Title : Humoresken (Zweites Bändchen)
Author : Ernst Eckstein
Release date : July 7, 2015 [eBook #49381]
Language : German
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Anmerkungen zur Transkription
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Philipp Reclam's
Universal-Bibliothek.
Bis Dezember 1895 sind
3470
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3462. Marschner , Hans Heiling. Vollständiges Opernbuch. 31. Bd.
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3466. Weiser, Karl , Penelope. Lustspiel in fünf Aufzügen.
3467. Scott, Walter , Des letzten Minnesängers Sang. Aus d. Englischen übersetzt von C. Cornelius .
3468–70. Das Buch des Propheten Jesaja. Aus dem Grundtext übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Franz Herrmann . Mit 2 Karten.
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von
Ernst Eckstein.
Zweites Bändchen.
Wider den Strom. – Die Feuerspritze. – Eine Abendwanderung.
Der alte Schreiber.
Leipzig.
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
Die erste der hier folgenden humoristischen Kleinigkeiten, die Novellette »Wider den Strom«, basirt auf einer allerdings nicht streng beglaubigten Mittheilung Pigault-Lebruns, der uns irgendwo die betreffenden Briefe Napoleons und Jérôme's reproducirt, und über die Straf-Mission des Generals Rapp kurz, aber energisch Bericht erstattet.
Der zweite Scherz, »Die Feuerspritze von Gressinet«, beruht auf freier Erfindung. Wenn verschiedne Kritiker, die den harmlosen Schwank s. Z. mit Referaten beehrt haben, in dem Streite zwischen Clatou und Gressinet eine »Satire auf das politische Parteiwesen im Allgemeinen« erkennen wollten, so lass' ich's gelten; daß einer dieser Herren jedoch so weit ging, hinter jedem der hier geschilderten Spießbürger eine bekannte Tagespersönlichkeit zu vermuthen, – das ist zu viel des interpretirenden Scharfsinns. Die Separatausgabe der »Feuerspritze von Gressinet« war mit dem Motto von Gustav Droz geschmückt: » … petite fantaisie sans prétention, qui veut être lue, comme elle a été écrite; gaiement, au coin du feu, et les pieds sur les chenets .« Hiermit ist in der That Alles gesagt.
Numero drei endlich, – »Eine Abendwanderung«, – erhebt nur die Ansprüche eines psychologischen Stimmungsbildes.
E.
Eine Erinnerung an die lustigen Tage der Wilhelmshöhe.
Es war im August des Jahres 1810.
Durch die weitgeöffneten Fenster des königlichen Schlosses wehte eine erquickende Abendkühle. In einem der oberen Eckzimmer saß Jérôme, der glückliche Beherrscher des Königreiches Westphalen, und blickte hinüber nach seiner guten Hauptstadt Kassel, deren Thürme sich im Golde des scheidenden Tages badeten.
Er war sonst kein Schwärmer, der kleine Bruder des großen Eroberers. Heute indeß schien das bezaubernde Landschaftsbild, das sich in leuchtender Pracht vor ihm entfaltete, auf seine königliche Seele einen außergewöhnlichen Eindruck hervorzubringen. Träumerisch neigte er das Haupt rückwärts wider die Lehne des üppigen Fauteuils. Die Hände vor dem Magen gefaltet, die Füße auf einem elastischen Tabouret ausgestreckt – so saß er da, ein personificirtes Dolce-far-niente , eine verkörperte Lebensregel Epikurs, ein Fürst nach dem Herzen Gottes. Und doch lag ein leiser Schatten von Wehmuth auf diesem behäbigen Antlitz, eine dämmernde Nüance seelischer Verstimmung, ein Hauch von Trübsinn, der seltsam mit der herrlichen Scenerie der nächsten und fernsten Umgebung contrastirte.
Plötzlich rang sich aus dem Busen des Königs ein tiefer Seufzer los.
»Befehlen Ew. Majestät?« erklang es im Hintergrunde des Gemaches.
Jérôme wandte unmerklich den Kopf.
»Nichts, mein lieber Pigault …« stotterte er; »ich dachte nur …«
Pigault-Lebrun, der Bibliothekar und Vorleser des 8 Königs, der sich bisher in bescheidener Verborgenheit gehalten hatte, um die Meditationen, beziehungsweise die Verdauung seines hohen Gebieters nicht zu stören, trat ein paar Schritte näher.
Er durfte dies wagen, denn niemand bei Hofe genoß das Vertrauen Jérôme's in gleichem Maße wie er. Eine Bibliothek existirte nicht; vom Vorlesen war der König kein Freund: Pigault-Lebrun hatte also eine sehr leichte Amtsführung, und er verwendete die vierundzwanzig Mußestunden, über die er täglich verfügte, nach Abzug eines sechsstündigen Schlafes, ausschließlich im Interesse des allerhöchsten Amüsements. Italienische Nächte, Feuerwerke, Bälle, Festessen, musikalische Unterhaltungen, Liebesabenteuer, kurz die gesammten Regierungssorgen des westphälischen Hofes standen unter seiner obersten Leitung, und da er ein unvergleichliches Vergnügungsgenie entwickelte, so schenkte ihm Jérôme den ganzen Schatz seiner fürstlichen Liebe.
Pigault-Lebrun trat also vor und sagte mit melodischer Stimme:
»Ah, Sire, Sie sind nachdenklich? Sollte jemand so unglücklich gewesen sein, Dero Mißfallen zu erregen?«
Seine Majestät schüttelte das Haupt.
»Nein, Pigault,« entgegnete er langsam; »ich bin mit dir und allen meinen Getreuen vollkommen zufrieden; allein, siehst du …«
Er stockte.
Pigault-Lebrun näherte sich abermals um ein paar Schritte. Er konnte jetzt dem König voll ins Gesicht sehen. Der eigenthümliche Schleier von Melancholie, der auf diesen sonst so heiteren Zügen ruhte, berührte ihn peinlich.
»Eure Majestät sind verstimmt,« sagte er sorglich. »Fanden Sie die heutige Tafel nicht ganz nach Dero Geschmack …? Ich werde sofort die Entlassung des Küchenmeisters anordnen.«
»Beileibe nicht,« flüsterte Jérôme. »Meine Köche sind Meister ihrer Kunst, und wenn die Etikette nicht wäre, ich würde sie sämmtlich in den erblichen Grafenstand erheben.«
»So hat Ihnen die Königin eine Scene gemacht? Ah, Sire, ich bin sicher … die Königin … Ich kenne die Eifersucht Ihrer Majestät …«
»Du irrst dich, mein Freund! … Seitdem der Kaiser, unser gestrenger Bruder, die kleine Helene mit Gewalt von dannen geführt hat, ist die Königin mit mir ausgesöhnt. Sie hegt, Dank unserer Vorsicht, nicht den geringsten Verdacht mehr … Ah, es war ein niederträchtiger Streich von meinem Herrn Bruder!«
»Ich wage nicht zu widersprechen, Sire. Indeß, bedenken Sie, die Etiquette! Sie sind König, Sie müssen wenigstens den Schein wahren. Die kleine Frau hatte Ihre Majestät ja vollständig verdrängt … Der ganze Hof lag Helenen zu Füßen, und Ihre legitime Gemahlin zog sich ganz und gar aus der Öffentlichkeit zurück … Der Kaiser ist ja auch kein Ausbund von Tugend, aber er hält doch darauf, daß die Welt nicht scandalisirt wird … verzeihen Sie diesen Ausdruck …«
Das Antlitz des Königs war mit jedem Worte seines Vertrauten finsterer und erregter geworden. Er stützte den Kopf in die Hand und blickte eine Minute lang starr vor sich hin.
»Pigault,« sagte er endlich, »seien wir aufrichtig! Was hältst du von meinem Verhältnis zu meinem kaiserlichen Bruder?«
»Die Frage ist schwer zu beantworten, Sire,« erwiderte der Bibliothekar.
»Keine Phrasen, mein Freund … Laß jetzt einmal das langweilige Geschwätz von Sire und Majestät und steh' mir ordentlich Rede … Siehst du, wie ich da so hinausschaute in das herrliche Land, das ich mein nennen könnte, wenn nicht … wenn … wenn es eben mein wäre …«
»Ich verstehe Sie nicht; sind Sie nicht König?«
Ein bitteres Lächeln spielte um Jérôme's Lippen.
»König!« wiederholte er höhnisch; »ja, König, wie der König im Schachspiel, eine Puppe, die durch die erste, beste Laune einer höhern Potenz matt gesetzt werden kann.«
»Wie meinen Sie das, Sire?« stotterte Pigault-Lebrun.
Jérôme machte eine Bewegung des Mißbehagens.
»Pigault,« sagte er, »ich bitte dich, stell' dich nicht dümmer als du bist. Du willst mich schonen. Du fürchtest meine Eitelkeit zu verletzen. Das lass' ich gelten, wenn wir im Kreise unserer Höflinge sind. Hier aber ist die Maske Luxus. Ich fordere deine Meinung, und zwar ohne Rückhalt, verstehst du?«
»Zu Befehl, Sire. Fragen Sie!«
»Du weißt,« fuhr der König fort, »daß ich trotz aller Herrlichkeit nur der elende Sclave meines Bruders bin …«
»O, Sire …«
»Aber, ich gestehe dir's offen … ich fange nachgerade an, des Possenspiels müde zu werden. Es ist weit gekommen, wenn dieser … dieser Tyrann sich erlauben darf, in meine Privatverhältnisse einzugreifen … Ich bin fest entschlossen, bei der ersten Gelegenheit ein eclatantes Exempel zu statuiren … Willst du mich dabei unterstützen?«
»Ich stehe jederzeit zu Eurer Majestät Verfügung,« lautete Pigaults diplomatische Antwort.
»Was hieltest du zum Beispiel davon, wenn ich den Prinzen von Paderborn kurzer Hand zum Teufel jagte? Der Kerl ennuyirt mich so wie so mit seinem Geschwätz von Kirchenverfassung und Clerus mehr als ich sagen kann, und die Geschichte würde stark nach Unabhängigkeit schmecken!«
»Aber die Folgen?«
Der König warf sich trotzig in die Brust.
»Pah,« entgegnete er, »der Kaiser wird sich fügen, wenn er sieht, daß ich standhaft bin. Was kann er machen?«
»Sire,« sagte Pigault in bedächtigem Tone, »ich glaube, 11 Sie täuschen sich selbst … Sie wissen nur zu gut, daß Napoleon nicht mit sich spaßen läßt, und was Ihre eigene Standhaftigkeit anbetrifft, so verzeihen Sie, wenn ich keine allzuhohe Meinung davon habe …«
»Du bist aufrichtig.«
»Ich bitte Eure Majestät, mich nicht mißzuverstehen. Aber Ihre angeborene Herzensgüte, Ihre Friedensliebe …«
»Schon recht,« murmelte Jérôme, »spare deine Beredsamkeit! Ich glaube selbst, der Streich wäre als erster Schritt zur Emancipation ein wenig verwegen … Aber weißt du nichts Besseres?«
In diesem Augenblick trat ein Kammerjäger in das Gemach und meldete in tiefster Devotion:
»Der pariser Courier!«
Instinctiv fuhr der König von seinem Sessel auf. Es hätte wenig gefehlt und er wäre selbst in das Vorzimmer geeilt, um die Briefschaften in Empfang zu nehmen. Er besann sich jedoch noch zur rechten Zeit und setzte sich wieder, während Pigault-Lebrun von dannen eilte, um nach einigen Secunden mit einer schweren Fuhre von Papieren zurückzukehren.
»Da wir nichts Wichtigeres zu thun haben,« sagte Jérôme mit schlecht erkünstelter Gleichgiltigkeit, »so kannst du die Geschichte einmal durchsehen und mir das Amüsanteste vorlesen.«
Pigault setzte sich und begann seine Musterung.
»Depesche des Cultusministeriums …«
»Weg damit!«
»Das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an die königliche …«
»Weiter, weiter!«
»An Ihre Majestät die Königin.«
»Von wem?«
»Nicht zu errathen. Vermutlich eine Busenfreundin …«
»Weiter …«
»Ein Brief des Kaisers an Eure Majestät.«
»Schon wieder … Was kann er wollen? Gieb her … Oder nein … Lies vor … Du weißt, ich finde mich in diesen Krähfüßen nicht zurecht …«
Pigault-Lebrun entfaltete das Schreiben und begann wie folgt:
»Mein Bruder Jérôme Napoleon,
König von Westphalen!«
»Wie?« fragte Jérôme, »›mein Bruder‹ schreibt er? Nicht, ›mein lieber Bruder‹? Das wird mir wieder eine saubere Epistel sein! Weiter!«
Der Bibliothekar fuhr fort.
»Alles, was ich von Ihnen erfahre, liefert mir den Beweis, daß meine Rathschläge, meine Anordnungen, meine Befehle nicht den geringsten Eindruck auf Sie machen. Die Geschäfte sind Ihnen lästig. Die Pflicht der Repräsentation ennuyirt Sie. Mein Bruder, bedenken Sie, daß das Metier eines Königs gelernt sein will! Ein Souverän ohne die gehörige Repräsentation ist ein Unding. Sie lieben die Freuden der Tafel. Sie lieben die Frauen. Beides wird Sie zu Grunde richten. Machen Sie's wie ich: bleiben Sie eine halbe Stunde bei Tische und lassen Sie die Weiber – Weiber sein!« …
»Diese Unverschämtheit!« stammelte der König in höchster Aufregung. »Was hat er sich darum zu kümmern, ob ich mein Leben genieße oder nicht! So was ist in der Geschichte noch nicht dagewesen! Ich möchte wissen, wozu ich König bin, wenn ich mich nicht amüsiren soll! Gieb Acht, Pigault, es ist wieder auf eine von meinen … Freundinnen abgesehen!«
»Ach, ich glaube nicht daran … Wir gehen zu vorsichtig zu Werke … Gilt die reizende Caroline nicht allenthalben für meine Gemahlin? … Und die deutsche Gräfin, die wir aus München geholt haben, hält man sie nicht allgemein für die Frau Ihres Leibarztes …?«
»Aber die kleine Heberti, die Tänzerin?«
»Pah! haben wir sie nicht als Kammerfrau bei der Justizministerin untergebracht? Kein Gedanke, Sire! Niemand kann ernstlichen Verdacht geschöpft haben!«
»Du siehst alles im rosigsten Lichte. Leider weiß ich nur zu genau, daß jeder meiner Schritte überwacht wird. Wer zählt die Spione, die mein liebenswürdiger Bruder besoldet? Nirgends sind wir sicher, nicht einmal mehr bei unseren intimen Soupers …«
»O, Sire, Sie sind Pessimist. Im Kreise Ihrer Vertrauten findet sich kein Verräther!«
»Ich wollte, du hättest Recht. Aber nun lies einmal weiter! Ich bin doch begierig zu hören, wo das hinausläuft.«
Pigault-Lebrun fuhr in der Lectüre fort:
»Der Prinz von Paderborn, den ich Ihnen zum Aumônier gegeben habe, schreibt meinem Cultusminister, Sie gingen nie darauf ein, wenn er mit Ihnen von kirchlichen Angelegenheiten sprechen wolle. Das ist nicht in der Ordnung. Man muß sich mit allem befassen, sogar mit der Religion.«
»Es ist zu stark! Ich soll mich von dem langweiligen Tropf anschnattern lassen, blos weil mein Herr Bruder die Marotte hat, das gehöre zum Handwerk! Aber warte nur! Du sollst mich kennen lernen! – Weiter!«
»Sie haben Ihren Kammerherrn Merfeldt nach Hannover versetzt, weil er Ihnen, wie Sie sich ausdrückten, mit seinen beständigen Predigten über die Etiquette lästig fiel. Ich möchte wissen, wie Sie Ihre Rolle als König spielen wollen, wenn Ihnen der Souffleur fehlt. Ich wünsche, daß Sie besagten Kammerherrn sofort zurückberufen, und zwar so, als thäten Sie dies aus freien Stücken!«
»Sehr gut, sehr gut!« sagte der König erbittert. »Ich sehe wohl, daß mein Entschluß, diesem unwürdigen Zustand ein Ende zu machen, nicht zu früh kommt! – Weiter!«
»Sie vernachlässigen die Königin. Ist sie Ihnen etwa nicht vornehm genug? – Warum berücksichtigen Sie nicht meine Wünsche? Ich erwarte unter allen Umständen, daß ich demnächst von der bevorstehenden Geburt eines Prinzen höre … Meine weiteren Anordnungen übermittle ich dem Minister Siméon. Er wird Sie davon in Kenntnis setzen. Ich verbleibe Ihr wohlgewogener Bruder
Napoleon.«
Der König war bei den letzten Phrasen vom Fauteuil aufgesprungen. Sein Antlitz bedeckte sich mit einer brennenden Zornesröthe. Er ballte die beiden Fäuste und rang sichtlich nach Athem.
»Pigault!« rief er. »Du weißt, ich verstehe nicht viel von Stylistik und derartigem gelehrten Krame … Aber du … Du bist ein Genie … Du kennst alle Kniffe der Redekunst … Du bist, wie man zu sagen pflegt, mit allen Hunden gehetzt …«
»Eure Majestät haben eine zu schmeichelhafte Meinung von mir,« entgegnete der Bibliothekar mit einer artigen Verbeugung, indem er den Brief des französischen Imperators wieder zusammenfaltete.
»Pigault!« fuhr der König fort, »du bist der Mann dazu: du mußt mir auf dieses Schandgesudel eine Antwort verfassen, die sich gewaschen hat!«
»Aber Sire, bedenken Sie …«
»Keine Ausrede; – ich gebe dir mein königliche Wort darauf, daß ich dich nicht verrathen werde. – Setze mir eine Epistel auf, die der Kaiser nicht hinter den Spiegel stecken wird! – Ich werde den Brief abschreiben, und dir das Original zurückerstatten. Kein sterblicher Mensch erfährt, daß du der Urheber bist!«
»Wenn Eure Majestät mir in der That versprechen …«
»Mein Wort darauf, Pigault, mein königliches Ehrenwort! Ich wiederhole dir's: niemand soll den wahren Zusammenhang ahnen.«
»Gut denn, Sire. Allein ich wage nochmals einzuwenden … Der Streich könnte doch seine üblen Folgen haben!«
»Unsinn! Ich bin Souverän und brauche mir die Ungezogenheiten eines fremden Machthabers nicht gefallen zu lassen. Ich will unabhängig sein: eine bessere Gelegenheit, diesen Entschluß zu bethätigen, finde ich nicht wieder. Also ans Werk!«
»Morgen, Sire, wenn Sie gestatten. Zu einer so wichtigen Arbeit bedarf man der Sammlung.«
»Wie du willst. Aber je eher, je besser. Eine prompte Antwort verdoppelt den Eindruck.«
»Morgen früh um elf sind Sie im Besitz des Brouillons.«
»Vortrefflich. Und nun wollen wir uns die Grillen aus dem Kopfe schlagen. Was hast du für heute Abend arrangirt?«
»Eine glänzende Fête im Park … Lampions, feu d'artifice , Ballet …«
»Ah, sehr gut. Die Luft ist mild. Wir werden uns köstlich amüsiren.«
»Um welche Zeit werden Eure Majestät herunterkommen?«
»Gegen zehn Uhr. Lassen Sie mir vorher ein Bad rüsten.«
»Poulet?«
»Nein, Burgunder. Auf Wiedersehn.«
Des andern Tags in der Frühe, als der Beherrscher Westphalens noch tief in den Federn lag, setzte sich der gewiegte Bibliothekar an sein Büreau, breitete den kaiserlichen Mahn- und Warnungsbrief zu seiner Linken auf die Platte aus, und studirte Phrase für Phrase, Wort für Wort, Silbe für Silbe.
Er wollte den Stil des gewaltigen Correspondenten an der Seine in seiner ganzen gedrungenen Ursprünglichkeit und Derbheit, in seiner ganzen hochfahrenden Naivetät und Frische nachahmen, und jede Zeile des kaiserlichen Schreibens 16 mit gleicher Münze heimzahlen. Nachdem er etwa eine Viertelstunde lang hin und her gesonnen, ergriff er die Feder und ließ sie hastig über das Papier gleiten. In weniger als zehn Minuten war die Arbeit vollendet. Pigault konnte sich nicht enthalten, über das wunderliche Product zu lächeln. Der Gedanke, daß er, der bescheidene Vorleser Seiner westphälischen Majestät, dem gefürchteten Machthaber Napoleon Bonaparte so vermessene Dinge sagte, berührte ihn höchst humoristisch. Doch war dieser Empfindung eine beträchtliche Dosis von Sorge beigemischt. Er selbst hatte es dem Könige vorgestellt: Napoleon ließ nicht mit sich spaßen. Wehe dem unglücklichen Bibliothekar, wenn es ans Tageslicht kam, wer der authentische Verfasser dieses unerhörten Actenstückes war! Der Cäsar, dessen vernichtender Zorn den Buchhändler von Nürnberg in den Abgrund geschleudert, er konnte auch den Vertrauten Jérôme's zermalmen, wenn er beim Empfange des Briefes irgend wie mißlicher Laune war. Im besten Falle zog die Entdeckung eine mehr oder weniger empfindliche Freiheitsstrafe nach sich; und wahrlich, wenn man eine Zeit lang auf dem prächtigen Schloß der Wilhelms- oder, wie sie jetzt hieß, der Napoleonshöhe in dulci jubilo gelebt hatte, dann spürte man wenig Lust, dieses Paradies mit einem Kerker zu vertauschen!
Pigault-Lebrun wurde ordentlich trübsinnig, als diese Gedanken durch seine Seele zogen. Langsam klappte er die Schreibmappe zu, steckte das Manuscript sorgfältig in die Tasche und wandelte dann die Treppe hinunter in den Park, um die frische Morgenluft zu genießen.
Er mochte so eine Stunde zwischen dem duftenden Strauchwerk der Anlagen auf- und abgeschritten sein, als ihm einfiel, daß er vergessen hatte, den Brief des Kaisers zu sich zu nehmen. Rasch eilte er nach seinem Zimmer. Auf dem Vorplatze begegnete er dem Aumônier, dem Prinzen von Paderborn.
»Ah, schon so früh, Hochwürden?« sagte er in einem Tone, der sein lebhaftes Befremden verrieth.
»Ja wohl, Herr Bibliothekar,« entgegnete der Prinz lächelnd. »Ich dachte, es sei eine Sünde, den herrlichen Morgen zu versäumen. Übrigens hören Sie? Da schlägt es neune! So gar frühe ist's also nicht mehr! Sie haben wohl eine Promenade gemacht?«
Pigault-Lebrun erwiderte ein paar nichtssagende Worte, und begab sich in sein Gemach. Dort angelangt, steckte er den pariser Brief in sein Portefeuille, zündete sich eine Cigarre an und legte sich langwegs auf das Sopha, in der Absicht, die Zeit bis zum Erwachen seines Gebieters mit der Lieblingsbeschäftigung des westphälischen Hofes, mit Nichtsthun hinzubringen.
