The Project Gutenberg eBook of Der Satansgedanke

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Title : Der Satansgedanke

Author : Rudolf Hans Bartsch

Release date : September 11, 2015 [eBook #49940]

Language : German

Credits : Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna, Norbert Müller
and the Online Distributed Proofreading Team at
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SATANSGEDANKE ***

  

Rudolf Hans Bartsch

Grenzen der Menschheit

Rudolf Hans Bartsch

Der Satansgedanke

L. Staackmann Verlag. Leipzig

Titelzeichnung von Oswald Weise, Leipzig

Alle Rechte,
besonders das der Übersetzung, vorbehalten

Druck von Günther, Kirstein & Wendler in Leipzig

[S. 5]

Um die Zeit, als die ersten Jünger der Gesellschaft Jesu nach Innsbruck gerufen wurden, um auch dort einer etwas verwilderten Deutschheit, die selten lutherisch bibelfromm, sondern eher heidnisch und ungläubig geworden war, durch ihr, in den ersten Jahrzehnten hinreißendes Beispiel, einen neuen, glühend passionierten Glauben zu erwecken, da lebte im adeligen Damenstift ein altes Fräulein, von dem es hieß, daß es ehedem die schönste Jungfrau in dreien Königreichen gewesen und mit der griechischen Helena verglichen worden war, nach der sie auch hieß.

Sie war die Tochter des Bankmannes und Händlers Manuel Chrysoloras, eines Nachkommen des berühmten Humanisten gleichen Namens.

Dieser Chrysoloras soll ein bis an alle Grenzen gescheiter und kalter Geldmann gewesen sein, der sich übrigens rühmte, das schönste und das widerlichste Menschenkind auf Erden nebeneinander bei sich und zu Diensten zu haben. Und wenn man sich über das letztere, einen schamlosen Knecht, entsetzte, [S. 6] pflegte er lachend zu sagen: „Was wollt ihr? Er ist eben die Materia , ohne allen Umweg menschgeworden. So ist sie, und so sieht sie aus.“

Der war einmal als Troßbube, eine entlaufene Bestie vom Landsknechtsheere, das Rom geplündert hatte, zu ihm gekommen: Klein, krumm, frech, breitmäulig und stark; zu alledem unerhört behende und gewandt, nur zu nichts Gutem. Der trug ihm seine Dienste an. Es wird erzählt, daß ihn der Chrysoloras gefragt: „Was willst du dafür?“

„Eh, Geld,“ hatte der Kerl gegrinst.

„Was hast du bisher getrieben?“

„Ich? Na: Ich hab, als wir Rom eingenommen, einen berühmten Maler erstochen. Weils mich geärgert hat, daß es sowas gibt. Ich hab’ dem Papst selber eine Maulschelle heruntergehauen, die war ungut, sag’ ich euch. Und ich hab’ unsern alten Frundsperg dermaßen geärgert, daß ihn der Schlag darüber gerührt hat, auf der Stelle. Vor niemand hab’ ich Respekt. Bloß vorm Geld. So tät’ ich all’ eure Feinde traktieren, und wärens Papst oder Feldoberst!“

„Das sind ja hübsch weite Grenzen, die deine Natur da erreicht hat,“ soll der Chrysoloras dazu gesagt haben. „Aber wer bürgt mir denn, daß du [S. 7] nicht auch mich erstichst, oder traktierst oder zutode ärgerst?“

„He! Wer soll mich denn dann sicherer und besser bezahlen?“ fragte die krummbeinige Bestie. „Ihr könnt ja auch immer noch einen entlohnen, der mich aus dem Hinterhalt niederschießt. Denn mir von vorn entgegenkommen? Das hat noch jeden gereut. Wenn ich ihm Zeit dazu gelassen,“ schloß er.

„Dann stimmt die Rechnung,“ hatte der Chrysoloras gesagt und den Troßbuben in seine Dienste genommen. Jeder entsetzte sich darob, aber dem ohnemaßen kühlen Geldmenschen gefiel er gut, wennschon er mit ihm zeitlebens nicht hundert Worte geredet hat und sicherlich keines zuviel. Es schien, als lächelte der Chrysoloras, daß er sich das größte Frechheitsexemplar der damaligen Zeit zinsbar und zu Diensten gemacht hätte. Soviel über den Vater der Helena.

Sie selber war, seit man sie kannte, wunderlich; sie weinte viel und man sagte, daß in ihrem Blut die Melancholie erblich wäre. Ein Vetter von ihr, der sie inniglich geliebt, den sie aber freundlich abgewiesen, hatte schon als junger Student die heilige Schrift völlig und ohn’ alle Rücksicht ergründen wollen, hatte sogar bei Juden Unterricht dazu genommen, [S. 8] war darüber schwermütig geworden. Er hätte sich erhenkt, wenn die Base ihn nicht abgeschnitten und ihn nach Salzburg gebracht hätte, wo damals der berühmte Theophrast Paracelsus seinen Wissensdurst wohl stillen konnte und wohin auch mehrmals der Doktor Faustus kam, mit dem dann der Student und Helena gar vertraute Kundschaft hatten. Der Bursch soll davon ein erschreckliches und elendigliches Ende genommen haben und das Fräulein ist dem Trübsinn gänzlich verfallen.

Sie sah sodann, eine Gealterte, keinen Menschen mehr recht an, ging an allen vorbei wie ein Rauch. Nur Kinder liebte sie und holte sich solche immer wieder herzu. Aber das kleine Volk, so viel es auch von dem adligen Stiftsfräulein beschenkt wurde, fürchtete und mied sie. Zuerst wegen der tuschelnden Nachrede mit dem Zauberer Faustus. Dann aber hatten sie Angst, weil das Fräulein ihnen oft ein grusliges Volkslied von einem buckligen Männchen vorsang, das immerzu dastände, wenn und wo ein Menschenkind einmal so recht allein wäre. Hinter der Stiegen, in der Speisekammer, bei der Mehltruhen. Sogar am Bette, wenn man zu Abend beten wollte. Immer stand gleich das bucklig Männlein dabei, —

[S. 9]

— „fängt als’ an, zu beten:
Liebes Kindlein, ach, ich bitt,
Bet’ fürs bucklig Männlein mit.“

Die Helena hat sich dann ganz an die Väter von der Gesellschaft Jesu angeschlossen und soll im Geruch der Heiligkeit gestorben sein.

Das zuvor, ehe von der besagten Helena Chrysoloras und dem Faust näherer Bescheid ergehen soll, der damals nach Salzburg gekommen war, niemand wußte warum. Nur die versoffenen Studenten scherzten, er hätte durch seine Kunst dort des Bischofs halben Keller ausgesogen und mit ihnen verzecht. Mit dem Kellermeister, der sie zu unguter Stund erwischte, wäre er auf eine hohe Tanne am Untersberg geflogen und hätte ihn dort im Wipfel alleingelassen, wie ja auch das alte Volksbuch zu berichten weiß.

Nun aber zum endlichen Bericht.


[S. 10]

Das war am Hoch- und Domstift Salzburg. Mitten aus der erregten Studentenmenge puffte sich ein wunderlicher Junge heraus, so sehr ihn die andern zu halten versuchten. „Laßt mich allein, sag’ ich!“

Als er ging, hörte er gar wohl, daß es hieß: „Armer Querschädel!“ Er zuckte die Schultern. „Bertel, Bertel Stainer?“ rief ihm noch einmal einer nach. Er hörte gar nicht mehr hin; es riß ihn zu mächtig in Einsamkeit und in freie Höhe, und er rannte den steilen Festungsweg zur Bischofsburg hinauf. Droben war er dem Untersberge, dem Tännengebirge gegenüber. Schneeeinsamkeit, gewaltige Verschwiegenheit, unnahbare Höhenweiten. Danach war ihm selber zumut. Er hätte auffliegen mögen, um bloß droben mit den Wolken allein zu sein. Nur nicht mehr unter Menschen!

Ungeheures war ihm nahe.

Doktor Johannes Faustus selber war nach Salzburg gekommen, um den Philippum Paracelsum aufzusuchen, wie es hieß. Und man hatte die beiden [S. 11] schon zusammen gesehen. Da turbulierte es unter dem jungen Blute. Die ganze Studentenschaft versammelte sich; sogar die wenigen frommen und gläubigen Kleriker, welche es damals noch in Salzburg gab, waren mit verschreckten Mienen herzugeeilt. Schon daß der Philipp von Hohenheim, der Aureolus Theophrastus Bombastus Paracelsus, wie er sich prahlend nannte, der gottlose Spötter, fürstbischöflichen Schutzes und reicher Belohnung genoß, machte den christgläubigen Seelen bange. Es war nicht geheuer damals in Salzburg. Der die fürstliche Tiara trug, der erste Kirchengewaltige nach dem Papste, er hatte nicht einmal die Priesterweihe genommen, weigerte sich ihrer auch beharrlich und man konnte ihn, weil er der Bruder des Bayernfürsten war, nicht gut maßregeln.

So sah es für die wenigen stillen Gläubigen damals aus, als begänne nun in Wahrheit das Reich des Antichrist im Schutze des Krummstabes des heiligen Rupprecht.

Paracelsus war verhaßt und gemieden; abergläubisch tuschelte das Volk dem bleichen Männlein mit den schwermütig mißtrauischen Augen nach. Aber er konnte gesund machen und er konnte Gold machen. So ließ man ihn beiläufig in Ruhe. Auch [S. 12] glaubte er noch halberwege an Gott, Doktor Johann Faustus aber bekannte sich offenkundig zur schwarzen Magie, die man dem Paracelso nur insgeheim zutraute. Sogar die ketzerischen Wittenberger Seelenhirten hatten Acht und Aberacht über ihn geschrien. Evangelischer und Katholik hatte ihm abgesagt und nur gottloses oder verbrecherisch neugieriges Gesindel mehr lief dem Unheimlichen nach, der sich dem Teufel lachend übergeben und verschrieben hatte und ihn seinen Schwager nannte.

„Denn des Teufels Schwester ist die sündige Schönheit.“

Sympert Stainer hatte noch das wirre Durcheinanderfragen in den Ohren: „Wie sieht er aus?“ „Was hat er an?“ „Kann er keinem Menschen in die Augen sehn, wie man sagt?“ — „Wehe dem, den er aber ansieht!“

„Wie sieht er aus?“ Stainer hörte noch, daß ein kleiner Kerl plötzlich gemacht hatte: „Pssst!“ Und Alle waren zusammengeschrocken, weil sie glaubten, der Schwarzrote stünde hinter ihnen. Aber der kleine Student sagte ihnen, man dürfe von Faustens Äußerm nicht laut reden: „Das nimmt er euch gewaltig übel. Und sorgt dann nur um eure Häls’!“

„Warum, warum?“

[S. 13]

„Wißt ihr nicht die Geschicht’ aus Schwäbischhall? Wo er ganz unerkannt und verhohlen gelebt, weil ihm die Wittenberger Pfaffen an Leib und Leben gewollt? Kein Mensch hätt’s erraten sollen, daß der beschriene Magus im Städtel wär! Wie aber die dortigen Salzknappen, ein hohnvoll und übermütig Volk, das keine Seel in Ruh ihrer Weg ziehen läßt, ihm wegen seiner kleinen und höckrigen Gestalt nachgespottet haben, „Äsop, Äsop,“ da hat er ihnen aus dem Flußwasser einen Feuerteufel herauszitieret; — auf grauslichste Weis’ hat er’s getan! Hat in seiner Wut die Hosen heruntergerissen — —“

„Still,“ rief ein Anderer. Aber es war diesmal nur Theophrast Paracelsus, der an der Hochschule vorüber nach der Residenz ging, wo er zu einer alchymistischen Sitzung befohlen war. Die Studenten verhielten sich sehr, solange der kleine, blasse Mann in Hörweite war. Er warf aus seinen sonst unsagbar traurigen und vorwurfsvollen Augen nur einen mürrischen Blick nach der Seite hin, wo das Rudel aufgeregter junger Leute zusammenstand; den Kopf hielt er aber geradaus und ziemlich geneigt. Aber mit den Augen sah er nach der Seite hin; — mahnend? Oder prüfend? Ein Blick, ahnungsvoll [S. 14] klug wie der eines Kindes, oder eines Tieres, und ebenso geängstet, ging allen durchs Innerste.

Als Paracelsus vorüber war, ging das Tuscheln von neuem an:

„Der Doktor Faustus hat beinah dieselben Augen: Ebenso traurig, aber dazu eher grimmig und bedrohlich.“

„Wer ihn reizt, dem ergehts auch schlecht,“ sagte der kleine Student von ehedem wieder.

„Was haben die Salzsieder in Hall denn gesagt?“

„‚Wer ist das elend klein huckrig Männdl?‘ haben sie bloß gefragt.“

„Hat ihn wer hier gesehen? Ist er höckerig?“

„Ja,“ sagte der, welcher vorhin so bedenksam über die Augen des Magus gesprochen hatte. „Er geht in Schwarz und Rot, ist nach spanischer Art gekleidet, hat ein klein’ Barettl, einen kurzen, graugemischelten Bart, der dicht ums ganze Gesicht geht, so daß man die gepreßten Lippen kaum sehen mag. Nur eben die Augen kannst ansehen: Traurig, mißtrauisch und zornig schaut er her.“

„Ist es wahr, daß er keinen Menschen mag ansehen?“

„No, mich hat er so von der Seiten her ganz kurz abtaxiert. Ist mir heiß und kalt davon worden. [S. 15] Er ist nicht größer als der Paracelsus und hat wirklich ein bissel so einen hohen Rücken; geht also hucket neben dem Paracelso her. Ich hinten nach. Sind aber allbeide recht einsilbig.“

„Aber geredt haben sie doch?“ war Sympert Stainer aufgefahren.

„Ja, aber nur zwei Wörtl.“

„Was, was haben die zwei gesagt?“ drängte Stainer.

„Der Faust hat gesagt: ‚Alls, was man entdeckt, macht nur trauriger. Ein einziges Trachten bleibt schön: Der großen Kraft nachgehn.‘“

‚Die sein wir ja selber‘, hat der Paracelsus gesagt.

‚Die ‚ist‘ auchs liebe Vieh‘, hat der Faust repliziert. ‚Vom Sein hab’ ich nichts. Anfassen muß ichs können. Verstehen. Gebrauchen.‘“

„Und der Paracelsus?“

„Hat geschwiegen.“

Von da ab hatte Bertel Stainer nur mehr Klatsch, Wundergeschichten, Derbheiten und Aberglauben über den Faust gehört und war endlich weggerannt, um nur wieder zu seinem machtvoll aufbegehrenden Herzen zurückzukommen.

Jetzt war er allein mit diesem klammgepreßten Herzen, das ihn zwang, immerzu nach Atem zu [S. 16] ringen. Er stand, holte Luft, aber es war zu wenig. Aufstöhnend wankte er weiter, gegen die Bürgerwehr zu. Er sah die hohen Schneeberge jammervoll an, dachte an die dünne und reine Luft dort oben und daß er dort leichter atmen würde können und faßte wieder nach seinen tobenden Herzen, wie ein Erstickender.

„Der allein auf Erden ist es, dem ich folgen muß, wohin er mich auch führen mag. Sei es in den Himmel oder in die Hölle!“

Er blieb stehen und rang nach Luft. „Mein Vater ist verketzert worden. Mein Bruder glaubt an nichts auf dieser Erden, geht ins Italienische und sagt: ‚Musik ist noch das best’ und einzig Ding; — das macht fliegen! Nur der Musikant kann sagen, wes Gemütes Gott und der Teufel sein mögen.‘“

Etwas ruhiger und nachdenklicher setzte Stainer seinen Weg fort: „Und ich? Bei den Rabbis hab’ ich Christus und den Glauben an irgend eine Jungfrau verloren, mag sie heilig oder irdisch sein. Unsere Professores, von denen ich mir aller Geheimnis Essenz erwartet hab’, die sind arme Esel. Sogar ich dummer Kerl ahn’ doch, was die nimmer wissen können! — Der Paracelsus? Er steckt zuviel in der [S. 17] Chemie, als daß man von ihm erfahren könnt, was dies wär, dies erschröcklich, grausam und süß Geheimnis Leben!

Woher das kommen sein mag und warum wir nie davon genug haben mögen? Warum wir’s ewig genießen wollen, so viel Martern es hat? Und warum wir wieder wegmüssen, nachdem wir graue Bärt’ und kahle Köpf’ und faltige Häls’ erleiden mußten? Ein Schand und Spott, wenn das, von Gottes Ebenbild, wahr wär’! Fauste! Fauste!“ — — Und er wiederholte sinnend: „Alls, was man entdeckt, macht nur trauriger. Ein einzigs Trachten bleibt schön; der großen Kraft nachgehen!“

Der kränkelnde Student hob beide Arme: „Da allein glüht die große Schatzkohlen! Da allein glost das Feuer, an dem ich mich wärmen kunnt!“

Er stöhnte noch einmal auf, als wäre er auf den Tod verwundet. Mit einem namenlos hilfsbedürftigen Blick sah er die Berge an, den hellen Himmel, über den leichtsinnig die kleinen Wolken hinzierten; nirgend war Antwort! — — „Ich geh’ zum Fausto.“


[S. 18]

In der Bibliothek des Fürstbischofs hatte Faust, wie überall, alle Bücher durchwühlt. Je älter das Geschrift war, desto gieriger suchte er in ihm und immer wieder warf er weg, was ihm unter den Händen einen Augenblick gezuckt hatte. „Nichts. Nichts.“ Faustens Augen brannten schwermütig und drohend. „Steh’ denn am Ende aller Weisheit dieser Erden ich?! Das wär doch, um sie ins Feuer zu schmeißen, wie Mist!“

Einen Augenblick hielt er aber inne, — als er in den Visionen des Ezechiel blätterte. Da war eine Randnote in veralteter Schrift beigesetzt, die sagte: „Es gibt ein ding, geschaffen von gotte, ist die Ursach alls Wunderbarn, so im Himmel oder auf Erden sein mag, als da wär Tier, Stein und Kraut. Und ist selbigs kein ander ding, als unser seel auch. Du findsts allerort, wenige kennens und keiner gibt ihm den rechten namen. Ist auch vermummt unter zallos rätsel und gestaltung. Aber ohn das künnen weder alchemie noch magia zu einem rat und ziel kummen.“

[S. 19]

Faust nickte wissend. Dann las er im Ezechiel die Stelle, die zu jener verschollenen Anmerkung geführt hatte:

„Dieselbige Substanz, welliche der Grund aller Wurzel ist, gehört zum Ort, den man nennet Schamaim (heißet die Himmel). Ist ein Mysterium, all jenen kundt, die von diesem himmlischen Stoffe wissen und von dem jegliche Gattung alle Kraft und Frischheit ihres Wesens erhält. Von dorther auch kommt die Influenz, welche reicht bis auf den Ort, welcher genennet wird Sheakin, oder die Aetherregion.“

„Das ist es; ja, das ist es,“ sagte Faust. „Und weiter kam bisher niemand. Nützen kann mans. Anfassen und ergründen nicht.“

Er warf den Band zu dem Übrigen und griff nach einer Pergamentrolle mit bunten Initialen. „Lieder?“ sagte er bitter lächelnd. Aber er warf aus Langeweile, oder aus Zeitvertreib, einen Blick hinein. Und dann las er:

„owê, war sint verswunden
alliu mîniu jâr!
ist mir mîn Leben getroumet,
oder ist ez wâr?“

[S. 20]

Da ließ Faust die Rolle sinken und ließ auch das Haupt noch mehr zwischen die armselig hohen Schultern sinken, als eh.

„O weh, wohin sind schwunden alle meine Jahr!“

Wo war dies Leben hin und was war es gewesen! Viel Betrug und lautes Prahlen, Zechgelage, wüste Nächte mit allsatten Weibern, welche die Neugierde gereizt hatte, wie der Zauberer schmecken mochte. Oder rücksichtslose Besitznahme von kleinen Mädchen, welche seine Kunst und die Macht seiner Augen gelähmt hatte und die nun, zu früh erschauernd und ohne Liebe, duldeten, was sie sonst, später, aber inniglich, dem Einzigen ihres Lebens hingegeben hätten. Immer hatte er von der Furcht der Menschen gelebt oder von ihrer Dummheit und hatte töricht, toll und prasserisch gegen seine eigenen Kräfte gelebt! Jene wunderbare Kraft, die insonderheitlich aus den Augen strahlt, jene Kraft „von der jegliche Gattung alle Frische ihres Wesens erhält,“ er hatte sie ausgestreut und um sich geworfen wie Häckerling, jahraus, jahrein. Und nun brannte sie nicht mehr in so durchnervender Glut aus seinen erlöschenden Augen wie ehedem. Er hatte sich ihrer bedient, wie eine böse Schlange; also bestialisch.

[S. 21]

Gaukeleien, Schabernacke, kleine Betrügereien, ob deren er von Land zu Land ausgewiesen wurde. Überall zwar groß Gered, aber auch das übelste Zeugnis hinter sich, Furcht, Haß und Abscheu aller Menschen. Dazu die gelähmt gaffende und zitternde Neugier der kindlich Gebliebenen, denen er gewaltiges Aufsehen erregte. Das war sein Anteil auf Erden und darüber war er nun alt geworden.

Gelten wollen! Das war das verzehrende Feuer seiner Kinderjahre gewesen, wenn Andere, Starke, ihn wie ein Bündel in die Ecke geschmissen! Gelten, erstrahlen wollen, trotz seinem Höcker! Wie dieser Wunsch zehrte und brannte: So sehr, daß er sich selber immer wieder großmäulig zu rühmen begann, wenns andere nicht tun wollten!

Später, als die glühende Sinnlichkeit der Jünglingsjahre zu seiner verzehrenden Großmannssucht noch hinzu kam, war es noch viel ärger geworden. Jeder schöne Kerl nahm ihm ja lachend das Mädchen fort, das er, mit brennenden Augen und fressenden Träumen, monatelang erbetet und erlechzt hatte. Was für Madonnengesichtlein wußte er sündig und doch schienen sie allen andern rein, wie ein heller Tag! Er aber war hinterher geschlichen und hatte horchen und zusehen dürfen. — Zudem hatte [S. 22] sich sein Mißtrauen mit seinem Spürsinn geschärft und bald glaubte er überhaupt keine Reinheit mehr, — auch wo sie war. Haß und Verachtung dem Weibe, glühender Neid dem Manne, das war der Inhalt seiner Jünglingsjahre. Nur wenn er anführen, verleiten, in Abgrund reißen konnte, dann quoll ihm hoch das verwilderte Herz! Je lästerlicher seine Zunge wurde, je schärfer sein Witz, je unfehlbarer sein rachsüchtiges Wort, desto mehr Gefolgschaft fand er unter denen, welchen dies Leben, wie ihm, zu karg zugemessen erschien. Ja, solche Bestien hatten oft mehr Freude an seiner Bosheit, als er und wenn ihm ob einem grauenhaft ersonnenen Schabernack selber das Blut in den Adern zu Eis werden wollte oder seine Haare sich wegen der eigenen Bosheit sträubten, sie johlten und juchten wie freigelassene Sklaven dazu. Unbändig war ihr Vergnügen.

Daß ihm manchmal so das Herz zuckte vor Mitleid, vor Reue oder vor Scham, das waren noch seine besten Stunden gewesen.

Dann endlich kam der große Ruf über ihn. Wilde Studenten, die, wie er, bald von Wittenberg nach dem katholischen Ingelstadt renegierten, dort ebenfalls hinausgeworfen worden waren und nun [S. 23] nach Heidelberg oder Straßburg oder Innsbruck, nach Wien, Krakau, Graz und Prag ausschwärmten, berühmten sich überall seiner Zechgenossenschaft. „Und sie hatten Tod und Teufel nicht gefürchtet.“ Und in Prag hatte der Leibhaftige einmal unter Faustens Präsidium ein Fiduzit auf Alexander Borgias Tod getrunken, seines Freunds, des Papstes! „Gottverdammich, wenns nicht wahr sei!“

So, ja so war sein Ruhm angegangen in deutschen Landen, und was bisher sein Elend gewesen und seine glühende Kohle im Herzen, daß er nicht groß und wohlgestaltet war, eben das wurde nun seine Tugend: Faustus konnte nicht anders mehr aussehen; durfte nicht! Das Volk kannte ihn so, fürchtete sich vor dieser Gestalt und liebte insgeheim das berühmte „bucklig Männlein“, das sich dem „andern Fürsten dieses Weltalls“ verschrieben hatte!

Doktor Johann Faustus (der in Wittenberg sich, dem Kurfürsten zuliebe Johann Georg genennet) hatte jetzt die wilde Freude, daß er zu genießen anfangen durfte in einem Alter, da sich die Weiber andern Männern gegenüber zu versagen beginnen. Als die Zahl Vierzig sich, mit den ersten grauen Fäden, um seine Schläfen schrieb, da erst begannen die Frauen unter dem wilden und ausgefasteten [S. 24] Blick seiner Augen zu erröten oder angstgeschüttelt zu erbleichen, und wußten, sie wären verloren sobald er forderte.

Auch nannte seit diesen Tagen niemand mehr seinen etwas hohen Rücken und seine gehobenen Schultern einen Höcker, wie ehedem die boshaft übertreibenden Salzknappen in Schwäbischhall. Es schien allen Menschen, als könnte ein Mann bei solcher Last des Erkennens, bei solcher Schwere des Gewissens und bei der ungeheuren Schwermut, am Ziele alles Menschendenkens zu sein, gar nicht anders aussehen, als etwas gebeugt und beschwerlich. Das Volk sah nur mehr seine grauen Augen und die waren wie ein Element. So erstaunlich: Sie konnten wie der Himmel leuchten, sie konnten wie das Meer wechseln, schillern, erlöschen oder drohen. Sie waren oft so demütigend ironisch, daß es dem Angeschauten durch Mark und Bein ging. Sie waren oft so todtraurig, daß den Frauen die Tränen kamen. Und niemand wagte sich mehr in seine majestätisch gewordene Nähe, außer er redete ihn selber an.

Jetzt prahlte er nicht mehr. Es lag ihm, den früher die Nichtbeachtung beinahe zerrissen hatte, nichts mehr an der Menschen Meinung. Das war [S. 25] vorüber. Seltsam, daß ihn jemals das luftige Gebilde, welches in eines vergänglichen Wesens Kopf über ihn entstand, mehr aufwühlen konnte, als das, was in irgend einem Kohltopf als Sud brodelt! War nicht sogar der Kohltopf wichtiger, dauernder, notwendiger, als beinahe jedes Menschen Gehirn mit der ewig bestochenen, ewig veränderlichen, ewig betrogenen Meinung darin?

Und je gleichgültiger Johannes Faust über der Menschen Achtung geworden war, desto eifriger richteten sie, dichteten sie, verwunderten sie sich. Über ihn, von ihm, von dem das ganze Reich fabelte.

Längst galt er in Wittenberg als der lebendige Antichrist. Als Gegenbild des frommen, gottestapfern Luther. Luther: fleißig, einfältig und gewährend wie Gott, Faust lässig, gescheit und absagend wie Satan. Das waren die beiden seelischen Enden Deutschlands.

Aber des war Johannes Faustus nicht zufrieden. Hätte er stehen bleiben können auf dem Jetzt seiner fünfzig Jahre, er hätte dem Teufel unbedenklich die selben Vasallendienste verbrieft, die er ihm, ungefordert, ohnedies tat! Aber er glaubte an keinen Teufel, und die einzige Macht, die er fürchtete und inbrünstig haßte, das war die Zeit. Noch brannten [S. 26] seine Sinne, und je weiter er auf Erden umhergekommen war, desto mehr erkannte er, daß er immer ergriffener zu wissen begönne, was Schönheit sei.

Er suchte keine Weisheit mehr. Nur Schönheit begehrte er noch.

Er war durch Italien gekommen und hatte die antiken Bildsäulen gesehen und Giorgiones und Tizians entblößte, goldklare Frauen. Jetzt erst war er dahin gekommen, mit allen fünf Sinnen zugleich Liebe zu ergründen! Und jetzt rannte die Zeit vor ihm davon, wie sonst die kleinen Kinder.

„Weh, wohin sind schwunden alle meine Jahr!“

„Und was hab’ ich aus diesen Jahren gemacht? Zu allem Heil Gottes: was hab’ ich aus ihnen gemacht!“

Irgendein gestörtes Fühlen weckte den Doktor aus seinen aufjammernden Gedanken, — er fuhr herum. Die Türe hinter ihm ging zögernd auf, dann stand, leichenblaß vor Erregung, Bertel Stainer, der Student, in der Türe. Er war entsetzt, daß der unheimliche Doktor, so mäuschenleise er die Pforte zur Bibliothek geöffnet hatte, seine grauen Augen geradezu nach ihr hinbohrte, ehe sie aufgegangen sein konnte und er blieb stehen wie ein Kind, dem übel wird.

[S. 27]

„Ich hab’ Euch gefühlt,“ sagte Faust. „Kommt immer heran. Was wollt Ihr?“

Der Ton seiner Stimme war ruhig und traurig; beinahe gerührt. Da gewann der Student einen mächtigen Mut, stürzte zu Fausto hin und wollte sich auf die Knie werfen: Der Doktor wehrte es ab.

„Doktor, Doktor Johannes Fauste,“ rief er dem Manne, der eben selber so hilflos mit dem Leben abgerechnet hatte, zu: „Ihr allein auf der ganzen weiten Erden könnt mir helfen und mich glücklich machen!“


[S. 28]

Es weilte damals auch das absonderlich schöne Mädchen in Salzburg, welches eine weitschichtige Base zu Bertel Stainern war. Sie hieß Helena und war des griechischen Kaufmannes Tochter, der alle Lieferungen für die Innsbrucker Hofhaltung des seligen Kaisers Max besorgt hatte und jetzt, als ein reicher Mann, für Karl den Fünften und den römischen König Ferdinand Geldgeschäfte trug. Zu der war an jenem Tag, sehr geistesabwesend, der junge Stainer gekommen und frug nach dem Vater. Dann, als Helena dem Vetter gesagt hatte, daß der zum römischen Könige gefahren wäre, ließ er sich niedersinken.

„Ich wollte auch gar nicht nach dem Oheim fragen.“

„Was führt dich also her, Vetter?“ sagte das Mädchen beunruhigt.

„Ich war beim Doktor Faust.“

„Beim Zauberer?“ fragte das Mädchen erschrocken.

„Ja.“

[S. 29]

„Gott und die heilige Jungfrau behüte dich!“

„Dieser beiden bedarf ich nicht mehr.“

„Bertel, Bertel, was sagst du da!?“

„So! Sagt ich was?“

„Was ist geschehen mit dir?“

„Ich weiß nicht mehr. Mir ist, als wär ich aus einer Ohnmacht aufgewacht und hätte mich nun nur so hergeschleppt.“

„Hat er dir was getan? Hat er dir was angezaubert?“

„Ich weiß nichts mehr; nichts. Alles ist vergessen, bis auf den Augenblick, daß ich eintrat. Er hatte seine tiefen, grauen Augen in die Türe gebohrt und sagte: ‚Ich weiß, daß du kommst.‘ — Ich, zu seinen Knien hin: ‚Fauste hilf mir, du allein kannst es!‘ Und von da ab weiß ich nicht ein Ding auf Erden mehr, als daß ich jetzt hier bin.“

„Du mußt ihm nie wieder begegnen, du! Wer weiß, was er mit dir gemacht hat! Du darfst ihm nie wieder begegnen!“

„Helena, lieber begegne ich in Ewigkeit dem Erlöser Herrn Jesu Christo nicht mehr, als daß ich vom Faust lasse!“

„Gott segne dich und mich; aber dann muß ich zu meinem Beichtvater und durch ihn Gott anrufen, [S. 30] für dich und gegen ihn. Und zum Erzbischof will ich den Faust verklagen gehen; Vetter!“

„Der Erzbischof ist derselben Sucht und Sach verfallen, wie Faust und Paracelsus, laß das nur. Es ist gut, wenn du fromm bist und sollst ungestört dabei verbleiben. Und es ist gut, wenn ich dem Faust nachgeh’, und du sollst mich lassen, wie ich immer auch gehen mag. Ah, Helena, dieses Schauen! Bis in den Grund der Seelen schaut er! Und so traurig schaut er, wie der Engel Luzifer, da er sich von Gott lossagen gemußt; weil er nit anders gekunnt. — Wie ich!“

Dem schönen Mädchen erzuckte leise das Herz. „Traurig?“ sagte sie. „Ich hab viel tolle und übermütige Ding erhört von ihm; aber von seiner Trauer redst erst du.“

„Ich kann nichts, als an ihn denken.“

„So erzähl mir von ihm. Man hört so viel üble Sachen. Es tät mir wohl, besser über ihn denken zu können.“

„O, das war früher,“ rief der Student eifrig. „Da hat ers gar schlimm getrieben und viel Ärgernis und Feindschaft angestiftet. Aber nun ist er still und weich worden; berühmt sich auch gar nicht mehr seiner Künste. Dafür geht sein Lob aus der geachtetsten [S. 31] Leute Mund umher! Der Philipp von Hutten nennt ihn einen Gesandten höherer Mächte, einen tiefstudierten Weisen! Der große Schulmann Camerarius sagt: ‚Was redet ihr über den Fausto? Geh einer hin und suche er aller Weisheit Spuren und Gründ’ so feuriglich nach, wie der Faust, so will ich nur mehr unbedeckten Haupts vor ihm stahn!‘ Das sind Zeugniss’ unserer ersten Männer, Helena; und sind die frischesten und letzten. Alles andere ist alte Feindschaft und altes Gered’!“

„Wie sieht er aus?“ fragte Helena. Und dieselbe Frage, die dem Stainer an seinen Kommilitonen klein und nichtig erschienen war, gewann jetzt ein blühendes Leben für ihn. Er malte das vergrämte, tiefverstudierte Wesen des seltenen Mannes; seine ewig anders schauenden, elementar launenhaften Augen, die Bürde seiner Schultern, das düstere Schwarz und Rot seiner Kleidung, und wie die Halskrause den gramvoll nachdenklichen Kopf über alldem wie vereinzelt, abgetrennt, ja enthauptet erscheinen ließe. „Man sieht zuletzt nur mehr dies Haupt auf weißer Schüssel liegen und allein für sich leben: dies Denkerhaupt, das der Weisheiten letzte Grenzen überstiegen und Gott selber zu durchschauen sich vermessen hat.“

[S. 32]

Das schöne Mädchen saß unbeweglich im Erker. Das südliche Blut ihres Vater machte ihre Wangen niemals röter werden, als es der braune Elfenbeinton ihrer Haut zuließ. Nur ihre Haare ringelten und rollten sich wie deutsches Märchengold über der Blässe ferner, wärmerer Zonen. Ihre braunen Augen schauten ins Weite. Seltsame Mär! Daß das alles wirklich war? Daß es solch einen Menschen gab, der entweder der erste und höchste unter den Sterblichen, oder ihr verworfenster war! Und wer wollte sagen, ob dies, ob jenes! Man wußte nur, eines der beiden Enden der Menschheit war er!


