The Project Gutenberg eBook of Herrn de Charreards deutsche Kinder: Die Geschichte einer Familie This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Herrn de Charreards deutsche Kinder: Die Geschichte einer Familie Author: Josephine Siebe Release date: October 22, 2014 [eBook #47175] Language: German Credits: Produced by Norbert H. Langkau, Jens Poenisch and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HERRN DE CHARREARDS DEUTSCHE KINDER: DIE GESCHICHTE EINER FAMILIE *** Produced by Norbert H. Langkau, Jens Poenisch and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Hinweise zur Transkription Im Original in Antiqua gesetzter Text ist =so ausgezeichnet=. Weitere Hinweise zur Transkription finden sich am Ende des Buches. Herrn de Charreards deutsche Kinder Die Geschichte einer Familie von Josephine Siebe [Illustration] Carl Flemming und C. T. Wiskott A.-G. Berlin Schwester und Bruder zu eigen Flemmings Bücher für jung und alt Herausgegeben von Börries, Freiherrn von Münchhausen Große Reihe Band 7 Die Abbildungen zeichnete Fritz Schiementz, den Umschlag Wilhelm Repsold. Alle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehalten. Copyright 1922 by Carl Flemming und C. T. Wiskott A.-G., Berlin W 50 [Illustration] 1. Kapitel. »Itze kommense!« Bubenstimmen gellten laut durch das in der Mittagsglut träge ruhende Dorf. Mädelstimmen tönten nach, waren heller, höher, sie drangen in die Häuser ein und jach erhob sich da und dort lautes Rufen. Fragen und Gegenfragen sprangen von Haus zu Haus, Holzpantoffeln klapperten, Türen, Fenster wurden aufgetan, neugierige Gesichter schauten, und selbst der alte Pfarrer sah müde aus dem Fenster seiner Wohnstube. Und wieder gellten die Bubenstimmen laut. »Nune biegense um de Ecke!« Der alte Lemnitzer Karl schrak zusammen in seinem Ofenwinkel, in dem er seine Tage verdrömelte. Verdattert richtete er sich auf. »Sind's Schweden?« »Niche doch, Vater, die kommen nune nie mehr. Hab nur niche Bange, die Pösener Herrschaft kommt itze gefahren.« »Die Schweden, die Schweden!« lallte der Alte verzagt. »Da passe du nur druff, die finden wieder her.« »Es tut dir niemand mehr was!« Frau Katarine Merfen, des Alten verwitwete Tochter, strich mitleidig dem Vater über das verstörte Gesicht. »Se ham uns genug getan.« »Gotte doch ganz genug.« Und einen Augenblick schwankte die große, blonde Frau, und ihre Augen hatten den Schreckensblick von damals, als die Schweden auf »friedlichem« Durchzug in das Dorf gekommen waren. »Itze ist lange Friede,« sagte sie gut zu dem Alten, und wiederholte feierlich: »Friede.« »Das Wasser vor drei Jahren war 'n Anzeichen, sie kommen wieder,« brummelte der Alte stöhnend. Er war völlig versponnen in das trübe Erleben der Vergangenheit, ihm schimmerte keine Gegenwartshoffnung mehr, kein Tagerleben machte ihn mehr froh. Die Tochter trat an das Fenster. Draußen auf der Landstraße rollte schwankend, schwerfällig ein Reisewagen daher. Groß war er und ungefüge. Der neue Besitzer des dem Dorfe Bucha nahen Gutes Pösen, Monsieur Anthoine de Charreard, saß darinnen, schlank, vornehm; neben ihm seine junge Frau Sophia Christine. Es war ein recht zaghaftes Weiberseelchen, was da in einer Ecke des Wagens fast versank. Sophia Christine war nie sonderlich lebhaft gewesen, bedrückt, verschüchtert war sie bisher durch ihre Tage gegangen, aber seitdem ihr Vater, der herzogliche Geheime Rat Ries in Jena ihr stolz den früheren Hofmeister der Herzöge von Weimar, Kammerjunker Anthoine de Charreard, als künftigen Gemahl vorgestellt hatte, war sie ganz verstummt. Aus übergroßer Liebe zu dem Manne, und aus Verwunderung darüber, daß ihr stillverschwiegenes Sehnen Erfüllung gefunden hatte. Dem schönen Kammerjunker war die zierliche Frau, die da neben ihm im Wagen saß, bisher herzlich gleichgültig gewesen. Er ersehnte Freiheit von dem drückenden Zwang des Hoflebens, ersehnte, Herr auf eigener Scholle zu sein. Darum, nicht um der Frau willen, die er freien sollte, hatte er dem Plan seiner fürstlichen Freundin, die er heimlich Feindin nannte, der Gemahlin des Herzogs Bernhard von Jena zugestimmt. Die Herzogin Marie stammte aus Frankreich wie er, und als er einst die junge Herzogin von Tremouville kennen gelernt, war sie ihm lieb geworden. Das war vergangen, es gelüstete ihn nicht danach, der Narr der übermütigen, hoffärtigen Dame zu sein, und als sie ihm in einer bösen Laune eine Bürgerliche, die liebliche Jungfer Ries zur Gemahlin vorgeschlagen, hatte er ja gesagt. Niemand ahnte ja, wie der schönste Mann von Jena des Treibens müde war, das am Hofe herrschte. Seit dem Tage, da Gaston de Charreard mit seinem Sohn und seiner Frau in das von Kriegsstürmen durchtoste Deutschland geflüchtet war, weil der hugenottische Edelmann des allmächtigen Richelieus Rache fürchten mußte, hatte der junge Anthoine wenig Ruhe in seinem Leben gehabt. Armut, oft Not, Lagerleben, Hofleben: hierhin und dorthin getrieben war er im Wirrsal der Zeit, bis er endlich durch Vermittlung seines Paten, des Herzogs von Tremouville und Thours, am Hofe zu Weimar Unterkunft als Hofmeister der beiden jüngsten Prinzen gefunden hatte. Und nun lag die Unruhe hinter ihm und er sollte eingehen in den Frieden, er sollte seine feste Heimat finden. Ein Haus und eine Frau. »Da sinse!« Aus dem Hause des Hannes Schurks drängten sich vier Kinder. Alle strohblond, rotbäckig; aus aufgerissenen Blauaugen starrten sie den Wagen an, zwei die Finger im Mund, zwei in der Nase. Allen vier Strohköpfchen aber mißlang die Verneigung, zu der Frau Anne-Marie Schurks, die Mutter, sie durch Püffe und halblaute Scheltworte aufforderte, so gründlich, daß die vier untereinander purzelten, als wäre der Sturmwind in sie hineingefahren. Sophia Christine sah es, und ein ganz holdes Lächeln lief über ihr Gesicht, und dies Lächeln sahen die Kindsmutter und Frau Katarine Merfen zu gleicher Zeit, und die Merfin redete in das Zimmer hinein: »Die wird gut, Vater.« Die Kindsmutter sagte das auch, als sie ihre Vier, die Kleinen sacht, die größeren mit Püffen und Verweisen, wieder auf die Beine stellte. Es redeten viele im Dorf das gleiche Wort mit erleichtertem Herzen. Denn den Buchaer Bauersleuten war es nicht gleichgültig, wer auf Pösen saß. Das Gut war Kirchlehen, und jede zweite Woche mußte der Pfarrer von Bucha in der kleinen Hauskapelle des Gutes Gottesdienst halten. Dagegen hatte kein Buchaer etwas einzuwenden, auch das Hingehen hätten sie gern getan, nur mußte es in Kirchsachen heißen, gleich zu gleich, und weil der letzte Besitzer, der Herr von Nesselrode, nie die kleine Dorfkirche aufgesucht hatte, war man andauernd gekränkt gewesen. Bis dann beim letzten Schwedeneinfall, Anno 1647, die Not so groß wurde, daß in dem übermenschlichen Jammer Gekränktsein und Groll unterging. Den Herrn von Nesselrode hatten sie erschlagen, von sechs Bauernhäusern und einem Dorf, das zu Pösen gehörte, war ein einziger Hof übriggeblieben, und der kleine Buchaer Teich vor dem Pfarrhaus war rot gewesen vom vergossenen Blut. Und dabei hatte kein Einwohner den Durchziehenden sich feindlich gezeigt. An diese vergangene Not, an all die Hoffnungen, die sich an sein Dasein knüpften, dachte der Herr de Charreard nicht. Der blinzelte träge, schlafumfangen in die helle Mittagssonne hinaus. Seine Frau dagegen sah jedes Haus, jeden Baum und Zaun, jedes Kind auf der Gasse: alles was lief, rannte, flatterte und gackerte. Wie ein Kind freute sie sich an allem Gegenständlichen, verglich alles mit dem dunklen Heimatgäßchen und dem feierlichen steifen Zuhause ohne Mutterwärme. Als sie ein paar Blumen am Wegrand blühen sah, erfaßte sie eine unbändige Lust, diese zu pflücken. Sie beugte sich weit hinaus, dachte, sie möchte dem Kutscher ein Haltegebot zurufen, und dann erschrak sie doch, als plötzlich der Wagen mit einem Ruck anhielt. Herr de Charreard erwachte jäh aus seinem Halbschlaf. War das Ziel erreicht? Doch nirgends war ein Haus zu erblicken, und er entsann sich, daß bei einem Ritt, dem einzigen, den er, bei trübem Winterwetter dazu, in die neue Heimat unternommen, der Weg sich tief gesenkt hatte. Der Kutscher war abgestiegen, er trat an den Wagenschlag und fragte mit einem gutmütigen Klang in der Stimme: »Wollen Gnaden enmal aussteigen?« »Aussteigen! =Mon Dieu=, ist Er toll geworden?« »Ich heeße nich Mongieh, ich heeße Jakob. Und mit dem Aussteigen ist's wegen dem Umfallen. Manchmal fällt er, weil's runner gieht! Un manchmal nicht, wie das so ist!« »Der Wagen?« Monsieur Anthoine de Charreard krauste die Stirn, und der Kutscher sah ihn bedenklich an. Aber da steckte schon die liebliche Frau den Kopf auf ihrer Sitzseite hinaus und rief mit heller Freude: »Ach ja, gehen!« Anthoine de Charreard stieg aus, er sah nun auch, daß der Weg steil war; er hatte Altersfurchen, und bergab laufende Wasser hatten tiefe Rinnsale gegraben. Rechts stieg der Berg an, links ging es steil hinab, Wacholderbüsche standen da und dünnstämmige Pappeln. Tiefer sah man in die Kronen alter Linden, zur Seite ein Stück zerfallene Mauer mit Brandspuren, ein grüner Schleier darüber, allerlei liebes, feines Unkraut breitete sich schon über eine zerstörte Wohnstätte. »Wir müssen gehen, =ma chère=, der Weg ist nicht =agréable=.« Herr Anthoine de Charreard half seiner jungen Frau aus dem Wagen, dann reichte er ihr die Fingerspitzen. Sophia Christine legte schüchtern ihre Finger an seine und so standen sie beide, als wollten sie zum Tanz antreten. Sie merkten es bald, der lehmige Weg voller Schrammen und Risse war kein Tanzboden, drei Schritte, und Herr de Charreard rief unwillig: »=Impossible.=« Er sah seine junge Frau kummervoll an und sah zu seinem grenzenlosen Erstaunen ein heiteres Glänzen in den schönen Augen. »Blumen, ach Blumen,« rief Sophia Christine kindlich froh. Sie löste ihre Hand rasch aus der des Mannes, raffte ganz flink ihr Kleid zusammen und pflückte ein paar Adonisröschen, eine blaue Glockenblume und wilde Kamillen, die sie zierlich zum Strauße fügte. Und als hätte ihr das bunte Kraut Schwungkraft gegeben, mit so leichter Anmut schritt sie heiter den Berg abwärts, ihr Fuß fand sicher den Weg, aber auf halber Höhe blieb sie stehen. Sie sah in die grüne blühende Lindenherrlichkeit hinein. Sie atmete den Duft, der schwer und süß die Luft erfüllte, und sah die blühenden Linden umdrängt, umsummt von Hunderten von Bienen. Die feinen Stiele der Blätter erzitterten, so heftig war der Ansturm des fleißigen, kleinen Volkes. Sophia Christine stieg auf einen Wegstein. Was sie da hörte und sah, war ihr eine fremde Musik, noch nie gesehenes Leben. Wie die kleinen Tiere hin- und herflogen, manche ganz beschwert von gelbem Blütenstaub, wie sie emsig sich in die Blumen einbohrten, das war Arbeit und Mühe. Sophia Christine wußte nicht viel vom Tun der Bienen, aber sie sah den rastlosen Fleiß, und unwillkürlich knüpfte sie ein Band von diesem tätigen Leben zu ihrem Leben hin. Und eine junge, frohe Arbeitsfreude ergriff sie. Sie tat einen Hupfer, landete ein wenig schwankend auf dem Weg und wandte ihr Gesicht jetzt ohne alle Scheu dem vornehmen Gemahl zu und rief: »So möchte ich werden!« »Wie, Madame? Sie träumen wohl!« Herr Anthoine de Charreard sah zum erstenmal recht die holdselige Anmut seiner jungen Frau, darüber ging ihm seine feierliche Steifheit etwas verloren: er trat neben Sophia Christine, die hurtig wieder den Stein erstieg und ihrem Mann das summende, blühende Sommerwunder der Lindenkronen wies. Sie standen beide, sahen, wie die Bienen auf und ab flogen, die Blüten sich bogen; dem Herrn de Charreard kam dabei der Gedanke, daß er früher immer an eine vornehme Frau gedacht hatte, die mit ihm zu Hofe gehen sollte. Kein Hausbienchen. Aber nun sah er den Wind in den Locken seiner jungen Frau spielen, er sah ihr frohes Kinderlächeln, und ganz sanft umfaßte er sie, hob sie von dem Stein herunter und sagte: »Wir wollen heimgehen, Madame!« Und wieder legte Sophia Christine ihre Hand nur lose in die des Mannes und dann gingen sie sacht nebeneinander den Weg abwärts unter den tief schattenden Linden dahin. Bis sich der Weg ein wenig bog und die junge Frau einen hellen Freudenruf ausstieß. Im Tal lag ein stattliches Anwesen. Freilich das Dach des Wohnhauses und die Ställe waren schadhaft; aber vor dem Haus blühte auch eine mächtige Linde, wilder Wein und Efeu rankten sich an den Mauern hoch, in einem kleinen Terrassengärtchen glühten Rosen; Sonne und Himmelsblau gaben dem Bild Farbe und Freude. Hinter dem Hause stieg ein mit Nußbäumen bepflanzter Berg empor, gegenüber krönte Nadel- und Laubwald die Höhen, und durch das Tälchen rann ein kleiner Bach so heiterschnell wie Kinder laufen. Sophia Christine dachte an das düstere Haus in Jena, in dem sie an der Seite eines harten Vaters eine freudlose Jugend verlebt hatte. Und hier war Glanz auf Wiesen und Wegen, Glanz auf den Höhen, Glanz über dem Haus. Ein sommerfrohes Summen und Singen erfüllte die Luft, und Herr Anthoine de Charreard sah in den Augen seines Weibes den Widerschein alles Sommerglanzes und da strömte auch ihm aus dem stillen Tal Heimatfrieden entgegen. Jetzt hielt er die Hand seiner Frau nicht mehr, als schritte er mit ihr zum höfischen Tanz, er hielt sie fest umschlossen, und so gingen sie beide schweigend dem Hause zu. Am Wegende gackerte eine Henne. Goldbraun, behäbig, zehn Küchlein umpiepsten sie. Und Sophia Christine vergaß, daß es für eine Madame de Charreard, Gattin des Kammerjunkers Monsieur Anthoine de Charreard, nicht schicklich war, auf dem Boden zu hocken wie ein Spielkind. Sie kniete nieder, breitete ihr Kleid weit aus und ließ mit einem kinderfrohen Locken Glucke und Küchlein in diesen Hafen laufen. »Und sie gehören uns,« rief die junge Frau mit einem innigen Sington in der Stimme. »Ja, sie gehören uns, Sophia Christine.« Auch der Mann vergaß den höfischen Umgangston, sein Herz redete, da kam der Name weich und zärtlich heraus. »Doch nun komm, sie erwarten uns am Hause.« Vor dessen Tür drängte sich ein Häuflein Menschen zusammen. Drei Mägde, die eine ältlich, ein Hofverwalter, und neben dem Knecht standen noch zwei Männer und drei Frauen. Die waren von der jenseitigen Höhe von dem Dorfe Zimmritz gekommen, es waren die letzten Anwohner des einst zu dem Gute gehörigen Dorfes, das die Schweden völlig zerstört hatten. Sie standen hager, gebeugt da, aber wie die junge, liebliche Frau so daherkam, ein Lächeln auf den Lippen, fanden auch sie ein karges Lächeln, war es doch, als wehe ihnen der Sommerwind eine lichte Wolke entgegen. Und Sophia Christine, die bis daher das schweigsamste Jüngferlein auf der Welt gewesen war, fand warme, gute Worte, als sie in die von Gramlinien durchzogenen Gesichter blickte und die harte Hand des Hofverwalters ihre Rechte umschließen fühlte. In ihrem Herzen sprang ein Quell auf, und eine Anmut kam in Wort und Blick, die das verschüchterte Kind daheim nie besessen hatte. Auch Anthoine de Charreard fühlte Wärme, Freude in sich, auch er, dessen Hochmut einst manchen gekränkt, redete ohne Herablassung, mit heiter sicherer Würde zu den Leuten. Steife, stelzbeinige, seltsam verschnörkelte Glückwünsche mußten die Beiden aushalten, feierliche Verzierungen waren den Sätzen beigefügt, aber es schwang immer ein guter Unterton mit und die Begrüßung gab beiden Parteien, den neuen Besitzern, den Dienstleuten und Anwohnern, das Gefühl, es wird mit uns zusammenstimmen. Zuletzt durchzitterte eine ganz leise Ungeduld Sophia Christines Herz. Die galt dem Haus. Das lockte sie, die Kühle, die ihr aus dem weiten Flur entgegenströmte, die geschlossenen Türen, die dicken Mauern, alles hatte einen besonderen Reiz für sie, und sie zog den Mann mit heiterer Schelmerei hinein, als die alte Magd Röse ernsthaft fragte: »Darf ich Gnaden das Haus zeigen?« »Ach ja, ach ja!« Das Haus ansehen, das eigene Haus, die neue Heimat. Die Zimmer und Flure waren niedrig, aber geräumig. Nach dem Hof hinaus lagen zwei Zimmer und ein kleiner Festsaal. In dem standen fremd, gar nicht dem Raume sich einfügend, ein paar weißlackierte, mit rotem Damast überzogene Stühle neben einem alten Eichenschrank. Die Stühle hatte die Herzogin Marie gesandt. Den Schrank hatte der Geheime Rat Ries aus dem Nachlaß der alten Frau von Nesselrode erstanden. Die Bilder der letzten Nesselrodes hingen noch an den Wänden, ein paar Zinkkannen standen auf dem Schrank. Ein wunderliches Gemisch von Prunk und Ärmlichkeit bildete auch die Einrichtung der anderen Stuben. Drei, vier neue Stücke, das andere aus dem Nachlaß erstandenes, zum Teil hundert und mehr Jahre altes Hausgerät. Es hatte keine liebevolle Hand Herrn Anthoine de Charreard und seinem jungen Weibe das Heim bereitet. Sie flatterten wirklich wie ein paar verflogene Vögel in ein fremdes Nest, fühlten aber doch rasch die Wärme des Nestes. Und Sophia Christine ging mit der hellen Freude einer ganz jungen Frau durch alle Räume des Hauses. Oben im obern weiten Flur blieben sie vor einem grünen Schrank stehen, er zeigte die Zahl 1618. »Damals hat's angefangen, das Unglück,« sagte die alte Magd leise, »den hat unsere alte Gnädige mitbekommen, als sie geheiratet hat.« Sophia Christine strich linde über das Holz, nickte versonnen und fragte: »Wo liegt die Frau begraben?« »In der Kapelle. Beide.« Ach ja, es war eine Kapelle im Hause. »Wir wollen hineingehen,« sagte Sophia Christine fromm. Sie faßte nach der Hand des Mannes und ging still neben der alten Beschließerin die Treppe hinab. Vom unteren Flur bog ein schmaler Gang ab. Der führte nach der Kapelle. Die Magd öffnete das schmale Türlein, das nach einer kleinen Empore führte. In der Wand war ein Loch, und das Holzgetäfel schien locker. Die Magd schob es zurück, eine kleine Kammer, fensterlos und muffig, wurde sichtbar. »Darin haben wir alle gelegen, als die Schweden hier waren,« redete die Alte dumpf in die Dunkelheit hinein. »Herregott, Herregott, war das eine Angst! Wenn sie uns gefunden hätten, wär's uns gegangen wie dem Lemnitzer, dem sie Jauche in den Hals gegossen haben, bis er schier verplatzt ist. Unsere alte, gnädige Frau hat den Husten gehabt, da hat sie zum Heine gesagt: >Mach mich tot, mach mich tot, ich verrate euch sunsten.< Wir han ihr'n Bett übergelegt und han gedacht, sie verstickt uns, aber sie ist am Leben geblieben. Der Herr unser Gott hab' sie selig, sie war gut zu Mensch und Vieh.« Die Rede sank Sophia Christine tief ins Herz. Frommes Bitten quoll in ihr empor: Gott, gib mir auch eine solche Nachrede: »Gut zu Mensch und Vieh.« Und dann gingen die Eheleute von der Empore hinab in die kleine Kapelle und die Magd ließ sie allein: »Itze müssen die alleine sein mit dem Herrgott,« sagte sie draußen. Allein mit Gott, sie waren es beide. Die Kapelle war klein, schmucklos. Ein dürftig ausgestatteter Altar, ein paar welke Kränze an der der Tür gegenüberliegenden Wand, ein paar Bänke zur Seite und an der Decke ein Gottesauge. Eine Schwalbe flatterte ängstlich hin und her, sie war durch ein kleines, offenstehendes Lukchen an einem der bunten, spitzbogigen Fenster hereingeflattert, huschte ängstlich über Altar und Kanzel hinweg und fand den Ausweg nicht. Da öffnete Sophia Christine die Tür, um die Gefangene hinauszulassen, und ein breiter Strom Sonne floß in die Kapelle. In seinem Glanz knieten Anthoine de Charreard und sein junges Weib vor dem Altar nieder, waren still, und ihre Herzen waren voll Dank. Hand in Hand traten sie beide aus dem Hause, traten auf den Hof, und da sah Sophia Christine rechts einen losen Zaun, der einen Garten vom Hofe schied, dahinter blühte es rosig, und des Mannes Hand festhaltend, lief sie auf den Zaun zu und rief jauchzend: »Da blühen Rosen, Rosen. Ach wir haben Rosen. Viele Rosen.« 2. Kapitel. Herr Anthoine de Charreard hatte sich das Leben eines deutschen Gutsherrn sehr viel leichter, viel heiterer und abwechslungsreicher gedacht. Er spürte es bald, Arbeit würde seine Tage ausfüllen, rastlose Arbeit, die ihn frühe rief und ihn bis zum Abend begleitete. Das Kirchlehen Pösen, einst ein stattlicher Besitz, auf dem die ritterlichen Herren von Scheiding gesessen hatten, war halb verfallen. Die Ställe schadhaft, einer ganz niedergebrannt, zum Dach regnete es herein oder schien die Sonne ins Haus, je nach des Wetters Laune. Vieh stand nur wenig in den Ställen; es waren nur ein paar magere, kümmerliche Tiere, es fehlte an Futter- und Brotgetreide, es fehlte eigentlich an allem. Und wie im Haus und auf dem Hofe, so sah es auch auf den Feldern aus. Vor drei Jahren war in der Gegend eine große Wasserflut niedergegangen, die hatte Schutt und Steine auf die Felder gespült, hatte vernichtet, was in den letzten Jahren nach dem großen Kriege mühsam aufgebaut worden war. Ein Landsitz für heitere Feste, frohe Gesellschaft war das Gut wahrlich nicht. Es war wie ein Hohn, wenn die junge Hausfrau in dem kleinen Saal, in dem die seidenüberzogenen Stühle standen, auf und ab ging, nachsinnend, womit sie in aller Welt nur in den nächsten Wochen den Tisch bestellen sollte. Dazu war Herr de Charreard kein Landwirt. Er konnte fechten, reiten, jagen, verstand sich auf die Kriegskunst und konnte zierliche Wortgewinde flechten, wenn es galt, ein Hoffest zu verschönen, doch von Ackerbau und Viehzucht verstand er kein Tipfelchen. Auch fehlte es an Geld, um die Schäden auszubessern. Der Geheime Rat Ries hatte seiner Tochter den Leinenschrank gefüllt, er hatte ihr dürftigen Hausrat mitgegeben und fünfundzwanzig Taler für Not- und Sorgentage, damit meinte er genug getan zu haben. An einem warmen Sommerabend nun ging ein schweres Gewitter über dem stillen Tal nieder. Sophia Christine verschlief Donner und Blitz, so müde war sie von ungewohnter Arbeit, aber als sachte von der Decke herab ein Rinnsälchen in ihr Bett lief und der Regen dachte, nach dem Hausboden muß es doch noch eine Stube zum Hineinlaufen geben, da weinte die junge Frau bitterlich. Und Herr Anthoine seufzte und schrieb am nächsten Tag einen beweglichen Bittbrief an seinen Schwiegervater, und Sophia Christine fügte an den hochzuverehrenden, hochgeliebten Herrn Vater die alleruntertänigste Bitte um Hilfe hinzu. Die Antwort kam bald, sie brachte bittere Enttäuschung. Der Geheime Rat Ries gedachte sich nochmals zu vermählen mit einer Frau Sibylle von Hellfeld. Diese hatte Sophia Christine schon in deren Kindheit alles gebrannte Herzeleid zugefügt. Er bedauerte sehr, nicht helfen zu können, schrieb aber, er hätte submissest dero Gnaden der Frau Herzogin das Schreiben alleruntertänigst überreicht und allergnädigst Hilfe versprochen bekommen. Noch am gleichen Tage überbrachte ein reitender Bote dem Herrn de Charreard zweihundert Taler, der Brief dazu war aber so demütigend für den stolzen Herrn, daß dieser das Geld seiner Frau in den Schoß warf und davonrannte. Marie de Tremouville rächte sich dafür, daß Anthoine de Charreard zu stolz gewesen war, ihren Pudel und Hausnarren zu spielen. Sie sandte ihm das Geld wie ein Almosen. Sophia Christine hörte zitternd den Zorn ihres Mannes toben. Das war nicht mehr der feine, höfliche Herr, und sie spürte zum ersten Mal: sie war nicht seines Stammes. Und dann verging Stunde um Stunde und Herr Anthoine kehrte nicht heim. Über dem stillen Tal glühte schon die Abendsonne, als Frau Sophia Christine ihren Mann suchen ging. Der Weg führte sie durch den Leutragrund, und dabei gelangte sie an das einzige noch stehende Bauernhaus; auf halbem Wege zum Walde lag es. An dem kleinen Haus verließ die junge Frau der Mut, so allein weiterzugehen in den sinkenden Abend hinaus. Scheu klopfte sie bei den Bauersleuten an, die sie erst einmal flüchtig gesehen hatte. In der niederen, holzgetäfelten Stube saß der Rabenvater, er las in einer Bibel, und neben ihm saß stille die Rabenmutter und spann. Die alten Leute wurden nach ihrem Namen so genannt, denn Rabeneltern waren sie, weiß der allmächtige Himmel, nicht gewesen. Nur schwer geprüfte, hart geschlagene, arme Eltern. Drei schöne, blühende Kinder hatten die Soldaten aus Übermut mit fortgeschleppt. Wohin? Niemand wußte es. Nur den Jüngsten, der damals ein Büblein von fünf Jahren gewesen war, den hatte die Mutter im Hühnerstall bergen können. »Herr erhöre mein Gebet und vernimm mein Flehen um deiner Wahrheit willen,« tönte die Stimme des Bauern drinnen in der dämmrigen Stube. Und draußen am Fenster stand holdselig wie der Frühling Sophia Christine in ihrer Herzensnot, und ihr zages Klopfen wurde noch einmal von dem dröhnenden Wort übertönt: »Erlöse mich um deiner Gerechtigkeit willen!« »O du lieber Heiland,« rief innen plötzlich die Rabenmutter, »da steht ja die gnädigste Frau vom Schlosse und weint.« Ja, Sophia Christine weinte, und es erschien ihr auf einmal ganz selbstverständlich, daß sie all ihre Not der alten, schlichten Frau in den Schoß schüttete, so wie ein Kind sein zerbrochenes Spielzeug: »Nun hilf mir du.« Sophia Christine war nach dem frühen Tode ihrer Mutter ein einsames Kind gewesen und durch die Strenge des Vaters ein verschüchtertes Kind geworden. Ihr Seelchen war immer verschlossen geblieben, nie hatte eine Frau sie mütterlich im Arm gehalten, wie es jetzt die alte Bäuerin tat. Und der Madame de Charreard kam das gar nicht seltsamlich vor, daß sie der alten Bäuerin ihre große, große Angst um den Gemahl verriet. Die Rabeneltern hatten ihn reiten sehen, und der große, blonde Bursche, der als Büblein im Hühnerstall gesteckt hatte, erbot sich, gleich nach dem Walde zu gehen. Vielleicht fand er die Pferdespur. »Ich gehe mit,« rief Sophia Christine in ihrer großen Herzensangst. »Das is niche gut. Der Christian setzt seine Beine schneller, das schafft besser.« Der Rat der Frau war verständig, und die Jüngere fügte sich der klugen Rede. Sie ließ sich in die Stube führen, und wie sie den alten Bauer am Tisch stehen sah, seine Hände fest über der Bibel gefaltet, und er sie mit seinen eigentümlich hellen Falkenaugen ansah, bat sie unwillkürlich: »Ach, lest doch weiter.« Sie schluckte an ihren Tränen. Der Rabenvater nickte. Seine Stimme dröhnte, er las den Psalm bis zum elften Vers und Sophia Christine saß still neben der alten Frau und ihre Tränen waren versiegt, als der Bauer schloß: »Herr, erquicke mich um Deines Namens willen; führe meine Seele aus der Not, um Deiner Gerechtigkeit willen. Amen!« »Amen.« Sophia Christines Stimme klang mit denen der alten Leute zusammen, da fiel ein Schatten dunkel in die Stube, draußen stand Anthoine de Charreard. Der junge Christian hielt sein Pferd. Ein Lächeln lief über das Gesicht des Mannes, als er den Freudenblick seines Weibes sah. Er grüßte ganz heiter, als wäre nichts gewesen, und er, der sich bisher etwas kühl von diesen Leuten zurückgehalten hatte, trat auch in die niedrige Stube. Freilich, seine Stimme klang herablassend, er nahm den angebotenen Platz auf der langen Bank ein, trank auch die Milch, die die Rabenmutter ihm reichte, es war zu spüren, es war ein Fremder in der Stube. Immerhin fragte er höflich nach Leben und Sitten, der Rabenvater gab Antwort. Knapp die Fragen, karg die Gegenrede. Dann lief das Gespräch aus der Gegenwart in die Vergangenheit zurück. Da stand die Rabenmutter auf und ging still hinaus. »Sie kann's niche ertragen,« murmelte der Alte. »Was denn?« »Das von den Kindern.« Kaum ein Dutzend Worte brauchte der Alte und schauernd durchlebten Anthoine de Charreard und sein junges Weib die Nacht mit, in der rote Glut über dem Tal gelegen und die Soldaten die schönen, jungen Töchter und blonden Buben mitgenommen hatten. Wohin, Gott wußte es! In Elend und Verderben hinein. Sechzehn Jahre waren es her, seit der schreckliche Wrangel das Thüringer Land durchzogen hatte nach Franken hinein. Der Schluß war's, aber unser Gott im Himmel weiß es, ein höllischer Schluß. Schweigen herrschte in der Stube. Bis sich die Türe auftat und die Bäuerin hereintrat. Anthoine de Charreard, der es besser gelernt hatte, als sein tieferbleichtes Weib, ein Gespräch in ein anderes Rinnsal zu lenken, begann von Feld- und Hauswirtschaft zu reden. Ein wenig obenhin nur. Was konnte ihm der alte Bauer auch sagen. Doch er stutzte bald. Er merkte es, er war an einen gekommen, der mehr wußte als was ein Pferd und ein Pflug ist. Der Rabenvater wußte Bescheid. Nicht auf den paar Stücken Land allein, die ihm gehörten, sondern auch auf der Pösener Gemarkung. Der alten Frau von Nesselrode hatte er oft mit Rat beigestanden. Aber er drängte seinen Rat nicht auf und Herr Anthoine de Charreard mußte manche Frage tun. Der Rabenvater ließ sich die Worte aus dem Munde ziehen. Zäh, bedachtsam, mit Pausen setzte er eins neben das andere und nach einer Stunde wußte Herr Anthoine de Charreard, daß er noch weniger von der Landwirtschaft verstand, als er geahnt hatte. Es war beschämend. Aber als er in die falkenhellen Augen des Rabenvaters blickte, da las er darin nicht Spott über sein Nichtwissen, sondern den ehrlichen Willen, zu helfen. [Illustration] »Wir müssen gehen, Sophia Christine, es ist spät geworden.« Der Gutsherr stand auf, er streckte dem Alten die Hand hin und sagte ganz einfach: »Jetzt weiß ich, wo ich mir Rat holen kann, wenn ich den brauche.« »Wenn der gnädige Herr mich braucht, ich bin alleweil bereit,« gab der Rabenvater zurück. »Auf gute Nachbarschaft!« Sophia Christine wunderte sich selbst über ihr Wort, aber da ihr Mann lächelte, kam wieder das frohe Läuten in ihr junges Herz, das sie zuerst vernommen, als sie beide unter der blühenden Linde gestanden hatten am Tage des Einzuges. -- Die Sonne war gesunken, aber noch lag das Tal in warmem, rotem Glanz. Die Grillen zirpten, der Abendwind harfte lind in den Bäumen und ferne glänzte das Haus herüber, das die Leute Schloß nannten, und das doch nur ein gutes, festes Familienhaus war. Herr de Charreard und seine Frau gingen Hand in Hand ihrer Heimat zu. Unterwegs erzählte der Mann, wo er gewesen war. An einer Wassermühle im Grund war er vorbeigeritten, einen einsamen Waldweg entlang, bis zu einem Dorf. »Dürrenkleina« hatten es seine Bewohner genannt, von da hatte er den Blick frei gehabt nach dem Saaletal hinab. »Ich sah auch nach Jena hin, meine liebe Hausfrau du,« schloß er die Erzählung. »Mit Sehnsucht?« fragte Sophia Christine scheu. »Nein, die empfand ich nicht.