Der Aumônier wollte ihm nicht aus dem Kopfe. Was hatte der geistliche Herr da auf dem Vorplatz verloren? Seine Wohnung lag auf dem entgegengesetzten Flügel des Schlosses.
»Ich kann diese Gesellen, die überall herumschnuppern, in den Tod nicht ausstehen,« murmelte der Bibliothekar vor sich hin. »Schließlich läuft doch alles auf die leidige Spionage hinaus. Der König hat Recht. Hier ist keiner Seele mehr zu trauen. Ich möchte wohl wissen, ob unser Verdacht betreffs des Ceremonienmeisters und des Justizministers begründet ist …«
Pigault überließ sich während einer halben Stunde dem Spiele seiner ausschweifenden Phantasie. Er durchmusterte im Geiste die ganze Hofgesellschaft und schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf wie ein Mensch, der mit sich selbst nicht im Reinen ist.
Ein plötzliches Klopfen riß ihn aus seinen Träumen.
Ein königlicher Lakai trat in das Zimmer und meldete, daß Seine Majestät den Herrn Bibliothekar zu sprechen wünsche.
»Unser allerdurchlauchtigster König befinden sich noch im Bett,« fügte der Mann hinzu.
Pigault-Lebrun beeilte sich, dem Befehle seines Gebieters Folge zu leisten. Er traf den König in bester Laune.
»Nimm hier auf dem Sessel Platz,« sagte Jérôme leutselig, indem er sich halb in den Kissen aufrichtete. »Hast du dein Versprechen erfüllt?«
»Wie sollte ich nicht?« entgegnete der Angeredete halblaut. »Aber wenn Eure Majestät mir wohl wollen, so lassen Sie uns leise reden … Sie, als gekröntes Haupt, haben bei der Affaire verhältnismäßig wenig zu riskiren, während ich …«
»Schon recht!« unterbrach ihn der König mit gedämpfter Stimme. »Wenn es dich beruhigt, so können wir unsere Bässe moderiren; allein ich versichere dich, deine Besorgnisse sind unbegründet. Die Wände sagt man, haben Ohren. In meinem Schlafzimmer trifft das Sprichwort nicht zu. Die beiden Jäger im Vorgemach sind treu wie Gold, die Säle rechts und links stehen leer …«
»Man kann nie wissen, Sire,« erwiderte Pigault, »durch welche Spalte der Teufel Einen beim Schopfe packt.«
»Du bist heute ein wahrer Philosoph, ganz gegen deine sonstige Gewohnheit. Doch zur Sache. Du hast das Manuscript bei dir?«
»Ja wohl, Sire.«
»Deutlich geschrieben? Du weißt, unleserliche Handschriften sind meine schwache Seite.«
»Ich glaube, Eure Majestät werden zufrieden sein.«
»Zeig' einmal her.«
Der Bibliothekar zog das Papier aus der Tasche und reichte es dem König dar.
»Hm, hm,« sagte Jérôme, »das könnte etwas deutlicher sein … hm, hm … da unten kommen ja schmähliche Schnörkel und Kratzfüße …«
»Das Manuscript ist allerdings sehr schnell hingeworfen,« bemerkte Pigault lächelnd.
»Weißt du was, du kannst mir das Ding einmal vorlesen, 19 dann werd' ich wohl so leidlich damit zu Stande kommen.«
»Wie Eure Majestät befehlen. Allein Sie erlauben, daß ich mich etwas näher zu Ihnen heransetze, um nicht genöthigt zu sein, allzusehr die Stimme zu erheben.«
»Gott, bist du heute ängstlich,« lachte der König. »Du hast wohl etwas Katzenjammer von gestern? Apropos, das Ballet war famos, ganz magnifique, auf Ehre. Ich hätte fast vergessen, dir mein Compliment zu machen.«
»Eure Majestät sind zu gütig. Wenn Sie gestatten, werde ich jetzt beginnen.«
»Nun denn, leg' los, alter Junge!«
Pigault-Lebrun setzte sich dicht an das Kopf-Ende des königlichen Bettes, entfaltete sein Manuscript und las mit flüsternder Stimme wie folgt:
»Mein Bruder Napoleon, Kaiser der Franzosen!«
»›Mein Bruder‹?« fragte der König. »Nicht ›mein erhabener Bruder‹? Das ist zu stark!«
»Sire,« entgegnete Pigault, »Ihre deutschen Unterthanen haben ein Sprüchwort, das zwar nicht hoffähig, aber sehr tiefsinnig und kernig ist. Das Sprüchwort heißt: ›Wurst wider Wurst‹. Verstehen Sie, was das sagen will?«
»So ziemlich. Aber ich finde …«
»Hören Sie weiter. – Wenn Sie an meiner Fassung etwas auszusetzen haben, so werden wir nachher die erforderlichen Änderungen vornehmen. – Also: ›Mein Bruder Napoleon, Kaiser der Franzosen! Ich habe Ihre Rathschläge empfangen. – Ich achte sie. – Was Ihre Befehle betrifft, so bin ich König. Ich gebe Befehle, aber ich erhalte keine …‹«
»Stark, sehr stark!« murmelte der König; »aber gut, sehr gut!«
Der Bibliothekar las weiter:
»›Sie werfen mir vor, ich sei ein Freund von langem Tafeln. Ich gestehe, daß ich die substantielleren Genüsse 20 eines wohlassortirten Tisches dem eitlen Jagen nach Gloire vorziehe. – Ich bin Gourmand, ohne ein Vielfraß zu sein: ich glaube nicht, daß ich hierdurch meiner königlichen Würde etwas vergebe. Was die Weiber anlangt, so weiß ich in der That nicht, was gerade Sie mir in diesem Punkte vorhalten könnten. Sie beklagen sich über mein Verhalten gegen die Königin: Eure Majestät konnte mich zwingen, sie zu heirathen, aber nicht, sie zu lieben. – Sie fragen, ob die Königin mir nicht vornehm genug ist. – Eure Majestät haben mir hundertmal wiederholt, nichts sei für den Bruder eines Napoleon zu groß und zu vornehm: ich dagegen habe mich nie mit einer großen Dame vermählen wollen. – Sie werfen mir vor, ich halte nicht genug auf eine meiner Stellung entsprechende Repräsentation. – Wissen Sie, das Repräsentiren ist erstens langweilig, und zweitens verträgt es sich nicht recht mit meiner Figur und meiner Tournüre – zwei Dinge, die in unserer Familie nicht besonders imposant genannt werden können‹ …«
»Das ist ein malitiöser Hieb, der ihn schwer ärgern wird,« sagte Jérôme mit hämischem Lächeln. »Du bist in der That ein beißender Satiriker, Pigault. – Ich sehe, ich darf mich in Acht nehmen, daß ich bei dir nicht in Ungnade falle.«
Der Bibliothekar mußte laut auflachen.
»Hören Sie nur weiter, Sire! – ›Übrigens habe ich meine Hofhaltung ganz nach dem Vorbilde der Ihrigen eingerichtet. Ich kleide mich, wie Sie: was wollen Sie mehr? – Der Prinz von Paderborn bringt mich mit seinen ewigen Predigten und endlosen Messen zum Gähnen. Ich werde ihn behalten, da Eure Majestät mir ihn gegeben; aber nichts verpflichtet mich dazu, mit ihm über Kirchenangelegenheiten und andere Dinge zu sprechen, von denen ich nichts verstehe und nichts verstehen will. Ich überlasse das dem Herrn Cultusminister. – Was Merfeldt anlangt, so habe ich ihn zum Präfecten von Hannover ernannt, denn 21 er ist ein vorzüglicher Verwaltungsbeamter, ohne ein angenehmer Chambellan zu sein. Im Übrigen liebe ich es, die für meinen persönlichen Dienst bestimmten Personen ganz nach meinen augenblicklichen Bedürfnissen auszuwählen. Gezeichnet: Jérôme Napoleon.‹«
»›Gezeichnet‹ …?« rief der König. »Aber das ist ja der brutalste Kanzleistil.«
»So schreiben wir: ›Genehmigen Sie die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochachtung.‹«
»Mit dieser Formel begrüßt man seine Untergebenen.«
»›Ihr treuverbundner Bruder‹ … Was halten Sie davon?«
»Sehr gut! Das sagt eigentlich gar nichts! Schreiben wir: ›Ihr treuverbundener Bruder.‹«
Der König ließ sich nunmehr das Manuscript ins Bett reichen, und studirte es mit vielem Eifer. Hierauf legte er's unter das Kopfkissen und bedeutete dem Bibliothekar sich zu entfernen.
Jérôme ließ sich ankleiden und hatte nach eingenommenem Dejeuner nichts Eiligeres zu thun, als den Brief Pigault's zu copiren. – Er zerriß zwei, drei Bogen, bis der vierte zu seiner Zufriedenheit ausfiel. – Als er das kühne Schriftstück siegelte, spielte ein schadenfrohes Lächeln um seine Lippen.
»Kein Zweifel,« murmelte er vor sich hin, »dieser Schröpfkopf wird ziehen! Ich gäbe etwas darum, wenn ich sein verblüfftes Gesicht, seinen brennenden Ärger genießen könnte! – Früher oder später mußte die Sache ja doch einmal zum Brechen kommen! – Ich will dem erstaunten Europa zeigen, daß ich nicht bin, was ich scheine. Selbständigkeit, Unabhängigkeit, Würde, – das sind doch wohl die unerläßlichen Vorbedingungen der Achtung, deren sich ein Thron zu erfreuen wünscht! Zum Schleppenträger meines Herrn Bruders halte ich mich zu gut. Entweder oder! Der Würfel ist gefallen!«
In dieser selbstbewußten Stimmung überreichte er den Brief einem seiner Kammerjäger zur sofortigen Übermittelung an den Courier.
Wenige Stunden später war das verhängnisvolle Actenstück unterwegs.
Jérôme! Jérôme!
Vierzehn Tage waren verflossen.
Von den Thürmen der Stadt Kassel schlug es Mitternacht. Die braven Unterthanen des westphälischen Gewalthabers schliefen den Schlaf der Gerechten. Melancholisch wandelte der Wärter durch die menschenleeren Gassen und entlockte seiner kurzen Weichselrohrpfeife eine qualmende Wolke nach der andern.
Nicht ganz so lautlos ging es in dem sogenannten blauen Salon der Napoleonshöhe zu. Hier saß eine kleine, aber gewählte Gesellschaft um eine reichgedeckte Tafel. Man war beim Dessert. Prächtige Früchte, hochfeines Gebäck, perlender Champagner und andere unerläßliche Ingredienzen eines luxuriösen Mahles verbreiteten einen berauschenden Duft. Die Gläser klirrten in verwegner Ungezwungenheit wider einander. Das lärmende Chaos der Stimmen wurde nur durch die Salven eines schallenden Gelächters oder durch die Klänge eines lustigen Refrains unterbrochen. Mit einem Worte, der blaue Salon war wieder einmal Zeuge eines jener intimen Soupers, die gegen elf Uhr begannen und gewöhnlich bis drei, vier Uhr Morgens dauerten.
»Die Gesundheit des Königs!« rief jetzt eine kleine, blauäugige Dame in prachtvoller Toilette.
Sie ergriff das Glas, setzte es an den Mund und leerte es auf einen Zug.
»Süßer Engel!« hauchte der König, indem er den Arm um ihre Taille legte. »Dafür sollst du einen Kuß haben.«
Die Dame sträubte sich.
»Herr Gott, wie spröde!« lachte Jérôme. »Was fällt dir ein, Lili? Wir sind ja hier unter uns! Nicht wahr, Fürstenberg, unsere kleine Heberti braucht Euretwegen ihren Gefühlen keinen Zwang anzuthun?«
Die Gesellschaft kicherte.
»Unsere liebenswürdige Freundin,« versetzte der Angeredete, »wäre im höchsten Grade thöricht, wenn sie sich aus irgend welcher äußern Rücksicht den schmeichelhaften Gunstbezeugungen Eurer Majestät widersetzen wollte.«
»Wir sind ja, Gott sei Dank, keine deutschen Philister,« fügte der Graf Winzingerode hinzu.
»Da hörst du's, Lili. Fürstenberg, zeigen Sie der Kleinen, wie die Sache gemacht wird. Küssen Sie Ihre Melanie!«
Der Cavalier, der trotz des ihm aufgenöthigten deutschen Namens ein echter Pariser geblieben war, schlang den Arm ohne weiteres um den blendenden Nacken seiner Nachbarin, und küßte ihr die rothen Lippen, daß es laut durchs Gemach schallte.
»Ah, das ist Unrecht, lieber Fürstenberg,« rief Pigault-Lebrun mit komischem Stirnrunzeln. »Sie machen unser Einem, der nicht so glücklich ist, wie Sie, das Herz schwer.«
»Es thut jeder, was er kann; nicht wahr, Melanie?«
» Eh bien , Lili?« fragte der König.
»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Sie zwei Tage lang auf schmale Kost setze,« lautete die schnippische Antwort.
»Wie? was?« erklang es im Chor. »Ein Zwist, ein Streit? Ich hätte bald gesagt, eine eheliche Differenz?«
»Unser Täubchen ist eigensinnig,« rief Jérôme, ein Glas Schaumwein hinunterstürzend.
»Nein, nein, nur standhaft!« entgegnete Fräulein Heberti.
»Erzählen Sie! Was ist vorgefallen?«
»Sehr einfach,« sagte die kleine Dame. »Ich habe Seine Majestät um eine Gefälligkeit ersucht und bin abschlägig beschieden worden.«
»Ah, unerhört, Sire,« lachte Winzingerode. »Wie können Sie einem solchen Engel was abschlagen?«
»Ein König, meine Herren,« erwiderte Jérôme, »ist nicht in allen Dingen souverain! Es giebt gewisse Rücksichten …«
»Aber um was handelt es sich denn? Wir wissen ja noch gar nicht …«
»Eine Bagatelle,« schmollte Lili. »Ich bat den König um die Entlassung des Grafen von Paderborn …«
»Ah, der Aumônier,« sagte Fürstenberg; »eine unangenehme Persönlichkeit.«
»Ein Spion,« ergänzte Fräulein Heberti.
»Wo denkst du hin, Lili!« stotterte Jérôme.
»Ein Spion, sage ich. Unser Aller Interesse erfordert, daß Sie ihm schleunigst den Laufpaß geben.«
»Das ist unmöglich.«
»Unmöglich? Sind Sie nicht König …?«
»Das sagst du wohl … – aber …«
»Was ›aber‹! Es giebt kein aber!«
»Aber bedenke doch … Du weißt … Seine Majestät der Kaiser …!«
»Der Kaiser! Was hat Ihnen der Kaiser zu sagen?«
»Er hat … er ist … bedenke nur …«
»Ah, Sire!« rief das Mädchen mit einem Ausdruck des Stolzes, der ihre Züge wunderbar hob, »Sie scheinen nicht zu wissen, daß wir Frauen von dem Geliebten in erster Linie Entschlossenheit, Energie, Unabhängigkeit, Muth fordern, wenn unsere Neigung nicht wanken soll …«
Die Gäste blickten einander an, als wollten sie sich fragen, ob diese Rede der kleinen Ex-Tänzerin Scherz oder Ernst sei?
Es trat eine peinliche Pause ein. Der König war sichtlich unangenehm berührt. Niemand wollte das Schweigen brechen. Man fürchtete, den mißlichen Eindruck, den Lili's Strafpredigt hervorgebracht hatte, durch eine ungeschickte Bemerkung noch zu verschlimmern. –
»Fräulein Heberti,« sagte endlich Jérôme, nicht ohne Bitterkeit, »ich hoffe Ihnen baldigst, vielleicht schon morgen, den Beweis zu liefern, daß Ihre Vorwürfe die Adresse verfehlt haben. Wenn ich in einzelnen wichtigen Angelegenheiten auf meinen kaiserlichen Bruder Rücksicht nehme, so geschieht dies aus freien Stücken. Daß ich im rechten Augenblick unabhängig, energisch, entschlossen zu sein verstehe, sollten Sie überhaupt niemals bezweifelt haben. Da Sie indeß solchen höchst seltsamen Zweifeln Raum geben, so gereicht es mir in der That zur Genugtuung, daß ich, wie gesagt, binnen wenigen Tagen in der Lage sein werde, Sie eines Bessern zu belehren. Merken Sie sich das, Fräulein Heberti!«
Der König hatte diesen langen Discurs mit voller Würde, und so laut und deutlich vom Stapel gelassen, daß Lili fast erschreckt die Augen niederschlug. Sie mochte fühlen, daß sie zu weit gegangen.
Jérôme warf seinem Bibliothekar einen selbstbewußten, verständnisinnigen Blick zu.
Dem guten Pigault fiel die Epistel, auf welche der König anspielte, heiß auf die Seele. Jeden Tag konnte die Antwort eintreffen; der Bibliothekar verhehlte sich nicht, daß diese Aussicht einen höchst beklemmenden Einfluß auf seine Lebensgeister ausübte.
In diesem Augenblick ertönte im Vorzimmer ein lebhafter Wortwechsel.
Befremdet horchte man auf.
»Ich habe die gemessensten Befehle …« sagte einer der königlichen Hofjäger.
»Und ich habe noch gemessenere,« entgegnete eine kräftige Stimme. »Machen Sie keine Umstände! Im Namen Seiner Majestät des Kaisers der Franzosen, lassen Sie mich vor!«
Jérôme erbleichte. Pigault-Lebrun griff nach dem Glase, um seine Verwirrung zu verbergen.
»So erlauben Sie wenigstens, daß ich Seine westphälische Majestät zuvor benachrichtige,« stotterte der Kammerjäger. »Wen darf ich anmelden?«
»Den Gouverneur von Danzig!« lautete die Antwort.
Eine halbe Minute später öffnete sich die Thür des blauen Salons, und der Gouverneur, begleitet von einem Gardeofficier, betrat das Allerheiligste.
Alles war sprachlos.
Der Botschafter des Imperators verneigte sich voll ritterlicher Anmuth und wandte sich dann an den König.
»Sire,« sagte er, »ich habe mich eines höchst unangenehmen Auftrags zu entledigen.«
Jérôme ward fahl wie der Kalk an der Wand. Pigault-Lebrun saß da wie ein armer Sünder und nestelte an seinen Manschetten.
»Ich habe diesen Auftrag,« fuhr der Gouverneur fort, »von Ihrem erhabenen Bruder, dem Kaiser der Franzosen. Ich verließ Seine Majestät in einem Zustande der Erregtheit und des Zornes, den ich nicht zu schildern vermag …«
»Aber ich bitte, mein Herr,« rief Fürstenberg, indem er die Arme vor der Brust kreuzte, »dies ist weder die Zeit noch der Ort, solche Aufträge auszurichten.«
»Ich bedaure,« entgegnete der Angeredete kalt, »daß ich so unglücklich bin, Ihre geselligen Freuden zu unterbrechen, allein ich handle nach dem ausdrücklichen Befehl meines hohen Gebieters.«
Der König war so vollständig außer Fassung gerathen, daß er vergaß dem Gouverneur einen Stuhl, geschweige denn ein Glas Wein anzubieten. Statt dessen hatte er selbst den Becher ergriffen und einen kräftigen Schluck der Verzweiflung gewagt.
Winzingerode schleuderte dem fremden Eindringling finstere Blicke zu.
Die kleine Heberti betrachtete bald den Gouverneur, 27 bald ihren königlichen Gönner. Ein spöttisches Lächeln zuckte um ihre rosigen Lippen.
»Sire,« fuhr der Gesandte fort, »ich hoffe, Sie werden den Botschafter nicht die Unannehmlichkeiten der Botschaft entgelten lassen … und mir verzeihen, wenn ich Ihnen hier, laut den gestrengen Instructionen, die ich empfangen habe, folgenden eigenhändig geschriebenen Cabinetsbefehl des Kaisers vorlese …«
»O, durchaus nicht,« stammelte Jérôme in höchster Seelenangst; »das heißt … Sie wissen … Könnten wir nicht dort in das Zimmer treten?«
»Ich bedaure, Sire … Die Anordnungen Seiner Majestät sind sehr formell. Sie müssen schon gestatten, daß diese Herrschaften unfreiwillige Zeugen einer Scene sind, die mir ebenso fatal ist, als Ihnen selbst, Sire.«
Der König senkte das Haupt, wie Einer, der entschlossen ist, alles ohne Widerstand über sich ergehen zu lassen.
»Aber das ist unerhört,« sagte Fürstenberg.
Der Gouverneur zuckte die Achseln. »Ich wiederhole Ihnen, es ist nicht meine Schuld,« entgegnete er. »Das Decret lautet wie folgt:
»›Cabinetsbefehl des Kaisers. Unser Aide-de-Camp, der General Rapp, Gouverneur von Danzig, wird sofort nach Cassel abreisen und daselbst den Obersten Müller, Kommandanten der königlichen Garden, zu sich citiren. Er wird mit besagtem Müller unverzüglich zum König gehen und Seine Majestät diesem Officier zur Bewachung übergeben. Der König wird achtundvierzig Stunden im Arrest bleiben. Pigault-Lebrun, der Verfasser des flegelhaften Briefes, den unser Bruder uns geschrieben hat, wird zwei Monate lang ins Gefängnis gesteckt und dann unter sicherer Bedeckung nach Frankreich transportirt werden. Wir ertheilen unserm Aide-de-Camp Generalvollmacht, die westphälischen Truppen in Anspruch zu nehmen, falls man 28 sich in wahnwitziger Verblendung der Ausführung unserer Befehle widersetzen sollte. Gezeichnet: Napoleon.‹«
Jérôme sank vernichtet in seinen Fauteuil zurück. Pigault-Lebrun runzelte die Brauen und ballte die Fäuste. Fürstenberg und Winzingerode sperrten Mund und Nase auf. Melanie weinte. Die kleine Heberti warf einen Blick der grenzenlosesten Verachtung auf ihren Liebhaber und erhob sich stolz aus dem Sessel.
»So haben wir hier weiter nichts zu suchen!« sagte sie kalt. »Herr Commandant, thun Sie Ihre Pflicht.«
Der Aide-de-Camp des Kaisers verabschiedete sich, und Jérôme schwankte in Begleitung des Obersten Müller nach seinen Gemächern, um sie erst nach abgebüßter Strafe wieder zu verlassen. Die Ermächtigung, die der Kaiser dem General Rapp ertheilt hatte, im Nothfalle Truppen zu requiriren, war eine überflüssige Maßregel. Der gute Jérôme parirte wie ein wohlerzogenes Kind; seine friedliche Seele war himmelweit entfernt von jener ›wahnwitzigen Verblendung‹, die das allerhöchste Decret vorsehen zu müssen glaubte. Ah, hätten die ehrfurchtsvollen Unterthanen des Königs von dem unerhörten Schauspiele, dessen Theater der königliche Palast, dessen leidender Held ihr vielgeliebter Jérôme war, eine dämmernde Ahnung gehabt! Es ist doch gut, daß der Pöbel nicht in alle Geheimnisse der Diplomatie eingeweiht wird!
