Title : Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung
Author : Joseph Aug. Lux
Release date : October 15, 2015 [eBook #50221]
Language : German
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JOSEPH AUG. LUX
MIT 173 BILDERN UND 8 FARBIGEN TAFELN NACH WERKEN UND ENTWÜRFEN VON MODERNEN ARCHITEKTEN UND IHREN SCHULEN
1905
WIENER VERLAG
WIEN UND LEIPZIG
DRUCK VON W. SCHLENKER, WIEN, IX., WÄHRINGERSTRASSE 26.
MEINER FRAU.
Ein verblühtes Lächeln von Liebenswürdigkeit und lebensfrohem Behagen ist an den Dingen der Biedermeierzeit abzulesen. Zu den hellgelben Kirschholzmöbeln, oder nachgedunkelten Mahagonimöbeln, zu der unerdenklichen Fülle von Formen, Schränken und Tischen aller Art, Damenschreibtischen und Nähtischen, stummen Aufwärtern und Kommoden, zu den großblumigen Möbelbezügen und den hellen Gardinen, den Blumen am Fenster und den gestickten Glockenzügen, zu all der gefühlsseligen Geburtstagslyrik, welche den Proben des häuslichen Kunstfleißes von den Schlummerkissen bis zu des Hausvaters Samtkäppchen oder Samtpantoffeln, eingewebt war, gehören die Locken an der Schläfe, unter den bebänderten Florentinerhüten hervorquellend, die weißen duftigen Tüllkleider oder schwere Seide in abgetönten sentimentalen Farben, heliotrop, dunkellila, altrosa und schwarz. Schwind’s Frauengestalten mag man sich dabei gerne vorstellen. Der spätgeborene Enkel blickt mit einer gewissen affektierten, halb spöttischen, halb gönnerhaften Überlegenheit, hinter der sich nur allzuoft eine unbefriedigte Sehnsucht verbirgt, auf jene großelterlichen Tage zurück, in denen sich das Bürgertum auf seine Art auslebte, und zu jener Einheit der Lebensäußerungen gelangte, welche die Bezeichnung Stil verdient. Eine spätere Zeit hat diesen Stil »Biedermeier« getauft. In diesem Worte verdichtet sich für uns die Vorstellung einer vollkommen durchgebildeten bodenständigen Kultur, die in ungebrochener Linie von den gewöhnlichen Tages [S. 2] erscheinungen bis zu den Gipfelpunkten, welche die Namen Grillparzer, Schubert, Schwind bezeichnen, emporsteigt. Und ein sonnenhaftes Lächeln umspielt heute alle Lippen, welche dieses Wort nennen. Man war nicht immer so freundlich gesinnt. Die jüngst verwichene Zeit, welche dem Kultus der historischen Stile frönte, hat in das Wort Biedermeier jenes Maß von unsäglicher Verachtung hineingelegt, welche der Kosmopolit, auch der vermeintliche, für das Spießbürgertum immer bereit hat. Das Wort war eigentlich nur gemünzt als Bettelpfennig für alles Lächerliche, Gezierte, Hausbackene, Philisterhafte, das man, wenn man durchaus will, der Schmachtlockenzeit anmerken konnte. Aber die Zeiten haben sich gründlich geändert und der Kosmopolitismus, der in allen Stilepochen lebte und einen wahren Unrat von Geschmacklosigkeit und Widersinnigkeit aufhäufte, hat einen gräßlichen Katzenjammer hinterlassen. Wir suchen heute alle volkstümlichen Kunstlelemente auf, die wurzelhaft sind, sofern sie nicht in den letzten fünfzig Jahren mit Stumpf und Stil ausgerottet wurden. Wir knüpfen dort wieder an, um uns durch ihr Vorbild zu stärken, [S. 3] damit auch wir zu Formen gelangen, in denen unser Volk und unsere Zeit lebt und die vom gewöhnlichsten Alltag bis zu den ergreifendsten Äußerungen festlicher Weihe nur eine ungebrochene Linie aufweist.
Und wie es oft erging, was anfänglich Schimpfwort war, ward späterhin Ehrentitel. Biedermeiers Ehrenrettung kann nicht schlagender dokumentiert werden, als durch den liebevollen Eifer, der das alte Gerümpel vom Speicher, wohin es jahrzehntelang verbannt war, wieder herunterholt und in den schönsten Zimmern aufstellt. Das ist gewiß ein rührender, herzerfreuender Vorgang, wenn sie wirklich alter Familienbesitz, wenn sie also echt sind. Zwar werden solche Zimmer, die vollständig mit altem Hausrat angefüllt sind, den Eindruck eines Museums machen, aber ein solches Familienmuseum, mit dem sich viele freundliche Erinnerungen verknüpfen, wird immer ein besonderer Schatz sein. Weit über den persönlichen Wert hinaus, besitzen sie die Kraft eines lehrreichen Beispiels, welches für den Ausbau unserer häuslichen Kultur in großem Sinne vorbildlich ist. Sie sind die Vorläufer des modernen Möbels. Mit ihrer bezwingenden Einfachheit und Anspruchslosigkeit [S. 4] waren die Räume geeignet, die Geberden und Bewegungen jener gemüt- und geistvollen Menschen maßvoll aufzunehmen, die Stimme des Geistes und Herzens austönen zu lassen, ohne sie durch den Unrat der Geschmacklosigkeit, durch die Wirrnis von Schnörkel und Stilbrocken, in denen babylonisch die Sprachen aller Völker und Zeiten ertönen, zu beschämen und lächerlich zu machen. Aus allen Winkeln jener Interieurs, zwischen dem ernsten, einfachen Hausrat, hinter den weißen Gardinen und zwischen den Blumen am Fenster winkt der genius loci freundlich hervor, und es ist kein Stuhl und kein Schrank, kein Gegenstand des Gebrauches, der nicht den Geist der Vorfahren trüge, ihre Taten, ihre Ideale, das [S. 5] Wesen ihrer Persönlichkeit und ihr Gedächtnis überlieferte. So erscheint uns Späteren das großväterische, anspruchslose Biedermeierzimmer als das traute Heim von Menschen, denen die Heimat nicht nur ein Wort oder Begriff war, sondern der gesetzmäßige künstlerische Ausdruck der Persönlichkeit in den Gegenständen der Häuslichkeit. Die Interieurs früherer Epochen, die der Biedermeierzeit vorausgehen, besitzen keine solche Vorbildlichkeit. Auch nicht das Empire Möbel, in dem die große Historie des barocken Zeitalters ausklingt. Denn die Voraussetzungen, die jene historischen Formen geschaffen haben, sind von den heutigen grundverschieden. Hof und Kirche herrschten auch in Kunst und Kunstgewerbe. Aber es ist für die Einheit jener Kultur bezeichnend, daß die überladenen Formen, in welchen das Machtbewußtsein der weltlichen und geistlichen Herrschaft adäquaten Ausdruck fand, in einem Grade volkstümlich wurden, daß sie schließlich bis in den einfachsten [S. 6] Haushalt eindrangen, als Abglanz absolutistischer und sacerdotaler Herrlichkeit. Die Armut der barocken Originalschöpfungen, die nicht über die Repräsentationsräume hinausgingen und das persönliche oder private Leben in einem Zustand der grenzenlosen Verlassenheit beließen, ist noch wenig beachtet. Dem Parvenu am Ende des Jahrhunderts erging es wie den Kindern mit dem Märchenkönig: »Wie wohnten doch die Könige schön!« ruft er in den Prunksälen eines alten Barockschlosses aus, »so möchte ich es auch haben!« Und alsbald hat er eine stilgerechte Einrichtung, alles in billigster, banalster Nachahmung. Das Um und Auf der barocken Interieurs bestand aus Stühlen und Tischen, aus dem Paradebett und dem Sofa. Im Übrigen wohnten auch die Fürsten in einem denkbar schlechten Zustand und entbehrten alle Bequemlichkeit, die heutzutage jedem gewöhnlichen Sterblichen eine selbstverständliche und unentbehrliche Sache ist. Wer die prunkenden Barockpaläste durchwandert, die von den alten Adelsgeschlechtern noch bewohnt werden, findet am Ende der überladenen Prunksäle, gewöhnlich im Obergeschoß, [S. 7] einige einfache, mit bürgerlicher Behaglichkeit, meistens im Empire- oder Biedermeierstil eingerichtete Gemächer. Das ist die eigentliche Wohnung des Fürsten. Es liegt eine feine Ironie in dieser Erscheinung, daß der Fürst, um der niederdrückenden Wucht seiner Repräsentationspflichten zu entgehen, seine Zuflucht zur bürgerlichen Schlichtheit und [S. 8] Bequemlichkeit nimmt, während der Parvenu des 19. Jahrhunderts all sein Behagen hingibt für das bischen Talmiglanz einer »stilgerechten« Wohnung. In der Tat mußte der ganze Reigen historischer Stile in atemloser Hetze wiederkehren, ehe man wieder zu dem vernünftigen Standpunkte zurückfand, auf dem bereits unsere Großeltern standen. Die ganze Barocke hat nicht eine Form übriggelassen, die für die heutige Kultur brauchbar wäre. Sie bedeutet einen Abschluß. Die Revolution hat sie samt dem ganzen absolutistischen Königtum hinweggefegt. Ein strammer militärischer Zug geht durch die nächsten Jahrzehnte. Der kaiserliche Stil trägt den Bedürfnissen der Zeit Rechnung, aber Empire ist noch sehr aristokratisch. Mit dem Glanz der Napoleonzeit verschwand auch der Empire-Stil; aus dem Kosmopolitismus und seinem politischen Katzenjammer flüchtete man ins alte romantische Land, Uhland, Eichendorff, Schubert weckten die schwärmerische Liebe zur Natur, und ein Einschlag des ländlichen Elements, wohl auch schon damals der Einfluß Englands in Modedingen, führte zu den biederben, quadratischen und zylindrischen Formen des Biedermeier-Möbels, an dem Reminiszenzen aus dem Barock- und Empire-Stil als dekorative Details hängen blieben. Das Bürgertum schafft die Formen, die es braucht. Es will nicht glänzen, nicht präsentieren, sondern bequem und behaglich leben. Es erfüllt seine Forderungen mit strenger Sachlichkeit und zugleich mit einem Erfindungsreichtum, der erstaunlich ist. Unsere [S. 9] Möbeltypen wurden damals geschaffen. Und es bewahrt meistens eine Feinsinnigkeit, von der wir uns nicht immer einen richtigen Begriff gebildet haben. Es ist die Zeit Adalbert Stifters. Er ist der vollgiltige Repräsentant seiner Zeit. Biedermeier im besten Sinne. Er erschließt uns die Interieurs seiner Zeit, und die Interieurs seiner Traumwelt, und läßt uns alles miterleben, was wir beim Betreten eines Altwiener Raumes heute noch nachzuempfinden vermögen. Alle Räume dieser Art sind schwer zugänglicher Privatbesitz, nur mehr spärlich in Vollständigkeit erhalten, meistens als Trödelgut verschleudert, da und dort ein Stück. Die Museen die im Banne der Kunstgeschichte stehen, hielten sich zu vornehm, diese Dinge zu sammeln, und auch die Lebensart unserer Großeltern zu zeigen.
Nun wird die Frage laut, was wir mit diesen verjährten Dingen, die so freundlich zu uns sprechen, anfangen sollen. Sie nachahmen? Das hieße ein altes Laster, das wir beim Haupttor hinaustreiben, durch ein Hinterpförtchen wieder hineinlassen und den Zirkel der Stilhetze mit diesem letzten Glied schließen. Wie von allem Vergangenen, trennt uns auch vom Biedermeier eine tiefe Kluft. Dennoch sind diese Dinge wertvoll durch das Beispiel, das sie lehren. Sie lehren, wie die Menschen von damals sichs bequem und gemütlich nach ihrer Art einrichteten, und solcherart zu Ausdrucksformen gelangten, die [S. 10] organisch aus dem Leben und seinen Forderungen hervorgegangen waren, vielleicht hie und da ein bischen unbeholfen und schwerfällig, im ganzen aber unbekümmert, treuherzig und bieder. Sie lehren, daß wir es auch so machen müssen. Der Lebende behält Recht. Viele Dinge sind konstruktiv so vollkommen, daß man sie fast unverändert aufnehmen könnte, wenn nicht unsere Zeit doch wieder ihre eigene Art hätte, sich auszuprägen. Was uns von Biedermeier trennt, sechzig, achtzig Jahre einer technischen, sozialen, wirtschaftlichen, künstlerischen Entwicklung müssen durchgreifende Veränderung des Lebensbildes herbeiführen. Schämen wir uns der Gegenwart nicht. Während vor dem Hause das Automobil, das Fahrrad, die elektrischen Bahnen vorbeirasen, können wir im Innern des Hauses, wo wir alle technischen Vorteile auszunützen suchen, vom Telephon bis zu den elektrischen Glühkörpern, nicht den historischen Biedermeier spielen. Das hieße, da wir uns eben altdeutsch gefühlt haben, eine Rolle mit der anderen vertauschen. Wohl aber können wir Biedermeier im modernsten Sinne sein, indem wir uns treu zu dem bekennen, was unserer Zeit gemäß ist, so wie es unsere Großväter für ihre Zeit getan haben. Dann wird sich von selbst ein gewisser verwandtschaftlicher Zug mit den vergangenen Dingen der Heimat herausstellen, wie denn überhaupt alles Echte, aus wirklichem Bedürfnis Herausgeborene, trotz großer zeitlicher Trennung verwandter ist, als man denkt. Denn immer ist der Mensch das Maß der Dinge. Auch die Motive aus alter Kultur wecken in unserem modernen Gefühl ein Echo.
Nicht von oben her wird heute der Stil diktiert, sondern von unten her. Die heutigen Produktions-Verhältnisse, die Entwicklung der Technik, der Industrie haben die neuen sozialen Grundlagen geschaffen, aus denen die moderne Formensprache hervorgegangen ist. Welche Umwälzung hat z. B. das neue Beleuchtungswesen auf dem Gebiete der Metallindustrie hervorgerufen! Die Erfindung der Elektrizität allein hat zu Beleuchtungskörpern geführt, deren Formen aus keiner Tradition geholt werden konnten. So geht es auch mit den anderen Gebrauchsdingen. Das Auswachsen der Städte zu Weltstädten hat zu neuen, bis dahin nie gekannten Lebensformen geführt. Durch das Zusammendrängen so vieler Menschen an einem Ort und den dadurch bedingten raschen Austausch und Verbrauch der Güter, hat das Leben eine außerordentliche künstliche Steigerung erfahren und den Typus des Stadtmenschen verschärft. Aus diesen Verhältnissen ist eine spezifisch moderne Aufgabe erstanden, nämlich die: inmitten des rasselnden Getriebes der Fabriken, des Straßen- und Geschäftsverkehres den Zustand der Wohnlichkeit herzustellen, Räume zu schaffen, welche die Urbanität der Sitten und Lebensgewohnheiten verkörpern, und als friedliche Inseln inmitten des hastigen Welttreibens das Gefühl der Heimat wachhalten. In der Tat, die moderne Stadtwohnung ist unser jüngstes Problem. Früher kannte man es nicht. Denn wie wir oben gesehen haben, waren die Wohnungen der Bürger zuerst von den Ausstrahlungen des Hofes und des kirchlichen [S. 12] Hochgefühls bestimmt und später von den wechselnden allgemeinen Zeitideen des Kosmopolitismus, der Romantik und noch vor einem Jahrzehnt von der Renaissance-Illusion, vom Kultus der historischen Stile. Weltstädte im gegenwärtigen Sinne sind ein sehr junges Erzeugnis. Sie haben die Wohnungsfrage neu geschaffen. Der Kern dieser Frage ist Benützbarkeit, Zweckmäßigkeit, Bequemlichkeit. Dazu ist die Ausnützung aller modernen Hilfsmittel, aller technischen Errungenschaften Bedingung, die zu neuen Lösungen führt. Gerade die praktischen Forderungen des Lebens geben fruchtbare Anregungen zu neuen Schönheitsmöglichkeiten, die im Wesen der Dinge liegen. Auf diesem Wege gelangen wir zu dem lange gesuchten volkstümlichen Stil, welcher der Ausdruck unserer heutigen allgemeinen Lebensformen ist.
Die Forderungen, welche die heutige Zeit an die Zweckkunst stellt, sind in allen Kulturländern dieselben. Aus den Übereinstimmungen ergibt sich der Zeitstil, dessen wesentliche Merkmale heute sind: Zurückgehen auf die konstruktiven Elemente, in denen das eherne Gesetz der Zweckmäßigkeit wirksam ist, sinnfällige Ausnützung der Materialwerte, welche hier die zusammenfassende Kraft des [S. 13] Eisens, dort die Weichheit der Fichte, die zähe Wucht der Eiche etc. sichtbar macht und aus ihren natürlichen Eigenschaften neue dekorative Werte zieht. Die unmittelbare Anknüpfung an die Natur, an die funktionellen Bedürfnisse und Gewohnheiten des Menschen schließt grundsätzlich die Wiederholung gebrauchter historischer Formen aus und eröffnet ungeahnte Gestaltungsmöglichkeiten, die eine lebendige organische Beziehung zu unserem Wesen unterhalten. In diesem engen Anschluß an die natürlichen Forderungen liegt also das Gemeinsame der heutigen angewandten Kunst, aber zugleich auch das Differenzierende. Die Lebenserfordernisse, soweit sie in den Gebrauchsdingen des Alltags, in den Gegenständen der Häuslichkeit zum Ausdruck kommen, sind allgemeiner Natur, wenngleich sie überall eine andere Sprache sprechen, einen anderen Dialekt. So spüren wir bald in der allgemeinen Kultur die persönliche, in den typischen Formen die Individualität, im Zeitstil den Geist der Heimat, den genius loci. In England, in Deutschland und bei uns wird nach den allgemeinen Grundsätzen gearbeitet, allerdings überall mit anderen Ergebnissen. Daran ist die Ortstümlichkeit schuld, die Heimatkultur, die als Obertöne im modernen [S. 14] Schaffen leise mitschwingen und die lokale Färbung erzeugen. Das wird schließlich niemand leugnen: wir alle haben von England gelernt. Das hatte England dem Kontinent voraus, es besaß von altersher eine ununterbrochene bürgerliche Tradition und die großen Neuerer in Kunst und Kunstgewerbe fanden von vorneherein einen Boden vor, auf dem ein gut Gedeihen war. Denn die altenglische Sitte, daß jeder Bürger sein Haus allein bewohnt, kommt den Absichten der modernen Kunst hilfreich entgegen. Das ererbte Gut volkstümlicher Sitten und Anschauungen einerseits, die immense Vorarbeit einzelner leuchtender Geister, vor allem [S. 15] Dante Rosetti, John Ruskin und William Morris, sind die Grundlagen der Künstler, die wir heute am Werke sehen.
Immer mehr richten sich die Blicke auf Wien. Dort ist ein neues Künstlergeschlecht, das zum größtenteil aus der Wagnerschule hervorgegangen ist, aufgestanden und hat mit selten gesehener Eintracht und Geschlossenheit die moderne Raumkunst geschaffen. Künstlerisch und wahlverwandtschaftlich steht es der Gruppe Mackintosh am nächsten. Es hat den Vorzug der größten Frische und Natürlichkeit. Bei aller strengen künstlerischen Konsequenz geht ein liebenswürdiger Wienerzug durch das ganze Schaffen dieser Künstler, die zur Sezession gehören oder sich zu ihren Anschauungen bekennen. Sie haben sich bereits das Ausland erobert. Heute verlangt man schon den »Wiener Stil«. Josef Olbrich hat ihm eine Insel im Ausland geschaffen. Prof. Josef Hoffmann ist sicherlich die stärkste und konsequenteste Kraft unter den [S. 16] Neuen. Prof. Kolo Moser schafft Werke von fast femininer Grazie. Vornehm und zweckvoll sind Leopold Bauers Schöpfungen. Was die Schulen von Prof. Hoffmann, K. Moser, A. Roller, Baron Mirbach, A. Böhm auf allen Gebieten des Kunstgewerbes und der häuslichen Kunst leisten, wird bahnbrechend wirken. Zahlreiche Schüler sind erfolgreich im Auslande tätig. Unter diesen verdient Max Benirschke in Düsseldorf besondere Erwähnung. Die Architekten und Kleinkunst gehen hier Hand in Hand und erreichen solcherart die bewundernswerte Einheit eines Stils, der unmittelbar aus dem Leben quillt und für das Leben schafft. Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung wird solcherart, ob sie nun einfachen oder leichten Verhältnissen entspricht, den Stempel einer vornehmen Kultur tragen, die Wesenszüge einer geschmackvollen, gebildeten, modernen Persönlichkeit.
Wohnräume spiegeln immer den Geist ihrer Bewohner. Gleichviel, ob sie mit reichen oder geringen Mitteln ausgestattet sind. So werden sie zu Verrätern, und der überflüssige Aufwand, der sogenannte Luxus, der vielfach für Geschmack genommen wird, offenbart nur zu oft, was er eben zu verhüllen strebt: die Geschmacklosigkeit. Das ist eine kapriziöse Geschichte: Geschmack ist nicht immer für Geld zu haben. Auch nicht für viel Geld. Die ärmste Hütte kann reicher sein als der prunkende Palast. Denn Seelenadel kann auch unter dem fadenscheinigen Kleid und unter dem rauhen Bauernkittel wohnen. Sicherlich wird er auf die Umgebung ausstrahlen, auf die nächste häusliche Umgebung, und dort im Stillen wirken. Ganz unauffällig, groben Sinnen nicht wahrnehmbar. Das »Seelische« ist es, was an den Wohnräumen interessiert, das, was menschlich an ihnen ist. Nicht wie sie eingerichtet, ob kostbar, ob ärmlich. Wenn ich in einem weissgetünchten Bauernhaus sorglich gepflegte Blumen am Fenster sehe, möchte ich am liebsten verweilen. Wie man bei lieben, guten Menschen verweilt. Die kahlste Stube, darin Reinlichkeit herrscht [S. 18] und ein paar Topfgewächse stehen oder ein Blütenzweig im Glas, birgt einen Strahl von Schönheit wie heimliches Licht.
Allein das Zeugnis, das die Wohnungen für die persönliche Kultur der Besitzer ablegen, ist nur in seltenen Fällen ein günstiges. Ich habe die Wohnungen aller Stände gesehen und vor allem des Mittelstandes, der den Hauptteil der Stadtbevölkerung ausmacht, und ich habe fast durchwegs nur Variationen eines Themas gefunden, das nichts Erquickendes bot. Auf die falsche Note des erborgten Luxus, der den Schein höher stellt als das Sein, ist heute noch das meiste gestimmt. Auf jeder Schwelle, die ich überschritt, hatte ich die Empfindung, als schallte mir eine widerliche Reklamestimme entgegen: »Schmücke Dein Heim!« Den traulichen Blumenflor, der uns die lebendige Natur, den Frühling in die Stube zaubert, fand ich ersetzt durch die künstliche Palme, eine erbärmliche Karikatur, die ihre starren Blätterfinger verzweiflungsvoll nach allen Richtungen ausstreckt in der offenbaren Absicht, das Makartbouquet traurigen Angedenkens an Geschmackswidrigkeit zu übertrumpfen. Das [S. 19] beleidigte Auge, das sich von diesem unwürdigen Anblick weg zum Fenster wendet, begegnet dort einer neuen Schmach. Wohlfeile, klägliche Imitationen der Glasmalerei hängen an den Scheiben und wehren dem spärlichen Tageslicht in den engen, düsteren Gassen den Zutritt in die dämmerigen Stadtwohnungen. Resigniert lasse ich mich auf die ach, so wohlbekannte Ripsgarnitur nieder. Doch es könnte auch eine Plüschgarnitur sein oder eine solche aus Halbseidendamast. Denn ich sehe sie nicht. Sie ist über und über bedeckt mit Milieux und Schutzdeckerln aller Art, welche die »züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder« in den langen Jahren des heiligen Ehestandes gestickt und gehäkelt hat. Als ich mich wieder erhebe, habe ich die Proben des häuslichen Kunstfleisses auf meinem Rücken hängen. Die verlegene Miene der Hausfrau steigert meine eigene Verlegenheit, als ich inne werde, dass die ausgenähten Lappen das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, und nicht nur das Heim »schmücken«, sondern auch als cache-misère die Blössen der verschossenen und zerschlissenen Garnitur sorgsam verhüllen sollen. Ich [S. 20] bücke mich rasch, um die verstreuten Fetzen aufzulesen, aber da hätte ich beinahe das Unglück gehabt, von der nahen Konsole das Gelump des unnützen Kleinkrams, jene »Kunstgegenstände« und Geschenkartikel, die wir aus den Schaufenstern der Kronenbazare kennen, die niedlichen Schweinchen, Figürchen, Tellerchen aus Glas und Porzellan, die für wenig Geld viel Geschrei machen, herabzuwerfen und damit das Odium eines ungefügen Barbaren auf mich zu lenken. Ich brauche kaum zu sagen, dass mich die erlogene Eleganz verstimmte, dass mich die Enge drückte und dass die beständige Gefahr, ein Unglück anzurichten, mein Benehmen unfrei und linkisch machte. Aber ich fand es nirgends besser. Durchwegs Räume mit mehr oder weniger Luxus, die unseren Geist und unseren Leib fesseln, die nicht geeignet sind, unsere Bewegungen und Geberden maßvoll aufzunehmen, die, angefüllt mit dem Unrat der Geschmacklosigkeit und einer babylonischen Wirrnis von Stilbrocken und Schnörkeln, den [S. 21] Sinn für Einfachheit, Wahrhaftigkeit und Echtheit ertöten. Ich nehme keinen Becher zur Hand, ohne den Leib eines Mönchleins oder Gnomen zu umschliessen, jeder Zigarrenabschneider wird mit dem Kopf Bismarck’s oder Moltke’s maskiert, jedes Gefäss ist überladen mit Blattwerk und Guirlanden, die Wände sind angefüllt mit schlechten Bildern, Fächern, japanischen Schirmen und Photographien.
