The Project Gutenberg eBook of Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782-1785

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Title : Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782-1785

Author : Andreas Streicher

Commentator : Jakob Wychgram

Release date : October 16, 2015 [eBook #50234]

Language : German

Credits : Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHILLERS FLUCHT VON STUTTGART UND AUFENTHALT IN MANNHEIM VON 1782-1785 ***

  

[1]

Anmerkungen zur Transkription

Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet .

Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so ausgezeichnet .

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches .

Schillers Flucht
von Stuttgart

und
Aufenthalt in Mannheim
von 1782–1785

Von
Andreas Streicher

Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen
von
Prof. Dr. J. Wychgram


Leipzig
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.


[2]

Übersetzungsrecht vorbehalten


[3]

Einleitung.

Das Buch, das wir, nachdem es zum ersten- und einzigen Male im Jahre 1836, drei Jahre nach dem Tode seines Verfassers, erschienen war, nun zum Schiller-Jubiläumstag neu in die Welt senden, ist nicht mit Unrecht ein Kleinod unserer Literatur genannt worden. Nicht als ob es schriftstellerische Vorzüge aufweisen könnte. Sein Wert liegt vielmehr einmal in den berichteten Tatsachen, die für die Kenntnis von Schillers Entwicklung von außerordentlichem Werte sind und die uns unbekannt geblieben sein würden, wenn nicht Streicher sie uns erzählt hätte, sodann aber in dem Geist und Sinn, der aus dem Buche spricht. Da die Vorbereitungen zur Flucht aus Stuttgart und ihre Ausführung selbst sehr geheim gehalten werden mußten und da das, was außerhalb des Weichbildes von Mannheim mit Schiller geschah, nur Streicher zum Zeugen hatte, so können wir in der Tat den Wert dieser Aufzeichnungen nicht genug schätzen; aber auch, daß dieser Zeuge gerade Streicher war, ist von der größten Bedeutung. Denn wir haben in diesem Manne, der ja, wie der Leser aus dem Buche selbst erkennen wird, mit einer Art Vergötterung an Schiller hing, einen Berichterstatter, der alle diese aufregenden und abenteuerlichen Erlebnisse mit der größten Einfachheit, ohne subjektive Färbung und mit einem treuen geschichtlichen Sinne uns erzählt. Freilich ist das Buch selber erst geschrieben worden, als Streicher bereits im Greisenalter stand; aber die Ereignisse der Jugend standen ihm, soweit er sie selbst miterlebt hatte, als die denkwürdigsten seines ganzen Lebens vor der Seele, und später erschienene Briefe bezeugen uns, daß Streicher in der gewissenhaftesten Weise überall da, wo entweder sein Gedächtnis ihn nicht mehr sicher beriet oder wo er von Dingen [4] zu erzählen hatte, die er selbst nicht mit angesehen (wie zum Beispiel in dem Berichte über die letzte Begegnung Schillers mit seiner Schwester und seiner Mutter), durch briefliche Erkundigung die Lücke zu ergänzen oder falsche Gerüchte zu berichtigen suchte. Einen solchen Brief teilen Speidel und Wittmann in ihrem vorzüglichen Buche »Bilder aus der Schillerzeit,« S. 26, mit. So kann man sagen, daß die Partien des Streicherschen Buches, die sich mit der Flucht und den auf die Flucht folgenden Ereignissen beschäftigen, durchaus zuverlässig sind und nur in ganz unwesentlichen Einzelheiten, in den Angaben einiger Monatsdaten und ähnlichen Kleinigkeiten, von der späteren Schiller-Forschung berichtigt worden sind.

Streicher hat nun dem Berichte von der Flucht eine kurze Übersicht über Schillers Leben bis 1782 beigegeben; diese Übersicht mußte er nach den damals zugänglichen Quellen abfassen, und sie ist daher, wie wir gleich hier bemerken, nicht in demselben Maße unanfechtbar, wie der eigentliche Kern des Buches. Insbesondere waren Streicher die näheren Umstände, die das Zerwürfnis Schillers mit dem Herzog veranlaßten, nicht bekannt; vermutlich hat Schiller selbst von dem, was an Intrigen gegen ihn und gegen seinen Vater sich abgesponnen hat, nicht alles gewußt. Wir verzichten hier darauf, die Einzelheiten zu berichtigen, da der Leser dazu jede moderne Schillerbiographie benutzen kann; es sei gestattet, auf die betreffenden Abschnitte in der von mir verfaßten Biographie Schillers (4. Auflage, Bielefeld und Leipzig, Velhagen & Klasing; Volksausgabe, ebenda 1904), zu verweisen, wo ein ausführliches Bild gegeben wird. Die Universal-Bibliothek bietet die Schiller-Biographie von Rudolf von Gottschall (Nr. 3879/80), die in gedrängterer Form berichtet.

Andreas Streicher wurde als der Sohn unbemittelter Eltern im Jahre 1761 in Stuttgart geboren; er widmete sich der Tonkunst und sollte bei Emanuel Bach in Hamburg seine Ausbildung als Musiker erhalten. Von der Reise nach Hamburg aber wurde er durch die von ihm selbst erzählten Umstände abgehalten; er [5] blieb vielmehr einige Jahre, mit Schiller und auch noch nach Schiller, in Mannheim, wandte sich dann nach München und ging 1794 nach Wien, wo er als Klavierlehrer eine auch an äußeren Erfolgen reiche Tätigkeit entwickelte. Später hat er in Wien die Pianofortefabrik seiner Frau, einer geborenen Stein aus Augsburg, übernommen und es in dieser Tätigkeit zu erheblichem Wohlstande gebracht. Er starb am 15. Mai 1833. Wie sehr er an dem Jugendfreunde hing, zeigt nicht nur das Buch selber, das er etwa in den Jahren 1828–30 verfaßt hat, sondern dies wird uns auch aus Briefen, die er nach Schillers Tode an dessen Angehörige schrieb, deutlich. Man hat wohl bemerkt, es sei auffallend, daß Schiller selbst später nicht wieder an den aufopferungsfreudigen Freund seiner Jugend geschrieben habe, insbesondere Julian Schmidt hat in seinem Buche »Schiller und seine Zeitgenossen« dieses Befremden ausgedrückt; man ist aber damit im Irrtum gewesen. Wir besitzen noch einen Brief von Schiller, der uns zeigt, wie Schiller in dankbarem Herzen die Erinnerung an Streicher bewahrt hat. Im Jahre 1795 hatte Streicher einem Herrn seiner Bekanntschaft einen Empfehlungsbrief an Schiller mitgeschickt; Schiller antwortete darauf:

»Mein teurer und hochgeschätzter Freund!

Gestern erhielt ich durch Herrn von Bühler Ihren Brief, der mich auf eine sehr angenehme Weise überraschte. Daß Sie mich nach einer zehnjährigen Trennung und in einer so weiten Entfernung noch nicht vergessen haben, daß Sie meiner mit Liebe gedenken und mir ein gleiches gegen Sie zutrauen, rührt mich innig, lieber Freund, und ich kann Ihnen auch von meiner Seite mit Wahrheit gestehen, daß mir die Zeit unseres Zusammenseins und Ihre freundschaftliche Teilnahme an mir, Ihre gefällige Duldung gegen mich und Ihre auf jeder Probe ausharrende Treue in ewig teurem Andenken bleiben wird.

Wie erfreuen Sie mich, lieber Freund, mit der Nachricht, daß es Ihnen wohl geht, daß Sie mit Ihrem Schicksale zufrieden [6] sind und nun auch die Freuden des häuslichen Lebens genießen. Diese sind mir schon seit sechs Jahren zu teil geworden, und ich könnte, im Besitze eines hoffnungsvollen Knaben, sowie in meiner unabhängigen äußeren Lage ein ganz glücklicher Mensch sein, wenn ich aus dem Sturme, der mich so lange herumgetrieben, meine Gesundheit gerettet hätte. Indessen macht ein heiteres Gemüt und der angenehme Wechsel der Beschäftigung mich diesen Verlust noch ziemlich vergessen, und ich finde mich in mein Schicksal.

Eben dieser Zustand meiner Gesundheit läßt mich nicht daran denken, eine Reise zu unternehmen, und raubt mir also die Freude, Ihre freundschaftliche Einladung anzunehmen. Aber was mir unmöglich ist, können Sie vielleicht ausführen, und um so eher, da ein Tonkünstler überall zu Hause ist und selbst auf Reisen die Zeit nicht verliert. Daß mir Ihre Erscheinung in Jena unbeschreiblich viele Freude machen würde, bedarf keiner Versicherung, und daß auch Sie nicht unzufrieden sein sollen, dafür, glaube ich, gutsagen zu können. Ich könnte Ihnen wenigstens dafür stehen, daß Sie in Weimar, wo man Musik zu schätzen weiß, eine sehr erwünschte Aufnahme finden sollten.

Ihr aufrichtig ergebener

Schiller.

Jena, den 9. Oktober 95.

An Herrn Andreas Streicher, Tonkünstler in Wien.«

Man sieht aus diesem Briefe, daß Schiller, wenn auch keine häufigeren Anlässe zu lebhafterem Briefwechsel mit seinem Jugendfreunde vorlagen, ihn doch in dankbarer Erinnerung bewahrte. Folgende beiden Briefe mögen noch dem Leser zeigen, mit welcher Wärme Andreas Streicher spät nach Schillers Tode für die Pflege von dessen Andenken gesorgt hat. Der erste dieser Briefe ist am 30. August 1826 an Schillers einzige überlebende Schwester Christophine, die verwitwete Hofrätin Reinwald in Meiningen, [7] gerichtet, der andere am 29. April 1829 an Schillers bekannten Freund Körner. Die Briefe lauten folgendermaßen:

I.

»Wohlgeborne Frau!

Seit dem Tode Ihres herrlichen Bruders sind einundzwanzig Jahre verflossen, und noch ist er nicht begraben, sondern sein Sarg steht in Weimar in dem Gewölbe einer Sterbkassen-Gesellschaft unter dreißig bis vierzig andern versteckt, so daß es unmöglich ist, zu ihm zu gelangen oder ihn nur zu sehen.

Man sagt, daß diese ungeheure Vernachlässigung die Schuld der Witwe sei.

Als ich im Jahre 1820 die erste Nachricht hierüber in der »Allgemeinen Zeitung« las, schrieb ich sogleich nach Weimar und erkundigte mich um die Wahrheit derselben. Leider wurde solche bestätigt und die Vermutung geäußert, daß wohl der Vermögenszustand der Schillerschen Familie einige Schuld daran haben könne. Sogleich entschloß ich mich, eine kleine von mir verfaßte Schrift: »Schillers Flucht von Stuttgart und sein Aufenthalt in Mannheim von 1782 bis 1785,« die erst nach meinem Tode erscheinen sollte, jetzt schon, und zwar zu dem Zwecke herauszugeben, damit für den eingehenden Betrag Schiller ein ordentliches Grabmal errichtet werden könnte.

Mancherlei Schwierigkeiten, die ich nicht beseitigen konnte und deren Aufzählung zu weitläufig sein würde, brachten diese Sache ins Stocken, bis endlich bei der Austeilung des neuen Kirchhofs in Weimar sich Frau von Schiller entschloß, eine Familiengruft zu wählen, und nur noch ihre Rückkehr von Köln erwartet wurde, um eine vollkommene Entscheidung herbeizuführen. Allein ein Schlagfluß überraschte sie in Bonn, wohin sie sich wegen einer Augenoperation begeben hatte, und brachte diese Sache insoferne wieder aufs neue zum Stillstande, als man sich deshalb nun an den ältesten Sohn in Köln wenden mußte. An diesen habe ich nun geschrieben, und es läßt sich erwarten, daß er die Pflicht [8] des Sohnes erfüllen und das Murren aller Reisenden, sowie die in so vielen Zeitschriften darüber erhobenen Klagen stillen wird.

Ich habe Herrn von Schiller auch zugleich um genaue Nachrichten in betreff der letzten Lebensjahre seines Vaters ersucht, welche in den Schriften von Körner, H. Döring und andern entweder ganz übergangen oder unrichtig angegeben sind, indem mir daran liegt, daß meine Schrift als (wenigstens kleines) Ganzes sich darstelle. Da aber die Angaben über seine Eltern, über seine ersten Jugendjahre gar zu karg aufgeführt sind, und solche weder in der Zeitfolge noch in der Sache selbst zusammenpassen, so legt man diese Schriften desto unbefriedigter weg, je gespannter man auf alle Nachrichten ist, welche diese merkwürdige Familie betreffen.

Von dieser Periode lassen sich nun nur noch von Ihnen, wohlgeborne Frau, die allerzuverlässigsten Nachrichten erwarten, indem Sie der einzige noch lebende Zeuge derselben sind. Ich nehme mir daher die Freiheit, Ihnen einige Fragen vorzulegen, welche diesen Zeitraum betreffen, mit der Bitte, selbige einiger Aufmerksamkeit würdigen und mir gefälligst beantworten zu wollen. Da ich meine Absicht, warum ich alles dahin Gehörige zu wissen wünsche, deutlich ausgesprochen, so darf ich nicht fürchten, daß Sie diese Fragen als aus bloßer Neugierde oder aus einer unedlen Ursache gestellt ansehen werden, sondern habe gegründete Ursache, zu hoffen, daß Sie dem Jugendfreunde und Leidensgefährten Ihres Bruders sein Verlangen um so weniger versagen werden, weil dieses nur zur Verherrlichung des Verewigten gereichen solle. Da aber die Schrift schon in einigen Monaten in Druck gegeben werden muß – da erst, wenn dieser schon im Gange ist, die Unterzeichnung darauf öffentlich angekündigt werden kann – da auch nur alsdann erst zur Erbauung eines ordentlichen, würdigen Grabmals geschritten wird, wenn man der Kostendeckung versichert ist – da meine Geschäfte mir nur sehr wenig Zeit zur Vollendung dieser Schrift gestatten, und da mein Alter, sowie meine Gesundheit es nicht ratsam machen, [9] diese Angelegenheit noch länger als bis zum 9. Mai 1827 zu erstrecken, so muß ich den dringenden Wunsch beifügen, daß Sie die Güte haben und mir Ihre Antwort sobald als möglich übermachen wollen. Keine Ihrer Nachrichten soll für mein Eigentum abgegeben, sondern dankbar dem Publikum die Quelle genannt werden, aus welcher mir solche zugeflossen.

Es sind nun volle dreiundvierzig Jahre, daß mir nicht mehr vergönnt ward, Sie zu sehen, und nur meine lebhafte Erinnerung an Sie, sowie an Ihr ganzes Haus, kann mir einige Schadloshaltung für dieses Glück gewähren.

Mein innigster Wunsch ist, daß dieser Brief Sie, sowie Ihren Herrn Gemahl in bestem Wohlsein treffe, und daß von diesem durch eine gefällige Antwort recht bald die Überzeugung erhalte, wohlgeborne Frau, Ihr hochachtungsvoll ergebenster Diener

Andreas Streicher, Tonkünstler.

Wien, am 30. August 1826.«

II.

»Das Werk erscheint gegen Unterzeichnung, und der reine Ertrag desselben, wenn er sich auf 20 000 Gulden beläuft, soll erstens dazu verwendet werden, um eine Stiftung zu gründen, damit alle zehn Jahre die Interessen dieses Kapitals demjenigen (oder dessen Erben) eingehändigt werden, der während dieser Zeit das beste Schauspiel, Drama oder Trauerspiel, dessen Inhalt aus der deutschen Geschichte genommen sein muß, gedichtet hat. Zweitens, da aber die 10 000 Gulden Interessen des Kapitals in zehn Jahren wieder 2500 Gulden abwerfen, so werden diese demjenigen Schriftsteller als Preis zugeteilt, der in diesem Zeitraume das beste Werk für die Jugend oder das Volk in dem Sinne geschrieben, wie es Schiller in der Rezension von Bürgers Gedichten in den Worten: »Welches Unternehmen usw. [10] bis: würden sie endlich selbst von der Vernunft abfordern,« angedeutet hat. Diese Preise würden einmal in Stuttgart, als der Hauptstadt von des Dichters Vaterland, das andere Mal in Weimar, wo er Unterstützung fand und starb, und das dritte Mal in Wien, wo seine hohe, gemütvolle Dichtung noch am meisten gewürdigt und empfunden wird, öffentlich und feierlich erteilt werden. Jeder der genannten Orte würde drei Schiedsrichter ernennen, welche die des Preises würdigsten Stücke bezeichnen würden.

Dies ist das Hauptsächlichste von dem, was ich mir hierüber ausgedacht und auch Herrn Ernst von Schiller mitgeteilt habe. Dieser aber erwidert mir, daß ich durch Ausführung dieses Vorsatzes dem Verkaufe der sämtlichen Werke seines Vaters bedeutenden Schaden zufügen und vielleicht das ganze Unternehmen gefährden würde. Allein ich habe Freiherrn von Cotta diesen Plan voriges Jahr mündlich mitgeteilt und weder damals, noch seit jener Zeit irgend einen Widerstand von ihm erfahren. Auch scheint die abgesonderte Herausgabe des Briefwechsels von Goethe und Schiller darauf hinzudeuten, daß vorerst alles bisher noch Unbekannte von Schiller einzeln herausgegeben und dann erst in späterer Zeit eine ganz vollständige Ausgabe seiner Werke veranstaltet werden solle.

Da ich nun den Zweck der Herausgabe von Nachrichten über unsern Dichter genau und wahr angegeben: da alles, was darauf Beziehung hat, gänzlich von einer Nebenabsicht frei und rein ist, da nichts anderes dadurch erreicht werden soll, als daß seine schwere Laufbahn die eines nicht unwürdigen Nachfolgers erleichtern solle; da es auch nicht gleichgültig ist, das Volk, für das er lebte und schrieb, nicht nur zu einer dauernden Anerkennung seines außerordentlichen Geistes aufzufordern, sondern damit auch zugleich der Dichtkunst einen Rang anzuweisen, den sie schon lange bei andern Nationen, aber leider bei den hadersüchtigen, nur nach Geld und Titeln strebenden Deutschen bisher nicht hatte; da eine genaue Schilderung seines Lebens, [11] seines himmlischen Gemütes, der Tiefe und Fülle seiner Empfindung nur von denen getreu dargestellt und erwartet werden kann, die ihn im Glück und Unglück handeln sahen – so werden Sie dieses Schreiben sowohl als auch die Fragen mit Nachsicht aufnehmen und nicht kalt zurückweisen.«

* * *

Streicher ist durch Christophine und auch aus seinen anderen Quellen nicht immer ganz richtig unterrichtet worden; es sind in dem Originaldruck eine Reihe von Versehen. Diese sind in unserem Neudruck entweder ohne weiteres korrigiert oder aber durch Fußnoten kenntlich gemacht worden.

Im übrigen verweisen wir auf Streichers Büchlein selber; es mag durch sich und für sich sprechen.

Berlin, im Februar 1905.

J. Wychgram.


[13]

Vorrede
der Hinterbliebenen Streichers zur Ausgabe von 1836.

Der Verfasser des nachstehenden Werkchens, Andreas Streicher, lebt nicht mehr. Zu den schönsten Erinnerungen seines reich beschäftigten Lebens gehörten die Tage, die er in Schillers Nähe zugebracht hatte, dessen Andenken er mit liebender Begeisterung, mit schwärmerischer Verehrung bewahrte. Er hatte den edlen Dichterjüngling im Unglücke gesehen, im Kampfe mit feindlichen Verhältnissen, und treu und aufopfernd an ihm festgehalten. Und gerade jenen Zeitraum, so wichtig für die Darstellung von Schillers Charakter, als er es für die Entwicklung desselben und seiner äußern Lage gewesen, fand der Verfasser in allen Biographien des Verewigten fast nur erwähnt, nur kurz und unvollständig behandelt. Er wußte, daß wenige der Überlebenden in dem Falle waren, so richtig und ausführlich darüber zu berichten als er, und es drängte ihn, die Feder zu ergreifen, um das Seinige zur Charakteristik des für Deutschland und die Menschheit denkwürdigen Mannes beizutragen. In weit vorgerückten Jahren begann er mit der strengsten Wahrhaftigkeit und sorgsamer, gewissenhafter Liebe die folgenden Mitteilungen auszuarbeiten. Diese Sorgfalt bewog ihn, immer noch daran zu bessern; diese Liebe machte, daß er zuletzt auch Materialien über spätere Lebensabschnitte seines Jugendfreundes sammelte, und über dem Sammeln, Sichten, Ordnen – ereilte ihn der Tod.

Er hatte sich oft und gern mit Entwürfen in Hinsicht auf die Verwendung des Ertrages seiner Schrift zu einer [14] passenden Stiftung, einem Dichterpreis, irgend einem gemeinnützigen Zwecke beschäftigt. Seine Hinterbliebenen halten es für ihre Pflicht gegen ihn und das Publikum, die Herausgabe des Werkes zu besorgen, an welcher den Erblasser selbst ein unerwartetes Ende hinderte. Überzeugt, ganz in seinem Sinne zu handeln, legen sie das Honorar, welches die Verlagshandlung ihnen dafür zugesagt, als Beitrag zu dem Denkmale Schillers, auf den Altar des Vaterlandes nieder.

Sie geben das Werk, wie sie es in Reinschrift in seinem Nachlasse fanden.

Sie befürchten nicht, daß der Titel »Flucht« auch nur einen leisen Schatten auf das Andenken oder den Namen Schillers werfen dürfte, da es allbekannt ist, wie dessen Entfernung von Stuttgart keineswegs Folge irgend eines Fehltrittes war, sondern ganz gleich der Flucht seines »Pegasus,« der mit der Kraft der Verzweiflung das Joch bricht, um ungehemmten Fluges himmelan zu steigen.

Wie an dem Titel, so glauben sie auch an dem Inhalte, ja selbst an dem Stile nichts willkürlich ändern zu dürfen, um das Eigentümliche nicht zu verwischen, woran man den Zeitgenossen der frühesten Periode und den Landsmann unsers gefeierten Dichters erkennen mag. Der Verfasser war Musiker, nicht Schriftsteller, und was ihm die Feder in die Hand gegeben, nur seine glühende Verehrung Schillers und der frohe und gerechte Stolz, ihm einst nahe gestanden zu sein.

Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, den sie festzuhalten bitten, wird seine Leistung nachsichtige Beurteiler in den geneigten Lesern finden.


[15]

Schillers Flucht von Stuttgart
und
Aufenthalt in Mannheim von 1782–1785.

Johann Kaspar Schiller, geboren 1723, war der Vater unseres Dichters und ein Mann von sehr vielen Fähigkeiten, die er auf die beste, würdigste Weise verwendete, und die sowohl von seiner Umgebung als auch von seinem Fürsten auf das vollständigste anerkannt wurden.

In seiner Jugend wählte er zum Beruf die Wundarzneikunde und ging, nachdem er sich hierin ausgebildet, in seinem zweiundzwanzigsten Jahre mit einem bayrischen Husarenregiment nach den Niederlanden, von wo er, nach geschlossenem Frieden, in sein Vaterland Württemberg zurückkehrte und sich 1749 zu Marbach, dem Geburtsorte seiner Gattin, verheiratete. Dem höher strebenden und mehr als zu seinem Fache damals nötig war, ausgebildeten Geiste dieses Mannes konnte aber der kleine, enge Kreis, in dem er sich jetzt bewegen mußte, um so weniger zusagen, als er durchaus nichts Erfreuliches für die Zukunft erwarten ließ, und er auch bei früheren Gelegenheiten, wo er gegen den Feind als Anführer in den Vorpostengefechten diente, Kräfte in sich hatte kennen lernen, deren Gebrauch ihm edler sowie für sich und seine Familie nützlicher schien als dasjenige, was er bisher zu seinem Geschäft gemacht hatte. Er verließ daher bei dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, an welchem der Herzog gegen Preußen teilnahm, die Wundarzneikunde [16] gänzlich, suchte eine militärische Anstellung und erhielt solche 1757 als Fähnrich und Adjutant bei dem Regiment Prinz Louis um so leichter, da er schon früher den Ruhm eines tapfern Soldaten und umsichtigen Anführers sich erworben hatte.

So lange als das württembergische Korps im Felde stand, machte er diesen Krieg mit, benutzte aber die Zeit der Winterquartiere, um mit Urlaub nach Hause zu kehren, und war im November 1759 bei der Geburt seines Sohnes, der auch der einzige blieb, gegenwärtig. Nach geschlossenem Frieden wurde er in dem schwäbischen Grenzstädtchen Lorch als Werboffizier mit Hauptmannsrang angestellt, bekam aber, sowie die zwei Unteroffiziere, die ihm beigegeben waren, während drei ganzer Jahre nicht den mindesten Sold, sondern mußte diese ganze Zeit über sein Vermögen im Dienste seines Fürsten zusetzen. Erst als er dem Herzog eine nachdrückliche Vorstellung einreichte, daß er auf diese Art unmöglich länger als ehrlicher Mann bestehen oder auf seinem Posten bleiben könne, wurde er abgerufen und in der Garnison von Ludwigsburg angestellt, wo er dann später seinen rückständigen Sold in Terminen nach und nach erhielt. Sowohl während der langen Dauer des Krieges als auch in seinem ruhigen Aufenthalte zu Lorch war sein lebhafter, beobachtender Geist immer beschäftigt, neue Kenntnisse zu erwerben und diejenigen, welche ihn besonders anzogen, zu erweitern. Den Blick unausgesetzt auf das Nützliche, Zweckmäßige gerichtet, war ihm schon darum Botanik am liebsten, weil ihre richtige Anwendung dem Einzelnen, sowie ganzen Staaten Vorteile verschafft, die nicht hoch genug gewürdigt werden können. Da zu damaliger Zeit die Baumzucht kaum die ersten Grade ihrer jetzigen, hohen Kultur erreicht hatte, so verwendete er auf diese seine besondere Aufmerksamkeit und legte in Ludwigsburg eine Baumschule an, welche so guten Erfolg hatte, daß der Herzog – gerade damals mit dem Bau eines Lustschlosses beschäftigt – ihm 1775 die Oberaufsicht über [17] alle herzustellenden Gartenanlagen und Baumpflanzungen übertrug.

Hier hatte er nun Gelegenheit nicht nur alles, was er wußte und versuchen wollte, im großen anzuwenden, sondern auch seine Ordnungsliebe und Menschenfreundlichkeit auf das wirksamste zu beweisen. Um seine Erfahrungen in der Baumzucht, welche nach der Absicht seines Fürsten für ganz Württemberg als Regel dienen sollten, auch dem Auslande nutzbringend zu machen, sammelte er solche in einem kleinen Werke: Die Baumzucht im großen, wovon die erste Auflage zu Neustrelitz 1795 und die zweite 1806 zu Gießen erschien.

Auch außer seinem Berufe war die Tätigkeit dieses seltenen Mannes ganz außerordentlich. Sein Geist rastete nie, stand nie still, sondern suchte immer vorwärts zu schreiten. Er schrieb Aufsätze über ganz verschiedene Gegenstände und beschäftigte sich sehr gern mit der Dichtkunst – zu welcher er eine natürliche Anlage hatte.

Es ist nicht wenig zu bedauern, daß von seinen vielen Schriften und Gedichten weiter nichts als obiges Werkchen unter die Augen der Welt kam; wäre es auch nur, um einigermaßen beurteilen zu können, wie viel der Sohn im Talent zum Dichter und Schriftsteller vom Vater als Erbteil erhalten habe. Der Herzog, der ihm endlich den Rang als Major erteilte, schätzte ihn sehr hoch; seine Untergebenen, die in großer Anzahl aus den verschiedensten Menschen bestanden, liebten ihn ebenso wegen seiner Unparteilichkeit, als sie seine strenge Handhabung der Ordnung fürchteten; Gattin und Kinder bewiesen durch Hochachtung und herzlichste Zuneigung, wie sehr sie ihn verehrten.

Von Person war er nicht groß. Der Körper war untersetzt, aber sehr gut geformt. Besonders schön war seine hohe, gewölbte Stirn, die durch sehr lebhafte Augen beseelt, den klugen, gewandten, umsichtigen Mann erraten ließ. Nachdem er seine heißesten Wünsche für das Glück und den Ruhm [18] seines einzigen Sohnes erfüllt gesehen und den ersten Enkel seines Namens auf den Armen gewiegt hatte, starb er 1796 im Alter von 73 Jahren an den Folgen eines vernachlässigten Katarrhs nach achtmonatlichen Leiden in den Armen seiner Gattin und der ältesten Tochter, die von Meiningen herbeigeeilt war, um mit der Mutter die Pflege des Vaters zu teilen, zugleich auch die schwere Zeit des damaligen Krieges und ansteckender Krankheiten ihnen übertragen zu helfen.

Die Mutter des Dichters, Elisabetha Dorothea Kodweiß, war aus einem alt-adligen Geschlecht entsprossen, das sich von Kattwitz nannte und durch unglückliche Zeitumstände Ansehen und Reichtum verloren hatte. Ihr Vater, der schon den Namen Kodweiß angenommen, war Holzinspektor zu Marbach. Eine fürchterliche Überschwemmung beraubte ihn dort seines ganzen Vermögens. Aus Not griff er nun, um seine Familie nicht darben zu lassen, zu gewerblichen Mitteln, bei welchen er jedoch nichts vernachlässigte, was die Bildung des Herzens und Geistes seiner Kinder befördern konnte.

Diese edle Frau war groß, schlank und wohlgebaut; ihre Haare waren sehr blond, beinahe rot; die Augen etwas kränklich. Ihr Gesicht war von Wohlwollen, Sanftmut und tiefer Empfindung belebt, die breite Stirne kündigte eine kluge, denkende Frau an. Sie war eine vortreffliche Gattin und Mutter, die ihre Kinder auf das zärtlichste liebte, sie mit größter Sorgfalt erzog, besonders aber auf ihre religiöse Bildung, so früh als es rätlich war, durch Vorlesen und Erklären des Neuen Testaments einzuwirken suchte.

Gute Bücher liebte sie leidenschaftlich, zog aber – was jede Mutter tun sollte – Naturgeschichte, Lebensbeschreibungen berühmter Männer, passende Gedichte sowie geistliche Lieder allen andern vor. Auf den Spaziergängen leitete sie die Aufmerksamkeit der zarten Gemüter auf die Wunder der Schöpfung, die Größe, Güte und Allmacht ihres Urhebers. Dabei wußte sie ihren Reden so viel Überzeugendes, so viel Gehalt und Würde einzuflechten, daß es ihnen in [19] späten Jahren noch unvergeßlich blieb. Ihre häusliche Lage war bei dem geringen Einkommen ihres Gatten sehr beschränkt, und es erforderte die aufmerksamste Sparsamkeit, sechs Kinder standesgemäß zu erhalten und sie in allem Notwendigen unterrichten zu lassen.

Die allgemeine Lebensart und Sitte, welche damals in Württemberg herrschte, erleichterte jedoch eine gute Erziehung um so mehr, als eine Abweichung von Sparsamkeit, Ordnungsliebe, Rechtschaffenheit sowie der aufrichtigsten Verehrung Gottes als ein großer Fehler angesehen und scharf getadelt worden wäre. Die Begriffe von Redlichkeit, Aufopferung, Uneigennützigkeit suchte man damals jedem Kinde in das Herz zu prägen. In der Schule wie zu Hause wurde auf die Ausübung dieser Tugenden ein wachsames Auge gehalten. Die Vorbereitungen zur Ablegung des Glaubensbekenntnisses waren größtenteils Prüfungen des vergangenen Lebens sowie eindringende Ermahnungen, daß alles Tun und Lassen Gott und den Menschen gefällig einzurichten sei.

Ein nicht unbedeutender Teil der Bewohner Württembergs, zu welchem sich aus allen Ständen Mitglieder gesellten, konnte sich aber an derjenigen Religionsübung, welche in der Kirche gehalten wurde, nicht begnügen, sondern schloß noch besondere Vereinigungen, um die innerliche, geistige Ausbildung zu befördern, und den äußern Menschen der Stimme des Gewissens ganz untertänig zu machen, damit dadurch hier schon die höchste Ruhe des Gemüts und ein Vorgeschmack dessen erlangt würde, was das Neue Testament seinen mutigen Bekennern im künftigen Leben verspricht. Aber es war keine müßige, innere Anschauung, welcher diese Frommen sich hingaben, sondern sie suchten auch ihre Reden und Handlungen ebenso tadellos zu zeigen, als es ihre Gedanken und Empfindungen waren.

Konnten auch die weltlicher Gesinnten einer so strengen Übung der Religion und Selbstbeherrschung sich nicht unterwerfen, so hatten sie doch nachahmungswürdige Vorbilder [20] unter Augen, vor welchen sie sich scheuen mußten, die rohe Natur vorwalten zu lassen oder etwas zu tun, was einen zu scharfen Abstand gegen das Sein und Handeln der Frömmern gemacht hätte. Für das Allgemeine hatten diese abgeschlossenen, stillen Gesellschaften die gute Folge, daß der württembergische Volkscharakter als ein Muster von Treue, Redlichkeit, Fleiß und deutscher Offenheit gepriesen wurde, und Ausnahmen davon unter die Seltenheiten gezählt werden durften.

In diesem Lande, unter solchen Menschen lebten die Eltern unseres Dichters, und nach solchen frommen Grundsätzen erzogen sie auch ihre Kinder. Die Eindrücke dieser tief wirkenden Leitung konnten nie erlöschen; sie begleiteten die Kinder durch das ganze Leben, ermutigten in den schwersten Prüfungen die Töchter und sprechen sich mit der höchsten Wärme in den meisten Werken des Sohnes aus.

Auch diese gute, geliebte Mutter erlebte noch den ersehnten Augenblick, ihren einzigen Sohn und Liebling als glücklichen Gatten und Vater, mit errungenem Ruhm gekrönt, im Vaterlande selbst umarmen zu können.

Ein sanfter Tod entriß sie den Ihrigen im Jahr 1802. Ihre Ehe, die ersten acht Jahre unfruchtbar, ward endlich durch sechs Kinder beglückt, von denen gegenwärtig nur noch Dorothea Luise Schiller, geboren 1766, an den Stadtpfarrer Frankh zu Möckmühl im Württembergischen verheiratet, und Elisabetha Christophina Friederika Schiller, geboren 1757, Witwe des verstorbenen Bibliothekars und Hofrats Reinwald zu Meiningen, am Leben sind. Die jüngste Schwester, Nannette, geboren 1777, verschied infolge eines ansteckenden Nervenfiebers, das durch ein auf der Solitüde anwesendes Feldlazarett verbreitet wurde, in ihrer schönsten Blüte schon im achtzehnten Jahre. Zwei andere Kinder starben bald nach der Geburt.

Dem Bruder an Gestalt, Geist und Gemüt am ähnlichsten ist die edle Reinwald, zu welchen Eigenschaften sich noch [21] eine Handschrift gesellt, welche der des Dichters so ähnlich ist, daß man sie davon kaum unterscheiden kann.

Den frommen Gefühlen der Jugend getreu, konnte sie, auch als kinderlose Witwe, am 16. September 1826 dem Verfasser schreiben: »Aber ich stehe doch nicht allein, überall umgibt mein Alter der Freundschaft und Liebe sanftes Band, und Gott schenkt mir in meinem neunundsechzigsten Lebensjahr noch den völligen Gebrauch meiner Sinne und eine Heiterkeit der Seele, die gewöhnlich nur die Jugend beglückt. So sehe ich mit Zufriedenheit meinem Ziel entgegen, das mich in einer bessern Welt mit den Geliebten, die vorangingen, wieder vereinigt.«

Unser Dichter, Johann Christoph Friedrich Schiller, wurde am 10. November 1759 zu Marbach, einem württembergischen Städtchen am Neckar, geboren. Obwohl Marbach damals nicht der Wohnort seiner Eltern war, so hatte sich dennoch seine Mutter dahin begeben, um in ihrem Geburtsort, in der Mitte von Verwandten und Freunden das Wochenbett zu halten.

Über die ersten Kinderjahre Schillers läßt sich mit Zuverlässigkeit nichts weiter angeben, als daß seine Erziehung mit größter Liebe und Aufmerksamkeit besorgt wurde, indem er sehr zart und schwächlich schien.

Erst von dem Jahr 1765 an werden die Nachrichten bestimmter und verbürgen, daß der Knabe seinen ersten Unterricht im Lesen, Schreiben, Lateinischen und Griechischen von dem Pastor Moser mit dessen Söhnen zugleich in Lorch, einem schwäbischen Grenzstädtchen, erhielt, wohin sein Vater, wie oben erwähnt, als Werboffizier versetzt ward.

Damals schon, im Alter von sechs bis sieben Jahren, hatte er ein sehr tiefes religiöses Gefühl sowie eine sich täglich aussprechende Neigung zum geistlichen Stande. Sowie ihn eine ernste Vorstellung, ein frommer Gedanke ergriff, versammelte er seine Geschwister und Gespielen um [22] sich her, legte eine schwarze Schürze als Kirchenrock um, stieg auf einen Stuhl und hielt eine Predigt, deren Inhalt eine Begebenheit, die sich zugetragen, ein geistliches Lied oder ein Spruch war, worüber er eine Auslegung machte. Alle mußten mit größter Ruhe und Stille zuhören; denn wie er den geringsten Mangel an Aufmerksamkeit oder Andacht bei der kleinen Gemeinde wahrnahm, wurde er sehr heftig und verwandelte sein anfängliches Thema in eine Strafpredigt.

So voll Begeisterung, Kraft und Mut diese Reden auch waren, so zeigte in den häuslichen Verhältnissen sein Charakter dennoch nichts von jener Heftigkeit, Eigensinn oder Begehrlichkeit, welche die meisten talentvollen Knaben so lästig machen, sondern war lauter Freundschaft, Sanftmut und Güte.

Gegen seine Mutter bewies er die reinste Anhänglichkeit sowie gegen die Schwestern die wohlwollendste Verträglichkeit und Liebe, welche von allen auf das herzlichste, besonders tätig aber von der ältesten (der noch lebenden Fr. Hofr. Reinwald) erwidert wurde, die öfters, obwohl sie unschuldig war, die harten Strafen des Vaters mit dem Bruder teilte.

Obwohl ihn der Vater sehr liebte, so war er doch wegen eines Fehlers, durch den die sparsamen Eltern oft nicht wenig in Verlegenheit gesetzt wurden, hart und strenge gegen ihn. Der Sohn hatte nämlich denselben unwiderstehlichen Hang, hilfreich zu sein, welchen er später in Wilhelm Tell mit den wenigen Worten: »Ich hab' getan, was ich nicht lassen konnte,« so treffend schildert.

Nicht nur verschenkte er an seine Kameraden dasjenige, über was er frei verfügen konnte, sondern er gab auch den ärmeren Bücher, Kleidungsstücke, ja sogar von seinem Bette.

Hierin war die älteste Schwester, die gleichen Hang hatte, seine Vertraute, und über diese, da sie, um den jüngern [23] Bruder zu schützen, sich als Mitschuldige bekannte, ergingen nun gleichfalls Strafworte und sehr fühlbare Züchtigungen.

Da die Mutter sehr sanft war, so ersannen die beiden Geschwister ein Mittel, der Strenge des Vaters zu entgehen. Hatten sie so gefehlt, daß sie Schläge befürchten mußten, so gingen sie zur Mutter, bekannten ihr Vergehen und baten, daß sie die Strafe an ihnen vollziehe, damit der Vater im Zorne nicht zu hart mit ihnen verfahren möchte.

So scharf aber auch öfters die zu große Freigebigkeit des Sohnes von dem Vater geahndet wurde, so wenig verkannte dieser dennoch die übrigen seltenen Eigenschaften des Knaben. Er liebte ihn nicht nur wegen seiner Begierde, etwas zu lernen, und wegen der Fähigkeit, das Erlernte zu behalten, sondern besonders auch wegen seines biegsamen, zartfühlenden Gemütes.

Da sich bei dem Sohne die Neigung zum geistlichen Stande so auffallend und anhaltend aussprach, so war ihm der Vater um so weniger hierin entgegen, da dieser Stand in Württemberg sehr hoch geschätzt wurde, auch viele seiner Stellen ebenso ehrenvoll als einträglich waren.

Als die Familie 1766 nach Ludwigsburg ziehen mußte, wurde der junge Schiller sogleich in die Vorbereitungsschulen geschickt, wo er neben dem Lateinischen und Griechischen auch Hebräisch – als zu dem gewählten Beruf unerläßlich – erlernen mußte.

In den Jahren 1769–72 war er viermal in Stuttgart, um sich in den vorläufigen Kenntnissen zur Theologie prüfen zu lassen, und bestand jederzeit sehr gut. Sein Fleiß konnte nur wenige Zeit durch körperliche Schwäche, welche durch das schnelle Wachsen veranlaßt wurde, unterbrochen werden; denn wie seine Gesundheit kräftiger wurde, brachte er das Versäumte mit solchem Eifer ein und lag so anhaltend über seinen Büchern, daß ihm der Lehrer befehlen [24] mußte, hierin Maß zu halten, indem er sonst an Geist und Körper Schaden leiden würde. Teilnehmend, wohlwollend und gefällig für die Wünsche seiner Mitschüler, konnte er sich den jugendlichen Spielen leicht hingeben und in Gesellschaft das mitmachen, was er allein wohl unterlassen hätte. Bei einer solchen Gelegenheit, kurz vor dem Zeitpunkt, wo er in der Kirche sein Glaubensbekenntnis öffentlich ablegen sollte, sah ihn einst die fromme Mutter, und ihre Vorwürfe über seinen Mutwillen machten so vielen Eindruck auf ihn, daß er noch vor der Konfirmation seine Empfindungen zum erstenmal in Gedichten aussprach, die religiösen Inhalts waren.

Je näher die Zeit heranrückte, in welcher er in eines der Vorbereitungsinstitute aufgenommen werden sollte, welche Jünglingen, noch ehe sie die Universität beziehen konnten, gewidmet waren, mit um so größerm Eifer ergab er sich nun seinen Studien.

Ohne Zweifel würde die Welt an Schillern einen Theologen erhalten haben, der durch bilderreiche Beredsamkeit, eingreifende Sprache, Tiefe der Philosophie und deren richtige Anwendung auf die Religion Epoche gemacht und alles Bisherige übertroffen haben würde, wenn nicht seine Laufbahn gewaltsam unterbrochen und er zum Erlernen von Wissenschaften genötigt worden wäre, für die er entweder gar keinen Sinn hatte oder denen er nur durch die höchste Selbstüberwindung einigen Geschmack abgewinnen konnte.

Der Herzog von Württemberg hatte nämlich schon im Jahr 1770 auf seinem Lustschlosse Solitüde eine militärische Pflanzschule errichtet, die so guten Fortgang hatte, daß die Lehrgegenstände, welche anfänglich nur auf die schönen Künste beschränkt waren, bei anwachsender Zahl der Zöglinge auch auf die Wissenschaften ausgedehnt wurden.

Um die fähigsten jungen Leute kennen zu lernen, wurde von Zeit zu Zeit bei den Lehrern Nachfrage gehalten, und [25] diese empfahlen 1772 unter andern guten Schülern auch den Sohn des Hauptmanns Schiller als den vorzüglichsten von allen. Sogleich machte der Herzog dem Vater den Antrag, seinen Sohn in die Pflanzschule aufzunehmen, auf fürstliche Kosten unterrichten und in allem freihalten lassen zu wollen.

Dieses großmütige Anerbieten, das manchem so willkommen war, verursachte aber in der ganzen Schillerschen Familie die größte Bestürzung, indem es nicht nur den so oft besprochenen Plan aller vereitelte, sondern auch dem Sohn jede Hoffnung raubte, sich als Redner, als Schriftsteller und geistlicher Dichter einst auszeichnen zu können.

Weil jedoch damals für die Theologie in dieser Anstalt noch kein Lehrstuhl war, auch der junge Schiller schon alle Vorbereitungsstudien für diesen Stand gemacht hatte, so versuchte der Vater diese Gnade durch eine freimütige Vorstellung abzuwenden, die auch so guten Erfolg hatte, daß der Herzog selbst erklärte, auf diese Art könne er in der Akademie ihn nicht versorgen. Einige Zeitlang schien der Fürst den jungen Schiller vergessen zu haben. Aber ganz unvermutet stellte er noch zweimal an den Vater das Begehren, seinen Sohn in die Akademie zu geben, wo ihm die Wahl des Studiums freigelassen würde und er ihn bei seinem Austritt besser versorgen wolle, als es im geistlichen Stande möglich wäre.

Die Freunde der Familie sowie diese selbst sahen nur zu gut, was zu befürchten wäre, wenn dem dreimaligen Verlangen des Herzogs, das man nun als einen Befehl annehmen mußte, nicht Folge geleistet würde, und mit zerrissenem Gemüt fügte sich endlich auch der Sohn, um seine Eltern, die kein anderes Einkommen hatten, als was die Stelle des Vaters abwarf, keiner Gefahr auszusetzen.

Man mußte also den Ausspruch des Gebieters erfüllen und konnte sich für das Aufgeben so lange genährter Wünsche nur dadurch einigermaßen für entschädigt halten, daß die [26] weitere Erziehung des Jünglings keine großen Unkosten verursachen und eine besonders gute Anstellung in herzoglichen Diensten ihm einst gewiß sein würde.

Was noch weiter zur Beruhigung der Mutter und Schwestern beitrug, war die Nähe des Institutes; die Gewißheit, den Sohn und Bruder jeden Sonntag sprechen zu können; dann die große Sorgfalt, welche man für die Gesundheit der Zöglinge anwendete, und die vertrauliche, sehr oft väterliche Herablassung des Herzogs gegen dieselben, durch welche die strenge Disziplin um vieles gemildert wurde.