Pigault-Lebrun wurde in den Kerker geworfen. Eine nachträgliche Ordre des Kaisers verbot dem gesammten Hofpersonal, den Gefangenen zu besuchen. Der König schrieb seinem gestrengen Bruder einen demüthigen Brief, in welchem er hundertmal um Verzeihung bat und um die Freilassung seines Vertrauten flehte. Umsonst. Der Kaiser ließ ihm antworten, Pigault werde seine zwei Monate absitzen und alsdann unverzüglich das Land verlassen. Nach langem Betteln gestattete er dem König, den Bibliothekar bei sich zu behalten, falls derselbe gesonnen sei, einen 29 weitern Monat hindurch im Gefängnis zu schmachten. Pigault war mit Freuden bereit. Das Leben am westphälischen Hofe bedünkte ihm jedes Opfers werth.
Am 22. November 1810 war seine Marterzeit vorüber. Blaß und abgemagert trat er vor seinen Gebieter und lächelte ein schmerzliches Lächeln.
»Nicht wahr, Sire,« sagte er, »künftighin besinnen wir uns zweimal, ehe wir einen Brief zur Post geben?«
Jérôme seufzte.
»Du hast schwer gebüßt, mein Freund,« flüsterte er niedergeschlagen; »aber auch mich traf ein trübes Verhängnis …«
»Ah, Sire, die achtundvierzig Stunden …?«
Der König schritt nach seinem Pulte und nahm ein rosenrothes Billet heraus.
»Da, lies!« sagte er. »Das schrieb mir die liebste, die reizendste, die treueste meiner Freundinnen am Tage nach deiner Verhaftung.«
Pigault las. Das Billet lautete:
»Sire,
Ich verlasse Sie und Ihr Land für immer. Ich habe mich aufs Kläglichste in Ihnen getäuscht. Wenn ich die Pflichten, die uns die Selbstachtung und die Rücksicht auf das öffentliche Urtheil auferlegt, mit Füßen trat; wenn ich bei einem Ihrer Höflinge Sclavendienste that: so geschah dies nur, weil ich Sie liebte – so wahr und glühend wie nur ein Weib zu lieben vermag! Dies Bekenntnis wird mich in Ihren Augen, wenn nicht rechtfertigen, so doch entschuldigen. Aber ich kannte Sie nicht. Ich hielt Sie für edel, für stolz, für ritterlich. Ich habe mich vom Gegentheil überzeugt. Ich verachte Sie.
Elise Heberti.«
Pigault-Lebrun versetzte kein Wort. Gesenkten Blickes gab er dem König das Schreiben zurück.
Jérôme schloß es wieder ein und sagte dann tonlos zu seinem Bibliothekar:
»Es läßt sich halt nicht gegen den Strom schwimmen! Dein Sprüchwort: ›Wurst wider Wurst‹ mag für unsere hessischen Bauern passen, aber nicht für die Familie Bonaparte.«
Sprach's, ging hin, und blieb ein gehorsamer Bruder.
Das Städtchen Clatou, einige Meilen von St. Quentin gelegen, erfreute sich unter dem milden Scepter seines Bürgermeister seit undenklichen Zeiten eines blühenden Wohlstandes und einer Höhe der geistigen Cultur, um die es von der Gemeinde Ulrichstein im hessischen Vogelsberge ohnstreitig glühend beneidet worden wäre, wenn sich der Ruf von seiner Existenz überhaupt bis über die Grenzen des Departements verbreitet hätte. Aber die Clatounesen waren von der Giltigkeit jener altgriechischen These, die den Ruhm für eitel Wind erklärt, so aufrichtig überzeugt, daß sie in keiner Weise nach irdischem Glanze haschten, sondern schlicht und recht in den Tag hinein lebten; wiewohl ihre Verhältnisse ihnen reichlich gestattet hätten, alle vier Wochen eine lobende Erwähnung im »Figaro« zu bezahlen. Still und zurückgezogen pflagen sie ihrer Privatangelegenheiten und kümmerten sich weder um die aufregenden Dispute des Pariser Corps Législatif , noch um die politischen Schachzüge Beust's und Bismarck's. Der Name Jules Favre's war kaum jemals über die Lippen eines Clatounesen gekommen, und von der Neugestaltung Deutschlands hatte nur Herr Clamard, der Maire, eine chaotisch dämmernde Vorstellung. Kurz, Clatou, das weise und gerechte Städtchen unweit von St. Quentin, trug keine Schuld an dem schändlichen Friedensbruch, den Frankreich so theuer bezahlen sollte …
Im Laufe der sechziger Jahre zweigte sich von Clatou eine kleine Colonie ab.
Die neue Gründung nannte sich Gressinet. Sie blieb zwar mit der Mutterstadt in regem Wechselverkehr, allein 34 schon nach kurzer Frist entwickelten sich im Schooße der Tochter jene Emancipationsgelüste, die vor einem Jahrhundert auf der westlichen Erdhälfte die Losreißung Nordamerika's von England zur Folge hatten …
Ahmte indessen Gressinet das glorreiche Beispiel der Union nach, so befolgte Clatou – und insbesondere Herr Clamard, der Bürgermeister – die Haltung Großbritanniens und verweigerte den Rebellen jegliches Zugeständnis.
Vor allem bestritt der Maire ihnen das Recht, sich eine Gemeinde zu nennen.
»Ihr gehört zu unsrer Gemeinde,« hieß es in seinen amtlichen Manifesten, – »ihr seid mir zinspflichtig, und jede gegentheilige Bestrebung ist als ein Akt der Insurrection und des Hochverraths zu betrachten.«
Die Gressineter protestirten. Einer der ihrigen, Jules Pierrot, der ein Jahr lang als Handlungsdiener in Paris gewesen, verfaßte ein Gegenmanifest, in welchem das Selbstbestimmungsrecht der Nationen nachdrücklich betont und das Axiom ausgesprochen war, daß man im neunzehnten Jahrhundert nach anderen Grundsätzen regieren müsse, als im fünfzehnten.
Diese Phrase vom neunzehnten Jahrhundert mußte den Maire in der tiefsten Tiefe seines amtlichen Bewußtseins verletzt haben, denn er antwortete in einem neuen Erlaß, es komme hier durchaus nicht auf den Unterschied zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit an, wie von gewisser Seite heuchlerischer Weise behauptet werde, sondern auf die Frage, ob die Verfassung gehalten oder gebrochen werden solle. Er, der Maire, werde dem Gesetze die gebührende Achtung verschaffen und jedermann, der es übertrete, ohne Ansehen der Person vor die Schranken der Tribunale citiren.
Die Gressineter schäumten vor Wuth. Ließ sich von jetzt ab ein Clatounese in Gressinet blicken, so wurde er von den beleidigten Patrioten dergestalt mißhandelt, daß er für die nächsten drei Wochen arbeitsunfähig war. Zur 35 Revanche überfielen die Clatounesen eines schönen Tages den Haupträdelsführer der Gressineter, den Handlungsdiener Jules Pierrot, mit Steinwürfen. Pierrot rettete sich nur durch die schleunigste Flucht. Ganz außer Athem, von Schweiß triefend wie ein gehetzter Eber, mit Staub bedeckt und am Hinterhaupte nicht unbedeutend verletzt, langte er in Gressinet an, – eine lebendige Aufforderung zum Kreuzzug gegen die freveltrotzigen Clatounesen.
Sofort eilte er zu seinem Busenfreunde, dem Schulmeister …
Henri Jérôme Croquepeu, den die Gressineter – dem Maire von Clatou zum Trotz – aus eigenen Mitteln bezahlten, war nächst Pierrot der eifrigste und angesehenste Vertreter der Selbstständigkeitsidee.
Er empfing den Gesinnungsgenossen mit den Zeichen der höchsten Verwunderung.
»Ist's möglich, Jules? Sie haben es gewagt …? Aber das ist ja himmelschreiend, diabolisch, infernalisch, kymmerisch!«
»Croquepeu,« erwiderte Jules mit halberstickter Stimme, indem er sich das Taschentuch auf die Wunde legte, »Croquepeu, – sieh her! Dieses Blut heischt eine furchtbare Rache! – Sprich, Schulmeister, hast du je geliebt …?«
»Wie so?«
»Hast du nie anbetend vor einem Wesen gekniet, dessen Lächeln … dessen Blicke …«
»Ah, so! Jetzt erst begreife ich, was du sagen willst. Du meinst, ob niemals Eros mein Herz berührt …? Du mußt dich deutlicher ausdrücken.«
»Nun denn … antworte mir! Wenn deine Brust niemals in heiligen Flammen stand, so fehlt dir das Verständnis für den Schmerz, der mir siedend durch alle Adern geht … Sprich, Kindertyrann!«
»Ja, Jules! Ich war achtzehn Jahre alt, – da liebte ich Eugenien, die Tochter des Dorfschmieds … Ich darf 36 wohl sagen: auch ich war ihr nicht gleichgiltig, – aber ach! Du weißt! Die Verhältnisse … Die Umstände … Sie hat einen anderen geheirathet …«
»Gut! So wirst du erfassen, welch ein wahnsinniger Zorn meine empfindsamen Nerven durchtobt. Höre mich an! Ich liebe …«
»Nicht möglich? Seit wann …?«
»Seit vier Wochen. Sie ist ein Engel …! Ach, Schulmeister, ich sage dir, wenn sie einen mit ihren großen, himmelblauen Augen so über die Achsel ansieht, – das Herz möchte einem zerspringen wie eine reife Kastanienschale! Aber leider, leider giebt es nichts Vollkommenes auf der Welt!«
»Schielt sie?«
»Du bist verrückt.«
»So findest du keine Gegenliebe?«
»Croquepeu, du wirst beleidigend …«
»Je nun, so erkläre dich näher … Überhaupt weiß ich nicht, was deine Liebe mit dem clatounesischen Attentat zu thun hat.«
»Schulmeister! Meine Geliebte vereinigt alle guten Eigenschaften des Leibs und der Seele … aber sie ist eine Clatouneserin!«
»Heiliger Antonius Paduensis! Das ist allerdings ein bedenklicher Übelstand! Und wer ist's, Pierrot? Wohl gar Louison, die Tochter des Notars? Herr Brassou ist ein glühender Feind unserer Autonomie; er haßt dich als den gefährlichsten Verfechter unserer municipalen Rechte: nie und nimmer wird er einwilligen, daß seine Louison …«
»So laß mich doch nur zum Worte kommen, geschwätziger Ruthenfürst! Louison ist mir so gleichgiltig wie dem Heiden der Sonntag. Meine Angebetete heißt Marion Leclerc.«
»Alle Götter der Ober- und Unterwelt! Die Mündel des Bürgermeisters? Pierrot, bist du bei Troste? Da 37 wäre noch eher daran zu denken, daß der Notar dir seine Louison gäbe!«
»Vorläufig handelt es sich gar nicht um Geben oder Nichtgeben. Alles das wird sich später finden. Marion liebt mich. Im Nothfall entführe ich sie …«
»Himmel! Das wird einen saubern Skandal absetzen!«
»Mir gleich. Zunächst aber gilt es, meine Ehre wieder herzustellen. Denke dir, Croquepeu: die Geliebte meines Herzens war Zeuge des entsetzlichen Auftrittes! … Sie sah, wie ich fliehen mußte! O, ich hätte vor Wuth und Scham bersten mögen! – Aber die Steinwürfe ließen mir keine Wahl; sie würden mich zu Brei zermalmt haben. Begreifst du, Knaben-Despot, was es heißt, vor den Augen seiner Geliebten die Rolle eines Feiglings spielen zu müssen?«
»Ah, ich weiß es nur zu gut! Unter uns gesagt, Pierrot, – du erzählst es nicht weiter – ich bin überzeugt, Eugenie heirathete nur darum den Epicier, weil er mich einst vor ihren Blicken ohrfeigte, ohne daß ich meinerseits … Du verstehst! Es fehlt mir im allgemeinen nicht an Courage, aber Raoul war ein baumlanger Kerl, und so dachte ich, besser eine geringe Injurie einstecken, als sich einer tödtlichen Körperverletzung aussetzen. Aber, wie gesagt, das beklemmende Gefühl von damals ist mir noch sehr wohl erinnerlich … Haben sie dich auch geohrfeigt?«
»Das nicht. Allein ich mußte Fersengeld geben, wie ein Äpfeldieb, und das Hohngelächter der Clatouneserinnen verfolgte mich bis an die Grenze des Weichbildes. Man macht eine erbärmliche Figur, Croquepeu, wenn man so durch die Straßen sprengt und von den ungezogenen Gamins mit Pflaumen und Chausseesteinen geworfen wird! Ich bedarf einer glänzenden Genugthuung, sonst bin ich in den Augen Marion's für allezeit discreditirt. Willst du mir beistehen?«
»Was kann ich thun?«
»Berufe die angesehensten Bürger für heute Abend in die Scheune des alten Grimmont! Ich werde ihnen den Fall vortragen und ihre Unterstützung in Anspruch nehmen.«
»Gut. Auf sieben Uhr.«
»Und nun begleite mich in die Weinstube; ich verdurste bald. Um halb zwei muß ich ins Geschäft; also laß uns die Frist benutzen! Du wirst deine Einladungen dringlicher vorbringen, wenn du erst ein paar Tropfen Rebenblut in den Adern spürst.«
Sie gingen zur Schenke und leerten einige Gläser auf das Wohl Gressinet's. Dann verfügte sich Jules Pierrot, der Handlungsdiener, in sein bescheidenes Magazin, während Croquepeu von Haus zu Haus wanderte und die Bürger zu einer wichtigen Berathung nach der Scheune entbot.
Fünf Minuten nach sieben war die Versammlung vollzählig.
Pierrot ergriff das Wort und schilderte in den lebhaftesten Farben die erlittene Unbill. Er forderte die Gressineter auf, diese blutige Beleidigung durch eine exemplarische Bestrafung der Mutterstadt glorreich zu sühnen.
Nach längeren Debatten faßte man den Beschluß, Clatou am nächsten Sonntag während der Kirche zu überfallen, dem Haupturheber des frevelhaften Attentates die Fenster einzuwerfen und einen etwaigen Widerstand mit bewaffneter Hand zu bewältigen …
Das war eine verwegene Idee. Ihre Annahme läßt sich nur aus der krankhaften Steigerung des intermunicipalen Hasses erklären, der bei den Gressinetern die Stimme der Vernunft völlig übertäubte. O, hättet ihr den Plan Jules Pierrot's verworfen! Ihr würdet ihm und euch viel Trauer und Herzeleid erspart haben!
Der verhängnisvolle Sonntag kam heran. Die Glocken 39 von Clatou hatten langsam ausgeläutet. Die gesammte Bürgerschaft – mit der einzigen Ausnahme eines lüderlichen Zecherkleeblatts und verschiedener Greise, Wöchnerinnen und Kranken – befand sich im Gotteshause. Herr Laloupon, der Geistliche, predigte über die Bibelstelle: »Selig sind die Friedfertigen –« und erging sich in eifrigen Angriffen auf die Störer der öffentlichen Ordnung. Die Clatounesen schmunzelten, denn sie fühlten, daß Herr Laloupon auf die Gressineter stichelte.
Da zog aus den Thoren der rebellischen Colonie eine Schaar von fünfzig oder sechzig kräftigen Burschen – so ziemlich die ganze waffenfähige Mannschaft des Pflanzdorfes – und wandte sich in raschem Halbtrabe dem arglosen Clatou zu.
Nach fünf Minuten war die Mutterstadt erreicht. Jean, der alte stelzfüßige Polizist, wurde über den Haufen gerannt. Dann plötzlich klirrte ein Hagel von Steinen wider die Façade eines der stattlichsten Häuser der Hauptstraße, und ein lautes Hurrah des Rächercorps verkündete, daß die Salve von wunderbarster Wirkung gewesen.
Alsbald regte es sich in den Hallen der Kirche. Die Weiber und Kinder erhoben ein klägliches Angstgeschrei. Die Männer rüsteten sich zur Gegenwehr. Die clatounesische Übermacht gestattete keinen Zweifel über den Ausgang des Handgemenges. Jules Pierrot, der unter den Vordersten war, wurde an der Kirchentreppe von einem gigantischen Schlossergesellen in Bearbeitung genommen. Zu seinem wahnwitzigsten Entsetzen bemerkte er unter den Damen, die sich nach der Pforte des Gotteshauses drängten, Marion Leclerc, die Geliebte seines Herzens. Sie sollte jetzt zum zweiten Male mit ansehen, wie ihr treuer Cavalier von pöbelhaften Fäusten mißhandelt wurde. Jules Pierrot rang wie ein Verzweifelter; aber der Schlossergeselle war ein Hercules, legte ihn über das Knie und erteilte ihm eine Lection, wie sie Herr Croquepeu, der 40 Schulmeister, seinen Zöglingen nicht kunstgerechter hätte angedeih'n lassen können. Ähnlich wie dem Liebhaber Marion's erging es den meisten Gressinetern; nur Wenige schlugen sich rühmlich durch und erreichten die Colonie; die Übrigen wurden schauderhaft zerwalkt und dann in Masse nach der »Violine«, das heißt nach der Wache gebracht.
Herr Clamard, der Maire, rieb sich die Hände. Die Gressineter knirschten vor Schmerz und Erbitterung. Herr Laloupon, der Pfarrer, ließ ein Tedeum anstimmen.
Drei Tage später wurden sämmtliche an dem Krawall betheiligten Colonisten mit mehreren Wochen Polizeigefängnis bestraft.
Auch dieses Leid trug dazu bei, den Zorn der Gressineter zum Paroxysmus zu steigern.
Als die Gemaßregelten die Freiheit wieder erlangt hatten, berief Jules Pierrot die Bürgerschaft des unglücklichen Pflanzdorfes zu einer abermaligen Generalversammlung in die Scheune des ehrwürdigen Herrn Grimmont.
Die Eingeladenen erschienen mit mathematischer Pünktlichkeit. Drei oder vier der besiegten Sonntagskämpfer trugen noch die Spuren ihrer Niederlage in den finster blickenden Gesichtern. Über der ganzen corona civium lagerte eine düstere, unheilschwangere Stimmung.
Jules Pierrot ergriff das Wort.
»Mitbürger!« sagte er langsam und feierlich. »Die Würfel sind gefallen!«
Ein dumpfes Murmeln ging durch die Reihen der Zuhörer.
»Eine schamlose Vergewaltigung, wie wir sie in den Annalen unserer vaterländischen Geschichte nicht zum zweiten Male verzeichnet finden, hat die letzten Bande der Pietät, die uns an das verabscheuungswürdige Clatou knüpfen mochten, für alle Zeiten zerrissen!«
Lange anhaltender Applaus.
»Mitbürger!« fuhr Pierrot fort, »wir müssen Clatou moralisch vernichten …«
Athemlose Spannung.
»Es genügt hinfür nicht mehr, daß sich Gressinet eine Gemeinde nennt : wir müssen eine Gemeinde werden ! Setzen wir Gut und Blut an die Erreichung dieses glorreichen Zieles!«
»Hoch! hoch!« schrieen die Gressineter in donnerndem Chorus.
»Patrioten! Suchen wir Clatou zu verdunkeln, zu überflügeln, zu zermalmen! Clatou besitzt eine Schule mit zwei Elementarlehrern: stellen wir, dem Tyrannen Clamard zum Hohne, drei Elementarlehrer mit je zweihundert Franken Gehalt und freiem Holz an!«
»Unterstützt! Unterstützt!« riefen drei oder vier der eifrigsten Vaterlandsfreunde. »Ich zeichne zehn Franken!« – »Ich zwölf!« – »Ich fünfundzwanzig!«
»Aber nicht genug,« fuhr Pierrot fort, »daß wir im Punkte der Intelligenz die Clatounesen überholen müssen: es gilt auch die municipalen Institute dergestalt zu entwickeln, daß man höheren Ortes unsere Reife erkennt und, Herrn Clamard zum Trotz, unsere Berechtigung, als selbstständige Gemeinde aufzutreten, amtlich sanctionirt! «
»Sehr wahr! Hört, hört!«
»Bürger! Zu den wichtigsten Errungenschaften eines municipalen Gemeinwesens gehört unstreitig der Besitz einer unabhängigen Feuerspritze! Schaffen wir eine Feuerspritze an!«
»Hoch! hoch!« schrieen die begeisterten Gressineter. »Es lebe Jules Pierrot! Hoch! hoch!«
»Aber eine Feuerspritze kostet ein Heidengeld!« bemerkte einer der Versammelten.
»Das ist wahr!« versetzte ein Zweiter.
»Sehr richtig!« murmelte ein Dritter.
»Patrioten!« schrie Pierrot … »Wo es die Ehre Gressinet's 42 gilt, da ist keine Ausgabe unerschwinglich! Denkt euch übrigens nur einmal folgenden Fall! Die Clatounesen, von dem leidenschaftlichen Drange ihres Hasses getrieben, nahen uns eines schönen Tages mit Fackeln und Pechkränzen! Sie zünden uns insgeheim das Haus über dem Kopfe an! … Bürger! Was soll aus uns werden, wenn wir unter sothanen Umständen keine Feuerspritze besitzen?«
»Er hat Recht! Wir sind es nicht nur unserer Ehre, sondern mehr noch unserer Sicherheit schuldig, nichts zu versäumen, was die schmachvollen Pläne der Clatounesen vereiteln kann! Vae victis , sagt der Lateiner! Schaffen wir eine Spritze an!«
Es war Croquepeu, der Schulmeister, der durch diesen pathetischen Mahnruf die Versammelten elektrisirte und einen neuen Sturm des Beifalls entfesselte.
»Ich bitte noch für einige Augenblicke um eure Aufmerksamkeit!«
»Reden Sie, reden Sie! Ruhe! Jules Pierrot hat das Wort! Wollt ihr still sein dahinten? Reden Sie!«
»Meine Freunde! Wir leben im neunzehnten Jahrhundert …«
»Sehr wahr! Bravo!«
»Ruhe! Ruhe!«
»Das neunzehnte Jahrhundert ist das Jahrhundert der Bildung, der Intelligenz, des allgemeinen Stimmrechts, der öffentlichen Meinung! Was aber ist der bedeutsamste Hebel der öffentlichen Meinung …«
»Die Weiber!« schrie im Hintergrund eine volltönende Baßstimme …
»Die Presse!« vollendete Jules Pierrot mit theatralischer Würde. »Ja, meine Mitbürger, die Journalistik ist heutzutag' eine Großmacht. In Paris, unsrer heiligen Metropole, habe ich ihren Einfluß kennen und achten gelernt. Männer von Gressinet! Gründen wir eine Zeitung!«
Lautlose Stille.