Die freundlichen Hausgötter der Gastlichkeit und Geselligkeit pflegen nicht in Räumen zu wohnen, wo die Persönlichkeit sich im Widerspruch zur häuslichen Umgebung befindet und wo selbst die Inwohner Fremdlinge sind. Fremdlinge im eigenen Heim. An einem Herde ist nicht gut rasten, wo unaufhörliche Dissonanzen herrschen. Die Talmi-Eleganz unserer bürgerlichen Wohnungen, die unter der Devise »Schmücke dein Heim!« stehen, all die billige Effekthascherei, all der anscheinende Komfort, der keiner ist, weil er nur des Scheines wegen da ist, und nur Plage macht, ohne für etwas gut und nützlich zu sein, mit einem Wort: das Großtun, das ist die unaufhörliche Dissonanz. Wer mit feiner Witterung begabt ist, spürt das schon an der Türschwelle. Und all die Nichtigkeiten, die nur da sind, um über den wahren Zustand zu täuschen, werden zu [S. 22] den schreiendsten Anklägern. Kann man wirklich von dem »Geist« oder »Charakter« solcher Wohnräume auf das Wesen der Menschen zurückschliessen und den einzelnen verantwortlich machen? Man bedenke: ein Zahnarzt glaubt es sich schuldig, einen Empfangssalon à la Louis XV. zu besitzen. Die Sache muss möglichst billig sein, darum ist auch das Schlechteste gut genug. Aber immerhin, man sieht doch, dass man auch wer ist! Vor einem ernsten Urteil wird der Zahnarzt kaum als geschmackvoller oder auch nur als gebildeter Mann bestehen. Aber seine Entschuldigung ist, dass es den Leuten gefällt, und die Masse gibt Richtung. Im Grossen wie im Kleinen. Sie macht die Mode. Und sei diese noch so absurd, ihrer suggestiven Kraft wird sich der Einzelne, der Durchschnittliche, kaum entziehen. Man spricht vom Zeitstil und von Kulturströmung, die eine Epoche charakterisiert. Der Einzelne folgt dann seinem Herdeninstinkt. So mag man, wenn man nachsichtig sein will, den ganzen Skandal von Lüge und Täuschung, von schäbiger Eleganz und erlogener Vornehmheit, der in Geschmackdingen seit gut dreissig Jahren herrscht, jener unpersönlichen Abstraktion, die man Zeitgeist nennt, zuschreiben.
Aber schließlich müssen es doch wieder die Einzelnen sein, die eine Wendung anbahnen. Im richtigen Verstande müsste der marktschreierische Imperativ »Schmücke dein Heim«! einen Widerwillen erzeugen, der zum tüchtigen Kehraus führt. Die Schmucklosigkeit wäre zunächst der grösste Schmuck, die Befreiung von dem angepriesenen putzmachenden Tand. Man brauchte nur damit zu beginnen, statt der künstlichen Pflanzen lebende, echte ins Zimmer zu bringen, um Freude an ihrer Echtheit und ihrem Gedeihen zu gewinnen, und eine Revolution ist eingeleitet. Zuerst würden die [S. 23] schweren, verdunkelnden Stoffgardinen fallen, um wieder Licht und Luft in die dumpfen Räume einzulassen. Wir müssten den echten Blumen, so wir sie erhalten wollen, dieses Opfer bringen, und es wäre eine gerechte Wiedervergeltung, denn gerade diese verdüsternden Stoffgardinen waren es, die zur Zeit, als der Makartsche Atelierstil Mode wurde, unsere Blumen verdrängt haben. So nun aber das clair-obscur jener romantischen Rembrandt-Stimmung vor der Tageshelle gewichen ist, entpuppt sich die Lächerlichkeit des Stimmung machenden Krimskrams an den Gesimsen, all der Krüge, die keinem Gebrauch dienen, die weder Wasser [S. 24] noch Wein fassen, der Vasen, die keine Blumen aufnehmen können, der Teller, die zu keiner Mahlzeit verwendet werden können, und die sich als dürftiger Gschnas vor dem hellen Tage schämen, als nicht minder die dunkel gehaltenen Wände, die so beliebt sind, weil man den Schmutz darauf nicht sieht. Im Schmutze leben, das macht nichts, nur sehen darf man ihn nicht!
Nun aber wird der ob seiner Nichtigkeit entlarvte Prunk unerträglich, und es beginnt ein lustiger Umsturz, vor dem nichts niet- und nagelfest ist. Vom Hundertsten käme man ins Tausendste. Vom Fenster zu den Wänden und den Bildern, und von diesen zu den Möbeln, bis ins Kleinste herab. Es ist fast unabweislich, in allen Einzelheiten des Wohnraumes die neue Wohnungsästhetik zu erhärten. Der Ausgangspunkt dieser neuen Ästhetik aber ist, dass wir allen sogenannten Luxus aus unseren Häusern fortschaffen und zur Aufrichtigkeit und Einfachheit zurückkehren, wenn wir wollen, dass die Kunst wieder im Hause beginne. Epochen mit hochentwickelter volkstümlicher Kultur haben gezeigt, daß die Kunst immer vom Hause ausgeht und von hier aus auch das äußere Leben ergreift. Darum muß unsere Sorge darauf gerichtet sein, daß wir nicht die goldene Regel verletzen, die uns William Morris gegeben: » Behalten Sie nichts in ihrem Heim, wovon Sie nicht wissen, daß es nützlich ist, wovon Sie nicht glauben, daß es schön ist! «
Daß die Hausarchitektur im Zeichen des Umschwunges steht, wird niemand mehr leugnen. Die Architektur, die schwerfälligste aller Künste, folgt dem neuen Zug freilich zuletzt, denn sie hat nicht nur das größte Trägheitsmoment, das Schwergewicht der Gewohnheit, sondern auch die Gewissenlosigkeit des Bauspekulantentums und die Gleichgiltigkeit des Publikums zu überwinden. Das leichtbewegliche Kunstgewerbe, das heute führend vorangeht, konnte viel schneller das Feld erobern, und man kann sagen, daß die Schwenkung, die auch im Hausbau zu spüren ist, vom Kunstgewerbe veranlaßt, ja fast erzwungen worden ist. Denn das Kunstgewerbe verlangt einen festen Stützpunkt, eine Führung, einen Halt, und diesen kann nur die Architektur geben. Im Einzelwohnhaus ist da und dort dieser ursächliche Zusammenhang von Architektur und Handwerk, von Raum und Möbel, zwar schon hergestellt oder doch angebahnt, aber im Miethaus der Stadt, also in der Stadtwohnung, deren ästhetische Durchbildung doch eine der nächstliegenden Aufgaben ist, sind wir nicht immer so glücklich daran. Wie notwendig es ist, dass Kunstgewerbe und Hausbau Hand in Hand gehen, und wie eines ohne das andere nicht bestehen kann, will ich an einem typischen Fall nachweisen, der auf hunderte von Beispielen paßt, die sich in der Stadt von Tag zu Tag mehren. Jemand war des im Mittelstande eingebürgerten Atelierstils, des Markartbouquets, der künstlichen Palme und der verpöbelten Renaissancemöbel überdrüssig, er entfernte die Stoffgardinen, um wieder Luft und Licht in den dämmerigen Raum zu lassen, Zimmerpflanzen ziehen zu können und Freundlichkeit zu verbreiten. Aber die braunen Möbel vertragen die Helligkeit nicht, ihre Häßlichkeit und Unzweckmäßigkeit, die [S. 26] Erbärmlichkeit des ganzen unechten Luxus wurde mit einem Male unerträglich und sie wurden ersetzt durch jene gefälligen neuen Möbel, deren Wesen Einfachheit und Natürlichkeit ist, und die in dem sogenannten Biedermeiermöbel unserer Groß- und Urgroßeltern vorgebildet waren, die also gewiß nichts Fremdartiges, sondern etwas durchaus Heimatliches, Bodenständiges, Trautes waren. Aber es nützt nicht, daß man den neuen Wein in die alten Schläuche füllte. Das Mißverhältnis zwischen Raum und Möbel trat dann erst grell zutage. Die Möbel waren gewiß zwecklich formal gebildet, aber die Zimmer! Das Raumausmaß war groß genug und dennoch konnte man nichts unterbringen. An ein geschmackvolles Stellen der Möbel war nicht zu denken. Daran waren die Türen und Fenster schuld. Denn es gehört schon einmal zu dem eingebürgerten Begriff von einer Stadtwohnung, daß ein Zimmer zwei Fenster haben muß. Die Fensterwand geht natürlich fast verloren, denn links und rechts bleibt kein nennenswertes Stück Wand, und es erübrigt nur noch der Pfeiler, der einen dunklen Schatten mitten ins Zimmer wirft. Die Beleuchtung wird dadurch noch schlechter, daß die Fenster das Hauptlicht nicht von oben her geben, sondern von den untern Flügeln, so daß nur der [S. 27] Fußboden vor dem Fenster die Helle empfängt, was für das Auge das denkbar ungünstigste ist. Die einfachste und natürlichste Lösung wäre nun die, ein einziges etwas breiteres in der Mitte anzubringen, wobei nicht nur eine ausgezeichnete Belichtung erzielt werden kann, sondern auch links und rechts tiefe Ecken gewonnen werden, die es gestatten, gewisse Möbelstücke, das Sofa zum Beispiel, quer anzuordnen, oder die Nische so auszubauen, daß das Gefühl der Geschlossenheit und Geborgenheit erhöht wird. Viel ist auf diese Weise gewonnen, aber noch lange nicht alles. Denn da sind noch die Türen, die unseligen großen Flügeltüren, deren manches Zimmer drei besitzt, und die von jeder Wand ein erhebliches Stück wegnehmen. Man behalf sich früher mit einer Draperie, um sie wenigstens dekorativ zu gestalten, was im Wohnraum einen nichts weniger als sympatischen theatralischen Eindruck macht. Aber immer noch besser als die nackten, überflüssig hohen und breiten Palasttüren mit dem widersinnigen braunen Anstrich und der ebenso widersinnigen künstlichen Maserung. Daß der Raum auch geräumig werde, günstige Raumverhältnisse besitze, hängt also nicht allein vom Fenster, sondern auch von der Lage und Größe der Türen ab. Das sind die zwei Angelpunkte, um die sich die neue und vernünftige Raumgestaltung dreht. Noch ist dadurch fast gar nicht der Grundriß tangirt, noch ist fast keine Forderung an den Erfindungsgeist der Architektur gestellt, sondern erst ganz einfach eine gewisse Empfindungsfeinheit verlangt, ein Mitgefühl für die Menschen, die in den Räumen wohnen, und darinnen die Möglichkeit finden sollen, ihr Leben behaglich zu gestalten. Es ist ja wahr, die meisten Menschen verlangten die bisherigen [S. 28] Wohnungen gar nicht besser, sie haben nicht das Bedürfnis, ihre Umgebung künstlerisch gestaltet zu sehen, aber das hindert nicht, daß der Architekt, wofern er ein Künstler ist, den früher oder später ja doch eintretenden künstlerischen Bedürfnissen vorarbeiten und dergestalt die Prämissen einer höheren Kultur schaffen soll. Für diese Kulturarbeit ist der Architekt einer der wichtigsten Faktoren, und man kann sagen, ohne ihn kann nichts geschehen. Aber die Empfindungsfeinheit, die von dem künstlerischen Architekten (der andere kommt nicht in Betracht) verlangt werden muß, wird bei dieser Tat nicht stehen bleiben. Er wird die bürgerlichen Menschen nicht allein von dem überflüssigen und daher schädlichen und geschmackverderbenden Luxus, der sich in den billigen albernen Ziraten oberhalb der Tür und in den rein äußerlichen nur auf die Außenerscheinung berechneten Zutaten an den Fenstern äußert, befreien, sondern er wird auch sein Auge auf die Wände, den Boden und die Decke, endlich auf den Anstrich der Holzteile richten, er wird die Teile nicht der Obsorge des Zimmermalers und Anstreichers überlassen, die in Geschmacksdingen auf dem tiefsten Niveau stehen; er wird vielmehr auch hier seinen Einfluß geltend machen und damit das niedere Handwerk wieder heben. Denn alle Handwerkskünste sind [S. 29] Bestandteile der Architektur. Es hat sich gezeigt, daß die braunen Tür- und Fensterteile, die rote, grüne oder sonst irgendwie schmutzigfarbene Ausmalung mit den so hässlichen Dessins jedes anständige Möbel umbringen. Nun ist die Farbenempfindung bei der großstädtischen Menschheit ein verlorenes Gut. Jeder Bauer im Gebirge ist uns darin überlegen. Weil aber jede ästhetische Frage im Kern eine praktische ist, so läßt sich dieser Sache vielleicht von der hygienischen Seite beikommen. Warum sind die dunklen Schmutzfarben unserer Wände so beliebt? Es ist schon gesagt worden. Weil man den Schmutz darauf nicht sieht. Überdies ist das wiederholte Neuausmalen oder Tapezieren für den kleinen Mann zu kostspielig. Einer solchen kulturwidrigen Vornehmtuerei auf Kosten der Reinheit und Hygiene soll in unseren Häusern nicht Vorschub geleistet werden. Man fragt sich oft, warum unsere Wohnungen nichts Weißes enthalten. Warum hat man Wände und Decke nicht im einfachen Weiß, mit einem schönen Fries, so daß man sie um billiges Geld jährlich einmal frisch tünchen kann? Die Leute vor 80 Jahren, die noch eine feine Kultur besaßen, haben Fenster und Türen weiß gestrichen. Sie hatten auch weiße Gardinen und Topfpflanzen. Die Bauern in vielen deutschen Gegenden haben das noch. Und wie [S. 30] traut sind solche Räume! diesen Sinn für Reinlichkeit und Helligkeit muß man wiederbeleben, sonst ist nicht vorwärts zu kommen. Altwien besaß hübsche im Bogen ausgebauchte Fenster, die mit Geschick wieder verwertet werden können. Dabei ist Bedacht zu nehmen, daß im Fenster Blumen gezogen werden können, denn die allmählig wiedererwachende Blumenfreude ist ein wichtiger Kulturfaktor und ein erfreuliches Symptom der Rückkehr zur Natürlichkeit und Echtheit. Der Architekt muß alle diese halbbewußten Regungen mit feinen Sinnen erfassen und verwerten. Es gehört viel Liebe und Geduld und Menschenfreundlichkeit dazu, aber ohne diese Eigenschaften ist in der Kunst nichts zu machen. Nur das Mitgefühl, das Mitleben kann Formen schaffen, die nichts Äußerliches sind, wie die Stuckherrlichkeit moderner Zinskasernen, sondern etwas, das von innen nach außen gewachsen ist, und unsere bisherigen Hundelöcher wieder in menschenwürdige Wohnungen umwandelt. Auf diesem Wege dürften sich auch die notwendigen Grundrißänderungen ergeben. Die Badezimmer, die heute schon bei kleineren Wohnungen zu finden sind, sollten als Annex des Schlafraumes ausgestaltet werden. Denn es ist widersinnig und gesundheitsgefährlich, aus dem Baderaum durch das gewöhnlich sehr kalte Vorzimmer in den Schlafraum und umgekehrt gehen zu müssen. Diese und noch viele Änderungen können geschehen, ohne daß die Ertragsfähigkeit des Hauses nur im mindesten herabgesetzt wird. Daß wir trotzdem das moderne Mietshaus noch nicht haben, ist vielmehr eine Folge der herrschenden Teilnahmslosigkeit der Bauherrn und des Publikums, das noch nicht gelernt hat, Bedürfnisse zu haben. Die Mitarbeiterschaft von dieser Seite her ist freilich nicht zu entbehren.
Zu den schweren geschnitzten Kassetten-Decken altdeutscher Stuben passte dunkles Getäfel der Wände und die Ledertapete. Wo man sie heute noch im Bürgerhause vorfindet, ist sie nicht dem modernen Gefühl, sondern einer posthumen Butzenscheibenromantik, die noch immer nicht ausgestorben ist, entsprungen. Wie es noch Wotansenkel im schwarzen Salonrock gibt, die wie die alten Deutschen »immer noch eins trinken«, so gibt es eine große Kategorie, die in ihrer Gefühlsweise bei Hans Sachs stecken geblieben ist und Räume liebt, »wo selbst das liebe Himmelslicht trüb durch gemalte Scheiben bricht«. Die Sache gehört ins Museum, wo man sie billig bewundern mag. Im Alltag und im grellen Licht der Gegenwart sind solche abgestorbenen Lebensformen immer von Übel. Abgesehen davon, daß in Mietswohnungen eine solche pompöse Sache nur auf den Schein berechnet sein kann und eine Lüge ist, weil in solchen Wohnungen, wo wir eigentlich immer auf dem Sprung stehen, nichts von Ewigkeitsdauer geschafft werden kann, außer was sich leicht fortschaffen, auf einem Möbelwagen verpacken und in einer neuen Wohnung ebenso leicht und gefällig wieder aufstellen läßt. Auf ein gewisses Nomadentum ist unser Leben in Mietswohnungen gestellt. Aus ökonomischen, sozialen [S. 32] und hygienischen Gründen ergibt sich die neue Ästhetik, die für unsere Wohnung glatten und weißen Verputz an Wänden und Decke verlangt, die je nach Geschmack mit schablonirter Malerei oder Tapete bedeckt wurden. Damit war aber zugleich ein freier Spielraum für die gefährlichsten Ausschweifungen der künstlerischen Phantasie unserer Tapezierer- und Zimmermalerjünglinge gegeben. »Vernunft ward Unsinn, Wohltat Plage.« [S. 33] Das Ungeheuerlichste, Wahnwitzigste ward Mode, wenn es unter der Flagge einer falschen »Sezession« segelte. Auch diese Modekrankheit mußte überstanden werden und schließlich setzte sich die Arbeit ernster und tüchtig vorwärts strebender Künstler beim Publikum durch. Große Firmen der Tapeten-, Teppich- und Textilbranche suchen die Entwürfe solcher Künstler zu erwerben und Geschmackvolles in den Handel zu bringen. [S. 34] Heute spürt man im großen Publikum schon ein erfreuliches Bestreben nach vornehmer Einfachheit, das nur des Entgegenkommens künstlerischer und industrieller Kreise bedarf, um zu einer allgemeinen Niveauerhöhung des Geschmacks zu führen. Man zieht es vor, die Wände und Decke entweder einfach zu weißen oder färbig zu streichen und einen hübschen Fries aufzusetzen oder mit entsprechender Tapete zu bekleiden. Bei der Wahl der Farbe wird Bedacht genommen, daß zur Farbe der Möbel die Wände und Decke einen komplementären Gegensatz bilden, der die Möbelstücke hervorhebt und mit diesen, was die farbige Erscheinung betrifft, ein harmonisches Ganzes darstellt. Dem Dessin von Tapeten oder schablonierten Wänden steht man mit Recht mißtrauisch gegenüber, weil es sehr viel Takt [S. 35] erfordert, das Rechte zu finden, das diskret genug ist, als Hintergrund von Möbel und Bildern nicht unruhig und anspruchsvoll zu wirken und die Harmonie zu stören. Im allgemeinen gilt auch für die gemusterten Wandflächen die Regel, daß sie in Farbe und Zeichnung als bloße Fläche und Untergrund, der für sich allein keine Geltung beanspruchen darf, zu wirken hat. Daß man die hellen Farben vorzieht, ist in dem modernen hygienischen Bedürfnisse begründet, das nach Licht und Luft heischt, die in der Stadt kostbare Güter sind. Aus diesem Grunde hat man die Stoffgardinen durch Vorhänge aus leichtem dünnen Zeug ersetzt, indischer Seide oder Leinen mit Aufnäharbeit, daran sich der Kunstfleiß der Hausfrau zeigen mag. Für Aufnäharbeit geben die Leistungen moderner Künstler und [S. 36] Kunstschulen glänzende Vorbilder. Man wählt natürlich auch für diese leichten Vorhänge helle Farben, entweder weißes Leinen, oder, wenn es sich um durchsichtige Gaze oder indische Seide handelt, auch orange Farbe, die einen goldenen Schein ins Zimmer legt. Die Vorhänge hängen in geraden, schlichten Linien herab, sind seitlich zu ziehen und laufen in Ringen offen an einer Messingstange.
Auch der Teppich ist auf diese anheimelnde einfach vornehme Gesamtwirkung gestimmt. Es ist aber durchaus nicht »stilwidrig«, in einem solchen Raum einen echten Perserteppich aufzubreiten. Überhaupt was ist Stil? Wenn irgend ein antikisierender in Holz geschnitzter Fries, bald auf Schränken und Betten aufgetragen und auseinandergezerrt und dann wieder auf Nachtkästchen schmal zusammengedrängt wird, so nennt man das im Möbelhändlerverstande »stilgerecht«. Wenn aber jemand in seiner Wohnung heterogene Dinge zusammenträgt, die ihrer [S. 37] Entstehung nach, räumlich und zeitlich, sehr getrennt sein mögen, aber durchaus echt sind, so ergibt sich vermöge dieser Echtheit eine gewisse Einheit und diese Einheit kann man füglich Stil, vielleicht den einzig wahren und naturgemäßen Stil nennen. Darum beleidigt es unser Empfinden nicht, wenn wir in der neuen Wohnungs-Ausstattung einen echten Perser und an den Wänden gar echte Gobelins vorfinden. Die orientalischen Teppiche haben schöne geometrische Muster und die liegen uns ästhetisch wahrhaft näher, als alle plumpen Pflanzenstilisierungen, die man in der wohlfeilen Teppichfabrikation antrifft. Überdies hat die Moderne auch passende Teppiche geschaffen, die in ruhigen Farben gehalten sind, eine strenge geometrische Zeichnung oder irgend eine phantasievolle Linienführung aufweisen und die Stimmung solcher Räume harmonisch abschließen, Teppiche von Kolo Moser, Josef [S. 38] Hoffmann, Josef Olbrich, Leopold Bauer, Peter Behrens, Max Benirschke u. v. a.
Die weiblichen Handarbeiten, die in diesem Zusammenhange erwähnt werden müssen, bedürfen gleichfalls einer künstlerischen Reform. Hier sollte eigentlich der Ausgangspunkt der häuslichen Kunstpflege sein. Leider hat auf diesem Gebiete die Schablone jede Regung von Selbständigkeit und Geschmack erstickt. Die Arbeit ist zu einer ermüdenden, tötlich langweiligen Übung, zum bloßen mechanischen Ausnähen von allerlei Lappen herabgesunken und rechtfertigt die Verachtung, mit der die radikal Gesinnten die geistlose Beschäftigung ablehnen. Trotzdem sind sie nicht zu entbehren. Sie werden wieder ein Segen sein, wenn die rein mechanische Handarbeit zur künstlerischen Arbeit geadelt ist, was der Fall sein wird, wenn die »handarbeitenden« Frauen die Muster, die sie ausführen, selbst entwerfen auf Grund klarer Kenntnis der Technik, des Materials und des Zweckes.
Die moderne Lichtquelle, Elektrizität, hat zu Beleuchtungskörpern geführt, deren Form keinem Vorbild entlehnt werden konnte, sondern aus der Natur der Sache geschöpft werden mußte. Hier kann man die lehrreiche Wahrnehmung machen, daß solchen rein sachlichen Lösungen ein großer dekorativer Reiz innewohnt. Glühlampen an Leitungsdrähten in wohlgemessenen Abständen von der Decke herabhängend, können durch ihre Anordnung allein höchst erfreulich wirken. Hier bedarf es keines weiteren Ornaments. Würde ein solches hinzutreten, so dürfte es leicht störend empfunden werden. Die Tatsache, daß aus rein sachlichen Lösungen die glücklichsten dekorativen Wirkungen abzuleiten sind, ließe sich an allen bisher üblichen Beleuchtungskörpern demonstrieren, an denen wir leider gewohnt sind, ein Übermaß der unsinnigsten Ornamente zu sehen. Eine sachlich gelöste Petroleumlampe, die durch zweckmäßige Form allein edel wirkt, gehört, wenn sie wirklich vorkommt, zu den größten Seltenheiten. Für den Künstler ist hier noch immer ein Feld offen. Für Gasbeleuchtung sind moderne Beleuchtungskörper geschaffen worden, aus Metall und Opalscentglas, die formal zu den Schönsten gehören, das wir in diesem Genre besitzen. Dagegen kommt [S. 40] es vor, daß den Kerzenweibchen oder ehemaligen Kerzenlustern elektrische Glühlampen aufgesetzt werden, die auf imitierten Kerzenschäften stehen und solcherart den Anschein einer wirklichen Kerzenbeleuchtung erwecken. Es können immer Fälle vorkommen, bei Festessen z. B., wo man sich lieber der edelsten Lichtquelle, der Kerze selbst bedient, die wie kein anderes Beleuchtungsmaterial geeignet ist, Festweihe und feierlichen Glanz zu verbreiten. Dann aber sollen es wirkliche Kerzen sein. Aufrichtigkeit und ehrliches Bekennen, also hier Materialbekennen, sind Grundlage jedes gesunden Geschmacks. An elektrischen Tischglocken, Tastern, Lichtträgern und Leuchtern hat die neue Zeit viel geschaffen. Aber auch hier ist vor einer gewissen Überkunst zu warnen. Rein sachliche und geschmackvolle Lösungen sind selten. Es muß dahin gestellt bleiben, ob es ein glücklicher Gedanke ist, mit dem Zweckbegriff eine figurale Darstellung zu verbinden, die mit der Sache eigentlich nichts zu tun hat. Wir sehen Leuchter in Gestalt von Lichtträgerinnen, weibliche Gestalten, die Kerzen tragen, bald schwer belastet, bald mit geschlossenen Augen hinschreitend, als Symbol der Nacht, dann emporschwebend wie die züngelnde Flamme oder hingekauert, den Kerzenschaft wie eine Säule umklammernd. Der Plastiker lebt sich nur aus, wenn er an den Gebrauchsgegenständen, die er formt, seine figuralen Ideen verkörpern kann. Unzählige Symbole leitet seine Phantasie aus dem Lichtmotiv ab und umrankt es mit dem üppigen Gespinnst seiner Formerfindung. Diesen Dingen gegenüber, die ja zum Teil auch [S. 41] wirkliche Schönheit offenbaren, ist der Standpunkt fernzuhalten, daß ein sehr gebildeter und disziplinirter Geschmack die streng sachlichen Formen an allen Gebrauchsdingen vorzieht, damit die eigentlichen Kunstwerke, die sich im Raum befinden, zu jener unbestrittenen Geltung kommen können, die ihnen zukommt.