« Anthoine de Charreard atmete tief auf. »Es ist ein schönes Stück Land, das uns gehört, Sophia Christine,« sagte er ernst. »Aber es ist Land, das harte Arbeit braucht. In Arkadien leben wir nicht, mein Weib. Lust und Freude wird uns karg bemessen sein. Arme Sophia Christine, es ist ein rechtes Bettelbrot, das du erheiratet hast.« »Gott segne uns das liebe Brot!« Sophia Christine rief es froh. »Ich heiratete die Armut nicht. Wir haben eine Heimat und -- es ist Friede.« Ihre Stimme sank, sie hörte wieder den alten Bauern erzählen. Und halb zu sich selbst sprach sie: »Wir müssen sehr gut sein zu den Leuten, die zu uns gehören, sie haben sehr viel gelitten.« Herr Anthoine de Charreard hörte an dem Wort vorbei. Das Gutsein war Frauensache. Seine Gedanken umspannten die Arbeit. Er baute, säete, pflanzte, legte Gärten an, richtete alles stattlich in Gedanken auf. Es war ihm dabei zumute wie als ganz jungen Burschen im ersten Gefecht, eine Lust zur Tat schrie in ihm. Damals hatte er zerstört, gedankenlos, und er hatte das Zerstören als Wonne empfunden, jetzt dachte er an ein Aufbauen, und er spürte, die Freude würde stärker sein. Er nahm ein kleines Jagdhorn, das er beim eiligen Fortreiten unwillkürlich über seine Schulter gehängt hatte, und blies hinein. Das Pferd hob den Kopf und wieherte. Da schwang sich Herr Anthoine in den Sattel, hob seine Frau zu sich empor und blies wieder in das Horn. Wie Jubel klang es, so ritten sie beide zum Hof hinein und es war ihnen beiden wie eine rechte Heimkehr. 3. Kapitel. Sophia Christine brauchte das Gutsein gegen die Leute, gegen die Bewohner der nachbarlichen Dörfer Bucha und Schorba nicht zu lernen, sie, die Scheue, fand auf einmal die Sprache, die die Leute verstanden. Sie redete mit ihnen von vergangener Qual und gegenwärtiger Not, von den kargen Freuden ihres bäuerlichen Lebens, und ihr Wort war Hoffnung, ihr Blick Zuversicht, ihr Lächeln Trost, ihr Kommen Freude. Und so ausgefüllt mit Arbeit auch ihre Tage waren, immer gelang es ihr noch ein Einschiebsel an Zeit zu machen, um eine Klage zu hören, einen Rat zu geben. Die Ratlose, die kleine, scheue Frau wurde bald Beraterin. Wie sie es fertig brachte, war selbst ihrem Mann ein Rätsel. Sophia Christine ließ ihr Herz raten, und wo das versagte, den einzigen Freund, den sie in Jena besaß, den Magister Albertinus. Der war einst ihr Lehrer gewesen für eine kurze Spanne Zeit, er war der einzige, der ihrem liebearmen Leben ein wenig Glanz und Freude gegeben hatte. An ihn schrieb die kleine Frau eines Tages, als in Pösen eine Kuh erkrankt war, denn ihrer Meinung nach wußte Magister Albertinus alles, was einer nur wissen kann. Und der Magister sandte ihr eine Flasche Lebenselixier, das half der Kuh auf die Beine, ob sie nicht von selbst aufgestanden wäre, wußte niemand. Wenige Tage später kam der Magister anspaziert, er trug in einem Felleisen eine ganze Apotheke zusammen. Seltsame Mittel, auch ein Büchlein Rezepte brachte er der Madame de Charreard und dazu die Neuigkeit, daß man im Schloß Monsieur Anthoine arg vermisse. Die Neuigkeit warf Sophia Christine zum Fenster hinaus, die mochte sie gar nicht hören, aber die Fläschchen und Büchsen stellte sie in den alten Schrank der Nesselrodes und das kleine Buch nahm sie mit warmem Danke an. Der Hausherr lachte ein wenig über diese Alchymisterei, wie er es nannte, aber seine Frau ließ sich nicht beirren. Sie gab da ein Tränklein, dort eine Latwerge, und weil die Bauern ein eisenfester Schlag waren, schadeten die Mixturen nichts und der gute Glaube half zum Gesundwerden. Monsieur de Charreard hatte über den Heilkram des Magisters gelacht, das Wort, man vermisse ihn im Schloß, warf er nicht wie seine Frau zum Fenster hinaus. Er dachte daran, dachte mehr und mehr darüber nach, und eines Tages ritt der Herr von Pösen, von einem Reitknecht begleitet, nach Jena. Die junge Frau stand unter der Linde und ihre Augen waren dunkel von Tränen. Und wie sie so stand und in die Ferne sah und ihre Sehnsucht auf grauem Rößlein dem Gatten nachritt, kam der Hofverwalter, er wollte dies und das wissen, wie die Arbeit eingerichtet werden sollte, und Frau de Charreard wußte es nicht. Da dachte sie an den Rabenvater, und wie sie ging und stand lief sie den Wiesenabhang hinab und kam bald heiß und verwirrt auf dem stillen Hofe an. Vieler Worte brauchte es nicht. Der alte Bauer mit den eigentümlich hellen Augen verstand sie gleich, er hatte Zeit, er hatte den Willen zu helfen, und er half. Fünf Tage lang war das Haus ohne Herrn, und niemand merkte es. Nach fünf Tagen kam Herr de Charreard zurück, ein wenig blaß und müde und herzhaft verdrossen. Des Herzogs Bernhard Bruder war da gewesen, und es hatte ein scharfes Trinken gegeben. Und als der Hausherr heimritt, wieder unter den nun längst verblühten Linden dahin, kam ihm sein Einzug in den Sinn, und er fühlte, er hatte seine junge Hausfrau zu bald alleingelassen. Auch an die Arbeit dachte er, und daß nun wohl eine ziemliche Verwirrung entstanden sein würde. Er hielt sein Pferd an. Sein Diener war noch ein gutes Stück zurück und mit leiser Trauer über sich selbst sah der Mann in das friedliche Tal hinab. Da kam ihm des Wegs der alte Rabenvater entgegen. Der grüßte ehrerbietig und doch mit viel Würde in seiner Haltung. »Wo kommt Er her?« Des Gutsherrn Stimme klang mißmutig. Der Alte hatte etwas in Blick und Gebärde, das ihn reizte. Wie der Werktag selbst, der vollgerüttelte ehrliche Arbeitstag sah er aus, und da er nicht gleich antwortete und doch über Pösener Grund ging, herrschte Monsieur Anthoine ihn schärfer an: »Wo kommt Er her, rede Er doch?« [Illustration] »Vom Mähen drüben am Hähnchen,« antwortete der Alte gelassen und zeigte mit der Hand nach dem Waldberg hinüber. Wirklich, da stand das Kornfeld nicht mehr in goldner Flut, in Garben stand es aufgeschichtet. Dem Gutsherrn stieg es heiß ins Gesicht. »Wer hat's Ihm geheißen?« schrie er den Bauer an. »Die gnädige Frau!« Der Rabenvater sah mit seinen hellen Augen klar dem Herrn ins Gesicht. »Gnaden haben nicht gewußt, was zu tun war für die Knechte, und da haben Gnaden mich geholt, wie mich die gnädige Frau von Nesselrode oft geholt haben.« Anthoine de Charreard sah verlegen an dem alten Bauern vorbei. Er wußte es plötzlich, es war jetzt keine Zeit für einen Landmann, davonzureiten; schon wollte er dem Pferde die Sporen geben und ohne Wort und Gruß an dem Alten vorbeitraben, doch es war, als hielten dessen helle Augen ihn fest, er sagte: »Also Dank für die Hilfe -- ich frage morgen mal bei Ihm nach.« Er nickte dem Bauern zu und ritt heimwärts. Sein Reitknecht hatte ihn inzwischen erreicht und als er vor das Haus ritt, meinte er, die Türe müsse sich auftun und Sophia Christine ihm mit Jubel entgegeneilen. Doch nichts geschah, im Haus blieb es still, auf dem Hof gackerten nur ein paar Hühner. Er stieg ab und öffnete die Haustüre, kühl wehte es ihm entgegen und seine Stimme dröhnte im weiten Flur. Da öffnete sich denn freilich flugs die Seitentüre, zwei Mägde kamen angelaufen, sie knixten, sahen verlegen drein, eine hielt die Schürze vor das Gesicht, denn sie alle hatten eine ungeheure Ehrfurcht vor dem feinen und schönen Gutsherrn. Es dauerte eine ganze Weile, ehe Herr Anthoine aus dem Gestammel heraushörte, seine Frau wäre in der kleinen Hauskapelle. Ach so, es war ja morgen Sonntag und der, an dem der Prediger aus Bucha die Andacht hier hielt. Das kam ihm in den Sinn, als er mit gedämpftem Schritt zu der Kapelle ging. Als er die Tür zu der Empore auftat, sah er seine Frau auf den Altarstufen sitzen. In ein paar Zinnkannen blühten die letzten lichtroten Malven auf dem kleinen Altar, sie standen im Glanz der hereinfallenden Sonne, und auch das Gesicht Frau Sophia Christines war vom hellen Licht umflossen. Herr Anthoine de Charreard staunte seine junge, zarte Frau an. Es lag ein fremder, schöner Ausdruck auf ihren Zügen, das Kindhafte, Scheue war verschwunden, als lägen Jahre zwischen ihrem letzten Zusammensein, nicht fünf Tage, so war es. Sophia Christine hob den Kopf. Sie hatte die Schritte vernommen und wußte, wer da kam. Ein Lächeln grüßte den Mann. Kein Mißmut, kein Ärger über sein langes Fortbleiben, und als er, beschämt fast von der sanften Güte, die Treppe hinabstieg und sich eilte, die Frau zu grüßen, strahlten ihm ihre Augen entgegen, und sie sagte schlicht und fromm: »Gott will uns ein großes Glück geben, lieber Mann, er will uns ein -- Kind schenken.« Das einfache Wort zwang den Mann auf die Knie neben seine Frau. Sie sprachen froh zusammen von kommenden Tagen, von ihrer Lust und ihrer Freude, und Herr Anthoine sagte: »Gibt Gott uns einen Sohn, so wird er hoffentlich heimkehren können nach Frankreich.« Sophia Christine schüttelte sacht den Kopf, sie antwortete sanft, ohne Widerspruch in der Stimme: »Ich wünsche meinen Kindern keine schönere Heimat als dieses stille Tal.« »Du kennst sie nicht, die schönen Ufer der Loire, du kennst nicht meine schöne Heimat. Du würdest sie diesem --« er stockte -- sein Blick ging zur offenen Türe hinaus und er sagte das Wort >armselig< nicht. Er sah drüben den Berg ansteigen, oben von dunklem Wald gekrönt, er hörte den Bach klingen und sah den Himmel blau über dem Tale stehen, und er dachte an die Flucht und an die Heimatlosigkeit seiner Jugend, und er umschloß nur fest die Hand Sophia Christines. Schweigend saßen sie beisammen im Glanz der Sonne, sie hörten ihre Herzen reden. -- * * * * * Es rann noch mancher Tropfen Regen in das einsame Tal hinab und schwellte den Bach, noch viele Arbeitsstunden kamen und noch mancher Sorgentag. Es wurde Herbst, der Winter kam, endlose Wochen, in denen Pösen eingeschneit lag. Endlich brausten die Frühlingsstürme um das Haus, und Herr de Charreard ging über den Speicher mit dem alten Rabenvater und der sagte: »Knapp wird's zulangen.« Der goldene Feldsegen war nicht allzu reich gewesen, es galt zu sparen an allem, was zu des Lebens Notdurft gehörte. Noch hatte der neue Besitzer nicht mehr Vieh anschaffen können, und es gehörte der ganze hoffnungsfrohe Mut Sophia Christines dazu, um jeden Morgen heiter zu grüßen. Ihr Mann verzagte leichter. Ein paarmal ritt er im Mißmut nach Jena, doch war seine Abwesenheit immer nur kurz, und wenn er wiederkam und von den Linden aus das Haus im Grunde liegen sah, war es doch immer Heimatfreude, die ihn bewegte. Und dann kam er einmal von einem Hoffeste heim, zu dem der Herzog ihn so dringlich geladen hatte, daß er nicht fern bleiben konnte, und als er in sein Horn blies um seine Ankunft zu melden, kam Sophia Christine nicht wie sonst, ihn zu grüßen. Es war schon Frühling. Grüne Seidenfahnen wehten über Baum und Sträucher. Die Schwalben tanzten in der silberklaren Luft, die Erde strömte erfrischten Atem aus und Herr Anthoine de Charreard vergaß ganz die grünen Loireufer, so stark war das Gefühl: »Hier bist du zu Hause.« Aber seine Frau kam nicht. Und in den Augen der Dienstleute las er sorgenvolles Teilnehmen. Da fragte er nicht, er suchte und fand Sophia Christine im Prunkgemach des Hauses. Vor ihr auf dem Tisch standen zwei silberne Becher, lag bescheidener Schmuck und ein paar Gevattergulden. Alles in allem kein Reichtum, ein dürftiges Silberschätzlein, und die Stirne der jungen Frau war sorgenvoll gekraust. Doch brach die helle Freude hervor, als sie den Heimgekehrten erblickte. »Ist meine liebe Hausfrau eine Schatzsucherin geworden?« fragte der Gutsherr heiter, »was soll die Aufhäufung unseres Silberschatzes?« Es waren keine Kinderaugen mehr, Sorgenaugen waren es, die den Mann anschauten. »Wir müssen das verkaufen,« flüsterte Sophia Christine. Sie legte flink noch einen goldenen Ring dazu, den sie von ihrer Mutter hatte. »Wir reichen nicht mit dem Brotgetreide bis zur Ernte und --« Es war eigentlich viel, was im Hause fehlte. Zu viel für das armselige Schätzlein. Doch diesmal wußte der Herr de Charreard besseren Rat. Er hatte des Herzogs Erlaubnis erhalten, auf das Gut zweihundert Taler aufzunehmen. Freilich das Geld mußte verzinst werden, immerhin, der Rabenvater hatte gesagt, es würde ein gutes Jahr werden, alle Zeichen dafür wären vorhanden. Da kamen die Eheleute wohl aus der Not heraus. Der Geheime Rat Ries hatte versprochen, sich nach einem umzutun, der wohl das Geld geben würde. Er hatte gemeint, der Amtsschosse der Leuchtenburg, die bei dem Städtchen Kahla lag, Herr Heinrich Rudolph, würde es leihen können und es auch gerne tun. Das war freilich Trost. Und frohgemut packte Frau Sophia Christine ihr Silberschätzlein wieder zusammen, und als ihr Mann wehmütig sagte: »Arme Frau,« da rief sie: »Reich, nenn mich doch reich.« 4. Kapitel. Es wurde ein rechtes Frühlingsbüblein, das seinen Einzug in einer Mainacht auf Pösen hielt. »Mein Sohn,« sagte Herr de Charreard stolz. »Ein Charreard!« »Mein Kind,« sagte die junge Mutter, denn ihr war es gleich, ob Bube oder Mädel da neben ihr lag als schönstes Gottgeschenk. Drei Tage hatte Sophia Christine eine ungestörte Freude an dem kleinen schreienden, zappelnden Menschenwesen, dann schritt die Sorge in das Haus. Diesmal trug sie die Gestalt eines herzoglichen Reitknechtes und stand in einem feierlichen, äußerst huldvollen Schreiben. Herzog Bernhard meldete sich mit seiner Gemahlin und einigen wenigen Herren und Damen des Hofes zur Taufe auf Pösen an. Seine Gemahlin habe den Wunsch, den »kleinen Franzosen« selbst aus der Taufe zu heben. Sonntag Rogate würden die hochfürstlichen Taufgäste eintreffen. >Sie verhofften,< hieß es in dem Schreiben, >ihrem Treugeliebten Ehemaligen Hofmeister, dem Herrn Kammerjunker, Herrn Anthoine de Charreard und seiner viellieben Ehefrau Sophia Christine, geborene Riesin, eine sonderliche Freude zu bereiten.< Ach du lieber Himmel, fürstliche Taufgäste und alle Vorratskammern leer! Die zweihundert Taler sollten erst Johanni gezahlt werden. Bis dahin hatten einige Bauern in dem Flecken Magdala sich zur Hergabe von Brotgetreide bereit erklärt. Aber mit Brot allein waren fürstliche Gäste nicht zufrieden. »Wir fischen,« sagte Herr Anthoine, der bedrückt am Bett seines Weibes saß. »Die Forellen sind jetzt gut. Und schlachten unsere jungen Hühnchen.« Über Sophie Christines blasse Wangen liefen Tränen. Ihre jungen Kückelchen, ihren Stolz, mußte sie hergeben. Oh, welche Hoffnungen hatte die junge Frau an die kleine Schar geknüpft, sie hatte sie schon alle als dicke gewichtige, aufgeplusterte goldgelbe Hennen gesehen, die jeden Tag das Nest voll Eier legten. Gute Hausfreundinnen sollten es werden. Aber Forellen und junge Hühner, Salat aus dem Garten und Brot genügten nicht für einen Taufschmaus, da mußte Kuchen gebacken werden, dazu gehörten Eier, Butter, alles, was so knapp wie nur möglich auf Pösen war. Woher in aller Welt dies nehmen? Sophia Christine dachte wieder an den kleinen Schatz und Herr de Charreard dachte auch daran, und er sagte aus seinen sorgenden Gedanken heraus: »Es geht nicht anders.« Er wollte noch etwas von Standespflicht hinzufügen, da tat sich die Tür auf und die ganze weibliche Dienerschaft lugte herein und alle sagten sie wie aus einem Munde: »Itze sind sie da!« »Wer denn?« Sophie Christine dachte erschrocken, der Herzog Bernhard mitsamt Gemahlin und Hofstaat wäre eingetroffen; der Besuch, ihre leeren Vorratskammern, das noch unverkaufte Silberschätzlein, alles strudelte ihr im Kopf durcheinander und sie sagte hilflos: »Aber sie wollten doch erst am Sonntag Rogate kommen.« »Nee, so lange warten die niche!« Die alte Röse drängte sich vor, sie sah ordentlich ein bißchen gekränkt drein. »Nee, heute sind's die Buchschen, de Schorbschen kommen erst morgen, es muß alles rechte gehen.« Und die Bäuerinnen von Bucha, alle, die Kinder hatten oder zu denen einmal ein Kind Mutter gesagt hatte, kamen herein. Voran die alte Rabenmutter, die das größte Mutterleid zu tragen hatte, und jede Bäuerin trug einen weiß verdeckten Henkelkorb. Aus dem einen krähte, aus dem andern gackerte es, denn jede brachte eine Gabe dar. Die alte Rabenmutter sprach den Glückwunsch, sprach ihn in einem singenden leiernden Ton, denn so erheischte es Anstand und Sitte. Und verschnörkelt und feierlich waren Satz und Rede. Herr Anthoine de Charreard war zuerst in den Hintergrund des Zimmers vor den andrängenden Frauen geflüchtet, doch die alte Röse, die sonst eine demütige Ehrfurcht vor dem schönen feinen Mann bezeigte, gab ihm diesmal einen sanften Rippenstoß. Sie tat es freilich in tiefster Demut, aber das Stößlein sagte dem Herrn doch, daß augenblicklich sein Platz neben dem Bett seiner Frau war, und er merkte, die anderen Frauen waren der gleichen Meinung. Die Rabenmutter begann ihr Sprüchlein noch einmal vorzutragen. Die Frauen standen alle mit gefalteten Händen und dann beugten sie alle die Knie zur Verneigung vor dem Bett der jungen Frau. Es war wie im Dornröschenmärlein, in dem die guten Feen alle kommen, nur fehlte hier die böse Fee; es waren lauter gute Wünsche und Gaben, die die Buchschen dem kleinen Anthoine darbrachten. Nahrhafte Gaben. Einen Hahn, zwei Hennen, ein paar junge Küchlein, Eier, Butter, eine Speckseite, es fehlte nicht an Wurst und Käse, auch nicht an einem Säcklein Mehl. Und unter den Frauen war eine, die brachte zwei Eier. Sophia Christine aber wußte, die Frau hatte nur ein Huhn und von den wenigen Eiern, die ihr das schwärzliche Huhn legte, hatte sie die beiden abgespart. Sauber lagen sie in frisches Grün gebettet da, und ein wenig ängstlich sah die Alte auf die liebliche Hausfrau, fand sie die Gabe nicht zu schlecht? Da tat Sophia Christine etwas, das gegen Sitte und Herkommen verstieß. Sie hielt keine feierliche Danksagung, sie faßte zuerst die Hand der Rabenmutter und dann Hand um Hand, der Alten aber mit den beiden Eiern strich sie noch einmal linde über die welke Hand. Dabei liefen ihr die Tränen über das Gesichtchen, und es war schon gut, daß ihr Anthoine es etwas besser verstand, eine feierliche Dankrede zu halten. Er redete höflich und herzlich zugleich, stand würdevoll und vornehm vor den Frauen. Denen tat es wohl, Händedrücke und Tränen waren gut, die schwungvollen, feierlichen Worte aber gehörten dazu; da Röse wußte, daß ein Würzebier auch dazu gehörte, hatte sie vorgesorgt. So verlief denn der Besuch recht in den vorgeschriebenen Formen und die »Buchschen« verließen zufrieden mit leeren Handkörben das Haus und versicherten, morgen würden die Schorbschen kommen. Dann wird unsere Speisekammer voll werden, dachte der Hausherr. Ein heimliches Lachen kam ihn an. Er hatte sich noch nie so um eine leere Vorratskammer gesorgt, und als er gefreit hatte, da hatte er gemeint, in ein recht wohlhäbiges Leben hineinzugeraten. Er hatte das auch manchmal gesagt, hatte etwas übermütig der Herzogin Marie gegenüber betont, er wäre des Hoflebens und des Dienstes bei ihr satt und wolle nun ein freies Herrenleben führen. Da wußte er plötzlich, warum die Herzogin ihren Gatten angetrieben hatte, ihn mit der Jungfer Riesin zu verheiraten. In Not und Sorge sollte er hinein, weil er nicht ihr Narr hatte sein wollen. Oh ja, die Landsmännin hatte sich gerächt. War es ihr gelungen? Anthoine de Charreard sah auf sein junges Weib nieder, und er sagte: »Sie gedachten es böse mit uns zu machen, Gott aber hat es gut gemacht.« Sophia Christine nickte ihm zu. Und dann schloß sie müde die Augen und träumte, ihr Bübchen im Arm, von kommenden Zeiten. Herr Anthoine aber verließ das Haus, er stieg den abwärts führenden Weg hinab und gelangte an des Baches Quelle, er wollte ein wenig nach den Forellen sehen, denn eine gute Forellenfischerei war des Gutes Stolz. Und wie er an dem schmalen Wasser stand, das hell über große Steine rann, vergaß er die Fische. Er dachte an das stolze Schloß an der Loire, an der Charreards einstigen Besitz. Kein Charreard hatte wohl noch um den Taufschmaus für den Erben sorgen müssen. Bei Gott, dachte der Herr Anthoine wieder, ich bin in ein recht klägliches Leben hineingeraten. Möge meinem Sohn es besser ergehen, unser König wird es wohl besser mit seinen treuen Untertanen im Sinn haben, als der böse Kardinal Richelieu, dann soll mein Sohn wieder den Namen Charreard zu Ehren bringen. Der Gutsherr vergaß die Fische, aufrecht, hochmütig ging er dem Hause zu, und als er mit der Feierlichkeit früherer Tage an das Bett seiner Frau trat, die ihr Bübchen im Arme hielt, fand er ihr Gesicht ganz überströmt von Tränen. Über diesen Tränen vergaß Herr Anthoine das Schloß an der Loire und allen Glanz der Charreards. Betroffen fragte er nach dem Kummer der kleinen Frau Sophia Christine. »Ach,« schluchzte sie, »ich bin ja so froh, so froh, nun brauchen unsere Küchlein nicht geschlachtet zu werden.« Das war wirklich nicht nötig. Am nächsten Tage kamen die Schorbaer Bäuerinnen mit nicht minder reichen Gaben, und so konnte man denn auf Pösen dem Sonntag Rogate mit Ruhe entgegensehen. Denn die alte Röse führte den Hausherrn selbst in den allerletzten Keller. Tief im Winkel verborgen lag da, aus guten Zeiten stammend, noch ein Fäßchen Wein, an ihm war aller Kriegslärm vorbeigezogen. »Gut, daß es zuletzt die Schweden nicht auch noch durch ihre höllischen Gurgeln gejagt haben,« sagte die Alte. »Denn ob Wein aus protestantischem Hause oder aus einem katholischen Keller, denen ist das so gleich gewesen, wie es ihnen war, woher sie raubten, wen sie mordeten.« Herr Anthoine de Charreard bezeigte wenig Lust, sich von den vergangenen Kummertagen erzählen zu lassen, er stieg vergnügt ans Tageslicht empor, um seiner Frau von dem Fund zu berichten, und er fand wieder ein betrübtes, verzagtes Weiberseelchen. Ein wenig Aprilwetter war schon die kleine Frau in diesen Tagen. Frau Sophia Christine hatte, so gut sie es konnte, Gäste und Eßgeschirr nacheinander an den Fingern abgezählt, und es fehlten mehr Teller als im Dornröschenschloß, ach, es fehlte so viel. Ihr Mann sah ein, daß dies schon eine Not war. Er wußte aber Rat. Am nächsten Morgen fuhr er selbst nach Jena, um bei seinem Schwiegervater und den übrigen Verwandten seiner Frau das notwendige Hausgerät zu erborgen. Er bekam alles, ja sogar die schweren, einst mit eigener Lebensgefahr erretteten, silbernen Prunkleuchter gab eine Muhme her, denn die Kunde, daß das fürstliche Paar selbst zur Taufe kommen wollte, erregte ganz Jena. Sämtliche Frauenzimmer redeten nur von der Taufe. Und Sophia Christine wurde so viel und mit solcher Ehrerbietung von allen Vettern, Muhmen und Basen genannt, daß diese Überfülle von Hochachtung die kleine Frau gewiß sehr bedrückt hätte. Doch glücklicherweise ahnte sie nichts davon. Sie hielt mit Röse und der Rabenmutter eine sehr eindringliche Eßberatung ab. Das Ergebnis war, nachdem Sophia Christine ein noch von ihrer Mutter stammendes Rezeptbüchlein zugezogen hatte, daß man trotz aller Spenden ein speckfettes Ferkel schlachten müsse. In dieses sollte eine Gans gesteckt werden, in diese ein Huhn, in das Huhn eine Taube, in die Taube, was gerade daherflog, auch ein Spatz, wenn es sein mußte. Und dann ein Zungenmüßlein, Torten und Pasteten. Frau Sophia Christine tat bei jedem Gericht, das ihr einfiel, einen bitterschweren Seufzer, aber glücklicherweise sagte die alte Röse immer: »Es langt zu. Da bruche wir niche bange zu sein.« Und es reichte und wurde ein prächtiges Mahl. Ein Tauftag voll Erdenpracht und Himmelsglanz. Nur ein paar weiße Flatterwolken wehten über den blauen Himmel. In der kleinen Pösener Hauskapelle dufteten große Sträuße, ein buntfarbiges Kranzgewinde schlang sich um die Sessel, die für den Herzog Bernhard und seine Gemahlin hingestellt worden waren. Die Herzogin staunte über das festliche Gepränge, das nach Reichtum ausschaute. Die scheue heimliche Armut, das bange Sorgen der Eheleute, die Quellen der Hilfe ahnte sie nicht. Sie sah nur, was da war, und weil sie den stolzen Landsmann in einer kärglichen Armseligkeit geglaubt hatte, war sie doppelt überrascht. Dazu Sophia Christine! Die war nicht mehr scheu und ungewandt wie einst, sie fühlte sich auf sicherem Heimatboden stehen, dies Gefühl und ihr junges Mutterglück verliehen ihr eine anmutige Würde. Sie war freilich einfach gekleidet, aber sie sah doch festlich und schön aus, und die Herzogin Marie in ihrer dunklen Schönheit, die das neueste Pariser Gewand trug und so gekleidet war wie die Damen am Hofe des jungen Königs Ludwig XIV., vermochte nicht die junge Madame de Charreard zu verdunkeln. Dazu der Sonnenglanz draußen, die Schönheit des stillen Tales. -- Der Herzog Bernhard sagte sein Wiederkommen zu, aber die Herzogin kniff ein wenig die dunklen Augen zusammen. Scharf zogen sich die Falten am Mund herab. Da wußten ihre Damen, sobald wurde der Besuch nicht wiederholt. Sie drängte auch zum Aufbruch und übersah dabei das leise Aufleuchten in den braunen Augen der jungen Frau. Vielleicht wäre sie sonst geblieben. Da hätte sie dann freilich an manches, was im Hause fehlte, ihren Spott hängen können. Als der Abend sank, eine Mondnacht mit lindem Glanz heraufdämmerte, rollten die Wagen mit den Gästen davon; nur ein paar Verwandte Sophia Christines blieben noch. Die aber waren so geblendet von dem fürstlichen Glanz, daß die alte Base Anna Sabine -- jene, die die Silberleuchter hergegeben hatte -- ihrer Nichte diese für künftige Zeiten als Erbe versprach. Ein paar Tage später herrschte wieder die alte Stille in Pösen, aber auch wieder der Mangel. Nach reichen Tagen gab es sehr knappe Mahlzeiten und Herr Anthoine de Charreard freute sich mehr als über den fürstlichen Besuch über den des Herrn Heinrich Rudolph, der von Leuchtenburg her an einem Nachmittag in den Hof einritt und das versprochene Darlehen brachte. Ja, er war nicht ohne Stolz, als Herr Rudolph lobte, wie gute Ordnung unter dem neuen Herrn herrsche. »Ich bin an den Schlägen am Eselsberg vorbeigeritten,« sagte der, »dort wächst ein gutes Korn, das gibt kein Notjahr.« [Illustration] Daß dieser Herr sich zum Bleiben entschloß, freute Frau Sophia Christine herzlich. Sie hörte still den Reden der beiden Männer zu, spürte wohl, daß ihr Gemahl die Lehren des andern mit Aufmerksamkeit annahm. So lauschte sie, bis der Herr Rudolph von seinen eigenen häuslichen Verhältnissen sprach. Von der Frau, die ihm gestorben war, von dem jungen Heinrich Wilhelm von Draksdorf, den er mit seinem eigenen Kinde erzog. »Die beiden müssen uns besuchen,« rief Frau Sophia Christine warm. Und wehmütig klang es hinterher: »Ein Kind ohne Mutter, wie traurig ist das.« Doch dann beruhigte sie sich, als sie hörte, daß eine Verwandte des Hausherrn, Jungfer Elisabeth Scheitlin, die Büblein mütterlich behüte. Aber sacht wuchs doch in ihrem Herzen ein Blümlein auf, in dessen Kelch die Namen der Mutterwaisen standen. Sie schenkte schnell den noch nie gesehenen Kindern Liebe vom Überfluß ihres reichen Herzens. 5. Kapitel. Nach der Taufe des kleinen Anthoine verstummte nun freilich der Festjubel auf dem Gute für längere Zeit. Der Verkehr mit Jena wurde nicht allzu lebhaft fortgesetzt. Die Herzogin vergaß den Landsmann ein wenig, sie schob ihn beiseite wie ein überflüssiges Stück Hausrat; freilich immer mit dem Gedanken, er wäre doch noch einmal zu brauchen. Auf Pösen lebten sie still ihre Tage weiter. Zu dem kleinen Anthoine gesellten sich zwei Schwestern, und gerade kam noch ein Büblein an, als in Jena eine kleine Prinzessin in der Wiege lag. Der Gutsherr fuhr zur Taufe hin, die mit soviel Glanz und Prunk gefeiert wurde, als wäre nicht noch große Armut im Lande. Das Kind erhielt in der Taufe den Namen Elisabeth Marie und ihre Mutter sagte gnädig zu Monsieur Anthoine de Charreard, eine seiner Töchter solle nach etlichen Jahren Gespielin der Prinzessin werden und mit ihr zusammen aufwachsen. Herr de Charreard war zu sehr Hofmann, um sich für diese Gnade nicht alleruntertänigst zu bedanken und von seiner großen, dankbarsten Freude zu sprechen. Dabei wußte er doch, Frau Sophia Christine würde dies ein großes Herzeleid sein. Ein wie viel größeres Herzeleid die Frau gerade in den Stunden durchlitt, ahnte er nicht. Bisher war wohl die Sorge manchmal auf leisen Füßen durch das Haus gehuscht, aber immer hatte sie vor der jungen Frau lebensmutigem Lächeln die Flucht ergriffen, nun aber kam das Leid und klopfte an. Hart, schwer, unbarmherzig. Der kleine Gaston starb. Ganz rasch verlöschte das kleine Lebenslicht und Frau Sophia Christine wollte vor Kummer schier vergehen. Doch da kam die alte Rabenmutter zu ihr. Eine welke, müde Frau war sie, und als sie das tote Bübchen sah, gingen ihre Augen hinweg zu den drei größeren Kindern, und sie sagte schlicht: »Euer Gnaden sind noch reich, sehr reich.« Und Sophia Christine führte still den Reichtum ihres Hauses, ihre drei schönen Kinder ihrem Manne entgegen, als er heimkam, und auch er sagte: »Ja, wir sind noch reich, sehr reich.« Die drei Kinder trauerten wohl dem kleinen Bruder ein paar Tage nach, aber allzu tief war der Kummer noch nicht, er vermochte nicht ihr heiteres Kinderleben zu trüben. Es war ein lustiges Dreigespann, das in Pösen aufwuchs. Anthoine, Anton, wie ihn seine Mutter gern nannte, war besinnlich und stiller, am lebhaftesten war die ältere Schwester. Dorothea Louise, die Louison. Auch ein wenig stiller wieder Johanna Sybille, die Jeannette genannt wurde. Aber alle drei zusammen erfüllten sie Haus und Garten mit lautem lustigem Lärm, und wenn Sophia Christine dies frohe Kinderlachen auftönen hörte, dann begann immer der warme Strom der Freude in ihrem Herzen zu rauschen. Ihr Mann, ihre Kinder, ihr Haus im stillen Tal waren ihre Welt; die Weite draußen lockte sie nicht, die war nicht so groß wie ihr Glück. Der einzige Schatten, der dies helle Glück manchmal trübte, war das Bemühen ihres Mannes, besonders den Sohn zu einem echten Franzosen zu erziehen. Mit ihm sprach er nur französisch, und der kleine Anthoine bekam sehr viel von dem einstigen Glanz der Charreards zu hören. Doch die Loire war weit und das Bächlein, die Leutra genannt, war nahe, also spielte der Bube mit den Schwestern am Bach und der kam ihm mindestens so gewaltig vor wie die Loire. Und wie herrlich war es, am Bach entlang zu laufen, manchmal sogar innen von Stein zu Stein zu springen, bis endlich der Rabenhof erreicht war. Dort gab es ein eiliges Klettern am losen Gartenzaun des Rabenvaters entlang, und auf einmal tauchten vor dem Fenster des Bauernhauses drei lachende Kindergesichter auf und über das düstere Gesicht des Rabenvaters glitt ein heller Schein. Seine Stimme hatte noch einen leisen Frohklang, wenn er rief: »Mutter se sind doe!