Aber das war es, was Doktor Johann Faustus zu dem verzauberten Studenten gesagt hatte, soeben; — und ihm dann Vergessenheit aufgelegt:

„Du bist mit Wissen und Willen, ja aus gar großer Sehnsucht zu Einem gekommen, der schon mehr in der Sag und Phantasei der Menschen lebet, denn daß er selber wäre. Ist dir nicht, als wär das ein Traum?

„Du bist durch eine Magie, die dir selber unerklärbar ist, hingezogen zu einem, der sich, hellwissend, dem Zerstörer dieser Gotteserden verschrieben [S. 33] hat und begehrst Anteil am Reich des Versinkens. Dir ist selber so, daß dem nicht in Wahrheit so wäre; — sondern all das ist ein Traum.

„Es war einmal eine mächtig große Insel im Ozean, der heute noch ihren Namen trägt; hieß Atlantis. Ein Prophet war dort, hieß Gatamura. Der erkannte zu Recht, daß dort Land und Leut am längsten gelebt haben sollten und ließ Wasser ein in einen feuerspeiend’ Berg, so nach unten barst. Und das ganze Land versank mit Mann und Maus in einer einzigen Nacht. Ich aber, mit jedem Morgen, den ich erwach, sag: ‚Hilf mir zu dir und deiner Weisheit, Gatamura! Auf daß ich alles Land, drauf Menschen leben, versenk’ in Feuer und Wasser.‘ — Zu diesem bist du gekommen. Faustus heiß ich mich und das bedeutet: der Glückliche. Und bist zu einem Glücklichen gekommen, der Tag und Nacht nichts anderes sinnt, als wie er untergehen könnt zusammen mit dem erbärmlichen Gezücht, das ein Gott angeblasen haben soll, ist aber jämmerlicher als jede Katzenart und vertilgenswert wie Geschmeiß und Ungeziefer, anders steht die Sach nit. Das alles ist wunderlich und ist ein banger Traum; nit?“

Immerzu sah Johannes Faustus dem Studentlein in die Augen, welche zusehends größer wurden [S. 34] und zuletzt ins Endlose zu schauen begannen. Und bei diesem letzten, ermunternden Worte: „Nit?“ sagte der Student mit ferner Stimme: „Ja.“

„Willst du weiterträumen?“

„Ja.“

„Dann hör’ und tu’s in den Grund deiner Seelen. Es gibt nur zwei Arten von Mensch. Die einen wollen aus sich fort und weiter, wie sie’s nennen. Die andern wollen zu sich selber. Jeden magst du prüfen, immer ist er nur das eine oder das andere. Die zu sich selber wollen, die kriegen nur Töchter oder Söhn’, so des Lebens ganz unkräftig sein; aber in ihnen selbsten wohnt eine unersättliche Gier, zu leben. All ihre Vorfahren, Edelleut, Geldraffer, Bauern, Soldaten, Taglöhner und Bettler, die wollen noch einmal zusammengeballt in diesem einen Menschlein auflodern, wie eine goldene Flamm und alles auf eine Karten setzen, alls auf einen Zug austrinken, und wenns ein arm bucklet Männlein wär, das sie sich ausersehen haben für ihr angesammeltes Begehr! Du bist so einer, ein Letzter; und mit dir wird die Pflanzen deines Geschlechts abdörren, gleich wie sie mit dem heiligen Franz abgedörrt ist oder hinter dem Aufblühen der hundertjährigen Aloepflanzen. Ist all eines und Heiliger [S. 35] und Wüstling sind nur zwei Strophen im Madrigal, das den Kehrreim hat: ‚Verbrennen will ich vor Gier nach Ewigkeit!‘“

„Ich halt dich nit, Sympert Stainer; du selber mußt dich an mich halten, als wie wenn du gar nit anders kunntest. Ich halt dich nit; ich warn dich und vermahn dich ganz ernsthaftiglich! Wer bisher mit mir hat gehn wollen, der ist immer noch vorzeitig abgefallen vom ganz großen Weg des Vernichtungsengels und hat sich selber einen jämmerlichen, unreifen Schluß gemacht. Ich leb’ immer noch, obwohl mich alle weghaben wollen. In Kreuznach hat mich der Sickingen schon hinausgeschmissen, da war ich noch ein junger Lecker; hab mich zum Lehrer bestellen lassen und meinen Buben gesagt: ‚Es ist nichts mit Welt und Gott und Menschen; werdet die Letzten eures Blutes.‘ Da sein die einen ihren Eltern aufsässig worden, die andern zu den Soldaten geloffen, die dritten zur Bierbank. Das war meine Frucht und Schul: Keiner hats ausgehalten; waren alle doch nur Menschen, die anderswohin dirigiert waren, als zu sich selber hin.

„Ich hab’s damals noch nit verstehen mögen; hab’ gemeint, alle wären wie ich selber und kennten kein ander Begehr, als tief in ihr eigen Blut versinken! [S. 36] Dann aber hat sich mein zweiter Famulus erhenket, wie Judas, nachdem er den Wittenberger Pfaffen verraten, was ich ihn gelehret. Lange Zeit hab ich keinen Famulum mehr haben mögen und hab einen schwarzen Hund mit meiner Kunst Seel und allerlei Geheimnis eingeblasen, so daß die Leut vermeinten, es wär ein höllischer Diener. Den Hund hab’ ich verkaufen müssen; — bin ja mein Lebtag ein armer Schlucker gewest. Hieß Prästigiar, der Hund und ein Abte zu Halberstadt hat mir ihn abgeschwätzt. Der war mein allergetreuester Famulus. Sodann kam der Christoph Wagner, der annoch zu Wittenberg sitzt und meine alchymistischen Proben instand hält und nacharbeitet. Der hat sich verhurt und versoffen. Und so sind alle Menschen, die mir anhingen immer bloß die jämmerlichen, die ganz kleinen und geringen Abweg’ des Teufels gegangen und ihrer keiner den großen und stolzen Weg bis zum Krieg gegen Gott. Das sollst du wissen und innerlich darüber nachträumen, damit du dich fürchtest und nimmer zu mir kommst, wenn dein Begehren halb wär. Dreimal müßtest du selber so zu mir kommen, ehe denn ich dich annähme. Dann aber will ich es aufrichtig mit dir halten und gemeinsame Arbeit tun mit dir, dir auch die Augen öffnen für die letzten Tiefen, vor [S. 37] denen Faustus und Infaustus gleich sind. Jetzt aber erhol dich langsam deines Traumes und in währenden Gehen von hier erwach du immer mehr und geh zu dem liebsten Wesen, das du sonst auf Erden magst haben und schütt ihr dein Herze aus. Von mir hast du alles vergessen außer meiner großen Schwermut; daß Gott diese Erden so jammervoll mißgeschaffen hat am sechsten Tag. Das sollst du behalten und nichts anderes für heut. Geh, mein Sohn.“

So und nicht anders hatte der Gewaltige die Phantasien des jungen Menschen vorzubereiten begonnen, dessen angstvoll bittende Kinderaugen ihm wohlgefallen hatten, wie seit Jahren keine andern. Denn wenn Faust auch das Menschengezüchte im ganzen haßte und nichts anderes sann, als wie er dem Gott diese mißratene Art wieder abschneiden und gänzlich zunichte machen könnte, so ließ sich doch sein Wesen immer wieder, einzelweise, zu ein wenig Liebe und Herzlichkeit heraus, wie er denn auch stets der beste Herzbruder und Zechgesell seiner Freunde war und niemals einem untreu. Sondern er tat mit herzlichster Gutmütigkeit jedem, was er ihm nur an den Augen absehen konnte und hat wohl niemandem, den er lieb gewonnen, jemals eine Bitte abgeschlagen. Daher er auch niemals zu sonderlichem Vermögen [S. 38] gelangt war, ein paar kostbare Geschenke von fürstlichen Kleinodien abgerechnet, die er irgendwo bei einer alten Muhme im Breisgau verwahrte, damit er sie nicht auch wegschenke, bäte ihn jemand darum.

Als aber der gebannte Junge weggegangen war, wie ein ganz Versponnener und Faust ihm mitleidig nachgeblickt, fielen seine Augen, die ermüdet waren von dem vielen Ausströmen der Willens- und Lebenskräfte, wieder auf das alte Bußlied: „Owê, war sint verswunden —“

Und mit einem schweren Seufzer sank der alternde Mann in den verbräunten Lederstuhl und grübelte: „Ein End’, nur endlich ein End’ für mich und alle, die da seit Äonen gefoppt und gequält durch den kurzen Sonnenschein kriechen müssen und stets ganz andere Äonen lang weiter den Löscheimer zum Sehnsuchtsbrande von Hand zu Hand reichen werden müssen, bis die Erde kalt geworden ist wie eine Geliebte, die uns verachten gelernt. Und stumpfe, gekrümmte Tiere werden sogar dann noch eine Weile frierend beieinander hocken, gleich mir, der jetzt schon für alle gebeugt ist und für alle fröstelt!“

Das war eine Lebensstunde des alternden Doktors Faust gewesen.


[S. 39]

Aber sein Leben bestand nicht mehr wie ehedem aus Tollheiten, Zechgelagen, Gaukeleien und Schabernack. Immer mehr trieb ihn das Bewußtsein des Wegsickerns seiner Tage zur Tat, zu seiner alleinigen Tat, für die niemand außer ihm prädestiniert war, vielleicht seit Anbeginn der Schöpfung, — außer dem zornigen Priester und Magier Gatamura, den ihm einstmals, in entrücktem Zustande, sein zweites Gesicht vorgewafelt hatte und an dessen schauerliche Tat er voll geheimer Hinneigung glaubte.

Darum war er nach Salzburg gekommen.

Es lebten hier zwei Menschen, deren er zu einem Plane bedurfte, welcher immer magischer in ihm Gewalt gewann. Paracelsus war der eine; der andere aber war der Fürstbischof selber, gelehrter Mineralog und aller geheimen Gänge und Schichtungen des Gesteines im bayrischen, salzburgischen und tirolischen Hochgebirge kundig. Faust brauchte den großen Alchemisten und er mußte die Kenntniss’ über alle Bergadern besitzen, ehe er groß werden und aufflammen ließ, was als geheimes Feuerlein in ihm glühte.

Es war die Stunde, zu welcher Paracelsus in die bischöfliche Bibliothek kommen sollte, um ungestört mit Faust über die geheimen Versuche beider zu reden. Faust fühlte auch jetzt, daß etwas Zähes [S. 40] und ihm Widerstrebendes gegen ihn herschlich. Das war Paracelsus, der die Treppen hinanstieg, voll Widerwillen gegen den, für ihn zu Unrecht berühmten Alleswisser.

Dennoch: Faust hatte ihm da eine wundervolle Entdeckung gebracht, die auch den Alchymisten in hohe Gunst beim Kirchenfürsten setzen mußte. Es war ein Sprengmittel, vieltausendmal fürchterlicher als Pulver und griechisches Feuer zusammen, von dem ihm der Doktor die Mitteilung gemacht hatte. Es blieb wohl noch das Schwierigste für den immer bekümmerten Laboranten zu suchen übrig, das hatte Faust von sich geschoben und ihm aufgetragen. Jenes Vernichtungsöl hatte schon in Ingolstadt einen forschungsgierigen Studenten zerrissen. Den Faust hätte es auch zweimal Leib und Leben gekostet, wenn er nicht seiner Sicherheit sehr gewärtig gewesen wäre und Christoph Wagner in Rimlich bei Wittenberg, der ebenfalls für den Doktor die gefährlichen Proben weiter besorgte, ging nur langsam und mit äußerstem Mißtrauen an die gefährlichen Versuche. Da sollte Philipp von Hohenheim, der Paracelsus, das Bad ausgießen und das fürchterliche Mittel zähmen! Ein stiller Grimm mochte darum im Innern des großen Forschers kochen, aber Faust hatte [S. 41] ihn gebunden; es konnte dem bettelarmen Arzte und Goldmacher mehr eintragen, als der vergeblich gesuchte Stein der Weisen. Der ewig von den aufwieglerischen Bauern bedrohte Fürstbischof, dem die neue Lehre bereits würgend nach der Kehle griff, bedurfte einer Zuchtrute, so gewaltig wie das Flammenschwert eines Cherubs, um sich das widerborstige Volk zu zwingen.

Wenn die Bischöflichen von ihrer Feste zu Hohensalzburg, bei der ersten, sich bietenden Gelegenheit eines neuen Bauernaufstandes, nur zwei oder drei Bomben mit jenem entsetzlichen Gewaltöl unter die Knollfinken geschleudert hatten, damit war Friede gemacht. — Dort oben dann lachten sie wie Götter, und unten wimmerte das zertretene Gewürm. Wenn die beiden Gelehrten dem Bischof alle Macht gesichert hatten, — „im Himmel und auf Erden“; dann hatte der alternde Theophrastus Nahrung für seine letzten Tage. Mochte es denn sein.

Er trat zu Faust in die Bücherstube ein, mit seinem behutsam zögernden Schritte; forschende, traurige Augen auf den Schwarzroten gerichtet.

„Ich freu mich, zu sehen, daß das Teufelsöl Euch nicht hat zu Leibe gehen können,“ sagte Faust spähend.

[S. 42]

„Wenn mans in reinen Gefäßen erzeugt und gänzlich verschlossen bewahrt, dann hälts eine Weil; niemals gar zu lange. Weh dem aber, ders mit Öl oder Terpentin, auch Fett oder Harn zusammentuen wollt! Da zerreißt die kleinste Prob ein Stück Welt ringsumher. Sogar Staub darf nicht drankommen!“

„Das ist böse,“ sagte Faust nachdenklich. „Fette und Urin könnte man fernhalten und alles was Harz heißt. Aber Staub?“

„Ihr sollt gleich zum Bischof kommen,“ sagte Theophrastus. „Er hat aus Kanonengut eine Bomben gießen lassen, größer als der dickste Kürbis und mit einem winzigen Schraubengang in die Mitten hinein, wie Ihr vorgeschlagen habt, so daß man ein einziges Tröpfl des Öles hineingehen lassen und alles dann bis außen mit einer langen Schrauben zuschließen kann.“

„Ist die Bomben wohl gut in die Erden verbettet?“ fragte Faust.

„Glaubt Ihr denn, das winzige Tröpfel werde soviel allerbestes und zähestes Material auseinandertreiben können?“ erwiderte Paracelsus verwundert.

„Wenn das wär’, dann könnt man ja die ganze Erden damit zerreißen!“

Faust blickte jähe nach dem Arzte hin, aber der [S. 43] stand gelassen und vollkommen nachdenklich neben ihm. Da schwieg auch er. Aber er rechnete: Am einundzwanzigsten Juni, da ich mit den Landsknechten nach Italien kam im Siebenundzwanzigerjahr, da hat die Sonn’ in den berühmten Brunnen zu Sizilien dreihundertundzwei Klafter tief hineingeschienen. Am selbigen Tage zwei Jahr nachher in Gotland — ja ja: ich hab’s ganz klar derrechnet: Die Erden hat fünftausend und etlich hundert Meilen rundumher und fünfzig Millionen Klafter querdurch gemessen. Ich nehm an, daß die harte Rinden den zweihundertsten Teil mag betragen, ehedenn das flüssige Feuer anhebt, wie ichs bei Neapel und Catania herausquillen hab’ sehen. Der Bischof hat mir eine Riesenbombe gießen lassen, deren Rinden darf nur ein Zweihundertteil sein, vom Durchmesser. Dann bohr ich ein Löchl, nur ein Tausendstel so tief wie die Rinden und tu ein staubkorngroß des Öles daran. Zerreißt es das ganze Eisen, gut. Dann mag es auch im gleichen Verhältnis Bergstein und Erden auseinandertun auf Nimmerwieder, wann ich das Millionenfache in die allertiefste von allen Höhlen bring, die mir der Bischof angedeut.


[S. 44]

Erzbischof Ernst saß erregt zwischen den beiden Gelehrten. Seine fahle Gesichtshaut war gerötet, sein langer Bart zitterte.

„Nimmer hätt’ ich vermeint,“ sagte er, „daß solch ein Nichts, so ein Zehntel Tröpflein, den ungeheuerlichen Erzkloben würd’ in Trümmer zerreißen. Da grauet einem! Aber jetzt gebt mir, wie Ihr versprochen habt, das Rezept preis, Faust. Ich wills Euch ebenso lohnen, wie ich es zugesagt. Aber niemand, außer des römischen Königs und des deutschen Kaisers Majestäten und wir allein, darf das Geheimnis wissen; das schwört Ihr mir unter Preisgab’ Eures Lebens!“

Faust reichte dem erregten Bischof feierlich seine Rechte hin und begann dann:

„Erstlich, wir brauchten Braunstein in großer Meng’; derselbe, den die Glasmacher nutzen, um die schöne, violene Farb’ in ihre Ziergläser zu brennen und den man von dessenthalben Glasmacherseifen nennt. Mit demselbigen legt man den Grund. Sodann übergießet man ihn mit spiritus salis Basilii [S. 45] Valentini , langsam und bedächtlich; da kommet eine grüne Luft hervor, erschrecklich stickig und stinkig, darein kein Wesen vermöcht’ zu atmen. Ein bissel nur daran gerochen und man vergibt sich vor Husten. Ein halber Atemzug davon, und der stärkste Mann bekömmet einen Bluthusten, der tödlich sein kann. So ist diese grüne Luft.“

„Es ist vielleicht dieselbe, die in der Höll’ die Verdammten atmen mögen,“ sagte der Bischof leicht erschaudernd. Dann raffte er sich wieder auf: „Weiter,“ sagte er.

„Item,“ fuhr Faust fort, „wenn diese grüne Luft, die man in einer offenen Flaschen halten kann wie Wasser, denn sie sinket schwer zu Boden, wenn man also diese grüne Luft erzeuget hat, dann vermengt man sie mit spiritus salis ammoniacum , kanns aber nicht durcheinandertreiben! Sondern alles muß langsam und unbewegt geschehen, sonst zersprengt es sich schon in statu nascendi . Da wird also, von denen beiden Höllenstänken, ein gelbes Öl und das ist nun dasselbige, von welchem Eure Fürstbischöfliche Gnaden eben in so grausamer Weis’ ein winzig Tröpflein eine Bomben zerspritzen gesehen haben, zu deren Sprengung dreihundert Pfund Pulver vergeblich angewandt worden wären.“

[S. 46]

„Wahr, das ist wahr.“ sagte der Erzbischof nachdenklich.

„Wann mir Eure Bischöfliche Gnaden nun auch in Herablassung die seltsame Stell’ angeben wollten, wo sich so viel Braunstein hat finden lassen? Man könnt’ das Öl ganz im Großen herstellen, alsdann.“

„Ich hab’ Euch schon gesagt, es war fast untunlich, solchen Braunstein zu gewinnen und zu fördern,“ sagte der Erzbischof. „An der Stelle im Lande Tirol, wo sich die Alpen, so aus Brennkalk bestehen, von dem roten Porphyrstein scheiden, da haben wir goldhaltigen Quarz eingesprengt gefunden und dabei Eure Glasmacherseif’, damit wir ja das Gold gleich herausscheiden konnten. War aber so wenig Goldes, daß es sich nicht gelohnt hätte. Nun ist uns aber da ein Naturwunder kund worden. Es muß, als Gott den Kalk und den Porphyrstein voneinander schied, ein Riß durch die halbe Erden gegangen sein. Ja. Recht als wie des Tempels Vorhang, da der Heiland starb, scheinet da die Erden auseinandergerissen. Es hat sich besagte Kluft dann zum Teil wohl wieder angefüllet, denn nur ein enger Schlurf führt dort in die grausame Tiefe, und ist eben jenes Braunsteines eine ungeheure Meng’ ins Bodenlose gerollt; denn je weiter unten, desto mehr [S. 47] haben unsere Knappen, die sich hinuntergewagt, davon gefunden. Aber das Loch geht dermaßen tief in die Erden, daß sie es zuletzt vor lauter Hitz’ nicht mehr ausgehalten haben, obwohl immer noch kein Ende war. Und keine Schnur hat den Grund abreichen können; dagegen ist ein Wachslicht, das man hinabgelassen hat, gänzlich verschmolzen. Woraus mir zu schließen deucht, daß dort, unter jener Tiefen, das ewig’ und höllische Feuer beginnen mag. Es ist diese Kluft vielleicht derselbe Eingang zur Höllen, den der italienische Dichter Dante beschreibt. Denn er hat weder Grund noch Ende.“

Der Bischof hatte wieder das blasse und kränklich versorgte Aussehen bekommen, das er immer zeigte, und atmete schwer und müde. „Für heute mags genug sein, Ihr lieben Herrn,“ sagte er.

„Halten mir Eure Bischöfliche Gnaden noch eine Frage zugute: ‚Kennt man jene Stell’ im Lande Tirol an irgendeinem äußerlichen Zeichen?‘“

„Es steht die erste italienische Zypressen dort, wenn man vom Grat gegen Waidbruck herzukömmet; aber sie ist ein ganz verkümmert Bäumel und vielleicht gar schon erfroren.“

Und damit gab der Bischof den beiden Männern Urlaub und segnete sie.

[S. 48]

Faust atmete schwer.

„Wozu gebrauchet Ihr den Braunstein in so ungeheuerlichen Mengen?“ fragte Paracelsus verwundert. „Mit ein paar Dutzend Pfund ist dem Bischof und dem Kaiser geholfen.“

„Mich hat bloß jene erstaunliche Sag’ vom Eingang in die Unterwelt mit Neugier erfüllt und die wollt ich bei solcher Gelegenheit erfahren.“

„Ihr wollet doch nicht am Ende Gott versuchen und dort in frevelhaftem Vorwitz einfahren?“ rief Paracelsus.

„Glaubt der Mann, der gesagt hat, das ganze Leben wär nichts als ein alchymischer Prozeß, denn an einen persönlichen Gott? Und an eine greifbar materielle Höll’?“ fragte Faust erstaunt.

„Ich habe überall ein unerbittlich getreues Gesetz gefunden, wohin ich geforschet und was immer ich ergründet hab’. Und wo ein unerbittlich Gesetz stehet, da stehet darob ein unerbittlicher Richter. Mag Gott immerhin gänzlich anders sich formieren, als Pfaffen und Laien in ihrer Einfalt sich darstellen, er ist da ,“ sagte der Arzt feierlich und nahm sein Barett ab.

„Es tröstet mich sehr, das zu wissen und von einem so abgründig studierten Mann dazu; das ist [S. 49] mir wichtiger und glaublicher, als alle alten Bücher aus dumpfer Zeit. Wenn man einmal Fehde angesagt hat, dann wärs doch gar zu lächerlich, wenn man zuletzt erfahren müßt, daß mans gegen leere Luft und blauen Pfaffendunst getan.“

„Fehde gegen Gott, Herr Kollega?“

„Fehde gegen Gott,“ sagte Faust leise, aber nachdrücklich. Und als sich Paracelsus verfärbte und ein Kreuz schlug, schloß er mit den Worten: „Wenn sich der schönste der Engel ehedem gegen seinen Schöpfer aufstemmte, wie dürft’ es nicht ein innerlich zerrissener und äußerlich buckliger Mensch?“

„Armer, armer Fauste,“ sagte Paracelsus mit tiefem Ernst. „Ich hab’ Euch für meinen Nebenbuhler gehalten im Wissen und Erforschen, auch für einen unehrlichen, der nichts ernst nimmt und dem alles bloß geschenkt wäre ohne ehrenhafte, heiße Arbeit. Jetzt müßt ich froh sein, wenn ich Euch für einen armen Narren halten dürft’.“

„Ein Narre vielleicht, Herr Doktor. Arm sicherlich, Herr Doktor. Und dennoch tauschet ich mein wildes Herz nicht mit dem Weisesten und Zufriedensten. Und nun gehabt Euch wohl, mein guter Herr.“


[S. 50]

Wer die tiefe Frömmigkeit der Zeiten Eckharts und Taulers bedenkt und, hernach wieder, die hauptsächlich von der Gesellschaft Jesu entzündete heiße Religionsglut späterer Zeiten, der glaubt nicht, wie lästerlich frech und frei um die Humanistenzeit herum die Menschen zu jenem Himmel sahen, den ihnen Luther mit seiner ehrlichen Kindergläubigkeit noch nicht gerettet hatte. Etwa: Der Maler der süßesten Madonnen und Heiligen, Perugino, spottete über Glaube und Ewigkeit, während er seine Kirchenbilder malte und sagte (wenn er um ein holdselig frommes Antlitz einen Heiligenschein zog): „Ja, meine Freunde, mit diesem Leben ist alles zu Ende. Es ist ein dummer Zufall, daß diese und keine andern Tiere entstanden sind, und es ist ein schmerzlicher Zufall, der mir durchaus nicht gefällt und sehr unvernünftig ist, daß wir Menschen darauf gekommen sind, es gäbe Gesetze, es gäbe Vernunft und es gäbe einen unausweichlichen Tod. Das Tier hat eine dumpfe Angst; dennoch aber lebt es, während es dahingrast, immer [S. 51] mitten in der Ewigkeit. Nur wir Menschen grübeln, klagen an und möchten unsere Gescheitheit einem Gotte geben, der von ihr nicht das mindeste an sich hat.“

Solcher Reden hörte das beginnende Cinquecento gar viele. Die Künste blühten, die Farben prahlten, das Leben schien eine Freude, die Erkenntnisse wurden immer weiter, schauender, — und die Herzen verzweifelten.

Nur, weil Luther glaubte, glaubten auch die Südländer wieder, besserten die Form, und echte, tiefe Gottesinbrunst wohnte vorher vielleicht nur in den lawinennahen Bauernhütten des Hochgebirges; in den Häusern der Gelehrten und Künstler war sie selten. Da wohnte großes Sehnen nach dem alten Heidentum; so groß, daß sogar die immer gottesbedürftigen Frauen öfter vom Phöbos Apollon träumten, als von den Verzückungen des heiligen Franz.

Helena Chrysoloras!

Ihr Ahnherr war der erste Grieche, der in lateinischem Gebiete seine göttliche Muttersprache lehrte und der einen ganzen Duftstrom der Veilchen und des Honigs von Eleusis mit nach Italien brachte. Helena. — Äußerlich von jener abergläubischen [S. 52] Frömmigkeit, welche niemals die Formen der Religion zu durchbrechen wagt und mit einem heidnischen Herzen in christlichen Kirchen tiefgebeugt das Weihwasser nimmt, hatte sie in ihrem Innern den glühenden Lebensdurst der Alten aus den dionysisch frohen Zeiten, ehe noch die Stoa geboren war. Genau so war auch ihr Ahnherr geartet gewesen. Als er dann während des Konziles in Konstanz dahinstarb, verblieb sein Blut im deutschen Norden. Die Chrysoloras waren zuerst Doktoren, dann Apotheker, kamen von da zum Handel mit Gewürzen und Drogen, dann zur Seefahrt und damit zum Reichtum, und der letzte Chrysoloras war bereits so geldmächtig, daß Karl der Fünfte und Ferdinand, der römische König, manchmal bei ihm das erborgen mußten, was die Fugger und die Welser nicht geben wollten oder konnten. Niemals aber hatten sie vergessen, daß ihr Ahnherr der erste Grieche Westeuropas gewesen war, und es gab keinen Humanisten, der nicht, auf der Reise vom Norden nach Italien oder zurück, der verehrten Dynastie, welcher man Homer wiederzuverdanken hatte, seine Reverenz machte. Die saß in Innsbruck wie ein Fürstengeschlecht. Helena wußte um ihr griechisches Blut und las — soviel ihr Mädchenwissen erlaubte — mit heißem Begehren [S. 53] die alten Sagen und Gedichte. Sie ging zur Messe, ja. Aber sie gedachte mit brennendem Herzen der alten Götter, der alten Heiterkeit, der alten Schönheit.

Vielleicht eben darum war es, daß ihr bislang keiner der neuen, jungen Herrn gefallen hatte. Sie liebte, im Geheimsten, zu weit und zu hoch hinaus, als daß ihr ein Ritter, und war es Herr von Hutten oder Sickingen selber gewesen, die antike Pracht verblassen machen gekonnt hätte. Allen Bewerbungen zum Trotz war sie, zwar sehnlich aber unberührt, voll jener achtungsvollen Neugier geblieben, die das Herz bereitmacht.

Jetzt mußte ihr der Vetter aus Tirol alle Tage vom seltsamen, vom schmerzzerissenen, kleinen, ergrauenden Manne erzählen, von dem so beklemmende Nachricht ging.

Wenn sie ihn von ferne sah, dann fröstelte ihr vor Angst; aber sie dachte Tag und Nacht an ihn und wünschte sich, so recht vom Herzen fromm und gottesgläubig sein zu können, um den herzbrechend Unerlösten zu erlösen; und war es mit ihrem Blute.

Es war doch der Eine und Einzigste unter allen Menschen; er kam und ging wie ein lebendiger banger Traum durch ihr Sinnen.

[S. 54]

Der Faust.

Johannes Faustus, der sich dem Widersacher Gottes verschrieben hatte, der die Geister der alten, griechischen Geschichte wieder zu dämmerndem Minutenleben rückgerufen hatte und der die Wundmale dorten trug, wo Satan sie trägt: im Herzen.

Das ließ ihr keine Ruhe und sie sagte eines Tages, nach vielen schweren Seufzern, weil sie sich lange Zeit nicht überwinden konnte, ein Bekenntnis an den jungen Vetter zu opfern:

„Ich weiß nicht, was ich gäb, wenn ich den Doktor Faustus nahe sehen und ihm ein paar Fragen stellen könnte. Es drückt mich so viel, und er allein kann mir Antwort geben.“

Da erschrak der junge Student sehr, denn abermals fühlte er, wie er die seltsam schöne Base gern hätte, die, wie er, Leib und Seel’ zu verlieren bereit war, um guter Kundschaft zu den Überirdischen willen. Es drückte ihm jetzt das Herz ab, wie er bedachte, daß dieses schöne Geschöpf auch verstrickt und verfallen sein könnte; — ewiglich.

Er sagte ihr also: „Tu’s nicht, Helena. Begehr’ alles andere von mir als das, sogar, daß ich dich einem Andern zuführen müßte ... was mir gewißlich vorkäme, als müßt’ ich mein Herz aus dem Leibe [S. 55] geben. Ich könnt’ es dir nicht abschlagen. Aber zu dem Fausto sollst du niemals gehen.“

Da sagte sie ihm: „Du willst wohl allein wissen, was kein Irdischer sonst erfährt?“

„Ja,“ erwidert er ihr, „aber nicht aus evahafter und loser Neugierd’.“

Damit machte er sie böse und sie weinte sehr, wollte sich auch von ihm auf keine Art trösten lassen, bis er ihr doch endlich zusagte, es mit dem Doktor zu versuchen.


Da war nun ein Tag des Septembers zur Zeit der „Duldt.“ Der gehabte sich so schön, daß alles Volk auf die Wiesen vor die Stadttore hinausgezogen wurde. Sehr geschwind entstanden dort auch kleine Buden und Laubhütten, wo allerlei Ergötzung getrieben wurde. Da geschah es denn, daß der Doktor Faustus mit anderen ins Grüne kam und viel zwischen den Buden auf und abging, auch einen Zauberer, der Schlangen bändigen konnte, damit verschreckte und in die Enge trieb, daß ihm die Schlangen immer ungebärdiger wurden und übermaßen zu wachsen schienen, bis zu Lindwurmgröße, sobald nur der Doktor vorüberging. Die [S. 56] Leute erlebten’s, daß der Zauberer dem Faust zu Füßen fiel und kläglich fragte, was er ihm denn getan hätte, weil er, sein Diener, und ein Wurm gegen ihn, solchen Unfug erleiden müßte? Da sagte ihm Faust: „Du mußt alles mit frommer Seele machen, oder mit einem ganz großen Haß. Um Geld und zeitlichen Vorteil aber sollst und darfst es du, und andere, niemals wagen!“

Da erwiderte ihm der Schlangenbeschwörer: „Ja, Herr Doktor, aber Ihr dienet doch auch Gott nicht so, wie es die Schrift und die Kirche will.“ Da sah ihn Faust so drohend an, daß der andere augenblicklich wieder bittend auf den Knien hinrutschte und sagte: „Aber dem Andern.“

Faust dachte eine Weile nach, ob er ihn jetzt strafen sollte, da kam das Enkelkind des Manuel Chrysoloras daher und war so schön, daß er ganz irre ward und seinen Ingrimm augenblicks vergaß. Er sagte aber noch folgendes zu dem Zauberer: „Du hältst mir vor, ich tue nicht, was eine Kirche vorschreibt, die sehr viel jünger und unerfahrener ist, als meine Studien. Ich könnte dir zeigen, wie man alle Wunder Christi an einem Tag wiederholt, doch ich sag dir: Wenn ich auch mehr als er vermöcht, und Herr über jede Krankheit und [S. 57] jeden Tod wäre, und wenn ich die ganze Erden beherrschte und hätte des Hasses nicht, so wäre ich ein armer Betrüger wie du.“

Und ließ ihn stehen und ging.

Das aber hatte Helena Chrysoloras gehört und zupfte ihren Vettern. Der rief sogleich: „Doktor, Doktor Fauste! Wenn Ihr mich schon gar nicht mehr erkennen wollt, so ist doch mein Bäslein wert, daß Ihr eine artige Minute an uns beide wendet.“ Da blieb Faust stehen und alle merkten, daß der beschriene Mann zaghaft wurde. Der, über den alle sich erschreckten, gab nun selber in seinen Augen nichts anderes zu lesen, als Schreck und Staunen.