Mißmutigen Herzens verließ der vierzehnjährige Schiller 1773 das väterliche Haus, um in die Pflanzschule aufgenommen zu werden, und wählte zu seinem Hauptstudium die Rechtswissenschaft, weil von dieser allein eine den Wünschen seiner Eltern entsprechende Versorgung einst zu hoffen war. Aber sein feuriger, schwärmerischer Geist fand in diesem Fache so wenig Befriedigung, daß er es sich nicht verwehren konnte, dem Bekenntnis, welches jeder Zögling über seinen Charakter, seine Tugenden und Fehler jährlich aufsetzen mußte, schon das erste Mal die Erklärung beizufügen: »Er würde sich weit glücklicher schätzen, wenn er seinem Vaterland als Gottesgelehrter dienen könnte.«

Auf diesen ebenso schön als bescheiden ausgesprochenen Wunsch wurde jedoch keine Rücksicht genommen. Das Studium der Rechtswissenschaft mußte fortgesetzt werden und wurde auch mit allem Fleiß und Eifer von ihm betrieben. Aber nach Verlauf eines Jahres beschied der Herzog den Vater Schillers wieder zu sich, um ihm zu sagen: »daß, weil gar zu viele junge Leute in der Akademie Jura studierten, seinem Sohne eine so gute Anstellung bei seinem Austritt nicht werden könne, wie er selbst gewünscht hätte. Der junge Mensch müsse Medizin studieren, wo er ihn dann mit der Zeit sehr vorteilhaft versorgen wolle.«

Ein neuer Kampf für den Jüngling! Neue Unruhe für seine Eltern und Geschwister! Schon einmal hatte der zartfühlende [27] Sohn aus Rücksicht für seine Angehörigen die Neigung zu einem Stande aufgeopfert, den ihm die Vorsehung ganz eigentlich bestimmt zu haben schien. Jetzt sollte er ein zweites Opfer bringen. Er sollte, nachdem er ein volles Jahr der Rechtswissenschaft gewidmet, ein anderes Fach ergreifen, gegen das er die gleiche Abneigung wie gegen das zuerst erwählte an den Tag legte. Jedoch der beugsame, kindliche Sinn, der ihn auch später in allen Vorfällen seines Lebens nie verließ, machte ihm diesen schweren Schritt möglich, und er unterwarf sich dem, was man über ihn bestimmt hatte.

Für den Vater war es zugleich nicht wenig lästig, daß er die zahlreichen, zum Rechtsstudium erforderlichen Werke ganz unnützerweise angeschafft hatte und nun für das neue Fach noch viel größere Ausgaben machen mußte, indem nur den gänzlich Unvermögenden die nötigen Bücher von der Akademie verabfolgt wurden.

Als der junge Schiller in die Klasse der Mediziner übertreten mußte, war er in seinem sechzehnten Jahre, und so ungern er auch die neue Wissenschaft ergriff, indem er nicht hoffen konnte, sich jemals recht innig mit ihr zu befreunden, so fand er sie doch nach kurzer Zeit um vieles anziehender, als er sich vorgestellt hatte; denn die verschiedenen Teile derselben, so trocken auch ihre Einleitung sein mochte, behandelten doch alle ohne Ausnahme die lebendige Natur und versprachen ihm einst bei dem Menschen neue Aufschlüsse über die Wechselwirkung des Körperlichen und des Geistigen aufeinander. Sein schon von Jugend auf sehr starker Hang zum Forschen, zum tiefen Nachdenken, wurde durch die Hoffnung angefeuert, hier einst Entdeckungen machen zu können, die seinen Vorgängern entschlüpft wären, oder daß es ihm vielleicht gelingen würde, die in so großer Menge zerstreuten Einzelheiten auf wenige allgemeine Resultate zurückzuführen. Aber bei allen diesen reizenden Vorahnungen und ungeachtet der vorgeschriebenen Ordnung, die auch sehr streng [28] gehalten werden mußte, benutzte er doch jede freie Minute, um sich mit der Geschichte, der Dichtkunst oder den Schriften zu beschäftigen, welche den Geist, das Gemüt oder den Witz anregen, und vermied solche, bei denen der kalte, überlegende Verstand ganz allein in Anspruch genommen wird. Unter den Dichtern war es Klopstock, der sein Gefühl, das noch immer am liebsten bei den ernsten, erhabenen Gegenständen der Religion verweilte, am meisten befriedigte. Seinen eignen Genuß an diesen Werken suchte er auch seiner ältesten Schwester wenigstens in dem Maße zu verschaffen, als es durch briefliche Mitteilung in Erklärung der schönsten und schwersten Stellen möglich war. In seiner jugendlichen Unschuld, den hohen Stand noch gar nicht ahnend, zu dem ihn die Vorsehung erwählt und mit allen ihren göttlichen Gaben so überschwenglich reich beteilt hatte, konnte er wohl öfters die entschiedene Neigung für dichterische oder andere Geisteswerke als eine bloße Belustigung für seine Phantasie betrachten und sich Vorwürfe darüber machen, wenn dadurch so manche Stunde seinem Berufsstudium entzogen wurde. Aber eine innere, beruhigende Stimme rief ihm dann zu: ist der große Arzt, der große Naturforscher Haller nicht auch zugleich ein großer Dichter? Wer besang die Wunder der Schöpfung schöner und herrlicher als Haller?

»Du hast den Elefant aus Erde aufgetürmt,
Und seinen Knochenberg beseelt,«

war ein Ausdruck, den Schiller nebst so vielen andern dieses Dichters nicht nur damals, sondern auch dann noch mit Bewunderung anführte, als seine erste Jugendzeit längst verflogen war.

Jedoch nicht nur das Beispiel Hallers erleichterte ihm die Selbstentschuldigung wegen seines Hangs für die Dichtkunst, sondern es waren in der Abteilung, in welche er jetzt versetzt war, noch mehrere Zöglinge, die eine gleiche Leidenschaft für Genüsse des Geistes und Gemütes hatten, unter [29] denen sich Petersen Hoven, Massenbach und andere als Dichter oder Schriftsteller später bekannt gemacht haben. Je erkünstelter der Fleiß war, mit dem diese jungen Leute ihr Hauptstudium trieben, je gieriger suchten sie Erholung in dichterischen Werken, von denen endlich die von Goethe und Wieland ihnen die liebsten waren. Ihre natürlichen Anlagen verleiteten sie, bei dem bloßen Lesen und Genießen nicht stehen zu bleiben, sondern ihre Kräfte auch an eignen Aufsätzen oder poetischen Darstellungen zu versuchen. Und daß keiner seine Arbeit den anderen verheimlichte; daß jeder mit größter Offenheit getadelt oder gelobt wurde; daß diese Jünglinge sich in ungewöhnlichen oder verwegenen Dichtungen zu überbieten suchten, war eine natürliche Folge ihrer Jahre und des Zwanges, dem sie unterworfen waren. Die gleiche Lieblingsneigung, die sie nur verstohlenerweise befriedigen durften, die gleiche Subordination, unter die sie ihren Willen beugen mußten, ketteten sie so fest aneinander, daß sie in der Folge sich nie trafen, ohne ihre Freude durch die fröhlichste Laune, oft durch wahren Jubel zu bezeugen.

Unter allen diesen Schriften aber machten diejenigen, die für das Theater geschrieben waren, den meisten Eindruck auf den jungen Schiller. Jede Handlung im ganzen, jede Szene im einzelnen weckte in ihm eine der schlummernden Kräfte, deren die Natur für diese Dichtungsart so viele in ihn gelegt hatte, und die so reizbar waren, daß er mit einem dramatischen Gedanken nur angehaucht zu werden brauchte, um sogleich in Flammen der Begeisterung aufzulodern. In seinem zehnten Jahre hatte er zwar schon in Ludwigsburg Opern gesehen, die der Herzog mit allem Pomp, mit aller Kunst damaliger Zeit aufführen ließ. So neu und wundervoll dem empfänglichen Knaben der schnelle Wechsel prachtvoller Dekorationen, das Anschauen künstlicher Elefanten, Löwen etc., die Aufzüge mit Pferden, das Anhören großer Sänger, von einem trefflichen Orchester begleitet, der Anblick von Balletten, die von Noverre eingerichtet, von Vestris getanzt [30] wurden – so sehr dieses alles, vereinigt, ihn auch außer sich versetzen mußte, so hatte es doch nur die äußern Sinne des Auges, des Ohres berührt, aber Gefühl und Gemüt weder angesprochen noch befriedigt. Dagegen waren Julius von Tarent, Ugolino, Götz von Berlichingen und, einige Jahre vor seinem Austritt, alle Stücke von Shakespeare diejenigen Werke, welche mit allen seinen Gedanken und Empfindungen so übereinstimmten, seines Geistes sich dergestalt bemeisterten, daß er schon in seinem siebzehnten Jahre sich an dramatische Versuche wagte und das später so berühmte Trauerspiel, die Räuber, zu entwerfen anfing. Gaben die genannten Schriften seiner Vorliebe für dramatische Poesie schon überflüssige Nahrung, so wurde seine Neigung, sowie für schöne Kunst überhaupt, schon dadurch unterhalten und bestärkt, daß er mit jenen Zöglingen, die sich für die Bühne, die Tonkunst oder Malerei bestimmt hatten, im genauen Umgange stand. Denn so streng auch in dieser Akademie darauf gehalten wurde, daß jeder die Gegenstände seines künftigen Berufes auf das gründlichste erlerne, so war, wenn diesen Forderungen Genüge geleistet wurde, der Umgang der Zöglinge untereinander gar nicht so beschränkt, daß sie ihre freien Stunden nicht hätten nach ihrem Willen benützen dürfen, wenn dieser die allgemeine Ordnung nicht störte. Auch war es denjenigen unter ihnen, die Gefallen daran fanden, alle Jahre einigemal erlaubt, Theaterstücke in einem akademischen Saale aufzuführen, bei denen aber die weiblichen Rollen gleichfalls von Jünglingen besetzt werden mußten. Schiller konnte dem Drange nicht widerstehen, sich auch als Schauspieler zu versuchen, und übernahm im Clavigo eine Rolle, die er aber so darstellte, daß sein Spiel noch lange nachher sowohl ihm als seinen Freunden reichen Stoff zum Lachen und zur Satire verschaffte.

Es konnte jedoch nicht anders kommen, als daß diese dichterischen Zerstreuungen nur zum Nachteil seiner medizinischen Studien genossen wurden, und daß er manchen [31] Verdruß mit seinem Hauptmann sowie öfters Vorwürfe von seinen Professoren sich zuzog, wenn er das aufgegebene Pensum nicht gehörig abgearbeitet hatte.

Und dennoch, sowohl aus Liebe zu seinen Eltern, denen er Freude zu machen wünschte, als aus Ehrgeiz und edlem Stolze, war sein Fleiß aufrichtiger und größer als der seiner Mitschüler. Aber geschah es denn mit seinem Willen, daß ihn mitten im eifrigsten Lernen Bilder überraschten, die mit denen, die das Buch darbot, nicht die mindeste Ähnlichkeit hatten! – War es seine Schuld, daß er anatomische Zeichnungen, Präparate, fast unmöglich in ihrer eingeschränkten Beziehung betrachten konnte, sondern seine Phantasie sogleich in dem Großen, Allgemeinen der ganzen Natur umherschweifte? Oder konnte er es seiner ihm so treu anhänglichen Muse verwehren, daß sie selbst in den Kollegien, wenn er mit tiefsinnigem Blick auf den Professor horchte, ihm etwas zuflüsterte, was seine Ideen von dem Vortrage wegriß und seinen Geist auch den ernstlichsten Vorsätzen entgegen in dichterische Gefilde leitete? – Nichts von allem diesem. Ganz unfreiwillig mußte er sich diesen Störungen unterwerfen. Wie durch eine zauberische Gewalt herbeigeführt, gärten in seinem Innern Bilder und Entwürfe, die immer stärker andrängten, je mehr der Mann sich in ihm entwickelte und seine Vorstellungen sich bereicherten.

Er selbst sah sehr gut ein, daß er bei diesem nicht ungeteilten Treiben seiner Berufswissenschaft sehr spät das Ziel erreichen würde, welches er sich vorgesetzt hatte, und ob auch seine Lehrer die treffenden Bemerkungen und Antworten von ihm weit höher als den mechanischen Fleiß der andern achteten, so stellte er doch zu große Forderungen an sich selbst, als daß ihm seine bisherigen Fortschritte hätten genügen können. Er beschloß daher in seinem achtzehnten Jahre, so lange nichts anderes, als was die Medizin betreffe, zu lesen, zu schreiben oder auch nur zu denken, bis er sich [32] das Wissenschaftliche davon ganz zu eigen gemacht hätte. Der ungeheuern Überwindung, die es ihn anfangs kostete, ungeachtet, verfolgte er diesen Vorsatz mit solcher Festigkeit und studierte die ärztlichen Werke von Haller mit so viel unausgesetztem Eifer, daß er schon nach Verlauf von kaum drei Monaten eine Prüfung darüber bestehen konnte, von welcher er die größten Lobsprüche einerntete. Diese außerordentliche Anstrengung, bei welcher er sich auch den kleinsten Genuß, selbst ein aufmunterndes Gespräch versagte, hatte zwar etwas nachteilig auf seinen Körper gewirkt, dagegen aber ihn mit der Wissenschaft dergestalt vertraut gemacht, daß er nun mit größter Leichtigkeit auf die Anwendung derselben sowohl in ihren verschiedenen Fächern als in der Heilkunde selbst übergehen konnte.

Das höchste Opfer, welches er seinem künftigen Berufe bringen mußte, war eine so lange dauernde Entsagung der Dichtkunst, die bei ihm schon zur Leidenschaft geworden war. Aber er hatte sich von der Geliebten ja nur entfernt! Untreu konnte er ihr niemals werden; denn so wie er den Grad des Wissens, der ihn zum Meister der Arzneikunde machen sollte, einmal erobert hatte, kehrte er mit allem Feuer ungestillter Sehnsucht in die Arme der Göttin zurück und benutzte jeden freien Augenblick zur Ausarbeitung seines angefangenen Trauerspiels. Auch dichtete er außer vielen andern Sachen in diesem Zeitpunkt eine Oper, Semele, die so großartig gedacht war, daß, wenn sie hätte aufgeführt werden sollen, alle mechanische Kunst des Theaters damaliger Zeit (und man darf sagen, auch der jetzigen) nicht ausgereicht haben würde, um sie gehörig darzustellen.

Das Praktische der Medizin kostete ihn nun weit weniger Mühe, als ihm das Theoretische verursacht hatte. Die Anwendung der vorgeschriebenen Regeln erhöhten sein Interesse schon darum, weil er ihre Wirkung beobachten und Bemerkungen darüber äußern konnte, die von seinen Professoren oft bewundert wurden. Die günstigen Zeugnisse, die sie [33] ihm erteilten, hatten für ihn die angenehme Folge, daß er mit dem Antritt seines zweiundzwanzigsten Jahres über eine von ihm selbst geschriebene Abhandlung öffentlich disputieren durfte und für fähig gehalten ward, nicht nur aus der Akademie treten, sondern auch eine ärztliche Anstellung in herzoglichen Diensten bekleiden zu können. Er erhielt zu Ende des Jahres 1780 bei dem in Stuttgart liegenden Grenadierregiment Augé die Stelle eines Arztes mit monatlicher Besoldung von achtzehn Gulden Reichswährung oder fünfzehn Gulden im Zwanzig-Gulden-Fuß.

Obwohl die Berufsfähigkeiten Schillers eine würdigere Auszeichnung verdient hätten und auch die Stelle nebst ihrem kleinen Sold sehr tief unter der Erwartung der Eltern war, die dem gegebenen Versprechen des Herzogs gemäß auf eine weit bessere Versorgung gezählt hatten, so durfte doch von keiner Seite ein Widerspruch erhoben oder eine Einwendung dagegen gemacht werden.

Und derjenige, der die größte Ursache zu klagen gehabt hätte, war am besten mit dieser Entscheidung zufrieden, weil nun seine Tätigkeit freien Raum hatte und weil ihm der ungehinderte Gebrauch seiner Dichtergabe gestattet schien, die sich von Tag zu Tag stärker entwickelte; denn je mehr ihm der Zwang und die unabänderliche Regelmäßigkeit mißfiel, in welcher er sieben Jahre seiner schönsten Jugendzeit zubringen mußte, um so öfter und leidenschaftlicher beschäftigte er sich mit Entwürfen, wie er einst seine Freiheit genießen wolle; und als endlich die Hoffnung zur Selbständigkeit, sowohl ihm als seinen jungen Freunden in Gewißheit überzugehen anfing, war es ihre einzige, angenehmste Unterhaltung, sich ihre Wünsche und Vorsätze hierüber mitzuteilen. Die letzteren betrafen jedoch hauptsächlich literarische Gegenstände, die so tätig ins Werk gesetzt wurden, daß Schiller sogleich nach dem Antritt seines Amtes das Schauspiel, die Räuber, das er in den vier letzten Jahren seines akademischen Aufenthaltes schrieb, gänzlich in Ordnung brachte [34] und solches zu Anfang des Sommers 1781 im Druck herausgab.

Es wäre vergeblich, den Eindruck schildern zu wollen, den diese Erstgeburt eines Zöglings der hohen Karlsschule und, wie man wußte, eines Lieblings des Herzogs in dem ruhigen, harmlosen Stuttgart hervorbrachte, wo man nur mit den frommen, sanften Schriften eines Gellert, Hagedorn, Ramler, Rabener, Utz, Kramer, Schlegel, Cronegk, Haller, Klopstock, Stollberg und ähnlicher den Geist nährte; wo man die Gedichte von Bürger, die Erzählungen von Wieland als das Äußerste anerkannte, was die Poesie in sittlichen Schilderungen sich erlauben darf – wo man Ugolino für das schauderhafteste und Götz von Berlichingen für das ausschweifendste Produkt erklärte; – wo Shakespeare kaum einigen Personen bekannt war und wo gerade die Leiden Siegwarts, Karl von Burgheim und Sophiens Reise von Memel nach Sachsen das höchste Interesse der Leseliebhaber erregt hatten. Nur derjenige, der die genannten Schriften kennt, sich den ruhigen, stillen Eindruck, den sie einst auf ihn machten, zurückruft und dann einige Auftritte aus den Räubern liest; nur der allein kann sich die Wirkung lebhaft genug vorstellen, welche diese – in Rücksicht ihrer Fehler sowohl als ihrer Schönheiten – außerordentliche Dichtung hervorbrachte. Die jüngere Welt besonders wurde durch die blendende Darstellung, durch die natürliche, ergreifende Schilderung der Leidenschaften in die höchste Begeisterung versetzt, welche sich unverhohlen auf das lebhafteste äußerte.

Der Ruhm des Dichters blieb aber nicht auf sein Vaterland beschränkt. Ganz Deutschland ertönte von Bewunderung und Erstaunen, daß ein Jüngling seine Laufbahn mit einem Werk eröffne, womit andere sich glücklich preisen würden, die ihrige beschließen zu können.

Diese Lobeserhebungen, so schmeichelhaft sie auch seinem Ehrgeize waren, konnten ihn jedoch nicht in dem Grade [35] berauschen, daß er geglaubt hätte, schon vieles oder gar alles erreicht zu haben, sondern waren eher ein Sporn für ihn, noch Größeres zu leisten.

Er veranstaltete im nämlichen Jahre noch die Herausgabe einer Sammlung Gedichte, die teils von ihm selbst, teils von seinen Freunden schon in der Akademie bearbeitet worden waren, und ließ solche unter dem Titel Anthologie 1782 erscheinen. Da auch das von dem Professor Balthasar Haug seit einigen Jahren herausgegebene Schwäbische Magazin sich seinem Ende nahte, so beschloß er, in Gemeinschaft mit seinen Freunden die erlöschende Monatschrift als ein Repertorium für Literatur fortzusetzen; was um so leichter zustande kam, je größer der Vorrat war, den sie schon früher gesammelt hatten. Mit wahrhaft jugendlichem Übermut verfaßte er für diese Schrift in der Folge eine Rezension seiner Räuber, welche so hart und beißend war, daß man nicht begreifen konnte, wie jemand es wagen mochte, eine Arbeit so streng zu tadeln, deren Glanz die meisten Leser verblendet und auch den größten Kennern Achtung abgenötigt hatte. Der über diese Beurteilung häufig geäußerte Tadel gewährte aber ihm desto mehr Belustigung, je weniger jemand – außer einigen Freunden, die darum wußten – vermutete, daß der Verfasser selbst diese scharfe Geißel über sich geschwungen.

Diese literarischen Beschäftigungen, welche eine lang gehegte Sehnsucht befriedigten, und bei welchen sich Schiller ganz in seinem Element befand, hätten ihm wenig zu wünschen übrig gelassen, wenn dadurch seine körperlichen Bedürfnisse ebenso wie seine geistigen gehoben gewesen wären. Allein dies konnte um so weniger der Fall sein, je kleiner in Stuttgart die Anzahl der Buchhändler oder derjenigen Leute war, die nicht nur lesen, sondern auch kaufen wollten. Es ließ sich schon für die Räuber kein Verleger finden, der die Ausgabe auf seine Kosten wagen, noch minder aber etwas dafür honorieren wollte, daher der Dichter genötigt [36] war, sie auf eigne Kosten drucken zu lassen und, da seine Geldkräfte bei weitem nicht hinreichten, den Betrag zu borgen.

Um zu versuchen, ob er nicht zu einigem Ersatz seiner Auslagen gelangen könne, und um sein Werk auch im Ausland bekannt zu machen, schrieb er, noch ehe der Druck ganz beendigt war, an Herrn Hofkammerrat und Buchhändler Schwan zu Mannheim, der durch den vorteilhaftesten Ruf bekannt war, und schickte ihm die fertigen Bogen zu, welche er, mit Bemerkungen begleitet, wieder zurückerhielt.

Ob allein die Ansichten des Herrn Schwan den Verfasser aufmerksam machten, oder ob er selbst darüber erschrak, wie grell und widerlich sich manches dem Auge darstelle, nachdem es nun gedruckt vor ihm lag – genug, in den letzten Bogen wurde einiges geändert, die von der Presse schon ganz fertig gelieferte Vorrede unterdrückt und eine neue mit gemilderten Ausdrücken an deren Stelle gesetzt.

Wer es weiß, wie einseitig ein Dichter oder Künstler wird, wenn er nicht mit andern seines Faches, die höher als er, oder doch mit ihm auf gleicher Stufe stehen, Umgang haben und seine Ideen austauschen kann; wer zugibt, daß bei einem reichen, feurigen Talent, in den ersten Jünglingsjahren nur Begeisterung und Einbildungskraft herrschen, Verstand und Geschmack aber von diesen übertäubt werden; der wird die stärksten Auswüchse in den Räubern um so eher entschuldigen, als der Dichter nicht in der Lage war, einen in der Literatur bedeutenden Mann zum Vertrauten zu haben, und auch schon sein zweites Werk hinlänglich bezeugte, mit welcher Umsicht er die Fehler des ersten zu vermeiden gesucht.

So sehr Herr Schwan als Buchhändler Schillern nützlich zu werden suchte, so eifrig verwendete er sich bei dem damaligen Intendanten des Mannheimer Theaters, Baron von Dalberg, damit dieses Stück für die Bühne brauchbar [37] gemacht und aufgeführt werden könne. Demzufolge forderte Baron von Dalberg den Dichter auf, nicht nur dieses Trauerspiel abzuändern, sondern auch seine künftigen Arbeiten für die Schauspielergesellschaft in Mannheim einzurichten. Schiller willigte um so lieber in diesen Vorschlag, je entfernter der Zeitpunkt war, in welchem eine seiner Dichtungen auf dem Theater in Stuttgart hätte aufgeführt werden können, indem die Leistungen desselben bloß als Versuche von Anfängern gelten konnten.

Vor dem Jahre 1780 war nie ein stehendes deutsches Theater in der Hauptstadt Württembergs. Was man daselbst vom Schauspiel kannte, waren die Opern und Ballette, welche früher, ganz auf herzogliche Kosten, von Italienern und Franzosen, und nachdem diese verabschiedet waren, von den männlichen und weiblichen Zöglingen der Akademie, gleichfalls in italienischer und französischer Sprache gegeben wurden. In Mitte der siebziger Jahre kam Schikaneder nach Stuttgart; durfte aber keine Vorstellung im Opernhause geben, sondern mußte seine Operetten, Lust- und Trauerspiele im Ballhause aufführen. Erst als die Zöglinge der Akademie mehr herangewachsen, und man sie – da sie doch einmal für das Schauspiel bestimmt waren – in Übung erhalten wollte, gaben sie so lange, bis ein neues Theater gebaut wurde, die Woche einige deutsche Operetten in dem Opernhause, für deren Genuß das Publikum ein sehr mäßiges Eintrittsgeld bezahlte. Auch als das kleinere Theater fertig stand, wurden anfänglich nichts als kleine, deutsche Opern aufgeführt; was um so natürlicher war, da sich unter allen, welche sich dem Theater gewidmet hatten, nur eine einzige Person fand, welche wahrhaft großes Talent sowohl für komische als ernsthafte Darstellungen zeigte.

Diese war – Herr Haller, ein wahrer Sohn der Natur. Wäre ihm damals das Glück geworden in einer andern Umgebung zu sein, gute Vorbilder und Beispiele zu sehen, so hätte er einer der besten Schauspieler Deutschlands werden [38] können, und sein Name wäre mit den Vorzüglichsten dieser Kunst zugleich genannt worden.

Je tiefer nun diese vaterländische Schaubühne unter dem Ideale stand, das Schillern von einem guten, besonders aber tragischen Schauspiel vorschwebte, um so lebhafter ergriff er den Vorschlag, sein Stück für eine Bühne zu bearbeiten, die nicht nur einen sehr großen Ruf hatte, sondern sich auch um so mehr als die erste in Deutschland achten durfte, da fast alle ihre Mitglieder in der Schule von Ekhof gebildet waren. Mit all dem Eifer, den Jugend und Begeisterung zur Erreichung eines Zweckes, der für ihn das höchste seiner Wünsche war, nur immer hervorbringen können, ging Schiller an die Umarbeitung seines Trauerspiels, die er sich weniger schwer dachte, als er in der Folge fand. Denn wäre es ihm auch leicht geworden, seinen hohen, dichterischen Flug den Schranken der Bühne und den Forderungen des Publikums gemäß einzurichten; oder hätte er auch ohne Bedauern manche Szenen und Stellen aufgeopfert, die er und seine Freunde sehr hoch geschätzt hatten, so raubten ihm seine Berufsgeschäfte den ungehinderten Gebrauch der Zeit sowie die nötige Stimmung, die eine solche Arbeit erfordert. Seinem ganzen Wesen, das nicht den mindesten Zwang ertragen konnte, war das immerwährende Einerlei der Lazarettbesuche und ebenso das tägliche und genaue Erscheinen auf der Wachtparade, um seinem General den Rapport über die Kranken abzustatten, im höchsten Grad zuwider. Die unpoetische Uniform, aus einem blauen Rock mit schwarzem Samtkragen, weißen Beinkleidern, steifem Hut und einem Degen ohne Quaste bestehend, sah er als ein Abzeichen an, das ihn unablässig an die Subordination erinnern solle. Am härtesten fiel ihm jedoch, daß er ohne ausdrückliche Erlaubnis seines Generals sich nicht aus der Stadt entfernen und seine nur eine Stunde von Stuttgart wohnenden Eltern und Geschwister besuchen durfte. In seiner schönsten Jugendzeit mußte er diesen Umgang meistens nur auf schriftliche [39] Unterhaltung beschränken, und jetzt, da er sich frei glauben durfte, war es ihm um so schmerzlicher, den Besuch seiner nächsten Angehörigen von der Laune seines Chefs erbitten zu müssen.

Die ganze Familie fand sich durch seine Anstellung als Regimentsarzt getäuscht, indem sie, als der Sohn seiner Neigung zur Theologie entsagen mußte, auf das von dem Herzog gegebene Versprechen fest baute, daß er ihn für die gemachte Aufopferung auf die vorteilhafteste Art schadlos halten würde.

Jedoch mußten alle sich fügen, und dem Sohne blieb nur der Trost, den er in seinen dichterischen Beschäftigungen fand, und nebenbei die Aussicht, sich dadurch im Auslande bekannt und seinen Wirkungskreis bedeutender zu machen. Er schrieb daher auch an Wieland, den er nicht allein wegen seiner Vielseitigkeit, sondern vorzüglich wegen der hohen Vollendung seiner Dichtungen außerordentlich hochschätzte, und war überglücklich, als er von diesem großen Mann eine Antwort erhielt, die nicht nur das Ungewöhnliche und Seltene der frühzeitigen Leistungen Schillers in vollem Maß anerkannte, sondern auch überhaupt sehr geistreich und schmeichelhaft war. Für die Freunde von Schiller, die an allem, was ihn betraf, mit dem wärmsten Eifer Anteil nahmen, war es eine Art von Fest, diesen Brief zu lesen; sowohl die schöne, reine Schrift als die fließende Schreibart zu bewundern und sich über dessen Inhalt zu besprechen. Mit Stolz hoben sie es heraus, daß der Sänger der Musarion auch ein Schwabe sei und von diesem Schwaben die Sprache der Grazien der feinsten, gebildetsten Welt vorgetragen werde.

Ähnliche Ermunterungen vom Auslande nebst dem Drange, die Geschöpfe seiner Einbildungskraft verwirklicht zu sehen, stärkten den Mut des jungen Dichters und erhoben ihn über die Widerwärtigkeiten, welche ihm seine Lage täglich verursachte. Außer den vielen Unterbrechungen aber, [40] die ihm sein Stand zur Pflicht machte, waren auch die Einwürfe des Baron Dalberg nichts weniger als dazu geeignet, ihn bei guter Laune für seine Arbeit zu erhalten, und man darf sich daher auch nicht wundern, daß er zur Umschmelzung seines Schauspiels so viele Monate brauchte, als es bei minderer Störung Wochen bedurft hätte.

Er besiegte jedoch alle Schwierigkeiten, so sehr sich auch sein ganzes Wesen anfangs dagegen sträubte, und fühlte sich wie von der schwersten Last erleichtert, als er sein Manuskript für fertig halten und nach Mannheim absenden konnte. Um aber dem Leser das Gesagte anschaulicher zu machen, sei es erlaubt einen Teil des Schreibens, welches die Umarbeitung begleitete, aus den, bei D. R. Marx in Karlsruhe erschienenen Briefen Schillers an Baron Dalberg hier einzurücken, indem es zur Bestätigung des Obigen dient, und zugleich den Beweis liefert, wie streng und mit wie wenig Schonung er bei der Abänderung verfuhr. Selten wird wohl ein Dichter bei seinem ersten Werke schon alles für so wichtig angesehen oder so scharf beurteilt haben, als es hier von einem zweiundzwanzigjährigen Jüngling geschehen ist.

Stuttgart, den 6. Oktober 1781.

»Hier erscheint endlich der verlorene Sohn, oder die umgeschmolzenen Räuber. Freilich habe ich nicht auf den Termin, den ich selbst festsetzte, Wort gehalten, aber es bedarf nur eines flüchtigen Blicks über die Menge und Wichtigkeit der getroffenen Veränderungen, mich gänzlich zu entschuldigen. Dazu kommt noch, daß eine Ruhrepidemie in meinem Regimentslazarett mich von meinem otiis poeticis sehr oft abrief. Nach vollendeter Arbeit darf ich Sie versichern, daß ich mit weniger Anstrengung des Geistes und gewiß mit noch weit mehr Vergnügen ein neues Stück, ja selbst ein Meisterstück schaffen wollte, als mich der nun getanen Arbeit nochmals unterziehen. – Hier mußte ich Fehlern [41] abhelfen, die in der Grundlage des Stückes schon notwendig wurzeln, hier mußte ich an sich gute Züge den Grenzen der Bühne, dem Eigensinn des Parterre, dem Unverstand der Galerie, oder sonst leidigen Konventionen aufopfern, und einem so durchdringenden Kenner, wie ich in Ihnen zu verehren weiß, wird es nicht unbekannt sein können, daß es, wie in der Natur so auf der Bühne, für eine Idee, eine Empfindung, auch nur einen Ausdruck, ein Kolorit gibt. Eine Veränderung, die ich in einem Charakterzug vornehme, gibt oft dem ganzen Charakter, und folglich auch seinen Handlungen und der auf diesen Handlungen ruhenden Mechanik des Stücks eine andere Wendung. Also Hermann. Wiederum stehen die Räuber im Original unter sich in lebhaftem Kontrast, und gewiß wird ein jeder Mühe haben, vier oder fünf Räuber kontrastieren zu lassen, ohne in einem von ihnen gegen die Delikatesse des Schauplatzes anzurennen. Als ich es anfangs dachte und den Plan bei mir entwarf, dacht' ich mir die theatralische Darstellung hinweg. Daher kam's, daß Franz als ein räsonierender Bösewicht angelegt worden; eine Anlage, die, so gewiß sie den denkenden Leser befriedigen wird, so gewiß den Zuschauer, der vor sich nicht philosophiert, sondern gehandelt haben will, ermüden und verdrießen muß. In der veränderten Auflage konnte ich diesen Grundriß nicht übern Haufen werfen, ohne dadurch der ganzen Ökonomie des Stücks einen Stoß zu geben; ich sehe also mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit voraus, daß Franz, wenn er nun auf der Bühne erscheinen wird, die Rolle nicht spielen werde, die er beim Lesen gespielt hat. Dazu kommt noch, daß der hinreißende Strom der Handlung den Zuschauer an den feinen Nuancen vorüberreißt, und ihn also wenigstens um den dritten Teil des ganzen Charakters bringt. Der Räuber Moor, wenn er, wie ich zum voraus versicherte, seinen Mann unter den HH. Schauspielern findet, dürfte auf dem Schauplatz Epoche machen; einige wenige Spekulationen, die [42] aber auch als unentbehrliche Farben in dem ganzen Gemälde spielen, weggerechnet, ist er ganz Handlung, ganz anschauliches Leben. Spiegelberg, Schweizer, Hermann etc. sind im eigentlichsten Verstande Menschen für den Schauplatz; weniger Amalie und der Vater.

Ich habe schriftliche, mündliche und gedruckte Rezensionen zu benutzen gesucht. Man hat mehr von mir gefordert als ich leisten konnte, denn nur dem Verfasser eines Stücks, zumal wenn er selbst noch Verbesserer wird, zeigt sich das non plus ultra vollkommen. Die Verbesserungen sind wichtig, verschiedene Szenen ganz neu, und meiner Meinung nach, das ganze Stück wert – – – – – – – – –

Franz ist der Menschheit etwas nähergebracht, aber der Weg dazu ist etwas seltsam. Eine Szene, wie seine Verurteilung im fünften Akt, ist meines Wissens auf keinem Schauplatz erlebt, ebensowenig als Amaliens Aufopferung durch ihren Geliebten. Die Katastrophe des Stücks deucht mir nun die Krone desselben zu sein. Moor spielt seine Rolle ganz aus, und ich wette, daß man ihn nicht in dem Augenblick vergessen wird, als der Vorhang der Bühne gefallen ist. Wenn das Stück zu groß sein sollte, so steht es in der Willkür des Theaters, Räsonnements abzukürzen, oder hie und da etwas unbeschadet des ganzen Eindrucks hinweg zu tun. Aber dawider protestiere ich höflich, daß beim Drucken etwas hinweggelassen wird; denn ich hatte meine guten Gründe zu allem, was ich stehen ließ, und soweit geht meine Nachgiebigkeit gegen die Bühne nicht, daß ich Lücken lasse und Charaktere der Menschheit für die Bequemlichkeit der Spieler verstümmle.« – – – – – – – – –

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Fr. Schiller , R. Medicus .

Es würde die vorgesteckten Grenzen dieser Schrift überschreiten, wenn auch die folgenden Briefe, welche die Einwürfe [43] des Freiherrn von Dalberg widerlegen sollten, hier angeführt würden. Nur so viel sei noch hierüber gesagt, daß, so sehr auch Schiller den Zug in dem Charakter Karl Moors, die Geliebte mit seiner Hand zu töten, als wesentlich zur ganzen Rolle, ja als eine positive Schönheit derselben betrachtete, sein Gegner davon nicht abzubringen war, daß Amalie sich selbst mit dem Dolch erstechen müsse. Der andere Punkt, die Räuber in die Zeiten Maximilians des Ersten zu versetzen und in altdeutscher Kleidung spielen zu lassen, machte der theatralischen Wirkung gar keinen Eintrag, indem die Handlung zu sehr hinriß, um Vergleichungen zwischen der Sprache und dem Kostüm anstellen zu können, und damals nur äußerst wenige der Kritik, sondern nur des Eindrucks wegen, den das Gesehene bei ihnen zurücklassen sollte, das Schauspiel besuchten.

Mit welcher Unruhe Schiller den Nachrichten aus Mannheim entgegensah, und in welcher Spannung er die Zeit zubrachte, welche zu den Vorbereitungen, den Proben erforderlich war, mag wohl nur der am richtigsten beurteilen, der als Dichter oder Tonkünstler sich zum erstenmal in gleichem Fall befindet. Er selbst sagt hierüber in einem der folgenden Briefe: »Auf meinen Räuber Moor bin ich im höchsten Grad begierig, und von Herrn Böck, der ihn ja vorstellen soll, höre ich nichts als Gutes. Ich freue mich wirklich darauf wie ein Kind.« Ferner: »Ich glaube meine ganze dramatische Welt wird dabei aufwachen, und im ganzen einen größern Schwung geben; denn es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich etwas mehr als Mittelmäßiges hören werde.«

Endlich kam auch der so heftig gewünschte und ersehnte Tag heran, wo er seinen verlornen Sohn, wie er anfangs die Räuber benennen wollte, in der Mitte Januars 1782 auf dem Theater in Mannheim darstellen sah. Aus der ganzen Umgegend, von Heidelberg, Darmstadt, Frankfurt, Mainz, Worms, Speyer etc. waren die Leute zu Roß und [44] zu Wagen herbeigeströmt, um dieses berüchtigte Stück, das eine außerordentliche Publizität erlangt hatte, von Künstlern aufführen zu sehen, die auch unbedeutende Rollen mit täuschender Wahrheit gaben und nun hier um so stärker wirken konnten, je gedrängter die Sprache, je neuer die Ausdrücke, je ungeheuerer und schrecklicher die Gegenstände waren, welche dem Zuschauer vorgeführt werden sollten. Der kleine Raum des Hauses nötigte diejenigen, welchen nicht das Glück zu teil wurde, eine Loge zu erhalten, ihre Sitze schon mittags um ein Uhr zu suchen und geduldig zu warten, bis um fünf Uhr endlich der Vorhang aufrollte. Um die Veränderung der Kulissen leichter zu bewerkstelligen, machte man aus fünf Akten deren sechs, welche von fünf Uhr bis nach zehn Uhr dauerten. Die ersten drei Akte machten die Wirkung nicht, die man im Lesen davon erwartete; aber die letzten drei enthielten alles, um auch die gespanntesten Forderungen zu befriedigen.

Vier der besten Schauspieler, welche Deutschland damals hatte, wendeten alles an, was Kunst und Begeisterung darbieten, um die Dichtung auf das vollkommenste und lebendigste darzustellen. Böck als Karl Moor war vortrefflich, was Deklamation, Wärme des Gefühls und den Ausdruck überhaupt betraf. Nur seine kleine, untersetzte Figur störte anfangs, bis der Zuschauer von dem Feuer des Spiels fortgerissen, auch diese vergaß. Beil als Schweizer ließ nichts zu wünschen übrig; so wie auch Kosinsky durch die passende Persönlichkeit des Herrn Beck sehr gewann. Durch die Art aber wie Iffland die Rolle des Franz Moor nicht nur durchgedacht, sondern dergestalt in sich aufgenommen hatte, daß sie mit seiner Person eins und dasselbe schien, ragte er über alle hinaus und brachte eine nicht zu beschreibende Wirkung hervor, indem keine seiner Rollen, welche er früher und dann auch später gab, ihm die Gelegenheit verschaffen konnte, das Gemüt bis in seine innersten Tiefen so zu erschüttern, wie es bei der Darstellung des Franz Moor möglich war. [45] Zermalmend für den Zuschauer war besonders die Szene, in welcher er seinen Traum von dem Jüngsten Gericht erzählte, mit aller Seelenangst die Worte ausrief: »Richtet einer über den Sternen? Nein! Nein!« und bei dem zitternd und nur halblaut gesprochenen, in sich gepreßten Worte: Ja! Ja! – die Lampe in der Hand, welche sein geisterbleiches Gesicht erleuchtete – zusammensank. Damals war Iffland 26 Jahre alt, von Körper sehr schmächtig, im Gesicht etwas blaß und mager. Dieser Jugend ungeachtet, war sein Spiel auch in den kleinsten Schattierungen so durchgeführt, daß es ein nicht zu vertilgendes Bild in jedem Auge, das ihn sah, zurückließ.

Welche Wirkung die Vorstellung der Räuber auf den Dichter derselben hervorbrachte, davon haben wir noch ein Zeugnis in dem Brief an Baron Dalberg vom 17. Jänner 1782, wo er schreibt: »Beobachtet habe ich sehr vieles, sehr vieles gelernt, und ich glaube, wenn Deutschland einst einen dramatischen Dichter in mir findet, so muß ich die Epoche von der vorigen Woche zählen etc.«

Daß auch ihn selbst das Spiel von Iffland überraschte, bezeugte er in demselben Briefe mit Folgendem: »Dieses einzige gestehe ich, daß die Rolle Franzens, die ich als die schwerste erkenne, als solche über meine Erwartung (welche nicht gering war) vortrefflich gelang.« Schiller hatte sich, ohne Urlaub von seinem Regimentschef zu nehmen, aus Stuttgart entfernt, um sein Schauspiel zu sehen; es wußten daher auch nur einige um seine Abwesenheit und sie blieb für diesmal verborgen. Aber die Heiterkeit, welche vor der Abreise sein ganzes Wesen beseelt hatte, war nach seiner Rückkehr fast ganz verschwunden; denn so heftig er die Stunden des schöpferischen Genusses herbei gewünscht hatte, so mißvergnügt war er nun, daß er seine medizinischen Amtsgeschäfte wieder vornehmen und sich der militärischen Ordnung fügen mußte, da ihm jetzt nicht nur der Ausspruch der Kenner, der stürmische Beifall des Publikums, [46] sondern hauptsächlich sein eignes Urteil die Überzeugung verschafft hatte, daß er zum Dichter, besonders aber zum Schauspieldichter geboren sei, und daß er hierin eine Stufe erreichen könne, die noch keiner seiner Nation vor ihm erstiegen. Jede Beschäftigung, die er nun unternehmen mußte, machte ihn mißmutig, und er achtete die Zeit, die er darauf verwenden mußte, als verschwendet. Es bedurfte wirklich auch einiger Wochen, bis sein aufgeregtes Gemüt sich wieder in die vorigen Verhältnisse finden konnte, und als er etwas ruhiger geworden war, brütete seine Einbildungskraft sogleich wieder über neuen Sujets, die als Schauspiele bearbeitet werden könnten.

Unter mehreren, die aufgenommen und wieder verworfen wurden, blieben Konradin von Schwaben und die Verschwörung des Fiesco zu Genua diejenigen, welche ihm am meisten zusagten. Endlich wählte er letzteres, und zwar nicht allein wegen des Ausspruchs von J. J. Rousseau, daß der Charakter des Fiesco einer der merkwürdigsten sei, welche die Geschichte aufzuweisen habe; sondern auch, weil er bei dem Durchdenken des Planes fand, daß diese Handlung der meisten und wirksamsten Verwicklungen fähig sei. Sobald sein Entschluß hierüber fest stand, machte er sich mit allem, was auf Italien, die damalige Zeit sowie auf den Ort, wo sein Held handeln sollte, Beziehung hatte, mit größter Emsigkeit bekannt, besuchte fleißig die Bibliothek, las und notierte alles, was dahin einschlug, und als er endlich den Plan im Gedächtnis gänzlich entworfen hatte, schrieb er den Inhalt der Akte und Auftritte in derselben Ordnung, wie sie folgen sollten, aber so kurz und trocken nieder, als ob es eine Anleitung für den Kulissendirektor werden sollte. Nach Lust und Laune arbeitete er dann die einzelnen Auftritte und Monologe aus, zu deren Mitteilung und Besprechung ihm aber ein Freund, von dessen Empfänglichkeit und warmer Teilnahme er die Überzeugung hatte, um so mehr unentbehrlich war, da er auch bei seinen kleinern Gedichten [47] es sehr liebte solche vorzulesen, um das dichterische Vergnügen doppelt zu genießen, wenn er seine Gedanken und Empfindungen im Zuhörer sich abspiegeln sah.

Diese angenehmen Beschäftigungen, welche den edlen Jüngling für alles schadlos hielten, was er an Freiheit oder sonstigem Lebensgenuß entbehren mußte, wurden aber auf eine sehr niederschlagende Art durch etwas gestört, was wohl als die erste Veranlassung zu dem unregelmäßigen Austritt Schillers aus des Herzogs Diensten angesehen werden kann. Die Sache war folgende: In den beiden ersten Ausgaben der Räuber, in der dritten Szene des zweiten Aktes, befindet sich eine Rede des Spiegelberg, welche einen Bezug auf Graubünden hat, und die einen Bündner so sehr aufreizte, daß er eine Verteidigung seines Vaterlandes in den Hamburger Korrespondenten einrücken ließ. Wahrscheinlich wäre diese Protestation ohne alle Folgen geblieben, wenn nicht die Zeitung als eine Anklage gegen Schiller dem Herzog vor Augen gelegt worden wäre. Dieser war um so mehr über diese öffentliche Rüge aufgebracht, indem derjenige, gegen den sie gerichtet worden, nicht nur in seinen Diensten stand, sondern auch einer der ausgezeichnetsten Zöglinge seiner mit so vieler Mühe und Aufmerksamkeit gepflegten Akademie war. Er erließ daher an Schiller sogleich die Weisung, sich zu verteidigen, sowie den Befehl, alles weitere in Druckgeben seiner Schriften, wenn es nicht medizinische wären, zu unterlassen und sich aller Verbindung mit dem Ausland zu enthalten.

