Title : Das Geschlechtsleben in der Deutschen Vergangenheit
Author : Max Bauer
Release date : October 18, 2015 [eBook #50248]
Language : German
Credits
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VON
MAX BAUER
LEIPZIG 1902
HERMANN SEEMANN NACHFOLGER
Alle Rechte vom Verleger vorbehalten!
Einen kurzen, nur die behandelten Themen erschöpfenden Abriss des Geschlechtslebens der deutschen Vorzeit zu geben, ist der Zweck der vorliegenden Arbeit, die kein Lehrbuch, sondern hauptsächlich eine auf wissenschaftlicher Grundlage fussende Abhandlung über eine Materie sein will, der alle für jung und alt geschriebenen Kulturgeschichten ängstlich aus dem Wege gehen.
Für den ernsten Laien ist mein Werkchen bestimmt, für den gebildeten Mann und die reife, denkende Frau, denen es »ein herrliches Ergötzen, sich in den Geist der Zeiten zu versetzen«, auch dann, wenn dieser Geist düstere Bilder zeitigt, auf die unsere vielgeschmähte Gegenwart mit Schaudern zurückblickt.
Manch kerniges Wort ist in den nachfolgenden Blättern gesprochen, doch nur, wenn es der Stoff erforderte. Gar mancher wird sich darob entsetzen und entrüsten, aber: »Niemand lügt so viel, als der Entrüstete,« sagt Friedrich Nietzsche – und ich glaube, er hat recht!
Friedenau , September 1902.
Max Bauer.
Seite | |
Das frühe Mittelalter | 1 |
Das Leben auf dem Dorfe | 51 |
Die Klöster | 74 |
Beilager und Ehe | 89 |
Die feile Liebe | 133 |
Das Badewesen | 215 |
Tanz und Spiel | 265 |
Das Schönheitsideal | 304 |
Die Kleidung | 318 |
Liebeszauber und Zauberliebe | 339 |
An einer dem Urwalde abgerungenen Stelle, die ein Bächlein durchrieselt, dessen Ufer Blumen schmücken und Weiden beschirmen, liegt das Gehöft des Germanen. Wiesen mit vereinzelten Bäumen und Felder von bescheidener Ausdehnung, bestellt mit der Brotfrucht oder Gerste, um den Trank des Hausherrn daraus zu brauen, oder dem gelbblühenden Hanf, aus dessen Fäden die Hausfrau manch Gewand zu wirken weiss, umschliessen die Baulichkeiten bis an die Grenze des Waldes hin, dessen breitästige Riesen ihre Schatten auf die wogenden Halme werfen. Waldesnähe war Notwendigkeit für den Urdeutschen, denn der gewaltige Wald war geradezu Lebensbedingung für ihn. Aus seinen Stämmen zimmerte er das kunstlose, schirmende Dach; seine harzreichen Äste und das Reisig gaben der fensterlosen Halle Licht und Wärme im rauhen Herbste; die aus Waldesstämmen geschnittenen Pallisaden und der aus biegsamen Zweigen geflochtene Zaun hielten das Raubzeug von dem Einbruch in des Herrn Herden ab, wenn Schnee und Eis die Erde deckte und der Hunger die Tiere den menschlichen Behausungen zutrieb. Die aus seinen Scheiten genährten Essen verflüssigten das Erz, aus dem der Germane die Schutz- und Trutzwaffen schmiedete, wie die Werkzeuge für das Feld: Sichel und Sense. Im Waldesdickicht barg sich das Wild: Hirsch, Reh, Elen, Ur, das Schwarzwild, Meister Petz und anderes Getier, dessen Jagd des Mannes Herzensfreude war, und das ihn und die Seinen mit Fleisch und wärmendem Rauchwerk zur Kleidung versorgte. Aus Waldesdüster stieg vom Opfersteine der Rauch gen Walhalla auf; an entlegenen, schwer zugänglichen Stellen hauste einsam die Seherin, »die weit und breit für ein göttliches Wesen galt« [1] , durch dessen Mund die Götter in seltsam gefügter Rede sprachen, ihren Willen kundgaben, lobten oder tadelten, verhiessen oder verdammten, die Prophetin, verehrter als der Oberpriester, als der erkorene Herr und Führer in Frieden und Kampf, sie das heilige Weib !
Denn »der Germane schreibt dem Weibe eine gewisse Heiligkeit und prophetische Gabe zu« [2] . Darum war ihm auch heilig die Frau, die er an seinen Herd genommen, heilig das Weib des Nachbarn und unantastbar, wie die eigenen Töchter. Nur den Feind traf er tödlich damit, dass er nach erfochtenem Sieg dessen Weiber seinen Lüsten opferte. »Die frouwen sie nôtzogeten, Und die megde wol getan« heisst es noch Jahrhunderte später von den Weibern einer erstürmten Stadt. Aber auch das Gegenteil lässt sich bezeugen. Als König Rudolf 925 die Stadt Auga (Eu) erstürmte, in die sich die Normannen unter Rallo geworfen hatten, wurden alle Männer niedergemacht, die Frauen aber unberührt gelassen. Gleiche Schonung hatte früher Totila den Neapolitanerinnen und Römerinnen bewiesen, und als ein vornehmer Gote sich eine Ungebührlichkeit gegen ein neapolitanisches Mädchen erlaubt hatte, liess er ihn trotz allgemeiner Verwendung hinrichten und sein Vermögen jenem Mädchen geben. [3] Also auch im Kriege bewahrten deutsche Stämme die Achtung vor den Frauen.
Dem Germanen, dem rauhen Sohne eines unwirtlichen Landes, galt eben sein Weib als die Gefährtin seines Lebens, eins mit ihm in Freud und Leid, die für ihn schaffte, für ihn sorgte, ihn pflegte, wenn er siech darniederlag, seine Wunden verband und sie mit geheimnisvollen Sprüchen zu heilen suchte; die er dafür mit seinem Leibe schützte, für die er starb, wenn es das Geschick erforderte, gleichwie sie selbst den Tod der Ehrlosigkeit vorzog. Ihre Gemeinschaft war ernst und unverbrüchlich, kein loses Spiel, wie bei vielen kulturell höher stehenden Völkern jener Epoche, die in der Frau nur den Gegenstand zur Befriedigung der Lüste, oder die tief unter dem Manne stehende Sklavin, im günstigsten Falle das zur Fortpflanzung nötige Werkzeug sahen. Nimmt es da wunder, wenn Cornelius Tacitus , der erste, dem wir sichere Kunde von germanischen Sitten und Gebräuchen verdanken, der elegante Römer, das leichtlebige Kind der Weltkloake Roma mit ihren marklosen Männern, ihren entarteten Weibern, bei denen der Ehebruch zum guten Ton gehörte, deren abgestumpfte Nerven nur die raffinierteste Wollust reizte, in Germanien und der unverfälschten Natürlichkeit seiner Eingeborenen eine neue Welt, ein Utopien zu sehen glaubte, das er seinen Landsleuten nicht genug preisen konnte. »So lebt denn das Weib dahin, unter der Obhut reiner Sitten, nicht verderbt vom Sinnenreiz lüsterner Theaterstücke, noch durch wollustreizende Gelage. Geheimen Verkehr durch (Liebes-) Briefe kennt weder Mann noch Frau. Ehebruch ist unter diesem doch so zahlreichen Volke äusserst selten. Seine Bestrafung ist schnell, und dem Ehemanne überlassen. Mit abgeschnittenem Haar, nackt, und in Gegenwart der Verwandten, stösst der Gatte die Schuldige zum Hause hinaus und peitscht sie durch das ganze Dorf. Auch die preisgegebene Jungfräulichkeit findet keine Verzeihung. Nicht Schönheit, noch Jugend, noch Reichtum gewinnt ihr einen Mann. Denn dort freilich lacht niemand des Lasters; verführen und verführt werden nennt man nicht Zeitgeist. Besser, wenigstens bis jetzt noch, steht es mit einem Lande, wo nur Jungfrauen in die Ehe treten und wo es mit der Hoffnung und dem Gelübde der Gattin ein für allemal abgethan ist. So erhalten sie nur den einen Gatten, gleichwie sie Leib und Leben nur einmal empfingen, damit in Zukunft kein Gedanke über ihn hinaus, kein weiteres Gelübde sich rege, damit Liebe nicht sowohl zum Ehemanne, als zum Ehebunde sie beseele.« [4]
Nur das reine Weib hatte Geltung bei den Germanen. Der auf uralten Rechtsgrundsätzen sich aufbauende Sachsenspiegel, das sächsische Landrecht, niedergeschrieben im 13. Jahrhundert, vertritt die Anschauung, dass ein einmal gefallenes Weib, selbst wenn sie wider ihren Willen ihre Ehre verloren, nie wieder die Rechte eines reinen Mädchens erlangen könne. [5] Da den germanischen Jünglingen strenge Gesetze die Keuschheit bis zur vollendeten Männlichkeit zur Pflicht machten – der Umgang mit Weibern galt für den jungen Mann vor Vollendung des 20. Lebensjahres für eine Schmach [6] – ebenso wie den Mädchen, so war der Unmoral nur ein enger Spielraum gegeben. Sexuelle Ausschreitungen kamen wohl vor, doch dürften sie immerhin als Ausnahmen zu betrachten sein.
Mit der Errichtung von befestigten Dörfern, den Vorläufern der deutschen Städte, dem engeren Aneinanderrücken ursprünglich weit voneinander abgelegener Anwesen und dem Eindringen fremder oder aus der Fremde wieder heimgekehrter Elemente, vollzog sich allmählich eine Sittenwandlung zum schlechteren, die aber vorderhand noch nicht bis zum häuslichen Herde vordrang. Die Hausfrau und die Töchter des Deutschen blieben ebenso keusch und züchtig wie vordem.
War es erst die römische Invasion und die Rückkehr deutscher Krieger aus römischen Kriegsdiensten, die manche Unsitte auf deutschen Boden verpflanzten, manche leichtere Sittenanschauung nach Germanien eingeführt hatten, die wie stets bei allen Naturvölkern nur zu leicht Wurzeln fasste und üppig weiterwucherte, so ging auch später die Völkerwanderung und die mit ihr einbrechenden wilden Horden nicht spurlos an den Vorfahren vorüber. Auch das Christentum räumte mit vielem Althergebrachten für immer auf oder entstellte es, wo es galt, die Gefühle der Bekehrten zu schonen, nach und nach bis zur Unkenntlichkeit.
Eine neue, von der alten grundverschiedene Zeit war für Germania angebrochen. Das Volk, das ein Tacitus als Muster hingestellt, das das römische Weltreich zertrümmert hatte, war aus dem Naturzustand in die Kultur eingetreten. Der rauhe Naturmensch, dem bislang Krieg und Jagd als Um und Auf des Lebens galten, der jede Arbeit, die nicht mit diesen seinen Herzensneigungen zusammenhing, verachtete und sie den Frauen und den Sklaven überliess, war zum Edeling oder zum Bauerbürger geworden, der nun nicht mehr ganz so schalten und walten durfte, wie damals, wo er als unbeschränkter Gebieter auf seinem Grund und Boden hauste. Er musste jetzt selbst die Hände rühren und die Oberaufsicht über sein Eigentum übernehmen. Das mit elementarer Macht sich verbreitende Christentum erschloss eine neue Gedankenwelt und milderte vieles von der Rauheit des früheren Sohnes der Wildnis. Die allerorts entstehenden Klöster wurden zu den ersten und einzigen Bildungsstätten, aus deren festen, bewehrten Mauern so manche Kunde drang von der Kunst, seine Gedanken aufzeichnen zu können und sie auf diese Weise selbst dem Fernen mitzuteilen; dann von Glaubenshelden, die ihre Treue gegen den Heiland mit dem Leben bezahlt, die für das Christentum den Märtyrertod erlitten; vom Heiland selbst, seinem Leben, Leiden und Sterben, und von seiner Mutter, der herrlichsten, edelsten und erhabensten aller Frauen, der gebenedeiten Jungfrau Maria. In ihr erstand für den Deutschen neuerdings das göttliche Weib der Germanen, darum sammelte sich auch in dem Marienkultus die ganze Verehrung, die der Deutsche einem Weibe zu zollen vermag, in einem Brennpunkte zusammen, der aber im Gange der Jahrhunderte verblasste, um später noch einmal, aber weniger intensiv und mit einer Beimischung von Groteskkomik, als Minne und Minnedienst aufzuleuchten, ehe er für immer erlöschte.
Noch war das deutsche Staatengefüge lose aus einer Unzahl deutscher Stämme zusammengesetzt, die, in nie ruhender Eifersucht einander befehdend, kaum ein Gefühl der Zusammengehörigkeit kannten.
Erst dem Heros Karl dem Grossen , seiner eisernen Faust, seinem mächtigen, zielbewussten Willen, der mit unbeugsamer Energie das für richtig Erkannte durchzusetzen wusste, gelang es, das Völkerkonglomerat auf deutscher Erde zusammenzuschweissen und zu einer Einheit, dem römisch-deutschen Reiche, zu gestalten. Karls staatsmännisches und kulturelles Wirken zu würdigen ist nicht meine Aufgabe. Hier soll nur der Einfluss erörtert werden, den Karls Regierung auf das Geschlechtsleben seiner Zeit ausübte. Kaiser Karls Leben war in dieser Hinsicht nicht einwandsfrei. Wenn er auch am 29. Dezember 1165 heilig gesprochen und diese Kanonisation von der Kirche stillschweigend bestätigt wurde, so war Karl durchaus kein Heiliger. Er war fünfmal verheiratet. Seine erste Frau, die Fränkin Himiltrud, verstiess er, ebenso die zweite, eine Tochter des Longobardenkönigs Desiderius, nach der Angabe eines Mönches von St. Gallen deshalb, weil sie unfruchtbar gewesen. Hildegard, die dritte Gattin, ein Fräulein aus hohem schwäbischen Adel, zählte erst 13 Jahre, als er sie heimführte. Sie starb 783 im 26. Lebensjahre, nachdem sie ihm neun Kinder, darunter Hludoic, seinen Thronerben, geboren hatte. Wenige Monate nach Hildegards Tode heiratete Karl die Ostfrankin Fastrada, nach deren Hinscheiden er die Alemannin Luitgard zur Gemahlin nahm, mit der er schon vor der Verheiratung Beziehungen unterhalten hatte. Sie war seine letzte rechtmässig angetraute Gattin, und als sie um das Jahr 800 in Tours starb, wirtschaftete der Kaiser bis zu seinem Ableben mit Kebsweibern, von denen vier namhaft gemacht werden: Madelgard, Gersuinda, Regina und Adallinde. [7]
Karls sinnliche Natur vererbte sich auf seine Töchter, von denen Einhard schreibt: »Obwohl diese Töchter sehr schön waren und von ihm überaus geliebt wurden, wollte er wunderbarerweise keine von ihnen einem der Seinen oder einem Fremden zur Ehe geben; er behielt sie vielmehr alle bis an sein Ende in seinem Hause und sagte, er könne den näheren Umgang mit ihnen nicht entbehren. Aber deswegen musste er, sonst so glücklich, die Abgunst des Schicksals erfahren, was er sich jedoch so wenig merken liess, als ob in Bezug auf seine Töchter niemals irgend ein Verdacht der Unkeuschheit sich erhoben, niemals das Gerücht hiervon sich verbreitet hätte.« [8] Dieses Gerücht bestand in der That und stützte sich auf Thatsachen. Alkuin, des Kaisers Ratgeber und Freund, warnte seine Schüler vor den »gekrönten Tauben, die nächtlich durch die Pfalz fliegen.« Die Folgen der Lasterhaftigkeit liessen nicht auf sich warten.
Bertha, aus des Kaisers Ehe mit Hildegard, hatte vom gelehrten Dichter Angilbert zwei Söhne. Diese Bertha ist die Urheberin der reizenden Sage von dem treuen Liebespaare Eginhard (Einhard) und Emma (Imma), nach welcher Emma ihren Geliebten, während dessen nächtlichem Besuche Schnee im Schlosshofe gefallen war, der durch die in ihm hinterlassenen Fusstapfen des Geliebten Fortgehen hätte verraten müssen, auf ihrem Rücken zu seiner Wohnung trug. Der Kaiser, den Schmerzen auf seinem Lager wachhielten, sah dies, und gerührt von so viel Liebe, gab er dem Paare seinen Segen. »Offenbar hat die geschäftig webende Sage hier einen anderen Günstling und vertrauten Rat Karls, den gelehrten Angilbert, mit Einhard verwechselt. Letzterer hatte allerdings eine vornehme Jungfrau von trefflichem Charakter und hervorragender Bildung, Namens Imma, zum Weibe, mit der er bis zum Jahre 836 in glücklichster Ehe lebte, doch war er sicher nicht Karls Schwiegersohn, da der Kaiser eine Tochter Imma unseres Wissens nicht hatte.«
Berthas Schwester Hruotrud, in Hofkreisen Columba genannt, hatte mit dem Grafen Rorich von Maine einen Sohn, und die anderen Töchter Karls waren ebenso leichtfertig, wie die erwähnten. Das grössere Leben Ludwigs des Frommen, Karls Nachfolger, erzählt, das Treiben, das seine Schwestern im väterlichen Hause führten, habe Ludwigs Sinn, obgleich er von Natur milde war, schon lange geärgert. Bald nach seiner Thronbesteigung habe er daher den ganzen, sehr grossen weiblichen Tross mit Ausnahme der geringen Dienerinnen aus dem Palaste schaffen lassen, und seine Schwestern veranlasst, sich auf die ihnen vom Vater bestimmten oder von ihm selbst verliehenen Klöster zurückzuziehen. [9]
So gerne Karl in der eigenen Familie beide Augen zudrückte und geflissentlich übersah, was allgemein offenkundig war, so unnachsichtlich zeigte er sich gegen die öffentliche Unsittlichkeit. Aus Paris z. B. suchte er alle öffentlichen Mädchen zu vertreiben. Die Dirnen sollten, falls man sie bei der Ausübung ihres Gewerbes ertappte, gestäupt werden. Wer ihnen Vorschub geleistet oder ihnen Obdach gegeben, sollte sie auf dem Rücken zum Richtplatze tragen. Der Erfolg dieses Erlasses war ganz belanglos, denn die »verliebten Weiber« – filles folles de leurs corps – trieben ihr lichtscheues Handwerk offen und im geheimen nach wie vor und vermehrten sich wie die Wasserpest.
Gegen die auch in Deutschland immer mehr um sich greifende Sittenlockerung konnte oder wollte Karl nicht einschreiten, vielleicht schon deshalb nicht, weil sie in erster Linie bei dem an Gut und Macht vielvermögenden Adel zuerst und am auffallendsten zum Vorschein kam. Zu jedem der festen Häuser, aus denen sich die Burgen entwickelten, gehörten die Genitia, ursprünglich Werkstätten, in denen hörige und freie Dienerinnen unter Aufsicht der weiblichen Herrschaft die Stoffe für die Kleidung herzustellen, zu sticken, weben, waschen, kochen, kurz alle weibliche Hand- und Hausarbeit vorzunehmen hatten. Diese Genitia oder Frauenhäuser waren von dem Hauptgebäude, der Herrenwohnung, streng geschieden und mit Zäunen, Wall, Graben und Wachttürmen gegen fremde Eindringlinge wohl verwahrt. In diesen Frauenhäusern befanden sich auch die Schlafräume nicht allein der Mägde sondern auch der weiblichen Familienmitglieder, ein Grund mehr, sie zu sichern, besonders das vordere Abteil der Genitia, in dem die Angehörigen des Hausherrn nächtigten, während das Hinterhaus die Dienerschaft beherbergte. Nach dem alten alemannischen Rechte wurde die Notzucht an einer Insassin des Vorderhauses mit sechs Schillingen, an einer des Hintergebäudes mit nur drei Schillingen geahndet. Jedes der Häuser der Grossen und jeder Meierhof besass solch Frauenhaus oder Bordell , nach dem angelsächsischen Bord, Schwelle, benannt. Die anrüchige Nebenbedeutung kam erst viel später in Gebrauch. Diese Frauenhäuser galten bald mit Fug und Recht für die Harems ihrer Besitzer, [10] da damals, bis tief in das Mittelalter hinein, die Frauen und Töchter der Unfreien im vollsten Sinne des Wortes die Leibeigenen ihrer Herren waren. Die Allgewaltigen besassen das Recht auf Leben und Tod über ihre Hörigen, die nur als Wertobjekte galten, über dessen Vermietung, Verkauf oder Verpfändung der Besitzer nach Gutdünken zu verfügen vermochte. Da der Wille des Herrn unverbrüchlichen Gehorsam bedingte, so wehrte keine Schranke seinen sinnlichen Gelüsten; er durfte verlangen und war der Gewährung sicher.
Zu den Herrenrechten des Feudalen gehörte auch die Erteilung der Eheerlaubnis für seine Unfreien. Er durfte jeden Mann, sobald er das 18., und jedes Mädchen, das das 14. Lebensjahr erreicht hatte, zur Ehe zwingen, ebenso verwitweten Gutsleuten eine neue Ehe mit der ihnen zugeteilten Braut aufnötigen. Lag es doch in seinem Interesse, recht viele Ehepaare unter seinen Hörigen zu haben, da sich mit ihrer Kinderzahl auch sein Besitztum an Seelen vergrösserte, was einem Vermögenszuwachs gleichkam. Bisweilen hielt er es jedoch für angebracht, seine Einwilligung zu versagen oder diese von dem Jus primae noctis , nämlich dem Rechte abhängig zu machen, in der ersten Nacht den Gatten bei der Neuvermählten vertreten zu dürfen, wenn er nicht ein für allemal dieses Recht auszuüben für gut fand. Wie weit diese schmachvolle Gepflogenheit in die graue Vorzeit zurückreicht, ist meines Wissens nicht festgestellt. Doch ist ihr hohes Alter als wahrscheinlich anzunehmen, da bei der mittelalterlichen absoluten und rechenschaftsfreien Machtvollkommenheit die Herren nur zu leicht auf derartige Übergriffe verfallen mussten. Man empfand vielleicht beiderseits nicht die Erniedrigung, die in der Ausübung und Duldung dieses schmachvollsten aller Rechte bestand. Im späteren Mittelalter bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts ist das Bestehen des Jus primae noctis dokumentarisch festgestellt, trotz aller Ableugnungsversuche, die z. B. Karl Schmidt in seinem Werke » Jus primae noctis « (Freiburg i. B. 1881) mit recht negativem Ergebnisse zu unternehmen suchte. Aus der deutschen Schweiz sind zwei Gesetze vom Jahre 1538 und 1543 überliefert, die haarscharf diese Unmenschlichkeit beweisen. Diesen Dokumenten einen anderen als den unzweideutig in ihnen ausgesprochenen Sinn zu unterschieben, wie dies Karl Schmidt unternimmt, liegt keine Veranlassung vor, ebensowenig wie ich Weinholds Ansicht beipflichten kann, der mit Osenbrüggen und Gierke jene Bestimmung nur als Ausdruck »einer symbolischen Anerkennung der Leibherrschaft durch die scherzhafte Voranstellung und Ausmalung der äussersten Rechtskonsequenzen« aufgefasst wissen will. [11] Man droht mit »der äussersten Rechtskonsequenz« nicht, wenn man sie nicht, sei es auch nur in aussergewöhnlichen Fällen, zur Ausführung bringen will.
Das eine der erwähnten Schriftstücke, die »Oefnung von Hirslanden und Stadelhofen« im Kanton Zürich vom Jahre 1538, lautet: »Ouch hand die burger die rechtung, wer der ist, der uf den gütern, die in den Kelnhof gehörend, die erste nacht bi sinem wibe ligen wil, die er nüwlich zu der ee genommen hat, der sol den obgenanten burger vogt dieselben ersten nacht bi demselben sinen wibe lassen ligen ; wil er aber das nüt thun, so soll er dem vogt geben 4 und 3 fl Züricher pfenning, weders er wil: die wal hat der brugom (Bräutigam), und sol man ouch demselben brugome ze stür (zur Steuer, Beihilfe) an dem brutlouf geben ein fuder holtz usz dem Zürichberg, ob er wil an demselben holtz hat.« Der Tenor des zweiten Gesetzes entspricht dem eben gegebenen ziemlich genau. Doch nicht die weltlichen Herren allein beschmutzten sich mit der Ausübung des Jus primae noctis , auch die hohe, grundbesitzende Geistlichkeit machte sich dieses Recht zu nutze – brachte es doch etwas ein. Nach dem Lagerbuche des schwäbischen Klosters Adelberg vom Jahre 1496 mussten die zu Bortlingen sesshaften Leibeigenen dies Recht dadurch ablösen, dass der Bräutigam eine Scheibe Holz, die Braut ein Pfund sieben Schillinge Heller oder eine Pfanne, »dass sie mit dem Hinteren darein sitzen kann oder mag« darbringen musste. Anderwärts hatten die Bräute dem Grundherrn so viel Käse oder Butter zu entrichten, »als dick und schwer ihr Hinterteil war«. An anderen Orten wieder mussten sie einen zierlichen Korduansessel geben, »den sie damit ausfüllen konnten«. [12] Nach den Schilderungen des bayerischen Oberappellationsgerichtsrats Welsch bestand übrigens die Verpflichtung der Lösung vom Jus primae noctis in Bayern noch im 18. Jahrhundert. [13]
Im Grunde genommen barg sich unter dem Jus primae noctis nichts weiter, als eine Erpressung mehr, da es doch dem Bräutigam freistand, sich mit Geld oder Geldeswert zu lösen. Wenn nun der arme Bauer dieses Geld nicht aufzubringen vermochte, denn eine Hochzeit kostete ohnehin auch damals schon viel Geld? Der Bräutigam hatte vor allem die Eheerlaubnis teuer durch den Erlag eines Zinses oder Übergabe eines Hemdes oder Felles zu erkaufen. Dem Zins wusste der Galgenhumor der Zahler recht bezeichnende Namen zu geben. Einige dieser aus verschiedenen Gegenden stammenden Bezeichnungen waren: Jungfernzins, Stechgroschen, Bettmund, Nadelgeld , Frauengeld, Hemdschilling, Bumede, Jungferngeld, Schürzenzins, Vogthemd, Bunzengroschen und andere, mitunter sehr eindeutige, mehr. Dieser Zins war unter allen Umständen zu erlegen, auch dann, wenn der Herr sein Recht ausgeübt und damit die Tugend der Braut ramponiert hatte.
Die zerzauste Tugend machte übrigens schon damals den Herren der Schöpfung und nicht nur den Bauern allein manchen Kopfschmerz. Und nicht allein die Mägdelein, sondern auch die Ehegattinnen, ganz besonders die letzteren, hatten oft unter mehr oder weniger begründeter Eifersucht zu leiden. Was heutzutage meist Thränen, Ohnmachten und Beteuerungen durchzusetzen vermögen, bedurfte in jener kräftiger zufassenden Zeit augenscheinlicher Beweise. Wenn diese nicht auf gewöhnlichem Wege herbeizuschaffen waren, so griff man, dem bigott-abergläubischen Zeitgeiste entsprechend, zu dem Gottesurteil . Häufig war es die angeschuldigte Frau selbst, die zu ihrer Rechtfertigung einer Ordalie unterzogen zu werden begehrte. So die Frau Karls des Dicken (881-887), die, des Ehebruches bezichtigt, durch das Gottesurteil nicht allein zeigen wollte, dass sie keine Verbrecherin, sondern dass sie trotz zwölfjähriger Ehe noch immer Jungfrau sei: »Das (ihre Unberührtheit) bewerte sü domitte, dass sü ein gewihset Hemede ane det und domit in ein Für (Feuer) gieng und blieb unversert von dem Für «, schreibt der Chronist Twinger von Königshofen. Das ganze Mittelalter hindurch waren Ordalien nahezu das einzige, jedenfalls aber das unfehlbarste Mittel, die eheliche Treue ad oculos zu demonstrieren.
Zwei Hauptarten der Gottesurteile waren im Schwange: die Feuer- und die Wasserprobe. Bei der Feuerprobe hatte die Beschuldigte die blosse Hand ins Feuer zu halten und unbeschädigt wieder herauszuziehen. War die Hand versengt, so wurde sie verbunden und der Verband nach einer gewissen Zeit gelöst. Waren die Wunden verheilt, so bewies dies die Unschuld. Weitere Abarten des Feuerordals waren: Mit einem mit Wachs durchtränkten Hemd bekleidet den Scheiterhaufen zu durchschreiten, wie Karls Gattin that; mit blossen Füssen über glühende Pflugscharen zu wandeln oder diese eine angegebene Strecke weit zu tragen. Kaiserin Kunigunde, Heinrichs II. (1002-1024) Gattin, unterzog sich dieser letzteren Probe, die übrigens schon aus den Sophokleischen Tragödien her bekannt ist.
Die Wasserprobe fusste auf dem Grundgedanken, dass das reine, heilige Wasser nichts Sündhaftes in sich dulde. Sank daher das gebundene nackte Weib unter, so war es schuldlos; blieb es auf dem Wasserspiegel schwimmen, dann war seine Schuld zum Beweis erhoben. Jahrhunderte später gewannen diese Wasserproben, deren Ausgang ganz in der Hand des Fesselnden lag, eine hohe Bedeutung bei den Hexenverfolgungen.
Eine dritte, aber seltener geübte Art der Gottesurteile waren die Zweikämpfe zwischen der Angeklagten und ihrem Ankläger. Der Kraftunterschied zwischen Mann und Weib fand dadurch seinen Ausgleich, dass der Mann bis zum Gürtel in einer Grube stehend die Angriffe der mit einem enganliegenden trikotartigen Anzuge bekleideten Frau abzuwehren hat. In »Talhoffers Fechtbuch«, der Bilderhandschrift von 1467 auf der Gothaischen Bibliothek, bekämpft die Frau ihren Widersacher mit einem Schleier, in dem sie einen vier- bis fünfpfündigen Stein eingebunden hat. Der Mann ist mit einer Keule bewehrt, ebenso lang wie der Schleier der Gegnerin. Der Kämpfer steht »bis an die waichin« in einer Grube, dessen Rand die Frau umkreist. Nach dem Apollonius vertrat mitunter einer der langen Kleiderärmel den Schleier. [14]
Dass alle Ordalien, der Zweikampf vielleicht ausgenommen, mit der Niederlage der Frau enden mussten, wenn alles mit rechten Dingen zuging, liegt auf der Hand – soferne das schwache Geschlecht in seiner ererbten Schlauheit nicht Mittel und Wege gefunden hätte, den Herren der Schöpfung ein Schnippchen zu schlagen. Sie mogelten bei den wohlvorbereiteten Gottesurteilen nach Herzenslust, und lachten hinterher die dummen, leichtgläubigen Männer weidlich aus. An Gehilfen bei dem Betruge fehlte es nicht, wenn nur Geld genug vorhanden war, die Helfer zu erkaufen.
Gottfried von Strassburg gibt im »Tristan« unumwunden den Schwindel zu, den die holde Isolde, seine Heldin, bei einem Gottesurteil ausübt. Isoldchen, bekanntlich kein Tugendspiegel, soll zur Bezeugung ihrer Unschuld die Feuerprobe bestehen. Sie ist, sehr gerechtfertigter Weise, mit Tristan, dem Neffen ihres alten Gatten, ins Gerede gekommen, und muss nun, um die bösen Mäuler zu stopfen und ihrem Gatten den Glauben an ihre eheliche Treue wiederzugeben, eine Ordalie bestehen. Klein-Isoldchen hat gewichtige Gründe, alle Vorsicht walten zu lassen, denn es ist bei ihr sehr viel faul im Staate Dänemark. Sie weiss sich aber zu helfen. Vor der Probe verteilt sie mit beiden Händen reiche Geschenke an Gold, Silber und Edelsteinen »um Gottes Huld«, das heisst an die die Feuerprobe leitenden Geistlichen, die sich solchen Gaben gegenüber nicht undankbar erweisen dürfen. Sie wissen die Sache so fein einzufädeln, dass die Ehebrecherin die Probe tadellos besteht und in ihrer »bewiesenen« Fleckenlosigkeit nun aufs neue nach Herzenslust sündigen kann. Sie weiss ja, dass bei einem neuerlichen Gottesurteil ihr die früheren Helfer wieder aus der Patsche helfen werden.
Einen weiteren Einblick in den Gottesurteil-Schwindel gestattet das Gedicht eines unbekannt gebliebenen mittelhochdeutschen Dichters, das Hans Sachs als Vorlage für sein Fastnachtsspiel »Das heisse Eisen« benützte. Eine Frau zwingt ihren Mann auf Veranlassung der Gevatterin, »die ist sehr alt und weiss sehr viel«, seine eheliche Treue durch das Tragen eines »heiss Eysen« zu beweisen. Der Gatte willfahrt scheinbar dem Wunsche seiner Gattin.
Der Schlauberger zieht dabei verstohlen einen Holzspan aus dem Ärmel in die Handfläche, auf den er das Eisen derart legen kann, dass es nirgend mit der Haut in Berührung kommt. Natürlich besteht er die Probe glänzend, weshalb er, nun den Spiess umkehrend, auch seinerseits die Tugendprobe von seiner Frau begehrt. Winselnd sinkt diese auf die Knie und gesteht, in die Enge getrieben, dass sie zuerst mit dem Herrn Kaplan in sträflichem Verkehr gestanden, den erst ein Mann, dann wieder einer, schliesslich nach und nach ein ganzes Dutzend abgelöst haben. Die würdige Frau, der »St. Stockmann« als unentrinnbarer Schutzpatron winkt, fasst nach ihrer Beichte unversehens das inzwischen erkaltete Eisen an, verbrüht sich aber daran, ein Zeichen, dass sie noch immer nicht die ganze Wahrheit gestanden hat, und rennt scheltend ab. [15]
Das von Karls eiserner Faust zusammengeschweisste Weltreich zersplitterte unter seinen schwachen Nachfolgern in jenes Staatengemengsel, dem erst das 19. Jahrhundert ein Ende machte. Karls Schöpfungen teilten das Schicksal seines Staates. Nur in den Klöstern glimmte der von Karl angefachte Funke des Bildungsbedürfnisses unter den Insassen fort.
Die Weltabgeschiedenheit, die von dem ewigen Einerlei gezeugte Langeweile liessen wohl auch manche, sonst nicht gerade wissensdurstige Mönche oder Nonnen zu den Büchern greifen, neben Reliquien, Messgeräten und Kultgewändern die kostbarsten Besitztümer der Stifte und Klöster. Und wohl ihnen, wenn sie Gefallen an dieser Beschäftigung fanden, die sie von weit sündhafterem Treiben abhielt, als es selbst die über alle Massen schlüpfrige Mönchslitteratur, das Singen und Abschreiben von weltlichen Liedern, den »winileodes«, war, das Karls Kapitular von 789 verpönte, oder das Studium der erotischen Stücke eines Plautus oder Terentius und anderer die Sinne erregender klassischer Schriftsteller. Denn auch in dieser Epoche liess die Sittenreinheit der Klostergeistlichkeit schon vieles zu wünschen übrig. Durch die Kapitularien Kaiser Karls ist erwiesen, dass manche Nonne ein vagierendes Leben führte, sich rückhaltslos, sogar gegen Entlohnung, hingab, und etwaige Folgen dieser Liebschaften durch Verbrechen beseitigte.
Der Wortlaut eines der zahmsten dieser Kapitularien (v. J. 802) ist folgender: »Die Frauenklöster sollen streng bewacht werden, die Nonnen dürfen nicht umherschweifen, sondern sollen mit grösstem Fleiss verwahrt werden, auch sollen sie nicht im Streit und Hader untereinander leben, und in keinem Stücke den Meisterinnen und Äbtissinnen ungehorsam oder zuwider handeln. Wo sie aber unter eine Klosterregel gestellt sind, sollen sie diese durchaus einhalten. Nicht der Hurerei, nicht der Völlerei, nicht der Habsucht sollen sie dienen, sondern auf jede Weise gerecht und nüchtern leben. Auch soll kein Mann in ihr Kloster eintreten u. s. w.«
Ebenso verbot Karl, die Mönchsklöster in allzu bequemer Nachbarschaft der Nonnenklöster anzulegen – er hatte Gründe dafür.
Aber nicht nur die Nonnen aus niederem Stande setzten sich über die Klosterregeln hinweg, auch solche aus den höchsten Kreisen brachen ihr Gelübde, wenn sich Gelegenheit bot. Wiederholt finden sich in den Chroniken vornehme Klosterschwestern, die sich entführen lassen, oder der Klausur entfliehen, um zu heiraten. Wer mächtig war, durfte hoffen, nachträglich die Genehmigung des Ehebundes durch den Kaiser und durch dessen Vermittlung auch die des Papstes zu erlangen. »Hadburg, die erste Gemahlin König Heinrichs, war eine Nonne, um die er als Herzog förmlich warb, die er sich nach alter Weise im Ringe der Seinen vermählte, als Herrin seines Hofes feiern liess und gegen die Angriffe der Kirche behauptete. Herzog Miseco von Polen, durch seine erste Gemahlin bekehrt, erwies sein junges Christentum nach deren Tode dadurch, dass er um 977 eine deutsche Nonne (Oda) aus ihrem Kloster entführte und heiratete.« [16]
Selbst in den sittenreinsten Klöstern dachte man im Zeitalter Karls und seiner Nachfolger sehr frei, wofür die Dramen Roswithas von Gandersheim Beweise erbringen, jener vielseitigen, hochgebildeten Nonne, mit der der lange Reigen der deutschen Schriftstellerinnen anhebt. »Der singende Mund von Gandersheim« ( clamor validus Gandeshemensis ) lebte und dichtete um die Mitte des 10. bis zu Anfang des 11. Jahrhunderts. Die Dichterin entnahm ihre Stoffe der Heiligengeschichte, die sie in einer dem Terenz nachgeahmten Form dramatisierte. Mit Vorliebe erhitzt sie ihre Phantasie an sinnlichen Vorwürfen, die stellenweise durch die behaglich-breite Detailschilderung von einer Vorurteilslosigkeit zeugt, von der sie ihr letzter Übersetzer trotz aller aufgewandten Mühe nicht völlig reinzuwaschen vermag. [17] In ihrem dritten Stücke »Die Auferweckung der Drusiana und des Calimachus« dringt der letztere, ein schöner heidnischer Jüngling, in die kaum geschlossene Gruft »und sucht in dem Marmorbette des Leichnams die Umarmung, welche ihm Drusiana lebend versagte«. Eine Schlange verhindert rechtzeitig die Leichenschändung. – Etwas viel auf einmal für eine schriftstellernde Himmelsbraut! In dem Drama »Fall und Busse Marias, der Nichte des Einsiedlers Abraham« führt uns Roswitha in ein Bordell; in »Die Bekehrung der Buhlerin Thais« schildert sie realistisch ein Freudenmädchen; im »Dulcitius« sollen die drei christlichen Jungfrauen Agape, Chionia und Irene wegen ihrer Standhaftigkeit im Glauben römischen Soldaten preisgegeben werden, nachdem Dulcitius vergeblich versucht hat, seine Begierden an ihnen zu stillen, und dieses alles und noch mehr trägt Roswitha mit frommem Augenaufschlag vor – ad majorem Dei gloriam –. Zur Ehre der Dichterin, die sich eines kraftvollen, aber barbarischen Mönchslateins bediente, sei angenommen, dass sie ihre Stoffe nach schriftlich vorliegenden Vorbildern formte, nichts Selbsterlebtes in ihre Darstellungen verflocht. Aber mussten nicht derartige Scenen selbst die reinste Phantasie mit unzüchtigen, dem Gelübde der Keuschheit diametral entgegenstehenden Bildern füllen und sie zu weiterer Ausspinnung reizen? Die müssiggängerischen Nönnchen hatten so unendlich viel Langeweile, wie sie oft selbst gestehen, dass sie sich wohl recht oft an den Dramen der Gandersheimerin ergötzt und die darin geschilderten Vorkommnisse recht ausführlich durchgesprochen haben mögen.....
Vom 12. Jahrhundert an datiert der geistige und materielle Aufschwung des deutschen Volkes, das ganz allein aus sich heraus erstarkte. Der Handel, das Handwerk und auch die, wenn auch nur auf eine engbegrenzte Menschenklasse, namentlich die Klosterleute und die aus den Klosterschulen Hervorgegangenen sich erstreckende Bildung, hoben sich zusehends, erweiterten den Gesichtskreis, schufen neue Lebensformen und mit ihnen neue Bedürfnisse. Das altgermanische Kriegertum, die Freude an Fehde und Jagd, das dem Adel noch immer durch die Adern pulsierte, dessen Andenken die unverklungenen, Begeisterung anfachenden Heldensagen wachhielten, gewann eine neue, modernisierte Gestalt im Rittertume , dessen romanische Urformen bald stark mit echt deutschem Geist durchsetzt waren, der manchen welschen Firlefanz noch vergröberte, um namentlich im Minnedienst , einem Hauptbestandteile des Ritterwesens, tief unsittliche Formen zu schaffen, die gleich vergiftend auf beide Geschlechter wirkten, besonders aber den Grundpfeiler der menschlichen Gesellschaft, die Ehe, untergruben. Die, gleichviel ob real oder platonisch Geliebte galt alles, die eigene Frau nichts. Man schlug sein Weib, wie Kriemhilde klagt [18] , winselte aber zu Füssen der angebeteten Herrin um die Gunst, die Hand oder den Fuss küssen und den Saum des Gewandes berühren zu dürfen. »Die Ehe des Ritters, sein Hauswesen, seine Kinder, seine Familiengefühle, alles holde Behagen der Heimat stand ganz ausserhalb der idealen Welt, in welcher er am liebsten lebte.« [19] Des steirischen Ritters Ulrich von Lichtenstein Donquichoterien, sein Zug als Frau Venus im Jahre 1227, in kostbare Frauengewänder gekleidet, das Haupt mit Schleiern umhüllt, und seine sonstigen Läppereien, wie das Trinken des Waschwassers seiner Huldin, die Operation der breiten Oberlippe, das Abhauen eines ihr zu Ehren im Turnier verletzten Fingers, das Mischen unter widerliche Aussätzige, das ihm die Laune der excentrischen Geliebten anbefiehlt, sind der Gipfelpunkt des sich als ritterlichen Minnedienst gehabenden Blödsinnes. Diese sich bis zum Wahnsinn steigernden Überspanntheiten der Ritter, ihre Spielereien, die bandwurmartig anwachsenden Satzungen umgaben schliesslich das ganze Rittertum mit einem schalen Formelkram, der stark an die moderne Vereinsmeierei gemahnt, der Geheimbündeleien des 18. Jahrhunderts gar nicht zu gedenken, denen das Rittertum vielfach zum Vorbilde diente.
Das ritterliche Gehaben führte schliesslich zu einer allgemeinen Lüderlichkeit, die selbst dem überzeugten Romantiker Saint-Pelaye den Stossseufzer entlockte: »Nie sah man verderbtere Sitten, als in den Zeiten unserer Ritter, und nie waren die Ausschweifungen in der Liebe allgemeiner«. [20] Jede Modedame musste ihren Ritter haben, der ihre Farben trug und dem Gemahle ins Handwerk pfuschte. Liebschaften von Frauen aus hohem Stande mit Unebenbürtigen konnten bei solchen Anschauungen nicht ausbleiben. Die Strenge Herzog Rudolfs von Österreich, der 1361 eine Hofdame seiner Frau wegen eines Verhältnisses mit einem ihrer Diener ertränken liess, steht anscheinend vereinzelt da. Der österreichische Dichter Heinrich, der zwischen 1153 und 1163 seine Mahnworte an Pfaffen und Laien richtete, schilderte den Umgangston der ritterlichen Gesellschaft als roh. Der Hauptgegenstand ihrer Unterhaltung waren die Weiber. Wer sich rühmen konnte, die meisten verführt zu haben, galt am höchsten. [21] Der Ehebruch war alltäglich, wenn auch über seine Verwerflichkeit die damaligen Dichter einig sind. Aber es war Modesache, Ehebrecher zu sein, oder wenigstens als solcher zu gelten.
klagt Meister Sperrvogel. [22] Gottfried von Strassburgs unsterbliches »Tristan und Isolde« ist in seiner Gesamtheit eine Verherrlichung des Ehebruches, doch gab es, wie wir eben in dem biederben Sperrvogel sahen, auch Minnesänger, die gegenteiliger Meinung waren. Ein klarblickender deutscher Dichter des 12. Jahrhunderts gesteht es unumwunden ein, dass die Damen den Rittern keine Vorwürfe zu machen berechtigt seien, denn:
Die Lotterei der französischen Ritter, deren Liebeshöfe oftmals in Orgien ausarteten, bei denen sich verlarvte Mädchen und Frauen schamlos preisgaben [24] , fanden hin und wieder Nachahmung in Deutschland, wenn sie sich auch nicht so allgemein verbreiteten, wie in ihrem Mutterlande, wo Liebeshöfe sogar in den Klöstern eine Stätte fanden.
»Uns ist in einem lateinischem Gedicht die Schilderung eines solchen Hofes bewahrt, welcher in einem Kloster der Diöcese von Toul an heiterem Maifest gehalten wurde. Es ist – wohlgemerkt – nicht die zornige Schilderung durch einen Frommen, sondern wohlwollende Darstellung durch jemand, der dabei war, und der den Vorfall ganz in der Ordnung erachtet. Die Thüren werden verschlossen, die alten Nonnen abgesperrt, nur einige verschwiegene Priester zugelassen. Statt des Evangeliums wird von einer Nonne Ovids »Kunst zu lieben« vorgelesen, zwei Nonnen singen Liebeslieder. Darauf tritt die Domina in die Mitte, als Mai gekleidet, in einem Gewand, das ganz mit Frühlingsblumen besetzt ist, und sagt, Amor, der Gott aller Liebenden, habe sie gesandt, um das Leben der Schwestern zu prüfen. Vor die Richterin treten einzelne Nonnen und rühmen die Liebe zu geistlichen Herren, welche Geheimnisse zu bewahren verstehen; andere loben die Ritterliebe, aber ihre Auffassung wird von der Maigöttin höchlich gemissbilligt, weil die Laien nicht verschwiegen und allzu veränderlich sind. Zuletzt werden die Rebellinnen, welche Ritterliebe nicht meiden wollen, feierlich im Namen der Venus exkommuniziert unter allgemeinem Beifall, und alle sprechen Amen.« [25]
Auch die Kreuzzüge trugen das ihre dazu bei, bisher unbekannt gebliebene Ausschweifungen aus dem Oriente nach dem Abendlande zu verpflanzen. Und die gezwungene Strohwitwerschaft eines Heeres von Frauen, deren Männer unter dem Kreuze fochten, öffnete der Unsittlichkeit Thür und Thor. Die Männer suchten sich allerdings der Treue ihrer Gattinnen durch rohe Mittel zu versichern, deren entwürdigendstes der sogenannte Keuschheitsgürtel ( cingula castitatis ) war. Solche Gürtel werden von den späteren Schriftstellern häufig erwähnt, sie kommen aber schon im 13. Jahrhundert vor. In der Bilderhandschrift des Bellifortis von Konrad Kyeser vom Jahre 1405 ist die Zeichnung eines solchen Gürtels enthalten; ein Modell eines dieser Instrumente befindet sich im Museum schlesischer Altertümer in Breslau. Es ist roh aus Eisen zusammengefügt, während die wirklich verwendeten aus besserem Material, meist aus Silber oder Gold, gearbeitet waren.
Bei aller Laxheit der Moral bewahrte doch das durch viele Generationen vererbte deutsche Sittlichkeitsgefühl vor jenen allzu tollen Excessen, die in Frankreich auf der Tagesordnung waren.
Man darf überhaupt im allgemeinen die Sitten der Vorzeit nicht nach dem heutigen Moralcodex messen. Andere Zeiten, andere Sitten!
»Die damalige Generation war körperlich gesund und kräftig. Von früher Jugend an hatten die Männer vor allem ihre Körperkräfte ausgebildet; viel im Freien lebend, waren sie erstarkt; die fast ausschliesslich aus scharf gewürzten Fleischgerichten bestehende Kost, der Genuss von berauschenden Getränken brachte das Blut noch mehr in Wallung; zu viel Wissen beschwerte ihren Kopf nicht und mit Gewissensskrupeln wusste man sich abzufinden. Und ebenso vollsaftig und begehrlich sind die Mädchen aufgewachsen.« Die Schamhaftigkeit im modernen Sinne ist eine Errungenschaft der verfeinerten und verfeinernden Kultur, die vielen sonst geistig hochstehenden Völkern abgeht, die ebenso wie die Ahnen im Mittelalter in absoluter Nacktheit keinen Verstoss gegen die gute Sitte sehen und erst allmählich zur Moral nach westeuropäischer Anschauung erzogen werden müssen, denn »das Schamgefühl ist etwas sekundäres und zwar die Folge, nicht die Ursache der Bekleidung«. [26] Ist doch sogar zum Teil heute noch den hochentwickelten Japanern unser mit der Muttermilch eingesogenes Schicklichkeitsgefühl ein fremder Begriff. Was uns daher im allgemeinen höchst anstössig, im allergünstigsten Falle noch äusserst naiv erscheint, gehörte in der Vorzeit zur Alltäglichkeit, die niemandem auffiel, und in der niemand Übles sah. Man war von Kindsbeinen auf an den Anblick der Nacktheit gewöhnt – schlief doch das ganze Mittelalter hindurch alles in Adamskostüm und bei den beschränkten Raumverhältnissen, meist in einer grossen Schlafstube die Eltern mit den Kindern, gleichviel ob Knaben oder Mädchen, zusammen. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, erscheinen sonst anstössige Stellen in den gleichzeitigen Dichtwerken wesentlich gemildert, auch dann, wenn wir sie als Geschichtsquellen gelten lassen, was aber gemeinhin einige Vorsicht nötig macht. Die licentia poetica wird sich nicht immer haarscharf an Thatsachen gehalten haben, wenn schon sie aus dem wirklichen Leben ihre Kraft schöpfte und allgemein herrschende Sittenzustände zur Grundlage ihrer Schilderungen nahm. Wenn wir daher manches Anstössige auch für übertrieben halten dürfen, so bleibt doch selbst nach Ausmerzung des zu Grassen noch genug Bedenkliches übrig, um ein fast abgerundetes Bild der geltenden Moral zu gewähren, das auf Authentizität Anspruch erheben darf. Auch die Vergleichung von Parallelstellen bei verschiedenen Dichtern, die sich gegenseitig nicht beeinflussen konnten, bestätigt die Richtigkeit vieler wie Fabeln anmutender Vorfälle.
Man lebte anders, man dachte anders als heutzutage, man war trotz aller Sittenroheit reiner im Denken, als in der Gegenwart. Der Sittenverfall paarte sich häufig mit einer Einfalt, die dem Mangel an jeglicher Prüderie entsprang. Man war derb, geradeaus, wollüstig, aber ohne Cynismus und Pikanterie. Es war eben eine Zeit, in der noch nicht, wie Hippel sagt, eine unnatürliche Mode, die man Tugend nennt, im Schwange war.
Gawan, in Wolfram von Eschenbachs unsterblichem Parzival, wird von Bene, der jungfräulichen Tochter seines Gastfreundes, des Ritters Plippalinot, zu Bette gebracht und am Morgen beim Aufstehen bedient. [27] Ein gleiches Vorgehen in den Burgen ist durch zahlreiche weitere Belegstellen verbürgt. Man war eben naiv genug, in diesen Dienstleistungen nur die dem teueren Gaste erwiesene Ehrung zu sehen. Da sich aber Menschennatur mit ihrer Begehrlichkeit in ihren Grundzügen immer gleich blieb, dürfte es auch nicht immer bei der platonischen Dienstfertigkeit geblieben sein, was auch Wolfram andeutet, als er von Plippalinots Töchterlein schalkhaft versichert:
Den Gast begrüsste die Burgfrau mit einem Kuss. [28] Im Nibelungenlied heisst Markgraf Rüdeger von Bechelaren seine Frau und Tochter die Gäste mit Küssen bewillkommnen. [29] Der »blôze ritter« besagt:
Vom Küssen zu Handgreiflichkeiten war seit jeher nur ein kurzer Weg. »Das Mädchen, das sich küssen lässt, geht auch bald ins Bett«, lautet ein altes Sprichwort, das auch im frühen Mittelalter volle Geltung besass. Die Mädchen waren meistenteils gar nicht scheu, im Gegenteil, sie benahmen sich oftmals viel ungezwungener als die Herren. Der reine Thor Parzival verkriecht sich rasch im Bette, als Jungfrauen zu ihm ins Schlafgemach kommen:
Alle waren freilich nicht so schamhaft, und es fehlte durchaus nicht an grobkörnigen Gesellen, denen ebenso jedes Feingefühl mangelte, wie den vornehmen Damen, mit denen sie es zu thun hatten. Ritter Gawan betritt kaum die Burg des Königs Vergulaht, dessen jungfräuliche Schwester Antikonie ihn mit dem Willkommenkuss empfängt, als er ihr schon mit handgreiflichen Zärtlichkeiten zu Leibe rückt, in welch löblichem Thun er nur durch den Eintritt eines Ritters unterbrochen wird. [32] »Diese derbsinnliche Manier, um Liebe zu werben, hat für uns etwas Anstössiges. Nach den Schilderungen aus der damaligen Zeit scheint jedoch ein derartiges Benehmen sehr natürlich gefunden worden zu sein« [33] , denn die Frauen kamen allenthalben den Rittern auf halbem Wege entgegen, ja boten sich nicht selten selbst an, wie der Kürnberger versichert, oder wie die Tochter des Galagandreiz dem Lanzelot vom See in Ulrich von Zazikhofens Gedicht, die dem Liebhaber sogar einen goldenen Ring zum Lohne verspricht. Die tugendhafte Meliûr schleicht nachts zu dem ihr völlig unbekannten Partonopier, einem dreizehnjährigen Knaben, und »Sie wurden dô gescheiden Von ir magetuome«. [34] In Gottfried von Strassburgs Tristan kommt die Prinzessin Blancheflur zu Rivalin, um ihm ihre Jungfräulichkeit zu überlassen. [35] Hatte die Tochter des Burgherrn ihren Geliebten bei sich, war sie gutmütig genug, auch für das Gefolge ihres Liebsten zu sorgen und ihre Damen zu bestimmen, den Freunden ihres Galans Gesellschaft zu leisten. Isolde stellt es den Genossen Tristans frei, zwischen ihren beiden Begleiterinnen Brangane oder Gymêle zu wählen. Grosse Herren hatten es noch leichter, ihnen war jeder nur zu gern gefällig. Als der Landgraf Ludwig von Thüringen einem Tanze zusieht und ein besonders schönes Mädchen sein Wohlgefallen erregt, erbietet sich sofort einer der Anwesenden, ihm die Gunstbezeugung der Schönen zu verschaffen. Und wie er ein anderes Mal Verwandte besucht, wird ihm ein junges Weib: »Geworfen in sîn bette dar« [36] . In dieser Naivität findet sich vielleicht der Nachhall jener uralten, von Chaldäa ausgegangenen und von allen Urvölkern des Altertums geübten Sitte der gastlichen Prostitution . Der Hausherr wähnte in dem Gaste einen Gesandten des Himmels, dem er sein Hab und Gut zur Nutzniessung anbot, darunter auch seine Frau und seine Töchter. Auch die Bibel ist voll von Beispielen der gastlichen Prostitution bei den Hebräern, die vielfach den fremden Gast als Engel ansahen. [37] Wenn wir Murner glauben dürfen, findet sich noch im 16. Jahrhundert die gastliche Prostitution vor. »Es ist in dem Niderlande auch der bruch, so der wyrt ein lieben gast hat, daz er jm yn frow zulegt uff guten glouben.« In abgeschiedenen Gegenden Russlands soll sich dieser Brauch bis zum heutigen Tage erhalten haben.