« Dann kam die Rabenmutter, und die drei Charreards saßen vergnügt als Ehrengäste auf der Wandbank. Ein Glas Milch, ein Stückchen Käsebrot, ein paar Nüsse dünkte ihnen ein Festessen zu sein. Daheim gab es außer den Mahlzeiten nichts, und die drei waren doch etwas wie Spätzlein, es schmeckte ihnen immer. Und dann gab es eine Unterhaltung. Seltsam genug. Zu den drei Schelmen redeten die alten Leute von ihrem abgrundtiefen Leid, von der vergangenen Not, und Jeannettchen konnte kaum richtig reden, als sie das erstemal von den entführten Kindern hörte und das Trostwort sprach: »Sie komme vielleicht wieder.« »Nach über zwanzig Jahren!« Der Rabenvater schüttelte den Kopf. Die Rabenmutter wischte sich über die Augen. Ja, in den ersten Jahren hatten sie noch an ein Wiederkommen geglaubt, aber jetzt nicht mehr. Doch war es wunderlich. Jedesmal wenn Jeannettchen ihr kindliches Trostwort sagte, sank ein leiser Hoffnungsstrahl in die Herzen der beiden Alten. Und um dieser leisen zitternden Hoffnung willen erzählten sie immer wieder die Geschichte. Frau Sophia Christine sorgte sich nicht um ihre Kinder, wenn die vom Wäldchen an der Quelle bis zum Rabenhof liefen, nur den Weg in den Wald, der dahinter lag, verbot sie ihnen. Aber gerade der Wald lockte die drei mit Märchenzauber. Er begann hinter dem Mühlholz; es lag da still und einsam eine Wassermühle im Grunde, und bei dem Müller und seiner jungen Frau mochten die drei auch gern sein. Es gab da im Hause ein paar semmelblonde Hemdenmätzchen, denen die Merfnerin in Bucha Großmutter war. Und wie bei den Rabeneltern wurden die drei Geschwister auch in der Mühle immer gastlich aufgenommen, aber leider war die Mühle Grenze. Und der Müller, ein durch bittere Jugenderlebnisse hart gewordener Mann, sagte immer streng: »Weiter wird niche gegangen, sonst --« und seine Handbewegung verhieß nichts Gutes. Als die drei Charreards nun einmal daheim von des Müllers Drohung erzählten, brauste Herr Anthoine auf. Es wäre unerhört, meinte er, Herrenkindern so zu drohen, doch Frau Sophia Christine sagte heiter: »Ich hab ihn gebeten, auf unsere Kinder zu achten. Er tut's eben nach seiner Weise. So weiß ich wenigstens, sie gehen nicht in den Wald.« Anthoine war neun Jahre alt, seine Schwestern sieben und acht Jahre, als dieses Gespräch stattfand. Der Wald, ach, der Wald, warum man nur da nicht hinein sollte? Am Nachmittag zogen die drei wieder an die Quelle hinab. Aus einer unbeschreiblichen Angst heraus rief Frau Sophia Christine: »Geht nicht zu weit.« Es war ein Junitag voll unerhörter Schöne. Vogelsang, blühende Blumen und Sonnenglanz. Da lockte der Bach, es lockte darin von Stein zu Stein zu hüpfen, es lockten Vergißmeinnicht, die pflückbereit am Rande blauten, und es lockte auch den Rabeneltern ins Fenster zu sehen. Doch wenn man jemand besuchen will, muß der zu Hause sein, und die alten Leute waren an dem schönen Tag schon morgens zu ihren Verwandten nach Schorba gepilgert. Der Rabensohn aber schaffte hinter dem Hause auf einer bergansteigenden Wiese. Er hörte nicht das Klopfen an den Fensterscheiben, sah nicht drei Augenpaare sehnsüchtig in die leere Stube blicken. Nun blieben noch die Müllersleute. Obgleich dem Buben das Wort des Vaters von den Herrenkindern im Ohre sang, fand er doch, ein Besuchlein in der Mühle, in der man so schön auf Böden und Speichern herumklettern konnte, wäre ganz vergnüglich. Er zog also mit den Schwestern die Straße weiter, die sich abwärts senkte. Dort im Schatten des bergansteigenden Nußholzes lag am rauschenden Bach die Mühle. Gegenüber erhob sich steil und kahl der Eselsberg, und vor den Ankommenden stieg schöner dichter Tannenwald empor. Ein paar mächtige Tannen standen am Rande, wie große ernste Wächter. Doch das Mühlrad klapperte nicht. Schweigen lag über dem stillen Grunde; da auch die Vögel mittagmüde ihr Zwitschern eingestellt hatten, mischte sich mit dem Rauschen des Baches nur das Summen der Bienen und Zirpen der Insekten. Die Müllersleute waren auf einer Wiese hinter dem Hause, verdeckt von Gebüsch, und so meinten die Kinder, sie wären auch weggegangen. Das war nun freilich eine Enttäuschung! Anthoine krauste die Stirn nachdenklich. Wenn man auf Abenteuer ausgeht und erlebt gar nichts, so ist das halt bitter. Jeannettchen wollte weinen, aber Louison rief keck: »Dann gehen wir in den Wald!« Es ist verboten! Allen dreien klang das Wort im Herzen. Jeannettchen kreischte erschrocken: »Nein, da sind böse Tiere.« »Ach wo!« In Anthoine erwachte männlicher Mut. Was schadete denn das, so ein bißchen an den Waldrand zu gehen. Seine Freunde -- er nannte die älteren Buben stolz Freunde -- Adrian Rudolf und Heinrich Wilhelm von Draksdorf ritten doch immer durch den Wald, wenn sie von der Leuchtenburg zu Besuch kamen. Also gefährlich konnte es nicht sein. Sie rühmten sogar immer die große Schönheit des Weges. »Komm!« Anton faßte Jeannettchens Hand, und weil der große Bruder den Weg ungefährlich fand, ging die Kleine mit. Louison aber sprang von Blume zu Blume, wollte Schmetterlinge fangen, sie fand das Waldgehen gar nicht unheimlich. Neben den Tannen lief eine Schlucht in den Wald hinein, ein schmaler Weg war da, den verfolgten die Kinder, sie freuten sich an den vielen bunten, noch nie gesehenen Blumen, die hier blühten. Auch ein Schmetterling von besonderer Schöne flog vor ihnen her, einmal saß er da, einmal dort. Sie rannten ihm nach und waren auf einmal tief im Walde drinnen. »Wir müssen heimgehen,« rief Anthoine, »kommt schnell.« Ein seltsamer Laut ließ die Kinder aufhorchen. Es trapste dumpf etwas daher. Pferdegetrappel war es, das hörten sie wohl. Sie blieben tief erschrocken stehen. Wer kam da an? Die sonst so kecke Louison flüsterte zitternd: »Schweden.« Das Wort war für sie der Inbegriff alles Grauens. »Nicht doch, die kommen nicht mehr.« Anthoine nahm all seinen Mut zusammen. Er flüsterte den Schwestern zu: »Wir kriechen ins Gebüsch, flink, duckt euch.« Sie duckten sich alle drei im Unterholz zusammen, das raschelte und knackte, und einer hörte es wohl. Ein Kriegsmann war es, der daherritt. Buntfarbig war sein Kleid, blau und gelb, eine rote Schärpe darüber, von dem riesengroßen Hut wallte eine blaue Feder herab, und eine prunkvolle Schaumünze hing dem Mann um den Hals. Das Gesicht war wettergebräunt, die Waffen, wie alles, was er trug, sahen schon zum Fürchten aus, und den drei Kindern schlug bange das Herz. Sie meinten freilich, sie hätten sich gut versteckt, doch da hielt plötzlich der Reiter vor dem Schlupfwinkel und schrie sie mit rauher Stimme an: »Hollahe, was sind das da für seltsame Vögel. Vorkommen!« -- Er sagte nichts weiter, doch Klang und Miene drohten, und die drei wagten in ihrer Angst gar nicht an ein Ausreißen zu denken. Louison und Jeannettchen brachen in ein lautes Jammergeschrei aus, Anthoine bewahrte noch ein Restlein Mut, er packte die Schwestern an den Händen, als könnte er sie so schützen. [Illustration] Der Reiter legte plötzlich die Hand vor die Augen, als die drei so vor ihm standen. Er sah ein Bild vor sich: ein blonder Bube, zwei blonde Mädels, alle drei zitternd vor Angst, und er hörte das Johlen und Schreien einer rohen Menge, als ein Soldat die älteste ergriff und rief: »Die ist mein.« »Woher seid ihr denn?« Merkwürdig, des Reiters Brummbaß klang plötzlich um vieles milder. Anthoine gab Antwort, seine Stimme flatterte wie ein armer, gefangener Vogel. »Weil die Rabeneltern nicht da waren, sind wir in den Wald gegangen.« Die Rabeneltern! -- Der Mann zog die Augen finster zusammen. »Gehört ihr zu denen?« Anthoine schüttelte den Kopf. »Nach Pösen,« stammelte er. »Die Rabenmutter sagt, sie hat uns lieb.« Louison schrie das Wort heraus in ihrer herzbeklemmenden Angst. Der Reiter nickte ihr ganz freundlich zu. »Da muß ich euch wohl zu ihnen bringen,« sagte er. »Komm, sitz auf!« Ein geller, dreistimmiger Angstschrei ertönte, aber da saß Louison schon auf dem Pferd. Noch ein Griff und Jeannettchen klammerte sich an die Schwester an. »Nicht wegnehmen,« schrie Anthoine und hing sich halbtot vor Angst an das Sattelzeug des Reiters. »Schrei nicht, Bube,« sagte der. »Ich tu euch nichts. Wart, ich steig ab, da kannst du aufsitzen, ich führe das Pferd!« Wieder war in Stimme und Wort ein gutes Klingen, und Anthoine verstummte. Auch die Schwestern schwiegen, als der Bruder so ganz behaglich neben sie gesetzt wurde. Da hockten sie alle drei auf dem Pferd. Der fremde Mann ging neben ihnen, er fragte dies und das, es klang den Kindern wie ein Märchen, sie hörten Namen, die sie noch nie gehört hatten. »Wißt ihr, ob Kunoldts Liese noch in Jägerndorf lebt?« fragte der Fremde. Die Kinder machten runde Augen. Der Bube flüsterte scheu: »Da steht doch nichts mehr!« »Was steht nicht mehr?« »Das Dorf. Der Herr Papa sagt, es wäre ganz verbrannt -- von den Schweden.« Wieder fuhr sich der Fremde mit der Hand über die Augen. Louison sah ihn erstaunt an und plötzlich rief sie: »Du siehst aus wie Rabens Christian.« »Lebt der noch?« Ein Frohlocken war es. Die Kinder nickten eifrig, und dann erzählten sie alles, was sie von den Rabeneltern, von Haus und Hof wußten, und immer mehr fragte der Fremde, mehr und mehr wollte er wissen. Bis Louison plötzlich die Hände nachdenklich zusammenschlug und rief: »Ich weiß was.« »Nun, was weiß die kleine Jungfer?« »Ich weiß, daß du Rabenmutters Nikolaus bist. Jeannettchen sagt immer, der kommt wieder.« Da war just der Wald zu Ende. Die Mühle lag im Grunde und der Fremde ließ stumm das Pferd trotten, und sagte auf einmal: »Wie sieht denn die Rabenmutter aus?« Das wußten die Kinder nicht zu sagen. Sie blickten sich verlegen an, bis Louison ein Wort der Mutter einfiel, sie rief mit ihrem hellen Stimmchen: »Wie das liebe Herzeleid.« Der Mann legte da seinen Kopf an den Hals des Pferdes, und ein seltsam schluchzender Ton kam aus seiner Kehle. Den Kindern wurde Angst, nur Louison tatschte sanft des Reiters Arm. Sie war aber auch froh, daß in der Ferne das Haus der Rabeneltern auftauchte, und zeigte mit dem Fingerlein dahin: »Dort steht die Rabenmutter.« Sie war es, und der Fremde vergaß die drei auf dem Pferd, er stürzte vor, und dann lag der Mann vor der alten Frau auf den Knien und rief: »Mutter, Mutter!« Der Nikolaus war wieder heimgekommen! Vater und Bruder liefen herzu. Die Kinder zappelten auf dem Pferde herum, Jeannettchen, die meinte, wenn jemand anders weint, muß man mitweinen, schluchzte zum Erbarmen, und auch Louisons Tränlein flossen. Anthoine aber saß stolz auf dem Roß. Er hielt die Schwestern fest, und obgleich das Pferd ganz geduldig stillhielt, hatte er doch das Gefühl, ein ganz besonderer Held zu sein. »Die Kinder müssen heim,« sagte die Rabenmutter auf einmal. Der Wachtmeister Nikolaus Rabe hob die drei vom Pferd. Er streichelte sie ganz sacht und sagte, in seinem Mantelsack hätte er auch schöne Dinge für brave Kinder. Jetzt sollten sie nach Hause gehen, morgen würde er nach Pösen kommen und ihnen wunderbare Sachen erzählen. Das war freilich den Kindern nur halb recht. Sie wären herzensgern geblieben, doch der Rabenvater sah ernsthaft drein. »Gut, daß es der Nikolaus war, der euch gefunden hat, es hätte euch schlimm ergehen können.« Da bekamen die drei Schelme doch nachträglich eine schreckliche Angst. Und den halben Weg rannten sie vor Angst, den andern halben Weg vor Eifer, um in Pösen ihr Abenteuer zu berichten. Was sie dort erzählten, war nun freilich so seltsam, daß Frau Sophie Christine zuerst fast das Schelten über das In-den-Wald-Laufen vergaß. Nachher holte sie es jedoch nach, denn die gute Mutter verstand auch das Strengsein zur rechten Zeit. Nur schlimm war die Strafe an dem Tage nicht, denn Frau Sophia Christines Mitfreude am Glück der alten Bauersleute war zu groß. Ein Kind kehrt wieder heim aus dem Weltgetriebe, sang es im Herzen der kleinen Frau. Ach, sie ahnte noch nichts von dem Bangen um der eigenen Kinder Verlorensein in der weiten Welt. 6. Kapitel. Das Heimkommen des Nikolaus Rabe brachte das stille Tal in Aufregung. Vom Gutshaus aus lief noch am gleichen Tage eine Magd nach Bucha, eine nach Schorba, und die alte Rose beneidete fast den Knecht Klaus, der die Kunde in die weitere Umgegend tragen sollte. Am nächsten Tag in aller Morgenfrühe erschienen vor dem Bauernhaus schon Besucher, aber den Nikolaus bekamen sie noch nicht zu sehen, der war schon nach Pösen gegangen, um dem Gutsherrn selbst seine Erlebnisse zu erzählen, und die alte Mutter hatte ihn begleitet. Ein wunderlich verworrenes Leben hatte der Bauernjunge in der Welt draußen geführt, ehe er wieder heimgefunden hatte. Noch ehe er aber zu erzählen begann, fragte Sophia Christine zaghaft: »Und die Mädchen?« Da neigte die alte Bäuerin still den Kopf auf die gefalteten Hände und sagte fromm: »Ich harrete des Herrn und er neigte sich zu mir und hörete mein Schreien.« Der Nikolaus aber erzählte. »Ein Hauptmann, der doch ein linschen Erbarmen noch mit den verschleppten Kindern hatte, schützte die Mädchen vor der Roheit seiner Soldaten. Sie mußten neben seinem Pferd gehen. Ich aber wußt wohl, lang kann er sie nit hüten; und wie wir bei Rotenstein drunten an die Saale kamen, sehe ich, wie mich die Anne Margarete ansieht. Ganz ruhig, als wollte sie sagen: >Niklas, sei tapfer.< Sie war unsere Älteste. Sie hielt die kleine Kathrine an der Hand und hat lang gemerkt, daß ein paar Kerle sie dem Hauptmann haben fortreißen wollen. Wüste Kerle! Auf einmal hör' ich Geschrei, sehe, wie alle zur Saale rennen. Da sind die Mädchen, ehe die Kerle sie greifen konnten, in ihrer Angst hineingesprungen. Ich habe sie nit mehr gesehen, denn das Wasser ging hoch in dieser Nacht, sie sind wohl gleich untergegangen. »Gott sei gelobt,« flüsterte die alte Bäuerin, »daß sie niche untergegangen sin in der Welt draußen. Das Saalewasser ist reine.« Und dann erzählte der Heimgekehrte weiter von seinem unsteten Wanderleben. Nach Schweden hatten sie ihn mitgenommen. Er wäre nicht ungern dort im Lande geblieben, aber sein Hauptmann hatte sich von den Generalstaaten anwerben lassen; er hatte zur See gegen die Engländer gekämpft, dann wieder im schwedischen Heere, er war dann mit gegen den König Ludwig von Frankreich ins Feld gezogen. Nach dem Aachener Frieden hatte ihn aber eine heftige Sehnsucht befallen, doch die Heimat seiner Jugend wiederzusehen. Er wußte freilich nicht recht, wo eigentlich das kleine Haus lag, dem er entstammte. Hatte er in der Welt draußen die Namen Bucha, Pösen, Schorba genannt, dann hatten ihn die Menschen ausgelacht. Bis einer ihn mal frug, wie denn der Fluß hieße, in dem seine Schwestern ertrunken wären. Nikolaus hatte lange nachdenken müssen, schließlich war ihm doch der Name eingefallen, und da war er das Saaletal von Franken herwärts gezogen. Bis zu dem Städtchen Kahla war ihm alles ganz fremd erschienen, dort hatte er auf einmal die Leuchtenburg auf ihrem runden Kegel gesehen und nun den Heimweg gefunden. »Aber vielleicht wärst du doch falsch geritten, wenn du uns nicht gesehen hättest,« erklang da zutraulich Louisons Stimmchen. Sie schmiegte ihre kleine Hand in die Kriegsmannsfaust, tat es zu einer langen Freundschaft. Anthoine und seine Schwestern waren bald des Nikolaus unzertrennliche Kameraden. Ihnen mußte er immer wieder von seinen bunten Weltfahrten erzählen, und immer, wenn er es tat, flehte Louison: »Geh nicht wieder weg. Gelt, nun bleibst du hier?« Ach, die kleine Louison ahnte gar nicht, welch treues Herz sie gewonnen hatte. Ans Weggehen dachte der Nikolaus auch gar nicht. Ans Daheimbleiben und Heiraten viel mehr. Doch ehe er, der ein hübsches Geldchen mitgebracht hatte, zu einem Weib und einem Hof gelangte, wendete sich das Schicksal der kleinen Louison, es riß sie heraus aus dem heiteren Leben im stillen Tal, trennte sie von der Heimat. Schöne Sommerwochen vergingen. Im Tälchen hatten sie noch immer vom Nikolaus und seinen Fahrten zu reden, als eines Morgens in der Frühe, als noch ein zarter Dunstschleier über Wiesen und Wald hing, ein Bote von Jena in das Tal einritt. Er meldete den Besuch der Herzogin Marie an, die mit der kleinen Prinzessin Elisabeth Marie kommen wollte. Beim ersten Blick auf das liebenswürdig gnädige Handschreiben wußte es Sophia Christine: das bringt mir Unheil. Ihr Herz tat einen so schweren Schlag wie noch nie, seit dem Tode des kleinen Gaston. Sie preßte die Hände zusammen, als ihr Mann ein wenig aufgeregt von der Bewirtung sprach. Diesmal war die Speisekammer nicht leer auf Pösen, Frau Sophia Christine war wirklich ein Bienchen geworden, das eintrug für Wintersnot, so viel es nur gab. Nur ein paar Helferinnen fehlten, dazu mußten die Kinder flink nach Bucha laufen und einen weiblichen Küchenrat aufbieten. Das Verhältnis mit den dortigen Bauern war durch der Frau von Charreard immergleiche Freundlichkeit ein sehr gutes, Dorf und Gut nahmen Anteil eins an des andern Ergehen. Es kamen auch flink ein paar Helferinnen, und da es seit zwei Jahren eine junge Pfarrersfrau gab, kam die auch zur Hilfe mit. Herr Anthoine sah zufrieden, wie im Hause alles rüstig und lebendig an der Arbeit war, er sah das ohnehin blitzsaubere Saalzimmer noch blitzsauberer werden, und er sah mit Bewunderung seine zierliche Hausfrau als häuslichen Generalfeldmarschall alles anordnen. Wirklich, er war ein reicher und glücklicher Mann! Reichtum und Glück, beides waren für ihn Weib und Kinder, und es trieb ihn, dies Sophia Christine zu sagen, aber gerade als er es tun wollte, kamen ein paar Mägde angelaufen mit einer dringlichen Küchenfrage, da ließ er das gute Wort ungesprochen. Es sollte ihn noch bitter reuen. [Illustration] Die Herzogin kam, die kleine Prinzessin Elisabeth Marie mit ihr, ein paar Hofdamen, zwei Kammerherren begleiteten sie. Und die Herzogin war von besonderer Freundlichkeit, sie ließ sich die Kinder vorstellen, und die kleine Louison, die braunes, lockiges Haar und die großen strahlenden Augen der Mutter hatte, schien ihr ganz besonders zu gefallen. Sie tat die freundliche Frage: »Möchtest du an den Hof kommen, schöne Kleider tragen und mit meinem kleinen Fräulein spielen?« Ach, höfisches Wesen hatte Frau Sophia Christine ihren Kindern nicht beigebracht. Louison hob das Näslein keck, sah die kleine blasse, seltsam verträumt ausschauende Prinzessin an und antwortete zum grenzenlosen Entsetzen ihres Vaters und zur ganz heimlich lachenden Freude der Mutter: »Nein, das möchte ich nicht. Ich will den Adrian heiraten und auf der Leuchtenburg wohnen. Vielleicht auch den Niklas Rabe, wenn er keine Frau findet. Oder alle beide.« »Ei, =ma petite= sieht sich früh nach einer Mariage um. Und gleich zwei Freier. Wer ist denn Adrian und wer Niklas?« »Kindergeschwätz,« sagte Herr de Charreard ärgerlich. Doch die Herzogin, die ihres einstigen Freundes Verlegensein wohl bemerkte, hielt Louison fest und fragte nach den beiden Freiern. Und Louison gab Antwort, unbekümmert um des Vaters gefurchte Stirn, unbekümmert um das verhaltene Kichern der Hofdamen. Von Adrian Rudolf sagte sie nur den Namen, ihren neuesten Freund Nikolaus Rabe aber beschrieb sie sehr lebendig, beschrieb ihn mit zärtlicher Bewunderung. »=Fi donc=, einen Landsknecht!« »Kindergeschwätz!« rief der Vater nochmals unwirsch, aber da sagte plötzlich in das allgemein verhaltene Lachen hinein die Prinzessin ganz ernsthaft: »Ach, der Niklas muß schön sein, den möchte ich auch heiraten.« Nun lachten alle. Selbst die Herzogin lachte mit. Sie strich leicht über ihres Kindes Wange und sagte kühl: »Du heiratest einen großen Prinzen.« Doch die kleine Elisabeth Marie, der es ganz besonders gut auf Pösen gefiel, rief: »Ach nein, ich möchte dann lieber den Anthoine, der gefällt mir.« Und sie streckte dem dunkellockigen Buben das Händchen hin, da war auch für ein Leben eine Freundschaft geschlossen. Die Herzogin brach das Gespräch ab. An dem stillen Jeannettchen sah sie vorbei. Und dann war sie liebenswürdig und herablassend, und Frau Sophia Christine wußte doch, sie will unser Glück stören. Zeitig am Nachmittag brachen die Gäste wieder auf, und schon im Wagen sitzend, sagte die Herzogin: »Louison kann mein kleines Fräulein begleiten. Monsieur de Charreard wird uns doch auch den Weg weisen.« Sophia Christine erblaßte tief. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie das Kind selbst in den Wagen hob. »Sie wird mir genommen,« schrie es in ihr, und sie strich mit der Hand segnend über das liebliche Gesicht. »Gott schütze dich!« Louison hörte nicht der Mutter Herz weinen. Die Fahrt in dem schönen Wagen neben dem blassen Prinzeßchen kam ihr sehr vergnüglich vor. Sie breitete ordentlich wie eine kleine Dame ihr Kleid aus, als wäre das Leinenkleid von Brokat, und ihr strahlendes Gesichtchen war das letzte, was die Mutter für lange Zeit von ihrem Kinde sah. Monsieur de Charreard gab seiner fürstlichen Landsmännin das Geleite. Er hoffte, sie würde ihn unterwegs entlassen, aber daran dachte die Herzogin nicht. Sie sah ihn lächelnd neben ihrem Wagen reiten, und bei dem Dorf Ammerbach, das Jena schon nahe war, fragte sie ihn, ob er nicht so weiter ihr Begleiter sein wolle. Als Herr Anthoine sie etwas verwundert anschaute und nicht gleich die rechte Antwort fand, erzählte sie ihm, sie würde nach Paris reisen, um ihre Verwandten zu sehen. Zu ihrem Begleiter habe der Herzog ihn auserwählt, er käme auf diese Weise einmal in sein Vaterland, und König Ludwig, dessen Höflichkeit gegen Damen bekannt sei, würde nichts tun, was ihren Begleiter kränken könne, wenn er auch ein Flüchtling wäre. Nach Frankreich zurückkehren, Paris sehen, den Traum seines Lebens! Als der Wagen in Jena einfuhr, hatte Monsieur de Charreard, der Gutsherr von Pösen, sein stilles Glück im Tal vergessen; er sagte ja zu allem, was die Herzogin ihm vorschlug, er sagte auch ja zu dem Verbleiben seiner kleinen Tochter am Hofe. Es war wie ein Rausch über ihn gekommen, er duldete es, daß die Herzogin selbst noch ein Brieflein an die zurückgebliebene Frau sandte, eins, in dem sie höhnisch von dem großen Glück schrieb, das dem Hause Charreard an diesem Tage erblüht sei. »Morgen reise ich heim und Sophia Christine wird einsehen, daß ich nicht nein sagen kann,« dachte der Mann. Louison weinte sich in den Schlaf. Ihre Sehnsucht nach der Mutter und den Geschwistern war groß, aber niemand kümmerte sich um dieses junge Leid. Die diensttuende Kammerfrau erzählte ihr von den schönen Kleidern, die sie bekommen würde. Aber was kümmerte sich das Landkind um Putz und Tand? Es verlangte wild nach den Lieben daheim und sagte zuletzt trotzig und doch zuversichtlich: »Der Niklas holt mich schon heim, der tut es gewiß.« Monsieur de Charreard selbst dachte an diesem Abend nicht viel an die Seinen. Aus Weimar war Herzog Wilhelm gekommen, ein junger Landsmann, Raoul de St. Laurent, war mit ihm eingetroffen, da wurde von vergangenen Zeiten und von der bevorstehenden Reise gesprochen. Raoul de St. Laurent schilderte Paris in glühenden Farben, er redete sich heiß, und Herr Anthoine übersah dabei die freche Zudringlichkeit des jungen Herrn, der an einem deutschen Fürstenhof über die Deutschen spottete, der nur ein Land in der Welt gelten ließ, Frankreich. In Pösen wartete Sophia Christine bang Stunde um Stunde auf Mann und Kind. Sie saß einsam unter der Linde und sah die Nacht kommen. Der Himmel war hell, der Sterne gewaltiges Heer glänzte daran. Aber die Sterne waren weit und das Leid war nahe. Sophia Christine faltete die Hände, sie wollte beten, aber es war nur ein flehendes Stammeln, was über ihre Lippen kam. »Gott, lieber Herre Gott hilf!« Und dabei wußte sie nicht einmal, in welcher Not ihr Gott helfen sollte. Sie ahnte nur die Gefahr, kannte nicht ihr Gesicht. Und wie sie so saß, ganz eingehüllt in den Frieden der warmen hellen Nacht, hörte sie von fern Hufschlag, sah ein Licht aufglitzern. »Anthoine!« Sie lief dem Kommenden entgegen, meinte, es müsse der Gatte sein, aber dann erschrak sie, als eine fremde Stimme herrisch fragte: ob hier das Kirchlehen Pösen, der Besitz des Monsieur de Charreard liege? [Illustration] Es war gut, daß die alte Röse in gleicher Herzensangst vor kommendem Unheil im Hauswinkel gehockt hatte. Trotz der vielen Arbeit des Tages lief die Alte doch wie ein Wiesel und plötzlich stand sie, eine Laterne in der Hand, neben ihrer Herrin und sagte barsch, um ihre Angst zu verbergen: »Was will Er?« Der Mann reckte sich auf seinem Pferd und gab hochmütig Bescheid. Er legte den Brief der Herzogin in Sophia Christinens zitternde Hand, und diese wußte, es war Leid, was ihr der Mann brachte. Sie hielt sich aber aufrecht, stand fein und vornehm vor dem aufgeblasenen Diener, und als er sagte, eine Antwort brauche er nicht, nickte sie und sagte gelassen: »Röse, gib ihm einen Trunk, dann mag er heimreiten.« Der Bursche knickte zusammen, wurde höflich und untertänig. Er dachte ärgerlich bei sich, des Herrn de Charreards Hausfrau täte so vornehm wie die Frau Herzogin selbst, aber als er in das nun vom Laternenschein erhellte bleiche Gesicht sah, rutschte in seiner Meinung die Frau Herzogin sogar ein Stückchen abwärts. Die hatte ihr böses Lächeln um die schmalen Lippen gehabt, als sie ihm selbst den Brief übergeben. Die Frau de Charreard sah aus wie eine Heilige, fein und fromm, und darum verneigte sich der Bote, nachdem er getrunken und Röses Zehrbrot in seine Satteltasche gesteckt hatte, fast noch tiefer als vor der Herzogin selbst. Hinter ihm blieb es still. Sophia Christine hielt den Brief in der Hand, er brannte sie wie Feuer und doch wagte sie kaum, das Siegel zu lösen. Endlich tat sie es doch. Röses kleine Laterne warf einen zitternden Schein darauf. Einmal las die junge Frau den Brief, noch einmal, dann brach sie mit einem Wehlaut zusammen. Sie lag unter der Linde wie ein Bäumchen, das der Blitz zersplittert hat, lag da und weinte, und die alte Röse stand stumm dabei. Sie, die schon so viel Kummer gesehen hatte, konnte nicht sprechen, sie wußte, hier weint ein ganz großes Herzeleid. Am nächsten Tag ritt der Gutsherr von Pösen heim. Der Rausch der fürstlichen Gunst trübte nicht mehr seinen klaren Blick. Frankreich, das Land seiner Jugend, lockte, aber als er an dem Buchaer Hohlweg anlangte und in das Tal hinabschaute, wußte er, das Fortgehen war ein Losreißen von seinem Glück. Er ritt unter den Linden dahin, sie waren verblüht, die Bienen summten nicht mehr durch das Blättergewirr, aber jene, die damals gesagt hatte, so wolle sie werden, hatte ihr Wort gehalten. Und wieder, wie nach seinem ersten Ritt nach Jena, war Stille und Schweigen um das Haus. Es war wieder ein Sonnabend, wieder war morgen Gottesdienst in der Hauskapelle, wieder stand die Türe offen und wieder fand Anthoine de Charreard den Altar mit Malven geschmückt und sein Weib in der Kapelle. Aber diesmal strahlte ihm kein seliges Glück aus ihren Augen entgegen. Gramfalten gruben sich um den sonst so lachlustigen Mund und ein ganz tiefes Weh lag in den Augen. Sophia Christine streckte die Arme aus und rief: »Mein Kind! Meine Louison!« »Es bleibt bei dem Vater, soll Frankreich sehen, seine eigentliche Heimat. Sophia Christine -- es ist nur auf ein Jahr.« »In einem Jahr kann man sich sehr fremd werden,« flüsterte die Frau. »Wir nicht!« Herr de Charreard rief es aus tiefstem Herzen heraus, denn er fühlte in diesem Augenblick so wie noch nie: Wo diese Frau war, war seine Heimat. Und sacht neigte er sich über sie und sprach gut zu ihr. Er tat das, so viel er konnte, in den wenigen Tagen, die ihm noch blieben, sein Haus zu bestellen. -- Den Bewohnern von Gutshof und Dörfern war es schier unbegreiflich, daß der Herr eine so weite Reise tun wollte. Und unmerklich erst, aber bald ihm fühlbar, schob sich etwas Fremdes zwischen ihn und die Leute. Auch die Kinder waren plötzlich scheu geworden. Sie sehnten sich nach der Schwester, vermißten der Mutter Lachen, und Jeannettchen sagte ganz ernsthaft zu ihrem welterfahrenen Freund: »Niklas, du mußt unsere Louison zurückrauben. Gelt, das tust du?« »Das Dunderwetter ja, ich tät's schon, aber wenn doch der hochmögende Herr Vater selbst mit auf die Reise gehen. Jeannettchen, den kann ich nit raube. =Parbleu=, das geht nit!« Es ging wohl wirklich nicht. Freilich, Abschied nehmen hätte Louison doch können, sie warteten alle darauf. Aber die Frau Herzogin schrieb in einem Brief, das Fräulein de Charreard würde den Abschied unterlassen. Herr Anthoine brauste auf, das durfte nicht sein, er wollte auf der Stelle nach Jena reisen und Louison holen. »Und sie wieder hinbringen!« Frau Sophia Christine schüttelte leise den Kopf. »Ich weiß, du hast dein Wort gegeben, das mußt du halten, darum mag es bleiben wie es ist.« Und weil der Mann fühlte, sie hatte recht, und ihr doch gern etwas zu Liebe getan hätte, fragte er: »Hast du noch einen Wunsch, Sophia Christine?« Die Frau sah ein paar Augenblicke still zum Fenster hinaus. Unten rannten Anthoine und die Buben Adrian Rudolph und Heinrich Wilhelm von Dracksdorf ein wenig wild über den Hof, Jeannettchen lief schreiend davon, sie mußte einmal wieder die verfolgte Gräfin spielen. Anthoine brüllte wie ein heiserer Werwolf, und die Mutter dachte: werde ich den Jungen auch zügeln können? Und ganz jäh kam ihr der Gedanke an den einzigen Freund, der ihr in Jena lebte, und sie bat: »Schicke mir den Magister Albertinus als Hofmeister her. »Bitte ihn, er tut es schon, er ist gern hier draußen. An ihm werde ich eine Stütze haben -- wenn ich allein bin.