Es ging aber Helena Chrysoloras ganz bescheiden zu ihm, so, als merkte sie seine Verwirrung nicht und faßte ihn bittend an der Hand und sagte: „Doktor, ich habe eine Frage des Gewissens an Euch: Es ist eine Zeit, da zerspaltet sich jetzt die arme christliche Religion und wir erleben Wiedertäufer und Protestanten und viele andere Sektierer, während die ganze übrige große Erde noch so viel andere Wege zu Gott hat. Wer hat recht? Die Juden, welche unermüdlich in ihrem harten Gotte verharren? Oder die Christen? Oder gar die Heiden, von denen ich als Griechin reichliche Kundschaft weiß?“

[S. 58]

Da verneigte sich Faust bescheidentlich vor dem schönen Mädchen und sagte ihr leise, so daß es nur hören konnten, die ganz zunächst standen:

„Mein Fräulein. Die christliche Religion hat nur Worte. Merket wohl, sie nennt sich ‚das Wort‘; aber es sind viele Worte. Nichts anderes. Die jüdische wäre ein Edelstein: schön, durchsichtig, unzerstörbar hart. Hatte also auch einmal Leben im Status der Kristallwerdung, ist aber seither erstarret für ewiglich. Die heidnische Religion aber lebt, denn sie besteht aus Kräutern. ‚Sucht sie euch aus,‘ sagte Gott, als er sie schuf. Es sind giftige Kräuter darunter, und ganz nutzlose, und Arzneien, und wieder solche, die bestehen aus lauter Schönheit. Mag man auch von ihnen eines oder Tausende vernichten; sie sind immer wieder da, leben ewig, und eher rottet ihr den Menschen aus, als daß sie sich nicht wieder auch auf einer gänzlich verbrannten Erden neu ansiedelten! Bald hold, bald lästig, immer so unschuldig aber, — mit Gott und dem Teufel in sich, — wie Kinder. Versteht Ihr mich, Fräulein?“

Sie sagte: „Ja, Doktor, ich verstehe Euch,“ neigte den Kopf und ließ ihn vorüber, fast wie einen König.

[S. 59]

Er aber ging schnellen Schrittes von der Festwiese hinweg und verbat sich von Jeglichem, daß er ihm folgte. Auch den Stainer wies er hinweg, aber mit viel milderer Stimme und freundlicheren Augen, als alle andern.

Wie sie nun wieder allein waren, sagte Helena Chrysoloras zu ihrem Vetter: „Warum geht diesem Manne nicht nach, was Seele hat auf Erden? Da er doch so weit und tief blicken muß? Und warum hat er nichts als Zechgesellen, so daß man ihm nachsagt: ‚An seinen Früchten mögt ihr ihn erkennen.‘ Ich habe argen Verdacht, daß nicht er an seinem Umgang schuld ist, sondern daß ihm jeder Umgang bisher zu geringe sein mußte und die Menschen schuldig daran sind, daß er an ihnen verzweifelt und nichts anderes weiß, als mit ihnen trinken!“

Da erwiderte ihr der junge Mensch: „Helena, wenn wir zwei ihn so recht herzlich umgeben könnten? Vielleicht, daß er uns alle seine Weisheit geben könnte, wir beide mit ihm aber zu Gott zurückfinden möchten?“

Sie sagte: „Du bist ein liebes Kind und es ist dir das jetzt von einem guten Engel eingegeben worden, was du gesagt hast.“


[S. 60]

Von diesem Tage an redeten die beiden Geschwisterkinder nichts anderes, als nur mehr vom Doktor Faust. Den ganzen Tag saßen sie zusammen und fabelten von ihm, und gewannen und verwarfen viele Pläne: wie möchten sie ihm näherkommen?

Zuletzt faßte sich, als die Kunde ging, Faust müßte zum Kaiser und zum Könige nach Passau hinweg, der Student ein Herz und lief zum andernmale hin zum Doktor der schwarzen Magie. Der wohnte damals, als Gast des Bischofs nach seinem eigenen Wunsch droben in der Festung und hatte, gegen die bayrische Ebene zu, ein Stüblein hoch in den Mauern. Da sah er alle Abend die vergehende Sonne an und ihm war das recht. Wenn sie unterging, dann blickte er von seinen chaldäischen Studien auf, die er seit einiger Zeit, mehr aus Sehnsucht nach den Erinnerungen an junge Tage, denn aus Hoffnung, noch irgendein neues Ding darin entdecken zu dürfen, weitertrieb.

Um Sonnenuntergang kam immer ein kleiner Vogel an sein Fenstergitter, setzte sich an den Nagelfluhbord des Turmes und zwitscherte. Dann sah ihn Faust an und sagte: „Um solcher Kreatur willen könnt ich meine Hand abziehen von der Vernichtung. [S. 61] Aber auch für euch kleine Ding wär’ es besser, ihr schlieft ein, als daß ihr euer Herzlein unter den Griffen des Sperbers zum letztenmal klopfen fühlt. Und wie klopfen fühlet!“

Um eine solche ergriffene Stunde, da Faust gerade Feierabend machte und ins Unbestimmte verwoben war, klopfte Sympert Stainer zum andernmale an die Türe Doktor Faustens und der rief: „Immer zu!“

Diesmal war der junge Student schon mutiger als damals, da es aussah, daß, wenn man ihn gestochen hätte, er keinen Tropfen Blutes herzugeben vermöchte. Aber das Herz schlug ihm dennoch so verklemmt und zerpreßt, daß er nicht wußte, wie es verbergen. Er fürchtete auch, der Magus würde ihn abermals auf solche Weise ansehen, daß er, obwohl lebendig, dennoch dabei wie tot wäre. Oft hatte er daran gedacht und sich über seine Bewußtlosigkeit sehr gewundert. Diesmal aber gab ihm der Doktor ein gutes Wort und hieß ihn zu sich sitzen. Er brachte auch gleich die Rede auf jenen wunderlichen Traumzustand, in welchen er den jungen Menschen das letztemal versetzt. Er sagte ihm einiges, ganz weniges, von dem, was er ihm damals zu vergessen geboten, so daß der Bertel Stainer [S. 62] hellauf staunte. Denn nun kam ihm das alles selber, dunkel erinnerlich, wieder.

„Du siehst, mein Jung’,“ sprach Doktor Faust, „was es also mit der menschlichen Seelen für eine Bewandtnis haben mag! Die Seelen ist von Gott, ist sein Mitding, gehört zu ihm und in ihn hinein. Wird sie aber allein und ohne den Körper gelassen, so verlieret sie sogleich all’ das, was wir Menschen Witz und Vernunft nennen. Woraus du dir zur Lehr’ magst dienen lassen, daß Gott weder witzig noch vernünftig ist, sondern es ergeht ihm wie einem Schwindligen, der im Schlafe wandelt. Wo der Wache sich zerstürzen würde, dort gehet er sicherer seinen Weg, als ein Dachkater. Die hochgepriesene Vernunft, die ist was Zugeflogenes und er, aller Dinge Lebensentzücker, kennt von solchem Firlefanz gar nichts. Aber er macht die Sterne kreisen, daß auch nicht einer dem andern in Weg kommt. Soviel von Gott, mein Jung’. Und wenn ich ihm abgeschworen hab’, so ist es darum, weil er die Vernunft hat aufkommen lassen. Will sagen, das verlogenste aller Tiere, den Menschen. Er selber ist der Vernunft ganz unmächtig: Zurück zu Gott kann nur, wer sie ihm hinschmeißt und sagt: ‚Abba, [S. 63] Vater, hab mich gern und ich dank dirs einen Dreck.‘“

Der junge Sympert wollte sich bei dieser Lästerung bekreuzigen, aber Faust sah ihn so voll entsetzlicher Ironie an, daß ers unterließ.

„Nun werd’ ich dich wegschicken müssen,“ sagte Faust und stand auf.

Der junge Mensch erschrak darüber so, daß er sich zu Fausti Füßen warf, seine Knie umschlang und bat: „Nie mehr laßt mich weg, sondern seid und bleibt mein Meister und nehmt mich als Euren Famulum an, da doch der Wagner Christoph ferne zu Wittenberg Eure Arbeiten schlecht tut! Ich will Euch in allem dienstreich sein und Gott abschwören, wenn Ihr das nur für gut haltet. So wie Ihr jetzt von ihm geredet, will’s mir scheinen, als dientet Ihr ihm besser und innerlicher als jeder Pfaffe. Mag’s also mit Euch gehen, wohin es wolle, ich fahre mit!“

„Stah auf, mei’ Jung’,“ sagte Faust, und er sagte dieses Wort so weich, daß er in die Mundart seiner Jugend zurückverfiel und schwäbelte, was man sonst an dem eleganten Lateiner niemals herausmerkte. „Stah auf, mei’ Jung’ und überleg dir’s halt no emal, aber gut; geh auch zur Beicht und erprob dich vor den Vorwürfen des Priesters. [S. 64] Und ob du das Sakrament gerne nimmst. Ich sag’ dir nichts als das: Wär der Herr Erzeuger der Menschen im Recht, so tät der Mensch sich seiner Unkeuschheit nit schäme, wie denn auch das Tier sich nit schämt. Aber das heiße Wunder, dadurch der Mensch entstehet, verdammen? Lächerlich und sündhaft machen? Wie es die religio tut? Das heißt, dem Erzeuger dasselbe zurücksagen wie ich: ‚Das war nit gut von dir, Vater! Und vielleicht hast du den siebenten Tag dazu benützet, um dich auch so tief zu schäme.‘

„Du siehst also, ich bin von der christlichen Askes’ bloß dadurch unterschieden, daß ich klar sage, was sie sich nicht zu sagen getraut. Und wenn du mir folgen willst, so mußt du den Prahlaffen, — den deutsch oder spanisch angekleideten, ebenso wie den mit Nasenring und Federputz herausgeschmückten Prahlaffen hassen und an nichts anderes denken, als wie du diese mißratene Sipp’ ausrotten könntest! Alle Seelen, mitsamt deiner eigenen, mußt du dem großen Pfuscher mit einem einzigen Todesseufzer zurückgeben, damit er was Gescheiteres damit anfang’. Denn er kann ja doch nicht davon lassen, seine Tänz’ irgendwie von neuem zu beginnen!“

„Wie könnte das sein?“ sagte Stainer in [S. 65] namenloser Verwunderung. „Alle Menschheit vernichten?“

„Des getrau’ ich mich wohl noch,“ sagte Faust. „Für dich bleibt heute nur das zu vermerken, daß du weißt, worum es mir, Johannes Fausten, geht! Denkst du immer noch zu mir zu halten, da du weißt, es geht unweigerlich in den Tod? Denn wir müssen mitfahren, wenn alle dahinfahren!“

Dem jungen Studenten lief ein kaltes Grauen über den ganzen Rücken hinab. „Daran müßt ich mich gewöhnen. Ich hab’ dem Tod noch nicht in die Augenhöhlen geschaut ... Daran müßt ich mich erst gewöhnen ... Aber magna voluisse magnum . Welch ein Mensch hat jemals Größeres unternommen, als dem Schöpfer das wegzunehmen, was man die Krone seiner Schöpfung benennt? Es ist mir noch zu ungeheuer. Lasset mir Zeit und ich will mich vielleicht dazu hinabwinden.“

„Nicht, weil’s ungeheuer und groß und schrecklich ist,“ sagte Faust, „das merke du wohl. Eitelkeit darf es nicht sein, die dich, wie den weiland Empedokles von Akragas, in den Ätna springen heißet! Bloß damit einer oder viele Millionen Flachköpf’ durcheinander reden: ‚Er war ein Gott.‘ Sondern du mußt dich mit einer ungeheuren [S. 66] Menschenverachtung durchtränken, die so groß ist, daß du an dir selber verzweifelst und dich mit allen, die da zechen, beten, fluchen, handeln, betrügen, komödiantisieren, ja sogar mit denen, die lieben und verzeihen, zusammen in ein Pulverfaß schmeißest, daran ich die Lunten legen werde!“

„Schrecklich, schrecklich,“ sagte der Student. „Und ich bin noch so jung.“

„Das ist auch dein Fehler,“ sagte der Doktor. „Es war auch der meinige, und nur mit dem fünfzigsten Lebensjahr bin ich dareingekommen, zu sagen, was ich bis dahin nur leichthin und dunkel empfand: ‚Der Mensch soll lieber garnit sein.‘“

„Ich werd’ dem Gedanken nachhängen, Herr Doktor,“ sagte Stainer leise und demütig.

„Tu’s, aber jetzt geh’ und komm mir lieber nit wieder.“

„Ich werd’ zum drittenmal kommen,“ sagte Stainer mit kläglichem Blick: „Denn ich kann ja doch nimmer und nimmer los von Euch.“


[S. 67]

Einer aber war in Salzburg, der verfolgte mit seinen mißtrauischen Augen nachdenklich das Tun Faustens und sah sich auch die Leute an, die zu ihm kamen und wie sie von ihm gingen. Auch rumorte ihm das Fragen Faustens nach der tiefen Kluft im Lande Tirol im Kopfe und immer fragte er sich: ‚Was kann der Satanus nur wollen und wälzen?‘

So bemerkte der ganz erschreckend scharfe Blick des Arztes auch die Verstörung und das innerliche Winden und Kämpfen des jungen Stainer, der ja auch unter der Lehrkanzel des Paracelsus saß und einen glühenden Wissensdrang verspüren ließ. Er wußte, der Student war zweimal zu Faust geschlichen und er wußte auch von dem Zusammentreffen des Stainer und seiner schönen Base, der griechenblütigen Helena auf der spätsommerlich heiteren Festwiese.

Vetter und Base staken mehr denn je zusammen und schienen gänzlich eines Herzens zu sein. Beide waren sie sichtlich auf den zigeunerhaften, verfehmenswerten Gaukler eingeschworen!

[S. 68]

Da kam vom Vater Chrysoloras Kunde nach Salzburg, sein Kind solle im Gefolge des Kirchenfürsten nächster Tage gegen Braunau am Inn abreisen, da beide Majestäten, von Innsbruck her, dorthin zu Schiffe erwartet würden und der Kaiser sowohl wie der römische König mit dem Erzbischof in der schmalkaldischen Angelegenheit zu reden hätten. Große Aufregung war damals in Salzburg und sogar Philipp von Hohenheim bewarb sich beim Erzbischof um die Gunst, denen Majestäten mit entgegenreisen und ihnen aufwarten zu dürfen. ‚Ja,‘ hatte ihm der Erzbischof gesagt. ‚Denn ich nehm’ auch den Doktor Faustus mit und ich will die Angelegenheit wegen des mächtigen Öles, das nur wir zu verwalten und zu handhaben gesonnen sein, gleich zur Rede und ins Reine bringen.‘

So fuhren denn alle in kostbarer Ausstaffierung gegen Braunau und erwarteten dort das kaiserliche Schiff zu rechter Stunde, denn am Abende desselbigen Tages, da der Erzbischof ankam, landete es.

Karl der Fünfte, blaß, klein, argwöhnisch und schwarz, und der römische König Ferdinand, blond, heiter, lebensfroh und offenherzig, saßen beide an einem Tische. Karl mit seinem Barett bedeckt, [S. 69] Ferdinand bloßen Hauptes, obwohl ihn der Kaiser wiederholt bat, sich seines Vorrechtes zu bedienen. „Mir ist halt heiß,“ sagte der natürliche Mann lachend, „und meine Ehrfurcht vor Euer Majestät bleibt, ob ich nun mein Hütel aufhab oder nit.“

„Ah,“ sagte Karl, „da ist ja der berühmte und treffliche Herr der Geister, unser Doktor Faustus!“

Und er erzählte dem Erzbischof, der die beiden Gelehrten vor den Kaiser gebracht, lebhaft und indem er mehrmals seine Hand auf den Arm des römischen Königs legte, wie um einen Bundesgenossen und Zeugen anzurufen, wie Faust vor längeren Jahren in Innsbruck dem Kaiser eine galante Ovation mit seiner Kunst gebracht hätte. Mitten im Winter wäre morgens im Schlafgemach des Kaisers, als der erwachte, ein reizvoller Lustgarten erstanden, wie er im Lande Italien nicht lenzlicher blühen hätte können! Veilchen, Narzissen und Orangen zugleich hätten geduftet und alle köstlichen Früchte des Südens wären zugleich, an beladen hängenden Ästen, gereift. Dazu war die feinste Musik, ganz leise und dezent, und immerzu jauchzten die Vöglein ihr Frühlingsglück von den Ästen. Der Kaiser verzögerte sich in seiner Verwunderung wohl über eine Stunde und sah den [S. 70] holden Zauber an; als er aber seinen Truchseß und andere Herrn vom Hofe heibeirief, auch Befehl gab, man sollte geschwind den römischen König holen, da fegte ein kühles Herbstwindlein durch den Saal, die Blätter gilbten, welkten, fielen; die kleinen Vögel flogen fort, das Staudenwerk zerdorrte, zerfiel in Staub, und alles war vorüber, ohne daß eine Spur im Saal verblieb.

„Mir hat der Doktor das nit vergönnt,“ brummte der römische König mit lächelndem Vorwurf.

„Weil ich für Eure königliche Majestät was anderes bewahrt hab,“ sagte Faust.

„Ei, das muß man hören,“ riefen beide hohe Herrn. „Was denn?“

„Gold,“ sagte Doktor Faust.

Hochauf lauschten die Fürsten, auch der von Salzburg, bei dem Worte.

„Gold zum Kriegführen, und dazu ein furchtbarliches Zerstörungsmittel, das alle Feinde Eurer Majestäten in Staub schmettern und zerreißen wird. Wegen letzterem wolleten die Majestäten nur den hier anwesenden berühmten Gelehrten und Alchymisten Theophrastum Paracelsum ab Hohenheim fragen.“

„Es ist ein ganz erschreckliches und gräßliches Gewaltmittel,“ sagte Philipp von Hohenheim, „und [S. 71] ich vermesse mich vorauszusagen, daß es dadurch noch Ende dieses Jahres keinen Feind auf Erden mehr wider die Majestäten geben könnt’. Aber was das Gold angeht, das setzt mich doch selber in Verwunderung. Ist doch der Doktor nicht einer von den Reichen und da wär mir der Manuel Chrysoloras schon lieber und sicherer.“

„Das sagt der Goldmacher selber?“ rief belustigt der römische König.

„Das sagt der Goldmacher selber,“ wiederholte Paracelsus sehr ernst. „Eben, weil ich weiß, daß die alchymistische Kunst das gelbe Metall zwar mit vieler Müh’ erzwingen und herstellen kann, daß aber die erhaltenen Bröcklein so gering sind in Ansehung der Kosten und Mittel und Zeit, und der Gefährdung, daß solches Gold zehnfach und noch viel teurer zu erstehen kommt, denn das von Gott geschaffene und in ehrlicher Menschenarbeit ergrabene.“

„Wenn die hohen und höchsten Herrschaften mir hier unter ihrer kaiserlichen und königlichen Ehr’ versichern wollten, was es mit dem auf sich hätte, das ich zugesagt und versprochen hab’,“ sagte Faust, „so wollt’ ich vor dem von Hohenheim, der Meister in der alchymischen Kunst ist, wohl mein Geheimnis lüften.“

[S. 72]

„Das sagen wir dir bei unserem heiligen Amt und bei unserer Kronen zu,“ sagte der Kaiser und legte seine Hand in jene des Königs und des Erzbischofs.

„Nun wohl denn, so will ich zuerst davon reden, was der Paracelsus recht gut weiß; daß das Geheimnis des Goldes eine ganz erschreckliche Glut und ein Druck ohnemaßen ist; — eines der Geheimnisse des Goldes,“ fügte er hinzu.

Paracelsus nickte.

„Ferner weiß sowohl der Paracelsus, als auch die höchsten Herrschaften, zumindest mein gnädiger Herr Salisburgensis, daß man das lauter und gediegen Gold zumeist am Quarzkiesel findet, an dem es hanget und aus dem es entstand.“

„Das ist wieder wahr,“ sagte der Erzbischof.

„Zum dritten ist bekannt, daß man solches Gold aus dem trächtigen Kiesel mit Zuhilfenahm’ der Glasmacherseifen, oder, wie man auch sagt, des Braunsteines scheidet.“

„Ah,“ rief der Erzbischof erratend.

„Nun weiß hier mein gnädiger Gönner, der hochwürdigste Fürst der Kirche, daß in dem Eurer römisch königlichen Majestät erb- und eigengehörigen Lande Tirol eine Kluft tief in die Erden gehet; da kömmt ein geringerer, goldhältiger Quarz neben [S. 73] dem Porphyr vor und ist zusamt vielem Braunsteine in diese so erschrecklich tiefe Kluft hinuntergestürzt, daß meines gnädigen Bischofs Hochwürdigkeit sogar Zweifel ausgesprochen hat, ob sie nicht gar bis ganz nahe ans ewige und höllische Feuer heranginge.“

„Ich hab’ von dieser Kluft gehört,“ sagte König Ferdinand.

„Nun haben wir das Gewaltöl; und können wir davon erzeugen so viel, daß diese Kluft unten gar ausgefüllt werden könnt’, da würde, wenn man es mit einem Fett oder Terpentin zur explosio brächte, in dem Porphyrgestein eine solche Gewalt der Pressung entstehen, daß der Quarz, der seit Anbeginn der Schöpfung dort noch nie unter ähnlichem Druck gestanden hat, sich verfinge und ummodulierte und das in ihm eingeheimnißte Gold ganz und gar herausgäb, unterstützt von dem schmelzenden Braunstein.“

„Das könnt sein, das könnt ja sein!“ rief der von Salzburg, und sogar Paracelsus nickte verwundert: „Ich sag’ nicht nein.“

„So kommet denn, beide Herrn Doktores, zu gelegener Zeit, die wir euch wissen lassen werden, gegen Innsbruck,“ sagte der Kaiser und erhob sich. „Zwei [S. 74] solche Köpfe, der heiße des Faustus und der kühle des Paracelsus, die werden’s vielleicht wohl zwingen.“

„Ihr seid mit solcher Mitarbeiterschaft wohl zufrieden, Faust?“ fragte der Erzbischof, und Faust erwiderte mit tiefer Reverenz gegen den Paracelsus: „Es ist mir eine Erleichterung und eine freudige Hoffnung dazu! Denn mit solchem Collaboranten zur Seite muß es gelingen!“

Jetzt lächelte sogar der schwermütige Paracelsus, der eitel und darum leicht geschmeichelt war, und mit Ehren, wie man sie sonst nur großen Herrn erwies, wurden die beiden Doktores entlassen. Draußen drückte der Paracelsus dem Faust die Hand.

„Ich hab’ Euch in meinem Innern Unrecht getan,“ sagte er. „Aber jetzt bitt’ ich Euch das ab, dank Euch und vermein, es werd’ uns endlich Lohn und Segen werden; beiden, auf unsere alten Tag’. Wenn das Wunder gelingt. — Ich bin mancher Praktiken dazu kundig und will Euren Gedanken, nachdem wir die Stell’ besehen, verbessern und ausarbeiten, was und so gut ich’s vermag.“

„Das wollt’ ich Euch gebeten haben, hochweiser Herr Kollega,“ sagte Faust und nahm Urlaub vom Arzte.


[S. 75]

Wie leicht auszudenken ist, war bei denen Doktors in Salzburg laute und stürmische Rede und noch mehr heimlich grabender und fressender Neid ob der Berufung der zwei Landfremden zum Kaiser und König. Denn keiner der Mediziner, ja nicht einmal einer von den Theologen hatte solcher Ehre teilhaftig werden können, und außer den Chrysoloras waren nur ein paar adlige Herrn vom Domkapitel mitgefahren.

In Salzburg wachsen keine Hiobs, wohl aber sind dort viel knorriger Fäuste zu finden. Erst ging die Rede, daß man den beiden Marktschreiern mit einer Ehrenketten aus gut gedrehtem Hanf entgegenkommen müßte; jedem eine, und darüber einen Stammbaum, irgendwo an der Mosstraßen, wo die Raben ohnedies immer hungrig blieben. Dann gewannen die feineren Stimmlein aufmerksame Ohren; die spannen aus, man müßte eben die zwei, die sich ohnedas nicht recht vertragen konnten, aufeinanderhetzen und das Geschäft, welches die Doktors an ihnen vorhatten, selber besorgen lassen. [S. 76] Es sollte also an beide ein Gastgebot ergehen, so, als wenn man sie dankbar feiern wollte, daß sie die Salzburger Hoch- und Domschul und ihre Wissenschaft zu unerhörten Ehren gebracht, an der natürlich alle Anteil hätten, Doktores, Magister und Studenten. Dann im Weindunst würde die eine Hälfte wider die andere zu streiten anfangen, wessen Verdienst das größere wäre. Die einen wollten dem Prahler Faust mit Honigseim ein ganzes Wonnenbad bereiten, während die andern ‚dem exakten und erfreulich nüchternen Paracelsio‘ eine Festpforte aufzuputzen gewillt waren, während ihnen Faust als ein unklarer Wirbulant zu gelten hatte, dem’s einmal von ungefähr gelingen wollt, und zehn andere Mal nicht.

Es war dem auch so. Paracelsus hielt sich, immer mehr, je älter er geworden war, an den klaren und scharfen Verstand und alles verachtete er, je länger desto mehr, was nicht vor der Vernunft bestehen konnte.

Faust verachtete gerade die Vernunft, welche ihm die kältesten, schlechtesten und verächtlichsten Menschen zu erziehen schien mit immer größerem Hohn. Er sagte, ein Arzt mit bloßer Vernunft lerne es wohl gut, Menschen zu behandeln ( id est betrügen), [S. 77] aber nimmermehr Krankheiten! Ein Juriste werde nichts als ein heimlicher Scharfrichter, oder, wenn er sich gar zu den Advokaten geschlagen hätte, ein Schinder. Ein Handelsmann würde zum dreifachen Juden, weil ihm dann die Frömmigkeit zur Wohltätigkeit und Dankbarkeit des Juden fehlte. Und ein Kriegsmann oder gar ein Fürst? Wohin der mit allzu großer Vernunft hinkäme, das hätte man ja sattsamlich am Vater und Sohn Borgia in Italien erlebt.

Die dem Faust nun näher standen, erkannten, daß er sich seines großen Wissens sehr wohl zu bedienen wußte, aber oft nur zu Betrügereien; weil er die Menschen gerne prellte und weil er sie im ganzen haßte. Nicht aus Gewinnsucht. War er aber mit sich allein, so versenkte er sich ins Unbewußte und versuchte zu sein wie ein Kind, das in der Dämmerstunde mit furchtsamen Ahnungen und Phantasien spielt. In der von ihm immer ausgesprochenen Überzeugung, daß die höchste Kraft alles nur mit der Unfehlbarkeit der Ahnung tue, kam er so vom Wege exakter Forschung immer weiter ab und überließ sich den köstlichen Aufregungen der Geisterwelt, der Magie und ihren schauerlichen Strömungen; wohl bewußt, daß sie [S. 78] auch ihre Wirbel und Unterströmungen hat, in welchen der beste Schwimmer alle Gewalt verliert und hinabgezogen wird. So spielte er sein lebelang mit dem ungeheuerlichen Sinnenkitzel (der dem Menschen von der Vorsehung gegeben ist, damit er lebe und sich seines Lebens wehre), mit der Todesangst. Das greuliche Spiel damit war ihm so sehr zum Bedürfnis geworden, daß ihm Liebe und Wollust nur als schale Nebenreize erschienen, ‚gut genug für junge Buben, die noch keine Ahnung von den Köstlichkeiten des Seilgehens über dem Todesabgrund haben.‘

Seinem Famulus Wagner gab er die gewagtesten Experimente auf; denn wie ihm selber wenig daran lag, früher oder später dabei zerrissen zu werden, so lag ihm auch an dem Leben eines lasterhaften, jungen Leckers nichts. Wagner hatte Auftrag, alles in Fausti Namen zu tun; er kaufte sogar, abends in der Dämmerung, in einem falschen Barte ein, welcher dem des Doktors täuschend nachgemacht war, trug seine Schaube und sahe des öftern höhnisch, als Doktor Faustus, zum Fenster hinaus, wenn die Stadtguardi von Wittenberg vorüberzog. Faust war aus dem Wittenbergischen bei Leibes- und Lebensstrafe verwiesen; aber keiner [S. 79] von den Soldaten und Hauptleuten der Guardi hätte sich verwunden, den schauerlichen Doktor dort oben auszuheben. Zudem muß noch hinzugefügt werden, daß man dem Faust nicht nur nachsagte, er könnte sich mit Hilfe des höllischen Geistes in wenigen Stunden durch die Luft über ganz Deutschland hinwegheben, sondern er war auch des Geheimnisses bewußt, sich doppelgängerisch umzutun. Sogar Wagner hatte sich mehrmals entsetzt, weil er manchmal, heimkehrend, über seinen beim Zechen vergessenen Arbeiten und Laborationen den Doktor Faust räuspernd, kopfwackelnd und hüstelnd drübergebeugt gefunden hatte, welche Erscheinung ihn sogar einmal scharf und traurig angesehen, immer aber auf Anruf in Nichts zerronnen war.

Darüber ging in Wittenberg viel Gerede und die Theologen um Luthern herum waren die eifrigsten, welche solche Geschichten austrugen, statt daß sie das Blendwerk verachtet und damit zu Nichts gemacht hätten.

Es muß dies erzählt sein, um das Verwunderliche zu begreifen, daß Faust auch die Anschläge der Salzburger Doktors ahnte. (Oder wußte, wie mans haben will.) Die einen sagten, er hätte einen kleinen Geist in einem Kristall eingebannt bei sich, der ihm, [S. 80] durch ein Sieb hindurch, vorzitterte, was im selben Augenblick da oder dort geschähe, von wo immer Faust Kundschaft haben wollte. Der Doktor selber hatte davon geredet, wie es mit jenen Bildern im Sieb genau so wäre, als ob heiße Luft über einem Schornstein oder über sommerlichen Feldern zittere, so daß alles, was dahinter geschähe, fortwährend hin und her- und ineinander ränne; auch wäre es schon eine große Aufregung und Herzensangst, also bis in die Sphären der niederen Geister zu sehen und zu vernehmen; wollte man jedoch in jene der befreiteren aufsteigen, dann habe man jeden Augenblick zu gewärtigen, vor namenlosem Entsetzen tot hinzufallen.

So viel von jenem Siebdrehen und dem gebannten Geistlein im Kristall. Und genug, Faust wußte ; ob aus Schwarzkunst, ob aus Schlauheit, ob aus Ahnungskraft? Er träumte auch in Nächten, wenn zuvor Intriguen gegen ihn gerichtet und großer Haß aufgelaufen war, ungemein hart und qualvoll davon. Faust also wußte, was die Salzburger Doktors vorhatten und überlegte, ob er sich mit dem Paracelsus gegen sie, oder mit ihnen gegen den Paracelsus zusammenschlagen sollte, um eine der Parteien zu schädigen.

[S. 81]

Das also war, was der Doktor Faust auf der Rückreise von Braunau nach Salzburg wälzte und plante. Nun auch zum Paracelsus.

Der überlegte lange und klüglich, was der Faust von der Goldmacherei im Großen gesagt hatte. Er, Paracelsus, war trotz allem Forschen niemals zum gerechten und klaren System der Goldbereitung gekommen, sondern ihm war, gerade bei aller alten, rezeptuellen Systematik, beinahe immer mißlungen, auch nur das kleinste Pröbchen Edelmetall zu erzwingen. Dagegen waren ihm bei ganz wilden und zufallsreichen Versuchen sowohl Lösungen geraten, aus denen allerfeinstes, graugrünes Goldpulver sich niedergeschlagen hatte, ja manchmal war ihm sogar im Feuer die gelbe Sündenmutter der Menschheit entgegengeschmolzen. Wie der Faust gesagt hatte, nur unter großer Hitze und bei gewaltiger Pressung gediehe das Ding, war das auch ihm stetiglich aufgefallen. Aber nun überlegte er, daß unter ihnen beiden denn doch er, Paracelsus, der weitaus klarere Kopf wäre. Wenn es irgendwo in der Natur und ihren Welten etwas zu erforschen und dann zu formulieren gäbe, da war der Faust weithin nicht zu gebrauchen! Der erschauerte. Seine Ahnungen entstanden, wenn der Geist ihn anpackte, so wie ein [S. 82] Nordlicht entsteht. Alles war ihm unbewußt geschenkt; — nichts war erworben.

Sonderbar auch: wenn der Faust dämonisch wurde und Sprüche tat, als wären sie von einem höheren Geiste gesagt, so daß der Paracelsus selber aufstaunen mußte und ausrief: „Ja, ja!“ dann sah er’s oft, daß des kleinen Magiers ergrauendes Haar sich gesträubt hatte, wie das eines Hundes, der sich entsetzlich fürchtet. Oder wie das Haar eines Katzenfelles, das man mit einem Bernstein- oder Glasstabe überfährt. Irgend eine Kraft wohnte im Fausto; aber es war weder eine bewußte, noch eine logisch verfolgte. In Summa, der Faust konnte kaum ganz oder auch nur halb hinter jenes ewig gaukelnde und sich verhütende System geraten sein, wie man das rote Gold erzwingt!

Freilich, ein Nachdenkenswertes hatte der große Zufall, daß die Natur an jener Stelle Glasmacherseife und goldhaltigen Quarz (obgleich Porphyrquarz sonst nie Gold zu erzeugen schien) in solch engem Höhlenschrund zusammengestürzt hatte. Es war vielleicht nur ein kühner, verwegener Einfall Faustens, auf Grad und Ungrad das zu benützen und ungeheuer viel von dem Öl zu erzeugen, welches aus nichts anderm, als aus dem Unatembaren der [S. 83] Luft und aus dem Scharfen des Salzes bestand, wie Paracelsus festgestellt zu haben glaubte. —

Und der Gelehrte mit den schwermütigen und argwöhnischen Augen grübelte, ob da nur eine großartige Alfanzerei des Faust, oder eine dämonische Ahnung riesigen Gelingens, oder gar ein aufgetanes Wissen dahinterstecken könnte ...

Es war ihm doch ein gar zu abenteuerliches Unternehmen. Groß genug, um Kaiser und Reich, zunebst tausend Mann Bergknappen, die einen in schwere Unkosten, und die andern außer Atem zu setzen! So daß es, wenn es mißlang, dem Fausto einen flittervergoldeten Alchymistengalgen eintragen kunnt!

Und er wollte und wagte es dennoch. — Seltsam.


Nun waren alle wieder in Salzburg außer dem Faust.

