The Project Gutenberg eBook of Gedanken über Religion

This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org . If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.

Title : Gedanken über Religion

Author : George John Romanes

Translator : Eberhard Dennert

Release date : February 13, 2016 [eBook #51208]

Language : German

Credits : Produced by Ralph Janke, Marilynda Fraser-Cunliffe, Norbert
Müller and the Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GEDANKEN ÜBER RELIGION ***

  

Gedanken über Religion

von

George John Romanes.

Die religiöse Entwicklung eines Naturforschers vom Atheismus zum Christentum.

Autorisierte Übersetzung nach der 7. Auflage des englischen Originals

von

Dr. phil. E. Dennert .

Göttingen

Vandenhoeck und Ruprecht

1899.

[S. i]

Vorwort des Uebersetzers.

In dem Verhältnis der Naturforscher zur Religion ist in den letzten Jahrzehnten eine merkwürdige Wendung vor sich gegangen. Bekanntlich herrschte in den fünfziger und sechsziger Jahren eine kraß materialistische Strömung, welche in Deutschland von Männern wie Vogt und Moleschott angebahnt war. Die namhaften Naturforscher blieben jedoch von ihr unberührt, sie hatten fast alle eine religions- und christentumsfreundliche Stellung. Als aber in den siebenziger Jahren die Lehre Darwins mehr und mehr Eingang fand und Haeckel seinen Monismus predigte, änderte sich das Verhältnis, und die Stellung der in den beiden folgenden Jahrzehnten, wie auch noch in dem laufenden maßgebenden Naturforscher zur Religion wurde eine zum mindesten gleichgiltige. Die Naturwissenschaft und die induktive Methode steht bei den meisten dieser Männer so sehr im Mittelpunkt des Denkens und des Lebens, daß alles andere, was sonst ein Menschenleben erfüllt und ausmacht, bei ihnen weit zurücktritt.

Wenn manche dieser Forscher nach ihrem religiösen Standpunkt gefragt werden, so erklären sie sich für „ Agnostiker “, sie wissen nichts von religiösen Fragen oder überhaupt von Fragen, die jenseits des naturwissenschaftlichen Gebiets auftauchen. Dieses Wort wurde jedoch von vielen in dem Sinn gebraucht, daß man jenseits der natürlichen Kausalität überhaupt nichts wissen, keine Gewißheit je erlangen könne . Eine große Reihe von Naturforschern stand, wenn sie nicht geradezu glaubensfeindlich waren, vor 10-20 Jahren so. Zu erklären ist diese Erscheinung sicherlich durch den Einfluß der gewaltigen [S. ii] Entwicklung der Naturwissenschaft überhaupt und des Darwinismus im speziellen: es gab viele, denen erschien alles Erforschte als unantastbare Wahrheit, und die Zeit schien ihnen nicht fern, in der die ganze Natur, auch alles Leben und Werden, für den Forscher völlig klar und durchsichtig sein würde; bei solchen Gedanken mußte eine Verkennung des Wertes der naturwissenschaftlichen Methode nur zu nahe liegen, sie erschien daher vielen als der einzig mögliche Weg zur Erkenntnis der Wahrheit.

Allein es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, das kann man auch auf diesem Gebiete sagen: allmählich trat vor allem in Bezug auf den Darwinismus eine Ernüchterung ein, im eignen Lager wurde an dem vermeintlich unzerstörbaren Bollwerk gerüttelt, und da seine Festigkeit eine eingebildete war, so konnte nicht ausbleiben, daß es um so schneller fiel, bezw. fällt. Dieser Zerbröckelungsprozeß setzt sich noch weiter fort, aber es ist nicht anzunehmen, daß abgesehen von einigen „Alten“, die sich noch um Haeckel und Weismann scharen, echte Darwinianer ihren Einzug in das neue Jahrhundert halten werden. Das ist aber nicht ohne Einfluß auf die philosophischen und religiösen Anschauungen der Naturforscher geblieben. Zwar wird sich das alte Verhältnis, d. h. ein Überwiegen der religiös und christlich gerichteten Forscher, so schnell noch nicht wieder herstellen — kommen wird es ganz sicher wieder —; aber eine Anbahnung ist schon heute gar nicht zu verkennen. Diese äußert sich zunächst in einer viel freundlicheren Stellung zu religiösen Fragen und vor allem in der Anerkennung, daß Religion und Naturwissenschaft zwei getrennte Gebiete sind, die mit einander nur wenig zu thun haben. Aus dieser Erkenntnis wird sich dann sicherlich mehr und mehr die andere entwickeln, daß man bei allem naturwissenschaftlichen Wissen auch einen persönlichen religiösen Glauben besitzen kann, weil die Quellen der wissenschaftlichen und religiösen Erkenntnisse ganz verschieden sind.

Der Agnostizismus , wie ich ihn oben gekennzeichnet [S. iii] habe, erhält unter diesem Einfluß ein ganz anderes Gesicht; allerdings sagt er sehr richtig auch jetzt noch, daß man mit naturwissenschaftlichem Wissen und naturwissenschaftlicher Methode auf religiösem Gebiet nichts ausrichten, nichts erkennen kann, allein er fügt nun hinzu: vielleicht kann man es auf anderem Wege, und dieser Möglichkeit steht er ganz unparteiisch gegenüber.

Zu den Männern, welche die letztgenannte Art von Agnostizismus vertraten, gehört vor allem G. Romanes, der englische Biologe, er ist am 26. Mai 1848 zu Kingston in Kanada geboren, war ein Freund Darwins, der ihm eine Reihe von unveröffentlichten Manuskripten hinterließ, von denen Romanes einige veröffentlichte. Romanes selbst schrieb ein Werk über „physiologische Zuchtwahl“, eines über „tierische Intelligenz“, „Vor und nach Darwin“, „eine Prüfung der Lehre Weismanns“ u. a. m., er starb schon am 23. Mai 1894. Romanes zeigt an sich selbst die eigentümliche Entwicklung, welche das Verhältnis der Naturforschung zur Religion in den letzten Jahrzehnten genommen hat: von Haus aus dem Glauben zugethan, wurde er durch die Darwinsche Strömung allgemach zu vollem Skeptizismus und Unglauben getrieben, aus dem er sich jedoch wieder emporarbeitete, so daß er sogar als ein gläubiger Christ gestorben ist. Diese religiöse Entwicklung spiegelt sich nun auch in seinen religionsphilosophischen Schriften wieder, alle eben genannten Stufen finden sich in letzteren, und es ist daher im höchsten Grade interessant, sie zu vergleichen und die stufenweise Rückkehr des Verfassers zum Glauben zu verfolgen. Die letzte dieser Schriften zu vollenden und zu veröffentlichen ist dem Entschlafenen leider nicht vergönnt gewesen. Nach seinem Tode aber hat sein Freund Charles Gore, Kanonikus an Westminster, in liebevollster Weise die Herausgabe dieser Schrift, sowie der anderen, die einen Einblick in das innere Leben des Verfassers gestatten, besorgt. Diese Aufsätze sind vor 3 Jahren unter dem Titel „ Thoughts on religion “ erschienen und haben innerhalb [S. iv] zweier Jahre in England sieben Auflagen erlebt. Das Buch verdient es im höchsten Grade, auch in Deutschland bekannt zu werden, um auch bei uns in ähnlicher Weise wie die Werke des auch leider zu früh entschlafenen Drummond ein Zeuge dafür zu sein, daß Glaube und Wissen keine Gegensätze sind.

Der Unterzeichnete hat, nachdem er das Buch kennen lernte, die deutsche Ausgabe um so lieber übernommen, als der Inhalt dieses Buches in derselben Richtung liegt wie manche seiner eignen Schriften, und er übergiebt seine Bearbeitung nunmehr der Öffentlichkeit mit dem Wunsche, daß sie bei seinen naturwissenschaftlichen Fachgenossen ebenso wie bei anderen zum weiteren Nachdenken anregen möchte. — Wie die Übersetzung nicht immer leicht gewesen ist, so wird es auch die Lektüre nicht immer sein; dieselbe fordert an manchen Stellen Aufmerksamkeit und Nachdenken, wird aber auch den Leser, der beides nicht scheut, ganz gewiß reichlich belohnen.

Die letzten Abschnitte sind Fragmente, die leider unvollendet blieben, der Verfasser ist eben mitten in der Arbeit an dem Buch und mit ihm an seinem religiösen Glauben abberufen worden, niemand wird anders können als mit Canon Gore voller Wehmut bedauern, daß es nur Fragmente sind. Aber der Übersetzer ist auch überzeugt, niemand wird dieses Buch aus der Hand legen, ohne ein Gefühl der Verehrung für den edlen Mann, dessen unbeugsames, „unbefangenes“, reines und selbstloses Streben nach Wahrheit in ihm so lebhaft und schön zum Ausdruck kommt.

Einen besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle noch dem englischen Herausgeber Canon Ch. Gore an Westminster für sein lebhaftes Interesse an der Übersetzung aussprechen, dasselbe zeigte sich auch darin, daß er eine Korrektur des Druckes gelesen hat.

Rüngsdorf-Godesberg.

Dr. phil. E. Dennert .

[S. 1]

Einleitung des Übersetzers. [1]

Romanes hat mit 25 Jahren 1873 eine Abhandlung geschrieben, in der er das Verhältnis des Gebets zur Unabänderlichkeit der Naturgesetze erörtert. Hier zeigt er einen ganz theistischen Standpunkt, ja, er ist damals sogar noch Anhänger des christlichen Offenbarungsglaubens, den er mit der Unabänderlichkeit der Naturgesetze zu versöhnen sucht. Bald nach jener Zeit jedoch muß er sich innerlich merkwürdig schnell geändert haben, wie das seine anonym im Jahr 1878 veröffentlichte „Unbefangene Prüfung des Theismus“ zeigt. Hier untersucht er mit großer Gewissenhaftigkeit und Schärfe die Frage nach dem Dasein Gottes. Sein Gedankengang ist ungefähr folgender:

Der Theismus erklärt die Welt nicht besser als der Atheismus. Daß unser Herz einen Gott fordern soll, ist ganz subjektiv und beweist obendrein auch nicht, daß ein Gott existiert, jedenfalls nicht für die, deren Herz einen Gott nicht fordert. Daß die Menschheit in dem Glauben an einen Gott übereinstimmt, ist nicht der Fall; daß die Welt eine erste Ursache haben müsse logisch nicht haltbar; ebenso wenig läßt [S. 2] sich beweisen, daß alle Kausalität einem Willen entspringen müsse. Auch der Gedanke, daß unser Geist auf einen anderen Geist als Ursache hinweise, ist (hierbei offenbart sich der Einfluß des damaligen naturwissenschaftlichen Materialismus auf Romanes) zurückzuweisen, ebenso die aus „vermeintlicher“ Willensfreiheit und sittlichem Bewußtsein abgeleiteten Argumente: jene existiert nicht, dieses ist das Ergebnis einer natürlichen Entwicklung (nach Darwin).

Die Wichtigkeit des aus dem Zweck gefolgerten Beweises für das Dasein Gottes ist anzuerkennen, trotzdem ist er nicht stichhaltig. Auch die wundervolle Schönheit und Harmonie des Weltalls läßt sich mit Notwendigkeit aus der Erhaltung des Stoffes und seinen Eigenschaften ableiten. So brechen also alle Beweise für das Dasein Gottes scheinbar hoffnungslos zusammen. Ist der Satz, daß zur Erklärung der Welt eine intelligente Ursache nötig sei, nun nicht aber doch nur ein solcher, der höchstens Wahrscheinlichkeit , nicht aber Gewißheit beansprucht? Kann höhere Erkenntnis ihn am Ende nicht ganz umstoßen? Ja, es ist möglich, daß die Wahrscheinlichkeit, die Natur sei ohne Gott, vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus sehr groß, vom logischen aus aber ganz wertlos ist; jene Wahrscheinlichkeit ist thatsächlich keine absolute, und das um so weniger als es in dem Zusammenwirken der Naturgesetze doch noch einen unerklärbaren Rest giebt, nämlich die kosmische Harmonie; — diese Abänderung der Zweckmäßigkeitslehre nennt Romanes metaphysische Teleologie , ihre Grundlage liegt jenseits der Naturwissenschaft und ist der letzteren ganz unzugänglich. Nun fragt es sich aber noch, ob diese Grundlage sonst ganz einwandfrei ist, ob also die metaphysische Teleologie die Harmonie des Weltalls begreiflicher macht als der Atheismus? Romanes kommt in seiner Untersuchung zu dem Resultat, daß keine von beiden Erklärungen vor der anderen etwas voraus habe. Man wird über die Annahme der einen oder der anderen Erklärung nach seiner sonstigen Gewohnheit zu denken entscheiden müssen. Gewißheit [S. 3] läßt sich darüber nicht erlangen. Romanes selbst kommt hier zu einer völligen Verneinung Gottes, allein mit ergreifenden Worten (I, § 7) bekennt er, daß damit das Weltall für ihn die „liebenswerte Seele“ verloren habe.

Zweierlei fällt in dieser Abhandlung besonders auf: der Glaube an das ausschließliche Recht der naturwissenschaftlichen Methode und der Ton der Gewißheit. Beides hat sich nachher bei Romanes sehr geändert. Er hat sich von jener Zeit an wieder mehr und mehr von dem schroffen Skeptizismus abgewendet; es ist bezeichnend, daß er schon 1885 in der Schrift „Geist und Bewegung“ eine strenge Kritik der materialistischen Ansicht vom Geist liefert und einem pantheistischen oder auch schon theistischen Monismus zuneigt. Drei Jahre darauf schrieb Romanes einige bisher nicht veröffentlichte Artikel über den „Einfluß der Naturwissenschaft auf die Religion“. Zwei von diesen bilden den zweiten Hauptabschnitt dieses Buches. Sie enthalten eine Kritik jener anonymen „Unbefangenen Prüfung des Theismus“, haben aber noch einen ganz skeptischen Schluß.

Nach diesen Vorbemerkungen wird ihr Inhalt keine Schwierigkeiten machen.

[S. 4]

I.
Einleitung des Herausgebers (Charles Gore)
und
Bericht über frühere Arbeiten des Verfassers.

George John Romanes , der heimgegangene Verfasser von „Darwin und nach Darwin“, so wie von „Prüfung der Weismannschen Lehre“, nahm in den letzten Jahrzehnten eine hervorragende Stellung in der Biologie ein. Aber er beschäftigte sich auch unaufhörlich und je länger desto mehr mit den Problemen der Metaphysik und Theologie. Bei seinem im Frühsommer dieses Jahres (1894) erfolgten Tode hinterließ er unter seinen Papieren einige Notizen, welche zumeist im vorhergehenden Winter geschrieben und für ein Werk über die Grundfragen der Religion bestimmt waren. Er hatte angeordnet, daß diese Aufzeichnungen mir gegeben werden sollten, damit ich mit ihnen nach meinem Dafürhalten verführe.

Nach seinem Tode wurden sie mir demgemäß zugleich mit einigen noch nicht veröffentlichten Abhandlungen, von denen zwei den ersten Teil dieses Buches bilden, eingehändigt. Nachdem ich die Notizen gelesen und das für mich maßgebende Urteil Anderer über sie gehört habe, trage ich kein Bedenken, ihren bei weitem größeren Teil zu veröffentlichen und zwar mit dem Namen des Autors, obwohl das Buch ursprünglich anonym erscheinen sollte. Nach dem Wenigen, was mir [S. 5] George Romanes selbst darüber gesagt hat, zweifle ich keinen Augenblick, daß er damit einverstanden sein würde, wenn die Veröffentlichung nach seinem Tode unter seinem Namen geschieht.

Ich sagte, daß ich nach der Lektüre dieser Notizen nicht daran zweifelte, daß sie veröffentlicht werden sollten. Sie verdienen es wegen ihres inneren Wertes und auch deshalb, weil sie die religiöse Denkweise eines Naturforschers beleuchten, der im hohen Grade begabt, vielseitig gebildet und in seltenem Maße unparteiisch und offenherzig war. Von allen diesen Eigenschaften legen die Notizen, die ich hiermit der Öffentlichkeit übergebe, unzweifelhaft Zeugnis ab.

Nach größeren Bedenken entschloß ich mich, auch die anderen schon erwähnten, bisher noch ungedruckten Abhandlungen zu veröffentlichen. Da dieselben einen früheren Standpunkt als jene Aufzeichnungen vertreten, so setze ich sie natürlich an erste Stelle.

Die Abhandlungen und die Notizen offenbaren aber beide die Entwicklung eines Geistes vom Unglauben zum Glauben an die christliche Offenbarung. Sie zeigen das Streben eines Mannes, der Gott sucht, „ob er doch ihn fühlen und finden möchte“, nicht den Standpunkt festbegründeter christlicher Überzeugung. Selbst die Notizen enthalten in der That noch manches, was ein im Glauben feststehender Mensch nicht aussprechen könnte. Bei dieser Sachlage muß ich natürlich ein Wort darüber sagen, wie ich mein Amt als Herausgeber verstanden habe.

Ich habe die Frage, ob ich diese oder jene Notiz veröffentlichen sollte, lediglich darnach entschieden, ob sie hinreichend bearbeitet war, um verständlich zu sein und habe streng jede Frage nach meiner eignen Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung ausgeschlossen. Besonders bei einer Notiz wäre es mir unklar gewesen, ob ich sie hätte veröffentlichen sollen, hätte meine bestimmte Abweichung von ihrem Inhalt mich nicht fürchten lassen, daß nur Vorurteile mich geneigt machten, sie dem Leser vorzuenthalten. Die Notizen [S. 6] samt den vorhergehenden Abhandlungen sind, denke ich, besser zu verstehen, wenn ich einige erläuternde Bemerkungen über ihre Vorläufer, d. h. über Romanes frühere die religiösen Fragen betreffenden Schriften voranschicke.

Im Jahre 1873 erhielt George Romanes auf Grund einer Abhandlung den „Burney-Preis“ in Cambridge. Der Gegenstand dieser Abhandlung war das christliche Gebet in Beziehung zu dem Glauben, „daß der Allmächtige die Welt nach feststehenden Naturgesetzen regiert.“ Sie wurde 1874 mit einem Anhang über „die physische Kraft des Gebets“ veröffentlicht. In dieser Abhandlung, die Romanes mit 25 Jahren geschrieben hat, zeigten sich schon die charakteristischen Eigenschaften seines Geistes und Stils. Da offenbarte sich schon die Liebe zur Wissenschaft, wie man es ja von einem Naturforscher erwarten kann. Da finden wir die logische Schärfe und die Vorliebe für exakte Definitionen, auch die natürliche Frömmigkeit und die Wertschätzung des christlichen Gebets, welche spätere Reflexionen im Grunde doch niemals ausrotten konnten. Auch dieser Aufsatz zeugt schon von hervorragender Befähigung.

Einerseits wird zum Zweck der Beweisführung das Dasein eines persönlichen Gottes angenommen, desgleichen die Gewißheit der christlichen Offenbarung, die uns ein Recht zusichert, wenn auch bedingungsweise und in gewissen Grenzen, doch wirkliche Antworten auf Gebete um irdische Güter zu erwarten. Andrerseits wird der Glaube als selbstverständlich angenommen, daß allgemeine Naturgesetze das der Beobachtung zugängliche Gebiet der Natur beherrschen.

Dann wird die Frage erörtert: „Wie läßt sich die physische Wirksamkeit des Gebets, welche der Christ auf Grund der Offenbarung annimmt, mit der wissenschaftlich erkannten Thatsache vereinbaren, daß Gott die Welt durch feststehende Naturgesetze regiert?“

Die Antwort sucht er hauptsächlich dadurch zu geben, daß er die enge Begrenzung jenes Gebiets mit Nachdruck hervorhebt, [S. 7] innerhalb welcher wissenschaftliche Forschung angestellt und wissenschaftliche Erkenntnis erlangt werden kann. Es können besondre göttliche Antworten auf Gebete selbst im Gebiet der Natur vorkommen —, ja es können sogar als Antwort auf Gebete Naturkräfte in Erscheinung treten; aber dennoch brauchen sie nicht Phänomene hervorzubringen, welche die Naturwissenschaft beachten und als wunderbar und die gewöhnliche Ordnung der Dinge durchbrechend ansehen müßte.

An einer Stelle kommen die Notizen auf diese Abhandlung zurück, und häufiger, wie wir darauf aufmerksam machen werden, wiederholen sich Gedanken, die schon in jener früheren Abhandlung ausgesprochen, aber inzwischen verworfen waren. Ich weiß nicht, ob Romanes im Grunde genommen wirklich von der Spekulation und der Schlußfolgerung seiner Erstlingsarbeit befriedigt blieb, jedenfalls sah er sich bald nach der Veröffentlichung jener Abhandlung veranlaßt, die dort zugegebene Grundlage des Theismus zu verwerfen: Er wandte sich nämlich rasch und entschieden zu einem skeptischen Standpunkt, auf dem er das Dasein Gottes überhaupt bezweifelte.

Die genannte Abhandlung wurde im Jahre 1874 veröffentlicht. Schon 1876 wenigstens hatte er ein anonymes Werk mit einem gänzlich skeptischen Schluß geschrieben, der Titel desselben lautete: „Eine unbefangene Prüfung des Theismus, [2] von Physicus“ [3] .

Da die „Notizen“ mit direkter Bezugnahme auf dieses Werk geschrieben wurden, so scheint mir eine nähere Erörterung seiner Beweisführung notwendig, und diese finden wir in dem letzten Kapitel des Werkes selbst, wo der Verfasser die Ergebnisse [S. 8] zusammenfaßt. Ich gebe daher dieses Kapitel ausführlich wieder. [4]

*
* *

§ 1. Unsre Auseinandersetzung ist nun zu Ende, und wenige Worte werden genügen, um einen kurzen Ueberblick über die zahlreichen Thatsachen und Schlüsse zu gewinnen, deren Betrachtung für unsern Zweck nötig war.

Wir sprachen zuerst von der offenbar thörichten Annahme, daß der Anfang aller Dinge oder das Geheimnis des Daseins, [d. h. die Thatsache, daß überhaupt irgend etwas existiert] durch die Theorie des Theismus irgendwie besser als durch die Theorie des Atheismus erklärt würde. Dann wurde gezeigt, daß das Argument „unser Herz fordert einen Gott“ deshalb hinfällig ist, weil wir sahen, daß solch eine subjektive Notwendigkeit, selbst wenn sie bewiesen wäre, doch nicht hinreichte, um objektiv die Existenz Gottes zu beweisen oder auch nur wahrscheinlich zu machen. In Bezug auf das weitere Argument, daß die Thatsache unseres theistischen Verlangens nach Gott auf Gott selbst als auf ihre erklärende Ursache hinweise, mußten wir bemerken, daß dasselbe nur dann zulässig sein könnte, wenn die Möglichkeit der Wirkung natürlicher Ursachen [eben bei dem Entstehen unsers Verlangens nach Gott] abgeschlossen wäre. In ähnlicher Weise wurde gefunden, daß das Argument von der mutmaßlichen, unmittelbar erkannten Notwendigkeit des Gedankens eines einzelnen Individuums, [d. h. die Behauptung, daß die Menschen sich nicht von der Überzeugung befreien können, daß Gott existiert], unhaltbar ist: erstens, weil diese mutmaßliche Notwendigkeit nur für jenen einzelnen besteht; und zweitens, weil es thatsächlich [S. 9] höchst unwahrscheinlich ist, daß diese mutmaßliche Notwendigkeit eine wirkliche ist, selbst auch nur für den, der sie behauptet, während sie dies für die große Mehrheit des Menschengeschlechts ganz sicherlich nicht ist. Da das Argument von der allgemeinen Übereinstimmung der Menschheit [5] den Thatsachen gegenüber ganz augenscheinlich ein trügerisches ist, so wurde dieses ohne weitere Besprechung übergangen. Das Argument ferner: Die Welt müsse eine erste Ursache haben, — enthält einen logischen Selbstmord. Das letzte Argument lautete: Da der menschliche Wille die Kausalität der Natur beeinflußt, so ist wahrscheinlich alle Kausalität ihrem Wesen nach der Ausfluß eines Willens. — Dieses Argument besteht, wie gezeigt wurde, aus einer Reihe so ungeheuerlicher Schlüsse, daß es wertlos ist.

§ 2. Bezüglich der weniger oberflächlichen Argumente zu Gunsten des Theismus zeigte sich zuerst, daß der Vernunftschluß: alle bekannten Geister stammen von einem unbekannten Geist ab; unser Geist ist ein bekannter Geist; daher stammt auch er von einem unbekannten Geist ab — aus zwei Gründen unzulässig ist. Erstens ist es keine Erklärung des Geistes, wenn man ihn auf einen früheren Geist als seinen Ursprung zurückführt, und wenn diese Hypothese, falls zulässig, nun auch eine Erklärung für einen bekannten Geist ergeben würde, so ist sie doch als Beweis für die Existenz eines unbekannten Geistes, dessen Annahme doch ihre Grundlage bildet, ganz nutzlos. Und ferner: Wenn man sagt, daß der Geist derartig ein Wesen eigener Art ist, daß er entweder aus sich selbst existiert oder aber einen andern Geist als Ursache haben muß, so giebt es auch für diese Behauptung keinen wirklich zureichenden Grund. Das ist der zweite Einwand gegen den obigen Vernunftschluß; denn nichts in dem ganzen Gebiet des Möglichen könnte unseres Wissens imstande sein, eine selbstbewußte Intelligenz zu erzeugen. Deshalb braucht sich ein [S. 10] Gegner des obigen Vernunftschlusses überhaupt keine Theorie von dem ersten Ursprung aller Dinge zu bilden; aber gerade gegenüber zu der klaren und bestimmten Lehre des Materialismus ist der obige Vernunftschluß nicht besonders beweiskräftig. Wohl wissen wir, daß das, was wir Kraft und Stoff nennen, allem Anschein nach ewig ist, wir haben aber hingegen keinen entsprechenden, ebenso sicheren Beweis dafür, daß ein Geist ewig wäre. Ferner ist der Geist, so weit die Erfahrung reicht, stets mit hochdifferenzierten Kombinationen von Stoff und Kraft verbunden, [6] und viele Thatsachen beweisen den Schluß, — keine einzige aber widerspricht ihm — daß der Grad der Intelligenz stets von einem entsprechenden Grad der Gehirnentwickelung abhängt oder doch wenigstens mit ihm verbunden ist. Darnach besteht sowohl qualitativ als auch quantitativ [7] eine Beziehung zwischen Intelligenz und Gehirnorganisation. Wenn man dann aber einwirft, daß Materie und Bewegung kein Bewußtsein hervorbringen konnten, weil dies unfaßbar ist, so haben wir gesehen, daß dies nichts entscheidet. Es handelt sich hier ja um etwas zugegebener maßen Transzendentales, auch steht es fest, daß das Wesen des Geistes unerkennbar sein muß , und es ist doch wohl von vornherein wahrscheinlich, daß die Ursache dieses unerfaßbaren Wesens viel schwieriger zu erkennen sein wird, als der Inhalt jeder andern Hypothese, die für den Verstand faßbarer ist. Wenn man auch sagt, daß die begreiflichere Ursache auch die wahrscheinlichere ist, so haben wir gesehen, daß man in unserm Fall unmöglich die Gültigkeit dieses Ausspruchs anerkennen kann. Die Behauptung endlich, daß die Ursache aktuell schon alles enthalten muß, was ihre Wirkungen enthalten können, ist logisch unzulässig und wird durch tägliche Erfahrung widerlegt, während das Argument von der vermeintlichen Willensfreiheit [S. 11] und der Thatsache des moralischen Sinnes sowohl deduktiv durch die Entwicklungslehre, als auch induktiv durch die Lehre des Utilitarismus zurückgewiesen wird. Die Lehre vom freien Willen ist in der That durchaus unhaltbar [8] und der Beweis dafür, daß der moralische Sinn das Ergebnis einer völlig natürlichen Entwicklung [9] ist, überwältigend, und diese Erkenntnis, zu welcher wir aus allgemeinen Gründen gelangten, wird auch mit unwiderstehlicher Gewalt durch die Darstellung des menschlichen Gewissens bestätigt, welche die Theorie des Utilitarismus liefert, und diese gründet sich auf die breitesten und auf ausnahmslos gültige Induktionen. [10]

Kurz, wir müssen in Bezug auf das Argument vom Dasein des menschlichen Geistes sagen, daß ihm jeder nachweisbare Wert fehlt: man ist nicht berechtigt, den Schluß zu ziehen, daß unser Geist durch einen anderen Geist hervorgebracht worden ist; mit gleichem Recht könnte geschlossen werden, er sei durch irgend etwas anderes sonst verursacht.