Schiller beantwortete die Anklage damit, daß er die mißfällige Rede nicht als eine Behauptung aufgestellt, sondern als einen unbedeutenden Ausdruck einem Räuber, und zwar dem schlechtesten von allen, in den Mund gelegt. Auch habe er hier nur eine Volkssage nachgeschrieben, die er von früher Jugend an gehört.

War der strenge Verweis und das Mißfallen seines Fürsten, das er auf eine so zufällige und ganz unschuldige Art [48] sich zugezogen, schon im höchsten Grad unangenehm für Schiller, so mußte der harte Befehl – sich bloß auf seinen Beruf als Arzt und auf die Stadt, worin er lebte, einschränken zu sollen – noch schmerzlicher für ihn sein, indem es ihm unmöglich fiel, den Hang, welchen er für die Dichtung hatte, zu unterdrücken und sich in einer Wissenschaft auszuzeichnen, die er nur aus Furcht vor der Ungnade des Herzogs ergriffen und der er seine Lieblingsneigung, den ersten Vorsatz seiner Kinderjahre aufgeopfert hatte. Durch das Verbot, sich in irgend eine Verbindung mit dem Ausland einzulassen, war ihm jede Möglichkeit zur Verbesserung seiner Umstände abgeschnitten, und selbst die kleinlichsten Sorgen, die härtesten Entsagungen hätten es nicht bewirken können, mit einer so geringen Besoldung auszureichen. Das Versprechen, welches der Herzog bei der Aufnahme Schillers in die Akademie seinen Eltern gegeben hatte, war so wenig erfüllt worden, daß sein Gehalt als Regimentsarzt kaum demjenigen eines Pfarrvikars gleich kam und durch den Aufwand für Equipierung, für standesmäßiges Erscheinen beinahe auf nichts herab gebracht wurde.

Was aber gewöhnliche Menschen niederbeugt, was ihnen Geist und Glieder erschlafft, hebt den Mut der Starken, der Kraftvollen nur um so höher. Noch in den Jünglingsjahren bewährte sich jetzt Schiller als einen Mann, der sich durch keine Widerwärtigkeiten aus seiner Bahn bringen läßt, sondern rastlos das vorgesteckte Ziel verfolgt. Anstatt sich in nutzlosen Klagen auszulassen, arbeitete er nur um desto eifriger an seinem Fiesco, den er als einen neuen Hebel zur Sprengung seines Gefängnisses betrachtete und in dessen Ausarbeitung er all das Wilde, Rohe, was ihm bei den Räubern zum Vorwurf gemacht wurde, zu vermeiden suchte.

Eine widerliche Unterbrechung seiner dramatischen Arbeiten wurde durch die Dissertation veranlaßt, welche er in diesem Frühjahr einreichen mußte, um auf der hohen Karlsschule (welchen Titel nun die ehemalige Militärakademie erhalten [49] hatte) den Grad eines Doktors der Medizin zu erhalten. Dieser Förmlichkeit konnte er sich schon darum nicht entziehen, weil der Herzog seine neue Universität mit eifersüchtiger Liebe pflegte und darauf besonders sah, daß diejenigen, welche er erziehen lassen, vor den Augen der Welt sich als der Anstalt vollkommen würdig zeigen sollten. Auch war Schiller, was seine Studien betraf, einer der hervorstechendsten Zöglinge in der Akademie, weswegen er nicht nur von seinem Fürsten, sondern auch von seinen Lehrern, wie schon oben erwähnt, vorzüglich gelobt und geachtet wurde.

Überdies würde es dem Herzog weit mehr als seinem Zögling unangenehm gewesen sein, wenn der junge Arzt bloß darum, weil er den Doktorhut nicht genommen, von den Kollegen seiner Kunst Schwierigkeiten oder weniger Achtung erfahren hätte.

Daß Schiller selbst gegen diese Ehre im höchsten Grad gleichgültig war, äußerte er oft und stark genug gegen seine Freunde, und wer daran noch zweifeln könnte, findet seine unverhohlene Äußerung hierüber in dem Brief an Baron Dalberg vom 1. April 1782, wo er sagt: »Meine gegenwärtige Lage nötigt mich den Gradum eines Doktors der Medizin in der hiesigen Karlsschule anzunehmen, und zu diesem Ende muß ich eine medizinische Dissertation schreiben, und in das Gebiet meiner Handwerkswissenschaft noch einmal zurückstreifen. Freilich werde ich von dem milden Himmelsstrich des Pindus einen verdrießlichen Sprung in den Norden einer trockenen, terminologischen Kunst machen müssen; allein, was sein muß zieht nicht erst die Laune und Lieblingsneigung zu Rat. Vielleicht umarme ich dann meine Muse um so feuriger, je länger ich von ihr geschieden war; vielleicht finde ich dann im Schoß der schönen Kunst eine süße Indemnität für den fakultistischen Schweiß.«

(Sollte ein Arzt diese Äußerungen verdammen wollen, so möge er sich erinnern, daß es in Schillers Gedicht »Die [50] Teilung der Erde« nur der Dichter ausschließend ist, zu welchem Jupiter sagt:

Willst du in meinem Himmel mit mir leben,
So oft du kommst, er soll dir offen sein.)

Mittlerweile wurden in Mannheim die Räuber sehr oft mit demselben Zulauf, mit dem gleichen Beifall wie das erste Mal gegeben, und es war nichts natürlicher, als daß der Ruf von der ungeheuren Wirkung dieses Stücks sowie von der meisterhaften Darstellung desselben auch nach Stuttgart gelangte und dort in den meisten Gesellschaften, besonders aber in den Umgebungen des Dichters vielen Stoff zum Sprechen gab. Man darf sich daher auch nicht wundern, daß Schiller den öftern Wünschen und dringenden Bitten einiger Freundinnen und Freunde nachgab, eine kurze Reise des Herzogs zu benützen und während dessen Abwesenheit, ohne Urlaub zu nehmen, mit ihnen nach Mannheim zu gehen und daselbst im Wiedersehen seines Schauspiels seinen eignen Genuß durch das Mitgefühl seiner Reisegefährten zu erhöhen. Schiller willigte nur zu gern ein und schrieb nach Mannheim, um die Aufführung der Räuber auf einen bestimmten Tag zu erbitten, was ihm auch von der Intendanz sehr leicht gewährt wurde. Aber bei der Anschauung dessen, was er mit seinen ersten, jugendlichen Kräften schon geleistet, war auch der Gedanke unabweislich, wie vieles, wie großes er noch würde leisten können, wenn diese Kräfte nicht eingeengt oder gefesselt wären, sondern freien, ungemessenen Spielraum erhalten könnten. Eine Idee, die durch seine enthusiastischen Begleiter um so mehr angefeuert und unterhalten wurde, je tiefer die Eindrücke waren, welche die erschütternden Szenen bei ihnen zurückgelassen hatten.

Bei seiner ersten heimlichen Reise hatte er nur die einzige Sorge, daß sie verschwiegen bleiben möchte. Auf die zweite nahm er schon außer dieser Sorge das beschränkende [51] Verbot mit, seine dichterischen Arbeiten bekannt zu machen, nebst dem strengen Befehl, sich das Ausland als für ihn gar nicht vorhanden denken zu müssen. Er kam daher auch äußerst mißmutig und niedergeschlagen wieder nach Stuttgart zurück, ebenso verstimmt durch die Betrachtungen über sein Verhältnis als leidend durch die Krankheit, welche er mitbrachte. (Diese Krankheit, welche durch ganz Europa wanderte, bestand in einem außerordentlich heftigen Schnupfen und Katarrh, den man russische Grippe oder Influenza nannte und der so schnell ansteckend war, daß der Verfasser dieses, als er Schillern einige Stunden nach dessen Ankunft umarmt hatte, nach wenigen Minuten schon von Fieberschauern befallen wurde, die so stark waren, daß er sogleich nach Hause eilen mußte.)

Schiller äußerte sich gegen einen seiner jüngern Freunde, dem er völlig vertrauen durfte, ganz unverhohlen, mit welchem Widerwillen er sich Stuttgart genähert habe – wie ihm hier nun alles doppelt lästig und peinlich sein müsse, indem er in Mannheim eine so glänzende Aufnahme erfahren, wo hingegen er hier kaum beachtet werde und nur unter Druck und Verboten leben könne – daß ihm nicht nur von seinen Bewunderern, sondern von Baron Dalberg selbst die Hoffnung gemacht worden, ihn ganz nach Mannheim ziehen zu wollen, und er nicht zweifle, es werde alles mögliche angewendet werden, um ihn von seinen Fesseln zu befreien. Sollte dieses nicht gelingen, so werde er notgedrungen, wolle er anders hier nicht zugrunde gehen, einen verzweifelten Schritt tun müssen. Er nahm sich vor, sowie er nur den Kopf wieder beisammen habe, sogleich nach Mannheim zu schreiben, damit unverweilt alles geschehe, was seine Erlösung bewirken könne. Es ist ein Glück für den Verfasser, daß Baron Dalberg alle Briefe von Schiller an ihn so sorgfältig aufgehoben, und daß sie durch den Druck bekannt geworden sind, indem sonst manches, was jetzt und in der Folge vorkommt, als Anschuldigung oder bloße Meinung erklärt, und [52] unser Dichter weit weniger gerechtfertigt werden könne, als es nun durch diese Beweise möglich ist. Der folgende Brief ist der erste Beleg hierzu.

Stuttgart, den 4. Junius 1782.

»Ich habe das Vergnügen, das ich zu Mannheim in vollen Zügen genoß, seit meiner Hieherkunft durch die epidemische Krankheit gebüßt, welche mich zu meinem unaussprechlichen Verdruß bis heute gänzlich unfähig gemacht hat, E. E. für so viele Achtung und Höflichkeit meine wärmste Danksagung zu bezeigen. Und noch bereue ich beinahe die glücklichste Reise meines Lebens, die mich durch einen höchst widrigen Kontrast meines Vaterlandes mit Mannheim schon so weit verleidet hat, daß mir Stuttgart und alle schwäbischen Szenen unerträglich und ekelhaft werden. Unglücklicher kann bald niemand sein als ich. Ich habe Gefühl genug für meine traurige Situation, vielleicht auch Selbstgefühl genug für das Verdienst eines bessern Schicksals, und für beides nur – eine Aussicht.

Darf ich mich Ihnen in die Arme werfen, vortrefflicher Mann? Ich weiß wie schnell sich Ihr edelmütiges Herz entzündet, wenn Mitleid und Menschenliebe es auffordern; ich weiß wie stark Ihr Mut ist, eine schöne Tat zu unternehmen, und wie warm Ihr Eifer, sie zu vollenden. Meine neuen Freunde in Mannheim, von denen Sie angebetet werden, haben es mir mit Enthusiasmus vorhergesagt; aber es war diese Versicherung nicht nötig; ich habe selbst, da ich das Glück hatte, eine Ihrer Stunden für mich zu nutzen, in Ihrem offenen Anblick weit mehr gelesen. Dieses macht mich nun auch so dreist, mich Ihnen ganz zu geben, mein ganzes Schicksal in Ihre Hände zu liefern und von Ihnen das Glück meines Lebens zu erwarten. Noch bin ich wenig oder nichts. In diesem Norden des Geschmacks werde ich ewig niemals gedeihen, wenn mich sonst glücklichere Sterne [53] und ein griechisches Klima zum wahren Dichter erwärmen würden.

Brauche ich mehr zu sagen, um von Dalberg alle Unterstützung zu erwarten?

E. Exz. haben mir alle Hoffnung dazu gemacht, und ich werde den Händedruck, der Ihren Verspruch versiegelte, ewig fühlen; wenn Eure Exzellenz diese drei Ideen goutieren und in einem Schreiben an den Herzog Gebrauch davon machen, so stehe ich ziemlich für den Erfolg.

Und nun wiederhole ich mit brennendem Herzen die Bitte, die Seele dieses ganzen Briefs. Könnten E. E. in das Innere meines Gemütes sehen, welche Empfindungen es durchwühlen, könnte ich Ihnen mit Farben schildern, wie sehr mein Geist unter dem Verdrießlichen meiner Lage sich sträubt – Sie würden – ja ich weiß gewiß – Sie würden eine Hilfe nicht verzögern, die durch einen oder zwei Briefe an den Herzog geschehen kann.

Nochmals werfe ich mich in Ihre Arme und wünsche nichts anderes, als bald, sehr bald, Ihnen mit einem anhaltenden Eifer und mit einer persönlichen Dienstleistung die Verehrung bekräftigen zu können, mit welcher ich mich und alles, was ich bin, für Sie aufzuopfern wünsche.

E. E.

untertäniger Schiller.«

Beilage.

»Sie schienen weniger Schwierigkeit in der Art mich zu employieren, als in dem Mittel, mich von hier weg zu bekommen, zu finden. Jenes steht ohnehin ganz bei Ihnen, allein zu diesem könnten Ihnen vielleicht folgende Ideen dienen.

1) Da im ganzen genommen das Fach der Mediziner bei uns so sehr übersetzt ist, daß man froh ist, wenn durch [54] Erledigung einer Stelle Platz für einen andern gemacht wird; so kommt es mehr darauf an, wie man dem Herzog, der sich nicht trotzen lassen will, mit guter Art den Schein gibt, als geschehe es ganz durch seine willkürliche Gewalt, als wäre es sein eignes Werk und gereiche ihm zur Ehre. Daher würden E. E. ihn von der Seite ungemein kitzeln, wenn Sie in den Brief, den Sie ihm wegen mir schreiben, einfließen ließen, daß – Sie mich für eine Geburt von ihm, für einen durch ihn Gebildeten und in seiner Akademie Erzogenen halten, und daß also durch diese Vokation seiner Erziehungsanstalt quasi das Hauptkompliment gemacht würde, als würden ihre Produkte von entschiedenen Kennern geschätzt und gesucht. Dieses ist der Passepartout beim Herzog.

2) Wünsche ich (und auch meinetwegen) sehr, daß Sie meinen Aufenthalt beim Nationaltheater zu Mannheim auf einen gewissen beliebigen Termin festsetzen (der dann nach Ihrem Befehl verlängert werden kann), nach dessen Verfluß ich wieder meinem Herzog gehörte. So sieht es mehr einer Reise, als einer völligen Entschwäbung (wenn ich das Wort brauchen darf) gleich, und fällt auch so hart nicht auf. Wenn ich nur einmal hinweg bin, man wird froh sein, wenn ich selbst nicht mehr anmahne.

3) Würde es höchst notwendig sein, zu berühren, daß mir Mittel gemacht werden sollten, zu Mannheim zu praktizieren und meine medizinischen Übungen da fortzusetzen. Dieser Artikel ist vorzüglich nötig, damit man mich nicht, unter dem Vorwand für mein Wohl zu sorgen, kujoniere und weniger fortlasse.«

Alles, was auch ein Augen- oder Ohrenzeuge erzählen könnte, wäre nicht imstande, die traurigen Empfindungen des armen Jünglings über seine beklemmende Lage stärker und wahrer zu schildern, als er es selbst in diesem Briefe getan.

[55]

Daß er die Bitte nicht aufs Geratewohl, sondern durch Aufmunterung von Leuten getan, die ihre Gewährung für sehr leicht und unfehlbar hielten, erhellt aus der Stelle: »ich weiß, wie stark Ihr Mut ist, eine schöne Tat zu unternehmen, und wie warm Ihr Eifer ist, sie zu vollenden. Meine neuen Freunde in Mannheim haben es mir mit Enthusiasmus vorhergesagt etc. etc.« und die folgende: »E. Exz. haben mir alle Hoffnung dazu gemacht, und ich werde den Händedruck, der Ihren Verspruch besiegelte, ewig fühlen etc.« beweist auf das deutlichste, daß Baron Dalberg selbst ihm das Wort gab, sich für ihn bei seinem Fürsten zu verwenden.

Die drei Vorschläge, welche in der Beilage enthalten sind, waren ganz auf die genaue Kenntnis vom Charakter des Herzogs berechnet, indem er einen sehr verzeihlichen Stolz darein setzte, daß durch seine Fürsorge und Leitung schon so viele talentvolle Jünglinge aus seiner Akademie hervorgegangen, und er auch ein sehr großer Liebhaber des Theaters, so wie einer der feinsten Kenner seiner Zeit war, der es schon darum nicht ungern sehen konnte, wenn sich unter seinen Zöglingen gute Dichter fanden, weil alle Jahre am Geburtsfeste der Gräfin von Hohenheim (später Gemahlin des Herzogs) Gelegenheitsstücke mit großer Feierlichkeit und dem größten Aufwande gegeben wurden, bei welchen sowohl das Gedicht als auch die Musik von Eleven verfaßt waren.

Der dritte Punkt beweist weit mehr für die wahrhaft väterliche Sorge, welche der Herzog für das Wohl derer hatte, die er erziehen ließ, als alles, was man dafür anführen könnte, und es läßt sich nicht im geringsten zweifeln, daß wenn Baron Dalberg unter den ihm angezeigten Bedingungen versucht hätte, den jungen Dichter von Stuttgart nach Mannheim zu ziehen, sein Fürst ohne Anstand – gewiß aber mit der Anempfehlung, für Schiller alle Sorge zu tragen – das Gesuch bewilligt haben würde.

Schiller nährte anfangs die besten Hoffnungen, daß er [56] nun bald aus seiner verdrießlichen Lage befreit sein würde. Als aber nach Verlauf mehrerer Wochen nichts geschah, war es ihm um so schmerzlicher, seine dringende, flehende Bitte umsonst getan zu haben und sich ohne alle äußere Hilfe zu sehen. Allein, er ließ dessenungeachtet den Mut nicht sinken, sondern arbeitete nur um so eifriger an seinem Fiesco, was allein imstande war, ihn wenigstens zeitweise seinen Zustand vergessen zu machen. Aber die Freundinnen des Dichters hatten nicht vergessen, daß sie in seiner Gesellschaft zu Mannheim die Räuber hatten aufführen sehen, und konnten dem Drange nicht widerstehen, die Wirkung dieses Trauerspiels sowie das Verdienst der dortigen Schauspieler auch andern nach Würden zu schildern. Unter dem Siegel des Geheimnisses erfuhr es die halbe Stadt, erfuhr es auch der General Augé und endlich – der Herzog selbst. Dieser wurde im höchsten Grad über die Vermessenheit seines ehemaligen Lieblings aufgebracht, daß er sich, ohne Urlaub zu nehmen, mehrere Tage entfernt und seinen Lazarettdienst vernachlässigt habe. Er ließ ihn vor sich kommen, gab ihm die strengsten Verweise darüber, daß er sich dem ausdrücklichen Verbote zuwider aufs neue mit dem Auslande eingelassen und befahl ihm, augenblicklich auf die Hauptwache zu gehen, seinen Degen abzugeben und dort vierzehn Tage im Arrest zu bleiben.

Obwohl die verhängte Strafe für die Übertretung des herzoglichen Befehls ganz der militärischen Ordnung gemäß und nichts weniger als zu streng war, so wurde Schiller davon dennoch in seinem Innersten verwundet, und zwar nicht darum, weil ihm solche zu hart schien, sondern weil er jetzt überzeugt sein mußte, daß jede Aussicht in eine bessere Zukunft für ihn verloren und er nun eigentlich nichts anderes als ein Gefangener sei, der seine vorgeschriebene Arbeit verrichten müsse.

In der Tat konnte sein Verhältnis von seinen Freunden nicht anders als im höchste Grade traurig und verzweifelt [57] beurteilt werden, weil an eine Milderung oder Zurücknahme der Befehle des Herzogs um so weniger zu denken war, je mehr man ihn als Selbstherrscher kannte und je seltener die Fälle waren, wo er von seinem ausgesprochenen Willen hätte abgelenkt werden können. Was man auch raten oder erfinden mochte, war unbrauchbar, untunlich, weil der fürstliche Machtspruch allem ein unübersteigliches Hindernis entgegensetzte.

Wäre es aber auch Schillern möglich gewesen, seinen außerordentlichen Hang zur Dichtung zu bekämpfen und sich ganz der Arzneikunde zu widmen, so hätte es mehrere Jahre bedurft, um sich einen Ruf zu erwerben, der ihn von dem Gemeinen, Alltäglichen unterschieden hätte. Auch fühlte er es so sehr, wie unnütz die ernstlichsten Vorsätze, sein angebornes Talent zu unterdrücken, sein würden, daß er lieber alle Entbehrungen, alle Strafen sich hätte gefallen lassen, wenn ihm nur die Erlaubnis geblieben wäre, den Reichtum seines Geistes in der Welt auszubreiten, und sich denjenigen anzureihen, deren Name von der Mit- und Nachwelt nur in Bewunderung und Verehrung genannt wird.

So wenig Vorteil Gold, Perlen und Diamanten in einer menschenleeren Wüste bringen, so wenig konnte ihm die köstlichste Gabe des Himmels nützen, wenn er sie nicht gebrauchen durfte, wenn er bei ihrer Anwendung Strafe befürchten mußte. Ja diese Göttergabe konnte ihm nur zur Qual, zur wirklichen Marter werden, weil alles was er dachte, was er empfand, nur darauf Bezug hatte und es ihm die schmerzlichste Überwindung gekostet haben würde, Ideen dieser Art abzuwehren.

Der Weihrauch, den man in öffentlichen Blättern ihm über sein erstes Schauspiel, über seine ersten Gedichte gestreut, die schmeichelhaften Zuschriften eines Wielands und anderer, die Lobeserhebungen derjenigen, von deren gesundem Urteil er überzeugt war, besonders aber sein eignes Bewußtsein hatten ihn seinen Wert schätzen gelehrt, und [58] er hätte lieber sein Leben verloren als dasjenige, was sein eigentliches ganzes Wesen ausmachte, brach liegen zu lassen, oder den Lorbeerkranz des Dichters den Beschäftigungen des Arztes aufzuopfern.

Am empfindlichsten hielt er sich aber dadurch gekränkt, daß ihm durch dieses Machtgebot das Recht des allergeringsten Untertans – von seinen Naturgaben freien Gebrauch machen zu können, wenn er sie nicht zum Nachteil des Staates oder der Gesetze desselben anwende – jetzt gänzlich benommen war, ohne daß ihm bewiesen worden wäre, dieses Recht aus Mißbrauch verwirkt zu haben.

Die Übertretung der Militärdisziplin hatte er durch strengen Verhaft gebüßt; was über diesen noch gegen ihn verhängt worden, hielt er für eine zu harte Strafe.

Auf der Stelle würde er seinen Abschied gefordert haben, wenn nicht sein Vater in herzoglichen Diensten gestanden, er selbst nicht auf Kosten des Fürsten in der Akademie nicht nur erzogen, sondern auch mit vorzüglicher Güte und Auszeichnung behandelt worden wäre, so daß voraus zu schließen war, es würde statt einer Entlassung nur der Vorwurf der größten Undankbarkeit und eine noch zwangvollere Aufsicht erfolgen. Um jedoch nichts unversucht zu lassen, was seine Entfernung von Stuttgart auf dem der Ordnung gemäßen Wege bewirken könnte, schrieb er noch einmal an Baron Dalberg und bat ihn aufs neue um seine Verwendung bei dem Herzog. Er sagt in seinem Brief: »Dieses einzige kann ich Ihnen für ganz gewiß sagen, daß in etlichen Monaten, wenn ich in dieser Zeit nicht das Glück habe zu Ihnen zu kommen, keine Aussicht mehr da ist, daß ich jemals bei Ihnen leben kann. Ich werde alsdann gezwungen sein einen Schritt zu tun, der mir unmöglich machen würde in Mannheim zu bleiben.«

Schiller glaubte nicht mit Unrecht, daß Baron Dalberg um so leichter für ihn einschreiten könnte, als der pfälzische und württembergische Hof im besten Vernehmen standen, [59] auch der Herzog schon einigemal den italienischen Hofpoeten von Mannheim hatte kommen lassen, um bei Aufführung der für das Stuttgarter Hoftheater von ihm gedichteten Opern gegenwärtig zu sein. Ebenso konnte man auch vermuten, daß das Verbot, welches Schillern wegen der Verbindung mit dem Ausland betraf, größtenteils daher kam, weil bei Aufführung der Räuber das deutsche Theater in Stuttgart übergangen und dieses Stück ohne Vorwissen, ohne Anfrage bei dem Fürsten auf der Mannheimer Bühne zuerst gegeben worden war.

Aus diesem sowie aus den angegebenen Gründen konnte der bedrängte Dichter um so zuverlässiger einen günstigen Erfolg seiner Bitten erwarten, indem der Rang den Baron Dalberg als Geheimrat, Ober-Silberkämmerling, Vize-Kammerpräsident und Theaterintendant Sr. kurfürstlichen Durchlaucht zu Pfalzbayern bekleidete, dem Herzog Rücksichten auferlegt hätte, die bei jedem andern, der sich in Stuttgart für diese Sache hätte verwenden wollen, nicht stattfinden konnten.

Noch einige Zeit gab sich Schiller den besten Hoffnungen hin, indem er glaubte, daß Baron Dalberg um so gewisser das gegebene Versprechen erfüllen würde, je deutlicher ihm zu verstehen gegeben worden, daß das Äußerste werde geschehen müssen, wenn keine Vermittlung eintrete. Als aber nach Verfluß von vierzehn Tagen nichts für ihn geschah und er nun überzeugt war, daß von daher, wo die Hilfe am leichtesten, der gute Erfolg am gewissesten schien, kein Beistand zu erwarten sei, verwandelte sich sein sonst so heiterer Sinn in finstere, trübe Laune; was ihn sonst auf das lebhafteste aufregte, ließ ihn kalt und gleichgültig; selbst seine Jugendfreunde, die sonst immer auf den herzlichsten Willkomm rechnen durften, wurden ihm mit Ausnahme sehr weniger beinahe zuwider.

Sein Fiesco konnte bei dieser Stimmung nur sehr langsam weiter rücken. Auch war es leicht vorauszusehen, daß, [60] wenn dieser Zustand noch lange oder gar für immer hätte dauern sollen, er nicht nur für jede Geistesbeschäftigung verloren sein, sondern auch seine Gesundheit, die ohnedies nicht sehr fest war, ganz zugrunde gehen würde. Er selbst hielt sich für den unglücklichsten aller Menschen und glaubte seiner Selbsterhaltung schuldig zu sein, etwas zu wagen, was seinen Zustand in Stuttgart auf eine vorteilhafte Art verändern oder aber sein Schicksal ganz durchreißen und ihm eine andere, bessere Gestalt geben müsse. Da er es nicht wagen durfte, seinem Landesherrn Vorstellungen gegen den erlassenen Befehl zu machen, ohne neue Verweise oder gar Strafen befürchten zu müssen, so hielt er für das beste, noch einmal heimlich nach Mannheim zu reisen, von dort aus an den Herzog zu schreiben, ihm darzulegen, daß durch das ergangene Verbot seine ganze Existenz zernichtet sei und ihn um die Bewilligung einiger Punkte untertänigst zu bitten, die er für sein besseres Fortkommen unerläßlich glaubte. Wurden ihm diese Bitten nicht gewährt, so konnte er auch nicht mehr nach Stuttgart zurückkehren, und er hegte die Hoffnung, daß er dann um so leichter in Mannheim als Theaterdichter angestellt werden könnte, je zuversichtlicher ihm dort von vielen versichert worden, daß ein solcher Dichter wie er, ihre Bühne auf die höchste Stufe des Ruhmes heben würde.

Um diesen Plan nicht lächerlich oder ganz widersinnig zu finden, ist es nötig, auf das ganz besondere Verhältnis aufmerksam zu machen, in welchem Schiller zu seinem Fürsten stand.

Der Vater von Schiller, dem als Gouverneur der Solitüde alles, was die vielfachen Bauten, Gartenanlagen und Baumzucht betraf, untergeben war, führte dies so sehr zur Zufriedenheit des Herzogs aus, und wußte dessen Willen, noch ehe er ausgesprochen war, so Genüge zu leisten, daß er seine ganze Zufriedenheit sowie wegen der Rechtlichkeit und Strenge, mit welchen er seinen Dienst ausübte, auch seine [61] Hochachtung erwarb. Es war zum Teil eine Folge dieser Achtung, daß der Sohn in der Akademie mit besonderer Sorgfalt und Güte behandelt wurde; zum Teil waren es aber auch die überraschenden Antworten und Bemerkungen, welche der junge Zögling im Gespräch mit seinem erhabenen Erzieher aussprach, die ihm eine besondere Auszeichnung und Zuneigung erwarben. Es war diesem geistvollen Fürsten, der Scharfsinn und das Talent, was er im hohen Grad selbst besaß, auch an andern vorzüglich schätzte, weit weniger darum zu tun, an seiner Akademie eine militärische Prunkanstalt zu haben, als bei den jungen Leuten alles das heraus zu bilden, was ihre Anlagen zu entwickeln vermochte. Er ließ sich daher mit ihnen in Einzelheiten ein, die einem gewöhnlichen Erzieher zu kleinlich oder überflüssig scheinen würden, und erwarb sich dadurch, weit mehr als durch sein Ehrfurcht gebietendes Ansehen, ein solches Zutrauen, daß die Zöglinge weit lieber mit ihm sprachen oder ihm – dem Herzog – ihre Fehler bekannten als den vorgesetzten Offizieren.

Als die Anstalt noch auf der Solitüde sich befand, verging nie ein Tag, an welchem er nicht die Lehrstunden besuchte, um sich von dem Fleiße der Lehrer und den Fortschritten der Schüler zu überzeugen. Und als die Akademie nach Stuttgart verlegt wurde, waren es nur die alljährlichen Reisen, die ihn auf Wochen oder Tage von derselben entfernt halten konnten. Auch das freundliche Benehmen der Gräfin von Hohenheim, welche sich an der Unbefangenheit der jüngsten Zöglinge ergötzte und sie mit kleinen Geschenken beteilte, trug nicht wenig dazu bei, das streng scheinende Verhältnis zu mildern. Wie oft wurden Strafen bloß darum in ihrer Gegenwart ausgesprochen, um durch bittende Blicke oder Worte dieser wohlwollenden, nichts als Güte und Teilnahme atmenden Frau, entweder ganz erlassen, oder doch gemindert werden zu können.

Unter den Augen des Fürsten von Kindern zu Knaben, [62] von Knaben zu Jünglingen herangewachsen, von seinen durchdringenden Augen oft getadelt oder mit Beifall belohnt, konnten sich die jungen Leute, nachdem sie der akademischen Aufsicht entlassen waren, ihr Dienstverhältnis unmöglich so scharf denken als andere, die mit der Person des Herzogs gar nicht oder nur als ihrem Souverän bekannt waren.

Diese Verhältnisse allein können es begreiflich machen, wie Schiller auf die so oft bezeigte Gnade und Zufriedenheit seines Fürsten so fest sich verlassen konnte, daß er zu dem Glauben verleitet ward, der Herzog werde ihm seine Bitten bewilligen, wenn er ihn an seine frühere Huld erinnere und unwiderleglich dartue, daß er durch die gegen ihn erlassenen Verbote zur Verzweiflung gebracht sei.

Nachdem diese Meinung ihn so beherrschte, daß sie sich in einen unwiderruflichen Entschluß umwandelte, entstand nur noch die Frage, auf welche Art und in welcher Zeit die heimliche Reise am besten auszuführen sein würde; denn die harten Verweise des Herzogs, der darauf folgende strenge Arrest hatten ihn so eingeschüchtert, daß er sich in allen seinen Handlungen beobachtet halten konnte und die schärfste Ahndung befürchten mußte, wenn er irgend einen Verdacht gegen sich erregte. So wenig er seinen Vorsatz allein ausführen konnte, so wenig konnte er sich seinen Schulfreunden anvertrauen, weil es eben so unnütz als gefährlich gewesen wäre, sie um Beistand anzusprechen, indem keiner von ihnen – was die Hauptsache, die Anstalten zur heimlichen Reise, betraf – die geringste Hilfe leisten oder auf sonst eine Art seine Pläne befördern konnte.

In diesem Zustande konnte er sein Herz mit voller Sicherheit nur einem einzigen Freund eröffnen, der zwar nicht mit ihm in der Akademie erzogen worden und auch zwei Jahre weniger als er zählte; durch dessen Bekanntschaft er aber seit achtzehn Monaten die Überzeugung erlangt hatte, daß er hier auf eine Hingebung und Aufopferung bauen könne, die [63] an Schwärmerei grenzten und die nur von den wenigen Edlen erzeugt wird, deren Gemüt und Geist eben so viele Liebe und Freundschaft als Verehrung und Hochachtung verdienen.

Der Leser möge erlauben, daß von diesem jungen Freunde, den wir mit S. bezeichnen wollen, sowie von der Art, wie er zu dem genauen Umgang mit dem herrlichen Jüngling gelangte, so viel erwähnt werde, als des Folgenden wegen unumgänglich nötig ist.

Es war im Jahr 1780 in einer der öffentlichen Prüfungen, die – wie eingangs erwähnt worden – alljährlich in der Akademie in Gegenwart des Herzogs daselbst gehalten wurden und welche S. als ein angehender Tonkünstler um so eifriger besuchte, da meistens über den andern Tag eine vollstimmige, von den Zöglingen aufgeführte Musik die Prüfung beschloß, als er Schillern das erste Mal sah. Dieser war bei einer medizinischen, in lateinischer Sprache gehaltenen Disputation gegen einen Professor Opponent, und obwohl S. dessen Namen so wenig als seine übrigen Eigenschaften kannte, so machten doch die rötlichen Haare – die gegeneinander sich neigenden Knie, das schnelle Blinzeln der Augen, wenn er lebhaft opponierte, das öftere Lächeln während dem Sprechen, besonders aber die schön geformte Nase und der tiefe, kühne Adlerblick, der unter einer sehr vollen, breitgewölbten Stirne hervorleuchtete, einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn. S. hatte den Jüngling unverwandt ins Auge gefaßt. Das ganze Sein und Wesen desselben zogen ihn dergestalt an und prägten den ganzen Auftritt ihm so tief ein, daß, wenn er Zeichner wäre, er noch heute – nach achtundvierzig Jahren – diese ganze Szene auf das lebendigste darstellen könnte.

Als S. nach der Prüfung den Zöglingen in den Speisesaal folgte, um Zuschauer ihrer Abendtafel zu sein, war es wieder derselbe Jüngling, mit welchem der Herzog auf das gnädigste sich unterhielt, den Arm auf dessen Stuhl lehnte [64] und in dieser Stellung sehr lange mit ihm sprach. Schiller behielt gegen seinen Fürsten dasselbe Lächeln, dasselbe Augenblinzeln wie gegen den Professor, dem er vor einer Stunde opponierte.

Als im Frühjahr 1781 die Räuber im Druck erschienen waren und besonders auf die junge Welt einen ungewöhnlichen Eindruck machten, ersuchte S. einen musikalischen, in der Akademie erzogenen Freund, ihn mit dem Verfasser bekannt zu machen. Sein Wunsch wurde gewährt, und S. hatte die Überraschung, in dem Dichter dieses Schauspiels denselben Jüngling zu erkennen, dessen erstes Erscheinen einen so tiefen Eindruck bei ihm zurückgelassen hatte.

Wie jeder Leser eines Buches sich von dem Autor desselben ein Bild seiner Person, Haltung, Stimme, seiner Sprache vormalt, so konnte es wohl nicht anders sein, als daß man sich in dem Verfasser der Räuber einen heftigen jungen Mann dachte, dessen Äußeres zwar schon den tiefempfindenden Dichter ankündige, bei welchem aber die Fülle der Gedanken, das Feuer seiner Ausdrücke sowie seine Ansichten der Weltverhältnisse alle Augenblicke in Ungebundenheit ausschweifen müsse.

Aber wie angenehm wurde diese vorgefaßte Meinung zerstreut!

Das seelenvollste, anspruchloseste Gesicht lächelte dem Kommenden freundlich entgegen. Die schmeichelhafte Anrede wurde nur ablehnend, mit der einnehmendsten Bescheidenheit erwidert. Im Gespräche nicht ein Wort, welches das zarteste Gefühl hätte beleidigen können.

Die Ansichten über alles, besonders aber Musik und Dichtkunst betreffend, ganz neu, ungewöhnlich, überzeugend und doch im höchsten Grade natürlich.

Die Äußerungen über die Werke anderer sehr treffend, aber dennoch voll Schonung und nie ohne Beweise.

Den Jahren nach Jüngling, dem Geiste nach reifer Mann, mußte man seinem Maßstabe beistimmen, den er an alles [65] legte und vor dem vieles, was bisher so groß schien, ins Kleine zusammenschrumpfte und manches, was als gewöhnlich beurteilt war, nun bedeutend wurde.

Das anfängliche blasse Aussehen, das im Verfolg des Gespräches in hohe Röte überging – die kranken Augen – die kunstlos zurückgelegten Haare, der blendend weiße, entblößte Hals gaben dem Dichter eine Bedeutung, die ebenso vorteilhaft gegen die Zierlichkeit der Gesellschaft abstach, als seine Aussprüche über ihre Reden erhaben waren.

Eine besondere Kunst lag jedoch in der Art, wie er die verschiedenen Materien aneinander zu knüpfen, sie so zu reihen wußte, daß eine aus der andern sich zu entwickeln schien, und trug wohl am meisten dazu bei, daß man den Zeiger der Uhr der Eile beschuldigte und die Möglichkeit des schnellen Verlaufes der Zeit nicht begreifen konnte.

Diese so äußerst reizende und anziehende Persönlichkeit, die nirgends etwas Scharfes oder Abstoßendes blicken ließ – Gespräche, welche den Zuhörer zu dem Dichter emporhoben, die jede Empfindung veredelten, jeden Gedanken verschönerten – Gesinnungen, die nichts als die reinste Güte ohne alle Schwäche verrieten – mußten von einem jungen Künstler, der mit einer lebhaften Empfänglichkeit begabt war, die ganze Seele gewinnen und der Bewunderung, die er schon früher für den Dichter hatte, noch die wärmste Anhänglichkeit für den Menschen beigesellen.

Auch Schiller schien mit seinem neuen Bekannten nicht unzufrieden; denn freiwillig lud er ihn ein, so oft zu ihm zu kommen, als er nur immer wolle. Diese Einladung wurde von S. so emsig benützt, daß während eines Jahres selten ein Tag verging, an dem er Schillern nicht gesehen oder auf kurze Zeit gesprochen hätte. Ein Vertrauen setzte sich zwischen beiden fest, das keinen Rückhalt kannte, und von dem die natürliche Folge war, daß die Verhältnisse Schillers sowie seine wahrhaft unglückliche Lage der unerschöpfliche Gegenstand ihrer Gespräche wurden. Auch schien [66] beiden der Plan, dem Herzog auf neutralem Boden zu schreiben, um so weniger des Tadels würdig, als Schiller durchaus nichts begangen, was ihm den Vorwurf eines schlechten Dieners seines Fürsten hätte zuziehen können, und er die zwei unerlaubten Ausflüge durch den ausgestandenen Arrest schon genug gebüßt zu haben glaubte. Außer S. machte Schiller auch seine älteste Schwester mit seinem Vorsatze bekannt, und anstatt, wie er befürchtete, von ihr Abmahnungen zu hören, glaubte sie, daß, weil ihm das gegebene Versprechen nicht erfüllt worden, jeder Schritt entschuldigt werden könne, den er, um sich von gänzlichem Verderben zu retten, unternehmen werde.

Ein Gefährte, mit dem die heimliche Reise zu unternehmen wäre und der die nötigen Anstalten dazu erleichtern könne, war schon in seinem Freunde S. vorhanden, der im Frühjahr 1783 eine Reise nach Hamburg antreten wollte, um daselbst bei dem berühmten Bach die Musik zu studieren, wozu ihm dort wohnende Anverwandte die beste Unterstützung versprochen hatten, und der es nun bei seiner Mutter dahin zu bringen wußte, diese Reise jetzt schon machen zu dürfen.

Dem Vater Schillers mußte die ganze Sache ein tiefes Geheimnis bleiben, damit er im schlimmsten Fall als Offizier sein Ehrenwort geben könne, von dem Vorhaben des Sohnes nichts gewußt zu haben. Was aber am meisten zur Beruhigung der Teilnehmenden beitrug, war der schöne Grundsatz des Herzogs, die Kinder nie wegen der Fehler der Eltern oder die Eltern wegen Vergehen der Kinder etwas entgelten zu lassen. Man hatte schon zu viele Beweise von dieser wahrhaft fürstlichen Großmut, als daß man in dem gegenwärtigen Falle nicht auch darauf hätte rechnen können. Nachdem alles zur Sache Gehörige zwischen beiden Freunden mit der Selbsttäuschung, die dem Jünglingsalter so ganz natürlich ist, überlegt war, als für mögliche, künftige Hindernisse, ihre Einbildungskraft sogleich Mittel wußte, [67] um sie zu überwinden oder zu beseitigen, blieb der Entschluß Schillers unwiderruflich fest, indem er nur durch die Ausführung desselben hoffen konnte, seine Umstände in allen Teilen zu verbessern und eine Selbständigkeit zu erlangen, die er bis jetzt nur dem Namen nach kannte. Nun aber mußte er sich mit Anspannung aller Kräfte der Dichtung seines Fiesco widmen, indem die Reise nicht eher ausgeführt werden konnte, als bis dieser vollendet war, und er bisher – da er in seinem Innern zu keiner Ruhe gelangen konnte – außer dem Plan kaum die Hälfte von dem Stücke niedergeschrieben hatte. Die Gewißheit, was er tun wolle und, damit er dem Labyrinth entkomme, tun müsse, belebte seinen Mut wieder; seine gewöhnliche Heiterkeit kehrte zurück, und er gewann es über sich, alle Sorgen, alle Gedanken, die nicht seiner neuen Arbeit gewidmet waren, zu unterdrücken, indem er bloß für die Zukunft lebte, die Gegenwart aber nur insofern beachtete, als er ihr nicht ausweichen durfte.

Welch ein Vergnügen war es während dieser Beschäftigung für ihn, seinem jungen Freund einen Monolog oder einige Szenen, die er in der vorigen Nacht ausgearbeitet, vorlesen und sich über Abänderungen oder die weitere Ausführung besprechen zu können! Wie erheiterten sich seine von Schlaflosigkeit erhitzten Augen, wenn er erzählte, um wie viel er schon weiter gerückt sei, und wie er hoffen dürfe, sein Trauerspiel weit früher als er anfangs dachte, beendigt zu haben. Je geräuschvoller die Außenwelt war, um so mehr zog er sich in sein Inneres zurück, indem er an allem dem, was damals der Seltenheit wegen jedermann beschäftigte, nicht den geringsten Anteil nahm. Denn schon zu Anfang des Monats August wurden nicht nur in Stuttgart, Hohenheim, Ludwigsburg, auf der Solitüde etc., sondern auch in der ganzen Umgegend die größten Vorbereitungen zu dem feierlichen Empfang des Großfürsten von Rußland (nachmaligen Kaisers Paul) und seiner Gemahlin [68] gemacht. Die Einwohner Württembergs waren stolz darauf, in der künftigen Kaiserin aller Reußen eine Nichte ihres Herzogs bewillkommnen zu können, die sie um so mehr liebten, als ihre Erscheinung Erinnerungen an ihre erhabenen Eltern hervorrief, die jedem württembergischen Herzen um so tiefer eingegraben blieben, als sie solche aus Scheu vor ihrem Regenten nicht zu zeigen wagen durften, und auch bei der verehrten Tochter die Gerüchte es zweifelhaft ließen, ob ihre Güte des Herzens, die Eigenschaften ihres Geistes oder ihre einnehmende Schönheit den Vorzug verdiene.

In der ersten Hälfte des Septembers trafen die hohen Reisenden zu Stuttgart ein, denen schon einige Tage früher die meisten benachbarten Fürsten und eine außerordentliche Menge Fremder vorausgeeilt waren, um den Festlichkeiten, welche für die allerhöchsten Gäste bereitet wurden, beiwohnen und die Prachtliebe des Herzogs wie nicht minder den Geschmack, mit dem er alles anzuordnen wußte, bewundern zu können. Die mit den schönsten, seltensten Pferden angefüllten Marställe sowie die dazu gehörigen Equipagen, boten Gelegenheit zu Auffahrten, die man damals wohl schwerlich irgendwo anders mit so großem Aufwand und so vielem Glanze sehen konnte. Aber wirklich ungeheuer groß waren die Anstalten, vermöge welcher man aus den vielen Jagdrevieren des Landes eine Anzahl von beinahe sechstausend Hirschen in einen nahe bei der Solitüde liegenden Wald zusammengetrieben hatte, die von einer Menge Bauern am Durchbrechen verhindert wurden, und zu welchem Zweck auch in der Nacht der ganze Umkreis des Waldes durch eine enge Kette von Wachtfeuern erleuchtet war. Nicht leicht konnte dem Großfürsten in einem andern Staat eine solche Anzahl von Wild beisammen gezeigt werden, und um das Vergnügen der Jagd zu erhöhen, waren die edlen Tiere bestimmt, eine steile Anhöhe hinaufgejagt und gezwungen zu werden, sich in einen See zu stürzen, in welchem sie, aus [69] einem eigens dazu erbauten Lusthause, nach Bequemlichkeit erlegt werden konnten.

In dem Gewirr und der Unruhe, welche solche Vorkehrungen bei den Städtern immer hervorbringen, blieb unser Dichter ganz auf sich eingeschränkt und hatte zu Anfang des Septembers sein Trauerspiel so weit gebracht, daß er es beinahe für vollendet halten durfte, indem er die Auslassungen, die Abänderungen, welche etwa die Aufführung erheischen sollte, auf eine ruhigere Zeit aufsparte und um so eher in wenigen Tagen damit zu Ende zu kommen hoffte, als er schon während der Arbeit an das Nötige hierüber gedacht.

