Maria gefunden — war plötzlich ein Licht in ihm erloschen; er sah sich an der Wand auf einer schwarzen Bank in einer finsteren Kammer sitzen, sich langsam aufrichten, die Hände an die Schläfen legen, zusammenlegen zum Gebet; und er sprach nach, ohne es zu verstehen, was dem Gebundenen auf der Bank von den Lippen ging: „Es ist geschehen. Im Namen des Vaters, des Sohnes, des heiligen Geistes.“
A us seinem Bau, um den herum er mit Schonung fraß, stöberte das bayrische Heer den Bastard von Mansfeld. Von da strömte ihm, wegweisend, pestilenzialischer Geruch entgegen. Eine Seuche war in dem Lager bei Beidhaus ausgebrochen, hatte sich mit Werbern Fourieren Streifkorps beutemachenden Tummlern blitzartig durch die Wälder und Berge verbreitet, zuckte unter Bauern und Knechte, gepanzerte Kürisser, Musketenträger. Aus den Tümpeln stieg die Brut der Mücken und Stechfliegen. Unter der schilfdurchstochenen Oberfläche der Wasser, dicht am Spiegel, hingen die Millionen Larven wie herrenlose Naturtrümmer, gleichmäßig Luft saugend durch ihre kleinen Atemröhren. Dick schwoll ihr Kopf an, hob sich über den Spiegel, die Schale zitterte, knisterte, spannte sich, riß über der Schläfe, seitlich; langsam drängte sich das lange junge Gebilde durch, engangelegt Fühler Glieder Flügel, rastete sich spreizend, auf einem Blatt der Wasserlinse, hing flügelspannend großbeinig an einer Schilfscheide. Surrte in der Dämmerung aus. Die Luft mit Zirpen und feinem hohen Singen durchadernd. Spürsame surrende Mücke mit schwankendem Ringelleib, vor sich zwischen hauchartigen Fühlern gerade aus gestemmt den langen Stechrüssel, der wie ein Spieß steif auf dem Köpfchen wuchs, vor dem Prellbock des klobigen Brustwürfels. Das trug sich tausendfach, zehntausendfach, millionenfach durch die Abendluft mit gläsernen Flügelchen. Setzte sich an den Mund, an die Stirn, auf die Hand, die ein Brot brach, an den Hals, zwischen den geschnittenen Bart des Kornetts und Rittmeisters und die venetianischen Kragen. Riß sich einer, vom Pferde springend, schweißbegossen den Wams auf, kühle Luft gegen nasse Brust gehen zu lassen, so krallte das kleine Flügelwesen ungesehen an die warme Haut, sog sein Tröpfchen Blut, speichelte im Biß ein Tröpfchen Gift ein. Dann konnten die Soldaten auf ihre Jagd gehen, die Leute an Torsäulen und Brunnen aufhenken, das Vieh forttreiben, gewaltig prassen —, inzwischen liefen die Fieber durch ihre Körper, Abend um Abend, verwandelten ihr Blut in einen tropischen Sumpf. Kornetts mochten brüllen, den sauren Wein dieses Jahr in Kannen schlucken, gefahrdrohend auf ihren Gäulen vor hundert Mann durch die stillen schornsteindampfenden Dörfer segeln, Leder vor der Brust, dichtmachende Papiere um den Hals, breitbackig und heiß auf den übersättigten Tieren: es vibrierte in den Knieen, der Koller mußte herunter, die Waden waren schwach, vor den Augen flimmerten Regenbogen; das Frieren und Zähneklappern fing an, die Nacht lag man im Heu, im Bett, drohte heiser, als wäre nichts, und tags darauf war man schwächer, von Ritt zu Ritt gespenstischer. Und das fiel über die Obersten, die Pikeniere, wie über die Huren und ihre Weibel. Die Seuche tötete nicht viele. Wen sie befiel, den machte sie schwach und noch rasender, als er schon war. Wer starb, verweste wo er fiel. Gelb, schwach lachend ging man umeinander in der Hitze.
Bis noch das Gerücht sich verbreitete, erst im Lager bei Beidhaus, dann in Weiden, im Markte Kohlberg, es hätten sich Leute gefunden, die ein neuartiges Wesen von Krankheit zeigten. Pestbarbiere erzählten verstört von Bauern, die eine neue Krankheit in ihren Betten hätten. Die Läuse fielen das Heer an. In den geraubten Wämsen Leintüchern Betten Pelzen Schabracken wuchsen sie an den Söldnern hoch, die im Schmutz der Wälder und Straßen verkamen, machten feuchte und trockene Krätzen; bei sehr vielen geschah es unversehens, daß das tierische Gift sich in ihre Adern senkte. Sie begannen irre und fiebrig zu reden, manche zu rasen, Ausschläge bis zu Erbsengröße erhoben sich auf der zerbissenen Haut, Blutflecken sprossen in grausenerregender Weise hervor; schlafsüchtig, taub gingen sie, wo sie sich hingeflüchtet hatten, gemieden, eingesperrt, dazu verhungert zugrunde. Ohnmächtig sprachen die gelehrten Schüler des Paracelsus von den merkurialisch-schwefligen Zeichen der Seuche, von den merkurialisch-salzigen, dem Heißhunger, den Harnbeschwerden, der Wasseransammlung in den Beinen, Blutspeien, Brustgeschwulst, Melancholie.
Eine Verwarnung Maximilians ging an sämtliche Stände der Oberpfalz ging dem drängenden Heere voraus. Stark, gut gewaffnet, wohlstaffiert rückten die Söldner vor; man sah ihnen das Geld an, das der zusammenraffende Herzog an sie gesetzt hatte. Da wich der geschwächte Mansfeld zurück, hinter Amberg, streckte die Pfote aus gegen Maximilian mit einem offenen Grinsen, das der verstand. Es kostete sechshundertfünfzigtausend Dukaten, daß der Bastard sich auf die Beine machte; mit dem gleichen Grinsen erbat er sich und wurde ihm gewährt eine vierzehntägige Wartezeit zur Wahrung seiner Ehre, bis ein Bescheid des verlassenen Pfalzgrafen Friedrich zur Billigung des Akkords einträfe. Dann huschte er, das hungrige Volk hinter ihm, aus dem üppigen Land heraus, das er nicht hatte abgrasen dürfen. Zwanzigtausend Mann hatte er noch, fünfhundert Bagagewagen und einen starken Troß. An der Grenze des Landes war es, wo er Dighby traf, den englischen Gesandten, der, gefolgt von den beiden Räten, ihm vierzigtausend Gulden gab, bittend, daß er die Pfälzer Partei nicht verlasse. Der Bastard, der verkrüppelte Wicht mit der gespaltenen Oberlippe, der Hasenscharte, nahm an, dankte, huschte weiter. Über die Grenze weggetrabt stieß er seinen gellenden Kriegsruf aus, brünstiges Gebrüll der Söldner hinter ihm, die Reiter atmeten Luft. Maximilian hatte ihn auf die Unterpfalz loslassen wollen, wo die verhaßten Spanier saßen, denen der Bayer das Land nicht gönnte. Mansfeld pfiff; der Rhein lockte.
Durch Ansbach Hall, über Mannheim, auf Speyer; sündhaft reich das Bistum. Da hamsterte schon der englische Freibeuter Horatius Veer. Rasch hatte der einen Hieb vor die Schnauze. Die Gäule in die Ställe, Muskete auf der Schulter, Pike in der Hand, knurrend die Mägen zogen sie auf Menschenjagd. Schossen durch die Fenster, in die Scheunen, unter die Betten. In die Kirchen stiegen sie ein, vor den aufgesprengten Portalen machten sie die Pulverprobe, übten Anfänglinge im Treffen auf Heiligenbilder, die stillhielten, und schreiende Kinder. Priester samt Gemeinde schossen sie ab von den Fenstersimsen; nachher gingen sie in die Ecken, hoben den Rest auf Piken. Sie bestrichen ihre Schuhe mit dem heiligen Öl und Chrysam, zu Rotten trieben sie die Weiber und Mädchen zusammen auf Marktplätze, in Scheunen, in Waldlichtungen, verderbten sie am hellen Tag mit Unzucht. Wenn sie sich schnaubend von ihren Späßen erholt hatten, wischten sie sich die Mäuler, nahmen ein Bad mit den Weibern, die sie unter das blasenquellende Wasser hielten, bis sie sich ruhig gezappelt hatten. Da wollten sich einige üben im Menschenfleisch essen, mußten es aber zum Gelächter der anderen aufgeben, meinten, katholisches Fleisch schmecke sauer. Wollte ein Bauer frei sein, mußte den Kot eines anderen fressen, den der eben gelassen hatte; ging es nicht rasch, erstickten ihn kopfüber in dem warmen Gesudel. In der Wollust der Grausamkeit gingen sie wie Wahnsinnige herum; nicht viel fehlte, daß sie mit den Steinen am Wege zu kämpfen anfingen, die Vorlauben niedermetzelten, die Luft anspien, daß sie die Pferde zwischen ihren Schenkeln mit Stichen zu Tode quälten. Junge Weibsbilder, an denen sie ihren Mutwillen verübt hatten, lagen tagelang tot, unbekleidet, halb verbrannt auf offenen Wegen; die Bauern in den Nachbarhäusern wurden gehindert, sie zu beerdigen; wer sich daran machte, dem wurde der madenwimmelnde Leichnam in die Stube gelegt. Sie konnten sich nicht lange in den Stiftslanden aufhalten; trafen ausschwärmend bald nur leere brennende Dörfer, flammende Kornscheuern. Einige hetzte die Wildheit, daß sie toll gegen die heimflutenden Bauern rannten, süchtig, selber gemartert zu werden.
Der überschäumende Mansfeld, seine blutrünstigen Horden schwangen über den Rhein zurück nach Osten gegen den Neckar. Ein rasender anderer Rebell erwartete sie da; der alte Markgraf von Baden Durlach. Dem hatte es die Lebenslust weggefressen, daß er nicht Erbe sein sollte der oberen Markgrafschaft, weil er Protestant war. Mit zwanzigtausend Mann, vierzig Feldstücken, fünfunddreißig kleinen Geschützen, siebzig Wagenmörsern, achtzehnhundert Wagen stand er am Tage nach Christi Himmelfahrt auf den Höhen zwischen dem Neckar und Ballingerbach; überschüttet alle Täler und Berge unter dem blendenden Maienhimmel vom jungen Grün, von weißer Apfelblüte. Vor Glück wollte er zerbrechen in seiner schwarzen Eisenrüstung auf dem gepanzerten Pferd, als drüben jenseits des Waldes die Ligisten aufzogen, die Bayern voran; inmitten der Hakenspieße Streitäxte Reiterhammer, des klingenden Kompagniefeldspiels schrie der Graubart, sein schweres schottisches Schwert mit beiden Fäusten über sich hebend: „Sie müssen unser sein! Was wollen sie gegen uns!“ Einige Stunden darauf war das Grün jung wie vorher, die Apfelblüte schimmerte wonnig, das badische Heer zerschmettert wie loser Kalk am Boden, der alte Markgraf, von Qualen geschüttelt, von wenigen Offizieren gefolgt, auf dem rasselnden Pferd durch sanfte Wälder über träumende Wiesen zwitschernde Gärten nach Stuttgart, daß sich der Württemberger seines Sohnes annähme und die Flüche auf die Bayern höre.
Die siegesheißen Ligisten, Bayern an der Spitze, schoben sich in die Kurpfalz; das Land wehrte sich nicht, sein Herr irrte mit der englischen Königstochter im Elsaß herum. Die Kartaunen und Mauernbrecher der Überwinder, zu hunderten versammelt, noch glühend wie ihre Führer, heulten Tag und Nacht auf den Bergen vor Heidelberg; als der Sitz des flüchtigen Kurfürsten brannte, ging ein Freudenschauer durch das Heer; über die blanke, dunkle Platte des geschlängelten Flusses warfen sie sich. Geplündert Heidelberg, geplündert Mannheim.
Zu dem Heere stießen Völker aus Böhmen Mähren Spanien. Und wie sie sich gegen den Main wälzten, sprang sie der dritte Ächter an, Christian, der tolle Bischof von Halberstadt. Der unbändige Mann konnte kaum lesen, kaum schreiben, an seinem Hut trug er den Handschuh der schönen, flüchtigen Pfalzgräfin. „Alles für Gott und für sie“ stand auf der roten Standarte, die seine Leibgarde trug; darauf gemalt war ein doppelköpfiger Adler, dem rechts und links ein Löwe päpstliche Tiara und Reichskrone mit erhobenen Pranken abzureißen suchte. Er kam stracks von Paderborn, wo er in der Kirche die Silberstatue des heiligen Liborius umarmt hatte, dem Heiligen dankend, daß er auf ihn gewartet hatte; er münzte ihn aus zu Trutztalern auf die Pfaffen. Der barbarische Recke und Mansfeld, der Kobold, zogen zusammen. Am Main prallten sie an die anrollende Heereswoge, bei Höchst wurden sie von der Woge verschlungen.
Friedrich schickte Boten an den Bastard und den tollen Bischof, sie möchten, sofern sie noch lebten, zu ihm kommen in das Lager von Zabern. Die lebten beide noch. Mit niedergeschlagenen Augen, wie nach einem mißglückten Selbstmord, fluchend haßgeschwollen schleppten sie sich auf den Muster- und Werbeplatz in der sanften hügeligen Landschaft. In das Wirbeln der Trommeln, zwischen die lockenden Wappenschilder, die geldtragenden Schreibertische, in das Bänderschwingen und trotzige Rumoren der jungen Arkebusiere tauchten sie wie lakenschleppende Gespenster ein. Man schob sie vor ein offenes prächtiges Feld, aus dem Musik scholl. Hinter ihnen Würfel, auf Trommeln geworfen, Rauch Bratenduft Gebrüll des Viehs. Die Musik zu Ende, hob Mansfeld den kleinen Seitenvorhang, an dem feine Glöckchen hingen. Hinter einem Tisch mit Weinkannen und Bechern, den abgelösten Degen und Gurt vor sich am Boden zwischen den Füßen saß barhäuptig, das edelgeschnittene Gesicht ihm zugewandt, der blonde Pfalzgraf, perlmutterweiß die Haut, halbschlafend, die ausgestreckten langen Beine in losen Stulpen, mit Spitzen verziert, die offene Jacke aus blauem gepreßtem Samt, silberne brandenburgische Aufschläge an den Ärmeln; weiß quoll das Spitzenhemd an der Brust und an den Ärmeln hervor. Er schien die beiden bestäubten Herren für Traumbilder zu halten, zwinkerte öffnete schloß die Augen. Dann riß er sie plötzlich auf, das schulterwallende Haar schaukelte über die Backen; stellte sich, die Hand auf den Tisch stemmend, auf die Beine, erkannte sie, streckte beide Arme nach ihnen, während ihm die Knie zitterten.
Dann nahm er aus ihren Gesichtern sein Verhängnis hin.
Er hielt ihre Finger fest; erst als sie nicht vom Boden aufsahen, ging er ein paar Schritt rückwärts, hob seinen Degen auf, setzte sich, ihn über den Knien, an den Tisch; liebevoll und leise sagte er: „Nun ist wohl Zeit, meine lieben getreuen Herren, daß ich mich für einige Weile aus dem Spiel zurückziehe. Mein Land hin, mein Kurhut hin, meine Kinder Bettler, meine Untertanen Papisten.“
Mansfeld zischte den langen Braunschweiger an: „Gibst du’s auf, Christian? Gehst du zu Max?“
„Spotte er meiner nicht.“
Mansfeld nach einigem Zögern klirrte dicht an den Stuhl des Pfalzgrafen, rauh sagte er: „Kann mich nicht entschließen, dem gottverdammten Habsburg Dienste zu tun, Herr Pfalzgraf, verzeiht mir. Muß mich entschließen, Euch den Dienst aufzukündigen.“
Der Pfalzgraf lächelte todernst: „Nur eine Weile. Habt Geduld mit mir. Der Dachstuhl brennt bei mir, gedenk es bald zu schaffen.“
„Bis sich der Herr erholt hat, sei er meiner, des Mansfeld, sicher.“
„Habt Geduld, Mansfeld.“
Christian kniete tobend, die Fäuste sich vor der Nase schüttelnd: „Gehört Euch jegliches Knöchelein meines Leibes, Herr Pfalzgraf. Ist noch nicht aller Tage Abend. Bin selber krank, bis ich nicht in Papistenblut gebadet hab.“
Sie schütteten sich am Tisch Wein in den Hals. „Herr Pfalzgraf, Mut!“
„Geht jeder von uns seiner Wege, ihr Herren“, stöhnte Friedrich, die feine diamantengeschmückte Hand vor den Augen.
Aber während der hitzige Bastard auf die Platte donnerte, schluckte der geschlagene Pfalzgraf hinter seinen verschränkten Händen Tränen mit Wein gemischt. „All verloren, all verloren“, schrie er in seiner Trunkenheit.
Ließ seinen Musterplatz dem Mansfeld. Nach Sedan brach er scheu auf, wo der Herzog von Bouillon wohnte, sein Oheim und Erzieher, der strenge Calvinist. Hielt mit der üppigen Elisabeth kleinen dürftigen Hof, jagte, schlug Ball.
Z u Lamormain, seinem Beichtvater, sagte der Kaiser: „Ich werde gedrängt, abzudanken.“
Erschreckt schloß der Pater den roten Teppichvorhang, der den offenen, nach dem Garten führenden Erker gegen die Schlafkammer abgrenzte, in der sich zwei Kammerdiener bewegten. Still sprach der Kaiser, mit den Knien an die Knie des Jesuiten stoßend, der dicht an ihn gerückt war: „Sie müssen aber noch Geduld haben, die mich drängen. Ich habe Pflichten gegen mein Haus. Mein Sohn hat Anspruch auf meine Unterstützung. Ich muß ihn in den Sattel setzen.“
Lamormain, in die Handteller blickend, schüttelte den geschorenen eckigen Kopf: „Majestät führen eine Regierung, die Gott und die Heiligen sichtbar segnen. Bis in die letzten Tage hinein. Wir müssen gehorsam gegen Gott sein; er hat seinen Willen ausgesprochen, es darf nicht beim Dank verbleiben. Sein Segen bindet.“
„Ich muß den Ferdinand erst in den Sattel setzen, dann mögen die Herren recht haben. Ich vermag dann nicht länger hierzusitzen; Pater, glaubt es mir. Sagt ihnen, sie möchten sich solange gedulden.“
Zwischen seine Hände hatte der Pater die rechte heiße Hand des zusammengesunkenen blicklosen Mannes vor sich schlüpfen lassen; bedeckt und umschlossen von den starken Fleischmassen, zwischen den Knochengittern lag sie da; der Luxemburger flüsterte: „Römische Majestät sind von einer argen Schwermut befallen. Ich werde niemandem etwas berichten. Aber mit meinem Beichtkinde um die Gnade unseres Heilands und seiner Mutter beten. Wie gebt Ihr Euch Euren Gedanken hin.“
„Bis Ferdinand gesichert ist, mögen sie sich gedulden. Ich verspreche auch stille zu halten bis dahin. Man möge mich nicht zum Äußersten treiben. Ich habe es nicht verdient um sie. Ich will Euch sagen, Pater, was es ist. Ich habe den Stolz dieser Männer hier an meinem Hofe und anderswo bis zum Höchsten getrieben, so daß ich nichts mehr bin. Man macht sich Menschen nicht zu Gehilfen und nicht ergeben, wenn man sie beschenkt, wie ich es getan habe; man reizt sie gegen sich auf. Manche von ihnen, ich weiß es, haben öfter lose wackelige Köpfe gehabt, so waren ihre Taten, nicht nur ihre Gesinnungen; ich habe manches gesehen; vieles wurde mir hintertragen. Ich habe geschwiegen, ich habe sie gebraucht. So habe ich sie geehrt, wie mich niemals etwas geehrt hat. Ich habe mir jeden echten Dank, jeden Lobspruch und Blicklein erringen müssen, ich habe danach kriechen müssen. Aber das ist Menschenart. Man hat mir abgewunden, was ich nie hergeben konnte, ja laßt meine Hand, Pater, man hat es getan. Ich brauch meine Hand, um es vor Euch zu beschwören. Man hat mich hier sitzen lassen in diesem Erkerchen, wo ich keinem schaden kann, und gibt mir zu essen und zu trinken; man nimmt mir gar nichts weg, um keinen Argwohn zu erregen, bei den Leuten draußen, den Ständen, den Edlen, den Bürgern und was weiter weg ist. Man hat mich aus Bequemlichkeit bei Reich und Regierung gelassen und möcht’ es so weiter treiben. Man wird erbost sein, wenn ich gehe. Ich jammere nicht, mein Mißgeschick ist es; mir wurde nicht mehr verliehen. Aber diese Mauer, die jetzt über meine Schultern fällt, die ich — meine Schande spreche ich aus — selbst habe aufrichten helfen mit meinen Händen, das tut zuviel an mir. Sagt, Ehrwürden, den Herren, den Siegern über Mansfeld und über mich, sie möchten etwas an sich halten.“
„Ich sage nichts, ich sage es nicht, Majestät.“
„Ehrwürden, Pater, an wen soll ich mich wenden. Ich kann sie nicht selber bitten. Ihr seid mir vom Heiligen Vater gegeben zu meinem Beistand. Ihr seid meine Hilfe. Tut mir ein Liebes an.“
D urch den Wind und die graue Nässe schwankte die schwere massige Gestalt des Mannes unter dem viereckigen Hut. Der Regen peitschte die Pflastersteine vor der orgeldurchtosten Augustinerkapelle glatt, in den Gäßchen tat sich ein Morast auf, Rinnsale fluteten aus den Ställen und Schweinekoben. Der alte Jesuitenpater hob und senkte sich im Nebel, hinkend mit dem rechten Bein, er tauchte ungebeugt aus den überschüttenden Wassermassen auf, drang wie ein Keil durch das erbitterte Geprassel vorwärts. Es war schon Abend, die Plätze und Straßen leer; aus den Tanzhäusern scholl die erste Lautenmusik, sie zitterte durch die dicke Luft aus unbestimmter Richtung, suchte wie das Zünglein eines blinden Kätzchens herum. Das Efeugeranke wurde von den überstehenden Balkons abgerissen, hing aufflatternd, gesunken wie ein verwilderter Bart über die Straßen, in den sich vorbeisausende Sänften verfingen, vor dem Pferde sich aufstellten.
Das steilgieblige Haus des Grafen Strahlendorf. Die Vorhalle abgeplattet, wie niedergedrückt von dem Wetter. Fackeln, in Eisenringe gestoßen, brannten im Flur. Vor der Wendeltreppe hielten zwei Pikeniere der Stadtgarde den ungestüm eindringenden triefenden Schwarzhut zurück; er mußte finster warten, bis hinter zwei Kerzenträgern der dürre hohe Strahlendorf hustend und augenzwinkernd die Stufen herunterkam und, von dem herrischen Priester, angerufen, die Soldaten scheltend zur Seite treten hieß. In einer winzigen Treppenkammer riß sich der Pater Mantel und Hut ab, klatschte sie an den Boden; in dem dicken Schafspelz des Grafen und einer polnischen Kappe stieg er hinter einem hochschäftigen Pikenier den letzten Treppenabsatz hoch. Sie tauchten auf in einem violetten ganz leeren Vorsaal, der von der Fackel des Soldaten mit ungeheuren Schatten und trübem Licht belebt wurde. Grauweich war der Teppich, der den ganzen länglichen Saal auslegte — der Söldner stand hinter dem Pater auf der Schwelle — und vor den Füßen des kaiserlichen Beichtvaters legte sich furchtbar der Schatten schwarz hin an den Boden, kletterte an der getünchten rankenbemalten Gegenwand hoch, wackelte umbrechend von der Decke herunter mit geschwollenem Kopf. Die Decke kam niedrig herab mit ihren schweren Balken; die Fensterwand war völlig mit gerafften Leinentüchern verhängt. Ab und zu, wenn das Licht still stand, blinkten goldene Ovale von der Wand, mit sanften Szenen ausgemalt, Rehe, die aus einem Mondgehölz äugten, weidende Pferde. Kein Laut in dem windgerüttelten Haus; bisweilen eine schwache entfernte Stimme, Gemurre, das sich steigerte, als ob im andern Stockwerk Stühle geschoben würden, viele durcheinander sprächen.
Plötzlich trat hinter zwei Kerzenträgern Strahlendorf aus einer im Dunkel liegenden Tür. Der Soldat dröhnte die Treppe herunter. Verlegen und langsam, unter Verbeugungen äußerte der Graf, es seien einige Herren zu einer Besprechung bei ihm; es hielte schwer, sie zu verabschieden; ob die Angelegenheit des ehrwürdigen Gastes sich vielleicht in Kürze erledigen lasse. Lamormain fragte ruhig und den Herrn fixierend nach den Namen der Herren; er fügte hinzu, ehe der Herr, der sich den Bart strich, zu einer Antwort gelangt war, es ließe sich vielleicht ermöglichen, daß beide Besprechungen zusammengelegt würden, dies wäre wenigstens ihm das Genehmste, und er dürfe wohl annehmen, daß im Hause des frommen Grafen Strahlendorf nichts verhandelt würde, was nicht ein Kind der Gesellschaft Jesu anhören könnte. Er lächelte verbindlich. Strahlendorf schwieg, verbeugte sich, schwieg. Dann sagte er entschlossen, nach der Hand seines Gastes greifend, es sei in der Tat das Bequemste; es sei in der Tat ein glückliches Zusammentreffen; der Pater möchte bei der Unterhaltung nur nicht vergessen, was er etwa ihm Besonderes zu offenbaren hätte.
Das Zimmer, aus dem das Geräusch klang, lag nur zwei Säle entfernt in demselben Stock. In dem engen gewölbeartigen Eckraum, unter den weißen Lichtern von vier Paaren hoher Wandkerzen fuhren die Herren auseinander, die sich mit weitauslangenden Gesten gegenübergestanden hatten, und wichen gegen die Wand. An sich herunterzeigend bat der Jesuit um Verzeihung; er sei auch in dem sonderbaren Kleid der Freund der Herren, Lamormain. Auf einem Tisch am Winkel standen Krüge und Weinbecher; Wein war über den roten steinernen Boden ausgegossen; die Gesichter der Herren erhitzt; zwei Offiziere in Elenkoller hielten sich ihre Degen vor die Brust. Questenberg klobig pausbäckig, rittlings auf einem Schemel, trank ruhig weiter nach dem Eintritt des riesigen Mannes im Schafspelz, hielt über die Lehne vor sich gestreckt seinen Becher. Strahlendorf lächelte, die Herren möchten sich in ihrer Unterhaltung nicht stören lassen, sie wüßten, wer der Pater Lamormain wäre. Vergeblich ersuchte der Pater, indem er sich still in den Winkel setzte, fern von den andern, sie möchten seine Gegenwart nicht beachten. Er fühlte selbst die kriegerische Stimmung, in die er geraten war.
Man schwieg hartnäckig. Der hagere Vizekanzler füllte einen gläsernen Jungfernschuh mit rotem Traminer. Schon stand einer der beiden Obersten auf, rüttelte an seinem Schemel, stieß einen halblauten Fluch aus. Da rekelte sich der feiste Questenberg, lüftete seinen spanischen Kragen, füllte sich die Backen mit Wein und fragte schluckend, mit einem stieren Blick auf den ruhig beobachtenden Pater, wer den ehrwürdigen Gelehrten geschickt hätte. Der Oberst einfallend machte sporenrasselnd Front gegen den Gast: „Der Herr kommt gerade recht und wird uns wenig verdrießen, von ihm belauscht zu werden. Was wir anbringen, mag gut in seine Ohren gehen.“
„Was könnte wohl den Herrn Julian zu der Annahme verleiten, daß mich jemand geschickt hätte? Und wer sollte das wohl sein?“
Questenberg polterte: „Geht weg, Oberst. Ehrwürden, es trifft uns überraschend. Trink er, Oberst, und laß ers gut sein.“
Der spitzbärtige Offizier, als wenn er in lustiger Kompagnie wäre, intonierte lachend herausfordernd das Spottlied auf den Pfälzer Friedrich: „Das Heidelberger Faß gar groß, vor Zeit voll Wein, jetzt bodenlos.“
Lamormain nickte herüber: „Vortreffliches Lied, vortrefflich gesungen.“
Der Soldat, dunkelrot im Gesicht, mit schwarzen Blicken, die Stirn runzelnd: „Denkt der Ehrwürdige Herr mich zu foppen?“
„Bewahre Gott.“
„Er will mich foppen und wird es bereuen.“
Questenberg stampfte mit den Füßen, brünstig sich schüttelnd: „Weiter, weiter die Herren!“
Behaglich seufzte der Priester: „Sag auch: weiter, weiter. Aber hilft doch nicht; muß mir alleine weiter singen: ‚Er sitzt darauf, sehr schwach und krank, vom böhmischen Bürgertrank; sein Magen nicht mehr dauen kann. ‘“
In den hallenden Lärm schrie der kleinere schmalgesichtige Offizier, der atemlos gewartet hatte: „Nun soll uns der Pater Lamormain verraten, ob er auch wagen würde, an einem andern Orte so zu singen und zu stolzieren.“
„An welchem denn? Im Konvent? Im Profeßhaus? Auf der Kanzel? Im Beichtstuhl? Liebwerter Herr Oberst, nein.“
„Geglaubt. An einem andern Ort. Von dem er herkommt. Vor einem andern Gesicht.“
Lamormain türmte sich ernst hoch: „Vor welchem mag der Herr wohl meinen?“
„Ganz recht! Denkt weiter! Eben vor dem.“
„Vor —.“
„Eben vor dem. Nun!“
„Ihr meint vor dem Gesicht unseres Allergnädigsten Herrn.“
„Nun, Herr Pater, wann habt Ihr ihm zuletzt das Lied von dem Winterkönig gesungen, wie sein Magen nicht mehr dauen kann und Länder von sich gibt. Wir allesamt kennen das Gesicht des Kaisers, das er damals geschnitten hat.“
Sie schwiegen im Augenblick. Dies war ein Signal. Finster blickte der massive Priester auf die Fliesen: „Ihr redet eine schlimme Sprache, Oberst.“
„Sprecht einmal,“ grunzte und knurrte in die Stille, die Arme wie zwei Balken über den Schemel wiegend, der verbissene unbeirrbare Questenberg, „wohin hat es geführt, daß wir über die aufständischen Böhmen gesiegt haben. Und wohin hat es geführt, daß Mansfeld geschlagen ist, der Durlacher dazu. Jetzt hat der Pfalzgraf den Schwanz eingekniffen und ist davon, unter die Fittiche seiner Verwandten, er wagt nicht, den Schnabel zum Nest herauszustecken. Und in Wien, in der Hofburg — gibt’s Trauer! Das reimt Euch zusammen! Wir wagen nicht zu sprechen von Sieg.“ Den Schnauzbärtigen sah lange still der Pater an: „Ihr wußtet früher etwas anderes. Es war mir eine leise, gewiß freudige Überraschung, Euch bei unserem werten Freund Strahlendorf zu finden. Im Geheimen Rat soll einer geklagt haben über den Krieg; er schätzte den habsburgischen Gewinn aus dem Feldzug sehr gering ein. Viel höher, Eurer Liebden, soll er den Gewinn eines gewissen verwandten erlauchten Hauses bemessen haben.“
„Darum sitz ich hier. Wir haben erkannt, daß sich Bayern zuviel vom Siege einsackt. Das ist auch Habsburgs Krieg. Man drängt uns an die Wand. Ihr wißt, Pater, was das kaiserliche Haus bezahlen muß. Darum greif ich lustig nach dem Sieg als meinen Sieg. Wie viele Gefangene hat der alte Tilly gemacht, wie viel Kartaunen Singerinnen Feldstücke und Totenorgeln haben sie eingeheimst in dem einen Sommer! Standarten Fahnen! Und wir wagen nicht, den Mund aufzumachen —, als wenn es unsere Kanonen sind, die uns abgenommen wären, als ob wir mit eignen Leibern geblutet hätten. Lamormain, sing Er vom Heidelberger Faß vor der römischen Majestät! Und erzähl’ uns, welche Aufnahme er gefunden hat.“
Der hagere Vizekanzler war neben dem Priester stehengeblieben; er zog ihn neben sich auf einen Schemel. „Lamormain. Wohin soll dies führen? Die Dinge laufen noch gut im Geleise. Wir sind in Sorge. Seht, das ist alles. Ferdinand hat etwas im Sinn, dessen wir nicht gewiß sind. Wie hat die himmlische Mutter die katholische und kaiserliche Sache gesegnet. Wir sind besorgt.“
„Graf Strahlendorf vermeint doch nicht, mein Beichtkind möchte unserm Glauben Abbruch tun?“
„Tut es der Kaiser nicht mit Plan, tut ers ohne. Aber Ihr seht hier diese rechtschaffnen und kundigen Männer in Unruhe. Und möchtet Ihr sagen: ohne Grund?“
Der Pater sann beiseite gegen seinen rechten Arm im struppigen Schafspelz: „Der Kaiser hat dem letzten Unternehmen nicht den geringsten Widerstand entgegengesetzt. Ihr vermöchtet ihm nicht die leiseste Erschwerung der Angelegenheiten nachzuweisen. “ Der jüngere Oberst krähte: „Wir wollen nicht das Reich gut regiert sehen wider den Willen des erwählten Kaisers. Der Bayer hat den Krieg gegen die Böhmen glücklich geführt, jetzt hat er den Hauptanteil an der Zerschmetterung der Freibeuter. Da seht!“
„Wohl, ihr Herren,“ trommelte Questenberg mit den Hacken, „es bleibt bestehen, daß der Kaiser grollt, sich nicht in die Dinge fügt, und daß er den Engländer Dighby beschenkt hat, der den Frieden zwischen Habsburg und dem Pfälzer vermitteln sollte. Das gefährdet das Reich.“
Lamormain: „Soll dies hier ein Gericht sein über des Römischen Kaisers Majestät?“
Strahlendorf, der Vizekanzler, schlug die Hände zusammen. Was seien das für bittere Worte. Die beiden Obersten lachten zuckten mit den Achseln, drehten den Rücken. Questenberg hielt fest: sie hätten hier Lamormain wie ein Zeichen des Himmels, er solle seinen Einfluß auf den Kaiser geltend machen. Um? Um auf ihn zu wirken. Und in welchem Sinne? Nicht ihn zu knebeln, sondern ihn zu führen, wie es die Dinge fordern.
Lamormain war ein Bauer, in dem Ardennendorf Dochan bei dem zerstörten La Moire Mannie aufgewachsen, sein rechter Fuß hinkte, weil er sich mit der Sense beim Mähen in die Knochen geschlagen hatte; als kleiner jesuitischer Lehrer wäre er verkommen, wenn nicht sein Oheim Koch beim Kaiser Rudolf gewesen wäre, ihm einen freien Stiftsplatz in Prag verschafft hätte. Bestimmt legte er hin: „Ich bin der Herren getreuer Diener. Es darf nichts gegen den Kaiser geschehen, nichts gegen ihn geplant werden, nichts an meine Ohren gelangen. Statt ihn zu fesseln, ist meine Aufgabe, ihn in Schutz zu nehmen und ihn als sein Gewissensrat in unverzügliche Kenntnis von jedwedem Anschlag zu setzen.“
Die Herren, nach einem klanglosen Auflachen des kleinen Obersten, baten um Dispens für Minuten, während derer sie das Gemach verließen.
Dann: Was sich Lamormain verspräche, wenn der jüngere Bruder des Kaisers, der Erzherzog Leopold, an der Regierung teilnehme.
Die Herren seien von einer ungeheuren Offenheit.
Es heißt den Dingen ins Auge sehen. Es ist notwendig, die andern Mitglieder des Hauses Habsburg von der drohenden Gefahr zu orientieren. Man muß sich sichern vor den Ausbrüchen einer unberechenbaren persönlichen Politik, die jetzt nur schweigt.
Es heißt klar sehen. Mansfeld und Durlach sind das A, England heißt das B, Dänemark das C und das ganze furchtbare steinerne Abc solle zerbeißen ein schlechtgezimmertes Deutschland, Kurfürsten, die sich entzweien, Rechtgläubige Protestierende Kalvinisten. „Wir wollen noch einmal sagen, der Katholizismus steht auf dem Spiel, wenn wir nicht eingreifen und vorbeugen. An dem Schicksal des Reichs nimmt ja der geistliche Herr kein Interesse.“
Plötzlich lachte der stehende Priester in kleinen herausfordernden Stößen: „Woher aber, edle und gestrenge Herren, seid Ihr meiner so gewiß, daß Ihr also deutlich vor mir sprecht?“
Questenberg in seinen hohen Reiterstiefeln machte eine Verbeugung vor ihm, während er die Arme öffnete, die Hände öffnete und eine stumme lächelnde Demutserklärung ablegte. Der hagere Oberst klopfte sich heiß gegen die lederbeengte Brust; mit verzerrtem gehässigem Ausdruck bog er den vibrierenden Kopf zurück: „Ist uns der geistliche Herr recht gekommen. Hätten uns, wie wir hier saßen, auch unserem kaiserlichen allergnädigsten Herrn nicht versagt. Brauchen nicht den Esel beim Schwanz aufzuzäumen, packen, mit jeglichem Verlaub, den Stier bei den Hörnern.“
Milde zog der Priester seinen Pelz zusammen: „Zu gütig, daß mich mein Herr für ein so verwegenes Tier hält. Aber wenn nun der Stier stößt.“
Questenberg, unter den drohenden Ausrufen und spöttischem Achselzucken: „Nur zu! Wird uns ein Vergnügen sein. Werdet zwei Stunden zu spät kommen.“
„Mich schwitzt“, sagte Lamormain, blickte zur Tür, „in so dichter edler Bundesgenossenschaft bin ich lange nicht gewesen. Es ist nicht mehr so windig, edler Graf Strahlendorf. Ich denke, Euch den Pelz zurückzugeben und nach einem neuen Mantel zu schicken, mit Eurer Gunst.“
Er beobachtete lippenbeißend die erhitzten Gesichter: „Seht Ihr edlen Herren, jetzt seid Ihr aufmerksam. Jetzt fragt Ihr, auf welche Seite stellt sich der lange Lamormain und wird er uns verraten. Ich werde Euch nicht verraten.“
Damit drängte er gegen die Tür. Der kleine Oberst rührte ihn am Arm: „Ist das alles, Herr?“
Verächtlich Lamormain über die Schulter: „Ist das nicht genug? Ist Euch der Kopf auf der Schulter nicht genug?“
A ls Lamormain am nächsten Mittag aus der Burg vom Besuch eines schwerkranken kaiserlichen Leibarztes, des witzigen Menschenkenners und Menschenfeindes Gabriel Ferrara, kam, trugen ihm in der Teschnergasse und dann am Hafnersteig verängstigte Novizen seines Ordens, unversehens aus Häusern sich nähernd, zu, daß der Platz vor dem Kolleghaus, der Universität, von einem ganzen Fähnlein grober Berittener besetzt sei, die sich ganz ruhig verhielten. Sie hätten den Eindruck, als ob auch hier und da in den Straßen verstreut sich Bewaffnete befänden; trügen große Sorge seinetwegen, um so mehr, als vor einer halben Stunde, bald nachdem er zu dem frommen Gabriel Ferrara gegangen sei, eine Anzahl Karossen und Sänften vor dem Profeßhaus hinter der Universität erschienen wären; die edlen Insassen hätten nach ihm, dem ehrwürdigen Pater und Beichtvater der Römischen Majestät, gefragt, hätten im Empfangssaal und den Vorkammern Platz genommen. Sie hätten zuerst die Abwesenheit des Paters nicht glauben wollen, hätten die Gänge und einige Gemächer durchsucht, freilich auch um Entschuldigung gebeten, weil es sich um dringliche Angelegenheiten handle. Die Zöglinge waren außerordentlich erregt, in Furcht auch um sich. Beklommen folgten sie dem ruhigen Mann auf den hufklappernden waffenstarrenden Platz, wo die Reiter auf Anruf ihres degenschwingenden Kornetts eine Gasse machten, die sich hinter dem Jesuiten schloß.
Lamormain stand lange vor der löwengeschmückten Freitreppe des Profeßhauses, bei den Sänften und Karossen der Herren, deren bunte Trabanten und Kutscher sich vor ihm entblößten, verneigten. Er hielt beide Arme fest über die schwarzverhängte Brust verschlungen, öffnete sie nicht, kopfgesenkt, als er die Stufen sehr langsam emporstieg, grimmige Blicke nach der Seite gegen die jungen Schüler schickend, die ihm folgen wollten, verscheucht sich um die steinernen, maulöffnenden Löwen hin und her bewegten. Der untere breite, blankgescheuerte Gang war leer; an jedem Pfeiler der unabsehbaren Fensterwand hing ein hohes Gemälde vom Wirken und Tod eines Märtyrers. Als der Priester sich gebunden vor der stummen, schmerzlodernden Reihe entlangschob, wurde er von einem knielähmenden Schwindel in eine Nische gedrückt, gerade vor einen Altar und Glasschrein, der Knöchelchen der heiligen Rosina enthielt. Mit den Zähnen rieb der Ohnmächtige an der gerieften Silberfassung des Schränkchens; wie er schluckte, das knirschende Metall biß, fand er sich, halbseitlich über dem Schrein liegend, die Arme schräg herabbaumelnd, in Gefahr, mit dem Gesicht die obere Glasplatte durchzudrücken. Hinten im Gang stand etwas Großes in einem Türrahmen, eine wilde dreifarbige Soldatenfeder schaukelte dem nach vorn über die Augen. Den Glasschrein umarmte der Priester mit vieler Zärtlichkeit, küßte die Platte, sprach ein lautloses Gebet. Als er den Rest des Weges zu der besetzten Tür ging, bewegte er sich in der trauten wonnigen Gesellschaft der Seligen, die von den Wänden her ihn überdrangen.
Das war die Bibliothek; der Offizier zog den Hut, trat zurück. In dem weißgetünchten langen Säulenraum des Saals verloren sich die zehn Herren, zu denen ihn, nahe einem kleinen Springbrunnen mit Blattpflanzen, über die Strohmatte der Offizier führte. Unter der geschnörkelten Stuckdecke, zwischen den Städtebildern, den Köpfen Amouretten, den vollen Bücherschränken, den Tischen mit Globen Büsten Kruzifixen saßen gelassen die Politiker und Soldaten; mit tiefer Verachtung, fremd, saß unter dem Springbrunnen der Jesuit mit den kurzen weißen Haaren, der knolligen Nase zwischen ihnen, betrachtete sie wie eine Ziegenherde. Als Lamormain statt einer Klage ruhig eingeladen hatte: „Mögen die Herren beginnen“, dienerte der alte galante Harrach, nach rechts und links lächelnd; sie hätten gestern mit Vergnügen seine Geneigtheit vernommen, sich ihren Gedankengängen anzuschließen, müßten aus nicht näher zu erörternden Gründen sogleich in nähere Besprechung mit ihm eintreten. Er könnte aus dem Formlosen ihrer Gegenwart erkennen, wie dringlich ihnen die Zustimmung des ehrwürdigen Paters und Beichtvaters der Römischen Majestät sei. Es seien in aller Kürze schwerwiegende Beschlüsse zu fassen, bei denen die Herren unbedingt gewiß seiner Haltung sein müßten.
Da konnte Lamormain nicht umhin, lächelnd den Arm zu erheben; eben entstand draußen ein heftiges Rufen und Pferdetrappeln; offenbar drangen Berittene in den Hof des Hauses; es lief auf dem Gang, in den oberen Zimmern; Aufschreie, flüsterndes Stimmengewirr vor der Saaltür. „Wie glaubt ihr, soll meine Haltung sein unter diesen Umständen?“
„Wir haben geglaubt, Euch den Entschluß erleichtern zu müssen. Es muß Euch, in dem Falle Ihr nicht beistimmt, eine Genugtuung selbst sein, nur eben diesen Umständen die Verantwortung aufzuladen.“
„Ihr seid doch ein Mensch“, sprach ihm bieder Questenberg zu; sie nickten alle. Wieder lief der Schwindel unter dem fassungslosen Zorn über Lamormain; wie er sich bezwang, kam es fast kläglich aus seinem weißen Mund: „Was soll geschehen?“ Sie verlangten von ihm einen vorbehaltlosen Eid über seine Verschwiegenheit, dann eine ebensolche Versicherung, daß er ihnen nichts in den Weg legen würde, wenn er es vermöchte, daß er den Kaiser beeinflussen würde zu einer veränderten Haltung gegen die notwendigen Ereignisse, zu einer Mitregierung des Erzherzogs Leopold.
„Wenn dies alles nun nicht meine Meinung, meine Überzeugung, mein Wunsch ist, — was, glauben meine Herren, wird der Weltenrichter Jesus beim letzten Gericht, wenn die Posaune ruft, urteilen über diese Tat: rechts meine Pflicht und links in der Wage die Umstände? Diese Pferde, Musketen, Spieße gegen mich?“ „Ich glaube,“ dröhnte Questenberg, „gegen so viele Soldaten zu erliegen, macht dem tapfersten Krieger keine Unehre. Was vermeinen die Herren? Wir werden nicht Weltenrichter spielen, aber es ist so.“
Harrach lächelte verbindlich, aufdringlich vertraut in einer Weise gegen ihn, die den Priester tief reizte: „So denke ich, daß darüber der Lehrer der Gesellschaft Jesu sich am besten äußern wird, auch gegen unsern Heiland. Wir sind unwürdige schlechte Menschen, werden ihm nicht in sein Handwerk pfuschen. Wir können schließlich nichts, als unsre Bosheit erkennen mit Schmerz, mit Reue, und können nicht aus unsrer Rolle fallen.“ Der hagere Oberst, mit dem starren Blick auf den Priester, schloß: „Und letztlich sind wir Christen und getrösten uns, daß Jesus sein heiliges Blut um unserer Sünden willen, die er auf sich nahm, vergossen hat.“
Lamormain horchte auf das ängstliche Geflüster vor dem Saal; seine innere Ruhe wuchs; er fand sich heiter. Und mitten während einiger Sätze, die er sprach, durchzuckte es ihn: diese Herren glaubten, es ginge hier für ihn auf Tod und Leben, und stellten ihm nichts entgegen als Soldaten, Pferde. Hundert gewappnete Reiter suchen mit ihren Lanzen den schwebenden Geist der Heiligen Kirche zu durchbohren! Wehen ihn mit jeder Bewegung höher!
Er saß ganz still, war traurig wegen der geängstigten Freunde draußen. Mit welchen faden Gesellen saß er in seiner Bibliothek zusammen. Es mußte leicht sein, mit ihnen zu herrschen. Er neckte sie, ohne daß sie es merkten: er hätte keine Kompetenz, müsse erst seinen Vorgesetzten, den General des Ordens in Rom, befragen. Sie wurden wütend, häuften leicht widerlegbare Gegeneinwände. Dann berieten sie, im Ernst. Schließlich hatten sie bei sich eine Papierrolle, die sie ihm zum Lesen, Unterschreiben hinschoben; von innerlichem Gelächter war er erschüttert: „Auch das noch.“ Sie waren Kinder zum Erbarmen.
Als er allein stand, prustete er hinter den abrasselnden Wagen: „Wir werden zusammen regieren.“ Getümmel von Pferden; der Lärm verhallte.
Auf dem Gange küßten ihm die Scholaren, die entsetzten älteren Brüder die Hände; das Haus von Wehrufen und Protesten erfüllt. Lamormain hinkte durch das Gewimmel. Vor den frommen Bildern an der Fensterwand erinnerte er sich seines leidenschaftlichen Entschlusses beim Kommen, nicht nachzugeben, der Heiligen gedenk zu sein. Er machte sich scherzend den Vorwurf, zum Märtyrer kein Zeug zu haben.
Er hatte das Dokument nur flüchtig gelesen. Darin stand, sie wären genötigt, den Kaiser gefangenzunehmen, um eine Störung der Politik durch ihn zu verhindern. Man sehe vorläufig davon ab, wenn der Beichtvater es übernehme, den Kaiser zum Nachgeben zu zwingen. Es wird garantiert: die geheiligte Person des Kaisers bleibt unangetastet. Der Kaiser solle sich — wie sie es nannten — der politischen Notwendigkeit fügen.
A m dritten Tage trat Eggenberg in die kaiserliche Antikamera, lud den Kaiser zu einer Sitzung von Hofrat und Geheimen Rat. Ferdinand sagte zu, erschien nicht. Tags darauf berichtete Eggenberg neben Gleichgültigem, es seien im Rat lebhafte Stimmen laut geworden, man müsse dem allgemeinen Verlangen Rechnung tragen, das bei den frommen Reichsständen bestünde, und der Freude über den siegreichen Fortschritt des rechten Glaubens, die zerschmetternden Niederlagen der Reichsfeinde, öffentlichen geziemenden Ausdruck geben. Auf die Frage Ferdinands, wer diesen Wunsch im Rat vorgetragen hätte, antwortete Eggenberg, es ließe sich bei der freudigen Erregtheit, die nur durch die Abwesenheit des allergnädigsten Herrn getrübt war, nicht sicher sagen, wer zuerst gesprochen hätte; das dringende Verlangen sei allgemein gewesen, mit dem Kaiser in einer Feier sich zu vereinigen. Ferdinand ging herum, riß an seiner goldenen Halskette, lachte heiser; er wollte wissen, wer damit angefangen hätte. Und dieser klägliche gequälte Blick aus den schwarz umrahmten Augen jammerte den grauen Hofmann, erschreckte ihn so, daß seine Stimme zerriß. Er hielt dafür, man müsse rasch aller Welt, auch der feindlichen, zeigen, welcher Siege man sich bewußt sei; der Pfälzer und sein freibeuterischer Anhang sei in alle Winde geblasen; möge man den fremdländischen Beschützern der Friedensbrecher zeigen, daß man halte, was man habe, daß man den Mut zu Erfolgen habe, daß man auch wagen werde, weiter zu siegen, wenn einer darauf dringen sollte.
Mit einem gezwungenen Lächeln fragte Ferdinand vorbeispazierend: „Sind Eure Kassen gefüllt?“
„Zur Siegesfeier?“
„Nein, zu neuen Kriegen.“
Zur Zeit stünde alles gut, man könne nicht zu weit denken, es sei jedenfalls gut, so zu scheinen, als herrsche Überfluß; auch darum sei die Feier nötig, um als Drohung zu wirken; es müßten von mehreren dem Kaiser nahestehenden Seiten, jedoch nicht von kaiserlichen Beamten, heftige Reden an der Tafel und öffentlich geführt werden; auf die Fremden sei mit vielem Pomp zu wirken.
„Ich habe nur zu erscheinen und mich zu freuen?“
„Nicht doch, Majestät. Daß die Römische Majestät sich ihrer Siege freut, weiß alle Welt. Sie mag nun offen zeigen, wie sie sich freut. Wenn ich ein biblisches Bild nehmen darf, ohne in das Gebiet meines Gönners und Freundes, des ehrwürdigen Paters Lamormain, zu fuschen, so möchte ich an den judäischen König David erinnern, der singend und lauteschlagend, ja tanzend hinter der Bundeslade einherzog, nachdem er die Feinde geschlagen hatte.“
„Wie hieß noch die, die aus dem Fenster sah, als er vorüberzog?“
Die Antikamera des Kaisers war von einem dunklen Licht erfüllt, das aus den beiden bunt verblendeten Fenstern über den Tisch Ferdinands nur wenig in den tiefen Raum vordrang und die riesigen Figuren erhellte, die in den Wandnischen saßen, Maria mit ihrem Kinde, den glühenden Heiland, der das Kreuz in den Händen vor sich trug; zwischen den Pfeilerpaaren der Längsseite üppige Gemälde neben Gemälden auf der Wandfläche, deckenhoch, von goldflügeligen Engelsköpfen umgeben; zwei mächtige ebenholzschwarze Engelleiber lagen über dem Türrahmen, blickten blind nach oben. Eggenberg war nicht die beiden Stufen zu dem Sitz Ferdinands hinaufgestiegen; beklommen stand er auf dem Fußteppich, sah den Fürsten zu sich heruntertreten: „Was soll es mit dem Weib?“
„Ich möchte wissen, wer mir zusehen wird bei dem Feste.“
„Die Heiligen im Himmel werden zusehen, die für uns gestritten haben.“
Beide Hände Ferdinands lagen zitternd auf Eggenbergs Schultern: „Oh, ihr! Wie seid ihr rasch avanciert zu Heiligen; ich bin euch wohl noch Anbetung schuldig. Und Ihr, Eggenberg, wenn ich Euch doch noch kenne, von Grätz, wißt Ihr, wo Ihr noch nicht so viel wart, ist Euch nicht bange bei Eurer Rolle? Sagt von der Leber; es wird das einzige sein, was mich an Euch erfreut. Hat man Euch dies aufgehalst, und steht Ihr nun hier —, nicht wahr, es ist jämmerlich, und Ihr merkt es?“
„Allergnädigster Herr“, sagte der alte Mann, seine Unterlippe bebte; er schwieg.
„Sprecht weiter, Eggenberg.“
„Allergnädigster Herr“ — Eggenberg raffte sich zusammen.
„Weiter, mein alter Freund, Brautführer meiner Schwester nach Spanien.“
Leise der Geheimrat, den Kopf hebend: „Es war eine schöne Zeit, als ich nach Spanien zum König Philipp ging. Majestät ist jetzt viel allein; wie gern wollte ich meine alten Glieder ölen und wieder solchen Gang tun im Dienste Eurer Majestät. Ja, Majestät.“
„Warum ist die Majestät so viel allein, Hans Ullrich?“
„Majestät ziehen sich zurück von uns. Wir werden ein Fest feiern. Es soll ein Siegesfest sein. Wenn es doch auch zugleich eine Friedensfeier sein dürfte zwischen dem allergnädigsten Herrn und uns allen, die verlassen sind.“
Ferdinand stand hinter seinem Schreibsessel, den er mit beiden Armen von hinten umfaßt hielt; matt hauchte er, ausdruckslosen fremden Gesichts: „Hört auf, Herr. Redet nicht so weiter zu mir. Macht mich nicht schwach.“
Er hob den Sessel auf, stieß ihn kurz auf den Boden, knirschte mit den Zähnen: „Über Euer Fest, Herr, werdet Ihr morgen beschieden werden.“
A uf dem Gang zur Kapelle blickte sich fünf Tage vergeblich Ferdinand nach seinem Beichtvater um. Da standen in zwei Reihen die Hellebardenträger, breitbeinig, in den erzherzoglichen Pannierfarben Rot und Weiß, Blau und Gelb; die Hellebarden geätzt, mit langen stählernen Spießklingen, die emporwuchsen aus dem starken Schaft, der halbmondförmige Beile und Haken trug; in die Spießklingen eingetragen der kaiserliche Wahlspruch: Legitime certantibus. Türhüter Pagen eröffneten den feierlichen Kirchgang, Kammerherren mit hohen Namen folgten blickesenkend, hinter seinem Obersthofmeister, dem weißen Grafen von Meggau, ging mit lahmen Füßen in einem scharlachroten Kleid Ferdinand, Diamanten an dem Hute, Diamanten am langen schmalen Degen. Schwingende Bronzeglocken der Schloßkapelle. Sie gingen schweigend von Kammer zu Kammer, durch das lichte, sich immer mehr verengernde Spalier. Aus allen Gängen und Seitengemächern quollen goldtressige duftende Herren; blonde und greise; italienische Gesichter und deutsche breite Schultern, Soldatenmienen, Schreiberblässe, schwarze Jesuiten, fremde Herren in polnischen Mützen, siebenbürgische Gesandte. Die Zimmer hoben sich mit hohen Decken; weißer üppiger Stuck war darüber geworfen, in vielen Gemächern lagen die Balken oben grad nebeneinander dunkel von Beize, in neuen gossen sich Bilder über die Flächen, vielfarbig, jäh nach Troja entführend, in die Liebesabenteuer Jupiters; dann tauchten Gewölbe, Kreuzgänge auf, und das Scharren der seidenen Jacken, das Schleifen der Sohlen, das Klingeln der goldenen und silbernen Behänge, wurde in Hall und Widerhall von den schweren Mauern begrüßt, murrend angesprochen.
Über breite Marmortreppen senkten sie sich herunter in eine kurze Tannenallee; weiß und golden am Ende die Kapelle. Gewaltige Glockenschläge. Missa solemnis. Die erzbeschlagenen Türen.
T riumphierend schlurrte der Kaiser neben der ihn überschattenden Gestalt Lamormains durch den blühenden Garten seines Schlosses Schönbrunn. Den rotbefrackten Narren Jonas hatte er fortgejagt in die Brunnenstube. Pfaue spazierten auf den kiesbestreuten Wegen. Durch die warme, dicke Luft schwammen Häherschreie; es sangen unsichtbare Vögel auf den Ästen; mit langen Melodien sprachen sie sich an, die Melodien endeten fast immer mit einem rauhen, tonlosen: Ze kirrh, zekrütt rrr—öh, bisweilen brachen sie in der Mitte ab, standen still, wartend; dann kam nach einer immer bestimmten Pause die leicht modulierte Antwort; schließlich gab es ein Schwirren in den Blättern, die Vögel flogen fort; an einer andern Stelle fing es an in der hin und her wandernden Süße, die Töne beugend und verschlingend, als wäre ein Drahtarbeiter Netzflechter am Werk, der den Eisenfaden rasch hin und her zieht, im Nu Körbchen neben Körbchen hinsetzt. Die Koppeln der französischen Hunde schlugen von Zeit zu Zeit in der Nähe an. Die Bäume standen in vollem Grün hinter dem mauerumzogenen Schloß; dick gebläht und breit hockte das Laubwerk auf den mächtigen verwurzelten Stämmen, wiegte sich oben wie eine geplusterte Henne nach allen Seiten. Unten stand und ging der kurzatmige Habsburger, wich der grellen Sonne aus, gestikulierte mit dem goldknopfigen Rohrstöckchen.
„Sie haben mir die Verantwortung abgenommen. Sie haben, was jetzt kommt, Kriege mit der ganzen Welt, Niederlagen, Verlust des Vermögens, Vertreibung von Krone und Land, selbst und allein zu verantworten.“
„Allergnädigster Herr, was hätte man tun sollen?“
„Sie hätten mich beseitigen müssen. Was anders wäre ihre Pflicht gewesen. Sie hätten mich beseitigen müssen. Sie haben es nicht getan. Die Schuld haben sie auf sich geladen.“ Er sprach mit Haß und Inbrunst: „Mögen die Dänen, die Franzosen, Engländer, Schweden das Reich, die Erbkönigreiche von Grund aus verwüsten. Herzhaft, herzhaft. Das Reich auflösen und hinlegen. Mag es auf sie fallen, die geduldet haben, daß Maximilian den Pfälzer von der Scholle vertrieb, daß er jetzt die Kur an sich nimmt. Sie lassen es zu, sie billigen es, sie fallen ihm nicht in die Zügel. Mag das Unglück ihr Begleiter sein! Mögen die Länder zerfallen, die Grenzen überschwemmt und zerfressen werden, die Städte leer, gebrandschatzt, die Klöster verbrannt, Bauern in Aufruhr — nichts als die Haut über den Knochen, Seuchen im Blut. Das soll ihr Lohn sein, daß sie Maximilian haben gewähren lassen und mich nicht beseitigt haben.“
Lamormain besah sein schäumendes Beichtkind mit Kälte: „Hört Ihr die Vöglein? Sprechen sie miteinander? Und wenn das armselige Getier seine Zunge und Kehle gebraucht, warum habt Ihr es, allergnädigster Herr, nicht getan? Ihr hättet hingehen sollen zu ihm.“
Ferdinand hörte nicht zu: „Sie, haha, sie alle, die Säulen meines Hauses, meine Brüder, meine Kinder, meine Generäle, meine Räte, sie haben nicht gesehen, wohin es ging, haben mich wüsten lassen wie einen Alb in der Nacht. Und als sie es gesehen hatten — haben sie mich nicht beseitigt! Nicht! Nicht! Den Kurhut lassen sie ihn sich aussetzen! Paßt auf, Lamormain, paßt auf. Habt Ihr Spaß daran!“
„Ihr hättet hingehen sollen zu ihm.“
„Zu ihm? Zu wem?“
„Zu Maximilian in Bayern.“
„Was hätte ich bei Max sollen?“
„Ihr hättet zu ihm hingehen sollen bis in seine Residenz. Und nicht warten. Und wenn sein Barbier morgens bei ihm stünde, hättet Ihr zu ihm eindringen müssen.“
„Und was hätte ich drin zu tun gehabt?“
„Ich frag’ Euch.“
„Ich?“
„Ihr wißt es. Nicht den Blick herunter, allergnädigster Herr. Bin ich Euer Beichtiger? Seht in meine Augen.“
„Ich hätt’ es nicht gekonnt. Ihn niederwerfen! Ich hätt’ es nicht getan.“
„Und dennoch wie Ihr sagtet: ‚Das Unglück soll ihr Begleiter sein, die Klöster verbrannt, über den Knochen nichts als die Haut.‘“
„Pater, ich bin ein Mensch. Was wollt Ihr von mir?“
„Gebt mir Antwort: Warum gingt Ihr nicht zu ihm? Später, nachdem Euch die Niederlage vor ihm gereut hat?“
„Ihr wollt mir meine Ruhe nehmen.“
„Ich will Euch die Bürde abnehmen, allergnädigster Herr, da Ihr mein Beichtkind seid. Sprecht. Ist Euch nicht wohl?“
Ferdinand, ganz in weißer Seide, hatte seinen Hut abgerissen, in raschem Tempo ging er dem hinkenden Pater voraus, der schwer schnaufte und sich den Halskragen hinter ihm öffnete. Rechts seitlich traten die Bäume auseinander, im Hintergrund eines schattigen Platzes wurde ein niedriges kreuztragendes Bauwerk sichtbar, von Galerien umgeben, das Tor hoch und bildergeschmückt: eine Kapelle der heiligen Magdalene. Ferdinand, bläulich weißen Gesichts, stob in die Mitte des Platzes, aber der Pater folgte; er stützte sich auf seinen Krückstock, hielt den fliehenden Mann im Auge, folgte.
„Kommt Ihr mit, Pater?“ schrie der Weißseidene nach rückwärts. Vor ihm sprang das Tor auf. Da war Kühle und ein weiter stiller Raum. Von traulichen warmen Farben die Luft durchblüht, die runden Fenster prangten mit holden Bildern; seitlich und hinter dem Altar spielten Lichtstrahlen um die Bildsäulen, die Sockel mit heiligen knienden betenden erbarmenden Frauen, tönten sie blau violett purpurrot. Magdalene, die Büßerin, über den grünen Rasen geschmolzen, in ihrer Mitte, die goldene Aureole über dem Haar. Das Tor knarrte hinter ihnen; Ferdinand stand gehetzt, heftig schnaufend, mit dem Rücken gegen die Tür an einem der Pfeiler, die zu viert an jeder Seite durch den Raum liefen.
Der Stock des Priesters stieß auf den gestampften Mörtelboden: „Ich war nicht so rasch auf den Füßen, wie Ihr, allergnädigster Herr.“
„Mir ist gewiß wohl.“
„Ich konnte die letzten Tage nicht zu Euch kommen, ich wollte, daß die Besinnung in Euch erwache. Ich bin Priester, Majestät, mit einem großen Amt gegen Euch vertraut. Ich laß Euch nicht aus, was Ihr auch unternehmt. Ihr wißt, daß Himmel und Erde versperrt sind, und daß es keine Rettung und Flucht gibt, es sei denn in die Hölle.“
„Dies alles versteh’ ich nicht, lieber Pater Lamormain, mein lieber Freund.“
„Ja, das bin ich. Es ist gut, daß Ihr es fühlt. Ich muß mehr Mut haben, als Ihr gegen Euern Schwager Max in Bayern. Ich muß, wie Ihr Euch auch spannt, mich einzig vor Gott verdient machen um Euch.“
„Mein Heiland, wer seid Ihr? Was wollt Ihr?“
„Ich bin der gottesfürchtigen Gesellschaft Jesu Pater; Euer Führer an den Thron Gottes.“
„Ihr seid nicht der Satan. Mich schauerts.“
„Weicht mir nicht aus. Wißt Ihr, was Ihr seid? Allergnädigster Herr: Ihr seid feige, sündhaft, hochmütig, grausam.“
Der Priester flüsterte eindringlich, seine bäurischen Züge waren unverändert ruhig, er hielt den Blick gegen den Boden; seine Faust ruhte schwer auf dem Stock. Der andere wölbte an der Säule müde und ergeben den Rücken, er ließ die Arme abwärts fallen: „Ihr seid nicht der Satan. So will ich hingehen zu Maximilian; ich bin der Kaiser, er hat mir nichts abzuzwingen mit Gewalt und Drohung, ich will es ihm sagen, ich will gerecht sein gegen den Pfälzer wie es einem Kaiser gebührt; jetzt soll es geschehen.“
„Ihr werdet nicht hingehen.“
Der Kaiser drehte den schweißtropfenden Kopf gegen den Priester; von den Schläfen lief der Schweiß über die Ohren, rann auf die Schultern, wo die Seide dunkel wurde; die blanke Nase schien gedunsen, die Augen waren schwer beweglich, stumpf, als wenn sie nicht rollen könnten auf ihrer Rundung, der weiche Schlemmermund stand offen; hilflos, ohne Ton kam es hervor: „Was soll ich tun?“
„Kommt. Ein paar Schritt, kommt.“
Lamormain hinkte zurück gegen die Tür. In einer Nische stand ein hölzerner Aufbau, mit schwerem schwarzen Tuch behängt, ein Beichtstuhl. Der Priester öffnete; als der andere vor der Tür zögerte, zog er ihn an der Hand herein; der Vorhang bedeckte sie. Lamormain hauchte: „Allergnädigster Herr, beichtet.“
Als aber der Kaiser hinkniete in der völlig verfinsterten Enge, flüsterte Lamormain über ihm: „Bleibt knien. Bleibt. Macht Euch fertig. Nun will ich Euch töten. Steht nicht auf. Es muß sein. Ihr habt es selbst gesagt und empfunden: man muß Euch beseitigen.“
Der Kaiser suchte sich stöhnend und klagend zu erheben. Lamormain rührte ihn nicht an, auf seine Worte sank der andre immer wieder hin: „Euer ältester Sohn wird wissen, warum Ihr gestorben seid. Ihr seid reif. Ihr seid ohnmächtig, von Haß geschwollen. Ihr wißt es selbst. Ihr wißt keinen Ausweg und ich weiß keinen. Wollet mit mir beten, damit Ihr nicht verloren seid.“
Der andre stammelte durcheinander entsetzt: „Ja. Ich muß beten. Ich bin bereit. Wer seid Ihr? Lamormain, wer seid Ihr? Hilfe.“
„Es ist Hilfe. Fangt an zu beten.“
„Hilfe. Wie soll ich beten?“
„So öffnet Eure Brust. Macht Euern Hals frei.“
Er tastete nach dem Kragen des Kaisers.
„Laßt; befleckt Euch nicht an mir. Ich tu es selbst.“
Er winselte: „Es ist das Beste; ich weiß es, ich muß Euch dankbar sein. Mein Heiland.“
Er hatte sich die Jacke aufgerissen. Die Brust halb offen umklammerte er die Knie des Paters: „Wer seid Ihr?“
Lamormain streifte ihn von sich ab, er richtete sich gleichgültig auf: „Laßt sein, allergnädigster Herr. Steht auf. Ja, gewiß, steht auf.“
Verzweifelt drückte der Kaiser seine Hand an den Mund: „Was ist, Lamormain? Was habt Ihr mit mir vor?“
„Sollte es sein, daß Ihr noch den Wunsch habt, zu leben?“
„Weh mir.“
D urch die nördlichen Tore Wiens rollten die Wagen mit den Gefangenen, in kleinen Trupps liefen sie gebunden hinter Reitern. Dann Lafetten Kartaunen Feldstücke von vielen hundert Gäulen geschleppt. Abordnungen trafen ein von den Regimentern, die sich bei Höchst Wimpfen Lorbeeren erworben hatten.
Die Logis der großen Stadt waren gestopft mit Offizieren Söldnern Beamten Gesindel Troßbuben Dirnen. Vier Tage dauerte die Siegesfeier, deren dröhnende Reden Europa erschreckten. Neben dem regierenden Habsburger saß auf der Schrannenstiege unter dem roten Baldachin sein hitziger Bruder, Leopold, der aus Innsbruck hergereist war und Wien nicht mehr verließ, Leopold, der von einer abenteuerlichen kriegerischen Korona umgeben war und mit seinen gewagten politischen Kombinationen alle Höfe und Gesandten mißtrauisch machte. Dem prangenden Vorbeizug der Gefangenen Kanonen Wagen Fahnen und Standarten wohnten auf dem Hohen Markte in ihrer Karosse auch die beiden dänischen Geschäftsträger bei, die Herren Heinrich Rantzau auf Schmoll und Julius Adolf von Witersheim, die einen drohenden Ton angeschlagen hatten; sie empfingen auf den Ämtern freundliche Worte. Was sie auf dem Hohen Markt sahen, war andres Register; sie hatten es eilig, abzureisen.
Es war inzwischen bekanntgeworden, daß sich wichtige Ereignisse am Kaiserhof vorbereiteten, bei denen sie nicht stören wollten. Bestimmter verlautete, der Römische Kaiser wollte freien. Bediente der Häuser Eggenberg und Trautmannsdorf berichteten von auffälligen Reisevorbereitungen ihrer Herren, von Kurieren, die zwischen Wien und einer oberitalienischen Stadt liefen.
In der halbfertigen Kaisergruft des Kapuzinerklosters, für deren Kapelle die Gemahlin des toten Kaisers Matthias ihr Silbergeschirr und ihre Gemälde hingegeben hatte, in dem langen düsteren Gewölbe hinter dem Neuen Markt diktierte noch während der Siegesfeierlichkeiten Ferdinand sein Testament. Der feine Abt von Kremsmünster war für die Mittagsstunde in die Gruftkapelle bestellt mit seinem Geheimschreiber. Unmittelbar vom Quintanrennen in klirrender schwarzer Turniertracht, die Sturmhaube in der Hand, stieg Ferdinand mit seinem Gespenst, dem Grafen Paar, den er an sich gelockt hatte, über Balken und Steine zu dem Abt her. Die Baugrube war nicht geschlossen; von oben seitlich fiel ein scharfes Bündel Licht herunter; über das Tischchen gebeugt, ohne sich zu setzen, diktierte Ferdinand: „Wenn es der göttlichen Majestät gefällig sein wird, uns aus diesem irdischen Jammertal durch den zeitlichen Tod abzufordern, so befehlen wir unsre edle Seele im alten katholischen Glauben, in starker Hoffnung auf unsern einigen Seligmacher Jesu und sein heilig unschuldiges Leiden und Sterben. Und wir rufen in ganz inbrünstigen Bitten ihn an, er wolle durch das unaussprechliche Werk seiner gnadenreichen Erlösung uns unsre Sünden, unsre Übertretungen gnädiglich verzeihen; auch durch Fürbitte seiner allerheiligsten, glorwürdigsten Mutter, der allerreinsten Jungfrau Maria, des heiligen Evangelisten Johannes, des heiligen Augustin, Antonius von Padua, der heiligen Maria Magdalena, Cäcilie, Katharina und des seligen Ignaz, des Stifters der Jesugesellschaft. Er wolle unsre arme Seele mit seinen göttlichen Gnaden in die himmlische Freude aufnehmen.“ Er traf die Bestimmung, daß seine Eingeweide am Sterbeort bestattet würden, sein Leichnam in der von ihm erbauten Kapelle der heiligen Jungfrau und Martyrin Katharina zu Grätz, das Herz zu den Klarisserinnen.
Nicht lange darauf, noch vor Beginn des Winters, erlebte die Hauptstadt die größten Festlichkeiten seit Menschengedenken in ihren Mauern: die Vermählung des kaiserlichen Witwers mit der jungen wunderschönen Prinzessin Eleonore von Mantua. Entschlossen hatten Räte und Lamormain darauf gedrungen; der Kaiser, erst außer sich, dann in der Furcht, ganz verdrängt zu werden, widerstrebte nicht. Mit vieler Sanftheit und Ehrerbietung, schmerzvoll und demütig bat der alte Eggenberg, seines Fürsten Freiwerber zu sein. Auf einer Pilgerfahrt nach Loretto, angesichts der wunderbergenden morschen Hütte, die Engel von Bethlehem nach Oberitalien getragen hatten aus dem Türkenlande in die beglückte Christenlandschaft, begegnete Eggenberg zuerst der eleganten und zarten Eleonore, brachte ihrem Vater und ihr die Wünsche des Imperators des Heiligen Römischen Reiches vor. Der Herzog von Mantua sprach seiner Tochter kaum zu; da sie wußte, daß er es wollte, verneigte sie sich tief, legte ergeben ihre Hände in die offene Hand des feinen alten Höflings, der so liebevoll von seinem mächtigen, in der nordischen Barbarei hausenden Herrn redete; ihm verlobte sie sich in Vertretung an; der Bischof von Mantua, der sie getauft hatte, sprach den Segen beim Ringwechsel. An diesem Tage hatte in Wien der Kaiser die Erhebung seines Freiwerbers zum Herzog von Krummau verfügt. In der Hofkirche zu Innsbruck begegneten sie sich, von Priestern einander zugeführt; sie sahen sich vor dem Altar zum erstenmal. Die Prinzessin blickte weg, erschüttert von dem gramzerrissenen, halb hilfeflehenden, halb stumpfen Gesicht, das über den ungeheuren Prunkmänteln, über den millionenwerten Halsketten Agraffen Spitzen Bordüren und Ringen sich bewegte; das verquollene ältliche graubärtige Wesen, versteckt in der Schale, mißtrauisch und leidend. Sie wußte nicht, wie sie erschrak und zu der goldenen klingelnden Monstranz blickte, — den Baum des Lebens darstellend, der sich hoch mit Blattwerk wand, in dessen Laub wunderbar verborgen Maria saß und singenden Engeln zuhörte, — daß auch der andere sie fürchtete und sich in leisem Haß zusammenzog. Reich war sie gekleidet, ein hochrotes Kostüm trug sie, die Perlenkrone auf dem braunen spröden Haar hatte nicht mehr Farbe als ihr kleines sicher geschnittenes Gesicht mit den dunklen dicken Augenbrauen und dem unentwickelten Mund, der plötzlich trocken wurde. Ihr Oberkleid und Unterkleid trug goldene Ornamente; in den linken Unterärmel war das Wappen von Österreich eingewebt, die Schleife an ihrer Hüfte zeigte den Namenszug Ferdinands. Auf aller Pracht saß ihr eigener, alter, weißer Spitzenkragen und sprach schmachtend dem kalten Hals und dem übermütigen Kinn zu. Ein langer Zug alter Männer, Bürger, Edle und Geistliche trat am Nachmittag vor die Angetrauten in den vom Erzherzog Leopold verschwenderisch geschmückten Rittersaal des Schlosses; sie brachten achtzigtausend Gulden als Geschenk der Landschaft. Salzburg und das heimatliche Grätz wurde berührt. Als man sich Wien näherte, war das Gefolge so groß, daß die Bürgerschaft der Stadt einen Teil ihrer Quartiere räumen und Baracken beziehen mußte. Vier Kompagnien schwerer Reiter zogen dem Kaiserpaar entgegen. Noch war das Stubentor zu bewältigen, wo Herr Daniel Moser, der Bürgermeister der Stadt, wartete auf einem Schimmel mit den Schlüsseln Wiens, hinter ihm der Stadtrichter Paul Wiedemann, sein Beisitzer; mit silbernen Stäben auf ihren Pferden die Stadträte, die Scharen der Stadtschreiber Stadtkämmerer Unterkämmerer Spittelmeister Brückenmeister Mauthener Kirchenmeister Steuermeister Viertelmeister, verstaubt und hochglühend von dem heißen Sturm. Unter dem Baldachin, den sechs Stadträte trugen, bei wogendem Glockenjubel schob man sich, von Scharen windlichttragender Knaben geführt, an das Sankt Stefanstor, wo Botschafter und Universität sprachen; Tedeum im Dom, Segensspruch Verospis, des Nuntius.
Und in den Gängen, durch die Säle und Höfe der stolzen Burg bewegte sich bald neben einem verschwiegenen verschlafenen Kaiser eine verwirrte fremdblickende Kaiserin.
Auf das prächtigste wirtschaftete Erzherzog Leopold; mit Theater Maskeraden Banketten Karussells vergnügte er den Hof; Kaiser und Kaiserin waren dankbar. Eggenberg und Lamormain beglückwünschten ihn zu seinen Erfolgen; frisch, wie er war, ließ er sich von ihnen in Reiten, Schmausen, Jagen, in die schwebenden Angelegenheiten einweihen.
Der Kaiser wurde nach einigen Wochen von einer unvermuteten Neugier nach seiner Gemahlin, der jungen fremdartigen Fürstin, die fromm und reserviert unter ihren Damen ging, ergriffen. Als die Obersthofmeisterin der Kaiserin, Gräfin Portia, Leopold davon berichtete, drängte er den Kaiser zu einem Aufenthalt in Schönbrunn. In Schönbrunn schlug die Neugier des Kaisers in heftiges besinnungsloses Entzücken um, das Eleonore mit Verwunderung und Unruhe entgegennahm. Unter Lamormains Mitwirkung wurde ihr ein Beichtvater bestimmt.
V on dem schwerkranken Papst Gregor dem Fünfzehnten empfing Verospi, der Nuntius, ein nachdenklicher wissenschaftlicher Mann, ein Breve, worin der römische Kaiser ermahnt wurde, mit der Übertragung der siebenten Kurwürde an den Herzog in Bayern nunmehr nicht länger zu zögern. Er hatte nicht viel Glück bei den Räten, machte sie nervös mit seinen Erörterungen, seinem langweiligen wortlosen Herumstehen; Verospi vergaß bei Gesprächspausen gern, wo er war, erinnerte sich theologischer Probleme; aus seinem Nachsinnen aufgestört fing er von vorn an.
Hyacinth von Casale, ein Kapuziner, erschien nach ihm; er setzte nur durch, daß der Abt Anton ihm Empfehlungen nach Madrid mitgab; der Kaiser könnte nicht, sagte Anton, ohne Zustimmung Spaniens handeln. So wanderte der Kapuziner nach Madrid, während Ognate, der elastische leidenschaftliche Gesandte Philipps in Wien, erregt auf allen Ämtern gegen die päpstlichen und bayrischen Absichten kämpfte, schreiend: dahinter stecke die Absicht, das Haus Habsburg zu schwächen, wenn man den listigen, kriegerischen Führer der Liga in das Kurfürstenkolleg einführe. Hätte man vergessen, wie sich Maximilian früher gesträubt habe, einem Habsburger Einfluß auf die Liga zu geben, ja nur gleichberechtigt ins Direktorium aufzunehmen, aus keinem anderen Grunde, als weil die Liga das Kampfinstrument Maximilians gegen den Kaiser sei. Hätte man das vergessen? Der Wittelsbacher sei schlau, verschlagen, kühn, und ehrgeizig; da er nicht hätte Kaiser sein können, suche er der Kaisermacht Abtrag zu tun, risse die deutschen Fürsten an sich unter dem Vorwand des gemeinsamen Schutzes gegen äußere Feinde, wüßte nur einen Feind, in Wien. Eins, zwei, drei, so ist es klar. Und jetzt werde er versuchen, die Kurfürsten an sich zu ziehen! Ognate war ein hitziger ehrlicher Anhänger seines Königs, verstand nichts als Spanien; die Räte lächelten und ehrten ihn.
Denn der Abt Anton wie Trautmannsdorf hatten mit ihrem Zögern nur vor, den bayrischen Herzog zu erproben; sie wollten sehen, wie weit er gehen würde, ihm in jedem Fall nachgeben. Sie wollten ihn die Größe des Geschenks fühlen lassen.
Als eines Tages hintereinander der trottelige Verospi und der biedere massive bayrische Rat Leuker beim Abt Anton vorgesprochen hatten —, der kleine Trautmannsdorf saß stumm, als ginge es ihn nichts an, auf breitem teppichgetragenen Sessel neben ihm in der dunklen Bibliothek, blies sich über den Handrücken —, seufzte Anton tief auf. Trautmannsdorf nahm von nichts Notiz. Der Abt hob sein Käppchen ab, wischte sich die Tonsur, bat: „Herr Trautmannsdorf.“
Der sah auf.