§ 3. In Bezug auf das Argument vom Zweck ist zu bemerken, daß Mills Auseinandersetzung desselben [in seiner Abhandlung über den Theismus] nur eine Wiederholung desselben Arguments ist, das schon Paley, Bell und Chalmers aufstellten. Wir sahen, daß der erstgenannte Schriftsteller den ganzen Gegenstand mit einer Schwäche und Ungenauigkeit behandelte, welche bei ihm sehr überrascht, denn während er gar kein Gewicht auf den induktiven Beweis der organischen Entwicklungslehre legt, nimmt er andererseits anstandslos eine übernatürliche Erklärung der biologischen Erscheinungen an und ist überdies merkwürdiger Weise in der Auseinandersetzung des Zweckarguments selbst fehl gegangen, indem er ebenso wenig wie alle früheren Schriftsteller beachtete, daß wir ganz unmöglich die Beziehungen zwischen dem Zwecksetzer und dem Bezweckten wissen; noch viel weniger können wir von der Behauptung ausgehen, daß der höchste Geist — seine [S. 12] Existenz einmal angenommen — die Welt durch irgend eine besondere Denkoperation hervorgebracht hat. Alle Anwälte des Zweckarguments haben nicht bemerkt, daß wir, selbst wenn wir von dem Dasein der Natur auf einen schöpferischen Geist schließen, doch mit keinem Schatten eines Rechts folgern dürfen, daß dieser Geist seine schöpferische Kraft nur durch irgend eine Denkoperation habe ausüben können. Wie thöricht muß es daher sein, die vermeintliche Gewißheit solcher Denkoperation zu einem Beweise für das Dasein eines Schöpfergeistes selbst zu erweitern! Wenn aber ein Theist erwidert, es sei von geringer Bedeutung, ob wir die Art und Weise, wie die Schöpfung vor sich ging, erraten können, wenn nur die Thatsachen bezeugen, daß die Naturerscheinungen aus irgend einer höchsten Intelligenz als letzter Ursache herzuleiten sind, — dann bin ich der erste, der dem zustimmt. Es ist mir von jeher eine der unbegreiflichsten Thatsachen in der Geschichte der Spekulation gewesen, daß so viele maßgebende Gelehrten den Zweck als einen Beweis für den Theismus ansehen, wissen sie doch alle sehr wohl, daß sie keine Mittel haben, das Wesen des höchsten Geistes zu erkennen, dessen Dasein das Argument erweisen soll. In Wahrheit kann und darf sich das Argument vom Zweck nur einzig und allein auf die der Beobachtung zugänglichen Thatsachen der Natur stützen, es darf aber nicht auf die geistigen Prozesse, durch welche diese Thatsachen vermutlich zu erklären sind, bezugnehmen. Bei dem gegenwärtigen Stand unsrer Erkenntnis müssen wir dann aber an Stelle des Zweckarguments in seiner groben, von Paley herrührenden Form das Argument von der allgegenwärtigen Wirkung des Naturgesetzes setzen.

§ 4. Das Zweckargument [11] sagt: es muß einen Gott geben, weil der Bau eines organisierten Gebildes einen geistigen Prozeß [12] voraussetzt. Das aus der allgegenwärtigen Wirkung der [S. 13] Naturgesetze gefolgerte Argument besagt: „es muß einen Gott geben, weil der Bau eines organisierten Gebildes schließlich auf eine Intelligenz zurückzuführen ist.“ Jedes organische Gebilde zeigt nämlich mehr oder weniger verwickelt das Prinzip der Ordnung, jedes Ding ist ferner mit allen andern Dingen zu einer allgemeinen Naturordnung verbunden. Wegen dieser Allgemeinheit der Ordnung ist es unvernünftig, die Zufalls-Hypothese auf das Weltall anzuwenden. „Wir mögen von einer höchsten Ursache denken, was wir wollen, die Thatsache bleibt bestehen, daß aus ihr ununterbrochen ein unmittelbarer Einfluß ausgeht und zwar so verblüffend, großartig und exakt, wie es nur unsrer höchsten Vorstellung von der Gottheit würdig ist.“ [13] Dieses Argument haben wir mit den Worten von Prof. Baden Powell folgendermaßen erläutert: „Was Vernunft und Denken erfordert, um verstanden zu werden, muß selbst Vernunft und Denken sein. Was nur der Geist erforschen oder ausdrücken kann, muß selbst Geist sein. Und wenn der höchste Begriff, den man von einem zu erforschenden Geist oder einer zu erforschenden Vernunft erlangt, nur unvollkommen ist, dann sind beide größer als der Geist und die Vernunft dessen, der sie erforscht. Wenn mit der gründlichen Erforschung der dadurch offenbarte notwendige Zusammenhang der Dinge um so ausgedehnter und komplizierter wird, dann wird auch die Größe und der Umfang der Vernunft, die sich derartig doch immer nur teilweise offenbart, um so augenscheinlicher; auch wird es dann sicherer, daß sie wirklich in der unwandelbar verbundenen Ordnung der Dinge unabhängig von dem Geist des Forschers existiert.“ Dieses aus einem universellen Kosmos gefolgerte Argument hat den Vorteil, daß es durchaus unabhängig von der Art und Weise ist, wie die Dinge das wurden, was sie jetzt sind. Es wird also von der Annahme einer Entwicklung nicht berührt. Bis vor kurzem schien es daher thatsächlich auch unantastbar zu sein. [14]

[S. 14]

„Wir sind aber nichtsdestoweniger zu dem Bekenntnis gezwungen, daß seine scheinbare Stichhaltigkeit vor der unbestreitbaren Thatsache zu nichte wird, daß jedes Naturgesetz, wenn Kraft und Stoff seit Ewigkeit gewesen sind, ganz natürlich entstanden sein muß. ... Man darf keinen Augenblick daran zweifeln, daß die wundervolle Schönheit und Harmonie der Natur notwendig und unvermeidlich aus der Erhaltung der Kraft und aus den Ureigenschaften des Stoffes folgen, gerade so zweifellos wie der Satz, daß die Kraft erhalten wird oder daß der Stoff Ausdehnung besitzt oder undurchdringlich ist. [15] ... Man wird sich erinnern, daß ich diese Wahrheit lange und mit großem Ernst erörterte, nicht allein weil sie in Rücksicht auf unsern Gegenstand so unermeßlich wichtig ist, sondern auch, weil kein anderer sie bis jetzt in diesem Zusammenhange erörtert hat.“ Es wurde auch auseinandergesetzt, daß der Zusammenhang und die Übereinstimmung des Makrokosmos des Weltalls mit dem Mikrokosmos des menschlichen Geistes daraus entspringen kann, daß der menschliche Geist nur ein Produkt der allgemeinen Entwicklung ist; denn seine subjektiven Beziehungen werden notwendiger Weise jene äußeren Beziehungen, deren Produkt sie selbst sind, wiederspiegeln. [16]

§ 5. Unsere weitere Erörterung milderte indessen den unerbittlich strengen Schluß aus dem gänzlichen und hoffnungslosen Zusammenbruch aller etwa möglichen Beweise zu Gunsten des Theismus. Als wir nämlich ausführlich dargelegt hatten, daß es nicht einmal einen Schatten eines positiven Beweises zu Gunsten der theistischen Theorie giebt, da entstand die Gefahr, daß manche nun irrtümlicher Weise weiter schließen könnten: aus diesem Grunde sei die theistische Theorie selbst falsch. Es war nun also noch folgendes zu erwägen: wenn auch die Natur nach dem Stande unserer heutigen Erkenntnis keiner intelligenten Ursache zur Erklärung irgend einer ihrer [S. 15] Erscheinungen bedarf, sollten wir dann nicht bei höher entwickelter Erkenntnis möglicher Weise doch einmal entdecken können, daß die Natur ihr Dasein doch einer intelligenten Ursache verdanken muß? Die Wahrscheinlichkeit, daß eine intelligente Ursache unnötig ist, um irgend eine Naturerscheinung zu erklären, ist dann nicht größer als die andere, daß die Lehre von der Erhaltung der Kraft überall und zu allen Zeiten gegolten hat.

Zum Schluß unserer Auseinandersetzung verließen wir daher ganz das Gebiet der Erfahrung, wir ließen sogar die eigentlichen Grundlagen der Naturwissenschaft und damit auch die sicherste aller relativen Wahrheiten außer Acht und verlegten unsere Untersuchung in die transzendentale Region rein formaler Betrachtungsweise. Und hier stellten wir die Regel auf: „daß sich der Wert irgend einer Wahrscheinlichkeit im letzten Grunde nach der Zahl, der Wichtigkeit und der Bestimmtheit ihrer bekannten Beziehungen, verglichen mit ihren unbekannten Beziehungen richtet“, und daraus folgerten wir, daß in Fällen, wo die unbekannten Beziehungen zahlreicher, wichtiger oder unbestimmter sind als die bekannten, der Wert unserer Folgerung um so geringer ist. Aus dieser Regel ergiebt sich aber Folgendes: da das Problem des Theismus das am weitesten zurückgehende aller Probleme ist und daher in seinen unbekannten Beziehungen alles für den Menschen Unbekannte und Unerkennbare enthält, so müssen diese Beziehungen für die unbestimmtesten von allen erklärt werden, die ein Mensch je betrachten kann; und obgleich wir die ganze Erfahrungsreihe, von der aus wir argumentieren können, vor uns haben, so sind wir aus jenem Grunde dennoch unfähig, den wahren Wert irgend eines solchen Argumentes abzuschätzen. Da die unbekannten Beziehungen in der von uns versuchten Induktion sowohl hinsichtlich ihrer Anzahl als auch ihrer Wichtigkeit im Vergleich mit den bekannten Beziehungen durchaus unbestimmt sind, so ist es für uns unmöglich, irgend eine Wahrscheinlichkeit für oder wider das Dasein Gottes zu erlangen.

[S. 16]

Obgleich wir daher gewißlich, soweit menschliche Wissenschaft vordringen und menschliches Denken Schlüsse ziehen kann, keinen Beweis für einen Gott finden können, so haben wir doch noch nicht das Recht, daraus zu schließen, es gäbe keinen Gott. Mag daher die Wahrscheinlichkeit, daß die Natur ohne Gott ist, vom naturwissenschaftlichen Gesichtspunkt aus noch so groß sein, ja, sich naturwissenschaftlich geradezu beweisen lassen, — so ist dies dennoch vom logischen Gesichtspunkt aus durchaus wertlos. Obgleich es so sicher ist wie die Grundlage aller Naturwissenschaft und aller Erfahrung, daß die Annahme des Daseins Gottes, wenn er wirklich existiert, als Ursache des Weltalls überflüssig ist, so kann es dennoch wahr sein, daß das Weltall nie existiert haben würde, wenn es keinen Gott gäbe.

Diese formalen Betrachtungen beweisen dann folgerichtig, daß wir trotz aller relativ großen Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Atheismus doch kein Recht haben, diese Wahrscheinlichkeit als absolute Gewißheit zu betrachten. Daraus entsteht die Möglichkeit eines anderen Arguments zu Gunsten des Theismus — oder wir wollen lieber sagen: die Möglichkeit der Wiederaufnahme des teleologischen Beweises in anderer Form. Denn wenn man sagen kann, daß diese formalen Betrachtungen wohl einen absoluten, aber keinen relativen Schluß für oder wider die Gottheit ausschließen, und wenn also doch noch einige theistische Deduktionen übrig bleiben, die füglich aus der Erfahrung gezogen werden dürfen, so können diese jetzt in Anschlag gebracht werden, um den atheistischen Folgerungen aus dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft die Wage zu halten. — Denn wenn unsere letzten Deduktionen auch klar gezeigt haben, daß das Dasein Gottes vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus überflüssig erscheint, so haben die formalen Betrachtungen nicht weniger klar jenseits der naturwissenschaftlichen Sphäre einen möglichen Platz für das Dasein Gottes erschlossen, so daß wir, wenn durch Erfahrung irgend welche Thatsachen beigebracht werden können, zu deren Erklärung die atheistischen Deduktionen [S. 17] ungenügend erscheinen, berechtigt sind, dieselben wenigstens relativ durch die theistische Hypothese zu begründen. Und es muß zugestanden werden, daß wir solch einen unerklärbaren Rest in dem Zusammenwirken der Naturgesetze bei der Entstehung der kosmischen Harmonie finden.

Es macht gar nichts aus — so kann man bei diesem Argument fortfahren — daß wir unfähig sind, die Art und Weise zu erkennen, wie der vermeintliche Geist bei der Erschaffung der kosmischen Harmonie etwa verfahren hat, auch bedeutet es nichts, daß sein Handeln jetzt in ein Gebiet jenseits der Naturwissenschaft verbannt werden muß. Wohl aber ist es wichtig, daß wir bei einem Blick auf die Natur als ein Ganzes unmöglich den Umfang und die Mannigfaltigkeit ihrer Harmonie begreifen können, wenn wir sie nicht als Wirkung einer intelligenten Ursache anerkennen. Diese geläuterte Form des teleologischen Arguments nannte ich dann „ metaphysische Teleologie “, um sie scharf von allen früheren Formen jenes Beweises zu unterscheiden, die ich im Gegensatz dazu als naturwissenschaftliche Teleologie bezeichnete. Der Unterschied aber ist folgender: während alle früheren Formen der Teleologie auf einer Grundlage beruhten, welche nicht jenseits des Bereichs der Naturwissenschaft lagen und daher der Möglichkeit naturwissenschaftlicher Widerlegung ausgesetzt waren, kann das metaphysische System der Teleologie niemals naturwissenschaftlich widerlegt werden, weil es eben auf einer Grundlage beruht, die der Naturwissenschaft völlig unzugänglich ist. Daß aber dieses metaphysische System der Teleologie auf einer solchen Grundlage beruht, ist unbestreitbar, denn während es die größten Wahrheiten anerkennt, welche die Naturwissenschaft jemals erlangen kann, nämlich das Gesetz von der Erhaltung der Kraft und den sich aus ihm mit Notwendigkeit ergebenden Ursprung des Naturgesetzes, — so wird es doch trotz alledem der zwingenden Thatsache gerecht, daß der Geist auf diese Weise als letzte Ursache der Dinge noch nicht aus der Welt geschafft ist, wie auch der anderen, daß, wenn die Naturwissenschaft [S. 18] verlangt, die Wirkung eines Gottesgeistes in eine jenseits ihres Gebiets liegende Region zu versetzen, dieselbe dann auch wirklich hierhin verlegt werden muß. Diese Behauptung erscheint im ersten Augenblick ohne Zweifel willkürlich, da die Naturwissenschaft ihrer ja, soweit sie auch vordringen mag, überhaupt nicht bedarf, — weil die kosmische Harmonie als eine physikalisch notwendige Folgerung aus der vereinten Thätigkeit der Naturgesetze und diese wiederum als eine physikalisch notwendige Folgerung aus der Erhaltung der Kraft und den primären Qualitäten der Materie folgt. Aber wenn auch unbestreitbar wahr ist, daß die metaphysische Teleologie, naturwissenschaftlich betrachtet, durchaus willkürlich ist, so möchte sie doch, psychologisch betrachtet, nicht ganz willkürlich sein. Wenn es also verständlicher ist, daß im Geist die letzte Ursache der Weltharmonie liegt und nicht in der Erhaltung der Kraft, dann ist es nicht unvernünftig, die begreiflichere Hypothese an Stelle der weniger begreiflichen anzunehmen, vorausgesetzt, daß diese Wahl mit aller Vorsicht vorgenommen wird.

Ich schließe also, daß die Hypothese der metaphysischen Teleologie, wenn auch im physikalischen Sinn willkürlich, im psychologischen Sinn berechtigt sein mag. Aber gegen die Grundlage, auf der dieses Argument allein ruhen kann — daß nämlich das Grund-Postulat des Atheismus unbegreiflicher ist als das des Theismus — giebt es, wie wir sahen, noch zwei wichtige Einwände.

Erstens: Der Sinn, in welchem hier das Wort „ unbegreiflich “ gebraucht wird, ist der, daß man zwar den betreffenden Gedanken nicht mit Thatsachen begründen, ihn wohl aber als im übrigen möglich erweisen kann. In demselben Sinn, wenn auch in geringerem Maße, ist es wahr, daß die Verwicklung der menschlichen Organisation und ihrer Funktionen unbegreiflich ist; aber hier hat das Wort „unbegreiflich“ bei einem Beweis viel geringeres Gewicht als in seinem eigentlichen Sinn. Ohne daher weiter darüber zu disputieren, inwiefern man berechtigter Weise die „Unbegreiflichkeit“ einem [S. 19] Einwand gegenüber, der doch von einer großen Menge wissenschaftlicher Beweise gestützt wird, [17] ins Feld führen darf, gingen wir zu dem zweiten Einwand gegen die Grundlage der metaphysischen Teleologie über. Dieser war folgender: es ist ebenso unmöglich, die Weltharmonie als Wirkung eines Geistes [d. h. eines Geistes, wie wir ihn aus Erfahrung kennen] oder als Wirkung einer vom Geist losgelösten Entwicklung zu begreifen. Das Argument von der Unbegreiflichkeit kann daher in seiner Anwendung ebenso verhängnisvoll für den Theismus wie für den Atheismus werden.

Die geläuterte Form der Teleologie, welche wir hier erörterten und welche wir als das letzte noch mögliche Argument zu Gunsten des Theismus erkannten, begegnet also auf ihrem eigenen Gebiet einem sehr gefährlichen Gegner: Durch ihren metaphysischen Charakter ist sie dem Widerspruch der Naturwissenschaft entgangen, um sofort einen neuen Widerspruch in der Region der reinen Psychologie, in die sie geflohen ist, zu finden. Zum Schluß unsrer ganzen Untersuchung waren wir daher gezwungen, die relative Bedeutung dieser feindlichen Mächte zu untersuchen. Dabei bemerkten wir zuerst Folgendes: wenn die Verteidiger der metaphysischen Teleologie von vornherein der Methode, nach welcher die Entstehung des Naturgesetzes aus dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft abgeleitet wurde, vorwerfen, daß sie eine unerlaubte Analogie verlange, dann steht es einem Atheisten auch frei, die Methode, nach welcher ein lenkender Geist aus der Thatsache die Weltharmonie hergeleitet wurde, zu beschuldigen, daß sie eine unerkennbare Ursache fordere — und zwar eine Ursache, wie sie der menschliche Geist stets mit besonderer Vorliebe [aber stets irrtümlicher Weise — Der Übersetzer] als Ursache der Naturerscheinungen angesehen hat.

Aus diesen Gründen schloß ich daher, daß beide Theorien, was ihren von der Erfahrung losgelösten Standpunkt betrifft, [S. 20] als gleich verdächtig angesehen werden müssen. Und ähnlich ist es auch mit ihrem Standpunkt, soweit er auf Erfahrung begründet ist; denn da beide Lehren wenigstens einen allgemeinen Satz einschließen müssen, so müssen beide in gleicher Weise für durchaus unbegreiflich erklärt werden. Doch, wenn schließlich die Frage an mich heranträte, welche von beiden Theorien ich für die vernünftigere hielte, so bemerkte ich schon, daß sie kein Mensch für einen andern beantworten kann. Denn da dies Zeugnis absoluter Unbegreiflichkeit für beide Theorien verhängnisvoll ist, so kann die Wahl zwischen beiden nur durch das entschieden werden, was ich als relative Unbegreiflichkeit bezeichnet habe — d. h. jeder Mensch muß hier nach seiner individuellen Ansicht von Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit entscheiden, und dies wird durch seine sonstige Gewohnheit zu denken bestimmt. Wie das Zeugnis relativer Unbegreiflichkeit in dieser Frage berechtigterweise mit dem Charakter des betreffenden Menschen wechseln wird, so wird auch die streng rationelle Wahrscheinlichkeit in der Frage, auf welche es angewendet wird, wechseln. Die einzige Alternative, die einem Menschen hier also bleibt, ist die: entweder nimmt er den Standpunkt des reinen Skeptizismus an, und dann muß er sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Unwahrscheinlichkeit, daß es einen Gott giebt, zurückweisen, oder aber er entscheidet sich für eine Annahme bezw. für eine Verwerfung Gottes, je nachdem seine sonstige Art zu denken diese Entscheidung ihm in der einen oder andern Richtung leichter gemacht hat. Und wenn ich auch unter diesen Umständen den für den vernünftigeren Mann halten würde, der mit seinem Urteil hierbei sorgfältig zurückhält, so muß ich doch sagen, daß hierbei weder der metaphysische Teleologe noch der naturwissenschaftliche Atheist bezüglich ihres vernunftgemäßen Denkens einen höheren Standpunkt als der andere hat. Denn da unzweifelhaft auf der einen Seite die formalen Bedingungen einer metaphysischen Teleologie und auf der anderen Seite ebenso die eines spekulativen Atheismus erfüllt sind, so wird [S. 21] es in beiden Fällen ein logisches Vakuum geben, in welchem das Gedankenpendel frei nach jeder Richtung schwingen kann, je nachdem es der sonst gewohnte Gedankengang bestimmt.

§ 6. Das also ist das letzte Ergebnis unserer Untersuchung, und wenn man die abstrakte Natur des Gegenstandes in Erwägung zieht, sowie die große Verschiedenheit der Meinungen, welche zur Zeit hierin herrscht, wie auch die verwirrende Zahl guter, schlechter und indifferenter Litteratur auf beiden Seiten, — ich sage, wenn man dies alles in Erwägung zieht, so glaube ich nicht, daß das Resultat unsrer Untersuchung berechtigterweise des Mangels an Präzision beschuldigt werden kann. In einer Zeit wie der jetzigen, in welcher der überlieferte Gottesglaube so allgemein angenommen und seine breite induktive Grundlage als selbstverständlich angesehen wird, soll diese kurze Abhandlung zeigen, wie außerordentlich präzis die naturwissenschaftliche Auffassung des Gegenstandes in Wahrheit ist, und dann wird sie mehr als die bisherige einschlägige Litteratur die meisten Leser über die nach dem gegenwärtigen Stand der Frage möglichen Auffassungen aufklären. Wenn ich auf den heutigen Zustand der spekulativen Philosophie blicke, so war es doch höchst nötig, einmal klar zu zeigen, daß der Fortschritt der Naturwissenschaften die Hypothese vom Wirken eines Geistes in der Natur sicherlich als ganz überflüssig erweist, und zu erweisen, daß dies ebenso gewiß ist wie die wissenschaftliche Lehre von der Erhaltung der Kraft und von der Unzerstörbarkeit der Materie.

Wenn andrerseits jemand beklagen sollte, daß die logische Behandlung der Frage sich nicht so ganz unzweideutig sicher erwiesen hat wie die naturwissenschaftliche, dann muß ich ihm zu bedenken geben, daß in jeder Sache, die keine wirkliche Demonstration zuläßt, notwendig ein gewisser Spielraum für die Verschiedenheit der individuellen Meinung bleiben muß. Wer dieses erwägt, wird gewiß nicht darüber klagen, daß ich in diesem Falle nicht alles gethan hätte, um den Charakter und die Grenzen dieses Spielraumes so scharf wie möglich zu bestimmen.

[S. 22]

§ 7. Und nun zum Schluß habe ich das Bedürfnis festzustellen, daß ich von früher her dem Theismus zuneige und daß es mich unfraglich auf die Seite des traditionellen Glaubens zieht. Es ist daher für mich äußerst traurig, daß ich mich gezwungen fühle, die hier gezogenen Schlüsse anzunehmen, und nichts würde mich vermocht haben, sie zu veröffentlichen, wäre ich nicht der festen Überzeugung, daß es die Pflicht eines jeden Gliedes der menschlichen Gesellschaft ist, seine Mitmenschen an seiner Arbeit teilnehmen zu lassen, welches auch immer ihr Wert sein mag. Gerade weil es mir feststeht, daß die Wahrheit schließlich doch das Beste für die Menschheit sein muß, bin ich auch überzeugt, daß jedes einzelnen Bestreben, sie zu finden, vorausgesetzt, daß es unbeeinflußt und aufrichtig ist, ohne Zögern Gemeingut der Menschheit werden darf ohne Rücksicht auf die Folgen, welche die Veröffentlichung haben kann. So weit es sich dabei um die Vernichtung persönlichen Glückes handelt, kann niemand schmerzlicher als ich die möglicherweise traurige Wirkung meines Werks empfinden. So weit ich selbst dabei in Betracht komme, ist dies das Ergebnis meiner Auseinandersetzung: mag ich nun das Problem des Theismus von der niedrigeren Stufe streng relativer Wahrscheinlichkeit oder von der höheren Stufe rein formaler Betrachtungsweise aus behandeln, so erscheint es mir doch immer als unverkennbare Pflicht, allen Glauben, auch den nach meiner Ansicht edelsten, zu unterdrücken und meinen Verstand in Bezug auf diese Frage an die Stellung des reinen Skeptizismus zu gewöhnen. Und wie ich weit davon entfernt bin, denen zustimmen zu können, welche die Zwielicht-Lehre vom „neuen Glauben“, als einen begehrenswerten Ersatz für den dahinschwindenden Glanz des „alten“ ausgeben, schäme ich mich des Bekenntnisses nicht, daß mit dieser völligen Verneinung Gottes das Weltall für mich seine liebenswerte Seele verloren hat; freilich, von jetzt ab wird die Vorschrift: „wirke, so lange es Tag ist!“ zweifellos für mich eine nur um so größere Gewalt haben, angesichts der schrecklich [S. 23] ergreifenden Worte: „es kommt die Nacht, da niemand wirken kann“. Aber wenn ich zu Zeiten daran denke — und ich muß daran denken — wie überwältigend der Kontrast zwischen der heiligen Glorie jenes Glaubensbekenntnisses, das einst mein war, und dem einsamen Geheimnis des Daseins ist, wie ich es jetzt besitze — zu solchen Zeiten, sage ich, ist es mir unmöglich, Herr zu werden über den tiefsten Schmerz, dessen mein Inneres fähig ist. Mag es nun daran liegen, daß mein Erkenntnisvermögen noch nicht hinreichend vorgeschritten ist, oder mag es auf die Erinnerung an jene geheiligten Gedankengänge zurückzuführen sein, welche mir wenigstens die süßesten sind, die das Leben je geben kann — jedenfalls muß ich sagen, daß für mich und für andere, die wie ich denken, eine furchtbare Wahrheit in jenen Worten Hamiltons liegt: — Weil nun die Philosophie zu einer Betrachtung nicht nur des Todes, sondern sogar der gänzlichen Vernichtung geführt hat, so ist die Vorschrift: „erkenne dich selbst“ zu jenem schrecklichen Orakel geworden, das dem Ödipus zuteil wurde: „Wohl dem, der seines Daseins Rätsel niemals löst.“

*
* *

Diese Auseinandersetzung wird hinreichen, um ein Bild von dem Hauptargument der „Unbefangenen Prüfung“ und von ihren traurigen Schlußfolgerungen zu geben. Was hierbei dem etwas kritischen Leser am meisten auffallen wird, ist: 1) der Ton der Gewißheit und 2) der Glaube an das fast ausschließliche Recht der naturwissenschaftlichen Methode vor dem Forum der Vernunft. Als Beweis für das erstere möchte ich die folgenden, kurzen Zitate anführen.

Seite 11. „Von möglichen Irrtümern im Raisonnement abgesehen, muß die von uns hier auseinandergesetzte Stellung des Theismus der Vernunft gegenüber ohne wesentliche Modifikation bestehen bleiben, so lange unser Erkenntnisvermögen ein menschliches bleibt.“

Seite 24. „Ich kann durchaus nicht verstehen, wie heute ein Zeitgenosse, der auch nur mit den bescheidensten [S. 24] Kräften abstrakten Denkens begabt ist, die Lehre vom freien Willen annehmen kann.“

Seite 64. „Ohne Zweifel haben wir gar keine Wahl: wir müssen schließen, daß die Annahme eines Geistes in der Natur nach unserer logischen Prüfung ganz bestimmt ebenso überflüssig ist, wie die Grundlage aller Naturwissenschaften gewißlich wahr ist. Es kann auch länger kein Zweifel darüber bestehen, daß das Dasein Gottes zur Erklärung irgend einer Erscheinung des Weltalls ebenso unnötig ist, wie es zweifellos feststeht, daß meine Feder auf den Tisch fallen wird, wenn ich sie loslasse.“

Als Beweis für den zweiten auffallenden Punkt möchte ich ein Zitat aus dem Vorwort anführen:

„Mir ist es daher unmöglich, dem folgenden Gedanken mich zu entziehen: wenn man den unzweifelhaften Vorrang der naturwissenschaftlichen Methode als Wegweiser zur Wahrheit bei der Frage, ob es einen Gott giebt oder nicht, in Erwägung zieht, dann wird diese Frage sicherlich moralischer und pietätvoller untersucht, wenn wir sie bloß als ein zu lösendes Problem der methodischen Analyse ansehen, als wenn wir sie in irgend einem andren Lichte betrachten.“

In Bezug auf die beiden genannten Punkte, ist der Wechsel in Romanes Gesinnung, wie er sich in den „Notizen“ ausspricht, sehr deutlich. [18]

[S. 25]

Wann George Romanes anfing sich von den Schlüssen der „Unbefangenen Prüfung“ zu befreien, kann ich nicht sagen. Aber nach einem Zeitraum von 10 Jahren finden wir — in seiner „Rede“-Vorlesung vom Jahre 1885 [19] — eine große Veränderung in seiner Geistesrichtung. Diese Vorlesung über „Geist und Bewegung“ ist eine strenge Kritik der materialistischen Ansicht vom Geist. Andrerseits wird hier der „Spiritualismus“ — oder die Theorie, die den Geist als Ursache der Bewegung voraussetzen möchte — vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus als zwar nicht unmöglich, aber unbefriedigend bezeichnet; wahrscheinlicher erscheint ihm ein Monismus ähnlich dem Brunos, nach welchem „Geist und Bewegung“ koordinierte und wahrscheinlich gleichwertige Ansichten einer und derselben allgemeinen Thatsache sind, ein Monismus, der Pantheismus genannt, aber auch als eine Erweiterung theistischer Ansichten angesehen werden könnte [20] .

[S. 26]

Den Standpunkt, welcher in dieser Schrift zum Ausdruck kommt, kann man deutlich aus ihrem Schluß ersehen:

„Wenn der Fortschritt der Naturwissenschaft uns nun beständig dazu führt, daß es keine Bewegung ohne Geist giebt, müssen wir dann nicht erkennen, daß dadurch jene an sich schon unabhängige Schlußfolgerung der Geisteswissenschaft ganz unabhängig von ihr bestätigt wird? Ich meine die Schlußfolgerung, daß es kein Sein ohne Erkennen giebt. Mir wenigstens scheint es, als wenn die Zeit gekommen wäre, in der wir gleichsam in aufdämmerndem Licht erkennen können, daß das Studium der Natur und das Studium des Geistes in dieser größten aller Wahrheiten zusammen treffen. Und wenn dies der Fall ist, — wenn es keine Bewegung ohne Geist, kein Sein ohne Erkennen giebt, — sollen wir dann mit Clifford den Schluß ziehen, daß das universelle Sein ohne Geist sei, oder dogmatisch die erstaunlichste von allen Fragen verneinen: „Besitzt der Allerhöchste eine Erkenntnis?“ Wenn es keine Bewegung ohne Geist, kein Sein ohne Erkennen giebt, wollen wir dann nicht lieber mit Bruno den Schluß ziehen, daß wir in dem Medium des Geistes und der Erkenntnis leben, weben und sind?

