The Project Gutenberg eBook of Deutsche Humoristen, 2. Band (von 8)

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Title : Deutsche Humoristen, 2. Band (von 8)

Author : Clemens Brentano

E. T. A. Hoffmann

Heinrich Zschokke

Release date : November 9, 2014 [eBook #47318]

Language : German

Credits : Produced by Jens Poenisch and the Online Distributed
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DEUTSCHE HUMORISTEN, 2. BAND (VON 8) ***

  

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Cover

Hausbücherei
der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

Vierter Band

Signet

6. bis 10.
Tausend

Hamburg-Großborstel
Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung
1905


Deutsche Humoristen
Zweiter Band

Clemens Brentano

E. Th. A. Hoffmann

Heinrich Zschokke

Signet

6. bis 10.
Tausend

Hamburg-Großborstel
Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung
1905


Inhaltsverzeichnis
zum 1. Bande der
»Deutschen Humoristen«
(Hausbücherei Band 3).

Vorwort.

Vischer , Friedr. Theodor: Humor. Gedicht.

Rosegger , Peter: Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß.

Rosegger , Peter: Wie wir die Gürtelsprenge haben gehalten.

Raabe , Wilhelm: Der Marsch nach Hause.

Reuter , Fritz: Woans ick tau 'ne Fru kamm.

Roderich , Albert: Nemesis.

Inhaltsverzeichnis
zum 3. Bande der
»Deutschen Humoristen«
(Hausbücherei Band 5).

Hoffmann , Hans: Eistrug.

Ernst , Otto: Die Gemeinschaft der Brüder vom geruhigen Leben.

Eyth , Max: Der blinde Passagier.

Böhlau , Helene (Madame al Raschid Bey): Die Ratsmädel gehen einem Spuk zu Leibe.


Inhaltsverzeichnis
zum 2. Bande der »Deutschen Humoristen«.

Vorwort 7
Brentano, Clemens : Die mehreren Wehmüller oder ungarische Nationalgesichter 9–98
Hoffmann, E. Th. A. : Die Königsbraut. Ein nach der Natur entworfenes Märchen 99–191
Zschokke, Heinrich : Die Nacht in Brczwezmcisl 193–222

[7]

Vorwort.

Der 3. Band der »Hausbücherei« (Deutsche Humoristen 1. Band) hat so überaus großen Anklang gefunden, daß kaum drei Monate nach Erscheinen die erste Auflage von 5000 Exemplaren auf die Neige ging, die Herstellung einer zweiten Auflage mithin sofort notwendig wurde. So hat denn die Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung beschlossen, aus der deutschen humoristischen Literatur noch weitere Schätze in ihre »Hausbücherei« aufzunehmen und die Sammlung »Deutsche Humoristen« zunächst um zwei weitere Bände zu vermehren.

Der vorliegende 2. Band zieht drei schöne Stücke aus der Literatur des beginnenden 19. Jahrhunderts hervor, der 3. Band ist zeitgenössischen Dichtern gewidmet.

Hamburg ,
15. Juli 1904.

Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung.


[9]

Clemens Brentano:
Die mehreren Wehmüller oder ungarische Nationalgesichter.

[10]

Clemens Brentano wurde am 8. September 1778 in Ehrenbreitstein geboren, sollte wider Willen Kaufmann werden, besuchte später eine höhere Schule und führte von 1797 an ein Leben, das ihn unstät durch viele deutsche Lande trieb. Er starb am 28. Juli 1842 in Aschaffenburg.

Reiche dichterische Begabung, lebhafte Einbildungskraft, Gefühlstiefe verleihen seinen Werken einen eigenen Reiz, der nur zuweilen durch den Mangel an Beharrlichkeit beeinträchtigt wird, der manches schön Begonnene verflachen oder zerfließen läßt. Sein schönstes Werk ist die »Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl«, ein Vorbote unserer Dorfgeschichten. Auch das reizende Märchen »Gockel, Hinkel und Gackeleia« wird noch heute gern gelesen. Um die deutsche Literatur hat sich Brentano durch die gemeinschaftlich mit Achim von Arnim unternommene Herausgabe von »Des Knaben Wunderhorn«, einer Sammlung der schönsten deutschen Volkslieder (1806, seitdem vielfach gedruckt), unsterbliche Verdienste erworben.

Seine Erzählung »Die mehreren Wehmüller« zeigt den sprühenden Witz, den die Zeitgenossen an ihm bewunderten. Die Lebhaftigkeit der Zeichnung wird durch den Reichtum lustiger Einfälle erhöht; aber auch die Vorliebe für das Seltsame, die alle Romantiker kennzeichnet, tritt stark hervor.

E. S.

[11]

Die mehreren Wehmüller oder ungarische Nationalgesichter.

Gegen Ende des Sommers, während der Pest in Kroatien, hatte Herr Wehmüller, ein reisender Maler, von Wien aus einen Freund besucht, der in dieser österreichischen Provinz als Erzieher auf dem Schlosse eines Grafen Giulowitsch lebte. Die Zeit, welche ihm seine Geschäfte zu dem Besuch erlaubten, war vorüber. Er hatte von seiner jungen Frau, welche ihm nach Siebenbürgen vorausgereist war, einen Brief aus Stuhlweißenburg erhalten, daß er sie nicht mehr länger allein lassen möge; es erwarte ihn das Offizier-Korps des dort liegenden hochlöblichen ungarischen Grenadier- und Husaren-Regiments sehnsüchtig, um von seiner Meisterhand gemalt sich in dem Andenken mannigfaltiger schöner Freundinnen zu erhalten, da ein naher Garnisonswechsel manches engverknüpfte Liebes- und Freundschaftsband zu zerreißen drohte. Dieser Brief brachte den Herrn Wehmüller in große Unruhe, denn er war viermal so lange unterwegs geblieben als gewöhnlich, und dermaßen durch die Quarantaine zerstochen [12] und durchräuchert worden, daß er die ohnedies nicht allzuleserliche Hand seiner guten Frau, die mit oft gewässerter Tinte geschrieben hatte, nur mit Mühe lesen konnte. Er eilte in die Stube seines Freundes Lury und sagte zu ihm: »Ich muß gleich auf der Stelle fort nach Stuhlweißenburg, denn die hochlöblichen Grenadier- und Husaren-Regimenter sind im Begriffe von dort abzuziehen; lesen Sie, der Brief ist an fünf Wochen alt.« Der Freund verstand ihn nicht, nahm aber den Brief und las. Wehmüller lief sogleich zur Stube hinaus und die Treppe hinab in die Hauskapelle, um zu sehen, ob er die neununddreißig Nationalgesichter, welche er in Öl gemalt und dort zum Trocknen aufgehängt hatte, schon ohne große Gefahr des Verwischens zusammenrollen könne. Ihre Trockenheit übertraf alle seine Erwartung, denn er malte mit Terpentinfirnis, welcher trocken wird, ehe man sich umsieht. Was übrigens diese neununddreißig Nationalgesichter betrifft, hatte es mit ihnen folgende Bewandtnis: sie waren nichts mehr und nichts weniger als neununddreißig Porträts von Ungarn, welche Herr Wehmüller gemalt hatte, ehe er sie gesehen. Er pflegte solcher Nationalgesichter immer ein halb Hundert fertig bei sich zu führen. Kam er in einer Stadt an, wo er Gewinn durch seine Kunst erwartete, so pflegte er öffentlich ausschellen oder austrommeln [13] zu lassen: der bekannte Künstler, Herr Wehmüller, sei mit einem reich assortierten Lager wohlgetroffener Nationalgesichter angelangt und lade diejenigen unter einem hochedlen Publikum, welche ihr Porträt wünschten, untertänigst ein, sich dasselbe, Stück vor Stück zu einem Dukaten in Gold, selbst auszusuchen. Er fügte sodann noch, durch wenige Meisterstriche einige persönliche Züge und Ehrennarben, oder die Individualität des Schnurrbarts des Käufers unentgeltlich bei, für die Uniform aber, welche er immer ausgelassen hatte, mußte nach Maßgabe ihres Reichtumes nachgezahlt werden.

Er hatte diese Verfahrungsart auf seinen Kunstreisen als die befriedigendste für sich und die Käufer gefunden. Er malte die Leute nach Belieben im Winter mit aller Bequemlichkeit zu Haus, und brachte sie in der schönen Jahreszeit zu Markte. So genoß er des großen Trostes, daß keiner über Unähnlichkeit oder langes Sitzen klagen konnte, weil sich jeder sein Bildnis fertig nach bestimmtem Preise, wie einen Weck aus dem Laden, selbst aussuchte. Wehmüller hatte seine Gattin vorausgeschickt, um seine Ankunft in Stuhlweißenburg vorzubereiten, während er seinen Vorrat von Porträts bei seinem Freunde Lury zu der gehörigen Menge brachte. Er mußte diesmal in vollem Glanze auftreten, weil er in einer Zeitung gelesen: ein Maler Froschhauer aus [14] Klagenfurt habe dieselbe Kunstreise vor. Dieser aber war bisher sein Antagonist und Nebenbuhler gewesen, wenn sie sich gleich nicht kannten, denn Froschhauer war von der entgegengesetzten Schule; er hatte nämlich immer alle Uniformen voraus fertig, und ließ sich für die Gesichter extra bezahlen. – Schon hatte Wehmüller die neununddreißig Nationalgesichter zusammengerollt, in eine große weite Blechbüchse gesteckt, in welcher auch seine Farben und Pinsel, ein paar Hemden, ein Paar gelbe Stiefelstulpen und eine Haarlocke seiner Frau Platz fanden; schon schnallte er sich diese Büchse mit zwei Riemen, wie einen Tornister, auf den Rücken, als sein Freund Lury hereintrat und ihm den Brief mit den Worten zurückgab: »Du kannst nicht reisen, soeben hat ein Bauer hier auf dem Hofe erzählt, daß er vor einigen Tagen einen Fußreisenden begleitet habe, und daß dieser der letzte Mensch gewesen sei, der über die Grenze gekommen, denn auf seinem Rückwege hierher habe er, der Bote, schon alle Wege vom Pest-Cordon besetzt gefunden.« Wehmüller aber ließ sich nicht mehr zurückhalten. Er schob seine Palette unter den Wachstuchüberzug auf seinen runden Hut, wie die Bäcker in den Zipfel ihrer gestrickten spitzen Mützen eine Semmel zu stecken pflegen, und begann seinen Reisestab zusammen zu richten, der ein wahres Wunder der Mechanik, wenn ich mich nicht irre, [15] von der Erfindung des Mechanikus Eckler in Berlin war, denn er enthielt erstens: sich selbst, nämlich einen Reisestock; zweitens: nochmals sich selbst, einen Malerstock; drittens: nochmals sich selbst, einen Meßstock; viertens: nochmals sich selbst, ein Richtscheit; fünftens: nochmals sich selbst, ein Blaserohr; sechstens: nochmals sich selbst, ein Tabakspfeifenrohr; siebentens: nochmals sich selbst, einen Angelstock; darin aber waren noch ein Stiefelknecht, ein Barometer, ein Thermometer, ein Perspektiv, ein Zeichenstuhl, ein chemisches Feuerzeug, ein Reißzeug, ein Bleistift und das Brauchbarste von allem: eine approbierte hölzerne Hühneraugenfeile angebracht; das Ganze aber war so eingerichtet, daß man die Masse des Inhaltes, durch den Druck einer Feder, aus diesem Stocke wie aus einer Windbüchse seinem Feind auf den Leib schießen konnte. Während Wehmüller diesen Stock zusammenrichtete, machte Lury ihm die lebhaftesten Vorstellungen wegen der Gefahr seiner Reise, aber er ließ sich nicht halten. »So rede wenigstens mit dem Bauer selbst,« sprach Lury. Das war Wehmüller zufrieden und ging, ganz zum Abmarsche fertig, hinab. Kaum aber waren sie in die Schenke getreten, als der Bauer zu ihm trat und ihm den Ärmel küssend sagte: »Nu, gnädiger Herr, wie kommen wir schon wieder zusammen? Sie hatten ja eine solche Eile nach Stuhlweißenburg, [16] daß ich glaubte, Euer Gnaden müßten bald dort sein.« Wehmüller verstand den Bauer nicht, der ihm versicherte: daß er ihn mit derselben blechernen Büchse auf dem Rücken, und demselben langen Stocke in der Hand, nach der ungarischen Grenze geführt habe, und zwar zu rechter Zeit, weil kurz nachher der Weg vom Pest-Cordon geschlossen worden sei, wobei der Mann ihm eine Menge einzelne Vorfälle der Reise erzählte, von welchen, wie vom Ganzen, Wehmüller nichts begriff. Da aber endlich der Bauer ein kleines Bild hervorzog mit den Worten: »Haben Euer Gnaden mir dieses Bildchen, daß in Ihrer Büchse keinen Platz fand, nicht zu tragen gegeben, und haben es Euer Gnaden nicht in der Eile der Reise vergessen?« ergriff Wehmüller das Bild mit Heftigkeit. Es war das Bild seiner Frau, ganz wie von ihm selbst gemalt, ja, der Name Wehmüller war unterzeichnet. Er wußte nicht, wo ihm der Kopf stand. Bald sah er den Bauer, bald Lury, bald das Bild an. »Wer gab dir das Bild?« fuhr er den Bauer an. »Euer Gnaden selbst,« sagte dieser. »Sie wollten nach Stuhlweißenburg zu Ihrer Liebsten, sagten Euer Gnaden, und den Botenlohn sind mir Euer Gnaden auch schuldig geblieben.«

»Das ist erlogen!« schrie Wehmüller. »Es ist die Wahrheit!« sagte der Bauer. »Es ist nicht die Wahr [17] heit!« sagte Lury, »denn dieser Herr ist seit vier Wochen nicht hier weggekommen und hat mit mir in einer Stube geschlafen.« Der Bauer aber wollte von seiner Behauptung nicht abgehen und drang auf die Bezahlung des Botenlohns oder die Rückgabe des Porträts, welches sein Pfand sei, und dem er, wenn er nicht bezahle, einen Schimpf antun wolle. Wehmüller ward außer sich. »Was?« schrie er, »ich soll für einen andern den Botenlohn zahlen oder das Porträt meiner Frau beschimpfen lassen, das ist entsetzlich!« Lury machte endlich den Schiedsrichter und sagte zu dem Bauer: »Habt ihr diesen Herrn über die Grenze gebracht?« »Ja!« sagte der Bauer. – »Wie kommt er denn wieder hierher, und wie war er die ganze Zeit hier?« erwiderte Lury. »Ihr müßt ihn daher nicht recht tüchtig hinüber gebracht haben, und könnt für so schlechte Arbeit keinen Botenlohn begehren. Bringt ihn heute nochmals hinüber, aber dermaßen, daß auch kein Stümpfchen hier in Kroatien bleibt, und laßt euch doppelt bezahlen.« Der Bauer sagte: »Ich bin es zufrieden, aber es ist doch eine sehr heillose Sache; wer von den beiden ist nun der Teufel, dieser gnädige Herr oder der andre? Es könnte mich dieser, der viel widerspenstiger scheint, vielleicht gar mit über die Grenze holen; auch ist der Weg jetzt gesperrt, und der andre war der letzte. Ich [18] glaube doch, er muß der Teufel gewesen sein, der bei der Pest zu tun hat.« – »Was,« schrie Wehmüller, »der Teufel mit dem Porträt meiner Frau? Ich werde verrückt! Gesperrt oder nicht gesperrt, ich muß fort, der scheußlichste Betrug muß entdeckt werden. Ach, meine arme Frau, wie kann sie getäuscht werden! Adieu, Lury, ich brauche keinen Boten, ich will schon allein finden.« Und somit lief er zum offenen Hoftore mit solcher Schnelligkeit hinaus, daß ihn weder der nachlaufende Bauer, noch das Geschrei Lurys einholen konnte.

Nach dieser Scene trat der Graf Giulowitsch, der Prinzipal Lurys, aus dem Schloß, um auf seinen Finkenherd zu fahren. Lury erzählte ihm die Geschichte, und der Graf, neugierig, mehr von der Sache zu hören, bestieg seinen Wurstwagen und fuhr dem Maler in vollem Trabe nach. Das leichte Fuhrwerk, mit zwei raschen Pferden bespannt, flog über die Stoppelfelder, welche einen festeren Boden als die moorichte Landstraße darboten. Bald war der Maler eingeholt. Der Graf bat ihn aufzusitzen mit dem Anerbieten, ihn einige Meilen bis an die Grenze seiner Güter zu bringen, wo er noch eine halbe Stunde nach dem letzten Grenzdorf habe. Wehmüller der schon viel Grund und Boden an seinen Stiefeln hängen hatte, nahm den Vorschlag mit untertänigstem Dank an. Er mußte einige Züge [19] alten Slibowitz aus des Grafen Jagdflasche tun, und fand dadurch schon etwas mehr Mut, sich selbst auf der eignen Fährte zu seiner Frau nachzueilen. Der Graf fragte ihn: »Ob er denn niemand kenne, der ihm so ähnlich sei, und so malen könne wie er?« Wehmüller sagte: »Nein!« und das Porträt ängstige ihn am meisten, denn dadurch zeige sich eine Beziehung des falschen Wehmüllers auf seine Frau, welche ihm besonders fatal werden könne. Der Graf sagte ihm: »Der falsche Wehmüller sei wohl nur eine Strafe Gottes für den echten Wehmüller, weil dieser alle Ungarn über einen Leisten male. So gäbe es jetzt auch mehrere Wehmüller über einen Leisten.« Wehmüller meinte: »Alles sei ihm einerlei, aber seine Frau, seine Frau, wenn sie sich nur nicht irre.« Der Graf stellte ihm nochmals vor, er möge lieber mit ihm auf seinen Finkenherd und dann zurückfahren; er gefährde, wenn er auch höchst unwahrscheinlich den Pest-Cordon durchschleichen sollte, jenseits an der Pest zu sterben. Wehmüller aber meinte: »Ein zweiter Wehmüller, der zu meiner Frau reist, ist auch eine Pest, an der man sterben kann, und er wolle so wenig als die Schneegänse, welche schreiend über ihnen hinstrichen, den Pest-Cordon respektieren, er habe keine Ruhe, bis er bei seiner Tonerl sei.« So kamen sie bis auf die Grenze der Giulowitschschen Güter, und der Graf [20] schenkte Wehmüllern noch eine Flasche Tokaier mit den Worten: »Wenn Sie diese ausstechen, lieber Wehmüller, werden Sie sich nicht wundern, daß man Sie doppelt gesehen, denn Sie selbst werden alles doppelt sehen. Geben Sie uns so bald als möglich Bericht von Ihrem Abenteuer, und möge Ihre Gemahlin anders sehen, als der Bauer gesehen hat. Leben Sie wohl!«

Nun eilte Wehmüller, so schnell er konnte, nach dem nächsten Dorf, und kaum war er in die kleine dumpfigte Schenke eingetreten, als die alte Wirtin, in Husaren-Uniform, ihm entgegenschrie: »Ha, ha! da sind der Herr wieder zurück, ich hab es gleich gesagt, daß Sie nicht durch den Cordon würden hinüber gelassen werden.« Wehmüller sagte: daß er hier niemals gewesen und daß er gleich jetzt erst versuchen wolle, durch den Cordon zu kommen. Da lachte Frau Tschermack und ihr Gesinde ihm ins Angesicht, und behaupteten steif und fest: er sei vor einigen Tagen hier durchpassiert, von einem Giulowitscher Bauern begleitet, dem er den Botenlohn zu zahlen vergessen; er habe ja hier gefrühstückt und erzählt: daß er nach Stuhlweißenburg zu seiner Frau Tonerl wolle, um dort das hochlöbliche Offizier-Korps zu malen. Wehmüller kam durch die neue Bestätigung, daß er doppelt in der Welt herum reise, beinahe in Verzweiflung. Er [21] sagte der Wirtin mit kurzen Worten seine ganze Lage; sie wußte nicht, was sie glauben sollte, und sah ihn sehr kurios an. Es war ihr nicht allzu heimlich bei ihm. Aber er wartete alle ihre Skrupel nicht ab, und lief wie toll und blind zum Dorfe hinaus und dem Pest-Cordon zu.

Als er eine Viertelmeile auf der Landstraße gelaufen war, sah er auf dem Stoppelfeld eine Reihe von Rauchsäulen aufsteigen, und ein angenehmer Wachholdergeruch dampfte ihm entgegen. Er sah bald eine Reihe von Erdhütten und Soldaten, welche kochten und sangen; es war ein Hauptbiwak des Pest-Cordons. Als er sich der Schildwache näherte, rief sie ihm ein schreckliches: »Halt!« entgegen und schlug zugleich ihr Gewehr auf ihn an. – Wehmüller stand wie angewurzelt. Die Schildwache rief den Unteroffizier und nach einigen Minuten sprengte ein Szekler Husar gegen ihn heran und schrie aus der Ferne: »Wos willstu, quid vis ? Wo kommst her, unde venis ? An welchen Ort willst du, ad quem locum vis ? Bist du nicht vorige Woche hier durchpassiert, es tu non altera hebdomada hic perpassatus ?« Er fragte ihn so auf Deutsch und Husarenlateinisch zugleich, weil er nicht wußte, ob er ein Deutscher oder ein Ungar sei. Wehmüller mußte aus den letzten Worten des Husaren abermals hören, daß er hier schon durchgereist sei, [22] welche Nachricht ihm eiskalt über den Rücken lief. Er schrie sich beinah' die Kehle aus, daß er gerade von dem Grafen Giulowitsch komme, daß er in seinem Leben nicht hier gewesen. Der Husar aber lachte und sprach: »Du lügst, mentiris ! Hast du nicht dem Herrn Chirurg sein Bild gegeben, non dedidisti Domino Chirurgo suam imaginem ? Daß er durch die Finger gesehen und dich passieren lassen, ut vidit per digitos et te fecit passare ? Du bist zurückgekehrt aus den Pest-Örtern, es returnatus ex pestiferatis locis !« Wehmüller sank auf die Kniee nieder und bat, man möge den Chirurgen doch herbeirufen. Während dieses Gespräches waren mehrere Soldaten um den Husaren herum getreten, zuzuhören; endlich kam der Chirurg auch, und nachdem er Wehmüllers Klagen angehört, der sich die Lunge fast weggeschrieen, befahl er ihm, sich einem der Feuer von Wachholderholz zu nähern, so daß es zwischen ihnen beiden sei, dann wolle er mit ihm reden. Wehmüller tat dies, und erzählte ihm die ganze Aussage über einen zweiten Wehmüller, der hier durchgereist sei, und seine große Sorge, daß ihn dieser um all sein Glück betrügen könne, und bot dem Chirurgen alles an, was er besitze, er möge ihm nur durchhelfen. Der Chirurg holte nun eine Rolle Wachsleinwand aus seiner Erdhütte, und Wehmüller erblickte auf derselben eines der [23] ungarischen Nationalgesichter, gerade, wie er sie selbst zu malen pflegte, auch sein Name stand drunter, und da der Chirurg sagte: »Ob er dies Bild nicht gemalt und ihm neulich geschenkt habe, weil er ihn passieren lassen?« gestand Wehmüller: »Er würde nie dies Bild von den seinigen unterscheiden können, aber durchpassiert sei er hier nie, und habe nie die Gelegenheit gehabt, den Herrn Chirurgen zu sprechen.« Da sagte der Chirurg: »Hatten Sie nicht heftiges Zahnweh, habe ich Ihnen nicht noch einen Zahn ausgezogen für das Bild?« »Nein, Herr Chirurg,« erwiderte Wehmüller, »ich habe alle meine Zähne frisch und gesund, wenn Sie zuschauen wollen.« Nun faßte der Feldscher einigen Mut; Wehmüller sperrte das Maul auf, er sah nach und gestand ihm zu, daß er ganz ein anderer Mensch sei; denn jetzt, da er ihn weder aus der Ferne, noch von Rauch getrübt ansehe, müsse er ihm gestehen, daß der andere Wehmüller viel glatter und auch etwas fetter sei, ja, daß sie beide, wenn sie nebeneinander ständen, kaum verwechselt werden könnten; aber durchpassieren lassen könne er ihn jetzt doch nicht. Es habe zuviel Aufsehens bei der Wache gemacht, und er könne Verdruß haben. Morgen früh werde aber der Cordon-Kommandant mit einer Patrouille bei der Visitation hierher kommen, und da ließe sich sehen, was er für ihn [24] tun könne. Er möge bis dahin nach der Schenke des Dorfes zurückkehren, er wolle ihn rufen lassen, wenn es Zeit sei. Er solle auch das Bild mitnehmen und ihm den Schnauzbart etwas spitzer malen, damit es ganz ähnlich werde. Wehmüller bat: in seiner Erdhütte einen Brief an sein Tonerl schreiben zu dürfen, und ihm den Brief hinüber zu besorgen. Der Chirurg war es zufrieden. Wehmüller schrieb seiner Frau, erzählte ihr sein Unglück, bat sie um Gotteswillen, nicht den falschen Wehmüller mit ihm zu verwechseln und lieber sogleich ihm entgegen zu reisen. Der Chirurg besorgte den Brief und gab Wehmüllern noch ein Attestat, daß seine Person eine ganz andere sei, als die des ersten Wehmüllers, und nun kehrte unser Maler, durchgeräuchert wie ein Quarantaine-Brief, nach der Dorfschenke zurück.

Hier war die Gesellschaft vermehrt. Die Erzählung von dem doppelten Wehmüller hatte sich im Dorf und auf einem benachbarten Edelhof ausgebreitet, und es waren allerlei Leute bei der Wirtin zusammengekommen, um sich wegen der Geschichte zu befragen. Unter dieser Gesellschaft waren ein alter invalider Feuerwerker und ein Franzose die Hauptpersonen. Der Feuerwerker, ein Venetianer von Geburt, hieß Baciochi, und war ein Alles in Allem bei dem Edelmanne, der einen Büchsenschuß von dem Dorfe wohnte. Der Franzose war ein [25] Monsieur Devillier, der, von einer alten reichen Ungarin gefesselt, in Ungarn sitzen geblieben war; seine Gönnerin starb und hinterließ ihm ein kleines Gütchen, auf welchem er lebte, und sich bei seinen Nachbarn umher mit der Jagd und allerlei Liebeshändeln die Zeit vertrieb. Er hatte gerade eine Kammerjungfer auf dem Edelhofe besucht, der er Sprachunterricht gab, und diese hatte ihn mit dem Hofmeister des jungen Edelmanns auf seinem Rückweg in die Schenke begleitet, um ihrer Herrschaft von dem doppelten Wehmüller Bericht zu erstatten. Die Kammerjungfer hieß Nanny und der Hofmeister war ein geborener Wiener, mit Namen Lindpeindler, ein zartfühlender Dichter, der oft verkannt worden ist. Die berühmteste Person von allen war aber der Violinspieler Michaly, ein Zigeuner von etwa dreißig Jahren, von eigentümlicher Schönheit und Kühnheit, der, wegen seines großen Talents, alle möglichen Tänze ununterbrochen auf seiner Violine zu erfinden und zu variieren, bei allen großen Hochzeiten im Lande allein spielen mußte. Er war hierher gereist, um seine Schwester zu erwarten, die bis jetzt bei einer verstorbenen Großmutter gelebt und nun auf der Reise zu ihm durch den Pest-Cordon von ihm getrennt war.

Zu diesen Personen fügte sich noch ein alter kroatischer Edelmann, der einen einsamen Hof in [26] der Nähe der türkischen Grenze besaß; er übernachtete hier, von einem Kreistage zurückkehrend. Ein tiroler Teppichkrämer und sein Reisegeselle, ein Savoyardenjunge, dem sein Murmeltier gestorben war, und der sich nach Hause bettelte, machten die Gesellschaft voll, außer der alten Wirtin, die Tabak rauchte und in ihrer Jugend als Amazone unter den Wurmserschen Husaren gedient hatte. Sie trug noch den Dolman und die Mütze, die Haare in einem Zopf am Nacken und zwei kleine Zöpfe an den Schläfen geknüpft, und hatte hinter ihrem Spinnrad ein martialisches Ansehen. Diese bunte Versammlung saß in der Stube, welche zugleich die Küche und der Stall für zwei Büffelkühe war, um den lodernden niedern Feuerherd, und war im vollen Gespräch über den doppelten Wehmüller, als dieser in der Dämmerung an der verschlossenen Haustüre pochte. Die Wirtin fragte zum Fenster hinaus, und als sie Wehmüller sah, rief sie: »Gott steh' uns bei! Da ist noch ein dritter Wehmüller; ich mache die Tür nicht eher auf, bis sie alle drei zusammen kommen!« Ein lautes Gelächter und Geschrei des Verwunderns aus der Stube unterbrach des armen Malers Bitte um Einlaß. Er nahte sich dem Fenster und hörte eine lebhafte Beratschlagung über sich an. Der kroatische Edelmann behauptete: er könne sehr leicht ein Vampir sein oder die Leiche des ersten [27] an der Pest verstorbenen Wehmüllers, die hier den Leuten das Blut aussaugen wolle. Der Feuerwerker meinte: er könne die Pest bringen, er habe wahrscheinlich den Cordon überschritten und sei wieder zurückgeschlichen. Der Tiroler bewies: er würde niemand fressen. Die Kammerjungfer verkroch sich hinter dem Franzosen, der, nebst dem Hofmeister, die Gastfreiheit und Menschlichkeit verteidigte. Devillier sagte: er könne nicht erwarten, daß eine so auserwählte Gesellschaft wie die, in der er sich befinde, jemals aus Furcht und Aberglauben die Rechte der Menschheit so sehr verletzen werde, einen Fremden wegen einer bloßen Grille auszusperren; er wolle mit dem Manne reden. Der Zigeuner aber ergriff in dem allgemeinen, ziemlich lauten Wortwechsel seine Violine und machte ein wunderbares Schariwari dazu, und da die ungarischen Bauern nicht leicht eine Fiedel hören, ohne den Tanzkrampf in den Füßen zu fühlen, so versammelte sich bald Horia und Klotzka vor der Schenke, – was so viel heißt: als Hinz und Kunz bei uns zu Lande, – die Mädchen wurden aus den Betten getrieben und vor die Schenke gezogen, und sie begannen zu jauchzen und zu tanzen.

Durch den Lärm ward der Vizegespann, des Orts Obrigkeit, herbeigelockt, und Wehmüller brachte ihm seine Klagen und das Attestat des Chirurgen vor, [28] versprach ihm auch, sein Porträt unter den Nationalgesichtern sich aussuchen zu lassen, wenn er ihm ein ruhiges Nachtquartier verschaffe und seine Persönlichkeit in der Schenke attestiere. Der Vizegespann ließ sich nun die Schenke öffnen und las drinnen das Attestat des Herrn Chirurgen, das er allen Anwesenden zur Beruhigung mitteilte. Durch seine Autorität brachte er es dahin, daß Wehmüller endlich hereingelassen wurde, und er nahm, um der Sache mehr Ansehen zu geben, ein Protokoll über ihn auf, an dem nichts merkwürdig war, als daß es mit dem Worte »Sondern« anfing. Indessen hatten die Bauern den musikalischen Zigeuner herausgezerrt und waren mit ihm unter die Linde des Dorfes gezogen, der Tiroler zog hinterdrein und jodelte aus der Fistel, der Savoyarde gurgelte sein »Escoutta Gianetta« und klapperte mit dem Deckel seines leeren Kastens den Takt dazu bis unter die Linde. Monsieur Devillier forderte die Kammerjungfer zu einem Tänzchen auf, und Herr Lindpeindler gab der schönen Herbstnacht und dem romantischen Eindrucke nach. So war die Stube ziemlich leer geworden. Wehmüller holte seine Nationalgesichter aus der Blechbüchse, und der Vizegespann hatte bald sein Porträt gefunden, versprach auch dem Maler ins Ohr: daß er ihm morgen über den Cordon helfen wolle, wenn er ihm heute [29] Nacht noch eine Reihe Knöpfe mehr auf die Jacke male. Wehmüller dankte ihm herzlich und begann sogleich bei einer Kienfackel seine Arbeit. Der Feuerwerker und der kroatische Edelmann rückten zu dem Tisch, auf welchem Wehmüller seine Flasche Tokaier Preis gab. Die Herren drehten sich die Schnauzbärte, steckten sich die Pfeifen an und ließen es sich wohl schmecken. Der Vizegespann sprach von der Jagdzeit, die am St. Egiditage, da der Hirsch in die Brunst gehe, begonnen habe, und daß er morgen früh nach einem Vierzehnender ausgehen wolle, der ihm großen Schaden in seinem Weinberge getan, zugleich lud er Herrn Wehmüller ein, mitzugehen, wobei er ihm auf den Fuß trat. Wehmüller verstand, daß dies ein Wink sei, wie er ihm über den Cordon helfen wolle, und wenn ihm gleich nicht so zu Mute war, gern von Hirschgeweihen zu hören, nahm er doch das Anerbieten mit Dank an, nur bat er sich die Erlaubnis aus, nach der Rückkehr das Bild des Herrn Vizegespanns in seinem Hause fertig malen zu dürfen. Der kroatische Edelmann und der Feuerwerker sprachen nun noch mancherlei von der Jagd, und wie der Wein so vortrefflich stehe, darum sei das Volk auch so lustig; wenn der unbequeme Pest-Cordon nur erst aufgelöst sei, aller Verkehr sei durch ihn gestört, und der Cordon sei eigentlich ärger als die Pest selbst. »Es wird bald [30] aus sein mit dem Cordon,« sagte der Kroate, »die Kälte ist der beste Doktor, und ich habe heute an den Eicheln gesehen, daß es einen strengen Winter geben wird; denn die Eicheln kamen heuer früh und viel, und es heißt von den Eicheln im September:

›Haben sie Spinnen, so kömmt ein bös Jahr,
Haben sie Fliegen, kömmt Mittelzeit zwar,
Haben sie Maden, so wird das Jahr gut,
Ist nichts darin, so hält der Tod die Hut.
Sind die Eicheln früh und sehr viel,
So schau, was der Winter anrichten will:
Mit vielem Schnee kömmt er vor Weihnachten,
Darnach magst du große Kälte betrachten.
Sind die Eicheln schön innerlich,
Folgt ein schöner Sommer, glaub' sicherlich;
Auch wird dieselbe Zeit wachsen schön Korn,
Also ist Müh' und Arbeit nicht verlor'n.
Werden sie innerlich naß befunden,
Tut's uns einen nassen Sommer bekunden;
Sind sie mager, wird der Sommer heiß,
Das sei dir gesagt mit allem Fleiß.‹

Diesen September waren sie aber so früh und häufig, daß es gewiß bald kalt, und der Frost die Pest schon vertilgen wird.« »Ganz recht,« sagte der Vizegespann, »wir werden einen frühen Winter und einen schönen Herbst haben; denn tritt der Hirsch an einem schönen Egiditag in Brunst, so tritt er [31] auch an einem schönen Tage heraus, und wenn er früh eintritt, wie dieses Jahr, so naht der Winter auch früh.« Über diesen Wetterbetrachtungen kamen sie auf kalte Winter zu sprechen, und der Kroate erzählte folgende Geschichte, die ihm vor einigen Jahren im kalten Winter in der Christnacht geschehen sein sollte, und er beschwor sie hoch und teuer. Aber eben, als er beginnen wollte, schallte ein großer Spektakel von der Linde her. Lindpeindler und die Kammerjungfer stürzten mit dem Geschrei in die Stube: auf dem Tanzplatze sei wieder ein Wehmüller erschienen. »Ach,« schrie die Kammerjungfer, »er hat mich wie ein Gespenst angepackt und ist mit mir so entsetzlich unter der Linde herumgetanzt, daß mir die Haube in den Zweigen blieb.« Auf diese Aussage sprangen alle vom Tisch auf und wollten hinausstürzen. Der Vizegespann aber gebot dem Maler sitzen zu bleiben, bis man wisse, ob er oder der andere es sei.

Da näherte sich das Spektakel, und bald trat der Zigeuner lustig fiedelnd, von den krähenden Bauern begleitet, mit dem neuen Wehmüller vor die Schenke. Da klärte sich denn bald der Scherz auf. Devillier hatte den grauen Reisekittel und den Hut Wehmüllers im hinausgehen aufgesetzt und ein altes blechernes Ofenrohr, das in einem Winkel lag, umgehängt, die furchtsame Kammerjungfer zu [32] erschrecken. Nanny ward sehr ausgelacht, und der Vizegespann befahl nun den Leuten, zu Bette zu gehen. Da aber einige noch tanzen wollten und grob wurden, rief er nach seinen Heiducken, setzte selbst eine Bank vor die Türe, legte eigenhändig einen frechen Burschen über und ließ ihm fünf aufzählen, auf welche kleine Erfrischung die ganze Ballgesellschaft mit einem lauten: » Vivat noster Dominus Vicegespannus! « jubelnd nach Hause zog. Nun ordnete sich die übrige Gesellschaft in der engen Stube, wie es gehen wollte, um Tisch und Herd, auf Kübeln und Tonnen und den zur Nachtstreue von der Wirtin angeschleppten Strohbündeln. Devillier ließ einige Krüge Wein bringen, und der erschrockenen Kammerjungfer wurde auf den Schreck wacker zugetrunken. Man bat dann den Kroaten, seine versprochene Geschichte zu erzählen, welcher, während Wehmüller in schweren Gedanken an sein Tonerl Köpfe malte, also begann:

Das Pickenick des Katers Mores.
Erzählung des kroatischen Edelmannes.

»Mein Freihof liegt einsam, eine halbe Stunde von der türkischen Grenze, in einem sumpfigten Walde, wo alles im herrlichsten und fatalsten Überfluß ist, zum Beispiel: die Nachtigallen, die einen immer vor Tag aus dem Schlafe wecken, und im [33] letzten Sommer pfiffen die Bestien so unverschämt nah und in solcher Menge vor meinem Fenster, daß ich einmal im größten Zorne den Nachttopf nach ihnen warf. Aber ich kriegte bald einen Hausgenossen, der ihnen auf den Dienst paßte und mich von dem Ungeziefer befreite. Heut' sind es drei Jahre, als ich morgens auf meinen Finkenherd ging mit einem Pallasch, einer guten Doppelbüchse und einem Paar doppelten Pistolen versehen, denn ich hatte einen türkischen Wildpretdieb und Händler auf dem Korne, der mir seit einiger Zeit großen Wildschaden angetan und mir, da ich ihn gewarnt hatte, trotzig hatte sagen lassen: er störe sich nicht an mir, und wolle unter meinen Augen in meinem Walde jagen.