Es lassen sich aus den Dichtwerken jener Übergangsperiode von der Dämmerung zum Morgenrot noch eine grosse Blütenlese von Scenen anführen, die wertvolle Fingerzeige über die geltenden Anstandsbegriffe geben. Noch kämpft die angestammte Roheit gegen eine vom Auslande eingeführte Überfeinerung, die wie ein dem knorrigen Stamme okuliertes Reis nur langsam mit diesem verwächst. Hand in Hand mit der ursprünglichen Ungeniertheit ging nun eine affektierte, dem innersten Wesen fremde, gesuchte und daher lächerliche Zimperlichkeit. Lächerlich ist es, wenn Damen sich ohne Scheu vor dem Knappen im Naturkostüme zeigen, aber verlangen, dass eben dieser Knappe vor ihnen nicht anders als mit Unterkleidern versehen erscheinen sollte, da irgend ein Zufall eine ärgerliche Entblössung seines Körpers im Gefolge haben könnte [38] , wie das recht öde, aber sittengeschichtlich wertvolle Lehrgedicht »Der welsche Gast« empfiehlt.
»Der welsche Gast« ist seinem Inhalte nach so eine Art anticipierter Knigge, ein Vademekum des mittelalterlichen »Guten Tones in allen Lebenslagen«, das mit anderen Büchern gleichen Inhaltes, wie Winsbeke und Winsbekin, viel verbreitet, aber ebensowenig befolgt wurde, wie die geschraubten Machwerke gleicher Tendenz in unserer Zeit. Man lebte trotz dieser Vorschriften in jenem seltsamen Gemengsel von Überfeinerung und Roheit, das in seiner Bizarrerie die extremsten Formen zeitigte. Hier Schamhaftigkeit, die den Anblick blosser Füsse einer Frau zum todeswürdigen Verbrechen für beide Teile stempelte, dort die naivste Zurschaustellung des entblössten Körpers vor dem Diener und Unfreien. Hier freie Liebe, dort exaltierte Prüderie.
Ein solch eigenartiges Gemisch von Rohheit und Courtoisie spricht sich auch in dem aus Frankreich eingewanderten Gebrauche aus, mit dem getragenen Hemd der Geliebten über der Rüstung in den Kampf zu ziehen und das zerstochene Wäschestück der Angebeteten wieder zu Füssen zu legen, die es zum Danke für »die Aufmerksamkeit« sofort und ungereinigt wieder in Gebrauch nimmt, wie dies Herzeloyde, Parzivals Mutter, und ihr Gatte Gamuret thun. [39] Aus dieser Sitte, die zweifellos bestanden hat, entwickelte sich in der Folgezeit der Gebrauch, dass nach der Trauung der Bräutigam das vom Körper der Braut noch warme Hemd anlegte und umgekehrt, wie dies im 16. Jahrhundert z. B. in Berlin-Cölln allgemein war. In den folgenden Säculen schrumpfte der Hemdenwechsel zu dem Hemdengeschenk ein; Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts beschenkte nur noch die Verlobte den Bräutigam mit dem »Bräutigams-Hembde«. [40]
In den Minnesängen der ritterlichen Dichter finden sich zahllose Gedichte, die über den empfangenen Minnelohn hoher Geliebten quittieren, daneben aber auch viele, die gleichzeitig lustige Bemerkungen über die weibliche Leichtfertigkeit nicht zu unterdrücken vermögen. Dann und wann zieht zur Abwechslung wieder einer der Zeitgenossen über die Männer her, die den Frauen die allerschlechtesten Beispiele gaben, so Freidank:
sagt er sehr richtig, schränkt aber seine Meinung wieder dahin ein:
Besonders schlecht ist ein elsässischer Bischof auf die Männer zu sprechen. Buhlerei und Ausschweifungen gelten nach ihm nicht mehr als Vergehen, denn die meisten Männer werten die Frau nicht höher als einen Becher Wein, ihr Ross, ihr Federspiel oder ihre Meute.
Selbstredend gab es wie unter den Männern jener Zeit, so auch unter den Frauen Ausnahmen, die von unverbrüchlicher Gattentreue bis über das Grab hinaus, von echter Frömmigkeit und von einer Himmelssehnsucht zeugen, die blind gegen alles Irdische nur für das Jenseits lebte und die Vorbereitung für das ewige Leben als einzigen Daseinszweck betrachtete. Die heilige Elisabeth stand mit ihrem asketischen Leben, aus dem selbst das Bad als frivoles Vergnügen verbannt war, keineswegs vereinzelt da, ebensowenig wie jene Herrscherin, die sich selbst in der Ehe die Jungfräulichkeit zu bewahren wusste. Aber derartige Erscheinungen blieben in der Minderzahl gegenüber der allgemein verbreiteten Frivolität, die sich weniger auf das eben entstandene Bürgertum, als auf die in engster Berührung mit dem Adel lebende Landbevölkerung weiterverbreitete und diese auf Jahrhunderte hinaus verseuchte.
Das Leben der Bauern war während des ganzen Mittelalters hindurch eine ununterbrochene Kette von Misshandlungen und Verfolgungen seitens ihrer Herren: des Adels und des Klerus. Der Bauernstand, und nicht nur der leibeigene, lebte in fortwährender Knechtung, vollkommen abhängig von der Willkür seiner Besitzer. Nie war er davor sicher, von den Seinen getrennt zu werden, wenn es dem Herrn gefiel, die Frau oder die Kinder des Hörigen zu verschenken, zu verkaufen oder zu verpfänden. Im Jahre 1333 versilberte Konrad Truchsess von Urach zwei Bauernweiber mit ihrer Nachkommenschaft an das Kloster Lorch um drei Pfund Heller. Das Jus primae noctis beraubte ihn der Jungfräulichkeit der Gattin, deren Tugend überdies alle möglichen Fährlichkeiten drohten. Ward ein Bauer um Geld gestraft, und dieses nicht eintreibbar, und konnte auch an seinem Besitztum die Strafe nicht vollstreckt werden, dann sollte, wie das Weistum von Wilzhut, zwischen Braunau und Salzburg, bestimmt, die Frau des Straffälligen geschändet werden.
Dieses Weistum ist so vorsorglich, zu dekretieren, dass es dem Gerichtspfleger gestattet sei, falls die Frau »gefiel aber dem pfleger an der gestalt nicht«, er die Entehrung dem Gerichtsschreiber abtreten und dieser, wenn auch ihm die Ausführung nicht zusagte, sie dem Amtmanne »auferladen« könne. Nach wie vor waren die frischen Dirnen ein begehrter Artikel, um die Harems der Herren zu bevölkern. Der Ritter Ulrich von Berneck hielt sich nach dem Tode seiner Frau zwölf hübsche junge Mädchen »zur Erleichterung seiner Witwerschaft«. Kaiser Friedrich II. hatte seinen Harem, dem auch die Eunuchen nicht fehlten, in Luceria.
Das einzige Vergnügen jener bemitleidenswerten, erniedrigten Menschen war neben Völlerei die rohe sinnliche Liebe, der sie fröhnten, wo und wann sich Gelegenheit dazu bot.
Weit besser als die Hörigen und selbst freien Bauern Norddeutschlands waren die Ackerbürger im Süden Deutschlands daran, die sich ihre Selbständigkeit zu wahren gewusst, auf ihrem Grund und Boden nicht selten mit Glücksgütern reich gesegnet als eigene Herren schaltend, sich den Rittern gleichhielten, deren Tracht und Lebensgewohnheiten sie ins Dorf zu verpflanzen trachteten. Diese Nachahmung ritterlicher Sitten und Gebräuche verzerrte sich unter den ungehobelten Bauernfäusten natürlich ins Groteske, ab und zu ins Widerlich-Gemeine. Ein köstliches Beispiel bäuerlicher Grossmannssucht ist uns im » Meier Helmbrecht « von Wernher dem Gärtner, der ältesten deutschen Dorfgeschichte, entstanden im 13. Jahrhundert, überliefert. Der Titelheld, ein reicher Bauerssohn, den die Eltern verzärtelt, strebt darnach, Ritter zu werden, bringt es aber nur zum Strauchdieb, der vom Schicksal ereilt, geblendet, eines Fusses und einer Hand beraubt wird, als eben seine Schwester Gotelinde mit einem seiner Spiessgesellen Hochzeit hält. [41]
Wie die Dorfburschen, so liebäugelten auch die Alten mit den edlen Herren und sahen wohlgefällig zu, wenn ein Ritter eine arme Verwandte einem reichen Bauerssohn als Gattin aufhalste, oder ein verarmter Rittersmann ein hübsches Dirnlein heimführte, um mit der Mitgift sein verrostetes Schild neu zu vergolden [42] – also nichts Neues unter der Sonnen! Besonders den Dorfschönen stachen die noblen Herren in die Augen, die so ganz anders geartet waren, als die grobkörnigen Burschen, die so zierliche Redensarten zu drechseln wussten und mit Geschenken nicht geizten. Aus den Liedern der Minnesänger ist ersichtlich, dass die Adeligen diese gute Meinung zu nutzen verstanden und Abenteuern mit den drallen Dirnen keineswegs aus dem Wege gingen. Nidhardt von Reuenthal ergeht sich in breiten Schilderungen seiner Erfolge und über das Liebesleben auf dem Dorfe. In einem seiner Gedichte unterhalten sich Mutter und Tochter, und die Mutter meint, das 16jährige Töchterchen sei noch viel zu jung zur Liebe. »Ei was,« entgegnet diese schnippisch, »Ihr wart ja erst zwölf Jahre, als Ihr Euerer Jungfernschaft ledig wurdet.« »Nun so nimm meinetwegen Liebhaber so viel du willst.« »Das thät' ich auch gerne, wenn Ihr mir nicht immer die Männer vor der Nase wegfischtet. Pfui doch, hol Euch der Teufel! Habt doch schon einen Mann, was braucht Ihr noch andere?« »Pst, schweig still, Töchterlein. Minne wenig oder viel, ich will nichts dagegen haben, und solltest du auch ein Kindlein wiegen müssen. Sei aber auch verschwiegen, wenn du mich der Liebe nachgehen siehst.«
Hermann von Sachsenheim hat im Liederbuche der Klara Hätzlerin einen für ihn sehr unrühmlichen Sturm auf eine Grasmagd besungen. Oswald von Wolkenstein weiss gleichfalls von Abenteuern mit Dörflerinnen zu erzählen, ebenso Tannhäuser und andere Minnesänger mehr.
Die Dorfschönen fühlten sich eben durch die Bevorzugung seitens des Adels geehrt, und ihre Liebhaber und Gatten drückten gerne ein Auge zu, geradeso wie es sich etwas später die Bürger zur Ehre rechneten, wenn irgend ein Höhergestellter, oder gar – horribile dictu – ein Adeliger, sich gnädigst herabliess, ihre Frauen zu verführen. Darauf deutet wenigstens die Stelle in Balthasar Voigts, Pastors zu Drubeck, »Ägyptischem Joseph« hin, eine »geistliche Komödie, sowohl in kleinen als grossen Schulen zu agieren«, ein Machwerk voll widerlicher Plattheiten und Schweinereien, die aber trotzdem von halbwüchsigen Knaben gesprochen und dargestellt wurden! In dieser »Schulkomödie« erzählt Medea, Potiphars Frau, von Josephs angeblichem Verführungsversuch:
Und so etwas schrieb ein Geistlicher für die Jugend!
Neben den Rittern und Knappen waren hauptsächlich die Dorfpfaffen bei den Frauen als Liebhaber beliebt, worauf ich noch zurückkommen muss, ebenso wie bei den Männern die Mägde des eigenen Hauses und die Frauen und Töchter der Nachbarn. Übrigens ist aus dem Schwankbuche »Peter Leu« ersichtlich, dass die schlauen Mägdlein schon damals die Kunst verstanden, irgend einem unschuldigen armen Teufel die Paternität aufzubrummen, die ein ganz anderer auf dem Gewissen hatte. [43]
Wo Verführung gang und gäbe war, fehlten auch deren Folgeerscheinungen, namentlich der Kindesmord, nicht. Strenge, zum Teil unmenschliche Strafen sollten das Übel steuern. »Kindsvertilgerin lebendig ins Grab, ein rohr ins maul, ein stecken durchs hertz« bestimmt beispielsweise das Brenngenborner Weistum von 1418. Noch grausamer waren die urwüchsigen Dithmarschen Bauern, welche sogar gefallene Mädchen im Sumpfe lebendig begruben, welches Urteil der älteste Mann der Familie der Verbrecherin zu vollziehen hatte. [44] Den Verführer seiner Frau und diese selbst konnte der Dithmarsche nach eigenem Ermessen bestrafen, verstümmeln, töten oder freigeben. [45] Ein Gleiches gestattete auch das mit grausamen Strafen sehr freigebige Berliner Stadtbuch. [46]
So frei übrigens das Bürgertum und die Bauern im grossen und ganzen über den Geschlechtsverkehr dachten, in einem waren sie einig: in der Achtung vor der Jungfräulichkeit. Darum galt ihnen die Notzucht als eines der todeswürdigsten Verbrechen, auf das zum Teil fürchterliche Strafen gesetzt wurden. Sogar die Nötigung der fahrenden Frauen – »an varndeme wive« – und an der Geliebten ahndet der Sachsenspiegel III art. XLVI 1 mit dem Tode. Der Schwabenspiegel verbietet nur die »notnunft« an »siener amîen«, der Geliebten.
Die Ahndung des Verbrechens war entweder die Enthauptung, manchmal das Lebendbegraben, wie dies 1418 einem Krämer in Augsburg erging. Im 13. Jahrhundert wurde in Basel ein Geistlicher dieses Deliktes wegen entmannt und dann getötet. Im Frankenbergischen wurde dem Vergewaltiger ein spitzer Eichenpfahl aufs Herz gesetzt, den die Geschändete mit drei wuchtigen Hammerschlägen in den Körper treiben musste; so wird wohl die Todesart variiert, aber der schimpfliche Tod blieb überall das Los des Verbrechers.
Nach diesen düsteren Bildern der »guten alten Zeit«, die gewisse dichterisch veranlagte Romantiker gerne als Vorbild für unsere verderbte Epoche aufzustellen belieben, wieder zu etwas Heiterem.
Am lustigsten ging es im Dorfe natürlich bei den seltenen Festlichkeiten, an hohen Feiertagen und bei den Kirchweihen zu, wo man sich im Essen, Trinken, Lieben und Raufen nicht genug zu thun wusste.
Die Hochzeiten begüterter Dörfler zählten gleichfalls als Festlichkeiten, zu denen die Verwandten und Freunde oft von weither kamen, um sich vergnügte Tage zu machen. Drei detaillierte Schilderungen solcher bäuerlicher Hochzeitfeiern sind auf uns gekommen, die hier auszüglich mitgeteilt sein mögen. Das erste dieser Gedichte, »Von Metzen hochzit«, entstammt dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Der junge Meier Börschi (Bartholomeus) will seine Geliebte Metzi heiraten. Am Montag früh versprechen sie sich, und da die beiderseitige Mitgift das Paar zufrieden stellt, wird am Abend desselben Tages die Hochzeit mit einem solennen Hochzeitsmahle gefeiert, bei dem es hoch hergeht und alle vollgetrunken sind, als man das Brautpaar zu Bett bringt. Die Braut schreit, weint und sträubt sich erst gegen das Auskleiden, wie es die Gepflogenheit verlangt. Am Morgen wird dem jungen Ehepaare das Essen ans Bett gebracht, worauf sich Metzi unter dem Jubel der Bauern bei Zwerchpfeifen- und Trommelklang anzieht, um in die Kirche zur Trauung zu ziehen.
Das Gedicht der oft erwähnten Klara Hätzlerin »von meyer Betzen« lehnt sich ziemlich eng an »Metzis Hochzeit« an, nur dass Metzi mit einer fürchterlichen Schlägerei, hingegen das Poem der Hätzlerin mit der saftigen, aber witzigen Beschreibung der Brautnacht also endet:
Heinrich von Wittenweiler führte im 15. Jahrhundert die Erzählung von Metzens Hochzeit in breiter Weise weiter aus, sie durch viele Zusätze modernisierend und vergemeinernd. [47]
Der Held ist Bertschi Triefnas, der in dem Dorfe Lappenhausen wie ein Pfau herumstolzierte und sich als Junker anreden liess. Er liebt Mäczli Rürenzumph, der zu Ehren er mit seinen Genossen turniert, der er Ständchen bringt, die er im Kuhstalle erfolglos zu bezwingen sucht, und bei der er durchs Dach bricht, als er sie in ihrer Kammer belauschen will. Da alles dies ihm Mäczli nicht geneigter macht, lässt er sich von dem Dorfschreiber einen Liebesbrief schreiben, den dieser an einen Stein bindet und Mäczli zuwirft, wodurch er sie am Kopfe verwundet. Der Brief wird gefunden und Mäczli ruft ihrem Vater zu, um dessen Grimm zu entwaffnen, sie blute am Kopfe und müsse zum Arzte gebracht werden. Das Gefolge teilnehmender Freunde und Nachbarn weist der Arzt hinaus, worauf ihn Mäczli bittet, ihr den erhaltenen Brief vorzulesen. Er thut es, erpresst aber von ihr durch die Drohung, den Inhalt dem Vater mitzuteilen, eine Liebkosung, gibt ihr aber zugleich Rat, wie sie dessen Folgen vertuschen soll. Darauf setzt er ihr einen floskelreichen Liebesbrief auf, der einer Kupplerin zur Übergabe an Bärtschi ausgehändigt wird. Nachdem sich dieser den Brief vorlesen liess, beruft er seine Freunde und Verwandten, um mit ihnen seine Heirat zu beraten. Man spricht für und wider, bis endlich alle einig sind. Sofort machen sich zwei der Freunde auf, Bärtschis Werbung bei dem Brautvater vorzubringen, der sie günstig aufnimmt und nach einigen Formalitäten seine Einwilligung gibt, wovon man den Freier benachrichtigt. Mäczli fällt bei der Nachricht von Bärtschis Werbung in Ohnmacht, kommt aber gleich wieder zu sich und lässt sich von den Freundinnen schön machen und in die Versammlung führen, wo sie sich erst »mit füssen und elnpogen« wehrt, ehe sie ihr Jawort gibt. Mäczli empfängt von ihrem Galan einen kleinen verzinnten Ring mit einem Saphir aus Glas und ein weiteres Kleinod mit zwei Perlen aus Fischaugen. Die Angehörigen verlassen nun das Haus, nicht ohne vorher dem jungen Ehemanne Haar und Bart zerzaust zu haben, um bei den Anstalten zur Hochzeit nicht im Wege zu sein. Gäste werden eingeladen und kommen »geritten auf eseln und auf schlitten«. Am Festtage verkündet der Pfarrer in der Kirche den Vollzug der Ehe, worauf man sich in des jungen Ehemanns Haus begibt, um erst die Brautgaben zu empfangen, ehe man mit dem überreichen Mahle beginnt, nach dem man sich im Tanze belustigte.
Das Ende mit Schrecken ist Prügelei mit Mord und Totschlag.
In der Brautnacht wird dem Pärchen eine Stärkung gereicht, nicht so der anderen Weiblichkeit, die, die günstige Gelegenheit benützend, gleichfalls die Nacht mit ihren Liebhabern verbringt. Am nächsten Tag setzt die Hochzeit wieder ein und endet mit einer wahren Schlacht, bei der die Obrigkeit einschreiten muss.
Die freie Denkungsart des Mittelalters in geschlechtlichen Dingen hielt sich nicht an den heute gang und gäben Standpunkt, dass nur der Mann allein seinen sinnlichen Bedürfnissen Rechnung tragen dürfe, die Frau aber den einmal geweckten Naturtrieb zu unterdrücken habe. War die Vorzeit auch intolerant gegen Fehltritte von Mädchen, so erkannte sie der Frau das Recht zu, von ihrem Manne die Leistung der ehelichen Pflicht voll und ganz beanspruchen zu dürfen. Luthers Ansicht: »Ein Weib, wo nicht die hohe seltsame Gnade da ist, kann eines Mannes ebensowenig entraten als essen, schlafen, trinken und andere natürliche Notdurft«, die er oft und in verschiedenen Varianten verficht, war ganz die seines Zeitalters, was schon daraus hervorgeht, dass sogar gesetzliche Bestimmungen der Frau ihr durch die Heirat erworbenes Recht in für den betreffenden Gatten tragikomischen Bestimmungen zu wahren suchen.
Diese Gesetze vertreten ganz Luthers Standpunkt, der in seinem Traktat »Vom ehelichen Leben« erklärt: »Wenn ein tüchtig Weib zur Ehe einen untüchtigen Mann überkäme und könnte doch keinen anderen öffentlich nehmen und wollte auch nicht gern wider Ehre thun, soll sie zu ihrem Mann also sagen: Siehe, lieber Mann, du kannst mein nicht schuldig werden, und hast mich und meinen jungen Leib betrogen, dazu in Gefahr der Ehre und Seligkeit bracht, und ist für Gott keine Ehe zwischen uns beiden, vergönne mir, dass ich mit deinem Bruder oder nächsten Freund eine heimliche Ehe habe und du den Namen habst, auf dass dein Gut nicht an fremde Erben komme, und lass dich wiederum williglich betrügen durch mich, wie du mich ohne deinen Willen betrogen hast.« Der Mann, führt Luther [48] weiter aus, hat die Pflicht, die Bitte zu erhören; will er nicht, so darf er nicht böse sein, wenn die Frau von ihm läuft. [49]
Am weitschweifigsten ergehen sich die westfälischen Weistümer über diese auch heute noch brennende Frage. Sie erkennen in erster Linie dem Nachbarn des untauglichen Ehemannes das erste Recht auf Stellvertretung zu, dann jedem X-beliebigen. Das Beuker Heidenrecht (III 42) besagt wie folgt: »Item so erkenne ich auch für Recht, so ein guter Mann ihr Frauenrecht nicht vollziehen könne, dass sie darüber klagt, so soll er sie aufnehmen und tragen über sieben Zäune und bitten seinen nächsten Nachbarn, dass er seiner Frau helfe; wenn ihr geholfen ist, soll er sie wieder nehmen, sie wieder tragen nach Haus und setzen sie sacht nieder und ihr ein gebratenes Huhn und eine Kanne Wein vorstellen.« In der Landfeste von Hattingen hat dieser Gebrauch gleichfalls Platz gefunden: »Da ein Mann wäre, der seinem rechten Weibe ihr frauliches Recht nicht thun könne, so soll er sie sachte auf den Rücken nehmen und tragen über neun Zäune und setze sie dort vorsichtig nieder, ohne Stossen, Schlagen, Werfen und ohne bösen Worte, rufe alsdann seine Nachbarn an, dass sie ihm seines Weibes Not wehren helfen. Und wenn dann seine Nachbarn das nicht thun wollen oder können, so soll er sie senden auf die nächste Kirchweih in der Nähe, und dass sie dort »sich seuverlich zumache und zehrung habe, hänge er ihr einen mit Geld bespickten Beutel auf die Seite. Kommt sie von dorther wieder ungeholfen, dann helfe ihr der Teufel! «
Nach dem Bochumer Landrechte (III. 70) genügt ein Teufel nicht mehr. Hat der Mann die Frau über die Zäune getragen, dort fünf Stunden lang um Hilfe gerufen, sie im neuen Kleid mit Geld versehen auf einen Jahrmarkt geschickt, ohne dass sich ihr Wunsch erfüllte, dann mögen ihr »thausend düffel« helfen. [50]
War die Frau ansehnlich, dann bedurfte es solcher Gewaltmassregeln kaum, sie fand unter der Dorfjugend leicht einen Liebhaber, und verhielt sich diese spröde, dann war noch immer der Herr Geistliche da.
Denn wenn auch die Geistlichkeit gegen die Unzucht von der Kanzel herab Zeter und Mordio predigte, so war sie während ihrer unendlich vielen Freizeit eine ewig dräuende Gefahr für den schöneren Teil ihrer Pfarrkinder.
sagt der Freidank in seiner Bibel des Mittelalters, in der »Bescheidenheit«, indem er den Klerikern ins Gewissen zu reden sucht und ihnen zürnend zuruft:
Auch Walter von der Vogelweide meint: »Die Pfaffen sollten keuscher leben als die Laien«, sie thaten es aber so selten, dass die Bauern froh waren, wenn ihre Seelenhirten Beischläferinnen besassen. Die kernigen Friesen duldeten keine Priester ohne Konkubinen in ihrer Mitte: »Se gedulden ock geene Preesteren, sunder eheliche Fruwen, op dat se ander lute bedde nicht beflecken, wente sy meinen, dat idt nich mogelygk sy, und baven die Natur, dat sick ein mensche ontholden konne«. [52]
Mit anerkennenswerter Offenheit äussert sich ein Manuskript-Fragment aus dem 13. Jahrhundert » de rebus Alsaticis «: »Um das Jahr 1200 hatten auch die Priester allgemeine Beischläferinnen, weil gewöhnlich die Bauern sie selbst dazu antrieben. Diese sagten nämlich: Enthaltsam wird der Priester nicht sein können, es ist darum besser, dass er ein Weib für sich hat, als dass er mit den Weibern aller sich zu schaffen macht.« Welche Gefahr dieses Beackern fremder Felder darstellte, beweist nach der eben citierten Quelle ein Herr Heinrich Bischof von Basel (1215-38), der bei seinem Tode 20 vaterlose Kinder ihren Müttern hinterliess. Ein Bischof von Lüttich, den das Konzil von Lyon absetzte, besass gar 61 Sprösslinge. Nach Caesarius von Heisterbach scheute mancher Pfaffe selbst nicht davor zurück, mit Jüdinnen Verhältnisse einzugehen, im Mittelalter eine Todsünde, doppelt sündhaft für einen Geistlichen.
Offen und ungescheut unterhielten die meisten Geistlichen ihre Pfarrersköchinnen bis zur Reformation, die sich diese Achillesferse der Gegenpartei nicht entgehen liess und eine ganze Litteratur wider die Pfaffenbuhlerinnen zeitigte. Die » Epistolae virorum obscurorum « und Ulrich von Huttens Gesprächbüchlein sind köstliche Blüten dieser Kampfschriften; namentlich das erstgenannte Buch übergiesst die Pfarrerdirnen und ihre Liebhaber mit ätzender Satire. Aber auch die katholische Litteratur bemächtigte sich von altersher des dankbaren Stoffes, um ihr Mütchen an den Pfaffendirnen zu kühlen, sei es in ernst mahnender, sei es in derb-komischer Manier. Der » Pfarrer von Kahlenberg « weiss durch die hübsche Beischläferin seines Bischofs sich manchen Vorteil zu erschleichen. So liegt er einmal unter dem Bette, während der Bischof seiner Liebsten »die Kapelle weiht«. [53] Da dieser Eulenspiegel im Priesterkleide den Befehl erhielt, Bedienerinnen zu haben, die 40 Jahre zählen, so nimmt er sich zwei von je 20 Jahren. Im Till Eulenspiegel und den anderen Schwankbüchern des Mittelalters gehört der verbuhlte Pfaffe zu den stereotypen Figuren, die es meisterlich verstehen, die Gatten und Väter zu hintergehen. Manchmal misslang allerdings das Vorhaben, dann empfingen sie eine Tracht Prügel, wurden sogar manchmal erschlagen. Doch auch an ernsten Stimmen über das pfäffische Treiben fehlt es nicht. Thomas Murner, dessen Geissel auch seine eigenen Standesgenossen nicht verschont, wenn es gilt, der Menschheit ihre Laster vorzuhalten, ironisiert im »Narrenspiegel«: [54]
Dann weiter:
Die Herren Geistlichen waren Epikureer, die dem Sprichworte huldigten: »Es ist kein feyner leben auf erden, denn gewisse Zinss haben von seinem Lehen, eyn Hürlein daneben und unserem Herre Gott gedienet.«
Die Pfarrer durften sich ungestört ihrer wilden Ehe hingeben, wenn sie ihre Oberen nur dafür bezahlten. Aus diesem Sündengeld zogen viele Bischöfe grosse Summen. »Es war ein mal ein priester, der gab alle iar dem fischgal (Fiskal) fier guldin, dass er im die Kellerin in ruwen (Ruhe) liess« [55] , eine stattliche Summe, die ein Erkleckliches ausmachte, wenn eine grössere Anzahl von Priestern aus einer Diözese den gleichen Betrag erlegen musste. Heinrich von Hewen, um die Mitte des 15. Jahrhunderts Bischof von Konstanz, selbst ein üppiger Herr, gewann aus den Konkubinen-Abgaben seiner Geistlichen eine jährliche Einnahme von 2000 Gulden. Das ärgerliche Leben der Geistlichkeit verlockte sogar die abergläubische Menge, ihnen die Schuld an Epidemien und schweren Erkrankungen ihrer Beichtkinder, besonders an der Epilepsie, zuzuschieben. »Da ward darnach von etlichen also gedeutet, als sollten diese Leute nicht recht getaufft, oder doch ihre Tauffe nicht krefftig sein, weil sie die von solchen pfaffen empfangen, die da unverschampt, mit unzüchtigen Huren in öffentlicher Unehe bey einander lebten, darüber das gemeine Volk bald ein aufstehen gemacht, und alle pfaffen zu todt geschlagen hette.« [56]
Neben der Liebe vergassen auch viele Geistliche nicht, weltliche Güter zu eigenem und zum Nutzen ihrer Klöster zu ergattern. Junge, hübsche und reiche Witwen und Waisen waren ein gesuchter Artikel für Laien und Priester. »Darnach sind etliche (Geistliche),« äussert sich Geiler von Kaisersberg, »die wittwen und weyssen heymsuchend. Warumb? Darumb: Sy begerend sye zuo verfueren, uff dass sye ires leibes und guotes gantz gewaltig werdend.« [57]
Ausser ihren Beichtkindern und ihren Wirtschafterinnen standen übrigens der höheren Geistlichkeit die ihnen subordinierten Klöster für galante Abenteuer zur Verfügung, worüber schon in früher Zeit viele Klagen laut wurden, deren Berechtigung auch Karl der Grosse durch einige seiner Kapitularien anerkannte.
Ebenso unkeusch wie die Seelsorger in Dorf und Stadt waren die Insassen der Klöster, gleichviel ob Mönche oder Nonnen. Namentlich die Nonnenklöster standen vielfach in denkbar schlechtestem Rufe, so dass Geiler von Kaisersberg sagen durfte: »Ich weiss nicht, welches schier das best wer, ein tochter in ein semlich closter thuon oder in ein frawenhauss. Wann warumb? ym closter ist sie ein huor ....« Ein hartes Urteil eines Geistlichen über seinesgleichen, dem umsoweniger die Berechtigung abgesprochen werden darf, als es keineswegs vereinzelt dasteht. Sebastian Brant meint im Narrenschiff:
das heisst, dass sie keine Aufsicht haben.
Die Abgeschlossenheit der Klöster eignete sich vorzüglich dazu, Geheimnisse der Aussenwelt zu verbergen und sich unter dem Schutze der Klausur der ausgelassensten Wollust hinzugeben.
Es sind grauenvolle Thatsachen aus dem mittelalterlichen Klosterleben überliefert. Das Kloster Gnadenzell auf der schwäbischen Alp gelangte schon frühzeitig zu trauriger Berühmtheit. Einer der Schirmherren des Klosters, Herzog Julius von Braunschweig, liess die Äbtissin, eine geborene von Warberg, 1587 lebendig begraben, weil sie sich mit dem Stiftsverwalter zu tief eingelassen hatte. [59] Die früheren Aufseher dieses Klosters waren weniger streng. Sie liessen es geschehen, dass es darin schlimmer als in einem Bordelle zuging und die Nonnen Tag und Nacht für wohlhabende Gäste zur Verfügung standen. Von diesen Nonnen ging die Priamel aus:
Sebastian Franck drückt sich in seinen Sprüchwörtern kürzer dahin aus: »Ein polnisch bruck, ein bemischer mönch, ein schwebisch nonn, ein oesterrychischer Kriegsmann, wälche andacht und der tütschen fasten geltend ein bonen« – d. h. sind keine Bohne wert. Im gleichen Rufe wie Gnadenzell standen das Frauenkloster zu Kirchheim unter Teck, in dem Graf Eberhard der Jüngere von Württemberg mit seinen Zech- und Waidkumpanen die tollsten Orgien feierte, und Söflingen bei Ulm. Als das Gerede über das Treiben der Söflinger Nonnen zu arg wurde, sah sich die geistliche Obrigkeit endlich veranlasst, eine Visitation des Klosters vorzunehmen. Gerne that es der Bischof Gaimbus von Kastell ja nicht, denn er fürchtete mit Recht einen Skandal. Aber was er fand, übertraf seine höchsten Befürchtungen und war selbst für den guten Magen des Kirchenfürsten zu viel. Ganz entrüstet berichtet er unter dem 20. Juni 1484 an den Papst von den Nachschlüsseln, den Briefen höchst unzüchtigen Inhalts und den üppigen Kleidern, die er in den Klosterzellen entdeckt hatte. Das ihm Peinlichste aber war, dass fast alle Nonnen – in gesegneten Umständen angetroffen worden waren. [61] Die Zimmersche Chronik lässt sich über das Kloster zu Oberndorf im Thal wie folgt aus: »Es haben sich bis vierundzwanzig Klosterfrauen, meistenteils von Adel, darin aufgehalten, die keinen Mangel litten, wie man spricht, sondern im Überfluss lebten. Was für gutes Leben, sofern man das als gutes Leben achtet, in diesem Kloster war, ist daraus zu ersehen, dass viel Adel vom Schwarzwald und vom Neckar in diesem Kloster eingekehrt – den ufritt gehapt –, so dass es damals mit mehr Recht des Adels »hurhaus« als des Adels »spittal« wäre genannt worden. Besonders haben die von Ow, Rosenfeldt, Brandegk, Stain, Neuneck viel Geld darin verthan, und hat diese Hochschule der Wollust Ehebrecher und Väter unehelicher Kinder geschaffen. Damit genug. Einmal sind viele vom Adel und gute Gesellen im Kloster gewesen, die haben Abendtanz sehr spät gehalten. Da hat es sich von ungefähr begeben, dass während des Tanzes plötzlich die Lichter verlöschten. Da entstand ein »wunderbarliches blaterspill«, indem sich jeder Mann ein Nönnlein nahm. Die Thüren waren verhängt und kein brennend Licht sollte in den Saal kommen. Und gleichwohl niemand von der Dunkelheit verschont blieb, so hatte doch keiner Grund zu klagen, ausser einem Edelmann, dem ein »widerwertiger casus begegnet«. In der Furcht, es werde unversehens ein Licht gebracht, schrie er: »Liebe Freunde, eilet nicht, lassts noch einmal herumgehen – ich habe meine Schwester erwischt!« [62] In demselben Kapitel der eben citierten Chronik finden sich noch weitere Skandalosa von Nonnen und Mönchen, auch Liebesabenteuer des erbitterten, viel verlästerten Gegners der Reformation, Thomas Murner, des Franziskanermönches, des strengen Sittenpredigers, der vielleicht, wenn sich gerade mal eine günstige Gelegenheit bot, auch ganz gerne einen Seitensprung machte, was dann seinen vielen Feinden willkommenen Anlass bot, ihn ebenso abzukanzeln, wie sie es von ihm gewohnt waren. Er hatte ein loses Maul, das ebensogut schimpfen, wie im beissenden Spott arge Wunden verursachen konnte:
sagt er in Bezug auf gewisse Klöster. In anderen allerdings galt wieder der Bibelspruch: »Selig sind die Unfruchtbaren«, den die Notwendigkeit diktierte, da es nicht leicht war, die Folgen der Verirrungen der Nonnen zu verbergen, denn nicht überall war es möglich, die Kinder kurzerhand zu töten, wie im Kloster Mariakron, bei dessen Abbruch man »in den heimlichen Gemächern und sonst – Kinderköpfe, auch ganze Körperlein versteckt und vergraben« fand. Der Bischof Ulrich von Augsburg erzählt die schier unglaublich klingende Thatsache, dass unter Papst Gregor I. aus einem Klosterteiche sechstausend Kinderköpfe herausgefischt wurden. [63]
Die Mönchsklöster waren um kein Haar besser, als die Klöster mit frommen Schwestern. Die Mönche hatten es auch viel leichter als die Nonnen, da sie sich ihren Passionen überlassen durften, ohne auffällige Folgen befürchten zu müssen. Die Angehörigen jener Orden, welche terminierend, besser gesagt bettelnd, von Ort zu Ort zogen, um ihre Beute mit den Brüdern im Kloster zu verzehren, fanden an frommen Bäuerinnen Seelenbräute, die sich gerne von den Herren Patres erlustigen liessen. Auch die Nonnenklöster, die ihnen Obdach gewährten, bewillkommten sie als gern gesehene Gäste, die im wahren Sinne des Wortes mit offenen Armen aufgenommen wurden. Doch nicht genug, dass die Cölibatäre der ihnen verbotenen Frauenliebe huldigten, noch andere, weit schändlichere Laster fanden in und durch die Klöster Verbreitung. 1232 forderte Gregor IX. die Predigermönche auf, in Österreich das Laster der Sodomie auszurotten und die Sünder als Ketzer zu behandeln. Berthold von Regensburg predigte gegen die »stumme, diu rôte sünde. Pfech, pfech (Pfui, pfui)«, doch mit geringem Erfolg, denn die Homosexualität war aus den Klöstern nicht zu bannen. »1409 wurden am Samstag den 2. März zu Augsburg vier Priester, Jörg Wattenlech, Ulrich der Frey, Jakob der Kiss und Hans Pfarrer zu Gersthofen wegen Sodomie in einem ›Fagelhaus‹ am Perlachturm angeschmiedet, leben noch am folgenden Freitag und verhungern dann.« Einen beteiligten Laien, den Lederer Hans Gossenloher, trifft die Strafe der Ketzer; er wird verbrannt. [64] Der Strassburger Domprediger, der schon wiederholt angeführte Geiler von Kaisersberg, predigt seinen Standesgenossen: »Da hast du dich versündigt mit öffentlichen Dirnen, Jungfrauen betrogen, Ehefrauen be........, Witwen geschändet, mit deinen Freunden zu thun gehabt, da mit deinem Gevatter, da mit deinem Beichtvater, da mit deiner Beichttochter. Ich will schweigen der Unzucht, mit der du die Ehe gebrochen, ich will auch schweigen der Unzucht, darum man dich verbrennen sollte.« [65] Und wenn dies ein Mönch sagt, der seinesgleichen genau kennt, ist jeder Zweifel daran von Übel. Wie genau Geiler Bescheid weiss, geht aus dem von ihm wiederholt angeführten Sprichwort hervor: »Willst du haben dein Haus sauber, so hüte dich vor Pfaffen, Mönchen und Tauben, Diener, Vettern, Laienbrüdern (blotzbruder) und Aerzten.« Die Geistlichkeit, die durch ihr Beispiel veredelnd auf die Laien hätte einwirken sollen, musste durch ihr Betragen nicht nur an Achtung, sondern auch an Einfluss auf die breiten Massen des Volkes einbüssen, wodurch sich erklärt, dass die Reformation beinahe von Anbeginn an ihren beispiellosen Erfolg zu verzeichnen hatte. Und nicht nur die Laien allein, sondern auch einsichtsvolle Männer aus dem Stande selbst sahen ein, dass sich eine gründliche Reinigung des priesterlichen Augiasstalls unabweisbar machte, sollte nicht der morsch gewordene Bau der römisch-katholischen Kirche jäh in sich zusammenbrechen. Geiler von Kaisersberg gesteht offen ein, dass jeder, der ein faules Leben führen und ungehindert seinen Begierden frönen wollte, sich mit der Kutte bekleidete. War doch die Gründungsursache der meisten Klöster keineswegs Frömmigkeit, sondern nichts weiter als purer Eigennutz, der darauf ausging, Sinekuren zu schaffen. »Man irrt sehr, wenn man sich vorbildet, alle Klosterstiftungen im Mittelalter seien aus purer Frömmigkeit und ohne Beimischung politischer und häuslicher Zwecke geschehen. Bei weitem hatten die meisten Stifter dabei die Absicht, zugleich für ihr Haus zu sorgen und bei zahlreicher Familie dort für einige ihrer Kinder – eheliche und Nebensprösslinge – eine ständige Unterkunft anzulegen, zumal da solche Klöster dergleichen Kinder des Geschlechts des Stifters ohne, oder nur gegen äusserst geringe, Mitgift aufzunehmen verbunden waren. Man fand daher in dergleichen Stiftungen das erspriesslichste Mittel, beide Zwecke zugleich zu erreichen; sich einesteils den Himmel zu verschaffen und andernteils sich drückender Familienbürden zu entledigen. Auch ohne Stifter zu sein, hatten grosse Klosterwohlthäter nicht selten den nämlichen Zweck, und so wusch denn auch hier gewöhnlich eine Hand die andere rein«, sagt Bodmann in seinen 1819 erschienenen »Rheingauischen Alterthümern«. So hielt man es von Karls des Grossen Zeiten her bis in die neueste Zeit. Nach innerem Beruf wurde bei den für das Kloster Bestimmten nicht gefragt; sie hatten dem elterlichen Machtspruche zu gehorchen, und sie folgten vielfach auch ganz gerne, da ihnen das Gelübde kaum einen Zwang auferlegte, und sie frei ihren Neigungen nachleben konnten:
sagt Murner. Wen aber wirklich Herzensneigung in das Kloster trieb, der wurde, wenn er nicht von ganz aussergewöhnlicher Willensstärke war, von dem unaufhaltsam dahintosenden Strome der in den Klöstern herrschenden Unmoral mitgerissen; er versank in den Strudel, gleich seinen Brüdern und that ebenso, wie sie es alle machten. Das schlechte Beispiel ging von den Kirchenfürsten selbst aus. Würdenträger, die ihren Beruf ernst nahmen und streng auf die Beobachtung der Gelübde hielten, waren weisse Raben. Einer dieser wenigen, Ferdinand von Fürstenberg, Fürstbischof von Paderborn (1661 bis 1683), ging so weit, einen Gesalbten ausstossen und hinrichten zu lassen, weil er ein ausschweifendes Leben führte. [66] Die Mehrzahl der anderen hohen Herren liess sieben gerade sein, da sie es meistens noch toller trieben, als die ihnen Unterstellten.
Bezeichnend für die sich unter dem geistlichen Habite breit machende Lasterhaftigkeit war das Treiben in den geistlichen Ritterorden. Dem Orden der Tempelherren machte bekanntlich der energische König Philipp IV. der Schöne von Frankreich ein schreckensvolles Ende. 1312 wurde gegen die Ordensbrüder die Anklage auf die gleichbedeutenden Verbrechen Ketzerei und Sodomiterei seitens des Papstes Clemens V. erhoben, die zu ihrer Ausrottung mit Feuer und Schwert führte. Glücklicher waren die sich unter gewichtigem Schutze bergenden deutschen Ritter, die »allein im Dienste ihrer himmlischen Dame Maria« stehend, den Namen der göttlichen Jungfrau auf das Gröblichste missbrauchten und unter seinem Deckmantel himmelschreiende Missethaten vollführten. Von ihren Menschenschlächtereien abgesehen, den berüchtigten »Heidenfahrten« auf wehrlose und harmlose Naturkinder, die man aus purem Sport hinschlachtete, waren sie Wüstlinge schlimmster Sorte, denen kein Laster versagt blieb. Die Bürger Marienburgs, ihrer Residenz, mussten sich wiederholt beschweren, dass kein ehrsamer Bürger abends sein Haus verlassen dürfe, ohne fürchten zu müssen, die zu Hause gelassenen Frauen und Mädchen von den Rittern auf die Hochburg geschleppt und dort gemissbraucht zu sehen. »Ein Teil der Schlossfreiheit heisst noch von der Zeit her, wo die Ritter ihr unheiliges Wesen da trieben, ›der Jungferngrund‹. Noch jetzt« – um die Mitte des 19. Jahrhunderts – »wird von jener Zeit her beim Magistrat von Marienburg die Kasse des ›Jungferngrund-Hospitals‹ verwaltet, worin zu Grunde gerichtete Frauenzimmer aufgenommen wurden. Aus den Strafakten des Marienburger Ordenshauses hat sich ergeben, dass unter dem Deckmantel der christlichen Beichte Jungfrauen und Ehefrauen systematisch verführt, Vergewaltigungen selbst an neunjährigen Mädchen von den Ordenskaplänen verübt wurden. Das Bezeichnendste, was von den auf das votum castitatis verpflichteten deutschen Ordensrittern gesagt werden kann, ist, dass der Ordensmeister Conrad von Jungingen bereits zu Ende des 14. Jahrhunderts Verbote erlassen musste, kein weibliches Tier im Ordenshause zu Marienburg zu dulden.« [67]
Die Reformation fand in den Klöstern beiderlei Geschlechtes begeisterte Anhänger, die mit fliegenden Fahnen in das feindliche Lager übergingen. Namentlich in den Nonnenklöstern beeilten sich viele der Schwestern, die verhassten, drückenden Fesseln zu zerbrechen, die ihnen Familienrücksichten, Tradition und Egoismus geschmiedet, um in das weltliche Leben zurückzukehren. Wieviel heisses Ringen, was für mächtige Seelenkämpfe mögen die düsteren Zellen gesehen haben, ehe in manchem zaghaften Gemüte der Entschluss zu der für eine Frau heroischen That reifte, das gewohnte Nonnenkleid für immer abzustreifen.
Gelang es diesen Exnonnen nicht, Unterkunft bei ihren Familien zu finden, Stellungen als Lehrerinnen zu erlangen, oder in den heiligen Ehestand zu treten, manchmal sogar, wie dies mehrfach passierte, mit dem vordem geliebten Mönch, so fielen sie dem unverhüllten Laster anheim. Nonnen der gesperrten Klöster zogen als landfahrende Dirnen einher, wenn sie nicht sofort nach Aufhebung des Klosters den Weg nach dem Bordelle eingeschlagen hatten. In Nürnberg war dies im Jahre 1526 der Fall, als die Pforten des berühmten St. Clara-Klosters für immer geschlossen und die Schwestern auf die Strasse gesetzt worden waren.
Vom Erhabenen zum Lächerlichen, vom Kloster zum öffentlichen Hause, war schon lange vor Napoleon nur ein Schritt!
Die Ehe, dieses älteste von Naturgesetzen diktierte Verhältnis, das zwei Menschen aneinander schliesst, hat kein anderes Volk so edel aufgefasst, wie die Germanen.
»Das Verlöbnis war ein Vertrag, durch welchen Mann und Weib sich zu einem Haushalt und Gründung einer Familie für das ganze Leben verbanden, um einander lieb zu sein über alles auf Erden, Wunsch, Willen und Besitztum gemeinschaftlich zu haben. Selbst mit dem Tode hörte die Pflicht der überlebenden Gattin nicht auf. Bei einigen Germanenvölkern war es der Frau nur einmal gestattet, in den Ring der Zeugen zu treten, vor denen sie das Gelöbnis ablegte; und es sind Spuren erhalten von noch älterer strenger Volkssitte, nach welcher die Frau den Gatten so wenig überleben durfte, wie der Gefolgmann seinen Wirt, wenn dieser in der Schlacht fiel. Das Weib des Germanen war nicht nur die Hausgebettete, die auf gemeinsamem Lager den Hals des Gatten umschlang, und nicht nur Herrin des Hauses und Erzieherin der Kinder, wie bei den Römern, sie war auch seine Vertraute und Genossin bei der männlichen Arbeit. Die Geschenke, welche der Mann ihr zu dem Gelöbnis gab, ein Joch Rinder, Speer und Ross [68] , waren symbolisches Zeichen, dass sie mit ihm über den Herden walten würde und als seine Begleiterin an der Feldarbeit teilnehmen, ja dass sie ihm auf dem Kriegspfade folgen sollte, in der Schlacht seinen Eifer zu stählen, seine Wunden zu rühmen, nach seinem Tod ihn zu bestatten und vielleicht zu rächen.« [69]
»Der Innigkeit germanischer Ehe schadete nicht, dass sie schon in der Urzeit oft ein Familienvertrag war, der im Interesse zweier Geschlechter geschlossen wurde«, und diese Art des Ehebundes blieb in allen Ständen von der Urzeit an die vorherrschende. Die Liebe kam in zweiter Linie; trotz Freytags poetischer Verherrlichung war meist rein prosaisches Interesse die Ursache der Verheiratung.
»Wie in heidnischer, so ist die Ehe auch in christlicher Zeit durchaus ein Geschäft zwischen dem Bräutigam und den Verwandten der Braut, wobei letztere vielfach gar nicht um ihre Zustimmung befragt wurde« [70] , nur trat mit der Zeit eine Wandlung dahin ein, dass der ursprünglich dem Vater oder dem Mundwalt der Braut, dem ältesten Bruder oder Vormund, übergebene Brautkauf nun der jungen Frau selbst, sei es als Morgengabe, oder als Wittum (videme) zufällt. War die Morgengabe ein freiwilliges Geschenk des Ehegatten an seine Neuvermählte, so wurde die Höhe des Wittums vorher genau festgesetzt. Siegfried schenkt seiner jungen Gattin den Nibelungenhort, Bärschi in »Metzens Hochzeit«, der Metzi, ein feistes Mutterschwein zur Morgengabe.
Die altdeutsche Eheschliessung zerfällt in die Erwerbung der Braut durch den Verspruch vor dem Vormund und durch die Übergabe der Braut an den Bräutigam durch die Heimführung. Durch die Verlobung erstanden dem Bräutigam bereits rechtliche und eheliche Ansprüche an die Braut, deren Verletzung durch Dritte gesetzliche Ahndung findet. Daher wird mit Recht der Satz aufgestellt, dass die Verlobung die Eheschliessung, die Trauung aber nur den Vollzug der Ehe darstellte. Die Verlobung schildert das Nibelungenlied bei Gelegenheit des Verspruches von König Giselher mit der Tochter Rüdegers von Bechelaren. Nachdem des Königs Brüder als Freiwerber das Jawort erhalten haben, der Jungfrau seitens des burgundischen Geschlechts das Wittum festgelegt wurde und der Brautvater eine Summe Gold und Silber als Mitgift ausgesetzt hat, heisst man das junge Paar nach alter Sitte in den »rinc« (einen Kreis) treten, fragt die Jungfrau, ob sie gewillt sei, den Recken zum Manne zu nehmen, und als sie das auf ihres Vaters Rat bejaht, reicht Giselher der Braut die Hand zum Gelöbnis.
Der Ring, als Zeichen der Verlobung, kam mit dem Eindringen des Christentums zu den europäischen Völkern. In der Gudrun »jedwederz dem andern daz gold stiez an die hant«. [71]
War die Verlobung auch identisch mit der Ehe selbst, so räumte sie dem Bräutigam doch keine ehelichen Rechte ein. Das geschlechtliche Zusammenleben Verlobter war untersagt und auf vorzeitigen Beischlaf standen strenge Bussen. Untreue der Braut galt vielfach als Ehebruch; der Verführer erlitt Todesstrafe, wenn er nicht durch zwölf Eideshelfer beschwören konnte, von der stattgehabten Verlobung nichts zu wissen. Über die Untreue des Bräutigams glitt man leichter hinweg. Das Hamburger Stadtrecht von 1270 bestimmt, wenn der Verlobte von einem Weibe wegen intimen Umgangs mit ihr verklagt werde, so habe die Braut drei Monate auf die Entscheidung zu warten; könne die Sache nur in Rom geführt werden, so warte sie ein Jahr. Ist der Prozess auch dann noch nicht zu Ende, so ist das Verlöbnis aufgelöst und der Braut gebührt eine Entschädigung von 40 Mark Pfennig. Dasselbe galt für eine Klage gegen die Braut. [72] Wer eine Braut entführte, hatte ausser den Blutsverwandten auch den Verlobten zu sühnen, unter Umständen den zehnfachen Brautkauf zu erlegen, und musste die Entführte behalten, denn der Raub löste die Verlobung. Nur die bayrischen Rechte verlangten die Rückgabe der Braut an den Bräutigam. Die Entführung wurde von unseren Vorfahren zu den schwersten Verbrechen gerechnet; Notzucht und Frauenraub fielen in den Gesetzen mehrfach zusammen. Selbst das Asylrecht in den Klöstern und anderen Freistätten, die kein Scherge betreten durfte, blieb den Frauenräubern verschlossen. Karl der Grosse verhängte über den Entführer der Tochter seines Herrn die Todesstrafe, die Kirche belegte alle diese Verbrecher mit ihrem Bann. Schwere Geldbussen waren allen Gesetzen des Mittelalters gemeinsam, wenn sie nicht auf Leib- und Lebensstrafen erkannten. Das Hamburger Stadtrecht von 1270 bedroht den mit Todesstrafe, der eine Jungfrau unter 16 Jahren, wenn auch mit ihrem Willen, oder eine ältere gegen ihren Willen entführt; der Entführer geht nur dann frei aus, wenn er ein nacktes Mädchen über 16 Jahre mit seinem Einverständnis entführte. [73]
Die Entführungen kamen in dem wirklichen und poetisch überlieferten Leben des Mittelalters, sowohl in der vorritterlichen wie in der ritterlichen Zeit häufig vor, da sie der Abenteurerlust der damaligen Gesellschaft so recht nach dem Herzen waren.
Das späte Heiraten, von dem Tacitus sprach, hat sich bis zum 13. Jahrhundert in unserem Volke erhalten, um dann vollständig in Vergessenheit zu geraten. Heiratete man bis zum gedachten Säculum erst mit dem 30. Jahre, so zeichnete sich die Folgezeit unvorteilhaft durch unnatürlich frühe Ehen aus [74] , so dass Murner in seinem Gedichte »Vom Nutzen des Ehestandes« mit Recht klagen durfte:
Nach dem Schwabenspiegel war das vollendete 12. Jahr zur Heirat eines freien, nach den Weistümern das 14. bei der Vermählung leibeigener Mädchen für ausreichend erachtet. Gudrun war etwas älter als zwölf Jahre, als »nâch ir edelen minnen von vürsten wart gegert«. Kriemhild zählte bei ihrer Vermählung 15 Jahre, was in adeligen und städtischen Geschlechtern bis zum 16. Jahrhundert das Alter war, in dem die Jungfrauen heirateten. Anna Stromer in Nürnberg vermählte sich allerdings schon vierzehnjährig, ward mit 16 Jahren Mutter, und gebar bis zu ihrem 25. Jahr acht Kinder – ein Fall, den ein gewissenhafter Chronist für aufzeichnenswert erachtet. [75] Gertrud, Kaiser Lothars Tochter, beging zwölf Jahre alt ihre Hochzeit mit Heinrich dem Stolzen (1127). Eine weitere Kinderhochzeit war die der vierjährigen heiligen Elisabeth mit dem zwölfjährigen Landgrafen Ludwig von Thüringen. [76] Gnote, die Tochter Rudolfs von Habsburg, war bei ihrer Trauung mit dem König Wenzel von Böhmen, ein Kind, das ihrem Knaben von Gatten von ihren Puppen erzählt, während er ihr von seinen Falken vorschwärmt, als sie beisammen liegen. Selbstverständlich wurden derartige von der Staatsraison diktierte Heiraten, die sich in der mittelalterlichen Geschichte häufig wiederholen, erst nach der Reife der Gatten zu wirklichen Ehen. Das Zusammenliegen, das Beilager , stellte nur symbolisch den Vollzug der Ehe, und dadurch ihre Unlöslichkeit nach kirchlichen und weltlichen Gesetzen dar. Denn: Ist das Bett beschritten, ist die Eh' erstritten, sagt ein uraltes Rechtssprichwort. [77]
Noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts aber hielt man das Beilager auch dann öffentlich ab, wenn sich die Gatten in heiratsfähigem Alter befanden. Aus einer Beschreibung vom Jahre 1599, der »Hohen Zollerischen Hochzeyt«, die J. Frischlin in »Drey schöne vnd lustige Bücher« lieferte, heisst es:
Bei einer anderen Fürstenhochzeit im Junimond 1585 zwischen Johann Wilhelm III., Herzog zu Jülich-Cleve-Berg und Jakobäa von Baden sind die Brautgemächer nach damaliger aus Frankreich gekommener Sitte mit Teppichen behangen, deren Gewebe mythologische Scenen darstellen, so »zur ehelichen Lieb' am meisten und vornehmlich gehörig«. [81] Diese Ehe endete bekanntlich mit dem geheimnisvollen Tode der eines zuchtlosen Wandels beschuldigten Jakobäa. [82]
Verlobung und Hochzeit folgten bei Bürgern und Bauern häufig unmittelbar aufeinander, namentlich wenn eine feierliche Verlobung stattgefunden hatte; doch kommt es auch vor, dass dem ungeduldigen Bräutigam eine Wartezeit auferlegt wird, so Gudruns Verlobten Herwig, der ein ganzes Jahr warten muss, wobei ihm aber von der Schwiegermutter hochherzig gestattet wird, dass er sich »mit schoenen wîben vertribe anders wâ Die zît«. Vom 8. Jahrhundert ab begehrte die Geistlichkeit ein dreimaliges Aufgebot und die kirchliche Einsegnung der Ehe. Die höhere Gesellschaft fügte sich diesem Anspruche sofort, nicht so die breiteren Schichten des Volkes, denen auf noch lange die einfache bürgerliche Eheschliessung genügte »an (ohne) schuoler und an phaffen«, den Bauern sogar bis ins 15. Jahrhundert. Aber selbst der Hochadel verfügte sich erst am Morgen nach der Brautnacht zur Kirche. Abends vor dem Kirchgange wurde das Brautpaar in die Brautkammer gebracht, eine Decke beschlägt sie beide, ein Geistlicher findet sich vielleicht ein, den Brautsegen über das Paar zu sprechen. [83] Die Freundinnen und nächsten Angehörigen sind der Braut beim Entkleiden behilflich, ihr manch guten Rat dabei zuflüsternd. Oft sind auch der Brautvater, der Bruder des Bräutchens oder andere aus der Sippschaft in dem Gemache anwesend.