Nach dieser Richtung hin zielen, denke ich, alle Folgerungen, wenn wir die logischen Bedingungen sorgfältig und mit vollkommener Unparteilichkeit erwägen. Doch die weitere Frage bleibt dann, ob es hier, so weit die Naturwissenschaft in Betracht kommt, überhaupt möglich ist, eine Folgerung zu ziehen: der ganze Kreis menschlicher Erkenntnis möchte doch vielleicht zu eng sein, um eine Parallaxe für so ungeheure Messungen zu gestatten. Aber wenn wirklich die Stimme der Naturwissenschaft derartig gezwungenermaßen die Sprache des Agnostizismus sprechen muß, dann wollen wir doch wenigsten dafür sorgen, daß diese Sprache rein ist [21] . Laßt uns keine [S. 27] Barbarei von Seiten des angreifenden Dogmas [22] dulden. Dann werden wir sehen, daß diese neue Grammatik des Denkens durchaus keine Konstruktionen zuläßt, welche ehrwürdigeren Denkweisen durchaus entgegengesetzt wären; und dies selbst dann nicht, wenn wir sehen, daß sich jene oft zitierten Worte, in denen diese Thatsache zuerst formuliert wurde, nicht gerade mit besonderer Überzeugung auf seine jüngsten Dialekte anwenden lassen, daß nämlich „eine oberflächliche Kenntnis der Physiologie und Psychologie die Menschen zum Atheismus führt, eine tiefere Kenntnis von beiden und noch mehr, ein tieferes Nachdenken über ihre Beziehungen zu einander, die Menschen zu irgend einer Religionsform zurückführen muß“ [23] , die wenn auch unbestimmter, doch würdiger sein mag, als diejenige früherer Tage“.

Einige Zeit vor dem Jahre 1889 wurden für das „Nineteenth Century“ drei Artikel über den Einfluß der Naturwissenschaft auf die Religion geschrieben. Sie sind nie veröffentlicht worden, warum kann ich nicht sagen. Ich hielt es aber für angebracht, die beiden ersten als ersten Teil dieses Buches drucken zu lassen, einmal weil sie — mit George Romanes eigenem Namen unterschrieben — eine wichtige Kritik der „Unbefangenen Prüfung“, die er doch anonym veröffentlicht hatte, enthalten, und dann auch darum, weil sie mit ihrem durchaus skeptischen Ergebnis sehr klar eine besondere [S. 28] Stufe in der geistigen Entwicklung ihres Verfassers kennzeichnen.

Wer nun diese Einleitung gelesen hat, wird die Vorläufer der vorliegenden Schriften verstehen. Was noch zur weiteren Einführung in die „Notizen“ selbst zu bemerken übrig bleibt, mag lieber später gesagt werden.

C. G.

[S. 29]

II.
Der Einfluß der Naturwissenschaft auf die Religion.

I.

Ich habe mir vorgenommen in einer Reihe von drei Abhandlungen den Einfluß der Naturwissenschaft auf die Religion zu untersuchen. Hierbei werde ich versuchen, mich auf eine streng verstandesgemäße Behandlung des Gegenstandes zu beschränken, ohne zu irgend welchen Fragen des Gefühls abzuschweifen. Überdies werde ich in erster Linie die Art und den Grad des Einflusses berücksichtigen, welchen die Naturwissenschaft in der Vergangenheit auf die Religion ausgeübt hat, um alsdann klar zu stellen, wie weit sich dieser Einfluß wahrscheinlich in der Zukunft ausdehnen wird. Die ersten beiden Abhandlungen sollen dem bisherigen und dem voraussichtlich noch kommenden Einfluß der Naturwissenschaft auf die natürliche Religion und die dritte dem bisherigen und dem voraussichtlich noch kommenden Einfluß der Naturwissenschaft auf die geoffenbarte Religion gewidmet sein. [24]

Wenige Fragen haben in den letzten Jahren so viel Interesse [S. 30] erregt wie die, welche ich hier zur Untersuchung ausersehen habe. Dies kann kaum überraschen, wenn man beachtet, daß der in Frage stehende Einfluß nicht allein ein sehr unmittelbarer, sondern auch ein in jeder Beziehung ungemein wichtiger ist. Generationen und Jahrhunderte hindurch besaß die Religion eine unbestrittene Macht über den menschlichen Geist, wenn auch nicht immer als ein praktischer Ratgeber in Sachen der Lebensführung, so doch wenigstens als ein Regulator des Glaubens. Selbst bei den verhältnismäßig wenigen Menschen, welche in früheren Jahrhunderten das Christentum offenkundig verwarfen, wurden die geistigen Vorstellungen doch ohne Zweifel in hohem Maße durch dasselbe bestimmt. Denn da das Christentum damals der einzige Gerichtshof für alle diese Vorstellungen war, so konnten sich selbst die wenigen, die offenkundig außerhalb seiner Jurisdiktion standen, dem indirekten Einfluß nicht entziehen, den es durch andere auf sie ausübte. Aber wenn nun nach und nach neben dieser ehrwürdigen Institution ein neuer Gerichtshof entstand, so können wir uns nicht wundern, daß man ihn als einen Nebenbuhler des alten ansah, und dies um so mehr, als seine Forschungsmethoden und der bestimmte Charakter seiner Urteile viel mehr als jene mit den Anforderungen eines dem Skeptizismus zuneigenden Zeitalters in Einklang stand. Dieser Geist der Eifersucht wurde noch mehr durch die Thatsache genährt, daß die Naturwissenschaft auf die Religion unfraglich einen, wie Fiske sagt, „reinigenden“ Einfluß ausgeübt hat. Das soll heißen: nicht allein sagt die naturwissenschaftliche Forschungsmethode zur Auffindung der Wahrheit den skeptischen Geistern mehr zu als die religiöse Methode (die man dreist damit kennzeichnen kann, daß sie die Wahrheit auf Autorität hin annehmen), sondern die Ergebnisse der ersteren haben auch mehr als einmal denen der letzteren direkt widersprochen. Die Naturwissenschaft hat in mehreren Fällen unantastbar klar bewiesen, daß Lehren der Religion den Thatsachen gegenüber falsch waren. Ferner: der große Fortschritt der Naturerkenntnis, [S. 31] welcher das gegenwärtige Jahrhundert charakterisiert, hat bewirkt, daß unsere Vorstellungen von vielen mit Philosophie zusammenhängenden Begriffen und Lehren eine vollständige Wandlung erfahren haben. Ein gebildeter Mensch unserer Tage ist ganz außer Stande manche christliche Dogmen von demselben intellektuellen Standpunkt aus wie seine Vorfahren anzusehen, selbst wenn er sie auch weiterhin noch in einem anderen Sinn als wahr hinnimmt. Kurz, da unsere ganze Denkungsweise in gewissen Beziehungen verändert ist, so können wir gar nicht verlangen, daß sie in dieser Hinsicht noch mit dem unveränderlichen System der Theologie übereinstimmen sollte.

Auf solche Weise hat nach meiner Auffassung die Naturwissenschaft ihren Einfluß auf die Religion ausgeübt, und es ist unnötig, den Umfang dieser Wirkung länger zu betrachten. Man kann keine Zeitung lesen, ohne sie zu bemerken. Einerseits triumphiert der Zweifler zuversichtlich, daß das Licht der aufgehenden Erkenntnis endlich angefangen habe, die Finsternis des Aberglaubens zu verscheuchen, während andererseits religiös gerichtete Menschen bei dem Gedanken zittern, was die Zukunft, nach der Vergangenheit zu urteilen, bringen werde. Auf beiden Seiten finden wir freie Diskussion, kräftige Sprache, ernstes Forschen. Jahr für Jahr wird Überschlag gemacht und Jahr für Jahr neigt sich die Wagschale mehr zu Gunsten der Naturwissenschaft.

So stehen die Dinge eben, und ich denke, daß wir mit der Kenntnis der Art und des Grades des Einflusses, den die Naturwissenschaft in der Vergangenheit auf die Religion ausgeübt hat, Material genug besitzen werden, um den mutmaßlichen Umfang, den dieser Einfluß in der Zukunft haben wird, beurteilen zu können. Dies will ich zu thun versuchen, indem ich nach allgemeinen Grundsätzen die Grenzen bestimme, innerhalb derer der in Rede stehende Einfluß vorläufig ausgeübt werden kann. Doch um dies zu können, ist es nötig, vorerst die Art und den Grad des Einflusses zu betrachten, [S. 32] den die Naturwissenschaft in der Vergangenheit auf die Religion ausgeübt hat.

Nachdem wir dies vorausgeschickt haben, müssen wir zunächst das Wesen der Naturwissenschaft und der Religion auseinandersetzen. Denn dies ist natürlich der erste Schritt bei einer Untersuchung, welche den thatsächlichen und den möglichen Einfluß dieser beiden Gedankengebiete aufeinander abschätzen soll.

Die Naturwissenschaft ist im wesentlichen ein Gebiet des Denkens, welches sich ausschließlich auf die nächsten Ursachen bezieht. Noch genauer: sie ist ein Gebiet des Denkens, dessen Gegenstand die Erklärung des Naturgeschehens durch die Entdeckung natürlicher (oder nächstliegender) Ursachen ist. Wenn die Naturwissenschaft diese ihre einzig rechtmäßige Domäne zu überschreiten und das Naturgeschehen durch unmittelbare Einwirkung übernatürlicher oder letzter Ursachen zu erklären versucht, dann hat sie aufgehört Naturwissenschaft zu sein und ist ontologische Spekulation geworden. Die Wahrheit dieser Behauptung ist jetzt von allen Naturforschern in praxi anerkannt worden, und Ausdrücke, welche sich auf die letzten Ursachen beziehen, sind aus dem Wörterbuch der Astronomie, Chemie, Geologie, Biologie und selbst der Psychologie verbannt worden.

Auf der anderen Seite ist die Religion ein Gebiet des Denkens, das sich ebenso ausschließlich auf die letzten Ursachen bezieht. Sie ist ein Gebiet des Denkens, das ein selbstbewußtes und intelligentes Wesen zum Gegenstand hat, und dieses wird dabei als persönlicher Gott und als Urquell aller Kausalität betrachtet. Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß der Ausdruck „Religion“ seit einigen Jahren häufig in einem Sinn gebraucht worden ist, welcher sich nicht mit dieser Definition deckt; doch dies zeigt nur, wie oft dieser Ausdruck mißbraucht worden ist. Irgend eine Theorie der Dinge Religion zu nennen, obwohl sie gar keinen Glauben an eine Gottheit enthält, das heißt das Wort in ganz entgegengesetztem [S. 33] Sinne wie bisher gebrauchen. Von Religion des Unerkennbaren, von Religion des Kosmos, von Religion der Humanität u. s. w. sprechen, wobei die Persönlichkeit der letzten Ursache nicht anerkannt wird, das ist ebenso unverständig, als wenn man von der Liebe eines Dreiecks oder von der Vernunft des Äquators sprechen wollte; denn wenn man diesen Ausdrücken überhaupt irgend einen Sinn abgewinnen will, so müssen sie im metaphorischen Sinn gebraucht werden. Wir können ja z. B. sagen, daß es so etwas wie eine Religion der Humanität giebt, in dem wir die Humanität zuerst in unserer Wertschätzung vergöttlichen und dann dieses unser Ideal anbeten. Aber wenn wir auf diese Weise der Humanität den Namen der Gottheit beilegen, so schaffen wir darum doch keine neue Religion; wir gebrauchen damit bloß eine Metapher, welche als poetische Diktion mehr oder weniger Erfolg haben mag, die aber sicherlich als philosophischer Satz keinen Pfifferling wert ist. Ja, sie ist in dieser Beziehung noch schlimmer als wertlos: sie ist irreleitend. Veränderungen oder Umkehrungen der Bedeutung von Wörtern kommen nicht selten bei der Entwicklung der Sprache vor, aber nicht häufig wird, und so in diesem Fall, der ganze Sinn des Ausdrucks absichtlich und willkürlich von den Vertretern der Philosophie abgeändert. Humanität z. B. ist ein abstrakter Begriff, den wir selbst gebildet haben, Humanität existiert objektiv ebenso wenig wie der Äquator. Wenn es daher möglich wäre eine Religion durch diesen sonderbaren Kunstgriff zu konstruieren, indem man der Humanität metaphorisch die Attribute der Gottheit zuschreibt, so würde es logisch ebensogut möglich sein, eine Theorie brüderlicher Liebe zum Äquator zu konstruieren, indem man diesem metaphorisch menschliche Attribute zuschreibt.

Das charakteristische Merkmal irgend einer Theorie, welche man berechtigter Weise als Religion bezeichnen könnte, ist, daß sie sich auf den letzten Ursprung aller Dinge bezieht und daß sie diesen Ursprung als ein objektives und intelligentes und [S. 34] persönliches Wesen bezeichnet. Den Ausdruck „Religion“ auf irgend eine andere Theorie anwenden, heißt also nur ihn mißbrauchen.

Nach diesen Definitionen scheint es so, als ob sich Ziel und Methode der Naturwissenschaft ausschließlich auf die Bestimmung und Prüfung des zunächstliegenden „Wie?“ der Dinge und der Naturvorgänge richten. Ihre Aufgabe ist, wie Mill sagt, die kleinste Anzahl der Naturthatsachen zu bestimmen, welche die Erscheinungen der Erfahrung erklären kann. Andererseits ist die Religion in keiner Weise mit der Kausalität verbunden, nur daß sie annimmt, daß alle Dinge und alle Ereignisse im letzten Grunde auf eine intellektuelle Persönlichkeit zurückzuführen sind. Spencer sagt, „die Religion ist eine apriorische (außerhalb der Erfahrung liegende) Theorie des Weltalls“ — dem müssen wir noch hinzufügen, eine Theorie, welche eine intelligente Persönlichkeit als schaffenden Ursprung des Weltalls annimmt. Ohne diesen notwendigen Zusatz würde die Religion sich logisch nicht von der Philosophie unterscheiden.

Aus diesen Definitionen geht klar hervor, daß Naturwissenschaft und Religion in ihren reinsten Formen thatsächlich keine logischen Beziehungen haben. Nur wenn die Naturwissenschaft die Bedingungen des Raumes und der Zeit, der gegenseitigen Beziehung der Erscheinungen und aller menschlichen Beschränkungen überschreiten würde, dann nur könnte sie in der Lage sein, die übernatürliche Theorie der Religion zu berühren. Doch es ist offenbar, wenn die Naturwissenschaft dies thäte, so würde sie aufhören Naturwissenschaft zu sein. Indem sie sich über die Region der Naturerscheinungen (Phänomena) erhöbe und in den zarten Äther der Verstandesbegriffe (Noumena) einträte, würden ihre gegenwärtigen Schwingen, die wir ihre Methode nennen, in solcher Atmosphäre nicht mehr zur Bewegung dienen können. Ohne Raum, ohne Zeit und ohne Beziehungen zu den Naturerscheinungen, könnte die Naturwissenschaft nicht länger als solche bestehen.

[S. 35]

Andererseits kann auch die Religion in ihrer reinsten Form in gleicher Weise die Naturwissenschaft nicht berühren. Denn die Religion als solche hat, wie wir schon gesehen haben, nichts mit dem Gebiet der Naturerscheinungen zu thun; ihre metaphysische Theorie kann keine Beziehung zu dem „Wie“ der Natur-Kausalität haben. Es ist daher augenscheinlich, daß sich Naturwissenschaft und Religion, weil sie in ihren reinsten und idealsten Formen ganz verschiedenartige Geistesrichtungen sind, nicht gegenseitig in ihr Gebiet einmischen dürfen.

So weit lassen sich diese Bemerkungen in gleicher Weise auf alle Formen der Religion anwenden, sie sei nun eine wirkliche oder nur eine mögliche, wenn sie nur rein ist. Aber es ist notorisch, daß bis vor Kurzem die Religion auf die Naturwissenschaft nicht nur einen Einfluß überhaupt, sondern sogar einen überwältigenden Einfluß ausübte. Da der Glaube an ein göttliches Wirken fast allgemein war, während die Methoden der naturwissenschaftlichen Forschung noch nicht bestimmt formuliert waren, hatten die früheren Generationen die Gewohnheit, jede Naturerscheinung, deren natürliche Ursache noch nicht nachgewiesen war, einer mehr oder minder unmittelbaren Einwirkung der Gottheit zuzuschreiben. Nun wissen wir aber, daß diese geistige Gewohnheit daher kam, daß man noch nicht den wesentlich verschiedenen Charakter der Naturwissenschaft und Religion als (getrennte) Denkgebiete unterscheiden konnte, und nur insofern, als die Religion früherer Zeiten unrein oder mit Gedanken, die der Naturwissenschaft angehören, vermischt war, übte sie jenen verderblichen Einfluß aus. Die allmähliche, nun schon fast völlige Ausscheidung der Endursachen aus dem Gedankengang der Naturforscher, worauf wir schon hingedeutet haben, ist nur ein Ausdruck für die Thatsache, daß die Naturforscher einmütig und ganz und gar dazu gelangt sind, die von mir festgestellten Grundunterschiede zwischen Naturwissenschaft und Religion anzuerkennen.

Die Naturforscher empfinden es einmütig und klar — [S. 36] wenigstens alle die Männer, deren Gedanken über diese Fragen auf der Höhe der Zeit stehen — daß eine religiöse Erklärung irgend einer Naturerscheinung vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus überhaupt keine Erklärung ist. Denn eine religiöse Erklärung besteht darin, daß man die beobachtete Naturerscheinung auf die „letzte“ Ursache bezieht, d. h. darin, daß man jene besondere Erscheinung in das allgemeine und letzte Geheimnis der Dinge versenkt. Dagegen besteht eine naturwissenschaftliche Erklärung darin, daß man die beobachtete Naturerscheinung auf die nächstliegenden natürlichen Ursachen zurückführt, und in keinem Falle kann sich eine solche Erklärung auf die Hypothese eines Endzweckes einlassen, ohne den Charakter einer naturwissenschaftlichen Erklärung zu verlieren. Wenn mir z. B. ein Kind eine Blume mit der Frage bringt, warum sie eine so sonderbare Form, so lebhafte Farbe, so süßen Duft u. s. w. hat, und ich ihm antworte: weil Gott sie so machte! — so beantworte ich damit des Kindes Frage eigentlich gar nicht: ich verberge nur meine Unkenntnis der Natur unter dem Mantel der Frömmigkeit und entschuldige meine Trägheit im Studium der Botanik. Die Würdigung dieser Thatsache war es, was Darwin in seiner „Entstehung der Arten“ zu der Bemerkung führte, daß die Theorie der Schöpfung keine Thatsache, mit der sie sich beschäftigt, wirklich erklären kann, sondern daß sie diese Thatsache nur nochmals darlegt, wie sie beobachtet worden. Das soll besagen: indem wir die beobachteten Thatsachen so in das Grundgeheimnis der Dinge versenken, versuchen wir es gar nicht einmal, sie irgendwie im naturwissenschaftlichen Sinne zu erklären; denn es würde dann offenbar möglich sein, sich der Aufgabe, irgend eine Naturerscheinung zu erklären, stets auf dieselbe Weise zu entledigen, indem man sie nämlich immer einfach auf die unmittelbare Einwirkung der Gottheit zurückführt. Wenn wirklich irgend eine Naturerscheinung einträte, welche aus einer unmittelbaren Gottesthat als Ursache entspränge, dann würden ex hypothesi überhaupt keine natürlichen Ursachen [S. 37] mehr zu erforschen sein, und der Mohr als Naturforscher hätte seine Schuldigkeit gethan und könnte gehen; denn solch' eine Erscheinung würde wunderbar sein, daher ihrer Natur nach jenseits der Grenze wissenschaftlicher Forschung liegen.

Die religiöse Theorie der Endursache erklärt also keine Naturerscheinung, sie bestätigt sie nur, wie sie beobachtet worden ist — oder wenn man lieber will: sie ist in sich selbst eine Universal-Erklärung aller möglichen Naturerscheinungen auf einmal. Denn es muß zugegeben werden, daß hinter allen möglichen Erklärungen naturwissenschaftlicher Art etwas höchst Unerklärliches liegt, welches gerade seines übersinnlichen Charakters wegen nicht auf irgend etwas anderes zurückgeführt, d. h. erklärt werden kann. „Es ist so wie es ist“, das ist alles, was wir von ihm sagen können. „Ich bin was ich bin“, ist alles, was es von sich selbst sagen könnte. Und darin bestehen im Wesentlichen die Lehren der Religion, daß sie Naturerscheinungen auf diese unerklärbare Quelle der natürlichen Kausalität zurückführt. Die Lehre der Naturwissenschaft dagegen beruht auf der Gewißheit, daß es immer möglich ist, eine der Erfahrung nach endlose Kette natürlicher Ursachen zu erforschen, d. h. eine endlose Reihe von Naturerscheinungen zu erklären. Wenn wir den Vorgang der Erklärung als die Zurückführung der beobachteten Erscheinungen auf ihre zureichenden Ursachen definieren, so dürfen wir sagen, daß die Religion sich mit Hülfe einer allgemeinen Theorie der Dinge in der Annahme einer ersten Ursache intelligenter Art zu ihrer eigenen Befriedigung eine letzte Erklärung des Weltalls als eines Ganzen verschafft. Sie hat daher nichts mit den nächsten Erklärungen oder mit der Entdeckung der nächstliegenden Ursachen zu thun, und diese ist ausschließlich Gegenstand der Naturwissenschaft. Wir gehen also hiermit auf die schon gegebenen Definitionen zurück, wonach die Religion einem Gedankengebiet angehört, welches als solches ausschließlich Beziehung auf die letzte Ursache hat, während die Naturwissenschaft einem Gedankengebiet angehört, welches als solches [S. 38] ebenso ausschließlich in Beziehung zu den nächsten Ursachen steht. Wenn die Grenzen dieser beiden Gebiete überschritten werden, so entstehen Konflikte und Verwirrung. Wenn daher die religiöse Lehre von den Endursachen auf das Feld der naturwissenschaftlichen Forschung übertrat, so überschritt sie ihre logische Domäne, und indem sie sich das Amt anmaßte, diese oder jene Erscheinung im einzelnen zu erklären, hörte sie auf, reine Religion zu sein, während sie zu gleicher Zeit und aus demselben Grunde der Naturwissenschaft den Weg des Fortschritts versperrte. [25]

Wir sind nun bei einem der Hauptpunkte angelangt, die wir zu behandeln haben — nämlich bei der Lehre von dem Zweck in der Natur und damit bei der Frage der natürlichen Religion in ihrer Beziehung zur Naturwissenschaft. Hier werde ich versuchen, einen möglichst tiefen und klaren Überblick über den gegenwärtigen Zustand der natürlichen Religion zu gewinnen, ohne Schritt für Schritt den Weg und die Mittel zu zeigen, durch welche sie unter dem Einfluß der Naturwissenschaft auf diesen Standpunkt gekommen ist.

Beim ersten Dämmern des Denkens ist, soweit wir davon Kunde haben, die Teleologie in dieser oder jener Form die am weitesten verbreitete Lehre zur Erklärung der Naturordnung gewesen. Es ist indessen nicht meine Absicht, in diesen Blättern die Geschichte dieser Lehre von ihren rohen Anfängen im Fetischismus bis zu ihrer schließlichen Entwicklung im Theismus aufzuzeichnen. Ich will mich ausschließlich an den jetzigen Zustand dieser Lehre halten und erwähne die [S. 39] vergangene Geschichte nur, um die häufig aufgestellte Behauptung zu prüfen, daß ihr allgemeines Übergewicht in allen Jahrhunderten und unter allen Nationen der Welt ihr einen gewissen Grad „aprioristischer Glaubwürdigkeit“ giebt. In Bezug auf diesen Punkt muß ich folgendes sagen: ob nun die Naturordnung von einem ordnenden Geist herrührt oder nicht, die Lehre von der Wirksamkeit eines Geistes innerhalb der Natur — oder wie es der Herzog von Argyll nennt, „die Lehre vom Anthropopsychismus“ — muß notwendigerweise die ursprünglichste gewesen sein. Was wir in der Natur finden, ist die allgemeine Herrschaft der Kausalität und lange vorher, ehe die nicht weniger allgemeine Aequivalenz zwischen Ursachen und Wirkungen — d. h. die allgemeine Herrschaft der Naturgesetze — genügend gewürdigt wurde, erkannte man schon vollauf die allgemein gültige Thatsache, daß nichts ohne irgend eine zureichende Ursache geschieht. Und ganz gewiß, das Bewußtsein dieser Thatsache finden wir nicht nur bei den am niedrigsten stehenden Rassen der Jetztzeit, sondern wie ich es bewiesen habe, auch bei Tieren und Kindern. [26] Es scheinen mir daher wohl jene Psychologen Recht zu haben, welche meinen, daß der Begriff der Ursache ebenso unmittelbar ist wie die Begriffe von Raum und Zeit — d. h. er ist die instinktive [oder ererbte] Wirkung angestammter Erfahrung.

Wenn es nun sicher ist, daß das Bewußtsein der Kausalität in der Natur ebenso alt oder sogar älter ist als der menschliche Verstand, dann scheint es mir doch ebenso sicher zu sein, daß der erste Versuch, die Ursache dieser oder jener Naturerscheinung festzustellen, d. h. die ersten Versuche einer vernünftigen Erklärung der Naturereignisse — anthropopsychischer Art gewesen sein müssen. Keine andre Erklärung lag so nahe, wie die, daß man in die äußere Natur die Thätigkeit eines Willens hineintrug, die doch jedem Menschen, soweit er und seine Nebenmenschen dabei in Betracht kommen, als die [S. 40] augenscheinliche Hauptquelle der kausalen Thätigkeit erschien. Um diese sehr einleuchtende Erklärung der Kausalität in der Natur zu gewinnen, brauchte der Urmensch gar nicht zu wissen, was wir jetzt wissen, daß die richtige Auffassung der Kausalität aus unserem Gefühl von Anstrengung bei einem Willensakt entspringt. Wenn dies der Fall war, dann mußte, falls überhaupt an die Kausalität irgend einer Naturerscheinung gedacht wurde, die abgeleitete Ursache notwendiger Weise psychologischer Art sein. Ich brauche nicht die allmähliche Entwicklung dieser anthropologischen Lehre aus ihrer frühsten und verbreitetsten Gestalt, die wir Polypsychismus nennen könnten — (bei welchem die Zahl der aufgestellten Ursachen fast so groß war wie die der beobachteten Wirkungen) — durch den Polytheismus hindurch, (bei welchem viele Wirkungen gleicher Art einer Gottheit zugeschrieben wurden, deren Spezialfall gerade diese Wirkungen waren) bis zum Monotheismus hin zu verfolgen (bei welchem alle Kausalität in den Monopsychismus einer einzelnen Persönlichkeit zusammengefaßt wird). Es genügt, kurz zu zeigen, daß die Lehre des Anthropopsychismus von Anfang an unter den obwaltenden Bedingungen eine notwendige Phase geistiger Entwicklung war, mag diese Lehre nun wahr sein oder nicht.

Von diesem Gesichtspunkt aus glaube ich nicht, daß der „ consensus gentium “ (Übereinstimmung der Völker) eine Thatsache von irgend welcher Beweiskraft zu Gunsten der anthropopsychischen Theorie ist, — ich meine, insofern es sich um die Kausalitätsfrage handelt — mag es sich nun um den Fetischismus oder um die Teleologie unserer Tage handeln: der „ consensus gentium “ bei der wichtigeren Frage des Theismus (wobei noch manche andere Dinge außer der Kausalität in Betracht kommen) geht uns hier nichts an. Es scheint mir in der That so: wenn wir zur Sicherstellung unserer anthropologischen Theorie auf die Wilden zurückgehen müssen, dann ist die dabei erhaltene Bürgschaft noch weniger als wertlos. Wir könnten ebenso gut schließen, daß die Uhr ein lebendes Wesen [S. 41] sei, weil dies für den Geist eines Wilden die nächstliegende Erklärung ihrer Bewegungen ist, — als wenn wir aus genau denselben Gründen schließen wollen, daß unser Glaube an die Teleologie aus irgend einer der früheren Phasen des Anthropopsychismus irgend eine wirkliche Stütze erhielten.

Wenn wir daher den Nachweis eines Zwecks in der Natur würdigen wollen, so scheint es mir, daß wir von vorne anfangen müssen, ohne auf frühere Meinungen über den Gegenstand Bezug zu nehmen. Die Frage muß wesentlich in dem Licht der jüngsten Erkenntnis, welche wir besitzen und mit der schärfsten Denkkraft erwogen werden, die wir (die Erben aller Jahrhunderte) ihr widmen können. Ich werde daher auf die Geschichte des Anthropopsychismus nur insofern Bezug nehmen, als es erforderlich ist, um das Argument zu erläutern.