« Sonst hätte der Herr de Charreard sicher sehr viel an dem Magister auszusetzen gehabt als Hofmeister für seinen Sohn. Denn des Magisters Steckenpferd war die Reinigung der lieben deutschen Muttersprache von dem überflüssigen Fremdwörtergewimmel. Er ging darin ein wenig über die Grenzen und riß ganz anmutige wohlklingende Sprachblüten mit Stumpf und Stiel aus. Doch war der alte Herr ein treuer zuverlässiger Mensch; und Zeit, lange zu wägen und zu wählen war nicht mehr. Auch war es dem Gutsherrn selber eine Beruhigung, den anhänglichen, alten Freund im Hause zu wissen, er sagte darum ein Ja und hing keine Ermahnung daran, sondern versprach alles zu tun, um den Magister zum Hinauskommen zu bewegen. Dann war noch der Abschied zu überstehen. Vor dem fürchtete sich der fürstliche Reisebegleiter mehr als vor allen Gefahren der Reise selbst. Und dann stand Frau Sophia Christine aufrecht, ohne auch nur eine Träne zu vergießen am Wagen. Hieß die Kinder den Vater umarmen, ließ alles Gesinde freundlich heran und sagte selbst nur einfach: »Gott schütze dich und unser Kind.« Herr de Charreard war über diesen Abschied etwas gekränkt. So keine Träne zu weinen, das ging doch zu weit. Ach, er hörte nicht die vielen, vielen Tränen im Herzen der Frau rinnen, Tränen, die wie eine Flut den Ausgang suchten und ihn fanden, als der Reisewagen hinter den Linden verschwunden war. Da brach die Frau zusammen. Sie schwankte, wäre gesunken, aber da standen auf einmal die alte Röse und die Rabenmutter neben ihr und führten sie in ihr Zimmer. Und der Freund Niklas reichte Anthoine und Jeannettchen die Hände und sagte: »Kommt, ich erzähl' euch von Frankreich, wohin der Vater fährt, oder von Flandern. Da haben wir uns blutige Köpfe geholt. =Parbleu=, war eine elende Kampanje.« »Nicht so was Grausliches,« bat Jeannettchen. »Nix Grausliches, bewahr mich der T...« Nikolaus redete den Satz nicht zu Ende, aber dann saß er mit den Kindern am Bachrand und erzählte ihnen von dem schönen Lande Schweden, von einem friedsamen Tal, in dem er gewohnt. »Ich denke, die Schweden sind so böse?« Jeannettchen schmiegte sich zutraulich an den rauhen Freund. Der strich ihr sanft über die Locken. »Im Krieg werden die Menschen wohl alle böse. Na und was damals Schweden hieß, das waren meist keine echten mehr. Die echten, kleines Fräulein, die taugen schon etwas, vor denen brauchst du dich nicht zu fürchten.« 7. Kapitel. Kurz ist ein Jahr, lang ist ein Jahr. Die Arbeitsjahre mit ihrem Mann zusammen waren Sophia Christine verrauscht wie ein schönes Lied, das erste Jahr des Einsamseins hatte endlose Tage, schlummerlose Nächte, es kroch dahin wie eine Schnecke im Staub. Stunde um Stunde, Tag um Tag flogen die Gedanken zu Mann, zu Kind. Wie ging es beiden? Wer hütete der kleinen Louison junge Seele? Wer war um sie, wer schützte ihre Lieben? Das Laub wechselte seine Farbe, Blatt um Blatt fiel erst sacht zu Boden, bis es ein Sturmwind von den Ästen riß. Über das Tal wehte der Schnee; weiß Dächer und Mauern, weiß im Rauhreif Bäume und Sträucher, der Bach von einem Eisband gebunden. Noch tiefere Stille als sonst im Tal. Weihnachtstraum; erste Frühlingsstürme; Sonnenschein. Der Schnee schwand, in Bäume und Sträucher quoll der junge Saft bis in das äußerste Spitzchen, sie schimmerten rötlich, gelbgrün, hingen sich grüne Spinnewebe über, wieder Schnee auf den Bäumen, aber jede Flocke eine hauchzarte Blüte, in die die Bienen summend vor Lust sich hineinschmiegten. Die Vögel kehrten heim, bauten Nester, die Felder begannen zu wogen und in Sophia Christinens Herzen zitterte heißer die Sehnsucht; nun bald, nun balde kam das Wiedersehen. Doch die Linden blühten und verblühten, Kornblumen, Rittersporn und Mohn säumten die Ränder der Felder, auf den Wiesen duftete das Heu, es wurde eingefahren und die kornschweren Ähren erzitterten eines Tages, nun sang auch ihnen morgen die Sense das Sterbelied. Goldene Hügel wurden geschichtet, die Scheunen füllten sich, der Rabenvater stand auf dem Hof und sagte: »Ein gesegnetes Jahr!« Und als er Anthoine müßig auf dem Brunnenrand sitzen sah, sagte er: »Ins Faulenzerland gehört er niche mehr. Der Junker könnte schon helfen, itze braucht die gnädige Frau Mutter jede Hilfe.« Da schoß Anthoine das Blut ins Gesicht. Er sprang auf und rannte davon, lief auf das Feld und seine Bubenhände griffen Bündel um Bündel. Heißa, das ging, ihn sollte niemand einen aus dem Faulenzerland schelten. Eines Tages blies der Sturm über Stoppelfelder, peitschte schwarze Wolken ins Tal, und auf dem Gut Pösen flüsterten die Leute scheu: »Der Herr ist nicht heimgekommen.« Sophia Christine ging blaß und still einher, sie trug einen Brief auf dem Herzen, in dem stand, Anthoine de Charreard würde erst im Frühling heimkehren, die Herzogin Marie könne sich von dem schönen Paris nicht trennen. Ganz unten stand das Wort: »Wenn es doch erst Frühling wäre!« Der Winter mit seinen langen, langen dunklen Nächten lag noch dazwischen. Es war nicht allein für die Kinder gut, es war auch eine Wohltat für die Hausfrau selbst, daß der Magister Albertinus im Hause lebte. Anthoine und Jeannettchen liebten den gütigen, weisen Mann, liebten selbst seine Schwäche, in jedem unschuldigen Wort einen fremden Eindringling zu wittern. Ein Fremdwort war ihm eine Art Gespenst, gegen das er zornig losging. Zuerst verleidete er den Kindern jegliche Lust an der französischen Sprache. Aus einem Anthoine wurde Anton, der eine Johanna zur Schwester hatte. Die Kinder nahmen des Alten Grille heiter hin, sie verstanden nicht, daß er zu weit in seinem Haß gegen alles Fremde ging, und Frau Sophia Christine war froh, die Kinder in guter Hut zu wissen. Sie hatte genug zu tun, um Sorgen und Sehnsucht mit der großen Arbeitslast zu vereinen, und wenn in seltenen Feierstunden der Magister ankündigte: »Nun wird ein Kriegszug gemacht,« und die unschuldigsten Wörter seltsam genug verdeutscht wurden, da lächelte sie nur dazu, hörte kaum hin und freute sich allein an ihrer Kinder Frohsinn. Abends, wenn sie müde in dem hohen Stuhl saß, in dem ihr Mann sonst gesessen hatte, schlug der Magister einen anderen Ton an. Dann zerrte und zog er nicht fremde Unkräutlein aus der deutschen Muttersprache, dann las er die feinen, frommen Worte Johann Arnds vor, oder er schlug die Trutznachtigall des milden Friedrich Spee auf. Manchmal las er auch, um ein Lächeln auf das Gesicht der jungen Frau zu locken, etwas aus den sinnreichen Heldenbriefen des Herrn von Hoffmannswaldau, der einst mit dem Vater der Herzogin Marie Deutschland durchreist hatte. Von diesem fürstlichen Herrn hatte Anthoine de Charreard die Bücher als besonderes Ehrengeschenk erhalten, er ahnte damals nicht, als er sie in Pösen auspackte, daß ihre gespreizte Sprache das verlorene Lachen auf das Gesicht seiner lieblichen Frau locken sollte. -- Der Winter verging und das uralte, ewig anmutige Spiel, das der einziehende Frühling aufführt, begann von neuem. Wieder gab es blühende Bäume, Vogelsang und Bienensummen, Sonnenschein und warme weiche Luft. Wieder eine unendliche Schöne. Herr de Charreard kam nicht. In diesem Frühling erlitten alle in dem stillen Tal einen großen Verlust. Der Rabenvater starb. Er verlöschte eines Tages still ohne Klage, und seine alte verrunzelte kleine Frau saß mit einem seltsam stillen, frohen Lächeln an seinem Sterbebett. »Ich folg' dir balde.« Sie hielt Wort. Vier Wochen lang ging sie noch mit einem schönen fremden Glanz in den Augen herum, dann starb auch sie. Die Rabenbrüder, die in großer Eintracht lebten, tauschten Haus und Hof. Christian zog nach Zimmritz auf den Hof, den der Bruder gekauft, dort wohnte seine Braut, und der heimgekehrte Kriegsmann nahm den Rabenhof in Besitz. Da hatten Anthoine und Jeannette ihren guten Freund wieder nahe, und es verging kaum ein Tag, an dem sie nicht mitsammen ein Wiedersehen feierten. Nikolaus Rabe war ganz der gleichen Ansicht wie sein Vater, ein Bube in Anthoines Alter mußte zugreifen, und da es die Mutter im Hause schwer bekam, denn die alte Röse begann zu kränkeln, half auch Jeannettchen mit. Die Linden blühten wieder. Sophia Christine hatte es aufgegeben, immer wieder den Weg entlang zu schauen, auf dem ihr Mann kommen mußte. Er blieb noch immer aus, und seit vielen vielen Wochen waren auch seine Briefe ausgeblieben. Es sah darum niemand den Buchaschen Hohlweg entlang, als Herr Anthoine de Charreard ihn eines Tages in einem herzoglichen Wagen daher fuhr. Müde, verdrossen, angewidert von so vielem, was er gesehen, war der Mann heimgekehrt. Er hatte sein Kind Louison mitnehmen wollen, doch die Herzogin Marie hatte eigensinnig darauf bestanden, es müßte in Jena bleiben. In Bucha liefen die wenigen Leute, die nicht auf Arbeit waren, herbei, um den Herrn zu begrüßen. Es waren aber scheue verlegene Grüße, der blasse Mann da im Wagen war ihnen allen fremd geworden. Am liebsten hätte Herr Anthoine gefragt: wie geht es meiner Frau, wie meinen Kindern? Doch das Fragen kam ihm nicht über die Lippen, er tat, als wüßte er alles und war doch ein halbes Jahr ohne Nachricht gewesen. Da wo die Pösener Gemarkung anfing, schafften an diesem Tag zwei mit heißem Eifer. Der Niklas Rabe, der es inzwischen gelernt hatte, ein so rechter Bauer zu werden, wie er ein Kriegsmann gewesen war, hatte von einem Regen zum Abend gesprochen. Das Heu müsse herein. »Dann hilf du mir, Johanna,« sagte der Junker. Anthoine, der nun wirklich nur noch Anton genannt wurde, fand, Heueinfahren wäre eine rechte Arbeit für ein Fräulein de Charreard. Also werkten die beiden Geschwister auf der höchstgelegenen Wiese und wollten gerade mit einem kleinen Handwagen zu Tale fahren, als sie die herzogliche Kutsche kommen sahen. In den zwei Jahren war nur einmal die alte Base Sabine, die um der Silberleuchter willen nun eine besondere Zuneigung zu der Nichte empfand, auf dem Wege dahergefahren, sonst niemand. Den Kindern schlug das Herz, war es -- »Der Herr Vater, der Herr Vater!« Die jungen Stimmen gellten so heftig auf, daß weniger schlafsüchtige Gäule entschieden scheu geworden wären. Die abgestanden müden Tiere aus dem herzoglichen Stall entschieden sich für das Stehenbleiben. Mit einem Ruck hielt der Wagen, und am offenen Fenster tauchten zwei heiße sonnenbraune Gesichter auf. Bub und Mädel, Bauernkinder -- oder? Herr Anthoine de Charreard sah ziemlich verdutzt seine Kinder an. Jeannettchen, die feine kleine Blonde, schulterte jetzt einen Rechen über die Schulter, in Anthoines Haar hing Heu, wie vornehm erzogene Herrschaftskinder sahen alle beide nicht aus. »=Mon Dieu=, was tut ihr?« »Wir fahren Heu ein, Herr Vater,« schrie Anthoine, als wäre sein Vater in den beiden Jahren stocktaub geworden. Gleich aber überkam eine heftige Verlegenheit den Buben vor dem feinen, blassen Herrn, war es wirklich sein Vater? »Er ist's gar nicht, Anton!« Jeannettchen zerrte den Buben am Jackenzipfel. Und schon rannte sie davon. Auch der Bruder dachte an ein Davonlaufen, aber da streckte sich eine weiße, ringgeschmückte Hand aus dem Wagen, und es war doch des Vaters Stimme, die sagte: »Anthoine, ich bin es wirklich -- wie geht es der Mama?« »Die Frau Mutter wäscht,« platzte Anthoine heraus. »Wä--äscht,« Madame de Charreard stand am Waschzuber! Der Bube sah treuherzig und altklug zu seinem Vater auf. »Röse ist doch krank, die Frau Mutter hat's schon schwer.« »Jeannette, wo ist Jeannette?« Ja, wo war die Kleine? Die war, von einer unbestimmten Angst getrieben, abwärts gelaufen, sie rannte über den Hof in die seitwärts liegende Waschküche und schrie in Qualm und Brodem hinein: »Es kommt einer und Anton sagt, es wäre der Herr Vater.« Frau Sophia Christine goß die Seifenlauge in das Spülwasser, kümmerte sich nicht um das angerichtete Unheil, sondern ging todblaß mit wankenden Schritten dem Hause zu. Unter den blühenden Linden wird sie stehen, dachte der Mann. Aber seine Frau stand still und aufrecht an der Haustüre, es sah gar nicht aus, als freue sie sich so besonders der Heimkehr ihres Mannes. Daß sie nur keinen Schritt weiter tun konnte, daß die Bäume, die Landstraße, alles vor ihren Augen wogte und schwankte, ahnte Herr de Charreard nicht. Er hatte eine andere Freude erwartet. -- Es wurde kein rechter Freudentag. Der Gutsherr war reisemüde und mißmutig. Wohin er sah, sah er Arbeit. Er sah alle Hände sich regen, sah seine Kinder schaffen wie Bauernkinder, wußte, seine Frau hatte am Waschfaß gestanden, und er kam wirklich aus dem Faulenzerland. Zwei Jahre hatte er nichts getan, wie einmal ein paar Briefe für seine Herzogin geschrieben, sonst Besuche gemacht, Besuche empfangen, er war zu Bällen und Komödien gefahren, seine Unterhaltung war leichtes Geplänkel, lockeres Scherzen gewesen, und als er am Tisch seines Hauses saß, faltete die Hausfrau fromm die Hände und sagte: »Sprich das Gebet, Anton!« Sie dankten alle in ernster Andacht für das tägliche Brot, er hatte zwei Jahre lang sinnlose Verschwendung, unerhörten Luxus gesehen. Und dann das Fragen, dies bange Fragen der Mutter nach ihrem Kind. »Wie ist Louison?« »Beinahe eine kleine Dame. =Adorable=, ich muß es sagen!« »Betet sie auch noch immer abends? Hat sie uns nicht vergessen?« Herr de Charreard hing sich an die zweite Frage. Nein, vergessen hatte Louison Mutter und Geschwister nicht, in vier Wochen würde sie kommen. »Für immer?« »Nicht doch, =ma chère=. Sie ist die Gespielin der Prinzessin und bleibt natürlich am Hofe.« Sophia Christine seufzte tief, aber sie schwieg. Anthoine aber murmelte halblaut, nur Jeannettchen sollte es hören: »Gut, daß kein Prinz da ist.« »Was sagst du da, mein Sohn? Flüstern ist unschicklich.« Herr de Charreard runzelte leicht die Stirn. Unglaublich, wie die Kinder verbauert waren. Da hob Anthoine das hübsche Knabengesicht zu ihm auf und rief hell, wie Fanfarenklang tönte es: »Ich bin froh, daß kein Prinz in Jena ist, sonst müßte ich zu Hofe.« »So, und wäre das meinem Sohn nicht =agréable=? Ich =persuardire=, es würde ihm gefallen.« »Nein,« rief Anthoine, »ich möchte nur hier bleiben, hier in Pösen oder --« »Nun, was oder!« »Ein Offizier werden. Doch dann weint die Frau Mutter und --« Der Bubenkopf sank tief herab, ganz tief. Sophia Christine lächelte sanft. »Ist recht, du bleibst in der Heimat.« Sie sagte das Wort ohne Schärfe, sie dachte dabei nur an den Sohn. »Seine Heimat ist Frankreich!« Herrn de Charreards Stimme klang gereizt, aber die Falte schärfte sich, als er sah, daß sein Bube ein wenig trotzig den Kopf schüttelte. »=Parbleu=, was soll das?« In Anthoines Gesicht schoß eine tiefe Glut. Er hatte doch wirklich den Vater nicht kränken wollen, aber als der noch einmal sagte: »Deine Heimat ist Frankreich,« schwieg er mit zusammengekniffenen Lippen. »Dankt und geht hinaus!« Sophia Christine sah erschrocken, wie tief die Kluft zwischen dem Heimgekehrten und ihrem Leben war. Die Kinder standen auf, falteten die Hände, beteten still und dann kamen sie beide, küßten ihr die Hände und sagten: »Vielen Dank, Frau Mutter!« »Ihr müßt eurem Herrn Vater danken.« Die ehrlichen offenen Kinderaugen blickten maßlos verwundert drein. Der Magister hatte sie gelehrt, daß der Mutter rastlose Arbeit ihnen das tägliche Brot verschaffe, und sie nächst Gott ihr zu danken hätten. In seinem harmlosen Sinn war es dem Magister nie eingefallen, daß seine Erziehung die Kinder dem fernen Vater entfremde, nun erschrak auch er und er sagte streng: »Sobald der Herr Vater da ist, ist ihm -- und der Frau Mutter zu danken.« Anthoine de Charreard fühlte da auf einmal die weichen Kinderlippen auf seiner Hand, er sah in die offenen unschuldigen Gesichter, und ganz jäh legte er seinen Arm um beide: »=Mes enfants!=« Hätte er gesagt: »meine Kinder,« es wäre wohl ein warmes Hinüberfließen von Herz zu Herzen geworden; das fremde Wort klang fremd an die Ohren der beiden. Ihr Anschmiegen an den Vater schien Pflicht; Wärme und Freude fehlten, und Sophia Christine empfand wieder mit heißem Schrecken die Fremdheit des Heimgekehrten. Sie suchte mit sanften Worten, heiteren Fragen leichte Brücken von Kluft zu Kluft zu schlagen. Sie entfaltete alle Anmut ihres Wesens und Herr de Charreard empfand dies dankbar, aber seine Verstimmung wich nicht. Und als er sah, wieviel auf der Frau gelastet hatte, als er den schlichten Bericht von ihrem Tun hörte, wuchs sein Unbehagen. Weil er der Frau nicht grollen konnte und doch jemand haben mußte, auf den er seine Bitterkeit laden konnte, wurde er heftig gegen den guten, alten Magister, als der harmlos am Abendtisch die Kinder Anton und Johanna nannte. »Meine Kinder haben keine deutschen Namen,« rief er ärgerlich, und als der Magister eine etwas umständliche Erklärung gegen den Gebrauch fremder Wörter und Namen beginnen wollte, unterbrach ihn Herr de Charreard kurz. Sehr hochmütig redete er zu dem alten Mann: Darin würden sie sich nie verstehen, übrigens könne der Herr Magister ja nun wieder nach Jena ziehen; seine Arbeit, für die er ihm danke, sei zu Ende. Er würde nun selbst wieder die Erziehung leiten. Der alte, gute Freund entlassen! Das war das Ende des so sehnsüchtig erwarteten Heimkehrtages. 8. Kapitel. Die alte Rabenmutter hatte einmal der jungen Frau treuherzig den Rat gegeben, über keinen Streit die Nacht dahingehen zu lassen. Und Sophia Christine handelte nach dem Wort. Die Luft war schwül, die Wolken hingen blauschwarz über dem Tale, und in schier endloser Ferne klaffte wieder und wieder ein heller Spalt, in allen Farben glänzte da eine traumhafte Weite auf, mal zog auch ein dumpfes Rollen wie ein Mahnen über das Tal. Die Linden dufteten betäubend, und unter die große Linde führte Sophia Christine ihren Gemahl; wenn auch nicht das, was sie trennte, ganz überbrückt wurde, es war doch von Seele zu Seele wie ein Erhellen, ein Erkennen der Kluft, die zwischen ihnen lag. Anthoine de Charreard erzählte mehr von den Mühsalen seiner Reise und den Bitterkeiten seiner Stellung, und die Frau erkannte, daß ihres Mannes Heftigkeit, sein verdrossenes Wesen wie eine Krankheit war, die sie linde hinwegpflegen mußte. Von dem Magister Albertinus sprachen sie beide nicht, sie dachten beide, morgen. Der gute, alte Mann aber stand in seiner Stube, packte seine Bücher in eine Kiste, und während ihm dicke Tränen über das Gesicht liefen, dachte er, morgen bist du wieder heimatlos, Johannes Emanuel Albertinus. Ein Geräusch an der Tür ließ ihn aufschauen. Anthoine stand da und sah ihn flehend an. »Ihr geht nicht weg, Herr Magister?« fragte seine Stimme. »Morgen, morgen -- es hilft nichts.« Dem alten Mann liefen ein paar Tränen über die welken Wangen. »Muß mir eben wieder eine Heimat suchen,« murmelte er bedrückt. Ach, wo würde er eine finden, die so war wie das stille Tal! Da warf der Bube Anthoine de Charreard den Kopf zurück und er flehte eindringlicher: »Aber Ihr wartet bis morgen früh, Herr Magister!« »Freilich, freilich, das tu ich schon. Aber du, mein Sohn Anton --« Der gute Magister sah etwas verdutzt auf. Die Türe knarrte, sein Zögling war aus dem Zimmer geschlüpft. Ein paar Minuten später redete unten Frau Sophia Christine in die Schilderung ihres Gatten von der unerhörten Pracht am Hofe des Königs Ludwig hinein: »Dort läuft jemand. Wenn's nicht so töricht wäre, meinte ich schier, es wäre unser Anthoine.« »Nun ich hoffe, er schläft.« Ein leiser Stolz schwang als Unterton in den Worten des Vaters mit, als er noch ein paar Sätze über den trotzigen Buben sprach. Unzufrieden war er mit ihm, aber gefallen tat ihm der kleine Kerl doch besser, als alle Buben, die er je gesehen. Es rannte jemand durch das stille Tal. Ein junges Herz schlug laut, denn der Abend war so dunkel und geheimnisvoll. Der Bach rauschte lauter, die Weiden an seinem Rand glichen seltsam verhutzelten, fremdartigen Gestalten, und nirgends dämmerte ein Licht auf. Nur immer wieder erleuchtete der ferne Blitzschein sekundenlang den Weg. Plötzlich erhob sich ein heftiger Wind, der Donner grollte näher, das Wetter zog wohl herauf. Im jäh erhellten Schein huschte etwas über den Weg, groß, unheimlich, ein Baumschatten nur war es, sich neigende Äste, aber es schreckte den Laufenden. Eine Stimme gellte und im Rabenhof drehte sich der Bauer Niklas, der ehemalige Kriegsmann, um und brummelte: »Da schrie jemand.« »War wohl 'ne Katze,« gab seine Frau zurück. [Illustration] Da bellte draußen der Hund laut, jach, voll Wut, gleich darauf wurde sein Bellen zu einem gönnerhaften Gewinsel. »Kruzitürken noch mal, da ist jemand draußen.« Der Bauer stand auf, nahm die immer neben seinem Bett liegende kurze Reiterpistole und tastete sich die Treppe hinab. »Himmel, Hagel und Höllenfeuer, wer ist da?« schrie er. Das Fluchen konnte der Niklas noch gut, nur meinte er es nicht so arg böse damit. Aus dem Dunkel heraus kam eine angstdurchbebte Stimme. »Ich bin's, Niklas, der Anton!« »Na, nun sollen doch gleich zehn Stückrohre drein knattern,« rief der Bauer verdutzt. »Bub, du -- ach so -- wollte sagen, Junker, Ihr, wo steckt Ihr denn?« »Hier!« Anthoine de Charreard trat vor, und da es gerade am Himmel wieder hellte, sah ihn der Bauer. Jetzt war die Angst weggeweht aus der Stimme, als der Bube redete. »Junker, brauchst du noch nicht zu sagen, wenn wir allein sind. Ich wollte dich besuchen.« »Bei des Tilly Gerippe, das ist eine merkwürdige Zeit dazu!« »Mann, mußt nicht so lästerlich fluchen,« rief von oben herab die junge Frauenstimme. »Führ den Junker in die Stube, er wird etwas auf dem Herzen haben.« Das hatte Anthoine nun wirklich. Und kaum hatte innen der Bauer den Zunder angeschlagen und ein winziges Öllämpchen angebrannt, da strudelte schon alles aus dem Buben heraus, was ihm auf dem Herzen lag. Der gute Magister wollte morgen das Haus verlassen und wußte nicht wohin. Und da war Anthoine der Gedanke gekommen, der Magister könne auf dem Rabenhof wohnen. »Du gibst ihm oben die Eckstube,« riet er treuherzig, »und wenn du mal Kinder hast, erzieht er die.« Niklas nickte beifällig. Um das Kindererziehen brauchte er sich ja noch nicht zu kümmern, denn auf dem Rabenhof gab es zurzeit noch keine. Doch den guten, alten Magister hatte er gern, den nahm er schon mit Freuden in sein Haus. In seinem wechselvollen Leben war so viel an dem Manne vorübergezogen, über das er gern ein ernstes Wort redete, und dazu war ihm der alte Magister gerade recht. »Du bist schon ein Schlauer,« lobte er den Buben. »Das muß man sagen, du fängst die Dinge am rechten Ende an.« »Und jetzt muß ich zurück!« Ein kleiner Herzseufzer preßte die Stimme zusammen und der Niklas wollte just sagen: »ich bringe dich heim,« als ein greller Blitz die Stube erhellte und gleich darauf der Donner knatterte. »So, jetzt hätten wir ja alleweil das Wetter auf dem Halse, nune bleibste mir da.« »Aber --« »Kruzitürken, will Er parieren!« Der Niklas schrie wie in seiner Feldwaibelzeit, aber seine Augen lachten und Anthoine sprang an ihm hoch. Das Wetter draußen ängstigte ihn nicht, und daß er auf dem Rabenhof schlafen sollte, kam ihm vergnüglich vor. Niemand würde in seine Kammer kommen, und morgen lief er in aller Frühe heim. Nur daß er dem guten Magister nicht gleich sagen konnte, er könne auf dem Rabenhof wohnen, tat ihm leid, doch der Niklas beruhigte ihn darüber. »So eener wie der Herr Magister ist, der bringt seine Nacht nicht in Grämen zu. Der sitzt jetzt und liest ein gutes, frommes Buch. Um den sorge du nit. Und nun komm, du schläfst hier auf der Bank.« Ein Schlaflied brauchte der Bauer seinem jungen Gast nicht zu singen, es wäre freilich etwas mißtönig herausgekommen. Doch Anthoines Schlaf sollte nur kurz sein. Das Wetter zog über das Tal. Die Stube flammte im Widerschein der Blitze, der Donner dröhnte und der Niklas sagte: »Schlimmer war's Anno dazumal in Flandern nit, und da lagen uns noch die Malefizkerle, die Franzosen vor der Nase.« Und dann ging der Bauer in das Unwetter hinaus, denn er bedachte der Gutsfrau Angst und das Wetter schreckte ihn nicht. Nikolaus Rabe kam zur rechten Zeit auf dem Gute an. Dort hatte Sophia Christine just gesehen, ihr Bube war verschwunden, und das huschende Gespenstlein war ihr eingefallen, das sie erblickt hatte. Ihr Anthoine draußen um diese Zeit, in dem Unwetter! Herr de Charreard runzelte die Stirn, er wollte zornig sein und war doch sorgenvoll. »Warum hat der Bube einen Hofmeister, wenn der nicht auf ihn acht gibt.« »Dem hast du heute den Abschied gegeben,« murmelte die Frau mit blassen Lippen. Und just in dem Augenblick erschütterte ein gewaltiger Donnerschlag das Haus, es hatte einen Baum auf dem Hühnerberg getroffen. Und ihr Sohn verschwunden, wohin war er gelaufen? Da ging die Haustür und vor der blassen Frau stand der getreue Freund. »Ich wollt nur melden, der Junker ist bei mir!« »Bei Ihm, wie kommt er dahin?« Herr de Charreard erkannte den Bauern nicht gleich. Der trug nicht mehr seine heiterbunte, zottelige Landsknechtstracht. Im braunen Wams sah er fremd aus, und dem Gutsherrn kam seine Art zudringlich vor. Er wollte noch einmal heftig fragen, als er an den eigentümlich hellen Augen den Rabensohn erkannte. Da wußte er, wer vor ihm stand. »Er hat mich halt was fragen wollen, was so einem Junkerlein eben einfällt.« »Was wollte er?« Niklas rieb sich an seiner Nase. »Hm, ja, er meinte, der Magister Albertinus könnte nun mal 'n bißchen bei uns wohnen. Ja, ja, mir schon recht, so einen Gast im Haus zu haben.« Herr de Charreard drehte sich um und ging aus dem Zimmer. Er wollte seinem Sohn zürnen und dachte doch im Herzen, er ist treu wie seine Mutter. Aber der alte Magister sollte nicht aus dem Hause, so nicht. Ich kann ja gehen, dachte er bitter, ich scheine überflüssig im Hause zu sein. Er war die Treppe hinaufgegangen und ging sie wieder hinab, und er kam gerade unten an, als der Bauer sich von der Hausfrau verabschiedete. Treuherzig streckte Nikolaus Rabe ihm die Hand hin. »Ist schon gut, daß Euer Gnaden wieder heimgekommen sind. Die gnädige Frau haben auch schmerzlich aufs Heimkommen gewartet. Meine Frau Mutter selig hat noch an ihrem letzten Tag gesagt: Wenn nur unser lieber Herr bald heimkäme.« Das war ein gutes Wort, denn nun sah Herr de Charreard ein frohes Leuchten in den Augen seines Weibes. Er gab dem Bauern die Hand, herzlicher, wärmer, als er dies sonst tat, und Nikolaus Rabe stapfte in das Unwetter hinaus und dachte bei sich: morgen wird der Herr schon sehen, daß er rechtschaffen arbeiten muß und daß das In-der-Welt-Herumreisen nichts ist für einen Gutsherrn von Pösen. Dies sah Herr de Charreard nun freilich am nächsten Morgen recht gründlich. Das Unwetter hatte viel Schaden getan. Dachziegel lagen auf dem Hof, vom Hühnerberg war Steingeröll in den oberen Garten gerutscht, auf den Feldern bogen sich die Ähren zerknickt zu Boden. Als der kleine Anthoine in aller Morgenfrühe nach dem Gute lief, da rauschte und brauste der Bach hochgeschwollen daher, er war weit über seine Ufer getreten, und der Weg zum Gut war von Schlamm und Geröll überschwemmt. Der Bube war so verwachsen mit seiner Heimat, so Kind dieses stillen Tales, daß er alle Vernichtung wie ein persönliches Leid empfand. Er vergaß seine gestrige Sorge, vergaß die Furcht vor der Strafe des Vaters, vergaß alles, er holte sich Werkzeug aus dem Schuppen und begann wie er ging und stand vor allem die Schäden rings um das Haus zu bessern, den Weg zu glätten. Bei dieser Arbeit fand ihn sein Vater. Er sah, wie eifrig der Sohn werkte, und wieder stieg der Stolz in ihm hoch über des Buben kraftvolle Art. Just da kam aber der Magister Albertinus aus dem Hause, der blieb dabei, in das Rabenhaus hinüberzuziehen, und der Anblick des alten Lehrers brachte Anthoine den gestrigen Tag in das Gedächtnis. Er merkte es gar nicht, daß sein Vater beobachtend unter der Linde stand, er hing sich an den Arm des Alten und bat: »Darf ich Euch die Bücher tragen, gelt, ich darf? Und nicht wahr, Ihr bleibt immer, immer bei Niklas?« Als der Magister Albertinus ein paar Minuten später sich nach dem Hausherrn umsah, denn er wollte nicht im Groll von ihm gehen, war Herr de Charreard verschwunden, ein Knecht sagte, er wäre auf das Feld hinaus gegangen. Ein weiter Weg war es nicht, den der gute Magister Albertinus zu gehen hatte, denn auch ihm erschien der Ausweg, im Rabenhof zu wohnen, ein guter. Und doch wurde dies kurze Weglein dem Alten bitterschwer, und Anthoine und Jeannettchen hingen an seinen Armen, als ginge der gütige Lehrer in die weite Welt hinaus. Frau Sophia Christine sah wehmütig dem Trüpplein nach. Sie hatte nicht, wie ihr Mann es ihr vorgeschlagen, zum Bleiben zugeredet. Die Trennung so von Haus zu Haus war besser, das fühlte sie, aber sie dachte doch, wie schwer es sein würde, eine feste dauerhafte Brücke zwischen ihrem Manne und der Heimat, mit allem was drin lebte, zu bauen. Ihre Liebe mußte sehr stark sein im Überwinden, stark im Ertragen, duldsam und linde, sollte ihr Leben wieder werden, wie es vordem gewesen war. Auch Herr Anthoine de Charreard sah das Trüpplein ziehen, und mancherlei Gefühle strudelten dabei in ihm durcheinander. Er fühlte sich schuldig dem alten Freund seiner Frau gegenüber und war doch froh, daß er ging. Der Kinder Mitgehen, ihr Hängen an dem Lehrer kränkte ihn und doch freute ihn ihre Treue. Darüber vergaß er beinahe, auf die Felder zu schauen, er sah, wie die drei, gefolgt von einem Knecht, der des Magisters Sachen fuhr, an dem Bauernhaus anlangten, sah, wie Nikolaus Rabe ehrfurchtsvoll seinen neuen Hausgenossen grüßte, und er schämte sich, und freute sich zugleich. Aber als er dann am Tisch saß, sah er einen Trotzzug im Gesicht seines Buben, auch daß Jeannettchen geweint hatte, und Frau Sophia Christine war fast der großen Sorge froh, die in dieser Nacht über sie gekommen war. Sie redete von dem Wetterschaden und führte sacht den Mann auf den Sorgenweg, damit er nicht auf den eines ungerechten Zornes geriet. 