Unter den angekommenen Fremden befand sich auch Baron Dalberg, der einige Tage früher, als die Festlichkeiten ihren Anfang nahmen, eintraf, sowie die Gattin des Regisseurs Meier vom Mannheimer Theater, die aus Stuttgart gebürtig war. Schiller machte dem Baron Dalberg seinen Besuch, ohne von seinem Vorhaben das geringste zu erwähnen. Ebenso verschlossen blieb er gegen Madame Meier, die er öfter sah. Die Ursachen dieses Schweigens waren keine anderen, als weil der Vorsatz, etwas zu wagen, viel zu stark und die Hoffnung auf einen glücklichen Erfolg – wenn er seine Bitten in diesem Tumult von Festivitäten und Vergnügen an seinen Fürsten gelangen lasse – viel zu groß bei ihm geworden war, als daß er sich der widerlichen Empfindung hätte aussetzen mögen, durch Zweifel belästigt oder durch Beweise eines ungewissen Erfolges widerlegt zu werden.

Was den Freiherrn von Dalberg insbesondere betraf, so vermutete Schiller, daß seiner dringenden Vorstellungen ungeachtet nur darum keine Verwendung für ihn geschehen, weil er noch in herzoglichen Diensten stehe. Käme aber das Schlimmste, daß er diese Dienste verlassen müßte, so wäre es ganz unmöglich, daß Baron Dalberg nach den vielen Versicherungen der aufrichtigsten Teilnahme und der größten [70] Bereitwilligkeit, seine Wünsche zu gewähren, ihn ohne Hilfe und Unterstützung lassen würde. Im Gegenteil hegte er die gewisse Hoffnung, daß er dann als Theaterdichter in Mannheim angestellt und somit ein Ziel erreichen würde, welches er als das glücklichste und für ihn passendste anerkannte.

Madame Meier als aufrichtige, wahrheitsliebende Landsmännin hätte zwar die Äußerungen der Schmeichelei, der Güte, des Wohlwollens, womit Schiller bei seiner letzten Anwesenheit in Mannheim überschüttet worden, sehr leicht in den Dunst und Nebel, aus dem sie bestanden, auflösen können, aber sie hätte dann die schönsten Träume, die sehnlichsten Wünsche des jungen Mannes zerstört und ihn wieder an die Klippe zurückgeworfen, die ihn zu zerschellen drohte. Das Beharren in dem jetzigen Zustande ließ allerdings den Regimentsdoktor, wie er vorher war, zernichtete aber den Dichter. Das Wagnis des Losreißens eröffnete Aussichten, die, auch nur zum Teil erfüllt, gegen den frühern Zwang gehalten, die Wonne eines Paradieses erwarten ließen.

Aber die Zeit verfloß. Nur wenige Tage waren noch übrig, welche so geräuschvoll und unruhig sein konnten, daß man unbemerkt eine Reise hätte antreten können. Schiller ging mit seinem Freund und Mad. Meier auf die Solitüde, um seine Eltern und Schwestern noch einmal zu sehen, besonders aber von seiner Mutter, die jetzt von allem auf das genaueste unterrichtet war, Abschied zu nehmen und sie zu beruhigen. Der in der lachendsten Gegend fortlaufende Weg dahin wurde zu Fuß gemacht, welches die Gelegenheit bieten sollte, um von Mad. Meier unvermerkt alles erfahren zu können, was die innere Beschaffenheit des Theaters oder die Hoffnungen des Dichters betraf. Da aber alles dahin Einschlagende nur oberflächlich berührt wurde, auch ernsthaftere Fragen aus Furcht, erraten zu werden, nicht wohl gestellt werden konnten, so blieb die Zukunft in derselben Dämmerung [71] wie bisher, und es war nichts übrig, als sich auf das Glück zu verlassen.

Bei dem Eintritt in die Wohnung von Schillers Eltern befand sich nur die Mutter und die älteste Schwester gegenwärtig. So freundlich auch die Hausfrau die Fremden empfing, so war es ihr doch nicht möglich, sich so zu bemeistern, daß S. die Unruhe nicht aufgefallen wäre, mit der sie ihn anblickte und oft zu reden versuchte, ohne ein Wort hervorbringen zu können. Glücklicherweise trat bald der Vater Schillers ein, der durch Aufzählung der Festlichkeiten, welche auf der Solitüde gehalten werden sollten, die Aufmerksamkeit so ganz an sich zog, daß sich der Sohn unvermerkt mit der Mutter entfernen und seine Freunde der Unterhaltung mit dem Vater überlassen konnte.

Es war mir auffallend, bei diesem kleinen, untersetzten Mann außer einer sehr schönen, großen Stirne wenig Ähnlichkeit mit seinen Sohne wahrnehmen zu können und auch in der klaren, bestimmten, durchaus scharfverständigen Sprache den Schwung und die milde Wärme zu vermissen, womit sein Sohn als Dichter und Philosoph jeden Gegenstand des Gespräches zu beleben und zu erheben wußte.

Nach einer Stunde kehrte Schiller zur Gesellschaft zurück, aber – ohne seine Mutter. Wie hätte diese sich zeigen können! Konnte und durfte sie auch den vorhabenden Schritt als eine Notwehr ansehen, durch die er sein Dichtertalent, sein künftiges Glück sichern und vielleicht einer unverschuldeten Einkerkerung vorbeugen wollte, so mußte es ihr doch das Herz zermalmen, ihren einzigen Sohn auf immer verlieren zu müssen, und zwar aus Ursachen, die so unbedeutend waren, daß sie nach den damaligen Ansichten in jedem andern Staat ohne besondere Folgen geblieben wären. Und dieser Sohn, in welchem sie beinahe ihr ganzes Selbst erblickte, der schon an der mütterlichen Brust die sanfte Gemütsart, die milde Denkweise eingesogen zu haben schien – er hatte ihr von jeher nichts als Freude gewährt; sie sah [72] ihn mit all den Eigenschaften begabt, die sie so oft, so inbrünstig von der Gottheit für ihn erfleht hatte! Und nun! – – – – – – – – – Wie schmerzhaft das Lebewohl von beiden ausgesprochen worden sein mußte, ersah man an den Gesichtszügen des Sohnes, sowie an seinen feuchten, geröteten Augen. Er suchte diese einem gewöhnlichen, ihn oft befallenden Übel zuzuschreiben und konnte erst auf dem Wege nach Stuttgart durch die zerstreuenden Gespräche der Gesellschaft wieder zu einiger Munterkeit gelangen.

Auf der Solitüde erfuhr man, daß daselbst am 17. September die große Hirschjagd, Schauspiel und eine allgemeine, prächtige Beleuchtung stattfinden solle. Zu Hause angelangt, wurde zwischen Schiller und S. alles, was ihre Reise betraf, noch um so eifriger besprochen, als keine Zeit mehr zu verlieren war, da die Festlichkeiten bald zu Ende sein würden. Als man auch erfahren, welchen Tag Schillers Regiment die Wachen nicht zu besetzen habe, er folglich unter den Stadttoren Soldaten treffen werde, denen er nicht so genau wie seinen alten Grenadieren bekannt sei, so wurde die Abreise auf den 17. September abends um neun Uhr festgesetzt. 1

Die bürgerliche Kleidung, welche sich Schiller hatte machen lassen, seine Wäsche, die Werke von Haller, Shakespeare etc. etc., noch einige andere Dichter wurden nach und nach von S. weggebracht, so daß für die spätern Stunden nur wenig mehr zu tun übrigblieb. Am letzten Vormittag sollte nach der Abrede um zehn Uhr alles bereit sein, was von Schiller noch wegzubringen war, und S. fand sich mit der Minute ein. Allein er fand nicht das mindeste hergerichtet. Denn nachdem Schiller um acht Uhr in der Frühe von seinem letzten Besuch in dem Lazarett zu Hause gekehrt war, fielen ihm bei dem Zusammensuchen seiner Bücher die Oden von [73] Klopstock in die Hände, unter denen eine ihn schon oft besonders angezogen und aufs neue so aufregte, daß er sogleich – jetzt in einem so entscheidenden Augenblick! – ein Gegenstück dichtete. Ungeachtet alles Drängens, alles Antreibens zur Eile mußte S. dennoch zuerst die Ode und dann das Gegenstück anhören, welchem letzterem – gewiß weniger aus Vorliebe für seinen begeisterten Freund – der Schönheit der Sprache und Bestimmtheit der Bilder wegen, S. einen entschiedenen Vorzug gab. Eine geraume Zeit verging, ehe der Dichter von seinem Gegenstand abgelenkt, wieder auf unsere Welt, auf den heutigen Tag zu der fliehenden Minute zurückgebracht werden konnte. Ja es erforderte öfteres Fragen, ob nichts vergessen sei, sowie mehrmaliges Erinnern, daß nichts zurückgelassen werde. Erst am Nachmittag aber konnte alles in Ordnung gebracht werden, und abends neun Uhr kam Schiller in die Wohnung von S. mit einem Paar alten Pistolen unter seinem Kleide.

Diejenige, welche noch einen ganzen Hahn, aber keinen Feuerstein hatte, wurde in den Koffer gelegt; die andere, mit zerbrochenem Schloß, in den Wagen getan. Daß aber beide nur mit frommen Wünschen für Sicherheit und glückliches Fortkommen geladen waren, versteht sich von selbst. Der Vorrat an Geld war bei den Reisenden nichts weniger als bedeutend; denn nach Anschaffung der nötigen Kleidungsstücke und anderer Sachen, die für unentbehrlich gehalten wurden, blieben Schillern noch dreiundzwanzig und S. noch achtundzwanzig Gulden übrig, welche aber von der Hoffnung und dem jugendlichen Mut auf das Zehnfache gesteigert wurden.

Hätte Schiller nur noch einige Wochen warten und nicht durchaus sich schon jetzt entfernen wollen, so würde S. die nötige Summe bis Hamburg in Händen gehabt haben. Aber die Ungeduld des unterdrückten Jünglings, eine Entscheidung herbeizuführen, ließ sich schon darum nicht bezähmen, weil er fürchtete, eine so gute Gelegenheit zum unbemerkten Entkommen [74] ungenützt vorbeigehen zu lassen und dann weit mehr Schwierigkeit bei dem Herzog für die Gewährung seiner Bitten zu finden. Bis Mannheim wie auch für einige Tage Aufenthalt daselbst konnte das kleine Vermögen ausreichen, und was zum Weiterkommen fehlte, sollte S. nachgeschickt werden.

Nachdem der Wagen mit zwei Koffern und einem kleinen Klavier bepackt war, kam der schwere Kampf, den Schiller vor einigen Tagen bestanden, nun auch an S. – von seiner guten, frommen Mutter Abschied zu nehmen. Auch er war der einzige Sohn, und die mütterlichen Sorgen ließen sich nur dadurch beschwichtigen, daß Schiller nicht nur die unveränderlichste Treue gegen seinen Freund gelobte, sondern auch die zuverlässige Hoffnung aussprach, in vierzehn Tagen wieder zurück eintreffen und von der glücklich vollbrachten Reise Bericht geben zu wollen. Von Segenswünschen und Tränen begleitet, konnten die Freunde endlich um zehn Uhr nachts in den Wagen steigen und abfahren.

Der Weg wurde zum Eßlinger Tor hinaus genommen, weil dieses das dunkelste war und einer der bewährtesten Freunde Schillers – möchte ihm das Vergnügen gegönnt sein, diese Zeilen noch zu lesen – als Leutnant die Wache hatte, damit, wenn sich ja eine Schwierigkeit ergäbe, diese durch Vermittlung des Offiziers sogleich gehoben werden könne.

Es war ein Glück, daß damals von keinem zu Wagen Reisenden ein Paß abgefordert wurde. Nur S. hatte sich einen nach Hamburg geben lassen, welches aber nur der überflüssig scheinenden Vorsicht wegen geschah.

So gefaßt die jungen Leute auch auf alles waren, und so wenig sie eigentlich zu fürchten hatten, so machte dennoch der Anruf der Schildwache – Halt! – Wer da! – Unteroffizier heraus! – einen unheimlichen Eindruck auf sie. Nach den Fragen: Wer sind die Herren? Wo wollen Sie hin? wurde von S. des Dichters Name in Doktor Ritter, und [75] der seinige in Doktor Wolf verwandelt, beide nach Eßlingen reisend, angegeben und so aufgeschrieben. Das Tor wurde nun geöffnet, die Reisenden fuhren vorwärts, mit forschenden Blicken in die Wachtstube des Offiziers, in der sie zwar kein Licht, aber beide Fenster weit offen sahen. Als sie außer dem Tore waren, glaubten sie einer großen Gefahr entronnen zu sein, und gleichsam als ob diese wiederkehren könnte, wurden, so lange als sie die Stadt umfahren mußten, um die Straße nach Ludwigsburg zu gewinnen, nur wenige Worte unter ihnen gewechselt. Wie aber einmal die erste Anhöhe hinter ihnen lag, kehrten Ruhe und Unbefangenheit zurück, das Gespräch wurde lebhafter und bezog sich nicht allein auf die jüngste Vergangenheit, sondern auch auf die bevorstehenden Erlebnisse. Gegen Mitternacht sah man links von Ludwigsburg eine außerordentliche Röte am Himmel, und als der Wagen in die Linie der Solitüde kam, zeigte das daselbst auf einer bedeutenden Erhöhung liegende Schloß mit allen seinen weitläufigen Nebengebäuden sich in einem Feuerglanze, der sich in der Entfernung von anderthalb Stunden auf das Überraschendste ausnahm. Die reine, heitere Luft ließ alles so deutlich wahrnehmen, daß Schiller seinem Gefährten den Punkt zeigen konnte, wo seine Eltern wohnten, aber alsbald, wie von einem sympathetischen Strahl berührt, mit einem unterdrückten Seufzer ausrief: »Meine Mutter!«

Es war ganz natürlich, daß die Erinnerung an die Verhältnisse, welche vor einigen Stunden auf das Ungewisse hin abgerissen wurden, nicht anders als wehmütig sein konnte. Andererseits war es aber wieder beruhigend, als gewiß voraussetzen zu können, daß in diesem Wirbel von Festen außer den Müttern und Schwestern niemand an die Reisenden denke, folglich Mannheim ohne Hindernis erreicht werden könne.

Morgens zwischen ein und zwei Uhr war die Station Entzweihingen erreicht, wo gerastet werden mußte. Als der [76] Auftrag für etwas Kaffee erteilt war, zog Schiller sogleich ein Heft ungedruckter Gedichte von Schubart hervor, von denen er die bedeutendsten seinem Gefährten vorlas. Das merkwürdigste darunter war die Fürstengruft, welches Schubart in den ersten Monaten seiner engen Gefangenschaft mit der Ecke einer Beinkleiderschnalle in die nassen Wände seines Kerkers eingegraben hatte. Damals, 1782, war Schubart noch auf der Festung, wo er aber jetzt sehr leidlich gehalten wurde. In manchem dieser Gedichte fanden sich Anspielungen, die nicht schwer zu deuten waren, und die keine nahe Befreiung ihres Verfassers erwarten ließen.

Schiller hatte für die dichterischen Talente des Gefangenen sehr viele Hochachtung. Auch hatte er ihn einigemal auf dem Asperg besucht.

Nach drei Uhr wurde von Entzweihingen aufgebrochen, und nach acht Uhr morgens war die kurpfälzische, durch eine kleine Pyramide angedeutete Grenze erreicht, die mit einer Freude betreten wurde, als ob rückwärts alles Lästige geblieben wäre und das ersehnte Eldorado bald erreicht sein würde. Das Gefühl, eines harten Zwanges entledigt zu sein, verbunden mit dem heiligen Vorsatz, demselben sich nie mehr zu unterwerfen, belebten das bisher etwas düstere Gemüt Schillers zur gefälligsten Heiterkeit, wozu die angenehme Gegend, das muntere Wesen und Treiben der rüstigen Einwohner wohl auch das ihrige beitrugen. »Sehen Sie,« rief er seinem Begleiter zu, »sehen Sie, wie freundlich die Pfähle und Schranken mit Blau und Weiß angestrichen sind! Ebenso freundlich ist auch der Geist der Regierung!«

Ein lebhaftes Gespräch, das durch diese Bemerkung herbeigeführt wurde, verkürzte die Zeit dergestalt, daß es kaum möglich schien, um zehn Uhr schon in Bretten angekommen zu sein. Dort wurde bei dem Postmeister Pallavicini abgestiegen, etwas gegessen, der von Stuttgart mitgenommene Wagen und Kutscher zurückgeschickt, nachmittags die Post genommen und über Waghäusel nach Schwetzingen gefahren, [77] allwo die Ankunft nach neun Uhr abends erfolgte. Da in Mannheim als einer Hauptfestung die Tore mit Eintritt der Dunkelheit geschlossen wurden, so mußte in Schwetzingen übernachtet werden, welches auf zwei unruhige Tage und eine schlaflose Nacht um so erwünschter war.

Am 19. September waren die Reisenden des Morgens sehr früh geschäftig, um sich zu dem Eintritt in Mannheim vorzubereiten. Das Beste, was die Koffer faßten, wurde hervorgesucht, um durch scheinbaren Wohlstand sich eine Achtung zu sichern, die dem dürftig oder leidend Aussehenden fast immer versagt wird. Die Hoffnung Schillers, seine kranke Börse in der nächsten Zeit durch einige Erfrischungen beleben zu können, war keine Selbsttäuschung; denn wer hätte daran zweifeln mögen, daß eine Theaterdirektion, die schon im ersten Jahre so vielen Vorteil aus den Räubern gezogen, sich nicht beeilen würde, das zweite Stück des Dichters – das nicht nur für das große Publikum, sondern auch für den gebildeten Teil desselben berechnet war – gleichfalls aufzunehmen? Es ließ sich für gewiß erwarten – die Entscheidung des Herzogs möge nun gewährend oder verneinend ausfallen – daß noch in diesem Jahre Fiesco aufgeführt werde und dann war der Verfasser durch eine freie Einnahme oder ein beträchtliches Honorar auf so lange geborgen, daß er sich wieder neue Hilfsmittel schaffen konnte. Mit der Zuversicht, daß die nächsten vierzehn Tage schon diese Vermutungen in volle Gewißheit umwandeln müßten, wurde die Postchaise zum letztenmal bestiegen und nach Mannheim eingelenkt, das in zwei Stunden, ohne irgend eine Frage oder Aufenthalt an dem Tore der Festung, erreicht war.

Der Theaterregisseur, Herr Meier, bei welchem abgestiegen wurde, war sehr überrascht, Schillern zu einer Zeit bei sich zu sehen, wo er ihn in lauter Feste und Zerstreuungen versunken glaubte; aber seine Überraschung ging in Erstaunen über, als er vernahm, daß der junge Mann, den [78] er so hoch verehrte, jetzt als Flüchtling vor ihm stehe. Obwohl Herr Meier bei der zweimaligen Anwesenheit Schillers in Mannheim von diesem selbst über sein mißbehagliches Leben und Treiben in Stuttgart unterrichtet war, so hatte er doch nicht geglaubt, daß diese Verhältnisse auf eine so gewagte und plötzliche Art abgerissen werden sollten. Als gebildeter Weltmann enthielt er sich bei den weitern Erklärungen Schillers hierüber jedes Widerspruchs und bestärkte ihn nur in diesem Vorhaben, noch heute eine Vorstellung an den Herzog einzusenden und durch seine Bitte eine Aussöhnung bewirken zu wollen. Die Reisenden wurden von ihm zum Mittagessen eingeladen, und er hatte auch die Gefälligkeit, in der Nähe seines Hauses eine Wohnung, die in dem menschenleeren Mannheim augenblicklich zu haben war, aufnehmen zu lassen, wohin sogleich das Reisegeräte geschafft wurde.

Nach Tische begab sich Schiller in das Nebenzimmer, um daselbst an seinen Fürsten zu schreiben. Als er in einigen Stunden fertig war, las er den vorher nicht aufgesetzten, aber vortrefflich geschriebenen Brief den wartenden Freunden vor, dessen wesentlicher Inhalt folgender war:

»Im Eingang erwähnte er, daß er in der Akademie das Studium, zu dem er eine entschiedene Neigung gehabt, niemals habe treiben dürfen oder können, und er sich nur aus Gehorsam gegen den fürstlichen Willen, zuerst der Rechtswissenschaft und dann der Arzneikunde gewidmet habe. Er erinnerte den Herzog an die vielen und großen Gnaden, welcher er während der sieben Jahre seines Aufenthaltes von ihm gewürdigt worden, und die so bedeutend waren, daß er ewig stolz darauf sein werde, sagen zu dürfen, sein Fürst habe ihn in seinem Herzen getragen. Dann setzte er erstens die Unmöglichkeit auseinander, mit seiner geringen Besoldung leben oder durch seinen Beruf als Arzt sich ein besseres Auskommen verschaffen zu können, indem die Anzahl der Mediziner zu groß in Stuttgart sei, und ein Anfänger [79] zu lange Zeit brauche, um sich bekannt zu machen, er auch von Haus nichts zuzusetzen habe.

»Zweitens bat er um die Aufhebung des Befehls, keine andern als medizinische Schriften drucken zu lassen, indem die Bekanntmachung seiner dichterischen Arbeiten allein imstande sei, seine Einnahme zu verbessern.

»Drittens möge es ihm erlaubt werden, alle Jahre, auf kurze Zeit, eine Reise in das Ausland zu machen.

»Viertens, daß er sehr gern wieder zurückkehren wolle, wenn ihm das fürstliche Wort gegeben würde, daß seine eigenmächtige Entfernung verziehen sei und er keine Strafe dafür zu befürchten habe.«

Dieses Schreiben wurde einem Brief an seinen Regimentschef, den General Augé, beigeschlossen und dieser ersucht, die vorgelegten Bitten nach seinen besten Kräften sowie durch seinen ganzen Einfluß bei dem Herzog unterstützen zu wollen. Schiller glaubte für seine Sicherheit so wenig befürchten zu dürfen, daß er den General bat, ihm seine Antwort durch die Adresse des Herrn Meier zukommen zu lassen. Obwohl letzterer über das wahrscheinliche Verfahren des Herzogs nicht so ruhig sein konnte als derjenige, den es zunächst betraf, so mußte er doch die Möglichkeit zugestehen, daß der Fürst durch die rührenden und bescheidenen Vorstellungen seines ehemaligen Günstlings wie auch aus Rücksicht gegen dessen Eltern vielleicht bewogen werden könne, von den gewöhnlichen Verfügungen für diesmal abzugehen und wenigstem einen Teil der Bitten zu bewilligen.

Den andern Tag abends traf Madame Meier von Stuttgart wieder zu Hause ein. Sie erzählte, daß sie schon am 18. vormittags Schillers Verschwinden erfahren, daß jedermann davon spreche und allgemein vermutet werde, man würde ihm nachsetzen lassen oder seine Auslieferung verlangen. Schiller beruhigte jedoch seine Freunde durch die Versicherung, daß er den großmütigen Charakter seines Herzogs [80] durch zu viele Proben habe kennen lernen, als daß er nur die geringste Gefahr befürchte, so lang' er den Willen zeige, wieder zurückzukommen.

Dies sei geschehen, eines Vergehens könne man ihn nicht anklagen; eigentlicher Soldat sei er nicht, folglich könne man ihn auch nicht unter die Klasse derjenigen zählen, denen bei freiwilligem Abschiednehmen nachgesetzt wird.

Indessen wurde es doch für ratsam gehalten, daß er sich nirgends öffentlich zeigen solle, wodurch er nun auf seine Wohnung und das Meiersche Haus allein eingeschränkt blieb. Für die Reisenden war es sehr angenehm, in der Hausfrau eine teilnehmende Landsmännin und sehr gebildete Freundin zu finden, die in alles einging, was ihr jetziges oder künftiges Schicksal betraf, und dasjenige mit leichter Zunge behandelte, über was sich Männer nur sehr ungern offen erklären.

Nicht nur für diese bedenkliche Zeit, sondern auch in der Folge blieben diese würdigen Leute Schillers aufrichtigste, wahrste Freunde, und Madame Meier bewies sich besonders bei dieser Gelegenheit so sorgsam und tätig wie eine Mutter, die sich um ihren Sohn anzunehmen hat.

Mittlerweile hatte S. schon am ersten Abend mit Herrn Meier über das neue, beinahe ganz fertige Trauerspiel Fiesco gesprochen und desselben als einer Arbeit erwähnt, die den Räubern aus vielen Rücksichten vorzuziehen sei. Es ergab sich nun von selbst, daß der Dichter darum angegangen wurde, die erregte Neugierde durch Mitteilung des Manuskriptes zu befriedigen, wozu sich aber dieser nur unter der Bedingung verstand, wenn eine größere Anzahl von Zuhörern gegenwärtig sei. Man fand dies um so natürlicher, da wohl unter allen Schauspielern sich keiner befand, der nicht im höchsten Grad auf die zweite Arbeit eines Jünglings begierig gewesen wäre, welcher sich schon durch seine erste auf eine so außerordentliche Art angekündigt hatte. Es wurde daher sogleich ein Tag festgesetzt, auf welchen die bedeutendsten [81] Künstler des Theaters eingeladen werden sollten, um der Vorlesung des neuen Stücks beizuwohnen.

Nach zwei erwartungsvollen Tagen traf die Antwort von General Augé an Schiller ein, welche folgendes enthielt: »Der General habe den Wünschen Schillers entsprochen und sein Schreiben dem Herzog nicht nur vorgelegt, sondern auch durch sein Vorwort die getanen Bitten unterstützt. Er habe daher den Auftrag erhalten, ihn wissen zu lassen: da Se. herzogliche Durchlaucht bei Anwesenheit der hohen Verwandten jetzt sehr gnädig wären, er nur zurückkommen solle.«

Da dieses Schreiben von allem dem nicht das geringste erwähnte, um was Schiller zur Erleichterung seines Schicksals so dringend gebeten hatte, so schrieb er dem General augenblicklich zurück, daß er diese Äußerung Sr. Durchlaucht unmöglich als eine Gewährung seines Gesuches betrachten könne, folglich genötigt sei, bei dem Inhalt seiner Bittschrift zu beharren, und seinen Chef ersuche, alles anzuwenden, um den Herzog zur Erfüllung seiner Wünsche zu vermögen.

Durch diese Antwort seines Generals in Zweifel gesetzt, was er zu hoffen oder zu fürchten habe, schrieb Schiller – was er schon am zweiten Tag seiner Ankunft an seine Eltern getan – sogleich an einige Freunde, damit, wenn sie etwas erführen, was ihm schaden könnte, sie ihm doch alsobald Nachricht geben möchten, und sah den Antworten mit ebensoviel Unruhe als Neugierde entgegen.

Der Nachmittag war zur Vorlesung des neuen Trauerspiels bestimmt, wozu sich gegen vier Uhr außer Iffland, Beil, Beck noch mehrere Schauspieler einfanden, die nicht Worte genug finden konnten, um ihre tiefe Verehrung gegen den Dichter sowie über die hohe Erwartung auszudrücken, die sie von dem neuesten Produkt eines so erhabenen Geistes hätten. Nachdem sich alle um einen großen, runden Tisch gesetzt hatten, schickte der Verfasser erst eine kurze Erzählung [82] der wirklichen Geschichte und eine Erklärung der vorkommenden Personen voraus, worauf er dann zu lesen anfing.

Für S. war das Beisammensehen so berühmter Künstler wie Iffland, Meier, Beil, von denen das Gerücht Außerordentliches sagte, um so mehr neu und willkommen, als er noch nie mit einem Schauspieler einigen Umgang gehabt hatte. Im stillen feierte er schon den Triumph, wie überrascht diese Leute, die den Dichter mit unverwandten Augen ansahen, über die vielen schönen Stellen sein würden, die schon in den ersten Szenen, sowie in den folgenden noch häufiger vorkommen, und sah nicht den Vorleser, sondern nur die Zuhörer an, um die Eindrücke zu bemerken, welche die vorzüglichsten Ausdrücke bei ihnen hervorbringen würden.

Aber der erste Akt wurde zwar bei größter Stille, jedoch ohne das geringste Zeichen des Beifalls abgelesen, und er war kaum zu Ende, als Herr Beil sich entfernte und die übrigen sich von der Geschichte Fiescos oder andern Tagesneuigkeiten unterhielten.

Der zweite Akt wurde von Schiller weiter gelesen, ebenso aufmerksam wie der erste, aber ohne das geringste Zeichen von Lob oder Beifall angehört. Alles stand jetzt auf, weil Erfrischungen von Obst, Trauben etc. herumgegeben wurden. Einer der Schauspieler, namens Frank, schlug ein Bolzschießen vor, zu dem man auch Anstalt zu machen schien. Allein nach einer Viertelstunde hatte sich alles verlaufen, und außer den zum Haus Gehörigen war nur Iffland geblieben, der sich erst um acht Uhr nachts entfernte.

Als ein vollkommener Neuling in der Welt konnte sich S. diese Gleichgültigkeit, ja diese Abneigung gegen eine so vortreffliche Dichtung von denen am allerwenigsten erklären, die kaum vor einer Stunde die größte Bewunderung und Verehrung für Schiller ihm selbst bezeugt hatten, und es empöre ihn um so heftiger, alle die Sagen von Neid und Kabale der Schauspieler jetzt schon bestätigt zu sehen, da die Antwort des Generals Augé wenig Hoffnung ließ, daß sein [83] Freund jemals zurückkehren dürfe; wo alsdann sein Schicksal bei solchen Leuten sehr beklagenswert sein müßte.

Aber der Unerfahrene sollte noch mehr in Verlegenheit gesetzt werden; denn als er eben im Begriff war, sich über die ungewöhnliche und beinahe verächtliche Behandlung Schillers bei Herrn Meier zu beklagen, zog ihn dieser in das Nebenzimmer und fragte: »Sagen Sie mir jetzt ganz aufrichtig, wissen Sie gewiß, daß es Schiller ist, der die Räuber geschrieben?«

Zuverlässig! Wie können Sie daran zweifeln?

»Wissen Sie gewiß, daß nicht ein anderer dieses Stück geschrieben und er es nur unter seinem Namen herausgegeben? Oder hat ihm jemand anderer daran geholfen?«

Ich kenne Schillern schon im zweiten Jahre und will mit meinem Leben dafür bürgen, daß er die Räuber ganz allein geschrieben und ebenso auch für das Theater abgeändert hat. Aber warum fragen Sie mich dieses alles?

»Weil der Fiesco das Allerschlechteste ist, was ich je in meinem Leben gehört, und weil es unmöglich ist, daß derselbe Schiller, der die Räuber geschrieben, etwas so Gemeines, Elendes sollte gemacht haben.«

S. suchte Herrn Meier zu widerlegen und ihm zu beweisen, daß Fiesco weit regelmäßiger für die Bühne und darin alles vermieden sei, was an den Räubern mit Recht so scharf getadelt worden. Er müsse das neue Stück nur öfter hören oder es selbst durchlesen, dann werde er es gewiß ganz anders beurteilen und ihm Geschmack abgewinnen. Allein alle diese Reden waren vergebens. Herr Meier beharrte um so mehr auf seiner Meinung, weil es ihm als einem erfahrnen Schauspieler zukommen müsse, aus einigen Szenen den Gehalt des Ganzen sogleich beurteilen zu können, und sein Schluß war: »Wenn Schiller wirklich die Räuber und Fiesco geschrieben, so hat er alle seine Kraft an dem ersten Stück erschöpft und kann nun nichts mehr [84] als lauter erbärmliches, schwülstiges, unsinniges Zeug hervorbringen.«

Dieses Urteil, von einem Mann ausgesprochen, den man nicht nur als einen vollgültigen Richter, sondern auch als einen solchen Freund Schillers ansehen durfte, dem an der guten Aufnahme des Stückes beinahe ebensoviel als dem Verfasser selbst gelegen sei, machte auf S. einen so betäubenden Eindruck, daß ihm die Sprache für den Augenblick den Dienst versagte. War dies Herr Meier, der so zu ihm sprach? Hatte er auch recht gehört? Sollte er die Erwartungen Meiers zu hoch gespannt haben? Wäre es möglich, daß er sich getäuscht und dasjenige vortrefflich gefunden, was andere, die man für Kenner gelten lassen mußte, nun als schlecht, als unsinnig beurteilen? Oder hat sich Meier mit den andern verschworen, zum Untergang des Stücks und seines Verfassers mitzuwirken? Diese Fragen, durch das Unbegreifliche des Vorganges und der Äußerungen Meiers hervorgerufen, machte S. an sich selbst und fand sie um so quälender, da ihre Auflösung nicht sogleich erfolgen konnte. Die Abendstunden wurden von den Anwesenden mit größter Verlegenheit zugebracht. Von Fiesco erwähnte niemand mehr eine Silbe. Schiller selbst war äußerst verstimmt und nahm mit seinem Gefährten zeitlich Abschied. Bei dem Weggehen ersuchte ihn Meier, ihm für die Nacht das Manuskript da zu lassen, indem er nur die zwei ersten Akte gehört und doch gern wissen möchte, welchen Ausgang das Stück nähme. Schiller bewilligte diese Bitte sehr gern.

Über den kalten Empfang Fiescos, von dem man die willkommenste Aufnahme erwartet hatte, wurde zu Hause nichts, und überhaupt sehr lange wenig gesprochen, bis sich Schiller endlich Luft machte und über den Neid, die Kabale, den Unverstand der Schauspieler Klagen führte. Jetzt zum erstenmal sprach er den ernstlichen Vorsatz aus, daß, wenn er hier nicht als Schauspieldichter angestellt oder sein Trauerspiel nicht angenommen werde, er selbst als Schauspieler [85] auftreten wolle, indem eigentlich doch niemand so deklamieren könne wie er. S. wollte dem mißlaunigen Freunde nicht geradezu widersprechen, gab ihm aber doch zu bedenken, in welche Verlegenheit er seine Mutter und Schwester, besonders aber seinen Vater setzen würde, wenn sie erfahren müßten, daß er nun weiter nichts als ein Schauspieler geworden sei, da er selbst sich doch einen so glänzenden Erfolg von seiner Reise versprochen. Er erinnerte ihn an das Vorurteil, das man in Stuttgart gegen diesen Stand hege, wo man zwar dem einzelnen Gerechtigkeit widerfahren lasse, sich aber doch jedes nähern Umganges mit ihm enthalte. Er möge doch mit Geduld warten, bis Baron von Dalberg in Mannheim eintreffe, von dem allein die günstige Wendung seines Schicksals zu hoffen sei.

Mit bangen Erwartungen wegen des Endurteils, das über Fiesco und seinen Verfasser gefällt werden sollte, begab sich S. den andern Morgen ziemlich früh zu Herrn Meier, der ihn kaum ansichtig wurde, als er ausrief: »Sie haben recht! Sie haben recht! Fiesco ist ein Meisterstück und weit besser bearbeitet als die Räuber. Aber wissen Sie auch was schuld daran ist, daß ich und alle Zuhörer es für das elendeste Machwerk hielten? Schillers schwäbische Aussprache und die verwünschte Art, wie er alles deklamiert! Er sagt alles in dem nämlichen hochtrabenden Ton her, ob es heißt: Er macht die Türe zu, oder ob es eine Hauptstelle seines Helden ist. Aber jetzt muß das Stück in den Ausschuß kommen, da wollen wir es uns vorlesen und alles in Bewegung setzen, um es bald auf das Theater zu bringen!«

Der Schluß von Herrn Meiers Rede verwandelte die Niedergeschlagenheit von S. in eine solche Freude, daß er, ohne Schillern zu entschuldigen oder die herabsetzende Meinung von dessen Ansprache und Deklamationsgabe widerlegen zu wollen, augenblicklich nach Hause eilte, um dem Dichter, der eben aufgestanden war, die angenehme Nachricht zu hinterbringen, sein Trauerspiel werde bald in lebendigen [86] Gestalten vor ihm erscheinen. Daß seine Mundart, seine heftige Aussprache den schlechten Erfolg von gestern hervorgebracht, wurde ihm sorgfältig verschwiegen, um sein ohnehin krankes Gemüt nicht zu reizen.

Am andern Tage traf die Antwort des Generals Augé auf das zweite Schreiben Schillers ein, welche aber von ganz gleichem Inhalt wie die erste war, nämlich: »Da Se. herzogliche Durchlaucht jetzt sehr gnädig wären, er nur zurückkommen solle.« Allein Schiller konnte in keinem Fall wagen, wieder heimzukehren, da ihm weder Straflosigkeit zugesichert, noch eine seiner Bitten bewilligt worden war. Der entscheidende Schritt war einmal geschehen, und so wenig Glänzendes sich auch jetzt zeigte, so ließ sich doch dieses von der Zukunft hoffen; ja er fand es geratener, weit eher einem ungewissen Schicksal entgegen zu gehen, als sich das frühere Joch wieder auflegen zu lassen, das ihm ohnehin schon den Nacken wund gerieben und in der Folge zuverlässig auf das Mark des Lebens eingedrungen sein würde.

Er hielt nun das, was er zu tun habe, für so gewiß entschieden, daß er nicht mehr an seinen General schrieb, sondern dem Rate seiner Freunde folgte, sich auf einige Wochen zu entfernen, indem es doch möglich wäre, daß seine Auslieferung von der pfälzischen Regierung verlangt würde, weil er auf Kosten des Herzogs in der Akademie erzogen worden und auch, da er Uniform getragen, einigermaßen zum Militärstande gerechnet werden könne. Geschähe in einigen Wochen nichts gegen ihn, so wäre man beinahe versichert, seine Entweichung sei vergessen oder der Herzog werde seiner gewöhnlichen Großmut gemäß nicht weiter nach ihm fragen.

Da auch Baron Dalberg noch immer in Stuttgart verweilte und seine Rückkehr ungewiß blieb, folglich für die Bestimmung Schillers nichts getan werden konnte, so wurde nach einem Aufenthalt von sechs oder sieben Tagen die Reise über Darmstadt nach Frankfurt am Main beschlossen, wo [87] auch die weiteren Nachrichten von Haus oder von Mannheim abgewartet werden konnten.

Aber diese Reise mußte zu Fuß gemacht werden; denn das kleine Kapital, das jeder von Stuttgart mit sich nehmen konnte, war durch die Herreise, durch das Verweilen in Mannheim so herab geschwunden, daß es bei der größten Sparsamkeit nur noch zehn oder zwölf Tage ausreichen konnte. Für Schiller war es wohl nicht tunlich, sich bei seinen Eltern um Hilfe zu bewerben; denn seinem Vater durfte er nicht schreiben, um ihn keinem Verdachte bloßzustellen, und seiner Mutter wollte er nicht den Kummer machen, sie wissen zu lassen, daß er jetzt schon Mangel leide, da sie gewiß geglaubt, er würde einem sehr behaglichen Zustand entgegengehen. Es schrieb daher S. an seine Mutter, ihm vorläufig, aber so bald als möglich dreißig Gulden auf dem Postwagen nach Frankfurt zu schicken, weil Schiller in Mannheim nichts bezogen habe, beide nur noch auf einige Tage mit Geld versehen seien und er den Freund in diesen Umständen unmöglich verlassen könne.

Nach dem herzlichsten Abschied von Herrn und Madame Meier und nur mit dem Unentbehrlichsten in den Taschen gingen die Reisenden nach Tisch über die Neckarbrücke von Mannheim ab, schlugen den Weg nach Sandhofen ein, blieben in einem Dorf über Nacht und gingen den andern Tag durch die herrliche, rechts mit Burgruinen prangende Bergstraße nach Darmstadt, wo sie abends gegen sechs Uhr eintrafen. Sehr ermüdet von dem ungewohnten, zwölfstündigen Marsch begaben sie sich in einen Gasthof und waren sehr froh, nach einem guten Abendessen in reinlichen Betten ausruhen und sich durch Schlaf erholen zu können. Letzteres sollte ihnen aber nicht zu teil werden; denn aus dem tiefsten Schlafe wurden sie durch ein so lärmendes, fürchterliches Trommeln aufgeschreckt, daß man glauben mußte, es sei ein sehr heftiges Feuer ausgebrochen. Sie horchten, als das schreckliche Getöse sich entfernt hatte, ob man nicht reiten, [88] fahren oder schreien höre; sie öffneten die Fenster, ob sich keine Helle von Flammen zeige, aber alles blieb ruhig, und wenn es nur einer allein gehört hätte, würde er sich endlich selbst überredet haben, es sei ein Traum gewesen. Am Morgen erkundigten sie sich bei dem Wirt, was das außerordentlich starke Trommeln in der Stadt zu bedeuten gehabt, und erfuhren mit Erstaunen, daß dieses jede Nacht mit dem Schlag zwölf Uhr so wäre. Es sei die Reveille!

Des Morgens fühlte sich Schiller etwas unpäßlich, bestand aber doch darauf, den sechs Stunden langen Weg nach Frankfurt noch heute zu gehen, damit er alsogleich nach Mannheim schreiben und sich die indessen an ihn eingelaufenen Briefe schicken lassen könne.

Es war ein sehr schöner, heiterer Morgen, als die Reisenden ihre ermüdeten Füße wieder in Gang zu bringen versuchten und den Weg antraten. Langsam schritten sie vorwärts, rasteten aber schon nach einer Stunde, um sich in einem Dorfe mit etwas Kirschengeist, in Wasser geschüttet, abzukühlen und zu stärken. Zu Mittag kehrten sie wieder ein, weniger wegen des Essens, als daß Schiller, der sehr müde war, sich etwas ausruhen könne. Allein es war in dem Wirtshause zu lärmend, die Leute zu roh, als daß es über eine halbe Stunde auszuhalten gewesen wäre. Man machte sich also noch einmal auf, um Frankfurt in einigen Stunden zu erreichen, welches aber die Mattigkeit Schillers kaum zuzulassen schien; denn er ging immer langsamer, mit jeder Minute vermehrte sich seine Blässe, und als man in ein Wäldchen gelangte, in welchem seitwärts eine Stelle ausgehauen war, erklärte er, außerstande zu sein noch weiter zu gehen, sondern versuchen zu wollen, ob er sich nach einigen Stunden Ruhe wenigstens so weit erhole, um heute noch die Stadt erreichen zu können. Er legte sich unter ein schattiges Gebüsch ins Gras nieder, um zu schlafen, und S. setzte sich auf den abgehauenen Stamm eines Baumes, ängstlich und [89] bange nach dem armen Freund hinschauend, der nun doppelt unglücklich war.

In welcher Sorge und Unruhe der Wachende die Zeit zugebracht, während der Kranke schlief, kann nur derjenige allein fühlen, der die Freundschaft nicht bloß durch den Austausch gegenseitiger Gefälligkeiten, sondern auch durch das wirkliche mit Leiden und mit Tragen aller Widerwärtigkeiten kennt. Und hier mußte die innigste Teilnahme um so größer sein, da sie einem Jüngling galt, der in allem das reinste Gemüt, den höchsten Adel der Seele kund gab und all das Erhabene und Schöne schon im voraus ahnen ließ, das er später so groß und herrlich entfaltete. Auch in seinen gehärmten, düstern Zügen ließ sich noch der stolze Mut wahrnehmen, mit dem er gegen ein hartes, unverdientes Schicksal zu kämpfen suchte, und die wechselnde Gesichtsfarbe verriet, was ihn, auch seiner unbewußt, beschäftige. Das Ruheplätzchen lag für den Schlafenden so günstig, daß nur links ein Fußsteig vorbeiführte, der aber während zwei Stunden von niemand betreten wurde. Erst nach Verlauf dieser Zeit zeigte sich plötzlich ein Offizier in blaßblauer Uniform mit gelben Aufschlägen, dessen überhöflicher Ausruf: »Ah! hier ruht man sich aus!« einen der in Frankfurt liegenden Werber vermuten ließ. Er näherte sich mit der Frage: »Wer sind die Herren?« worauf S. etwas laut und barsch antwortete: »Reisende.«

Schiller erwachte, richtete sich schnell auf und maß den Fremden mit scharfem, verwundertem Blick, der sich nun auch, da er wohl merken mochte, daß hier für ihn nichts zu angeln sei, ohne weiter ein Wort zu sprechen, entfernte.

Auf die schnelle Frage von S., wie geht's, wie ist Ihnen? erfolgte zu seiner großen Beruhigung die Antwort: »Mir ist etwas besser, ich glaube, daß wir unsern Marsch wieder antreten können.« Er stand auf, durch den Schlaf soweit gestärkt, daß er, anfangs zwar langsam, aber doch ohne Beschwerde fortgehen konnte. Außerhalb des Wäldchens traf [90] man auf einige Leute, welche die Entfernung der Stadt noch auf eine kleine Stunde angaben. Diese Nachricht belebte den Mut, es wurde etwas schneller gegangen, und ganz unvermutet zeigte sich das altertümlich gebaute, merkwürdige Frankfurt, in welches man auch noch vor der Dämmerung eintrat.

Teils aus nötiger Sparsamkeit, teils auch, wenn Nachforschungen geschehen sollten, um so leichter verborgen zu sein, wurde die Wohnung in der Vorstadt Sachsenhausen bei einem Wirte der Mainbrücke gegenüber gewählt und mit demselben sogleich der Betrag für Zimmer und Verköstigung auf den Tag bedungen, damit man genau wisse, wie lange der geringe Geldvorrat noch ausreichen würde.

Die Gewißheit, hier genugsam verborgen zu sein, die vergönnte Ruhe und ein erquickender Schlaf gaben Schillern die nötigen Kräfte, daß er des andern Tages einige Briefe nach Mannheim schreiben konnte. Unter diesen befand sich auch derjenige an Baron Dalberg, der sich in obengenannter Sammlung Seite 71 befindet. Gern würde der Verfasser dieses dem Leser einen kleinen Schmerz ersparen, aber er muß es wissen, und bei diesem außerordentlichen, jetzt beinahe vergötterten Dichter, wiederholt bestätigt sehen, daß in Deutschland keinem großen Mann in seiner Jugend auf Rosen gebettet wird; daß – ist er nicht schon durch die Eltern mit Glücksgütern gesegnet – er die rauhesten, mit verwundenden Dornen belegten Wege betreten muß, und selten, leider äußerst selten, eine freundliche Hand sich findet, um ihm die Bahn gangbarer, um seiner Brust das Atmen leichter zu machen. Man überschlage den Brief nicht; denn er wurde mit gepreßtem Gemüt und nicht mit trockenen Augen geschrieben.