Wenn in den mittelalterlichen Heldengedichten sich der Freund an Stelle des wirklichen Bräutigams mit der Auserkorenen seines Freundes trauen lässt, was, trotz der augenscheinlichen Unwahrscheinlichkeit, ein dankbares, vielverwendetes Motiv für die damaligen Dichter abgab, dann legte der Pseudogatte ein entblösstes Schwert zwischen sich und die Braut, um dadurch ihre Unberührbarkeit anzudeuten. So liegt Siegfried bei Brunhilde, und in Konrad von Würzburgs der Verherrlichung der Freundestreue gewidmetem Gedichte »Engelhart und Engeltrut« findet sich darüber folgende Episode. Engeltrut, die Tochter des Königs von Dänemark, deren Vater Engelhart und sein Freund Dietrich von Brabant dienen, kommt eines Nachts an das Bett des Engelhart und verspricht ihm ihre Liebe, sobald er Ritter geworden und sich im Turniere einen Preis geholt. Nachdem er diese Bedingungen erfüllt und Engeltrut an seiner heissen Liebe nicht mehr zweifeln kann, giebt sie ihm ein Stelldichein im Baumgarten des väterlichen Schlosses; sie empfängt ihn, nur mit Mantel und Hemd bekleidet, zieht ihn unter ihren Mantel und führt ihn »ûf einen senften matraz«. Sie werden von ihrem Widersacher, dem Neffen des Königs, belauscht. Engelhart aber leugnet alles und will für die Wahrheit seiner Behauptung kämpfen. Er holt sich seinen Freund Dietrich, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Dieser kann mit ruhigem Gewissen seine Unschuld beschwören, ficht mit dem Angeber, siegt und erhält als Engelhart die Hand der Engeltrut. Er heiratet sie auch, wie es einst Engelhart mit Dietrichs Frau gemacht, legt aber wie dieser ein blosses Schwert im Brautbett zwischen sich und Engeltrut, die er dem Freunde rein übergiebt. [85]
Derartige Hochzeiten mit Stellvertretern kamen übrigens auch in der Wirklichkeit vor, allerdings nur an Höfen, deren Angehörige oft schon im zartesten Alter vermählt wurden, oder die entweder aus politischen Gründen oder der Bequemlichkeit wegen die weite und oft nicht ungefährliche Reise zum Wohnsitze der Braut scheuten. Die Vermählung wurde alsdann durch Prokuration mit dem Spezial-Gesandten vollzogen, der an Stelle seines Gebieters das Beilager abhielt, in eine schwere Prunkrüstung gehüllt, das scharfe Schwert zwischen sich und der Herrin. Der alte österreichische Chronist Jakob Unrest meldet über ein solches Beilager, das anlässlich der später in die Brüche gegangenen Vermählung Maximilians I., des letzten Ritters, mit der Prinzessin Anna von Bretagne, stattfand: »Kunig Maximilian schickt seiner Diener einen genannt Herbolo von Polhaim gen Britannia zu empfahen die Kunigliche Braut; der war in der Stat Remis (Reims) erlichen empfangen, und daselbs beschluff der von Polhaim die Kunigliche Brauet mit ein gewapte Man mit den rechte Arm und mit dem rechten fus blos und ein blos schwert dazwischen gelegt, beschlaffen. Also haben die alten Fürsten gethan, und ist noch die Gewonhait . Da das alles geschehen was, war der Kirchgang mit dem Gottesdienst nach Ordnung der heiligen Kahnschafft mit gutem fleiss vollpracht.«
Die bürgerliche Gesellschaft äffte natürlich diese Beilagersitte des Hochadels nach, wie aus der Dresdener Hochzeitsordnung aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts hervorgeht. Nach dieser durften die Hochzeitsgäste dem pro forma -Beilager beiwohnen, mussten aber dann das Gemach verlassen, während das junge Paar aufstand, um mit zwei Tischen voll Gästen zu tafeln.
Diese offiziellen Beilager, bei denen es tadellos ehrbar zuging, da man im Gegensatze zu früheren Zeiten die mit dem Brautstaate geschmückte Braut zu dem Gatten legte, sind von jenen inoffiziellen Beilagern zu unterscheiden, die der erklärte Bräutigam mit seiner Braut abhielt, ohne sie zur Frau zu machen.
Dieses »Beschlafen auf Treu und Glauben« kennt bereits die früheste Zeit des deutschen Mittelalters. Die Ehre der Braut lief um so weniger Gefahr, als sie unter dem Schutze des Gesetzes stand. Das Mädchen, das sich dem Bräutigam nicht ergeben wollte, konnte ganz wohl das Beilager gestatten, ohne in der öffentlichen Meinung als gefallen zu gelten, wenn auch Zweifel an der beiderseitigen Zurückhaltung zu naheliegend waren, um nicht geäussert zu werden. Der Mann musste jedenfalls seine Selbstbeherrschung bewahren, wenn es der Schönen so beliebte, denn die mittelalterlichen Gesetze achteten eine während des Beilagers begangene Gewaltthat der Notzucht gleich. »Eyn jeglich man mac an siner Amyen die notnunft begen, daz sol man uber sie richten, als ob er nie bi ir gelege«, heisst es in den Alemannischen Landrechten, und ähnlich in den sächsischen Land- und dem alten Goslarischen Stadtrechte. Im Parzival kommt die jungfräuliche Königin Kondwiramur (= coin de voire amors = Ideal der wahren Liebe) zu dem schlafenden Parzival, aber:
Sie teilt sein Lager
bis »die Nacht schwand hin, der Tag brach an«.
Dieser Gebrauch hielt das ganze Mittelalter hindurch an, wie Hans von Schweinichens Denkwürdigkeiten bezeugen. Unter dem Jahre 1573 heisst es bei Beschreibung eines Reiseabenteuers im Lande Lüneburg bei Herzog Heinrich, nach dessen glücklichem Ausgang in Dannenberg getanzt wird; nach dem Tanze hebt das stereotype grosse Saufen an, bei dem Schweinichen als letzter auf der Walstatt bleibt: »Die einheimischen Junkern verloren sich auch, sowohl die Jungfrauen, dass also auf die Letzte nicht mehr als zwo Jungfern und ein Junker bei mir blieben, welcher einen Tantz anfing. Dem folget ich nach. Es währet nicht lange, mein guter Freund wischt mit der Jungfer in die Kammer, so an der Stuben war, ich hinter ihm nach. Wie wir in die Kammer kommen, liegen zwei Junkern mit Jungfrauen im Bette. Diser der mit mir vortanzet, fiel sammt der Jungfer auch in ein Bette. Auf Mecklenburgerisch so saget sie, ich sollt mich zu ihr in ihr Bette auch legen; dazu ich mich nicht lange bitten lies, leget mich mit Mantel und Kleidern, ingleichen die Jungfrau auch, und redeten also bis vollend zu Tag, jedoch in allen Ehren. Auf den Morgen hatt ich das Beste, dass ich der Längste wär auf dem Platz gewesen, gethan, und ich hatte es am besten vericht. Kam deswegen beim Frauenzimmer in gross Gunst. Das heissen sie auf Treu und Glauben beigeschlafen; aber ich acht mich solches Beiliegen nicht mehr, denn Treu und Glauben möcht ich zu ein Schelmen werden . Darum heisst es: ›Hüte dich, mein Pferd schlägt dich‹ [87] «, denn:
sagt Hartmann von der Aue, und ähnlich urteilte mehr als ein Jahrtausend vor Schweinichen der byzantinische Geschichtsschreiber Prokopius von Cäsarea, der die Keuschheit solcher Bräute in Zweifel zieht. In manchen Gegenden machte man übrigens kein Geheimnis daraus, dass Probenächte wirkliche Proben auf die Ehefähigkeit der zukünftigen Ehegatten darstellten; ja man dehnte solche Prüfungen auf Wochen, selbst Monate aus, um, wenn sie zu Ungunsten eines der beiden prüfenden Teile ausgefallen waren, die Verlobung einfach aufzuheben.
Ein interessantes Dokument über ein derartiges Vorkommnis aus dem Jahre 1378 lieferte Prof. Kohler [88] . Darnach hatte ein Graf Johann IV. von Habsburg ein volles halbes Jahr die nächtliche Probezeit mit Herzlaude von Rappoltstein gehalten, doch schliesslich einen Korb bekommen, weil ihm die junge Dame alle männlichen Qualitäten absprechen musste. Kaiser Friedrich III., der sich mit der Prinzessin Leonore von Portugal durch seinen Verwandten verlobt hatte, jedoch mit der Vollziehung der Ehe zauderte, erhielt von dem Onkel der Braut, König Alfons von Neapel, das Schreiben: »Du wirst also meine Nichte nach Deutschland führen, und wenn sie dir dort nach der ersten Nacht nicht gefällt, mir wieder zurücksenden oder sie vernachlässigen und dich mit einer anderen vermählen; halte die Brautnacht mit ihr deshalb hier, damit du sie, wenn sie gefällt, als angenehme Ware mit dir nehmen, oder wo nicht, die Bürde uns zurücklassen kannst.« Mit der Tochter dieses Kaisers hielt Herzog Albrecht IV. von Bayern in Innsbruck das Beilager, die Hochzeit aber erst in München.
Unter der Landbevölkerung war das Probenacht-Unwesen ungleich verbreiteter, als in der anderen Gesellschaft des Mittelalters. Wann diese Sitte ihren Anfang genommen, verliert sich im Dunkel, jedenfalls bestand sie bereits im 13. Jahrhundert unter den Sachsen, denn Kardinal Heinrich von Segusio berichtete: die Sachsen hätten eine garstige aber gesetzmässige Gewohnheit, dass der Bräutigam bei der Braut eine Nacht schlafen, und sich nachgehends wohl entschliessen möge, ob er diese heiraten wolle oder nicht. In den folgenden Jahrhunderten standen die Probenächte in voller Blüte, wie aus der noch heute vielgenannten Monographie F. Christoph Jonathan Fischers hervorgeht: [89]
»Beinahe in ganz Teutschland und vorzüglich in der Gegend Schwabens, die man den Schwarzwald nennet, ist unter den Bauern der Gebrauch, dass die Mädchen ihren Freiern lange vor der Hochzeit schon diejenigen Freiheiten über sich einräumen, die sonst nur das Vorrecht der Ehemänner sind. Doch würde man sehr irren, wenn man sich von dieser Sitte die Vorstellung machte, als wenn solche Mädchen alle weibliche Sittsamkeit verwahrlost hätten, und ihre Gunstbezeugungen ohne alle Zurückhaltung an die Libhaber verschwendeten. Nichts weniger! Die ländliche Schöne weiss mit ihren Reizen auf eine ebenso kluge Art zu wirtschaften, und den sparsamen Genuss mit ebenso viler Sprödigkeit zu würzen, als immer das Fräulein am Putztisch.
Sobald sich ein Bauernmädchen seiner Mannbarkeit zu nähern anfängt, sobald findet es sich, nachdem es mehr oder weniger Vollkommenheiten besitzt, die hir ungefähr im ähnlichen Verhaltnisse, wie bei Frauenzimmern von Stande, geschätzt werden, von einer Anzahl Libhaber umgeben, die solange mit gleicher Geschäftigkeit um seine Neigung buhlen, als sie nicht merken, dass einer unter ihnen der Glücklichere ist. Da verschwinden alle Uebrigen plötzlich, und der Libling hat die Erlaubnis, seine Schöne des Nachts zu besuchen. Er würde aber den romantischen Wohlstand schlecht beobachten, wenn er den Weg geradezu durch die Hausthür nehmen wollte. Die Dorfsetiquette verlangt nothwendig, dass er seine nächtlichen Besuche durch das Dachfenster bewerkstellige. Wie unsere ritterbürtige Ahnen erst dann ihre Romane glücklich gespilt zu haben glaubten, wenn sie bei ihren verlibten Zusammenkünften unersteigliche Felsen hinanzuklettern und ungeheure Mauren herabzuspringen gehabt; oder sich sonst den Weg mit tausend Wunden hatten erkämpfen müssen, ebenso ist der Bauernkerl nur dann mit dem Fortgange seines Libesverständnisses zufriden, wenn er bei jedem seiner nächtlichen Besuche alle Wahrscheinlichkeit für sich hat, den Hals zu brechen, oder wenn seine Göttin, während dem er zwischen Himmel und Erde in grösster Lebensgefahr dahängt, ihm aus ihrem Dachfenster herunter die bittersten Nekereien zuruft. Noch in seinen grauen Hahren erzehlt er mit aller Begeisterung dise Abenteuer seinen erstaunten Enkeln, die kaum ihre Mannheit erwarten können, um auf eine ebenso heldenmütige Art zu liben.
Dise mühsame Unternehmung verschaft anfangs dem Libhaber keine andere Vorteile, als dass er etliche Stunden mit seinem Mädchen plaudern darf, das sich um dise Zeit ganz angekleidet im Bette befindet und gegen alle Verrätereien des Amors wol verwahrt hält. Sobald sie eingeschlafen ist, so muss er sich plötzlich entfernen, und erst nach und nach werden ihre Unterhaltungen lebhafter. Ja in der Folge gibt die Dirne ihrem Buhler unter allerlei ländlichen Scherzen und Nekereien Gelegenheit, sich von ihren verborgenen Schönheiten eine anschauliche Erkenntniss zu erwerben; lässt sich überhaupt von ihm in einer leichteren Kleidung überraschen, und gestattet ihm zuletzt alles, womit ein Frauenzimmer die Sinnlichkeit einer Mannsperson befridigen kan. Doch auch hir wird immer noch ein gewisses Stufenmass beobachtet, wovon mir aber das Detail anzugeben die Zärtlichkeit des heutigen Wolstandes verbeut. Man kan indess viles aus der Benennung Probenächte erraten, welche die letztern Zusammenkünfte haben, da die erstern eigentlich Kommnächte heissen.
Sehr oft verweigern die Mädchen ihrem Libhaber die Gewährung seiner letzten Wünsche so lang, bis er Gewalt braucht. Das geschiht allezeit, wenn ihnen wegen seiner Leibesstärke einige Zweifel zurück sind, welche sie sich freilich auf keine so heikle Weise als die Witwe Wadmann aufzulösen wissen. Es kömmt daher ein solcher Kampf dem Kerl oft sehr teuer zu stehen, weil es nicht wenig Mühe kostet, ein Baurenmensch zu bezwingen, das iene wollüstige Reizbarkeit nicht besizt, die Frauenzimmer vom Stande so plözlich entwafnet ...
Die Probenächte werden alle Tage gehalten, die Kommnächte nur an den Sonn- und Feiertagen und ihren Vorabenden. Die Erstern dauern solange, bis sich beide Teile von ihrer wechselseitigen physischen Tauglichkeit zur Ehe genugsam überzeugt haben, oder bis das Mädchen schwanger wird. Hernach tut der Bauer erst die förmliche Anwerbung um sie und das Verlöbnis und die Hochzeit folgen schnell darauf. Unter den Bauren, deren Sitten noch grosser Einfalt sind, geschiht es nicht leicht, dass Einer, der sein Mädchen auf dise Art geschwängert hat, sie wider verliesse. Er würde sich ohnfehlbar den Hass und die Verachtung des ganzen Dorfes zuzihen. Aber das begegnet sehr häufig, dass beide einander nach der Ersten oder Zweiten Probenacht wider aufgeben. Das Mädchen hat dabei keine Gefahr, in einen übeln Ruf zu kommen; denn es zeigt sich bald Ein anderer, der gern den Roman mit ihr von vorne anhebt. Nur dann ist ihr Name zweideutigen Anmerkungen ausgesezt, wenn sie mehrmals die Probezeit vergebens gehalten hat. Das Dorfpublikum hält sich auf diesen Fall schlechterdings für berechtigt, verborgene Unvollkommenheiten bei ihr zu argwöhnen. Die Landleute finden ihre Gewohnheit so unschuldig, dass es nicht selten geschiht, wenn der Geistliche am Orte einen Bauren nach dem Wohlsein seiner Töchter frägt, dieser ihm zum Beweise, dass sie gut heranwüchsen, mit aller Offenherzigkeit und mit einem väterlichen Wolgefallen erzehlt, wie sie schon anfiengen, ihre Kommnächte zu halten. Keyssler gibt in seinen Reisen (Hannover 1740, Brief IV, S. 21) uns eine sehr drollige Erzehlung von einem Prozesse, den die Bregenzer Bauren ehmals zur Verteidigung einer solchen Gewohnheit geführt haben, die sie fügen nennen. Die Kasuisten, die sich eben nicht immer von den erlaubten und unerlaubten Begattungsarten die richtigsten Begriffe machen, und manchmals dasienige für Sünde halten, was keine ist, und dasienige nicht dafür halten, was doch eine ist, ereiferten sich von ieher sehr über diesen ländlichen Gebrauch. Er musste ihnen daher sehr oft zum Stoff dienen, ihre Beredsamkeit auf eine sehr vorteilhafte und pathetische Weise zu zeigen. Die katholischen Landpriester, die mit dem Charakter ihrer Seelenbefohlnen zuweilen etwas näher, als die Protestanten mit den Ihrigen bekannt sind, und mithin die Untadelhaftigkeit dieser Sitte besser einsehen, äussern darüber mehr Duldsamkeit als die Letzteren, die nie unterlassen, ihre Bauren deswegen mit den heftigsten Strafpredigten zu verfolgen, und weil doch leider heutzutage, wo die Welt so ganz im Argen ligt, dise Züchtigungen nicht allezeit von Wirkung sind, so verabsäumen sie keine Gelegenheit, zur Vertilgung dises heidnischen Gräuels den weit kräftigeren weltlichen Arm zu Hülfe zu rufen .... Wenn es der Wolstand nicht untersagte, gewisse Forschungen nicht allzuweit zu verfolgen, und ihr endliches Resultat enthüllt darzustellen, so könnte ich ihn leicht überführen, dass dise Sitte nicht nur in der Physiologie des Menschen gegründet, sondern auch eine für die Bevölkerung sehr heilsame Anstalt sei. Demienigen Teil meiner Leser aber, der sich so schlechterdings nicht abfertigen lässt, und verschiedene Erläuterungen wünscht, muss ich an die Aerzte und an dieienigen Advokaten weisen, die vor den Ehegerichten Prozesse führen.«
Ausser diesen Probe- und Kommnächten herrschte überdies ein mehr als freier Verkehr zwischen den beiden Geschlechtern im Bauernstande. Bezeichnend dafür ist, dass z. B. in Bayern die Schlafstätten der Mägde und Knechte nicht voneinander gesondert waren, weshalb Ehebruch und Unzucht in erschreckender Weise grassierten. Maximilian, der grosse Kurfürst Bayerns, sah sich deshalb veranlasst, bei seinem 1598 erfolgten Regierungsantritt ein »Sittenmandat« ausgehen zu lassen, nach dem Schwangerschaften bei ledigen Weibspersonen mit Geldstrafen und Einschliessung in »die Geige«, ein geigenartiges Brett mit Einschnitten für den Kopf und die beiden Hände, gebüsst werden sollten; trotzdem verrechnete 1605 der Münchener Rentmeister in seiner Amtsrechnung über Strafgelder mehr als 300 uneheliche Kinder, »derjenigen nicht zu erwähnen, die nicht angezeigt wurden«. Dabei stand der Vermerk: »Es wollen sich auch sehr viele Adelspersonen in diesem Laster finden lassen.« 30 Jahre später sah sich Kurfürst Maximilian zu einer Strafverschärfung genötigt, die auf Ehebruch bei Männern auf fünf- bis siebenjährige Landesverweisung, und bei wiederholtem Pönfall das Schwert erkannte. Eheschänderische Frauen aus Bürger- oder Bauernstande traf fünfjährige Verbannung, Adelige der Verlust aller Ehrenrechte, und alle drei Stände im Wiederholungsfalle der Tod durch den Henker. Das Laster war aber so tief eingewurzelt, dass Maximilian durch ein späteres Reskript diese Strafen mildern musste. [90]
Im allgemeinen jedoch war die Jungfräulichkeit der Braut unerlässliche Bedingung des Bräutigams.
sagt Freidank.
Von den Ditmarschen ist bekannt, dass niemand von ihnen ein gefallenes Mädchen ehelichen durfte, denn »de eine hôre nimt vorsatzichlich, vorrêt ôk wol sîn vaterland«, und als Landesverräter wegen seiner Ehe zu gelten, wagte kein echter Friese. Zu Bonifazius' Zeiten war das Mädchen gezwungen, sich aufzuhängen. Über den Scheiterhaufen der Toten knüpfte man den Verführer auf. [91] Das Landrecht des als unkeusch verschrieenen Schwabens enthält eine Stelle, die ungefähr folgendermassen lautet: Wenn ein Mann sich eine Gattin genommen hatte, und beschuldigte sie, sie wäre bei der Hochzeit nicht mehr Jungfrau gewesen, so waren die Eltern des Mädchens verpflichtet, den Gegenbeweis anzutreten. Dieses geschah dadurch, dass man »jr junckfraulichnn zaichnn«, das heisst das Bettuch, auf dem sie die erste Nacht gelegen hatte, vor Gericht brachte. Wenn man nun an diesem erkannte, dass sie eine reine Magd gewesen, so wurde der Mann für seine Verleumdung mit 40 Schlägen und einer Geldbusse bestraft und er war gezwungen, das Mädchen als Ehefrau zu behalten; zeigte es sich aber, dass das Weib seine Jungfräulichkeit früher verloren hatte, so wurde sie aus dem Hause des Vaters verstossen, »darumb daz sy hurhait pflegnn hat in irs vaters haus«. In einigen Gegenden, wie im Thüringischen, handhabte man die Unzuchtsstrafe noch bis ins 16. Jahrhundert derart, dass eine zur Unehre gekommene Dirne sofort in Haft genommen, ebenso der Thäter, falls man seiner habhaft werden konnte, gefangen gesetzt wurde, bis die Trauung stattfand. Wollte der Bräutigam nicht »Ja« sagen, so that es der Gemeindediener für ihn: »Montag den 7. September 1579 sind Matthes Bechtold von Neustadt vnd Agnes Bäuerin von Coburgk, da sie von wegen geübter Vnzucht und Hurerey Kirchenbuss gethan vnd der Obrigkeitt straffe mit gebührlichen vnd willig gehorsam vff sich genommen, in der Büttelstube copulirt vnd ehelichen zusammen gegeben worden, auf das in ihr Kindlein, mit welches geburt die Mutter alda vberfallen, also cohenestirt, vnd von allen vnehren erledigt würde.« [92]
Die Kirchenbussen waren, wie ich bereits bemerkte, ungleich empfindlicher als die Strafen der Sittenpolizei. Personen mit derartigen Delikten mussten vor Beginn der Messe mit einem weissen Stabe in der Hand oder Strohkränzen auf dem Kopfe, das Mädchen in Konstanz ausserdem mit einem Strohzopf vor der Kirchthüre stehen; in Rottenburg der Verführer in einem Strohmantel an drei Sonntagen in der Kirche sein. In den Dörfern oberhalb Rottenburgs musste er seine Liebste in einem Karren herumfahren, wobei die Jugend und die lieben Nächsten das Paar mit Schmutz bewarfen, ehe es von der Kanzel herab öffentlich seine Busse auferlegt erhielt. [93] In gewissen Fällen wurden die Dirnen ausgepeitscht und des Landes verwiesen.
Ein Hauptbestandteil des Lobes, das Tacitus dem germanischen Eheleben spendet, besteht in der Hervorhebung der bei ihnen herrschenden Einweiberei: »Denn sie sind fast die einzigen Barbaren, die sich mit Einem Weibe begnügen; eine Ausnahme machen sehr wenige unter ihnen, und diese nicht aus Sinnenlust, sondern weil sie ihres hohen Standes wegen mehrfach umworben werden.« [94] Also Ausnahmen kamen vor, wie z. B. Ariovists Bigamie aus politischen Gründen, ferner bei den Merovingern und vornehmen Franken, so bei Pipin II., der zwei rechtmässig angetraute Frauen, Plectrud und Alpais, besass, ohne dass die Kirche dagegen Einspruch zu erheben wagte. Ja, die Kirche wusste stets den Launen der Mächtigen willfährig zu sein, denn auch sie war sich des Spruches »Mit grossen Herren ist nicht gut Kirschen essen« bewusst, und – eine Hand wusch eben die andere. So bleibt, aller Beschönigungen zum Trotze, jene so viel angefochtene und anfechtbare Billigung Luthers und Melanchthons zu der am 4. März 1540 geschlossenen Doppelehe Philipps des Grossmütigen von Hessen mit der schönen Sächsin Margarete von Sal, dem Hoffräulein seiner Gemahlin, als hässlicher Fleck auf dem Charakterbilde dieser beiden grossen Männer haften.
Die Angelegenheit erregte um so grösseres und unliebsameres Aufsehen, als das kurz vorher in Kraft getretene Strafgesetzbuch Kaiser Karls V. die Bigamie, »welche übelthat dann auch eyn ehebruch und grösser dann das selbig laster ist« mit dem Tode bestraft wissen wollte. Gegen weniger hochgeborene Übelthäter dieser Art kannte das Gesetz keine Nachsicht, und Meister Franz, der Nürnberger Scharfrichter, kann in seinen Aufzeichnungen [95] von vollzogenen Hinrichtungen an Bigamisten, selbst Trigamisten erzählen. Nur ein einziges Mal war in der deutschen Geschichte die Doppelehe nicht nur gesetzlich gestattet, sondern sogar behördlich angeordnet. Nach dem grossen Kriege war es, der Deutschlands Bevölkerung von sechzehn bis siebzehn Millionen auf etwa vier Millionen verringert hatte. Diesem Menschenmangel suchte man durch zum Teil befremdliche Auskunftsmittel zu steuern. Ein solches war unter anderen der am 14. Februar 1650 von dem fränkischen Kreistag in Nürnberg gefasste folgende Beschluss: »Demnach auch die unumgängliche dess heyl. Römischen Reichs Notthürft erfordert, die in diesem 30 Jerig blutigen Krieg ganz abgenommene, durch das Schwerdt, Krankheit und Hunger verzehrte Mannschaft wiederumb zu ersetzen und in das khünfftig eben dersselben Feinden, besonders aber dem Erbfeind des christlichen Namen, dem Türckhen, desto stattlicher gewachsen zu sein, auf alle Mitl, Weeg und Weiss zu gedenkhen, als seinds auff Deliberation und Berathschlagung folgende 3 Mittel vor die bequembste und beyträglichste erachtet und allerseits beliebt worden. 1.) Sollen hinfüro innerhalb den nechsten 10 Jahren von Junger mannschaft oder Mannsspersonen, so noch unter 60 Jahren sein, in die Klöster ufzunemmen verbotten, vor das 2te denen Jenigen Priestern, Pfarrherrn, so nicht ordersleuth, oder auff den Stifftern Canonicaten sich Ehelich zu verheyrathen; 3.) Jedem Mannsspersonen 2 Weiber zu heyrathen erlaubt sein : dabey doch alle und Jede Mannssperson ernstlich erinnert, auch auff den Kanzeln öffters ermanth werden sollen, Sich dergestalten hierinnen zu verhalten und vorzusehen, dass er sich völlig und gebürender Discretion und versorg befleisse, damit Er als ein Ehrlicher Mann, der ihm 2 Weyber zu nemmen getraut, beede Ehefrauen nicht allein nothwendig versorge, sondern auch under Ihnen allen Unwillen verhüette. [96] «
Die Ehescheidung kam im Mittelalter verhältnismässig selten vor. Zu den Scheidungsgründen in der Übergangsperiode vom Altertum zum Mittelalter zählten einerseits Ehebruch, Mordversuch, Zauberei und Gräberschändung, andererseits zu hohes Alter des einen der Gatten, Unvermögen und Verweigerung der ehelichen Pflicht und böswilliges Verlassen. [97] Die offen und vor Zeugen geschlossene Ehe konnte nur wieder vor Zeugen aus beiden Familien rechtlich gelöst werden. [98] Als sich ein geordnetes Gerichtsverfahren gebildet hatte, wurde in aller Form der Ehescheidungsprozess geführt und das richterliche Erkenntnis öffentlich bekannt gemacht. Die Kirche strebte von Anbeginn bis zu ihrer vollen Machtentfaltung danach, die Scheidung möglichst zu erschweren. Die Nichtigkeitserklärung der Ehen konnte nur in Rom erfolgen, war daher für einen minder Bemittelten schwer, ja geradezu unmöglich. Desto mehr Gebrauch machten davon die Fürsten. Waren sie ihrer Frauen überdrüssig, oder boten sich durch eine andere Heirat neue Vorteile, so wurden, wenn kein anderer plausibler Scheidungsgrund aufzutreiben war, Zeugen beschafft, von denen das Vorhandensein eines verbotenen Verwandtschaftsgrades zwischen den Ehegatten beschworen wurde; Geld und Ansehen thaten das übrige, so dass die Lösung der Ehe durch päpstliche Gewalt keine Schwierigkeiten machte.
Später wurde durch den Wegfall der meisten der vorangeführten Scheidungsgründe die Lösung der Ehe noch weiter erschwert. Selbst Ehebruch der Frau wurde 829 schon als kein Grund zur Auflösung der Ehe betrachtet, ebensowenig wie das geschlechtliche Unvermögen. Hatte der Bauer seine Frau dem Nachbarn anzubieten (s. oben Seite 65), so sah man in der Frühzeit nichts Übles darin, wenn der Gatte sich einen, wenn angängig möglichst vornehmen, dabei natürlich möglichst kräftigen Stellvertreter suchte. Ein thüringer Ritter, der wegen Unvermögen keinen Erben von seiner Frau erhalten konnte, bat den Landgrafen Ludwig, den Gemahl der heiligen Elisabeth, ihn zu vertreten. Mit der Verleitung der eigenen Frau zum Ehebruch hatte ein derartiges Ansuchen um so weniger zu thun, als in einem solchen Falle jedes materielle Interesse in Wegfall kam und der Mann nur den derzeitigen Hauptzweck der Ehe, die Erhaltung und Fortpflanzung der Familie, im Auge hatte.
In einer Zeit, in der die kirchliche Lehre von der Verdienstlichkeit ehelicher Enthaltsamkeit Eingang fand, als der höchsten Frivolität eines Teiles der Gesellschaft die überspannteste Frömmigkeit gegenüberstand, blieben oder wurden manche Ehen bloss Scheinehen. Die Geistlichkeit pries dies sehr unlogisch, da sie doch die Ehe als Sakrament erklärt hatte, als ein heiliges Werk, dem der höchste Lohn im Jenseits gewiss war. Einige Fürstinnen und Fürsten erwarben sich durch dieses freiwillige und unter erschwerenden Umständen aufrecht erhaltene Cölibat den Heiligenschein. Sehr vernünftig erklärte sich aber die Synode von Schwerin anno 1492 gegen diesen asketischen Blödsinn. Ich habe bereits früher, beim Rittertum (Seite 49) einige dieser »Martyrerinnen« und Heiligen namhaft gemacht, die neben anderem Unsinn auch den Sport trieben, jungfräuliche Ehefrauen zu sein, die selbst den Verführungen der Flitterwochen nicht unterlegen waren, die die Vorzeit viel bezeichnender als wir: Kusswoche, Kirchenwoche, Zärtel-, Butter- und Honigwoche nannte.
Wie alles, was vom Menschen kommt und mit dem Schicksal zusammenhängt, hat auch die Ehe ihre Licht- und Schattenseiten, daher begeisterte Anhänger und erbitterte Widersacher. Einer der eifrigsten Fürsprecher der Ehe war D. Martinus Luther. »Die Ehe ist eine schöne herrliche Gabe und Ordnung«, dann weiter, dass der Ehestand »Gottes Ordnung und der allerbeste und heiligste Stand sei; darum sollte man ihn auch mit den herrlichsten Ceremonien anfahen um des Stifters willen, nehmlich Gottes, der da will, dass ein Männlein und ein Fräulein beisammen sein sollen« u. s. w. [99]
Freidank, ohnehin ein begeisterter Lobredner der Frauen, bei dem sich das schönere Geschlecht für das sinnige Kompliment zu bedanken hat:
singt auch das Hohelied der Ehe in allen Tonarten:
Dann:
Oder Reinmar von Zweter, der über die Ehe sagt:
Ob Meister Freidank und Reinmar aus Erfahrung sprechen oder nur galant sein wollen, ist bei den dürftigen Nachrichten über der Dichter Leben nicht zu ermitteln. Anders steht es aber mit einem Priester, den wir bisher als recht widerhaarig kennen gelernt haben. Wenn dieser, nämlich Bruder Berthold von Regensburg, sich zu einer Empfehlung der Ehe aufschwingt, noch dazu in Argumenten, die auch heute noch nichts von ihrer Beweiskraft eingebüsst haben, dann sollte es doch zu denken geben. Also Hagestolz, horche auf, und beherzige, was Frater Berthold in seiner Predigt über die zehn Gebote sagt: »Darum du junge Welt, geh schleunig in starker Busse in dich, und zur Ehe, oder mit der Ehelosigkeit auf den Grund der Hölle. ›Bruder Berthold, ich bin noch ein junger Knabe, und die mich gerne nähme, die will ich nicht, und die ich gerne nähme, die will mich nicht.‹ Nun so nimm aus aller Welt eine zur Ehe, mit der du recht und gesetzlich lebest. Willst du die eine nicht, so nimm die andere; willst du die Kurze nicht, so nimm die Lange; willst du die Lange nicht, so nimm die Kurze; willst du die Weisse nicht, so nimm die Schwarze; willst du die Schlanke nicht, so nimm die Dicke. Nimm dir nur eine Ehefrau aus aller Welt. ›Bruder Berthold ich bin doch arm und habe nichts.‹ Es ist weit besser, dass du arm ins Himmelreich fahrest, als arm zur Hölle. Du wirst noch schwerer reich in der Ehelosigkeit als in der Ehe. ›Bruder Berthold ich habe mein Brot noch nicht!‹ Ich höre wohl, du willst die Ehe nicht. Da du nun die Unehe haben willst, so nimm dir wenigstens nur eine Einzige zur Unehe. Nimm diese an die eine Hand und den Teufel an die andere, und nun geht alle drei mit einander zur Hölle, wo euch nimmer geholfen wird.« [101]
Dieselbe Meinung hegt Fischart in seinem Philosophischen Ehzuchtbüchlein:
Das geistvolle Schriftchen enthält noch manche, selbst heute recht beherzigenswerte Ehestandsregel. [102]
Nun audiatur et altera pars . Damit liessen sich Folianten füllen, doch mag hier nur der Bissigsten einer, Geiler von Kaisersberg, zu Wort kommen, da sich neben vielen Verbohrtheiten auch manch Körnlein Wahrheit in seiner Predigt birgt. Eine reiche Frau reibt ihrem Gatten täglich ihre Mitgift unter die Nase, sagt er; eine fruchtbare bringt mit ihren vielen Kindern selbst dann Sorgen ins Haus, wenn Reichtum vorhanden ist; fehlt dieser aber, so giebts Kummer und Not. Ist sie unfruchtbar, klagen sie um Kinder; ist sie schön, muss der Mann sorgen, dass auch andere ausser ihm sie begehrenswert finden. »Jedoch du nemmest für eine, was du wöllest, so bekommest du ein meister uber dich, die dir allzeit wider beffzet gleich als ein böser hundt. Diss ist der weiber natur und brauch, da sie alzeit den männern widerreden und antwort geben. Dann sie volgen irem natürlichen ursprung nach, nemlich, dieweil sie auss einem krummen ripp gemachet sein, so reden und bellen sie allzeit herwider und wissen auff alle ding ein antwort zu geben.« [103] Übrigens ist Geiler konsequent genug, auch die Weiber vom Heiraten abhalten zu wollen, indem er sie an das Sprichwort erinnert:
Genützt haben aber die Redereien blutwenig. Die Leute heirateten doch, der Augsburger Kaufherr Burkard Zink viermal; in Köln am Sonntag nach Michaelis im Jahre des Herrn 1498 eine Frau sogar zum siebenten Male, nachdem sie bereits sechsmal Witwe gewesen war.
Wenn der ganze Verlauf der Geschichte der geistigen Entwickelung der Menschheit mit dem Leben eines Mannes verglichen wird, so ähnelt das Mittelalter in seiner Gesamtheit den Flegeljahren des Mannes, der – halb Kind, halb Jüngling – zwischen den diesen Entwickelungsjahren eigentümlichen Extremen schwankt. Der Geist hält mit dem Wachstum des Körpers nicht Schritt; langsam dämmert in ihm erst die Erkenntnis des Jünglings auf, während sich die Glieder recken und dehnen, das Blut schneller die Adern durchkreist, neue Gedanken erstehen, eckig und unreif wie der Körper. Das lieblich kindliche Gehaben macht einem selbstbewussten Auftreten, die zarte Kinderstimme dem rauheren Organe Platz. Das Schamgefühl, dem innersten Wesen des Kindes fremd, beginnt langsam zu erstehen, ohne sich jedoch noch voll entfaltet zu haben. Ganz so war es mit den Deutschen zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert. Die auf sie aus zahllosen Kanälen einströmende Erkenntnis hatte ihnen viel von der Naivität früherer Zeit geraubt, ihre Ursprünglichkeit, die sich erst unter dem Einfluss ausländischer Sitten und der Schulbildung in viel späterer Zeit verlieren sollte, war für jetzt noch aufdringlicher und abstossender geworden als sie vordem war, da sie nun nicht mehr unbewusst sich bethätigte.
Das Geschlechtsleben entwickelte sich, je weiter das Mittelalter seinem Höhepunkte zukam, immer unverhüllter, bis es von der Naivität zur Gemeinheit gesunken war. Dem Grundsatze naturalia non sunt turpia huldigte das Mittelalter in einer der Neuzeit unbegreiflichen Weise. Die intimsten Verrichtungen scheuten die breiteste Öffentlichkeit nicht [104] , in Wort und Bild durften die widerhaarigsten Zoten ungescheut verkündet werden. Die Vorurteilslosigkeit in geschlechtlichen Dingen sah in dem Vorhandensein öffentlicher Dirnen und ihrer Benutzung etwas ganz Selbstverständliches. Die Sentenz von den Dirnen, die da seien, die Tugend der Bürgermädchen vor Versuchungen zu bewahren, war im Mittelalter allgemein, stammt daher keineswegs von Heine. Man duldete die Wollustpriesterinnen schon in frühester Zeit innerhalb der Stadtmauern oder in deren unmittelbaren Nähe ausserhalb des Weichbildes, wenn auch von Anbeginn an unter erschwerenden Umständen. Meist boten gewerbsmässige Kupplerinnen den öffentlichen Mädchen Unterschlupf. Sie sorgten einerseits für die Heranziehung von Liebhabern, andererseits für immer wechselndes Mädchenmaterial. Die engen Strassen der meist räumlich sehr beschränkten Städte und Flecken eigneten sich noch nicht zum Abfangen der Liebhaber ausserhalb der Häuser. In grossen Städten war dies allerdings anders. König Wenzel von Böhmen (1361-1419), ein gar galanter Herr, zog im nächtlichen Prag »als ein garczawn« (Junggeselle) auf der Streife nach »dy junckfrauen, die leider sind gemein« umher [105] , die er demnach hoffen durfte auf den Strassen anzutreffen. Doch die Hauptrolle beim Liebesgeschäft spielten die Kupplerinnen, die sich aber nicht nur darauf beschränkten, ihre eigene Ware an den Mann zu bringen, sondern auch zu sonstigen Liebeshändeln gerne ihre Dienste boten. Eine kleine Novelle Konrads von Würzburg , eines der bedeutendsten und fruchtbarsten Dichter des 13. Jahrhunderts, beleuchtet sehr anschaulich das Wirken einer solchen Kupplerin aus Konrads Heimat, einer »vuegerinne«, die liebebedürftigen Pärchen ihr Haus zur Verfügung stellte. Eines Tages, als bei ihr Schmalhans Küchenmeister war, ging sie zur Kirche, um dort vielleicht Kunden einzufangen. Das Glück schien ihr hold, denn der Dompropst Heinrich von Rothenstein, einer der Chorherren am Münster, kreuzte ihren Weg. Die Fügerin wisperte ihm zu: »Eine schöne Frau entbietet Euch Freundschaft, Huld und Gruss, da ihr Herz und Sinn, Euch, würdiger Herr, in Treue zugewandt ist.« Dem Pfaffen schlug das Herz höher und schmunzelnd gab er der »lieben Mutter« eine Handvoll Münzen, indem er ihr ans Herz legte, nur alles in die Wege zu leiten. Frau Fügerin hielt nun freudig Ausschau nach der schönen Frau, die den feisten Chorherrn in ihr Herz geschlossen haben könnte, als ein »schön minniglich Weib« in das Gotteshaus trat. Die Kupplerin machte sich heran und vertraute ihr an, dass ein gar schöner »tugendlichster« Herr von ihrem Anblick todwund sei und nur sie allein im stande wäre, die Minnewunde zu heilen, die ihr Augenpaar geschlagen. Lachend willigte die Angesprochene ein, nach der Messe weiteres hören zu wollen. Die Kupplerin erstand nun einen seidenen Gürtel, um ihn der aus der Kirche Kommenden als Geschenk des Liebhabers anzubieten. Diesem Angebinde und der Überredungskunst der Fügerin vermochte die Tugend der Dame nicht standzuhalten. Sie versprach, sich nachmittags im Häuschen der Alten einzufinden. Pünktlich erschien sie im »behaglichen Kleide«. Die Kupplerin flog glückstrahlend zum geistlichen Herrn, ihn zum Stelldichein zu führen, doch leider hinderten ihn dringende, unaufschiebbare Geschäfte, dem lockenden Rufe zu folgen. Die arme Kupplerin sah sich um ihren sicheren Verdienst gebracht und trollte betrübt ihrem Hause zu, als sie einem stattlichen, reichgekleideten Herrn begegnete, der auch gerne bereit war, für den Chorherrn einzuspringen. Inzwischen harrte die Dame bei der Kupplerin neugierig der Dinge, die da kommen sollen. Sie erschrak aber bis auf den Tod, als sie in dem die Kupplerin begleitenden Herrn – ihren eigenen Mann erkannte. Nun galt es frech sein und den dräuenden Spiess umkehren. Mit einer Flut von Schmähreden, Schimpfwörtern, Püffen und Schlägen überfiel sie den ahnungslosen Gemahl, der schliesslich noch glücklich war, die Verzeihung seiner betrogenen Gattin durch eine Unzahl von Versprechungen zu erlangen. [106]
Neben der Kupplerin nimmt eine Dame die Hauptstelle in dieser den Stempel der Natürlichkeit tragenden Novelle ein. Die Stadtbewohnerinnen waren auch kaum zurückhaltender als die Edeldamen und Dorfschönen, weshalb das lichtscheue Treiben der Gelegenheitsmacherinnen unheilvollen Einfluss auf die Moral ausüben musste. Mittels drakonischer Strafen suchte sich die mittelalterliche Rechtspflege denn auch der Fügerinnen zu entledigen. Aber die Verurteilungen von Kupplerinnen verheirateter Frauen zu Pranger, Steintragen, Stadtverweisungen [107] , selbst zum Lebendbegraben – »drivende meghede, de andere vrowen verschündet« [108] – und Verbrennen, wie im alten Berlin [109] , halfen dem Übel um so weniger ab, als die Fügerinnen bei dem überhandnehmenden Luxus ständigen Zulaufes der verschwenderischen Weiber sicher sein durften. Viele dieser Kupplerinnen waren, einst wie jetzt, in ihrer Jugend durch ihre nunmehrigen Kolleginnen auf die abschüssige Bahn gestossen worden und vergalten nun Gleiches mit Gleichem. Der Berner Dichter Nicolaus Manuel lässt in seinem Fastnachtsspiel »Vom Papst und seiner Priesterschaft« eine solch ausrangierte Dirne sprechen:
Gar manche putz- und gefallsüchtige Stadtdame war ihre eigene Kupplerin [110] , andere wieder behalfen sich damit, dass sie ihr Gewerbe mit Hilfe ihres Ehemannes ausübten. Gegen solche Schandkerle, die eine grosse Nachkommenschaft zu verzeichnen haben, wettert Geiler von Kaiserberg: »Wenn sie kein gelt mehr haben, sagen sie den weibern: ›gehe und lug, das wir gelt haben; gehe zu diesem oder jenem Pfaffen, studenten oder edelmann unnd heiss dir ein gülden leihen und denck, komb mir nicht zu hauss, wo du kein gelt bringest, lug wo du gelt auftreibest oder verdienest, wenn du schon es mit der handt verdienest, da du auff sitzest.‹ Alsdann gehet sie ein ehrliche unnd fromme fraw auss dem hauss und kompt ein hur wider heim.« [111] Murner charakterisiert einen dieser Kuppler, der dem »ganzen Ort sein Weib gönnt« dadurch, dass er ihn, wenn ein guter Gesell zur Frau kommt, um Wein laufen lässt, von wo er erst nach »dritthalb Stund« zurückkommt. Tritt er ins Haus, so singt er laut, um sein Kommen bemerkbar zu machen u. s. w. [112]
Johannes Sarisberiensis erzählt im »Polycraticus«, lib. III cap. 13: »Wenn die junge Frau aus ihrem Brautgemach schreitet, sollte man den Gatten weniger für den Gemahl, als für den Kuppler halten. Er führt sie vor, setzt sie den Lüstlingen aus, und wenn die Hoffnung auf klingende Münze winkt, so giebt er ihre Liebe mit schlauer Heuchelei preis. Wenn die hübsche Tochter oder sonst etwas in der Familie einem Reichen gefällt, so ist sie eine öffentliche Waare, die ausgeboten wird, sobald sich ein Käufer findet.«
Der geschmeidige Italiener Aeneas Silvius Piccolomini, nachmals Papst Pius II., ein scharfer Beobachter, der gut zu schildern weiss und pikant zu erzählen liebt, beschreibt das mittelalterliche Wien, dem er in den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts einen Besuch abstattete, als wahres Paradies, die Bewohner aber als Ausbunde von Lasterhaftigkeit. Nach ihm sind alle Wienerinnen Ehebrecherinnen, alle Wiener Hahnreie oder Zuhälter. Ganz so schlimm, wie es der fromme Herr macht, der weder als Schriftsteller noch als Mensch ein Tugendbold war, der an übergrosser Wahrheitsliebe litt, wird es gerade nicht gewesen sein, wenn es auch ebensowenig in Wien wie in anderen grossen und reichen Städten klösterlich zuging. Die Verführung in den Grossstädten war nicht gering und die Frauentugend nicht immer klar wie ein Spiegel. Der Ehebruch war vormals nicht seltener als heutzutage, wenn auch die alten Gesetzbücher nicht so leicht darüber hinglitten wie die modernen Strafgesetzsammlungen. Die alten Volksrechte bestimmten bereits, dass Ehebrecherinnen, auch wenn sie ihr Verbrechen mit Wissen des Gatten begangen, hinzurichten seien. Der Gatte und der Liebhaber hatten nur Ehrenstrafen zu gewärtigen. Die »Hals- oder Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.« von 1553 hingegen erkennt:
cxxij. »Item so jemandt sein eheweib oder kinder, vmb eynicherley geniess willen, wie der namen hett, williglich zu vnehrlichen, vnkeuschen vnd schendtlichen wercken gebrauchen lest, der ist ehrloss, vnd soll nach vermöge gemeyner rechten gestrafft werden,« d. h. den Tod durch den Henker erleiden.
In der Curt Müllerschen Ausgabe der Halsgerichtsordnung findet sich folgender Fall angegeben:
»Und C. K. hat gestanden, dass er wohl gewust und zufrieden gewesen, dass sein Eheweib mit gedachtem Pfarrherrn Ehebruch begehen möchte; dann er seiner wohl zu geniessen verhoffet, und sich mit ihm derowegen um 100 Thaler vertragen, auch 53 Thaler darauf empfangen etc. Da nun gedachter C. K. auf seinem gethanen Bekentniss vor Gerichte freywillig verharren, oder des sonsten, wie recht, überwiesen würde: So möchte er, solcher Verkuppelung halben, mit dem Schwerdte vom Leben zum Tode gestrafft werden, V. R. W. Ad consult. Quaestoris M. Jul. 1587.«
In Zürich ersäufte man 1449 einen Zuhälter seiner Frau in der Limmat.
Waren die Frauen zu Lottereien geneigt, so gaben ihnen die Männer darin nichts nach, wenn man Geiler glauben darf, der da predigt: »Es gibt auch männer, die ein offentliche huren oder schottel neben der Frawen im hauss haben und halten.« Dem 15. Jahrhundert entstammt das Gesetz, einen Ehemann, der mit seiner Geliebten unter einem Dache wohnt, auf fünf Jahre aus der Stadt zu verbannen. Die gleiche Strafe trifft eine Frau, die ihren Mann verlässt, um mit dem Liebsten zu leben. Wer verheiratet ist und dies verschweigt, um durch Eheversprechen Erhörung zu finden, gleichviel ob Mann oder Weib, wird auf zehn Jahre der Stadt verwiesen. [113] Als 1459 in Nürnberg die Frau des reichen Kaufmannes Linhart Podmer des Ehebruches mit einem Schreiber überführt wurde, degradierte sie der Rat zur öffentlichen Dirne, indem er ihr verbot, gewisse Kleidungsstücke anzulegen.
Die Verkuppelung der eigenen Kinder bestrafte die »Karolina«, wie aus der citierten Stelle ersichtlich, gleichfalls mit dem Enthaupten; das alte Berliner Stadtbuch mit dem Scheiterhaufen. Dieses letztere Gesetzbuch zeichnete eine sittengeschichtlich äusserst interessante Kuppelei-Affäre auf.
»Jesmann und sein Weib wurden verbrannt wegen Verrates, den sie begingen an ihrem eigenen Blute, nämlich an ihrer Tochter, einem jungen Kinde, das sie unehrenhafter Weise übergaben dem Komtur von Tempelhof, der ein begebener (geistlicher) Kreuzherr war des Ordens St. Johannis – (also ein Johanniter-Ordens-Ritter) – Die unehrliche Frau, die Peter Rykime, vermittelte es nämlich, dass der Komtur die Maid wohl kleiden wollte mit schönem Gewande, und Gutes wollte er ihr geben genug; auch wollte er Jesmann und sein Weib sehr reich machen, und das schwur er ihnen auf sein Wort zu. Da brachten die Dreie dem Komtur das Kind entgegen bis an den Berg von Tempelhof, und dort empfing er es von ihnen, und trat in Unehre mit ihm ein. Drum wurden jene Drei verbrannt.« Der Herr Komtur ging natürlich straflos aus – er war ja von Adel und noch dazu ein geistlicher Ritter, dem so leicht nichts anzuhaben war, selbst wenn man gewollt hätte, was aber den ehrsamen Herren vom hohen Rate nicht im Traume einfiel. Sie hielten sich lieber dafür an den bürgerlichen Übelthätern schadlos, und justifizierten diese nach Herzenslust, so z. B. des »Matthias Weib«, das man 1399 verbrannte, weil sie eines Klaus Jordans Ehefrau an den Jacob von dem Rhine (Rheine) verkuppelt hatte. [114]
In Strassburg strafte man die Dienerschaft, die Kinder der Brotherrschaft, deren Freunde oder deren Mündel, verkuppelt hatten, gleichviel ob diese grossjährig waren oder nicht, den Knecht mit Ertränken, die Magd mit dem Ausstechen der Augen und Stadtverweisung. Wer als Knecht mit der Frau des Herrn eine Liebschaft hat, der Knecht oder die Magd, die ihre Herrin verkuppeln, verlieren zwei Finger der rechten Hand und werden verwiesen. Trifft der Herr den Knecht auf frischer That, so kann er ungestraft nach Gutdünken handeln. [115]
Ungeachtet der tief eingewurzelten Immoralität erstarb die Achtung vor der jungfräulichen Reinheit niemals gänzlich, und die Folge war, dass Mädchen, deren Schande offenbar wurde, sich von der Missachtung, daneben noch von schweren bürgerlichen und kirchlichen Strafen bedroht sahen.
Abtreibung der Leibesfrucht und Kindesmord waren daher nichts Aussergewöhnliches.
Gegen das erstgenannte Verbrechen predigt Berthold von Regensburg: »Er (der tuifel) raetet ir eht, daz sie tanze oder daz sie ringe oder hüpfe und ungewar (ungefähr) trete oder valle oder daz sie sich harte über ein Kisten neige oder daz sie der wirt slahe.« [116] Gegen Kindesmörderinnen ging man mit unerbittlicher Strenge vor. Die »Karolina« befiehlt in den §§ 35 und 36 die Folter und den Tod. In Zürich ersäufte man Kindesmörderinnen, an anderen Orten begrub man sie in Dornen gebettet lebenden Leibes. Einer anderen Strafart ist bereits oben gedacht worden.
Zur Verhütung der Kindesmorde entstanden Findelhäuser , so 1452 in Frankfurt a. M. Nürnberg wies deren zwei auf, deren erstes 1331 errichtet wurde, denen als Gefälle das Gras in den Stadtgräben zustand. Auch in Freiburg im Breisgau und in Ulm sind »der funden kindlin hus« aus dem 14. und 15. Jahrhundert bekundet. Das Ulmer Findelhaus wies im 16. Jahrhundert manchmal an 200 und mehr »Fundenkindlin« aus.
Blieb unerlaubte Liebe ohne Folgen, so versuchte man wohl auch das verlorene Magdtum durch künstliche Mittel wieder herzustellen. Ein fahrender Schüler berühmt sich wenigstens:
Derartige Zustände erschienen mit der Zeit den Stadtobrigkeiten schon aus dem Grunde unhaltbar, als sie alle Stände in Mitleidenschaft zogen und selbst vor den Familien der stolzen Patricier nicht Halt machten.
Eine Regelung und polizeiliche Überwachung der Unzucht wurde schliesslich zur brennenden Frage, die durch Gründung von Freudenhäusern endgültig geregelt schien. Durch die Bordelle glaubten die Stadtväter Latrinen geschaffen zu haben, die den sexuellen Unrat auffangen und dadurch den honetten Teil der weiblichen Ortsbevölkerung vor Versuchung und Verseuchung bewahren sollten. Denn: »bei der Rücksichtslosigkeit, mit welcher die Menschen des Mittelalters Jahrhunderte lang der Wollust frönten, waren die Frauenhäuser eine Notwendigkeit, und zwar nicht nur zum Schutze ehrbarer Mädchen und Frauen, sondern auch damit die Unsittlichkeit einigermassen überwacht werden konnte.« [118] Die ersten Bordelle erstanden gegen Ende des 13. Jahrhunderts [119] ; in Wien ist 1278 ein Freudenhaus urkundlich erwiesen, in Augsburg 1273 [120] , in Hamburg 1292, aber erst das 14. Jahrhundert sah sie allenthalben emporschiessen und sichtlich gedeihen.