Als ich nach dem Finkenherde kam, fand ich alle meine ausgestellten Dohnen und Schlingen ausgeleert, und merkte, daß der Spitzbube mußte dagewesen sein. Erbittert stellte ich meinen Fang wieder auf. Da strich ein großer schwarzer Kater aus dem Gesträuche murrend zu mir her, und machte sich so zutunlich, daß ich seinen Pelz mit Wohlgefallen ansah, und ihn liebkosete mit der Hoffnung, ihn an mich zu gewöhnen und mir etwa aus seinen Winterhaaren eine Mütze zu machen. Ich habe immer so eine lebendige Wintergarderobe im Sommer in meinem Revier, ich brauche darum [34] kein Geld zum Kürschner zu tragen, es kommen mir auch keine Motten in mein Pelzwerk. Vier Paar tüchtige lederne Hosen laufen immer als lebendige Böcke auf meinem Hofe, und mitten unter ihnen ein herrlicher Dudelsack, der sich jetzt als lebendiger Bock schon so musikalisch zeigt, daß die zu einzelnen Hosenbeinen bestimmten Kandidaten, sobald er mäckernd unter sie tritt, zu tanzen und gegeneinander zu stutzen anfangen, als fühlten sie jetzt schon ihre Bestimmung: einst mit meinen Beinen nach diesem Dudelsack ungarisch zu tanzen. So habe ich auch einen neuen Reisekoffer als Wildsau in meinem Forste herumlaufen. Ein prächtiger Wolfspelz hat mir im letzten Winter in der Gestalt von sechs tüchtigen Wölfen schon auf den Leib gewollt; die Bestien hatten mir ein tüchtiges Loch in die Kammertüre genagt, da fuhr ich einem nach dem andern durch ein Loch über der Türe mit einem Pinsel voll Ölfarbe über den Rücken, und erwarte sie nächstens wieder, um ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen. Aus solchen Gesichtspunkten sah ich auch den schwarzen Kater an, und gab ihm, teils weil er schwarz wie ein Mohr war, teils, weil er gar vortreffliche Mores oder Sitten hatte, den Namen Mores. Der Kater folgte mir nach Hause und wußte sich so vortrefflich durch Mäusefangen und Verträglichkeit mit meinen Hunden auszuzeichnen, [35] daß ich den Gedanken, ihn aus seinem Pelze zu treiben, bald aufgegeben hatte. Mores war mein steter Begleiter, und nachts schlief er auf einem ledernen Stuhle neben meinem Bette. Merkwürdig war es mir besonders an dem Tiere, daß es, als ich ihm scherzhaft einigemal bei Tag Wein aus meinem Glase zu trinken anbot, sich gewaltig dagegen sträubte, und ich es doch einst im Keller erwischte, wie es den Schwanz ins Spundloch hängte und dann mit dem größten Appetit ableckte. Auch zeichnete sich Mores vor allen Katzen durch seine Neigung, sich zu waschen, aus, da doch sonst sein Geschlecht eine Feindschaft gegen das Wasser hat. Alle diese Absonderlichkeiten hatten den Mores in meiner Nachbarschaft sehr berühmt gemacht, und ich ließ ihn ruhig bei mir aus und ein gehen, er jagte auf seine eigene Hand, und kostete mich nichts als Kaffee, den er über die Maßen gern soff.

So hatte ich meinen Gesellen bis gegen Weihnachten immer als Schlafkameraden gehabt, als ich ihn die zwei letzten Tage und Nächte vor dem Christtage ausbleiben sah. Ich war schon an den Gedanken gewöhnt, daß ihn irgend ein Wildschütze, vielleicht gar mein türkischer Grenznachbar, möge weggeschossen oder gefangen haben, und sendete deswegen einen Knecht hinüber zu dem Wildhändler, um etwas von dem Mores auszukundschaften. Aber [36] der Knecht kam mit der Nachricht zurück, daß der Wildhändler von meinem Kater nichts wisse, daß er eben von einer Reise von Stambul zurückgekommen sei, und seiner Frau eine Menge schöner Katzen mitgebracht habe; übrigens sei es ihm lieb, daß er von meinem trefflichen Kater gehört, und wolle er auf alle Weise suchen, ihn in seine Gewalt zu bringen, da ihm ein tüchtiger Bassa für sein Serail fehle. Diese Nachricht erhielt ich mit Verdruß am Weihnachtsabend, und sehnte mich um so mehr nach meinem Mores, weil ich ihn dem türkischen Schelm nicht gönnte. Ich legte mich an diesem Abend früh zu Bette, weil ich in der Mitternacht eine Stunde Weges nach der Kirche in die Metten gehen wollte. Mein Knecht weckte mich zur gehörigen Zeit. Ich legte meine Waffen an und hängte meine Doppelbüchse mit dem gröbsten Schrote geladen um. So machte ich mich auf den Weg, in der kältesten Winternacht, die ich je erlebt; ich war eingehüllt wie ein Pelznickel, die brennende Tabakspfeife fror mir einigemal ein, der Pelz um meinen Hals starrte von meinem gefrornen Hauch wie ein Stachelschwein, der feste Schnee knarrte unter meinen Stiefeln, die Wölfe heulten rings um meinen Hof, und ich befahl meinen Knechten: Jagd auf sie zu machen.

So war ich bei sternheller Nacht auf das freie Feld hinausgekommen und sah schon in der Ferne [37] eine Eiche, die auf einer kleinen Insel mitten in einem zugefrornen Teiche stand und etwa die Hälfte des Weges bezeichnete, den ich zum Kirchdorfe hatte. Da hörte ich eine wunderbare Musik, und glaubte anfangs, es sei etwa ein Zug Bauern, der mit einem Dudelsack sich den Weg zur Kirche verkürzte, und so schritt ich derber zu, um mich an diese Leute anzuschließen. Aber je näher ich kam, je toller war die kuriose Musik; sie löste sich in ein Gewimmer auf, und schon dem Baume nah hörte ich, daß die Musik von demselben herunter schallte. Ich nahm mein Gewehr in die Hand, spannte den Hahn und schlich über den festen Teich auf die Eiche los: was sah ich, was hörte ich? Das Haar stand mir zu Berge; der ganze Baum saß voll schrecklich heulender Katzen, und in der Krone thronte mein Herr Mores mit krummem Buckel und blies ganz erbärmlich auf einem Dudelsack, wozu die Katzen unter gewaltigem Geschrei um ihn her durch die Zweige tanzten. Ich war anfangs vor Entsetzen wie versteinert, bald aber zwickte mich der Klang des Dudelsackes so sonderbar in den Beinen, daß ich selbst anfing zu tanzen und beinahe in eine von Fischern gehauene Eisöffnung fiel. Da tönte aber die Mettenglocke durch die helle Nacht; ich kam zu Sinnen und schoß die volle Schrotladung meiner Doppelbüchse in den vermaledeiten Tanzchor hinein, [38] und in demselben Augenblicke fegte die ganze Tanzgesellschaft wie ein Hagelwetter von der Eiche herunter und wie ein Bienenschwarm über mich weg, so daß ich auf dem Eis ausglitt und platt niederstürzte. Als ich mich aufraffte, war das Feld leer, und ich wunderte mich, daß ich auch keine einzige von den Katzen getroffen unter dem Baume fand. Der ganze Handel hatte mich so erschreckt und so wunderlich gemacht, daß ich es aufgab, nach der Kirche zu gehen; ich eilte nach meinem Hofe zurück und schoß meine Pistolen mehreremal ab, um meine Knechte herbeizurufen. Sie nahten mir bald auf dieses verabredete Zeichen; ich erzählte ihnen mein Abenteuer, und der eine, ein alter erfahrener Kerl, sagte: »Sein Ihr Gnaden nur ruhig, wir werden die Katzen bald finden, die Ihr Gnaden geschossen haben.« Ich machte mir allerlei Gedanken, und legte mich zu Hause, nachdem ich auf den Schreck einen warmen Wein getrunken hatte, zu Bett.

Als ich gegen Morgen ein Geräusch vernahm, erwachte ich aus dem unruhigen Schlaf, und siehe da: mein vermaledeiter Mores lag – mit versengtem Pelz – wie gewöhnlich, neben mir auf dem Lederstuhl. Es lief mir ein grimmiger Zorn durch alle Glieder. Passaveanelkiteremtete! schrie ich, vermaledeite Zaubercanaille! bist du wieder da? und griff nach einer neuen Mistgabel, die neben meinem Bette [39] stand. Aber die Bestie stürzte mir an die Kehle und würgte mich; ich schrie Zetermordio. Meine Knechte eilten herbei mit gezogenen Säbeln, und fegten nicht schlecht über meinen Mores her, der an allen Wänden hinauf fuhr, endlich das Fenster zerstieß und dem Walde zustürzte, wo es vergebens war, das Untier zu verfolgen; doch waren wir gewiß, daß Herr Mores seinen Teil Säbelhiebe weg habe, um nie wieder auf dem Dudelsacke zu blasen. Ich war schändlich zerkratzt, und der Hals und das Gesicht schwoll mir gräßlich an. Ich ließ nach einer slavonischen Viehmagd rufen, die bei mir diente, um mir einen Umschlag von ihr kochen zu lassen, aber sie war nirgends zu finden, und ich mußte nach dem Kirchdorfe fahren, wo ein Feldscher wohnte.

Als wir an die Eiche kamen, wo das nächtliche Konzert gewesen war, sahen wir einen Menschen darauf sitzen, der uns erbärmlich um Hilfe anflehte. Ich erkannte bald Mladka, die slavonische Magd; sie hing halb erfroren mit den Röcken in den Baumästen verwickelt, und das Blut rann von ihr nieder in den Schnee; auch sahen wir blutige Spuren von da her, wo mich die Katzen über den Haufen geworfen, nach dem Walde zu. Ich wußte nun, wie es mit der Slavonierin beschaffen war, ließ sie schwebend, daß sie die Erde nicht berührte, auf den Wurstwagen tragen und festbinden, und fuhr eilend [40] mit der Hexe nach dem Dorf. Als ich bei dem Chirurg ankam, wurde gleich der Vizegespann und der Pfarrer des Ortes gerufen, alles zu Protokoll genommen, und die Magd Mladka ward ins Gefängnis geworfen. Sie ist zu ihrem Glück an dem Schuß, den sie im Leibe hatte, gestorben, sonst wäre sie gewiß auf den Scheiterhaufen gekommen. Sie war ein wunderschönes Weibsbild, und ihr Skelett ist nach Pest ins Naturalienkabinett als ein Muster schönen Wachstumes gekommen; sie hat sich auch herzlich bekehrt und ist unter vielen Tränen gestorben. Auf ihre Aussagen sollten verschiedene andere Weibspersonen in der Gegend gefangen genommen werden, aber man fand zwei tot in ihren Betten, die andern waren entflohen. – Als ich wieder hergestellt war, mußte ich mit einer Kreis-Kommission über die türkische Grenze reisen. Wir meldeten uns bei der Obrigkeit mit unserer Anzeige gegen den Wildhändler, aber da kamen wir schier in eine noch schlimmere Suppe, es wurde uns erklärt: daß der Wildhändler nebst seiner Frau und mehreren türkischen, serbischen und slavonischen Mägden und Sklavinnen von Schrotschüssen und Säbelhieben verwundet zu Haus angekommen, und daß der Wildhändler gestorben sei mit der Angabe: er sei, von einer Hochzeit kommend, auf der Grenze von mir überfallen und so zugerichtet worden. Während dies angezeigt wurde, [41] versammelte sich eine Menge Volks, und die Frau des Wildhändlers mit mehreren Weibern und Mägden, verbunden und bepflastert, erhoben ein mörderliches Geschrei gegen uns. Der Richter sagte: er könne uns nicht schützen, wir möchten sehen, daß wir fortkämen. Da eilten wir nach dem Hofe, sprangen zu Pferde, nahmen den Kreis-Kommissar in die Mitte, ich setzte mich an die Spitze der sechs Szekler Husaren, die uns begleitet hatten, und so sprengten wir, Säbel und Pistole in der Hand, früh genug zum Orte hinaus, um nicht mehr zu erleiden als einige Steinwürfe und blinde Schüsse, eine Menge türkischer Flüche mit eingerechnet. Die Türken verfolgten uns bis über die Grenze, wurden aber von den Szeklern, die sich im Walde setzten, so zugerichtet, daß wenigstens ein paar von ihnen dem Wildhändler in Mohammeds Paradies Nachricht von dem Erfolge werden gegeben haben. Als ich nach Hause kam, war das erste, daß ich meinen Dudelsack visitierte, den ich auch mit drei Schroten durchlöchert hinter meinem Bette liegen fand. Mores hatte also auf meinem eigenen Dudelsack geblasen, und war von ihm gegen meinen Schuß gedeckt worden.

Ich hatte mit der unseligen Geschichte noch viele Schererei. Ich wurde weitläufig zu Protokoll vernommen; es kam eine Kommission nach der andern auf meinen Hof und ließ sich tüchtig aufwarten; [42] die Türken klagten wegen Grenzverletzung, und ich mußte es mir am Ende noch mehrere Stücke Wild und ein ziemliches Geld kosten lassen, daß die Gerichtsplackerei endlich einschlief, nachdem ich und meine Knechte vereidigt worden waren. Trotzdem wurde ich mehrmals vom Kreis-Physikus untersucht: ob ich auch völlig bei Verstand sei, und dieser kam nicht eher zur völligen Gewißheit darüber, bis ich ihm ein paar doppelte Pistolen und seiner Frau eine Verbrämung von schwarzem Fuchspelz und mehrere tüchtige Wildbraten zugeschickt hatte. So wurde die Sache endlich still, um aber in etwas auf meine Kosten zu kommen, legte ich eine Schenke unter der Eiche auf der Insel in dem Teich an, wo seither die Bauern und Grenznachbarn aus der Gegend sich Sonntags im Sommer viel einstellen und den ledernen Stuhl, worauf Mores geschlafen, und an den ich ein Stück seines Schweifes, das ihm die Knechte in der Nacht abgehauen, genagelt habe, besehen. Den Dudelsack habe ich flicken lassen, und mein Knecht, der den Wirt dort macht, pflegt oben in der Eiche, wo Mores gesessen, darauf den Gästen, die um den Baum tanzen, vorzuspielen. Ich habe schon ein schönes Geld da eingenommen, und wenn mich die Herrschaften einmal dort besuchen wollen, so sollen sie gewiß gut bedient werden.« –

Diese Erzählung, welche der Kroat mit dem ganzen [43] Ausdrucke der Wahrheit vorgebracht hatte, wirkte auf die verschiedenste Weise in der Gesellschaft. Der Vizegespann, der Tiroler und die Wirtin hatten keinen Zweifel, und der Savoyarde zeigte seine Freude, daß man noch kein Beispiel gehabt habe, ein Murmeltier sei eine Hexe gewesen. Lindpeindler äußerte: es möge an der Geschichte wahr sein, was da wolle, so habe sie doch eine höhere poetische Wahrheit. Sie sei in jedem Falle wahr, insofern sie den Charakter der Einsamkeit, Wildnis und der türkischen Barbarei ausdrücke; sie sei durchaus für den Ort, auf welchem sie spiele, scharf bezeichnend und mythisch, und darum dort wahrer als irgend eine Lafontainesche Familiengeschichte. Aber es verstand keiner der Anwesenden, was Lindpeindler sagen wollte, und Devillier leugnete ihm gerade ins Gesicht, daß Lafontaine irgend eine seiner Fabeln jemals für eine wahre Familiengeschichte ausgegeben habe. Lindpeindler schwieg und wurde verkannt.

Nun aber wendete sich der Franzose zu der Kammerjungfer welche sich mit stillem Schauer in einen Winkel gedrückt hatte, sprechend: »Und Sie, schöne Nanny, sind ja so stille, als fühlten Sie sich bei der Geschichte getroffen.« »Wie so, getroffen?« fragte Nanny. »Nun, ich meine,« erwiderte Devillier lächelnd, »von einem Schrote des kroatischen Herrn. Sollte das artigste Kammerkätzchen der Gegend nicht [44] zu dem Thee dansant eingeladen gewesen sein? – Das wäre ein Fehler des Herrn Mores gegen die Galanterie, wegen dessen er die Rache seines Herrn allein schon verdient hätte.« Alle lachten, Nanny aber gab dem Franzosen eine ziemliche Ohrfeige und erwiderte: »Sie sind der Mann dazu, einen in den Ruf zu bringen, daß man geschossen sei, denn Sie haben selbst einen Schuß!« Und dabei zeigte sie ihm von neuem die fünf Finger. Worauf Devillier sagte: »Erhebt das nicht den Verdacht, sind das nicht Katzenmanieren – Sie waren gewiß dabei; Frau Tschermack, die Wirtin, wird es uns sagen können, denn die hat gewiß nicht gefehlt. Ich glaube, daß sie die Blessur in der Hüfte eher bei solcher Gelegenheit als bei den Wurmserschen Husaren erhalten.« Alles lachte von neuem und der Zigeuner sagte: »Ich will sie fragen.« Der Kroate fand sich über die Ungläubigkeit Devilliers gekränkt und fing an, seine Geschichte nochmals zu beteuern, indem er seine pferdehaarne, steife Halsbinde ablöste, um die Narben von den Klauen des Mores zu zeigen. Nanny drückte die Augen zu, und indessen brachte der Zigeuner die Nachricht: Frau Tschermack meine, Mores müsse es selbst am besten wissen. Er setzte mit diesen Worten die große, schwarze Katze der Wirtin, welche er vor der Türe gefangen hatte, der Kammerjungfer in den Schoß, welche mit einem heftigen Schrei des Entsetzens auffuhr. »Eingestan [45] den!« rief Devillier. Aber der Spaß war dumm, denn Nanny kam einer Ohnmacht nah. Die Katze sprang auf den Tisch, warf das Licht um, und fuhr dem armen Wehmüller über seine nassen Farben; der Vizegespann riß das Fenster auf und entließ die Katze, aber alles war rebellisch geworden; die Büffelkühe im Hintergrunde der Stube rissen an den Ketten, und jeder drängte nach der Türe. Wehmüller und Lindpeindler sprangen auf den Tisch und stießen mit dem Tiroler zusammen, der es auch in demselben Augenblicke tat, und mit seinen nägelbeschlagenen Schuhen mehr Knopflöcher in das Portrait des Vizegespanns trat, als Knöpfe darauf waren. Devillier trug Nanny hinaus. Der Kroate schrie immer: »Da haben wir es, das kommt vom Unglauben!« Frau Tschermack aber, welche mit einem vollen Weinkrug in die Verstörung trat, fluchte stark und beruhigte die Kühe. Der Zigeuner griff wie ein zweiter Orpheus nach seiner Violine, und als Monsieur Devillier mit Nanny, die er am Brunnen erfrischt hatte, wieder hereintrat, kniete der kecke Bursche vor ihr nieder und sang und spielte eine so rührende Weise auf seinem Instrumente, daß niemand widerstehen konnte und bald alles stille ward. Es war dies ein altes zigeunerisches Schlachtlied, wobei der Zigeuner endlich in Tränen zerfloß, und Nanny konnte ihm nicht widerstehen, sie weinte auch und reichte ihm die Hand. Lindpeindler aber [46] sprang auf den Sänger zu, und umarmte ihn mit den Worten: »O, das ist groß, das ist ursprünglich! Bester Michaly, wollen Sie mir Ihr Lied wohl in die Feder diktieren?« »Nimmermehr!« sagte der Zigeuner, »so was diktiert sich nicht. Ich wüßte es auch jetzt nicht mehr und wenn Sie mir den Hals abschnitten; wenn ich einmal wieder eine schöne Jungfer betrübt habe, wird es mir auch wieder einfallen.« Da lachte die ganze Gesellschaft, und Michaly begann so tolle Melodien aus seiner Geige herauszulocken, daß die Fröhlichkeit bald wieder hergestellt wurde, und Devillier den Kroaten fragte: ob Mores nicht diesen Tanz aufgespielt hätte? Herr Lindpeindler notierte sich wenigstens den Inhalt des extemporierten Liedes; es war die Wehklage über den Tod von tausend Zigeunern. Im Jahr 1537 wurde in den Zapolischen Unruhen das Kastell Nagy-Ida in der Abanywarer Gespannschaft mit Belagerung von kaiserlichen Truppen bedroht. Franz von Perecey, der das Kastell verteidigte, stutzte aus Truppenmangel tausend Zigeuner in der Eile zu Soldaten, und legte sie, unter reichen Versprechungen von Geld und Freiheiten auf Kindeskinder, wenn sie sich wacker hielten, gegen den ersten Anlauf in die äußeren Schanzen. Auf diese vertrauend hielten sich diese Helden auch ganz vortrefflich; sie empfingen die Belagerer mit einem heftigen Feuer, so daß sie umwendeten. [47] Aber nun krochen die Helden übermütig aus ihren Löchern und schrieen den Fliehenden nach: »Geht zum Henker, ihr Lumpen! Hätten wir nur Pulver und Blei, so wollten wir euch anders zwiebeln!« – Da sahen sich die Abziehenden um, und als sie statt regulierter Truppen einen frechen Zigeunerschwarm auf den Wällen merkten, ergriff sie der Zorn; sie drangen in die Schanze und säbelten die armen Helden bis auf den letzten Mann nieder. Diese Niederlage, eine der traurigsten Erinnerungen der Zigeuner in jener Gegend, hatte Michaly in der Klage einer Mutter um ihren Sohn, und einer Braut um ihren gefallenen Geliebten besungen. –

Devillier sagte nun zu dem Kroaten: »Damit Sie nicht länger meinen Glauben an den Hexenmeister Mores in Katzengestalt bezweifeln, will ich Ihnen eine Geschichte erzählen, bei welcher ich selbst geholfen habe, ein paar Hundert solcher Zauberer zu töten.« »Ein paar Hundert!« riefen mehrere in der Gesellschaft. »Ja!« erwiderte Devillier, »und das will ich eben so getrost beschwören, als unser Freund den musizierenden Katzen-Kongreß.«

Devilliers Erzählung von den Hexen auf dem Austerfelsen.

»Vor mehreren Jahren, da ich als Leutnant zu Dünkirchen in Garnison lag, genoß ich der vertrauten [48] Freundschaft meines Majors, eines alten Gasconiers. Er war ein großer Liebhaber von Austern, und zu seiner Majorschaft gehörte der Genuß von einem großen Austerfelsen, der hinter einem Lustwäldchen einen halben Büchsenschuß weit vom Ufer in der See lag, so daß man ihn bei der Ebbe trocknen Fußes erreichen konnte, um die frischen Austern vom Felsen zu schlagen. Da der Major eine Zeit her bemerkt hatte, daß in den meisten zu Tage liegenden Austern nichts drinnen war, konnte er sich gar nicht denken, wer ihm die Austern aus den Schalen hinwegstehle, und er bat mich, ihn in einer Nacht mit Schießgewehr bewaffnet nach dem Austerfelsen zu begleiten, um den Dieb zu belauern. Wir hatten kaum das kleine Gehölz betreten, als uns ein schreckliches Katzengeheul nach der See hinrief, und wie groß war unser Erstaunen, als wir den Felsen mit einer Unzahl von Katzen besetzt fanden, die, ohne sich von der Stelle zu bewegen, das durchdringendste Jammergeschrei ausstießen. Ich wollte unter sie schießen, aber mein Freund warnte mich, indem es gewiß eine Gesellschaft von Zauberern und Hexen sei, und ich durch den Schuß ihre Rache auf uns ziehen könnte. Ich lachte und lief mit gezogenem Säbel nach dem Felsen hin; aber wie ward mir zu Mute, da ich unter die Bestien hieb, und sich doch keine einzige von der Stelle bewegte. Ich warf meinen Mantel [49] über eine, um sie ungekratzt von der Erde aufheben zu können, aber es war unmöglich, sie von der Stelle zu bringen, sie war wie angewurzelt. Da lief es mir eiskalt über den Rücken, und ich eilte, zu meinem Freunde zurück zu kommen, der mich wegen meiner tollkühnen Expedition tüchtig ausschmälte. Wir standen noch, bis die Flut eintrat, um zu sehen, wie sich die Hexenmeister betragen würden, wenn das Wasser über sie herströmte. Aber da ging es uns wie unserm kroatischen Freund, als die Kirchglocke das Katzen-Pickenick auf der Eiche unterbrach. Kaum rollte die erste Welle über den Felsen, als die ganze Hexengesellschaft mit solchem Ungestüm gegen das Ufer und auf uns losstürzte, daß wir in der größten Eile Reißaus nahmen.

Am andern Morgen begab sich der alte Major zum Gouverneur der Festung, und zeigte ihm an: wie die ganze Festung voll Hexen und Zauberern sei, deren Versammlung er auf seinem Austerfelsen entdeckt habe. Der Gouverneur lachte ihn anfangs aus und begann, als er ernsthaft Truppen begehrte, diese Zauberer in der nächsten Nacht niederschießen zu lassen, an seinem Verstande zu zweifeln. Der Major stellte mich als Zeugen auf, und ich bestätigte, was ich gesehen, und die wunderbare Erscheinung von Unbeweglichkeit der Katzen. Dem Gouverneur war die Sache unbegreiflich, und er versprach, in der [50] nächsten Nacht selbst zu untersuchen. Er ließ allen Wachen andeuten, ehe er in der Nacht mit uns und 100 Mann Voltigeurs ausmarschierte, keine Rücksicht darauf zu nehmen, wenn sie schießen hörten. Als wir dem Gehölze nahten, tönte dasselbe Katzengeschrei, und wir hatten vom Ufer dasselbe eigentümlich-schauerliche Schauspiel: den lebendigen, heulenden Felsen im Mondschein über der weiten unbegrenzten Meeresfläche. Der Gouverneur stutzte, er wollte hin, aber der Major hielt ihn mit ängstlicher Sorge zurück. Nun ließ der Gouverneur die hundert Mann von der Landseite den Felsen umgeben und zwei volle Ladungen unter die Hexenmeister geben, aber es wich keiner von der Stelle, wenngleich eine Menge Stimmen unter ihnen zu schweigen begannen. Hierüber verwundert, ließ sich der Gouverneur nicht länger halten, er ging nach dem Felsen, und wir folgten ihm; er versuchte, eine der Katzen wegzunehmen, aber sie waren alle wie angewachsen. Da entdeckte ich, daß sie alle mit einer oder mehreren Pfoten, manche auch mit dem Schwanz in die fest geschlossenen Austern eingeklemmt waren. Als ich dies angezeigt, mußten die Soldaten heran und sie sämtlich erlegen. Da aber die Flut nahte, zogen wir uns ans Land zurück, und die ganze Katzen-Versammlung, welche gestern so lebhaft vor der ersten Woge geflohen war, wurde jetzt von der Flut [51] mausetot ans Ufer gespült, worauf wir, den guten Major herzlich mit seinen Hexen auslachend, nach Hause marschierten.

Die Sache aber war folgende: Die Katzen, welche die Austern über alles lieben, zogen sie mit den Pfoten aus den Schalen, und das gelang nicht länger, als bis sie von den sich schließenden Muscheln festgeklemmt wurden, wo sie sich dann so lange mit Wehklagen unterhielten, bis die Austern, von der Flut überschwemmt, sich wieder öffneten und ihre Gefangenen entließen; und ich glaube, bei strenger Untersuchung und weniger Phantasie würde unser Freund bei seinem Katzen-Abenteuer ebensogut lauter Fisch-Diebe, wie wir Auster-Diebe entdeckt haben.«

Baciochis Erzählung vom wilden Jäger.

Nachdem die Aufklärung dieses Ereignisses die Erzählung des Kroaten in ihrer Schauerlichkeit sehr gemildert hatte, kam man auf allerlei Jagdgespenster zu sprechen, und Lindpeindler fragte: ob einer in der Gesellschaft vielleicht je den wilden Jäger gesehen oder gehört habe? Da sagte der Feuerwerker: »Mir kam er schon so nahe, daß ich das Blanke in den Augen sah, und wenn die Jungfer Nanny sich tapfer halten und die ganze ehrsame Gesellschaft wenigstens so lange daran glauben will, bis die Geschichte zu Ende ist, so will ich sie erzählen.« Nanny [52] erwiderte: »Erzähle nur, Baciochi, du kennst mein Temperament und wirst es nicht zu arg machen.« »Erzählen Sie,« fiel Devillier ein, »wenn wir die Geschichte auch am Ende für eine Lüge erklären, so soll Ihnen bis dahin geglaubt werden;« und bald waren alle Stimmen vereint, den Feuerwerker einzuladen, welcher alle aufforderte, sich an ihre Plätze zu setzen und seiner Erzählung einen eigentümlichen theatralischen Charakter zu geben wußte. Alle saßen an Ort und Stelle; er machte eine Pause, steckte sich eine Pfeife Tabak an und schlug mit der Faust so unerwartet heftig auf den Tisch, daß die Lichter verlöschten und alle laut aufschrieen.

»Meine Feuerwerke fangen immer mit einem Kanonenschuß an,« sagte er, »erschrecken Sie nicht,« und in demselben Augenblicke brannte er mehrere Sprühkegel an, die er aus Pulver und vergossenem Wein in der Stille geknetet hatte, und sagte: »Stellen Sie sich vor, Sie wären bei meinem großen Feuerwerk in Venedig, welches ich am Krönungstage Napoleons dort abbrannte. Es mußten mir einige Körner prophetischen Schießpulvers in die Masse gekommen sein. Kurz gesagt: als der Thron und die Krone und das große Notabene: NB, Napoleon Bonopartes Namenszug im vollen Brillantfeuer, von hunderttausend Schwärmern und Raketen umzischt, kaum eine Viertelstunde von einer hohen Generalität und dem [53] verehrten Publikum beklatscht worden waren, fing mein Feuerwerk an, ein wenig zu frösteln. Es platzte und zischte manches zu früh und zu spät ab, eine gute Partie einzelne Sonnen und Räder brannten mir in einer Scheune nieder, die dabei das Dach verlor. Das Schauspiel war so grandios angelegt, daß man diesen ganzen kunstlosen Scheunenbrand für seinen Triumph hielt, man klatschte und paukte und trompetete; schnell ließ ich alle meine übrigen Stücke in die Lücken stellen und von neuem losfigurieren. Aber der Satan fuhr mir mit dem Schwanze drüber, und die ganze Pastete flog auf einmal in die Luft. Die Menschen fuhren gräßlich auseinander, Gerüste brachen ein, alle Einzäunungen wurden niedergerissen, die Menge stürzte nach den Gondeln, die Gondelführer wehrten ab, die Bürger prügelten sich mit den französischen Soldaten, meine Kasse wurde geplündert; es war eine Verwirrung, als sei der Teufel in die Schweine gefahren, und diese stürzten dem Meere zu.

Unsereins kennt sein Handwerk, man ist auf dergleichen gefaßt, mein persönlicher Rückzug war gedeckt. Ich ließ nichts zurück als alle meine Schulden, meine Reputation und meinen halben Daumen. Meine selige Frau, welcher der Rock am Leibe brannte, riß mich in die Gondel ihres Bruders, eines Schiffers, und der brachte mich an einen Zufluchtsort, worauf [54] wir am folgenden Morgen die Stadt verließen. Als wir das Gebirge erreichten, nahten wir uns auf Abwegen einer Kapelle, bei welcher ich mit meinem liebsten Gesellen Martino verabredet hatte wieder zusammenzutreffen, wenn wir durch irgend ein Unglück auseinandergesprengt werden sollten. Mein gutes Weib hatte ein Stück von einer Wachsfackel, die bei der Leiche unseres seligen Töchterleins gebrannt hatte, in der Tasche, und pflegte, wenn sie nähte, ihren Zwirn damit zu wichsen. Aus diesem Wachs hatte sie während unseres Weges die Figur eines Daumens geknetet, und hängte dieselbe, nebst einem Rosenkranz von roten und schwarzen Beeren, den sie auch sehr artig eingefädelt hatte, dem kleinen Jesulein auf dem Schoß der Mutter Gottes in der Kapelle, als ein Opfer, an das Händchen, und wir beteten beide von Herzen, daß mein Daumen heilen und wir glücklich über die Grenze in das Österreichische kommen möchten. Wir lagen noch auf den Knieen, als ich die Stimme Martinos rufen hörte: » Sia benedetto il San Marco! « Da schrie ich wieder: » E la Santissima vergine Maria! « wie wir verabredet hatten, und lief mit meinem Weibe vor die Kapelle. Da trat uns Martino in einem tollen Aufzug entgegen. Er hatte bei dem Feuerwerke den Meergott Neptun vorgestellt und in seinem vollen Kostüm Reißaus genommen. Er hatte den Schilf [55] gürtel noch um den Leib, einen Wams von Seemuscheln an und eine Binsenperücke auf; sein langer Bart war von Seegras; auf der Schulter trug er den Dreizack, auf welchem er ein tüchtiges Bauernbrot und drei fette Schnepfen, die er mitsamt dem Neste erwischte, gespießt hatte. Nach herzlicher Umarmung erzählte er uns, wie ihn seine Kleidung glücklich gerettet habe. Die Strickreiter seien ihm auf der Spur gewesen, da habe er sich in das Schilf eines Sumpfes versteckt, und sein Schilfgürtel machte ihn da nicht bemerkbar. Als er stilleliegend sie vorbeireiten lassen, hätten sich die drei Schnepfen sorglos neben ihm in ihr Nest niedergelassen, und er habe sie mit der Hand alle drei ergriffen. Das Brot hatte er von einem Kontrebandier um einige Pfennige gekauft, der ihm zugleich die nächste Herberge auf der Höhe des Gebirges beschrieben, aber nicht eben allzu vorteilhaft; denn der ganze Wald sei nicht recht geheuer, der wilde Jäger ziehe darin um und pflege gerade in dieser Herberge sein Nachtquartier zu halten.

»Wohlauf denn!« sagte ich, »so haben wir heute Nacht gute Gesellschaft. Ich hätte den Kerl lange gern einmal gesehen, um seinen Jagdzug recht natürlich in einem Feuerwerke darstellen zu können.« Mein Weib Marinina aber, welche, um ja nichts zu versäumen, alles miteinander glaubte, machte ein saures Gesicht zu der Herberge. Das konnte aber nichts [56] helfen, wir mußten den Weg wählen; er war ganz entlegen und sicher und ein Schleichweg der Kontrebandiers, mit welchen Martino einige Bekanntschaft hatte.

Die Nacht brach herein, es nahte ein Gewitter, und wir mußten uns auf den Weg machen. Martino machte unsere Wanderschaft etwas lustiger, er übergab meiner Marinina die Schnepfen und sagte: »Rupft sie unterwegs, damit wir in der Herberge dem wilden Jäger bald einen Braten vorsetzen können.« Und nun marschierte er mit tausend Späßen in seinem tollen Habit wie ein vazierender Waldteufel voraus. Ich folgte ihm auf dem schmalen Waldpfad und hatte meinen halben Daumen, der mich nicht wenig schmerzte, meistens in dem Mund, und hinter mir zog – daß Gott erbarm! – meine selige Marinina und rupfte die Schnepfen unter Singen und Beten. Über der rechten Hüfte war ihr ein ziemliches Loch in den Rock gebrannt, und sie schämte sich vorauszugehen, daß Martino, der seinen Witz in allen Nestern auszubrüten pflegte, an ihrer Blöße nicht Ärgernis nehmen möchte. Der Weg war steil, unheimlich und beschwerlich; der Sturm sauste durch den Wald, es blitzte in der Ferne, Marinina schlug ein Kreuz über das andere. Aber die Müdigkeit vertrieb ihre Furcht vor dem wilden Jäger immer mehr, von welchem Martino die tollsten Geschichten vorbrachte. »Es ist [57] gut,« sagte er, »daß wir selbst Proviant bei uns haben; denn, wenn wir mit ihm essen müßten, dürften wir leicht mit dem Schenkel eines Gehängten oder mit einem unmarinierten Pferdekopf bewirtet werden. Fasset Mut, Frau Marinina, schaut mich nur an, ärger kann er nicht aussehen!« Unter solchen Gesprächen hatten wir die Gebirgshöhe erstiegen und waren ein ziemliches Stück Wegs in den wilden finsteren Wald geschritten, da hörten wir ein abscheuliches Katzengeheul, und kamen bald an eine Hütte mit Stroh und Reisern gedeckt; alte Lumpen hingen auf dem Zaun, und an einer Stange war ein großes Stachelschwein über der Tür herausgesteckt als Schild. »Da sind wir,« sagte Martino, »wie glaubt Ihr, daß dies vornehme Gasthaus heiße?« »Zum Stachelschwein!« sagte ich. »Nein!« erwiderte Martino, »es hat mehrere Namen. Einige nennen es des Teufels Zahnbürste, andere des Teufels Pelzmütze, andere gar seinen Hosenknopf.« Wir lachten über die närrischen Namen. Die Katze saß vor der Tür auf einem zerbrochenen Hühnerkorb, machte einen Buckel gegen uns und ein Paar feurige Augen und hörte nicht auf zu solfeggieren. In dem Hause aber rumpelte es wie in einem Raspelhause und leeren Magen. Nun schlug Martino mit der Faust gegen die Tür und schrie: »Holla, Frau Susanne, für Geld und gute Worte Einlaß und Herberge; [58] Eure Katze will auch hinein.« Da krähte eine Stimme heraus: »Wer seid Ihr Schalksknechte zu nachtschlafender Zeit?« und Martino, der in Reimen wie ein Improvisator schwatzen konnte, schrie: »Ich bin ja der Rechte und komme von weit!« Nun keifte die Stimme wieder: »Wenn die Katze nicht draußen wär', ich ließ Euch nimmermehr ein!« Und Martino sagte: »Ihr denket so zärtlich ungefähr wie Euer Schild, das Stachelschwein.« Marinina war in tausend Ängsten; sie bat immer den Martino, die alte Wirtin nicht zu schelten, sie sei gewiß eine Hexe und werde uns nichts Gutes antun. Da ging die Tür auf, ein schwarzbraunes, zerlumptes, sonst glattes und hübsches Mägdlein, glänzend und schlank wie ein brauner Aal, leuchtete uns aus der Küche mit einer Kienfackel ins Gesicht, und war nicht wenig erschrocken, als Martino in seinem wilden Aufzug ihr rasch entgegenschritt und, indem er drängend sie verhinderte, die Tür wieder zuzuschlagen, ihr sagte: »Brauner Schatz, mach' uns Platz! Menschen sind wir, schönes Kind; hier hast zum Zeichen diesen Schmatz!« und somit küßte er sie herzlich; wir drangen indessen hinein. Die kleine Braune aber sagte: »Und wenn Du auch nicht der Satan selbst bist, so könnt Ihr heute hier doch nicht bleiben; meine Großmutter ist sehr brummig, sie fürchtet, das Waldgespenst komme heute Nacht, und da nimmt sie keine Gäste, um [59] die Herberge nicht in bösen Ruf zu bringen; unsere Kammer, wo wir schlafen, ist eng, und sie rückt schon alten Hausrat vor ihr Bett, um das Gespenst nicht zu sehen, welches oft quer durch unsere Hütte zieht.« Martino aber erwiderte: »Eben in dieser Kammer wollen wir schlafen, und eben dieses Waldgespenst wollen wir mit gebratenen Schnepfen bewirten; wir sind des wilden Jägers Küchengesinde!« Und somit packte er ein Bund Stroh auf, das in der Ecke lag, und marschierte in die Kammer; wir kamen nach, trotz aller Zeremonien, welche die nußbraune Jungfer machen wollte.