»Aha, ein Wochenblatt,« meinte endlich Goguenard, der Weinwirth … »Ich bin dabei, lieber Herr Jules!«
»Ein Journal?« rief der Krämer Léon … »Das wird amüsant. Ich mache mit, lieber Pierrot!«
»Gründen wir eine Zeitung!« sagte jetzt auch Croquepeu, indem er sich nach Möglichkeit in die Brust warf. »Clatou besitzt seit einem Jahre den ›Clatouneser Beobachter‹! Schaffen wir ein Organ, das die schamlosen Verleumdungen dieses ›Beobachters‹ energisch zurückweisen und der staunenden Welt zeigen kann, daß der alte glorreiche Sinn der Gressineter noch nicht ausgestorben ist, daß wir die Standarte der Wahrheit hochhalten, und die angestammten Rechte eines freien Volkes unbeugsam zu wahren wissen!«
Die Versammlung applaudirte begeistert. Man schritt zur Abstimmung. Sämmtliche Anträge Pierrot's wurden mit großer Majorität angenommen.
Goguenard, der Weinwirth, trat an die Spitze der Spritzencommission.
Léon, der Krämer, erklärte sich bereit, die Collecte für die Schulmeister zu leiten.
Das zu gründende Journal wurde dem Antragsteller persönlich überlassen.
Es sollte vorläufig dreimal monatlich erscheinen und in St. Quentin auf Gemeindekosten gedruckt werden.
Man setzte schließlich als Titel die geschmackvolle Bezeichnung: ›Der unverzagte Streiter von Gressinet‹ fest und verpflichtete den Redacteur Pierrot, in jeder Nummer eine eclatante Schandthat der Clatounesen dem Urtheile Europa's Preis zu geben.
Hierauf erklärte Jules die Versammlung für aufgehoben. Jean-Baptiste Grimmont, der Älteste im Rathe, umarmte den kühnen Jüngling unter lautem Schluchzen, blickte zum Himmel auf und sprach:
»Ich danke dir, Herr, daß du mich aufbehalten hast, 44 diese Freude noch zu erleben! Ich werde jetzt, so du gebeutst, gern in die Grube fahren.«
Jules Pierrot war sichtlich gerührt. Ein leises Zucken spielte wie Wetterleuchten um die sonst so mannhaften Lippen.
»Ehrwürdiger Freund!« sagte er mit tremulirender Stimme … »ich thue nur meine Pflicht! Nicht an mich dürfen Sie sich wenden, wenn Sie Ihren Gefühlen Ausdruck verleihen wollen, sondern an das Volk, an die gesammte Bürgerschaft. Wir alle sind ja von dem gleichen Gedanken beseelt, der in den heiligen Worten gipfelt: Vorwärts mit Gott für unser geliebtes, glorreiches Gressinet!«
Die Angelegenheiten der jungen Gemeinde nahmen von dieser Stunde an in der That einen Aufschwung, der den Segen des Himmels deutlich erkennen ließ.
Die Schulmeister wurden engagirt, wiewohl man den vorgeschlagenen Gehalt nachträglich auf siebzig Franken jährlich verringerte.
Die Feuerspritze wurde gekauft und in der Scheuer Grimmont's sorgfältig untergebracht.
Die erste Nummer des ›Unverzagten Streiters von Gressinet‹ erschien in Klein-Octav und erfreute sich des allgemeinsten Beifalls. Der Leitartikel, von Croquepeu verfaßt, behandelte das mehrfach erwähnte Steinwurf-Attentat der Clatounesen unter dem pittoresken Titel: ›Wie man in Clatou das Recht freier Bürger achtet!‹; – während Jules Pierrot unter der Rubrik: ›Clatounesische Lügen‹ nachzuweisen suchte, daß in ganz Clatou kein vorurtheilsloser Ehrenmann lebe, und daß insbesondere die Justiz viel zu wünschen lasse.
Bereits wenige Tage nach erfolgtem Ankauf der Feuerspritze begann Gressinet mit den Übungen.
Es war ein feierlicher Moment, als die Bürgerschaft sich vor das roth und blau lackirte Instrument spannte 45 und vor das Dorf auf die »Gemeindewiese« marschirte, wo das erste Probespritzen stattfinden sollte.
Croquepeu dichtete aus Anlaß dieses bedeutsamen Ereignisses eine Cantate, deren Refrain also lautete:
Unter den weihevollen Klängen einer großen Harmonika wurden die ersten Stöße geleistet. Das Pumpwerk übertraf an Promptheit und Energie alle Erwartungen. Diese Spritze zu bedienen, war eine Lust, eine ideale Beschäftigung, die an das freie Schaffen des gottbegnadeten Künstlers erinnerte.
Die Gressineter waren just in der besten Arbeit, als unvorsichtiger Weise Herr Laloupon, der Pfarrer von Clatou, vorüberging. Alsbald erinnerte man sich des Tedeums, das dieser entartete Priester aus cynischer Freude über die Mißhandlung des Gressinetischen Rächercorps' hatte anstimmen lassen. Eine diabolische Wuth bemächtigte sich aller Gemüther. Croquepeu, der die Spitze des Schlauches hielt, wechselte mit Jules Pierrot einen Blick des Verständnisses, wartete, bis der Pfarrer etwa zehn Meter entfernt war, und richtete dann den straffen Strahl mit seiner vollen Vehemenz auf die unteren Rückenwirbel des Dahinwandelnden.
Die Wirkung war colossal. Der Diener der Kirche wurde nicht nur vollständig durchnäßt, sondern auch empfindlich contusionirt. Zornglühend hinkte er nach Hause und sandte alsbald dem Maire ein langes Klageschreiben, worin er um Genugthuung für die erlittene Injurie bat, Gott zum Zeugen für die fortschreitende Entartung des Menschengeschlechts anrief, und die Gressineter mit den Philistern und anderen heidnischen Völkerschaften verglich.
Des anderen Tages schickte der Bürgermeister zwei berittene Gensdarmen aus und ließ die Feuerspritze im Namen des Gesetzes confisciren.
Alle Reclamationen der Betroffenen blieben erfolglos. Der Maire gab zur Antwort, Gressinet gehöre zur Gemeinde Clatou, und sobald es in Gressinet brenne, werde er, Clamard, von Amtswegen für die erforderlichen Löschmaßregeln Sorge tragen. Eine eigene Spritze sei subordinationswidrig.
Der ›Unverzagte Streiter von Gressinet‹ brachte in seiner nächsten Nummer einen Leitartikel, betitelt: ›Wo soll das enden?‹ Herr Clamard war in besagtem Aufsatze auf's Leidenschaftlichste angegriffen. Croquepeu schloß mit der bedeutsamen Wendung: »Und so werden wir, angesichts der obwaltenden Verhältnisse, höheren Ortes das Recht suchen, das uns von maßgebender Seite in einer so durchaus nicht näher zu qualificirenden Weise verweigert wird.«
Diese Drohung des ›Unverzagten Streiters von Gressinet‹ ward noch in derselben Woche verwirklicht.
Jules Pierrot verfaßte eine Adresse an den Sous-Préfet, die sich alsbald mit Unterschriften bedeckte.
Das ebenso klar als taktvoll gehaltene Document hob die Wichtigkeit einer municipalen Entwickelung Gressinets aufs Nachdrücklichste hervor und betonte die hohe culturgeschichtliche Bedeutung gut organisirter Lösch-Apparate. Dann ging die Adresse auf den speciellen Fall ein und erhärtete mit allen Mitteln der Logik, daß Herr Clamard, der Maire, sich eines Gewaltstreiches schuldig gemacht habe, um dessen geneigte Abstellung man um so dringender bitte, als bereits die Presse anfange, die Angelegenheit in unangenehmer Weise zu interpretiren. Die Ehre Gressinet's erheische eine schleunige und glänzende Satisfaction.
Leider hatte der Unterpräfect eine Nichte der Schwägerin des angeheirateten Onkels des Bürgermeister zur Frau.
Die Petition wurde zurückgewiesen.
Man wandte sich nun mit einer neuen Beschwerde an den Präfecten.
Leider war der Präfect ein Duzbruder des Unterpräfecten.
So machten denn die Gressineter abermals Fiasco.
Das journalistische Organ der jungen Gemeinde führte indeß nicht umsonst den Titel: ›Der unverzagte Streiter‹! Die wackern Bürger ließen sich durch das mehrmalige Fehlschlagen ihrer Hoffnungen nicht abschrecken.
Es war seit einiger Zeit das dunkle Gerücht nach Gressinet gedrungen, Napoleon III. und sein Gouvernement seien liberal geworden.
Die Gressineter wußten zwar nicht genau, was sie sich unter diesem ›Liberalismus‹ zu denken hatten, aber eine instinctive Ahnung sagte ihnen, Liberalismus sei etwas Ähnliches wie Liberalität; und da überdies Jules Pierrot versicherte, in Paris sei jeder anständige Mensch liberal und der Kaiser folge nur dem Gebote der öffentlichen Meinung, wenn er sich gleichfalls zum Liberalismus bekehrt habe, so beschloß man, die Sache bis aufs Äußerste zu treiben und in Angelegenheiten der Feuerspritze eine Adresse an Se. Excellenz den Minister des Innern aufzusetzen.
Am 14. Juli 1870 ging also ein recommandirtes Sendschreiben nach Paris ab. Nachschriftlich war dem Document die Bitte um recht baldige Erledigung beigefügt, da es ja leicht einmal in Gressinet brennen könne, und die Bürgerschaft alsdann in die größte Verlegenheit gerathen würde, wenn keine Spritze zur Hand sei.
Die Patrioten warteten von Tag zu Tag, aber es kam keine Antwort. Wohl aber erschreckte sie eines schönen Morgens die Nachricht, daß der große Staatsmann Emil Ollivier an Preußen den Krieg erklärt habe.
»O weh,« sprach Croquepeu, als er am Abend nach dieser verhängnisvollen Botschaft mit Jules Pierrot in der Weinschenke des würdigen Goguenard saß, »da sieht's schlecht aus mit unserer Petition! Die Herren in Paris werden jetzt an größere Dinge zu denken haben, als an Gressinet und die Feuerspritze.«
»Pah,« erwiderte Goguenard, »haben wir nicht ausdrücklich 48 um rasche Erledigung gebeten? Es ist ja doch wahrhaftig keine große Mühe, ein ›Genehmigt‹ an den Rand zu schreiben, und das Ding auf die Post zu geben.«
»Goguenard, Goguenard, ich verstehe mich besser auf diese Späße. Unsere Spritze ist für immer zu den Todten geworfen.«
»Unsinn! Wie lange wird denn der Krieg dauern! Die paar Kosacken nehmen wir auf den kleinen Finger. Nun, und wenn sie erst wieder Frieden gemacht haben und die rothen Bänder vertheilen, hernach wird auch unsere Spritze erledigt. Man muß die Geduld nicht verlieren. Nicht wahr, Herr Jules?«
»Hm, hm,« versetzte Jules Pierrot, – »ich glaube zwar auch, daß wir in höchstens vierzehn Tagen Preußen so ziemlich erobern werden, aber mit dem Friedenschließen geht's nicht immer so glatt, wie man denkt. Als ich in Paris war, da schlugen sich die Deutschen drüben über dem Rhein. Nun, die Geschichte hat auch nicht lange gedauert, was die eigentliche Kriegführung betraf; aber bis alles wieder im Reinen war, ist doch manches Quart die Seine hinuntergeflossen. Ich meinestheils wäre der Ansicht, wir warteten gar nicht ab, was das Ministerium beschließt, sondern holten uns die Spritze auf eigene Faust.«
»Das ist ein Gedanke!« rief Croquepeu. »Weiß Gott, Jules, du hast mitunter prächtige Einfälle! Wo steht die Spritze?«
»Im Hinterhofe des Maire,« versicherte Goguenard. »Aber schwer wird sie zu kriegen sein. Der Hof ist ummauert und vor der Thür liegt ein Schloß, das seine vier Kilogramme wiegt. Nein, Kameraden, so wird nichts ausgerichtet!«
»Nicht heute, nicht morgen, aber vielleicht in einigen Wochen,« erwiderte Jules mit Würde. »Ich will euch was sagen. Es gilt hier vor allen Dingen, die richtige Gelegenheit auszukundschaften. Ich will spioniren.«
»Aha!« schmunzelte Croquepeu mit einem verständnißreichen Augenzwinkern.
»Goguenard,« sagte Jules, »da Sie uns eigentlich auf diese Idee gebracht haben, so sollen auch Sie erfahren, was ich bis jetzt nur meinem vertrautesten Freunde, dem hier anwesenden Schulmeister Henri Jérôme Croquepeu mitgetheilt habe …«
Der Weinwirth horchte auf.
»Ja, Meister Goguenard,« fuhr Jules mit geheimnisvoller Betonung fort, – »ich bin der Mann, der die Verhältnisse in dem Clamard'schen Hinterhofe gründlich in Augenschein nehmen und den geeigneten Moment der That mit Zuverlässigkeit berechnen kann. Sie sind discret, Goguenard …«
Der wackere Bürger legte zur Betheuerung seiner Verschwiegenheit die rechte Hand in die Herzgrube.
»Nun denn …« flüsterte Jules, »ich bin der Verlobte der schönen Marion Leclerc …«
»Nicht möglich!« rief Goguenard. »Sie, Herr Jules, der feurigste Patriot, der glühendste Gegner der Clatounesen, der … wie soll ich nur sagen … Sie, der Chef der ganzen Agitation …«
»Liebster Freund,« versetzte Jules bedeutungsvoll, »es giebt Angelegenheiten, in denen die Parteiunterschiede aufhören. Nehmen sie z. B. einmal an, die Preußen trügen über unsere glorreichen Heere den Sieg davon …«
»Pah!« lachte Goguenard.
»Nun natürlich, es ist nur eine Annahme! Aber gesetzt den Fall … die feindlichen Armeen überschwemmten unser Departement … Glauben Sie, daß im Angesicht des gemeinsamen Gegners der Zwist der Gressineter und Clatounesen fortbestehn würde? Goguenard! Ich bin Gressineter mit Leib und Seele! Sie kennen meine Thaten, – ich brauche daher keine überflüssigen Worte zu machen! Aber so unversöhnlich wir auch die verrätherischen Bewohner 50 von Clatou hassen – eins werden wir doch nie und nimmer vergessen: sie sind Franzosen! Gegen die Bajonnete der Preußen würden wir selbst die Clatounesen bis auf den letzten Mann vertheidigen. Habe ich Recht?«
»Ohnstreitig!« rief Croquepeu begeistert, während er das volle Glas zum Mund führte.
»Wenn's die beiden Herrn sagen, dann muß es wohl wahr sein,« versetzte Goguenard nachdenklich …
»Nun, sehen Sie wohl: wie's im Krieg ist, so ist es auch mit der Liebe. Amor fragt nicht lange, ob sein Gegenstand diesseits oder jenseits der Gemarkung wohnt. Kurz und gut, Marion ist meine Braut …«
»Aber ihr Vormund?« fragte Goguenard mit hochgezogener Braue.
»Das ist's eben!« erwiderte Jules. »Just mit Rücksicht auf den Herrn Maire habe ich diese Gelegenheit benutzt, um Sie in mein Geheimniß einzuweihen …«
»Wie so?«
»Hören Sie mich an. Ich schleiche mich jeden Mittwoch und jeden Sonnabend als Fuhrknecht verkleidet nach der Mairie und verplaudere ein Stündchen mit meiner Herzallerliebsten. Der Alte ist dann nicht zu Hause, und Marion weiß es stets so einzurichten, daß mir auch im Treppenbau niemand begegnet. Von ihrem Fenster aus kann man den Hinterhof überblicken. Wenn ich mich bis jetzt gehütet habe, hinauszugaffen, so geschah dies aus leicht begreiflicher Vorsicht. Jetzt, da ich weiß, welche Interessen auf dem Spiele stehen, werde ich die Sache riskiren und die Verhältnisse auskundschaften. Die Feuerspritze von Gressinet wird gerettet werden, und Sie, Meister Goguenard, sollen die Lorbeeren des glorreichen Unternehmens unverkürzt einheimsen.«
»Mit Vergnügen! Ich bin zu allem bereit. Gressinet geht mir über Leib und Leben.«
»O, es ist keine Gefahr vorhanden,« fuhr Jules fort. 51 »Wenn Sie sich an die Spitze von vier, fünf geriebenen Burschen stellen, so wird es Ihnen ein Leichtes sein, die Angelegenheit zum gewünschten Ziele zu führen. Ich meinestheils verzichte auf jeden Ruhm. Sie, lieber Goguenard, Sie allein werden den Gressinetern das geraubte Kleinod zurückerobert haben.«
»Das läßt sich hören. Sie sind in der That ein großmüthiger Charakter, Herr Jules.«
»Nicht wahr, Croquepeu,« sagte Pierrot eifrig, »die Perspektive, die ich da unserem trefflichen Weinwirth eröffne, darf geradezu als glänzend bezeichnet werden?«
»Als kymmerisch, als phänomenal,« bestätigte der diensteifrige Schulmeister.
»Das wäre denn abgemacht!« rief Jules. »Und nun, mein wackerer Goguenard, bitte ich Sie um einen Gegendienst!«
»Reden Sie!«
»Marion's Vormund, der Tyrann von Clatou, ist natürlich mir vor allen Gressinetern spinnefeind …«
»Das gereicht Ihnen nur zur Ehre, Herr Jules.«
»Er wird mir das Mädchen nie und nimmer gutwillig zur Frau geben …«
»Das glaub' ich selbst.«
»Aber Marion liebt mich, und mein Entschluß, sie zu heirathen, steht so felsenfest, daß kein Himmel und keine Hölle ihn erschüttern werden.«
»Löblich, sehr löblich, Herr Jules.«
»Da ich nun das Ziel meiner Wünsche auf dem gewöhnlichen Weg nicht erreichen kann, da eine friedliche Vereinbarung nicht möglich ist –«
»So machen Sie's wie der Kaiser und erklären den Krieg!«
»So ist's! Ich werde Marion entführen.«
»Alle Wetter!«
»Ja, würdiger Weinverzapfer! Ich bin nicht gesonnen, 52 demüthig den Nacken zu beugen und zu entsagen, wo der Kampf mir die Krone verschaffen kann. Marion hat bereits eine Ahnung von meinem Vorhaben … Ich zweifle nicht, daß sie mir folgen wird, – folgen – folgen – bis an das Ende der Welt.«
Jules Pierrot streckte den rechten Arm aus, um anzudeuten, wie unendlich weit Marion ihm folgen würde. Goguenard nickte bedächtig mit dem röthlich schillernden Haupte, während Croquepeu von neuem das Glas zum Mund führte.
»Und was kann ich bei dieser Angelegenheit thun?« fragte der Weinwirth nach einer Pause.
»Hören Sie weiter,« versetzte Jules. »Ich werde also Marion aus dem Kerker der Mairie mit Gewalt befreien, und zwar in derselben Nacht, in welcher Sie, an der Spitze Ihrer Getreuen, die Feuerspritze erobern …«
»Und da soll ich das Mädel wohl auf die Spritze setzen?« fragte Goguenard im Ton eines Mannes, dem eine bedeutsame Idee aufdämmert.
»Unsinn! Marion wird mit der Expedition, die Sie commandiren, nicht in die mindeste Berührung kommen. Ich besorge die Entführung meiner Geliebten auf eigene Faust. Nein! Sie sollen dem reizenden Kind ein Versteck gewähren. Ihre Frau ist klug und verschwiegen; es wird ihr ein Leichtes sein, die Kleine so lange zu verbergen, bis der Bürgermeister seine Einwilligung gegeben hat. Ist Marion erst in Sicherheit, dann werde ich Herrn Clamard schon auftrumpfen. Das Spiel ist dann so gut wie gewonnen.«
»Mein Haus steht Ihnen und Ihrer Dame jederzeit zur Verfügung,« erwiderte Goguenard, indem er Herrn Jules freundschaftlich die Hand reichte. »Sobald der Moment gekommen ist, winken Sie! Ich werde die Feuerspritze im Sturm nehmen und Fräulein Marion so meisterhaft verstecken, daß alle Häscher des Tyrannen von Clatou nicht im Stande sein sollen, das Geheimnis zu enträthseln.«
»Ich danke Ihnen, Goguenard! Also es bleibt dabei! Vorwärts mit Gott für Freiheit und Gressinet!«
»Und Marion Leclerc!« ergänzte der Wirth mit einem vielsagenden Lächeln. »Erst freilich kommt der Patriotismus – aber gleich dahinter folgt Amor! Nicht wahr, Verehrtester? Die Liebe glüht fast ebenso heiß wie das Pflichtgefühl?«
»Sie sind ein kleiner Schwerenöther!« sagte Jules, indem er sich erhob. »Komm, Croquepeu, wir haben heute genug geleistet! Laß uns den Rest des Abends unserm Journal widmen!«
Croquepeu leerte sein Glas, hing seinen Arm in den des Handlungsdieners und verließ in bedenklichem Menuetschritt die Schenke des würdigen Goguenard, der artig sein Käppchen lüftete und seinen scheidenden Gästen und Gesinnungsgenossen ein lebhaftes »Auf Wiedersehn!« nachrief.
Mehr als zwei Monate waren verflossen. Der große Tag von Sedan hatte das übermüthige Frankreich belehrt, daß man nicht ungestraft mit dem Glück einer friedlichen Nation spielt. Unaufhaltsam drangen die siegreichen Heere der Deutschen vorwärts. Paris, die Metropole, in deren Schooß das frevelhafte Unterfangen der Kriegserklärung herangereift war, Paris, die eigentliche Urheberin des fluchwürdigen Verbrechens, war bereits von dem ehernen Ringe der Belagerung vollständig umzingelt. Immer neue Heeresmassen wälzten sich von Osten her über das unglückliche Land, das seinen Übermuth nun so furchtbar zu büßen hatte. Fast jeder Tag brachte die Nachricht von einem neuen Erfolge der deutschen Waffen. Wo der Adler der Hohenzollern sich zeigte, da zerstoben die demoralisirten Schaaren der Gallier wie Spreu vor dem Winde und trugen die blasse Angst und das zitternde Entsetzen weiter in die Reihen 54 ihrer zagenden Brüder. Ganz Frankreich befand sich in einem Zustande der Aufregung, der Wuth, der Verzweiflung, dessen düstere Färbung nur mit der Feder eines Dante nachgemalt werden könnte.