„Denkt Euch, es ist noch ein Schreiben von der spanischen Majestät eingelaufen.“
„Ja, Ehrwürden.“
„Mein Freund, der Kapuziner Hyacinth von Casale, dieser gelehrte, sehr gelehrte würdige Mann, hat mir auf fünf Folioseiten seinen Standpunkt in dieser Sache entwickelt.“
„Ich verstehe, Ehrwürden.“
„Ich glaub nicht, Herr Trautmannsdorf. Dann hat erneut ein gewisser Pfalzgraf von Neuburg — Ihr erinnert Euch der Skandalaffaire — seinen Kammerdiener mit Gründen, schriftlich niedergelegten, mündlich zu diskutierenden Gründen in mein Haus geschickt. Wie es dann noch mit Herrn Ognate, diesem trefflichen Mann des spanischen Königs, in dieser Sache enden wird, läßt sich nicht absehen; ich habe Vorkehrungen getroffen, daß er mich nicht allein spricht und daß mich rechtzeitig zwei oder drei Musketiere schützen können gegen ihn.“
„Ich verstehe, Ehrwürden. Ist nicht bequem, die pfälzische Angelegenheit zu bearbeiten.“
Abt Anton seufzte: „Wißt, Herr, ich gebe nach. Gewiß. Ich gebe nach. Einmal muß es geschehen. Wozu das Sträuben!“
Da lachte Trautmannsdorf heftig: „Tut es, Ehrwürden. Es fiel mir schon vorhin ein. Der Kammerdiener des Pfalzgrafen von Neuburg soll nicht unverrichteter Dinge heimkehren; sagt zu.“
„Von ihm ist nicht die Rede. Er hat Gründe, ich kann sie Euch im Moment nicht entwickeln; es sind jedenfalls so viele, daß sie ein besonderes Fach in meinem Schranke füllen.“
„Nun?“ lachte spitzbübisch der kleine Herr, als er sah, daß der Abt behaglicher wurde.
„Wahrhaft, ein volles großes Fach; Ihr könnt es besehen, bevor Ihr geht; ich zeig es jedem unserer Freunde, die mich besuchen und in diesen Angelegenheiten befaßt sind. Staunen alle; sind alle erschlagen von der Fülle dieser Argumente.“
„So gebt ihm Recht und Ihr habt Ruhe. Laßt das Gericht beschließen.“
„Was seid Ihr für ein loser Vogel, mein Trautmannsdorf.“
„So habt Ihr die Sache vom Hals.“
„Wo bleiben wir, wenn wir jedem wie ein Salomo Recht geben wollten. Sie disputierten mir den Stuhl unter den Beinen weg, auf dem ich sitze; von Gründen würde mir die Kappe weggeblasen werden. Recht, Recht ist nur eine Begleiterscheinung.“
Trautmannsdorf rieb sich vergnügt die Hände: „Wenn es so ist, so würde ich in der Lage von Ehrwürden gar nicht, aber gar nicht nach Gründen fragen und mein Gehirn strapazieren lassen, meine Schränke vollstopfen lassen. Tut, was Euch beliebt, bleibt auf Eurem Stuhl, nehmt für die Kur den Bayern, den Pfalzgrafen —, nehmt meinetwegen mich.“
„Nicht doch“, quietschte Anton, „ich würde Euch gewiß gern nehmen, Ihr verdientet den Kurhut, Trautmannsdorf, Euch würde ich ihn am liebsten geben. Aber seht, es muß alles ein gewisses Ansehen haben, daher kann ich von Gründen nicht ablassen, so gern ich es wollte. Das Wichtigste bleibt immerhin: das Recht muß erkämpft werden. Wird es das nicht —“
„So ist es kein Recht.“
Der Abt lachte heftig, fing wieder an, aus einem Blumenkorb, der auf einer riesigen Truhe stand, Rose nach Rose zu entblättern, an den Blättern zu saugen, sie zu zerkauen und auszuspucken: „Nein, keineswegs, durchaus nicht. Wir wollen niemandem Gewalt antun. Es bleibt Recht. Nur: es geht uns nichts an. Sagt selbst Trautmannsdorf, wen geht denn jedes Recht in der Welt an. Und wenn ich denke, wieviel Unrecht in der Welt geschieht. Die Unsumme Böses: ja, es ist so viel Böses von Haus aus in der Welt, daß der Heiland erscheinen mußte, um alles auf sich zu nehmen. Es ist die größte Tat, wir wissen es, die in der Welt geschehen ist. Was soll da ein kaiserliches Hofgericht, und selbst wenn es auf der Doktoren- und Adligenbank Männer hat wie Euch? Von mir zu schweigen.“
Der Abt saß auf seiner Truhe, hielt den Korb auf dem Schoß und schaukelte sich wie ein kleines Mädchen. Trautmannsdorf beobachtete ihn von unten, blies sich über den Handrücken: „Im Grunde ist es das Richtigste, man schickt die Leute, die Recht suchen, die glauben, daß ihnen ihr Recht nicht geschieht, beten.“
„Freilich.“
„Dazu ist der Heiland erschienen.“
Sie lachten eine Weile zusammen, während der Abt kauend mit dem Finger zu seinem Gast herüberdrohte, der aber nicht aufsah.
„Und was bleibt für das Hofgericht, Ehrwürden?“
„Zählt es Euch selbst ab.“
„Demnach nur die, die nicht —“
„Freilich, freilich, die Bayern.“
„Ich meine die Gottlosen, Ehrwürden.“
„Aber Trautmannsdorf,“ er war heruntergerutscht und umschlang die Schultern des Kleinen von rückwärts, „was führt Ihr für lästerliche Redensarten. Eure Gedanken sind jetzt nicht klar, Ihr entbehrt gänzlich der Logik. Man wird doch nicht Gegensätze machen, wo man gruppieren kann. Maximilian ist fromm, — aber schwerhörig. Ihr habt die Schwerhörigkeit nicht in Eure Rechnung eingestellt. Steht ein Stier da und hat zwei Hörner, senkt den Kopf und will mich spießen, so hilft mir keine Umrede, keine Ermahnung, Verwarnung Belehrung; der Stier hört nicht; ich bin nicht heilig genug, wie Franziskus von Assisi, um mich mit dem Tier zu verständigen. Ich werde also dem Stier recht geben; ich werde ihm aus dem Wege gehen. Und dem Bayernherzog werden wir die Tür zum Kurfürstenkolleg öffnen.“
„Tut es, tut es, bald.“
„Wir müssen, Trautmannsdorf, wir müssen. Ich kann mich mit dem gehörnten Stier nicht unterhalten. Er hört nicht.“
I n feierlichster Weise, in Gegenwart der gesamten Doktoren- und Edlenbank des Hofgerichts, des Reichshofrats, der Hofkammer, eröffnete, beauftragt von der kaiserlichen Majestät, im langgestreckten Sitzungssaal der Abt Anton von Kremsmünster dem vorgeladenen Vertreter des bayrischen Herzogs, dem still stehenden Koloß Jesaias Leuker, er der graziöse gütige Mann, der während er las nach rechts und links die an der Wand sitzenden Herren mit sonderbaren abwesenden Blicken grüßte, mit der linken Hand an den violetten Gürtelfranzen spielend, daß sich die Hofkammer allein und an sich nicht kompetent erachte, auch die kaiserliche Person allein und an sich nicht vermöge, den geringsten Bescheid, ja auch nur Auskunft in Sachen der dem Pfälzer aberkannten Kur zu erteilen. Vielmehr bleibe alles dies in der Schwebe nach den beschworenen Grundsätzen des heiligen Römischen Reiches, und nur die harmonische Zusammenwirkung von kaiserlicher Person mit dem gebietenden ehrsamen Kurkollegium sei befugt und erachte sich bevollmächtigt ernannt und berufen, die Frage des pfälzischen Vermächtnisses, schwerwiegender Gewalt, von sich aus zu beantworten und gültig zu lösen. Es sei daher zu beschreiten als einzig vorgesehener und allseitig innezuhaltender Weg und Straße die Einberufung einer Deputation auf einen festzusetzenden Tag, zu welchem Ladung erfolgen werde durch des Reiches Erzkanzler, des Kurfürsten Erzbischofs Durchlaucht von Köln, Ferdinand, an beschließende hohe Instanzen und an alle sonst, die es angeht.
Nach welcher festlichen Bekundung und formellem Akt sich der das Präsidium führende Abt nebst Sekretär und Protokollant entfernte, die übrigen Herren sich in stürmischem Erstaunen untereinander mischten. Vornehmlich der völlig vor den Kopf gestoßene Bayer vermochte sich nicht zu beruhigen. Denn diese seriöse Entladung des hohen Hofkammergerichts erfolgte auf ein Angehen, das gar nicht bestand. Gar nicht war ja offiziell Herr Abt Anton, dieser liebenswürdige Pfiffikus, um Entscheidung oder nur Auskunft in Sachen Kurpfalz gebeten worden; nach allen Seiten hin beteuerte Leuker, bald seinen Gnadenpfennig malträtierend, bald seinen Degen, der gegen sein krankes Bein schlug, wegschleudernd, daß er gänzlich ahnungslos sei, daß vielleicht eine unmaßgebliche, vielleicht mißgünstige Person über seinen Kopf weg vorgegangen sei und diese Peinlichkeit heraufbeschworen habe. „Peinlichkeit, Peinlichkeit“ rief er jedem zu, der in seinen Gesprächskreis trat; man möge nicht schlecht und in falscher Richtung argumentieren, „ja was ist das, was ist das?“ und zeigte sich so konsterniert, wie er wirklich war. Er wußte auch nicht, wohin mit sich in diesem Augenblick; einen Moment raste er im Raum herum, redete den an, beschwor jenen, es werde doch nichts Eigenmächtiges von Bayern in dieser Sache geplant, es liege alles in der Wage der Gerechtigkeit, des ehrsamen Kurkollegiums und so weiter; im nächsten Moment drängte er nach der Tür, um Hals über Kopf Kuriere nach München zu schicken von dieser nicht auszudenkenden Bloßstellung, oder über den kleinen Abt herzufallen, ihn büßen zu lassen für diesen Affront; denn was bedeutete das nur! Triumphierend standen zwei Doktoren mit einmal ihm gegenüber, im Talar, mit großen Brillen, Herren, deren bezahlte Freundschaft mit dem Kanzler des Pfalzgrafen Philipp von Pfalz-Neuburg bekannt und berüchtigt war; sie erklärten ihm, es sei gar kein Grund vorhanden für ihn, sich beschuldigt zu fühlen, sich reinigen zu müssen; sie seien mehrfach sehr entschieden für das legitime Recht, beruhend auf Verwandtschaft, gegen Macht, beruhend auf Siegen, in Sache der Kurvergebung eingetreten. Was sei nur geschehen? Maximilian habe mit siegen helfen über den Pfälzer und seinen Anhang, dadurch schaffe er sich keinen Beweistitel für seine Ansprüche auf die Kur —, da nämlich nähergeboren der alte Pfalzneuburger sei. Würde man nur nach Siegen und ähnlichem äußeren Geschehen urteilen und entscheiden, barbarischen Bräuchen, so würde die ganze Staatenordnung Europas und besonders des Heiligen Reiches ins Wanken kommen. Sie sprachen ganz, als sei die Sache schon für sie entschieden.
Leuker in heller Wut lächelte, bat um Entschuldigung, man möchte nichts mißverstehen, drehte sich ein paarmal wie ein Verbrecher im Kreise, saß in seinem Wagen.
Drin brauste die Unterhaltung. Einige faßten die Entscheidung angesichts des bekannten Ansturms Bayerns auf den Kaiser als eine entschlossene Absage auf; Harrach, grüngelb von einem noch nicht abgeklungenen Gallensteinanfall, an zwei Stöcken vorsichtig sich schiebend, ließ vor Vergnügen seine Augen blitzen. Questenberg zog den weisen, gelinden Fürsten Eggenberg „Hans Ullrich, du geliebter,“ an sich pfeifend: „Der neue Kurs“ und „Habsburg zur Attacke!“ Man sang das Loblied Leopolds. Eggenberg ließ sich rechts und links Glück wünschen. Seinen dicken Freund Questenberg zog er aber kopfschüttelnd auf eine ganz leere Polsterbank; zeigte auf die erregt diskutierenden Gruppen, sah auf seine Füße; er blieb dabei, der Vorfall sei ihm unverständlich; es sei ein Hieb, der für den Abt Anton doch zu stark sei.
Völlig starr saß Anton eine halbe Stunde später vor seinem Gast, dem dröhnenden drohenden verzweifelten Doktor Jesaias Leuker, der ihn nicht zu Worte kommen ließ, fast tätlich auf ihn eindrang. Kremsmünster wurde etwas erleichtert durch das Eintreten Trautmannsdorfs, der ironisch höflich den Bayern nach dessen zerstreuter Verneigung bat, sich nicht stören zu lassen, sich selbst auf dem gewohnten Hocker niederließ und sich über den Handrücken blies. Als der bayrische, französisch gespickte Schwall zu ebben anfing, begann Anton mit Interjektionen vorzugehen, um das Versiegen zu beschleunigen. Und so mit „Nein“, „Nicht doch“, „mein gestrenger viellieber Herr“ „so bitte ich“ gelang es ihm, sukzessive Raum für ganze Sätze zu gewinnen, schließlich sich vor dem matten, hilflos keuchenden Bayern zu bewegen, selbst freilich schon mehr erregt, als er vorhatte. Also er staune, gestand er, er könne sich keines anderen Ausdrucks bedienen, er sei völlig seines Begriffsvermögens beraubt. Er trage eine Rede, eine Entscheidung vor, die so aus dem Wesen der Sache stamme, wie überhaupt ein Urteil aus dem Körper eines Gerichts. Und nachdem dies geschehen, spontan ungereizt unhofiert und ungescholten, schmähe man ihn. Ja, sei er Präsident der kaiserlichen Hofkammer oder sei er es nicht? Sei er Richter oder nicht?
„Lächerlich,“ brüllte Leuker wieder, „lästerlich und absurd. Was hat den Herrn veranlaßt, mich zu chokieren, wo ihm nichts von mir widerfahren ist?“
„Weiß Gott, nichts, Herr Geheimrat. Ich bezeug’s Euch gern. Ich bin jedoch nicht in bayrischer Dependence — noch einmal gesagt — um eines Zeichens zum Redebeginn von Euch zu bedürfen. Sprecht Ihr, Herr Trautmannsdorf, hab’ ich mir Unziemliches erlaubt, die Grenzen meiner Kompetenz überschritten. Ihr mögt es hören, Herr Leuker.“
Trautmannsdorf brauchte lange, bis er seine vollen Backen ausgeblasen hatte, dann lächelte er diskret: „Ich weiß nicht.“
„Seht!“ trotzte Leuker.
„Nämlich ich weiß nicht, ob Ehrwürden entsprechend mit der kaiserlichen Majestät oder mit seinem hohen Bruder beraten haben.“
„Erzherzog Leopolds Hoheit hat auf kaiserliches Mandat das geschehene Verfahren gebilligt und befohlen.“
Trautmannsdorf wandte sich armhebend an Leuker: „So ist ja alles Klagen und Anklagen überflüssig. Ihr erschießt einen Sperling und meint den Falken.“
„Es ist nicht denkbar“, jammerte Leuker, dem es vor dem Bericht an Maximilian graute, „nichts ist geschehen, was solchen Schritt gegen Bayern rechtfertigen könnte. Wir haben kaiserliche Majestät und Euch nicht herausgefordert. Ich muß protestieren gegen den Erzherzog.“
„Er wohnt nicht hier,“ lächelte Trautmannsdorf.
Nun schwiegen sie, die beiden Kaiserlichen ruhig abwartend, der Bayer ratlos.
Der Abt fing wieder an, versöhnlich: „Übrigens, ohne mich in bayrische Politik mischen zu wollen, deren Methoden gewiß besonders studiert werden müssen: ich sehe nicht, welchen Anlaß Ihr habt, mit mir unzufrieden zu sein. Es geht Eurer Sache ja so gut. Euer Wagen fährt so rasch, wie Ihr nur wünschen könnt.“
Das bestätigte der kleine Rat mit kurzem Nicken.
Leuker setzte sich, sah die Herren an; er war vor Angst völlig perplex, hätte am liebsten die Herren um irgendeinen Rat gefragt.
„In zwei drei Monaten hat Euer Herzog den pfälzischen Kurhut; die Wittelsbacher in München haben die in Heidelberg geschlagen. Es kommt nur darauf an, die Kurfürsten zur Zustimmung zu bringen. Ich habe weiter nichts gesagt —, vor allen Ohren, hört es —; die Sache ist, was den Kaiser anlangt, entschieden, nämlich für München. Ich hab’ es laut gesagt, damit im Reich niemand daran zweifelt, daß wir uns hier gebunden erachten. Und ich hab’ es weiter darum gegen jedermann offenbart, damit es nicht heißt, wir handeln im Dunkeln. Die andern lesen heraus, daß wir gerecht sein wollen; Ihr müßt erkennen, daß auch für Euch diese Meinung von Wert ist. Öffentlicher Deputationstag, öffentliche vorherige Erklärung. Es kommt uns auf Gerechtigkeit an.“
Beruhigt und doch beunruhigt hakte Leuker ein, der sich tief atmend im Stuhl zurücklehnte, was das heißen sollte, Gerechtigkeit, was er damit gesagt haben wolle; er rieb sein krankes Bein, das ihm plötzlich wieder einfiel: „Nicht doch, Gerechtigkeit, laßt das Wort. Der Schein der Gerechtigkeit, wollen wir so sagen. Wir kommen ohne den Schein nicht aus. Ihr auch nicht.“
Die beiden schwiegen undurchdringlich.
Mit entschlossenem würdevollen Brustton entgegnete der Bayer: „Uns liegt durchaus an der Gerechtigkeit. Wir scheuen sie nicht. Wir wollen nur nicht gar zu spitzfindiges Eingehen auf juristische Kompliziertheiten; man kommt damit nicht weiter. Die Realitäten müssen durchdringen, Anerkennung finden.“
„So und nicht anders verstehe ich Gerechtigkeit,“ bestätigte der Abt.
Bevor Leuker ging, befriedigt und doch mißtrauisch, ein Duplikat der heutigen Kammermitteilung in der Hand, unklar zweifelnd, sagte er noch einmal halb fragend, es stände also alles gut.
„Für wen?“ meinte Trautmannsdorf.
„Ich meine,“ verbesserte sich der an der Tür, „es lag ein Mißverständnis vor.“
„Von wem?“ schüttelte ernst Trautmannsdorf den Kopf.
Anton schüttelte dem Bayer die Hand: „Ihr werdet, besonders lieber Herr, vornehmlich wenn Ihr die Sache nachher in Ruhe überlegt, zugeben, daß Euch nichts Übles widerfahren ist von mir.“
Dann saßen Anton und Trautmannsdorf sich allein gegenüber, und Trautmannsdorf blickte den Abt an.
Der hatte auf der Truhe plötzlich einen ernsten Ausdruck, als wenn er eine Maske ablegte, einen verdrossenen harten Blick; winkte ab, bevor der Kleine die Stimme erhob.
„Ihr gesteht, Trautmannsdorf, nachdem Ihr zu meiner Freude dies mit angehört habt, daß ich nicht zu weit gegangen bin. Ließ ich es gehen, wie Leuker und sein Herr es wollten, so wären wir Knechte und Schürzenträger der Bayern. Sie glauben, wir seien dazu verpflichtet. Das ist zu viel, überschreitet das Maß. Was wir geben, muß geachtet werden. Forderungen an die Römische Majestät dulde ich nicht.“
Still der Kleine: „Ihr sprecht aus meiner Meinung.“
„Schließlich kann ich, und ich weiß, kann der Kaiser und der Erzherzog nicht die Verantwortung für das Folgende übernehmen. Mag sie der Bayer selbst tragen. Wir nehmen sie ihm nicht ab. Niemals. Wir haben keinen Grund dafür, gegen ihn milde zu sein. Denkt an, Herr, ich will es Euch nicht verhehlen, ich habe ihn nach Rücksprache mit Eggenberg anfragen lassen sub rosa, wodurch und wie sich die Römische Majestät von ihm freikaufen könnte, von ihren Pfälzer Verbindlichkeiten. Ich habe den Erzherzog nichts davon wissen lassen. Ich wollte einen runden Betrag. Den hat er genannt.“
„So sprecht doch, Ehrwürden.“
„Das Herz kann es mir zerreißen. Ich bin ein Christ, Katholik und dazu bin ich geweihter Priester. Mir steht kein Haß oder Abscheu gegen Menschen zu. Schon gewiß nicht gegen einen andern, der Christ, Katholik ist und — ein Verwandter unseres Herrn. Aber die Wut zerreißt mir die Eingeweide, wenn ich es bedenke. Noch nie ist dieser getreue gerade Kaiser so geschmäht und infernalisch gehöhnt, als durch diese Antwort.“
„Ein unerschwinglicher Betrag. Und Ihr?“
„Dreizehn Millionen Gulden. Hört, denkt“, der Abt fast schreiend, dann erschreckt hinter sich blickend, mit heftiger Flüsterstimme und Gesten auf den Grafen eindringend, der im Nachdenken die Augen schloß, „dreizehn Millionen Gulden. Man muß es sich vorstellen, man muß sich ihn vorstellen, den Bayern. — Laßt mich einmal sehen; die Fensterläden geschlossen, einer auf dem Flur?“
Als er bebend auf und abschritt auf dem Längsläufer, öffnete Trautmannsdorf die Augen: „Ihr seht es jetzt: der Wittelsbacher verachtet uns. Uns alle, samt unserm allergnädigsten Herrn. Dreizehn Millionen: da hat er gelacht und seinen Vater gefragt: „Wollen sehen, was das Bettelpack antworten wird.“ Römischer Kaiser und Herzog in Bayern. O, wir hätten ihm wohl doch beistehen müssen damals, dem Kaiser, als die Exekution gegen die Oberpfalz begann. Wir hätten es müssen, Ehrwürden. Der Bayer suchte Macht gegen uns. Es wäre nicht so weit gekommen mit dem Kaiser. Jetzt wagt er dies; er weiß, warum der Kaiser beiseite steht und warum der Erzherzog Leopold am Hofe lebt.“
„Liebwerter Freund, wir hätten es müssen? Es hätte auf ihn keinen Eindruck gemacht, er kennt uns beinah besser als wir uns. Es war schon alles gut; wir haben nichts verfehlt. Er weiß, wie wir ihn brauchen.“
„So laßt es nun sein, ihm den Kurhut zu erschweren. So nützt es doch nichts.“
Der Abt hielt, noch im Schreiten, die Hände vor das Gesicht und weinte fast: „Nehmt mir nicht allen Trost. Ich weiß ja, ich will nicht denken. Darum muß ich ihm nicht Vorschub leisten. Ich entlarve seine Schliche. Ich will ihm diese Stunde nie vergessen, mit dem Brieflein um dreizehn Millionen. Seht, mir habe ich’s in der Brust geschworen, in Treue um unsern allergnädigsten Herrn, dem ich nichts von der Botschaft verriet: die dreizehn Millionen soll er uns bezahlen; er soll denken: nie kann ich genugsam Geld aufbieten, um mir Habsburg wieder Freund zu machen und ich kann’s nie. Dies will ich ihm nicht ersparen.“
„Ihr habt die Siegesfeier für gut gehalten.“
„Es soll die letzte gewesen sein, Trautmannsdorf.“
„Dies war’s, was Ihr mir so dringlich vorgestern mitteilen wolltet; ich war verreist. Und was habt Ihr erreicht mit Euerm Beschluß von vorhin?“
„Einen Wutanfall Maximilians, ich weiß. Weiter nichts. Nur soll er uns nicht für Narren halten, für solche Narren, wie ich es beispielsweise bis jetzt war.“
„Wißt Ihr, Ehrwürden,“ begann nach einer Pause, der unbewegliche Graf, „einen Schritt konnten wir gleich weiter gehen.“
„Und?“
„Wir könnten versuchen, den Erzherzog Leopold —“
„In diesem Augenblick dachte ich daran. Wir müssen es an Lamormain bringen. Ich weiß freilich noch nicht, wie er von meinem ersten Schritt denkt.“
„Nicht so und nicht kaiserisch. Er ist von der Gesellschaft Jesu und gehorcht dem Papst.“
„Vielleicht also bayrisch. Er wird, wofern Ihr ihm das Brieflein zeigt, seine Stellung ändern. Er ist tatendurstig, das Brieflein wird ihm als Angriff auf seine Macht vorkommen.“
„Der Bayer soll seine Freude haben an dem Kurfürsten,“ drohte der Abt, schwang sich auf die Truhe.
„Mich müßt ihr beurlauben, und ich kann jetzt nicht Euer Gast sein, Ehrwürden. Ich war nicht in meinem Quartier von der Reise. Und ich möchte dann mit einigen Herren, später mit Euch, beraten, wann wir zu unserem allergnädigsten Herrn hinausfahren, um Audienz zu erbitten. Ich denke wie Ihr: Wir sind es ihm schuldig —, wenn er auch nicht viel Freude daran haben wird.“
„Lebt wohl, liebwerter Freund.“
Trautmannsdorf flüsterte schalkhaft: „Ich möchte auch gleich zum Herrn Leuker; ihn trösten, beruhigen.“
„Tut es,“ lächelte gezwungen der immer wieder zitternde Abt auf der Schwelle, in den Flur nach rechts und links blickend, als wenn er Gespenster erwarte.
I n Sachsen, in Dresden, wie in dem brandenburgischen Berlin hielt man sich die Seiten vor Lachen über den neuen Wiener Vorschlag, die Pfälzer Angelegenheit gänzlich durch ein Dekret des gesamten Kurfürstenkollegs aus der Welt zu schaffen. Johann Georg, dem Kurfürsten, behagte die neue Kunde ebenso kostbar wie seinem Ratspräsidenten, dem Kaspar von Schönberg; er ließ für einige Tage seine Hauptsorge außer acht, die Aufsicht und Reglementierung der Braugesellschaften, das Herumschnüffeln nach verborgenen Braumassen. Wie andere Hoheiten, Gesandte in fremden Ländern, so hatte er geschmackskundige Vertrauensleute in größeren Flecken seines Landes, vereinzelte auch in den berühmten Hansestädten, die für ihn hereinspionierten und ihm berichteten, auch die feinsten Tönnchen, das sorgfältigste Gebräu versiegelt und plombiert unter Geheimchiffern durch Kuriere zurollen ließen. War das Gebräu in der Tat erlesen, das aufgedeckte Geheimnis absonderlich, so konnte es dem gewandten gelehrten Entdecker so bald an nichts fehlen; er hatte sich legitimiert für den Zutritt zum kursächsischen Hof; der Merseburger Bierkönig, wie Johann Georg sich gern nennen ließ, mit Stolz, — wenngleich die Leipziger Studenten ihn damit zu verspotten glaubten —, empfing sie feierlich dankbar und ehrend, wie es sich gebührte gegen jemand, der dem kursächsischen Leib wohlgetan hatte. Würdig gemächlich und etwas schwach im Kopfe war Johann Georg; er hatte den Blick für das Wesentliche im Leben nicht verloren, eine liebevolle Kenntnis der menschlichen Schwächen war ihm eigen. Für die Details des Daseins, auch des Amtsverkehrs, hatte er sich den Kaspar von Schönberg engagiert, den er noch, damit er nicht gar zu üppig werde, mit dem Schwergewicht einiger seiner edlen Vertrauensleute behängte; mit Gott, im Vertrauen auf die ererbte pfaffenfeindliche Religion konnte er so stattlich den Regierungswagen kutschieren. Kopfschüttelnd hatte er den Lauf des Pfälzer Friedrichs mit angesehen; der Mann hatte den rechten Glauben, auch die rechte Frau, ein schönes fettes englisches Weib, nach dem sich ein armer Deutscher die Finger lecken konnte. Aber wohin konnte es führen, sagte Johann Georg in versunkenen Momenten, wenn einer dies Weib in einem Schiff den Rhein und Neckar hinauf nach Heidelberg geleitet, in einem Schiff, das Silberkammern Schlafkammern Ritterstuben Badekammern habe. Und die Kammern ließe man sich noch gefallen, und sie seien würdig eines solchen geborenen Kurfürsten, auch Königs, und eines so leckeren Frauchens; aber woher das Geld, wofern es nicht er, sondern der König von England, Jakob der Griesgram, der Dickkopf hat? Ja was dann; so sei alles Glück und Hoffnung sogleich auf Sand gebaut. Ein deutscher Fürst, — ja, es sei so, und so mußte es kommen, und so hätte es kommen müssen mit allen Folgen für ihn, für den Kaiser Ferdinand, für das Heilige Römische Reich, für den evangelischen Glauben; das Weitere sei auch alles so zu erwarten. Das war die Direktive für den „kursächsischen Aktuar und das Spitzmäuschen,“ wie er den Schönberg huldvoll benannte und auch bei dem neuen Entschluß, die Pfälzer Angelegenheit durch kurfürstliches Kollegialdekret zu beenden.
Es war Spätherbst; in einem Saale seiner Kunstkammer saß Johann Georg auf einem Rollstuhl, mit blauer Nase, frierend in seinem wattierten Wams, seinem Rock aus Wolfspelz, über beide Ohren die Pelzkappe, darunter einen dicken Hut; mit Sämischlederhandschuhen, über die er ungeheure Wolfshandschuhe gestülpt hatte; die Beine in Lammfell geschlagen. Über das Wams floß ihm ein breiter gewellter grauer Bart, grün die Mundstoppeln. Den herumspintisierenden Kaspar von Schönberg, dieses arrogante dienernde Gerüst, verabschiedete er kurzerhand. Dann betrachtete er wohlwollend seinen asthmatischen Kammerdiener, den Lebzelter, der vor einem Pult mit dem aufgeschlagenen prächtig illuminierten eichstättischen Tulpenbuch stand und im Stehen sich Notizen machte. Denn Lebzelter notierte alles, was er sah, was um ihn geschah, seit zwei Jahrzehnten, aus Ordnung, aus Reinlichkeit, damit man nicht wie ein Tier ohne Gedächtnis herumlaufe. „Was hältst du von dem Handel, Lebzelter?“ Eifrig sprang der herbei, hob abwehrend beide Hände, riß ehrerbietig die Augen auf, bis unter die lockige graue Perücke:
„Kurfürstliche Gnaden: nicht anrühren! Geheimer Rat Kaspar denkt im Nu, im Hui; Lebzelter —, Eure Gnaden wissen.“
„Woran liegt’s, Lebzelter? Was werden wir machen? “
„Nicht anrühren, Eure kurfürstliche Gnaden. Nicht heute, nicht morgen. Das Natürliche braucht seine Zeit. Ich werde notieren.“
„Übermorgen, Lebzelter. Und laß mir den Kaspar nicht vor.“
Nach zwei Tagen staffierte der Diener seinen Herrn sorgsam aus, und als er ihn recht vor die Schränke gehoben hatte; den Bierhumpen zur Seite gestellt, daneben ein Körbchen Salzbretzel, machte er rasch seinen Eintrag, stäubte sich ab, verbeugte sich zum Vortrag. Aber Johann Georg bemerkte schon nach dem ersten tiefen Schluck, es müßte erst festgestellt werden, ob sie auch übereinstimmten in der Hauptsache.
Die Hauptsache sei, — Lebzelter erhielt das Wort, — den beiden protestierenden Kurfürsten samt allen Ständen, die sie im Kolleg vertreten, solle das Fell über die Ohren gezogen werden, von kaiserlichen Händen. Gerührt reichte ihm Johann Georg die Hand: „Lebzelter, feuchte dich an.“ Alsdann kehre man, meinte geschmeichelt der Kammerdiener, mit kurfürstlich sächsischem Konsens zum Ausgangspunkt zurück: man lache. Denn die Albernheit der deputierten kaiserlichen Räte in dieser Affäre sei zu groß; sähe doch jeder Sachse, Brandenburger, jedes Kind: das Kurfürstenkolleg solle gutheißen, bezahlen, was der Kaiser esse. Es sei den Herrchen, hochzuehrenden, strengen, wohledlen allzusamt, allgemach zu schwer geworden in Wien, die Verantwortung und die Kosten selbst zu übernehmen; so mag es der Kurfürst mit dem guten, breiten Buckel.
„Ich will dir aber sagen,“ bemerkte, den Wolfshandschuh abstreifend, nachdrücklich der Herr, „alles lieb und honorig, was Römische Majestät unternimmt und mit kaiserlicher Potenz sich unterfängt. Nur lach du mir nicht zu viel. Es tut nicht gut und hält nicht gut, es verstößt gegen den Respekt. Was soll ich denn, der doch einmal dein Kurfürst, dein gnädiger Herr ist, sagen, wenn Ihr lacht, wo das Reich erschüttert wird?“
Lebzelter hob gravitätisch, überlegen wieder beide Hände: „Wird nicht! Und geschieht nicht! Darum mit jedem Verlaub, kurfürstliche Gnaden, eben lacht man: weil man sich drüben täuscht. Was ist das für ein Gelächter? Ein Spottgelächter, ein vergnügtes, sehr ernstes, ablehnendes Gelächter.“
„So laß ich mir’s gefallen. Wir lehnen ab.“
„Wir lehnen ab, kurfürstliche Gnaden. Geschieht das Gleiche wie mit dem Pfalzgrafen Friedrich und seinem Schiff.“
„Warum, mein Sohn?“
„In diesem Fall hatte der Engländer das Geld, und darum konnte der Pfälzer nicht lange Schiff fahren. Jetzt will der Bayer und die Majestät fahren, und —“
„Gut. Ich habe aber auch kein Geld. Gut, Lebzelter. Von den Menschen soll jeder Freude und Lasten allein tragen, denn so hat ihn unser Herre Gott geschaffen. Der Kaiser ist ein würdiger, seriöser Mann und gar erst der bayrische Maximilian. Bin ihnen beiden redlich zugetan und treu wohlgesinnt. Sie verstoßen aber gegen Gottes Gesetz; sie müssen mit ihren eigenen Beinen laufen.“ „Ich werde, wenn Eure Gnaden befehlen, dem Kaspar Schönberg dies als Eure strenge unabweichbare Gesinnung offenbaren.“
„Dem Kaspar befehle ich —. Ich befehl’ ihm nichts. Er soll sein Spitzmäulchen da nicht hineinstecken. Er hat mir auch zuviel gelacht über die Affäre, er sieht Respekt und Ernst nicht.“
„Was befehlen kurfürstliche Gnaden?“ Unwirsch arbeitete der Fürst an seinem Wolfspelz. „Wir wollen uns nicht mit Politik übernehmen, Lebzelter. Ihr schnakt zu keck in die Welt. Mir wird heiß. Sauf er und lauf, was meine kranke Mutter macht.“
W as die Brandenburger, der Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt dachten, gelangte bald an den kaiserlichen Hof: man erkenne die kaiserliche Gerechtigkeit an, man werde ordentliches Gericht über den Pfalzgrafen Friedrich verlangen, die Gründe seiner Ächtung zur Diskussion stellen. Das war die Parade.
Die Unterschriften zu der Einladung zum Regensburger Fürstentag wurden vom Kaiser vollzogen; er selbst ließ sich von den Räten, auch von seinem vielgeliebten Eggenberg, nicht sprechen. Auf die wiederholte Audienzbitte gingen ihnen durch den kaiserlichen Obersthofmeister gnädige Dankesworte der Majestät zu, der sie an seinen Bruder Leopold wandte. Wie der Kaiser Rudolf mit seinen Astrologen Malern Alchymisten sich von der Welt absonderte, so sein Nachkomme mit einer jungen frommen Gemahlin. Lebte mit ihr in Laxenberg Wolkersdorf im tiefsten Frieden: Diplomaten und Räte saßen oft an seiner Tafel, sahen, wie wohl und kräftig ihr Herr war, wie er schmauste. Hexenfolterungen Maskeraden Ballspiele Wallfahrten Jagden Messebesuch füllten die Zeit ganz mit Wohlgefühl aus. Die Ausstattung aller Jagdschlösser mußte erneut werden. Um die Kaiserin sammelte sich ein immer größerer Hofstaat. Der Kaiser machte ihr ohne aufzuhören Geschenke von riesigem Wert in Geld und Schmuck, die zu beschaffen er, ohne zu fragen, seinem Schatzmeister auferlegte. Nach den Unterschriften für die Regensburger Tagung ließ er die Räte seiner besonderen Huld versichern; die Kaiserin würde ihn nach Regensburg begleiten. Und dann kein Wort über die dringend zu fassenden Entschlüsse, nur Gerüchte von ungeheuren pompösen Vorkehrungen, Prachtgewändern der Kaiserin, der Bedienung, Beschaffung von Pferden, Ausbau der kaiserlichen Donauflottille, Herrichtung kaiserlicher Gemächer in Regensburg, Zitierung von Malern Bildhauern aus München Florenz, den Niederlanden, zur Ausstattung der Departements.
Erzherzog Leopold, der Projektenmacher, ging in dem Rausch seiner Allmacht umher; plante zu heiraten, um sich in Wien zu konsolidieren; war in leidige Geldgeschichten vertieft, von denen er sich jetzt rapid erholte; dirigierte rechts, dirigierte links; die Ehrfurcht der berühmten Staatsmänner, der Eggenberg Meggau Kremsmünster blendete ihn. Als man ihm den Reichshofratsentschluß betreffs Kollegialtag vorlegte, krähte er Beifall; Ordnung müsse sein, bravo, dazu schlau gehandelt, hinterlistig, echt diplomatisch, dächte gewiß niemand daran, daß der Kollegialtag gegen den Bayern sein könnte.
Lange vor dem festgesetzten Termin brach man von Wien auf. In den schönen braunen Herbst fuhr man hinein. In dem ersten Schiffe Ferdinand und die Mantuanerin, einsam. Sie dachte nur, wie sie dem Gemahl, der ihr von Gott zugeführt war, dienstbar sein könne; war ängstlich, ihr Beichtvater führte sie behut; sie hatte eine feine verschwiegene verschlagene Art; öfter hatte einer Lust, ihr Politisches zu suggerieren; er erkannte leicht an ihrer Art zuzuhören, den verlegenen Blick zur Erde, den Mund sehr streng, daß sie nichts damit anzufangen wußte und sich nicht stören lassen wollte auf ihren Wegen. Ferdinand schien es ausnehmenden Spaß zu machen, solchen Unterhaltungen beizuwohnen; es war manchmal, als ob er den und jenen aus seiner Umgebung ermunterte zu einer politischen Attacke auf seine Gemahlin. Er träumte währenddessen und mischte sich nicht ein.
Bevor die Flottille in Regensburg landete, machte der Fürst Eggenberg und Graf Trautmannsdorf einen letzten Versuch, den Kaiser zu sprechen. Und zu ihrem großen Erstaunen nahm er sie auf seiner Kammer an. Schalt sie freundlich, in weißem Anzug herumgehend, sich setzend, daß sie durch Geschäfte seine Lustreise verderben wollten; ob sie es vor seiner Gemahlin verantworten könnten. Die Herren durften sich zu ihm in dem ebenholzbekleideten, sehr weiten, sehr niedrigen Gemach setzen, in das die Sonne blitzte, Ruderschläge hineinklangen. Eggenberg, nachdem er seine Freude über das Wohlbefinden des Herrschers ausgesprochen hatte, wies auf die Unklarheit der kommenden Situation und daß noch ein endgiltiger Entscheid fehle über die Taktik, die Wien auf der Tagung befolgen wolle. Ruhig, ohne die Beine zu wechseln, meinte Ferdinand, vornübergebeugt an seiner Sessellehne vorbeiblickend, es sei doch alles klar und gegeben. Oder seien neue Ereignisse eingetreten, die ihm nicht zu Ohren gekommen wären. Eggenberg, mit dem stummen Trautmannsdorf Blicke wechselnd, vermochte nicht von dem Affront zu reden, den Maximilian dem Hause erwiesen hatte; er lispelte undeutlich, man müsse wissen, wie weit man Wittelsbach, respektive dem Herzog in Bayern folgen wolle. Der Kaiser wandte sich rasch an Trautmannsdorf: „Was meint mein Herr?“ Trautmannsdorf, verblüfft über die scharfen Blicke Ferdinands, versicherte, seine Worte zählend, es sei so. Nun, räkelte sich der Kaiser, ihm sei da nicht ersichtlich, wo Schwierigkeiten entstehen sollten; Maximilian erhält die Kur. Die beiden Herren schwiegen. „Ja, mein,“ hob Ferdinand plötzlich sich gerade setzend, die Hände, „wo liegen denn für die Herren Schwierigkeiten. Und seit wann machen sich die Herren Bedenken? Was ist diese Fahrt. Wir belehnen unsern Schwager Maximilian.“ Es sei beschlossen, bemerkte Trautmannsdorf vorsichtig, seitens des Rates und so verkündet, daß die Entscheidung der Pfälzer Frage in die Hände der Kurfürsten gelegt werde; so stehe man auf dem Boden der Grundgesetze des Reiches. Wieder hob der Kaiser die Hände: „Ja, dazu eben fahren wir. Das Kolleg muß hinzugezogen werden. Wir werden die Kurfürsten zu unserer Meinung bewegen; sie werden sich unsern Gründen nicht verschließen. Die Belehnung erfolgt nach den Reichsgesetzen.“ Man dachte, artikulierte Trautmannsdorf weiter, seitens der kaiserlichen Gewalt ganz von einer Teilnahme oder Beeinflußung abzusehen; man dachte, ganz, auch ganz den Kurfürsten die Schwere der Entscheidung aufzubürden.
„Ohne die Kaiserliche Majestät?“ Die Herren bejahten.
Da stand Ferdinand auf, ging einige Male in dem rollenden leicht schwankenden Gemach hin und her. Rauhe Stimme: „Wo ist Erzherzog Leopold? Ach, in Wien.“ Nach einigem Herumwandern stand der Kaiser vor ihnen: „Bleibt sitzen. Ist etwas eingetreten inzwischen?“
Trautmannsdorf verneinte mit fingiertem Erstaunen; im Gegenteil hätte Herzog Max sich bereit erklärt, um dem kaiserlich erzherzoglichen Hause Weiterungen zu ersparen, auf alle Rechte und Ansprüche um dreizehn Millionen zu verzichten; er sei keineswegs auf die Kur versessen.
Rot blühte es über das volle bärtige Gesicht des Kaisers; als schämte er sich, drehte er sich ab. Er senkte, wie wenn er einen Schlag erwartete, den Kopf, den Rücken gegen sie.
„Was habt Ihr geantwortet?“
„Nichts Sonderliches,“ meinte sehr gelassen der verwachsene Graf, „als eben dieses, das Recht nicht zu verzögern. Der Geheime Rat ist übereinstimmend der Auffassung gewesen, daß dem Kurfürstenkolleg eine entscheidende Äußerung in der Sache zustehe.“
„So also habt Ihr geantwortet.“
„Die Kaiserliche Majestät werde dem gefällten Urteil nichts in den Weg legen.“
„Und er?“
„Des Herzog Maximilians Durchlaucht hat geschwiegen.“
Ferdinand setzte sich, nachdem er sich zusammengerafft hatte, schlug eine flache Hand auf die Lehne, blickte sie fest an: „Gesteht, ich bin es nicht gewesen, der das geraten hat. Ich war es nicht, der diese Wendung herbeigeführt hat.“
Eggenberg bejahte warm, hielt den Atem an.
„Es bleibt dabei, Herren. Wir wollen Ruhe haben. Wir wollen nichts mehr aufrühren. Ja, widersprecht nicht. Das ist beschlossen. Dies und nichts anderes.“
Er verharrte auch dabei auf Trautmannsdorfs Vorhalt.
„Die Herren mögen mich erschlagen, aber nicht versuchen, mich einen Finger breit in meiner Meinung zu verrücken. Mein Schwager selbst bringt mich davon nicht ab; ich bin kein Händler. Ich habe mein kaiserliches Wort hingegeben; die Kur könnte ihm nur entgehen, wenn ich vom Thron weggenommen würde. Dies muß ihm geantwortet werden.“
Sie schwiegen auf seine leidenschaftliche Art.
Als die Herren sich auf sein Kopfnicken erhoben, drückte er dem Fürsten Eggenberg heftig die Hand: „Ich müßte Euch hassen, Eggenberg, daß Ihr mir eben dies angetan habt. Trautmannsdorf, Ihr habt mir einen Schmerz bereitet. Ich sag es Euch beiden. Dann danke ich Euch, daß Ihr bei mir waret.“
Er hielt inne, blickte sie abwechselnd mit glühenden Augen an: „Wie wäre alles gewesen, wäret Ihr immer mit mir gegangen. Ahnt Ihr das. Ahnt Ihr das. Was ist inzwischen geschehen. Jetzt seid Ihr da.“
„Mein Schwager erhält die Kur,“ wiederholte er fest den beiden auf der Schwelle. Die Ruder schlugen, Kastanien prasselten am Ufer von den Bäumen, barsten.
W as erwartet wurde, trat ein. Nach der Ankunft des Kaisers sammelten sich nach und, nach Kurfürsten und Fürsten in Regensburg; als aber der Kaiser zum Anfang des neuen Jahres den Konvent im Rathaussaal eröffnete, um die Proposition dem Reichserzkanzler, dem Kurfürsten Erzbischof Johann Schweikard von Mainz, dem würdigsten ernstesten ältesten der Herren zu übergeben, fehlten Kursachsen und Kurbrandenburg. Gesandte von ihnen waren da. Ihre Tätigkeit: zu hören berichten keine Instruktion haben protestieren hinhalten. Die Anwesenden ließen sich nicht düpieren, Ratsgang auf Ratsgang fand statt ohne die evangelischen Herren. Tollköpfe Jesuiten und Kapuziner wollten rasch ohne sie zum Entscheid kommen. Pommern, das erwartet wurde, kam nicht, Braunschweig entschuldigte sich; nur viel umworben sah man den ehrgeizigen, sich anschmeichelnden Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt in den Fürstenquartieren herumreiten als einzigen Protestanten.
Während die kaiserlichen Räte nervös wurden im Warten und Hoffen auf Kursachsen und Brandenburg, während sich der ehrlich über den Zwiespalt betrübte Mainzer abmühte in Vermittlungsversuchen, saß in seinem gediegenen Quartier an der Grube der junge überstolze Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg. Sein Vater, erkrankt, war ganz faselig geworden; notgedrungen wurde der Sohn ins Vertrauen gezogen; er ging wild wie ein Stier auf die Sache los, staunend und grollend, in welchen Geheimnissen er blind lebte, zornig entschlossen, es mit aller Welt zu verderben, um die sonnenklaren Ansprüche Neuburgs durchzusetzen. Sein Vater überflutete ihn von Neuburg mit Ratschlägen und Vermahnungen; es konnte geschehen, der Sohn fürchtete, daß der Alte selbst anfuhr. Jenes stolze Gebaren der Neuburgischen Doktoren gegen Leuker in Wien war nur ein Abglanz der Haltung Wolfgang Wilhelms; hochfahrend gebieterisch trat er in Regensburg gegen kaiserliche Räte Kurfürsten und Fürsten auf; man sah ihn mit den prächtigsten Gäulen und Kutschen in dem schneebeladenen Tummelgarten bei den Barfüßern; seinen Aufwand trug er in drohender Weise zur Schau. Die Gemahlin, eine Schwester des bayrischen Max, hatte er wider ihren Willen nach Regensburg geschleppt, sie fürchtete ihren Bruder; Wolfgang Wilhelm setzte ihr mit schmähenden Äußerungen zu, daß sie geboren sei zum Aschenputtel, zur Winkelsteherin; hätte nicht an ihren Bruder zu denken, sondern an ihn und an ihren Bruder mit Bitternis, denn er wolle ihm das Recht streitig machen, ihm, ihr, ihren unmündigen Kindern. Da saß die unschöne kränkliche Frau in italienische Kostbarkeiten gehüllt in dem heißen Empfangssaal an der Grube. Vor die Angesichter aller Kurfürsten wurde sie geschleppt, bald sollte sie zur Audienz erscheinen bei den kaiserlichen Majestäten, bald sollte Maximilian aus München in Regensburg landen.
Der kaum dreißigjährige Pfalzgraf, braunlockig, in französische Schillerseide gekleidet, hatte schmutziggraue Farben an den Backen bekommen, seitdem ihn der Kurfürstenteufel ritt; sein Blick, ehemals flüchtig, jetzt steif und abwesend; die Haltung ohne Zusammenhang, bald versunken, bald kalt abweisend und herrscherisch. Der Alte hatte noch von der Universität Löwen ein ausführliches Gutachten anfertigen lassen zur Begründung seiner Rechtsansprüche; das Gutachten verbreitete der Sohn in Abschriften; vergnügt las der spanische wie französische Botschafter, Mainzer Kölner Trierer Räte, sächsische Abgeordnete, die Vertreter Maximilians von Bayern, wie gut fundiert die Neuburger Ansprüche waren. Die goldene Bulle war zitiert, Titula sieben, Paragraph fünf, worin stand, daß beim Erlöschen einer Kurlinie über die Neubelehnung der Kaiser unter Hinzuziehung der Kurfürsten zu entscheiden habe. Die nahe Verwandtschaft, ehemalige Mitbelehnung, war angerufen und daß keiner aus der Linie Neuburg die geringste Schuld an dem böhmischen Kriege habe.
Erschreckend wirkte es auf alle, die dem Schauspiel beiwohnten, daß plötzlich ein regelrechter Buckelhans auf der Bildfläche erschien, im Quartier des Mainzer Kanzlers anrückte, sich offenbarend als Friedrich von Zweibrücken-Birkenfeld und, da er stumm war, durch seine dämonisch erregte Frau und einen imperatorischen Kammerdiener bekundend: er und kein anderer sei nächst berechtigt bei einer Neubelehnung. Man hatte Mühe, mit diesem Prätendenten fertig zu werden, vor allem, da er ersichtlich von Geist schwach, vielleicht völlig blöde war und auch die Möglichkeit bestand, daß er gar nichts wußte von den Dingen, die man mit ihm machte. Aber der gute vielgequälte Schweikard sah schließlich keine Rettung vor den drei Birkenfeldern: die verwandtschaftlich begründeten Ansprüche mußten protokolliert werden, ihren Weg laufen. Es gab eine Szene von großer Peinlichkeit, als Schweikard es dann nicht verhindern konnte, daß bei einem Schauessen im Karthäuser Kloster vor der Stadt der pompöse stocksteife Neuburger mit der Birkenfelder pfalzgräflichen Trias zusammentraf. Aus dem Konventsaal, in dem Truchsesse und Pagen speisten, kamen die drei geirrt in das feierliche Refektorium, in dem feine Geigenmusik erscholl, Kaiser und Fürsten hinter einer langen Tafel saßen, darauf ein zinkerner Berg Parnaß Wasser und Wein verspritzte, ein Pegasus aus Zucker die Flügel schwang. Neben Wolfgang Wilhelm setzte man den tauben blöden Buckelhans ab; rechts und links blieben Sessel frei. Man lächelte drüben, flüsterte sich ins Ohr; dies waren die beiden Prätendenten. Aber manche wandten sich betreten und ergriffen ihrem Mahl zu; Schweikard, weißhaarig, Gesicht einer fetten, alten Frau, mit mächtigem Kehlbraten, zittrigen Lippen, sah schmerzlich vorwurfsvoll zum Obersthofmeister herüber. Verschwunden war die nächsten Tage der Neuburger; man erzählte von Duellen, die zwei seiner Kavaliere mit Franzosen hatten, die in einem Atem Neuburg und Birkenfeld besprachen. Der Leidensweg Wolfgang Wilhelms wäre so lang wie der Fürstentag geworden, hätte Graf Ognate, der spanische Gesandte nicht die beiden Prätendenten zusammengeführt, einen Vertrag zwischen ihnen veranlaßt und den stark geduckten Wolfgang Wilhelm als seinen Kandidaten ausgerufen. Die drei Birkenfelder waren bereit, sich mit Geld abfinden zu lassen, blieben aber böswillig in Regensburg, lauerten; sie saßen dem Neuburger auf den Fersen, zähneknirschend mußte er sich umwenden, lieb Kind mit ihnen spielen; die vulgäre Dienstmagd, Birkenfelds Weib, wagte sich hausfraulich neben die bedrückte Schwester Maximilians.
D ie Verhandlungen klärten die Situation vollständig; dem Schwanken und Widerstreben der Kurfürsten stand die unerschütterliche kaiserliche Forderung der Belehnung Bayerns gegenüber. Wie ein Wurm wand sich das Kolleg unter der täglich stärker drückenden kaiserlichen Faust. Tobsüchtig raste Ognate; sein wildestes Argument: man möchte doch den Franzosen, Monsieur de Baugy ansehen, wie er sich freue über Bayerns Aussichten — ob dahinter Gutes stecken könne. Und Baugy erklärte in der Tat höflich und spitz, dem frommen König von Frankreich widerfahre bei Ausführung des heiligen Werkes der Belehnung eine persönliche Freude; dies könne dem Heiligen Reich doch nur angenehm sein, vielleicht nicht dem Spanier. Die sächsischen Vertreter stießen täglich und und unter zunehmendem Tumult Drohungen aus, die Übertragung der Kur sei kein Mittel zum Frieden im Reich; der Kaiser hätte nicht ohne ordentlichen Prozeß Acht zu verhängen. Die Brandenburger standen ihnen bei. Das ganze Kolleg zuletzt, von Kurmainz geführt, erhob sich, schloß sich den Sachsen an: es würden sich bösartige Kriege an diese Tat anreihen, der Kaiser könne nicht dies verantworten. Der Erzbischof Kanzler beschwor persönlich den Kaiser; schwere Stunden durchlebten die Räte, die aufs innigste hofften, Ferdinand werde Gebrauch von der Stimmung des Kollegs machen. Aber Ferdinand blieb unbeweglich; bei vollkommener Liebenswürdigkeit antwortete er, die Sache sei zwischen ihm und Maximilian längst geregelt, die Kur vergeben. Es bedurfte der hingebungsvollen Diplomatie der Räte, die voll Bitterkeit erkannten, daß dem Kaiser keine Wahl geblieben war, und der Konzilianz des Mainzers, um die andern katholischen Stimmen zu besänftigen. Sie erkannten alle den ungeheuren Fortschritt der katholischen Sache. Die katholischen Herren gingen nur widerwillig an die Entscheidung heran und stimmten zu; sie sahen in dem Vorgang einen bedrohlichen kaiserlichen Übergriff, der sich auch einmal gegen sie richten könne. Dazu war das böse sehr törichte Wort aus der Kanzlei der Wiener gekommen: Daß die Aberkennung und Neuübertragung der Kur der kaiserlichen Wahlkapitulation widerspreche, sei sonnenklar; aber keine menschlichen Gesetze seien so ewig und beständig, daß sie alle Fälle der Notwendigkeit ausschlössen. Als Maximilian selbst, blaß erregt in Regensburg eintreffend, sich bei Ferdinand nach den Aussichten erkundigte, bekam er den kalten fast befremdeten Bescheid, die Sache sei doch abgemacht.
Ohne daß außer den anwesenden Kurfürsten irgendwer formell benachrichtigt wäre, erfolgte dann eines Tages, vor einem Auditorium von nur Jesuiten Mönchen Beamten, die Belehnung des Bayern in der Ritterstube des Rathauses zu Regensburg. Knieend empfing der Bayer den Kurhut aus der Hand des Kaisers. Zwei Stunden darauf versah er zum erstenmal das Amt als Truchseß an der Tafel des Kaisers, trug die erste Schüssel auf, wurde zum Mahl geladen. Ein Eilbote lief zugleich nach Rom, um in Maximilians Auftrag dem Papst die freudige Kunde zu bringen; die Kanonen donnerten auf der Engelsburg; zum Tedeum zog der Papst Gregor in die Peterskirche.
Die Regensburger hatten dem kaiserlichen Paar ein besonderes Prachtschiff gebaut. Das Kolleg löste sich auf.
Der Franzose hatte gekämpft, um den Bayern in seinem Spiel zu haben, wenn es gegen Spanien ging oder gegen den Kaiser.
Der Spanier hatte gekämpft, um sich England freundlich zu erhalten, den Verwandten des geächteten Mannes.
Den Bayern hatte Rache, Größensucht und Stolz getrieben. Der Kampf war zu Ende.
Es pries am Schluß der großen Prozession vom Wolfgangsdom zum heiligen Emeran der Kapuzinerpater Hyacinth das geschehene Werk, predigend, man dürfe nicht Furcht vor den drohenden Allianzen und Personen haben; wenn nur der katholische Glaube gefestigt und gefördert werde.
Kochenden Herzens ging aus dieser Predigt hinaus der graublasse Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg; er reiste sogleich dem spanischen Gesandten nach, allein; seine erschöpfte Frau hatte als erste dem Bruder Glück gewünscht, begleitete ihn nach München. Die Birkenfelder Trias war längst mit spanischem Gelde abgeschwommen.
Herr Meggau, Fürst Eggenberg, Abt Anton, Herr Trautmannsdorf, die Recken von Regensburg begleiteten den Herrn heim, eine ehrerbietige stark verbitterte ratlose fast verzweifelte Runde, am heftigsten sich selbst grollend. Der Kaiser war fröhlich mit seiner Gemahlin, empfing freudig noch auf dem Schiff zwischen Passau und Linz seinen Bruder Leopold, den er beim Abschied in Wien dem Hohen Rat mit dem Bemerken empfahl, man möchte sich auch in Zukunft bis auf weiteres an den Erzherzog halten. Er selbst nehme Aufenthalt in Laxenburg und Wolkersdorf.
I n München, in der Residenz, saß der Melancholiker Maximilian, äugte nach allen Seiten. Saß über seiner Beute. Er konnte sie nicht wie ein wildes Tier in eine Ecke schleppen, sie allein schlingen. Aber während er sich mit rasselnder Brust an ihrem Besitz sättigte, funkelten seine Augen. Er knurrte fauchte sprühte. Das Blut troff in zwei Rinnsalen aus seinen Mundwinkeln, bildete Lachen auf dem Boden, indessen seine Hinterbeine schon zum Sprung eingezogen waren, die Vorderpranken locker; der Atem rauschend.
Er warnte den Kaiser, er möge auf der Hut sein. Er schrie nach Wien. Eggenberg Questenberg Trautmannsdorf flüsterten höhnisch: er mag sich verteidigen. Bayern liegt wie ein Wall vor Österreich; wenn Feinde kommen, gehen sie auf die Pfalz; mag Bayern sich strecken.
Max drohte: ich habe dem Kaiser die Krone auf dem Kopf erhalten. Der Kaiser, kaum daß er’s hörte. Er lächelte mit seinen Räten: Max hat meine Hand gefühlt.
Maximilians Gebete waren ein Zischen nach Beruhigung. Aber seine Haltung wurde starrer als sonst. Er wartete gespannt, daß sich die Wut der Feinde auf ihn werfen würde. Er dachte schon daran, wie er sich aus dem Spiel stehlen könnte. Heimlich ging bei ihm ein und aus Charnacé, der französische Geschäftsträger. Maximilian hätschelte ihn, stieß ihn von sich, hätschelte ihn.
A m Altstädter Brückentor von Prag ragten auf den Zinnen, aus den schwarzen viereckigen Fensterluken quer nach vorn in die blasende Luft elf Stangen und Spieße. Mit eisernen Klammern waren sie am Gemäuer befestigt. Auf den Stangen und Spießen saßen mit kurzen Hälsen verdorrte Menschenköpfe, denen die Rümpfe abgeschlagen waren; sie lagen unten verscharrt in der Erde. Als sie noch lebten, hießen sie Wenzel Budovak, Kaplir, Prokop Dovorecky, Friedrich von Bila, Otto von Los, Bohuslav von Michalovik, Valentin Kochan, Tobias Steffek, Kober, Jessenius, Heimschild. Sie waren vorzeitig, wenngleich alte Männer in hohen Stellungen, durch Gewalt umgekommen, weil sie Böhmen gegen den Habsburger ein Wahlkönigreich nannten und sich den blonden Pfälzer aus Heidelberg verschrieben. An drei Stangen waren Armstümpfe mit Händen angenagelt zum Zeichen des geschworenen Meineids. Unter einem weißbärtigen Kopf, dessen Mund angelweit klaffte, baumelte am Holz ein brauner geschrumpfter Fleischlappen, eine Zunge: dies war vor einigen Jahren der Rektor der Prager Universität, Jessenius. Viele wilde Reden hatte der blauäugige Mann in den Wochen des Entschlusses, der Erhebung gesprochen; an seinen Lippen hatten die jungen Adligen gehangen, die sich nach der Unglücksschlacht verzweifelt im königlichen Tiergarten zusammenscharten und nach schäumender Gegenwehr niedergemetzelt wurden. Sein Mund erduldete das Wehen des Windes, mit seinem Schlund, seiner Kehle trompetete der Wind, Zeisige und Spatzen hockten zwischen den Kiefern.
Die Körper zerschlagen, die Güter zerrissen, verschleudert, die Erde unter das Schwert gestellt. Während sie über Vltava, der breiten nebligen Moldau, trockneten, flohen ihre ehemaligen Freunde als Rebellen ins Ausland, die Berka Luksan Pisetzky Fruewein Wichynik. Ihre Güter belastet mit den Günstlingen des Siegers. Und vor das vergrauste Böhmen trat der bestellte Ankläger, wies auf die Häuser, in die sich die Beamten des Konfiskationshofes begaben. Fünf eine halbe Million Taler heimste der kaiserliche Statthalter aus Nachlässen ein. Aus dem Volke stieg das Wort: Gnade? Was für eine? Eine böhmische? Kopf ab. Eine mährische? Ewiger Kerker. Eine österreichische? Raub aller Güter.
Braunaus Regiment harnischschüttelnd, Pike und Handbeil lösend, rasselte in Böhmen ein. Braunaus Zahlmeister hieß Wolfsstirn, er traf seine Anordnungen für die Einquartierung. Er arbeitete in Trautenau Leitmeritz Caslau. Mit kleinen Trupps rückte er vor ein Haus, seine Söldner verlangten zu essen, zu trinken, Fourage für Pferde Unterkunft Geschenke. Gesättigt und voll fing Wolfsstirn seinen Spaß an. Den Streithammer, den er am rechten Arm trug beim Schmaus, ließ er am Faustriemen in die Hand gleiten, griff nach dem gedrehten Eisenstiel, schrie, den Falkenschnabel in das Tischholz knallend: „Nun wir geschmaust pokuliert gerülpst gespuckt gesudelt haben, ist es Zeit, die Rechnung zu bezahlen. Also bezahlt, Herr Wirt.“ Und seine Dragoner schmetterten wiehernd aufstehend ihre Handbeile vor sich in die Tischplatten, zwischen ihre Beine in die Schemel und Bänke, über sich in die Balken der Decke: „Zeigt her Kreide und Schreibtafel, Herr, damit ich weiß, wie hoch ich mich zu bedanken habe, möcht nicht als Lump und Fuchsschwänzer verschrieen sein.“ Er meinte den Beichtzettel. Holte der Wirt das Papier, so schaute der Zahlmeister drohend seinen Mann an, tat falsch höflich, keifte böse nach den Pferden. Wo er einen hussitisch Gesinnten, ein böhmisch Brüderlein, Utraquisten, Calvinisten traf, fiel er ihm um den Hals, das Valetetrinken nahm kein Ende: „Herzbruder, wir lassen dich nicht, schändt uns Gottes Element. Wir halten zu dir, sollst nicht verderben.“ Fünf zehn seiner Leute quartierten sich ein, waren nicht zu vertreiben. Der tolle krummbeinige Zahlmeister sprach im Durchritt alle Tage vor: „Haltet gut Wacht, daß ihm nichts passiert. Er verdient es. Tot schind’ ich Euch, so ihm etwas widerfährt.“ Ausschüttete er sein Lachen, wenn sich einer beschwerte, demütig um Erleichterung bat: „Sieh mir einer den Aberweisen an! Ja, weiß der Hundsfott nicht, was ihm bevorsteht, wenn wir ihn lassen? Was ihm droht? Daß der Satan ihn ankrallt, ihn mit Leib und Leben, Haut und Haaren verschluckt. Weißt du, wer der Teufel ist?“
„Das ist der Böse selber.“ „Recht, da stimmen wir Christen mit euch überein.“ „Brauch keine Wache deshalb. Schütz mich schon selbst.“ „Hast du es vor, bereitest ihm vielleicht das Bett? Setzst lieber ihm deine Schinken und Hühner vor als meinen frommen Soldaten? Willst gar eine Mantelfahrt mit ihm machen? Ich steh’ für dich ein vor Gott und der königlichen Statthalterei, muß mit meiner Seligkeit für dich bürgen. Eher laß ich dir Daumschrauben anlegen, ehe ich ein einziges meiner frommen Kinder wegschicke.“ „Wir verhungern bald, Herr!“ Wolfsstirn, der gedrungene kleine o-beinige, blaurot die Eisenkappe aus der Hand werfend, schwer in seinem Panzer atmend, zu seinen Leuten: „Habt Ihr zu essen?“ Sie schwiegen, schmunzelten. Er drohend, gefährlich: „Daß Ihr nehmt, was Ihr findet, daß Ihr Euch sättigt und Kraft gewinnt, daß Ihr nicht die letzte Ziege und Kuh schont. Weh Euch, wenn ich Euch schlapp finde.“ Er hatte gerüstete Heerwagen mit zahlreichen Fuhrknechten Reiterjungen. Mit einer feinen Wage fuhr er, zwei Trommler und Trompeter voraus, durch die Stadt. Wo Einquartierung lag, wog er die Söldner mit dem sonderbaren verbogenen Instrument; wenn einer abgenommen hatte oder ihm dünn erschien, kassierte er die Taler von dem Hausherrn ein, ließ ihm fünfzig Hiebe versetzen von seinem Büttel, dem Söldner selbst halb so viel. Den Beichtzettel, der ihm eines Tages vorgezeigt wurde, salutierte er: „Lieber, juchhei, bist nun ein gottgefälliger rechter Christ. Mein Werk ist am Ziel und Ende bei dir. Wo du dein Heidentum hinter dir hast, wirst du mich verstehen und mir danken. Nur satt fressen konnten sich meine armen Kinder bei dir, nicht besser wie die Säue im Stall waren sie eingesperrt bei dir. Pfui über die Schwelle der Unzucht. Und nun präsentierst du den Beichtzettel.“ Er betete mit dem Herrn und seiner Familie auch mit den Söldnern gemeinsam, fiel hin im Harnisch, war befriedigt.
In den Rentämtern Küstereien Stuben der Amtleute Vögte Kellerschultheiße Räte Bürgermeister lagen Kornetts Spielleute Korporale mit wallenden Hüten, spähten zum Fenster hinaus. Regimentsschultheiß Gerichtsweibel thronten im Rathaussaal; wo einer kam sich zu beklagen, nahm der boshafte Schreiber ein Protokoll auf unter spitzfindigem Gefrage; dann hieß es danken, zahlen für die Klage, verlautete weiter nichts. Die Gassen der Neugläubigen versperrten sie mit ihren Troßwagen, quer lagen die schwerrädrigen Gestelle auf den Pflastersteinen oder im Sumpf, konnte keiner herüber von rechts nach links; wer die Gasse entlang wollte, stand vor hölzernen Barrikaden. Ganze Häuserreihen waren von den steinbeladenen Ungetümen gesperrt. Männer und Frauen saßen in den dunklen Höhlen der Keller und Erdgeschosse, oben goß und blies es hinein, das Stroh war von den Schindeldächern mit Haken für die Pferde gezogen. Nur bei Nacht trauten sie sich zum Fenster hinaus, zwischen die Räder, heimlich unter die Wagenbalken, um sich zu verköstigen. Die neugläubigen Kirchen waren vernagelt; und damit jedem die Lust an ihnen verginge, schleppten die Fuhrleute morgens mit dem Gemüllwagen den Unrat aus den Senkgruben bei den Häusern fort, stülpten ihn vor die Kirchtüren. Die Bauern, die Holz vom Amt bekommen wollten, brauchten keine Feldsteine zum Straßenpflastern mehr hereinzuschleppen; sie hatten genug an denen, die sie vor den Ketzerhäusern ausreißen durften. Wo ein Kehrichthaufen in der Gosse dampfte, wachte in der Nähe ein bestellter Spitzel, ein Dragoner hinter einem Torbogen, daß er nicht beseitigt wurde ohne besondere Erlaubnis. Dann zogen die Soldatenweiber mit Kind Kegel Raub und Plunder über die geräumigen Dielen, grell juchzend über die Parketts der Innungsstuben; in den Kammern der gelehrten Männer krähten die auf dem Feld, in Ställen geborenen Bastarde, ritten auf den bemalten Folianten. Man durfte sie nicht verjagen; die viehischen Gottesleugner durften sich freuen, daß sich ehrbare Leute bei ihnen bequemten. Dröhnend kletterten die Dragoner durch die verschmutzten Zimmer, über die Stiegen zu den kellergepferchten Besitzern, Teppiche unter dem Arm für ihre Wolfshunde, spektakelten nach Heu Stroh für ihre Pferde. Was nicht zu beschaffen war, mußten die Besitzer kaufen auf den Nachbardörfern; manche kamen nicht wieder von der Wanderschaft. Andre, wenn der Weinkeller geleert, die gedrechselten Holzstühle zerbrochen, die schönen ererbten Schränke zerkratzt, Salzfässer Leuchter und Lichtscheren zerstoßen waren, faßten sich ein Herz. Inmitten des wüsten, auf Faulbett Bankpolster Bank und Boden geworfenen gröhlenden Gesindels pflanzten sie das heimlich gekaufte Marienbildchen auf, auf einen Tisch, einen Wandbort, ein Schränkchen, fielen, den Jammer bezwingend, davor hin. Von seinem Spuk war bald darauf das Haus befreit, die toten Hunde und Hähne auf die Straße gekehrt, der Boden wieder glatt. Nur die Marienbildchen Rosenkranzbehänge waren in alle Räume eingezogen. Wie Knechte schlichen die Besitzer mit fremden Mienen um sie herum, Haus und Hof hatten sie wieder, waren dennoch daraus vertrieben.
Büttel Profosse Pikeniere und Geistliche wanderten von Gasse zu Gasse, Dorf zu Dorf. Sie gingen in die Schlafkammern, zogen die Decken von den Betten, denn viele Ketzer legten sich in diesen Wochen zu Bett, um den Fragen zu entgehen, die jedem entgegendröhnten, der den Kommissionen die Türe öffnete: „Wer ist im Haus? Und Ihr, seid Ihr katholisch geboren, geworden, versprecht Ihr es zu werden oder nicht?“
Über die Betten der Greise, Kranken im Caslauer Spittel beugte sich lederknarrend der Büttel. „Ich bin krank,“ wimmerte einer. „Ob Ihr lutherisch, calvinisch, utraquistisch, katholisch seid?“ „Ich bin krank. Mir fehlt der Atem, die Beine sind mir vollgelaufen mit dem Wasser, ich ersticke. Geht weg.“ Der Jesuit neben dem Büttel, grauhaarig kalt, geistlicher Koadjutor, den viereckigen Hut zwischen den Händen, die Achsel zuckend: „Die Antwort ist schamloser, als Euch gut täte. Es ist ihm gleich, ob katholisch oder ketzerisch. Er pocht auf seine sogenannte Krankheit. Dieser Mensch ist schlimm.“ „Geht weg,“ schrie der graublasse Schädel, der da lag. „Bald,“ sagten die Soldaten, warfen sich die Piken in den linken Arm, zogen dem Menschen Hosen und Wams über, stießen ihn über den Hof vor das Tor. Da keuchte, röchelte er an der Schweineschwemme.
Einer saß aufrecht auf seinem Lager; der Spittelmeister, dickbäuchig schlüsselklappernd, benannte sein Leiden — merkurialische Zeichen wie krampfhaftes Lachen, Zungenbrand, Pusteln in den Augen —, er lallte sonderbar bei der Annäherung der bewaffneten Gruppe: „Habe von Euch gehört, Ihr Herren. Hab’ Euch erwartet. Was wollt Ihr mich fragen, Pater.“ „Nach deinem Bekenntnis, armer Freund und was du von Gott, der Jungfrau und den Heiligen denkst.“ „Von Gott, der Jungfrau und den Heiligen. Das ist viel auf einmal für mich. Aber Ihr habt recht, mir liegt nichts so am Herzen als das Bekenntnis. Gott ist Gott. Die Jungfrau hat unsern wahrhaften Erlöser geboren. Und ein Heiliger bin ich.“ Er lachte heftig, erschreckend rauh und dann wieder ganz tonlos, versuchte zu kreischen, vor seine Augenhöhlen traten wässerige, rötlich gefärbte Tropfen. Die Männer bekreuzigten sich. „Was sprichst du armer Mensch?“ „Und woran zweifelst du ärmerer Mensch?“ schrie der zornig wieder, zitterte mit dem Kopf, „bin ich nicht ein Heiliger? Hast du nicht vor, mich zu martern meines Glaubens wegen?“ „Du bist also kein Katholik?“ Er schrillte, streckte fuchtelnd die Arme aus, man wich um ihn: „Ein Heiliger! Ihr seid Bären und Füchse. Betet mich an!“ Sie hoben ihn auf an den zerrenden Händen und Füßen: „Faßt mich nicht an, ich verfluche Euch bei allen Höllenteufeln.“ „Seht, ob er nicht Zaubermittel unter der Achsel eingenäht hat. Ihr müßt ihn rasieren. Wann warst du zur Teufelssynagoge?“
„Folterer. Betet an.“ „Man wird eine Probe mit ihm vornehmen müssen.“
Schlurrend stampfend murmelnd in die Stube der Kindsbetterinnen. Ein fieberheißes junges Weib rief jubelnd an der Wand zu ihnen herüber: „Zu mir! Fragt mich zuerst! Ich weiß schon, was ihr wollt!“ Ein winziges, kupferrotes Säuglingsköpfchen sah unter ihrem rechten Arm hervor. „So antworte.“ Gläubig weite feuchte Augen blickten den kopfsenkenden Jesuiten an, innig sagte sie, nach seiner hängenden Hand mit ihren schwitzenden greifend: „Ich war nicht katholisch, aber ich will es werden, gleich, bald, kommt recht bald zu mir. Und dann, dann werde ich gesund, nicht wahr, Ihr könnt das machen. Und dann kann ich mein Kindchen behalten, nicht wahr?“ „Wir schicken noch heute zu dir.“ „Ich werde gesund werden?“ „Bete, bereue deine Sünden.“ „Und bleibe ich leben? Seht doch mein Kindchen.“ „Bereue deine Sünden. Der Gnadenschatz der Kirche ist groß.“ Sie, eine Sekunde still, warf sich schreiend zurück, hob den schlafenden Säugling vor ihr verzerrtes Gesicht, so daß die kleinen Händchen über ihrem schluchzenden Mund hingen, das Bett zitterte unter den Erschütterungen. Als die Kommission an die Türe ging, rief sie aus ihrem Kissen: „Herr, Ihr vergeßt mich nicht. Ihr schickt zu mir.“
In Trautenau bauten die Soldaten hinter dem Tanzhaus einen rohen Stall, da hinein sperrten sie eine große Menge starker Doggen und Vorstehhunde, die sie in Bayern aufkauften. In der Stadt verbreitete sich blitzschnell das Gerücht, als das gräßliche Gekläff von Tag zu Tag wuchs, die Dragoner hätten vor, bevor die Kommission käme, Angehörige von Rebellen in den Stall zu jagen. Mit Freuden hörten die Soldaten das, auch die anströmenden Scholastiker und Dominikaner widersprachen nicht. Eines Vormittags, als die Kommission umgegangen war, trieb man eine Anzahl utraquistischer Bürger auf den sogenannten Entenmarkt unweit der katholischen Emeranskirche. Die Kirchentüren standen weit offen. Als das Orgelspiel begann, der erste Knabengesang hörbar wurde, hieß man einen Trupp von sechs Bürgern, die Hüte abgerissen, auf der Straße nach der Kirche laufen. Sie waren noch nicht zehn Schritt vorwärtsgekommen, als aus einer Seitengasse, die in den Markt mündete, plötzlich ein greller Pfiff tönte, kurz darauf Hundegebell Menschenrufe. Im Nu sprangen hinter den fortrasenden sechs Männern, toll sie anfallend, die schäumenden gehetzten Doggen her; die Männer schleuderten sie von Schulter und Nacken ab; die gestürzten Tiere holten sie ein, saßen an ihnen, schlangen sich vorn herum, hingen sich an die Beine, warfen die Männer um. Die schlagend schreiend rafften sich hoch, krochen, wurden umgeworfen, rannten weiter, zerfetzte Kleider, blutende Arme, zerkratzte Lippen. Torkelten an die nahe Kirchentreppe, der Schwall der Hunde über sie, dann war eine Treppenstufe erreicht. Stöcke und Riemen der Soldatenreihe fuhren unter die sich verknäulenden Tiere. Dahinter zogen sich die Männer fußgetreten faustgeworfen vierbeinig die Stufen hinauf. Am Weihbecken im weißen Chorhemd standen Priester, sie zu empfangen. Vor die händefaltenden Weißröckigen krochen keuchten die unkenntlichen Entgeisterten; sie spien Blut Schleim, ihre Lungen rasselten, die Augen weiß und rollend. Sie wollten sich blind und bewußtlos an den Priestern vorbei in die dunklen Winkel drücken. Die Geistlichen sprachen sie an, führten sie, vor denen die Menge zischelnd schaudernd zurückwich, vor an eine Bank. Sie ließen alles mit sich tun. In die leisen Worte, die stille Andacht sägten gleichmäßig und ohne Scheu die rasselnden Atemzüge. Schnauben, plötzliches Winseln: „Schlagt mich tot, schlagt mich tot!“, immer wieder unterdrückt von Händen, die sich vor die Münder legten. Wie die Menge sich von den Knien erhob, klatschte einer von den Zerfleischten lang auf den Steinboden, die Arme vorstoßend, den Kopf anhebend, tierisch gröhlend: „Schlagt mich tot!“ Und während die umringenden Scholaren sein Geschrei vergeblich zu ersticken versuchten, tobte draußen die zweite Jagd gegen die Kirchentreppe an, das Gekläff Getrappel Geheule, das Winseln Stöhnen Brüllen hallte gegen die Gewölbe, das triumphierend heiße Bellen der Hunde, ihr gelles Quietschen scholl gräßlich herein. Unter den Betern sanken ohnmächtige. Auf der Anjagdstraße mußten die Doggen mit Händen und Stöcken von Gefallenen abgerissen werden.
In den Stuben der Neugläubigen unermeßliches Gejammere. Der Tag war bald vorbei, nach der Nacht mußte der neue Morgen kommen mit der Kommission. Dann klopfte es mit knappen Schlägen an, das Gebell hatte die Nacht nicht nachgelassen. Wenn man sich mit zagen zweifelnden Blicken ansah, das Weib an dem Mann hing, die Kinder in die Winkel krochen, war alles entschieden; zwischen Dragonern konnte man zur Messe gehen, taub, nur mit den Füßen auf diesem Boden konnte knien, während andere draußen zerfleischt wurden und halb tot auf die Fliesen hinklatschten. Die frommen zufriedenen Menschen drin bebten unter den Mienen dieser Knienden, hielten sich ihre Blicke vom Gesicht ab. Noch nie waren die bunten blumenbehangenen Heiligenbilder des Altars von solchen brennenden Augen angesehen worden; mitleidig beteten sie für die Unglücklichen Verblendeten, riefen die nieversagende Fürbitte Marias, der paradiesischen Wundertäterin, an.
In Kuttenberg sprang mit den böhmischen Brüdern Don Martin da Huerta samt seinen Kürassieren; in Leitmeritz Don Balthasar der reiche edle Herr, begleitet von den hochgelehrten und geschickten Kapuzinermönchen Valerian, zubenannt der Lange, und Franziskus; mit Königgrätz wurden die Kroaten fertig. Und als dann noch Haufen Verzweifelter sich zusammenrotteten, da doch alles verloren war, und rechts und links unter bestialischer Wildheit Feuer in Häuser und Scheunen warfen, auch in die eignen, ihre abtrünnigen Brüder anfielen, konnten die um sie besorgten Jesuitenväter, schmerzvoll den Kopf schüttelnd, sich nur zurückziehen; hier war nicht mehr ihr Gebiet. Den Soldaten wurde freies Feld gegeben. Das Land hatte kein Korn auf den Äckern, da es kaum bestellt wurde; dafür setzten die Soldaten auf die Felder die blaugrünen Gesichter der Erwürgten, die purpurnen Stümpfe der Niedergemetzelten, deren Beine in die Luft ragten, Verweste. Den Haß stampften sie ein, wo sie ihn trafen, machten die Erde fett, aus der er gequollen war. An den Galgen dampften in der Hitze die Leiber der Gehängten. Der stinkende Wind warnte vor Rebellion zwischen Elbe und Moldau.
Aus ihren geplünderten Dörfern flohen die Begnadigten, denen Nasen Ohren abgeschnitten waren, die Zunge fehlte, die Eidfinger fehlten. Die Gedanken liefen ihnen kreisförmig um den Kopf, sie irrten nicht lange in den Wäldern zwischen den Kadavern ihrer verzweifelten in die Seligkeit eingegangenen Brüder.