Es war gar keine alte Großmutter in der Hütte; das Mädchen log uns etwas vor. Martino breitete das Stroh an die Erde, und Marinina, furchtsam und müde, legte sich gleich, mit dem Gesicht, über das sie noch ihre Schürze deckte, gegen die Wand gekehrt, nieder und rührte sich nicht. Martino begab sich mit den Schnepfen wieder in die Küche, in welcher die braune Jungfer schmollend und brummend zurückgeblieben war, und ich sah mich einstweilen in der Stube um. Eine Kienfackel brannte in der Mitte; sie war in einen Kürbis festgesteckt, der neben schmutzigen Spielkarten auf einem breiten Eichstumpfe lag, welcher als Tisch und Hackstock diente, und fest genug stand, denn er steckte noch mit allen seinen Wurzeln in der Erde, welche un [60] gedielt der ganzen Hütte ihren Grund und Boden gab. Ein paar Bretter, auf eingepfählte Stöcke befestigt, waren die unbeweglichen Sitze. Die Wände bestanden aus Flechtwerk, mit Lehm und Erde verstrichen, und einzelne hereinragende Äste bildeten mancherlei Wandhaken, an denen zerlöcherte Körbe, Lumpen, Zwiebelbündel, Hasen-, Hunde-, Katzen- und Dachsfelle hingen, auch einige zerbrochene Garten-Werkzeuge. Auf einem derselben aber saß ein gräuliches Tier, eine ungeheure Ohreule, welche gegen die Kienfackel mit den Augen blinzte und sich in die Schultern warf, wie ein alter Professor, der soeben den Theriak erfunden hat. In einem ausgebauten Winkel der Stube lag auf zwei Baumstücken die Bettstelle der Großmutter, die sehr dauerhaft in einer ausgehöhlten Eiche bestand, an der die Rinde noch saß. Sonst war das Bett wohl bedacht, denn seine schmutzigen Federkissen lagen so hoch aufgebauscht, daß die niedere Hüttendecke, aus der das Stroh herabhing, weder hoch noch hart gefallen wäre, wenn sie einstürzte; aber, sich noch zu besinnen, schien sie unentschlossen hin und her zu schwanken. Der Hausrat, von welchem das Mädchen gelogen hatte, daß die Großmutter ihn vor das Bett rücke, bestand in einer zerbrochenen Tür und einer alten Tonne, mit welcher wahrscheinlich der Lärm gemacht worden war, den wir in der Hütte hörten. Sie waren beide vor [61] den Bett-Trog der Großmutter gerückt. Außer allem diesen sah man nichts als eine sehr baufällige Leiter, die an einem Loch in der Ecke lehnte, durch welches ich einige Hühner oben gackern hörte, die das Geräusch unserer Ankunft erweckt hatte; die Katze nicht zu vergessen, welche auf einer alten Trommel hinter der Tür schlief. Eine Geige, ein Triangel und ein Tamburin hingen an der Wand, und neben ihnen ein zerrissener bunter tiroler Teppich. Ich hatte kaum alle diese Herrlichkeiten betrachtet, als Martino hereintrat und zu mir sagte: »Meister, ich habe alle Schwierigkeiten geebnet und weiß, wo wir sind. Wir hausen bei einer alten Zigeunerin, welche außer ihren Privatgeschäften, der Wahrsagerei, Hexerei, Dieberei, Viehdoktorei, auch eine Hehlerin der Kontrebandiers macht. Die Kleine draußen ist ihr Tochterkind, das auf der hohen Schule bei ihr ist, und der Großmutter Tod abwarten soll, um hinter einen Topf voll Gold zu kommen, von dem sie immer spricht, ohne doch je zu sagen, wo sie ihn hin versteckt hat. Das hat mir das Mädchen alles anvertraut. Ich habe ihr Herzchen gerührt, sie ist kirre wie ein Zeisig, und wenn wir wollen, läßt sie die Großmutter und den Goldtopf im Stich, läuft morgen mit uns und verdient uns das Brot mit Purzelbäumen, deren sie ganz wunderbare schlagen kann. Für all dies Vertrauen habe ich ihr versprechen müssen, zu glauben, daß [62] der wilde Jäger heute Nacht wirklich durch die Hütte zieht, wir sollen uns nur um Gotteswillen ruhig halten. Die Großmutter wird in kurzer Zeit zurückkommen; sie ist mit Lebensmitteln zu einem Zuge Schleichhändler gegangen, der über das Gebirge zieht. Der wilde Jäger, sagt sie, treibe um Mitternacht durch die Stube, und wenn wir uns ruhig hielten, werde er uns kein Haar krümmen, sonst aber riskierten wir Leib und Leben. Ich denke aber, wir wollen es mit ihm versuchen.« Nun legte er meinen Prügel und seinen Dreizack neben uns auf das Stroh nieder und fuhr fort: »Es ist beinahe elf Uhr, die Kleine hat es an der Sanduhr gesehen; die Schnepfen weiß sie nicht am Spieße zu braten, sie hat sie mit Zwiebeln gefüllt in einen Topf gesteckt, und wenn wir die Schnepfensuppe gegessen, sollen wir das Fleisch mit Essig und Olivenöl als Salat verzehren; Wein muß hier in der Kammer ein Schlauch voll sein.« Da suchte Martino herum und fand unter einigen alten Brettern ein tiefes Loch in der Erde, das als Keller einen alten Dudelsack voll Wein enthielt. Er zog ihn heraus, wir setzten die zwei Pfeifen an den Mund und drückten den vollen Sack so zärtlich an das Herz, daß uns der süße Wein in die Kehle stieg. Nie hat ein Dudelsack so liebliche Musik gemacht. Wir labten uns herzlich. Ich weckte meine Marinina, und sie mußte auch eins drauf spielen. [63] Dazu verzehrten wir unser Brot und einige Zwiebeln aus dem Vorrate, der an der Wand hing, und streckten uns, in der Erwartung des Weiteren, zur Ruhe auf das Stroh.

Marinina schlief fest ein. Ich betete mit Martino noch eine Litanei; dann legten wir uns neben unsere Waffen bequem, und Martino sagte: »Laßt uns nun ruhen; mir ist so rund und so wohl, daß mir das Blut in den Adern flimmert; wer den wilden Jäger zuerst sieht, stößt den andern, dann springen wir mit unsern Tröstern über ihn her und schlagen den Kerl zu Brei; ich habe noch einen Schwärmer in der Tasche, den will ich dem Schelm unter die Nase brennen.« Ich freute mich an seinem frischen Herzen; wir empfahlen uns dem Schutze des heiligen Markus und lauschten dem Schlaf entgegen, der uns den Rücken hinaufkroch und uns schon hinter den Ohren krabbelte. Nun ward alles mäuschenstill. Der Donner rollte fern, der Sturm hatte sich in den Waldwipfeln schlafen gelegt, die ihn mit leisem Rauschen einwiegten. Die Kienfackel knisterte, Grillen sangen, die Katze schnurrte auf der Trommel, welche, von dem Ton erschüttert, das ferne Donnern zu begleiten schien, Marinina pfiff durch die Nase, denn sie hatte sich einen Schnupfen geholt, in der Küche knackte das grüne Holz im Feuer, die Schnepfensuppe sauste im Topf, und unsere braune Köchin sang mit einer klaren [64] und starken Stimme, wie ich noch keine Primadonna gehört, folgendes Lied:

»Mitidika! Mitidika!
Wien üng quatsch
Ba nu, Ba nu n'am tsche fatsch,
Waja, waja, Kur libu,
Ich bin ich, und du bist du;
Ich, spricht Stolz,
Du, spricht Lieb'!
Wer sich scheut vor Galgenholz,
Wird im grünen Wald zum Dieb.
Mitidika! Mitidika!
Wien üng quatsch.
Ba nu, ba nu n'am tsche fatsch,
Singt die Magd, so kocht der Brei,
Singt das Huhn so legt's ein Ei,
Er, spricht Schimpf,
Sie, spricht Fremd';
Fehlen mir gleich Schuh' und Strümpf',
Hab' ich doch ein buntes Hemd.
Mitidika! Mitidika!
Wien üng quatsch
Ba nu, ba nu n'am tsche fatsch,
Hör', was pocht dort an der Tür?
Draußen schrei'n sie nach Quartier.
Ist's der Er?
Ist's der Sie?
[65] Mach' ich auf wohl nimmermehr,
Nur du Lieber, du schläfst hie.
Mitidika! Mitidika!
Wien üng quatsch
Ba nu, ba nu n'am tsche fatsch,
Waja, waja Kur libu,
In dem Topf hat's nimmer Ruh';
Saus und Braus,
'Rab und 'rauf',
Küchenteufel drinnen haus':
Daß es mir nicht überlauf'.««

Als der Feuerwerker den Anfang dieses Liedes: Mitidika! Mitidika! gesagt, nahm der Zigeuner Michaly seine Violine und sang es unter den lieblichsten Variationen der Gesellschaft vor: Alle dankten ihm, der Feuerwerker aber sagte: »Michaly, du sangst das nämliche Lied, wie die kleine Braune, und hast eine Ähnlichkeit mit ihr in der Stimme.« »Kann sein,« sagte Michaly lächelnd. »Aber erzähl' nur weiter, ich bin auf den wilden Jäger sehr begierig.« »Ich hob a a Schneid' uf den soakrische Schlankl,« sagte der Tiroler. Alle drangen auf die weitere Erzählung, und der Feuerwerker fuhr fort:

»Als die Kleine das Lied sang, ward sie von einem Schlage gegen die Tür unterbrochen: »Mitidika!« rief es draußen mit einer rauhen, heiseren Stimme. »Gleich, Großmutter!« antwortete sie, öffnete die [66] Tür und erzählte ihr von den Gästen. Die Großmutter brummte allerlei, was ich nicht verstand, und trat sodann zu uns in die Stube. Ihr Schatten sah aus wie der Teufel, der sich über die Leiden der Verdammten bucklicht gelacht, und wäre er nicht vor ihr her in die Stube gefallen, um einen ein wenig vorzubereiten, ich hätte geglaubt, der Alp komme, mich zu würgen, als sie eintrat. Sie war von oben und rings herum eine Borste, ein Pelz und eine Quaste, und sah darin aus wie der Oberpriester der Stachelschweine. Sie ging nicht, lief nicht, hüpfte nicht, kroch nicht, schwebte nicht, sie rutschte, als hätte sie Rollen unter den Beinen, wie großer Herren Studierstühle. Wie die kleine flinke Braune hinter ihr drein und um sie her schlüpfte, um sie zu bedienen, dachte ich: So mag des Erzfeindes Großmutter aussehen, und die Schlange, ihre Kammerjungfer.

»Mache mir das Bett, Mitidika!« sagte sie, »und wenn ich ruhe, kannst du die Gäste besorgen.« Während das Mädchen die Kissen aufschüttelte, begann die Alte sich zu entkleiden, und ich weiß nicht zu sagen, ob ihre Kleidung oder ihr Bett aus mehreren Stücken bestand. Sie zog einen Schreckenswams, eine Schauderjacke und Zauberkapuze um die andere aus, und die ganze Wand, an der sie die Schalen aufhängte, ward eine Art Zeughaus. [67] Ich dachte alle Augenblicke: noch eine Hülse herunter, so liegt ein bißchen Lung' und Leber an der Erde, das frißt die Katze auf, und die Großmutter ist all; keine Zwiebel häutet sich so oft. Bei jedem Kissen, welches die Kleine ins Bett legte und aufschüttelte, brummte die Alte und legte es anders, und befahl ihr dann, es ganz sein zu lassen und ihr ein Rauchbad zu geben: sie müsse in einen Ameisenhaufen getreten haben, das Gewitter mache alles Vieh lebendig. Da setzte sich die Alte auf die zerbrochene Leiter und hängte die tiroler Decke über sich, und die Junge zündete Kräuter unter ihr an und machte einen scheußlichen Qualm, den sie uns, da sie von neuem anfing, die Federbetten hin und her zu werfen, in dicken Wolken auf den Leib jagte, als gehörten wir auch zu den Ameisen, die vertrieben werden sollten.

Es sah ziemlich aus, als wenn man eine Hexe verbrennte oder einen ungeheuren Taschenkrebs räuchre, als die Alte so über dem Dampfe wie eine Mumie, in den bunten tiroler Teppich gehüllt, auf der Leiter saß.« – »Da sieht man, Wastl,« sprach der Zigeuner zu dem Tiroler, »wozu ihr die Teppiche fabriziert: um die Hexen darin zu räuchern.« »Potz Schlackri,« erwiderte Wastl, »wonns daine sakrische ziganerische Großmuetta is, so loß is poassira, i bin gawis, es möga a Legion Spodifankerl [68] aus ihr raussi floga sein, un du bist a ains dervo.« Die Gesellschaft lachte über Wastls Antwort, und die Kammerjungfer, wie auch Lindpeindler, baten den Feuerwerker: er möge machen, daß die Alte ins Bett komme, die Schnepfen könnten übergar werden. »Ganz recht,« sagte Baciochi, »das meinte Martino auch, denn als der sie in der Decke zappeln sah, wie Hunde und Katzen, die in einen Sack gesteckt sind, und der Rauch zu dick zu werden begann, sprang er vom Stroh auf, trat vor die Alte hin und sagte: »Hochverehrte Frau Wirtin, ich versichere Euch im Namen Eurer Gäste, daß wir kein Rauchfleisch zu essen bestellt haben, und daß wir auch von keinem verpesteten Orte kommen, um eines so kostbaren Rauchkerzchens zu bedürfen; seid so gütig, dem Wohlgeruch ein Ende zu machen, wir müssen sonst mit all den Ameisen, die euch plagen, davon laufen.«

Da fing die Alte eine weitläufige Gegenrede an und sagte: »Schicksale und Verhältnisse haben mich so weit gebracht.« Martino aber nahm keine Vernunft an, packte die Alte mit beiden Händen, und warf sie von der Leiter in ihre Federbetten. Sie zappelte wie eine Meerspinne, aber er wälzte ein Federbett über sie, und sang ihr ein Wiegenlied mit so viel gutem Humor vor, indem er sie mit beiden Händen festhielt, daß sie endlich selbst mit [69] lachte und sagte: »Nun, legt Euch nur wieder nieder, hätte ich doch nicht gedacht, heute von einem so lustigen Gesellen zu Bette gebracht zu werden. Mitidika, gib den Kavalieren zu essen!« und somit kriegte sie den Martino beim Kopf, und gab ihm unter großem Gelächter einen Kuß. »Profiziat!« sprach dieser, »schlaf wohl, du allerschönster Schatz!« und legte sich mit einem sauern Gesichte wieder neben mich.

»Gott sei Dank, Martino, daß sie weg ist!« flüsterte ich. »Hast du gewacht, Meister?« sprach der Schelm. »Leider Gottes!« erwiderte ich, »du hast ein Kunststück gemacht; sie raucht wie ein nasses Feuerwerk; für einen Hutmacher wäre sie ein sauberes Gestell, alle seine Mützen daran aufzuhängen, er brauchte keinen Nagel einzuschlagen.« »Ich werde mich wohl häuten müssen, da sie mich geküßt hat,« sagte Martino. »Warum?« fragte ich. »Ei,« entgegnete er, »ich werde sonst die Augen nie wieder zukriegen können und die Zähne immer blecken wie ein Mops; die Haut ist mir vor Schrecken zu kurz geworden.«

Unter diesen Scherzreden hörten wir die Alte einschnarchen. Mitidika ging ab und zu, und verbaute leise das Bett der Alten mit der Tonne und mit der Türe; die Küchentüre ließ sie auf, daß der Dampf hinaus zog. Dann zupfte sie den Martino bei den Haaren und flüsterte: »Komm hinaus, deine [70] Schnepfen sind gar, ich habe die Brühe abgegossen, ich muß das Feuer löschen, die zwölfte Stunde naht, denn fährt der wilde Jäger mir durch das Feuer, steckt er uns die ganze Hütte an.«

Martino ging hinaus, und ich streckte den Kopf nach der Tür und hörte ihre Scherzreden. Mitidika sagte: »Ich habe dir deine Vögel trefflich gekocht und dir auch Kräuter an die Suppe getan, was gibst du mir nun?« – »Geben?« sagte Martino, »ich will dich mit der Münze bezahlen, welche hier zu gelten scheint, und in der mich deine Großmutter bezahlte; einen Kuß will ich dir geben.« »Das läßt sich hören,« erwiderte sie, »aber die Großmutter gab dir ein altes Schaustück, das kann ich nicht brauchen, die Münze ist verschlagen.« »Auch du bist verschlagen, Schelm!« erwiderte Martino, »ich will dir kleine Münze geben, wenn du herausgeben und wechseln kannst; wärst du nur nicht so schwarz!« »Und du nicht so weiß,« sagte sie. »Ich werde dir einen Schein geben, einen Wechsel schwarz auf weiß, aber gib mir keine Scheidemünze!« sagte sie. »Die kriegst du morgen früh beim Abschied,« erwiderte Martino, faßte sie beim Kopfe, küßte sie herzlich, und sagte: »Ich habe dich lieb und bleibe dir treu.« »Ei so lüge, daß du schwarz wirst!« sprach sie. »Dann wäre ich deinesgleichen und es könnte etwas daraus werden,« sprach Martino, und schenkte [71] ihr eine Nadelbüchse von Elfenbein und Ebenholz, die er bei sich trug. Das Mädchen dankte und sprach: »Sieh, wie artig schwarz auf weiß zusammen aussehn; bleib bei uns, wenn die Alte stirbt, finden wir den Goldtopf und kontrebandieren.« »Ja, auf die Galeere!« sprach Martino. »Ich gehe mit auf die Galeere!« sagte sie; »pitsch, patsch! geht das Ruder, und ich singe dir dazu.« »Das wollen wir überlegen,« meinte Martino, »es ist eine zu glänzende Aussicht um Mitternacht.«

Da traten sie mit der Suppe und den Schnepfen herein, und stellten sie auf den Eichenblock. Die Suppe tranken wir aus dem Topf, ich wollte meine Marinina nicht wecken und ließ ihr Teil in die warme Asche setzen, die Vögel wollten wir morgen früh verzehren. Nun begann sich der Sturm in dem Walde wieder zu heben, und das Gewitter zog mit Macht heran. »Ach Gott!« sagte Mitidika, »lege dich nieder, Martino, und schlafe ein; hörst du das Wetter? Der Jäger bläst sein Horn, er wird gewiß bald kommen; lege dich nieder, gleich, gleich!« Dabei sah sie ängstlich in der Stube umher. »Nun, nun, was fehlt dir?« fragte Martino, und sie sagte: »Schlafen sollst du und das Angesicht von mir kehren, denn ich muß mich entkleiden und schlafen gehn, und das sollst du nicht sehen; ach, dreh dich um, Blanker!« »Bravo!« sagte Martino, »es freut [72] mich, daß du so auf Zucht hältst, putze nur den Kien aus, bei der Nacht sind alle Kühe schwarz, selbst die schwarzen.« »Ja,« sagte sie, »auch die blanken Esel! Dreh dich um, ich bitte dich, ich will den Kien schon löschen, wenn es Zeit ist.« Da drehte sich der ehrliche Martino um. »Gute Nacht, Mitidika!« sagte er. »Gute Nacht, Martino!« sprach sie.

Nun breitete sie sich eine bunte wollene Decke an der Erde aus neben dem Eichenblocke, stellte einen halben Kürbis voll Wasser darauf, holte einen kleinen zierlichen Kasten gar heimlich hinter der Trommel hervor und setzte ihn neben sich auf die Bank, wobei sie sich ängstlich nach uns umsah. Ich blinzte durch die Augen und schnarchte, als läge ich im tiefsten Schlafe. Mitidika traute und schloß das Kästlein leise auf, musterte alle die Herrlichkeiten, die darin waren, und suchte sich einen Raum aus, die Nadelbüchse des Martino bequem hinein zu legen.

Ihr könnt euch meine Verwunderung nicht denken, als ich in dieser wüsten Zigeuner-Herberge die Kleine auf einmal in einem so zierlichen und reichgefüllten Schmuckkästchen kramen sah. Es sah nicht ganz so aus, als sei ein Affe hinter die Toilette seiner Herrschaft geraten, auch nicht, als richte der Satan einen Juwelenkasten ein, um einem unschuldigen Mädchen die Augen zu blenden; aber eine indianische Prinzessin, welche die Geschenke eines englischen Gouver [73] neurs mustert, mag wohl so aussehen. Als sie so die Perlen- und Korallenschnüre, die brillantenen Ohrringe und die Zitternadeln durch die schwarzen Hände laufen ließ, konnte ich vor Augenlust gar nicht denken, daß dies gestohlenes Gut sein müsse. Nun stellte sie mehrere Kristall-Fläschchen mit Wohlgerüchen und Salben aus dem Kästchen auf den Block, zog feine Kämme und Zahnbürsten hervor und begann sich zu putzen und zu schmücken wie die Nacht, die mit dem Monde Hochzeit machen will. Sie nahm die kleine von buntem Stroh geflochtene Mütze von ihrem Kopf, und ein Strom von schwarzen Haaren stürzte ihr über die Schultern; sie gewann dadurch ein reizendes und wildes Ansehen, wenn ihre weißen Augäpfel und die blanken Zähne aus den schwarzen Mähnen hervor funkelten. Sie kämmte sich, schlängelte sich goldene Schnüre in die Zöpfe, die sie flocht und kunstreich wie eine Krone um das schöne runde Köpfchen legte. Sie wusch sich das Gesicht und die Hände, putzte die Zähne, beschnitt sich die Nägel und tat alles mit so unbegreiflicher Zierlichkeit, Anmut und hinreißender Schnelligkeit der Bewegungen, daß es mir vor den Augen zitterte und bebte. Als sie die brillantenen Ohrringe in den kleinen schwarzen Muschel-Öhrchen befestigte und die glitzernden Zitternadeln in den Flechtenkranz steckte, und die Korallen und Bern [74] steinschnüre um das braune Hälschen legte, und dabei hin und her zuckte wie ein Wunderwerkchen, gingen mir die Augen über. Sie begoß sich mit Wohlgerüchen, rieb sich die schwarzen Patschchen mit duftendem Öl und steckte sich ein blitzendes Ringlein um das andere an die schlanken Fingerchen. Nun stellte sie einen Spiegel auf und bleckte die Zähnchen so artig hinein, es ist nicht zu beschreiben. Und bei allem dem donnerte und blitzte es draußen, und ihre Eile ward immer größer. Ich verstehe mich auf Lichtwirkungen in der Nacht, aber ich habe mein Lebtag kein solches Feuerwerk gesehen, kein Blitzen auf so schönem dunkeln Grund, als das Spiel der Diamanten und Perlen auf ihr; denn sie war ein wunderschönes, frei, kühn, scheu und züchtig bewegtes Menschenbild.

Flüchtig packte sie nun alle Geräte wieder in das Kästchen, steckte noch eine handvoll weißes Zuckerwerk in das Mäulchen und knupperte wie eine Maus, sah mit scheuen Blicken um sich her, ob wir auch schliefen, während sie das Kästchen wieder unter die alte Trommel stellte. Die schwarze Katze, die auf derselben schlief, erhob sich dabei und machte einen hohen Buckel, als wundere sie sich über sie, da sie ihr mit den funkelnden Händen über den Rücken strich. Nun brachte sie ein feines Hemd von weißer Seide, legte es über den Arm [75] und fing an, ihr Mieder aufzuschnüren, wobei sie uns den Rücken kehrte. Es sah aus, als werfe sie Kußhändchen aus, wenn sie die Nestel zog. Nun aber schlüpfte sie in die Küche und trat in wenigen Minuten wieder herein in einem schneeweißen Röckchen und einem Mieder von rotem venetianischem Sammet. So stand sie mitten auf der Decke und betrachtete ihren Staat mit kindischem Wohlgefallen. Der Donner rollte heftiger, Martino wachte auf. Mitidika faßte den Teppich mit beiden Händen über die Schultern, stieß mit dem Fuße die Kienfackel aus, wickelte sich schnell ein wie eine Schmetterlings-Larve, ein heller Blitz erleuchtete die Kammer, sie schoß wie eine Schlange an die Erde nieder und krümmte sich zusammen. Martino hatte sie im Leuchten des Blitzes noch gesehen, aber er wußte nicht, was es war; er sprach: »Meister, saht Ihr etwas?« Ich war aber so erstaunt, daß ich stumm blieb. Da sprach er: »Mitidika, schläfst du?« aber sie schwieg, Martino drehte sich um und schlief auch wieder.

Meine Gedanken über das, was ich gesehen, ließen mich nicht ruhen, der wunderbare Schmuck in dem Besitze der kleinen, braunen Bettlerin, und daß sie ihn jetzt so sorgsam und heimlich angelegt, befremdete mich ungemein. Alles kam mir wie Zauberei vor. Sie erwartet ein Waldgespenst und [76] schmückt sich wie eine Braut. War dies gestohlenes Gut, ist sie eine verkleidete, versteckte Prinzessin, warum geht sie in dieser Pracht schlafen, und warum wickelt sie sich mit aller Herrlichkeit in den alten Teppich ein? Sollte alles dies geheim sein, wie war es möglich, da wir sie morgen früh doch in ihrem Putze finden mußten? So lag ich nachsinnend; das Gewitter war in vollem Grimm über uns, und das Licht der zuckenden Blitze zeigte mir öfters das Bild der Mitidika, welche wie eine Mumie, in den Teppich gehüllt, an der Erde ausgestreckt lag. Als ich aber durch das wilde Wetter ein Horn schallen hörte, stieß ich Martino an und flüsterte ihm zu: »Halte dich bereit, ich glaube, der wilde Jäger ist im Anzuge.« Wir hörten das Horn nochmals und Pferdegetrapp und Gewieher, und ich bemerkte, daß Mitidika aufstand. Ich kroch aber quer vor die offene Küchentür, und als sie mit dem Fuß an mich anstieß, glaubte sie umgegangen zu sein und wendete sich nach einer andern Seite: Martino stand auf, die Haustür öffnete sich, und es trat eine Gestalt mit raschem Tritte durch die Küche auf uns zu. Ich faßte sie bei den Beinen, daß sie niederschlug, und Martino drosch so gewaltig auf ihn los, daß der wilde Jäger zetermordio zu schreien begann. »Mitidika, Hilfe, Hilfe! man mordet mich!« schrie er. »Ha, ha! Herr wilder Jäger,« schrie nun Mar [77] tino, »wir haben dich!« Und so zerrten wir ihn in die Stube herein und machten die Türe zu.

Der Lärm ward allgemein; der Kerl wehrte sich verzweifelt. Meine Marinina erwachte und schrie: »Jesus, Maria, Josef! Licht her, Licht her, was ist das, o Baciochi, Martino!« Die Alte fuhr aus ihren Betten auf, warf die alten Bretter um, die vor ihr standen, und schrie: »Mörder, Hilfe, Mitidika!« Dabei wurden die Hühner auf dem Boden rebellisch, die Trommel kollerte brummend durch die Stube. Mitidika allein ließ sich nicht hören. »Martino, schlage Feuer!« rief ich, und drückte meinen fremden Gast fest in die Gurgel, daß er sich nicht rühren konnte. Da stieß Martino einen Schwärmer in die glühende Asche des Herdes, der leuchtend durch die Kammer zischte und dem ganzen Spektakel ein noch tolleres Ansehen gab. Mein Gefangener fing von neuem an zu ringen, und indem ich ihn gegen die Wand drückte, trat ich gegen einige Bretter, die auswichen, ich warf ihn nieder. Ein großer Bock, der hinter den Brettern geruht hatte, sprang auf und fing nicht schlecht an zu stoßen, und ich warf meinen wilden Jäger so kräftig zur Erde, daß er keinen Laut mehr von sich gab. Martino brachte nun eine brennende Kienfackel herein, und wir sahen die ganze Verwirrung. Der wilde Jäger war ein schöner, schlanker Kerl in galanter Jagd [78] uniform. Er rührte sich nicht. Der Gedanke, daß ich ihn gar totgedrückt hätte, fuhr mir unheimlich durch die Glieder, ich stürzte zur Küche nach Wasser. Martino faßte die Alte, die fluchend und schreiend aus dem Bette gesprungen war, und warf sie wieder in die Federn mit den Worten: »Schweig still, Drache! wir wollen dir kein Haar krümmen; wir haben nur den wilden Jäger abgefangen.« Nun trat ich mit einem Eimer Wasser hinein und goß ihn pratsch! über den leblosen wilden Jäger; da sprang er wie eine nasse Katze in die Höhe.«

»Das Wasser, das kalte Wasser,« schrie hier Devillier aufspringend, »war das Allerfatalste!« Und die ganze Gesellschaft sah ihn verwundert an. »Nun, was schauen Sie,« fuhr er fort, »soll ich länger schweigen? Habe ich nicht schrecklich ausgehalten und mich hier in der Erzählung nochmals mißhandeln lassen?« Baciochi wußte nicht, was er vor Erstaunen sagen sollte über Devilliers Unterbrechung. Dieser aber sprach heiter: »Ja, Herr Baciochi, ich war der wilde Jäger, mich habt Ihr so kräftig zugedeckt, ich habe es von Anfang der Geschichte gewußt und hätte gern geschwiegen, aber das kalte Wasser lief mir wieder erweckend über den Rücken.« Da ward die ganze Gesellschaft vergnügt, der Feuerwerker reichte Devillier die Hand, und dieser sagte: »Es freut mich, Euch wieder zu [79] sehen, alles ist längst vergessen, nur Mitidika nicht!« – »Das will ich hoffen,« meinte der Zigeuner ernsthaft, »ich bitte mir das Ende der Geschichte aus.« Da tranken alle lustig herum, und Devillier trank die Gesundheit der Mitidika, wozu Michaly einen Tusch geigte und Lindpeindler das hochpoetische freie Leben der Zigeuner pries, der Vizegespann meinte jedoch: sie hätten nicht die reinsten Hände. Die Kammerjungfer aber fragte: »Wo hat sie nur den Schmuck hergehabt?« Der Tiroler sagte: »Den wilda Jaaga hobts maisterli zuagdeckt!« und alle drangen, Devillier möge weiter erzählen.

»Wohlan!« sagte dieser: »Ich hatte damals Geschäfte mit der Contrebande, und manche andere politische Berührungen diesseits und jenseits auf der Grenze. Ich dirigierte den ganzen Schleichhandel und forschte auf höhere Veranlassung dem Orden der Carbonari nach. Auf meinen Streifereien hatte ich Mitidika kennen gelernt und mich leidenschaftlich in dies schöne, unschuldige und geistvolle wilde Naturkind verliebt. In bestimmten Nächten besuchte ich sie. Der Schmuck, den Ihr, Baciochi, sie anlegen sahet, war ein Geschenk von mir. Sie hatte den Glauben der Alten an den wilden Jäger benutzt, um sich unentdeckt einige Stunden von mir unterhalten zu lassen. Wenn ich kommen sollte, schmückte sie sich immer wie eine Zauberin; ich setzte sie dann auf [80] mein Pferd und brachte sie nach einer Höhle, eine Viertelstunde von ihrer Hütte, welche das Warenlager meines Schleichhandels war. Da saß sie in einem mit dem feinsten englischen bunten Kattun ausgeschlagenen Raume mit mir, und ergötzte mich und meinen verstorbenen Freund mit Tanz, Gesang und freundlicher Rede. Gegen Morgen ging sie zurück, einen Bündel Holz in die Küche tragend, und wurde von der Großmutter wegen ihres Fleißes gelobt.

Ich liebte sie unaussprechlich um ihrer Tugend und Schönheit, und ihr ganzes Wesen war so wunderbar, und bei allem Mutwillen und aller kindlichen Ergebenheit so gebieterisch, daß ich nie daran denken konnte, ihre Unschuld auch nur mit einem Gedanken zu verletzen. O, sie war gar nicht mehr wie ein Mensch, sie war wie eine Zauberin, wie ein Berggeist, wenn sie in dem Edelsteinschmucke vor uns tanzte, sang, lachte und weinte. Ich kann sie nie vergessen. In der Nacht, wo Ihr und Martino mich so häßlich zerprügeltet, ging die ganze Herrlichkeit zu Ende. Anfangs hielt ich meine Angreifer für italienische Gendarmen, die mir auf die Spur kamen; als wir uns aber erklärt hatten, nahm mir die Entdeckung vom Gegenteil allen Zorn hinweg, und unsere erste Sorge war: wo Mitidika hingekommen sei. Die alte Zigeunerin jammerte auch [81] nach ihr, wir suchten alle Winkel aus und fanden sie nicht, bis die Alte die Leiter vermißte. Baciochi sagte: zur Türe könne sie nicht hinausgekommen sein, er habe davor gelegen. Da machte uns der Regen, der durch das Loch in der Decke hereinströmte, aufmerksam. Martino kletterte auf den Schultern Baciochis hinan und fand die Leiter. Aber Mitidika, welche die Leiter nach sich gezogen, war durch das Strohdach hinausgeklettert und nirgends zu finden. Ich eilte nach der Tür und vermißte mein Pferd, nun war ich gewiß, daß sie nach meinem Schlupfwinkel entflohen sein müsse und war ruhig. Ich durfte diesen weder an Baciochi noch an die Zigeunerin, die nichts von meinem Verhältnisse mit Mitidika wußte, verraten und suchte deshalb noch lange mit. Das Wetter war aber so abscheulich, daß wir bald wieder zurückkehrten, und die Alte jammerte nicht mehr lange, da hörten wir Hufschlag, und Mitidika stürzte in ihrem ganzen Schmucke mit wilder Gebärde in die Stube auf mich zu: »Geschwind fort, geflohen!« schrie sie. »Die italienischen Gendarmen streifen in der Nähe, Euren Freund haben sie mit einem ganzen Zuge Schleichhändler gefangen; es ist ein Glück, daß hier der Spektakel losging, ich bin aus Angst durch das Dach geschlüpft, dadurch habe ich die Gefahr zuerst entdeckt. Geschwind fort!« »Wohin?« schrie ich und Baciochi. Martino [82] und Marinina, die sich auch vor der Entdeckung fürchteten, folgten alle mit mir der treibenden Mitidika zur Türe hinaus. Sie schwang sich auf mein Pferd, ich hinter sie, und so sprengten wir beide nach unserem Schlupfwinkel, unbekümmert um Euch, Herr Baciochi, und die Eurigen.«

»Ja,« sagte der Feuerwerker, »Ihr rittet nicht schlecht, und wir hatten in dem wilden Wetter übles Nachsehen, übrigens war es Euch nicht zu verargen, daß Ihr uns nicht eingeladen mitzugehen, wir hatten Euch schlecht bewillkommt. Ich will mein Lebtag an den Mordweg denken. Meine Marinina ward krank und starb zwei Monate nachher in Kroatien. Gott habe sie selig! Martino ließ sich bei der österreichischen Artillerie anwerben und war neulich mit in Neapel, wenn er noch lebt. Ich fand mein Brot, Gott sei gelobt! bei unserem gnädigen Herrn. Es freut mich, daß Ihr so gut davon gekommen. Aber was ist denn aus der braunen Mitidika geworden?«

»Ja, wer das wüßte!« sagte Devillier; »wir kamen vor der Höhle an und zogen das Pferd herein. Sie war voll Sorge um mich, wusch mir meine Kopfwunden und Beulen mit Wein und bewies mir unendliche Liebe. So brachten wir die Nacht in steter Angst und Sorge zu. Gegen Morgen hatte sie keine Ruhe mehr, sie verlangte nach der alten Mutter; sie beschwor mich, sogleich die Höhle zu [83] verlassen und zu fliehen. Das Schicksal meines Freundes erschütterte mich tief, ich war entschlossen, ihn aufzusuchen. Sie schwur mir ewige Treue. Ich versprach ihr, wenn ich sie nach einiger Zeit hier wieder fände, sie zu meiner Frau zu machen. Sie lachte und meinte: sie wolle nie einen Mann, der kein Zigeuner sei, und nun auch keinen Zigeuner; sie wolle gar keinen Mann. Dabei scherzte und weinte sie, tanzte und sang sie noch einmal vor mir, und als ich sie umarmen wollte, schlug sie mich ins Gesicht und floh zur Höhle hinaus. Ich verließ den Ort gegen Abend.

Als ich vom Tode meines Freundes gehört hatte und zu Mitidika zurückkehrte, war ihre Hütte abgebrannt; ich ging nach der Höhle, sie war ausgeplündert. Auf der Wand aber fand ich mit Kohle geschrieben: Wie gewonnen, so zerronnen! Ich behalte dich lieb, tue, was du kannst, ich will tun, was ich muß. Ich habe das holdselige Geschöpf durch ganz Ungarn aufgesucht, aber leider nicht wiedergefunden; hundert Mitidikas sind mir vorgestellt worden, aber keine war die rechte.« »Es gibt auch nur eine,« sagte hier Michaly, »und wird alle tausend Jahre nur eine geboren.« »Kennt Ihr sie?« sprach Devillier heftig. »Was geht es Euch an,« erwiderte Michaly, »ob ich sie kenne? Habt Ihr nicht die Ehe ihr versprochen und doch eine Ungarin [84] geheiratet? Sie hat Euch Treue gehalten, bis jetzt, sie ist meine Schwester, und ich wollte sie abholen, da die Großmutter in Siebenbürgen gestorben, wo sie sich mit Goldwaschen ernährten, der Pest-Cordon hat mir aber den Weg abgeschnitten.«

Da ward Devillier äußerst bewegt. Er sagte: »Ich habe sie lange gesucht und nicht gefunden, sie hatte mir ausdrücklich gesagt, sie werde nie einem Blanken die Hand reichen, und nun auch keinem Zigeuner; nur in der Hoffnung, sie wieder zu sehen, blieb ich jetzt in Ungarn, und ich würde nicht die Mittel gehabt haben, hier zu bleiben, wenn ich die alte Dame nicht geheiratet hätte, die mir jetzt mein schönes Gütchen zurückgelassen. Könnt Ihr mich mit Mitidika wieder zusammenbringen, so will ich sie gern heiraten und ihr alles lassen, was ich habe.« »Das ist ein nicht zu verachtender Vorschlag, Michaly,« sagte der Vizegespann, »schlagt das nicht so in den Wind, Ihr habt Zeugen!« Michaly aber lachte und sprach: »Mitidika wird nicht an dem Stückchen Erde kleben, sie wird nicht in einem gemauerten Hause gefangen sein wollen und sich um Abgaben und Zinsen zerquälen. Wer nichts hat, hat alles. Es war immer ihr Sprichwort: Der Himmel ist mein Hut; die Erde ist mein Schuh; das heilige Kreuz mein Schwert; wer mich sieht, hat mich lieb und wert.«

[85]

»Das ist echt zigeunerisch gesprochen,« sagte der Vizegespann, »drum bleibt ihr auch immer vogelfreies Gesindel.« Michaly nahm seine Geige und wollte ein Lied auf die Freiheit singen, aber der Nachtwächter blies zwölf Uhr und mahnte die Gesellschaft zur Ruhe. Lindpeindler hatte mit dem Feuerwerker und der Kammerjungfer, welche durch die erwachte Neigung Devilliers für Mitidika sehr gekränkt worden war, denn sie spitzte sich selbst auf ihn, noch eine Viertelstunde nach dem Edelhof. Als sie sich der Gesellschaft empfahlen, bot Devillier der Zofe seine Begleitung an. Sie sagte aber: »Ich danke, ich möchte das werte Andenken an die unbeschreibliche Mitidika nicht stören.« Damit machte sie einen höhnischen Knicks und verließ die Stube mit Lindpeindler, der diese Nacht als eine der romantischsten seines Lebens pries. Der Kroate, der Tiroler und der Savoyarde waren bereits eingeschlummert, und der Vizegespann lud Wehmüllern, der mit seiner Arbeit ziemlich fertig war, wie auch den Zigeuner und Devillier zu sich in sein Haus ein. Sie nahmen es mit Freuden an, da sie dort doch ein Bett zu erwarten hatten. Frau Tschermack, die Wirtin, ward bezahlt und schloß die Türe mit der Bitte zu: wenn sie länger hier blieben, nochmals eine so schöne Gesellschaft bei ihr zu halten.