9. Kapitel. Ein paar Tage gingen hin. Sonderbar kam es Herrn de Charreard vor, daß er plötzlich so eingespannt war in die mühsame Arbeit des Alltags nach den Jahren des müßigen Dahinlebens. Es war, als hätte jedes Ding auf dem Hofe, Menschen und Tiere, nur auf das Heimkommen des Herrn gewartet, um sagen zu können: es geht nicht weiter mit unserer Kraft. Zu den herabgefallenen Dachziegeln gesellte sich ein zerbrochener Wagen, die alte Röse dachte an das Sterben, besann sich dann freilich noch für lange Jahre, und der Hofverwalter bekam einen Hexenschuß. Eine Kuh erkrankte, eine Ziege starb, eine Henne zog mit zwölf Küchlein auf die Wanderschaft, und sie wurden erst nach ein paar Stunden von den Kindern in einem Roggenfeld entdeckt. Und das Schlimmste war, Sophia Christine entsanken plötzlich die Zügel aus den Händen, sie erkrankte. All das lange still getragene Leid, alle Sorgen und alle rastlose Arbeit der letzten Jahre stürmten noch einmal in der Erinnerung auf die Frau ein, sie wurde krank. Da war es schon gut, daß der alte Magister Albertinus noch im Rabenhause wohnte und schnell zu Hilfe kommen konnte, auch daß im Dorf ein paar handfeste umsichtige Frauen bereit waren, den Haushaltswagen weiterzurollen. Es merkte äußerlich niemand etwas, aber doch fehlte allen die Hausfrau. Als wäre des alten, wetterfesten Hauses Seele erkrankt, so war es. Am verlorensten kamen sich die Kinder vor in diesen Trübsalstagen. Der Vater redete ein paarmal zu ihnen, aber er redete französisch und die beiden hatten so viel verlernt, sie wußten darum keine Antwort. Herr de Charreard ärgerte sich über das trotzige Schweigen, wie er es nannte. Da blieb ihm einmal Anthoine auf eine rasche Frage die Antwort schuldig und der vermeintliche Trotz des Buben erregte den Vater heftig. Er schlug zu und des Buben Wange brannte rot. Jeannettchen, die neben dem Bruder stand, sagte unwillkürlich erschrocken: »Er hat's doch nicht verstanden.« »Was hat er nicht verstanden?« »Was der Herr Vater gesagt hat.« »Warum versteht er das nicht, er ist doch kein Dummkopf?« Die Kinder sahen sich an, wurden rot und senkten beschämt die Köpfe. In seiner Erregung sprach Herr de Charreard wieder französisch und die beiden verstanden ihn wieder nicht. Sie sahen so tiefbetrübt und zerknirscht drein, daß des Vaters rascher Zorn verflog und seine Stimme einen heitern Klang bekam. Unwillkürlich sprach er sie deutsch an: »Warum versteht ihr mich nicht?« »Der Herr Vater spricht immer französisch und -- und --« »Ihr versteht das nicht.« Herr de Charreard erschrak. So fremd waren ihm seine Kinder geworden, daß sie seine Sprache verlernt hatten. »Hat die Frau Mama nicht französisch mit euch gesprochen?« »Die Frau Mutter hat doch nie Zeit gehabt und -- sie hat so viel geweint.« Herr de Charreard drehte sich plötzlich um, ließ die beiden stehen, wo sie standen, er ging in das Zimmer seiner Frau hinauf, er fühlte es erst recht, wie sehr diese gelitten hatte. Sophia Christine lag in ihrem Bett. Sie war zu müde um aufzustehen, Tränen rannen über ihr Gesicht, und als der Mann zu ihr trat, schrak sie zusammen und er merkte, wie sie scheu die Tränen verbergen wollte. »An was denkst du?« »An -- Louison!« All das still getragene Mutterleid, die Sehnsucht nach dem Kind, das man ihr genommen hatte, tönte wider in diesem Weheschrei. »Ich hole sie,« versprach Herr Anthoine, und wie er sich über seine Frau neigte, strahlte ihm die alte unverminderte Liebe entgegen. An der hatte die Zeit nichts geändert, Sophia Christines Liebe trug Ewigkeit in sich. Am Mittag ritt der Gutsherr nach Jena, er wollte sein Kind holen. Doch seinem Willen stand der der Herzogin entgegen, und Herzog Bernhard gab seiner Gemahlin nach. Die kleine Prinzessin weinte, und Louison de Charreard mußte am Hof bleiben. Nur ein Besuch wurde versprochen, sobald die Hausfrau auf Pösen gesund sei. Und dieses Wort half Frau Sophia Christine besser als alle Tränklein des guten Magisters. Sie mußte gesund werden, denn sie wollte es, weil sie ihr Kind wiedersehen wollte. Irgendwo verborgen im Herzen lebte die Hoffnung, Louison würde sehr um das Daheimbleiben flehen und dadurch der Herzogin Herz rühren. Und Louison de Charreard kam heim. -- Die Herzogin selbst begleitete sie, und Pösen erstrahlte in einem so festlichen Glanze wie zur Taufe des kleinen Anthoine. Auch hatte Louison Wetterglück. Es standen nicht dunkle Wolken am Horizont wie am Heimkehrtag des Vaters, die Sonne gab dem Tale Glanz und Farbe, heiterschön lag es da. Und das Strahlen der freundlichen Himmelsmutter fand Widerschein in den Augen der Charreards. »Louison kommt.« Anthoine und Jeannettchen sangen es in den Morgen hinaus, sie sangen es vor dem Rabenhaus und der Magister rief es geduldig mit. Jeannettchen behauptete sogar, die Hühner gackerten es. »Louison kommt!« Und dann kam sie! Zwei Wagen, vier Reiter lenkten in den Hohlweg ein. Im Gutshaus hörten sie das Rollen, und Sophia Christine preßte ihre Kinder beide an ihr Herz, als wolle dies dem Kinde, das heimkam, entgegenfliegen und sie müsse es festhalten. Und ein festes Herz brauchte die Frau an diesem lichten Tag, der einen ganz dunklen Schatten über ihr Leben warf. Louison kam. Eine kleine Dame stieg da aus dem Wagen, ein höfisches Püppchen grüßte mit einer steifen, feierlichen Verneigung Eltern und Geschwister. Der starre Brokat des Gewandes rauschte, die braunen Locken fielen zu beiden Seiten des Gesichtchens herab und an einer goldenen Nadel wippte keck eine rote Feder bis über den breiten Kragen aus Brüsseler Spitzen hinweg. Louison de Charreard trug ihr Staatsgewand, so hatte es die Herzogin angeordnet, und Louison betrug sich ganz, wie es ihre fürstliche Gönnerin von ihr erwartete. Sie plapperte ein paar französische Phrasen dahin, sprach ihre Freude aus, alle wiederzusehen, küßte den Eltern unter weiteren tiefen Verbeugungen die Hand und dann -- versagte ein paar Augenblicke die gute Erziehung, denn der Bruder Anthoine brummte unwirsch: »Das ist ein Pfau, das ist nicht unsere Louison.« Dann entstieg noch eine kleine Paradepuppe dem Wagen, das war die Prinzessin Elisabeth Marie, die ersah Anthoine und lief rasch auf den Buben zu, zog ein Schelmengesicht und tippte den großen Jungen an: »Du bist Anthoine, dich will ich einmal heiraten.« Die Herzogin lächelte milde und redete gütig, aber Frau Sophia Christine meinte doch, ihre Stimme wäre voller Hohn, ihr Lachen böse. -- Bis zur Leuchtenburg war das Gerücht von der Fahrt der Herzogin nach dem Gute Pösen nicht gedrungen, darum ritten an diesem Nachmittag die Buben Heinrich Wilhelm von Dracksdorf und Adrian Rudolf ganz fröhlich dem Gute zu. Sie ritten durch den Wald, in dem vor etlichen Jahren der heimkehrende Feldwaibel Nikolaus Rabe die drei Charreards gefunden hatte. Und wieder wie damals kamen die beiden zuerst am Rabenhofe vorbei, aber der Bauer, die Bäuerin und Magister Albertinus waren nach dem Gute zuschauen gegangen und standen nun noch immer in der Mitte des Hohlweges und tauschten Rede und Gegenrede. Der Frau hatte die Auffahrt gefallen, der Mann sagte bitter: »Das ist nicht Louison.« Unten im Tale ertönte Hörnerruf und oben im kleinen Festsaal spitzte Anthoine die Ohren: seine Freunde kamen! Auch Sophia Christine hatte den Klang vernommen und ihr Blick lief zu ihrem Kinde hin, neben dem ein schöner, stattlicher Mann stand, der Oberst Raoul St. Laurent. Mit dem Hofherrn unterhielt sich Louison wie eine weltgewandte Dame, ihre Schwester Jeannette stand linkisch und scheu neben ihr. Und nun kam der Jugendfreund ihres Kindes, der Bube, dessen Mutterlosigkeit Frau Sophia Christine einst tief gefühlt hatte im ersten großen Mutterglück. Ihre Augen winkten, und Anthoine, der das Augenwinken der Mutter besser verstand als des Vaters französische Reden, ging hinaus, damit die Freunde nicht aus Scheu vor dem fürstlichen Besuch auf und davon ritten. Oben hatte die Herzogin huldvoll gesagt, Jeannette solle doch ihrem kleinen Fräulein und der Schwester den Garten zeigen, und Jeannette war froh, Elisabeth Marie folgte ihr gern, Louison lächelte geziert, sie fühlte sich nicht bewundert genug. In ihrem eitel gemachten, törichten, kleinen Herzen hatte sie immer und immer wieder an den überwältigenden Eindruck gedacht, den sie daheim hervorrufen würde. Nun hatte sie kein Wort des Staunens über den wundervollen Anzug vernommen, nur das böse Brummen des Bruders, sie wäre ein Pfau. Mißmutig ging sie hinter der Prinzessin her; die nahm ganz fröhlich Jeannettes Hand, worüber Louison sehr das Näslein rümpfte. So wenig unterwürfig zu sein, war nicht Hofton. Die drei ungleichen Gefährtinnen traten just aus dem Hause, als die Buben hinein wollten. Adrian Rudolph blieb der Mund offen stehen, als er in dem prächtig geschmückten Frauenzimmer seine kleine Freundin von einst erkannte. »Louison!« rief er betroffen. »Ach Monsieur Rudolph und Monsieur de Dracksdorf,« rief Louison. Sie legte das Köpfchen zur Seite und blinzelte die beiden herablassend an, und als sie die beiden verdutzt anstaunten, plapperte sie ein paar französische Sätze herab, so wie sie es oftmals in Paris vernommen hatte. »Sie ist ein Pfau, eine Stoppelgans!« schrie der Junker Anthoine erbost über das gespreizte Wesen der Schwester. »Er weiß eben nichts von Politesse, er ist ein -- ein -- ungehobelter Bauernlümmel!« Das Wort fuhr Louison heraus, ihre Augen blitzten zornig, sie machte aber nicht den geringsten Eindruck, die Buben lachten laut. »Na, ganz hast du das Deutschreden ja noch nicht verlernt,« brummte Anthoine. Adrian aber streckte der kleinen Freundin treuherzig die Hand hin, ehrlich, ein wenig tolpatschig. »So ist's mir lieber, meinetwegen schilt mich auch Bauernlümmel, Louison.« »Monsieur sind sehr =aimable=, doch ein Kavalier küßt einer Dame die Hand.« Louison hob den Kopf. Das feine Näschen ragte ganz steil in die Luft, die Feder wippte und nickte, und die vier Landkinder staunten die verwandelte Schwester und Freundin wieder an, bis auf einmal jemand hellauf lachte. Es war die Prinzessin Elisabeth Marie. Die lachte so herzlich, sie schüttelte sich vor Lachen, und ihr Lachen steckte an. Die Buben fielen ein, selbst Jeannettchen, die am meisten überwältigt von der Schwester gespreiztem Wesen war. Louison wurde blutrot. Ausgelacht zu werden, das hatte sie nicht erwartet. Bewundert, gefeiert, ja; aber ausgelacht, es war zu toll. Und erzürnt raffte sie ihr Kleid auf und lief in den Garten hinein, in dem Frau Sophia Christine eine bescheidene Blumenzucht unterhielt. Rosen, Nelken, Braut im Haar, Ringelblumen und allerlei bunte Sommerblumen blühten. Wütend zerrte Louison an den Blumenköpfen, riß eine Hand voll ab, warf sie auf den Weg und trat darauf. Und gerade wollte sie die unnütze kleine Hand nach neuen Opfern ausstrecken, als ihr jemand heftig auf die Hand schlug. Anthoine war es. Mit blitzenden Augen stand er vor ihr und schalt: »Die Blumen hat die Frau Mutter gepflanzt.« »Ah« -- die Kleine wollte ein Wort rufen, das spottete und höhnte, aber auf einmal kam ihr das Erinnern an die Tage vor Festen, an die Sonnabende vor den Kirchsonntagen, sie sah sich mit einem Körbchen hinter der Mutter her trippeln und die füllte es, jede Blüte sorgsam prüfend, ob sie auch geeignet sei zum Schmuck der kleinen Kapelle. Tränen drängten sich in des Kindes Augen, ganz bittere sehnsüchtige Tränen. Da sagte eine rauhe Stimme: »Kruzitürken, das ist ja nun wohl das Fräulein Louison?« Breitbeinig, in seiner alten Kriegstracht stand da Nikolaus Rabe, der schaute seine kleine Freundin genau so gutmütig an wie damals, als er das Kindertrüpplein im Walde gefunden hatte. Louison ließ die Hände sinken. Erst staunte sie etwas über die bunte Gestalt auf dem Wege, doch dann vergaß sie ihr weites Brokatkleid, ihre künstliche Haartracht, mit einem Jubelruf ergriff sie des Kinderfreundes Hand. »Niklas, Niklas,« rief sie, »wo kommst du denn her?« »Nu eben aus meinem Hause. Potz Kalbsfell, was ist das Fräuleinchen fein!« Doch einer, der sie bewunderte, einer, der die kleine Louison noch lieb hatte! War es der eine nur? Ach nein, auf einmal sah Louison de Charreard lauter vergnügte fröhliche Gesichter um sich, und sie vergaß das Monsieursagen und alle Geschraubtheit und war wieder wie einst die alte Louison, die Lust zu jedem törichten Streich hatte. In der Mitte des Gartens war ein kleines, mit Tropfstein eingefaßtes Wasserbecken. Um das herum auf die Steinbrüstung setzten sich die Charreards, ihre Gäste und Nikolaus Rabe. Und weil der kleinen Prinzessin dieser Sitz nicht gefiel, nahm Nikolaus sie auf den Schoß und Elisabeth Marie klatschte vergnügt in die Hände. War das lustig in Pösen! [Illustration] »=Fi donc!=« sagte ein paar Minuten später die Herzogin, die von weitem das Bild erblickte. »=Mon Dieu=, das ist ja gar ein schwedischer Kriegsgesell, der da mein kleines Fräulein auf dem Arm hat.« Und sie rief laut und herrisch die Namen der Kinder, und ganz jäh wurde aus der lustigen Louison wieder die gespreizte, kleine Dame, die zum Abschied allen nur die Fingerspitzen reichte. Die Herzogin drängte zu einem schnellen Aufbruch. Ihr Blick zürnte und Louison zitterte. Sie sah sich um, sah die Freunde stehen, Niklas und dann die Mutter, und da verließ das Kind alle anerzogene Geziertheit, laut aufweinend umschlang Louison die Mutter und flehte: »Ich will bei Ihnen bleiben, Frau Mama!« »Louison!« Der Herzogin Stimme schrillte. Sophia Christine sah flehend zu ihrem Mann hinüber und sah, wie der sich auf die Lippen biß. Herr Anthoine de Charreard hatte mancherlei Schulden von der Herzogin bezahlt bekommen, und er hatte ihr dafür schriftlich gelobt, nie das Kind Louison zurückzufordern und überhaupt keinem Schritt Louisons, den die Herzogin billige, zu widersprechen. Er hatte sich jeglicher Vaterrechte begeben, und darum wich er dem Blick seiner Frau aus. »Ich will hierbleiben.« Louison weinte heftig und wild und die Herzogin beugte sich zu ihr herab, zischte ihr etwas in die Ohren, da erblaßte die kleine Louison, und ein angstvolles Flehen blieb in den Augen. Es konnte ihr niemand helfen. Herr de Charreard, der Louisons Aufenthalt am Hofe immer als ein besonderes Glück angesehen hatte, spürte es erst in dieser Stunde: er hatte sein Kind ganz verloren. Doch wurde Louison eine unerwartete Hilfe. Die kleine Prinzessin Elisabeth Marie weinte bitterlich und flehte ihre Mutter an, Louison dazulassen, flehte so lange, bis die Herzogin versprach, Louison dürfe, wenn sie jetzt brav sei, ihre Eltern zweimal jährlich besuchen, sie solle auch keine Strafe heute erhalten. Louison schwieg ganz still. Der Herzogin Strafen waren hart, aber sie wußte, die kleine Prinzessin würde ihr beistehen. Still ließ sie sich nach vielen Verbeugungen in den Wagen heben, dann traten die Geschwister und Adrian Rudolph und Heinrich Wilhelm von Dracksdorf noch einmal heran, und Anthoine de Charreard benahm sich zur Verwunderung seines Vaters wie ein rechter, kleiner Hofherr, er küßte der Prinzessin die Hand und dabei sagte er kurz, aber aus ehrlichem Herzen heraus: »Vielen Dank.« Herr de Charreard gab seinen Gästen wieder das Geleite. Louison saß steif und sehr blaß im Wagen und Sophia Christines Augen waren voll Tränen. Sie fühlte es tiefer als je, man nahm ihr ihres Kindes Herz. Oben am Hohlweg über dem Rabenhof stand Nikolaus so, als stünde er auf Wache im Felde. Seine Augen waren finster, als die Wagen daherrollten, sein Gruß mürrisch, und nur eine bekam einen guten Blick, die kleine Louison. Nun schleppten sie das Kind wieder weg, und der Bauer grollte im Herzen: Wie mich damals die Schweden fortgeschleppt haben, just so ist es. Dann kriegt man andere Gedanken, wird anders in der Welt draußen, lernt anders reden, und wenn man heimkommt, merkt man erst, was man verloren hat. Und nach dieser langen Rede mit seinem Herzen stapfte er den Berg hinab und suchte den alten Magister Albertinus auf, um mit dem von des Lebens wunderlichen Wirrsalen zu reden. 10. Kapitel. Beim Abschied von Pösen hatte die Herzogin Marie ein Wort gesagt, das Frau Sophia Christine nicht mehr aus dem sorgenden Sinn kam. Das Wort: »Wenn der Junker Anthoine größer ist, hole ich ihn mir, freilich, er muß noch etwas französische Politesse annehmen, mein lieber Monsieur de Charreard muß ihn für mich erziehen.« Sophia Christine ahnte, ihrer Kinder bestes Glück ruhte in der Heimat, das Draußen würde sie friedlos und zwiespältig machen, wie es die kleine Louison schon war und noch mehr werden würde. Und seitdem kämpfte sie um das In-der-Heimat-Bleiben ihrer Kinder. Sie kämpfte mit Liebe und Zärtlichkeit, mit sanfter Strenge, sie kämpfte so treu und fest, wie dies nur eine Mutter tun kann. Herr de Charreard merkte nichts von diesem stillen zähen Kampf seiner Frau um das innere Wesen ihrer Kinder. Er hatte reichliche Arbeit; Sorgen gesellten sich dazu. Den Besuch der Herzogin hatte er in böser Erinnerung. Ein paarmal ertappte er sich darauf, daß er der frischen Anmut Jeannettchens den Vorzug gab vor Louisons steifer Geziertheit. Er sagte sich dann freilich jedesmal, daß er der armen Louison Unrecht tue, und wenn er, was selten genug geschah, sie in Jena besuchte, war er gütig gegen die Kleine. Sonst freute er sich selbst jedesmal, wenn er von einem Hofritt heimkehrte und im Grunde das große feste Haus liegen sah. Ein Jahr ging hin, Louison kam nicht heim, noch eins und noch eins, da ritt Herr Anthoine de Charreard eines Tages mit gefurchter Stirn von Jena zurück. Im Mantelsack brachte er als Basenerbe für seine Frau die zwei Silberleuchter mit, aber er hätte die und auch gern sein ganzes bescheidenes Schätzlein dazu gegeben, wenn er seiner Frau nicht die Botschaft der Herzogin hätte sagen müssen, daß diese den Junker Anthoine zum Pagen verlangte. An diesem Tage ging gerade Frau Sophia Christine ihrem Gatten bis an die Linden entgegen, denn sie blühten wie am Tage des Einzugs. Die Frau ahnte etwas von dem Kummer, den ihr Mann heimbringen würde, und wie sie auf einer Grasbank unter den Linden saß, gesellte sich der Bauer Nikolaus Rabe zu ihr. Seit der alte Magister in seinem Hause wohnte, war die Freundschaft zwischen Rabenhof und Herrenhaus gewachsen, denn auch Herr de Charreard hatte längst seinen Groll gegen den Magister begraben. Der alte Mann, gutmütig und duldsam, trug dem Gutsherrn seine rasche Härte längst nicht mehr nach. Und der Bauer, der so viel in der Welt herumgetrieben worden war, geriet oft in ein sinnierliches Nachdenken über der Menschen wunderlich Tun und Wesen. Sophia Christine unterhielt sich gern mit ihm. Und als er jetzt kam, nicht mit Worten fragte, sondern seine hellen Augen forschen ließ, gab ihm die Gutsfrau Antwort und legte ihre Sorge vor ihn hin wie ein dunkles Tuch. »Ob dahin oder dorthin, einmal wird der Junker schon hinaus müssen,« sagte der Bauer. »Dunderschlag ja, ein feiner Junker ist er, und den Wind muß er sich doch mal um die Nase wehen lassen. Schätze aber, unsern Junker drehen sie nit um und um wie das kleine Fräulein Louison.« Allemal, wenn Nikolaus diesen Namen nannte, kam ein weiches Tönen in seine rauhe Stimme. Louison blieb seines Herzens Liebling. »Ja, es ist wohl gut, wenn er hinauskommt, aber --« »An welchen Hof er kommt, ist gleich, schätze ich.« Der Bauer sah die Frau treuherzig an. »Viel Gutes ist wohl da und dort nicht zu lernen, aber der Junker hat's in sich, das Feste, das Treue, der fällt nit um.« »Und es zieht ihn hinaus,« murmelte seine Mutter. Es zog den jungen Anthoine freilich hinaus. Wie sehr, ahnte seine Mutter nicht einmal, die schaute nach dem letzten Wort versonnen über sich in die breitgedehnten blühenden Kronen, und über dem Summen und Schwirren darin überhörte sie das rasche leise Schreiten junger Füße, bis wie ein Quell ein Lachen hinter ihr aufsprang. Anthoine und Jeannettchen standen da und sie riefen froh des gelungenen Überfalls: »Wir haben die Frau Mutter überrascht.« »Ich erwarte den Vater, um diese Zeit kommt er ja meist heim.« »Der Herr Magister sagt, es wäre die schönste Zeit zum Heimkommen, wenn noch die Sonne schiene und schon der Abend seine Schwingen auszubreiten beginne.« Jeannettchens Stimme war weich wie der Abendwind. »Der Herr Magister ist, denk ich mir, ein Dichter,« brummelte Nikolaus. »Er sagt manchmal was, das ich halt nit verstehe, ganz wunderlich klingt's.« »Mit dem Heimkommen hat er recht. Ich komme auch einmal um diese Zeit heim, wenn ich erst draußen in der Fremde gewesen bin. Gelle, Frau Mutter, und Ihr wartet dann auch hier auf mich?« »Möchtest du so gern in die Welt hinaus?« »Ja, Frau Mutter. Hinaus, mich ordentlich draußen tummeln und heimkehren!« »Aber Anthoine, fort aus unserem schönen Tal!« rief Jeannettchen empört. »Ein Mann muß die Welt sehen, gelle, Niklas?« Anthoine krauste die Stirn. »Freilich doch, gut ist's. Ich hab' freilich gar zu viel gesehen, könnte manches missen. Aber wenn der Junker Anton Kriegsdienste nimmt, dann geh ich noch mal mit. Ja, das tu ich, da hält mich nichts nit von ab.« Anthoine sah einen Leidzug über das Gesicht der Mutter wehen und er rief rasch: »Doch mit dem Hinausziehen hat's noch gute Weile.« »Ich schätze, lang währt's nit mehr.« Der Bauer horchte scharf in die Ferne. »Und jetzt kommt der gnädige Herr geritten.« Nur das an manchem Wachtfeuer, in stillen einsamen Nächten vor dem Feinde geschärfte Ohr des Bauern hörte das ferne Reiten, den kurzen, scharfen Hufschlag. Die anderen lauschten, hörten erst nichts, bis auch sie den Klang vernahmen und dann den Gutsherrn oben in den Hohlweg einbiegen sahen. Sophia Christine stand auf, um dem Manne entgegenzugehen, Jeannettchen folgte rasch, Anthoine fühlte sich von dem Bauern festgehalten. »Wenn's mal in den Kampf geht, Junker, vergeßt mich nit. So eine alte Kriegsgurgel wie unsereins muß wieder mal Pulver riechen. Schockschwerebrett, schön ist das Tal hier, aber einmal will ich doch sehen, wie es jetzt in der Welt ausschaut.« Sophia Christine sah ihrem Manne an, als der vor ihr hielt, was ihn bedrückte, und sie nahm mit all der Lindigkeit, die sie hatte, die Last von der Seele, fragte einfach: »Sie wollen wohl unsern Anthoine in Jena?« Ja, sie wollten ihn. Die Frau Herzogin begehrte den Sohn zum Spiel. Mit heiterem Lachen hatte sie es gesagt: »Ich will einen Franzosen aus ihm machen.« Das sagte der Herr de Charreard seiner Frau nicht, er wollte sie nicht bekümmern, nur daß die Herzogin mit Louison selbst in drei Tagen zum Besuch kommen wollte, erzählte er. »Und dann Anthoine mitnehmen.« »Ja, sie wird ihn gleich haben wollen.« In des Junkers frohes Bubengesicht stieg das Blut, als er von dem Beschlusse hörte. Hinaus wollte er schon, aber nicht ein Hofherr werden. Er rannte der Antwort aus dem Wege, saß dann im Abendschein vor der Türe des Rabenhauses und legte, wie es am Nachmittag seine Mutter getan hatte, seine Sorge vor die treuen Freunde seiner Jugend hin. Der Magister war traurig, noch eins von den Kindern des Hauses sollte am Hofe verderben. Er prüfte mit Blicken das reine Gesicht seines Schülers und murrte: »Wirst auch ein Franzose dort werden.« »Ich schätze, das wird er nit. Und eine Weile ist's gut, wenn er sich schicken lernt; gleich ins Heer, da ist der Junker zu jung dazu,« murmelte der Bauer. [Illustration] »Niklas, ich bin sechzehn Jahre gewesen,« rief Anthoine empört. »Wie alt warst denn du, als du ins Heer kamst?« »Das kann der Junker nit vergleichen. Seht, an dem Grame von damals würg' ich noch heute. Arg schlimm war's, meiner Seel'!« »Und willst doch mit mir ziehen, mich begleiten?« »Ja, ja, Junker, das ist halt so. Hab' damals im Walde mein Herz an die Charreards gehängt und schätze, es ist besser, Ihr habt einen zur Seite, der all das Grausen kennt.« »Niklas, du bist ein Querkopf,« rief der Magister empört. »Redest dem Junker immer zu, er soll hinausziehen, und dabei sitzt dir selbst noch das Grausen in den Knochen. Nun mache mir einen Vers darauf.« »Dunderschlag ja, muß ich alte Kriegsgurgel einem hochgelehrten Herrn Magister noch sagen, daß jeder seine Erfahrungen allein machen muß. Wenn ich dem Junker abreden möchte und die gnädigen Eltern täten es auch und er bliebe hier im Tal, ich schätze, er verquerzelte sein Leben, wär' unzufrieden und wüßt' nit, warum. Das liegt im Blute, die Sehnsucht auszuziehen; das Heimkommen läßt dann erst recht die Heimat lieben.« Anthoine hatte gar nicht auf das Zwiegespräch gehört. Seine Gedanken flogen, ließen das enge Tal hinter sich und sahen die weite, schöne Welt. Ungeduld brannte in ihm; freilich, der Hofdienst schien ihm bitter, aber er dachte keck: davon komme ich schon los. -- Er sprang auf und rief: »Muß heimgehen,« und dann lief er das Tälchen entlang, hatte heute aber keinen Sinn für seine heimlich-liebliche Schönheit. Und drei Tage später rollten einmal wieder fürstliche Wagen durch das Dorf Bucha. Lockten da alle Leute aus den Häusern und der jetzt uralte Lemnitzer Karl brömmelte wieder etwas von den Schweden, die kämen, in seinen Ofenwinkel. Im ganzen aber sahen die Bauern scheel die Auffahrt der Wagen mit an. Sie liebten »die Fremde« nicht, ihre sanfte Gutsfrau war ihnen tausendmal lieber, und da die Kunde schon ihren Weg nach Bucha gefunden hatte, die Herzogin wolle den Junker mitnehmen, war die Bitterkeit groß. Von den Frauen, die Sophia Christine zu der Geburt des Erben ihre Glückwünsche dargebracht hatten, waren die meisten noch am Leben. Denen war es zumute, als würde in ihre Rechte eingegriffen. Ihr Grüßen war darum unwirsch und ihre Mienen finster, und die Frau Herzogin Marie verglich die Leute mit ihren Landsleuten und lachte über des Obersten St. Laurent spottende Worte. Auch ein feines, sehr junges Fräulein lachte, sie sah an der Merfin vorbei, bei der sie so manchmal eingekehrt war, sie erkannte die Anne-Marie Schurksin nicht, von deren Obst sie oft gegessen hatte. Louison de Charreard hatte viel, sehr viel von der Heimat vergessen. Einen aber erkannte sie, der wieder in seiner alten Kriegsmannstracht am Hohlweg stand, um die kleine Louison zu grüßen. Der Oberst St. Laurent, der neben dem Wagen ritt, lachte. »Ein Überrest aus der Schwedenzeit,« spottete er. »Der Mann scheint ausgestopft zu sein.« Da wehte just der Wind über die Linden hin und der schöne Sommerduft hüllte das Fräulein Louison de Charreard ganz ein und da war es ihr, als ginge sie wieder mit Bruder und Schwester durch den Wald und einer nahm sie alle drei auf sein Pferd, einer, der grimmig aussah und doch so gute Augen hatte. »Es ist der Niklas,« sagte sie plötzlich, neigte sich vor und grüßte den Bauern mit so holdseliger Anmut, daß der vor Staunen wie ein Pfahl stand. So schön war Louison geworden, er meinte schier, ein schöneres Frauenwesen könne es auf der ganzen Welt nicht geben. Einen Bauern zu grüßen! Der Oberst de St. Laurent krauste die Stirn. Solche törichten, bürgerlichen Sentimentalitäten mußte sich seine Frau abgewöhnen, das war lächerlich, und um Himmelswillen nichts Lächerliches tun. Wenigstens nichts, was die Hofgesellschaft lächerlich fand. -- Ja, schön war Louison de Charreard geworden. Sie fanden es in der Heimat alle. Jeannettchen sah wie ein Kind gegen die doch nur ein Jahr ältere Schwester aus. Sie tat noch weniger als sonst ihren Mund auf, und als der Herzogin prüfender Blick über sie hinging, dachte die Dame: »Diese nicht, sie paßt zu wenig an den Hof.« Frau Sophia Christine sah den abwägenden Blick, der ihr sanftes Kind so rasch geringschätzig freigab, und sie wußte, jetzt hatte die Herzogin ihr das letzte Kind nehmen wollen. Jetzt hatte sie damit ihr Glück bezahlen sollen. Und sie freute sich der ganz bescheidenen Anmut dieser Tochter. Aber da erklang schon das Wort, das ihr auch diese Freude trübte. Die Herzogin sprach von dem jungen Dracksdorf, der als Hofjunker in Bälde nach Weimar kommen würde, und sie sprach von ihrem Patenkind, einer jungen Hugenottin, die sie dem Junker zu vermählen gedachte. Jeannettchen öffnete die Augen weit. Ihr treuer Freund Heinrich Wilhelm sollte auch ein Hofherr werden. Tränen trübten ihr den klaren Blick, und sie glitt leise aus dem Saal, nur die Mutter merkte es, als die Herzogin dahin sah, wo Jeannettchen gestanden hatte, war der Platz leer, und auf das spöttische Fragen, wo denn das Fräulein sei, gab Frau Sophia Christine die gelassene Antwort, es zieme sich für die Haustochter, in der Küche nach dem rechten zu sehen, wenn so hochfürstliche Gäste dem Hause die Ehre höchstihres Besuches schenkten. Herr de Charreard sah seine Frau erstaunt an. Sie war doch einstmals nur die schüchterne Jungfer Riesin gewesen, war alle diese Jahre kaum aus dem stillen Tal herausgekommen und sprach, als hätte sie just gestern ein Fest am Hofe des Königs Ludwig mit gefeiert. Daß die tiefgekränkte Mutterliebe der Frau die Kraft gab, sich so aufrecht zu halten, ahnte er nicht, es war aber ein ehrliches Bewundern in seinem Herzen. Und wenn die Herzogin Marie, die wieder die neueste Pariser Modetorheit, eine Fontange, trug, die sich ungeheuer auf ihrem Haupte aufbaute, nach der Schönsten im Land gefragt hätte, der Herr de Charreard hätte unbedingt seiner sanften Frau den Preis zuerkannt. Aber wieder brach die Herzogin früher auf, als sie es sich vorgenommen hatte. Sie sah in Louisons Blick ein trauriges Nachsinnen aufdämmern und hörte ihre Tochter das stille Tal voll Entzücken preisen. Das vertrug sie nicht. Sie verlangte des jungen Anthoine Mitkommen. Aber da fand sie wieder einen freilich sanften, aber doch festen Widerstand bei der Hausfrau. Die meinte, der Sohn müsse wohl ausgerüstet werden, dazu sei die Zeit zu kurz gewesen. »Ei,« rief die Herzogin, »da muß ich den Junker doch selbst fragen, ob seine Lust nicht größer ist als seiner gnädigen Frau Mama Bedenklichkeit.« Auf diese Frage erhielt nun freilich die stolze Frau eine Antwort, die ihr ein verächtliches Lächeln entlockte. Der junge Anthoine fügte zu den Erwägungen seiner Mutter noch die hinzu, er habe in den Dörfern Bucha und Schorba noch nicht Abschied genommen, wie es sich gebühre. »Bauersleute, pah! Ich fürchte, ein rechter Hofmann wird Euer Sohn nicht, Monsieur de Charreard!« Die Herzogin sah an der Hausfrau vorbei, ihre Stimme spottete, ihre Augen blitzten böse. In Sophia Christines Herzen aber erwuchs in dieser Stunde ganz fest die Zuversicht, der Sohn werde der Heimat treu bleiben. Aber war im Grunde die schöne Louison nicht auch treu! In ihre Augen war ein Sehnsuchtsblick gekommen, und Sophia Christine zog zum Abschied die Tochter fest an sich: »Hier ist dir immer Heimat, mein Kind. Immer, was auch geschehe!