Die Gegend der Stadt, in der diese Kasernen der Unzucht lagen, nannte die mittelalterliche Galanterie Frauengasse, Rosengasse (Berlin), Rosenhag (Hildesheim), Rosenthal (Leipzig), oder auch Kätchengasse, wie in Braunschweig; die Freude an Zoten erfand allerdings oft recht urwüchsige, heute arg verpönte, aber sehr bezeichnende Namen. Das Haus selbst nannte man: Bordell, Frauenhaus, Töchterhaus, gemeines, offenes, freies Haus, Jungfrauenhof; die Insassinnen: leichte, offene, gemeine oder gelustige Fräuleins, freie, unehrbare Töchter, üppige, thörichte Dirnen, Hübschlerinnen u. a. m. [121]
Bei der mittelalterlichen Vorurteilslosigkeit ist es begreiflich, dass die das Frauenhaus schützende Behörde ihren Nutzen aus dieser – »gemein-nützigen« Anstalt zu ziehen gewillt war. Die Städte einerseits, andererseits die geistlichen Stifte oder die Adeligen, auf deren Boden diese Häuser standen, liessen sich ganz tüchtig bezahlen. Scheuten sich doch Kirchenfürsten, selbst Päpste nicht, sich an Frauenhaus-Erträgnissen Einkommen zu sichern – ja, non olet –, ebensowenig wie es als schimpflich galt, mit Bordell-Gefällen vom Kaiser belehnt zu werden. Die gefürsteten Grafen von Henneberg und die Grafen von Pappenheim hatten derartige Lehen zu eigen, die ihnen gewaltige Summen einbrachten. [122] Der Erzbischof von Mainz beschwerte sich im Jahre 1442 darüber, dass ihn die Stadt schädige »an den gemeinen Frauen und Töchtern« und »an der Buhlerei« [123] , jedenfalls durch städtische Konkurrenzunternehmungen. Die Herzöge Albrecht IV. und V. waren Eigentümer eines Wiener Bordells, das sie einem Edelmann, Konrad dem Pappenberger, zu Lehen gaben.
Manche Städte verwandten die Einkünfte aus den offenen Häusern zu gemeinnützigen Zwecken, so Wien für den Wirt des Untersuchungsgefängnisses. [124] Die Aufsicht über die Frauenhäuser behielt sich an vielen Plätzen der Magistrat selbst vor, an anderen wieder bildete sie eine Obliegenheit des verachtetsten Beamten, des Scharfrichters oder Stockers, der sich dafür von jeder einzelnen Dirne entlohnen lassen durfte. In Nürnberg z. B. war »der Züchtiger« gleichzeitig Bordellwirt, in Berlin der Büttel. Das Berliner Frauenhaus lag bis 1420, wo es einging, in der Rosengasse bei der Büttelei. Wenige Jahre vor seiner Auflösung (1407) führte es noch vierteljährlich ein halbes Schock Groschen an den Rat ab. [125]
An der Spitze des Bordells stand der Frauenwirt, Kuppler oder Ruffian genannt, der der Stadt gegenüber verantwortlich für Ausführung der Hausordnung war und als Stadtdiener in Eid genommen wurde. In Würzburg hatten die Frauenwirte den Treueid dreimal, nämlich dem Rate, dem Fürstbischofe und dem Domkapitel abzulegen. Einer dieser Eide lautete: »Der Stadt treu und hold zu sein und Frauen zu werben.« Der Ulmer Ruffian beschwor: »vierzehn taugliche und geschickte, saubere und gesunde Frauen zu unterhalten.« [126] In Genf wurde die Dirnenkönigin, Regina Bordelli, in Eid und Pflicht genommen, die Ordnung unter ihren Standesgenossinnen aufrecht zu erhalten.
Die Bordellordnungen regelten mit echt deutscher Gründlichkeit die Obliegenheiten der Frauen, »so an der Unehre sitzen«. Einige, allen diesen Vorschriften gemeinsame Hauptpunkte waren, dass kein Stadtkind und keine Ehefrau als Dirnen zugelassen werden durften. Juden, Ehemännern und Geistlichen war der Zutritt für immer, den anderen Gästen an gewissen Feiertagen und den Vorabenden dazu zu untersagen. Allen diesen Bestimmungen wurde durch die auf ihre Nichtbefolgung gesetzten harten Strafen der nötige Nachdruck gegeben. Recht übel ging es einem der armen Prügeljungen des Mittelalters, einem Juden, wenn man ihn im Bordell ertappte. »Auch wan ein wallpode einen juden bei einer christenfrauwen oder meide funde, unkeischheit mit ir zu triben, die mag er beide halten, do sol man dem juden sein ding abssniden und ein aug usstechen und sie mit ruden usjagen oder sie mogen umb eine summe darumb dingen« [127] , stand in einem Mainzer Gesetz des 15. Jahrhunderts. Die Ehemänner hatten sich durch Strafgeld zu lösen. Da Wirte und Mädchen kein Interesse daran hatten, Ehemänner und Juden, die vielleicht ganz gute Kunden waren, aus ihrem Haus zu treiben, so werden sie oftmals ein Auge zugedrückt haben. Bei anderen Bestimmungen ging dies nicht so leicht, da der Aufpasser zu viele waren und Strafen den Wirt trafen. Deshalb wussten sich Ehefrauen, wie die von Lübeck im Jahre 1476, dadurch zu entschädigen, dass sie, das Antlitz unter dichten Schleiern geborgen, abends in die Weinkeller gingen, um an diesen Prostitutionsstätten unerkannt messalinischen Gelüsten zu frönen. [128] Am strengsten durchgeführt wurde die Bestimmung, keine ortsangehörigen Mädchen ins Frauenhaus aufzunehmen. Daher rekrutierten die Ruffiane ihre Dirnen von ausserhalb, besonders von Schwaben, das im Mittelalter seiner Mädchen wegen grossen Ruf besass und ein Hauptexportland für den Mädchenhandel bildete. Schwabinnen traf man in ganz Mittel- und Süddeutschland selbst in Venedig als Dirnen an. Ein alter Autor, Felix Fabri, rühmt ihnen nach, dass sie ebenso treu und arbeitsam, wie lieblich und »delicat« seien. Joannes Boëmus Aubanus Teutonicus, der 1535 in Lyon ein Buch » Omnium gentium mores etc. « veröffentlichte, charakterisiert die Schwaben wie folgt: »Uebrigens da immer Gutes mit Bösem vermischt, und nichts vollkommen ist, so sind die Schwaben über die Massen zur Liebe geneigt, das weibliche Geschlecht gibt dem männlichen leicht zum Bösen nach ....«; ferner: »Es ist ein Sprüchwort vorhanden, dass das eine Schwaben das weite Deutschland genügend mit leichtfertigen Weibern überschwemme.« [129] Auch die sonstigen Pflichten des Frauenwirtes waren allerorten eingehend normiert. Es war ihm vorgeschrieben, wieviel er den Mädchen für Nahrung, Bett und Wäsche zu berechnen, was er ihnen für Essen und Trinken vorzusetzen und was er für jeden Besucher von den Mädchen zu fordern hatte. Er durfte die Mädchen weder verkaufen noch verpfänden, sie nicht am Ausgehen und am Kirchgang hindern, sie nicht zurückhalten, wenn sie wieder anständig werden oder heiraten wollten. Ferner war es ihm – z. B. in Regensburg – untersagt, die Dirnen zu schlagen, sondern er hatte sie, wenn sie Strafe verdienten, der Obrigkeit anzuzeigen. In der Bestallungsurkunde des Würzburger Frauenwirtes Martin Hummel von Neuenberg bei Basel, gegeben im Jahre 1444, finden sich die Bestimmungen: »Es sol auch furbass der Frawenwirt kein Frawe in seinem Haws wonend dj so swanger oder zu zeiten so sj mit Iren weyblichen Rechten ( mensis ) beladen noch auch sust zu keiner anderen zejt, so sj ungeschickt were oder sich von den Sunden enthalten wollt, zu keinem manne, noch sundlichen werken nicht noten, noch dringen in kein wejss.« Dirnen in allzu jugendlichem Alter durften nicht im Bordell sein. »Und welches töchterlein funden wurt des libes halben zuo dem werk nit geschicket sunder zuo junge ist, also das es weder brüste noch anders hette, das dazuo gehört daz sol mit der ruoten darumb gestrofet und dazuo der stat verwisen werden, bj libs strofe, so lange biss dass es zuo sinem billigem alter kompt.« [130]
Der Regensburger Ruffian sollte von keiner »werntlichen Frau« etwas nehmen »oder sie ins Haus zu locken, dass dieselben unter dem Vorwand dieser Töchter ihr Unend desto bas treiben konnten, vielmehr wo solche Frauen hier wären, dieselben dem Stadtkämmerer anzuzeigen ....«, mit anderen Worten: keinen fremden Weibern und Gelegenheitsdirnen Unterschlupf bieten. Besonders anerkennenswert ist es, dass die bedauernswerten Geschöpfe, denen nach einem nicht immer selbstgewählten Leben voll Schmach meist der Schindanger als letzte Ruhestätte angewiesen wurde, von Amts wegen vor allzu grosser Ausbeutung geschützt waren. Der Ulmer Stadtrat schreibt seinem Frauenwirt genau die den Dirnen zu verabreichenden Speisen und die von ihm zu fordernden Preise vor; sogar um noch anderes kümmert sich der wohlweise und ehrenfeste Magistrat. »Ain yede fraw, so nachts ain Mann bey ir hat, soll dem Wiertt zu Schlaffgeldt geben ainen Kreutzer und nit drüber, und was jr über dasselbig von dem Mann, bey dem siy also geschlaffen hatt, wirdt, das sol an jhren Nutz kommen.«
Diese allerorts geübte, mitunter recht zöpfisch eingekleidete Humanität erweiterte sich mitunter zu einem Wohlwollen, dem eine gewisse Komik nicht abzusprechen ist. Auf der einen Seite dem tief gehasstesten und verachtetsten Manne der Stadt, dem Henker, unterstellt, wurden die Lustdirnen an anderer Stelle mit dem Bürgerrecht beschenkt, wenn sie eine geraume Zeit hindurch der Stadt, hauptsächlich aber der Stadtjugend »gute Dienste« geleistet hatten. In Nürnberg durften die guten Mädchen bis zum Jahre 1496 bei den Tänzen auf dem Rathaus und auf dem städtischen Derrer, wo die Privatfestlichkeiten der Patricier abgehalten wurden, erscheinen, Blumen verteilen oder feilhalten. Die übermütige Patricier-Jugend wird wohl manchmal ihr Mütchen an den armen, vogelfreien Mädchen gekühlt haben, die sich nicht alle ihrer Haut zu wehren wussten, wie die resolute Agnes aus Bayreuth, von der der Nürnberger Chronist Heinrich Deichsler erzählt: »Des jars (1491) am mitwochen nach Pauli (26. Januar) da het Hans Imhof mit sein sun Ludwig hochzeit, und des nachtz am obenttantz (Abendtanz) ra rupfet die wild rott auf dem rathaus und zugen der guten dirn, genant Payreuter Agnes, ir sleier auch ab; da zug sie ein protmesser auss und stach nach eim.« Sie verwundete einen ihrer Peiniger am Halse, entfloh auf den S. Sebaldkirchhof, wurde aber gefangen genommen und auf fünf Jahre aus Nürnberg verwiesen. [131] Später erhielten nur drei Freudenmädchen die Erlaubnis, zu Hochzeiten zu kommen und sich unter den Pfeiferstuhl – heute Orchester – zu setzen; dies währte bis 1546. Im 15. Jahrhundert erschienen in Rotenburg ob der Tauber und in Württemberger Städten die Frauenhäuslerinnen bei Hochzeiten, um ihre Glückwünsche darzubringen und mit einem Almosen heimgeschickt zu werden. Was mag die Brust der bedauernswerten Geschöpfe durchwogt haben beim Anblick der glückstrahlenden, kranzgeschmückten Braut, die ihnen verachtungsvoll das gebräuchliche Geschenk zuwarf? In Wien beteiligten sich die Hübschlerinnen bei Volksfesten, an denen sie, in duftigste Gewandung gehüllt, um ein Geschmeide oder ein Stück Tuch wettliefen. Am Johannistage umtanzten und durchsprangen sie die Sonnwendfeuer, wofür ihnen vom Rat und Bürgermeister der Donaustadt Erfrischungen gereicht wurden. Frankfurt am Main schaffte 1529 den Brauch ab, die Frauenhäuslerinnen bei offiziellen Festlichkeiten als Blumenmädchen heranzuziehen, entschädigte aber die Mädchen durch Sendungen von Speise und Trank in ihre Behausung.
In Leipzig wurde zu Fastnacht jeden Jahres die sogenannte Hurenprozession abgehalten. Die Frauenhäuser, spöttisch das fünfte Kollegium genannt, da die Studenten der Leipziger Universität, die nur vier Kollegien aufzuweisen hatte, bei den Dirnen emsig das fünfte Kollegium abhielten, lagen vor dem Halleschen Thore. Die Bewohnerinnen dieser Häuser sammelten sich zu Beginn der Fastenzeit zu einem Umgang, bei dem eine von ihnen einen Strohmann auf einer langen Stange gleich einer Prozessionsfahne vorantrug. Paarweise folgten die Kolleginnen, ein Lied wider den Tod singend, bis zur Parthe, in die der Strohmann geschleudert wurde. Durch diesen Umzug sollte die Atmosphäre der Stadt gereinigt werden, damit sie für die nächsten Jahre von der Pest verschont bleibe. [132]
In Würzburg erschien am Johannistage der Stadtschultheiss mit seinen Amtsdienern und einigen Freunden im städtischen Frauenhause, um dort ein vom Ruffian und seinen Töchtern gegebenes solennes Mahl unter Tafelmusik einzunehmen. Allmählich aber steigerten sich die Ansprüche der Gäste derart, dass auf Beschwerden des Wirtes hin der Stadtrat die vorzusetzenden Gänge auf Wein, Kirschen, Käse und Brot beschränkte.
Bei einem von den Geschlechtern (Stadtjunkern) zu Pfingsten 1229 zu Magdeburg veranstalteten Turnier, zu dem die Patricier der Nachbarstädte feierlich geladen worden waren, gab es als Turnierdank für den Sieger ein schönes Mädchen, Sophia mit Namen, wahrscheinlich eine Frauenhäuslerin, vielleicht aber auch eine Hörige, deren Los sich aber unverhofft günstig gestaltete. Ein alter Kaufmann aus Goslar gewann die Schöne und gab ihr die Aussteuer zu einer ehrlichen Heirat.
Hohen Besuchern hatten die städtischen Dirnen entgegenzuziehen und die Wege mit Blumen zu bestreuen, was ihnen von ihrer Stadt eine Gastung einbrachte.
Ihre Kleidung dürfte in unserem rauheren Klima kaum so provokatorisch duftig gewesen sein, wie die ihrer Zunftgenossinnen bei jenem Einzuge Karls V. in Antwerpen, zu Anfang des 16. Jahrhunderts, den Albrecht Dürer beschrieb und Hans Makart malte. Derartige Schaustellungen von Obscönitäten zu Ehren und zur Unterhaltung hoher Persönlichkeiten in breitester Öffentlichkeit waren besonders in Frankreich Mode. Als der junge Heinrich IV. von England 1431 in Paris einzog, machte der Zug in der St. Denys-Strasse vor einem Brunnen Halt, in dessen Bassin drei nackte junge Mädchen umherschwammen. Aus der Mitte dieses Bassins wuchs ein Lilienstengel empor, dessen Knospen und Blumen Ströme von Milch und Wein entsandten. 50 Jahre später empfing man den bigotten Ludwig XI. mit dem gleichen Schauspiel in den Mauern seiner Residenz. Ein andermal wurde ihm in Lille die Ehre und das Vergnügen zu Teil, auf offener Strasse, vor einer ungeheueren Zuschauermenge das Urteil des Paris an drei Grazien, die sich in hüllenloser Schönheit zeigten, wiederholen zu dürfen.
Soweit verstiegen sich nun wie bemerkt die deutschen Städte nicht. Als König Albrecht II. 1438 nach der Krönung in Prag Wien besuchte, erhielten nach den Stadtrechnungs-Protokollen die »gemain frawen, di gen den Kunig gevarn 12 achterin Wein«. 1435 liess der Wiener Stadtrat bei einem Besuche Kaiser Siegmunds die Mädchen der zwei Frauenhäuser auf Kosten der Stadt mit Sammetkleidern ausstatten. Derselbe Magistrat sandte 1452 dem König Ladislaus Posthumus »freie töchter« entgegen, um ihn an der Weichbildgrenze zu empfangen. Eine Wiener Chronik von 1484 sagt mit Bezug auf dieses Ereignis, Ladislaus wurde am Wiener Berg, an dem Zelte errichtet und Banner aufgesteckt waren, von Reich und Arm bewillkommnet. Unter den ihn Erwartenden befanden sich alle weiblichen Einwohner Wiens bis zu den kleinsten Mädchen, sowohl die »schönen Frauen« wie auch die ehrsamen Weiber der Handwerker und alle ohne Mäntel. [133]
Der vielgereiste Sigismund von Herberstein erzählt von seiner Gesandtschaftsfahrt nach Zürich im Jahre 1516: »Der brauch was, dass der bürgermeister, gerichtsdiener und gemaine weiber mit dem gesandten assen.«
Vielleicht lag dieser Sitte die an vielen Stellen geübte Absonderlichkeit zu Grunde, einem lieben Gaste auf Rechnung der Stadtväter oder, wenn der Gast auf einem Schlosse eingekehrt war, aus der Zahl der Untergebenen »schöne Weibsbilder zur Kurzweil« zur Verfügung zu stellen. Dem Landgrafen Ludwig von Thüringen schaffen »die zärtlichen Verwandten« eine Beischläferin, dem Diederich von Quitzow 1410 die Ratsmänner Berlins. Auch Beischläferinnen als Gerechtsame kommen vor. Ein Anherr Götz von Berlichingens hatte von seinen Lehnsherren, den Grafen von Kastell, alljährlich ein Mahl, Atzung für Pferde und Hunde und eine »schöne Frau« zu fordern. Im Dorfe Martinsheim besass der Domdechant von Würzburg noch 1544 das Privilegium, jedes Jahr im November zwölf reisige Pferde, ein Mahl und ein Mädchen geliefert zu bekommen.
Einen Stadtbesuch von hohen Herren wussten die Dirnen auch anderweitig geschäftlich auszunutzen, denn sie verstanden schon damals recht gut Reklame für sich zu machen. Als sich Kaiser Friedrich III. 1471 in Nürnberg aufhielt, schlangen eines Tages, als er vom Kornhause kam, »zwu hurn« eine lange silberne Kette um ihn, aus der er sich mit einem Gulden lösen musste. Ehe er seine Herberge erreicht, wiederholte sich das Spiel noch einmal. [134] Kaiser Siegismund, ein loser Schürzenjäger, der das schönere Geschlecht des ganzen heiligen römisch-deutschen Reiches als sein Eigentum anzusehen beliebte, zogen zu Strassburg eines schönen Morgens des Jahres 1414 mehrere lustige Dirnlein aus dem Bette. Kaum fand er Zeit, sich in einen Mantel zu hüllen, da sah er sich schon auf der Strasse, wo er tanzen musste, wie die flotten Weiber sangen. Der Kaiser war barfuss, darum kauften ihm die mitleidigen Weibsen um sieben Kreuzer ein Paar Schuhe, was der hohe Herr sich lachend gefallen liess. Ulm beleuchtete 1434 in etwas übertriebener Loyalität die Strassen festlich, wenn sich der Kaiser mit seinem Gefolge ins Bordell verfügte. In Bern erklärte sich der Stadtrat bereit, drei Tage hindurch dem kaiserlichen Gefolge auf städtische Kosten das Freudenhaus zur Verfügung zu stellen, wofür Kaiser Siegismund dem Berner Magistrate in einem offenen Schreiben herzlich dankte. Der gute Kaiser wusste solches Entgegenkommen gebührend zu schätzen und – auszunutzen. Er war ein »tolles Huhn«, und seine Gemahlin, Kaiserin Barbara, ihrem Gatten mindestens ebenbürtig. Sie gingen beide ihre eigenen, schlammigen Wege und liebten beide, wo und wann sich Gelegenheit bot. Nach dem Tode ihres Gemahls zog die edle Kaiserin nach Königgrätz in Böhmen, wo sie bis zu ihrem Tode einen männlichen Harem unterhielt. [135]
Mit dem Wohlwollen gegenüber den Frauenhäuslerinnen ging aber meistens eine Strenge Hand in Hand, die jedes Überdieschnurschlagen der Dirnen verhüten sollte. Da gab es harte Strafen gegen das Herumstreichen auf den Strassen, gegen das Sitzen vor den Häusern, gegen das Anlocken von Liebhabern u. a. m. Die Uniformierung der Dirnen wurde unnachsichtlich durchgeführt, denn während des ganzen Mittelalters war den losen Töchtern eine Tracht vorgeschrieben, die sie durch irgend ein mehr oder weniger auffälliges Abzeichen von der Kleidung der ehrbaren Weiblichkeit unterschied. Schon im 10. Jahrhundert trugen Buhldirnen eine Art Uniform, nämlich ein kaum bis zum Oberschenkel reichendes, kurzärmeliges und eng anliegendes Oberkleid. Das engärmelige lange Unterkleid war vorn in ganzer Länge aufgeschnitten und liess die mit Beinlingen, den Vorläufern der Strümpfe, bekleideten Beine bis oben hin sichtbar werden. In England trugen um dieselbe Zeit die Dirnen unter dem Oberkleide straff anliegende Hosen. [136]
Ein Frankfurter Ratsbeschluss von 1488 verordnet den feilen Weibern, sich in ihrer Tracht also zu halten, dass man sie sofort als das erkennen könne, was sie sind. Kurfürst Johann Cicero veranlasste 1486 den Berliner Rat zu dekretieren, dass die, »so an der Unehre sitzen oder sonst in unzimblichen, sündigen Wesen und gemein sein, sollen zu einem Zeichen, damit man Unterschied zwischen frommen und bösen Frauen habe, die Mäntel auf den Köpfen oder kurze Mäntelchen tragen.« [137] Das Meraner Stadtrecht des 14. Jahrhunderts gebietet: »es soll kein gemeines Fräule einen Frauenmantel oder einen Pelz tragen, noch an einem Tanze teilnehmen, bei dem Bürgerinnen oder andere ehrbare Frauen sind. Sie sollen auf ihren Schuhen ein gelbes Fähnle haben, woran man sie erkennen könne und sollen sich kein Futter von Feh, noch Silberschmuck erlauben.« In Strassburg wurde ihnen 1471 eingeschärft, weder Schmuck zu tragen noch Pelzwerk oder Seidenfutter zu verwenden; in Leipzig befahl 1463 der Rat den »wilden Frauen auf dem freien Hause«, kurze gelbe Mäntel mit blauen Schnüren umzuhaben. In Wien sollten die Hübschlerinnen ein gelbes Tuch, eine Hand breit und eine Spanne lang, an der Schulter befestigt tragen. In Basel waren ihnen Mäntelchen vorgeschrieben, die nicht über eine Spange weit unter den Gürtel hinabreichten; in Augsburg ein Streifen am Schleier; in Bern und Zürich deckten sie sich mit roten Kappen.
In der Reichsgesetzgebung beschäftigte sich die »Neue Kaiserliche Ordnung und Reformation guter Polizei im Heiligen Römischen Reiche« 1530 im elften Artikel mit der Tracht der Frauenhäuslerinnen. » Von gemeinen und unehrlichen Weibern. Nachdem auch aus dem viel Aergernis im heiligen Reich entstanden, dass die gemeinen und andren unehrlichen Weibe Seide, Gold, Silber und andre ziehrliche Kleider antragen, davon manch fromm Weib und Töchter verleitet wird, auch dadurch unter Ehrbaren und Unehrbaren kein Unterschied zu erkennen: Gebieten wir ernstlich und wollen, dass die unehrlichen Weiber kein hochzierlich Kleider oder Geschmück, auch nichts Verbrämtes oder golden Schleier, sondern eine jede derselben sich nach des Landes Gebrauch tragen soll, darauf die Obrigkeit sondere Acht haben und das nicht gedulden soll.«
Das Verbot, Schmuck zu tragen, dürfte häufig umgangen worden sein, denn einzelne Gemeinden, wie Frankfurt a. M., mussten es oft wiederholen. Im Braunschweiger Museum hängt ein Bild von Lucas Kranach, das Porträt einer Demimonde seiner Zeit darstellend. Sie trägt ein breites rotes Barett, kostbares Geschmeide, sonst aber keine Gewandung mit Ausnahme eines feinen Schleiers, der ihren Körper duftig umhüllt.
Der Schleier gehörte zu den Attributen der verlorenen Jungfräulichkeit, da der Schleier fraulich das Haupthaar bedeckte, im Gegensatz zu den freifliegenden Locken der Jungfrau. Das Gedicht »Die Winsbekin« wünscht den Mädchen mit Ehren und ohne Schleier zu Bett zu gehen, und in einem von Uhland mitgeteilten Volkslied des 15. Jahrhunderts wird ein Einlassbegehrender von seiner Liebsten mit den Worten abgewiesen:
Darum war es im 15. und 16. Jahrhundert hier und da Gewohnheit, den Mädchen, die sich nicht betrugen, wie sie sollten, von Amts wegen einen Schleier zuzustellen. So geschah es in Altenburg, in Wittenberg, wo man laut Ratsrechnung »zwey newe schleyer, so zwein beschlafenen meygden geschickt«. Nach der Rottweiler Hochzeitsordnung von 1618 durfte eine nicht mehr reine Braut beim Kirchgange keinen Kranz, sondern einen Schleier aufhaben, wie es das Mägdlein im Volksliede fürchtet. Deshalb haben die Augsburger Freudenmädchen den mit einem Streifen besetzten Schleier zu tragen, da »sie nicht dorffte barheitig gehen«, wie sprödere Mädchen. In Köln sollten sie 1389 rote Schleier (welen) haben, »up dat man sei kente vor andern vrawen«. In Altenburg war ihnen und der Frau des Scharfrichters, der »czuchtigeryn« aufgegeben, gelbe Läppchen auf dem Schleier zu befestigen, gleichwie in Leipzig, wo der gelbe Fleck von der Grösse eines Groschens sein musste. Diese gelben Schleier waren natürlich den Frommen im Lande ein Dorn im Auge, denn das verhasste Gelb war die Farbe der Galanterie seit der römischen Kaiserzeit her, wo die Modedamen Romas das gelbblonde Haar für allein schön erklärt hatten. Gelbe Stirnbänder und Schleier galten vom 12. bis 15. Jahrhundert für besonders modisch, sie kamen aber bald in Verruf, weil sie besonders gern von Halbweltlerinnen angelegt wurden. Sonst hätte Berthold von Regensburg nicht den Weibern predigen können: »Aussätzig am Kopfe sind die Frauen, die sich gar so sehr putzen an den Haaren und mit Binden und Schleiern, die sie gelb färben wie die Jüdinnen und Dirnen, die auf dem Graben streichen und wie die Pfaffenmenscher; niemand ausser diesen soll gelbes Gebände tragen.« [138] »Desgleichen tragen sie – die Dirnen – auch gäle Schleier, so gleich den hellischen Flammen sein; dieselben streichen und stercken sie zu offtermal, damit sie der hurenspiegel desto bass mögen zieren und herauss schmucken,« eifert Geiler von Kaisersberg.
Beabsichtigte die Obrigkeit eine ihr unziemlich dünkende Mode aus der Welt zu schaffen, so wurde sie einfach den Stadtdirnen, dann weiters den weiblichen Angehörigen des Henkers, Pfaffenmägden und Jüdinnen aufgezwungen. Die Zittauer Kleiderordnung von 1353 enthält eine derartige Bestimmung. »Auch wollen die schoppen (Schöffen), dass keine Frau Kögel tragen solle noch keine jungfrauen, es seien dann züchtigers und henkersmägde – die unter der Gewalt des Scharfrichters stehenden Stadtdirnen – denen erlauben und gebieten die herren Kögeln zu tragen.« Zuwiderhandlungen gegen diese Kleiderordnungen zogen Stäupung, Stadtverweisung auf eine gewisse Zeit oder aller Kleider entblösst am Pranger ausgestellt werden, nach sich. Diese Bestrafung der Dirnen zeigt die ihnen entgegengebrachte Verachtung; denn selbst die grösste Übelthäterin ehrlichen Standes setzte man nicht entblösst den Blicken und der Roheit des Pöbels aus. Daher ist es nicht dem Anstandsgefühle zuzuschreiben, wenn man die Bordelle, ebenso wie die Lazarette, die Büttelei und die Ghettos, nach abseits der Verkehrsadern belegenen Örtlichkeiten verwies. In Hamburg durften »wandelbare Frauen« an keiner Kirche und in keiner zu einer Kirche führenden Gasse hausen. [139] Die Strassburger Verordnung vom 9. Oktober 1471 schärft aufs neue das alte Gesetz ein: »das alle hushelterin, spontziererin und die so offentlich zur unee sitzend oder buolschaft tribent, wo die in der stadt sessent, soltent ziehen in Bickergasse, Vinckengasse, Gröybengasse, hünder die muren oder an ander ende, die inen zuogeordent sint.«
Meist lagen die öffentlichen Häuser hart an der Stadtmauer, so in Würzburg und Frankfurt, oder an abseitigen Plätzen, an denen kein Markt abgehalten wurde, und die sonst weiter keine Hauseingänge besassen.
Nach den Bordellordnungen sollten die Freudenhäuser meist eine Stunde vor Mitternacht geschlossen und bis zum Einbruch der Nacht verschlossen gehalten werden, ebenso an den Vorabenden der Sonn- und Feiertage, wie an diesen selbst, wenigstens vormittags. Alle Männer hatten sich bei Schliessung zu entfernen bis auf jene, die die Nacht bei den Mädchen zubringen wollten. Ehemännern, Geistlichen und Juden war, wie bereits oben erwähnt, der Eintritt verwehrt, ebenso minderjährigen Knaben. Recht befremdlich mutet es an, wenn die Ulmer dem Ruffian befehlen müssen, Knaben von 12-14 Jahren nicht mehr im Hause zu dulden und wenn sie kommen sollten, sie mit Ruten aus dem Bordell zu treiben.
Über das Treiben in den Häusern sind aus naheliegenden Gründen nur spärliche Berichte vorhanden. Einer dieser wenigen ist die kurze Tagebuchaufzeichnung Fritz Schickers über seine Erlebnisse auf dem Reichstage zu Konstanz vom Jahre 1507.
»Ich ging eines Tages ins Freie und wandelte am See hin und her. Da begegnete mir des Herzogs Georgs Schreiber. Der nahm mich bei der Hand und sagte: ›Willst du mit mir gehen?‹ Fragte ich: ›wohin?‹ Antwortete er: ›wo hübsche Mädchen sind.‹ Wusste ich nicht, was ich antworten sollte und ging mit. Kamen wir in ein Wirtshaus, da sassen vielerlei Dirnen, wohl angetan, und hatten Blumen in den Händen und sahen uns lächelnd an. Wir aber liessen uns Wein geben und ich verfiel in tiefe Gedanken. Da kamen die Musikanten des Bischofs von Augsburg und spielten ganz lustig auf zum Tanze. Alsobald wurden die Dirnen ergriffen und fingen an zu tanzen. Die jungen Gesellen riefen mir zu, auch mitzutanzen, aber ich entgegnete: ›dessen bin ich nicht kundig.‹ Da setzte sich zu mir eine Dirne, reichte mir eine Blume, und sagte: ›wenn du den Tanz nicht liebst, was liebst du denn?‹ Sprach ich: ›eine Jungfrau.‹ Darauf sie: ›eine allein? Das ist nicht recht. Die anderen wollen auch nicht verachtet sein. Und hier bist du in der Fremde, sie weiss es ja nicht. Kommst du heim, ist alles wieder gut.‹ Da merkte ich wohl, was sie wollte, und bestellte noch mehr Wein, als wollte ich bleiben, ging aber und kam nicht wieder.«
Der blöde Schäfer hat wahrscheinlich dem Abenteuer nur deshalb einen solch harmlosen Abschluss gegeben, weil er fürchtete, sein Tagebuch einmal in den Händen der von ihm geliebten »Jungfrau« zu sehen. Weniger skrupulös waren andere, so ein Abgeordneter des Frankfurter Rates, der in Köln »zv den Frauen ging« und gewissenhaft seine dortigen Ausgaben verbuchte. Gleich ihm ein Strassburger Beamter, den sein Besuch auf »30 Pfennig« zu stehen kam. Ja, das Leben war damals billig! Man verargte übrigens den Junggesellen keineswegs den Besuch der Frauenhäuser, wenn sie nicht schon anderweitig gebunden waren. In Frankfurt a. O. lagen z. B. die Patricier tagein, tagaus im Bordell, ohne ein Hehl daraus zu machen. Der Aufenthalt im Bordell galt eben als eine Zerstreuung, die man der Jugend gerne gönnte.
Wenn es zufällig nicht gerade untersagt war, bestand eine Hauptaufgabe der Freudenmädchen darin, Kunden in das Haus zu ziehen. Sie standen zu diesem Zwecke bekleidet à la Lucas Kranach in den nach der Strasse führenden Fenstern, und »Etlichen lockend sij mit pfiffen, Dem andern guckend sij mit griffen, Dem drytten mit eym Facilett – Taschentuch –, Den andern sij gelocket het Mit wyssen (weissen) schuhen, wyssen beynen, Dem mit ringlin, kreutzen, meyen.« [140] Also mit Blumen, die den Dirnen ebenso zubehörig waren, wie die Schleier.
Den alten Holzschneidern bietet die Parabel vom verlorenen Sohn häufig Gelegenheit, Bordellscenen darzustellen, so Hans Sebald Beham, M. Treu u. a. m. Gewöhnlich schliessen derartige Bilderreihen mit der gewaltsamen Entfernung des verlorenen Sohnes aus dem Freudenhause, der, nachdem er sein Erbgut im offenen Hause verprasst hat, nackt auf die Straße geworfen wird. Manchmal fliegt ihm noch der anrüchige Inhalt eines Geschirres nach.
Interessant übrigens dürfte die Thatsache sein, dass schon das Mittelalter die edle Zunft der Zuhälter kannte und nach ihrem vollen Wert zu schätzen wusste; denn eine Nürnberger Ordnung untersagt den öffentlichen Mädchen, zur Vermeidung von Streit, »sundere Bulschaft, die sy nennen ire liebe menner«, zu haben. In Frankfurt a. O. fristete ein vormals reicher Patricier, Hans Rakow, als Zuhälter einer Dirne, Agnese Schilling, sein Leben, wie Oskar Schwebel in »Renaissance und Rococo« (S. 77) erzählt.
Charakteristisch für die vorzeitigen Moralansichten sind die den Mädchen offiziell zuerkannten Kose- und Scherznamen, die teils von ihrer Herkunft, teils von besonderen, manchmal recht diskreten Körpereigenschaften ihre Entstehung herleiten. Wir finden in Leipzig eine »gemalte Anna« – geschminkt oder vielleicht gezeichnet durch Pockennarben oder durch ein vom Henker aufgedrücktes Brandmal –, ein »klein Enchen«, in Freiburg eine »kugelrunde Katharina«, in Frankfurt eine »lange Anna« und in Berlin, laut Stadtbuch von 1442, »eine Else med den langen tytten«. Das Wohlwollen, das sich durch derartige Bezeichnungen ausdrückt, blieb aber nur auf die Dirnen beschränkt, solange sie sich in dem ihnen zugewiesenen Rayon befanden. In der Öffentlichkeit unterlagen sie der ganzen Verachtung, die das Mittelalter auf die ausserhalb seiner Gesellschaft stehenden Unehrlichen zu häufen gewohnt war.
Die Kinder der Dirnen, geächtet wie ihre Mütter, kamen ins Findelhaus. Der Besuch von Wirtshäusern, in denen ehrsame Bürger verkehrten, war für die Frauenhäuslerinnen arg verpönt. In der Kirche hatten sie bei dem Fronaltar, wo auch der Henker sass, Platz zu nehmen; Tänzen, an denen sich andere Frauen beteiligten, mussten sie fernbleiben; kurz, sie waren ein Staat im Staate mit eigenen Satzungen und Gesetzen, aus deren Grenzen sie nur mit Leibes- und Lebensgefahr heraustreten durften.
Die für die Freudenmädchen erlassenen Gesetze schützten sie andererseits aber vor allen Eingriffen in ihre Rechte, über die sie um so eifriger wachten, als sie gewichtigen Beistandes sicher waren. Mit besonderem Hasse verfolgten sie brotneidisch die »Bönhasen«, die nicht kasernierten, geheimen Prostituierten, die ihnen, den zünftigen, ins Handwerk zu pfuschen sich unterstanden. Der Fastnachtsspieldichter Hans Rosenplüt zählt in einem Dialoge alle diese unlauteren Wettbewerberinnen auf:
d. h. einen Galan zur Hand.
Darum nahm der Würzburger Rat den Beschluss zu Protokoll: »Man sol die schoenen Frawen beherbergen, berenden und mit in reden, davon zu stellen, sunde und schande zu meyden, wann der Frawenwirt clagt, es werde sein hawse zu einem egereten (Brachfeld).« [142]
Schien den Freudenmädchen der obrigkeitliche Beistand nicht ausreichend, dann griffen sie im Bewusstsein ihres Rechtes zur Selbsthilfe. Einen diesbezüglichen Vorfall zeichnete Heinrich Deichsler in seiner Nürnberger Chronik folgendermassen auf: »1500 Item danach an selben tag – 26. November – da komen acht gemaine Weib hie auss dem gemainen Frawenhaus zum burgermaister Markhart Mendel und sagten, es wer da unter der vesten des Kolbenhaus ein taiber (Blockhaus, Taubenschlag) voller haimlicher huren, und die wirtin hielt eemener (Ehemänner) in einer stuben und in einer andern junggesellen tag und nacht und liess sie puberei treiben, und paten in, er solt in laub geben (erlauben), sie wolten sie aussstürmen und wolten den hurntaiber zuprechen und zerstören, er gab in laub; da stürmten sie das hauss, stiessen die tür auf und schlugen die öfen ein, und sie zerprachen die venstergleser und trug iede etwas mit ir davon, und die vogel waren aussgeflogen, und sie schlugen die alten hurenwirtin gar greulichen.«
Noch einmal, 38 Jahre später, wiederholte sich in Nürnberg ein solcher Einbruch konzessionierter Hübschlerinnen in ein Winkelbordell, das sie demolierten und dessen Insassinnen sie im Triumphe in ihr eigenes Haus zerrten. Da sie es aber diesmal versäumt hatten, die obrigkeitliche Genehmigung nachzusuchen, erhielten sie einen derben Verweis. Häufig wendeten sich die Stadtdirnen unter Beilage langer Verzeichnisse bittlich an ihre Vorgesetzten, die namhaft gemachten geheimen Prostituierten zu strafen »von Gottes und der Gerechtigkeit wegen«. [143]
In Frankfurt trug 1493 der Rat den Dirnen im Rosenthal auf, ein Mädchen, das auf eigene Faust lüderte, mit Gewalt in das Bordell zu bringen, falls sie nicht binnen 14 Tagen freiwillig zuzöge. [144] Die Dirnen, die sich obdachlos herumtrieben, in den Wirtshäusern und auf den Strassen ihrem Verdienste nachgingen, »dodurch ouch junge töchterlein angefürt und verfellet (verfürt) werdent, dovon vil bôses kompt«, sollen in Strassburg aufgegriffen und eingesperrt werden. Ausserhalb ihres Quartiers ertappte leichte Weiber wurden vom Büttel mit Fahne und Trommel in das Bordell zurückgebracht.
Die Wirtshäuser und Herbergen, in denen Reisende ihr Unterkommen fanden, waren im Mittelalter im primitivsten Zustand. Wie noch heute in sittlich tiefstehenden Ländern, waren die Herbergsväter meist auch Kuppler, die Dirnen zur Unterhaltung oder zum Anlocken von Gästen hielten. Gottschalck Hollen predigt in der Dominica exaudi gegen derartige Übelthäter, indem er ihnen zum Vorwurf macht, dass sie Dirnen in ihre Häuser kommen lassen, um mit den Gästen und Saufbrüdern zu sündigen. Erasmus von Rotterdam in seiner klassischen Schilderung eines mittelalterlichen Hotels, erzählt von hübschen Mädchen, die den Gästen Gesellschaft leisten, zu allen Scherzen geneigt sind und sich gerne zur Zielscheibe aller Witze machen lassen. Und in den Schlafstuben: »da waren auch immer Mädchen da, lachend, herausfordernd, tändelnd; sie fragten unaufgefordert, ob wir etwa schmutzige Wäsche hätten, die wuschen sie und brachten die gewaschene uns zurück. Was soll ich noch hinzufügen? Wir sahen da ausser im Stalle nichts als Mädchen und Frauen, und selbst da brachen oft die Mädchen ein. Bei der Abreise umarmen sie einen und verabschieden sich mit solcher Teilnahme, als ob man ein Bruder oder ein naher Verwandter wäre.« So war es in Frankreich, und ähnlich wird es auch in Deutschland gewesen sein, wie die vielen diesbezüglichen Klagen und Fritz Schickers Tagebuch beweisen. Von Wien sagt Aeneas Silvius Piccolomini, dass schier alle Bürger Tavernen mit »lusten Fröwlein« halten, in denen umsonst zu essen gegeben wird, damit die Gäste desto mehr trinken sollten.
Wie die Dirnen gegen die unbefugte Prostitution Front machten, so übten sie auch einen Zunft- und Gewerbezwang aus, wenn sich irgend ein unglückseliges Weib in ihr Revier verirrte. Wie sie selbst verfemt waren, so brachte auch jede Berührung mit einer Ausgestossenen dem ehrlichen Mädchen ein Schandmal bei, auf das die Dirnen mit boshafter Schadenfreude hinwiesen. Ein markantes Beispiel dieser Art weiss Deichsler vom 22. September 1502 zu berichten: Ein junger Kornschreiber hatte ein Verhältnis mit einem jungen Mädchen, das er beredete, eine Nacht bei ihm zuzubringen. Statt sie in sein Haus zu führen, wie er ihr vorgespiegelt, brachte er sie ins Freudenhaus. Am frühen Morgen kamen die Bewohnerinnen des Bordells an das Bett des jungen Mädchens, setzten ihm den Strohkranz auf, das traditionelle Zeichen des Falles, und ihrer zwei nahmen sie zwischen sich, führten sie wie eine Braut öffentlich über den Obstmarkt einer Taverne zu, um dort mit süssem Wein den Eintritt des Mädchens in die »hurnzunft« zu feiern. Das Weinen und Barmen der Verführten weckte das Mitleid einiger Männer, die sie befreiten und die sich wehrenden Dirnen in die Flucht schlugen. Der schurkische Kornschreiber wurde eingelocht und auf zehn Jahre der Stadt verwiesen. Doch nicht allen dem Bordell Verfallenen wurde der Wiedereintritt in die Gesellschaft so leicht gemacht wie diesem Nürnberger Mädchen. Wo anders als gerade in Nürnberg wäre das kaum ohne umfangreiche und weitschweifige Ceremonien möglich gewesen. Nur »die Perle Deutschlands« erwies sich so entgegenkommend gegenüber Gefallenen, selbst richtigen Dirnen. Die anderen Städte und Städtchen, in denen Bordelle bestanden, ahmten darin dem Beispiele Nürnbergs, das sonst allen als Vorbild galt, nicht nach, obgleich sie es gekonnt hätten, denn selbst die unbedeutendsten Nester des deutschen Reiches mussten, schon um etwas in den Augen der seltenen Reisenden zu gelten, ihre Stadt-Bordelle haben. So unter anderen die im Mittelalter nur wenige Hundert Einwohner zählenden Flecken Quedlinburg, Schwabach, Acken an der Elbe, Oberehenheim, Wolkach u. a. m. Ausserhalb Nürnbergs gab es für die Hübschlerinnen nur drei Wege, dem infamierenden Banne des Freudenhauses zu entrinnen: die Heirat mit einem unbescholtenen Mann, den Übertritt in eine klösterliche Bussanstalt oder den Tod.
Die Ehe mit »anständigen« Männern wurde den »geschuhten Wachteln«, wie sie ein Fastnachtsspiel nennt, thunlichst erleichtert. Der Wirt musste sie ohne weiteres und schuldenfrei ziehen lassen, auch wenn sie noch so tief in seiner Schuld sassen; sogar für Aussteuer sorgte die Obrigkeit, denn: »Wer eine arme Sünderin aus dem Gemeinen Hause zur Ehe nimmt, soll vor allem andern eine Aussteuer von zwölf Gulden haben« [145] , eine ziemlich bedeutende Summe für die damalige Zeit, die manche verfehlte Existenz zum Zugreifen veranlasst haben dürfte, wenn auch honette Männer es sich wohl überlegt haben werden, »ein verruchte dirn, Wol gewandert« heimzuführen. Der zweite Weg, der Eintritt in eine Bussanstalt, war leichter zu beschreiten, nur ward ein Rückfall in das gewohnte Lasterleben z. B. in Wien gleich mit dem Tode durch den Henker bestraft. Derartige Bussanstalten fanden sich ausser in Wien, in Nürnberg und Regensburg, fast in allen grösseren Orten Deutschlands. Welchen Zweck diese »Stiftungen der Reue« verfolgten, spricht klar der Steuerbefreiungsbrief Herzog Albrechts vom Jahre 1384 für das von mehreren frommen Ratsherren in der Singerstrasse in Wien gegründete Kloster aus. Es heisst darin, dieses Haus und Stift sei bestimmt: »für die armen Frauen, die sich aus den offenen Frauenhäusern oder sonst vom sündigen Unleben zur Busse und zu Gott wenden«. Das Volk glaubte freilich nicht so recht an vollkommene Bekehrung der schönen Sünderinnen, die, wenn es ungestraft sein konnte, ganz gerne wieder von der nun verbotenen Frucht naschten oder als Kupplerinnen ihrem einstigen Gewerbe neues Material zuführten. Die »jungen Bettschwestern«, die nun «alte Betschwestern« geworden waren, heuchelten und kuppelten gerne, zerstreuten sich in ihrer Langeweile durch Verlästerungen und Klatschereien. Murner zeichnete sie in seiner bissigen Weise in der Narrenbeschwörung V. 77:
Nichtsdestoweniger haben im allgemeinen die Beginenanstalten unendlich viel Gutes gestiftet. Viele jener ehemaligen Buhlerinnen gaben sich mit vollem Herzen der Busse hin, wurden zu aufopferungsvollen Krankenschwestern und Pflegerinnen, die sich in zahlreichen Epidemien des Mittelalters gleich Heldinnen hervorthaten. Gar manchem jener ernsten und sittlich gefestigten Weiber winkte noch ein spätes Glück, da sie in dem dem Tode entrissenen Kranken einen Ehemann fanden, dem sie Treue bis zum Grabe wahrten. Es dürfte daher nicht ganz ungerechtfertigt gewesen sein, was der Vater in dem Nürnberger Gedichte, »Wie ain junger gsell weyben sol«, zu seinem Sohne bemerkt:
Die Herren Pfaffen scheinen sich auch dann und wann ihre Liebsten aus abgedankten Dirnen rekrutiert zu haben, wie eines der polemischen Fastnachtsspiele Nicolaus Mannels durch folgenden Monolog der Pfaffenmagd Lucia Schnabeli beweist. Erst führt sie bewegliche Klage über den Bischof, dem sie jährlich vier gute rheinische Gulden als Duldegeld niederlegen muss, das noch erhöht wird, wenn sie ein Kind bekommen sollte. Dann fährt sie fort:
Am Rheine wurden bisweilen gealterte Dirnen, die sich etwas Geld zu erübrigen gewusst hatten, Handelsfrauen, sogenannte Gremplerinnen, d. h. Zwischenhändlerinnen, die von den marktfahrenden Landleuten die Landesprodukte aufkauften, um sie mit Nutzen an die Konsumenten weiterzugeben. Murner gerät über diese »mit dem Judenspiess rennenden«, also Wucher treibenden Weiber, in helle Wut, die sich in den Worten äussert:
Als gerechte Strafe für die von ihnen verursachte Verteuerung der Lebensmittel empfiehlt er, die Gremplerinnen mit Steinen um den Hals in den Rhein zu versenken. [149]
Im 16. Jahrhundert trat erst schüchtern und vereinzelt, dann allgemein ein Wechsel der Ansichten in Bezug auf die konzessionierten Lasterhöhlen ein. Man begann nach und nach die absolute Notwendigkeit der Bordelle in sittlicher und gesundheitlicher Beziehung in Zweifel zu ziehen, den bisher niemals angefochtenen moralischen Nutzen zu prüfen, und das Resultat dieser Erwägungen war schliesslich ein wenig befriedigendes. Dazu sanken die Erträgnisse der Freudenhäuser immer tiefer, so dass die Ruffiane kaum mehr ihr Leben fristen, geschweige denn die gewohnten Abgaben leisten konnten; ferner erschollen von allen Kanzeln der neuen protestantischen Geistlichkeit ernste Worte, die den Kreuzzug gegen diese Hölle auf Erden, gegen diesen Sündenpfuhl predigten, der jeden rettungslos den Klauen des Gottseibeiuns überlieferte, der seine verfluchte Schwelle um des Lasters willen überschritt. Alles dieses hat den Bordellen argen Schaden zugefügt, doch ihre endgültige Vernichtung bedurfte kräftigerer Ursachen, um die dem Volke gewohnte und oft nahezu unentbehrliche Institution für Jahrhunderte aus der Welt zu schaffen. [150]
Erst die gleich vom Anbeginn mit rasender Wut auftretende Lustseuche, die Franzosen- oder St. Jobs-Krankheit benannte Syphilis machte die Verbreitungsstätten dieser Pest, der Ärzte und Laien gleich ratlos gegenüber standen, dem Erdboden gleich. Namenloses Entsetzen erfüllte alle Gemüter ob dieser neuen, bisher unbekannten Seuche, die kein Alter, kein Geschlecht, keinen Stand verschonte, in allen Kreisen ihre Opfer suchte, bei den Patriziern der Städte, dem Adel, den Kirchen- und Kloster-Geistlichen, wie in den unteren Volksklassen. »Einer steckte den anderen an; aus Stadt und Dorf verstossen, irrten ganze Scharen von Männern und Weibern aus geistlichem und weltlichem Stande umher, bedeckt mit Eitern und Geschwüren, vom Kopf bis zum Fusse, winselnd und rettungslos. Vergebens waren zunächst alle bekannten Arzneimittel; ein langsamer, schrecklicher Tod erlöste die Leidenden. [151] Ärzte und Quacksalber überboten sich in abenteuerlichen Mitteln, die oft noch grässlicher waren, als die Krankheit selbst. Ein Dr. Arnoldus Weickard ordinierte Hundskot »wilder Heckrosen, und vom dörren Schaffapfel jedes gleich viel, wilder Rosenblätter und Silberglätt, jedes auch gleich viel, und mach drauss ein Pulver. Erst wasche das Geschwär mit des Patienten eignem Urin oder Wegbreitwasser, hernach streue das Pulver drein«. [152] Derartige Kuren im Dunkeln tappender Mediziner verschlimmerten natürlich nur den Zustand der Kranken, die man mitleidlos von sich stiess, in Erdhöhlen und Feldhütten verwies, bis man in leerstehenden Spitteln und Bordellen Plätze fand, in denen die Unglückseligen wenigstens gegen die Unbilden der Witterung geschützt, ihr elendes Leben fristen und sterben konnten. Ängstlich wich man den Syphilitischen aus, ebenso wie vordem den Aussätzigen, galt doch schon ihr Atem als Gift, eine Berührung ihrer Hand für tödlich.
»Wer einen Fuss im Frauenhaus hat, hat den anderen im Spital.« Die Frauenhäuser hatten viel zur Verbreitung der Syphilis beigetragen, und als man sich dessen bewusst wurde, mied man jeden Verkehr mit den Dirnen. Unter diesen Umständen verminderte sich der Bordellbesuch mit dem Umsichgreifen der Lustseuche immer mehr, bis er endlich derart gesunken war, dass die Obrigkeiten die Aufhebung der Frauenhäuser veranlassten, nicht selten erst, nachdem die Ruffiane davongegangen und die Dirnen selbst krank geworden oder in alle Winde zerstreut waren.
Die Prostitution selbst erlitt durch den Wegfall der Bordelle nur geringe Einbusse. Das Verschwinden ihrer Kasernen tilgte das Schandmal nicht von der Stirne der Dirnen; sie mussten in dieser Zeit, die sie verachtete und gleichzeitig fürchtete, bleiben, was sie vordem waren, wenn auch der Selbsterhaltungstrieb sie zwang, ihr Gewerbe mehr zu verschleiern. So wurde aus vielen der Frauenhäuslerinnen jene »Sunneweigerinnen«, fahrende Weiber, die unter der Marke, bekehrte Dirnen zu sein, um Sancta Maria Magdalenas willen bettelnd durch die Lande zogen und, wenn sich Gelegenheit bot, gerne wieder in ihr früheres Metier verfielen. Diese nun vagierenden Bordellmädchen vermehrten die Zahl der landstreichenden Dirnen, sie waren aber keineswegs die Urheberinnen der reisenden Prostitution. Früh hatten die nach Rom ziehenden Pilgerinnen und Wallfahrerinnen, der Verführung auf der langen Reise nachgebend und der Not erliegend, in den Städten des fränkischen Reiches und der Lombardei sich zu Priesterinnen der Venus vulgivaga gewandelt (Bonifazius epistolae 73). Sie bevölkerten entweder fern von ihrer Heimat die Bordelle, oder fuhren, das neue Gewerbe ausübend, erst ihrem Ziele zu und dann weiter vagierend durch die Welt.
Das »varende vip« zog während des ganzen Mittelalters den Hoflagern, den Krönungen, Reichstagen, Turnieren, Kirchtagen, Jahrmärkten, Konzilien, überhaupt allen Versammlungen der mittelalterlichen Gesellschaft zu, die ihnen durch das Zusammenströmen verschiedenartiger, den Fesseln der heimatlichen Beobachtung entrückter Elemente, Verdienst zu bieten schienen. An dem zweimal im Jahre stattfindenden Jahrmarkt zu Zurzach im Kanton Aargau beteiligten sich oft über 100 solcher Auswürflinge an dem berüchtigten »huorendanz«, der ungezählte Zuschauer aus allen schweizer Gauen anlockte. Durch ihre Zahl und die Frechheit in Ausübung ihres Berufes wurden sie oftmals zur Landplage. So wurde einmal in Basel die Klage laut: »Junge Töchter und alte Frauen machten auf der Strassen Königinnen; da kann schier ein biederb Mann nit durch die Gassen kommen, so fallen sie ihn an und wollen Geld von ihm gehegt han.« Bekamen sie dies nicht, so pfändeten sie ihn und nahmen Hut und Gugel ab. Aber ganze Heere der Ausüberinnen gewerbsmässiger Liebe stellten sich dort ein, wo geistliche und weltliche Würdenträger zu gemeinsamer monate-, selbst jahrelang währender Beratung zusammen getreten waren. Auf dem Konstanzer Konzile von 1315 waren schon »heimlich frouwen und courtisaninen gar vil«, von denen Oswald von Wolkenstein singt:
Dem Reichstage von Frankfurt a. M. wohnten 1394 an 800 Fahrende bei; hingegen überbot an dem von 1414 bis 1418 in Konstanz tagenden Konzil ihre Menge alles bisher Dagewesene. Ihre Zahl schwankt bei den verschiedenen Autoren zwischen 450 und 1500. Der Generalquartiermeister des Herzogs Rudolf von Sachsen, Eberhard Dacher, sollte auf Befehl seines in Konstanz anwesenden Herrn die dort befindlichen Kurtisanen zählen. »Also ritten wir von einem Freudenhaus zu dem andern und wir fanden in dem einen Hause dreissig, in einem weniger, dann wieder mehr und so ergaben sich, ohne die zu zählen, die sich in den Badestuben oder Ställen aufhielten, bei siebenhundert gemeiner Frawen.« Nun wollte der Herzog auch noch die Anzahl der geheimen Dirnen wissen, aber Dacher bat flehentlich, von dieser Volkszählung enthoben zu werden, da er es »nicht metig zu tun; ich wurde villeicht um die Sach ertötet«. So stand denn der Herr von seinem Vorhaben ab. Von einer dieser Dirnen, einer Wiener Hübschlerin, meldet von der Haardt, dass sie mit einem erbuhlten Vermögen von 800 Goldgulden aus Konstanz gezogen sei. Sie scheint nicht vereinzelt dagestanden zu haben, wie aus dem 1415 gedichteten Volksliede Eberhart Windeckes hervorgeht:
Freilich gelang es nur den allerwenigsten, wacker und reich zu werden. Die Mehrzahl konnte sich niemals von der Anfangsstufe in die Höhe arbeiten; meist sanken sie, namentlich bei zunehmendem Alter, bis zur landstreichenden Bettlerin, die den Busch oder den Wegrand zum Liebesgemach erkor und auch dort das besudelte, verfehlte Leben endete.