Und hier ist es nötig, zuerst das zu erörtern, was Paley vor der Darwinschen Epoche „den Stand des Arguments“ nannte. Dies ist von Paley klar und deutlich in seinem klassischen Beispiel von der Uhr, die jemand auf einer Heide findet, dargestellt — ein so wohl bekanntes Beispiel, [27] daß ich [S. 42] es hier nicht zu wiederholen brauche. Ich will daher nur bemerken, daß es den ganzen Zweckbeweis, wie man sagt, in der Westentasche enthält und daß es meiner Meinung nach die von Mill an ihm ausgeübte Kritik nicht verdient, wenn er sagt: „Die Schlußfolgerung würde gar nicht gemacht werden, wenn ich nicht schon aus direkter Erfahrung wüßte, daß die Uhren von Menschen verfertigt werden.“ Es kommt mir vor, als ob damit der Meinung (und Absicht) Paley's die ganze Pointe genommen würde; denn es würde offenbar überhaupt gar kein Beweis sein, es sei denn, man verstände seine Meinung so, daß der Nachweis des Zweckes, welchen die Prüfung der Uhr vermutlich liefert, wahrscheinlich eben nur durch diese Prüfung und nicht durch irgend eine direkte Kenntnis, auf welche Mill hinweist, geliefert wird. Um des Beispiels willen muß natürlich angenommen werden, daß der Finder der Uhr keine von früher stammende direkte Kenntnis von der Konstruktion einer Uhr besitzt. Abgesehen von diesem wunderbaren Mißverständnis war Mill in Bezug auf den ganzen Gegenstand mit Paley gleicher Ansicht.

Andererseits ist es kein stichhaltiger Einwand gegen das Argument oder das Beispiel, wenn man sagt, wie wir es oft thaten, daß es nichts für den Uhrmacher beweist. Das Ziel des Zweckbeweises ist das Dasein jemandes, der den Zweck gesetzt hat, zu erweisen , nicht sein Dasein zu erklären . [S. 43] In der That würde es für das ganze Argument in seiner Beziehung zum Theismus ein Selbstmord sein, wenn die Möglichkeit einer solchen Erklärung aufrecht erhalten würde, denn dies könnte nur auf die Annahme hin geschehen, daß das Wesen der Gottheit eine Erklärung zuläßt, d. h. daß die Gottheit nicht die letzte Ursache ist.

Im Grunde genommen ist dieser Beweis genau derselbe, wie er uns an zahlreichen Stellen der heiligen Schrift und in theologischen Büchern der ganzen Welt bis auf den heutigen Tag begegnet. Er besagt: überall in der organischen Natur treffen wir auf zahllose Anpassungen der Mittel an die Zwecke, die in vielen Fällen eine solche Feinheit und Kompliziertheit zeigen, daß im Vergleich zu ihr die Anpassungen der Mittel an die Zwecke in einer Uhr nur armselige und lückenhafte Versuche des Mechanismus sind. Niemand weiß es so gut wie der moderne Biologe, wie unermeßlich weit die uns in solchem Übermaße in der Natur begegnenden Mechanismen die höchsten Triumphe menschlicher Erfindung in jeder Weise überragen. Auf den ersten Blick erscheint es daher ganz zweifellos, daß wir keinen stichhaltigeren und besseren Beweis für einen Zweck als den finden können, wie er in Paley's Worten liegt: „Die Anordnung, die Disposition der Teile, die Unterordnung der Mittel unter einen Zweck, die Beziehung der Werkzeuge auf den Gebrauch schließen das Dasein einer Intelligenz und eines Geistes in sich.“

Aber nun entsteht die Frage: wenn dies alles auch sicherlich das Dasein eines Geistes als erklärende Ursache verlangen [28] mag, sind wir darum schon zu der Annahme berechtigt, daß es in der Natur keine andere Ursache giebt, um diese Wirkungen hervorzubringen? Das ist eine Frage, auf die weder Paley noch Bell und Chalmers, ja kein Vertreter der natürlichen Theologie bis auf Darwins Zeiten gekommen [S. 44] ist. Und das ist doch, meine ich, eine bemerkenswerte Thatsache, weil die Frage als eine blos logische so sehr nahe zu liegen scheint. Aber Thatsache ist es, daß sich die Vertreter der natürlichen Theologie meines Wissens ausnahmslos damit begnügten, es als einen Grundsatz hinzunehmen, daß jener Mechanismus keine andre Ursache als die eines zwecksetzenden Geistes haben könnte; daher beschränkt sich ihre Arbeit darauf, der Zahl und Vortrefflichkeit der Mechanismen, denen sie in der Natur begegneten, im Einzelnen nachzuspüren. Es ist aber klar, daß die bloße Anhäufung solcher Fälle keinen wirklichen oder logischen Einfluß auf das Argument ausüben kann. Die Mechanismen, denen wir in der Natur begegnen, sind in ihrer Vollkommenheit und Zahl so überwältigend, daß das aufmerksame Studium schon irgend eines einzelnen (wie es Paley in seinem Beispiel thatsächlich, wenn auch nicht ausdrücklich, darlegt) hinreicht, die ganze Sache wesentlich zu fördern, wenn nur die Annahme zugegeben wird, daß der Mechanismus allein durch einen Geist entstehen kann. Daher wird durch die bloße Ansammlung einer beliebigen Zahl besonderer Fälle von Mechanismen in der Natur aber auch weder ein wirkliches noch ein logisches Argument geliefert: alle sind ja als Mechanismen der Art nach ähnlich. Wir wollen nun dieses Argument betrachten.

Wenn wir uns etwa darüber wundern möchten, daß die Vertreter der natürlichen Theologie bis auf Darwin sich mit der Annahme begnügten, der Geist sei die einzig mögliche Ursache des Mechanismus, so finden wir meines Erachtens die richtige Antwort darin, daß ihr Glaube an eine Schöpfung im Einzelnen damals allgemein herrschte. Denn auf der Grundlage dieses Glaubens halte ich ohne Frage die Behauptung für berechtigt; d. h. wenn wir von dem Glauben ausgehen, daß alle Arten der Pflanzen und Tiere ursprünglich plötzlich und fertig geschaffen in die komplizierten Lebensbedingungen ihrer besonderen Umgebung gesetzt wurden (etwa so, wie die Uhren aus einer Fabrik hervorgehen), dann sind wir, denke ich, [S. 45] vernünftiger Weise zu der Annahme berechtigt, daß keine andre denkbare Ursache als die eines intelligenten Zweckes möglicherweise als Erklärung jener Wirkungen gefordert werden kann. Nun ist natürlich die Bemerkung unnötig, daß jener Zweckbeweis, wenn man diesem ihm vorhergehenden Glauben an eine Schöpfung im Einzelnen einen Einfluß auf ihn einräumte, zum Beispiel eines Zirkelschlusses wird. Vielleicht ist es ebenso unnötig zu bemerken, daß die bloße Thatsache der Entwicklung als Gegensatz zur Schöpfung im Einzelnen oder die Thatsache der allmählichen Entfaltung der lebenden Mechanismen im Gegensatz zu ihrem plötzlichen und fertigen Erscheinen diesen Zweckbeweis in keiner Weise beeinflussen würde, es sei denn, daß man nicht zeigen könnte, daß der Entwicklungsprozeß die Möglichkeit einer anderen Ursache zuläßt, welche durch die Hypothese der Schöpfung im Einzelnen nicht zugelassen wird. Aber dies ist es gerade, was durch die Theorie der Entwicklung, wie sie Darwin aufgestellt hat, gezeigt wird. Das soll besagen: Die Theorie der allmählichen Entwicklung der lebenden Mechanismen, wie Darwin sie aufstellte, ist doch etwas mehr als eine Theorie allmählicher Entfaltung im Gegensatz zu der plötzlichen Schöpfung. Sie ist auch eine rein naturwissenschaftliche Theorie, welche die rein natürlichen Ursachen dieser Entwicklung darzuthun sucht. Und dies ist der Punkt, an dem die Naturwissenschaft ihren Einfluß auf die natürliche Theologie auszuüben anfängt, oder der Punkt, an dem die Theorie der Entwicklung mit der Lehre vom Zweck in Berührung tritt. Da dies ein höchst wichtiger Teil unseres Themas ist und da über ihn in unserer Zeit eine außerordentliche Verwirrung herrscht, so werde ich ihn in der folgenden Abhandlung sorgfältig nach allen Richtungen hin erörtern.

[S. 46]

II.

Nehmen wir einmal an, daß der Mensch, welcher die Uhr auf der Heide fand, seinen Weg fortsetzt, bis er zur Meeresküste kommt, und daß er ebenso wenig von physikalischer Geographie wie von der Uhrmacherei versteht. Bald fängt er an eine Menge von Anpassungen der Mittel an den Zweck zu beobachten, die zwar weniger subtil und fein sind als die, welche ihn bei seiner Untersuchung über das Innere der Uhr beschäftigten, die auf der anderen Seite aber viel eindrucksvoller sind, weil sie in einem viel größeren Maßstab auftreten. Erstens bemerkt er, daß in dem Land ein schönes Becken ausgegraben worden ist, um eine Bucht herzustellen; daß die Seiten dieses Beckens, welche wegen der Nähe des Meeres am meisten der Einwirkung der großen, rollenden Wogen ausgesetzt sind, von Felsenklippen gebildet werden, augenscheinlich in der Absicht, das weitere Eindringen des Meeres und die dadurch entstehende Zerstörung der ganzen Bucht zu verhindern; er bemerkt ferner, daß die Seiten des Beckens, welche wegen ihrer immer größeren Entfernung landeinwärts auch immer weniger der Einwirkung der großen Wogen ausgesetzt sind, aus immer kleiner werdenden Felsen gebildet werden, welche in Geröll und endlich in feinsten Sand übergehen; daß die Steine, da die Gezeiten mit ebenso großer Regelmäßigkeit wie die Bewegungen der Uhr kommen und gehen, sorgfältig vom Sand gesondert und in schiefe Schichten gelegt sind, und dies immer aufs schönste den Stellen um den Rand des Beckens herum entsprechend, welche am meisten der Gefahr ausgesetzt sind, durch die Thätigkeit der Wellen zerstört zu werden. Er würde ferner bei genauerer Prüfung merken, daß dieser Prozeß der auslesenden Anordnung sich bis in die kleinsten Einzelheiten verfolgen läßt. Hier würde er z. B. bemerken, daß einige (engl.) Meilen weit eine besondere Art von Seegras kunstreich in einem langen Bogen am Strande angeordnet [S. 47] ist, dort würde er eine prächtige Ablagerung von Muscheln sehen, wieder anderswo ein hübsches, kleines Häuschen von Purpursand, dessen kleine Körner aus dem umgebenden gelben Sand sorgfältig ausgesucht worden sind. Wiederum würde er bemerken, daß alle Flüßchen, die zur Bucht herunterfließen, in zu diesem Zweck bewundernswert gegrabenen Kanälen laufen, und von der Neugier getrieben, den Zweck dieser verschiedenen Flüsse zu ergründen, würde er finden, daß alle diese Gewässer dazu dienen, das Wasser zu ersetzen, welches die See durch Verdunsten verliert, und — auch ein bewundernswertes Beispiel von Anpassung — frisches Wasser für die Tiere und Pflanzen zu liefern, die am besten in frischem Wasser gedeihen; und daß diese Gewässer dabei doch durch ihre vereinte Thätigkeit hinreichend mineralische Bestandteile hinzuführen, um dem Meer im Ganzen genau den Salzgehalt zu geben, welcher zur Erhaltung des pelagischen Lebens erforderlich ist. Wenn er endlich in dieser Richtung seine Forschungen fortsetzen würde, so würde er finden, daß tausende von verschiedenen Aufenthaltsorten sinnreich den Bedürfnissen von hunderttausenden der verschiedensten Lebensformen angepaßt sind, von denen keine leben bleiben könnte, wenn diese Aufenthaltsorte verändert würden. Nun, ich meine, dieser unser gedachter Forscher würde gar thöricht sein, wenn er aus dem Ergebnis aller seiner Studien nicht den Schluß zöge, daß der Nachweis eines Zweckes, wie ihn die Seebucht liefert, wenigstens ebenso zwingend sei wie der, den er vorher beim Studium der Uhr gefunden hatte.

Aber es besteht zwischen beiden Fällen ein großer Unterschied. Während der Mann durch nachträgliche Erkundigung die Thatsache bestätigen kann, daß die Uhr ihr Dasein einem intelligenten Erfinder verdankt, könnte er in Bezug auf die Seebucht eine solche Bestätigung nicht erhalten. In dem einen Fall ist eine intelligente Erfindung als Ursache unabhängig demonstrierbar, während in dem andern Fall nur auf sie geschlossen werden kann. Welchen Wert hat nun dieser Schluß?

[S. 48]

Wenn unser gedachter Teleologe nach Beendigung dieser seiner Studien in irgend eine große Bibliothek geführt worden wäre und dort ein oder zwei Jahre verbracht hätte um sich mit den wichtigsten Resultaten der modernen Naturwissenschaft bekannt zu machen, dann, denke ich, würde er zuletzt weiser und — trauriger geworden sein.

Wenigstens würde er, indem er mehr lernt, sicherlich merken, daß er weniger versteht, — daß die veraltete Einfachheit seiner früheren Erklärungen trotz gereifterer Anschauungen einer größeren Verwirrung Platz machen muß. Er würde nun zunächst finden, daß jede der Anpassungen von Mitteln an den Zweck, welche seine Bewunderung an der Meeresküste erregten, von natürlichen, sehr leicht verständlichen Ursachen herrühren. Die Klippen standen an der Öffnung der Bucht, weil das Meer in früheren Zeiten die Küstenlinie so lange angegriffen hatte, bis es auf diese Klippen traf, die sich seinem weiteren Vordringen entgegenstellten; die Bucht war eine Senkung des Landes, welche bei dem Zuströmen der See gerade vorhanden war und in welche die letztere daher flutete; die Reihenfolge von Felsen, Geröll und Sand entstand durch die Thätigkeit der Wogen selbst, die Sonderung des Seegrases, der Muscheln, der Kiesel und der verschiedenen Sandarten kam von ihrem verschiedenen spez. Gewicht her; die Süßwasserströme flossen in Kanälen, die sie sich selbst gebildet hatten, und die zahlreichen Lebensformen waren ihren verschiedenen Wohnungen einfach deshalb angepaßt, weil die für sie ungeeigneten Wesen darin nicht leben konnten. In allen diesen Fällen würde daher unser Teleologe im Lichte höherer Erkenntnis notgedrungen wenigstens den Schluß gezogen haben, daß die Anpassungen, die er so sehr bewundert hatte, als er sie für Wirkungen eines die Erscheinungen voraussehenden Planes hielt, nun nicht mehr diesen Nachweis eines intelligenten Planes liefern können, da es sich herausstellt, daß keine von ihnen vorher von einer unabhängigen oder äußeren Ursache vorbereitet wurde.

[S. 49]

Er würde daher zu dem Schluß gelangen, daß die teleologische Deutung der Thatsachen nur dadurch gerettet werden könnte, daß man eine viel weitergehende Betrachtung des Gegenstandes vornähme, als sie bei den besonderen Fällen augenscheinlicher Zwecksetzung, welche zuerst so zwingend erschienen, gefordert wurde. Das soll sagen, er würde fühlen, daß er die Voraussetzung irgend eines speziellen Planes in der Konstruktion jener besonderen Bucht verlassen und auf die Theorie eines viel allgemeineren Planes in der Konstruktion eines großen Natursystems als eines Ganzen zurückgehen muß. Kurz, er würde sein Argument von den besonderen und einzelnen Anpassungen, die ihm zuerst so einleuchtend schienen, aufgeben und zu den allgemeinen Naturgesetzen zurückkehren, die durch ihre vereinte Thätigkeit dem Kosmos, als unterschieden vom Chaos, den Ursprung gaben.

Nun habe ich mich bemüht, ein imaginäres Argument aus dem Gebiet der unorganischen Natur in allen seinen wichtigsten Einzelheiten zu gewinnen, weil dasselbe ein vollständiges Analogon zu dem liefert, das man der organischen Natur entnimmt. Ohne Frage, die Beispiele eines offenkundigen Planes oder der offenbar absichtlichen Anpassung der Mittel an die Zwecke, welche wir in der organischen Natur finden, sind unverhältnismäßig zahlreicher und einleuchtender als die, welche uns in der unorganischen Natur begegnen. Aber wenn wir einmal guten Grund zu dem Schluß haben, daß die ersteren gleich den letzteren nicht der unmittelbaren, speziellen und vorausblickenden Thätigkeit einer nachsinnenden Intelligenz (wie in der Uhrmacherei oder bei der Schöpfung) — sondern der Thätigkeit sekundärer oder natürlicher Ursachen den Ursprung verdanken, welche unter dem Einfluß dessen wirken, was wir allgemeine Naturgesetze nennen, dann kommt es mir so vor, als ob die Anpassungen der Mittel an die Zwecke, wie zahlreich und wie wundervoll sie auch in der organischen Natur sein mögen, doch keinen anderen oder zwingenderen Beweis für einen Zweck liefern als irgend eine Thatsache der unorganischen Natur.

[S. 50]

Der Klarheit halber wollen wir einen besonderen Fall nehmen. Paley sagt: „ich weiß keine bessere Methode, um in einen so wichtigen Gegenstand einzuführen, als wenn ich ein einzelnes Ding mit einem anderen einzelnen Ding vergleiche, z. B. das Auge mit einem Fernglas.“ Er fährt dann fort, indem er die Analogieen zwischen diesen beiden Apparaten feststellt, und fragt zuletzt: wie ist es bei so naher Verwandtschaft und unter dem Eindruck gleicher Beweiskraft möglich, in Bezug auf das Auge die Zwecksetzung auszuschließen und doch in Bezug auf das Teleskop es als die einfachste und klarste von allen Annahmen anzunehmen, daß hier ein Plan gewaltet hat?

Nun wohl, die Antwort lautet, daß diese Analogie nur auf Grund der Hypothese der Schöpfung im Einzelnen aufrecht zu halten ist, auf Grund der Hypothese einer Entwicklung durch natürliche Ursachen ist die Beweiskraft in beiden Fällen nicht dieselbe, denn nach dieser Hypothese fängt das Auge nicht als ein fertiges Gebilde an, das zum Zweck des Sehens gemacht ist, sondern blos als eine Differenzierung der Nervenenden in der Haut, die zunächst wahrscheinlich dazu diente, den Wechsel der Temperatur besser zu unterscheiden. Nachdem nun an diesen Stellen ein Pigment abgelagert worden war, wodurch jener Zweck (ich benutze der Kürze wegen teleologische Ausdrücke) besser erreicht wurde, begannen die Nervenenden Licht und Dunkel zu unterscheiden. Um diesen weiteren Zweck besser zu erreichen, erschien die einfachste Form einer Linse in Gestalt kleiner, lichtbrechender Körper. Dahinter entwickelten sich leicht empfindliche Stellen, welche die erste Andeutung einer Netzhaut als einfache Schicht sind. Und so geht es fort, Schritt für Schritt, bis wir das Auge eines Adlers haben.

Ein Teleologe wird hier natürlich antworten: „Die Thatsache eines so allmählichen Aufbaues ist kein Beweis gegen die Zwecksetzung: ob nun die Struktur plötzlich erschien oder das Ergebnis einer langsamen Ausarbeitung war, die [S. 51] Merkmale einer Zwecksetzung sieht man in beiden Fällen in der vorliegenden Struktur.“ Alles dies ist sehr richtig, aber ich behaupte auch nicht, daß die Thatsache der allmählichen Entwicklung an sich selbst das Argument einer Zwecksetzung beeinflußt. Ich behaupte nur, daß es dies bloß deshalb thut, weil es die Möglichkeit zeigt (was durch die Hypothese einer plötzlichen Schöpfung im Einzelnen ausgeschlossen ist), daß die Struktur unmittelbar durch die Thätigkeit natürlicher Ursachen entstanden ist. So wollen wir um des Arguments willen einmal annehmen, daß die natürliche Zuchtwahl als eine für alle diese Wirkungen hinreichende Ursache in befriedigender Weise festgestellt worden ist. Also, die Thatsachen der Vererbung, der Variation, des Kampfes ums Dasein und des Überlebens des Passendsten einmal zugegeben, was folgt daraus? Nun, daß jeder Schritt in der längeren, allmählichen Entwicklung des Auges durch die Ausscheidung aller weniger angepaßten Formen jeder Generation hervorgebracht wurde, d. h. durch die Zuchtwahl derjenigen Formen, welche besser geeignet sind, die Art durch Vererbung zu vervollkommnen. Will der Teleologe dann behaupten, daß dieser Zuchtwahl-Prozeß selbst ein Zeichen von Zwecksetzung im Einzelnen ist, nun, dann scheint es mir so, als ob er logischer Weise zu der Behauptung gezwungen wäre, die Reihen von Seegras, die Muscheln, die Steine und die kleinen Haufen von Purpursand an der Meeresküste seien auch alle in gleicher Weise ein Zeichen für Zwecksetzung. Die allgemeinen Gesetze, welche [in der unorganischen Natur. — Der Übersetzer] auf dem spezifischen Gewicht beruhen, sind im Haushalt der Natur wenigstens ebenso wichtig wie die allgemeinen Gesetze, die sich auf spezifische Differenzierung [in der organischen Natur. — Der Übersetzer] beziehen: in allen ähnlichen Beispielen finden wir, daß das Resultat der Wirksamkeit der bekannten natürlichen Ursachen eine Auswahl ( selection ) ist. Wenn entgegnet werden sollte, daß die Auswahl in dem einen Fall offenbar absichtslos, in dem andern offenbar absichtlich stattfand, so antworte ich: dies ist doch nur eine bloße Vermutung. [S. 52] Es ist vielleicht nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß jede geologische Formation auf der Erdoberfläche entweder ganz oder teilweise ihr Dasein dem auswählenden Einfluß des spezifischen Gewichts verdankt, und wer kann sagen, daß der Aufbau der Erdrinde im allgemeinen Plan der Schöpfung (wenn es einen solchen giebt) ein weniger wichtiger Gegenstand ist als die Entwicklung eines Auges? Oder könnte, da wir als das Resultat der Zuchtwahl beim Auge eine offenbar absichtliche Anpassung der Mittel an den Zweck erkennen, nicht auch in dem Resultat der Auswahl bei Seegras, Steinen, Sand und Schlamm eine Absicht erkannt werden? Könnte die mutmaßliche Vernunft nicht im Gegenteil eine größere Freude an dem letzteren als an dem ersteren Prozeß gehabt haben?

Der Verständlichkeit wegen habe ich angenommen, daß die natürlichen Ursachen, mit denen wir schon bekannt sind, hinreichen, um die beobachteten Erscheinungen der organischen Natur zu erklären. Aber es ist natürlich ganz gleichgiltig, ob die Richtigkeit dieser Annahme zugestanden wird oder nicht, wenn wir nur zugeben, daß die beobachteten Erscheinungen alle aus natürlichen Ursachen bekannter oder unbekannter Art stammen; d. h. in dem Maße, in welchem wir die Hypothese des direkten oder unmittelbaren Eingreifens der Gottheit in die organische Natur (ein Wunder) ausschließen, in demselben Maße bringen wir den aus der organischen Natur gefolgerten Beweis der Zwecksetzung auf dieselbe logische Stufe, auf der ein aus der unorganischen Natur gefolgerter Beweis der Zwecksetzung steht. Daraus folgt für mich, daß Mill einen auffallenden Mangel an Scharfsinn gezeigt hat. Nachdem er nämlich in Bezug auf die natürliche Zuchtwahl bemerkt hat: „vorhergehende Überlegung eines Schöpfers ist durchaus nicht das einzige Band, durch welches die Entstehung des wunderbaren Mechanismus des Auges mit der Thatsache des Sehens verknüpft werden kann,“ fährt er fort: „wenn man nun diese bemerkenswerte Spekulation (d. h. über die natürliche Zuchtwahl) [S. 53] dem Schicksal überläßt, das ihr der Fortschritt der Wissenschaft aufgespart haben mag, dann fallen beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse die Anpassungen in der Natur schwer ins Gewicht zu Gunsten einer Schöpfung durch eine Intelligenz.“ Ich sage, diese Stelle scheint mir einen eigentümlichen Mangel an Scharfsinn zu zeigen, und zwar deshalb, weil sie von der Voraussetzung auszugehen scheint, daß es sich hier um eine Wahl zwischen der Hypothese der speziellen Zwecksetzung und der Hypothese der natürlichen Zuchtwahl handelt. So ist es aber nicht. Es handelt sich thatsächlich um die Wahl zwischen der Hypothese der speziellen Zwecksetzung und den natürlichen Ursachen. Das Überleben des Passendsten ist eine der angenommenen Ursachen, welche zufolge einer großen Menge von Beweisgründen wahrscheinlich eine wirkliche Ursache ist. Aber selbst wenn es als Ursache zurückgewiesen worden wäre, so würde die wahre Beweiskraft der Teleologie dadurch nicht berührt werden, wenn wir nicht etwa zu dem Schluß gezwungen wären, daß es keine anderen Ursachen sekundärer und natürlicher Art bei der Entstehung der beobachteten Anpassungen geben kann.

Ich glaube nun hinreichend klar gezeigt zu haben, warum wir nach meinem Dafürhalten, wenn sich die Herrschaft der Naturgesetze oder die Wirkung natürlicher Ursachen in der organischen Natur ebenso wie in der unorganischen offenbart, für eine Zwecksetzung in dem einen Gebiet keinen besseren Beweis als in dem anderen finden können. Die Thatsache, daß wir in dem einen Gebiet zahlreichere und anscheinend vollständigere Beispiele von Zwecksetzung antreffen als in dem anderen, ist vermutlich nur unserer Unkenntnis der natürlichen Kausalität in dem verwickelteren Gebiet zuzuschreiben. Beim Studium der biologischen Erscheinungen sind wir bezüglich unseres Verständnisses gegenwärtig alle in derselben Lage wie unser gedachter Teleologe beim Studium der Meeresbucht: wir kennen eben nicht die natürlichen Ursachen, welche die beobachteten Wirkungen hervorgebracht haben. Aber wenn wir schon jetzt [S. 54] einen wenigstens teilweise passenden Schlüssel in der Theorie der natürlichen Zuchtwahl gefunden haben und daher nun dem umfassenden aus den einfacheren Gebieten der Natur geschöpften Analogon zufolge schließen, daß die natürlichen Ursachen auch überall bei der Erzeugung organischer Gebilde eine Rolle spielen, dann folgt daraus auch, daß jeder Beweis für eine Zwecksetzung, welchen diese Gebilde darbieten, genau denselben logischen Wert hat wie der Beweis für die Zwecksetzung, den wir aus der unorganischen Natur gefolgert haben. Wenn man noch hervorheben sollte, daß die Anpassungen, denen man in der organischen Natur begegnet, ihrer Zahl und Einheitlichkeit wegen viel mehr für eine Zwecksetzung sprechen als irgend etwas in der unorganischen Natur, so muß ich erklären, daß damit die Grundlage des Arguments vertauscht und der einzige in Frage stehende Punkt aufgegeben wird. Niemand leugnet diese offenbar feststehende Thatsache: aber die Frage ist ja, ob eine gewisse Menge von Anpassungen in dem einen Gebiet der Natur einen anderen und besseren Beweis für die Zwecksetzung liefern können als die Anpassungen in anderen Gebieten, wenn doch zugestandener Maßen alle Gebiete in gleicher Weise der Ausfluß natürlicher Kausalität sind. Und diese Frage verneine ich, weil wir kein Mittel haben, um die Ausdehnung zu bestimmen, in welcher der Prozeß der natürlichen Zuchtwahl oder irgend eine andere natürliche Ursache im Stande ist, Anpassungen der beobachtenden Art hervorzubringen.

So hat man, um ein anderes Beispiel scheinbarer Zwecksetzung aus der unorganischen Natur zu nehmen, behauptet, daß die Zusammensetzung der Atmosphäre offenbar den Zweck hat, das pflanzliche und tierische Leben zu unterhalten. Aber bevor man diesen Schluß aus den Thatsachen ziehen kann, muß man zeigen, daß das Leben unter keinen anderen stofflichen Bedingungen existieren könnte als die sind, welche die Zusammensetzung der Luft aus ihren Elementen darbietet. Das zu zeigen, ist aber offenbar unmöglich. Im Gegenteil, [S. 55] das Leben kann thatsächlich auf anderen Himmelskörpern unter gänzlich anderen Bedingungen der Atmosphäre bestehen; und die Thatsache, daß auf diesem unseren Planeten alles Leben von den in unserer Atmosphäre vorkommenden Gasen abhängig geworden ist, kann einfach aus der Thatsache entspringen, daß nur das Auftreten derjenigen Lebensformen möglicherweise erwartet werden konnte, welche sich (durch natürliche Zuchtwahl oder andere natürliche Ursachen) diesen besonderen Gasen anpassen konnten, — gerade so wie im kleineren Verhältnis nur jene Lebensformen, welche ihren besonderen Standorten in der Meeresbucht angepaßt waren, möglicherweise in den vorliegenden Verhältnissen erwartet werden konnten. Wenn man nun derartig zeigen kann, daß eine Reihe von so zahlreichen und feinen Anpassungen, wie die, von denen die Beziehungen jeder bekannten Lebensform zu den die Atmosphäre zusammensetzenden Gasen abhängen, nicht notwendiger Weise die Thätigkeit irgend einer ordnenden Intelligenz fordern, — wie ist dann der Schluß möglich, daß irgend eine weniger allgemeine Anpassungsreihe dies fordern sollte? — so lange doch wenigstens nicht, als jeder Fall von Anpassung, mag er nun im letzten Grunde auf eine Zwecksetzung zurückzuführen sein oder nicht, zunächst aus natürlichen Ursachen entspringt.