Vor Schlafengehen wußten Devillier und der [86] Zigeuner den Vizegespann zu bereden, am andern Morgen den Cordon mit durchschleichen zu dürfen, denn Michaly und Devillier sehnten sich ebensosehr nach Mitidika, die jenseits war, als Wehmüller nach seiner Tonerl. Sie schliefen bis zwei Uhr, da packte der Vizegespann jedem eine Jagdflinte auf, und sie zogen, als Jäger, einem Waldrücken zu. Aber kaum waren sie hundert Schritte vor dem Dorf, als sie seitwärts bei den Cordon-Piketten verwirrtes Lärmen und Schießen hörten, und bald einen Husaren, dem das Pferd erschossen war, querfeldein laufen sahen, welcher auf das Anrufen des Vizegespanns schrie: » Cordonus est ruptus cum armis in manibus a pestiferatis loci vicini! « »Der Cordon ist mit bewaffneter Hand von den Pestkranken des benachbarten Ortes durchbrochen!«

Als der Vizegespann dies hörte, ließ er seine Gesellschaft im Stich und lief über Hals und Kopf nach dem Dorfe zurück, um seine Bauern unter die Waffen zu bringen. Wehmüller und der Zigeuner schrieen: »Gott sei Dank, nun laßt uns eilen!« Devillier besann sich auch nicht lange, und sie liefen spornstreichs nach dem verlassenen Pikett-Feuer hin, wo sie Bauern beschäftigt fanden, unter großem Geschrei das Brot und die andern Vorräte zu teilen, welche das Pikett zurückgelassen hatte. Als sie sich näherten, kam ihnen ein Reiter entgegen und schrie: [87] »Steht, oder ich schieße Euch nieder!« Sie standen und warfen die Waffen hinweg. Sie wurden gefragt: wer sie seien? Und als sie erklärt, sie wollten über den Cordon, und der Reiter ihre Stimme vernommen, stürzte er vom Pferd und fiel dem Zigeuner und Devillier wechselweise um den Hals, und schrie immer: »Michaly! Devillier! Ich bin Mitidika!« Vor Freude des Wiedersehens ganz zitternd, riß das Mädchen sie in die Erdhütte des Piketts, wo sie dieselbe in männlicher Kleidung, mit Säbel und Pistole bewaffnet, erkannten, und sie wollte eben zu erzählen anfangen, als sie Wehmüllern scharf ansah und zu ihm sprach: »Bist du noch immer hier, Betrüger? ich meinte, du seiest gestern zu deiner angeblichen Frau nach Stuhlweißenburg gereist.« Alle sahen bei diesen Worten auf den bestürzten Wehmüller; dieser sperrte das Maul auf vor Verwunderung. »Ich?« fragte er endlich, »ich, gestern zu meiner angeblichen Frau?« »Ja, Du!« sagte Mitidika. »Du, der Du Dich Wehmüller nennst, und es nicht bist; Du, der Du deine Frau nicht einmal kennst.« »O, das ist um rasend zu werden!« schrie Wehmüller. »Welche tollen Beschuldigungen, und das von einer wildfremden Person, die ich niemals gesehen.« »Unverschämter Gesell!« schrie Mitidika, »Du kennst mich nicht? Hast du mir nicht seit mehreren Tagen mit deinen Liebes-Versicherungen zugesetzt? Hat der wirkliche [88] Wehmüller dir nicht deswegen schon ins Gesicht bewiesen, daß du Wehmüller nicht sein könnest, weil der rechte Wehmüller an niemand denkt als an sein liebes Tonerl?« »Der rechte Wehmüller?« schrie nun Wehmüller, »wo haben Sie den je gesehen? er wenigstens kennt Sie nicht.« »Kennt mich nicht?« erwiderte Mitidika, »und reist mit mir?« »Ich werde verrückt!« schrie Wehmüller, »nun ist gar noch ein Dritter auf dem Tapet; wo sind die zwei andern? Geschwind, ich will sie sehen, ich will sie erwürgen!« »Den Dritten lügst Du hinzu,« versetzte Mitidika, »der echte wird nicht weit von hier sein; ich will ihn holen, da sollst du beschämt werden.« Nun lief sie schnell zur Hütte hinaus. Dieser Wortwechsel war so schnell und heftig, und die Veranlassung so wunderbar, daß Michaly und Devillier nicht Zeit hatten, dem verblüfften Maler zu bezeugen, daß er seit gestern in ihrer Gesellschaft sei und unmöglich der sein könne, welchen Mitidika kannte.

Sie waren eben noch beschäftigt, den weinenden Wehmüller zu trösten, als eine ganz ähnliche Figur, wie er selbst, in die Hütte trat; bei dem erloschenen Feuer war es unmöglich, jemand bestimmter zu erkennen. Kaum hatte Wehmüller sein Ebenbild in derselben Gestalt und Kleidung erkannt, als er wie eine Furie darauf losstürzte; der andre tat ein Gleiches, und beide schrieen: »Ha, ertappe ich dich [89] bei Deiner Buhlerei unter meinem ehrlichen Namen!« Sie rissen sich wie zwei Hähne herum. Devillier und Michaly brachten sie mit Gewalt auseinander, und Mitidika führte den dritten Wehmüller herein. Wie groß war die Bestürzung aller, da nun wirklich drei Wehmüller zugegen waren. »Nein, das ist zum verzweifeln!« rief der Wehmüller, den Mitidika mitgebracht hatte, »da ist noch einer!« »Herr Jesus!« schrie nun unser Wehmüller, »Tonerl, bist du es, bist du hier, Tonerl?« »Franzerl, lieber Franzerl?« schrie der andere, und sie sanken sich als Mann und Frau in die Arme. Da wurde es dem einen Wehmüller, den Devillier festhielt, nicht recht wohl, und er sank vor Schreck zur Erde. Michaly schürte nun das Feuer wieder an, daß man sehen konnte, und Mitidika bezeugte die größte Freude, daß Tonerl, die in einem ganz ähnlichen Kleide, wie ihr Mann, von Stuhlweißenburg mit ihr diesem entgegen gereist war, ihn endlich gefunden habe, nachdem sie zu ihrem großen Schrecken von dem falschen Wehmüller in dem Dorfe, das man wegen Pestverdacht eingeschlossen, sehr geplagt worden war, ohne sich ihm als Wehmüllers Weib zu entdecken, denn sie war auf einen alten Paß ihres Mannes gereist.

Sie hatten sich kaum von der ersten Freude erholt, als Mitidika sagte: »Wir müssen doch den falschen Wehmüller, der die Sprache verloren hat, [90] wieder zu sich bringen.« Da aber ihr Rütteln und Schütteln ganz vergeblich war, sagte sie: »Ich habe ein untrüglich Mittel von der seligen Großmutter gelernt; das Herz ist ihm gefallen, wir wollen es ihm wieder heraufziehen.« Da nahm sie ein Schoppenglas und gab es Michaly nebst einem Endchen Licht, – das sie am Feuer anzündete, – und einem Scheibchen Brot. »Aha, ich weiß schon,« sagte Michaly, und öffnete dem Ohnmächtigen die Weste über dem Magen, setzte ihm das Licht, auf der Brotscheibe befestigt, auf den Leib und stülpte das Glas darüber. Das brennende Licht, welches die Luft unter dem Glase verzehrte, machte ihm den Leib, wie in einem Schröpfkopf in das Glas aufsteigen. Die ganze Gesellschaft lachte über dieses zigeunerische Kunststück, und der falsche Wehmüller kam bald zu Sinnen. Der echte ging auf ihn zu und sprach: »Wer sind Sie, der auf eine so unverschämte Weise meinen Namen mißbrauchte?« Da antwortete der Patient, welchen Devillier und Michaly an der Erde festhielten: »Was Kuckuck habe ich auf dem Leib? Es ist, als wollten Sie mir den Magen herausreißen; tun Sie mir die vermaledeite Laterne vom Leib, eher sage ich kein Wort; ich bin Wehmüller und bleibe Wehmüller!« »Gut,« sagte Mitidika, »wenn du noch nicht bei Sinnen bist, wollen wir dir etwas Süßes eingeben.« »Recht,« sagte [91] Michaly, »Katzenkot mit Honig, Zigeunertheriak.« Auf dieses Rezept bekam der Patient andere Gesinnung und sprach: »Um Gotteswillen, laßt mich aufstehen, ich will alles bekennen! Ich bin der Maler Froschauer von Klagenfurt.«

»Das habe ich gleich gedacht,« sagte Wehmüller, »jetzt habe ich Sie in meinen Händen, ich kann Sie als einen Falsarius bei der Obrigkeit angeben, aber ich will großmütig sein, wenn Sie mir einen körperlichen Eid schwören: daß Sie auf ewige Tage resignieren, ungarische Nationalgesichter in meiner Manier zu malen.« »Das ist sehr hart,« sagte Froschauer, »denn ich habe ganz darauf studiert und müßte verhungern; den Eid kann ich nicht schwören.« »Er ist noch hartnäckig!« sagte Michaly; »geschwind den Zigeunertheriak her!« Und da Mitidika sich stellte, als wolle sie ihm etwas eingeben, entschloß er sich kurz und schwor alles, was man haben wollte; worauf sie ihn losließen und ihm die Laterne vom Leibe nahmen.

Die Freude und der Mutwille ward nun allgemein. Aber der Tag näherte sich, und Mitidika rief eben die Cordonbrecher zusammen, um mit ihrem erbeuteten Proviante sich dahin zurück zu ziehen, wo sie hergekommen waren. Aber der Vizegespann kam mit dem Kroaten, dem Feuerwerker, dem Gutsbesitzer und einigen Heiducken und Pan [92] duren herbei und brachte die freudige Nachricht, daß sie gar nicht nötig hätten, sich zurückzuziehen, denn der Cordon-Kommandant habe soeben bekannt gemacht: nur durch Mißverständnis sei das Dorf, in dem sie vierzehn Tage blockiert waren, in den Cordon eingeschlossen worden. Es solle ihnen deshalb verziehen sein, daß sie den Cordon durchbrachen, wenn sie dagegen auch keine Klage über den Irrtum erheben wollten. Der Cordon habe sich schon nach einer andern Richtung bewegt. Der Gutsbesitzer bestätigte dies und lud die Gesellschaft, von der ihm Baciochi, Nanny und Lindpeindler so viel Interessantes erzählten, sämtlich nach seinem Edelhof ein.

Die Bauern und Zigeuner, die unter der Anführung Mitidikas den Cordon durchbrochen hatten, waren hoch erfreut über diese Nachricht, dankten ihrer Anführerin herzlich und kehrten singend nach ihrer Heimat zurück. Michaly aber nahm seine Violine und spielte lustig vor der Gesellschaft her, die dem Edelmanne folgte. Unterwegs gab es viele Aufklärungen und Herzensergießungen. Devillier und Mitidika hatten ihre Neigung bald zärtlich erneuert und gingen Arm in Arm, dann aber folgten die drei Wehmüller, Tonerl in der Mitte, und die anderen gingen hinterdrein über das Stoppelfeld. Mitidika sagte, daß sie Tonerl in Stuhlweißenburg [93] kennen gelernt, die, sehr bekümmert über das Ausbleiben ihres Mannes, eine Reisegesellschaft nach Kroatien gesucht, und da sie selbst, nach dem Tode ihrer Großmutter, zu ihrem Bruder Michaly habe ziehen wollen, hätten sie sich entschlossen, zusammen zu reisen in männlicher Kleidung. Frau Tonerl sei in einem Habit ihres Mannes und sie als ungarischer Arzneihändler gereist, bis sie in dem Dorfe plötzlich von dem Cordon eingeschlossen worden seien, wo sie auch Froschauer, unter dem Namen Wehmüller, ganz in derselben Kleidung vorgefunden, was die arme Tonerl nicht wenig erschreckt habe. Nach vierzehn Tagen sei die Ungeduld und der Mangel der Einwohner, die wohl Hunger aber keine Pest gehabt, über alle Grenzen gestiegen, und so habe sie sich an ihre Spitze gesetzt und den Cordon durchbrochen; das sei ihr aber gar leicht geworden, denn die Cordonisten wären, aus Furcht angesteckt zu werden, gleich ausgerissen, als sie mit ihrem Haufen unter ihnen erschien.

Nun mußte Froschauer erzählen. Er war eigentlich ein guter Schelm und sagte: »Lieber Herr Wehmüller, ich will Ihnen die Wahrheit sagen; der Spaß kostet mich 25 Dukaten und meine Braut. Ich bin der Maler Froschauer von Klagenfurt, und liebe die Tochter eines Fleischhauers; das Mädchen aber wählte immer zwischen mir und einem wohl [94] habenden Siebmacher, der auch um sie freite. Er setzte dem Vater des Mädchens in den Kopf: es sei in den kaiserlichen Erblanden kein Maler, der eine Frau ernähren könne, und der überhaupt Genie habe, als der Wehmüller in Wien, der die ungarischen Nationalgesichter male, und der so und so gekleidet gehe; dabei hörte er nicht auf, von Ihnen und Ihrer Arbeit zu reden, so daß der alte Fleischhauer und seine Tochter mir endlich erklärten: sie würden den Siebmacher vorziehen, wenn ich Ihnen in Ungarn den Rang nicht abliefe. Und nun wettete ich mit dem Siebmacher: daß ich ihm in Jahr und Tag das Mädchen abtreten und noch 25 Dukaten dazu geben wollte, wenn ich Ihnen den Rang nicht ablaufen könne. Ich reiste nach Wien und nach Ungarn, forschte nach allen Ihren Bildern und warf mich so in Ihre Manier, daß man unsere Bilder nicht mehr unterscheiden konnte. Da ich nun erfuhr, daß Sie die Reise nach Stuhlweißenburg machen würden, wo Sie noch nicht gewesen, und sich auf dem Gute des Grafen Giulowitsch vorbereiteten, benutzte ich die Gelegenheit, Ihnen vorzukommen, denn ich wußte durch einen Freund bei der Hof-Kriegs-Kanzlei, daß die dortigen Regimenter verlegt werden würden. Mit einem Vorrate von Nationalgesichtern in einer Blechbüchse, und ganz gekleidet wie Sie, machte ich mich nun als neuer Wehmüller [95] auf, und als ich auf der Grenze an der Maut ein Päckchen liegen sah, »An Herrn Wehmüller, wenn er durchreist,« überschrieben, ward es mir von den Mautbeamten ausgeliefert. Es war dies das Bild Ihrer Gemahlin, welches sie auf ihrer Reise in einem Posthause hatte liegen lassen, ich nahm es mit, um es ihr einhändigen zu lassen, habe aber vergessen es dem Boten abzunehmen, der es trug, als er mich durch den Cordon brachte; denn meine Eile war groß, und ich triumphierte schon, daß ich, indem der Cordon Sie aussperrte, Ihnen gewiß zuvorkommen würde. Aber wie war mir zu Mute, da ich mich mit Ihrer Frau, als einem zweiten Wehmüller, den ich auch nicht für den echten erkannte, weil er von der Malerei gar nichts verstand, eingesperrt sah. Bald ward ich aber von der Kühnheit und Schönheit Mitidikas, die es kein Hehl hatte, daß sie eine verkleidete Jungfer sei, so hingerissen, daß ich gern auf meine Braut und Wehmüllerschaft resigniert und alles gleich eingestanden hätte, aber Ehrgeiz und die 25 Dukaten hielten mich zurück. Ihr Erscheinen fuhr mir aber so durch alle Glieder, daß ich die Besinnung verlor; die fatale Laterne auf dem Magen und der angedrohte Theriak haben mich gänzlich hergestellt, und nun bleibt mir nichts übrig, als Sie herzlich um Verzeihung zu bitten, mit dem Vorschlage: mich in Ihren Unternehmungen [96] zum Kompagnon zu machen. Sie können meine Arbeiten untersuchen, und gehen Sie den Vorschlag ein, so glaube ich, daß wir einen solchen Vorrat von Nationalgesichtern anfertigen, daß unser Glück begründet ist, wenn wir redlich teilen.«

»Das läßt sich hören!« sagte Wehmüller. »Die ganze Geschichte macht mir jetzt Spaß, und wenn ich meine Tonerl nicht so lieb hätte, so möchte ich, um es Ihnen wett zu machen, nach Klagenfurt reisen und Ihre Fleischerstochter und die 25 Dukaten Ihnen wegschnappen, aber so geht es nicht.« Da umarmte er Tonerl herzlich und ward mit Froschauer eins: daß er ihm, wenn er seine Arbeiten untersucht, ein eigenhändiges Attest schreiben wolle: daß er ihn in allem sich gleich achte; gewänne er dann seine Wette, so könne er sein Mädchen heiraten und sich mit ihm auf gleichen Vorteil vereinigen. »Ja,« sagte Tonerl, »da habe ich doch eine Gesellschaft an Frau Froschauer, wenn Ihr herumzieht.«

So ward der Friede gestiftet, und sie kamen auf dem Edelhof an. Die Kammerjungfer und Lindpeindler standen unter der Tür und waren in großem Erstaunen über die drei Wehmüller, noch mehr aber über Mitidika. Schnell liefen sie, der gnädigen Frau und dem jungen Barone die interessante Gesellschaft anzukündigen, und diese trat, von dem Edelmanne geführt, in eine geräumige Weinlaube, wo die Haus [97] frau bald mit einem guten Frühstück erschien, und alle die Abenteuer nochmals berichtet werden mußten. Der Tiroler und der Savoyarde stellten sich auch ein, und der Edelmann bat alle, bei der Weinlese ihm behilflich zu sein, was zugesagt wurde.

Am Abend, als noch viel über die drei Wehmüller gescherzt worden war, wollte Devillier der Gesellschaft eine Geschichte erzählen, die er selbst erlebt, und bei welcher die Verwechselung zweier Personen noch viel unterhaltender war – als der Graf Giulowitsch und Lury, sein Hofmeister, mit seinen Eleven bei dem Edelmanne zum Besuche kamen. Sie freuten sich ungemein, den guten Wehmüller zu finden und die Aufklärung seines Abenteuers zu hören. Die Erzählung Devilliers ward aufgeschoben, aber nach dem Abendessen mußte die schöne Mitidika all ihren Schmuck, den sie einst von Devillier empfing, anlegen; die Edeldame half ihr selbst bei ihrer Toilette, denn Nanny, die Kammerjungfer, wurde unpäßlich. So geschmückt trat das braune Mädchen wie eine Zauberin vor die Gesellschaft; der Tiroler breitete seine Teppiche aus, und das reizende Geschöpf tanzte, schlug das Tamburin und sang – wozu Michaly sie begleitete – so ganz wunderbar hinreißend, daß alles vor Erstaunen versteinert war. Sie schloß ihren Tanz damit, daß sie den Teppich plötzlich erfaßte, sich [98] schnell in ihn einpuppte und an die Erde niederstreckte, wie damals in der Hütte. Ein lebhaftes Beifallklatschen rauschte durch den Saal. Devillier aber kniete vor ihr, weinte wie ein Kind und wurde ausgelacht. So schied die Gesellschaft für diesen Abend auseinander. Die Erzählung, welche Devillier versprochen, eine andere des Tirolers und eine des Savoyarden unterhielten an den folgenden Tagen, und ich werde sie mitteilen, wenn ich Lust dazu habe.


[99]

E. Th. A. Hoffmann:
Die Königsbraut.

[100]

Ernst Theodor Wilhelm (durch einen Druckfehler in Amadeus verwandelt) Hoffmann wurde am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren und war im preußischen Justizdienst (zuletzt in Warschau) tätig, bis er durch den Zusammenbruch des preußischen Staates 1806 brotlos wurde. Als Musikdirektor half er sich durch, bis er 1816 wieder als Rat bei dem Kgl. Kammergericht in Berlin angestellt werden konnte. Er starb am 24. Juli 1822 an der Rückenmarksschwindsucht.

Seine Dichtungen sind fast alle von dem Humor durchzogen, mit dem er, unterstützt durch seinen scharfen Verstand, den Menschen und Dingen die lächerlichen Seiten absah. Aber wie er im Leben bei all seiner beruflichen Tüchtigkeit wild, ungebunden, ein Nachtschwärmer war – so spielt auch in seinen Werken das Abenteuerliche, das Phantastische, das Unheimliche die größte Rolle. Grauenerregend ist die Schilderung der Spukgestalten, die in so vielen seiner Schriften vorkommen. Dabei ist Hoffmann kein Meister der Sprache, sein Ausdruck ist ungelenk; nur ihre unnachahmliche Anschaulichkeit verleiht seinen Schilderungen eine solche Lebendigkeit, daß man glaubhaft versicherte, er hätte sich vor seinen eigenen Spukgestalten gefürchtet.

»Die Königsbraut« ist viel freundlicher gehalten als die meisten anderen Hoffmannschen Erzählungen; das Dämonische spielt aber selbst in die hier geschilderte Philisterwelt hinein.

E. S.

[101]

Die Königsbraut.

Ein nach der Natur entworfenes Märchen.
(Aus den »Serapionsbrüdern«).

Erstes Kapitel.

In dem von verschiedenen Personen und ihren Verhältnissen Nachricht gegeben, und alles Erstaunliche und höchst Wunderbare, das die folgenden Kapitel enthalten sollen, vorbereitet wird auf angenehme Weise.

Es war ein gesegnetes Jahr. Auf den Feldern grünte und blühte gar herrlich Korn und Weizen und Gerste und Hafer; die Bauerjungen gingen in die Schoten, und das liebe Vieh in den Klee; die Bäume hingen so voller Kirschen, daß das ganze Heer der Sperlinge, trotz dem besten Willen, alles kahl zu picken, die Hälfte übrig lassen mußte zu sonstiger Verspeisung. Alles schmauste sich satt tagtäglich an der großen, offnen Gasttafel der Natur. – Vor allen Dingen stand aber in dem Küchengarten des Herrn Dapsul von Zabelthau das Gemüse so über die Maßen schön, daß es kein Wunder zu nennen, wenn Fräulein Ännchen vor Freude darüber ganz außer sich geriet. –

[102]

Nötig scheint es, gleich zu sagen, wer Beide waren, Herr Dapsul von Zabelthau und Fräulein Ännchen.

Es ist möglich, daß du, geliebter Leser, auf irgend einer Reise begriffen, einmal in den schönen Grund kamst, den der freundliche Main durchströmt. Laue Morgenwinde hauchen ihren duftigen Atem hin über die Flur, die in dem Goldglanz schimmert der emporgestiegenen Sonne. Du vermagst es nicht, auszuharren in dem engen Wagen, du steigst aus und wandelst durch das Wäldchen, hinter dem du erst, als du hinabfuhrst in das Tal, ein kleines Dorf erblicktest. Plötzlich kommt dir aber in diesem Wäldchen ein langer, hagerer Mann entgegen, dessen seltsamer Aufzug dich festbannt. Er trägt einen kleinen grauen Filzhut, aufgestülpt auf eine pechschwarze Perücke, eine durchaus graue Kleidung, Rock, Weste und Hose, graue Strümpfe und Schuhe, ja selbst der sehr hohe Stock ist grau lackiert. So kommt der Mann mit weit ausgespreizten Schritten auf dich los, und indem er dich mit großen, tief liegenden Augen anstarrt, scheint er dich doch gar nicht zu bemerken. »Guten Morgen, mein Herr!« rufst du ihm entgegen, als er dich beinahe umrennt. Da fährt er zusammen, als würde er plötzlich geweckt aus tiefem Traum, rückt dann sein Mützchen und spricht mit hohler, weinerlicher Stimme: »Guten Morgen? O mein Herr! wie froh können wir sein, daß wir [103] einen guten Morgen haben – die armen Bewohner von Santa Cruz – soeben zwei Erdstöße, und nun gießt der Regen in Strömen herab!« – Du weißt, geliebter Leser, nicht recht, was du dem seltsamen Manne antworten sollst, aber indem du darüber sinnest, hat er schon mit einem: »Mit Verlaub, mein Herr!« deine Stirn sanft berührt und in deinen Handteller geguckt. »Der Himmel segne Sie, mein Herr, Sie haben eine gute Konstellation,« spricht er nun ebenso hohl und weinerlich als zuvor und schreitet weiter fort. – Dieser absonderliche Mann war eben niemand anders als der Herr Dapsul von Zabelthau, dessen einziges ererbtes ärmliches Besitztum das kleine Dorf Dapsulheim ist, das in der anmutigsten, lachendsten Gegend vor dir liegt und in das du soeben eintrittst. Du willst frühstücken, aber in der Schenke sieht es traurig aus. In der Kirchweih ist aller Vorrat aufgezehrt, und da du dich nicht mit bloßer Milch begnügen willst, so weiset man dich nach dem Herrenhause, wo das gnädige Fräulein Anna dir gastfreundlich darbieten werde, was eben vorrätig. Du nimmst keinen Anstand, dich dorthin zu begeben. – Von diesem Herrenhause ist nun eben nichts mehr zu sagen, als daß es wirklich Fenster und Türen hat, wie weiland das Schloß des Herrn Baron von Tondertonktonk in Westfalen. Doch prangt über der Haustür das mit neusee [104] ländischer Kunst in Holz geschnittene Wappen der Familie von Zabelthau. Ein seltsames Ansehen gewinnt aber dieses Haus dadurch, daß seine Nordseite sich an die Ringmauer einer alten verfallenen Burg lehnt, so daß die Hintertüre die ehemalige Burgpforte ist, durch die man unmittelbar in den Burghof tritt, in dessen Mitte der hohe, runde Wachtturm noch ganz unversehrt dasteht. Aus jener Haustür mit dem Familienwappen tritt dir ein junges, rotwangiges Mädchen entgegen, die mit ihren klaren blauen Augen und blondem Haar ganz hübsch zu nennen, und deren Bau vielleicht nur ein wenig zu rundlich derb geraten. Die Freundlichkeit selbst, nötigt sie dich ins Haus, und bald, sowie sie nur dein Bedürfnis merkt, bewirtet sie dich mit der trefflichsten Milch, einem tüchtigen Butterbrot und dann mit rohem Schinken, der dir in Bayonne bereitet scheint, und einem Gläschen aus Runkelrüben gezogenen Branntweins. Dabei spricht das Mädchen, die nun eben keine andere ist als das Fräulein Anna von Zabelthau, ganz munter und frei von allem, was die Landwirtschaft betrifft, und zeigt dabei gar keine unebenen Kenntnisse. Doch plötzlich erschallt wie aus den Lüften eine starke, fürchterliche Stimme: »Anna – Anna! Anna!« – Du erschrickst, aber Fräulein Anna spricht ganz freundlich: »Papa ist zurückgekommen von seinem Spazier [105] gange und ruft aus seiner Studierstube nach dem Frühstück!« – »Ruft – aus seiner Studierstube?« frägst du erstaunt. »Ja,« erwidert Fräulein Anna oder Fräulein Ännchen, wie sie die Leute nennen, »ja, Papas Studierstube ist dort oben auf dem Turm, und er ruft durch das Rohr!« – Und du siehst, geliebter Leser! wie nun Ännchen des Turmes enge Pforte öffnet und mit demselben Gabelfrühstück, wie du es soeben genossen, nämlich mit einer tüchtigen Portion Schinken und Brot nebst dem Runkelrübengeist hinaufspringt. Ebensoschnell ist sie aber wieder bei dir, und dich durch den schönen Küchengarten geleitend, spricht sie so viel von bunter Plümage, Rapuntika, englischem Turneps, kleinem Grünkopf, Montrue, großem Mogul, gelbem Prinzenkopf und so fort, daß du in das größte Erstaunen geraten mußt, zumal, wenn du nicht weißt, daß mit jenen vornehmen Namen nichts anderes gemeint ist als Kohl und Salat. –

Ich meine, daß der kurze Besuch, den du, geliebter Leser, in Dapsulheim abgestattet, hinreichen wird, dich die Verhältnisse des Hauses, von dem allerlei seltsames, kaum glaubliches Zeug ich dir zu erzählen im Begriff stehe, ganz erraten zu lassen. Der Herr Dapsul von Zabelthau war in seiner Jugend nicht viel aus dem Schlosse seiner Eltern gekommen, die ansehnliche Güter besaßen. Sein Hofmeister, ein [106] alter wunderlicher Mann, nährte nächstdem, daß er ihn in fremden, vorzüglich orientalischen Sprachen unterrichtete, seinen Hang zur Mystik, oder vielmehr besser gesagt, zur Geheimniskrämerei. Der Hofmeister starb und hinterließ dem jungen Dapsul eine ganze Bibliothek der geheimen Wissenschaften, in die er sich vertiefte. Die Eltern starben auch, und nun begab sich der junge Dapsul auf weite Reisen, und zwar, wie es der Hofmeister ihm in die Seele gelegt, nach Ägypten und Indien. Als er endlich nach vielen Jahren zurückkehrte, hatte ein Vetter unterdessen sein Vermögen mit so großem Eifer verwaltet, daß ihm nichts übrig geblieben, als das kleine Dörfchen Dapsulheim. Herr Dapsul von Zabelthau strebte zu sehr nach dem sonnegebornen Golde einer höheren Welt, als daß er sich hätte aus irdischem viel machen sollen; er dankte vielmehr dem Vetter mit gerührtem Herzen dafür, daß er ihm das freundliche Dapsulheim erhalten mit dem schönen, hohen Wartturm, der zu astrologischen Operationen erbaut schien, und in dessen höchster Höhe Herr Dapsul von Zabelthau auch sofort sein Studierzimmer einrichten ließ. Der sorgsame Vetter bewies nun auch, daß Herr Dapsul von Zabelthau heiraten müsse. Dapsul sah die Notwendigkeit ein und heiratete sofort das Fräulein, das der Vetter für ihn erwählt. Die Frau kam ebensoschnell ins Haus, als sie es wieder verließ. [107] Sie starb, nachdem sie ihm eine Tochter geboren. Der Vetter besorgte Hochzeit, Taufe und Begräbnis, so daß Dapsul auf seinem Turm von alle dem nicht sonderlich viel merkte, zumal die Zeit über gerade ein sehr merkwürdiger Schwanzstern am Himmel stand, in dessen Konstellation sich der melancholische, immer Unheil ahnende Dapsul verflochten glaubte. Das Töchterlein entwickelte unter der Zucht einer alten Großtante, zu deren großer Freude, einen entschiedenen Hang zur Landwirtschaft. Fräulein Ännchen mußte, wie man zu sagen pflegt, von der Pike an dienen. Erst als Gänsemädchen, dann als Magd, Großmagd, Haushälterin, bis zur Hauswirtin herauf, so daß die Theorie erläutert und festgestellt wurde durch eine wohltätige Praxis. Sie liebte Gänse und Enten, und Hühner und Tauben, Rindvieh und Schafe ganz ungemein; ja selbst die zarte Zucht wohlgestalteter Schweinlein war ihr keineswegs gleichgültig, wiewohl sie nicht wie einmal ein Fräulein in irgend einem Lande ein kleines weißes Ferkelchen mit Band und Schelle versehen und erkieset hatte zum Schoßtierchen. Über alles und auch weit über den Obstbau ging ihr aber der Gemüsegarten. Durch der Großtante landwirtschaftliche Gelehrsamkeit hatte Fräulein Ännchen, wie der geneigte Leser in dem Gespräch mit ihr bemerkt haben wird, in der Tat ganz hübsche theoretische Kenntnisse vom Gemüsebau [108] erhalten; beim Umgraben des Ackers, beim Einstreuen des Samens, Einlegung der Pflanzen stand Fräulein Ännchen nicht allein der ganzen Arbeit vor, sondern leistete auch selbst tätige Hilfe. Fräulein Ännchen führte einen tüchtigen Spaten, das mußte ihr der hämische Neid lassen. Während nun Herr Dapsul von Zabelthau sich in seine astrologischen Beobachtungen und in andere mystische Dinge vertiefte, führte Fräulein Ännchen, da die alte Großtante gestorben, die Wirtschaft auf das beste, so daß, wenn Dapsul dem Himmlischen nachtrachtete, Ännchen mit Fleiß und Geschick das Irdische besorgte.

Wie gesagt, kein Wunder war es zu nennen, wenn Ännchen vor Freude über den diesjährigen, ganz vorzüglichen Flor des Küchengartens beinahe außer sich geriet. An üppiger Fülle des Wachstums übertraf aber alles andere ein Mohrrübenfeld, das eine ganz ungewöhnliche Ausbeute versprach.

»Ei, meine schönen, lieben Mohrrüben!« so rief Fräulein Ännchen ein Mal über das andere, klatschte in die Hände, sprang, tanzte umher, geberdete sich wie ein zum heiligen Christ reich beschenktes Kind. Es war auch wirklich, als wenn die Möhrenkinder sich in der Erde über Ännchens Lust mitfreuten, denn das feine Gelächter, das sich vernehmen ließ, stieg offenbar aus dem Acker empor. Ännchen achtete nicht sonderlich darauf, sondern sprang dem Knecht [109] entgegen, der, einen Brief hoch emporhaltend, ihr zurief: »An Sie, Fräulein Ännchen, Gottlieb hat ihn mitgebracht aus der Stadt.« Ännchen erkannte gleich an der Aufschrift, daß der Brief von niemandem anders war als von dem jungen Herrn Amandus von Nebelstern, dem einzigen Sohn eines benachbarten Gutsbesitzers, der sich auf der Universität befand. Amandus hatte sich, als er noch auf dem Dorfe des Vaters hauste und täglich hinüberlief nach Dapsulheim, überzeugt, daß er in seinem ganzen Leben keine andere lieben könne als Fräulein Ännchen. Ebenso wußte Fräulein Ännchen ganz genau, daß es ihr ganz unmöglich sein werde, jemals einem andern als dem braunlockigten Amandus auch nur was weniges gut zu sein. Beide, Ännchen und Amandus, waren daher übereingekommen, sich je eher desto lieber zu heiraten und das glücklichste Ehepaar zu werden auf der ganzen weiten Erde. – Amandus war sonst ein heiterer, unbefangner Jüngling; auf der Universität geriet er aber Gott weiß wem in die Hände, der ihm nicht nur einbildete, er sei ein ungeheures poetisches Genie, sondern ihn auch verleitete, sich auf die Überschwenglichkeit zu legen. Das gelang ihm auch so gut, daß er sich in kurzer Zeit hinweggeschwungen hatte über alles, was schnöde Prosaiker Verstand und Vernunft nennen, und noch dazu irriger Weise behaupten, daß beides mit der [110] regsten Phantasie sehr wohl bestehen könne. – Also von dem jungen Herrn Amandus von Nebelstern war der Brief, den Fräulein Ännchen voller Freude öffnete und also las:

»Himmlische Maid!

Siehest du – empfindest du – ahnest du deinen Amandus – wie er selbst Blum' und Blüte vom Orangenblüthauch des duftigen Abends umflossen, im Grase auf dem Rücken liegt und hinaufschaut mit Augen voll frommer Liebe und sehnender Andacht! – Thymian und Lavendel, Rosen und Nelken, wie auch gelbäugigte Narzissen und schamhafte Veilchen flicht er zum Kranz. Und die Blumen sind Liebesgedanken, Gedanken an dich, o Anna! – Doch geziemt begeisterten Lippen die nüchterne Prose? – Hör', o höre, wie ich nur sonettisch zu lieben, von meiner Liebe zu sprechen vermag.

Flammt Liebe auf in tausend durst'gen Sonnen,
Buhlt Lust um Lust im Herzen ach so gerne,
Hinab aus dunklem Himmel strahlen Sterne
Und spiegeln sich im Liebestränenbronnen.
Entzücken, ach! zermalmen starke Wonnen
Die süße Frucht, entsprossen bittrem Kerne,
Und Sehnsucht winkt aus violetter Ferne,
In Liebesschmerz mein Wesen ist zerronnen.
[111]
In Feuerwellen tost die stürm'sche Brandung,
Dem kühnen Schwimmer will es keck gemuten,
Im jähen, mächtgen Sturz hinabzupurzeln.
Es blüht die Hyacinth' der nahen Landung;
Das treue Herz keimt auf, will es verbluten,
Und Herzensblut ist selbst die schönst' der Wurzeln!

Möchte, o Anna, dich, wenn du dieses Sonett aller Sonette liesest, all' das himmlische Entzücken durchströmen, in das mein ganzes Wesen sich auflöste, als ich es niederschrieb und es nachher mit göttlicher Begeisterung vorlas gleichgestimmten, des Lebens Höchstes ahnenden Gemütern. Denke, o denke, süßeste Maid, an deinen getreuen, höchst entzückten Amandus von Nebelstern.

N.S. Vergiß nicht, o hohe Jungfrau, wenn du mir antwortest, einige Pfund von dem virginischen Tabak beizupacken, den du selbst ziehest. Er brennt gut und schmeckt besser als der Portoriko, den hier die Bursche dampfen, wenn sie kneipen gehn.« –

Fräulein Anna drückte den Brief an die Lippen und sprach dann: »Ach wie lieb, wie schön! – Und die allerliebsten Verschen, alles so hübsch gereimt. Ach wenn ich nur so klug wäre, alles zu verstehen, aber das kann wohl nur ein Student. – Was das nur zu bedeuten haben mag mit den Wurzeln. Ach gewiß meint er die langen roten englischen Ka [112] rotten, oder am Ende gar die Rapuntika, der liebe Mensch!«

Noch denselben Tag ließ es sich Fräulein Ännchen angelegen sein, den Tabak einzupacken und dem Schulmeister zwölf der schönsten Gänsefedern einzuhändigen, damit er sie sorglich schneide. Fräulein Ännchen wollte sich noch heute hinsetzen, um die Antwort auf den köstlichen Brief zu beginnen. – Übrigens lachte es dem Fräulein Ännchen, als sie aus dem Küchengarten lief, wieder sehr vernehmlich nach, und wäre Ännchen nur was weniges achtsam gewesen, sie hätte durchaus das feine Stimmchen hören müssen, welches rief: »Zieh' mich heraus, zieh' mich heraus – ich bin reif – reif – reif!« Aber wie gesagt, sie achtete nicht darauf. –

Zweites Kapitel.

Welches das erste wunderbare Ereignis und andere lesenswerte Dinge enthält, ohne die das versprochene Märchen nicht bestehen kann.

Der Herr Dapsul von Zabelthau stieg gewöhnlich mittags hinab von seinem astronomischen Turm, um mit der Tochter ein frugales Mahl einzunehmen, das sehr kurz zu dauern und wobei es sehr still herzugehen pflegte, da Dapsul das Sprechen gar nicht liebte. Ännchen fiel ihm auch gar nicht mit [113] vielem Reden beschwerlich, und das um so weniger, da sie wohl wußte, daß, kam der Papa wirklich zum Sprechen, er allerlei seltsames, unverständliches Zeug vorbrachte, wovon ihr der Kopf schwindelte. Heute war ihr ganzer Sinn aber so aufgeregt durch den Flor des Küchengartens und durch den Brief des geliebten Amandus, daß sie von beiden durcheinander sprach ohne Aufhören. Messer und Gabel ließ endlich Herr Dapsul von Zabelthau fallen, hielt sich beide Ohren zu und rief: »O des leeren, wüsten, verwirrten Geschwätzes!« Als nun aber Fräulein Ännchen ganz erschrocken schwieg, sprach er mit dem gedehnten weinerlichen Tone, der ihm eigen: »Was das Gemüse betrifft, meine liebe Tochter, so weiß ich längst, daß die diesjährige Zusammenwirkung der Gestirne solchen Früchten besonders günstig ist, und der irdische Mensch wird Kohl und Radiese und Kopfsalat genießen, damit der Erdstoff sich mehre und er das Feuer des Weltgeistes aushalte wie ein gut gekneteter Topf. Das gnomische Prinzip wird widerstehen dem ankämpfenden Salamander, und ich freue mich darauf, Pastinak zu essen, den du vorzüglich bereitest. Anlangend den jungen Herrn Amandus von Nebelstern, so habe ich nicht das mindeste dagegen, daß du ihn heiratest, sobald er von der Universität zurückgekehret. Laß es mir nur durch Gottlieb hinaufsagen, wenn du zur Trauung [114] gehest mit deinem Bräutigam, damit ich euch geleite nach der Kirche.« – Herr Dapsul schwieg einige Augenblicke und fuhr dann, ohne Ännchen, deren Gesicht vor Freude glühte über und über, anzublicken, lächelnd und mit der Gabel an sein Glas schlagend – beides pflegte er stets zu verbinden, es kam aber gar selten vor – also fort: »Dein Amandus ist einer, der da soll und muß, ich meine ein Gerundium, und ich will es dir nur gestehen, mein liebes Ännchen, daß ich diesem Gerundio schon sehr früh das Horoskop gestellt habe. Die Konstellationen sind sonst alle ziemlich günstig. Er hat den Jupiter im aufsteigenden Knoten, den die Venus im Gesechstschein ansiehet. Nur schneidet die Bahn des Sirius durch, und gerade auf dem Durchschneidungspunkt steht eine große Gefahr, aus der er seine Braut rettet. Die Gefahr selbst ist unergründlich, da ein fremdartiges Wesen dazwischen tritt, das jeder astrologischen Wissenschaft Trotz zu bieten scheint. Gewiß ist es übrigens, daß nur der absonderliche psychische Zustand, den die Menschen Narrheit oder Verrücktheit zu nennen pflegen, dem Amandus jene Rettung möglich machen wird. O meine Tochter (hier fiel Herr Dapsul wieder in seinen gewöhnlichen weinerlichen Ton), o meine Tochter, daß doch keine unheimliche Macht, die sich hämisch verbirgt vor meinen Seheraugen, dir plötzlich in den [115] Weg treten, daß der junge Herr Amandus von Nebelstern doch nicht nötig haben möge, dich aus einer andern Gefahr zu retten als aus der, eine alte Jungfer zu werden!« – Dapsul seufzte einigemal hintereinander tief auf, dann fuhr er fort: »Plötzlich bricht aber nach dieser Gefahr die Bahn des Sirius ab, und Venus und Jupiter, sonst getrennt, treten versöhnt wieder zusammen.« –

So viel als heute sprach der Herr Dapsul von Zabelthau schon seit Jahren nicht. Ganz erschöpft stand er auf und bestieg wieder seinen Turm.