Diese Fahrenden rekrutierten sich in der Hauptsache aus entlaufenen Bauernmädchen und den Frauen und Töchtern der vagabundierenden Bettler und Gaukler. Die Anrüchigkeit und Unehrlichkeit des vormaligen Artistenstandes zwang die armen, schon durch ihre Geburt gebrandmarkten Geschöpfe zur feilen Liebe. Wo sie erschienen, standen sie ausserhalb der Gesellschaft, dem Henker und Totengräber gleich; ihre Berührung befleckte, ihr Eintritt in ein Haus galt als unheilbringend und die Ehrlichen jagten sie erbarmungslos mit Schimpf und Schande von ihrer Schwelle. Sogar der Scherge fühlte sich zu gut, über sie zu wachen, man gab ihnen ein eigenes Oberhaupt, den Pfeifer- oder den » Bubenkönig «, dem die Beaufsichtigung aller Vaganten und fahrenden Frauen oblag, und der noch 1512 in Köln seines Amtes waltete. [153]
An der Kirchhofsmauer oder auf dem Anger, wo die armen Sünder ohne Sang und Klang eingescharrt wurden, war auch ihre letzte, gar oft nur widerwillig gewährte Ruhestätte. Kein Hügel wölbte sich über das Grab der bis über das Leben hinaus verachteten Heimatlosen. Ohne Obdach zu besitzen, irrten sie ruhelos umher, heute im Überfluss schwelgend, morgen den Hunden der Herrenhöfe das Futter entreissend; stehlend, wo sich Gelegenheit bot, auch vor einem Gewaltsakte nicht zurückbebend, wenn er nur Beute versprach, ohne Rechtsbewusstsein, ohne Ahnung von Menschenwürde, vertiert wuchsen sie auf, als Landplage gehasst und verfolgt.
Solch unglückseligen Weibern konnte die Hingabe um Lohn nichts weiter sein als ein Verdienst, ein leichter, willkommener sogar, der ihnen keinerlei Bedenken einflösste. Woher sollten sie von Moral wissen, sie, denen Scham etwas Unbegreifliches war, deren Lumpen kaum die Blössen bedeckten. Im »Liber Vagalorum« findet sich eine Gruppe von drei Fahrenden, einem Mann und zwei jungen Frauen, die mit Reisigbündeln beladen auf der Landstrasse dahin ziehen. Den Weibern hängen die Fetzen vom Leibe, sie enthüllen mehr als sie verdecken, wohl absichtlich, einerseits, um mildherzige Frauen zur Verabreichung abgelegter Kleidungsstücke zu bewegen, andererseits, um durch die zur Schau getragenen Reize Männer zu locken.
Auf einer etwas höheren Stufe als bettelnde Landstörzerinnen standen die fahrenden Gauklerinnen, die sich aber erst vor einer kurzen Spanne Zeit der auf ihnen die ganze Vorzeit hindurch lastenden allgemeinen Missachtung entringen konnten. Noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts hiess es von ihnen: »Taschen-Spielerin Heissen diejenigen im Land herum vagirenden und auf die Jahr-Märkte reisenden liederlichen Weibes-Bilder, so dergleichen wunderliche Profession treiben und den Zuschauer allerhand Blendwerck durch ihre Kunst und Geschwindigkeit so wohl mit der Karten als auch andern darzu verfertigten künstlichen Instrumenten vormachen.« [154] Nach derselben Quelle ist die »Seil-Täntzerin eine leichtsinnige Weibes-Person, so in dem Lande herum ziehet und ihre Kunst auf dem Straffen oder Schweng-Seil zu tantzen, öffentlich um Geld sehen lässt«.
Diese Künstlerinnen, denen auch Abraham a St. Clara vieles am Zeuge zu flicken hat, waren selten besser als ihr Ruf. Als sich Grimmelshausens »seltzamer Springinsfeld« ärgert, dass seine Neuvermählte »ihre Jungfrauschafft nicht zu ihm bracht, sagte sie: Bist du dann so ein elender Narr, dass du bey einer Leyrerin – ein Mädchen, das mit einer Leier umherzog – zu finden vermeint hast, dass noch wol andere Kerl, als du einer bist, bey ihren ehrlich geachten Bräuten nicht finden? Wann du in solchen Gedanken gewesen bist, so müsste ich mich deiner Einfalt und Thorheit zu kranck lachen ...«
Wie den Krönungen und Konzilien, eilten die Fahrenden in grossen Massen den Heeren zu. Schon die Kreuzfahrer zogen in Begleitung von Scharen leichtfertiger Weiber nach dem orientalischen Kriegsschauplatz. Einzelne sittenstrenge Feldherrn, wie Kaiser Friedrich Barbarossa (1154) liessen zwar die Dirnen aus den Lagern jagen, richteten damit aber für die Dauer wenig aus. Ludwig der Heilige musste zu seinem Schmerze sehen, dass sich innerhalb der Lager, nahe dem königlichen Zelt, unter dem Protektorate von Hofleuten stehende Bordelle erhoben.
Als die Heere grösser und durch die unausgesetzte Verwendung beinahe schon zu stehenden wurden, wuchs der Tross der Soldatenmenscher mit ihnen. Welche Mengen von Dirnen bei den Heeren, zu deren Bestand sie mit der Zeit gezählt wurden, anzutreffen waren, geht aus einer Angabe Wilmolt von Schaumburgs hervor, dass bei der Belagerung von Neuss Karl der Kühne: »liess den profosen die gemainen weiber, der ob dem viertausend un hör waren , zu der Arbeit berufen und versahn. Denselben weiben wart durch den herzogen ain Fendlein (Fahne) geben, daran was ein Frau gemalt, und wan si zu oder von der arbait giengen, wart in mit dem Fendlein, auch trummen und pfeifen vorgegangen«. Der deutsche Condottiere Werner von Urslingen hatte 1342 bei einem Bestand von 3500 Mann 1000 feile Dirnen, Buben und Schelme (meretrices, ragazzii et rubaldi satis) aufzuweisen. [155]
Um dieses Heer im Heere im Schach zu halten, gab man ihnen einen mit weitgehenden Vollmachten ausgerüsteten Vorgesetzten, den Hurenweibel , dem sie sowie das Gelichter der Trossbuben und alle sonstigen Drohnen unbedingt zu gehorchen hatten.
»Ampt und Bevelch des Hurenweybels« betitelt sich der Abschnitt über die Obliegenheiten dieses meist im Hauptmannsrange stehenden Offiziers und seines Leutnants und Fähnrichs. Dieser »Bevelch« schreibt dem Waibel vor, darauf zu sehen, dass die »gemeinen Weiber« getreulich ihre Herren abwarten, auf dem Marsche das Gepäck tragen, im Lager kochen, waschen, die Kloaken reinigen, Kranke pflegen, »sonnst wo man zu feldt liegt, mit Behendigkeit lauffen, rennen, einschenken, Fütterung, essende und trinkende Speis zu holen, neben anderer Nothdurft, sich bescheidentlich zu halten.« Ihm ist das Recht zugestanden, Vergehen, der »Huren und Buben« durch »mechtig übel« Schläge zu ahnden, sie überdies mit möglichster Strenge zu halten, da sonst »würden faule Schwengel und Huren gar zu viel«. Also durch Abschreckungstheorie suchte man den Zuzug neuer Individuen hintanzuhalten. Überdies sollte der Tross zu allen militärischen Nebenarbeiten herangezogen werden. Seine Angehörigen sollten Wege ausbessern, Gräben aufwerfen oder füllen, Holz zu Schanzkörben und Verhauen herbeischleppen, Hand anlegen, wenn die Bagagewagen oder die Geschütze im Wegmorast stecken blieben, und dieses alles ohne Widerrede »bei ernstlicher straff, so ihnen aufferlegt wird.« Sie sollten auch nicht »umsonst einkauffen« d. h. stehlen, bei Todesstrafe. Man sieht, das Los einer Soldatendirne war kein rosiges und trotzdem sangen sie:
Das zweifarbige Tuch und die flatternden Fahnen waren Lichter, die sie in hellen Haufen anzogen, die sie umflatterten, bis sie versengt zu Grunde gingen. Herzog Alba, der spanische Würger, führte ein Gefolge von vierhundert Lustweibern zu Pferd und über achthundert zu Fuss mit seinem Söldnerheere nach den Niederlanden. Sie waren in Kompagnien geteilt und in Reih und Glied geordnet. Jeder war je nach Schönheit und Herkunft ein Liebhaber gegeben, dem sie bei Strafe anzugehören und treu zu sein hatte. Im dreissigjährigen Kriege verlor die Stellung des Hurenweibels an Ansehen, er sank zum gemeinen Soldaten herab, dem das Heer ebenso wenig Achtung zollte, wie der ihm unterstellte Tross. Mit der Einrichtung der stehenden Heere verschwand das Weibergefolge auf dem europäischen Festlande, und mit ihm auch der Weibel.
Das völkermordende dreissigjährige Würgen, das Deutschland auf Jahrhunderte zu Grunde gerichtet, seine vormals blühenden Gegenden in menschenleere Wüsteneien verwandelt, bot dem fahrenden Dirnentum den günstigsten Nährboden. Ihre Zahl wuchs ins Unmessbare, denn jede eroberte Stadt, jedes eingeäscherte Dorf vermehrte das Heer der Soldatenweiber. Gezwungen oder freiwillig folgten die ihrer Heimat, ihrer natürlichen Beschützer beraubten Mädchen und Frauen ihren Vergewaltigern, bei denen sie wenigstens nicht verhungerten, bis sie am Wege starben, oder unter den Fäusten ihrer entmenschten Liebhaber verröchelten. Was galt in diesen Unglücksjahren ein Menschenleben und gar das Leben einer Dirne, jenes Geschmeisses, das zu zertreten der Laune seines Besitzers frei stand.
Das Zeitalter des grossen Krieges entfesselte in bis dahin ungeahnter Wildheit das Tier im Menschen. Alle Greuel, die ein krankhaft-überspanntes Gehirn auszuhecken vermag, überbot die zügellose Soldateska, jener Auswurf der Menschheit, der unter dem Schutz der Fahnen und entmenschter Führer die Bestien des Urwaldes an Blutdurst und Grausamkeit übertraf. Jedes Weib ohne Rücksicht auf Alter war verloren an Leib und Seele, das diesen Scheusalen in die Hände fiel. Grausamkeit und Wollust, diese beiden Stiefschwestern der Liebe, steigerten sich bei diesem vertierten Gesindel zu einer unerhörten Intensivität. Moscheroschs »Philanders von Sittewald wunderliche und wahrhaftige Gesichte« und Christoffel von Grimmelshausens »Simplizianischen Schriften« entrollen grauenvolle Bilder des bluttriefenden Übermutes, die durch die Chroniken jener Zeit nicht nur als wahrheitstreu, sondern oft sogar durch dichterische Retouche gemildert nachgewiesen wurden.
Darum gewinnt das Bild einer Soldatendirne des dreissigjährigen Krieges, das Grimmelshausen gezeichnet, den Wert eines kulturgeschichtlichen Dokumentes, dessen Details uns getreulich das Werden, Leben und den Untergang eines dieser bedauernswerten Geschöpfe vergegenwärtigen. Der Titel der »Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche«, gedruckt in Utopia bei Felix Stratiot, nimmt vierundzwanzig Zeilen ein, und achtundzwanzig Kapitel behandeln das Leben dieser Courage von ihrer Kindheit an, bis zu ihrem hohen Alter. [156] Der kurzgefasste Inhalt des Büchleins, soweit es uns interessierende Themen enthält, ist folgender: Jungfer Lebuschka ist von ihren unbekannten Eltern einer Bäuerin in Bragoditz, jetzt Prachatitz, in Böhmen zur Pflege anvertraut. Als sich der Krieg gegen Prachatitz zu ziehen scheint, beredet die Pflegemutter das dreizehnjährige Mädchen, sich als Knabe zu kleiden, um so der Schändung zu entgehen. Aus Jungfrau Lebuschka wird der Knabe Janco, der von den Soldaten mitgeschleppt wird, als »die Männer in der eingenommenen Stadt von den Überwindern gemetzelt, die Weibsbilder genohtzüchtiget und die Stadt selbst geplündert worden«. Der Rittmeister des Trupps, dem Lebuschka in die Hände gefallen, behält sie selbst als Trossbuben, bis bei einer Rauferei ihr Geschlecht erkannt und sie zur Maitresse ihres Herrn wird. Ihre oft bewiesene Unerschrockenheit hat ihr den Namen Courage eingebracht, den sie nicht mehr los wird. Mit ihrem Rittmeister zieht Courage weit in der Welt umher, bis nach Ungarn, wo er vor Neuhäusel (Neussol) eine tödliche Wunde erhält. Auf dem Sterbebette reicht er Courage seine Hand, die nun Frau Rittmeister und gleich darauf Witwe wird. Mit der Beute ihres verstorbenen Gatten reich ausgestattet, kommt Courage nach Wien, wo sie verschiedene einträgliche galante Abenteuer besteht. Die Sehnsucht, Prachatitz wiederzusehen, führt sie über Prag dorthin, doch auf der Reise wird sie von Mansfeldischen Reitern aufgehoben, in eine verlassene Meierei geschleppt, vergewaltigt, aber mit ihrem Eigentum von einem feindlichen Hauptmann aus den Klauen der Mansfelder befreit. Sie weiss den Hauptmann zu ködern, sie zur Gattin zu nehmen, und bleibt ihm aus Berechnung treu, bis er am 22. April 1622 in Wiesloch in Baden fällt. »So ward ich wiederumb in einer kurtzen Zeit zu einer Wittib.«
Courage geniesst ihr Leben, freut sich der teilweise selbst gemachten reichen Beute, die sie mit einem schwarzhaarigen Leutnant, »einem Italianer« teilt, der sie ihres Geldes wegen zur Frau nimmt. Nach der ersten grossen Schlägerei nimmt der junge Ehemann aber Reissaus, und später erfährt Courage, dass der schöne Offizier als Deserteur gehenkt wurde. Mit ihm verduftete leider die ganze Barschaft unserer Heldin, die nun wieder aufs Rauben auszieht, wobei sie manch kostbare Beute an Geld und Juwelen, einmal sogar einen leibhaftigen Major, nach Hause bringt. Durch ihre Aufführung wird aber unsere Courage mehr und mehr verrufen und dadurch sogar beim »Lumpengesindel beym Tross« derart unmöglich, dass sie es vorzieht, wieder einmal für einige Zeit zu verschwinden, und ruhig und ehrbar in einer Stadt sich für einen Fischzug nach einem neuen Ehegatten zu stärken.
Ihr Wohnort erweist sich als ungeeignet für ihre Pläne, darum fasst Courage den Entschluss, noch einmal den Versuch zu wagen, ihre Pflegemutter in Prachatitz zu erreichen. Diesmal gelingt es besser als das erste Mal. Courage erfährt von ihrer Pflegemutter, wie ihr Vater vormals einer der gewaltigsten Herren im Reiche gewesen, der sich jetzt aber, als Rebell vertrieben, bei den Türken aufhält. Ihre Mutter war Kammerjungfer bei des Grafen (Courages Vater) Gattin, ist nun aber längst tot.
Als Courage von Prachatitz nach Prag zurückkehrt, nimmt sie die alte Bäuerin mit sich, die fürder als ihre Mutter gelten soll. Unter der Maske, durch den Krieg aus ihrem Besitztum vertrieben zu sein, suchen sie offiziell ihren Unterhalt durch Nähen und Sticken zu erwerben, was dank der Nebenbeschäftigung Courages gelingt, ohne dass sich ihr etwa 3000 Reichsthaler belaufendes Vermögen verminderte. Ein Hauptmann, dem es weniger um Ehre als um Geld zu thun ist, wirbt um Courage; sie wird seine Frau, muss aber mit ihrem Manne bald nach der Trauung den sicheren Port Prag verlassen und nach Holstein aufbrechen.
Courage fand es diesmal für gut, ihren Mann in Einzelheiten ihres Lebens einzuweihen – natürlich erzählt sie nur, was ihr in den Kram passt –, um unliebsamen Entdeckungen zuvorzukommen, die bei ihrer Berüchtigtheit in allen deutschen Heeren nicht ausbleiben können. Da sie ihrem Manne treu bleibt, prallen auch alle Zuträgereien an diesem ab, und sie leben glücklich, bis ein Kanonenschuss bei der Belagerung des Schlosses Hoya sie neuerdings zur Witwe macht. Das Schloss wird übergeben, und zum Unglück fällt Courage jenem Major in die Hände, den sie früher einmal gefangen genommen hat. Er nimmt die denkbar gemeinste Rache an dem Weibe, das er vor und mit seinen Offizieren prostituiert und endlich den Trossbuben preisgeben will, als ein dänischer Offizier sie frei bittet, um sie auf sein Erbschloss in Dänemark in Sicherheit zu bringen. In Verborgenheit bringt Courage einige Monate auf diesem Schlosse zu, bis die Eltern des Adeligen von ihrem Aufenthalt erfahren und sie, um die geplante Heirat ihres Sohnes mit der Dirne zu hintertreiben, nach Hamburg locken, wo man sie ihrem Schicksale überlässt, so dass sie anfängt: »mit dem Schmalhansen zu conferirn, der mich leichtlich überredete, mein täglich Maulfutter mit meiner nächtlichen Handarbeit zu gewinnen«. Es wird ihr leicht, da Hamburg und seine Grenzgebiete von Truppen überschwemmt sind. Ein junger, strammer Reiter, den sie sich zum Herzensfreund erkoren, gerät ihretwegen in Streit mit seinem Korporal, wird arkebusiert, sie aber wird schimpflich durch den Steckenknecht aus dem Lager gebracht. Zwei Reiter fallen sie an, von denen sie einen tötet, den anderen aber mit Hilfe eines hinzukommenden Soldaten in die Flucht schlägt, worauf sie ihrem Retter zu seinem Regimente folgt. Courage findet die böhmische Theatermutter wieder, die sie bereden will, mit ihr nach Prag zu gehen, um dort in Ruhe zu leben; aber das wilde Blut in der Soldatendirne will durch Abenteuer in Wallung erhalten sein, und so bleibt sie denn beim Heere und gerade bei jenem Regimente, dem ihr gefallener Gatte, der Hauptmann, angehört hatte. Als Marketenderin zieht sie mit dem Heer über die Alpen nach Italien und entschliesst sich endlich, den Soldaten zum Liebhaber zu nehmen, der ihr vordem in ihrem Kampfe mit den Marodeuren beigestanden. Aus der Frau Hauptmännin wird eine Musketiersmaitresse. Springinsfeld, der junge Pseudo-Ehemann, hilft seiner Geliebten bei der Marketenderei, während sie, die alte Pflegemutter als Kupplerin benützend, ihrem Liebsten Hörner schockweise aufsetzt, viel Geld damit verdient, das sie in sicheren Wechseln nach Prag sendet. Wenn die Geldquelle zu versiegen droht, weiss sie sich mit Springinsfelds Hilfe durch Diebstähle schadlos zu halten, bei denen ihr Buhle recht geschickt als Werkzeug benutzt wird. Inzwischen ist Courage des Genossen überdrüssig geworden und sucht eine Gelegenheit, sich seiner zu entledigen. Eines Nachts, als sie neben ihm schläft, packt sie der Springinsfeld in schlafwachem Zustand, wirft sie über die Achsel und eilt mit ihr dem Wachtfeuer bei des Obersten Zelt zu. Unterwegs erwacht Courage, ihr Geschrei weckt das Lager, dessen Insassen von allen Seiten herbeieilen, sich den lächerlichen Vorfall, »die Gugelfuhr«, die nackte Courage auf der Schulter ihres halbnackten Galans, zu besehen. Die Gelegenheit, den Liebhaber los zu werden, ist endlich gefunden, denn selbst der Profoss befiehlt die Trennung von einem Menschen, der im Schlafe zu einem Morde fähig scheint, und mit einem Pferde, Geld und dem spiritus familiaris , einem Galgenmännlein, das seinem Besitzer alle Wünsche erfüllt, aber dessen Seele dem Teufel zuführt, beschenkt, zieht Springinsfeld seiner Wege. Auch Courage wird im Regimente bald der Boden zu heiss unter den Füssen, und mit ihrem erbuhlten und ergaunerten Besitztum überreich ausgestattet, wählt sie erst Passau, dann Prag zum ständigen Aufenthalt, um dort das Ende des Krieges abzuwarten. Obgleich älter geworden, gelingt es Courage doch noch einmal, einen Hauptmann zum Gatten zu kapern, sie verliert aber den Mann, »der noch kaum bey mir erwarmet« wieder und begiebt sich nun in das Vaterland ihres ersten Hauptmanns-Gatten, wo es ihr so gut gefällt, dass sie sich sesshaft macht und all ihr Geld in Grundbesitz anlegt. Sie hofft auf den nahe bevorstehenden Frieden, sieht sich aber getäuscht, denn die Rationierungen und Einquartierungen der durchziehenden Soldateska, dazu die Steuern drohen ihr Vermögen aufzuzehren, weshalb sie auf das bei ihrer Qualität sehr naheliegende Auskunftsmittel verfällt, ihr Haus zu einem Bordell für die Soldaten zu machen. Das Geschäft floriert einige Jahre glänzend, doch nötigt sie ein bei ihrem Berufe naheliegendes Leiden, ein Heilbad aufzusuchen, in dem sie den Simplicius Simplicissimus kennen lernt. Wie sie diesen jungen Mann und berühmten Soldaten belügt und betrügt, füllt das 24. Kapitel ihrer Memoiren, die nun ihrem Ende zugehen. Ihr Luderleben veranlasst endlich die Obrigkeit ihres Wohnortes, ihr Haus zu sperren und sie mit ihren Mägden davonzujagen. Sie nimmt noch einmal mit wechselndem Erfolge ihr altes Metier wieder auf, bis sie einer Zigeunertruppe in die Hände gerät. Der Leutnant dieser Vaganten begehrt sie ob ihrer Schlauheit zum Weibe, und mit ihm und ihrer Truppe, die sie zur Königin erkiest, durchzieht sie fortan nach Zigeunerweise die deutschen Länder – ein Schicksal, das vielen Soldatenweibern beschieden war, die nach dem Frieden bei Räuberbanden blieben, von denen das arme, hinsterbende Deutschland noch lange gebrandschatzt wurde.
Der Gebrauch von Bädern war in der deutschen Vergangenheit ungleich verbreiteter und allgemeiner als heutzutage. Allen Bevölkerungsschichten, von dem niedrigsten Knechte bis zum ehrfurchtsvoll gegrüssten und vielbeneideten Stadtgrossen, war das Baden nicht nur ein unabweisbares Bedürfnis, sondern auch ein unentbehrlich gewordenes Vergnügen, das den sieben grössten Freuden des Lebens zugezählt wurde, »es war ein sauber spiel, Das ich immer preisen wil« [157] , darum heisst es im »Schertz mit der Warheyt« (Frankfurt 1501):
Reinigungs- und Erfrischungsbäder galten seit frühester Zeit für eine heilsame diätetische Übung, was wohl darin seinen Grund haben mochte, dass einerseits die Kleidung schwerer war und dichter den Körper umschloss, als die heutzutage getragene, andererseits die Leibwäsche und ihr regelmässiger Wechsel weit weniger gebräuchlich waren, als in der Gegenwart. Zur Ergötzlichkeit dienten die Bäder nicht zuletzt dadurch, dass sich in den Baderäumen fast immer eine grössere Gesellschaft beiderlei Geschlechts zusammenfand. Aus den germanischen Urzeiten hatte sich der Gebrauch des Zusammenbadens von Männern und Frauen in das Mittelalter hinüber erhalten.
»Und doch macht man aus der Geschlechtsverschiedenheit kein Geheimnis, denn beide Geschlechter baden sich gemeinschaftlich in Flüssen und tragen unter den Fellen und kleinen Decken von Renntierhäuten den Leib grösstenteils bloss,« sagt Caesar. [158] Die Kirche eiferte bereits im Jahre 745 auf der unter dem heil. Bonifazius abgehaltenen Synode gegen diesen Unfug, den aber auch spätere Beicht- und Buss-Ordnungen ebensowenig abzustellen vermochten, wie das Pönitentiale von Magdeburg.
In der Ritterzeit erwartete den Gast sofort nach seiner Ankunft das Bad, um den von der schweren Rüstung hart mitgenommenen Körper neu zu stärken. »Man schuf ihm ein Gut Gemach von Kleidern, Speis' und Bade,« heisst es an manchen Stellen im Iwein, Wigalois und Tristan. Ebenso im Biterolf:
Auch Ulrich von Lichtenstein meldet mit Behagen, wie den Rittern nach sattsamen Kampfspielen manch schönes Bad bereitet ward, worin sie sich dann bis tief in die Nacht hinein ergötzten.
Die Hausfrau mit ihren Zofen sind überall dem Willkommenen beim Bade behilflich, oft auch die jungfräulichen Töchter der Wirtin. So wird Parzival auf seines Lehrmeisters Gurnemanz von Graharss' Burg im Bade von Jungfräulein bedient, die mit »blanken, linden Händen« seinen Leib streichen. Wie Parzival lässt sich Herr Jakob von Warte, der Vetter des Königsmörders, nach dem Bilde der Heidelberger Manesseschen Liederhandschrift von Edeldamen betreuen, während er in dem mit Blumen bestreuten Bade sich von den vorhergegangenen Strapazen erholt. Die eine der Damen knetet des Ritters Arm, eine andere schmückt sein Haupt mit einem Blumenkranze, indes die dritte ihm einen Becher darreicht. Am Boden bei der Wanne facht eine Magd mit einem Blasebalge Feuer unter dem Wasserkessel an. Königin Isolde bereitet ihrem Tristan das Bad und bringt ihm Salben, »die zu seinen Wunden gehörten; sie salbte, band und badete ihn, dass er ganz zu seinen Kräften kam«.
Doch auch der umgekehrte Fall kam vor.
heisst es in der Gudrun. Schamhaftigkeit drückte eben weder Männer noch Frauen. »Meleranz überrascht eine Dame, die eben unter der Linde ein Bad nimmt. Das Bad ist mit einem Samît bedeckt, daneben steht ein herrliches, aus Elfenbein geschnitztes Bett. Um das Bett zieht sich ein Vorhang, bestickt mit der Geschichte von Paris und der Helena und den Abenteuern des Aeneas. Als Meleranz herantritt, fliehen die Dienerinnen der Dame; diese selbst ist viel weniger prüde. Sie hebt schnell den Samît, der den Bottich bedeckt, auf, ruft den Ritter ganz zu sich und befiehlt ihm, ihr nun statt der entlaufenen Mägde Hilfe zu leisten. Er muss ihr das Badehemd, den Mantel und die Schuhe herbeiholen. Während sie sich trocknet und die Kleider anlegt, tritt er bescheiden zur Seite, folgt aber wieder ihrem Rufe, als sie sich auf das Bett gelegt, und scheucht ihr die Mücken, bis sie sanft entschlummert ist.« [159] In den Baderäumen grosser Burgen fand sich häufig eine Galerie, von der aus Zuschauerinnen die badenden Gäste mit Blumen zu bestreuen pflegten. In dem Badehaus-Anbau aus dem 13. Jahrhundert auf der Wartburg ist noch ein solcher Balkon zu sehen. »Als eine Steigerung des Genusses galt diesem wohllebigen Geschlechte, wie den Saal und den Schlafgaden, so auch das Bad mit Blumen, besonders Rosen, zu bestreuen. Wie Jakob von Warte, werden auch Parzival Rosen in das Bad geworfen.«
Nach den Kreuzzügen, die ausser orientalischen Lastern auch bis dahin unbekannte Krankheiten in die Heimat brachten, nahm der Bädergebrauch in Deutschland einen riesenhaften Aufschwung, denn die Bäder, besonders die Schwitzbäder, galten mit Recht als einziges Schutzmittel gegen den eingeschleppten und sich unaufhaltsam verbreitenden Aussatz. Überall erstanden Bäder. Guarino, ein Gelehrter, in Verona zwischen 1370 und 1460 lebend, sagt, dass zu seiner Zeit in Deutschland jede Stadt, selbst jedes Dorf, ein öffentliches Bad besessen habe.
Die Badestuben enthielten Schwitz- und Wannenbäder; Bäder mit Dampfheizung waren dem 15. Jahrhundert nichts Neues mehr. In der bereits erwähnten Bellifortis-Handschrift Kyesers befinden sich zwei Zeichnungen solcher künstlich durchwärmten Bäder mit allerdings recht primitiven Dampferzeugungs-Anlagen im Unterbau.
Ausser den öffentlichen Badehäusern, deren Besuch manchem Ausnahmemenschen nicht zusagen mochte, gab es in den Wohnhäusern besser situierter Leute Badegelegenheit und selbst in den meisten kleineren Häusern noch Badewannen oder Kufen, »darin er (der Hausherr) etwa mit seinem Weibe oder sonstem einen guten Freund sitzet oder ein Kändele drei vier Wein neben guten Sträublen ausleeret«. Die reichen Bürger der vornehmen Handelsstädte hielten sich gänzlich von den allgemeinen Bädern fern. Sie verfügten meist über eigene mit »Padofen«, dem Kessel zum Erwärmen des Wassers, Wanne und »Padschefflen« ausgestattete Stuben, »kleine gewachsame Badstüblein mit iren Wasser Kenelin«, zu der noch das »abeziehkemerlen«, der Auskleideraum, gehörte. In den Nürnberger Patrizierhäusern waren solche Gelasse allgemein. Israel von Meckenen zeichnet eine dieser Badestuben, in der eine bis auf die turbanartige Bademütze nackte Mutter eines ihrer Kinder abseift. Die anderen Sprösslinge tollen in der grossen, durch einen in die Wand eingelassenen Hahn mit Wasser gespeisten Wanne. In den deutschen Dampfbädern war fast überall die Dampferzeugung durch heisse, mit Wasser übergossene Steine gebräuchlich. Diese Badeart wurde von deutschen Reisenden aus Russland in Deutschland eingeführt.
Der Kirchenvater Nestor berichtet aus dem Dnjeprlande: »Ich sah hölzerne Bäder und darin steinerne Öfen die scharf heizten. Sie begiessen sich die Haut mit lauem Wasser und nehmen Ruten oder zarte Baumzweige und fangen an, sich damit zu peitschen, giessen indes Wasser auf die Steine und peitschen sich so arg, dass sie kaum lebendig herauskriechen, worauf sie sich mit kaltem Wasser begiessen«. [160] Diese Ruten, Queste oder Wadel genannt, wurden zum Wahrzeichen für das Badehaus, das der Bader aushing, wie der Gastwirt den Laubkranz. Züchtigere Badebesucher deckten mit dem Blätterbusch ihre Blössen.
Die sonstige Einrichtung der Schwitzbäder war denkbar einfach. Ein gewölbter, höchstens mit einigen rohen Bänken versehener Raum, den oft, aber nicht immer eine niedere Bretterwand in zwei Hälften schied, in das Männer- und das Frauengelass. Diese Scheidewände verhinderten wohl die gröbsten Ausschreitungen, gestatteten aber den ungeschmälerten Anblick der Badenden, was sich gewiss nicht jeder zu solch künstlerischen Zwecken zu Nutze machte, wie Albrecht Dürer, dem Badestuben zu Modellstudien dienten. Eine solche, im Badehause entstandene Skizze, jetzt in Frankfurt a. M., zeigt eine von einem Bader bediente Gruppe nackter Frauen in derb-realistischer Auffassung. Einer weiteren Dürerschen Darstellung einer Scene im Frauenbade sieht ein Fremder durch das auf die Strasse gehende offene Fenster zu. Auf einer Bäderzeichnung Kyesers unterhält sich ein Mann, bequem auf der Scheidewand aufgestützt, mit den badenden Nachbarinnen, die Zuwachs durch eine von der Strasse kommende Nymphe im tiefsten Negligé erhalten. [161]
Die Bedienung im Bade besorgten bis zum 16. Jahrhundert in beiden Abteilungen Frauen. Auf einer Miniatur in der berühmten Wenzelsbibel der kaiserlichen Hofbibliothek zu Wien waschen zwei halbnackte Bademädchen dem galanten Böhmenkönig Wenzel den Kopf. Seifried Helbling, ein Wiener Poet des 13. Jahrhunderts, schildert, wie er von einem »Weibel viel gelenke« im Bade behandelt wurde. Nachdem ihm der Schweiss vom Körper abgerieben ist, wird er von der Bademagd geknetet, gezwagt, begossen, frottiert und wieder begossen; darauf nimmt ihn der Bader in Empfang, um ihn zu rasieren und zu schröpfen. Lag der Gast von all diesen Vergnügungen matt auf dem Ruhebett, dann trat in Erfurt noch ein hübsches Dämchen zu ihm, um ihn zu kämmen und die Haare zu kräuseln, schreibt wenigstens ein fahrender Schüler in einem, um 1300 entstandenen lateinischen Gedicht.
Wo das Auge ungehindert in solchen, die Sinne aufstachelnden Scenen schwelgen konnte, die Berührung durch Frauenhände kaum zur Beruhigung der schon durch das Bad allein erregten Nerven beitrug, waren Ausschweifungen selbstverständlich, denen überdies jeder Bader, der sein Geschäft verstand, Vorschub zu leisten nur zu bereit war. In erster Linie hielt er hübsche Bademädchen, deren Obliegenheiten sie in jeder Hinsicht zu Vorläuferinnen unserer modernen Masseusen der Grossstädte stempelten. Waren diese Damen nicht nach dem Geschmacke der Gäste, so machten sie es wie der Herr in dem Gedichte aus der Sammlung der Hätzlerin: »Und von dem Frühstück wollen wir dann ins Bad gehen; dann laden wir uns die hübschen Fräulein dazu, dass sie uns reiben und die Zeit vertreiben. Niemand eile von dannen, er raste hernach wie ein Fürst. Sie, Baderin, nun bereite sie jedem von uns nach dem Bade ein Bett.« [162] Diese Zugaben verteuerten natürlich den Lebemännern den Genuss des Bades, was den Minnesänger Tanhuser, das Urbild des sagenumsponnenen Tannhäusers, zu der Klage über seine Armut Anlass gibt, die ihn hindert, »zwirend in der wochen baden«, zweimal wöchentlich zu baden, wie es der leichtlebige Herr gerne gemocht hätte.
Dieses Dienerinnen-Unwesen in den Schwitzbädern konnte den sittenstrengen Herren vom hohen Rat nicht lange verborgen bleiben, darum suchten sie durch Verbote diese Unzuträglichkeiten auszurotten. Breslau untersagte 1486 den Badern, Dienerinnen zu halten. Das Böblinger Statut von 1552 befiehlt »item er soll haben ein Reiber und eine Reiberin«, also einen Diener für die Männer und eine Dienerin für die Frauen. Am frühen Morgen, wenn kaum der Hahn das Erwachen des neuen Tages angezeigt, heizte der Bader seine Öfen. Wenn der Dampf aufwallte, lief er mit seinen Knechten, auf einem Horn blasend, oder mit Hölzern klappernd, dabei von Zeit zu Zeit den Ruf ausstossend »Wol auf gen bad!« die Strassen entlang, und wer gewillt war, sich ein Bad zu leisten, verfügte sich, beinahe wie er dem Bette entstiegen – man schlief bekanntlich im Mittelalter hüllenlos – zu der Badestube. Der gallige Guarinonius hält sich darüber auf, dass sonst ganz ehrsame Bürger und Bürgersfrauen also nackend über die öffentlichen Gassen ins Badehaus laufen: »Ja wie viel mal laufft der Vater bloss von Hauss mit einem einzigen Niederwad über die Gassen, sambt seinen entblössten Weib und blossen Kindern dem Bad zu ... Wie viel mal siehe ich (ich nenn darumb die Stadt nicht) die Mägdlein von 10, 12, 14, 16 und 18 Jaren gantz entblösst und allein mit einem kurtzen leinen, offt schleussigen und zerrissenen Badmantel, oder wie mans hier zu Land nennt, mit einer Badehr allein vornen bedeckt, und hinden umb den Rücken! Dieser und füssen offen und die ein Hand mit gebür in den Hindern haltend, von ihrem Hauss aus, uber die langen Gassen bei mittag tag, bis zum Bad lauffen? Wieviel laufft neben ihnen die gantz entblössten zehen, zwölf, viertzehn und sechzehnjährigen Knaben her und begleit das erbar Gesindel.« [163]
Ältere Leute, vielleicht weil sie sich vor Erkältung schützen wollten, und Standespersonen kamen vollständig angekleidet zum Badehause, die Badewäsche fein säuberlich unter dem Arm. Nur Fremde und Arme entnahmen diese vom Bader.
In einer gemeinsamen Ankleidestube entledigte man sich der letzten Hüllen. Die Badeordnung für das Glotterthal von 1550 schrieb deshalb vor, dass jeder Mann Hemd und Hose, jede Weibsperson ihr Hemd erst im Bade selbst abzulegen habe. Die meisten Städte aber scherten sich um derartige Kleinigkeiten nicht weiter, ebensowenig, wie man dies an Stellen that, von denen man eine höhere Kultur sollte voraussetzen können, nämlich an gewissen Duodezhöfen.
Hans von Schweinichen erzählt in seinen Denkwürdigkeiten folgendes hierher gehörige Abenteuer: »Allhier erinner ich mich, dass ich wenig Tage zu Hof war; badete die alte Herzogin, allda musste ich aufwartend als ein Jung. Es währt nicht lange, kommt Jungfrau, Unte (Kunigundchen) Riemen genannt, stabenackend raus, heisst mich, ihr kalt Wasser geben, welches mir seltsam vorkam, weil ich zuvor kein nacket Weibesperson gesehen, weiss nicht, wie ich es versehe, begiesse sie mit kaltem Wasser. Schreit sie laut und rufet ihren Namen an und saget der Herzogin, was ich ihr mitgespielet; die Herzogin aber lachet und saget: »Mein Schweinlein wird gut werden.« [164]
Wenn Hofdamen in einer geistig weit fortgeschritteneren Epoche die Naivetät so weit trieben, entblösst in ein Gemach zu treten, in dem sie ausser den, ihrer Ansicht nach allerdings noch geschlechtslosen Jungen, auch Männern begegnen konnten, so kann es nicht Wunder nehmen, wenn weniger hochstehende Menschen zwei und ein Jahrhundert früher die Nudität in den Bädern als vom Bade unzertrennlich ansahen. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, ging es unter den weiblichen Besuchern der öffentlichen Dampfbäder verhältnismässig ehrbar und züchtig zu, und dürften Ausschreitungen kaum öfter vorgekommen sein, als heutzutage in den Seebädern mit dem gemeinsamen Strande für beide Geschlechter, auf denen der Lebemann gleichfalls seiner Neugier fröhnen und sonst recht ängstlich Verhülltes in aller Musse kritisch würdigen kann. Die Aufsicht der Mitbadenden war in den mittelalterlichen Bädern immer vorhanden und die üble Nachrede eine ewig dräuende Gefahr, die selbst strafrechtliche Folgen nach sich ziehen konnte. Die Kirche und ihre gestrengen Herren als Sittenrichter spassten nicht; denn je fauler im Kern die Geistlichkeit selbst war, um so ängstlicher suchte sie nach aussen hin den Schein zu wahren und heuchelnd Fehler zu vertuschen, die sie an dem unglücklichen oder unvorsichtigen Menschenkinde, das einen Fehltritt offenkundig werden liess, mit grausamer Härte verfolgte. Die geistlichen Strafen trafen unnachsichtlicher und empfindlicher als die der weltlichen Obrigkeit, die bei Sittlichkeitsdelikten vielfach Nachsicht walten liess. Ausser der Aufsicht gab es übrigens in den meisten Bädern die erwähnte Scheidewand, die immerhin Schutz vor Handgreiflichkeiten – Heine nennt es Handgemeinwerden – bot.
Wer nun einmal im Bade seinen Gelüsten fröhnen wollte, konnte sich im Wannenbade für die Enthaltsamkeit in den Dampfbädern, sofern diese keine Badedienerinnen besassen, vollauf schadlos halten. In Wort und Bild eiferten die Altvorderen gegen die in den Wannen- und Einzelbädern herrschende Unsittlichkeit. Schon Tannhäuser und Niethart von Reuenthal gedenken der Kostspieligkeit der Wiener Badestuben, in denen es übrigens nicht weniger toll herging als in den gleichen Anstalten anderer Städte bis zum 17. Jahrhundert. In der Esslinger Vorstadt Stuttgarts wurde im Jahre 1591 eines Tages die Anzeige erstattet, in einem Bade seien 18 Personen männlichen und weiblichen Geschlechtes bereits Tag und Nacht zusammen. Durch solche Vorfälle galten denn auch die Badestuben als Anstalten, »die am meisten zur Anreizung der Unkeuschheit erbaut sind«, und die sich von den Bordellen nur durch das Fehlen der Konzession unterschieden. Den Ruffian ersetzte der Bader, ein Kuppler wie der Frauenwirt und geächtet und unehrlich mit Weib und Kind wie der erstere, wenn auch Kaiser Wenzel, der den Verkehr mit Badern und Henkern liebte, und den einst eine heroische Bademagd, Susanna, aus der Gefangenschaft errettete, das Gegenteil zu verordnen beliebte. In einem »herrlichen« Freibrief vom Jahre 1406 machte er das Baderhandwerk in allen Erb- und Reichslanden den Besten der anderen Handwerke völlig gleich und verbot jedermänniglich, die ehrlichen Bader zu schmähen und von ihren redlichen Diensten verkleinerlich zu reden. [165] Dieses Privilegium vermochte aber trotz Siegel und Handzeichnung das sehr gerechtfertigte uralte Vorurteil gegen die Baderzunft nicht aus der Welt zu schaffen. In dem Gedichte »Des Teufels Netz«, entstanden um 1420, wird behauptet:
sie sind Diebe, Lügner und Kuppler, Neuigkeitskrämer – sollte sich diese Eigenschaft nicht auf ihre Nachkommen, unsere Raseure und Friseure, vererbt haben? – die ihren Gästen ausser Skandalgeschichten noch »die Fröulin zuo in schieben«. Kuppler und Bader werden in einem Atem genannt: »Ich will wern ein Frauenwirt Und ein padknecht, der lest (lässt) und schiert, So mag ich peiderseits gewin haben«, heisst es in einem Fastnachtsspiele. [166] Wie in Konstanz beim Konzil, so waren auch anderwärts die Badestuben die Absteigequartiere für die fahrenden Dirnen, die ja sonst nirgends Unterkunft fanden.
Ein reiches Quellenmaterial authentischer Abbildungen unterrichtet uns über die unsittlichen Vorgänge in den Wannenbädern. Die Miniatur eines Codex der Leipziger Stadtbibliothek zeigt das Innere einer solchen Badeanstalt und alle Phasen, die ein Wüstling an einem solchen Orte durchmachen konnte. Das Gewölbe des Baderaumes enthält eine Anzahl getrennt stehender, mit Stoff überdachter Wannen, vor deren Längsseiten sich mit Speisen und Getränken besetzte Tische befinden; zur Bedienung laufen alte Vetteln umher. In den Wannen sitzen die Pärchen, die Männer nackt, die Frauenzimmer mit Haarschutz und Halsketten bekleidet. Im Hintergrund des Raumes sind Betten sichtbar; in einem Bette hat sich bereits ein Pärchen zusammengefunden, während vor einem zweiten ein Dämchen mit von der Schulter herabwallendem Bademantel steht und eine Annäherung an den im Bette Liegenden sucht. Auf einer Zeichnung in der Valerius Maximus-Handschrift der Breslauer Stadtbibliothek liegt ein Brett als Unterlage für die Speisen quer über den Wannen, in denen es noch viel ungezwungener zugeht als auf dem erstgedachten Bilde. Auch hier fehlt das Bett nicht. Bei Wein und Weib durfte auch der Gesang nicht fehlen. So sehen wir denn auf vielen Bäderbildern den fahrenden Sänger seine Kunst vor den Badegästen ausüben. Von den Stiftsdamen in Köln heisst es in einem altfranzösischen Fabliau, dass sie sich ihre im Bade eingenommenen Schmäuse durch den Vortrag saftiger Geschichten seitens eines Spielmannes würzen liessen. Eine Federzeichnung in dem mittelalterlichen Hausbuche der Fürsten Waldberg-Wolfegg zeigt einen Baderaum mit daranstossendem Hofgarten, in dem sich die Gäste vor und nach dem Bade ergehen konnten. Das Bad selbst, ein Bassin mit Abfluss nach dem Hofe, bietet Raum für vier Personen, der auch weidlich ausgenutzt erscheint. In dem gleichen Buche stellt das Blatt unter dem Sternbilde der Wage ein ländliches Fest vor. In kecken Federstrichen ist auf der linken Bildseite ein Wannenbad unter einer natürlichen Laube entworfen, in welchem ein Badender die recht naturtreu gezeichnete Liebste freudig empfängt. Eine Matrone mit Eiern und Wein steht erwartungsvoll bei den Liebenden, die nur ein geflochtener Zaun und eine Bretterthüre von einer Tanzgesellschaft trennt. Den Hintergrund der Zeichnung nimmt ein Gebüsch mit einem sich sehr ungeniert betragenden Paare ein. Also hier, wie im Meleranz, nimmt man unter freiem Himmel sein Bad. In Gwaltherus Ryffs »Spiegel und Regiment der Gesundheit« ist ein Holzschnitt mit einem Manne in einer Badewanne, neben der ein zweiter im Badekostüm auf einer Fussbank sitzt. Und trotzdem die Sonne auf diese Scene herniederlacht und Damen und Herren umherschwärmen, steht eine Frau mit bis auf die Oberschenkel zurückgeschlagenen Kleidern bei den Badenden. Wenn ich gleich Alwin Schultz alle diese Darstellungen für übertrieben halte und manche Einzelheit der Lust des Mittelalters an derbem und zotigem »Schimpf« zuschreibe, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass wirklich vorhandene Thatsachen erst den Anlass zu den Übertreibungen gaben. Ebensowenig, wie der moderne Karikaturist seine Stoffe aus dem Finger saugt, sondern Vorhandenes verzerrt, thaten es seine Ahnen. Dass die beiden Geschlechter vereint badeten, ist unwiderleglich bewiesen, und dass es unter solchen Umständen an Excessen nicht fehlen konnte, bedarf nicht erst wieder Worte, um einzuleuchten. Optimisten, die noch an »die gute alte Zeit« glauben, haben niemals das reiche Quellenmaterial aus jener Zeit durchblättert, das auf jeder Seite eine romantische Illusion zerstört. Die Menschen sind sich in ihren Schwächen immer gleich geblieben, und der Liebestrieb, den die Natur dem Menschen eingepflanzt, hat sich nie und unter keinen Umständen unterdrücken lassen. Wenn also Ulrich von Hutten in seinem »Gesprächbüchlein«, im vierten Gespräch »die Anschauenden« den Sol die Badesitten verteidigen lässt, so ist dies entweder Sarkasmus oder schönfärberische Heuchelei. Sol, die Sonne, und ihr Sohn Phaeton unterhalten sich über die Völlerei der Deutschen, als Phaeton mit einem Blick auf die Erde bemerkt:
Dort seh' ich einige nackend, Frauen und Männer vermischt, miteinander baden; ich glaube, dass das ohne Schaden für ihre Zucht und Ehre nicht zugeht.
Sol. Ohne Schaden.
Phaeton. Ich sehe sie sich doch küssen.
Sol. Freilich.
Phaeton. Und sich freundlich umfassen.
Sol. Ja, sie pflegen auch bei einander zu schlafen.
Phaeton. Vielleicht haben sie die Gesetze Platos angenommen und halten die Weiber gemeinschaftlich.
Sol. Nicht gemeinschaftlich; sondern darin zeigt sich ihr Vertrauen. An keinem Ort, wo man die Frauen hütet, kannst du die weibliche Ehrbarkeit unversehrter finden als bei diesen, die keine Aufsicht über sie führen. Es fällt auch nirgends seltener Ehebruch vor, nirgends wird die Ehe strenger und fester gehalten denn hier.
Phaeton. Du sagst, dass sie übers Küssen, Umfassen und Zusammenschlafen nicht hinausgehen? Und dazu bei der Nacht?
Sol. Ja, so sage ich.
Phaeton. Das geschieht auch ohne allen Verdacht? Und wenn sie sehen, dass ihre jungen Weiber und Töchter von anderen also behandelt werden, fürchten sie da nicht für deren Ehre?
Sol. Sie denken nicht einmal daran; denn sie vertrauen einander und leben in gutem Glauben, frei und redlich, ohne Trug und Untreu, sie wissen auch von keiner Hinterlist. [167]
Die Lust am Bade war derart in allen Bevölkerungsschichten gemein, dass man allerorts Stiftungen errichtete, deren Erträgnisse zu Badegeldern für Arme verwendet wurden. Nach sächsischem Stadtrecht konnte der wegen eines Totschlags angeklagte Verbrecher nach Vergleich mit den Verwandten des Erschlagenen statt zum Tode, zu einer Geldbusse oder zur Verabreichung von Seelenbädern, d. h. Bädern zu Ehren des Umgekommenen, die den Stadtarmen zu gute kamen, verurteilt werden. [168] Das Speierer Domkapitel liess stets zu Martini und am Faschingsdienstag ihren Dienern und deren Familien ein Freibad bereiten, ebenso der Bader von Böblingen den Armen, wofür er zu jeder Zeit im Walde umsonst Holz fällen durfte. Mathilde, Kaiser Heinrichs I. Frau, liess jeden Sonnabend ein Bad für Dürftige und Reisende herstellen, wobei sie selbst half. Markgräfin Mathilde von Tuscien und die heilige Elisabeth bewiesen ihre Frömmigkeit durch das Baden Aussätziger, denen sie nach dem Bade ihre eigenen Betten zur Ruhe überliessen. Den Dienern, Handwerksgesellen und Taglöhnern reichte man statt Trinkgeld das Badegeld, und bei besonders freudigen Anlässen gab man ihnen Freibäder. In manchen Orten, so im Dörfchen Huisheim in Schwaben, hatte um 1500 der Bader jedem, gleichviel ob Weib oder Mann, der zu »gottz tisch gaut«, einen Kübel mit warmem Wasser und eine Badehaube zum Gebrauche bereitzustellen.
Die Parias des Mittelalters, die Juden, waren mit wenigen Ausnahmen, wie von jeder anderen Gemeinschaft mit ihren christlichen Nebenmenschen, so auch vom Besuche der Bäder ausgeschlossen. Nicht einmal einladen zu einem Bade durfte man sie, ebensowenig wie »zue kainer prauttschafft noch zu kainer wirttschafft«. Da aber auch sie dasselbe Reinlichkeitsbedürfnis hatten, wie die Christen, und ihren Frauen mindestens eine Reinigung im Monat von ihrem Ritus vorgeschrieben war, so bauten sie sich in den Ghettos eigene Bäder. Eines der ältesten dieser Judenbäder ist wohl das einst viel bewunderte, auf das zweckmässigste eingerichtet gewesene Frauenbad zu Worms [169] ; andere Badeanlagen aus dem 12. Jahrhundert in den den Juden eingeräumten Stadtteilen finden sich noch in Speyer, Andernach, Friedberg in Hessen. Nach den Nürnberger Polizeigesetzen, die dem »Jud oder Judein« das Baden in der »Judenpatstuben« verordnet, muss im 13. Jahrhundert auch das Nürnberger Ghetto seine Badeanstalt besessen haben. In Augsburg erscheint sie um 1290. Bei den strengen Religionsvorschriften der Juden wird in den Bädern die Trennung der Geschlechter durchgeführt worden sein, umsomehr, als das unreine Weib sich erst durch das monatliche Bad zu reinigen hatte, eine Berührung vor und im Bade daher als Sünde gegolten hatte, andererseits sogar in den Synagogen die Männerabteilung ganz abseits von jener der Frauen lag. Überhaupt zeichnete die mittelalterlichen Juden eine exemplarische Sittlichkeit aus, was Freund und Feind gleichmässig bestätigen.
Das ganze Mittelalter hindurch erhielt sich die von Nürnberg und Regensburg ausgegangene Sitte, dass ein Brautpaar vor, manchmal auch erst nach der Trauung mit dem ganzen Gefolge ihrer Sippe und der Gäste zu Bade zogen, die Hochzeitsgäste beladen mit den vom Brautpaar erhaltenen Badekappen und Bademänteln.
Einen solchen Hochzeits-Badezug im alten Berlin schildert Streckfuss [170] wie folgt: »Nach dem Austausch dieser Geschenke ordnete sich die Gesellschaft, um sich in das Bad zu begeben; man machte, wenn die Wohnung des Brautvaters dem Krögel zu nahe lag, oft einen Umweg durch die vornehmsten Strassen, um dem zahlreich versammelten Volke länger das Vergnügen des Zuschauens zu gewähren. Dem Zuge voran schritten die Musikanten, welche sich bestrebten, ihre lustige Hochzeitsweise so laut und geräuschvoll wie möglich zu machen. Ihnen folgten die Gäste, zuerst die Frauen mit ihren neuen Schuhen – ein Geschenk des Bräutigams – dann die Männer mit den Badehemden über der Schulter. Bald vor, bald neben dem Zuge liefen die Lustigmacher, die bei keiner grossen Hochzeit fehlen durften und welche die Aufgabe hatten, durch die tollsten Possen die Heiterkeit der Gäste und des zuschauenden Volkes zu erregen. – Je toller, je besser, niemand durfte dabei etwas übel nehmen, auch wenn die Scherze stark handgreiflich wurden. Prügelte der Narr irgend einen der Umstehenden mit seiner Pritsche, oder traf er gar beim Radschlagen diesen oder jenen mit dem Fuss an die Nase, so lohnte ein schallendes Gelächter den feinen Witz; häufig bedienten sich auch die Spassmacher grosser Düten mit Kienruss, um besonders den jungen Mädchen das Gesicht zu schwärzen. Jede solche Heldenthat wurde durch das allgemeine Gelächter belohnt.
Im Badehause teilte sich die Gesellschaft; meist war sie zu gross, als dass die beiden geräumigen, gewölbten Badezimmer die sämtlichen badenden Gäste auf einmal hätten fassen können; nur ein Teil konnte baden, der andere erlabte sich während dessen, bis an ihn die Reihe kam, mit einem guten Frühstück, zu welchem der Bader bei solchen Gelegenheiten eingerichtet war.«
Also auch bei Brautbädern badeten beide Geschlechter zusammen, denn nur wenn die Gesellschaft zu gross war, teilte sie sich in mehrere Partien, und ob diese Trennung nach Geschlecht erfolgte, davon sagt weder unser Gewährsmann, noch sonst eine Quelle etwas. Hingegen bezeugen andere Nachrichten, dass es bei und nach den Brautbädern nicht immer schicklich hergegangen sei, so das Zittauer Rats-Edikt von 1616: »Als denn vormals dy jungen gesellen nach dem bade widir (wider) gute sitten in badekappin und barschenckicht (mit blossen Schenkeln) getanzt haben, wil der Rath das fortureh (hinfort) kein mans bild in badekappen odir barschinckicht tantzen solle.«
Die Syphilis war, wie den Frauenhäusern, auch der Ruin der öffentlichen Badestuben. Als Ansteckungsherd der Krankheit wurden sie vom Anfang des 16. Jahrhunderts an immer mehr gemieden. Bereits im Jahre 1496 gebot deswegen der Nürnberger Rat »allen padern bei einer poen zehen gulden, das sie darob und vor sein, damit die menschen, die an der Newen Krankheit, malum frantzosen, befleckt und krank sein, in Irn paden nicht gepadet, auch Ihr scheren und lassen giengen, die Eissen und Messer, so sie bey denselben kranken Menschen nutzen, darnach in den padstuben nit mer gebrauchen.« [171] »Aber vor fünfundzwanzig Jahren,« sagt Erasmus von Rotterdam in seinen »Colloquia« (1612), »war in Brabant nichts beliebter, als die öffentlichen Bäder; die stehen jetzt alle kalt. Die neue Krankheit lehrt uns auf sie verzichten.«
In Gerolzhofen klagte der Rat schon 1445, dass, während früher zwei Badestuben in der Stadt jede wöchentlich viermal geöffnet und stets besucht gewesen sei, jetzt die eine kaum dreimal in der Woche hinlänglichen Besuch habe. In Stuttgart wurden im Jahre 1547 die öffentlichen Badetage von sechs auf zwei vermindert, desgleichen in Wien, Berlin, Nürnberg und anderen Plätzen. In Frankfurt wurden gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Badestuben gänzlich geschlossen.