In Bezug auf die Heizkörper ist ähnliches zu sagen. Frühere Zeitalter, die u. zw. Renaissance vor allem, hat Öfen gehabt, an denen die Freude am Ornament wahre Orgien feierte. Jeder Kachel trug ein anderes Ornament, eine andere figurale Darstellung, eine andere Farbengebung. Das ganze war ein Wunderbau wie der babylonische Turm. Im Zeitalter des Barock, Rokoko und Empire begegnet man weiß glasirten Öfen in geschwungenen Linien, oder Obeliskenformen, die ein Postament für plastische Gruppen vorstellten. Später kam die Hafnerkunst gänzlich auf den Hund. Heute kann man dem Ofen und der Holz- und Kohlenheizung nicht mehr das Wort reden. Eine neue Beheizungsart stellt sich vor: die Zentralheizung durch erwärmtes Wasser oder Luft und die Gasheizung. Gaskamine wendet man in Wohnungen sehr vorteilhaft an; [S. 42] man kann sich des von der gerippten, blinkenden Metallfläche wiederstrahlten Feuerscheins erfreuen, ein Hochgenuß für romantische Gemüter, die nach der anheimelnden Poesie der »Fireside« der offenen Kamine, eine unbezähmbare Sehnsucht empfinden. Sie können am Gaskamin ihrer Sehnsucht fröhnen, ohne die Schattenseiten der begehrten Dinge zu empfinden. Denn diese Einrichtungen sind technisch vorzüglich. Aber sie sind vom ästhetischen Standpunkt aus unerträglich. Sie sind gewöhnlich [S. 43] mit den heillosesten Stilschnörkeln verbrämt. Da hilft nur Eines: Man gibt ihm eine hölzerne Umhüllung, weiß oder sonstwie lackiert, mit einem Gesimse für kleine Kunstwerke versehen und mit Sitzgelegenheiten rechts und links. Wir haben damit in unserer Stadtwohnung die gemütlichste und traulichste Einrichtung gewonnen, wie man sie sonst nur in einem englischen Hause zu finden gewohnt ist.
Der erste Schritt, den wir in eine Wohnung tun, belehrt uns gewöhnlich, wessen Geistes dieses Heim ist. Der Vorraum, den wir zuerst betreten, ist schon für alle anderen Räume bezeichnend. Die Persönlichkeit färbt überall ab. Ein Haus, dessen Neben- und Nutzräume nicht in Ordnung sind, wird auch nicht ein einziges Gemach besitzen, das volles Behagen gewährt. Umgekehrt wird sich ein ordnender und liebenswürdiger Hausgeist auch bis auf die äußerste Schwelle bemerkbar machen. Praktisch betrachtet, hat ein Vorzimmer zwei Aufgaben zu erfüllen. Es dient als Warteraum für den Besuch, der sich melden läßt, um nicht unvermittelt in die Gemächer zu treten. Der angemeldete Besuch benützt den Augenblick, Hut und Überkleider abzulegen und mit einem prüfenden Blick in den Spiegel sich über die Ordnungsmäßigkeit seiner Toilette zu versichern. Demnach ergeben sich als unerläßliche Möbelstücke: eine Kleiderablage für Röcke, Hüte, Stöcke und Schirme, ein Wandspiegel, der gewöhnlich damit in Verbindung steht, einige Sitzgelegenheiten, am besten [S. 45] einfache Stühle und ein Tischchen mit Lade. Die Hausfrau erkennt eine weitere Aufgabe des Vorzimmers darin, daß sie es zur Aufnahme ihrer eigenen Kleiderschränke einrichtet. Denn bei den heutigen beschränkten Raumverhältnissen in Mietshäusern und den neuen Raumgestaltungsprinzipien sucht man derartige große Wandschränke aus den Wohnzimmern zu bannen und ins Vorzimmer zu verlegen. So mag man denn an allen Wänden gleichförmige Schränke finden, die aus einem Stück, jedoch in viele Teile zerlegbar, bestehen können. Man wird aber gut tun, die ganze Wandhöhe bis zum Plafond schrankartig abzubauen und die oberen Fächer, die Separattüren ober der Kopfhöhe haben, zur Aufnahme von allerlei Schachteln und sonstigen Effekten, wenig benützten Kleidern u. s. w. zu verwenden, denn in einem Haushalt werden leicht alle Fächer und Schränke zu wenig, um zu beherbergen, was sich im Laufe der Zeit ansammelt. Es kann aber auch, um nicht eine Wand für die Kleiderablage mit Spiegelteil opfern zu müssen, eine solche Kleiderablage und der Spiegel vorne an einem oder mehreren der Schränke angebracht, der Spiegel in eine der Schranktüren eingelassen, die Kleiderhaken neben den Schranktüren befestigt und solcherart alle vier Wände mit Schränken abgebaut werden. Selbstverständlich wird man weiches Holz zu diesem [S. 46] Zweck verwenden und in einer Farbe, am besten weiß, lackieren oder streichen. Als Bodenbelag findet man vielfach Matten, die mit einfachem Muster von Künstlern entworfen, durch die Prag-Rudniker Korbwarenfabrikation stark in den Handel gebracht werden und sich vortrefflich bewähren. Ein solcherart ausgestatteter Vorraum besitzt alle Vornehmheit und Anspruchslosigkeit, deren er bedarf, wenn er den Besucher auf die gastlichen Haupträume vorbereiten will. Unterordnung in den Hauptgedanken der Wohnungsausstattung ist hier Gesetz. Im Vorraum pflegt man gute Bilder und sonstige Kunstwerke nicht unterzubringen; schlechte soll man aus Geschmacksgründen noch weniger hinstellen, weil der Raum keine Trödelkammer sein soll und da leicht eine geringschätzige Meinung von [S. 48] den Inwohnern erwecken kann. Aber es ist keineswegs Grundsatz, daß aus den Vorräumen Kunstwerke, wie Bilder und Plastik, verbannt sein sollen, im Gegenteil, wenn das Haus weitläufig genug ist, und das Vorzimmer, wie es heute geschieht, mehr den Charakter einer »Hall« empfängt, fänden sie auch hier ausgezeichnet Platz und trügen von dem Geist und der Vorliebe der Bewohner freundliche Spuren über die Schwelle ihrer inneren Wohnräume hinaus und dem Besucher einladend entgegen. Wir mögen uns da nur einmal Goethe’s Beispiel vor Augen führen und sein Haus in Weimar rekonstruieren, wie es anfangs des 19. Jahrhunderts ausgesehen hat. Ohne glänzend zu sein, war alles höchst edel und einfach; auch deuteten verschiedene an der Treppe stehende Abgüsse antiker Statuen auf Goethe’s besondere Neigung zur bildenden Kunst und dem griechischen Altertum. Der Vorraum in der I. Etage trug die Zeichen »Salve« als freundliches Willkommen und einer der zwei Vorräume, wo man zu warten genötigt war, war durch ein rotes Kanapee und Stühle von gleicher Farbe überaus heiter möbliert; zur Seite stand ein Flügel und an den Wänden sah man Handzeichnungen verschiedener Art und Größe.
So bei Goethe. Freilich zwischen dem Alt-Weimarer Hause Sr. Exzellenz und einer modernen Stadtwohnung, ist ein Unterschied.
Zu jenen Räumen, für die man im Allgemeinen auch das Schlechteste für gut genug hält, gehören die Dienerzimmer. Es ist ein trauriges Zeichen schlechter sozialer Begriffe und unzureichender menschlicher Einsicht, wenn man in einem Hause die Dienstleute, denen man doch Treue und Anhänglichkeit zum Gesetz macht, schlecht versorgt findet. Im Dienstverhältnis gibt es nach beiden Seiten hin Pflichten und Rechte und kein Teil, weder Dienstgeber noch Dienstnehmer, dürfte dem anderen etwas schuldig bleiben. Für menschenwürdige Zustände im Hinblick auf das Dienstpersonal zu sorgen, ist auch eine der ersten Pflichten der Hausfrau, wenn sie nicht Recht behalten sollte, daß sie wirklich »bezahlte Feinde« im Hause habe. Guter Geschmack heißt hier wie überall Reinlichkeit und Zweckdienlichkeit. Massiv eiserne Betten (Hohlräume sind immer Aufenthalt unausrottbarer Ungeziefer), einfache Möbel aus weichem Holz in irgend einer Farbe gestrichen, Tisch, Stuhl, Schrank und Waschgelegenheit möblieren den Raum vollständig und können ihn zugleich recht wohnlich machen. Wenn für das persönliche Wohl der Dienstleute in mustergiltiger Weise gesorgt ist, ist das immer eine Ehre für die Hausfrau.
In einem Lobliede an die Küche meint Gilles Corrozet (1534), daß es eine schöne Sache sei um ein geschmücktes Haus, um eine behagliche Stube, um den wohlbestellten Speicher und Keller, daß aber ein Haus trotzdem nichts Erquickliches böte, wenn man nicht auch eine gute Küche sehe, die gute Küche, wo die freundlichen Götter Diana, Ceres und Bachus ihre gesegneten Gaben niederlegen, wo der freundliche, Zufriedenheit und Wohlbehagen spendende Hausgeist im Winkel am Herde tront und leibliche Stärkung und Mehrung der Daseinsfreude verheißungsvoll winken.
Der gute Corrozet ist ein praktischer Idealist; wer auf guten Tisch hält, (und wer tut das nicht) muß vor allem auf gute Küche halten, und darum gibt er seinen Zeitgenossen eine umständliche, in zierliche Reime geflochtene Darstellung einer ganzen Kücheneinrichtung, in der er auch nicht »die Lichtschneutzen« vergißt und daraus man leicht ersehen kann, welche hervorragende Wichtigkeit die Küche im damaligen Haushalt besaß. Sie ist die Urzelle des Hauses, aus der die anderen Räume erst nach und nach hervorgegangen sind. Noch im XVIII. Jahrhundert vollzog sich auf den seigneuralen Gütern Frankreichs das Leben vorzugsweise [S. 51] in der Küche, während die übrigen Gemächer des Hauses als bloße Repräsentationsräume nur gelegentlich benützt wurden.
Sicherlich ist die Küche der am frühesten und am vollkommensten ausgebildete Teil des Hauses gewesen. Über deren Einrichtung läßt uns auch die »Nürnberger Haushälterin« nicht im Zweifel, die im Jahre 1716 über das deutsche Bürgerhaus schrieb: »Von einer wohlgebauten Küche wird vornehmlich gefordert, daß sie nicht allzuweit von der Esstube entfernt seye, damit nicht im Winter das Essen, wenn es weit getragen werden muß, kalt auf den Tisch gebracht werde.« Man darf sich hierbei wohl nicht eine Stadtwohnung mit gedrängten Räumen vorstellen, sondern ein weitläufiges altdeutsches Bürgerhaus, wo möglicherweise die Küche, wie in den heutigen Landhäusern und Villen, im Untergeschoß gelegen war. Daher die Mahnung der »Nürnberger Haushalterin«, die zu ihrer Zeit die vortreffliche Einrichtung von Speiseaufzügen nicht gekannt haben dürfte.
Gegenüber den alten Küchen, so vollkommen sie auch mit Gerätschaften versehen sein mochten, haben die heutigen, von modernen Architekten eingerichteten Küchen entschieden bedeutende Vorzüge aufzuweisen. Das Gebot der Zweckmäßigkeit und sanitäre Rücksichten [S. 52] erfordern, daß die Küchen hell seien, in modernen Landhäusern legt man daher die Fenster breit und ziemlich hoch an, selbst wenn dies nicht durch die tiefe Lage des Raumes im Souterrain erforderlich sein sollte, damit die Wandflächen für die Kücheneinrichtung gut ausgenützt werden können. Unter diesen Fenstern befinden sich in der Regel die Schränke mit möglichst viel Laden und Stellagen, die mit Glastüren verschlossen sind. In der Mitte der Wand, unterhalb der Fenster finden wir häufig den Anrichtetisch, in seinen Unterteilen als Schrank ausgenützt und von einem Gesims mit verschließbaren Fächern gekrönt. Auf der gegenüberliegenden Seite steht der Herd. Im Gegensatz zur Küche von einst, die man erst dann für schön erachtete, wenn das blitzblanke Messing- und Kupfergeschirr, die bunten Töpfe aus Steingut und Porzellan, die Zinn- und Blechgefäße an Wänden und offenen Stellagen zum Entzücken der Hausfrau prangend ausgestellt waren, liebt man es heute, jegliches Küchenrequisit in den Schränken abzuschließen und hat damit vollkommen recht. Denn so kann das Geschirr von Staub und Fliegenunrat frei gehalten werden und man erspart ein Übermaß von Reinigungsarbeit. Nur das Kupfergeschirr läßt man frei hängen. Eine solche Küche sieht aber auch appetitlich genug aus, namentlich, wenn die Wände weiß verkachelt sind, wie das neuestens oft der Fall ist. Bis zu einer gewissen Höhe wenigstens sollen die Wände verkachelt sein, soweit eben spritzendes Wasser reicht. An Stelle der Kacheln werden auch dünne Marmorplatten verwendet und zwar nur weiße, weil es aus begreiflichen Gründen Grundsatz ist, daß weiß vorherrsche. Darum werden sämtliche Holzgegenstände, also die ganze Kücheneinrichtung weiß lackiert, wobei man den Vorteil hat, durch einfaches Abwaschen jeden Schmutz leicht zu entfernen. Daß man auf weiß jede Unreinlichkeit [S. 53] sofort sieht, ist nur ein Vorzug, denn sie soll nirgends und am allerwenigsten in der Küche geduldet werden. Will man durchaus ein Ornament, so soll es nur ein Flachornament sein, aufschablonirt und sparsam angewendet. Jede Schnitzerei ist zu verpönen, sie wirkt nur als Staubfänger. Im Übrigen hat man Bedacht auf gradlinige einfache Formen ohne Gesimse, und auf einfache ungeteilte Holzflächen, die durch bloßes Abwischen rein gehalten werden können. Die Küchenmöbel sollen mit ihrer Fläche bis auf den Fußboden herabgehen und auf diesem ohne Füße fest aufstehen, damit sich unterhalb der Schränke keine unkontrollierbaren Schmutzwinkel bilden können. Dagegen tut man gut, die Stuhl- und Tischflächen, die oft gerieben werden müssen, überhaupt nicht zu streichen, sondern bloß fein gehobelt im ursprünglichen Holzton stehen zu lassen, und so einzurichten, daß sie abnehmbar sind. Auf diese Art können sie am besten gewaschen und gerieben werden, wovon das Holz bald ein blühweißes Aussehen bekommt. In Bezug auf den Fußboden hat man auch zu bedenken, daß in Küchen immer Wasser verschüttet wird, und daß er mit Wasser abgeschwemmt und solcherart leicht gereinigt werden soll. Darum wird man den Steinboden dem bisherigen Brettelboden vorziehen. Der Steinboden aber bedeutet einen Angriff auf die Gesundheit der Köchinnen, die ohnehin meistens gichtisch sind. Da bietet denn das Xylolith einen Ausweg. Xylolith ist ein Kunststein, der auf Holz aufgetragen wird, nicht so [S. 54] hart wie Naturstein ist, aber sonst alle seine Vorzüge aufweist und noch mehr. Er ist nämlich schon in allen Farben zu haben und man kann ihn nach seinem persönlichen Geschmack wählen. Zu dem blinkenden Weiß der Wände passt sehr gut ein roter oder blauer Xylolithboden.
Die Französin des XVIII. Jahrhunderts mußte ihr Paradebett haben, die deutsche Frau ihre Prunkküche. Das kennzeichnet zur Genüge den Unterschied zweier Nationen. Heute existiert beides nicht mehr. Vieles wird heute fertig ins Haus gebracht, was einst im Hause erzeugt werden mußte. Selbst der Kohlenherd ist in Gefahr verdrängt zu werden. Gas und Elektrizität, Centralversorgung, spielen eine immer größere Rolle.
Wenn auch die Küche heute nicht so umfangreich ist, wie die altdeutschen Küchen waren, so bildet sie doch noch immer eine Macht im Hause, von der das Glück im Heimwesen zum großen Teil abhängt. An ihr sieht man, was die Hausfrau ist oder was sie nicht ist. Es gibt Köchinnen, die einen Dienstort verlassen, wenn ihre Werkstätte, die Küche, nicht der Würde und Bedeutung des Raumes entsprechend ausgerüstet ist. Die schlechtesten Köchinnen sind das sicherlich nicht.
Es war eine geistreiche Dame, die bei einem Diner, das sie für eine große Gesellschaft veranstaltete, folgendermaßen verfuhr: Nach dem Grundsatze, den die Römer schon kannten, daß eine Tischgesellschaft nicht weniger als die Zahl der Grazien und nicht mehr als die Zahl der Musen betragen sollte, verteilte sie die zahlreichen Gäste an ebensoviele Tische als nötig waren, um die gesegnete Zahl herzustellen. Und sie stimmte jeden Tisch auf eine andere Farbe. Sie hatte sich mit den Damen ins Einvernehmen gesetzt, und sie mußten ihre Toilette der Farbe ihres Tisches anpassen. Selbst die Tischtücher mußten Farbe bekennen, und man sah die ganze Skala des Regenbogens vertreten, ja sogar ein schwarzes Tischtuch war vorhanden. Die Blumen wurden dementsprechend gewählt und verteilt. Die geistreiche Dame hatte von ihrer meisterhaften Anordnung eine außerordentliche Wirkung erwartet und die Wirkung war außerordentlich. Sie war nämlich außerordentlich geschmacklos. Sie war so geschmacklos, daß man wirklich sehr geistreich sein muß, um dergleichen einmal begehen zu dürfen. Sie hat es sicherlich nicht wieder [S. 56] getan. Die feine Lehre war daraus zu ziehen, daß für das Gedeck nur eine Farbe existiert, die den Glanz der Frische und der Appetitlichkeit gewährt, das festliche Weiß, als der richtige Grundton, davon sich das Silber, Krystall, Porzellan und die freudigen Farben der Blumen schön und erquicklich abheben und zugleich ein Schmaus für das Auge sind. Die ästhetische Befriedigung ist ein wesentlicher Bestandteil der Tafelfreude. Nebst dem feinen weißen Linnen, das manche Frauen, wie namentlich in früherer Zeit, hüten wie Silber, ist es die Blume, welche dem gedeckten Tisch den Adel künstlerischer Schönheit verleiht. Wie bei allen Dingen, kommt es auch hiebei nicht auf die Kostbarkeit oder Seltenheit der Blumen an, sondern auf die Art, wie sie verwendet werden. Gerade unsere einfachen heimischen Blumen, mit schlichter Treuherzigkeit Bauernblumen genannt, können, klug gebraucht, zu den feinsten [S. 57] Wirkungen gebracht werden, und man erinnere sich nur daran, was Lichtwark über den Löwenzahn als Tischblume sagt. Der vielverachtete Löwenzahn, der den ganzen Tisch auf Gelb stimmt, könnte eine unvergleichliche Tischblume abgeben. Mit gelben Blumen näht die Hausfrau gerne ihren Tischläufer aus, und eine unbewußte Anerkennung liegt darin, daß Gelb auf weißem Tischzeug besonders schön steht. Aber gerade hier ist viel Takt in der Anwendung erforderlich. Streublumen sind sehr beliebt, aber sie sehen alsbald welk aus, verursachen häßliche Flecken und eine krause Unordnung am Tisch, die ihr freundliches Aussehen von früher bald ins Gegenteil verwandelt. Ein Künstler hatte den glücklichen Einfall, die Schnittblumen in kleinen würfelartigen Glasgefäßen, die in regelmäßigen Abständen eine Reihe in der Mitte des Tisches bildeten, aufzustellen, und er hat damit das Rechte getroffen. [S. 59] Heute bekommt man zu diesem Zwecke kleine Glasgefäße mit dreieckiger Basis, die man in beliebiger Weise zu Gruppen mit hoch- und kurzstengeligen Blumen vereinigen kann. Hohe Blumen- und Fruchtaufsätze, welche die einander gegenübersitzenden Personen den Blicken entziehen, haben sich als unzweckmäßig und geschmacklos überlebt.
Die Reform des Tafelgedeckes beginnt schon bei der Serviette. Sie hat heute noch eine Form, die ihre Gebrauchsart längst überlebt hat. Kein Mensch von Lebensart wird sie heute noch mit einem Zipfel unter dem Kinn in den Kragen stecken. Man legt sie heute einfach über den Schoß. Die zweckentsprechende Form sollte demnach jene sein, welche etwa das Handtuch besitzt: ein längliches Rechteck. Daß die Serviette weich und lind sei, wird zwar in der Theorie immer verlangt, aber die Praxis kennt nur damastene Servietten, die anfangs bocksteif sind und [S. 60] nach längerem Gebrauch abhaaren. Die Zeiten sind wirklich vorüber, wo Linnen dem Silber gleichgestellt war.
Über das Glas wäre manches zu sagen. Gewöhnlich sitzt das Glas wie ein Blumenkelch auf hohem dünnen Stengel, was zwar anmutig anzusehen, aber in sehr hohem Maße unpraktisch ist. Erstens wird die Standfestigkeit gering, bei leiser Berührung fällt das Glas um, und zweitens ist der Stengel beim Reinigen allzuleicht abzudrehen. Aber auch dickes Glas ist nicht zu empfehlen, weil nicht gut daraus zu trinken ist. Zwischen Lippe und Flüssigkeit soll sich so wenig Glaswand befinden als immerhin möglich. Aus dieser Voraussetzung ergibt sich die organische Form des Trinkglases von selbst; es müßte einen starken, feststehenden, starkwandigen Fuß und Stengel haben und müßte gegen den Rand ganz dünn verlaufen, um als angenehmes Glas empfunden zu werden. Handsam soll das Glas sein und mundgerecht. So einfach die Lösung scheint, ich habe ein solides Glas noch nicht gefunden.
Dem Glase steht das Porzellan zunächst. Ich weiß, daß die meisten Leute buntbemaltes Geschirr lieben. Es macht zwar nicht viel aus, ob [S. 61] das Geschirr bemalt ist oder einfach weiß, nur ist zu bedenken, daß die Bemalung häufig Schäden des Porzellans verdecken muß. Reliefartiger Dekor am Tellerrand ist im höchsten Grade unzweckmäßig, aber alles Unzweckmäßige ist am häufigsten anzutreffen. Ganz weißes Geschirr ohne bunte Streifen ist sehr vornehm in der Wirkung, aber merkwürdigerweise selten im Gebrauche zu finden.
Und nun das Silber. Es ist ja heute noch der Stolz jedes wohlhabenden Hauses, der wohlgehütete Schatz, den man nur zu besonderen Festtagen oder zu Ehren eines Gastes zu verwenden wagt. Die Silberlöffel im Alltag zu gebrauchen, würde der Mehrzahl der Hausfrauen als beispiellose Verschwendung erscheinen. Ich weiß wirklich nicht aus welchem Grunde. Gerade für den Alltagsgebrauch ist echtes Edelmetall wie Silber allein zu verwenden, weil es widerstandsfähiger und sauberer [S. 62] zu halten ist als billiges Zeug, das oftmals erneuert werden muß, immer übel aussieht und zuguterletzt viel höher zu stehen kommt als Silber. Der wahrhaft ökonomische Sinn wird sich immer nur des letzteren bedienen. Gewöhnlich aber ist für die Hausfrau das Silberzeug bloß Gegenstand des platonischen Genusses, ohne weiteren Daseinszweck, als »still im eigenen Glanz zu ruhen«, und als Brautgeschenke gefühlsame Erinnerungen der Hausfrau zu bewahren. Den Kranz so frommer Tugenden aber wollen unsere ungeweihten Hände nicht zerreißen. Sprechen wir lieber von der Form, die das Silberzeug erhalten hat. Die Liebe der Künstler hat sich ja dem Silber in besonderem Maße zugewendet, und gerade in den letzten Jahren ist viel an dem Tafelbesteck probiert worden. Bei der heutigen Art, Messer und Gabel leicht zu halten, hat das Besteck auch jene Leichtigkeit und Zierlichkeit erhalten, die man ihm wünschen mag. Jedermann hat sich schon über die Gabel geärgert, die absolut keine Sauce fassen will. Als aber Oberbaurat Otto Wagner sein Reformbesteck ausstellte, gab es dennoch eine kleine Erschütterung. Man ist die alte Form schon so gewöhnt, daß die wenigsten Menschen einsehen [S. 63] wollen, daß es da noch etwas zu reformieren gibt. Da gab aber eines Tages ein einarmiger General den Anstoß zu einer Revolution. Der wollte eine Gabel, mit der er nicht nur spießen, sondern auch schöpfen und nötigenfalls auch schneiden konnte. Die Gabel wurde gefertigt; sie besaß eine flache löffelartige Form mit drei kurzen Zinken, so daß man damit bequem spießen und zugleich Sauce fassen konnte.
Diese Gabel ist sicherlich der reformierteste Teil des Reformbesteckes. Sie dürfte allgemeine Annahme finden, denn auch von der hygienischen Seite her ist ihr Angenehmes wegen ihrer leichten Reinbarkeit nachzusagen.
In den Ansprüchen, die wir in ästhetischer Hinsicht an den Eßtisch stellen, prägt sich ein guter Teil unserer Erziehung und unserer persönlichen Kultur aus. Die Mahlzeiten sind Feste des Leibes, die bei Homer, der von seinen Helden getreulich berichtet, wann sie die Hände zum lecker bereiteten Mahle erhoben, eine Art fröhlicher Gottesdienst werden. Der Adel der Form kommt später hinzu. Es genügt dem Kulturmenschen nicht, daß das Mahl lecker bereitet sei. Die schöne Form ist nicht zu entbehren. Sie ist das halbe Essen. Die ästhetische Forderung wird geradezu zur körperlichen. Eine gewisse absolute Schönheit des Eßtisches hat sich herausgebildet, die sich mit Einfachheit wohl verträgt und die nur eine Verschiebung hinsichtlich der Kostbarkeit verträgt. Diese ist aber sicherlich zu entbehren. Eine Sehnsucht nach Schönheit geht durch unser Zeitalter. Wenn nichts fruchtet, will man wenigstens »in Schönheit sterben«. Das ist gewiß sehr edel, aber anmutsreicher ist: »in Schönheit leben«. Und dazu gehört: »in Schönheit essen«.