Starr saß über dem Land wie ein fremdländischer Götze, dem man Menschenopfer bringt, um ihn ruhig zu halten, ein alter Mann, Gundakar von Liechtenstein, der Gouverneur und Oberstburggraf, Herr von Troppau und Jägerndorf. Er war schon durch die Kabinette des irrsinnigen Kaisers Rudolf gegangen, hatte den Kaiser Matthias sich abkämpfen sehen. Schwerkrank war er, seine Nächte gestört durch Herzbräune. Er saß vor der Theinkirche unter dem Baldachin an dem Tage, an welchem das rotbehangene Schafott auf dem Altstädter Ring für die Rebellen aufgeschlagen war. Im Karree sperrten zwei Schwadronen Kavallerie, ein Fähnlein Fußvolk den Platz; aus einem Fenster stiegen nach und nach die grauhaarigen herrischen leidenschaftlichen Männer neben dem Priester vor den Henker. Sie hatten nicht viele Schritte gemacht, dann wurden ihre spritzenden Leiber wie Kälberrümpfe angefaßt gehoben geschwungen, in die leeren Holzkisten gekracht. Dem Stadtbüttel fielen ihre Kleider zu.
Nahe beim Veitsdom vor der tiefeingeschnittenen Schlucht des Hirschgrabens stand auf dem Hradschin die Burg. Der Laurenzerberg schob seine dichtbelaubten Gänge zur breitfließenden Moldau herunter. In den spanischen Saal der Burg ließ sich der Gouverneur vor den päpstlichen Nuntius, den Kardinal Caraffa, tragen, der auf ihn wartete. Der Neapolitaner verlangte im Namen seines Herrn, des Statthalters Christi auf Erden, des Mannes in Rom, die Menschen des Landes Böhmen für seine Kirche. Und zwar ohne Verzug in Anbetracht der bedrohten Seelen. Liechtenstein ließ ihn erst zerren, dann dachte er an sein Ende, küßte, auf ihn zuwankend, seine Hände. Sie kamen überein.
In einem ungeheuren Krampf zog sich das Land zusammen, schleuderte mit einer einzigen hebenden schüttelnden Bewegung die ganze Masse der Unbotmäßigen von sich. Nachdem ihnen Todesstrafe und Güterverlust angedroht war, wofern sie Unziemliches von Gott, der Jungfrau, den Heiligen, sowie dem glorreichen Hause Habsburg sprächen, sammelten sie sich. Handwerk und Handel waren ihnen verboten, wenn sie nicht ihren Glauben abschworen. Da traten im ausgehenden Sommer die Ältesten Prediger Ratspersonen der Familien zusammen, denen die Wahl gestellt war, den Boden zu verlassen oder in den habsburgischen Himmel zu fahren.
Auf den obstbaumbestandenen truppenwimmelnden Straßen nach Norden und Westen knarrten die Wagen; die böhmischen Brüder zogen aus, nach Sachsen. Sitzend auf schweren Gäulen, unter breitkrämpigen hohen Filzhüten, Degen an der Seite, verstockte versteinte Männer und Bürger; auf diesen langbärtigen Gesichtern stand: politisches Recht und der König. Neben ihnen die ruhigen freien Bekenner, die sich wiegten in ihrer Hoffnung; ihr Huß in Konstanz verbrannt auf dem Konzil; wer wollte an sie heran? Was wäre aus der Welt und der menschlichen Seele geworden, ohne das Heil, das Huß in Böhmen erneut hat? Jesuiten und ihr Kaiser Ferdinand haben Kelch und Schwert, das Georg Podiebrad vor Jahrhunderten auf der Theiner Kirche aufstellte, herabgerissen; tote Glaubenshelden gruben sie aus, verbrannten sie, schütteten ihre Asche in den Mund: die körperliche Stärke kann sich in alle Ewigkeit nur an der Materie vergreifen, nur an der Materie. Lange braune und blaue Röcke trugen sie alle, große schwarze Schlapphüte; die Westen mit roten Aufschlägen. Viele Jüngere schritten festlich in kurzen Jacken mit gereihten Messingknöpfen und gelben Hosen, an genagelten Stöcken. Hinter den Martyriumsfrohen die Verschüchterten, angstvoll Bestürzten, die das Leben retten wollten. An den Dorfausgängen, vor den Stadttoren schoben sich die Armen; zu ihnen war keine Kommission gestiegen; wie ihre Wohltäter fortgingen, zogen sie mit; mit Schnappsäcken, einrädrigen Karren, Maultiergespannen stießen sie zu den breiten Zügen der Rollwagen Reisekutschen. Jetzt waren sie hier, im beginnenden Elend, die stärksten; Bitterkeit, augenverschleiernde, regte sich bei ihrem Anblick in den Wohlhabenden, denen es heiß aufquoll; Scham bei den Armen. Die Bauern wußten schon, als sie einander stumm in den gefüllten Wagen ansahen, wegblickten von den Mitwandernden, was ihnen bevorstand: im Elend ein fremdes Gefühl zu lernen, den sinnlosen Haß aufeinander! Den Gram würde man sich vorwerfen, um zu vergessen; man würde sich bestrafen für die Erinnerung an die verlassenen Häuser und Felder. Die Strohdächer, roten Ziegeldächer, die Scheunen Ställe Salbeigärtchen Lavendel Reseda Minze. Die schönen Giebel mit Säulchen, gezähnten Luken, krajky, dunkle Schindelvordächer mit Denktafeln, Terrassen vor den Häusern; hinter Bildern Meerzwiebeln.
Tränenvergießend umdrängten an manchen Flecken fast um Verzeihung bittend Altgläubige, Priester im Ornat, ihren Zug. Blicklos zogen sie im Straßenstaub, den sie nicht gehen brauchten, ganz umhüllt von ihren Gedanken; das Buch, die Bibel in der Hand. Das Buch, das entsetzliche Buch, das grausige Buch! Wie oft hatten die altgläubigen Priester sie im Geist mit Trauer und Erbarmen, die Ärmsten, wandern sehen mit dem Buch; welches unsägliche Unglück hatte das Buch angerichtet. Es zogen aus viele Tausende, aus allen Ständen, dazu Weiber und Kinder. Das wandernde Volk nahm seine Fruchtbarkeit mit. Die Frauen volle, junge, vergrämte, Mütterchen, braungesichtige, stolze, verdorrte; Frauen auf Karren, neben Eseln, in Kutschen. Lange Röcke, Kopftücher, bunte Schürzen, Mieder; die gestickte Holubinka auf dem Haar, Frauen aus Pilsen mit weißen Flügelhauben. Die aus dem Chodenlande mit roten Leibchen. Sie reisten im ausgehenden Sommer; auf den großen Straßen trafen sie sich; die Apfelbäume schüttelten runde rote Früchte über sie. In vorwärtsliegenden Dörfern achteten die Amtsleute auf die Kirchtürme, denn es kam vor, daß ein böser Geselle die Glocken bei ihrem Annahen läutete, um das Volk durch den Anblick des traurigen Zuges aufzureizen. Kompagnien wurden vom Regiment Holstein gestellt, die drängten die Auswanderer auf Seitenstraßen, trieben sie um größere Orte herum; auf schwierigen Knüppelwegen, über Brachfelder hin. So mußten sie sich aus ihrer Heimat winden.
An Wegkreuzungen, unter Mariensäulen tauchten Männer auf, zerlumpt, wie Bettler aussehend, mit gefährlichen Knüppeln; sie waren geschickt vom alten Grafen Thurn, dem geflohenen Rebellenführer, der in Sachsen Brandenburg und Holland agitierte. Verhöhnten die Wandernden, um sie aufzustacheln: „Wo zieht Ihr hin? Wie seht Ihr aus! Hat Euch der Kaiser Euer Land abgekauft? Hat Euch viel gezahlt, daß Ihr es eilig habt damit, daß man Euch nichts raubt. Wieviel ist es, wieviel ist es?“
„Zigeuner, Zigeuner,“ lachten sie schallend hinter ihnen her. Und dann ballte es sich vielen vor Schmerz und Verzweiflung in der Brust; die Schultern wurden ihnen schwach, die Knie lose. Das war die Straße! Nach Wegstunden schlängelten sich wieder, auf Maultieren kauzend, die Lumpen heran, boten: „Gelobt sei Jesus Christ.“ Die hörten stumm über den papistischen Gruß weg. „Seid ihr Heiden?“ „Hat man euch die Zunge schon ausgeschnitten?“ „Ah, die Frommen, es sind die Frommen. Von Trautenau, von Königgrätz, von Brunau. Die Aberfrommen; denen die Herren Jesuiter nicht fromm genug waren. Da ist ja Simeon von der Nadlergilde. Hast du die Lade aufgeschlossen, Simeon, die Pokale eingesackt?“ „Simeon, seid nicht stolz, ich bin Wanderbursch, Herr Meister, biet Euch ehrbaren Gruß und Mundsprach.“ „Die würdige Jungfrau Faustina, schau an, schau an, im Wagen, bei ihrem Herrn Vater; will selbst auf die Freite gehen in Sachsen, vergesse sie mich nicht.“ „Ein Schuhknecht gefällig, eine Totennadel gefällig, Junker Schön, daß Ihr fest und gefroren seid, wenn Euch einer anfällt, maßen beim Chausseen walzen?“ „Allesamt ehrsame strenge Herren, Mühmchen, Bäschen, Gott zum Gruß. Die ganze Chaussee entlang die liebliche Kompagnie. Willkommen zwischen unseren Pfählen. Das Dach habt Ihr vorsorglich mitgebracht.“
Peitschen schlugen von den Wagen nach ihnen; Steine sausten gegen sie.
Sie wichen aus: „Landstraße, Landstraße! Brüderlein! Schwesterlein! Bräutlein! Wollt Ihr mit, Hände beschauen, Göldrian verkaufen und Enzian?“
„Mühmchen Walpurga, Mühmchen Walpurga, du zartes, zierliches, komm herunter von deiner Frau Mutter. Bist kein Säugling mehr, lüpf dich zu mir. Hab’ einen großen Wulst von einem Italiener gestohlen, bündel ihn dir um den Leib, unter den Rock; verdienst mit mir Heller und böhmische Groschen. Was schenkst mir für meine Lehr?“
Wie sie neckend und geifernd herumsprangen, die Kappen hoben, die Beine wetzten, fuhren ihnen Flüche nach aus den Mündern der ruhig schreitenden Männer, der Sackträger mit den schweißtriefenden Backen, der Greise hinter den Hundekarren. „Der Gottseibeiuns über dich Schelm!“ „Meister, das ist herrlich gesagt. Euch kann es nicht fehlen. Ihr tragt Euer Glück im Mundwerk herum.“
„Verflucht säuischer Schalk.“ Da rekelte sich einer eitel im Feld, affektiert die schmutzigen unbewickelten Füße spitzend: „So bin ich verflucht, und Ihr nehmt meinen Dank an. Schaut mich: ich bin durch Euren Spruch nicht besser geworden, Meister. Es hat noch nichts genutzt; bin noch nicht schöner, nicht dicker, nicht artiger geworden. Wißt Ihr nichts anderes?“
„Stinkiger Lotterbub, tückischer Hund, gottvergessener Dieb.“
Kopfschüttelnd folgten sie in Entfernung, behaglich schwärmend, den finster Explodierenden: „Noch immer nichts, noch immer nichts.“
Die Steine sprühten, sie meckerten von weitem: „Wir werden Euch füttern müssen, wenn Ihrs nicht besser lernt. Was wollt Ihr mit Hunden? Haben sie Euch gebissen in Caslau, in Königgrätz?“
Bei Leitmeritz weitete sich das Elbetal, dichtblättrige schwerträchtige Obstbäume; grünende, braune, bläulich schillernde Reben auf den Hängen, Dörfer, Dörfer. Dahinter die langausgezogenen Bergreihen, umdünstete Kegel. Steiler wurde der Weg. Rechts und links der Radobil und Lobosch; Fichtenwälder. Die Nelken wuchsen wild; Maria hat sie auf dem Weg nach Golgatha geweint. Wo war nun Mütterchen Prag. Kleine Brunnen flossen vorbei; das näselnde Männlein, das daneben sitzt im grünen Rock, ohne Daumen an der linken Hand, es näht seine Stiefeln, hat rötliches Haar; es führt einen Topf für die Seelen der Ertrunkenen. Höher und höher, liebe Berge, liebe Fichten, liebe Quellen. Wie türmte sich das Gebirge auf, um sie nicht herauszulassen. Keiner sprang um sie, hier pfiffen nur Vögel. Kühler Nadelwald, Dörfer, die noch friedlich lagen vor den Kommissionen, Herrensitze, grüne Matten, Gehöfte. Und wie man noch eben die Füße über den satten Boden hatte schleifen lassen, als sauge man ihn ein, Schluchten und Wälle seufzend heruntergeblickt hatte, dehnte sich eine verwandelte platte Ebene vor ihnen aus, in die die Wagen, die Tiere Männer Kinder Frauen Wagen hineinfuhren, wie in ein Nichts sinkend, in dem sie selbst verschwanden, vom Himmel zur Erde und nach beiden Seiten gereckt. Die Stimmen verklangen, die Farben verliefen; Flächen, Flächen, menschenfremd, unnahbar für Lebendiges.
Blaugrüne Büsche der Sumpfkiefer umgingen sie ahnungsvollen Herzens, nach Heidepflanzen faßten sie, die die Finger stachen; der Moorboden wippte, sie tänzelten, schwankten. Blickten rückwärts, fingen an zu erschrecken, sahen die schwarzen Wälder nicht mehr. Unheimlich die Luft. Aus dem Boden vor ihnen krochen arme Leute hie und da; Hammer Piken und Eimer schleppten sie; grauer Staub, Erze; sonderbare Höhlen, mächtige Haldengänge, ungeheure Pingen. Tiefer sank der Boden ab, die Wagen rollten leichter, von Welle auf Welle sank der Boden, Moorheiden, finster verschwiegene Wälder. Langsam sanken sie alle, den Atem verhaltend, in ein fremdes Gebiet hin, hinüber.
Man rollte die weiten kahlen Hochflächen, trauriger, aufgelöster. Voran tummelnd auf Pferdchen häßliche kroatische Reiter, trabten hinterdrein. Die wilden schiefen Pelzkappen auf dem Haar, das in schwarzen Locken hoch wirbelte; mit den Füßen kneteten sie den Leib ihrer braunen Tiere; auf und ab arbeiteten in den grellweißen Leinhosen hohen Stiefeln ihre Beine. Sie jagten mit Peitschen und Piken den Zug ab, kreisten ihn ein wie Schäferhunde. Hatten die Necker ihr Spiel zu treiben aufgehört, kreischten die fremdländischen Befehlrufe der unverständlichen Soldaten. Fluch; man duckte sich. Und doch verlor sich die Angst vor ihnen, je mehr man sich der Grenze näherte und abwärts stieg. Man sah mit Angst und Unruhe, wie dies geschah: wie sie sich von der Spitze zurückzogen. Bald werden sie verschwunden sein, nach Böhmen hinein, zurück in die liebe Heimat, sie werden die grünen Matten wiedersehen, und wir stehen draußen. Unwillkürlich verlangsamte sich das Tempo des Vorrückens; die Kroaten hetzten; da und dort brach man heimlich Wagenachsen entzwei, versperrte ganze Straßen. Der Weg ging schon in Straßen abwärts und man hätte rasen können, statt dessen türmte sich der ganze Troß unbeweglich auf. Mit heimlicher Süßigkeit blickte einer den andern an, wehmütig streichelte man sich, sammelte Steine vom Weg, küßte die dürftigen Zwergkiefern; den Rabenschreien lauschte man, als wäre es Mündergesang. Welche drangen bittend in die Reiter, daß sie sie hier verweilen ließen, dachten nicht, von wo sich ernähren. Manche blieben liegen. Wütender jagten die Kroaten, legten selbst Hand an; diese Gegend war ihnen zuwider. Und die wandernden Böhmen, als wenn ihnen ein Unglück bevorstünde, schoben sich übereinander, wurden gesprengt voneinander, kamen elend vorwärts, bremsend, bremsend vorwärts.
Bis am Morgen ein schreckliches fernes sinnenbetäubendes Glockenläuten hinter einem Bergzug, der noch schmal vor ihnen lag, mit einigen Windstößen herschwang, unter dem die Berittenen gelle Freudenschreie ausstießen und sich schmetternd anlachten.
Sachsen! Die ersten weißen armseligen sächsischen Dächer!
Die Begleitrotten zogen sich auf allen Seiten von der Karawane zurück; dann brausten sie unter Geheul, in den Sätteln hängend, von hinten, seitlich gegen die Wagenkolonnen. Spieße Beile Riemen in den Händen. Hieben, lustig krächzend, die Augen rollend, rechts und links, schlugen sich Wege, zerwühlten den Zug, warfen Wagen hügelabwärts. Pferde gingen hoch. Sachsen!
Weiberheulen von seitwärts, rückwärts nach vorwärts, rollte sich verzehnfachend nach rückwärts. Man trieb schrie wirbelte um sich selbst, ließ liegen, was sich nicht bewegen wollte. Die schrecklichen Glocken läuteten den ganzen Tag. Die Kroaten tobten bergaufwärts. Hinüber hinunter. Und als man die Grenze überschritten hatte, die sächsische Landstraße vor den Füßen lag, endloses Lärmen. Flehen, Händeschlagen an der Spitze des Zuges.
Sie wurden wie von Meereswellen nach vorne gespült, schwammen drängten schoben sich rückwärts.
Die benachbarten sächsischen Dörfer und Städte hatten Ratsmannen mit Brotkarren, Prädikanten an die Grenze geschickt, die Glaubensbrüder, die Märtyrer zu empfangen, sie zu bewillkommnen und zu trösten. Diese fanden mit Fackeln herumwandernd die Nacht und den ganzen nächsten Tag das wandernde Volk unbeweglich auf der Landstraße liegen, auf den Äckern; kein Erwachsener nahm die Speise an, die man ihm bot. An der Erde lagen sie, wie hergeworfene Schiffbrüchige; alle waren von den Karren und Wagen gestiegen. Von Zeit zu Zeit erhob sich gräßliches Geschrei; einer schrie, hundert schrien, alle schrien. Dann fielen sie wieder hin, blickten sich zerkratzend nach drüben herüber, wo die Kroaten die Grenze sperrten. Die zappelnden Pelzmützen, die weißen Hosen: da! Aus fünftausend Herzen wurde Gottes Name Tag und Nacht angerufen gewälzt gekaut gebissen geschlungen. In Tränen und Staub mischten sie sich mit der Landstraße, besudelt zertrümmert standen sie auf, rieben sich leer widerspenstig aneinander. Wer nach drüben über den Kirchturm sah, dem gerann das Blut vor dem Unfaßbaren.
Man mußte weiter. Das Vieh blökte, die Kinder schrien, es wollte regnen, die Sachsen trieben sanft. Mit Haß unterdrückte man rechts und links das Aufweinen. Man geleitete sie ins Plauensche, in den Erzgebirgischen Kreis; sie wehrten sich, weiter zu wandern; an die Zschopau, die Zwickauer Mulde, um Neustädtel, Merdau, Sayda, unfern Chemnitz. In der Stadt Wolkenstein stand die Hälfte aller Häuser leer. Zu finster, tief geschlagen, stumpf waren die Flüchtlinge, um sich darüber zu verwundern; sie hörten lange nicht das scheue Flüstern der Einwohner: man hatte sie untergebracht in verlassenen ausgestorbenen Pesthäusern. Noch ging die Pest mit Beulen und Geschwüren im Erzgebirge um; sie regten sich kaum bei der Nachricht. Als man sich an sie wandte, Mädchen dem Rat zu schicken zur Übung des Pestbannes, blieben sie stumm; die mitleidigen Bürger zogen auch ihre Häuser in den Bann ein. Mitternachts sammelten sich erwählte Knechte, reine Jungfrauen, dazu eine Witfrau am Ende Wolkensteins; die Weiber traten beiseite, entkleideten sich; die Jungfrauen spannten sich an einen Pflug, rissen eine Furche im Finstern um den Ort; die Witfrau führte, ein Knecht ging nach, der andre hütete die Kleider. Aber die erwünschte Pest näherte sich den Einwanderern nicht. Es brauchte Wochen, ehe sie ihre verregneten Wagen abluden, noch nach einem halben Jahr sah man Karren vor Häusern und Hütten stehen, als wenn gestern einer angelangt wäre. Dies geschah aus Trägheit, aus Widerwillen und Groll; man ließ es so in einer Art liebevoller Schonung, die man sich angedeihen ließ, und in Angst, sich zu berühren. Man tat sein notwendiges Gewerk mit Fluch und Drohung. Die Bibeln lagen in keiner Kammer mehr auf dem Tisch, der Truhe, auf Ehrenschränkchen; wie unabsichtlich war das Buch verschoben überlagert worden von Decken, war wie in Gedanken heimlich beiseite geschafft, in Kisten ganz tief vergraben. Keiner durfte von ihm sprechen, kaum, daß man die alten Tages- und Tischgebete sprach. Man hatte ein Geheimnis, verbarg etwas wie ein Verbrechen. Wer von der Heimat sprach, den alten Putz anlegte, die bestickten Hauben, roten Westen mit Messingknöpfen, konnte gewärtig sein von einem rasselnden Schwall Zornes überschüttet zu werden; auf wen diese glühenden bangen Augen gerichtet waren, der war beschämt. In Trotz und leiser Wut lebte man hin zwischen Ackerbau Hausjammer im fremden Voigtlande. Die Sachsen fanden kein Ende sich zu wundern über die Gottlosigkeit der vielgerühmten Böhmen, die in die Kirche nicht gingen, werkten werkten. Oft warf einer der Böhmen seine Axt beiseite, sah seine Balken an, spie darauf, stöhnte mutlos. Es war nichts Bleibendes: wer mochte Orte schmücken, an denen man nichts zu suchen hatte! Wolkenstein, Wolkenstein! Prag! Darum weinten sie und konnten sich nicht entschließen, Mörtel für neue Häuser zu rühren, den Boden, der ihnen gestellt war, zu brechen. Halbes Werk leisteten sie, und wenn die sächsischen Amtmänner und Rentmeister vorbeiritten, leise schalten, hatten sie daran ihre Freude wie an nichts. Mit Grimm erzählten sie abends in den Stuben einander: der Sachse auf dem Pferd hätte sie gescholten, hätten Lust, ihn totzuschlagen, wenn er wieder vorbeikäme. Und von Zeit zu Zeit erfolgten in ihren Häusern Explosionen; das entschlossene nicht zu hemmende Hinstöhnen der alten Männer, das Aufweinen und Heulen der Weiber und vergrämten Kinder, die nicht beachtet wurden. Das klagte rüttelte winselte durch die Straßen; von Haus zu Haus, von Erker zu Erker pflanzte es sich fort; und wer draußen im Dunkeln seine Wohnung suchte, konnte im voraus wissen, was ihn erwartete. Man küßte sich, rief sich mit Namen an, zeigte sich die Kinder, sprach, jubelte von Böhmen, Caslau, Teschen, Königgrätz, erinnerte einander an die Reise über das Gebirge, lachte tränenfließend über die Kroaten, rief sich ins Gedächtnis zurück gramlos die grausamen Bekehrungsszenen mit Liebe Verzückung Verklärung, sprach von Braunaus Dragonern, dem tollen Wolfsstirn, — die Kinder lauschten. Es war für halbe Stunden, wo die Türen geschlossen, die Läden angelegt waren, die Unschlüttkerze brannte, als säße man eingehüllt in Böhmen draußen; man brauchte nur die Tür aufzumachen hörte das böse vermißte katholische Abendgeläut!
Wie verraten hielt man sich später in Raserei, zerschmetterte die Stühle, streckte steif die Arme aus, wollte dies nicht dulden, immer immer dulden. Die Kinder schrien, versteckten sich. Nach diesen dumpfen Orgien war die Verdrossenheit gesunken, aus der Apathie schlugen von neuem die dunklen Flammen des Jähzorns, der wilden Gehässigkeit und Schadenfreude. Brutalität war an der Tagesordnung bei den vertriebenen Böhmen; gefürchtet waren sie auf dem Lande und in einzelnen Städten, wo nicht scharfe Polizei herrschte. Sie hatten miteinander keine Verbindung, liebten sich gar nicht, und nur dies verhütete großes Unglück. Ein Dorn im Auge war vielen die sächsische Kirche, und gegen das freche Inwegsetzen beim sonntäglichen Kirchgang konnten die sächsischen Bürgermeister nicht genug eifern. Es konnte nicht ausbleiben, daß bei gelegentlichen Handgreiflichkeiten zwischen Sachsen und Zuwanderern offene Feindseligkeit zutage trat, die sächsischen Ansässigen sich Klage führend an ihre Gerichte wandten über die Behandlung, die sie innerhalb ihrer eignen angeborenen Wohnstätten von undankbaren Fremden erfuhren. Das waren von Bürgermeistern Amtleuten vertretene Klagen ganzer Gemeinden, die Gerichte und befragte Behörden in allergrößte Verlegenheit setzten. Dahin war es gekommen, daß sie wie bösartige Bettler den Stadt- und Landgemeinden auf dem Hals saßen, nichts taten, was sie erhielten, bespöttelten. Katholische Singspiele, papistische Martyrien führten sie zu fünf, zu zehn an den Märkten auf, scheinbar sich zum Spaß, aber doch nur um den Ansässigen Ärgernis zu geben; höhnisch gaben sie Widerrede auf die Verwarnung; könnten tun, was sie wollten, und selbst wenn sie Lust hätten eine Prozession nach Art der Papisten zu begehen, würden sie sich dies von keinem nehmen lassen. Und von da gab es nur einen Schritt, sich zusammenzutun und das Werk in den Weg zu leiten.
Gegen das gefährliche rachsüchtige Gebaren traten, von den Dresdener Behörden angegangen, böhmische Edle, auch der alte Graf Thurn, Flüchtige wie sie selbst, auf. Smil von Hodojevsky, in Dresden am Verschwörerzentrum gesessen, stürmte wie ein Sperber auf die Zuwanderer los, als der von Rhönberg, ein sehr klarer vorsichtiger Mann, ihm die sächsischen Besorgnisse entwickelt hatte. Dem Smil folgten der kühne Sohn des Berka, der sich aus der Gefangenschaft nach der Prager Schlacht befreit hatte, und Adam Luksans älterer melancholischer Sohn Daniel. Diese drei mit ihrem Anhang gedachten ihre Landsleute zu zähmen und sich Einfluß bei ihnen zu erwerben.
Sie ritten, redeten, donnerten, lobten, entwickelten Pläne. Sie überfuhren die Einwanderer mit ihren Worten, Blicken und Gesten wie eine pelzige Raupe eine Steinplatte: kaum daß sie sie berührt und mehr auf ihr hinterläßt als etwas graue Feuchtigkeit, derer sich die Platte schämt. Der Smil, im feinen französischen Gewand mit Degen, wie der prächtige Pfälzer sich zu tragen pflegte, redete lockend vom Sterne, dem Prager Tiergarten, wo die böhmische Jugend sich verblutet hatte für die gerechte Sache, Wahlkönigreich, freie Religionsübung. Die Worte schlugen den Böhmen um die Ohren und trafen sie nicht. Der Berka wandte sich direkt an die Ältesten, die Angesehenen, die Patrizier; er ging zu Fuß, sprang unter sie, feurig wie er war; prahlend beschrieb er ihnen die Schönheiten ihres Landes, dessen sollten sie eingedenk sein; von ihrem Land sei die Welle der Befreiung über die Welt gegangen; sollten nicht verzagen, die Welle käme zu ihnen zurück. Daniel Luksan, reich wie er war, ritt auf einem Maultier in kläglichem blauem Tuch, die Federkappe auf dem Kopf. Stellte sich mit trübem Gesicht unter die Leute des Abends, hörte ihnen zu, fing an. Sprach von den Köpfen auf dem Altstädter Brückenturm, beschrieb das Leben und den Tod der Männer, traurig, mit innerem Anteil, dabei stumpf und sichtlich verzweifelt. Erzählte, was er gehört hatte gestern und vorgestern aus der Heimat, ließ nichts aus; das Weinen bekümmerte ihn nicht, das sich um ihn erhob. Sprach nicht, um aufzuhetzen; ließ sich nur gehen vor ihnen; sein schweres Temperament hatte ein Fressen gefunden am Unglück seines Vaterlandes. Betrübt sah er wie die Weiber wegschlichen, wie man ihm auswich. Bald erlebte er es, daß man ihm zuschrie beim Reden: „Genug!“ Die Weiber, die noch herumstanden, schluchzten, die Männer hoben mit wütenden Mienen gegen ihn die Arme, gingen gegen ihn vor: ob er plane mit ihnen ein Spiel zu treiben, ob sie nicht elend genug seien. Man brauchte dem Daniel Luksa nicht lange zu drohen; er hörte, man wollte ihn nicht, ging.
Und hinter den drei her das hitzige Gerede: das waren die Herren, für die wir gebrannt wurden; es ist ihnen noch nicht genug, wir sollen noch einmal ins Feuer! Herren, die Böhmen ins Unglück gestürzt hätten; sie hätten sich den fremden Pfälzer verschrieben, um besser ihr wüstes Selbstregiment zu führen; wollten einen König, um ihre krummen Sachen gerade zu machen.
Wie es unter ihnen gärte, wurden sie vom alten Grafen Thurn überfallen und so ergriffen und geschüttelt, daß sie wie ungezogene geschlagene und heulende Kinder an den Wänden standen und nicht wußten, was ihnen geschehen war. Denn dem alten Thurn bedeuteten sie nichts; ihm war nichts gewisser, als daß Böhmen in sehr naher Zeit sich glanzvoll wieder erheben werde über Habsburg; er schlang den Faden, dies war seine Arbeit und sein Beruf. Als er hörte, was im Erzgebirgischen Kreise, im Voigtlande sich ereignete, erfaßte ihn eine Wut über die Aufsässigen Undankbaren Gedankenlosen, die nicht zwei drei Jahre warten konnten; Tausende im Lande hatten sich verblutet, und diese im Asyl rebellierten. Er kannte viele von ihnen persönlich; auf seinen Reisen als Direktoriumsmitglied war er die Dörfer abgefahren, um die Kreisaufgebote zu überwachen. Jetzt saß er in seinem kleinen niedrigen Wagen, die Pferde lenkte er selbst, der grauhaarige kleine schmale Mann mit den mongolisch vorspringenden Backenknochen, den trüben schwarzen Augen und der hellen schrillen Stimme. Die silberne Peitsche hielt er in der Faust; so schrie er die Leute zusammen, und jedesmal wieder, wenn sich die Leute zögernd beieinanderstellten, befiel ihn die Wut über sie, er schmähte sie in dem wohlbekannten heimischen Idiom, überhäufte sie mit jedem gemeinen Schimpfwort. Wer schlaff und unehrerbietig in seiner Nähe stand, den schlug er vom Bock aus mit seiner Peitsche und war imstande ihm nachzuspringen. Ohne ein Wort ihrer Widerrede abzuwarten, fuhr er weiter, drohend und noch nach rückwärts schimpfend. In einigen Dörfern, von deren Gottlosigkeit er gehört hatte, hüpfte er vom Wagen, warf einem Beliebigen in der Nähe, alten oder jungen, die Zügel zu, eilte in ein offenes Haus, verlangte, den Tisch mit der Peitsche klopfend, die Bibel zu sehen. Und wo man zögerte, sich drehte, maulte, riß er selbst Laden Schränke Truhen auf, holte das Buch heraus, schlug es, wer ihm in die Nähe kam, an den Kopf, und das Buch in die Mitte des Tisches legend schwur er mit greller, weit gehörter Stimme, die Bibel bleibe hier draußen liegen; er werde, so gewiß er der Graf Thurn sei, den eigenhändig niederschlagen, der es wagen sollte, das Buch zu verstecken.
Eines Sonntags traf er, nur mit einem halbtauben Kammerdiener reisend, einen Trupp Böhmen auf der Dorfstraße lungern und würfeln; sein Pferd bäumte sich, hitzig hatte er die Leine gezogen. Kochend, eine Bestie von Angesicht, stand er vor den tief erschrockenen Burschen, die er mit wuterstickter Stimme anfauchte, denen er mit der Faust unter der Nase fuchtelte. Jagte sie in die Kirche; er bedauere, keine Hunde wie Wolfsstirn zu haben, um sie zu hetzen. In dem Kirchlein war kein Pfarrer; er sperrte sie ein; nach zehn Stunden holte er sie; sie hatten kein Wörtchen darüber verloren.
Die böhmischen Zustände in Sachsen gewannen ein besseres Ansehen. Größere Rüstigkeit machte sich unter den Flüchtlingen bemerkbar. Sie begannen sich wieder anzuschauen, zu grüßen, nach dem Ergehen zu fragen. Sie schämten sich ihrer früheren Schlaffheit, hatten unbegrenzte Liebe zum Grafen Thurn. Auf ihn setzten sie Hoffnungen. Man arbeitete, um zu zeigen, wer man sei. Die Heimat mußte befreit werden. Jach sprossen die frommen Triebe wieder auf. Glaubenseifer und Glaubensstolz, finster gefärbt, erhob sich, grollte drohend in den Straßen, in den Kirchen; man war das Volk des Johann Huß. Die Bibel war verwandelt; jetzt keine Läuterung, keine Seelenreinigung mehr. In den Kisten, Truhen war das Buch wie unter einer eisernen Presse steinhart geworden, feierte seine Auferstehung als Rüstzeug Waffe Schwert. Soldaten wurden sie. Der sächsische Kurfürst, der Brandenburger Georg Wilhelm hörten es gern.
Über ihre Heimat, über das Erzgebirge, spannten sie sich wie eine furchtbare Wolkenbank, die sich von Jahr zu Jahr schwärzer färbte.
I n Böhmen hieß es Gelder beschaffen, die Truppen aus dem böhmischen Feldzug abzudanken, das Besatzungsheer zu erhalten, die ungarischen Grenzstädte gegen die Türken zu armieren verproviantieren, verdienten Generalen hohen Beamten Gnadengeschenke zu machen. Der Ertrag aus den konfiszierten Rebellengütern reichte nicht, der aus der Schuldenkommission war zu gering.
Eine Prager Mark galt neunzehn Gulden. Im Braus hatte der schöne Pfalzgraf gelebt, auf Bällen Jagden Schlittenfahrten hatte sich seine üppige Gemahlin getummelt und mit dem Volke gemein gemacht. Nach dem verjubelten Winter steigerten die pfälzischen und böhmischen Räte den Wert der Mark. Der Sieger gab ihm nicht nach; als der Kaiser kam, preßte er den Böhmen das Gebiß zwischen die Zähne, daß eine Mark siebenundzwanzig Gulden betrug. Der Gouverneur Liechtenstein ließ das gute Geld aus dem Lande schleppen.
Der Sohn eines serbischen Fleischhauers, Paul Michna, war Sekretär in der böhmischen Hofkanzlei geworden. Dieser warf sich mit einer Rotte Helfershelfer nach der Prager Schlacht auf das Pferd. Sie ritten in das Land hinaus; allmählich vergrößerte sich der Zug, Wagen schlossen sich an. Sie drangen auf die Güter und Herrschaften der Rebellen, brachen die Tore der Schlösser und Sommerhäuser mit amtlichem Gebaren, Siegeln, Drohungen auf, beschlagnahmten, was sich an beweglicher Habe fand. Während panikartig das Grauen von der verlorenen Schlacht, dem drohenden Hochgericht die Dörfer belief, die Städte lähmte, alles sich zusammenzog, tauchte Michna mit seiner Bande erschreckend, unverständlich, bald hier, bald da auf. Die zurückgelassenen Frauen, die betäubte Dienerschaft lieferte ihnen aus, was sie verlangten. Leiterwagen mit Stroh fuhren, von Ochsen gezogen, in einiger Entfernung hinter den Berittenen; toll hinein stülpten, stauchten sie, was sie erhaschten, übereinander, ohne Schutz Prunkkästen Rollenschränkchen, silberne Spiegel, Perlenketten Ölbilder flämischer florentiner Meister, Pelzwerk Geschirr Kristall Seidengewänder. Sie fuhren so rasch, weil das Gerücht sich bald verbreitete. So daß man, wie den Fuchs an seiner grauen Losung, ihren Weg erkennen konnte an abgerollten Kruzifixen, Splittern der Deckelpokale, Nautilusbecher, den zerdrückten und weggeworfenen am Wegrand liegenden Kredenzstücken Silberplatten Konfektschalen. Wer hinter ihnen suchte, konnte reich werden; aber niemand bedachte Silber und Tafelgerät; alles verrammelte sich.
Rasch war in Spelunken und Gewölben der Juden verschwunden, was eben unerhört strohgelagert über die Chausseen gewackelt war. Die Topase Brillanten Rubine in Ringen und Halsschnüren legte ein alter Jude liebkosend sich über die braune faltige Haut, ließ sie sanft in seine eingemauerte Eisenkiste sinken über wattierte Wämser. Während die böhmische Gräfin schluchzend mit ihren Dienerinnen die aufgebrochenen Holzwände der Schränke anstarrte, krochen die grünen Roben, von kundigen Fingern gezogen, über die fetten Formen eines orientalischen Leibes; die gerafften gürtelgehaltenen Gewänder rauschten wie bei den Bällen der Königin Elisabeth hintennach, über den Synagogenweg. Wieder lachten Weiber in diesen Gewändern herzlich und voller Inbrunst, vor andern gewaltigen Männern. Die Greise vorn auf den Bänken in den Tempeln sahen sich um, sangen im Talare von der Zerstörung Jerusalems, von Jehovas Rache, weinten über die Vergänglichkeit.
Draußen fuhr man auf Karren Rebellen, frisch eingefangen, trotzige Ketzer zur Folter, Arkebusiere stolzierten vor den Häusern, Menschenfleisch wurde billig, verdarb auf Wiesen. Indessen waren die gestohlenen Juwelen gut aufgehoben. Deutsche Flamen Italiener beleckten sie, rieben sie an der Haut; wo sie erschienen, verkleinerten sich die Augen der Menschen, Lippen spitzten sich; wie Schlüssel waren die Juwelen zur Rachsucht Feindseligkeit Eifersucht der Menschen. Im geheimen ganz geheimen hetzten sie, übten ihre Macht, heißes Blut zum Verspritzen bringen, selber nur funkelnde tote entschlafene Steine, die blind in ihrer polierten Härte ruhten.
Als Michna, ein fettleibiger Mann, dessen Kopf auf einem zu kurzen muskulösen Halse saß, eine kleine Zeit hatte verstreichen lassen, wagte er es, einen Brief an das Bankhaus des Hans de Witte in Prag zu richten, dann selbst angemeldet vor de Wittes Haus anzureiten. Es war ein resoluter furchterregender Mann, der das Kontor des reichen Holländers betrat, welcher die Geschäfte der höchsten Gesellschaft besorgte. Michna wies sich gut aus bei de Witte. Der kannte die Wege, auf denen sein plattnasiger Besucher mit den starken Kiefern, Wulstlippen, geäderten trüben Augen reich geworden war; er hatte Vertrauen zu diesem energischen Kanzlisten. Sie gingen einen Pakt ein. De Witte schlug vor, das Geld so anzulegen, daß man die böhmische Münze pachte. Dies sei ein Vorschlag, der ihm von zwei Herren seiner Klientel gemacht wäre, dem angesehenen Judenrichter Bassewi, der dem Römischen Kaiser schon eine gewisse Summe vorgestreckt hatte, dann einem Soldaten, der freilich hier zulande einen anrüchigen Namen hätte, dem derzeitigen Obersten von Prag, dem Eusebius Albrecht von Wallenstein. Der Kaiser brauche Geld, um die Operationstruppen abzudanken und sonst; es sei ein vielversprechendes Geschäft.
An einem andern Tage erklärte de Witte dem widerstrebenden Serben, der sich durchaus nicht bereit fand, in das lockend geöffnete Gastzimmer des Bankiers einzutreten, mit ihm einen Becher zu leeren, es würde nötig werden, noch weitere Teilhaber bei der geplanten Aktion hinzuzuziehen. Denn nach seinen vertraulichen Informationen übersteige die Pachtsumme durchaus den Betrag, den die bisher interessierten Herren, nämlich sein Gast, dann der Judenrichter, der spekulierende Oberst, er selbst herschießen könnten ohne sich zu ruinieren. Das Geschäft sei zwischen ihm und den genannten Beiden fast abgemacht; sie seien von Michnas Interesse informiert und er sei eingeladen, sich zu beteiligen. Der hatte aber übel Lust zuzuschlagen, denn zwar war gegen den reichen und redlichen Judenprimas Bassewi nichts einzuwenden, aber der andre Geladene flößte ihm Widerwillen ein. Er erklärte de Witte nach langem Herumrücken auf seinem Schemel, während er eine Hornschale der Silberwage tanzen ließ über seinem Handteller, daß ihm die Partnerschaft des Obersten einfach unbehaglich sei, und daß dies das ganze Unternehmen gefährde. Wallenstein hätte schon damals, als die Teuerung in Prag begann, unmenschlich viel Wein in Mähren aufgekauft, um ihn mit unerhörtem Aufschlag an Wucherer weiterzugeben; ebenso sei es bekannt, wie er es mit Kornlieferungen getrieben habe; dann das ominöse, monatelang verschlossene Tuchlager Wallensteins in Olmütz, während nirgends Tuche zu kaufen waren. Alle diese Sachen gefielen ihm nicht; der böhmische Edle werde ihnen das Fell über die Ohren ziehen. Überhaupt, wenn es verlaute, der verrufene Oberst beteilige sich an dem Unternehmen: was die Beamten vom kaiserlichen Schatzamt, die Wind davon hätten, dazu sagen würden.
Der hochstirnige alte de Witte, hinter seinem Tisch mit den Folianten in einen Armsessel gestreckt, mit langem geteilten Weißbart, müden langsamen Augen, groß und breitschultrig wie sein serbischer Gast, hörte alles Geflüsterte mit Freude. Er empfand herzlich das Lob seines alten Freundes; er konnte nun bei Wallenstein einen höheren Teilhaberbetrag herauspressen, indem er auf die Schwierigkeit seiner Beteiligung hinwies. Er fragte teilnahmsvoll, ob jener schon von Wallenstein benachteiligt worden sei. Auch die Angst seines Besuchers erfreute den stillen Holländer, sie vergrößerte seine Neigung, mit ihm ein Geschäft zu machen. Michna unterbreitete ihm, man möge bedenken, wie Wallenstein sich gegen seine eigenen Verwandten verhalten hätte, gegen die Smirsitzky; ein Vormund, beim Leben Jesu, der sich schnöde einen Besitztitel auf die Habe seines kranken Mündels erschleicht! Was drohe ihnen dann?
Da meinte de Witte lachend, man solle sich nicht in Familienangelegenheiten mischen; man kenne nicht die persönlichen Beziehungen und so weiter. Michna wollte mehr eifern. De Witte schnitt ihm stärker lachend das Wort ab; sie sollten sich nicht zum Richter aufwerfen. Beschämt lenkte der Fleischhauerssohn ein. Der Handel kam zustande, indem Bassewi für den Oberst gutsagte; Michna wolle auf keinen Fall ohne Sicherung einen Vertrag mit Wallenstein schließen.
Um sechs Millionen jährlicher Pachtsumme fiel ihnen die Prager kaiserliche Münze zu.
Sie konnten prägen soviel sie wollten. Die Technik war den Juden und sonstigen Kippern und Wippern abgelernt: Beschneiden des Geldes, Untermischen unedlen Metalls bis zum Verschwinden des edlen. Die vier Männer, von Michna geführt, warfen sich auf den Handel mit der niedertretenden Wucht einer Stierherde. Die Münzräume wurden von zwei ganzen kriegsstarken Fähnlein gesichert. Fünf Nachbarhäuser, ein halber Straßenblock wurde zugekauft, bei der Kürze der Zeit und der Gefahr drohender Zwischenfälle war keine Minute zu verlieren. Während Bassewi und de Witte nur ihr Geld hineinwarfen, raste die Angelegenheit vorwärts durch das Betreiben dieser beiden: Michna und Wallenstein.
Der Serbe, seiner Sinne kaum mächtig, dauernd geneigt auf Menschen loszustürzen, in gräßlicher Furcht, sein Geld zu verlieren, betrogen zu werden. Er umschlich die Gebäude; seine Frau, ein scheues schönes Weib, mußte die Straßen durchwandern, wenn er schlief.
Der böhmische Edle befehlerisch, in schneidender Ruhe und Unbeirrtheit. Zu dem Serben, den er einmal erschöpft, schmierig vor der Hauptpforte der Münze traf, beugte sich der hagere, prächtig sechsspännig daherfahrende Böhme heraus: „Der Herr sieht nicht aus, als ginge es ihm gut. Denke er zu leben. Sonst will ich ihn beerben.“ Das stachelte den Serben, daß er sich mit Qual schonte.
Barren und Münzen häuften sich in den stallartig langen niedrigen Stuben; in Steinkammern standen die Münzknechte vor den Muffelöfen, heizten glühten. Wöchentlich vermehrte sich die Zahl der eisernen Schmelztiegel, über denen die Männer hinter vergitterten Fenstern standen, mit Graphitstangen, langen dicken Stäben, die Schmelzmassen rührten. Hier hatte keiner Zugang aus dem ganzen Gebäude als die Knechte und Meister; hier wurde ihnen in geschlossenen Zink- und Kupferkästen gereicht, was sie in den Tiegeln zu schmelzen und zu verrühren hatten. Stechende Dämpfe durchzogen die Häuser; in Scharen, wie Regimenter, standen die hölzernen Beizfässer nebeneinander, darin schwamm die kochende Säure; die Münzen, geglüht, geschnitten, waren unkenntlich geworden, hatten Masken für die Augen der Menge. Die Knechte arbeiteten in den Räumen; wie in einer Folterkammer rührten sie die Arme; man sah nicht den, dem die Folter bereitet wurde.
Das Silber begann spärlicher zu fließen. Ein rasender Zusammenstoß erfolgte zwischen dem böhmischen Oberst und Michna in de Wittes Schreibstube. Erst: „Entweder bemüht sich der Herr Michna nicht oder er hält Silber zurück.“ Dann: „Der Herr treibt es, wie er will. Er sehe zu, Silber zu beschaffen von den Juden. Er hat ihnen die Wänste vollgestopft mit gestohlenem Gut.“ Als Michna, breitbeinig, mit den Wangen und Lippen zitternd, vor den hageren ihn überragenden, spitzbärtigen Oberst trat, hob der die Faust: er werde sich mit ihm nicht duellieren, er werde ihm mit einem Faustschlag das Maul stopfen. Dann verließ der von Wallenstein den zitternden Mann. Tags darauf wurde dem hilflosen Serben durch de Witte bedeutet, daß der Oberst die Schuld an der Verzögerung der Arbeit auf ihn allein schiebe; der von Wallenstein sei überzeugt, daß Michna noch viel mehr Gewinn aus dem Raub gezogen habe, als er zugebe; er solle zusehen, wie er Silber heranschaffe. Da wurde dem Michna klar, daß Wallenstein vorhatte ihn auszuplündern. Er stellte eine Frage an de Witte; die Antwort bestätigte seine Befürchtungen: der Oberst wollte von seinen Verbindungen Gebrauch machen, ihn wegen Raubes festnehmen und einkerkern, sein Geld beschlagnahmen. Der Serbe sank heulend zu Hause zusammen, welk von der Anstrengung der vergangenen Wochen. Er zerrte sich nach einigen Tagen zu dem Oberst, der ihn in eine Vorkammer eintreten ließ, in der sechs Arkebusiere ihn fesselten und, ohne daß er widerstrebte, in den Stock führten.
Dies hatte sogar de Witte nicht erwartet. Der Oberst erklärte, er hätte nur gewartet, um den Serben unschädlich zu machen. De Witte: „Wir können ja auch so von ihm alles erlangen.“ Das hielt Wallenstein für zweifelhaft, fragte lachend, ob de Witte gar den Michna bemitleide, der keinen Strick zum Hängen wert sei. Gegen den Serben wurde ordnungsmäßig vorgegangen, seine Frau warf man aus dem Haus. In diesem Augenblick setzten sowohl der Holländer wie der Judenprimas ihre ganze Energie ein, um einen weiteren Fortgang der Sache zu verhindern, von der sie nicht wußten, ob der Oberst sie bloß seines Vorteils wegen oder aus Rachsucht betrieb; sie waren beide nach ruhiger Überlegung der Meinung, daß der Böhme nur seinen Vorteil im Auge hatte. Denn er hatte auch sonst, trotz seiner gräßlichen Leidenschaftlichkeit, nie einen ernsthaften Handel gestört. Bassewi bot im Namen der Prager Judenschaft, die sich von einer allgemeinen Haussuchung bedroht sah, dem Oberst einen ungeheuren Rohsilberbetrag für die Zwecke der Münze an, wenn die Sache niedergeschlagen würde. Von Wallenstein fand das, seinem alten Helfer Bassewi die Hand streichelnd, erstaunlich von der Judenschaft, denn wie denke sich die Judenschaft schadlos zu halten? Er schien nicht geneigt, den Serben loszulassen. Als ihm erklärt war, daß von Michnas Teil ein Betrag abgezogen würde, wurde die Haftentlassung Michnas von dem herzlich amüsierten Oberst in Aussicht gestellt. Sie erfolgte nach einigen Wochen. Michnas Teilhaberschaft am Münzkonsortium verblieb. Der klägliche Serbe schlich sich, von de Witte geführt, in das Haus des Obersten, um zu danken. Der war verwundert, daß der Serbe schon entlassen war, freute sich mit ihm über den guten Ausgang der Angelegenheit. „Was hab’ ich?“ jammerte der Serbe, als er neben de Witte zwischen den fürstlich gekleideten Trabanten des verschwenderischen Obersten auf die Gassen ging, die von hungernden Menschen belagert waren, „ich muß wie ein Bauer arbeiten, um den Juden ihr Geld wiederzugeben.“ „Wißt Ihr, Herr, mit einem Mann wie dem Obersten soll man es nie verderben. Ihr werdet sehen, es wird Euch gut gehen, wenn Ihr zu ihm haltet. Es gibt noch große Möglichkeit in Böhmen. Wenn die Leute auch etwas hungern.“
Das Silber wurde knapper. Der Preis stieg. Michna, geängstigt über den Ausgang der Sache, schlug selbst vor, neue Mitglieder zu suchen. Sie wurden allmählich vierzehn; ihre Namen waren nur wenigen aus dem Kaisertum bekannt. Der alte Fürst Liechtenstein trat ein, — der Oberst arrangierte es, — um im Interesse des Kaisers seine Hand im Spiel zu haben; dann ergriff ihn die Leidenschaft; er konnte nicht mehr heraus.
Der schmerbäuchige hartstirnige Münzmeister, der uralte Wresowicz, der auch Kammerpräsident war, wurde hineingezogen; die Umtriebe konnten ihm nicht verborgen bleiben. Er, der sein Amt verrotten ließ, drängte sich gierig vor, die Gesellschaft war gesichert, er segelte bald auf dem Schifflein Fortunas.
Der Schwindel ergriff das Konsortium; man rollte einem Abgrund zu.
Gemietete und freiwillige Aufkäufer von Silber flitzten durch das Land, drangen in die Bauernhäuser; mancher von ihnen ließ sein Leben für zehn Dukaten. Eine Anzahl Glücksritter, das Attentat auf das Volk ahnend, organisierte auf eigene Faust Banden, die sich Soldatentracht anlegten; unter dieser Maske zogen sie auf Raub aus. Kaiserliche Trompeter verkündigten auf den Plätzen, alles Silber müsse abgeliefert werden an die Münze; darauf verschwand es unter dem schwülen Gerücht der Dinge, die umgingen, jäh aus dem Verkehr. Schon wurden für einen Reichstaler vier neue Gulden geboten. Das Mißtrauen im Volk wuchs rasend; verstört fragte einer den andern aus. Man fragte überall, wo die Kammer sei, wo Wresowicz sei; Vertreter der Zünfte der Kaufmannschaft liefen auf die Ämter, bestürmten die ihnen bekannten Landesoffiziere. Bekamen Lachen und mitleidiges Achselzucken zur Antwort, es verliere ja keiner bei dem Sturz des Geldes, bleibe alles so. Für immer? Für immer! Und einige glaubten es, die meisten ließ die Furcht nicht los, sie sahen ihr Hab und Gut ohne Öffnung der Tür aus den Stuben gestohlen. Die schrecklichen Gerüchte nahmen kein Ende, daß hinter den Silberaufkäufern eine Wuchergesellschaft stecke, der sich der Kaiser in seiner Geldnot mit Haut und Haaren verschrieben hätte; daß die Jesuitenpater dahinter säßen, Rache an den böhmischen Brüdern zu üben.
Daß man in einem Sack saß der täglich fester zugeschnürt wurde, erfuhren alle an jedem Morgen: der Hunger stellte sich ein. Die Stadtarmen lungerten aufsässisch auf den verbotenen Märkten herum, ihre Sterzenmeister erklärten, keine Gewalt über sie zu haben; es stürben zu viele, die Männer und Frauen seien ihrer Sinne nicht mehr mächtig. Die Rudel dieser verlumpten und vertierten Menschen bildeten an den Toren und Hauptstraßen eine Gefahr; Bauern wagten sich mit ihren Fahrzeugen nicht hinein; was sie brachten, war im Nu verschlungen von dem sich grausam balgenden Gesindel. Sie wollten auch für das lange Geld nichts hergeben. Söldner, die man gegen die Bettler aufbieten wollte, verbündeten sich mit ihnen, plünderten, was sich blicken ließ. In die Häuser rief man hinein, was der Gulden koste. War man noch erschreckt von den sechsundvierzig Gulden der Mark, so kletterte der Wert auf fünfundfünfzig, auf dreiund sechzig, auf siebenundsiebzig. Eine Mark galt siebenundsiebzig Gulden.
Die Münze in der Prager Altstadt gelegen, weitläufiges plattes unansehnliches Gebäude aus Holz mit Eisentüren. Posten des Regiments Wallenstein in den Höfen, patroullierend zu zwei, Pulverflasche Lunte Gabel an der Seite, schwere Musketen auf den Schultern durch die Nachbargassen. Fuhren Bauernwagen mit Holzscheiten an, öffnete sich das niedrige breite Haupttor, blitzten am Eingang zur Rechten und Linken bronzene starke Vierpfünder auf gezogenen Lafetten; darüber lungerten Schneller und Zeugdiener, brannten unter sich Kohlen im Becken. Mit Paß versehen schlurrte an dem Lumpenpack vorbei der ungeheure Michna Tag um Tag über den Hof; sein Pferd hielt ein Musketier. Der Serbe, ohne den Hut zu ziehen, wanderte über Treppen und Galerien, von Kammer in Saal, in Diele, durch die glühen vergasten Schmelzräume, lustigen klingenden Stempelstuben, an den Prägestöcken vorbei, in die streng bewachte Vorratskammer, das Wiegezimmer. Leckte sich die Lippen, strich die schwarzen Barthaare zurück, die ihm in den Mund kamen. In schwerer Spannung sprach er keinen der zahllosen polternden Knechte an, Meister und Untermeister wich aus, grimmig seine schwarzbraunen Augen unter dem scharfkantigen Vorbau der Stirn.
Der größte Spekulant des Landes, der tolle Vabanquespieler Wallenstein, lang hohlbrüstig, mit schwarzem Knebelbart, eine kostbare Diamantkette am Hut, stand halbe Stunden lang vor Prägestöcken; wie man auf ihn aufmerksam wurde, wurde er unruhig, schloß die Augen, verschwand.
Das Landvolk, das neue Geld ablehnend, verkaufte nach außen. Da schloß man die Grenzen. Sie trieben nichts auf die Märkte. Ein kaiserliches Patent wurde auf den Plätzen ausgerufen: der Geldwert würde später nicht herabgesetzt werden; man brauche keine Furcht zu haben. Sie höhnten: „Der Kaiser, der Kaiser, er ist mit im Betrug; die Aristokraten kochen ihm ihren Brei, dem Kaiser, dem blinden Hund.“
In der Münze hämmerte es. Heimlich fuhr der steife Liechtenstein nachts vor; Wallenstein begleitete ihn; legten eine halbe Kompagnie Musketiere in die Kellerräume und unter das Dach; den Rest der Kompagnie verteilten sie auf die Nachbargassen, deren Häuser sie mieteten.
Das Jahr um, die Vertragszeit abgelaufen, beschloß das Konsortium den Vertrag zu kündigen; man konnte nicht hoffen noch Silber hereinzubringen. Wie auf de Wittes Einladung die drei Herren, die sich kannten, sich in seinem verschwiegenen Bankgewölbe nacheinander einfanden zu einer Rücksprache — um eine einfache Laterne, die reichen Männer auf Schemeln und Truhen, sehr leise — waren sie, bereit, sich aus jeder Öffentlichkeit für einige Zeit zurückzuziehen, von großer Dankbarkeit gegeneinander erfüllt. „Es soll einer versuchen, nach uns in Böhmen zu münzen“, prahlte de Witte. Sie gingen nicht auseinander, ohne daß Wallenstein sie festhielt und fragte, ob sie vorhätten so sich davonzubegeben, ohne sich des kaiserlichen Dankes zu versichern. „Bitten wir“, er sah den Herren fest unter die Augen, „den Kaiser um eine Ergötzlichkeit. Es hat uns allen Arbeit und Sorge gemacht, wir haben der Majestät über Schwierigkeiten geholfen; soll keiner sagen, der Kaiser lasse sich ungelohnt dienen.“ Der kleine Judenprimas im schwarzen Tuchmantel, der mit Wallenstein im Vertrauen schien, fügte vorsichtig hinzu, es hätte sich in der letzten Woche noch zufällig einiges Metall gefunden. Man könnte vielleicht dieses Metall noch ausmünzen ohne neue Pacht. Michna, der plattnasige Riese, zagte. Kalt schloß der Oberst: „Es wäre erstaunlich, wenn die Römische Majestät unsere Lage nicht begriffe.“
In der Tat erlangten sie Verlängerung des Münzvertrages um sechs Wochen als Dank des Kaisers. Dann versuchte der Kaiser, allein gelassen, weiter zu münzen. Die Münze stand still aus Mangel an Material. Die Herren hatten sich aus dem Spiel zurückgezogen.
Als ganze Züge von Söldnern, die abgelohnt wurden, sich weigerten, das lange Geld anzunehmen und auf der Prager Brücke und in der Altstadt meuterten, weiteten sich die Herzen des Volkes. Die vor Hunger sterben wollten, nahmen ihre Wut zusammen. Man jubelte, wo die Randalierenden sich auf den Straßen sehen ließen, sie, die gefürchteten gehaßten. Man freute sich, daß sie die Backstuben und Schlachthäuser erbrachen. Der lange erwartete Sturm auf die Münze erfolgte von Bettlern in ganzen Regimentern, Gesellen Söldnern Meistern Kaufleuten, als hätten sie ein Signal bekommen. Die Kanoniere an den Geschützen, rechtzeitig benachrichtigt von den Münzmeistern, liefen davon; kein Schuß fiel. Und als man in die Vorratskammern und an die Prägestöcke kam: kein Stück Silber in Kästen und Körben. Sie zerschlugen brüllend die Schränke mit den Formen. Die Nachfolgenden, wütend, warfen sich auf die Ersten, sie hätten gestohlen, sollten hergeben, teilen. Sie faßten sich an die Hälse. Die Masse warf sich in die Nachbarstraßen, wogte rachsüchtig vor das Landschaftshaus, vor den Palast des Gouverneurs. Da war im weiten Umkreis Kavallerie aufgestellt, untermischt mit Musketenträgern. Einige Ladungen streckten soviel hin, wie der Hunger an mehreren Tagen. Zwei Stunden lang schossen die Soldaten über die leeren Straßen.
Der Reichshofrat zögerte nicht, den Beschluß zu fassen, dem der Gouverneur von Böhmen zustimmte, den Wallenstein längst angeraten hatte: den Staatsbankrott zu erklären. Durch Dekret wurde, auf Plätzen und Straßen verkündet, der Gulden auf den sechsten Teil seines Wertes herabgesetzt, nur drei Monate durfte die lange Münze laufen, dann war sie verfallen.
Und nun sahen die Böhmen ihre Armut, wußten, daß sie besiegt waren. Das Elend klafterte auf sie nieder, die gesättigten Herren ließen sie los. Saßen mit leeren Händen; neue riesige Kirchen standen zum Beten offen.
Der Haß wurde in die Massen gehetzt; Schuldner und Gläubiger verstanden sich nicht, der Geldwert verwirrt, auf den Schlichtungsämtern standen sie nebeneinander, spien sich an.
Dies war noch ein Nebengewinn für die Anstifter. Die Götzenbildsäule, Liechtenstein, empfing Michna, murmelte ihm zu: „Das Volk wird sich jetzt leicht regieren lassen. Es ist zwar arm, aber dafür ist es kraftlos. Wir können noch mehr Truppen entlassen.“
D er größere Teil des Infanterieregiments Rudolf Kolloredo, einige Kompagnien des Dragonerregiments Neuhaus wurden abgedankt.
Aus den Summen, die an Wallenstein geflossen waren, ersteigerte er neue Güter; streckte die Hand nach dem freiwerdenden Besitz im Nordosten aus; Friedland und Reichenberg Welisch Schuwigara Gitschin kamen an ihn aus dem Nachlaß des Redern. Das Geld, das an ihn floß, hielt er nicht zurück. Als sein Besitz so groß geworden war, als er dem Kaiser neunzigtausend Gulden für die Abdankung des Regiments Holstein vorgestreckt hatte, dazu noch unaufgefordert die Kavallerie bezahlte, war der Wiener Hof ihm eine Standeserhöhung schuldig. Man zeichnete ihn vor den übrigen böhmischen Edlen, die an der Unterwerfung Böhmens gearbeitet hatten, mit dem Fürstentitel aus. Der Serbe wurde belohnt durch Aufnehmen in die böhmische Kammer.
Liechtensteins Ansicht, daß das Volk anfange, weich zu werden, schloß sich der kaiserliche Hofrat an, indem er befahl, nunmehr neue besondere Steuern auszuschreiben. Die Räte in Wien waren übler Stimmung über die Unordnung in Böhmen; die Schwierigkeiten waren nicht zu beheben. Auf Gurland, dem Schatzmeister, und dem Abt Anton lag das Entsetzen; die Schuldenlast verminderte sich nicht; dazu hing neuer Krieg in der Luft. Abt Anton wandte sich durch den Gouverneur an die reichen Herren des Landes; die schwiegen, taten, als ob sie ratlos wären. Sie wußten auch, daß neuer Druck gefährlich war, da sie nicht allein in Böhmen hausten; ringsum wohnten Bauern, in deren Schränken sich auffällig viel Morgensterne Schlaghämmer Sensen sammelten. Man fing Boten ab von Bethlen Gabor, dem protestantischen Fürsten von Siebenbürgen, geschickt an die böhmischen Brüder; sie sollten nicht verzagen, nicht verzagen.
Eine Getreidekontribution wurde ausgeschrieben. Michna, der Kammerrat, hob noch einmal die Sense zum Schnitt. Er hatte keine Furcht. Er fragte in Wien an, was man von ihm verlange, wenn er den Wert der ganzen Getreidekontribution erwerbe. Michna, nach Abtragung seiner Schuld an die Judenschaft wieder im Besitz ungeheurer Summen, ein blinder Eber, so stürzte er vorwärts, um die Distanz zu den übrigen auszugleichen. Bassewi Liechtenstein berechneten schon den Ertrag seines Nachlasses, denn er würde von den Bauern erschlagen oder von der Hofkammer entlarvt werden. Aber er war verzaubert, sein Herz verkrampft. In sein kleines ärmliches Haus in der Neustadt war eine geringe Wohlhabenheit gestiegen; er hielt sich einen Reiterjungen für sein Pferd, eine alte Kutsche für seinen schweren Leib. Seinen Eltern schickte er unbedeutende Summen, duldete nicht, daß sie ihn besuchten. Mit Vergnügen ging er in die Paläste seiner Geschäftsfreunde; das schien ihm alles kindisch und verächtlich. Eine schmerzartige Wut befiel ihn nur in dem Schlosse Wallensteins; von hier nahm er einen Stachel mit; dieser Oberst baute aus einem Überfluß heraus, so frech, so aufreizend, daß er vor seiner schönen heimwehkranken Frau schmähte: dieser Oberst sei eine Schande für das Land, es sei schon recht, wenn ihn die Bauern beseitigten; es sei ein Hohn auf alles, was unter Menschen billig sei. Der Anblick des Schlosses Wallensteins, der Grimm über die erlittene Gewalt, war es, der Michna kopfüber auf die Getreidekontribution stürzte. Sie fiel ihm zu um den Preis der Brotlieferung an sämtliche in Böhmen stehenden Truppen. Michna rannte vorwärts. In dem Staub hinter seinen rasenden Füßen ließ er seine Konsorten zurück. Er hatte sich nicht über die Größe der Kontribution und über seinen Gewinn auszuweisen; hatte nur das Brot zu einem niedrigen bestimmten Satz zu liefern. Michna gab sich nicht willenlos in die Hände der Bauern; er besaß Erfahrungen aus dem Silberhandel. So wie er im Beginn seiner Laufbahn über die Schlösser gezogen war, stellte er sich an die Spitze von Söldnertrupps; kalt und hart beaufsichtigte er Äcker und Saaten, ließ Widerwillige Säumige in Eisen legen, von ihren Gütern reißen, bewirtschaftete selbst. Er stieß sie morgens im Dämmer aus den Betten, schloß ihre Vorratskammern auf, prüfte die Güte des Saatkorns. Nie kam ein Tröpfchen Glück in ihn; gepeinigt vergrämt und gehetzt warf er sich, wo er sich fand, in einer Hütte neben Soldaten an den Boden; neidisch dachte er seiner stillen Frau in der Stadt. Ihn trieb nur die Lust, Menschen zu unterwerfen, in großem Besitz zu sein, die betrügerischen Bauern büßen zu lassen.
In diesem Jahre wurden zwei Millionen Gulden aus Böhmen erpreßt. Unruhig bewegte sich das Volk. Fester spannte sich die Hand um die Kehle Böhmens. Damals machten einige Leute den Versuch, sich der Krone entgegenzustellen. Es kamen eine kleine Zahl Landesoffiziere Oberbeamte Landrechtbeisitzer, vom jammernden Volk überlaufen, im Landschaftshaus zu Prag zusammen; im Sitzungssaal warf sich einer von ihnen in die Brust, schwor, sie seien Vertreter der böhmischen Stände; man schriebe Steuern aus, verkündige, ohne sie zu fragen; rechtlich ungültig sei solch Vorgehen. Andere ließen sich hinreißen; die Herren saßen in ihren Ämtern, sie hielten etwas von sich und ihren Ämtern, waren beleidigt. Manche erklärten scheu, man müsse sich des Volks erbarmen, das Land werde gänzlich ausgesogen. Nach zwei Zusammenkünften war man einer Meinung: wenn neue Steuern ausgeschrieben und verkündet würden, seien zuerst sie zu befragen; sie seien nicht gewillt, sich ihr Recht aus Händen winden zu lassen. Sie verfaßten ein Schreiben heimlich vor Liechtenstein und den militärischen Behörden, dahingehend, die neuerliche Publikation einer Weinsteuer und Ochsensteuer sei eine unerhörte Steuerung, sie verstoße gegen ständische Privilegien, sie legen Protest dagegen ein. Die Herren faßten die Sache von der formalen Seite; planten einen Kompetenzstreit auszufechten. Sie unterschrieben im Namen der böhmischen Stände.
Der Abend, an dem der Fürst Liechtenstein die Deputation der fremdblickenden Herren empfing, war der fröhlichste, der ihm in Böhmen beschieden war. Er sagte am Tage darauf zu dem Stadtobersten von Prag: „Die Herren sind nicht so im Unrecht. Man muß sich in ihre Gedanken hinein versetzen. Ich kann nicht umhin, das zu bemerken.“ Wie die Szene verlaufen wäre. „Ich habe ihnen sogleich gesagt, die Sache schiene mir so dringlich und so ernst, daß ich nicht werde umhin können, sie ohne weiteres der Hofkammer weiter zu reichen. Und sie stimmten mir zu.“ „Sie stimmten zu?“ „Sie baten dringend darum und unter energischen Hinweisen. Ich mußte den Sprecher beruhigen, daß dies auch wirklich geschehen sollte.“
Während der Gouverneur und der Oberst auf Schemeln nebeneinander an dem roten Kachelofen saßen, trat der schöne braunlockige Slavata ein, ein noch jugendlicher Mann mit kühner spitzer Nase, böhmischer Kammerrat und weitläufiger Verwandter des von Wallenstein, setzte sich unter dem Fenster auf eine Truhe. Er fragte, seine Handschuhe über das Knie spannend, mit sanfter Stimme, wie die Durchlaucht die Deputation der böhmischen Landesoffiziere gestern empfangen habe: „Wie beliebten Durchlaucht die Herren zu bescheiden?“ „Nicht, zunächst gar nicht. Dann las ich laut den Schluß des Schriftstücks durch, das übrigens gut verfaßt war, — ich glaube Euren Stil erkannt zu haben, Herr Slavata.“ Der bog sitzend den Kopf zurück, verneigte sich mit vieldeutigem Lächeln: „Man wandte sich an mich; ich redigierte ungern.“ Liechtenstein winkte ihm vom Schemel herüber: „Ich danke Euch für die Klarheit der Gesichtspunkte, die Schärfe des Ausdrucks. Besonders die Unterschrift ist von einer Exaktheit, die nichts zu wünschen übrig läßt.“
„Euer Durchlaucht haben mir empfohlen, in meiner Umgebung für Klarheit zu sorgen.“
„Und am Schluß des Schriftstücks, den ich laut vorlas, stand die Jahreszahl.“
„Nun?“ drängte Wallenstein händeklatschend.
„Die Jahreszahl war eine glänzende Pointe von Euch, Herr Slavata. Sie zuckten nicht mit der Wimper. Ich trieb es so weit, Herr Oberst, am Ende dreimal die Jahreszahl zu lesen. Sie standen nur ernst, im Wohlgefühl ihrer Sache da.“
„Ich kann mir gut vorstellen die Herren,“ kehlte der vergnügte Oberst, „sie hatten uns alle in der Tasche, saßen schon hier und beehrten unsern allergnädigsten Herrn mit Berichten über unsre schmähliche Wirtschaft.“
Der Gouverneur: „Ihr seid ihnen nicht wohlgesinnt, Herr Oberst.“
„Ihr hättet mich doch einladen sollen zu dem Empfang.“
Sinnend betrachtete ihn das wächserne Ziegengesicht: „Vielleicht habt Ihr recht. Ihr hättet schweigen müssen, und sie wären noch glorioser abgezogen.“
Wallenstein stampfte vor Spaß mit den Füßen: „Ich hätte sie gern gesehen. Sprachen sie nicht von Braunaus Regiment?“
„Nein,“ lachte der lange frierende Greis, dem oft die Augen zufielen, „erst das nächste Mal werden sie’s tun.“
„Sie tun’s“, kreischte Wallenstein.
Slavata legte stolz den Hinterkopf an den Fensterrahmen, freute sich des Spektakels.
Als von Wien die Antwort eingetroffen war und die Herren wieder vor Liechtenstein traten, stand Wallenstein neben ihm am Ofen gebückt auf dünnen gelben Beinen, stumpfe Lederweste auf roter Schärpe, die Jacke schwarz und golden hervordringend, spanische Wülste um die Schenkel, blickte sie aus kleinen klaren Augen fest an. Der Fürst Liechtenstein überragte ihn noch; er sah wie maskiert aus unter seinem breitkrämpigen Hut mit hellroter nackenwallender Feder; ein schmaler weißer Kragen hing um den knöchernen Hals; die Brust war staffiert mit einem dicken Lederkoller, unter dem das grüne Unterkleid hervorkroch; ein breites goldenes Wehrgehenk belastete ihn. Wallenstein hatte dem Gouverneur gesagt, er wolle den Brüdern und Vettern sich nicht entziehen, ihren Haß gern auf sich lenken.
Gemeinsam wurde ihnen das kaiserliche Intimat verkündet. Wer es gewagt hätte und noch wagen könne, im Namen der Stände an den Kaiser zu schreiben.
Wer sei Beamter und getraue sich einen solchen unehrerbietigen trotzigen Ton gegen die Römische Erwählte Majestät anzuschlagen. Wer sei sich seines Amtes so wenig bewußt, um dem Kaiser und seinem Rat unbefragt zu widersprechen. Und wenn sie Böhmen seien, so mögen sie hingehen auf den Weißen Berg und fragen, was dort geschehen sei, und weiter hinunter in den Tiergarten und nachsehen, wer dort liege. Wofern es doch sicher und erwiesen wäre, daß so wenig sie wüßten, wer sie seien, sie wüßten, wann sie lebten. So wolle es ihnen denn Kaiserliche Majestät nicht vorenthalten, daß die Prager Schlacht geschlagen sei und sei entschieden zum Vorteil Habsburgs. Das Land aber ist unter das Schwert gefallen, erobert durch das Schwert, das nur Leichen und Gehorsam kennt. Dies mögen sie sich vergegenwärtigen in allem, was sie sagten schrieben täten und beschlössen. Möchten dessen auch bald gedenken und nicht noch mehr verspielen.
Fürst Albrecht von Wallenstein, der Stadtoberst, stieß leise mit dem Degen auf und räusperte sich. Man blickte auf ihn; er sah ohne Bewegung seinen Vettern in die verwirrten Gesichter.
Das Dokument mit dem Zeichen Ferdinands gab mit langem Arm stumm Liechtenstein dem Sprecher der Herren zur Einsicht. Er machte eine weite Abschiedsbewegung mit Öffnung der Hände. Die Herren, lippenkneifend, die Augen verschleiernd, verbeugten sich tief. Unter denen, die sich am tiefsten verneigten, war auch der schönlockige Slavata.
I n der Synagoge saß Bassewi mit fünf alten Männern der Gemeinde zusammen. Er hatte ihnen lange zugehört; er riet so viele Gelder aufzubringen für den Kaiser, wie sie ohne Schaden vermöchten; mit Böhmen sei es zu Ende; sie müßten, müßten. Die anderen wackelten sorgenvoll die käppchenbedeckten Köpfe; einer sagte gegen seine Füße: „Prag hat reiche Leute und schöne Giebel. Aber eines Tages wird es uns gehen wie der Verwandtschaft in Frankfurt, wenn wir zu stolz sind. Man wird uns auf dem Friedhof zusammenjagen, unsere jungen Leute werden sich an den Türen für uns und unsere Weiber totschlagen lassen, ein Trompeter wird blasen und uns über die Brücke zur Stadt hinausführen.“
Ablehnend hob ein anderer die Schultern: „Und wie lange sind die draußen geblieben? Wie lange hat der grausame Lebkuchler, der Fettmilch, Giftmilch sollt er heißen, triumphiert gegen den Kaiser Matthies? Waren’s zwei Jahre, waren’s drei Jahre. Dann ist wieder der Trompeter dagewesen, hat vor der Stadt geblasen, durch alle drei Tore sind die Verwandten wieder in die lieben Häuser gezogen.“
Bassewi lächelte fein: „Die Kalvinischen, Reformierten und wie sie sich nennen, sind heraus aus dem schönen Land; ist Platz im Land geworden. Man kann sich gut ausdehnen; ich denk, wir werden nicht immer in der Stadt in einem schmutzigen Winkel in der Finsternis sitzen wollen. Sie haben um ihres Jesu willen die Christen herausgejagt mit großen Hunden und mit den Dragonern des bösen Wolfsstirn; warum sollen sie nicht um desselben Jesu willen uns hereinlassen?“
Einer der Männer machte ein mitleidig spöttisches Gesicht: „Möglich wär’s.“ „Möglich ist’s,“ lehrte Bassewi, „sicher ist’s, sie tun’s.“
Der von Fettmilch erzählt hatte summte, mit dem Kopf unzufrieden wackelnd: „Und lassen sie uns herein, so lassen sie uns herein. So geh’ ich doch nicht herein. Laß sie in ihrem Land sitzen und sich wohlfühlen. Es ist uns nicht beschieden, uns hier anzusiedeln. Werd’ ich mich versündigen an Gottes Wort und mein Glück im Lande Böhmen suchen. Was steht geschrieben vom Lande Böhmen? Wo steht etwas geschrieben vom Lande Böhmen? Nirgends. Werd’ ich ein alter Narr sein, aus meinem Haus gehen, mich in Böhmen ansetzen.“
Sein Nachbar: „Und wie lange denkst du und deine Kinder hier in der Finsternis zu sitzen?“
„Solange wie Gott will. Was werd’ ich fragen? Ist doch alles klar für uns Juden. Wird es heißen, wir sollen wieder das Bündel schnüren, nach Jerusalem wandern, gelobt, gelobt sei unser Herr —, so werd ich’s tun. Wird es nicht so heißen, werd’ ich sitzen bleiben und werd’ wissen, ich muß doch warten.“
„Und deine Kinder, Moses?“
„Was ist mit meinen Kindern? Sie sollen tun wie ich. Sie werden Geduld haben. Der Herr vergißt uns nicht. Sie werden nicht dicke Christen werden und sich mit Gesindel vermischen.“
Bassewi blickte lange vor sich hin: „Der Herr segne deine Geduld, Moses. Ich meine, wir werden nicht vergessen, an den Herrn zu denken, wenn wir im Licht sitzen mit unseren lieben Kindern und Enkeln und mit unseren Weibern und allen Verwandten. Wir werden fröhlich sein und doch an Gott denken.“
„Wer wird fröhlich sein, zwanzig Jahr, dreißig Jahr, und an Jerusalem denken. Bassewi, du bist ein kluger Mann, unser klügster und tüchtigster, bist auch unser Richter und Vorstand. Aber glaube mir: gehen sie hinaus in die Stadt oder aufs Land unter die Christen, so sitzen sie im Licht, aber sie werden kriechen vor dem Christ, um ebenso im Licht zu sitzen wie er, und sie werden sich schämen, beschnitten zu sein. Möchten lieber mit Wasser begossen sein und Judäa, ach, das werden sie verkaufen für ein kleines Dorf in Böhmen.“
Sie seufzten zusammen. „Was meint Ihr,“ sang Bassewi, „wenn wir wollen, können wir vom Kaiser einen Brief bekommen, daß wir Handel und Handwerk treiben auf dem Land, auf den Dörfern, an den Märkten.“
Laut weinte plötzlich der am äußersten auf der Bank sitzende alte Mann auf: „Wenn ich das noch sehen kann für meine Kinder! Bassewi, was sollen unsere Kinder Euch Liebes tun.“
Als die Judenschaft Prags eine riesige Summe Geldes dem Kaiser vorgestreckt hatte und ihr durch besonderen Gnadenerlaß gestattet wurde, sich in Böhmen anzusiedeln auf Märkten Städten Dörfern Flecken, wo sie wollte, um Handel und Gewerbe zu treiben, erzitterte der böhmische Volkskörper, eine weißglutende Stange bohrte sich in sein Fleisch. Dies war der größte Schimpf. Nun sollten sie die Bösewichter und Verbrecher unter sich dulden, deren Nährmutter das böse Schwein war, die mit dem Wucherspieß liefen, die das Kreuz schändeten, denen die Falschheit auf der Stirn stand. Ausgesogen das Land; nun sollten sie sich nicht einmal ruhig in ihrer Bettelarmut hintrollen dürfen. Der Giftmord sollte über den reinen Boden des Märtyrers Johannes Huß spreizbeinig spazieren, der Brunnentod. Die Sieger hatten dies getan. Wessen sollten sich unschuldige Säuglinge und Kinder versehen von dem übergegorenen Haß dieser Spinnen, dieser uranfänglichen Malefizer. O wie sie sich wanden.
D ie Welle der Kaiserlichen und Ligisten wühlte sich in ihr Bett. Ersäuft unter ihrem Bauch das Wahlkönigreich Böhmen, die Pfalz; der Bund der Fürsten zerdrückt, sein Haupt, der glanzvolle Friedrich, über die französische Grenze geschleudert. Steinern die katholische Macht vom Main bis zur Adria. Truppen hatte der Kaiser in Böhmen, Mähren, Elsaß; Heere hielten am Rhein, Neckar, in der Oberpfalz.
Vierzehn Regimenter zu Fuß, sechs zu Pferd standen für die Liga, gefürchtete Regimenter: Herbersdorf, Graf zu Fürstenberg, das gräfliche Zollersche, Altringische, Pechmannsche, Schönberg, Lindlo, de Maestro, Erwide, Einnaten, Desfours, Kratz, Pappenheim; Infanterie Anholt, Herliberg, Schmit, Mortaigne, Truchseß, Heimbhausen.