»Bade im Hause« oder das Baden in offenen Wässern war das einzige, das sich die ob der grauenvollen Krankheit erschreckte Menschheit ausser dem Besuch von Heilquellen noch gestattete. War der Gebrauch von Heilquellen bereits im deutschen Altertum nicht unbekannt, so kam er doch erst im 15. und 16. Jahrhundert in volle Blüte, wurde sogar in vielen Landstrichen zur Modesache. Eine Badefahrt zu unternehmen, gehörte zum guten Ton; im 18. Jahrhundert noch liessen sich Bräute die alljährliche Badereise im Ehekontrakt notariell zusichern.
An Modebädern diesseits und jenseits der Reichsgrenze war kein Mangel. Baden-Baden, Wildbad, Wiesbaden, Pyrmont, Baden im Aargau, dies schon seit der Römerzeit her, Hornhausen, Burgbernheim und Zerzabelshof im Schwarzwald, Teplitz in Böhmen und viele andere mehr waren Bäder von Ruf.
Durch seine Lage berühmt war Pfeffers, ein Besitztum des gleichnamigen Klosters. Zu Anfang des 13. Jahrhunderts wurden seine warmen Quellen zufällig durch einen Jäger entdeckt. Es barg sich »aber tieff zwischen zweyen hohen und oben zusammengebogenen Felsen, dass niemand dazu ohne lange Seyler hat mögen kommen«, sagte Münster in seiner Kosmographie. Der Abt liess deshalb, als die Frequenz bedeutender wurde, eine hölzerne Treppe in die Tiefe bauen.
In den Thermalbädern nahm gewöhnlich ein gezimmertes oder gemauertes Bassin die Badenden auf, wie zahlreiche Abbildungen in alten balneologischen Werken zeigen. Der Schlitzoesche Holzschnitt im »Tractat der Wildbeder« (1519) führt vier Männer und eine Frau in einem solchen Bade schmausend und dem Gesange eines Fahrenden lauschend vor. In dem allgemeinen Bade zu Plummers (Plombières) in den Vogesen auf dem Titelbild zu J. J. Huggelius' »Von heilsamen Bädern des Teutschenlands«, Mülhausen 1559, hat der schamhafte Künstler die Männer mit einer Schambinde, Bruch, Hose, die Weiber mit einer knapp unter der Büste festgebundenen Schürze bekleidet. In Eschenreutters Buch (1571) gibt ein Blatt Mann und Frau in einer Badewanne wieder, während sich eine grössere, sehr mangelhaft bekleidete Gesellschaft mit Speise und Trank bei Gesang und Flötenspiel ergötzt. [172]
Über das Leben im Bade ergeht sich ein Glossar zu einigen Wandgemälden, die sich ehedem im Hause des Domherrn Grafen Johann von Eberstein befanden. C. Will [173] übersetzt diese von Henricus de Langenstein, dictus de Hassia herrührende Beschreibung folgendermassen: » Von fleischlicher Lust. Wenn ich mich nicht täusche, so ist der Sinn dessen, der die Reihe besagter Malereien angab, von dem Geiste getrieben worden, um stillschweigend die Meinung des Apostel Johannes auszudrücken, der da spricht: ›Alles was auf der Welt vorhanden ist, ist Begehrlichkeit des Fleisches oder Begehrlichkeit der Augen, oder Übermut des Lebens‹. Das heisst: Alle Laster weltlicher Verirrung sind auf drei zurückzuführen: fleischliche Lust, weltliche Habgier und Stolz auf eitlen Ruhm. Wie aber konnte schicklicher fleischliche Lust dargestellt werden, als auf einem Bilde des Wiesbadener Festes, das durch alle Fleischlichkeit anstössig, von dem Schaume aller sinnlichen Wollust triefend ist? Zu ihm kommen sie von allen Seiten in Freude und Ausgelassenheit, mit Trompeten und Pfeifen, mit vollen Kasten und Flaschen; man bringet Lebensmittel und die leckersten Getränke herbei, man nimmt Geld in Menge mit, seltsame Kleider werden mitgeführt; in der Hoffnung sich zu ergötzen, wird schon auf dem Wege gespielt, gesungen, geplaudert, als ob man am Ziele die Freude der Glückseligkeit zu erwarten habe. Wenn man angekommen ist, werden Gastereien veranstaltet, man sucht der Frauen Gesellschaft , geht ins Bad, befleckt die Seele ... Im Bade sitzen sie nackt mit Nackten beisammen, nackt mit Nackten tanzen sie. Ich schweige darüber, was im Dunklen vor sich geht, denn alles geschieht öffentlich. Aber was ist das? Der Ausgang und der Eingang dieses unsinnigen Festes ist nicht gleich, wenn, nachdem alles verzehrt ist, die Kasten leer zurückkommen, die Geldbeutel ohne Geld, man die Rechnung hört und die Verschleuderung so vielen Geldes bereut. Und zuweilen beisst auch die Seele der Heimgekehrten das Gewissen wegen der begangenen Sünden. Der ist traurig über solche Verirrung; der klagt, weil er von der Lust scheiden muss; der gedenkt betrübt, wie kurz und inhaltlos die Freuden dieser Welt sind. Was mehr?
Sie kehren heim, die Körper sind weiss gewaschen, die Herzen durch Sünde geschwärzt; die gesund hingingen, sie kehren heim angesteckt; die durch die Tugend der Keuschheit stark waren, kehren heim verwundet von den Pfeilen der Venus. Das möchte noch wenig bedeuten, wenn nicht die Mädchen, die als Jungfrauen hinreisten, als Dirnen zurückkehrten, als Ehebrecherinnen, die anständige Ehefrauen waren, wenn nicht als Teufelsweiber heimkehrten, die als Gottesbräute hingingen. Und so erfahren sie durch diese und andere Anlässe zur Trauer bei der Rückkehr die Wahrheit des Satzes, dass das Ende aller fleischlichen Lust Trauer ist.«
Der geistliche Herr malt, wie es seines Amtes ist, grau in grau, alle fleischliche Lust verketzernd, die allerdings in den Bädern den weitesten Spielraum fand. Poggios, auf Autopsie beruhende Beschreibung des Getriebes in Baden bei Zürich liefert den Beweis, wie recht der edle Langenstein stellenweise mit seiner Verdonnerung hatte. Poggio, ein Florentiner, hatte den Papst Johannes XXIII. zur Kirchenversammlung nach Konstanz begleitet, war dann nach Baden gefahren, um dort von seinem Chiragra befreit zu werden. Aus dem Kurorte schrieb er im Sommer 1417 an seinen Freund und Landsmann Niccoli einen langen, lateinischen Brief, den ich hier in der Übersetzung von Alwin Schultz mitteile. Poggio ist ein fideles Haus, dem es nicht immer auf volle Wahrung der historischen Treue anzukommen scheint, wenn er durch aufgesetzte humoristische Lichter sich selbst und seinen Freund unterhalten kann. Er mischt daher Wahrheit und Dichtung zu einem ergötzlichen Feuilleton zusammen, das aber trotz der beabsichtigten humoristischen Färbung doch meisterhaft das Thema des mittelalterlichen Badelebens erschöpft.
»Diesen Brief aber schreibe ich Dir aus diesem Bade, das ich, meine Handgelenke zu heilen, aufgesucht habe; und da schien es mir angemessen, die Lage und Anmuth desselben, zugleich auch die Sitten dieser Leute und die Weise des Badens zu beschreiben. Von den Alten wird viel über die Bäder von Puteoli gesprochen, wohin das gesammte römische Volk der Lust wegen strömte, doch glaube ich nicht, dass jene diese an Vergnüglichkeit erreicht haben und dass sie mit den unsrigen zu vergleichen gewesen sind. Denn in Puteoli verursachte die Lust mehr die Schönheit der Lage, die Pracht der Landhäuser, als die Liebenswürdigkeit (festivitas) der Menschen und der Gebrauch der Bäder. Dieser Ort aber bietet keine oder fast keine Erquickung dem Geiste, das Uebrige aber bringt einen angemessenen Frohsinn (amoenitatem), so dass ich zuweilen meine, Venus sei mit allen Vergnüglichkeiten von Cypern nach diesem Bade übersiedelt, so werden ihre Gesetze beobachtet, so aufs Haar ihre Sitte und Leichtfertigkeit wiedergegeben, so dass sie, wenn sie auch die Rede des Heliogabel nicht gelesen, doch von Natur gelehrt und unterrichtet genug erschienen. Aber da ich dir dieses Bad beschreiben will, so mag ich auch nicht den Weg übergehen, der von Constanz hierher führt, damit Du vermuthen kannst, in welchem Theile Galliens es liege. Am ersten Tag reisten wir zu Schiff den Rhein hinab nach Schaffhausen, vierundzwanzig Meilen (milia passuum) und dann, weil wegen des grossen Falles und wegen der steilen Berge und abschüssigen Felsen der Weg zu Fuss gemacht werden muss, noch zehn Meilen und gelangten nach dem Schlosse Kaiserstuhl am Rhein. Nach dem Namen vermuthe ich, dass es wegen der günstigen Lage auf einem hohen Hügel am Flusse, der durch eine kleine Brücke Gallien mit Germanien verbindet, ein Römercastell gewesen sei. Auf dieser Reise sahen wir den Rheinfall, der von hohem Berg, zwischen zerklüfteten Felsklippen mit Donnerbrausen herabstürzt. Da kam mir ins Gedächtniss, was man von dem Nilkatarakt erzählt. Und es ist nicht zu verwundern, dass die Anwohner wegen des Getöses und Donnerns taub werden, da ja dieses Flusses, der an der Stelle nur als Wildbach gelten kann, Lärm wie beim Nil drei Stadien weit gehört wird. Die Stadt Baden ist ziemlich reich, von Bergen umgeben, in der Nähe ein Fluss von reissender Strömung, der in den Rhein fliesst, etwa sechs Meilen von der Stadt. Nahe bei der Stadt, vier Stadien entfernt, liegt ein sehr schönes Dorf (villa) zum Gebrauch der Bäder hergerichtet. In der Mitte des Dorfes ist ein grosser Platz, der von grossen Gasthäusern, welche viele aufnehmen können, umgeben ist. Die einzelnen Häuser haben die Bäder im Innern, in denen nur die baden, welche da wohnen; die Bäder sind sowohl öffentliche als Privateigenthum, etwa dreissig an der Zahl. Öffentliche sind nur zwei vorhanden, offen (palam) zu beiden Seiten, Badestätten des Volkes und des gemeinen Haufens, zu denen Weiber, Männer, Knaben, unverheiratete Mädchen, die Hefe der ganzen Umgebung, zusammenströmt. In ihnen scheidet eine Mauer die Männer von den Frauen. Es ist lächerlich zu sehen, wie abgelebte alte Weiber und jüngere Frauen nackt vor den Augen der Männer ins Wasser steigen. Ich habe oft über dies prächtige Schauspiel gelacht, dabei an die Spiele der Flora gedacht und bei mir die Einfalt dieser Leute bewundert, die weder auf so etwas hinsehen, noch irgend etwas Böses davon denken oder reden. Die Bäder in den Privathäusern sind aber sehr fein (perpolita); Männer und Frauen gemeinsam, aber durch eine Holzwand geschieden. In ihr sind mehrere Fenster angebracht, so dass man zusammen trinken und sich unterhalten kann, nach beiden Seiten hin zu sehen und sich zu berühren vermag, wie dies ihrer Gewohnheit nach oft geschieht. Über dem Bassin sind Korridore, auf denen Männer stehen, zuzusehen um sich zu unterhalten, denn ein jeder darf in andere Bäder gehen und sich dort aufhalten, zuzuschauen, zu plaudern, zu scherzen und sich zu erheitern, so dass man die Frauen, wenn sie ins Wasser steigen oder aus demselben herauskommen, sieht. Keiner wehrt die Thür, keiner argwöhnt etwas Unschickliches. Männer tragen nur eine Schambinde (campestribus utuntur), die Frauen ziehen leinene Hemden an, von oben bis zum Schenkel, oder an der Seite offen, so dass sie weder den Hals, noch die Brust oder die Arme bedecken. Im Wasser selbst speisen sie oft auf gemeinsame Kosten, ein geschmückter Tisch schwimmt auf dem Wasser, und auch Männer pflegen teilzunehmen. Wir sind in dem Hause, in dem wir badeten, einmal zu solchem Fest geladen worden. Ich habe meinen Beitrag gezahlt, wollte aber trotz wiederholter Bitten nicht teilnehmen, nicht aus Schamgefühl, das für Feigheit oder Unbildung gehalten wird, sondern weil ich die Sprache nicht verstand. Es kam mir närrisch vor, dass ein Italiener, unkundig der Sprache, im Wasser stumm und sprachlos dasitze, da ein ganzer Tag mit Essen und Trinken hingebracht werden sollte. Aber zwei von den Genossen sind in das Bad gegangen, mit grosser Herzensheiterkeit, haben mitgethan, mit getrunken, mit gespeist, durch den Dolmetsch sich unterhalten, oft mit dem Fächer Luft gefächelt. Es fehlte nichts zu dem Gemälde, wie Jupiter die Danae mittelst des goldenen Regens befruchtete u. s. w. Sie aber waren, wie es bei den Männern Sitte ist, wenn sie in die Bäder der Frauen eingeladen werden, mit leinenen Hemden bekleidet; ich jedoch sah von der Gallerie aus alles, die Sitten, Gewohnheiten, die Liebenswürdigkeit (suavitatem), die Freiheit und Ungebundenheit der Lebensart. Es ist merkwürdig, zu sehen, in welcher Unschuld sie leben, mit welchem Vertrauen Männer es ansahen, dass ihre Frauen von Fremden berührt wurden. Sie wurden nicht gereizt, achteten nicht darauf, nahmen alles von der besten Seite. Nichts ist so schwer, dass bei ihren Sitten nicht leicht wurde. Sie hätten ganz in den Staat Platos gepasst, wo alles gemeinsam ist, da sie schon ohne seine Lehre so eifrig in seiner Schule erfunden werden. In einigen Bädern sind Männer unter den Frauen, denen sie entweder verwandt sind, oder es wird ihnen aus Wohlwollen gestattet. Täglich gehen sie drei- oder viermal ins Bad und bleiben den grössten Theil des Tages darin, theils singend, theils trinkend, theils Reigen tanzend. Sie singen auch im Bade sitzend ein Weilchen, dabei ist es besonders angenehm, die erwachsenen Mädchen im heiratsfähigen Alter, mit schönen und freimüthigen Gesichtern, im Costume und Gestalt der Göttinnen, singen zu sehen, wie sie die auf dem Wasser schwimmenden Kleidern hinten nachziehen, man könnte sie für die Venus selbst halten. Es ist Sitte, dass die Frauen, wenn die Männer von Oben zuschauen, Spasses halber um ein Geschenk bitten. So werden ihnen, und zwar den schönsten, Geldstücke zugeworfen, die sie mit der Hand oder mit den ausgebreiteten Hemden fangen, sich einander fortstossend, und bei diesem Spiele werden zuweilen auch geheime Reize enthüllt. Es werden auch Kränze aus verschiedenen Blumen herabgeworfen, mit denen sie sich die Häupter beim Baden schmücken. Ich habe, durch die unbeschränkte Freude, zu sehen und Scherz zu treiben, gelockt, da ich nur zweimal täglich badete, die übrige Zeit damit hingebracht, die anderen Bäder zu besuchen und sehr oft Geldstücke wie Kränze wie die anderen hinabgeworfen. Denn weder zum Lesen noch zum Denken war Zeit vorhanden unter den ringsum erschallenden Klängen der Symphonien, der Trompeten, der Zithern, wo schon der Wille zu denken, die höchste Thorheit gewesen wäre, besonders für einen, der auch wie der Menedemus Heautontimorumenos ist, ein Mensch vielmehr, der allem Menschlichen zugänglich. Zur höchsten Lust fehlte die mündliche Unterhaltung, die vor allen Dingen den meisten Werth hat; so blieb nichts übrig als die Augen zu weiden, zu folgen, zum Spiele hin und zurückzuführen. Zum Spazieren war Gelegenheit und so viele Freiheit, dass der Spaziergang nicht durch Gesetze beschränkt war.
Ausser diesen vielfältigen Vergnüglichkeiten gibt es noch eine nicht geringfügige. Hinter der Stadt am Flusse ist eine Wiese mit vielen Bäumen bewachsen. Dahin kommen nach dem Nachtessen alle von allen Seiten; dann werden verschiedene Spiele gespielt; die einen erfreuen sich am Tanze, die anderen singen, die meisten spielen Ball, nicht nach unserer Sitte, sondern die Männer und Frauen werfen einen mit Schellen besetzten Ball einander als besondere Liebesauszeichnung zu, und der wirft ihn wieder einer ihm besonders lieben Person zu, während jene Vielen mit vorgestreckten Händen bitten und er bald dem, bald jener ihn zu werfen heuchelt. Es werden noch ausserdem viele Scherze getrieben, die zu beschreiben zu weit führen würde.
Diese aber habe ich berichtet, damit du siehst, wie gross hier die Schule der Epicuräer ist, und ich glaube, dies ist hier der Ort, in dem der erste Mensch geschaffen worden, den die Hebräer Gamedon, das heisst: »Garten der Lust« nennen. Denn wenn die Lust das Leben glücklich machen kann, so sehe ich nicht ein, was diesem Orte fehlt zur vollendeten und in jeder Hinsicht vollkommenen Lust. Fragst du nun nach der Wirkung der Bäder, so ist sie mannigfach verschieden, doch ist ihre Kraft bewunderungswerth, fast göttlich. Ich glaube nicht, dass es auf der Welt, ein wirksameres Bad für die Fruchtbarkeit der Frauen gibt ; da recht viele der Unfruchtbarkeit wegen hierher kommen, so erfahren sie seine merkwürdige Kraft. [174] Sie beobachten genau die Vorschriften, und es brauchen Mittel die, welche nicht empfangen können. Unter diesen ist besonders folgendes bemerkenswerth: eine unzählige Menge von Adeligen und Nichtadeligen kommt hier zusammen; zweihundert Meilen weit her, nicht eben der Gesundheit, sondern der Lust wegen, alles Liebhaber, alles Freier, alle, denen an einem genussreichen Leben gelegen ist, um hier des gewünschten sich zu erfreuen. Viele geben Körpergebresten vor, während sie doch im Geiste krank sind. So siehst du unzählige schöne Frauen, ohne Männer, ohne Verwandte, mit zwei Dienerinnen und einem Knechte oder einer alten Angehörigen, die leichter zu täuschen als zu ernähren ist. Einige gehen, soweit sie es vermögen, mit Kleidern, Gold, Silber und Edelsteinen geschmückt, dass man glauben könnte, sie seien nicht zu den Bädern, sondern zu den herrlichsten Hochzeiten gekommen. Da gibt es auch vestalische Jungfrauen oder richtiger gesagt floralische. Da leben Äbte, Mönche, Brüder und Priester in grösserer Freiheit als die andern, baden zuweilen gemeinsam mit den Frauen und schmücken die Haare mit Kränzen, alle Religion bei Seite lassend. Alle sind eines Sinnes, die Traurigkeit zu fliehen, die Heiterkeit aufzusuchen, nichts zu denken, als wie sie frölich leben, die Freuden geniessen. Nicht das Gemeinsame zu theilen, sondern das Einzelne mitzutheilen ist die Frage. Merkwürdig ist es, dass bei einer so grossen Menge (beinahe 1000 Menschen), bei so verschiedenen Sitten, keine durch Trunk (ebria) verursachte Zwietracht entsteht; kein Aufruhr, kein Streit, kein Gemurr, kein Fluch. [175] Es sehen die Männer, dass ihre Frauen berührt werden, sie sehen, dass sie mit ganz Fremden, und zwar allein (solum cum sola) verkehren; dadurch werden sie nicht erregt; sie staunen über nichts, meinen, dass alles im guten und ehrbaren Sinne geschehe. Daher findet der Name Eifersucht, der gewissermassen alle Ehemänner erdrückt, bei denen keine Stelle. Das Wort ist unbekannt und unerhört. Sie kennen gar nicht eine Krankheit dieser Art, haben keinen Ausdruck für diese Leidenschaft. Und es ist nicht wunderbar, dass es bei ihnen dies Wort nicht gibt, da die Sache selbst nicht vorhanden ist. Denn noch ist keiner bei ihnen gefunden worden, der eifersüchtig wäre. O, wie verschieden sind unsere Gewohnheiten« u. s. w.
Poggios Widersprüche, bald lässt er die Frauen nackt baden, dann wieder mit Badehemden bekleidet sein, verraten, wie erwähnt, allein schon seine Unzuverlässigkeit. Ausserdem dürfte seine von ihm selbst betonte Unkenntnis der Sprache und Sitten ihn zu manchem Fehlschluss über die von ihm beobachtete Damensorte veranlasst haben. Er übersah wohl geflissentlich die anständigen Frauen ob der »lichten Fräuleins«, die nur der Verdienst ins Bad gelockt, und über jene Frauen, die im Badeort nur Abenteuer erleben wollten. Denn trotz aller Unterschiede zwischen den einstigen Sittenbegriffen von den heutigen, bestand auch damals schon eine Moralgrenze, deren Überschreitung keine anständige Frau gewagt hätte, darum waren jene so ausgelassenen Geschöpfe nichts weiter als Demimondainen. Das Mittelalter missachtete diese Weiber weit mehr, als dies unsere tolerantere Zeit thut und wusste aber ebenso wie wir ganz genau, dass die oft nur aus Not zur käuflichen Dirne Gesunkene Mitleid verdiente, während der meineidigen Gattin mit vollstem Rechte zum mindesten die Nichtachtung aller rechtlich Denkenden zu teil werden musste. Das öffentliche Mädchen konnte wieder ehrbar werden, nicht so die Ehebrecherin, die für alle Zeiten gesellschaftlich unmöglich war. Die Marklinie zwischen diesen beiden Frauentypen war von jeher so verwischt, um nicht von einem Poggio übersehen zu werden, während kein urteilsfähiger Landeskundiger über die Qualität der Damen im Zweifel war. War es doch allbekannt, dass die Kurorte den Haupttummelplatz für diese Abarten der Weiblichkeit bildeten.
»Etliche Weiber ziehen auch gern in die Sauerbrunnen und warme Bäder, weilen ihre Männer zu alt und kalt sind,« sagt Glauber, und Guarinonius pflichtete ihm bei, indem er gewisse Frauen nur deshalb Bäder besuchen lässt, damit sie dort »lustig ihren Ehemännern eine waxene Nasen träen kunden«. Aber ehrbare Frauen waren dies keineswegs. Solche liessen sich, wie dies 1649 in Baden bei Wien geschah, in den Saum ihres Badehemdes Bleistücke einnähen, oder trugen Badekleider, die wohl Brust und Arme freiliessen, aber den Unterleib verhüllten. Und zeigten sie sich auch vielleicht in voller Nacktheit, so gaben sie doch ebensowenig ihren Körper preis, wie dies die Japanerin thut, die bei der Toilette und im Bade den Zuschauer unbeachtet lässt.
Die Badevorstände boten auch alles auf, die honetten Frauen vor Übergriffen zu schützen.
In der Badeordnung vom Jahre 1594 für das württembergische Bad Boll bei Göppingen findet sich daher die Vorschrift: »Schandlose, üppige Wort, und sonsten verkleinerliche Nachreden, sowohl auch ergerliche Lieder und Gesäng sollen bei Straff eines halben Güldens verboten sein, desgleichen unzüchtige Geberden und Erzeigungen gegen Erlichen Frawen und Jungfrawen, bey unnachlesslicher Straf eines Güldens, so oft das geschicht.«
Suchte Poggio in Baden Heilung seines bösen Rheumatismus, so galt dieser Kurort doch vornehmlich als unerreicht in der Behebung der weiblichen Sterilität. Deshalb ist es sehr amüsant, den Eifer zu beobachten, mit dem sich Nonnen und Mönche bemühten, eine Badenfahrt ermöglichen zu können. Die Äbtissin vom Fraumünster in Zürich veräusserte nur zu diesem Zwecke 1415 einen Meierhof; die Klosterfrauen von Töss erkauften durch grosse Summen die päpstliche Erlaubnis, sich in weltlicher Kleidung unter ihrem Nonnenhabite in Baden erholen zu dürfen. Und das Leben dort war teuer, denn der Basler Kaplan Johannes Knebel verbrauchte 1475 im Monat Juli mit Magd und Diener in Baden zehn rheinische Gulden, über 500 Mark neuzeitlicher Währung. Thomas Murner sagt darum mit Recht im »Geuchmatt«:
In den Werken der Mittelhochdeutschen spukte die Sage von einem Heilbade mit gar seltsam wunderthätiger Wirkung:
sang 1542 Hans Sachs vom Jungbrunnen .
Wer alt und runzelig in das Wunderwasser gestiegen war, sprang:
hervor, was Lukas Kranach malte und »der Meister mit den Bandrollen« auf einen in der Wiener Albertina befindlichen ebenso seltenen wie gemeinen Kupfer radierte.
Zur Sommerszeit badeten »Manns- und Weibspersonen in offenen Wassern ganz unverschambt«, versichert Guarinonius, und mit ihm eifert die gesamte Geistlichkeit gegen die gemeinsamen Flussbäder, »Weilen das Baden der jungen Menscher und Buben sommerszeit sehr ärgerlich und viel schlimbes nach sich ziehet«, wie der Abt Gregorius von Melk 1697 meinte. Der Stadtrat von Frankfurt sah sich im 16. Jahrhundert schon wiederholt veranlasst, den »handwercksgesellen vnd andere, so im Main zu baden pflegen«, Haftstrafen zu verheissen, wenn sie, »wie Gott sie geschaffen ganz nackend blos ohne scham«, ohne ihre »niedercleider« badeten. Man hielt selbst im 18. Jahrhundert noch Flussbäder für einen Unfug ohne jede hygieinische Wirkung, für Übermut, den sogar ein Goethe noch verurteilte.
Der Tanz, das Spiel der grossen Kinder, blickt auf eine nach Jahrtausenden zählende Vergangenheit zurück. Er findet sich zu allen Zeiten, in allen Kulturepochen der Menschheit; ebenso bei den auf der niedrigsten Geistesstufe stehenden Wilden, wie bei den führenden Nationen. Doch welch unendlicher Abstand liegt zwischen dem grotesk-sinnlosen Stampfen und Sprüngen, den Gliederverrenkungen oder dem hüpfenden Trippeln jener und dem graziösen Tanze im lichtflutenden Ballsaale, und trotz dieses himmelweiten Unterschiedes hat die Sprache für all diese Verrichtungen nur das eine kennzeichnende Wort: Tanz! Dort die Begleitung von Gutturaltönen, Händeklatschen oder misstönenden primitiven Musikinstrumenten, hier die fascinierenden Walzerklänge, und all dieses ist Tanzmusik, unzertrennlich von Tanzeslust, leuchtenden Augen, hochklopfenden Herzen.
Die Erfindung des Tanzes verursachte kaum viel Kopfzerbrechen. Schon in der Körperbewegung, im Gehen, Laufen und Springen liegt die Grundidee des Tanzes. Die den Menschen eigentümliche Neigung, vor Freude zu hüpfen, mag die Entstehungsursache des Tanzes gewesen sein. So findet sich denn auch der Tanz oder Tanzformen bei allen Völkern, über die geschichtliche Überlieferungen berichten.
Auf den Bildertafeln der ägyptischen Tempel schweben florbekleidete Tänzerinnen dahin. Die Bibel kündet von »Spiel und Tanz« der Frauen Judas. Mirjam, die Prophetin, zog mit den Frauen und Jungfrauen hinaus auf den Rain zum Reigen. David »tanzte mit aller Macht vor dem Herrn her«, und Salome, die Tochter Herodias', ertanzte sich das Haupt Johannes des Täufers, wenn wir der Legende und Sudermann glauben dürfen.
Bei den Griechen, wie auch später bei den Römern und zur Zeit noch bei den meisten Naturvölkern, dann den Quäkern von Massachusetts und den Mormonen, galt der Tanz, verbunden mit Hymnengesang, als ein Bestandteil des Gottesdienstes. Der Tanz-Gesangskunst, Orchestik, der Griechen huldigten Hoch und Gering. Selbst ein Sokrates verschmähte es nicht, zu tanzen. Allerdings hing er seiner Tanzliebe ein Ausrede-Mäntelchen um, indem er den Tanz ein vorzügliches Mittel, den Appetit zu wecken, die Geistes- und Körperkraft rege zu erhalten und zu steigern nannte. Die Eitelkeit und Schaulust der Griechen, dieser Franzosen des Altertums, suchte Gelegenheit, ihrer Tanzlust möglichst oft zu frönen. Man tanzte schon in homerischer Zeit bei Gastmählern, bei öffentlichen und privaten Festen, im Hause, auf freien Plätzen, auf der Bühne, selbst bei Begräbnissen. Bei den Römern dekretierte Numa Pompilius (715-672 v. Chr.) den Tanz als gottesdienstliche Handlung. Dionysius von Halikarnass nannte die Marspriester, deren Kultustänze zu den heiligsten Ceremonien gezählt wurden, »Tänzer und Hymnensänger der Waffengötter«. Mit der fortschreitenden Kultur Roms war das hüpfende Vergnügen die Hauptsache jeder festlichen Veranstaltung. Es wimmelte von Kindern Terpsichores beiderlei Geschlechtes in Rom und wohin römische Sitte drang. Sie waren überall gern gesehene, wenn auch wenig geachtete Gäste. Auch bei den Leichenzügen der Cäsaren spielten Tänzer eine Rolle. Sie hatten den Verstorbenen in Maske und Gebärden zu kopieren. Mit der römischen Kultur entarteten auch die Tänze, über die wir von den Satirikern sehr Unerbauliches erfahren. Den Vergnügungstänzen lag ein erotischer Gedanke zu Grunde, wie dies z. B. bei den Tänzen der Spanier und dem Czardas auch noch jetzt der Fall ist.
Dem ernsten Sinne des Germanen waren derartige Tänze ein Unding. »Jünglinge, welchen das eine Lustbarkeit ist, tanzen nackt zwischen aufgestellten Schwertern und Speeren umher. Die Uebung erzeugt Fertigkeit, die Fertigkeit Anmut. Doch thun sie das nicht zum Erwerb oder um Lohn; wiewohl in dem Vergnügen der Zuschauer der kühne Mutwille seine Belohnung findet.« [176] Die Frauen der Germanen blieben dem Tanze fern, erst im Mittelalter wagten sie es, sich am Tanzvergnügen zu beteiligen und an der Seite eines Tänzers sich im Schreit-, Schleif- oder Springtanz zu erlustigen.
Die Schreittänze trugen ritterlich-höfisches Gepräge. Der Tänzer fasste eine oder zwei Tänzerinnen bei der Hand und hielt schleifenden Schrittes einen Umgang im Saale, sei es unter den Klängen von Instrumenten oder nach dem Takte von Tanzliedern, welch letztere der Vortänzer anstimmte, und in deren Refrain die ganze Gesellschaft einfiel. [177] Bei solchen Tänzen musste es steif zugehen, denn die Männer blähten sich in gesuchter Grandezza, während die Damen in ihren langen, wallenden Gewändern affektiert
dahintrippelten, »die trittel – als zuo einer henne ein han«.
Bei den Rundtänzen ging die Gesellschaft in der Runde und suchte den Inhalt des vorgesungenen Tanzliedes durch einfache Bewegungen mimisch darzustellen. Während solcher Rundtänze wurden sogar Trauungen vollzogen, wenn aus einer Stelle im Tristan ein allgemeiner Schluss gezogen werden kann. Aus diesen Rundtänzen entwickelten sich dramatische Tänze mit unterlegter Handlung, der einfache Vorgänge aus der Tierwelt zum Vorwurfe dienten. In einem Gedichte des 11. Jahrhunderts, »Ruodlieb«, treten Ritter und Edelfräulein einander gegenüber und stellen Falke und Schwalbe dar; der Raubvogel verfolgt in Sprüngen das Vögelchen, gleitet aber an ihm vorüber, statt es zu erhaschen. [178]
Zu den Variationen des Rundtanzes gehörte auch der noch heute bei fürstlichen Vermählungen gebräuchliche Fackeltanz. Bereits unter Kaiser Konstanz (337-350) in Byzanz nach griechischem Vorbild eingeführt, hat dieser Tanz eine Parallele in einem Hochzeitsbrauch der heidnischen Preussen, die die Braut an der Grenze ihres neuen Heimatortes mit einem »Brandfeuer« empfingen. Im 11. Jahrhundert war der Fackeltanz, wie aus der Reimchronik Peters von Hagenbach ersichtlich, als Vergnügen nach Turnieren allgemein. Den an sich langweiligen Rundgang mit den brennenden Lichtern suchte man durch Figuren zu beleben und unterhaltender zu gestalten. Man spielte mit den Fackeln, stemmte erst eine Hand, dann beide Hände in die Seite, trug die Hände abwechselnd unter dem Gürtel, winkte mit der Hand, legte sie über die Augen, trug Tannenreiser im Munde, winkte und drohte sich zu und beschmierte sich schliesslich gegenseitig die Gesichter mit Russ. Begreiflicherweise ging es bei diesen Tänzen höchst ehrbar zu, so dass Kirchenfürsten nicht anstanden, selbst derartige Feste zu veranstalten und ein Tänzchen mitzumachen, was Geiler zu dem ärgerlichen Ausspruch veranlasst: »O Mönch, wie passt die Kutte zum Tanze, wie die Tonsur zu den Kränzen der Frauen?«
Waren die Tänze an sich auch anständig, so scheint dies von den dabei gesungenen Tanzliedern weniger der Fall gewesen zu sein, wie Geiler hervorhebt. »Noch het ich schier ein trutz vergessen, nemlich den reien tantz; da werden auch nit minder untzucht und schand begangen, weder inn den andern, von wegen der schandtlichen und schamparen (schandbaren) hurenlieder, so darinn gesungen werden, damit man das weiblich geschlecht zu der geilheit und unkeuschheit anreitzet.« Dann weiter: »Auch in schmählichen Liedern wird gesündigt: das pflegt zu geschehen bei den Tänzen, die wir deutsch ›Leygerleyss‹ oder ›ein scheiblecht tenzlein‹ nennen, wo Eine vorsingt und die anderen nachfolgen, und wo viel Schmachvolles von Liebe gesungen wird, was zur Wollust anreizt und gegen die Ehrbarkeit gerichtet ist .... Mit leichtfertigem und unzüchtigem Schmuck bis auf den halben Rücken ist Alles bloss und nackt von vorn bis zu den Brüsten, dass sie auch die enthaltsamsten Männer locken können« – also schon damals Balltoiletten wie in der Ära der Lex Heinze – ja, Alles schon dagewesen! Der zweite Teil der eben mitgeteilten Philippika ist auf das ausgelassene Volk gemünzt, das sich nicht mit den feierlich-faden Schreittänzen begnügte, dessen leichteres Blut eine flottere Unterhaltung begehrte. Man tanzte im Dorfe auf dem Plane, den eine Linde überschattete, oder auf dem Tanzhügel. Im Winter flüchtete man in grosse Stuben, in das Dorfwirtshaus oder auch in Scheuern. Aber auch die Kirchen der Städte, ihre Vorhallen und die Kirchhöfe waren seit alter Zeit beliebte Tanzplätze, wenn auch die Geistlichkeit auf Synoden und von der Kanzel herab bis zum Ende des Mittelalters dagegen zeterte; ja noch mehr, man tanzte sogar zu denselben weltlichen Melodien, nach denen man in der Kirche die geistlichen Texte sang, weshalb Erasmus von Rotterdam von dem Kirchgesange sagt: »Da hört man schändliche und unehrliche Buhllieder und Gesang, darnach die Huren und Buben tanzen.«
Da ging es denn auch ganz anders zu, wenn sich die Tänzer auf solchen Plätzen zusammenfanden, die Weisen des Spielmannes lockten, die langen Fähnchen und mit ihnen die Gespreiztheit im Dunkel der Truhen verschlossen lagen und der Zwang des vornehmen Rathaussaales oder des städtischen Tanzhauses vergessen war. Da klopften die Pulse höher, da lohte die Jugendlust und Tanzfreude auf, da offenbarte sich der lebensvolle Übermut, da kam die unverfälschte Menschennatur zum Vorschein, befreit von den Fesseln des mit Mühe festgehaltenen »guten Tones«, da hiess es auf die Sittenpredigt des gestrengen Seelenhirten:
Wenn auch die Städter niederen Ranges, wie die Bauern, sich emsig bemühten, den höfischen Reigen, wie alles, was von »oben« kam, nachzuäffen, was Neithard von Reuenthal bezeugt, so waren doch die Repräsentationstänze nur einzelne, der lieben Mode wegen eingeschobene Programmnummern, zwischen denen dann jene Tanzformen auftauchten, die das Wesen und die Anschauungen des Volkes schärfer charakterisierten, als die sentimentale Stadelweise oder der flottere, aber noch immer zahme Ridewanz.
Die Namen der Bauerntänze sind fast alle ungelöste Sprachrätsel. Man tanzte Köwenanz, Sulawranz, Hoppaldei, Heierlei, Folafrantz, Ahsel, Houbetschoten (Kopfschütteln), Troialdei, Firgamdray, Wânaldei, Treirôs, Mürmum, Bôzalt, Gimpelgampel, Drauraran, Krumme Reien [179] , Adelswanck, Schwingewurz, Trümmekentanz [180] und andere schönbenamste Tänzchen mehr. Trotz dieser grundverschiedenen Namen hatten alle diese Tänze das eine gemein, dass sie weder graziös noch sittenverbessernd waren – darin sind alle massgebenden Autoren der Vergangenheit einig, die ausnahmslos den Stab über diese »Törpertänze« brechen.
Das Springen von Tänzer und Tänzerin, »den reien springen«, war eine Hauptsache bei all diesen Tänzen. Von einem Mädchen heisst es in einem Liede Neithards:
und Oswald von Wolkenstein sagt:
Wie bei diesen Sprüngen die leichte Gewandung flattern musste! Aber es kam noch toller: Man schwenkte die Tänzerinnen in die Luft empor, »dass man hoch sieht die blossen Beine«, wie Brant im Narrenschiff sagt. – Es sei hier nebenbei erwähnt, dass Beinkleider den mittelalterlichen Frauen gewöhnlichen Standes unbekannt waren. [181]
Geiler eifert gegen derartiges Tanzunwesen:
»Darnach findt man Klötz, die tantzen also sewisch (säuisch) und unflätig, dass sie die weiber und jungfrawen dermassen herumbschwencken und in die hohe werffen, das man jhn hinden und vornen hinauff siehet biss in die weich, also dass man jhr die hübsche weisse beinle siehet ..... Auch find man etlich, die haben dessen ein ruhm wann sie die jungfrawen und weiber hoch inn die höhe konnen schwencken und haben es bissweilen die jungfrawen (so anders solche jungfrawen zu nennen sein) fast gern und ist jnen mit lieb gelebt, wann man sie also schwencket, das man jhnen, ich weiss nicht wohin siehet.«
Murner variirt dasselbe Thema dahin:
Agrippa von Nettesheim, keineswegs so schwarzseherisch und pedantisch wie Murner und Geiler, sagt trotzdem in seinem 1526 verfassten Buche »De vanitate scientiarum«, man tanze mit unehrbaren Gebärden und tosendem Fussgestampfe nach lasciven Weisen und zotigen Liedern. In buhlerischen Umarmungen lege man dabei unzüchtige Hände an Mädchen und Matronen, küsse sie, und, Lasterhaftigkeit für Scherz ausgebend, stehe man nicht an, das schamlos zu entblössen, was die Natur verberge und die Sittsamkeit verhülle.
Diese harten Worte bestätigt auch Heinrich von Wittenweiler in seinem obengedachten »Ring«:
Mädchen, die dem Werfen ausweichen wollten, warf man gewisse Gründe dafür vor:
sagt der Tannhäuser trocken.
In der Abhandlung »was schaden tantzen bringt«, meint der unbekannte Verfasser: »der tufel stifft solich tentz vff daz sich die vnkuschen menschen an sehen an griffen vnd mit einander reden, vnd dar durch entzundt werdent durch vnkuschheit, vnd böse fleischlich begirde gewynnen, vnd gunst dar zu geben, vnd lust dar jnne haben, damit sie tötlich sünden vnd jn vil stricke des tufels vallen ....«, und so geht es weiter in allen Tonarten.
Von einem anderen wird der Tanz der Kuppelei beschuldigt: »Es sind solche, die gehen darum zu Tanz, damit sie andere zur Unzucht und zum Mutwillen anstacheln. Da fasst man sich an, wird einander hold, da schwätzt man Lieb und Leib mit einander, da man sonst nicht zusammenkommt, da drücken sie sich die Hände, geben sich Liebesbriefe (bulen brieffle) u. s. w.«
Noch kräftiger drückt sich Florian Daulen von Fürstenberg, Pfarrherr zu Schellenwalde, in seinem einst allbekannten und vielbesprochenen »Tanzteufel« [183] aus.
»Wir wollen vom Tanzteufel, wie fürgenommen, sagen, dass unter allen andern, so jetzt erzählt und in Krätschemen (Krug, Wirtshaus) zu geschehen pflegt, der teuflische, verfluchte, unziemliche, unzüchtige, Gottes Zucht und Ehr vergessene, leichtfertige Tanz, der besonders die Nacht in Krätschemen geschieht, zu verfluchen, zu schelten und zu verdammen sei.
Der Tanz ist, sobald der Fiedler oder Spielmann aufmacht, ein stätiges, unordentliches Rennen und Laufen. Wie das unvernünftige Vieh laufen sie durcheinander; auch mit tollem, unvernünftigem Geläuf laufen sie von fern mit den Köpfen zusammen, und treffen eins das andere zu Boden, nicht allein von hinten auf die Füsse, dass die Schuhe entfallen, sondern sie rennen sich auch gar darnieder und machen ein so gräulichen Staub, dass vernünftige, fromme Leute in der Stube nicht bleiben können. Die Tanzenden offt durcheinander gehen, unordentlich gehen und lauffen wie die bisenden Küh, sich werfen und verdrehen, welches man jetzt verködern heisset. So geschiehet nun solch schendtlich, unverschämt schwingen, werffen, verdrehen und verködern von den Tantzteuffeln, so geschwinde, auch in aller Höhe, wie der Bawer den Flegel schwinget, dass bissweilen den Jungfrauwen, Dirnen und Mägden die Kleider biss über den Gürtel, ja biss über den Kopff fliegen. Oder werffens sonst zu boden, fallen auch wol beide und andere viele mehr, welche geschwinde und unvorsichtig hernach lauffen und rennen, dass sie über einem hauffen liegen. Die gerne unzüchtig Ding sehen, denen gefellt solch schwingen, fallen und Kleiderfliegen sehr wol, lachet und seind fröhlich dabei, denn man machet jnen gar ein fein welsch Bellvidere. Welche Jungfraw, Magd und Dirne am meisten am Tantze herumgefüret, geschwungen, gedrehet und geschawet wirdt, die ist die fürnembste und beste und rühmen und sagen die Mütterlein selber: »Es ist gar bedrang umb meine Tochter am Tantze, jedermann wil mit jr tantzen, sie hat heut am Tantz guten Markt gehabt. Auch sticht der Narr unsre jungen und alten Witwen, die treibens ja so körbisch, wilde und unfletig als die jungen Mägdlein ....«
»Alle Tänze sind jetzt gemeiniglich also geartet, gar wenige ausgenommen, dass wahrlich an auch den Tänzen, die bald nach geschehener Mahlzeit auf den Wirthschaften gehalten, nicht viel zu loben ist, denn das junge Volk ist gar vom Teufel besessen, dass sie keine Zucht, Ehre und Tugend mehr lieben. Die jungen Gesellen meinen, wenn sie Fochtel und Degen neben den Tanz an der Seite tragen, sich ungebärtig stellen, hoch springen, schreien, wüthen und drohen, sie hätten nicht recht getanzt, zu geschweigen der unzüchtigen Worte und Geberden, so die garstigen Esel am Tanze treiben.« Luther verdammt das Tanzen an sich nicht, »wo es züchtig zugeht«. »Dass aber Sünde da geschehen, ist des Tanzes Schuld nicht allein, sintemal auch über Tisch und in der Kirche dergleichen geschehen. Gleichwie es nicht des Essens und Trinkens Schuld ist, dass etliche zu Säuen darüber werden.« [184]
In dem »Ehespiegel« des Cyriakus Spangenberg (1578), in dem 50 Brautpredigten des Verfassers enthalten sind, werden für das letzte Viertel des 16. Jahrhunderts die alten Klagen laut. Spangenberg stellt dem ehrbaren »Bürgerlichen« den »Buben- und Hurentanz« gegenüber, bei denen es zuging, »dass einer schwört, es hätten die Unfläter, so solchen Regenführern, aller Zucht und Ehre vergessen, wären taub und unsinnig und tanzten St. Veitstanz«.
Wie es auf einem Balle oder Tanzfeste im 16. Jahrhundert zuging, davon gibt der gelehrte markgräflich badische Rat und Obervogt zu Pforzheim, Johann von Münster in seinem zuerst 1594 gedruckten »gottseligen Traktat vom ungottseligen Tanz« genaue Mitteilung: »Die deutsche allgemeine Tanzform besteht hierinnen, dass nachdem bei den Pfeiffern und Spielleuten der Tanz zuvor bestellet ist, der Tänzer aufs Zierlichste, Höflichste, Prächtigste und Hoffärtigste herfürtrete und aus allen allda gegenwärtigen Jungfrauen und Frauen eine Tänzerin, zu welcher er eine besondere Affektion trägt, jene erwähle. Dieselbe mit Reverentz, als mit Abnehmen des Hutes, Küssen der Hände, Kniebeugen, freundlichen Worten und anderen Ceremonien bittet, dass sie mit ihm einen lustigen, fröhlichen und ehrlichen Tanz halten wolle. Diese (hochnöthige) Bitte schlägt die begehrte Frauensperson nicht leichtlich ab, unangesehen auch der Tänzer, der den Tanz von ihr begehrt, bissweilen ein schlimmer Pflugbengel, oder ein anderer unnützer vollgesoffener Esel, und die Frauensperson eine stattliche vom Adel, oder andere ansehnlich denn reiche Frau oder Jungfrau ist. Es wäre denn, dass sie um eines Verstorbenen Willen trauert oder Leid trüge. In dem Falle ist sie, und auch eine Mannsperson entschuldigt. So ferne noch bei dem, der den Tanz begehret, so viel Verstandes übrig ist, dass er diese Entschuldigung annehmen will. Ist aber der Kerl gar voll und toll, der den Tanz begehret, so muss die Frauensperson eben wol fort. Will sie nicht tanzen, so mag sie schleiffen. Will sie im Tanz nicht lachen und frölich springen, so mag sie weinen und sauer aussehen und traurig tanzen. Denn er verlässt sie nicht, weil er sie bei der Hand hat, sondern er zieht mit ihr immer fort, zum Tanze, wie mit einem Widder zur Küche. Darüber lachen etliche, die dabei stehen und zusehen, etliche aber, denen die Frauensperson verwandt ist, sehen übel aus, und dürfen bisweilen mit diesem unzeitigen Tänzer Händel und Streit anfangen. Ist aber die Frauensperson also daran, dass sie aus wahrer Erkenntnis Gottes den Tanz hasset und dem Tänzer den Tanz abschlägt, oder aus anderen Ursachen mit ihm zu tanzen sich weigert, so ist das Ei zertreten. Dann fängt der Tänzer an zu fragen, oder beschickt die Frauensperson durch seine Freunde, was sie für Ursache habe, ihm den Tanz zu verweigern, ob er nicht redlich, ehrlich oder gut genug dazu sei u. s. w. Zuweilen wartet der Tänzer nicht so lange, dass er die Beschickung kann fürnehmen, sondern schämt sich auch nicht, die Jungfrau oder Frau, sobald sie ihm den Tanz geweigert hat, wider alle Billigkeit, Rechtlichkeit und Recht aufs Maul zu schlagen . Etliche geben dem Schläger Recht und verteidigen seine lose Sache mit den Spruch: einem ehrlichen und redlichen Mann muss und soll man keinen Tanz weigern. Darum ist der Person Recht geschehen u. s. w. Andere aber halten dieses (wie denn billig ist), für eine solche unbescheidene, tyrannische That, dass sie wert sei, dass die ganze Gesellschaft derselben sich annehme und sie räche. Daraus dann endlich solch Werk erfolget, dass ohne Blutvergiessen und ständigem Hasse nicht wol oder kaum kann beigelegt und verglichen werden. Wenn aber die Person bewilligt hat, den Tanz mit dem Tänzer zu halten, treten sie beide herfür, geben einander die Hände, und umfangen und küssen sich nach Gelegenheit des Landes [185] , auch wol recht auf den Mund, und erzeigen sich sonst mit Worten und Geberden die Freundschaft, die sie vor langer oder kurzer Zeit gewünscht haben, einander zu erzeigen. Darnach, wenn es zum Tanze selbst gekommen ist, halten sie erstlich den Vortanz, derselbe gehet etwan mit ziemlicher Gravität ab. Es kann aber in diesem Vortanz das Gespräch und Unterredung, derer die sich lieb haben, besser gebrauchet werden, als in den Nachtanz. Dies aber haben sie gemein, dass die Tänzer, wenn sie zum End des Gemaches, in welchem sie tanzen, gekommen sind, wieder umkehren, und sich zu beiden Seiten, zur rechten und zur linken, so lang wenden und treiben, vorgehen und folgen müssen, bis der Pfeiffer aufhört zu spielen, und ihn gelüstet, ein Zeichen zu geben, dass der Vortanz ausgetanzet sei. Darnach ruhen sie ein wenig, stehen aber nicht lange still. Sind es gute Freunde, so reden sie miteinander von den Dingen, die sie gern hören. Ist aber die Freundschaft nicht so gross, so schweigen sie still, und warten bis der Pfeiffer wiederum aufblaset zum Nachtanz. In diesem gehet es was unordentlicher zu, als in dem vorigen. Denn allhier des Lauffens, Tummels, Handdrückens, heimlichen Anstossens, Springens und bäurischen Rufens und anderer ungebührlichen Dinge, die ich Ehren wegen verschweige, nicht verschonet wird, bis dass der Pfeiffer die Leute, die wohl gern, wenn sie könnten, einen ganzen Tag also toller Weise zusammenliefen, durch sein Stillschweigen geschieden hat. Da hört man denn oft einen schrecklichen Fluch über den Pfeiffer, dass er viel zu bald den Tanz ausspielet, oder auch manchmal den Tanz zu lang gemacht hat. Denn sie schämen sich aufzuhören zu tanzen, ehe und bevor der Spieler aufgehört hat zu pfeiffen. Die Strafe wird ihm bisweilen auch zugelegt, dass er noch einmal um dasselbe Geld (wie sie reden) aufblasen muss. Da gilt es denn mit Tanzen aufs Neu. Wenn aber der Tanz zu Ende gelaufen ist, bringt der Tänzer die Tänzerin wiederum an ihren Ort, da er sie hergenommen hat, mit voriger Reverentz, nimmt Urlaub und bleibet auch wol auf ihrem Schoss sitzen und redet mit ihr, darzu er durch den Tanz sehr gute und keine bessere Gelegenheit hat finden mögen.« [186]
Alle diese Anklagen finden amtliche Bestätigung durch die zahllosen Tanzordnungen, wie solche die ganzen Jahrhunderte hindurch erlassen wurden und immer wieder erneut werden mussten bis in das 17. Jahrhundert hinein. Man gab genaue Vorschriften, wie man sich beim Tanze zu benehmen und zu kleiden hatte, welche Tänze erlaubt und welche verpönt waren. In Zürich war sogar das Verbot nötig, nicht »bei nacktem Leibe« auf dem Tanzboden zu erscheinen. Nürnberg untersagte nur das »halsen und umbfahen«, während die Sächsisch-Meissnische Polizeiordnung von 1555 gar das Kind mit dem Bade ausschüttete, denn sie besagt, es sei besser, für manche Orte überhaupt keinen Tanz zu gestatten, da sich bei solchen viele Mannspersonen unzüchtig und Ärgernis erregend benahmen. Deshalb hätten Männer und Frauen züchtig bekleidet zu sein und müsse das unziemliche Drehen, Geschrei und unanständige Gebärden unter allen Umständen unterbleiben. In Danzig wurden 1530 sieben Männer und ebensoviele Weiber gestäupt und ihnen die Stadt »auf ewig« verboten, weil sie »in nicht gebräuchlicher, unanständiger Kleidung« öffentlich getanzt hatten. [187] In Freiburg im Breisgau legte man 1556 die Spielleute, die bei einem Tanze mitgewirkt, in das Spitals-Gefängnis. Als alles dies nichts half, lenkte man in einzelnen Städten ein und sandte zu den Tanzunterhaltungen Beamte als Zensoren, um darüber zu wachen, dass nicht allzu grobe Ausgelassenheiten vorfielen. [188]
Der älteste Tanz des deutschen Volkes ist der auch heute noch in manchen entlegeneren, namentlich Gebirgsgegenden nicht gänzlich verschwundene Johannistanz , wenn auch Voss seine Behauptung vom Ursprunge dieses Tanzes unter dem vierten König der Gallier, Bardus II., etwa 2140 oder 2174 v. Chr. G., nicht zu beweisen vermag. [189] Immerhin besitzt er ein ehrwürdiges Alter, denn schon das sechste Konzil zu Konstantinopel im Jahre 680 schritt gegen die »abgöttischen Feuertänze« der Christen, der heilige Elipsius um dieselbe Zeit gegen diese heidnische Sitte der Deutschen ein, »die an dem Johannisfeste die Sonnwendlieder und andere teuflische Gesänge, Tanz und Sprünge üben«. Als die Geistlichkeit einsah, diese althergebrachten Festbräuche nicht ausrotten zu können, nahm sie sich – sanft wie die Tauben und klug wie die Schlangen – ihrer an, gab ihnen durch Aufoctroyierung eines Heiligen als Paten einen kirchlichen Charakter, und ein neuer Feiertag mit Kirchgang und Opferung war fertig. Die Hauptsache an dem neugebackenen St. Johannistag blieben aber die Johannisfeuer, mächtige Scheiterhaufen, die von der Jugend unter heiteren Gesängen umtanzt und, wenn die Flammen in den zusammengesunkenen Scheitern nur noch glimmten und Rauchwolken den verkohlten Hölzern entströmten, mit kühnen Sätzen durchsprungen wurden. In Stadt und Land freute sich mondelang vorher die tanzfreudige Jugend auf den Sonnwendabend, der hoch und gering auf den Feuerplätzen versammelt sah.
In München fand sich 1401 der lustige Herzog Stephan, Kaiser Ludwigs des Bayern Sohn, mit seiner Gemahlin beim Sonnwendtanze ein, ebenso tanzte König Friedrich IV. auf einem Reichstage in Regensburg 1471 im Reigen um das Feuer. Kaiser Maximilians Sohn Philipp liess am Johannistage 1496 auf dem Fronhof zu Augsburg einen 54 Schuh hohen Scheiterhaufen aufrichten. Alle »Frauenzimmer« der Geschlechter waren eingeladen und erschienen im höchsten Putze, weil bekannt worden war, dass der Prinz eine von ihnen zum Tanze auffordern würde. Einer schönen Ulmerin, der Susanne Neidhartin, wurde dies Glück zu teil; sie durfte mit einer Fackel den Holzstoss entzünden, den unter Trompeten- und Paukenschall die ganze Gesellschaft umtanzte. [190] Dass zu diesen Tänzen auch die leichtfertigen Weiber der städtischen Bordelle zugelassen waren, ist bereits oben mitgeteilt worden, daher dürfte es auch nicht an Ausschreitungen gefehlt haben, wozu die Sprünge durch das Feuer mit hochgeschürzten Kleidern willkommenen Anlass boten.