Helena Chrysoloras hatte den Doktor auf der ganzen Reise nicht gesehen, weil sie gesondert und von Sympert begleitet in einer Sänfte reiste. Aber sie hatte den ganzen Tag mit dem Vetter von ihm geträumt. Besonders, nachdem sie von der (beim [S. 84] Kaiser Karl, dem schweigsamen und zurückhaltenden Spanier ganz ungewöhnlichen) Ehrung erfahren hatte, welche dem Doktor zuteil geworden war: Daß Kaiser, König, Erzbischof und die beiden Gelehrten eine ganz geheime und sogar bängliche Besprechung miteinander gehabt hätten; denn alle fünfe waren aus dem Zimmer, im Gasthof zum schwarzen Lamm in Braunau, völlig blaß und mit allem Anschein einer tiefen Erregung herausgekommen, ohne daß es schien, als hätten sie sich überworfen. Sondern alle schienen eines einzigen Sinnes und Planes voll zu sein.

Niemand aber, auch nicht der vielmächtige Chrysoloras, konnte sagen oder erfahren, um was solche Rede gegangen sein mochte.

Das fuhr dem verwöhnten Griechentöchterlein nur noch mehr in Herz und Phantasie. Sie fühlte sich jetzt berechtigt, den bisher für unheimlich gehaltenen, übermächtigen Einfluß des Doktors auf ihr ganzes Sinnen eher reizvoll zu finden. Da doch die beiden mächtigsten Häupter der Christenheit ihm erlegen zu sein schienen!

Es kam noch ein überraschendes Ereignis hinzu. Faust hatte seine Rückreise verändert, da er, statt nach Salzburg, zuerst in das Berchtesgadener Land [S. 85] und von da durch den Paß Lueg nach Hallein gefahren war, wo er von den Bergknappen möglichst viele Vorteile in der Gesteinsbohrung, im Eintrieb von Stollen und Schächten, in der Sprengarbeit und anderen Praktiken mehr zu erfahren suchte. Er gewann dabei viel, so daß er sich mehrere Tage in den Bergwerken verzögerte und nicht wußte, daß inzwischen eine verwunderliche und schreckliche Kundschaft nach Salzburg gedrungen war, eine Nachricht, die ihn selber schon in Braunau antreffen gekonnt hätte.

Aus Wittenberg war Nachricht gekommen, daß der vermaledeite Doktor Johann Georg Faustus, nachdem er, obwohl landesverwiesen, mit Hilfe seiner Zauberei immer wieder böslich und zufleiß dahin, als in den gelobten und frommen Bannkreis Luthers, zurückgekehrt wäre, endlich dort im Dorfe Rimlich sein verdientes Schicksal gefunden, allen Anscheines nach vom Teufel geholt und dabei vom Bösen nächtlicherweile unter erschrecklichem Lärm von einer Wand an die andere geschmissen worden sei. Das zerspritzte Hirn wäre bis an die Zimmerdecke hinangeklebt; der völlig zerbrochene und schlotternde Körper aber zum Fenster hinausgeschleudert und auf einem Misthaufen liegend gefunden worden. „Womit eine ehrliche [S. 86] Christenheit, endlich, ein spätes aber um so abschreckenderes Zeugnis erhalten hätte, wohin arg zauberische Hinterlisten zum Beschlusse führen mögen,“ hieß es.

Dem Faust wurde die Nachricht ins Halleiner Bergwerk gebracht, wohin ein Schüler des Paracelsus gekommen war, der bei seinem Anblick fast zum Tode erstarrt wäre. Wie denn der Doktor lebe?! Da er doch, durch seine Schwarzkunst, kürzlich erst gegen Wittenberg entrückt und dort seinem Schicksal in die Fänge geraten wäre?

Faust schwieg lange Zeit und blieb unergründlich, worüber sich der Scholar nur noch mehr entsetzte; denn da der Doktor nicht widersprach, sondern bloß zu erschrecken und dann tief nachdenklich zu werden schien, so kam das dem Mediziner, der sehr abergläubisch war vor, als hätte der Faust zwei Leben. Und nun wäre erst einmal sein Doppelgänger von ihm gewichen und hätte den einen Tod erleiden müssen ....

Der Schreck und der nachfolgende tiefe und schweigende Ernst des Doktors kam aber daher, weil er nun für sicher wußte, daß sein Famulus Christoph Wagner bei einem Versuch in Stücke gerissen worden sei.

[S. 87]

Wie er es denn für sich selber auch nicht anders versehen hätte.

Nun war sein letzter Mitarbeiter dahin. Freilich nicht sein Mitwisser. Denn dem Zechbruder und Weiberläufer Wagner konnte man so großschauerliche Ding’, wie Faust sie in der Seele barg, nicht enthüllen.

Jetzt also wußte niemand mehr um jene Satansgewalt, als die drei Fürsten, die es wegen seiner tödlichen und nur ihm bekannten Launen im statu nascendi , — niemals aus eigenem herzustellen vermocht hätten, — und der Paracelsus. Im Grunde also bloß mehr einer außer ihm.

Ob nicht dieser Eine schon zuviel war, nachdem er das seine getan und entdeckt, daß man das Höllenöl zähmen oder ihm zum mindesten die Reizmittel vorenthalten könnte, die es sich jederzeit zum Anlasse nahm, um aufzufliegen?

„Ich, ich werde nicht allein dahingehen, wie Wagner,“ murmelte damals Faust vor sich hin. „Stattlich Gefolge will ich bei meiner Himmelfahrt haben; — aber der Paracelsus wird mein Vorläufer sein müssen.“

In Salzburg gab es heftiges Hin und Wider bei der Wittenberger Nachricht. Die einen sagten, [S. 88] daß man für gewiß wisse, Faust wolle und könne nicht gegen Wittenberg gefahren sein. Die Gegenpartei erinnerte, daß es nur zu bekannt wäre, wie Faust einmal seine Freunde in Erfurt über Nacht besucht habe, da alle Welt ihn in Prag beim Kaiser wußte, und in derselbigen Nacht wäre er wieder gegen Prag zurückgefahren, ehe der Hahn sich zu regen begann. Darum hatte er sich damals Martini ausgesucht, wo die Nächte sehr lang werden. Nicht, um längere Fahrzeit, sondern um längere Zechzeit zu haben! Er sei gewißlich nach Wittenberg weggezückt worden; ob durch eigene Zauberei oder durch die Macht des Bösen, der ihn dort erwartete?

Dem widersetzte sich aber der zurückgekehrte Paracelsus mit vielem Hohn, schuf sich dadurch nur um so mehr Feinde, aber erreichte mit seinen kühl abschätzenden Worten wenigstens, daß weder der junge Sympert Stainer noch die Chrysoloras in Verzweiflung kamen, sondern eher zuversichtlich blieben.

Zum erst namenlosen Entsetzen der Salzburger ritt der Doktor, den man von Freilassing oder sonst woher aus dem Nordosten erwartet hätte, an der Salzach zum Tor am Stein, also auf dem entgegengesetzten Ende, gelassen, und nur um einiges ernster [S. 89] und schweigsamer, wieder in die Stadt ein, und es war bald ein solches Laufen, Starren und zuletzt Zurufen von Volk und begeisterten tollgewordenen Studenten um ihn, daß die Gegenpartei schon zu schreien begann, das Volk bereite ihm ja beinah einen Palmsonntag.

Es schien auch verwunderlich. Gerade die katholischen Studenten und ihr Anhang schienen am meisten über die gesunde Rückkehr des totgeschrienen Zauberers zu jubeln. Daran, daß sie alle Ursach’ hatten, über die ins Leere gegangenen moralischen Folgerungen der Wittenberger Lutheraner zu lachen, dachte niemand. Faust wußte, was er von all diesem Hosiannah zu halten hätte und verzog kaum eine Miene; wie er denn in letzter Zeit immer unergriffener dreinzuschauen sich angewöhnt hatte. Er war so ferne von der Welt, vom Leben und seinen Eitelkeiten abgekommen, daß es, bei dem ehedem so leidenschaftlichen Betonen seiner selber, kaum glaublich schien. Nur, wer ahnte, daß er seiner ungeheuerlichen Selbstbehauptung einen grausigen Schlußpunkt plante, nur wer wußte, daß er sich im Geheimen auf den herzzerreißenden Jammerruf: ‚O weh, wohin sind schwunden alle meine Jahr’,‘ eine überlebensgroße Antwort gesetzt hatte, der begriff die Starrgewordenheit [S. 90] dieser Züge. Die schien sonst auf Erden niemand zu haben als, außer Faust, — nur mehr der Kaiser. Derselbe erkenntnisreiche Kaiser, in dessen Reich die Sonne und die Niedertracht nicht unterging. Karl der Fünfte war vielleicht der Einzige, der alles so sehr überkostet hatte und ebenso weltmüde war, wie Faustus.

Nur, daß Karl noch seinen Gott hatte, — als Allerletztes.


Faust zog am Gasthof zum Stein vorüber, wo Paracelsus, durch das Lärmen angelockt, aus seinem Fenster schaute und grimmig lächelnd nickte. Der Zauberer ritt über die Salzachbrücke, immer mehr umdrängt vom Volk und kam in die Getreidegasse, wo das Tosen die Höhe erreichte. Die Studenten wollten ihn mit Gewalt auf die Hoch- und Domschule bringen und jetzt erst begann sich Faust etwas unruhig auf seinem Klepper umzusehen, wie er der gar so großen und entzückenden Liebe des ihm verhaßten Menschengeschmeißes entrinnen möchte.

Da sah er aus dem Fenster eines Hauses die Griechin, welche mit dem Namen auch den Ruhm [S. 91] des schönsten Weibes der alten Heidensage trug. Ehe er einen fragenden Blick hinauftun konnte, ob er sich unterwinden dürfe, dort oben bei der Dame Schutz zu suchen vor den Begeisterungsstürmen einer Rasse, an welcher alles tierisch dumm und verblendet ist außer ihrer Verlogenheit, ehe er also seine düster und trotzig gebliebenen Augen nur um ein weniges erhob, weil er fühlte, hier wurden sie schüchtern und knabenhaft, da breitete die Chrysoloras auch schon beide Arme aus und rief hinunter: „Fauste, mein Doktor, komm herauf!“

Jetzt wagten die Lärmbuben freilich nicht, dem immer rätselhafter werdenden Manne zu folgen.

Da: erst berieten sich Kaiser, König und Fürst insgeheim, in ehrender Form, mit ihm. Sodann mußte ihn der Teufel zu Wittenberg in eigener Person holen, und nun schrie das stolzeste und von allen nur aus scheuer Ferne angeglühte Mädel ihn mit ausgebreiteten Armen an: ‚Fauste, mein Doktor, komm zu mir!‘

Wenn der nicht hexen konnte — — —?

Droben aber ging ihm das Mädchen, welches jetzt schon verschüchtert war, entgegen, faßte seine beiden Hände und sagte: „Ich wußte ja, daß Ihr unmöglich zu sterben vermöchtet, ehe —“

[S. 92]

„Ehe?“ sagte Faust nicht ohne leichten Schreck.

„Ehe Ihr nicht das Größte vollbringt, was jemals ein Mensch getan,“ fuhr Helena ganz betreten fort, als sie seine weitauf prüfenden Augen sah.

„Ihr ahnt? Und grüßt mich dennoch so?“ fragte Faust in einer Erschütterung, die ihm selber unerklärlich übers Herze rann. Da neigte sich das stolze und schöne junge Weib über seine beiden Hände, die sie immer noch umklammert hielt und küßte sie.

Stainer starrte ihn, wortlos geworden, an. Nein, da war kein Siegeslächeln eines glücklichen Verführers. Er aber litt nur um so mehr, weil er seine Base liebte; liebte mit aller Inbrünstigkeit des Leibes und der Seele, die nichts anderes begehrt, als den Tod oder den milden Ton der einen, tröstenden Stimme.

Faust, ohne einen Zug in seinem traurigen Antlitz zu verändern, trat, etwas vorsichtig und zögernd, ans Fenster, aus dem er, in gebührender Ferne, ruhig wartend auf die unten turbulierende Menge hinuntersah, nicht anders, als wie ein geruhiger Mann, der auf das Ablaufen schmutzigen Wassers bei einer Überschwemmung wartet. Wohl blickte er einmal nach den beiden mit entschuldigender Geste zurück. [S. 93] Einmal, dann noch einmal. Sonst tat er nichts, was einer Verbindlichkeit oder Werbung für die schöne Jungfrau gleichgesehen hätte.

Helena sah nach dem Seltsamen hin. Ihre Augen schwammen in unwirklichen Träumen.

Es war große Stille im braunverbälkten Zimmer, und drei Herzen klopften, jedes in ganz anderem Schlage. Das eine zuckte in Verachtung und Hohn; zugleich in Sorge, es könnte ein neuer Fallstrick Gottes um sein Herz sich ringeln. Das Jungenherz ergrimmte sich in namenlosem Trotz und Weh, weil es, zwischen dem Meister und der Seele aller Seelen, eine unreine Verbindung fürchtete. Helena war verzaubert und liebte. Sie liebte mit jener wunderbaren Verseeltheit, die niemals ein Mann verstehen kann.

Manchmal hatte auch der Faust über Ähnliches gegrübelt: „Es heißt, das Weib wäre die Materie und der Mann die Erlösung und Abkehr? Und dennoch begehrt der Mann stets den Körper, das beste Weib aber immer jenes, was man mit dem Wunderworte ‚Wesen‘ ausdrückt.“

„Nie sehnt sich ein unberührtes Weib nach rasender Umarmung anders, als um, gegen ihr reines, eigenes Gefühl, zu beweisen, daß es, liebend, auch erdulden kann.“

[S. 94]

„Kein schöner Junge wird das jemals verstehen und ergründen.“

Helena Chrysoloras sah nicht die sorgenhohen Schultern des ungroßen und dennoch so großen Mannes und sah nicht seine ergrauenden Haare und seine umfurchten Augen. Sie sah nur seine Verachtung, seine Vergrämtheit und seine riesengroße Ferne von allem; — auch von Gott. — Und von ihr selber.

Und so liebte sie ihn.


[S. 95]

„Es geht also nicht anders; man muß die zwei Unheimlichen gegeneinander hetzen,“ hieß es bei den Ärzten und Professoren. „Es wird, je länger, desto wilder in Salzburg!“ Faustens rauschender Einzug, sein kaltes Gesicht, das auf unsagbaren Hochmut schließen ließ, sein eisiger Hohn über die falsche Wittenberger Todeskunde und die Enttäuschung der Kollegen brachten alle auf.

Aber, wenn ihm einer in der Stadt an den Kragen konnte, dann war es der Paracelsus, der in den Künsten Fausti ebensowohl erfahren sein mußte wie jener. Und wenn einer an den Adepten und Arzt herankonnte, so war es Faust allein.

Wie oft schon hatte man einen braven Italiener bezahlt, der dem Arzte, welcher oft nächtlich einsam wandelte, eine abfertigende „Coltellada“ versetzen sollte. Immer aber waren Dolch oder Messer an dem Gefeiten zerbrochen oder hatten sich krummgebogen. Kugeln, die aus sicherer Entfernung nach ihm geschickt worden waren, prallten an ihm ab und jaulten pfeifend in die Luft empor, als wären sie [S. 96] an einen Felsen angefahren. Sie fielen dann wohl gar zu Füßen des erschrockenen Schützen nieder, der sich heilig verschwor, niemals wieder auf den Adepten zu zielen. Denn ein andermal konnte das viel unheimlicher ausgehen! Man hatte nacheinander zwei, vom erzbischöflichen Gericht zum Tode verurteilte Steinbockschützen, heimlich, unter der Bedingung freigelassen, daß sie mit ihrem unfehlbaren Stutzen dem Paracelsus auflauerten. Da geschah es, daß Paracelsus dem einen gebot, wieder in die Haft zurückzukehren, wo ihn der sichere Tod erwartete. Und der verzweifelte Kerl, welcher wußte, daß er auf eines Hirsches Rücken geschmiedet in die Wälder gejagt und so elendiglich zerrissen werden würde, stelzte am andern grauen Morgen steif wie eine Maschinenpuppe vor die Schranne und sagte wie aus einem Traum heraus: „Ich bin der Andrä Rabenaltl, der dem Erzbischof die Steinböck weggeschossen hat und auf Leib und Leben gefangen sitzen muß.“

Worauf ihm, wegen seines sonderbaren Ausbruches, gar noch der Prozeß wegen Zauberei gemacht wurde und er an einem Pflock erwürgt und dann verbrannt wurde. So wenig war gegen den Paracelsus auszurichten.

[S. 97]

Auch gegen Stein und Bein war der Adept gefeit; die Würfe der geschicktesten Buben hatten ihn zwar getroffen, aber ohne Wirkung, als hätte man Wasser nach ihm gespritzt. Einem aber war dabei der Arm lahm geworden und das Übel hatte sich lange Zeit nachher erst gegeben. Seither warf kein Straßenjunge mehr einen Stein nach dem Philipp aus Hohenheim.

Ein namenloser Zorn und eine abergläubische Angst wühlte also in den Widersachern und oft sehr rohen und dummen Mitbewerbern des Paracelsus um ärztliche oder alchymische Kunst. Aber erst jetzt, nach drei Jahren ohnmächtigen Grimmes, schien die Stunde gekommen.

Beide Männer waren gewaltig eitel und prahlerisch gewesen: das nun mußte unter dem Einfluß des Weines wieder angefacht werden. Dann konnte man sie gegeneinander stellen.

Dazu kam noch ein Böses.

Faust und Paracelsus waren einmal am Abend zusammen, und, noch gänzlich in Frieden, aus dem Laboratorium des Arztes gegangen, wo ihnen Sympert Stainer assistieren gedurft hatte. Aber die beiden Männer hatten bei der ungeheuren Hitze des späten Septembertages erst Salzburger Bier, dann [S. 98] eisgekühlten Klaret getrunken und waren jetzt scharf und reizbar geworden.

So kam es zu einem Wortwechsel, den der Schüler zu belauschen vermochte.

„Ihr kommt ja doch nicht weiter,“ hatte Faust ärgerlich gesagt, weil sich das Geheimmittel wieder einmal mit furchtbarer Heftigkeit zersetzt hatte, ohne daß jemand an die Phiole gerührt hätte, die im Felsenkeller am Stein zur Beobachtung stand. Der ganze Felsen war nächtens von der Explosion bis hoch hinauf an den Franziskanerberg aufgerissen worden, obwohl nur ganz wenige Quentchen des Satanöles dort verwahrt gewesen waren.

„Ja mein Gelahrtester,“ hatte drauf Paracelsus erwidert: „Jahrelang, wie Malvasier, und in einem Faßkeller, läßt sich das Salzsticköl (er nannte es so) nicht bewahren und wenn Ihr etwan vermessentlich meint, unseres Herrgotts Erdkugel damit auseinander zu treiben, dann hat’s noch gute Weg’ damit!“

Es war ein Glück, daß der scheue Arzt dabei mißgünstig abseits und zu Boden schauen mußte, als ängste er sich selber über die Wirkung dieses Wortes; denn Faust war aschengrau geworden über das ganze Gesicht. So angreifend war dieses plötzliche Entfärben, daß der junge Scholar, in jähem [S. 99] Erkennen und Entsetzen, alles erriet und selber gelb wie Käse wurde, als er Faustens Verfärbung bemerkte, die ja schnell wich.

Aber in die Wangen des jungen Menschen kam lange Zeit keine Farbe wieder, Faust selber bemerkte das recht wohl.

Ruhig sagte er: „Ich hoff’ auch, die Welt erst zu meinem seligen oder unseligen End’ auseinander zu sprengen. Und daß das recht weit hinausgeschoben sein mög’, des werd’ ich mich gar wohl zu versichern trachten.“

„Ich weiß nit,“ murmelte Paracelsus, „wie lang Euer Kontrakt mit dem Unterirdischen reicht.“

Faust tat, als hörte er nicht, reichte aber dem Arzte, beim Abschied, zum ersten Male nicht die Hand hin. Ein langer Blick aus den schwermütigen und argwöhnischen Augen des Paracelsus begleitete ihn, als er schied.

Stainer blieb zurück und hoffte begierig, daß der Adept nun eine oder die andere Äußerung über Faust und sein gräuliches Vorhaben machen sollte. Aber Paracelsus lachte kurz und ganz sonderbar verlegen, sandte den jungen Menschen auch gleich in auffälliger Hast von sich fort. Stainer wußte nicht, wie ihn die Füße zu seiner ruhigen Base [S. 100] trugen, bei der alle Herzensnot und Angst sich für ihn sonst immer zu lösen pflegten.

Faust aber ging in sein Quartier auf die Bischofsfeste hinauf, langsam und absichtlich zögernd, damit die Sonne untergehen und Stern auf Stern am verdunkelnden Firmament sich entzünden könnte.

Er beobachtete ihren Gang, er spähte, wie erst die großen, dann die mittleren Sterne sich sichtbar machten, dann stellte er mehrmals das Astrolabium prüfend ein, schrieb einige Zeichen nieder, schüttelte wieder den Kopf, wurde ungehalten, als ihm ein Diener das Abendmahl bringen wollte und wies es gänzlich zurück. Dann blieb er in die emportauchende Nacht hinein auf der obersten Plattform des Reckturmes und spähte dem Zug und der Drehung der Gestirne nach. Immer wieder blickte er nach Osten, wo neue Sternscharen emporkamen, nickte den untergehenden nach und besah die, sich heutigen Tages nahenden, mit Aufmerksamkeit. Als dann die Mitternacht von den vielen Kirchentürmen der Bischofsstadt, mit dem eigentümlich feuchten und verschwimmenden Ton der Salzburger Glocken, zu schlagen anhub, stellte er das Horoskop des Philipp von Hohenheim, genannt Aureolus Theophrastus Bombastus Paracelsus.

[S. 101]

Dann versank er bis in den Morgen hinein in Berechnungen, schrak plötzlich zusammen und rief leise empor: „Dann muß es bald sein oder nie! Wenn er nur im Eintritt der Herbst- Tag- und Nachtgleiche angreifbar ist, so könnt’ ich ein Jahr verlieren!“ Hastig blätterte er noch in einem Kalender, den er selber angefertigt hatte und sagte dann mit bestimmtem und drohendem Tone: „Heute noch!“


[S. 102]

Senkrecht über der Vorstadt Mülln am Felsen lag, vor die Bürgerwehr geklebt, auf einer kleinen Bastion das Wirtsgärtlein zum Lindwurm. Dort zechten heute, wegen der wunderbar föhnigen und lauen Septembernacht, die Doktoren und hatten alle schon rote Köpfe. Das war nicht gut, obwohl es ihnen Witz und Mut zu allerlei Hetz- und Neckreden machte. Denn der Doktor Faustus, der in Heidelberg, in Köln und Ingolstadt die ältesten Rauf- und Zechhelden unter der deutschen Studentenschaft bis zur Übergabe und Schandbarkeit niedergetrunken hatte, saß immer noch unbewegten Gesichtes unter den Herren, die immerfort ihre beiden Gäste durcheinander rühmten und feierten, und bei dem vielen Zutrinken selber mehr Geschmack am ausgezeichneten Weine bekommen hatten, als an der Hetze und an ihrer Rache. Nur ein paar stillere, blasse und kleine Beobachter mahnten immerzu, behutsam, zur Vorsicht und zur Tat.

Jovial zurückgelehnt versicherten die stärkeren Männer aber fortwährend, es habe noch lange nicht [S. 103] angefangen und der Spaß möchte sich doch nur hinziehen. Bald würden ja der Paracelsus und der Faust rote Köpfe wider einander bekommen und dann gehe das große Hahnenspiel an.

„Den möcht ich sehen, der wider den hochberühmten Faustum irgend eine Kunst der Erden wüßt, sie gegen ihn zu verwenden,“ rief ein kleiner, magerer Herr mit großer Begeisterung. „Es haben einmal vier Zauberer seine Berechnungen mit List zu stören versucht und der Doktor hat sie gewarnet; es wär einer im Zimmer, der ihm dawider wäre, er möcht davon ablassen, sonst erging es ihm übel! So gutmütig erwies sich unser Doktor gegen seinen Widersacher. Aber der andere schlugs in den Wind. Da ist es sehr übel ausgefallen für jenen!“

„Ja,“ sagte Doktor Faust. „Er war sehr bald tot. Und ist nicht einmal gerichtlich ein Lärm gemacht worden, deshalb, weil ich gute Zeugenschaft hatte, daß er selber sich in den Tod hineingetan hat, wie denn jeder Mensch immer seinen Tod selber mit Fleiß vorbereitet, er mag tun, was er will: auch ausweichen; er arbeitet immer sehr geschickt an seinem eigenen End’!“

„Bei den Trinkern mag das sein,“ sagte der Theophrast. „Auch bei den Buhlern. Aber da, [S. 104] haha, da fällt mir ein, der Doktor Faustus habe ja einmal die griechische Helena zu Erfurt vor die Studenten gezaubert? Dabei sollen die jungen Herrn vor Erinnerung und Begierde die ganze Nacht nicht haben schlafen können. Da wir nun doch zusammen als Confratres sitzen und uns nichts übel nehmen wollen, so mag uns der Doktor doch mit Vergunst erzählen, wie ihm selber die Erscheinung bekommen habe?“

Nun war die Geschichte mit der Flucht des Faust zu der schönen Chrysoloras und seine freundliche Aufnahme bei der gefeierten Jungfer schon so sehr in aller Mund, daß ein gewaltiges Gelächter losdonnerte und Faust Mühe hatte, sein unbewegtes Gesicht zu bewahren.

„Heraus damit, wie wars mit der Helena?“ schrien die Gesellen.

„Sie war ohnemaßen schön,“ sagte Faust feierlich.

„Und habt Ihr die Roll’ des schönen Paris weiter geübt mit ihr?“ rief ein mächtiger, rot angezechter Medikus.

„Sie war noch nicht reif dazu,“ sagte Faust im gleichen Ernst.

„Oho, in der Ilias steckt manches, das sie als recht reif für allerlei Mannsen schildert,“ rief ein anderer.

[S. 105]

„Jegliches menschliche Wesen scheint diese Erden, wie ein Komet, in einer Parabel zu streifen, wie Ihr gelehrten Herrn Ärzte denn im langsamen Reifwerden und langsamen Altern eine auffällige Kurvengleichheit mit einer Parabel finden werdet. Die Parabel aber hat ihren Schluß unermeßlich weit draußen, gar nicht zu errechnen und wann sie wieder auf die Erden zurückschwingt, diese Kraft, welche Helenen oder Paracelsum oder sonst einen der Herren hier, ins hiesige Erdenlicht geschleudert hat, das ist sehr schwer auszurechnen. Manche Parabel ist breit, kurz und stumpf. So kommt zum Beispiel der Herr Doktor Würstl sehr bald wieder auf die Erden und wird abermals, eitel wie ein Sonnenstäublein, in ihrem vergänglichen Lichte kreiseln.“

Groß Gelächter schallte auf, einige aber riefen: „Weiter, weiter von der Helena!“

„Mit der Helena verhält es sich so, daß ich nicht die Macht habe, eine Tote zu erwecken; aber manchmal kann ich von der Zukunft zuleihe nehmen und aus ihrer Sphäre Licht oder Schatten abziehen, wie Wein, wenn sie nahe genug ist, und die Ziehkraft der Gestirne günstig. So mußte Helena, bei ihrem Wiederschwung in den schmalen Sonnenstrahl, [S. 106] der in unser Erdenzimmer fällt, nicht mehr weit sein, sonst hätte ich sie nicht in materia zwingen können.“

„Mir scheint auch, sie wird nicht weit von hier sein,“ gröhlte ein betrunkener Herr. Einige lachten, andere machten: Kscht!

Faust behielt sein unbewegtes Antlitz. Ein anderer aber rief:

„Und ich muß dennoch wieder sagen: Weder kann uns ein anderer Sterblicher die Helena wiederzaubern als nur der Doktor Faustus, noch kann ihm irgendwer durch seine Kunst Schaden zufügen! Niemand! Und mischte der Paracelsus selber das Gift, er kann ihm nicht an.“

„Paracelsus könnte mich im Augenblick töten,“ sagte Doktor Faust abermals ernsthaft und fast leise. „Redet nicht so laut und reizt den Hochberühmten nicht, von dessen Wissen Ihr keine Ahnung habt. Denn er wäre der einzige, dem ich mich überwinden würde, zu sagen: Rabbuni, Meister.“

„Könnt’s auch,“ sagte der Paracelsus scheinbar kalt. Innerlich aber glühten ihm Wein und Zorn, weil er, in seinem Mißtrauen, Fausti ehrende Worte für Hohn und Ironie nahm.

Faust begann wiederum: „Mein Doktor, ich meine das im Ernst und nicht Ihr braucht’s mir [S. 107] zu sagen, sondern ich selber rede davon. Ich weiß wohl, daß mir alles, außer äußerer Wohlgestalt, von der Natur geschenkt worden ist und auch meinen Mangel hat mir die Vorsehung weislich gegeben, damit ich bei meiner leichtsinnigen Art nicht gänzlich in bloßen Sinnengenuß verfallen, sondern ein wenig leiden und grübeln möge. Unser aller Meister und Vorbild aber, der Doktor Paracelsus, kann jahrelang vor einer verschlossenen Pforte stehen und mit dem Engel des Schweigens ringen, bis der sich überwunden gibt und ihm auftut und antwortet! Das ist mehr, als mein Genius oder Dämonion mir leichthin schenkt. Es ist auch mehr, als eure Forschung, meine Herrn. Es ist ein ewiges Feuer, davon dann und wann einer von uns ein Fünklein haben mag, er aber sitzt und hütet den ganzen Hort. Paracelsus hat das Beste, was dem Menschen gegeben sein kann. Was uns andern höchstens gnädiglich zu erraten gegeben ist, das ergräbt und erarbeitet er, und müßt er seinen Weg durch Eis, durch Eisen, durch Feuer und selbst durch ein Heer von Kollegen hindurchgehen!“

Diesmal schwiegen alle, nur Paracelsus lachte auf und trank einen tüchtigen Zug, setzte den Becher ab, sah noch einmal mißtrauisch auf Faust hin und sagte: „So Ihr nicht wieder gescherzt habt, mein [S. 108] guter Doktor, so will ich Euch alles abbitten, was ich im Argwohn gegen Euch gesagt hab’. Es ist ja wahr, ich verfolg’ meine Fährten, wie die Natur sie mir weist, als ein armer Spürhund Gottes. Aber so, wie wir alle zusammen das Schwert niederlegen vor der Schönheit, mit der Satan einen Anachoreten besiegen, und hinwiederum Gott den Teufel zähmen und gut machen könnte, so hab’ ich die größte Ehrfurcht vor dem Ingenio, auch wenn es sich wie ein rechtes Kind, das es immer ist und sein muß, alles schenken lässet. Und darum wünsch’ ich Euch, mein lieber Doktor, es mög’ Euch das Letzte und Schönste geschenkt werden, was Eure sich neigenden, aber immer noch rüstigen Tag’ vergolden könnt. Auf daß Ihr auch in der Frauenliebe seid, was Ihr Euch sonst mit Recht nennet: Faustus, der Glückliche.“

Die beiden berühmten oder doch mindestens beschrieenen Männer tranken sich Bescheid und murmelnd und verdutzt sahen die Neidharte zu, wie sich beide Männer eher zu verbünden als zu verfeinden schienen, infolge der ganz unerwarteten Milde und Herzlichkeit des ehedem so großprahlerischen Faust, der niemand neben oder gar über sich gelten lassen gewollt.

War es das Alter? War es die Liebe? Die [S. 109] Doktoren rieten auf alles, nur auf das eine nicht, daß es der nahe Tod war, der den Unbändigen bescheiden, ja scheinbar liebevoll gegen den Paracelsus machte, weil der ihm unerbittlich voraus mußte. Er störte seine Zirkel.

Der Paracelsus kam jetzt sehr schnell wegen seiner Wissenschaft mit einem starken, feuerroten und dicken Fünfmaßweindoktor in Streit, dem sich andere lärmend beimengten. Da schlich ein kleines, gelbes Männlein an Faust heran und zischelte ihm zu: „Ihr, der weitaus Berühmtere und Geistesmächtigere werdet doch dem Handarbeiter, dem Laboranten nicht schmählich den Vortritt lassen? So zahmes Zukreuzekriechen eines großen Mannes hab’ ich meiner Tag weder erhört noch für möglich gehalten!“

„Was soll ich gegen den Paracelsum, was vermag ich denn gegen ihn,“ sagte Faust seufzend, als sähe er selber ein, daß da nichts auszurichten wäre und ließ resigniert die Arme sinken.

„Ist er denn ganz und gar unangreifbar? Gott hat tausend sterbliche Stellen am Menschen gelassen. Der Teufel läßt nur eine. Aber die ist da, und Ihr wüßtet sie, wenn schon nicht anzugreifen, so doch zu nennen.“

[S. 110]

„Das wißt Ihr selber,“ gab Faust trübselig lächelnd zurück. „Er ist gegen Eisen und Blei, gegen Stahl und Stein gefeit; nur ist niemand gegen das Holz gefeit, weil es sich in aller Schöpfung nicht begeben darf, daß ein Mensch weiterleben könnt’ an derselben Materie, an der der Heiland gestorben. Wenn der Doktor durch einen fallenden Baum getroffen würde, wie ich wähne in seinem Horoskop gesehen zu haben, oder selber gegen einen Baum fiele, was nach den dunklen Zeichen ebenfalls möglich wäre, dann müßte er wohl versterben. Denn mit Knütteln wollt Ihr ihn doch nicht erschlagen, meine Herrn. Das wäre eine Schande und ein Unglück für Euch alle!“

Faust stand auf und sah dem Doktor gerade ins Gesicht, so daß der zurückwich: „Ich will dem Paracelo nicht zuleibe,“ rief er.