Auch Gressinet fühlte sich zum ersten Male als Mitglied eines großen gemeinsamen Vaterlandes und schrie mit Jules Favre: »Keinen Fuß breit unseres Bodens! Keinen Stein unserer Festungen!« Der ›Unverzagte Streiter von Gressinet‹ beschäftigte sich eifrig mit der Frage, was zu thun sei, wenn man die Preußen wieder über den Rhein getrieben habe, und verfocht die Ansicht, man müsse sich mit der Annexion der bayerischen Pfalz begnügen, da eine Eroberung preußischen Gebietes zu erneuten Kriegen Anlaß geben würde. Ja, Croquepeu ging schließlich so weit, den Verzicht auf jede Grenz-Erweiterung zu empfehlen, und die Entrichtung einer Kriegsentschädigung von acht Milliarden als diejenige Bedingung zu bezeichnen, deren Erfüllung den besiegten Barbaren am leichtesten fallen würde. Dem bekannten Sprüchworte von den goldenen Brücken zufolge, müsse er als echter Patriot immer wieder auf diese acht Milliarden zurückkommen. »Frankreich,« so schloß Croquepeu eines Tags wörtlich, »ist das Land der Großmuth par excellence ! Zeigen wir dem staunenden Europa, daß wir trotz der schmachvollen Übergriffe unserer Feinde diese unsere Nationaltugend nicht verlernt haben!«
Bildeten indeß die kriegerischen Ereignisse einen hochwichtigen Faktor in den Materien des ›Unverzagten Streiters von Gressinet‹, so ward um dieser äußeren Angelegenheit willen das Innere des Gressineter Gemeinwesens keineswegs von der Tagesordnung verwiesen. Im Gegentheil. Die municipale Fehde mit Clatou wogte jetzt lebhafter denn je. Der ›Unverzagte Streiter‹ behauptete, es sei ein evidenter Mangel an Vaterlandsliebe, wenn der Maire sogar im Angesichte des Feindes sich weigere, die Selbstständigkeit Gressinets anzuerkennen und die Feuerspritze 55 herauszugeben; – während der ›Clatouneser Beobachter‹ die Emancipationsbestrebungen der Gressineter unter den obwaltenden Verhältnissen zwiefach hochverrätherisch und unpatriotisch fand und die Einwohner der Colonie als »Spione Bismarck's« verdächtigte …
– – Jules Pierrot hatte bisher vergeblich auf eine günstige Gelegenheit zu der geplanten Doppel-Eroberung gelauert. Hundertmal fragte Goguenard, ob er noch nicht »marschiren« könne, und hundertmal erwiderte Jules achselzuckend: »Noch nicht, aber bald!«
Jetzt endlich schien der entscheidende Augenblick gekommen …
Es war am 29. September, Abends neun Uhr. Herr Clamard, der Bürgermeister, war in Amtsangelegenheiten nach St. Quentin gereist; sein Adjunkt lag an einem Bronchialkatarrh ernstlich darnieder; der Schreiber war bei dem Notar Brassou zur Kindtaufe geladen; und der Bureaudiener konnte als taub und altersschwach nicht in Betracht kommen. Die Haupt-Persönlichkeit, die bis zur Stunde die Pläne der Gressineter vereitelt hatte, Fanchon, die pflichttreue Köchin, war des Tags zuvor ihres Amtes entlassen worden. An ihrer Stelle figurirte jetzt eine alte Bäuerin, Namens Marguérite, die sich vermittelst eines Hundert-Sousstücks überreden ließ, die Schlüssel zum Hinterhofe herauszugeben und die Expedition Goguenards gewähren zu lassen.
Die Glocken von Clatou hatten also, wie gesagt, die neunte Abendstunde verkündigt. Die Einwohnerschaft des Städtchens dachte allmählich an's Schlafengehen. Die Nacht war düster und wolkig. Über der ganzen Landschaft lagerte es wie die Vorahnung bedeutsamer Ereignisse.
Da traten aus der Weinschenke des Bürgers Goguenard sieben Männer ins Freie.
Sie trugen blaue Blousen und niedrige Mützen mit 56 kurzen Schildern aus grün lackirtem Leder. Ihre Züge athmeten eine unverkennbare Entschlossenheit.
Sie wandelten schweigend nach der »Gemeindewiese«. Dort angelangt machten sie Halt und schüttelten sich, wie zur Erneuerung eines brüderlichen Bundes, die Hände.
»Patrioten,« sagte Jules Pierrot, »ich überlasse euch jetzt dem Commando dieses trefflichen Weinwirths! Gressinet erwartet, daß Jedermann seine Pflicht thue!«
Ein beifälliges Murmeln flog durch die Reihen der Verschworenen.
»Ich gehe voran,« fuhr Pierrot fort, »und sorge dafür, daß ihr die Pforte offen findet. Nach gelungener That treffen wir uns wieder hier auf der Gemeindewiese!«
»So sei es!« flüsterten die entschlossenen Blousenmänner.
»Also auf Wiedersehn!«
Jules eilte hastig von dannen.
»Es ist noch früh,« sagte Goguenard, als der Handlungsdiener im Dunkel des Septembernebels verschwunden war. »Vor zehne dürfte es kaum rathsam erscheinen, ans Werk zu gehen.«
»Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf,« versetzte Croquepeu, »so würde ich vorschlagen, die Sache auf Mitternacht zu verschieben. Unserm Pierrot wird bei seiner Marion die Zeit wohl nicht allzu lang werden, – und übertriebene Vorsicht ist stets besser als Leichtsinn.«
»In der That,« meinte ein Anderer, »es wäre äußerst fatal, wenn wir vorzeitig entdeckt würden. Haben wir die Spritze nur einmal aus Clatou heraus, dann wollen wir schon dafür sorgen, daß sie den Clatounesen nicht wiederum in die Hände fällt. Aber ein ungelegener Allarm, ehe die Eroberung vollbracht ist, – und alles ist unwiderruflich verloren. Bedenkt, Brüder, was auf dem Spiele steht!«
Nach langem Hin- und Herreden wurde dieser Antrag genehmigt. Da man indeß keine Lust verspürte, die Geisterstunde unter freiem Himmel zu erwarten, so kehrte man 57 in die Goguenard'sche Weinschenke zurück und becherte, bis die Kuckuksuhr über dem zinnbeschlagenen Ecktische elf rief. Dann begaben sich die Verschworenen in Goguenards Privatgemächer, um nicht die Aufmerksamkeit des von dem Clatouneser Maire besoldeten Polizeidieners zu erregen, und harrten daselbst unter begeisterten Gesprächen des ersehnten Glockenschlags.
Endlich! Zu je zweien schlichen sie über die Schwelle und eilten dann geräuschlos der Wiese zu … Croquepeu hatte diesen Modus befürwortet … Von der Wiese aus nahm Goguenard mit zwei handfesten Burschen die Richtung nach dem südlichen Thore von Clatou, wo die Mairie lag, während Croquepeu mit den Andern von Westen her operirte.
Alles ging nach Wunsch. Die Bürgerschaft von Clatou lag ahnungslos in den Federn. Die Straßen waren wie ausgestorben. Im Vorhofe der Mairie athmete keine Seele. Goguenard war mit den Seinen zuerst am Platze. Zwei Minuten später kam Croquepeu. Die Pforte nach dem Hinterhofe stand offen. Die Verschworenen drangen ein, packten die roth und blau lackirte Feuerspritze mit einem halb unterdrückten Jubelruf bei der Deichsel und zogen sie langsam ins Freie. Nach kurzer Frist war das südliche Thor erreicht. Niemand hatte den kühnen Griff der Gressineter bemerkt. Jetzt, im offenen Felde angelangt, setzte sich die Colonne in Trab. Etwa drei Minuten lang brauste die wilde Jagd durch die neblige Dämmerung dahin, – unheimlich, gespenstisch, wie eine Schaar von ruh'losen Geistern. Dann machten sie Halt.
»Triumph, Triumph!« jauchzte Croquepeu. »Nicht fünfzig Franken nähme ich für diese beseligende Wollust des Siegesbewußtseins!«
»Bürger!« sagte Goguenard, »wir haben unsere Schuldigkeit gethan! Wir können stolz auf uns sein!«
»Aber nun schafft die Beute in Sicherheit!« mahnte 58 Croquepeu. »Die Geschichte kann schneller entdeckt werden, als wir uns träumen lassen, und es wäre doch bitter …«
»Herr Schullehrer,« versetzte Goguenard mit Nachdruck, »jetzt, wo wir das Ding einmal haben, soll es uns eine Armee von Teufeln nicht wiederum aus den Händen reißen! Uebrigens bin ich ganz Ihrer Ansicht, daß wir das kostbare Kleinod sofort nach dem verabredeten Versteck bringen. Hier auf der Gemeindewiese können wir die Spritze nicht länger stehen lassen. He, Leute, – ihr Beiden da –, ihr könntet euch vorspannen und das Symbol unserer communalen Selbständigkeit, wie der Herr Schullehrer sagt, hinüberfahren – ihr wißt ja, wohin.«
Die beiden Vaterlandsfreunde nickten, griffen zu und verschwanden mit der Feuerspritze von Gressinet hinter dem Buschwerk.
»Aber wo bleibt unser Pierrot?« fragte Croquepeu, als das Knirschen der Räder in der Ferne verhallt war.
»Hier ist er, ihr Unglückseligen!« erwiderte eine athemlose Stimme.
Es war Jules selber, der querfeldein der Gemeindewiese zueilte.
Nach wenigen Secunden stand er mitten unter den Verschworenen .
»Nein! daß ich so was erleben muß! Goguenard, Weinwirth, wo haben Sie Ihre fünf Sinne gehabt? Ich warte wie ein Narr eine, zwei, drei Stunden, aber kein Goguenard läßt sich blicken!«
»Sehr einfach …« versetzte der Angeredete.
Jules ließ ihn nicht zum Worte kommen.
»Sehr einfach!« wiederholte er in gereiztem Crescendo. »Eine schöne Einfachheit, die mir meinen ganzen Plan verpfuscht hat! Es ist unerhört!«
»Aber so erlauben Sie doch …«
»Und du, Croquepeu! Wahrhaftig, ich habe dich für einen zuverlässigen Menschen gehalten! Schnöde Verblendung! 59 Nichts ist diesem Jahrhundert mehr heilig! Wir leben in der Aera des Schwindels, des Betrugs und der Dummheit …«
»Aber was ist denn passirt? Die Spritze ist in sicherem Gewahrsam. Und wo hast du deine Marion?«
»Satanischer Schulmeister, das ist es ja!« wetterte Jules im höchsten Zorne. »Lautete unsere Verabredung nicht auf halb zehn? Solltet ihr nicht erst die Spritze holen? Wollte ich nicht alsbald mit Marion nachkommen?«
»Nun, und? – Ich wiederhole dir, die Spritze ist gerettet.«
»Aber ihr habt mir durch eure himmelschreiende Unpünktlichkeit das ganze Spiel verdorben! Warum in Teufels Namen kommt ihr nicht rechtzeitig? Alles war in schönster Ordnung. Marion hatte Ja gesagt. Schluchzend lag sie in meinen Armen und schwur mir, sie werde mich bis ans Ende der Welt begleiten …«
»Nun, und …?«
»Nun, ich war selig und gewärtigte in jedem Augenblick eurer Ankunft. Ich konnte doch nicht vorher durchgehen. Eine derartige Verwegenheit hätte die Rettung der Feuerspritze compromittirt, denn die alte Marguérite war zwar mit der Entführung dieses Instrumentes, nicht aber mit der ihrer jungen Gebieterin einverstanden …«
»Aber ich verstehe immer noch nicht.«
»O menschliche Beschränktheit! Wäret ihr nun gleich zur Stelle gewesen, so würde Alles wie am Schnürchen gegangen sein. Aber nein! Minute um Minute verrinnt. Ich horche: nichts! Ich lausche: nichts! Ich gucke: nichts! Absolut nichts! Nun, Marion konnte doch nicht von neun bis zwölf unausgesetzt in meinen Armen liegen und schluchzen. Sie geht also nach dem nächsten Fauteuil und nimmt Platz. Ich nehme auch Platz. Nun fängt mir das Mädel an, zu überlegen. Sie malt sich die Folgen ihrer Flucht immer lebhafter und bedenklicher aus. Sie blickt ernst 60 und ernster … ›Was fehlt dir, Marion?‹ frag' ich besorgt. ›Ach nichts, liebster Jules!‹ stammelt sie verlegen und ängstlich. Immer schweigsamer starrt sie in die Ecke … Es schlägt zehn … Es schlägt elf … ›Ach, Jules, … mir ist so bange …!‹ ›Warum denn?‹ – ›Ach, Jules, was wird der Onkel sagen?‹ … Und so ach-Jült sie mir weiter, bis ich im Hof eure Tritte höre … ›Auf, Geliebte! Der Moment ist da!‹ ruf' ich in unterdrücktem Jubeltone. Ja wohl! Hat sich was zu jubeln! ›Ach Jules,‹ sagt sie, ›ach Gott, ach, ich getrau' mir's nicht … Ach Jules, es ist Sünde! Ach, der Onkel bringt mich um … Nein, nein, ich thu's nicht, ich thu's nicht!‹ Vergeblich demonstrir' ich ihr vor, daß Liebe kein Verbrechen sei; daß es sich ja nur um einen listigen Schachzug handle, der uns die Partie gewinnen solle … Sie bleibt bei ihrem ›Nein, nein, ich thu's nicht!‹ – und damit Basta!«
»O Weiber, Weiber!« rief Croquepeu pathetisch.
»Ja, jetzt hast du gut über Weiber schimpfen, du pflichtvergessener Kinderfuchtler! Wer ist denn an der ganzen Geschichte Schuld? Ihr! Ihr!«
»Aber wir dachten …«
»Ihr habt nichts zu denken! Ein Mann, ein Wort! Wer sich verabredet, der hat seinem Versprechen zu genügen, sonst ist er nicht werth, Bürger von Gressinet zu sein.«
»Nun, da hast du sie also sitzen lassen?« fragte der Schulmeister neugierig.
»Sitzen lassen? Wie verstehst du das? Meiner Liebe thut das nicht Abbruch. Im Gegentheil! Ich weiß die Motive des Mädchens zu würdigen …«
»Aber sagen Sie einmal, Herr Jules,« rief jetzt einer der Umstehenden, »das ist ja das erste Wort, das wir hören! Was? Sie haben mit einer Clatouneserin zu schaffen?«
»Ja, Kameraden. Hat Goguenard euch nicht heute Nachmittag in dieses Geheimniß eingeweiht? Ich autorisirte ihn.«
»Ja, er hat uns davon erzählt, aber ich dachte, es wäre nur eine Finte, um uns desto eifriger auf's Gelingen erpicht zu machen. Nein, Herr Jules, – eine Clatouneserin! Das ist stark für einen Patrioten.«
»Bürger, Sie reden, wie Sie's verstehen! Aber vergeuden wir nicht die Zeit mit unnöthigem Geschwätz! Macht, daß ihr heim kommt! Der Maire ist da!«
»Was? wie? wo? ist's möglich?« klang es im Chore.
»Ja, nicht nur möglich, sondern thatsächlich. Ihr laßt mich ja nicht ausreden. Aber wenden wir uns dem Dorfe zu. Der Tyrann könnte den Raub der Spritze noch in dieser Nacht entdecken … Es ist besser, wir sind vorsichtig …«
Die Colonne setzte sich in Marsch.
»Also,« fuhr Pierrot fort – »ich will eben Marion noch einmal bei ihrer Liebe zu mir beschwören … da öffnete sich die Thüre, und herein tritt Herr Clamard, der Bürgermeister von Clatou!«
»Ha! oh! ah!«
»Ja wohl! der Bürgermeister! Ich glaube, der Schlag soll mich rühren. Wie er mich erblickt, kreuzt er die Arme vor der Brust, runzelt die Stirne und fragt mit fürchterlicher Stimme: ›Was thun Sie hier?‹ Ich stammle einige Worte der Erwiderung und platze endlich mit dem Bekenntnis heraus: ›Ich liebe Marion Leclerc!‹«
»Welcher Muth! Dem das so ins Gesicht zu sagen!« unterbrach Croquepeu den Bericht seines Freundes.
»Es fehlt mir nie an Courage,« versetzte Jules Pierrot nachdrücklich.
»Das weiß der Himmel und Clatou!« rief Goguenard.
»Nun,« fuhr Pierrot fort, »ich gesteh' also meine Neigung … Da hättet ihr den Wütherich sehn sollen! – ›Was?‹ ruft er … ›Sie lieben meine Nichte? Ei, so machen Sie doch so schnell als möglich, daß Sie die Treppe hinunter kommen, sonst lass' ich Sie vor die Thüre werfen, daß Ihnen alle Knochen im Leibe knacken!‹«
»Im Leibe knacken!« wiederholte Goguenard. »Das ist eine Injurie, wie sie im Buche steht. Sie müssen den Bürgermeister belangen. Unter vier Wochen darf er nicht wegkommen.«
»Eine Injurie!« versetzte Pierrot eifrig. »Das hab' ich auch gesagt. ›Herr Maire,‹ sagte ich, ›Sie reden da in einem Tone …‹ – ›Was?‹ schreit er, ›ich rede in einem Tone …? Marion, du hast's gehört, der Spitzbube sagt, ich rede in einem Tone!‹ – ›Aber Herr Maire!‹ rufe ich, ›Ihre Nichte erwiedert meine Liebe.‹ – Umsonst! – ›Hinaus!‹ donnert er in höchster Entrüstung. ›Entweihen Sie nicht dieses Haus durch Ihre unsaubere Gegenwart! Nie werde ich meine Marion an einen Gressineter wegwerfen; lieber stecke ich sie in's Kloster! Hinaus, wiederhole ich, oder ich lasse Sie arretiren!‹«
»So eine Unverschämtheit!« bemerkte Goguenard heftig.
»Hat der Mensch denn kein Herz im Leibe?« seufzte Croquepeu. »Einen Liebenden so vor der Geliebten zu verunglimpfen!«
»Das ist jetzt schon das dritte Mal!« sagte Jules, indem er die Faust ballte. »Erst die Steinwurf-Affaire, dann der Schlossergeselle, und jetzt der Bürgermeister in eigenster Person! Aber warte, verdammtes Nest! Rache!«
»Und was geschah weiter?« fragte Goguenard.
»Nun, was sollte ich thun? ›Herr Maire,‹ sagte ich entschlossen, ›hören Sie mich an! Wenn Sie mir in dieser unerhörten Manier auftrumpfen und mir in Gegenwart des Wesens, das ich mehr liebe, als Licht und Leben, so schroff die Thür weisen, und überhaupt in jeder Beziehung meine Ehre beleidigen, – wissen Sie was, Herr Maire, was ich dann thue? Dann überlass' ich Sie Ihrem Gewissen! Leben Sie wohl, Herr Maire!‹«
»Nun, und?«
»Und dann ging ich.«
»Armer Jules,« sagte Croquepeu. »Aber du hast's ihm doch wenigstens tüchtig heimgezahlt.«
»Nicht wahr?«
»Gründlich, auf Ehre! Leider wird dir das wenig helfen. Ich fürchte, du mußt deine Flamme aufgeben.«
Jules seufzte.
»Aufgeben, Croquepeu? Geh, du hast nie geliebt! Ich gestehe dir zwar, daß ich nicht mehr viel hoffe, – aber aufgeben? Nein, Croquepeu! So lange ein Pulsschlag …«
Sie waren in Gressinet angelangt. Die Patrioten schüttelten sich die Hände, um sich zu trennen.
»Jules,« sagte der Schulmeister, »nicht wahr, du verzeihst uns, daß wir dir, ohne es zu wollen, einen Strich durch die Rechnung gemacht haben?«
»Bürger,« versetzte Jules, indem er die Rechte ausstreckte, »ich hege keinen Groll! So schwer ihr mich auch geschädigt habt, – ich vergebe euch!«
Und somit eilte er um die Ecke.
Des andern Tages las man an allen Mauern Clatou's und Gressinet's folgendes Manifest:
» Einwohner!
»Ein schamloser Diebstahl ist in der Nacht von gestern auf heute innerhalb eures Weichbildes verübt worden. Die s. Z. den Gressineter Insurgenten confiscirte Feuerspritze wurde, unter gewaltsamer Erbrechung der Pforten, aus dem Hinterhofe der Mairie entführt, ohne daß es bis jetzt gelungen wäre, der ruchlosen Thäter habhaft zu werden.
»Einwohner der Gemeinde Clatou-Gressinet! Dieses unerhörte Attentat auf die Gesellschaft bildet einen unauslöschlichen Schandfleck auf dem Ehrenschilde unserer geliebten Vaterstadt! Ich fordere daher alle guten Bürger auf, 64 das Ihrige zur Entlarvung der Missethäter beizutragen. In einem Augenblicke, wo Frankreich von einer Prüfung heimgesucht wird, wie sie in den Annalen unserer glorreichen Geschichte ohne Beispiel sein dürfte, erscheint ein Verbrechen wie das vorliegende doppelt verwerflich. Soll dereinst die Chronik berichten, Clatou-Gressinet habe sich die durch die feindlichen Siege hervorgerufene Verwirrung zu Nutz gemacht, um dem Gesetze Hohn zu sprechen? Einwohner! Patrioten! Die Augen von ganz Europa sind auf euch gerichtet! Duldet nicht, daß man euren guten Namen ungestraft der Verachtung aller civilisirten Nationen Preis gebe! Frankreich ist, so tief es auch in diesem Augenblicke darniederliegt, das Land der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der echten Bürgertugend. Thut das Eurige, um diesen Ruf aufrecht zu erhalten!
»Der Weinwirth Goguenard, den der dringende Verdacht trifft, um das Attentat zu wissen, ist bereits in Haft genommen. Die unterzeichnete Behörde sieht weiteren Enthüllungen von zehn bis vier Uhr im Bureau der Bürgermeisterei entgegen.
Der Maire von Clatou-Gressinet.
C. Clamard. †*
Für die Ausfertigung: Coquerel, Adjunkt.«
Die Clatounesen schäumten vor Wuth. Der desselbigen Abends erscheinende ›Beobachter‹ verlangte im Namen Frankreichs eine »exemplarische Züchtigung dieser entarteten Söhne des Vaterlandes« und ließ ziemlich unverblümt durch die Zeilen blicken, wen er nach so mannigfachen Antecedentien für schuldig erachten müsse …
Herr Clamard versäumte indessen nichts, was die aufgeregte öffentliche Meinung beruhigen konnte. Schon in aller Frühe hatte er, wie sein Manifest besagte, den Weinwirth Goguenard verhaften lassen. Seine zweite Maßnahme bezog sich auf den ›Unverzagten Streiter von Gressinet‹, 65 der bereits vor mehreren Wochen unter dem Titel: »Wie löschen wir?« einen höchst bedenklichen Artikel gebracht hatte. Damals war jener Aufsatz nicht ernstlich beachtet worden: jetzt gewann er angesichts des heimtückischen Attentats eine sehr compromittirende Färbung. Herr Clamard suspendirte den ›Unverzagten Streiter‹ von Amtswegen, belegte das redactionelle Material – eine Schreibmappe, eine Scheere, ein Tintenfaß, vier Hefte Conceptpapier, drei Stahlfedern, vier Gänsekiele und ein zweiklingiges Federmesser – mit Beschlag und beauftragte die competenten Behörden mit der Einleitung eines Preßprocesses.
Nach Erledigung dieser von dem Publikum mit größter Befriedigung aufgenommenen Präliminarien ordnete Herr Clamard eine regelrechte Haussuchung bei sämmtlichen Bürgern von Gressinet an.