Vor Jahren sah es freilich noch anders aus. Wie es in den meisten Wohnungen heute noch aussieht. Altdeutsch war es, oder was man darunter versteht. Der Plüschdekorationsdivan trug die ach so bekannten Dekorationsteller. Die altdeutsche Kredenz war geschnitzt, zwar sehr roh und albern, aber im großen und ganzen trug das Möbel eine Façade wie ein italienischer Palazzo. Säulen waren an jedem Türchen, aber sie hatten nichts zu stützen. Sie waren angeklebt und bewegten sich mit der Tür auf und zu. Ich erzähle das nur, um auf den Widersinn einer solchen Ornamentik, die man an jedem derartigen Möbel finden kann, gebührend aufmerksam zu machen. Die anderen Einrichtungsstücke paßten dazu — insofern waren sie wirklich »stilgerecht«. Der massive Speisetisch hatte unten eine kreuzweise Verspreizung, so daß man nie recht wußte, wie man die eigenen Beine unter dem Tische unterbringen soll. Es war zu wenig Platz, und sie auf die Verspreizung zu stellen, litt die Hausfrau nicht. Die üblichen Speisezimmersesseln standen herum, mit Sitzflächen aus Holz, das figurale Ornamente eingepreßt hatte, so daß man sich nicht niedersetzen konnte, ohne sich einer schönen Marke mitten ins Gesicht [S. 65] zu setzen — herrlich! Natürlich war auch ein Pfeilerspiegel da mit Trumeau, dunkle Vorhänge, um alles in allem die beziehungsreiche, wurstrot- und sauerkrautfarbene Gesamtstimmung zu erzeugen, die seit einer Generation in Speisezimmern so beliebt ist.
Schlägt man die Tageszeitungen auf, so findet man spaltenlange Annoncen, darin solche Intérieurs angepriesen werden. Man mag daraus [S. 66] ersehen, daß sie noch immer ein Publikum finden, das diese Mühe und Kosten verlohnt.
Beim Stuhl begann die Revolution. Man verlangte, daß er Bequemlichkeit gewähre, und bestimmte die Sitzhöhe nach dem körperlichen Maß. Eigentlich hat man das auch in Goethes Zeiten getan und vielleicht schon zu Moses Zeiten, aber man hat seit der Zeit, da man fremde Stile kopierte, darauf vergessen. Die Querleisten zwischen den Beinen wurden [S. 67] als lästig empfunden und blieben weg. Dann kam die Lehne in Betracht. Hiebei ist die Atmung zu berücksichtigen. Geht die Lehne im Bogen, so muß sie unter den Schultern abschließen, sonst verursacht sie Atembeklemmungen. Geht sie höher, so schließe sie besser gerade ab. Doch soll sie möglichst niedrig sein, sonst bildet sie ein Hindernis beim Servieren. Von der Stuhlform hängt der Tisch ab. Die richtige Höhe ist bei Speisetischen sehr wichtig. Ausziehtische sind natürlich bevorzugt, wenn sie auf guten Rollen laufen. Die Zarge darf nicht so weit herabreichen, daß sie das Knie des Sitzenden beengt. Die Querstangen sind absolut zu vermeiden. Man hat neuestens den Tischfuß mit gehämmertem Messing umkleidet, darauf man unbekümmert die Füße stellen kann. Buffet, Teetisch, Serviertisch ergänzen das Mobilar. Das Ornament besteht höchstens in eingelegten Linien, im flachen Dekor. Glatte polierte Formen, die anmutige Reflexlichter erzeugen, den Glanz des Silberzeugs, die Weiße des Porzellans widerspiegeln, sind durchaus beliebt. Die [S. 68] Tafelaufsätze sind niedrig, einfach und zweckvoll. Den Hauptschmuck bilden die Blumen, auf der Tafel und am Fenster. Dort hängen keine Stoffgardinen mehr, die Rembrandtstimmung ist dahin, alles ist auf Luft und Licht und Farbe gestimmt, auf helle, freundliche Farben. Durchsichtige Gardinen, seitlich aufzuziehen, hängen in geraden Falten herab. Die Wände sind natürlich auch hell, keine Tapeten, keine Dessinierung. Perlgrau zum Beispiel. Das Möbelwerk gebeizt oder lackiert. Mahagoni ist schön und teuer. Rot gebeiztes Holz tut es auch. Stühle und Tisch in diesem Ton, dagegen die Buffets, die Kaminverkleidung, der Blumenständer etc. weiß lackiert. Das gibt einen schönen Akkord. Unter Kaminverkleidung verstehe ich die Umhüllung des Gaskamins, mit Fächern zur Aufnahme von allerlei Kleinkunst. Für den Bodenbelag findet man heute schon gutes und billiges Zeug in geeigneten Farben, entweder einfärbig oder gestreift oder sonst mit einem ruhigen Linienornament. Wo elektrisches Licht ist, hat man den Vorzug einer gleichmäßig verteilten Deckenbeleuchtung. Auch bei den Beleuchtungskörpern lasse man es nur auf reine Zwecklichkeit ankommen und verschmähe allen ornamentalen und figuralen Kram, der sich in dieser Form immer wieder anpreist. Erst wenn man von jedem Ornament absieht, wird man zu ruhigen, einheitlichen Wirkungen und zu einer stillen und vornehmen Schönheit gelangen. Wenn man einmal so weit sein wird, die Farbe zu würdigen, die ungebrochenen einfachen Farben, nicht die schmutzig aussehenden, dann wird man im Raum glückliche Ergebnisse erzielen, die man nur andeuten kann.
Die Hausfrau, der stets die Sorge um ein standesgemäßes Heim am Herzen liegt, steht dieser Frage häufig ratlos gegenüber. Bei den anderen Räumen gibt es keine solchen Schwierigkeiten, deren Einrichtung ergab sich notgedrungen, aus dem Bedürfnisse heraus. Aber beim Salon — das ist etwas anderes. Hier spricht das Bedürfnis nicht so laut; man wohnt nicht darin; man hat ihn gewöhnlich nicht für sich, sondern für die anderen. Also um darin zu repräsentieren. Es gehört zu den Herkömmlichkeiten, daß selbst jede kleinere Wohnung ihren »Salon« hat. Dazu wählt man fast immer das beste und größte Zimmer, die anderen Räume werden ins Hintertreffen gerückt. Ich halte zwar die Gemächer, die meinem persönlichen Dasein dienen, für weitaus wichtiger, aber das gehört nicht hieher. Im Salon kann man zeigen, daß man auch »wer« ist, und das erklärt alles. Also wendet sich die ratlose Hausfrau an ihr Hausblättchen, von dem sie gewöhnlich auch die Kochrezepte bezieht: »Bitte, wie richte ich meinen Salon ein?« und erhält alsogleich probaten Rat in der herkömmlichen Form: »Man nimmt ein paar Stühle verschiedener Form und Größe, mit beliebigem Seidenstoff gepolstert, kleine Tischchen, ein Sopha, Fauteuils etc.« [S. 70] Die Durchschnittssalons der bürgerlichen Wohnungen schmecken alle nach diesem Rezept. Der Möbelhändler liefert den bric-à-brac, den billigen Tand, die Gipsstatuen und all den Kram, der für wenig Geld viel Geschrei machen soll.
Dieselbe Öde und Langeweile, den Mangel jeder persönlichen Regung findet man von Haus zu Haus. Was auch die praktischen Ratgeber und Möbelhändler sagen mögen, so richtet man einen Salon nicht ein . Wozu haben wir überhaupt einen Salon? Welche Aufgabe soll er in dem Organismus unseres Hauses erfüllen? Soviel steht fest: In der Form, wie wir ihn meistens finden, bildet er einen toten Raum. Sollte der »Salon« nicht derart zu gestalten sein, daß er auch von dem Leben erfüllt werde, das die anderen Räume beherrscht, daß er nicht bloß einer unzulänglichen Repräsentanz diene, sondern wirklich der Bedeutung gleichkomme, die man ihm auf Kosten der Bequemlichkeit in der bürgerlichen Wohnung einräumt? Die Sache ist der Untersuchung wert.
Schon das Fremdwort »Salon« besagt, daß wir es mit einem Raume zu tun haben, der aus einer fremden Kultur stammt. Die italienische Renaissance veratmet in dem Wort. »Salone«, »großer Saal«, so hieß der große Empfangsraum im italienischen Palazzo. Was wir heute unter dieser Bezeichnung in unseren Durchschnittswohnungen finden, ist freilich eine Farce auf den ursprünglichen Geist eines solchen Raumes. Soll der Salon für unsere Verhältnisse wieder Sinn und Zweck bekommen, dann müssen wir ihn seines anscheinend repräsentativen Charakters, der für die große Mehrzahl ohnehin bedeutungslos ist, entkleiden, und ihm das Gepräge [S. 71] eines persönlich intimen Raumes geben. Nach einer gesunden Auffassung von der Sache hat aber der bürgerliche Salon die Aufgabe, alle Dinge aufzunehmen, welche die Persönlichkeit, ihre Neigungen und ihre Ideale charakterisieren. Jegliches Ding darin müßte von der Persönlichkeit etwas auszusagen haben. Für die gebildete Hausfrau oder den gebildeten Hausherrn wird der Salon recht eigentlich Bibliothek oder Arbeitszimmer sein, wo die Lieblingsbücher stehen und die Studien gepflegt werden, wo an den Wänden in geeigneten, zum Auswechseln gerichteten Rahmen die Kunstblätter hängen, die Sammlungen aufgestellt sind und aus allen Dingen die geistigen Wesenszüge der Bewohner sprechen. Hier, wo man von allen Gegenständen seiner Neigungen umgeben ist, wird man am angenehmsten plaudern, und die Langeweile, dieser tötliche Feind aller Lebensfreude, wird solchen Räumen sicherlich fernbleiben. Die Unterhaltung, die von diesen Gegenständen her Nahrung empfängt, wird leicht [S. 72] und fesselnd sein, weil sie solcherart die Eigenart der Bewohner auf unauffällige und sympathische Weise offenbart, und eine anziehende Neuheit darin besitzt, daß sie sich nicht um die Schwächen des abwesenden lieben Nächsten zu drehen braucht.
Wo diese Auffassung platzgreift, stellen sich die neuen Grundsätze für die zweckmäßige Einrichtung ungerufen ein. Die gute Hausfrau, die bereits gemerkt hat, um was es sich handelt, weiß nun mit einemmal, was sie für ihren Salon braucht. Sie wird Wände und Plafond in einfachen ruhigen Farben halten, vielleicht einfärbig bloß mit einem herumlaufenden Fries, oder sie wird, wenn sie Stofftapeten haben will, zu einem modernen Muster greifen. In Stofftapeten ist auch mehr Farbenfreude und Lebhaftigkeit der Zeichnung statthaft. Sie wird die Möbel so einfach, aber auch so gediegen herstellen lassen als möglich, vielleicht aus Mahagoni oder rotgebeiztem Holz, mit dem sich auch weiße Lackmöbel gut verbinden lassen. Die Möglichkeiten sind nicht auszudenken, der gute Geschmack wird mit allen Mitteln das richtige treffen. Die Anordnung der Möbel wird selbstverständlich von der bisherigen Aufstellung sehr verschieden sein müssen. Man wird in einem solchen intimen Raum Wert darauf legen, eine gemütliche Plauderecke zu besitzen, ein [S. 73] cozy-corner, das eine Ecke des Zimmers füllt, eine halbkreisförmige gepolsterte Sitzgelegenheit enthält, und ein Tischchen davor, wo man behaglich sitzen kann, den ganzen Raum beherrscht und sich dennoch abgeschlossen und geborgen fühlt. Das Fenster, das bei der Art unserer Zimmer leider so wenig Raum an der Wandseite läßt, wird einfach zur unteren Hälfte verkleidet, wenn es sich nicht anders tun läßt. Von [S. 74] diesem Platze aus ergibt sich die geschmackvolle Aufstellung der anderen Möbelstücke, die immer nur nach Maßgabe des persönlichen Bedürfnisses vorhanden sein werden, ganz leicht.
Man glaube indessen nicht, daß die Sache so brandneu ist, daß man es nicht wagen dürfe, sie aufzunehmen. Bei den Künstlern gehört es zur Überlieferung, die ganz selbstverständlich ist, daß sie ihre Gäste im Arbeitsraum, also in der Werkstatt, im Atelier empfangen. Das Atelier ist zugleich ihr Salon. Darum unterhält man sich bei den Künstlern am besten, weil man von ihrem geistigen Wesen ganz umgeben ist, von allen Dingen, die diese Geistigkeit sichtbar machen. Auf diese Art kann [S. 75] es jedermann halten. Nicht jeder ist Künstler, wird man sagen. Aber jeder Gebildete hat geistige Interessen irgendwelcher Art oder treibt einen geistigen Sport, musiziert, sammelt, liest. Oder sollte ich allzu optimistisch sein? Man gebe einem Salon das Gepräge eines geistigen Sammelpunktes. Wer aber in den neuen, oben dargestellten Grundsätzen eine Festigung durch das Beispiel der altehrwürdigen Tradition braucht, der lese die folgende Schilderung des idealen Zimmers, das sich Adalbert Stifter einrichten wollte, den man in dieser Hinsicht ganz gut als einen Vorläufer der Modernen betrachten kann.
»Zwei alte Wünsche meines Herzens stehen auf. Ich möchte eine Wohnung von zwei großen Zimmern haben, mit wohlgebohnten Fußböden, auf denen kein Stäubchen liegt; sanft grüne oder perlgraue Wände, daran neue Geräte, edel massiv, antik einfach, scharfkantig und glänzend; seidene graue Fenstervorhänge, wie matt geschliffenes Glas, in kleine Falten gespannt, und von seitwärts gegen die Mitte zu ziehen. In dem einen der Zimmer wären ungeheuere Fenster, um Lichtmassen hereinzulassen, und mit obigen Vorhängen für trauliche Nachmittagsdämmerung. Rings im Halbkreise stände eine Blumenwildnis, und mitten darin säße ich mit meiner Staffelei und versuchte endlich jene Farben zu erhaschen, die mir eben im Gemüte schweben und nachts durch meine Träume dämmern — ach, jene Wunder, die in Wüsten prangen, über Ozeane schweben und den Gottesdienst der Alpen feiern helfen. An den Wänden hinge ein oder der andere Ruysdael oder ein Claude, ein sanfter Guido und Kindergesichtchen von Murillo. In dieses Paphos und Eldorado ginge ich dann nie anders, als nur mit der unschuldigsten, glänzendsten Seele, um zu malen oder mir sonst dichterische Feste zu geben. Ständen noch etwa zwischen dunkelblättrigen Tropengewächsen ein paar weiße ruhige Marmorbilder alter Zeit, dann wäre freilich des Vergnügens letztes Ziel und Ende erreicht.«
Im »Turmalin«, einer Geschichte, so dunkel wie der Edelstein, nach dem sie benannt ist, erzählt Adalbert Stifter von einem wunderlichen Manne, der die vier Wände seines Wohn- und Arbeitszimmers vollständig mit Bildnissen berühmter Männer behing. Es war kein Stückchen, auch nur handgroß, das von der ursprünglichen Wand zu sehen gewesen wäre. In der Sache lag System, und sie dürfte zu des seligen Biedermeiers Zeiten Schule gemacht haben. Denn als ich einmal in einem Schlosse zu Gast war, das in jenen Tagen eingerichtet wurde und die ursprüngliche Einrichtung heute noch unverändert besitzt, sah ich ganze Wände mit schmalen, einfachen Goldrahmen dicht behängt, darin Lithographien, ebenfalls Bildnisse berühmter Männer, zumeist der Kriegsgeschichte angehörig, zu sehen waren. Wie ich nachträglich hörte, hatte das Schloß einem berühmten Feldherrn zum Aufenthalte gedient.
Diese Anordnung erscheint mir aus zwei Gründen beachtenswert. Erstens waren es nur bedeutsame Bilder, die als Original-Lithographien einen gewissen Wert besaßen und durch ihren Inhalt ein ganz bestimmtes Verhältnis zu ihrem Besitzer ausdrückten, und zweitens war in dem Arrangement eine klare, dekorative Absicht ausgeprägt.
Ich meine aber durchaus nicht, daß man die Sache nachahmen dürfte. Sie ist nur deshalb sympathisch, weil sich in ihr überhaupt ein [S. 78] Gestaltungsgrundsatz geltend macht. Im Übrigen könnte man sehr viel Gegenteiliges einzuwenden haben, denn eine Sammlung von Kunstblättern gehört doch viel eher in die Mappe, die man nur in musenfreundlichen Stunden dem schönheitsuchenden Auge erschließt, und dann genügt dieses briefmarkenähnliche Aufkleben nicht mehr dem modernen Formsinn. Außerdem möchte ich der Gefahr begegnen, daß man meine Sympathie zugunsten jener wigwamartig mit Trophäen behängten Schauspielerwohnungen auslegt, wo die Wände über und über mit Photographien in protzigen Goldrahmen bepflastert sind, die das liebe Ich, von vorn und hinten gesehen und in allen möglichen und unmöglichen Lebenslagen variiert, möglichst aufdringlich zur Schau stellen. Diesem indianerhaften Zustand möchte ich nicht einmal den Schein eines freundlichen Arguments gönnen.
Kehren wir zu Biedermeier zurück und gestehen wir, daß die alte Ordnung, wo sie noch unverfälscht in den Räumen von anno dazumal vorhanden, recht artig aussieht. Im traurigen Gegensatz zu dieser Art Bilder zu hängen, haben die Durchschnittswohnungen in den heutigen Miethäusern kein Prinzip ausgebildet. Oder doch nur eines: nämlich die Löcher in der Wand zu verdecken. Beim Beziehen einer neuen Wohnung geben diese garstigen Löcher, mit Gyps verschmiert, aus [S. 79] der schmierigen Wandbemalung grell hervorstechend, der ratlosen Hausfrau die einzige und getreulich befolgte Auskunft auf die Frage: »Wie sollen wir die Bilder hängen?«
Und sind sie glücklich gehängt, gerade dort, wo der göttliche Zufall, der für die Löcher sorgt, sie haben wollte, dann freut sich Groß und Klein über die schöne Wohnung. Ich habe nichts so himmlisch und nichts so verderblich gefunden, als diese Anspruchslosigkeit. Als ich einmal über den ordinären Schund loszog, mit dem gewöhnlich die Wände der Durchschnittswohnung angefüllt werden, schrieb mir eine Dame: »Da haben Sie sich einmal gründlich blamiert! Sie dürften ganz gut wissen, wozu die Bilder gehören! Oder ist es schöner, wenn überall die Löcher hervorschauen? Glauben Sie vielleicht, daß sich jeder Erste Beste einen Böcklin kaufen kann? u. s. w.« Die zeitgemäße Dame, die mir so temperamentvoll widersprach, ahnte wahrscheinlich gar nicht, wie sehr sie mir recht gab. Der Aufschrei war sicher ein Beweis, daß ich den Finger auf eine Wunde gelegt hatte. Ich glaube wahrlich nicht, daß in ein derartiges Milieu ein Böcklin besser passen würde, als etwa eines jener fabriksmäßigen Ölbilder, die der Rahmenhändler als Draufgabe [S. 80] für einen geschmacklosen und lärmenden Goldrahmen liefert. Dagegen ist um dasselbe billige Geld gute und echte Kunst zu haben.
Für die Hängung der Bilder ist entscheidend, daß nicht die Wand die Hauptsache und das Bild der bloße hinzutretende Schmuck, sondern daß die Wand bloß Hintergrund und das Bild die Beseelung und Belebung der Fläche ist. Der Kunstfreund, der von diesem Grundsatze ausgeht, wird bei der Hängung seiner Bilder nicht leicht einen Mißgriff tun. Er wird die Wand als Hintergrund behandeln und sie daher so anspruchslos halten, als immerhin möglich. Die beliebten Tapetenblumen können der Bildwirkung immer nur schädlich sein. Er wird seine Wände entweder weißen lassen, was am schönsten ist, oder er wird sie in einfachen, ruhigen Farben halten und sich auf die ruhige Tonwirkung beschränken, die allerdings ein feines Farbengefühl bedingt. Und er wird staunen, welche Macht die sparsam verteilten Originalblätter der Reproduktionskunst auf diesem Hintergrund gewinnen können. Sparsam verteilt und in menschlich dimensionierter Höhe müssen sie gehalten sein, denn sie sollen die Wandflächen gliedern und mit ihrem Inhalt deutlich zu dem Beschauer sprechen.
Hier wäre es am Platze, ein Wort über den Rahmen zu sagen. Der Rahmen hat die Bedeutung einer Grenze, die die Welt des Bildes [S. 81] von der Umgebung abschließt. Er soll das Bild heben und daher selbst einfach und anspruchslos sein. Um das Bild zu heben, hat man außer Gold auch sonstige Farben versucht, die gute Wirkung haben, wobei freilich als Grundsatz zu beachten ist, daß es eine Farbe sei, die im Bilde nicht vorkommt und einen komplementären Gegensatz bildet. Der Form nach werden immer die geraden Leisten am besten sein; vor den verzierten Rahmen, die auf den Namen »Kunsthändler-Rahmen« lauten, ist durchaus zu warnen. Es wird oft die Frage aufgeworfen, ob man den weißen Rand an reproduzierten Blättern stehen lassen soll. Bei Radierungen, die den Plattenrand haben, ist der weiße Rand sicherlich von großer Berechtigung, in allen Fällen aber ist er an und für sich schon ein Rahmen. Man muß sich in diesem Falle begnügen, einen ganz schmalen, einfachen Holzrahmen herumzulegen, der ganz gut weiß sein kann, ja man braucht nur einen schmalen Streifen Papier um den Glasplattenrand umzukleben, um des vorteilhaftesten Aussehens gewiss zu sein.
Ich denke hiebei immer zuerst an die kleinere Wohnung in den Miethäusern, wo ja die Misère am größten ist und oft mit geringen Mitteln eine gewisse Schönheit erzielt werden könnte. Große Wohnungsverhältnisse, in Einzelwohnhäusern und Villen, wo der Luxus für einen ziemlichen Aufwand, wenn nicht notwendigerweise für Geschmack — [S. 82] o, im Gegenteil! — sorgt, kommen für uns zunächst nur in bedauernder Hinsicht in Betracht, daß sie kaum mehr, wie in früheren Zeiten, das große Wandbild aufweisen, das in Hallen, Loggien etc. seinen rechten Platz fände, und solche Wände, wenn das Bild etwa nach Art der alten Gobelins oder mit dem Geiste eines Puvis de Chavannes gemalt wäre, mit der bezaubernden und ungestörten Harmonie edler Linien und großer einfacher Farbenklänge erfüllen müßte. Solche Heimstätten müssten die eigentliche Pflegestätte des großen Ölbildes und der Wandmalerei sein.
Für die Durchschnittswohnung muß die Reproduktionskunst in den meisten Fällen genügen, wenn überhaupt auf Kunst Wert gelegt wird. Wird nach den gegebenen Anhaltspunkten verfahren, dann kann sich an den Wänden eine ungeahnte Schönheit entfalten. Um die Kunstwerke mit größerer Geschlossenheit zu vereinigen, wird in manchen Wohnungen in der Augenhöhe eine Holzverkleidung geführt mit regelmäßigen, rahmenartigen Ausschnitten, darin die Kunstblätter hinter Glas stehen und beliebig je nach dem Inhalt der Mappe ausgewechselt werden können. Der Kunstfreund ist solcherart stets im gegen [S. 83] wärtigen Genuß seiner Sammlung und kann den Turnus wechseln, so oft es ihm beliebt, von der feinen dekorativen Wirkung dieses Arrangements ganz zu schweigen. Ob man nun auf die eine oder andere Art vorgeht, dafür sich immer neue und interessante Gestaltungsmöglichkeiten in unseren modernen Ausstellungen lernen lassen, man wird sich bald auf einem höheren Niveau demselben Ideal nahe finden, das schon unseren Großvätern erstrebenswert schien, man wird nämlich ein ganz bestimmtes Verhältnis zu dem Bilderbesitze mit einer klaren dekorativen Absicht zu verbinden wissen. Diese feine Lehre liegt im dunklen »Turmalin« und in manchem alten Räume, darin die Ahnenstimme lebt.
Die bildmäßig dekorative Verwendung anderer Materialien, wie etwa getriebene Paneele in Messing, Kupfer oder Silber, die Kachelschnitte, Mörtelschnitte, Mosaikbilder, Email und Perlmutter etc., die in die Mauer eingelassen werden, kann nur im eigenen Wohnhaus in Betracht kommen, wo der Kunst ein viel größerer Spielraum gegeben ist.
Eine Stadt, die hunderttausend Einwohner hat, kann keine zwei Porträtmaler ernähren. Das gibt zu denken. Im Nebenzimmer hängt das Porträt der Großmutter. Sie sieht aus, wie in ihren besten Jahren, als Frau, da sie schon alle ihre Kinder gehabt hat. Acht an der Zahl. Wie gut sie aussieht! Die dunklen Haare sind in der Mitte gescheitelt und ziehen in schönem Schwung stark in die Schläfen herein. Das blaue Seidenkleid ist tief ausgeschnitten, ein feines Spitzentuch trägt sie darüber. Um den schönen Hals läuft eine neunfache Perlenschnur, vorne [S. 85] von einer großen Brosche zusammengehalten. Sie trägt die großen, aber ungemein fein und leicht gearbeiteten Ohrgehänge aus den Dreißiger- und Vierziger-Jahren und schön gefaßte Ringe: Topas, Amethyst und Chrysopras. Stundenlang könnte man sie ansehen. Wie schön sie ist! Überallhin folgen einem ihre Blicke. Stellt man sich links, rechts, in die Mitte, immer blickt sie einem an mit den braunen, klaren, gütigen Augen. Der Maler ist gar nicht bekannt. Aber das Bild lernt man lieben, und im Bilde die Frau. Bald hat sie einen unverlierbaren Platz in der Seele und lebt mit uns, obzwar sie längst tot ist. Im Leben haben wir sie nie gesehen. Ein Jugendbildnis ist noch da. Da war sie noch Mädchen, trug einen bebänderten Florentinerhut und weiße, duftige Tüllkleider. Ein [S. 86] Pastell, blaß und rührend anzusehen. Ausgebleicht, aber rosig umhaucht, wie verdorrte Rosen. Das war eine kunstfrohe Zeit, Großmutters Jugendtage. Aus allen Familien sind uns von damals Bildnisse überliefert, Ölporträts, Pastelle, Lithographien, Miniaturen, von Daffinger und Genossen auf Elfenbein kunstreich gemalt. Dieselben Personen meistens in den verschiedensten Lebens-Epochen dargestellt, Grillparzer, die Fröhlichs, Schubert, all die Großen ihrer Zeit, noch aus ihren unberühmten Tagen, was das Bemerkenswerte ist. Von den Bildnissen Un [S. 87] berühmter, die nur Familienwert haben, gar nicht zu reden. Diese ganze Kunstblüte ist untergegangen.