„Ihr wollts,“ sagte Faust, „so wie Ihr es mir wolltet. Mir tut Ihr nichts, denn ich reis’ in dreien Tagen ab und überdies kenne ich auch meine Stund’, die nicht in der Hand von Euresgleichen liegt. Dem Doktor da drüben aber ist diese Nacht gefährlich, das sag’ ich Euch und hab’s herausgelesen aus meiner Kunst. Wollt Ihr sie nützen? Heute kann’s geschehen, und sonsten in Jahrfrist nimmer. Das [S. 111] sag’ ich Euch, aber meine Hand biet’ ich dazu nicht anders. Und nun gehabt Euch wohl, weil wir uns doch in diesem Leben nicht mehr sehen.“

Ehe der Doktor etwas erwidern konnte, war Faust, ohne Urlaub zu nehmen, schon im Dunkel verschwunden und niemand merkte es, weil das Lärmen um Paracelsus immer ärger wurde. Der große, rote, angetrunkene Arzt brüllte vor Wut, Paracelsus antwortete immer mit kleinen, kurzen und eisern ruhigen und schlagfertigen Sätzen. Alle andern hatten auch schon rote Köpfe. Der kleine Doktor, der wenig getrunken hatte und sich vorsichtig und kühl verhielt, fürchtete, daß Paracelsus die Gesellschaft vorzeitig im Zorne verlassen und ihnen so entgehen könnte. Oder sie zogen die Messer und Degen gegen ihn und verschafften dem Gefeiten einen neuen, abergläubischen Triumph. Ja, es schien, als wollte Paracelsus das ertrotzen, daß sie ihn zu erstechen versuchten, um sich an ihrer vergeblichen Mühe schrill zu lachen.

Da trennte der kleine Doktor geschäftig und geschickt die Streitenden, und indem er sie zu begütigen suchte, redete er leise und eindringlich mit dem einen und dem andern, von denen sich sogleich jeder verdutzt nach dem inzwischen entronnenen Faust umsah.

[S. 112]

Aber niemand zweifelte an der Tüchtigkeit des Rates, den ihnen der Schwarzkünstler, wie von ungefähr, hinterlassen hatte.

Jetzt umgaben immer größere Gruppen versöhnlich und vermittelnd die noch Streitenden und den übermütigen Herausforderer der ganzen Kollegenschaft. Sie riefen, es wäre zu viel und wäre auch zu spät und man müßte heimdenken. Einige umringten den ziemlich angezechten Adepten und torkelten mit ihm hinter den andern her, auf allerlei Schlängelwegen an Felsen den Steilpfad nach der Stadt hinunter suchend.


Faust vernahm schon am andern Tag in der Frühe vom entsetzten Stainer, daß das Gastgebot der Ärzte übel geendet hätte. Der Paracelsus wäre von etlichen Doktores oder vielmehr von deren jungen Vikars ergriffen und über den Felsen heruntergestürzt worden, dort, wo die Felsputzer eben mehrere Bäume abgesägt hatten, welche längst den Stein zu sprengen und auf die Häuser zu stürzen gedroht hatten. Es standen dort viele Strünke und dazu lagen auf einem Felsbändel auch die Stämme noch langhin. Dorthin wäre der Paracelsus abgestürzt [S. 113] und hätte lange Zeit jämmerlich gestöhnt, bis andere in ihrer Angst ihn geholt hätten, mit Seilen aufgezogen, wobei er fortwährend vor Schmerzen schrie. Wegen der schweren Verletzungen des Paracelsus, die sonderbarerweise von außen nicht sichtbar wären, hätten diese Gemäßigteren und Abgekühlten ihn dann in sein Quartier am Stein getragen, ihn vermahnt, wie alles nur aus Trunkenheit und Streit erstanden wäre und ihn dann, der sich alles Reden verbeten, in Pflege gegeben und verlassen hätten.

Nahezu drei Tage lebte der Verletzte noch. Schwach am Körper, aber immer noch hellen Geistes, schien er an nichts anderes zu denken, als Ordnung mit seinem Gotte zu machen, an dem der unerbittliche Forscher, durch alle Irrgänge seines Denkens hindurch und trotz der erschreckendsten Wahrheiten, die er sonst entdeckt, unverbrüchlich geglaubt hatte. Er sagte nichts aus, kannte keine Rache, verzieh seinen Feinden, und als sein Freund, der Pfleger und Stadtrichter von Hallein und der kaiserliche Notarius Kalbsohr den letzten Willen des Sterbenden entgegennahmen, fanden sie ihn auf einem armseligen Bett von Reisig sitzend, schwach, aber bei Sinnen und hörten mit Rührung, wie der Abschiednehmende [S. 114] sein recht kümmerliches Hab und Gut den Armen vermachte. Nur eine Flasche mit Tinktur (sie wäre das größte und gefährlichste Gift dieser Erde, wie er sagte), befahl er dem getreuen Sympert Stainer auf der Salzachbrücke zu zertrümmern und in den Fluß zu werfen.

Viel wird hier nacherzählt, wie Stainer die große Phiole gegen das Joch der Brücke geschmettert hätte und die herausspritzende Flüssigkeit augenblicklich das Wasser der Salzach, sowie sie es berührte, in aufleuchtende Goldstaubwirbel verwandelt hätte, die sogleich, schwerlastend, untersanken.

„Habt Ihr noch mehr solcher Tinktur?“ riefen der erregte Freund und der Notar, als der Student das alchymistische Wunder erzählte.

„Glaubt Ihr denn, man braut sie eimerweise wie das Bier?“ sagte Paracelsus, drehte sich gegen die Wand und verschied. Und das waren seine letzten Worte gewesen.

Doktor Faust, dem all das erzählt wurde, fröstelte. Zuerst, weil er dem Tode Tag und Richtung gewiesen hatte. Dann, weil er sich jetzt völlig allein und in ganz Deutschland von niemandem mehr verstanden vorkam. Und endlich, weil ihm jene letzte, ironische Äußerung des Paracelsus ahnen machte, [S. 115] daß er eine Waffe gegen den Unermeßlichen, in unermeßlich großer Masse, zu erzeugen unternahm. Ob das glücken konnte?

Aber Paracelsus hatte immer allein für sich hingeheimnißt und, geizig und neidisch, all seine Entdeckungen verschwiegen. Er, Faust, hatte Kaiser und Reich zu Laboranten.

Aber drei Tage sperrte er sich gegen alle Welt, auch gegen die ihn viel anflehende Helena ab und ließ niemand an sich heran, fastete auch und war gänzlich verstört und heruntergekommen, als er wieder in seiner geöffneten Türe erschien und Auftrag gab, alles zur Abreise nach Innsbruck zu rüsten.

Denn schneller, als er selber dachte, war der Befehl vom Kaiser gekommen, die Arbeit im Felsenloch zu beginnen.

Faust konnte wieder lächeln. Er lächelte böse. „Gold.“ Da wurde selbst der grämlich gleichgültige Kaiser, in dessen Reiche die Sonne nicht unterging, und der sich, gelangweilt, nur mehr an die Größe Gottes anzulehnen schien, eilfertig wie ein hastiger Jude, dem ein Geschäft entgehen könnte!


[S. 116]

Helene Chrysoloras ließ den Kopf sinken, je mehr und leidenschaftlicher ihr junger Vetter in sie redete.

„Ich liebe ihn,“ sagte sie.

„Siehst du nicht, daß er angejahrt ist, daß seine Liebe alt und kalt werden wird, daß du nichts zurückerhältst für deine dargebrachte Jugend?“

„Ich liebe ihn,“ sagte das Mädchen ohne jegliche Logik.

„Es ist unerwiesen, ob er dich liebt!“

„Was tut das? Ich liebe ihn.“

„Aber das kann nicht dauern! Es wird ein gräßlich Erwachen geben, für dich und mehr noch für ihn, wenn er sich in deine Arme und in den Ton deiner Stimme einspinnen ließe! Bist du denn im Traum? Donnern möchte ich mit dem Worte: ‚Es kann nicht dauern!‘“

„Was dauert auf Erden?“ fragte das Mädchen.

„Liebe kann ein leblang dauern.“

„Mir ist jeder Augenblick, da ich ihn liebe, die Ewigkeit.“

„Du bist sinnlos, behext, lächerlich!“

[S. 117]

„O, laß mich das sein. Es ist schön!“

„Und wenn er dich mit seinen Künsten verzaubert hätte?“

„Ich würde ihm die Hände küssen dafür, daß er sich die Mühe um mich gab, um mich allein auf Erden! Aber so schön und gut ist es mir ja gar nicht vermeint. Er sieht mich nicht, beinahe er allein sieht mich nicht.“

Stainer schwieg betroffen. Auch ihn sah Faust nicht. Er ließ ihn in seine Nähe, denn längst ließ er niemanden mehr an sich heran und selbst den Paracelsus hatte er bald, durch fremder Hände Wut, wieder weggeworfen. Es war entsetzlich, wie dieser eine Mensch, der früher um die Hochmeinung anderer bis zur Großtuerei geworben haben sollte, menschensatt geworden war. Alle Lehrer trachteten und warben, offen oder versteckt, um ihre Jünger und brauchten sehr diese durstigen Ohren nach ihrem recht billigen und erbärmlichen Wort. Der allein benötigte niemandes auf Erden mehr. Darum war ihm Sympert vor allem nachgezogen.

Ob er dem Faust auch noch verfallen blieb, wenn der ihn endlich doch vertrauend an sich zöge und sein Wesen vor ihm ausleerte, das ja, wie bei allen Vergänglichen, endlich auch zu Ende gelernt sein mußte? [S. 118] Ja: Und die Helena nicht auch? Alle warben um sie, — nur nicht der unheimliche Fremde. Wenn auch der um sie warb? Vielleicht war das unvernünftig verwöhnte und eitle Mädchen damit satt?

Er sah nach der Base, denn wenn sie sein Schweigen und Nachsinnen mit Ärger oder mit Mißtrauen vermerkte, so war schon vieles gut. Aber das Mädchen schien ihm bloß dankbar zu sein. Sie nahm ihn, als er wieder reden wollte, an der Hand, drückte sie und legte ihm die andere Hand an den Mund. Er sollte weiterschweigen, sie war so froh.

Nein, da schwieg er nicht. „Noch einmal, er ist alt.“

„Dann ist er vollendet und am Ziele der größten Bahn, die ein Mensch jemals durchlaufen hat.“ Das Mädchen hatte sich Zeit und Mühe nehmen müssen, um überhaupt so gefällig zu sein, Antwort zu geben.

„Er ist nicht einmal schlank oder gut gewachsen!“

Helena sah auf. „Dem Wuchse sollte ich, ich nachgehen?“

„Du scheinst deiner eigenen Schönheit satt zu sein.“

„Nein, ich begehre von ihm die endlose und überirdische Schönheit der Seele dazu.“

Das war dem sonst verschwiegenen Jungen zuviel. Nun mußte sein eifersüchtiges und geängstetes Herz [S. 119] emporquillen. Er schämte sich, daß er jetzt zum Verräter wurde, und in seiner Wut über die eigene Scham fand er erst die reißend scharfen Worte zu dem, was jetzt unaufgehalten losbrach.

„Die endlose und überirdische Schönheit! Bist du denn so ahnungslos? Und hätte der verwichene Paracelsus recht, daß es keinen andern Teufel gäbe, als den in der eigenen Brust, dann wäre der Doktor der ungeheuerlichste von allen! Die ewige Schönheit: weißt du, wie er sie sieht? In der Absage an Gott, in der Vernichtung seiner selber und aller, in der Zerstörung des Hauses Gottes, dieser Erde.“

„Wie schön; und wie viel zu groß, um je geschehen zu können,“ lächelte das Mädchen.

„Viel zu groß? So sollst du wissen, daß er ganz gut weiß und es auch vermag, gegen Gott aufzustehen und die Erde in Flammen aufgehen zu machen! Weißt du, wozu er mich anwerben hat wollen? Ich soll ihm helfen, das grausame Mittel, zu dem ihm der Paracelsus Lehrjunge hat sein müssen, in eine entsetzliche Kluft im Tiroler Lande zu gießen, um die allein der König und der Erzbischof wissen und die bis zum Abgrund der Höllen geht. Dort soll sich’s entzünden und so Gottes grüne Erden auseinanderreißen [S. 120] und im überquellenden Feuer und Wasser verschwemmen!“

Das Mädchen sah den Vetter an, wie zu Wachs umgebildet.

„Was für wirres Traumzeug ist das?“ fragte sie.

Er wirbelte noch einmal los und beschwor und bewies es ihr mit vielen, jugendhaft heißen Worten.

Helena Chrysoloras hatte die Augen zugetan.

„Schläfst du gar schon? Hörst du das und bleibst verstockt?“ schrie der verzweifelte Junge.

„Das ist übermenschlich,“ sagte das Mädchen, welches dennoch sehr blaß geworden war.

„Teuflisch,“ redete der junge Mensch in sie hinein. „Der hat sich, weiß Gott, dem Widersacher nicht zu verschreiben gebraucht! Er selber ist es, kann nichts anderes sein!“

„Ah,“ sagte das Mädchen nur, und sie dehnte ihre Arme.

„Was, was um aller heiligen Leiden? Du bewunderst ihn?“

„Nein,“ sagte das Mädchen. „Denn jetzt erst weiß ich, daß er der Liebe bedarf.“

Vor diesen Worten freilich erstarrte der Student.


[S. 121]

Wer nur kann sich unterfangen, das Leid einer einzigen Nacht eines jungen Herzens abzumalen, welches liebt! Wer erst kann das Fressen der Todesangst in Worte setzen wollen!

Und aber, wer kann das erhabene Aufleuchten einer Menschenseele wiedergeben, die Leid und Todesangst überwunden hat und nun sakramentsbereit ist für Vernichtung oder Gott!

Es war da ein armer, dummer, kleiner und schwermütiger Student; verliebt bis zum Blutvergießen, verschwärmt bis ins Grenzenlose und Tödliche. Ein junger, dummer Wurm ohne Reife, ohne Erlebnisse und ohne lang dauernde Bereitungen oder Weihen. Und der hat das alles in einer einzigen Nacht erlebt.

Wer ist, der es nicht glaubte? Und wer, der es glaubt, zweifelte noch an Gott? Kann ein armes, junges, lebensgieriges Geschöpf solche Zuckungen durchleben und sich dann todbereit in kristallschöner Ordnung dem Morgen entgegenbieten?

Ist das möglich, wenn kein Ordner da wäre?

[S. 122]

Bei solchem Leid? — Eben durch solches Leid.

Jener unverstehbare Kreisezieher kann noch den durch Töne rhythmisch gewordenen Sand auf der Glasplatte und die Figuren der gefrornen Fensterscheibe ohne Leid ordnen, die Schönheit der Perle schon nicht mehr.

Nun also. Es ging der Student anderen Morgens in einer feinen und lieben Stille wie ein gezähmtes, kleines Tier zum Faust und sagte: „Meister, jetzt komm’ ich zum dritten Male und ich bin bereit, auch auf meiner Seele Tod hin, mit Euch zu gehen bis an’s Ende der Versuchung und will mit Euch halten, diese Erden entzweizureißen, ohne dabei an Angst oder Eitelkeit zu denken. Sondern ich will alles Gott überlassen voll Vertrauen. Gibt er’s zu, dann war seiner Geschöpfe Tod auch sein Wille. Und gibt er’s nicht zu, dann verzeiht er mir. Denn er hat mein Leid gesehen.“

„Du liebst die Helena und sie hat dich verworfen,“ sagte Faust. „Ich steh’ im Abreisen und drunten warten meine zwei Maultiere. Bleib hier in Frieden. Der Frauen Herz ist wandelbar gleich dem unsern. Unwandelbar sind nur die heillos Dummen. Bleib’ und warte ab, bis dein Frühling bei ihr blüht. Erde und Jahreszeiten drehen sich. Lebwohl.“

[S. 123]

Und Faust stieg, ohne sich weiter nach dem Studenten umzusehen, auf das weißgraue Maultier, das der römische König ihm geschickt hatte. Das andere trabte, beladen mit dem Gerät des Magiers, hinterher und ein Diener ging mit.

Faust ritt in Sinnen dahin, der Salzach entlang aufwärts. Als er aber, bei Hallein schon, und das war mehrere Stunden weit, auf- und hinter sich schaute, da trabte, wie ein Hündlein, der Student geduldig und schweigsam neben dem andern Maultier, als gehörte er nicht zu ihnen und ginge nur so wie Kinder, in der Einsamkeit und aus Bangigkeit, neben den Großen her.

„Was hast du, kehr um,“ fuhr Faust den jungen Menschen an.

„Ihr könnt auch noch mit dem Fuße nach mir stoßen,“ sagte der und kam zutraulich wie etwas ganz Gezähmtes näher an den Meister heran.

„Ich hab’ dir gesagt, was ich will und was ich von dir denke,“ bedrohte ihn Faust noch einmal.

„Ja. Ja. Laßt mich nun nur erstmal erzählen, daß ich Euch verraten habe. Wer zuerst nachfolgt und dann verrät, der mag ein Judas sein. Wer zuerst verrät und dann nachfolgt, den mögt Ihr schon annehmen.“

[S. 124]

Groß schaute der haßgewohnte Mann auf das Mannskind hinunter. „Lauf nebenher und erzähl’,“ gebot er kurz.

„Erst muß ich Euch sagen, daß Ihr gestern recht rietet. Daß es mich, in der ersten Verzweiflung, getrieben hat, Euch zu helfen, diese Erde nur deshalb ganz und gar zunichte zu machen, weil die Einzige meines Lebens mich verachtet und Euch liebt!“

„Mich, so,“ sagte Faust geruhig.

„Ihr freut Euch nicht?“

„Ich weiß nicht: ich bin ungeziemlich weit weg von diesen, einstmals lieben Dingen,“ erwiderte Faust freundlich und fast bewegt.

„Aus Alter nicht,“ sagte der Student.

„Ich will mit dir reden,“ begann Faust nach einer Pause des Nachdenkens, welche dem Worte des Jungen gefolgt war, der halb dem Meister schmeicheln und Liebe erzeigen gewollt und halb die Urkraft fühlte, die in dem stets unheimlichen Manne lavagleich verborgen und versenkt schien. Immer ahnte man an ihm jene Ströme von Kraft, die zu besitzen sich sonst nur die Jugend vermißt. Hier waren sie nicht nur geblieben, sondern sie hatten sich zu ganz geheimnisvollen Figuren geordnet.

[S. 125]

„Ich will mit dir reden. Warum meinst du wohl, daß ich dich zu mir gelassen habe und dir mein Herz weiter aufgetan, als irgend einem Menschen? Denn sogar deinem schönen Mädchen würde ich nicht geben, was ich dir eröffne.“

Der junge Mensch schwieg, aber er trabte pochenden Herzens neben seinem Meister her. Da stieg Faust vom Saumtier, rief den Diener und gab ihm die Zügel: „Reit immerzu mit den beiden Mäulern sachte voraus und erwart’ uns in Hallein.“

„Nun gehen wir zu Fuße nebeneinander wie zwei Handwerksgesellen und das wollen wir auch sein,“ sagte Faust milder und vertraulicher, als der Student sich’s je erwartet und vermessen hatte.

„Ich habe dir von Anbeginn an zugehört und dich aufmerksam beachtet, wie du das Wort ‚Ich‘ in den Mund genommen hast! Die Menschen lernen es verbergen das ‚Ich‘; manche lernen nicht einmal das. Aber horch auf: Der geheime Ton, mit dem ein Mensch das Wort Ich in den Mund nimmt, verrät ihn rettungslos! Es hab’ einer nun eine Nürnberger Uhr in der Taschen und sage bloß: ‚Ich hab’ erst Glock Eins nach Mittags,‘ so hörst du aus demselbigen Ich die ganze Beleidigung, daß ein anderer Mensch oder eine andere Turmuhr [S. 126] sich vermessen könnten, eine andere Zeit zu zeigen; — auch wann die Sonnen drei Uhr nachmittags zeigte! Gibt es das? Ja? Jetzt lachst du, und ich hab’ doch aller Erden größtes Elend berührt. Denn ich sage dir’s: Ist das Gefühl, mit dem wir dem Wurme oder den Sternen zusehen und das uns sagt: ‚Das bist du selber,‘ das allergöttlichste, so ist das Wort Ich das jämmerlichste und schandbarste, das Gott, in einer namenlosen Verhöhnung dieser Erde, schuf, oder entstehen und gelten ließ. Es gibt ein freudiges Ich edler, unbefangener, junger Leute; das kommt so frisch wie aus Gottes Odem daher und niemand nimmt’s ihnen krumm; weiß auch jeder, daß dasselbe Ich gerade bei Denselbigen später ein sehr beschämtes und verschüchtertes werden wird, weil solche frische Menschen den Urgrund all’ der Lüge ahnen, der eben in diesem Ich bestehet.

„Dazu muß mancher alt werden wie ich selber, der ich das aufdringliche Wort wie Trompetenstöße in die Welt hinausschreien gemußt, lächerlicher als der Kuckuck sein’n Namen! Eben weil ich merkte, wie sich alles darwider stemmte, rief ich’s umso trotziger.

„Hätt’ ein Mensch mir das gesagt, mit lieben und eröffnenden Worten, was heute ich dir sage, ich [S. 127] wäre vielleicht ein schmiegsames Kind Gottes geworden. So aber hab’ ich dieses mein Wort immer zurückgeworfen bekommen wie einen gehässig vermeinten Steinschmiß. Immer wieder hat mir alles in der Schöpfung dieses Ich wieder ins Gesicht zurückgeschlagen und schon hab’ ich vermeint, daß ich zu Unrecht dastände, wenn ich nicht gemerkt hätte, daß jegliches andere Ich sich, wie um Leben und Seligkeit, selber gegen meines wollt aufspielen; wär es auch so dumm, so räudhundsgemein und stinkig vor Gott und aller Welt gewesen, wie ein krummbeiniger Köter. ‚Ich, ich, ich‘ das ist aller Welt Frechheit. Du allein hast es mit einem Ton geredet, als wäre es dir geliehen und wäre ein zerbrechliches Gut, das du nur schnell und heil weiterliefern müßtest. Vor dritthalbtausend Jahren warst du vielleicht der Jünger Johannes. Und daß er zu mir kämet, wäre sowohl dem Johannes gut gewesen, als auch mir. Denn du weißt, ich begehr dieses Lebens und dieser Welt nicht länger.“

Der Zuweitgeratene, welcher sich ‚der Faustus‘ zu nennen vermaß, schwieg eine Weile und dem Schüler klammte das Herz, weil er fühlte, er war nunmehr gänzlich erwählt oder gänzlich verworfen.

Im Innersten zuckte es ihm auch empor, es [S. 128] könnte das gar beiden Eins sein, wie eine Kugel oder ein Ring sich ründen.

„Das ‚Ich‘ muß weg,“ sagte Faustus gedankenvoll. „Du selber weißt es und hast es heute Nacht in dir erlebt. Ich weiß, mehr als du, wie sehr du die Innsbruckerin mit dem griechischen Namen liebst.“

Der Bub’ sah zu Boden.

„Ich weiß auch, daß du jeden auf Leben und Tod herausgefordert und erstochen hättest, der sie dir nehmen gewollt. Da sandte der, den du und Euresgleichen mit ‚Gott‘ anruft, ein klein grau und bucklet Männlein, das trieb mit aller Welt Zauberspäß, nur nicht mit der Jungfrau neben dir, und sie warf ihm ihre Seele zu. Ich hab’ ihrer niemals begehrt, aber du bist mir damit zugefallen. Es steht ein geheimes Leuchten in dir, das weiß ich; das ist der Tod. Aber es steht unabirrbar in dir, weil du weißt, auch ich müsse sterben, auch sie, auch alle, die sie dir später nehmen wollten und könnten. Ich hab’ ein lebelang gebraucht, um dahinzukommen, daß diese Welt zerschmissen werden muß. Du hast bloß ein Mädchen verlieren müssen. Der eine Weg war weit, der andere gar kurz. Beide sind unfehlbar die rechten.“

[S. 129]

„Meister, ich hab sie geliebt, weil sie schön, aber mehr noch, weil sie rein ist. Das ist so viel! Mancher Christ, ja sogar mancher Jud’ würde die heilige Jungfrau erfinden wollen, wenn die wirkliche abhanden käm in den Herzen der Menschen.“

„Hast recht, hieß auch seit ewigher mit anderen Namen — war immer dieselbe,“ sagte Faust. „Erst wann wir verlieren — — du Jungmensch! Merk wohl auf: Du wirst dich noch verzweifelt an dein eigen Leben klammern, wenn es soweit ist, daß wir die Lunten anlegen an Gottes Spottgebastel! Merk’ dir das: Sein Leben gewinnt man nur im Rausch, sein Leben verliert man nur im Rausch! Im Augenblick, wo du hilfst, diese Welt auseinanderfetzen, bist du Gottes Ebenbürtiger! Das darf keine Eitelkeit sein! Eitelkeit kann nicht ohne Spiegel bestehen. Wenn du aber jenes tust, dann gibt’s keine Spiegel mehr. Aber das lästerliche, lächerliche Ich hast du ausgerottet und ich mein’, du rinnst in diesem einen Augenblick, da du dich mit allem Geschöpf dahingibst, mit Gott zusammen, mehr und größer als Christus!“

„Was meint Ihr, Meister,“ sagte der Scholar nach einer Weile und immer noch schaudernd, aber magisch angezogen: „Was wird der oder das, was Ihr mit Gott meint, nachher tun?“

[S. 130]

„Er wird wieder von neuem anfangen, gerad’ so, wie ein Bienenschwarm arbeitet, dem man den Honig zusamt dem Stock weggenommen. Aber so eine Schandtat, wie er’s mit dem Menschen zuwegegebracht hat, die gelingt ihm kein zweites Mal wieder, des sei du versichert!“

„Um eines einzigen Herrn Christ willen möcht’ ich die Menschen leben lassen,“ sagte der Junge zaghaft.

„Und um einer einzigen Helena Chrysoloras willen möchtest du sie vernichten?“

Im Herzen des jungen Menschen schwoll und tobte es, aber Antwort auf das, was er nicht zu sagen wußte, fand er nur in den Worten:

„Wer immer mich anheißt, Euch nachzulaufen,“ „er schenke mir die Kraft, auch neben Euch auszuhalten.“

„Es ist der Teufel, da magst du getrost sein,“ sagte Faust ruhig und fuhr fort:

„Was ich und du jetzt bedeuten, ist aber vor Gott ebensoviel, als das schwankende Zünglein an einer Wage. Und die Wage ist das Gesetz und das Gesetz ist Gott. Liebt er’s, daß wir ihm antun, was wir vorhaben, dann neigt er sein bewußtlos träumendes Haupt uns zu. Neigt er’s nach der andern Seite, so haben wir fehl gerechnet, oder es war noch nicht [S. 131] reif. Denn die Menschen sollen künftig wohl einander selber, jeder den andern auffressen. Dort sie hinzuhetzen, wären ich und du zu mitleidig. Verdammt sind wir in keinem Falle, du schwankendes Kind!“

„Warum aber macht Ihr mit Eurer ungeheuren Gelehrsamkeit nicht das Wort groß, daß die Menschen ja ohne Angst und Schmerz ihrer Zahl und dem Gebären Halt gebieten könnten und die uns geläufigen Mittel anwendeten, um ihrer wenige zu werden?“

„Narr du! Weil dann die Gedankenvollen aussterben und die Bestien bleiben würden! Weil nicht alle Welt deutsch versteht und noch weniger Leute das Gebot der Vernunft! Und wenn Holländer, Franzosen, Engländer und Spanier, Italiener und Griechen sich ein Herz nähmen und sagten, ‚der Doktor Faustus hat recht, lassen wir’s gut sein mit uns und nicht weiter,‘ so flutete die end- und grenzenlose Dummheit und Bestialitas von Osten heran — und überquölle unser gut angebautes und behaglich gerichtetes Land, und triebe das alte Narrenspiel des Fleisches weiter! Wenn auch sie Weise erzeugten, die ihnen zuriefen, daß sie knapp vor Aschermittwoch ständen? Dann käme die neue Tierheit von wo anders. Nein. All’ das muß weg: [S. 132] Kalmücken und Großmogul und Türkensultan und Westindien, und das liebe Deutschland und deine Helena — alles.“

Von dieser Stunde an schwieg Faustus und ließ den jungen Menschen mit sich selber fertig werden, sah auch kaum aus einem Augenwinkel einmal nach ihm, bis sie in die Wälder an der Scheide des Berchtesgadner, des Salzburger und des Tiroler Landes kamen.

Da erst sagte Faust zu dem Jungen: „Nun will ich dir eines der Geheimniss’ dartun, um derentwillen ich in der Welt riesengroß beschrien bin und die du mit mir verachten lernen sollst, damit du reif würdest, so jung du sein magst. Den Diener werden wir mit den Saumtieren wegsenden; denn nunmehr werden wir den weiteren Weg durch die Lüfte fliegen.“

„Fliegen!“ rief der junge Mensch.

„Das hab’ ich gewußt, daß du mich anstarren würdest, grauengeschüttelt! Denn jetzt muß Doktor Faust des Teufels sein, weil er dir zumutet, zu unternehmen, was jeder Spatz kann! Für die canaglia heißt das ja ‚ein Wunder‘. Bis auf den Augenblick, da es geschieht. Dann ist’s kein Wunder gewesen.“


[S. 133]

Es war ein mächtig langer Sack, wie aus dünnem geöltem Zeug, der sich gestaltete wie ein aufstehender Wurm, als der Doktor unter ihm eine gelinde Holzkohlenglut angefacht und sie lang erhalten hatte. Der Wurm, der sich immer mehr, zu des jungen Menschen Staunen, aber nicht Entsetzen, aufblies, war aus Tausenden feiner kleiner und durchscheinender Häutchen zusammengefertigt. „Ich hab’ viel schwarze Kunst und Alchymie treiben müssen, bis ich sie zusammengetauscht hatte von den Goldschlägern, die damit ihr Blattgold aushämmern. Sie brennen nicht leicht an; sei also getrost und hab’ acht, daß die Knoten an unserm Luftwurm sich nicht lösen, die ihn halten; sonst fliegt er uns gar davon.“

Als das Ungebilde sich vollaufgebläht gegen den Himmel steifte und in der waldeinsamen Spätabendluft rötlich zu schimmern begann vom Widerschein des Holzkohlenfeuers, sah Faust den erregten Studenten an und sagte ihm: „Glotz’ nicht so dumm! Das ist mein Teufelsroß, auf dem ich in einer [S. 134] halben Nacht von Prag nach Erfurt geritten bin. Der Rauch steigt doch auch gegen Himmel? Und die Hitze eines Kamines? Ebenso. Lass’ sie eingeschlossen in einem so leichten Sack, na und? — Wir sind jetzt gleich einer Wolken.“

„Wie findet Ihr aber die Richtung?“ stammelte der halb verstehende Junge.

„Die sagen mir die Wolken und die Landkarten. Es ist dort oben stracker Ostwind und das ist eine sehr beständige Luft. Die Wolken, die den Gaisberg bestrichen haben und die viel höheren, die über Untersberg und Stauffen hinwegziehen, die sind alle nach Tirol zu gegangen. Wir werden mit ihnen streichen.“

„Meister!“

„Fürchtest dich?“

„Nein.“

„Wunderst dich?“

„Nach dem, was Ihr gesagt habt, nicht mehr so sehr.“

„Freust dich aufs Fliegen?“

„Das muß göttlich sein, oder teuflisch!“

„Flieg nur drei oder vier Stunden, dann wird’s keines von beiden sein. So, wie mir die Welt und alle Wunder Gottes. Bloß selbstverständlich, und [S. 135] langweilig. Und mit Fleiß und Absicht nehm ich dich mit und zeig dir mein Geheimnis, auf daß du entdecken mögest, was für ein Dreck alle Erfüllung ist und daß es sich wahrlich nicht lohnt, das zu erreichen, was jeder Mistfink längst kann. Und gar nicht darüber zerplatzt vor Hochgefühl und Glück!“


Gegen den angrauenden Morgen hin ließ Faust, als er das Tal über Wörgl mehr ahnte, als erkannte, das Kohlenfeuer langsam minder werden; und als sie völlig undeutlich die Städtlein Rattenberg und Schwaz unter sich merkten, ließ er es langsam eingehen. So nahe streiften sie dann über Hall dahin, daß nur der Herbstnebel sie vor einem großen Zetermordio schützen konnte. Auf einer der vielen Wiesen, die das Inntal gegen Absam hin umsäumen, ließen sie sich nieder und Faust warf die verlöschenden Kohlen aus dem Becken auseinander. „Wie ist dir?“ fragte er höhnisch den Scholaren. „Gelt? Ebenso wie nach dem Genuß eines ersehnten Mädels. Es war alles eben zum Ertragen, und du bist weder vor Glück noch vor Entsetzen wahnsinnig geworden. Und jetzt bist du schläfrig, müde und überdrüssig. Das und so ist [S. 136] das Leben und so sind alle seine Wunder und jetzt bist du geflogen wie ein Gott und bist verkatzenjammert wie ein Saufbruder, frierst wie ein Hund und bist ein ernüchterter, armer Teufel. Und wenn du später in einer Zechen davon prahlen tätest, wie in jüngern Tagen ich selber, so wärest du ein noch viel ärmerer Hund, als jetzt!“

Soviel von dem oftbeschrieenen Geisterfluge des Faust, der in einer Nacht zu Hallein Urlaub genommen und andern Morgens dem römischen König in der Innsbrucker Hofburg aufgewartet hatte.

Die Herrn in Salzburg und Innsbruck maßen sichs gegenseitig später selber ab und verwunderten sich bis an die Gänsehaut.

Der junge Student aber, völlig stumpf darob geworden und gleichgültig und müde, sagte nur: „Ihr habt recht. Es ist nichts um alle Erden; gar nichts.“

Da erwiderte ihm Faust: „Hätt’ ich geprahlt und unsere Herrlichkeit und unser Göttertum eindringlich gerühmt, so wärst du jetzt frisch und erhaben. Es gibt nur eingebildete Größen und Wunder.“

Und dennoch gab es immer noch ein Wunder; hieß Liebe.

Das griff Doktor Fausten selber an.


[S. 137]

Kaum war er, der alternde Faustus, von Salzburg weggereist, so mußte auch beim verwöhnten und verzogenen Mädchen des Innsbrucker Geldherrn alles schnell zur Abreise gerüstet und auch sogleich aufgebrochen werden.

Was die Chrysoloras wollte oder ersehnte, das war ebenso groß und noch viel reiner, als was der Faustus anstrebte: Loslösung vom Menschen, so hieß ja wohl beides. Nur daß der Eine alles zerreißen wollte, nur damit wieder Licht würde über einer neuen Einöde. Die Griechin aber wollte grad’ an den Lippen dessen, der sich also gegen Gott vermaß, den Namen Gottes bis ins tiefste buchstabieren lernen.