»Eure Exzellenz werden von meinen Freunden zu Mannheim meine Lage bis zu Ihrer Ankunft, die ich leider nicht mehr abwarten konnte, erfahren haben. Sobald ich Ihnen sage, ich bin auf der Flucht, sobald hab' ich mein ganzes [91] Schicksal geschildert. Aber noch kommt das Schlimmste dazu. Ich habe die nötigen Hilfsmittel nicht, die mich in den Stand setzten, meinem Mißgeschick Trotz zu bieten. Ich habe mich von Stuttgart meiner Sicherheit wegen schnell und zur Zeit des Großfürsten losreißen müssen. Dadurch habe ich meine bisherigen ökonomischen Verhältnisse plötzlich durchrissen und nicht alle Schulden berichtigen können. Meine Hoffnung war auf meinen Aufenthalt zu Mannheim gesetzt; dort hoffte ich, von E. E. unterstützt, durch mein Schauspiel mich nicht nur schuldenfrei, sondern auch überhaupt in bessere Umstände zu setzen. Dies ward durch meinen notwendigen plötzlichen Aufbruch hintertrieben. Ich ging leer hinweg, leer in Börse und Hoffnung. Es könnte mich schamrot machen, daß ich Ihnen solche Geständnisse tun muß; aber ich weiß, es erniedrigt mich nicht. Traurig genug, daß ich auch an mir die gehässige Wahrheit bestätigt sehen muß, die jedem freien Schwaben Wachstum und Vollendung abspricht. 2

»Wenn meine bisherige Handlungsart, wenn alles das, woraus E. E. meinen Charakter erkennen, Ihnen ein Zutrauen gegen meine Ehrliebe einflößen kann, so erlauben Sie mir, Sie freimütig um Unterstützung zu bitten. So höchst notwendig ich jetzt des Ertrags bedarf, den ich von meinem Fiesco erwartete, so wenig kann ich ihn vor drei Wochen theaterfertig liefern, weil mein Herz so lange beklemmt war, weil das Gefühl meines Zustandes mich gänzlich von dichterischen Träumen zurückriß. Wenn ich ihn aber bis auf besagte Zeit nicht nur fertig, sondern, wie ich auch hoffen kann, würdig verspreche, so nehme ich mir daraus den Mut, Euer Exzellenz um gütigsten Vorschuß des mir dadurch zufallenden Preises gehorsamst zu bitten, weil ich jetzt vielleicht mehr als [92] sonst durch mein ganzes Leben dessen benötigt bin. Ich hätte ungefähr noch 200 fl. nach Stuttgart zu bezahlen. Ich darf es Ihnen gestehen, daß mir das mehr Sorge macht, als wie ich mich selbst durch die Welt schleppen soll. Ich habe so lange keine Ruhe, bis ich mich von der Seite gereinigt habe.

»Dann wird mein Reisemagazin in acht Tagen erschöpft sein. Noch ist es mir gänzlich unmöglich mit dem Geiste zu arbeiten. Ich habe also gegenwärtig auch in meinem Kopf keine Ressourcen. Wenn E. E. (da ich doch einmal alles gesagt habe) mir auch hiezu 100 fl. vorstrecken würden, so wäre mir gänzlich geholfen. Entweder würden Sie dann die Gnade haben, mir den Gewinst der ersten Vorstellung meines Fiesco mit aufgehobenem Abonnement zu versprechen, oder mit mir über einen Preis übereinkommen, den der Wert meines Schauspiels bestimmen würde. In beiden Fällen würde es mir ein leichtes sein (wenn meine jetzige Bitte die alsdann erwachsende Summe überstiege) beim nächsten Stück, das ich schreibe, die ganze Rechnung zu applanieren. Ich lege diese Meinung, die nichts als inständige Bitte sein darf, dem Gutbefinden E. E. also vor, wie ich es meinen Kräften zutrauen kann, sie zu erfüllen.

»Da mein gegenwärtiger Zustand aus dem Bisherigen hell genug wird, so finde ich es überflüssig, E. E. mit einer drängenden Vormalung meiner Not zu quälen.

»Schnelle Hilfe ist alles, was ich jetzt noch denken und wünschen kann. Herr Meier ist von mir gebeten mir den Entschluß E. E. unter allen Umständen mitzuteilen, und Sie selbst des Geschäftes mir zu schreiben zu überheben.

Mit entschiedener Achtung nenne ich mich

Euer Exzellenz

wahrster Verehrer

Friedr. Schiller.«

[93]

Vorstehender am 29. oder 30. September 3 geschriebener Brief wurde an Herrn Meier überschickt und dieser in einer Beilage, nachdem ihm der Inhalt desselben bekannt gemacht worden, ersucht, sowohl die Antwort des Baron Dalberg entgegenzunehmen, als auch selbe nach Frankfurt zu senden, wo man sie von der Post abholen wolle.

Diese Darstellung seiner Umstände kostete Schillern eine außerordentliche Überwindung. Denn nichts kann den edlen, stolzen Mann tiefer beugen, als wenn er um solche Hilfe ansprechen muß, die das tägliche Bedürfnis betrifft, die ihm dem Gemeinen, Niedrigen gleichstellt und für die der Reiche selten seine Hand öffnet. Aber die Bezahlung der 200 fl. nach Stuttgart war so dringend, daß der Ausdruck in seinem Briefe: »Ich darf es Ihnen gestehen, daß mir das mehr Sorge macht, als wie ich mich selbst durch die Welt schleppen soll – Ich habe solange keine Ruhe, bis ich mich von der Seite gereinigt habe,« die ernstlichste Wahrheit ausdrückte. Um die Pein, welche diese – wohl manchem sehr unbedeutend scheinende – Summe von 200 fl. dem edelmütigen Jüngling verursachte, zu erklären, sowie zur Warnung für angehende Dichter oder Schriftsteller, sei eine kurze Auseinandersetzung erlaubt.

Schon oben ist erwähnt worden, daß Schiller die Räuber auf seine Kosten drucken lassen und das Geld dazu borgen mußte. Dieses Borgen konnte aber nicht bei dem Darleiher selbst geschehen, sondern es verwendete sich, wie es gewöhnlich geschieht, eine dritte Person dabei, welche die Bezahlung verbürgte. Auch bei dem Druck der Anthologie mußte nachbezahlt werden, wodurch denn nebst anderthalbjährigen Zinsen eine Summe, die ursprünglich kaum 150 fl. betrug, sich auf 200 anhäufte. Solange Schiller in Stuttgart war, konnte er leicht den Rückzahlungstermin verlängern, da man an seinen Eltern, obwohl sie nicht reich waren, doch im [94] schlimmsten Fall einige Sicherheit vermutete. Da jedoch durch den Befehl des Herzogs das Herausgeben dichterischer Werke Schillern auf das strengste verboten war und er sich nur durch solche Arbeiten seine ärmliche Besoldung von jährlichen 180 fl. zu vergrößern wußte, so mußte wohl eine solche Verlegenheit zu dem Entschlusse, Stuttgart zu verlassen, viel beitragen, und er hatte auch in diesem Sinne vollkommen recht, wo er anführt: »Die Räuber kosteten mich Familie und Vaterland.« Nach der Abreise Schillers konnte sich der Darleiher nur an die Zwischenperson halten, und diese, da sie zur Zahlung unvermögend war, konnte in den Fall geraten, verhaftet zu werden, was dann demjenigen, der die Ursache davon war, das Herz zernagen mußte. Seine ganze Hoffnung war nun auf den Baron Dalberg gerichtet, und daß dieser, der ihm früher so viele Versicherungen seiner Teilnahme gegeben, ihn schon darum aus dieser Verlegenheit befreien würde, weil er den Wert der erbetenen Hilfe in dem Manuskripte von Fiesco schon in Händen hatte, konnte nicht im mindesten bezweifelt werden. Überdies war Baron Dalberg nicht nur sehr reich, sondern hatte auch wegen des häufigen Verkehrs mit Dichtern und Schriftstellern durch die Artigkeit seines Benehmens gegen sie (was bei diesen Herren für eine sehr schwere Münze gilt) den Ruf eines wahren Gönners und Beschützers der schönen Wissenschaften und Künste sich erworben.

Da Schiller durch obiges Schreiben die schwerste Last von seinem Herzen abgewälzt hatte, gewann er zum Teil auch seine frühere Heiterkeit wieder. Sein Auge wurde feuriger, seine Gespräche belebter, seine Gedanken, bisher immer mit seinem Zustande beschäftigt, wendeten sich jetzt auch auf andere Gegenstände. Ein Spaziergang, der des Nachmittags über die Mainbrücke durch Frankfurt nach der Post gemacht wurde, um die Briefe nach Mannheim abzugeben, zerstreute ihn, da er das kaufmännische Gewühl, die ineinander greifende Tätigkeit so vieler hier zum erstenmal sah. [95] Auf dem Heimwege übersah man von der Mainbrücke das tätige Treiben der abgehenden und ankommenden, der ein- und auszuladenden Schiffe, nebst einem Teil von Frankfurt, Sachsenhausen, sowie den gelblichen Mainstrom, in dessen Oberfläche sich der heiterste Abendhimmel spiegelte. Lauter Gegenstände, die das Gemüt wieder hoben und Bemerkungen hervorriefen, die um so anziehender waren, als seine überströmende Einbildungskraft dem geringsten Gegenstand Bedeutung gab und die kleinste Nähe an die weiteste Entfernung zu knüpfen wußte. Diese Zerstreuung hatte auf die Gesundheit Schillers so wohltätig eingewirkt, daß er wieder einige Eßlust bekam, die ihm seit zwei Tagen gänzlich fehlte, und sich mit Lebhaftigkeit über dichterische Pläne unterhalten konnte. Sein ganzes Wesen war so angelegt, sein Körperliches dem Geistigen so untergeordnet, daß ihn solche Gedanken nie verließen und er ohne Unterlaß von allen Musen umschwebt schien. Auch hatte er kaum das leichte Nachtessen geendet, als sich aus seinem Schweigen, aus seinen aufwärts gerichteten Blicken wahrnehmen ließ, daß er über etwas Ungewöhnlichem brüte. Schon auf dem Wege von Mannheim bis Sandhofen und von da nach Darmstadt ließ sich bemerken, daß sein Inneres weniger mit seiner gegenwärtigen Lage als mit einem neuen Entwurfe beschäftigt sei; denn er war so sehr in sich verloren, daß ihn selbst in der mit Recht so berühmten Bergstraße sein Reisegefährte auf jede reizende Ansicht aufmerksam machen mußte. Nun, zwischen vier Wänden, überließ er sich um so behaglicher seiner Einbildungskraft, als diese jetzt durch nichts abgelenkt wurde und er ungestört sich bewegen oder ruhen konnte. In solchen Stunden war er wie durch einen Krampf ganz in sich zurückgezogen und für die Außenwelt gar nicht vorhanden; daher auch sein Freund ihn durch nichts beunruhigte, sondern mit einer Art heiliger Scheu sich so still als möglich verhielt. Der nächste Vormittag wurde dazu verwendet, um die in der Geschichte Deutschlands so merkwürdige Stadt [96] etwas sorgfältiger als gestern geschehen konnte, zu besehen und auch einige Buchläden zu besuchen. In dem ersten derselben erkundigte sich Schiller, ob das berüchtigte Schauspiel die Räuber guten Absatz finde und was das Publikum darüber urteile? Die Nachricht über das erste fiel so günstig aus und die Meinung der großen Welt wurde so außerordentlich schmeichelhaft geschildert, daß der Autor sich überraschen ließ und, ungeachtet er als Doktor Ritter vorgestellt worden, dem Buchhändler nicht verbergen konnte, daß er, der gegenwärtig das Vergnügen habe mit ihm zu sprechen, der Verfasser davon sei. Aus den erstaunten, den Dichter messenden Blicken des Mannes ließ sich leicht abnehmen, wie unglaublich es ihm vorkommen müsse, daß der so sanft und freundlich aussehende Jüngling so etwas geschrieben haben könne. Indes verbarg er seine Zweifel, indem er durch mancherlei Wendungen das vorhin ausgesprochene Urteil, welches man so ziemlich als das allgemeine annehmen konnte, wiederholte. Für Schiller war jedoch dieser Auftritt sehr erheiternd; denn in einem solchen Zustande wie er damals war, konnte auf sein bekümmertes Gemüt nichts so angenehmen Eindruck haben als die Anerkennung seines Talentes und die Gewißheit der Wirkung, von der alle seine Leser ergriffen worden.

Zu Haus angelangt, überließ sich Schiller aufs neue seinen dichterischen Eingebungen und brachte den Nachmittag und Abend im Auf- und Niedergehen oder im Schreiben einiger Zeilen hin. Zum Sprechen gelangte er erst nach dem Abendessen, wo er dann auch seinem Gefährten erklärte, was für eine Arbeit ihn jetzt beschäftige.

Da man allgemein glaubt, daß bei dem Empfangen und an das Lichtbringen der Geisteskinder gute oder schlimme Umstände ebenso vielen Einfluß wie bei den leiblichen äußern, so sei dem Leser schon jetzt vertraut, daß Schiller seit der Abreise von Mannheim mit der Idee umging, ein bürgerliches Trauerspiel zu dichten, und er schon soweit im Plan [97] desselben vorgerückt war, daß die Hauptmomente hell und bestimmt vor seinem Geiste standen.

Dieses Trauerspiel, das wir jetzt unter dem Namen Kabale und Liebe kennen, welches aber ursprünglich Luise Millerin hätte benannt werden sollen, wollte er mehr als einen Versuch unternehmen, ob er sich auch in die bürgerliche Sphäre herablassen könne, als daß er sich öfters oder gar für immer dieser Gattung hätte widmen wollen. Er dachte so eifrig darüber nach, daß in den nächsten vierzehn Tagen schon ein bedeutender Teil der Auftritte niedergeschrieben war.

Am nächsten Morgen fragten die Reisenden auf der Post nach, ob keine Briefe für sie angelangt wären? Aber der Gang war fruchtlos, und da die Witterung trübe und regnerisch war, so mußte die Zuflucht wieder zur Stube genommen werden. Am Nachmittag wurde auf der Post noch einmal angefragt, aber ebenso vergeblich wie in der Frühe.

Diese Verspätung deutete S. um so mehr als ein gutes Zeichen, indem der angesuchte Betrag entweder durch Wechsel oder durch den Postwagen übermacht werden müsse, was dann notwendig einige Tage mehr erfordern könne als ein bloßer Brief. Er war seiner Sache so gewiß, daß er Schillern ersuchte, ihm seine in Mannheim zurückgelassenen Sachen nach Frankfurt zu schicken, weil er dann, sowie die Hilfe von Baron Dalberg eintreffe, seine Mutter ersuchen wolle, ihm außer dem, was er jetzt schon besitze, noch mehr zu senden, damit er von hier aus die Reise nach Hamburg fortsetzen könne. Schiller sagte dieses sehr gern zu und versprach noch weiter, ihm auch von Meier sowie von seinen andern Freunden Empfehlungsbriefe zu verschaffen, indem ein junger Tonkünstler nie zu viele Bekanntschaften haben könne. Diese Hoffnungen, die von beiden Seiten noch durch viele Zutaten verschönert wurden, erheiterten den durch eine bessere Witterung begünstigten Spaziergang und störten auch abends die Phantasie des Dichters so wenig, daß er sich derselben, [98] im Zimmer auf und ab gehend, mehrere Stunden ganz ruhig überließ.

Den nächsten Morgen gingen die Reisenden schon um neun Uhr aus, um die vielleicht in der Nacht an sie eingelaufenen Briefe abzuholen, die auch zu ihrer großen Freude wirklich eingetroffen waren. Sie eilten so schnell als möglich nach Haus, um den Inhalt derselben ungestört besprechen zu können, und waren kaum an der Tür ihrer Wohnung, als Schiller schon das an Dr. Ritter überschriebene Paket erbrochen hatte. Er fand mehrere Briefe von seinen Freunden in Stuttgart, die sehr vieles über das außerordentliche Aufsehen meldeten, das sein Verschwinden veranlaßt habe, ihm die größte Vorsicht wegen seines Aufenthalts anrieten, aber doch nicht das mindeste aussprachen, woraus sich auf feindselige Absichten des Herzogs hätte schließen lassen. Alle diese Briefe wurden gemeinschaftlich gelesen, weil ihr Inhalt beide betraf und allerdings geeignet war, sie einzuschüchtern. Allein da sie in Sachsenhausen geborgen waren, so beruhigten sie sich um so leichter, da sie in dem Schreiben des Herrn Meier der angenehmsten Nachricht entgegen sahen. Schiller las dieses für sich allein und blickte dann gedankenvoll durch das Fenster, welches die Aussicht auf die Mainbrücke hatte. Er sprach lange kein Wort, und es ließ sich nur aus seinen verdüsterten Augen, aus der veränderten Gesichtsfarbe schließen, daß Herr Meier nichts Erfreuliches gemeldet habe. Nur nach und nach kam es zur Sprache, daß Baron Dalberg keinen Vorschuß leiste, weil Fiesco in dieser Gestalt für das Theater nicht brauchbar sei; daß die Umarbeitung erst geschehen sein müsse, bevor er sich weiter erklären könne.

Diese niederschlagende Nachricht mußte dem edlen Jüngling um so unerwarteter sein, je mehr er durch die ihm von Baron Dalberg bezeugte Teilnahme zu seiner Bitte und zur Hoffnung, daß sie erfüllt würde, berechtigt war. Am meisten mußte aber sein Ehrgeiz dadurch beleidigt sein, daß er [99] seine traurige Lage ganz unnützerweise enthüllt und sich durch deren Darstellung der Willkür desjenigen preisgegeben, von dem er mit Recht Unterstützung erwartete.

Wenige junge Männer würden sich in gleichen Umständen mit Mäßigkeit und Anstand über eine solche Versagung ausgesprochen haben. Schiller aber bewies auch hierin sein reines, hohes Gemüt; denn er ließ nicht die geringste Klage hören; kein hartes oder heftiges Wort kam über seine Lippen, ja nicht einmal eines Tadels würdigte er die erhaltene Antwort, so wenig er sich auch vor seinem jüngeren Freunde hätte scheuen dürfen, seinen Unmut auszulassen. Er sann alsobald nur darauf, wie er dennoch zu seinem Zweck gelangen könne, oder was zuerst getan werden müsse. Da die Hoffnung geblieben war, daß, wenn Fiesco für das Theater brauchbar eingerichtet sei, derselbe angenommen und bezahlt würde, oder, wenn dieses auch nicht der Fall wäre, doch das Stück in Druck gegeben und dafür etwas eingenommen werden könne, so beschloß er in die Gegend von Mannheim zu gehen, weil es dort wohlfeiler als in Frankfurt zu leben sei, und auch um den Herren Schwan und Meier nahe zu sein, damit, wenn es auf die tiefste Stufe des Mangels kommen sollte, von diesen einige Hilfe erwartet werden könne. Er wäre sogleich dahin aufgebrochen, allein man war noch an Frankfurt gebannt, denn bei jedem Griff in den Beutel war schon sein Boden erreicht, und die durch S. von seiner Mutter erbetene Beihilfe war noch nicht angelangt. Bis diese eintreffe, mußte man hier aushalten, und um gegen die Möglichkeit, daß sie spät ankäme, oder vielleicht gar ausbliebe, doch einigermaßen gedeckt zu sein, entschloß sich Schiller ein ziemlich langes Gedicht, Teufel Amor betitelt, an einen Buchhändler zu verkaufen.

Dieses Gedicht, von dem sich der Verfasser dieses nur noch folgender zwei Verse:

»Süßer Amor, verweile
Im melodischen Flug«

[100]

mit Zuverlässigkeit erinnert, war eines der vollkommensten, die Schiller bisher gemacht und an schönen Bildern, Ausdruck und Harmonie der Sprache so hinreißend, daß er selbst – was bei seinen anderen Arbeiten nicht oft eintraf – ganz damit zufrieden schien und seinen jungen Freund mehrmals durch dessen Vorlesung erfreute. Leider ging es in den nächsten vier Wochen (wie der Leser später erfahren wird) mit noch andern Sachen, wahrscheinlich durch die Zerstreuung des Dichters selbst, in Verlust, indem sich in der von ihm herausgegebenen Sammlung seiner Gedichte keine Spur davon findet und das meiste davon der Bekanntmachung fast würdiger gewesen wäre als einige Stücke aus seiner frühern Zeit.

Von dem Buchhändler kam Schiller aber ganz mißmutig wieder zurück, indem er fünfundzwanzig Gulden dafür verlangte, jener jedoch nur achtzehn geben wollte. So benötigt er aber auch dieser kleinen Summe war, konnte er es doch nicht über sich gewinnen, diese Arbeit unter dem einmal ausgesprochenen Preise wegzugeben, und zwar sowohl aus herzlicher Verachtung gegen alle Knickerei als auch, weil er den Wert des Gedichtes selbst nicht gering achtete. Endlich, nachdem der Reichtum der geängstigten Freunde schon in kleine Scheidemünze sich umgewandelt hatte, kamen den nächsten Tag auf dem Postwagen die bescheidenen dreißig Gulden für S. an, der auch ohne das geringste Bedenken für jetzt seinen Plan nach Hamburg aufgab und bei Schillern blieb, um ihn nach seinem neuen Aufenthaltsorte zu begleiten. Dieser schrieb noch am nämlichen Abend an Herrn Meier, daß er den nächsten Vormittag nach Mainz abgehen, am folgenden Abend in Worms eintreffen werde, wo er auf der Post Nachricht erwarte, wohin er sich zu begeben habe, um ihn zu sprechen und den Ort zu bestimmen, in welchem er sein Trauerspiel ruhig umarbeiten könne. Gleich den andern Morgen begaben sich die Reisenden auf das von Frankfurt nach Mainz täglich abgehende Marktschiff, mit welchem sie [101] des Nachmittags bei guter Zeit in letztbenannter Stadt anlangten, dort sogleich in einem Gasthofe das Wenige, was sie bei sich hatten, ablegten und noch ausgingen, um den Dom und die Stadt zu besichtigen.

Am nächsten Tage verließen sie Mainz sehr früh, wo sie, die Favorite vorbei, den herrlichen Anblick des Zusammentreffens vom Rhein- und Mainstrome bei der schönsten Morgenbeleuchtung genossen und den echt deutschen Eigensinn bewunderten, mit welchem beide Gewässer ihre Abneigung zur Vereinigung durch den scharfen Abschnitt ihrer bläulichen und gelben Farben bezeichneten.

Da man auf den Abend in Worms eintreffen wollte, so mußten die Wanderer als ungeübte Fußgänger sich ziemlich anstrengen, um den neun Stunden langen Weg zurückzulegen. Als noch am Vormittag Nierenstein erreicht wurde, konnten beide der Versuchung nicht widerstehen, sich an dem in der Gegend wachsenden Wein, den sie nur aus den Lobeserhebungen der Dichter kannten, zu stärken, welches besonders Schiller, der von Mainz bis hierher nur wenige Worte gesprochen, sehr zu bedürfen schien. Sie traten in das zunächst am Rhein gelegene Wirtshaus und erhielten dort durch Bitten und Vorstellungen einen Schoppen oder ein Viertelmaß von dem besten ältesten Weine, der sich im Keller fand und der mit einem kleinen Taler bezahlt werden mußte.

Als Nichtkenner edler Weine schien es ihnen, daß bei diesem Getränk wie bei vielen berühmten Gegenständen der Ruf größer sei, als die Sache verdiene. Aber als sie ins Freie gelangten, als die Füße sich leichter hoben, der Sinn munterer wurde, die Zukunft ihre düstere Hülle etwas lüftete und man ihr mit mehr Mut als bisher entgegenzutreten wagte, glaubten sie einen wahren Herzenströster in ihm entdeckt zu haben, und ließen dem edlen Weine volle Gerechtigkeit angedeihen. Dieser angenehme Zustand erstreckte sich aber kaum über drei Stunden; denn so fest auch der Wille war, so sehr die Notwendigkeit zur Eile antrieb, so konnte Schiller [102] doch das anstrengende Gehen kaum bis in die Mitte des Nachmittags aushalten; was aber vorzüglich daher kommen mochte, weil er immer in Gedanken verloren war, und nichts so sehr ermüdet als tiefes Nachdenken, wenn der Körper in Bewegung ist. Man entschloß sich daher eine Station weit zu fahren, wodurch es allein möglich war, daß Worms um neun Uhr nachts erreicht wurde.

Am andern Morgen fand Schiller auf der Post einen Brief des Herrn Meier, worin dieser die Nachricht gab, daß er diesen Nachmittag mit seiner Frau in Oggersheim in dem Gasthause, zum Viehhof genannt, eintreffen wolle, wo er ihn zu sehen hoffe, um weitere Abrede mit ihm nehmen zu können. Die Reisenden begaben sich um so ruhiger auf den Weg, als sie hoffen durften, daß endlich aller Ungewißheit ein Ende sein würde, und trafen zur gesetzten Zeit in Oggersheim ein, wo sie auch schon Herrn und Madame Meier nebst zwei Verehrern des Dichters vorfanden.

Für Herrn Meier war es eine unangenehme, lästige Aufgabe, dem jungen Manne, den er als Dichter und Menschen gleich hoch achtete, die Ansichten des Baron Dalberg über Fiesco und warum er sich in keinen Vorschuß einlassen könne, auseinander zu setzen. Er wußte jedoch seinen Ausdrücken eine solche Wendung zu geben, daß sie keinen der beiden Gegenstände hart berührten, sondern alles so gelind als natürlich darstellten. Auch gab er die Versicherung, daß Fiesco unbezweifelt angenommen werde, sobald er um mehrere Szenen abgekürzt und der fünfte Akt ganz beendigt sei. Schiller benahm sich auch bei dieser Gelegenheit wahrhaft edel und weit über das Gewöhnliche erhaben; denn so sehr ihm aus oben berührten Rücksichten daran gelegen sein mußte, den Preis seines Stückes schon jetzt zu haben, so sehr er auch sein in den Baron Dalberg gesetztes Vertrauen nur durch Ausflüchte erwidert fand, so sprach er doch kein Wort, das irgend eine Art von Empfindlichkeit über die vereitelte Hoffnung hätte erraten lassen oder als Widerlegung der [103] über Fiesco gemachten Bemerkungen hätte ausgelegt werden können. Mit der freundlichen, männlichen Art, die im Umgang ihm ganz gewöhnlich war, leitete er das Gespräch darauf hin, den Ort zu bestimmen, wo er sich einige Wochen, als solange die Umarbeitung wohl dauern werde, ruhig und ohne Gefahr aufhalten könne. Aus vielen Ursachen wurde es am besten befunden, wenn er hier in Oggersheim bleibe. Dieses sei nur eine kleine Stunde von Mannheim entfernt, er könne, so oft er es nötig finde, des Abends in die Stadt kommen und wäre in der Nähe seiner Bekannten und Freunde wenigstens nicht ganz ohne Hilfe, wenn sich etwas Widriges ereignen sollte.

Da die von Madame Meier den Reisenden eingehändigten Briefe aus Stuttgart noch immer von Gefahr der Auslieferung sprachen und die möglichste Verborgenheit empfahlen, so wurde der Name Ritter, den Schiller bisher geführt, in Doktor Schmidt umgewandelt und er von den Anwesenden in Gegenwart des herbeigerufenen Wirtes also gleich mit diesem Titel angeredet. Auch hier wurde der Betrag für Kost und Wohnung auf den Tag bedungen und Madame Meier ersucht, die in Mannheim gebliebenen Koffer und das Klavier den Reisenden übermachen zu wollen. Der eintretende Abend schied die Gesellschaft. Die Freunde, nun wieder ganz auf sich eingeschränkt, begaben sich auf das ihnen angewiesene Zimmer, wo sie aber nur ein einziges Bett vorfanden, mit dem sie sich begnügen mußten.

Da man die täglichen Kosten des Aufenthaltes wußte, so ließ sich leicht berechnen, daß die Barschaft auf höchstens drei Wochen ausreichen könne, in welcher Zeit Schiller seine Arbeit zu beendigen hoffte. Allein es ließ sich leicht voraussehen, daß dieses nicht der Fall sein würde, indem er viel zu sehr mit seinem neuen Trauerspiel beschäftigt war und schon am ersten Abend in Oggersheim den Plan desselben aufzuzeichnen anfing. Gleich bei dem Entwurf desselben hatte er sich vorgenommen, die vorkommenden Charaktere [104] den eigensten Persönlichkeiten der Mitglieder von der Mannheimer Bühne so anzupassen, daß jedes nicht nur in seinem gewöhnlichen Rollenfache sich bewegen, sondern auch ganz so wie im wirklichen Leben zeigen könne. Im voraus schon ergötzte er sich oft daran, wie Herr Beil den Musikus Miller so recht naiv-drollig darstellen werde und welche Wirkung solche komische Auftritte gegen die darauffolgenden tragischen auf die Zuschauer machen müßten. Da er die Werke Shakespeares nur gelesen, aber keines seiner Stücke hatte aufführen sehen, so konnte er auch noch nicht aus der Erfahrung wissen, wie viele Kunst von seiten des Darstellers dazu gehöre, um solchen Kontrasten das Scharfe, das Grelle zu benehmen, und wie klein die Anzahl derer im Publikum ist, welche die große Einsicht des Dichters oder die Selbstverleugnung des Schauspielers zu würdigen verstehen.

Er war so eifrig beschäftigt, alles das niederzuschreiben, was er bis jetzt darüber in Gedanken entworfen hatte, daß er während ganzer acht Tage nur auf Minuten das Zimmer verließ. Die langen Herbstabende wußte er für sein Nachdenken auf eine Art zu benützen, die demselben eben so förderlich als für ihn angenehm war. Denn schon in Stuttgart ließ sich immer wahrnehmen, daß er durch Anhören trauriger oder lebhafter Musik außer sich selbst versetzt wurde, und daß es nichts weniger als viele Kunst erforderte, durch passendes Spiel auf dem Klavier alle Affekte in ihm aufzureizen. Nun mit einer Arbeit beschäftigt, welche das Gefühl auf die schmerzhafteste Art erschüttern sollte, konnte ihm nichts erwünschter sein, als in seiner Wohnung das Mittel zu besitzen, das seine Begeisterung unterhalten oder das Zuströmen von Gedanken erleichtern könne.

Er machte daher meistens schon bei dem Mittagtische mit der bescheidensten Zutraulichkeit die Frage an S.: »Werden Sie nicht heute abend wieder Klavier spielen?« – Wenn nun die Dämmerung eintrat, wurde sein Wunsch erfüllt, während dem er im Zimmer, das oft bloß durch [105] das Mondlicht beleuchtet war, mehrere Stunden auf und ab ging und nicht selten in unvernehmliche, begeisterte Laute ausbrach.

Auf diese Art verflossen einige Wochen, bis er dazu gelangte, über die bei Fiesco zu treffenden Veränderungen mit einigem Ernste nachzudenken; denn so lang er sich von den Hauptsachen seiner neuen Arbeit nicht loswinden konnte, so lange diese nicht entschieden vor ihm lagen, so lang er die Anzahl der vorkommenden Personen und wie sie verwendet werden sollten, nicht bestimmt hatte, war auch keine innere Ruhe möglich.

Erst nachdem er hierüber in Gewißheit war, konnte er die Anordnungen in dem frühern Trauerspiel beginnen, wobei er aber dennoch den Ausgang desselben vorläufig unentschieden lassen mußte. Daß dieser Ausgang nicht so sein dürfe, wie er durch die Geschichte angegeben wird, wo ihn ein unglücklicher Zufall herbeiführt, blieb für immer ausgemacht. Daß er tragisch, daß er der Würde des Ganzen angemessen sein müsse, war ebenso unzweifelhaft. Nur blieb die schwierige Frage zu lösen, wie, durch wen oder auf welche Art das Ende herbeizuführen sei? Schiller konnte hierüber so wenig mit sich einig werden, daß er sich vornahm, alles Frühere vorher auszuarbeiten, die Katastrophe durch nichts erraten zu lassen und obige Zweifel erst, wenn das übrige fertig wäre, zuletzt zu entscheiden.

Beinahe ein Monat war verflossen, und Fiesco noch immer nicht vollendet; ja wäre der Dichter nicht gezwungen gewesen, alles zu versuchen, um sich aus seiner Verlegenheit zu retten, so wäre dieses Stück sicher erst dann umgearbeitet worden, wenn er das bürgerliche Trauerspiel ganz fertig vor sich gesehen hätte.

Nur diejenigen, welche nicht selbst Fähigkeit zu Arbeiten haben, wobei Begeisterung und Einbildungskraft beinahe ausschließend tätig sein müssen, können diese Unentschlossenheit, diese Zögerungen Schillers eines Tadels würdig finden. [106] Zu Werken des ruhigen Verstandes, der kalten Überlegung läßt sich der Geist leichter beherrschen, sogar öfters nötigen; da im Gegenteil Dichter oder Künstler auf den Augenblick warten müssen, wo ihnen die Muse erscheint, und diese, so freigebig sie auch gegen ihre Lieblinge ist, sich doch alsobald mit Sprödigkeit wegwendet, wenn die dargebotenen Gaben nicht augenblicklich erhascht werden. Aus diesen Gründen lassen sich bei einem Jüngling, dessen Trieb zur Dichtung so vorherrschend ist, daß alle übrigen Eigenschaften bloß diesem zu dienen bestimmt sind, Ideen, die sein Inneres aufgeregt haben, so wenig abwehren, daß, wenn er es auch versuchen wollte, sie doch immerdar den Hintergrund seiner Gedanken bilden würden und er nicht früher zur Ruhe gelangen könnte, bis er nicht wenigstens die Zeichnung entworfen hätte.

Daß Schiller unter diesen Hochbegünstigten Apollos einer der vorzüglichsten war, dafür spricht jede Zeile, die er niederschrieb. Aber auch ungerechnet die Verhinderungen, welche ihm sein eignes Talent in den Weg brachten, konnte die Ursache, wegen welcher er den Fiesco gerade jetzt beendigen mußte, für ihn nichts weniger als erfreulich sein. Denn so hoch er die Gaben des Himmels achtete, so gleichgültig war er gegen diejenigen, welche die Erde bietet, und es war gewiß nicht ermunternd, zur Erwerbung der letzteren sich gezwungen zu wissen. Der Aufenthalt in Oggersheim war in dem feuchten, trüben Oktobermonat gleichfalls nicht erheiternd.

Mochten auch die nach Mannheim und Frankenthal führenden Pappelalleen anfangs recht hübsch aussehen, so fand man doch bald, daß sie nur darum angepflanzt seien, um die flache, kahle, sandige Gegend zu verbergen; daher waren die Reisenden um so früher an der mageren Aussicht gesättigt, als sie von zarter Jugend an an die üppigen Umgebungen von Ludwigsburg und Stuttgart gewöhnt waren, wo, besonders bei letzterer Stadt, überall Gebirge das Auge [107] erfreuen oder schon die ersten Schritte aus den Stadttoren in Gärten oder gut gepflegte Weinberge führen.

Im Hause selbst war der Wirt von rauher, harter Gemütsart, welche seine Frau und Tochter, die sehr sanft und freundlich waren, öfters auf die heftigste Art empfinden mußten. Nur der Kaufmann des Orts war ein Mann, mit dem sich über mancherlei Gegenstände sprechen ließ, da er ein sehr großer Freund von Büchern und, zu seinem nicht geringen Nachteil, ein wahrhaft ausübender Philosoph war. Wollte Schiller mit Meier oder Herrn Schwan sich unterreden, so konnte er nur um die Zeit der Dämmerung in die Stadt gehen, wo er dann über Nacht bleiben mußte und erst bei Anbruch des Tages zurückkehren konnte. S. war, was diesen Umstand betraf, viel freier, weil er für sich keine Gefahr befürchten zu dürfen glaubte. Er war manchen halben Tag daselbst, um Bekanntschaften anzuknüpfen, die ihm in der Folge sehr nützlich wurden.

Der Oktober nahte sich seinem Ende und mit diesem auch die Barschaft, welche beide mit hieher gebracht hatten. Es blieb kein anderes Mittel, als daß S. noch einmal nach Hause schrieb und seine Mutter bat, ihm den Rest des ihm nach Hamburg bestimmten Reisegeldes hieher zu schicken, indem er wahrscheinlich genötigt sein werde, in Mannheim zu bleiben, wenn sich das Schicksal Schillers nicht so vollständig verbessere, als beide erwarteten.

Endlich war in den ersten Tagen des Novembers das Trauerspiel Fiesco für das Theater umgearbeitet und ihm der Schluß gegeben worden, welcher der Geschichte, der Wahrscheinlichkeit am angemessensten schien. Man darf glauben, daß die letzten Szenen dem Dichter weit mehr Nachdenken kosteten als das ganze übrige Stück, und daß er den begangenen Fehler, die Art des Schlusses nicht genau vorher bestimmt zu haben, mit großer Mühe gut zu machen suchen mußte. Aber in welchen unruhigen Umständen befand sich der unglückliche Jüngling, als er dieses Trauerspiel entwarf! [108] Und wie war die jetzige Zeit beschaffen, in welcher er ein Werk ausführen sollte, zu dem die ruhigste, heiterste Stimmung erfordert wird, die durch keine Bedrückung des täglichen Lebens, keine Beängstigung wegen der Zukunft gestört werden darf, wenn die Arbeit zur Vollkommenheit gebracht werden soll! Seine lebhafte, kühne Phantasie, sonst immer gewöhnt sich mit den Schwingen des Adlers in den höchsten Regionen zu wiegen, wie stark war diese von der traurigen Gegenwart niedergehalten! Mit welchen schweren bleiernen Gewichten zu dem Gemeinen, Niedrigen des Lebens herabgezogen! – In den verflossenen neun Jahren durfte er seinem leidenschaftlichen Hang zur Dichtkunst nur verstohlenerweise einige Minuten, höchstens Stunden opfern; denn er mußte Studien treiben und Geschäfte verrichten, die mit seinen Neigungen, seinem mit poetischen Bildern überfüllten Geist in dem härtesten Widerspruch standen; und es gehörten so reiche Anlagen wie er besaß dazu, um über die vielen stets sich erneuernden Kämpfe nicht in Wahnsinn zu verfallen, sowie sein weiches, zartes Gemüt, um sich allen Anforderungen zu fügen. Ohne eigne Erfahrung hätte er in späterer Zeit seinen poetischen Lebenslauf in der herrlichen Dichtung »Pegasus im Joche« unmöglich so getreu darstellen, so natürlich zeichnen können, daß derjenige, der mit seinen Verhältnissen vertraut war, recht wohl die Vorfälle deuten kann, auf die es sich bezieht. Laßt uns den Dichter wegen der Mängel, die sich in Fiesco, in Kabale und Liebe finden, nicht tadeln; vielmehr verdient es die höchste Bewunderung, daß er bei den ungünstigsten äußern Umständen die Kräfte seines Talentes noch so weit bemeistern konnte, um zwei Werke zu liefern, denen, um ihrer vielen und großen Schönheiten willen, die späte Nachwelt noch ihre Achtung nicht versagen wird.

Mit weit mehr Ruhe und Zufriedenheit als früher begab sich Schiller nach der Stadt, um Herrn Meier das fertige und ins Reine geschriebene Manuskript einzuhändigen. [109] Da er alles geleistet, was der Gegenstand zuließ, oder von dem er hoffen konnte, daß es den Wünschen des Baron Dalberg sowie zugleich den Forderungen der Bühne angemessen sei, so glaubte er auch, daß seine Bedrängnisse bald beendigt sein würden und er das Leben auf einige Zeit mit frohem Mute werde genießen können. Es verging jedoch eine ganze Woche, ohne daß der Dichter eine Antwort erhielt, die ihm doch auf die nächsten Tage zugesagt worden. Um der Ungewißheit ein Ende zu machen, entschloß er sich an Baron Dalberg zu schreiben und sich noch einmal zu Herrn Meier zu begeben, um eine Auskunft über das, was er erwarten könne, zu erhalten.

Es war gegen die Mitte Novembers, als Schiller und S. des Abends bei Herrn Meier eintraten und diesen nebst seiner Gattin in größter Bestürzung fanden, weil kaum vor einer Stunde ein württembergischer Offizier bei ihnen gewesen sei, der sich angelegentlich nach Schillern erkundigt habe. Herr Meier hatte nichts gewisser vermutet, als daß dieser Offizier den Auftrag habe, Schillern zu verhaften, und demzufolge beteuert, daß er nicht wisse, wo dieser sich gegenwärtig befinde. Während dieser Erklärung klingelte die Haustür und man wußte in der Eile nichts Besseres zu tun, als Schiller mit S. in einem Kabinett, das eine Tapetentür hatte, zu verbergen. Der Eintretende war ein Bekannter vom Hause, der gleichfalls voll Bestürzung aussagte: er habe den Offizier auf dem Kaffeehause gesprochen, der nicht nur bei ihm, sondern auch bei mehreren Anwesenden sehr sorgfältig nach Schillern gefragt habe; allein er seinerseits hätte versichert, daß der Aufenthalt desselben jetzt ganz unbekannt wäre, indem er schon vor zwei Monaten nach Sachsen abgereist sei. Die Geflüchteten kamen aus ihrem Versteck hervor, um die Uniformsaufschläge und das Persönliche des Offiziers zu erforschen, weil es vielleicht auch einer von den Bekannten Schillers sein konnte; allein die Angaben über alles waren so abweichend, daß man unmöglich auf eine bestimmte Person [110] raten konnte. Noch einigemal wiederholte sich dieselbe Szene durch neu Ankommende, die mit den andern voller Ängstlichkeit um die beiden Freunde waren, weil diese mit Sicherheit weder in der Stadt übernachten, noch auch nach Oggersheim zurückgehen konnten.

Wie aber der feine, gewandte Sinn des zarteren Geschlechtes allezeit noch Auswege findet, um Verlegenheiten zu entwirren, wenn die Männer – immer gewohnt nur starke Mittel anzuwenden – nicht mehr Rat zu schaffen wissen, so wurde auch jetzt von einem schönen Munde ganz unerwartet das Mittel zur Rettung ausgesprochen. Madame Curioni (mit Dank sei heute noch ihr Name genannt) erbot sich, Schillern und S. in dem Palais des Prinzen von Baden, über welches sie Aufsicht und Vollmacht hatte, nicht nur für heute, sondern solange zu verbergen, als noch eine Verfolgung zu befürchten wäre. Dieses mit der anmutigsten Güte gemachte Anerbieten wurde mit um so lebhafterer Erkenntlichkeit aufgenommen, da man daselbst am leichtesten unerkannt sein konnte und sich auch niemand in der Absicht, um jemand zu verhaften, in dieses Palais hätte wagen dürfen. Auf der Stelle wurden die nötigen Anstalten zur Aufnahme der verfolgt Geglaubten getroffen und sie dann sogleich dahin geleitet. Herr Meier hatte versprochen, am nächsten Morgen zum ersten Sekretär des Ministers Grafen von Oberndorf zu gehen, um diesen, da er ihn sehr gut kenne, zu fragen, ob der Offizier in Aufträgen an das Gouvernement hier gewesen sei?

Das Zimmer, welches den beiden Freunden als Zuflucht angewiesen worden, war sehr schön und geschmackvoll, mit Notwendigem sowie Überflüssigem ausgestattet. Unter den zahlreichen Kupferstichen, mit denen die Wände behangen waren, befanden sich auch die zwölf Schlachten Alexanders, von Lebrun, welche den Betrachtenden bis spät in die Nacht die angenehmste Unterhaltung gewährten. Gegen zehn Uhr des andern Morgens wagte sich S. aus dem Palais, um [111] sich zu Herrn Meier zu begeben und zu vernehmen, ob etwas zu befürchten sei? Diesen aber hatten seine eignen Sorgen schon in aller Frühe zu dem Sekretär des Ministers getrieben, von dem er die Versicherung erhielt, daß der Offizier keine Aufträge an Graf Oberndorf gehabt und sich auch aus dem Meldezettel des Gastwirt ergebe, daß er schon gestern abend um sieben Uhr abgereist sei. Nach einigen kurzen Besuchen begab sich S. sogleich zu Schillern, um ihm diese beruhigende Kunde zu überbringen und ihn aus seinem schönen Gefängnis zu befreien, welches er auch sogleich verließ, um sich zu Herrn Meier zu verfügen.

Hier wurde nun die unsichere Lage des Dichters umständlich besprochen, welche der unnützen Angst von gestern ungeachtet, ebenso gefährlich für ihn selbst als für jeden, der Anteil an ihm nahm, beunruhigend schien. Schiller mußte zugeben, daß er für jetzt nicht in Mannheim verweilen könne, so willkommen es ihm auch gewesen wäre, für das Theater wirksam zu sein und zugleich durch Anschauung der aufgeführten Stücke seine Einsicht in das Mechanische der Bühne zu erweitern. Daher wurde mit allgemeiner Zustimmung seiner Freunde von ihm beschlossen, daß, sobald die Annahme seines Fiesco entschieden sei, er sich sogleich nach Sachsen begeben wolle. Daß er, aller etwa anzustellenden Nachforschungen ungeachtet, daselbst einen sichern, von allen Sorgen befreiten Aufenthalt finden könne, dafür hatte er glücklicherweise schon in Stuttgart Anstalten getroffen. Frau von Wolzogen, die ihn sehr hoch achtete, und deren Söhne mit ihm zugleich in der Akademie erzogen worden, hatte ihm, als er ihr nach seinem Arrest den Vorsatz, von Stuttgart entfliehen zu wollen, vertraute, feierlich zugesagt, ihn auf ihrem in der Nähe von Meiningen liegenden Gute – Bauerbach – solange wohnen und mit allem Nötigen versehen zu lassen, als er von dem Herzog eine Verfolgung zu befürchten habe. Dieses in einer guten Stunde erhaltene Versprechen wollte jetzt Schiller benützen und schrieb sogleich an diese Dame nach [112] Stuttgart, wo sie sich aufhielt, um die nötigen Vollmachten, damit er in Bauerbach aufgenommen werde.