»Die Spritze soll und muß wiedergefunden werden!« sprach er zu seinen Leuten … »Bedenkt, daß nicht nur die Ehre Clatou's, sondern auch die Würde meines Amts auf dem Spiele steht! Ich werde Denjenigen, der mir die Spritze wiederbringt, zum Kreuz der Ehrenlegion vorschlagen.«
Die Leute gingen und suchten. Sie kehrten ganz Gressinet um und um. Jede Schublade wurde aufgezogen; keine Rocktasche blieb undurchstöbert; unter jede Bettlade ward geschnüffelt: umsonst! Die Spritze war nirgends aufzutreiben.
Herr Clamard erließ ein erneutes Manifest. Er sicherte Demjenigen, der über den Verbleib des vermißten Instruments irgend welche Anhaltspunkte zu geben vermöchte, eine Belohnung von 100 Francs zu. Aber unter den Patrioten Gressinet's fand sich kein Verräther. Die Spritze war und blieb verschwunden wie eine Stecknadel.
Was half es dem Herrn Bürgermeister, daß Jules Pierrot und Croquepeu wegen Aufreizung zu einer verbrecherischen Handlung je vierzehn Tage ins dunkle Verließ des städtischen Kerkers geworfen wurden?
Was half es, daß der ›Unverzagte Streiter‹ verstummt war?
Die Spritze war fort, und aller officieller und officiöser Zorn des Pascha's war nicht im Stande, sie wieder herbeizuschaffen.
Wochen und Monate verstrichen. Der kühne Dictator Gambetta – getreu seinem Grundsatze, lieber sein Vaterland zu ruiniren, als die erlittenen Niederlagen einzugestehen – hatte den Krieg gegen die siegreichen deutschen Heere mit ebenso wenig Glück als Verstand fortgesetzt. In der Nähe von St. Quentin stand der General Faidherbe an der Spitze der sogenannten Nord-Armee den kampferprobten Truppen des General Göben gegenüber. Das ganze Departement, Clatou und Gressinet nicht ausgenommen, zitterte und bebte; denn Jedermann fühlte, daß es binnen kürzester Frist zu einem entscheidenden Schlag kommen mußte, und Frankreich hatte bereits zu oft die Wucht der deutschen Hiebe empfunden, als daß die siegesgewissen Phrasen der Delegation und ihrer Feldherren ernstlich hatten verfangen können.
Eine klare, frostige Winternacht breitete ihre sternbeglänzten Fittiche über den Erdball. Clatou und Gressinet hatten im Arme des Traumgottes ihre Zwistigkeiten und das Unglück ihres einst so übermüthigen Vaterlandes ziemlich vergessen. Nur zuweilen fuhr ein Clatounese jählings zusammen und stammelte schlaftrunken die heroischen Worte: »Keinen Stein unserer Festungen!« Nur zuweilen entschlüpfte einem Gressineter der selbstzufriedene Ausruf: »Sie ist gerettet!«
Der Mond schien hell; die Eiszapfen des städtischen Brunnens flimmerten feenhaft; breit und leer lagen die hartgefrorenen Straßen, und an den Fensterscheiben malte die Kälte bereits in undurchsichtigen Schichten ihre phantastischen Blumen und Arabesken.
Vom Thurme Clatou's schlug es drei … Da horch! 67 Klang das nicht aus der Ferne wie das Grollen eines herannahenden Gewitters? Horch! Wieder und wieder erneut sich der dumpfe, unheimliche Schall; immer näher und näher wälzt sich das seltsame Dröhnen und Donnern!
Jetzt wird es in Clatou lebendig. Allenthalben blitzt Kerzenschein durch die eisbedeckten Scheiben. Hie und da öffnet sich ein Fenster, und lange, weißgekleidete Gestalten in wallenden Zipfelmützen strecken ängstlich schnuppernd die Nasen ins Freie. Man klappert vor Frost und Entsetzen. Wilde Flüche auf Ollivier und Napoleon III. mischen sich mit dem Schreckensrufe: »Die Preußen!«
Nach zehn Minuten ist die ganze Gemeinde Clatou auf den Beinen. Die Weiber stürzen mit fliegenden Haaren und gerungenen Händen auf die Straße. Die Männer stehen stirnrunzelnd vor den Hausthüren und gaffen in die mondhelle Nacht hinein. Jetzt naht der Wächter und bläst Alarm. Der Küster eilt nach der Kirche, um die Glocken zu läuten. Bleich wie der Tod tritt der Herr Maire auf den Balkon seines ›Palastes‹ und starrt hinunter in das rath- und trostlose Gewühl. Zwei der beherztesten Patrioten eilen vor das südliche Thor, um die Situation auszukundschaften.
In Gressinet hat sich unterdessen die gleiche Comödie aufgespielt. Jules Pierrot und Croquepeu rennen in voller Nationalgarde-Uniform durch die Straßen und rufen die Bürger nach der Scheune des alten Grimmont. Die Weiber schreien ganz in derselben Tonart wie die Clatouneserinnen, und die Familienväter fluchen noch lauter als ihre Collegen in der Mutterstadt. Auch Gressinet sendet Kundschafter aus.
Inzwischen kommt das Gefecht näher und näher. Es ist eine versprengte Abtheilung französischer Truppen, die von einigen deutschen Bataillonen verfolgt und mit jeder Minute mehr in die Enge getrieben wird. Jetzt treffen die ersten Flüchtlinge in Clatou ein. Sie bringen die Schreckensnachricht, daß gestern eine große Schlacht stattgefunden, die General Faidherbe verloren habe. Kaum hat man ihnen 68 etwas Speise und Trank gereicht, als auch schon die ersten feindlichen Granaten aufs Straßenpflaster einschlagen. Alles rennt, rettet und flüchtet. Der Bürgermeister verkriecht sich in den untersten Keller der Mairie; das Verließ, in welchem der arme Goguenard noch immer von Amtswegen schmachtet, wird erbrochen, denn es ist bombenfest. Zehn, zwanzig, dreißig Bürger leisten mit einem Mal dem erstaunten Weinwirth Gesellschaft. Goguenard, nicht faul, benutzt die Gelegenheit zur Flucht und langt athemlos in Gressinet an, wo er zwar freundlich, aber ohne Enthusiasmus empfangen wird. Die Angst lähmt alle anderen Empfindungen.
Zitternd lauschen die Patrioten aus ihren Verstecken dem stets wachsenden Schlachtlärm. Die ganze Schaar der flüchtigen Franzosen hat sich auf Clatou geworfen. Der Feind überschüttet die Stadt mit einem furchtbaren Hagel von Projektilen. Die Franzosen suchen sich zu verschanzen: ein eitles Beginnen. Nach Verlauf einer halben Stunde sind sie zum westlichen Thore hinausgeworfen. Mit Hurrah dringen die Preußen nach. Die Soldaten Gambetta's erkennen ihr Schicksal … In Béricourt, eine Stunde westwärts von Gressinet, werden sie umzingelt. Sie capituliren.
Clatou athmet auf. Der Kampf ist vorübergebraust. Aber, o Entsetzen! Welcher Anblick bietet sich der erschütterten Bürgerschaft, als sie sich endlich aus den Kellern und Verließen hervorwagt! Clatou brennt! In der Mairie, im Spritzenhause und an drei anderen Stellen haben die feindlichen Granaten gezündet. Sprachlos begaffen die Patrioten das drohende und immer weiter um sich greifende Unheil. Keiner rührt sich, keiner legt Hand an, um der Flammen Herr zu werden …
»Bürger!« ruft endlich Herr Clamard, der sich in der Mitte des Marktplatzes auf einen Stuhl gestellt hat, – »Bürger! Ihr habt soeben einer dräuenden Gefahr mit einem Muthe, den die Geschichte anerkennen wird, ins Auge 69 geschaut! Auf! Laßt uns auch angesichts dieser noch schwereren Heimsuchung nicht verzagen! An die Spritzen!«
»Das Spritzenhaus brennt,« erwidern die Bürger in zitternder Herzensangst.
»An die Spritzen, sage ich, im Namen des Gesetzes!«
Einige der Beherztesten eilen nach dem Spritzenhause. Wehklagend kehren sie zurück.
»Die Spritzen liegen beide in Trümmern!« rufen sie schon von Weitem. »Die Granaten haben alles kurz und klein geschlagen. Wir sind verloren.«
»Man läute Sturm!« ruft Herr Clamard im Tone der höchsten Verzweiflung … »Gott wird uns nicht verlassen, Patrioten!«
»Wenn er nur löschen wollte! Nur Einen ordentlichen Wolkenbruch! Aber bei dieser Kälte kann selbst der liebe Gott nicht regnen lassen. O heilige Jungfrau, – wie sind wir geschlagen!«
Da rasselt etwas über das Straßenpflaster. Alles blickt auf. Ein Hurrah schallt den Angstbeklommenen entgegen. »Es lebe Frankreich!« tönt es von zwanzig vaterländisch gesinnten Lippen.
… Hatte Jules Pierrot nicht einst zu Croquepeu gesagt: »Den Preußen gegenüber sind wir alle Franzosen, alle Söhne einer großen, gemeinsamen Mutter!« –?
Die Gressineter bewiesen jetzt durch die That, daß dieses erhebende Wort ihres Stimmführers keine gehaltlose Phrase war.
»Die Feuerspritze von Gressinet!« jauchzten die Clatounesen … »Rasch, rasch, ihr Wackeren, eh' es zu spät wird!«
Majestätisch rollte die roth und blau lackirte Feuerspritze vor die Mairie. Im Nu war Wasser in Hülle und Fülle zur Hand. Die Gressineter hatten nicht umsonst den Pfarrer von Clatou zum Ziel ihres Strahles genommen! Mit derselben Accuratesse, die damals den Diener der Kirche verunglimpfte, richteten sie nun den rettenden Schlauch in die Flammen. Ha! wie zischte und knirschte das wüthende 70 Element unter den gewaltigen Fluthen des rastlosen Sprührohres! Wie prasselte das siegreiche Naß in die lodernden Sparren des Dachstuhls! Eimer um Eimer verschwand in dem ölgestrichenen Bauch der gebenedeiten Maschine, und Eimer um Eimer entlud sich in die immer schwächer werdende Glut. Ganz Clatou bildete eine einzige große Kette, die sich alle möglichen und unmöglichen Gefäße von Hand zu Hand reichte … Nach Verlauf einer Viertelstunde war die Mairie und ein daranstoßendes Wohnhaus – die am meisten gefährdeten Baulichkeiten des schwer geprüften Städtchens – glücklich gerettet.
Inzwischen hatte das Feuer freilich an den übrigen Punkten um sich gegriffen, aber das Schwierigste schien überwunden … An dem isolirt stehenden Spritzenhause war wenig gelegen; die beiden Privathäuser stießen dicht aneinander und konnten abwechselnd mit erfrischenden Güssen bedacht werden. Überdies traf jetzt aus einem der benachbarten Dörfer Hilfe ein. Nach kurzer Frist arbeitete eine zweite Pumpe an der Seite der roth und blau lackirten Gressineterin, und ehe der metallene Mund der Glocken die sechste Morgenstunde verkündete, beschränkte sich der Brand auf einige qualmende Scheiter, die man vermittelst der städtischen Feuerhaken vom Firste eines der betroffenen Häuser heruntergerissen hatte. Der angerichtete Schaden belief sich auf eine verhältnismäßig unbedeutende Summe: Clatou konnte mit seinen Schutzgöttern zufrieden sein.
Als die Spritze von Gressinet ihren letzten Strahl entsandt hatte, als Jules Pierrot, vor Eifer und Anstrengung glühend, sein Taschentuch zog, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, da trat Herr Clamard, der Maire, auf ihn zu, umarmte ihn im Angesicht des versammelten Volkes und sprach also:
»Bürger der Gemeinde Clatou! Bürger der Gemeinde Gressinet! Laßt uns alle Streitigkeiten, die uns bisher trennten, in diesem erhebenden Augenblicke zu Grabe tragen! 71 Ihr, wackere Gressineter, habt Anspruch auf unseren wärmsten, thatkräftigsten Dank. Ich erkläre euch hiermit feierlichst, daß ich mich an geeigneter Stelle verwenden werde, um eure communale Selbständigkeit dauernd und in allen Punkten zu begründen. Ihr seid meiner väterlichen Obhut entwachsen. Gut denn! Wenn ihr nicht länger meine Kinder sein könnt, so laßt uns treue Freunde und engverbundene Nachbarn sein!«
Donnernder Applaus. Die Gressineter sanken sich unter Thränen der Rührung in die Arme und riefen: »Es lebe der Maire von Clatou! Es lebe Gressinet!«
»Bürger!« fuhr der Maire fort, »es ist Sitte, die Versöhnung zweier Völkerschaften durch das Weben zarter Privatbande so zu sagen symbolisch zu versinnlichen. Bürger! Seht diesen entschlossenen, charakterfesten, patriotischen jungen Mann! Ich bin Herrn Jules Pierrot in mehr als einer Beziehung eine Genugthuung schuldig. He, Marion, wo steckst du?«
Marion trat vor. Ein zierliches, pelzverbrämtes Mäntelchen umschloß die anmuthig-schlanke Gestalt mit vollendeter Grazie. Die Röthe der jungfräulichen Verwirrung lieh der ganzen Erscheinung etwas Berückendes.
»Bürger!« rief Monsieur Clamard mit immer steigendem Pathos, indem er mit der Linken die Hand seiner Nichte, mit der Rechten die des hochbeseligten Jules ergriff … »Bürger! Die jungen Leute hier lieben sich …«
»Ah!« klang es im Kreis der erstaunten Hörer.
»Seit lange verbindet sie eine ebenso innige, als tugendhafte Neigung … Wohlan, meine Kinder, im Namen des Gesetzes, ich verlobe euch!«
Jules schwamm in überschwänglichen Wonnefluten. Marion reichte ihm die Rechte und flüsterte ihm bebend vor Glück und Entzücken die Worte ins Ohr:
»Nicht wahr, Jules, ich hatte doch Recht, als ich nicht mit dir durchgehen wollte? Ist's nicht so besser, mein Geliebter?«
Jules Pierrot antwortete nicht. Sein Herz war voll zum Zerspringen.
Der Bürgermeister hatte indessen noch nicht geendet.
»Es versteht sich von selbst, meine wackeren Gressineter,« sagte er nachdrücklich, – »daß diese ruhmreiche Feuerspritze von jetzt ab euer unbestrittenes, rechtsgültiges Eigenthum bleibt. Wir unsererseits werden Sorge tragen, daß unsere zerstörten Maschinen binnen kürzester Frist durch neue ersetzt werden, damit wir auf alle Fälle gerüstet sind. Möchte es recht bald einmal bei euch brennen, damit wir euren heroischen Opfermuth wett machen und den Liebesdienst, den ihr uns geleistet habt, nach Würden vergelten können!«
»Hoch! hoch!« schrieen die begeisterten Bürgerschaaren.
»Hoch! hoch!« jauchzten die Frauen und Jungfrauen.
Der Wächter blies einen Tusch, und die Straßenjungen pfiffen auf den Fingern, daß dem Bürgermeister die Ohren gellten.
Seitdem lebt Clatou mit Gressinet in der rührendsten Eintracht. Marion ist die glückliche Gattin Pierrot's. Herr Laloupon, der einst so übel mitgenommene Priester, hat die Ehe des liebenswürdigen Paares eingesegnet und mit Zugrundelegung des ehedem in anti-gressinetischem Sinne ausgedeuteten Bibelwortes: »Selig sind die Friedfertigen!« eine ebenso ergreifende als wohlwollende Rede gehalten.
Oft noch erinnern sich die Bürger von Clatou und Gressinet jener frostigen Schreckensnacht und der schauderhaften Attake der Preußen. Wenn sie dann alles durchgesprochen und recapitulirt haben, dann nicken sie bedächtig mit den würdigen Häuptern und murmeln das altbekannte Sprüchwort, dessen Wahrheit ihnen früher nicht so recht einleuchten wollte:
» A quelque chose malheur est bon! «
Möchte es ihnen gleichwohl erspart bleiben, die deutschen Granaten zum zweiten Mal kennen zu lernen!
Da schlägt die Wanduhr auf meinem Corridor sechs … Schon seit mehr als einer Stunde sitze ich hier bei dem wuchtigen Quartband, ohne über die erste Seite hinauszukommen. Die Wahrheit geredet, es ist eine polizeiwidrige Thorheit, sich so gegen Laune und Behagen zum Studium zu zwingen. Diese ewigen Theorien! Diese unablässigen Philosopheme! Man verliert schließlich vor lauter ästhetischer Fachbildung den unbefangenen Blick und den naturwüchsigen Geschmack. Eine Stunde vor der Danaë Tizian's ist, alles in allem, fruchtbarer, als hundert Erwägungen über die Gesetze der Farbengebung; und wer die Schönheit nicht in den lebendigen Originalen bewundern kann, dem frommt kein Speculiren und Grübeln: sein Urtheil bleibt ewig laienhaft.
Ist ein wahrhaft ästhetisch angelegtes Naturell überhaupt mit dem Joch der Ehe vereinbar? Ich bin jetzt seit elf Monaten verheirathet. Meine Josephine ist die Liebenswürdigkeit selber … und doch trage ich das unbestimmte Bewußtsein mit mir herum, daß ich vom Standpunkt des rein Menschlichen etwas eingebüßt habe. Ich bin so häuslich, so philiströs solide geworden, daß die Musen mich gewiß schon halb und halb zu den verlorenen Söhnen rechnen. Wenn ich bedenke … ehedem … die burschikose Ungebundenheit, die Frische der Weltanschauung, die genialische Lust an Abenteuern … und jetzt …! Bei Gott, ich glaube, es vergehen manchmal drei, vier Wochen, ohne daß ich einer einzigen gediegenen Kneiperei anwohne. Und nun läßt sie mich seit einigen Tagen überdem noch allein, anstatt, wie sonst, drüben in der Ecke auf der kleinen 76 Ottomane zu sitzen und meine Studien mit einer Handarbeit zu begleiten. Mein Geburtstag ist in der Nähe, und da es eine Überraschung gilt, so verbleibt sie in ihrem Boudoir und hält eine strenge Clausur ein. Die gute Seele! Sie meint es so ehrlich, und es ist eigentlich undankbar, daß ich mich in dieser misanthropischen Stimmung befinde, aber die Thatsache ist nicht zu ändern, und alle Gefühle der Zuneigung können mich nicht abhalten, diese ehrsame Monotonie des bürgerlichen Daseins hin und wieder ein wenig farblos zu finden.
Warum bin ich eigentlich so gutmüthig, mir diese aufgezwungene Einsamkeit gefallen zu lassen? Das Wetter ist herrlich, drei Grad Kälte und mondhell … Bis zum Thee habe ich noch zwei Stunden Zeit. Wer weiß, ob mir da draußen nicht irgend etwas begegnet, was mich aus dem Cirkel meiner Alltagsempfindungen herausreißt. Apollo ist mein Zeuge, daß ich nur aus rein künstlerischen Gesichtspunkten, nur um diese schlichte Existenz etwas effectvoller zu coloriren, nur um der ästhetischen Anregung willen … Doch ich thue gerade als bedürfte ich vor mir selber einer Entschuldigung! Lächerlich! Ich kenne meine Pflichten, aber auch meine Rechte.
Langsam richte ich mich empor, lege die Opera omnia meines Theoretikers bei Seite und fahre in meinen Überzieher. Den Hut setze ich ein wenig nach links auf's Ohr; das verleiht der ganzen Erscheinung etwas Keckes und Selbstbewußtes und wirkt indirect auf die Gemüthsverfassung.
So, und nun den Stock – nicht jenes biedere, wuchtige Olivenholz mit der familienväterlichen Krücke, das ich gewöhnlich zu tragen pflege, sondern dieses elegante Bambusrohr, mit dem ich einst in den goldenen Tagen der süßen Jugendeselei den alten Seligmann abgefuchtelt, als er mir in gar zu dringlicher Weise ein unangenehmes Papier präsentirte.
An der Gasflamme der Hausflur zünde ich mir im Vorbeigehen eine Cigarre an, qualme ein paar bedeutungsvolle Rauchwolken wider die Decke und schreite dann elastischen Wandels durch die mächtige Bogenpforte ins Freie.
Ein herrlicher Abend! Friedlich kräuselt sich der Rauch über den Dachfirsten, wie versilberte Wölkchen, die unter dem Kusse des Mondscheins im Azur zerfließen. Die Façaden der Südseite liegen fast in tagheller Beleuchtung: nur in den kleinen Vorgärten flimmert eine sanfte bläuliche Dämmerung. Es ist still hier draußen in dem einsamen Parkviertel, still wie in dem Dasein eines christlichen Ehemanns. Nur selten wandelt ein Ereignis in Gestalt eines sorgfältig frisirten Livréebedienten oder eines Dienstmädchens über den hart gestampften Bürgersteig. Alles athmet eine behäbige Ruhe, eine zahlungsfähige Sicherheit. Selbst das Rollen der Equipagen beschränkt sich hier auf bestimmte Stunden des Tages, und jetzt, um sechs Uhr, ist in dem ganzen Quartier keine Achse in Bewegung. Das Theater beginnt erst um sieben, und die Spazierfahrten endigen mit hereinsinkender Dämmerung.
Allmählich führt mich der Weg in belebtere Stadtviertel. Rechts und links tauchen Magazine und Läden auf. Die Zahl der Fußgänger vermehrt sich: auf dem Damm kreuzen sich die Droschken und Lastwagen. Noch zehn Minuten, und ich befinde mich mitten im Herzen des großstädtischen Verkehrs. Hinter den glänzend erleuchteten Spiegelscheiben winken mir alle Schätze Europa's in geschmackvoller Anordnung. Ein wahres Chaos von Fuhrwerken nimmt die ganze Länge und Breite der Straße ein. Die Schaaren der Fußgänger schieben sich in buntem Gewimmel an den blitzenden Etalagen vorüber. Die ganze Atmosphäre summt und dröhnt von jenem unentwirrbaren Ineinanderklang hundert verschiedener Geräusche, deren Ensemble auf die Nerven des Großstädters ebenso wohlthätig wirkt, wie die Landluft auf das Naturell eines Dorfpastors.
Von allen Seiten bestürmen mich neue, bewegende Eindrücke. Nahezu sechs Wochen sind verflossen, seit ich zum letzten Mal eine abendliche Flanade über diese Trottoirs unternahm, und es war damals obendrein eine äußere Veranlassung, die mich hierher führte, ein specieller Zweck – was dem eigentlichen Esprit des Bummelns bekanntermaßen zuwiderläuft. Nein, ich begreife mich nicht! Sechs Wochen halte ich's aus da drüben in meiner beschaulichen Einsamkeit, und hier wogt und brandet ein Ocean von Bildern und Stimmungen, wie ihn die Seele farbenprächtiger nicht wünschen kann.