Auf hunderttausend Einwohner kommen heute keine zwei Porträtmaler. Wie werden wir unseren Enkeln im Gedächtnis bleiben! Wird unser Bild in ihren Seelen leben, gegenwärtig sein, mitwirkend in ihrem Tun und Lassen, geliebt und verehrt wie unsere selige Großmutter? Wir lassen uns photographieren. In einer Anzahl von Jahren ist die Photographie verblaßt, ausgeblasen, unkenntlich, eine Fratze. Vielleicht heben sie die Nachkommen auf, vielleicht! Aber ansehen tut man sie nicht, zeigen noch weniger. Es ist unerquicklich. Name sind wir dann, leerer Schall. Und dann erst wirklich gestorben. Liebe Großmutter, du lebst! Nein, wir lassen uns auch porträtieren. Wir gehen in eine große photographische Anstalt, wo viele junge Maler im Taglohn angestellt sind, und bestellen das »Porträt«. Es ist zwar nur ein photographischer Grund, aber schön angefärbelt. Sehr süß und schmeichelhaft, als ob wir nicht Menschen, sondern Porzellanpüppchen wären. Aber es gefällt den Leuten, und es ist modern. Darum tut es nichts, daß dieser Schund [S. 88] siebzig bis achtzig Gulden kostet. Meistens soll es eine Überraschung sein, ein Geschenk für die Frau des Hauses, für den Ehegatten. O Glück! O Wonne! Alles ist Festfreude. Am Geschenk darf man nicht mackeln, darum wird der kritische Verstand beizeiten totgeschlagen, wofern er überhaupt da war. Zum Schlusse liebt man, was man hat, und sieht nur das sündhafte Geld darin, das es gekostet hat.
Für dasselbe Geld bekommt man auch ein gutes Porträt. Man wende sich an die Akademie, an die Kunstvereine, an die jungen, fertigen Künstler. Die gehen mit Feuereifer daran, sie brauchen nicht mehr unwürdige Arbeit tun, Bilderbogen kolorieren, Nikolo und Krampusse für den Christkindlmarkt fabrizieren, um das Leben zu fristen. Alle Porträtmaler hätten auf einmal zu tun. Und in jedem Hause könnten ein paar Bildnisse sein, die einen wahren Familienschatz bilden.
Aber dem steht manches entgegen. Leider zum Teil die jungen und fertigen Künstler selbst. Die sind betört durch das Riesenphantom, das »Künstlerpreis« heißt, den die Künstler von Ruf zu erzielen pflegen. »Warum sollten wir nicht auch — — —?« Kommt man in eine von [S. 90] jungen Künstlern veranstaltete Ausstellung, fällt nichts so sehr auf als die hohen Preise. Es ist ein offenes Geheimnis, daß dieselben Bilder um tatsächliche Kaufbeträge erhandelt werden, die zwergenhaft sind im Vergleiche zu den verlangten Riesensummen. Mehrstellige Künstlerpreise kommen mit dem steigenden Ansehen und Alter von selbst. Während unsere Künstler darben, sind beispielsweise die französischen Maler das Verkaufen gewöhnt. Das machen die billigen Preise.
Und dann die Leute. Die sagen, die Photographie tut denselben Dienst. Das ist nicht wahr. Die Photographie gibt zwar alle Einzelheiten genau wieder, aber rein äußerlich, auf chemisch-mechanische Weise. Darum hat sie immer etwas Mechanisches, Seelenloses. Ich finde es ganz begreiflich, daß Leute die gelungenste Photographie mit den Worten zurückweisen: »Das bin ich nicht!« In den photographischen Ateliers kommt das täglich vor. Nicht wie wir im Auge des leblosen mechanischen Apparates uns darstellen kommt es an, sondern darauf, wie wir im Auge des Menschen erscheinen. Darauf ist unser Empfinden, ja unser ganzes Sein gestellt. Darum kann die Photographie nie die Geltung eines Porträts haben.
Da gibt es Leute, die behaupten, die Bildniskunst sei die niedrigste Gattung der Malerei. Es ist gelegentlich schon geschrieben worden. Es ist gesagt worden, daß es eigentlich recht widerwärtig sein müsse, täglich fremde Augen, Ohren, Nasen zu malen, nichtssagende Gesichter, [S. 91] die dem Maler doch langweilig und gleichgültig sein müssen. Da tut er eben seine Pflicht, schafft treu und fleißig wie ein Handwerker, und was derlei Aussprüche mehr sind.
Ich habe immer eine heimliche Sehnsucht gehabt, Porträtmaler zu sein. Bildniskunst, sie ist der Gipfel der Malerei. Ich habe die ganz klare Empfindung, daß ein Maler, der Künstler ist, nichts malt, was ihm gleichgültig ist, daß er Psycholog genug ist, um in jedem Antlitz einen Schimmer Seele zu entdecken, und daß er den Pinsel nicht eher anrührt, bis er sich über den inneren Menschen klar geworden. Denn das ist seine Kunst, daß er den Menschen nicht wie die Photographie in der äußerlichen Zufälligkeit des Augenblicks darstellt, sondern dessen innere Züge ergreift und den Charakter mit allen seinen Möglichkeiten offenbart. Diese innere Ähnlichkeit ist künstlerisch wichtiger als die bloß äußere. Ihm werden die feinen Linien und Fältchen des Antlitzes, die der ungeschickte Photograph, der schmeicheln will, mit Vorliebe wegretouchiert, besonders kostbar sein, und er wird das Auge, das wir immer zuerst suchen, wie den Weg zur Seele, als wichtigste Offenbarungsquelle behandeln. Das Porträt ist Geschichtsmalerei im höchsten Sinne. Nicht allein für den Maler ist die Sache interessant, auch für den Besteller. Der weiß, der Künstler malt aus innerer Anschauung heraus, also das Bild, das er in seiner Seele von ihm gewonnen hat. Er malt ihn, wie wir im [S. 92] Auge des Menschen erscheinen. Es liegt darin etwas, das uns allen sehr nahe geht. Das Auge des Nächsten ist in Wahrheit unser Wächter. Der einsame Mensch verwildert. Unsere gesellschaftliche Kultur ist auf das fremde Auge gestellt. Sie spitzt sich im Kerne auf die unausgesprochene [S. 93] Frage zu: »Werde ich gefallen?« Das Maßgebendste aber wird sein, wie uns der Künstler mit seinen verfeinerten und verschärften Sinnen auffaßt. Er wird uns mit keiner Wahrheit verschonen. Wir werden in seiner Darstellung nicht aussehen wie im stumpfen Alltag, sondern wie an einem Festtage des Lebens, etwa in seinem höchsten Augenblick, in dem sich unser verborgenstes Wesen zum stärksten Ausdruck sammelt.
Kann das die Photographie leisten?
Ich habe von der Großmutter keine Photographie, das gab es zu ihrer Zeit noch nicht. Angenommen, es gäbe eine solche, und ich besäße nichts von ihr als diese Photographie, so würde sie wirken wie erblindete Spiegel. Die Großmutter wäre sodann nie für mich gewesen. Die Bildniskunst hat mich verehren gelehrt.
Eine edle Plastik im Zimmer zu haben, ist immer eine Angelegenheit kunstfroher Geister. Die Porträtplastik kommt im Hause zur hervorragenden Geltung. Ebenso wie die nach dem Leben gearbeitete Medaille. »Bloß zu beider Art Monumenten kann ich meine Stimme geben«, sagt Goethe. »Was hat uns nicht das fünfzehnte, sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert für köstliche Denkmale dieser Art überliefert, und wie manches Schätzenswerte auch das achtzehnte! Im neunzehnten werden sich gewiß die Künstler vermehren, welche etwas Vorzügliches leisten, wenn die Liebhaber das Geld, das ohnehin ausgegeben wird, würdig anzuwenden wissen. — Leider tritt noch ein anderer Fall ein. Man denkt an ein Denkmal gewöhnlich erst nach dem Tode einer geliebten Person, dann erst, wenn ihre Gestalt vorübergegangen und ihr Schatten nicht mehr zu haschen ist. Nicht weniger haben selbst wohlhabende, ja reiche Personen Bedenken, hundert bis zweihundert Dukaten an eine Marmorbüste zu wenden, das doch das unschätzbarste ist, was sie ihrer Nachkommenschaft überliefern können. [S. 95] Mehr weiß ich nicht hinzuzufügen, es müßte denn die Betrachtung sein, daß ein solches Denkmal überdies noch transportabel bleibt und zur edelsten Zierde der Wohnung gereicht, anstatt daß alle architektonischen Monumente an den Grund und Boden gefesselt, vom Wetter, vom Mutwillen, vom neuen Besitzer zerstört und, so lange sie stehen, durch das An- und Einkritzeln der Namen geschändet werden«.
Fünfzig Jahre später lebte noch ein Abglanz dieses überragenden Geistes. Die Großelternzeit lebte in Goethe. Vom idealen Zimmer Adalb. Stifters wurde schon erzählt. Ein Fernrohr durfte nicht fehlen, denn das ist die Art der Dichter, daß sie immer wie durch Fernrohre sehen. In die Zukunft hinein. Da ist die Rede von weißen ruhigen Marmorbildern alter Zeit, die den Gipfel seiner Wünsche bilden.
Die Wiener Kunstwanderungen erschlossen die Wohnungen, die den Kunstsinn der letzten zwanzig bis dreißig Jahre offenbarten. Die Sache war lehrreich genug. Von wirklich edler Plastik war wenig zu sehen. Kaum hie und da eine Porträtplastik. Dagegen hatte die Galvanoplastik einen breiten Raum. Man denke Michel [S. 96] Angelos’ Moses in einer elektro-chemischen Wiedergabe, natürlich gegen das Original gemessen aufs winzigste verkleinert, einem Tafelaufsatze nicht unähnlich. Gypsstatuen mit Goldbronze belegt, standen umher. [S. 97] Jeder Sinn für Echtheit ward verleugnet. Es war die Art, wie man in der Zeit des Parvenü- und Protzentums die Kunst verstand und pflegte. Der ganze Götterhimmel, der den Bildungsbezirk des Großbürgertums umstand, hatte eine Wendung ins Operettenhafte gemacht. Soweit Offenbach’s »Schöne Helena« von der Iliade entfernt ist, soweit entfernt sich der Kunstverstand des Mrs. Jourdains anno 1870 von der Erkenntnis Michel-Angelesker Größe.
Heute ist das Kunstgewissen weiterer Kreise wieder empfänglicher geworden. Man lächelt über die Geschmacklosigkeiten unserer jüngsten Vergangenheit. Man sagt sich wieder, das plastische Kunstwerk muß sich in den Raum einordnen, soll an bedeutsamer Stelle steh’n, einen Augenruhepunkt bilden und dem prüfenden Blick standhalten können. Nachbildungen von räumlich größeren Kunstwerken sind durchaus verwerflich. Größere plastische Werke haben im Wohnraum nicht Platz, sie fallen aus dem Rahmen, sie stören die Harmonie empfindlich, wenn sie mit der räumlichen Umgebung nicht im Einklang stehen. Die Kleinplastik nahm in den letzten Jahren einen großen Aufschwung. Sie liefert den plastischen Schmuck unserer Wohnung, wofern es nicht auch eine gute Porträtplastik sein kann. Aber was die Bazare an kleinplastischem Schmuck liefern, ist selten von künstlerischem Wert, meist nur süßliche allgefällige Publikumsware. Man gewöhnt sich also schon allmählich daran, zum [S. 99] Künstler selbst zu gehen, wie es in den besten Kunstjahren war. Man braucht den Zwischenhändler nicht, der ja niemals künstlerische Interessen, sondern nur Handelsinteressen hat, oft zum Schaden des guten Geschmackes. Der Bevormundung durch den unwissenden Verkäufer, der den ärgsten Plunder unter dem Schlagwort »Modern« oder »Sezzessionistisch« den Kunden aufschwatzt, hat sich das deutsche Publikum noch nicht zu entziehen gewußt. Irgend ein einzelner Gegenstand ohne Kunstwert, in irgend einem Laden gekauft, kostet meistens ebensoviel, als ein kleines Originalwerk im Atelier. Die Segnungen einer solchen Kunstfreude würden nicht lange ausbleiben und ihr erster Erfolg wäre der, daß Leute, die nicht in der Lage sind, solche Kunstsachen zu besitzen, den häßlichen Plunder der Bazare, der fälschlich für Wohnungsschmuck ausgegeben wird, lieber nicht aufstellen, und wenigstens durch diese Enthaltsamkeit die erfreulichen Zeichen eines gesunden Geschmackes geben, anstatt durch lächerliche Surrogate das peinliche Gefühl wachzurufen, daß das Gewollte doch ganz anders sein müßte.
Das Studium alter Kulturen hat uns gelehrt, daß je erhabener die Kunst, desto größer die Einfachheit war. Wenn wir wollen, daß die Kunst ihren Ausgangspunkt in dem Hause nehme, dann müssen wir aus unseren Häusern alle überflüssigen und störenden Gegenstände fortnehmen, den sogenannten Luxus, den Komfort, der in Wirklichkeit gar kein Komfort ist, weil er nur unnötige Plage macht und für nichts gut und nützlich ist. Der wirklichen Gebrauchsgegenstände sind verhältnismäßig wenige. Wenden wir uns einmal an die kleinste Wohnung, die von einer alleinstehenden Person bewohnt wird, an das sogenannte Junggesellenheim, so finden wir in der Regel ein einziges Zimmer, in dem geschlafen und gearbeitet wird, wobei eine Arbeit vorausgesetzt ist, die nicht viel Unordnung verursacht. Wir finden darin einen Bücherschrank, der eine Menge Bücher enthält, ein Bett, das mit weißen weichen Leinenvorhängen, die mit Aufnäharbeit versehen, abnehmbar und waschbar sind, verschlossen ist, und bei Tag, wenn die Vorhänge, die in metallenen Ringen laufen, zurückgezogen sind, als Divan benützt werden kann. Das Nacht [S. 101] kästchen, wie ein einfaches Schränkchen gebaut, dient bei Tag als Bücherablage, als Ständer für Vasen und Rauchzeug. Dann ein Tisch, der sicher steht, um daran zu schreiben oder zu arbeiten. Mehrere Stühle, die sich leicht von einem Ort an den anderen bringen lassen, ein Kleiderschrank mit Schubkästen für Wäsche und derlei, und solche Bilder und Stiche, als es die Mittel erlauben, ja keine Lückenbüßer, sondern wirkliche Kunstwerke, was heute unschwer für wenig Geld zu haben ist; auch eine oder zwei Vasen gehören hieher, um Blumen hineinzutun, namentlich wenn man in einer Stadt lebt. Ein Ofen gehört natürlich ins Zimmer, aber man zieht einen kleinen Gaskamin vor, der, artig von einem Holzgehäuse umgeben, an seinem Bord allerlei, Gegenstände der Kleinkunst aufzunehmen geeignet ist.
Weiter ist nichts nötig, besonders wenn der Fußboden gut ist. Wenn dies nicht der Fall ist, so würde ein kleiner Teppich, der in zwei Minuten zur Reinigung aus dem Zimmer geschafft werden kann, gute Dienste leisten; doch müßte dafür gesorgt sein, daß er schön ist, sonst würde er schrecklich stören.
Das ist rein alles, was wir in unserem Junggesellenheim brauchen, wenn wir nicht musikalisch sind und ein Klavier haben müssen (in Bezug auf deren Schönheit wir übel daran sind), und wir können nur [S. 102] sehr wenig zu diesen notwendigen Dingen hinzufügen, wenn wir nicht sowohl beim Arbeiten wie beim Nachdenken und Ausruhen gestört sein wollen. Wenn diese Dinge für die geringsten Kosten, für die sie gut und dauerhaft ausgeführt werden können, hergestellt würden, würden sie nicht viel Auslagen verursachen, und sie sind so wenig, daß die, welche die Mittel haben, sie überhaupt anzuschaffen, sich auch bemühen könnten, sie gut ausgeführt und schön anzuschaffen, und alle die, denen die Kunst am Herzen liegt, sollten sich sehr bemühen, dies zu tun, und dafür sorgen, daß keine Scheinkunst sie umgibt, nichts, dessen Herstellung oder Verkauf einen Menschen herabgewürdigt hat. »Und ich bin fest überzeugt, daß, wenn alle, denen die Kunst am Herzen liegt, sich dieser Mühe unterzögen, dies einen großen Eindruck auf das Publikum machen würde.« Mit diesen Worten entwirft der englische Kunstgewerbler und Dichter William Morris, der als Apostel der neuen und eigentlich uralten Glaubenssätze allerortens eine sich täglich mehrende Gemeinde hat, einen solchen einfachen Raum und sagt: »Diese Einfachheit können Sie andererseits so kostbar herstellen wie Sie wollen oder können; Sie können Ihre Wände mit gewirkten Tapeten behängen, statt sie zu weißen oder mit Papiertapeten zu bekleben; oder Sie können sie mit Mosaikarbeiten verdecken, oder auch durch einen großen Maler Freskomalerei darauf anbringen lassen — all dies ist nicht Luxus, wenn es um der Schönheit willen und nicht zum Zwecke der Schaustellung geschieht.« Das kann man der Liebhaberei des Bestellers überlassen. Im allgemeinen [S. 103] wird die größte Einfachheit auch hier das Zweckdienlichste sein. Es gibt allerdings Leute, die sich ein prächtiges Studio einrichten und darin allen erdenklichen Luxus anhäufen, um sich Stimmung zur Arbeit zu machen. Sicher ist, daß in solchen Studios kaum jemals ernstlich studiert wird. Wer ernst arbeitet, weiß, das man im Arbeitszimmer nicht Zerstreuung braucht, sondern Sammlung. Hier soll aber die größte Einfachheit walten. Man kann auf das Beispiel Goethes hinweisen, das sich in diesem Zusammenhang einstellt. Den meisten Besuchern Weimars einst und jetzt dürfte die Schlichtheit seines Arbeitszimmers unliebsam aufgefallen sein, und man hört oft Äußerungen der Verwunderung darüber, daß einem so großen Geiste die Dürftigkeit des Raumes genügen mochte. Herr Dr. W. Bode spricht in seinem Buche: »Goethes Lebenskunst« darüber aus: »Wir sind nicht wenig erstaunt, wenn wir das Häuschen betreten, das sieben Jahre hindurch dem Busenfreunde des Landesherrn, dem weithin berühmten Dichter des »Werther« und »Götz«, das einzige Heim war. So bescheiden hätten wir es uns doch nicht vorgestellt. Unten ist gar kein bewohnbares Zimmer, höchstens kann man einen Raum, an dessen Wände Pläne von Rom hängen, im Sommer wegen seiner Kühle schätzen; oben sind drei Stuben und ein Kabinettchen, alle klein und niedrig, mit bescheidenen Fensterchen und schlichten Möbeln; zuerst ein Empfangszimmer mit harten steifen Stühlen, dann [S. 104] das Arbeitszimmer mit kleinem Schreibtisch, daranschließend ein Bücherzimmer und zuletzt das Schlafzimmer, in dem noch die Bettstelle steht, die zusammengeklappt und so als Koffer auf die Reise mitgenommen wurde...
So ist das Gartenhaus eingerichtet. Aber auch vom Stadthause hat man keinen anderen Eindruck. Nichts deutet auf einen vornehmen reichen Besitzer. Die Studierstube, in der er seine unsterblichen Werke schuf, würde heute nur Wenigen genügen, die sich zum Mittelstande rechnen; für »standesgemäß« würde sie niemand halten. Alles darin ist zur Arbeit bestimmt, zum Lesen, Schreiben oder Experimentieren; kein Sopha, kein bequemer Stuhl, keine Gardinen, sondern nur einfachste dunkle Rouleaux. Auch an den Büchern ist keine Pracht, seine gesammelten Werke sind auf das schlichteste eingebunden, er nahm ja auch seine berühmtesten Dramen oder Gedichte jahrzehntelang nicht wieder in die Hand. Nur ein Möbel hatte Goethe in dieser Stube, das wir nicht kennen — ein kleines Korbgestell, das sein Taschentuch aufnahm. Und auf dem Tische lag ein Lederkissen, auf das er die Arme legte, wenn er dem gegenübersitzenden Schreiber diktierte....« Zu Eckermann äußerte Goethe einmal: »Prächtige Gebäude und Zimmer sind für Fürsten und Reiche. Wenn man darin lebt, fühlt man sich beruhigt, man ist zufrieden und will weiter nichts. Meiner Natur ist es ganz zuwider. Ich bin in einer prächtigen Wohnung, wie ich sie in Karlsbad gehabt, sogleich untätig und faul. Geringe [S. 105] Wohnung dagegen, wie dieses schlechte Zimmer, worin wir sind, ein wenig unordentlich ordentlich, ein wenig zigeunerhaft, ist für mich das Rechte; es läßt meiner Natur volle Freiheit, tätig zu sein und aus mir selber zu schaffen.« Und ein andermal sagte der Achzigjährige: »Sie sehen in meinem Zimmer kein Sopha, ich sitze immer in meinem alten hölzernen Stuhl und habe erst seit einigen Wochen eine Art von Lehne für den Kopf anbringen lassen. Eine Umgebung von bequemen anspruchsvollen Möbeln hebt mein Denken auf und versetzt mich in einen passiven Zustand.« Einen Schmuck besaß die einfache Studierstube aber doch, den höchsten und herrlichsten zugleich, der alle Dürftigkeit überglänzte: Goethes Geist, der in diesem Raume schuf.
Ein Zusammenhang zwischen Junggesellenwohnung und Herrenzimmer ist durch den Umstand gegeben, daß auch das letztere Wohn- und Arbeitsraum oder auch Salon des Hausherrn ist, wie der Name »Herrenzimmer« überdies schon sagt. Es kommt im Hauswesen dort vor, wo die Hausfrau entweder ihren »Damensalon« oder ihr »Boudoir« hat, oder wo man aus Ökonomie auf den »Salon« überhaupt verzichtet und das eine zu erübrigende Gesellschaftszimmer vorzugsweise auf die Bedürfnisse des Hausherrn hin zurechtmacht. Massive, dunkel gebeizte [S. 106] oder polierte Möbel mit einfachen blanken Beschlägen finden sich darin, ein großer Bücherschrank, ein entsprechender Arbeits- oder Schreibtisch, große gepolsterte Sitzmöbel mit grauem oder braunem Lederüberzug, alles ernst und einfach und von der gewissen Vornehmheit, die in der Gediegenheit überhaupt liegt. Ist der Hausherr Waffensammler, so findet sich ein Waffenschrank vor, überhaupt Möbel, die seinen besonderen Liebhabereien oder Berufszwecken dienen. In einfachen Rahmen hängen Bilder oder Stiche, manche kühne Modernität, »le Nu au Salon«, warum nicht? Ein Tropfen Pikanterie vermengt sich mit dem Duft schwerer Zigarren. So findet man es häufig. Aber das dominierende, ehrfurchteinflößende Möbel ist der große Schreibtisch. An ihn werden heute die persönlichsten Anforderungen gestellt, nicht weniger als an den guten Sessel. Hier hat eine gute Tradition mitgearbeitet. Aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts sind große, sorgfältig erdachte Schreibtische überliefert, große Diplomatenschreibtische mit verschließbarem Pultdeckel, einfach geistreich kombiniert, dem amerikanischen roll desk nicht unähnlich, ferner eine Unzahl verschiedenartiger [S. 107] Damensekretäre mit zahlreichen Fächern und durchaus verschließbar, als ein glänzendes Zeichen einer geistig ungeheuer regsamen Zeit. Man schrieb fleißig Tagebücher, unterhielt mit allen Zeitgenossen regen, brieflichen Verkehr. Auch der Schreibtisch von damals bildet gewissermaßen ein menschliches Dokument. Was so ein verwittertes Möbel nicht für Geheimnisse verbirgt, und was so einem Kasten für anmutige Rätsel abzulesen sind, diesen Läden, die einst vollgestopft waren mit Gedichten, Liebesbriefen, Prozessen und Romanzen, schweren Locken und anderen Liebeszeichen, gleich einem Riesensarg, der mehr Tote enthielt als mancher Gräberhain. Sentimentalitäten, nicht wahr? Aber ein Persönlichkeitszug ging durch die Dinge des Hausrats, das wollte festgestellt sein. Und einen Persönlichkeitszug will man den Dingen heute wieder geben. Der Schreibtisch sollte seinem Besitzer angemessen sein wie ein Kleid. Konstruktiv besitzt der amerikanische verschließbare Schreibtisch viele Vorteile, für das Privatzimmer ist er aber allzu bureaumäßig. Im Halbkreis geht die Tischplatte um den Sitzenden, auch die äußersten Enden in den Bereich seiner Hände rückend. Van de Velde’s Schreibtisch, der diese Form aufwies, war eine Sensation.
Allein er war kein Vorbild. Van de Velde’scher Stil hat nur für einen einzigen Menschen in der Welt Berechtigung, für van de Velde selbst. Er drückt ein allzu Persönliches aus, das, wenn es Mode wird, aufs nachdrücklichste bekämpft zu werden verdient. Für die Allgemeinheit [S. 111] hat van de Velde keine brauchbaren Typen geschaffen. Mit dem Schreibtisch geht es uns wie mit dem Sessel. Wer einen passenden Schreibtisch sucht, findet ihn nicht. Er muß mit seinem Architekten oder Tischler beraten, um zu finden, was für seine Person das Beste ist. Es ist der einzige Weg, der zum Rechten führt. Der Konsument müßte in allen Dingen, die seine persönlichen Bedürfnisse angehen, Mitarbeiter des Künstlers sein, was aber wohl voraussetzt, daß er ein wohlunterrichteter, einsichtsvoller Mensch sei. Sieht er sich dann nach einem passenden Schreibzeug um, dann hat er wieder seine liebe Not. Die Dinge dieser Art, die sich im Handel vorfinden, sind fast nie sachlich gelöst. Im besten Falle müssen Bureau-Utensilien herhalten. Ebenso ergeht es einem mit den Rauchrequisiten. Hier ist fast alles erst zu tun. Ein weites Feld steht für den Künstler der Kleinplastik offen, wenn erst der Publikumsgeschmack zur strengen Sachlichkeit erzogen sein wird. Einstweilen sind es nur einige moderne Architekten, die sich ihrer erziehlichen und kulturellen Aufgabe vollends bewußt sind.