Ännchen wurde andern Tages ganz frühe mit der Antwort an den Herrn von Nebelstern fertig. Sie lautete also:

»Mein herzlieber Amandus!

Du glaubst gar nicht, was dein Brief mir wieder Freude gemacht hat. Ich habe dem Papa davon gesagt, und der hat mir versprochen, uns in die Kirche zur Trauung zu geleiten. Mache nur, daß du bald zurückkehrst von der Universität. Ach, wenn ich nur deine allerliebsten Verschen, die sich so hübsch reimen, ganz verstünde! – Wenn ich sie so mir selbst laut vorlese, dann klingt mir alles so wunderbar, und ich glaube dabei, daß ich alles verstehe, und dann ist alles wieder aus, und verstoben und verflogen, und mich dünkt's, als hätt' ich bloß Worte [116] gelesen, die gar nicht zusammen gehörten. Der Schulmeister meint, das müsse so sein, das sei eben die neue vornehme Sprache, aber ich – ach! – ich bin ein dummes, einfältiges Ding! – Schreibe mir doch, ob ich nicht vielleicht Student werden kann auf einige Zeit, ohne meine Wirtschaft zu vernachlässigen? Das wird wohl nicht gehen? Nun, sind wir nur erst Mann und Frau, da kriege ich wohl was ab von deiner Gelehrsamkeit und von der neuen vornehmen Sprache. Den virginischen Tabak schicke ich dir, mein herziges Amandchen. Ich habe meine Hutschachtel ganz voll gestopft, soviel hineingehen wollte, und den neuen Strohhut derweile Karl dem Großen aufgesetzt, der in unserer Gaststube steht, wiewohl ohne Füße, denn es ist, wie du weißt, nur ein Brustbild. – Lache mich nicht aus, Amandchen, ich habe auch Verschen gemacht, und sie reimen sich gut. Schreib mir doch, wie das kommt, daß man so gut weiß, was sich reimt, ohne gelehrt zu sein. Nun höre einmal:

Ich lieb' dich, bist du mir auch ferne,
Und wäre gern recht bald deine Frau.
Der heitre Himmel ist ganz blau,
Und abends sind golden alle Sterne.
Drum mußt du mich stets lieben
Und mich auch niemals betrüben.
Ich schick' dir den virginischen Tabak
Und wünsche, daß er dir recht wohl schmecken mag.

[117]

Nimm vorlieb mit dem guten Willen; wenn ich die vornehme Sprache verstehen werde, will ich's schon besser machen. – Der gelbe Steinkopf ist dieses Jahr über alle Maßen schön geraten, und die Kruppbohnen lassen sich herrlich an, aber mein Dachshündchen, den kleinen Feldmann, hat gestern der große Gänsericht garstig ins Bein gebissen. Nun – es kann nicht alles vollkommen sein auf dieser Welt – hundert Küsse in Gedanken, mein liebster Amandus, deine treueste Braut, Anna von Zabelthau.

N.S. Ich habe in gar großer Eil' geschrieben, deswegen sind die Buchstaben hin und wieder etwas krumm geraten.

N.S. Du mußt mir das aber bei Leibe nicht übel nehmen, ich bin dennoch, schreibe ich auch etwas krumm, geraden Sinnes, und stets deine getreue Anna. –

N.S. Der Tausend, das hätte ich doch bald vergessen, ich vergeßliches Ding. Der Papa läßt dich schönstens grüßen und dir sagen, du seist einer, der da soll und muß, und würdest mich einst aus einer großen Gefahr retten. Nun, darauf freue ich mich recht und bin nochmals deine dich liebendste, allergetreueste Anna von Zabelthau.« –

Dem Fräulein Ännchen war eine schwere Last entnommen, als sie diesen Brief fertig hatte, der [118] ihr nicht wenig sauer geworden. Ganz leicht und froh wurde ihr aber zu Mute, als sie auch das Couvert zu stande gebracht, es gesiegelt, ohne das Papier oder die Finger zu verbrennen, und den Brief nebst der Tabaksschachtel, auf die sie ein ziemlich deutliches M. v. N. gepinselt, dem Gottlieb eingehändigt, um beides nach der Stadt auf die Post zu tragen. – Nachdem das Federvieh auf dem Hofe gehörig besorgt, lief Fräulein Ännchen geschwind nach ihrem Lieblingsplatz, dem Küchengarten. Als sie nach dem Mohrrübenacker kam, dachte sie daran, daß es nun offenbar an der Zeit sei, für die Leckermäuler in der Stadt zu sorgen und die ersten Mohrrüben auszuziehen. Die Magd wurde herbeigerufen, um bei der Arbeit zu helfen. Fräulein Ännchen schritt behutsam bis in die Mitte des Ackers, faßte einen stattlichen Krautbusch. Doch sowie sie zog, ließ sich ein seltsamer Ton vernehmen. – Man denke ja nicht an die Alraunwurzel und an das entsetzliche Gewinsel und Geheul, das, wenn man sie herauszieht aus der Erde, das menschliche Herz durchschneidet. Nein, der Ton, der aus der Erde zu kommen schien, glich einem feinen, freudigen Lachen. Doch aber ließ Fräulein Ännchen den Krautbusch wieder fahren und rief etwas erschreckt: »I! – wer lacht denn da mich aus?« Als sich aber weiter nichts vernehmen ließ, faßte [119] sie noch einmal den Krautbusch, der höher und stattlicher emporgeschossen schien als alle anderen, und zog beherzt, das Gelächter, das sich wieder hören ließ, gar nicht achtend, die schönste, die zarteste der Mohrrüben aus der Erde. Doch sowie Fräulein Ännchen die Mohrrübe betrachtete, schrie sie laut auf vor freudigem Schreck, so daß die Magd herbeisprang und ebenso wie Fräulein Ännchen laut aufschrie über das hübsche Wunder, das sie gewahrte. Fest der Mohrrübe aufgestreift saß nämlich ein herrlicher goldner Ring mit einem feuerfunkelnden Topas. »Ei,« rief die Magd, »der ist für Sie bestimmt, Fräulein Ännchen, das ist der Hochzeitsring, den müssen Sie nur gleich anstecken!« – »Was sprichst du für dummes Zeug,« erwiderte Fräulein Ännchen, »den Trauring, den muß ich ja von dem Herrn Amandus von Nebelstern empfangen, aber nicht von einer Mohrrübe!« – Je länger Fräulein Ännchen den Ring betrachtete, desto mehr gefiel er ihr. Der Ring war aber auch wirklich von so feiner zierlicher Arbeit, daß er alles zu übertreffen schien, was jemals menschliche Kunst zu stande gebracht. Den Reif bildeten hundert und hundert winzig kleine Figürchen in den mannigfaltigsten Gruppen verschlungen, die man auf den ersten Blick kaum mit dem bloßen Auge zu unterscheiden vermochte, die aber, sahe man den Ring länger und schärfer an, [120] ordentlich zu wachsen, lebendig zu werden, in anmutigen Reihen zu tanzen schienen. Dann aber war das Feuer des Edelsteins von solch ganz besonderer Art, daß selbst unter den Topasen im grünen Gewölbe zu Dresden schwerlich ein solcher aufgefunden werden möchte. »Wer weiß,« sprach die Magd, »wie lange der schöne Ring tief in der Erde gelegen haben mag, und da ist er denn heraufgespatelt worden, und die Mohrrübe ist durchgewachsen.« Fräulein Ännchen zog nun den Ring von der Mohrrübe ab, und seltsam genug war es, daß diese ihr zwischen den Fingern durchglitschte und in dem Erdboden verschwand. Beide, die Magd und Fräulein Ännchen, achteten aber nicht sonderlich darauf, sie waren zu sehr versunken in den Anblick des prächtigen Ringes, den Fräulein Ännchen nun ohne weiteres ansteckte an den kleinen Finger der rechten Hand. Sowie sie dies tat, empfand sie von der Grundwurzel des Fingers bis in die Spitze hinein einen stechenden Schmerz, der aber in demselben Augenblick wieder nachließ, als sie ihn fühlte.

Natürlicherweise erzählte sie mittags dem Herrn von Zabelthau, was ihr Seltsames auf dem Mohrrübenfelde begegnet, und zeigte ihm den schönen Ring, den die Mohrrübe aufgesteckt gehabt. Sie wollte den Ring, damit ihn der Papa besser betrachten könne, vom Finger herabziehen. Aber einen [121] stechenden Schmerz empfand sie wie damals, als sie den Ring aufsteckte, und dieser Schmerz hielt an, solange sie am Ringe zog, bis er zuletzt so unerträglich wurde, daß sie davon abstehen mußte. Herr Dapsul betrachtete den Ring an Ännchens Finger mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, ließ Ännchen mit dem ausgestreckten Finger allerlei Kreise nach allen Weltgegenden beschreiben, versank dann in tiefes Nachdenken und bestieg, ohne nur ein einziges Wort weiter zu sprechen, den Turm. Fräulein Ännchen vernahm, wie der Papa im Hinaufsteigen beträchtlich seufzte und stöhnte.

Andern Morgens, als Fräulein Ännchen sich gerade auf dem Hofe mit dem großen Hahn herumjagte, der allerlei Unfug trieb und hauptsächlich mit den Täubern krakeelte, weinte der Herr Dapsul von Zabelthau so erschrecklich durch das Sprachrohr herab, daß Ännchen ganz bewegt wurde und durch die hohle Hand hinauf rief: »Warum heulen Sie denn so unbarmherzig, bester Papa, das Federvieh wird ja ganz wild!« – Da schrie der Herr Dapsul durch das Sprachrohr herab: »Anna, meine Tochter Anna, steige sogleich zu mir herauf.« Fräulein Ännchen verwunderte sich höchlich über dieses Gebot, denn noch nie hatte sie der Papa auf den Turm beschieden, vielmehr dessen Pforte sorgfältig verschlossen gehalten. Es überfiel sie ordentlich eine gewisse Bangigkeit, [122] als sie die schmale Wendeltreppe hinaufstieg und die schwere Tür öffnete, die in das einzige Gemach des Turmes führte. Herr Dapsul von Zabelthau saß, von allerlei wunderlichen Instrumenten und bestaubten Büchern umgeben, auf einem großen Lehnstuhl von seltsamer Form. Vor ihm stand ein Gestell, das ein in einen Rahmen gespanntes Papier trug, auf dem verschiedene Linien gezeichnet. Er hatte eine hohe, spitze, graue Mütze auf dem Kopfe, trug einen weiten Mantel von grauem Kalmank und hatte einen langen weißen Bart am Kinn, so daß er wirklich aussah wie ein Zauberer. Eben wegen des falschen Bartes kannte Fräulein Ännchen den Papa anfangs gar nicht und blickte ängstlich umher, ob er etwa in einer Ecke des Gemaches vorhanden; nachher, als sie aber gewahrte, daß der Mann mit dem Barte wirklich Papachen sei, lachte Fräulein Ännchen recht herzlich und fragte: ob's denn schon Weihnachten sei, und ob Papachen den Knecht Ruprecht spielen wolle?

Ohne auf Ännchens Rede zu achten, nahm Herr Dapsul von Zabelthau ein kleines Eisen zur Hand, berührte damit Ännchens Stirne und bestrich dann einigemal ihren rechten Arm von der Achsel bis in die Spitze des kleinen Ringefingers herab. Hierauf mußte sie sich auf den Lehnstuhl setzen, den Herr Dapsul verlassen, und den kleinen beringten Finger [123] auf das in den Rahmen gespannte Papier in der Art stellen, daß der Topas den Zentralpunkt, in den alle Linien zusammenliefen, berührte. Alsbald schossen aus dem Edelstein gelbe Strahlen rings umher, bis das ganze Papier dunkelgelb gefärbt war. Nun knisterten die Linien auf und nieder, und es war, als sprängen die kleinen Männlein aus des Ringes Reif lustig umher auf dem ganzen Blatt. Der Herr Dapsul, den Blick von dem Papier nicht wegwendend, hatte indessen eine dünne Metallplatte ergriffen, hielt sie mit beiden Händen hoch in die Höhe und wollte sie niederdrücken auf das Papier; doch in demselben Augenblick glitschte er auf dem glatten Steinboden aus und fiel sehr unsanft auf den Hintern, während die Metallplatte, die er instinktmäßig losgelassen, um womöglich den Fall zu brechen und das Steißbein zu konservieren, klirrend zur Erde fiel. Fräulein Ännchen erwachte mit einem leisen Ach! aus dem seltsamen träumerischen Zustande, in den sie versunken. Herr Dapsul richtete sich mühsam in die Höhe, setzte den grauen Zuckerhut wieder auf, der ihm entfallen, brachte den falschen Bart in Ordnung und setzte sich dem Fräulein Ännchen gegenüber auf einige Folianten, die übereinander getürmt. »Meine Tochter,« sprach er dann, »meine Tochter Anna, wie war dir so eben zu Mute? was dachtest, was empfandest du? welche Gestaltungen [124] erblicktest du mit den Augen des Geistes in deinem Innern?« –

»Ach,« erwiderte Fräulein Ännchen, »mir war so wohl zu Mute, so wohl, wie mir noch niemals gewesen. Dann dachte ich an den Herrn Amandus von Nebelstern. Ich sah ihn ordentlich vor Augen, aber er war noch viel hübscher als sonst und rauchte eine Pfeife von den virginischen Blättern, die ich ihm geschickt, welches ihm ungemein wohl stand. Dann bekam ich plötzlich einen ungemeinen Appetit nach jungen Mohrrüben und Bratwürstlein, und war ganz entzückt, als das Gericht vor mir stand. Eben wollte ich zulangen, als ich wie mit einem jähen, schmerzhaften Ruck aus dem Traum erwachte.«

– »Amandus von Nebelstern – virginischer Kanaster – Mohrrüben – Bratwürste!« – So sprach Herr Dapsul von Zabelthau sehr nachdenklich und winkte der Tochter, die sich entfernen wollte, zu bleiben.

»Glückliches, unbefangenes Kind,« begann er dann mit einem Ton, der noch viel weinerlicher war als sonst jemals, »daß du nicht eingeweiht bist in die tiefen Mysterien des Weltalls, die bedrohlichen Gefahren nicht kennst, die dich umgeben. Du weißt nichts von jener überirdischen Wissenschaft der heiligen Kabbala. Zwar wirst du auch deshalb niemals der [125] himmlischen Lust der Weisen teilhaftig werden, die, zur höchsten Stufe gelangt, weder essen noch trinken dürfen als nur zur Lust, und denen niemals Menschliches begegnet; du stehst aber auch dafür nicht die Angst des Ersteigens jener Stufe aus, wie dein unglücklicher Vater, den noch viel zu sehr menschlicher Schwindel anwandelt, und dem das, was er mühsam erforscht, nur Grauen und Entsetzen erregt, und der noch immer aus purem irdischem Bedürfnis essen und trinken und – überhaupt Menschliches tun muß. – Erfahre, mein holdes, mit Unwissenheit beglücktes Kind, daß die tiefe Erde, die Luft, das Wasser, das Feuer erfüllt ist mit geistigen Wesen höherer und doch wieder beschränkterer Natur als die Menschen. Es scheint unnötig, dir, mein Dümmchen, die besondere Natur der Gnomen, Salamander, Sylphen und Undinen zu erklären, du würdest es nicht fassen können. Um dir die Gefahr anzudeuten, in der du vielleicht schwebst, ist es genug, dir zu sagen, daß diese Geister nach der Verbindung mit den Menschen trachten; und da sie wohl wissen, daß die Menschen in der Regel solch eine Verbindung sehr scheuen, so bedienen sich die erwähnten Geister allerlei lustiger Mittel, um den Menschen, dem sie ihre Gunst geschenkt, zu verlocken. Bald ist es ein Zweig, eine Blume, ein Glas Wasser, ein Feuerstahl oder sonst etwas ganz geringfügig Scheinendes, [126] was sie zum Mittel brauchen, um ihren Zweck zu erreichen. Richtig ist es, daß eine solche Verbindung oft sehr ersprießlich ausschlägt, wie denn einst zwei Priester, von denen der Fürst von Mirandola erzählt, vierzig Jahre hindurch mit einem solchen Geist in der glücklichsten Ehe lebten. Richtig ist es ferner, daß die größten Weisen einer solchen Verbindung eines Menschen mit einem Elementargeist entsprossen. So war der große Zoroaster ein Sohn des Salamanders Oromasis, so waren der große Appollonius, der weise Merlin, der tapfre Graf von Cleve, der große Kabbalist Bensyra herrliche Früchte solcher Ehen, und auch die schöne Melusine war nach dem Ausspruch des Parazelsus nichts anders als eine Sylphide. Doch demunerachtet ist die Gefahr einer solchen Verbindung nur zu groß, denn abgesehen davon, daß die Elementargeister von dem, dem sie ihre Gunst geschenkt, verlangen, daß ihm das hellste Licht der profundesten Weisheit aufgehe, so sind sie auch äußerst empfindlich, und rächen jede Beleidigung sehr schwer. So geschah es einmal, daß eine Sylphide, die mit einem Philosophen verbunden, als er mit seinen Freunden von einem schönen Frauenzimmer sprach, und sich vielleicht dabei zu sehr erhitzte, sofort in der Luft ihr schneeweißes, schön geformtes Bein sehen ließ, gleichsam um die Freunde von ihrer Schönheit zu überzeugen, und dann den armen [127] Philosophen auf der Stelle tötete. Doch ach – was spreche ich von anderen? warum spreche ich nicht von mir selbst? – Ich weiß, daß schon seit zwölf Jahren mich eine Sylphide liebt, aber ist sie scheu und schüchtern, so quält mich der Gedanke an die Gefahr, durch kabbalistische Mittel sie zu fesseln, da ich noch immer viel zu sehr an irdischen Bedürfnissen hänge, und daher der gehörigen Weisheit ermangle. Jeden Morgen nehme ich mir vor zu fasten, lasse auch das Frühstück glücklich vorübergehen, aber wenn dann der Mittag kommt – o Anna, meine Tochter Anna – du weißt es ja – ich fresse erschrecklich!« – Diese letzten Worte sprach der Herr Dapsul von Zabelthau mit beinahe heulendem Ton, indem ihm die bittersten Tränen über die hagern, eingefallenen Backen liefen; dann fuhr er beruhigter fort: »Doch bemühe ich mich gegen den mir gewogenen Elementargeist des feinsten Betragens, der ausgesuchtesten Galanterie. Niemals wage ich es, eine Pfeife Tabak ohne die gehörigen kabbalistischen Vorsichtsmaßregeln zu rauchen, denn ich weiß ja nicht, ob mein zarter Luftgeist die Sorte liebet und nicht empfindlich werden könnte über die Verunreinigung seines Elements, weshalb denn auch alle diejenigen, die Jagdkanaster rauchen, oder »Es blühe Sachsen«, niemals weise und der Liebe einer Sylphide teilhaftig werden können. Ebenso verfahre [128] ich, wenn ich mir einen Haselstock schneide, eine Blume pflücke, eine Frucht esse oder Feuer anschlage, da all mein Trachten dahin geht, es durchaus mit keinem Elementargeist zu verderben. Und doch – siehst du wohl jene Nußschale, über die ich ausglitschte und rücklings umstülpend das ganze Experiment verdarb, das mir das Geheimnis des Ringes ganz erschlossen haben würde? Ich erinnere mich nicht, jemals in diesem nur der Wissenschaft geweihten Gemach (du weißt nun, weshalb ich auf der Treppe frühstücke) Nüsse genossen zu haben, und um so klarer ist es, daß in diesen Schalen ein kleiner Gnome versteckt war, vielleicht um bei mir zu hospitieren und meinen Experimenten zuzulauschen. Denn die Elementargeister lieben die menschlichen Wissenschaften, vorzüglich solche, die das uneingeweihte Volk wo nicht albern und aberwitzig, so doch die Kraft des menschlichen Geistes übersteigend, und eben deshalb gefährlich nennt. Deshalb finden sie sich auch häufig ein bei den göttlichen magnetischen Operationen. Vorzüglich sind es aber die Gnomen, die ihre Fopperei nicht lassen können und dem Magnetiseur, der noch nicht zu der Stufe der Weisheit gelangt ist, die ich erst beschrieben, und zu sehr hängt an irdischem Bedürfnis, ein verliebtes Erdenkind unterschieben in dem Augenblick, da er glaubte, in völlig reiner, abgeklärter Lust eine Sylphide zu um [129] armen. – Als ich nun dem kleinen Studenten auf den Kopf trat, wurde er böse und warf mich um. Aber einen tiefern Grund hatte wohl der Gnome, mir die Entzifferung des Geheimnisses mit dem Ringe zu verderben. – Anna! – meine Tochter Anna! – vernimm es – herausgebracht hatte ich, daß ein Gnome dir seine Gunst zugewandt, der, nach der Beschaffenheit des Ringes zu urteilen, ein reicher, vornehmer, und dabei vorzüglich fein gebildeter Mann sein muß. Aber, meine teure Anna, mein vielgeliebtes, herziges Dümmchen, wie willst du es anfangen, dich ohne die entsetzlichste Gefahr mit einem solchen Elementargeist in irgend eine Verbindung einzulassen? Hättest du den Cassiodorus Remus gelesen, so könntest du mir zwar entgegnen, daß nach dessen wahrhaftigem Bericht die berühmte Magdalena de la Croix, Äbtissin eines Klosters zu Cordua in Spanien, dreißig Jahre mit einem kleinen Gnomen in vergnügter Ehe lebte, daß ein gleiches sich mit einem Sylphen und der jungen Gertrud, die Nonne war im Kloster Nazareth bei Köln, zutrug; aber denke an die gelehrten Beschäftigungen jener geistlichen Damen und an die deinigen. Welch ein Unterschied! Statt in weisen Büchern zu lesen, fütterst du sehr oft Hühner, Gänse, Enten und andere jeden Kabbalisten molestierende Tiere; statt den Himmel, den Lauf der Gestirne zu beobachten, gräbst [130] du in der Erde; statt in künstlichen horoskopischen Entwürfen die Spur der Zukunft zu verfolgen, stampfest du Milch zu Butter und machest Sauerkraut ein zu schnödem winterlichem Bedürfnis, wiewohl ich selbst dergleichen Speisung ungern vermisse. Sage! kann das alles einem feinfühlenden philosophischen Elementargeist auf die Länge gefallen? – Denn, o Anna! durch dich blüht Dapsulheim, und diesem irdischen Beruf mag und kann dein Geist sich nimmer entziehen. Und doch empfandest du über den Ring, selbst da er dir jähen, bösen Schmerz erregte, eine ausgelassene, unbesonnene Freude! – Zu deinem Heil wollt' ich durch jene Operation die Kraft des Ringes brechen, dich ganz von dem Gnomen befreien, der dir nachstellt. Sie mißlang durch die Tücke des kleinen Studenten in der Nußschale. Und doch! – mir kommt ein Mut, den Elementargeist zu bekämpfen, wie ich ihn noch nie gespürt! – Du bist mein Kind – das ich zwar nicht mit einer Sylphide, Salamandrin oder sonst einem Elementargeist erzeugt, sondern mit jenem armen Landfräulein aus der besten Familie, die die gottvergessenen Nachbarn mit dem Spottnamen »Ziegenfräulein« verhöhnten, ihrer idyllischen Natur halber, die sie vermochte, jeden Tages eine kleine Herde weißer, schmucker Ziegen selbst zu weiden auf grünen Hügeln, wozu ich, damals ein verliebter Narr, auf [131] meinem Turm die Schalmei blies. – Doch du bist und bleibst mein Kind, mein Blut! – Ich rette dich; hier diese mystische Feile soll dich befreien von dem verderblichen Ringe!«

Damit nahm Herr Dapsul von Zabelthau eine kleine Feile zur Hand und begann an dem Ringe zu feilen. Kaum hatte er aber einigemal hin und her gestrichen, als Fräulein Ännchen vor Schmerz laut aufschrie: »Papa – Papa, Sie feilen mir ja den Finger ab!« So rief sie, und wirklich quoll dunkles dickes Blut unter dem Ringe hervor. Da ließ Herr Dapsul die Feile aus der Hand fallen, sank halb ohnmächtig in den Lehnstuhl und rief in aller Verzweiflung: »O! – o! – o! – es ist um mich geschehn! Vielleicht noch in dieser Stunde kommt der erzürnte Gnome und beißt mir die Kehle ab, wenn mich die Sylphide nicht rettet. – O Anna – Anna! – geh – flieh!« –

Fräulein Ännchen, die sich bei des Papas wunderlichen Reden schon längst weit weg gewünscht hatte, sprang hinab mit der Schnelle des Windes. –

[132]

Drittes Kapitel.

Es wird von der Ankunft eines merkwürdigen Mannes in Dapsulheim berichtet und erzählt, was sich dann ferner begeben. –

Der Herr Dapsul von Zabelthau hatte eben seine Tochter unter vielen Tränen umarmt und wollte den Turm besteigen, wo er jeden Augenblick den bedrohlichen Besuch des erzürnten Gnomen befürchtete. Da ließ sich heller, lustiger Hörnerklang vernehmen, und hinein in den Hof sprengte ein kleiner Reiter von ziemlich sonderbarem, possierlichem Ansehen. Das gelbe Pferd war gar nicht groß und von feinem zierlichen Bau, deshalb nahm sich auch der Kleine trotz seines unförmlich dicken Kopfs gar nicht so zwergartig aus, sondern ragte hoch genug über den Kopf des Pferdes empor. Das war aber bloß dem langen Leibe zuzuschreiben, denn was an Beinen und Füßen über den Sattel hing, war so wenig, daß es kaum zu rechnen. Übrigens trug der Kleine einen sehr angenehmen Habit von goldgelbem Atlas, eine ebensolche hohe Mütze mit einem tüchtigen grasgrünen Federbusch und Reitstiefel von schön poliertem Mahagoniholz. Mit einem durchdringenden Prrrrrr! hielt der Reiter dicht vor dem Herrn von Zabelthau. Er schien absteigen zu wollen, plötzlich fuhr er aber mit der Schnelligkeit des Blitzes unter dem Bauch des Pferdes hinweg, schleuderte sich auf [133] der andern Seite zwei-, dreimal hintereinander zwölf Ellen hoch in die Lüfte, so daß er sich auf jeder Elle sechsmal überschlug, bis er mit dem Kopf auf dem Sattelknopf zu stehen kam. So galoppierte er, indem die Füßchen in den Lüften Trochäen, Pyrrhichien, Daktylen u. s. w. spielten, vorwärts, rückwärts, seitwärts in allerlei wunderlichen Wendungen und Krümmungen. Als der zierliche Gymnastiker und Reitkünstler endlich still stand und höflich grüßte, erblickte man auf dem Boden des Hofes die Worte: »Sein Sie mir schönstens gegrüßt samt Ihrem Fräulein Tochter, mein hochverehrtester Herr Dapsul von Zabelthau!« Er hatte diese Worte mit schönen römischen Unzialbuchstaben in das Erdreich geritten. Hierauf sprang der Kleine vom Pferde, schlug dreimal Rad und sagte dann, daß er ein schönes Kompliment auszurichten habe an den Herrn Dapsul von Zabelthau von seinem gnädigen Herrn, dem Herrn Baron von Porphyrio von Ockerodastes, genannt Corduanspitz, und wenn es dem Herrn Dapsul von Zabelthau nicht unangenehm wäre, so wolle der Herr Baron auf einige Tage freundlich bei ihm einsprechen, da er künftig sein nächster Nachbar zu werden hoffe. –

Herr Dapsul von Zabelthau glich mehr einem Toten als einem Lebendigen, so bleich und starr stand er da an seine Tochter gelehnt. Kaum war [134] ein »Wird – mir – sehr erfreulich sein« mühsam seinen bebenden Lippen entflohen, als der kleine Reiter sich mit denselben Zeremonieen, wie er gekommen, blitzschnell entfernte. –

»Ach, meine Tochter,« rief nun Herr Dapsul von Zabelthau heulend und schluchzend, »ach, meine Tochter, meine arme unglückselige Tochter, es ist nur zu gewiß, es ist der Gnome, welcher kommt, dich zu entführen und mir den Hals umzudrehen! – Doch wir wollen den letzten Mut aufbieten, den wir etwa noch besitzen möchten! Vielleicht ist es möglich, den erzürnten Elementargeist zu versöhnen, wir müssen uns nur so schicklich gegen ihn benehmen, als es irgend in unserer Macht steht. – Sogleich werde ich dir, mein teures Kind, einige Kapitel aus dem Laktanz oder aus dem Thomas Aquinas vorlesen über den Umgang mit Elementargeistern, damit du keinen garstigen Schnitzer machst.« – Noch ehe aber der Herr Dapsul von Zabelthau den Laktanz, den Thomas Aquinas oder einen andern elementarischen Knigge herbeischaffen konnte, hörte man schon ganz in der Nähe eine Musik erschallen, die beinahe der zu vergleichen, die hinlänglich musikalische Kinder zum lieben Weihnachten aufzuführen pflegen. Ein schöner, langer Zug kam die Straße herauf. Voran ritten wohl an sechzig, siebzig kleine Reiter auf kleinen gelben Pferden, sämtlich gekleidet wie [135] der Abgesandte in gelben Habiten, spitzen Mützen und Stiefeln von poliertem Mahagoni. Ihnen folgte eine mit acht gelben Pferden bespannte Kutsche von dem reinsten Kristall, der noch ungefähr vierzig andere minder prächtige, teils mit sechs, teils mit vier Pferden bespannte Kutschen folgten. Noch eine Menge Pagen, Läufer und andere Diener schwärmten nebenher auf und nieder, in glänzenden Kleidern angetan, so daß das Ganze einen ebenso lustigen als seltsamen Anblick gewährte. Herr Dapsul von Zabelthau blieb versunken in trübes Staunen. Fräulein Ännchen, die bisher nicht geahnt, daß es auf der ganzen Erde solch niedliche schmucke Dinge geben könne als diese Pferdchen und Leutchen, geriet ganz außer sich und vergaß alles, sogar den Mund, den sie zum freudigen Ausruf weit genug geöffnet, wieder zuzumachen. –

Die achtspännige Kutsche hielt dicht vor dem Herrn Dapsul von Zabelthau. Reiter sprangen von den Pferden, Pagen, Diener eilten herbei, der Kutschenschlag wurde geöffnet, und wer nun aus den Armen der Dienerschaft herausschwebte aus der Kutsche, war niemand anders als der Herr Baron Porphyrio von Ockerodastes, genannt Corduanspitz. – Was seinen Wuchs betraf, so war der Herr Baron bei weitem nicht dem Apollo von Belvedere, ja nicht einmal dem sterbenden Fechter zu vergleichen. Denn [136] außerdem, daß er keine volle drei Fuß maß, so bestand auch der dritte Teil dieses kleinen Körpers aus dem offenbar zu großen, dicken Kopfe, dem übrigens eine tüchtige, lang gebogene Nase sowie ein Paar große, kugelrund hervorquellende Augen keine üble Zierde waren. Da der Leib auch etwas lang, so blieben für die Füßchen nur etwa vier Zoll übrig. Dieser kleine Spielraum war aber gut genutzt, denn an und für sich selbst waren die freiherrlichen Füßchen die zierlichsten, die man nur sehen konnte. Freilich schienen sie aber zu schwach, das würdige Haupt zu tragen; der Baron hatte einen schwankenden Gang, stülpte auch wohl manchmal um, stand aber gleich wieder wie ein Stehaufmännchen auf den Füßen, so daß jenes Umstülpen mehr der angenehme Schnörkel eines Tanzes schien. Der Baron trug einen enge anschließenden Habit von gleißendem Goldstoff und ein Mützchen, das beinahe einer Krone zu vergleichen, mit einem ungeheuren Busch von vielen krautgrünen Federn. Sowie der Baron nun auf der Erde stand, stürzte er auf den Herrn Dapsul von Zabelthau los, faßte ihn bei beiden Händen, schwang sich empor bis an seinen Hals, hing sich an diesen, und rief mit einer Stimme, die viel stärker dröhnte, als man es hätte der kleinen Statur zutrauen sollen: »O mein Dapsul von Zabelthau – mein teurer, innigst geliebter Vater!« Darauf [137] schwang der Baron sich ebenso behende und geschickt wieder herab von des Herrn von Dapsuls Halse, sprang oder schleuderte sich vielmehr auf Fräulein Ännchen los, faßte die Hand mit dem beringten Finger, bedeckte sie mit laut schmatzenden Küssen, und rief ebenso dröhnend als zuvor: »O mein allerschönstes Fräulein Anna von Zabelthau, meine geliebteste Braut!« Darauf klatschte der Baron in die Händchen, und alsbald ging die gellende, lärmende Kindermusik los, und über hundert kleine Herrlein, die den Kutschen und Pferden entstiegen, tanzten wie erst der Kurier zum Teil auf den Köpfen, dann wieder auf den Füßen, in den zierlichsten Trochäen, Spondäen, Jamben, Pyrrhichien, Anapästen, Tribrachen, Bachien, Antibachien, Choriamben und Daktylen, daß es eine Lust war. Während dieser Lust erholte sich aber Fräulein Ännchen von dem großen Schreck, den ihr des kleinen Barons Anrede verursacht, und geriet in allerlei wohlgegründete ökonomische Bedenken. »Wie,« dachte sie, »ist es möglich, daß das kleine Volk Platz hat in diesem kleinen Hause? – Wäre es auch mit der Not entschuldigt, wenn ich wenigstens die Dienerschaft in die große Scheune bettete, hätten sie auch da wohl Platz? Und was fange ich mit den Edelleuten an, die in den Kutschen gekommen und gewiß gewohnt sind, in schönen Zimmern sanft und weich gebettet zu [138] schlafen? – Sollten auch die beiden Ackerpferde heraus aus dem Stall, ja wäre ich unbarmherzig genug, auch den alten lahmen Fuchs herauszujagen ins Gras, ist dennoch wohl Platz genug für alle diese kleinen Bestien von Pferden, die der häßliche Baron mitgebracht? Und ebenso geht es ja mit den einundvierzig Kutschen! – Aber nun noch das Ärgste! – Ach du lieber Gott, reicht denn der ganze Jahresvorrat wohl hin, all diese kleinen Kreaturen auch nur zwei Tage hindurch zu sättigen?« Dies letzte Bedenken war nun wohl das allerschlimmste. Fräulein Ännchen sah schon alles aufgezehrt, alles neue Gemüse, die Hammelherde, das Federvieh, das eingesalzene Fleisch, ja selbst den Runkelrübenspiritus, und das trieb ihr die hellen Tränen in die Augen. Es kam ihr vor, als schnitte ihr eben der Baron Corduanspitz ein rechtes freches, schadenfrohes Gesicht, und das gab ihr den Mut, ihm, als seine Leute noch im besten Tanzen begriffen waren, in dürren Worten zu erklären, daß, so lieb dem Vater auch sein Besuch sein möge, an einen längern als zweistündigen Aufenthalt in Dapsulheim doch gar nicht zu denken, da es an Raum und allen übrigen Dingen, die zur Aufnahme und zur standesmäßigen Bewirtung eines solchen vornehmen, reichen Herrn nebst seiner zahlreichen Dienerschaft nötig, gänzlich mangle. Da sah aber der kleine Corduanspitz plötzlich [139] so ungemein süß und zart aus wie ein Marzipanbrötchen und versicherte, indem er mit zugedrückten Augen Fräulein Ännchens etwas rauhe und nicht zu weiße Hand an die Lippen drückte, daß er weit entfernt sei, dem lieben Papa und der schönsten Tochter auch nur die mindeste Ungelegenheit zu verursachen. Er führe alles mit sich, was Küche und Keller zu leisten habe; was aber die Wohnung betreffe, so verlange er nichts als ein Stückchen Erde und den freien Himmel darüber, damit seine Leute den gewöhnlichen Reisepalast bauen könnten, in dem er mitsamt seiner ganzen Dienerschaft, und was derselben noch an Vieh anhängig, hausen werde.

Über diese Worte des Baron Porphyrio von Ockerodastes wurde Fräulein Ännchen so vergnügt, daß sie, um zu zeigen, es käme ihr auch eben nicht darauf an, ihre Leckerbissen Preis zu geben, im Begriff stand, dem Kleinen Krapfkuchen, den sie von der letzten Kirchweih aufgehoben, und ein Gläschen Runkelrübengeist anzubieten, wenn er nicht doppelten Bitter vorziehe, den die Großmagd aus der Stadt mitgebracht und als magenstärkend empfohlen. Doch in dem Augenblick setzte Corduanspitz hinzu, daß er zum Aufbau des Palastes den Gemüsegarten erkoren, und hin war Ännchens Freude! – Während aber die Dienerschaft, um des Herrn Ankunft auf Dapsulheim zu feiern, ihre olympischen Spiele fortsetzte, [140] indem sie bald mit den dicken Köpfen sich in die spitzen Bäuche rannten und rückwärts überschlugen, bald sich in die Lüfte schleuderten, bald unter sich kegelten, selbst Kegel, Kugel und Kegler vorstellend u. s. w., vertiefte sich der kleine Baron Porphyrio von Ockerodastes mit dem Herrn Dapsul von Zabelthau in ein Gespräch, das immer wichtiger zu werden schien, bis beide Hand in Hand sich fortbegaben und den astronomischen Turm bestiegen.

Voller Angst und Schreck lief nun Fräulein Ännchen eiligst nach dem Gemüsegarten, um zu retten, was noch zu retten möglich. Die Großmagd stand schon auf dem Felde und starrte mit offnem Munde vor sich her, regungslos, als sei sie verwandelt in eine Salzsäule wie Loths Weib. Fräulein Ännchen neben ihr erstarrte gleichermaßen. Endlich schrieen aber beide, daß es weit in den Lüften umherschallte: »Ach mein Herr Jemine, was ist denn das für ein Unglück!« – Den ganzen, schönen Gemüsegarten fanden sie verwandelt in eine Wüstenei. Da grünte kein Kraut, blühte keine Staude; es schien ein ödes, verwüstetes Feld. »Nein,« schrie die Magd ganz erbost, »es ist nicht anders möglich, das haben die verfluchten kleinen Kreaturen getan, die soeben angekommen sind – in Kutschen sind sie gefahren? Wollen wohl vornehme Leute vorstellen? – Ha ha! – Kobolde sind es, glauben [141] Sie mir, Fräulein Ännchen, nichts als unchristliche Hexenkerls, und hätt' ich nur ein Stückchen Kreuzwurzel bei der Hand, so sollten sie ihre Wunder sehen. – Doch sie sollen nur kommen, die kleinen Bestien, mit diesem Spaten schlage ich sie tot!« Damit schwang die Großmagd ihre bedrohliche Waffe hoch in den Lüften, indem Fräulein Ännchen laut weinte.

Es nahten sich indessen jetzt vier Herren aus Corduanspitzes Gefolge mit solchen angenehmen, zierlichen Mienen und höflichen Verbeugungen, sahen auch dabei so höchst wunderbar aus, daß die Großmagd, statt, wie sie gewollt, gleich zuzuschlagen, den Spaten langsam sinken ließ, und Fräulein Ännchen einhielt mit Weinen.

Die Herren kündigten sich als die den Herrn Baron Porphyrio von Ockerodastes, genannt Corduanspitz, zunächst umgebenden Freunde an, waren, wie es auch ihre Kleidung wenigstens symbolisch andeutete, von vier verschiedenen Nationen, und nannten sich: Pan Kapustowicz aus Polen, Herr von Schwarzrettig aus Pommern, Signor di Broccoli aus Italien, Monsieur de Roccambolle aus Frankreich. Sie versicherten in sehr wohlklingenden Redensarten, daß sogleich die Bauleute kommen und dem allerschönsten Fräulein das hohe Vergnügen bereiten würden, in möglichster Schnelle einen hübschen Palast aus lauter Seide aufbauen zu sehen.