Ich setze meinen Hut noch um eine Nüance schiefer auf's Ohr, fasse den Stock in der Mitte und runzle die Stirn wie ein übermüthiger Dandy, der im nächsten Augenblick eine Welt zu erobern gedenkt.
Jetzt begegnet mir eine Mutter mit zwei Töchtern. Wohlgebaute Blondinen im Stile Paolo Veronese's. Wahrhaftig, die eine hat ein ganz allerliebstes Gesichtchen: etwas geistlos, das ist wahr: aber du lieber Gott, am Ende ist der Geist nur ein Vorurtheil, und von der Leinwand wirkt das üppige Incarnat eines blühenden Nackens jedenfalls energischer, als der seelische Duft einer feingeschnittenen Lippe. Beim Himmel, wenn ich ebensoviel Technik als Verständnis besäße, ich möchte diese saftige Blondine malen, wie Tizian seine Catarina Cornari gemalt hat, als schlichtes Porträt ohne irgend welche artistische Zuthat … Und jetzt diese büßende Magdalena … So wahr ich lebe, das Original in optima forma zu dem famosen Gemälde Murillo's! Es ist eine wahre Schande, daß ich mir seit Monaten eine so peinvolle Reserve auferlege, und lediglich aus Rücksicht … Alle Vorzüge können sich doch nun einmal unmöglich in einer und derselben Person vereinigen. Josephine ist hübsch, freundlich, aufmerksam, zärtlich, liebenswerth, – kurz, vom Standpunkt eines christlich germanischen Alltaglebens betrachtet, das Ideal einer jungen Frau. Aber in 79 rein künstlerischer Beziehung, mit dem Auge eines Rafael oder eines Correggio gesehen … Pah, man wird nothgedrungen einseitig, wenn man sich jeder anderweitigen Bewunderung enthalten will …
Nachdenklich setze ich meine Wanderung fort. Ein gelinder Groll gegen unsere sociale Ordnung spinnt seinen Nebelschleier um meine pessimistisch angekränkelte Seele. Warum nehmen es die Frauen auch nur so heillos übel, wenn man gelegentlich eine ihrer Mitschwestern hübsch findet! Ich erinnere mich noch des seltsamen Blickes, den mir Josephine zuwarf, als ich im verwichenen Herbst jene dunkeläugige Unbekannte im Foyer des Victoriatheaters mit dem Lorgnon fixirte. Für etwas Romantisches haben diese Töchter aus guter Familie absolut keinen Sinn. Als ob meine Neigung unter einer derartigen praktischen Studie im mindesten leiden könnte. Ein künstlerisch angelegtes Herz verlangt mehr als die bloße häusliche Glückseligkeit, und schließlich – der Teufel weiß, wie es zugeht, aber das Factum bleibt unanfechtbar – schließlich haben diese Unbekannten immer ein gewisses Etwas, das den uns so wohlbekannten Gattinnen abgeht, ein nescio quid von poetischem Zauber, einen Hauch von geheimnisvoller Novellestik, dessen nähere Definition ebenso unmöglich ist, wie die Analyse des Schönen überhaupt.
Was ist das zum Beispiel für eine reizende, graziöse Gestalt, die da quer über die Straße kommt und jetzt in den Galanterieladen eintritt! Ein Füßchen zum Entzücken, und eine Anmuth in jeder Bewegung, wie man sie eben nur bei Unbekannten findet.
Ich trete an das Schaufenster. Ein Seufzer entringt sich meiner Brust, lang und gepreßt, wie ein Passus aus Schopenhauer's Kapitel über das Leiden der Welt. Zwischen den Fächern und Schmuckkästchen hindurch dringt mein Blick in das Innere des Gewölbes. Die schöne Unbekannte kehrt mir den Rücken. Jetzt beugt sie sich über den Ladentisch, 80 um eine Waare in Augenschein zu nehmen … Wie pittoresk war diese Wendung des Armes! Und wie geschmackvoll sie gekleidet ist! Hier erkennt man so recht den Unterschied zwischen dem Schlicht-Bürgerlichen und dem Classisch-Poetischen. Mich dünkt, ich habe eine ähnliche Jacke auch bei Josephinen gesehen: aber wie ganz anders war der Effect! Hier eine gewisse Genialität im Faltenwurf, dort eine nüchterne Accuratesse, eine ruhige Einfachheit, die für gewisse Charaktere ihren Reiz haben mag, aber auf die Dauer eine ästhetische Lücke läßt. Kleider machen Leute, sagt das Sprüchwort; mit der gleichen Berechtigung kann man die These umkehren. Dasselbe Gewand von verschiedenen Personen getragen ist nicht mehr dasselbe. Die Individualität haucht dem Kleidungsstück ihr ganzes Wesen ein. Ich glaube, Aspasia wäre im Stande einen Zwillichkittel so zu drapiren, daß er einen königlichen Purpur beschämte.
Und diese reizende Robe! Einfach und anspruchslos, und doch bedeutsam und charakteristisch. Diese stahlfarbene Nüance hat etwas Aristokratisches. Warum Josephine einen derartigen Stoff nicht gewählt hat? Aber es ist nun einmal nicht zu ändern. Gewisse Dinge existiren nicht für die normale deutsche Hausfrau: man entdeckt sie nur fernab von dem Weichbilde des heimischen Herdes.
Wie lange sie wählt und prüft! Auch hierin offenbart sich ein distinguirter Charakterzug. Da … da … um ein Haar hätte ich ihr Gesicht zu sehen bekommen. Das Stückchen Wange, das mir in duftiger Verklärung entgegengeleuchtet hat, erweckt eine unwiderstehliche Sehnsucht in mir, das ganze ambrosische Angesicht aus der nächsten Nähe zu schauen. Ich interessire mich jetzt so glühend für diese schöne Käuferin, daß es mich bereits nach ihrer Biographie gelüstet. Wo mag sie wohnen? Wie mag sie heißen? Das beste ist, ich lasse sie hier vorbeipassiren und gehe ihr dann nach, sittsam und in bescheidener Entfernung, 81 wie es einem verheiratheten Ästhetiker geziemt … oder nein … ich sehe nicht ein, weshalb ich so übermäßig bescheiden sein sollte. Mein Naturell steht mit einem solchen Vorsatz in diametralem Widerspruch. … Nun, wir werden ja sehen.
Ah, da kommt mein trefflicher Freund Leo. Schon von fern lacht er mich mit dem ganzen Vollmond seines biederen Kneipgesichts an, als wollte er sagen: »Trifft man dich auch endlich wieder einmal unter den Lebenden?«
Auch ich bin erfreut, dich zu sehen, wackerer Genosse meiner akademischen Ausschweifungen, unvergleichliches Danaidenfaß, in dessen bodenlosem Schlunde so manches Quart Lagerbier und so manche Punschbowle ein ruhmloses Ende gefunden.
Er schüttelt mir mit der grübchenreichen Herkulesfaust die Rechte und brummt im tiefsten Basse eine Phrase freundschaftlichen Entzückens.
»Wie jammerschade,« fügt er nach einer Weile hinzu, »daß ich gerade jetzt nicht Herr meiner Zeit bin.«
Er sieht auf die Uhr.
»Ich muß meine Tante ins Concert führen,« seufzt er stirnrunzelnd, »und gewahre mit Schrecken, daß ich bereits eine Viertelstunde Verspätung habe.«
»Ah, die Hofräthin! Nun, sie molestirt dich selten genug, und als Erbtante verdient sie einige Rücksicht. Ich will dich bei Leibe nicht abhalten.«
Noch einmal schüttelt er mir die Hand und poltert dann fürbaß über das Pflaster.
Verflucht! In der Zwischenzeit ist mir meine schöne Unbekannte entwischt. Hole der Henker alle Kneipkameraden und Hofräthinnen. Doch halt, dort biegt die Holdselige um die Ecke. Das war noch gerade Zeit, sonst hätte ich den Engel für immer verloren. Auf und ihr nach!
In weniger als einer Viertelminute habe ich mich ihr auf fünfzehn Schritte genähert. Es hält schwer, sie bei 82 dem dichten Menschengewühl im Auge zu behalten. Dabei schreitet sie tüchtig zu … Ja, ja, solche novellistische Naturen sind stets gute Fußgängerinnen. Im Sommer begegnet man ihnen auf dem Gipfel des Pilatus oder auf den Gletschern des Chamounithals. Ich kenne die Sorte …
Jetzt schwenkt sie seitwärts ab. Aha, sie nimmt den Weg nach der Gertraudenstraße quer über den Markt. Nun, um so besser; auf diese Weise entferne ich mich nicht von dem Parkviertel. Es ist sieben, ich habe also vollauf Muße, mein peripatetisches Abenteuer bis auf die Hefe auszukosten. Ich muß jetzt erfahren, welche Göttin in dieser reizenden Hülle wandelt, oder meine Mißstimmung erklärt sich in Permanenz!
Wie seltsam doch mitunter der Zufall spielt! Da biegt sie richtig in die neue Anlage ein! Ich kann ihr also unter allen Umständen ohne Zeitverlust bis an ihre Wohnung folgen, und wenn sie am äußersten Ende der Stadt residirte. Wirklich, Fortuna ist mir hold. Es hätte sich doch ebensogut treffen können, daß die kleine Zauberin mich nach dem Ludwigshain oder den Bernstädter Linden gelockt hätte!
Jetzt scheint sie bemerkt zu haben, daß ich ihr auf den Fersen bin. Sie hat leise den Kopf gewendet, sie beschleunigt ihre Schritte. Das ist entweder ein Zeichen von hohem sittlichem Ernst, oder von reizender Koketterie. Aber Gott sei Dank! Noch bin ich nicht so sehr zum Philister geworden, daß ich nicht im Stande wäre, eine solche Parforcepromenade auszuhalten. Noch habe ich mich von dem Embonpoint deutscher Familienväter freizuhalten gewußt. Bei den Göttern, diese Eilfertigkeit steht ihr entzückend. Wie fest und doch wie schmiegsam sie auftritt. Das ist eine Poesie des Wandels, an der sich ein Apollo berauschen könnte.
Jetzt beginnt die Sache in der That humoristisch zu werden. Das räthselhafte Geschöpf schlägt immer entschiedener 83 dieselbe Route ein, die ich wählen müßte, wenn ich direct nach meiner heimischen Wilhelminenstraße eilen wollte. Wäre ich ein gläubiger Romantiker aus der alten Schule, so dächte ich jetzt an eine moralisch gesinnte Fee, an eine ideale Personificirung meines ehelichen Gewissens. Die schöne Huldin wäre etwa Titania, die, von heiligem Schmerz erfüllt, ihren Liebling auf Irrwegen zu sehen, die Gestalt einer bestrickenden Sirene angenommen hätte und mich nun, ohne daß ich es ahnte, zu den Laren des häuslichen Herdes zurückführte.
So wahr ich selig werden will, da sind wir an der Ecke der Wilhelminenstraße, und jetzt wendet sie sich nach links, – ganz der Weg, den die alltägliche Moral mir vorzeichnen müßte. Am Ende ist sie eine von den schönen Engländerinnen in Nummer 20, die ich bereits drei- oder viermal durch mein Taschenteleskop zu bewundern die Ehre hatte. Das wäre in der That ein höchst pikantes Zusammentreffen! Wenn sie nur nicht so verteufelt liefe, – daß ich ihr einmal en passant ins Gesicht sehen könnte. Aber sie scheint instinktiv zu fühlen, wie sehr sie mein Herz entzündet hat, und so scheut sie sich wohl vor einem Rencontre. Verdammt, daß der Weg an meiner Wohnung vorüberführt. Es wäre mir doch unangenehm, wenn Josephine … und wer garantirt mir dafür? Bei Mondschein sitzt sie oft stundenlang am Fenster und vertieft sich in die wundersamen Lichtspiele … Heute freilich ist sie beschäftigt …
Aber was sehe ich? Bin ich von Sinnen? Da hüpft mein bezauberndes Räthsel in meine Hausflur und eilt meine Treppe hinan. Um aller Heiligen willen, was habe ich angestellt? Gewiß eine gute Freundin Josephinens, die mich erkannt hat und mich nun in flagranti verklagen will. Soll ich ihr folgen? Oder ist es rationeller, so schnell als möglich umzukehren? Aber nein, das wäre eine Schwäche, die den Edlen entwürdigt. Was kann sie überdies sagen? 84 Es ist nur zu begreiflich, daß ich den nächsten und bequemsten Weg nach meiner Wohnung einschlage, und die Straße ist Gemeingut. Nein, sie würde sich mit der geringsten Andeutung nur lächerlich machen; sie muß etwas anderes in Petto haben; also vorwärts!
Ich stürme ihr nach. Die Corridorthüre hat sich inzwischen bereits geschlossen. Ich klingle. Man öffnet mir. Und wer öffnet mir? Vor mir steht, in dem malerisch drapirten Tuchpaletot, in dem stahlblauen Promenadenkleide, das kleine Packet in der Hand, das sie auf der Straße getragen – meine Frau!
Sie schaut mir mit einem unbeschreiblich schelmischen Ausdruck ihrer dunkelbraunen Augen ins Angesicht, wünscht mir »Guten Abend«, und eilt dann, mir nochmals herzlich zunickend, in ihr Zimmer.
Keines Wortes mächtig, starre ich ihr nach; dann entledige ich mich stumm und geräuschlos meines Überziehers, schleiche in mein Gemach und werfe mich in den Lehnstuhl. Die Hände über der Brust gefaltet, suche ich mir meine lehrreichen Erlebnisse zurecht zu legen. Nur ungern gestehe ich mir's, aber die Wahrheit bricht schließlich durch: ich bin wüthend, wüthend auf mich, wüthend auf Josephine, wüthend auf meine künstlerischen und nicht künstlerischen Bestrebungen, wüthend auf alles Bekannte und Unbekannte. Ich habe mich vor meiner eigenen reinen Vernunft so colossal blamirt, daß ich nicht weiß, ob ich jemals wieder in der Lage sein werde, mir die volle ursprüngliche Hochachtung zu zollen. Mein ganzes Ich verfällt in einen Zustand moralischer Zerrissenheit; ich möchte mich ohrfeigen.
Da legt sich ein Arm um meinen Nacken, zwei frische blühende Lippen senken sich auf die meinen, und eine weiche Hand streichelt mir wie beschwichtigend über die Stirne.
Der seltsame Bann ist gelöst. Noch immer verlegen, gewinne ich doch allgemach mein seelisches Gleichgewicht wieder. Josephine erwähnt das Vorgefallene mit keiner 85 Silbe, aber ich sehe es ihrem schalkhaften Lächeln an, daß sie meine ganze Thorheit durchschaut hat.
Zwei Tage später überrascht sie mich mit den Früchten ihres improvisirten Abendganges. Ein reizendes Geburtstagsgeschenk, viel sinniger und liebenswürdiger, als es ein Mann verdient, der die poetischen Anregungen außer dem Hause sucht. Ich schließe Josephine an mein Herz und schwöre mir insgeheim, mich nie wieder von den Launen einer selbstbetrügerischen Verstimmung gängeln zu lassen. Der erste Versuch einer unerlaubten Romantik ist zu schmachvoll mißglückt, als daß ich Lust verspürte, mich zum zweiten Male auf's Glatteis zu wagen.
Eine Studie nach der Natur.
Mein Onkel Feodor war Rechtsanwalt in einer mitteldeutschen Provinzialstadt. In den letzten Jahren seines Lebens, als die einst so blühende Advocatur merklich zur Neige ging, beschäftigte er einen Scribenten mit Namen Trendler. Ich weiß nicht, ob der würdige Federheld noch lebt. Sollte er indeß die folgenden Zeilen zu Gesicht bekommen, so wird er gewiß einem strebsamen Collegen, der bei seinen indiscreten Studien die edelsten Zwecke verfolgt, die scheinbare Profanation zu Gute halten und lächelnd vor sich hinmurmeln: »Ja, ja, das bin ich!«
Also in medias res !
Über den Dachfirsten der Provinzialstadt leuchtet ein kalter, klarer Wintermorgen. In den beschneiten Straßen erblickt man nur hin und wieder einen eilfertigen, theatralisch vermummten Barbier oder eine blaugefrorene Köchin.
Es schlägt neun. Mein Onkel sitzt bereits seit einer Stunde bei der Arbeit. Der lodernde Ofen verbreitet eine erquickliche Wärme. Die lange Pfeife läßt ihre blauen Rauchkringel, wie Opferdüfte, zur angegrauten Decke emporsteigen. Auf dem eichengeschnitzten Schreibtisch herrscht eine gemüthliche Unordnung. Da prangt die chemische Zündmaschine neben dem Petschaftkasten; die Wasserflasche neben dem gestickten Hauskäppchen; die goldene Repetiruhr neben dem bunten Fidibusbecher. Die halbgeleerte Tasse steht dem Arbeitenden zur Linken. Eifrig raschelt die Feder über das dicke Conceptpapier.
Da öffnet sich die Thüre. Ein röthliches Antlitz, dessen Züge etwas vom Geier haben, erscheint in der Spalte. Es ist Herr Trendler. Mit gekniffenen Äuglein mustert 90 er das Zimmer. Dann tritt er zwei Schnitte vor und spricht mit klangloser Stimme:
»Guten Morgen, Herr Justizrath!«
Mein Onkel wendet den Kopf.
»Sie kommen wieder eine halbe Stunde zu spät, Trendler. Wie oft soll ich Ihnen sagen, daß ich die Pünktlichkeit liebe?«
»Entschuldigen Sie, Herr Justizrath, ich hatte mich gestern etwas später zu Bett gelegt, weil ich noch den Bericht an das königliche Obertribunal erledigen wollte …«
Trendler beginnt nun seinen Paletot auszuziehen. Er versucht es zunächst mit dem linken Ärmel. Auf der Hälfte des Weges erfaßt ihn die Reue. Er tritt auf der linken Seite den Rückweg an, und wirft sich auf die rechte. Nach einigem Zögern kommt er mit der Entkleidung zu Stande, und verfügt sich nun, den Überzieher sorgfältig an der Schlinge haltend, nach dem Nagel, wo er ihn langsam aufhängt, – nicht ohne zuvor einige imaginäre Stäubchen von dem schadhaften Sammetkragen hinweg zu blasen. Der aufgehängte Paletot wird mit zärtlicher Hingebung drapirt … Die Außenseite muß nach innen gekehrt und vor jeder Berührung mit der atmosphärischen Luft aufs Peinlichste geschützt und geschirmt sein …
Nach befriedigender Lösung der Paletot-Frage kommt die Reihe an den Rock. Unter den nämlichen Manövern, die wir beim Überzieher wahrnahmen, vertauscht Herr Trendler diesem Unter-Kleidungsstück mit seinem sturmerprobten Amt- und Dienstkittel. Ist auch diese Metamorphose beendet, so hustet er dreimal mit steigender Heftigkeit und zieht das Taschentuch, um sich zu schneuzen.
»Nun, Trendler, wird's bald?« fragt mein Onkel stirnrunzelnd.
»Entschuldigen Sie, Herr Justizrath, ich wollte mich nur schneuzen, mit Respect zu vermelden. Ich habe einen starken Stockschnupfen, seit letzthin das Wetter so umgeschlagen hat!«
Mein Onkel arbeitet weiter.
Trendler begiebt sich in gemessenem Menuettschritt nach dem Ofen, ergreift die Feuerzange, und wühlt in den Bränden.
»Donnerwerter, machen Sie doch keinen solchen Rauch!« ruft mein Onkel ärgerlich. »Das Feuer brennt, – was haben Sie also dran herumzustochern?«
»Verzeihen Sie, Herr Justizrath, ich dachte nur, wenn man das Feuer nicht rechtzeitig schürt, so könnte es ausgehen. Erlauben Sie vielleicht, daß ich so ein kleines Klötzchen auflege?«
»Gut, so legen Sie auf, aber schnell! Sie haben da Ihren ganzen Tisch voll Arbeit!«
»O, damit wollen wir schon fertig werden, was das anbelangt …«
Er bläst in die Flammen. Der Qualm schlägt ihm ins Gesicht. Er schließt die Ofenthür und tritt an den Spiegel.
»Nun, was giebt's?« fragt mein Onkel.
»Ach, Herr Justizrath, nehmen Sie's nicht übel, es ist mir was ins Auge gekommen … Gleich hab' ich's … so … Wie das einen genirt, man sollt's nicht glauben! … Au, au …! Das ganze Auge ist roth davon …!«
»Trendler! Der Teufel holt Sie, wenn Sie jetzt nicht an die Arbeit gehen! Wenn Sie was am Ofen auszusetzen haben, so rufen Sie die Magd!«
»Schön, Herr Justizrath.«
Er öffnet die Stubenthüre.
»Therese! Therese!«
»Das zieht ja zum Tollwerden!« zürnt der alte Herr in wachsendem Mißmuth. »Wollen Sie augenblicklich zumachen! …«
»Die Magd scheint nicht da zu sein,« versetzt der Schreiber. »Ich will mal nachsehen!«
Er begiebt sich nach der Küche. Drei, vier, fünf Minuten 92 verstreichen. Endlich erscheint die rothe Physiognomie wieder auf der Schwelle.
»Die Magd ist nach dem Wochenmarkt gegangen,« stammelt er mit einem Lächeln der Genugthuung. »Da muß ich wohl selbst Hand anlegen, Herr Justizrath.«
Mein Onkel antwortet nicht.
Trendler verfügt sich wieder an den Ofen. Er klappert und rasselt, und rasselt und klappert, bis das Feuer glücklich verloschen ist.
»Ich komme doch nicht so recht zu Stande damit, wenn man's bei Licht betrachtet. Wir müssen warten, bis die Therese vom Markt zurückkommt.«
»Sie sind der größte Esel, der mir jemals in meiner Praxis aufgestoßen.«
»Aber, Herr Justizrath …«
»Setzen Sie sich! Ich habe keine Lust, mit Ihnen zu discutiren.«
Schmollend faßt er auf seinem Stuhle Posto. Noch einmal muß das Schnupftuch für die Unbilden der Witterung büßen. Hierauf durchsucht er sämmtliche Taschen der Weste, des Rocks und der Beinkleider. In der letzten findet er den Schlüssel zur Schublade seines Schreibtisches.
Er betrachtet das eiserne Instrument von allen Seiten. Dann bläst er einige Sonnenstäubchen aus dem Loch über dem Kamme und veranlaßt dadurch einen gellen Pfiff.
»Was fällt Ihnen bei, Trendler? Wiederholt sich denn bei Ihnen jeden Tag dasselbe Possenspiel?«
»Um Vergebung, Herr Justizrath, aber diesmal thun Sie mir Unrecht. Wenn sich nämlich das Loch am Kamme verstopft, so geht mehrstentheils das Schloß nicht.«
Langsam öffnet er die Schublade und nimmt zwei tintenbeklexte Schreibärmel, zehn Gänsekiele und ein doppelklingiges Federmesser heraus. Sämmtliche Gegenstände breitet er sorgfältig vor sich hin. Er befolgt dabei die Regeln der Symmetrie und des goldnen Schnitts.