Angesichts dieser Betrachtungen denke ich, ist es daher ganz klar, daß das Argument der Teleologie, wenn überhaupt, dann nur dadurch gerettet werden kann, daß man von der engen Grundlage der einzelnen Anpassungen auf das breite Gebiet der Natur als ein Ganzes übergeht. Und hier, ich bekenne es, gewinnt das Argument für mich ein Gewicht, welches, wenn lange und aufmerksam erwogen, als außerordentlich bezeichnet zu werden verdient. Denn wenn auch diese und jene besondere Anpassung in der Natur als zunächst aus natürlichen Ursachen entspringend betrachtet werden kann und wenn wir auch auf Grund einer größtmöglichen Analogie zu dem Schluß geführt werden, daß auch alle anderen derartigen besonderen Fälle in gleicher Weise auf natürliche Ursachen zurückzuführen [S. 56] sind, so erhebt sich die mehr auf den „ letzten “ Grund zielende Frage: Wie kommt es, daß alle natürlichen Ursachen durch ihre gemeinsame Wirksamkeit eine allgemeine Ordnung in der Natur hervorbringen? Es ist gegen alle Analogie, wenn man annehmen will, daß ein derartiges Resultat durch solche Mittel, wie sie der reine Zufall oder „das zufällige Zusammentreffen von Atomen“ bieten, erreicht werden könnte. Wir werden durch die wichtigsten Fundamentalsätze unserer Vernunft zu dem Schluß geführt, daß es irgend eine Ursache für dieses Zusammenwirken der Ursachen geben muß. Ich weiß, daß dies seit den Tagen des Lucretius geleugnet worden ist, aber das geschah nur aus Gründen des Gefühls.

Es ist nicht möglich, für diese Leugnung einen Vernunftgrund anzugeben, der nicht selbst wieder dem Gesetz der Kausalität zuwider liefe. Ich bin mir daher dessen völlig bewußt, daß die einzige Frage, welche hier von einem rein vernunftgemäßen Standpunkt aus zu beantworten ist, diese ist: „Welcher Art muß die causa causarum (die Ursache aller Ursachen) sein?“

Über diesen Punkt sind überhaupt nur zwei Hypothesen aufgestellt worden, ich halte es aber auch für unmöglich, noch irgend eine dritte zu erdenken. Von diesen beiden Hypothesen ist die älteste und die natürlich am nächsten liegende die einer geistigen Zwecksetzung. Die andere Hypothese verdanken wir den weitreichenden Gedanken Herbert Spencers. Im siebenten Kapitel seiner „ first principles “ führt er aus, daß alle Kausalität unmittelbar aus dem Dasein als solchem folgt, oder, wie er es ausdrückt, daß „die Gleichförmigkeit des Gesetzes unabweislich aus der Erhaltung der Kraft folgt“: denn „wenn in zwei beliebigen Fällen völlige Übereinstimmung besteht, nicht nur zwischen jenen völlig klaren Antecedentien (vorhergehenden Vorgängen), welche wir als die Ursachen erkennen, sondern auch zwischen jenen begleitenden Antecedentien, welche wir die Bedingungen nennen, dann können wir nicht annehmen, daß die Wirkungen verschieden sein werden, es müßte denn [S. 57] sein, daß entweder irgend eine neue Kraft ins Dasein getreten wäre oder daß irgend eine alte Kraft aufgehört hätte zu wirken. Wenn die zusammenwirkenden Kräfte in dem einen Fall denen im andern gleich sind in Bezug auf Verteilung und Stärke, dann ist es unmöglich zu begreifen, weshalb die Wirkung bei ihrer vereinten Thätigkeit in dem einen Fall anders sein sollte als in dem anderen, man müßte dann denken, daß eine oder mehrere von den Kräften sich der Quantität nach verstärkt oder abgeschwächt haben, dann aber wäre die Kraft als nicht beharrend zu denken.“

Diese Erklärung der Ursächlichkeit als unmittelbarer Ausfluß des Daseins ist nun für uns einmal als Theorie der Kausalität und dann wegen ihrer Beziehung zum Theismus von Interesse. Als Theorie der Kausalität hat sie nicht den Beifall der Mathematiker, Naturforscher und Philosophen gefunden, die führenden Männer aller dieser Wissenschaften haben ihr ausdrücklich widersprochen, während meines Wissens kein Vertreter derselben zu ihren Gunsten gesprochen hat. [29]

Aber dieser Umstand geht mich eben nichts an; denn selbst zugegeben, daß die Theorie voll und ganz eine Erklärung der Ursächlichkeit bietet, so würde sie doch nicht genügen, um die harmonische Beziehung der Ursachen zu einander oder die Thatsache zu erklären, mit der allein wir uns jetzt beschäftigen. Dies wird von dem anonymen Autor „Physikus“ nicht beachtet, der in seiner „Unbefangenen Prüfung des Theismus“ großes Gewicht auf Spencers Theorie der Kausalität legt, [S. 58] insofern sie den Theismus stürze oder wenigstens die Notwendigkeit der theistischen Hypothese abschwäche, weil sie eine volle Erklärung der Naturordnung auf rein natürlichem Boden liefere. Aber er unterläßt die Bemerkung, daß Spencers Theorie, selbst wenn man zugiebt, daß sie alle Thatsachen der Ursächlichkeit voll und ganz erklärt, doch in keiner Weise den Kosmos erklärt, in welchem diese Thatsachen auftreten. Es mag wahr sein, daß die Ursächlichkeit von der Erhaltung der Kraft abhängt; es folgt aber daraus nicht, daß alle Kraftäußerungen aus diesem Grunde so auftreten müssen, wie sie gerade auftreten. Denn wenn wir irgend eine Reihe von natürlichen Ursachen rückwärts verfolgen, so finden wir bald, daß sie sich nach allen Seiten in ein Netzwerk von natürlichen Beziehungen ausbreiten, die buchstäblich sowohl im Raum (Bedingungen) als auch in der Zeit (vorhergehende Ursachen) unbegrenzt sind. Wenn wir nun auch annehmen, daß die Erhaltung der Kraft eine hinreichende Erklärung für das Zustandekommen der besonderen Folgewirkung ist, soweit es sich um die Äußerung von Kraft handelt, so sind wir doch noch so weit wie je davon entfernt, erklären zu können, weshalb diese Kraft gerade für den besonderen Kanal, in dem sie fließt, bestimmt ist. Es mag durchaus wahr sein, daß die Resultierende (d. h. die aus vorhergehenden Ursachen, den Komponenten, sich ergebende Wirkung oder Kraft. — Der Übersetzer) nach Größe und Richtung durch die Komponenten bestimmt wird, aber wie steht es mit Größe und Richtung der Komponenten selbst? Wenn gesagt wird, daß sie ihrerseits durch das Zustandekommen der vorhergehenden Systeme [von Ursachen] bestimmt werden, wie steht es dann mit diesen Systemen? Und so geht es weiter, bis wir uns in dem schon erwähnten, unbegrenzten Netzwerk verlieren. Nur wenn wir den Ursprung aller Reihen aller dieser Systeme wüßten, dann könnten wir in der Lage sein zu sagen, daß eine entsprechende Intelligenz durch Berechnung den Zustand eines jeden Teils des Universums in einem gegebenen Zeitpunkt vorher bestimmen [S. 59] konnte. Da aber die Reihen sowohl nach Zahl wie nach Ausdehnung unbegrenzt sind, so kann man von einer solchen Kenntnis natürlich überhaupt gar nicht reden. Überdies, selbst wenn dies als möglich gedacht werden könnte, so könnte es nur auf Kosten der Annahme eines Ursprungs der natürlichen Ursächlichkeit in der Zeit geschehen; und dies läuft auf die Annahme eines Zustands der Dinge hinaus, der vor einer solchen Ursächlichkeit lag und aus dem letzteren entsprang. Dies heißt aber eine übernatürliche Quelle der natürlichen Kausalität annehmen; und ob nun diese Annahme mit Bezug auf ein natürliches Ereignis gemacht wird, welches unter unmittelbarer Beobachtung stattfand (und dies wäre ein Wunder), oder mit Bezug auf ein natürliches Ereignis in der Vergangenheit oder endlich mit Bezug auf den Ursprung aller natürlichen Ereignisse, — so ist sie doch in gleicher Weise unvereinbar mit jeder Theorie, welche eine rein natürliche Erklärung des Universums als Ganzes zu geben versucht. Kurz, es ist die alte Geschichte von einem Strom, der sich nicht über seine Quelle erheben kann. Die natürliche Ursächlichkeit kann nicht dazu verwendet werden sich selbst zu erklären, und die bloße Erhaltung der Kraft kann, selbst wenn sie zugestandenermaßen zur Erklärung besonderer Fälle einer natürlichen Folgenreihe genügte, kein zureichender Grund für die allgegenwärtige und ewige Leitung der Kraft bei dem Aufbau und der Erhaltung der Weltordnung sein.

So werden wir also zu der Anerkennung getrieben, daß uns die Theorie des Theismus die einzige wirkliche Erklärung der Weltordnung bietet. Das soll besagen: durch kein logisches Kunststück können wir uns dem Schluß entziehen, daß diese Weltordnung, so weit unser Verständnis reicht, irgend einem sie ergänzenden Prinzip den Ursprung verdanken muß, und daß das letztere, so weit wir sehen können, höchst wahrscheinlich geistiger Natur sein muß. Zum wenigsten aber muß zugegeben werden, daß wir die Weltordnung unter keinem anderen Gesichtspunkt begreifen können, und daß, wenn [S. 60] irgend eine besondere Anpassung in der organischen Natur nach unserem Dafürhalten auf eine solche Thätigkeit hinweist, die Gesamtsumme aller Anpassungen in dem Universum dies in noch unvergleichlich höherem Maße thun muß. Ich werde indessen hierbei nicht verweilen, da dies schon von einigen modernen Schriftstellern und mit besonderer Überzeugungskraft von Baden Powell erörtert worden ist. Ich will nur bemerken, daß wir bei der Darstellung dieses Arguments zu Gunsten des Theismus meines Erachtens nicht von „Naturgesetzen“ zu sprechen brauchen. Wir brauchen uns nur auf die [großartige] allgemeine Thatsache zu berufen, daß die Natur ein geordnetes System ist und daß die in ihr beobachtete Ordnung durchaus universal, von ewiger Dauer und unendlich exakt ist; denn nur dann, wenn dies der Fall ist, ist es begreifbar, daß eine Erfahrung für uns möglich ist oder daß wir eine Erkenntnis erlangen können.

Nachdem ich nun möglichst nachdrücklich festgestellt habe, daß nach meiner Meinung eine andere Erklärung der allgemeinen Naturordnung weder begriffen noch aufgestellt werden kann als die, welche auf eine Intelligenz als höchste leitende Ursache zurückgeht, werde ich zu zwei anderen Fragen übergehen, die unmittelbar aus dieser Erklärung entspringen. Die erste von diesen Fragen bezieht sich auf den mutmaßlichen Charakter jener höchsten Intelligenz, insofern durch unsere Naturbeobachtung irgend welche Anhaltspunkte für denselben zu gewinnen sind; die andere Frage ist die nach der streng formalen Überzeugungskraft irgend welcher Schlüsse mit Bezug auf die Existenz oder den Charakter solch einer Intelligenz. [30] Ich werde diese beiden Fragen getrennt betrachten.

Wenn wir zu dem Schluß gelangt sind, daß die einzige Hypothese, welche eine Erklärung der allgemeinen Naturordnung zuläßt, die ist, daß sie aus einer Ursache geistiger Art [S. 61] entspringt, — so stehen wir vor der Thatsache, daß diese Ursache himmelweitverschieden von allem sein muß, was wir von dem Geist in uns selbst erkennen. Und alsbald entdecken wir, daß diese Verschiedenheit nicht bloß dem Grade nach, mag dies noch so weit gehen, sondern auch der Art nach aufgefaßt werden muß. Mit anderen Worten: wenn wir auch schließen können, daß die nächste Analogie für den causa causarum , die uns die Erfahrung bietet, der menschliche Geist ist, so müssen wir doch sagen, daß diese Analogie in allen grundlegenden Punkten so fern liegt, daß sich die Frage erhebt, ob wir der Wahrheit wirklich sehr viel näher kommen, wenn wir sie aufrecht halten. So ist z. B., wie Spencer festgestellt hat, unsere einzige Vorstellung von dem, was wir als Geist in uns selbst erkennen, die Vorstellung von einer Reihe von Bewußtseinszuständen. Aber er fährt fort: „nimm eine Reihe von Bewußtseinszuständen als Ursache und das sich entwickelnde Universum als Wirkung, und dann bemühe dich einmal das letztere als aus dem ersteren entspringend zu erkennen. In etwas unklarer Weise kann ich mir wohl vorstellen, daß eine Reihe von Bewußtseinszuständen für irgend eine der Bewegungen, die ich vor sich gehen sehe, das Antecedens (Vorhergehende) ist; denn meine eigenen Bewußtseinszustände sind oft indirekt die Antecedenten solcher Bewegungen. Aber wie steht es, wenn ich versuche an eine solche Reihe als Antecedens aller Wirkungen im ganzen Universum zu denken ....? Wenn wegen der Unbegrenztheit der überall stattfindenden natürlichen Veränderungen „ein Geist als vorhanden begriffen werden muß“, „unter der Gestalt einfacher Kräfte“, dann folgt doch daraus, daß der Geist, um derartig begriffen zu werden, aller Eigenschaften, durch welche er (beim Menschen. — Der Übs.) gekennzeichnet wird, entkleidet werden muß; ein Begriff aber, der so aller seiner kennzeichnenden Eigenschaften entkleidet wird, verschwindet in sich: — das Wort „Geist“ steht dann also da als eine unbekannte Größe“. Und mehr noch, „wie soll man es sich denken, daß der [S. 62] schöpferische Geist Zustände durch Naturkörper hervorbringt, die ihm gegenüber objektiv sind, daß er zwischen diesen Zuständen unterscheidet, daß er sie als ähnlich oder unähnlich klassifiziert und daß er ein objektives Resultat dem anderen vorzieht?“ [31] .

Ohne diese Gedanken weiter auszuführen, was sich unschwer in Bezug auf jede wesentliche Seite menschlicher Psychologie machen ließe, können wir es als unfraglich ansehen, daß der göttliche Geist, wenn er wirklich vorhanden ist, so wesentlich vom menschlichen Geist verschieden sein muß, daß es unlogisch ist, die beiden mit demselben Namen zu bezeichnen: die Eigenschaften der Ewigkeit und Allgegenwart genügen an sich ja schon, um einen solchen Geist in eine besondere Kategorie zu stellen, die gänzlich verschieden von allem ist, was das Analogon unsers eignen Geistes uns, wenn auch nur dunkel, je begreiflich machen könnte. Und ganz dasselbe behaupten ja auch die Theologen. „Gottes Gedanken“, sagen sie, „sind höher als unsere Gedanken, und ein Gott, der für unsere Intelligenz faßbar wäre, würde überhaupt kein Gott sein“. Das mag ja ganz richtig sein, allein wir müssen uns dann doch sagen, daß wir in demselben Maße, wie uns das Verständnis des göttlichen Geistes verschlossen ist, auch unfähig sind nach den vom menschlichen Geist gebotenen Analogieen irgend welche Schlüsse auf seine Natur zu ziehen. Die Theorie hört auf anthropomorphistisch, ja sogar anthropopsychisch zu sein, sie hat mit dem Begriff des Geistes nur noch in sofern etwas zu thun, als er am besten eine vorläufige, faßbare Rechenschaft von der Naturordnung giebt, indem sie (in dem weltschöpferischen Geist — D. Ü.) einige Fähigkeiten des menschlichen Geistes als vorhanden aber unendlich vergrößert annimmt, zugleich aber auch alle wesentlichen Bedingungen vernichtet, unter denen allein diese Fähigkeiten, soweit [S. 63] wir wissen, existieren können. Es ist klar, daß eine Aussage von einem solchen Geist logisch unmöglich ist. Wenn er existiert, dann ist seine Existenz unbegreiflich, und es ist ausgeschlossen, daß wir ihm irgend welche Eigenschaften zuschreiben dürfen.

So viel von der allgemeinen Grundlage (der Annahme eines dem Menschengeist ähnlichen Schöpfergeistes — D. Ü.). Wenn wir nun zu Einzelheiten übergehen, so wollen wir mit den Vertretern der natürlichen Theologie annehmen, daß solch ein Geist existiert, daß er dem menschlichen Geist in soweit ähnelt, als er eine selbstbewußte, persönliche Intelligenz ist und daß sich die Fürsorge eines solchen Geistes über alle seine Werke erstreckt. Selbst auf Grund dieser Annahme begegnen wir einer Menge von bedeutsamen und allgemeinen Thatsachen, welche anzeigen, daß dieser Geist doch noch als seinem „Ebenbild“ im Geist des Menschen augenscheinlich sehr unähnlich betrachtet werden muß. Ich will mich hier nicht auf die Thatsache berufen, daß es in der Natur ein unnützes und zweckloses Handeln giebt, weil man dem meines Erachtens sehr wohl ein anderes aus der Anschauung der Natur als Ganzes entnommenes Argument entgegenhalten kann — daß nämlich die Natur als Ganzes ein geordneter Kosmos ist und daß daher das, was uns im Einzelnen als unnütz und zwecklos erscheint, in Bezug auf das große System der Dinge als ein Ganzes nicht zwecklos sein mag. Zweifelhaft aber ist es mir, ob man dann weiterhin dieses letztere Argument demgegenüber anführen darf, daß in der Natur offenbar das fehlt, was man beim Menschen „Moralität“ nennt. Denn in dem menschlichen Geist ist das Gefühl für Recht und Unrecht — mit allen jenen Affekten, die es begleiten und bilden: Liebe, Sympathie, Gerechtigkeit u. s. w. — ein so wichtiger Faktor, daß wir uns, wie groß auch die intellektuelle Seite des menschlichen Geistes gedacht werden mag, doch kaum dabei die moralische Seite so augenscheinlich verdunkelt denken könnten, daß sie in der Schöpfung eines solchen Werkes aufgehen sollte, [S. 64] wie wir es in der irdischen Natur finden. Es ist unnütz unsere Augen vor dem Zustand der Dinge, der uns hier begegnet, zu schließen. Die meisten Beispiele spezieller Zwecksetzung, auf welche sich die Vertreter der natürlichen Theologie beziehen, um die intelligente Natur der „ersten“ Ursache zu beweisen, haben als Ziel oder Gegenstand die Strafe eines schmerzreichen Todes oder die Flucht vor grausamen Feinden, aber gerade in dieser Hinsicht ist das Argument zu Gunsten der intelligenten Natur der „ersten“ Ursache ein Argument gegen ihre Moralität. Wenn wir wiederum die engere Grundlage verlassen, auf welcher das teleologische Argument früher ruhte, und es auf die breitere Grundlage der Natur als ein Ganzes stellen, so ist es kaum weniger unvereinbar mit der Moralität jener Ursache; denn wir sehen, daß die Thatsachen, auf die ich angespielt habe, nicht nur zufälliger Natur sind und sozusagen von entgegengesetzten Thatsachen allgemeinerer Art ausgewogen werden, sondern daß sie augenscheinlich das wichtigste Kennzeichen des Systems der organischen Natur als ein Ganzes darstellen; wenn man dies aber für fraglich hält, dann würden wir nicht mehr zu dem Schluß berechtigt sein, daß es überhaupt ein solches System giebt.

Daß die Natur an Zähnen und Klauen rot vor Blutgier ist, das ist also ohne Frage eine Thatsache von weitgehender und allgemeiner Bedeutung, die von jeder Theorie der Teleologie berücksichtigt werden muß. Diese Seite unserer Frage kann wohl kaum in stärkeren Ausdrücken wiedergegeben werden, als es von „Physikus“ [32] geschehen ist, den ich daher hier zitieren werde:

„Nehmen wir einmal an, die Gottheit sei, wie Professor Flint behauptet, allmächtig, dann ist doch sicherlich der Schluß im höchsten Grade berechtigt, daß ein derartiges allgemeines Leiden, mag es auch immer bezwecken, was es will, einen unberechenbar [S. 65] größeren Mangel an Barmherzigkeit im göttlichen Charakter zeigt als in irgend einem, auch dem schlechtesten, menschlichen Charakter. Laßt uns doch einen Augenblick einhalten und bedenken, was das Leiden in der Natur bedeutet. Vor einigen hundertmillionen Jahren sind Millionen und aber Millionen von Tieren zum Gefühl erwacht. Seit jener Zeit bis zur Gegenwart muß es Millionen und aber Millionen von Generationen von Millionen und aber Millionen von Individuen gegeben haben. Und während dieser ganzen Zeit von unberechenbarer Dauer hat dieses unfaßbar große Heer fühlender Wesen in einem Zustand des unaufhörlichen Kampfes, der Furcht, der Raubgier und der Schmerzen gelebt. Wenn wir das Ergebnis dieser Thatsachen betrachten, so finden wir, daß mehr als die Hälfte der Arten, welche den endlosen Kampf überlebt haben, in ihren Lebensgewohnheiten Parasiten geworden sind, also niedrigere und empfindungslose Lebensformen, welche sich von höheren und empfindenden Formen nähren: da sehen wir Zähne und Krallen, die zum Mord gewetzt, Hacken und Saugnäpfe, die zur Qual gebildet sind, — überall eine Herrschaft des Schreckens, des Hungers, der Krankheit, mit strömendem Blut und zuckenden Gliedern, mit keuchendem Atem und unschuldigen Augen, die sich trübe in den Todesschauern grausamer Qual schließen. Will man etwa entgegnen, daß es zur Entschädigung auch Freuden giebt? Ich will das nicht gegen einander abwägen, die Freuden fasse ich einfach als ebenso natürlich notwendig auf wie die Schmerzen, einerlei ob die Entwicklung einer Zwecksetzung entspringt oder nicht ...... Will man mir aber vielleicht einwerfen, daß ich nicht berechtigt bin über die Zwecke des Allmächtigen zu urteilen? Ich antworte: wenn es Zwecke giebt, dann bin ich auch meines Erachtens berechtigt über sie zu urteilen; und wenn ich über Zwecke urteilen darf, falls sie wohlthätig zu sein scheinen, dann bin ich folgerichtig gezwungen auch über die zu urteilen, welche unbarmherzig zu sein scheinen. Es ist auch nicht möglich, die letzteren durch [S. 66] den Hinweis auf die Ordnung und Schönheit als Endziel zu mildern, wenn man weiß, daß die von dem „allmächtigen Zwecksetzer“ angewandten Mittel so [schreckliche] gewesen sind. Alles, was wir berechtigter Weise in dieser Sache behaupten könnten, würde sein, daß er unseren Beobachtungen zufolge für die Vervollkommnung der Tiere sorgt, selbst unter Hintansetzung ihrer Lebensfreuden, ja selbst unter gänzlicher Mißachtung ihrer Leiden. Aber dies behaupten würde doch nur heißen die Wohlthätigkeit als eine Eigenschaft Gottes leugnen“. [33]

Dieses Räsonnement ist ebenso unanfechtbar wie klar. Wenn wir, wie der Verfasser weiter sagt, ein Kaninchen in den eisernen Klauen einer Falle zittern sehen und die teuflische Natur des Wesens verabscheuen, welches sehr gut weiß, was Schmerz bedeutet, und doch mit vollem Bewußtsein seine ganze Erfindungsgabe anwendet, um ein so scheußlich grausames Ding zu ersinnen, — was sollen wir dann von einem Wesen denken, welches mit noch höheren geistigen Fähigkeiten und mit einer unbeschränkten Fähigkeit die Mittel zur Sicherung seiner Ziele zu wählen begabt ist und welches doch unsagbar viele Tausende von nicht weniger teuflischen Mechanismen ersonnen hat? Kurz, so weit uns die Natur belehren kann und soweit die „Beobachtung reicht“, scheint es, als ob das Natursystem, wenn es überhaupt eins giebt, die Schöpfung eines Geistes darstellt, der sich von dem höher entwickelten menschlichen Geist dadurch unterscheidet, daß er unermeßlich intelligenter ist ohne auch nur annähernd so moralisch zu sein. Und dasselbe wird durch die rohe und gar keinen Unterschied machende Art angezeigt, in welcher die Gerechtigkeit abgemessen wird — wenn man überhaupt sagen kann, daß dies geschieht. Wenn wir die Bestimmtheit und Strenge, mit welcher jedes Vergehen gegen die „Naturgesetze“ von der Natur bestraft wird (gleichgültig, ob es auch nur aus Unwissenheit [S. 67] entspringt), mit der außerordentlichen Unbestimmtheit und Laxheit vergleichen, mit welcher sie einem Vergehen gegen die „moralischen Gesetze“ begegnet, — dann müssen wir doch fühlen, daß dieses System der Gesetzgebung (wenn wir es überhaupt so nennen dürfen) gänzlich von einem verschieden ist, welches eine irgendwie anthropopsychisch zu nennende Intelligenz erdacht haben würde.

Die einzige Antwort, welche die Vertreter der natürlichen Theologie auf diese schwierigen Fragen noch geben könnten, bezieht sich auf die Beschaffenheit des menschlichen Geistes. Es wird behauptet: die Thatsache, daß dieser Geist seinem Wesen nach eine verhältnismäßig so hohe Moralität besitze, möchte doch wohl ein Beweis dafür sein, daß die Quelle, die ihm den Ursprung gab, in gleicher Weise einen moralischen Charakter habe. Dieses Argument erscheint mir jedoch fragwürdig, denn, soviel wir wissen können, kann der moralische Sinn dem Menschen gegeben worden sein oder sich in ihm entwickelt haben, einfach wegen seiner Nützlichkeit für die Spezies — ganz in derselben Weise wie die Zähne des Haifisches und das Gift der Schlange. Wenn dem so ist, dann würde das Auftreten des moralischen Sinnes beim Menschen nur ein weiterer Beweis dafür sein, daß die intellektuelle Natur Gottes von seiner moralischen wohl zu unterscheiden ist; und es scheint kein Grund vorhanden zu sein, weshalb wir die Sache von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachten sollten. Die Thatsache, daß uns der moralische Sinn als ein so großes und heiliges Ding erscheint, ist zweifellos (von jedem Gesichtspunkt aus) die Folge seiner Bedeutung für die Wohlfahrt unserer Spezies. An sich oder wie er anderen möglichen Wesen erscheint, die gleich uns intelligent sind, aber unter anderen Lebensbedingungen existieren, kann man dem moralischen Charakter des Menschen nicht mehr Bedeutung zugestehen als den sozialen Instinkten der Bienen. Ganz besonders berechtigt ist diese Erwägung für den Fall, daß es, gemäß der theologischen Theorie der Dinge, einen Geist außerhalb des Gebiets jener sozialen [S. 68] Verhältnisse giebt, aus denen sich nach der wissenschaftlichen Entwicklungslehre der moralische Sinn in uns selbst entwickelt hat. [34]

Thatsächlich nehmen die Vertreter der natürlichen Theologie in dieser Frage einmal an, daß die erste Ursache wenn intelligent auch moralisch sein müsse, ferner aber sehen sie nicht die außerordentlich große logische Schwäche des Arguments, durch welches sie ihre Annahme aufrecht erhalten wollen. Es möchte doch sicherlich eine ganz ebenso anthropomorphistische Vorstellung sein, wenn man Gott Moralität zuschreiben wollte, als wenn man ihm jene Empfänglichkeit für sinnlichen Genuß zuschreiben wollte, mit der die Griechen ihre Gottheiten ausstatteten. Die Gottheit mag doch wohl am Ende über dem einen wie über dem anderen hoch erhaben stehen — oder wir müssen vielleicht richtiger sagen, sie steht dem einen so fremd gegenüber wie dem anderen. Ohne daß sie übermoralisch und noch weniger unmoralisch ist, mag sie wohl ohne Moral sein: unsere Begriffe von Moralität möchten wohl auf Gott angewendet keinen Sinn haben.

Wenn wir nun aber auf der einen Seite dies sagen müssen, so müssen wir andererseits, denke ich, konsequenter Weise zugeben, daß das Argument vom Bau des menschlichen Geistes viel gewichtiger wird, wenn man von dem moralischen Gefühl zu den religiösen Instinkten übergeht. Denn einerseits sind diese Instinkte nicht von so offenkundigem Nutzen [S. 69] für die Spezies wie diejenigen der Moralität; und andererseits scheinen sie, obwohl sie ohne Frage außerordentlich allgemein, ausdauernd und kräftig sind, nicht irgend einem „Ziel“ oder „Zweck“ in dem System der Dinge zu dienen, wenn wir nicht die Theorie derjenigen über sie annehmen, in denen sie am stärksten entwickelt sind. Hier haben wir meines Erachtens ein Argument von berechtigter Kraft, obwohl Mill, wie es scheint, diese Meinung nicht teilte. Ich glaube, daß dieses Argument deshalb eine berechtigte Kraft besitzt, weil die religiösen Instinkte des Menschengeschlechts, wenn sie nicht auf eine Realität als ihr Objekt hinweisen, verglichen mit allen anderen Instinkten ohne jedes Analogon sein würden.