Wie sich der übermächtige Sieger bedrohlich reckte, erstickend über sein Opfer fiel, ging der englische König Jakob mit sich zu Rat. Mit Dighby, dem verbrühten bösen Lord, fuhr der Prinz von Wales, Karl, heimlich nach Spanien. Prinz Karl sollte um Donna Maria, die Infantin werben; so wollte der spintisierende Graukopf vom spanischen Habsburg auf das österreichische Habsburg drücken, daß es den Pfalzgrafen wiederherstellte. Alles sollte ausgeglichen werden durch eine Heirat. Und dann spann er das schläfrige Märchen, gab es den beiden über das Meer mit: der älteste Sohn des Pfälzers solle am Kaiserhof erzogen werden, die Tochter des Kaisers solle ihn heiraten, dann solle er den Kurhut erhalten, spätestens nach dem Tode Maximilians und wieder im schönen Heidelberg am Neckar residieren. Dem König war katholisch wie lutherisch, jeder sollte etwas abgeben, es war alles so leicht.
Das Volk in England raste, als es von dem bald mißglückten Ehevorschlag des Königs Jakob hörte; mit Steinen wurde Dighby und der Prinz empfangen, als sie in Southampton landeten. Tief verblüfft sagte der König: „Ich habe meine helle Freude an dem Volk. Wie hat es das gemacht! Steine auf meinen Gesandten, auf meinen Sohn! Es hätte nicht viel gefehlt, so hätten sie mir den Kopf abgeschlagen. Es steckt doch viel in den Briten.“
Er knurrte vergrimmt: „Sie nehmen ein schlimmes Ende; dumm sind sie, sie sind dumm. Mit dem Protestantismus allein kommt man nicht durch die Welt.“ Er war schwer enttäuscht; hinter allen Widerwärtigkeiten steckte der ekle elegante Springer Buckingham; Prinz Karl sollte ihn scharf beobachten und bei Gelegenheit beseitigen lassen.
Stolz rollten die Reden im Parlament: „Der Katholizismus hat gewettet in zwei Jahren alles wiederzugewinnen, was er in hundert verloren hat. Rettet Böhmen! Rettet das Land des Huß!“ „Man schickt eine Britin, die Tochter des Königs, nach Deutschland und läßt es zu, daß sie ihres kalvinischen Glaubens wegen von Hof und Herd gejagt wird.“ „Die Götzendiener kommen in Rudeln; sie wollen von Spanien übers Meer. Man will sie noch locken. Schlagt die Ratten tot.“ „Der König verrät uns. Er kann seine Tochter schänden lassen, er darf einer Britin nicht den Rechtsschutz verweigern.“ „Das neue Indien! Die spanischen Bekehrungen! Inquisition! Rettet Böhmen!“ „Die deutschen Protestanten sind feige. Wir müssen ihnen zu Hilfe kommen.“ „Der König verrät uns. Die Stuarts sind Papisten. Buckingham verrät uns.“
Es war in den letzten Wochen König Jakobs, wo der Prinz Karl stundenlang an seinem Bett saß, aufmerksam zuhörend; die einzige Stimme, die ihm riet, die bald auch nicht mehr sprechen würde. König Jakob sagte: „Mit Brechen geht’s nicht gegen Habsburg, mit Biegen geht’s. Laß dir sagen: wir können vorerst nichts weiter als klug sein.“
Der Tod drückte gewaltsam seinen Kopf in das Kissen. Zuerst schickte König Karl Freiwerber nach Frankreich, dem wildesten Feind des habsburgischen Spaniens, um Henriette Marie zu holen. Auf Schloß Hamptoncourt hielten sie Hochzeit. Bald waren die Schiffe gerüstet, die Spaniens Seemacht brechen sollten. Lachend legte Buckingham der junge König, hochgezogene starke Augenbrauen, schultertiefes lockiges braunes Haar, kurzer Spitzbart, grauer Hut mit weißer Feder, die Hand auf den Mund, als er sprechen wollte: „Wir denken nach, dann sprechen wir, dann sprecht Ihr.“ Buckingham, der schön parfümierte Mann, mit Schleifen behangen, die Brust mit Liebesbriefen gepolstert, der blasierte Volksverächter, erblich tief, dann begriff er, äußerte: „Die Protestanten müssen zusammenhalten. Böhmen muß gerettet werden.“ Karls Blick flammte; er möge sich nicht gehen lassen; Spanien sei zu bekämpfen, wüßte er das nicht? Müßte man nicht auch gegen Spanien kämpfen, wenn es protestantisch wäre? „Wir müssen es, und wenn es unser Leben kostet.“ Vorsichtig fühlte Buckingham vor: „Das Volk will Krieg wegen Böhmen. Das Parlament nennt uns Papisten, weil wir Deutschland im Stich lassen.“ Die Antwort kam, wie er gewünscht hatte; dem Volk stopft man das Maul, das Parlament findet Platz im Kerker.
Die Schiffe stachen in See gegen Spanien. Das Parlament bewilligte die Mittel.
Als aber die Notschreie aus Böhmen, aus der Oberpfalz kamen, wurden unter dem Drängen des Volkes Subsidien für den Festlandskrieg bestimmt. An den rastlosen unbändigen Teufel, den Bastard von Mansfeld gingen sie; er zappelte in Holland, warb Truppen. Er sollte Böhmen retten.
Im Westen lagerte Frankreich. Sein König Louis der „Allerchristlichste“, sein Land altgläubig. Sie kauten an ihren Neugläubigen, die Hugenotten hießen, rebellisch und stark in Larochelle Stimes Sedan saßen. Ein Mann kam auf, Richelieu, Kardinal. Er wurde in den Conseil berufen; den, der ihn hineinberufen hatte, schickte er in die Bastille. Den Vernichtungskampf gegen die rebellischen Hugenotten leitete er ein; inzwischen gab er dem neugläubigen England Gelder, um Spanien zu schwächen. Er gab dem Krüppel Mansfeld Geld gegen den Kaiser. Die Schreie der Böhmen, der Vertriebenen, der ängstlichen protestantischen Stände vernahm er mit Vergnügen. Es gab nichts, woraus er nicht Gewinn ziehen konnte; fast hätte Richelieu dem Kaiser Geld angeboten, um den Stachel noch tiefer zum Bohren zu bringen. Er hatte wandernde Gesandten, die die Finger in die Wunden Deutschlands und sie zum Eitern bringen mußten.
Und wie sich der übermächtige katholische Sieger bedrohlich reckte, erstickend über seine Opfer herfiel, fuhr der Schrecken in die neugläubigen Länder zwischen Weser und Elbe vor ihrem nahenden Schicksal. Magdeburg und Halberstadt waren leckere Braten, zwei Erzstifte, dreizehn Bistümer und Abteien; der niedersächsische Kreis war auf seiner Hut. Und als sie sich einen Kreisobersten wählen mußten, fiel ihr Auge auf den, dessen Heeresmacht manche ihrer Städte genugsam verspürt hatten. Der starke Däne sagte nicht nein; die deutschen Händel behagten ihm. In seinem Reichsrat saßen Christian Frießen zu Borreburg als Kanzler, der verwegene Magnus Uhlfeld zu Sielsva als Reichsadmiral, Jakob Uhlfeld zu Uhlfeldsholm, Breida, Rankamen, Stephan Brahn zu Kundstrap; sie gewährten ihm vier Tonnen Gold zu Rüstungen; schrieben nach England und Holland, an Mansfeld.
Ihre Werbungen begannen entschlossen auf deutschem Boden. Der lange Halberstädter, Anbeter der pfälzischen Elisabeth, rieb seine eingeschlafenen Beine, trabte hinter seinem Freund Mansfeld her.
M aximilian warnte den Kaiser. Er riß und zottelte mit den Zähnen an seiner Beute. Die Oberpfalz knirschte unter seinen Reformatoren, den Glaubenskommissionen. Seine Kundschafter schwärmten bis nach Ostfriesland. Wien blieb beim Lachen; das Lachen des Kaisers hatte etwas Böses. Nur einige Räte zitterten bei dem Gedanken an Krieg. Wie zahllose Ämter lagen in den Bezirken ob der Ems, unter der Ems, in der Grafschaft Tirol, im vorderösterreichischen Breisgau, im Herzogtum Kärnten, Krain, in Schlesien, Böhmen, Mähren: Salzamt in Wien, Dreißig in Preßburg, Mauth in Linz, Schlüsselamt in Krems, Rentamt in Steyer, Vizedomamt in Linz, Handgrafenamt in Wien. Von allen waren Vorschüsse erhoben, von den niederösterreichischen Ständen Darlehen, von den böhmischen Magnaten, von den Juden, Niederlassungsgelder von den Kaufleuten. Hohe Subsidien vom Papst.
Aber ein Sieb! Regimenter, Regimenter, Regimenter! Sie waren nicht zu entbehren, und wenn sie zu entbehren waren, waren sie nicht zu entlassen aus Mangel an Sold. Erzherzogliche Deputate, prachtheischendes verschwenderisches kaiserliches Hoflager. Abt Anton und Gurland in maßloser Erbitterung über Böhmen, konfiszierte Güter auf fünf Millionen veranschlagt, nur eine Million darauf aufgenommen, ganze vierhunderttausend Gulden vom Gouverneur Liechtenstein abgeliefert.
Unter dem Druck der Kriegsgerüchte, nach Wochen stummen Herumrechnens, hilflosen Keuchens vor Folianten, wütenden Beiseitewerfens von Mahnbriefen der Obersten, verzweifelten Vertröstens von Gläubigern rechts und links in der festdurchjubelten Burg steckte Gurland seine zittrigen Beinchen in die starken Reiterstiefel eines deutschen Kavaliers; die Sporen schienen nicht aus Silber, sondern Blei; breit und schwerfällig stieg er, pumpte seine Beine durch die dunklen Bogengänge. Grämlich lugte er, von Stockwerk zu Stockwerk schwankend, auf den Boden. Umgestürzte Gamaschen hob er mit jedem Schritt hoch. Auf seinem rauchenden Kopf saß ein niedriger Hut mit ungeheurer hinten herabsinkender Krempe und Federsträußen. Ein sehr breites verbrämtes Wehrgehenk hatte er angetan, sein weißer Halskragen war schmal wie ein Band und stand nach rückwärts in die Höhe unter die Hutkrempe. Und wie er in die Stube des Oberhofmeisters hineinpolterte, hatte der nur einen Moment Zeit sich über die abenteuerliche Gestalt des Eindringlings zu wundern, dann stürzten schon die giftigen hitzigen Worte ihn an, trieben ihn aus seinem Sessel. „Herr Graf von Meggau,“ schrie der stirnrunzelnde Kavalier ihn an, „wofür habt Ihr das goldene Vließ? Wofür seid Ihr zehn Sachen auf einmal, Statthalter von Niederösterreich, Kämmerer, Geheimer Rat und sonst was. Soll ich das mit ansehen, was hier geschieht und den Mund halten wie eine Nonne? Es behagt mir nicht, ich sag’s Euch mit einem Wort; Schelmereien stehen mir nicht.“ „Was habt Ihr, Herr Gurland?“ „Leere Säckel, leere Säckel, Herr Geheimrat. Und ist alles kein Geheimnis mehr, Herr Geheimrat, und werde es nicht bei mir behalten. Die Ställe voll, die Herren Jesuiter Stiftungen über Stiftungen, die niederländischen Maler malen ein freches Bild nach dem andern, die Jagden, die Stechereien, Bankette: ich sehe die Schelmereien nicht an. Nicht länger. Dafür die böhmische Münze ruiniert, daß ein paar Stunden noch lustiger und herzhafter einhergehen in Wien. Ihr wißt es. Es sind Schelmereien.“ Der totblasse kleine Meggau hielt sich rückwärts am Sessel fest: „Wer will von Schelmereien reden?“ „Der Kaiser weiß es nicht. Der Kaiser weiß es nicht. Ihr spielt mit mir nicht so. Sonst muß ich, wie ich hier bin, zum Leibdiener laufen, um eine Audienz bitten und reinen Wein einschenken.“ Er schrie zornstammelnd, strampelnd, daß seine Federsträuße schlugen: „Wo soll das hinaus? Sprecht. Seht mich nicht so an. Ich . . .“ Der beladene Mann hielt sich an einem Stollenschränkchen fest; er war schwindlig in seiner Wut. Meggau schob ihm einen Sessel hin. Mit einem Sporen stieß der tobende Kavalier gegen die Füße des Sessels: „Ich brauche Eure Sessel nicht. Die Mißwirtschaft, die verruchte!“ „Scheltet nicht mit mir. Scheltet mit dem Kaiser.“ „Ihr seid allesamt nicht wert, daß ihr seinen Namen in den Mund nehmt. Er könnte zehnmal mehr verbrauchen, als er tut, wenn sein Geld nicht in fremde Taschen flösse. Die tausend Diebe Hehler und Abenteurer, das ist eine christliche Welt. Die Pest soll sie alle befallen.“ „Herr Gurland, warum kommt Ihr zu mir?“ „Ihr werdet mit mir gehen, jetzt, nach Prag, das Land beschauen. Wir müssen Geld auftreiben.“ Versteinert stand der Geheimrat: „Ja, das müssen wir.“ „Ja, das müssen wir,“ höhnte Gurland in praller Wut; „ratet lieber wo, wo, wo. Zieht Euch an. Erbittet Urlaub.“ Der Rat bat: „Ich komm schon.“
Sie fuhren durch die herbstlichen Chausseen, nur sechs Mann Wiener Stadtgarde beritten war ihre Bedeckung. Sie sahen massenhaft Felder, die brachlagen, weil die Ackerer verjagt waren; Gurlands Augen schossen rechts und links. Bevor sie in Prag, einfuhren, flüsterte Meggau: „Laßt Euch nichts merken, die Böhmen brauchen nichts merken.“ Schallend lachte der andere: „Der Herr weiß nicht, daß ich selbst Böhme bin.“
Man zog sich vor ihnen wie Schnecken in Gehäuse zurück. Meggau wurde erbarmungslos von dem andern vor die verwüstete Münze geschleppt; als ein Rittmeister sie auf den Friedhof zu den Niedergeschossenen und sonst Füsilierten führen wollte, lehnte der pelzvermummte Rat müde, Gurland bissig ab.
„Gibt es Zauberer hier?“ fragte Meggau eines Abends den Gouverneur, bei dem sie zu Gast waren. „Vielleicht“, lächelte der vieldeutig. „Ich möchte“, träumte Meggau vor sich, „einen Zauberer oder eine Wünschelrute finden, um Geld zu heben in Böhmen.“
Sie waren fassungslos über die Schamlosigkeit dessen, was sich ihren Augen bot. Gurland selber wollte Hals über Kopf abreisen, Meggau, pedantisch, melancholisch, an langsames Minieren gewohnt, hielt zurück. Sie pürschten hinter Michna, den Friedländer, Liechtenstein, Wresowicz. Meggau drohte: „Das Geld werden wir langsam wieder aus ihnen herausziehen.“ „Warum langsam? Rasch ist es gesunder für die Herren; und zwar seht so.“ Dabei machte Gurland schmerzdurchtobt die Bewegung des Aufhängens.
Als die beiden Wiener Herren lärmschlagend in Prag auftraten, wurde auch Liechtenstein kalt und drohend; als sie verlauten ließen, sie würden eine Untersuchung über die Prager Affären beantragen, behandelte man sie als Luft.
Schweres Ringen am Kaiserhof. Es war klar, daß das Geschick Habsburgs bald wieder in den Händen des Bayern lag, wieder und wieder des Bayern, dem man den Kurfürstenhut hatte geben müssen, und der eines Tages mehr begehren würde. Man schrie, wehrte sich, drang in den Kaiser.
Die unbeugsame Ruhe Ferdinands, der wie ein unverbrennbares Tier seinen schleimigen bunten Leib durch die schwelenden Kohlen zog. Seine grausige Sanftmut; sie wußten, er wollte Rache nehmen an Maximilian, den er den Feinden als ersten opfern wollte, selbst um den Preis, daß Habsburg verloren ging.
Nachdem er sich einige Zeit umgeblickt hatte, trat ein erschreckendes Wesen, der Fürst von Friedland, aus seinem Bau. Er hatte sich aus Abneigung über die Ohnmacht und Haltlosigkeit seiner böhmischen Sippengenossen, dieser phrasenreichen Haufen, gegen sie gestellt. Gewalttätigkeiten machten ihn früh berüchtigt. Dann wurde er katholisch, nahm ein krankes reiches Weib zur Frau, die ihm wegstarb und freie Hand gegen seine Umgebung ließ. Die mährischen Stände waren so töricht, ihm im Kampf gegen den Kaiser seine Regimenter zu belassen; er verriet sie, suchte seine Truppen zum Kaiser überzuführen: wollte sich des mährischen Landtags in Olmütz bemächtigen, desselben, der ihm die Regimenter gegeben hatte. Nur mit dem Rest eines Fähnleins, acht Munitionswagen, Regimentsfahnen und sechsundneunzigtausend Mark der Kasse schlug er sich, selber verraten, nach Wien durch, saß eitel am Tisch des Kaisers; der ließ ihn angewidert heimlich abschieben, warf das Geld den Ständen nach. Abscheu und Gelächter, wo sich der von Wallenstein sehen ließ.
Vor der Prager Schlacht war die Hoffnung der jungen Böhmen ein königlich stolzer reichbegnadeter Mann gewesen, ein Hans Georg von Wartenberg, der nicht dreißig Jahr alt war. Als Kriegskommissar bereiste er beim Anrücken der Katholischen zwei Landkreise, nachdem er sich aus dem schwelgerischen Treiben der englischen Elisabeth auf dem Prager Schlosse gelöst hatte. Wie die Schlacht verloren war, plötzlich, ehe er noch seine Ausgehobenen dem Heer zugeführt hatte, umringten ihn im Standquartier die befreundeten Männer und Frauen aus der Nachbarschaft zusammenströmend; aller Gedanke war nur an ihren Abgott. Sie flehten ihn an, zugleich wie Mütter und wie Kinder, zu fliehen. Wenn alles verloren ginge, er solle bleiben; gefangen war, woran sie sich halten konnten; er möchte leben, fliehen. Leidend fügte er sich, empfand als Kränkung, daß man gerade ihn fortschickte, konnte nicht verstehen, wie gerade diese Frauenstimmen so in ihn drangen, war halb verzweifelt, daß sie letzten Endes auch Verräterinnen an der großen Sache seien. Er war gewohnt nachzugeben. Ritt nach Sachsen. Kaum einen Monat hielt es ihn, da verschwand er aus Dresden; heimlich gelangte er über die Grenze, als er schon von den Landleuten entdeckt war. Aus den Nachbarstädten überholten ihn Sendboten, erzählten vergraust von den Prager Vorgängen; er fluchte, schlug um sich, als sie baten, er möchte umkehren. Aber Liechtenstein in Prag war kühler als die Söldner und die Gerichte; ein Fähnlein Musketiere nahm den todesgemuten brüllenden Wartenberg mit seinem Anhang schon zwischen Saaz und Radonitz fest, führte ihn samt den zwanzig toll sich gebärdenden jungen Edelleuten, die ihn verteidigen wollten, ruhig und ohne Aufsehen aus dem Land heraus. Und dann sahen die Böhmen zu ihrem Vernichtungsschmerz, daß man ihm, der bisher verschont war, den Prozeß machte als flüchtigem Rebell, obgleich er unter die erlassene Amnestie fiel. Er war Besitzer von Rohrzak, Neuschloß, Böhmisch-Leipa; hinter allem steckte Wallenstein; Wallenstein brauchte die Güter zur Abrundung eines eben erstandenen Areals. Mit Ingrimm verfolgte das Land die Angelegenheit. Die Güter wurden ihm abgesprochen. Der geschlagene verbannte Mann lebte, monatelang von Stadt zu Stadt irrend, von den Zuwendungen seiner Sippe. Die pfalzgräfliche Prinzessin Sabine hing sich an ihn; als sie heirateten, schwur sie weinend, ihm zu seinem Recht zu verhelfen. Die Fürsprache des sächsischen Kurfürsten, reich begründete Eingaben an die römische Majestät fruchteten nichts. Die Hofkammer ließ es bewenden bei dem Urteil Liechtensteins; das anfängliche Gnadengehalt, das man der lieblichen Sabine gewährt hatte, wurde ihr entzogen wegen der unerschwinglichen Kriegsauslagen. Zum Schluß bedeutete man ihm, die Güter seien nicht sein Eigentum; er verwalte sie nur als Sequester von seinem Oheim. Sie wühlten sich arm beschämt hilflos in eine kleine Reichsstadt ein.
Als wenn ihn der Schwung der Ereignisse verjüngte, heiratete der Friedländer nach den Münzunruhen eine Tochter des Grafen Harrach, des kaiserlichen Lieblings, der neben ihm Güter gesammelt hatte und dem die Herrschaft Bruck an der Leitha, die Grafschaft Ungarisch-Altenburg zugefallen war, begann ein glänzendes Treiben zu Prag, er, Oberst und Gubernator im Königreich Böhmen. Unfaßbar wie ein Aal war er geworden. Der Umfang seiner Geschäfte, an denen sich die halbe Prager Judenschaft, große auswärtige Bankhäuser beteiligten, übertraf alles Bekannte. Man sah ihn hager, im roten Purpurmantel, darunter der einfache braune Lederkoller, täglich durch die Straßen der Altstadt reiten, von seinen Offizieren gefolgt. Mit ihnen pokulierte er, seine Gicht nicht achtend, in ihren Häusern, bramarbasierte, spekulierte. Die frechen Beutezüge, die Kriegsdrohungen des Mansfeld, der im Haag saß, waren das tägliche Gesprächsthema. Die Kriegsoffiziere drängten fort, wollten nicht versauern. Täglich schrien sie: „Der Mansfeld, der Mansfeld!“ Sie hingen an ihrem Oberst, der sie mit reichem Geld überschüttete: „Sind wir nicht üppig genug? Müssen wir zurückstehen? Der Mansfeld rüstet wieder!“ Lärmten täglich mehr, wollten ins Reich hinaus; bestürmten den Friedländer, der mit seinen listigen lautlosen Augen saß und nichts vernehmen ließ.
Ganz unvermutet erschien in München in der Residenz eine sonderbare kostbar gekleidete Deputation, von livrierter Dienerschaft gefolgt, geschickt wie sie sagte von einem mährischen Edelmann, der sich anheischig machte, dem Kurfürsten in den kommenden Kriegsnöten beizustehen mit einer großen Zahl Regimenter, wenn ihm, bei Treuschwur gegen den Kurfürsten, gewisse Selbständigkeit über seine Regimenter belassen würde. „Warum,“ kam als Antwort zurück, „stellt sich der anonyme Herr nicht auf seine eigenen Beine? Will er ein Königreich gründen, kann er’s besser ohne uns.“ Das machte kein böses Blut in Prag. „Ein kluger weltkundiger Herr, der Bayer,“ schwadronierte der Fürst: „hat er doch recht!“
Fing es auf andere Weise an; brachte die ihm unterstellten und von ihm ausgehaltenen Regimenter auf Kriegsstärke und höher, dann holte er seine Kriegsoffiziere zusammen, lieh ihnen Geld, hieß sie sich um Patente bewerben, die Regimenter hielt er wieder aus. Bald waren mit ihm versippt und verbrüdert die meisten Obersten in Böhmen und Mähren. Währenddessen war noch nicht verlautet, was er vorhatte; und unvermindert, ja heftiger trat das Drängen der Offiziere hervor, auf den Feind, der sich zusammenballte, loszuschlagen, fortzuhuschen aus dem verruchten kahlgefressenen Böhmerland. Raufbolde, italienische spanische Kavaliere, dreiste Spieler, Waghälse Trinker Duellanten um ihn, der stundenlang den Würfelbecher nicht aus der Hand gab, Rapiere vor Wut zerbrach, wenn er verlor, aus dem eisigen Berechnen, Belauern nicht herauskam. So groß war sein Anhang zwischen Elbe und Moldau, daß er jedem, der ihm widerstrebte, hätte den Garaus machen können, und weithin ruchbar, nicht verschwiegen wie das Münzkonsortium, war, wer in seinem Gefolge stand. Demonstrierend lud er seine Herren zu sich ein, und es fehlte keiner von den Machthabern des Landes. Die kaiserlichen Verwalter kamen hinzu mit der Pflicht, an diesem Tisch zu repräsentieren, um nicht ganz zu verschwinden.
Er fing an in aufsehenerregender Weise mit seinem Geld umzugehen. In seiner Stadt Gitschin setzte er ein Gymnasium hin, dazu in Kürze ein Alumnat, ein Armenhaus, Hospitäler, ein Kolleg für vierzig Jesuitenväter. Ließ verbreiten, daß er vorhabe aus Gitschin eine bischöfliche Residenz mit Kathedralkirche zu machen. Vom Wiener Hof hatte er erlangt, daß sein Fürstentum Friedland einen besonderen Appellationsgerichtshof erhielt; nahm in dem Land eine Reform von Verwaltung und Rechtspflege vor. Prunkend baute ihm Meister Andreas Spezza ein Haus am Fuß der Prager Königsburg auf dem Hradschin, wozu er sieben Häuser des Klosters Sankt Thomas und zwanzig Lagerhäuser niederriß. Man erzählte, daß er sich als Sonnengott oder römischen Imperator malen ließ.
Wie Wallenstein unbeschäftigt im Lande seine Hände rührte, träge wartend, umspielt von seinen Offizieren, belauert von den reichen Männern und Machthabern des Landes, näherte sich ihm die schwermütige weiche Figur Wilhelms von Slawata, seines Vetters. Dieser Mann, von Verachtung über sein Land geschüttelt, hatte Wallenstein zum Henker Böhmens erkoren, und wollte ihn bewegen, in zwei drei Jahren niederzustrecken, was gegen den Kaiser noch Widerspenstiges in Böhmen lebte. Dieser Mann aus edlem altböhmischen Geschlecht war zum kaiserlichen Beamten geworden, ohne einen Finger danach bewegt zu haben. Von der Universität und der Kavaliertour durch Oberitalien zurückkehrend wurde er Landschaftsoffizier, Vertrauensmann der Martinitz und anderer, die den Abfallbewegungen des Landes die Spitze boten. Slawata hielt zu ihnen, weil er den Tumult verabscheute. Neben ihnen ging er mit langen Schritten, schweigsam, ein schwermütiges dunkelgetontes Gesicht, starke braune Brauen, unter denen weite blaue Augen lagen, deren kalter Ausdruck gut stimmte zu dem breiten Mund mit den eingekniffenen Ecken. Immer standen senkrecht über der Nasenwurzel zwei tiefe Falten; die Stirn zog sich zu ihnen zusammen, sie verfinsterten das Gesicht und ließen nicht den Blick zu auf die schöne Schwingung der Kieferlinie und das Grübchen am Kinn. Er trug auf dem schultersinkenden dunkelblonden Haar ein schwarzes niedriges Samtbarett. Den fleischigen Hals trug er bloß; er bog leicht den Kopf wie lauschend nach vorn und nach links, während er das linke Auge halb zufallen ließ, das sich in der Spalte zitternd hin und her bewegte. Seine rechte beringte Hand, viel weißer als das Gesicht, hielt sich an dem Besatz des violetten schweren Mantels fest, dessen breiter kostbarer Hermelin seine weichen, teilnahmslos abfallenden Schultern überzog. Er war mit Wallenstein eins gewesen in den Angriffen auf das rebellische böhmische Volk; aber der Fürst schenkte dem Volk nicht die geringste Aufmerksamkeit, auch der Verachtung nicht. Slavata, sein Vetter im dritten Grad, verlangte haßvolles Einschreiten, Knebelung. Er liebte keine Frau und kein Kind, haßte nur Böhmen, weil ihn Rebellion anwiderte und die Rebellion ihn, als er sich gegen sie stellte, mit ihren schmutzigen Händen angefaßt hatte. Der Anblick der elf vermoderten Köpfe auf dem Brückenturm gab ihm nur geringe Genugtuung. Mit Freuden hatte er das Münzkonsortium am Werk gesehen, tief beglückte ihn der Zusammenbruch des Königreichs. Es mußte noch mehr geschehen, noch mehr. Um zu erfahren, was der Fürst triebe, besoldete er friedländische Kammerdiener; die belanglosen Sachen, die sie ihm überbrachten, regten ihn tief auf.
Er suchte den Fürsten in der Meierei Bubna bei Prag auf, konnte sein Herz nicht zurückhalten. Der Edle fiel den andern, der schläfrig schien, an, wie ein Ringer einen geölten Menschen, an dem er zu Boden stürzt. Ein kurzes Gespräch bebte zwischen ihnen. Wallenstein, mit ihm zwischen den Ulmen spazierend, mit dem Stock in dem hohen Herbstlaub wühlend, dankte apathisch; er maße sich nicht an, die kaiserliche Politik zu forcieren. Aber sie hätten gemeinsam dafür gekämpft und es hieße nur, den Kampf vollenden. „O,“ blickte ihn spöttisch mitleidig der Fürst an, „was haben Euch die ärmsten Böhmen getan.“ Er lachte kräftig. „Schneidet Euch ein Stück Speck aus dem Schwein, dann laßt es laufen!“ Mit Schmerz gab der Graf nach einiger Überwindung zurück, der Fürst wüßte, daß Böhmen ihre Heimat sei, und daß man sie reinigen müsse von dem Gesindel, das sie besudele. „Ich bin nicht besorgt, vielleicht wendet sich der Herr an den Kaiser selber. Wir treiben nur unser kleines Geschäft, so tagaus, tagein.“ Kräftig klopfte ihm Wallenstein auf den Arm, lud ihn ein, seine Gitschiner Ländereien zu besichtigen. „Der Herr Vetter trägt ja viel nach,“ scherzte er unterwegs, „in dieser Weise wird er nichts vor sich bringen.“
Die furchtbare organisierte Macht des Mannes in Regimentern Städten Ländereien. Slavata mußte sie sehen, das Schwert eines hirnlosen Riesen. Bitter und falsch verabschiedete er sich in Gitschin vom Fürsten, der aus dem Befehlen Lärmen Hetzen nicht herauskam: er wolle zurück nach Prag, er sähe, daß er nichts vor sich gebracht habe. „Sei er mein Freund!“ schrie der Friedländer hinter ihm her, der in schwelender Empörung noch in Gitschin den brillantenbesetzten Türkensäbel Wallensteins über eine Brücke ins Wasser warf, sich aus dem Wagen beugend, die Hände am Wams abreibend.
Slavata war es, der bei einem gelegentlichen Fest versuchend dem Fürsten, als wenn es nichts wäre, als wenn es ihm gelegentlich so einfiele, den Gedanken hinwarf: der Kaiser brauche Hilfe außerhalb Böhmens; wer reich genug sei, fände einen guten Augenblick; wie es wäre: Parteigänger des Kaisers zu werden? Wie der Halberstädter, der Bastard Mansfeld? Es könnte ein ruhmreiches glänzendes Unternehmen werden. Es war ein ungeheurer Gedanke, der ein paar Minuten ungesprochen zwischen ihnen schwebte; sie standen sich zwischen vielen Gästen vor Friedlands Fasanerie gegenüber. Das heisere Lachen des Fürsten darauf war unecht. Wie sich Slavata einen Augenblick umsah, merkte auch der Fürst, daß sich der Vetter vor ihm fürchtete, daß der Vetter fürchtete von ihm niedergestoßen zu werden, und daß er tatsächlich diese Absicht eben gehabt hatte. Niederstoßen, weil dieser Slavata etwas gegen ihn plante. Eben erst sah er es. Das flimmerte weiß und rot durch ihn, und dann hatte sich der schöne Slavata, kopfsenkend mit bösem Blick, sehr rasch unter die übrigen gedrängt. Es roch hinter ihm nach Parfüm.
Der Augenblick war verpaßt. Erstaunt überlegte Wallenstein, wie man diesen Mann rechtzeitig beseitigte, der sinnlos etwas gegen ihn vor hatte. Der andere, seine Furcht bezwingend, war durch den Garten, das Haus gelaufen; es war erwiesen: der Fürst wollte zum Kaiser; das Tier wollte weiter raffen scharren schlucken gewinnen; es war ein Tier. In heftiger Traurigkeit sank er auf das Polster seiner Sänfte. Er hatte dem Fürsten sein Geheimnis entrissen; wie ein Hund mit dem Knochen lief er davon. In unfaßbarer Weise reizte es ihn, wühlte ihn mit Schlamm auf. Im selben Augenblick wie Friedland wußte er von seinem Haß.
Z urückgeworfen nach Wien konnte Gurland, der sich schwer erholte, der bedrückte einsilbige Meggau nur auf Liechtenstein und Michna, die nicht hoch gewertet wurden, und auf den Friedländer hinweisen.
Bei seinem Namen hob selbst Eggenberg, der zu dem böhmischen Unwesen geschwiegen hatte, abwehrend die Hände: „Sie haben ihn den Unmenschen zu Altorf auf der Universität geheißen. Welcher Praktiken sich der Oberst bedient, wissen die Herren.“
Eggenberg ließ sich zu der Frage hinreißen, ob die böhmische Fäulnis über alle Erblande verbreitet werden solle. Man werde einmal aufdecken müssen, wie die Herren vorgegangen seien und was sie an dem Kaiser gesündigt hätten, wenn sie auch titelgesegnet seien. Und Meggau stimmte traurig bei, es sei schmählich, ja scheußlich, diese Herren anzugehen.
Ungeduldig drängte der Abt, der beim Kopfschütteln blieb: „Gebt Rat, gebt Rat.“
Verbissen stand der sanfte Fürst Eggenberg auf; so wolle er lieber bei der Stadt Venedig betteln als bei dem von Wallenstein. „Wer wandert nach Venedig?“ lächelte der Abt mit unbeirrtem Ernst.
„Judäa wird Germanien heißen und nicht anders,“ wanderte der Fürst im Saal.
Abt Anton zuckte die Achseln.
Meggau sagte mitfühlend: „Er ist Euer Verwandter, Fürst Eggenberg, vielleicht haltet Ihr ihn im Zaume.“
„Er ist ein Bösewicht, in Böhmen hartgesotten, ich sage es den Herren und sie werden einmal daran gedenken; und wir legen uns alle in seine harten Hände. Er ist Katholik, aber nur er weiß, zu welchem Ende er zu dem wahren Glauben übergetreten ist. Er hat den Satan in sich, Ehrwürden; ich meine es beinahe nicht figürlich. Darum ist er wütend vor Tapferkeit, darum wirft er sein Geld hinaus, weil es doch wieder zu ihm zurückläuft. Darum ist er ohne Erbarmen, eine Furcht für alle, die ihn kennen.“
„Ihr seid sein Verwandter.“
„Ach Ehrwürden, zu seiner Großmutter ist auch der Gottseibeiuns zahm und liebenswürdig. Ich bin nicht stolz auf ihn.“
„Ich hör’ es, Fürst Eggenberg. Wie will aber Eure fürstliche Gnaden das erzherzogliche Haus erhalten, die Armee stützen und vergrößern. Wir verhoffen doch, Eures Satans Herr werden zu können.“
Der Fürst lachte bitter: „Ihr!“
Als Wallenstein sondiert wurde, geschah das, was in der Tat nur Eggenberg vermutet hatte: er gab eine geradezu abenteuerliche Summe an, die er in Kürze dem Kaiser vorstrecken würde. Es zeigte sich, daß ihm das Geld nichts bedeutete, und daß er dem Kaiser mit aller Habe ergeben war. Der Oberst ließ sich nicht beirren durch das zaghafte Verhalten seiner ehemaligen Konsorten. Es erwies sich bei dieser Gelegenheit für die Herren seines Verkehrs zum erstenmal schneidend, daß er offenbar für ihre Existenz kein Gefühl hatte und ihre Ermahnungen gar nicht in Betracht zog. Ihnen grauste davor, daß er sich so exponierte; sie fürchteten alle wieder für sich selbst.
Michna warf sich hündisch an ihn heran. Ihm imponierte die unverständliche Art, mit der Wallenstein den von Wartenberg behandelt hatte, diese Härte, die sich hätte vermeiden lassen; Wartenberg war Volksgenosse des Fürsten, hatte nichts rechtlich verschuldet, man hätte mit ihm über die Grundstücke verhandeln können. Der Oberst war reich genug, statt dessen zog er nur die Folgerungen aus der Situation. Michna, der neugierig den Gang dieses Prozesses verfolgte, fand den Oberst verblüfft über die Frage, warum er den von Wartenberg nicht schone oder glimpflich behandele. Ja, warum? Warum sollte er das? Sei er denn ein Kind oder ein Dummkopf? Was möchte wohl einer von ihm denken: er sei im Vorteil und ließe ihn aus den Händen? Sein Volksgenosse, gewissermaßen sein Verwandter? Michna sollte sich nicht lächerlich machen, sie seien von Adam und Eva her allesamt verwandt. Und Michna fiel in das schallende Lachen des Soldaten ein, freute sich über dessen festes Auge und das folgende Gespött über das Prinzeßchen Sabine.
Verängstigt lief Michna zu seinem Todfeind, dem Judenprimas Bassewi; aber sonderbarerweise wußte auch der nichts von den Einzelheiten. Bassewi war offenbar ebenso beunruhigt über Wallensteins Vorhaben wie sein Gast; sie suchten sich gegenseitig auszuhorchen, trauten sich zum erstenmal. Michna schüttete dem Juden sein Herz aus: ob der Oberst etwas gegen ihn plane. In dem alten Juden, der an Wallenstein hing, regte sich eine Spur Mißtrauen, das er auch gegen seinen besten Klienten nicht los wurde, weil er ein Christ war. Wie plante Wallenstein jene ungeheuerliche Summe flüssig zu machen, von der er zu den Wiener Vertretern gesprochen hatte. Wen hatte er im Hintergrund. Neue Rebellenopfer gab es nicht mehr. Vielleicht die Judenschaft, deren Geldverhältnisse er gut kannte, vielleicht plötzlich Front gegen seine ehemaligen Konsorten, Liechtenstein oder diesen Michna. Man konnte nicht wissen, wessen man sich von ihm zu versehen hatte. Michna spionierte; er stellte fest, daß Wallensteins Agenten draußen im Reich herumreisten, zu erkunden suchten, wie groß die feindlichen Heere seien, wo die Musterplätze, wieviel Sold man bot. Es konnte alles nur bramarbasierendes Geschwätz des Obersten gewesen sein, den es im übrigen nach Kriegsehren gelüstete.
Zum zweitenmal fuhr Graf Meggau, der Obersthofmeister, nach Prag, das Terrain zu sondieren. Wallenstein tat, als erinnerte er sich seines Vorschlags gar nicht, schien zurückziehen zu wollen, kam unversehens damit heraus: welche Sicherheit ihm vom Kaiser geboten würde. Meggau war überrascht; das war sonst nicht die Art des Fürsten. Im übrigen zeigte es sich, daß Wallenstein kein Interesse etwa an der Verpfändung eines Landstücks hatte; er erklärte, die Regierung und planmäßige Bewirtschaftung seines Areals genüge ihm völlig. So war die Situation völlig unklar.
Meggau, im dunklen Gefühl, hier noch nicht zu Ende zu sein, reiste nicht ab. Der Fürst erklärte, prüfend den wächsernen eleganten Grafen betrachtend, eines Morgens, er werde für den Kaiser fünf sechs Regimenter anwerben, sie installieren und ein Jahr aushalten. Bassewi, Michna fuhren zu dem Fürsten, boten sich ihm an; der Kaiser sei wieder in Not. Friedland schien übellaunig; dann erklärte er höflich undurchdringlich, er werde dem Kaiser als Soldat dienen; wenn es sein sollte, würde er drei Regimenter aufstellen und unterhalten. Bassewi schüttelte den Kopf; wie man sich in Menschen täuschen könne; Michna kam aus der Flauheit nicht heraus.
Es waren kaum zwei Tage vorbei, daß Meggau strahlend bei de Witte eintrat, der mit Michna und Bassewi über eine Transaktion zugunsten des Kaisers verhandelte und ihnen, stehend, die Arme verschränkend, die abenteuerliche Mitteilung machte: Wallenstein habe ihm formell, erst schriftlich, darauf mündlich den Vorschlag gemacht, er werde dem Kaiser eine ganze Armee aufstellen. Eine ganze Armee.
Der plumpe Michna faßte sich zuerst; wenn Wallenstein dies gesagt hätte, ob es nicht Abend gewesen sei bei einem Gelage, oder ob er nicht vorher seinen Wutanfall gehabt hatte. Dann sei alles denkbar.
Meggau, rosig angeglühte Backen, bat um Wein, wiederholte, daß Wallenstein sich in Ruhe mit ihm auseinandergesetzt hatte, so wie sie jetzt; daß er zahlreiche Pläne und Berechnungen vor sich gehabt hatte, daß er ihn durch seinen Kanzler Elz habe zu sich einladen lassen; näheres wolle der Fürst erst später von sich geben.
Die drei Herren in der Gaststube sahen sich an, suchten in ihren Augen:
„Woher hat er das Geld?“ In diesem Augenblick hatten sie alle drei Furcht und waren bereit, sich gegen Wallenstein zusammenzuschließen.
Bassewi sagte vorsichtig: „Eine Armee ist keine Kleinigkeit; mit einer Armee kann man viel Unglück anrichten. Wer Soldaten hat, hat die Macht.“ De Witte, mit den Fingern spielend, beruhigte sich: „Wallenstein ist treu gegen seine Geschäftsfreunde. Er ist der zuverlässigste, klügste Herr, der mit mir gearbeitet hat.“
„Ist er,“ lachte herausfordernd Michna; „aber er war auch einmal gegen Smirsitzky, sein Mündel, untreu.“
„Das alte Lied“, schüttelte de Witte den Kopf.
Michna bekam grelle Blicke, schrie: „Herr Graf Meggau, Ihr vertraut dem Obersten Wallenstein so blind. Hat er Euch verraten, woher er das Geld nehmen will, um den Kaiser zu bezahlen, um ein Heer auf den Fuß zu stellen. Rechnet Euch aus: was kostet eine Kompagnie, Anrittgeld, Laufgeld, Equipierung, Proviant, ein Regiment, Berittene, fünftausend Mann mit Bagage, Artillerie, Brückenzeug, zehntausend Mann, zwanzigtausend. Dann Werber, Werberlöhne, Beamte, Zahlmeister, woher nimmt er das Geld?“
„Ich hab’ ihn nicht gefragt,“ schluckte der Graf augenschließend an seinem Sektbecher, „dies alles ist eben seine Sache. Die Römische Majestät wird auch nicht danach fragen. Uns liegt daran, daß er sein Wort hält.“
Bassewi: „Hat er sein Wort gegeben?“
„Es schien mir so. Er sagte, es würde an ihm nicht liegen, wenn aus dem Plan nichts würde.“
Bassewi hob den Finger zu den beiden andern: „Er hat’s versprochen.“
Wütend kippte der Serbe seinen Schemel: „Das ist es. Er verspricht, und niemand fragt, wie er’s halten wird. Er kann es nicht halten, ich sag’ es, er kann es nicht halten. Es ist über die Möglichkeit.“
„Herr Michna,“ flüsterte bedenklich Bassewi, „er hat es versprochen. Der Friedländer redet nicht in den Wind. Wenn er es gesagt hat, hat er es gesagt.“
Michna brüllte: „Und er verspricht es und wir müssen es halten. Die Majestät fragt nicht, woher er es hat. Warum spricht er nicht mit uns? Ich war täglich bei ihm. Keine Silbe hat er erwähnt. Ist das geschäftliche Treue, Bassewi? Ich will wissen, von wo er bezahlen wird.“
„Weiß man von solchen Herren, wenn sie im Vorteil sind,“ hielt ergeben Bassewi hin, „was sie mit einem vorhaben. Kann man doch nichts weiter tun, als sich gut mit ihnen stellen.“
„Nicht aus meiner Tasche“, schäumte der Serbe. „Ihr hört es, Graf Meggau: bleibt es dabei, was der Friedländer versprochen hat, stellt er eine Armee auf, so ist am gleichen Tage mein ganzer Besitz, fahrend und liegend, Eigentum des Kaisers, der Hofkammer, mit der ich verhandeln werde, was ich für Ergötzlichkeit erwarte. Hört Ihr.“
„Gewiß,“ lächelte Meggau, „wir wußten immer, daß Ihr dem Hause Habsburg zugetan seid.“
Michna flammte: „Er soll nicht sagen, er habe für den Kaiser gearbeitet und wir für uns. Ihr habt es gehört, Graf Meggau. Es bleibt, wie ich gesagt habe, und diese Herren sind Zeugen, daß ich nichts besitze von dem Augenblick an.“
„Ich hab’ es gehört und wir sprechen später davon.“
„Es ist geschehen, ich nehme nichts zurück.“
Erschöpft plumpste der Serbe auf einen Schemel, sah wirr und drohend die Herren an, mit Genugtuung schlug er sich auf die Brust, stöhnte: „So.“
De Witte klopfte ihm auf die Schulter: „Habt keine Furcht; er nimmt Euch nichts, der Friedländer.“
Der Serbe atmete ruhiger: „Nun kann er kommen.“
Den Juden berührte de Witte am Kinn: „Was werdet Ihr tun, Bassewi?“
„Wallenstein ist ein kluger Mann, habt Ihr selbst gesagt. Er wird nicht den Krug zerschlagen, aus dem er oft getrunken hat. Er wird wissen, man hat noch öfter Durst.“
De Witte sann nach: „Ich möchte Euch bitten, Graf Meggau, bevor Ihr etwas Bindendes eingeht mit dem Friedländer, wollet Euch mit uns verständigen. Vielleicht können wir Euch nicht weniger leisten; bitter wird es uns angehen; aber wir möchten nicht zurückstehen, wenn das kaiserliche Haus bedroht ist.“
D ie beiden Unterhändler, Meggau und Harrach, erschienen in Wallensteins Palast; in seinem prächtigen Palmengarten spazierend, hatten sie mit dem Mann eine kurze Unterredung.
Wallenstein fragte, ob der Fürst, dem zur Aufstellung des Heeres Gelder mangelten, der Kaiser und Römische Majestät sei.
So wolle er den Grafen Harrach, seinen Oheim, fragen weiterhin, ob der drohende Krieg im Namen des Kaisers geführt werden solle, vom Kaiser als Kaiser oder wie sonst.
„So möchte ich“, schwang Wallenstein sein spanisches Rohr, „wissen, woher der Kaiser die Mittel für diesen Krieg nimmt. Nach der Aufstellung der Armee. In welcher Weise gedenkt er die Eintreibung des Kriegsbedarfs zu regeln?“
Meggau erklärte unruhig, der Herr irre sich; er kenne vielleicht die Stände des deutschen Reiches nicht. Sie werden keine Steuern zahlen zur Erhaltung des Heeres.
„Graf Meggau mißversteht mich. Ich sprach nicht von den Ständen. Die Armee wird vorerst von mir aufgestellt und alsdann von den Reichslanden ernährt, da sie eine kaiserliche Armee ist.“
„Die Länder, wir schweigen von der Rechtslage, werden nicht zahlen.“
Wallenstein trat erstaunt zur Seite: „Ja, woher weiß das der Herr?“
„Weiß der Herr es anders?“
„Ich bin Soldat. Ein Dorf, ein Markt, ein Bauernhof zahlt sofort, wenn ein Fähnlein erscheint; eine Stadt, ein Kreis, ein ganzes Land zahlt, wenn das Heer ausreichend groß ist. Fragt die Obersten Kolloredo, Braunau. Fragt Böhmen. Fragt die Oberpfalz, die Rheinpfalz.“
„Wäre Euer Liebden ein anderer, würde ich glauben, Ihr habt nicht gut einige Tatsachen im Kopf. Böhmen war ein besiegtes Land, die Pfalz ist erobert. Der Kaiser führt nicht Krieg mit dem deutschen Reich.“
„Was meint der Herr damit?“
„Daß Euer Liebden nicht glauben müssen, das deutsche Reich sei Böhmen und der Kaiser hätte Befugnis mit Reichslanden, friedlichen, ebenso umzuspringen wie mit diesem.“
Die Wut in Wallenstein. Sein gelbes Gesicht vibrierte. Er warf den Degen auf eine Kredenz, die mit Bechern und Kannen im Grünen stand: „Wollen die Herren etwas von mir, oder ich von Ihnen? Wagt der Graf Meggau mich zu kujonieren?“
Graf Harrach beruhigte den schwer erschreckten anderen, der ratlos stehenblieb.
„Trinkt, Herren.“ Wallenstein drängte ihnen Weinbecher auf. Mit starren Blicken auf Meggau hielt Wallenstein das silberne Gefäß, schluckte langsam, preßte die Flüssigkeit, als ginge sie nicht durch den versperrten Schlund.
„Wollt Ihr nicht auch trinken? Graf Meggau.“
„Ich danke Euch, ich bin nicht durstig.“
Harrach flüsterte dem andern zu: „Nehmt Euch in acht.“
Sie saßen auf einer Bank. Statt zu sprechen, erhob sich Wallenstein, packte seinen Degen, bat um kurzen Urlaub, ging ab, den Degen frei in der Hand schwingend. Harrach atmete tief: „Dies ist das Beste. Es hätte kein gutes Ende genommen. Er will sich beruhigen.“
T agelang hörten sie von Wallenstein nichts. Wallenstein hatte seinen tollen Zustand, den sie „den Schiefer“ nannten; die Gicht war ihm in den Kopf gestiegen, seine Augen geschwollen, tiefrot, das Gesicht tiefblaß. Er saß, lag brütend herum; auf Pantoffeln mußte man gehen. Brüllte, sobald sich ihm einer näherte in Sporen oder mit Hunden; in furchtbarer Gereiztheit schleuderte er Becher, Gläser, fiel Unbedachte mit Peitsche und Degen an. Zwanzig Jäger lagen bei solchem Zustand im Keller seines Palastes, in den anliegenden Straßen; erschlugen auf seinen Befehl jeden Hund, der in der Nähe bellte, würgten krähende Hähne; ringsum die Straßen voll Stroh. Sein Arzt war bei ihm zu Aderlaß Dampfbädern.
Zum Erstaunen des freundlichen gebrechlichen Harrachs war Wallenstein, als er sich wieder blicken ließ, noch zornig: „Machen die Herren mir nicht den Vorwurf, daß ich dem Kaiser schlecht dienen wolle. Ich habe es bewiesen gegen Venedig; fragt meine Feinde, die verräterischen Böhmen.“
Er redete mit kränklichem Gesicht, weiten Augen über den blanken Tisch in dem tönenden Hauptsaal seines Palastes; die Bilder von Cäsar, Alexander dem Großen, Hannibal waren überlebensgroß an den Wänden auf Holzplatten aufgestellt; an einer Querwand sah man in sanften Farben die Geschichte Josephs in Ägypten. Der greise Harrach, seine zitternde Hand berührend, sprach seine Freude aus, ihn gesund zu sehen; sie wollten noch einmal hören, welche Gedanken er, der alte Praktiker, über die Armee zu entwickeln habe. Nach einigem Schweigen, in dem er sich offenbar bezwang, stieß Wallenstein, der den langen zuckenden Arm auf dem Tisch liegen ließ, heiser hervor: „Das Wichtigste ist zweierlei: der Kaiser braucht ein Heer, die Stände wollen es ihm nicht aufstellen. Dann: das Reich ist bedroht, dem Kaiser liegt der Schutz ob. Der Kaiser hat die Aufgabe und das Recht, die Reichsverteidigung in die Wege zu leiten; er stellt das Heer auf.“
Graf Meggau bat innezuhalten; er blickte lange und intensiv den Obersten an: „Dies also ist die Rechtslage.“ Dann: „Sie ist Eure Überzeugung, Herr Oberst?“
„Ja.“
„Der Kaiser stellt für das Reich das Heer auf.“
„Danach“, brachte Wallenstein widerstandslos und als ob er jeden Widerstand breche aus sich heraus, „führt der Kaiser niemals gegen das Reich Krieg, wenn er in Deutschland das Heer hinstellt, wo er will, und verpflegen heißt.“
Nun zog der Fürst seinen Arm zurück und schien nicht mehr zuhören zu wollen.
„Das ist ein Weiteres. Habt Geduld mit mir, Herr Oberst. Zunächst sah ich, was ich schon wußte, daß Ihr gut kaiserlich gesinnt seid. Ihr erbietet Euch, sofern die Römische Majestät zustimmt, in ihrem Namen Truppen aufzustellen. Hiergegen könnte von niemandem Widerspruch erhoben werden; jeder Fürst stellt Truppen auf. Daß das Reich diese Truppen zu erhalten hat, ist problematisch: dies werden die Stände bestreiten. Ihr meint, sie täten Unrecht daran.“
„Sie täten besser daran, es nicht zu bestreiten und sich vom Kaiser über ihre Pflichten gegen ihn belehren zu lassen. Graf Meggau, wir haben vor allem die Macht, den kaiserlichen Standpunkt zu vertreten. Sie aber nicht ihren.“
Harrach lächelte ihn an: „Wir wollen es nicht gleich auf einen Krieg mit den Ständen ankommen lassen.“
Wallenstein lachte mit: „Eben. Dies wird ihnen schwer werden. Wir machen es ihnen leicht: wir sind gleich erdrückend da. Widerstand ist aussichtslos, Paktieren, Jasagen die einzige Möglichkeit.“
Graf Meggau hatte sein Gesicht in stärkster Spannung zusammengerissen:
„Also Ihr setzt ein Heer hin, ein großes, erdrückendes; das Reich unterhält es. Der Kaiser ist außer dem Spiel.“
Wallenstein einfach: „Hat der Herr Furcht, daß wir den Kaiser beseitigen? Das Heer ist des Kaisers; darum nur wird es vom Reich unterhalten werden.“
„Und der Feldherr?“
„Wird vom Kaiser nach Willkür ernannt.“
„Und Ihr?“
„Ich setze dem Kaiser das Heer hin und werde ihm wie bisher dienen.“
„Wie gedenkt sich Euer Liebden schadlos zu halten?“
„Ich strecke dem Kaiser nicht zum erstenmal einen Betrag vor. Der Kaiser wird rasch in der Lage sein, wenn er ein großes Heer in Deutschland hat, mir meine Auslagen zu ersetzen.“
Die Spannung blieb unverändert in Meggaus blutlosem scharfem Gesicht: „Sprecht deutlich zu mir, damit ich klar in Wien melden kann: Was fordert Ihr, welche Erkenntlichkeit vom Kaiser als Gegenleistung?“
Behaglich, wie die Katze im Spiel mit der Maus, knurrte, sich über die Tischplatte bückend, von Wallenstein und lachte: „Ich werde keine Gnade fordern. Sofern die Räte auf mich hören, ist mir um mein Geld nicht bange. Ich will in das Heer eintreten. Es soll mir vergönnt sein, wie früher für den Kaiser zu kämpfen.“
Meggau räusperte sich unbefriedigt, ohne den Fürsten anzublicken.
Was Wallenstein plante, kam klar heraus in dem, was er seinem väterlichen Verwandten, dem Harrach, offenbarte. Gemildert berichtete der dem Grafen Meggau davon, der die Augen aufriß. Nach diesem Bericht gebrauchte von Wallenstein Wendungen wie: Adlige, Bürger und Bauern vergessen, daß sie ihr Eigentum nur verwalten; daß sie nur vorübergehende Lehnsträger des Reiches seien. Man kann ihnen ihr Lehen wegnehmen, wenn Reichsbedürfnis vorliegt. Einen Grund dagegen zu rebellieren haben sie nicht; besonders nicht die Adligen, Fürsten und Herren, die ihren Besitz seit Jahrhunderten festhalten; diese sind längst reif, ihre Habe wieder abzugeben. Von Wallenstein erklärte, im allgemeinen und besonders in schwierigen und Kriegszeiten könne man das Nutznießen beenden; das Reich, der Kaiser werde dann gedrängt, das Lehen zurückzuziehen. Das gilt von Pferden, Stroh, Heu, jedwedem Material zur Verpflegung, dazu Unterkunft, Holz zum Heizen, auch Gold und Silber.
Graf Meggau war halb glücklich, halb entsetzt; er hielt sich die Ohren mit den Händen zu, schrie lachend: „Nein, nein.“ Er verlangte nach seiner Art wieder nachdenken zu dürfen, erklärte dann, das sei Böhmen, reinstes echtestes Böhmen, was er gehört hätte. „Die tolle Gesellschaft, das Konsortium, Ihr verzeiht mir, weil es Euer Verwandter ist. Aber der Boden ist unverkennbar. Nicht Hab, nicht Gut, nämlich wenn es den andern gilt. O, ich weiß schon, wie man diese Methode bezeichnen wird. Ihr Name ist so alt wie das Strafrecht.“
Der alte Graf Harrach, verliebt in Wallenstein und völlig in seinem Bann, widersprach nicht; auch ihm gingen die Argumente des Obersten schwer ein. Kleinlaut meinte er, er hielte sich für sehr alt und wolle sich nicht dreinmischen; ohne Zweifel sprächen alle Worte Friedlands von seiner Dienstwilligkeit für den Kaiser.
„Und was sagte Euer Verwandter weiter?“
Harrach meinte bekümmert, wenn man dies für Raubritter- und Strauchdieblogik ansähe, so lohne ja gar nicht, darüber zu reden.
„Er meinte also, dem Kaiser stehe im Grunde absolutes Konfiskationsrecht zu?“
„Jedenfalls in schwierigen und Kriegsfällen. Er sagte übrigens auch nach einiger Überlegung, und dabei hat er nicht mit der Wimper gezuckt, daß der Kaiser nicht nur Anspruch auf die Sachen, sondern auch auf die Menschen hätte.“
„Mein Gott und Heiland,“ rang Meggau die Hände.
„Nicht, als ob der Kaiser seine Untertanen wie Leibeigene besitzen und nach Belieben verwenden wolle, sondern: wie der Kaiser von Reichswegen Geld, Sachen, Proviant als Steuern anfordere, so die Menschen, die er brauche.“ Dem alten Harrach war selbst nicht wohl, als er dies erzählte: „Ich habe ihn gewarnt, solche Reden fallen zu lassen; man möchte die Römische Majestät sonst gefährlicher Dinge gegen die deutsche und christliche Freiheit beschuldigen. Aber ich wußte ja, worauf es ihm letztlich ankam, auf die Söldner. Er ist ernstlich der Meinung, Graf Meggau, ganz ernstlich, daß im Grunde der Kaiser nicht nötig habe, ein Heer anzuwerben und zu bezahlen. Der Kaiser sei unverdient in einer so schwierigen Lage wie jetzt. Er könne im ganzen Reiche eine Wehr ausheben, wenn er es für nötig hielte, und die Leute müßten alles liegen- und stehenlassen und tun, was er befehle.“
„Wißt Ihr,“ Meggau verschränkte erregt die Arme, „redet lieber nicht mehr davon. Diese Phantastereien sind mehr als töricht; sie kompromittieren ihren Urheber. Von Wallenstein täte besser an sich zu halten, wenn er wünscht, daß der Kaiser mit ihm in Verbindung tritt. Was soll man von unserem allergnädigsten Herrn denken, wenn er so gegen die Freiheit eines Menschen verfährt; sich erkühnen, eine derartige Vergewaltigung friedlicher Wesen unserem frommen Herrscher zuzumuten. Der böhmische Herr sagte: aller Besitz ginge seinen Weg, heute hierhin, morgen dahin, man müsse nur ohne Zag zugreifen. Das ist Standpunkt des Kriegers. Ich bin kein Krieger. Wir sind keine Krieger.“
Meggau war ernstlich verstimmt, plötzlich fiel ihm die Geste des Fürsten Eggenberg ein, als von Wallenstein gesprochen wurde; jetzt verstand er sie.
Als sie sich am nächsten Mittag an die Tafel in ihrem Quartier setzten, sagte Meggau, die Waschkanne reichend vorwurfsvoll leise zu dem betrübten Harrach, was ihm vor einer Stunde Michna eingeflüstert hatte: „Wißt, lieber Freund, ich habe es ganz heraus, woher der von Wallenstein so toll kaiserlich gesinnt ist. Er streckt uns das Geld für das Heer vor, das Heer aber soll ihm aus dem Reiche sein Geld wiederbringen mit Zins und Zinseszins. Darum ist das Reich mit einmal vogelfrei. Laßt. Ich habe es erfaßt.“
Sie konnten Wallenstein nicht entgehen. Der einzige Trumpf, der in ihren Händen war, die Magnaten und Wucherer Böhmens, ging ihnen in dem Augenblick verloren, wo die Böhmen erkannten, daß Wallenstein in der Tat sein ganzes Vermögen aufs Spiel setzen wollte. Keiner wagte sich da noch neben ihn. Im Augenblick schwenkten die Verängstigten, die schon begonnen hatten, ihre bewegliche Habe zu verstecken, zu ihm über; im Augenblick flossen alle Quellen für ihn. Es stand etwas bevor. Sie wurden aus Wien herüber herunter zu ihm gezwungen. Nach Wien wurde eine Äußerung Wallensteins berichtet: die Herren möchten sich beeilen; der Däne warte nicht auf sie.
I m Erdgeschoß des Antiquariums in der Münchener Neuen Feste stand der gewaltige Doktor Jesaias Leuker, blauroten Gesichts, den federnbesetzten Topfhut an die linke Hüfte pressend, im blauen bauschigen Wams, dessen Knöpfe unter dem Hals krachten, breitbeinig auf spitzen hochhackigen Stiefeln vor dem leeren Armsessel, hinter dem Maximilian an der Fensterwand lehnte. Vierunddreißig Fenster öffneten sich nach dem weiten Hof; die alten Brustbilder darüber in Öl waren unkenntlich nachgedunkelt. Maximilian sagte mit einem fatalen Lächeln: „Sie mögen sich in Wien in Hoffnungen wiegen. Sie tun es. Noch. Sie lassen alles gehen. Treffen keine Maßnahmen. Sie denken, gebt es nur zu, der kommende Krieg ist nur gegen mich gerichtet.“
„Sie denken ähnlich.“
„Sie wiegen sich in falschen Hoffnungen. Wißt Ihr Näheres?“
Leuker wechselte die Beine; die gelben Stiefelschäfte um die Waden öffneten sich zu einem Kelch mit drei bunten Innenblättern, sanken tiefer: „Man hält zurück; Erzherzog Leopold ist der einzige, der sich gehen läßt; er sagte offen, man hätte genug gefochten und gekriegt; Habsburg sei friedfertig, der Kaiser wünsche das Reich zu beruhigen.“
„Sie gönnen mir diesen Krieg, sagt nur gerade heraus. Welche Partei am Hofe hält zu mir.“
Dann fragte er: „Kennt Ihr den spanischen Botschafter gut? Was ist seine Gesinnung? Ist er befreundet mit einem Minister, ist er fromm?“
Er trat neben dem Sessel hart an Leuker heran, leise bemerkend: „Ich möchte wissen, ob Spanien jede Herrschaft über Ferdinand den Andern verloren hat. Ob es die Dinge gehen lassen will, wie sie gehen. Sagt dem Ognate, daß ich ihn warne; Spanien kann die Subsidien an den Kaiser sparen. Mir sind die Hände gebunden.“
Leuker hob den rechten Arm mit der kleinen Spitzenmanschette vor die gewölbte Brust: „Ognate ist ein unberechenbarer Mensch; er will Eurer Kurfürstlichen Gnaden nicht wohl seit seiner mißglückten Intrige in Regensburg.“
„Sagt, ich hätte gesagt, die Sache jeder katholischen Partei steht auf dem Spiel, wenn man den Kaiser nicht aufrüttelt. Sagt, ich hätte gesprochen von: aufrütteln. Oder gedacht; oder scheine gedacht zu haben, daß er seine Pflicht versäume als hispanischer Geschäftsträger. Die Pflicht gegen seinen wohlmeinenden Herrscher. Es täte mir leid, so denken zu müssen von einem gottergebenen Christen.“
„Er schmäht am Hofe, beim Kirchgang, beim Quintanrennen nur auf den Franzosen.“
„Das Heilige Reich schläft; die Protestierenden nehmen einen starken Anlauf, der Pfälzer und sein Anhang wächst.“
„Ich fürchte“ — Leuker bog kraftvoll den geschorenen Kopf in den Nacken, zog unten an dem pludrigen Besatz seines Wamses. Maximilian stand am Fenster, den Rücken gegen ihn: „Der Herr hat nichts zu fürchten. Der Herr hat dem Ognate mitzuteilen, wie ich ihn instruiert habe.“
Der Marquis Ognate, der Spanier, mußte den Bayern mehrmals fragen, was Maximilian ihm aufgetragen hatte. Er erzählte dann einigen vertrauten Herrn, auch dem französischen Geschäftsträger, dem neuen Kurträger sei die Angst ins Gehirn gestiegen, dicht unter den Kurhut; nunmehr sei eingetreten, was er seit Regensburg prophezeit hätte: der Bayer müßte um spanische Hilfe bitten. Empört stellte er den Doktor Leuker zur Rede: wie er etwas gegen die Römische Majestät zu unternehmen anräte, gegen den nahen Verwandten des spanischen Königs, seines eigenen Herrn. Später war er äußerst geschmeichelt; er freue sich, das Vertrauen des klugen Kurfürsten Maximilian zu genießen; sie vertreten die gemeinsame christliche Sache; er würde nicht säumen mit dringenden Hinweisen seinen allergnädigsten König und die Infantin in Brüssel zu benachrichtigen; sie würden den Ernst der Lage verstehen, sich mit dem Bayern zusammenfinden, er könne seines Eifers gewiß sein. Und stolz ließ der Marquis bald fallen, die niedersächsischen und dänischen Herren möchten nur ihr Haupt erheben; auch Spanien würde wissen, wessen Partei es unentwegt halte; Bemerkungen, die Unruhe am Hofe erregten. Fürst Eggenberg vermochte keine befriedigende Aufklärung von dem Spanier zu erlangen. Da erbat Ognate eines Tages eine Audienz beim Kaiser; schwermütig vermittelte Eggenberg den Verkehr, und es trat ein, was man schon erraten hatte: Ognate überbrachte dem Kaiser Grüße vom spanischen König, Hinweise auf die drohende Weltlage, die einen Zusammenschluß aller katholischen Fürsten erfordere, schließlich eine Einladung zur Beschickung einer Konferenz, die zu Brüssel stattfinden sollte, zur Bereitstellung eines Defensionswerkes gegen die neugläubigen Mächte. Maximilian, der neue Kurfürst, würde daran teilnehmen, mit Spanien und der Infantin.
Einen Stich in der Brust empfand der tief gebräunte, sommerlich gekleidete Kaiser; atemlos wartete er, bis sich der Spanier entfernte, lächelte dann gespannt den zu Boden blickenden Eggenberg an: „Seht Eggenberg! Seht! Versteht Ihr das? So hat er dies Glück auch! Spanien mischt sich in den Krieg ein. Spanien, mein Vetter Philipp will mit Max und was noch mehr ist, vielleicht bald gegen mich.“
„Habsburg ist nicht gegen Habsburg, Majestät.“
„Warum nicht? Wenn etwas dahinter steckt, das die Feindschaft belohnt? Wir sind arm und wehrlos, Eggenberg, fragt den treuen Abt Anton, Gurland, seht das Gesicht meines lieben Grafen Meggau an, die Säckel leer. Und Spanien hat anderthalb Millionen Skudis aus Indien; es wird sich mit Bayern an uns schadlos halten, das weiß der Bayer.“
Eggenberg stand welk dem Kaiser gegenüber auf dem großen leeren Teppich im Empfangssaal: „Es ist kein schöner Schachzug Bayerns. Bayern droht Zwietracht zwischen das erzherzogliche Haus und König Philipp zu säen, wenn wir ihm nicht zu Hilfe kommen. Es ist kein schöner Zug.“
„Was habe ich ihm getan, Eggenberg? Nichts. Warum muß er so wild sein gegen mich, mir zusetzen, vielleicht meinem Vetter Philipp heimtückisch Stücke deutschen Landes verheißen. Er hat Spanien aufgeregt; ein schrecklicher Dämon lebt in ihm.“
Ohne sich zu rühren sagte matt Eggenberg: „Bayern will uns in den Krieg für sich zwingen. Wir könnten es darauf ankommen lassen; Spanien kann von uns nicht lassen.“
„Wie erschreckt Ihr seid, alter Freund! Dies ist noch nicht die stärkste seiner Künste.“ Ferdinand lachte gutmütig. „Er hat uns in der Zwickmühle; er gewinnt, wie wir’s auch anstellen. Er zwingt Euch, den Mund aufzureißen, während Ihr bei Tische sitzt, und Euch einen Zahn herauszuziehen. Ich fürchte ihn nicht, ich kenne ihn ja. Er ist so ungebärdig von Haus aus; Ihr sitzt vergnüglich auf Eurer Bank und er kommt, bittet nicht etwa um eine Krume Brot, sondern um Eure Schuh, Euren Wams Hut Kette Degen, alles auf einmal. Es ist seine Art. Ihr dankt ihm dafür, daß er den Kopf nicht mitnahm.“
„Die Konferenz bei der Infantin werden Eure Majestät beschicken müssen, ich sehe es schon. Soweit hat Bayern auf diesen Schlag gewonnen.“
Wieder lachte Ferdinand gutmütig und schüttelte sich: „Und das Weitere wird ihm ebenso zufallen. Das gemeinsame Defensionswerk wird ihm gelingen; wir werden neben ihm fechten und uns dazu Stücke aus unserem Fleisch schneiden. Und damit sind wir noch nicht am Ende.“
„Verhüt’ es Gott, verhüt’ es Gott.“
Langsam stand der Kaiser auf: „Helft mir parieren, Eggenberg; beten kann ich selber. Rat, Eggenberg, Entschluß, Kraft, Kraft. Ah Dighby: wie ich zu ihm sagte: in die Knie, in die Knie, so ist’s recht.“
Er legte beide Arme auf Eggenbergs zarte Schultern, sanft sprechend: „Denkt, Eggenberg, Ihr sollt die Kraft sein, die mir helfen soll.“ „Vergebt mir,“ sagte er nach einer Weile auf den traurigen Blick, „ich grolle Euch gewißlich nicht.“
S ie schickten aus Wien fort eine finstere zorndrohende Gesandtschaft nach Brüssel; aber sie stießen auf die grauhaarige spanische Infantin, die nicht einmal der Höllenhund unsicher gemacht hätte. Sie war stark in ihrem Glauben und unerbittlich in ihren Ansprüchen, dabei biegsam wie der Wind und gefügig, sich in die feinsten Spalten einzuschleichen. Der Bayer und der Österreicher begegneten sich auf den Gängen ihres Palastes; dem Österreicher war der Zorn auf der Stirn eingetragen, der Bayer wich ihm aus.
Die Infantin trug einen mächtigen weißen Krausenkragen um den dünnen Hals, die braune engärmelige Jacke zeigte ihren mageren sehnigen Arm, sie ging mit kleinen Schritten über den Teppich der Geheimratsstube, der rote weite Rock bewegte sich um sie nicht. Sie setzte sich hochstirnig auf ein niedriges Podium; auf dem grauweißen Haar hatte sie einfachen schwarzen Filzhut mit Reiherfedern. Sie trug dem Gesandten des Kaisers vor, wie arm wehrlos und machtlos das Heilige Römische Reich sei, wie verschuldet der Hof sei bei diesen Ämtern, diesen Staats- und Privatpersonen, wieviel Regimenter noch abzudanken seien und nicht abgedankt werden könnten, so daß der Gesandte nicht faßte, woher ihr diese einzelne Kenntnis kam. Sie stellte Spaniens Macht und dauernde Einkunft daneben; schloß lächelnd stolz: sie wolle für den kommenden Krieg gegen die voraussichtliche Koalition der Katholischen sechstausend Mann, achtzehn Reiterfähnlein, sechs Geschütze stellen.
Der verwirrte prunkvoll ausstaffierte Mann verneigte sich nur, hervorstoßend, daß er davon Bericht nach Hause machen werde. Die Infantin wiederholte ihre Worte, noch freudiger; und stand, nachdem sie ihm mit den Augen zugewinkt hatte, rasch auf; man riß die Tür vor ihr auf.
An den nächsten Tagen umgingen den Österreicher hochmütig die niederländischen und spanischen Diplomaten; es war keine Rede von den schwebenden Geschäften, wie auf Verabredung; man beobachtete ihn freundlich; der Gesandte mußte sich vorsehen, nicht irgend jemand unversehens in seiner Gereiztheit zu überfallen. Er schickte seinen Kammerdiener aus, ein Hoffräulein der Infantin einzufangen, um von ihr Heimlichkeiten zu erfahren; er vermochte lange nicht den genauen Anspruch der Infantin zu ermitteln. Es schien ihm, als ob der Bayer sich über ihn lustig mache; der ging Arm in Arm mit dem Spanier; er stand allein. Eines Morgens wurde ihm durch einen Rat der Infantin die Frage gestellt, was das deutsche Habsburg den Spaniern böte, im Falle es sich am gemeinsamen Defensionswerk gegen die drohende Koalition beteilige. Ohnmächtig sah Graf Schwarzenberg wieder, wie man die Sache umkehrte, daß man um diese Hilfe ja nicht gebeten hätte, da man sich nicht angegriffen fühlte. Sofort fügte der Rat hinzu, die Infantin verlange ein Reichsverbot gegen die Holländer, mit Deutschland Handel zu treiben, Sperrung von Weser und Ems für sie; weiter einen Hafen am Belt. Soweit die Infantin von sich aus, für das spanische Niederland; er vermöchte hinzuzusetzen, daß Spanien alsdann dem Kaiser zur Seite treten werde mit dem niederburgundischen Kreis, daß es die Ächtung Hollands begehre, ferner noch etwas Besonderes. Dieses Besondere wollte der im übrigen sehr bestimmte Rat nicht äußern; er sagte, der fragliche Punkt sei nicht von Wichtigkeit im Augenblick; es ergab sich dann, daß Spanien strikte dem Bayern das Recht bestritt der Achtsvollstreckung gegen den Pfälzer; die Besetzung der Pfalz stünde Spanien zu und müsse Spanien eingeräumt werden.
Glückstrunken hörte der Österreicher dies; am nächsten Morgen wurde ihm durch die Infantin bei einer zufälligen Begegnung vor der Messe derselbe Bescheid; liebenswürdig streng, dabei eigentümlich kokett groß die schwarzen Augen aufschlagend, erklärte sie, sie hätte es mit ihren Räten weidlich erwogen; sie werde dem Kaiser helfen wie der König Philipp; sie könne aber von ihrem Begehren nicht abstehen.
Wie auf Sturmwolken rasten die Kuriere von Brüssel an den Rhein, jagten von Mainz nach Regensburg, wo sie sich einschifften, um dem Hofe diese freudige Mitteilung zu bringen, daß Spanien vom Kurfürsten Maximilian Mannheim und Heidelberg begehre. Es werde unmöglich sein, daß sich die beiden verbündeten. Eggenberg reckte sich, wie sich der Kaiser selbst reckte. Es war der alte Wunsch Spaniens, eine Verbindung von Süden her zu den Niederlanden zu haben. Eggenberg lachte befreit: „Wir werden die Pfalz dem Spanier versprechen.“ Der kaiserliche Gesandte in Brüssel wurde nicht müde, die Wichtigkeit der spanischen und niederländischen Hilfe für den Kaiser zu betonen, er erwähnte die außerordentliche Bereitwilligkeit seines Herrn in eine Allianz mit Spanien und Bayern zu treten, damit den Ungläubigen der Fuß auf den Nacken gesetzt werde; auch werde eine Einigung über allen und jeglichen Punkt sicherlich zustande kommen; soweit er. Bezüglich der Kurpfalz verhehlte er nicht, daß sich die spanischen Wünsche nicht sehr von den deutschen unterschieden, es sei da leider eine Auseinandersetzung Spaniens mit dem derzeitigen Okkupanten des Landes, dem Kurfürsten Maximilian, vonnöten. Bayer und Spanier hatten von dem Tage an weniger Anziehungskraft füreinander; sie gingen mehr Arm in Arm, aber bald fest Degen gegen Degen.
Dröhnend, ehrfurchtheischend der Österreicher vor der Infantin in der Ratsstube. Er überbrachte die besonderen freundschaftlichen Grüße der verwandten Majestät; sie hege die Hoffnung auf glückliche Befestigung des Bündnisses. Die Infantin antwortete stark und kalt; ihre Damen, die um ihren Sessel standen, bewunderten sie, wie sicher sie dem Österreicher seine Anmaßung und Triumph wiedergab. Maximilian zog sich aus dem verlorenen Spiel zurück; sein Gesandter bellte, der Kurfürst müsse über den Vorschlag mit seinen ligistischen Freunden beraten, dann biß er nach dem Spanier: Maximilian wolle jeden Punkt erfüllen, aber Spanien müsse sich mit Waffenhilfe für den ganzen kommenden Feldzug, für alle seine Möglichkeiten bis zum gemeinsamen Frieden festlegen. Eine Forderung, mit der er brüllende Wutausbrüche bei dem fremden Gesandten auslöste. Die alte Abneigung Bayerns und Spaniens lag offen zutage.
Der Zwischenfall war erledigt. Eine herzliche Sonderbotschaft wurde von Wien nach Madrid getragen. Maximilian war allein.
In den Kammern der Burg gingen die Geheimen Räte gespannt umeinander. Der Schlag war abgewendet; wessen sollte man sich vergegenwärtigen. Der Bayer rüstete gewaltig mit seinen ligistischen Freunden und Anhängern. Es konnte das Furchtbare eintreten, daß er den Dänen allein besiegte.
Z wanzig Karossen trabten auf den böhmischen Landstraßen, die den reichen von Wallenstein nach Wien führten. Dieser Böhme war mit nichts in den Krieg gezogen; in fünf Jahren waren ihm an vierundsechzig Dominien im Norden des Königreichs zugefallen, die an der Grenze im Norden bis Melinik, von Leipa-Neuschloß bis Wildschütz im Osten reichten. Als Wahlspruch hatte er gewählt: dem Neid zum Trotz. Er besaß das Land des Rebellen Christoph von Redern Friedland-Reichenberg; ihm gehörte Kumburg-Aulititz, Welisch, Sagan, Weißwasser, Hühnerwasser, Smil, Trotzky, Hauska. Er hatte Böhmen abgerahmt; aus dem feinen giftigen Mund seines Vetters Slavata stammte das Wort: die Schlacht am Weißen Berge hat Wallenstein gewonnen. Der Zug seiner Karossen wälzte sich gegen Wien. Man erwartete ihn mit Beklemmung; die Folgerungen aus der Situation mußten gezogen werden. Man forschte seine Begleiter unterwegs aus, was er sagte, wie er sich äußerte, wie seine Stimmung sei; schickte ihm zwei Ärzte entgegen, die für seinen Zustand bürgen sollten. Während Meggau und andere noch zögerten, waren Eggenberg, Trautmannsdorf, auch Questenberg nach der spanisch-bayrischen Attaque entschlossen, es ginge wie es wolle, sich des tollen Böhmen zu bedienen, ihn auszuschütteln, bis kein Dukaten an ihm hinge; nur auf das Geld käme es an; man lasse ihn projektieren, störe ihn beileibe nicht; die hohen Kurfürsten und Stände würden schon für die Einrichtung zur rechten Zeit sorgen. Die beiden Ärzte hatten Geheimauftrag, in keinem Fall den Böhmen nach Wien hereinzulassen vor oder während eines Schieferanfalls. Aber nichts wurde gemeldet als die prächtige Verfassung, in der sich der Reisende befand; man erwog für ihn Festlichkeiten Schauspiel Judenverbrennungen, unerhörte Ehrungen für einen Privatmann. Trautmannsdorf scherzte, er wolle sich zu einem Tanz um dieses goldene Kalb erbieten.