[142]

»Was kann mir der Palast aus Seide helfen,« rief Fräulein Ännchen laut weinend im tiefsten Schmerz, »was geht mich überhaupt euer Baron Corduanspitz an, da ihr mich um alles schöne Gemüse gebracht habt, ihr schlechten Leute, und alle meine Freude dahin ist.« Die höflichen Leute trösteten aber Fräulein Ännchen und versicherten, daß sie durchaus gar nicht Schuld wären an der Verwüstung des Gemüsegartens, daß derselbe im Gegenteil bald wieder in einem solchen Flor grünen und blühen werde, wie ihn Fräulein Ännchen noch niemals und überhaupt noch keinen in der Welt gesehen.

Die kleinen Bauleute kamen wirklich, und nun ging ein solches tolles, wirres Durcheinandertreiben auf dem Acker los, daß Fräulein Ännchen sowohl als die Großmagd ganz erschrocken davon rannten bis an die Ecke eines Busches, wo sie stehen blieben und zuschauen wollten, wie sich dann alles begeben würde.

Ohne daß sie aber auch nur im mindesten begriffen, wie das mit rechten Dingen zugehen konnte, formte sich vor ihren Augen in wenigen Minuten ein hohes prächtiges Gezelt aus goldgelbem Stoff mit bunten Kränzen und Federn geschmückt, das den ganzen Raum des großen Gemüsegartens einnahm, so daß die Zeltschnüre über das Dorf weg bis in den nahgelegenen Wald gingen und dort an starken Bäumen befestigt waren.

[143]

Kaum war das Gezelt fertig, als der Baron Porphyrio von Ockerodastes mit dem Herrn Dapsul von Zabelthau hinabkam von dem astronomischen Turm, nach mehreren Umarmungen in die achtspännige Kutsche stieg, und nebst seinem Gefolge in derselben Ordnung wie er nach Dapsulheim gekommen, hineinzog in den seidenen Palast, der sich hinter dem letzten Mann zuschloß.

Nie hatte Fräulein Ännchen den Papa so gesehen. Auch die leiseste Spur der Betrübnis, von der er sonst stets heimgesucht, war weggetilgt von seinem Antlitz; es war beinahe, als wenn er lächelte, und dabei hatte sein Blick in der Tat etwas Verklärtes, das denn wohl auf ein großes Glück zu deuten pflegt, das jemandem ganz unvermutet über den Hals gekommen. – Schweigend nahm Herr Dapsul von Zabelthau Fräulein Ännchens Hand, führte sie hinein in das Haus, umarmte sie dreimal hintereinander und brach dann endlich los: »Glückliche Anna – überglückliches Kind! – glücklicher Vater! – O Tochter, alle Besorgnis, aller Gram, alles Herzeleid ist nun vorüber! – Dich trifft ein Los, wie es nicht so leicht einer Sterblichen vergönnt ist! Wisse, dieser Baron Porphyrio von Ockerodastes, genannt Corduanspitz, ist keinesweges ein feindseliger Gnome, wiewohl er von einem dieser Elementargeister abstammt, dem es aber gelang, seine höhere [144] Natur durch den Unterricht des Salamanders Oromasis zu reinigen. Aus dem geläuterten Feuer ging aber die Liebe zu einer Sterblichen hervor, mit der er sich verband und Ahnherr der illüstersten Familie wurde, durch deren Namen jemals ein Pergament geziert wurde. – Ich glaube dir, geliebte Tochter Anna, schon gesagt zu haben, daß der Schüler des großen Salamanders Oromasis, der edle Gnome Tsilmenech – ein chaldäischer Name, der in echtem reinen Deutsch so viel heißt als Grützkopf – sich in die berühmte Magdalena de la Croix, Äbtissin eines Klosters zu Cordua in Spanien, verliebte, und wohl an die dreißig Jahre mit ihr in einer glücklichen, vergnügten Ehe lebte. Ein Sprößling der sublimen Familie höherer Naturen, die aus dieser Verbindung sich fortpflanzte, ist nun der liebe Baron Porphyrio von Ockerodastes, der den Zunamen Corduanspitz angenommen, zur Bezeichnung seiner Abstammung aus Cordua in Spanien, und um sich von einer mehr stolzen, im Grunde aber weniger würdigen Seitenlinie zu unterscheiden, die den Beinamen Saffian trägt. Daß dem Corduan ein Spitz zugesetzt worden, muß seine besonderen elementarisch-astrologischen Ursachen haben; ich dachte noch nicht darüber nach. Dem Beispiel seines großen Ahnherrn folgend, des Gnomen Tsilmenech, der die Magdalena de la Croix auch schon seit ihrem zwölften Jahre [145] liebte, hat dir auch der vortreffliche Ockerodastes seine Liebe zugewandt, als du erst zwölf Jahre zähltest. Er war so glücklich, von dir einen kleinen goldnen Fingerreif zu erhalten, und nun hast du auch seinen Ring angesteckt, so daß du unwiderruflich seine Braut geworden.« – »Wie,« rief Fräulein Ännchen voll Schreck und Bestürzung, »wie? – seine Braut? – den abscheulichen kleinen Kobold soll ich heiraten? Bin ich denn nicht längst die Braut des Herrn Amandus von Nebelstern? – Nein! – nimmermehr nehme ich den häßlichen Hexenmeister zum Mann, und mag er tausendmal aus Corduan sein oder aus Saffian!« – »Da,« erwiderte Herr Dapsul von Zabelthau ernster werdend, »da sehe ich denn zu meinem Leidwesen, wie wenig die himmlische Weisheit deinen verstockten irdischen Sinn zu durchdringen vermag! Häßlich, abscheulich nennst du den edlen elementarischen Porphyrio von Ockerodastes, vielleicht weil er nur drei Fuß hoch ist, und außer dem Kopf an Leib, Arm und Bein und anderen Nebensachen nichts Erkleckliches mit sich trägt, statt daß ein solcher irdischer Geck, wie du ihn dir wohl denken magst, die Beine nicht lang genug haben kann der Rockschöße wegen? O meine Tochter, in welchem heillosen Zustande bist du befangen! – Alle Schönheit liegt in der Weisheit, alle Weisheit in dem Gedanken, und das [146] physische Symbol des Gedankens ist der Kopf! – Je mehr Kopf, desto mehr Schönheit und Weisheit, und könnte der Mensch alle übrigen Glieder als schädliche Luxusartikel, die vom Übel, wegwerfen, er stände da als höchstes Ideal! Woraus entsteht alle Beschwerde, alles Ungemach, alle Zwietracht, aller Hader, kurz alles Verderben des Irdischen, als aus der verdammten Üppigkeit der Glieder? – O welcher Friede, welche Ruhe, welche Seligkeit auf Erden, wenn die Menschheit existierte ohne Leib, Steiß, Arm und Bein! – wenn sie aus lauter Büsten bestünde! – Glücklich ist daher der Gedanke der Künstler, wenn sie große Staatsmänner oder große Gelehrte als Büste darstellen, um symbolisch die höhere Natur anzudeuten, die ihnen inwohnen muß vermöge ihrer Charge oder ihrer Bücher! – Also! meine Tochter Anna, nichts von Häßlichkeit, Abscheulichkeit oder sonstigem Tadel des edelsten der Geister, des herrlichen Porphyrio von Ockerodastes, dessen Braut du bist und bleibst! – Wisse, daß durch ihn auch dein Vater in kurzem die höchste Stufe des Glücks, dem er so lange vergebens nachgetrachtet, ersteigen wird. Porphyrio von Ockerodastes ist davon unterrichtet, daß mich die Sylphide Nehahilah (syrisch, so viel als Spitznase) liebt, und will mir mit allen Kräften beistehen, daß ich der Verbindung mit dieser höheren geistigen Natur ganz [147] würdig werde. – Du wirst, mein liebes Kind, mit deiner künftigen Stiefmutter wohl zufrieden sein. – Möge ein günstiges Verhängnis es so fügen, daß unsere beiden Hochzeiten zu einer und derselben glücklichen Stunde gefeiert werden könnten!« – Damit verließ der Herr Dapsul von Zabelthau, indem er der Tochter noch einen bedeutenden Blick zugeworfen, pathetisch das Zimmer. –

Dem Fräulein Ännchen fiel es schwer aufs Herz, als sie sich erinnerte, daß ihr wirklich vor langer Zeit, da sie noch ein Kind, ein kleiner Goldreif vom Finger abhanden gekommen auf unbegreifliche Weise. Nun war es ihr gewiß, daß der kleine abscheuliche Hexenmeister sie wirklich in sein Garn verlockt, so daß sie kaum mehr entrinnen könne, und darüber geriet sie in die alleräußerste Betrübnis. Sie mußte ihrem gepreßten Herzen Luft machen, und das geschah mittels eines Gänsekiels, den sie ergriff und flugs an den Herrn Amandus von Nebelstern schrieb in folgender Weise:

»Mein herzliebster Amandus!

Es ist alles rein aus, ich bin die unglücklichste Person auf der ganzen Erde und schluchze und heule vor lauter Betrübnis so sehr, daß das liebe Vieh sogar Mitleid und Erbarmen mit mir hat, viel mehr wirst du davon gerührt werden; eigentlich geht das Unglück auch dich ebensogut an als mich, und du wirst [148] dich ebenso betrüben müssen! Du weißt doch, daß wir uns so herzlich lieben, als nur irgend ein Liebespaar sich lieben kann, und daß ich deine Braut bin, und daß uns der Papa zur Kirche geleiten wollte? – Nun! da kommt plötzlich ein kleiner garstiger gelber Mensch in einer achtspännigen Kutsche, von vielen Herrn und Dienern begleitet, angezogen und behauptet, ich hätte mit ihm Ringe gewechselt und wir wären Braut und Bräutigam! – Und denke einmal, wie schrecklich! der Papa sagt auch, daß ich den kleinen Unhold heiraten müsse, weil er aus einer sehr vornehmen Familie sei. Das mag sein, nach dem Gefolge zu urteilen und den glänzenden Kleidern, die sie tragen, aber einen solchen greulichen Namen hat der Mensch, daß ich schon deshalb niemals seine Frau werden mag. Ich kann die unchristlichen Wörter, aus denen der Name besteht, gar nicht einmal nachsprechen. Übrigens heißt er aber auch Corduanspitz, und das ist eben der Familienname. Schreib' mir doch, ob die Corduanspitze wirklich so erlaucht und vornehm sind, man wird das wohl in der Stadt wissen. Ich kann gar nicht begreifen, was dem Papa einfällt in seinen alten Tagen, er will auch noch heiraten, und der häßliche Corduanspitz soll ihn verkuppeln an eine Frau, die in den Lüften schwebt. – Gott schütze uns! – Die Großmagd zuckt die Achseln und meint, von solchen [149] gnädigen Frauen, die in der Luft flögen und auf dem Wasser schwämmen, halte sie nicht viel, sie würde gleich aus dem Dienst gehen und wünsche meinetwegen, daß die Stiefmama womöglich den Hals brechen möge bei dem ersten Luftritt zu St. Walpurgis. – Das sind schöne Dinge! – Aber auf dich steht meine ganze Hoffnung! – Ich weiß ja, daß du derjenige bist, der da soll und muß, und mich retten wirst aus großer Gefahr. Die Gefahr ist da, komm, eile, rette

deine bis in den Tod betrübte, aber getreueste Braut
Anna von Zabelthau.

N.S. könntest du den kleinen gelben Corduanspitz nicht herausfordern? Du wirst gewiß gewinnen, denn er ist etwas schwach auf den Beinen.

N.S. Ich bitte dich nochmals, ziehe dich nur gleich an und eile zu deiner unglückseligsten, so wie oben, aber getreuesten Braut Anna von Zabelthau.«

Viertes Kapitel.

In welchem die Hofhaltung eines mächtigen Königs beschrieben, nächstdem aber von einem blutigen Zweikampf und andern seltsamen Vorfällen Nachricht gegeben wird.

Fräulein Ännchen fühlte sich vor lauter Betrübnis wie gelähmt an allen Gliedern. Am Fenster [150] saß sie mit übereinander geschlagenen Armen und starrte hinaus, ohne des Gackerns, Krähens, Mauzens und Piepens des Federviehs zu achten, das, da es zu dämmern begann, wie gewöhnlich von ihr zur Ruhe gebracht werden wollte. Ja, sie ließ es mit der größten Gleichgültigkeit geschehen, daß die Magd dies Geschäft besorgte und dem Haushahn, der sich in die Ordnung der Dinge nicht fügen, ja sich gegen die Stellvertreterin auflehnen wollte, mit der Peitsche einen ziemlich derben Schlag versetzte. Der eigne Liebesschmerz, der ihre Brust zerriß, raubte ihr alles Gefühl für das Leid des liebsten Zöglings ihrer süßesten Stunden, die sie der Erziehung gewidmet, ohne den Chesterfield oder den Knigge zu lesen, ja ohne die Frau von Genlis oder andere seelenkennerische Damen zu Rate zu ziehen, die auf ein Haar wissen, wie junge Gemüter in die rechte Form zu kneten. – Man hätte ihr das als Leichtsinn anrechnen können. –

Den ganzen Tag hatte sich Corduanspitz nicht sehen lassen, sondern war bei dem Herrn Dapsul von Zabelthau auf dem Turm geblieben, wo sehr wahrscheinlich wichtige Operationen vorgenommen sein mußten. Jetzt aber bemerkte Fräulein Ännchen den Kleinen, wie er im glühenden Schein der Abendsonne über den Hof wankte. Er kam ihr in seinem hochgelben Habit garstiger vor als jemals, und die [151] possierliche Art, wie er hin und her hüpfte, jeden Augenblick umzustülpen schien, sich wieder empor schleuderte, worüber ein anderer sich krank gelacht haben würde, verursachte ihr nur noch mehr Gram. Ja sie hielt endlich beide Hände vors Gesicht, um den widerwärtigen Popanz nur nicht ferner zu schauen. Da fühlte sie plötzlich, daß jemand sie an der Schürze zupfe. »Kusch, Feldmann!« rief sie, meinend, es sei der Hund, der sie zupfe. Es war aber nicht der Hund, vielmehr erblickte Fräulein Ännchen, als sie die Hände vom Gesicht nahm, den Herrn Baron Porphyrio von Ockerodastes, der sich mit einer beispiellosen Behendigkeit auf ihren Schoß schwang und sie mit beiden Armen umklammerte. Vor Schreck und Abscheu schrie Fräulein Ännchen laut auf und fuhr von dem Stuhl in die Höhe. Corduanspitz blieb aber an ihrem Halse hängen und wurde in dem Augenblick so fürchterlich schwer, daß er mit einem Gewicht von wenigstens zwanzig Zentnern das arme Ännchen pfeilschnell wieder herabzog auf den Stuhl, wo sie gesessen. Jetzt rutschte Corduanspitz aber auch sogleich herab von Ännchens Schoß, ließ sich so zierlich und manierlich, als es bei einigem Mangel an Gleichgewicht nur in seinen Kräften stand, nieder auf sein rechtes kleines Knie und sprach dann mit einem klaren, etwas besonders, aber nicht eben widerlich klingenden Ton: »Angebetetes Fräu [152] lein Anna von Zabelthau, vortrefflichste Dame, auserwählteste Braut, nur keinen Zorn, ich bitte, ich flehe! – nur keinen Zorn, keinen Zorn! – Ich weiß, Sie glauben, meine Leute hätten Ihren schönen Gemüsegarten verwüstet, um meinen Palast zu bauen? O Mächte des Alls! – Könnten Sie doch nur hineinschauen in meinen geringen Leib und mein in lauter Liebe und Edelmut hüpfendes Herz erblicken! – Könnten Sie doch nur alle Kardinaltugenden entdecken, die unter diesem gelben Atlas in meiner Brust versammelt sind! – O wie weit bin ich von jener schmachvollen Grausamkeit entfernt, die Sie mir zutrauen! – Wie wäre es möglich, daß ein milder Fürst seine eignen Unterta – doch halt! – halt! – Was sind Worte, Redensarten! – Schauen müssen sie selbst, o Braut! ja schauen selbst die Herrlichkeiten, die Ihrer warten! Sie müssen mit mir gehen, ja mit mir gehen auf der Stelle; ich führe Sie in meinen Palast, wo ein freudiges Volk lauert auf die angebetete Geliebte des Herrn!«

Man kann denken, wie Fräulein Ännchen sich vor Corduanspitzes Zumutung entsetzte, wie sie sich sträubte, dem bedrohlichen Popanz auch nur einen Schritt zu folgen. Corduanspitz ließ aber nicht nach, ihr die außerordentliche Schönheit, den grenzenlosen Reichtum des Gemüsegartens, der eigentlich sein Palast sei, mit solchen eindringlichen Worten zu be [153] schreiben, daß sie endlich sich entschloß, wenigstens etwas hineinzugucken in das Gezelt, welches ihr denn doch ganz und gar nicht schaden könne. – Der Kleine schlug vor lauter Freude und Entzücken wenigstens zwölfmal hintereinander Rad, faßte dann aber sehr zierlich Fräulein Ännchens Hand und führte sie durch den Garten nach dem seidnen Palast.

Mit einem lauten »Ach!« blieb Fräulein Ännchen wie in den Boden gewurzelt stehen, als die Vorhänge des Einganges aufrollten und sich ihr die Aussicht eines unabsehbaren Gemüsegartens erschloß von solcher Herrlichkeit, wie sie auch in den schönsten Träumen von blühendem Kohl und Kraut keinen jemals erblickt. Da grünte und blühte alles, was nur Kraut und Kohl und Rübe und Salat und Erbse und Bohne heißen mag, in funkelndem Schimmer und solcher Pracht, daß es gar nicht zu sagen. – Die Musik von Pfeifen und Trommeln und Cymbeln ertönte stärker, und die vier artigen Herrn, die Fräulein Ännchen schon kennen gelernt, nämlich der Herr von Schwarzrettig, der Monsieur de Roccambolle, der Signor di Broccoli und der Pan Kapustowicz, nahten sich unter vielen ceremoniösen Bücklingen.

»Meine Kammerherrn,« sprach Porphyrio von Ockerodastes lächelnd, und führte, indem die genannten Kammerherrn voranschritten, Fräulein Ännchen durch [154] die Doppelreihe, welche die rote englische Karottengarde bildete, bis in die Mitte des Feldes, wo sich ein hoher prächtiger Thron erhob. Um diesen Thron waren die Großen des Reichs versammelt, die Salatprinzen mit den Bohnenprinzessinnen, die Gurkenherzoge mit dem Melonenfürsten an ihrer Spitze, die Kopfkohlminister, die Zwiebel- und Rübengeneralität, die Federkohldamen u. s. w., alle in den glänzendsten Kleidern ihres Ranges und Standes. Und dazwischen liefen wohl an hundert allerliebste Lavendel- und Fenchelpagen umher und verbreiteten süße Gerüche. Als Ockerodastes mit Fräulein Ännchen den Thron bestiegen, winkte der Oberhofmarschall Turneps mit seinem langen Stabe, und sogleich schwieg die Musik und alles horchte in stiller Ehrfurcht. Da erhob Ockerodastes seine Stimme und sprach sehr feierlich: »Meine getreuen und sehr lieben Untertanen! Seht hier an meiner Seite das edle Fräulein Anna von Zabelthau, das ich zu meiner Gemahlin erkoren. Reich an Schönheit und Tugend, hat sie euch schon lange mit mütterlich liebenden Augen betrachtet, ja euch weiche, fette Lager bereitet und gehegt und gepflegt. Sie wird euch stets eine treue, würdige Landesmutter sein und bleiben. Bezeigt jetzt den ehrerbietigen Beifall, sowie ordnungsmäßigen Jubel über die Wohltat, die ich im Begriff stehe euch huldvoll zufließen zu lassen!« Auf ein [155] zweites Zeichen des Oberhofmarschalls Turneps ging nun ein tausendstimmiger Jubel los, die Bollenartillerie feuerte ihr Geschütz ab und die Musiker der Karottengarde spielten das bekannte Festlied: Salat-Salat und grüne Petersilie! – Es war ein großer, erhabener Moment, der den Großen des Reichs, vorzüglich aber den Federkohldamen Tränen der Wonne entlockte. Fräulein Ännchen hätte beinahe auch alle Fassung verloren, als sie gewahrte, daß der Kleine eine von Diamanten funkelnde Krone auf dem Haupte, in der Hand aber ein goldnes Scepter trug. »Ei,« sprach sie, indem sie voll Erstaunen die Hände zusammenschlug, »ei du mein Herr Jemine! Sie sind ja wohl viel mehr, als Sie scheinen, mein lieber Herr von Corduanspitz?« – »Angebetete Anna,« erwiderte Ockerodastes sehr sanft, »die Gestirne zwangen mich, bei Ihrem Herrn Vater unter einem erborgten Namen zu erscheinen. Erfahren Sie, bestes Kind, daß ich einer der mächtigsten Könige bin und ein Reich beherrsche, dessen Grenzen gar nicht zu entdecken sind, da sie auf der Karte zu illuminieren vergessen worden. Es ist der Gemüsekönig Daucus Carota der Erste, der Ihnen, o süßeste Anna, seine Hand und seine Krone darreicht. Alle Gemüsefürsten sind meine Vasallen, und nur einen einzigen Tag im Jahre regiert nach einem uralten Herkommen der Bohnenkönig.« – »Also,« rief [156] Fräulein Ännchen freudig, »also eine Königin soll ich werden und diesen herrlichen, prächtigen Gemüsegarten besitzen?« König Daucus Carota versicherte nochmals, daß dies allerdings der Fall sei, und fügte hinzu, daß seiner und ihrer Herrschaft alles Gemüse unterworfen sein werde, das nur emporkeime aus der Erde. So was hatte nun Fräulein Ännchen wohl gar nicht erwartet und sie fand, daß der kleine Corduanspitz seit dem Augenblick, als er sich in den König Daucus Carota den Ersten umgesetzt, gar nicht mehr so häßlich war als vorher, und daß ihm Krone und Scepter sowie der Königsmantel ganz ungemein artig standen. Rechnete noch Fräulein Ännchen sein artiges Benehmen und die Reichtümer hinzu, die ihr durch diese Verbindung zu teil wurden, so mußte sie wohl überzeugt sein, daß kein Landfräulein hienieden eine bessere Partie zu machen im stande sei als eben sie, die im Umsehn eine Königsbraut geworden. Fräulein Ännchen war deshalb auch über alle Maßen vergnügt und fragte den königlichen Bräutigam, ob sie nicht gleich in dem schönen Palast bleiben, und ob nicht morgenden Tages die Hochzeit gefeiert werden könne. König Daucus erwiderte indessen, daß, so sehr ihn die Sehnsucht der angebeteten Braut entzücke, er doch gewisser Konstellationen halber sein Glück noch verschieben müsse. Der Herr Dapsul von Zabelthau [157] dürfe nämlich für jetzt den königlichen Stand seines Eidams durchaus nicht erfahren, da sonst die Operationen, die die gewünschte Verbindung mit der Sylphide Nehahilah bewirken sollten, gestört werden könnten. Überdem habe er auch dem Herrn Dapsul von Zabelthau versprochen, daß beide Vermählungen an einem Tage gefeiert werden sollten. Fräulein Ännchen mußte feierlich geloben, dem Herrn Dapsul von Zabelthau auch nicht eine Silbe davon zu verraten, was sich mit ihr begeben; sie verließ dann den seidnen Palast unter dem lauten, lärmenden Jubel des durch ihre Schönheit, durch ihr leutseliges, herablassendes Betragen ganz in Wonne berauschten Volks.

Im Traume sah sie das Reich des allerliebsten Königs Daucus Carota noch einmal und schwamm in lauter Seligkeit. –

Der Brief, den sie dem Herrn Amandus von Nebelstern gesendet, hatte auf den armen Jüngling eine fürchterliche Wirkung gemacht. Nicht lange dauerte es, so erhielt Fräulein Ännchen folgende Antwort:

»Abgott meines Herzens, himmlische Anna!

Dolche, spitze, glühende, giftige, tötende Dolche waren mir die Worte deines Briefes, die meine Brust durchbohrten. O Anna! Du sollst mir entrissen werden? Welch ein Gedanke! Ich kann es noch gar nicht begreifen, daß ich nicht auf der Stelle un [158] sinnig geworden bin und irgend einen fürchterlichen, grausamen Spektakel gemacht habe! – Doch floh ich ergrimmt über mein todbringendes Verhängnis die Menschen, und lief gleich nach Tische, ohne wie sonst Billard zu spielen, hinaus in den Wald, wo ich die Hände rang und tausendmal deinen Namen rief! – Es fing gewaltig an zu regnen, und ich hatte gerade eine ganz neue Mütze von rotem Sammt mit einer prächtigen goldnen Troddel aufgesetzt. Die Leute sagen, daß noch keine Mütze so mir zu Gesicht gestanden als diese. – Der Regen konnte das Prachtstück des Geschmacks verderben, doch was frägt die Verzweiflung der Liebe nach Mützen, nach Sammt und Gold! – So lange lief ich umher, bis ich ganz durchnäßt und durchkältet war und ein entsetzliches Bauchgrimmen fühlte. Das trieb mich in das nahgelegene Wirtshaus, wo ich mir excellenten Glühwein machen ließ und dazu eine Pfeife deines himmlischen Virginiers rauchte. – Bald fühlte ich mich von einer göttlichen Begeisterung erhoben, ich riß meine Brieftasche hervor, warf in aller Schnelle ein Dutzend herrliche Gedichte hin und, o wunderbare Gabe der Dichtkunst! – beides war verschwunden, Liebesverzweiflung und Bauchgrimmen. – Nur das letzte dieser Gedichte will ich dir mitteilen, und auch dich, o Zierde der Jungfrauen, wird wie mich freudige Hoffnung erfüllen!

[159]

Winde mich in Schmerzen
Ausgelöscht im Herzen
Sind die Liebeskerzen,
Mag nie wieder scherzen!
Doch der Geist, er neigt sich,
Wort und Reim erzeugt sich,
Schreibe Verslein nieder.
Froh bin ich gleich wieder,
Tröstend in dem Herzen
Flammen Liebeskerzen,
Weg sind alle Schmerzen,
Mag auch freundlich scherzen.

Ja, meine süße Anna! – bald eile ich, ein schützender Ritter, herbei und entreiße dich dem Bösewicht, der dich mir rauben will! – Damit du indessen bis dahin nicht verzweifelst, schreibe ich dir einige göttliche trostreiche Kernsprüche aus meines herrlichen Meisters Schatzkästlein her; du magst dich daran erlaben.


Die Brust wird weit, dem Geiste wachsen Flügel?
Sei Herz, Gemüt, doch lust'ger Eulenspiegel!


Liebe kann die Liebe hassen,
Zeit auch wohl die Zeit verpassen.


[160] Die Lieb ist Blumenduft ein Sein ohn Unterlaß,
O Jüngling, wasch den Pelz, doch mach ihn ja nicht naß!


Sagst du, im Winter weht frostiger Wind?
Warm sind doch Mäntel, wie Mäntel nun sind!


Welche göttliche, erhabene, überschwengliche Maximen! – Und wie einfach, wie anspruchslos, wie körnig ausgedrückt! – Nochmals also, meine süßeste Maid! Sei getrost, trage mich im Herzen wie sonst. Es kommt, es rettet dich, es drückt dich an seine im Liebessturm wogende Brust dein getreuester

Amandus von Nebelstern.

N.S. Herausfordern kann ich den Herrn von Corduanspitz auf keinen Fall. Denn, o Anna! jeder Tropfen Bluts, der deinem Amandus entquillen könnte bei dem feindlichen Angriff eines verwegenen Gegners, ist herrliches Dichterblut, der Ichor der Götter, der nicht verspritzt werden darf. Die Welt hat den gerechten Anspruch, daß ein Geist wie ich sich für sie schone, auf alle mögliche Weise konserviere. – Des Dichters Schwert ist das Wort, der Gesang. Ich will meinem Nebenbuhler auf den Leib fahren mit tyrtäischen Schlachtliedern, ihn niederstoßen mit spitzen Epigrammen, ihn niederhauen mit Dithyramben voll Liebeswut – das sind die Waffen des echten, wahren Dichters, die immerdar siegreich [161] ihn sicher stellen gegen jeden Angriff, und so gewaffnet und gewappnet werde ich erscheinen und mir deine Hand erkämpfen, o Anna!

Lebe wohl, nochmals drücke ich dich an meine Brust! – Hoffe alles von meiner Liebe und vorzüglich von meinem Heldenmut, der keine Gefahr scheuen wird, dich zu befreien aus den schändlichen Netzen, in die dich allem Anschein nach ein dämonischer Unhold verlockt hat!« –

Fräulein Ännchen erhielt diesen Brief, als sie gerade mit dem bräutigamlichen König Daucus Carota dem Ersten auf der Wiese hinter dem Garten Haschemännchen spielte und große Freude hatte, wenn sie sich in vollem Lauf schnell niederduckte und der kleine König über sie wegschoß. Aber nicht wie sonst, steckte sie das Schreiben des Geliebten ohne es zu lesen in die Tasche, und wir werden gleich sehen, daß es zu spät gekommen.

Gar nicht begreifen konnte Herr Dapsul von Zabelthau, wie Fräulein Ännchen ihren Sinn so plötzlich geändert und den Herrn Porphyrio von Ockerodastes, den sie erst so abscheulich gefunden, liebgewonnen hatte. Er befragte darüber die Gestirne; da diese ihm aber auch keine befriedigende Antwort gaben, so mußte er dafür halten, daß des Menschen Sinn unerforschlicher sei als alle Geheimnisse des Weltalls und sich durch keine Konstellation erfassen lasse. – [162] Daß nämlich bloß die höhere Natur des Bräutigams auf Ännchen zur Liebe gewirkt haben solle, konnte er, da es dem Kleinen an Leibesschönheit gänzlich mangelte, nicht annehmen. War, wie der geneigte Leser schon vernommen, der Begriff von Schönheit, wie ihn Herr Dapsul von Zabelthau statuierte, auch himmelweit von dem Begriff verschieden, wie ihn junge Mädchen in sich tragen, so hatte er doch wenigstens so viel irdische Erfahrung, um zu wissen, daß besagte Mädchen meinen, Verstand, Witz, Geist, Gemüt seien gute Mietsleute in einem schönen Hause, und daß ein Mann, dem ein modischer Frack nicht zum besten steht, und sollte er sonst ein Shakespeare, ein Goethe, ein Tieck, ein Friedrich Richter sein, Gefahr läuft, von jedem hinlänglich angenehm gebauten Husarenleutnant in der Staatsuniform gänzlich aus dem Felde geschlagen zu werden, sobald es ihm einfällt, einem jungen Mädchen entgegen zu rücken. – Bei Fräulein Ännchen hatte sich nun zwar das ganz anders zugetragen, und es handelte sich weder um Schönheit noch um Verstand; indessen trifft es sich wohl selten, daß ein armes Landfräulein plötzlich Königin werden soll, und konnte daher von dem Herrn Dapsul von Zabelthau nicht wohl vermutet werden, zumal ihn auch hier die Gestirne im Stich ließen.

Man kann denken, daß die drei Leute, Herr Por [163] phyrio von Ockerodastes, Herr Dapsul von Zabelthau und Fräulein Ännchen, ein Herz und eine Seele waren. Es ging so weit, daß Herr Dapsul von Zabelthau öfter, als sonst jemals geschehn, den Turm verließ, um mit dem geschätzten Eidam über allerlei vergnügliche Dinge zu plaudern, und vorzüglich pflegte er nun sein Frühstück jedesmal unten im Hause einzunehmen. Um diese Zeit kam denn auch Herr Porphyrio von Ockerodastes aus seinem seidenen Palast hervor, und ließ sich von Fräulein Ännchen mit Butterbrot füttern. »Ach, ach,« kickerte Fräulein Ännchen ihm oft ins Ohr, »ach, ach, wenn Papa wüßte, daß Sie eigentlich ein König sind, bester Corduanspitz.« – »Halt' dich, Herz,« erwiderte Daucus Carota der Erste, »halt' dich, Herz, und vergeh' nicht in Wonne. – Nah, nah ist dein Freudentag!« –

Es begab sich, daß der Schulmeister dem Fräulein Ännchen einige Bund der herrlichsten Radiese aus seinem Garten verehrt hatte. Dem Fräulein Ännchen war das über alle Maßen lieb, da Herr Dapsul von Zabelthau sehr gern Radiese aß, Ännchen aber aus dem Gemüsegarten, über den der Palast erbaut war, nichts entnehmen konnte. Überdem fiel ihr aber auch jetzt erst ein, daß sie unter den mannigfaltigsten Kräutern und Wurzeln im Palast nur allein Radiese nicht gewahrt hatte.

[164]

Fräulein Ännchen putzte die geschenkten Radiese schnell ab, und trug sie dem Vater auf zum Frühstück. Schon hatte Herr Dapsul von Zabelthau mehreren unbarmherzig die Blätterkrone weggeschnitten, sie ins Salzfaß gestippt und vergnüglich verzehrt, als Corduanspitz hereintrat. »O, mein Ockerodastes, genießen Sie Radiese!« so rief ihm Herr Dapsul von Zabelthau entgegen. Es lag noch ein großer, vorzüglich schöner Radies auf dem Teller. Kaum erblickte Corduanspitz aber diesen, als seine Augen grimmig zu funkeln begannen und er mit fürchterlich dröhnender Stimme rief: »Was, unwürdiger Herzog, Ihr wagt es noch, vor meinen Augen zu erscheinen, ja Euch mit verruchter Unverschämtheit einzudrängen in ein Haus, das beschirmt ist von meiner Macht? Habe ich Euch, der mir den rechtmäßigen Thron streitig machen wollte, nicht verbannt auf ewige Zeiten? – Fort, fort mit Euch, verräterischer Vasall!« Dem Radies waren plötzlich zwei Beinchen unter dem dicken Kopf gewachsen, mit denen er schnell aus dem Teller hinabsprang; dann stellte er sich dicht hin vor Corduanspitz und ließ sich also vernehmen: »Grausamer Daucus Carota der Erste, der du vergebens trachtest, meinen Stamm zu vernichten! Hat je einer deines Geschlechts einen solchen großen Kopf gehabt als ich und meine Verwandten? – Verstand, Weisheit, Scharfsinn, Courtoisie, mit allem dem sind wir [165] begabt, und während Ihr Euch herumtreibt in Küchen und in Ställen und nur in hoher Jugend etwas geltet, so daß recht eigentlich der diable de la jeunesse nur Euer schnell vorüberfliehendes Glück macht, so genießen wir des Umgangs hoher Personen, und mit Jubel werden wir begrüßt, sowie wir nur unsere grünen Häupter erheben! – Aber ich trotze dir, o Daucus Carota, bist du auch gleich ein ungeschlachter Schlingel wie alle deinesgleichen! Laß sehen, wer hier der Stärkste ist!« – Damit schwang der Radiesherzog eine lange Peitsche und ging ohne weiteres dem König Daucus Carota dem Ersten zu Leibe. Dieser zog aber schnell seinen kleinen Degen und verteidigte sich auf die tapferste Weise. In den seltsamsten, tollsten Sprüngen balgten sich nun die beiden Kleinen im Zimmer umher, bis Daucus Carota den Radiesherzog so in die Enge trieb, daß er genötigt wurde, mit einem kühnen Sprung durchs offne Fenster das Weite zu suchen. König Daucus Carota, dessen ganz ungemeine Behendigkeit dem geneigten Leser schon bekannt ist, schwang sich aber nach und verfolgte den Radiesherzog über den Acker. – Herr Dapsul von Zabelthau hatte dem schrecklichen Zweikampf zugeschaut in dumpfer, lautloser Erstarrung. Nun brach er aber heulend und schreiend los: »O Tochter Anna! – o meine arme, unglückselige Tochter Anna! – verloren – ich – du – beide sind wir [166] verloren, verloren.« – Und damit lief er aus der Stube und bestieg so schnell, als er es nur vermochte, den astronomischen Turm. –

Fräulein Ännchen konnte gar nicht begreifen, gar nicht vermuten, was in aller Welt den Vater auf einmal in solch grenzenlose Betrübnis versetzt. Ihr hatte der ganze Auftritt ungemeines Vergnügen verursacht, und sie war noch in ihrem Herzen froh, bemerkt zu haben, daß der Bräutigam nicht allein Stand und Reichtum, sondern auch Tapferkeit besaß, wie es denn wohl nicht leicht ein Mädchen auf Erden geben mag, die einen Feigling zu lieben im stande. Nun sie eben von der Tapferkeit des Königs Daucus Carota des Ersten überzeugt worden, fiel es ihr erst recht empfindlich auf, daß Herr Amandus von Nebelstern sich nicht mit ihm schlagen wollen.

Hätte sie noch geschwankt, den Herrn Amandus dem Könige Daucus dem Ersten aufzuopfern, sie würde sich jetzt dazu entschlossen haben, da ihr die ganze Herrlichkeit ihres neuen Brautstandes einleuchtete. Sie setzte sich flugs hin und schrieb folgenden Brief:

»Mein lieber Amandus!

Alles in der Welt kann sich ändern, alles ist vergänglich, sagt der Herr Schulmeister, und er hat vollkommen Recht. Auch du, mein lieber Amandus, bist ein viel zu weiser und gelehrter Student, als daß [167] du dem Herrn Schulmeister nicht beipflichten und dich nur im Mindesten verwundern solltest, wenn ich dir sage, daß auch in meinem Sinn und Herzen sich eine kleine Veränderung zugetragen hat. – Du kannst es mir glauben, ich bin dir noch recht sehr gut, und kann es mir recht vorstellen, wie hübsch du aussehen mußt in der roten Sammtmütze mit Gold, aber was das Heiraten betrifft – sieh, lieber Amandus, so gescheit du auch bist und so hübsche Verslein du auch zu machen verstehst, König wirst du doch nun und nimmermehr werden, und – erschrick nicht, Liebster – der kleine Herr von Corduanspitz ist nicht der Herr von Corduanspitz, sondern ein mächtiger König, namens Daucus Carota der Erste, der da herrscht über das ganze Gemüsreich und mich erkoren hat zu seiner Königin! – Seit der Zeit, daß mein lieber kleiner König das Inkognito abgeworfen, ist er auch viel hübscher geworden, und ich sehe jetzt erst recht ein, daß der Papa recht hatte, wenn er behauptete, daß der Kopf die Zierde des Mannes sei und daher nicht groß genug sein könne. Dabei hat aber Daucus Carota der Erste – du siehst, wie gut ich den schönen Namen behalten und nachschreiben kann, da er mir ganz bekannt vorkommt – ja, ich wollte sagen, dabei hat mein kleiner königlicher Bräutigam ein so angenehmes, allerliebstes Betragen, daß es gar nicht [168] auszusprechen. Und welch einen Mut, welche Tapferkeit besitzt der Mann! Vor meinen Augen hat er den Radiesherzog, der ein unartiger, aufsässiger Mensch zu sein scheint, in die Flucht geschlagen, und hei! wie er ihm nachsprang durchs Fenster! du hättest das nur sehen sollen! – Ich glaube auch nicht, daß mein Daucus Carota sich aus deinen Waffen etwas machen wird, er scheint ein fester Mann, dem Verse, sind sie auch noch so fein und spitzig, nicht viel anhaben können. – Nun also, lieber Amandus, füge dich in dein Schicksal wie ein frommer Mensch, und nimm es nicht übel, daß ich nicht deine Frau, sondern vielmehr Königin werde. Sei aber getrost, ich werde immer deine wohlaffektionierte Freundin bleiben, und willst du künftig bei der Karottengarde, oder da du nicht sowohl die Waffen als die Wissenschaften liebst, bei der Pastinakakademie oder bei dem Kürbisministerium angestellt sein, so kostet dich's nur ein Wort, und dein Glück ist gemacht. Lebe wohl und sei nicht böse auf deine sonstige Braut, jetzt aber wohlmeinende Freundin und künftige Königin

Anna von Zabelthau
(bald aber nicht mehr von Zabelthau, sondern bloß Anna).