Sonst treffen wir im Tierreich nirgends einen Instinkt an, der nicht auf ein Ziel hinweist, und insofern ist die Thatsache, daß der Mensch, wie man gesagt hat, ein „religiöses Tier“ ist, — d. h. daß er eine Art eigentümlicher Gefühle aufweist, die auf besondere Ziele gerichtet sind und die mit dem wahren Instinkt sehr nahe verwandt, wenn nicht identisch sind, — meiner Meinung nach ein berechtigtes Argument für die Realität irgend eines Objekts, auf das die religiöse Seite der Natur dieses Wesens gerichtet ist. Ich glaube auch nicht, daß dieses Argument von Thatsachen wie den folgenden entkräftet wird: daß nämlich die verschiedenen Rassen des Menschengeschlechts weit auseinandergehende, intellektuelle Vorstellungen von dem Charakter dieses Objekts besitzen; daß die Stärke der religiösen Instinkte bei verschiedenen Individuen, selbst derselben Rasse, höchst verschieden ist; daß diese Instinkte durch die Erziehung außerordentlich modifiziert werden können; daß sie sich wahrscheinlich bei keinem Individuum entwickeln würden, wenn demselben nicht wenigstens so viel Erziehung zu teil wird als zur Entwicklung der nötigen intellektuellen Vorstellungen, auf die sie sich gründen, erforderlich ist; oder daß wir ihren Ursprung mit Spencer nicht unwahrscheinlich auf eine primitive Art der Traumdeutung zurückführen [S. 70] können. Denn selbst im Hinblick auf alle diese Erwägungen bleibt doch die Thatsache bestehen, daß diese Instinkte existieren , und daß daher angenommen werden darf, daß sie gleich allen anderen Instinkten eine bestimmte Bedeutung haben, auch dann, wenn man annehmen kann, daß sie gleich allen anderen Instinkten eine natürliche Ursache haben, was sowohl hinsichtlich des Individuums wie auch hinsichtlich der Rasse fordert, daß für die natürlichen Bedingungen ihres Auftretens gesorgt sein muß, gerade so wie bei der natürlichen Entwicklung aller anderen Instinkte. Kurz, wenn man allgemein dafür hält, daß die tierischen Instinkte gleich organischen Gebilden und unorganischen Systemen einen Zweck verfolgen müssen, dann würde die religiöse Natur des Menschen als eine Anomalie in dem allgemeinen System der Dinge dastehen, wenn sie allein zwecklos wäre. Dies nun erscheint mir ein kräftiger Beweis dafür zu sein, daß, wenn die allgemeine Naturordnung einem Geist den Ursprung verdankt, der Charakter dieses Geistes derartig ist, wie ihn sich die am höchsten entwickelte Form der Religion vorstellt. Dieser Schluß ist nun ohne Zweifel ganz entgegengesetzt dem, zu welchem wir durch Betrachtung der biologischen Erscheinungen gelangten; und dies ist ein Widerspruch, der nur durch die Annahme gelöst werden kann, daß entweder die Natur Gott verheimlicht, während der Mensch ihn offenbart, oder daß die Natur Gott offenbart, während der Mensch ihn falsch darstellt.

Noch eine andere Thatsache von weittragender und allgemeiner Bedeutung weist uns die Natur auf, welche meiner Meinung nach, falls die Naturordnung für den Ausdruck eines intelligenten Zweckes gehalten wird, als Beweis für die ethische Natur jenes Zweckes sehr wichtig ist. Es ist eine Thatsache, welche meines Wissens noch von keinem anderen Schriftsteller beachtet worden ist; da es aber eine der allgemeinsten Thatsachen innerhalb der empfindenden Schöpfung ist, welche auch nicht eine einzige Ausnahme gestattet, so kann [S. 71] ich ihre Bedeutung als Argument gar nicht nachdrücklich genug hervorheben. Diese Thatsache ist, wie ich sie bei einer früheren Gelegenheit festgestellt habe, folgende: „Unter all' den Millionen von Mechanismen und Instinkten im Tierreich giebt es kein einziges Beispiel eines Mechanismus oder Instinkts, der bei einer Spezies zum ausschließlichen Vorteil einer anderen Spezies aufträte, obwohl es einige wenige Fälle giebt, in denen ein Mechanismus oder Instinkt, der für seinen Besitzer von Vorteil ist, auch von anderen Spezies sich nutzbar gemacht worden ist. Nun ist es der Theorie einer wohlthätigen Zwecksetzung unmöglich zu erklären, warum es, wenn alle Mechanismen derselben Spezies unabänderlich zu Gunsten jener Spezies in Korrelation stehen, niemals eine solche Korrelation zwischen den Mechanismen verschiedener Spezies giebt, oder warum dies auch für die Instinkte gilt. Denn welch' ein großartiges Schauspiel göttlicher Barmherzigkeit würde die organische Natur geboten haben, wenn alle, oder auch nur einige Spezies in solche Beziehung zu einander gesetzt worden wären, daß sie sich in ihren gegenseitigen Bedürfnissen aushelfen könnten. Die organischen Spezies könnten dann einer unzähliger Schar von Stimmen verglichen werden, die alle in einen harmonischen Lobpsalm einstimmen. Aber wie es nun einmal ist, sehen wir keine Spur einer solchen Koordination; jede Spezies steht für sich und für sich allein — eine Folge des stets und überall grimmig wütenden Kampfes ums Dasein“. [35]

[S. 72]

Die soeben festgestellte weittragende und allgemeine Thatsache ist nach meiner Meinung das wichtigste Argument zu Gunsten der Darwinschen Theorie von der natürlichen Zuchtwahl, und aus ihr können wir den wahrscheinlichen Grund erkennen, warum sie [die Thatsache] so ist, wie sie ist, so weit es sich um die Frage nach ihrer natürlichen Ursache handelt. Aber wenn es sich um die Frage handelt: was sollen wir, vorausgesetzt, die natürliche Kausalität entspränge im letzten Grunde einem Geist, von dem Charakter des Geistes sagen, welcher sich dieser Methode der Kausalität bedient? — Dann kommen wir wieder zu der Antwort, daß dieser Geist, so weit wir es nach einer gewissenhaften Prüfung dieser Thatsachen beurteilen können, nicht derartig ist, daß wir ihn wie beim Menschen moralisch nennen würden. Natürlich mag hinter den Naturerscheinungen eine moralische Rechtfertigung stecken, so daß wir nach diesen Erscheinungen zu urteilen nur sagen können, daß er [nämlich der Geist], weil er eine Methode der natürlichen Kausalität wählte, welche zu diesen Resultaten führte, bei uns, wie oben erwähnt, den Anschein erweckt hat, als sorge er für die Vervollkommnung der Tiere unter Ausschluß ihrer Freuden, ja sogar unter gänzlicher Mißachtung ihrer Leiden.

Endlich ist noch eine Wahrheit von Bedeutung, die in Erörterungen dieser Art nur zu oft unberücksichtigt bleibt, — da nämlich alle unsere Räsonnements einen sich nach unserem Wissen richtenden Charakter haben, so sind unsere Schlußfolgerungen proportional unserer Unwissenheit unsicher; und da unsere Unwissenheit hinsichtlich der von uns erörterten Fragen unermeßlich groß ist, so sind alle Schlüsse, die wir haben ziehen können, wie Bischof Butler sagen würde, „unendlich prekär.“ Oder, wie ich diese formale Seite der Frage früher bei einer Diskussion mit Professor Asa Gray über das [S. 73] teleologische Argument ausdrückte: — „Ich denke, man wird doch wohl zugeben, daß die Stärke eines Schlusses von der Zahl, der Bedeutung und der Bestimmtheit der dabei mitspielenden bekannten Dinge und Verhältnisse abhängt, verglichen mit der Zahl, Bedeutung und Bestimmtheit der dabei mitspielenden unbekannten, aber hergeleiteten Dinge und Verhältnisse. Wenn dem so ist, so sollten wir logischer Weise vorsichtig sein, wenn wir von dem Natürlichen auf das Übernatürliche schließen: denn wenn wir auch das ganze Gebiet der Erfahrung, aus dem wir einen Schluß ziehen, vor uns haben, so sind wir doch nicht im stande die Wahrscheinlichkeit des Schlusses abzumessen, — da die unbekannten Verhältnisse hier eingestandener Maßen nach Zahl, Bedeutung und Grad der Bestimmtheit unbekannt sind: der ganze Kreis menschlicher Erkenntnis ist unzureichend, um eine Parallaxe zu gewinnen, durch welche man die erforderlichen Messungen anstellen und das Verhältnis zwischen den bekannten und den unbekannten Begriffen bestimmen kann. Anders ausgedrückt können wir sagen: — wie sich unsere Kenntnis eines Teils zu unserer Kenntnis eines Ganzen verhält, so verhält sich unser Schluß aus jenem Teil zur Realität jenes Ganzen. Wer kann daher, selbst auf dem Boden der Hypothese des Theismus, sagen, daß unsere Schlüsse oder die „Idee des Zweckes“ irgend einen Sinn haben würden, wenn sie auf den „All-Erhalter“ angewendet werden, dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind.“ [36] Und natürlich lassen sich, mutatis mutandis dieselben Bemerkungen auf alle Schlüsse anwenden, die eine negative Tendenz haben.

Ein Ergebnis der ganzen Erörterung erscheint mir also zu sein, daß der Einfluß der Naturwissenschaft auf die natürliche Religion stets ein zerstörender gewesen ist. Schritt für Schritt hat sie den scheinbaren Nachweis einer direkten oder speziellen Zwecksetzung in der Natur zurückgedrängt, bis nunmehr [S. 74] dieser Nachweis nur allein noch auf der einen gewaltigen und allgemeinen Thatsache beruht, daß die Natur als Ganzes ein Kosmos ist. Es ist offenbar unmöglich, daß sich der zerstörende Einfluß der Naturwissenschaft noch weiter als bis hierhin erstrecken wird, da die Naturwissenschaft selbst nur auf dieser Thatsache als Grundlage bestehen kann. Aber wenn wir zugeben, daß diese gewaltige und allgemeine Thatsache, — welche für unsern Intellekt überwältigend sein müßte, wenn sie uns ihrer Alltäglichkeit wegen nicht so vertraut wäre, — die Thätigkeit eines Geistes in der Natur offenbart, so merken wir sofort, daß es unmöglich ist den etwaigen Charakter eines solchen Geistes zu bestimmen, selbst wenn wir annehmen, daß er existiert. Wir können nicht begreifen, daß er irgend eine der Fähigkeiten besitzen sollte, welche ganz besonders das kennzeichnen, was wir in uns selbst als Geist erkennen; und daher ist das Wort „Geist“, auf jene vermeintliche Thätigkeit angewandt, ein x , eine unbekannte Größe. Und dann, wenn wir auch diese Schwierigkeit nicht berücksichtigen und annehmen, daß es auf die eine oder andere für uns unbegreifliche Weise einen Geist giebt, der über dem menschlichen Geist so hoch erhaben ist, wie dieser über der mechanischen Bewegung, so treffen wir doch noch auf einige gar gewaltige und allgemeine Thatsachen in der Natur, welche entschieden darauf hinzudeuten scheinen, daß diesem Geist, wenn er existiert, die moralischen Empfindungen des Menschen teilweise oder gänzlich fehlen; während andererseits das religiöse Verlangen des Menschen selbst den entgegengesetzten Schluß rechtfertigen möchte. Und endlich haben wir im Hinblick auf den ganzen Gang dieser Untersuchung gesehen, daß man auch nicht die geringste meßbare Wahrscheinlichkeit hinsichtlich ihrer Schlußfolgerungen erlangen kann. Nach alle dem erscheint die natürliche Religion heutzutage lediglich als ein System von intellektuellen Widersprüchen und moralischen Schwierigkeiten; und wenn wir an sie mit den größten von allen Fragen herantreten: „Giebt es ein Wissen bei dem Allerhöchsten?“, [S. 75] „Sollte nicht der Richter der ganzen Welt recht richten?“, — so ist die einzig klare Antwort, welche wir erhalten und die uns aus der Tiefe unseres eignen Herzens zurückschallt: „Als ich dies bedachte, war es zu schmerzlich für mich.“

[S. 76]

III.
Notizen zu einem Werke: „Eine unbefangene Prüfung der Religion“ von Metaphysikus.

Einleitung des Herausgebers.

Zu den Notizen, die alles enthalten, was George Romanes für sein Werk: „Eine unbefangene Prüfung der Religion“ schreiben konnte, ist nur noch wenig als Einleitung hinzuzufügen; dies wenige aber muß die Gedankenkluft zwischen den vorstehenden Abhandlungen und den Notizen überbrücken, welche die Geistesrichtung, die Romanes zuletzt vertrat, näher beleuchten.

Am schärfsten kommt der antitheistische Zug jener Abhandlungen wohl darin zum Ausdruck, daß in ihnen auf den von der Natur gelieferten oder doch angenommener Maßen gelieferten Beweis gegen den Glauben an Gottes Güte ganz besonders Nachdruck gelegt wird.

Über dieses Geheimnis, das wohl zu verwirren im Stande ist, hat George Romanes offenbar noch mehr sagen wollen, er wurde aber durch den Tod daran verhindert. [37] Wir können [S. 77] indes berichten, daß er im Jahre 1889 in einer in der „Aristoteles-Gesellschaft“ verlesenen Schrift „über den Beweis der Zwecksetzung in der Natur“ dem Argument, daß die Art und Weise der natürlichen Entwicklung im Licht ihrer Ergebnisse beurteilt werden muß, mehr Bedeutung als früher einräumt. Diese Schrift war ein Teil eines Tischgesprächs. S. Alexander hatte früher in einer Schrift gegen die Hypothese der Zwecksetzung in der Natur gesprochen, weil die herrliche Ordnung in der Natur nur durch Verwüstung und Massen-Opfer erreicht würde. Dieses Argument wurde unter Hinweis auf augenscheinlich „schlechte Anpassungen“, zwecklose Zerstörungen u. s. w. entwickelt, welche die Naturprozesse kennzeichnen. Darauf antwortet Romanes, daß dies notwendigerweise zu dem als natürliche Zuchtwahl anzusehenden Prozeß gehört. Die Frage ist nur: ist dieser Prozeß an sich mit der Hypothese der Zwecksetzung unvereinbar? Er antwortet verneinend.

„Die herrliche Ordnung in der Natur wird nur durch Verwüstung und Massen-Opfer erreicht.“ Zugegeben! aber wenn „Verwüstung und Massen-Opfer“ als Ursache zu einer „herrlichen Ordnung in der Natur“ als Wirkung führen, wie kann man dann sagen, daß „Verwüstung und Massen-Opfer“ ein Mißgriff gewesen sind? Oder wie kann man es als Thatsache hinstellen, daß wirklich Verwüstung und Opfer stattgefunden haben? Offenbar kann man das nur dann sagen, wenn wir unser Augenmerk allein auf die Mittel (nämlich die Massenvernichtung der den Lebensbedingungen weniger angepaßten Wesen) nicht aber auf das richten, was schon innerhalb der Grenzen der menschlichen Beobachtung unzweifelhaft als der Endzweck erscheint (nämlich als das Kausalergebnis eine sich immer mehr vervollkommnende Welt von Lebensformen). Ein Kandidat, der im Staatsexamen durchfällt, weil er zufällig [S. 78] einer der weniger passenden ist, ist ohne Zweifel, bezüglich seiner eigenen Karriere ein Beispiel des Mißerfolges, aber man darf daraus nicht folgern, daß die Prüfung dabei ihren Endzweck verfehlte, den nämlich, die besten Männer für den Staatsdienst zu gewinnen. Und die Thatsache, daß dies allgemeine Ergebnis aller individuellen Mißerfolge in der Natur das sichert, was Alexander „die herrliche Ordnung der Natur“ nennt, zeigt entschieden, daß der modus operandi an sich kein Fehler bezüglich dessen war, was wir, wenn es überhaupt eine Zwecksetzung in der Natur giebt, als das höhere Ziel dieser Zwecksetzung betrachten müssen. Daher können Fälle von individuellen oder anderen relativen Mißerfolgen nicht als Beweis gegen die Hypothese einer derartigen Zwecksetzung benutzt werden. Die Thatsache, daß das allgemeine System der natürlichen Kausalität möglicher Weise zu einer „herrlichen Ordnung der Natur“ führt, braucht an sich noch nicht der Hypothese von der Zwecksetzung in der Natur entgegen zu stehen, selbst wenn diese Kausalität fortwährend die Ausscheidung der weniger passenden Formen bewirken sollte. [38]

Nach meinem besten Wissen und Gewissen ist also dieses Argument des Mißerfolges, des Probierens ins Blaue hinein, des blinden Zutappens, oder in welchen andren Ausdrücken es sonst noch dargestellt wird, nur gegen die Theorie anwendbar, auf welche Alexander anspielt, wenn er von einem „Zimmermanns-Gott“ spricht, d. h. wenn es in der Natur überhaupt eine Zwecksetzung giebt, so muß sie überall spezifiziert sein, so daß ihr Nachweis sich eben so gut in dem kleinsten Bruchstück der Natur — wie z. B. an einem einzelnen Organismus oder an einer Klasse von Organismen —, wie auch bei der Betrachtung des ganzen Kosmos führen läßt. Die Beweisführung zu Gunsten einer Zwecksetzung in diesem Sinne, ist, wie ich durchaus zugebe, durch den Nachweis der [S. 79] natürlichen Zuchtwahl gänzlich zu Schanden gemacht. Aber dies hat die sich nun erhebende, viel wichtigere Frage in ein um so helleres Licht gesetzt, nämlich die: liegt in der Methode der Kausalität auf die Natur als Ganzes angewandt irgend etwas, was der Theorie einer Zwecksetzung in der Natur als Ganzes entgegensteht?

Es ist wahr, daß dieses Argument sich nicht direkt gegen den Charakter Gottes wendet, — dessen Plan die Natur darstellt; aber indirekt doch. [39] Solch' ein Argument z. B. wie es sich Seite 66 befindet: Wenn wir ein Kaninchen sehen, ..... scheint nur dann Beweiskraft zu haben, wenn wir uns „Gott als Zimmermann“ vorstellen. Wahrscheinlich fühlte Romanes auch die Schwierigkeit, welche aus dem Gedanken an die Grausamkeit der Natur entspringt, weniger, jemehr er die Menschheit als den wichtigsten Teil der Natur erkannte und je mehr er die Bedeutung des Leidens für das menschliche Leben erfuhr (S. 124 u. 135 ) und auch einen größeren Eindruck von der positiven Gewißheit des Christentums als einer Religion des Leidens und zugleich der Offenbarung des Gottes der Liebe (S. 144 ff.) erlangte. Der christliche Glaube giebt seinen Anhängern nicht nur ein Argument gegen den Pessimismus aus allgemeinen Ergebnissen, sondern auch eine solche Einsicht in den Charakter und das Thun Gottes, daß ihn dies befähigt, hoffnungsvoll die überwältigenden Bedenken zu ertragen, die aus dem Anblick des individuellen Leidens entspringen.

In den letzten Jahren seines Lebens las er mit großer Aufmerksamkeit einige Bücher über den Beweis des Christentums, von Pascals „ Pensées “ an bis auf unsere Zeit und [S. 80] studierte eifrig die Beweisgründe für einen Weltenplan, wie er sich in der biblischen Offenbarung als Ganzes zeigt. Dieses Studium offenbart sich in kurzen Bemerkungen und Hinweisen, welche Romanes in Notizbüchern hinterlassen hat. Die Resultate dieses Studiums werden aus den folgenden Notizen ersichtlich sein, welche, wie ich meine Leser erinnern muß, trotz ihres kleinen Umfangs der einzige Grund für die Veröffentlichung dieses ganzen Buches bilden.

Beim Lesen dieser Notizen wird gewiß jeder von tiefem Bedauern ergriffen werden, daß es dem Verfasser nicht vergönnt war sein Werk zu vollenden. Jeder Leser der folgenden Seiten muß dessen eingedenk sein, daß er nur unvollständige Notizen, kein vollendetes Werk vor sich hat. Dies ist auch besonders bei einigen Stellen, die skizzenhaft und in ihrer Behandlung unbefriedigend erscheinen mögen, sowie endlich auch in Bezug auf Wiederholungen und Spuren der Unzulänglichkeit zu berücksichtigen. Aber ich kann mir auch nicht denken, daß irgend jemand diese Notizen bis zu Ende lesen könnte, ohne mit mir darin übereinzustimmen, daß die Welt, wenn ich sie nicht veröffentlicht hätte, das Zeugnis eines begabten und durchaus aufrichtigen Geistes, der Gott suchte und fand, verloren haben würde.

C. G.

[S. 81]

Motto für diese Notizen:

„Es ist aber durchaus nichts geringes, obwohl schwer zu glauben, das durch die astronomischen Studien in jedem Menschen ein geistiges Organ (Auge) gereinigt und wiederbelebt wird, wenn es in den anderen Beschäftigungen verkümmert und blind wird, obgleich es doch mehr wert ist erhalten zu werden als tausend körperliche Augen; denn durch dieses allein sieht man die Wahrheit. Wer nun Deine Ansicht teilt, der wird Deinen Worten den größten Beifall schenken; wer aber hiervon noch nichts empfunden hat, der wird natürlich annehmen, daß Du Unsinn redest, denn einen anderen Nutzen, welcher der Rede wert wäre, sieht er nicht ein. Darum überlege es Dir gleich, an wen von beiden Du Deine Worte richtest, — ob Du nicht lieber weder mit dem einen noch mit dem anderen redest, sondern die Untersuchung hauptsächlich um Deiner selbst willen führst, ohne daß Du es einem anderen mißgönnst, wenn er davon Vorteil hat.“

Plato .

„Wenn wir mit Erfolg tadeln und einem anderen seinen Irrtum zeigen wollen, so müssen wir wissen, von welcher Seite er die Sache ansieht; denn auf dieser Seite ist sie gewöhnlich richtig; und indem Du dies zugiebst, zeige ihm die Seite, auf der sie falsch ist.“

Pascal .

Bemerkung des Übersetzers.

Durch die Güte des Herrn Direktor Dr. Kühne in Doberan erfahre ich, daß die von Romanes zitierte Stelle aus Plato sich „Politeia,“ Buch VII, Cap. 10 im Anfang findet. Plato läßt dort Sokrates von der Astronomie und ihrem Nutzen für den Menschen reden. Ein Zuhörer meinte dabei, die Astronomie habe für Ackerbau, Schifffahrt und Kriegskunst Wert, weil man durch sie die Gesetze der Zeiten kennen lerne. Sokrates lacht darüber und sagt: „Du bist ein drolliger Kerl; Du fürchtest Dich wohl vor dem Pöbel und willst nicht etwas empfehlen, was keinen praktischen Nutzen hat?“ — Dann folgen die obigen als Motto gewählten Worte, die ich des besseren Verständnisses halber in fast wörtlicher Übersetzung aus dem griechischen Original gebe. —

[S. 82]

§ 1. Einleitung.

Vor vielen Jahren veröffentlichte ich in Trübners „Philosophischen Abhandlungen“ einen kurzen Aufsatz betitelt: „Unbefangene Prüfung des Theismus“ von Physikus. Obgleich das Buch damals einiges Aufsehen erregte, und seitdem eine Lebensfähigkeit gezeigt hat, welche der Verfasser nie erwartet hätte, so ist das Geheimnis der Autorschaft dennoch gewahrt geblieben. [40] Das Geheimnis möchte ich, wenn möglich, auch ferner bewahren; aber da es, wie ich im Folgenden zeigen werde, in mancher Hinsicht wünschenswert ist, darzulegen, daß beide Bücher denselben Verfasser haben, so erscheint die gegenwärtige Schrift unter demselben Pseudonym wie die vorhergehende. [41]

Der Grund, warum die erste Abhandlung anonym erschien, ist in der Vorrede zu derselben offen dargelegt worden, [S. 83] nämlich: damit das Räsonnement des Buches nach seinem eignen Werte beurteilt werden möchte, unter Vermeidung des Vorurteils, das von Seiten des Lesers so leicht entsteht, wenn er weiß, ob der Verfasser eine Autorität ist oder nicht. Dieser Grund besteht nach meiner Meinung noch immer in Bezug auf jene Schrift, er läßt sich aber auch gleicherweise auf die vorliegende Fortsetzung „eine unbefangene Prüfung der Religion“ anwenden.

Es wird sich zeigen, daß die negativen Schlüsse der früheren Abhandlung in vielen Beziehungen durch die Resultate reiferen Nachdenkens, wie sie in der vorliegenden dargeboten werden, stark modifiziert worden sind. Es erscheint daher wünschenswert, gleich von Anfang an, so weit ich es zu beurteilen im Stande bin, zu erwähnen, daß die fraglichen Modifikationen in keiner Weise irgend einem Einfluß von außen her zuzuschreiben sind. Sie sind vielmehr fast ausschließlich auf die Ergebnisse meines eignen, eingehenderen Nachdenkens zurückzuführen, wie ich es in Kürze auf den folgenden Seiten auseinandersetzen werde; dabei verdanke ich den persönlichen Anregungen von Freunden gar nichts und der Lektüre von Büchern nur wenig.

Indessen werden hier eigentlich keine neuen Gedanken dargeboten; ja, ich meine, daß es heutigen Tages unmöglich sein würde, irgend einen Gedanken in Bezug auf Religion auszusprechen, welcher nicht schon zu irgend einer Zeit geäußert worden wäre. Doch kann man immer noch viel thun, um seine Gedanken weiter zu fördern, indem man eine Sache von anderen Gesichtspunkten aus betrachtet, und schon mehr oder weniger vertraute Ideen auswählt oder ordnet, so daß sie zu neuen Gedankenkombinationen ausgebaut werden können, und dies, glaube ich, in Bezug auf den Mikrokosmos meines eigenen Geistes in nicht geringem Maße gethan zu haben. Aber ich bemerke dies nur, um sogleich ein Bekenntnis hinzuzufügen: daß es mir nämlich, so weit Selbstprüfung den Menschen führen kann, so vorkommt, als ob die Modifikationen, [S. 84] welche meine Ansichten seit der Veröffentlichung meiner ersten „unbefangenen Prüfung“ erlitten haben, ebenso sehr rein logischen Denkprozessen als auch den halb-bewußten (und daher mehr oder weniger undefinierbaren) Einflüssen der reiferen Lebenserfahrung zuzuschreiben seien; wie weit dies so ist, [d. h. wie weit die Erfahrung das logische Denken beeinflußt] [42] das ist selten, wenn überhaupt je, klar dargelegt, obgleich es sich täglich in der nüchterneren Vorsicht offenbart, mit welcher das nahende Alter den Geist beeinflußt: nicht so sehr durch das offene Spiel von Vernunftschlüssen als vielmehr durch heimliche Täuschung des Bewußtseins bereichern die wachsenden Erfahrungen des Lebens und des Nachdenkens allmählich das Urteil.

Und das, man braucht es kaum zu sagen, bewahrheitet sich besonders auf solchen Gebieten, welche das zarteste Medium für den Fortschritt des Denkens vermittels der verhältnismäßig plumpen Mittel syllogistischer Fortbewegung sind. Denn je höher wir von den festen Grundlagen der Bestätigung der Thatsachen emporsteigen, desto weniger sollten wir den Schwingen unserer Spekulation trauen, desto mehr aber werden wir uns auch jene praktische Weisheit intellektueller Vorsicht oder des Mißtrauens gegen bloße Verstandesspekulationen erwerben, und das kann nur durch Erfahrung geschehen.

Am meisten ist dies daher auf solchen Gebieten des Denkens der Fall, welche unserem sinnlichen Leben am fernsten liegen, nämlich in der Metaphysik und Religion. Und thatsächlich sehen wir grade auf diesen Gebieten des Denkens, daß die Unbesonnenheit der Jugend sich am leichtesten durch die Erfahrung des Alters lenken und leiten läßt.

Indessen trotz dieses Bekenntnisses zweifle ich nicht, daß mich auch in Bezug auf die reine und bewußte Vernunft [S. 85] weiteres Nachdenken befähigte, ernste Irrtümer oder wenigstens Versehen gerade in den Grundlagen meiner „unbefangenen Prüfung des Theismus“ zu entdecken. Ich glaube jedoch noch heute, daß die Schlüsse aus den dort aufgezeichneten Prämissen in völlig logischer Konsequenz folgen, so daß ich vermutlich, so weit es sich blos um Vernunftschlüsse handelt, wohl niemals irgend einen ernsten Irrtum entdecken werde; übrigens ist ein solcher auch während der vielen Jahre seit der Herausgabe des Buches von niemandem sonst gefunden worden. Jetzt freilich sind mir zwei geradezu verhängnisvolle Versehen, die ich mir damals zu Schulden kommen ließ, ganz klar. Das erste war, daß ich auf dem Gebiet so hoher Abstraktionen ein ganz ungehöriges Vertrauen auf bloße Vernunftschlüsse, mochten sie auch aus gesunden Prämissen abgeleitet worden sein, setzte. Der andere Fehler war der, daß ich nicht sorgfältig genug die Grundlagen meiner Kritik, d. h. die Gültigkeit jener Prämissen, prüfte. Ich will hier kurz diese beiden Punkte getrennt betrachten.

In Bezug auf den ersten Punkt gab es wohl niemals einen Menschen, der in seinen Forderungen an die reine Vernunft anspruchsvoller war als ich, — anspruchsvoller dem Geist, doch nicht dem Buchstaben nach, und das mochte wohl daher kommen, daß ich in steter Berührung mit der Naturwissenschaft stand.

Dabei aber erwog ich niemals, in wie großem Widerspruch zur Vernunft eine von mir nicht ausgesprochene Voraussetzung bei meiner früheren Beweisführung in Bezug auf Gott selbst stand, die Voraussetzung nämlich, daß Gottes Dasein bloß ein Problem der Naturwissenschaft sei, welches allein durch menschliche Vernunft, ohne Bezugnahme auf des Menschen andere und höhere Fähigkeiten gelöst werden könnte. [43]

[S. 86]

Der zweite Punkt ist von noch größerer Wichtigkeit, weil er, wenn überhaupt, so doch selten als solcher erkannt wird.

Zu der Zeit, als ich die „unbefangene Prüfung“ schrieb, wurde es mir klar, daß die ganze Frage des Theismus seitens der Vernunft auf die Frage nach dem Wesen der natürlichen Kausalität hinausläuft. Meine Theorie der natürlichen Kausalität gehorchte dem Gesetz der Sparsamkeit, [44] indem sie Alles in das Sein als solches auflöste, aber andererseits irrte sie, indem sie nicht in Erwägung zog, ob nicht etwa höhere Ursachen notwendig sind, um geistliche („ spiritual “) Dinge zu erklären, d. h. ob das Urwesen nicht doch wenigstens ebenso hoch stehen müßte wie die Vernunft und der Geist des Menschen, d. h. höher als irgend etwas, was blos physikalisch oder mechanisch ist. Die Voraussetzung, daß es so sein muß, verletzt nicht das Gesetz der Sparsamkeit.

Reine Agnostiker sollten das religiöse Bewußtsein der Christen als eine Erscheinung erforschen, die möglicherweise, wie die Christen es ja auch selbst glauben, göttlichen Ursprungs ist. Und das kann geschehen, ohne daß man dabei irgendwie auf die Frage nach der objektiven Gültigkeit der christlichen Dogmen eingeht. Die christliche Metaphysik könnte in der That falsch sein, und doch kann der Geist des Christentums seinem innersten Wesen nach, wahr sein, d. h. er kann das höchste und beste Geschenk von oben sein, das dem Menschen je gegeben worden ist.