In dem Pomp, mit dem er sich zu umgeben liebte, zog er in die Stadt ein; die Wiener steckten verwundert die Fäuste in die Säcke, als die versilberten Partisanen der Vorreiter anrückten, Zaumzeug und Schabracken, wie ihr Kaiser sie führte, Lakaien, Pagen in feinsten französischen Stoffen, eine halbe kriegsstarke Kompagnie voraus, eine halbe hinterher als Bedeckung. Unter den Scharen der Herumstehenden lief das Wort, da komme einer von den neuen Alchymisten, die machen Gold aus böhmischem Blut. Als er an dem einstöckigen verfallenen Spukhaus von Schabdenrüssel vorbeifuhr, steckte der Oberst den mageren kurzgeschorenen Kopf ohne Hut zum Fenster heraus, lachte erschreckend stark, wie man sagte, hier könne einer den Buckel verlieren; draußen höhnte man über den Hanswurst, der in seiner Kutsche ungeniert fast eine viertel Stunde lang vergnügt rumorte und meckerte. Verwegene Gesellen der Rauchfangkehrer saßen auf Bänken vor ihrem Bierhaus; brachten ihm ein Konzert, als sie ihn lachen hörten, indem sie mit ihren Besenstielen gegen die hölzerne Hauswand ein knallendes Lied schlugen. Nahe dem leeren weiten Stephansplatz, am Bischofsplatz neben dem Heiligturmstuhl, stand das Haus des Kaufherrn Hans Federl. Da bezog der als überreich und verschroben verschriene Böhme sein Quartier. In diesem Hause hatte noch ein anderer Mann seinen Wohnsitz seit einigen Wochen, der Prager Judenprimas Bassewi. Juden wohnten nicht mehr in der Stadt, sie waren durch kaiserliches erneutes Dekret vor die Mauern verwiesen an den unteren Werd; der Prager mit dem gelben Barett hatte einen kaiserlichen Schutzbrief, man mußte ihn dulden. Das Gesindel, das mit Wallensteins Kavalkade anschwärmte, schrie und tobte, als der abenteuerlich schöne und kostbare Troß vor Bassewis Hause sich staute, die Kutsche Wallensteins sich öffnete und ihn auf die Stiege entließ, die Begleitung in die Nachbarschaft abritt. Haufen über Haufen sammelten sich vor dem Federlhof an; wieder sprangen die Rauchfangkehrer, die berußten Gesellen, stellten ihre Leitern vor das Haus, zu sechs, zu zehn, zu zwanzig, standen da schwarz und grimassierend, meckerten, näselten, kreischten Judenspottlieder, machten sich drauf und dran, auf das Dach zu klettern. Es war eine Beleidigung ohnegleichen, die Wallenstein der Stadt erwies, er, von dem es hieß, daß er vom kaiserlichen Hof geladen war.
Und kurz nachdem die liederliche Stadtgarde, die mit dem Gesindel paktierte, das übermütigste Volk vertrieben hatte, erschien mit einer goldenen Kette um den Hals hoch zu Roß unter dem Heiligturmstuhl ein starkleibiger Stadtrat. Mit entschlossener Großartigkeit stieg er an der freigemachten: Treppe ab, ließ sich in die Empfangsstube führen; eingeladen vom Bassewi selbst, in die Ritterstube zu treten, blieb er starr unter dem Deckenleuchter stehen; er bekenne, sagte er mit durchdringenden Blicken gegen den lächelnden kleinen Graukopf, daß er nicht vorhabe mit Bassewi was auch immer zu besprechen, vielmehr habe er mit dem eben eingetroffenen Prager Oberst, der in kaiserlicher Gunst stehe, zu verhandeln. Jedoch sei dieser, verneigte sich bedauernd der Hofjude, hinten von Berechnungen, nicht astrologischen, sondern einfach geschäftlichen okkupiert; es sei bei dem bekannten Humor des Gastes nicht ganz beliebig ihn zu stören; selbst wenn ein ganz illustrer Besuch vorläge. Darauf fand es der Rat für gut, zu wiederholen, daß er angemeldet zu werden wünsche.
Ehe aber Bassewi die Tür geöffnet hatte hinter einem teppichartigen Vorhang, kam mit langen Schritten, den Blick gegen den Boden, Wallenstein heraus.
Es war seine Art breitspurig zu gehen, wenn er nachdachte, die Stühle beiseite zu rücken, dabei die Lippen aufeinander zu pressen, manchmal rüsselartig zu wölben, um die Möbel herumzuwandern. Er machte lebhafte Grimassen, stieß heftige Worte aus, zischte, lachte, blieb stehen, rüttelte an einem Schrank, schlug wiehernd auf die Tischplatte, ließ sich die Fransen des Vorhangs über den Kopf hängen; öfter setzte er sich mitten während des Wanderns, wo er sich gerade aufhielt. Er kam mit stürmischen Bewegungen aus der Tür heraus, spielte mit den Blicken um die beiden Männer, bemerkte sie offenbar nicht. Bassewi, nach einem Augenwink gegen den Wiener, wich ihm aus, und als er merkte, daß Wallensteins Weg wieder gegen ihn führte, riß er zwei Tischchen und einen kleinen Schemel zur Seite gegen die Wand, verhielt sich völlig lautlos. Der Rat seinen Degengurt umziehend, räusperte sich bei Öffnung der Tür. Als der Oberst um ihn herumging, räusperte er sich unter Scharren der Schuhe; er war entrüstet über die völlig ungewöhnliche Tracht des Fremden, der mit nackten, stark behaarten Armen schlenkerte, um die Brust nur eine niedrige Samtweste, unter den Achseln hervorlugend ein enges Panzerhemd. Dann tönte durch das schmale von Scharren Fußstapfen Zischeln erfüllte Gemach die gepreßte gekränkte Stimme des fetten Rates: „Edler Herr, edler und gestrenger Herr. Unser viellieber Freund.“ Der blieb nach einer kleinen Weile vor ihm dicht stehen, den Kopf über ihn hängend; knurrende knirschende Laute stieß er tierisch über ihm aus, den Mann aufs allerhöchste erschreckend, drängte ihn an die leere Wand, zerrte ihn an dem Degengurt, der einriß, einmal rechts und links, ließ ab; vier große Schritte, hinter Wallenstein wehte der Vorhang, die Tür schmetterte ins Schloß.
Als Bassewi dem krummstehenden Mann helfen wollte, holte der aus, schlug ihm gegen den Hals. Bassewi sagte nichts, nicht einmal, daß sein Haus unter dem Schutz des Kaisers stünde. Der Rat fluchte sich zurechtmachend, spie gegen den Hebräer.
Zwei andere Stadträte, die kurz vor dem Nachtessen kamen, benahmen sich höflich; Bassewis Einladung zum Mahl lehnten sie ab, erhielten aber den beruhigenden Bescheid, daß der Gast seit einer knappen halben Stunde das Haus verlassen habe. Denn draußen standen und rotteten sich die Menschen zusammen, man kannte das sich steigernde Gejohl aus dem vergangenen Jahre, die Eisenhaube der Rumorwache, die Piken der Stadtgarde. Dieses Krakeels wegen ließ sich Wallenstein, der allen Ernstes vorhatte, hier zu übernachten und das von der Stadt angebotene Quartier abzusagen, herübertragen, nachdem seine Soldaten in Kürze die Straße von Volk gesäubert, mit Hieben zurückgedrängt, die verwahrlosten Männlein der Stadtgarde über den Haufen geworfen hatten unter kurzem gräßlichen Gebrüll. Die Erbitterung dieser Stadtwache, die mit dem Pöbel fraternisierte, war so groß, daß der Herr Daniel Moser, der Bürgermeister, den Hauptmann der böhmischen Eskorte aufsuchte, von ihm beruhigende Versprechungen erhielt. Und was den Zorn der auf ihre Piken und Federn stolzen Rotte von Säufern Hehlern Kupplern Gelegenheitshandwerkern am meisten besänftigte, war die Großmut des Fremden.
Als er von der Notlage einiger kleiner Brüderschaften in der Stadt hörte, von ihren verfallenen Baulichkeiten, wies er ihnen hohe Beträge an. Es hieß, er habe zweihunderttausend Reichstaler mitgebracht.
Die Stadt wurde in den nächsten Tagen von Geld überschüttet. Die Räte, hohen Würdenträger, Offiziere, Geistlichen saßen zusammen, sprachen von dem kuriosen Böhmen, der sich mit dem Volk gemein machte und den großen Herrn spielte. Seine Schriftstücke liefen durch die Kanzleien; den Weg hatte er ihnen erleichtert durch Besuche bei den maßgebenden Instanzen. Es geschah etwas, was ohne Beispiel am Wiener Hofe war. Eines Morgens lag der Schnee auf den Straßen und Plätzen hoch, auf den Basteien Brücken Erkern Giebeln Türmchen. Vom Federlhof her rollten Schlitten auf Schlitten auf den Stephansplatz herüber, mächtige unförmige drachenköpfige fischschwänzige Gehäuse, mit Wimpeln und Glöckchen geschmückt. Vor jedem ritten zehn Trabanten; die Gefährte zerstreuten sich in der Stadt. Hielten beim Fürsten Eggenberg, bei Trautmannsdorf, Questenberg, Meggau, beim Abt Anton, beim alten Grafen Harrach, den Beichtvätern Weingärtner, Knorr von Rosenrot, Lamormain, dem Grafen Strahlendorff. Kaum eine viertel Stunde dauerte der Besuch der Abgesandten des Böhmen bei den hochvermögenden Herren; sie überbrachten jedem eine Kostbarkeit, dazu ein Handbrieflein ihres Herrn. Als die aber die Fäden der Brieflein lösten, wurden sie vom Feuer überfahren; der Friedländer schrieb ihnen nach einem Gruße und einer Erinnerung, sein Bankhalter de Witte in Prag sei angewiesen, ihnen die und die Summe, einen ungeheuren Betrag zu überweisen. Mit einer Unverfrorenheit, für die es keinen Namen gab, bot ihnen Wallenstein riesige Gelder an, fragte sie nicht, sagte nicht, wozu warum. Die Schlitten fuhren klingelnd, hellbestaunt in den fröhlichen weißen Straßen herum; die Edlen saßen in ihren Kammern, hielten die Papiere in den Händen, zitterten.
Draußen wälzte sich greifbar, für die Augen kenntlich, grell maskiert der böhmische Schrecken durch die Straßen. Die unten staunten ihn an, aber er hatte Beine, ging in die Stuben ein, war da, widerwärtig, krallte sich an sie fest. Zuletzt fuhr ein Schlitten beim spanischen Botschafter Ognate vor. Er empfing den böhmischen Abgesandten in seinem kleinen Fechtsaal: den dünnen schmalen Degen zwischen die Zähne sperrend nahm er das Brieflein an, nachdem er mit einer hochmütigen Handbewegung die Überreichung einer goldgefaßten Schale aus dem Horn des Rhinozeros, ein breites unförmiges Gerät, verhindert hatte. Die Lippen fletschte er, wie ein Tiger grell wild blickte er den Böhmen und den Trabanten an aus gelblichem erblaßtem Gesicht, machte, ohne sprechen zu können, schüttelnde schleudernde Handbewegungen gegen sie, nach dem Brieflein zu, gegen seine Brust, sein Herz, übersprudelte sie dann, den Degen abziehend, mit losgelassener spanischer Heftigkeit. Darauf plötzlich: sie sollten sich einige Minuten gedulden. Er übergab dem Trabanten dann zu dem Brieflein des Wallenstein einen eigenen, mit geschriebenen Drohungen und Verwarnungen. Ohne sie weiter zu beachten begann er von neuem sein Fechten und Springen, wies nur, als sie die Tür vor sich öffneten, wild auf die Hornschale, die am Boden stand; er hieb flach über sie weg.
Einigen der übrigen Herren half der greise Harrach rasch über die peinvolle Situation. Er lud sie zu sich hin, sprach vom Reichtum seines Verwandten, erwähnte, welche kostbaren Gaben an den Kaiser und die Kaiserin gegangen seien, sagte, wie er ihn bedacht hatte. Man lachte, lachte zaghaft, es war die erschreckende Höhe der Dotationen, die sie erschüttert hatte. Ein Barbar dieser Böhme, gewiß, gewiß. Aber sie waren nicht befreit.
I n dieser Nacht erwachte der Kammerdiener des Kaisers Ferdinand. Er hörte den Kaiser in seiner Schlafkammer kichern, lachen, schallend lachen. Dann hörte er seinen Namen rufen. Er ging eilig durch das Halbdunkel des weiten Vorsaals, in dem zwei dünne Kerzen brannten, zündete an der Wand, wie er sich einem ungeheuren figurenbelebten Rahmen näherte, der die ganze Breite des Saals einnahm, eine dritte Kerze an. Bis zur Decke reichte der Rahmen heran hinter der schweren Kristallkrone; ein dicker Vorhang fiel von der Höhe des Rahmens herunter, füllte mit dichten Falten seine Mitte aus. Dahinter die Schlafkammer Ferdinands. Eine kleine Glastür zur Linken öffnete, das Licht anhebend, der Diener. Eine bemalte bekränzte Mariensäule, blinkend, wieder in den dicken Schatten huschend. Auf dem hohen Polster Ferdinand, aufrecht sitzend, schluckend, Lachtränen in den zugekniffenen geblendeten Augen, die weiße Nachtkappe gegen die rechte Backe vor den Mund gepreßt; er bat sich verschluckend um ein Sacktuch. Er zischelte, indem er sich zurücklegte: „Könnte nicht der — ja wie heißt er doch? — ja könnte nicht der Trautmannsdorf oder der Eggenberg oder einer der Herren gerufen werden? Oder, bleib noch. Schick lieber zu Baroneß Khevenhüller; geh hin, ich ließe sie bitten, sie möchte ihre Herrin wecken, ich wollte ihr etwas sagen.“ Hinterher aus der Kammer: „Nimm die Kerze mit, sag’ ihr, ich ließe die Kaiserin bitten, es sei nichts, ich sei nicht krank.“
Bis an die Tür des Vorsaals geleitete sie ein Fräulein, dann führte sie unter die Kronleuchter an die kleine Glastür der Kammerdiener.
Auf dem Hofe war unter den Bewegungen in den Gemächern die Wache angetreten, man rumorte über den Plätzen, es liefen Schritte über Holzbrettern. Als sie eintrat, war Ferdinands Schlafkammer verdunkelt; er schrie erschrocken: „Wer ist da?“ hatte geträumt. Sie zog einen Schemel von der Wand, setzte sich, die Kerze flammte rot hinter ihr unter der Mariensäule. Er war völlig munter und aufgeräumt, achtete nicht, daß der Diener sich gebückt an der Wand zu schaffen machte; sie hatte ängstlich unterwegs den Mann gebeten, in der Kammer zu verbleiben; schwer konnte sie sich an den deutschen Mann gewöhnen, seine Frömmigkeit war ihr Glück.
„Lore, mir fiel etwas ein. Wie war der Hirsch, den du geschossen hast vorige Woche in Gattersburg; wieviel Enden hatte der noch?“
Sie hatte beide Arme über ihre Knie gelegt, saß leicht gebückt da; ein braunes Seidentuch durchscheinend über ihrem Haar, unter dem Kamm geknotet, verwirrte Locken über der Nasenwurzel; traurig senkte sie den Blick auf ihre gefalteten Hände, weil er sich nicht entschuldigte und weil sie sich nicht darüber wunderte.
„Es war bei Begelhof, Ferdinand.“
„Bei Begelhof freilich. Wieviel Enden hatte das Tier? Zwanzig, nicht wahr?“
„Ich weiß nicht genau.“
„Zwanzig, freilich. Ich zeigte dir doch noch. Ich prägte noch dem Mansfeld ein, nicht zu vergessen an Kursachsen zu schreiben, wieviel Enden es waren, von dir erlegt. Ein kapitales Tier. Denk mal nach. Hast du dich nicht gefreut? Und was hast du denn gesagt, Lore?“
Listig schaute er, auf dem rechten Arm halbseitlings aufgerichtet. „Denk’ mal nach, Lorchen. Es war etwas Schönes, Feines, was ich dir versprochen habe für den Schuß.“
Die junge Kaiserin immer stärker befremdet, tief traurig: „Ach. Mein Mantuaer Betpult.“
Er legte sich zurück, zeigte herausplatzend mit dem Finger: „Das war es, dein altes Betpult, nur nicht aus Holz. Aus Gold und Alabaster. Das Bild unter einem Muschelbaldachin. Und ich versprach dir noch die doppelte Summe, daß du es bekommst.“
Sie bewegte leise sprechend die Hände vor das Gesicht: „Wenn ich das Pult nicht bekommen sollte: verzeih mir. Es war nur ein Scherz. Ich will es gar nicht.“ Ferdinand ausgestreckt, eifrig mit den Armen auf die grüne Decke schlagend: „Sollst es haben, sollst es haben; aber durchaus nicht. Aber einer wollte es dir nicht geben. Und das ist ihm nicht geglückt. Lore, ich habe hier so gelacht für dich, ich bin nicht herausgekommen aus dem Lachen.“
„Weißt du,“ er richtete sich rasch hoch, geheimnisvoll, „mein Schwager Maximilian ist ein kluger Mann; seine Regierung ist streng und seine Politik, o, das ist das klügste, was es gibt. Ich bewundere ihn, ich will es nicht leugnen. Aber er hat nicht immer Glück. Sie sind ihm jetzt scharf auf den Fersen. Mir freilich auch. Aber er, er ruft mich! Er ruft mich! Nun, ich will dir sagen, Lore, seit die Welt erschaffen ist, wurde solch Witz nicht gemacht. Ich dachte schon eben daran, Eggenberg und die anderen zu wecken. Die Herren sollen auch ihre Freude haben, aber ihnen setzen die Altersgebrechen zu, ich will sie schlafen lassen.“
Er sprang im Schlafanzug heraus, griff nach seinem Nachtmantel, warf ihn sich über: „Wollen wir ihm die Armada schicken, die er begehrt. Wenn er sie will, wollen wir sie ihm schicken? Sag’ du, sag’ du, Lore!“
Sie bewegte sich nicht, knüpfte sich nur den Schleier unter dem Kinn auf; er fragte sie nun auch nach Politik.
„Sag’. Sag’ ja. Wenn er ruft, wollen wir sie ihm nicht versagen. Wollen ihm ein gnädiger Kaiser sein. Ein gnädiger Kaiser. O, o.“
Er schaukelte auf der Bettkante sitzend unter Gelächter den Rumpf. Sie wich ihm mit ihren Blicken aus. Er fuhr fort: „Ich werde es mir mit Gewalt abstreiten lassen. Ich werde ein saures grünes Gesicht machen. Hoho. Homer, der schläft.“
Sie war entsetzt; der Kaiser war so erregt und glühend. Sie bat ihn sich wieder zu legen; hilfesuchend sah sie sich nach dem Diener um, er war fort, ein Weinen war sie. Er umarmte sie, indem er mit den Armen zu der gebeugt sitzenden herüberlangte: „Du bist meine herzliebe Lore. Du bist ein Weib, wie es in ganz Europa nicht besser ist. Nicht bei meinem jungen Vetter Philipp, nicht in Mantua.“
B ei Eleonore die Gräfin Kollonitsch, ihre Freundin.
Der einfache stille erwärmte Raum. Auf dem braunen glatten Holzboden der würflige weiße Kachelofen in einer Ecke, auf plumpen kantigen Füßen. Zwischen Ofen und Wand ein kleiner gepolsterter Sitz; da eingeschlossen saß in blauem Samt die mädchenhafte Kaiserin, hörte sanftblickend die schwarze junge Gräfin an, die unruhig auf der hochleistigen Polsterbank eng an der getünchten Wand lehnte. Still endete die Gräfin: „Ich teile seine Liebe mit den Hunden, zwei Falken, Majolikavasen.“
„Du weißt das lange, Angelika. Grollst du ihm?“ „Er liebt ja auch Maria, die Mutter Gottes.“ „Angelika!“
„Beneide ich Maria? Ich weiß nicht; ich muß soviel weinen.“
„Meine arme.“
Ruhiger saß die Gräfin: „Wir leben, allergnädigste Herrin, wißt Ihr, in einer Zeit, die wohl die glückseligste von allen ist; die Kirchen sind prächtig, die Menschen in Masse bekehrt, die ehrwürdigen Väter von der Gesellschaft Jesu sind so eifrig und ihre Mühe ist belohnt, wie sie es verdienen. Nur,“ sie sah mit Tränen zu den rosettengeschmückten Deckbalken auf, „wir Frauen sind nicht gut daran. Wir haben das Nachsehen. Manchmal denke ich, — ich schäme mich, es zu sagen, — wir sind bestohlen und betrogen. Doch, doch, o, ich weiß, ich bin böse.“
„Angelika, wie kannst du so sprechen.“
„Warum dem Glauben alles und den Frauen nichts? Man heiratet uns, der Priester weiht uns zusammen zu einem Paar; und was bin ich dann?“
„Dein Gatte ist nicht gut zu dir. Wir wollen mit ihm sprechen.“
„Ich liebe ihn, allergnädigste Kaiserin, ich bete für ihn. Ich bete für meine Kinder.“
„Du gönnst ihm nicht die Pferde, die Hunde, die Bilder, Angele, nicht einmal den himmlischen Gott und die Heiligen.“
„Ich bin böse, ich bin böse, ich weiß.“ Sie blitzte die feine Dame auf dem Ofensitz an, wild den Kopf zuckend: „Ich möchte meinen Gatten irre machen. Er soll alles vergessen. Das Hirn soll ihm wirbeln. Wie ein Bäumchen möchte ich ihn entwurzeln und in meiner Hand haben und ihn schütteln. So, so.“
„Du bist zornig auf ihn.“
Die Gräfin bedeckte ihr Gesicht vor der zarten Kaiserin, die wie ein Kind die Füße schaukeln ließ: „Ich gehe um wie ein krankes Tier und lasse meine Zunge heraushängen. Ich lebe und will zu ihm.“
Die Kaiserin bückte sich trübe herüber zu ihr: „Wie seid Ihr sonderbar.“
A ls die Römische Majestät hatte verlauten lassen, sie wolle den böhmischen Herrn, den Albrecht Eusebius, Regierer des Hauses Wallenstein empfangen, war die Scham der geheimen Berater außerordentlich. Sie konnten sagen, daß sie trotz seiner Geschenke ihn nicht begünstigt hatten. Wie sollten sie ihm und der eleganten dezenten Mantuanerin diesen Braten vorsetzen, diesen Edlen von Bassewis Gnaden. Wenn Bassewi ein Jude war, so Wallenstein Judenfürst. Man hielt es nicht für ausgeschlossen nach seinem Verhalten in der Stadt, daß er den Juden zum Empfang mitbrachte.
Es hieß, der Kaiser wollte in seiner Milde seinen Schwager im Kampf gegen Dänen und Niedersachsen nicht allein lassen; die Wut am Hofe auf Maximilian, als das Unvermeidliche sich näherte. Sie mußten folgen, sich in Wallensteins schmutzige Hände geben. Als der bucklige Graf hörte, daß der Prager Wucherer in die Burg einziehen würde, sagte er ganz still beiseite zu seinem Freund, dem Abt Anton, nunmehr könne auch er nicht mehr das Beben in sich unterdrücken; nun müsse er sich fragen, ob das Habsburger Haus sich unter solchen Umständen werde halten können, ob der jetzige Kaiser nicht zwar kaiserlich und konsequent sei, aber den Ruin des Hauses herbeiführe.
Die sechzehnspännigen rotjuchtenbezogenen Karossen fuhren an der Burg vor, den Purpurmantel legte der hastige von Wallenstein im Vorzimmer ab; als er bartstreichend wartete, stand nur der naserümpfende Obersthofmeister bei ihm; keiner der hohen Räte hatte sich ihm in diesen Tagen genähert.
Und als er wieder im Vorzimmer stand, hielt sich Ferdinand, die silbernen Schnallenschuhe übereinander gelegt, allein in dem Saal auf einem Schemel sitzend, sich seitwärts auf die Armlehnen stützend, die Hand vor die Augen. Er erinnerte sich, ihm war nicht gut: dieses Gesicht, diesen Kopf hatte er schon gesehen. Er war diesen eigentümlich lautlos hellen kleinen Augen schon öfter begegnet, aber jäh fiel ihm jetzt etwas ein, zog durch seine Brust, strich über seinen Magen, über seine Zunge, etwas Brennendes, Schweres. Ein Traumgesicht, wie kam das nur hierher.
Er ritt und ritt. Er flog fast durch die schwarze Luft. Er hatte das Gefühl, daß das edle Tier unter ihm gleichmäßig trabe, aber so weich war der Boden und doch nicht lehmig, daß kein Schall an seine Ohren heraufkam. Ein moosiger Waldboden. Hier hat ein alter Wald gestanden. Nur ab und zu tauchten Stämme auf, fuhren um ihn herum, wichen aus. Der Wind blies sanft. Und er erinnerte sich, daß Eleonore auf dem Schiff auf der Donau langsam fuhr, auf dem Schiff, das keine Furchen machte; der Weg, der Fluß lief mit ihr mit. Und der Gedanke, daß dies doch einmal ein Ende nehmen müsse. Er könne doch nicht ewig reiten. Sein Zerren am Zügel, seine Sporen, Aufreißen hatten keine Macht. Es schien, als ob er seine Beine nicht bewegte, als ob er sie nur bewegen wollte, und mit keiner Anstrengung einen Muskel spannen konnte. Es hieß, o Jesus, o Jungfrau, sich beruhigen. Es hieß, o Jesus, o Jungfrau, nicht verzagen. Wie ließ sich nur ein Gebet sagen; wie sind die Worte vom Wind verweht. Bäume, Stangen, Dünste, Rinnsale. Und immer das Heben und Senken, Gleiten, Rudern. Das Spritzen des Moors. Es wird heller; es ist die Helligkeit, die der Mund junger Kätzlein hat, bleiches Rosa. Er bemerkte, daß er ein Gießen, Rinnen überhört hatte bis eben. Und dann lag es am Himmel, über der Erde, etwas Schwarzes, Breites, langsam Bewegliches. Das Pferd lief noch weiter. Er konnte den Rumpf nicht wenden, den Kopf nicht abdrehen, um dem Atem zu entgehen, der von oben gegen ihn anwehte. Eleonore fährt auf dem Prunkschiff drüben von ihm ab mit dem Fluß, mit dem Weg nach Wien hin, hinten nach Wien hin, in das Rosa hin.
Menschliche behaarte Brust, die sich über ihn schob, Haare, die wie Wolken, Spinnweben über ihn flockten, menschliche Arme, denen er entgegenritt. Aber ein Wulst, fleischige glatte schlüpfrige Säulen und kalt wie die Haut eines Salamanders. Federnde Bewegungen machte es, mit Ruck, her und hin kam es dichter über ihn. Und unter immer neue Arme glitt er, er schnappte nach Luft, keuchte auf. Ein Tausendfuß, unter dessen Bauch er ritt. Tiefer mußte er sich krümmen auf dem wogenden rastlosen Pferderücken. Ein weiches Wallen des Bauches benahm ihm den Atem, es waren geblähte luftgefüllte schwappende Säcke; sein Bewußtsein schwand auf Sekunden. Seine Kehle suchte ein: „Äh, äh“ auszusprechen, seine Ohren rangen nach Klang. Und der Schwanz des Unwesens schlug von oben herunter, herum von unten wie eine Peitsche, erst unter die Fußsohlen, daß es mit elektrischem Zucken ans Herz drang und stach, dann mit feinen Stacheln gegen die Nasenlöcher, tief tief ins Gehirn herauf tötend. Dann fuhr es gegen den Nabel von vorne her, wirbelte wie ein Drehbohrer, in den Magen, den Leib, den Rücken. Und jetzt dröhnte es auf einmal, ein volles Orgelwerk, sinnlos ungeheuer von der Tiefe in die Höhe tosend, bei einem gellen pfeifenden Ton verharrend, knirschend an- und aussetzend, wie ein Hund, den man an einen Pflock mit den Pfoten angebunden hat, der sich krampft, streckt, krampft, streckt, beißt, beißt. — Er war mit heiserem Gekreisch aufgewacht.
Er nahm die Hand langsam von den Augen, besah sich seinen Handteller, als wenn etwas von dem Traum daran klebe, rieb ihn am Knie.
F erdinand befahl, die Verhandlungen mit dem Böhmen zu einem günstigen Abschluß zu führen. Nur nebenbei sagte er, dies sei ja der tapfere, der ihm bei Gradiska gegen Venedig herausgeholfen habe. Und dabei sah er forschend seinen geheimen Rat Eggenberg an, der an sich hielt. Man hatte dem Kaiser nichts gesagt von den Plänen des Böhmen über die Erhaltung der Armee, es war ausgeschlossen, daß er ein solches Projekt in Erwägung zog; nun riet Eggenberg, und mit ihm der fromme Herr von Strahlendorff in ihrem Widerwillen und Verzweiflung, dem Herrscher reinen Wein einzuschenken. Drei gedankenschwere Herren legten ihr Veto ein, sie drückten die beiden nieder, Anton, Trautmannsdorf, Harrach: „Stellt Habsburg keine Armee auf, ist es voraussichtlich verloren, samt der ohnmächtigen Liga. Gewinnt die Liga, die Liga allein, ist der Kaiser in einigen Jahren erdrückt von dem Bayern.“ „Ruhe,“ sagte Abt Anton sanft, als der alte Eggenberg schwieg, die Hände ringend vor das krampfende Gesicht legte. „Ich bin ruhig,“ stöhnte der.
Von Wallenstein arrangierte in Wien mit Bassewi und dem herbeizitierten de Witte umfangreiche Geldgeschäfte; nach Prag zurückgekehrt, gewährte er dem Kaiser ein Darlehen von neunhunderttausend rheinischen Gulden zu sechs Prozent. Und während noch der greise Fürst Liechtenstein ihm Glück wünschte im Friedländerhaus zu Prag, zu dem guten Fortgang seines Wiener Vorhabens, kehrte zum dritten Male Graf Meggau bei ihm ein, diesmal begleitet von einem hohen schmerbäuchigen Edlen, der unter buschigen Augenbrauen herblickte, ein listiges Kinnbärtlein strich, feuerrote Backen und Nase, der weindurstige Graf Kollalto, des kaiserlichen Hofkriegsrats Präsident. Der schloß formell ab.
Nach einer Anweisung Ferdinands wurde der Durchlaucht dem Fürsten von Wallenstein ein Dekret ausgestellt, wodurch er zum Kapo über alles Volk, das man aus dem Reich und den Niederlanden schicken werde, ernannt wurde.
Mit einer verzweifelten Tollheit waren die Karten hingeworfen; niemand am Hofe hatte den Schritt verhindern können; keiner hatte ihn gehen wollen, bewußt schloß man die Augen und tat ihn.
Es war ein sonderbares Geschehnis, daß nach der Bestellung des Friedländers, ohne daß einer wußte warum, ein Sturm von Erregtheit, von wilder Freude und Entschlossenheit den Wiener Hof befiel. Wie ein Ruck ging es durch Räte Offiziere. Die Werbetrommel schlug noch nicht in den Landen für den Kaiser. Etwas Erschreckendes Aufreizendes lag vor ihnen. Die Ernennung des halb unbekannten Mannes war der erste Schritt. Das Leben bot ein neues Entzücken, ein noch herzlicheres als vor der Prager Schlacht. Damals lief man neben dem Bayern, jetzt sollte der Kaiser, der Kaiser, Alt Habsburg prangen, mit Zehntausenden. Sachte warfen selbst von den Räten manche ihre Betrübnis ab; die Augen gingen ihnen über.
Der Kaiser selbst, nach Nikolsburg auf das Gut des Kardinals Dietrichstein reisend, begehrte noch einmal nach dem Fürsten. Bei aller Ergebenheit stahlhart trat der leidenschaftliche Wallenstein auf; er sagte nichts neues; der Kaiser hatte auf einmal den Eindruck absoluten Entschlusses und der Macht, jeden Entschluß durchzuführen. In Ferdinand wogte es nicht mehr. Er freute sich. Er entschied sich für Wallenstein. Nach Prag ging Wallenstein als Herzog von Friedland; er solle, sagte sein Diplom, der Ehren und Würden, wie andere Herzöge in dem Heiligen Römischen Reich, Erbkönigreich und Landen, teilhaftig sein. Seine Instruktion folgte; sie setzte die Zahl der anzuwerbenden Truppen auf vierundzwanzigtausend an; lobte den Herzog wegen seiner zahlreichen, von Jugend auf erzeigten ersprießlichen Kriegsdienste, seine Kriegswissenschaft und Erfahrung, wies auf das besondere große Vertrauen hin, das die Römische Majestät in seiner Liebden Person zu stellen verursacht war. „Unsere Waffen,“ erklärte der Kaiser, „sollen allein zur Wiederbringung des allgemeinen hochnotwendigen Friedens, zur Erhaltung Unserer kaiserlichen Hoheit, Schutz und Verteidigung des Heiligen Reiches, der Kurfürsten Fürsten und Stände, Land und Leute geführt und geleitet werden.“ Sie hätten auf Freunde und Verbündete, vornehmlich den bayrischen Kurfürsten Bedacht zu nehmen; mit seinen Truppen möge sich der Herzog ins Einvernehmen setzen, unabbrechlich kaiserlichen Vorrangs und Respekts; von Wallenstein möge sich mit der Durchlaucht aus Bayern vereinigen, soweit sich tun ließe, doch in allem der Römischen Majestät Autorität und Nutzen in acht nehmen.
Der Kaiser konnte viele Tage zur Freude des Kardinals sich nicht entschließen, von Nikolsburg abzu reisen; ein heftiges Erstaunen hatte ihn bei der zweiten Begegnung mit dem Böhmen befallen und verließ ihn nicht. Bisweilen dachte er nicht mehr an Maximilian, dem er die geballte Faust hinstrecken wollte; er hatte urplötzlich den Eindruck, den Faden seines Handelns zu verlieren; fühlte mit einer unklaren Freude, daß er dem Böhmen in einer Weise und mit rätselhaftem Drang vertraue, wie bisher keinem Menschen, wie vielleicht eine Frau ihrem Mann vertraute.
Es war dieser Gewinn, für den er mit dem Herzogstitel wider den Rat seiner Begleiter dankte. Ferdinand mußte den Augenblick zeichnen, in dem solch geheimnisvolles Licht in ihn fiel.
M aximilian erhielt ein Schreiben aus der kaiserlichen Kanzlei. Es redete von der stets noch emporschwebenden starken Kriegsbereitschaft, die gelenkt werde gegen den Kaiser und des Heiligen Römischen Reichs anverwandte Stände und Glieder, von der Neigung, sonderlich die beiden löblichen Häuser Habsburg und Wittelsbach anzufallen. „Aus Unseres kaiserlichen Amtes Sorge, zumal auf Euer Liebden geschehener Erinnerungen, sind wir, ungeachtet unsere Erbkönigreiche und Länder auf den äußersten Grad abgemattet, ausgeschöpft und verderbt sind, Vorhabens und entschlossen, noch neue Kriegsvorbereitungen vor und an die Hand zu nehmen, unter dem Kommando Unseres Hochgeborenen des Oheims, des Reichs Fürsten und lieben getreuen Albrecht Wenzel Eusebius, Regierers des Hauses Wallenstein und Fürsten zu Friedland, unseres Kriegsrates, Kämmerers und Obersten: fünfzehntausend Mann zu Fuß und sechstausend zu Roß, sowohl Unsere Erbkönigreiche wider den Türken und Bethlen zu sichern und mit und neben Euer Liebden und der getreuen, gehorsamen Kurfürsten, Fürsten und Stände zum Widerstand zu konkurrieren, wenn Dänemark Feindliches vorhat.“
Maximilian wog die siegelbeschwerte Aktenrolle in der Hand. Sein Vater, der Herzog Wilhelm, klein, gebückt, saß ihm gegenüber am Innentisch in dem engen überheizten Stüblein der alten Residenz.
„Ruhig, ruhig, mein Sohn,“ flüsterte das lebhafte, arglistige Männlein; es steckte in einem groben schwarzen Wollrock; mit seinen langen hängenden Ärmeln wirtschaftete es auf der Tischplatte, das Umschlagkrägelein hatte es frostig an die Ohren heraufgeschlagen.
Maximilian war feist und kurz; gegen die Schemellehne gedrückt ließ er den bärtigen Kopf vor die Brust sinken, über die silbernen spanischen Verschnürungen; straff hielt sich der feine Rumpf in dem prächtigen breitschößigen Rock, den Degen, bodenlagernd, halbabgegürtet; er sagte leise: „Ich kann es nicht zurückhalten. Er widert mich an. Ich hasse ihn. Niemand auf der ganzen Erde ist so mein Feind als dieser Ferdinand. Ich habe ihm meinen Sieg am Weißen Berge mißgönnt. Ich hätte ihn lieber verderben sollen. Er ist nicht anderes wert. Jetzt, seht, ist er so weit: jetzt hat sich das edle Haus Habsburg den fatalen Lumpen verschrieben, den Wallenstein. Den setzt er neben mich. Das ist mein Lohn für die Prager Schlacht.“
„Mein Sohn, du wirst Rat wissen.“
Maximilian richtete seine kalten Augen auf den gegenüber: „Er mag mit sich umgehen wie er will. Vielleicht paßt der böhmische Herr zu ihm. Ich werde mich wehren und meinem Schwager dies nicht nachsehen; dies bleibt gewiß. Aber daß ich ihn nie bewältige, ihn nie auslösche, verändere, zu einem menschlichen Verhalten erziehe, daß er sich immer wieder regt, das widert mich an.“
„Klag nicht, mein Kind, du willst mich unruhig machen.“
„Ich kann mit ihm nicht in Frieden leben, und wenn er mir den Bruderkuß anböte, müßte ich mit ihm Krieg führen. Ich will ihn nicht, ich will ihn nicht, ich kann ihn nicht dulden. Wie es mich quält, daß mein Land zum Reich gehört, wo in Wien er auf dem Thron sitzt und das Reichszepter in der Hand hält, der Ferdinand von Habsburg heißt. Ein Schlemmer, ein Nichtstuer. Zur Not, daß er fromm ist. Ich würde gut zu ihm stehen, wenn ich in Frankreich oder Dänemark geboren wäre; dann müßte ich gegen ihn offen kämpfen.“
Der kahle Mann lächelte freundlich: „So klagst du mich an, daß ich kein Wasa bin oder kein Welscher. Ich bitte dich um Verzeihung.“
Der Kurfürst sah sehr alt aus, als er das Kinn in die Hand stützte: „Scherzt nicht, Vater. Was soll das hier. Es ist keine Freude für mich. Seht das hier. Albrecht Wallenstein, Fürst von Friedland. Und nicht nur das: Albrecht Wallenstein, Kommando der kaiserlichen Truppen. Dies Ende nimmt durch ihn Habsburg. Kein Regiment haben die Habsburger jemals führen können über ihre Länder, ihr Haus haben sie bereichert, den Wamst sich gefüllt, wüste Spielereien haben sie getrieben wie Rudolf. Das war ihr Glück: ihre Wohnung, ihre Freunde, Musik, Turnier, die Weiber. Böhmen geht unter, in Saus und Braus; was liegt Habsburg daran.“
„Du kannst nichts tun, als den Kaiser weidlich placken, sei auf der Acht wie ein Jude: spring bei und nimm ihm weg was er nicht hütet. Und wenn er betrunken ist und daliegt, wirst du auch wissen, was du zu tun hast.“
Mit seiner weichen Weiberstimme Maximilian: „Arm wie eine Kirchenmaus waren sie; nach Prag haben sie Beamte hineingeschickt, zum Einkauf beim Schlächter Bäcker — sie konnten das Brot, die Semmeln, den Braten nicht für den Tisch zahlen. Vor acht Jahren. Die Edelknaben waren da; in Lumpen gingen sie, schrieben an ihre Eltern um Geld für Kleider. Aber das wirft diese Verschwender nicht um.“
Maximilian rutschte mit der Schläfe seitlich von der stützenden Handfläche ab, ließ den Kopf in die Armbeuge gleiten, stierte gegen das Holz vor ihm, die Aktenrolle fiel ihm zwischen den Knien auf den Boden. Nach einer langen Pause, während der vermummte Herzog sich vergnügt am Ofen rieb, kam aus dem Munde des fast schlafenden Mannes am Tisch: „Geschenke, Abzahlungen, Botenlohn. Noch ein Dutzend, noch ein Dutzend. Und so hat sich der hochedle Schwager bei mir freigekauft. Er regiert im deutschen Reich und weiß es kaum. Er hat neu gefreit, Eleonore von Mantua, ein junges Kätzchen, das ist seine Lust. Sie und der Friedländer, das gehört zusammen. Pfui, pfui.“
„Melancholisch bist du wieder, Max, du wirst zur Ader lassen müssen.“
„Er kam von Frankfurt an wie ein Betrunkener; er hat mich geküßt, sein rundes, glühes Gesicht; er roch nach Wein; mich hat geschaudert. Er hat mir den Kurhut versprechen müssen; als Pfand hat er mir fast seinen halben Besitz abtreten müssen. Ich hab ihn hart bei den Ohren genommen und tribuliert, also daß ihm hätte der Verstand wachsen müssen. Und wahrhaftig: er bekommt es fertig, mich zu beschimpfen.“
Er richtete sich auf; wie er sein langwallendes Haar am Nacken hochhob, kamen seine großen verborgenen Ohren zum Vorschein.
„Ich werde ihn wieder schütteln.“
So gespannt man in Wien auf die Antwort Maximilians wartete, es kam kein Bescheid. Sie dachten, er fürchtet sich durch jede Redewendung bloßzustellen; dann: er grollt, er hat den Schlag gefühlt. Sie dachten nicht an das, was sie schon beinahe wieder vergessen hatten: an den Ursprung, die Herkunft dieser neuen Stärke. Mit Zorn verbot der Kurfürst seinem Vater, jemandem davon zu erzählen, wie er von Wallenstein dächte . So tief schämte er sich des aufgetauchten, in kaiserlichen Glanz gehüllten Abenteurers, daß er sich mit Qual gegen Richel und den von Hohenzollern, seinen Obersthofmeister, anerkennende Worte über ihn abrang, damit niemand auf den Einfall käme, ihn eines verächtlichen Umgangs zu zeihen. So wie auch nie ein Wort der Abneigung gegen den Kaiser nach außen gelangte über seinen Vater hinaus. Und der Vater wußte wohl, daß sein Sohn nur unter dem Stolz litt, sein Leben lang von nichts beherrscht wurde, als daß ein Haus im deutschen Reich sich anmaßen konnte, über dem Wittelsbacher zu stehen. Von Kind an, von jenem Kirchgang an, wo Ferdinand in Ingolstadt den jungen Bayern aus der ersten Bank fortgewiesen hatte, und seit da ohne Ruhe weiter.
Z wischen Wallensteins Bevollmächtigten de Witte und den Bankhäusern Walter von Hartoge zu Hamburg, dann Georg Ammann und Julius Cäsar Pestoluz in Augsburg kamen die Geschäfte zum Abschluß, in denen die ungeheuren Summen flüssig gemacht waren für das Darlehen an den Kaiser; unmittelbar daran schlossen sich die Verhandlungen um die Beträge für die Aufstellung der Armada. Wallenstein wollte von sich aus wie bisher Regimenter aufstellen, alsdann brauchte er Summen als Vorschüsse für Obersten, die nicht flüssig waren, dann richtete er auf seinen Gütern, seinen Städten riesige Werkstätten ein für Tuche Stiefel ferner Saliterhütten Pulvermühlen Waffenschmiede.
Michna konnte sich nicht bezähmen, als das ungeheure Leben anging, und sich beiseite stellen. Er sah einen beispiellosen Schlag Wallensteins voraus; dies übertraf alles, was jemals projektiert war. Es war Wallenstein nicht darum zu tun, vom Kaiser die ausgelegten Summen wieder zurückzuerhalten; der Schlaue wußte, daß der Kaiser und das ganze Heilige Reich ihm von nun an mit Haut und Haaren verkauft war. Wenn Michna in seinem Häuschen für sich in diesen Tagen das Projekt Wallensteins überdachte, fand er sich nicht zurecht vor Entzücken über seine Großartigkeit. Nichts riskierte Wallenstein, und der unerhörte nicht auszudenkende Gewinn. Und in solche Hitze versetzte Michna das Nachgrübeln über die geschäftliche Situation, daß er sich aufmachte und Wallenstein in seinem Palast aufsuchte. „Seid kein Schlafzipfel,“ nickte Wallenstein aufgeräumt, indem er ihm auf die Schulter klopfte, „der Herr versteht vortrefflich Geschäfte zu betreiben; jetzt soll er für den Kaiser Geschäfte betreiben; er wird auf besseren Boden gestellt, als sonst auf der ganzen Erde zu finden ist; zeige er nun, was er kann.“ Die Sache hatte ein ganz anderes Gesicht als alles, was er kannte; hier ging es ins Leere hinaus, hier war das Ungewiß von Sieg und Niederlage in Rechnung einzustellen, stand da, alle wußten es, Wallenstein wußte es, und doch steckten sie ihre Vermögen hinein. Und dies, die fiebernde Erregtheit, das schwankende Ungewiß, die Grenzenlosigkeit des Ausblicks, durchzuckte mit einem Blitz Michna, daß er die Hände krampfte. Es ging in ein freieres stolzeres frecheres Leben hinein. Er tadelte sich, als er zugesagt hatte, wie er mit grauen Haaren Manieren annehmen konnte, die einem Grafen Fürsten Grünspecht gut anstanden. Kam er zu Wallenstein, verschwand jedes Bedenken. Hier herrschte Bestimmtheit wie im Lauf der Sonne. Wie zwischen den blitzenden Stangen eines Räderwerks ging man. Hier war plötzlich keine Rede mehr vom Gewinn und dies beängstigte ihn nur, wenn er dem Palast den Rücken kehrte; er merkte, daß ihn die wenigen Wochen des Hin und Her zwischen seinem Häuschen und dem Friedländerpalast gebrochen hatten; seine Frau sah, daß er froher war und verliebter gegen sie; er hatte den Drang aus sich, aus ihr und seinem Leben etwas zu machen. Plötzlich nach vielen Jahren hielt er es für gut, seine Eltern aus Nisch kommen zu lassen; sie sollten ihn sehen; er schämte sich plötzlich ihrer nicht, fuhr mit ihnen als mächtiger Mann und böhmischer Kammerrat aus und hatte Freude, wie sie sich freuten über das starke Treiben in der Alt- und Neustadt. Zum Kommissar für Getreidebeschaffung war er bestellt worden. Wie sehr er sich verändert hatte, merkte er an dem Tage, an dem er den Titel eines Freiherrn von Waizenhofen empfing; er hätte sonst widerspenstig hinter der Titelverleihung etwas vermutet, sich ihr in Zorn widersetzt. Jetzt stiftete er zehntausend Gulden den Armen Prags.
Lange bevor die Stadt etwas ahnte, zog in das Judenviertel das Gerede von Wallenstein, der dem Kaiser ein Heer aufstellen wollte. Als Bassewi, von Wien kommend von dem Abschluß der Verhandlungen, von der Rangerhöhung des Friedländers in der Synagoge erzählte, brach ein Jubel aus, dessen Schall Sicherheitsmannschaften der Besatzungstruppen alarmierte, welche herbeiritten, nichts als ein toll gewordenes Hebräervolk vorfanden, dem sie aufsässigen Lärm verboten. Die abseits standen, die Arme über der Brust skeptisch verschränkten, auf den Gassen und in der Synagoge, blieben in der Minderzahl.
Im Ghetto dunkel, festlos hausten sie. Das Brandmal trugen sie an sich in den gelben Zeichen; gelbe Barette, gelbe Hauben, gelbe Ringe am Ärmel. Man spie auf sie, wo sie sich draußen sehen ließen. Die Henker des Erlösers, die frechen Mörder, die sich am hellen Tag aus ihren Höhlen wagten und denen es nicht graute, sich von der Sonne Gott des Vaters beleuchten zu lassen. Die der siegreiche Kaiser über die Märkte und Flecken jagte, um das Volk zu kränken und seine Wunden zum Schwären zu bringen. Vor ihnen erschien, in ihren verschmutzten Häusern Höhlen Gewölben alles Verbrechervolk. Die Schiffbrüchigen schlichen sich ein, verschleuderten den Rest ihrer Habe. Die Hebräer kannten alle Blicke, kein Beichtiger hörte so gut, so scharf wie sie. Wo die Not sich draußen regte, spürten sie es, an den Dienern der Vornehmen, der Grafen Fürsten, die in Nacht und Nebel mit Edelsteinen Gold Gewändern seltenen Möbelstücken bei ihnen anklopften, bettelnd, drückend. Im Schmutz begraben lagen sie abseits von den Häusern in Unratgruben, schlürften den Reichtum der halben Welt ein und wenn sie davon abgaben, nur um mehr einzuziehen. Lagerten stumpf auf der Habe, wußten nicht wie sie nutzen. Gold gab es, um Lust damit zu kaufen; sie wußten nichts mehr von dieser warmen beseligenden Lust, wie der Maulwurf nichts von der Sonne. Gold gab ihnen nur die böse Freude, die Menschen draußen aufzuziehen und sich an dem schmerzvollen zappelnden Narrenvolk zu weiden. Herren, Richter mit Hohn und Gelächter auf ihre Bändiger, deren schwache Stunden sie belauschten seit Jahrhunderten. Würde man sie sich überlassen haben nur ein einziges Jahrhundert, würde keine Spur selbständigen Lebens um sie existiert haben, die Welt hätte alle Glut an sie abgegeben. So mußte man alle paar Jahrzehnte mit Messern Feuer Knütteln Spießen auf sie eindringen; mußte sie ausrauben totschlagen, brachte die Welt wieder ins Gleichgewicht.
Das große Königsvolk, seit Jahrtausenden von seinem Stuhl geworfen, hatte in einem Bann nichts gelernt; auf dem Gesicht liegend, die Knie gebrochen, den Mund voll Sand; es duldete das Dasein; sinnlos, abgründig tot, was geschah: Jerusalem der letzte Schein des Lebens.
Nichts geträumt seit hundert und aberhundert Generationen als dies: Jerusalem, bei der Einsegnung des Knaben, der Brautpaare, der Leiche.
In den abseits gestoßenen, menschenungewohnten Tieren waren wüste Begierden gewachsen, Haß Hohn und Verachtung in wilder tropischer Breite ausgewuchert, Lust am Verderben. Schakal Hund Schwein war, was in ihnen wuchs. Gelb die Farbe auf ihren Kleidern, heiß-gelb das Leben, das aus ihrer Schwärze schwälte. Zogen Besessene auf Menschenmord aus, lockten wie Spinnen Sanftes, Süßes an sich vom Christenvolk, um es schmerzgeweidet zu vernichten; da lachten die Irren nicht vor Freude. Vor ihren stummen Opfern in den Gewölben brachen sie in Weinen aus; das war das einzige, was ihnen vergönnt war. Diese opferten Blut, rauchendes Leben; man mußte sie binden, in Kellern angeschmiedet halten.
Auf den Straßen, in den Kirchen, an den Häuserwänden der Städte, neben denen sie wohnten, häuften sich die Abbilder der Heiligen, die süßen Marienbilder, die fromm verzückten Theresien Magdalenen; in Prozessionen unter Singsang, mit Fahnen wallten die Götter und Gottähnlichen zwischen den Häuserreihen, über Wiesen, verehrt, bejubelt. In den Hütten Nestern an den Städten, den Ghettos hörten es die Hebräer, den Finger anhebend, die starren Gesichter zu einem grausamen Lächeln verziehend: das sangen die, denen sie dienten, da zogen Götter vor ihnen, den ganz Entgötterten. Da gingen die Scharen derer, von denen sie Qual erlitten, und aus denen ein Drang sie immer wieder wies, Menschen zu antwortender Qual herauszureißen.
Sie torkelten hoch, wandten sich um, trauer- und kotstarrend. Gewaltige des Reichs näherten sich ihnen. Draußen Luft, die rein wehte, draußen Glanz und Wechsel; die weite Erde. Der von Wallenstein, ihr Wallenstein, in den Kaiserhof eindringend, Heerführer des Kaisers.
Schamloses Jubeljauchzen im Prager Ghetto. Frohlocken der Rachsucht. Ungläubigkeit Tränenvergießen und wieder gelles Frohlocken. Es sollte dem neuen Herzog an nichts fehlen.
Sie wanderten durch die gereinigten fackelerleuchteten Gassen zur Synagoge. Die Truhen mit den Prachtstücken, den hingegebenen Beutestücken ihrer Feinde hatten sie entleert. Die Weiber in dunkelroten Kleidern und Seide, mit Gold- und Silberborten, darüber rote Jäckchen, brokatverbrämt; blitzender Schmuck der vollen Arme, der Stirn, Korallen, Steine; die Männer gegürtet, auf hohen Schuhen, in veilchenfarbigen, dunkelblauen Gewändern, Pelzbarette auf den Köpfen. Und drinnen zwischen den brennenden siebenarmigen silbernen Armleuchtern stieg ein rotwangiger Greis unter einem Silberkäppchen die zehn Stufen zur Bundeslade hinauf; an seinem Obergewand von Hyazinthfarbe hingen goldene Glöckchen und Granatäpfel. Fünf Gürtel hatte er sich umgetan, aus Gold Purpur Scharlach Hyazinth Bysus; auf seinen Schultern schildförmiger Schmuck aus Gold mit Steinen. Er sang, hob die Hände. Sie sangen kopfwiegend, sich verneigend, trunken mit.
Böhmen empfing mit dumpfem staunenden Murren die Nachricht von dem Ereignis; der unersättliche verabscheute Mann stand in dem blendenden Licht des Kaiserhofes. Man wußte, er hatte schon die Baupläne zu einer Prager Zitadelle in seinem Palast; sein Name war unter den Münzkonsorten genannt, sein Regiment hatte am Weißen Berge die Unglücksschlacht mit entscheiden helfen; nun segnete den Todbringer die deutsche siegreiche Majestät. Der Böhme! Der Erzverräter! Die hoffärtige Bestie, die an Wien die Ehre verloren hatte. Wie Judas hatte er sich einnisten wollen in das Herz seines Volkes, hatte er in der Stunde der Erhebung mit teuflischer Tücke starke Truppen an sich gezogen, täuschend, um sie gegen das eigene Land zu werfen. „Da kam Judas, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine große Schar mit Schwertern und Knütteln; und der Verräter hatte ein Zeichen mit ihnen verabredet und ihnen gesagt: der ist’s, den ich küsse, den greift und führt ihn ohne Zögern ab.“ Es sollte nicht so weit kommen; die Truppen verließen ihn. Mit Schimpf und Schande stand er in Wien, armselig, trug einen gestohlenen Säckel in der Hand, die Regimentskasse. Der Kaiser selbst schickte den Beutel zurück. Der Mann aber war nicht verdorben, war wie Hederich gewuchert, hatte Schandtat auf Schandtat gehäuft, erkannte nichts an als Gewalt. In kleinen Klubs saßen die Edlen und ihr Anhang zusammen; die Verwandten, Neffen, Söhne, Frauen derer, die von Ligisten niedergemetzelt waren oder hatten fliehen müssen. Katholisch geworden mit dem heißesten Grimm, bis in den Kern ihres Lebens vom Sieger getroffen. In hohe Ämter hatten sie sich geschoben; niemand wußte, daß zu ihnen gehörten Wratislaw von Mitrowitz, der Hauptmann der Prager Kleinseite, die Appellationsräte Wenzel von Fließenbach, Kobach, ja ein Sohn des öffentlichen Anklägers Pribik Jenissek von Oujezd. In ihrer Mitte heranwachsende Jünglinge, blühend schöne Weiber, Alte, die schon daran gewesen waren, ihr Dasein abzuschließen. Sie sangen in ihren Zusammenkünften ihre Lieder; vom Peter Chelicky sprachen sie, vom Netz des Glaubens, und daß der Staat ein Übel für den Christen sei — aber dachten nur an den Staat der Habsburger. Sie redeten den Satz nach: „Gott hat nicht widerrufen das Wort: du sollst nicht töten“, damit erhoben sie sich stolz und drohend über die grausamen Verfolgungen, die ihre Angehörigen erlitten, trösteten sich. In dieser ausgestoßenen Aristokratie blühte, angstvoll behütet, das Wunderkraut der sanften menschenbewältigenden Lehren, die im Volk umgegangen waren einstmals, von ihm selbst kaum beachtet. Wie flüsterten sie, sich an den Händen fassend, daß es den guten Christen nicht anstehe, teil an der Macht zu haben —, fühlten sich ruhiger, halfen sich über Schlimmes hinweg. Durch die Gedanken ihrer Kinder ließen sie rasseln die Märchen vom fellbewachsenen Böhmenherzog Krok und seiner geliebten Tochter Libussa; wie in ein Kinderland fanden sie — alternd, heimatlos — in die uralten Fabeln; der starke Premyzl stand auf, Wenzel tat seine Wunder. Ehrerbietig taten sie gegen die neuen Machthaber, geduldig waren sie, unbezwungen, stolz. Sie waren die Adligen, in diesem Land konnte niemand sonst von Adel sprechen.
Über die Niedrigen suchten sie ihre Lockungen auszubreiten, die blieben stumpf und gefährlich. Ließen sich nicht Böhmen nennen, wollten nur Bauern sein, stalpten auf ihre Felder, in die Ställe, wandten sich grimmig von allem, was ihnen mit Bekenntnis und Vaterland kam; in vielen Dörfern brachen nach dem Auszug der Sachsengänger Treibjagden aus wider die aufdringlichen Hußfreunde, Totschläge an heimlichen Friedensstörern und ihren verkappten Sendboten.
Die Edlen versammelten sich in geheimen Häusern, mit brachten sie Listen alles jüngst gegen sie geschehenen Unrechts, aller Schikanen, Bedrückungen. Dann war plötzlich eine Lithurgie da: ein furchtbarer Klagegesang, ein chronikartiges Verzeichnis alles Leids in Böhmen seit den Tagen Rudolfs und Matthias. Keine Versammlung begann, ohne daß wie ein Gebet dieses Verzeichnis verlesen wurde, die Morde Vernichtungen Verbrennungen, der Zug der Verbannten über das Erzgebirge. Und die, deren Angehörigen es geschehen war, da saßen sie, standen an den Wänden — nannten sich draußen kaiserlich, hatten ihrem Huß abgeschworen. Die Gesichter tief gerötet, jene erblichen, verzerrt, streng gerissen. Wilde Worte wurden ausgestoßen, Tränen standen in den Augen, Stöhnen Schreien zog sich in die Unterhaltung hinein. Es würde einmal sterben die spanische Geißel, der Jesuit Ximenes; Marias Säule würde von der Theinkirche gestürzt werden; in den Boden gestampft Caraffa, der päpstliche Nuntius, der Seelenmörder. Es gab welche, die diesen Teil der Zusammenkünfte mieden, zu spät kamen, das Verlesen für eine Albernheit dekorativen Charakters nahmen; die Welt ging voran, sie wollten mit. Aber sie beirrten nicht die rache- und haßatmende Gesellschaft.
Langsam hatte sich ihnen Slawata genähert. Er, dem edelsten Hause entstammend, dem Kaiser anhängend, den Konventikeln nachschleichend wie ein Tier seiner Beute. Sie hatten sich seiner nicht erwehren können, ratlos, wessen sich versehen von ihm. Ihn hatte Wallenstein irre gemacht. Er ging einsam, seit er selbständig geworden war, neben den großen Akteuren, war ihr Stolz, ihre Standarte. Einsam wandte er sich. Es trieb ihn, er wußte nicht wie, zu seinen Vettern und Sippengenossen, in die geheimen Zirkeln. Auf ihre Wege trieb es den Stillen Blauäugigen Umwölkten; wie er sich dunkel den großen Akteuren beigesellt hatte, wandte er sich den Böhmen zu. Spöttisch und traurig stand er unter ihnen, die mit ihren Gesängen und Reden verlegen schwiegen, wenn er, den vollen Kopf halblinks auf die Schulter senkend, sehr langsam sie begrüßte mit Zwinkern der Augen und tonloser Öffnung des üppigen Mundes. Es war nur eine Erkundung, was er bei ihnen vornahm; „wer seid Ihr?“ war seine ungesprochene Frage. Und sie merkten, daß er mit ihnen Fühlung nehmen wollte, wußten nicht, ob sie sich offenbaren oder verleugnen sollten. Schon waren sie willens, mit Banalitäten die Zusammenkünfte auszufüllen, bei denen er anwesend war. Da näherte er sich ihnen mehr; fragte sie eines Abends, als sie sich unter Selbstpersiflage von Dingen der holden Kaiserin Eleonore unterhielten, warum sie zusammenkämen und was sie gemeinsam betrieben. Sie sagten, sie seien Freunde der kaiserlichen Regierung und wünschten die Böhmen dem Kaiser näher zu führen. Slawata blickte lange in seinen Schoß, seine ringblitzende Hand vor die Augen hebend: „Ihr wünscht, daß ich Euch allein lasse?“ Darauf ratloses Gerede der Herren und Damen; er verneigte sich trübe nach einiger Zeit, ging. Sie beschlossen kühn, es darauf ankommen zu lassen; und als Slawata nach längerer Weile lautlos in eine Versammlung der Herrschaften trat, von jungen Männern geleitet, nahm keiner Notiz von ihm; man tat sich Zwang an, wagte. Die Liste der Klage wurde verlesen, das Aufschluchzen und Stöhnen begann, die Namen der Toten und Verschollenen klangen tonlos; der Vorleser bedurfte keines Winkes seines Nachbars, eines uralten Mannes, um auf den Namen Slawatas, des Bösewichts und Verderbers zu achten; der jugendliche Vorleser sah den Namen in seiner Liste kommen, las ihn, samt der Anklage, Drohung, Hoffnung. Als beträfe es nicht ihn, stand Slawata in der nur bankbestellten kerzenhellen Stube nahe der Tür. Auch sie sprachen an sich haltend mit ihm, als wäre er nicht der Slawata, dem sie fluchten. Sie wollten ihn locken, sich zu offenbaren; er schwieg, war höflich gegen sie, kehrte wieder. Nichts geschah einem von ihnen. Sie fühlten, daß sich eine Wandlung mit ihm vollzog, fanden keine Handhabe, ihn zu sich zu ziehen. In offener Gesellschaft der Herren der Kammer ließ Slawata sogar unbekümmert das Wort fallen, daß er den und den Herrn in einem böhmischen Konventikel kennengelernt und gesprochen habe, so daß man raten konnte, ob er sich den bedenklichen Verbindungen seiner Sippengenossen zugewandt habe — er, der Slawata, den sie zum Fenster hinausgestürzt hatten — oder ob sich die Sippengenossen dem Kaiser näherten. Aber ein Blick auf ihn schien zu zeigen, daß er sich nicht geändert hatte, er nicht.
Vom Judenviertel schlug Geschrei herüber, durch Prag liefen die unerhörten Zahlen; der Friedländer wolle hunderttausend Mann auf den Fuß bringen, er werbe Kosaken an, der Tilly werde ihm unterstellt. In den Kammern der Adligen ging man nicht auseinander. „Wir haben die Nachricht von erster Stelle. Der römische Kaiser sucht sein Heil in Böhmen.“ „Er fängt ihn, Wallenstein fängt ihn,“ kreischte eine breit hüftige Dame; sie raste so, daß alle mitgerissen wurden. „Wenn der Teufel seine Wege geht,“ flüsterte einer, „geht er sie heimlich.“ „Nein,“ lachte einer, „er geht sie ja offen, am lichten Tage. Sieht man es nicht. Der Friedländer übernimmt die kaiserliche Armee.“ „Man macht dem Verräter, dem Mörder die Tür auf, bittet ihn ins Haus, man drückt ihm den Dolch in die Hand.“ „Man bittet ihn darum, er möchte eintreten.“ „Küsse mich, Judas, damit keine Lücke im Text entsteht!“ „O, wie man ihn bittet! Sie erzählen, Wochen um Wochen laufen schon die Kuriere von Wien mit kaiserlichen Brieflein. Aber der Friedländer will nicht.“ Und alles lachte schallend: „Ei, er will nicht, er will es sich noch überlegen; er hat noch Zahnschmerzen.“ „Sein Rachen ist weit. Ein paar hundert Quadratmeilen Land hat er bald heruntergeschluckt, er ist verstopft, der Hof gibt ihm Wein zu schlucken.“
„Er ist katholisch.“ „Katholisch wie der Teufel. Sinnt Tag und Nacht, wie er den geistlichen Herrn ihr Hab und Gut entreißen kann. Geflucht hat er neulich, die Gläser unter Tosen auf den Estrich geworfen und geschworen, wäre er Protestant, würde er dem Leckerle, dem Kardinal Dietrichstein kein Haar auf dem Fell lassen.“ „Lang lebe unser Landsmann Wallenstein, der Herr, der Fürst.“ „Weiter! Gottes Allmacht.“
In Dresden arbeitete der alte Graf Mathias Thurn. Als Wallensteins Ernennung vor der Tür stand, hofierte der Dresdener Hof den Grafen plötzlich auffällig; er begriff, was das hieß. Sich Wallensteins bemächtigen! Verräter sei der Friedländer, sagte achselzuckend Thurn dem zähen Kaspar Schönberg. Um so besser, meinte der, Verräter seien auch Verräter nach der andern Seite. Thurn, der Feuerkopf, mit den sächsischen Emigrantenorganisationen nachsinnend, gab die Losung aus nach Prag: „In keinem Fall Aufsässigkeit zeigen, geheim für nahe Erhebung rüsten, sich jeder absprechenden Äußerung über den Friedländer enthalten.“ Eine besondere Botschaft betraf den Vetter Wallensteins, den Maximilian, der, wie man wußte, Spionage für den Fürsten trieb: man solle ihn einladen zu den Versammlungen, in den Unterhaltungen lobend den Fürsten erwähnen, und daß man sich ausgesöhnt habe mit ihm, seine alten Taten nicht nachtrage.
Das Elend der Emigration ließ die Hoffnung auf Wallenstein in Sachsen auflodern, die Botschaften, erst belächelt, wühlten hier wie ein Sturm.
Eingestanden oder nicht schillerte in allen Gemütern ein sonderbar tiefes Vergnügen, daß das Heilige Römische Reich von einem Böhmen gerettet werden müsse. Alle Trümpfe hatte man im Spiel; die Sinne zusammen; es galt klug und kühn zu werfen. Und wie auch immer, er, der Friedländer, er würde dem Habsburger das Messer auf die Brust setzen; würde sie rächen an Ferdinand.
Die üppigen schwarzäugigen Frauen, deren Männer gefallen und verjagt waren, sprangen an den geölten Wänden herum: er werde sich rächen an Böhmen, indem er es verschlinge, er hat einen großen Rachen, zweitausend Meilen haben noch Platz. Verschlingen. Und das fiel wie Feuer in alle. Wallenstein würde sie an sich reißen, vielleicht um sie zu unterwerfen, über ihnen zu stehen; würde seinen Haß an ihnen kühlen, indem er über sie herrschte. Er solle es nur. Das übermütige übermäßige Glück.
Slawata wanderte zwischen ihnen. Die Lichter der Kammer brannten auf erhitzten Gesichtern, verzückten Augen. Er hatte sie jubeln hören, als sie ihn auf dem Prager Rathaus anfaßten, als ihr eitler Herr aus Heidelberg herzog. Jetzt jubelten sie Wallenstein zu. Die Kanaille, Adlige, seine Sippengenossen. In dem Tuscheln Schwatzen wurde man seiner ansichtig, aufmerksam verneigten sich von allen Seiten hertretend vor ihm die rachegeschwollenen Vettern, den Kaiser lobend ob seines Scharfblicks und wie der Friedländer das Reich in seiner Herrlichkeit werde herstellen. Er stand an der glatten Wand.
„Was habt Ihr mich zum besten, liebe Vettern.“ Rechtzeitig gewann er es über sich, gegen die Verblüfften zu lächeln, indem er ihnen zwinkernd die Hände und Wangen streichelte. Zu diesem aufgeregten Abend war in Prag die alte Magdalene aus dem Geschlecht der Trzka von Lipa erschienen, ein robustes tatkräftiges Weib, die über Millionen verfügte, mit dem Friedländer verwandt, der sich von ihr fernhielt. Am Stock kam sie auf Slawata zu, burgunderrotes Gesicht vor weißem losem Haar, das auf einen glatten viereckigen Kragen fiel, die linke Gesichtshälfte schlaff, das Augenlid hängend und zuckend, freudig ihm zuschreiend: „Hier ist jetzt nicht Euer Platz, Graf Slawata. Prag ist meinem Neffen Wallenstein zu klein, und Ihr? Ich freue mich, Euch zu sehen.“ Er half ihr neben sich auf eine Bank; lächelte starr: „Also nach Wien.“ „Nach Wien. Gewiß und sicher. Gedenkt Ihr hier zu versauern? Prag hat aufgehört für die nächsten Jahre Hauptstadt von Böhmen zu sein.“ „Nach Wien.“ Sie lachte in ihrer gesunden wanderschütternden Art, sah ihn durchdringend an: „Der Kaiser braucht Euch. Ihr seid doch geschickt, Ihr werdet wissen, was Ihr zu tun habt.“ Sie redete noch manches; er hielt still.
Als er in seiner Sänfte saß, war er erschüttert von Schmerz, machte sich mühsam kalt. Er hatte nicht vor, seine Politik nach Wallenstein einzurichten; er war es im Begriff gewesen. Er suchte sich auf ein kaltes sachliches Ziel zu besinnen; vermochte es nicht. Mit einem Fluch machte er sich frei: „Nach Wien.“ Er gab sich keine Rechenschaft: warum. In einer Wutwelle war er vor den Entscheid getragen.
N och einige Wochen blieb der Friedländer in Prag, dann brach er nach Eger auf, wo, er sein Hauptquartier aufschlug. Im Reiche, in den Erblanden standen kaiserliche Truppen, deren Haupt er war, geschwächt, in alle Windrichtungen zerstreut; in Wien die Stadtguardia, acht Infanterie-, sieben Kavallerieregimenter. Sechs marschierten unter Spinelli zu der Infantin Isabella nach den Niederlanden. In Ungarn Musketiere, in Böhmen das Regiment Breuner, in Mähren die Truppen des Max Liechtenstein, Wallensteins, des Grafen Schlick, des Freiherrn von Tiefenbach; ganz entfernt in Freiburg im Breisgau Hannibal von Schaumburg; dazu die Reiterregimenter Marradas, Wittenhorst, Konti, Kaspar von Neuhaus. Fünf Regimenter zog der Herzog an sich, vierzehn neue stellte er auf; das Regiment dreitausend Mann. In Prag vergab er die Bestellungsbriefe an die neuen Obersten; sie hatten zu übernehmen und vorzustrecken Antritts- und Laufgeld, einen Monatssold und Ausrüstung ihrer Söldner; vielen schoß er selbst den Betrag vor, ihr Gläubiger der Kaiser.
Wallenstein entfernte sich nicht weit von Prag, um mit de Witte, Michna und Bassewi in Zusammenhang zu bleiben. Die neuen Köpfe tauchten in Eger neben ihm auf, die Obersten Merode, Scharffenberg, die Gonzaga, Desfours, Isolani, der Thomas Karboni, die bald so gefürchteten Namen. Nach dem Elsaß herunter liefen die Ordonnanzen, die Schaumburg und Wittenhorst mobil zu machen und ihren Anmarsch in das Reich zu befehlen. Wallenstein war zugeteilt als sein Oberstmeister-, Zahl- und Quartierungskommissar Johann Aldringen, ein feiner gewandter Hofmann, dessen geheime Aufgabe war, wohl aufzumerken in Wallensteins Quartier und Lager und von allem den Räten in Wien gute Kenntnis zu geben. Er sah bald selbst, daß ihm nichts weiter blieb als dies: die Korrespondenz nach Wien und der Titel; denn der Herzog wies an; er hatte bald kein Verlangen mehr mitzusprechen.
Man schlug Sammelplätze auf in den kaiserlichen Erblanden, im Reich, im fränkischen schwäbischen Kreis. Abgeordnete der fränkischen Ritterschaft erschienen vor dem Herzog in Eger, Direktoren Hauptleute und Räte aller sechs Orte in Franken, zu klagen über den Schaden durch vagierende disziplinlose Truppenkörper; sie wurden höflich empfangen, versichert, daß der Oberst Graf Schlick eine Erinnerung erhalten werde. Im übrigen bemerkte der Herzog mit großer Bestimmtheit beim Abschied, sie möchten mit Proviant und sonstigem Unterhalt nicht zurückhalten, damit die Völker nicht herumstreiften und nicht zu lange an einem Fleck liegen blieben; mürrisch und erstaunt wandten sich die Herren, dabei ein Hektor von Streitberg und ein Redwitz zu Wildenrod, zum Gehen. Aus Hessen, von Frankfurt Nürnberg fuhren rechtskundige stolze Männer nach Eger an, ließen sich nicht abspeisen mit des Herzogs Sekretär, auch nicht mit dem neugierigen und sehr interessierten Aldringen, stellten sich ehrerbietig, fest vor der Durchlaucht selber auf, berichteten von den vorgenommenen Werbungen, errichteten Musterplätzen und den Unterhaltsansprüchen der Völker, zitierten die Goldene Bulle, Reichstagsabschiede. Der Fürst nahm sie freundlich an, schrieb lachend ein Brieflein an Trautmannsdorf nach Wien, der Geheimrat Recke solle bald, bald, bald kommen; cito, presto, die Leute aus dem Reich überzögen ihn mit hochgelehrten Sprüchen, er wisse nicht, wo er drin stecke. Er schickte Unterhändler nach Ulm Halberstadt Nördlingen Nürnberg; die Städte mußten sich freikaufen von Quartierlasten; Nürnberg zahlte hunderttausend Gulden; Eger gab siebentausend her; empört hatte die Stadt die doppelte Summe abgelehnt. Die böhmischen Landesoffiziere wurden trotz Sperrens durch sanften Druck vermocht, hunderttausend Schock Groschen an die Kriegskasse abzuführen. Herr Aldringen hatte in der ersten Woche seines Aufenthaltes im Eger Hauptquartier zaghaft auf die kaiserliche Resolution betreffend Schatzungen hingewiesen, in der es hieß, es sollten leidentliche Kontributionen in den eroberten Örtern und Landschaften zur Erhaltung der Soldateska zugelassen werden, mit dem Maß, daß solche Kontribution der Soldateska von ihrem Lohn abgezogen werde, damit der Kaiser leichter an den Kriegskosten trage. Wo aber seien Ulm Nürnberg Nördlingen eroberte Örter, die freien Reichsstädte, noch dazu mit reichen kaiserlichen Schutzbriefen versehen? Der Herzog hieß ihn, freundlich ihm auf die Schulter klopfend, sich nicht zum Anwalt der Städte machen; sie setzten ihm schon genug zu; er sollte nur fein berichten und hören, was man sage. Da wurde Aldringen aus Wien durch den Abt Anton die schwer verklausulierte Auskunft, er möge sich um Jesu willen mit dem Herzog ins Einvernehmen setzen, sie vermöchten von Wien aus die Verhältnisse nicht zu überschauen, man dürfe gewiß nicht Splitterrichter in so gefährlichen Zeitläuften sein, wobei immerhin sein Rechtsstandpunkt offensichtlich unantastbar sei und er ihn dem Herzog gegenüber vertreten möge, jedoch nicht zu heftig.
Proviant, Artillerie, die Brückenequipage fehlte. Die hatte der Kaiser versprochen. Es war an einem gewissen Punkt der Unterhandlungen in Nikolsburg eine pathetische Gebärde der Räte gewesen, dies zu übernehmen; da waren kaiserliche Stückgießereien Zeughäuser Kornlager. Die Gießereien arbeiteten zu langsam, das Material der Zeughäuser war bedeutungslos, unbrauchbar, die Kornlager knapp, für zehn Regimenter reichend. Eger drängte, klagte stürmisch an, sie ließen es im Stich, sollten die Truppen verhungern, sollten sie mit Stecken kämpfen. Man mußte demütig erklären, Eger möge sich gedulden, möge sich behelfen; man konnte nicht hinzusetzen, daß die Hofkammer bisweilen nicht zehn Gulden in der Kasse hatte zur Bezahlung des Kuriers.
Während der Herzog in immer größerem Umfange sein Geld an die Sache setzte, geschah es zur Verwunderung des Wiener Hofes, daß er immer mehr eine ehrerbietige Haltung gegen den Kaiser und seine Beamten annahm, sich, wie es schien, mit Gewalt bezwang und in die Rolle eines kaiserlichen Funktionärs einfügte. Er schien es dem Hof leicht machen zu wollen, sich mit ihm abzufinden, denn, wie Trautmannsdorf bei Berichten aus Eger einmal sagte: lange wachsen lassen kann man solch Ungetüm an Land Leuten und Geld nicht; entweder es pariert bald und kriecht unter, oder es muß erschlagen werden.
Die sechs niederländischen Regimenter wurden zurückbeordert; in Sachsen warb für den Herzog ein Mansfeld als Generalleutnant zwei Regimenter. Dann stand das Heer komplett; fast ohne Artillerie, ohne gesicherte Proviantzufuhr. Unter den peitschenden Worten Wallensteins ging der Rest der Werbung, Musterung, des Drills Hals über Kopf; die Parole war: „Nehmt was ihr kriegt!“ Wie Verzweifelte arbeiteten die Offiziere. Gefährliches beutelüsternes Volk lief ihnen zu, sie hatten für die Kriegsstärke dem Herzog zu stehen. Von oben kam der Befehl: „Wenn man keinen Falken hat, muß man mit Raben beizen.“ Bevor er in Eger die Hauptmusterung seiner Truppen vornahm, entschloß man sich in Wien zu dem letzten Schritt: ernannte ihn zum General dieses kaiserlichen nach dem Reich abgeordneten Hilfsheeres. Man mußte ihm zum Opfer bringen die alten verdienten Generale, den Spanier Hieronymus, das Kriegsorakel aus Madrid, den Rudolf von Tiefenbach und andere; man besänftigte sie durch Titel, sprach ihnen zu: es ginge alles vorüber, auch der von Wallenstein.
Die Truppen, wie sie standen und lagen, mit und ohne Artillerie, mit ungeklärter Fouragezufuhr, der zehnte Kavallerist ein Pferd, erhielten dann eines Tages, wie aus dem Himmel fallend, den Befehl zum Abmarsch. Sie schwirrten, noch halbnackt, ein buntes halbverbrecherisches Gesindel, gegen die Grenze auf Bayreuth Bamberg zu.
Einen Brief hatte Wallenstein erhalten vom Bundesobersten der Liga, Maximilian aus Bayern, worin der ihn bat um Abordnung des Marradasschen und halben Lauenburgschen Regiments an Tilly, seinen Generalleutnant. Als der Herzog zugesagt hatte, stellte der Bayer dem niedersächsischen Kreis ein Ultimatum, die Rüstungen einzustellen und sich vom Dänenkönig loszusagen. Den Kaiser und seinen Hofkriegsrat fragte Maximilian nicht; nach einer knappen Woche, Wallenstein überschritt eben die böhmische Grenze, erteilte die Durchlaucht in München ihren Feldkommandierenden den Befehl, im Namen Gottes und seiner heiligen Mutter in Niedersachsen einzumarschieren. Worauf der Tilly über die Weser setzte bei Höxter, wie ein Wetter das Braunschweiger Land überraschend, über zwölf Meilen Wegs alles verwüstend. Von Ferdinand war eben ein Handbrieflein an die stolze Münchener Durchlaucht gekommen, er hielte mit seinen Beratern einen Beschluß über Niedersachsen zur Zeit nicht für ratsam, ja gefährlich. Das Präveniere war gespielt, der Wiener Hof erklärte mit verhaltenem Atem, es bei dem Geschehenen bewenden zu lassen. In Maximilian brach aber einen Augenblick die Spannung aus, als die Wallensteinschen Scharen in ungeheuren regellosen Zügen nach Überschreiten der Reichsgrenze an der Oberpfalz vorüberstreiften, massenhaft Leichen von räubernden Söldnern an den Bäumen zurücklassend. In heftigen, kaum mehr diplomatischen Wendungen verwahrte er sich gegen das Treiben dieser Horden, die man besser gegen Ungarn auf Bethlen Gabor gewandt hätte; er werde Truppen bei Weiden aufstellen, die Polizei spielen sollten. Unverhüllt darauf Habsburg, er solle nicht schelten; er solle sich seiner sonderbaren Unterhandlungen mit Frankreich erinnern. Das täte er, knirschte Wittelsbach; der Kaiser möge es nicht dahin kommen lassen, daß er die französischen Anerbietungen annähme.
Auf dem Marsche nach der Weser verstärkte sich Wallenstein weiter; die niederländischen Regimenter stießen zu ihm. Er setzte sich in Schweinfurt, in Wacha an der Werra. Ihn erwartete, mit lauten Rufen begehrte nach ihm der flinke alte Brabanter, der Freiherr von Marbiß und Tilly, Johann Tserklas. Der, Schüler des Alexander Farnese, Belagerer von Antwerpen, bei der spanischen Hilfe gegen die aufsässischen Guisen gestanden, mußte mit Jubel, zum Grimm seines bayrischen Herrn, aus schwerer Bedrängnis auf die toll anrasselnde böhmisch kaiserliche Kavalkade fliegen. Im deckensenkenden Quartier des Bürgermeisters von Hennendorf, bei Lauenstein gelegen, stiefelte Tilly, gebrechlich, in spanischer Kapitänstracht, am kleinen Hütlein hohe schwankende rote Straußenfedern, an den langen hageren Böhmen heran, der heftig lachte und sich mit ihm freute, daß es noch nicht zu spät sei, dem Feinde die Zähne zu zeigen.