Die Schamlosigkeit der meisten Tänze, die sich, je weiter das Mittelalter vorschritt, immer mehr vergröberte, und in der von Thränen und Blut triefenden Wiedertäufertragödie zu Münster (1534-1535) ihren Kulminationspunkt erreichte, den selbst die allgemeine Verwilderung der grausen 30 Kriegsjahre nicht zu erreichen vermochte [191] , fand stellenweise durch das Volk selbst eine drastische Verurteilung, die sich gegen jene Mädchen richtete, deren Moralität durch allzu häufiges Aufsuchen von Tanzgelegenheiten in Zweifel gezogen wurde. So herrschte am Rhein, in »Franckenland und ettlichen anderen Ortten« folgender Gebrauch: »Merkwürdig ist, was am Aschtage (Aschermittwoch) an den meisten Orten geschieht. Alle Jungfrauen, die in dem Jahre an dem Tanze teilgenommen, werden von den jungen Männern zusammengebracht, statt der Pferde an einen Pflug gespannt und samt dem Pfeifer, der spielend auf dem Rosse sitzt, in einen Fluss oder einen See hineingetrieben. Warum das geschieht, sehe ich nicht ein; ich denke mir, sie wollen damit abbüssen, dass sie an den Feiertagen gegen das Gebot der Kirche sich von leichtsinnigen Vergnügungen nicht fernhielten.« [192]
In einer Geschichte des Geschlechtslebens dürfen auch die Hexentänze nicht übergangen werden, da sie zeigen, welch grauenvolle Bilder sexueller Ausschweifungen verderbte Gemüter jener finstersten Zeit des finsteren Mittelalters auszuhecken im stande waren. Was auf den Hexenversammlungen auf dem Blocksberg, Heuberg, Hörselberg, Fellerberg u. s. w. an den Hexensabbathen vorgegangen sein soll, füllt die zahllosen Protokolle der Hexenprozesse mit dem ekelhaftesten Schmutz. Nur der ausgesprochene Irrsinn oder wahrhaft teuflische Verderbtheit konnte jene Beschreibungen diktiert haben, die entmenschte Richter den sich unter Folterqualen windenden »Hexen« in den Mund legten. [193]
Eine weitere Erscheinung, die den mittelalterlichen Tanz als Ursache hat, war die um 1021, 1278, 1374 und 1418 grassierende Tanzwut . Noch waren die Gräber der vielen Millionen von der Pest, dem schwarzen Tod, dahingerafften Menschen nicht überwachsen, als eine seltsame Krankheit die Menschheit ergriff. Bei ihrem ersten Erscheinen, im 11. und im 13. Jahrhundert, nur einzelne Individuen ergreifend, tauchten 1374 in Aachen Scharen von Männern und Frauen auf, die, wie von einer höheren Macht getrieben, Hand in Hand Reigen bildeten, und erst gemächlich, dann immer toller, anscheinend ihrer Sinne nicht mächtig in wilder Raserei ohne Scheu vor den Zuschauern tanzten, bis sie erschöpft zu Boden sanken. Wie eine Epidemie breitete sich diese Tanzlust aus, namentlich aus den niederen Volksschichten unzählbaren Zuzug erhaltend. Nach allen Städten verpflanzte sich durch umherziehende Tanzkranke diese Seuche, die Müssiggängern und losen Weibern ein willkommener Deckmantel war, betteln und ihren Gelüsten frönen zu können. Denn zweifellos befanden sich unter den armen hysterischen St. Veitstänzern eine Unzahl von Simulanten, worüber übrigens helle Köpfe schon damals nicht im Zweifel waren [194] , wie aus folgender zeitgenössischer Schilderung hervorgeht: »Anno 1374 zu mitten im Sommer, da erhub sich ein wunderlich Ding auff Erdreich, und sonderlich in Teuttschen Landen, auff dem Rhein und auff der Mosel, also dass Leute anhuben zu tantzen und zu rasen, und stunden je zwey gegen ein, und tantzten auff einer Stätte ein halben Tag, und in dem Tantz da fielen sie etwan ufft nieder, und liessen sich mit Füssen tretten, auff ihren Leib. Davon nahmen sie sich an, dass sie genesen wären. Und lieffen von einer Stadt zu der andern, und von einer Kirchen zu der andern, und huben Geld auff von den Leuten, wo es ihnen mocht gewerden. Und wurd des Dings also viel, dass man zu Cölln in der Stadt mehr dann fünfhundert Täntzer fand. Und fand man, dass es eine Ketzerey war, und geschahe um Golds willen, dass ihr ein Theil Frau und Mann in Unkeuschheit mochten kommen, und die vollbringen. Und fand man da zu Cölln mehr dann hundert Frauen und Dienstmägde, die nichteheliche Männer hatten. Die wurden alle in der Täntzerey Kinder-tragend, und wann dass sie tantzeten, so bunden und knebelten sie sich hart um den Leib, dass sie desto geringer wären. Hierauff sprachen ein Theils Meister, sonderlich der guten Artzt, dass ein Theil werden tantzend, die von heisser Natur wären, und von andern gebrechlichen natürlichen Sachen. Dann deren war wenig, denen das geschahe. Die Meister von der heiligen Schrift, die beschwohren der Täntzer ein Theil, die maynten, dass sie besessen wären von dem bösen Geist. Also nahm es ein betrogen End, und währete wohl sechszehn Wochen in diesen Landen oder in der Mass. Auch nahmen die vorgenannten Täntzer Mann und Frauen sich an, dass sie kein roth sehen möchten. Und war ein eitel Teuscherey, und ist verbottschaft gewesen an Christum nach meinem Bedünken.« [195] Da auch die Kölner Chronik von 1374 (Cöllen 1499) »vill bouerie« (Büberei) unter den Tanzkranken vermutet, was auf sich allgemein ausbreitendes Misstrauen schliessen liess, so erlosch die Krankheit nach und nach von selbst, als die Teilnahme des Publikums für die von ihr Befallenen gänzlich erstorben war, um noch einmal im Verlauf der Geschichte, in Frankreich während der Jahre 1727 bis 1762, also volle 40 Jahre, als »Konvulsionen« mit ausgeprägt erotischem Charakter, eine Rolle zu spielen. [196]
Eines der Hauptvergnügen für die mutwillige Jugend bestand, wie erwähnt, bei den Reigentänzen im Umwerfen oder Fallenlassen der Tänzerin, um dadurch ihre Kleider in Unordnung zu bringen. Ein Sittenschilderer aus der Zeit vor dem Dreissigjährigen Krieg klagt darüber, es sei nichts gewöhnlicher, »als dass man auf feierlichen Hochzeiten eine Menge von Kleidungsstücken abwarf und dann erst tanzte, und dass man das Frauenzimmer mit Fleiss in ganz unerhörter Weise fallen liess«. [197] Dieses Umwerfen wurde auch als Gesellschaftsspiel geübt, bei dem es dem männlichen Spieler darauf ankam, seine Partnerin, die auf dem Rücken eines mit aufgestützten Händen knienden Pagen sass und ihre Fusssohle an die des Gegners gestemmt hielt, umzuwerfen und dadurch zu entblössen. Ein Teppich im Nürnberger Germanischen Museum enthält ein Bild dieses »über Füesselin«, dem drei Damen, darunter eine Fürstin mit der Krone auf dem Haupte, voll Interesse zusehen.
Ein Züricher Mandat von 1532 beschäftigt sich mit diesem Umwerfen, ebenso das Nimburger Stadtwesen, das das »bolderböhmische« Spiel rügt. Ein anderes Gesellschaftsspiel beschreibt Karlmeinet. Da tragen erst die Herren die Damen und dann diese die Herren. Der Kussraub, wie dies bei Karlmeinet Godyn der Orie thut, wird wohl ein wichtiges Moment dieses Spieles gewesen sein, denn Küssen als Spiel kommt gleichfalls in der langen Reihe von höfischen Gesellschaftsspielen vor, die der Verfasser des Gedichtes »Der tugenden schatz« [198] wie folgt berührt:
Das von Murner erwähnte Spiel oder Lied »Der Schäfer von der neuen Stadt« [199] endete mit einer allgemeinen Abküsserei, daher die von dem Dichter angeknüpfte Nutzanwendung.
Ein Bauernspiel erwähnt Nithart von Reuenthal als »wemplink bergen« in einem von gemeinstem Cynismus strotzenden, geradezu landsknechtsmässigem Gedicht. Da er dem »Wemplink« eine obscöne Nebendeutung gibt, ist aus dem Gedichte nicht ersichtlich, wie dieses Spiel in Wirklichkeit vor sich ging.
Wenn Hans Sebald Beham (ca. 1500 bis 1550) nicht übertreibt, was bei der photographischen Treue seiner geistvollen Bilder kaum anzunehmen ist, so war das Umwerfen besonders in den Spinnstuben der Dörfer gleich vielen anderen Rüdheiten heimisch.
Das bekannte Spinnstubenbild des Nürnberger Meisters gibt eine ganze Musterkarte von abstossenden Zuchtlosigkeiten in einer Spinnstube, die, wenn sie auch in ihrer Gesamtheit übertrieben oder einzelne von ihnen aufgebauscht sein mögen, doch noch immer das einmütige Verdammungsurteil gegen die Spinnstuben rechtfertigen. Es müssen wahre Lasterhöhlen gewesen sein, diese Bauernstuben, in denen sich die Dorfweiblichkeit an den langen Winterabenden zum gemeinsamen Spinnen versammelte. Wo die Mädchen waren, blieben natürlich auch die Burschen nicht aus, um die Schönen bei der Arbeit zu zerstreuen und ihnen beim Spinnen zu helfen. Namentlich das Abschütteln der Abfälle des Hanfs, des Agen, von den Kleidern, gab Anlass zu vielen zudringlichen Scherzen.
heisst's in einem Fastnachtsspiele.
schlägt in einer anderen Posse ein Dorfjüngling seinem Genossen vor.
Die Dirnen, die sich zum Spinnen einfanden, wussten ganz genau, worauf die Anwesenheit der Männer hinauslief, darum fanden diese auch nur zu williges Gehör. Zu wüsten Orgien wurden diese Versammlungen, wenn ein gefälliger Zufall oder ein loser Schelm den qualmenden Lichtspan zum Verlöschen brachte.
Die Weistümer gehen deshalb zuweilen gegen die Spinnstuben vor, unter anderen das Weistum von Nörfeld bei Darmstadt [200] , in dem es heisst:
Es solle auf die höchste Busse erkannt werden, wenn »wer spinnstuben in seinem hausse zu halten unterstehen würde«. In der Ehaltenordnung von Thierhaupten in Bayern 1475 heisst es von den Mägden: »sie sollen zu nachts nit ausgên mit dem rocken in ein dants hin, dann mit wissen und erlauben der milchfrawen (der Obermagd)«. Am unzweideutigsten spricht sich jedoch ein Nürnberger Erlass von 1572 aus: »... das mehrmalen in solchem zusammen den Eltern Töchter verfüret hinder den Vättern zu vnziemlichen Ehen vberredt, auch etwo geschwecht vnnd gar zu schannden bracht worden. Das auch die gesellen an einander darob verwartten, verwunden vnd todschlagen .... etc.« [201] Weitere Verordnungen, die ausser der Ausschweifung und den in den Spinnstuben gang und gäben Raufereien noch die durch das unvorsichtige Hantieren mit Feuer und Licht entstehenden Brände hervorheben, wiederholen sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, ohne aber die Spinnstuben selbst und ihre unschöne Gefolgschaft ausrotten zu können.
Der Bauerntrotz wusste von jeher den Befehlen der ihm verhassten Behörde ein Erstrecht entgegenzusetzen, um so mehr, wo es sich bei ihm um altehrwürdige Institutionen handelte, die er innig verwachsen mit seinem Leben hielt. Der Vater verzieh dem Sohne gerne, was er selbst in der Jugend getrieben, und die Mutter, die sich vielleicht bei den Spinnstubenscherzen den Mann ergattert, hoffte von der Tochter dasselbe. Darum bestanden denn auch die Spinnstuben fort, bis sie die fortgeschrittene Industrie überflüssig gemacht; heute sind sie eine seltene Erscheinung geworden, die nur noch in entlegenen, vom Verkehre abgeschlossenen Wald- oder Gebirgsdörfern hier und da auftauchen. In den Spinnstuben erklangen viele der Volkslieder zum ersten Male, die von dort aus ihren Weg in das Dörfchen und in das weite Land fanden, jene naiv sentimentalen oder kernig derben Gesänge, die Tagesereignisse, lokale Vorkommnisse oder irgend eine der ungeschulten Phantasie entsprungene Erzählung in ungefügen Versen illustrieren. Um manche dieser Lieder, wahre Perlen unserer Volkslitteratur, sei den Spinnstuben die von ihnen geübte Unmoral herzlich gern verziehen.
Nur der Vollständigkeit halber will ich noch die Spielkarten erwähnen, in deren Bildern sich häufig die Freude unserer Vorfahren an unflätigen Scherzen ausdrückte. Derartige Karten, die z. B. Jost Amman verfertigte, sind aber kaum in alle Volksschichten gedrungen, ebensowenig wie die bodenlos schmutzigen Blätter, deren sich gewisse Potentätchen des 17. und 18. Jahrhunderts bedienten, die sich bemühten, die auf ihrer grossen Tour nach Frankreich aufgeschnappten Versailler Cochonnerien auf deutsche Erde zu verpflanzen und neben anderen »Desbauchen«, wie die grundehrliche, kernig-deutsche Elisabeth Charlotte von der Pfalz, Herzogin von Orleans, sagt, auch Spielkarten mit Scenen à la Marquis de Sade verwendeten. Diese Schweinereien blieben zum Glück nur auf die »feine Gesellschaft« beschränkt, ebenso wie jene den tollsten Ausschweifungen huldigenden »Vergnügungsvereine« der Feigenbrüder u. s. w.
Die ganze rein sinnliche Denkungsart des Mittelalters drückt sich in dem Schönheitsideal aus, das die berufenen Vertreter der allgemein geltenden Anschauungen ihrer Zeit, die Dichter, der Nachwelt überlieferten. Nur rein körperliche Schönheiten heischen sie vom Weibe, denn wer bei ihnen schön ist, ist auch gut und edel, in einem hässlichen Körper wohnt nur eine schwarze Seele. Je weiter sich das Mittelalter der Neuzeit nähert, je mehr sich der Sittenverfall ausbreitet, um so gröber und materieller werden die Anforderungen, die man an den Frauenleib stellt, denn von seelischen Schönheiten ahnte man nichts.
In der Epoche des Werdens, in der noch einzelne Naturlaute aus dem germanischen Wald- und Jagdleben in das unter fremden Einflüssen zusehends fortschreitende Leben nachklingen, teilte man den der Germanin eigenen Rasseeigenschaften den Schönheitspreis zu. Ein bis ins Detail gehendes Bild einer wahrhaft schönen Frau setzt Alwin Schultz [202] mosaikartig aus allen ihm zugänglichen frühmittelalterlichen Quellen wie folgt zusammen:
»Im Allgemeinen galt also damals für schön, was auch dem Römer und Griechen, was ebenso uns heute noch so erscheint, indessen ist man in jener Zeit etwas weniger tolerant. Wir finden zum Beispiel die Blondine, wie die Brünette schön; gab es doch vor Kurzem eine Zeit, die selbst das rote Haar für schön erklärte [203] : die Dichter des Mittelalters lassen nur das goldblonde Haar gelten. Eine mässig (ze mâzen) hohe Gestalt, blonde Haare, die glänzend, dem gesponnenen Golde gleich, in natürliche Locken gekräuselt, bei den Frauen zumal in Fülle lang herabwallen, ein weisser Scheitel, weisse, glatte, rundliche Stirn, schneeweisse Schläfe, dunkle, womöglich schwarze, schmale, gewölbte, nicht zusammenstossende Augenbrauen, leuchtende, bewegliche Augen, eine mässig lange, nicht zu sehr vorstehende, gerade, nicht gebogene Nase, weiche, rosig angehauchte Wangen, ein kleiner Mund mit vollen, weichen, rothen, feurigen Lippen (ein kleinoelhitzerôter munt, wie Ulrich von Lichtenstein sagt), kleine, weisse, gleiche und dichtgestellte Zähne, ein ziemlich kleines, rundliches, weisses Kinn mit einem Grübchen, kleine, weisse, rundliche Ohren galten bei Frauen wie bei Männern für schön.
Der Hals soll mässig lang und stark sein, weiss, glatt und weich, die Kehle weiss und voll mit glatter Haut. Von einer schönen Frau behauptete man, die Haut ihrer Kehle sei so zart, dass man, wenn die Dame roten Wein trinkt, ihn hinabfliessen sehe. [204] Der Nacken ist weiss, die Schultern beim Manne breit, bei Frauen schmal. Feingebildete Achseln, runde, mässig lange Arme, weisse, lange und weiche Hände, lange, rundliche, innen rosige Finger, deren Gelenke nicht vorstehen, glänzende, gut gehaltene Nägel, wurden von einer wahrhaft schönen Erscheinung gleichfalls verlangt. Den Frauen steht wohl an ein weisser, voller Busen, rundliche, wie gedrechselte, kleine und dicht gestellte Brüste [205] ; beim Manne schätzte man eine hohe und breite, wohlgewölbte Brust. Der Körper sollte schlank, mit feiner beweglicher Taille gebildet sein. Die übrigen Körperteile beschreiben die Dichter in der Regel nicht ... Die Füsse beider Geschlechter wünschte man schmal und klein, mit gewölbter Fußsohle; endlich galt zur Schönheit unbedingt eine weiche, glatte Haut, ein wie aus Rosen und Lilien gemischter Teint.« [206]
Man muss ohne weiteres zugeben, dass sich in diesem Bilde ein geläuterter Geschmack offenbart, der dem moderner Dichter nicht nachsteht. Konrad Flecks Beschreibung der Blancheflur in seinem »Flore und Blancheflur« kann ohne Zusatz von einem neuzeitlichen Romantiker, um dessen Romane sich die Familienzeitschriften reissen, adoptiert werden. »Goldglänzende Haare umspielen die weisser als Schnee glänzenden Schläfen. Feine, gerade Brauen ziehen sich über die Augen, deren Gewalt sich Keiner zu erwehren vermochte; Wangen und Mund rot und weiss, die elfenbeinernen Zähne ohne Tadel. Hals und Nacken wie vom Schwan, die Brust voll, die Seiten lang, die Taille zart und fein [207] « – das dürfte ganz gut die Marlitt oder Nataly von Eschstruth geschrieben haben, wie der alte Konrad Fleck, den schon mehr als ein halbes Jahrtausend die kühle Erde deckt, ebenso wie der reizende Liebesbrief aus dem 14. Jahrhundert, namentlich folgende Stelle:
einen Romantiker aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zum Verfasser haben könnte.
Kein Mensch wird es den Damen der Ritterzeit verdenken, wenn sie, als echte Evastöchter, Reize, die ihnen Mutter Natur versagte, durch kleine Nachhelfungen zur vollen Höhe jenes dichterischen Ideals zu heben suchten. Man strich sich das Gesicht mit roter und weisser Schminke an, trotzdem das Schminken nicht für anständig galt. Weisse Farbe, Firnis, Alaun, Quecksilber, Kampfer, Weizenmehl, Rotholz, pulverisierte Cyclamenwurzeln ( panis porciuso ) wurden zu Schminken verarbeitet. Wer die Fabrikation der Schminke scheute, der konnte sie von einem wandernden Krämer erstehen.
bittet eine Ritterdame einen dieser Hausierer. [209]
Im Nibelungenlied wird rühmend hervorgehoben, dass sich am Hofe des Markgrafen Rüdigers in Bechelaren keine »gevelschet« Frauen fanden, woraus dieses Vorkommnis als Ausnahmefall, der besonderer Erwähnung verdient, erkannt wird. Wie allgemein die Unsitte des Schminkens verbreitet war, geht schon daraus hervor, dass sich selbst um 1170 die Bäuerinnen »vremde varwe« ins Gesicht schmierten, um den Töchtern vornehmer Leute zu gleichen. [210] Auch die Herren der Schöpfung mögen bisweilen zum Schminktopfe gegriffen haben, was aber nicht zur Erhöhung ihres Ansehens beitrug. [211]
Bruder Berthold von Regensburg erklärt diesen »Färberinnen« und »Gilberinnen«, d. i. denen, die sich das Haar blond beizen, den Krieg, indem er ihnen von der Kanzel herab die Worte in das Gesicht schleudert: »Die Gemalten und Gefärbten schämen sich ihres Antlitzes, das Gott nach sich gebildet hat, und darum wird auch er sich ihrer schämen und sie werfen in den Abgrund der Hölle!« Der Augustinermönch Gottschalk Hallen zu Osnabrück († 1481) sagt sogar den Nonnen nach, dass sie sich die Gesichter anstreichen. Wie sich später die Damen Gesicht und Körper zu korrigieren wussten, soll noch mitgeteilt werden.
Je weiter das Mittelalter sich seinem Übergange zur Neuzeit nähert, desto derb-sinnlicher wird der Schönheitsbegriff, bis er endlich bei einem Punkte angelangt ist, wo das Weib nur nach seiner Tauglichkeit zur Sinnenlust beurteilt wird.
Wenn Eberhard von Cersne einst allen Ernstes die Frage erörterte und Zweifel darüber hegt, ob die obere oder die untere Hälfte der Geliebten der bessere Teil sei [212] , so entscheidet sich die unter dem Zeichen des heiligen Grobianus stehende Zeit für den unteren Teil.
Albrecht von Eyb, noch der Züchtigsten einer, citiert: »Es schreibt Plautus, dass eine hübsche nackende Frau sey hübscher, denn sie ist mit Purpur gekleidt.« Trotzdem weiss dieser gelehrte Humanist (1420-1475) die Sittsamkeit der Frauen zu schätzen, denn sein Schönheitsideal ist: »Ugolinus schreibt, dass die als eine hübsche Frau werd angesehen, die da hübsch ist und geziert, von Haupt wohlgestalt, eines fröhlichen Anblicks, von kleinen subtilen Gliedern und schmalen Leibs, weiss als Milch und mürb als ein Hühnle, dass du sie mit einem Nagel des Fingers schneiden magst, und ist züchtig und schimpflich (scherzhaft) und schämig, und ist eines sittigen Gangs und guter Sitten und ist mit Tugenden wohl geziert. Dieselbig Frau übertrifft weit die Hübsche der Venus und ist zu preisen.« [213]
In dieser Schilderung zeigt sich der von den Klassikern gebildete Geist. Wo dieser fehlt, setzte man sich aus den, den Schönen der verschiedensten Gegenden nachgerühmten Vollkommenheiten ein Ideal zusammen, bei dem man selbst die intimsten Intimitäten nicht übersah. Eine der zahmsten Beschreibungen dieser Art ist nachstehende Priamel:
In einem ähnlichen Verschen wird die Frauenschönheit in »fünfunddreissig Schönheitsstuck eines hübschen Jungfräuleins im Hochzeitswald« also zerlegt:
Weitere Schilderungen, so eine im Liederbuch der Hätzlerin und in den Facetien Bebels [215] gehen noch mehr ins Detail, wie die angeführten, darum verzeiht man mir wohl, wenn ich sie mir schenke. Weniger drastisch ist die Schilderung einer Frankfurter Jungfrau, deren Lob in einem Ständchen erklang, das in der Johannisnacht 1471 von Adolph Knoblauch, Philipp Ratzmann, Heirt Egerheim, Arnold Schwarzenberg, Bernhard Rohrbach und Theobald Börlin vorgetragen wurde, »und hatten ein lauten darin und ging also«:
Um diesem Ideal möglichst nahe zu kommen, griff man schon um die Mitte des zwölften Jahrhunderts zu den Gewaltmassregeln des Einschnürens. Die heilige Elisabeth von Schönau (1156-57) liess dagegen schon strenge Ermahnungen ergehen [217] , die sich dann bis zum heutigen Tage wiederholten. Zu Ende des 14. Jahrhunderts klagt ein Dichter: »Vor Zeiten zwängte man Leib und Gewand nicht zusammen. Das hat sich jetzt ganz verändert: die Frauen binden sich nun selbst an Leib und Armen. Das möge Gott erbarmen, dass sich heute ein zartes Weib selbst den hübschen Leib bindet, so dass sie sich nicht rühren kann, gleich dem, als wäre sie in einen Sack gestossen und gebunden.« [218]
Der österreichische Sittendichter Peter Suchenwirt, wirft den eitlen Weibern vor, dass sie sich die Hüften mit Watte auspolsterten. Dasselbe rügt das Gedicht »Das Teufels Netz«; sie schnüren sich, »das sie enmitten werdind klain (schlank)«, und wenn sie hinten »als ain brett« sind, machen sie sich doch gross und dick, und des Nachts hängen sie dann derartige Turnüren zum Auslüften an die Stange. In Thüringen waren um 1400 ähnliche Polsterungen Mode.
Wo starke Brüste Mode waren, stopfte man sich die Brust aus, im Gegenteile suchte man durch das enge Obergewand den Busen thunlichst zu verkleinern.
Falsche Zähne, falsches Gelock [219] und andere weibliche Falschheiten waren üppigen Frauen längst nichts Neues mehr, desgleichen die Schminke und ihre kunstvolle Verwendung:
fragt Murner. [220] Und »er Angesichte vorwanschapen (verunstalten) se mit Düvels drecke vnde Sathans specke, dat ydt glentzet, alse eme gemalete Hilligen larwe« sagt der Rostocker Prediger Nikolaus Gryse in seiner Laienbibel.
steht im »Teufels Netz«.
Selbstverständlich ist die Dame ängstlich besorgt, ihre Toilettengeheimnisse nicht zu verraten:
Die Kleidung der Germanen war einfach und rauh wie ihre Heimat und ihre Lebensweise. Wie Pomponius Mela berichtet, gingen die Knaben bis zur vollendeten Reife selbst in der grössten Kälte nackt umher; nachdem sie erwachsen sind, bedienten sie sich nur eines wollenen, viereckigen Schulterumhangs oder einer aus Bast geflochtenen Decke. Cäsar [222] gibt an, die Germanen trugen ein kurzes Gewand aus Tierfellen, das einen grossen Teil des Körpers unbedeckt lasse. Ausführlicher ist Tacitus. [223] Er schreibt: »Die allgemeine Tracht ist ein Mantel, der mit einer Spange oder in deren Ermangelung mit einem Dorn zusammengehalten ist. So bringen sie, ohne weitere Bekleidung, den ganzen Tag am Herdfeuer zu. Nur die Wohlhabendsten tragen ein besonderes Gewand, das nicht wallend, wie das sarmatische und persische, sondern eng anliegend ist und jeden Körperteil hervortreten lässt. Auch Tierfelle tragen sie; die in der Nähe des Rheins ohne weitere Auswahl, die weiter im Innern mehr auserlesene, da kein Handelsverkehr ihnen anderen Schmuck liefert. Sie suchen daher die verschiedenen Tierarten aus und verbrämen deren Fell noch mit den gefleckten Pelzen gewisser Tiere, die vom nördlichen Ozean und unbekannten Küsten kommen. Das Weib hat keine andere Tracht wie der Mann, nur kleidet es sich häufiger in leinene mit Purpurstreifen verzierte Gewänder. Diese haben keine Ärmel, so dass Schultern, Arme und ein Teil der Brust unbedeckt bleiben.« Strabo ergänzt dieses Bild durch die Schilderung von Priesterinnen der Cimbrer dahin: »Unter den mit ins Feld gezogenen Weibern befanden sich auch altersgraue, wahrsagende Priesterinnen, in weissen Gewändern, deren Oberkleid, aus feinem Flachs, mit einer Schnalle befestigt war, mit ehernem Gürtel und nackten Füssen.« [224]
Da bald nach der ersten Berührung mit den Römern die Männer sich eng anliegende Hosen zulegten, auch die Frauen ihre Oberkleider immer höher dem Halse zu emporsteigen liessen, so machte die altgermanische Kleidung einen durchaus ästhetischen Eindruck, an dem selbst ein Splitterrichter nichts auszusetzen gehabt hätte. Im frühen Mittelalter bis zum elften Jahrhundert zeichnete sich die Gewandung durch kostbare Stoffe in reichen Farben aus, über deren Pracht wohl hie und da eine Stimme, sogar im Jahre 808 die erste der »Kleiderverordnungen«, laut wird, nicht aber über den Schnitt.
Erst im elften Jahrhundert erregte die Enge der Frauenkleidung, die die Körperformen weit plastischer hervortreten liess als die bisherige, vom Oberkörper niederwallende, als leichtfertig und schamlos den Zorn der Geistlichkeit. Ein Anzug eines jungen Mädchens dieser Zeit würde auch heute nicht ganz einwandfrei passieren können. »Die Dame trägt ein dunkelblaues, mit roten Ringornamenten gewirktes Oberkleid, das bis auf die Oberschenkeln reicht. Das weisse Unterkleid ist von hier an ausgeschnitten und fällt zurück. Man sieht daher die mit roten Langstrümpfen bekleideten Beine, an denen eine Reihe weisser Knöpfe hinunterläuft. Das Oberkleid hat um die Taille und am unteren Ende einen breiten goldenen Bortenbesatz, am Halse einen mennigfarbenen. Die Ärmel sind eng.« [225]
Die Bestandteile der Kleidung waren ein mehr oder weniger feines, selbst seidenes und goldgesticktes Hemd, darüber der Rock, den um die Taille ein Gürtel oder Riemen zusammenhielt und je nach der Jahreszeit ein gefütterter Mantel. Die Füsse deckten genähte Strümpfe. Sonst gab es keine Unterkleider, wenigstens waren sie nicht allgemein. Nur zu starke Busen wurden durch ein Tuch unter dem Kleide zusammengehalten. Bei den Bäuerinnen wird wohl das Mieder – muoder – den gleichen Zweck erfüllt haben.
Die Männerkleidung jener Epoche bietet für unsere Zwecke nichts Bemerkenswertes. Erwähnt zu werden verdient nur, dass Männer mit Frauen in der Kostbarkeit fremdländischer Stoffe wetteiferten, wogegen Luxusgesetze nichts auszurichten vermochten, geschweige denn Predigten, wie sie Berthold von Regensburg hielt.
Das 14. Jahrhundert schuf einen jähen Modenwechsel. Die Männerkleider gestalteten sich zur engen Hose, bei der man das Gesäss und jede Muskel deutlich sah, und dem immer bizarrer werdenden Wamse um, das immer kürzer wurde, bis es kaum eine Spanne unter den Gürtel reichte. Man teilte es in zwei andersfarbige und anders gemusterte Hälften, wie man auch zuweilen die Hosen aus zwei verschieden gefärbten Beinteilen zusammensetzte. An den Füssen trug man die unschönen langen Schnabelschuhe. In der Speierer Kleiderordnung von 1356 wird den Männern befohlen, die kurzen Wämser länger zu machen und die Schnabelschuhe abzulegen. Die Kölner Synode von 1371 untersagt den Klerikern dieses Schuhwerk.
Von nun an häufen sich die Kleider- und Luxusordnungen in Stadt und Land. Wie die Pilze nach dem Sommerregen schiessen sie empor und jedes Nestchen im weiten deutschen Reich muss wie sein Frauenhaus seine Kleiderordnungen haben, jene Äusserungen eines zopfigen Windmühlenkampfes, denen schon beim Entstehen ihre Aussichtslosigkeit prophezeit werden konnte.
Besonders gegen die Frauen richtete sich der Tenor aller Kleiderordnungen, besonders aber gegen einen Punkt, der fast allen diesen Edikten gemeinsam ist – die Dekolletage.
Als die Pest, der schwarze Tod, seinen Würgezug beendet, bemächtigte sich der Verschonten eine tolle Daseinslust, die nach den eben durchlebten Zeiten des Grauens doppelt begreiflich erscheint. Der Würgengel, dem Hekatomben zum Opfer gefallen, war an ihnen vorübergegangen, wer wusste, ob er in seiner Unersättlichkeit nicht auch sie noch dahinraffte, ehe sie ihr Leben genossen? Diese Auffassung machte sich auf allen Gebieten des Lebens bemerkbar, am markantesten aber in der Tracht, die die herrschende Leichtlebigkeit wiederzuspiegeln begann. Der ernst gemessene Zuschnitt der Gewänder veränderte sich allenthalben. Wurden die Beinkleider der Männer enger, die Wämser bunter und kürzer, so verlängerten sich die Schleppen der Damen, und was sie hinten an Länge zunahmen, das büssten sie an Hals und Nacken ein.
»Unde die Frauwen drugen wide heubtfinster (Kopffenster, Halsausschnitte) also daz man ire broste binah halbe sach.« [226] Die Speierer Kleiderordnung von 1356, eine der ersten Erlasse dieser Art, richtet sich gegen diese »Houbetloch«, aus dem die Schultern (ahsseln) so verführerisch hervorlugen, ohne dass der Kleiderausschnitt auf den Achseln aufliegt, und ebenso geht es in allen den unzähligen Edikten [227] , von denen als Beispiel eine Strassburger Verordnung hier angeführt sei. »Item daz keine frowe, were die ist, hinnanfür me sich nit me schürtzen sol mit iren brüsten, weder mit hemeden noch gebrisen röcken noch mit keinre ander gevengnüsse, und daz ouch kein frowe sich nit me verwe und locke von totten har anhencken sülle. Und sunderliche, daz houptloch sol sin daz man ir die brüste nit gesehen müge, wenne die houptlöcher süllent sin nutz an die ahsseln.« [228]
Der Geistlichkeit waren derartige Verbote Wasser auf ihre Mühlen, sie setzten in ihren Predigten immer noch Trümpfe auf, wie Murner, der sich auch diesmal kein Blatt vor den Mund nimmt, sondern ungeschminkt die Wahrheit sagt:
»Ich hort einist von eim Fürsten, der sprach zuo mir: »eintweders unsere frawen lernen von den metzen ihr cleidung oder aber die metzen lernen von unsern frawen die cleidung,« sagt Geiler in seinen »Brösamlin«. Sie malten nach Murners Vorbild die Zuchtlosigkeit der Kleidung recht schön deutlich aus und entliessen ihre Zuhörerschaft zerknirscht, aber nicht gebessert. Narrheiten und Moden ist eben mit Verboten nicht beizukommen, sie wirken ansteckend und müssen, wie andere Epidemien auch, von selbst verlöschen.
Wenn im Jahre 1461 der Eiferer Johannes Capistranus in dem ob der Leichtfertigkeit seiner Weiber verschrienen Ulm – »Huet dich vor Ulmer wiben«, besagt eine Darmstädter Handschrift von 1410 – die Geister seiner Zuhörerschaft derart zu entflammen wusste, dass drei Frauen, die des Predigers spotteten, vom Volke auf der Strasse gelyncht wurden [230] , so fand es doch der Rat für gut, den Störenfried aus der Stadt zu weisen, denn genützt hätten seine Strafpredigten doch nichts, wohl aber geschadet.
Aber nicht allein Unschönes und Leichtfertiges, sondern direkt Schamloses verlangte die Mode des 16. Jahrhunderts. Abgesehen von Vorfällen wie 1503 in St. Gallen, wo der Rat verbieten musste, völlig nackt in der Stadt und ihrem Weichbilde umherzugehen [231] , die ich als Ausnahme gelten lassen will, denn soweit verstieg sich denn doch die Zuchtlosigkeit sehr selten, bleibt noch genug Schandbares, besonders in der Männerkleidung, übrig. »Hinden plotz und vor verschamt,« spottet Suchenwirt über das hinten möglichst anliegende, dafür vorn um so weiter auslegende Beinkleid. Conrad Celtes, der berühmte Humanist († 1508) spricht sich in seiner »Descriptio Urbis Norinbergae« (Beschreibung der Stadt Nürnberg) Kap. VI über diese Moden also aus: Er schildert erst, dass die Leute meist in schwarz nach der Mode verschiedener Länder gekleidet seien und fährt dann fort: Bald in weiten, faltenreichen Kleidern nach Art der Sarmaten, eine Binde umgiebt den Kopf und es hängen am Körper Pelze; bald vertauschen sie die heimische Tracht gegen Hasuken von Ungarn, (cuculli) von Italien, bald ziehen sie nach Art der Franzosen mit Borten besetzte Mäntel und Röcke mit Ärmel, bald pressen sie den Körper aufs knappste in enge Hosen und Unterkleider, so dass alle Formen des Leibes sich scharf ausprägen ....
Die das Bein wie ein Trikot umschliessenden Beinlinge konnten, um dem Träger das Bücken nicht unmöglich zu machen, nur einseitig befestigt werden, wodurch sie meist hinten hinabrutschten, was allein schon Anlass zu Ärgernis gab. Doch der ewige Stein des Anstosses waren die Hosenlätze. Um das unbequeme Auftressen der Hose zu verhindern, setzte man auf den Vorderteil des Beinkleides einen Latz auf, was an sich vielleicht unschön, aber nicht verwerflich gewesen wäre, wenn die Modelaune nicht verlangt hätte, die Aufmerksamkeit auf diesen diskretesten Teil der Kleidung gewaltsam hinzulenken.
Man suchte diesen Zweck auf verschiedene Weise zu erreichen. Entweder fertigte man den Latz in einer anderen Farbe an, als die Hose selbst hatte, wodurch der Latz um so auffallender wurde, besonders dann, wenn die einzelnen Beinlinge ohnehin schon in mi-parti, d. h. in zweierlei Farben angefertigt waren. Oder man stopfte den Latz derart aus, dass er weit aus der Hose hervorstand, so dass Joh. Fischart von Ochsenköpfen-, Hundsfidelbogen-, Schneckenhäuslein- u. s. w. Lätzen reden konnte und ein Fliegendes Blatt 1555 [232] sagt: »Ein Latz muss sein darneben, wol eines Kalbskopfs gross.« Der Nürnberger Rat rügte dies mit derben Worten, die erkennen lassen, dass diese Latzarten ebenso verschiedenartig wie gemein waren. »Wann auch von ettlichen mannspersonen eyn unzüchtige schanndbare übung und gewonhait entstannden ist, also das sie ire letz an den hosen on notturfft grössen lassen und dieselben an tenntzen und anderhalben vor erbarn frowen und junckfrowen unverschawmbt ploss und umbedeckt tragen, das dann nit alleyn Got, sonnder auch erberkeyt und manlicher Zucht wider und unzymlich ist, demnach ist ein erber rat daran komen, vestigclich gebiettennde, das hinfüro eyn yedes mannspilde, burger oder inwoner dieser statt, seinen latz an den hosen nyt bloss, unbedeckt, offenn oder sichtigclich dragen, sonnder alle seine cleyder dermassen machen lassen und geprawchen soll, damit sein scham und latz der hosen wol bedeckt unnd nit ploss gesehenn werde. Dann wellicher sich also damit entplosset und desshalb gerügt oder fürbracht wurde, und sich das mit seinem rechten nit benemen möcht, der solle darumb von eyner yeden überfaren fardt eynes yeden tags oder nachts gemayner statt zu puss verfallen sein und geben drey guldin.« [233]
Eine Strassburger Verordnung vom 8. August 1480 befiehlt allen »snydern, meistern und knechten bei iren eiden« hinfüro keine kurzen Mäntel mehr zu machen, die den Latz nicht bedecken, »doch mögent sie es eym jeglichen wol lange machen.« [234]
Selbstverständlich konnte auch die Geistlichkeit diese Mode nicht ungerügt lassen. »Ich hab hören einen Mönch predigen, einen Bruder aus der Observanz: als dieser verdammt und heftig red'te wider den Überfluss der Kleider und wider den unverschamten Form, der daran und darin gemacht würd', beschloss er zuletzt auf die Weis mit solchen Worten: Die Buhler in unserer stadt sie strecken ihre Lätz, so weit aus den Hosen herfür, verwickelns auch und verstopfens mit so viel Tüchlein, dass, so die Metzen wähnen, es seind Zumpen, so sind es Lumpen.« [235]
Aber weder die Obrigkeit noch die Kleriker konnten diesen Moden etwas anhaben, sie bestanden allen Widersachern zum Trotz ruhig fort, ohne sich viel um Edikte und Schmähungen zu kümmern. Männer und Frauen blieben gleich kühl und thaten, was ihnen gefiel. Dies beweist schlagend folgende Notiz in der Eurisheimer Chronik [236] : »Anno 1492 was der Hoffart so viel, dass man weder geschrieben noch gelesen fand. dan man trug selzame Kleider, besonders die mann, von vielen farben und stückern, von flammen, bäumen, von asten, laubern und von buchstaben, das ist in warheit war, dass man wol ein wammest und hossen fand, das so viel stück hät, als tag im jahr sind. Und kost ein kleid alweg zweymal so viel zu machen, als das tuch dazu. Und trug das jung volck röck, die giengen mit mehr dann eyner hand breyt under dem gürtel, und sach man ihm die bruch – kurze Unterhose – hinten und vornen und was so scharf gemacht, das im die hosen die arsskerb austheilten, das was ein hübsch ding, und hatten zullen vor ihn gross und spitz voraus gohn, und man einer vor dem tisch stund, so lag ihm die zull auf dem tisch. Also gieng man vor Kaiser, König, Fürsten und herren und für ehrbare frauen. Und gieng es so schandbar zu unter frauen und mannen, dass es gott leyd was. Die frauen trugen röck, dass man ihnen die ditlen (Brüste) sah vornen in den Bussen und hinten mitten in rücken, und köstlich von tuch und um das hauptloch und ermel was von seiten belegt« u. s. w.
Gleich scharf geht Sebastian Brant in seinem 1494 erschienenen Narrenschiff gegen die Modethorheiten ins Gericht.
heisst es über die Frauen, dann wieder mit edler Unparteilichkeit vom stärkeren Geschlecht und seiner Gigerlhaftigheit:
Geiler von Kaisersberg kommentiert in seinen Predigten über das Narrenschiff diesen Text in seiner geistvollen Weise, wobei er aber manches von Brant nur Angedeutete mit Behagen breittritt. Er spricht von den zerschnittenen und zerstochenen Wämsern, die vorn so offen sind, »das man mannen und frauen in busen sehen kann, den brustkernen, het schier gesagt: den brusthurenspiegel.« Geiler resümiert ferner in seiner Predigt »Von Kauffmanschatz« (1517, fol. 95b) alle nützen wie unnützen Zierden, mit denen sich die Frauen zu verschönern suchen: Für unnütz hält er: 1. har büffen (Püffe, Toupées), das har krauss machen; 2. Halsbänder; 3. Spangen von den Frauen an der Brust getragen; 4. Stirnschmuck, »do sein etwa berlin (Perlen?) yn gefasst oder ander edelgestein«; 5. Armzierden, als gestickte Ärmel, die sie auf den Achseln tragen, »und silbrin steffzen an den menteln; 6. Ohrringe, »als die Zyginer tragen«; 7. die langen schwentz an den Röcken und an den menteln«; 8. Die Umschläge oben am Halse, »das letz an den mussecken (Brüsten) muss herussgon«; 9. Die stumpfen und die spitzen Schuhe; 10. Die Knöpfe an solchen Stellen, die keiner Knöpfe bedürfen; 11. Die zerhauenen Kleider, »wenn sie sie da tragen zerschnitten und zerhacket« [239] ; 12. » So sind es die zoepff, die die frawen machen, da kein oder wenig har ist, und nemen frembd har und ist etwann todten har , das sie darzu binden und muoss dan herfür gon, das man es sehe und man wen (man wähne), sie haben hübsch har; 13. Die die in das bücksslin blosen, das sie ein ferblin empfahen (d. h. die sich schminken, um bessere Farbe zu bekommen); 14. Die Säcke, die sie um sich gürten. Wenn die Frauen mager sind, so nehmen sie einen Sack oder grobes, dickes Tuch, »ist etwann mit baumwollen gefült«, das binden sie um sich, um dick zu erscheinen, wie ein »brotbeckerknecht«. [240]
Doch was waren alle diese Ausfälle gegen die Verbissenheit, mit welcher protestantische Theologen, allen voran der Oberpfarrer in Frankfurt a. O., D. Andreas Musculus, gegen den aus den Niederlanden gekommenen Hosenteufel zu Felde zogen, gegen die schamlosen, geschlitzten, unförmigen, geschmacklosen Pluderhosen, zu denen bis zu hundertdreissig Ellen Zeug verschnitten werden musste. Zu welchen Verwünschungen verstieg sich nicht der gelahrte Mann in seinem »Vom zuluderten, zucht und ehrerwegenen, pludrichten Hosen Teuffel Vermahnung und Warnung«. Es wäre kein Wunder, wenn die Sonne nicht mehr schiene, die Erde nicht mehr trüge, und Gott in den nächsten Tagen wegen dieser greulichen und unmenschlichen Kleidung dreinschlüge; solche Bosheit werde zweifelsohne den jüngsten Tag herbeiführen u. s. w. ad infinitum mit Grazie, bis sich diese Hosenmode als Verbrechen gegen jedes einzelne der zehn Gebote erwiesen hatte. Kurfürst Joachim II. von Brandenburg unterstützte seines Lieblings Musculus' Bemühungen gegen die Pluderhosen durch Gewaltakte, so indem er drei Bürgersöhne mit solchen Ungetümen in einen Narrenkasten stecken liess, vor dem Tag und Nacht ein Musikant seine Weisen ertönen lassen musste zur Anlockung von Neugierigen. Einmal liess er einem Gecken auf offener Strasse die Gurten durchschneiden, so dass die Zeugmassen zur Erde niederrauschten und der arme Modeherr im blossen Hemde dastand. [241]
Derartige Derbheiten erregten Furcht und Unwillen, genügten aber nicht, die nun einmal für schön gehaltene Tracht auszurotten, ebensowenig wie dies die Kleiderordnungen vermochten. Alle diese Massregeln krankten daran, dass sie sich gegen einen der Hauptfaktoren im menschlichen Dasein, gegen die Eitelkeit richteten und sich dadurch die Feindschaft des mächtigsten aller Geschöpfe, der Frau, zuzogen. Was die Frau will, will Gott, und die Frau ist nun einmal zu allen Zeiten und bei allen Völkern der Göttin Mode allzeit unterthänigste Dienerin. Vernunftgründe und Strafen haben niemals auf die Dauer den Willen der in solchen Fällen einmütig zusammenstehenden Frauen zu beugen vermocht; der Vernunft setzten sie weiblich schlau ausgeklügelte Gegengründe, der Gewalt Trotz entgegen. Darum griffen gestrenge Ratsherren, wenn alle hochtönenden Verwarnungen unbeherzigt zu verhallen drohten und sie den Kampf gegen die Weiblichkeit, zu der ja auch ihre Frauen und Töchter gehörten, nicht bis aufs Messer durchführen wollten, zu jenem jesuitischen Auskunftsmittel, das ich schon ( S. 116 ) anführte, indem sie den Auswurf der mittelalterlichen Gesellschaft – Bordellmädchen, Henkersfrauen und -töchter, Pfaffendirnen und Jüdinnen – zwangen, die Missfallen erregenden Moden anzulegen und sie dadurch für jede ehrbare Frau unmöglich zu machen. Wenn aber auch dieses letzte Mittel nichts half, dann warfen die Herren die Flinte ins Korn und liessen die Mode Mode sein, bis sie von selbst durch eine andere, vielleicht noch unschönere, ersetzt wurde. Dann begann die ganze Geschichte wieder von vorn.
Der Aberglauben, nach Bodenstedt der Glauben ohne Aber, hat alle Wandlungen und Fortschritte der Kultur zu überstehen vermocht. In seinen Uranfängen so alt wie die Menschheit und älter als die Religion, aus deren Vorläufer er zu ihrem unzertrennlichen Begleiter wurde, spukt er noch heute mit ebenso ungeschwächter Kraft, wenn auch mancher allzu krasser Auswüchse beraubt, wie er es vormals gethan, wo er alle Handlungen der Menschheit beeinflussend, selbst die hellsten Köpfe in seinem unheilvollen Banne hielt.
Wenn Goethe einmal den Aberglauben die Poesie des Lebens nannte, so hat er, als er diesen geistvollen Ausspruch that, jene Wahnbilder des Aberglaubens vergessen, denen das Mittelalter jene zu Abertausenden aufflammenden Scheiterhaufen errichtete, die unzähligen Unschuldigen oder in unglückseliger Verblendung verfallenen zum grauenvollen Grabe wurden, darum auch setzte er der erstgenannten Sentenz seine Definition des Aberglaubens entgegen, die alles umfasst, was sich über diese Wahngebilde nur sagen lasst. »Der Aberglauben lässt sich Zauberstricken vergleichen, die sich immer stärker zusammenziehen, je mehr man sich gegen sie sträubt. Die hellste Zeit ist nicht vor ihm sicher: trifft er aber ein dunkles Jahrhundert, so strebt des armen Menschen umwölkter Sinn alsbald nach dem Unmöglichen, nach Einwirkung ins Geisterreich, in die Ferne, in die Zukunft; es bildet sich eine wundersame reiche Welt, von einem trüben Dunstkreise umgeben. Auf ganzen Jahrhunderten lasten solche Übel und werden immer dichter und dichter; die Einbildungskraft brütet über einer wüsten Sinnlichkeit. Die Vernunft scheint zu ihrem göttlichen Ursprunge gleich Asträa zurückgekehrt zu sein, und der Verstand verzweifelt, da ihm nicht gelingt, seine Rechte durchzusetzen.« Wenn Brunnenhofer das Feld des Aberglaubens in vier Gebiete einteilt: das naive, das komische, das tragikomische und das tragische [242] , so ziehe ich die einfache Zweiteilung in gefährlichen und ungefährlichen Aberglauben vor. Wenn, um Beispiele aus der Gegenwart zu nehmen, jemand an die Unglückszahl Dreizehn glaubt, so ist dies dem Gläubigen und seinen Nebenmenschen in keiner Weise unheildrohend; wenn aber, wie dies leider nur zu häufig der Fall ist, jemand noch Stein und Bein auf das Beschreien und den bösen Blick schwört, so kann dies dem, angeblich mit dem bösen Blick Behafteten gar leicht gefährlich werden, wie viele Gerichtsverhandlungen aus ultramontanen Gegenden zur Genüge darthun. Hingegen wird ein ursprünglich naiver Aberglauben, denn naiv ist eben anfänglich jeder Aberglauben, sehr leicht auf seiner abschüssigen Bahn, die alle vier Stationen Brunnenhofers berührt, zu einem tragischen. Und so ging es fast jedem Aberglauben des Mittelalters, wenn ein Nebenmensch mit diesem Afterglauben in Verbindung gebracht wurde, was vorzugsweise dann der Fall war, wenn der Aberglauben eines seiner beiden Hauptfelder betraf: jemandem zu schaden, oder ihn sich geneigt zu machen, oder, mit anderen Worten, wenn er dem Hass oder der Liebe Dienste leisten sollte. Da die Liebe in ihrer Entstehung und ihrer Wirkung etwas Zauberhaftes an sich hat, so war für alle jene Epochen, die blindlings an den Zaubereinfluss auf Leib und Seele schworen, die Annahme eines Liebeszaubers ziemlich naheliegend. Bei den meisten Völkern des Altertums ist demnach auch der Glauben an zauberische Mittel verbreitet, durch die man Liebe erwecken kann.
Das babylonische Mädchen, das am Kreuzweg des Mannes harrte, dem sie sich zu Ehren der Göttin Mylitta hingeben musste, räucherte mit Liebe schaffender Kleie [243] ; die Römer erzeugten Philtra aus Hippomanes, Teilen des Vogels Jynx, des Wendehals, und anderen mehr oder weniger ekelhaften animalischen Ingredienzien, in deren genauer Zusammensetzung besonders die thessalischen Weiber sehr erfahren waren.
Aus dem skandinavischen Norden kamen jene Runenstäbe nach dem stammesverwandten Germanien, in die der zauberkundige Liebhaber geheimnisvolle Zeichen eingekerbt, um durch sie das Herz der spröden Geliebten sich zuzuwenden. Doch auch Tränke zu brauen verstanden jene Weiber, die abseits von den anderen Gaugenossen im Waldesdüster ihr Dasein verträumten, mit Odins geheiligtem Tiere, dem Raben, als einzigen Gefährten. Mit Zaubersprüchen, Liedern und Runen wussten sie die Gemische aus Kräutern und Tierbestandteilen zu segnen und wirksam zu machen. [244] Man küsste die Geliebte, denn im Kusse lag ein allmächtiger Zauber [245] , ehedem wie heute, und wer dieser Macht nicht traute, verbarg beim Kusse ein Zauberkraut im Munde. [246]
Im Verlaufe des Mittelalters bildete sich die Bereitung von Liebesmitteln zu einer Geheimwissenschaft aus, die den leitenden Grundsatz aufstellte, dass man auf zweierlei Wege, durch Arcana und auf sympathetische Weise, Liebe erwecken könne.
Die Medikamente bestanden vornehmlich aus den abscheulichsten Teilen von Tieren, Testikeln des Wolfes oder des Hasen, beziehungsweise, wenn einer Frau Gegenliebe octroyiert werden sollte, den Geschlechtsteilen einer Wölfin oder Häsin, nebst Tierhaaren und Exkrementen. Doch alle diese Mittel, auch wenn sie noch so ekelhafte Gliedmassen verwendeten, sind lieblich zu nennen im Gegensatze zu den meistverwendeten Medikamenten der Liebestränke, die vom Menschen selbst genommen wurden. Zu den harmlosesten Dingen dieser Art zählt noch die vielgebrauchte Frauenmilch. Eine lustige Geschichte über den Zauber durch Frauenmilch entnimmt Harsdörfer [247] dem Diarium des Andreas Ratisponensis, das sie, als im Jahre 1424 passiert, vermerkt: »In der obern Pfalz hat sich wie landkundig zugetragen, dass ein Pfaff sich in eine ehrliche Bürgersfrau verliebt, und da sie in dem Kindbett gelegen, von ihrer Magd, der er etliche Dukaten geschenkt, etlich Tropfen von der Frauenmilch begehrt. Die gab ihm aber Geissenmilch. Was er damit gethan, ist unbewusst, das aber hat er erfahren, dass ihm die Geiss in die Kirch bis vor den Altar und bis auf den Predigtstuhl nachgelaufen, was die Frau zweifelsohne hätte thun müssen, so er ihre Milch zuwegen gebracht. Er konnte des Tiers nicht ledig werden, bis er es kaufte und schlachten liess.«
Eine tiefe Gläubigkeit an die Wirksamkeit dieses Liebesmittels drückte sich in Harsdörfers Vortrag aus, und ebensowenig wie dieses geistvolle Mitglied der »Fruchtbringenden Gesellschaft«, hegt irgend ein anderer seiner Zeitgenossen zu Ausgang des 17. Jahrhunderts irgend einen Zweifel an Liebestränken und Liebesbissen, über deren ekelhafteste Zuthaten ich einen anderen berichten lassen will. Chr. von Hellwig, der unter dem Pseudonym Valentin Kräutermann ein von Borniertheiten strotzendes Buch von Heilmitteln herausgab [248] , von dem Scheible in Stuttgart einen Neudruck veranstaltete, schreibt: »Zu magischen und teuflischen Liebesmitteln gebrauchen Zauberer und Zauberinnen teils allerhand Worte, Zeichen, Murmelungen, Wachsbilder u. dergl., teils brauchen sie die abgeschnittenen Nägel, ein Stückchen Tuch von der Kleidung oder sonst etwas von der Person, welches sie vergraben, es sei nun unter die Thüre oder eine andere Schwelle. Huren und dergleichen Gesindel, erwählen zwar auch natürliche Dinge aus allen drei Naturreichen; sie bedienen sich ihrer monatlichen Blume, des Mannes Samen, Nachgeburten, Milch, Schweiss, Urin, Speichel, Haar, Nägel, Nabelschnur, Gehirn von einer Quappe oder Aalraupen, welch letztere hierin vor ein Spezificum gehalten wird die Liebe zu erwecken.« Das Register hat ein Loch, denn Kräutermann hat eine Ingredienz vergessen – den Kot der Liebsten. [249]
Um Liebe auf sympathetische Weise zu erwecken, gab es in jeder Landschaft Deutschlands andere Mittel, deren Aufzeichnung einen viele hundert Seiten starken tragikomischen Beitrag zur Geschichte der menschlichen Narrheit bilden würde.