Es hatte jeden gerührt, der das reiche und ohne Maßen verhofierte Mädchen in jener Zeit gesehen. Als hätte sie alle Weihen erhalten, so gehoben und gereinigt fühlte sie sich, seitdem sie wußte, der Mann, dem sie über alles nachhing, hätte vor, Gottes Werk mit einem entsetzlich dreisten und gewaltigen Griff aus den Angeln zu schleudern. Nicht, daß das bescheidene [S. 138] und eher schüchterne Mädchen sich in Eitelkeit verlor: Der muß leben und mein sein. In ihrem Bewußtsein war es, als fühlte sie die Aufgabe der Jungfrau Maria. Noch einmal mußte durch ein Weib die Liebe, die ganz große Liebe in der Welt wieder aufgerichtet und die Menschheit gerettet und gefristet werden wie damals.

Es ging um das ungeheuerliche Vermessen, die Erde zu erretten, welche verbrennen sollte nach Faustens Urteil und ohne den Willen Gottes, ohne seine erweckenden Posaunen, ohne sein Gericht; mitten in der Blüte ihrer Sünden haßvoll und höhnisch verschüttet, wie Sodom und Gomorrha.

Und der, welcher sich des vermaß, wurde von ihr angebetet, ersehnt und verehrt, als wäre er der erste und letzte Mann auf Erden.

Wie denn jedes Weib dem nachgehen wird, der der erste und allerletzte zu sein sich vermißt: wenn auch nur für sie.

Mit Entsetzen vernahm die Chrysoloras in Innsbruck schon wieder neue Mär von ihrem Unheimlichen. Daß er in einer Nacht mit einem gottlosen und verzweifelten Studenten von Salzburg anhergezuckt worden wäre, „durch die Kraft des Feuers,“ wie der Student geheimnisvoll verlautbart hatte. Ein [S. 139] Zeichen, daß die unverbesserliche Jugend gegenüber andern immer wieder zu reden anfängt. Aber jeder will, sobald er andere sieht, immerzu ein Stüflein höher stehen, obwohl es das nicht gibt; so ist der Mensch.

Das Mädel, das sonst immer angstvoll züchtig war und diese Art auch jetzt dem Übermenschlichen gegenüber nicht verändern konnte, wußte sich jetzt nicht zu helfen; denn der Doktor war unauffindbar. Manchmal hatte man ihn abends am Innrain oder in Kranebitten oder Hötting gesehen, immer halblaute Worte murmelnd; immer allein, immer aber auch scheu gemieden und geschont von der Menge, welche zum Teil des römischen Königs Gewalt fürchtete, der dem Faust neuerdings so gnädig war, teils Fausti Zorn. Denn er konnte selbst in eine Kirche oder in ein Kloster, welche doch heilige Orte waren, einen bösen Inkubum setzen, der dort die Leute bei Tag und Nacht plagte. Und wenn irgendwer ihn fragte, ob denn der Teufel auch Gewalt über solche Stätten hätte, lachte er und sagte: „Längst und von dem Beginn her als der zweite, der unheilige Mensch sich dort neben den ersten, den heiligen Stifter des Ordens, gesetzt hat.“

Auch wurde ihr in Innsbruck erzählt, daß er gelegentlich solcher vermessener Reden auch gesagt hätte:

[S. 140]

„Der erste ist immer der Schöpfer; der zweite nur mehr der Jäger und der Koch. Der erste schafft ein neues Wesen; der andere tötet’s und macht es genießbar. Indem er es genießbar macht, tötet er es oder gibt ihm den Todeskeim. Möglich, daß Gott nur Engel schuf. Aber da kam der Satan und machte den Menschen draus. Gott hat den Menschen gedacht wie ein Kind. Der Teufel machte den Praktikus draus.

„Der erste Mensch, welcher Gott fühlte, er war übergroß, und sein Gefühl muß ihm beinah den Tod gegeben haben vor Größe und Glück. Der zweite, der es vernahm und es zu verstehen sich vermaß, hat es augenblicklich klein gemacht.

„Und so wird es nur zwei reine Geister geben auf Erden: Den einen, der die Erde erschuf und den anderen, der sie vernichtet.“

Das Mädchen sank vor Angst und Sorge beinahe in die Knie, als sie solche Worte überliefert bekam und lief in alle Kirchen, um jene anzurufen, von der allein sie Hilfe und Gedeihen gegen das übermächtige und trotzige Unternehmen des vermessenen Mannsbildes erhoffen konnte: Von der einzigen, reinen Frau und Mutter, die in allen Himmeln zu finden war.

[S. 141]

Der Faustus war aber gar nicht mehr in Innsbruck. Trotz des hereingebrochenen Winters trieb sich eine, für damalige Zeiten unerhörte Schar von Bergknappen in dem roten Porphyrgefelse bei Waidbruck umher, fällte Lärchenstämme in den Wäldern und bohrte Röhren darein, baute aus fichtenen Balken lange Steige und fuhr so immer weiter, bergmannsmäßig arbeitend, in den unheimlichen Naturschacht ein. Überall ließ der Faust seine Apparate anbringen, wo der Braunstein stärker zutage lag oder freigeschafft werden konnte. Dort sollte er, in allen Tiefen und Höhen des Risses zugleich, mit dem spiritus salis bespritzt werden, damit die grüne Luft an allen Stellen zugleich entstünde und sich in ungeheurer Menge nach unten senke. In einer Zeit mußte sie das ganze Loch im Gestein erfüllen. Alles war in Massen vorbereitet, welche man für die damalige Zeit überlebensgroß nennen durfte; wie denn die Goldgier immer überlebensgroß ist, zumal wenn ein kriegführender Kaiser, ein ewig in Nöten schwebender König und eine, durch Luther bedrohte Pfaffheit zusammensteuerten und halfen.

Es ging ja auch der schmalkaldische Krieg an. Da mußte erdrückend viel Gold herbei. Wüßte irgendwer, wieviel Angst, Mißtrauen und doch [S. 142] wieder Aberglauben damals Kaiser und König in den verschrienen Nigromanten setzten! Es war zum Lachen.

Wenn ein Kleiner etwas wirklich will, so wird er darin gefährlich gescheit. Die Ferne der Ziele macht ihn weitsichtig. Wenn ein Mächtiger etwas wirklich will, so ist er entsetzlich dumm. Die verwirrende Nähe der Machtmittel verwehrt ihm jeden Blick in die Ferne und wohin das führen soll, was er so gewißlich in der Nähe errechnen hört.

„Rotte die Stadt Jerusalem aus, und du setzest der ganzen Erde die Juden in den Pelz. Beherrsch’ die Erde, und dein Enkel weint auf einem fremden Stücklein Asyl. Wolle ein Volk vernichten und du machst es groß. Fordere mehr Gold, als alle Schiffe aus der neuen Welt heranbringen können, und du dienest bloß einem Zauberer, der dich selber umzubringen gedenkt. Es ist immer dafür gesorgt, daß die Bäum’ nit in Himmel aufschießen.“ So hatte ehedem ein Wahrsager Karl dem Fünften prophezeit, als der, mit der Devise „Jetzt!“ auf seinem Schilde, nach Algier ausgezogen war. Solang er auf seinem Schilde das Wort getragen hatte: „Noch nicht!“, da hatte die ganze Erde vor ihm gezittert. Nun aber lachte sie.

[S. 143]

Früher hatte sich vor Kaiser Karl alles geduckt. Seit dem Kreuzfahrerspektakel von Algier war zuerst der Großtürke mutig geworden und hatte bis Wien heran erobert; dann waren die lutherischen Fürsten aufsässig und endlich auch wieder der alte Franziskus von Frankreich. Es wimmelte von Feinden seit der lächerlich gewordenen Devise: „Jetzt!“

In seiner Desparation glaubte und ergriff nun der Kaiser alles. So kam Faust zu seiner Macht; der größten, die der alternde Mann je errungen, — trotz seiner Herrschaft über die Geister, die ihm bisher nicht mehr an äußerm und innerm Glück eingetragen hatte, als das einer erhabenen Verzweiflung.

Faust also begann sein Werk. Er übersah und besorgte alles, um die Felsenkluft bis ins tiefste zu laden und hatte an seinem neuen Famulus einen getreuen, wiewohl veränderlichen Diener. Denn sobald Wind und Wetter wechselten, da gehabte sich der Junge anders. Immer wohl war er von Faust besessen und ihm gehorsam. Aber es war merkwürdig. Bei westlichem, feuchtem Winde war dieses Kind begeistert, willig und erfindsam, tat auch alles, was man von ihm forderte, schien in allen Dingen wissend in den Tod zu gehen. Kam aber der vermaledeite ungarische Wind, der Wind der stupiden [S. 144] Kirghisen und Mongolen von den Steppen des Ostens daher, da wurde er verzagt, kleinlaut, glaubte weder an sich noch an Faustum, wollte sich irgendwo anklammern und begann wohl gar reichlich von dem guten Weine zu saufen, der unweit von jener Gegend ab Bozen bis zu betörender Süße und Kraft heranwächst. Voll Sorge sah Faust den jungen Menschen seine Phasen wechseln und berechnete seine Perioden immer genauer, damit ihm der Junge nicht einmal aus Schwäche einen Streich spiele. Oft gedachte er, ihm die Chrysoloras zuzuschanzen.

Aber die hätte ihn ja wieder zum Leben geführt. Es mußte im Gegenteil ein neues, stärkeres Unglück sein, welches den Helfer und Vikar des Teufels völlig in die allein brauchbare Verzweiflung stürzte.

Und das nun war der Grund, warum der Faustus seinen jungen Studenten plötzlich mit sich nach Innsbruck nahm und warum er sich, vor den Augen des leidenden, jungen Menschen, der Chrysoloras näherte. Diesmal ganz mit Willen, mit Absicht und mit aller werbenden Gewalt seines Wesens, das sogar auf wilde Zechgenossen, nach allen Quellen, unwiderstehlich gewesen sein mußte, wenn er nur recht wollte und nicht hoffärtig zu werden begann.

[S. 145]

Um den Tag omnium sanctorum , also zu Beginn Novembers, war der Faust wieder zu Innsbruck, um des römischen Königs Majestät Bericht über den Fortgang im tiefen Loche der Porphyrfelsen zu geben.

Es hat damals der römische König viel mehr zur Arbeit getrieben als der Doktor selber. Denn zuerst wollte der seinen Famulus in die letzte Verzweiflung hetzen. Bald danach aber kam es dahin, daß Faust selber der Zurückgehaltene und Verzögernde war.

Denn jetzt war etwas geschehen mit seiner Seele, von dem sogar das alte Volksbuch in wunderlicher Mischung weiß. Das eine Mal erzählt es, er hätte sich, in seiner Sehnsucht nach Sinnenreiz und Heidentum, die griechische Helena verschrieben und mit ihr wäre er einen Bund eingegangen. Soviel kam immerhin von der Wahrheit in das Sagenbuch. Dann aber berichtet das Buch, daß er nahe daran gewesen wäre, aus des Teufels Klauen errettet zu werden durch ein Sakrament, das ihn dem Leben und der Schöpfung Gottes wiedergeben hätte sollen. Und das war jenes der Ehe. Beide Überlieferungen haben ihre Wahrheit und ihren Grund und beide gehen auf die Geschichte mit der Helena Chrysoloras zurück. In Innsbruck hieß sie nicht anders, als die griechische Helen’. Die fand er und faßte zu ihr eine [S. 146] Neigung, die endlich zur Hinverlorenheit und Leidenschaft wurde.

Die schlichte Urmär aber zu allen diesen Phantasien geht so:

Über das Mädchen war es wie Rausch von Glück und Schmerzen gekommen. Hier war endlich der Mann, der bis in alle Höhen und Tiefen ragte. Und er, der Wissendste aller Sterblichen, war zugleich der Absagendste und Unglücklichste; den Tod zog er allem Glück und Glanze vor und wollte in seiner tiefen Trostlosigkeit gleich die ganze Schöpfung mit sich in die Vernichtung reißen. Der Weiseste und Weiteste war zugleich der Verdammteste von allen, welche jemals gelebt hatten. Ihr graute vor dem ungeheuren Streben dieser Menschenseele; aber eine Hinneigung ohnemaßen zog sie zugleich an. Anklagen und verraten hätte sie den Mann, den sie zu lieben begann, nimmermehr können. Zu verhindern wußte sie ihn auch nicht, und da selbst der getreue Sympert von ihr zu ihm abgewichen war, so war sie völlig hilflos und allein zu einer Zeit, in der sie wußte, daß die Arbeiten am Felsenriß von immer zahlreicheren Bergknappen betrieben wurden, die dort in ihrem Gewimmel, ameisenklein, am schauerlichen Werke Faustens schafften und keiner Ahnung gewürdigt [S. 147] waren, daß sie immer mehr von den Tagen dieses Erdballs abbröckelten. Denn daß es dem Faustus gelingen würde, daran zweifelte das Mädchen, das ihn anbetete und sich blindlings unter seine Erkenntnis fügte, keinen Augenblick. Der Doktor hatte jahrelange Berechnungen vorausgehen lassen, hatte in allen Bergwerken die Hitze in den verschiedenen Schachttiefen ermessen und kannte den Schmelzmoment jeglicher Materie; er hatte das Satansöl erprobt und errechnet, und was er selber nicht zuwege brachte, das hatten seine tollkühnen Famuli und zuletzt gar der unselige Paracelsus, in seinen Diensten, auserprobet und berechnet. Der Menschheit eminenteste Gehirne waren an der Arbeit gewesen und Faust hatte einmal gestanden, daß, im Grunde, sein ganzes Leben an diese eine Absicht gewurzelt gewesen wäre. So war das leidenschaftlich bewegte Mädchen das einzige, lebensfrohe Menschenkind auf Erden, das genau um die Nähe des jüngsten Tages wußte.

Wie ihr, die zerrissen von Angst und Liebe war, zumute sein mochte, ist nicht zu beschreiben. Es verdrehten sich beinahe alle Stränge ihres Denkens und sie wäre dem Wahnsinne anheimgefallen, wenn sie nicht immer mehr den Glauben an Maria, die unsagbar [S. 148] gütige Magd, an ihr verzweifelndes Herz gerissen hätte. Tagelang lag sie auf den Knien und betete mit Inbrunst und Reinheit um Errettung dieser Erden und um Errettung ihres Faust aus einer Vernichtung, wie sie niemals in einem Menschenhirn gelegen hatte.

An einem solchen Tage, da sie sich den Faustus mit aller Macht ihres reinen Willens herbeigewünscht hatte, um sich ihm zu Füßen zu werfen und als Lösegeld für die von ihm gerichtete Erde darzubieten, war Föhn in der Gegend von Innsbruck ausgebrochen.

Es gibt wenige Gegenden, wo der nahende Föhn eine so unmäßige Abspannung und Bangigkeit in den Gemütern der Menschen, ja sogar der Tiere, erleben läßt, wie im Innsbrucker Tal. Es legt sich ein tödlicher Druck auf alle Lebenshoffnung, Kraft und Freudigkeit, daß jegliche Frische des Menschenherzens wie auf ewiglich verdammt und dahingeschwunden erscheint. Es haben sich im Gang der vielen Jahre Tausende von Menschen das überdrüssig gewordene Leben zu solcher Stunde genommen.

Am Grunde des El Ghor, da einstmals Sodom und Gomorra lag, kann kein ärgerer Druck und keine [S. 149] größere Trostlosigkeit sein, als sie in den bangen Tagen und Stunden vor Föhnwetter zu Innsbruck ist.

In solchen Stunden rang und betete die arme Helena. In solcher Zeit kam auch Faustus wieder nach Innsbruck; dumpf, ungläubig an sich selber und seinem Vorhaben, an seinem Werk, an seinen Berechnungen, an der Kraft seines Höllenmittels und an der Möglichkeit, überhaupt so entsetzliche Mengen des Greuels zu erzeugen, den er in verzweifelter Stunde erfunden und zum Tode dieser Erde bestimmt hatte.

Wenn irgendwo ein kleinster Fehler lag, wenn alles lächerlich mißlang? Was half ihm der Trost „ magna voluisse magnum ?“ Er war aller Eitelkeiten überdrüssig, eben weil er viel zu sehr und viel zu gierig den Eitelkeiten nachgejagt hatte, sein verstürmtes, verlornes Lebelang.

Wofür lebte er dann noch, wenn sein großer Haß, von dem allein er noch Kräfte erhielt, vor ihm selber klein und lächerlich geworden war?

Das zerpressende Wesen des Föhns drückte auf sein Gehirn, daß er es bersten zu fühlen meinte, erniedrigte sein Gemüt, seinen Stolz, seine Tatkraft. Alles erschien vergeblich, trostlos, unmöglich und winzig.

Da kam in der Dämmerung des Abends Helena [S. 150] zu ihm, nachdem sie (es war am Tage Allerseelen) tausend Lichtlein für die Dahingegangenen gespendet hatte und die Erlösten angerufen hatte, beim Vater der Schöpfung zu bitten, er möchte ihr die Kraft geben, den Faustus zu erlösen.

Gegen Abend sank endlich der erwartete Südwind von den Bergen herab und begann an Fensterläden und Dächern schauerlich zu rütteln. Als käme Frühling, so lau und veilchenweich wurde plötzlich die Luft. Aufatmeten die Menschen.

Faust saß in seinem Studierstüblein, das ihm der römische König in der Hofburg eingeräumt hatte, und war völlig verduckt und gebrochen. Steinalt und überlebt kam er sich vor. Da trat das Mädchen zu ihm und leuchtete im Scheine des Kaminfeuers wie die goldene Bildsäule einer antiken Göttin; so schön und scheu und schlank war sie.

„Fräulein,“ sagte Faust in erbebendem Staunen, „was fällt Euch ein, zu solcher Stunde mein Zimmer aufzusuchen!“

Helena sah ihn bloß stumm und bittend und zärtlich an. Sie fürchtete sich und hatte zugleich ein so herzzerreißendes Mitleid mit dem, der nichts anderes begehrte als den großen Tod, daß sie kein Wort hervorbrachte. Kaum zu bewegen vermochte sie sich.

[S. 151]

Faust stand auf. „Ich weiß, was Ihr sagen wollt: Der Faustus ist ein alter Mann und an ihm werden Jugend und Schönheit unbehelligt vorbeigehen, schienen sie ihm gleich ausgeliefert!“

„Das ist es nicht,“ sagte die Chrysoloras zitternd. „Es ist das Gegenteil. Ich bin gekommen, um hier alles von mir abzutun, was man uns Mädchen gelehrt hat an Scheu. Und, — und ich bin, — ich komme Euch fragen, ob Ihr mich haben mögt und nehmen als Entgelt für das Entsetzliche, was Ihr vorhabt.“

Der Doktor blieb erstarrend stehen: „Mädel, du weißt?“

„Alles,“ sagte sie.

„Wer sonst noch weiß das?“ schrie der Faustus. Alles andere empfand er jetzt nicht, als das eine, daß sein Plan verraten worden wäre.

„Niemand als der Sympertus und der dient Euch treulich, seit ich ihm gesagt, daß ich Euch liebte. Eben deshalb will er Euch, in seiner Verzweiflung, von der Welt helfen; sich will er von seiner Liebe helfen und mir von Euch.“

„Ihr wisset das also allein?“ fragte Faust staunend.

„Er und ich allein, seit Paracelsus zu Tode geworfen worden ist.“

[S. 152]

„Auch davon wißt Ihr?“

„Wer Krieg führt gegen die Weltkugel Gottes, der tritt auch über ein einzelnes Leben hinweg,“ sagte sie mit zuckenden Lippen.

„Und Euch graut nicht vor mir? Haßt Ihr mich nicht und fürchtet mich nicht als den leiblichen Schwager des Satans, der ich ja bin?“

„Das seid Ihr nicht,“ sagte das Mädchen.

„Ja, doch! Denn der böse Feind, das ist nicht der Tod. Das ist die Häßlichkeit: die Häßlichkeit des Leibes und der Seele! Seine Schwester ist der ewige Durst und die ewige Begierde und die hab’ ich erheiratet. Da wurde unser Kind daraus: der Haß und die Vernichtung. Weil es mir nie im Leben vergönnt war, Schönheit und Liebe zu finden. Immer hab’ ich nur Phantome umarmt, auch wenn sie lebendig und schön ausgesehen haben. Da ich sie aufbrach, da waren sie hohl und leer wie wurmstichige Nüsse! Alle, alle!“

„Vielleicht, daß ich es nicht bin,“ sagte das Mädchen angstvoll. Das bitterliche Weinen kam sie an.

Da getröstete sie der Mann, dessen Leben eine einzige Paternosterkette erfüllter Begierden und ekelvoller Ernüchterungen gewesen war, zärtlich wie ein [S. 153] Vater und faßte sie unter dem Gesicht, so daß er fühlte, wie die Mädchentränen auf seine Hände prallten.

„Helena,“ sagte er. „Geh dahin und laß mich mit meinem bösen Herzen und meinem vielen Elend allein. Ich will das Unterfangen noch einmal vor mein Nachsinnen stellen, um deinetwillen. Es ist ja die Wahrscheinlichkeit, daß es gar nicht ausschlagen und gelingen wird. Um deines Daseins willen wollt ich wohl noch zuwarten; aber nicht um solches Sklavengeschenk wie das deines Leibes, das dir die Angst abgefoltert hat. Denn du mußt wissen, der ungestüme und hitzige Mann geht zu allererst immer an die Zerreißung der Unschuld und versucht das Weib auch in der Seele zur Genossin seiner Lüste zu machen. So bin ich immer gewesen und hab’ das Fleisch genommen und hernach die Seele weggeworfen, die mir immer zu klein und elendig erschienen ist. Dasselbe würde ich auch dir antun, und das darf nicht sein: Du sollst keines Schwarzkünstlers Buhlerin werden.“

„Es ist unser Los, obwohl mich darnach nicht verlangt,“ sagte Helena mit gesenktem Kopfe. „Magst du bedenken, Johannes, wer mich sonst ergreifen und besitzen würde? Wäre er in dem einen besser als du? Und wär’ ich dir ihm wert?“

[S. 154]

„Ah,“ stöhnte Faust, in seiner ewigen Eifersucht getroffen, welche alle andern haßte.

„Ich denke mir, es ist das, was mir immer häßlich und beleidigend vorkam, bei dir eine Vorhalle und Stufe zu deiner Seele und deinem Vertrauen, ohne welche Prüfung ich niemals bis an dich selber gelangen kann. Nimm, was du mußt und wisse nur, daß ich’s zwar nicht mit Lüsten, aber mit Liebe ertragen werde. Ich werde abwarten und dir so lange mit dem Niedrigen dienen, bis du mich wegwirfst oder ohne mich nicht mehr leben, noch sein, noch denken und bauen kannst in diesem Leben. Entweder ich werde dir völlig zur andern Hälfte, der alles gehört, deine Pläne, deine Vermessenheit und deine Verzweiflung und Demut, oder ich hab’ mich überhoben, dir so viel sein zu wollen. Dann hab’ ich meine Strafe und dann wirf mich zum Abfall deiner andern Ernüchterungen fort.“

Faust schwieg stille.

So hatte er noch keinen Weisen auf Erden reden gehört und keinen arabischen Magus; keinen Priester und keine Jungfrau.

Das erste und das einzige Mal und das war jetzt und hier, da war es dem Faustus, der sich in der Kirche nur mit Spott und verständnisvollem [S. 155] Grinsen vor der Hostie gebeugt hatte, so, als müßte er in die Knie brechen und weinen wie ein Kind. Hineinweinen in den reinen Schoß dieses Mädchens! Und aus diesen Tränen der gefallenen Seele und Helenas bloßem Opferbereitsein müßte hier zum andern Male Der entstehen, der zwar nicht die starre Welt, aber die noch viel starreren Menschenherzen entzweisprengen würde!


Der verhaltene und harte Mann schwand zwar nicht zum Kniefall vor dem Weibe dahin, aber er setzte sich schwach und schwer nieder. Dem Kinde wies er wortlos seinen eigenen Platz am Kaminfeuer und es war eine lange Weile nichts zwischen ihnen, so daß das Mädchen sehr bange um den Ausgang seiner Herzenssache gewesen wäre, wenn es nicht gemerkt hätte, wie es in dem gefährlichen Mann zuckte und riß. Er kämpfte mit sich und versteckte seine Rührung, aber sie merkte es dennoch und streichelte ihn, wie ein Kind, wie eine Geliebte und wie eine Mutter, alles in einem. Und wußte innerlich, daß sie gesiegt und mit dem Fuß eine große Schlange zertreten hatte.

Hat sie der alternde Faust eingenommen oder [S. 156] sie ihn? Es ist ein Ding, über das jederzeit beide sehr glücklich sind.

Faust konnte weinen; — ganz leise ...

In jener Stunde also, da dem harten, gehässigen, höhnischen und gelehrten Doktor Faust heimliche Tränen geschenkt waren, wie vielleicht seit seiner Jugend nicht, hatte der Föhnsturm im Kamin allein seine Rede. Die zwei Menschen schwiegen, er aber litt und klagte und toste für beide. Das Feuer verkroch sich unter seinem brausenden Herunterfahren, dann rebellierte es doppelt; ebenso, wie die Herzen jener beiden Menschen, die sich kein Wort mehr zu sagen hatten und dennoch bald entbrannten, bald zu sterben und auszulöschen vermeinten. Immerzu aber sang das Element im Kamin. Es donnerte und es rieselten Sand und Ziegelstücke hernieder; es verpreßte sich und schnaufte und dann wieder weinte es; bald aufheulend, bald leise.

Das Mädchen: „Heute ist der Tag Allerseelen. Denkst du nicht daran, Johannes, daß unser Volk hier herum sagt, wenn der Wind im Kamin so sein Wesen hat, dann weinen die armen Seelen?“

Faust nickte und saß zu ihren Füßen hin, wie er vor langer Zeit bei der frühgestorbenen Mutter getan.

[S. 157]

„Nun warst du eine verdammte, arme Seele bei lebendigem Leibe,“ sagte das Mädchen, dem die Haare sich im Feuerscheine vergoldeten. „Leide nur immerzu mit; ich will dich nicht mehr verlassen.“

Faust aber vergrub sein Gesicht in den Knien des Mädchens und atmete das fremde, junge Wesen ein, ohne ihr etwas anzutun. Und so oft der an alle Begierden Verlorene spürte: das ist ja das schönste junge Weib der Erde, da stand er auf und ging mit großen Schritten auf und nieder und es ist wahr, daß ihm die Jungfrau dabei nicht aufatmend, sondern traurig zusah, weil er ihr Opfer nicht annahm und weil sie sich fürchtete, der Feind könnte stärker werden als alles, was sie zu geben hatte.

Aber als der Sturm dermaßen donnerte, daß die ganze Stadt an nichts anderes zu denken vermochte, als wie sie nur mit gesunden Dächern und Häusern den nächsten Tag herandämmern sähe, da fühlten beide sich zuletzt so ausgeschlossen von den Gedanken aller Welt, daß sie vermessentlich alles fortwarfen: Jedes eine ganze Welt, dem andern zuliebe.

Und von dem Tage an begann die Zeit, da ging der berühmte Doktor bei der Hofraitkanzlei den [S. 158] Krebsgang; hielt zurück, bat um Stundung und um Einhalt der Arbeiten wegen des Winters und war daran, ein Menschenkind zu werden. Schwach, klein und mitleidswert wie alle andern lieben und bösen, geratenen und mißlungenen Menschengebilde auch.

Die Chrysoloras aber war damals schöner als je und war so glücklich, daß ihr Vater immer sagte: „Du tolles Heidenkind.“

Er allein wußte noch nichts von ihren heimlichen Gängen zum Nigromanten. Aber in der Welt entstand damals schon, zuerst durch wegziehende Innsbrucker Studenten jene bekannte Fabel, der Faustus habe sich durch böse und schwarze Kunst die schönste Frau aller Zeiten erzaubert: die griechische Helena des Homer.

So wunderlich wird von den Menschen alles symbolisiert; immer steht nur ein Körnlein Tatsache da.

Das aber war es nun, Gott nehme es als Klage an: Wäre der Faust mit diesem unbändigen Glück zufrieden und seliglich geworden und geblieben, er wäre nicht der Faustus gewesen.

Im stillen hatte ers oft verwünscht, daß er der größten Schönheit niemals teilhaftig geworden wäre. [S. 159] Jetzt, wo es gekommen war, glaubte er zuerst oft, er müßte von Sinnen kommen und augenblicklich fertig sein fürs Tollenhaus, wenn er ihre still und bescheiden dargebotene Schönheit mit den Augen prüfen durfte. Er war weitherum in die Länder gereist, welche sich jahrtausendlang mit der Schönheit menschlichen Körpers und seiner Bewegung verwöhnt hatten und sah längst nicht mehr mit den Augen der bald zufriedenen deutschen Malermeister. Das aber, was ihm hier geschenkt worden war, hatte an Ebenmaß kein Grieche und kein Italiener in seinen höchsten Verzückungen erlebt. Er wußte es. Und, noch einmal, er erstaunte oft, daß er vor Glück über diese allerletzte und späte Gabe Gottes nicht irrsinnig wurde.

Aber es grübelte und wühlte in ihm von jungauf. Das konnte jetzt nicht abgewöhnt sein. Darum sagte sich der unzähmbare Mann: „Für ein biegsam und malenswertes Mägdlein gibst du deine Feindschaft gegen Gott hin? Diesmals lachen nicht alle Teufel; aber im Himmel mag es ein klingelndes Gelächter geben darob!“

Auch war noch etwas in ihm, von dem ungut sprechen ist. Aber weil hier von einem Manne die Rede geht, der bis an die Grenzen aller Sinnengierden [S. 160] gewüstet hatte, so muß es, ungern, gesagt sein. Er wollte von dem Mädel, das sich ihm aus einer Liebe ergeben hatte, die man treulich die göttliche nennen hätte dürfen, andere Liebe haben; ganz andere! Das heißt aber, verdorben, verbuhlt wollte er sie; — um kein böseres Wort zu brauchen. Irgend ein Teufel in ihm trieb ihn zu diesem Wunsche, nach dessen Erfüllung sie gewesen wäre, wie eine andere, hitzige Dirne, so daß er sie dann vielleicht nicht einmal gerührt von ihrer völligen Niederlage, verworfen hätte. Das schöne Mädchen aber gab sich, ohne daß die Sünde sie hinriß. Das wühlte in ihm wie eine Beleidigung.

Er wußte sich schöne und begehrte Weiber von einstens, die waren in einer Stunde siebenmal vergangen und hatten ihre Seele weggeseufzt. So wollte er die Chrysoloras haben. Er zerquälte sich, daß sie ihm nicht gab, was bei reinen Mädchen erst spät und aus einer bloß körperlichen Gewöhnung entsteht und dann nur wunderlich, ihnen selber und ihrem eigentlichen Wesen ferne und seltsam vorkommt. Denn sehr verschieden sind die Frauen in der Umarmung.

Der mißtrauische Mann aber legte das Wesen des Mädchens dahin aus, daß sie wohl unter dem [S. 161] Druck eines Jüngeren dahinverbrennen würde. Bloß ihm, nur ihm alternden Manne konnte sie das Entgegensprühen des Elektrons nicht mehr geben! Das wühlte und zerfraß ihn.

Und doch kann keine Treue sicherer bestehen, als die, an der keine Sinne teilhaben, sondern die sich an das urewige Wesen eines seltenen Menschenkindes klammert und nichts anderes begehrt als das.

Aber so ist der Mann, daß er den Leib im Staube sich winden sehen will, wie den eigenen. Und daran, an dieser Grenze, geriet Faust am Gotte vorbei.

Er glaubte nicht an das reine Weib und deshalb verzweifelte der unrein gewordene Mann jetzt an sich selber. Gab sich und seinen Jahren schuld. Konnte sie ihn beim Haupte nehmen und mit elfenbeinblassen Armen umringen und mit den Händen im Haar liebkosen, da meinte er, sie suche nach, ob er schon gar zuviel graue Haare hätte? So mißtrauisch und verloren war er und dachte sich das Mädchen so wie sich selber, während sie ihn bloß anbetete und inbrünstig ihm vergab und ihn koste, so gut sie es konnte. Je süßer sie in ihrer Liebe wurde, desto mehr verzweifelte er an ihr und sich selber. Alles legte er zuletzt anders aus.

Einmal, nachdem sie sich gesagt hatte: Du hast [S. 162] den erfahrensten Mann dieser Erde in deinen Armen, frag ihn aus, da begann sie: „Sag’ mir, Faust: Wozu, da du alles durchforscht hast, wozu meinst nun du, daß Gott den Menschen erschuf?“

Da fuhr der mißtrauische Mann auf: „Du willst wohl Mutter werden und dafür ein Sprüchlein haben?“

Das Mädchen richtete sich beinahe erzürnt und ernsthaft auf: „Ich frag’, was ich frage, ohne einen andern Gedanken, als daß du allein mir darauf vor allen andern Menschen Antwort geben könntest.“

Dasmal sah Faust ein, daß ein Kind mit seiner Seele gefragt hatte und erwiderte ihr in seiner Weise: „Gott hat den Menschen erschaffen, damit der ihm Antwort gäb’ auf Ding’, die er selber nit weiß!“

„Faust, ist das dein Ernst?“

„Mein Ernst. Soweit ich Gott neben die Vernunft gestellt habe, hat er sich mir als ein liebes, dummes, aber ungeheuerlich sicheres Lasttier erwiesen, das neben den gefährlichsten Abgründen gehen kann, ohne hineinzustürzen. Bei diesem Schreiten neben Abgründen kannst du auch am Menschen abpassen, wieviel vom Gotte in ihm steckt. Unsere Vernunft ist ihm, was uns ein Kartenspiel [S. 163] in müßigen Stunden ist; er sieht hinein, macht Mischungen, führt verschiedene Spieler zusammen und wirft zuletzt alles durcheinander: Es war ja nichts. Darum wollt’ ich ihm ein Spiel wenigstens verderben! Mehr vermag auch ich nicht.“

„Und hast es aufgegeben?“

„Und tät’ es aufgeben, solange ich dein Gott wäre. Dein einziger, dein eifersüchtiger, dein alldurchdringender, der nicht einmal ein armes Holz- oder Ölbildlein neben sich dulden würde!“

„Das bist du, ich schwöre es dir,“ sagte das Mädchen und küßte den Mann, den sie so sehr liebte, weil er so ungeheuerlich und gefahrdrohend gewesen war und nun ihr zuliebe so mild und gezähmt. Wirklich, sie liebte ihn über alles; denn keiner war so abseits und so nahe am Äußersten. Auch hatte er abgründig mißtrauische, todtraurige Augen; in die konnte sie nicht genug schauen. Dann war er in vielem dennoch wie ein Kind geblieben. Er hatte dichtes Kraushaar. Auch sein Mund war herb und irgend eine Lust war deshalb in ihr unersättlich, diesen absagenden Mund in weichere Form zu küssen. Weiter, er war hungrig nach ihr wie ein erst Gewordener. Das erhitzte sie nicht, aber es schmeichelte ihr viel mehr, als er ahnte. [S. 164] Sodann, aber lange nicht zuletzt, seine Stimme klang verschwebt und traurig; gar nicht hart und haßerfüllt. So, daß sie sich immerzu wundern mußte, wie ein Mann mit so entferntem Ton den Ingrimm fassen hatte können, alles zusammenzuschmeißen, was Gott in Jahrtausenden erbaut. Daß nun sie allein dawider und dazwischen kam, das machte ihr so hohen Mut und solches Glück, daß sie immer mehreres an ihm schön fand, als diese eben gesagten Dinge, und wirklich und wahrhaftig in den zu Jahren kommenden, armen Mann verliebt war, an dem es so viel zu bewundern, so viel, sich zu entsetzen, und so viel zu bemitleiden und zu bemuttern gab!