Der Brabanter, steif, gespenstig, mit einer weißen Schärpe, zwei Pistolen und einen Dolch im Gurt, kurze weiße Haare; an den Haarspitzen schwankten ihm wie Ähren die tausende erschlagenen Menschen. Sein bleiches spitzes Gesicht, buschige Brauen, starrer borstiger Schnurrbart, überrieselt von den verstümmelten Regimentern eines Menschenalters; sie hielten sich rutschend an den Knöpfen seines grünen Wamses, an seinem Gurt. Seine knotigen Finger bezeichneten ein jeder die Vernichtung von Städten; mit jedem Gelenk war ein Dutzend ausgerotteter Dörfer bezeichnet. Über seine Schultern schoben sich her, zappelten die Körper der gemetzelten Türken, der Franzosen, der Pfälzer, und doch sollte er damit erscheinen vor Gericht einmal, samt ihren Pferden und Hunden, die über ihm hingen kreuz und quer, einer vor dem andern, über dem andern, eine ungeheure Last, so daß sein Kopf samt dem Hütlein darunter verschwand. Die aufgerissenen roten und borkigen Hälse, Bäuche mit weißen regsamen Farben, geädert, triefend über die geschlitzten zurückdrängenden Arme und die einknickenden Beine. Darmschlingen am langen Gekröse, in die er sich verwickelte, wampend und schwabbelnd über die sich stemmenden lederverwahrten Knie, eine riesenlange, weiche, wurmartig rieselnde Schleppe, an der er ruckte, riß, keuchte, wenn er ging. Ein Mammut belastete er den Boden; aber eisig hielt er sich, hörte nicht das Gebrüll der Menschen, das markerschütternde der Schweine, Schrillen Pfeifen der Pferde, die sich alle an ihn hielten, ihr Leben aus ihm saugen wollten, aus den feinsten Röhrchen seiner Haare; herumlangende Pferdehälse, nüsternzitternd, scheckig, schwarz; zerknallte Hunde, die nach seinem Mund, seiner Nase schnupperten, gierig seinen Atem schlürften. Er mußte längst ausgeleert sein, sie sogen an einem dürren Holz, er klapperte drin und sie brachten ihn nicht zum Sinken.
Hinter ihm vierzehn Regimenter zu Fuß und sechs zu Pferd.
Der Friedländer ihm gegenüber, ein gelber Drache aus dem böhmischen blasenwerfenden Morast aufgestiegen, bis an die Hüften mit schwarzem Schlamm bedeckt, sich zurückbiegend auf den kleinen knolligen Hinterpfoten, den Schweif geringelt auf den Boden gepreßt, mit dem prallen breiten Rumpf in der Luft sich wiegend, die langen Kinnladen aufgesperrt und wonnig schlangenwütig den heißen Atem stoßweise entlassend, mit Schnauben und Grunzen, das zum Erzittern brachte.
Hinter ihm vierund zwanzigtausend Männer.
Der Tilly sollte unter dem Schein, den Mansfelder zu stellen, ins Herz des Reichs vorstoßen, sich der beiden sächsischen Kreise bemächtigen, zwei Erzstifte, dreizehn Bistümer und Abteien. Des Böhmen Befehl lautete, durch sanfte Mittel und Traktationen die Gemüter gewinnen, den protestantischen Fürsten den Vorwand der Religion benehmen, welchen die Feinde des Kaisers zur Bedeckung ihrer rebellischen Anschläge meisterlich gebrauchen.
Als sie zusammenstanden bei Hennendorf, wich der Däne von ihnen ab. Das Jahr war vorgerückt. Links dehnte sich das Ligaheer in die Quartiere von der Weser bis nach Goslar in die Berge; Wallenstein wollte sie ihnen nicht strittig machen, hatte Platz in das flache Land hinein nach rechts, zwei Erzstifter, dreizehn Bistümer und Abteien.
Ehe der Brabanter Kriegsmann Zeit hatte zum Disput und die Stifter zum Protest, zog der Böhme vorn den Riegel weg von seiner Avantgarde, das Volk schwemmte schwabbte nach rechts, nach Norden, in das flache Land. In Halberstadt wühlte sich der Friedländer ein; dort schlug er sein Quartier auf; alle Städte und Dörfer besetzte er weit herum; an die Saale herüber langte er nach Halle. Tilly, die kleine Dogge, grollte, aber der andere wies, daß er ihm im Herbst geholfen habe, versprach noch mehr. Nach Wien trompetete der Böhme, er säße mit allem Volk in warmen Quartieren, man staffiere sich weidlich aus; der Kaiser möge wissen, wie schön dies Land sei, wie wohl diese Stifter dem zweiten Sohn des Herrn anstehen würden. Zurück hallte Graf Strahlendorff: Magdeburg sei nicht weit von Halberstadt; möge der General hören, wie schwer die Römische Majestät daran trage, dort die Gebeine des Heiligen Norbert in schlechter Verwahrung zu wissen.
Die kaiserlichen Räte schoben den Grafen Kollalto, der mit ihm in Prag verhandelt hatte, zu ihm ins Lager, den ehemaligen Hofkriegsratspräsidenten. Kollalto war ein untersetzter gewalttätiger starrer Mann, nicht jünger als der Böhme, dem Kaiser von Gradiska her befreundet, ein starker Trinker. Er sollte Polizei und Disziplin unter den kaiserlichen Truppen aufrecht erhalten; man hatte neben den Böhmen mit Plan den schwer zu behandelnden Friauler gesetzt, mit unscharf begrenzten Funktionen, einen ehrgeizigen eifersüchtigen unbefriedigten Mann. Die Wiener verkannten den Böhmen; dieser blickte mit blinkernden Augen rechts und links, ihm kam es auf einen Gegner mehr nicht an. Er nahm die Entlastung an, der Friauler hielt das Spiel für gewonnen als Nebenregent.
Da wandte sich eine Herzogin von Braunschweig, eine verschüchterte freundliche Person, an den Herzog nach Halberstadt mit der Bitte, ihr durch das besetzte Gebiet die Durchfuhr einiger Wagen mit Kleidungsstücken zu gestatten. Der Herzog gab galant die Salvaguarda, bedauernd, durch die Kriegsgeschäfte ihr Schwierigkeiten zu schaffen. Die Dame mißbrauchte ihren Geleitschein, belud einige Wagen für ihren Keller mit Tonnen Wein. Ein Oberstleutnant mit Patrouille des Zuges ansichtig hielt den Passierschein für gefälscht, ließ die Dame in strömendem Regen aus ihrer Karosse auf ein Pferd setzen, sie ritten in sein Standquartier; fünf Stück Wein wurden von den Wagen gerollt, mitgeschleppt; die Wagen blieben unter Bedeckung liegen, die Fuhrleute davongejagt. Bevor die Herzogin nach zwei Tagen sich an den General wandte, wußte er schon davon, erklärte ihr seinen Unwillen, ließ den Vorfall untersuchen. Der Oberstleutnant, verhaftet, erhielt Befehl, die geraubten Stücke herauszugeben; es war ein Oberstleutnant vom Regiment Kollaltos, des jetzigen Feldmarschalls. Kollalto, sonderbar verbissen und erglühend, verlangte Auslieferung des Oberstleutnants an ihn, den Regimentsinhaber. Der General lehnte den Einspruch ab. In Wien freute man sich schon lebhaft über den Vorfall. Da gab Kollalto nach, bevor eine kaiserliche Instanz mit der Sache befaßt wurde. Auffallend rasch nach anfänglichem Grimm gab er nach; im Hauptquartier erzählte man sich ein Wort des Generals, der Graf Kollalto solle nicht so um die paar Faß Wein jammern; deutlicher wisperten andere, der Oberstleutnant habe für seinen Oberst das Stück unternommen. Und ohne daß sich äußerlich das Verhältnis der beiden obersten Personen des Heeres änderte, verschwand noch während der Winterquartiere der strenge rotwangige Kollalto aus Halberstadt; unvermutet gelangte an den Herzog die Nachricht, der Feldmarschall, sein Herr Bruder, sei aus seiner Stellung ausgeschieden, man habe ihn wieder als Präsidenten des Kriegsrats angenommen. Man hatte sich in Wien durch Kollalto verstärkt.
Die Losung in der Burg: ihn niederhalten. Die Unterhaltungen Eggenbergs Questenbergs und sogar des verwachsenen feinen Trautmannsdorf waren auf diesen Ton gestimmt: niederhalten. Plötzlich erschien im unschlüssigen Wien, mitten im strengsten Winter, eine ungewohnte Person, der Graf Wilhelm Slawata, der böhmische Oberstlandkämmerer, nahm an einigen höfischen Unterhaltungen Treibjagden Konzerten teil. Er, Vetter des Friedländers, von erwiesener Kaisertreue, streute Gift um sich, daß selbst die Räte erschraken. Er zog die Affäre ihres gemeinsamen Verwandten Smirsitzky hervor, dessen Vormund der jetzige Herzog gewesen sei, und dessen Habe er sich nach dem Verrat und dem Ausschluß aus der alten böhmischen Adelsgesellschaft angeeignet habe; der Kaiser sei über den Vorgang falsch informiert worden. Er rührte an den Vorfällen, die mit der Existenz eines geheimen Münzkonsortiums zusammenhingen, brachte Tatsachen von so haarsträubender Korruption vor, daß er sich fast der Lächerlichkeit aussetzte; man konnte nach seiner Darstellung schließlich den Kaiser selbst der Teilnahme an jenem peinlichen Verbrechen zeihen. Man mußte über den erstaunlich veränderten, plötzlich so sensationslüsternen stillen Grafen zur Tagesordnung übergehen. Er sah sich am Hof freudig aufgenommen, interessiert festgehalten, dann isoliert; seine Worte blieben liegen. Lautlos zog er sich plötzlich, wie er erschienen war, in seinen Prager Dienst zurück. In Wien summte man hinter ihm; man rechnete auf ihn; hastig übergab man ihm ein Geheimreferat über böhmische Angelegenheiten.
Und man konnte hoffen, baldig dieses neuen Herzogs und Generals über eine unkaiserliche Armada entledigt zu werden. Denn sein Erscheinen auf dem Kriegsschauplatz, die Drohung mit der kaiserlichen Gewalt, hatte die Niedersachsen bewogen, sich zu Verhandlungen zu bequemen, die in Braunschweig stattfanden. Man schickte die verlässigsten Unterhändler hin, gab die schärfsten Instruktionen, nachzugeben bis an die Grenze des Möglichen. Aber während der langen Debatten ergab sich zur Greifbarkeit, daß die Kreisdeputierten nichts als Verschleppung vorhatten, um ihren Bundesgenossen Zeit zur Verstärkung zu geben. Und zu ihrem Groll erkannten auch die Unterhändler, daß Wallenstein die Atmosphäre gründlich verdorben hatte mit drohendem Auftreten, skeptischer Ablehnung selbst an den Gesprächen teilzunehmen. Er warb rastlos weiter. Spione über Spione warf Wien über ihn, suchten sich an ihn zu hängen. Der Kaiser hatte dem Heer die Sanktion gegeben; jetzt schwamm es draußen in der Welt, im Reich herum, von Woche zu Woche unfaßbarer. Sie hatten dies Roß gezäumt, den Reiter in den Sattel gesetzt; Roß und Reiter jagten; wer wollte sie wieder in den Stall bringen. Sie mußten hören, was man ihnen auf Hintertreppen zutrug. Von dem Herrn kamen manchmal Meldungen, und wenn sie nicht kamen, so kamen sie nicht.
Da schien es ihnen besser von Zeit zu Zeit zu tasten, daß er sie nicht vergäße. Denn unzweifelhaft bewies er sich ergeben der Römischen Majestät; er hatte die strengsten Beweise dafür geliefert, sich der Schmach, der Volksverachtung ausgesetzt. Und langsam kam in den schwerfälligen Körper des Geheimen Rats und der Kammer ein Vibrieren, ein Mitschwingen, ein Mitklingen. Wie wenn einer an der Wand lauscht und unwillkürlich aus seinem Mund die Töne kommen, die auch drüben gesungen werden.
Der matte Winterkönig, Friedrich der Wittelsbacher, lungerte in Sedan bei seinem Oheim, dann raffte er sich auf nach dem Haag. Er ging nicht gern; den Schlag des vergangenen Jahres, verlorene Schlachten, gnadenlose Überwältigung durch den Kaiser, hatte er nicht verwunden; bis ins Mark fühlte er sich geschwächt; leise Bitterkeit und Widerwillen war in den fröhlichen Mann eingezogen. Vom Haag her rief man ihn; seine üppige leichtsinnige Elisabeth lachte ihn aus, als er zögernd nachsann. Die Fremden, Mansfeld, der Halberstädter Analphabet hatten für ihn gerüstet, der starke Dänenkönig schrieb ihm huldigende trostreiche Briefe. Auf, auf!
Im Haag, im Asyl der Generalstaaten, winterliches Leben. Hin und her zwischen Vlissingen und Southhampton und London schossen die Eilboote. Das Jahr war schlimm für England gewesen, man war nicht aufgekommen gegen die spanische Seemacht, zerbrochen waren die Schiffe mit schweren Verlusten in ihre Heimathäfen eingelaufen. Des selbstherrlichen Königs Karl hatte sich die Sorge bemächtigt; er mußte siegreich sein, die aufrührerische Gesinnung des Parlaments kannte er. Sein Kanzler, der geleckte Wüstling Buckingham, schwärmte um die feinen brünstigen Damen des französischen Hofes seiner Königin. Von hier kam dem König die Einflüsterung, sich Richelieu anzuschließen in der Bewältigung der Hugenotten, um Frankreich stark zu machen gegen das verhaßte nebenbuhlerische Spanien. Und das Abenteuerliche geschah, zur zitternden Freude Buckinghams, dem seine Hündinnen Glück wünschten, daß das strenge papsthassende Britenland Gelder und Schiffe herübersandte nach der Bretagne zur Ausrottung des freien Bekenntnisses. Und der König Karl bog die Knie vor dem kichernden vollbusigen Weibchen, der Henriette, die an ihren braunen Stirnlöckchen schnappte und bekümmert ihr rosarotes Seidenkleid vor dem Mann zurückhielt, und lachte schallend, während sie einknickte und sich an seiner Halskrause hielt, wie das Parlament schäumen würde, welche schlauen untastbaren Wege er ginge dank dieses Meisters der Teufel Buckingham, und wie es dennoch geschehen würde, dennoch. Und zugleich zur Ehre Frankreichs! Sie kicherte und fühlte ihr Strumpfband platzen.
Die Pfälzer Räte schickten nach London: Geld, Geld. Sie fragten ihren Kurfürsten nicht, schrieben aus eigner Machtvollkommenheit in Gram um ihre Heimat, der Schwager des Königs von England sei in Not, seine Schwester ruiniert, sein Neffe zum Gespött; das alte, bald fünf Jahre alte Lied. Widerwilliger von Monat zu Monat flossen die Gelder nach dem Haag, davon der Bastard Mansfeld und der tolle Halberstädter rüsteten. Die beiden, von den Summen erquickt wie Blumen vom Tau, ritten ihrem Kurfürsten auf der Landstraße zum Haag entgegen; sein Herz schlug kräftiger, als er die starken Pferde und die gepanzerten unbändigen Männer antraben sah. Erzählten ihm vom König Christian und den prächtigen Niedersachsen, wie gern der Kaiser auch Magdeburg schlucken wolle und von dem neuesten Ankerseil des löblichen Hauses Habsburg, dem gewissen Wallenstein. Und sie freuten sich zu dritt über den gewissen. Der schlaffe Friedrich fühlte sich wieder erwachen, hineingerissen in das alte Leben zwischen den davontosenden schweren Kürissern.
Es gab für die zweitausend Reiter des Grafen Mansfeld keine Entfernung. Dem kleinen kraftüberladenen Gesellen behagte nicht eine herkömmliche Schlacht, bei der er mit seiner Bande eine Zahl stellte; ihn gelüstete von Jahr zu Jahr stärker nach Wien. Nach Wien! Mit dem eisernen Halberstädter machte er sich auf Hamburg, als das Frühjahr kam; es sollte die Elbe entlang auf Böhmen gehen, während der Fuchs aus dem Bau war und sich die Pfoten in Halberstadt wärmte.
Das Frühjahr war noch nicht zu den Kirschbäumen gekommen, da schlichen die Mansfelder durch das Tal der Elbe. Die Hufe ihrer Pferde hatten sie mit Stroh umwickelt, in kleinen Trupps jagten sie, viele mit kaiserlichen roten Feldbinden; bei Tag schliefen sie meist, bei Mondaufgang wirbelte ihre gedämpfte Trommel. So zahm wie jetzt waren Mansfelder Reiter noch nie zu Landbewohnern; einige Kompagnien kamen als verkappte Mönche und hatten ihre Pferde in Wäldern abseits stehen, schrien von Übeltaten, die ihnen geschehen seien und erhielten Quartiere; andere ahmten riesige Warenzüge und Pferdetransporte nach. Sie gaben sich als Dänen, Märker aus. Haufen wanderten als beklagenswerte Flüchtlinge aus dem Holsteinischen, wußten Schmachtaten der Dänen und des Bastard Mansfeld zu erzählen. Das ungeheure sonderbare Treiben zog sich in das Magdeburgische hin; bei Dessau hatten die Wallensteiner die Elbbrücke verwehrt, mit großer Macht lagen sie hinter Schanzen da, warteten auf den Dänenkönig.
Urplötzlich eines sonnigen Apriltages warfen sich unkenntliche Streifkorps gegen den Brückenkopf, schwammen auf Kähnen elbaufwärts. Als wäre es ein Spuk, tauchten aus den Wäldern und Dickichten berittene Mönche und Bauern auf; man wußte nicht, wer es war, aber sie griffen an. Griffen an, daß die Wallensteiner zusammenschmolzen, Schrecken über sie fiel. Die Nacht kam; in der Flanke erschienen die abenteuerlichen Feinde rechts, links, die Front der Schanzen hatten sie eingedrückt. Der Friedländer, im Augenblick bewußt einem Mansfeldschen Durchbruch gegenüberzustehen, rasselte ritt flog die Nacht, den Morgen durch. Er gab stückweise Kraft von sich; die erste stärkte den Widerstand und war blitzschnell da; die zweite wühlte sich Laufgräben bei den Schanzen, lief gedeckt vor; die dritte faßte die siegesheiß vordringenden Reiter in der ungeschützten Flanke, jagte sie zur Seite, ließ sie in die Laufgräben vorrennen. Die Hauptkraft des Böhmen wallte über die Umzingelten Verjagten her, schmetterte sie mit einem langhintreffenden Schlage zu Boden. Die letzten waren die schlachtenden Arkebusiere Gonzagas und Koronius, Lauenburgs beilwerfende Kürisser, Kroaten Isolanis mit der Spitzhacke, dem Schlaghammer und türkischen Jagetan. Mittags wußte Wallensteins ganzes Heer, daß diese einmal säbelschwingenden Mönche, diese einmal schießenden Kaufleute, einmal schwimmenden Fuhrmänner Flüchtlinge Bauern die Mansfelder waren, die in Rauch aufgegangen waren.
Der Mansfelder entwich in die Mark. Es fiel noch einmal Schnee. In einer Nacht trug man den kurzen asthmatischen Mann von einem zweirädrigen Bauernkarren herunter in ein mondbeschienenes Gehöft, dessen Bewohner ihm und den zehn Begleitern ihre Stuben einräumten, vor dem Hause sich ansammelten, wo der herzkranke Graf mit dem Tode rang. Man wollte ihm zum Aderschlagen einen Barbier holen oder einen Arzt aus Tangermünde. Er, in Stahlkappe und Brustharnisch, mit vorquellenden blauen Augen, keuchendem Atem winkte ab, am Tisch hinter einer Kerze stehend, sich festhaltend. Die ganze Nacht setzte er sich nicht. Wenn man ihm einen Sessel zuschob, stieß er ihn rückwärts mit dem Fuß zurück. Kleine Schlucke Weißweins ließ er sich in den Mund eingießen. Blickte immer steif auf das kleine viereckige Fenster, wo das Mondlicht weiß hereinquoll. Als draußen die Hähne krähten, sank sein Rücken zusammen, er seufzte zum erstenmal, legte sich quer auf das Bett des Bauern. Nach einem gekeuchten Fluch trank er, die Arme zitternd, einen halben Krug Wein aus, blickte in seinem Stahlpanzer schauernd den herumstehenden Offizieren unter die Augen: was sie nun dächten. Er röchelte, ohne ihre Antwort abzuwarten: „Einmal ist keinmal. Wir fangen dasselbe Ding, dasselbige Ding noch einmal an.“ Sie hoben ihn nach einer Stunde wieder auf den Karren; der Pfaffenkaiser solle nicht glauben, er sei zahm und lieb wie der Pfälzer Herr; er werde dem Friedländer bald am Kragen sitzen, dem Pfuscher, der sich die halbe Welt kaufe und vermeine, damit sei es geschehen. Lauschende Reiter voran, Laternen ausgelöscht.
Zu ihm stießen die Reste des geschlagenen Heeres; von den Dänen kamen viele herüber, schottische Fähnlein, die seit Hamburg auf seinen Spuren zu spät die Dessauer Brücke erreichten. Ohne Lärm schlossen sie sich in der Mark zusammen; Bauern und Adlige gaben ihnen Geld und Proviant, Pferde Zaumzeug und Wagen, als sie hörten, die Katholischen hätten gesiegt. Bitter lärmte das Volk, daß der Markgraf von Brandenburg sich nicht kümmere um die Dinge, den Mansfelder, der das Land verteidige, verkommen lasse. Aus Städten und Dörfern strömten sie dem tapferen ingrimmigen Kleinen zu, dessen zweites Wort war: „Kaiser? Was! Pfaff und Jesuit!“ Erschauernd vernahm das Volk die Gerüchte von der ungeheuren Heeresmacht, die der kaiserliche Feldherr langsam herantrieb gegen die Mark, um sich des geächteten Mansfelds zu bemächtigen. „Der Friedländer“ flüsterte es fingerhebend in den Gassen, der grausige Mann des Kaisers, der Jesuiten, der riesenreiche Mann, böhmische Verräter, der sein eigenes Volk geopfert habe, dem alle zuliefen, weil er alle bezahlen könnte, das Glück der vagierenden Räuber und Soldaten, der katholische Teufel, schlimmer als der Tilly. Der Bastard ließ trommeln in der Mark, man lief ihm zu. Westlich der Mark fühlten die kaiserlichen Horden vor, um ihm den Weg nach der Elbe abzuschneiden; täglich verstärkte sich der Friedländer, seiner Sache so gewiß, daß er ruhig anhielt.
Die Schlesier hatten alle Angst abgelegt vor dem Mansfeld seit der Dessauer Brücke. Es war erwiesen, daß mit dem Generalissimus des Kaisers keine Späße zu machen waren. Hatten die Söldner, die sie aus ihren knappen Mitteln angeworben hatten, schon entlassen. Da schlug es ein, der Mansfelder lebe, hätte seine bösen Pläne nicht aufgegeben, auf sie hätte er es abgesehen, urplötzlich wurde im Lande Generalaufgebot befohlen, verkündeten kaiserliche Schreiben, schonend, warnend, sich überstürzend: „Der Ächter Mansfeld ist mit seinem räuberischen Anhang in das Fürstentum Krossen eingebrochen und soll vorhaben, ganz in Schlesien einzufallen.“
Von Havelberg hatte sich das schütternde brusthallende Gelächter aufgemacht; zwanzigtausend Mann stark. Durch Frankfurt marschierte es, es war blühender Sommer geworden. Der Jubel der Studenten. Gedröhn, der Markgraf solle sich erheben und mit gegen die Papisten ziehen. An der Flanke des lagernden Drachens, des Wallenstein keck vorbei, über Krossen her, auf Liegnitz zu, auf Breslau zu. Wüstend, brennend, raubend voran durch die kaiserlichen Erblande.
Sich auf den Fußspitzen, auf den Hufen der Pferde in den Satteln erhebend, trompetend, wiehernd, hohnlachend nach allen Seiten: „Der Kaiser! Der Papistenkaiser!“
Klingendes Regimentsspiel, gefüllter Troß, frische Pferde, Hafer, Heu, Schmuck und Ketten aus den Häusern. Nach drüben zu, auf Mähren zu. Vierzigtausend Ungarn, Türken, Tataren warteten.
T osendes Gelächter in München. Der krummbeinige Zigeuner, der struppige gezeichnete Mansfeld, wie ein Affe sprang dem Friedland über den Kopf weg, nahm sich ein Herz, entwischte, der Herzog ließ ihn durch, in die Erblande, zu einer Verbindung mit den Ungarn, Türken, Tataren. Das Gelächter in München scholl nach Wien herüber. Dies angetan der kaiserlichen Armada von einem Habenichts, einem Hühnerdieb, Pferdejungen des Königs von England. In der kaiserlichen Antikamera spotteten die Italiener: man gebe dem Friedländer noch fünfzigtausend Mann und er wird sich gegen zweitausend — verteidigen. Tapfer wird er es tun, die Zähne verbeißen, man wage es gegen ihn, den tapferen Schwaben, Nachfolger des mazedonischen Alexanders. Sähe man nur: ein Wucherer, ein Güteraufkäufer, ein leidlicher Oberst als Heerführer; ein Narr, den die Großmannssucht gepackt hat. Die Räte waren nur schwach bereit, ihn zu verteidigen. Als aber die schmerzlichsten Klagen aus Schlesien einliefen, Mansfeld weiter sprang, ergriff alle Angst und Wut. An den Kopf eines Verbohrten waren sie nicht gebunden. Er saß bei Halberstadt und erpreßte Geld. Es war eingetreten, was man befürchtet hatte. Man hatte noch Kollalto; Karaffa war noch da. Ruin, Ruin! Gelächter für Europa. Der wild gewordene Spekulant als Feldherr. Mit Lärm traten sie am Hofe auf.
Wallenstein, auf einem Bauerngut bei Halberstadt, auf die Wiener Nachrichten in tobsüchtiger Erregung, fuhr in die Stadt zurück; der Mund ging ihm über von Schmähungen gegen die Räte, die er treulos und Schelmen nannte. Mit dem feinen Aldringen verfuhr er auf das wildeste; dieser war zum erstenmal Zeuge eines solchen Zustandes; er hielt den Herzog für wahnsinnig, fürchtete, von ihm ermordet zu werden. Der Herzog warf ihm vor, daß er seine Sachen bei Hof nicht vertrete, ihn anschwärze. Das Heer sei verloren, alles sei verloren, er selbst verloren durch die Narrheit, Bosheit der Wiener Räte. Es sei alles verloren, denn er werde genötigt sein — dabei geriet der Herzog in solche Erregung, daß er auf Minuten die Sprache verlor — das Heer jenem Strauchdieb nachzuschicken und damit hätte der Bayer erreicht, was er wollte — nach Ungarn die Kaiserlichen! Nach Ungarn, wo man zugrunde gehen müsse. „Ich geh nach Ungarn,“ schrie er besinnungslos Aldringen an, „die Herren setzen es durch; die treulosen an ihrem Kaiser. Aber sie sind nicht meine Herren, sie sollen es fühlen; sie sollen mich suchen später, wenn sie mich brauchen und werden mich suchen wie eine fromme Seele im Höllenfeuer.“
In der Tat, trotz des lauten Jammerns des ligistischen Führers, der allein gelassen wurde gegen Dänen und Niedersachsen, brach wie ein toller Stier der Friedländer auf. So gräßlich war sein Schelten und Toben auf den Wiener Hof, der ihn zu der Fahrt hinter dem Mansfelder zwang, daß Aldringen Briefe an den erschrockenen gänzlich kopfscheuen Präsidenten Kremsmünster schrieb: Der Friedländer sei unterwegs aus Niedersachsen mit seiner ganzen wilden Armada; er schwärme auf Schlesien zu; „begütigt ihn, laßt den Kaiser freundlich schreiben; es kann geschehen, daß er in seinem blinden Wahnsinn auf Wien losstürzt und Euch zertritt.“
In dem Städtchen Ellrich bei Nordhausen erlebte der alte Graf Tilly eine letzte Begegnung mit dem Herzog vor dem Abmarsch, die in ihm die Hoffnung auslöschte, jemals mit dem Böhmen kameradschaftlich auszukommen. Wider alle Wahrheit und Wahrscheinlichkeit erklärte der Böhme, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, auf den Tisch hin, der Däne, die Niedersachsen, Mansfeld, dazu auch schwedische Völker, seien eins darin, konzentrisch auf Schlesien vorzugehen, die kaiserlichen Erbländer zu überfallen, nachdem sie dem Siebenbürgen, Türken und Tataren die Hände gereicht hätten. Er könne nicht säumen, auch nicht das Quantchen eines viertel Tages und müsse mit ganzer Macht auf. Er, der Jüngere, überhörte in einer Roheit, die den Grafen zittern ließ, jeden Einwand, der von eben anlangenden Kundschaftern vorgebracht und von dem sesselversunkenen kopfsenkenden Ligisten bekräftigt wurde. Es war wie das Amen in der Kirche, daß er, der kaiserliche General, keinen Troßbuben an der Elbe stehenlassen könne, es würde davon nicht abgegangen werden und wenn das ligistische Heer mit dem letzten Mann zugrunde ginge. Mit einer Bosheit und Grausamkeit ohnegleichen schmetterte der lange herumwandernde Böhme das dem Tilly vor die Füße. Draußen wieherten die Pferde der Kaiserlichen. Auf einem Nachtritt waren sie hergekommen. Als Abschluß, nach Verstreichen von fünf lautlosen Minuten, gab der Herzog ohne Vorbereitung mit heiserer, unnatürlicher Stimme von sich, er werde fünfundachtzig Fahnen zu Roß und Fuß zurücklassen, mehr nicht. Mit einem verzehrenden Blick äußerte er das, während er schon die eiserne Türklinke in der Hand hatte. Und Tilly konnte drin überlegen, was dies Ganze sollte: fünfundachtzig Fahnen, mehr, viel mehr, als er gefordert hatte.
Wie von einem Unwetter wurde die friedländische Front abgebaut. Von der ruhmreichen Dessauer Brücke riß sich Oberst Pechmann los, hinüber auf das rechte Elbufer, fünftausend Mann mit ihm, Kürassiere und Arkebusiere des Marradas, Gonzaga, Scharffenberg, Areyzago d’Avandago, Koronini, Dragoner des Hebron. Mit wenig Tagen Abstand Infanterie und Artillerie, dann Wallenstein mit seiner Hauptmacht. Sie hatten ihn von Wien ängstlich gebeten, nicht nach Schlesien einzudringen oder nur wenig, damit dem armen kaiserlichen Lande nicht noch mehr geschehe; schlage er doch den Mansfeld vorher. „Geschieht,“ brüllte der Rasende im Abmarsch zurück; „wie die Herren es aufs Papier setzen, wird der Feind auf mich warten und sich schlagen lassen. Und ich bin hin und her spaziert mit der Karosse von Halberstadt nach Breslau, nach Wien, nach Halberstadt. Jetzt gibt’s nur ruinierte Länder oder verlorene Länder. Macht kein Unterschied der Krieg zwischen des Kaisers oder eines anderen Land.“
Sehr blaß sagte Trautmannsdorf im Rat: „Ich weiß nicht, ob wir Siege oder Niederlagen von ihm hören werden. Er ist klug, geschickt; vielleicht wird er siegen. Aber es scheint mir, als ob uns noch anderes von ihm zu Ohren kommen wird.“ Und später: „Es ist mir nicht klar, gegen wen der Herzog Krieg führt.“
Die heißen Augusttage über dem drängenden Heer. Von den reichen Futterstellen weg in fragwürdige Länder. Hinter Wallenstein die Regimenter Kollalto Tiefenbach Merode, Schlick Sachsen-Lauenburg Wallenstein Nassau, zu Pferd Strozzi Wittenhorst Gürzenich Zriny Neu-Sachsen Orehorzi Isolani Kürassiere Lamottas. Sächsische Ebene, kleine Türmchen, verbrannte Äcker, Kottbus, Forst, Sorau, Sagan. Kontributionen waren nicht zu erheben, Wallenstein war nicht flüssig, rechts und links brachen Rotten und Kompagnien aus, um sich bezahlt zu machen. Die Bäume füllten sich wieder mit Leichen, die Strafen stiegen vom Strengen ins Grausame. Um den General waren der Feldmarschall Marradas und der Feldzeugmeister Graf Schlick; sie bebten vor dem Herzog; mit wüsten Flüchen und auf die Gehängten weisend, frohlockte er: „Wer hat dem Kaiser diesen Krieg eingebrockt? Sie sollen hinsehen, in was für einem Labyrinth wir stecken.“ Der Feind hatte immer fünfzig Meilen Vorsprung. Wie Wallenstein Sagan erreichte, erstieg der Feind im Süden schon den Weg zum Jablunkapaß. Sie wateten durch die sandigen Heerstraßen. Der Herzog rief um Geld nach Wien; man schwieg. Ohne den Kaiser und Räte zu fragen, setzte er Proviantrotten fest, sie schwärmten mit festen Plänen von Ort zu Ort; Arkebusiere und Pikeniere waren ihnen beigegeben; wer zu steuern weigerte, verlor seine Habe und oft sein Leben. Hinter Bunzlau drang Pest in das Heer ein; Wallonen des Merode, verlassen, halb sterbend, plünderten die Stadt. Jauer Striegau Schweidnitz Neiße. Man rauschte an Städten und festen Plätzen vorbei, die der weit voran tobende Feind genommen und mit Truppen besetzt hatte; mit Peitschenhieben drang der Anblick der verschlossenen Tore auf sie ein; Gift goß er in ihr schon halb gerinnendes Blut. Drohende Patente warf Wallenstein vor sich durch Schlesien, hieß die Mansfelder meineidig, treulos, und daß ihnen keiner Quartier gebe und jeder ohne Schonung des Lebens niedergemacht werde. Man rauschte durch Schlesien; zur Seite, hinter sich ließ man die genommenen Städte mit den ausfalls- und plünderungssüchtigen Besatzungen; das Land schrie geängstigt, man durfte nichts hören, man hatte keine Zeit. Mußte in die blinde heiße Luft hinein, in das ungarische Elend. Die Pest warf neue Kompagnien hin, die Ernte des Jahres verbrannt; hinter ihnen, wie sie hin schmolzen und verdarben, jubelten die Feinde. In Wien lachte, halb gebannt, alles was mißgünstig war, des Verblendeten, der rannte wie ein tollwütiger Hund. In Prag in der Burg nahm Slawata die Aufforderung des Herzogs Proviant Proviant Proviant zu liefern, langsam vom Tisch, zerknüllte sie, ließ sie zu Boden gleiten.
Der Bastard sah den Friedländer in langen Sprüngen hinter sich; bis an den Jablunkapaß wollte er ihn locken, dann querfeldein, ein Gelächter ausstoßend, mit dem Schwanz des kaiserlichen Heeres durch Mähren, Böhmen fackeln nach Wien oder nach dem Elsaß. Der Friedländer gab kein Wort nach Wien; aber wie jagten die Kuriere herauf zu ihm, bei den unschlüssigen verdächtigen Bewegungen der Mansfelder Bestie. Die Stadtgarde lief mit Wallenstein; und Wien in unmittelbarer Gefahr. Die Boten wagten sich nicht vor den Herzog; der Marradas und Aldringen warnte sie, nahm ihnen ihre Briefe ab; man konnte riskieren, daß der Herzog aus bloßem Groll die Hauptstadt dem Äußersten aussetzte. Er erfuhr nichts von den Briefen; wie ein Magier an seinem Feuer hing er an Mansfeld, dem irrlichterlierenden Springteufel. Eine heiße gefährliche Ruhe hatte sich über den Friedländer gelegt; er schwamm hingenommen, die Erde versunken, im Fahrwasser des Bastards. Schon war der nach Westen umgebogen, hatte vom Jablunka herunter sich auf die Straße nach Leipnik gesetzt, da zuckte der Friedländer in einer gewaltigen Bewegung zur Seite, stellte sich versperrend vor Olmütz. Kavallerie über Kavallerie warf er über die Straßen; der Mansfelder bäumte zurück, schoß nach Süden, um über die Marchbrücke nach Böhmen einzustoßen. Der Herzog legte sich selbst an die Spitze seiner Vortruppen, Eisen und Magnet prallte zusammen. Noch einmal riß sich, Hunderte von Mann verlierend, der Bastard los, heulend, Gott und die Seligkeit verfluchend; ein Donnerwetter von Hufschlägen prasselte über die Straße. Verloren der Weg nach Böhmen. Hinein, hinunter in die heiße Hölle, nach Ungarn. Von den Wagen brachen die Räder, Pferde schlug man nieder, schlang Fleisch.
Breit lagerte der Kaiserliche vor dem Waagstrom, einige Wiener Briefe ließ man zu ihm durch, die vor Bethlen Gabor und den Türken warnten. Stumm blieb der Herzog; abwesend gab er von sich: „Mir graust vor ihnen allen nicht.“ Knapp achttausend Mann hatte er nach Ungarn eingeschleppt; ein ganzes Drittel des Heeres war, ohne einen Kampf bestanden zu haben, in die Erde gesunken.
Da standen sie auf den grauen dunstüberlagerten Pußten nach der atemlosen Jagd, regten sich kaum. Fühlten beide eine furchtbare Schwäche in den Gliedern. Der Mansfelder begann zuerst sich davonzuschleppen, nach rückwärts schielend. Der Waagstrom lag braun und tief zwischen ihnen; Wallenstein stumpf, wand sich mit lahmem Kreuz herüber. Die Lagerstätten des andern rauchten vor ihm. Sie schlichen hintereinander; in der Hitze versiegte der Schweiß, wie er nur ausgebrochen war, in der Haut; sie schluckten Wasser und trockneten ein. Einer roch den andern. Sie warfen sich von Ort zu Ort, drückten ihre Leiber fest an den Boden, umklammerten Gehöfte Dörfer Flecken, und wie sie abzogen, ließen sie Schlamm Kot Blut zurück, Schutt, glimmende Asche, gelbe Leichen mit verbogenen Gliedern, offenen Mäulern.
Von Einzelläufern kam die Nachricht — Mansfeld und den Böhmen erreichte sie zu gleicher Zeit — daß über die Heide her der Siebenbürger Fürst mit zwölftausend frischen Reitern von Dabreczin schwebe; in Ofen klingle die Janitscharenmusik des Türken, die Türken rennen zu Hauf, die Widersacher, sie kommen, sie kommen bald. Stumpf wiesen die Mansfelder das ab; sie hörten kaum hin, ließen sich nicht stören, sie waren im Geschäft des Sterbens, der Boden war schön. Bis über die stille stille Steppe mitten am hellen Tage kleine zweirädrige Wägelchen auftauchten, unter die Mansfelder rollend Wasser Wein. Man fragte nicht, wer sie seien, zerbrach die Tonnen, verschüttete das Wasser, sank hin. Neue Wagen, Brot Vieh Wasser Wein frische Pferde Heu am hellen Tage über die platte mörderische Steppe. Die Söldner wußten nichts von Krieg, umfingen zärtlich das Wasserchen, weißes Wasserchen, süßes Wasserchen, streckten sich hin, aßen, lachten. Liebes Brot, liebes Wasser, lieber Wein. Richteten sich auf und fingen zu heulen an, küßten sich, die Eisenhauben abgeworfen, umarmten sich, blökten wie Vieh mit verzerrten, kläglichen Mienen, schlugen den Sand mit den Fäusten, pochten mit Riemen an ihre Brüste. Das Heulen verbreitete sich unter allen Soldaten, es artete in fiebriges Wüten aus; monoton schwoll und hallte das Jammern. Wie die Führer unter sie stiegen, weigerten sie sich zu marschieren. Sie hielten sich jauchzend und einander ermunternd an den Wein, das Fleisch, das Wasser. Auf alles Bitten und Befehlen schüttelten sie den Kopf, schlürften, duselten, schliefen, weinten, kannten sich nicht. Braune Sumpfrasen, in die sie singend, lethargisch, triebartig liefen; versanken. Blaugeschecktes mannshohes Goldbartgras; die Ährchen glänzten metallisch, Federgräser, Schmetterlingsblume. Der schwarze Ibis lief vorüber.
Als der Flugsand sein Lager fast verschüttete, nahm Wallenstein mit seinem Obersten eine Zählung vor; dann hieß er die Menge der Profosse und Henker verzehnfachen und sie vier Tage lang unter den Erschöpften Widerspenstigen Aufsässigen Kranken aufräumen. Bei der Musterung, die er selbst abnahm, in einer Kutsche wegen seiner Leberschwellung fahrend, erklärte er zum Fenster heraus den Offizieren, sie seien nicht zum Spaß von ihm und dem Kaiser angenommen worden, keineswegs, es könne um das Leben gehen. Er würde Vertrauensoffiziere ernennen, denen er das Recht gebe, in den jetzt beginnenden Schlachten jeden, Offizier und Mann, niederzumachen ohne Gericht, der nicht mit voll erlaubter Grausamkeit sich gütlich tue an den Meineidigen. Dies möge von Profossen und Henkern bekanntgegeben werden. Einen Tag vor der Begegnung mit dem Feinde strömte das Blut im Heere der Kaiserlichen, dem Blutbad fielen vierhundertfünfzig Mann zum Opfer; sie wurden fast ohne Grund von Beauftragten in ihren Zelten oder auf Lagerstraßen zur Abschreckung niedergemacht. Gepeitscht, gänzlich besinnungslos, raste von Neuhäusel das kaiserliche Heer los. Sie lagerten nicht zur Mittagsrast, setzten sich nur vier Stunden über Nacht, rannten — Wallenstein unter ihnen — daß Troß und Bagage zurückblieben und ihnen nur Rettung in der Besiegung des Feindes gegeben war. Die Türken streckten die Hälse über die Mauern von Neograd; in starren, unbezwinglichen, grausigen Wellen kamen unten Massen her, ohne Artillerie, ohne Gefährt. Die Türken wichen ab von der Stadt. Die Menschenwellen schlugen über der Stadt zusammen. Sechs Tage setzte sich Wallenstein.
Wieder begann das Suchen nach dem Feind, man irrte tiefer in die Torfsümpfe, kaute rohe Rüben und Blätter, scharfe Pflanzenhalme. Die ungarische Ruhr brach unter den Reitern aus, das Heer erduldete ohne Laut alles. Fast vernichtet, des Äußersten gewärtig, schleppten sich da Bethlen und Mansfeldsche Heere an sie heran. Sie waren aneinander, hatten sich gefunden, gingen nicht auseinander. Lagen sich Wochen auf Sandhügeln gegenüber; Regengüsse, Sturm, Hagel; Fieber schüttelten die Söldner. Meilenweit Öde. Aufglitzernde Teiche, Weidenbüsche, Röhricht, weiße Dünen. Da lagen sie, die sich lange gesucht hatten. Knirschend und schreiend in riesigen Wasserstiefeln, mit Sturmhaube in Eiltrupps tasteten die Wallensteiner herüber, wo sich die Leiber der Mansfelder wanden, fanden nicht hin. Der Himmel schlug mit Keulen auf sie ein, achtete nicht auf erstarrende Herzen. Faulten in ihren Panzern, wußten auf dem Felde nicht, was sie sollten. Auf Wagen hausten sie Tag und Nacht; Wasserratten schwammen durch die lehmigen Tümpel Lachen, zogen sich an Zeltplanen hoch, fraßen Holz Leder Leichen an, stürzten wimmelnd in die Lagerstätten.
Wie der Regen nachließ, gab die Steppe die letzten Menschen von Mansfelds Heer frei; weg liefen sie, verschüchtert vergraust, zu Menschen, in die Städte nach Norden, nach Westen, in die Dörfer Gehöfte, verkrochen sich in Häuser, hingen sich an Kinder, an Tiere, versuchten zu denken mit gerunzelten Stirnen.
Den Bastard fand man eines Morgens brüllend und schäumend am Boden seines Wagens liegen; keiner ging zu ihm herein, man wußte, was das war. Zwölf Mann seiner Leibgarde waren bei ihm; die letzten zwei Kompagnien hatte er für tausend Dukaten an Bethlen verkauft. Sie glaubten, er würde im Anfall verrecken.
Mittags stiegen zwei zu ihm auf den überdachten Troßwagen; er saß im Panzer auf den Decken, der kleine geschwollene glotzäugige Mann, wog Geld in der Rechten und Linken, schrie mit versagender Stimme: „Weiter! Weiter!“ Warf ihnen eine Hand voll Dukaten zu; die letzten Pferde wurden vorgespannt, man machte sich auf die Flucht. „Ich muß nach Venedig, ich muß nach England. Vorwärts. Wir sollen den Betrüger schlagen, den gelben Böhmen. Der falsche Soldat, Kipper und Wipper.“ „Weiber! Weiber!“ Man brachte ihm aus Dörfern, aus den Wäldern, vom Ziehbrunnen Frauen, denen man auflauerte, Mädchen. Ärmelhemden aus feiner weißer Leinewand, zartblau, karmoisinrot, am Hals gefältelt, manche mit Korallenkettchen, tiefgeschnittene Leibchen; sie liefen mit nackten Füßen, schaukelten kirschrote kurze Röcke; wie Kälber vor dem Abstechen schrien sie, als man sie auf die Pferde hob. Mansfeld schlug eine Lache an, als man sie ihm in den Wagen setzte und sie weinten, bettelten: „Weg mit den geputzten Affen! Die blödsinnigen Gesichter. Sucht Euch Kornetts, junge Hündinnen.“ Überhäufte sie mit Schmähungen; nicht einmal Spaß machte es ihm, als seine Begleiter den Mädchen die Gewänder auszogen auf offenem Feld und hinter die Nackten Piken schleuderten. Sie schleppten ihm ganze Karren voller Weiber an, schwarzhaarige grausträhnige, mit Läusen bedeckt, in morastigen übelduftenden Lumpen. Er befiel mit Inbrunst das welke schmierige Gesindel, die tollen Vetteln vergewaltigte er, das Krähenvolk raschelte verzückt mit den Flügeln und struppigem Gefieder. Vom Küssen und Saugen an ihnen wurde seine Hasenscharte entzündet, schwoll unter der kleinen Stülpnase wulstig an; die Narben, die sein auseinandergezogenes Gesicht kreuz und quer durchzogen, lagen reihenweise in Tälern, über die die blaugedunsene Haut hochquoll. Das gräuliche Gelichter hätschelte er, nannte sie Mütterchen, sich den Säugling; Hellebarden und Dolche lagen neben ihm.
Durch Ungarn nach Süden vorrückend, Bosnien genähert, pries er, täglich stärker von Luftknappheit gequält, den König von England, den reichsten edelsten Mann, den einzigen wahrhaften König, dazu den verlassenen betrogenen Pfalzgrafen Friedrich. In den wilden bosnischen Bergen mußten seine Leute einen katholischen Priester auftreiben; er erklärte ihm, daß er noch zuletzt zu seinem alten Glauben wiederkehren wolle, beichtete und empfing in feierlicher Handlung die Absolution; schlug den Priester dann mit einem Stuhl nieder, seine Leute, die im Versteck zugehört hatten, herbeirufend: „Er hat sie mir gegeben, die Absolution, ich hab’ sie, er kriegt sie nicht wieder. Hähä, ich hab’ sie mir rechtlich erworben.“ Des Nachts zwischen Saratro und Spalatro in einem Dörfchen Utrakowitz in ein Haus verbracht, verjagte er alles um sich, was nicht zu seinem Zug gehörte, ließ sich sterbend den schweren Kürassierpanzer anlegen. In höchster Atemnot stand er die ganze Nacht, wie einmal in der Mark, von abwechselnd drei Mann gestützt mitten in der Stube, ließ sich die Knie halten, den Rumpf. Er rasselte röchelte in den grauen Morgen hinein; bei jedem Versuch, ihn hinzusetzen, schnappte er, schlug rückwärts mit einer Panzerschiene. Mit beiden Fäusten klammerte er sich an sein langes Schwert, das er zwischen den Füßen vor sich in einen Spalt des Holzbodens gestoßen hatte. Als es ihm morgens aus den Händen polterte, packten sie ihn, legten den Zuckenden auf das Bett. Zwischen dem letzten Keuchen nahmen sie ihm die Panzerhaube ab, er umklammerte sie fest, quetschte noch aus der Kehle: „Venedig, nach Venedig“, ehe die Augen glasig wurden.
A n der Spitze seiner Musketierregimenter rückte der Herzog von Friedland sehr langsam aus seinem Lager von Modern gegen die mährische Grenze. Die Proviantkommandos jagten ihm voraus. Er setzte sich in Preßburg; zum erstenmal von da schrieb er an den Wiener Hof einen Brief, daß Bethlen Gabor einen Waffenstillstand geschlossen hätte, die Türken geflohen seien, der Bastard Mansfeld seines Heeres verlustig gegangen, in Rakovitza seinen unseligen Geist ausgehaucht habe; er selbst gehe über Kremsier auf Skalitz, um vor Ende des Jahres in seiner Stadt Gitschin zu sein. Kein Wort darin, was er vorhabe. Ungarn verlassend, fluchte er auf das Schelmenland, das nicht wert sei, daß so viele ehrliche Leute aus Not und Krankheit hier hatten sterben müssen. Wie er in größter Stille in Preßburg saß, arbeiteten mit eiserner Strenge die Requisitions- und Kontributionstruppen; keinem von denen, die so lange gehungert hatten und unbesoldet gewesen waren, ging ein Heller verloren; Geldbelohnungen, Ehrenringe, goldene Ketten verlieh er in großer Zahl, die das Land bezahlen mußte.
In Preßburg erschienen vor ihm zwei Obersten der Tillyschen Armee; sie hatten schon seit Wochen Zugang zu ihm gesucht. Der eine war sein Oberst Nikla Desfours. Sie berichteten: es hätte eine Schlacht zwischen der ligistischen Armada und den Dänen stattgefunden, im Norden, am Barenberge bei Hahausen. Der Wallensteinsche Sukkurs hätte daran teilgenommen, sechs Regimenter, außer den Kroaten Peter Galls die Kürassiere Desfours, Sachsen-Lauenburgs und Hußmanns, die Musketiere Kolloredos und Karbonis. Ein Morast hätte beide Heere von einander getrennt. Die ligistischen Regimenter Reinach und Schönberg wurden von den Dänen im Beginn der Schlacht zersprengt, darauf folgte ein Angriff des gesamten feindlichen Heeres, das über den Morast ging; währenddessen sei er, Desfours, mit seiner Kavallerie von Hahausen aufgebrochen, habe sich an Nauen vorbei in den Rücken der Dänen gemacht und es sei zu einer völligen Niederlage des Dänenkönigs gekommen. Der feindliche General Fuchs sei gefallen, Hofmarschall von Rantzau, der Generalkriegskommissar Lohausen, viele Obersten, darunter Frank und Kourvilla, gefangen genommen; die Reiterregimenter Hessen und Solms in den Sumpf gejagt. Schließlich seien von den Dänen an achttausend auf dem Felde liegengeblieben. Das hörte der aufrechtstehende Herzog mit völliger Ruhe an, um dann, nachdem er den zweiten Oberst hinausgeschickt hatte, den Desfour zu fragen, wieviel Tote er selbst gehabt habe. Der nannte eine hohe Zahl. Verächtlich zuckte der Herzog mit dem Kopf; nachdem er ein paarmal im Saal hin und her gewandert war, nahm er ein Kelchglas von der Kredenz, schmetterte es mit einer grimmigen Verzerrung des Gesichts sich selbst vor die Füße. Den Desfour schickte er weg, ohne ein Wort der Anerkennung.
Während der Herzog ohne Wien zu berühren sein Heer durch Mähren führte, in loser Ordnung, den Söldnern alles gönnend, was das Land bieten konnte, drängten sich in der kaiserlichen Antikamera Abgesandte der mährischen Stände; baten bei Gottes Barmherzigkeit mit gebogenen Knien und heißfließenden Zähren, der Kaiser möge ihr Schreien und Flehen erhören, den Brandschatzungen, Plünderungen, Straßenräubereien, Vergewaltigung der Weiber Einhalt tun. Vertreter der österreichischen Stände rangen die Hände: man möge Frieden, um Jesu willen jeglichen Frieden machen; sie müßten durch lauter Siege zugrunde gehen. Ein einzelner Mann, für seine Person sprechend, bot das am stärksten erschütternde Bild der Kriegswirkungen, der Kardinal Dietrichstein, des Kaisers Günstling, gelähmt auf den Schreck der Überschwemmung seiner stillen Güter durch Kroaten, in einer Sänfte vor den Kaiser getragen, immer vier einzelne Silben mit Beben des Gesichts ausstoßend. Von den Briefen des böhmischen Gouverneurs Liechtenstein, dem sein ehemaliger Kumpan, der Friedländer, einen bösen Streich mit der Besetzung sämtlicher Güter gespielt hatte, von den beleidigten Äußerungen des Thronfolgers Ferdinand konnte man nichts vor den Kaiser bringen; dem Sohn des Herrschers waren trotz Einspruchs Troppau und Jägerndorf besetzt worden; der Herzog hatte ihm sagen lassen: es käme auf die Monarchie in Deutschland an; auf nichts sonst.
Eine Versammlung der Jesuiten, eine Provinzialkongregation, fand statt in dem alten Profoßhaus. Sie saßen, die flachrandigen Krempenhüte vor sich auf den Knien, in einem verrauchten langen Saal, sahen ein holzgeschnittenes braunes Bild der Maria an, das hinter dem Katheder auf einem Wandpodest stand. Zehn hohe rote Kerzen unter dem Bild warfen Licht in den Saal. Sie begrüßten Wallensteins Vorhaben, seine Erfolge, seine Methode. Sie nannten ihn stark und gewalttätig. Ein Bersten wird durch den Bau der Feinde gehen. Er wird ein offenes Feuer anfachen, das Gebälk zerfressen. Sechs Rektoren, die längst das vierte Gelübde getan hatten, erschienen in Audienz bei Ferdinand, ihm zu danken für die Wahl des Herzogs von Friedland und zu beglückwünschen. Die Türken hat er durch das Grauen seines Heeres, wie durch das Anheben eines gorgonischen Hauptes, verscheucht, Bethlen hat verzagen müssen, von Mansfeld ist nichts übriggeblieben. Der Herzog kümmert sich nicht um das irdische Jammern; die Menschheit hat ein übernatürliches Ziel, das Reich der Kirche muß ausgedehnt werden über Heiden und Ketzer; wohl dem, der den Arm und das Schwert dazu leihen kann.
Der Kaiser hörte die Väter ehrerbietig an. Befremdet sprach er zu den Räten: „Wofür danken Sie mir?“
In seiner Antikamera versammelte der Kaiser die Herren um sich, seit Monaten zum erstenmal einer Besprechung beiwohnend. Bequem in seinem Armsessel neben dem Ofen sitzend, sagte er: „Nun sehen die Herren. Und sage man nicht, daß nur von bayrischer Seite uns Schwierigkeiten gemacht werden. Ich habe meine Pflicht getan. Wir werden sehen, ob es nicht an der Zeit ist, die Armada heimzuschicken.“ Eggenberg setzte die Vorteile auseinander, die die Armada gebracht habe. Harrach, aber auch Trautmannsdorf hielten nicht mit der Äußerung zurück, daß sie etwas anderes zu hören erwartet hatten nach Wallensteins Sieg, nach der Befreiung der Südostfront der Erblande. „Und dennoch hab’ ich den Wunsch,“ fuhr der Kaiser sehr ernst, ohne eine Miene zu verziehen, fort, „meinen lieben Oheim Wallenstein kommen zu lassen und selber über die Stücke zu vernehmen, die man ihm nachträgt. Die Feldherrn sind verschieden. Ich möchte hören, was er sagt.“
Eggenberg erklärte, man werde ihn, sobald er das Heer in die Winterquartiere geführt habe, rufen. Das sei nicht nötig, fand Ferdinand; das Heer brauche nicht erst in die Quartiere geführt werden. „Ich will Euch selbst, mein lieber Eggenberg, schicken, damit Ihr mit ihm beratet und vernehmt, wes Sinnes er ist. Ich trage ihm kein kriegerisches Mißgeschick nach; die Fortuna des Schlachtfeldes ist nicht besser als die Fortuna des Friedens. Auch habe er, ließe ich ihm sagen, am Mansfelder alles wieder ins Gleiche gebracht. Darum handelt es sich nicht. Sondern darum, daß seine von ihm geführte Armada den Namen einer kaiserlichen führt, also nach mir sich benennt. Wie es denn kommt, unter meinen Flaggen, daß Reichsstände zum Jammern vor mich laufen und wie lange das noch geschehen soll.“ „Krieg“, lächelte Trautmannsdorf. „Ist das Euer Ernst, Graf Trautmannsdorf?“ Bekümmert blickte der kleine in weiße Seide gekleidete Mann auf das Parkett; nach einer Pause richtete er die Augen auf die gespannt vorgebeugte Majestät: „Vielleicht ist es gut, die Sachen nicht zu ernst zu nehmen und nicht zu streng anzusehen. Wenn man durch den Regen laufen muß, wird man naß werden.“ „Ach, lieber Trautmannsdorf, ich preise Euch, preise Euch, daß Ihr so denken könnt. Lobet den Heiland dafür, daß Euch das verliehen war. Mir wurde das nicht in die Wiege gegeben. Und wenn es mir in die Wiege gegeben war, so ist es in dem Augenblick wieder von mir genommen, wo mir die römische Krone zu Frankfurt aufgesetzt wurde. Meine Länder sollen nicht zu mir kommen, ohne bei mir gnädiges Gehör zu finden.“
Eggenberg flehte: „Die frommen Patres der Jesugesellschaft haben Kenntnis von allem erhalten, was sich ereignet in Ungarn hat. Die Stände sind zu ihnen gekommen aus Mähren, Schlesien. Sie haben sie freundlich empfangen und verabschiedet. Der Kaiserlichen Majestät dankten sie darauf für die Wahl des Herzogs von Friedland.“
„Die Patres, mein Eggenberg, haben nicht viel gehört, und als die Stände zu ihnen sprachen, haben die Väter nicht an Ungarn Schlesien und Mähren gedacht, sondern an Gott und die Jungfrau. Ich habe unter den Worten der Stände gezittert, als wenn meine Kinder es wären, die geplagt wurden; ich konnte nicht an Gott denken wie die frommen Männer, mein Leib ist nicht so stark, Jesus wird sich meiner erbarmen, ich bin nicht geweiht. Ich muß meiner niedrigeren Natur Opfer bringen.“
„Was soll ich der friedländischen Durchlaucht nahe legen im Namen der Majestät?“
„Eggenberg, lieber Freund, Ihr kennt meine Ansicht. Ich bin ihm gnädig zugetan. Er ist im kaiserlichen Dienst, und wir müssen ihn zur Verantwortung ziehen.“
„Ja, ihn fragen“, wollte Eggenberg am nächsten Morgen zum Abt Anton und Eggenberg sagen. Da kam ein friedländischer Kurier mit einem Handbrief des Generals aus Mähren; er erklärte und bat die Kaiserliche Majestät davon zu informieren, daß er resigniere; er werde die Truppen in die Quartiere verbringen, damit seine Ämter niederlegen.
Man kam überein, dem Kaiser, der vielleicht zugriffe, nichts von der unbegreiflichen Meldung zu sagen; im kalten Schrecken saßen sie beim Abt Anton hin, fanden kein Wort.
„Er hat uns in der Zange,“ höhnte der kleine Graf; „nun geht, Eggenberg, zieht ihn zur Verantwortung.“
Kollalto, der weintrinkende Friauler, Präsident des Hofkriegsrats, wurde aufgesucht, nach seiner Bereitschaft das Feldherrnamt zu übernehmen sondiert; von ihm kam der Bescheid, daß er zu arm für den Posten sei; er bat den Fürsten Eggenberg mit zum Herzog gehen zu dürfen; der Herzog werde sich versöhnen lassen; den Kaiser werde man versöhnen können.
Nach Bruck an der Leitha gebeten, erwiderte der Herzog erst nach zwei langen Wochen, er werde sich aufmachen, die freundwilligen Herren zu begrüßen.
Mit Grauen näherte sich der Fürst Eggenberg dem verschneiten Landhäuschen, in dem sie den Friedländer treffen sollten; schweißbedeckt saß er unter den Pelzen in dem Schlitten; wenn der Herzog starr bliebe, was war zu tun; wenn er nachgebe, was würde er fordern? Plötzlich hatte er das Gefühl, dies war die Rache, die Wallenstein für die Feindseligkeit bei seiner Erhebung zum General nahm. Jetzt hatte er den Hof zum zweitenmal beim Kopf; was war dies für ein Mensch.
Rot vor Scham stand der Fürst an der Stiege; der Sekretär des Generals kam ihm entgegen, führte ihn in ein Vorzimmer. Er saß lange da, dann kam der Sekretär wieder; er müsse klopfen, der Herzog sitze drin. Wie Eggenberg gegen die Tür schlug, öffnete Wallenstein selber.
Sie saßen in dem kleinen warmen teppichbelegten Raum auf Lederbänken sich gegenüber. Der Herzog sagte, ein Wunsch, ihn zurückzuhalten, sei vergeblich. Er resigniere. Der Fürst begriff dies nicht; die Erfolge des Feldzugs seien augenfällig. Nein, meinte der Herzog, Blicke schießend, er müsse heraus aus dem Labyrinth. Er ertränke in Schwierigkeiten und Armut, wenn es so weiter ginge. Tief drückte der Fürst den Kopf gegen seine Zobeljacke; was es mit der Armut sei, man habe ihm keine Schwierigkeiten bei den notwendigen Kontributionen gemacht. Keuchend stand der lange Herzog vor ihm, die beiden Augen bis zur Weiße aufgerissen, das Kinn vorgeschoben, die Fäuste hoch vor die Brust schüttelnd, es brauchte einige Zeit bis er, zum Entsetzen des Rats, der an Flucht dachte, Worte ausstieß: „Nach Ungarn,“ heulte er mehr als er sprach, „haben die Herren mich gejagt, mein Heer haben sie mir ruiniert. Was nicht verreckt ist, ist mir verhungert; in ein meineidiges treuloses Land haben sie mich gejagt. Ihr werdet’s bezahlen. Ihr werdet es mir nicht wieder bieten.“ Sich erhebend, bat Eggenberg ihn, sich zu beruhigen; er klopfte ihm sanft auf die gekrampften Hände. Der Unterkiefer Wallensteins schob sich noch nicht zurück; der General zitterte am ganzen Leib; er stierte gegen die Schilde und Waffen an der Wand, keuchte. Er hätte sich doch Lorbeeren in diesem Land geholt, begütigte der Fürst, ihn umfassend, gegen die Bank nach rückwärts ziehend. Unbeweglich stöhnte der Herzog: „Nach Ungarn. Nach Ungarn.“ Wieder sagte der mitleidige Eggenberg, er werde dies Land einmal als Wiege seines Ruhmes betrachten. Der Herzog rieb sich die Arme, bald den rechten, bald den linken, rückte von dem Fürsten ab, sich auf die Bank niederlassend; finster murmelnd, sie hätten gesiegt, sie in Wien, die Friedhöfe in Ungarn bezeugten es. Plötzlich freier werdend, das strenge Gesicht gegen ihn gewandt, herrschte der Friedländer: nun würden sie, wie sie sich auch stellten, bezahlen müssen. Wie Eggenberg bekümmert die Hände hob, schwoll die Wut in Wallenstein wieder an; er brüllte, was sie also dann wagten, ihn und seine ehrlichen Soldaten zu verderben, um nichts, sie alle zu Bettlern zu machen.
Man brach ab.
Mittags besuchte der Herzog den kaiserlichen Rat auf seiner Kammer. Er verharrte bei seiner Resignation: er hätte erfahren, daß der Graf Rambolt Kollalto im Hause eingetroffen sei und hier logiere; was das zu bedeuten habe. Eggenberg, im Bett liegend, gab den Bescheid, Kollalto sei nach ihm im Augenblick der einzige Kriegssachverständige, der dem kaiserlichen Hause nahestünde; wenn seine Liebden der Herzog beharrlich ablehne, sollte sich Kollalto mit seiner Liebden unterhalten, was zu geschehen habe und ob sie beide das erzherzogliche und kaiserliche Haus im Stiche lassen wollten, beide, nachdem Kollalto gleichfalls den Gedanken der Kommandoübernahme abgelehnt hatte. Der General formulierte darauf mit harter Stimme, am Fenster mit dem Rücken gegen das Bett stehend, seine Bedingungen. Er sei in der Notwehr und müsse sich schützen. Wiederholte seine Ideen zur Kriegsführung, ausgeführt, mit dem Verlangen der ausdrücklichen Bestätigung durch den Kaiser. Eine endgültige Antwort lehnte der Fürst für seine Person ab, versprach, die Bedingungen in Wien zu empfehlen. Der Herzog verlangte Kriegführung im Reiche, Steuern in Böhmen für Kriegszeit fortlaufend. Mit siebenzigtausend Mann und siebzig Geschützen wolle er ins Feld ziehen; das Reich besoldet die Armee so lange, bis es sich zu einem gerechten Frieden versteht.
Man schickte nach Kollalto, der Herzog wünschte es selber. Als der beleibte Mann am Bett Eggenbergs ihm gegenüber stand, fragte er, bevor er die Hand gab: „Sind wir Freunde oder Feinde?“ Kollalto ernst, er hoffe Freunde. Der Soldat hatte einen andern Blick für Wallensteins Vorschläge; er äußerte gegen Eggenberg schon nach wenigen Sätzen, daß dieser Weg zur Zeit der einzig gangbare sei.
Es war Gewalt mit List, was der Friedländer vorschlug, ein scheußlicher grauenerregender Plan: entschlossen und ohne Rücksicht sich des Herzens von Deutschland bemächtigen, mit einer maßlosen Heeresmacht dort ruhen, die Vorgänge im Reich bewachen und nicht davon gehen, bis aller Widerstand erstickt und das Heer bezahlt ist.
Mit eisiger Ruhe, aber wie Eggenberg schien, jeden Augenblick im Begriff in Wut auszubrechen, erklärte Wallenstein, sich vom Bett entfernend, seine Arme lang über einen Tisch pressend und die Zeigefinger ausstreckend und krümmend, daß er seinen Posten niedergelegt habe und ihn nicht wieder übernehme vor Anerkennung seiner Bedingungen. Das seien seine Lebensmöglichkeiten. Eggenberg wollte die Debatte auf das Verfängliche der Situation in politischer Hinsicht bringen, der General hielt das Militärische fest. Mit zwei Worten beleuchtete er nachher noch einmal die Sachlage: er sei Privatmann und könne sich aus jedem Strick ziehen, er brauche sich nicht freiwillig in ein Labyrinth zu begeben.
Darauf hatten Kollalto und Eggenberg abends eine Unterhaltung. Daß der Ton Wallensteins unerträglich war, bemerkten sie kaum, der Plan stand im Vordergrund; auch war Kollalto gedrückt, weil er dem General früher Unrecht getan habe. Er wolle Präsident des Kriegsrats bleiben, um dem General desto besser Dienste zu leisten; so hatte er eingebissen. Gegen Eggenbergs kopfschüttelnden Einwand, sie lüden sich mit dem Plan das halbe oder ganze Kurfürstenkolleg auf den Hals, denn die durchlauchtigen Herren würden die Grundfesten ihrer Fürstenlibertät bedroht sehen, ihre Landeshoheit geschmälert oder verneint durch die Einlagerung eines solchen Heeres, setzte er: das Heer muß sehr groß sein. Eggenberg sah, der Militär war von der Idee eines solchen Heeresmammuts berauscht. Seine Bemerkung, Kurfürsten Fürsten und Stände würden in solcher Einlagerung eine gesetzwidrige Besteuerung durch den Kaiser sehen, welche Besteuerung durch Kollegial und Reichstagung zuvor bewilligt werden müsse, provozierte nur Kollaltos freudige Wiederholung: das Heer muß sehr groß sein. Und als Eggenberg, der im Schlafrock an Stöcken hin und her durch seine Kammer ging im Kerzenlicht, fragte, vor dem glücklich sinnierenden andern haltmachend, ob sie sich denn getrauten, ein solches Heer auf Posto zu bringen, hob er die Arme wiegend hoch: das sei es ja gerade, das vermöchten sie, der Herzog hätte für jeden Kenner ja bewiesen, was augenblicklich zu leisten sei; es sei eine Glückslage jetzt, wie sie bald nicht wiederkehre. Drauf und dran; sie ausnützen, beginnen, nicht zaudern. Eggenberg hielt ihn mit seinen klaren Augen fest: wer dem Kaiser so rät, müsse auch wissen, daß er das Haus Habsburg aufs äußerste gefährden könne. So sollte, lachte Kollalto, der Fürst noch Karaffa, Liechtenstein, wen er wolle, befragen.
Eggenberg hielt es für gut, am nächsten Morgen vor der Abreise dem General seine Zustimmung zu versichern; den genauen Bescheid der Majestät würde ihm nach Prag ein eigener Bote überbringen. Kollalto schied in voller Versöhnung vom Herzog.
Als Eggenberg in der goldblitzenden Antikamera des Kaisers stand, erinnerte er sich erst, daß er nach Bruck gefahren war in den Schnee, um den Friedländer zu warnen vor weiterer harter Kriegführung; kein Wort davon war gefallen. Der Kaiser fragte streng, was der Herzog geantwortet habe. „Nichts, als daß ich Eurer Majestät berichten sollte, daß die Kriegführung mit Härten verbunden sei, auch mit Klagen uneinsichtiger Menschen.“
„Der grausame Mensch. Der Barbar.“ Der Kaiser nahm von seinem Tisch eine Rolle, las die Eingabe der mährischen Stände vor. „Also das ist nicht zufällig und als Exzeß begegnet, das war nicht unvermeidbar, das hat mein Oheim, der Herzog, mit Plan getan und geleistet. Eggenberg, lieber,“ er schüttelte den Fürsten an der Schulter, „ich habe gehört, daß Ihr nichts mit dem verrufenen Mann zu tun haben wollt. Ihr selbst habt mir nicht zuraten können. Das ist ein Christ, ein Katholik, er hat zu seinem Heiligen gebetet, während ihm dies geschehen ist, nein, während er dies getan hat.“ Seine Lippen bebten. „Majestät sind Römischer Kaiser, viele Untaten geschehen im Reiche; man kann nicht alles hindern.“ „Das ist nicht mein Geschäft, Eggenberg. Nie und nimmer. Ich weigere mich, ich wehre mich dagegen. Es ist roh, es ist unnatürlich, es ist die planmäßige Vernichtung ganzer Leben, ganzer Landschaften, die Gott geschaffen hat.“ Nach einigem Atmen fuhr er fort: „Und wozu? Um den Bastard Mansfeld zu beseitigen. Oder — mein Haus zu erhalten.“ Leise der Fürst: „Gewiß möchte jetzt wohl jeder Euch anbeten, Kaiserliche Majestät. Eure Frömmigkeit ist kein bloßes Lippenspiel; es werden nicht viele deutsche Fürsten wie Ihr sein. Nur: wie werdet Ihr den Thron behaupten können? Wie wollt Ihr das?“ „Ihr seid der Meinung, Eggenberg, solche Untaten sollen noch öfter in meinem Namen geschehen?“ Eggenberg ballte hinter seinem Rücken die Hände, zwang sich zu sprechen: „Ich meine, es wird Ähnliches öfter geschehen müssen.“ Ferdinand von seinem Ton getroffen, musterte ihn scharf; rauh forderte er ihn auf zu sprechen. Leise meinte der Fürst: der General hätte sich dahin geäußert, solche menschlich beklagenswerten Mängel der Kriegführung seien in höchstem Maße erwünscht; der Herzog habe mehr oder weniger deutlich abgelehnt, hier von Schattenseiten oder Mängeln der Kriegführung zu sprechen; vielleicht für die früheren treffe das zu. Er setze aber dies Unglück in seine Rechnung. Er hielte es sogar im Augenblick für nötig, ein großes Heer in die blühenden reichsten Gegenden des Reiches zu werfen; das Heer solle erstickend auf dem Lande liegen; die feindlichen Bewegungen im Reich beobachten, bis sich nichts mehr rege und man nur den Wunsch habe, das Heer zu entfernen.
Starr blickte der Kaiser den Rat an, dann lachte er krampfhaft; so hätte man also eine leichte Handhabe, diesen verrückten General wegzuschicken. Darum, verneigte sich der Fürst, habe der General gebeten. „Gut,“ schrie Ferdinand, „gut,“ und knirschte in Empörung mit den Zähnen, „so ist ja allen geholfen.“ Als Eggenberg sich das Kinn rieb, sah ihn Ferdinand an: „Das Dekret der Entlassung wird fertiggestellt werden, wenn die Majestät es befiehlt.“ „Ich bitte darum.“ „Wir werden nicht wissen, woher wir den General und die Truppen entlohnen sollen. Wir brauchen ein Heer. Majestät, es kann nicht daran gezweifelt werden, daß wir ein Heer brauchen.“ „Euer Liebden ist sonst nicht unklar. Wollt Euch nur deutlich ausdrücken: ich soll mich diesem Verbrecher unterwerfen?“ „Es ist ein furchtbarer Mensch. Graf Kollalto setzt sich für ihn ein.“ „Sprecht noch einmal.“ Vor den drohenden fassungslosen Kaiser wurde Graf Kollalto befohlen.
In dieser Unterhaltung stöhnte der Kaiser mehrmals: „Um des Heilands willen schafft den Böhmen weg.“ Rotwangig, mit kurzem weißen Knebelbart, kurzstämmig stand der Friauler vor ihm, in hohen Beinstrümpfen, strenger spanischer Tracht; man solle dem Böhmen vertrauen, er verstünde den Geist des Augenblicks. Er wurde, als er die Erregung des Kaisers und die unsichere, verdächtige Haltung Eggenbergs bemerkte, dringender, Wallensteins Ideen seien eine entschlossene Tat. Und dann schmetterten Ferdinand um die Ohren die Worte: „Der Römische Kaiser, das Heer, der Kaiser, das Heer.“ Es fiel kein Wort von den Mähren, Schlesiern. Halbbetäubt hörte Ferdinand den Mann an, der seit Gradiska sein Vertrauen besaß.
Der Saal war klein, die Wand schulterhoch mit brauner Verschalung bekleidet, an der blauen Decke rangen riesenleibige Dämonen mit Armen, Balken, Bergen gegeneinander, spien einen stählernen Kronleuchter gegen den Boden, stießen hölzerne Säulenblöcke auf das Parkett. So herrisch trat Kollalto mit seinen Worten auf, so ernst stand Eggenberg, einen Daumen am silbernen Gürtel, neben ihm, daß Ferdinand plötzlich eine Unsicherheit, ja Scham befiel, daß er gegen ein sonniges spitzbogiges Fenster zurücktreten mußte. „Wir können siegen“, klang das rastlose Triumphgeschrei Kollaltos. „Habsburg wird die Feinde im Reich unterwerfen.“ Ferdinand beendete die Audienz; er war in Furcht untergetaucht.
Die Kerzen brannten an dem Kronleuchter, auf einem Podium spielte die Hofmusik, die Tür zu einer Nachbarkammer war weit geöffnet, drin saß im prächtigen, eng verschnürten Rock vor einem rostbraunen Gobelin auf der langen Polsterbank der Kaiser, bückte sich über sein Knie. In tiefer Erschütterung fragte er den Fürsten Eggenberg, ließ sich wiederholen. Der ungeheure Gedanke warf ihn um, wie er Kollalto umgeworfen hatte. Die habsburgischen Königreiche und Länder sind zu schützen, indem man den Krieg von ihnen fernhält, das Reich ist zu einem gerechten und vernünftigen Frieden zu zwingen, das Reich muß wissen, daß es die Heere des Kaisers so lange zu besolden hat, bis die Waffen niedergelegt sind. Öfter wollte Ferdinand in einer aufsteigenden Trostlosigkeit, einer ihn durchirrenden dumpfen Verzweiflung bitten, man möchte von diesen Reden lassen, er sei der Schützer, der Mehrer des Reichs, dann trompetete es: „Der Römische Kaiser, die Herrschaft über das Reich, der gerechte Friede“, er legte den Degengriff an seinen Mund, fühlte die Kühle.
Und dann, gerade wie der Fürst eine Pause machte und drin heimlich und sanft die ersten Stimmen eines Kanons von Geigen vorgesungen wurden, stürzte, sauste urplötzlich der Gedanke Bayern über ihn, als wenn ihn die Riesen geworfen hätten, die an der Decke nicht gehalten wurden, beinbewegend ihn mit den platten Fußsohlen betrampelnd.
Ein leises Quietschen steckte in seinem Kehlkopf und kam nicht höher. Bayern: er japste ringend unten weg. Sie hielten ihn. Der Fürst Eggenberg, purpurne Schärpe, blaue Strümpfe, purpurne Kniebänder. Oben jubelte es, knallte: „Sieg, Sieg, der Kaiser, das Heilige Reich.“ Er duckte sich aus seiner Höhle, verschämt, beschmutzt, platt hingedrückt, mißgestaltig, blinzelte. Oben jubelte es, aus der kühlen, weinseligen Stimme Eggenbergs, zu den zierlichen, schreitenden Takten des Kanons: Habsburg, Sieg, Wallenstein. „Herr, führe mich nicht in Versuchung!“
Und wie die verzückte Angst, der wüste Taumel sich mit einem langen Ruck durch ihn gestreckt hatte, war im Moment, wo er einen rotgeschwollenen Kopf an den Gobelin legte, alles verschwunden, verrauscht, hatte ihn sitzenlassen wirr in Fieber, Pein; eine nicht scharf erkenntliche, halbschattenhafte wilde Jagd raste durch seinen Körper, er litt es, es schwang hin und her, schwang, seine Muskeln bebten mit. Er setzte sich, während der Rat von der Kriegslage nach der Schlacht am Barenberge sprach, halb seitlich abgewandt, hatte das Gesicht mit der brillantgeschmückten Hand beschattet. Dann zwang ihn etwas aufstehend nach der Mantuanerin zu schicken.
Als sie kam, verlangte er nichts. Er ließ sie nur neben sich setzen, blickte zu der Tür hin, wo die beiden schwarzen Figuren, zwei Damen, zur Musik lange Fächer am Handgelenk schaukelten. Er war von einer tiefen Scham erfüllt, er mochte nicht denken, sein Inneres war ein heißes zittriges Rührmichnichtan.
Er fragte plötzlich, wie des Herzogs von Friedland Liebden, sein Oheim, aussähe. — Es sei der lange hagere Mann mit kurzgeschorenem Haar. — Der Kaiser zuckte mit der linken Hand; genug. — Eggenberg verneigte sich: ob Wallenstein zur Audienz befohlen werde. — Nein. —
Als die Tür hinter dem Fürsten fiel, drin alles still geworden war, die Mantuanerin sanft und scheu ihm Konfekt bot, fragte er: „Ist er hinaus?“ Sie wollte, die Silberschale auf den Wandbord stellend, wissen, ob es schlimm sei, was der Geheimrat gemeldet habe. Er biß sich den Schnurrbart, stieß ein Lachen aus, das ihm gelang, elastisch aufstehend ging er herum über den blauen weichen Teppich zu dem silbernen Delphin an einem Pfeiler der Fensterwand, der Wasser in ein Kupferbecken sprudelte: „Es ist nicht schlimm. Es ist schwer für mich. Es hat etwas — Unertragbares für mich. Zu viel, Eleonore.“ Die Damen, halbabseits an der Tür, hielten die Fächer geöffnet, geduckt, die Gesichter verborgen. Er setzte sich am Becken neben sie: „Mein Heiland, wie gut, daß ich dich habe. Ich bin ein alter Mann.“ Seine Schultern zitterten. Und jetzt drang es durch die Kehle, er schluchzte tonvoll, weinte gegen den Delphin gedreht, hörte sich klagen. Seine Brust schnürte sich in Krämpfen zusammen, leidend, mit einer verschwimmenden Lust, folgte er den schlagenden Bewegungen seines Körpers; wie konnte er sich ergehen. Diese Fülle, diese Öffnung. Er dachte von fern an die vergangenen Jahre und was jetzt auf ihn gelegt war. Was hatte er verbrochen. Dicht hinter der Stirn, bandartig um die Augen, rings um den Kopf war ihm sanft schwindlig. Eleonore brach in Tränen aus. Ihren nackten rechten Arm legte sie über den Rand des Beckens, das Wasser unten verzerrte ihr hergebeugtes zusammengezogenes Gesicht; sie fürchtete, die Damen möchten sie sehen, denen sie versprochen hatte, nicht mehr zu weinen.