N.S. Auch mit den schönsten virginischen Blättern sollst du gehörig versorgt werden, du kannst dich darauf festiglich verlassen. So wie ich beinahe ver [169] muten muß, wird zwar an meinem Hofe gar nicht geraucht werden, deshalb sollen aber doch sogleich nicht weit vom Thron unter meiner besondern Aufsicht einige Beete mit virginischem Tabak angepflanzt werden. Das erfordert die Kultur und die Moral, und mein Daucuschen soll darüber ein besonderes Gesetz schreiben lassen.«

Fünftes Kapitel.

In welchem von einer fürchterlichen Katastrophe Nachricht gegeben, und mit dem weitern Verlauf der Dinge fortgefahren wird.

Fräulein Ännchen hatte gerade ihr Schreiben an den Herrn Amandus von Nebelstern fortgesendet, als Herr Dapsul von Zabelthau hereintrat und mit dem weinerlichsten Ton des tiefsten Schmerzes begann: »O meine Tochter Anna! auf welche schändliche Weise sind wir beide betrogen! Dieser Verruchte, der dich in seine Schlingen verlockte, der mir weiß machte, er sei Baron Porphyrio Ockerodastes, genannt Corduanspitz, Sprößling jenes illüstren Stammes, den der überherrliche Gnome Tsilmenech im Bündnis schuf mit der edlen corduanischen Äbtissin, dieser Verruchte – erfahr' es und sinke ohnmächtig nieder! – er ist selbst ein Gnome, aber jenes niedrigsten Geschlechts, das die Gemüse bereitet! – Jener [170] Gnome Tsilmenech war von dem edelsten Geschlecht, nämlich von dem, dem die Pflege der Diamanten anvertraut ist. Dann kommt das Geschlecht derer, die im Reich des Metallkönigs die Metalle bereiten, dann folgen die Blumisten, die deshalb nicht so vornehm sind, weil sie von den Sylphen abhängen. Die schlechtesten und unedelsten sind aber die Gemüsegnomen, und nicht allein, daß der betrügerische Corduanspitz ein solcher Gnome ist, nein, er ist König dieses Geschlechts, und heißt Daucus Carota!« –

Fräulein Ännchen sank keineswegs in Ohnmacht, erschrak auch nicht im allermindesten, sondern lächelte den lamentierenden Papa ganz freundlich an; der geneigte Leser weiß schon warum! – Als nun aber der Herr Dapsul von Zabelthau sich darüber höchlich verwunderte und immer mehr in Fräulein Ännchen drang, doch nur um des Himmels Willen ihr fürchterliches Geschick einzusehen und sich zu grämen, da glaubte Fräulein Ännchen nicht länger das ihr anvertraute Geheimnis bewahren zu dürfen. Sie erzählte dem Herrn Dapsul von Zabelthau, wie der sogenannte Herr Baron von Corduanspitz ihr längst selbst seinen eigentlichen Stand entdeckt, und seit der Zeit ihr so liebenswürdig vorgekommen sei, daß sie durchaus gar keinen andern Gemahl wünsche. Sie beschrieb dann ferner all die wunderbaren Schönheiten des Gemüsreichs, in das sie König Daucus [171] Carota der Erste eingeführt, und vergaß nicht, die seltsame Anmut der mannigfachen Bewohner dieses großen Reichs gehörig zu rühmen.

Herr Dapsul von Zabelthau schlug einmal über das andere die Hände zusammen, und weinte sehr über die tückische Bosheit des Gnomenkönigs, der die künstlichsten, ja für ihn selbst gefährlichsten Mittel angewandt, die unglückselige Anna hinabzuziehen in sein finstres, dämonisches Reich. –

So herrlich, erklärte jetzt Herr Dapsul von Zabelthau der aufhorchenden Tochter, so herrlich, so ersprießlich die Verbindung irgend eines Elementargeistes mit einem menschlichen Prinzip sein könne, so sehr die Ehe des Gnomen Tsilmenech mit der Magdalena de la Croix davon ein Beispiel gebe, weshalb denn auch der verräterische Daucus Carota ein Sprößling dieses Stammes zu sein behaupte, so ganz anders verhalte es sich doch mit den Königen und Fürsten dieser Geistervölkerschaften. Wären die Salamanderkönige bloß zornig, die Sylphenkönige bloß hoffärtig, die Undinenköniginnen bloß sehr verliebt und eifersüchtig, so wären dagegen die Gnomenkönige tückisch, boshaft und grausam; bloß um sich an den Erdenkindern zu rächen, die ihnen Vasallen entführt, trachteten sie darnach, irgend eines zu verlocken, das dann die menschliche Natur ganz ablege und, ebenso mißgestaltet wie die Gnomen selbst, [172] hinunter müsse in die Erde und nie wieder zum Vorschein komme.

Fräulein Ännchen schien all das Nachteilige, dessen Herr Dapsul von Zabelthau ihren lieben Daucus beschuldigte, gar nicht recht glauben zu wollen, vielmehr begann sie noch einmal von den Wundern des schönen Gemüsreichs zu sprechen, über das sie nun bald zu herrschen gedenke.

»Verblendetes,« rief aber nun Herr Dapsul von Zabelthau voller Zorn, »verblendetes, törichtes Kind! – Trauest du deinem Vater nicht so viel kabbalistische Weisheit zu, daß er nicht wissen sollte, wie alles, was der verruchte Daucus Carota dir vorgegaukelt hat, nichts ist als Lug und Trug? – Doch du glaubst mir nicht; um dich, mein einziges Kind, zu retten, muß ich dich überzeugen, diese Überzeugung verschaffe ich dir aber durch die verzweifeltsten Mittel. – Komm mit mir!« –

Zum zweitenmale mußte nun Fräulein Ännchen mit dem Papa den astronomischen Turm besteigen. Aus einer großen Schachtel holte Herr Dapsul von Zabelthau eine Menge gelbes, rotes, weißes und grünes Band hervor, und umwickelte damit unter seltsamen Ceremonien Fräulein Ännchen von Kopf bis zu Fuß. Mit sich selbst tat er ein gleiches, und nun nahten beide, Fräulein Ännchen und der Herr Dapsul von Zabelthau, sich behutsam dem seidnen [173] Palast des Königs Daucus Carota des Ersten. Fräulein Ännchen mußte auf Geheiß des Papas mit der mitgebrachten feinen Schere eine Naht auftrennen und durch die Öffnung hineingucken.

Hilf Himmel! was erblickte sie statt des schönen Gemüsegartens, statt der Karottengarde, der Plümagedamen, der Lavendelpagen, der Salatprinzen und alles dessen, was ihr so wunderbar herrlich erschienen war? – In einen tiefen Pfuhl sah sie hinab, der mit einem farblosen ekelhaften Schlamm gefüllt schien. Und in diesem Schlamm regte und bewegte sich allerlei häßliches Volk aus dem Schoß der Erde. Dicke Regenwürmer ringelten sich langsam durcheinander, während käferartige Tiere, ihre kurzen Beine ausstreckend, schwerfällig fortkrochen. Auf ihrem Rücken trugen sie große Zwiebeln, die hatten aber häßliche menschliche Gesichter, und grinsten und schielten sich an mit trüben gelben Augen, und suchten sich mit den kleinen Krallen, die ihnen dicht an die Ohren gewachsen waren, bei den langen krummen Nasen zu packen und hinunter zu ziehen in den Schlamm, während lange nackte Schnecken in ekelhafter Trägheit sich durcheinander wälzten und ihre langen Hörner emporstreckten aus der Tiefe. – Fräulein Ännchen wäre bei dem scheußlichen Anblick vor Grauen bald in Ohnmacht gesunken. Sie hielt beide Hände vors Gesicht und rannte schnell davon. –

[174]

»Siehst du nun wohl,« sprach darauf der Herr Dapsul von Zabelthau zu ihr, »siehst du nun wohl, wie schändlich dich der abscheuliche Daucus Carota betrogen hat, da er dir eine Herrlichkeit zeigte, die nur ganz kurze Zeit dauert? – O! Festkleider ließ er seine Vasallen anziehen und Staatsuniformen seine Garden, um dich zu verlocken mit blendender Pracht! Aber nun hast du das Reich in Negligé geschaut, das du beherrschen wirst, und bist du nun einmal die Gemahlin des entsetzlichen Daucus Carota, so mußt du in dem unterirdischen Reiche bleiben und kommst nie mehr auf die Oberfläche der Erde! – Und wenn – ach – ach! was muß ich erblicken, ich unglücklichster der Väter!« –

Der Herr Dapsul von Zabelthau geriet nun plötzlich so außer sich, daß Fräulein Ännchen wohl erraten konnte, es müsse noch ein neues Unglück im Augenblick hereingebrochen sein. Sie fragte ängstlich, worüber denn der Papa so entsetzlich lamentiere; der konnte aber vor lauter Schluchzen nichts als stammeln: – O – o – To–ch–ter – wie – si–ehst – d–u a–u–s! Fräulein Ännchen rannte ins Zimmer, sah in den Spiegel und fuhr zurück, von jähem Todesschreck erfaßt. –

Sie hatte Ursache dazu, die Sache war diese: eben als Herr Dapsul von Zabelthau der Braut des Königs Daucus Carota die Augen öffnen wollte [175] über die Gefahr, in der sie schwebe, nach und nach ihr Ansehen, ihre Gestalt zu verlieren und sich allmählich umzuwandeln in das wahrhafte Bild einer Gnomenkönigin, da gewahrte er, was schon Entsetzliches geschehen. Viel dicker war Ännchens Kopf geworden und safrangelb ihre Haut, so daß sie jetzt schon hinlänglich garstig erschien. War nun auch Fräulein Ännchen nicht gar besonders eitel, so fühlte sie sich doch Mädchen genug, um einzusehen, daß Häßlichwerden das allergrößeste, entsetzlichste Unglück sei, das einen hienieden treffen könne. Wie oft hatte sie an die Herrlichkeit gedacht, wenn sie künftig als Königin mit der Krone auf dem Haupte in atlassenen Kleidern, mit diamantnen und goldnen Ketten und Ringen geschmückt, in der achtspännigen Karosse an der Seite des königlichen Gemahls Sonntag nach der Kirche fahren und alle Weiber, des Schulmeisters Frau nicht ausgenommen, in Erstaunen setzen, ja auch wohl der stolzen Gutsherrschaft des Dorfs, zu dessen Kirchsprengel Dapsulheim gehörte, Respekt einflößen werde; ja! – wie oft hatte sie sich in solchen und andern exzentrischen Träumen gewiegt! – Fräulein Ännchen zerfloß in Tränen! –

»Anna – meine Tochter Anna, komme sogleich zu mir herauf!« so rief Herr Dapsul von Zabelthau durch das Sprachrohr herab. –

Fräulein Ännchen fand den Papa angetan in einer [176] Art von Bergmannstracht. Er sprach mit Fassung: »Gerade wenn die Not am größten, ist die Hilfe oft am nächsten. Daucus Carota wird, wie ich soeben ermittelt, heute, ja wohl bis morgen Mittag nicht seinen Palast verlassen. Er hat die Prinzen des Hauses, die Minister und andere Große des Reichs versammelt, um Rat zu halten über den künftigen Winterkohl. Die Sitzung ist wichtig und wird vielleicht so lange dauern, daß wir dieses Jahr gar keinen Winterkohl bekommen werden. Diese Zeit, wenn Daucus Carota, in seine Regierungsarbeit vertieft, auf mich und meine Arbeit nicht zu merken vermag, will ich benutzen, um eine Waffe zu bereiten, mit der ich vielleicht den schändlichen Gnomen bekämpfe und besiege, so daß er entweichen und dir die Freiheit lassen muß. Blicke, während ich hier arbeite, unverwandt durch jenen Tubus nach dem Gezelt und meld' es mir ungesäumt, wenn du bemerkst, daß jemand hinausschaut oder gar hinausschreitet.« – Fräulein Ännchen tat, wie ihr geboten, das Gezelt blieb aber verschlossen; nur vernahm sie, unerachtet Herr Dapsul von Zabelthau wenige Schritte hinter ihr stark auf Metallplatten hämmerte, oft ein wildes verwirrtes Geschrei, das aus dem Gezelt zu kommen schien, dann helle, klatschende Töne, gerade als würden Ohrfeigen ausgeteilt. Sie sagte das dem Herrn Dapsul von Zabelthau, der war damit sehr zufrieden [177] und meinte, je toller sie sich dort drinnen untereinander zankten, desto weniger könnten sie bemerken, was draußen geschmiedet würde zu ihrem Verderben. –

Nicht wenig verwunderte sich Fräulein Ännchen, als sie gewahrte, daß der Herr Dapsul von Zabelthau ein Paar ganz allerliebste Kochtöpfe und ebensolche Schmorpfannen aus Kupfer gehämmert hatte. Als Kennerin überzeugte sie sich, daß die Verzinnung außerordentlich gut geraten, daß der Papa daher die den Kupferschmieden durch die Gesetze auferlegte Pflicht gehörig beobachtet habe, und fragte, ob sie das feine Geschirr nicht mitnehmen könne zum Gebrauch in der Küche? Da lächelte aber Herr Dapsul von Zabelthau geheimnisvoll und erwiderte weiter nichts als: »Zur Zeit, zur Zeit, meine Tochter Anna; gehe jetzt herab, mein geliebtes Kind! und erwarte ruhig, was sich morgen weiteres in unserm Hause begeben wird.« –

Herr Dapsul von Zabelthau hatte gelächelt, und das war es, was dem unglückseligen Ännchen Hoffnung einflößte und Vertrauen.

Andern Tages, als die Mittagszeit nahte, kam Herr Dapsul von Zabelthau herab mit seinen Kochtöpfen und Schmorpfannen, begab sich in die Küche und gebot dem Fräulein Ännchen nebst der Magd hinauszugehen, da er allein heute das Mittagsmahl bereiten wolle. Dem Fräulein Ännchen legte er es be [178] sonders ans Herz, gegen den Corduanspitz, der sich wohl bald einstellen werde, so artig und liebevoll zu sein als nur möglich.

Corduanspitz oder vielmehr König Daucus Carota der Erste kam auch wirklich bald, und hatte er sonst schon verliebt genug getan, so schien er heute ganz Entzücken und Wonne. Zu ihrem Entsetzen bemerkte Fräulein Ännchen, wie sie schon so klein geworden, daß Daucus sich ohne große Mühe auf ihren Schoß schwingen und sie herzen und küssen konnte, welches die Unglückliche dulden mußte trotz ihres tiefen Abscheus gegen den kleinen abscheulichen Unhold.

Endlich trat Herr Dapsul von Zabelthau ins Zimmer und sprach: »O mein vortrefflichster Porphyrio von Ockerodastes, möchten Sie sich nicht mit mir und meiner Tochter in die Küche begeben, um zu beobachten, wie schön und wirtlich Ihre künftige Gemahlin alles darin eingerichtet hat?«

Noch niemals hatte Fräulein Ännchen in des Papas Antlitz den hämischen, schadenfrohen Blick bemerkt, mit dem er den kleinen Daucus beim Arm faßte und beinahe mit Gewalt hinauszog aus der Stube in die Küche. Fräulein Ännchen folgte auf den Wink des Vaters.

Das Herz kochte dem Fräulein Ännchen im Leibe, als sie das herrlich knisternde Feuer, die glühenden Kohlen, die schmucken kupfernen Kochtöpfe und [179] Schmorpfannen auf dem Herde bemerkte. Sowie der Herr Dapsul von Zabelthau den Corduanspitz dicht heranführte an den Herd, da begann es stärker und stärker in den Töpfen und Pfannen zu zischen und zu brodeln, und das Zischen und Brodeln wurde zu ängstlichem Winseln und Stöhnen. Und aus einem Kochtopfe heulte es heraus: »O Daucus Carota! o mein König, rette deine getreuen Vasallen, rette uns arme Mohrrüben! – Zerschnitten, in schnödes Wasser geworfen, mit Butter und Salz gefüttert zu unserer Qual, schmachten wir in unnennbarem Leid, das edle Petersilienjünglinge mit uns teilen!« Und aus der Schmorpfanne klagte es: »O Daucus Carota! o mein König! rette deine getreuen Vasallen, rette uns arme Mohrrüben! – In der Hölle braten wir, und so wenig Wasser gab man uns, daß der fürchterliche Durst uns zwingt, unser eignes Herzblut zu trinken.« Und aus einem andern Kochtopf wimmerte es wieder: »O Daucus Carota! o mein König! rette deine getreuen Vasallen, rette uns arme Mohrrüben! – Ausgehöhlt hat uns ein grausamer Koch, unser Innerstes zerhackt und es mit allerlei fremdartigem Zeug von Eiern, Sahne und Butter wieder hineingestopft, so daß alle unsere Gesinnungen und sonstige Verstandeskräfte in Konfusion geraten, und wir selbst nicht mehr wissen, was wir denken!« Und nun heulte und schrie es aus allen Kochtöpfen und Schmor [180] pfannen durcheinander: »O Daucus Carota, mächtiger König, rette, o rette deine getreuen Vasallen, rette uns arme Mohrrüben!« Da kreischte Corduanspitz laut auf: »Verfluchtes dummes Narrenspiel!« schwang sich mit seiner gewöhnlichen Behendigkeit auf den Herd, schaute in einen der Kochtöpfe und plumpte plötzlich hinein. Rasch sprang Herr Dapsul von Zabelthau hinzu und wollte den Deckel des Topfs schließen, indem er aufjauchzte: »Gefangen!« Doch mit der Schnellkraft einer Spiralfeder fuhr Corduanspitz aus dem Topfe in die Höhe und gab dem Herrn Dapsul von Zabelthau ein paar Maulschellen, daß es krachte, indem er rief: »Einfältiger, naseweiser Kabbalist, dafür sollst du büßen! – Heraus, heraus, Ihr Jungen allzumal!«

Und da brauste es aus allen Töpfen, Tiegeln und Pfannen heraus wie das wilde Heer, und hundert und hundert kleine fingerlange garstige Kerlchen hakten sich fest an dem ganzen Leibe des Herrn Dapsul von Zabelthau und warfen ihn rücklings nieder in eine große Schüssel und richteten ihn an, indem sie aus allen Geschirren die Brühen über ihn ausgossen und ihn mit gehackten Eiern, Muskatenblüten und geriebener Semmel bestreuten. Dann schwang sich Daucus Carota zum Fenster hinaus, und seine Vasallen taten ein gleiches.

Entsetzt sank Fräulein Ännchen bei der Schüssel [181] nieder, auf der der arme Papa angerichtet lag; sie hielt ihn für tot, da er durchaus nicht das mindeste Lebenszeichen von sich gab. Sie begann zu klagen: »Ach, mein armer Papa – ach, nun bist du tot, und nichts rettet mich mehr vom höllischen Daucus!« Da schlug aber Herr Dapsul von Zabelthau die Augen auf, sprang mit verjüngter Kraft aus der Schüssel und schrie mit einer entsetzlichen Stimme, wie sie Fräulein Ännchen noch niemals von ihm vernommen: »Ha, verruchter Daucus Carota, noch sind meine Kräfte nicht erschöpft! Bald sollst du fühlen, was der einfältige, naseweise Kabbalist vermag!« – Schnell mußte Fräulein Ännchen ihm mit dem Küchenbesen die gehackten Eier, die Muskatenblüten, die geriebene Semmel abkehren, dann ergriff er einen kupfernen Kochtopf, stülpte ihn wie einen Helm auf den Kopf, nahm eine Schmorpfanne in die linke, in die rechte Hand aber einen großen eisernen Küchenlöffel und sprang so gewaffnet und gewappnet hinaus ins Freie. Fräulein Ännchen gewahrte, wie Herr Dapsul von Zabelthau im gestrecktesten Laufe nach Corduanspitzes Gezelt rannte und doch nicht von der Stelle kam. Darüber vergingen ihr die Sinne.

Als sie sich erholte, war Herr Dapsul von Zabelthau verschwunden, und sie geriet in entsetzliche Angst, als er den Abend, die Nacht, ja den andern Morgen [182] nicht wiederkehrte. Sie mußte den noch schlimmern Ausgang eines neuen Unternehmens vermuten.

Sechstes Kapitel.

Welches das letzte und zugleich das erbaulichste ist von allen.

In tiefes Leid versenkt saß Fräulein Ännchen einsam in ihrem Zimmer, als die Tür aufging und niemand anders hineintrat als der Herr Amandus von Nebelstern. Ganz Reue und Scham, vergoß Fräulein Ännchen einen Tränenstrom und bat in den kläglichsten Tönen: »O mein herzlieber Amandus, verzeihe doch nur, was ich dir in meiner Verblendung geschrieben! Aber ich war ja verhext und bin es wohl noch. Rette mich, rette mich, mein Amandus! Gelb seh' ich aus und garstig, das ist Gott zu klagen, aber mein treues Herz habe ich bewahrt und will keine Königsbraut sein!« –

»Ich weiß nicht,« erwiderte Amandus von Nebelstern, »ich weiß nicht, worüber Sie so klagen, mein bestes Fräulein, da Ihnen das schönste, herrlichste Los beschieden.« – »O spotte nicht,« rief Fräulein Ännchen, »ich bin für meinen einfältigen Stolz, eine Königin werden zu wollen, hart genug bestraft!« –

»In der Tat,« sprach Herr Amandus von Nebelstern weiter, »ich verstehe Sie nicht, mein teures Fräu [183] lein! Soll ich aufrichtig sein, so muß ich bekennen, daß ich über Ihren letzten Brief in Wut geriet und Verzweiflung. Ich prügelte den Burschen, dann den Pudel, zerschmiß einige Gläser – und Sie wissen, mit einem racheschnaubenden Studenten treibt man keinen Spaß! Nachdem ich mich aber ausgetobt, beschloß ich, hierher zu eilen und mit eignen Augen zu sehen, wie, warum und an wen ich die geliebte Braut verloren. – Die Liebe kennt nicht Stand, nicht Rang, ich wollte selbst den König Daucus Carota zur Rede stellen und ihn fragen, ob das Tusch sein solle oder nicht, wenn er meine Braut heirate. – Alles gestaltete sich hier indessen anders. Als ich nämlich bei dem schönen Gezelt vorüberging, das draußen aufgeschlagen, trat König Daucus Carota aus demselben heraus, und bald gewahrte ich, daß ich den liebenswürdigsten Fürsten vor mir hatte, den es geben mag; denn denken Sie sich, mein Fräulein, er spürte gleich in mir den sublimen Poeten, rühmte meine Gedichte, die er noch nicht gelesen, über alle Maßen und machte mir den Antrag, als Hofpoet in seine Dienste zu gehen. Ein solches Unterkommen war seit langer Zeit meiner feurigsten Wünsche schönstes Ziel; mit tausend Freuden nahm ich daher den Vorschlag an. O mein teures Fräulein! mit welcher Begeisterung werde ich Sie besingen! Ein Dichter kann verliebt sein in Königinnen und Für [184] stinnen, oder vielmehr es gehört zu seinen Pflichten, eine solche hohe Person zur Dame seines Herzens zu erkiesen, und verfällt er darüber in einigen Aberwitz, so ergibt sich eben daraus das göttliche Delirium, ohne das keine Poesie bestehen mag, und niemand darf sich über die vielleicht etwas seltsamen Geberden des Dichters wundern, sondern vielmehr an den großen Tasso denken, der auch etwas am gemeinen Menschenverstande gelitten haben soll, da er sich verliebt hatte in die Prinzessin Leonore d'Este. – Ja, mein teures Fräulein, sind Sie auch bald eine Königin, so sollen Sie doch die Dame meines Herzens bleiben, die ich bis zu den hohen Sternen erheben werde in den sublimsten göttlichsten Versen.« –

»Wie, du hast ihn gesehen, den hämischen Kobold, und er hat« – so brach Fräulein Ännchen los im tiefsten Erstaunen, doch in dem Augenblick trat er selbst, der kleine gnomische König, hinein und sprach mit dem zärtlichsten Ton: »O meine süße, liebe Braut, Abgott meines Herzens, fürchten Sie ja nicht, daß ich der kleinen Unschicklichkeit halber, die Herr Dapsul von Zabelthau begangen, zürne. Nein! – schon deshalb nicht, weil eben dadurch mein Glück befördert worden, so daß, wie ich gar nicht gehofft, schon morgen meine feierliche Vermählung mit Ihnen, Holdeste! erfolgen wird. Gern werden Sie es sehen, daß ich den Herrn Amandus von Nebelstern zu unserm [185] Hofpoeten erkoren, und ich wünsche, daß er gleich eine Probe seines Talents ablegen und uns eins vorsingen möge. Wir wollen aber in die Laube gehen, denn ich liebe die freie Natur, ich werde mich auf Ihren Schoß setzen, und Sie können mich, geliebteste Braut, während des Gesanges etwas im Kopfe krauen, welches ich gern habe bei solcher Gelegenheit.«

Fräulein Ännchen ließ, erstarrt vor Angst und Entsetzen, alles geschehen. Daucus Carota setzte sich draußen in der Laube auf ihren Schoß, sie kratzte ihn im Kopfe, und Herr Amandus von Nebelstern begann, sich auf der Guitarre begleitend, das erste der zwölf Dutzend Lieder, die er sämtlich selbst gedichtet und komponiert und in ein dickes Buch zusammengeschrieben hatte.

Schade ist es, daß in der Chronik von Dapsulheim, aus der diese ganze Geschichte geschöpft, diese Lieder nicht aufgeschrieben, sondern nur bemerkt worden, daß vorübergehende Bauern stehen geblieben und neugierig gefragt, was für ein Mensch denn in der Laube des Herrn Dapsul von Zabelthau solche Qualen litte, daß er solch entsetzliche Schmerzenslaute von sich geben müsse.

Daucus Carota wand und krümmte sich auf Fräulein Ännchens Schoß und stöhnte und winselte immer jämmerlicher, als litte er an fürchterlichem Bauchgrimmen. Auch glaubte Fräulein Ännchen zu ihrem [186] nicht geringen Erstaunen zu bemerken, daß Corduanspitz während des Gesanges immer kleiner und kleiner wurde. Endlich sang Herr Amandus von Nebelstern (das einzige Lied steht wirklich in der Chronik) folgende sublime Verse:

Ha! wie singt der Sänger froh!
Blütendüfte, blanke Träume,
Zieh'n durch ros'ge Himmelsräume,
Selig, himmlisch Irgendwo!
Ja du gold'nes Irgendwo,
Schwebst im holden Regenbogen,
Hausest dort auf Blumenwogen,
Bist ein kindliches So So!
Hell Gemüt, ein Herz so so,
Mag nur lieben, mag nur glauben,
Tändeln, girren mit den Tauben,
Und das singt der Sänger froh.
Sel'gem fernem Irgendwo
Zieht er nach durch gold'ne Räume,
Ihn umschweben süße Träume
Und er wird ein ew'ges So!
Geht ihm auf der Sehnsucht Wo,
Lodern bald die Liebesflammen,
Gruß und Kuß, ein traut Zusammen
Und die Blüten, Düfte, Träume
Lebens, Liebens, Hoffens Keime
Und –

[187]

Laut kreischte Daucus Carota auf, schlüpfte, zum kleinen, kleinen Mohrrübchen geworden, herab von Ännchens Schoß und in die Erde hinein, so daß er in einem Moment spurlos verschwunden. Da stieg auch der graue Pilz, der dicht neben der Rasenbank in der Nacht gewachsen schien, in die Höhe; der Pilz war aber nichts anders als die graue Filzmütze des Herrn Dapsul von Zabelthau, und er selbst steckte darunter und fiel dem Herrn Amandus von Nebelstern stürmisch an die Brust und rief in der höchsten Ekstase: »O mein teuerster, bester, geliebtester Herr Amandus von Nebelstern! Sie haben mit Ihrem kräftigen Beschwörungsgedicht meine ganze kabbalistische Weisheit zu Boden geschlagen. Was die tiefste magische Kunst, was der kühnste Mut des verzweifelnden Philosophen nicht vermochte, das gelang Ihren Versen, die wie das stärkste Gift dem verräterischen Daucus Carota in den Leib fuhren, so daß er trotz seiner gnomischen Natur vor Bauchgrimmen elendiglich umkommen müssen, wenn er sich nicht schnell gerettet hätte in sein Reich! Befreit ist meine Tochter Anna, befreit bin ich von dem schrecklichen Zauber, der mich hier gebannt hielt, so daß ich ein schnöder Pilz scheinen und Gefahr laufen mußte, von den Händen meiner eigenen Tochter geschlachtet zu werden! Denn die Gute vertilgt schonungslos mit scharfem Spaten alle Pilze in Garten und Feld, [188] wenn sie nicht gleich ihren edlen Charakter an den Tag legen wie die Champignons. Dank, meinen innigsten heißesten Dank, und – nicht wahr, mein verehrtester Herr Amandus von Nebelstern, es bleibt alles beim alten rücksichts meiner Tochter? – Zwar ist sie, dem Himmel sei es geklagt, um ihr hübsches Ansehen durch die Schelmerei des feindseligen Gnomen betrogen worden, Sie sind indessen viel zu sehr Philosoph, um« – »O Papa, mein bester Papa,« jauchzte Fräulein Ännchen, »schauen Sie doch nur hin, schauen Sie doch nur hin, der seidne Palast ist ja verschwunden. Er ist fort, der häßliche Unhold mitsamt seinem Gefolge von Salatprinzen und Kürbisministern und was weiß ich sonst alles!« – Und damit sprang Fräulein Ännchen fort nach dem Gemüsegarten. Herr Dapsul von Zabelthau lief der Tochter nach, so schnell es gehen wollte, und Herr Amandus von Nebelstern folgte, indem er für sich in den Bart hineinbrummte: »Ich weiß gar nicht, was ich von dem allen denken soll; aber so viel will ich fest behaupten, daß der kleine garstige Mohrrübenkerl ein unverschämter prosaischer Schlingel ist, aber kein dichterischer König, denn sonst würde er bei meinem sublimsten Liede nicht Bauchgrimmen bekommen und sich in die Erde verkrochen haben.«

– Fräulein Ännchen fühlte, als sie in dem Gemüsegarten stand, wo keine Spur eines grünenden [189] Hälmchens zu finden, einen entsetzlichen Schmerz in dem Finger, der den verhängnisvollen Ring trug. Zu gleicher Zeit ließ sich ein herzzerschneidender Klagelaut aus der Tiefe vernehmen, und es guckte die Spitze einer Mohrrübe hervor. Schnell streifte Fräulein Ännchen, von ihrer Ahnung richtig geleitet, den Ring, den sie sonst nicht vom Finger bringen können, mit Leichtigkeit ab, steckte ihn der Mohrrübe an, diese verschwand, und der Klagelaut schwieg. Aber o Wunder! sogleich war auch Fräulein Ännchen hübsch wie vorher, wohlproportioniert und so weiß, als man es nur von einem wirtlichen Landfräulein verlangen kann. Beide, Fräulein Ännchen und Herr Dapsul von Zabelthau, jauchzten sehr, während Herr Amandus von Nebelstern ganz verdutzt dastand, und immer noch nicht wußte, was er von allem denken sollte. –

Fräulein Ännchen nahm der herbeigelaufenen Großmagd den Spaten aus der Hand und schwang ihn mit dem jauchzenden Ausruf: »Nun laßt uns arbeiten!« in den Lüften, aber so unglücklich, daß sie den Herrn Amandus von Nebelstern hart vor den Kopf (gerade da, wo das Sensorium commune sitzen soll) traf, so daß er wie tot niederfiel. Fräulein Ännchen schleuderte das Mordinstrument weit weg, warf sich neben dem Geliebten nieder, und brach aus in verzweifelnden Schmerzenslauten, während die Groß [190] magd eine ganze Gießkanne voll Wasser über ihn ausgoß, und Herr Dapsul von Zabelthau schnell den astronomischen Turm bestieg, um in aller Eile die Gestirne zu befragen, ob Herr Amandus von Nebelstern wirklich tot sei. Nicht lange dauerte es, als Herr Amandus von Nebelstern die Augen wieder aufschlug, aufsprang, so durchnäßt, wie er war, Fräulein Ännchen in seine Arme schloß, und mit allem Entzücken der Liebe rief: »O mein bestes, teuerstes Ännchen! nun haben wir uns ja wieder!« –

Die sehr merkwürdige, kaum glaubliche Wirkung dieses Vorfalls auf das Liebespaar zeigte sich sehr bald. Beider Sinn war auf eine seltsame Weise geändert.

Fräulein Ännchen hatte einen Abscheu gegen das Handhaben des Spatens bekommen, und herrschte wirklich wie eine echte Königin über das Gemüsreich, da sie dafür mit Liebe sorgte, daß ihre Vasallen gehörig gehegt und gepflegt wurden, ohne dabei selbst Hand anzulegen, welches sie treuen Mägden überließ. Dem Herrn Amandus von Nebelstern kam dagegen alles, was er gedichtet, sein ganzes poetisches Streben höchst albern und aberwitzig vor; und vertiefte er sich in die Werke der großen, wahren Dichter der ältern und neuen Zeit, so erfüllte wohltuende Begeisterung so sein Inneres ganz und gar, daß kein Platz übrig blieb für einen Gedanken an [191] sein eignes Ich. Er gelangte zu der Überzeugung, daß ein Gedicht etwas anderes sein müsse als der verwirrte Wortkram, den ein nüchternes Delirium zu Tage fördert, und wurde, nachdem er alle Dichtereien, mit denen er sonst, sich selbst belächelnd und verehrend, vornehm getan, ins Feuer geworfen, wieder ein besonnener, in Herz und Gemüt klarer Jüngling, wie er es vorher gewesen. –

Eines Morgens stieg Herr Dapsul von Zabelthau wirklich von seinem astronomischen Turm herab, um Fräulein Ännchen mit Herrn Amandus von Nebelstern nach der Kirche zur Trauung zu geleiten.

Sie führten nächstdem eine glückliche, vergnügte Ehe; ob aber später aus Herrn Dapsuls ehelicher Verbindung mit der Sylphide Nehahilah noch wirklich etwas geworden, darüber schweigt die Chronik von Dapsulheim. – – –


[193]

J. H. D. Zschokke:
Die Nacht in Brczwezmcisl.

[194]

Johann Heinrich Daniel Zschokke wurde am 22. März 1771 als Sohn eines wohlhabenden Tuchmachers in Magdeburg geboren, ging nach kurzer Hauslehrer- und Theater-Tätigkeit und nach dem Besuch der Universität Frankfurt a. O. 1796 nach der Schweiz, wo er bald ein zweites Vaterland fand. Die wechselvollen politischen Umbildungen der damaligen Zeit stellten ihm, der von gemeinnützigem Sinne beseelt war, mannigfache bedeutende Aufgaben, denen er sich mit größtem Eifer unterzog. Seine großen Verdienste um die Schweiz und namentlich um den Kanton Aargau, in dem er sich niedergelassen hatte, wurden durch Übertragung vieler Ämter und Würden an ihn geehrt. Nachdem er seine letzten Lebensjahre den stets mit Eifer betriebenen schriftstellerischen Arbeiten gewidmet hatte, starb er am 27. Juni 1848 auf seinem Landsitz Blumenhalde an der Aar.

Zschokke ist ein Volksschriftsteller ersten Ranges: klar, gediegen, von energischem und lebendigem Vortrag. »Die Abenteuer der Neujahrsnacht«, »Addrich im Moos«, »Die Branntweinpest«, »Das Goldmacherdorf« sind einige seiner bekanntesten Erzählungen, neben denen eine große Zahl volkstümlicher Geschichtswerke und die bekannten »Stunden der An [195] dacht« stehen. Auch durch Herausgabe allgemeinverständlicher Zeitschriften (namentlich des trefflichen »Schweizerboten«) hat sich Zschokke verdient gemacht. Daß er bei der von ihm entwickelten gemeinnützigen Tätigkeit großen Stils auch durch seine Dichtungen wirken wollte, kann nicht wunder nehmen; tatsächlich haben auch nicht nur die beiden letzten der obengenannten Erzählungen tiefgreifenden Einfluß geübt. Aber er moralisiert nicht nur. Wenn er ernste Mahnungen geben will, wie das häufig geschieht, weiß er sie dem Leser freundlich ans Herz zu legen, und er ist der Erzählung schwankhafter Ereignisse, wie »Die Nacht in Brczwezmcisl« zeigt, durchaus nicht abgeneigt.

E. S.

[196]

Die Nacht in Brczwezmcisl.

1.
Fahrt nach Brczwezmcisl.

Ich zweifle gar nicht, das Jahr 1796 mag wohl manche schreckliche Nacht gehabt haben, zumal für die Italiener und Deutschen. Es war das erste Siegesjahr Napoléon Bonapartes und die Zeit von Moreaus Rückzug. Damals hatte ich in meiner Vaterstadt auf der Universität die akademischen Studien beendigt; war Doktor beider Rechte, und hätte mich wohl unterstanden, den Prozeß sämtlicher europäischer Kaiser und Könige mit der damaligen französischen Republik zu schlichten, wenn man mich nur zum Schiedsrichter verlangt hätte.

Ich war indessen bloß zum Justizkommissar einer kleinen Stadt des neuen Ostpreußens ausersehen. Viel Ehre für mich. Mit dem einen Fuß schon im Amte, mit dem andern fast noch im akademischen Hörsaale, heißt seltenes Glück. Das dankte ich der Eroberung oder Schöpfung eines neuen Ostpreußens und dem Falle Kosciuszkos. Man macht es zwar [197] dem hochseligen Könige – wir andere Christen sterben nur schlechtweg selig, und die Bettler vermutlich nur tiefselig; man sagt, im Tode sind wir einander alle gleich, ich beweise im Vorbeigehen das Gegenteil! – also man macht ihm zwar zum Vorwurf, an einer schreienden Ungerechtigkeit teilgenommen zu haben, da er ein selbständiges Volk verschlingen half; aber ohne diese kleine Ungerechtigkeit, ich möchte sie gar nicht schreiend nennen, wären tausend preußische Musensöhne ohne Anstellung geblieben. In der Natur wird eines Tod das Leben des andern; der Hering ist für den Magen des Walfisches, und das gesamte Tier- und Pflanzenreich, auch das Steinreich, wenn es nicht zuweilen unverdaulich wäre, für den Magen des Menschen da. Übrigens läßt sich sehr gut beweisen, daß ein Mädchen, welches seine Ehre, und ein Volk, welches seine Selbständigkeit überlebt, an ihrem eigenen Unglücke schuld sind. Denn wer sterben kann, ist unbezwingbar, und eben der Tod ist der feste Stützpunkt eines großen, ruhmreichen Lebens.

Meine Mutter gab mir ihren besten Segen, nebst Wäsche und Reisegeld; und so reiste ich meiner glänzenden Bestimmung nach Neu-Ostpreußen entgegen, von dem die heutigen Geographen nichts mehr wissen, ungeachtet es doch kein Zauber- und Feenland war, das auf den Wink eines Oberon entsteht und ver [198] schwindet. Ich will meine Leser mit keiner langen Reisebeschreibung ermüden. Flaches Land, flache Menschen, schlechte Postwagen, grobe Postbeamte, elende Straßen, elender Verkehr, und nebenbei jedermann auf seinen Misthaufen stolz, wie ein Perser-Schah auf seinen Thron. Es ist einer der vortrefflichsten Gedanken der Natur, daß sie jedem ihrer Wesen ein eigenes Element anwies, worin es sich mit Behaglichkeit bewegen kann. Der Fisch verschmachtet in der Luft, der polnische Jude in einem prunkvollen Damengemache.

Also kurz und gut, ich kam eines Abends vor Sonnenuntergang nach, ich glaube, es hieß Brczwezmcisl, einem freundlichen Städtchen; freundlich, obgleich die Häuser rußig, schwarz, die Straßen ungepflastert, kotig, die Menschen nicht säuberlich waren. Aber ein Kohlenbrenner kann in seiner Art so freundlich aussehen, wie eine Operntänzerin, deren Fußtriller von Kennern beklatscht werden.