Das war, in kurzem zusammengefaßt, die Liebe der Chrysoloras. Und während die Theologen, ferne oder nahe in Innsbruck, die erschreckendsten heidnischen Liebesnächte ahnten und der verhohlenen Chrysoloras alle Laster ansahen und zumuteten, da war es so was Herzliches und Inniges und Zutrauliches mit der Mädelseele, daß man wohl glauben hätte dürfen, Gott selber hätte sie endlich und letztlich zum Fausto gesendet, damit sie ihn errette und erlöse. Denn mehr konnte auch er nicht geben.

Es kamen noch andere Sendboten des Allgütigen [S. 165] zu dem verlornen Manne, um seine Seele sänftiglich zu ermahnen. So ließ sich dieser Winter dermaßen milde und gütig an, daß Faust, der immerzu an der Begierde nach dem Süden, seiner vielen Sonne und seinen Früchten litt, beinahe im Boznerlande zu sein glaubte; so weich und gut ging es zu Innsbruck damals her, seit jenem Föhn.

Er ging einmal von seiner Geliebten, die ihm gefügig, demütig und zärtlich erschienen war, wie sie ihm noch nie bedünkt hatte — (und das war viel) — mit einer Seele, die gerührt war wie die eines Genesenden, in den lieben Novembersonnenschein hinaus, ging über den Paßberg bis zur Sillschlucht und schaute den herrlich klaren Sturzwassern zu, wie die eilig gegen Süden hinwirbelten. Dorthin, wo sein erschreckliches Werk weitergedieh, ohne daß er mehr dabei sein wollte. Vielleicht floh er mit Helena? Von einer lieblichen Willenlosigkeit erfaßt, ließ er seinen Tag dahinspielen, als wäre er mitten in seiner Jugend.

Er war heute dermaßen ergriffen über die Liebe, die ihm, dem unschönen und bejahrten Manne da gegeben worden war, daß er an allem Gefallen fand und dem Gotte, mit dem er sonst ingrimmig zu hadern pflegte, in seiner unziemlichen Weise, aber [S. 166] nicht höhnisch, jetzt zurief: „Manchmal machst du es doch ganz hübsch, du alter Sünder und Lebetappel!“

Es waren unschöne Worte; jedoch sein Herz, das er vor sich selber zu verstecken strebte, war an diesem Tage viel schöner.

Da aber zogen Bauern vorbei und ein paar Bürger; die hatten sich aus Brixen und Sterzing zusammengetan, um in der Residenz den Andrämarkt zu besuchen. Und das übermütige und gutlebige Volk sang, alle zusammen, das damals berühmte Leiblied aller gesunden und derben Philister:

„Ach Gott, durch deine Güte
Gib uns Mantel, Rock und Hüte;
Dann Rösser, Säu’ und Rinder,
Schöne Weib’ und noch mehr Kinder!“

Da blieb der Faust stehen.

Der urgesunde Hohn dessen, den er Gott nannte, stieß kräftiglich auf seine Träume hernieder. Er machte ein böses Gesicht und schaute den Kerlen nach.

„Wenn ihrer einer, nur einer von ihnen so was wie dein Ebenbild wär, du Dalk dort oben! Ein Ebenbild, wie die wälschen Maler hinstellen,“ murrte er. Als die Davonziehenden aber das Lied nicht [S. 167] genug jubeln konnten, da rief er ihnen nach: „Daß euch die Franzosen dazugesegnet sein mögen, ihr Mißgebäck!“ Und sah ihnen mit zornflammenden Augen nach! „Ich möcht’ doch sehen, ob ich, der Faustus und Denker, mich je unterwunden hätt’, einen Bamsen in die Welt zu setzen! Ich, ich tät’ mich des schämen und unwürdig fühlen! Da ist aber ihrer keiner, der schöner von Leib wäre, als ich armer Schwartenhans! Ausschauen tun sie, wie Bastarde von Feldrüben und Alräundeln. Und solche Affenbande möcht’ sich nicht genug wiederholt und fortgezeugt wissen? Daß einem das Kotzen ankommen müßt! Und so ist die ganze Erden getan. Ehedem waren der Menschen gar wenig, da standen sie nahe bei Gott und hatten einen Abglanz von ihm; — so oder so. Der Schönheit war viel da und der unholden Masse wenig. Jetzt sind es in den Städten schon hundertmal tausend Rauhwuzeln, Rüpel und Dirnen. Millionen! Und schaun aus, wie Ackerknollen. Müssen sich aber vermehren, daß es langsam zum Verzweifeln sein wird auf der überwimmelten Erden! Krieg und Quälerei und Blutvergießen und andere Bosheit treiben sie genug, aber all’ das, samt der Pest, kommt nicht auf gegen ihre Wonne, immer mehr Affen ans Tageslicht zu setzen!

[S. 168]

„Ein einzigmal war das Paradies. Da waren die unbewußten Tiere, die jetzt mit Fleiß ausgerottet werden, die wimmelnde Menge. Und über allen stand allein aufgerichtet, das Haupt zum Himmel erhoben und über sie wegschauend, der eine Mensch. Der eine! So wie ich mich bedünk’, der eine und einzige zu sein. War der Adam der erste, ich, der Faustus, will der letzte sein. Geh’ es, wie es muß!“

Er atmete schwer in seinem Ingrimm. Da fiel ihm ein, wie ja gerade Gott zu jenem hochaufgerichteten Einen und Einsamen die Eva hingestellt. Ebenso, wie jetzt zu ihm? Da er doch schon ein langes Leben, allein und trotzig abgeschieden von dem andern Geschmeiß, verharrt hätte. Längst sah er die Menschen nicht mehr als Brüder und seinesgleichen an.

Aber er schüttelte alle lieben und weichen Gedanken von sich. — Brüder?

Sogar für die Gekrönten hatte er nur Kurzweil und Possenspiel losgelassen; denn sie, weniger noch als andere waren einer ernsten Belehrung wert. So hatte er alle und alles verachtet und sogar von dem Tiefsten und Schauendsten neben ihm, dem großen Paracelsus, hatte er einmal gesagt:

[S. 169]

„Der ist nur ein Instrument der Menschheit. Ich bin der Mensch selber.“

Und damit wollte er der Letzte sein.

Vergrämt und verekelt ging der Doktor seine einsamen Wege durch die holde Landschaft weiter und merkte höhnisch, wie auf dem sonnigen Hang gegen Schloß Ambras zu, den er jetzt wandelte, allerlei Blüten sich hervorwagten. „Das ist Er; ja, das ist Er! Wo es nur angeht, drängelt und ringelt er sich wichtig herfür! Und wär’s im Dezember und müßt da alles gleich wieder erfrieren; die Dummheit muß gewagt und gemacht sein!“

Er blieb stehen. „Bei jedem Menschen noch, den ich gesehen und erleben mußte, hab’ ich mir die Frage gestellt: ‚Ist er denn überhaupt wert, daß er lebt?‘ War er jung, so lag das Ja, dann und wann, aber gar selten, näher; wegen der Hoffnung, daß noch was Göttliches draus ersprieße. Aber was haben die dann alle aus sich gemacht!“

‚Herr, schenk’ uns Säu und Rinder, Weib und noch mehr Kinder!‘

„Und selbst wenn unsereins, in brennendem Bemühen, sein unersättlich Herz zur Ewigkeit emporhält und frägt: ‚Gott, Gott, was ist das alles und warum läßt du uns ewiglich so weiterbetrogen sein? [S. 170] ‘ Wer bei ihm die Wahrheit sucht, der erlebt bestenfalles kalte Antwort, wie er sie dem hochwissenschaftlichen Paracelsus oder auch irgend einem Mathematicus gab! Er ist ein unsagbar nüchterner Gesell, vor unserm Verstande.

„Nur wer dahingeht wie ein Kind, der lebt im Rausch. Aber im selben Rausch wie diese Novemberblumen, die in drei Tagen erfroren sein werden. Fopperei ist alles.“

Er blieb wiederum stehen: „Nur zwei Menschen gab es auf Erden. Den ersten, der den Gott schuf; — den zweiten, der ihm absagte.“

Der Magier war wieder in seinen unzerreißbar festen Gedankenkreis hineingeraten: Dieses Spottbild einer Schöpfung, mit dem Menschen obenan, müsse hinweg. Das hatte er sehr oft und mit hinreißendem Feuer dem jungen Stainer in dessen ohnedies verwundete, arme Seele gelegt. Er hatte es ihm flammender eingebrannt, als Farben in einem gemalten Fenster sitzen. Der Junge konnte jetzt nur mehr mit Faustens Augen sehen, nur mehr mit seinem Hasse atmen, nur mehr an Gott denken als den großen Possenspieler, Fopper und Torkler, der, im Grunde ohne eigene Vernunft, alles rundum elend machte, und dem mans zurückgeben mußte!

[S. 171]

Für diese seine verzweifelnde Lehre hatte der Faust zu allen Zeiten andere Worte und Laute. Zuweilen so rührende wie ein Kind. Und gerade dann ergriff er seinen magisch gebannten und nach ihm dürstenden Schüler am meisten.

„Es ist ja alles nur Heimweh und Heimbegehren,“ sagte er einmal in ergreifendem Ton, der dem Jungen durch die Seele schnitt! „Es ist ja gar keine Auflehnung, was ich tue, sondern unsinnige Begierde: Zurück zu ihm! Zurück in den Schoß, wie ein ungeborenes Kind! Ist er der Unbewußte und Ahnende, als den ich ihn weiß, warum bin ich verdammt, zu wissen und zu durchschauen? Zu hohnlachen und zu verzweifeln?! Geb’ er uns doch sein entzogenes, väterliches Gut, uns allen, damit Ruhe wird und die Häßlichkeit nicht ganz und gar überhand nimmt! Sollen denn nur die Guten aussterben? Denn dahin treibt es! Und die Krummbeinigen mit den Affenstirnen werden frechhin die Erde überwimmeln! Hinweg also mit den Sehnlichen, denn sie leiden zu viel: Hinweg, mehr noch, mit dem Aasgeschmeiß! Mag sich die alte Feuerkugel stillbesinnlich wieder im Tanze drehen wie ehe; ich ertrage den Menschen nicht mehr!“

Nun mag man sich solche Worte und herzzerreißende Klagen in der Seele eines todwunden Jungen wachsen [S. 172] vorstellen. Dessen geheime und hinuntergebissene Liebe war hoffnungslos. Zudem neigt gerade die blumenzarte Jugend viel mehr zum Tode hin und Schwermut, zum Verzweifeln und zur Sehnsucht nach dem harmonischen Verklingen, als der ältere, holzige und ausgedorrte Lebenswille. Das Sterben steht in magischer Nähe zu jenen vielleicht, weil sie noch die unbekannt gewordenen Harmonieen des Nichtseins im Ohr nachklingen haben.

Ja; es entstand eine reißende Sehnsucht in dem wahnsinnig gewordenen Knaben nach der endlichen Vernichtung. Und daß er allein ausersehen sein sollte, der Amanuensis des großen Widerpartners Gottes zu sein, der Arm des Vernichters, das zog ihn vollends hin.

An diesen seinen jungen Gesellen dachte Faust nunmehr die ganze Zeit und er überlegte, ob er ihn nicht wieder heißmachen und aufhetzen sollte. Dann sah er um sich, sah die Erde lächeln, als wäre Frühling, entsann sich abermals, wie dieser Tag so recht ein Symbol des ganzen Truges wäre und warf sich, von zwiespältigsten Gefühlen überrannt und verzweifelnd, am Weg ins frisch herausgekommene Gras, das so betrogen war, wie er selber und stöhnte: Vor Hilflosigkeit, vor Anklage, vor Flehen um Gnade und Friede.


[S. 173]

Das liebste Mädchen indessen wußte, wie schwere Rückfälle in die alte entsetzliche Melancholie ihr einzigster Mann hatte und sie diente ihm auf das zärlichste, aber auch auf das behutsamste und klügste. Da nicht ein Brand der Sinne sie zu ihm gerissen hatte, vermochte sie es, trotz aller Zärtlichkeit und Liebe und Sorge, sich zeitweise von ihm fernzuhalten und so immer seine Sehnlichkeit nach ihr zu schüren. Wenn er dann über die Maßen hungrig nach ihr war, kam sie und gab karg, bescheiden, aber unendlich zärtlich. So blieb Faust vollkommen ihres Wertes bewußt und wurde hingehalten und verzögert, einen Tag um den andern. Bis eben auf jenen trügerisch bestrickenden letzten Novembertag, der ihn an sein vergängliches, im Winter entstandenes Frühlingsglück erinnerte.

Zu spät, zu vergänglich! Zu hold und eben darum unerträglicher, als wär es zu rechter Zeit gekommen!

Wie Faust nun war, mißtrauisch und immer aufs Völlige und Letzte gierig, wollte er nunmehr erforschen, wie es in der Seele des Mädchens aussehen möchte. Ob ihre Treue aushalten möchte? Auch um den ergrauenden und gebückten Mann? Und ob er, der sich vermaß, der einzige Mensch auf Erden zu gelten, ob er wenigstens dem jungen und [S. 174] schönen Weibe der Erste und der Letzte, kurzum, der Einzige wäre und bliebe?

Dann, so wollte er’s in Gottesnamen hinnehmen und einen Vergleich mit Gott eingehen und zufrieden sein, oder zufrieden tun, und sich bezwingen; Amen.

Das aber, in die Seele des Mädchens zu blicken, wie in ein klares Brunnenwasser, das vermochte der Doktor gar wohl. Schon daß er, in vielen Gegenden und Gelegenheiten, die Menschen ausgelernt hatte, diente ihm auch hier, und er hätte dem makellosen Mädchen, als erstem Geschöpf auf Erden vielleicht, vollhin vertraut. Aber er wußte mehr und konnte tiefer und weiter forschen. Und das war nun eine seiner schwarzen Künste und er betrieb sie also:

Als er eines Tages wußte, daß am Abend das liebe Mädchen zu ihm kommen würde, bereitete er sich den ganzen Tag und sogar die Nacht vorher darauf vor; stärkte sein Innerstes durch Enthaltsamkeit und ließ nichts als unalltägliche Gedanken in sich. Aber auch davon so wenig, als er ihnen nur immer abwehren konnte. Er saß, völlig in sich geschlossen und geklammert, stille, bis die Lebenskraft in ihm weder aus noch ein wußte. Er aber bändigte sie weiter und wußte sogar das Drohen und Blitzen [S. 175] seiner unruhigen Augen in Starre zu bannen, ganz so, als wäre er aller Dinge überdrüssig, apathisch und gleichgültig wie ein hinsterbendes Tier, das nichts mehr auf Erden begehrt.

Gegen Abend dann erhob er sich langsam und nahm ein großes Stück Holzkohle. Mit dem beschrieb er, sich mächtig ausdehnend, einen Zirkel auf den Estrich seiner Stube. Der Zirkel war etwa so groß wie ein sehr enges Brunnenloch; nicht mehr als anderthalb Ellen im Durchmesser.

Nun begann er das Rund mit schwarzer Kohle auszustreichen und er zog seine breiten, dunklen Striche mit etwa solchen Bewegungen, wie eine Katze tut, wenn sie erwacht und sich dehnt, um die allzu überschüssige Kraft herauszurecken. Oder wie ein gesunder Mensch, der sich nach langem und tiefem Schlafe im Vollgefühl des Übermutes dehnt.

So strömte Faustus dasselbe Geheimnis von sich, von dem er im Buche zu Salzburg gelesen hatte: „Wisset, daß es einen wunderbaren Stoff gibt im Körper des Menschen, genannt Luz. Der ist des Menschen ganze Kraft und Tüchtigkeit, zugleich die Wurzel und der Boden von allem Sein. Und wenn der Mensch vergeht, so stirbt und vergeht diese Kraft nicht und löst sich dabei nicht auf, wie der Zufall des [S. 176] Körpers. Selbst wenn sie auf einmal in das größte Feuer getan würde, so brennt sie und verzehrt sich nicht. Sie kann auch nicht geteilt werden und zerbrochen oder zerstampft oder zermahlen, sondern sie ist ewigdauernd. Im Menschen und nach dessen Hinscheiden, so wie geschrieben steht im Ecclesiastica 26: Et ossa sorum impingabit .“

Diese Kraft nun, die Himmel und Erde und alle Fernen gleicherweise durchpulst und alles erschauern macht, was geschaffen oder noch ungeschaffen ist, gab Faust, der ihrer Herr geworden war, mit einer Art Grauens von sich hin, so daß sich ihm die Haare knisternd hoben und sich sträubten, wie bei einem, der arg entsetzt ist. Er aber bestrich das ganze Rund völlig mit der schwarzen Kohle und streckte und dehnte das hinein, was törichte Menschen den Willen nennen, was aber gar nicht ihrer ist, sondern des unheimlichen Allbelebers Geheimnis.

Es kam nun das Mädchen.

Wenig geheimnisvoll, sondern unbefangen tuend, empfing sie Faust und sprach von vielen Dingen, aber nicht besonders zuredentlich. Sondern er lauerte leise dahin, wie sie immer mehr von dem schwarzen Rund gefangen genommen wurde, wie ihr der Atem schon etwas kürzer werden wollte und sie, je länger [S. 177] je mehr, nach dem dunklen Kreise starrte, so daß ihr zuletzt die Augen weit und angstvoll wurden und sie nicht mehr loskonnte von dem, was sie unwiderstehlich dorthinzog.

„Eva, laß ab,“ sagte Faust, freundlich prüfend. „Hast doch schon mehrere kabbalistische Charaktere bei mir gesehen und doch nicht begehrt, in sie einzudringen. Wirst mir auch jetzt nicht neugierig sein.“

Helena schüttelte die Locken aus dem Gesicht wie wirre Gedanken. Sie versuchte, sie zu sammeln. Aber bald umging sie, im Kreise, wieder den schwarzen Fleck. Immer näher kam sie ihm, es zog sie mit unwiderstehlichen Gewalten hin. Mehr, viel mehr, als der Schwindel den Erbleichenden an hoher Wand aus der Tiefe her erbeben macht, — aber ähnlich.

„Daß du mir nicht zu nahe herantrittst,“ schrie Faust ihr bedrohend zu: „Es ist dort, wie ein tiefer Brunnen; abgrundtief, daraus die Vergangenheit steigen kann und auch die Zukunft, so sehr reicht er bis an die Ewigkeit hin! Du würdest hineintaumeln und dich zerstürzen! Um aller Kräfte willen, geh nicht zu nah heran und betritt den Kreis nicht! Hinunterschauen aber magst du immerhin.“

Leichenblaß und zitternd schritt das Mädchen hinzu und die Knie schlotterten ihm so sehr, daß Faust [S. 178] jeden Augenblick zu ihr zu springen bereit war, um sie zu halten. Aber sie stürzte dennoch nicht, sondern vermochte sich, auf versagenden Füßen, schwer und schleppend, zu erhalten.

„Was hast du?“ fragte Faust.

Das bejammernswerte Geschöpf, das jetzt nicht einmal mehr schön zu nennen war, so entstellt war es vor Schwäche, Neugier und Entsetzen, brach in ein irrsinniges, verlegenes Kichern aus.

„Was hast du?“ wiederholte er. Da kicherte sie noch gepreßter und lachte dann krämpfig und schrill auf.

„Gesteh’s nur ruhig. Knie’ daran hin und schau dich satt; es soll dir keine Schande sein,“ tröstete er. Da kniete sie an den Rand des schwarzen Fleckes, und nun schien ihr wohler zu werden. Der Schwindel ließ nach, der Angstschweiß verflog langsam und das Grauen verwandelte sich in eine Art Jammer; dann in Mitleid, später in Teilnahme, zuletzt in Entzücken.

„Nun, was siehst du?“ fragte Faust, mit nachschleichenden Augen.

„Kinder, holde Kinder, wie Engelsputten,“ rief sie mit mütterlich überquellender Liebe. Beinahe jauchzte das Mädchen.

[S. 179]

Sie vergaß des Schwindels vor der schwarzen Brunnentiefe, die aus unermeßlichen Abgründen bis zu ihr heranreichte und stemmte die lieben Arme zu beiden Seiten auf, während eine unsagbare Verzückung sie holdseliger erscheinen ließ, als jemals. Ihre Farbe war zurückgekommen und ihre Wangen schön und erglühend; ihre Augen schwammen in unermeßlicher Zärtlichkeit und Sehnsucht. „Ah,“ rief sie, als zerpreßte es ihr das Herz und die weiße Kehle. „Ah!“

„Red’ dir’s von der Seele,“ riet Faust mit erbebender Stimme.

Da fuhr sie zögernd, dann aber immer reißender, fort in ihren Gesichten. „Du, du, Zunächstes, du Kleines, Kleines!“

Sie sah sich nach dem Manne um, der abseits stand, das nachdenkliche Antlitz gesenkt und die Hand in den Bart und um das Kinn geklammert. „Siehst du nicht her? Jammert es dich nicht? Es bewegt die reizenden, die vollen Lippen, und die hat es von dir. Und es hat den schauenden Blick der Augen von dir, das geht mir bis ins tiefste! Du, Johannes! Hörst du, es bewegt die Lippen, aber es möchte gar nicht saugen. Reden möcht es, denk dir Johannes!“ Ihre Stimme verschlug sich beinahe [S. 180] vor Mitleid und Liebe und bekam einen zauberisch süßen, flehenden Ton: „Sie alle möchten schon reden, denk dir, du, du, hilf zu!“

Und mit herzzerreißendem Blick: „Sie wollen Mutti sagen!“

Eine Weile starrte sie hinunter, dann fügte sie mit einem Schmerze und einer Gequältheit ohnemaßen hinzu: „Und dürfen nicht!“

Sie stöhnte in Sehnsucht, dann lief ihre Rede weiter: „Aber du, sie haben doch alle deine Augen, deine trotzigen, deine scheuen, deine verdunkelten, geheimnisreichen Augen! Nur den Hals, den haben sie von mir. Oh du, sie haben gar keine hohen, starken Schultern! Rund, rund und lieblich ja, aber nicht belastet! Eins von ihnen kann sich jetzt nimmer halten. Du, du! O die runden Ärmchen, wie sie sich stemmen! Hilf, es will klettern. Die wehrlosen Knielein, wie sie sich abmühen, und finden keinen Halt am Rande und — — Faust! Faust!“

Mit der entsetzlichen Angst des Tieres, das nicht selber sterben darf um der Jungen willen, sondern sie verderben sehen muß, was unbeschreiblich grausam ist, rief sie: „Ich lass’ es nicht zu, ich will nicht! Lieber will ich selber mit ihnen — —!“

[S. 181]

Ein so entsetzlicher Schrei gellte aus der Kehle des gequälten Mädchens, welches ihr junges Volk immer schwächer zu ihr streben und haltlos gleiten, ja zu stürzen beginnen sah, daß Faust mit einem jähen Sprunge heranschnaubte, sie zurückstieß, so daß sie hintenüber in Ohnmacht sank und seinen roten Mantel über das schwarze Rund hinwarf. Das Mädchen hätte sich sonst zu den stürzenden Kleinen in den Abgrund geworfen und wäre, auf dem magischen Kreise, tot liegen geblieben.

Schwer, wild und schwer atmete der erschütterte Mann.

Und er stand lange Zeit, schaudernd. Viele Künste hatte er geübt und oft war er über einen Hingestürzten weggeschritten, dem die Magie Herz und Seele verklammt und ihn getötet hatte. Das, jetzt aber, war ihm bis in die Nieren gegangen. Er vermochte selber nur mit Anstrengung zu stehen und zu atmen. Starr blickte er auf das wesenlose Bündelchen Leib, wie es da lag, zusammengekauert, sowie er es hingestoßen und es seine Besinnung verloren hatte. Endlich raffte er sich zusammen und ging, mit einem keuchenden Seufzer, nach Mixturen. Dann redete er ihr ruhig zu. Von dem, was er sagte, sind ihr später die Verse erhalten geblieben, [S. 182] die er mit dem tiefsten Mitleide und väterlicher Milde sprach:

„Was willst denn du?
Die ewig Unruh oder ewig Ruh?
Die ewig Ruh, die kennt die Seligkeit,
Die dir ein tiefer Schlaf allweile beut.
Die Hast, die ist ein ewiger Herod’,
Der mord’t dein Kind und gibt dir selbst den Tod.“

Mehr unter dem Ton seiner Stimme, als unter solchen Worten schlug sie gänzlich andere, irre, hilflose, aber nur mehr verwunderte Augen auf. Nichts an ihr schien mehr gestört; sie war bloß wie nach einem schweren Traume, von dem sie nichts mehr wußte. Wie zerschlagen.

Nur aus ihrer elfenbeinweißen Haut dampfte immer noch die Angst, und Faust erschauerte, als hätte er ein andres Wesen in den Armen. Sonst hatte das einzige Mädchen einen Duft, behaglich, wie heiß angeplättetes Linnen; hausmütterlich und lieb. Jetzt spürte er Fremdes, ihm Feindliches an ihr und als sie sich erholt und auf viele verwunderte Fragen nur dürftige Antwort erhalten hatte: „Dir ist schlecht worden,“ oder „Geh nun zum Vater, ich [S. 183] habe Angst um dich,“ da mußte sie sich doch zum Fortgehen anschicken, war deshalb traurig, entschuldigte sich, verwundert und verwirrt, daß sie ihm statt Liebe und Lust nur Schrecken gebracht hätte und ging endlich, auf ihren schwachen, zitternden Füßen fort in die Nacht hinaus und nach Hause. Sie schämte sich sehr.

Hinter ihr aber ballte sich Faustens Seele schwarz und grimmig zusammen wie Wettergewölk.


[S. 184]

Auch auf der Gasse ging es nicht geheuer zu. Zwei Männer hatten, jeder verhohlen und ungesehen vom andern, auf die Chrysoloras gepaßt. Zuerst sprang der junge Stainer aus dem Dunkel und wollte der Geliebten nach. Sie ermorden, sie schützen? Was wußte er selber! Er war namenlos unglücklich! Helena, die Dirne des Meisters!

Der andere maß ihn flink und berechnete seine Bewegung, seine Gestalt und sein unsicheres Unterfangen; dann eilte auch er vor und faßte den Scholaren am Arm: „Still,“ zischelte er.

Der Junge erstarrte. Im schwachen Mondlicht sah er ein Antlitz, abgründig häßlich. Breite, freche, höhnische, nichts glaubende und nichts bemitleidende Lippen, tückische Augen, breiter, niedriger Wollschädel, abstehende Ohren, Lasterfalten am ganzen gemeinen Antlitz heruntergezogen. Erst dachte er: „Des Fausti Schwager, der Leibhaftige!“ Aber dann ward er sogleich inne, daß keiner der Bösen so auszusehen vermöchte. Mögen sie entsetzlich sein, sie sind Geister und sind groß. Dieses Antlitz, in [S. 185] seiner niedrigeren Gemeinheit und gänzlich seelenlosen Häßlichkeit, konnte nur einem Menschen gehören!

„Was wollt Ihr?“ stammelte der Student.

„Warum hast du auf die Chrysoloras gelauert?“ fragte der andere so drohend dawider, daß Stainer sich verteidigte: „Ich bin doch ihr Vetter, der Sympert!“

„Dann mags gut sein; mich hat ihr Vater aufgestellt, der alte Chrysoloras.“

„Du bist so einer, was die Welschen Bravo nennen?“ fragte Stainer mit Grauen.

„Ich bin sein Diener, weiter nichts; das merk dir. Du hast gesehen, wie weit die beiden sind. Du weißt nicht, ob du dawider sein sollst oder dafür?“

„Wahrhaftig, das weiß ich nicht,“ stammelte der junge Mensch.

„Na. Ich will dir Zweifel und Mühe bald abnehmen.“

„Mann,“ sagte der Student traurig: „Das wird kaum notwendig sein; denn er selber sinnt sich nichts anderes, als seinen Tod.“

„Mag ehedem gewesen sein; ehe er das Mädel hatte.“

Der junge Mensch griff sich nach dem Herzen. Wenn der Meister um des Weibes willen, um seiner sehnlich Begehrten willen, abstand von dem [S. 186] Übergroßen und sich im Getändel niederließ, dann war für ihn das allerletzte dahin. Daß er die Helena erst hinnahm, aber dann dem Gott, mit höhnischem Dank, wieder zustellte, das hätte er ihm zugetraut. Aber daß der weitgewagteste aller Menschen — — Nein!

„Der gibt sich weder gefangen, noch gibt er sich zufrieden,“ sagte Stainer endlich. „Laßt ihn. Er wird Euren letzten Dienst nicht brauchen. Auch könnt Ihr ihm nicht an. Nur er sich selber. Und das wird geschehen.“

Der fremde Mann trat kurz lachend in die Nacht zurück und Sympert sah, wie lang der Oberleib des kleinen Kerls war und wie abscheulich krumm und verdreht seine Beine. Ihn ekelte.

Was alles dem Meister nach dem Leben strebte, das er doch selber längst verachtete! — Aber wenn sich der Faust dennoch auflöste in dieser späten Liebe?

Mit Zweifeln und Verzweiflungen sich umherschlagend, ging der junge Mensch, der sich in den Todesgedanken so merkwürdig verstrickt hatte, nach Hause.

Faust oben blieb allein und unbehelligt.

Er stand immer noch vor seinem hingeworfenen, roten Mantel und trug beinahe selber Scheu, das greulich zum Leben erweckte schwarze Rund wieder [S. 187] zu enthüllen; — so, in einsamer Nacht. Endlich riß er doch die Schaube fort und lachte kurz und krämpfig auf. Ihm tat es nichts. Er wischte die Kohle weg, die für den Meister nichts als Kohle war, so leicht, wie der loseste Spinnweb. Überall flog sie nichtig umher, als er sie zerstäubte. Dann ging Faust in der Stube hin und wider.

„So hab’ ich sie! Jaha, so hab’ ich sie: Das ewige, versteckte Mütterchen! Ich soll den Affentanz mittun, weiterführen und teilhaben an dem Spottgewimmel; jaha! Und wenn mein Sohn Kaiser würde:

„Was ist mir, Fausto, der Kaiser? Ein allen voraustanzend’ arm’ Prunkäfflein; immer auf sein eigen Spiel bedacht. Demütig Dienst und Erkenntnis seines Amts hat er nicht in sieben Tagen seines Lebens. Und dann hat er dumme und rohe Einflüsterer dazu. Nein, mein Sohn wär mir zu gut, um Kaiser zu werden. Und was würd’ er dann sonst? Wie ekelfett sind diese Herzen von Vätern, die ihre eigene Brut mit andächtiger Liebe salben, bloß weil sie, in ihrer verdeckten Eitelkeit, vermeinen, die wären von ihnen!

„Wer ist denn seines Vaters? Das Hurenkind deiner Frau ist nur um einen einzigen Menschen ferner von dir, als dein eigenes. Gegen Myriaden, [S. 188] die ehemaligen Blutes sind, stehst du ihm allein gegenüber! Da saß eine Großtant’ auf ihrem Gelde, fest, blaß und neidisch, mit kaltem Blick und stumpfen Augen, wie eine kranke Kröte. Dein Kind kriegt von ihr die latente Habsucht! Da schnupperte ein heimlicher Hurer den verschlamptesten Frauenzimmern nach, während dir selber gerad eine einzige Liebe im Leben genügt hätte, die aber übergroß, und zu der Besten und Schönsten! Deine Tochter aber kriegt seine schmutzige Hundegier! Nein, ich lass’ weder mich, noch die andern Menschen mehr an den ewigen Sautrog heranzerren.“

Er schritt wieder auf und ab, dann blieb er stehen:

„Und kämpfte ich vergebens gegen ihn, der sich des Symbols der Erden, des lechzenden Weibes, bedient, um Liebe zu heucheln, die nur Eigenliebe ist? Gegen die Weiber soll ja Eisen und Feuer vergebens sein! Und kämpfte ich vergebens, — ich, der eine? Gibts was Schöneres, als der Einzige sein, gegen alle?!

O du, o du, o du!“ Und der ergrauende Mann mit den Irrlichtaugen schüttelte die Faust gegen den Himmel. Dann lachte er, sagte: „Da ist er ja gar nicht, Narr.“ Und preßte die Faust gegen seine Brust.