Mein gegenwärtiger Zweck ist also wie Sokrates nicht irgend ein philosophisches System oder sogar ein positives Wissen mitzuteilen, sondern einen Zustand des Geistes ( mind ) zu schildern, welchen ich reinen Agnostizismus nennen möchte, um ihn von dem zu unterscheiden was man gewöhnlich Agnostizismus nennt.

[S. 87]

Erklärung der Ausdrücke und des Zwecks dieser Abhandlung.

[Um Romanes zu verstehen, muß man den folgenden Paragraphen volle Aufmerksamkeit zuwenden, vor allem auch dem Umstand, den er nicht besonders erwähnt, daß er das Wort „Vernunft“ („ reason “) (S. p. 94 ) in fast demselben Sinn gebraucht wie Kidd kürzlich in seiner „sozialen Entwicklung“: nämlich in eingeschränkterem Sinn als gleichbedeutend mit dem „Prozeß naturwissenschaftlicher Schlußfolgerung.“ Seine Meinung läßt sich daher kurz so aussprechen: Naturwissenschaftliche Schlußfolgerungen können keine befriedigenden Gründe für den Glauben an Gott finden. Aber der reine Agnostiker muß bekennen, daß sich Gott durch andere Mittel als durch naturwissenschaftliche Schlußfolgerungen offenbart haben kann. Da die Religion für den ganzen Menschen bestimmt ist, so können vielleicht alle menschlichen Fähigkeiten erforderlich sein, um Gott zu suchen und zu finden, d. h. Gemütsbewegungen und Erfahrungen von besonderer Art, die jenseits der Vernunft liegen. Der „reine Agnostiker“ muß bereit sein, Beweise jeder Art entgegen zu nehmen. — Der Herausgeber.]

Es ist wünschenswert, daß man sich über den Sinn, in dem ich gewisse Ausdrücke und Redewendungen durchweg gebrauche, völlig klar werde.

[S. 88]

Theismus.

Ich werde oft sagen „nach der Theorie des Theismus“, „vorausgesetzt, daß der Theismus wahr ist“ u. s. w.

Mit solchen Wendungen meine ich immer Folgendes: „Zum Zweck der Beweisführung vorausgesetzt, daß der menschliche Geist dem wahren Begriff des höchsten Wesens dann am nächsten kommt, wenn er sich ein unbegreiflich verschönertes Bild vom Menschen selbst auf seiner höchsten Stufe macht.“

Christentum.

Ähnlich ist es mit dem Ausdruck: „vorausgesetzt, daß das Christentum wahr ist“; ich meine damit: „zum Zweck der Beweisführung vorausgesetzt, daß das christliche System als Ganzes von dem ersten Aufdämmern im Judentum bis zu seiner Entwicklung in der Jetztzeit die höchste Offenbarung ist, die eine persönliche Gottheit der Menschheit von sich selbst gewährt hat“. Ich will damit die Stellung des reinen Agnostizismus gegenüber besonderen christlichen Dogmen, auch z. B. gegenüber der Fleischwerdung, kennzeichnen.

Sollte man einwenden, daß ich das Christentum überhaupt nicht genügend untersuche, wenn ich irgend ein bestimmtes christliches Dogma unentschieden lasse, so antworte ich: Nein, durchaus nicht! Ich schreibe keine theologische, sondern eine philosophische Abhandlung und werde das Christentum nur als eine der vielen Religionen, wenn auch natürlich als die letzte und höchste, untersuchen. Von dem Gesichtspunkt aus ist das Christentum der höchste Ausdruck der Entwicklung auf diesem Gebiete des menschlichen Geistes; aber mich geht hier selbst das so wichtige kirchliche Dogma von der Fleischwerdung Gottes in Christo nichts an. Für den Zweck dieser Abhandlung mag dieses Dogma wahr sein oder [S. 89] nicht. Die wichtigste Frage für uns ist vielmehr die: Hat Gott durch die Vermittlung unserer religiösen Instinkte gesprochen? Dies wird notwendiger Weise die Frage einschließen, ob oder wie weit es in Bezug auf das Christentum einen objektiven Beweis dafür giebt, daß Gott im alten Testament durch den Mund heiliger Männer, wie es solche seit dem Bestehen der Welt gab, gesprochen habe.

Diese Frage wird uns aber nur deshalb beschäftigen, weil es eine Frage des objektiven Beweises dafür ist, ob und wie weit die religiösen Instinkte jener Männer oder jenes Menschengeschlechts so hoch über denen anderer Menschen oder Geschlechter standen, daß sie dadurch befähigt waren, zukünftige Ereignisse religiösen Charakters zu prophezeien. Und ob in diesen letzten Tagen Gott durch seinen eingebornen Sohn geredet hat oder nicht, — das ist kein Gegenstand für unsre Untersuchung, das ist nur insoweit eine Frage für uns als wir die höhere Art religiöser Wunder, welche sich unstreitig an die Geburt und Person Jesu knüpften, untersuchen müssen. Die Frage, ob Jesus Gottes Sohn war, ist logisch gesprochen nur eine Frage der Ontologie, welche wir als reine Agnostiker nicht berühren dürfen.

Anderwärts aber müßte ich zeigen, daß es von meinem Standpunkt aus, gegenüber der grundlegenden Frage, ob Gott überhaupt durch die religiösen Instinkte der Menschen gesprochen hat, sehr wohl sein mag, daß Christus nicht Gott war und dabei doch die höchste Offenbarung von Gott gegeben hat. Wenn der „erste Adam“ allegorisch war, warum nicht auch „der zweite?“ Es ist sicherlich eine historische Thatsache, daß der „zweite Adam“ existiert hat, warum nicht auch der erste? Und was die Äußerungen Christi über seine eigene Person betrifft, so ist das Alles nicht unvereinbar mit der Annahme, daß er Gabriel und Sein h. Geist Michael [45] [S. 90] gewesen wäre; oder er kann ein Mensch gewesen sein, der sich in Bezug auf seine eigene Persönlichkeit getäuscht hatte, aber doch der Träger der höchsten Inspiration gewesen ist.

Religion.

Unter Religion verstehe ich im Nachfolgenden jeden Glauben an ein persönliches Wirken im Weltall, welcher stark genug ist, um das Leben zu beeinflussen. Kein Begriff ist in den letzten Jahren schwankender und in so verschiedenem Sinn gebraucht worden als dieser. Natürlich kann jeder einen Begriff in einem Sinn gebrauchen, wie es ihm beliebt; aber er sollte dann wenigstens genau erklären, welchen Sinn er in ihn hineinlegt. Die oben gegebene Definition scheint mir am meisten mit dem hergebrachten Gebrauch übereinzustimmen.

Reiner und falscher „Agnostizismus“.

Der moderne und sehr zutreffende Ausdruck „Agnostizismus“ wird in zwei sehr verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Der erste, der diese Bezeichnung benutzte, Professor Huxley, verstand darunter den Zustand vernunftmäßig begründeter Unwissenheit über Alles, was jenseits der Sphäre der sinnlichen Wahrnehmung liegt, — das offene Bekenntnis der Unfähigkeit, einen festen Glauben auf irgend eine andere Basis als sinnliche Wahrnehmung zu gründen.

In diesem ursprünglichen Sinne — der nach meiner Meinung auch der einzige philosophisch berechtigte ist — verstehe auch ich dieses Wort. Aber in dem andern und vielleicht auch populäreren Sinn, in welchem das Wort jetzt angewendet wird, ist es ungefähr dasselbe, was Herbert Spencer als Lehre vom Unerkennbaren bezeichnet. Die letztere Bezeichnung ist philosophisch falsch, da sie eine wichtige, negative Erkenntnis [S. 91] einschließt, nämlich die, daß wir, wenn es einen Gott gäbe, dies eine sicher von ihm wissen, — daß er sich nicht den Menschen offenbaren kann . [46] Reiner Agnostizismus ist das, was Huxley Agnostizismus nennt. Von den vielen Gelehrten, die ich gekannt habe, war Darwin wohl der reinste Agnostiker — nicht nur seinem Bekenntnis nach, sondern auch in Geist und Leben. Was er in seiner Selbstbiographie [47] über das Christentum sagt, zeigt keine Gedankentiefe in Bezug auf Philosophie und Religion. Sein Geist war dafür zu einseitig induktiv angelegt. Aber gerade deswegen ist es um so bemerkenswerter, daß seine Verwerfung des Christentums nicht aus einem a priori gewonnenen Vorurteil gegen den Glauben, etwa weil derselbe der Vernunft widerspräche, sondern lediglich aus einem ersichtlichen moralischen Bedenken a posteriori entsprungen ist. Faraday und andere hervorragende Gelehrte standen so wie Darwin. [48]

Als ein Beispiel des falschen Agnostizismus sei daran erinnert, wie Hume seinen a priori -Beweis gegen das Wunder führt, dies erinnert uns an die ähnliche Stellung von Naturforschern dem modernen Spiritismus gegenüber. Ungeachtet sie die naheliegende Analogie des Mesmerismus als ein warnendes Beispiel vor Augen haben, so giebt es doch Gelehrte, die hier ebenso dogmatisch sind wie die strengste Richtung von Theologen. Ich kann, ohne zu beleidigen, Beispiele anführen, umsomehr, da die betreffenden Männer es selbst öffentlich behandelten; z. B. wenn N. N. sich weigerte [zu einem berühmten Spiritisten] zu gehen, und N. N. einen Versuch im Gedankenlesen zu machen ablehnte. [49] Diese Männer [S. 92] bekannten alle, daß sie Agnostiker seien und setzten sich doch zu gleicher Zeit durch ihr Betragen so schroff im Widerspruch zu ihrer Philosophie.

Ich will damit natürlich nicht sagen, daß nicht selbst bei einem reinen Agnostiker die Vernunft durch Vorurteile beeinflußt werden könnte: im praktischen Leben gilt, z. B. vor Gericht, das prima facie -Motiv [50] u. s. w. als Beweis, und wenn von vornherein ein sehr hoher Grad von Unwahrscheinlichkeit (dafür nämlich, daß Jemand irgend etwas gethan haben sollte — der Übersetzer) vorliegt, so ist ein verhältnismäßig gewichtiges Beweismaterial, das sich auf erfahrungsmäßige Thatsachen gründet, nötig, um den Beweis überhaupt vollgültig zu machen: so wäre z. B. ein stärkerer Beweisgrund nötig, um den Erzbischof von Canterbury des Taschendiebstahls zu überführen als einen Vagabunden. Und so ist es auch mit der spekulativen Philosophie. Aber in beiden Fällen kennen wir als unseren einzigen Führer nur die Analogie. Je weiter wir uns daher von der Erfahrung entfernen, — d. h. je weiter entfernt das betreffende Gebiet von der möglichen Erfahrung liegt, desto weniger Wert haben vorgefaßte Mutmaßungen. [51]

[S. 93]

Am weitesten entfernt von jeder möglichen Erfahrung liegt das Gebiet des letzten Geheimnisses der Dinge, mit welchem es die Religion zu thun hat, hier schwindet jede Mutmaßung und der einzige vernünftige Standpunkt ist der reine Agnostizismus. Mit andern Worten: hier sollten wir, so weit die Vernunft mit in Betracht kommt, alle in gleicher Weise reine Agnostiker sein, und wenn irgend einer von uns hierin zur Gewißheit gelangen sollte, so kann dies nur durch eine neu hinzugekommene Fähigkeit unseres Geistes geschehen.

Die Fragen, mit denen sich nun diese Abhandlung hauptsächlich beschäftigen soll, sind: ob es solche neue Fähigkeiten giebt, und wenn dies der Fall ist, ob dann von außen her je auf sie eingewirkt worden ist; des weiteren, in welcher Weise dies dann geschah; dann ferner, was solche besondere Fähigkeiten berichten, in wie weit diese Berichte glaubwürdig sind u. s. w.

Mein eigener Standpunkt nun mag hier zunächst festgestellt werden: Ich selbst beanspruche für mich nicht irgend eine religiöse intuitive Gewißheit, bin aber demungeachtet im Stande, die abstrakte Logik der Sache zu erforschen. Und wenn das auch unfruchtbare Dialektik zu sein scheint, so wird es doch, hoffe ich, von praktischem Nutzen sein, wenn es den Berichten unparteiisch Gehör verschafft, von welchen der größte Teil der Menschheit ohne Frage glaubt, daß sie von solchen zu den gewöhnlichen neu hinzugekommenen Fähigkeiten herrühren, wie zahlreich und verschieden auch ihre Religionen sein mögen. Ich habe in meiner Jugend eine Abhandlung veröffentlicht („Die unbefangenen Prüfung“ u. s. w.), welche damals viel Interesse erregte und lange vergriffen gewesen ist. Seitdem habe ich eingesehen, daß ich bezüglich dessen, was ich als das Hauptargument für meine negativen Schlüsse [S. 94] hinstellt, im Irrtum war. Ich fühle mich daher jetzt verpflichtet, die nachfolgenden Resultate meines reiferen Nachdenkens, von demselben Standpunkt der reinen Vernunft aus zu veröffentlichen. Wenn ich hier auch weiter kein Licht von Seiten der Anschauung (Intuition) bekommen habe, so doch von Seiten des Verstandes. Wenn es wirklich eine solche Anschauung giebt, so nehme ich in Bezug auf ihr Organ dieselbe Stellung ein wie ein Blinder zur Lehre vom Licht. Aber eben deshalb kann ich nicht der Parteilichkeit beschuldigt werden.

Folgendes wird wohl allgemein als richtig angenommen: wenn jemand klar erkannt hat, daß der Agnostizismus der einzig richtige Standpunkt der Vernunft gegenüber der Religion sei (wie ich es im Folgenden zeigen will), so habe er mit der Sache abgeschlossen und könne nicht weiter gehen. Der Hauptzweck dieser Abhandlung ist nun, zu zeigen, daß dies keineswegs der Fall ist; wer so denkt, der hat seine Untersuchung über die Gründe und die Rechtfertigung des religiösen Glaubens erst angefangen; denn die Vernunft ist weder die einzige Eigenschaft, noch die einzige Fähigkeit, welche der Mensch für gewöhnlich zur Feststellung der Wahrheit benutzt. Moralische und geistliche ( spiritual ) [52] Fähigkeiten sind in ihren besonderen Gebieten, auch im täglichen [S. 95] Leben, von nicht geringerer Bedeutung. Glaube, Vertrauen, Geschmack u. s. w. sind bei Beurteilung von Charakter, Schönheit u. s. w., wenn es gilt, die Wahrheit festzustellen, ebenso wichtig wie die Vernunft. Wir können wohl sagen, daß die Vernunft zur Erforschung der Wahrheit nur da verwendbar ist, wo es sich um Kausalität handelt. Die geeigneten Organe für die Erkenntnis der Wahrheit, sofern es sich um irgend etwas anderes als Kausalität handelt, gehören dem sittlichen und geistlichen Gebiet an.

Herbert Spencer sagt: „Die Naturforscher können in zwei Klassen geteilt werden; die einen — und von ihnen ist Faraday ein gutes Beispiel — halten ihre Religion und ihre Wissenschaft durchaus von einander getrennt und lassen sich durch keine Widersprüche zwischen beiden beirren; [53] die anderen, die sich nur mit den Thatsachen der Wissenschaft beschäftigen, fragen niemals darnach, welche Verwicklungen die letzteren etwa (für den Glauben) zur Folge haben könnten. Sei es ein Trilobit oder ein Doppelstern, — ihre Gedanken darüber gleichen denen des Peter Bell über die Schlüsselblume“. [54]

Beide Klassen von Männern nun verfahren folgerichtig und logisch, da sie beide in Bezug auf ihre Religion den Standpunkt des reinen Agnostizismus einnehmen, und zwar nicht [S. 96] allein in der Theorie sondern auch in der Praxis. Was sollen wir aber von der dritten Klasse sagen, die Spencer unerwähnt läßt, obgleich sie, wie ich glaube, die größte ist, nämlich die jener Naturforscher, die ausdrücklich keine Trennungslinie zwischen Religion und Wissenschaft ziehen wollen [und dann über Religion lediglich nach den Grundsätzen und der Methode der Naturwissenschaft aburteilen?].

Es giebt zwei entgegengesetzte Geistesrichtungen, die mechanische (naturwissenschaftliche) und die geistliche (künstlerische, religiöse u. s. w.) Sie können selbst bei demselben Individuum wechseln. Ein Agnostiker im gewöhnlichen Sinn zweifelt keinen Augenblick daran, — selbst wenn er die letztere Geistesrichtung an sich einschneidend erfährt — daß nur die erstere des Vertrauens wert ist. Aber ein reiner Agnostiker in meinem Sinn muß es besser wissen, da er einsehen wird, daß in Bezug auf größere Zuverlässigkeit zwischen jenen beiden Geistesrichtungen von einer Wahl gar keine Rede sein kann. In der That, wenn dann einmal gewählt werden soll, so möchte der Mystiker wegen seiner unmittelbaren Anschauung ( intuition ) mehr Recht auf Glaubwürdigkeit haben.

Herbert Spencer hat in der Einleitung zu seiner „Synthetischen Philosophie“ sehr richtig gesagt, daß dort, wo die Menschen in ihrem Denken so durchaus geteilter Meinung sind, [die Wahrheit auf beiden Seiten liegen muß und daß man den] Ausgleich solcher entgegengesetzter Ansichten dann finden wird, wenn man jenes Grundelement der Wahrheit hervorhebt, welches auf beiden Seiten so mannigfach verschiedenen Deutungen unterliegt. Von dem Gesichtspunkt hängt mehr ab, als man gewöhnlich annimmt, besonders dann, wenn noch über die ersten Prinzipien einer Sache gestritten wird. Entgegengesetzte Seiten desselben Gegenstandes können ganz verschiedene Ansichten darbieten! Spencer spielt hierbei besonders [S. 97] auf den Konflikt zwischen Religion und Naturwissenschaft an und in demselben Zusammenhang berühre ich es hier auch. Denn es scheint mir, nachdem ich Jahre lang über diesen Gegenstand nachgedacht habe, daß jener Ausgleich noch viel weiter gefördert werden kann, als es bei ihm geschehen ist. Denn er führt ihn nur insofern herbei, als er zeigt, daß die Religion nur aus der Anerkennung eines fundamentalen Geheimnisses entspringt, welches die Naturwissenschaft auch in allen ihren Grundgedanken anerkennt. Dies ist indessen dann doch nicht viel mehr als eine platte Redensart. Daß unsere letzten naturwissenschaftlichen Ideen (d. h. der letzte Grund der Erfahrung) unerklärbar sind, ist ein Satz, welcher, seit die Menschen zu denken angefangen haben, selbstverständlich ist. Meine Absicht ist, diesen Ausgleich im einzelnen noch weiter zu fördern, aber ohne dabei die Grundlagen der reinen Vernunft zu verlassen. Ich will Religion und Naturwissenschaft in ihrem gegenwärtigen hochentwickelten Zustand als solche nehmen und zeigen, daß bei einer systematischen Prüfung der ersteren durch die Methode der letzteren der Gegensatz zwischen beiden nicht nur in Bezug auf ihre höchsten und allgemeinsten Punkte aufgehoben werden kann, sondern sogar auch in allen Einzelfragen, welche irgendwie von größerer Wichtigkeit sind.

Bei jeder methodischen Untersuchung sollte es das erste sein, die Fundamentalprinzipien festzustellen auf welchen die Untersuchung beruht. [55] Thatsächlich ist es aber durchaus nicht immer der Fall, daß der Forscher von vornherein jene Prinzipien kennt, oder sie auch nur erkennen kann. In der That werden sie oft erst am Ende der Untersuchung als Fundamental-Prinzipien erkannt. Diese Erfahrung habe ich auch in Bezug auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemacht. [S. 98] Obgleich mein ganzes Gedankenleben sich mit dem Problem unserer religiösen Instinkte beschäftigte, so wie mit den verschiedenen Versuchen, welche die Menschheit gemacht hat, um sich die Vorteile der religiösen Instinkte zu sichern, so wie endlich mit den wichtigen Fragen nach der objektiven Berichtigung derselben, so habe ich doch erst im vorgeschrittenen Alter klar erkannt, worin die Fundamental-Prinzipien einer solchen Untersuchung bestehen müssen. Und ich bezweifle es, ob irgend jemand diesen Punkt bisher klar erörtert hat. Diese Prinzipien betreffen das Wesen der Kausalität und des Glaubens.

Der Zweck dieser meiner Abhandlung ist nun vor allem ein dreifacher: Ich will erstens den Agnostizismus läutern und zweitens, reiflicher als es bis jetzt geschehen ist, von dem Standpunkt des reinen Agnostizismus aus das Wesen der natürlichen Kausalität, oder richtiger, die Beziehung erörtern, in welcher das, was wir über diese Kausalität wissen, zum Theismus steht; und drittens will ich, wieder von demselben Standpunkt ausgehend, das religiöse Bewußtsein der Menschen als eine Erscheinung der Erfahrung (d. h. wie wir es von draußen her ansehen) und besonders in ihrer höchsten Entwicklungsstufe, wie sie sich im Christentum darstellt, betrachten.

[S. 99]

§ 3. Kausalität.

Nur weil wir mit der wichtigen Erscheinung der Kausalität so vertraut sind, nehmen wir sie als wahr an und glauben, daß wir eine letzte Erklärung irgend eines Phänomens erreicht haben, wenn es uns gelungen ist, seine Ursache aufzufinden: während es uns thatsächlich nur gelang, jenes Phänomen in das Geheimnis aller Geheimnisse zu versenken. Ich wünsche oft, wir könnten wie die Jungen einiger Säugetiere in die Welt kommen, mit allen den Kräften des Verstandes, welche wir in der Folge bei der Entwicklung erlangen, aber ohne jede persönliche Erfahrung und daher auch ohne die abstumpfende Wirkung der Gewohnheit. Wäre das möglich, dann würde sicherlich nichts in der Welt unseren Verstand mehr in Erstaunen setzen als die eine allgemeine Thatsache der Kausalität. Daß alles, was geschieht, eine Ursache haben muß, daß die Ursachen unabänderlich ihren Wirkungen proportioniert sein sollen, so daß die Ursachen, wie kompliziert auch ihre Verkettungen sind, in derselben Verkettung doch stets die gleichen Wirkungen hervorbringen und daß dieses streng exakte System der Energie alle Erscheinungen des Weltalls und der Ewigkeit erklären soll, so daß z. B. die Bewegungen des Sonnensystems im Raume durch einige Ursachen bewirkt werden, welche jenseits des menschlichen Gesichtskreises liegen, und daß wir wegen unserer Abstammung von wirbellosen Vorfahren durch die Vereinigung von Billionen von Zellen entstanden sind, von denen jede wieder Billionen eigener Ursachen [S. 100] haben muß, — daß dies alles sein kann, das würde uns sicherlich als die wunderbarste Thatsache in diesem wunderbaren Weltall geradezu ergreifen.

Nur weil wir mit dieser Thatsache so sehr vertraut sind, vergessen wir das Wunder der Kausalität so ganz, daß wir auf das bestimmteste annehmen, wir wüßten alles über die letztere. Die philosophische Untersuchung zeigt uns aber, daß wir, abgesehen davon, daß das empirische Wissen darüber eine Thatsache ist, — doch nur das eine wissen, daß unsere Kenntnis über die Kausalität von unserer eigenen Aktivität herrührt, wenn wir selbst Ursachen sind. Kein Ergebnis psychologischer Analyse scheint mir sicherer als dieses. [56]

Wenn nicht unsre eigenen Willensregungen wären, so würden wir nicht wissen, daß das, was wir jetzt wenn nicht bei einem selbstmörderischen Skeptizismus nicht bezweifeln können, die allgemeinste Thatsache der Natur ist: dies scheint mir wenigstens die bei weitem vernünftigste Theorie der Kausalität zu sein, und sie ist auch die, welche heute von den meisten Philosophen jeder Schule angenommen wird.

Nun wird folgendes dem Laien immer klar erscheinen: wenn der richtige Begriff der Kausalität aus unserem eigenen Willen hergeleitet wird, — gerade so wie auch unser Begriff der Energie aus unserem Gefühl der Anstrengung bei Überwindung eines Widerstandes durch unseren Willen hergeleitet wird, — dann wird vermutlich der richtigste Begriff der Kausalität aus jener uns bekannten Daseinsform gewonnen werden müssen, die allein uns den Begriff der Kausalität überhaupt geben kann. Der Laie wird daraus immer den Schluß ziehen, daß alle Energie immer die Natur der Willensenergie hat und daß alle objektive Kausalität subjektiver Natur ist. Diese Folgerung macht aber nicht nur der Laie, die tiefsten philosophischen [S. 101] Denker, z. B. Hegel und Schopenhauer, sind im wesentlichen zu demselben Resultat gekommen, so daß wir die nächstliegende und natürlichste Erklärung der Kausalität in der äußeren Natur, wie sie sich im einfachen Verstand der Wilden und der Kinder bildet, auch beim menschlichen Denken auf seiner höchsten Höhe wiederfinden. [57] Aber das mag sein wie es will, solche Fragen abstrakter, philosophischer Spekulation gehen uns hier nichts an. Sie liegen jenseits unserer Sphäre des reinen Agnostizismus. Ich erwähne sie nur, um zu zeigen, daß es weder in der Naturwissenschaft noch in der Philosophie der Menschheit etwas giebt, was gegen die Theorie der natürlichen Kausalität als Wirkung eines für uns objektiven Willens spräche. Und es ist dann wohl nicht schwer einzusehen: wenn dies der Fall und wenn unser Wille konsequent ist, dann müssen seine in der natürlichen Kausalität offenbarten Wirkungen, wenn wir sie im Ganzen (also nicht stückweise wie die Wilden) erwägen als nicht durch Willen erzeugt, d. h. mechanisch erscheinen.

Von allen philosophischen Theorien über die Kausalität widerstreben die von Hume, Kant und Mill der Vernunft am meisten: wenn sie auch in mancher Beziehung verschieden sind, so stimmen sie doch darin überein, daß sie das Prinzip der Kausalität als eine Schöpfung unseres eigenen Geistes ansehen, oder mit andren Worten, sie läugnen alle drei, daß dem Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung irgend etwas Objektives zu Grunde liege, d. h. sie leugnen gerade das, was die Naturwissenschaft in ihren besonderen Fällen zu entdecken hat. —

Der Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Religion entstand stets auf dem gemeinsamen Boden, auf dem sie unterhandelten oder aus einem Fundamental-Postulat beider Parteien [S. 102] — ohne das würde in der That ein Konflikt unmöglich gewesen sein, weil alsdann überhaupt kein Boden für ein Schlachtfeld vorhanden gewesen wäre.

Jede These muß sich auf eine Voraussetzung gründen, wo daher 2 oder mehrere gegnerische Thesen auf einer gemeinsamen Voraussetzung ruhen, muß der Streit alsbald enden, wenn diese letztere als irrig erkannt wird. Und in dem Maße, wie die vorher gemeinsame Voraussetzung als zweifelhaft erwiesen wird, in dem Maße wird auch der Streit seinen realen Boden verlieren. Es ist nun einer der Hauptzwecke dieser Abhandlung, zu zeigen, daß die gemeinsame Voraussetzung, auf welcher der Streit zwischen Naturwissenschaft und Religion sich erhoben hat, in hohem Grade zweifelhaft ist; und nicht das allein, sondern daß ganz abgesehen von der modernen Naturwissenschaft, alle Schwierigkeiten von Seiten des Verstandes (oder der Vernunft), welche der religiöse Glaube in der Vergangenheit je durchgefochten hat oder noch in Zukunft durchzufechten haben kann, ob im einzelnen oder im ganzen Menschengeschlecht, ganz ausschließlich auf demselben Boden dieser höchst zweifelhaften Voraussetzung entstehen.

Diese Voraussetzung oder das Fundamental-Postulat lautet: Wenn es einen persönlichen Gott giebt, so ist er nicht unmittelbar bei der natürlichen Kausalität beteiligt. Es wird angenommen, daß er als allererste Ursache keine andere Beziehung zu sekundären Ursachen haben kann, als daß er die letzteren beim ersten Anfang als ein großes Maschinenwerk von natürlicher Kausalität, das unter allgemeinen Naturgesetzen arbeitet, in Gang gebracht hat. Allerdings, die Theorie des Deismus, welche mehr oder weniger diese Voraussetzung eines Deus ex machina vertritt, ist im Laufe dieses Jahrhunderts mehr und mehr von dem Theismus verdrängt worden, welcher auch in etwas undefinierbarer Weise die Lehre von der Immanenz [Gottes in der Natur — Der Übersetzer] vertritt, sowie von dem Pantheismus, welcher diese letztere Doktrin ausdrücklich unter gänzlichem Ausschluß ihres Gegenteils aufrecht [S. 103] hält. Aber der Theismus hat sie bis jetzt noch nicht hinreichend oder in dem Maße vertreten, wie es die bloße Logik des Gegenstandes erfordert, während der Pantheismus nur selten die gegnerische Doktrin von der Persönlichkeit — oder die mögliche Vereinigung der Immanenz mit der Persönlichkeit in Betracht gezogen hat. [58]

Die Absicht dieses Buches ist es nun, eingehender, als es bisher geschehen ist, die Möglichkeit dieser Vereinigung zu beweisen, denn ich will zeigen, daß wir, wenn wir alle Vorurteile und Gefühle bei Seite legen und der reinen Vernunft bis zu ihrem logischen Endziel folgen, nur zu folgendem Schluß gelangen können: A. wenn es einen persönlichen Gott giebt, so ist kein Grund vorhanden, warum er der Natur nicht immanent sein sollte, oder warum nicht alle Kausalität der unmittelbare Ausdruck seines Willens sein sollte. B. jeder anwendbare Beweisgrund führt zu dem Schluß, daß Gott wahrscheinlich der Natur immanent ist. C. wenn das der Fall ist und wenn sein Wille konsequent ist, so muß alle natürliche Kausalität notwendiger Weise als mechanisch erscheinen. D. Es ist daher kein Beweis gegen den göttlichen Ursprung eines Dinges, eines Ereignisses u. s. w., wenn man nachweist, daß es natürlichen Ursachen zuzuschreiben ist.