Der Zufall spielt mir die Reproduktion eines Bildes von Schwind in die Hände. Schubert-Abend ist es betitelt. Eine Stimmung strömt aus dem Blatt, zart wie der Duft verdorrter Rosen; ein Hauch der legendären liebenswürdigen Wiener Geselligkeit weht durch den Raum. Es ist ein Altwiener Bürgersalon, großväterischer Hausrat steht umher, Gastlichkeit und Gemütlichkeit, der genius loci winkt aus allen Winkeln hervor, ein Klavier steht in die Mitte des Zimmers herein, eines jener spinettartigen Instrumente, zierlich und schlank, im wohltuenden Gegensatz zu den Monstren unserer heutigen Klaviere, Schubert davor und ein Kreis von Kunstsinnigen um ihn herum, die Schwestern Fröhlich, selbstverständlich auch Grillparzer, dann der gefeierte Opernsänger Vogel und alles, was damals zur geistigen Elite gehörte. Damals war noch die Glanzzeit der Hausmusik. Die vielen Duos, Trios, Quartette und Quintette, von den berühmten Tonkünstlern jener Zeit zu diesem Zwecke verfaßt, und die Zusammenstellung der Instrumente sind an und für sich ein sprechender Beweis für den eifrigen Betrieb der Hausmusik. Bach und Händel waren in jedem Hause gekannt und geliebt. Finden wir heute noch gute Hausmusik? Die Frage dürfte nicht ohneweiters zu bejahen sein. Zwar findet sich [S. 113] in jeder Wohnung ein Klavier vor, fingerübende Musikbeflissene bilden mehr denn je die Verzweiflung nervöser Nachbarn, aber die Pflege der Hausmusik ist heutzutage seltener geworden. Man geht lieber in den Konzertsaal, der in früheren Zeiten nicht so viel des Abwechslungsreichen und Interessanten bot als die Neuzeit, die jeden Tag eine beliebige Anzahl musikalischer Berühmtheiten auf das Podium stellt. Da kann man auch Toiletten zeigen und sehen, und selber gesehen werden. Bei den meisten weiß man kaum, was sie antreibt, die Musik oder das andere. Die biedere, hausbackene, ehrsame Hausmusik kommt in Verfall. Daran ist aber in Wahrheit nicht so sehr der Konzertsaal schuld, als vielmehr der Verfall des Hauswesens selbst. Die freundlichen Genien der [S. 114] Gemütlichkeit und Gastlichkeit, die man vor fünfzig Jahren bei viel geringeren Lebensansprüchen noch unter jedem Dache finden konnte, sind aus den Städten, Großstädten zumal, meist entschwunden. Und in der Provinz? Die verzehrt sich in Sehnsucht nach der gleißenden Pracht der Großstadt, der sie ihre besten Kräfte abgibt. Kalt und ungastlich ist es fast an jedem Herde geworden. Hier bringen auch die besten Tonwerke keine Harmonien hervor. Irgend ein Gassenhauer, wild und gehackt, eine beliebte Nummer aus dem Varieté deckt in der Regel das Bedürfnis nach musikalischen Genüssen. Bachs gravitätische Gavotten, ein liebliches Adagio Mozarts, eine Sonate Beethovens sind im Hause der Disharmonien bloßer Lärm. Verständnis und Pflege guter Musik sind ebenso sehr Sache des gebildeten Geschmacks wie gute Manieren und vorteilhafte gesellschaftliche Haltung. Also Teil der persönlichen Kultur, die auch in der häuslichen Umgebung und in allen Dingen, die im Bereich der Persönlichkeit liegen, zum Ausdruck kommt. Man sollte glauben, daß ein feines Gefühl für [S. 115] die Ästhethik der Farben und der Formen von vorneherein die Bedingungen zum Verständnis edler Musik besitzen müßte. In einem Hauswesen, wo die edle Farbe herrscht und die edle Linie, und der Sinn, der aus dem Zweckmäßigkeitsprinzip des Alltags die Schönheit abzuleiten weiß, wird man in der Regel auch gute Musik antreffen. Denn ein gemeinsamer künstlerischer Grundzug führt von der sichtbaren Harmonie auf die hörbare. Eine nach vernünftigen modernen Grundsätzen eingerichtete Stadtwohnung braucht aus bloß ästhetischen Grundsätzen durchaus kein eigenes Musikzimmer zu besitzen, abgesehen davon, daß Raum und Mittel hiefür selten bereitstehen. Es wird mit den äußeren Merkmalen unserer mit edlem Geschmack ein [S. 116] gerichteten Wohnung nicht im Widerspruch stehen, wenn wir im Speisezimmer oder im Raume, den wir gewöhnlich Salon nennen, den unsterblichen Werken der höheren Tonkunst lauschen und in einem dieser Zimmer das Klavier und den Notenschrank aufstellen. Aber da sind wir schon in arger Verlegenheit. Das Klavier in seiner heutigen ungeheuerlichen Form paßt zu den schlanken, raumsparenden Möbeln noch viel weniger als es zu den altdeutschen oder sonstigen »stilgerechten« Einrichtungen gepaßt hat. Es verstellt in den verhältnismäßig kleinen Wohnzimmern den besten Raum, steht breit und sperrig da und zerstört jede irgendwie versuchte harmonische und zweckvolle Gliederung des Gemaches. Es ist überhaupt ein Möbel, das, zwar, wenn seine Seele ausklingt, der mächtigsten, erschütterndsten und himmlischesten Wirkungen fähig ist, in seiner äußerlichen Erscheinung ein wahres Scheusal genannt werden muß, das wegen seiner höchst unpraktischen Form am allerwenigsten als eigentliches Hausinstrument gedacht zu sein scheint. In den Zeiten, da Schubert am Klavier saß, da hatte dieses Instrument eine Form, die mit dem übrigen bürgerlichen Hausrat im Einklang stand. Es hatte eine schmächtige, zierliche, fast elegante Form und fiel nirgends plump aus dem Rahmen der gesamten Wohnungskunst, wie es das heutige tut. Es wuchs sich selbständig und unabhängig aus und gewann solcherart [S. 117] seine umfangreiche, wenig ansprechende Form. Die Klavierfabrikanten haben bis heute wenig Lust gezeigt, sich mit ihren Klavierformen der neuen Bewegung, welche im Hause so durchgreifende Veränderungen herbeigeführt hat, anzuschließen und ein bischen darüber nachzudenken, ob man nicht durch eine veränderte Konstruktion zu gefälligeren, zierlicheren Gehäusen gelangen könnte. Vor dem Koloß eines Klavieres heutiger Konstruktion steht auch der genialste Entwurfskünstler in Verlegenheit da, er weiß sich nichts anzufangen. Baut er ein Gehäuse, das der einfachen strengen Linienführung des heutigen Möbels entspricht, so sieht es womöglich noch sperriger und ungeheuerlicher aus. Der schottische Künstler Mackintosh hatte einem Kunstfreunde ein Musikzimmer eingerichtet und es mit allen Finessen einer raffinierten Künstlerschaft ausgestattet. Als dekoratives Motiv dieses ganz in Weiß gehaltenen Raumes war eine symbolische Darstellung »der sieben Prinzessinnen«, aus Maeterlincks mystischem Märchenspiel verwendet. In einem wundersamen Linienklang kehrt dieses Motiv an allen Teilen wieder als Paneele, als Verkröpfung an den Holzteilen, am Kamin, an den hohen Stühlen, am Fenster, am Klavier. Alles ist Musik, sichtbare Musik in dem eigenartigen Raum, der in mattem Elfen [S. 119] beinweiß strahlt, darin da und dort färbige Stücke eingesetzt sind, die in ihrer dekorativen Linienfassung wie seltsame Märchenaugen aussehen und in dem toten, starren Material ein geheimnisvolles Leben erwecken, als ob draußen der leibhafte Prinz stünde und mit bangen, sehnlichen Blicken durch die Scheiben ins Gemach sähe, wo wie bleiche schöne Schatten die Prinzessinnen schlafen, wie der Wohllaut, der in den Saiten schläft, angstvoll gehütet, daß kein Mißton von draußen ihr zartes Leben mordet.
Wenn ein Künstler sein Bestes getan hat, ist es nicht seine Schuld, daß es trotzdem unverhältnismäßig hoch und breit und störrisch dasteht. Klaviere sind einmal so. Man müßte, um einmal die wohltemperierte Klavierform zu finden, sich einmal an George Logan in Greenock (Schottland) wenden, von dem aus der Turiner Ausstellung 1902 ein Musikzimmer bekannt ist, das uns der Künstler zwar nur als Aquarellbild zeigen konnte. Aber es genügt, um den Traum eines Künstlers kennen zu lernen. Eine heitere, kindlich fröhliche Mozartstimmung herrscht in dem Raum, über den Teppich schreitet man wie auf einer blumigen Au, an den weißgetäfelten Wänden stehen in hohen Vasen Blütenzweige, die einen Frühling ins Gemach zaubern, und man mag es glauben, daß hier die Töne hell und lustig fliegen wie muntere Spielbälle. Zwei sitzen am Klavier, wahre Blumenerscheinungen, und das Klavier, aus Ebenholz mit sparsam verteilten hellen Einlagen ist von ganz idealer Erscheinung. [S. 120] Zart und einfach gebaut, fügt es sich harmonisch in den Raum ein. Hier stört kein Mißton, auch kein sichtbarer. Ist es auch nur ein Künstlertraum, so mag, da er greifbare Formen gefunden, die Möglichkeit nicht fern sein, daß er ganz reale Wirklichkeit werde, wofern die Klavierfabrikanten wollen. In bürgerlichen Wohnungen wird man sich mit einem Pianino begnügen müssen, die bereits ganz moderne Formen, ohne jeden Stilschnörkel aufweisen.
Wenn Sie aber Lust und Mittel haben, ein eigenes Musikzimmer einzurichten, dann versagen Sie sich jedwede ornamentale Ausstattung, denn die bedarf, wenn die Sache nicht plump und aufdringlich werden soll, eines höchst delikaten, künstlerischen Geschmackes, der zu den größten Seltenheiten gehört. Vermeiden Sie also jeden Zierrat, dulden Sie selbst keine Musikerbüsten oder Porträts, denn sie tragen zur musikalischen Stimmung nichts bei, sie stören viel eher. Bringen Sie lieber eine harmonische Wirkung durch die kunstreiche Anwendung von Form und Farbe hervor und wirken Sie dadurch im Äußeren musikalisch. Auch hiebei wird sich zeigen, daß in der Beschränkung die Meisterschaft liegt. Halten Sie den Musiksalon bloß in ganz einfachem, edlem, elfenbeinartigem Weiß, ohne jedweden Dekor, und stellen Sie nichts hinein als ein schwarzpoliertes Piano, ein schwarzpoliertes Notenschränkchen, einige Blütenzweige in Vasen und denken Sie sich in diesem Raum eine schöne Stimme, ein paar kunstreiche Hände, die starke goldene Töne ums Haupt winden, und Sie werden in diesem Raum unbeirrt und von keinem fremden Eindruck abgelenkt, wahre Feste in Moll feiern.
Was für die Vorfahren das Schlafzimmer bedeutete, davon können wir uns nach den heutigen Wohnungszuständen keinen rechten Begriff machen. Das Schlafzimmer galt so ziemlich als der Hauptraum des Hauses. Es sah aus wie ein Thronsaal. Das mächtige Bett, zu dem seitlich Stufen emporführten und das baldachinartig überwölbt war, stand, mit dem Kopfende an der Wand, mitten im Raum. Im Zeitalter der Gothik und der Renaissance gab die Kunst ihren Segen dazu, wundervolle Schnitzereien finden sich selbst an den Betten bürgerlicher Häuser vor. Im siebzehnten Jahrhundert vollzieht sich ein guter Teil des gesellschaftlichen Lebens im Schlafzimmer. Es ist Toilettenzimmer, Wohnraum, Empfangsraum, Speisezimmer, sogar Küche, wenigstens für die leichteren Speisen. Die Französin hatte ihr Paradebett, sie empfieng den großen Besuch im Bette liegend oder sich ankleidend. Der Barockstil hat darum auch keine anderen Möbel ausgebildet, als das Himmelbett, den Schreibtisch, der nach unten zu Wäscheschrank ist, und oben als [S. 122] Glasschrank Thee- und Kaffeeservice enthält, das Sopha und die gepolsterten Stühle und das alles in Formen, die für unser heutiges wahres Sein unverwendbar geworden sind. Sie gehören der Historie an. Zur Zeit des Empire, um 1800, glich das Schlafzimmer einem Tempel. Die Antike hatte es allen angetan. Man wollte frei sein von der Überlieferung und geriet unversehens in die ärgste Sklaverei. Das Schlafzimmer sollte nicht wie ein Schlafzimmer aussehen. Menschliche Notwendigkeiten galten als durchaus unästhetisch. Es war die Zeit der Götterpose. Das Bett fand häufig in einem Alkoven Platz, dessen Front ein griechisches [S. 123] Tempelfries trug oder es war reich und kunstvoll drapiert. Sinnreiche Symbole deuteten an, daß hier Aphroditens geweihte Stätte sei. Das Nachtkästchen erhielt die Form eines Opferstockes. Der Waschtisch war als Altar der Reinigung gleichfalls als Opferstätte charakterisiert. Der praktisch bürgerliche Sinn der Biedermeierzeit vertrug diesen ästhetischen Ballast nicht. Er reduzierte die Formen auf das konstruktiv Notwendige, schuf sie nach seinen leiblichen Bedürfnissen um. Könige sind damals Bürger geworden, sie entflohen der Ungemütlichkeit der Schlösser und dem Druck der Repräsentation, um sich in der »Eremitage« wieder menschlich zu fühlen. Heute möchte der kleine Bürger wie ein König leben. Der Möbelspekulant ist der große Hexenmeister, der alle Illusionen geben kann. Alle Stilarten liefert er, die [S. 124] Gothik, die Renaissance, Barock, Rokoko, Empire. Nicht um das Sein handelt es sich, sondern um den Schein. Die Möbel sind darnach. Die Nutzräume treten zurück. Das Schlafzimmer ist die letzte, erbärmlichste Kammer. Mein Gott, die kleine Wohnung erlaubt es nicht anders! Und überhaupt! In’s Schlafzimmer kommt niemand hinein!
Ein englischer Architekt, Frank Brangwyn, A. R. A., sagt sehr zutreffend, daß die meisten Schlafzimmer vom Standpunkte einer zweckentsprechenden Ausstattungskunst betrachtet, vernachlässigt sind, weil sie nicht den kritischen Blicken unserer Freunde und Bekannten ausgesetzt sind. Sie werden selten von jemandem Andern gesehen, als von ihren Eigentümern. Wenn die Schlafzimmer in dem Maße zugänglich wären, wie die Gesellschaftsräume, so würden sie unter den Einfluß jenes seltsamen Wetteifers gekommen sein, der seit den frühesten [S. 125] Zeiten zur Ausschmückung jedes Gebrauchsgegenstandes geführt hat, der der öffentlichen Beachtung ausgesetzt war und Neid oder Bewunderung erregen konnte. Es würde sehr wenig Kunst geben, wenn die Menschen unempfindlich wären für den Ansporn des Lobes oder der Nadelstiche des Spottes und Neides. Die volkstümlichsten Kunstformen, wie etwa die griechischen Statuen, und die Bilder italienischer Kirchen aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert sind immer hervorgegangen aus den besten Traditionen und folglich den größten Meistern. Weltfremde Einsamkeit führt die Kunst hinweg von dem Hauptstrom des befruchtenden Lebens, und landet sie in irgend einem ungesunden Sumpfwasser, wo sie schwach und hinfällig wird, im kleinlichen Ehrgeiz eingebildeter Größe befangen. Erinnern wir uns daher, daß die Kunst nichts so notwendig braucht, als öffentliche Anerkennung und öffentliche Nachfrage.
Bei dieser Sachlage ist es wichtig, daß die allgemeine Aufmerksamkeit auf den schlechten Zustand der sehr schlechten Schlafzimmer gelenkt wird, welcher heute in 99 von 100 Fällen vorkommt. In den meisten Schlafzimmern findet man weit weniger Kunst, als in der roh zubehauenen Holzhütte eines Südsee-Insulaners. Es ist seltsam, daß wir nach Jahrhunderten des Fortschritts in anderen Dingen ein so geschmackloses und achtloses Volk geblieben sind in Bezug auf die Dinge, die unserem persönlichsten Gebrauch dienen.
Was soll ein Schlafzimmer sein? Ein paar praktische Betrachtungen werden die Besonderheiten klarlegen.
1. Man kann annehmen, daß der Raum, der einem zur Verfügung steht, klein ist, wie in den meisten Schlafzimmern. Man wird daher mit den Dimensionen das Möglichste tun, um den Eindruck von Geräumigkeit [S. 127] und Luftigkeit hervorzubringen. Der Raum soll nicht nur angenehm sein für den Schlafenden, sondern auch für das Erwachen.
2. Ein Schlafzimmer ist nicht nur ein Raum um darin zu schlafen, sondern auch ein Raum, in welchem eine kranke Person für Wochen, ja Monate liegen kann, und deshalb soll sich nichts Übertriebenes in der Ausstattung vorfinden, nichts das sich dem Auge mit ermüdender und langweiliger Beharrlichkeit aufdrängt. Aus demselben Grunde ist es gut, das Bett so zu stellen, daß die kranke Person auf das Winterfeuer im Kamin blicken kann und angeregt und erfreut wird von seinem lustigen und hellen Flackern. Man mag vielleicht lächeln über diese Kleinigkeiten, aber sie sind sehr wichtig.
3. Die bisherigen Betrachtungen haben rasch über die Grundzüge des Entwurfes belehrt. Die Notwendigkeit, die man fühlt, das [S. 128] Zimmer weiter, geräumiger und luftiger erscheinen zu lassen als es wirklich ist, führt mit der Logik des gesunden Menschenverstandes zu verschiedenen praktischen Lösungen. Man entscheidet sich zum Beispiel, keine gemusterte Tapete zu nehmen. Wenn eine Wand über und über gemustert ist, so lockt sie von allen Standpunkten die Aufmerksamkeit auf sich, sie scheint sich dem Auge dadurch näher zu bringen und dem Raum einiges von seiner Länge und Breite zu rauben. Man entscheidet sich auch dafür, daß die Einrichtung nicht mehr Raum einnehmen darf, als unbedingt erforderlich ist; daher muß die handwerkliche Leistung die höchsten konstruktiven Vorzüge aufweisen, damit man den höchsten Grad von Annehmlichkeit und Zweckmäßigkeit mit dem geringsten Aufwand von Holz erreicht. Nachdem das Zimmer ein Schlafzimmer ist, hat man ganz recht, das Bett als das wichtigste Möbelstück zu betrachten, und es aus Holz herzustellen, teils weil gut gearbeitetes Holz so schön und ruhig harmonisch wirkt, teils weil Messingbetten nicht immer mit den Farben übereinstimmen, welche man im Auge hat, und endlich, weil sich Metall zu frostig anfühlt. Das [S. 129] Bett wird nicht so niedrig sein, daß sich die Magd versucht fühlen könnte, die Reinigung des Fußbodens darunter zu vernachlässigen, noch wird es so hoch sein, daß der Raum zwischen Matratze und Fußboden als Speicher für Schachteln und für Staubansammlung geeignet erscheint. Wenn man zum Schluß das Schlafzimmer als Krankenzimmer auffassen will, ist der Grundsatz der Wohnlichkeit unerläßlich, ebenso eine ruhige Heiterkeit in der Farbengebung.
4. Man wird vielleicht Bilder in diesem Schlafzimmer anbringen wollen. Man hänge keine goldenen Rahmen auf den Grund der Tapete, sondern treffe eine solche Anordnung, daß die Malerei einen tektonischen Teil der Wand selbst bildet. In andern Worten, man [S. 130] wähle einen Fries oder ähnliche andere dekorative Malereien, die man seinem Urteile nach für gut findet. Das Werk muß einigermaßen mehr sein als interessant; es muß beitragen zur frischen und ursprünglichen Farbengebung, die man als passend für ein Schlafzimmer findet, und man führt sie daher so durch, daß die Malerei nicht aus der Mauer hervorspringt, sondern flächig wirkt, und im ganzen eine ebenso wirkungsvolle als bescheidene Rolle spielt.
5. Welches Holz soll man verwenden? Es ist klar, daß die dekorative Verwendung von Materialien zwingt, streng und einfach zu sein; aber der Strenge des Stils kann durch eine glückliche Wahl des Holzes entgegen gewirkt werden. Nußholz würde zu schwer im Ton sein und Eiche zu steif und unbiegsam in Substanz und Masse. Was man braucht, ist ein leichteres Holz, freundlicher von Aussehen, und so scheint es nach mancher Überlegung und manchen Versuchen empfehlenswert, Zuflucht zu Kirschholz zu nehmen. Es hat eine schöne Textur, der Ton ist hell, warm, freundlich und es hat auch eine Art von häuslicher Eleganz. Von ebenso glücklicher Wirkung sind weißlackierte Möbel. Zu ihrem Lobe kann nicht genug gesagt werden. Und wenn nun das Werk vollendet ist und die Morgensonne in das Zimmer tritt, so wird man das Zimmer heimlich und traut finden, als einen freundlichen Raum, sich darin anzukleiden und dem Tag einen guten Anfang zu geben.
Glücklicherweise gewinnt diese gesunde Auffassung wieder Raum. Man fühlt sich wieder, die Persönlichkeit wächst. Man hat persönliche Bedürfnisse. Das Schlafzimmer braucht kein Thronsaal zu sein, auch kein Tempel. Aber luftig soll es sein. Wir sind alle Fanatiker der [S. 131] Hygiene geworden. Mit Luft, Licht, Sauberkeit und Einfachheit bestreiten wir unsere Interieurstimmungen. Und siehe da, es wirkt ganz famos. Was dem Körper zugute kommt, gibt auch der Seele Nahrung. Wenn wir auch zum guten Glück auf das Ornament verzichtet haben, so gibt es für den künstlerischen Geschmack doch noch sehr viel zu tun. Vielleicht mehr als früher. Denn das Einfache, das ist doch das Allerkomplizierteste. Die Anordnung der Massen, die Gliederung des Raumes, die Behandlung der Farbe, die zwecklich formale Erfüllung der Bedürfnisse, das sind Dinge, in denen sich das Persönliche klar ausspricht. Ist Harmonie in der Persönlichkeit, dann wird sie auch im Raum sein. Und, das ist das Allerwichtigste, der Einzelne, der angefangen hat nachzudenken, muß mit seinem Tischler, mit seinem Architekten arbeiten, wenn er das Seine haben will.
Auf Licht und Luft also kommt es an. Man wird sich daher helle Farben wünschen, die Wände ganz licht, die Betten und Schränke in hellgelbem Kirschholz, oder weiß lackiert, oder in unverhüllter Naturfarbe, wobei man die Flächen durch Einsetzen anders färbiger Holzstücke beleben kann. Sonst hat man gerne eine Ottomane dem Bette am Fußende vorgelegt, ja mit diesem auch in einem konstruktiv verbunden. Hat man einen besonderen Toilettenraum, dann brauchen Wäsche- und Kleiderschränke nicht im Schlafraume stehen. Die Einrichtung der modernen Schränke dieser Art ist für den Inhalt genau ausgemessen. Der Hängeraum muß so hoch sein, um die Röcke gut aufnehmen zu können. Oberhalb derselben im Inneren befindet sich häufig auch ein Brett für die Hüte. Die Hosen und Westen werden in die breiten Laden gelegt. Eine Lade für das Schuhwerk befindet sich zu unterst. Kleinere separate Laden und Fächer sind da für Spitzen, Bänder, Kravatten, Handschuhe, Krägen, Manschetten etc. Für die Schmutzwäsche gibt es einen truhenähnlichen Behälter, der im Vorzimmer steht und häufig als Sitzgelegenheit ausgenützt ist, mit einem Deckel oben zur Aufnahme der Schmutzwäsche und der von unten aufklappbaren Vorderseite zur Herausnahme derselben; alles versperrbar, natürlich.
Das Nachtkästchen gibt ebenfalls Möglichkeiten zu neuen sinngemäßen Lösungen. Man kann einen kleinen, glasschrankartigen Aufsatz damit verbinden, der die Hausapotheke aufzunehmen hat. Leichte, helle [S. 133] Vorhänge, seitlich aufzuziehen, schützen das Gemach gegen Blicke von außen her, sperren aber nicht das Licht aus. Vor dem Fenster steht die Toilette: ein vertikaler Spiegel mit zwei im Winkel stehenden Flügeln, ein Gesimse davor, und links und rechts vom Sitz kleine Laden für die gesammte Kosmetik. Das alles ist sehr zierlich, sehr einfach, sehr elegant.
Das Bad ist in unmittelbarer Nähe des Schlafzimmers zu halten. Jede bessere Stadtwohnung hat ihr Badezimmer. Ein regelrechtes Bad, mit seinen weißen glänzenden Kacheln, der vertieften Wanne, den [S. 134] blankgeputzten Hähnen in der Marmorverschalung, den glänzenden Apparaten, den technisch vorzüglich eingerichteten Waschtischen sieht immer einladend aus. Im Schlafzimmer kann man sodann den Waschtisch entbehren. Gerade was die Badeeinrichtung angeht, so haben wir eine unbescholtene Vergangenheit. In den glanzvollen Zeiten des Hausrats von der Gothik bis zum Rokoko ist keine Rede von Badeeinrichtungen. Die »Kunst« befasste sich nicht damit, es blieb eine rein technische Angelegenheit der neueren Zeit, darum haben wir es heute in vollkommen von Stilarchitekturen unbeirrten, praktischen Formen vorgefunden. Nur römische Vorbilder existieren und die sind sicherlich auch mustergiltig. Früher war man weniger heikel in dieser Hinsicht. Heute ist das Bad tägliches Bedürfnis für einen Menschen, der reine Wäsche trägt.