Er bat abwinkend, nicht zu fragen. Und blieb dabei, sie zu küssen und fiebernd zu drücken.
Wie sonderbar aber, daß, als er in der Nacht einschlief, immer wieder in ihm der Gedanke wiederkehrte, daß er sich an Wallenstein rächen würde. Immer wieder zog an seinen Augen vorbei, daß er sich Genugtuung von ihm holen würde. Der Gedanke beruhigte, sättigte ihn. Mit Zähneknirschen wiederholte er ihn, ohne ihn zu verstehen. Der Gedanke gab seiner schnaufenden Atmung Ruhe, ließ ihn in den traumlosen Schlaf fallen.
E ggenberg gab auf die Frage des stierblickenden geknechteten Ferdinand zurück: man müsse den General halten. Das waren die, die ihm einmal einen Dolch auf die Brust gesetzt hatten. Er war matt, wollte nicht mit ihnen kämpfen.
Er sah voraus, daß er werde viel Wein trinken müssen. Entsetzt dachte er: nicht wieder im Keller, nicht wieder mit dem Zwerge.
Er fragte: was Lamormain meine.
— Die heilige Kirche und das Haus Habsburg hätten gemeinsame Interessen. — Erwischt den Herrn Lamormain, jauchzte es einen Augenblick in ihm; pfui, pfui, der Menschen. Aber er wurde zurückgescheucht von den ernsten stummen vergewaltigenden Mienen der andern. Er duckte sich, die Unsicherheit in ihm verwirrte verschlang alles. Der Kaiser schloß den Mund.
Den Abgesandten der mährischen und schlesischen Stände, die sich in Wien aufhielten, wurde die Teilnahme des Kaisers für ihre Leiden ausgesprochen; der Kaiser lehnte ab, sie noch einmal zu empfangen; er wies bedauernd auf die Schattenseiten der Kriegsführung im allgemeinen, daß sein General gehalten sei, strenge Zucht zu üben; sie möchten nicht die Staatsraison aus den Augen lassen.
In seinem Palast auf dem Hradschin empfing Wallenstein den Erlaß, der ihm den Dank des Kaisers für seine erwiesene Vorsicht und Tatkraft aussprach, dem Vertrauen Ausdruck gab, daß seine Liebden im kommenden Jahr eine starke wohlausgestattete Armada aus den Winterquartieren gegen die furchtbar rüstenden Übeltäter und Friedensbrecher führen werde.
A uf die Niederlage des Mansfelders antwortete England, seinen König zwingend, mit einem Vertrage mit den Generalstaaten; es erklärte unter keinen Umständen die Sache des Kurfürsten von der Pfalz und des Schutzes seines Rechtes aufgeben zu wollen, ferner nicht tatenlos der vom deutschen Kaiserhaus und Spanien mit ungeheurer Macht geplanten Ausrottung der Gewissensfreiheit zuzusehen. Es schloß mit den Niederlanden ein Bündnis gegen Spanien. Wie der Winter vorrückte und ungeheure Gerüchte von habsburgischen Rüstungen herüberdrangen, wurde auch der stolze englische König tief unruhig; es bedurfte nicht des Zudrängens des Parlaments, um ihn zu bewegen. Die Lords Buckingham Kensington Dudley Koxleton wurden bestimmt nach dem Haag zu gehen. Kamerarius, der Resident des Pfälzers, empfing sie melancholisch; der Mansfelder sei tot, Bethlen Gabor verschwunden; was solle er von Deutschland sagen — es sei dahin, dahin. Die Engländer aber, begleitet von dem tapferen kleinen Johann Joachim von Rußdorf, hielten die Nacken steif; sie führten in Kisten mit sich dreihunderttausend Pfund Sterling in Goldplatten und Edelsteinen. Von Frankreich erschienen Gesandte; auf den Straßen von Haag ritten neben den mageren Engländern mit den strengen braunen Gewändern, den hohen steifen Filzhüten, die lockenwallenden Franzosen, die freien feinen Gesichter, in losen fliegenden Kleidern, farbenstrahlend, von Hunden umtanzt. Ihre Berichterstatter und Sendboten saßen in Straßburg Ulm Nürnberg. Konnetabel Lesdighieres und Marquis Vieuvillier erklärten sich bereit, Subsidien an den Dänen und die Generalstaaten zu zahlen; sechshunderttausend Louis an Christian, eine Million französische Pfund an Holland. Freudig schwuren die Holländer, keinen Frieden mit Spanien schließen zu wollen ohne Frankreich. Brandenburgische Heere trafen ein; und plötzlich tauchten in schwarzer Attila ungarische Magnaten auf, runde Pelzmützen mit Agraffen auf dem Kopf, heftige schwarzäugige Herren, reich, mit lauter Stimme, die ihre protestantische Freiheit gegen das verschlingende Habsburg verteidigen wollten; riefen aus, wie bitter es Wallenstein ergangen sei und wie sie sich geweigert hätten, ihm Zuzug zu leisten. Die englische Delegation erhielt Briefe vom edlen Herrn Mark Antonio Padavin, dem Vertreter der venetianischen Signoria am Kaiserhof; er habe Auftrag, Vorschläge zu vermitteln nach Venedig über die von seiner Republik zu leistende Unterstützung; der tapfere geliebte Mansfelder sei tot, die dänische Majestät habe eine Schlappe erlitten; sie wollten mit Hilfe nicht zurückstehen. Aus diesen Briefen erfuhr man, daß der Bassa von Ofen und der Großtürke selber aufs stärkste gegen Habsburg zu rüsten begonnen hätten; man vertraue auf Bethlen Gabor.
Und wie vor Weihnachten die frohen Nachrichten sich häuften, fand ein feierlicher Kirchgang statt: hinter samtgekleideten Pagen und feinen Marschällen ging zu Fuß durch die strenge Luft der besiegte Pfälzer Friedrich, barhäuptig, die hellblonden gesalbten Locken neben den vollen bläßlichen Wangen über den offenen Hals spielend, in blauem bauschigen Wams, über dem goldenen breiten Wehrgehenk leicht zusammengesunken; seine blauen Augen blickten träumerisch leer. Elisabeth lächelte aus ihrem naiven Gesicht sonnig nach allen Seiten; die Gesandten ihres Bruders gingen hinter ihr, sie machte heftige ungeduldige Schritte in ihren goldenen Schuhen; ihr weiß gepudertes Haar erhob sich steif in Etagen über dem roten strotzenden Gesicht; in einem weiten grünen Kleid quoll ihr froher Leib; sie drückte die weiß bekleideten Hände geballt vor die Brust.
Die Generalstaaten, England, Ungarn, Frankreich, Brandenburger, saßen mit ihnen auf den Bänken vor dem masthohen Kreuz mit dem hängenden leinenbekleideten Heiland, hörten in dem hellen ungeheizten Raum die Predigt an über das Wort: „Und du, Kapernaum, bist du nicht in den Himmel erhoben? Du wirst in die Hölle hinuntergestoßen werden.“ Nicht von der Stelle zu rücken, gelobten sie, bis Habsburg, der deutsche Kaiser und Spanien, geschlagen und vernichtet sei; sie hätten unermeßliche Zeit und würden Gottes Mühlen gut mahlen lassen. „Dahin ist es gekommen mit Deutschland,“ erklärten sie, „daß fremde Herrscher zur Überwachung und Anordnung seiner inneren Angelegenheiten berufen sind. Der Bund ist gegen Habsburg geschlossen wegen Bruchs des Rechtsfriedens, Verletzung der Reichsverfassung, der beschworenen Wahlkapitulation des Kaisers. Es ist dahin gekommen, daß ein hochgeborener deutscher Fürst, geächtet, vogelfrei erklärt ohne Gericht, bei fremden Nationen hat Schutz suchen müssen. Da den benachbarten Staaten an Erhaltung des Friedens, der Verfassung und beschworenen Wahlkapitulation gelegen ist, sehen sie sich gezwungen, den rasenden unerträglichen Lauf dieser bösen Absichten und Unterdrückungen durch Aufrechterhaltung der Reichsfreiheit zu hemmen, dem unverkennbaren Ruin entgegenzutreten.“
Der Dänenkönig trieb seine Werbungen auf dreißigtausend Mann zu Fuß und achttausend Reiter; zu Hamburg erlegte England monatlich dreihunderttausend Gulden; achtzigtausend zahlten die Generalstaaten. Aus Venedig trat Graf Heinrich Matthias Thurn, der Böhme, der Hauptrebell, capo di guerra, in dänische Dienste. Fünf englisch-schottische Regimenter setzten unter Karl Morgan über den schäumenden Kanal, drei Regimenter Schotten ließen sich von Christian anwerben. Graf Ludwig von Montgommery trieb viertausend Franzosen im Marsch nach Norden. Ein schwedischer Gesandter erschien, der König Gustav Adolf versicherte den Bund seiner Sympathie; er stünde noch in Polen in Kämpfen; man möge ihm Zeit lassen, er würde rechtzeitig kommen.
A uf die Werbungen der Obersten waren von Wallenstein vorzustrecken zwischen sechshunderttausend und eine Million Gulden. Während der Unglückstage in Ungarn waren von eigenen meuternden Truppen der Feldzeugmeister Graf Schlick und del Maestro gefangen an Bethlen Gabor abgegeben worden; ihre Auslösung erforderte hunderttausend Reichstaler. Die Ausarbeitung eines Verpflegungssatzes für die einzulagernden Truppen übernahm der Serbe Michna, der hündisch am Herzog hing; jeder einquartierten Kompagnie waren zunächst seitens der Bevölkerung siebenhundert Gulden zum Unterhalt zu reichen. De Witte spannte seine Einbildungskraft und Energie an, nützte seine Beziehungen zu Bassewi aus, an die reichen Geldquellen der portugiesischen Juden in Hamburg heranzukommen; die Herren Fernando Cardosi und Henriko Rodrigez wurden gewonnen; sie beherrschten den Handel mit ostindischem Kattun Gewürzen Rohrzucker, hatten die Hamburger Bank begründet; auch der junge Diego Taxaira wurde sondiert. Indem sie Geld auf den Namen de Wittes Bassewis und des reichen Friedländers hergaben, drangen sie darauf, daß das Unternehmen auf die größte und sicherste Basis gestellt werde; de Witte wies darauf hin, daß er, Michna und der Herzog persönlich mit ganzem Hab und Gut beteiligt wären.
Von Prag wurde das Gerücht ausgesprengt, es ginge auf das Reich zu, man werde plündern wie nie. Um die Galgen herum schlichen die Werber, in die Wunderhöfe der Bettler; ließen Regimentsspiel erklingen, stellten sich vor die Zunftstuben, Gesellenhäuser. Es gab niemand, der zu schwach war, und niemand, der verworfen war. Über die verschneiten Felder fegten sie, hoben Lebensmüde hinter Gartenhecken auf, spähten an Flußläufen entlang. Sie mieteten sich Gauklertruppen, um Menschen anzulocken, Quacksalber Feldscher Handleser liefen neben ihnen. Sie erzählten von Wunderdingen, die sich begeben sollten im kommenden Frühling und Sommer, der deutsche Kaiser ziehe aus Wien mit erstickender Macht gegen die Niedersachsen, Dänen; Wallenstein sei sein Feldherr, der halb Böhmen besitze und geschworen hätte, sie sollten ihm nicht entgehen oder er wolle in die Hölle fahren. Die Kranken, dienstlosen Söldner, Bettler rafften sich aus den Gassen, von den Kirchhöfen auf, ließen ihre Krücken und Schnappsäcke liegen, der finsteren Verstumpfung, dem Gram entrissen. Wilder sprangen sie vor der Trommel, sie waren die Herren, Totschlag und Diebstahl haschten vergeblich nach ihnen, es gab Ehren; entwischt waren sie, es gab Fahnen und wilde Federn, Pferde, Fräulein, Würfel, Wein, Fraß, Musik. Bürger und Bauern mußten verbleichen; konnten ihre Güter taxieren; die Söldner taxierten noch einmal. Mit Grauen sahen die Dörfer die Scharen von den Musterplätzen kommen, fahnenschwingend klimpernd singend säbelgegürtet buntfedrig, herrliches Geld in dem Säckel. Der römische Kaiser rief auf. Wie sie tosten, als gute Brüder taten. Daß den Bauernburschen die Herzen gegen die Rippen hämmerten, Vikar und Diakon sich erbarmten; hinaus: auf ein Jahr, nur ein Jahr. Viele Nester leer, Sensen ohne Hände, alte Männer an den Pflügen, Krieg. Wie ein heftiger Wind, der die Bäume schüttelt, reife Früchte abnimmt, hinwirft vor die Füße zum Mitnehmen. Trübe Ehen wurden zerschlagen, die Männer nahmen die Pike und Muskete, fühlten sich frei vor dem Tod. Die Türen der Frauenhäuser wurden erbrochen, die Weiber strömten den Sammelplätzen zu, wo die Mannheit auf die große Wanderschaft ging, heute alles, morgen nichts, übermorgen verfault. Mit Erschütterung drang der Trommelschlag an die Herzen der Studenten, in den Bursen, Stiften; über die Folianten blickten sie weg an die Fenster, ihre Lauten und Flöten ließen sie liegen, schlichen nicht aus den Winkeln, waren nicht lustig, nicht traurig, wagten sich nicht hervor an die eisigkühle klangdurchtobte farbenschwingende Luft; bis sie die Hände an die Ohren schlugen, wild an den Häusern der Lehrer und der Liebsten vorbeirannten, davon; tonlos vor dem Werbekorporal, blaß: „Da bin ich.“ Die Mönche in den Klöstern auf dem flachen Lande horchten auf, senkten betend ihre Köpfe tiefer; draußen vor den Gittern standen die älteren Brüder und Oberen sorgenvoll, die Züge schwärmten trotzig und lachend, windgetragen, vorbei; durch die vollen Speicher Scheunen Ställe gingen die Mönche, sahen stumm im Refektorium die kostbaren Kelche Bilder, verriegelten die Gitter, beteten um den Segen Gottes.
Wallensteins Werber ritten nach Polen, Kosaken aufzubieten; in Wallonien brachen sie ein, in Lothringen, sein Geld floß nach Ungarn Kroatien Dalmatien, riß die Menschen zum Würfelspiel nach Deutschland gewaltsam, massenhaft. Er lockte die Zusammenbrechenden aus Böhmens Not her; die Werber stachelten: „Was jammert Ihr. Ihr werdet’s nicht ändern! Seid Herren, rasch, rasch, Herren, mit der Pike und Muskete!“ Stöhnend folgte ihnen, was den Jammer satt hatte, verfluchte sein Schicksal, seine Heimat; mit hineingerissen in ein finster freudiges niederbrechendes Ungewitter; ihre Füße schwangen. Wollten abrechnen; Deutschland war da; abrechnen, daß kein Tröpfchen Fett auf der Milch schwamm.
In den Kirchen fingen die Priester für Wallenstein zu werben an. Auf die protestierenden Zyklopen und Pelagier ging es, auf die Epikuräer, Beschützer der Säue, die Kalvinisten, Blutsäufer, Herrgottsfresser. „Was wollen sie mit dem Evangelium des Markus Lukas Matthäus Johannes? Den Heiland und sein Werk in Grund und Boden kritisieren, spintisieren, destillieren, die Quacksalber am Leib unserer heiligen Kirche. Das Evangelium ist zäh, frisch, ledern, für überscharfe spitze Zähne; die Kirche läßt es Euch gut abhängen, daß es mürbe wird, gibt’s in den Rauchfang, stellt sich als gute Metzgerin dazu, hackt Euch heraus, was gut schmeckt und nährt; immer kochen wir Euch ein Süppchen, schmoren, braten, daß Euch der Magen sich wälzt. Seht hin auf die Lutheraner und Kalvinisten; sie gehen herum mit herben sauren Mienen; der Darm ist ihnen überlastet, sie können’s nicht verdauen und lassen doch nicht davon. Ich will Euch purgieren, liebe Seelen, daß Ihr alle keine schmähliche Not leidet. Wer auf Erden hat das beste Himmelreich, der Lutheraner und Ketzer oder der Katholik? Nun ist es ja schon unglaublich, daß Ketzer ein besseres Himmelreich haben sollen als fromme Katholiken. Wer sagt überhaupt, daß Ketzer in den Himmel kommen, wo doch die Hölle ihnen besser ansteht? Aber nehmen wir an, gesetzt wir täten’s, sie seien Christenmenschen, die unwissentlich sündigen. Sie haben noch nicht geschleckt an unsern Zuckerwaren, ihnen ist das Manna noch nicht ins Maul geloffen, das uns täglich so herzlich befriedigt, bei jeglicher Jahreszeit und Witterung; sobald wir nur die Augen aufreißen, fängt das Manna an zu fließen, ein unbeschreiblicher, erschreckender Überfluß — nur jenen Elenden nicht, die zu faul sind, sich in ihren Betten wälzen und unser gottgefälliges Frühläuten gar als Störung ihrer lästerlichen Ruhe betrachten. So also, sage ich, ist diesen unwissentlichen Sündern entweder das Fegefeuer oder bestenfalls ein Vorraum zum Paradies bereitet. Geduldet werden sie, vielleicht nicht sehr geplagt, Behaglichkeit, etwas flauer Spaß ist alles, was ihnen gelegentlich, sonntäglich blüht. Das also wäre so der Fall, wenn es so wäre, wie es sollte und sie unwissentlich sündigten. Aber es ist gesorgt dafür, daß der Andrang im Vorraum nicht gar zu groß ist. Aus allen Ständen hat der Heiland und Herr Menschen berufen, um Raum zu schaffen. Sie haben sich nicht gescheut, die frommen Männer und echten Papisten, die Fahnenschwinger und Kreuzesträger, die Sünder und ihr schmutziges, struppiges Fell anzupacken. Sie sind es, die die Sünde wissentlich machen. Jetzt geht ein Jubel durch die Welt; es ist zu Ende mit dem lauen Zupacken, ja einen Stoß kriegen sie von rückwärts ins Steiß, der sagt: aufgepaßt! Aus Gnade und Mildtätigkeit tuen sie so die wahren Papisten, damit das Zittern und Zähneschnarren über die verdammlichen Lutherbuben komme, daß die Reue sie zusammenpreßt und wie erbärmliche lächerliche Klümpchen in den Richtstuhl und Beichtstuhl treibt, flehend, man möchte sie aufheben, ihnen das Paradies öffnen. Und wahrlich, genug Überwindung gehört dazu, sie aufzuheben. Jetzt ist nicht mehr Zeit, vom protestantischen Himmelreich zu sprechen. Der Satan ist informiert; er hat Auftrag, grimmig für Vorrat zu sorgen an Knechten Messern Kübeln Bottichen Holz Blasebälgen, auf lose Backen nicht zu vergessen, kräftige Fäuste, die Sünder anzupacken und hin und her zu schleudern, Eisen und Haken, das Feuer zu schüren.
Die Böcke laufen herum, nicht jene, auf denen Satanas und die Hexen reiten, sondern andere, heilsam, die die Sünder auf die Hörner packen, spießen, sich durch die Luft zuwerfen und so sich die Zeit vertreiben mit Ballspiel. Für die Stolzen und Übermütigen springen dürre Affen herum, die sich anklammern an ihre Röcke und Wämser von hinten, mit beiden Händen ihnen unter die Achseln greifen, mit den Beinen vorn über den Bauch, und nun kitzeln, kitzeln, daß sie lachen. Ja, jetzt können sie lachen, brüllen, sich winden, daß sie blau werden und bersten. Und vor ihnen steht ein Teufel, schlägt ihnen ins Maul, schreit: Ruhe! hält dem Affen einen Krug hin, damit er nicht verdürstet. Was ist das für ein Gelächter in der Hölle! Fürwahr ein anderes als das sanfte melodische in unserm Himmelreich. Ein Tier ist da und kriecht herum, dessen Bauch an hundert Quadratmeilen mißt. Seine Schnauze ist die eines Hundes, sein Leib weiß und fett wie eines Schweines, seine Füße grün mit knotigen kolbigen Zehen wie ein Frosch. Es sitzt da, das Untier, in einer Ecke und immer, wenn die Hölle vor ihm recht dick voll ist, bückt es sich mit einem knallenden Schnalzer, schluckt hundert Verdammte, läßt sie in Schlund und Magen herumwirbeln, da wühlen sie in Sudel, Wust, Lauge, dann würgt er sie wieder aus, holt die hundert wieder und noch zehn-, zwanzigmal, bis er satt ist, und speit sie dann auf einen Patzen hin. So spült sich das Tier den Rachen, schnappt zum Rest mit den warzigen lappigen Lippen die hundert an den Füßen, schleudert sie im Kreis, bis sie trocken sind, dann läßt es sie los.
Soll ich Euch von den Teufelsschlossern erzählen, die die Menschen schmieden, als wenn sie Schmiedeeisen wären, von den Tischlern, die die leibhaftigen Menschen zersägen und sich Stühle und Schemel aus ihnen machen, um sich darauf zu setzen bei ihren Untaten. Da müßte ja der Christ ein Narr sein, der derartiges erdulden wollte aus purer Halsstarrigkeit. Aber dumm sind meine Lutheraner nicht, sie sind mit vielen Wassern gewaschen und mit den meisten die unter ihnen, die sich Gelehrte, Prädikanten schelten und fromme Seelen verlocken. Für sie ist eine besondere Strafe erfunden, damit sie, die im irdischen Leben etwas Besonderes waren, sich auch dort dessen rühmen können. Da hängen so zierliche Seilchen von der Decke der Hölle herunter, versteht Ihr recht, Seilchen, nicht viele, denn gar so viele sind nicht so schlimm. Nicht gut kann man die Seilchen sehen, denn ein Dunst, ein Nebel, ein Wrasen wie aus einem Kochtopf steigt immer von unten auf. Und wenn die Teufel nun so einen erwischt haben, so eine abgelebte alte Prädikantenmißgeburt, die vermeinte, flugs und unversehens in den paradiesischen Vorraum zu schlüpfen, so heben sie ihn sacht auf ein bequemes Schemelchen, binden ihn an zwei Seilchen, ziehen ihn hoch und lassen nun den Wrasen gehen, verkleben ihm auch schön die Ohren mit Pech. Und täglich kommt zu einer Stunde ein Teufel, nimmt ihm das Pech aus den Ohren heraus und tut mit ihm disputieren, damit sein hoher Witz sich gar nicht abstumpft. Das scheint Euch nichts? Oh, oh! Das lebt, das sieht nichts, das hört nichts. Vom Dampf verschrumpfeln sie wie Äpfel, sie sitzen den ganzen Tag in der warmen Nässe wie Waschfrauen, tropfen, ziehen keinen Zug gute Luft und werden nicht trocken. Mögen sie sich umgucken, mögen sie in den Rauch hineinschnappen, ob’s nicht wo was zu sehen gebe: ist nichts zu sehen. Sie tropfen, verschrumpfeln, verfaulen in langer Weile. Nur eine Nadel steckt in der Rücklehne des Schemels, die bohrt sich in ihre Rücken, wenn sie einschlafen wollen. Möchten nur recht viel von ihnen kommen, wären die geplagten Teufel froh genug und hätten ihre Ergötzlichkeit. Wie sie sich drehen auf ihren Schemeln, möchtet Ihr sehen, wie sie rasen, nicht trocken werden, den Dampf wegblasen wollen und unten kochen sie immer weiter, wie sie schäumen gleich den wütenden Ebern, wie sie sich anfallen in der Einsamkeit da oben an den beiden Seilchen schwebend an der Decke der Hölle, sich die Knöchel zerbeißen, sich gern umbrächten, wenn sie nur könnten. Da ist nichts in ihnen als Schäumen und Rache, Geschrei, Gewein, bis sie müde werden, und wenn sie wieder frisch sind, dann sehen sie wieder nur sich und es ist nichts.“
In den neugläubigen Landkreisen ließen die Werber die Parole „deutscher Kaiser“ gehen, mit Macht suchten sie Protestanten zu gewinnen, Wallenstein hatte mit den stärksten Ausdrücken darauf gedrungen; er hatte befohlen, Anlauf- und Antrittsgeld zu verdoppeln, wenn es Lutheraner und Kalvinisten gälte. Heftig sprudelten und schäumten die frommen Kreise der Erblande dagegen, schwer konnten sich die jesuitischen Gesellschaften beruhigen. Der Herzog gab kein Wort der Erklärung; er wollte auch Lutheraner im Heer, hieß es in Prag. Von der Wiener Hofkammer und dem Geheimen Ratskolleg wurde auf des Friedländers schlaue Taktik hierin hingewiesen; er verfahre nach der allgemeinen Direktive, den Oppositionsmächten den Vorwand der Religion zu benehmen; man dürfe nicht länger sagen die garantierte Religionsfreiheit werde vom Kaiser bedroht. Der Herzog zog lutherische Offiziere in sehr großer Zahl an sich; kaiserliche Oberstpatente gab er ihnen. Die zu Bruck seinen Erklärungen beigewohnt hatten, begriffen scheu, daß sich seine finsteren furchtbaren Ideen vom Kaisertum dahinter regten: der Kaiser über Deutschland, und sonst nichts. Nichts von Kirche.
An seinen Wagen spannte er die ungeheuerlichen Wildgestalten der Herzöge von Lauenburg. Die verschuldeten Reichsfürsten, lahm daliegend, buckelten sich hoch und schüttelten sich, sie ließen sich die langen starken Leinen Wallensteins überwerfen. Der Mansfelder, abenteuerlich, bezaubernd vorüber tosend, hatte ihnen ins Herz gestochen, die Zungen klebten ihnen am Gaumen vor Gier. Rudolf Maximilian, der Sachsenlauenburger, ein haarschaukelnder Kentaur, langschenklig, stieß seine Fahnen im Erzstift Mainz in den Boden, ließ die rotblutigen Glotzaugen rollen, donnerte, schrie, kehlte Spießgesellen heran, Grauen verbreitend. Er war eine Röhre, ein Rinnsal, ein Kanal, Wein und Biere flossen von Morgen bis Abend über ihn; er war wie ein Schwimmer, ertrank nicht drin, schlug um sich, wie ein Fisch. Der Fürstbischof suchte ihn zu besänftigen, ließ ihm Proviant, Furage zufahren; er stopfte, was man ihm gab, ohne zu danken, behielt den Hunger. Seine Backen blaurot geädert; die Söldner sahen es mit Freude. Reich war das goldene Mainz. Kleine Detachements erbrachen Kirchen; wie Rudolf Max sagte, aus Verzweiflung. Und eines Sonntags machte sich der Herzog selbst auf, ging auf Lüttich zu. Da hatten seine Leute trefflich geworben, und als sein Quartiermeister kein Handgeld weiter hatte und die Reiter ins Saufen kamen, schenkte Max ihnen den Markt von Lüttich und die sechs einstrahlenden Hauptstraßen. Die Pferde standen parat. Die Bürger waren auf der Hut. Als man einige Pikeniere totgeschlagen hatte, andere aus Schenken Weinfässer fortrollten auf geraubte Karren und Wagen, wurden die widerstrebenden Bürger, die sich zu Hilfe kamen, umringt. Mordiogeschrei und Getümmel in die Finsternis hinein. Alarm die Glocken. Bei Morgengrauen saß das Untier, der barhäuptige Herzog, flüchtig in der Sakristei des Sankt Lambrecht Klosters auf den Stufen; die mitleidigen Mönche wichen angstvoll vor ihm aus, dem schnaubenden schweißflutenden, der sich entstellt den Brustharnisch schlug. Der Bürgermeister von Lüttich nahm sich drohend und höhnisch seiner an, heimlich in der Frühe zu ihm gelassen. Knirschend mußte der Lauenburger sich gefangen geben. Pferde Wagen Leute Soldateska im Stich gelassen. Knirschend mußte er sich vom Bürgermeister und Stadtsekretär die Knie binden lassen. Dann wie ein Kalb in den Sack gesteckt, auf einen Packwagen des Klosters geworfen, von Mönchen gefahren aus der tumultierenden Stadt über die Grenze. Fünfhundert Gulden hatte er dem Bürgermeister aus seinem Säckel geben müssen. In Mainz wurde er nicht stiller, warb sechstausend Mann zu Fuß, eintausendfünfhundert zu Pferd.
Sein Freund war der Herr von Gürzenich, Adam Wilhelm Schelhard Dorenwart; er hatte das Patent, in der Wetterau und den Nachbarquartieren ein Regiment zu Fuß aufzurichten, ferner zu seinen auf den Fuß gebrachten vier Kornetten Kürassiere sechs Kompagnien Arkebusierreiter. Eine Kartätschenkugel steckte ihm aus einem Gefecht in Ungarn mit dem Grafen Zriny in der Leber; sein Blut floß gelb. Nichts hatte er; auf sein ausgeschlagenes Auge und die Kugel im Bauch schoß ihm der Herzog von Friedland Anritt und Laufgeld vor; davon warf der Gürzenich vor die Soldaten keinen Heller, die Ausrüstung beschaffte er; Lohn hieß er sie sich selber holen. Auf einem stämmigen Rumpf mit krummen starken Beinen saß der kurze Hals mit dem gelben Kleinkindergesicht und den riesigen Kiefern. Seine Kompagnien stürzten sich über die Wetterau. An den Weibern hatte ihr Oberst solchen Spaß, daß er schwur, kein Weib im Umkreis zwischen vierzehn und vierzig Jahren sollte passieren, ohne sich seinen Leuten ergeben zu haben oder über die Klinge zu springen. Und wenn seine Leute auch die Ernte wegfräßen und die Menschen verdürben, krächzte er voll Wonne, so wollte er doch verbürgen, daß ihre Aussaat unvergleichlich sei, prächtig, gescheckt braun und purpurn mit der Franzosenkrankheit, geschwürige Embleme auf der Haut, wie sich für Adlige ziemt, schöne Kielköpfe, pralle Wasserbäuche; man würde nicht wissen, wenn sie auf den Beinen stünden, ob sie besser watscheln, schwimmen oder fliegen könnten; aber rauben, saufen und stehlen würden sie, so wie sie das Tageslicht erblickten, so gewiß ihre Väter es täten.
Vor Limburg an der Lahn erschien der Herzog Adolf von Holstein-Gottorp, ein Bruder des regierenden Herzogs Friedrich. Ihm hatten ein Jahr zuvor seine Quartiere nicht behagt; darauf machte er sich mit einigen Fähnlein Knechten auf, fiel ins Gebiet des Trierer Erzbischofs ein, wüstete dort. Jetzt trat er ganz zaghaft zu Limburg auf, sein Trompeter verkündete dem Torschreiber, sie wollten friedlichen freundlichen Durchzug durch die Stadt. Der Herzog Adolf liebte Zorn und Blut für sein Leben. Drin würfelten sangen spazierten die Spanier, lagen als Besatzung in den Häusern Schenken Gärten Bädern; und als der Herzog die schönen Quartiere besah, erschien ihm doppelt gut, hier haltzumachen. Die Spanier lachten: sie säßen da; der Herzog: er käme an. Wachtmeister Kornett Korporal Musketier sahen nur ihren weißblonden Oberst auf seinem Gaul an, schlank stählern im silbernen Küraß, unter der buntfedrigen Eisenhaube das lange viereckige Gesicht, frisch rosa, mit den vorstehenden Oberzähnen; sie sahen, wie seine Unterlippe sich füllte, hochstieg wie eine Pflanze nach dem Regen und umkippte. Er gab vom Pferde springend den Spitzhammer abhalfternd das Zeichen; von fünfhundert schäumenden Spaniern entkamen nur sechs. Die Bürger hatten gedroht, sie fürchteten sich nicht, hätten sich vor dem Grafen Mansfeld nicht gefürchtet. Sie mußten das Wort bald bereuen. Nach vier Tagen ritt der weißblonde Herzog mit seinen Knechten und vielen Beutewagen wieder aus, die Lippe schlaff, der Blick leer.
Der Oberst von Merode, Schrecken Schlesiens, schlug im Fränkischen seine Werbeplätze auf: zehntausend Mann war sein Ziel.
Bei Nürnberg tauchten auf zwei Großoheime des regierenden Märker Kurfürsten, die Markgrafen Johann und Johann Georg von Brandenburg-Kulmbach; zwei Regimenter zu Fuß, zwei Regimenter zu Pferd.
Hans Georg von Arnim aus der Uckermark stand in Diensten Gustav Adolfs von Schweden, dann bei Sigismund von Polen, beim Mansfelder. Vom Friedländer wurde er mit einem Regiment beliehen.
Torquato Konti Graf von Quadragnola, am Weißen Berge bewährt, Generaloberstleutnant in päpstlichen Diensten, zum Wallenstein einschwenkend. Wolmar von Fehrensbach, Graf von Karkus zubenannt, aus schwedischem Dienst verräterisch zum Polen übergehend, vom Friedländer zum Obersten über ein Infanterieregiment mit dreitausend Mann bestellt, in Schlesien eingelagert.
Herr Sparr von Hohen-Finow, zehn Kompagnien Arkebusierreiter, nach Jüterbog gewiesen.
Die Pfalz Birkenfeld, die Grafschaften an der Eifel besetzten die Brüder Cratz von Scharffenstein, Alwig Graf Sulz. In der Grafschaft Stollberg nahm Quartier Hans Ernst Vitztum von Eckstädt, Oberstleutnant über fünfhundert Dragoner.
Johann Franz Barwitz, Oberst über fünf Kompagnien Dragoner.
Verdugo, des Ordens Sankt Jakobi a Spada Ritter, des Königs in Hispanien Kriegsrat, dreitausend Mann zu Fuß, fünfhundert Kürassiere.
Baron Bettino Riccasoli della Trappola, fünfhundert Arkebusierreiter.
Johann Philipp Hußmann de Namedy, tausend Kürassiere.
Graf Ferdinand Nagaroll, elf Kompagnien.
Oberst Hebron, ein Arkebusierregiment, ein Dragonerregiment.
Herrmann Frank, der Däne, ehemaliger Mansfelder, ein Infanterieregiment.
Hans Friedrich von Stößel, sechs Kompagnien Arkebusierreiter.
Marquis de Boissy, sechs Kompagnien Arkebusiere.
Scharen über Scharen, unermeßliche, strömten dem Friedländer zu. In der Nähe von Pirnitz erschien der Kroatenführer Milli-Dragsi mit fünfhundert leichten Reitern.
Freiwillige Franzosen, vierhundert Mann, eine begeisterte kampfgierige Schar, setzten bei Lauenburg über den Rhein; in Rotten folgten andere.
Als die Ordnung unter dem Übermaß des Zudrangs zu springen drohte, wurde zum Generalwachtmeister ernannt: Lorenzo del Maestro, Hannibal von Schaumburg. Don Balthasar Marradas wurde Stellvertreter des Herzogs, sein Generaloberstleutnant und Feldmarschall.
W ie der Fürstbischof von Mainz, des alten sanften in das Grab gesunkenen Schweikhard Nachfolger, Friedrich von Greiffenklau, die Untaten des wütigen Lauenburgers auf seinem Stiftsboden sah, hatte er keine Freude mehr an Messelesen Falkenbeizen Würfeln. Finster kaute er an seinem Zorn. In seinen Jagdgründen erlegte er mit eigener Hand wildernde Pikeniere, das schaffte ihm eine kleine Ruhe. Sein Grimm labte sich an den brennenden kleinen Bauernhäusern, die den Wallensteinern über den Köpfen angezündet waren. Er ritt an der Spitze seiner geharnischten Leibgarde, segnete vor den drohend andringenden Knechten die Bauernhaufen. An der Tafel saß er abends mit seinen Äbten und Domherren, man löste ihm den Brustpanzer. Schmetternd sprach er, ließ seine schwarze Inbrunst rollen vor den samtenen händefaltenden sich sättigenden Frommen. Auf seinen Gütern! Auf dem Stiftsbesitz der heiligen Kirche! Freches Raubgesindel, vom Kaiser legitimiert! Den anderen weichen troffen die Lippen, sie lobten den Bischof; das Unrecht, das sie erlitten, blähte sie auf; das Rebenblut, das sie schluckten, feuerte ihr Herz. Draußen zogen die Bauern trübe in die Wälder, Kinder auf den Schultern, Gänse, Hühner auf Karren. Das Schreiben, das der Herr, des Heiligen Reiches Kanzler, an seinen benachbarten Freund, den Kölner Kurfürsten, richtete, besagte im Stolz des Rechtes, wenn nicht baldigst Abhilfe erfolge, so werde er auf Mittel bedacht sein, sich der unerträglichen Last mit der Tat zu erwehren. Als darauf die Kölner ihn sondierten, ob er nicht an den Kaiser schreiben wollte, schob er sie erregt beiseite; er wollte sich seine Wut, die ihn erfrischte, nicht durch einen Brief entreißen lassen. Der Kölner Ferdinand selbst, ein Bruder des bayrischen Maximilian, vexierte die Wallensteiner auf seine Weise; er hatte von Bestellungen gehört, die Wallensteinische Obersten in seinem Gebiet auf Rüstungsstücke gemacht; als Oberst Hebron nach seinen Kürassen forschte, stellte sich heraus, daß der Kölner Kurfürst sie hatte beschlagnahmen lassen. Da zappelten sie und schrien vor dem Wiener Kriegsrat.
Wie im Frühling die Meldungen einen abenteuerlichen, nie gesehenen Umfang der Rüstungen erkennen ließen, fanden sich Vertreter der ligistischen Herren zusammen; Maximilian gab das Stichwort; unruhige fragende Klageschreiben gingen an den Kaiserhof ab, von Mainz und Köln, dann gemeinsam von den vier altgläubigen Kurfürsten. Der Druck der Einlagerungen wuchs; der Umfang des Heeres nahm zu, von Tag zu Tag; Werbungen Durchzüge Einlagerungen Kontributionen, in immer neuen Reichsbezirken. Bayrische Zwischenträger streuten die Ansicht aus: Wallenstein suche durch die große Menge des Volkes die deutschen Länder zu beschweren und durch unerhörte Drangsale zu entnerven; alsdann gedenke er alles nach Belieben zu disponieren. Man geriet in wachsende Spannung und Furcht. Der starke Greiffenklau von Mainz war schon nicht mehr so eigenbrödlerisch; er ließ an seiner Tafel hören, es möchten seines unvorgreiflichen Ermessens noch Mittel zu finden seien, wie sich die Liga, wenn es gegen die Freiheit der Fürsten ginge, mit dem König von Dänemark so weit verständige, daß die Bundesarmee mit anderen Reichsständen das Reich verteidigen könnte, die kaiserliche Armada aber sattsam zur Erhaltung der Erbkönigreiche gebraucht werde.
Das Frühjahr rückte gnadenlos vor, jeden Tag konnte der Losbruch der Heeressintflut auf das Reich erfolgen.
Da wußten sich die Fürsten, in Würzburg zusammengekommen, keinen Rat. Sie bewilligten ohne Debatte eine Million Taler für Heereszwecke. Es würde erfolgen — blickten sie sich lahm an — was man sich erzählte, daß der Däne geschlagen würde, das Heer aus Deutschland nicht wiche, sondern wachse, ohne Schranken, wie es in den wenigen Monaten gewachsen war. Und niemand konnte wissen, was ihnen drohte. Was aus ihnen würde. Wie weit es Friedland mit seinen Kontributionen triebe. Sie faßten Beschlüsse; im letzten Augenblick sollte vorgebeugt werden. Zwei Kuriere jagten sie nach Wien zum Kaiser. Sie baten ihn erstmals, ihnen einen baldigen Kurfürstentag zu veranstalten zur Besprechung urwichtiger Dinge und einzuschlagender Maßnahmen, dann flehten sie an, des unbeschreiblichen Unwesens gedenk zu sein, das mit der Überflutung Deutschlands durch die riesigen Truppenmassen erfolge; der Fluch der Nation würde sich gegen die Fürsten richten, die dies nicht haben verhindern können. Sie böten ihm starke, ausreichende Truppen gegen den Dänenkönig an; dem friedländischen Heere würde die Säuberung und Verteidigung der Erblande in Schlesien nach Ungarn gegen die Türken zufallen. Hinter die beiden Abgesandten lief ein Kurier, der ihnen als letzten Trumpf eine Verschärfung ihrer Instruktion ans Herz zu legen hatte: man sei bei Ausbleiben einer Remedur des Heereswesens entschlossen, die Bundesarmee vom Feind abzuziehen und in Notwehr zur Verteidigung der deutschen bedrängten Stände zu gebrauchen.
Friedland gelüstete nach Wien. Kein besonderes Vorkommnis drängte ihn; er wollte noch einmal den Kaiser, die Räte sehen. Er wollte wissen, woran er war, bevor er aufbrach.
Er lag im Harrachschen Haus in Wien auf der Freyung; wieder lähmte ihn das Podagra. Obersten meldeten sich bei ihm, berichteten, Ordonnanzen von den Gütern; sonst lag er allein. Es besuchte ihn niemand. Im Auftrag des Kaisers bewillkommnete ihn an den ersten Tagen der liebenswürdige Fürst Eggenberg, der ihm zwei Ärzte zuführte. Kurze formale Audienz bei Hofe. Der Hof schwieg, die Räte schwiegen, der Kaiser schwieg. Wallenstein wunderte sich nicht. Er war gewohnt, daß man ihn fürchtete oder verabscheute. Er wies seinen Wirt und Verwandten, den Grafen Harrach, ab; ihn trösten, beruhigen? Was die Herren bei ihm sollten. Als er acht Tage gelegen hatte und leidlich hergestellt war, machte er einen kurzen Abschiedsbesuch bei Eggenberg, reiste gekräftigt, geleitet von einer Kompagnie des Regiments von Löbl, ab. Er war zufrieden; ihn hatte am letzten Tage seiner Anwesenheit noch sehr die Hilflosigkeit der Wiener Stadtgarde beim Löschen eines Brandes in seiner Nähe gelabt, wo im Anschluß an eine Verbrennung beschlagnahmter protestantischer Bücher im Bischofshof eine Feuersbrunst sich erhob, die den Bischofshof selber, zwei Klöster, hundertsechsundzwanzig Häuser einäscherte. Am Fenster zusehend lachte er stundenlang; dort unten ritten auch die hohen aufgeregten Würdenträger und Beamten, sie schlugen die Hände zusammen, schrien sich Unverständliches zu, zeigten in den Qualm, stoben davon; es sei ein vortrefflicher Abschluß, meinte der Herzog gegen seinen Wirt, so hätte er die Herren doch alle kennengelernt.
Dicht bei Wien stellte ihn Doktor Leuker, hinter den sich die beiden Kuriere gesteckt hatten, die nach einigen unverbindlichen Worten vom Grafen Kollalto an den Friedländer selbst gewandt waren, ihm aber ständig aus Furcht auswichen. In einem Dorfgasthaus traf Leuker den Friedländer; der Herzog gab ihm freundlich die Hand. Leuker, sehr blaß, stammelnd, wollte ihn zu einer Unterredung im Garten bitten, der Herzog lehnte lächelnd ab: „Was gibt es zwischen uns zu sprechen, das nicht jeder hören könnte?“ Militärische Wünsche trug der kaum seiner Sinne mächtige Resident vor, steif zu Boden blickend, sich an sein Schwert haltend; Tilly wünschte eiligst die Wallensteinsche Hilfe mit einigen Regimentern; er brachte nicht klar heraus, was ihm aufgetragen war, daß Tilly Kommando und Disposition dieser Hilfstruppen haben sollte. Der Herzog, halbseitlich am Fenster einem Ochsengespann zusehend, gestand es bereitwillig zu. Dann gab sich der dicke Leuker einen Ruck, preßte hervor, erst den gelbsüchtigen Herzog mit dem Blick streifend, dann über dessen Kopf sich mit den Augen am oberen Fensterrahmen festnagelnd, was von Truppenübergriffen verlautet sei, von Erpressungen, Verwüstungen. Gutmütig stimmte der andere bei: „Wird wohl bei den Herren Ligisten nicht anders zugegangen sein.“ Als der Bayer glaubte, aus den Geschehnissen den Schluß ziehen zu müssen, daß die Werbungen vermindert würden, meinte der Herzog nur, ihm zutraulich die Schulter berührend, er sei unlogisch, eine einzige schlimme Kompagnie richte mehr an als zehn gute Regimenter, er werde die schlimmen Truppen entlassen und weiter gute Regimenter anwerben. Was den Bayern, der den Boden unter den Füßen verlor, zu der fast unwillkürlichen Entladung veranlaßte aber die Kurfürsten und Fürsten wünschten, beständen auf einer Einschränkung der Rüstungen. In voller Heiterkeit der Herzog: „Ja, warum lassen das die erlauchten Herren mir, gerade mir sagen? Sie haben ja den Grafen Tilly: so mag man es ihm doch befehlen; auf die Minute wird es geschehen. Wie sind die Herren hilflos!“ Zähne beißend, halbtoll wiederholte, quetschte der andere an seinen Sätzen; der General blieb im schallenden Lachen, bat den Residenten um Verzeihung für seine Heiterkeit; wenn man wolle, werde er es dem Tilly auftragen. Bis der Bayer sich, komme was wolle, zu dem Geständnis hinreißen ließ, auf eben die kaiserlichen Rüstungen sei es abgesehen, weil man sie für überflüssig hielte. „Nicht überflüssig. Sagt nur deutlich, lieber Herr Doktor, gefährlich. Gefährlich für Euch, Ihr werdet nie finden, daß ich ein zugebundenes Maul habe; und Ihr seid ja auch reichlich offenherzig. Euer Herr, der Kurfürst in Bayern, wünscht den Kaiser nicht im Reich. Ich kann es der bayrischen Durchlaucht nachfühlen, aber die bayrische Durchlaucht kann den Kaiser nicht hindern, andere Wünsche zu haben.“
„Die Kurfürsten haben dem Kaiser geschworen. Aber der Kaiser hat auch dem Reich geschworen.“
„Woraus sich nicht der Schluß ziehen läßt, lieber Herr Doktor, daß der Kaiser eine Holzpuppe ist. Ich kenn Euch gut, Herr Leuker, hörte, daß Ihr sonst ein kluger Mann seid. Ich rechne es Euch darum nicht an, daß Ihr heute kein Glück mit Argumenten habt. Fahrt nur wieder heim. Berichtet so: ich hätte selbst gesagt, Ihr hättet Euch tapfer geführt.“
Mit einer Handbewegung lud er den kauenden Mann an den ärmlichen Kieferntisch im Zimmer, auf dem Messingbecher um einen Weinkrug standen. Als der noch nicht gefaßte Doktor ohne sich zu drehen stumm Bewegungen mit den blassen Lippen machte, lachte Wallenstein, der schon auf dem Schemel saß, so daß ihm die Tränen die Backen herunterliefen: „Was wollt Ihr nur, Herr Leuker? Ihr habt ja alles gut gemacht! Ihr habt das Examen bestanden. Merkt Euch zum Bericht nach Hause das Wort Bildsäule, Statua auf lateinisch. In solchem Zustand kommen Kaiser nur nach ihrem Tode vor.“
V ierzehn Regimenter zogen mit Wallenstein aus Böhmen. Es ging auf den Hauptsammelplatz Neiße. Die Beruhigung der katholischen Kurfürsten hatte er dem Wiener Hofe überlassen. Seine Leibgarde, zweihundert ausgewählt starke und geschickte Knechte aus allen Nationen, eisenknarrend vom Kopf zu den Füßen, auf gepanzerten Pferden, Musketen Lanzen Spieße Beile führend, umschloß seine Sänfte, ritt ihm voraus, folgte auf den wärmebrütenden menschenleeren Chausseen. Meilenweit wich das Volk aus. Er stieß durch ein wüstes Böhmen auf Schlesien zu. An der Spitze der Regimenter fuhr der Herzog in einem puschelwedelnden sechsspännigen Wagen; achtzehn Rüstwagen mit roten Juchten ihm voraus, zwölf zweispännige Kaleschen mit dem Stab; hinter ihm seine prunkende Sänfte, auf Pferden bunte unbewaffnete Pagen und Trabanten, Leibpferde; am Ende offene Feldgeschütze mit Artilleristen und Munitionswagen.
Gitschin Nachod Glatz wurden passiert. Durch Deutschland, das schwang, sich unruhig bewegte und zuckte, donnerten neue Regimenter herüber aus Schwaben Franken Mähren, vom Rhein Dragoner mit Piken, fliegende Musketiere, leichte polnische Reiter, die Freitag und Samstag keine Eier und Butter aßen; Kroaten mit Arkebusen, Husaren, die Panzerstecher trugen, die eingemauerten Eisenmenschen, die Kürisser, ungesehene Massen zu unbekannten Zwecken. In hellen Haufen eine graue Gesellschaft hinter schweren unförmigen Wagen, Schanzbauern Büchsenmeister Schnaller Fuhrknechte Konstabler Schlangenschützen Pulverhüter; unter ihren leinenbezogenen Gefährten Sturmtöpfe Pechkränze Sturmfässer Mordschläge Brandkugeln, Fuder von Salpeter Schwefel Kohle, hundertpfündige Mörser, offen durch die sonnigen blumigen erschreckenden Landschaften gefahren, mäulersperrend wie Leichen urzeitlicher Untiere, Kartaunen Hagelgeschütze Totenorgeln Haubitzen. Inzwischen saßen die Kinder vor den Kellertüren, spielten, kreischten, lachten, drehten ihr Rosenkränzchen, ritten auf Stecken; die Frauen wiegten ihre Säuglinge, sangen, tändelten mit Ohrringen und Ketten; die Bauern vergrößerten ihre Scheunen, dengelten Sensen, prüften Dreschflegel, die Bürger schrieben sich Briefe, kauften, lasen Kalender, malten die Tafeln ihrer Vorfahren auf, dachten an Adelsdiplome, die Kranken betrauerten ihr elendes Schicksal, grollten, daß sie bald sterben mußten; aus den Fenstern hingen Teppiche vom letzten Festtag.
Gleichmäßig schön das Wetter, Tag um Tag, helle luftdurchwehte Nächte, die Tage wuchsen, langsam verschoben sich oben unhörbar die Gestirne.
Am neunten Tage des Aufbruchs erreichte der Generalissimus seine Hauptmacht bei Neiße, der schlesischen Stadt.
Er machte sich den Rücken frei. Von dem teuflischen Zug Mansfelds nach Ungarn steckten schlesische Städte voll feindlicher Besatzungen; die Dänen hatten sie planmäßig aufgefüllt; furchtbar auf das Land ausfallend, eroberten sie Zuckmantel, Starnberg, überrumpelten Sohrau, Beuthen; Kosel wurde ausgeplündert; herausfordernd schwärmten leichte Trupps, Brände um sich werfend, kleine Detachements abfangend, bis vor den Sammelplatz der Kaiserlichen.
Wallenstein schritt mit vierzigtausend Mann am Gebirge entlang. Die Städte Loebschütz Jägerndorf geworfen. Er bog gegen die Oder um, umfaßte Kosel, wo siebentausend Dänen saßen unter Joachim von Mitzlaff, einem bissigen Kavalier, der die Pest und die ungarische Krankheit überstanden hatte, in Polenschlachten zerfleischt war. Er nahm die Belagerung an hinter seiner sumpfumzogenen Schanze; am fünften Tag von drei Seiten bestürmt floh er mit der Reiterei. Raste nach Süden, den Weg Mansfelds, Bethlen Gabor zu. Vom Lande, aus den Nachbarorten schwirrten ihm zersprengte Fähnlein zu, viertausend Pferde staubten Tag und Nacht gegen den Jablonkapaß. Sie prallten auf Kaiserliche. Umwerfend zurück; Mitzlaffs Tobsucht riß seine meuternden Reiter mit; er mußte durch Schlesien Polen auf Brandenburg zu gehen. Hinter ihnen Pechmann und Merode mit der ganzen Friedländischen Reiterei.
„Sie sind verloren wie Judas Seele“, hob Wallenstein die Arme.
Er fiel, von abtrünnigen Dänen verstärkt, Troppau an, das ein Rantzau halten wollte. Nach vierzehn Tagen war drin das Pulver verschossen. Die Stadt war sein. Keine dänische Maus lief mehr in Schlesien. Auf Neiße schwenkte er um.
Harrach auf der Wiener Freyung empfing einen Brief: „Ich übersende Ihrer Majestät fünfundsechzig Fähnlein und Kornette, die dem Feinde abgenommen sind. Übermorgen marschiere ich ins Reich.“
Die Schweidnitzer Stände sandten zu ihm nach Neiße Vertreter, feierlich voll Rühmens glückwünschend zu den unerhörten, blitzschnell herniederfahrenden Siegen, dankend für die Befreiung von den Kriegslasten und den Truppen. Er empfing die barhäuptigen berittenen Herren noch vor dem blumengeschmückten Tore im geöffneten Reisewagen, sah sie, gebückt sitzend, kalt an; es war nicht sicher, ob er ihnen zuhörte.
Ohne weiteres verließ er das Land, ließ hinter sich in dem dumpf staunenden Schlesien und Mähren fünfzehntausend Mann, die sich zu verstärken hatten.
U nd während er sich in drei Heersäulen nach Norden und Nordwesten schob, erwartete ihn der Dänenkönig Christian.
Fiebernd und sich selbst grollend erwartete ihn der Däne; voll Ruhmbegier, ohne Not, in der Hoffnung auf den sicheren Sieg hatte er den Krieg begonnen, dann hatte sich, wie von Satanas geschickt, in Böhmen dieses Wesen emporgewälzt, nicht vorauszusehen, noch jetzt nicht zu fassen, ausgestattet mit Reichtum, Härte, Unabhängigkeit, neben einem zusammenbrechenden Kaisertum, und tatzte nach ihm, nach seiner jungen lebensdurstigen Herrlichkeit. Mit diesem gab es keine Versöhnung, der kannte kein Paktieren, der niedriggeborene Mensch, das widrige feuergeglühte Geschöpf. Er jagte jetzt den edlen teuern Mitzlaff her durch halb Europa, wollte ihn fassen. Wenn er doch käme, der Mitzlaff, der tapfere, nicht zu zerbrechende. Und um sich sah der Däne alles anders wie vor einem halben Jahr im winterlichen Haag, wo man sich zugetrunken hatte. Er mußte danken und sich freuen, wenn zwei drei neue Fähnlein Schotten zu ihm stießen und eine Handvoll Franzosen. Wie strahlten die Augen des Grafen Montgommery, der auf seine Franzosen zeigte, die schon gegen die Spanier Siege errungen hatten; was würden sie machen gegen diese zermalmende Masse, von deren Schwere und Sicherheit sie keinen Begriff hatten. Zarte süße dänische Frauen nahmen sich ihres Königs zu Stade im Lager an; er sagte ihnen, ihrem Gesange würden viele dänische Soldaten die Ehre zu verdanken haben. Und dann übergoß ihn mit dem tiefsten Entzücken und stellte ihn wieder ruhig hin die Ankunft eines alten Mannes, des Markgrafen von Durlach, den einmal Tilly besiegt hatte. Das kleine Land, um dessen Erbschaft Durlach gekämpft hatte, war ihm nicht zugefallen; sein eigenes war verloren; er kämpfte jetzt, wie er sagte, für etwas Besseres, wie die andern gegen den neuen Antichristen, der ehedem Papst, jetzt Kaiser und Friedland hieße und wie der Papst sinken werde. Der alte Markgraf hatte als wandernder Kaufmann den schlesischen Besatzungen Mut zugesprochen, dann warb er in Frankreich für Christian, ein holländisches Kriegsschiff trug ihn nach Dänemark. Dünn waren Christians Scharen, die sich von Bremen bis in die Mark streckten, aber tapfere unbekümmerte Männer; oft mußten die Frauen den König trösten, der immer wieder weinte, wenn er seine jungen lachenden Offiziere sah. Er ließ verbreiten, daß auch Mitzlaff zu ihnen stoßen würde, was hellen Jubel auslöste; er sagte nicht, wie Mitzlaff zu ihm komme.
Still lag zwischen Niederelbe und Weser im hildesheimischen Städtchen Peine Tilly. Hinter dem Rücken des Friedländers hatte er dem Feinde einen schweren Schlag versetzt, von dem sich der Feind noch nicht erholt hatte. Jetzt drängte der Böhme von Süden herauf, er mußte ihn noch rufen, sich mit ihm verständigen, denn es sah aus, als ob der Däne sich über die Weserarmeen werfen würde. Schrecklich antwortete der kaiserliche General, er könne keine Truppen entbehren; Tilly hätte genug Regimenter, um den Feind in Schach zu halten. Der Ligist, fast erstarrend, meldete den Bescheid dem Bundesobersten, dem bayrischen Kurfürsten. In der Gefahr, überrannt zu werden von den Feinden, die der Friedländer offensichtlich gerade gegen ihn jagte, sprang er auf und drang an die Elbe, nordostwärts durch Lüneburg. Er wollte selbst den Feind stellen und schlagen. Der Däne sollte nach Süden abgeriegelt werden, um im Norden von einer einstoßenden Armee wie in einer Falle gefaßt zu werden. Der Ligist setzte seine Hauptmacht aufs Spiel; der entscheidende Schlag, der Elbübergang unweit Lauenburg gelang. So glückverwirrt war der edle Graf, so völlig aus seinen Angeln gehoben, daß er selbst an den Kaiser, den Herrn der nahenden friedländischen Macht, schrieb, die Entscheidung in dem Feldzug sei gefallen, sei schon gefallen, es sei nicht nötig, daß Truppen herbeieilten, um den Dänen den Garaus zu geben, fast getraue er sich mit einiger Hilfe, ihn zu übermannen. Er triumphierte wild gedankenlos hinaus, nur noch einer kleinen Nachhilfe bedürfe es, um dem Krieg das gewünschte Ende zu geben, bettelte zum Schluß um die Belohnungen und Gaben, die, wie er sich ausdrückte, wohlverdienten Kriegsobersten von kaiserlich mildesten Gnaden aus den verwirkten und konfiszierten Feindeslanden zufielen. „Ich hätte nicht leben können,“ schrie er, auf seinem weißen Gaul hängend, gespenstige kleine Figur, unter wallenden Federn, schwarzen Mänteln sich verbergend, gegen den Marschall Anhalt, der ihn am breiten Elbstrom auf einer Pappelallee zur Beratung aufsuchte; „ich hätte nicht länger leben können,“ schrie er nach allen Seiten gegen seinen Stab, seine Zeltgäste, „dies ist mir geglückt, Maria sei gelobt.“ Und morgens und abends heiser herausfordernd: „Ich hätte nicht leben können; jetzt soll er kommen, der Wallenstein.“
A us Böhmen kam er heraus, ohne Zeit für Worte und Blicke, ein nackter Leib der Gewalt, schamlos wie ein Säugling.
Er drängte eine Heeressäule unter seinem Oberst Arnim von Boitzenburg, dem schwärmerischen Protestanten, von Neiße über Krossen auf Frankfurt in die Mark hinein. Dem Kurfürst Georg Wilhelm wurde durch ein Schreiben bedeutet: der Herzog habe vernommen, daß er, der Kurfürst, die Pässe in der Mark und an der Oder gegen des Dänen Einfall nicht versehen könne mit eigenem Volk; der Kaiser habe ihm den Schutz der getreuen Reichsstände wider den Feind gnädigst empfohlen; so werde der Oberst Arnim abgefertigt, Städte und Pässe in der Mark und an der Oder mit der notwendigen Besatzung zu versehen. Ein offenes Patent verkündete den brandenburgischen Landen, man solle sich hüten, Schwierigkeiten zu machen; der Kaiserlichen Majestät sei ein dankbares Gemüt zu erzeigen. Durch die Mark schob sich, nach rechts und links mit Kompagnien ausschlagend, Arnim die Havel und Spree entlang, stieß gegen den weichenden Dänen über Oranienburg, Bernau, legte sich über seine heimische Uckermark, tastete bei Lychen über die mecklenburgische Grenze.
Eine zweite Heeressäule trieb Friedland mit dem Marschall Schlick, die gesamte Kavallerie führend, über Breslau, Liegnitz auf Krossen gegen Havelberg.
Die dritte geleitete er selbst mit dem Fußvolk durch Schlesien über Kottbus, Jüterbog, den ausgesogenen nördlichen Landstrich vermeidend, gegen den festen mecklenburgischen Ort Dönitz an der Elbe.
Und in das Getriebe der sich fortbewegenden Heereskörper geriet, von Süden gescheucht, hin und her taumelnd, der pockennarbige Mitzlaff; bei ihm die Obersten Buben, Holk, Baudissin und zweitausend Pferde und sechs Dragonerkompagnien. Merode und Pechmann hinter ihnen her; wie die Hirsche flogen sie am Jäger vorbei. Schon waren sie bei Küstrin, da zwang sie Pechmann ostwärts herüber. Von seinem Überfluß schickte der vorbeimarschierende kaiserliche General Regimenter um sie herum, todeswütig brachen die Gehetzten über eine Warthebrücke noch einmal nach Westen vor, es war nicht mehr weit nach Dönitz.
Da standen in einer Augustnacht die Wallensteinischen Regimenter auf an allen Seiten um sie. Bei Bernstein wurden die Dänen in der wolkenlosen mondhellen Nacht zusammengehauen, nachdem sie noch vergeblich die geängstigten brandenburgischen Befehlshaber, Lutherische wie sie, ihnen herzlich zugetan, um Durchzug gebeten hatten. Buben, Holk wurden gefangen. Pechmann, der Wallenstein geschworen hatte, er würde die Dänen nicht an ihren König lassen, in der Mondhelligkeit von Mitzlaff erkannt, durch zwei dänische fliehende Leutnants von seinem Stabe abgelockt, wurde, er, der Sieger, von einer besonders beorderten Rotte niedergemacht, zermalmt, im Tode enthauptet, geplündert, zerhackt; man fand später nur seine Rüstungsstücke.
Mitzlaff und Baudissin schwammen, während man im Morgengrauen nach ihnen suchte, schon über die rollende Warthe. Christian gelobte ihnen, als er sie umarmt, den Krampf seines Herzens beruhigt hatte, er werde Widerstand leisten dem Böhmen, aber er wolle fort, er wolle fort aus Deutschland.
Der Uckermärker Arnim mit Ungestüm gegen die Dänen unter dem unbeugsamen Markgrafen von Durlach in Mecklenburg vordrängend nahm von der überschwappenden Fülle der beiden Hauptmächte sieben Regimenter zu Pferde und zu Fuß an sich, hieb aus Ort um Ort, Stadt um Stadt, Schloß um Schloß den Durlach heraus. Die Proteste der beiden regierenden Mecklenburger Herzöge, dem niedersächsischen Kriegsverband angeschlossen, nahm er nicht an. Keinen Ort, der eine Mauer hatte, verschonte er. Vor Wismar, auf die Insel Poel verkroch sich der Feind; da hielt Arnim an.
Der Kommandant von Dönitz übergab kampflos den Ort nach zwei Tagen. Elbabwärts fuhr der Herzog zu Schiffe nach Lauenburg in Tillys Lager; mit Pomp, kostbarer Bewirtung wurde er empfangen, selber mit königlicher Pracht, wahrhaft asiatischem Gepränge auftretend, umgeben von seiner Leibgarde und gefangenen feindlichen Offizieren.
Eine Verabredung wurde getroffen. Graf Schlick, achtundsechzig Reiterkompagnien herumwerfend, gegen die geballten Massen des alten Matthias Thurn, überritt die holsteinische Grenze, brauste über Trittau, Altrahlstadt, an Hamburg vorbei. So groß war die Verwirrung Angst Ratlosigkeit in der Hansastadt, als unabsehbar die Armeen herantobten, daß sie drin die Waffen gegeneinander erhoben und erst die Sorge um die schwere Lebensmittelkontribution sie zur Besinnung zwang. Die schweren Völker des Herzogs, des Brabanters rollten nach, getrennt Lager und Hauptquartiere. Tilly, von Tag zu Tag gepeitscht durch Briefe des Bayern, sich in seiner Selbständigkeit nichts zu vergeben, im Erfolg die Vorderhand zu erlangen, hitzig, vergrämt, kaum dem Kommando gewachsen, Offiziere dauernd an den Herzog verlierend, flackernd zwischen Groll auf sich, Verbitterung gegen seinen Kurfürsten, wurde, der wachsblasse Eisenzwerg, erlöst durch eine Musketenkugel, die ihm nächst den Wällen Pinnebergs das linke Knie aufriß, herunterwarf vom Pferd. In der Prunksänfte Wallensteins, der Herzog drängte sie ihm auf, wurde er aus Pinneberg rückwärts getragen. Und dann, wie er lag, weiter rückwärts. Seine Truppen zog er mit sich, an die Weserstellungen; im Augenblick löste er sich von Friedland, ächzte, blickte steif und drehte sich nicht um. Hinter Wallenstein marschierten nur drei ligistische Regimenter, Fürstenberg, Reinach, Herberstorff, dazu die Artillerie.
Die Kroaten, leichten Reiter, wehten dicht schwärmend wie Staub vor der Stirn des bewegenden Heereskörpers. Ihr Windzug, der Dunst ihrer Pferde warf Beklemmung über den Feind. Der Graf Thurn schäumend, seine Rüstung zertretend, zwang seine Kavallerie, neben sich den Rheingrafen Otto Ludwig, noch einmal ins Feld zwischen Elmshorn und Horst; wie Wasser über dem Feuer verdampfte, verbrodelte die Masse beim Anrücken des Friedländers. Zum König von Dänemark nach Glückstadt wich Thurn. Der Rheingraf rettete sich nordwärts nach Rendsburg. In Glückstadt äscherte der König Häuser und Scheunen um sich ein, das Land längs des Elbeufers setzte er unter Wasser. Die Heere marschierten rechts vorbei. Über Itzehoe, vier Kompagnien Schotten zermalmend, traten und tauchten sie. Die Schlicksche Kavallerie breitete sich ostwärts aus in Holstein, nach Oldenburg im Lande Wagrien. Der Durlacher setzte rettungsuchend, von der Insel Poel abgesperrt, auf Schiffen mit dem Überbleibsel seiner Söldner nach Holstein über, flüchtend und bereit, heimlich am Meer entlang zu schleichen. Von der Höhe des Dorfes Großenbrode stieg im Morgengrauen Schlick überwältigend gegen ihn herunter. Das Heer, nur die graue See hinter sich, in die Knie brechend, streckte die Waffen. Siebenundzwanzig Kompagnien Infanterie, fünfzehn zu Pferd, die des dänischen Königs Krone und Herz gewesen waren, hoben ihre Fahnen, ließen das Regimentsspiel erklingen, dienten dem Sieger. Der Durlach hieb sich, sein Herz versteinernd, durch seine eigene, Wege und Strand finster überlagernde Armee. Zweitausend Reiter riß er mit sich nach Flensburg, nach Fünen. Schlick flutete wild herauf nach Jütland.
Links von ihm Wallenstein faßte Rendsburg mit den Zähnen, schüttelte die Besatzung wie aus einem Sack heraus. Sie liefen zu ihrem König.
Christian in Glückstadt an der Elbe verlassen schwamm mit seinen sanften Frauen auf drei kleinen Barken, um seiner zerschlagenen zertrümmerten Dänen ansichtig zu werden und sich gemeinsam mit ihnen fortwehen zu lassen. Jetzt weinten die Frauen um ihn; aber er, ohne Waffen, weichäugig, im goldgelben Rock, jünglingshaft schlank an einem Mast unter dem bunten Himmel stehend, winkte den Dänen ruhig mit seinem leichten Federhut; es sei eine Wiederholung, was hier geschehe. Der Pfälzer Friedrich, sein lieber edler Freund, sei wie er gegen den römischen Kaiser gezogen; es sei ein Glück, daß Dänemark nicht in Deutschland läge, man könne nicht heran an ihn. Er müsse siegen, stöhnten die Damen, in dünnen Seidentüchern das Gesicht verhüllend, er würde siegen; spitzfüßig liefen sie auf weißen Schuhchen zu drei und vier auf ihn zu, die losen bunten Röcke raffend beim Sprung über die Balken und Seile, die Reseden aus dem Haar verlierend. Nicht, tätschelte er sie, oder doch, er werde siegen, er werde den deutschen Kaiser besiegen, durch Ruhe und Klugheit; er werde Frieden mit ihm schließen. „Ich muß bezahlen, meine lieben Kinder, oder mich in dies weite schöne Meer stürzen.“ Seine Armee suchte er bei Rendsburg und fand sie nicht; in Flensburg nahm ihn die Woge der Durlachschen Kavallerie auf; sie legten Hadersleben hinter sich in Asche, Kolding machten sie dem Erdboden gleich; sie mußten Schiffe nehmen, die brachten sie nach Fünen.
Hinter ihnen nahm das Drängen kein Ende. Die Schlickschen Massen faßten nach Westen herüber, packten bei Viborg versprengtes feindliches Kriegsvolk an, das entwich nordwärts, stach verzweifelt Dämme und Gräben hinter sich durch, warf Brandfackeln um sich, hinter sich in Gehöfte Dörfer: sechsundzwanzig Kompagnien der Regimenter Kalenberg, Nell, Holk; Baudissinsche Reiter, schleswigsche Landmannschaften. Am Limfjord machten sie halt, wollten sich in die Sümpfe, Moräste von Vandsyssel werfen. Da stellte sich ihnen das gereizte Landvolk entgegen, Kompagnien verweigerten den Gehorsam, voll Unsicherheit lief man durch Aalberg zurück ans Meer. Bei Hobro wurden sie zusammengehauen, im Getümmel wälzten sie sich zum drittenmal auf Aalborg; da saß, Piken und Musketen vorstreckend, Graf Schlick. Sie wurden nur schwer durch die Kaiserlichen abgehalten, unter sich selbst in der Wut ein Blutbad anzurichten; man nahm ihnen die Waffen ab; keiner entkam. Die dänischen Generäle, verwundet, von ihren eigenen Soldaten ihrer Pferde beraubt, Konrad Nell, Heinrich Kalenberg, gaben sich schamzuckenden Gesichts in den Schutz ihrer Feinde.
Durch das herbstliche Fünen fuhr langsam in einem Sechsspänner, den Stern auf der linken Brust, eine breite goldene Schärpe auf dem gelben zerdrückten Rock, Christian, sprach freundlich mit jeder Bäuerin, die sich seinem Wagen näherte, ihm weinend ihre Kinder zeigend, drückte in Odense auf dem Rathaus den Reichsräten mit Stolz und Ruhe die Hand. Die, um ihren König klagend, Christian Friessen, Magnus Uhlfeld, Olof Rosenspars, Breide Rantzau, Ewald Kruse, Kanzler, Reichsadmiral, Statthalter, erhoben, wie er den Rücken kehrte und donnernd ungesättigt das grausame Kriegsungeheuer die Krokodilskiefern über ihre Grenze streckte, ein markerschütterndes Wehegeschrei: nicht die Krone Dänemark, nur der niedersächsische Kreis habe mit diesem Krieg etwas zu schaffen, man möge dessen gedenken, menschlich sein, der nachbarlichen Freundschaft sich erinnern. Man möge ein Ziel setzen diesem grausigen, durch fast ganz Europa gezogenen Brand, bei eines fremden Reiches Wassern und Seen, nicht noch mehr, endlos mehr Königreiche Fürstentümer und Lande dem Unwesen, Raub, Verwüstung, grenzenlosem Blutvergießen übergeben und aufopfern.
In Seeland erhob sich das Volk gegen den König, die Begleiter schützten ihn, in Fischertracht flüchteten sie weiter. Im nördlichen Deutschland verbreitete sich das Gerücht, die dänischen Bauern und Bürger hielten in Odense ihren Reichsrat gefangen. Wollten in Entsetzen den Römischen Kaiser oder Wallenstein zu ihrem König wählen, um sich zu retten.
D er Kaiser entschloß sich, nach den Siegen nach Böhmen zur Krönung zu reisen. In einer unbezwinglichen Bewegung nahm ihn der Entschluß gefangen. Er ordnete die Maßnahme in finsterer Freude, Gehobenheit an, gab der Mantuanerin, die ihn fragte, warum man im Winterbeginn reisen wolle, den Bescheid, daß keine Wahl bliebe. Er wollte sich gekrönt seinem großen Widerpart über alle Länder weg gegenüberstellen, während der noch in Holstein Mecklenburg war. Man brach mit ungeheurer Pracht auf; die Gelder, aus dem Felde geschickt, strömten aus Kontributionen.
Auf dem Laurenzerberge krachten Geschütze; die Hälfte schoß Salut, die andere schwieg, scharf geladen, zum Schutz des Kaisers. Aus der Wenzelskapelle wurde die Krone geholt, die sich zuletzt der geächtete Friedrich aufgesetzt hatte; ein Kardinal führte den Kaiser zum Hochaltar. Gesalbt am rechten Arm, Schultern, Brust, mit dem Wenzelschwert umgürtet, Szepter und Apfel tragend, die Krone aufgedrückt.
Die Böhmen ließen es geschehen; sie hatten geträumt, Wallenstein würde in Prag erscheinen; er ihr Trost, ihre unsinnige, immer wieder sich erneuernde Hoffnung. Der Landtag wurde eröffnet, seit vielen Jahren der erste, man las ihnen die königlichen Propositionen vor; keine Rettung, es gab keine Wunder. Sie schmeichelten sich an den neuen König, brachten Geschenke, bewilligten Steuern, boten eine Jagd bei Prag an; wurden bedankt, aber wie zum Hohn ließ der Kaiser auch seinen Sohn vor ihnen krönen; man rief sie nicht, nicht einmal zur Dekoration; die Prunkherren und Damen waren aus Wien gefahren, füllten den heiligen Dom, schlossen die Wenzelkapelle auf. Kein Wort klang von den alten Freiheiten und Privilegien, eine erneuerte Landesordnung des Erbkönigreichs Böhmen machte allem ein Ende. Aber der geistliche Stand nahm am böhmischen Landtag teil, Bischöfe, Priester, Jesuiten, an dem Landtag, den die Adligen die habsburgische Krönungsmaskerade nannten. Rasend vor Haß zogen sie sich zurück; weinende und verbissene Gesichter bei ihren Zusammenkünften. Zum Grafen Thurn wollten sie schicken, flehend, sie nicht zu lange leiden zu lassen, aber lebte Thurn noch? Sie schickten Leute, ihn zu suchen; wieder wanderten Adlige aus. Wallenstein gewinnen! Wallenstein gewinnen! Oder ermorden.
Und wie er ankam aus den Winterquartieren durch die gebändigten Gebiete, durch Mecklenburg, die Mark, über Wittenberg Bernau, Sommerfeld Sagan, auf Gitschin, langsam, auf den glatten und verschneiten Wegen, wußte er nicht, daß er von böhmischen Exulanten, mordsüchtigen Fanatikern, seinen Landsleuten umzüngelt war, aber begriff, daß man ihm zu jeder Zeit ans Leben wollte. Er hatte seine Leibgarde auf sechshundert Mann erhöht; mit vierhundert bis auf das Blut geprüften Wallonen und Italienern, die hochmütig auf die deutschen Völker sahen, durch Stärke Gewandtheit Prunk alle überragend, ließ er sich in den böhmischen Kessel herunter.
Da durchwellten schreckenverbreitend zwei Ströme das Land, der römische Kaiserhof und Wallenstein. Wie Fremde standen die Böhmen in ihrem Land, ihre Rücken beugten sie.
Der Kaiser zog zu Huldigungen durch die Städte; in Brandeis, auf dem kaiserlichen Schloß, erreichte ihn der General der Armada. Er hatte nicht den Wunsch, den Kaiser zu sprechen; Ferdinand hatte ihn zu sich gefordert. Dann begegneten sie sich in dem Empfangssaal zu Brandeis. Ferdinand, der heitere Banketteur, Wildschweinjäger, demütiger Christ, aufgerissen zu blendender betäubender mystischer Größe unter einem Purpurbaldachin, die Krönungsinsignien, Mantel mit furchtbar springenden schwanzpeitschenden Löwen, goldene Krone, Szepterstab, kreuztragenden Reichsapfel wie eigene Organe bewegend, drohend, lodernd, gar nicht versunken. Und vor ihm durch das Spalier der Trabanten, Fahnenträger, starr stehenden Räte, Priester herschleichend, verwundert und widerwillig, das lange ledergehüllte gelbäugige Geschöpf, mißtrauisch, fremdartig. Mit schwanzpeitschenden giraffenwürgenden Löwen aus Gold, mit bügelüberzogener buntgesteinter Goldkrone, dem uralten Reichsschwert brannte der oben zu ihm her, heischend, stumm sprechend aus einem Gehäuse von Purpur. Er verstand ihn nicht; wollte man ihn morden, nach den Siegen; hatte er zuviel gesiegt; er hatte seine unwiderstehlichen stählernen Wallonen nicht zum Schutz. Man ließ ihn fort, nach feierlichen Gastmählern. Er schüttelte sich draußen, trug nichts davon. Seine Garde führte ihn nach Prag.
Er rechnete mit dem Kaiser ab. Seine Verwaltung machte eine sehr genaue und spezialisierte Aufstellung an den Abt von Kremsmünster, der sie lächelnd dem Kaiser übergab. Ferdinand überflammt, tief beglückt: „So brauch’ ich doch nicht verzagen. So gibt mir der Herzog von Friedland eine Gelegenheit, einen Vorwand, ihn zu ehren. Daß seine Verdienste um mich nicht abzuschätzen sind, weiß ich. Ich bin ja geradezu wehrlos, gesteht selbst, Abt Anton, gegen ihn. Wie soll ich mich rächen an ihm für diesen Feldzug?“ Er tat, als ob er lächelte, dann berührte er den Abt ernst an der Hand: „Ich muß mich doch behaupten gegen ihn.“
Elf Herren bildeten den Geheimen Rat des Kaisers; zu besonderen Aufgaben wurden noch zugezogen Zdenko Fürst Lobkowitz, Otto von Nostitz. Auf allen lastete nach den beispiellosen Siegen des Sommers der Druck, sich mit dem Böhmen abzufinden. Slawata, der schöne, Wallensteins Vetter, in den Geheimen Rat aufgenommen, äußerte in Abwesenheit des Kaisers: „Der Herzog hat sein Korn schon in den Scheuern. Bemühen sich die Herren nicht. Die edlen Herren sind nicht meiner Auffassung. Die Aufstellung, die der Herzog von Friedland eingeschickt hat, ist schamlos. Es ist richtig, wie er schreibt, daß er den Obersten den genannten Betrag vorgestreckt hat; doch hat er vergessen, von den Obersten, den Offizieren, von sich selbst eine Aufstellung zu verlangen über die Kontributionsbeträge, die von den Städten, Kreisen, Ständen, Privatpersonen erpreßt sind. Diese Gegenrechnung wird uns selber von dem Lande und den Fürsten gemacht werden.“
Kollalto, der Präsident des Hofkriegsrats, der Weintrinker, gab von sich, daß man sich mit solchen Vermutungen auf unsicheres Gebiet begebe. Das Kriegshandwerk bringe Schwierigkeiten und Härten mit sich; insinuiere man dem Herzog keine Gewalttätigkeiten und die Betreibung so ungeheurer Summen.
Trautmannsdorf hielt es für gleichgültig, ob der Herzog zu viel verlange, zu wenig verlange; die Hauptsache bliebe, daß der Kaiser nicht „nein“ sagen könne.
Eggenberg gab ein schlechtweg friedländisches Votum ab; Wallensteins Unkosten und Auslagen seien vom Kaiser zu begleichen, darüber hinaus sei der Herzog zu belohnen. Er habe ihrer Majestät Königreiche, Lande, Erzhaus und Nachfolge, die jedermann für verloren gehalten habe, von des Feindes Gewalt befreit, ganz Deutschland zum Gehorsam gebracht, ihre Majestät zum Herrn vom Adriatischen bis zum deutschen Meer gemacht.