« Dann rollten die Wagen wieder den Hohlweg hinauf. Zum letztenmal, dachte die Herzogin, der Sohn soll die Heimat vergessen, wie Louison sie vergessen wird. Und sie neigte sich vor, rief den Oberst de St. Laurent an ihren Wagen und redete mit ihm von seiner künftigen Heirat mit Louison de Charreard. Zwei Tage später verließ Anthoine das Elternhaus und in dem großen Hause wurde es einsam. Der Vater gab dem Sohn das Geleit, und Mutter und Tochter sahen den beiden nach, lange, lange, bis der Hufschlag verklang. Sophia Christine stieg dann in die Kapelle hinab, ihre Tochter ging in den Garten. Sie ging durch ihn hindurch, sah die Blumen sommerlich blühen und ihr junges Herz war ganz erfüllt von Mitleid mit den Geschwistern. Ihr war die Heimat der Inbegriff alles Schönen, kein Gedanke ging von ihr weg, nur bis zu der Leuchtenburg wagte sich manchmal ihr Sinnen und ein Stückchen weiter zu Heinrich Wilhelms Erbgut, aber schon dies dünkte ihr fern zu sein. Während sie still-versonnen den Garten durchwanderte, hinaus ging bis zu dem kleinen Wald, der die Quelle umgab und in dem alljährlich die ersten Schneeglöckchen erblühten, gab Herr de Charreard seinem Sohne gute Lehren, wie er sich bei Hofe zu verhalten habe. Man war schon über Bucha hinausgeritten, als der junge Anthoine das erste Gegenwort wagte: »Ich hoffe, es dauert nicht lang mit dem Hofdienst, Herr Vater, gegen die Türken möchte ich ziehen dürfen, so es dem Herrn Vater recht ist.« Anthoine de Charreard sah seinen Sohn etwas verdutzt an. Was war da in aller Stille aufgewachsen, war das noch ein Knabe? Er sah des Buben Augen blitzen, sah seine Hand stark das Pferd meistern, ganz fremd kam ihm der Junge vor. Doch rasch gefaßt redete er davon, daß Kriegsdienste nehmen so übel nicht sei für einen jungen Mann aus gutem Hause. Nur, es müßte die rechte Stelle gewählt werden, und wenn es nach einiger Zeit noch des Sohnes Meinung sei, so würde es wohl gelingen, ihn im französischen Heere unterzubringen. Freilich, die Hoffnungen, die die Hugenotten an die Regierung des vierzehnten Ludwig geknüpft, hätten sich noch nicht erfüllt, immerhin wäre man im Heere duldsam und -- »Wenn es dem Herrn Vater recht ist, zieh ich mit gegen die Türken, so sie wieder anfangen. Das erscheint mir wichtiger,« sprach der Sohn in ein sinnendes Nachdenken des Vaters hinein. Der schwieg, krauste die Stirn, das Neinsagen erschien ihm Unrecht, das Jasagen brachte er nicht fertig, endlich gab er zurück: »Es ist am besten, einen solchen Schritt weislich und klug zu überlegen.« »Aber dagegen, daß ich Kriegsdienste nehme, ist der Herr Vater nicht.« »Bewahre, nur --« Der Herr de Charreard kam nicht dazu, den Satz zu enden, denn einer ritt beiden, Vater und Sohn, entgegen, an den sich gleich des Sohnes Widerwillen hing. Es war der Oberst de St. Laurent. Der lächelte freundlich, aber seine Freundlichkeit schien dem jungen Anthoine wie die Schlehbeeren am heimischen Gartenzaun zu sein. Sie lockten und schienen süß und waren doch herber als Essig. Kurz vor Jena kreuzte noch einer den Weg der Charreards. Der Oberst de St. Laurent sah ihn mißlaunig an, der Herr de Charreard grüßte ihn kühl, aber der junge Anthoine meinte, zu dem kurbrandenburgischen Feldhauptmann Balthasar von Hünefeld könnte er wohl Zutrauen haben. Den schien der unfreundliche Gruß, den die andern ihm boten, nicht zu kümmern, laut begrüßte er sie, schlug dem jungen Anthoine auf die Schulter und rief: »Das wäre ein Junker, wie ich ihn brauchen könnte. Was gilt's, laßt Ihr Euch anwerben, Junker? Es geht sicher bald mal gegen die Türken, eine gute Klinge gilt da was und meines besonderen Schutzes dürftet Ihr gewiß sein.« »Ein Charreard,« und der Name zischte messerscharf zwischen des Obersten de St. Laurent Lippen hervor, »sucht wohl seine Fortune besser in des Königs von Frankreich Heer. Ich erachte, er erwirbt dort größere Honneurs als einfacher Reiter wie als Fahnenjunker im --« »Halloh, Herr, ist ihm seine lose Zunge lieb, dann stecke er sie ein, sonst bei meiner Seel möchte sie ihm bald gespalten zum frechen Maule heraushängen.« »Um Himmelswillen!« Herr Anthoine de Charreard drängte sein Pferd zwischen die beiden, unbekümmert um die zuckenden Klingen. Er sprach liebenswürdig zu dem einen, freundlich zu dem andern, sagte, sein Sohn solle in den Hofdienst -- »Und wenn es ihm da nicht gefällt, zu wem schlägt er sich da?« Herr de St. Laurent spottete, er erwartete keine andere Antwort als die »auf Frankreichs Seite«, aber Herr Anthoine de Charreard hatte zu lange Hofdienst getan, als daß er es nicht verstanden hätte, einer Wage Zünglein in der Schwebe zu halten. »Dann mag mein Sohn selbst nach Herz und Neigung entscheiden, ich gebe ihm die Wahl frei,« antwortete er und hegte in seinem Herzen die gleiche Zuversicht, wie der Oberst. Wie konnte ein Charreard anders wählen! »Ein Mann, ein Wort, Ihr habt Euerm Sohn freie Wahl gegeben, Monsieur de Charreard. Bin neugierig, auf welche Seite sich der Junker einst schlägt.« Der stahlgrauen Augen Blick umfing den jungen Anthoine klar und zwingend, und dann ritt der Herr Balthasar von Hünefeld weiter. Er war in Petersberg bei seinen Verwandten zu Gaste. Der Oberst de St. Laurent hielt ihm eine üble Nachrede und je schlimmer die klang, je fest umrissener trat das Bild des Geschmähten vor die Seele des jungen Anthoine. -- 11. Kapitel. Der Junker Anthoine kam sich in den nächsten Wochen wie verzaubert vor. Es war aber ein böser Zauber, der ihn umfangen hielt. An dem kleinen Hof des Herzogs von Jena war all das törichte Tun, all die Gespreiztheit und das Wichtignehmen der einfachsten Dinge Mode, wie es die Herzogin Marie in Frankreich gelernt hatte. Dahinein kam der Junker, der bisher noch nie sein stilles Tal verlassen hatte. Doch sein Dortsein war nur kurz. Es genügte nur, um ihm einen herzhaften Widerwillen gegen dies oberflächliche Leben beizubringen, ihn von seiner Schwester Louison innerlich zu trennen, ihm dagegen noch mehr die Liebe der kleinen Prinzessin Elisabeth Marie zu gewinnen. Man hatte just das Prinzeßchen mit einem Vetter verlobt, doch der gefiel der Kleinen viel weniger als Anthoine de Charreard, und sie war eigentlich das einzige Licht, das in des Junkers dunkle Tage hinein schien. Wie oft stand er an seinem Kammerfenster, schaute sehnsüchtig zu den Bergen hinüber und suchte in Gedanken das stille Heimattal. Er wäre arg gern wieder heimgeritten. Doch er schämte sich, so schnell von diesem ersten Flug in die Welt heimzukehren. Und dabei spürte er es in jeder Stunde: er war mehr zum Spott am Hofe, als Nützliches zu schaffen. Er war zu klug, um nicht das verhaltene Lachen zu sehen, wenn er wieder einmal eine Ungeschicklichkeit begangen hatte. Er, der daheim so sicher den Boden unter sich gefühlt hatte, merkte, hier schwankte alles. Bei jeder Verneigung, die er zu machen hatte, brach ihm der Angstschweiß aus, sollte er gar eine höfliche Redeblüte einer Dame zu Füßen legen, dann polterte er los, wie ein Kriegsknecht, der schon dreißig Jahre im Schlachtgetümmel gewesen war. Mal redete er hoch, mal tief, sprachen alle, klang seine Stimme leise, sollte er flüstern, rutschte sie ihm aus. Sollte er links stehen, stand er rechts, und wenn sein Platz ihm rechts angewiesen war, kam er auf irgendeine ihm unerfindliche Weise links zu stehen. Der Tage Kränkungen und Verlegenheiten waren endlos. Dazu der Herzogin Lust an bitterem Spott. Ihre Damen folgten gern ihrem Beispiel, und Louison de Charreard, die sich des linkischen Bruders schämte, tat mit. Sie tat es und weinte dann wohl heiße Tränen über ihr törichtes Tun. Doch am beißendsten war der Hohn des Herrn de St. Laurent. Der gedachte mit Hohn und scharfen Sticheleien den Junker dahin zu treiben, wohin er ihn haben wollte, und trieb ihn doch auf die andere Seite. Doch ehe der Junker Anthoine noch wußte, was er tun sollte, ob er den Eltern daheim seine Not klagen oder verschweigen sollte, starb der Herzog Bernhard an einem hitzigen Fieber. Kaum drei Wochen war der junge Anthoine am Hofe. Alles versank nun in tiefe Trauer. Die Frauen hüllten sich in weit schleppende schwarze Gewänder, und die junge Louison sah unendlich lieblich aus mit ihrem zarten Gesicht so umschleiert von dem tiefen Schwarz. Sie war auch herzlich betrübt, sie hatte den guten Herzog, trotz mancher seiner Schwächen wie einen Vater geliebt. Sie wäre in diesen Tagen gern dem Bruder näher gekommen, doch der ging verstört und stumm einher. Er merkte es rasch, für ihn war kein Platz mehr am Hofe, denn die Herzogin war nicht in solcher Vermögenslage, um sich noch müßige Hofjunker zu halten. Der Kammer-Sekretarius Dressel zählte dem Junker an den Fingern das Leibgeding der Herzogin her und bewies ihm klar, daß außer einem Hofmeister und zwei Pagen keine Herren von Adel mehr Platz hätten am Hof. »Schaut Euch beizeiten um, Herr Junker, es wird hier ein ärmliches Leben werden.« Da ritt der Junker denn eines Morgens -- es war im Juni, am zwanzigsten sollte des toten Herzogs Beisetzung stattfinden -- kurzerhand nach der Dornburg, wo er den Herrn von Hünefeld bei der Gräfin Emilie von Allstädt zu Gaste wußte, und gab dem den Handschlag, einzutreten in das kurfürstlich brandenburgische Heer. Der Herr von Hünefeld warb für seinen Kurfürsten und nahm den Junker mit Freuden an. Er fand an diesem Tage dort seine Kameraden Adrian Rudolph und Heinrich Wilhelm von Dracksdorf. Heinrich Wilhelm begehrte auch, sich draußen einmal den Kriegslärm anzuhören. Der Herr von Hünefeld rieb sich vergnügt die Hände und sagte zu der schönen Frau von Allstädt: »Das werden zwei, die das Dreinschlagen bald verstehen werden. Erst ziehen wir noch den Holländern zu Hilfe, denn sonst steckt weiß Gott der König Ludwig die Staaten ein wie einen Laib Brot. Heißa, das wär' ihm ein schöner Schmaus.« Anthoine de Charreard stutzte einen Augenblick. Auch der Oberst de St. Laurent ging nach langem faulen Nichtstuerleben zum Heer zurück. Dann würde der auf der Gegenseite stehen. Feind also -- ihm war es recht! Und des Junkers Handschlag war so, daß Hünefeld rief: »Zum Teufel, Junker, Ihr habt eine gute Zufasse. Wer Euch in der Schlacht gegenübersteht, der tut gut, ein Trostgebetlein für schwere Stunden zu sagen. Also abgemacht, in drei Tagen reiten wir, bis dahin haben sie daheim bei Euch hoffentlich die Tränen getrocknet. Grüßt Euern hochverehrten Herrn Vater, der gnädigen Frau Mutter meinen alleruntertänigsten Handkuß. Euerm künftigen Herrn Schwager aber sagt, daß ich froh wäre, ihm bei Euch den Rang abgelaufen zu haben!« »Meinem Schwager?« stammelte der junge Anthoine betroffen. »Ja freilich, in ganz Jena gibt es kein Weibsbild mehr, das es nicht weiß: die schöne Hofjungfer Louison de Charreard wird die Gattin des Obersten de St. Laurent. Wußtet Ihr das nicht? Habt Ihr es nicht gemerkt?« Eine Glutwelle stieg dem Jüngling ins Gesicht. Nein, das hatte er nicht gewußt, er warf einen raschen Blick auf Adrian Rudolph, der fragte: »Wußtest du es?« Auch Adrians Gesicht flammte. Er war aber der älteste von den drei Kameraden und er war herb und in sich verschlossen. Also schwieg er, sah in die Luft, als gefielen ihm die segelnden, blaugrauen Wolken besser als alles Erdengeschehen. Nur als es zum Heimreiten kam, fragte er: »So es meinem Herrn Vater recht ist, nehmt Ihr mich auch mit, Herr Hauptmann?« »Einen Jungherrn wie Euch, den lasse ich mir nicht entgehen! Potz heiliges Dunderwetter! Reitet und kommt bald wieder. Nur keinen langen Abschied, bei dem die Weiber schließlich flennen.« Einen langen Abschied nahm Anthoine de Charreard nun wirklich nicht, er nahm überhaupt keinen. Schrieb einen Brief an seinen hochverehrten, gnädigen Herrn Vater, meldete das Geschehene und saß dann drei Tage lang in seiner Kammer, denn das erste, was er erfuhr, als er von der Dornburg zurückkam, war, daß Louison wirklich nach zwei Jahren den Obersten de St. Laurent heiraten würde. Das zerriß dem guten Jungen beinahe das Herz. Nun war der Feind ihm Schwager, und er hatte das dumpfe Gefühl, sein Vater würde über seinen Schritt heftig erzürnt sein, würde ihn voreilig nennen und gar versuchen, ihn zurückzuhalten. Also ritt er nicht gen Pösen, er lernte das Schweigen; schwieg sich gegen jedermann aus und hielt auch seinen Mund, als die Frau Herzogin in seiner Gegenwart heftig auf Heinrich Wilhelm von Dracksdorf schalt und dringend von ihm verlangte, er solle selbst mit dem Obersten de St. Laurent ziehen. »Ich muß erst meine nächste Zukunft überlegen.« Anthoine de Charreard brachte zum ersten Male, seit er am Hofe weilte, es fertig, zu antworten und sich zu verbeugen, zu lächeln und zu schweigen, wie es die Hofsitte verlangte. Und niemand kam auf den Gedanken, er hätte schon selbständig über sein Schicksal entschieden. Nach zwei Tagen kam Antwort von Pösen. Ein Brief wie Wintersturm. Der Herr de Charreard schrieb seinem Sohn, daß er bitter unwillig über das rasche, eigenmächtige Handeln sei; doch Wort sei Wort, er müsse das Versprechen halten. Er habe aber gleichzeitig dem Hauptmann von Hünefeld geschrieben, daß er das Kämpfen gegen die Türken erlaube, falls diese einen Krieg beginnen sollten; nicht das gegen seines teueren König Ludwigs Heer. Nur zuletzt drängte sich ein freundliches Grüßen in den Brief hinein, und da beugte sich Anthoine de Charreard über das Blatt und küßte des Vaters Schriftzüge, fühlte sich ihm ganz zugehörig und fühlte sich ihm doch fremd. Ein Diener hatte ihm den Brief gebracht, er hatte etwas dazu gesagt, aber für Anthoine de Charreard war das Wort stumm gewesen, er saß und sann, bis es auf einmal draußen heftig räusperte und hustete. »Wer draußen steht, komme rein.« Das war ein barscher Ton, den hatte der junge Anthoine erst gelernt, und er mußte den Ruf wiederholen. Dringlicher, heftig fast; dann erst tat sich die Türe auf, mit höchster Verwunderung im Gesicht trat ein -- Nikolaus Rabe. »Niklas du!« Anthoine schnellte von seinem Sitze empor und plötzlich hing er dem Heimatfreund am Halse und seine Stimme war ganz weich geworden. »Niklas, was bringst du Botschaft von --« »Von der Jungfer Schwester Grüße und ich schätze, von der gnädigen Frau Mutter ist dies hier,« brummelte Niklas, den nach dem barschen Herein die Freude des Junkers in eine sonderbar rührsame Stimmung gebracht hatte. Er hob ein stattliches, in Leinen gewickeltes Paket auf. »Das da soll ich abgeben.« Ja, es waren freilich rechte Muttergrüße. Ein linnenes Hemd, eine gute Speckseite, ein paar Würste, ein Brot, ein Beutelchen mit zwei Golddukaten drinnen, Taufgeld, die Mutter hatte es dem Buben manchmal gezeigt, und ein paar späte Rosen und ein Zweiglein Rosmarin aus dem Garten, daran ein Zettel, auf dem mit unsicherer Hand geschrieben stand: »Befiehl du deine Wege Und was dein Herze kränkt, Der allertreuesten Pflege Des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden Gibt Wege, Lauf und Bahn, Der wird auch Wege finden, Da dein Fuß gehen kann.« Darunter: Meinem herzlieben Sohn Anton zum Geleite. Der HERRE GOTT segne und behüte dich und gebe uns ein fröhlich Wiedersehen. In treulichster Sorge und Fürbitte Deine Mutter Sophia Christine de Charreard geb. Riesin. Da beugte der Junker Anthoine, der hinaus in den Kampf und Streit der Welt ziehen wollte, sein Gesicht über das Blatt und heulte laut hinaus. Nikolaus Rabe, der sein fitzelbuntes Kriegskleid trug, trat von einem Bein auf das andere, das bitterliche Weinen beschwerte ihm sein Herz, ein paarmal brummelte er: »So müßt Ihr's nit halten, so nit, Jesses, so doch nit.« Da aber der Schmerz des jungen Anthoine gründlich war, ebbte das Weinen nicht so bald ab und es steckte den Nikolaus an. Die beiden, die von Kriegstaten träumten, heulten herzhaft mitsammen, und wer weiß, wie lange das noch gedauert hätte, wenn einer nicht die Türe aufgerissen hätte, der Eile in den Gliedern hatte. »Junker, eilt Euch.« Der Herr von Hünefeld war noch nicht drinnen, da rief er das Wort schon. »Der St. Laurent hat's herausgespürt, daß ich Euch bekommen habe, nun läßt er Häscher warten auf dem Wege zur Dornburg, denkt, wir ziehen gen Berlin. Man will Euch aufgreifen, Euch und den Dracksdorf. Mich wollen sie als fremden Werber gefangen setzen! Kommt rasch. Wir reiten im Saaletal entlang, holen den Dracksdorf und den Rudolph, so ihm sein Herr Vater Permission gibt, und nehmen unsern Weg über Franken. Eilt Euch, tut, als wär's ein Lustritt. Ich reite voran, gerade zusammen soll man uns nit sehen.« »Wir kommen eiligst nach, Herr Hauptmann,« schrie Nikolaus, als wäre der Hauptmann stocktaub. »Kruzitürken, was ist das für einer,« schrie der Herr Balthasar von Hünefeld. »Ein übriggebliebener Schwede gar!« »So nit. Bin ein Pösener Kind wie unser Junker, aber Schockschwerebrett, ich will mit, und wenn's gegen die Türken ging, dann wär's ein Hauptspaß.« Und dann erzählte der Nikolaus mit zehn Worten, woher er sei, warum er mitwolle, und der Herr von Hünefeld nickte. So einen konnte er brauchen. »Abgemacht, wir reiten. Aber zuerst den Franzmännern auf den Hals.« »Sapperlot, ist mir auch recht.« »Alsdann Gott befohlen. Unterhalb der Lobeda-Burg treffen wir uns.« Eine Stunde später ritt der Junker Anthoine de Charreard aus der Stadt und traf am Tor den Obersten de St. Laurent. Der sah des Junkers Begleiter erstaunt an. »Was ist das für ein bunter Gauch!« spottete er. »Habt Ihr einen Pfingstvogel gefangen, Junker?« »Von Pösen ist er gekommen. Hat mir Kunde von dort gebracht und --« »Will ihn selbst holen,« vollendete Nikolaus Rabe, der wohl das Zögern des jungen Anthoines merkte. Glührot brannten dessen Wangen. »So, auf seltsamen Wegen, andersrum scheint mir der Weg zu gehen,« spottete der Herr de St. Laurent. Er drängte sein Pferd dicht an die beiden heran. »Durchs Leutratal reiten wir, der Weg ist kühler.« Nikolaus ließ sich nicht so leicht einschüchtern. »Gnaden sollten auch mal den Weg nehmen, viel länger ist er nit! Und der Wald schattet gut!« »Ist das Euer Vormund, Junker Charreard,« spottete der Oberst. »Unser Niklas ist's.« »Für einen Bauern trägt er ein sonderbares Kleid. Doch --« Dem Oberst kam ein Besinnen. »Richtig, den Kauz sah ich schon, als ich unsere gnädigste Frau Herzogin geleitete. Nun denn, wenn's so ist, empfehlt mich den gnädigsten Eltern -- Herr Schwager!« Anthoine de Charreard gab seinem Pferd die Sporen; er tat, als hätte das letzte Wort der Wind davongetragen. Der Herr de St. Laurent sah den beiden nach. Der Begleiter stimmte, der Weg stimmte, und doch -- hätte er nicht besser den Junker Anthoine aufgehalten und sich damit von den Charreards Dank erworben? Anthoine de Charreard ritt schweigend in raschem Trabe vorwärts, ein bitteres Gefühl brannte in ihm. Der eitle Narr sollte seiner Schwester Mann werden. Einmal drehte er sich um, sah rückwärts Jenas Türme im hellen Lichte stehen und sah dabei auch den Nikolaus neben sich reiten. Mit finsterem Gesicht, wie einer, der Kampfzeit nicht erwarten kann. »Niklas, gelle, ein bitterer Abschied ist's. Was sagt dein Weib, Niklas?« »Sie heult,« knurrte Nikolaus. »Aber nune sie den Kleinen hat, nimmt sie's leichter. Sie denkt eben: ist 'ne Krankheit und wird vorbeigehen. Ist auch so. Junker, eins aufbrennen möchte ich dem Milchgesicht da, damit er unsere Louison nit freit. Unsere Louison und der, hol's der Teufel, gut geht es nit aus.« Und dann ritten die beiden weiter bis zur Leuchtenburg, deren Tor sich ihnen gastlich auftat. Am nächsten Morgen ritten die fünf Männer vor Tau und Tag die Saale entlang und Nikolaus dachte dabei an den Zug, den er einst als Troßbube der Schweden mitgemacht hatte. Lang war es her, vor sieben Jahren war er heimgekommen und nun verließ er Weib und Kind, weil das wilde Reiterblut in ihm nicht zur Ruhe kommen konnte. Er erhob seine Stimme und begann in rauhen Tönen ein Kriegslied zu singen, ungefüge gellte das durch das stille Saaletal und weckte noch manchen müden Schläfer auf. Den Leuten kam dabei ein böses Erinnern und ein paar zaghafte Weiberlein krochen gar unter die Betten: »Hilf Himmel, die Schweden sind wieder da! Der Herr Kurfürst von Brandenburg ist ihrer doch nich Herre geworden.« Doch der rauhe Gesang starb mählich in der Ferne, leiser und leiser tönte es im Saaletal: »Steh dir bei der himmlische Segen Jedweden einem Der Leib sei dir beinern Das Herz sei dir steinern. Das Haupt sei gestählet Der Himmel geschildet Die Hölle versperret, All's Übel sei von dir verirret.« Herr Balthasar von Hünefeld lachte. »Ich weiß eine andere Melodie, alter Kriegskamerad, als dein verzwicktes Zaubersprüchel. Auf, mitgesungen: »Es geht ein Butzemann im Reich herum --« »Didum, didum! Bidi, bidi, bum« da fiel der Nikolaus lachend ein und beide sangen: »Der Kaiser schlägt die Trum Mit Händen und mit Füßen, Mit Säbeln und mit Spießen, Didum, didum, didum.« Die drei Junker erhoben ihre Stimmen dazu und so singend zogen sie durch das Land. Über ein kleines noch, und die drei Jugendfreunde steckten im Soldatenrock. 12. Kapitel. In Pösen war es recht still. Das junge Jeannettchen ging einher mit leidbeschwertem Gemüt. Der Bruder, an dem seine Seele hing, war fortgezogen und mit ihm der Freund. Die Schwester, die nach des Herzogs Begräbnis acht Tage in Pösen weilte, war so fremd, ach so fremd der Heimat geworden. Und die Eltern waren bedrückt. Sehr still zogen die Tage einher, wie Schiffe, die bei windlosem Wetter träge dahingleiten. Jeannettchen tat ihre Arbeit im Hause und hatte keine Freude daran. Sie ging auch zu dem Magister Albertinus, den seine Hausfrau einen rechten Trostengel nannte. Ein wunderlicher Engel, man mußte schon seines Wesens milde Güte erkennen, um den dünnbeinigen hageren Mann just einen Engel zu nennen. Jeannette de Charreard saß in den Stunden, die sie bei ihm zubrachte, verträumt da und selbst der gute Magister, der so freundlich in jeglichem Urteil war, konnte ihr keinen besonderen Fleiß nachrühmen. Einmal -- die Sommerfäden spannen sich schon silbern von Ast zu Ast, ruhten auf den Wiesen und wehten Jeannette ins Gesicht, wenn sie zum Rabenhofe ging -- fragte der Magister: »Und wo hat die Jungfer die Gedanken gelassen?« Da legte Jeannettchen den Kopf auf den mit Tintenflecken nicht sehr säuberlich gezierten Tisch und schluchzte laut. Ihr Herzeleid brauchte Tränen. »Steht es so!« Der Magister nahm einen Bogen, tunkte den Gänsekiel in die schwarze Flüssigkeit und begann Linie um Linie zu ziehen. Dann tippte er das weinende Mädchen sacht an und forderte sie auf, seiner Linien krauses Gewirr zu schauen. »Da seht, Jungfer Johanne, hier sind wir, nun wandern wir am Leutrabach entlang, kommen an den Saalefluß, so, da drehen wir uns um, ziehen gen Franken, erst westwärts, dann nordwärts, und da, meine kleine Jungfer, ist eine Stadt in Geldern, am Waalefluß gelegen, Nymwegen wird sie genannt; dorten sitzen itzt viele hochweise Herren und beraten über den Frieden. Bald ist's aus mit dem Krieg, dann kommen die Junker und dieser Querkopf, dieser ganz törichte Feuerbrand, so sich Nikolaus Rabe benennet, heim. Sie werden sicher dem Herrn Kurfürsten von Brandenburg nicht weiter dienen. Und alles Leid hat dann ein Ende!« »Wenn -- wenn sie nun aber doch nicht Frieden schließen?« »Wenn -- wenn, liebwerteste Jungfer Bedenklichkeit, -- wenn der Fisch Beine hätte, könnte er laufen, man muß nicht zu oft >wenn< im Leben fragen.« Jeannettchen wurde froh bei dieser Strafrede. Ihr Blick lief noch einmal den krausen Linien nach, ihre Gedanken überflogen die Weite zwischen Land und Land und sie dankte getröstet dem alten Magister. Ja, sobald Friede war, würden sie heimkommen. Der Brandenburger würde sie gar nicht mehr brauchen. Doch ein hochgelehrter Herr Magister und eine junge Jungfrau zusammen können in Kriegsdingen irren. Die Ausgezogenen kamen nicht heim. Erst schloß der König Ludwig mit den Staaten, dann mit Spanien und als der Frühling nahte, mit Österreich Frieden, aber die drei Freunde und der alte Kriegsmann hatten es nun einmal vor, noch gegen die Türken zu ziehen, und sie tummelten sich weiter in der Fremde herum. Der Tag ihres Auszuges jährte sich zum zweiten Male und in Pösen dachte man an die Hochzeit der schönen Louison mit dem Herrn de St. Laurent. Der Oberst war aus Frankreich zurückgekehrt, um seine junge Frau zu holen. In Straßburg, das deutsche Schwäche und Verrat an Frankreich ausgeliefert hatten, war sein Quartier bisher gewesen; nun sollte es Paris werden. Er umnebelte Louisons klares Denken so mit seinen wunderreichen Erzählungen von seines Heimatlandes Größe, daß das junge Ding meinte, es ginge durch diese Heirat schier in das Paradies. Die Hochzeit sollte in Stille und Einfachheit gefeiert werden. Die Herzogin lebte seit dem Tode ihres Gemahls in bedrückten Verhältnissen, wollte aber doch nicht darauf verzichten, die Hochzeit selbst auszurichten. Sie gestattete den Eltern nur gnädig, all das zu liefern, was in der herzoglichen Küche fehlte, und Sophia Christine sah eines Tages wehmütig die Vorratskammern durch, schrieb auf, was da war, und dachte trübe an des jungen Anthoines Taufe. Jetzt brauchte sie nicht mehr nach der Bäuerinnen Hilfe auszuschauen, knapp ging es zwar zu, doch reichte es immer, aber es schien ihr doch, als wäre ihr Glück damals größer gewesen. Ihre sorgenden Gedanken hingen sich an ein fürstliches Handschreiben, das vor kurzem der Bote gebracht hatte. Ihr Mann hatte es erbrochen, gelesen und war dann schweigend den Hausberg hinaufgegangen. Nun wußte sie, es war Schweres, was er erfahren hatte, und sie wartete lange auf sein Zurückkommen und seinen Bericht. Jeannettchen hatte nichts von dieser aufziehenden Wolkenwand bemerkt. Die schritt am Leutrabach hin und ihre Gedanken umspannen Geschwister und Freunde, während sie sich von einem lauen Sommerwind umwehen ließ. In der Mühle war das elfte Kind geboren worden und Jeannettchen trug eine Gabe für die Frau im Korb. Die gab sie ab, sprach mit dem Müller, dessen Gesicht bei jedem Büblein oder Mädelchen, das in der buntbemalten Wiege lag, um ein Scheinchen heller wurde, dann rüstete sie sich zum Gehen. Bis zum Waldrand schritt sie noch, tiefer hinein wagte sie sich nie, obgleich man nie mehr ein Schauermärlein hörte, das im stillen Tal den Frieden gestört hätte. Und wie Jeannettchen so unter einer der großen Tannen saß, vernahm sie auf einmal Pferdegetrappel. Wie damals, als Nikolaus Rabe heimkehrte. Sie blieb aber ruhig sitzen, dachte, es wird ein Bote von der Leuchtenburg sein, drüben lag ja die Mühle, die klapperte, der Bach lärmte, es herrschte nicht jene verwunschene Stille im Tal wie damals. Das Trappeln kam näher, und dann sprang Jeannettchen doch erschrocken auf, als sie von der Seite einen Reiter daherkommen sah, dem man das Kriegswesen ansah. Aber der Schreck war nur kurz. Die Augen des Mannes blickten froh, das rote Gesicht erstrahlte und Jeannettchen rief jubelnd des Jugendfreundes Namen: »Heinrich Wilhelm, Ihr!« »Eia ja, da bin ich,« antwortete der behaglich. »Mademoiselle Jeannette hat mich beim Teufel rekonnässiert.« Jeannettchen hörte an dem fremden Ton vorbei, ein Schatten flog über ihr Gesicht: »Allein?« fragte sie mit verhaltener Sorge. Der Junker von Dracksdorf sprang von seinem Pferde, schlang die Zügel um die Tanne und warf sich ins Gras; da setzte sich Jeannettchen wieder auf den bemoosten Stein und bat: »Erzählt.« »Was gibt's da viel zu reportieren. Unser Oberst wollt' uns nicht loslassen, bei Trier liegt unser Fähnlein. Der Hauptmann meint, es ginge in Bälde gegen den König Ludwig und seine verdammten Reunionskammern los oder gegen den Türken, und der Anthoine sagt: So oder so, ihm wär's gleich. Ich bin persuadiert, er wird mal ein großer Kriegsmann, Euer Monsieur Bruder, so ein Draufgänger ist er. Der Adrian tut's ihm sachter nach, der Niklas ist aber wild darauf, gegen Franzosen oder Türken sein Pulver zu verschießen. Ich wär' wohl auch noch nicht heimgekommen und hätte meinen Abschied genommen, wenn der Herr Vormund nicht geschrieben hätte, es wäre nun Zeit, meine Güter zu übernehmen und eine Hausfrau heimzuführen.« Hier tat der Junker von Dracksdorf einen erschrecklichen Seufzer und Jeannettchen wurde blutrot und wurde gleich wieder blaß, denn der Mann da neben ihr fing an zu erzählen, er wäre in Jena gewesen und hätte da Louison gesehen. »Zum Henker,« knurrte er, »die hätte mir besser als Madame de Dracksdorf gefallen als --« [Illustration] »Wir wollen heimgehen!« Jeannettchen stand rasch auf, sie merkte es gar nicht, daß ihr ein paar helle Tränen über die rosigen Wangen liefen, so tief war ihr Herzeleid in diesem Augenblick. Aber der Junker von Dracksdorf, der schon mal in der Einfalt seines Gemütes einen Baum umrennen konnte, sah doch die Tränen, und er machte sich auch das rechte Verslein dazu. O lieber Himmel, da war ihm im stillen Tal die Blume Wunderhold erblüht, die er so himmelgern in Jena gepflückt hätte. »Ja,« sagte er und wurde in seiner Verlegenheit feierlich, »es ist wohl Zeit, den gnädigen Eltern der Mademoiselle meine Komplimente zu Füßen zu legen, ich bin persuadiert, sie werden meinen Rapport mit Ungeduld attendieren.« In all ihrem Herzeleid mußte Jeannettchen lachen. Sie knixte tief und sagte mit der anmutigen Schelmerei, die ihr Muttererbe war: »Und ich bin persuadiert, den Herrn Magister trifft der Schlagfluß, so er des Herrn Junkers verwelschtes Gerede vernimmt.« Potz Blitz, war das das stille, schüchterne Jeannettchen? Der Junker riß Mund und Augen auf, war so verdutzt, daß er die lachende Jungfer erst davonlaufen ließ und ihr dann nach ein paar Minuten eilfertig und ziemlich beschämt nachrannte. Ihm war nämlich der Gedanke gekommen, daß die Tränlein vorhin der Schwester Heirat und nicht ihm gegolten hatten, und er schämte sich seiner Einbildung gewaltig. »Mademoiselle Jeannette,« stammelte er, als er die Enteilende eingeholt hatte, »wenn man sich um die Nase den Weltwind hat eine Weile soufflieren --« »Redet deutsch, Junker von Dracksdorf,« unterbrach ihn Jeannettchen, »der Weltwind wird Euch hoffentlich nicht Eure guten deutschen Worte alle davongetragen haben. Und da kommt der Magister!« Wirklich kam Magister Albertinus den beiden entgegen. Erst staunte er, dann erschrak er und dann schalt er, denn der Junker vergaß zu schnell Jeannettchens Mahnung, er rief: »Ich kann nur Gutes rapportieren von dem Sukzeß und der Honneur des --« »Gutes was?« Der Magister sah den Junker an wie einen, der vom Mond gefallen ist, und Jeannettchen lachte dazu. Lachte die beiden verdutzten Männer aus, bis der aus der Welt Heimgekommene merkte, im stillen Leutratal redete man unverwelschtes Deutsch, und dem Magister ein Lichtlein aufging, daß draußen die Torheit, die deutsche Sprache mit fremden Flicken zu behängen, noch fortwucherte. »Na, Junker von Dracksdorf, wenn Ihr schon so redet, was werden erst die andern für verwelschte Mäuler haben,« brummte er. »Na, aber, ich gewöhn's ihnen ab.