Man sieht, ein vollkommener Wandel in der bürgerlichen Wohnung ist im Zuge. Die Nutzräume treten wieder in den Vordergrund. Gesund zu schlafen ist eine Vorbedingung des persönlichen Wohlseins. Man wird wieder den geeignetesten Raum als Schlafzimmer einrichten, und die anderen Räume in zweiter Linie und nach Maßgabe ihrer Wichtigkeit bedenken. Bei diesen anderen Räumen aber ist Einschränkung am Platze. Man muß keinen Salon haben; man kann das Wohnzimmer als solchen benützen oder man kann das Wohnzimmer mit dem Speise [S. 135] zimmer verquicken, den Salon mit dem Arbeitszimmer, was gewiß das allerrichtigste ist, oder es kann auch, wenn es nicht anders geht, ein Raum für drei dienen, Wohnzimmer, Salon und Speisezimmer in einem sein. Das Schlafgemach muß hingegen ungeteilt bleiben, den Fremden verschlossen, der Ort der Ruhe und der Träume. Der wahre Kulturgrad zeigt sich in seiner Beschaffenheit.
Ein Zimmer kenne ich, das eitel Freude ist. Kunst im vornehmen Sinne hat wenig dort zu schaffen, aber das ist ganz recht. Die Kinder, denen dieser Raum zum Aufenthalt dient, brauchen nicht zu fürchten, irgend einen kostbaren Gegenstand zu beschädigen. Nichts hemmt die Freiheit ihrer Bewegung. Sie müssen sich nicht benehmen, wie jene biblischen vierzig Kinder, die sich samt und sonders betrugen wie eines, sondern hier darf sich jedes Kind betragen, wie vierzig. Und das ist gut. Luft, Licht und Freiheit muß das Kinderzimmer gewähren. Entweder die kleine Schar tollt im Raum umher und erfüllt ihn mit fröhlichem Lärm, oder sie hocken still zusammen, betrachten die kindlich einfachen Darstellungen an dem herumlaufenden Wandfries, wo allerlei Tiere dargestellt sind, in jenen primitiven flächig behandelten Formen, die der rege schaffenden Phantasie der Kleinen noch genug freien Spielraum zur Selbstbetätigung geben. Diese Bilder, ebenso wie das Spielzeug, das auf ähnliche Weise primitiv und der kindlichen Anschauungsweise angemessen [S. 137] sein muß, wollen die Sinne erziehen und vor allem das Auge. Darum ist im Kinderzimmer die Farbe von so großer Wichtigkeit. Gottfried Keller’s Wort gilt: »Die Erhaltung der Freiheit und Unbescholtenheit des Auges«. Dazu gehört, daß man alles Häßliche, Verlogene und Imitierte aus der Kinderstube fern hält. Eine Mutter stellte die Frage, wann sie mit der Erziehung ihres vier Jahre alten Kindes beginnen sollte. Sie ist aber nicht die Einzige, die es nicht weiß, daß mit der Erziehung des Kindes vom ersten Schrei an, den es in der Welt tut, begonnen wird, und daß die Umgebung, die Kinderstube, auf rein sachliche Art erziehlich wirken muß. Die Erziehung der Farbenfreude beginnt hier, damit das Auge einmal der getreue Hüter und Wächter des Paradieses der farbenvollen Weltherrlichkeit werde, an dem die Meisten wie Ausgestoßene blind vorübergehen. Darum wird es gut sein, im Kinderzimmer, dessen Wände im einfachen Farbenton und sehr hell gehalten sein müssen, farbige Wandbilder aufzuhängen, die in Rahmen zum Auswechseln angebracht sind, damit man den Kindern von Zeit zu Zeit etwas Neues bieten und den Kreis ihrer Anschauungen erweitern [S. 138] kann. Der schönste Märchen- und Tierfries, der an die Wand gemalt ist, wird auf die Dauer langweilig und die geheime Wirkungskraft, so groß sie auch Anfangs immer sein mag, versagt schließlich ganz. Auf die Wandbilder, die im Verlage von Teubner und Voigtländer, Dresden, Leipzig, erschienen sind, sei bei dieser Gelegenheit empfehlend hingewiesen. Die Unternehmung bringt farbige Original-Steinzeichnungen von hervorragenden Künstlern zu wohlfeilen Preisen auf den Markt und man kann ihnen das Zeugnis eines vortrefflichen, volkstümlichen Erziehungsmittels ausstellen. Die Heimatkunde, die Sage, das Märchen, das Tierleben, Bilder aus Dorf und Stadt bringen sie in gelungener Weise zur Anschauung und geben dem kindlichen Gemüt reichen Vorstellungsinhalt.
Während der untere Teil der Wände eines Kinderzimmers am besten in lichtem Holz getäfelt wird, entweder hell gebeizt oder lackiert oder auch im Naturton gehalten, um abgerieben zu werden, setzt oberhalb des Getäfels der farbige Fries ein, oder eine Reihe von Wandbildern, in Leisten gefaßt, ziemlich außerhalb des Bereiches der Hände; die Wand setzt sich oberhalb bis zur Decke in hellen Farben fort und trägt ganz oben ein Blumenfries. Aber nicht einmal das ist nötig; Wand und Decke können weiß bleiben. Zur Blumenpflege soll man Kinder früh anregen, sie ist das beste Mittel zur Erziehung der Naturfreude und der Beobachtungsgabe. Deshalb wird man gut tun, unterhalb des Fensters ein Brett anzubringen, wo die Blumentöpfe stehen, die von den Kindern selbst gewartet werden. Das Licht soll von oben her auf die Pflanzen fallen, Tische und Stühle läßt man am besten nur säuberlich [S. 139] gehobelt ohne Anstrich herstellen, um sie stets gut waschen und reiben zu können, was im Kinderzimmer sicherlich sehr häufig notwendig ist. Wo es möglich ist, läßt man ein kleines Turngerät anbringen. Ein Arbeitstisch mit allerhand Werkzeugen ist hier gut am Platze, denn zu bauen und zu arbeiten fangen Kinder frühzeitig an. Im Allgemeinen soll aber das Kinderzimmer kein Kramladen sein. Namentlich mit Spielsachen soll es nicht überhäuft werden. Sonst erzieht man zur Sprunghaftigkeit und [S. 140] Zersplitterung der Aufmerksamkeit. Zu zeichnen haben Kinder immer. Das ist die erste bildnerische Regung, die man an ihnen beobachtet. Die Eindrücke auf die Kinderseele sind so stark und plastisch, daß sie alle unwillkürlich ihre Gedanken graphisch darzustellen streben. Dieser Kunsttrieb, der wie eine schwache Saat aufsproßt und umsichtiger, sorgfältiger aber unaufdringlicher Pflege bedürfte, wird leider selten mit Verständnis behandelt und verkümmert allzufrüh. Man wird daher sehr gut tun, an einer Wandstelle eine große Tafel mit Kreide und Schwamm anbringen zu lassen, daran der bildnerische Sinn der Kleinen sich austoben mag. Vor allem aber lasse man sie mit Farbe und Pinsel arbeiten. Nicht pedantisch nach Vorlagen oder Vorbildern, sondern nach ihrer eigenen Lust und Wahl. Man lasse ihnen darin volle Freiheit; sie sollen ihre Welt darstellen, so, wie sie sie sehen. Was dabei herauskommt, ist das erste schwache Pflänzchen eines künstlerischen und zugleich ursprünglichen Schaffens. Daß dieses Pflänzchen nicht verkümmere oder erstickt werde, ist Sache einer weiteren kunstpädagogischen Umsicht, die freilich schon außerhalb des Kinderzimmers liegt. Feldblumen, bunte Steine, alles was die Kinder im Freien sammeln und als kostbare Schätze [S. 142] daheim ausbreiten, bringen die Märchenstimmung in das kleine Reich, das sie mit den Gestalten ihrer ungebrochenen Phantasie bevölkern. Von der Zeit der ersten Gehversuche bis zum zwölften Jahre ungefähr währt die fröhliche Herrschaft. Wenn das Kind älter wird, tritt die illusionschaffende Seite der Phantasie zurück, das Vorstellungsgewebe füllt sich immer mehr aus und die Ansprüche werden größer. Sobald das Mädchen nicht mehr den Schemel als Puppenbett verwenden will, die Knaben aus umgestürzten Stühlen nicht mehr eine »wirkliche« Eisenbahn herstellen mögen oder in einem Brett ein Schiff und im Fußboden das Meer erblicken, sobald die Kinder sich nicht mehr mit Eifer in die Rolle eines Tieres versetzen, seine Stimme und Bewegung nachahmen wollen und aufhören, sich gelegentlich als Lokomotive oder Dampfschiff zu fühlen, wird ihnen das Puppenheim zu eng. Sie fangen an, die Kinderschuhe auszutreten. Das zwölfjährige Mädchen fühlt sich als Fräulein und bekommt ein neues Zimmer, eine neue Welt. Die Buben »studieren«. Weit hinten liegt die Kindheit, wie eine selige Insel und an ihr gestrandet eine ganze Arche Noah’s voll Kindersächelchen, entseelt und entzaubert. Ein Reich in Trümmern. Fernab und vergessen.
Eine mittelalterliche Sage erzählt von einem zauberkräftigen Beryll, der in seinem Spiegel alle vergangenen und künftigen Dinge zeigte, alle Schönheit der Erde, ferne Länder und Meere. Doch bedurfte er eines reinen gläubigen Gemüts, das von dem Weltgift des Zweifels noch nicht angenagt war, um das holde Wunder zu sehen, sonst blieb der wundersame Stein trüb und dunkel. Noch geschehen Wunder. Kinder erleben sie täglich aufs Neue. Nicht einmal ein Beryll oder sonst ein [S. 145] kostbarer Edelstein ist nötig, es genügt ein ganz wertloser Stein, den sie mit der jungen Kraft ihrer ungebrochenen Phantasie begaben, das Mirakel zu bewirken. Mit staunendem Ergötzen sehen sie in dem schillernden Ding Sonnenaufgang und -untergang, eine große farbenreiche Welt von Wundern, mit einem Wort, ihre eigene Welt. Mit Verwunderung sieht man sie oft an kostbarem, mühsam ersonnenem Spielzeug achtlos vorübergehen und an irgend ein unscheinbares Ding ihre Liebe hängen. Ein unbedachtes Wort, Spott oder Vorwurf und die holde Wundergläubigkeit ist dahin, das zauberhafte Juwel wird blind und taub und erscheint nur mehr als das, was es ist, als wertloser Stein oder Glasscherben. Und ein Stück Unschuld geht damit zugrunde. Man begnügt sich in der Regel, zu sagen, daß Kinder leicht zufrieden zu stellen seien. Das ist ein sehr oberflächliches Urteil. Ich bin viel eher geneigt zu glauben, daß es kein schwerer zu befriedigendes Publikum gibt, als gerade die Kleinen. Der Witz der Großen, die für sie denken und bilden, wird an ihnen gewöhnlich zu schanden. Die schönsten Spielsachen finden zumeist dann erst Wert in ihren Augen, wenn sie sie zertrümmert haben, um sie in ihrem Sinne wieder aufzubauen. Sowohl diese als viele andere Erscheinungen sind Beweise, daß das Kind in dem Spielzeug das [S. 146] Rohmaterial sucht, mit dem seine Phantasie freischaffend verfährt. Der Wert des Spielzeuges liegt nicht in dem, was es ist, sondern in dem, was es werden kann, was das Kind mit ihm machen soll. Bedeutung und Beseelung, gleichsam den künstlerischen Ausbau, empfängt es aus dem kindlichen Schaffenstrieb. Diesen anzuregen, zu heben und zu kräftigen, ihm die rechten Mittel bereit zu stellen, ist der Zweck des Spielzeuges.
Auch die Kinderstube ist ein Spiegelbild ihrer Zeit. Eine Welt für sich, die aber ihren Inhalt aus dem großen Leben empfängt und jeden Kulturwandel mitmacht. Der Naturalismus der letzten Jahrzehnte hat auch in dieser kleinen Welt ein Echo gefunden und in der Spielzeug-Manufaktur jenen konsequenten Wirklichkeitssinn erzeugt, der wohl den Verstand nährt, aber das Herz leer läßt. Puppen werden erzeugt von panoptikumartiger Wirklichkeitstreue, den Babies zum Verwechseln ähnlich, »stilgerechte« Steinbaukästen, Spielschiffe und Eisenbahnen mit kompliziertem Betrieb, die ein getreues Modell dieser Verkehrseinrichtungen darstellen. Wir leben ja im Zeitalter der Technik, so mag der künftige Ingenieur schon in der Kinderstube sein Talent an solchen Modellen [S. 147] nähren. Das ist die Meinung so mancher Eltern, die bei der Geburt des Kindes schon seinen Beruf vorbestimmen und den Fachmann bilden wollen, ehe sie den Menschen gebildet haben. Von den Großen wird das Spielzeug gewählt, anstatt von den Kleinen. Aber was das sentimentale Kindlichkeitsgefühl der Großen gutheißt, billigt nicht immer der naive Sinn der Kleinen. Diese armen Kinder der Reichen! In eine Kinderstubenwelt werden sie gestellt, die fertig ist und ausgebaut und die nichts übrig läßt zu vollenden. Und nun heißt es: spiele! Spielen um des Spielens willen? Für das Kind ist das Spiel notwendige Arbeit, daran es seine Kräfte übt und entwickelt. In dieser fertigen Welt beginnt die Arbeit mit dem Zertrümmern. Zertrümmern, um neu aufzubauen. Um wie viel reicher sind oft die Kinder der Armen! Ein Stück Holz wird zur Puppe, von der kleinen Mutter sorgfältig in armselige Lappen gehüllt und aufs zärtlichste betreut. Mit der Sorge wächst die Liebe. Man sage der Kleinen nicht, das ist keine Puppe, das ist nur ein Stück Holz! Wo gewöhnliche Augen nur ein Stück Holz sehen, da hat die kindliche Phantasie bereits ein Wunder bewirkt. An dem selbsterschaffenen beseelten Gegenstand übt das junge [S. 148] Herz seine Fähigkeiten. Und dieser Gegenstand hat alle Bedeutung, die es hineinlegt. Er ist das rechte Spielzeug geworden.
Die Jungen auf dem Dorfe kennen den Steinbaukasten und seine zwei bis drei Gestaltungsmöglichkeiten nicht. Sie kennen nur den Lehmhügel am Bach und den Sandhaufen, die der Baulust keine Grenze setzen. Hier hat es der Formsinn leicht. Brücken entstehen, Wälle, Befestigung, Minen, Werke der augenblicklichen Eingebung, die im nächsten Augenblicke wieder anderen weichen. Immer ist es kurzweilig und zweckvoll. Der willige Baustoff fügt sich jeder Regung des Schaffenstriebes. Und die ungestörte Phantasie bevölkert alle diese Bauten, die Gruben und Löcher, mit spukhaften Geheimnissen. Es ist die Zeit, da das Märchen zur Wirklichkeit wird, die Wirklichkeit zum Märchen. Das Spielzeug verhält sich zu den Dingen des Alltags wie das Märchen zur Wirklichkeit. In beiden ist die reale Welt vorgebildet, aber zugleich auf die einfachsten, sinnfälligsten Elemente reduziert. Die gemeine Logik reicht gar nicht aus, um diese Elemente zu würdigen. Man müßte denn [S. 150] die Welt mit den Augen des Kindes ansehen, naiv, voraussetzungslos sagen wir künstlerisch. In diesem Betrachte ist auch das Spielzeug künstlerisches Neuland. Es erfordert einfach organisierte Seelen, wie es der Toymaker Caleb Plummer und seine blinde Tochter in Dickens »Heimchen am Herde« sind. Solche Seelen wissen, daß eine Reihe von Sardinenbüchsen, mit einem Bindfaden zusammengehalten, dem Volk der Kleinen eine bessere Illusion von einem Eisenbahnzug gibt, als das technisch vollkommenste Modell. In unseren Straßen gehen arme Slovaken herum mit billigem Spielzeug, das sie selbst aus Holz schneiden, nach ihrer eigenen unverbildeten, kindlichen Anschauung. Der blasierte Großstädter kann diesen Dingen keinen Reiz abgewinnen, er sagt, »es ist nichts d’ran«. Es ist allerdings nichts d’ran, als eine entzückende Naivität, eine überraschende Kindlichkeit, die uns Großen abgeht. Die Kleinen haben wohl ein anderes Urteil darüber, und wie mich dünkt, ein weit richtigeres. Nehmen wir ihnen doch nicht schon von der Kinderstube an jene Kindlichkeit, die ihr gutes Recht ist, ihre Kraft und Schönheit. Sie zu hüten und für das Leben zu bewahren, ist ein wichtiger Teil der Erziehung. Und im Dienste dieser Erziehung steht das Spielzeug. Ferdinand Andri hat den immerhin interessanten Versuch gemacht, Spielzeugtypen grotesker Art zu schaffen, die an den primitiven Charakter der besprochenen alten volkstümlichen Spielsachen anknüpfen.
Die Stellung der Frau im heutigen Leben ist ein Kampf, ihr Kampf ist ein Suchen. Ihr Streben ist Gleichberechtigung mit dem Manne in sozialen, beruflichen und politischen Dingen. Auf allen Gebieten wetteifert sie mit ihm als ebenbürtige Genossin — oder Rivalin. Das spürt man schon im Mädchenzimmer. Die Nervositäten des Tages vibrieren bis in die Stille des jungfräulichen Gemaches. Der Studiengang ist von fast männlicher Strenge und Härte, auf den künftigen Struggle for life vorbereitend. Und dennoch liegt über den Dingen ein milder Abglanz weiblicher Grazie, die die Frau auch in den Härten des Berufes als unschätzbares Gut bewahren will. Die Zwittererscheinungen des dritten Geschlechts gehören einer kurzen Uebergangsperiode an und sind mit dem Fluche der Lächerlichkeit beladen von der Bildfläche verbannt. Das Mädchenzimmer vor fünfzig Jahren ist gegen das heutige eine friedvolle Welt. Das war damals ein liebliches Hindämmern an Bändern und Kram, bis der Großvater kam und die Großmutter nahm. Vielleicht gleicht das heutige Mädchenzimmer dem damaligen sehr stark an äußerlichen [S. 152] Stimmungselementen, aber innerlich ist es von ganz anderem Leben erfüllt. Eine satte, lavendelschwere Luft lag in dem Raum, wo durch weiße Gardinen der Tag hell herein schien, der Schreibtisch mit den dicken zylindrischen Füßen barg Schleifen und Andenken, himmelblaue Vergißmeinnichtlyrik auf antikisierenden Wunschkarten gedruckt, ein Päckchen Briefe voll lispelnder Ach!, in steifer Schrift geschrieben, abgestandene Parfums entsendend, wie ein altes leeres Flacon, und aus dem spindeldürren Spinet entstiegen in dünnen gebrechlichen Tönen Mozarts graziöse Menuetts, Schuberts kindlich fröhliche Weisen, während durch die Straßen die sentimentalen Klänge zogen: »wann’s Mailüfterl säuselt...« Die Lavendelstimmung ist heute auch aus dem Mädchenzimmer entschwunden. Im Notenständer neben dem Klavier finden wir [S. 153] Richard Wagner, Hugo Wolf, Richard Strauß, Schubert und Beethoven sind geblieben. Auf dem Tische häufen sich Bücher, sogar Zeitschriften, Maeterlincks »Leben der Bienen« liegt da; es liegt nicht nur da, es wird auch gelesen. Was unter dem Titel »Mädchenliteratur« einstens beliebtes Lesefutter war, ist nicht vorzufinden. Das Nähtischchen im Fenster mit dem Strickkörbchen im Fuße ist ebenfalls verschwunden, es ist samt der »Mädchenlekture« in der Rumpelkammer der Vergangenheit begraben. Blumen stehen am Fenster, wie es auch einst war, Rosen im Glas und, wenn es die Jahrzeit will, auch weiße Lilien. Das ganze Gemach ist darauf gestimmt, eine Symphonie in Weiß. Das Bett steht unsichtbar hinter den weißen Vorhängen, die vom Plafond heruntergehen und [S. 154] tagsüber zugezogen sind. Weiße feine Vorhänge, seitlich zu öffnen, verhüllen das Fenster, weiß sind Decke und Wände, durch die bandartig ein Fries geht, und an den Wänden hängen, in schmalen, glatten Rahmen Reproduktionen nach Burne Jones, trauernde Frauengestalten mit keuschem Leib und sehnsüchtigen Blicken, »love in ruins« und andere schmachtende Legenden, die der knospenhaft unerschlossenen Gestalten präraffaelitischer Meister, die nun seit einigen Jahren modern sind. Schmalhüftige hochgezogene Möbel stehen herum, fußfrei, so daß man unten bis zur Wand blickt, was den Raum größer erscheinen läßt, ein weiter Bücherschrank, zierliche [S. 155] Schränkchen und Stühle, ein Toilettetisch mit fazettiertem Glas ohne Rahmen und mit Laden, die Toiletteartikel darin zu versperren, im übrigen alles blitzblank und sauber anzusehen, hie und da ein erlesenes Stück eigenen Kunstfleißes, ein Tischläufer, eine Schutzdecke, sauber ausgenäht, [S. 156] mit modernem Muster. Der Bodenbelag ist einfärbig ohne Dessin, oder fast ohne solchen, graublau im Ton und die Möbel sind lackirt. Blau steht zu weiß sehr schön. Dunkles Rot kann auch verwendet werden. Hellgelbes Kirschholz ist von bezwingender Anmut. Ein solches Gemach wirkt schon durch die Farbe wie ein Frühling. Stehen ein paar feine Gläser am Schränkchen, einige kleine Kunstgegenstände gut verteilt, Vasen, Porzellan aus Kopenhagen, blank und schimmernd, dann mutet es an wie ein Festtag im Mai.
Solcherart erscheint das Mädchenzimmer als ein Spiegel der Persönlichkeit, die darin lebt.
Und nicht nur der Persönlichkeit, sondern auch ihrer Zeit. Was die Ideale, Wünsche und Hoffnungen der Gegenwart sind, kann und soll man ja auch an diesem Ort verspüren. Die Zeiten sind jedenfalls vorbei, wo die Mädchenerziehung kein anderes Ziel kannte, als unter die Haube zu kommen. Nichtsdestoweniger ist es sehr erfreulich, wenn sich im heutigen Mädchenzimmer auch ein Kochbuch vorfindet. Die genaue Kenntnis des Hauswesens auf Grund eigener Betätigung ist auch für jede gebildete Dame eine selbstverständliche Voraussetzung. Die Vorbereitung auf irgend einen selbständigen Beruf und auf das Leben, das draußen harrt, soll unter allen Umständen auch der Entwicklung häuslicher Tugenden Raum gewähren. Was immer die Zukunft erheischen möge, das Leben dürfte in diesen Raum nichts hereintragen, was irgendwie geschmackswidrig, schmutzig und anstößig ist. Man muß nicht hausbacken und prüde sein, aber man muß in allen Fällen auf seelische Hygiene bedacht sein, sowohl im Umgang mit [S. 157] Menschen, als mit Büchern und Dingen. Im allgemeinen dürfte das Mädchenzimmer in allen Verhältnissen den oben geschilderten Charakter empfangen, bald einfacher, bald reicher ausgestattet, je nach den persönlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Seine besondere Prägung wird es natürlich von dem Geiste erhalten, der darin haust. Die Wohnungspsychologie kann nicht leicht Fehlschlüsse ziehen. Man wird es auf den ersten Blick erkennen, ob die Inwohnerin Kunstgewerblerin, Beamtin oder Studentin ist. Die Individualität soll ja in den Dingen der Häuslichkeit am stärksten sprechen. Reinheit und Nettigkeit machen hier, wie überall den Hauptschmuck aus. Die Grazien werden sicherlich auch das Gemach erfüllen, wenn sie die Inwohnerin mit ihren Gaben beglückt haben, was natürlich nicht zu bezweifeln ist. Wenn auch die junge Dame ein angehendes »Fräulein Doktor« ist, braucht ihre Stube nicht auszusehen wie eine Studentenbude. Es ist eine bedenkliche Atmosphäre, wo Parfum mit Zigarettenqualm vermischt ist.
Die Hausgärten sind aus unserer Stadt ziemlich verschwunden. Der Utilitarismus der Bauunternehmer hat nicht bedacht, daß die Naturfreude mit zu den täglichen Lebensbedürfnissen der Stadtmenschen zählt. In dem Maße aber, als Garten und Feld zurückwichen und die Natur den ungastlichen Mauern entfloh, erwuchs in der Trostlosigkeit dieser Steinwüste eine seltsame, bleiche Stubenpflanze, die Natursehnsucht, die recht eigentlich ein Großstadtprodukt ist. Und zugleich ein wichtiger Faktor der Kultur. Wie tief diese Sehnsucht wurzelt, kann man an Sonn- und Feiertagen sehen, wenn die Menge »aus der Straßen quetschender Enge« ins Freie drängt, wenn sie an Waldungen und Feldrainen Blumen errafft, um sie in die traurigen Stuben zu stellen, wo sie sterbend noch einen Abglanz von Sonnenfreude und Sommerlust verbreiten. Wenn es irgend ein Vollkommenes gibt, so ist es gewiß das schöne, stille Sein der Pflanze und die Reinheit ihres Lebens. Und was die Menschen für das Feinste ansehen, ist ihre Schönheit und ihr Duft. Sie wirkt mit der Kraft eines Symbols. Ein einziger Zweig ins Zimmer gebracht, und ein ganzer Frühling ist zu Gast!