In der Frühzeit zeichneten sich neben den alten Weibern, die ihre vermeintliche Wunderkraft meist auf dem Scheiterhaufen büssten, die fahrenden Schüler als Zauberer aus.
Sie lehrten auch für Geld und gute Worte jene sinnlosen Gebräuche, die sich zum Teil noch heute erhalten haben, von denen ich einige wenige als Beispiele für die Denkweise unserer Vorfahren hierhersetzen will. Berthold v. Regensburg sagt von den Bauern »Pfî, wiltû einen man alsô mit zouberîe gewinnen! ..... Sô nimt din her ein toufet ein wahs, din ein holz, din ein tôtenbein, allez daz sie dâ mite bezouber. Dâ zoubert din mit den Kriutern, din mit dem heiligen Krismen, din mit dem heiligen gotes lîchnamen.« [251]
»Dass dich eine lieben muss.« »Nimm drei Federn vom Hahnenschwanz, druck sie dreimal in die Hand. Probatum.« Oder: »Nehme eine Turteltaubenzung ins Maul (!), rede mit ihr lieblich, küsse sie darnach auf den Munde« – natürlich sie, die Angebetete, nicht die Turteltaubenzung – »so hat sie dich so lieb, dass sie dich nicht mehr lassen kann.« [252]
»Rezept zum Liebespulver. Nimm eine Hostie, die jedoch nicht geweiht sein darf, schreibe auf sie einige Worte mit Blut aus dem Ringfinger und lasse alsdann von einem Priester fünf Messen darüber lesen. Dann teile die Hostie in zwei gleiche Teile, deren einen nimm selbst, den anderen gebe der Person ein, deren Liebe du gewinnen willst.«
»Nimm von deinem Blut an einem Freitag im Frühling, lass es mit den beiden Testikeln eines Hasen und der Leber einer Taube in einem nicht zu warmen Ofen in einem kleinen Topf trocknen, machs zu feinem Pulver und lass die Person, von der du geliebt sein willst, davon geniessen, ungefähr einer halben Drachme schwer. Wenns aufs erstemal nicht wirkt, so wiederhole es bis zu dreimal und du wirst geliebt werden.«
»Die weisse Lilienwurzel, unter gewissen Zeichen gesammelt, und bei sich getragen, grosse Liebe und Freundschaft (sic) zwischen Personen beiderlei Geschlechtes erwecken und erhalten soll.« [253] Sapienti sat!
Noch eines Sympathiemittels muss, um nicht unvollständig zu sein, wenn auch widerstrebend, gedacht werden. »Ein fleissiger Studiosus Medizinae , mein ehemaliger guter Freund, ward offt von des Nachbars Tochter gelockt, aber er hatte Eckel daran. Einst schlieff er bey ihrem Bruder in ihres Vatters Hause, und ward gantz umgekehrt, doch aber kam er nicht zu ihr. Nur des Nachts, mehrenteils um 12 Uhr, stund er leise uff, lieff vor des Mägdleins Hauss, küssete die Thür dreymahl und gieng wieder von dannen. Wie es seine Schlaffgesellen merkten, verwiesen sie ihm die Thorheit, doch konnten sie ihn nicht davon abhalten. Einst wollte er sein Kleid vom Schneider umwenden lassen, da fand man in den Hosen einen linnenen Beutel und in demselben einen Hasenschwantz, krausse Haare, vielleicht von einem ungenannten Ort der Dirne abgeschnitten und diese Buchstaben S. T. T. I. A. M., welche einige so verdolmetschen: Satanus te trahat in amorem mei . [254] Sobald aber das Säcklein mit Schwantzhaaren und allem verbrandt war, hatte der Geck auch Ruhe.« [255]
Einen interessanten Beitrag zum Glauben an die Kraft dieser Weiberhaare findet sich in der Biographie der Magdalena Sibylla von Neitschütz, die ihren Geliebten, Johann Georg IV. von Sachsen, auf diese Weise an sich gekettet haben sollte [256] .
Solange die weltliche Obrigkeit gegen derartige Zaubereien noch nichts einzuwenden hatte, ging es noch; aus Predigten und Konzilsbeschlüssen machte man sich blutwenig, denn kirchliche Strafen waren eben nur Ehrenstrafen, die sich schliesslich überstehen liessen, wenn sie auch hart genug trafen. So ordnete ein Pariser Pönitentiale an: »Wer Blut oder seinen virile um der Liebe oder einer anderen Sache wegen einem Mann oder einer Frau zu trinken giebt, soll drei Jahre büssen« [257] , oder wenn, wie aus einem Fastnachtsspiele hervorgeht [258] , alle diejenigen von der Kommunion ausgeschlossen blieben, die »zu essen geben oder in annder weiss machen, das leut schullen an einander liep oder feinter werden, und was solicher sach sein«, so konnte sich der Übelthäter immerhin noch, sei es durch Geldopfer oder eine andere vom Geistlichen auferlegte Busse, wieder reinwaschen. Anders stand dies aber in einer Zeit, wo der Hexenwahn die Gemüter ergriffen hatte, Laien und Pfaffen beiderlei Konfessionen in unersättlichem Blutdurste alles, was den Namen Weib führte, in unerhörtester Weise besudelten und »ad majorem Dei gloriam« zu Tode schleiften, nachdem sie vorher auf das schamloseste die Körper und die Gemüter der auf der Folter gefügig gemachten Opfer gebrochen; wo ein scheinheiliger Rechtslehrer, Benedikt Carpzow, sich in einem Atem und unter demselben Augenaufschlag rühmen konnte, dreiundfünfzigmal die ganze Bibel durchgelesen und zwanzigtausend Todesurteile gefällt zu haben, die zumeist arme Weiber, denen das Hirngespinst des grossen Leipziger Schurken nie ausgeführte Verbrechen angedichtet hatte, zur Einäscherung, im besten Falle zur Hinrichtung durch das Schwert verdammte, da war schon der Gedanke an ein Liebesmittel eine Anwartschaft auf den Tod, da er auf unzweifelhaften Verkehr mit dem Teufel hinwies. Mit ebenso stupender wie stupider Gelehrsamkeit hatte sich der jedes Gefühles bare Carpzow und mit ihm der ganze Schwarm Gottesgelahrter und Richter ein System zurechtgebaut, aus dem das erotische Moment in einer Teufelsfratze allenthalben hervorgrinste. »So sehr war durch den Einfluss des Teufelsglaubens die altgermanische Frauenverehrung, welche im Weibe ›etwas Heiliges‹ gesehen hatte, getrübt worden, dass unsere Altvorderen etliche Jahrhunderte hindurch es für möglich, ja für wirklich hielten, deutsche Mädchen und Frauen gäben Sitte und Scham, alles Hohe und Heilige, was der Mensch besitzen kann, für die widerliche Umarmung eines scheusslichen Bockes hin. Es dürfte doch schwer sein, auf dem ganzen Gebiete menschlicher Narrheit etwas aufzufinden, was an blödsinniger Gemeinheit dieser christlich-theologischen Phantasie nur halbwegs gleichkäme.« [259]
Vergessen war die abgöttische Verehrung, die man dem Weibe in der Jungfrau Maria dargebracht, vergessen die Achtung, die man der Mutter, der Hausfrau gezollt, das Weib war nur das unreine Gefäss, durch das, nach theologischer Weisheit, »die Sünde« überhaupt in die Welt gekommen, das daher teuflischen Einflüssen um so leichter zugänglich sein musste.
Da nun »die Teufel, die nicht zu zählen sind«, die Welt durchstreifen, um Menschen zu verführen und jeden zu ergattern, »die um ein sehr lange Zeit daher, über fünftausend Jahre, durch stete Uebung überaus klug und erfahren sind worden« [260] , so wandten sie sich zuerst an die Frauen, um sie körperlich und seelisch zu verführen und sie zu Werkzeugen zu machen, durch die ihnen weitere Opfer zugeführt wurden.
Das Hauptmittel, die Weiber zu Hexen zu machen, bestand für den Teufel in der Buhlschaft. Um mit den Hexen geschlechtlich zu verkehren, besucht er sie in allerlei Verkleidungen in ihren Wohnungen. Bald tritt er als schwarz gekleideter Herr, bald als Mann mit Federhut, gelben Strümpfen und einem Esels- oder Pferdefuss, bald wieder als langer, schwarzer Mann mit Hörnern auf [261] , oder er naht sich ihnen unter der Maske eines Junkers, Jägers, Reiters und unter den Namen Junker Hans, Voland, Hämmerlein, Federhanns, Schönhans, Peterlein, Federlein, Papperlen, Klaus, Grässle, Grünhütel oder ähnlichen. [262] Manchesmal aber suchte sich der Junker Hans auch ganz ausgefallene Örter zum Buhlen aus. Am 6. März 1604 wurde in Lauchstädt eine Zauberin, die Haferkastin nebst einer anderen Hexe verbrannt, die bekannt haben sollte, vom Teufel auf die Spitze des Roten Turmes zu Halle geführt worden zu sein, wo er ihr gedroht habe, sie hinunter zu stürzen, wenn sie ihm ihr gegebenes Versprechen nicht halte. Darauf sei sie ihm zu Willen gewesen und habe fünfmal mit ihm auf der Turmspitze Unzucht getrieben. Etwas Derartiges konnten Menschen, die sich ihrer fünf gesunden Sinne rühmten, für bare Münze nehmen!
Über die Art des geschlechtlichen Verkehrs ergehen sich die Werke Carpzows und das »aus frommem Wahnsinn und fanatischer Grausamkeit« bestehende Schandbuch des Ketzerrichters und Theologie-Professors Jakob Sprenger, der im Jahre 1489 mit Approbation der Kölner theologischen Fakultät gedruckte »Malleus maleficarum«, zu deutsch der Hexenhammer, in einer Breite, deren Unflätereien lebhaft an Liguoris Moraltheorie erinnern. »Der Autor schreibt wie ein Kerl, der etliche bordels ausgehuret hat«, sagt bereits Hauber von Sprenger. [263] Es sträubt sich meine gewiss nicht prüde Feder, diese mit behaglicher Ruhe vorgetragenen Schweinereien eines im Cölibate lebenden hochwürdigen Herrn auch nur andeutungsweise wiederzugeben. [264]
Aus den düsteren Gewölben, deren Kreuzbogen vom Gewinsel und Stöhnen der armen, gefolterten Kinder und Frauen widerhallten, drang viel, zu viel an die Öffentlichkeit, um nicht die Phantasie hysterischer und vom allgemeinen Wahne ergriffener Weiber derart zu erhitzen, dass sie alles das, was sie gehört, auch schliesslich selbst erlebt zu haben glaubten und sich im Wahnsinne Verbrechen bezichtigten, die sie kaum geträumt haben können. Sie geben unumwunden zu, was ihnen die Richter in den Mund legen, oder gestehen es, ausgeschmückt mit eigenen Zuthaten unter den Martern der oft menschlicher als die Richter fühlenden Henker. Fühllos wie die Quadern der Folterkammern wohnten diese Richter jahraus, jahrein jenen Greuelscenen bei, bis die Gewohnheit jegliches Gefühl in ihnen abstumpfen musste. Wenn die deutschen Richter auch nicht in den Zwischenakten eines Hexenprozesses Laute spielten und Inkulpantinnen tanzen liessen, ehe sie sie an den Holzstoss ablieferten, wie dies ein französischer Kollege that [265] , so fanden sich doch auch in deutschen Gauen nichtswürdige Hallunken genug unter ihnen. Wenn sich unter der Regierung des Bischofs Heinrich Julius von Halberstadt-Braunschweig im 17. Jahrhundert anlässlich einer rebellischen Bewegung der Braunschweiger Bürger gegen den geistlichen Herrn folgendes zutragen konnte, wird es bei den Prozessen gegen die Unholdinnen keinesfalls besser, eher noch schlimmer hergegangen sein, wofür viele Gründe sprechen. In dem besagten Prozesse heisst es von den in der Marterkammer anwesenden Gerichtspersonen: »Sie trunken einander fleissig zu, dass sie auch so toll und voll wurden, dass sie einesteils eingeschlafen ... Etwan in die dritte Woche kamen sie wieder, und als sie nun in solcher Trunkenheit ihr gefasstes Müthlein ziemlichermassen ausgeschüttet, seyn sie für diesmal davongegangen ... Zum dritten male bin ich abermal in die peinliche Kammer gebracht u. s. w. und Hans Saub war so trunken und voll, dass er beim Tisch einschlief, und wann er hörte, dass ich etwas härter sprach, so wachte er auf und weisete mit den Fingern, sagend: Meister Peter, hinan, hinan mit dem Schelm und Stadtverräther und wenn er solches gesagt, schlief er wieder ein vor Trunkenheit. Ingleichen soffen die andern tapfer auch herum Wein und Bier, und wurden aus Trunkenheit und sonsten so verbittert, dass nicht zu sagen ...« [266] Das Martern und Foltern der Angeklagten war im Mittelalter ein derart unzertrennlicher Bestandteil des Gerichtsverfahrens, dass der Richter den Gedanken, ein Geständnis anders als durch die Folter zu erlangen, einfach nicht fassen konnte. Und bei den Unholdinnen erst, die nichts zu gestehen hatten, waren die Folterwerkzeuge unentbehrlich, denn ohne sie hätte es eben keine Hexenprozesse gegeben.
Bei Weibern, die sich dem Satan zu eigen gegeben, wäre Milde des Richters ein Verbrechen gewesen, das ihn vielleicht selbst in eine zweideutige Stellung gebracht hätte, darum suchte jeder einzelne genau nach der Schablone zu handeln. Lag es auch in seinem Belieben, die schauerliche Wirkung der Tortur zu erhöhen oder zu mildern, so brauchte er seine Macht doch kaum jemals zu Gunsten einer Hexe, ebensowenig wie er sich daran kehrte, die heuchlerische Vorschrift des Hexenhammers zu befolgen, bei der Tortur kein Blut zu vergiessen. Er war unumschränkter Herr in der Folterkammer und gebrauchte seine Macht oder missbrauchte sie, ganz wie es ihm beliebte. Hatte er jemanden freilassen müssen, weil seine Unschuld denn doch zu klar lag, so liess er eben den unschuldig Gepeinigten Urfehde schwören, sich niemals an ihm und den Seinen zu rächen. Bei einer Hexe war aber diese Gefahr für den Inquisitor nicht zu befürchten, denn kaum eine dieser Unthat bezichtigte Weibsperson entrann jemals dem Arm »der Gerechtigkeit«.
Schon vorm Beginn des Prozesses brach man die Seelenkraft der Angeklagten, die schliesslich so mürbe werden musste, dass sie sich schuldig bekannte, um durch den Tod von weiteren Quälereien befreit zu werden.
Ehe man die Hexe dem Richter vorführte, zog man sie splitternackt aus und untersuchte ihren Körper, ob sie nicht Zaubermittel bei sich führte, mit denen sie dem Richter Schaden zufügen könnte. Obwohl der Hexenhammer vorschrieb, diese Untersuchung von ehrsamen Frauen vornehmen zu lassen, so scherte sich in der Praxis kein Richter darum, sondern überliess die Wehrlose den Henkersknechten, die diese günstige Gelegenheit nicht vorübergehen liessen, sich tierisch an jungen Hexen, selbst unmündigen Kindern zu vergreifen und dem Teufel die Schuld zuzuschieben. Der wütende Hexenrichter Remigius, der sich in seiner »Daemonolatria« rühmt, binnen fünfzehn Jahren (1580-1595) in Lothringen achthundert Hexen eingeäschert zu haben, erzählt von einem seiner Opfer, Katharina genannt, sie wäre, obgleich noch ein unmannbares Kind, im Kerker wiederholt derart vom Teufel genotzüchtigt worden, dass man sie halbtot aufgefunden habe. [267] Wem hätten auch die Geschändeten die ihnen angethane Schmach klagen sollen, dem Richter? Der wusste doch, dass alles, was die Hexe sprach, Lüge und Blendwerk der Hölle sei, oder ihren Beichtvätern, »gleichviel ob katholisch oder protestantisch, die die gefangenen Hexen in den Kerkern aufsuchten und, anstatt ihnen Trost und Mut zuzusprechen und durch das Gebet für ihren Martergang zu stärken, sie mit allen möglichen Kreuz- und Querfragen in Fallen zu locken suchten; ihnen das Gewissen beängstigten; sie zu falschem Geständnisse zwangen? Diese gemeine, niederträchtige Pfaffenbrut war gefährlicher als die Henkersknechte und Inquisitoren resp. Richter. Denn selbstverständlich hing sich ein bis zu Tod geängstigtes Weib mit aller Gewalt an den Seelensorger; suchte bei ihm Trost und folgte seinem Rate. Musste ein solch armes Wesen nicht von Sinnen kommen, wenn sie sogar von dem Manne, den sie als heilig und fromm verehrte, als Hexe betrachtet wurde? Und wie er ihr ins Gewissen redete! Wie er, wenn sie bekennen würde, ihr von Heil und Rettung, von Gnade und Barmherzigkeit vorpredigte! Jede verfängliche Aussage, die ein so verzweifeltes Weib fallen liess, nahm der Beichtvater zu Protokoll. Hatte er genug aus der Unglücklichen herausgepresst, so gab er dem Richter genauen Bericht. So kam es, dass der Richter bereits das ganze Untersuchungsprotokoll, die ganze Beweisaufnahme in den Händen hatte, ehe er überhaupt die Hexe verhört hatte. Er hatte somit leichte Arbeit, indem das Verhör seinerseits nur kurze Zeit in Anspruch nahm, das übrige that die Folter.« [268]
Doch noch eine zweite Entwürdigung hatte die Hexe vor dem Richter durchzumachen. Man schor ihr jedes Haar am Körper ab, um eines jener Teufelsmale, Stigma, zu entdecken, mit dem der Satan alle Weiber kennzeichnete, die er als Buhlerinnen gebraucht. Fand man einen Leberfleck, ein Muttermal oder eine Warze, so stach der Henker mit einer Nadel darein, um seine Empfindlichkeit zu prüfen. Schmerzte der Stich nicht, dann war die Teufelsliebe erwiesen, im anderen Falle hatte der Teufel der Hexe das Mal empfindlich gelassen, um die Richter zu täuschen. Fehlte ein solches Mal gänzlich, so hatte es der Teufel verwischt. Gestand nun die Hexe, eingeschüchtert durch die Aussicht auf die Tortur, oder getäuscht von lügenhaften Vorspiegelungen des Beichtvaters oder des Richters, dann war sie verloren. Leugnete sie, dann unterwarf man sie der peinlichen Frage, die mit der amtlichen Formel begann: »Du sollst so dünn gefoltert werden, dass die Sonne durch dich scheint!« Diese Drohung war keine leere, und die Feder sträubt sich, all das Entsetzliche niederzuschreiben, was man nun mit den armen, schwachen Weibern vornahm. Mädchen im zartesten Kindesalter, sieben-, acht-, zehn- und zwölfjährige Mädchen [269] , schwangere Frauen [270] , sechzig-, selbst achtzigjährige Greisinnen, sie alle verliessen verbrannt, zerrissen, mit gebrochenen Gliedern, aus hundert Wunden blutend die Folterkammern.
Alle Bande des Blutes löste der unglückselige Wahn. Wolf Rossmann, ein Bauer zu Amorbach, gab seine eigene Mutter als Hexe an. [271] Vielleicht um sich ihrer zu entledigen, wie es Männer mit ihren Frauen thaten, Brüder mit Schwestern, denen sie das Erbe missgönnten, selbst Väter mit ihren Töchtern.
Und der ewig wiederkehrende Punkt bei allen Hexenprozessen ist geschlechtlicher Natur, in allen den vielen Protokollen, die auf uns gekommen sind, kehrt er, wenn nicht als Teufelsbuhlschaft allein, so in irgend einer anderen Form neben dieser wieder. Ein solches Protokoll, herausgerissen aus hundert beinahe gleichen, möge hier stehen. Es stammt aus dem Jahre 1572 aus der Umgebung von Trier und wird von Dr. Hennen mitgeteilt. Eine gewisse Eva, eine überführte Kindesmörderin aus dem Dorfe Kenn ist beschuldigt, mit dem Höllenfürsten Umgang gehabt zu haben. Sie besässe die Kunst zu hexen und hätte einen Knecht auf dem »grünen Haus« verzaubert, dass er in Liebe zu ihr entbrennen sollte. Die Angeklagte antwortete, dass sie die Zauberkunst nicht verstände. Sie hätte nur dem Zymmerhansen, dem Knecht, einen Ring gegeben; dieser hätte ihr versprochen, sie einst zu ehelichen. Das war das kurze Verhör. Die Folter wurde vorläufig nicht angewendet. Die Angeklagte wurde hierauf ins Gefängnis abgeführt.
An demselben Nachmittage wurde sie nochmals dem Amtmann, Schultheissen und zwei Schöffen vorgeführt. Sie verharrte auf ihrer Aussage, dass sie nichts von Zauberei verstünde. Nun wurde sie den Henkersknechten übergeben, die sie auf die Folter spannten.
Das unsinnigste Zeug brachte sie infolge der wahnsinnigen Schmerzen vor. Sie zog andere mit ins Unglück, einen Mann und drei Frauen, da sie, um nur sobald als möglich von den Folterqualen befreit zu werden, andere angab, von denen sie die Hexerei gelernt haben wollte. Von der einen behauptete sie, dass diese ihres (Evas) Mannes Mannbarkeit durch Zauberei genommen habe; von einer zweiten Frau sagte sie, dass diese ihr das Zaubermittel, wie man einen Mann an sich fesseln könnte, gelernt hätte, indem man nämlich einige Tropfen Blutes in einer Birne dem Betreffenden zu essen gäbe. Dies hätte sie nun auch mit dem Zymmerhansen so gemacht.
Die Folter wurde noch verschärft. Da rief Eva vor Schmerz aus, man sollte sie nur loslassen, sie wollte die Wahrheit eingestehen. Sie könnte zaubern.
Als man mit Foltern nachliess, gestand sie, dass sie von jener Frau, der sie die Entmannung ihres (Evas) Mannes zuschrieb, das Zaubern gelernt hätte. Sie teilte nun dem Amtmanne mit, wie sie durch die betreffende Frau, die Barbara hiess, mit dem Teufel zusammengekommen wäre; wie sie Gott abgeschworen und den Teufel verehrt hätte mit den Worten: »Ich sage Gott ab und dem Teufel zu und soll sein Eigen sein.«
Ferner gestand sie ein, mit dem Teufel etlichemal zu schaffen gehabt zu haben, Vieh und Menschen bezaubert, Unwetter heraufbeschworen zu haben. Die von ihr Bezichtigten erlagen gleichfalls unter der Anklage. [272]
Der Raub der Mannheit, dessen Eva die eine Hexe beschuldigte, wurde durch »das Nestelknüpfen« erreicht, vermittelst Schürzung eines zauberischen Knotens an einer der Hosennesteln eines Ehemannes, diesen zeugungsunfähig zu machen, doch gab es auch noch viele andere, mehr oder weniger blödsinnige Mittel, gegen die man sich aber auf gleich sinnreiche Weise schützen konnte, so nach der »gestriegelten Rockenphilosophie«, wenn der Bräutigam, bevor er in die Kirche zur Trauung geht, das Bierfass anzapft und den Zapfen während der Trauung bei sich trägt und andere ähnliche mehr, von denen Scheibles Sammelwerke »Das Kloster« und »Das Schaltjahr« eine reiche Blütenlese geben.
Rossberg'sche Buchdruckerei, Leipzig.
Das wichtigste Thema der Gegenwart
»Neue Frauen – Neue Männer«
behandeln folgende Schriften:
Vera:
Eine für Viele
Aus dem Tagebuche
eines Mädchens von heute
12. Auflage Preis M. 2.–
Urteile der Presse :
»Da haben wir das Wiener Saisonbuch, die litterarische Sensation für heuer. Heimlich wandert es von Hand zu Hand, die Männer verstecken es vor ihren Frauen, die Mütter vor den Töchtern, aber alle lesen es und mehr noch, alle machen sich ihre Gedanken darüber. Mit Recht, denn dieses Büchlein gehört zu den Dokumenten der Zeit, es spricht seine eigene Sprache und öffnet die merkwürdigsten Aus- und Einblicke ...
»Ob man dieses Buch den Mädchen in die Hand geben soll? Ich glaube nicht. Wozu denen, die noch nicht Wissende sind, ihre Illusionen rauben? Aber die Väter und Mütter sollen es lesen, und auch die jungen Männer. Diese vor Allem. Denn zum mindesten lernen sie daraus, dass es Mädchen giebt, die den Ehrgeiz haben, etwas anderes zu sein und zu werden, als, um mit Vera zu sprechen, dem Manne »ein Mobiliar seiner Bequemlichkeit« ...
»Prager Tagblatt.«
»Eine für Viele« erinnert an das Tagebuch der Marie Bashkirtsew. Warm und ehrlich empfunden, machen die Geständnisse des jungen Mädchens tiefen Eindruck ...«
»Reichswehr.«
»Das kleine Buch scheint darauf auszugehen, die gegenwärtige Moral, soweit sie das Verhältnis der Geschlechter betrifft, zu steigern und zu verfeinern. Der ledige Mann soll vor der Ehe ebenso keusch sein, wie das Mädchen; das Wesen, das sich ihm einst giebt in vollster reinster Hingabe, hat das Recht, von dem Manne ihrer Wahl dieselbe Reinheit, dasselbe unbefleckte Sinnenleben zu verlangen, das er als strenger Richter von ihr fordert ....«
»Neue freie Presse.«
Verlag von Hermann Seemann Nachfolger in Leipzig
Für und gegen VERA sind folgende Schriften erschienen:
Christine Thaler:
Eine Mutter für Viele
Ein Brief an die Verfasserin von
»Eine für Viele«
4. Auflage | Preis M. 1,– |
Die » Neue Freie Presse « in Wien schreibt über Christine Thalers Buch: »Es ist sehr erfreulich, dass weibliche Vernunft und Besonnenheit sich nun zum Worte meldet. Die übermodernen Jungfrauen werden das Sendschreiben der Mütterlichkeit wohl etwas hausbacken finden. Aber das verschlägt nichts. Aus ihm spricht Klugheit, Reife und Gemüt. Aus ihm spricht eine aus Lebenskämpfen erwachsene Milde, die das Menschliche, auch wenn es sich als ein Allzumenschliches erweist, verzeiht.«
Auch jemand:
Eine für sich selbst
Brief an die Verfasserin von
»Eine Mutter für viele«
3. Auflage | Preis M. 1,– |
»Eine Dame spricht ruhig und besonnen; eine Dame, die die verzehrende Sehnsucht der keuschen Jungfrau nach einem ihr ebenbürtigen reinen Jüngling versteht, dieser Sehnsucht aber nicht unbedingt das Wort redet. Der Verfasserin schwebt eine Art freier Liebe vor. Eine Liebe, die in freiem Genuss und seliger Wahrheit durch ihre hehre Grösse so wenig der landläufigen Moral peinlich werden kann wie Michelangelos David in seiner kolossalen Nacktheit. Eine Liebe, die nicht in den Staub zieht, in deren hohen reinen Flammen alles schmilzt, was allzuirdisch und allzumenschlich ist.«
Gerda Schmidt-Hansen:
Eine für Vera
Aus dem Tagebuche einer jungen Frau
2. Auflage | Preis M. 2,– |
Eine im Geiste Veras geschriebene, flammende Anklageschrift gegen die Unnatur und Heuchelei der vom Manne diktierten »sittlichen« Anschauungen. Die Verfasserin – eine Dame aus den besten Leipziger Gesellschaftskreisen – deckt hier mit rücksichtsloser Kühnheit den Abgrund einer modernen, allzumodernen Ehe auf und zeigt, wie die Laxheit der männlichen Moral Seele und Leib des Weibes vergiftet und beide dem Untergange zuführt.
Männer im Kampf
für und gegen Vera:
E... E...
Einer für Viele!
2. Auflage | Preis M. 1,– |
»Dieses Buch wendet sich polemisch gegen die mütterlich milden Urteile über das Vera-Problem, welche Christine Thaler in ihrer Kampfschrift ausgesprochen hat. E. E. legt offenkundig eine Lanze für Vera ein und versteht es, das von Vera angeregte Problem in eine neue interessante Beleuchtung zu rücken.«
Felix Ebner:
Meine Bekehrung
zur Reinheit
Aus dem Leben eines Junggesellen
2. Auflage | Preis M. 2,– |
»Die Männerwelt ist lange nicht so verdorben, wie sie von emancipierten Blaustrümpfen geschildert wird. Das ist die These Ebners. Er bekräftigt seine Überzeugung mit der Darstellung seiner eigenen Lebenserfahrungen, mit der Vertiefung und Bereicherung, die sein Leben durch echte Liebe gewann, und stellt die Unverbrüchlichkeit der ethischen Pflichten, die jeder junge Mann zu erfüllen hat, aufs glänzendste heraus.«
Verus:
Einer für Viele
Aus dem Tagebuche eines Mannes
2. Auflage | Preis M. 2,– |
Die » Feder «, Berlin, schreibt: »Das Buch wird vielen Widerspruch erregen, dürfte aber auch viele Freunde finden.«
Der » Autor «, Zeitschrift für Litteratur und Kunst in Wien, schreibt: »Unstreitig die hervorragendste Erscheinung in der ganzen ›Vera-Litteratur‹, vielleicht eine der bedeutendsten am Büchermarkt überhaupt, wiewohl sie bei vielen eine gewaltige Entrüstung hervorrufen wird. Man wird das Buch vor jungen Leuten zu verstecken suchen, es enthält aber gerade für diese alles, was ihnen spätere Enttäuschungen ersparen kann. Mögen es nur recht viele lesen, bevor sie in die Lage kommen, aus eigener Erfahrung beurteilen zu können, wie recht Verus hat.«
Neue Bücher von Frau Professor
Maria Janitschek:
Die neue Eva
2. Tausend. Preis brosch. M. 2,50, geb. M. 3,50
»Ein reifes Buch. Das Urteil einer Frau, welche die Frauen und die Männer sowie das Leben kennt. Frau Janitschek ist dem deutschen Leser längst bekannt. Sie ist modern im guten Sinne. Sie ironisiert in feiner Weise die Emanzipations-Bestrebungen der Hypermodernen und kommt zu dem allerdings nicht neuen Schluss, dass ohne die »Kanaille« Mann das Weib nichts ist und sein kann. Durch alle Novellen des vorliegenden Buches zittert eine gesunde Ethik. Es liegt über jeder einzelnen Geschichte der dumpfe Hauch der geschlechtlichen Gier. Und aus jeder Geschichte kann eine treffliche Moral gezogen werden. Trotz des pikanten Inhalts würde ich jedem Mädchen dieses Buch zwei Tage vor seiner Ehe in die Hand geben. Nach den hier vertretenen Prinzipien handelnd, wird dann aus dem »Gänschen« nicht notgedrungen die »unverstandene deutsche Frau!«
»Frankfurter Neueste Nachrichten.«
Die »Neue Hamburger Zeitung« schreibt:
» Die neue Eva « ist ein durchaus künstlerisches Tendenzbuch , eines der wenigen, die wir in Deutschland haben, denn ein Schönheitsglaube glüht darin auf, eine reine aufstrebende Sinnlichkeit und das kraftvolle Selbstvertrauen, dass auch die Frau stark genug sei, sich zu befreien, ohne Gefährtinnen, Versammlungen und Zeitungen. Und das ist wohl ihr eigenster Sinn, dass nur diejenigen Freiheit verdienen, denen sie das eigene Herzblut gewiesen und erkämpft, die selbst Individualitäten sind. Reine, starke Höhenluft atmet über diesem Buche und ein Duft, wie von heissglühenden, sommerlichen Rosen, denn es ist ein Dichtbuch reifer und ungezwungener Sinnlichkeit und das Lebensevangelium einer schöpferischen Frau. Und ich glaube, dieser Eindruck der Persönlichkeit ist so stark, dass ihn selbst diejenigen spüren werden, die die »Neue Eva« lesen um der heiklen Themata und der Unterhaltung willen, und zur Erkenntnis gelangen, dass sich hier hinter Spott und farbiger Schilderung das ernste Antlitz einer wertvollen Weltanschauung erhebt.«
»... Und nun die neue Eva! Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein. Das sind sieben Geschichten, die tief aus dem Werden und Wollen des Weibes herausgeschrieben sind. Maria Janitschek hat hier die künstlerischere Seite ihrer Kraft gefunden. Kaum jemals ist Psychologie mit Physiologie in der Novelle so innig verbunden worden wie in diesen Geschichten. Glut und Wahrheit, ein feines Spüren nach den geheimsten Regungen der Evanatur, eine glückliche Hand im Ausmalen des Schleierlosen – das alles und noch einiges findet der Leser – die Leserin möge freilich nicht zu jung sein – in den Erzählungen von der neuen Eva, unter denen »Neue Erziehung und alte Moral« ein Meisterstück des psychologischen Verismus ist.
»Berliner Lokal-Anzeiger.«
Zwei neue Romane von
Maria Janitschek
Band I
Maiblumen
2. Tausend. Preis brosch. M. 2,50. geb. M. 3,50
Band II
Feuerlilie
2. Tausend. Preis brosch. M. 2,50. geb. M. 3,50
» Aus Aphroditens Garten « betitelt Maria Janitschek , die berühmte Erzählerin und feinsinnige Kennerin der modernen Frauenseele, ihren neuesten Romancyklus, in dem sie in umfassender Weise an einer Reihe von Einzelschicksalen ihre Erfahrungen und Anschauungen über das moderne Weib und seine seelischen und sozialen Verhältnisse in vielseitiger Weise niederlegen will.« »Der Gesellige.« Graudenz.
»Schon die äusserlichen Vorgänge, die sich im vorliegenden Roman abspielen, sind von Maria Janitschek in brillanter, von Anfang bis zu Ende spannender Weise erzählt, noch viel mehr aber wird den Freund moderner Dichtung der ausserordentliche Scharfsinn und die psychologische Tiefgründigkeit überraschen, mit denen das Seelenleben der Heldin, einer mitten in den Anfechtungen des modernen Lebens, sowie ihres eigenen leidenschaftlichen Herzens stehenden Jungfrau geschildert wird. Der Leser wird geradezu in den Lebenskreis dieses seltsamen Wesens hineingezwungen. Man darf nach diesem Anfang mit grossem Interesse den weiteren Enthüllungen aus »Aphroditens Garten« entgegensehen, und insbesondere sollte niemand, der Interesse für die moderne Frauenbewegung hat, diese künstlerischen Ergüsse einer der modernsten Frauen der Gegenwart ungelesen lassen.«
»Deutsche Tageszeitung«, Wien.
Von derselben Verfasserin erscheint Ende 1902:
Auf weiten Flügeln
Novellensammlung:
Judas – In der Frühe – Heimatlose Nachtigall – Die beiden Karren – Um der Glorie willen .....
Preis brosch. M. 2,50, geb. M. 3,50
Zwei neue wichtige Publikationen zum Thema der
Frauenfrage und Mädchenerziehung
Louis Frank – Dr. Keifer – Louis Maingie:
Die Versicherung der Mütter
Autorisierte deutsche Ausgabe besorgt von
Nina Carnegie Mardon
Preis brosch. M. 2,–
Die Notwendigkeit eines Schutzes für die Frauen der arbeitenden Klassen während und nach ihrer Schwangerschaft wird in dieser Schrift zum ersten Mal in wissenschaftlich begründeter Weise nachgewiesen. An der Hand eines reichen statistischen Materials wird die Unhaltbarkeit der bisherigen Zustände und ihre Gemeingefährlichkeit für das Leben der Gesamtheit dargethan, sodann die Möglichkeit gezeigt, durch Begründung einer Versicherung diesen beklagenswerten Missständen abzuhelfen und den Müttern für eine bestimmte Zeit Freiheit von der Last der Arbeit und die notwendigen Subsistenzmittel zu gewährleisten. Das Wesen und die Ausführbarkeit dieser Versicherung wird bis in ihre kleinsten technischen Einzelheiten dargethan. Die sociale Gesetzgebung wird, früher oder später, mit Notwendigkeit zu den hier entwickelten Gesichtspunkten hingeführt werden müssen, wenn anders das Wort von dem stetigen Fortschritt der Kultur keine blosse Phrase bleiben soll.
Eine Mutterpflicht
Beiträge zur sexuellen Erziehung von
E. Stiehl
2. Auflage. | Preis 50 Pf. |
Man hat das neue Jahrhundert schon das » Jahrhundert des Kindes « getauft. In der That ist die Erziehung unserer Kinder gottlob in ein neues Stadium getreten. Das wichtigste Gebiet in dieser Erziehung bildet die sexuelle Pädagogik. In immer weiteren Kreisen bricht sich die Ueberzeugung Bahn: Wir dürfen in Bezug auf die Belehrung unserer Kinder über geschlechtliche Dinge nicht stehen bleiben bei der ererbten und anerzogenen Gewohnheit ablehnender Prüderie. Wir müssen dem Kinde auf seine Fragen nach den natürlichen Dingen andere Antworten geben, als bisher. Diese heiligste Mutterpflicht behandelt E. Stiehl in ihrer Schrift, sie beweist, dass es die ernsteste Aufgabe jeder gewissenhaften Mutter ist, die Leitung und Belehrung ihres Kindes auf diesem zartesten und schwierigsten Gebiete der Erziehung selbständig vorzunehmen. Kein Buch enthält eine stärkere Ermahnung an Mütter und Erzieher, als wie sie von E. Stiehl gegeben wird. Möge sie auch beherzigt werden!
Wer Interesse für den Fortschritt unserer Kultur und für thatkräftige Besserung unserer socialen Verhältnisse hat, dem seien diese beiden auf ihrem Gebiete geradezu reformatorisch wirkenden Schriften – und deren Verbreitung in weitesten Kreisen angelegentlichst ans Herz gelegt.
Eine wackere Vorkämpferin für die Rechte der Frau ist
Grete Meisel-Hess!
Bisher erschienen :
In der modernen
Weltanschauung
Preis M. 2,50
Ein aus dem Geiste Wilhelm Bölsches geschaffenes Werk! Jeder Bekenner, Anhänger und Freund des Monismus wird nach dieser mit einem prächtigen Temperament geschriebenen Abhandlung der bekannten Wiener Schriftstellerin greifen, wenn er über die tiefe Verknüpfung des modernen Lebens mit der Naturphilosophie der Gegenwart orientiert sein will. Die Verfasserin kämpft für eine Regeneration in allen Gebieten, in Reich und Staat, in Kunst und Erziehung, in Ethik und Gesellschaft. Für die Frauenbewegung ist die Schrift von der grössten Bedeutung.
Ferner :
Fanny Roth
Eine Jung-Frauengeschichte
2. Auflage | Preis brosch. M. 2,50, geb. M. 3,50 |
Die » Zeit «, Wien, schreibt:
»Das Dankenswerte an diesem Buche ist, dass hier eine Frau dem Mädchen jene Erkenntnis vermittelt, die sich die jungen Männer, gesellschaftlich freier gestellt, aus ihrem eigenen Leben holen: die Nebensächlichkeit aller reinen Geschlechtsprobleme für das wahre Leben tiefer veranlagter Naturen. Also wirklich einmal ein Buch, das junge Mädchen lesen sollten. Dass die künstlerische Form nicht visionär genug ist, nützt vielleicht gar dem didaktischen Zweck, denn eine gesperrt gedruckte Lebensweisheit fällt stärker in die Augen. Und übrigens würde das Buch, das unstreitig dichterische Qualitäten zeigt, weit reifer und geschlossener wirken, wenn nicht ein durchgehends zu konsequent angewandter Naturalismus uns immer wieder aus jener Welt in diese stürzte.«
Die » Wiener Hausfrauenzeitung « schreibt:
»In dem hier vorliegenden Buche zeigt sich wieder, wie meisterhaft die Verfasserin Situationen zu schildern versteht und wie packend und natürlich sie zu erzählen weiss ... eine Erzählung aus dem Leben einer Künstlerin, die aber auf Hunderte andere Mädchen ebenso Anwendung finden kann und den Leser bis zur letzten Seite in Spannung hält.«
Herbst 1902 erscheint:
Suchende Seelen
(1. Das Leid. 2. Die Lüge. 3. Die Krisis). Preis br. M. 2,–
Bücher zur Frauenfrage von Frau
Elsa Asenijeff
Unschuld
Ein modernes Mädchenbuch
2. Auflage. | Preis brosch. M. 2,50, geb. M. 3,50 |
Die » Deutsche Zeitung «, Wien, schreibt: »Die Verfasserin, offenbar eine Frau von Geist und tiefem Gemüt, ist durchdrungen vom hohen Beruf des Weibes, das ›in Heiligkeit und Schönheit durch die rauhe Roheit des Lebens gehen soll‹, das ›bei allem Beleidigenden, was es erblickt, nur den Gedanken der Güte an heilendes Bessere‹ haben soll. Und so legt sie denn eine Reihe von Bildchen aus dem jungen Mädchenleben vor, in denen überall auf eine Gefahr, ein lauerndes kleines Ungetüm aufmerksam gemacht wird. Die Verfasserin hat die keimende Seele des Weibes wohl beachtet und weiss ihre Erscheinungen anschaulich und mit interessanter Lebendigkeit zu schildern. Dass sie sich dabei von tantiger Prüderie ferne hält, giebt dem Buche die Weihe einer höheren, weil furchtloseren Reinheit. An einer Stelle sagt Elsa Asenijeff von den schriftstellernden Frauen: ›Sie schreiben, wie sie es von den Männern gelernt. Ihre Seelen kriechen erst aus ihrem Leibe heraus und in ein Mannesgehirn hinein, dann erst schreiben sie. Die Lieben aber, welche die Kinder gern haben, die schreiben nie. Die sitzen zu Hause und heissen Mami und pflegen das liebe Kind, dass es dereinst ein ordentlicher Mensch werde.‹ Wie wahr! Und dass man trotz der Richtigkeit dieses Satzes gegen das wahrhaft weibliche Buch Asenijeffs kaum etwas einwenden kann, ist wohl sein schönstes Lob.«
– »Die hochbegabte Verfasserin giebt hier eine Sammlung von Skizzen aus dem Leben des Weibes von der frühesten Jugend bis in das Alter in knappster Form und von einer Anschaulichkeit, die diese Bilder in leuchtenden Farben, zum Greifen deutlich, vor das geistige Auge des Lesers, besser noch der Leserin stellt. Die feine Zeichnung verrät eine ausserordentliche Begabung für psychologische Feinheiten. Eine eigenartig zarte Poesie liegt über den kleinen intimen Seelengemälden, etwas märchenhaft Holdes, das auf die Phantasie einen eigenen Zauber ausübt. Die Skizzen sind kleine Kunstwerke dichterischer Prosa, reif und durchgeistigt und zugleich von einer edlen Einfachheit des Stils. Das Buch wendet sich an die jungen Mädchen, »die Jugendknospen der Menschheit. Für jene, welchen ein Walzer oder ein schönes Kleid alles gelten, sind meine Worte nicht. Noch für solche, die wie im dämmernden Schlaf im Dasein dahingehen, nicht nach rechts, noch nach links blickend, nicht fragend, nicht wollend, und an deren stummer Teilnahmlosigkeit sich das Schicksal vollzieht. Aber Euch Edelsten will ich dienen, die Ihr in Schönheit durch die rauhe Roheit des Lebens gehen wollt, Euch mit den glühenden, opfervollen Herzen, denen alles Beleidigende, was sie erblicken, nur den Gedanken der Güte an heilendes Bessere giebt.« Der Zweck des Buches ist ein erzieherischer, aber es ist nicht pedantische Schulmeisterei, die hier das Wort ergreift, sondern eine echte Dichterin, die von den Schicksalen der Frauenseele singt. Auch über die herben Erscheinungen des Lebens zieht sie keine prüden Schleier, doch wird die schöne poetische Form trotz des oft »naturalistischen« Inhalts stets festgehalten. Ein paar sinnige Märchen gehören zum Schönsten, was die Sammlung enthält. Für die jungen Mädchen, zu denen die Verfasserin in den oben zitierten Einleiteworten spricht, wird das Buch eine schöne Weihnachtsgabe sein.«
»Staatsanzeiger für Württemberg«, Stuttgart.
Tagebuchblätter einer Emanzipierten
von
Elsa Asenijeff
Preis brosch. M. 3,–, geb. M. 4,–
Als einer echten Modernen steht Elsa Asenijeff das Menschentum im Werte unendlich höher als das Weibtum, und indem sie den mitringenden Schwestern zeigt, wie sie sich zäh und unablässig zu diesem würdigen Ziele hinkämpft, verrichtet sie mit ihrem Buche eine nicht hoch genug zu veranschlagende Pionierarbeit.
»Deutsche Warte«, Berlin.
Elsa Asenijeff ist keine von den gewöhnlichen Emanzipationsdamen, die mit fertigen Schlagworten um sich hauen. In dem überfeinen und hochsensitiven Wesen dieser Schriftstellerin ist doch etwas von jenem kulturfördernden Geiste, der über die harte, wissenschaftlich dürre Mannesgesittung hinaus zu einer edleren, freieren Sittigung strebt; diese keimt im Gefühl, in der Seele, sie wird ohne Zweifel einmal unsere starre Männerkultur überwinden können.
»Deutsche Wacht«, Dresden.
Ferner ist im Verlag von
Hermann Seemann
Nachfolger
von Frau
Elsa Asenijeff
erschienen:
Max Klingers Beethoven
Eine kunsttechnische Studie
Prachtwerk in Grossquart mit acht Heliogravüren
und 23 Beilagen und Textbildern
Preis in vornehmem Liebhaberband gebunden M. 20,–
Frau Asenijeff gehört seit Jahren zu dem engeren Freundeskreise Klingers, sie hat das grosse Werk, das wie selten eine einzelne künstlerische Schöpfung in Deutschland die Gemüter in Aufregung versetzt hat, wachsen und werden sehen, und aus eigener Anschauung berichtet sie nun, wie jener Titelzusatz andeutet, von der Arbeit, die Klinger hier geleistet, von dem technischen Können, das in dieser seltsam-grossartigen Monumentalstatue niedergelegt ist. Nach den vielfachen kritisch-ästhetischen Abhandlungen über den »Beethoven« ist eine solche Schrift sehr willkommen.
»National-Zeitung«, Berlin.
Eine ungewöhnlich interessante Veröffentlichung ist das Prachtwerk »Max Klingers Beethoven«. Das Werk, das im gesamten Schaffen Klingers einen Gipfel bedeutet, wird von Frau Elsa Asenijeff in einem trefflichen Text erklärt, der die zahlreichen Illustrationen – 8 Heliogravüren, 23 Beilagen und Abbildungen im Text – wirksam unterstützt, zumal da Frau Asenijeff in der Lage ist, auch zu der Entstehungsgeschichte des Werkes die interessantesten Ausführungen beizubringen, insonderheit über die grosse Schwierigkeit, den Thronsessel in Bronze zu giessen, was erst in Pierre Bingens Werkstatt in Paris gelungen ist und von Frau Asenijeff in den einzelnen Stadien ausserordentlich dramatisch erzählt wird. Die Schilderung des Bronzegusses ist eine Meisterleistung.
»Vossische Zeitung.«
Roman von Paul und Victor Margueritte
(Einzig autorisierte Ausgabe von U. Fricke)
Preis brosch. M. 4.–, geb. M. 5.–
In dem hervorragenden Roman » Neue Frauen « von Paul und Victor Margueritte, einem Brüderpaar, das zu den berühmtesten französischen Romanschriftstellern der Gegenwart zählt, werden neben glänzenden Schilderungen der Gesellschaft und der unteren Volksmassen, die »neuen Frauen« als Vorkämpferinnen der Frauenbewegung verherrlicht, die auf diesem Wege die sociale Frage lösen wollen. Und diese Frauen nun haben auch die idealen Forderungen der Reinheit des Mannes vor der Ehe, der sittlichen Gleichberechtigung beider Geschlechter auf ihren Schild geschrieben. So schlägt die Heldin des Romans zwei Eheprojekte wegen der »Vergangenheit« der Werber aus. Der Roman ist glänzend geschrieben, unterhaltend, wertvoll und für jeden, der » Vera « kennt und für die Frauenprobleme etwas übrig hat, von brennendem Interesse.
Die Kritiken über Paul und Victor Margueritte, Neue Frauen , sind insgesamt lobend und empfehlen das Werk in jeder Hinsicht zur Lektüre. Eine Kritik sei hier wiedergegeben aus dem »Staatsanzeiger für Württemberg«, Stuttgart:
»Der fesselnd geschriebene französische Roman behandelt Probleme, die mit der modernen Frauenbewegung zusammenhängen, übrigens wegen Ihres rein menschlichen Gehalts der Teilnahme auch der Parteilosen sicher sind. Die Geschichte dieses Romans ist für eine Doppelautorschaft von einer seltenen Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit. Die Darstellung der vorhandenen Konflikte glüht von Begeisterung für die höhere Sittlichkeit der Menschen der Zukunft, welche die Seelen läutern wird. Die Heldin, die in schweren Stunden für das Recht der Selbstbestimmung als Frau und Tochter mit Energie eintritt und sich im Kampf des Lebens die echte Weiblichkeit bewahrt, ist eine sympathische Frauengestalt, der Idealtypus der Frau der Zukunft, wie ihn die Verfasser und mit ihnen gewiss noch viele andere erträumen. Auch radikale Typen des weiblichen Geschlechts sind vertreten, der Blaustrumpf und die geschworene Männerfeindin, jedoch nicht zur Abschreckung, als Lächerlichkeiten. Die Verfasser lassen keinen Zweifel darüber, dass für sie die Frau der Zukunft so nicht aussieht. Der Roman entwickelt die Ereignisse von innen, vom Charakter der Personen aus und verbindet so mit der Erörterung zeitgemässer Fragen eine treffende Psychologie, die ihm in erster Linie seinen Wert verleiht.«
»Der Roman eines Dienstmädchens«
ist das neueste zweibändige grandiose Werk der bekannten
polnischen Schriftstellerin
Gabriela Gräfin Zapolska
Käthe die Karyatide
2 Bände brosch. je M. 2,50, geb. je M. 3,50
»Die Karyatide, die in stummer Ergebenheit die Last des Hauses und ihres eigenen Unglücks trägt, ist das Dienstmädchen. Zu einem Symbol wächst ihre Gestalt. Wie eine Karyatide erscheint sie, auf deren Schultern die niederdrückende Last elender niederer Arbeit ruht. Ein solches typisches Lebensschicksal schildert die polnische Dichterin Gräfin Zapolska mit einem unerbittlichen, oft ans Brutale streifenden Wirklichkeitssinn. Es ist das Werk einer Persönlichkeit, das mit bedeutender Aufmerksamkeit gelesen zu werden verdient.«
Ein reizvolles Pendant zu Gräfin Zapolskas Dienstmädchenroman bildet der
»Roman einer Ladenmamsell«,
wie er uns vorliegt, in
Jenny Schwabes Roman
Im feindlichen Leben
Preis brosch. M. 3,–, geb. M. 4,–
Aus Urteilen der Presse: »Das ist der Roman der Ladenmamsell mit all den mannigfachen Anfechtungen und Sorgen, denen diese jungen Mädchen in ihrer dienenden Stellung ausgesetzt sind. Das ist der Roman eines gut erzogenen, tüchtigen Mädchens, dem seine Armut überall Zwang anlegt und das gezwungen ist, seine jungen Kräfte in seelentötender Arbeit zu verbrauchen, dem es aber doch gelingt, sich wacker durchzukämpfen und einen beglückenden Wirkungskreis in Leben und Ehe zu finden. Die Lektüre ist sehr unterhaltsam, und das versöhnliche Ende entlässt den Leser mit der Hoffnung, dass auch diese Gebiete der Frauenbewegung noch ihre Zukunft haben«.
Ein Beitrag zu unserer Erziehung zur Ehe
Von
Else Jerusalem-Kotányi
2. Auflage | Preis M. 2.– |
» Gebt uns die Wahrheit « ist eine moderne ars amandi im edelsten Sinne des Wortes, noch mehr , es ist das beste Buch, das je eine Frau geschrieben hat.«
Viktor A. Reko in den »Internationalen Litteraturberichten.«
An Stelle der übrigen zahlreichen Kritiken, die »Gebt uns die Wahrheit« durchaus günstig besprachen, sei hier der Verfasserin Selbstanzeige aus der »Zukunft« wiedergegeben:
»In der Arbeit, die ich nun dem Leser vorlege, habe ich jenes gefährliche Wagestück unternommen, vor dem selbst einem alten Teufelskumpan wie dem Doktor Faust heimlich graute: Ich bin zu den Müttern hinabgestiegen. Die Mädchenerziehung ist von jeher eine heiss umstrittene Frage gewesen. Alle Damen, alle Herren haben darüber höchst löblich und leidenschaftslos gesprochen, und nur uns selbst, den Hauptpersonen in dieser beliebten Farce, wurde jede selbständige Willensregung einfach abgeschnitten. Wir blieben stumme Trägerinnen unserer naiv-sentimentalen Rollen, die uns im letzten Akt die notwendige Lustspiellösung bringen mussten. Das ist im Grunde einfache Logik der Thatsachen. Ein nach den Regeln der Gesellschaft gedrilltes weibliches Wesen vergisst nur zu rasch, über sich und seinen Entwickelungsgang nachzudenken. Als junge Dame hat sie weit wichtigere Funktionen zu erfüllen, als ihr Innenleben einer Betrachtung oder gar einer Kritik zu unterziehen. Auf Grund, wie ich kühn behaupten darf, ehrlicher psychologischer Forschung versuchte ich, in meinem Buch eine Darstellung jener gefährlichen Mischung der äusseren Welterziehung und der geheimen Selbstenthaltung zu geben, die später so schädigend auf die Entwickelung unserer physischen und psychischen Kräfte zurückwirkt. Keine frivole Absicht, nicht die Sucht, mit der Verneinung des Althergebrachten modern zu wirken, hat mich dazu bestimmt. Doch das Aussprechen gewisser Thatsachen wirkt in unserer, an keuschen ... Ohren so reichen Gesellschaft immer weit verletzender als deren Ausübung. Ist einer von uns ein unangenehmes Abenteuer passiert, so breitet die Welt unter salbungsvollen Reden den fadenscheinigen Mantel ihrer Nächstenliebe darüber. Denn das kann jeder Mutter Kind geschehen. Aber spricht eine von uns darüber, schreibt sie durchlebte, durchlittene Gedankentragödien, die das Leben in tausend und abertausend Fällen zur Wirklichkeit macht, gar nieder, dann giebt es Skandal – und die Steine fliegen. Denn da ist man wohl sicher: Das braucht wirklich nicht jeder zuzukommen. Möge denn das Büchlein seinem Schicksal entgegengehen; vielleicht wird mein eigenes Geschlecht zuerst wider mich aufstehen; auch jene ganz Reinen, für die es in lichterfüllten Stunden niedergeschrieben wurde.«
Anmerkungen zur Transkription
Der Text wurde originalgetreu beibehalten, außer folgenden Änderungen:
S. 61 : "zn" wurde durch "zu" ersetzt.
S. 100 : Das Gedicht wurde eingerückt.
S. 128 : Das Gedicht wurde eingerückt (im Original ohne Einrückung).
S. 176 : "Strafe" wurde durch "Straße" ersetzt ("...nackt auf die Straße geworfen").
S. 184 : hinter "Dirnen" wurde ein Punkt eingefügt.
S. 203 : vor "umsonst einkauffen" wurde ein Anführungszeichen eingefügt.
S. 203 : "Liebhhaber" wurde zu "Liebhaber" geändert.
S. 266 : "nnd Salome" wurde geändert zu "und Salome".
S. 275 : "Brandt" wurde zu "Brant" geändert ("...wie Brant im Narrenschiff sagt").
S. 309 : "panis porciuso" wurde in Kursivschrift gesetzt.
S. 321 : "Armel" wurde durch "Ärmel" ersetzt.
S. 324 : In Fußnote 227 wurde ein Komma in "Schultz, Deutsches Leben" eingefügt.
S. 334 : hinter "Perlen?" wurde eine schließende Klammer eingefügt.