« »Zum Teufel ja, und tausend Schuß will ich wetten, ich gewöhn's mir auch wieder ab,« antwortete Junker Heinrich Wilhelm. Da war der Friedensschluß fertig ohne so lange Verhandlungen wie in der Stadt Nymwegen. Die Raben-Bäuerin bekam Grüße, ein flandrisches Tuch und ein paar Dukaten von ihrem wanderlustigen Mann. Darüber weinte sie still und ging ins Haus, denn der Mann wäre ihr lieber gewesen als Tand und Gold. Jeannettchen drängte zum Heimgehen. Der Magister schloß sich an. Als die drei am Hause anlangten, sahen sie Herrn de Charreard und seine Frau unter der Linde sitzen, und es war wohl zu merken, sie redeten von einer gemeinsamen Sorge. »Herr Vater, Frau Mutter, Nachricht vom Bruder!« rief Jeannettchen. Sie lief mit so leichtfüßiger Anmut vor dem etwas schwerfälligen Junker einher, daß der über dem Bewundern beinahe den Willkommengruß vergaß. Und dann machten ihn des Jeannettchens strahlende Augen ganz verwirrt, und er kauderwelschte verlegen, er schätze es für einen heureusen Augenblick, selbst den agreablen Rapport von des Freundes Santé geben zu können, der -- Da vergaß der gute Magister alle höfliche Form, brummte unwirsch, dieses wär nun seiner Meinung nach ein saudummes Gewäsch; es hörte aber niemand auf sein Schelten. Endlich lief er zornig davon. Der arme Junker geriet durch Jeannettchens Lachen wieder in eine sehr unangenehme Beklemmung, und er suchte sich herauszuhelfen durch Grüße, die er aus Jena brachte. Da trübten sich aber die eben noch so hellen Gesichter der Charreards. Jeannettchen kamen aus unbewußter Eifersucht heraus Tränen. Frau Sophia Christine aber rief schmerzlich: »Ach, die Frau Herzogin will uns gar kein Kind lassen, nun soll auch noch unser Jeannettchen als Hofjungfer nach Weimar kommen.« »Ich -- Frau Mutter, ich -- Hofjungfer!« Wäre das ganze stattliche Wohnhaus just in dem Augenblick zusammengepurzelt, das Jeannettchen hätte nicht entsetzter dreinschauen können. Und dann brach der Schmerz des guten Kindes so jäh hervor, wie der kleine Bach unten es tat, wenn Tauwind über die Berge raste. Jeannettchen sank vor ihrer Mutter nieder und in deren Herzen klang das Leid ihres Kindes schmerzlich wieder. Und sie konnte doch nicht helfen. Der Junker von Dracksdorf schaute auf das weinende Mädchen und alle Gedanken an Louison vergingen ihm, nur an Jeannettchen dachte er, und wie er wohl helfen könnte. Weil er nun wohl etwas schwerfällig war, es ihm aber keineswegs an hellem Verstande mangelte, überlegte er bedachtsam allerlei Wege zur Hilfe und Rettung des bedrängten Kindes. Flucht war abenteuerlich, aber bei einer Heirat, wenn sie just beschlossen war, würde man in Weimar von der Forderung abstehen. Er räusperte sich laut, trat von einem Bein auf das andere und platzte etwas plötzlich heraus: »Ich habe die Intention, daß für das Fräulein der agreabelste Ausweg aus dieser fatalen Situation eine gute Mariage wäre, und da ich das Fräulein von Kindheit an adoriert habe, bin ich persuadiert, es -- es -- es --« Der Redefluß des guten Junkers stockte, aber Jeannette de Charreard hatte genug gehört, und sie hatte auch alle Fremdwörter fein richtig verstanden, nahm auch keinerlei Anstoß daran, sondern ihr Schluchzen wandelte sich sachte in ein heiteres, leises Lachen, sie stammelte fest an die Mutter gelehnt: »Wenn -- wenn Er mich liebt, dann -- dann --« Von seiner großen Amour wollte der Junker gerade sprechen, da fuhr ihm das Wörtlein Liebe unversehens dazwischen und er sagte ganz einfach: »Ich liebe die Jungfer Jeannette, bei Gott, über alles in der Welt. Hab's just erst gemerkt, wie sehr sie mir ans Herz gewachsen ist. Man muß wohl in die Welt ziehen, um das Einfachste zu verstehen.« In dem Herzen der Mutter sang und schwang wieder die große Feiertagsglocke. Die an ihrem Einzugstage zuerst getönt und allemal wieder ihre Stimme erhoben hatte, wenn ihr ein neugeborenes Kind im Arme lag. Ihre tränenfeuchten Augen suchten die des Mannes, und Herr Anthoine de Charreard beugte sich über seine Frau und sagte leise: »Wenn unser Jeannettchen wird wie du, dann kann der Junker von Dracksdorf diese Stunde segnen.« Herr de Charreard schrieb an diesem Tage mit solcher Freude im Herzen an die Herzogin Marie, wie er es seit Jahren nicht getan hatte. Er durfte ihr eine wohlbegründete Absage geben, denn daß die künftige Frau von Dracksdorf nun noch eifrig im Hause lernen mußte, das verstand auch die Herzogin. Jeannettchen war glückselig. Bei der Hochzeit ihrer Schwester Louison überstrahlte sie sogar die schönere Schwester im Glanz ihres jungen Glückes. Ein leiser Wiederschein davon ruhte auf dem Gesicht ihrer Mutter. Das Glück der Jüngeren ließ sie auch an das Glück der Älteren glauben, obgleich ein Widerwillen gegen deren Mann immer in ihr lebte. Übrigens sah niemand weniger strahlend aus als der Oberst de St. Laurent. Er hatte ein Bündel getäuschter Hoffnungen mitgebracht. Man war ihm als Hugenotten mit Mißtrauen begegnet, und er hatte wohl gesehen, daß die Hilfe, auf die die Hugenotten in Frankreich gerechnet hatten, ihnen nie von König Ludwig kommen würde. Bald nach der Hochzeit verließ Louison die Heimat. Sie war nicht mehr in Pösen gewesen, das stille Tal lag wie ein Traumland hinter ihr, sie dachte nur an Paris, wohin ihre Reise ging. Der Oberst de St. Laurent hoffte dort durch einflußreiche Verwandte und Freunde eine glänzende Stellung zu erhalten. Ungern sah ihn die Herzogin scheiden, aber die Verhältnisse waren für sie sehr drückend geworden. Sie verlebte ihre Zeit viel auf ihrem Gute Porstendorf. Sie war müde geworden und kränkelte viel, hatte etwas die Lust verloren, mit dem Schicksal anderer Fangeball zu spielen. Freilich, ihre Umgebung hatte viel unter ihren bitterbösen Launen zu leiden. [Illustration] Auch in Pösen sollte es noch stiller werden. Zwei Jahre nach Louisons Hochzeit wollte Heinrich Wilhelm von Dracksdorf sein Jeannettchen heimführen. Der junge Gutsherr hatte jegliche Lust zum Ausziehen in die Weite verloren, er hatte auch seine schönen Fremdwörter alle wieder vergessen, und der alte Magister Albertinus brauchte nicht mehr zu mahnen, die fremden Unkräutlein nicht zu schlimm wuchern zu lassen. Anthoine de Charreard hatte sein Kommen zu der Schwester Hochzeit zugesagt. Wenige Wochen vorher war es, im September sollte die Hochzeit stattfinden, da ritt einer allein durch das Tal, der nun meinte, es wäre auch eine Heimkehr für immer. Es war der Nikolaus Rabe, der kam heim, weil ihm das Warten auf den Türkenkrieg draußen zu lang geworden war. Er hatte sich noch tüchtig in der Welt herumgetummelt und zuletzt seinem Junker nach Paris das Geleite gegeben, nachdem er seinen Abschied genommen hatte. Dort hatte der Junker Schwester und Schwager getroffen, und der Nikolaus Rabe konnte nur berichten, es gehe ihm gut. Als der alte Kriegsmann vor seinem Bauernhof ein strammes Bübchen spielen sah und ein wenig ernst und bedrückt seine junge Frau still auf dem Felde werken fand, da stieg's ihm heiß zu Kopfe, und er hielt sich selbst, noch abseits vom Hause, eine tüchtige Standrede. Die lautete: Niklas, alter horndummer Mistesel du, konntest alleweil auch was Gescheiteres tun, als in der Welt herumzuziehen. Läßt Weib, Kind, Haus, Hof im Stich und bist weder richtig an die Franzosen, noch ein bißchen an die Türken herangekommen. Hol dich der Teufel, ein Stück Holz ist klüger als du. Und nach dieser feierlichen Ansprache an sein eigenes Ich betrat Nikolaus Rabe das Haus, das Bübchen war davongelaufen, und der Magister Albertinus war der erste, der dem Heimkehrenden entgegentrat. »Kruzitürken,« schrie Nikolaus, »das nenne ich Fortune haben, von so einem gelehrten Monsieur an der Türe salviert zu werden!« »Schafskopf,« schrie der alte Magister, »macht Er die gleiche Dummheit wie der Junker von Dracksdorf! Hat Er, weiß der Himmel, nichts anderes draußen gelernt als sein Maul mit welschen Brocken zu füllen? Jemine, so kommt er nun heim! Ein Querkopf zog aus, ein Strohkopf kehrt zurück!« »Dunderwetter, das hat wohlgetan!« Der Nikolaus lachte über das ganze Gesicht. »Mehr, Herr Magister, mehr! Solche Sprüchlein tun wohl. Parbleu -- wollte sagen Coup de Tonnär, ih niche doch, zum Teufel noch mal, ich hab's verdient. Und nune potz Blitz, wo sind Weib und Kind?« Die kamen beide angerannt, erst erschrocken vor dem fremden, fluchenden Mann, dann hing ihm das junge Weib am Hals und rief: »Endlich, Niklas, endlich. Als du fortzogst, konnte der da noch niche recht reden und itze pappert er's Blaue vom Himmel runter.« »Ja, und unser Jeannettchen war ein Kind, und in drei Wochen wird sie Frau von Dracksdorf,« redete der Magister besinnlich in den lauten Jubel der Frau hinein. »Na, Gott sei Dank, denn die Louison ist Madame de St. Laurent und tut, als hätte sie in Paris ihren ersten Schrei getan. Dunderwetter, kaum angesehen hat sie mich. Und unsern Junker Anthoine haben sie eingesponnen wie eine arme Fliege.« »Und der junge Herr Adrian?« fragte der Magister. »Der ist nach Wien gezogen auf die hohe Schule, hat seinen Abschied genommen, weil's doch nichts mehr zu kämpfen gab. Akkurat nach Wien, ich persuadier --« »Daß Ihm gleich sein Dach auf den Dämelkopf fällt!« »Dunderwetter ja! Der Herr Magister kann's fluchen fast besser als der Herr von Hünefeld, und der hat arg gewettert, als wir so Woche um Woche gelegen haben und nix zu sehen kriegten vom Feind. Und hernach der vermaledeite Friede und jetzund der, den der arme Herr Kurfürst von Brandenburg hat unterschreiben müssen. Sie sollen ihm alle seine wohlverdiente Siegesbeute genommen haben, und ich habe die Opinion, daß --« »Was hat Er noch? Glauben tut Er, und was glaubt Er?« »Daß, daß -- es der Herr Adrian mit den Wissenschaften hält,« stotterte Nikolaus, der durch des Magisters heftigen Anruf ganz aus der Fassung gekommen war. Er vergaß es, den Faden des Weltgeschehens weiterzuspinnen, war wieder im engen Tal der Heimat und hätte nun gern etwas von Haus und Hof gehört. Doch der Magister war damit nicht zufrieden, dessen Gedanken gingen dem Schicksal der drei Freunde nach. Er brummelte: »So, so, mit den Wissenschaften hält's der Junker Adrian. Alleweile, da hat er den besten Teil von allen dreien erwählt. Heirat und Kriegsdienst sind nicht viel wert, die Wissenschaften sind am besten.« Aber da redete die Frau flink hinein, die bis dahin geschwiegen hatte. »Das meine ich nun eben niche. Der Junker von Dracksdorf, der unser Jeannettchen bekommt, der kann lachen. Der Herr Magister sind zwar ein hochgelehrter Herr, aber vom heiligen Ehestand versteht er doch kein linschen.« »Potz Blitz, Frau, das war recht gesprochen, und eine gute Mariage --« »Ja potz Blitz, den heiligen Ehestand in Ehren, aber in deutschen Ehren für uns, Er verwelschter Dummkopf,« schrie der Magister. »Und nun kommt, wir gehen und melden, daß der Junker Anton zur Hochzeit kommt, so ist es doch richtig?« »Ich meine halt, nein,« murmelte Nikolaus. »Er kommt nit, hat in der großen Stadt Paris unser stilles Tal vergessen!« -- 13. Kapitel. Ein wenig später konnte Nikolaus Rabe, der Heimgekehrte, seinen Bericht erstatten. Der gute Magister hatte dabei viel Grund zu knurren und zu schelten, denn im Eifer purzelten recht viele fremde Wörter dem Manne aus dem Mund. Er redete ein wunderliches Mischmasch durcheinander. Die Charreards hörten nicht darauf, Herr Anthoine strahlte, aber über Sophia Christines klares Gesicht flogen Schatten. Nikolaus sagte nicht, daß der Junker die Heimat vergessen hätte, aber ihr Ohr hörte das Verborgene und in ihrem Herzen rann die Tränenquelle. »Zwei von den Charreards in Paris, das ist recht,« rief Herr Anthoine. »Paß auf, herzliebe Frau, unser Anthoine bringt dort den Namen Charreard wieder zu Ehren.« Da sah der Mann in seiner Freude doch das wehe Lächeln um den Mund der Frau zucken und er sagte: »Da dir unser Sohn Dracksdorf doch wirklich lieb ist wie ein Sohn, mußt du eben denken, Teuerste, zwei Kinder dort, zwei Kinder hier, eine gerechte Verteilung.« Ach, es war nicht so, wie es der Herr de Charreard sagte. Die Frau trug alle vier Kinder im Herzen, auch den Schwiegersohn, dessen Verlassenheit sie einst in ihrem jungen Glück so tief gerührt hatte. Der Oberst de St. Laurent dagegen war ihr fremd, und um dieser Fremdheit willen dachte sie mit immer wacher Sorge an Louison. Zwei Kinder hier, zwei Kinder fern. Frau Sophia Christine dachte in diesen Tagen manchmal an die Glucke mit den zehn Küchlein, die sie alle an ihrem Einzugstag schützend umfangen hatte. Daß doch eine Menschenmutter ihre Kinder nicht immer so bei sich haben kann. Aber freilich, Jeannettchens junges Glück stand wie eine Sonne über dem Hause. Einmal zog eine Wolke darüber, die Herzogin Marie von Jena starb. Sie hatte Frau Sophia Christine viel Herzeleid angetan, und doch weinte die Frau um sie, sie gedachte der verlassenen Kinder. Es war im August. Ein paar Wochen später fuhr die kleine Prinzessin Elisabeth Marie von Jena nach Pösen, sie wollte, ehe sie an den Hof des Herzogs Johann Georg zu Eisenach reiste, um dort zu bleiben, Abschied nehmen. Was der Hochmut ihrer Mutter Frau Sophia Christine zu Leide getan, das glich die Tochter unbewußt in zärtlicher Liebe aus. Sie war so selten in Pösen gewesen und hatte doch das Gefühl, heimzukommen, als sie vor sich das einsame Tal in goldrotbrauner Herbstpracht liegen sah. Und zum großen Entsetzen ihrer Begleiter verlangte sie den Hohlweg hinab zu gehen, und sie ging mit federndem Schritt -- wie einst Frau Sophia Christine. Und dann verlangte sie alles im Haus, auf dem Hofe zu sehen, sie ging in die Kapelle, kroch die Hühnerstiege hinan, wußte, wo alles stand und lag; wie ein Märchen von Sonne und Glück war ihr alles, von dem ihr Freund Anthoine ihr einst erzählt hatte, in das Herz gesunken. Zuletzt forderte sie, während ihre Begleiter mit den Charreards im Festsaal saßen, von Jeannette, sie solle sie nach dem Rabenhof begleiten. Jeannettchen erschrak über dieses Begehren. Eine Prinzessin, die zu Fuß nach einem Bauernhof ging, das war doch schier unmöglich. Und wie sie mit der kleinen Prinzessin noch stand und redete und abmahnte, kam auf einmal der Nikolaus von seinem Hause her. Just als hätte ihn das Wünschen der kleinen Prinzessin herbeigezogen, so war es. Nikolaus blieb stehen, wagte sich nicht recht näher und war dann höchst verdutzt, als ihn Elisabeth Marie anrief: »Komm Er her! Ich habe einen Auftrag für Ihn!« Sie zog einen Brief aus ihrer Tasche, hielt den Nikolaus vor die Nase und fragte: »Zieht Er in den Türkenkrieg?« »Ist ja keiner,« antwortete der Bauer erstaunt, und über dem Erstaunen vergaß er die Höflichkeit. »Er kommt aber. Seine Liebden, mein gnädiger Herr Oheim, haben es gesagt! Ja, vielleicht kommen die Türken gar hierher, wissen kann man es nicht. Wenn Er aber in den Krieg zieht, soll Er den Brief mitnehmen und ihn dem Junker Anthoine geben, damit der schnell heimkommt. Ganz schnell muß er aber kommen.« Nikolaus starrte das Prinzeßchen mit immer runderen Augen an. Elisabeth Marie tat, als wäre das In-den-Krieg-Ziehen wie ein Spaziergang von Jena ins Leutratal und als müßten sich alle Menschen treffen wie etwa Sonntags vor der Stadtkirche von Jena. »Ich zieh aber nit in den Krieg, die Frau will's nit.« »Sie muß wollen, Er hat es dem Junker de Charreard doch versprochen?« Elisabeth sah ganz böse drein, und als der Bauer in seiner Verlegenheit die Arme steif herunterhängen ließ und den Brief nicht nahm, brach sie in Tränen aus und rief: »Helf Er mir doch. Ich muß dem Junker Anthoine schreiben, er muß mir helfen, sonst -- sonst muß ich Liebden, den Herrn Vetter Wilhelm Ernst, heiraten, und ich will ihn doch nicht.« Das war freilich eine schlimme Sache. Jeannettchen sah bekümmert drein. Sie riet. »Wir schicken dem Bruder den Brief.« »Wohin, wo ist er?« Ja, wo war Anthoine? Noch in Paris? Niemand wußte es, aber Nikolaus meinte: »Ich schätze, er wird noch dort sein.« Da nahm Jeannettchen den Brief vorläufig an sich und versprach ihn bei guter Gelegenheit an den Bruder zu senden. Freilich war dies der kleinen Prinzessin nur halb recht, die hatte gemeint, Nikolaus Rabe würde schnurstracks in die weite Welt reiten und den Brief ihrem guten Kameraden Anthoine geben. Wo er den zu finden hatte, wäre dann des Nikolaus Sache gewesen, da das Prinzeßchen nur ein paarmal nach Porstendorf, dem Gute ihrer Mutter, und einmal nach Weimar gereist war, meinte es, das Reisen in der weiten Welt herum sei nicht so schwer. Der Bauer sah wohl den Kummer, und der bedrückte ihn schwer, auch lag ihm der nahe Türkenkrieg auf dem Herzen. Er ging mit gesenktem Kopf heim und war dann wortkarg, ließ den Magister und seine Frau reden und sagte nur plötzlich aus tiefem Nachsinnen heraus: »Parbleu, gegen die Türken ziehen, das -- wär' schon was.« »Niklas,« schrie die Frau erschrocken, »du denkst doch wieder an en Krieg.« »Armes Weib,« knurrte der Mann, und dann schwieg er sich an diesem Abend aus. -- Die kleine Prinzessin Elisabeth Marie weinte heiße Tränen beim Abschied von Pösen, und Frau Sophia Christine hielt das Kind der Frau, die ihr so viel Herzeleid zugefügt hatte, in ihren Armen, als wäre es ihr eigenes Kind. Ein tiefes Erbarmen war in ihr mit dem Waislein, und sie antwortete innig: »Gott gebe es,« als die Prinzessin von einem Wiedersehen sprach. -- Eine Weile nach dem Besuch war es still im Tal, doch dann tönte Hochzeitsjubel auf. Und alle nahmen daran teil, die Dorfleute, die Rabes; der Magister Albertinus versuchte sogar ein sinniges Hochzeitslied zu dichten, aber mit dem Reimen wollte es ihm nicht recht gelingen. Doch ein Hochzeitsgedicht gehörte zur Hochzeit, und da alle von dem guten Magister eines erwarteten, saß er stöhnend und schwitzend am grünen Kachelofen der Wohnstube mit den Leuten vom Rabenhofe und dichtete. Es wollte nicht gehen. Dreimal sagte er: »O holde Jungfer Braut --« dann war seine Kunst zu Ende. »Was reimt sich in aller Welt nur auf Braut?« rief er. »Sauerkraut,« brummte Nikolaus, der immer stiller wurde in dieser Zeit. »Traut,« redete seine Frau sanft dazwischen. »Ich hab's,« schrie der Magister: »O holde Jungfer Braut, Bald wirst du angetraut Dem Manne deiner Wahl -- Wahl -- Wahl« »Qual!« schrie Nikolaus. »Quatsch,« knurrte der Magister und dichtete dann doch: »Das ist dir keine Qual. Du schönen Lilien gleiche --« »Jetzt gibt's wieder eine Sau!« rief der Nikolaus. »Was gibt's?« »Na, halt 'ne Sau, so nannten wir's, wenn einem was fehlschlug.« »Er ist 'n Schafskopf,« sagte der Magister unwirsch. »Meine Verse sind keine Säue. Er muß sich besser halten in seiner Rede. Paßt auf, jetzt kommt's: »Einem Engel aus dem Himmelreiche Gleichst du mit deinen Purpurwangen, Die wie die schönen roten Rosen prangen, Und deiner Augen Himmelsblau --« »Dunderwetter, das hab' ich noch nit gewußt, daß unser Jungfer Jeannettchen blaue Augen hat; braun sind sie, braun.« »Meinetwegen braun, obgleich das bei der edlen Dichtkunst gleich ist, wie die Augen in Wirklichkeit aussehen. Also: »Und deinen Augen, wie Nüsse sind sie so braun, Schenket heute ein edler Junker sein allertiefstes Herzenvertraun.« »Ich mein halt doch, das wär' wieder eine Sau gewesen,« brummelte der Bauer vor sich hin, aber der Magister war jetzt in das Dichten gut hineingekommen, er reimte, als ob er über einen steilrölligen Berg lief. Hoppla hopp, da war ein Reim! Da gab es eine Zeile, die kurz war wie der kürzeste Tag im Jahr, und eine, die zwei Meilen mehr hatte. Den Magister kümmerte es nicht, und die Hochzeitsgäste nahmen keinen Anstoß daran. Sie waren alle mit dem Hochzeitsgedicht zufrieden. Jeannettchen hörte vor lauter Rührung nichts, der Herr von Dracksdorf dachte nur: »Besser hätt' ich's nicht gekonnt,« und Frau Sophia Christine und ihr Mann dachten, trotz des feinen Schneeschleiers, der schon über dem Tale ruhte, doch an den Tag ihres Einzugs, an sommerliche Schöne und blühende Linden. Und als der gute Magister vortrug: »Es weilen die teuersten Geschwister ferne Und verlebten doch mit uns den Freudentag sehr gerne,« da rollten Tränen über das Gesicht der Mutter. Die Hände der Gatten fanden sich, und ihre Gedanken flogen auf sanften Schwingen zu den beiden hin. Nach Paris. Für Sophia Christine war es eine unheimliche fremde Stadt, Herr de Charreard dachte an Glanz und Sonne, dachte an den Hof des prächtigsten Königs. Dort war sein Sohn, ein Charreard war wieder in Paris. Er erhoffte Großes von dem Dortsein, erhoffte neuen Glanz für das Geschlecht der Charreards. Aber Anthoine war, während seine Schwester Jeannette seinem Freunde angetraut wurde, gar nicht mehr in Paris. Wenige Tage vorher hatte er verbittert, angewidert von dem Höflingstreiben, von der blassen, schönen Louison Abschied genommen. Er wollte nach Wien zu Adrian Rudolph, er wollte wirklich dort warten, bis die Türken den Krieg begannen. Man raunte viel davon. Louison selbst hatte es dem Bruder gesagt, hatte von dem gesprochen, was der Oberst de St. Laurent in einer Stunde der Trunkenheit ihr verraten. König Ludwig suchte die Türken zum Kriege gegen das Reich zu hetzen. Er spielte ein bitterböses Spiel. Dies eine Wort hatte Anthoine herausgerissen aus dem Taumel, in dem er gelebt. Freunde seines Hauses hatten sich seiner angenommen. Fest hatte sich an Fest gereiht, der junge Mann hatte darüber das stille Heimattal, die Eltern, alles vergessen -- bis Louison ihn geweckt hatte. Du mußt fort! Ihr Erinnern war harte Mahnung gewesen. Zu was war er denn ausgezogen aus seiner Heimat? Die Welt wollte er sehen, gegen Frankreich, für den Kurfürsten von Brandenburg kämpfen, und dann hatte er kaum etwas von Krieg erlebt, hatte vergessen, daß er Mannestaten hatte tun wollen, er hatte sich von seinem Obersten getrennt, seinen Abschied verlangt und das Anerbieten seines Schwagers, nach Frankreich zu kommen, angenommen. Und nun schickte Louison selbst ihn weg. Anthoine grübelte, während er nach Freiburg reiste, darüber nach, warum Louison so seltsam verändert gewesen war, seit Wochen schon. Von dem tiefen Leid, in dem seine schöne Schwester lebte, wußte er nichts. Er ahnte nicht, daß sein Schwager ein feiler Unterhändler und Spion war, einer, der gegen das Reich hetzte. Louison de St. Laurent hatte ihrem Bruder eine Herberge in Freiburg angeraten, dort sollte er eine Botschaft von ihr erwarten. In dem düstern Hause, das im Münsterschatten lag, ruhte sich Anthoine drei Tage von der Reise aus. Am dritten Tag klopfte es an seine Türe und auf seinen Anruf hin tat die sich auf und ein junger Bursche in dunkler unauffälliger Kleidung trat ein. »Was will Er?« Der Bursche schwieg und sah ihn an. »Was will Er?« schrie der Junker ungeduldig. Da sagte eine seltsam vertraute Stimme: »Ich bringe Botschaft von --« »Louison!« Bruder und Schwester standen sich gegenüber. Aber nicht mehr die schöne Louison in hoher Fontange mit Mouches auf Wangen und Kinn, ein blasser, schlanker Knabe mit Augen, aus denen tiefer Schmerz redete, stand vor Anthoine. »Ich bin geflohen!« -- »Mein Himmel, warum? Und allein?« Da sagte Louison de St. Laurent dem Bruder, daß ihr Gatte ein Spion sei. »Er reist nach Wien,« berichtete sie, »dort will er Verräter werben, Wien in des Sultans Hände spielen. Der Türken Unterhändler, oh über diese Schmach! Der alte Julien hat mir zur Flucht geholfen, er ist nach Köln zu seiner Tochter gezogen.« »Und jetzt?« »Ich zieh mit dir -- meinetwegen auch nach Wien. Wohin sollte ich sonst? Heim kann ich nicht, ich muß mich verbergen, wenn man mich findet, steckt man mich in ein Kloster.« »In ein Kloster?« »Der Oberst de St. Laurent ist Katholik geworden, weil er sonst seinen hohen Posten nicht bekommen hätte. Ich sollte zum Übertritt gezwungen werden. Und dich wollten sie auch bekehren, darum die Freundschaft, darum wurdest du verwöhnt, darum trieb ich dich fort!« »Oh Louison!« »Es ist so, Anthoine. Wir hätten in der Heimat bleiben sollen, daheim in unserm Friedenstal.« »Ich bringe dich heim!« »Ich kann nicht, Bruder. Man wird mich dort zuerst suchen und man wird keine Schonung kennen. Komm in die Welt hinaus, ich bin dein Reitknecht, nimm mich mit. Du bist mein einziger Schutz.« »Ich verlasse dich nicht.« Und am nächsten Morgen ritten die Kinder aus dem Leutratal in die weite, unbekannte Welt hinaus. -- Nach Weihnachten kam die Kunde von beider Verschwinden nach Pösen. Der Oberst de St. Laurent sandte Boten, wollte seine Frau zurückholen lassen. Jeannette von Dracksdorf war just zum ersten Besuch mit ihrem Manne da, als die beiden Herren in Pösen einritten. Sie traten herrisch und anmaßend auf, hatten eine Begleitung vom Hof in Weimar und verlangten Louisons Herausgabe. Dann, als sie merkten, die bestürzten Eltern wußten nichts von der Tochter Verbleib, wurden sie vertraulicher und erzählten. Der Junker Anthoine habe es plötzlich mit dem Heimweh bekommen und sei nach Deutschland gereist. Ein paar Tage später sei Madame de St. Laurent spurlos verschwunden. Niemand wisse, wohin, mit ihr zugleich sei der alte Julien, ein früherer Diener des Herrn de Charreard, verschwunden. Man habe geforscht und gefragt und nur herausbekommen, daß sich beide wohl nach Deutschland gewendet hätten. Zwei Kinder verloren im Weltgetriebe. Sophia Christine brach fast zusammen vor Leid. Herr de Charreard wollte im ersten Ansturm des Unmutes selbst nach Paris reisen, selbst nachforschen, aber da warnte ihn einer der fremden Herren. Man wäre jetzt auf die Hugenotten nicht gut zu sprechen dort. Und da erfuhr Herr Anthoine von dem Übertritt seines Schwiegersohnes. Er stutzte. Er war kein Frömmler und Eiferer, wäre auch ein guter Katholik gewesen, aber ein Wechsel der Religion ohne inneren Zwang und um äußerer Vorteile willen, das war ihm tief verächtlich. Und Louison, war sie nicht sein Kind, mußte sie nicht denken wie er! War sie darum geflohen? Was hatte sie dazu getrieben, welch großes Leid war über sie gekommen? Trübe Tage kamen, Tage, an denen die Sorge im Haus auf dem Ehrenstuhl saß, die Sorge um die Kinder des Hauses, die sich in der Welt verloren hatten. Louison de St. Laurent drohte Haft, wenn sie heimkam. Und die Mutter zitterte vor dem Heimkommen und die Mutter ersehnte das Heimkommen. Zwei Kinder verloren im Weltgetriebe! Sophia Christine wurde eine müde, stille Frau in diesen Wochen und ihr Mann vergaß das stolze Schloß an den Loireufern; er ersehnte nun auch nur noch das einsame Leutratal zur Heimat für seine Kinder. Es ging den Eheleuten wie den Linden, unter denen sie am Einzugstage gestanden hatten: sie wurzelten fester zusammen, und wie die Lindenkronen ineinander verschlungen waren, so waren es ihre Gefühle und Gedanken. Es konnte einer nicht mehr ohne den andern sein. -- Der Winter schleppte sich träge dahin, und als endlich am Quellrand die ersten Schneeglöckchen ihre weißgrünen Spitzen heraussteckten, lief ein angstvolles Raunen durch das Land. Lauter wurde es, banger. Der Türke kommt, der Türke zieht nach Wien, helf uns Gott! Nikolaus Rabe schlief schlecht in diesen Nächten. Er träumte wilde, wirre Dinge, meinte die Trompeten wieder blasen zu hören: Alarmen, alarmen, die Waffen erwarmen, Weh Reich und Armen, ohn alles Erbarmen! Seine Frau sah trübe drein. Sie brachte oft den Buben zu ihm. Dann wurde des Mannes Blick scheu, er fürchtete sich vor seiner eigenen Weichheit. Aber dann wieder begann er plötzlich dies und das zu erzählen, und einmal kam der kleine Blondkopf angelaufen, stellte sich wichtig vor seine Mutter hin und sagte keck ein Sprüchlein: »Die Funken werden Flammen und brechen endlich aus, Sie lohen hoch zusammen und reißen Haus zu Haus!« »Gotte, Junge, woher haste das?« »Der Vater hat's mir beigebingt!« rief das Büblein stolz, es reckte sich und ging auf den Hof und seine Mutter hörte ihn mit getragener Stimme reden: »Bet, Kinder, bet! Morge kommt der Schwed, Morge kommt der Oxestern, Der wird Euch das Bete lern.« Die Bäuerin weinte bitterlich. Und in ihrer Herzensnot lief sie zur Gutsfrau nach Pösen und schüttete vor dieser Leidträgerin ihr Sorgensäcklein aus. »Es hat ihn wieder gepackt, das Kriegswesen, er kann's niche lassen, Gnaden können drauf passe, der zieht noch gegen die Türken!« Und Sophia Christine, die so viel Trost gegeben hatte, wußte diesmal nichts zu sagen. Sie ahnte es lange, der Nikolaus blieb nicht im Tal. Und noch eine Woche voll Qual und Kampf. Ein verzweifeltes Ringen der Frau mit der immer stärker wachsenden Sehnsucht des Mannes; es war vergeblich. Als der Seidelbast blühte und die alte Windfahne auf dem Dach des Gutshauses sich mühte, von den Staren das wohltönige Pfeifen zu lernen, da nahm Nikolaus Rabe eines Morgens Abschied von Weib und Kind, nahm Abschied von dem Friedenstal, und er gab dabei dem guten Magister Albertinus recht, der ihn einen horndummen Esel nannte, aber er konnte nicht anders. Das Weltgeschehen lockte ihn hinaus. »Sei nicht böse,« bat der Nikolaus sein Weib, »itze zieh ich zum letzten Male aus.« »Und kommst niche wieder!« »Wie es unserm Herrgott gefällt. Frau, heule nit, das ist mal so. Als Kind noch haben sie mich hineingetrieben in das wilde Wesen, das sitzt mir nun alleweil im Blute und ich komm nit los davon.« Die Amseln flöteten, die Hecken prangten in grüner Seide, das Bächlein gluckste und rann, der Frühlingswind spielte sacht und zärtlich mit allem, mit der alten Wetterfahne und den jungen Zweigen, mit lockeren Dachschindeln und dem blonden Haar der Bäuerin. Wie schön war das kleine Tal. Dem Nikolaus brach fast das Herz, als er einsam dahinritt und das Haus, sein Heim, sein Glück, allmählich verschwanden, und doch -- er konnte nicht anders. Die Türken im Land, heißa, hussasa, das lockte und zog. Die Türken raubten und sengten. Herrgott, schütz' uns! Je tiefer ins Land hinein der Nikolaus ritt, je lauter tönte das Angstrufen. »Helf uns Gott! Der Türk' im Land, Not und Brand!« Da vergaß der Nikolaus Rabe allmählich, daß er noch daheim im stillen Tal einen Hof, Weib und Kind hatte; als ein rechter Kriegsmann ritt er hinein in Kampf und Not. 14. Kapitel. Die Türken lagen vor Wien. Eine Welt zitterte. Von Süd nach Nord, von West nach Ost tönte das Klagen: »Der Türke vor Wien! Gott schütze uns!