Gegen Ende Novembers erfolgte endlich die Entscheidung des Baron Dalberg über Fiesco, welche ganz kurz besagte: »Daß dieses Trauerspiel auch in der vorliegenden Umarbeitung nicht brauchbar sei, folglich dasselbe auch nicht angenommen oder etwas dafür vergütet werden könne.«

So zerschmetternd für Schiller ein Ausspruch sein mußte, der die Hoffnung, das quälende, seine schönsten Augenblicke verpestende Gespenst einer kaum des Namens werten Schuld von sich zu entfernen, auf lange Zeit zerriß – so sehr er es auch bereute, daß er sich durch täuschende Versprechungen, durch schmeichelnde, leere, glatte, hohle Worte hatte aufreizen lassen, von Stuttgart zu entfliehen – so ungewöhnlich es ihm scheinen mochte, daß man ihn zur Umarbeitung seines Stückes verleitet, die ihm nahe an zwei Monate Zeit gekostet, all sein Geld aufzehrte und ihn noch in neue Schulden versetzte, ohne ihn auf eine entsprechende Art dafür zu entschädigen oder auch nur anzugeben, worin denn die Unbrauchbarkeit dieses Trauerspiels bestehe – so sehr dieses alles sein großmütiges Herz zernagte, so war er dennoch viel zu edel, viel zu stolz, als daß er sein Gefühl für eine solche Behandlung hätte erraten lassen. Er begnügte sich gegen Herrn Meier, der ihm diese abweisende Entscheidung einhändigen mußte, zu äußern: er habe es sehr zu bedauern, daß er nicht schon von Frankfurt aus nach Sachsen gereist sei.

Um jedoch den Leser zu versichern, daß die Mitglieder des Theaterausschusses, denen Fiesco zur Prüfung vorgelegt worden, die Meinung ihres Chefs nicht völlig teilten, werde schon jetzt das Votum eines derselben, das Schiller ein Jahr später in dem Protokoll des Theaters fand, angeführt.

»Obwohl dieses Stück für das Theater noch einiges zu wünschen lasse, auch der Schluß desselben nicht die gehörige Wirkung zu versprechen scheine, so sei dennoch die Schönheit und Wahrheit der Dichtung von so ausgezeichneter Größe, [113] daß die Intendanz hiemit ersucht werde, dem Verfasser als Beweis der Anerkennung seiner außerordentlichen Verdienste eine Gratifikation von acht Louisdor verabfolgen zu lassen.«

Unterzeichnet war: Iffland.

Allein Se. Exzellenz Freiherr von Dalberg konnten diesem Gutachten, das noch heute Iffland die größte Ehre bringt, ihren Beifall nicht schenken, sondern entließen den Dichter eben so leer in Börse und Hoffnung aus Mannheim, wie er vor zwei Monaten daselbst angekommen war.

Das nächste, das einzige und letzte, was nun zu tun war, unternahm Schiller sogleich, indem er zu Herrn Schwan ging und ihm Fiesco für den Druck anbot. Herr Schwan, der als Gelehrter und Buchhändler den Ruf eines vortrefflichen Mannes mit vollem Rechte genoß, übernahm dieses Stück mit großer Bereitwilligkeit und bedauerte nur, als er es durchlesen, daß er die vortreffliche Dichtung nicht höher als den gedruckten Bogen mit einem Louisdor honorieren könne, da ihm durch die überall lauernden Nachdrucker kein anderer Gewinn übrig bleibe, als den er von dem ersten Verkauf ziehe.

Was Schillern aber unter allen diesen Widerwärtigkeiten am schmerzlichsten fiel, war der Gedanke, daß er seinen Freund S. in sein böses Schicksal mit verflochten, indem dieser all das Geld, das er zu der vorgehabten Reise nach Hamburg hätte verwenden sollen, in der Hoffnung, daß der Dichter in Mannheim reichliche Unterstützung finden müsse, aufgeopfert hatte, und nun an keinen Ersatz zu denken war. Schon im August hätte S. nach Wien reisen sollen, wo ihn eine Aufnahme erwartete, die ihn zwar jeder Sorge für seine Bedürfnisse überhoben, aber in seiner Kunst nicht weiter gefördert hätte. Er zog es also vor, seine jungen Jahre nicht müßig zu vergeuden, sondern lieber nach Hamburg zu gehen, um, wenn es auch mit den größten Entbehrungen geschehen müßte, sich in der Musik so viel als möglich auszubilden; worin [114] ihm auch Schiller, dem er diese Sache schon früher vertraut hatte, vollkommen beistimmte. Nun konnte S. weder in den einen noch in den andern Ort gelangen, indem seine Mutter nicht wohlhabend genug war, um ihm sogleich wieder neue Hilfe zukommen zu lassen. Nach allen Meinungen schien es das beste zu sein, daß er vorderhand in Mannheim bleibe, weil noch mehrere Mitglieder der kurfürstlichen Kapelle daselbst wohnten, deren Unterricht oder Beispiel er benützen konnte, wozu die Herren Schwan, Meier und seine Freunde alles beizutragen versprachen. S. ergab sich in das, was vorläufig nicht zu ändern war, viel williger, als daß er jetzt schon in die Stadt ziehen und Schillern noch acht bis zehn Tage in Oggersheim allein lassen sollte. Allein es mußte sein. Beide hatten sich aufgezehrt; im Gasthof war es zu teuer, und ihre Not war schon so groß geworden, daß der Dichter seine Uhr verkaufen mußte, um nicht zu vieles schuldig zu bleiben. Die letzten vierzehn Tage mußte man aber dennoch auf Borg leben, wo man dann auf der schwarzen Wirtstafel recht säuberlich mit Kreide geschrieben sehen konnte, was die Herren Schmidt und Wolf täglich verbraucht hatten.

Der arme Dichter erhielt für Fiesco gerade so viel, um besagte Kreidenstriche auslöschen zu lassen, um einige unentbehrliche Sachen für den Winter anzuschaffen und um seine Reise bis Bauerbach ohne Furcht vor neuem Mangel bestreiten zu können. Der Antritt dieser Reise war auf den letzten November bestimmt. Da Schiller mit dem Postwagen über Frankfurt, Gelnhausen usw. nach Meiningen gehen, sich aber auf der Post in Mannheim nicht zeigen wollte, so kam Herr Meier mit ihm überein, ihn mit S. und einigen Freunden in Oggersheim abzuholen und von da nach Worms zu bringen, wo er dann den nächsten Tag mit dem Postwagen abfahren könne.

An dem bestimmten Tage fuhren die Freunde nach Oggersheim, wo sie Schiller gerade beschäftigt fanden, seine wenige Wäsche, seine Kleidungsstücke, einige Bücher und [115] Schriften in einen großen Mantelsack zu packen. Bei einer Flasche Wein, die er reichen ließ, wurde alles besprochen, was ihn über die Zukunft beruhigen oder seine Munterkeit befördern könnte. Allein bei ihm war dies gar nicht so nötig, als wohl bei den meisten Menschen, denen ihre Hoffnungen fehlschlagen, der Fall ist. Nur die Erwartung, die Ungewißheit einer Sache hatte für sein Gemüt etwas Unangenehmes, Beunruhigendes. Sowie aber einmal die Entscheidung eingetreten war, zeigte er all den Mut, den ein wackerer Mann braucht, um Herr über sich zu bleiben. Er übte – was wenige Dichter tun – seine ausgesprochenen Grundsätze redlich aus und befolgte den Vorsatz des Karl Moor »die Qual erlahme an meinem Stolze« bei Umständen, in welchen jeden andern die Kraft verlassen hätte.

Von Oggersheim brach die Gesellschaft bei einer starken Kälte und tiefliegendem Schnee nach Worms auf, wo sie gerade noch zur rechten Zeit ankam, um in dem Posthause, wo sie abgestiegen waren, von einer wandernden Truppe Ariadne auf Naxos spielen zu sehen. Daß die Aufführung ebenso ärmlich als lächerlich sein mußte, ergibt sich schon daraus, daß an dem Schiffe, welches den Theseus abzuholen erschien, zwei Kanonen gemalt waren, und daß der Donner, durch welchen Ariadne vom Felsen geschleudert wird, mittels eines Sackes voll Kartoffeln, die man in einen großen Zuber ausschüttete, hervorgebracht wurde. Meier und seine Freunde fanden hier eine reiche Ernte für ihre Lust alles zu belachen und zu verspotten. Schiller aber sah mit ernstem, tiefem Blick und so ganz in sich verloren auf das Theater, als ob er nie etwas Ähnliches gesehen hätte oder es zum letztenmal sehen sollte. Auch nach beendigtem Melodram konnten die Bemerkungen der andern ihm kaum ein Lächeln entlocken; denn man sah es ihm an, daß er nicht gerne aus der Stimmung trete, die sich seiner bemächtigt hatte.

Das Nachtessen, bei dem auch Liebfrauenmilch nicht fehlte, machte ihn jedoch etwas heiterer, so daß man endlich ganz [116] wohlgemut aufbrechen konnte, um nach Mannheim zurückzukehren und dem allen wert gewordenen Dichter das Lebewohl zu sagen. Meier und die andern schieden sehr unbefangen und redselig.

Allein was konnten Schiller und sein Freund sich sagen? – Kein Wort kam über ihre Lippen – keine Umarmung wurde gewechselt; aber ein starker, lang dauernder Händedruck war bedeutender als alles, was sie hätten aussprechen können!

Die zahlreich verflossenen Jahre konnten jedoch bei dem Freunde die wehmütige Erinnerung an diesen Abschied nicht auslöschen; und noch heute erfüllt es ihn mit Trauer, wenn er an den Augenblick zurückdenkt, in welchem er ein wahrhaft königliches Herz, Deutschland edelsten Dichter, allein und im Unglück hatte zurücklassen müssen!

Die außerordentlich strenge Kälte, welche in den ersten Tagen des Dezembers herrschte, ließ um so weniger für den Dichter eine angenehme Reise erwarten, da er ohne schützende Kleidung, nur mit einem leichten Überrocke versehen, einige Tage und Nächte auf dem Postwagen zubringen mußte, dessen (damaliger) Schneckengang selbst in einer bessern Jahreszeit die Stunden zu Tagen ausdehnte.

Seine Freunde beklagten ihn sehr, und ihre zu spät erwachte Gutmütigkeit erinnerte sich jetzt an manches Entbehrliche, womit ihm die rauhe Witterung weniger empfindlich hätte gemacht werden können; und je mehr die Mittel hierzu sich fanden, um so ernstlicher wurde bedauert, daß man nicht früher daran gedacht oder deshalb gemahnt worden.

Ebenso natürlich war es auch, daß dieselben Menschen, welchen die Versprechungen, die Schillern gemacht worden, bekannt waren, und die ihm die Hoffnung, daß sie erfüllt würden, ganz unbezweifelt darstellten, jetzt auch ihren scharfen Tadel über seine Flucht äußerten und solche für ebenso leichtsinnig als unbegreiflich erklärten.

[117]

Daß er, um dem bisher erlittenen, unerträglichen Zwange zu entgehen, das Äußerste gewagt – daß er durchaus nicht Arzt, sondern Dichter sein wollte – daß er, um sich dem so reizend scheinenden Stande mit ganzer Kraft widmen zu können, eine sehr kümmerliche Besoldung aufgeben konnte, schien ebenso unüberlegt, als es wenige Kenntnis der Welt und ihrer Verhältnisse anzeigte.

Man berechnete sorgfältig den Reichtum berühmter Ärzte und verglich damit die Einkünfte deutscher Dichter, die, wenn sie auch den größten Ruhm sich erworben, dennoch in einer Lage waren, welche man wahrhaft ärmlich nennen konnte.

Auch fürchtete man, daß die Erwartungen, die Schiller durch sein erstes Schauspiel erregt, viel zu groß wären, als daß er dieselben durch nachfolgende Werke befriedigen oder seine Kräfte in gleicher Höhe erhalten könnte.

Der einzige, aber auch sehr warme Verteidiger unseres Dichters war Iffland, der, den Beruf zum Schauspieler in sich fühlend, in noch jungen Jahren bloß mit etlichen Talern in der Tasche und nur mit den am Leibe tragenden Kleidungsstücken versehen, seinem wohlhabenden Vater entfloh, um sich zu Ekhof zu begeben und in dessen Schule zu bilden. Iffland allein wußte die Lage Schillers gehörig zu würdigen, indem er aus eigner Erfahrung beurteilen konnte, wie unerträglich es ist, ein hervorstechendes, angebornes Talent unterdrücken, die herrlichsten Gaben vermodern lassen zu müssen und nur das gemeine Alltägliche tun zu sollen, oder gar durch Zwang zu dessen Ausübung angehalten zu werden. Nicht nur gab er dem mutigen Entschlusse Schillers seinen völligen Beifall, sondern machte auch mit dem ihm reichlich zu Gebote stehenden Witze den Kleinmut derer lächerlich, die es für ein Unglück halten, einige Meilen zu Fuß reisen zu müssen oder zur gewohnten Stunde keinen wohlbesetzten Tisch zu finden. Seine treffenden Bemerkungen ließen die Verhältnisse des Dichters in einem mehr heiteren [118] Lichte erscheinen. Vorläufig konnte man sich insofern beruhigen, als er doch auf einige Zeit wenigstens gegen Mangel oder Verfolgungen gesichert war.

Nur wurde nicht mit Unrecht bezweifelt, ob seine dramatischen Arbeiten in gänzlicher Abgeschiedenheit gefördert werden könnten, oder ob sein Geist, von allem erheiternden Umgang abgeschnitten und bei Entbehrung der nötigen Bücher, nicht in kurzer Zeit abgestumpft würde. Sein tiefes Gefühl, seine frische, jugendliche Kraft ließen letzteres zwar nicht so bald befürchten; indessen vereinigten sich doch alle Wünsche dahin, daß ein glücklicher Zufall eintreten und für ihn die günstigsten Umstände herbeiführen möchte.

Seine Freunde waren auf die Nachrichten von seiner Ankunft sehr gespannt und wurden durch nachstehenden Brief an S. vollkommen beruhigt.

Bauerbach, den 8. Dezember 1782.

Liebster Freund!

Endlich bin ich hier, glücklich und vergnügt, daß ich einmal am Ufer bin. Ich traf alles noch über meine Wünsche; keine Bedürfnisse ängstigen mich mehr, kein Querstrich von außen soll meine dichterischen Träume, meine idealischen Täuschungen stören.

Das Haus meiner Wolzogen ist ein recht hübsches und artiges Gebäude, wo ich die Stadt gar nicht vermisse. Ich habe alle Bequemlichkeit, Kost, Bedienung, Wäsche, Feuerung, und alle diese Sachen werden von den Leuten des Dorfes auf das vollkommenste und willigste besorgt. Ich kam abends hieher – Sie müssen wissen, daß es von Frankfurt aus 45 Stunden hieher war – zeigte meine Briefe auf und wurde feierlich in die Wohnung der Herrschaft abgeholt, wo man alles aufgeputzt, eingeheizt und schon Betten hergeschafft hatte. Gegenwärtig kann und will ich keine Bekanntschaften machen, weil ich entsetzlich viel zu arbeiten habe. Die Ostermesse mag sich Angst darauf sein lassen.

[119]

Schreiben Sie mir doch, wo Sie gesonnen sind zu bleiben. Halten Sie sich, wenn Sie zu Mannheim bleiben, nur immer fleißig an Schwan, Meier und meine Freunde. Besser Sie bleiben aber nicht dort und verfolgen Ihren ersten Anschlag, der mir immer der vernünftigste schien.

Was Sie tun, lieber Freund, behalten Sie diese praktische Wahrheit vor Augen, die Ihren unerfahrnen Freund nur zu viel gekostet hat: Wenn man die Menschen braucht, so muß man ein H...t werden oder sich ihnen unentbehrlich machen. Eines von beiden oder man sinkt unter.

Wenn Sie Ursache hätten nicht nach Wien zu gehen, so könnte ich Ihnen allenfalls einen anderen Ausweg anraten, der mir von mehreren Seiten besehen, nicht gar verwerflich scheint. Sie sind jung, weit genug in Ihrer Kunst, um brauchbar zu sein, halten Sie sich an einen Meister in einer großen Stadt, von dem Sie wissen, daß er viele Geschäfte hat, lassen Sie sich auch zu dem Handwerksmäßigen Ihrer Kunst herab, machen Sie sich ihm nützlich, so finden Sie erstlich Gelegenheit den Mann zu studieren, finden Brot, und wenn Sie weggehen Empfehlung. Der große Titian war Raffaels Farbenreiber. Weit gefehlt, daß ihm das schimpflich wäre, macht es seinem Namen nur desto größere Ehre.

Empfehlen Sie mich bei Schwan, Meier, Cranz, Gern, Derain, dem Steinschen Hause, auch auf dem Viehhof. Schreiben Sie mir, was sich von dem Offizier, der mich aufsuchte, bestätigt hat.

Noch etwas: bei dem neulichen schnellen Aufbruche von Oggersheim haben wir beide vergessen, die Zeche im Viehhof zu bezahlen. Ich will nicht haben, daß Sie in Schaden dabei kommen. Sie werden also, weil das Geld zu wenig beträgt, um 65 Stunden geschickt zu werden, eine Anweisung dafür und für andere abgelegte Kleinigkeiten an Schwan bekommen, der mir, weil Fiesco gewiß mehr als 10 Bogen stark wird, noch Geld herauszahlen wird.

[120]

Jetzt muß ich eilen, das ist bereits der fünfte Brief, und wenigstens noch soviel hab' ich zu schreiben.

Leben Sie recht wohl, lieber Freund, vergessen Sie mich nicht und sein Sie vollkommen versichert, daß ich tätig an Sie denken werde, sobald sich meine Aussichten verschönern, welches, wie ich hoffe, nicht lange mehr anstehen soll. Noch einmal leben Sie recht wohl. Wenn Sie mir schreiben, legen Sie den Brief bei Schwan oder Meier nieder.

Ohne Veränderung ihr aufrichtigster

Schiller.

Da wir jetzt unseren so lang in ängstlichen Sorgen und Ungewißheit lebenden Dichter geborgen wissen und, nach seinen eignen Äußerungen, mit seinen Lieblingsarbeiten und in einer Idyllenwelt lebend vermuten dürfen, so sei es erlaubt, die Personen, denen er empfohlen zu sein wünscht, dem Leser etwas näher bekannt zu machen und mit einer kurzen Erklärung vorzustellen. Die Herren Schwan und Meier sind schon früher erwähnt worden. Herr Cranz – damals auf Kosten des Herzogs von Weimar in Mannheim, um sich bei Fräntzel auf der Violine und bei Holzbauer in der Komposition auszubilden – war bei Herrn Meier Kostgänger, sah also Schiller sehr oft daselbst, der ihn auch wegen seines biederen, obwohl sehr trockenen Charakters wohl leiden mochte. Herr Gern, der ältere, war ein braver, überall brauchbarer Schauspieler sowie ein ausgezeichnet guter Baßsänger. Er betrat in Mannheim zuerst die Bühne, war täglich im Meierschen Hause und wurde dann später auf das Theater nach Berlin berufen.

In dem kleinen Oggersheim war Herr Derain der einzige Kaufmann, welcher sich aber weit mehr mit Politik, Literatur, besonders aber mit Aufklärung des Landvolkes als mit dem Vertrieb seiner Waren beschäftigte.

Seinen Eifer für das Wohl der Landleute, die bei ihm Zucker, Kaffee, Gewürz oder andere entbehrliche Sachen kaufen [121] wollten, trieb er so weit, daß er ihnen oft recht dringend vorstellte, wie schädlich diese Dinge sowohl ihnen als ihren Kindern seien, und daß sie weit klüger handeln würden, sich an diejenigen Mittel zu halten, welche ihnen ihr Feld, Garten oder Viehstand liefern könne. Daß solche Ermahnungen die Käufer eher abschreckten als herbeizogen, war ganz natürlich. Aber Herr Derain, als lediger Mann zwischen 40 und 50 Jahren, der ein kleines Vermögen besaß, kümmerte sich um so weniger hierüber, je seltener er durch das Geklingel seiner Ladentür im Lesen oder in seinen Betrachtungen gestört wurde. Das Gemüt des Mannes war aber von der edelsten Art, und eine große Bescheidenheit machte seinen Umgang äußerst angenehm. Er brachte auf eine sonderbare Art in Erfahrung, wer denn eigentlich die Herren Schmidt und Wolf seien, die in seiner Nähe wohnten, und deren Bekanntschaft er schon lange gewünscht hatte.

Es wurden nämlich bei der gänzlichen Abänderung des Fiesco die früher geschriebenen Szenen gar nicht mehr beachtet, sondern wie jedes unnütze Papier behandelt. Mit diesen sowie mit vielen Blättern, worauf die Entwürfe zu Luise Millerin verzeichnet waren, wurde nun nichts weniger als schonend verfahren, was dann die Gelegenheit gab, daß die Frau Wirtin – die mit einer sehr großen Neigung zum Lesen eben so viele Neugier für alles Geschriebene verband – diese Blätter, deren Sprache ihr ganz neu und ungewöhnlich schien, sammelte und solche zu Herrn Derain brachte, welchen sie öfters sprach, um ihm ihre häuslichen Leiden zu klagen oder durch ein geliehenes Buch sich Trost und Vergessenheit zu verschaffen. Dieser zeigte den Fund seinem Verwandten, Herrn Kaufmann Stein in Mannheim, der eine sehr reizende und in allen neueren Werken der Dichtkunst ganz einheimische Tochter hatte.

S. war von Stuttgart aus Herrn Stein empfohlen. Die Blätter seines Reisegefährten wurden ihm vorgezeigt, und dasjenige, was mit der größten Standhaftigkeit jedem Manne [122] verleugnet worden wäre, wußte das schmeichelnde Mädchen allmählich herauszulocken. Herr Derain, dem unter Gelobung der tiefsten Verschwiegenheit dieses Geheimnis auch anvertraut wurde, unterließ bei dieser Gelegenheit nicht, seine hohe Achtung für ausgezeichnete Dichter oder Schriftsteller auf das herzlichste kund zu geben. Mit wahrem Eifer bat er um Erlaubnis, die Bekanntschaft eines noch so jungen und schon so berühmten Mannes machen zu dürfen, und erhielt solche um so williger, als für Schiller und seinen Freund eine zerstreuende Unterhaltung in den trüben, nebligen Novemberabenden eine wahre Erquickung war. Die Freundschaft und Achtung für Herrn Derain erhielt sich auch noch in den nächstfolgenden Jahren.

Der Offizier, dessen Erscheinung Schiller und seine Freunde in den größten Schrecken versetzte, war nach einem Schreiben von Schillers Vater an Herrn Schwan kein Verfolger, sondern ein akademischer Freund, der bei einer Reise ausdrücklich den Umweg über Mannheim machte, um den Dichter zu sprechen, welches aber, wie oben erwähnt, auf die sorgsamste Weise verhindert wurde.

Und hier ist auch der Ort, um den Leser zu versichern, daß der Herzog von Württemberg auf keinerlei Weise jemals die geringste Vorkehrung treffen ließ, um seinen entflohenen Zögling wieder in seine Gewalt zu bekommen und zu bestrafen. Er mochte sich wohl erinnern, daß er Schiller wider dessen Willen und fast zwangsweise in die Akademie aufgenommen – daß der Knabe sowie der Jüngling durch treffende, überraschende Antworten, durch untadelhafte Sitten seine wahrhaft väterliche Zuneigung sich erworben – daß ein schon im ersten Versuche sich so kühn aussprechendes Talent unmöglich durch einen militärischen Befehl unterdrückt werden könne. Oder war es Rücksicht gegen den ihm fast unentbehrlich gewordenen Vater; war es Anteil an dem Kummer der achtungswerten Familie? – Wollte er das mißbilligende Gefühl, das sich wegen der Gefangenhaltung Schubarts in [123] ganz Deutschland allgemein und laut äußerte, nicht noch weiter aufreizen? – War es natürliche Großmut? – – Genug, der Herzog gab dieser Sache nicht die geringste Folge und bewies dadurch ganz offenkundig, daß er die Flucht Schillers nur als einen Fehler, aber nicht als ein Verbrechen beurteilte.

Nicht nur diese Gewißheit ergab sich aus dem Briefe des Vaters, sondern auch die Hoffnung, daß er dem Sohne noch mit warmer Liebe zugetan sei, und ihm, wenn der äußerste Fall einträte, die nötige Unterstützung nicht versagen würde. Verglich man diesen Brief mit denen, welche Herr Schwan und S. aus Bauerbach erhalten, so konnten die Freunde des Dichters um so mehr unbesorgt sein, als dieser mit seinem Zustand im höchsten Grade zufrieden schien, und sich nun nach einem Jahre voller Sorgen und Unruhe solchen Beschäftigungen widmen konnte, die, außer dem Vergnügen, das sie ihm selbst machten, auch noch mit Ehre und Vorteil verbunden waren.

Ohne Zweifel teilt jeder Leser diese Meinungen, und glaubt vielleicht, das Schicksal, nachdem es seine alles beugende Gewalt habe empfinden lassen, werde dem Ermüdeten nach so manchen Stürmen endlich Ruhe vergönnen?

Der Verfasser bedauert innigst, daß er diese Hoffnungen nicht bestätigen kann, sondern genötigt ist, neue Schwierigkeiten zu melden, die sich in dem so friedlich scheinenden Zufluchtsorte ganz unerwartet erhoben; denn kaum vier Wochen nach dem ersten erhielt er nachstehenden zweiten Brief.

H., den 14. Jän. 1783.

So bin ich doch der Narr des Schicksals! Alle meine Entwürfe sollen scheitern! Irgend ein kindsköpfischer Teufel wirft mich wie seinen Ball in dieser sublunarischen Welt herum.

Hören Sie nur!

Ich bin, wenn Sie den Brief haben, nicht mehr in [124] Bauerbach. Erschrecken Sie aber nicht. Ich bin vielleicht besser aufgehoben.

Frau von Wolzogen ist wieder hier und hat ihren Bruder, den Oberhofmeister von Marschalk, der bei Bamberg eine Erbschaft von beinahe 200 000 Gulden getan, begleitet. Sie können sich vorstellen, mit welcher Ungeduld ich ihr entgegenflog – – – – Aber nun!

Lieber Freund, trauen Sie niemand mehr. Die Freundschaft der Menschen ist das Ding, das sich des Suchens nicht verlohnt. Wehe dem, den seine Umstände nötigen, auf fremde Hilfe zu bauen. Gottlob! das letztere war diesmal nicht.

Die gnädige Frau versicherte mich zwar, wie sehr sie gewünscht hätte ein Werkzeug in dem Plane meines künftigen Glückes zu sein – aber – ich werde selbst so viel Einsicht haben, daß ihre Pflichten gegen ihre Kinder vorgingen, und diese müßten es unstreitig entgelten, wenn der Herzog von W. Wind bekäme; das war mir genug. So schrecklich es mir auch ist, mich wiederum in einem Menschen geirrt zu haben, so angenehm ist mir wieder dieser Zuwachs an Kenntnis des menschlichen Herzens. Ein Freund – und ein glückliches Ungefähr rissen mich erwünscht aus dem Handel.

Durch die Bemühung des Bibliothekars Reinwald, meines sehr erprobten Freundes, bin ich einem jungen Hrn. von Wrmb bekannt geworden, der meine Räuber auswendig kann und vielleicht eine Fortsetzung liefern wird. Er war beim ersten Anblick mein Busenfreund. Seine Seele schmolz in die meinige. Endlich hat er eine Schwester! – Hören Sie, Freund, wenn ich nicht dieses Jahr als ein Dichter vom ersten Range figuriere, so erscheine ich wenigstens als Narr, und nunmehr ist das für mich eins. Ich soll mit meinem Wrmb diesen Winter auf sein Gut, ein Dorf im Thüringer Walde, dort ganz mir selbst und – der Freundschaft leben, und was das beste ist, schießen lernen, denn [125] mein Freund hat dort hohe Jagd. Ich hoffe, daß das eine glückliche Revolution in meinem Kopf und Herzen machen soll.

Schreiben Sie mir nicht, bis Sie neue Adressen haben. Den Verdruß mit der Wolzogen unterdrücken Sie. Ich sei nicht mehr in Bauerbach, das ist alles, was Sie sagen können. – – – – – –

Tausend Empfehlungen an meinen lieben, guten Meier. Nächstens schreib ich ihm wieder. Auch an Cranz, Gern u. s. f. viele Komplimente. Mein neues Trauerspiel, Luise Millerin genannt, ist fertig. Beiliegendes übergeben Sie an Schwan, dem Sie mich vielmals empfehlen.

Ohne Veränderung

Ihr

Schiller.

So schien nun auch dieser Plan gescheitert, auf den nicht nur der Dichter selbst seine größte, letzte Hoffnung gesetzt hatte, sondern welcher auch als der sicherste von allen Freunden zur Befolgung angeraten war. Aufs neue war sein Schiff den veränderlichen Winden preisgegeben, indem die Freundschaft mit Hrn. von Wrmb viel zu schwärmerisch, mit viel zu großen Erwartungen geschlossen schien, als daß man auf einige Dauer hätte zählen können.

Größeres Vertrauen flößte die Bekanntschaft mit Hrn. Reinwald ein, der Hrn. Schwan als rechtlicher Mann, als Dichter und Schriftsteller bekannt war und sich gewiß um so inniger an Schiller anschloß, je genügsamer dieser in seinen Forderungen und anmutiger im Umgange sich gegen jeden zeigte.

Was die Äußerungen der Frau von Wolzogen betrifft, so waren diese ebenso verzeihlich als begreiflich; denn ihre Söhne, deren Bekanntschaft Schiller den Schutz zu danken hatte, der ihm jetzt gewährt wurde, waren noch in der Akademie, und erfuhr der Herzog, von wem sein flüchtiger Zögling verborgen gehalten werde, so konnte er leicht – vorausgesetzt, [126] daß er sich zu einer Rache herablassen möge – seine Ungnade den Söhnen der Frau von Wolzogen auf eine Art empfinden lassen, die ihr Glück nicht nur für jetzt, sondern auch in der Zukunft bedeutend gestört haben würde.

Der Verfolg zeigte jedoch, daß die Besorgnisse der Beschützerin entweder nicht sehr ernsthafter Art gewesen oder daß Schiller seine Empfindlichkeit darüber zu besiegen wußte; denn er blieb nicht nur den ganzen Tag 4 in Bauerbach, sondern brachte auch die Hälfte des folgenden Sommers daselbst zu. Durch ähnliche Nachrichten wie die, welche er seinem Freunde nach Mannheim schrieb, versetzte er auch seine älteste Schwester in die größte Unruhe, und ein Brief, den sie deshalb an den Bruder schrieb, gab zufällig die Veranlassung zu ihrer Bekanntschaft mit Herrn Reinwald, die sich einige Jahre später in eine lebenslängliche Verbindung umwandelte. Aus dem Briefe des Herrn Reinwald an die Schwester von Schiller möge das Wichtigste, was sich hierauf bezieht (mit der damals gebräuchlichen Rechtschreibung) einen Platz finden.

Meiningen. 27ten Mai 1783.

Mademoiselle

Ein besonderer Zufall macht mich so frei, an die Schwester meines Freundes diese Zeilen zu schreiben. Unter etlichen Papieren, die Hr. D. S** nach einem Besuch bei mir liegen lassen, fand ich einen Brief von Ihnen. Es war wohl nicht Sorglosigkeit allein daran Schuld, sondern auch Vertrauen, denn ich glaube gänzlich, daß er mich liebt.

Ich fand in diesem Briefe, den ich gelesen und nochmals gelesen und abgeschrieben habe, so viel reifes Denken und so viel herzliche, besorgte Wohlmeinung gegen Ihren Herrn Bruder, daß ich mich gefreut habe, und scheue mich nicht, [127] jeden Gedanken, der mir zu seiner Ausbildung oder Glückseligkeit einfällt, mit Ihnen zu theilen.

Vielleicht kann ich Ihnen oder Ihren lieben Eltern auch manche Unruhe benehmen, die Ihnen über die Situation Ihres Herrn Bruders aufsteigt, und ich werde gerade seyn und nicht schmeicheln etc. – – – – – – – – –

Mir ist es selbst Räthsel, warum sie (Fr. v. W.) so sehr Verachtung fürchtet, und daß sie auf die Veränderung von unseres Freundes Aufenthalt dringen soll; viele Umstände scheinen dem letzteren zu widersprechen, es müßte denn seyn, daß sie aus Beweggründen der Sparsamkeit handelte etc. etc. Alle Gefahren des Bekanntseyns wären gleich Anfangs vermieden gewesen, wenn man entweder niemanden auswärts geschrieben hätte, daß Ihr Herr Bruder da wäre, wo er ist, sondern nur Meiningen angegeben, oder wenn er wirklich in dem traurigsten Theile des Jahres hieher gezogen wäre. Hier residirt ein Herzog, den der Ihrige nicht im Geringsten deshalb züchtigen kann, wenn er jemand da wohnen läßt, dem der würtembergische Hof ungünstig ist. Welche Verantwortung kann da der Fr. v. W. auf den Hals fallen.

Ihr Herr Bruder muß menschliche Charaktere viel kennen, weil er sie auf der Bühne schildern soll, item, er muß sich durch Gespräche über Natur und Kunst durch freundschaftliche, innige Unterhaltung aufheitern, wenn durch Denken und Niederschreiben das Mark seines Geistes vertrocknet ist. Die Gegend, wo er sich jetzt aufhält, und die nur im Sommer ein wenig von der Seite lächelt, gleicht mehr der Gegend, wo Ixions Rad sich immer auf einem Orte herumdreht, als einer Dichter-Insel, und einen zweiten Winter da zugebracht, wird Hrn. D. S. völlig hypochondrisch machen.

Ich wünschte daher sehnlich, daß er künftigen Herbst in einer großen Stadt, wo ein gutes deutsches Theater ist, z. Ex. in Berlin verweilte, doch unter dem Schutze gelehrter und rechtschaffener Männer, die ihn von der Ausgelassenheit bewahrten, die an diesem Orte herrscht.

[128]

Wien (wo ich ehedem selbst eine Zeit lang war) hat zwar weniger verderbte Sitten und mehr Teutschheit, aber der Fehler ist da, daß man mit dem Gelde gut umzugehen verlernt, denn man nimmt meist viel ein, und gibt noch mehr aus.

Noch scheint es aber nicht, daß Ihr Herr Bruder zum Weggehen inclinirt, er scheint ganz an seine Wohlthäterin gefesselt, die ihn von der Seite seines guten und dankbaren Herzens eingenommen hat.

Ich hatte die Idee ihn nach Pfingsten mit nach Gotha und Weimar zu nehmen, wo ich Freunde und Verwandte habe, zu denen ich eine Gesundheitsreise thun werde, ich wollte ihn den dasigen zum Theil wichtigen Gelehrten präsentiren, ich wollte ihn wieder an die offne Welt und an die Gesellschaft der Menschen gewöhnen, die er beinah scheut, und sich allerhand Unangenehmes von ihnen vorstellt. Aber so geneigt er im Anfang zu meinem Vorschlag war, so sehr scheint jetzt sein Geschmack davon entfernt. Ich werde also das Vergnügen dieser Reise nicht mit ihm theilen können.

Wenn ich gleich unendlich dabei verliere, wenn Ihr Herr Bruder einst diese Gegend verlassen sollte, und keiner meiner bisherigen Freunde mir diesen Verlust ersetzen würde, so wollte ich doch lieber all mein Vergnügen der Ausbildung und Glückseligkeit eines so guten und künftig großen Mannes aufopfern etc. etc.

Leben Sie mit Ihren lieben Eltern wohl.

Ihr gehorsamster Diener und Verehrer

W. H. Reinwald.

Dieser Brief macht es wahrscheinlich, daß Schiller nicht, wie er im Januar willens war, mit Hrn. von Wrmb nach Thüringen reiste, sondern fortwährend in Bauerbach blieb. War dies der Rat seines Freundes Reinwald? Oder bedachte er es selbst, daß sein Aufenthalt bei Hrn. von Wrmb [129] von so zarter Beschaffenheit sein würde, daß ein Wörtchen, ja nur eine Gebärde ihn wieder entfernen und in die größte Verlegenheit setzen müßte?

Gewißheit kann der Verfasser hierüber nicht geben, indem er sich nicht erinnert, in der Folge mit Schillern darüber gesprochen zu haben, und er auch einige Briefe von diesem aus (jetzt freilich sehr bedauerter) Nachlässigkeit verloren. Übrigens müßte es auffallend scheinen, daß der gerechte, edle Stolz und Ehrgeiz des Dichters auch nur einen Augenblick es ertragen konnte, Frau v. W. einer Verlegenheit auszusetzen, wenn wir nach obigem Brief nicht annehmen dürften, daß es ihr mit dem Dringen auf seine Entfernung nicht sehr ernst gewesen wäre. Außer diesem mochte auch Schillern der Umstand nachgiebiger machen, daß er hier frei von allen Sorgen für die kleinlichen Bedürfnisse des Lebens, ohne die mindeste Störung gänzlich seiner Laune, seinen Träumen, Idealen und dichterischen Entwürfen leben konnte; wo ihm kein Befehl vorschrieb, wie er gekleidet sein müsse, oder die Minute bezeichnete, zu welcher er im Spital oder auf der Wachtparade erscheinen solle, und wo er nur seinen großartigen Gefühlen und der Freundschaft leben durfte.

Man muß den edlen Jüngling genau gekannt und in den Jahren 1781 und 82 mit ihm in (dem damals so zwangsvollen) Stuttgart gelebt haben, um gewiß zu sein, daß ein nur einigermaßen leidliches Gefängnis, in welchem sein Tun und Lassen nicht vorgeschrieben worden wäre, ihm gegen seinen damaligen Zustand gehalten, als eine wirkliche Wohltat erschienen sein würde. Weiter unten werden wir aus einem Briefe von ihm selbst erfahren, daß nur die zuletzt angeführten Gründe die einzigen sein konnten, welche ihm den Aufenthalt in Bauerbach so wert und unvergeßlich machten.

Die Lobsprüche, welche ihm Herr Reinwald in seinem Brief erteilt, beweisen, wie einnehmend seine Persönlichkeit [130] gewesen und wie duldsam er jede Eigenheit an andern zu ertragen wußte, indem Hypochondrie und immerwährende Kränklichkeit Herrn Reinwald sehr reizbar und empfindlich machten und er auch von der höchsten Bedächtlichkeit war. Aber der Kern dieses Mannes, seine Kenntnisse sowie sein Herz waren vortrefflich, und wir werden sehen, wie hoch Schiller diesen Freund achtete.

Hätte Herr Reinwald den jungen Dichter dazu vermocht, mit ihm nach Weimar und Gotha zu reisen, so würde er in ersterem Orte Goethe und Wieland kennen gelernt haben, die ihm, aller Wahrscheinlichkeit nach, einen Lebensplan vorgezeichnet, ihn mit Rat und Empfehlungen unterstützt und in die nützlichsten Verbindungen gebracht hätten. Auch wären ihm dadurch zwei Jahre erspart worden, die er meistens in Verdruß zubrachte, und die von den nachteiligsten Folgen für seine Gesundheit waren.

Was Schiller aber von dieser Reise abhielt, war die Sirenenstimme, die sich von dem Theater zu Mannheim wieder vernehmen ließ und die seine Nerven so sehr in Schwingung versetzte, daß er ihren Lockungen nicht widerstehen konnte und alles andere von sich abwehrte. Denn schon im März 1783, also kaum drei Monate später, nachdem der Dichter sieben Wochen vergeblich in Oggersheim aufgehalten und auf eine äußerst harte Weise entlassen worden war, schrieb ihm Baron Dalberg wieder, um sich nach seinen theatralischen Arbeiten zu erkundigen, und zwar in solchen Ausdrücken, daß Schiller an Herrn Meier in Mannheim schrieb: »es müsse ein dramatische Unglück in Mannheim vorgegangen sein, weil er von Baron Dalberg einen Brief erhalten, dessen annähernde Ausdrücke ihn auf diese Vermutung brächten.«

Dieser Schluß war jedoch nur insofern richtig, als Baron Dalberg, der sich sehr gern mit Umänderungen von Theaterstücken beschäftigte, und damals gerade Lanassa und Julius Cäsar von Shakespeare unter der Schere hatte, wohl fühlen [131] mochte, daß Schiller zu solchen Arbeiten nicht ganz ungeeignet sein dürfte. Auch geschah es oft, daß die Mitglieder des Theaterausschusses von Fiesco sowie von dem bürgerlichen Trauerspiele Luise Millerin sprachen, dessen ganzer Plan S. bekannt war und den dieser, da ihn kein Versprechen zur Geheimhaltung verpflichtete, so umständlich als lebhaft auseinandersetzte.

Am wahrscheinlichsten bleibt jedoch, daß sich Baron Dalberg der frühern Versprechungen und gegebenen Hoffnungen erinnerte, die er Schillern gemacht, und welche diesen zu seinem verzweifelten Schritte verleitet. Jetzt, nachdem der Herzog von Württemberg nicht die mindeste Vorkehrung zur Habhaftwerdung des Flüchtlings getroffen, konnte mit voller Sicherheit und ohne sich im mindesten bloß zu stellen, demselben Genugtuung gegeben, die öfters mahnenden Wünsche der Schauspieler erfüllt, sowie durch Anstellung eines solchen Dichters der Bühne ein Glanz erteilt werden, der sie über alle andern von Deutschland erhob, und von welcher der größte Teil ihres Ruhmes auf deren Intendanten zurückstrahlen mußte.

Möge nun dieser oder jener Beweggrund den Brief des Baron Dalberg an Schillern veranlaßt haben, so ist es, zur Rechtfertigung des letztern, von der größten Wichtigkeit zu zeigen, daß er auch jetzt wieder, wie im Jahre 1781 angelockt, ja gewissermaßen zur Veränderung seines Aufenthaltes aufgefordert worden, ohne daß er es gesucht oder sich deshalb beworben hätte. Der anteilnehmende Leser möge diesen Umstand um so weniger übersehen, weil es zur unparteiischen Beurteilung des Schicksals und Benehmens des Dichters unumgänglich notwendig ist zu wissen, durch wen und durch was er zu nachteiligen Schritten verleitet worden. Nachfolgendes ist die Antwort (S. Schillers Briefe an Freiherrn von Dalberg S. 80), welche auf die Anfrage erteilt wurde.

[132]

S.-Meiningen, den 3. April 1783.

Euer Exzellenz verzeihen, daß Sie meine Antwort auf Ihre gnädige Zuschrift erst so spät erhalten – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – –

Daß Euer Exzellenz mich auch in der Entfernung noch in gnädigem Andenken tragen, kann mir nicht anders als schmeichelhaft sein. Sie wünschen zu hören, wie ich lebe?

Wenn Verbannung der Sorgen, Befriedigung der Lieblingsneigung, und einige Freunde von Geschmack einen Menschen glücklich machen können, so kann ich mich rühmen, es zu sein.

E. E. scheinen, ungeachtet meines kürzlich mißlungenen Versuchs, noch einiges Zutrauen zu meiner dramatischen Feder zu haben. Ich wünschte nichts, als solches zu verdienen; weil ich mich aber der Gefahr, Ihre Erwartung zu hintergehen, nicht neuerdings aussetzen möchte, so nehme ich mir die Freiheit, Ihnen einiges von dem Stück vorauszusagen.

– – – – – – – – – – – – – – – –

Wenn diese Fehler, die ich E. E. mit Absicht vorhersage, für die Bühne nichts Anstößiges haben, so glaube ich, daß Sie mit dem übrigen zufrieden sein werden. Fallen sie aber bei der Vorstellung zu sehr auf, so wird alles übrige, wenn es auch noch so vortrefflich wäre, für Ihren Endzweck unbrauchbar sein und ich werde es besser zurückbehalten. – –

Dr. Schiller.

Wer diesen Brief gegen die früheren vergleicht, dem muß die kalte geschraubte Sprache desselben auffallen, indem darin durchaus nichts ist, woraus zu schließen wäre, Schiller bewerbe sich wieder um den Schutz des Baron Dalberg. Eher noch sind Vorwürfe gegen diesen nicht undeutlich ausgesprochen, denn die Schilderung der Unabhängigkeit und des Glücks, welches der Dichter jetzt genieße, scheint absichtlich als Gegensatz angeführt zu sein.

[133]

Ungeachtet alles dessen wurde der Briefwechsel fortgesetzt, und Schiller konnte der süßtönenden Stimme um so weniger widerstehen, als nach seinen Begriffen die Schaubühne sowie die Arbeiten für dieselbe einen Einfluß und eine Wichtigkeit hatten, die durch keine andere Kunst oder Wissenschaft bewirkt werden könne. Und bei der ersten Bühne Deutschlands sollte er nun Dichter, Lenker eines reinen, veredelten Geschmackes werden! Jetzt wäre der Zeitpunkt eingetreten, wo er seine Ideale, die Geschöpfe seiner Einbildungskraft lebend, handelnd der gespannten Aufmerksamkeit einer Menge von Zuschauern vorführen könnte! Und diese so lang ersehnte Gelegenheit sollte er zurückweisen?

Zu viel wäre dieses gefordert! Er mußte dem Anerbieten entsprechen und traf auch in den ersten Tagen des Septembers 1783, 5 nur von Herrn Meier und dessen Frau erwartet, in Mannheim ein.

Seinem zurückgelassenen Freunde S. wurde absichtlich von der ganzen Unterhandlung nichts gesagt, weil er sich (da sein eignes Glück durch den unnützen Aufenthalt in Oggersheim gestört worden) schon zu oft gegen das Versprechen und Verlocken geäußert und das Verfahren gegen den unglücklich gemachten Dichter bei seinem wahren Namen benannt hatte.