[S. 189]

Am andern Tage war der Doktor von Innsbruck fort und sowohl die Späher des sich verhalten und vorsichtig gebärdenden, aber im tiefsten vor Wut rotglühenden Griechen, als auch das besinnungslos liebende Mädchen stellten ihm vergebens mehr die Wege ab. Er aber reiste durch eine jener geheimen Künste, wie er sie dem Studenten gezeigt hatte, nach der Stelle in den Bergen, wo sich der weiße Kalk vom roten Porphyr zu jener grauenhaften Kluft abgespalten hatte. Dorthin kam ihm nach wenigen Tagen schon der junge Stainer nach, stillgeworden, in gepreßter und zusammengehaltener Verzweiflung. Mit dem arbeitete nunmehr Faust Tag und Nacht. Es war alles so weit gediehen, daß beinahe unausgesetzt die schreckliche grüne Stickluft unter der fortwährend hinunterspülenden Säure aus dem Braunstein trat und sich ins bodenlos scheinende hinuntersenkte. Faust hatte die Tiefe zu ermessen versucht und erwartete nunmehr mit klammem Herzen, ob es endlos dauern würde, bis die grüne Bluthustenluft so weit stieg, daß man an sie herniedermessen [S. 190] konnte; denn sie sank, gleich einer schweren Flüssigkeit, immer wieder in die Tiefe. Um das zitterte der große Zerstörer, daß die Erde dort unten einen geheimen Nebengang haben könnte, der unersättlich von seinem Werk abtränke und fräße, so daß er wohl bis zum jüngsten Tage da den Braunstein zersetzen konnte. Aber da er zur Probe immer wieder lebende Tiere, in einem Korb an endlosen Schnüren, in die Tiefe kurbeln und dann wieder in die Höhe ziehen ließ, da kamen sie, eines Tages endlich, nicht mehr lebend zurück. So oft er den Versuch wiederholte, immer waren sie drunten erstickt und rochen schandbar nach dem reißenden, grünen Gift. Nun besorgte er freilich wieder das Gegenteil, die Kluft könnte nicht tief genug sein und verbrachte Tag und Nacht mit verzweifelten Berechnungen. Aber es schien alles zur Genüge richtig zu sein. Dann stemmte er die Arme empor und lachte die Sonne jaulend wie ein Verrückter an.

Er schien gänzlich besessen, und ebenso verzaubert und benommen war auch der junge Mensch, den er sich da gezügelt und gerichtet hatte. Sie redeten beinahe nichts miteinander, trieben ihr Werk mit zusammengebissenen Zähnen und arbeiteten und arbeiteten, zwischen dem wimmelnden und scheuen [S. 191] Knappenvolk, das zwar allerhand Sagen tuschelte, aber immer von dem einen Gedanken wieder gelähmt und verdummt wurde: Gold.

Kurze Zeit aber vor dem Tag Christi Geburt kam Helena Chrysoloras zu den unheimlich schaffenden Männern.

Manuel, ihr Vater, hatte sie hart angefahren. Dann in sie geredet, was Menschenberedsamkeit vermochte. Hatte sie beräuchert. Hatte sie durch Priester beschworen, daß sie entzaubert würde. Aber sie weinte nur um Faust. Man hatte ihr seinen etwas hohen Rücken bis zu einem Buckel großgelogen. Aber sie wurde nur um so irrer und verzweifelter, indem sie ausrief: „Dann, wenn er so höckrig ist, weiß ich, warum er mich verläßt: Ich bin immer noch nicht schön genug, um all’ das gutzumachen, was ihr an ihm Häßliches entdeckt!“ Zuletzt war sie all’ ihrem Anhang, ihrer Freund- und Verwandtschaft heimlich entwichen und kam, eine halb Gestörte, in den wüsten Felsen an, in denen der verlorene Faustus arbeitete.

Dort war er schon so weit gediehen, daß der Hirschhorngeist, den der Doktor zur letzten Herausbringung seines zerstörenden Öles bedurfte, immerzu, seit langem schon und täglich von neuem durch Wagenkolonnen [S. 192] in Fässern herangeführt worden war. Er aber hatte eine Vorrichtung erdacht, wie man jedem dieser Fässer mit einem Male den Boden öffnen und so seinen ganzen Inhalt auf einmal in die Tiefe stürzen könne. Damit aber die grüne Stickluft in all’ ihren Schichten gleichmäßig damit durchgossen würde, so hatte Faust diese Fässer verschiedentlich tief versenken lassen; je ein Dutzend auf je hundert Ellen Tiefe und ein unendliches Gewirre von feinem Tauwerk ging aus den Abgründen herauf, an dem man mit einem einzigen Ruck an dem großen Flaschenzug, der alle diese kleinen Sehnen vereinte, sämtliche Fässer mit dem Hirschhorngeist aufbrechen lassen konnte. Es war in der Gegend auch ein unerträglicher Geruch von dem Geiste des sal ammoniacum , dem sich immer wieder ein Hauch jener entsetzlichen, grünen Luft beimengte, die dort in den Bergtiefen versenkt und angesammelt war, so daß jedem, der in die Nähe kam, das Wasser aus den Augen gebissen wurde und die Bergknappen immer mehr zu raunen begannen, hier habe der Satanas sein wahrhaftiges und ruchbares Reich aufgeschlagen. Immer aber hielten die Habgierigen unter ihnen das frömmere und erschreckende Volk hin; weil Faust ihnen allen einen schweren Anteil an dem ungeheuren Ophir [S. 193] versprochen hatte, das er da drunten mit seiner schwarzen Kunst erzeugen und ertrotzen wollte.

Faustus war durch die üble Luft und durch die ungeheure Erregung und Anspannung aller Seelenkräfte ganz gelb im Antlitz geworden; sein Schüler aber glich schon grauem Papier, wie jenes ist, aus dem die Wespen ihre Nester bauen.

Es ist wohl wahr, daß beide immerzu von neuem fürchterliche Krämpfe und Kämpfe in ihrem Innersten mit der Verzweiflung des Lebens zu durchtoben hatten, das sich aufschreiend ins Sonnenlicht zurückretten wollte. Es war nur merkwürdig, daß der Junge diese entsetzlichen, maßlos reißenden Todesängste viel weniger und auch seltener verspürte, als der Faustus, dem sich alles Ingeweide wand und wehrte, je näher er an sein Ziel zu kommen wähnte. Früher hatte er an dem Wagnis, immer knapp an den Rand des Wahnsinns oder des Todes heranzutreten, ein verderbtes Gefallen gefunden. Jetzt zerfraß ihn die bedingungslose Feigheit der Kreatur oft so sehr, daß er wähnte, sich nie und nimmermehr aufraffen, sondern ihr unterliegen zu müssen. Es ist auch das einzige völlig Übermenschliche an ihm, daß sein Stolz und seine rettungslose Überzeugung vom Unrecht und der Torheit Gottes sich immer wieder aus diesen [S. 194] Vernichtungen emporwanden und er, wenn er nächtens die Helena und ihre kleinen Kinder jammervoll herbeigerufen und zurückgewünscht und die liebe Sonne sein Eins und Alles genannt hatte, am Tage wieder verbissen und eisern wurde.

Der Student war völlig seiner Melancholie verfallen und so stumpfsinnig, wie ein Tier in der Tretmühle. Er begeisterte sich nicht mehr, er liebte nicht mehr und haßte nicht mehr, wollte nichts mehr ergründen noch wissen, sondern trieb, wie ein Aas auf dem Flusse, wesenlos kreiselnd dem Untergange zu. So mußte Faust ihn haben und so allein war er zuverlässig und zu gebrauchen.

Aber da geschah das Unerwartete.

Der verlorene und gestörte Schüler stand hüstelnd am Abgrunde des Felsenschachtes und sah glasaugig zu, wie die Fässer mit dem Hirschhorngeiste, der entsetzlich aus ihnen hervorstank, in die Tiefe gelassen wurden. Da trat ein Wesen neben ihn und erfaßte flehend seine Hand, kniete vor ihn hin, küßte gar diese seine eiskalte Hand. Er starrte sie an.

Der kahle Wintersonnenschein fiel auf ihr wirres Haar, und obwohl das nach Art einer Begine nonnenhaft gekleidete Wesen an den Schläfen ganz weiß geworden war, so erglühte noch ihr Scheitel, [S. 195] wie sie die Stiftsfrauenhaube zurückzog, im traumhaften Golde einer zersprungenen, seligen Erinnerung.

Helena!

Der Bube starrte seine Base an.

Eine Zerstörung ohnegleichen hatte über diese rührende Schönheit hinweggefegt. Um die Augen waren Gramsprenkel ringsumher und tiefste, tierische Angst starrte heraus, wenn man in ihre Sterne sah. Der Mund war scharf und heruntergezerrt; ein Winkel hing willenlos und greisenhaft hernieder und nur die feine, klare Nase war sich ähnlich geblieben. Bloß war sie leidvoll schmal und kindlich geworden.

Immer noch starrte der Student in die Verwüstung. Unfern von ihm saß der Faustus; der schien davon zu wissen und hatte seinen zottigen Kopf wie ein Trotzender vergraben. Alles kam dem Studenten wie ein grauenhaft unwahrscheinlicher Traum vor. Er rang nach Atem und bekam einen ganzen Schwall Höllenluft in die Lungen. Jetzt sah er in die Tiefe. Da wirrten die Schnüre hinunter, liefen die Taue der Flaschenzüge, an denen immer neue Fässer voll Stank in das Eingeweide der Erde versanken.

[S. 196]

Mit einem neuen Entsetzen stierte er wieder auf die, welche seine allerschönste und allerfernste Base gewesen war.

Die nickte traurig und jammervoll. Aber es schien, als sei ihr die Gabe der Rede völlig geschwunden. Genau ebenso, wie jene ungebornen Kindlein, die sie in ihrer rasenden Sehnsucht und Bezauberung gesehen, so bewegte sie die mümmelnden Lippen. Es sah elend und herzzerstechend aus, aber sie brachte kein Wort hervor und keinen Ton.

Die Knappen wimmelten an den Wänden des Schachtes umher, klebten daran oder hingen an Seilen, alle hüstelnd, so daß es wie ein ewiges Ticken und Tröpfeln klang; alles ganz unwirklich. Alles ameisenhaft. Alles wie heller Hohn auf Menschen. Gold glaubten sie zu erkrabbeln und fingerten und hantierten für den entsetzlichen Tod. War es jämmerlicher oder war es verächtlicher, daß all’ das einen solchen Sinn hatte? Und das ganze Leben, war es nicht dasselbe Fingern und Hantieren und Wimmeln um einen sicheren Tod?

Wie hatte der Faust gehöhnt? ‚Die Menschen sind die immerwährenden Leichenmaden am ewig faulenden und ewiglich sterbenden Leibe Gottes!‘

Da ging ein Riß durch die ganze Seele des [S. 197] schwermütigen Knaben. Ein Riß, den das Wesen nicht mehr aushielt. Die zerstörte Schönheit der hinreißend Geliebten, das Madengewimmel der Menschlein ringsum, der Gestank; — der stumpfe Höllenmeister da drüben! Es war so gräßlich, daß das erwachende junge Blut augenblicklich überkochte und ins Rasen geriet.

Er, der Student Sympert Stainer, mußte zerstören, was zerstört sein wollte. Die Nähe? Oder die Ferne mit? Ob die ganze Erde, ob nur sich und diese jammervolle Umgebung, gleichviel, es war nicht mehr zu ertragen. Und, beinahe im Augenblick, wie dieser schmerzhafte Riß durch sein ganzes Wesen zerrte, sprang er zum großen und wohlverwahrten Flaschenzuge hin, dessen Geheimnis nur ihm und Faust bekannt war, löste ihn und zog mit wahnwitzverzerrtem Angesichte, das vor Anstrengung ins Blaurote quoll, an dem Todestau.

Die Chrysoloras faltete die Hände, als betete sie. Wußte sie, was das bedeute?

Es war, eine ungeheuerlich scheinende Weile, ganz stille und man hörte kaum aus der Tiefe ein Gurgeln und Rieseln und dann ein stärkeres Rauschen; zuletzt ein Kollern, und dann war Ruhe.

Fahl und entseelt wie ein Betrogener schaute Stainer um sich. Sollte alles fehlgerechnet gewesen [S. 198] sein und war auch hier die ewige Unzulänglichkeit am Werke, die, nach Fausti Hohn, ganz allein diese Erde am Leben erhielt?

Da aber schoß es aus der Tiefe brüllend und grauenvoll empor, wie ein vertausendfachter Geyser Islands. Nur nicht kochendes Wasser. Aber Feuer, Steine, grüne Stickluft und ammonisches Gas durcheinander, das sich wieder zu Feuer und Krachen vereinte. Eine Höllengarbe, eine Protuberanz, unmäßig und scheußlich in die Luft fahrend. Fast senkrecht hinauf gegen die Sonne, als hätte Satan selber eine Faust gegen Gott ausgereckt, so töricht und jämmerlich und frevelhaft, wie Faust die seine.

Was in der Nähe war, das zerriß in Winzigkeiten und flog mit empor.

Der Schlund spie alles, was man ihm gegeben, wie aus einem ungeheuren Blaserohr, in einem engen Verderbensstrahle in die Höhe. Bloß oben, in den Wolkenhöhen trieb das aufgeschossene Ungeheuer sich auseinander, wie ein riesenhafter Giftschwamm, dessen Stiel kaum mehr sichtbar war, dessen Hut dort oben aber strotzte, sich zerballte und faul auseinanderfiel. Auf die steinige Wüste dieser Höhen sanken Rauch und Staub und Stickluft träge hernieder; ihnen voran prasselten ungezählte [S. 199] Steinmengen, vor denen zerstob, was bisher an aufschreiendem Menschenleben noch im Runde festgebannt war.

Und zum Prasseln der herniederfallenden Steine rollte die Erde ihren Antiphon dazu. Das schwarze Loch, das zuerst weiter auseinanderzuklaffen schien, schloß sich unter den sich neigenden Felsen. Mit Donnern rollten die endlosen Gesteinschütten hinunter und versiegelten es auf ewig.

Der Riß zwischen Kalkfels und Porphyr, der bis zu den Feuergründen der Erde führen sollte, war nicht mehr.

Der ihn nützen hatte wollen stand aber immer noch, weitaufgerissenen Auges und ragend, und beinahe erwartend da. Rundum schmetterten die Steine hernieder und zerschleuderten Mensch und Wagen und Zugvieh. Er stand und starrte und lauschte.

Eine unermeßliche Wolke von Staub und Rauch hüllte die ganze Gegend ein. Ihrer inmitten stand und wartete immer noch der Faust. Er blieb ungetroffen, blieb innerlich ebenso unberührt vom Entsetzen des Geschehens. Er hatte nichts als eine grenzenlose Verwunderung, ein Ringen nach Erklärung in sich, und einen heißen Schreck: „Hei, zerreißts wohl jetzt die Erden?“

[S. 200]

So ungeheuerlich war der Satanspfiff aus der Riesenflöte gefahren, daß der Faustus wirklich glaubte: „Ich hab’ den jüngsten Tag angerichtet, mag alles mit mir zum Teufel sein.“ Mehr und anderes dachte er nicht, wie denn, im Augenblick des Allergräßlichsten, dem Menschen oft weder Verstehen, noch Entsetzen, noch große Worte und Begriffe zu Gebote stehen, sondern zumeist nur ein volkstümlich derber Ausruf.

Aber so lang er auch in der Wolke stand und ihm der Atem klammte, es geschah nichts mehr. Bloß im Berge grollte und rollte und donnerte es noch lange nach.

Dann verzog sich der Rauch. Etwas Sonne kam wieder hernieder und mit namenlos entgötterten Augen sah der Faustus, wie winzig sein Werk sich gehabt hatte.

Es waren etliche Dutzend Knappen erschlagen, die andern waren verkrochen und geflüchtet. Ein paar Zugtiere lagen tot, einige versuchten auf die Beine zu kommen, andere rasten über die Hochfläche wildscheu dahin.

Faust sah noch, wie ein Gespann an den Felsrand kam und abstürzte, sah es haargenau und stand immer noch, — wie gelähmt von so jäher Lösung [S. 201] so entsetzlicher Spannung, — während seine Augen und Ohren gleichmütig weiterzuarbeiten schienen.

In der Nähe kniete die Chrysoloras und schluchzte.

Wahrlich, die konnte schluchzen!

Vom Famulus war keine Spur zu sehen. Der war in Nichts zersprüht worden. Der Gebenedeite! Er war es los und ledig. Vor Fausti eigenen Augen aber war die ganze Kraft seines Manneswillens vernichtet. All sein Wesen zerstob mit in diesem Mißlingen. In ihm blieb nichts mehr. Plötzlich kam eine grauenvolle Angst über den Täter gekrochen. Alles mißlungen und er der Schuldige? Der goldene Galgen? Der Haß und das Geschrei der unsagbar verächtlichen Menge, die er wegschaffen hatte wollen? In die Hände der Menschen fallen? In die Hände der ewigen Niedrigkeit und Häßlichkeit? Der Mann war dahin, — zum ersten Male erwachte das kindische Alter.

Da rannte er um sein Leben; er, der aller Leben hatte gefordert.

Immerzu gegen Nordwesten, wo die Grenze am nächsten war. Er mußte das Finstermünz gewinnen, ehe ihm die Ferdinandischen Reiter oder die Spione des Chrysoloras auf dem Halse waren.

Die Angst griff ihm erbarmungslos ins Genick. [S. 202] Er stolperte, raffte sich auf, überlegte, sparte bald Kräfte, dann schund er wieder aus seinem alten Leibe mehr Eile heraus, als der hergeben konnte.

Den Rhein hinunter, am Bodensee auf kleinem Kahn, bettelarm und ohne Hilfe, als sein Flehen bei armen Leuten schuf, die ihm kümmerliche Nahrung gaben, so kam der Faust in Kostnitz an und wagte dort aufzuatmen; aber nur wie einer, dem Frist, nicht Gnade gewährt worden war. Er schrieb einen langen demütigen Brief an den römischen König über sein Unglück und wie der Student das Unternehmen vorschnell zerstört hätte. Man möge die Chrysoloras ausfragen, die dabei Zeugin gewesen sei: er hätte sich nicht vor der Rache oder Strafe seines gnädigsten Herrn, die er ganz und gar nicht verdient, sondern nur vor dem Grimm des Bergknappenvolkes geflüchtet. Und damit ging es weiter; — unwürdig, klein, zerbrochen, zitterndes Gebettel um’s Leben und um den armseligen Tag!

So war Faust geworden.

Immer saß ihm das Grauen im Nacken. Er wußte, einer setzte im stetiglich nach; er spürte es im Wachen und im Traume und er gebrauchte verzweifelnd alle seine verwirrenden, magischen Betrüge, um den zu verhindern, zu verschrecken, aufzuhalten, [S. 203] abzulenken, vor dem er so namenloses Grauen hatte. Aber er fühlte, es hülfe wenig. So zerrte er sein jämmerliches Leben weiter rheinabwärts, am brausenden Falle vorüber, ohne auch nur einen Augenblick zu denken: „Wirf dich hinein.“

Nur in Sicherheit sein, nur atmen, nur leben dürfen!

Damals waren das Elsaß und der Breisgau die einzigen und letzten Stätten im ganzen römisch-deutschen Reiche, wo Landfahrer aller Art, Gauner, Nigromanten, Hochstapler und Dirnen noch Unterschlupf fanden, wenn sie anderswo schon überall ausgetrieben und verbannt und verhaßt waren, gleichwie Faust. Daß der Breisgau dem Hause Österreich zugehörte, kümmerte den Faust nicht so sehr, denn Kaiser und König waren mit ihm in Schuld und er hatte meisterlich verstanden, sich zu reinigen und zu verantworten. Mochte man den Urteilsspruch über den längst zerrissenen Buben ergehen lassen, damit sich das Volk beruhigte. Ihm konnte von der allerhöchsten und mitschuldigen Stelle nicht leicht etwas widerfahren, weil man seine hinterlassenen Aufzeichnungen fürchten mußte, nun er Zeit gehabt hatte, die in Sicherheit zu bringen. Das hatte er dem römischen König auch zu merken gegeben: er [S. 204] möge seines eigenen Rufes, zugleich mit Fausti Leben, schonen.

Aber der Vater, der vielvermögende Vater, dem sein Kind zerstört worden war durch den Verführer!

Es war auch so: Der immerzu kalte Geldmann hatte endlich seines Lebens große Hitze bekommen und er verhohl seinen berechnenden Grimm, wie er sonst nur große Geschäfte zu verbergen suchte. Der Nigromant mußte für sein Kind dahinfahren: unbereut, überrascht und somit der ewigen Verdammnis geweiht. Daran glaubte Herr Chrysoloras, der streng gläubig war, wie viele kalte Rechner, ganz festiglich.

Er ließ sich Zeit. Er ließ das Jahr bis knapp an seinen Rand dahinrinnen, um den Faust sicher zu machen, der endlich in seinem letzten Neste bei Staufen in Breisach saß, wo er seine paar Schätze und Habseligkeiten zusammen mit den Büchern verwahrt hielt und ein kleines Laboratorium in einem verlassenen Weingartenhäuschen vor der Stadt hatte.

Chrysoloras ließ sich Zeit. Er sagte sich, daß der leichtsinnige Abenteurer sehr schnell wieder zu hoffen beginnen würde. So verging das Weihnachtsfest und alles blieb stille.


[S. 205]

Dann war der letzte Tag des eintausendfünfhunderteinundvierzigsten Jahres nach der Geburt des Herrn.

Wieder ein Jahr herum. „O weh, wohin sind gangen alle?“ — — —

Der Faustus war jetzt vollkommen einsam und gar niemand kam zu ihm: Kein Kranker, kein forschbegieriger Student. Dunkle Kunde von einem greulichen Unglück, das er im Lande Tirol angerichtet oder an dem er doch mitschuldig geworden war, tröpfelte bis in das Städtlein, vor dessen Toren er, einsam und gemieden, seinen letzten Schlupfwinkel bezogen hatte.

Wieder ein Jahr herum! Ein Jahr, in welchem ihm das schönste Mädchen aus antikem Blut, das liebreichste Weib der Christenheit hätte können beschert sein. Er hatte es in frevlem Übermut zurückgewiesen und das wunderbare Gebilde Gottes zerstört. Das war das Werk dieses Jahres gewesen. Er hatte Mord angestiftet an einem Manne, der ehrlicher und tiefer seinen Lebensweg gegangen war, [S. 206] als er und der Menschheit große Geheimnisse freigegraben hatte. Er hatte dann das Werk Satanas auf eigene Schultern laden wollen, und? Und hatte ein mittelgroßes Bergwerksgräuel angerichtet, das vielleicht sogar bald vergessen gemacht werden konnte, wenn der römische König sehr verlegen darüber geworden war.

Nichts, nichts. Zerstürzt, verjammert, verhöhnt und umsonst war dies Jahr gewesen, wie alle andern. Der tiefgebückte, graue Faust, der jetzt noch viel älter aussah, als er war, saß, krummgezogen von seinem Elend und seiner entnervenden Kleinheit im kahlen, scharfriechenden Laboratorium und fror jämmerlich. Niemand fachte ihm Feuer an. Zuletzt, als er zu all’ seinem Elend den Schüttelfrost bekam, stand er doch selber aus seiner müden Willenlosigkeit auf und legte Scheite und zusammengescharrtes Reisig in den Kamin. Aus der Stadt herüber schlugen die Uhren die elfte Nachtstunde. Der Südwind fegte durchs Rheintal, kam aus dem Münstertal herzu und umkreiselte heulend das Haus. Die Flamme kämpfte und Faust schaute dem unschuldig gebliebenen Höllenkinde zu, das er immer geliebt hatte. Die Wärme kroch an ihn heran. Etwas, wie eine Bereitschaft, weiterzuleben, wagte [S. 207] in ihm, schmerzlich zuckend, aufzuwachen. Er dachte daran, wie jetzt in den Reben vor seinem Häuschen ein erstes Ahnen aufträumen mochte, daß es wieder ein Weinjahr geben könnte. In diesen Tagen stellten die Weinbauern die abgeschnittenen Probezweiglein ins Wasser und beobachteten scharf, wieviel Kraft heuer in den Ranken angesammelt sein möchte. Trieben sie übermütig und viel, so war, wenigstens der Menge nach, ein gutes Jahr zu erwarten. Faust dachte daran, wie die Weingärten den ganzen Berg über dem Städtlein bis zum Schlosse hinaufkletterten und im Sommer übermütig grüne Fähnlein schwenkten. Wär’ man doch nur eine Pflanze! Wär’ man doch nur eine Rebe und kein Mensch! Wieviel Freuden, wieviel Erlösung geben die. Und er?

Ach, er wäre auch als Weinstock so geworden, daß bei dessen Trunk die Menschen sich viehwütig in die Haare und an den Hals gesprungen wären!

Er hatte der Liebe nicht. Er war verflucht und nun mußte er noch erleben, daß er zur Kleinheit verflucht war. Das hatte er noch niemals in seinem Leben wahrhaben wollen.

Was kam noch? Was stand noch vor ihm?

Eine Uhr tickte stark und langsam in der Stube [S. 208] des Faust. Die eisernen, großen Räder taten einen harten Gang durch Myriadenstäubchen der Zeit hindurch, welche sie messen mußten. Hoffnungslos horchte der Faustus hin. Es ist ja dem gesunden Menschen zu Nacht schon das Uhrticken oft, als versickere da sein Blut und er müsse zuhören, wie ein jedes Tröpflein, mit dem Pendelschlagen zugleich, in den unterirdischen See der Trostlosigkeit hineinträufelte. Nun aber er, in des Jahres letzter Stunde: in eines solchen Jahres letzter Stunde! Gealtert, elend geworden, ruiniert bis in den letzten Winkel der Seele. Und dabei das habgierige Anklammern des beginnenden Greises im Herzen, das sich mit einem Male sonderbar geizig werdend, mit mageren Avarenfingern an das abgedorrte Leben krallt.

Die Uhr ging, gleichmütig, als stünde sie da als Anwalt des Gottes wie er ihn sah: ewig gesetzesstarr, fühllos, und mit der gleichen Grausamkeit. Aus verödeten Augen sah der Faustus hin auf sie und verstand sie.

Eisiges Grauen kroch ihm über den sorgenhohgewordenen Rücken herauf. Er wollte die Gespensterkatze, die ihm da am Buckel entlangschlich, wegschütteln und fuhr herum. Da sah er in einen [S. 209] Spiegel und erblickte sich selber. Er entsetzte sich mehr, als wenn er irgend etwas Jenseitiges gesehen hätte.

Unmöglich war es, daß er sich auch nur einen Augenblick länger betrachten konnte. Er wendete sich trostlos und dumpf verzweifelnd nach dem Fenster und wollte in die Nacht schauen. Denn da war doch wenigstens das Nichts; nicht das zerreißende Etwas, der anklagende Rest dessen, der sich Faustus genannt hatte und der ihn leerer ansah, als ein Gespenst.

Da aber ward es nur schlimmer. Menschenaugen, freche Menschenaugen stierten aus einem ledergelben, breiten Angesicht von draußen auf ihn.

Deutlich sah er die Augen und einen grinsenden Mund mit mehreren, ungleichen, schwärzlichen Zähnen. Da ging es einmal umgekehrt, als wie es bisher immer ergangen war, wenn der Doktor Johann Faust mit Menschen zusammengeraten war. Er wurde wie eine erstarrende Schlange; er vermochte kein Glied zu rühren und in diesem Stücke Holz, zu dem er erkaltet war, flossen nur unbeschreibliche Ströme des Entsetzens hinauf und hernieder.

Es war der Kerl des Geldmannes.

[S. 210]

Langsam griff er durch eine der zerbrochenen Butzenscheiben, die mit Pergament verklebt war, hindurch und die krallige Hand öffnete den Riegel des Fensters innen; auf taten sich die Flügel. Dann sprang das Geschöpf des Nichts mit einem hunnischen Satze ins Zimmer herein.

„Was willst du?“ wollte Faust sagen; aber es erging ihm wie im Traum, wenn uns die Trud Herz und Stimme abdrückt. Bloß seine Lippen bewegten sich, farblos und krampfig.

Der Kerl stand auf seinen krummen Beinen vorsichtig da und sah sich ringsumher in der Stube um, ob irgend Fallen da sein könnten oder gar Hilfe für den Doktor. Aber da war nichts als das niederbrennende Kaminfeuer; keine Retorte daran, die platzen hätte können und kein ihm unbekannter Apparat. Ein paar Waffen hingen an den Wänden, die sah die Kotgeburt nur mit Grinsen an. Das Greislein da konnte sich ihrer gegen ihn ja nicht bedienen, der im Gebrauche der Waffen flink und blutdürstig wie ein Wiesel war.

Er kam, immer noch etwas behutsam und abwartend, an Faust heran, weil ihm dessen Gebanntsein nicht ganz geheuer vorkam. Vielleicht hatte der endlich festgelegte Fuchs doch noch im Geheimsten [S. 211] irgend eine Finte, die ihm, dem Abrechner noch unbekannt war. Aber er sah, wie das Antlitz des Doktors immer grauer wurde, wie weiße Ringe des Entsetzens sich um dessen Augen bildeten und wie das Weiße der Augen selber immer unnatürlicher groß wurde.

Das kannte er und nickte grausam und sachverständig. In den Schlachten, wenn die Kriegsleute der Hundsfott überkam, dann sahen sie so aus. Das Weiße in den Augen wurde entsetzlich groß bei denen, die den Tod erkannten und vorkosteten. Er hatte ihn sicher und fest, den Doktor.

Kein Wort war geredet worden.

Erwägend und abschätzend kam der krummbeinige Kerl an sein Opfer heran und immer noch konnte sich Faust nicht rühren. Er erkannte in dem nächtlich Gekommenen Den, den er von je vernichten gewollt. Den Häßlichen an Leib und Seele; den Ausgeschämten, den Mord- und Lebensgierigen, den, der nie verdiente, auch nur erfunden und gedacht zu werden und der durch sein Dasein der fürchterlichste Vorwurf war, den man Gott antun konnte.

Das, das war „der Mensch“, wie er ihn immer gesehen hatte.

Wie er ihn immer wegtilgen gewollt.

[S. 212]

Der Mensch, den Faustus im tiefsten haßte. Sauber herausmodelliert mit allen Gaben, die bewußte, rettungslose Bestie, die Schandkrone der Schöpfung! Darum die Starrheit Faustens vor dem, was ihm da entgegenlauerte.

Noch einmal warf der Kerl einen kurzen Blick um sich, maß die Entfernung, seine Kräfte und Fausti Gestalt, und fuhr ihm dann an die Kehle.

Als die hornigen Hände sich um seinen Hals würgten, da erst konnte Faust ringen, ankämpfen und schreien. Er wußte, heute war die Nacht nicht hilfelos! Heute warteten die Bürger auf den Neujahrschoral, den die Trompeten, Zinken und Waldhörner vom Turme bliesen. Heute war das Städtlein Staufen wach: „Hilfe, Hilfe, ihr guten Leut!“

Der Kerl, der ihm am Halse saß, ärgerte sich bis zur Gelbwut. Das Doktornichts wehrte sich jetzt? Es zeigte Kräfte, körperliches Strampeln, während es sein lebelang nur immer mit dem sogenannten Geist gefackelt hatte? Ei, der wilde Studentenonkel versuchte diesmal nicht zu gaukeln, sondern krümmte und wand sich wie ein ganz rechtschaffener Wurm! Immer wieder entkam der runzlig werdende Hals aus den würgenden Klauen. Immer wieder schrie Faust mit halber, ja zuweilen sogar [S. 213] mit ganzer Stimme um Hilfe? Seht an, seht an, man muß doch fester zufassen. Daß das vermaledeite Fenster auch offenstand!

Im Hin- und Herpoltern stürzten Bücher, Stühle, Gestelle mit Phiolen und Gläsern durch- und übereinander. Es wurde ein Höllenspektakel, der geschwind ein Ende haben mußte. So warf der Kerl den Doktor darnieder, preßte ihm seine festen, durch tolles Reiten ausgedrehten Knie auf Brust und Hals und würgte nun aus wilden Lüsten darauflos. Jetzt zeterte das Doktorlein nimmer.

Der Kerl hätte schon gerne losgelassen; aber aus Pflichtgefühl und Sicherheit würgte er immer noch weiter, auch als er wissen konnte, es müßte längst zuende sein. Dabei horchte er immerzu nach dem Fenster, ob man käme oder ob man gar sein Pferd entdeckt hätte, das in einem Weingartwächterhäuslein versteckt war.

Aber die Nacht war so stille, wie der Faustus selber.

Da stand der Gesell des reichen Herrn grinsend auf, sah noch einmal zum Fenster hinaus, nickte dem starren Menschenbündel am Boden zu und zog ein schweres, kupfernes Pulverhorn heraus, an dem vorbereitet eine kurze Zündschnur hing. Das band er dem Regungslosen an den Hals, holte sich aus dem [S. 214] Kamin einen Brand und zündete an. Dann sprang er katzengeschwind zum Fenster hinaus und schloß es, so gut es gehen wollte.

Dreihundert Schritte davon wartete sein Pferd und schnaubte ihn unruhig an, weil er fremd roch. Er nahm es am Halfter und führte es, immer neu horchend und innehaltend, an die Straße, die gegen den Rhein zuführt. Einmal wäre er beinahe umgekehrt, um, ungeduldig, nochmals nach dem Rechten zu sehen. Da aber geschah ein Lichtblitz im einsamen Häuslein des Faust und ein mächtiger Knall folgte. Jetzt war er ganz zufrieden.

Mochten sie es im Städtle gehört haben. Man sah es dem Zerrissenen jetzt nimmer sehr gut an, wer ihn so greulich mißhandelt hatte. Es war sehr gut, daß er sein lebelang den Teufel „Herr Schwager“ genannt.

Das kam ihm so unwiderstehlich vor, daß er für den Leibhaftigen gehalten werden sollte von den Spießern, daß er Lachkrämpfe kriegte.

„Hahahahahahaha,“ gellte es durch die Nachtstille, bis er sich endlich wieder zuwegekriegte und seinem Roß ein paar Sporne gab.

Denn jetzt fingen die Neujahrschoräle an von dem Pfarrkirchturm gar erbaulich auf die liebe Christenheit [S. 215] herunterzublasen. Er machte, daß er außer Hörweite kam.

Weidlich tutete ihm die Bürgerfrömmigkeit nach, so daß es ihn beinahe zu ärgern begann. Dann aber wurden die Töne schwächer; noch ein Akkord, dann war es aus und die Uhren schlugen die erste Viertelstunde des neuen Jahres.

Die ganze Nacht ritt er und dachte, um es sich hübscher zu machen, immerfort daran, daß er sich mit dem Gelde Wein, und Pluderhosen zu seinen etwas wenig gelungenen Beinen kaufen konnte. Und vor allem, was für Dirnen! Feurige Dirnen!

Mit heiserer Stimme sang er:

„Gott, bescher’ uns Pferd und Rinder,
Schöne Weib und noch mehr Kinder!“

Er konnte jetzt welche ausstreuen; da und dort, wo er es zahlen wollte; — um dann weiterzuziehen!

Denn sieben rheinische Gulden und zwölf Groschen hatte das Leben des Doktors Johann Faust dem Bankier Herrn Chrysoloras gekostet.

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