Die unklare Natursehnsucht des Städters gibt einen klaren Fingerzeig. Etwas sehr wertvolles liegt darin, vielleicht ein neuer Zivilisationsfaktor, den man nur zu organisieren braucht. Anfänge sind vorhanden, um in die naturverlassene Stadt wieder die Gärten einzuführen. Jedermann in der Stadt kann seinen Garten vor dem Fenster haben. Einen winzigen allerdings, aber ein Gärtchen immerhin. Einen Meter lang, ein Drittel breit, nicht größer als es das Fenstergesimse erlaubt, und die grün oder weiß gestrichene Einfassung, die dort aufzustellen ist. Für wenig Geld liefert der Markt die schönsten Blumen, und zwar je stärker die Nachfrage, [S. 159] desto billiger. Die Sache hat auch eine volkswirtschaftliche Bedeutung. Ein wichtiger Zweig der Landwirtschaft käme ins Aufblühen, die Blumenzucht. Man bedenke, was die Blumenkultur in Holland und in Frankreich wirtschaftlich bedeutet. Keine Stadt hat größeren Blumenbedarf als Paris und nirgends sind die Blumen billiger. Die Blumenmärkte von Paris sind eine Sehenswürdigkeit. Bei uns ist kaum noch der Sinn dafür aufgegangen, welche reiche Quelle von Freuden ein solches Blumenbrett ist, ein gut bestandenes und schön gepflegtes, natürlich. Wenn aus dem Gesimse eine Blumenwildnis hervorblüht, die duftet und leuchtet in den prangendsten Farben, ist die Stube mit einemmal verwandelt. Die freundlichen Hausgötter der Traulichkeit und Wohnlichkeit sind plötzlich eingekehrt und walten mit Zaubermacht, mag auch der Hausrat noch so ärmlich sein. Es ist nicht nur eine liebliche Augenweide, o, noch viel mehr! Öffnet man am Morgen das Fenster, dann wälzt der Lufthauch ganze Wolken von Wolgerüchen herein, die das Gemach erfüllen. Und welche Labsal ist es, abends hinter diesem Hausgarten zu sitzen! Eine Fülle von Segen strömt vom Fenster her in die Stube und in das Herz der Inwohner und hilft wol irgend ein Gutes im Leben zu fördern. Diese Blumenwildnis vor dem Fenster ist zwar kein vollkommener Garten, nicht einmal eine Laube, wie man sie einst hatte, aber sie ist etwas, was unter Umständen noch viel mehr sein kann, weil sich ein persönliches damit verbindet. Denn die Liebe, die auf dem Grunde eines jeden guten Werkes ist, muss sich auch hier betätigen. Wer hier nicht säet, wird auch nicht ernten. Die Blumen am Fenster gedeihen nicht ohne aufmerksame Pflege. Das verursacht zwar eine kleine Mühe morgens und abends, aber was tut’s? Kann man denn etwas lieben, [S. 160] um was man sich gar nicht zu bemühen braucht? Zumindest ist hier die Mühe eine Freude, die man nicht dem Dienstmädchen überlassen soll. Der bloße Pflichtbegriff ist giftiger Mehltau für die Blumenpracht am Fenster. So etwas merkt man gleich. Nein, die Blumenpflege gehört der Dame des Hauses zu. Dann wird das Blumenbörtel zum Symbol, wo jede Pflanze von der Sorgfalt und Liebe der gewiss liebenswerten Gärtnerin erzählt. Oft kommt man an einem Hause vorbei, wo an einem der Fenster Hortensien stehen und Nelken und Rosen, Pelargonien und brennende Liebe und je nach der Jahreszeit manche andere schöne Pflanze. Die schönen weißen Hände, die sichtbar werden, um mit so viel Liebe den Blumenstand am Fenster zu pflegen, zur eigenen Herzenslust und zur stillen dankbaren Freude des Vorübergehenden, geben ein sehr edles Beispiel. Eine neue Schönheit zieht in unsere Straßen ein. Da und dort bricht aus den Gesimsen eine solche blühende und duftende [S. 161] Blumenwildnis hervor. Und nun denke man sich diesen Blumenreichtum über alle Fenster, an allen Häuserreihen, bis ins höchste Stockwerk verbreitet: er müsste die Stadt in einen reizenden Garten verwandeln. Es müsste ein Segen sein fürs Auge und fürs Herz und auch für die Gesundheit. Die lebt ja bekanntlich vom Schönen, ebenso wie das Gute.
Aber nicht nur nach außen hin würde der Wandel eintreten, sondern auch nach innen. Eine Revolution hat die Blume in den Wohnungen hervorgebracht. Der Fall ist typisch: Ist in irgend einem Hause die Blumenfreude intensiv geworden, dann spürt man die Woltat der Blumenherrschaft in allen Räumen. Die schweren Stoffgardinen, welche die vordem so beliebte Rembrandt’sche clair-obscur-Stimmung erzeugen sollten, werden entfernt. Luft und Licht strömen nun in vollen [S. 162] Fluten herein. Nun zeigt es sich auf einmal, welch’ ein lichtscheues Gesindel von Nippes und lächerlichem Aufputz die Wohnung verunstaltete, vom Makart-Bouquet angefangen bis zu den japanischen Schirmen und Photographieständern, wie viel unkontrollierbare Staubwinkel allen Wänden und Möbeln entlang vorhanden sind. Die Umwälzungen, die von der stillen selbstgenügsamen Blume ausgehen, füllen ein lustiges Kapitel. Wir wollen uns einmal flüchtig daran erinnern, daß unsere Großeltern eine solche feine Kultur besaßen, zu der wir jetzt erst wieder den Anfang machen. Treten wir in die Tür unserer Großväter, dann finden wir ein helles Gemach mit weißen Gardinen, einfarbigen oder weißen Wänden, hellgelbe Kirschholzmöbeln, und als Herrscherin und Hüterin dieser einladenden, traulichen Stimmung die Blumen, unsere heimatlichen Bauernblumen in weißen Töpfen, lieblich anzuschauen. In der Blumenliebe liegt etwas sehr Edles. Der Anfang von Kunst liegt in ihr. Was die Blumenpflege für die Kultur bedeutet, mag man in der ausgezeichneten Schrift »Makartbouquet und Blumenstrauß« von Alfred Lichtwark nachlesen. Von den Blumen der Heimat muß man ausgehen, sie passen zu unserem Dasein. Wir finden sie in den beliebten Blumenstücken der früheren Zeit, in den Vorgärten der alten Landhäuser und in den Bauerngärten. Nur die Modesucht hat sie verachtet. Darum sollen sie zu Ehren gebracht werden.
Das wissen alle Hausfrauen ganz gut, daß die reichlich verwendeten Blumenkörbe fast immer absolut geschmacklos und unpraktisch waren. Daß Niemand in seinem Hause einen praktischen und ästhetisch befriedigenden Blumenkorb aufweisen konnte, hatte einen ganz einfachen Grund. Es gab keinen also beschaffenen Blumenkorb. Was bislang für geschmackvoll galt, war ein Blumenkorb mit einem aus imitiertem Astwerk gefertigten Gestelle, womöglich braun gestrichen oder gar bronziert oder sie waren geflochten und hatten Voluten und andere stilvolle Ornamente aus Weidenruten und Flechtwerk aufgesetzt, die als wahre Staubfänger in kurzer Zeit ein scheußliches Aussehen bekamen und ob ihrer augenscheinlichen Zwecklosigkeit in das Gebiet des lächerlichsten Unfugs gehören. Künstler und Kunstgewerbler haben sich in letzter Zeit mit den Formen des Blumenkorbes befaßt. Soweit diese Lösungen bekannt geworden und in den Handel gekommen sind, läßt sich ein bedeutender Schritt zur Zweckmäßigkeit und wohltuenden Einfachheit konstatieren. Formen sind im Handel, die aus Pfefferrohr und Flechtwerk hergestellt, die Ansprüche des guten Geschmackes wohl erfüllen. Aber es liegt immerhin noch ein weites Feld für die Erfindung schöner und praktischer Formen, sowie für die Anwendung geschmackvoller [S. 164] Farben offen. Der große Anreger auf kunstgewerblichem Gebiete, Alfred Lichtwark, erzählt in seinem Buche »Blumenkultur« (das jedermann lesen sollte, ebenso wie alle seine anderen Schriften), daß ihm berichtet wurde, in Hamburg hätte man früher statt der Blumentöpfe vor jeden Fensterflügel einen langen, eckigen Korb gestellt, als Hülle für vier oder fünf Töpfe. Diese Körbe wären innen und außen gestrichen gewesen. Gesehen hat er sie nicht mehr.
Diese Einrichtung ist schön und praktisch und Lichtwark knüpft daran die Erörterung der Farbe. »Es ist nichts im Wege, daß man neben dem Grün auch Weiß — was sehr günstig ist — und unter Umständen auch Rot verwendet oder Weiß mit grünen, Grün oder Rot mit weißen Querstreifen. Auch Blau, Purpur, Orange und Gelb sind denkbar, aber schwieriger zu verwenden, sobald man es mit mehr als einer Blume zu tun hat. Für größere alleinstehende Zimmerpflanzen sind Topfhüllen in Gestalt schön bewegter und geschmackvoll gefärbter runder Körbe — Korbvasen — ausgezeichnet zu verwenden. Sie sehen gut aus und haben den Vorzug, nicht zu zerbrechen«.
Die Frau des Offiziers beginnt heute einzusehen, daß es für ihre Wohnung nichts unpraktischeres geben kann, als den billigen Prunk und lächerlichen Zierrat, der in den durchschnittlichen Stadtwohnungen einen täuschenden Schein von Luxus und Eleganz erwecken soll. Der Begriff: standesgemäß, für den militärischen Beruf bindender, als für jeden anderen, hat in Bezug auf die Offizierswohnung eine seltsame Umwertung durch das Beispiel jener bürgerlichen Wohnungen erfahren, die von einer gedankenlosen marktlichen Massenfabrikation beherrscht, einen nicht mehr zu unterbietenden Tiefstand des Geschmackes bezeichnen.
Standesgemäß, das sollte ursprünglich wohl heißen zweckgemäß, lebt heute nur der ledige Offizier. Er hat die typische Offizierswohnung ausgebildet, die in ihrer Einfachheit und Mobilität auf das Zelt zurückweist. Da steht sein eisernes Bett, ein Bücherbrett, ein paar Feldstühle, ein großer zusammenklappbarer Tisch, darauf er bequem Pläne, Skizzen, Bücher und Schreibzeug ausbreiten kann. Ordnung und Nettigkeit geben dem Raum den einzigen, aber auch wirksamsten Schmuck. Sobald der Offizier verheiratet ist, verliert seine häusliche Umgebung in der Regel ihren typischen Charakter. Die Frau des Hauses, welche in der Wohnungsfrage zu entscheiden hat, hält sich an das Beispiel, das die Masse gibt. Sie richtet die Wohnung so ein, wie sie Geschäftsleute und Beamte haben, die nie oder nur selten in die Lage kommen, ihren Wohnsitz zu wechseln. Dann sieht man an den Möbeln jene schleuderhaften Schmuckformen, deren Daseinszweck nur darin besteht, die unsolide Mache zu verkleiden und ein Übermaß täglicher Reinigungsarbeit zu verursachen.
Man kann sich leicht die Verwirrung vorstellen, wenn die Notwendigkeit eines Garnisonswechsels eintritt, auf den der aktive Offizier [S. 166] gefaßt sein muß. Trotz der ungeheuren Verpackungsmühen und der erforderlichen unverhältnismäßig großen Anzahl von Transportwägen, welche die Transferierungskosten enorm erhöhen, ist das Mobilar, das einer solchen Inanspruchnahme nicht gewachsen ist, schweren Beschädigungen unterworfen.
Man mußte sich erst über alle Unzulänglichkeiten klar werden, um wieder die Möglichkeiten einer standesmäßigen, das heißt, zweckmäßigen Offizierswohnung auf Grund einer klaren Erkenntnis der Bedürfnisse zu finden.
Das praktische Möbel ist selten teuerer, meistens sogar billiger, als die schleuderhaft und gedankenlos fabrizierte Marktware. Raum, Zeitersparnis und Bequemlichkeit muß die Möbelkonstruktion für die Offizierswohnung gewähren, vor allem die Möglichkeit kompendiös zu packen, so daß vier Zimmer in einem Transportwagen ohne die Gefahr der Beschädigung gut untergebracht werden können. Zusammenlegbarkeit nach Art der amerikanischen Missionärmöbel oder der einfache Kofferstil werden in diesen Fällen zu den besten Lösungen führen. Auf Schmuck kommt es beim praktischen Möbel nicht an. Er ist auch keine Bedingung der Schönheit.
Schönheit entsteht hier nicht durch die äußerliche Zutat von Schmuckformen, sondern kann im Wesentlichen nur aus der Zweckmäßigkeit entwickelt werden. Auch die übrige Dekoration des Zimmers mit Vasen und Kleinplastik müßte sehr zurückhaltend, aber so gediegen als möglich sein. Was nicht den prüfenden Blick aushalten kann, hat keine Berechtigung im Raum zu existieren. An Stelle der Schmuckform würde die edle, fein [S. 167] empfundene Farbe treten. Diese einfachen, geradlinigen und augenscheinlich gediegenen und praktischen Möbel würden, koloristisch behandelt, im Verein mit weißen, waschbaren Gardinen und einigen Blumen am Fenster in jedem Raum, der nur weiße, kalkgeputzte Wände hat, die traulichste Stimmung erzeugen und zugleich ein Beweis für den höheren Geschmack der Offiziersfrau sein, die ein auf den besonderen Berufserfordernissen beruhendes Studium der Möglichkeiten nicht gescheut hat. Von einem modernen Architekten, den sie etwa zu Rate gezogen, unterstützt oder im persönlichen Kontakt mit dem Handwerker, dem sie Angaben macht und dessen Arbeiten sie wachsam verfolgt, müßte sie zu einer Einrichtung gelangen, von der man nicht behaupten dürfte, daß sie paßt, wie schlechtsitzende Kleider. Sie würde ebenso wie bei den Kleidern auch das Maß der Stühle und Tische bis auf den Millimeter durchprobieren und den Bedürfnissen des Körpers anpassen lassen. Der gute Stuhl in ihrem Hause müßte alle Bequemlichkeiten bieten und den darauf Sitzenden dennoch elegant erscheinen lassen. Querleisten zwischen den Beinen würde man an diesen Stühlen nicht finden, weil sie überflüssig und unpraktisch sind. Denn erstens will man die Füße unter den Stuhl bequem einziehen können und dann kommen Sporen mit den Querleisten leicht in Kollision. Überall würde darauf geachtet sein, daß nicht mehr Material zur Verwendung kommt, als unbedingt nötig ist, um den Formen keine unnötige Schwere zu geben.
Bei Stühlen, die an die Wand gerückt werden, müßten die Hinterbeine weit ausladen, damit die Lehnen die Wand nicht abschrammen [S. 168] können. Auch bei dem Tisch sind die Querstangen zur Festigung nicht nötig und daher nur dort zu dulden, wo ihre Abnutzung nicht stört, wie etwa in der Bauernstube, wo das Holz gewaschen werden kann und das Aufstellen der Füße keinen Schaden anrichtet. Die Reise um das Zimmer ließe sich bequem fortsetzen und von Gegenstand zu Gegenstand der Beweis führen, wie unpraktisch das für die Bedürfnisse der Massen hergestellte Marktmöbel in jedem besonderen Falle ist. Die Offiziersfrau, die sich in jedem einzelnen Falle darauf besinnt, was ihrer Wohnung zum Vorteil gereicht, wird keine Einrichtung haben wie eine Krämersfrau, auch nicht wie eine Banquiersfrau. Sie wird ein Heim haben, das sich von allen anderen unterscheidet als die standesgemäße Offizierswohnung. Und sicherlich wird jeder, der eine solche Wohnung sieht, anerkennen müssen, daß es eine tapfere und geschmackvolle Dame ist, die den Mut hat, durchaus zu scheinen, was sie sein soll, nämlich wahrhaft standesgemäß. Dazu gehört sicherlich eine vornehme Gesinnung und ein selbstbewußter Charakter, der an all der erborgten und verlogenen Eleganz, die man heute sieht mit einem Lächeln der Geringschätzung vorübergeht und tut, was seiner Art gemäß ist.
Auf meiner Suche nach einer wahren Volkskunst innerhalb der ausgestalteten Häuslichkeit stieg ich tiefer hinab zu jenen breiten Volksschichten, denen nicht um den Schein, sondern um das Sein zu tun sein muß, um die bloßen Kräfte, die in den Mauern, Bögen, Fenstern, Pfeilern, wirksam sind, also um den nackten Zweckbegriff, um das rohe Gerüst praktischer Schränke, Tische und Stühle, denen als einziger Schmuck die natürlichen Eigenschaften des Materials, die Struktur des Holzes etc. zugute kommen, zu jenen Volkskreisen also, die nicht Zeit und Geld haben, ihr Leben mit Schmuck und Tand herauszuputzen, sondern die auf das Gesunde, Primitive, Einfache losgehen. Dort dürften Anregungen und die Offenbarung einer wahren Volkskunst zu erwarten sein. Mit diesem Gedanken kehrte ich beim Kleinbürger ein, bei jenen besseren Handwerksleuten, die überhaupt Anspruch auf ein geordnetes Hauswesen erheben. Nichts von dem, was ich erwartete, habe ich dort gefunden. Alles wollte mehr scheinen, als es wirklich war, mit einem erborgten Schein über die grinsende Nacktheit und Armseligkeit der Wohnräume hinwegtäuschen. Bei Leuten war ich, die sich neu eingerichtet hatten. Kalt und hart standen ein paar Möbelstücke im Raum; fabriksmäßig schleuderhaft gearbeitete, vom Händler um schweres Geld gelieferte Betten, Tische und Stühle, in diesem oder jenem »Stil«, neuestens gibt es auch solche im »Sezessionsstile«. [S. 170] Der Stolz der Leute hing an ihnen, sie saßen in der Küche, um das einzige schöne Zimmer zu schonen und lauschten am Abend ängstlich auf das mörderische Krachen des zerlechzenden Holzes, wobei es ihnen jedesmal wie ein Dolchstoß durchs Herz fuhr. Die Ärmsten waren gewiß am schlimmsten daran; sie hatten am teuersten gekauft und konnten an ihrem Heim keine rechte Freude haben. Da lobe ich mir die ärmste Bauernhütte, wo man Blumen im Fensterrahmen stehen sieht. Hier offenbart sich wenigstens die Liebe zur Natur, welche gleichzeitig die Liebe zur Heimat und zum Heim ist und der eigentliche Anfang aller Kultur und Kunst. Mehr als aller Trödlerkram ladet ein solcher Raum den Gast zum behaglichen Verweilen ein, wenngleich seine Geräte, Tisch und Bank nur aus blankem Holze roh gezimmert wären.
Ein Begriff beherrscht die Anschauungen aller Klassen, der die Lebens- und Wohnverhältnisse bis in die tiefsten Schichten der arbeitenden Bevölkerung herab, vergiftet hat, der Begriff: Luxus. Es ist im Vorigen wiederholt dargelegt worden: Luxus, als das schlechthin Überflüssige, und darum eigentlich Schädliche. Das Wort und die Sache, die es deckt, kam eigentlich dadurch auf, daß eine reiche Lebenshaltung auf Kreise übertragen wurde, die keine Bedürfnisse in dem angemessenen [S. 171] Maßstabe besaß, und die sich der übernommenen Dinge nur bedienten, den Anschein von Vornehmheit und Größe zu erwecken. Die Sache ward Mode, und wer sich nicht mit kostbaren Dingen umgeben konnte, begnügte sich mit billigem Kleinkram und den rohen, effekthaschenden Zierraten, die man sogar an der erbärmlichen Trödelware entdecken kann. Dieser uneigentliche »Luxus« brachte die gesunde Anschauung, die auf das rein Zweckliche ausgeht und in deren Erfüllung alle Schönheitsmöglichkeiten liegen, zum Verfall. Die ganze moderne Bewegung bezweckt letztenendes die Wiedererweckung jener gesunden Grundsätze. Die große Menge, die sich zu kalt anstauendem Besuch in unsere Ausstellungen drängt, verharrt in ihrem Heim gewöhnlich in den kulturwidrigsten Verhältnissen und verbarrikadiert sich gegen alle Sanierungsversuche mit dem viel verbreiteten Vorurteil, daß die moderne Einrichtungsfrage sich lediglich auf die Formel zuspitze, »Thu’ nur Geld in Deinen Beutel!« Die große Masse, die sich heute noch aus Oekonomie mit dem vom Trödler, Ratenhändler oder Möbelfabrikanten gelieferten, roh ornamentierten Plunder begnügt, ist nicht zur Einsicht erzogen, daß die solide, zeitgemäße Ausgestaltung des Heimwesens durchaus mit keinem Mehraufwand verbunden sein muß. Der Luxus mag sich dann je nach [S. 172] der Börse und den persönlichen Ansprüchen richten und kann der Hauptsache nach nur in der Verwendung von mehr oder weniger kostbarem Material bestehen. Im Prinzip aber werden alle in den vorigen Kapiteln dargelegten Grundsätze auch für die Arbeiterwohnung gelten müssen und eine Verschiebung nur in Bezug auf größere Schlichtheit und beschränktere Wohnungsräumlichkeiten eintreten können.
Auch die Arbeiterwohnung kann ein Schmuckkästchen sein, was Nettigkeit und Ordnung betrifft, ein trauter Raum, in dem man gerne verweilt, der nicht nur bewohnbar, sondern auch wohnlich ist und dem Kneipen und Tingltanglwesen wirksam entgegenarbeitet. Der Andrang in Kneipen und Tingltangln, die rohe Duzbrüderschaft lassen unfehlbar auf ein zerrüttetes Hauswesen schließen. Soll man also die arme volkreiche Stadt, wo sich die Wohnungen aneinander und übereinander bauen, zahllos wie die Zellen eines Bienenkorbes, wohnlich finden und das Gefühl der Heimatlosigkeit verlieren, so muß von dem Innern der Häuser her, aus den Wohnungen der Eindruck verschwinden, daß fast alle, ob arm oder reich, Fremdlinge im eigenen Heim geworden sind. Nun bilden die erfreulichen Bildungsbestrebungen der modernen intelligenten Arbeiterschaft freilich die sicherste Gewähr [S. 173] dafür, daß sich der Ausbau einer inneren Kultur langsam vollzieht, der sich denn auch nach außen hin in höheren Geschmacksanforderungen da und dort geltend macht. Im Allgemeinen aber sieht es noch ziemlich schlimm aus. Aber auch dem einfachsten Manne, der von diesen geheimen Triebkräften berührt, Aufklärung sucht, wie er es in seiner Wohnung anfangen müsse, kann geholfen werden. Aus den Andeutungen der früheren Kapitel müßte sich eigentlich alles ableiten lassen, was der kleinen Wohnung des Arbeiters oder Handwerkers frommt. Die Wände des Zimmers und der Kammer werden jedenfalls ganz weiß getüncht sein, ein einfaches Fries tragen und jedes Jahr mit wenig Kosten nachgetüncht werden können. Einfaches, helles Zeug hängt als Zuggardine, seitlich aufzuziehen, in schlichten Falten von den Fenstern herab, wo Blumen stehen und dem ganzen Raum eine freundliche Stimmung geben.
Die Möbel sind ganz einfach, aus weichem Holz, gut und sorgfältig gemacht, in geraden Leisten und Brettern zusammengefügt. Reines, einfaches Tischlererzeugnis — ohne Künstelei. Die Farbe kann an solchen Möbeln, wofern sie nur in guten und richtigen Verhältnissen hergestellt, alle Schönheit hervorbringen. Überhaupt müßte die Schönheit des Raumes [S. 174] zum Teil in der farbigen Wirkung gesucht werden. Das weiche Holz läßt sich auf verschiedenartige Weise beizen und man könnte zu dem Weiß der Wände einen graublauen Holzton oder einen dunkelblauen oder kirschroten vorteilhaft verwenden, von zahllosen anderen Abstufungen nicht zu reden. Man vermeide durchaus, irgend ein Zierrat anbringen zu wollen. Schönheit kommt aus der zweckvollen Durchbildung, aus der schönen Proportion der Masse und endlich aus der glücklichen Farbenwirkung. Nur ein paar Haupttöne sollen vorherrschen. Nebst dem Weiß der Wände irgend ein kräftiger farbenfroher Ton an den Möbeln, der auch die einfachsten Stücke bedeutsam macht und den Sinnen näher rückt. Man ahnt für gewöhnlich gar nicht, wie leicht die Sinne auf die farbige Erscheinung reagieren. Weißlackierte Möbel, wie die hier abgebildeten, sind das Kennzeichen einer ganz feinen Kultur. Für billigen und echt künstlerischen Wandschmuck hat der Verlag Teubner und Voigtländer, Leipzig, in vorzüglicher Weise gesorgt.
In allen Städten sind die Künstler am Werke, auch dem kleinen Mann zu geben, was des kleinen Mannes ist. Eine wesentliche Aufgabe aller Jener, die am Ausbau der modernen Kultur betätigt sind, ist es, das Interesse des Volkes auf die Dinge zu lenken, die sein eigenes Wohl betreffen und zur Mitarbeit an diesem Kulturgedanken anzuregen. Jeder kann an der Schönheit der Erde und des Lebens mittun und Kulturarbeit verrichten. Jeder tut es, der sein eigenes Feld wohlbestellt und bei seinem Hause, bei seiner Wohnung, seinem Heim anfängt. Im Sinne dieses Kulturgedankens wolle auch dieses Buch verstanden und als Freund und Führer benützt werden.
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Anmerkungen zur Transkription:
Der vorliegende Text wurde anhand der 1905 erschienenen Buchausgabe erstellt. Satzzeichen wurden stillschweigend korrigiert. Ausdrucksweise und Rechtschreibung sind oft stark regional gefärbt (z.B. ‚färbig‘ für ‚farbig‘, ‚ober‘ für ‚über‘, usw.); in Zweifelsfällen wurde die hochdeutsche Form verwendet. Die Verwendung von ‚ß‘ bzw. ‚ss‘ ist im Original nicht konsequent; dies wurde so belassen, wenn im Text keine vorherrschende Variante festgestellt werden konnte.
Der Name des Architekten Max Benirschke wurde in den Bildunterschriften gelegentlich fälschlicherweise ‚Bernischke‘ geschrieben. Dies wurde im vorliegenden Text korrigiert.
Inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten (z.B. ‚Parvenü‘ und ‚Parvenu‘). Unwesentliche Abweichungen zwischen den Titeln des Inhaltsverzeichnisses und der Kapitelüberschriften bleiben unkorrigiert. Die in der ‚ Druckfehler-Berichtigung ‘ angegebenen Stellen wurden bereits in den Text mit aufgenommen. Desweiteren wurden die folgenden Passagen korrigiert:
Die in gesperrter Schrift gedruckten Passagen werden hier kursiv dargestellt.