Auch wurde ihm durch dieses Verheimlichen eine Überraschung bereitet, die vollkommen gelang. Denn als er zur gewöhnlichen Stunde bei Herrn Meier eintrat, konnte er kaum seinen Augen glauben, daß es der in weiter Entfernung vermeinte Schiller sei, welcher mit der heitersten Miene und dem blühendsten Aussehen ihm entgegentrat.

Nach den herzlichsten Umarmungen und nachdem die eiligsten Fragen beantwortet waren, kündigte Schiller seinem Freund an, daß er von Baron Dalberg als Theaterdichter [134] nach Mannheim berufen worden und als solcher mit einer Besoldung von 300, sage: dreihundert, Gulden Reichswährung nächstens sein Amt antreten werde. Seine Zufriedenheit über diese Anstellung sprach aus jedem Wort, aus jedem Blick, und er mochte sich wohl denselben Himmel in der Wirklichkeit dabei denken, der auf dem Theater oft so täuschend dargestellt wird. 6

Unter dem ruhigen Genuß seiner Freunde und der Schaubühne – unter einer Menge von Plänen und Besprechungen über seine künftigen Arbeiten vergingen mehrere Wochen, und ehe er noch an den Abänderungen des Fiesco oder der Luise Millerin etwas angefangen hatte, überfiel ihn das kalte Fieber, welches ihn anfänglich zu allem untüchtig machte.

Der Sommer dieses Jahres 1783 zeichnete sich durch eine ungewöhnliche Hitze aus, durch welche aus dem mit Morast und stehendem Wasser gefüllten Festungsgraben eine so faule, verdorbene Luft entwickelt wurde, daß kaum die Hälfte der Einwohner von diesem Übel verschont blieb. Auch verursachte die dumpfe Luft in dieser Festung, deren hohe Wälle jeden Zug, jede Strömung eines Windes verhinderten, bei allen Krankheiten gefährlichere Folgen als sonst, und der Tod beraubte in der Mitte des Oktobers Schiller eines Freundes, der ihm um so werter geworden, je mehr er Gelegenheit gehabt hatte, dessen edles, offenes Gemüt kennen zu lernen. Der Theaterregisseur, Herr Meier, dessen schon so oft erwähnt worden, starb an einer anfangs unbedeutend scheinenden Krankheit, wodurch nicht nur seiner Frau und seinen Freunden, sondern auch seinen Kunstgenossen sowie der Schaubühne selbst ein sehr lang gefühlter Verlust verursacht wurde. Denn nicht allein war er als Mensch höchst achtungswert, er war auch ein in Ekhofs Schule gebildeter, [135] sehr bedeutender Künstler, der in den meisten, vorzüglich aber in sanften Rollen nichts zu wünschen übrig ließ. Zur Rechtfertigung der ärztlichen Kenntnisse Schillers darf hier versichert werden, daß er die schlimmen Folgen der Mittel, welche der Theaterarzt verordnet hatte, voraussagte.

Wenn schon das Wechselfieber den tätigen, kühnen Geist des Dichters lähmte, so waren die Einwendungen, welche man gegen sein zweites Trauerspiel machte und die er beseitigen sollte, noch weniger geeignet, seine Einbildungskraft aufzuregen.

Die Bahn, die er sich in seinen Arbeiten für die Bühne vorgezeichnet hatte, war ganz neu und ungewöhnlich, daher es den Schauspielern, die meistens nur bürgerliche oder sogenannte Konversationsstücke aufzuführen gewohnt waren, sehr schwer und mühsam wurde, die Ausdrücke des Dichters so zu geben, wie er sie schrieb, und in welche sich, ohne deren Sinn zu stören oder ins Gemeine herabzuziehen, durchaus nichts aus der Umgangssprache einflicken ließ. Daß bei den Räubern derlei Einwendungen weniger gemacht wurden, davon war der überwältigende Stoff sowie die ergreifende Wirkung, welche die meisten Szenen hervorbrachten, die Ursache. Besonders eiferte letzteres jeden Mitwirkenden an, alle Kräfte beisammen zu halten, um auch in den unbedeutend scheinenden Teilen keine Störung zu verursachen, damit das Werk so, wie es aus der dichterischen Kraft entsprungen, ein erstaunungswürdiges Ganzes bliebe.

Bei Fiesco war der Inhalt schon an sich selbst kälter. Die schlauen Verwicklungen erwärmten nicht; die langen Monologe, so meisterhaft sie auch waren, konnten nicht mit Begeisterung aufgefaßt und gesprochen werden, indem sich größtenteils nur der Ehrgeiz darin malte und zu fürchten war, daß die Zuschauer ohne Teilnahme bleiben würden. Man gestand nicht gern, daß die Anstrengung des Darstellers mit dem zu erwartenden Beifall nicht im Verhältnis stehen möchte, weil erstere zu groß und letzterer zu gering sein würde.

[136]

Am meisten wurde gegen den Schluß eingewendet, weil er weder den ersten Schauspielern noch dem Publikum Genüge leisten könne und eine Empfindung zurücklassen müsse, welche den Anteil, den man an dem Vorhergehenden des Stückes genommen, bedeutend schwächen würde.

Wenn man bedenkt, daß der tiefe, umfassende Geist Schillers sich auch in späterer Zeit nie bequemen konnte, ein Stück so zu entwerfen und zu schreiben, daß es den Forderungen oder, eigentlicher zu reden – da vorzüglich die unterhaltenden Künste den geringern Kräften der Menge angepaßt werden müssen – dem Handwerksmäßigen des Theaters in allen seinen Teilen angemessen hätte sein können; so kann man sich vorstellen, mit welchem Widerwillen er sich an Abänderungen (worunter nicht Abkürzungen verstanden sind) überhaupt, besonders aber wie bei Fiesco der Fall war, an solche sich machte, wo dem Verstand und der Wahrheit zugleich der stärkste Schlag versetzt werden müßte. War auch sein Kopf gewandt genug, um jede Begebenheit als möglich darzustellen, so mußte doch an die Stelle des Zerstörten etwas Neues geschaffen werden, das – wie jeder, dem Geistes- oder Kunstarbeiten bekannt sind, gestehen muß – entweder nicht so gut gerät oder doch viel schwieriger als ersteres ist.

Indessen mußte er diese Einwürfe berücksichtigen, und ungeachtet der Unterbrechungen durch seine Krankheit und die dadurch gestörte gute Laune wurde er dennoch in der zweiten Hälfte des Novembers mit Umarbeitung des Fiesco fertig.

Nun mußte aber das ganze Stück ins Reine und in der genauen Folge geschrieben werden, wozu, da man diese beschwerliche Arbeit nicht von ihm verlangen konnte, ein Regiments-Furier vorgeschlagen wurde, der eine sehr deutliche und hübsche Handschrift hatte. Da so vieles aus der ersten Bearbeitung gestrichen, zwischen hinein abgeändert oder ganz neu eingelegt war, so durfte die Anordnung dem Abschreiber [137] nicht überlassen bleiben, sondern mußte ihm in die Feder gesagt werden.

In den ersten Stunden fühlte sich der Verfasser sehr behaglich, indem er nach Bequemlichkeit bald sitzend, bald auf und nieder gehend vorsagen konnte. Als aber der Mann weggegangen war, wie entsetzte sich Schiller, als er seinen ihm so wert gewordenen Helden Fiesco in Viesgo, die liebliche Leonore in Leohnohre, Calcagna in Kallkahnia verwandelt und in den übrigen Eigennamen falsche Buchstaben, sowie die meisten Worte der gewohnten Rechtschreibung entgegen fand.

Seine Klagen hierüber waren ebenso bitter als auf eine Art ausgesprochen, die zum Lachen reizte, indem er gar nicht begreifen konnte, daß jemand, der so schöne Buchstaben mache, nicht auch jedes Wort richtig sollte schreiben können.

Noch einmal, nachdem er den Mann vorher alle Namen ordentlich hatte aufzeichnen lassen, versuchte er es wieder vorzusagen. Als er aber dennoch fand, daß Fiesco jetzt mit einem F, und später mit einem V anfing, da verlor er die Geduld so gänzlich, daß er, um diese Augenmarter nicht länger aushalten zu müssen, sich entschloß, selbst das ganze Stück ins reine zu schreiben. Er war so fleißig dabei, daß solches in der Mitte Dezembers dem Baron Dalberg überreicht werden konnte. Zufrieden mit seiner in den verflossenen zwei Monaten bewiesenen Tätigkeit konnte der kranke Dichter allerdings sein, obwohl diese, da er nur die vom Fieber freien Tage und die Nächte benützen konnte, seine Kräfte sehr abspannte und sein sonst immer heiteres Gemüt sich öfters verdüsterte. Aber nicht allein eine solche Anstrengung war geeignet, jede muntere Laune zu verscheuchen, auch sein übriges Verhältnis, das in Beziehung des Einkommens im grellsten Widerspruch mit seinen früheren Erwartungen stand, mußte ihn schon darum zum Mißvergnügen reizen, weil ihm dieses in den Briefen von seiner Familie sehr bemerklich gemacht wurde. Besonders war der Vater sehr [138] unzufrieden, seinen Sohn in einem so ungewissen, nichts dauernd zeigenden Zustand zu wissen, und er glaubte ihn nur dann für die Zukunft geborgen, wenn er wieder Arzt und unter dem Schutze des Herzogs wäre. Das Herz der Mutter, konnte es ruhig schlagen, wenn sie ihren Liebling in seiner Gesundheit, in seinem häuslichen Wesen, in seinen Sitten – die sie bei dem Theater sich zügellos denken mochte – im höchsten Grade gefährdet glaubte? Auch die älteste Schwester vereinigte ihre Wünsche mit denen der Eltern und veranlaßte folgende Erwiderung des Bruders.

Mannheim, am Neujahr 84.

Meine teuerste Schwester!

Ich bekomme gestern Deinen Brief, und da ich über meine Nachlässigkeit, Dir zu antworten, etwas ernsthaft nachdenke, so mache ich mir die bittersten Vorwürfe von der Welt. Glaube mir, meine Beste, es ist keine Verschlimmerung meines Herzens; denn so sehr auch Schicksale den Charakter verändern können, so bin doch ich mir immerdar gleich geblieben – es ist ebensowenig Mangel an Aufmerksamkeit und Wärme für Dich; denn Dein künftiges Los hat schon oft meine einsamen Stunden beschäftigt, und wie oft warst Du nicht die Heldin in meinen dichterischen Träumen! – Es ist die entsetzliche Zerstreuung, in der ich von Stunde zu Stunde herumgeworfen werde, es ist zugleich auch eine gewisse Beschämung, daß ich meine Entwürfe über das Glück der Meinigen und über Deins insbesondere bis jetzt so wenig habe zur Ausführung bringen können. Wie viel bleiben doch unsere Taten unseren Hoffnungen schuldig! und wie oft spottet ein unerklärbares Verhängnis unseres besten Willens –

Also unsere gute Mutter kränkelt noch immer? Sehr gern glaube ich es, daß ein schleichender Gram ihrer Gesundheit entgegen arbeitet, und daß Medikamente vielleicht [139] gar nichts tun – aber Du irrst Dich, meine gute Schwester, wenn Du ihre Besserung von meiner Gegenwart hoffst. Unsere liebe Mutter nährt sich gleichsam von beständiger Sorge. Wenn sie auf einer Seite keine mehr findet, so sucht sie sie mühsam auf einer andern auf. Wie oft haben wir alle uns das ins Ohr gesagt! Ich bitte Dich auch, ihr es in meinem Namen zu wiederholen. Ich spreche ganz allein als Arzt – denn daß eine solche Gemütsart das Schicksal selbst nicht verbessern, daß sie mit einer Resignation auf die Vorsicht durchaus nicht bestehen könne, wird unser guter Vater ihr öfter und besser gesagt haben. Dein Zufall ficht mich wirklich nicht wenig an. Ich erinnere mich, daß du ihn mehrmals gehabt hast, und bin der Meinung, daß eine Lebensart mit starker Leibesbewegung, neben einer verdünnenden Diät ihn am besten hemmen werde. Nimm zuweilen eine Portion Salpeter mit Weinstein, und trinke auf das Frühjahr die Molken.

Du äußerst in Deinem Brief den Wunsch, mich auf der Solitüde im Schoße der Meinigen zu sehen, und wiederholst den ehmaligen Vorschlag des lieben Papas, beim Herzog um meine freie Wiederkehr in mein Vaterland einzukommen. Ich kann Dir nichts darauf antworten, Liebste, als daß meine Ehre entsetzlich leidet, wenn ich ohne Konnexion mit einem andern Fürsten, ohne Charakter und dauernde Versorgung, nach meiner einmal geschehenen gewaltsamen Entfernung aus Württemberg, mich wieder da blicken lasse. Daß der Papa den Namen zu dieser Bitte hergibt, nützt mir wenig, denn jedermann würde doch mich als die Triebfeder anklagen, und jedermann wird, so lang ich nicht beweisen kann, daß ich den Herzog von Württemberg nicht mehr brauche, in einer (mittelbar oder unmittelbar, das ist eins) erbettelten Wiederkehr ein Verlangen, in Württemberg unterzukommen, vermuten.

Schwester, überdenke die Umstände aufmerksam; denn das Glück Deines Bruders kann durch eine Übereilung in [140] dieser Sache einen ewigen Stoß leiden. Ein großer Teil von Deutschland weiß von meinen Verhältnissen gegen euern Herzog und von der Art meiner Entfernung. Man hat sich für mich auf Unkosten des Herzogs interessiert – wie entsetzlich würde die Achtung des Publikums (und diese entscheidet doch mein ganzes zukünftige Glück), wie sehr würde meine Ehre durch den Verdacht sinken, daß ich diese Zurückkunft gesucht – daß meine Umstände mich meinen ehmaligen Schritt zu bereuen gezwungen, daß ich diese Versorgung, die mir in der großen Welt fehlgeschlagen, aufs neue in meinem Vaterlande suche. Die offene edle Kühnheit, die ich bei meiner gewaltsamen Entfernung gezeigt habe, würde den Namen einer kindischen Übereilung, einer dummen Brutalität bekommen, wenn ich sie nicht behaupte. Liebe zu den Meinigen, Sehnsucht nach dem Vaterland entschuldigt vielleicht im Herzen eines oder des andern redlichen Mannes, aber die Welt nimmt auf das keine Rücksicht. Übrigens kann ich nicht verhindern, wenn der Papa es dennoch tut – nur dieses sage ich Dir, Schwester, daß ich, im Fall es der Herzog erlauben würde, dennoch mich nicht bälder im Württembergischen blicken lasse, als bis ich wenigstens einen Charakter habe, woran ich eifrig arbeiten will; im Fall er es aber nicht zugibt, mich nicht werde enthalten können, den mir dadurch zugefügten Affront durch offenbare Sottisen gegen ihn zu rächen. Nunmehr weißt Du genug, um vernünftig in dieser Sache zu raten.

Schließlich wünsche ich Dir und Euch allen von ganzem Herzen ein glückliche Schicksal im 1784sten Jahr; und gebe der Himmel, daß wir alle Fehler der vorigen in diesem wieder gut machen, geb' es Gott, daß das Glück sein Versäumnis in den vergangenen Jahren in dem jetzigen einbringe.

Ewig Dein treuer Bruder

Friedrich S.

[141]

Wahrlich, ein Beweis, wie er als Sohn, Bruder und Mann dachte, läßt sich durch nichts so offen, kräftig und schön als durch diesen Brief darstellen, dessen Inhalt um so schätzbarer ist, da er im größten Vertrauen geschrieben wurde und sich keine Ursache finden konnte, einen Gedanken anders auszudrücken als ganz so, wie er entstand. Denn diese Anhänglichkeit, diese kindliche und brüderliche Liebe war nebst dem stolzen Gefühl für Ehre und Erwerbung eines berühmten Namens der mächtigste Sporn für ihn, um durch sein Talent das Glück der Seinigen ebenso gewiß als sein eignes zu befördern. Schon in Stuttgart, noch eh' er den Entschluß zu entfliehen gefaßt hatte, war dieses sehr oft der Inhalt seiner vertrauten Gespräche, so wie es auch, da er die Unmöglichkeit einsah, diesen Wunsch in seinen drückenden Verhältnissen verwirklichen zu können, ein Grund mehr wurde, sich eigenmächtig zu entfernen. Auf das treueste schildert er zehn Jahre später seine damaligen Erwartungen in dem Gedicht: Die Ideale

»Wie sprang, von kühnem Mut beflügelt,
Beglückt in seines Traumes Wahn,
Von keiner Sorge noch gezügelt,
Der Jüngling in des Lebens Bahn!
Bis an des Äthers bleichste Sterne
Erhob ihn der Entwürfe Flug,
Nichts war so hoch und nichts so ferne,
Wohin ihr Flügel ihn nicht trug.
Wie leicht ward er dahin getragen,
Was war dem Glücklichen zu schwer!
Wie tanzte vor des Lebens Wagen
Die luftige Begleitung her!
Die Liebe mit dem süßen Lohne,
Das Glück mit seinem goldnen Kranz,
Der Ruhm mit seiner Sternenkrone,
Die Wahrheit in der Sonne Glanz!«

[142]

So waren seine Hoffnungen, als er das Kleinliche, Eigensüchtige der Menschen noch nicht aus der Erfahrung kannte, als quälende Sorgen mit ihren zackichten Krallen sich noch nicht an ihn geklammert hatten, als er noch glauben durfte, die Deutschen zu sich erheben und ihnen etwas Höheres als bloße Unterhaltung darbieten zu können.

Nur zu bald mußte er ausrufen:

»Doch ach! schon auf des Weges Mitte
Verloren die Begleiter sich,
Sie wandten treulos ihre Schritte,
Und einer nach dem andern wich.«

Aber sein Mut blieb dennoch unbeugsam! Denn was tausend andere in ähnlichen Verwicklungen niedergedrückt oder zur Verzweiflung gebracht hätte, wurde von seinem mächtigen Geiste – der immer nur das höchste Ziel im Auge behielt – entweder gar nicht beachtet oder, wenn es auch schmerzte, nur belächelt.

Im Verfolg der Erzählung wird das Gesagte noch weiter bestätigt werden.

Noch während der Umarbeitung des Fiesco wurde es eingeleitet, daß Schiller in die deutsche Gesellschaft zu Mannheim, von welcher Baron Dalberg Präsident war, aufgenommen werden solle. Außer der in Deutschland so sehr gesuchten Ehre eines Titels hatte der Eintritt in diese Gesellschaft wenigstens den Vorteil, daß sie sich des unmittelbaren kurfürstlichen Schutzes erfreute, wodurch denn der Dichter, im Fall er noch von dem Herzog von Württemberg angefochten worden wäre, wenigstens einigen Schutz hätte erwarten dürfen. Zu seinem Eintritt schrieb er die kleine Abhandlung: »Was kann eine gute stehende Schaubühne wirken?« welche noch immer die Mühe verlohnt, sie aufs neue durchzulesen, um den Zweck des Theaters überhaupt und auch die Ansichten des Verfassers über die Wirkung desselben kennen zu lernen.

[143]

Einige Monate nach dieser Aufnahme faßte er den Plan, eine Dramaturgie herauszugeben, um durch diese die Mannheimer Bühne als Muster für ganz Deutschland bilden, auch sich zugleich einen größern Wirkungskreis erwerben zu können. Anfangs glaubte man, daß es am besten sein würde, die Aufsätze den Jahrbüchern der deutschen Gesellschaft einzuverleiben. Jedoch der ganze, so eifrig gefaßte und so vielversprechende Vorsatz scheiterte, indem diese Jahrbücher, die nur ernste, trockene Forschungen enthielten, durch Berichte über ein so flüchtiges Ding, wie das Theater zu sein scheint, profaniert geworden wären, und weil die Theaterkasse die von dem Dichter verlangte jährliche Schadloshaltung von 50 Dukaten nicht zu leisten vermochte. (Das Nähere hierüber findet sich in den Briefen an Baron Dalberg S. 104, 124.) Endlich in der Mitte Januars 1784 wurde das republikanische Schauspiel Fiesco aufgeführt, dessen durch Unlenksamkeit der Statisten veranlaßten häufigen Proben dem Verfasser manchen Ärger, viele Zerstreuung und öfters auch Aufheiterung verschafften. Es war alles, was die schwachen Kräfte des Theaters vermochten, angewendet worden, um das Äußerliche des Stücks mit Pracht auszustellen; ebenso wurden auch die Hauptrollen, Fiesco durch Böck, Verrina durch Iffland, der Mohr durch Beil, vortrefflich dargestellt, und manche Szenen erregten sowohl für den Dichter als für die Schauspieler bei den Zuschauern die lauteste Bewunderung. Aber für das Ganze konnte sich die Mehrheit nicht erwärmen; denn eine Verschwörung in den damals so ruhigen Zeiten war zu fremdartig, der Gang der Handlung viel zu regelmäßig, und was vorzüglich erkältete, war, daß man bei dem Fiesco ähnliche Erschütterungen wie bei den Räubern erwartet hatte.

Dichter, Künstler, deren erstes Werk schon etwas Großes, Außerordentliches darstellt, und dessen Bearbeitung in gleicher Höhe mit dem Inhalt sich findet, können selten die Erwartungen in demjenigen, was sie in der nächsten Folge [144] liefern, ganz befriedigen, indem die Anzahl derer ganz unglaublich gering ist, die ein Kunstwerk ganz allein für sich, ohne Beziehung oder Vergleichung mit anderm zu würdigen verstehen. Mit seltener Ausnahme hat jeder Zuhörer oder Zuschauer seinen eignen Maßstab, mit dem er alles mißt, und wenn auch nur eine Linie über oder unter der als richtig erkannten Länge ist, es auch sogleich als untüchtig verwirft. Besonders werden die Werke der Einbildungskraft weit mehr nach dem Gefühl, das sie zu erregen fähig sind, als mit dem Verstande beurteilt, und alle Leistungen, welche das erste im hohen Grad ansprechen – mögen sie übrigens noch so fehlerhaft sein – werden der Menge weit mehr zusagen als solche, bei denen der Verstand, die schöne weise Verteilung, die freie Beherrschung des Stoffes, den großen Meister andeutet. Daher hatte Wieland vollkommen recht, als er in seinem ersten Brief an Schiller schrieb: »er hätte mit den Räubern nicht anfangen, sondern endigen sollen.«

Wir werden weiter unten erfahren, welcher Ursache es der Dichter beigemessen, daß Fiesco in Mannheim die gehoffte Wirkung nicht hatte.

Nach einigen Wochen Erholung begann er die Umarbeitung von Luise Millerin, bei welcher er wenig hinzuzufügen brauchte, wohl aber vieles ganz weglassen mußte. Schien ihm nun auch dieses ganze bürgerliche Trauerspiel ziemlich mangelhaft angelegt, so ließ sich doch an den Szenen, die den meisten Anteil zu erregen versprachen, nichts mehr ändern; sondern er mußte sich begnügen, die hohe Sprache herabzustimmen, hier einige Züge zu mildern und wieder andere ganz zu verwischen. Manche Auftritte, und zwar nicht die unbedeutendsten, gründen sich auf Sagen, die damals verbreitet waren, und deren Anführung viele Seiten ausfüllen würde. Der Dichter glaubte solche hier an den schicklichen Platz stellen zu sollen und gab sich nur Mühe, alles so einzukleiden, daß weder Ort noch Person leicht zu erraten waren, damit nicht üble Folgen für ihn daraus entstünden.

[145]

Während dieser Umarbeitung brachte Iffland sein Verbrechen aus Ehrsucht auf die Bühne.

Er war so artig, es Schillern vor der Aufführung einzuhändigen und ihm zu überlassen, welche Benennung dieses Familienstück führen solle, und dem der bezeichnende Name, den es noch heute führt, erteilt wurde. Der außerordentliche Beifall, den dieses Stück erhielt, machte die Freunde Schillers nicht wenig besorgt, daß dadurch seine Luise Millerin in den Schatten gestellt werde, denn niemand erinnerte sich, daß ein bürgerliches Schauspiel jemals so vielen Eindruck hervorgebracht hätte. Letzteres durfte jedoch meistens der Darstellung beigemessen werden, die so lebendig, der ganzen Handlung so angemessen war und in allen Teilen so rund von statten ging, daß man den innern Gehalt ganz vergaß und, von der Begeisterung des Publikums mit fortgerissen, sich willig täuschen ließ.

Nicht lange nachher kam die Vorstellung des neuen Trauerspiels unseres Dichters an die Reihe, welchem Iffland, dem es vorher übergeben wurde, die Aufschrift »Kabale und Liebe« erteilte. Um der Aufführung recht ungestört beiwohnen zu können, hatte Schiller eine Loge bestanden und seinen Freund S. zu sich dahin eingeladen.

Ruhig, heiter, aber in sich gekehrt und nur wenige Worte wechselnd, erwartete er das Aufrauschen des Vorhanges. Aber als nun die Handlung begann – wer vermöchte den tiefen, erwartenden Blick – das Spiel der unteren gegen die Oberlippe – das Zusammenziehen der Augenbrauen, wenn etwas nicht nach Wunsch gesprochen wurde – den Blitz der Augen, wenn auf Wirkung berechnete Stellen diese auch hervorbrachten – wer könnte dies beschreiben! – Während des ganzen ersten Aufzuges entschlüpfte ihm kein Wort, und nur bei dem Schlusse desselben wurde ein »es geht gut« gehört.

Der zweite Akt wurde sehr lebhaft und vorzüglich der Schluß desselben mit so vielem Feuer und ergreifender Wahrheit [146] dargestellt, daß, nachdem der Vorhang schon niedergelassen war, alle Zuschauer auf eine damals ganz ungewöhnliche Weise sich erhoben und in stürmisches, einmütiges Beifallrufen und Klatschen ausbrachen. Der Dichter wurde so sehr davon überrascht, daß er aufstand und sich gegen das Publikum verbeugte. In seinen Mienen, in der edlen, stolzen Haltung zeigte sich das Bewußtsein, sich selbst genug getan zu haben, sowie die Zufriedenheit darüber, daß seine Verdienste anerkannt und mit Auszeichnung beehrt würden.

Solche Augenblicke, in welchen das aufgeregte Gefühl eines bedeutenden Menschen sich plötzlich ganz unverhohlen und natürlich äußert, sollte man durch eine treue Zeichnung festhalten können; dies würde einen Charakter leichter und bestimmter durchschauen lassen, als in Worten zu beschreiben möglich ist.

Die ungewöhnlich günstige Aufnahme dieses Trauerspieles war den Freunden Schillers beinahe ebenso erfreulich, als ihm selbst, indem sie, da seiner Arbeit nicht nur von Kennern, sondern auch von dem Publikum ein entschiedener Vorzug vor andern ähnlicher Art gegeben wurde, hoffen durften, daß er durch neue Werke, nicht wie bisher nur Ehre und Beifall, sondern auch solche Vorteile gewinnen werde, die seine Verhältnisse des Lebens befriedigender gestalten könnten. Der Theaterdirektion konnte es gleichfalls willkommen sein, daß in den verflossenen zwei Jahren auch zwei solche Stücke von ihm geliefert worden, deren Wert sich für eine lange Zukunft verbürgen ließ; und konnte er, wie es auch den Anschein hatte, so fortfahren, so war seine geringe Besoldung sehr gut angelegt.

In der Berauschung, die ein öffentlicher, mit Begeisterung geäußerter Beifall immer zur Folge hat, konnte er jedoch die Nachricht der Schwester (S. vorstehenden Brief), daß die Mutter aus Sehnsucht nach ihm kränklich sei, nicht vergessen, und erlaubte es früher – nachdem keine seiner Erwartungen erfüllt war – sein Stolz nicht, seiner Mutter [147] sich zu zeigen, so war dieser durch den Titel eines Mitgliedes der kurpfälz'schen deutschen Gesellschaft, wie durch den überraschenden Erfolg seiner zwei letzten Stücke, insoweit wenigstens befriedigt, daß er mit gerechtem Selbstgefühl seinen Angehörigen vor Augen treten durfte. Er entschloß sich daher, in Bretten, einem außerhalb der württemberg'schen Grenze liegenden Städtchen, mit seiner Mutter und ältesten Schwester zusammen zu kommen, und wenige Tage nach der ersten Aufführung von Kabale und Liebe begab er sich zu Pferd dahin. 7

Wäre es möglich, das tiefempfindende, sorgenvolle Gemüt der Mutter, und die Wehmut, mit der sie ihren, nun aus seinem Vaterlande wie von seinen Eltern verbannten Liebling an die Brust drückte, die Lebhaftigkeit, den männlichen Verstand der Schwester, das zarte, weiche, sich immer edel und schön aussprechende Herz des Sohnes gehörig zu schildern, so wäre dieses wohl eines der anziehendsten Gemälde, die sich in dem Leben eines solchen Dichters und einer so seltenen Familie darbieten können. Es muß der Einbildungskraft des Lesers überlassen bleiben, diese Szene, nebst dem nach kurzem Aufenthalte gewaltsamen Losreißen dreier vortrefflicher Menschen, die das von zitternden Lippen gepreßte Lebewohl! für lange, lange Zeit ausgesprochen glauben mußten, sich teilnehmend ausmalen zu können.

Es war ganz natürlich, daß der Wunsch des Vaters wie der Mutter, dem Sohn auf das angelegentlichste empfohlen wurde, sich doch um eine sichere, dauernde Anstellung zu bewerben, damit seine eigenmächtige Entfernung gerechtfertigt und sein Glück dauerhaft begründet sein möge. Allein mit allem guten Willen hierzu konnte er eine solche Veränderung nicht sogleich herbeiführen, und es blieb vorläufig nichts zu [148] tun, als mit dem festen Vorsatz nach Mannheim zurückzukehren, durch neue sich auszeichnende Arbeiten seinem Schicksal eine bessere Wendung zu geben. Er glaubte, daß dieses ein Schritt dazu wäre, wenn er in Gesellschaft von Iffland und Beil, die zu Ende Aprils von Grosmann in Frankfurt auf Gastvorstellungen eingeladen waren, die Reise dahin machte, und dadurch den Kreis seiner Verehrer und Freunde erweiterte.

Bei seinem Aufenthalt daselbst wurde Verbrechen aus Ehrsucht wie auch Kabale und Liebe gegeben. Seine Äußerungen über die Verschiedenheit der Frankfurter gegen die Mannheimer Bühne sowie über die Mitglieder von beiden, finden sich in seinen Briefen an Baron Dalberg.

Daß sich in Frankfurt diejenigen, welche Sinn für höhere Poesie hatten, an den Dichter drängten, der in so jungen Jahren schon so viele Beweise der Überlegenheit seines Geistes an den Tag gelegt, läßt sich sehr leicht denken. Denn die Zeit war damals so ruhig, so harmlos, die Gedichte und Schauspiele Schillers trugen so sehr den Stempel der Größe und Neuheit, daß sich die jüngere Lesewelt nur mit diesen beschäftigte, und ihr alles, was zu gleicher Zeit die Presse in diesem Fache förderte, klein oder nichtsbedeutend schien.

Unter andern neuen Bekanntschaften machte er auch die des Doktor Albrecht und dessen Gattin, welche letztere (S. Schröders Leben) später das Theater betrat. Beide waren auch Freunde des Bibliothekars Reinwald in Meiningen und erinnerten Schiller an die – allen, deren Wirken nicht bloß durch die Einbildungskraft geschieht, ganz unbegreifliche – Nachlässigkeit, diesem, dem er so viele Verbindlichkeit hatte, seit der Abreise aus Bauerbach noch nicht geschrieben zu haben.

Kaum nach Mannheim zurückgekehrt, beeilte er sich, seinen Fehler durch ein offenes Geständnis wenn auch nicht zu rechtfertigen, doch wenigstens zu mildern, und schrieb [149] Herrn Reinwald folgenden Brief, dessen Inhalt für jeden seiner Verehrer nicht anders als höchst anziehend sein kann.

Mannheim, den 5. Mai 84.

Bester Freund!

Mit peinigender Beschämung ergreife ich die Feder, nicht um mein langes Stillschweigen zu entschuldigen – kann wohl ein Vorwand in der Welt Ihre gerechten Ansprüche auf mein Andenken überwiegen? – Nein, mein Teuerster, um Ihnen diese Undankbarkeit von Herzen abzubitten, und Ihnen wenigstens mit der Aufrichtigkeit, die Sie einst an mir schätzten, zu gestehen, daß ich mich durch nichts als meine Nachlässigkeit rechtfertigen kann. Was hilft es Ihnen, wenn ich auch zu meiner Verantwortung anführe, daß ich Aussichten hatte, Sie diesen Frühling selbst wieder zu sehen, daß ich die tausend Dinge, die ich für Sie auf dem Herzen habe, mündlich zu überbringen hoffte –

Dieser Traum ist verflogen, wir sehen uns nunmehr so bald nicht, und nichts als Ihre Freundschaft und Liebe wird mein großes Versehen entschuldigen. Glauben Sie wenigstens, daß Ihr Freund noch der vorige ist, daß noch kein anderer Ihren Platz in meinem Herzen besetzt hat, und daß Sie mir oft, sehr oft gegenwärtig waren, wenn ich von den Zerstreuungen meines hiesigen Lebens in stilles Nachdenken überging. – Und jetzt will ich auch auf immer einen Artikel abbrechen, wobei ich von Herzen erröten muß.

Wie haben Sie gelebt, mein Teurer? Wie steht es mit Ihrem Gemüt, Ihrer Gesundheit, Ihren Zirkeln, Ihren Aussichten in bessere Zukunft? – Ist noch kein Schritt zu einer solidern Versorgung geschehen? Müssen Sie sich noch immer mit den Verdrießlichkeiten eines armseligen Dienstes herumstreiten? – Hat auch Ihr Herz noch keinen Gegenstand aufgefunden, der Ihnen Glückseligkeit gewährte? –

Wie sehr verdienen Sie alle Seligkeiten des Lebens, und wie viele kennen Sie noch nicht! – Auch um einen Freund [150] mußte ich Sie betrügen! Doch nein! Sie haben ihn niemals verloren und werden ihn auch niemals verlieren.

Vielleicht wünschen Sie mit meiner Lage bekannt zu sein. Was sich in einem Briefe sagen läßt, sollen Sie erfahren.

Noch bin ich hier, und nur auf mich kommt es an, ob ich nach Verfluß meines Jahres, nämlich am 1. September, meinen Kontrakt verlängern will oder nicht. Man rechnet aber indes schon ganz darauf, daß ich hier bleiben werde, und meine gegenwärtigen Umstände zwingen mich beinahe auf längere Zeit zu kontrahieren, als ich vielleicht sonst würde getan haben. Das Theater hat mir für dieses Jahr in allem 500 Gulden Fixum gegeben, wobei ich aber auf die jedesmalige Einnahme einer Vorstellung meiner Stücke Verzicht tun mußte. Meine Stücke bleiben mir frei zu verkaufen. Aber Sie glauben nicht, mein Bester, wie wenig Geld 600 bis 800 Gulden in Mannheim, und vorzüglich im theatralischen Zirkel ist – wie wenig Segen, möchte ich sagen, in diesem Geld ist – welche Summen nur auf Kleidung, Wohnung und gewisse Ehrenausgaben gehen, welche ich in meiner Lage nicht ganz vermeiden kann. Gott weiß, ich habe mein Leben hier nicht genossen, und noch einmal soviel als an jedem andern Orte verschwendet. Allein und getrennt! – Ungeachtet meiner vielen Bekanntschaften, dennoch einsam und ohne Führung, muß ich mich durch meine Ökonomie hindurchkämpfen, zum Unglück mit allem versehen, was zu unnötigen Verschwendungen reizen kann. Tausend kleine Bekümmernisse, Sorgen, Entwürfe, die mir ohne Aufhören vorschweben, zerstreuen meinen Geist, zerstreuen alle dichterischen Träume, und legen Blei an jeden Flug der Begeisterung. Hätte ich jemand, der mir diesen Teil der Unruhe abnähme, und mit warmer, herzlicher Teilnehmung sich um mich beschäftigte, ganz könnte ich wiederum Mensch und Dichter sein, ganz der Freundschaft und den Musen leben. Jetzt bin ich auch auf dem Wege dazu.

Den ganzen Winter hindurch verließ mich das kalte Fieber [151] nicht ganz. Durch Diät und China zwang ich zwar jeden neuen Anfall, aber die schlimme hiesige Luft, worin ich noch Neuling war, und meine von Gram gedrückte Seele machten ihn bald wiederkommen. Bester Freund! ich bin hier noch nicht glücklich gewesen, und fast verzweifle ich, ob ich je in der Welt wieder darauf Anspruch machen kann. Halten Sie es für kein leeres Geschwätz, wenn ich gestehe, daß mein Aufenthalt in Bauerbach bis jetzt mein seligster gewesen, der vielleicht nie wieder kommen wird.

Vorige Woche war ich zu Frankfurt, Grosmann zu besuchen und einige Stücke da spielen zu sehen, worin zwei Mannheimer Schauspieler, Beil und Iffland, Gastrollen spielten. Grosmann bewirtete mich unter andern auch mit Kabale und Liebe. (Nicht wahr, jetzt zürnen Sie wieder, daß ich noch den Mut habe, dieses Stück vor Ihnen zu nennen, da ich Ihnen auch nicht einmal ein Exemplar davon geschickt. Werden Sie mir vergeben, wenn ich Ihnen sage, daß nicht nur dieses Stück, sondern auch die beiden andern für Sie schon zurückgelegt waren, daß ich fest entschlossen war, sie Ihnen selbst nach der hiesigen Vorstellung zu bringen, wovon mich eine traurige Notwendigkeit abhielt, und daß ich das aufgegeben habe, als ich bei Schwan erfuhr, Sie hätten das Stück schon kommen lassen?) Hier zu Mannheim wurde es mit aller Vollkommenheit, deren die Schauspieler fähig waren, unter lautem Beifall und den heftigsten Bewegungen der Zuschauer gegeben.

Sie hätte ich dabei gewünscht – den Fiesco verstand das Publikum nicht. Republikanische Freiheit ist hierzulande ein Schall ohne Bedeutung, ein leerer Name – in den Adern der Pfälzer fließt kein römisches Blut. Aber zu Berlin wurde es vierzehnmal innerhalb drei Wochen gefordert und gespielt. Auch zu Frankfurt fand man Geschmack daran. Die Mannheimer sagen, das Stück wäre viel zu gelehrt für sie.

Eine vortreffliche Frau habe ich zu Frankfurt kennen [152] lernen – sie ist Ihre Freundin – die Madame Albrecht. Gleich in den ersten Stunden ketteten wir uns fest und innig aneinander; unsre Seelen verstanden sich. Ich freue mich und bin stolz, daß sie mich liebt, und daß meine Bekanntschaft sie vielleicht glücklich machen kann. Ein Herz, ganz zur Teilnahme geschaffen, über den Kleinigkeitsgeist der gewöhnlichen Zirkel erhaben, voll edlen, reinen Gefühls für Wahrheit und Tugend, und selbst da noch verehrungswert, wo man ihr Geschlecht sonst nicht findet. Ich verspreche mir göttliche Tage in ihrer nähern Gesellschaft. Auch ist sie eine gefühlvolle Dichterin! Nur, mein bester, schreiben Sie ihr, über ihre Lieblingsidee zu siegen, und vom Theater zu gehen. Sie hat sehr gute Anlagen zur Schauspielerin, das ist wahr, aber sie wird solche bei keiner solchen Truppe ausbilden, sie wird mit Gefahr ihres Herzens, ihres schönen und einzigen Herzens, auf dieser Bahn nicht einmal große Schritte tun – und täte sie diese auch, schreiben Sie ihr, daß der größte theatralische Ruhm, der Name einer Clairon und Yates mit ihrem Herzen zu teuer bezahlt sein würde. Mir zu Gefallen, mein Teuerster, schreiben Sie ihr das mit allem Nachdruck, mit allem männlichen Ernst. Ich habe es schon getan, und unsere vereinigten Bitten retten der Menschheit vielleicht eine schöne Seele, wenn wir sie auch um eine große Aktrice bestehlen.

Von Ihnen, mein Liebster, wurde langes und breites gesprochen. Madame Albrecht und ich waren unerschöpflich in der Bewunderung Ihres Geistes und Ihres mir noch schätzbareren Herzens. Könnten wir uns in einen Zirkel von mehreren Menschen dieser Art vereinigen, und in diesem engern Kreise der Philosophie und dem Genusse der schönen Natur leben, welche göttliche Idee! – Auch der Doktor ist ein lieber, schätzbarer Freund von mir. Sein ganzes Wesen erinnerte mich an Sie, und wie teuer ist mir alles, wie bald hat es meine Liebe weg, was mich an Sie erinnert.

Noch immer trage ich mich mit dem Lieblingsgedanken, [153] zurückgezogen von der großen Welt, in philosophischer Stille mir selbst, meinen Freunden und einer glücklichen Weisheit zu leben, und wer weiß ob das Schicksal, das mich bisher unbarmherzig genug herumwarf, mir nicht auf einmal eine solche Seligkeit gewähren wird. In dem lärmendsten Gewühl, mitten unter den Berauschungen des Lebens, die man sonst Glückseligkeit zu nennen pflegt, waren mir doch immer jene Augenblicke die süßesten, wo ich in mein stilles Selbst zurückkehrte und in dem heitern Gefilde meiner schwärmerischen Träume herumwandelte, und hie und da eine Blume pflückte. – Meine Bedürfnisse in der großen Welt sind vielfach und unerschöpflich, wie mein Ehrgeiz, aber wie sehr schrumpft dieser neben meiner Leidenschaft zur stillern Freude zusammen.

Es kann geschehen, daß ich zur Aufnahme des hiesigen Theaters ein periodisches, dramaturgisches Werk unternehme, worin alle Aufsätze, welche mittelbar oder unmittelbar an das Geschlecht des Dramas oder an die Kritik desselben grenzen, Platz haben sollen. Wollen Sie, mein Bester, einiges in diesem Fach ausarbeiten, so werden Sie sich nicht nur ein Verdienst um mich erwerben, sondern auch alle Vorteile für Ihre Börse davon ziehen, die man Ihnen verschaffen kann, denn vielleicht verlegt und bezahlt die kurfürstliche Theaterkasse das Buch. Schreiben Sie mir Ihre Entschließung darüber.

Daß ich Mitglied der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft und also jetzt pfälz'scher Untertan bin, wissen Sie ohne Zweifel.

Den Einschluß überschicken (oder überbringen) Sie an Frau von Wolzogen, und fahren Sie fort, Ihren Freund zu lieben, der unter allen Verhältnissen des Lebens ewig der Ihrige bleiben wird

Fried. Schiller.

[154]

Wer es tadeln wollte, daß vorstehender Brief seinem ganzen Inhalte nach mitgeteilt worden, der möge erwägen, daß er ein sehr wichtiger Beitrag zur Kenntnis der Denkungsart und der häuslichen Verhältnisse Schillers ist, und daß ein Zeugnis, welches jemand von sich selbst ablegt, um vieles bedeutender sein muß, als was andere ausgesprochen. Ungerechnet die feine Art, mit welcher er den von ihm vernachlässigten Freund wieder zu gewinnen suchte, zieht er auch diejenigen, welche glauben, sein Aufenthalt in Mannheim wäre so angenehm gewesen, aus einem großen Irrtum.

Mehrere Stellen dieses Briefes, als die Klagen über sein häusliches Leben – über das Unzulängliche seiner Einnahme – seine Zerstreuung und schwärmerischen Träumereien – die Sehnsucht nach Bauerbach usw. fordern hier um so mehr einige Erläuterungen, als er ein viel zu bedeutender Mensch war, um solche Umstände übergehen zu können, und weil hierüber ein Zeuge berichten kann, dem nichts verborgen oder verhehlt wurde.

Ist es für einen jungen Mann, der nicht Vermögen genug besitzt, um sich eigne Bedienung halten zu können, eine beinahe unmögliche Sache, seine Kleidung, Wäsche, Bücher, Schriften usw. dergestalt in Ordnung zu halten, daß keine Verwirrung entstehe, so ist dieses bei Dichtern, Künstlern, Gelehrten oder überhaupt denjenigen, die bloß allein mit ihrer Einbildungskraft arbeiten, und den Eingebungen ihres Geistes folgen müssen, noch weit weniger der Fall.

Je umfassender nun ein Genie, je höher seine Kraft, sein Wollen, seine Pläne sind, um so weniger kann es sich mit solchen Sachen befassen, die auch dem gewöhnlichen Manne schon als solche Kleinigkeiten erscheinen, daß er deren Besorgung unter seiner Würde erachtet. Wenn nun diese Abneigung auch bei solchen stattfindet, deren Wirken mehr nach vorgeschriebenen Regeln, als im Erfinden oder Erschaffen besteht; um wie viel störender muß es einem Dichter oder [155] Künstler sein, wenn er durch die Bedürfnisse des Tages aus seinem Nachdenken, aus seiner Begeisterung gerissen, und gewissermaßen aus einer wärmenden Behaglichkeit in eiskaltes Wasser geworfen wird. Ließe sich eine Idee, ein Ausdruck festhalten, oder würde die Gedankenreihe durch eine Unterbrechung dieser Art nicht so zerstreut, daß man den Anfang und die Folge derselben oft wieder aufs neue suchen muß, so würde die Geduld keine so harte Probe bestehen müssen.

Man denke sich nun unsern Schiller im Brüten über den Plan eines Trauerspieles, in dem Entwurfe einer Szene, in der Ausarbeitung eines Monologes, und stelle sich vor, wie ihm sein mußte, wenn ihm reine Wäsche übergeben und die gebrauchte gefordert wurde, wenn er letztere erst suchen und deren durchsichtigen Zustand erklären mußte, wenn er nach spätem Erwachen die wenigen Stücke seiner Kleidung beschädigt fand, oder sein nur nach Viertelstunden bedungener Diener zu unrechter Zeit eintraf; man denke sich dieses, und glaube dann, daß er trotz seiner Gutmütigkeit oft in eine widerliche Gemütsstimmung geriet.