Sie zerrten aneinander, dachten auf ihre Weise sich Wallensteins zu entledigen. Er knirschte und krachte ihnen, wie sie noch saßen, sein Begehren über Nacken und Schultern. Er vermöge, ließ er sich schallend aus Prag vernehmen, keinen Unterschied zu sehen zwischen seinen Leistungen und denen des Kurfürsten Maximilian nach der Prager Schlacht; danach ergebe sich das Weitere für die Schulden des Hofes. Was den Landbesitz anlange, auf den er bei der zeitigen Geldknappheit des Kaisers Anspruch erhebe, so hätten die beiden Mecklenburger Herzöge durch ihren Anschluß an den Niedersächsischen Bund ihr Land verwirkt wie der Pfälzer. Nur Trautmannsdorf ging spöttelnd in dem lautlosen Kreise: „Jetzt wollt Ihr ihm alle an den Leib. Warum die Dinge so überstürzen! Jetzt möchtet Ihr ihn aus purer Voreiligkeit lieber heute als morgen absetzen, ja köpfen. Ihr Herren! Habt Geduld! Laßt uns noch eine Zeitlang siegen. Warum so kurzatmig? Mir, dem sehr beliebigen Trautmannsdorf, sogar Euch, dem verdienten Fürsten Eggenberg, kann zwischen heute und morgen Schlimmes vom Herzog begegnen. Und zwar Endgültiges. Derart, daß wir mit Homer lieber lebendige Mäuse wären als begrabene, beiseite geschaffte, allerhöchste Würdenträger und Bemäkler Wallensteins, des Feldherrnwunders und so fort. Vorläufig hat er es aber gar nicht mit uns zu tun. Ich betone: vorläufig; ich lege Gewicht auf den Zeitpunkt. Und Habsburg, oh, das nimmt es mit sehr vielen Attentätern Bösewichten Hochverrätern auf. Das lebt sehr ungerührt und kaltherzig über solche momentanen geistreichen Einfälle hinweg. Das meint Ihr doch auch. Einem Herrscherhaus wie den Habsburgern kann im Grunde gar nichts passieren. Und damit, Euer Liebden, möchte ich rechnen. Es ist nicht so kurios, wie es scheint. Ich lasse dem Herzog seine Indolenzen und Maßlosigkeiten durch. Als Vorspann macht er sich gut. Ein wildes Pferd schlägt auch mal gegen den Wagen. Warum nicht? Es zeigt damit, daß es töricht ist und eventuell nicht in den Stall geführt wird, vielleicht sein hoffnungsvolles Leben in einer Roßschlächterei endet.“
In Prag hatten unter den Feiern andere Boten vergeblich Zutritt zu den krönungstrunkenen Majestäten gesucht, stille, sehr wenig eilige Männer, Greise, bettlerhaft gekleidete Menschen in großer Zahl, müde und verloren herumwandernd, sich umblickend. Sie drängten traurig zum Römischen Kaiser, Bürgermeister des niedersächsischen Kreises, Ausschüsse von Stadt- und Dorfgemeinden, die nicht wußten, ob ihre Heimat noch aus mehr bestand als Schutthaufen, leeren Häusern und Ställen; ihre friedliche Menschenherde zerstäubt, Kinder, Bauern, Frauen, Tiere. Sie hatten sich eine grausige Audienz ausgedacht, da sie nicht redekundig waren, auch nicht viel von Worten erhofften. Sie schleppten zwischen lose gebundenen Brettern Leichen ihrer Stadthäupter und Vorsteher mit weiter nach Wien; auf die Deckel hatten sie genagelt beschriebene Rollen, Urkunden, enthaltend die kaiserliche Zusicherung von Privilegien und Freiheiten; mit Siegeln hingen beschwert aus den triefenden schimmligen Spalten der Gehäuse Schutzbriefe des kaiserlichen Generals oder seiner Obersten; kleine aufgeklebte Zettelchen nannten den Preis der Salvaguarden. Etwa sechs dieser Leute starben zwischen ihrer Heimat und Prag, mißhandelt wie sie waren, auf die beschwerliche Fahrt mitgeschleppt, um ihre Wunden, Brüche, Geschwüre, Hinfälligkeiten sprechen zu lassen; sie vermehrten die Zahl der Särge. Man wich der stinkenden Gesellschaft aus, Torwächter Stadtgarden ließen sie unbehelligt, weil sie Beerdigungen annahmen; sie mußten wochenlang hingehalten mit Bettelei sich durchschlagen, hingen zäh und still an der Burg des deutschen Kaisers. Bis der Kaiser von ihnen gehört hatte und begehrte sie zu sehen und zu sprechen. Er ließ ihnen, bevor er sie annahm, am Burgeingang ihre Särge abnehmen, die Särge in Wagen stürzen, durch die Totenbrüderschaft begraben. Sie selbst in einen Vorsaal gelassen, hörten schon vor dem Empfang sein Schmähen, Aufstampfen gegen eine Person, die sie nicht kannten. Es war der hohe weißbärtige Obersthofmeister Wolf Mansfeld, der die ungewöhnliche Audienz zu verhindern suchte. Wie er bleich, heftig atmend, mit erregten Blicken die Tür öffnete und die Schar an sich vorbeiließ, wo sie in einem Haufen an der Tür sich sammelte, zuckte sein feinhäutiges Gesicht vor Widerwillen und Ekel. Der Kaiser, ohne sich ihnen zu nähern, Schweißperlen auf der Stirn, schrie sie wild an, sie möchten herein, sie sollten die Tür schließen. Er hieb auf- und abgehend in eine Masse von Rollen, die auf seinem Schreibpult hinter einer Eichenbarriere lagen. Maßlosigkeit, Gedankenlosigkeit warf er ihnen vor. Glaubten sie, er wüßte nicht? Was heiße das: Leichen mit sich herumschleppen? Ja, was das heiße? Als sie ohne Antwort sich umeinanderschoben und sich fast hintereinander versteckten, prasselte sein Schelten hitziger gegen sie her. Vergessen der Untertanenpflicht sei es, Rebellion, malefizischer Aufruhr. Dazu Beleidigung, ja vornehmlich dies, Beleidigung seiner Person und Stellung. Und dann zu wagen, vor ihn zu kommen, in sein Haus, ihm den Spott in seinen eigenen Mauern antun. Da machte sich einer Mut und auf Tod und Leben lossprechend sagte er etwas von ihren unertragbar gewordenen Leiden, bat um die kaiserliche Gnade Hilfe und Fürsorge. Wie ein eingesperrtes, grenzenlos gereiztes Tier klammerte sich der fette kleine Herr unter dem weißen Federhut an den Schrecken an, rüttelte sie, brüllend, prustend, speiend, blauroten Gesichts; er brauche sie nicht, Anmaßung, Anmaßung, er wisse, was seine Pflicht sei, er brauche keine Belehrung. Gerecht sei es, was sie sich anmaßten über ihn, diese Schmach, sie, die Untertanen, vor seinem Gesicht gegen ihn den Kaiser; was schleppten sie sich durch die Länder, versäumten ihre Zeit, nicht auszudenken.
Die Tür brach fast hinter ihnen auf, sie schwollen hinaus. Am äußeren Burgtor wurden sie festgehalten, von dem Oberst der Leibgarde in sechs Verliese der Burgmauer geworfen. Der Kaiser hatte den bösen Verdacht geäußert, die Leute seien bestochen, gehetzt von fremder Seite in seine Länder in diesem Aufzug geschickt. Nach zwei Wochen vergeblicher Nachforschung wurden die fünf jüngsten von ihnen gepeitscht, sie selbst zwangsweise bei einem Provianttransport unter militärischer Bedeckung in ihren Kreis abgeschoben. Der Kaiser gab die Vermutung der fremden Aufhetzung nicht auf; triumphierend sagte er zur Mantuanerin, wie entlarvt seien die Männer gewichen, als er ihnen vorhielt, sie seien von Fremden hergeschickt; sie seien ins Eisen gesteckt und gepeitscht worden; man würde sich in Zukunft scheuen und schämen, klägliches schwaches Gesindel so für sich arbeiten und das Fell zu Markte tragen zu lassen.
Der Kaiser, drängend auf Vorschläge über die Belohnung des Herzogs von Friedland, sog verzückt die Gehässigkeiten des Grafen Wilhelms Slawata in seiner Kammer ein: daß dem Herzog nicht zu trauen sei bei seinen weitausschauenden Plänen, daß die Herzöge von Mecklenburg seit achthundert Jahren das Land besäßen, ihre Entthronung Dänemark, Schweden, ja das ganze Kurfürstenkolleg auf den Plan rufen würde. Daß er mit armer deutscher Leute Schweiß und Blut die Kriegsvölker der ganzen Welt sättige und bald so viel Länder werde an sich gerissen haben, daß keine Möglichkeit mehr sei, ihn abzufinden. Ja, man werde ihn so erhöhen, daß man alle Freiheit gegen ihn verliere und auch die Macht verliere, ihn zu erniedrigen.
Dies, fühlte Ferdinand, war gut. Wallenstein führte es aus. Und so stellte er sich ihm selbst gegenüber, das ganze Kurfürstenkolleg tragend, auf den Schultern noch Dänen und Schweden, und wich nicht.
Der riesige Luxemburger, Lamormain, sein Beichtvater, trat an den heftig atmenden Kaiser, bat ihn im Namen der heiligen Kirche, das fromme Werk nicht zu versäumen, den ungläubigen Fürsten das Land Mecklenburg zu entreißen; er werde gottgefällig wirken wie einstmals, als er den Pfälzer aus seinen Ländern wies. Ferdinand an seinem Gürtel nestelnd, hörte ihn verwirrt an, sah ihn verwirrt sprechen, seine Hand nehmen. Er glühte auf, beugte sich tief vor der ernsten schwarzen Gestalt, beschämt und wagte nicht, seine Stimme anklingen zu lassen, um sich nicht, er wußte nicht worin, zu verraten.
Eine Urkunde bestimmte: die Herzöge von Mecklenburg haben es mitverschuldet, daß Krieg in den niedersächsischen Kreis getragen wurde. Der Kaiser hat das von ihm und dem Heiligen Römischen Reich zu Lehen rührende Herzogtum mit Heeresmacht überziehen und sich des Landes mit fast unerschwinglichen Kriegskosten bemächtigen müssen. Deshalb wird das Land der Genannten, das Herzogtum Mecklenburg, Fürstentum Wenden, Grafschaft Schwerin, die Herrschaft der Lande Rostock und Stargard dem Herzog von Friedland überlassen. Und zwar zu einem rechten wahren und beständigen Kauf für die geleisteten, ansehnlichen und treuen Dienste in Dämpfung und Bezwingung der Rebellen, für die Erhaltung des schuldigen Gehorsams im niedersächsischen Kreise und die Zerschmetterung zweier Armaden, für die Eroberung und Besetzung großer Fürstentümer neben einem Teil des Königreichs Dänemark, er, der General, Feldhauptmann, ritterlich daran setzend Gut und Blut.
Die Bestimmung des Kaufschillings wurde für später festgesetzt; vom Schätzungswert wurden in Abzug gebracht die Schulden des Landes, die Forderungen des Herzogs, eine Gnadengabe des Kaisers in Höhe von siebenhunderttausend Gulden rheinisch. Verpfändet wurden dem General das Bistum Schwerin und die im Mecklenburgischen liegenden geistlichen Stifte gegen vorgeschossene siebenhundertfünfzigtausend Gulden.
In Prag traf der Kaiser ein zum Empfang des Marschalls Schlick, der aus der Affäre von Aalborg und Hobro achtundzwanzig dänische Kornette und zwei Fähnlein samt dem Generalmajor Konrad Nell und dem Obersten Heinrich von Kalenberg hereinführte. An diesem Tage begrüßte Ferdinand den Herzog von Friedland auf der Burg als einen reichsunmittelbaren Fürsten; er forderte ihn in seiner Kammer bei geheimer Audienz auf, sein Haupt zu bedecken, was Wallenstein nach kurzem Zögern tat. Als am nächsten Morgen die Majestäten sich vor Tisch wuschen, reichte ihnen der Herzog das Handtuch. Der Kaiser hieß ihn an offener Tafel sich bedecken. Das Fürstentum Sagan erhob an diesem Tag Ferdinand zu einem Herzogtum, gab es dem General als ewiges Erblehen.
Zu jener Zeit tauchte der Plan Wallensteins auf, konfisziertes Land mit tapferen Offizieren zu besetzen. Zu Wallenstein wurden der Abt Anton und Kollalto in Prag geschickt mit der Frage, wie er sich die Belohnung und Abfindung solcher Offiziere denke. Der Herzog meinte, daß dazu kein neues Prinzip nötig sei und daß der Umstand der zeitigen Geldknappheit des Kaisers von Wichtigkeit wie von Vorteil sei. „Konfisziertes, also rebellenuntertäniges Land wird am sichersten in Gehorsam gegen die Römische Majestät durch Männer erhalten, die ihr Leben für die Majestät eingesetzt haben. Zugleich wächst dadurch die Macht des Kaisers im Reich. Besetzungen und Inthronisierungen sind furchtbare Drohungen für abfallslustige Fürsten. Man erwäge keine andere Methode.“ Sachlich und ohne Scheu erklärte sich Friedland für Schaffung einer Militäraristokratie. Im Innersten erschüttert war Ferdinand, als ihm der friedländische Vorschlag hinterbracht wurde. Er hatte selbst mit dem Gedanken gespielt im Verfolg des friedländischen Ideenkreises; jetzt sah er den Gedanken draußen nach Realisierung drängen in der schauerlichen Konsequenz des Handelns seines Generals. Er nickte kaum „ja“, floh, bestürzt, von oben nach unten durchwogt nach Wien, wo er sich in die Gebete und Jagden warf.
Er war von jugendlicher Frische und fast überlebendiger Raschheit, aber zugleich von einer schäumenden Gereiztheit und Aufgerissenheit; ruhelos zwischen Empfindungen. Es war ihm eine Freude, als er bei den Jagden in Sumpfgebieten vom Sumpffieber ergriffen wurde und schwer krank wochenlang lag; der Beichtvater suchte nach der Sünde, deren Strafe der Kaiser erfuhr, der Kaiser träumte, schlief matt; er sagte zu der Mantuanerin, er raste, er sei ihr herzlich ergeben. Er klammerte sich im Fieber, wie ein Jüngling blühend, an ihren strengen demütigen Leib an. Sie fühlte sich über ein Weltenmeer, einen sinkenden Sumpf zu ihm geführt; mit Leiden und Gebeten für ihn fing es an, mit Gram um ihre Kühle; manchmal tobte in ihr das Gefühl, von einer Wut verschlungen zu werden, aber diese Wut war keine fremde, war die des Kaisers, und es verlangte sie leise, zähnebeißend an den Orkan heranzugehen. Sich ruhegebietend hineinzuwerfen als Beute; sie war sein Weib, seine demütige Helferin.
F auchend setzte sich in Dresden Johann Georg, der behäbige Kurfürst, auf die Nachricht von Maßnahmen des kaiserlichen Generals vor einen Bogen, malte einen Brief an den Mainzer als den Erzkanzler mit dem Verlangen, ungesäumt einen Kurfürstentag anzuberaumen, zur Beschlußfassung über seine Beschwerden. In Mülhausen tagten die Vertrauensmänner der Kurfürsten; Johann Georg war selbst gekommen; Bayern, nicht entschlußfähig, hatte einen Vertreter ohne Instruktion geschickt. Aus Kanzleien Kammern Spielstuben Ballhäusern ihrer Fürsten gestiegen, saß die feine weiche Gesellschaft beieinander auf Polsterbänken, zwischen Blumen, Springbrunnen, unter den prunkvoll geschuhten Füßen die blanke schaukelnde Diele, im Rücken, um sich weiße Bildsäulen des Theseus, des zitherspielenden Apollo, pfeilschießende kleine Götter, enthüllte nach sinkenden Tüchern greifende Frauen, saßen einander zugewandt in geheizter Luft unter gepuderten hohen Haaraufsätzen, dünne Degen zwischen den Knien, wie farbenglitzernde Fasane in einem Lustgarten, hörten sich an. Sie sprachen, während sie aus Silberbechern tranken und neben sich auf Tischchen stellten, voll Abscheu über den Herzog von Friedland und seine Praktiken. Sie lachten viel, durchgingen häusliche und nachbarliche Veränderungen, flammten bei Jagdkuriosa auf. Mehr ächzend zwischendurch, gestört, gepeinigt, tropften sie Worte vor sich über die Ereignisse im Reich. Johann Georg, wegen seiner geschwollenen Beine in einem Polsterstuhl halb liegend, nacktschädlig, brustfließenden Bartes, eine stämmige dickbäuchige Masse, lappige Backen, blickte aus verquollenen munteren braunen Augen um sich; es sei schon fast zu viel getan, sich mit dem sogenannten Herzog von Friedland zu beschäftigen. Denn das sei zuerst zu bedenken: wer ist dieser Mann eigentlich? Haben Edle, gefürstete und gekrönte Häupter wie sie, es wirklich nötig, sich mit einem Böhmen aus dem Hause Wallenstein zu befassen, Häuser, die es zu vielen Dutzenden in Böhmen, zu Hunderten im Reich gäbe, noch bessere als Wallensteins? Wenn er jetzt Herzog von Friedland sei oder von Sagan. Der Kurfürst lachte kräftig kopfschüttelnd, die andern wie er; da könnte er sogleich ein halb Dutzend seines Hofgesindes adeln freiherrn und grafen lassen und seien doch eben Küchenjungen Boten Pürschmeister gewesen und nun nicht einen Heller und böhmischen Groschen besser. Nein, nicht einen Groschen besser seien sie dadurch. Und damit legte er sich die Hände über dem Bauch, zurück, fast gesättigt; noch gelegentlich knurrend: „Kurios. Spaßhaft.“ In schwarzem Atlaskleid, silbern ornamentiert, mit bauschig hervortretenden Hemdspitzen beider Ärmel, ernst und hoch unter einem bunten Reiterbild der durchlauchtige hochgeborene Fürst und Graf zu Hohenzollern, Herr Johannes, hielt die Arme verschränkt über seiner langen Perlenkette; wie bitter es zu denken sei, monierte er leise gegen den Dresdner Koloß, daß sie ernsthaft in großer Versammlung über Personen derartiger Natur zu verhandeln hätten; es gäbe niemanden in dieser Gesellschaft, der der fraglichen Person nicht überlegen sei sowohl in Art wie Geist Charakter Frömmigkeit; vom Stand zu schweigen. Und doch hätten es die Dinge, der Verlauf im Reich gefügt, daß sie über die Person handelten, nicht allein ernsthaft, sondern sogar mit größtem Gewicht. Ein Kölner, schwer wie ein Stier, in blauem Tuch dasitzend, legte nahe, dem Römischen Kaiser, zu bedeuten, wie man über diese lärmmachende fatale Person denke. Die Fürsten und Regenten seien angestammt ihren Ländern und Untertanen, sie hätten wohl recht, gehört zu werden, wenn in dieser Weise deutsche Art beseitigt und über den Haufen geworfen werden solle. Da käme ein Taugenichts, ein Brausewicht daher, wild wie ein Sturmwind, reiße an Bäumen und Gewächsen — nun er werde sich verrauschen und verbrausen, aber genug Schaden richte er an und sollte nicht geduldet werden um seines Tosens willen.
Sie tranken, freuten sich ihrer Einigkeit, erzählten von niederländischen Bildern, kamen auf das Reich zurück. Das Neuste, das Neuste im Heiligen Reich, Herr Wallenstein und Böhmen. Wer wird ihm noch Länder verkaufen zu billigem Preis, damit er dem Kaiser bessere Vorschüsse leisten kann? Die Jüdlein haben ihn im Sack. Wie lange, klopft Herr Bassewi, das Hofjüdlein aus Prag, in der Burg an: „Kaiserliche Majestät, alles vertan; wollen die Majestät noch leben, müssen sie ein Jüdlein werden, einen gelben Fleck auf den Purpurmantel nehmen. O heiliges jüdisches Reich deutscher Nation.“
„Seid nicht so kräftig“, warnte der zufriedene Kurfürst; sie aßen Lebkuchen von Tellern, die sächsische Pagen herumtrugen. „Es ist schon gut, wenn wir uns hier zusammenfinden. Nicht verzagen, nicht übermütig sein. Mag der Römische Kaiser wissen, daß wir hier zusammensitzen und unliebsam die Dinge im Reich empfinden. Er wird uns gnädig anhören.“
Der feine Kurz von Senftenau, vom Bayern geschickt, neben dem Hohenzollern sitzend, rosig wie ein Kind, klein, die Stirnhaut ständig gerunzelt, pfiff: „Der Böhme wird sich lustig machen über uns. Wir wissen ja, daß er die Liga verachtet und unsern Grafen Tilly erbärmlich und veraltet findet. Er ist sehr sicher, der Böhme, er verachtet das Alter. Er wird seine Macht erfahren. Wir haben still mit unseren Völkern am Boden liegend die Jahrhunderte für uns. Der Böhme soll versuchen, diesen Urwald zu roden. Ein einziger Baum kann ihn umwerfen. Er ist ein Knecht Habsburgs, einer von den zahllosen; eines Tages wird Habsburg ihn abschütteln.“
Grollend zustimmend richtete sich der schmeerbäuchige Kurfürst im Stuhl auf: „Auf einem unterwühlten Boden lebt der Kaiser. Seine Räte sind gekauft, es bleibt ihm nichts übrig, als sich ihnen zu fügen.“
Auf dem riesigen Treppenflur und im Prunkvestibül wurden die Schritte vieler Menschen laut. Während einzelne feierlich gekleidete Männer, von pikenbewehrten Trabanten und Saalwächtern hereingeführt wurden, sprach man drin von dem Auftreten der niedersächsischen Landvertreter in Wien. Behaglich erzählte man sich Einzelheiten, stritt über die Zahl der Leichen, die sie mitgeführt hatten, wie viele Leichen hinzugekommen wären, wie sie verpackt waren, über den Heroismus der Leute. Es erschienen die ehrsamen Vertreter der Reichsstädte mehrerer Kreise in der Mitte des Halbrunds, in dem die Herren saßen; mit freundlicher Grußerwiderung, mit gnädigem Schnurren und Behagen ließen sie an sich die Klage vorüberziehen. Die Reichsstädte erhoben entrüsteten Protest gegen die endlosen Einlagerungen Durchzüge und Kriegspressionen, denen sie ausgesetzt seien, trotz teuer erkaufter Assekuranzen und Salvaguardien. Der fränkische Kreis drohte, er sei nicht mehr geneigt, beim Herzog von Friedland zu petitionieren. Das Stift Magdeburg enthielt sich bitter jeder Klage; legte seine Kontributionsrechnungen für die letzte Zeit vor, an siebenhunderttausend Taler. Die Stadt Halle kam, Schwarzburg-Rudolstadt, Sondershausen mit hunderttausenden Gulden an erzwungenen Kriegsabgaben. Dem schwäbischen Kreis waren unerschwingliche Summen abgenötigt worden. Eine lange Klageschrift lasen die märkischen Herren vor, klagten über die Regimenter des Fahrensbach und Montekukulli, deren Übermut darin bestünde, daß sie ganze Kontributionen für halbe Regimenter erhöben.
Man genoß die Klagen, schwelgte in den Schandtaten. Auf den Vorschlag Johann Georgs, dem Hauptübeltäter doch einmal auf die Schultern zu klopfen, ganz leise leise, kam man überein, dem kaiserlichen General einen Brief zu schreiben über die Vorgänge, zu deren Kenntnis man gelangt sei. Man schmunzelte, das werde wirken. Es wurden drei lange Zusammenkünfte damit verbracht, die Anrede an den Herzog zusammenzubringen. Es sollte dem Herzog einen Vorgeschmack geben. Würde man ihn als Reichsfürst anerkennen, müßte man ihm die Titulatur „Herr und Freund“ geben; man wollte ihn nicht anerkennen, andererseits auch nicht abschrecken. Man einigte sich unter gespannter Mitwirkung des schließlich tief saturierten Kollegs auf die Anrede: „Besonders lieber Freund, auch gnädiger Fürst und Herr.“ Und dann schrieben sie, was sie wußten. Und gingen kichernd auseinander.
D as Heer, lagernd im Reich und den Erblanden, wuchs den Winter durch. Der Herzog Franz von Lothringen erhielt eine Kapitulation auf ein Regiment zu Fuß, sechstausend Mann stark. Franzesko Magni, der Bruder des langen Kapuziners Valeriano Magni, nahm eine Oberstenbestellung über fünfhundert Arkebusierpferde. Oberhauptmann Friedrich von Damnitz warb tausend Knechte, Hebron sechshundert Kürassiere, tausend Arkebusiere, dreitausend Musketiere. Johann Wengler brachte ein Regiment Hochdeutscher auf den Fuß. Johann Virmont wurde angewiesen, fünfhundert Arkebusiere aufzustellen. Zwölf Infanterieregimenter führte Torquato Konti heran. Augustin von Morando verpflichtete sich auf sechs Fußkompagnien, Johann Ludwig Isolani auf neunhundert Berittene. Neue Regimenter stellten auf Graf Wratislaw, der dem Uckermärker Arnim hatte Platz machen müssen, Kolloredo, Karboni, Aldringen.
Die Bewehrungen der Regimenter Wratislaws Kolloredos Aldringens streckte der Herzog mit sechsunddreißigtausend Gulden vor. Für die übrigen Truppen, Werbe- und Anrittgeld, Anfangssold, stiegen die Vorschüsse des Herzogs über den Betrag von einer halben Million, zu der sich der Kaiser erkannte. Wallenstein verstärkte seine eigene noch in Pommern liegende Leibgarde auf zwei Kompagnien Arkebusiere, zwei Kompagnien Dragoner, nur Welsche Wallonen und Italiener, dazu katholische Iren; die ihnen zustehende Kontribution zahlte er aus eigener Tasche.
Die Armee, zum Wintersende seiner Ankunft und seines Befehls wartend, strotzend stolz ungeduldig, wurde von ihm gereinigt, sie sollte biegsam wie eine Rute in seiner Hand sein. Im Magdeburgischen sahen die eingelagerten Ligisten mit Schrecken von weitem angezogene Friedländische Regimenter halbe unter Prozeß stehende Kompagnien umzingeln, fesseln, entwaffnen, aus größter Nähe mit Rottenfeuer über den Haufen schießen. Die Proviantstäbe einzelner Regimenter wurden samt und sonders rasch beseitigt. Eine Anzahl Obersten wurden nach Prag gerufen, andere ritten selbst herbei, um Befehle für den Feldzug entgegenzunehmen. Sie saßen als Gäste im Palast des Herzogs, um Tags darauf dem Generalprofoß zugeführt zu werden. Dem wurde vom Herzog bedeutet, der Herren, die in den letzten Jahren gut waren, Schrecken in Deutschland zu verbreiten, bedürfe er nicht mehr. Der krummbeinige gelbgesichtige Herr von Gürzenich, Schellard Dorenwert, der Einäugige war gefangen, er der die Kurtrierer Nonnenklöster verwüstet hatte; später hatte ihn rachsüchtig der Kölner Erzbischof gefaßt, eingekerkert, erst auf Wallensteins Andringen freigelassen; vom Rhein zur Elbe losbrechend, übte der wilde Schellard Schandtaten über Schandtaten, Plünderungen, Erpressungen; mit triefenden Schnauzen stießen seine Arkebusierreiter und vier Kornette Kürassiere zu der Wallensteinschen Hauptmacht, sie schluckten die Wonnen des Feldzugs herunter. Das Gericht verurteilte den fade blickenden gefesselten Mann zum Tode durch das Rad. Er spuckte dem Generalprofoß, keifend und ihn wie einen Wahnsinnigen verlachend, gegen den Stiefelschaft; es half ihm nicht, daß er sich als friedländischen Lehensmann gab, er wurde eines warmen Märzmorgens auf dem Felde vor der Prager Altstadt ohne Aufsehen mit dem Schwert exekutiert.
Der ältere Kratz, Graf Hans Philipp von Scharffenstein, wurde in Prag auf dem Kirchgang überrumpelt und aufgehoben. Ihm hatte der Friedländer stolz und mit vielsagenden Blicken versprochen, er hätte ein Herz für seine Soldaten, Kratz solle herrliche Quartiere mit seinen Regimentern beziehen. Darauf ging Kratz, verständnisvoll lächelnd, mit sich zu Rate, führte seine Reiter nach Franken und Schwaben, den Markgraf von Baden herausfordernd. Das Urteil des wilden, der vom Leben zum Tode befördert werden sollte, war schon gesprochen, als ihm, der riesenstark war, gelang, sein Zellgitter zu zerbrechen, bei Nacht in den Graben zu springen. Dem Wachposten, der ihn jenseits erwartete, drückte er, ihn hin und her werfend, mit den Ellbogen den Brustkasten ein, entkam in den Kleidern des Ausgeraubten, in den Graben Geschleuderten. In Baden zeigte er sich an der Spitze der von ihm geworbenen Regimenter, schickte einen Höhnbrief an seinen General; nach drei frech im Lande durchbrausten Wochen führte er seine Regimenter über den Rhein zum Herzog von Lothringen.
Oberstleutnant Gottfried Eichzel, des Regimentes Fahrensbach, ein dickleibiger flinker blutrünstiger Mann, stationierte im Gefolge der Armee Arnims in der Grafschaft Ruppin. Er, der den Krieg nicht als Martyrium für sich und seine Offiziere erachtete, bemächtigte sich in Ruppin der Häuser von Adligen, schließlich des kurfürstlichen Schlosses selbst, von da mächtig und in Ruhe das Land überfallend, ausplündernd. Vom Herzog von Friedland verlautete, er hätte wegwerfend vom Brandenburger Kurfürsten gesprochen, der mit dem Schweden und Bethlen versippt war, und man hätte keinen Grund, sein Land sonderlich zu schonen und in Acht zu nehmen. Der runde wippende Eichzel verließ Prag nach dem Besuch für lange Zeit nicht; nach Formierung seines Prozesses wurde er in Eisen geschlagen, in einem Kellerloch verwahrt.
Den Obersten Marquis Brissy und Haußmann wurden die Regimenter abgesprochen. Des Daniel Hebron, eines strengen ihm mißliebigen Mannes, konnte er sich nicht bemächtigen. Aus dem Heer gestoßen wurden nach kurzem Prozeß die Kroatenobersten Orahoczi, Hrastowacki. Hinweise auf frühere Verdienste drangen beim Herzog nicht durch. Die Namen einiger Entflohenen wurden vom Henker an den Galgen geschlagen.
W ie ein Eber den weichen Waldesboden aufreißt, daß die Erde und Moos beiseite spritzen, so stießen Wallensteins Armeen im Reiche vor, warfen die Menschen auseinander, zerschmetterten und durchwirbelten sie, zerstreuten sie in die Winde. In dem Schritte des Heeres war kein Gleichmaß, aber gebändigt war die steife tragende Kraft, die die Dächer abhob, mit Sicherheit Korn Heu Stroh in tausenden Maltern aus den Dörfern trug, unduldsam, bei Gefahr völlig vernichtete.
Wie der süßeste Wein schlich dem Kaiser der Brief der Fürsten ins Herz, der ihm die drohsam vergewaltigende Übermacht des Generals schilderte. Sein Gesicht blühte auf, seine Augen weiteten sich feuchtverklärt. Und dann erlosch er, sank mit schlaffen Knien, schlotterndem Kopf auf den Sessel, ließ den Speichel vor sich auf den roten Teppich träufeln, blickte stier. Nach langen Minuten fand er sich zusammen. Ging freudig weich durch die Kammern, sein Herz voll Seligkeit. Der zarte Doktor Frey fragte ihn, was er zu antworten gedenke. Ferdinand sah in die wasserblaue Frühlingsluft: „Ich danke ihnen.“ Der wiederholte seine Frage. Ferdinand: „Ich danke ihnen, ich ließe ihnen vielen Dank sagen.“ Befremdet der Sekretär: „Den durchlauchtigen Kurfürsten und Fürsten.“ Ferdinand, die Arme verschränkt, in einer sonnigen Gewißheit: „Schreib’ ihnen recht schön. Frage Eggenberg, was du schreiben sollst. Ich ließe ihnen doch danken, vielen Dank sagen.“
Der Böhme schrieb an den Rand des Briefes: „Es deucht mich ein Gutes, daß die Mißgünstigen sich regen. Sie werden bald offen abtrünnig werden. Es gibt keine andere Möglichkeit sich auszubreiten als durch Reizung der Übelwoller.“ Er selbst empfahl als Antwort für den Brief: wie man, Fürsten und Stände, dem Kaiser seine Kriegskosten zu ersetzen gedenke, wenn man Schatzungen und Kontributionen nicht wolle; und wenn er Frieden schließen solle sofort und bei beliebiger Kriegslage, wie man sich die Abdankung des Heeres denke, von der Rachsucht des Dänen zu schweigen.
Der Kaiser las den Brief der Fürsten noch einmal. Er ging am Arm Freys in den sprießenden Garten herunter, straff, den Degen wie einen Stock aufstoßend. Durchdringend und mitleidig blickte er Frey an, als der wieder Bedenken vortrug. Er ließ seinen Arm.
Unter dem Schall der Abendglocken diktierte er an den Fürsten Eggenberg und den Präsidenten des Hofkriegsrats. Es müsse zur Durchführung der kriegerischen Notwendigkeiten, zur Sicherung der kaiserlichen Vormacht dem von Wallenstein freie Hand gelassen werden. Er wiederholte: „Freie Hand“. Und daß Friedland zum Generalobersten Feldhauptmann über die gesamte Kriegsmacht ernannt werde, mit Vollmacht, Regimenter nach Gutdünken zu reduzieren und aufzustellen, Obersten selbständig zu ernennen; keine Verhandlungen mit dem Feinde gegen seinen Willen.
V om Wiener Hof fuhren auf Wagen und wanderten mit nackten Füßen in die verwüstete Heimat die bettlerhaften Abgesandten, die ihr Unglück hatten bejammern wollen und vom Kaiser ausgepeitscht waren. Sie wanderten durch unruhige, seltsam aufgeregte Städte. Von den Häusern Gassen Scheunen, aus den Gewölben, Fenstern blinkte der Wohlstand. Die Felder wurden zum Frühjahr bestellt. Prozessionen begegneten ihnen, Söldnertrupps zogen vorbei mit Wagen und Geschütz, fochten die Bettler nicht an, die gedrängt still gingen. Die Bettler hatten leere ausgeweitete Blicke, mit denen sie die trottenden Menschen überzogen. Stumpf beobachteten sie die staunenden, ausweichenden Bürger und Weiber, denen sie ängstliche Kriegserlebnisse waren; wild zuckte und stach plötzlich den Städtern das Herz. Sie schleppten sich träge aus den Mauern, keine Liebe, kein Traum blieb hinter ihnen zurück. Die Häuser schützten nicht, die Mauern schützten nicht, Kanonenkugeln konnten die Tore umlegen, Soldaten über die Mauern springen, Pferde durch die Wassergräben schwimmen, geworfene Brandpfeile, Granaten konnten Flammen über die Köpfe tragen. Die Torwächter konnten blasen, Kroaten bliesen auch. Die Kinder konnten spielen, Pferdehufe und Kavallerieregimenter unterschieden nicht zwischen Steinen und Knochen. Blumen vor den Fenstern, Altarstationen an den Gassenkreuzungen; für den Augenblick gemacht; Täuschung, daran sein Herz zu hängen. Kirchen voll herrlicher Bildsäulen, prangender Glasfenster, bunter schmerzlicher Gemälde: was war dies alles! Kein Amulett gegen den Oberst Fahrensbach, Quartiermeister mit peitschenschwingendem Gefolge, gegen Isolani, den stinkenden mit dem Affenkopf und seinen schnatternden Ungarn. Seidenkleider über weibliche Glieder, fließendes glattes gebundenes Haar: kein Sinn, Fastnacht und Spiel, man mag nicht einmal darüber lachen. Einer wird sein Pferd an einen Torweg binden, wird euch knebeln und tun, was ihm lieb ist. Da ist nichts drüber zu sagen. Es ist die Welt und das Leben.
Nach Norden. Nach Brandenburg, Mecklenburg, Bremen, Schleswig. Nicht in diesem Lande bleiben. Sie wissen nicht, daß Krieg ist. Es ist nicht die richtige Welt, es ist die falsche, die sich eigensüchtig pflegt hinter den Mauern, sich auf Polsterbänken wiegt, wärmt, die Kammern voller Vorräte hat. Sie genießen sich, spielen miteinander, essen voneinander, bereiten sich einer für den andern. Das Getuschel, Gelutsche, die sanften Backen, frommen Äuglein, sauberen Hände, gestriegelten Haare, bunt geschuhten Füße, der dufthauchende Kleiderwust um die Leiber: sie servieren sich wohl, schmecken und schmatzen. Wenn dampfende Panzerreiter dazwischen traben, Schwadron hinter Schwadron, verweht der Duft, ist alles verblasen, die Welt ist weiter als die Mauern; es geht nur die Rede von Heu, Stroh und Hafer für die Gäuler, die Soldatenweiber und Wäscherinnen tragen Körbe, ziehen Karren hinter sich, darauf haben sie die Zelte Stiefel Kleider Wämse. Es wird geschrien, zerbrochen, vergossen, verwundet, erschlagen, betrogen. Die bemalten Häuser verbrennen eines Nachts eine Gasse lang, denkt keiner zu löschen, dreht sich keiner um danach. Und so ist alles verbrannt, die Kinder mit, die Frauen erschlagen, verschleppt, verlaufen, der Hausrat zertrümmert; die lieben Eltern, Frauen, lieben Kinder, der behütete Hausrat von Ahn und Urahn her. Die Herzen schwollen ihnen, sie weinten auf den langen Landstraßen, schutzlos, nackt einer vor dem andern, weinten, die Stöcke schleppend, über das blanke Gesicht, der Wind blies ihnen hinein, sie flennten weiter, zeigten ohne Gedanken den Entgegenkommenden ihre zitternden, mürrisch zusammengezogenen und wieder aufgelösten Mienen; das rieselnde Wasser lief von oben her aus den Nasen vor ihnen her auf den Weg in den Staub, Tröpfchen hinter Tröpfchen, einer ging auf denen des andern. Bis sie nur noch verzagt stöhnten, die Köpfe auf die Schultern, vor die Brust hängen ließen und weiter trieben. Nach Norden. Zum Oberst Fahrensbach, zum Isolani, und wer ihnen beschert war. An ihrem Erdflecken, zwischen den und den Hügeln, hinter dem und dem Weiher, zwischen den und den Wäldern.
Einmal fielen sie einem wandernden böhmischen Emigranten in die Hände, einem plötzlich aus einer Strohmiete auftauchenden Vagabunden, der einen zerfetzten schwarzen Prädikantenrock trug mit weiten Ärmeln, in die er Brotstücke und Speck eingebunden hatte. Ein Kranz von grauen Stoppelhaaren stand um seine beschmierte Glatze; er schmatzte viel, schien irr zu sein. In einem Bauernhof, wo man sie eingelassen hatte, hielt er ihnen mit Gelächter über seinem verschrumpften Gesicht, Äpfel und Brot schmatzend, an einem Heuwagen eine Rede. Sie sollten nicht mit Christus kommen, sollten nicht von Gott reden. Was das alles für Kindergewäsch wäre. „Gott ist so groß, so — so — groß! Niemand weiß etwas von ihm, als was geschrieben steht. Es steht nicht einmal fest, ob er lebt. Jawohl, er kann schon verschwunden sein aus Ärger und Abscheu und hat die ganze Gesellschaft wie ein hohles Gehäus liegenlassen. Und da können wir heulen, beten und schöne Sonntagskleider machen, singen von morgens bis abends, und Gott ist schon über alle Berge, daß es zum Lachen ist.“
Wie sie mit starren Seelen, leicht heiß, ganz innen sonderbar durchglüht, sich ihren Dörfern näherten, fanden sie wenige, denen sie zuflüstern konnten. Daß der Römische Kaiser ihre Toten hatte auf Wagen kippen und verscharren, sie selbst aber auspeitschen lassen; er wolle sie gar nicht schützen. Vielleicht würden die starken Hansastädte, die Fürsten sie schützen. Vielleicht. Es waren zu viele geflohen und gestorben inzwischen. Und wenn sich plötzlich die Dörfer von den Soldaten leerten, das Trompetenblasen kein Ende nahm, gingen sie zwischen den leeren Häusern herum; es wurde leichenstill, sie faßten gedankenlos die Säcke Sensen in den Scheuern an, blickten zu den Baumwipfeln hoch, gruben die Fäuste in die Taschen. An einem Ende des Dorfes fing es an, das leise Flüstern, vor sich Herschimpfen, Fluchen auf den Kaiser, und lief durch die Gäßchen, Gehöfte, wo sich Menschen schwer aus Lehm und Schutt wühlten hinter den Truppen, die sich unter dem Herzog nach dem Meer zu schoben. Schreie, Drohungen; wie wenn Mäuse in einem Schrank beißen, so knisterten, knackten, knatterten um Ferdinand die leisen scharfen Verwünschungen, rissen mit blitzschnellen Krallchen an seinen Schuhen, Strümpfen, ließen sich durch kurze Stöße nicht verjagen in ihrer Wut, knatterten, liefen an, kratzten, krallten, bissen. Bei Strelitz grub sich ein Einsiedler eine Höhle in einem Hügel. Er betete nicht, saß feueräugig, wildbärtig, fellbehangen, an einer Kiefer auf dem nadelbestreuten Boden, sang Soldatenlieder, schaufelte um sich einen Wall, auf den er Moos trug. Dörflern, die zu ihm jammernd nach Rat, Papieren und Amuletten schlichen, gab er Auskunft: Die Welt hat einen Hauch von Verwesung. Es ist ein zarter Geruch, der bei mancher Witterung stärker wird.
„Der Regen fällt herunter, der Wind wirft die Blätter und Stacheln von den Ästen, sie vermantschen; es sitzt eine schreckvolle Unruhe in der Welt. Jeder Tag, der aufgeht, die Nacht, die über uns fällt, drängt und jagt. Es läßt uns keine Geduld; so ist es doch. Es frißt von uns. Ihr denkt nicht daran. Ihr habt Euch damit abgefunden. Der Mond ist Euch blaß und schön, nicht wahr. Blaß, schön, golden und silbern. Die Sonne ist der schamloseste Heuchler, der frechste Schelm, Betrüger, Ihr kennt sie nicht. Sie wärmt Euch, wärmt, wärmt, bis Ihr nicht wißt wie Euch wird, wie sie Euch das Fett abschwitzt, Muskeln und Sehnen vertrocknet. Es soll nichts dauern. Auf eine Schaubühne von Betrug zwischen Äsern ist der Mensch hingestellt samt dem Getier und den Blumen. Sie sollen den Mist mehren, der auf der Erde lagert. Vorüber! Vorüber! In Verwesung ist unser Leben eingehüllt. Wer hat dies angestellt? Von wem ist dies also gerichtet? Häuser sind nicht nötig, Hütten sind nicht nötig. Es schadet nichts, wenn man Euch totschlägt; wenn Ihr tote Ratten und Kröten fressen müßt und dran sterbt.“
Mit unsicheren Schritten, wochenlang anhaltend, heftig vorstürzend, torkelte nach rechts und links über das zerschlagene, ausgesogene Land die Pest, wie der weiß und grünliche Schimmel über dem faulen Fleisch. Man fing an, die Äcker zu bestellen, richtete neue Schmieden ein. Das Frühjahr rückte vor. Wieder schwärmten, rasch verschwindend, Söldnertrupps vorüber; Gerüchte liefen um von Schießen bei Magdeburg, vom Krieg der Hansa mit dem Kaiser, über Stralsund solle es gehen. Es sickerte durch das Land, die Zeit des Satans sei wieder gekommen, er habe das Szepter der Erde an sich gerissen. Er führe auf glühenden Karossen durch das Reich mit gelben und kleinen Pferden. Er schwirre und sause durch die Finsternis her, lecke das Menschen- und Tierblut, den jungen Getreidesaft. Auf den Laternen der feurigen Karossen sitzen tropische Schimpansen aus dem Urwald, schreien greulich: „Mach’ Platz, mach’ Platz.“ Der Satan hat lange behaarte Arme, die er hinter sich schleifen läßt aus den Wagentüren, er belfert, peitscht, triumphiert. Ihm hängt ein Schlüssel an dem Hals, damit will er die Schleusen der Sintflut wieder öffnen. Von Tag zu Tag tobt und drängt er schrecklicher. Er hat den Bart und das Gesicht des römischen Kaisers Ferdinand, seinen Harn träufelt er in die deutsche Reichskrone und spritzt die Jauche um sich in den Wind. Er hat den römischen Kaiser gestürzt, seine Maske genommen, will das Heilige Reich von Grund aus verderben und versenken.
Es schwelte in Oberösterreich im Hunsrückviertel, dem Pfandbesitz des Bayern, in Mähren kroch die Flamme am Boden, Dunst hing über den okkupierten Ländern, einzelne Schreie stiegen aus dem schwäbischen fränkischen Kreise auf. Die Städte am Rhein wanden sich stumm unter dem Soldatendruck. Soldaten des Regiments Verdugo wurden im Eichsfeld in ihren Quartieren zersprengt, von Ort zu Ort gejagt. Am Harz verbarrikadierten sie sich in den Gehöften. Vor Wallensteins eigenen Türen erhoben sich die Bauern auf den Trzkaschen Gütern. Er konnte nicht zum Heere ausrücken, ohne die Hurensöhne geschlagen zu haben. Ein großes Bauernheer wurde von ihm bei Smiritz durch die Regimenter Marradas und Liechtenstein eingeschlossen, nach drei Tagen zersprengt, fünfhundert Bauern in Stücke gehauen.
D ie Tage wurden wärmer, aus den abgegrasten norddeutschen Gebieten ritten fünftausend Arkebusiere und Kürassiere des Kaisers nach Süden, gegen Ulm zu. Da gab es Futter Quartier Geld und Vieh. In gefährlicher Nähe der ligistischen Herren zogen sich immer dichtere Schwärme her von Norden; sie standen, grasten da untätig, erzwangen Kontributionen, dehnten sich aus.
Er selbst, der Herzog rückte im Hochsommer zwischen den wandernden klirrenden Mauern seiner Leibgarde aus, über Sagan Berlin Prenzlau Greifswald, um die Hansastadt Stralsund zur Aufnahme einer Besatzung zu zwingen und den Rest der Dänen zu vernichten, die von der Ostsee andrangen. Über Pommern und der Mark lagerte sein Heer, taub für den Widerspruch der Landesfürsten. Torquato Konti hielt die Mittelmark, ein anderer die Priegnitz, fünf Kompagnien Dohna erpreßten den Kreis Starnberg, mit Wallensteinschen Leibgardisten besetzte Arnim Frankfurt. In Gardelegen Pappenheim; nach Norden reckten sich Montekukulli Hebron Marradas, Franz Albrecht von Lauenburg. Friedlands Marschall, den zähen strengen braunbärtigen Arnim von Boitzenburg, hungerten die Stadtbürger Stralsunds auf der Insel Dänholm aus. Auf der Reise schmähte der General: sie seien Reichsfeinde und Verräter, ihrem Bekenntnis wolle niemand zu Leibe, Arnim sei ihr Nachbar, Märker, dazu Lutheraner.
Bürgerschaft und Rat schworen zur Fahne der Stadt einen heiligen Eid in sieben Artikeln, daß sie Rat, Bestellte der Stadt, Oberste, Kapitäne und Befehlshaber, Alter- und Hundertmänner, Werkmeister und Gemeine keine Besetzung und Einquartierung innerhalb ihrer Ringmauern Schlagbäume und Zingeln dulden wollten; sie wollten sie, wenn nötig, mit Blutvergießen abwehren; schworen unter sich alle Parteiung Rotten Zank und Schmähung ab. Achtzigtausend Taler wollten sie, meldeten sie heraus, dem Kaiser zahlen, ihre Garnison dem Kaiser mit Eiden und Pflichten zu verbinden; der Herzog mit fünfzehn Regimentern in Heinholz unter ihren Wällen lagernd, gab ihrem Protonotar Wahl zurück, es sei ihm nicht um das Geld zu tun, er müsse sein Volk drin haben, so wäre er verwahrt. Er brauchte die Küste, die Häfen; der Däne versteckte sich hinter dem Wasser.
Sie mußten nach einem grausigen Bombardement klein beigeben. Dann aber kam zu den tausend Dänen, die sie bei sich hatten, ein schwedisches Hilfskorps auf Schiffen an. Vom Frankentor fielen die Schweden gegen Arnim aus. Der Pommernherzog legte sich ins Mittel, wie die Raserei drin und draußen stieg, er sah das Schicksal der ihm untertänigen Stadt voraus, wenn man den Böhmen zum Äußersten reize; stand für die Erfüllung der Bedingungen ein, die festgesetzt wurden in Schleifung der Außenwerke, Abschaffung jeglicher Besatzung aus der Stadt, Abbitte, Geldzahlung.
In Wien, München kicherte man über den Akkord; der Herzog ruhig abrückend bedeutete dem Notar Wahl, der ihm das stralsundische Gelöbnis der Devotion gegen Kaiser und Reich überbrachte, wenn die Stadt sich zum Sprungbrett des Dänen oder Schweden machen wolle, werde sie bald aufgehört haben, deutsch zu sein, sie werde das ganze Römische Reich gefährden, er habe Zeit und warne die Stadt.
Den Dänen fing er bei Wolgast ab. Die Verzweiflung des dänischen Volkes über die Beraubung fast ihres ganzen Festlandes war besiegt worden von dem Gram und der Empörung über die erlittene Niederlage. Ihr König Christian, vom Pöbel angefaßt im Unglück, flammte wieder vor ihnen.
Die dänische Flotte, hundert Schiffe, kreuzte vor Warnemünde, Barth, Usedom. Bei Wolgast landeten sie. Zwischen Sümpfen, Morästen, hinter Wällen stürzte sich der Kaiserliche auf sie, griff sie bei Hals und Schultern an, schlug sie, Fußvolk und Reiter, nieder, warf den flüchtigen Christian aus der Stadt, dem festen Schloß. Die Masse der Fremden aufgerieben, der Rest mit dem König in die Schiffe gejagt. Rostock fiel, Krempe; der Däne war hoffnungslos vom Festland verdrängt.
In alle erreichbaren Häfen der Ostsee schob der Herzog Besatzungen, Wismar nahm er ein, da baute er eine Werft. Das Meer von zwei Seiten einspannend, drängte er herüber. Er brauchte Schiffe. Wasser war dem Herzog neu, nach den Chausseen, marschierenden Truppen, Kanonen in Fahrt, rollenden Wagen und Zelten. Jetzt fehlte das einfachste, der Weg, eine flüssige, schwere Masse schwamm vor seinen Füßen; die Herren, kraftstrotzend, standen mit einem Strick am Bein am Küstenrand. Gegen sein neues Herzogtum Mecklenburg schwankte das zerquellende widerstandslose Element an, er beobachtete es widerwillig. In Wismar setzte er neben sich einen Generalleutnant, Fiskel, Sekretär. Die befreundete spanische Monarchie, die Herrscherin zur See ging er um Rat an gegen dies wässrige, grüne Gespenst. Dem aus Brüssel anfahrenden spanischen Beauftragten, Gabriel de Roy, einem kühn auftretenden Offizier, erklärte er, man müsse noch das Meer überwinden; Spanien solle Hilfe leisten, die verbündete Monarchie könne Vorteil aus der Sache ziehen. Er werde die Elbe- und Wesermündungen halten, die Ligisten die Grafschaft Oldenburg und die Ströme der Grafschaft Emden; man müsse die Ostsee gemeinsam beherrschen, den niederländischen Handel matt setzen. Der Stadtoberst von Lübeck wurde um Schiffe angegangen, versprach achtzehn gute Orlogs auszustaffieren. Der polnische König, vom Schweden bedrängt, hilfenehmend, erklärte sich zu vierundzwanzig Schiffen bereit. Dann heischte er generell von den Hansastädten, sie sollten eine Flotte bilden gegen die schwedisch-dänische Übermacht; es sei ein gemeinsames deutsches Interesse. Der Böhme glaubte der Hansastädte sicher zu sein, die schwersten Drangsalierungen Vergewaltigungen Beraubungen ihrer Privilegien auf Malmö, Schonen, Ystert durch Christian ausgesetzt waren. Mit hartem Druck umlagerte seine Truppenmacht sie, die die Brücken und Wege innehatten über das nachgiebige Element, Lübeck, Hamburg, Rostock, Bremen, Wismar, Stralsund; er drohte herüber nach Lüneburg, Magdeburg, Köln. Zweihunderttausend Kronen wies Spanien an.
In Güstrow ließ er sich huldigen von seinen neuen Untertanen. Vor seine Füße rollte ein kaiserliches Handschreiben. Der Böhme erinnerte sich in manchen Augenblicken kaum des Kaisers. Der schrieb, daß er ihn zum Kapitängeneral dieses erreichten ozeanischen und baltischen Meeres ernenne, nachdem die feindliche Macht zu Land gedämpft und man dazu übergegangen sei, eine Armada zu Meere herzurichten und zu unterhalten. Der Kaiser huldigte: er vertraue, daß mit einem solchen Haupt versehen, in Tüchtigkeit, Qualität, Erfahrung, Genie reichlich im Krieg und Frieden erprobt, Heer und Flotte in sicherster Hut seien, machtvoll blühen werden zum Ruhm des Hauses Habsburg, des Römischen Reiches und des Geschlechtes Wallenstein. Der Herzog schniefte gestört, fast gereizt, zuckte die Achseln.
H inter den schützenden Wasserbergen vergraben der blonde König Christian, der dem niedersächsischen Kreis Bundesoberst gewesen war. Klagend über den menschlichen Größenwahn, der ihn auf Eroberungen nach Deutschland trieb; er forderte seine Reichsstände heraus, sie möchten es wagen und sich an ihm vergreifen.
Gelähmt hinter dem anderen Wasser England. Die verzogene kapriziöse Königin, von ihrer Schönheit besessen; ihre duftende französische Umgebung brüskierte noch die puritanischen Lords, die sehr zeremoniell am königlichen Hofe erschienen. Mit katholischem Pomp, Weihrauch, Bildern und Fahnen, die sich auf die Straße wagten, forderte sie die Londoner heraus. Nach einer Revolte mußte Karl die Franzosen heimschicken. So wuchs die Erregung des Volkes an, daß Karl in seiner Bestürzung daran dachte, die Königin selber zurückzuschicken. Er brach mit den französischen Machthabern, nur besänftigen wollte er das Volk, das Parlament, ging betteln bei der Opposition, lockte ratlos mit Baronettstiteln. Unter dem Beben des Bodens, dem drängenden. Grollen von Parlament und Hauptstadt rang der blasse König täglich mit der übermütigen kreischenden Tochter der Medizäerin, die ihr Spielzeug, ihren Hof, prunkvolle Andachten wieder verlangte.
Als Buckingham, nicht mehr Herr seines Spottes und Dialektik, flehte, um sich selbst in Angst, dem Parlament nachzugeben, um das Schlimmste zu verhüten. Grausam drohten die Lords, die Bürgerschaften. Buckingham, zitternd, machte sich selbst auf, den Parlamentswillen zu vollstrecken, Hilfe den Hugenotten gegen Richelieu zu bringen, der sie in der französischen Seefeste Larochelle eingeschlossen hatte. Aber auf der Rheede des Hafens sah er die furchtbare Übermacht der Katholischen, hochmastige Schiffe, zu Lande zielende Kanonen, Männer, verwirrt gab er, noch auf der Rheede Befehl, umzukehren. Brüllte weinend in seiner Kajüte gegen die Kapitäne, es sei unmöglich, unmöglich, er könne dies nicht verantworten, die englische Flotte sei mehr als ein fettes Futter für die Welschen.
Ans Land gestiegen kam er nicht weit. Sein Haus in Portsmouth hielt eine tobende Menschenmenge eingeschlossen; er wollte zum König nach London. In der Vorhalle seines Hauses wurde er nach vier Tagen, gewaltsam versuchend auszubrechen, von der Volksmenge erstickt, zerquetscht, seine weißgepuderte Perücke zerfasert, seine tanzlustigen Knochen zerbrochen, seine lasciven Lippen mit Kot bedeckt. Der König in London schloß sich zwei Tage ein, verfluchte sich, die Königin, das Parlament, machte sich mit innigstem Grimm zum Zweikampf mit dem Volk bereit. In wilden Zuckungen warf sich England, griff keinen Feind mehr an.
Preisgegeben der stolze Friedrich von der Pfalz. Die englische Königstochter preisgegeben. Die Welt konnte sich erbarmen ihrer Ansprüche. Rusdorf, der leidenschaftliche kleine Johann Joachim, hatte lange England verlassen; seinen kranken Freund Pavel auf niederländischen Boden verbracht, wich nicht aus Haag, aus der Nähe seines Kurfürsten Friedrich; die Erde mochte untergehen, der Kurfürst sich aller Ansprüche entschlagen; er wollte von dem Recht nicht lassen, durchfiebert von der Rachsucht auf das grausame übermächtige Habsburg, angewidert von der englischen und dänischen Schwäche.
M aximilian fuhr um die Höhe des Sommers vom Berge Andechs, wo er gebetet hatte, mit Fyans, dem stummen niederländischen Arzt, nach München. Er hielt sich in seiner Residenz vier Tage eingeschlossen; Fremde suchten seine Audienz nach, Bildersammler Gemmenhändler wollten ihm ihre Auslagen bringen, Briefe von Tilly liefen ein, seine Tür war nur Vervaux, dem Beichtvater, und dem Leibarzt offen. Man sah ihn durch den Hofgarten, die Grottenhöfe in der warmen Herbstluft gehen. Es geschah, daß er seinen Kriegsratspräsidenten zu sich berief und zum ersten Male im Rat über die Kriegslage sprach. „Mein Heiland, daß du mich versuchst“, kam aus seinem Mund vor dem Präsidenten gegen Schluß des Vortrags.
Er ließ seine Räte und die Vertrauten des Hofes eines dunklen Morgens in eine kleine Ritterstube rufen. Maximilian, barhäuptig, ungegürtet, stand, nachdem er sich von einem Sessel erhoben hatte, streng und wie abwesend vor einer hohen Prunkkredenz. Er dankte ihnen mit leiser Stimme, die sich bald kräftigte, daß sie erschienen seien. Er denke gewiß groß von ihnen, die ihm so viel geleistet hätten. Ihre Gesinnung hätte sich gegen ihn zu jeder Stunde bewährt. Er stockte viel. Es sei ihm klar geworden, nach vielem Nachdenken, daß er sich kaum werde behaupten können. Als darauf Bewegung unter den ernsten alten Herren entstand, richtete er sich aus seinem Hinstarren auf. Ja, er hielt es nicht für unwahrscheinlich, daß er der letzte des Hauses Wittelsbach sei. Daß er nicht spielte, erkannte man an den glühroten Striemen über seiner Stirn, an der Art, wie seine Finger über dem weißen Wams zuckten. Sie seien in Gefahr wie noch nie. Es sei ihm unmöglich, jetzt schon deutlicher zu sein. Wer sehen könnte, sähe schon; es werde bald erhellen. Er wisse nicht, wie er aus diesem Kreis feindlicher Mächte Bayern herausgeleiten könne. Zum Schluß flüsterte er, er brauche Mitwisser, Mithelfer. Sie möchten seiner gedenk sein. Es war fast ängstlich, ihn anzusehen, wie sich der Stolze abrang so zu sprechen und wie die Audienz fast mitten in der Rede abgebrochen wurde. Aber die finstere Katastrophenstimmung, unter der er stand, nahmen sie mit. Sie nahmen das Entsetzen mit, daß der Einsame, der sonst nichts von sich gab, mit seinen halblauten Worten von sich strömte. Als stünde der Feind vor der Tür.
Er saß in seinem verschlossenen Palast, mit Fasten, nächtelangem Beten, Selbstfolterungen an sich rüttelnd. Die Liga war verdrängt vom Kriegsschauplatz, Graf Tilly, er konnte nicht an ihn denken, ohne geätzt zu werden von der blinden verzweifelnden Wut, seine Kiefern rieben sich aneinander. In den sehr stillen, glühheißen Wochen ritten häufiger und häufiger fremdländische sanfte Männer durch die Straßen Münchens. Sie waren fromm; standen vor der diamantenüberschütteten Reiterstatue des heiligen Georg in der Hofkapelle, beteten vor ihr; keine Frühmesse versäumten sie. Feine freie lockenumspielte Gesichter hatten sie, kleine Spitzbärte, mit Lächeln blickten sie die Männer und Mädchen an; keiner konnte ohne Freude sie zierlich und fest hinschreiten sehen. Bologneserhündchen mit glatten weißen Haaren, schwarzer Nase, trugen Diener hinter manchen her; auf den Brunnenrändern spielten und gurrten die Herren mit ihnen. Wie eine magische Tröstung drängten sie sich dem lethargischen Maximilian auf, der seinen Vater zurückwies, seine Räte beschied, ihn nicht zu stören mit ungefragten Naseweisheiten. Marquis Marcheville, ein langer Herr mit schwarzen vollen Locken, geschwungener starker Nase, feuchten großen Augen, flüsterte vor der deutschen Kurfürstlichen Durchlaucht verschwiegen erinnernd an ihre alten Besprechungen, die französische Majestät hätte mit Freuden Kenntnis genommen von dem siegreichen Vorgehen der katholischen Mächte gegen den Dänen, sie vermeine, es sei vielleicht jetzt an der Zeit, den Frieden anzubahnen. Und als der Kurfürst hart zurückgab, nicht an ihn möge sich der edle Herr deswegen wenden, sondern an den Römischen Kaiser, schmeichelte der feingeschuhte Mann, so könne er doch nicht glauben, daß ein bayrischer Fürst, Kurfürst und Wittelsbacher, einflußlos im Heiligen Reiche sei und nicht Rechte und Pflichten in der Sicherung des Reiches vertrete. Dann bemerkte er, daß das ligistische Heer an den Erfolgen beteiligt sei. Danach dankte der Kurfürst.
Als zweiter trat in das weite ebenholzgetäfelte Empfangszimmer nach einigen Tagen im Kardinalspurpur eine niedrige fahlgesichtige Figur; ihre Stimme streng, sicher, Bagni, der päpstliche Nuntius in Paris, segnete den Bayern, besah flüchtig einige Gobelins, schalt, in dem Kriegstreiben dürfe man die heilige Kirche nicht vergessen, als bedeute sie nichts; an Frieden müsse man denken, noch weiter friedliche Christenmenschen dem Unwesen auszusetzen, sei Todsünde, beflecke wie Mord. Mit Entzücken habe der Papst von dem Wunsche seines treuen Sohnes, des gallischen Königs gehört, Vermittlung den Parteien anzubieten; möge Maximilian, dessen Frömmigkeit so hoch stünde, dies annehmen. Der Papst wünsche Frieden, wünsche ihn innigst. Der Kurfürst, sich im Sessel vorbeugend, küßte das Kreuz aus Elfenbein, das der Kardinal ihm mit herber Miene bot.
Den habichtsköpfigen Marcheville ersuchte Maximilian, nachdem er plötzlich seinen Räten Besprechungen mit den Franzosen befohlen hatte, selbst zu sich. „Ich will Frieden,“ stieß er zwischen den Zähnen mit aufbebendem Gesicht vor, „es ist meine Pflicht, diesen Streit zu beenden. Welche Vorschläge macht mir Euer König?“ Der Franzose: Die Vermittlung solle den Pfälzer Ausgangspunkt vernichten in irgendeiner Weise. „Ich will wissen, Marquis, was Ihr wollt, und was Ihr mir gebt; ich will baldige Vorschläge. Ich muß mich entscheiden.“ Der Marquis riet, Bayern und die Liga solle sich neutral erklären, solle einen Sonderfrieden mit Dänemark schließen, Frankreich werde diesen Frieden garantieren; man müsse ohne Wien und Madrid handeln. „Ja, das muß man,“ stöhnte der Kurfürst; „Ihr braucht es mir nicht sagen. Ihr wollt freie Hand im Elsaß und im Artois, ich weiß. Ja, ich weiß.“
V on den eroberten und besetzten Gebieten pulsierte Gold nach Österreich in wilden Takten; Wallenstein, der General, hatte das Heer als Stab in der Hand, mit dem er Quellen entdeckte. Man brauchte nicht, wie Hispanien, das neue Indien unter Gefahren aufsuchen; es war, wie der Böhme prophezeit hatte, übergenug im Reich vorhanden. Nur ab und zu erinnerte Abt Anton den Herzog, der bisweilen versunken schien, an die Bedürfnisse des Hofes und das Glück der Stunde.
Der Hof verfolgte von Wien aus den Kampf, das grausame Niederringen des Dänen an der Meeresküste wie von einer bekränzten hohen Tribüne herab, unter schallenden Flöten Zinken Posaunen Pauken; der Herzog von Friedland war als Ritter Georg hinausgeschickt worden, den Drachen zu bezwingen. Und er machte es vorzüglich, man mochte ihm den Beifall nicht vorenthalten. Er war treu und bieder; was er konfiszierte, schickte er dem Kaiser, konnte auch selbst seinen Teil dran haben, sollte ihm nicht verdacht werden. Sein Lob sangen sie mit vielen Stimmen: die früheren Kaiser und Päpste haben treffliche Diener gehabt, die ihnen in der Not beigestanden hätten; aber könnte sich keiner vergleichen mit dem hageren heftigen Böhmen, der sich von Schlachten in Schlachten stürzt, sein Vermögen blind und unaufgefordert hinwirft, das Reich rettet, den kaiserlichen Hof mit Gold überschüttet. Der Papst hat seine Jesuiten, der Kaiser den Herzog von Friedland. Entzückt schwebte der Hof, keine abenteuerlichen Wünsche versagten sie sich, die Pracht der Feste Gastereien Schloßausstattungen Jagdaufzüge überstieg alles Frühere. Abt Anton schrieb, der Herzog zahlte. Sie winkten kaum: „Wir danken, wir danken.“
Es gab welche, die lächelten sich bei Tisch an, wetzten ihre Zungen an dem Böhmen draußen, der sich in den Morästen und öden Ländereien herumschlug: „Der Unhold von Altdorf hat seinen guten Platz gefunden. Er hatte die Wahl zwischen einem gefährlichen Raufbold und kaiserlichen Offizier, kann dem Kaiser danken, daß er ihn annahm und nicht Spitzbube werden brauchte.“
„Wir haben zwei Chorherren in Kompagnie, werden bestätigen, was ich meine. Dem Herzog ist ein Glück geschehen. Der Kaiser hat ihn aus dem Kot gezogen, in dem seine rebellischen Vettern und Freunde verreckt sind; so hat er Grund, dankbar zu sein. Ist ein weidlich starker, dicker Büffel, zieht den Pflug, das ist sein Handwerk. Das Recht hat er zu siegen, wenn er kann; noch andere können siegen; die römische Majestät hat ihm wohlgewollt. Danke er, nichts weiter.“
„Den Segen des Heiligen Johannes wollen wir trinken. Der Narr Wallenstein soll leben. Der Büffel, ja, der dicke Büffel, der in Holstein Sumpfwasser sauft. Gottes Tierreich ist groß. Trinken wir Alikante, lassen wir ihn Elbe saufen.“
Sie schütteten ihr Gelächter vor sich hin.
„Wird das Vögelchen zu lustig werden, werden wir ihm die Federn rupfen. Ist dann genugsam geflogen, sagen wir: ‚Danke schön, danke fein, Herr Vögelchen. Kettchen am Bein, Ringchen am Hals, Näpfchen vor dem Schnabel. Traurig Leben, traurig Leben.‘“
„Was glauben die Herren Brüder? Pro clausula finali geschenkt! Er ist gut, er ist hold, er ist fromm. Die Renegaten sind die frommsten. Wenn die Römische Majestät genug hat von ihm und seine Knochen hohl sind, entläßt sie ihn in Gnaden, gibt ihm einen Klaps, einen schönen Namen — nicht Kälbchen, nicht Äffchen, nicht Schäfchen — vielleicht ein neues Wappenschild, und so muß er die Tür nehmen.“
Zu dem jubelnden Abt Anton, der jeden seiner Freunde küßte, die ihn besuchten in seiner blumen- und weinduftenden Bibliothek, meinte Trautmannsdorf, indem er einen Tanz vor dem Händeklatschenden versuchte: „Ich begreife alles. Es ist nicht nötig, daß Ihr klatscht, Ehrwürden. Die Musik macht der Herzog von Friedland, von Sagan, von Mecklenburg. Ich gehe in Ferien. Wir brauchen nicht mehr regieren. Wir erhalten unsere Gehälter, und er tut die Arbeit. Ich stelle mich Euch zur Verfügung; wie wollt Ihr mich beschäftigen?“
Anton streckte feierlich, aus glücklichen Äuglein blickend, die talarversteckten Arme aus: „Seid in Euren Ferien bei mir willkommen. Feiert Eure Ferien mit mir! Setzt Euch zwischen Folianten, Kerzen, Büchern, dort auf Eure Truhe. Ich will Euch bedienen.“
Und während sich der feine Graf schlaff auf die Truhe niederließ, eine Papierrolle beiseite schiebend, bot ihm der vollwangige Abt strahlend einen französischen gepfefferten Likör, erbeutet in Holstein von einem Wallensteinschen Streifkorps: „Seht, Lieber, Bücher sind vorhanden, der Likör hat sein Dasein. Aber wißt Ihr, wißt Ihr, wir sind beinah nicht mehr da. Ihr könnt raten: was ist das Wichtigste für einen Menschen?“
„Aber Ehrwürden, die unsterbliche Seele.“
„Gewiß, unbestritten. Im übrigen aber. Denkt nach. Der Stellvertreter; das ist das Wichtigste für einen Menschen. Wenn es einen gibt, der einem Recht zum Leben gibt, daß man aufatmen kann, weil er die Arbeit abnimmt. Vernehmt: kein Schatten. Sondern —“
„Einfach Wallenstein.“ Trautmannsdorf lächelte, goß sein Glas in eine Blumenvase: „Die Reseden sind so schön, sie mögen auch von Eurem Likör schmecken.“
„Er ist der Stellvertreter, wie wir ihn seit Jahrzehnten gebraucht haben. Das Haus Habsburg seufzte nach ihm. Nun ist er da.“
„Er erfüllt in der Tat diese Aufgabe außerordentlich. Ihr seid bald nicht mehr da. Er hat dem Kaiser die Last abgenommen, Kaiser zu sein. Er siegt für ihn, ernennt für ihn, politisiert für ihn.“
„Also. Ihr seht: außerordentlich. Wir haben dies gebraucht. Es ist eine Lust, Kaiser zu sein. Es gibt keinen Diener, der neben dem Böhmen zu nennen wäre.“
Trautmannsdorf tauchte und drehte die Reseden in der tönernen, bemalten Vase neben sich: „Sie werden bald betrunken sein, die Reseden. Paßt auf, wie sie die Köpfe senken werden. Sie vertragen so kräftige Nahrung nicht. Und was meint Ihr, was wird nachher aus Friedland, wenn er trefflich Kaiser spielt, und aus dem Kaiser, wenn er sich so trefflich vertreten lassen kann?“
„Sie ergänzen sich; sie ehren sich. Es wird keiner im Reich nach dem Kaiser mächtiger sein als Friedland; Augustus, sein Feldherr Cäsar.“
Nur Fürst Eggenberg sah sich am Hofe um, erkannte die schrankenlose Freude, gegen die es kein Ankämpfen gab. Er war allein. Die geifernde, grollende Clique der Bayern, der Spanier wollte sich an ihn werfen, Strahlendorf sprach ihm zu; trauriger zog er sich zurück, als er erschreckt bemerkte, daß die Feinde Ferdinands sich ihm gesellten.
Dann setzte er sich gegen den Kaiser. Er hegte nicht mehr das geringste Mißtrauen gegen Wallenstein, ihn widerten die Bayern an, die Haß am Hofe säten; er hatte still in sich das unverrückbare Gefühl: diese furchtbare Macht darf nicht auf einen einzelnen gehäuft werden. Mit Liebe suchte er die Bewegungen in der Seele des Kaisers nachzufühlen, seine Glückseligkeit über das Geschick, das Wallenstein vollstreckte. Er trauerte; er wußte, wie wohl dem Kaiser war, wie er beglückt war nach der schweren bayrischen Affäre. Wochenlang hielt sich Eggenberg in seiner Wohnung. Dann war ihm klar: dem Herzog mußte die Macht abgenommen werden; es durfte nicht zum letzten Bruch mit den Kurfürsten kommen. Und mit wachsender Angst hörte er um sich jubeln, sah das Schrecknis des böhmischen Herzogs. Spähte um sich, verschloß entsetzt die Fenster und Tore seines Hauses.
Machttriefend, ungeheuer, unmäßig schluchzend nach Herrschaft, Sieg, hörte ihn der Kaiser an; wie schon einmal stellte sich ihm sein vertrautester Ratgeber mit schlotternden Gliedern gegenüber. Jetzt lachte der Kaiser Tränen über ihn; ob er nicht wie jener Eulenspiegel sei, der ächze, wenn er ins Tal herabstiege, juble beim Klettern — ein Spaßmacher. Bei Abt Anton kreuzte der Fürst die Wege des verwachsenen Grafen. Der, von einer großen Helle, neigte sich ihm halb zu, vom allgemeinen Rausch mitgenommen; man müsse sehen, wieviel Wallenstein durchzusetzen vermöge im Reich, dürfe ihn nicht stören; Gefahren müsse man an sich herankommen lassen. Eggenberg versteckte sich.
Ferdinand der Andere, des Römischen Reichs Mehrer, rauschte als glöckchenklingelnde bänderwerfende Riesenstandarte in Purpur über ihnen, in den Boden gerammt, häuserhoch am Mast, an der sein Ungestüm zerrte, als wollte er sie hochtragen. Er war nach dem monatelang an ihm wütenden Wechselfieber zum Skelett abgemagert, auf Jagden stürzte er oft ohnmächtig vom Pferde, nach kleinen Ritten hing er schweißgebadet im Sattel; seine Nase war schmal und überaus hoch geworden; ein dünnes, beängstigend zartes Gesicht mit verschatteten, sehr weiten Augen. Die Freude zu trinken, zu bankettieren hatte ihn verlassen; er saß wie sonst den feierlichen und intimen Gastereien vor, liebte die Üppigkeiten der Küche vor sich zu sehen; das Knuspern Knacken Schmatzen Schlucken lösten in ihm Wonne aus, als ob er selbst schmauste, der Dunst der Braten Soßen Suppen badete seine Nase, seinen Mund. Ins Gestühl vergraben schnalzte er zur herunterwogenden Musik. Seine Hände mit den knotigen Fingern waren hellgelb und durchsichtig geworden; wenn er sie vor das dünne Gesicht hob gegen das Kerzenlicht, entzückte ihn in einer unverständlichen Weise das durchscheinende helle feine pulsierende Rot; es schien ihm beglückend zu sein wie das, was ihn erwartete. An Ringen Goldgehenken Schnallen Prunkschärpen, bemalten durchwirkten Gewändern schleppte er auf seinem matten Körper mit sich herum in Karossen, auf Tummelpferden, als ob er in Konstantinopel wäre. Seine Leibwagen mit ungeheuren Hinterrädern, deren Speichen wechselnd silbern und kupfern blinkten; die Vorderräder zwerghaft kriechend, demütig, fußfällig am Boden; auf ihrer Rundung Kränze und Kronen silbern auf rot. Zwischen den Räderpaaren auf biegsamen Achsen gelagert das schwere zitternde Wagengehäuse, die Wände schräg gewaltsam nach oben auseinander strebend, kleiner Boden, breitausladendes Dach, von elfenbeinen gedrehten Säulchen gestützt; seitlich durchbrochen von kristallenen Fenstern in Ebenholzrahmen. Auf dem Dach offen ruhend vor dem Licht eine Krone aus heißem Gold mit hohem Kreuz und breiten Steinen; von den vier Wagenwänden stiegen Riesen mit Bronzeleibern und silbernen Bärten auf, hielten Keulen und Schwerter um die Krone. Drei faustdicke Goldpuscheln herab hinter den Sitzen der Kutschierenden, drei Puscheln gebückt vor den rückwärts deckenden Hellebardieren. Drin halb liegend unter Decken er, träumend aufgeschreckt, die Lippen bewegend.
Durch seine Finger lief das Gold, um sich in Almosen Altarbilder, in Teppichbeete Laubengänge Lusthäuser Springbrunnen Pfauengärten Vogelvolieren Fischweiher aufzulösen. Der Pfennigmeister Gurland, der Schatzmeister suchten den Strom in ihre Räume zu lenken; der Kaiser freute sich ihrer Gier. Dankbar für die Errettung aus der Krankheit schickte er dem Papst Urban hunderttausend Taler als Peterspfennig. Nur durch Gebete und Verehrung konnte man den Himmel versöhnen für die Sünden, die man ohne Unterlaß beging, Verzeihung erreichen, sich würdig neuer Gnaden erweisen, neuen Segen anlocken. Er ließ Lamormain, den Beichtvater, täglich zu sich kommen, als wenn er seinen Schutz brauchte; zu ihm sagte er, er sei sein bestes Amulett; mit einer krampfhaften Erregung hing er sich an ihn; so maßlos beschenkte er die Stiftungen Schulen Konvente der Väter von der Jesugesellschaft, daß Lamormain besorgt ablehnte; Ferdinand bettelte, man möchte ihn nicht zurückweisen: „Was wollt Ihr, Ehrwürden, es werden nicht viele Kaiser nach mir Euch wohltun, wie Ihr verdient.“
Hochgerissen neben ihm die Kaiserin, die junge verwirrte sich entfremdete Mantuanerin. Sie litt das Glück wie er, gräßlich heimgesucht, in ihrer Entwurzelung schwankend, hilflos. Sie ritten ohne Dienerschaft spazieren durch die Wälder von Schönbrunn, beide auf hohen weißen Pferden, lange Reitstöcke wippten in ihren Händen. Farblos ihre beiden Gesichter. Eleonore fragte, ob er sich besinne, wie er sie einmal nachts habe rufen lassen; es sei vor der Ernennung des Friedländers zum General gewesen. Sein häutiges Gesicht vibrierte, seine Augen strahlten, er blickte fasziniert vor sich: „Ich habe gelacht. Ich habe lachen müssen über unseren Schwager, den Maximilian. Er hatte mich dazu gedrängt.“ „Du hast dich in Wallenstein nicht getäuscht; wie ich mich freue mit dir.“ „Ich habe gelacht. Ich habe recht behalten. Er hat mich sehr beglückt.“ „Er hatte dir Schlimmes angetan, dein Schwager; warum hast du ihn zum Kurfürsten gemacht. Jetzt hast du Macht, beseitige ihn.“ So weggenommen von Träumen war er, daß er nicht auf die heißen Augen achtete, den zudringenden Ton in der Kehle der Frau. Er hieb, Lachen ausstoßend, auf Äste neben sich: „Ist nicht nötig, Eleonore. Nicht mehr nötig. Was Gott übernommen hat, liegt in guten Händen. Wir werden — wir werden unsere Feinde im Zaume halten, wie keiner vor uns. Es ist uns um nichts mehr bange. Wir werden an der Ostsee gebieten wie am Adriatischen Meer. Die Ketzer werden sich hinter das Wasser verkriechen.“ Er war in Zittern aufgelöst. Sie schrie, während ihr der Stock entfiel und sie sich an der Pferdemähne festhielt. Glitt vom Pferde, die Tränen liefen über ihre beiden weißen Backen; wild weinte sie, sich am Zügel seines Schimmels haltend, während er in das Grün hineinsprach und zu ihr herabnickte. Sie streichelte mit beiden Händen sein Pferd, seine Füße, Gamaschen; er solle nicht sprechen, er solle still sein. Ja, sie wolle wieder auf das Pferd steigen, aber wenn er nicht mehr so zu ihr spräche und gut zu ihr wäre.
In der Burg stand er an einem Herbstmorgen am Fenster seiner Schlafkammer. Wie er hinunterblickte auf den Hof und der Narr Jonas unten trollte, fühlte er sich jäh hingezogen. Mit hellem Gelächter begrüßte er am Schuppen den Zwerg, der Kobolz schoß und gierig auf seine Hand blickte. Ferdinand sah hoch, ob ihn einer vom Fenster beobachte. Als wenn seine mageren Glieder zuckten, sprang er spielend über den Kleinen, der im Sand rollte neben Brot und umgekippten Eßnäpfen, reizte ihn mit der Fußspitze, griff von oben nach ihm, schlug seine Hände zurück. Menschenfresserisch knirschend zog er ihn auf, schaukelte ihn mit zauberischem Schlangenblick flüsternd vor der Brust. Mit brünstigem Vergnügen riß Ferdinand, der Degen und Wehrgehenk in der linken Hand trug, das Türchen zum Keller auf; in den Dunst ließen sie sich herunter, schlugen ein Faß an, zechten. Ferdinand erbrach im Augenblick. Sie schrien triumphierend, bellten die Decken in der Dunkelheit an, drohten, kicherten, reizten die Fässer zum Kampfe. Bis sie frech auf dem Rücken über die Steine kollerten, mit den Armen schaukelten und immer einzelne Worte trillerten schnoben herausbrüllten, wobei der andere das Echo machte: „Papst! Papst.“ „Urban! Urban.“ „Papst! Papst.“ „Jonas.“
Sie platzten vor wonnigem Lachen. Und als Ferdinand wieder würgte und nicht mehr trinken konnte, bat er den Narren, einen Eimer zu nehmen und Wein ihm auf den Kopf zu gießen, auf die Brust, immer mehr.
„Ich bin ein Heide, Herr Papst. Taufe er mich, Herr Papst.“
Und der betrunkene Zwerg zelebrierte über dem Kaiser die Taufe.
Ende des ersten Bandes
Anmerkungen zur Transkription
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