Plötzlich springt er vom Sitz empor und eilt nach der Thüre.
»Was giebt's?«
»Ich will einmal sehen, ob die Friederike heimgekommen ist. Mir war's, als hätte ich klingeln hören.«
»Dummes Zeug! Bleiben Sie bei der Arbeit!«
Trendler setzt sich nieder und ergreift einen der beiden Schreibärmel. Er nestelt am Zuge. Die Schnur will nicht weichen. Nach einer andauernden Bemühung von fünf Minuten gelingt es ihm, den Knoten zu lösen. Die Schiene rutscht knisternd über den Arm und wird mit vieler Accuratesse befestigt.
Der zweite Ärmel erfordert eine geringere Anstrengung. Schon nach drei Minuten sitzt er wie angegossen.
Es schlägt halb zehn.
Trendler reibt sich im Bewußtsein, sehr glücklich debütirt zu haben, die Hände und zieht die Tabaksdose hervor. Sechs- oder achtmal schlägt er geräuschvoll auf den Deckel. Dann öffnet er, schüttelt den Inhalt von einer Seite nach der andern und spitzt die Finger zur Prise. Plötzlich besinnt er sich eines Besseren. Er muß im Heiligthum der Dose einen fremden Gegenstand entdeckt haben. Das rothe Geiergesicht beugt sich vor; die kurzsichtigen Äuglein beblinzeln den Tabak aus allen Richtungen der Windrose. Eine Minute verrinnt in prüfender Beschaulichkeit. Er nickt, als habe er den mikroskopischen Eindringling erkannt, setzt die Dose bedächtig auf den Tisch nieder und ergreift mit siegesgewisser Miene das zweiklingige Federmesser. Die Klinge springt auf und wird, wie um ihre Elasticität zu erproben, zwei-, dreimal auf die Tischplatte gedrückt. Dann stöbert das Metall zwei Minuten lang in der gepulverten Nießwurz herum und spießt endlich eine todte Fliege, die nach genauer Inspection unter den Stuhl geworfen wird. Jetzt erst hält sich Trendler für berechtigt, eine Prise zu nehmen; vorher wischt er indeß die Klinge des Messers mit sorglicher Peinlichkeit am Ärmel ab.
Die Dose wird wieder geschlossen und neben das Tintenfaß gestellt.
Trendlers Blick gleitet nun nach dem Fenster. Die Scheiben sind stark beschlagen. Er erachtet es für geboten, das auf der Rampe liegende Tuch zu benutzen. Die Klärung gelingt.
Aber es zieht! Das Fenster scheint heute wieder gar nicht zu schließen. Auch hier muß das Wischtuch abhelfen. Es wird der Länge nach unten vor die Ritze gelegt.
»So!«
Es schlägt drei Viertel.
Trendler wendet sich nunmehr seinen Federn zu. Er dreht sie zehn- bis zwölfmal hin und her und wählt dann eine graue, großfasrige, starkposige Prachtfeder.
Das zweiklingige Messer wird abermals betreffs seiner Elasticität geprobt. Dann beginnt die Procedur des Schneidens.
Zunächst wird der Kiel der Länge nach geschabt. Dann zimmert der blanke Stahl nach streng-architektonischen Gesetzen den Rohbau der Spitze. Diese unvollendete Spitze wird fünfzigmal befühlt und betrachtet und schließlich auf dem Nagel des linken Daumens gespalten.
Ist die Spalte gelungen, so ruht sich Trendler ein wenig aus: denn jetzt fängt erst die eigentliche künstlerische Aufgabe an, und zu jeder vollkommenen Leistung bedarf man der Sammlung.
Neu gekräftigt geht der wackre Scribent an die Krönung des Gebäudes. Hundertmal hält er den Kiel gegen das Licht; hundertmal probirt er mit der Zungenspitze, ob der gewünschte Grad der Vollendung erreicht ist. Er schnitzelt und raspelt und kratzt und glättet, als handle es sich um die Darstellung eines Prototyps, einer »Feder an sich«, wie der Philosoph sagen würde. Die immer fester zusammengekniffenen Augenlider verleihen seinem Antlitz etwas Denkerhaftes! Wüßte ich nicht, daß es der 95 Schreiber meines Onkels ist, den ich da vor mir sehe, so würde ich ihn für einen Professor der Metaphysik halten.
Endlich! Ein breites Lächeln übergießt die Geierphysiognomie wie mit den Fluten eines rosigen Sonnenscheins! Verstünde er Griechisch, er würde »Heureka!« ausrufen! Schwer aber glücklich!
Noch achtmal wiederholt sich diese umständliche Comödie. Dann ordnet Trendler die Geschnittenen nach dem Grundsatze der Anciennität, und legt das Messer neben die Schnupftabaksdose.
Es schlägt halb elf.
Trendler wendet sich nunmehr dem Papier zu. Er sucht und blättert in den unbeschriebenen Folioheften herum, als forsche er nach einer hochwichtigen Stelle im Corpus Juris. Die Wahl scheint ihm Qual zu machen. Er schließt bald das eine Auge, bald das andere, – nach Art raffinirter Kunstfreunde, die ein Gemälde betrachten. Dann kehrt er die Mappe um, als müsse ihm die endgiltige Entscheidung so besser gelingen. Er streichelt die Bogen, wie der Kenner ein Pferd streichelt. Gott weiß, was ihn schließlich veranlaßt, eines der Hefte an die Nase zu führen und es nachdenklich zu beschnüffeln. Nach fünf Minuten ist er mit sich und dem Papier einig … Die Mappe wird schreibgerecht ausgebreitet, die Bogen erhalten ein paar Daumenstriche … Trendler ist Meister in der kunstgemäßen Anwendung dieses natürlichen Falzbeins … So!
Es ist inzwischen empfindlich kalt geworden. Der alte Herr beginnt zu frieren.
»Trendler,« sagt er unwillig, »Sie haben richtig das Feuer ausgemacht! Rufen Sie die Magd!«
»Schön, Herr Justizrath. Therese, Therese!«
Die Dienerin erscheint in der Pforte, und beeilt sich die verglimmenden Kohlen wieder anzufachen.
Trendler schaut ihren Bemühungen andächtig zu.
»Was gaffen Sie da? Ich wette, Sie kommen auch 96 heute nicht mit der vermaledeiten Klage zu Stande. Drei Tage kauen Sie jetzt schon an den paar Bogen.«
»Um Vergebung, Herr Justizrath; ich wollte mich nur überzeugen …«
»Schweigen Sie und setzen Sie sich!«
Die Magd verläßt das Zimmer. Trendler faßt wieder Posto. Er holt das Concept hervor, das er zu copiren gedenkt. Es währt geraume Zeit, bis er enträthselt hat, wo er gestern stehen geblieben. Endlich kommt er auch über diesen Punkt ins Klare … Er bezeichnete die betreffende Stelle durch das daraufgelegte Federmesser, und holt den letzten Bogen der in Arbeit befindlichen Reinschrift aus der Mappe …
Jetzt könnte Herr Trendler mit Gottes Hilfe ans Werk gehen! So spricht der leichtsinnige Leser! Sein ungründliches Gemüth vergißt, daß zur gedeihlichen Handhabung der Feder eine tadellos gebraute und gereinigte Tinte erforderlich ist! Ehe sich Herr Trendler vergewissert hat, daß in dieser Beziehung alles in Ordnung ist, kann die eigentliche Arbeit nicht ihren Anfang nehmen. Ist es nicht etliche Mal vorgekommen, daß des Herrn Justizrath böswilliger Neffe dem armen Herrn Trendler Sand, Oblaten, oder leichten Canaster No. 5 in das Tintenfaß geworfen? Vorsicht ist also nirgends mehr am Platze, als Angesichts dieses mehrfach mißhandelten Tintenfasses. Soll die musterhafte Spitze der »grauen, starkposigen Prachtfeder« gleich beim ersten Einstippen ruinirt werden?
Trendler nimmt sein Rühr- und Probirhölzchen und taucht es hinab in die dunkle Tiefe. Es geht glatt. Von Sand keine Spur, ebensowenig von Tabak oder Oblaten. Trendler läßt die schwarzen Tropfen langsam vom Stäbchen niederträufeln. Die Tinte ist klar. Vielleicht ein bischen zu dicklich …
Er nimmt eine seiner frischgeschnittenen Federn, leckt sie, füllt sie und schreibt zur Probe zwei Zeilen auf den Linienbogen.
»Hm! Ein wenig Wasser könnte nicht schaden!« murmelte er vor sich hin, und erhebt sich, um die Caraffe zu holen.
Vorsichtig gießt er ein. Dann rührt er von neuem mit dem zierlichen Hölzchen, und macht einen zweiten Versuch auf dem Linienbogen.
»Viel zu blaß!« sagte er kopfschüttelnd.
»Was?« fragt mein Onkel.
»Ach, entschuldigen Sie, Herr Justizrath, die Tinte ist zu blaß. Wollten Sie mir nicht gefälligst den Schlüssel zur Tintenflasche geben?«
»Ich weiß nicht, was Sie an der Tinte auszusetzen haben. Der Schlüssel liegt drüben auf dem Büchergestell rechts.«
Trendler geht nach dem Büchergestell und sucht.
Nach zwei Minuten:
»Herr Justizrath, der Schlüssel ist nicht da!«
»Rechts auf dem Brett! Thun Sie die Augen auf!«
Abermals verstreicht eine längere Frist.
»Da liegt ein Schlüssel, Herr Justizrath, aber es will mich bedünken, als wär' das nicht der Schlüssel zum Eckschrank, wo die Tintenflasche steht!«
»Esel!«
»Was meinen Sie, Herr Justizrath?«
»Heilige Kreuzschockmillionendonnerwetter, lassen Sie Ihr ewiges ›Herr Justizrath‹, und beeilen Sie sich!«
»Wenn Sie meinen, das wär' der Schlüssel …«
»Freilich ist er's!«
»Er kam mir nur so vor, als ob der Kamm größer wäre. Er wird's aber wohl sein, Herr Justizrath.«
Er wandert nach dem Eckschrank, öffnet und nimmt mit zögernder Bedächtigkeit die Flasche heraus.
Das Tintenfaß wird vollgeschüttet, die Flasche wieder eingeschlossen, der Schlüssel aufs Bücherbrett gelegt. Abermals arbeitet das Probirhölzchen, abermals stellt die Feder 98 ihr Examen an. Diesmal lautet der Urtheilsspruch des würdigen Scribenten auf genügend.
Er rückt nochmals die Mappe zurecht, berührt alle Gegenstände, die vor ihm ausgebreitet liegen, drei- oder viermal mit der flachen Hand, und taucht dann den Kiel frisch und fröhlich in die dunkle Flut.
Trendler hat nicht bedacht, daß er das Faß bis zum Rande gefüllt. Die Feder, anderthalb Zoll weit mit Tinte getränkt, weint auf das jungfräuliche Papier einen großen, rundlichen Klex.
Trendler ist nicht der Mann, sich durch eine solche Kleinigkeit aus der Fassung bringen zu lassen. Mit philosophischem Gleichmuth ergreift er das Sandfaß, bestreut die Lache mit einer mächtigen Trockenschicht, und hebt so den ganzen Klex bis auf einen grauschwarzen Fleck vom Bogen ab. Dann erfaßt die Rechte das mehrfach genannte Messer, läßt die Radirklinge herausspringen, und beginnt in sanftem Adagio zu schaben. Allgemach wird die Musculatur Trendler's lebhafter. Das Adagio verwandelt sich in ein sehr taktfestes Allegro. Deutlich unterscheiden wir die Melodie des bekannten Volksliedes:
Mein Onkel wird aufmerksam. Prüfend hebt er das kluge, graue Auge. Eine Minute lang steht er dem musikalischen Radirkünstler ruhig zu. Ein Lächeln fliegt über seine sonst so ernsten Züge.
»Trendler,« sagt er mit fast väterlicher Milde, »Sie sind ein Kindskopf! …«
Der Scribent fährt aus seinen Träumen empor.
»Was befehlen der Herr Justizrath?«
»Ich wünsche, daß Sie Ihre Spielereien lassen!«
»Aber, entschuldigen Sie, ich spiele nicht, ich radire. Die Tinte fleckt so.«
Mein Onkel wendet sich kopfschüttelnd zu seinen Akten.
»Es geht nicht länger mit dem Menschen,« murmelt er 99 vor sich hin. »So leid mir der arme Teufel thut, ich muß ihm den Laufpaß geben!«
Dieser Monolog fließt nicht heute zum ersten Mal über die Lippen des alten Herrn. Zehnmal war er bereits entschlossen, Herrn Trendler zu verabschieden, und zehnmal hat die wohlwollende Gutmüthigkeit seines Herzens den Sieg davon getragen.
Trendler hat inzwischen den Bogen glücklich durchradirt. Er läßt sich jedoch auch durch dieses Mißgeschick nicht aus dem Gleichgewicht werfen. Freilich hat er jetzt noch anderthalb Seiten mehr zu copiren, aber das thut nichts. Trendler erhält seine monatliche Gage von vierzig Gulden eben so pünktlich, wenn er hundert Bogen zu Stande bringt, als wenn er deren zwölfe liefert! Er hat ja Zeit!
In diesem Augenblick ertönt Musik von der Straße. Trendler ist, wie oben bemerkt, musikalisch. Schmunzelnd horcht er auf. Leise wiegt er das Haupt nach den Klängen des rauschenden Marsches. Es ist das siebzehnte Jägerregiment, das nach dem Bahnhofe zieht. Die Stadt erwartet irgend eine hoch- oder höchstgestellte Persönlichkeit zum Besuch, ich glaube einen Schwarzburg-Rudolstädtischen Prinzen. Trendler kann es nicht über sich gewinnen, – er muß durch das Fenster blinzeln. Schmucke Gesellen, diese Jäger! Wie die blanken Waffen in der Sonne blitzen! So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage …
Das Regiment ist vorbeimarschirt; die Musik hallt nur noch, wie ein ersterbendes Echo, aus der Ferne. Trendler geht wieder an sein Manuscript.
Gott sei Dank! Der erste Federstrich! Trendler fühlt sichtlich die Bedeutsamkeit dieses Momentes, denn er belohnt sich alsbald durch ein frisches Glas Wasser und eine stoffreiche Prise.
Weiter, weiter! Der Kiel malt langsam die fingerlangen Buchstaben. Zwei Zeilen sind leserlich zu Papier gebracht.
Da klopft es an die Thüre.
Es ist ein Client, ein Bauer aus dem benachbarten Hochlande …
Trendler springt auf, um dem Eintretenden einen Stuhl herbeizuschleppen.
»Bleiben Sie nur bei Ihrer Arbeit!« sagt der alte Herr, indem er den Gruß des Bauern erwidert … »Was bringen Sie?«
Der Client setzt sein Anliegen auseinander. Trendler hört mit gespannter Aufmerksamkeit zu und kaut an der großposigen Prachtfeder.
»Warum schreiben Sie nicht?«
»Ich besann mich nur, ob … ob ›competent‹ mit einem harten oder weichen T geschrieben wird. Es ist nicht recht zu erkennen im Concept.«
»Mit T wird's geschrieben! Und jetzt stören Sie mich nicht! Sie sind unausstehlich, Trendler!«
Der Scribent beugt sich über die Mappe und schreibt etwa eine Seite. Dann legt er plötzlich die Feder über das Tintenfaß und reibt sich heftig die linke Kniekehle. Der Tisch wackelt. Ein Bleistift und ein Lineal fallen zu Boden.
»Was ist denn nun wieder los?« fragt der Justizrath.
»O, bitte sehr,« stammelt der Schreiber, … »ein Privatverhältnis … das Bein war mir nur ein bischen eingeschlafen.«
Nach einigen Minuten scheint der Schläfer erwacht zu sein. Trendler schreibt weiter. Mein Onkel verhandelt mit dem Bauern über den noch unverständlichen Rechtsfall und explicirt ihm eben, daß er vor allen Dingen die und die Beweisstücke beibringen müsse, als Trendler abermals aufspringt, und, das Concept in der Linken, den Zeigefinger der Rechten fest auf einen lateinischen Passus gepreßt, auf den alten Herrn eindringt und mit zwinkernden Äuglein fragt:
»Verzeihen Sie gütigst, Herr Justizrath, wie soll das heißen …? Judex a … a …? «
» A quo ,« ergänzt mein Onkel. »Hundertmal haben Sie das Wort schon geschrieben! …«
Es schlägt halb zwölf. Der Bauer verabschiedet sich. Trendler trinkt ein weiteres Glas Wasser und beendet glücklich die dritte Seite. Dann streicht er sich das Haar aus der Stirn, räuspert sich und beginnt also:
»Nichts für ungut, Herr Justizrath, aber wenn Sie heute ausnahmsweise für den speciellen Fall einmal freundlichst gestatten wollten, ein wenig früher aufzuhören, so hätte ich heute nämlich einmal gerade ausnahmsweise Besuch, indem meiner Schwester Sohn aus Hirzenheim zufällig gestern Abend hier eingetroffen ist und nur bis morgen da bleibt, wegen des Schweinemarktes, und sonst könnt' ich ja auch die Klage da heut' Nachmittag fertig schreiben, wenn Sie freundlichst erlauben.«
»Meinetwegen! Machen Sie, daß Sie fortkommen!«
Trendler zieht die Schreibärmel aus, packt ein, hängt den Kittel an den Nagel und wirft sich in Rock und Paletot.
»Wenn Sie sonst noch was zu befehlen haben, Herr Justizrath,« sagt er, den Hut in der linken Hand, den Stock in der rechten.
»Nein, nein, nein! Lassen Sie mich nur jetzt ungeschoren, ich bin beschäftigt!«
»So wünsch' ich recht guten Appetit, und bedanke mich! Herr Justizrath, auf Wiedersehn!«
Er verschwindet mit devotem Bückling. Nach anderthalb Minuten erscheint er von Neuem.
»Um Vergebung, ich hatte den Schlüssel stecken lassen. Sie wissen ja, Herr Justizrath, – es ist von wegen Ihren werthen Herren Neffen. Nichts für ungut, und somit empfehl' ich mich!«
»Einfältiger Schwätzer, geh' zum Teufel!« brummt der alte Herr im Tone des höchsten Verdrusses. Trendler aber 102 geht zu seiner Schwester Sohn, der ihn im »Adler« beim Bier erwartet.
Seitdem habe ich manchen Trendler bei der Arbeit gesehn, – und stets mußte ich des Schreibers meines guten Onkels gedenken. …
Und dann las ich allerlei fulminante Artikel über die sociale Frage, über das Verbrechen des Capitals und die offenen und geheimen Schäden der modernen Weltordnung.
Meisterhaft! raunte mein Genius … Der Gedanke, die Gesellschaft zu reorganisiren, ist unsterblich, und des Schweißes der Edlen werth. Aber die Edlen versäumen die unerläßlichste Vorarbeit; eine statistisch-philosophische Studie über den Einfluß Trendler's auf die materielle Lage der Arbeiter …
Mein Onkel war ein durchaus liberaler, fortschrittlich gesinnter Mann.
Als Trendler ihn jedoch eines Tages um Lohnerhöhung anging, da warf er ihn vor die Thüre. Stand diese Handlungsweise mit dem Geiste des neunzehnten Jahrhunderts im Widerspruch? Die Leute vom Fach werden antworten!
Ende.
Aus Phil. Reclam's Universal-Bibliothek.
Preis jeder Nummer 20 Pf.
Aldrich , Prudence Palfrey und andere Erzählungen. 1387. 1388.
–, Die Tragödie von Stillwater. 1837. 1838.
Berges, Ph. , Amerikana. Humoristische Skizzen aus dem amerikanischen Leben. 2508. 2698. 2829.
Bret Harte , Californische Erzählungen. Deutsch v. W. Lange. 571. 607. 629. 671. 712. 1069. 1127. 1164. 1204. 1230. Heft 1–5, 6–10 je in einen Band geb. à 1 M. 20 Pf.
–, Gabriel Conroy. Roman. Deutsch von Otto Randolf. 771–775. Geb. 1 M. 50 Pf.
–, Die Geschichte einer Mine. Eine californische Skizze. Deutsch von Passow. 1039. 1040. Geb. 80 Pf.
–, Die beiden Männer von Sandy-Bar. Californisches Sittengemälde in 4 Aufzügen. Deutsch v. W. Lange. 916.
–, Thankful Blossom. Eine Geschichte. Deutsch von Otto Randolf. 870. Geb. 60 Pf.
Denison, M. A. , So'n Mann wie mein Mann. Eine Ehestands-Humoreske. 2141. 2142. Geb. 80 Pf.
Eggleston, Edward , Der Weltuntergang. Eine amerikanische Dorfgeschichte. 2405. 2406.
Habberton, John , Allerhand Leute. Lebensbilder aus dem amerikanischen Westen. Deutsch von Alfred Mürenberg. 1517. 1518. Geb. 80 Pf.
Kürnberger, Ferd. , Der Amerikamüde. Amerikanisches Kulturbild. Zweite Auflage. Mit einer Einleitung von V. K. Schembera. 2611–2615. Geb. 1 M. 50 Pf.
Mark Twain , Ausgewählte Skizzen. Deutsch v. W. Lange. 1019. 1079. 1149. 2072.
Pajeken, Friedrich J. , Aus dem wilden Westen Nordamerikas. Erlebnisse und Skizzen. 2752.
Roe, Edwin, P. , Wie sich Jemand in seine Frau verliebt. Amerikanische Dorfgeschichte. Deutsch v. K. Knortz. 2593.
Ruppius, Otto , Der Pedlar. Roman aus dem amerikanischen Leben. 1141–1143. Geb. 1 M.
–, Das Vermächtniß des Pedlars. Folge des Romans: ›Der Pedlar‹. 1316–1318. Geb. 1 M.
Vacano, E. M. , Humbug. Eine wunderliche Historie. 2321.
–, Komödianten. 2607.
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Aus Philipp Reclam's Universal-Bibliothek.
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Velde, C. F. v. de, Das Liebhaber-Theater. Humoreske aus dem erstem Zehntel des 19. Jahrhunderts. 112.
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Zachariä, Der Renommist. 307.
Zschokke, H., Tantchen Rosmarin. – Das blaue Wunder. Zwei Humoresken. 2096.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert.
Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
Korrekturen:
S. 19: wieder → wider
Wurst
wider
Wurst
S. 20: eine → ein
ohne
ein
Vielfraß zu sein
S. 21: den → dem
bedeutete
dem
Bibliothekar sich zu entfernen.
S. 51: nun → nie
Er wird mir das Mädchen
nie
und nimmer
S. 58: Vorschworenen → Verschworenen
stand er mitten unter den
Verschworenen
S. 62: ihre → Ihre
durch
Ihre
unsaubere Gegenwart
S. 94: nnd → und
betrachtet
und
schließlich auf dem Nagel
S. 96 mißhandelteu → mißhandelten
mehrfach
mißhandelten
Tintenfasses