« Der Kaiser war geflohen, die Hauptstadt stand verlassen. Wurde Wien genommen, dann war der Weg dem Feinde offen, dann -- Das war ein Sommer voll Sorge und Angst, selbst in dem stillen Thüringer Tälchen zitterten und zagten die Leute und sagten wohl: »Wenn der Türke erst kommt, dann --« Niemand wagte recht, das Grausen auszudenken. Auch die Pest erhob sich da und dort, raffte Menschen hin, reckte sich unheimlich empor und in den Kirchen flehten die Menschen um Schutz vor Pestilenz und Türkennot. In der großen allgemeinen Angst wurde Sophia Christine still. Sie vergrub ihr eigenes Leid in des Herzens tiefstem Grund, wurde wieder eine Trösterin der Armen und half, richtete auf, stärkte Mut und Glauben. -- Vor Wien zogen sich die Heere zusammen. Nikolaus Rabe ritt wieder mit dem brandenburgischen Herrn Obristen von Hünefeld; der hatte ihn zu eigenem Dienst angenommen. Den Oberst hatte er richtig gefunden, aber Anthoine de Charreard war nicht bei der Truppe. Er hatte seinen Abschied genommen für immer, grollte der v. Hünefeld. Ein heißes Ringen hub an. Vom Juli bis in den September hinein kamen immer neue Scharen gezogen, die Wien umschlossen. Die Stadt war nur schwach verteidigt und innen zagten und bangten die Bewohner. Wenn der Türke die Stadt eroberte, dann wehe den Bewohnern, unsäglich würde ihre Not sein. An einem heißen Augusttag schritten am Stephansdom vorbei zwei, die mithalfen beim Verteidigungskampf, Anthoine de Charreard und sein Freund Adrian Rudolph. Sie kamen von der Wache draußen auf den Wällen, waren eben abgelöst worden, und Anthoine de Charreard sagte zu dem Jugendgespielen: »Ich geh mit dir heim!« »Umgekehrt,« antwortete der, »heute geh ich mit zu dir. Meine Hausfrau liegt krank, ich will heute nacht in deinem Quartier schlafen.« Ein Schatten flog über Anthoines Gesicht, ein verlegenes Zögern hemmte seinen Schritt. Adrian sah es und lächelte spöttisch dazu. »Ich will nicht dein Geheimnis auskundschaften. Wenn du kein Vertrauen zu mir hast, gut. Leb wohl!« Adrian wollte jäh um eine Gassenecke biegen, doch Anthoine hielt ihn fest. »Komm mit,« sagte er trotzig. »Es ist vielleicht besser! Mußt nicht so hitzig sein.« Schweigend schritt dann einer neben dem andern her. Adrian Rudolph widerwillig. Er ärgerte sich über seine Aufdringlichkeit, wie er es nannte, auch über seinen raschen Zorn. Mochte doch der Junker Anthoine seine Geheimnisse vor dem Jugendfreund haben, was scherten die ihn. Mißmutig stapfte er neben dem Freunde einher, der ganz in tiefes Sinnen verloren ging. Eine tiefe Falte lag auf der Stirn, und die Augen, die früher so froh geblickt, hatten einen kummervollen Ausdruck. Adrian fühlte, eine Last lag schwer auf des Freundes Seele. War es die Not der Stadt, die ihn so verstörte? Milder redete er zu dem Freund, vergaß den Groll über dessen Heimlichkeiten, er redete von der Gefahr, in der die Stadt sich befand. »Es wird furchtbar, wenn sie fällt.« [Illustration] Anthoine wurde totenblaß, er blieb stumm, ging stumm durch eine schmale Gasse, die nach dem Schottentor zuführte, und murmelte endlich: »Hier!« Ein unansehnliches Haus nahm die Freunde auf, die Treppen waren ausgetreten und schmutzig, hinter einer Türe weinte jemand laut, und Adrian Rudolph staunte über das armselige Quartier des Freundes. Vielleicht hatte der ihn darum nicht mitnehmen wollen. Und warum lebte er so, war er mittellos? So arm waren doch die Charreards nicht mehr. Bis unter das Dach hinauf stieg Anthoine de Charreard. Oben rief er: »Ich bin's,« wollte noch etwas hinzufügen, da wurde rasch die Türe aufgerissen und ganz im hellen Licht stand ein schlanker, bleicher Knabe. Adrian erschrak. »Louison!« rief er und wiederholte ganz bestürzt: »Louison!« Louison de St. Laurent, die Jugendgefährtin, stand vor ihm. Glut und Blässe liefen über das schmale Gesichtchen. Sie wollte des Freundes Namen nennen, aber nur ein zitterndes Lallen kam über ihre Lippen. Sie streckte wie hilfeflehend die Arme aus, ein kurzes, heiseres Aufschluchzen entrang sich ihr, dann taumelte sie, sank auf einen Stuhl, der Kopf schlug hart auf die Tischplatte auf, und plötzlich rutschte sie von der Bank herab, sie war ohnmächtig geworden. Die Freunde nahmen sie, hoben sie auf das schmale Bett und Anthoine goß ihr etwas Wein ein, rieb ihr die Schläfen und rief ängstlich ihren Namen. Da schlug Louison endlich die Augen auf, unnatürlich groß glänzten sie in dem mageren, bleichen Gesichtchen. Die strahlend schöne Hofjungfer der Herzogin Marie war das nicht mehr. Und nun bekam Adrian Rudolph die ganze trauervolle Geschichte zu hören. Von den Unglücksjahren, die Louison in Paris an der Seite des eitlen, kaltherzigen Mannes verlebt hatte, von ihrer Flucht, und wie sie beide sich wochenlang in Regensburg hatten verborgen halten müssen, wie sie dann doch hatten heimwärts ziehen wollen, aber in einer Herberge, nahe der Heimat, durch Zufall erfahren hatten, daß Louison verfolgt würde und in Verhaft genommen werden sollte. Da waren sie beide, wie sie es zuerst gewollt, nach Wien gezogen. Vierzehn Tage später hatten sie in einer belagerten Stadt fast ohne Mittel gesessen. Es war ein kümmerliches Leben, das sie führten, voll Angst vor Entdeckung, weil Louison zwei Tage nach ihrer Ankunft den Obersten de St. Laurent auf der Gasse erblickt hatte. Sie war unerkannt geblieben, aber seitdem hatte sie sich nicht wieder hinausgetraut, und sie verbrachte die vielen Stunden, in denen Anthoine fern sein mußte, einsam in der heißen Kammer. »Der Oberst de St. Laurent ist nicht mehr hier,« sagte Adrian. »Ich habe es zufällig gestern erfahren, er wäre in das polnische Hauptquartier gezogen, kurz nach des Kaisers Flucht.« »Er ist ein Verräter,« sagte Louison hart. »Das sagte der, der es mir erzählte, auch, man hat ihm offenbar hier mißtraut.« Wie ein schwerer Stein war der Name des Mannes zwischen die drei gefallen. Sie saßen stumm da, starrten auf den Boden nieder, hörten das Dröhnen der Geschütze, die gegen die belagerte Stadt gerichtet waren, und auf einmal sagte Louison leise: »Wären wir doch alle in Pösen!« »Ach ja, daheim im stillen Friedenstal.« »Oder auf der Leuchtenburg,« murmelte Adrian Rudolph. Er dachte an den weiten, fernen Blick über das liebliche Gelände, und eine unbändige Sehnsucht dort zu sein, erfaßte ihn. Unwillkürlich packte er die Hände der Geschwister und so saßen die drei Heimatgenossen still in der fremden, belagerten Stadt zusammen, bis Anthoine ihrer Sehnsucht wieder Ausdruck gab: »Wenn wir jetzt durch den Wald reiten könnten!« »Ja, am Rabenhof vorbei, wo mag der Niklas sein? Und Jeannettchen, wie geht es ihr?« »Sie ist Heinrich von Dracksdorfs Frau?« Adrian Rudolph nickte. »Das war die letzte Nachricht, die ich bekam. Er hat das beste Teil erwählt.« Sie schwiegen wieder. Hinter dem niedrigen Dachfenster flammte jetzt roter Schein auf. In einer der Vorstädte brannte ein Haus. Die Geschütze dröhnten. Trommelwirbel tönte auf der Gasse, Trompetensignale wurden gegeben. Louison de St. Laurent sah sich auf einmal wieder auf Niklas' Knien sitzen, hörte ihn von seinen Kriegsfahrten erzählen, und sie sagte leise den oft gehörten Reim: »Alarmen, alarmen, die Waffen erwarmen. Weh Reich und Armen ohn alles Erbarmen.« »Wir müssen zusammen bleiben, wir drei Thüringer!« rief Adrian. »Ja, zusammen, das ist mehr Schutz für Louison, wenn --« Anthoine de Charreard sprach das Wort nicht aus, das furchtbare Wort: »Wenn Wien fällt«; aber die beiden andern hörten es aus dem Dröhnen draußen heraus, in das sich jäh ein lautes Klagegeschrei mischte. Ein Schauer durchrann sie. Wenn die Stadt fiel -- wenn --! Zwei Kinder im Weltgetriebe verloren! -- Frau Sophia Christine saß just um diese Zeit unter der Linde und ihre Gedanken suchten die Kinder, und sie wußte doch nicht, in welcher Not sie steckten. Wußte nicht, daß wie einst der Vater ihnen in harten Anfangsjahren geholfen hatte, jetzt der Sohn Adrian Rudolph den beiden verirrten Kindern aus dem Leutratale die Hand reichte. Adrian wohnte in einer stillen Gasse bei einer Witwe in einem kleinen Hause, und er übernahm es, seiner Wirtin Louisons Verkleidung zu erklären. Die Frau war verschwiegen, die nahm auch wirklich die blasse Louison bei sich auf. Sie tat es mütterlich und gut, und da hatte die arme, schöne Louison zum ersten Male seit langer Zeit eine rechte Heimat. Waren die Freunde draußen, dann hockten die Frauen zusammen, warfen ihre bange Sorge, ihr Zittern und Zagen einander zu, und jede fand so ein wenig Trost an der andern. Heiß und schwer gingen die Tage dahin. Der August wurde von dem September abgelöst. Dichter und dichter umschloß der furchtbare Feind die bedrängte Stadt. In den Kirchen lagen zu allen Tag- und Nachtzeiten die verzagten Beter auf den Knien: »Gott hilf, Gott hilf!« tönte ihr Rufen. [Illustration] Ein Tag im September ging dahin, noch einer, wieder einer, die Angst wuchs und wuchs, und die Not dazu. Wieder ein Tag vorbei, noch einer. Am 10. September flog die Burgbastei in die Luft. In der Nacht stiegen vom Stephansturm Raketen zum Nachthimmel empor. Ein letzter Ruf an die Truppen draußen: Helft uns! Der Graf von Starhemberg verlor den Mut nicht. An diesem Abend aßen Frau Reindl und Louison den letzten Bissen Brot. Leer die Schränke, die Bäcker hatten kein Brot mehr. Hunger lief durch die Stadt. Die beiden Frauen kauerten zusammen in einem Stubenwinkel, hörten das immer lautere Schießen und bangten um die Freunde, die draußen im Kampfe standen. Der elfte September verging; die Not wuchs. Am zwölften September schwoll das Geschützfeuer mehr und mehr an, um Wien tobte eine ungeheure Schlacht. Anthoine und Adrian waren nicht heimgekommen, wo waren sie? Lebten sie noch? Und am Abend Lärm und Geschrei auf den Gassen, aber kein Jammerrufen, Siegesfreude. Wien befreit! Gott sei gelobt! Wieder verging eine Nacht, wieder dämmerte ein Tag draußen aus dem Dunkel herauf. Adrian kam. Er brachte den Frauen ein kleines, kümmerliches Brot, sagte, Anthoine könne seinen Posten nicht verlassen. Dann ging er und hatte scheue Augen. Es war aber so, er wußte nicht, wo der Freund war. Er hatte ihn aus den Augen verloren. Und wieder Nacht und Tag. Noch einmal und noch einmal. In Louisons Herzen schrie die Sorge um den Bruder, um den Freund, sie waren beide nicht wiedergekommen. Sie ahnte nicht, daß Adrian den Kameraden suchte. In den überfüllten Spitälern, unter den Haufen Toter und Verwundeter. -- Zwischen der Stadt und dem Heer der Befreier kam es allgemach zum Verkehr. Soldaten drängten in die Gassen hinein, mit Freude, mit tausendfachem Danke begrüßt. Unter denen, die einritten, war auch der Oberst von Hünefeld, zur Begleitung hatte er sich seinen Reitknecht Nikolaus Rabe erkoren. Der war wieder ganz Kriegsmann, nur im tiefsten Herzen, noch in einsamen Nachtstunden, glimmte die Sehnsucht nach dem Friedenstal. Doch beim Einreiten hatte er keine Heimatgedanken, bis er einen sah, dessen Gesicht ihm bekannt vorkam. »Dunderwetter, das war doch --« »Junker, Junker!« schrie Nikolaus, und es fehlte nicht viel, so wäre er in seiner Herzensfreude vom Pferde gefallen. Der sich da mühsam kriechend hinschleppte, war Anthoine de Charreard. Der horchte auf. Herrgott, die Stimme kannte er. Verwirrt sah er sich um. Drei Tage hatte er unter toten Türken gelegen, wo war er nun? Seine Sinne waren verwirrt. Und dann taumelte er, schwankte, und Nikolaus hielt ihn auf einmal im Arm und sah, daß der Waffenrock mit Blut vollgesogen war. »Niklas, du!« ächzte Anthoine, dem eine Erinnerung kam. Er klammerte sich an den alten Freund. »Du -- Louison!« Seine Stimme kreischte: »Louison!« »Heiliges Kreuzwetter, wo ist unser Fräulein Louison?« Anthoine glitt zu Boden. Der Oberst von Hünefeld, der erst etwas unwillig Nikolaus' Gebahren mit angesehen, nun aber den Junker erkannt hatte, kam herbei. »Charreard, Ihr seid es!« »Niklas, du mußt mit -- mit -- mir reiten!« Anthoine de Charreard vergingen die Sinne. Da hob ihn Nikolaus wie ein Kind empor und die beiden brachten den Ohnmächtigen in eine nahe gelegene Schänke. Die war nun freilich bis auf den letzten Platz besetzt. Doch der Wirt sah wohl, diese Gäste konnte er nicht abweisen, und er öffnete ihnen eine kleine, schmale Stube, der einzige Raum, der für ihn und sein Gesinde noch frei war. Etwas Feldscheren hatte Nikolaus schon gelernt in seinen Zügen kreuz und quer. Er fand, die Wunde wäre schlimm; immerhin könnte ein flotter Junker, wie seiner wäre, damit noch durchkommen. Nach Stunden schlug Anthoine endlich die Augen auf; er sah sich um, verwirrt, Entsetzen lag im Blick und Miene, die beiden in der Kammer erkannte er nicht gleich, erst als Nikolaus gut und beruhigend zu sprechen anfing, hellten sich des Junkers Züge auf. »Niklas?« fragte er zögernd, und dann froher: »Niklas?« »Gelle ja, da staunt der Junker, daß der alte Niklas hier mitten im Türkenkriege drinsitzt?« »Louison!« Anthoine de Charreard versuchte sich aufzurichten. »Louison, oh Gott, und die Türken siegen -- Louison -- ich --« Seine Stimme kreischte wieder. Dann waren Bewußtsein und Kraft weg, im Fieber lag der Junker und im Fieber wirrten sich Worte und Bilder zusammen. Heimat und Freunde, von allem redete er; aber immer wieder rief er klagend der Schwester Namen. »Schätze, die ist hier,« sagte Nikolaus, »er hat Angst, sie wär den Türken in die Hände gefallen. Ei, du heiliges Dunderwetter, das wär eine Bescherung! Ich muß aber gehen und sie suchen.« Dem Obersten von Hünefeld war es recht. Der streckte sich auf den Boden zum Schlafe aus, den Mantelsack unter dem Kopf, sagte, er würde schon mit dem Kranken fertig werden, und dann ging Nikolaus suchen. Er hatte es gesehen, Anthoine de Charreard gehörte zum Besatzungsheer, also suchte er Leute von ihnen auf, fragte, forschte, der vierte endlich gab ihm Bescheid, der deutete mit der Hand hinter sich und knurrte den protestantischen Brandenburger unwirsch an: »Dort steht einer, der weiß was von dem Leutnant de Charreard.« »Dunderwetter,« schrie Niklas, »das ist ja --« und da drehte der andere sich um und beide schrien sich an, als wären sie stocktaub. Nikolaus hatte Adrian Rudolph gefunden. Heißa, das gab ein Fragen und Redestehen hin und her. Adrian sagte: »Mitkommen!« und er zog den alten Kinderfreund mit sich durch Gassen und Gäßlein, und wenn der seinen Mund auftat und Louison sagte, dann gab ihm der junge Landsmann einen Stoß und schwieg zu allen Fragen. Er führte Nikolaus in seine Wohnung, dort weinten die beiden Frauen zusammen um den verlorenen Bruder, und auf einmal stand wie aus der Erde gewachsen der Nikolaus mitten im Zimmer und schrie verwundert: »Louison! Wollte sagen Madame de St. Laurent!« Wieder einer aus der Heimat! Einer, der treu war wie Gold, einer, an den die blasse, junge Frau sich dankbar anschmiegte, als er vom Bruder erzählte, und der berichten konnte, wie er die Eltern verlassen hatte und das stille Tal. Und noch etwas wußte Nikolaus, etwas, was Erlösung war und das dennoch Louison tief erschütterte. Der Oberst de St. Laurent war tot. »Gefallen im ehrlichen Kampf, vielleicht doch kein Verräter!« dachte die junge Frau. Und sagte es leise, froh, daß sie dem Toten ein gutes Wort nachreden durfte. Aber des Nikolaus Augen waren zu ehrlich, die konnten nicht lügen, und sie las darinnen, es war anders gewesen. Sie schwieg aber und forschte nicht, nur dem Herrn Adrian erzählte es Nikolaus nachher, man hätte den Oberst als Verräter erschossen, Schande lag auf seinem Namen. »Und du, Niklas, warum bist du wieder ausgezogen?« fragte Louison nach einer Weile. »Weil ich ein Hornvieh war, mit Verlaub. Potz Dunderwetter, hab Weib, Kind, Haus und Hof daheim und vagiere in der Welt herum. Schätze aber, es war doch richtig, daß ich die Türken verjagen half. Nun ziehen wir aber heim. Sie wollen die Brandenburger nit, weil sie nit gut katholisch sein. Mir hat neulich unser Herr Oberst so lange ein Sprüchlein gesagt, bis ich es mir gemerkt habe, und das ist, weiß der Himmel, ein gut Wort und zeigt so recht der Menschen allerdümmste Dummheit.« »Wie heißt denn das Wort?« fragte Adrian. Ja, wie hieß es -- im Türkenkampf war dem Nikolaus das mühsam Erlernte flink wieder aus dem Gedächtnis hinausgefahren. Es war schon gut, daß der Herr Adrian Rudolph ein gelehrter Herr war, der konnte dem Gestammle des alten Soldaten Wort und Rundung geben. Sie brachten schließlich alle beide das Sprüchlein zusammen, und die junge Louison und die alte Frau, die eine Katholikin war, nickten andächtig zu dem Verslein: »Lutherisch, Päpstlich und Kalvinisch, diese Glauben alle drei, Sind vorhanden, doch ist Zweifel, wo das Christentum denn sei.« »Ich weiß doch, wo's Christentum ist, die gnädige Frau Mutter in Pösen trägt's in ihrem Herzen, Gnaden der Herr Vater auch und meine liebe Hausfrau dazu. Und jetzt reite ich heim. Helf mir unser Herrgott, daß ich die Heimat noch einmal sehe!« 15. Kapitel. So ganz schnell ging es mit dem Heimreiten nun freilich nicht. Es rann noch mancher Tag dahin, und der Frühling nahte sich schon. Die Brandenburger zogen freilich bald ab, aber der Oberst gab Nikolaus die Freiheit zu bleiben, und der blieb, bis Anthoine de Charreard soweit hergestellt war, daß man keine Gefahr mehr zu fürchten brauchte. Dann ritt eines Tages Nikolaus Rabe heimwärts, in seinen Schutz gestellt war Louison de St. Laurent. Sie sollte bald heimkehren, wollten Bruder und Freund; und ihre Sehnsucht flog in das stille Tal. Beim Abschiednehmen war es, da fiel dem Nikolaus noch rechtzeitig der kleinen Prinzessin Elisabeth Marie Brieflein ein. Das hatte eine lange Reise gemacht, Nikolaus hatte es mit in den Türkenkrieg genommen und es in all dem wilden Wesen, über Wiederfinden und Heimkehrfreude, beinahe vergessen. Jetzo kam es nun doch an den, an den es gerichtet war. Ein Hilferuf war es an den Jugendfreund, sie zu schützen vor der Ehe mit dem verhaßten Vetter, dem Herzog Wilhelm Ernst zu Weimar. Anthoine war tief betroffen, dies flehende Kinderbriefchen, ungelenk geschrieben, enthüllte ihm die treue Liebe des armen verwaisten Fürstenkindes. Was war aus dem Prinzeßchen geworden, trug es schon die Brautkrone? »Ich schätze ja,« brummelte Nikolaus, »denn als ich fortzog, haben sie gemeint, die Eheberedung solle zum Herbst stattfinden, und am ersten November die Kopulation!« Armes Prinzeßchen! Der Junker Anthoine las den Brief wieder und wieder. Heimatluft strömte er aus, das bittende Brieflein gab ihm erst die rechte Erkenntnis, daß er sein bestes Glück nur in der Heimat finden würde. Es zog ihn in das Tal der Kindheit. Doch hatte er sich zu längerem Dienst verpflichtet und mußte bleiben. Herr Adrian Rudolph blieb auch, er wollte sich noch den Doktorhut erwerben, ehe er heimkehrte. So ritten denn Nikolaus und Louison allein der Heimat zu. Louison als Bursche, erst in einem Ort nahe der Heimat wollte sie sich wieder in eine sittsame Frau verwandeln. In der Verkleidung war sie sicherer. Über dem stillen Leutratal hing noch einmal der Winter, er wollte noch seine Herrschaft zeigen. Weiß wieder Felder und Wiesen, weiß der Wald, träge rauschte das kleine Bächlein dahin, als an einem Tag um die Mittagsstunde zwei von unten her in das Leutratal einritten. Die junge Frau im Witwengewand, der Mann in kriegerischer Tracht. An einer Wegbiegung hielt Nikolaus sein Pferd an und brummte vergnügt vor sich hin: »Hier war's!« »Ja, hier hast du uns gefunden. O guter, treuer Niklas du, nun hast du mich gar heimgeholt aus der wilden Welt!« Die schlanke Frau drängte ihr Pferd an das des treuen Beschützers, und so ritten sie zusammen schweigend bergabwärts, sahen zuerst die Mühle im Grunde liegen und dann den Rabenhof. Ein blaues Wölkchen stieg aus dessen Schornstein zum schneeverhangenen Himmel empor. »Die Frau kocht Mittag. Schätze, sie wird sich wundern über den Gast, der da ankommt. Aber vorerst bringe ich Euch heim, wir reiten leise vorbei,« sagte der Nikolaus. In Louison quoll da eine große Angst empor vor dem Wiedersehen, dem Wiederfinden der Eltern. »Wir halten ein paar Schritte vorher und dann läßt du mich gehen, Niklas. Deine Frau darf auch nicht länger warten, und ich kann niemand, niemand vorher sehen.« Nikolaus nickte. Er spürte Louisons Bangen nach, bangte er doch selbst, freilich, der blaue Rauch war verheißungsvoll, aber trotzdem --. Er half Louison vom Pferd. Die schritt rasch am Hause vorbei. Drinnen erhob sich lautes Rufen, denn ein Bursch, der der Frau half, hatte die ungewohnte Erscheinung erblickt. Er schrie das ganze Haus zusammen, selbst der Magister kam ein wenig mühsam an einem Stock dahergehumpelt, und als sie alle den bestürzten Burschen fragten, wissen wollten, was er gesehen hatte, stand plötzlich der Nikolaus vor der Tür. Da war das Verwundern groß, der Bursche aber flüsterte der Magd zu: »Ein Gespenst ist vor dem Bauern hergegangen.« Nun war dieser junge Hannes aber noch in einem Alter, in dem die Stimme mal hell und tief klingt und ihrem Besitzer wie ein wild gewordener Gaul ausbricht, dies geschah hier, und klatsch hatte der Bursche eine Maulschelle, so ein rechtes kräftiges Mitbringsel aus dem Türkenkriege war's. »Dummer Bube, unsere Frau Louison ist niemalen ein Gespenst.« »Die -- oh du lieber Gott!« Die Frau schlug die Hände zusammen und der Magister sah drein, als hätte der Nikolaus einen Sack voll Fremdwörter ausgepackt. »Der Herr Oberst de St. Laurent ist im Türkenkriege gefallen, hab's mit meinen eigenen Augen gesehen,« knurrte Nikolaus, »und da verlangt es seiner Frau Witwe, heimzukehren. Na, was ist nun?« Patsch, war aller Klatsch von dem Kriegsmann totgetreten. Der aber nahm jetzt sein Weib in die Arme, sagte: »Freust dich nit? Und ist's ein Mädel oder ein Bube, was inzwischen angekommen ist?« Es war ein Mädel, und freuen tat sich die Frau so recht, als sie begriff, der Mann wollte dableiben, daß sie laut weinte. Und danach besann sie sich und rief: Es gäbe leider, ach leider nur Klöße. »Ist gut. Meinst du, die vermaledeiten Türken haben uns viel Zeit zum Klößekochen gelassen? Frau, Frau, nun bleib ich daheim, nun zieh ich nimmer aus. Schockschwerenot, mein Wort darauf!« Während in dem kleinen Bauernhaus die Freude laut und kräftig ihre Stimme erhob, ging Louison de St. Laurent langsam dem Herrenhause zu. Sie sah es auftauchen im feinen Schneedunst, sah auch ein kleines Rauchwölkchen dem Schornstein entquellen, sah alle Fenster entlang, hörte Hundegebell, und langsamer, immer langsamer wurde ihr Schritt. [Illustration] Lauter schlugen die beiden Hofhunde an. Da tat sich die Türe auf und ein ganz verhutzeltes, altes Weiblein steckte den Kopf heraus und sah da langsam eine den steilen Berg hinanschreiten -- eine fremde Frau! -- Die alte Röse hatte schwache Augen bekommen, aber eine Charreard erkannte sie doch noch, und auf einmal kam ihr die Jugendschnelle in die alten Füße zurück. Sie rannte den Berg hinab und keuchte: »Louison, oh du mein grundgütiger Heiland, es ist unsere Louison!« Und der Freudenton, den die alte Röse anschlug, der klang durch das ganze Haus. Da hielt Frau Sophia Christine ihr heimgekehrtes Kind umschlungen und Herr Anthoine de Charreard, der längst kein feiner, müder Hofherr mehr war, sondern ein stattlicher, luftgebräunter Landmann, nahm die zierliche Frau und die zarte Tochter gleich beide in seine Arme. Er sah auch das Witwenkleid der Tochter mit der Mutter zugleich und beider Augen fragten: »Der Oberst de St. Laurent ist tot?« Weil Louison nicht die Schwere seiner Schuld wußte, klang ihre Stimme mild, sie dachte versöhnt an den Toten. Und Anthoine, wo blieb der Sohn? Louison erzählte, und in Frau Sophia Christines Herzen begann sacht die Freudenglocke zu schwingen. Ein Kind heimgekehrt aus dem Weltgetriebe. Eins hatte die Heimat wiedergefunden, und des Sohnes Seele suchte sie. Es war etwas wie im Evangelium des verlorenen Sohnes. Louisons Heimkehr war ein Fest, und als Jeannette nach drei Tagen kam, erregte ihr Besuch nur die stille immer gleiche Freude. Doch Jeannette von Dracksdorf spürte keine Eifersucht, ihre Freude jauchzte laut durch das Haus, und zum erstenmal in seiner Ehe wurde Heinrich Wilhelm ein wenig in den Winkel gestellt. Freilich um dann vorgeholt und ganz glänzend herausgestrichen zu werden vor der Schwester. -- Es dachte niemand daran, Louison de St. Laurent ob ihrer Flucht aus des Gatten Haus in Verhaft zu nehmen, und die Leute im Tal bürdeten der schönen Tochter der Charreards keine Schuld auf. Über das Tal hinaus aber ging Louisons Wünschen nicht. Nur als sie in Begleitung der Eltern dem alten Amtsschossen Rudolph auf der Leuchtenburg einen Besuch abstattete, um selbst Grüße und Botschaft Adrians zu überbringen, dachte sie mit einem leisen Schwingen ihrer jungen Seele: es müßte sich gut hausen auf der Burg. Ein Jahr glitt dahin in stillem Frieden. Als es zum zweitenmal Frühling wurde, fuhr eines Tages eine in das Tor von Pösen ein, die nicht in das strenge Urteil der Hofgesellschaft über Louison de St. Laurent einstimmte. Es war die kleine Prinzessin Elisabeth Marie. Da saß die, um derentwillen Louison einst das Elternhaus hatte verlassen müssen, und schüttete vor der älteren Freundin ihres Herzens großes Leid aus. Die arme, kleine Prinzessin war so unglücklich wie es Louison einst gewesen. Wer konnte helfen? Anthoine? Der war noch immer fern, und einer Schwester zu helfen ist leichter als einer Prinzessin. Elisabeth reiste ab, getröstet und doch leidbeschwert. Anthoine blieb noch immer fern. Doch als die Linden blühten, ritten wieder zwei Heimkehrer durch das Leutratal, sie kamen von der Leuchtenburg, der ersten Rast in der Heimat. Der eine hatte sich noch in Wien den Doktorhut errungen, der andere war des Krieges müde und er trug schwer an dem Grausen, das er gesehen hatte. Als sie beide am Rabenhaus anlangten, stand Nikolaus vor der Türe; breitbeinig, wohlhäbig, er hatte den Kriegsmann nun ganz in die Tiefe versenkt, war nur noch Familienvater und Bauer. Er erhob seine Stimme laut, als er die beiden sah. Wie Siegesruf klang es durch das stille Tal, und der Magister Albertinus, der im Hausgärtchen seinen Mittagsschlummer hielt, schrak zusammen. Aber bald verstand er das Freudenrufen und er kam so schnell er konnte herbei. Sein gutes, altes Gesicht strahlte. Anthoine war heimgekehrt, der, an dem sein Herz wie an einend Sohne hing. »Der Herr Magister!« Anthoine sprang vom Pferd und begrüßte den alten Lehrer ehrfurchtsvoll, und der sagte still: »Nun kann mich der Herr zu sich nehmen, nun ich dich -- Euch --« »Aber Magister, lieber, guter Herr Magister!« »Dich gesehen habe.« Und dann drehte sich der Alte zu seinem treuen Hauswirt um und sagte strafend: »Hör' nur, Nikolaus, der Anton kommt heim und bringt kein verwelschtes Maul mit, wie du es alleweil getan hast.« »Parbleu -- jemine, na ja Dunderwetter, ich gewöhn's mir ja noch ab.« »Und wie geht's in Pösen?« Den beiden Freunden waren in diesem Augenblick alle Fremdwörter gleich, sie strebten dem Herrenhause zu, sie mußten aber langsam reiten, denn der Magister ging mit. Nikolaus folgte auch, und so langten sie auf dem Gut an. Ganz eingehüllt in Lindenduft war es, war sommerschön, war Heimat. Beide Kinder wieder unversehrt zurück aus dem Weltgetriebe. -- Voller tönte die Freudenglocke in Sophia Christines Herzen. Freilich, sie sah das Leid in des Sohnes Augen stehen, das war nicht mehr ihr Anthoine, wie er einst ausgezogen war. Lebenswund kam er heim, er war zu lange im Wirrsal der Welt gewesen. Ein paar Wochen später führte Adrian Louison de St. Laurent als Ehefrau heim. Eine stille Hochzeit nur wurde in dem alten Gutshause gefeiert. Es herbstete schon, als die drei Geschwister, nun endlich einmal wieder vereint, mit Heinrich Wilhelm und Adrian unter den Linden dahin gingen. Die Eltern, der Amtsschosse Rudolph und der Magister folgten langsamer. Es fielen Blätter wie Gold auf die Häupter der Jugendfreunde nieder. Die redeten von vergangenen Tagen und Heinrich Wilhelm erzählte dabei von dem unglücklichen, liebeleeren Leben der kleinen Prinzessin, da sagte Anthoine schlicht: »Ich sah sie vorige Woche, nun hat sie wenigstens einen Freund in der Nähe.« »Für immer nahe?« fragte der Schwager, der noch an Anthoines Daheimbleiben zweifelte. »Für immer,« antwortete der junge Anthoine. »Ich habe viel von der Welt gesehen und keine Heimat gefunden, die dieser gleichen könnte!« Und hinter ihnen sagte eben Herr Anthoine de Charreard zu seiner Frau Sophia Christine: »Heute kannst du es machen wie damals bei unserem Einzug, als du die Küchlein schirmtest.« »Wenn sie doch alle blieben,« antwortete die Frau, die ihren ältesten Enkelsohn an der Hand führte. »Sie gehen und kommen, aber ich weiß es, die Heimat ruht ihnen im Herzen, unsere Kinder finden immer zurück, du lieber Mann.« Und Herr Anthoine de Charreard dachte nicht mehr an das Schloß an der Loire; in dem festgefügten Haus im stillen Tal lebte sein Glück. Weitere Hinweise zur Transkription Der Schmutztitel wurde entfernt. Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert. S. 7: _Linderkronen_ zu _Lindenkronen_ ... blühende Sommerwunder der _Lindenkronen_ wies. S. 42: _Pferdegetrapppel_ zu _Pferdegetrappel_ _Pferdegetrappel_ war es, das hörten sie wohl. S. 48: _gleiche_ zu _gleichen_ ... lief noch am _gleichen_ Tage eine Magd ... S. 51: _Fräuleiin_ zu _Fräulein_ ... und mit meinem kleinen _Fräulein_ spielen? S. 58: _Hofmeiister_ zu _Hofmeister_ ... den Magister Albertinus als _Hofmeister_ her. S. 65: _Anthonie_ zu _Anthoine_ »_Anthoine_, ich bin es wirklich -- ... S. 67: _Hätter_ zu _Hätte_ _Hätte_ er gesagt: ... S. 70: _Kriegsmannn_ zu _Kriegsmann_ ... der Bauer Niklas, der ehemalige _Kriegsmann_, S. 81: _wieder_ zu _wider_ ... tönte _wider_ in diesem Weheschrei. S. 95: _Anna-Marie_ zu _Anne-Marie_ (wie auf S. 3) sie erkannte die _Anne-Marie_ Schurksin nicht, S. 106: _er_ zu _der_ _der_ Eile in den Gliedern hatte. S. 150: _füsterte_ zu _flüsterte_ der Bursche aber _flüsterte_ der Magd zu: *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HERRN DE CHARREARDS DEUTSCHE KINDER: DIE GESCHICHTE EINER FAMILIE *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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