Ich hatte mir das Brczwezmcisl, meinen Berufsort, viel schrecklicher vorgestellt; vermutlich fand ich's gerade deswegen freundlicher. Der Name des Orts, als ich ihn zum ersten Male aussprechen wollte, hatte mir fast einen Kinnbackenkrampf zugezogen. Daher mochte meine heimliche Furcht vor der Stadt selbst stammen. Der Name hat immer bedeutenden Einfluß auf unsere Vorstellung von den Dingen. [199] Und weil das Gute und Böse in der Welt weniger in den Dingen selbst, als in unserer Vorstellung von ihnen liegt, ist Veredlung der Namen eine wahre Verschönerung des Lebens.

Zur Vergrößerung meiner Furcht vor der neuostpreußischen Bühne meiner Rechtskunst mochte auch nicht wenig der Umstand beigetragen haben, daß ich bisher im Leben noch nicht weiter von meinem Geburtsorte gekommen war, als man etwa dessen Turmspitze sehen konnte. Ungeachtet ich wohl aus den Lehrbüchern der Erdbeschreibung wußte, daß die Menschenfresser ziemlich entfernt wohnten, erregte es doch zuweilen mein billiges Erstaunen, daß man mich unterwegs nicht ein paarmal totschlug, wo Ort und Zeit dazu gelegen waren, und weder Hund noch Hahn um mein plötzliches Verschwinden vom Erdball gekräht haben würden. Wahrhaftig, man gewinnt erst Vertrauen auf die Menschheit, wenn man sich ihr, als Fremdling und Gast, auf Gnade und Ungnade überläßt! Menschenfeinde sind die vollendetsten, engherzigsten Selbstsüchtlinge; Selbstsucht ist eine Seelenkrankheit, die aus der Stetigkeit des Aufenthalts entspringt. Wer Egoisten heilen will, muß sie auf Reisen schicken. Luftveränderung tut dem Gemüte so wohl als dem Leibe.

Als ich mein Brczwezmcisl vom Postwagen hinab zum ersten Male erblickte – es schien in der [200] Ferne ein aus der Ebene steigender Kothaufen zu sein; aber Berlin und Paris stellen sich mit ihren Palästen dem, der in den Wolken schifft, wohl auch nicht prächtiger dar – klopfte mir das Herz gewaltig. Dort also war das Ziel meiner Reise, der Anfang meiner öffentlichen Laufbahn, vielleicht auch das Ende derselben, wenn mich etwa die in Neuostpreußen verwandelten Polacken, als Söldner ihrer Unterdrücker, bei einem Aufruhr niederzumachen Lust bekommen haben würden. – Ich kannte dort keine Seele, als einen ehemaligen Universitätsfreund namens Burkhardt, der zu Brczwezmcisl als Obersteuereinnehmer, aber auch erst seit kurzem, angestellt war. Er wußte von meiner Ankunft; er hatte mir vorläufig eine Wohnung gemietet und das Nötige zu meinem Empfange angeordnet, weil ich ihn darum gebeten. Dieser Burkhardt, der mir vorzeiten ein ganz gleichgültiger Mensch gewesen, mit dem ich auf der Universität wenig Umgang gehabt, den ich sogar auf Anraten meiner Mutter gemieden hatte, weil er unter den Studenten als Säufer, Spieler und Raufer berüchtigt war, gewann in meiner Hochachtung und Freundschaft, je näher ich an Brczwezmcisl kam. Ich schwor ihm unterwegs Liebe und Treue bis in den Tod. Er war ja der einzige von meinen Bekannten in der wildfremden polnischen Stadt; gleichsam der Mitschiffbrüchige, welcher sich [201] auf dem Brette aus den Wellen an die wüste Insel gerettet hatte.

Ich bin eigentlich gar nicht abergläubisch; aber doch kann ich mich nicht enthalten, dann und wann auf Vorbedeutungen zu halten. Wenn keine erscheinen wollen, mache ich mir sie. Ich glaube, man tut dergleichen im Müßiggang des Geistes; es ist ein Spiel, das für den Augenblick unterhaltend sein kann. So nahm ich mir vor, auf die erste Person acht zu haben, die mir aus dem Tore der Stadt entgegenkommen würde. Ich setzte fest, ein junges Mädchen sollte mir zum glücklichen, ein Mann zum üblen Vorzeichen dienen. Ich war noch nicht mit der Anordnung der verschiedenen möglichen Zeichen fertig, als ich schon das Tor vor mir sah, aus welchem eine, wie es schien, sehr wohlgebaute junge Brczwezmcislerin hervortrat. Vortrefflich! Ich hätte mit meinen von dem preußischen Postwagen pflichtmäßig zerstoßenen und zermalmten Gliedern hinabfliegen und die polnische Grazie anbeten mögen. Ich faßte sie scharf ins Auge, um mir ihre Züge tief einzuprägen, und wischte meine Lorgnette – denn ich bin etwas kurzsichtig – vom letzten Sonnenstäubchen rein.

Als wir aber einander näher waren, bemerkte ich bald, die Venus von Brczwezmcisl sei etwas häßlicher Natur, zwar schlank, aber schlank wie eine [202] Schwindsüchtige, dürr, eingebogen, mit platter Brust. Auch das Gesicht war platt, nämlich ohne Nase, die durch irgend einen traurigen Unfall verloren gegangen sein mochte. Ich hätte geschworen, es wäre ein Totenkopf, wenn nicht seltsamerweise zwischen den Zähnen ein Stück Fleisch hervorgehangen hätte. Ich traute meinen Augen kaum. Als ich's jedoch näher durch die Brille betrachtete, merkte ich wohl, die patriotische Polin streckte vor mir zum Zeichen des Abscheus die Zunge heraus. Ich zog geschwind den Hut ab, und dankte höflich für das Kompliment. Das meinige war der Polin vermutlich so unerwartet, als mir das ihrige. Sie nahm die Zunge zurück und lachte so unmäßig, daß sie fast am Husten erstickte.

Unter diesen scherzhaften Umständen kam ich in die Stadt. Der Wagen hielt vor dem Posthause. Der preußische Adler über der Tür, ganz neu gemalt, war, vermutlich von patriotischen Gassenbuben, mit frischen Kotflecken beworfen. Die Klauen des königlichen Vogels lagen ganz unter Unrat begraben, entweder weil das vielgepriesene Raubtier mit den Klauen ebensoviel als mit dem Schnabel zu sündigen pflegt; oder weil die Polen zu verstehen geben wollten, Preußen habe am Nordostpreußischen so viel erwischt, als der gemalte Adler zwischen den Pfoten trage.

[203]

2.
Die alte Starostei.

Ich fragte den Herrn Postmeister sehr höflich nach der Wohnung des Herrn Obersteuereinnehmers Burkhardt. Der Mann schien nicht gut zu hören, denn er gab keine Antwort. Da er sich aber bald darauf doch mit dem Briefträger unterhielt, so schloß ich aus seiner Stummheit, er wollte mich durch die weltbekannte Postgrobheit überzeugen, daß ich in der Tat nirgendwo anders, als an einem der wohleingerichtetsten Postbureaus sei. Nach der sechsten Anfrage fuhr er mich heftig an, was ich wolle? Ich fragte zum siebenten Male dasselbe, und zwar mit der verbindlichsten Berliner oder Leipziger Artigkeit.

»In der alten Starostei!« schnauzte er mich an.

»Um Vergebung, wenn ich fragen darf, wollen Sie mir nicht gefälligst sagen, wo ich die alte Starostei finde?«

»Ich habe keine Zeit. Peter, führe ihn hin!«

Peter führte mich. Der Postmeister, der zum Antworten keine Zeit hatte, sah, die Pfeife rauchend, zum Fenster hinaus, auf der Straße mir nach. Vermutlich Neugier. Bei aller mir angebornen Höflichkeit war ich doch im Herzen ergrimmt über die unanständige Behandlung. Ich ballte in meiner Rock [204] tasche drohend die Faust und dachte: »Nur Geduld, Herr Postmeister, fällt Er einmal der Justiz in die Klauen, deren wohlbestallter königlicher Kommissar ich zu sein die Ehre habe, so werde ich Ihm seine Flegelhaftigkeit auf die allerzierlichste Weise einpfeffern! Der Herr Postmeister sollen zeitlebens meiner Rechtskniffe gedenken.«

Peter, ein zerlumpter Polack, der mich führte, verstand und sprach das Deutsche nur sehr gebrochen. Mein Gespräch mit ihm war daher so verworren und schauderhaft, daß ich es in meinem Leben nicht vergessen werde. Der Kerl sah dazu abscheulich aus mit seinem gelben, spitznasigen Gesicht und dem schwarzen, struppigen Haar, ungefähr wie es unsere nord- und süddeutschen Zierbengel zu tragen pflegten, wenn sie schön tun wollten. Statt des Tituskopfes zeigten sie uns gewöhnlich die Nachbildung eines struppigen Weichselzopfes.

»Lieber Freund!« sprach ich, während wir langsam im tiefen Kote wateten, »will Er mir doch wohl sagen, ob Er den Herrn Burkhardt kennt?«

– Die alte Starostei! antwortete Peter.

»Ganz recht, bester Freund! Er weiß doch, daß ich zum Herrn Obereinnehmer will?«

– Die alte Starostei!

»Gut! Was soll ich aber in Seiner alten Starostei?«

– Sterben!

[205]

»Das hole der Teufel! Das kommt mir nicht in den Sinn.«

– Mausetot! sterben!

»Warum? Was habe ich verbrochen?«

– Preuße! Kein Polack!

»Ich bin ein Preuße!«

– Weiß gut!

»Warum denn sterben? Wie meint Er's?«

– So und so und so! – Der Kerl stieß, als hätte er einen Dolch in der Faust. Dann zeigte er auf sein Herz, ächzte und verdrehte gräßlich die Augen. Mir ward bei der Unterredung ganz übel. Denn verrückt konnte Peter nicht sein, er sah mir ziemlich verständig aus, und Wahnsinnige hat man doch nicht leicht zu Handlangern auf der Post.

»Wir verstehen uns vielleicht nicht vollkommen, scharmanter Freund!« fing ich endlich wieder an. »Was will Er mit dem Sterben sagen?«

– Totmachen! Dabei sah er mich wild von der Seite an.

»Was? Tot?«

– Wenn Nacht ist!

»Nacht? Die nächste Nacht? Er ist wohl nicht bei Trost?«

– Gar wohl Polak, aber Preuße nicht!

Ich schüttelte den Kopf und schwieg. Offenbar verstanden wir beide einander nicht! Und doch lag [206] in den Reden des trotzigen Kerls etwas Fürchterliches. Denn der Haß der Polen gegen die Deutschen, oder was dasselbe sagen wollte, gegen die Preußen, war mir bekannt. Es hatte schon hin und wieder Unglück gegeben. Wie, wenn der Kerl mich warnen wollte? Oder wenn der dumme Tölpel durch seinen Übermut eine allen Preußen bevorstehende Mordnacht verraten hätte? – Ich ward nachdenkend und beschloß, meinem Freunde und Landsmann Burkhardt das Gespräch mitzuteilen, als wir vor der sogenannten Starostei ankamen. Es war ein altes, hohes, steinernes Haus in einer stillen, abgelegenen Straße. Schon ehe wir dahin kamen, bemerkte ich, daß die, welche vor dem Hause vorübergingen, scheue, verstohlene Blicke auf das grauschwarze Gebäude warfen. Ebenso tat mein Führer. Der sagte nun kein Wort mehr, sondern zeigte mit dem Finger auf die Haustür und machte sich ohne Gruß und Lebewohl davon.

Allerdings war mein Eintritt und Empfang in Brczwezmcisl nicht gar anmutig und einladend gewesen. Die ersten Personen, welche mich hier begrüßten, die unhöfliche Dame unter dem Tor, der grobe, neuostpreußische Postmeister und der kauderwelsche, verpreußete Polack hatten mir Lust und Liebe sowohl zu meinem neuen Aufenthaltsorte, als zu meinem Justizkommissariat verbittert. Ich pries [207] mich glücklich, endlich zu einem Menschen zu gelangen, der wenigstens mit mir schon einmal dieselbe Luft geatmet. Zwar hatte Herr Burkhardt bei uns zu Lande nicht des besten Rufes genossen; allein was ändert sich nicht im Menschen mit dem Wechsel der Umstände? Ist die Gemütsart etwas anderes, als das Werk der Umgebungen? Der Schwache wird in der Angst zum Riesen; der Feige in der Schlachtgefahr zum Helden; Herkules unter Weibern zum Flachsspinner. Und gesetzt, mein Obereinnehmer hätte bisher für seinen König alles eingenommen, für sich selbst aber keine bessern Grundsätze angenommen gehabt: noch besser immer ein gutmütiger Zecher, als das schwindsüchtige, nasenlose Gerippe mit der Zunge; besser ein leichtsinniger Spieler, als ein grober Postmeister; besser ein tapferer Raufer und Schläger, als ein mißvergnügter Polacke. Burkhardts letztgenannte Untugend gereichte ihm vielmehr in meinen Augen zum größten Verdienst; denn – unter uns gesagt – mein sanfter, bescheidener, schüchterner Charakter, den Mama oft hochgepriesen, konnte mir unter den Polen beim ersten Aufstande zum schmählichsten Verderben gereichen. Es gibt Tugenden, die an ihrem Orte zur Sünde, und Sünden, die zur Tugend werden können. Es ist nicht alles zu allen Zeiten das gleiche, ungeachtet es das gleiche geblieben.

[208]

Als ich durch die hohe Pforte in die sogenannte alte Starostei eintrat, geriet ich in Verlegenheit, wo mein alter, lieber Freund Burkhardt zu finden sei. Das Haus war groß. Das Kreischen der verrosteten Türangeln hallte im ganzen Gebäude wieder; doch veranlaßte das niemanden, nachzusehen, wer da sei? Ich stieg die breiten Steintreppen mutig hinauf.

Weil ich links eine Stubentür bemerkte, pochte ich fein höflich an. Kein Mensch entgegnete mit freundlichem »Herein!« Ich pochte stärker. Alles stumm. Mein Klopfen weckte den Widerhall im zweiten und dritten Stocke des Hauses. Ich ward ungeduldig. Ich sehnte mich, endlich dem lieben Seelenfreunde Burkhardt ans Herz zu sinken, ihn in meine Arme zu schließen. Ich öffnete die Stubentür, trat hinein und sah mitten im Zimmer einen Sarg. Der Tote, der darin lag, konnte mir freilich kein freundliches Herein zurufen.

Ich bin von Natur gegen die Lebendigen sehr höflich, noch weit mehr gegen die Toten. So leise als möglich wollte ich mich zurückziehen, als ich plötzlich bemerkte, der Schläfer im Sarge sei kein anderer, denn der Obersteuereinnehmer Burkhardt, von welchem nun selbst der Tod die letzte Steuer eingezogen. Da lag er, unbekümmert um Weinglas und Karten, so ernst und feierlich, daß ich mich kaum unterstand, an seine Lieblingsfreuden zu denken. In [209] seiner Miene lag etwas dem menschlichen Leben so Fremdes, als hätte er nie mit demselben zu schaffen gehabt. Ich glaube wohl, wenn eine unbekannte allmächtige Hand den Schleier des Jenseits lüpft, das äußere Auge bricht und das innere hellsehend wird, da mag das irdische Leben winzig genug erscheinen, und alle Aufmerksamkeit nur dorthin streben.

Betroffen schlich ich aus der Totenstube, in den finstern, einsamen Hausgang zurück. Jetzt erst überfiel mich ein solches Grausen vor dem Toten, daß ich kaum begreifen konnte, woher ich den Mut genommen, dem Leichnam so lange ins Antlitz zu schauen. Zu gleicher Zeit erschrak ich vor meiner eigenen Verlassenheit, in der ich nun lebte. Denn da stand ich hundert Meilen weit von meiner teuern Vaterstadt, vom mütterlichen Hause, in einer Stadt, deren Namen ich nie gehört hatte, bis ich ihr Justizkommissar werden sollte, um sie zu entpolacken. Mein einziger Bekannter und kaum erst von mir adoptierter Herzensfreund hatte sich im vollen Sinne des Wortes aus dem Staube gemacht, und mich ohne Rat und Trost mir selbst überlassen. Die Frage war: wohin soll ich mein Haupt legen? wo hat mir der Tote die Wohnung bestellt?

Indem kreischten die rostigen Türangeln der Hauspforte so durchdringend, daß mir der Klang fast alle Nerven zerriß. Ein windiger, flüchtiger Kerl [210] in Bedientenlivree sprang die Treppe herauf, gaffte mich verwundert an und richtete endlich das Wort an mich. Mir zitterten die Kniee. Ich ließ den Kerl nach Herzenslust reden; aber der Schreck hatte mir in den ersten Minuten zum Antworten die Sprache genommen. Ohnehin hatte ich auch schon vorher die Sprache nicht gekonnt, die dieser Bursche redete, denn es war die polnische.

Als er mich ohne Zeichen der Erwiderung vor sich stehen sah, und sich nun ins Deutsche übersetzte, welches er so geläufig, wie ein Berliner, sprach, gewann ich Kraft, nannte meinen Namen, Stand, Beruf und alle Abenteuer seit meinem Einzuge in die verwünschte Stadt, an deren Namen ich noch immer erstickte. Plötzlich ward er freundlich, zog den Hut ab und erzählte mir mit vielen Umständen, was hiernach in löblicher Kürze folgt:

Nämlich er, der Erzähler, heiße Lebrecht; sei des seligen Herrn Obersteuereinnehmers Dolmetsch und treuester Diener gewesen bis gestern Nacht, da es dem Himmel gefallen, den vortrefflichen Herrn Obersteuereinnehmer aus dieser Zeitlichkeit in ein besseres Sein zu befördern. Die Beförderung wäre freilich ganz gegen die Neigung des Seligen gewesen, der lieber bei seinem Einnehmerposten geblieben wäre. Allein als er sich gestern mit einigen polnischen Edelleuten ins Spiel eingelassen, und beim Glase Wein [211] in ihm der preußische Stolz und in den Polen der sarmatische Patriotismus wach geworden, hätte es anfangs einen lebhaften Wort-, dann Ohrfeigenwechsel gesetzt, worauf einer der Sarmaten dem seligen Herrn drei bis vier Messerstiche ins Herz gegeben, ungeachtet schon einer derselben zum Tode hinreichend gewesen wäre. Um allen Verdrießlichkeiten der neuostpreußischen Justiz auszuweichen, hätten sich die Sieger noch in derselben Nacht, man wisse nicht wohin, entfernt. Der Selige habe noch kurz vor seinem Hintritt in die bessere Welt für den erwarteten Justizkommissar, nämlich für mich, einige Zimmer gemietet, eingerichtet, Hausrat aller Art gekauft, sogar eine wohlerfahrene deutsche Köchin gedungen, die jeden Augenblick in den Dienst eintreten könne, so daß ich wohl versorgt sei. Beiläufig bemerkte der Erzähler Lebrecht, daß die Polen geschworene Feinde der Preußen wären, und ich daher an Kleinigkeiten mich gewöhnen müsse, wie diejenige gewesen, welche mir die stumme Beredsamkeit der Dame unterm Tor ausgedrückt habe. Er erklärte zwar den Peter für einen albernen Tropf, der mir ohne Zweifel nur den Tod des Herrn Obersteuereinnehmers habe anzeigen wollen, wofür ihm ein hinlänglicher Vorrat an Worten gefehlt; daher möge ein beiderseitiges Mißverständnis entstanden sein: doch wolle er, der Erzähler, mir nichtsdestoweniger [212] geraten haben, vorsichtig zu sein, weil die Polen in einer wahrhaft stillen Wut wären. Er selber, der Lebrecht, sei fest entschlossen, sich sogleich nach Beerdigung seines unglücklichen Herrn aus der Stadt zu entfernen.

Nach diesem Berichte führte er mich die breite steinerne Treppe hinab, um mir meine neue Wohnung anzuweisen. Durch eine Reihe großer, hoher, öder Zimmer brachte er mich in einen geräumigen Saal; darin stand ein aufgeschlagenes Bett, von gelben damastenen alten Umhängen beschattet; ein alter Tisch mit halbvergoldeten Füßen; ein halbes Dutzend staubiger Sessel. Ein ungeheuerer, mit goldenem Schnörkelwerk umzogener, blinder Spiegel hing an der Wand, deren gewirkte, bunte Tapeten, auf welchen die schönsten Geschichten des Alten Testamentes prangten, halbvermodert, an manchen Stellen nur noch in Fetzen herabhingen. König Salomo auf dem Throne, um zu richten, hatte den Kopf verloren, und dem lüsternen Greise in Susannens Bade waren die verbrecherischen Hände abgefault.

Es schien mir in dieser Einöde durchaus nicht heimisch. Ich hätte lieber ein Wirtshaus zum Aufenthalt gewählt, und – hätte ich's nur getan! Aber teils aus Schüchternheit, teils um zu zeigen, daß ich mich vor der Nähe des Toten nicht fürchtete, schwieg ich. Denn ich zweifelte nicht daran, daß [213] Lebrecht und wahrscheinlich auch die wohlerfahrene Köchin mir die Nacht Gesellschaft leisten würden. Lebrecht zündete behende zwei Kerzen an, die auf dem goldfüßigen Tische bereit standen; schon fing es an zu dunkeln. Dann empfahl er sich, um mir kalte Küche zum Nachtessen, Wein und andere Bedürfnisse herbeizuschaffen, meinen Koffer vom Posthause holen zu lassen und der wohlerfahrnen Köchin von meiner Ankunft und ihren Pflichten Anzeige zu machen. Der Koffer kam, das Nachtessen desgleichen. Lebrecht aber, sobald er sein ausgelegtes Geld von mir empfangen, wünschte mir gute Nacht und ging.

Ich verstand ihn erst, als er verschwunden war, so schnell machte sich der Kerl, nach eingestrichener Zahlung, davon. Ich sprang erschrocken auf, ihm nachzugehen, ihn zu bitten, mich nicht zu verlassen. Aber Scham hielt mich wieder zurück. Sollte ich den elenden Menschen zum Zeugen meiner Furchtsamkeit machen? Ich zweifelte nicht, daß er in irgend einem Zimmer seines ermordeten Herrn übernachten werde. Aber da hörte ich die Angeln der Hauspforte kreischen. Es drang mir durch Mark und Bein. Ich eilte ans Fenster und sah den Burschen über die Gasse fliegen, als verfolgte ihn der Tod. Bald war er im Finstern verschwunden; ich mit dem Leichnam in der alten Starostei allein.

[214]

3.
Die Schildwache.

Ich glaube an keine Gespenster; des Nachts aber fürchte ich sie. Sehr natürlich. Wer wollte auch alles mögliche glauben? Aber man hofft und fürchtet leicht alles mögliche.

Die Totenstille, die alten, zerlumpten Tapeten in dem großen Saal, das Unheimliche und Fremde, der Tote über meinem Haupte – der Nationalhaß der Polacken – alles trug dazu bei, mich zu verstimmen. Ich mochte nicht essen, ungeachtet mich hungerte; ich mochte nicht schlafen, so ermüdet ich auch war. Ich ging ans Fenster, um zu versuchen, ob ich im Notfalle auf diesem Wege die Straße gewinnen könne; denn ich fürchtete, mich in dem gewaltigen Hause und in dem Labyrinth von Gängen und Zimmern zu verirren, ehe ich den Hausflur erreichte. Allein starke Eisenstäbe verrammelten den Ausweg.

In dem Augenblicke ward alles in der Starostei lebendig; ich hörte Türen auf- und zugehen, Tritte nah und fern schallen, Stimmen dumpf ertönen. Ich begriff nicht, woher plötzlich dies rege Leben und Treiben. Aber eben das Unbegreifliche versteht man immer am schnellsten. Eine innere Stimme warnte mich und sprach: »Es gilt dir! Der dumme Peter [215] hatte die Mordanschläge der Polacken verraten – rette dich!« Ein kalter Fieberschauer ergoß sich durch meine Nerven. Ich sah die Blutdürstigen, wie sie untereinander die Art meines Todes verabredeten. Ich hörte sie näher und näher kommen. Ich hörte sie schon in den Vorzimmern, die zu meinem Saale führten. Ihre Stimmen flüsterten leiser. Ich sprang auf, verriegelte die Tür, und in demselben Augenblicke versuchte man, die Tür von außen zu öffnen. Ich wagte kaum zu atmen, um mich nicht durch das Geräusch meines Atemzuges zu verraten. An der Sprache der Flüsternden vernahm ich, daß es Polen waren. Zum Unglück hatte ich gleich nach Empfang meiner Berufung zum Justizkommissariat so viel polnische Worte gelernt, daß ich ungefähr auch verstand, man spreche von Blut, Tod und Preußen. Meine Kniee bebten; kalter Schweiß rann mir von der Stirn. Noch einmal ward von außen der Versuch gemacht, die Tür meines Saals zu öffnen, aber es schien, als fürchte man, Geräusch zu machen. Ich hörte die Menschen sich wieder entfernen, oder vielmehr davon schleichen.

Sei es, daß die Polacken es auf mein Leben, oder nur auf mein Geld abgesehen hatten; sei es, daß sie ihre Anschläge ohne Lärmen ausführen, oder den Versuch auf andere Weise erneuern wollten; ich beschloß sogleich, mein Licht auszulöschen, damit sie es nicht von [216] der Straße erblicken und mich daran erkennen möchten. Wer stand mir gut dafür, daß nicht einer der Kerle, wenn er mich wahrnahm, durchs Fenster schoß?

Die Nacht ist keines Menschen Freundin, darum ist der Mensch ein angeborener Feind der Finsternis, und selbst Kinder, die noch nie von Geistererscheinungen und Gespenstern gehört haben, scheuen sich im Dunkeln vor etwas, was sie nicht kennen. Kaum saß ich im Finstern da, die ferneren Schicksale dieser Nacht einsam erwartend, so stiegen vor meiner erschrockenen Einbildung die abscheulichsten Möglichkeiten auf. Ein Feind oder ein Unglück, das man sehen kann, sind nicht halb so entsetzlich, als solche, denen man sich blindlings überliefern muß, ohne sie zu kennen. Umsonst suchte ich mich zu zerstreuen; umsonst beschloß ich, mich auf das Bett zu werfen und den Schlaf zu suchen. Ich konnte nirgends ausdauern. Das Bett hatte den widerlichen Geruch von Leichenmoder; und saß ich im Zimmer, so erschreckte mich von Zeit zu Zeit ein Knistern in meiner Nähe, wie von einem lebenden Wesen. Am meisten schwebte mir die Gestalt des ermordeten Obersteuereinnehmers vor. Seine kalten, steifen Gesichtszüge erschienen mir so grausenhaft beredt, daß ich endlich alle meine beweglichen Güter darum gegeben hätte, wäre ich nur im Freien, oder bei guten, freundlichen Leuten gewesen.

[217]

Die Geisterstunde schlug. Jeder Schlag der Turmuhr erschütterte mich bis ins Innerste. Zwar schalt ich mich selbst einen abergläubischen Narren, einen furchtsamen Hasen, aber mein Schelten besserte mich nicht. Endlich, sei es aus Verzweiflung oder Heroismus, denn diesen qualvollen Zustand konnte ich nicht länger ertragen, sprang ich auf, tappte durch die Finsternis den Saal entlang zur Tür, riegelte sie auf, und war entschlossen, sollte es auch mein Leben kosten, ins Freie zu gelangen.

Als die Tür aber aufging – Himmel, welch ein Anblick! Ich taumelte erschrocken zurück, denn solch eine Schildwache hatte ich da nicht erwartet.

4.
Die Todesangst.

Beim dunkeln Scheine einer alten Lampe, die seitwärts auf einem Tischchen stand, sah ich mitten im Vorzimmer den ermordeten Obersteuereinnehmer im Sarge, wie ich ihn den Abend vorher oben gesehen hatte; und diesmal noch dazu deutlich mit den Blutflecken im Hemde, die das erste Mal von einem Leichentuche verdeckt gewesen waren. Ich suchte mich zu fassen; mir einzureden, diese Erscheinung sei Gaukelei meiner Phantasie; ich trat näher. [218] Aber als mein Fuß an den Sarg am Boden stieß, daß es dumpf tönte, und es schien, als rege sich die Leiche, als versuche sie, die Augen aufzuschlagen, da schwand mir fast alles Bewußtsein. Ich floh mit Entsetzen in meinen Saal zurück und stürzte rücklings auf das Bett nieder.

Indem entstand am Sarge ein lautes Gepolter. Ich mußte beinahe glauben, der Obersteuereinnehmer sei vom Tode erwacht; denn es war ein Geräusch eines sich mühsam Erhebenden. Ich vernahm ein dumpfes Stöhnen. Ich sah bald darauf im Dunkeln die Gestalt des Ermordeten mitten in der Tür meines Saales stehen, sich an den Pfosten haltend, langsam in den Saal hineinschwanken oder taumeln, und im Dunkeln verschwinden. Während mein Unglaube noch einmal versuchte, alles zu leugnen, was ich gehört und gesehen hatte, widerlegte ihn das Gespenst, oder der Tote, oder Lebendiggewordene schauderhaft genug. Denn dieser, so lang, breit und schwer er war, lagerte sich auf mein Bett, und zwar über meinen Leib, mit seinem kalten Rücken über mein Gesicht, so daß mir kaum Luft genug zum Atmen blieb.

Ich begreife noch zur Stunde nicht, wie ich mit dem Leben davon kam. Denn mein Schreck war wohl ein tödlicher zu nennen. Auch muß ich in einer langen Ohnmacht gelegen haben. Denn als ich unter meiner [219] fürchterlichen Last wieder die Glocke schlagen hörte und meinte, es werde ein Uhr sein, das erwünschte Ende der Geisterstunde, der Augenblick meiner Erlösung – da war es zwei Uhr.

Jeder denke sich meine gräßliche Lage. Rings um mich Moderduft, und der Leichnam auf mir atmend, erwärmt, röchelnd, wie zu einem zweiten Sterben; – ich selbst halb erstarrt, teils vor Schrecken und Entkräftung, teils unter der zentnerschweren Last. Alles Elend in Dantes Hölle ist Kleinigkeit gegen einen Zustand, wie diesen. Ich hatte nicht die Kraft, mich unter dem Leichnam hervorzuarbeiten, der zum andern Mal auf mir sterben wollte; und hätte ich die Kraft gehabt, vielleicht hätte mir der Mut gefehlt, es zu tun, denn ich spürte deutlich, daß der Unglückliche, welcher nach der ersten Verblutung seiner Wunden vermutlich nur eine schwere Ohnmacht bekommen hatte, dann für tot gehalten und auf gut polnisch in einen Sarg geworfen worden war, erst jetzt mit dem wahren Tode rang. Er schien sich nicht ermannen, nicht leben, nicht sterben zu können. Und das mußte ich auf mir selbst geschehen lassen! ich mußte das Sterbekissen des Steuereinnehmers sein!

Manchmal war ich geneigt, alles seit meiner Ankunft in Brczwezmcisl Vorgefallene für einen Teufelstraum zu halten, wenn ich mir meiner Not in ihrer großen Mannigfaltigkeit nur nicht allzu deut [220] lich bewußt gewesen wäre. Und doch würde ich mich zuletzt überredet haben, die ganze Schreckensnacht mit ihren Erscheinungen sei Traum und nichts als Traum, wenn nicht ein neues Ereignis, ein empfindlicheres, als jedes der vorhergehenden, mich von der Wahrheit meines vollen Wachens überzeugt hätte.

5.
Tageslicht.

Es war nämlich schon Tag – ich konnte es zwar nicht sehen, denn der sterbende Freund drückte mir mit seinen Schulterblättern die Augen fest zu – aber ich konnte es am Geräusche der Gehenden und Fahrenden auf der Straße erraten – da hörte ich Menschentritte und Menschenstimmen in dem Zimmer. Ich verstand nicht, was man redete; denn es war polnisch. Aber ich bemerkte wohl, daß man sich mit dem Sarge beschäftigte. »Ohne Zweifel,« dachte ich, »werden sie den Toten suchen und mich erlösen.« – So geschah es auch, aber auf eine Weise, die ich nicht vermuten konnte.

Einer der Suchenden schlug nämlich mit einem spanischen Rohr so unbarmherzig auf den Verstorbenen oder Sterbenden los, daß derselbe plötzlich aufsprang und auf geraden Beinen vor dem Bette stand. Auch [221] auf meine Wenigkeit waren vom Übermaß des spanischen Rohrs so viel Hiebe abgefallen, daß ich mich nicht enthalten konnte, laut aufzuschreien und schnurgerade hinter dem Toten zu stehen. Diese altpolnische und neuostpreußische Methode, Leute vom Tode aufzuerwecken, war zwar bewährt – dagegen ließ sich nichts einwenden, denn die Erfahrung sprach laut dafür; allein auch so derb, daß man fast das Sterben dem Leben vorgezogen hätte.

Als ich mich aber beim Tageslicht recht umsah, bemerkte ich, daß das Zimmer voll Menschen war, meistens Polen. Die Hiebe hatte ein Polizeikommissar ausgeteilt, der beauftragt war, die Leiche des Fremdlings beerdigen zu lassen. Der Steuereinnehmer lag noch immer tot im Sarge, und zwar im Vorzimmer, wohin ihn die betrunkenen Polacken gestellt hatten, weil es ihnen befohlen worden war, den Sarg in das ehemalige Pförtnerstübchen zu tragen. Sie hatten aber mein Vorzimmer anstatt des Pförtnerstübchens gewählt, und einen ihrer betrunkenen Kameraden als Wache bei der Leiche gelassen, der vermutlich eingeschlafen, von meinem Geräusch in der Nacht erweckt, instinktmäßig zu meinem Bett gekommen war und da seinen Branntweinrausch ausgeschlafen hatte.

Mich hatte die gottlose Geschichte so arg mitgenommen, daß ich in ein hitziges Fieber verfiel, in [222] welchem ich die Geschichte der einzigen schrecklichen Nacht sieben Wochen lang träumte. Noch jetzt – Dank sei der polnischen Insurrektion! ich bin nicht mehr Justizkommissar von Brczwezmcisl – kann ich an das neuostpreußische Abenteuer kaum ohne Schaudern denken. Doch erzähle ich's gern; teils mag es manchen vergnügen, teils manchen belehren. Es ist nicht gut, daß man das fürchtet, was man doch nicht glaubt.


[223]

Hausbücherei
der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung.

Bis Dezember 1904 sind erschienen folgende Bände:

Bd. 1. Heinrich von Kleist : Michael Kohlhaas. Mit Bildnis Kleists, 7 Vollbildern von Ernst Liebermann und Einleitung von Dr. Ernst Schultze. Preis gebunden 90 Pfg. 6.-10. Tausend.

Bd. 2. Goethe : Götz von Berlichingen. Mit Bildnis Goethes von Lips und Einleitung von Dr. Wilhelm Bode. Preis gebunden 80 Pfg.

Bd. 3. Deutsche Humoristen. Erster Band : Ausgewählte humoristische Erzählungen von Peter Rosegger, Wilhelm Raabe, Fritz Reuter und Albert Roderich. 221 Seiten stark. Preis gebunden 1 Mark. 6.-10. Tausend.

Bd. 4. Deutsche Humoristen. Zweiter Band : Clemens Brentano, E. Th. A. Hoffmann, Heinrich Zschokke. 222 Seiten. Preis gebunden 1 Mark. 6.-10. Tausend.

Bd. 5. Deutsche Humoristen. Dritter Band : Hans Hoffmann, Otto Ernst, Max Eyth, Helene Böhlau. 196 Seiten. Preis gebunden 1 Mark. 6.-10. Tausend.

Bd. 6/7. Balladenbuch. Erster Band : Neuere Dichter. 495 Seiten. Preis gebunden 2 Mark.

Bd. 8. Hermann Kurz : Der Weihnachtsfund. Eine Volkserzählung. Mit Einleitung von Prof. Sulger-Gebing. 209 Seiten. Preis gebunden 1 Mark.

Bd. 9. Novellenbuch. Erster Band : C. F. Meyer, Ernst von Wildenbruch, Friedrich Spielhagen, Detlev von Liliencron. 194 Seiten. Preis gebunden 1 Mark.

Bd. 10. Novellenbuch. Zweiter Band (Dorfgeschichten): Ernst Wichert, Heinrich Sohnrey, Wilhelm von Polenz, Rudolf Greinz. 199 Seiten. Preis gebunden 1 Mark.

Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder gegen vorherige Einsendung des Betrages oder Nachnahme durch die Kanzlei der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung in Hamburg-Großborstel (für Mitglieder – s. folgende Seite – portofrei).


[224]

Signet

Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung.

(Goldene Medaille der Weltausstellung St. Louis 1904.)

Die Stiftung, deren Zweck es ist, »hervorragenden Dichtern durch Verbreitung ihrer Werke ein Denkmal im Herzen des deutschen Volkes zu setzen«, begann ihre Tätigkeit i. J. 1903 damit, daß sie an 500 Volksbibliotheken je 20 Bände verteilte, unter denen sich z. B. Fontanes »Grete Minde« – M. v. Ebner-Eschenbachs »Gemeindekind« – eine Auswahl der »Deutschen Sagen« der Brüder Grimm – Roseggers »Als ich noch der Waldbauernbub' war« – ferner die umstehend genannten 3 ersten Bände der »Hausbücherei« befanden. Im J. 1904 wurden 40 Werke (23 Bände) in je 750 Exemplaren zum gleichen Zwecke angekauft.

Abzüge des Werbeblatts , des Aufrufs , der Satzungen, des Jahresberichts u. s. w. werden von der Kanzlei der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung in Hamburg-Großborstel gern übersandt.

Die Stiftung erbittet besonders jährliche, aber auch einmalige Beiträge; erstere sollen nicht zum Kapital geschlagen, sondern fortlaufend mit den Kapitalzinsen ausgegeben werden. Für jährliche Beiträge von mindestens 2 Mk. oder einmalige von mindestens 20 Mk. gewährt die Stiftung durch Übersendung einer ihrer eigenen Ausgaben (nicht der angekauften Werke) Gegenleistung. Wer 25 Mark Jahresbeitrag zahlt, erhält auf Wunsch alle im gleichen Jahre erscheinenden Bände der »Hausbücherei«.

Die Beiträge werden in jeder Höhe entgegengenommen von der Deutschen Bank und ihren sämtlichen Zweiganstalten und Depositenkassen – der k. k. Postsparkasse, Wien, auf Konto Nr. 859112 – der Schweizerischen Volksbank, Bern, und ihren sämtlichen Zweiganstalten und Depositenkassen – dem Kassenwart der Stiftung, Dr. Ernst Schultze, Hamburg-Großborstel.

Alle Briefe , Anfragen u. s. w. werden an den Genannten oder mit der Aufschrift »Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg-Großborstel« erbeten.


Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert.

Die als Trennung verwendeten Verlagssignets und verzierten Linien wurden entfernt.

Die Seitennummern der Leerseiten (8, 192) wurden entfernt.

Korrekturen:

S. 5 (Inhaltsverzeichnis): Brczwczmcisl zu Brczwezmcisl :
Die Nacht in Brczwezmcisl

S. 13: auf zu aus :
wie einen Weck aus dem Laden,

S. 60: nnd zu und :
… der ganzen Hütte ihren Grund und Boden gab.

S. 65: « ergänzt (» auf S. 52):
Daß es mir nicht überlauf'.««

S. 80: dir zu die :
Gendarmen, die mir auf die Spur kamen;

S. 88: Gesellchaft zu Gesellschaft :
daß er seit gestern in ihrer Gesellschaft sei …

S. 92: nud zu und :
Nanny und Lindpeindler so viel Interessantes erzählten,

S. 125: vielleichst zu vielleicht :
in der du vielleicht schwebst,

S. 140: wollen zu Wollen :
Wollen wohl vornehme Leute vorstellen?

S. 148: Namen zu Name :
… die unchristlichen Wörter, aus denen der Name besteht,

S. 174: das zu daß :
daß Fräulein Ännchen wohl erraten konnte,

S. 175: dimantnen zu diamantnen :
mit diamantnen und goldnen Ketten und Ringen geschmückt,