Aus diesem Zustande hätte ihn nur weibliche Fürsorge erlösen können, die aber in Mannheim fehlte, weil er abgesondert wohnte, sich auch seine kärgliche Mittagskost, von der noch für den Abend etwas zurückgehalten werden mußte, aus einem Gasthause holen ließ. Es würde übrigens eine sehr belustigende und des Pinsels eines Hogarths würdige Aufgabe sein, das Innere des Zimmers eines von immerwährender Begeisterung trunkenen Musensohnes recht getreu darzustellen; denn es würde sich hier durchaus nichts Bewegliches und selbst das nicht, was sonst immer dem Auge entzogen wird, an seinem Platze finden. Unordnung bei jungen Männern ist etwas Gewöhnliches, aber bei den sogenannten Genies übertrifft sie jede Vorstellung. Seine Einnahme während acht Monaten setzt er selbst auf 500 Gulden Reichswährung an. Wem dieses zu wenig scheint, [156] dem darf versichert werden, daß auch diese unbedeutende Summe noch beinahe um 100 Gulden zu hoch angegeben ist, denn außer seiner Besoldung von 300 Gulden, die er vorausnehmen mußte, konnte ihm nur der Ertrag des Druckes von Kabale und Liebe zufließen. Mit diesen geringen Mitteln mußte er sich neu kleiden, Wäsche, Betten, Hausgeräte anschaffen; er mußte, wie er selbst sagt, sogenannte Ehrenausgaben, das heißt, kleine gesellschaftliche Unterhaltungen, Ausflüge auf das Land mitmachen; daher er denn auch immer, nicht nur für den nächsten Monat, sondern für die nächste Woche, ja oft für den nächsten Tag in Sorgen war und doch immer schuldige Rückstände bezahlen sollte.

Zu dieser bangen, qualvollen Lage gesellte sich dann auch noch das kalte Fieber, welches besonders im Entstehen alle Martern des Tantalus mit sich führte. Denn der brennendste Durst, der heißeste Hunger durfte nicht genugsam gestillt werden, um die Krankheit nicht zu unterhalten. Die Hilfe dagegen, nur in Brechmitteln und Chinarinde bestehend, schwächte den Magen ebensosehr, als sie ihn belästigte; und wenn nichts mehr helfen wollte, mußte man wohl den Rat des Arztes befolgen und so viele Chinapulver, als man sonst in 24 Stunden hätte gebrauchen sollen, zwei Stunden vor dem Eintritte des Fiebers auf einmal nehmen, was freilich oft half, aber ein solches Toben des Magens veranlaßte, daß man glaubte vergehen zu müssen, und was auf lange Jahre hinaus die übelsten Folgen zurückließ.

Möge der Leser, wenn er sich an den Schönheiten von Fiesco und Kabale und Liebe ergötzt oder in den herrlichen Szenen von Don Carlos seine Gefühle schwelgen läßt, doch nie vergessen, daß unter so drückenden, beugenden Umständen die obigen Stücke verändert und der erste Akt des letztern gedichtet wurde; alsdann erst wieder den Göttersohn bewundern, der unter so vielen Übeln seinen Geist immer tätig erhielt und an der heiligen Flamme nährte, die nicht von der Erde, sondern von oben her leuchtet.

[157]

Man wird es begreiflich finden, daß der Augenzeuge dieser Lage, der Freund des Dichters, es später nie mehr über sich gewinnen konnte, eines dieser drei Stücke vorstellen zu sehen. So oft er den Versuch dazu machte, so mußte er dennoch sich bei dem ersten Auftritte schon entfernen, weil ihn ein Schmerz, eine Wehmut befiel, die sich nur im Freien stillen konnten.

Deutschland! Deutschland! Du darfst dich deiner großen Söhne nicht rühmen, denn du tatest nichts für sie; du überließest sie dem Zufall und gabst ihr geistiges Eigentum jedem Preis, der sie auf offener Straße darum berauben wollte. Nur der eignen Kraft, dem eignen Mute der einzelnen, nicht deinem Schutze, nicht deiner Fürsorge hast du es beizumessen, wenn andere Völker dich um deine großen Geister beneiden und sich an ihrem Licht entzünden.

Wie wahrhaft sagt Schiller:

»Kein Augustisch Alter blühte,
Keines Mediceers Güte
Lächelte der deutschen Kunst;
Sie ward nicht gepflegt vom Ruhme,
Sie entfaltete die Blume
Nicht am Strahl der Fürstengunst.
– – – – – – – – –
– – – – – – – – – –
– – – – – – – – –
Rühmend darf's der Deutsche sagen,
Höher darf das Herz ihm schlagen:
Selbst erschuf er sich den Wert.«

Wolle man diesen Ausbruch einer gerechten Klage verzeihen, die sich immer wieder erneuert, so oft diese trüben Tage des – jetzt so hoch gefeierten – Dichters der Erinnerung vorschweben.

Die Äußerung in obigem Briefe, »daß sein Aufenthalt in Bauerbach bis jetzt sein seligster gewesen,« war ganz seinen damaligen Umständen angemessen. Dort, in diesem stillen [158] Ort, in Gesellschaft und unter dem Schutz einer wohlwollenden Freundin, hatte er keine Sorgen, durfte sich um die Bedürfnisse des Lebens nicht bekümmern, brauchte kein Geld, weil die Gelegenheit zu Ausgaben fehlte, und konnte um so ungestörter seinen Träumen nachhängen, als ihm zarte Achtsamkeit und Pflege jede Mahnung an die Kleinigkeiten des Tages ersparten. Diese Ruhe, dieser behagliche Zustand war ihm so unvergeßlich, daß er nach Versicherung seiner Schwester noch nach vielen Jahren die damalige Zeit als die schönste und glücklichste seines Lebens rühmte; »daß er sich über tausend kleine Sorgen, Bekümmernisse, Entwürfe, die ihm ohne Aufhören vorschwebten, und seinen Geist, seine dichterischen Träume zerstreuten usw.« gegen Herrn Reinwald beklagte, kam daher, daß er in einer Gesellschaft, die jeden Augenblick Forderungen an ihn machte, leben mußte und lästige Frager, Besucher oder Amtsgeschäfte nicht zurückweisen durfte.

Ihm mußte alles Störungen verursachen, da er wachend und träumend für nichts und in nichts als theatralischen Dichtungen lebte, in diesen wie in seinem eigentlichen Elemente sich befand, sie immerwährend ordnend, niederschreiben zu wollen schien und dennoch bei der Menge sich ihm darbietender Gegenstände zu keiner Entscheidung gelangen konnte. Schon in Stuttgart hatte er sich vorgenommen, Konradin von Schwaben zu bearbeiten; später wurde er von Baron Dalberg aufgefordert, den Don Carlos dafür zu nehmen. Während er sich noch in Mannheim mit der Geschichte Spaniens recht vertraut zu machen suchte, glaubte er es leichter, einen ganz eignen Plan zu erfinden, der bald diese, bald jene, aber immer eine tragische Entwicklung haben sollte. Endlich glaubte er einen solchen festhalten zu müssen, in welchem die Erscheinung eines Gespenstes die Entscheidung herbeiführte, und beschäftigte sich so gänzlich damit, daß er schon anfing, seine Gedanken niederzuschreiben. Aber er gab den Plan wieder auf, indem es ihm unter der Würde des Dramas [159] und eines wahren Dichters schien, die größte Wirkung einer Schreckgestalt schuldig sein zu sollen.

Er machte die richtige Unterscheidung, daß ihm das Beispiel Shakespeares, der in Cäsar und Macbeth einen Geist erscheinen läßt, hierin nicht rechtfertigen könne, indem dieser nur als eine Nebensache angewendet worden, die weder auf die Handlung selbst noch auf deren Ausgang den mindesten Einfluß ausübe.

Diese Unentschlossenheit in der Wahl, dieses immerwährende Ausspinnen einer verwickelten Gegebenheit ermüdete ihn aber weit mehr, als wenn er die wirkliche Ausarbeitung begonnen hätte.

Jedoch er konnte nicht anders. Es war seiner Natur ganz entgegen, an irgend etwas nur oberflächlich zu denken. Alles sollte erschöpft, alles zu Ende gebracht werden. Daher beschäftigten sich seine Gedanken so lange mit einem Plane, bis er entweder die Hoffnung, einen wirkungsvollen Ausgang herbeizuführen, verlor, oder bis seine Kräfte ermüdeten, und er dann, um diese nicht ganz abzuspannen, auf etwas anderes überging. Seine Erregbarkeit für dichterische Gegenstände ging ins Unglaubliche. Er war dafür gleichsam eine immer glühende, nur mit leichter Asche bedeckte Kohle. Ein Hauch, und sie sprühte Funken.

Der Leichtigkeit gemäß, mit welcher er Pläne zu Dramen schnell entwerfen konnte, hätte er einer der fruchtbarsten Schriftsteller für die Bühne werden können, aber wenn es an das Niederschreiben kam, da erlaubte sein tiefes Gefühl der Feder keine Eile. So wie er jede Sache in ihrem ganzen Umfang erfaßte, so sollte sie auch durch Worte nicht nur auf das deutlichste, sondern auch auf das schönste dargestellt werden. Daher das Erschöpfende, Volle, Satte und Runde seiner Ausdrücke und Wendungen, welche die Gedanken ebenso wie das Gefühl aufregen und sich dem empfänglichen Gemüt einprägen.

[160]

Solche Dichter, denen ihre Gaben nur sparsam zugemessen worden, sind um vieles mehr entschlossen. Kaum ist ein Gegenstand gefunden, so wird schon die Feder eingetaucht, damit die Arbeit schnell fertig werde. Schnell werden auch Vorteile damit erreicht, aber –

»der Ruhm mit seiner Sternenkrone«

kann nie auf einem solchen Haupte verweilen. Während Schiller noch immer unentschlossen blieb, welche Handlung er zu einem neuen Trauerspiele wählen solle, war schon das Frühjahr verflossen, und Baron Dalberg vernahm weder von ihm selbst noch von andern, daß er sich für einen Stoff entschieden habe, wodurch denn die Hoffnung verschwand, in diesem Jahre noch ein neues Stück von ihm auf der Bühne zu sehen. Konnte dieses nicht geliefert werden, so war die Besoldung des Theaterdichters für nichts ausgegeben, was der magern Kasse nicht anders als schmerzlich sein konnte. Um nun Schillern zur Arbeit anzutreiben, oder wenn dieses nicht gelingen sollte, auf eine gute Art wieder loszubringen, beredete Baron Dalberg einen Bekannten desselben, seinen Hausarzt, den Hofrat Mai, jenem zu raten, das Studium der Arzneikunde wieder zu ergreifen; was eigentlich so viel heißen sollte, diese Feder, aus welcher schon die trefflichsten Gedichte und drei Trauerspiele geflossen, welche alle anderen der damaligen Zeit übertrafen, und noch heute nach fünfzig Jahren auf allen deutschen Bühnen gegeben werden, wegzuwerfen, und dafür eine solche zu nehmen, mit welcher bloß Rezepte ausgefertigt werden könnten.

Kaum eine Viertelstunde nachdem Hr. Mai fort war, trat S. zu dem Dichter ein, der ihm mit argloser, gutmütiger Freude den gemachten Vorschlag berichtete und denselben – wenn ihm auf einige Jahre Unterstützung zu teil würde – als das einzige Rettungsmittel aus seinem sich täglich mehr verwirrenden Zustand ansah. Er entschloß sich, alsogleich an Baron Dalberg zu schreiben, und obwohl ihm vorausgesagt war, daß nur eine hofmäßige, ausweichende Antwort [161] darauf erfolgen würde, so ließ sich sein edles, reines Herz, das andere nur nach der eignen Weise beurteilte, doch nicht abhalten, eine Bitte zu tun, die zu seinem eignen Besten, sowie zur Ehre des deutschen Namens unerfüllt blieb.

Was hätte auch die Welt, was Schiller dabei gewonnen, wenn derjenige, den er als seinen hohen Gönner achtete, einige hundert Gulden daran gewagt hätte, damit der Dichter wieder in einen Arzt, das heißt in einen solchen Mann umgewandelt würde, der alles, was er bisher geschaffen, vergäße – der den Boden, welcher schon so herrliche, prachtvolle Früchte getragen, wieder versumpfen ließe, um sein tägliches Brot sicherer als bisher erwerben zu können. Auch wären die Anstrengungen von neuen zwei Jahren um so gewisser vergeblich gewesen, da er sich wohl nie zu dem ängstlichen Fleiße, zu einer in das kleinste eingehenden Teilnahme hätte herablassen mögen, ohne die ein ausübender Arzt gar nicht gedacht werden und ohne welche er nicht die geringsten Vorteile für sein Glück erwarten darf. Wahrscheinlicherweise hätte er sich in das Philosophische der Medizin geworfen; vielleicht – wozu er nur zu viele Anlage hatte – hätte er ein ganz neues System der Heilkunde aufgestellt.

Allein wie lange würde dieses gedauert haben? – Jedes Geschlecht sieht Ähnliches entstehen, und jedes erlebt auch dessen Untergang. Sein Gebiet war ausschließend die Dichtkunst. Hier war er Held, hier war er Herrscher; hier fühlte er seine unbezwinglichen Kräfte, und nur durch diese konnte er sich ein Reich errichten, das nie zerstört und dessen Grenze wohl schwerlich von jemand überschritten wird. Dieser Antrag hatte jedoch die gute Folge, daß er seinem bisherigen Wanken ein Ende machte und Schiller sich ernstlich entschloß, alles andere vorläufig nicht mehr zu beachten, sondern seine ganze Zeit Don Carlos zu widmen. Von diesem hatte er schon mehrere Szenen entworfen, auch den Gang des Stückes so ausgedacht, daß er zwar der Geschichte nicht ganz widerspräche, doch aber der Charakter Philipps etwas gemildert [162] erscheine. Überdenkt man den Inhalt seiner drei ersten Trauerspiele, so wird man die längere Überlegung des Dichters sowie sein Zaudern, sich schnell an diese Arbeit zu wagen, sehr begreiflich finden. Im Don Carlos hatte er Charaktere zu schildern, die sich in der allerhöchsten Sphäre bewegten, die nicht nur den größten Einfluß auf ihre Zeit ausübten, sondern auch der Menschheit die tiefsten Wunden schlugen. Wäre es nur darum zu tun gewesen, die handelnden Personen als Tyrannen, als blutdürstige Henker zu zeichnen, so wäre die Schwierigkeit für ihn sehr gering gewesen. Aber er mußte, oder wollte wenigstens, die verabscheuungswürdigsten Menschen mit derselben Larve, die sie im Leben und besonders an Philipps Hofe trugen, getreu darstellen, ihre folgenden Handlungen andeuten und das Ganze dennoch auf eine solche Art stellen, daß es ein höchst anziehendes Schauspiel, aber keinem Zuschauer widerlich wäre. Seine Gespräche verbreiteten sich nicht allein über den Plan selbst, sondern auch über die ganz neue Art von Sprache, die er dabei gebrauchen müsse. Er wollte sie mit all dem Fluß und Wohllaut ausstatten, für welche er ein so äußerst empfindliches Gefühl hatte. Er glaubte daher auch, daß hierzu Jamben der Würde der Handlung sowie der Personen am angemessensten sein würden. Im Anfange machte ihm dieses einige Schwierigkeit, indem er seit zwei vollen Jahren durchaus nichts mehr in gebundener Rede geschrieben hatte. Jetzt mußte er seine Ausdrücke rhythmisch ordnen; er mußte, um die Jamben fließend zu machen, versuchen, schon rhythmisch zu denken. Wie aber nur erst eine Szene in dieses Versmaß eingekleidet war, da fand er selbst, daß dieses nicht nur das passendste für das Drama sei, sondern, da es auch gemeine Gedanken heraushebe, um so viel mehr das Erhabene und die Schönheit der Ausdrücke veredeln mußte. Seine Freude, sein Vergnügen über den guten Erfolg erhöhten seine Lust am Leben, an der Arbeit, und er sah mit Ungeduld der Abendstunde entgegen, in welcher er [163] S. dasjenige, was er den Tag über fertig gebracht hatte, vorlesen konnte. Dieser kannte schon früher keinen höhern Genuß als die prachtvolle, so vieles in sich fassende und dennoch so glatt dahinrollende Prosa seines Freundes. Nun aber mußte sein Gefühl sich in Entzücken verwandeln, als er Gedanken und Ausdrücke wie folgende:

»Ich stand dabei, als in Toledos Mauern
Der stolze Karl die Huldigung empfing,
Als graue Fürsten zu dem Handkuß wankten,
Und jetzt in einem – einem Niederfall
Sechs Königreiche ihm zu Füßen lagen.
Ich stand und sah das junge, stolze Blut
In seine Wangen steigen, seinen Busen
Von fürstlichen Entschlüssen wallen, sah
Sein trunknes Aug' durch die Versammlung fliegen
In Wollust brechen – Prinz – und dieses Aug'
Sprach laut: ›Ich bin gesättigt.‹«

nach den Gesetzen der Tonkunst aussprechen hörte.

Wie glücklich, wie erhaben waren solche Stunden, in welchen der hohe Meister sein Werk einem reinen, warmen Sinne vorlegen und den tiefen, unverfälschten Eindruck gewahren konnte, den es in dem Gemüte des begeisterten Jünglings hervorbrachte. Jeder Vers wurde als trefflich, jedes Wort, jeder Ausdruck als erschöpfend anerkannt, denn es war auch alles groß, alles schön, jeder Gedanke voll Adel. Er konnte ja nichts Gemeines hervorbringen. Der enthusiastische Freund beschwor Schillern, bei ähnlichen Gegenständen sich doch gewiß nie mehr zur Prosa herabzulassen, indem er selbst wahrnehmen müsse, wie viele Wirkung schon die ersten Versuche erregten.

Nun arbeitete er sehr fleißig an diesem Trauerspiel, übte sich aber auch zugleich, um seine Einbildungskraft zeitweise ausruhen zu lassen, in der französischen Sprache, die ihm seit zwei Jahren fremd geworden war, und welche er sowohl zum Lesen von Racine, Corneille, Diderot usw. als auch [164] zum Übersetzen sich wieder geläufig machen wollte. Zu letzterem bewog ihn besonders, seit das Projekt einer Dramaturgie rückgängig geworden, der Vorsatz, eine Monatschrift herauszugeben, welche zwar vorzüglich theatralischen Arbeiten und Beurteilungen gewidmet sein sollte, von der aber auch andere Sachen, die für die Lesewelt anziehend sein könnten, nicht ausgeschlossen wären. Das Sammeln der Materialien für mehrere Hefte, das Ausarbeiten derselben, welches in Mannheim, da er noch keinen Mitarbeiter hatte, ganz auf ihm lastete, beschäftigte ihn oft bis tief in die Nacht, erhöhte aber auch seinen Mut, weil er daraus größere Vorteile als durch Stücke für die Bühne zu ziehen hoffen durfte. Während dieser Anstrengungen, in denen er sich nur wenige Ruhe gönnte und wo er alles zu ergreifen suchte, um sein Leben nur einigermaßen von Sorgen frei zu halten, wurde er an eine Verpflichtung gemahnt, die er noch in Stuttgart eingegangen, und an die er nur mit Bangigkeit denken konnte.

Es ist aus seinem Briefe aus Frankfurt an Baron Dalberg ersichtlich, daß er diesen auf die edelste, rührendste Art um einen Vorschuß von 200 Gulden gebeten, damit er die dringendsten Schulden, die seine schnelle Entfernung zu bezahlen ihm unmöglich machte, damit tilgen könne. Er sagt dabei: »Ich darf es Ihnen gestehen, daß mir das mehr Sorgen macht, als wie ich mich selbst durch die Welt schleppen soll. Ich habe so lange keine Ruhe, bis ich mich von der Seite gereinigt habe.«

Diese für einen reichen Mann so leicht zu erfüllende Bitte wurde ihm aber nicht gewährt, sondern er wurde durch erregte Hoffnungen veranlaßt, seine wenige Barschaft in Oggersheim vollends aufzuzehren. Auch seine folgenden Verhältnisse gestatteten ihm nicht, die gemachten Versprechungen zu halten und mit deren Erfüllung eine Last von sich abzuwälzen, die für sein wohlwollendes, für die Ehre sehr empfindliches Gemüt die drückendste seines früheren und späteren Lebens war. Beinahe zwei Jahre schon war die Geduld [165] der Gläubiger hingehalten worden; er durfte also die Meinung hegen, daß dieses vielleicht noch länger der Fall sein könnte. Allein zu seinem nicht geringen Schrecken kam es anders. Die Person, welche sich für ihn auf obige Summe verbürgt hatte, wurde so sehr von den Darleihern gedrängt, daß sie aus Stuttgart nach Mannheim entfloh. Man setzte ihr nach, erreichte sie dort und hielt sie gefangen.

Um sie für jetzt und für die Zukunft zu retten, blieb kein anderes Mittel, als ihr die 200 Gulden zu erstatten, für welche sie sich verbürgt hatte. Aber woher sollte diese für den, der keine andere Sicherheit als die Früchte seiner Feder leisten konnte, sehr bedeutende Summe aufgebracht werden? Von daher, wo er schon zweimal vergeblich Hilfe suchte, durfte er keine gewärtigen. Auch wollte er sich, da die ganze Sache ein Geheimnis bleiben sollte, nur jemand vertrauen, von dessen Verschwiegenheit er versichert sein konnte. Glücklicherweise war er mit einem sehr achtungswerten Manne, dem Baumeister Herrn Anton Hölzel, bei welchem S. wohnte, nicht nur bekannt, sondern wurde von ihm auch außerordentlich hochgeachtet, und dieser, so wenig er auf Reichtum oder Wohlhabenheit Anspruch machen konnte, scheute kein Opfer, um die verlangte Hilfe zu verschaffen, damit er aus einer Verlegenheit befreit würde, die von höchst nachteiligen Folgen für ihn hätte sein können. Es wäre vielleicht möglich gewesen, daß seine Eltern diesen Betrag erlegt oder wenigstens Bürgschaft dafür geleistet hätten, aber um dieses einzuleiten war die Zeit zu kurz. Um Rat zu schaffen, durfte kein Augenblick verloren werden. Und dann war auch sein Stolz zu groß, um seine gefährliche Lage dem Vater zu enthüllen, welcher seine Flucht sowohl als auch seine ungewissen Verhältnisse bisher immer mißbilligt hatte.

Dieser höchst unangenehme Vorfall machte auf den gepeinigten Dichter einen um so tieferen Eindruck, als jetzt durchaus nicht mehr abzusehen war, wie oder in welcher Zeit eine Rettung aus seinen Geldnöten möglich sein würde. In dem [166] für ihn so fatalen Mannheim war keine Erlösung aus den Sorgen zu hoffen; denn bei so geringen Einkünften mußten sich seine Umstände immer tiefer und endlich auf einen solchen Grad verschlimmern, daß ihm zuletzt kein anderes Mittel zu Gebote gestanden hätte, als sich heimlich zu entfernen. Aber wohin??? – – – dies war eine Frage, auf die keine Antwort sich finden ließ.

Wie aber oft das dichteste, schwärzeste Gewölk sich plötzlich öffnet, um einen erquickenden Strahl der Sonne durchzulassen, oder auch der schwere Arm des Schicksals über den harten Prüfungsschlägen selbst ermüdet, so geschah es hier, und der erste Schritt, um Deutschland seinen edelsten Dichter zu erhalten, wurde nicht von seiner Umgebung, die täglicher Zeuge seines großen Charakters war, auch nicht von denen, die von den Früchten seines Geistes Vorteile zogen, sondern von solchen Menschen getan, deren Dasein ihm gar nicht bekannt war. Ganz unerwartet nämlich erhielt er durch den Postwagen 8 ein Päckchen, in welchem vier Bildnisse, mit farbigen Stiften auf Gips gezeichnet, nebst einer gestickten Brieftasche mit Schreiben sich befanden, welch letztere von der wärmsten, tiefsten Verehrung gegen seine großartigen Arbeiten sowie von der richtigen Würdigung seines außerordentlichen Dichtergeistes zeugten.

Wie wohltuend der Eindruck gewesen, den diese schöne Überraschung auf Schiller machte, dies kann selbst der Augenzeuge nicht gehörig beschreiben. Obwohl er auch hierüber sich ebenso auf die edelste, männlichste Art wie über alles äußerte, so zeigte dennoch seine vermehrte Heiterkeit fast in höherem Grade als seine Gespräche, wie erfreulich es ihm sei, in weiter Ferne von gebildeten Menschen erkannt, hochgeachtet und wegen seiner Leistungen geliebt zu werden; daß diese aus einem Gesichtspunkt angesehen würden, welcher ihn [167] hoch über seine Zeit stellte – daß, wenn auch die meisten, welche ihn umgaben, stumm blieben und nur Kälte zeigten, es noch an manchen Orten Herzen geben könne, die für ähnliche Gefühle wie das seinige schlügen – daß er, seiner bittern, düstern Verhältnisse ungeachtet, sich durch eine solche Anerkennung weit höher als durch Reichtümer belohnt finde.

Hätten doch Herr Körner, seine Braut, deren Schwester und Professor Huber, von denen dies die Abbildungen waren, sehen können, wie glücklich diese Aufmerksamkeit Schillern machte, welche Ruhe, welche Zufriedenheit dadurch in sein ganzes Wesen kam, wie es ihm schmeichelte, die erhaltenen Beifallsbezeugungen mit seinen eignen Ansichten übereinstimmend zu finden, wahrlich, sie hätten die süße Genugtuung empfunden, dem Dichter das Vergnügen, welches er ihnen durch seine Werke verschafft, reichlich vergolten zu haben!

Wer nie in dem Falle war, bei sich selbst oder bei andern wahrzunehmen, wie stumpf, wie gebeugt der Geist endlich werden muß, wenn dasjenige, was das Talent erschafft, nicht gehörig gewürdigt oder nicht verhältnismäßig belohnt wird, der kann es auch unmöglich fassen, wie sehr eine unvermutete Anerkennung des wahren Wertes dem Selbstvertrauen, der Tätigkeit eine Schnellkraft verleiht, die das ganze frühere Empfindungsvermögen so sehr verändert, daß derjenige, welcher soeben erst in sich zusammengesunken war, plötzlich mit erhobenem Haupte sich aufrichtet. Den Dichtern, Künstlern ist es zwar immer angenehm, wenn ihre Verdienste durch Ehre, Geld oder andere Zeichen des Beifalls belohnt werden; aber höher als alles dieses achten sie es dennoch, wenn die innersten Absichten ihrer Arbeiten so gänzlich begriffen werden, daß sie in demjenigen, der über sie urteilt und ihnen kenntnisreiche Lobsprüche spendet, ihr eigentliches Selbst erkennen.

Dieselbe Wirkung brachte diese Überraschung auf Schillern um so mehr hervor, weil sie von Fremden ausging, er seine [168] Umgebung schon gewohnt war und nur äußerst wenige sich fanden, welche seine hohen Darstellungen sowie den tiefen Sinn, der in ihnen lag, genugsam hätten würdigen können. Allmählich wurde auch die Hoffnung in ihm erregt, daß diese neuen Freunde wohl keine Verwendung unterlassen würden, um ihn aus seinem dermaligen Zustande zu erlösen und in bessere Verhältnisse zu setzen. Dieses bestätigte sich auch später in einem solchen Grade, daß es für denjenigen, der sich an den Werken des Unsterblichen stärkt und kräftigt, noch heute eine Art von Pflicht ist, dabei auch Körners, seines erhaltenen, unwandelbaren Freundes dabei eingedenk zu sein.

Ehre demjenigen, der einem aus drückenden Lebensverhältnissen befreiten Talente seine Achtung und Aufmerksamkeit beweist! Aber die größte Ehre sei dem, welcher einem hohen Geiste die Hindernisse wegräumt, die seinem freien Wirken sich entgegenstellen, und der nicht seinen Überfluß, sondern sein Notwendiges mit ihm teilt. Der Eifer und die Tätigkeit Schillers schienen durch den Briefwechsel mit den neuen Freunden einen lebhaften Schwung erhalten zu haben, denn er arbeitete nun ohne Rast an Don Carlos und an dem ersten Hefte seiner Monatsschrift. Eine angenehme Zerstreuung verschaffte ihm der Besuch seiner ältesten Schwester, welche, von Herrn Reinwald begleitet, auf kurze Zeit nach Mannheim kam. Die blühende, kräftige Jungfrau schien entschlossen, ihr künftiges Schicksal mit einem Manne zu teilen, dessen geringe Einkünfte und wankende Gesundheit wenig Freude zu versprechen schienen. Jedoch waren ihre Gründe dazu so edler Art, daß sie auch in der Folge es nie bereute, das Herz ihrem Verstande und einem vortrefflichen Gatten geopfert zu haben. Nicht lange nach der Schwester Abreise wählte Herr von Kalb, damals Offizier in französischen Diensten, wo er die Feldzüge des nordamerikanischen Befreiungskrieges mitgemacht und sich dabei sehr ausgezeichnet hatte, mit seiner Gemahlin und Schwägerin seinen Aufenthalt zu Mannheim. Schiller lernte sogleich diese in jedem [169] Betracht edle Familie kennen, in welcher Frau von Kalb durch ihren richtigen Verstand und feine Geistesbildung sich besonders auszeichnete. Für den Dichter war der Umgang mit diesen seltenen Menschen ebenso wichtig als erheiternd, indem kein Gegenstand der Literatur sich fand, mit welchem diese Dame nicht vertraut gewesen wäre, oder irgend eine Weltbegebenheit, bei deren Beurteilung man das Umfassende, Scharfsinnige und die klaren Ansichten ihres Gemahls nicht hätte bewundern müssen.

Die Musik verschaffte S. das noch stets in Andenken erhaltene Glück, Frau von Kalb mehrmals in der Woche zu sehen und, da sie eben in der Dichtung eines Romans begriffen war, auch über andere Gegenstände mit ihr zu sprechen. Es war nichts natürlicher, als daß sehr oft von Schiller und seinen Arbeiten die Rede war, von denen aber S. den Don Carlos, den der Dichter jetzt unter der Feder habe, weit über alles früher Geleistete setzte. Die Neugierde der Frau v. K. wurde durch die begeisterten Lobeserhebungen auf das höchste gespannt. Sie ersuchte Schillern einigemal, ihr doch etwas davon lesen zu lassen. Allein dieser wollte erst noch einige Szenen fertig machen, dann ins Reine schreiben und, um jede Schönheit gehörig herauszuheben, selbst vorlesen. Frau v. K. fügte sich um so eher in diesen Aufschub, weil sie hoffte, daß einige weitere Szenen ihr Vergnügen erhöhen müßten und sie auch davon den schönsten Genuß sich versprach, die ihr mit so vielem Enthusiasmus angerühmte prachtvolle Sprache aus des Dichters eignem Munde zu vernehmen. Dieser brachte endlich eines Nachmittags seinen Don Carlos zu der in der größten Erwartung harrenden Frau und las ihr den fertigen Teil des ersten Aktes vor. Lauschend heftete die Zuhörerin ihre Blicke auf den mit Pathos und Begeisterung deklamierenden Verfasser, ohne durch das leichteste Zeichen ihre Empfindung erraten zu lassen. Als dieser geendigt hatte, fragte er mit der unbefangensten, freundlichsten Miene: »Nun, gnädige Frau! [170] wie gefällt es Ihnen?« Diese suchte auf die schonendste Art einer bestimmten Antwort auszuweichen. Als aber wiederholt um die aufrichtige Meinung über den Wert dieser Arbeit gebeten wurde, brach Frau v. K. in lautes Lachen aus und sagte: »Lieber Schiller! das ist das Allerschlechteste, was Sie noch gemacht haben.« – »Nein! das ist zu arg!« erwiderte dieser, warf seine Schrift voll Ärger auf den Tisch, nahm Hut und Stock und entfernte sich augenblicklich. Kaum war er aus der Tür, als Frau v. K. nach dem Papiere griff und zu lesen anfing. Sie hatte die erste Seite noch nicht geendigt, als sie sogleich dem Bedienten schellte. »Geschwind, geschwind lauf' Er zu Herrn Schiller: ich lasse ihn um Verzeihung bitten, ich hätte mich geirrt, es sei das Allerschönste, was er noch geschrieben habe, er solle doch ja sogleich wieder zu mir kommen.« Der Auftrag wurde ebenso schnell als genau ausgerichtet. Allein Schiller gab der Bitte kein Gehör, sondern kam erst den folgenden Tag zu der feinsinnigen Frau, die zwar ihr erstes Urteil sehr willig zurücknahm, ihm aber auch erklärte, daß seine Dichtungen durch die heftige, stürmische Art, mit welcher er sie vorlese, unausbleiblich verlieren müßten.

Als Kabale und Liebe wieder aufgeführt wurde, hatte Schiller die Aufmerksamkeit, den Namen des Hofmarschalls umschaffen zu wollen. Allein Herr und Frau von Kalb dachten viel zu groß, um sich durch einen erdichteten Namen irren zu lassen, und widersetzten sich einer Abänderung aus dem sehr richtigen Grunde, daß ein anderer Name als der frühere die Vermutung herbeiführen müsse, als sei der vorherige auf jemand aus ihrer Familie abgesehen gewesen.

Der Umgang mit diesen wahrhaft edlen, vortrefflichen Menschen nebst dem Briefwechsel mit den Freunden in Leipzig verschafften dem Dichter zwar viele erheiternde Stunden, konnten aber dennoch seine häuslichen Verhältnisse und seine schwankende, unbestimmte Stellung nicht verbessern, sondern er mußte in so beunruhigenden Umständen auch den [171] Herbst nebst dem Anfange des Winters noch ebenso wie bisher zubringen, obwohl er sich mit Sachen beschäftigte, welche nur der ganz sorgenfreien Laune an den Tag zu fördern möglich sind.

Endlich zu Anfang des Jahres 1785 9 verbreitete sich in Mannheim das Gerücht, der regierende Herzog von Weimar werde auf einen Besuch zu der landgräflichen Familie nach Darmstadt kommen. Schiller, von seinem eignen Verlangen ebensosehr als von Herrn und Frau Kalb angeeifert, wünschte nichts so sehnlich, als bei dieser aus den feinsten Kennern des wahrhaft Schönen bestehenden Zusammenkunft sich als denjenigen zeigen zu dürfen, der wohl würdig wäre, dem schönen Bunde in Weimar beigesellt zu werden, welcher den Namen seines hohen Beschützers auf die späteste Nachwelt übertragen würde. Die Güte, die Herablassung nebst aufrichtiger Anerkennung großer Eigenschaften waren von dem Herzoge von Weimar ebenso zu erwarten, als das zuvorkommende Benehmen der Frau Landgräfin gegen jeden ausgezeichneten Künstler oder Dichter sich schon so oft gezeigt hatte. Der Ruf von dem hohen Werte der theatralischen Arbeiten Schillers war keinem Deutschen unbekannt, daher die Empfehlungsbriefe von Herrn und Frau von Kalb nebst denen von Baron Dalberg an die nächste Umgebung der fürstlichen Personen mit freundlichster Berücksichtigung aufgenommen wurden.

Schillers wichtigste Angelegenheit war, seinen Don Carlos in demjenigen Kreise bekannt zu machen, für den er eigentlich gedichtet schien. Hatte er darin die richtigste Ansicht getroffen, die würdigste Sprache gewählt, so durfte er nicht allein den ungeteilten Beifall der hohen Gesellschaft, sondern auch die wichtigste Entscheidung für seine Zukunft erwarten. Sein Wunsch, Don Carlos selbst vorzulesen, wurde mit fürstlichem [172] Wohlwollen gewährt und diese majestätische Dichtung mit so entschiedenem Anteil aufgenommen, daß es bei einer folgenden Unterredung mit dem Herzoge von Schiller nur einer leisen Bitte bedurfte, um von demselben eine öffentliche Anerkennung seines außerordentlichen Geistes zu erhalten.

Schiller kehrte als Rat des Herzogs von Weimar nach Mannheim zurück.

Konnte dieses einsilbige Wörtchen den Verdiensten des schon damals alles überragenden Dichters auch keinen neuen Glanz verleihen, so hatte es wenigstens für die Gegenwart dennoch die Wirkung eines Talismans; denn seine Verhältnisse, von denen sich nur die traurigste Wendung erwarten ließ, gestalteten sich von nun an um vieles beruhigender, ja sie erhielten dadurch einen Anhaltspunkt, der bis jetzt nur ersehnt, aber nicht erreicht werden konnte. Das Verlangen der Eltern, er möchte durch eine dauernde Versorgung einem Fürsten angehören, schien erfüllt, seinen in Stuttgart zurückgelassenen Tadlern wurde bewiesen, daß seine Talente im Auslande weit größere Würdigung als in Württemberg gefunden und auch solche, die gegen seine Arbeiten gleichgültig geworden waren, mußten für ihn höhere Achtung gewinnen, da er von einem so vollgültigen Richter würdig befunden wurde, dem schönsten Geisterverein, welchen Deutschland jemalen aufzuweisen hatte, für immer anzugehören.

Ohne daß Schiller es ahnte oder zu wissen schien, hatte dieser kleine Beisatz zu seinem Namen dennoch einen sehr großen Einfluß auf ihn. Sein Betragen wurde freier, bestimmter. Dieser Titel hatte in ihm die Gewißheit erweckt, sich ein neues besseres Vaterland erwerben zu können. Die Beurteilungen des Theaters wurden kälter, schärfer ausgesprochen, als früher geschah. Seine Tätigkeit war wie neu belebt; auch arbeitete er jetzt mit um so mehr Freude, je näher eine günstige Veränderung seines ihm bisher nur Unheil bringenden Aufenthaltes zu hoffen war.

[173]

Aber auch der Theaterdichter wurde von dem Herrn Rat nun mit ganz andern Augen angesehen, weil jener nie aus der begonnenen Bahn treten, weil er immer dieselbe Last tragen muß, wohingegen dieser, von Stufe zu Stufe immer höher steigend, seinen Ehrenkreis erweitern kann. Vorzüglich aus letzterer Ursache schloß er, daß sein Verbleiben in Mannheim ihm nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich sein müsse, weil es ihm nicht die geringste Verbesserung darbieten könne. Er leitete deshalb nicht nur mit seinen Leipziger Freunden, sondern auch mit Herrn Schwan das Nötige ein, um seinen bisherigen Aufenthalt im Anfange des Frühjahres zu verlassen. Gegen das Theater selbst war er um so gleichgültiger geworden, weil es keine seiner Erwartungen ganz erfüllt hatte; zum Teil aber auch, weil der größte Teil der Mitglieder ihn jetzt schmähte und erbost auf ihn war. Dieser fast allgemeine Haß war durch die Beurteilungen (in dem ersten Hefte der Rheinischen Thalia) der Darstellung einiger Stücke veranlaßt, in welchen mehrere Mitglieder, die früher an vieles Lob von ihm gewöhnt waren, sehr hart mitgenommen wurden. Diese Kritiken mußten um so mehr auffallen, als damals eine Zeitung oder ein Journal sehr selten über einzelne Schauspieler etwas erwähnte und diese ohnehin es mit den meisten Künstlern gemein haben, sich für vollkommen oder unfehlbar zu achten. Zu Anfang des März 1785 wurde alles von ihm veranstaltet, um Mannheim bald verlassen zu können, welches, durch erhaltene Wechsel aus Leipzig erleichtert, zu Ende des Monats auch wirklich ausgeführt wurde. Den Abend vor seiner Abreise, welche bei Anbruch des kommenden Tages vor sich gehen sollte, brachte S. bis gegen Mitternacht bei ihm zu. Die vergangenen zwei Jahre, welche auf eine sehr unangenehme Weise von ihm verlebt waren, berührte er nur insofern, als sie in ihm die traurige Überzeugung hervorgebracht, daß in Deutschland, wo (1785) das Eigentum des Schriftsteller wie des Verlegers jedem preisgegeben, ja als vogelfrei erklärt sei, und bei der [174] geringen Teilnahme höherer Stände an den Erzeugnissen der deutschen Literatur ein Dichter, würde er auch alle andern der verflossenen oder gegenwärtigen Zeit übertreffen, ohne einen besoldeten Nebenverdienst, ohne bedeutende Unterstützung, bloß durch die Früchte seines Talents unmöglich ein solches Einkommen sich verschaffen könne, als einem fleißigen Handwerksmanne mit mäßigen Fähigkeiten dieses gelingen müsse. Er war sich bewußt, alles getan zu haben, was seine Kräfte vermochten, ohne daß es ihm gelungen wäre, das wenige zu erwerben, was zur größten Notwendigkeit des Lebens gezählt wird, noch weniger aber so viel, daß er bei seiner Abreise auch seine Geldverbindlichkeiten hätte erfüllen können. Von nun an sollte nicht mehr die Dichtkunst, am wenigsten aber das Drama, der einzige Zweck seines Lebens sein, sondern er war fest entschlossen, den Besuch der Muse nur in der aufgereiztesten Stimmung anzunehmen; dafür aber mit allem Eifer sich wieder auf die Rechtswissenschaft zu werfen, durch welche er nicht nur aus jeder Verlegenheit befreit zu werden, sondern auch einen wohlhabenden, sorgenfreien Zustand zu erwerben hoffen dürfe.

Diesen Plan besprach er von allen denkbaren Seiten. Wenn auch eine sich als widrig zeigte, so wäre sie doch nicht von der demütigenden Art, wie solche, die sich täglich dem Dichter darbieten, der in der höheren Gesellschaft nicht aufgenommen, wenn er seine Feder der Bühne widme, sogar verachtet sei, auf keinen Rang unter den Ständen Anspruch machen dürfe und wie ein fremdes, heimatloses Wesen seinen kärglichen Unterhalt mit unablässiger Anstrengung erringen müsse. Seinen Talenten, seiner Beharrlichkeit traute er es zu, in weniger als einem Jahre die Theorie der Rechtswissenschaft, unterstützt von den reichen Hilfsmitteln der Leipziger Universität, soweit inne zu haben, daß er auch darin wie in der Arzneikunde den Doktorhut nehmen und dadurch sich nicht nur einen bessern, sondern auch beständigern Zustand bereiten könne. Er glaubte den Schluß mit vollem [175] Rechte machen zu dürfen, wenn die Erlernung dieser Wissenschaft einem gewöhnlichen Kopf in einigen Jahren möglich sei, so müsse es ihm – der von Jugend auf zum Studieren von Systemen angehalten worden – der in den zwei ersten Jahren, die er in der Akademie zubrachte, bedeutende Fortschritte in dieser Wissenschaft getan – der das Lateinische ebenso geläufig wie seine Muttersprache inne habe – der Hallers Werke in drei Monaten sich so eigen gemacht, daß er eine Prüfung darüber mit Ehren bestehen konnte – dem das Nachdenken eine Lust, ein Bedürfnis sei – um so viel leichter werden, den Schneckengang anderer mit seinen weit ausgreifenden Schritten zu überholen und schnell dahin zu gelangen, wo ihn auch die kühnste Erwartung erst nach Jahren vermute.

Sein Vorsatz darüber war so fest, die Ausführung schien ihm so leicht, eine ehrenvolle Anstellung bei einem der kleinen sächsischen Höfe so nahe, daß er und der zurückbleibende Freund sich die Hände darauf gaben, so lange keiner an den andern schreiben zu wollen, bis er Minister oder der andere Kapellmeister sein würde. Mit diesem feierlichen Versprechen schieden beide voneinander.

Aber die Himmlischen hatten anders über ihn beschlossen. Sie ließen es nicht zu, daß eine solche Fülle von Gaben, reich genug, um Millionen zu beglücken, nur auf einen engen Kreis beschränkt oder ganz unfruchtbar bleiben sollte. Mit Liebe leiteten sie nun an sanfter, gütiger Hand ihren Begünstigten in die Arme von Freunden, die alles aufboten, damit er seinem hohen Berufe nicht ungetreu würde, damit er die unendliche Menge des wahrhaft Schönen und Guten, welches er in sich trug, zur Veredlung der Menschheit, zur Erleuchtung und Stärkung kommender Geschlechter, zu unvergänglichem Ruhme seiner selbst sowie zu dem seines eigentlichen Vaterlandes anwenden konnte.

[176]


Durch diese nach allen Umständen getreue Erzählung darf der Verfasser glauben, eine sehr bedeutende Lücke, die sich – ohne irgend eine Ausnahme – in allen Lebensbeschreibungen des großen Mannes findet, ausgefüllt, und einem künftigen Biographen die vollständige Darstellung eines auf seine Zeit so einflußreichen Lebens erleichtert zu haben. Der verehrte Leser wolle nun diese von einem Augenzeugen gegebene Mitteilung mit den früher von andern dem Publikum vorgelegten vergleichen und dann die Glaubwürdigkeit letzterer beurteilen.

Ende.

Auf Kriegspapier gedruckt.


Fußnoten

1 Tatsächlich hat die Flucht am 22. September stattgefunden.

W.

2 Wenn man die Zeitverhältnisse und die Lage Schillers berücksichtigt, so wird man die Allgemeinheit und bittere Härte dieser Äußerung entschuldigen.

Anm. Streichers.

3 Vermutlich ist dieser Brief erst Anfang Oktober geschrieben.

W.

4 Tag. Soll heißen: Winter.

W.

5 »In den ersten Tagen des Septembers 1783.« Dies ist ein Irrtum. Schiller kam am 27. Juli in Mannheim an.

W.

6 Der Kontrakt ist tatsächlich erst am 20. August geschlossen worden und lief vom 1. September 1784 an.

W.

7 Diese Zusammenkunft geschah in Wirklichkeit schon vor der Abreise nach Bauerbach zwischen dem 22. und 25. November 1782.

W.

8 Vielmehr durch Götz, Angestellten in der Schwanschen Buchhandlung, der von der Leipziger Messe zurückkehrte.

W.

9 Die Vorlesung des Don Carlos fand am 26. Dezember 1784 statt.

W.


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Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert.

Korrekturen:

S. 109: gegewesen → gewesen
ein württembergischer Offizier bei ihnen gewesen sei

S. 172: das → daß
Ohne daß Schiller es ahnte