Nachdem ich in Kürze über A , B , C und D gesprochen, will ich zeigen, daß D die praktisch wichtigste dieser vier Folgerungen ist. Denn die Fundamentalvoraussetzung, welche ich vorhin erwähnte, ist ihr geradezu entgegengesetzt. Ob stillschweigend oder ausgesprochen, stets wurde bei dem Streit zwischen Naturwissenschaft und Religion auf beiden Seiten angenommen, daß diese oder jene Erscheinung, sobald sie durch natürliche Ursachen erklärt worden ist, Gott nicht mehr direkt zugeschrieben werden könnte. Der Unterschied zwischen natürlich und übernatürlich ist auf beiden Seiten immer als unbestreitbar [S. 104] richtig angesehen worden und diese fundamentale Übereinstimmung machte als Boden des Schlachtfeldes den Kampf überhaupt erst möglich. Hierin liegt auch die Veranlassung zu allen früheren und zu allen möglicherweise noch kommenden Niederlagen der Religion. Die wahre Religion zieht freilich daraus die Lehre, daß in ihrer Kampfesmethode etwas nicht ganz richtig ist, und manche von ihren Streitern erwachen jetzt auch zur Erkenntnis der Thatsache, daß hier ihr Irrtum liegt — wie sie in der Vergangenheit auch ihren Irrtum erkannten, wenn sie die Bewegung der Erde, das Alter der Erde und die Entstehung der Arten durch Entwicklung leugneten. Aber Niemand, selbst keiner von ihren Obersten und Generälen, hat seinen Vorteil bis zu den äußersten Konsequenzen verfolgt. Das will ich nun thun. Der logische Vorteil liegt ganz klar auf ihrer Seite, und es ist ihr eigener Fehler, wenn sie nicht den endgültigen Sieg errungen haben, nicht allein gegenüber der Naturwissenschaft, sondern auch gegenüber dem geistigen Dogmatismus in jeder Form. Dieser kann auf der ganzen Linie geschlagen werden, denn die Naturwissenschaft ist nur das systematische Studium der natürlichen Kausalität, und wenn die Erfahrung jedes menschlichen Wesens zu einem Dogmatismus rein geistiger Art führt, so geschieht dies deshalb, weil es auch jenes in Frage stehende Fundamental-Postulat vertritt. Der Einfluß der Gewohnheit und der Mangel an Einbildungskraft ist hierbei sehr wichtig. Aber immer sollte man als Antwort die weitere Frage erörtern: worin besteht das Wesen der natürlichen Kausalität?

Nun möchte ich die Konsequenzen dieser Antwort bis zu ihrem letzten logischen Schluß verfolgen; denn niemand, selbst der Rechtgläubigste, hat bis jetzt diese Lehre der Religion in ihrer ganzen Fülle erfaßt. Man gönnt so zu sagen, soweit es angeht, Gott seine eigene Welt nicht. So wenn man von dem natürlichen Wachsen des Christentums aus den früheren Religionen heraus oder von der natürlichen Verbreitung desselben oder von der natürlichen Bekehrung des Paulus u. s. w. [S. 105] spricht. Man nimmt noch immer auf beiden Seiten an, daß eine Erscheinung, um göttlich zu sein, etwas Unerklärliches oder Wunderbares haben muß.

Naturwissenschaft und Religion haben immer nur auf dem Boden jener gemeinsamen Voraussetzung und um die Frage gekämpft: ob die Ursache dieser oder jener Erscheinung „natürlich“ oder „übernatürlich“ war? Denn selbst der Streit um den Widerspruch zwischen Naturwissenschaft und heiliger Schrift dreht sich schließlich um die Annahme, daß die Inspiration (angenommen, sie ist ächt) in Bezug auf ihre Kausalität „übernatürlich“ ist. Man gebe nur einmal zu, daß sie „natürlich“ ist, und jeder mögliche Grund zum Streit ist beseitigt.

Ich kann es wohl verstehen, weshalb der Unglaube die in Frage stehende, grundlegende Annahme macht, weil nämlich seine ganze Sache auf ihr beruhen muß. Aber es ist sicher an der Zeit, daß die Theisten diese Annahme aufgeben.

Der angebliche Unterschied zwischen natürlicher und übernatürlicher Kausalität zeigt sich ohne Zweifel schon im Aberglauben der vorgeschichtlichen Zeit und ist in der geschichtlichen Zeit infolge des unbestimmten Gefühls, daß Gottes Wirken geheimnisvoll sein müsse und daß das Gebiet der Religion daher im Übersinnlichen liege, fortdauernd angenommen worden. Nun ist es ja nur zu wahr, daß das Endliche das Unendliche nicht begreifen kann, daher ist dies in Frage stehende Gefühl logisch ganz berechtigt. Aber unter dem Einfluß dieses Gefühls haben die Menschen immer den Trugschluß gezogen, daß eine Erscheinung, dadurch, daß sie in Ausdrücken der natürlichen Kausalität erklärt worden ist, vollständig erklärt sei; — dabei wird vergessen, daß sie nur insoweit erklärt worden ist, als jene Kausalität in Betracht kommt, und daß die eigentliche Frage nach der letzten Ursache dadurch nur aufgeschoben worden ist. Und sicherlich liegt dahinter ein unendliches Mysterium, welches auch den tiefsten Mystiker befriedigen muß. Selbst Herbert Spencer giebt zu, daß alle natürliche Kausalität im letzten Grade unerklärbar ist.

[S. 106]

Im Grunde genommen ist der Fortschritt der Naturwissenschaft weit davon entfernt gewesen, die Religion zu schwächen, er hat sie im Gegenteil außerordentlich gekräftigt; denn er hat die Gleichförmigkeit der natürlichen Kausalität bewiesen. Die sogenannte natürliche Sphäre ist auf Kosten der „übernatürlichen“ gewachsen. Das ist allerdings unfraglich; aber wenn dies auch den auf niedrigeren Kulturstufen stehenden Menschen immer als eine der Religion feindselige Thatsache erscheinen muß, so sollten wir jetzt doch erkennen, daß es gerade umgekehrt ist, weil diese Thatsache ja nur jenen in Frage stehenden aus naivem oder unentwickeltem Verständnis entspringenden Unterschied [59] aufhebt.

Es ist wirklich sonderbar, wie lange diese Ansicht geherrscht hat, oder woher es kommt, daß die befähigtsten Männer aller Generationen ruhig angenommen haben, daß wir alles über eine Naturerscheinung wissen, wenn wir ihre natürliche Ursache kennen, oder daß wir die Naturerscheinung damit sozusagen ganz der Sphäre des Mysteriums entrückt hätten, während wir sie in der That nur in ein noch viel größeres Mysterium als vorher gesenkt haben. —

Aber die Antwort auf unsre erstaunte Frage, wie diese Ansicht so lange herrschen konnte, ergiebt sich aus der großen Macht der Gewohnheit, welche hier die Vernunft geradezu tot zu schlagen scheint und je mehr sich jemand mit „natürlichen Ursachen“ beschäftigt (z. B. mit Naturforschung), desto größer wird die Sklaverei der Gewohnheit, bis der betreffende endlich den wirklichen Stand dieser Frage geradezu nicht mehr zu erkennen im Stande zu sein scheint, indem er jedes vernünftige Nachdenken darüber als phantastisch betrachtet, so daß der Ausdruck metaphysisch selbst in seiner etymologischen Bedeutung als übersinnlich oder jenseits der natürlichen Kausalität liegend aufgefaßt und dadurch zu einem Ausdruck des Tadels in Bezug auf die Vernunft wird. Offenbar hat sich [S. 107] solch ein Mann als ganz unfähig erwiesen, irgend eines der höchsten Probleme, welche die Natur oder der Mensch darbietet, vernünftig zu behandeln.

Bei einer logischen, berechtigten Theorie des Theismus kann der Unterschied zwischen „natürlich“ und „übernatürlich“, wie er gewöhnlich gemacht wird, auf keinen Fall aufrecht gehalten werden; denn nach jener Theorie ist alle Kausalität nur die Wirkung des göttlichen Willens, und wenn wir dabei irgend einen Unterschied zwischen unmittelbarer und mittelbarer Wirkung machen wollen, so können wir dies nur im Verhältnis zum Menschen, d. h. zu unserer Erfahrung gelten lassen. Denn offenbar würde es mit dem reinen Agnostizismus ganz unvereinbar sein, wollten wir annehmen, daß wir in Bezug auf das göttliche Wirken selbst einen solchen Unterschied machen dürfen. Selbst abgesehen von der Theorie des Theismus muß der reine Agnostizismus anerkennen, daß der richtige Unterschied nicht der zwischen „natürlich“ und „übernatürlich“, sondern zwischen erklärlich und unerklärlich ist, und jene Ausdrücke bedeuten das, was solchen Ursachen zuzuschreiben, beziehungsweise nicht zuzuschreiben ist, die innerhalb des Bereichs menschlicher Beobachtung liegen. Der Unterschied liegt in Wirklichkeit also nur zwischen den der Beobachtung zugänglichen und den ihr nicht zugänglichen Kausalprozessen des Weltalls.

Da die Naturwissenschaft wesentlich im Erklären ihre Aufgaben findet, so ist ihre Arbeit notwendigerweise auf die Sphäre der natürlichen Kausalität beschränkt, jenseits dieser Sphäre (d. h. der sinnlichen) kann sie nichts erklären. Selbst wenn sie im Stande wäre, von jedem Dinge die natürliche Kausalität zu erklären, so würde sie doch unfähig sein, den letzten Grund des Seins irgend eines Dinges oder einer Erscheinung anzugeben.

[S. 108]

Es ist nicht meine Absicht hier eine Abhandlung über die Natur der Kausalität zu schreiben, oder die vielen Theorien zu erörtern, welche von den Philosophen über diesen Gegenstand aufgestellt worden sind. Dies versuchen würde in der That nichts weniger bedeuten als eine Geschichte der Philosophie selbst schreiben. Dennoch ist es für meinen Zweck notwendig einige Bemerkungen hinsichtlich der hauptsächlichsten Gedanken über diesen Gegenstand zu machen. [60]

Die beachtenswerte Natur der Thatsachen.

Beachtenswert sind folgende Thatsachen deshalb, weil sie bei jeder menschlichen Erfahrung zu beobachten sind. Alles, was geschieht, hat eine Ursache. Dasselbe Ereignis hat stets dieselbe Ursache — oder: dasselbe Konsequenz hat dasselbe Antecedens. Einzig und allein die Vertrautheit mit dieser bedeutsamen Thatsache bewirkt, daß darüber nicht allgemein Verwunderung entsteht, denn ungeachtet aller Theorien über sie hat doch noch niemand wirklich bewiesen, warum es so ist. Daß dieselben Ursachen stets dieselbe Wirkung haben, ist ein Satz, der die Fundamentalthatsache unsres Wissens ausdrückt, aber die Kenntnis dieser Thatsache ist durchaus Erfahrungssache, wir können keinen Grund angeben, warum es eine Thatsache sein muß. Wenn es keine Thatsache wäre, so würde es zweifellos keine sogenannte Naturordnung geben und folglich auch keine Philosophie, keine Naturwissenschaft und vielleicht (wenn die Unregelmäßigkeiten häufig genug vorkämen) überhaupt keine Möglichkeit menschlicher Erfahrung. Aber obgleich dies sehr leicht zu zeigen ist, so beweist es doch keineswegs, weshalb dieselben Ursachen immer dieselben Wirkungen haben.

Daß unsere Kenntnis der in Frage stehenden Thatsache [S. 109] nur erfahrungsmäßig ist, ist so offenbar, daß sogar einige unserer größten Denker, wie Mill und Hume, nicht die intellektuelle Nötigung bemerkt haben, daß man über die erfahrungsmäßige Kenntnis der Thatsache hinausgehen muß, um eine Erklärung von ihr selbst zu erlangen. Daher bieten sie der Welt eine ganz nichtssagende, oder bloß tautologische Theorie der Kausalität, nämlich jene von der Gleichmäßigkeit der Wirkungen im Bereich der menschlichen Erfahrung. [61]

Wenn man von meiner Theorie der Kausalität sagen sollte, daß sie das Übernatürliche und Geistige natürlich oder materiell auffasse, wie es wohl die meisten Orthodoxen denken werden, so lautet meine Antwort darauf: tieferes Nachdenken wird zeigen, daß man sie wenigstens eben so gut von dem entgegengesetzten Gesichtspunkt aus auffassen kann — nämlich, daß sie sich das Natürliche übernatürlich vorstellt oder das Materielle vergeistigt; und ein reiner Agnostiker sollte am wenigsten gegen eine von diesen beiden Anschauungsweisen etwas einwenden. Wenn die reine Vernunft bei der Sache überhaupt etwas zu sagen hat, so sollte sie der Auffassung zuneigen, daß meine Doktrin das Materielle vergeistigt, weil es durchaus gewiß ist, daß wir nichts vom Wesen der natürlichen Kausalität wissen können — eben so wenig wie von ihrem Dasein — es sei denn, daß wir von unseren eigenen Willensäußerungen ausgehen.

Der freie Wille. [62]

Nachdem ich alles über den freien Willen gelesen habe, [S. 110] was überhaupt des Lesens wert ist, will es mir scheinen, daß sich die Hauptergebnisse und ihre logischen Schlußfolgerungen in folgende kurze Sätze zusammenfassen lassen:

1) Ehe ein Schriftsteller sich überhaupt mit diesem Gegenstand beschäftigt, sollte er sich des Hauptunterschieds zwischen der bloß rechtlichen und der moralischen Verantwortlichkeit voll bewußt werden, sonst verfehlt er den Kernpunkt der Frage. Niemand fragt nach der offenkundigen Thatsache der rechtlichen Verantwortlichkeit; die Frage betrifft allein die moralische , und doch rührt die große Masse der Litteratur über den freien Willen und die Naturnotwendigkeit daher, daß die Streitenden auf beiden Seiten diesen Fundamental-Unterschied nicht erkennen, und das passiert selbst so bedeutenden Männern wie Spencer, Huxley und Clifford.

2) Die Hauptfrage ist: ob der Wille eine Ursache hat oder nicht. Denn wie auch immer diese Hauptfrage durch die aus ihr entspringenden Fragen verdunkelt werden mag, diese Folgefragen stehen und fallen mit ihr.

3) Folglich: wenn die Anhänger der Willensfreiheit zugeben, daß Kausalität und Wille zusammengehören, so geben sie damit, so sehr sie sich auch drehen und wenden, doch ihre Stellung auf der ganzen Linie auf, wenn sie nicht auf die weiter zurückliegende Frage nach dem Wesen der natürlichen Kausalität eingehen wollen. Es kann nun bewiesen werden, daß diese weiter zurückliegende Frage wissenschaftlich nicht zu beantworten ist. Daher können beide Parteien die natürliche Kausalität als unbekannte Größe mit X bezeichnen.

4) Daher sollten beide Parteien einsehen, daß sich die ganze Streitfrage in die folgende zuspitzt: — Wird der Wille durch jenes X bestimmt oder nicht? Das mag, ich gebe es zu, als eine für eine Debatte unfruchtbare Frage erscheinen, — aber sie bleibt doch als einzige, thatsächliche Streitfrage [S. 111] übrig, also noch einmal: bestimmt sich der Wille selbst oder wird er bestimmt, nämlich von außen?

5) Wenn er von außen her bestimmt wird, bleibt dann noch irgend ein Spielraum für die Freiheit in dem Sinne, wie es nötig ist, um die Lehre von der moralischen Verantwortlichkeit zu retten? Ich denke, die Antwort müßte ein entschiedenes Nein! sein.

6) Aber wohl beachtet, es ist nicht ein und dasselbe, ob wir fragen: wird der Wille nur von außen bestimmt? oder wird der Wille nur von natürlicher Kausalität ( X ) bestimmt? Denn die unbekannte Größe X kann sehr gut noch ein X 1 in sich schließen, wenn wir unter X 1 alle die unbekannten Nebeneigenschaften der einzelnen Persönlichkeit [63] verstehen.

7) Daher gewinnen die Deterministen keinen Vorteil über ihre Gegner, wenn sie den wohl möglichen (heute aber noch unmöglichen) Nachweis dafür führen, daß alle Willensakte von der natürlichen Kausalität bedingt werden, es sei denn, daß sie die Natur der letzteren aufdecken und zeigen können, daß sie ihre Schlußfolgerungen unterstützt. Soviel wir wissen können, mag der Wille sehr wohl in dem verlangten Sinn frei sein, selbst wenn alle seine Handlungen durch jenes X bedingt werden.

8) In Sonderheit könnte, soviel wir wissen können, alles durch das X 1 bedingt sein, d. h. alle Kausalität könnte die Natur des Willens haben (wie es in der That viele Systeme der Philosophie behaupten) und daraus würde folgen, daß jeder menschliche Wille die Natur einer ersten Ursache hat. Zur Unterstützung dieser Möglichkeit mag bemerkt werden, daß die meisten Philosophen in Bezug auf das X zu der Theorie einer causa causarum gelangt sind.

[S. 112]

9) Nun liegt ein Einwand nahe, nämlich: bei einer Mehrzahl von ersten Ursachen, von denen jede Quelle und Ursprung eines neuen und nie versiegenden Stromes von Kausalität wäre, müßte der Kosmos früher oder später durch die haufenweise Kreuzung der Ströme, ein Chaos werden, die Antwort darauf ist in der Theorie des Monismus zu finden. [64]

10) Indessen bleibt noch die letzte Schwierigkeit, welche ich in meiner Abhandlung „die Welt als ein Ejekt“ [65] geschildert habe, aber sie verliert sich wieder in dem Mysterium der Persönlichkeit, welche nur als eine unerklärbare und anscheinend letzte Thatsache bekannt ist.

11) So muß also die allgemeine Schlußfolgerung in der ganzen Frage sein: — reiner Agnostizismus. —

[S. 113]

§ 4. Der Glaube.

Der „Glaube“ unterscheidet sich in seiner religiösen Bedeutung nicht allein von „Meinung“ (das heißt von einem Glauben, der sich nur auf Vernunft gründet) dadurch, daß zu dieser noch ein geistliches Element hinzukommt, er unterscheidet sich auch von dem Glauben, der auf Affekten beruht, dadurch, daß er einer aktiven Mitwirkung des Willens bedarf. So sind also alle Seiten des menschlichen Geistes im Begriff des Glaubens enthalten: Verstand, Gemüt und Wille. Wir „glauben“ an die Entwicklungslehre nur aus Gründen des Verstandes; wir „glauben“ an die Liebe unserer Eltern, Kinder u. s. w. fast (oder gar ausschließlich) aus, ich nenne es, geistlichen [66] Gründen, d. h. aus Gründen der inneren Erfahrung, denn dazu haben wir keine Ausübung weder der Vernunft noch des Willens nötig. Aber Niemand kann an Gott oder gar Christus glauben ohne eine ernste Anstrengung des Willens. Dies halte ich für eine Thatsache, mag es nun einen Gott oder Christus geben oder nicht.

Man beachte es wohl, der „Wille“ ist vom „Wunsch“ zu unterscheiden. Es ist ganz gleichgültig, was die Psychologen darüber sagen. Ob sich der „Wunsch“ vom „Willen“ seinem Wesen oder nur dem Grade nach unterscheidet; ob der Wille sozusagen ein aktiver Wunsch und der Wunsch [S. 114] bloß ein beginnender Wille ist, das sind Fragen, um die wir uns nicht zu kümmern brauchen, denn es giebt sicherlich Agnostiker, welche viel lieber Theisten sein würden, und Theisten, welche alles, was sie besitzen, hingeben würden, um Christen sein zu können, wenn es möglich wäre, daß sie sich diese Beförderung etwa durch Kauf, d. h. durch einen einzelnen Willensakt, aneignen könnten. Dennoch ist ihr Wunsch nicht stark genug, um den Willen ununterbrochen in Aktivität zu halten, so daß er fortgesetzt die Opfer bringt, welche das Christentum fordert. Vielleicht ist das schwerste dieser Opfer für einen denkenden Menschen das, seinen eigenen Verstand daranzugeben, wenigstens ist dies bei mir so der Fall. Ich war lange gewohnt meinen Verstand als den einzigen Richter der Wahrheit anzusehen; und während der Verstand selbst es mir bezeugt, daß es gar nicht unvernünftig sei, wenn Herz und Wille im Verein mit der Vernunft Gott suchen müssen, (denn die Religion ist für den ganzen Menschen) — — so bin ich doch zu eifersüchtig auf meinen Verstand, um meinen Willen in der Richtung zu gebrauchen, in welcher es mein Herz am sehnlichsten wünscht. Denn sicherlich ist das heißeste Verlangen meines Herzens, daß es in seinem höchsten Streben nicht betrogen wird. Und dennoch konnte ich mich selbst nicht überwinden, einen Versuch zu machen und zum Glauben fortzuschreiten. Von einem Standpunkt aus betrachtet, scheint es z. B. ganz vernünftig zu sein, daß das Christentum die praktische Ausführung seiner Glaubenslehren als eine notwendige Bedingung fordert, damit ihre Wahrheit zur Überzeugung wird, d. h. damit man sie glaubt. Aber von einem anderen und mir geläufigeren Standpunkt aus scheint es mir fast eine Beleidigung der Vernunft zu sein, solch ein thörichtes Experiment überhaupt zu machen, geradeso wie es einem Naturforscher absurd und kindisch erscheint, daß man erwartet, er solle die „abergläubischen“ Thorheiten des modernen Spiritismus untersuchen. Selbst den einfachsten Willensakt in Bezug auf Religion — nämlich das Gebet — habe ich wenigstens [S. 115] ein Vierteljahrhundert lang nicht ausgeübt, lediglich aus dem Grunde, weil es mir so unmöglich schien sozusagen hypothetisch zu beten, so daß ich mich, so sehr mich auch immer darnach verlangt hat, beten zu können, doch nicht zu dem Willensakt aufraffen konnte, einen Versuch damit zu machen. Um mich in Bezug auf das, was mein besseres Urteil so sehr oft als unvernünftig erkannt hat, selbst zu rechtfertigen, habe ich immer verschiedene Entschuldigungen gehabt. Hauptsächlich war es diese: Selbst wenn man das Christentum als Wahrheit annimmt und selbst angenommen, daß ich meine Vernunft soweit meinem Verlangen opfern könnte, daß ich die vorausgesetzten Bedingungen erfüllt hätte, um „Gnade“ oder unmittelbare Erleuchtung von Gott zu erlangen, — würde sich nicht selbst dann meine Vernunft empören und an mir rächen? Denn sicherlich würde selbst dann mein gewohnheitsmäßiger Skeptizismus mir sagen: „Dies ist Alles sehr erhaben und tröstlich; aber welche Gewißheit hast du, daß die ganze Sache nicht doch eine Selbsttäuschung ist? Der Wunsch war wahrscheinlich der Vater des Gedankens, und du würdest deinen Willensakt besser verwendet haben, dich für irgend eine niedrige Sache und wäre es nur ein Haschisch-Rausch, zu begeistern?“ — Ein Christ würde natürlich darauf antworten, daß die innere Erleuchtung einen solchen Zweifel nicht zulassen kann, ebensowenig wie der Anblick der Sonne an dieser zweifeln läßt, — daß Gott uns doch gut genug kennt, um das zu verhüten u. s. w., und auch daß es unvernünftig sei, ein Experiment deshalb nicht zu versuchen, weil sein Ergebnis sich vielleicht als zu gut erweisen möchte, um glaubwürdig zu sein. Ich will nicht bestreiten, daß der Christ durch eine solche Antwort gerechtfertigt sein würde, aber ich führe die Sache auch nur als eine Probe der Schwierigkeiten an, die sich entgegenstellen, wenn man alle Bedingungen erfüllen will, um zum christlichen Glauben zu gelangen, selbst wenn man ihn für richtig hält. Andere haben ohne Zweifel andere Schwierigkeiten, aber die meinige lag wohl hauptsächlich in [S. 116] meiner ungebührlichen Rücksichtnahme auf die Vernunft unter Vernachlässigung von Herz und Willen, ungebührlich dann, wenn das Christentum wirklich Wahrheit ist und wenn die Bedingungen für den Glauben an dasselbe eine göttliche Verordnung sind.

Dieser Einfluß des Willens auf den Glauben, selbst in weltlichen Dingen, ist um so stärker ausgeprägt, je weniger diese Dinge sich vordemonstrieren lassen (wie schon bemerkt); aber das ist am meisten dort der Fall, wo unsere persönlichen Interessen berührt werden, mögen es materielle oder intellektuelle sein, wie z. B. der Ruf konsequent zu sein u. s. w. Man bedenke nur, wie sehr z. B. politische Glaubensbekenntnisse den religiösen in den eben erörterten Beziehungen gleichen. Wenn die Unterschiede dabei nicht der Art sind, daß die Wahrheit auf der einen Seite klar beweisbar ist, so daß der, welcher ein Anhänger der gegnerischen Seite ist, dabei bewußter Weise seine Redlichkeit dem Eigennutz geopfert haben muß, so finden wir doch immer, daß die Parteibrille die Dinge so färbt, daß man die Vernunft dem Willen preisgiebt, sowie der Gewohnheit, dem Interesse und all den andern Verhältnissen, welche in gleicher Weise auf den religiösen Glauben einwirken. In jedem Falle scheint es nur wenig darauf anzukommen, auf welcher Höhe von allgemeiner oder besonderer Bildung sowie geistiger Beanlagung man steht, um die zu beurteilende Frage zu beantworten. Vom Premierminister bis zum Bauern finden wir dieselbe Meinungsverschiedenheit in politischen Dingen wie in religiösen. Und in jedem Fall ist die Erklärung die gleiche. Der Glaube ist so wenig von der Vernunft allein abhängig, daß es in solchen Gedankenkreisen — d. h. wo persönliche Interessen berührt werden und die Wahrheit ihrer Natur nach nicht demonstrierbar ist, wirklich so scheint, als ob die Vernunft aufhört ein Richter in Bezug auf den Beweis oder der Führer zur Wahrheit zu sein, so daß sie nur der Advokat einer Meinung ist, die bereits auf einem anderen Grunde auferbaut [S. 117] wurde. Dieser andere Grund besteht, wie wir gesehen haben, vornehmlich in den Zufälligkeiten der Gewohnheit oder der Mode, und der Wunsch ist dann der Vater des Gedankens u. s. w.

Dies mag nun alles in Bezug auf Politik und in allen weltlichen Dingen bedauerlich sein; aber wer will sagen, daß es in Bezug auf den religiösen Glauben nicht so sein muß , wie es ist! Denn, wenn wir nicht die Frage nach einem zukünftigen Leben mit einer nackten Verneinung abthun wollen, so müssen wir doch wenigstens die Möglichkeit erwägen, ob wir hier nicht in einem Zustand der Prüfung leben, und das nicht allein bezüglich eines unbefangenen Gebrauchs unserer Vernunft, sondern wahrscheinlich noch viel mehr bezüglich des Gebrauchs jener anderen Seiten der menschlichen Natur, durch welche unser Glaube in dieser wichtigsten von allen Fragen bestimmt wird.

Es ist bemerkenswert, daß es selbst in der Politik die sittlichen und geistlichen Elemente des Charakters sind, welche endlich zum Erfolg führen, selbst mehr als intellektuelle Fähigkeiten, natürlich vorausgesetzt, daß die letztere nicht unter dem etwas hohen Niveau unserer parlamentarischen Versammlungen steht. [67]

In Bezug auf die Rolle, die der Wille bei der Entscheidung für den Glauben spielt, kann man nachweisen, wie unbewußt groß dieselbe sogar in Dingen von weltlichem Interesse ist. Die Vernunft ist in der That sehr weit davon entfernt, der einzige Führer beim Urteil zu sein, wie man gewöhnlich annimmt. Das geht thatsächlich so weit, daß das Urteil, ausgenommen in Dingen, bei welchen der Beweis auf der Hand liegt, (wobei es natürlich keinen Raum mehr für irgend etwas anderes giebt) — zumeist durch Gewohnheit, Vorurteil, Mißfallen u. s. w. soweit gefangen genommen ist, [S. 118] daß es den nüchternsten Philosophen überraschen würde, könnte er sich alle die geistigen Prozesse klar machen, durch welche der komplizierte Akt der Zustimmung beziehungsweise Abneigung zufällig bestimmt wird. [68] Um zu zeigen, wie wenig die Vernunft allein bei der Entscheidung für den religiösen Glauben zu thun hat, wollen wir einmal als Beispiel die Mathematiker betrachten. Ich denke, sie sind das beste Beispiel, welches wir nehmen können, weil die mathematische von allen intellektuellen Forschungen die exakteste ist, da sie vielmehr als alle anderen die Kräfte der Vernunft in Anspruch nimmt, und weil deshalb auch die Männer, welche in dieser Forschung die höchste Stufe erreicht haben, sicherlich als die geeignetsten Vertreter der Menschheit in Bezug auf die Kraft [S. 119] der reinen Vernunft betrachtet werden können. Aber siehe, jedesmal wenn sie ihre in jener Beziehung außerordentlichen Kräfte auf die Probleme der Religion gerichtet haben, — wie wohl erwogen sind dann bezeichnender Weise ihre entgegengesetzten Schlüsse [keiner von beiden scheint zu irren — der Übersetzer], so daß wir daraus nur schließen können, wie außerordentlich wenig die Vernunft bei den geistigen Vorgängen gilt, welche hier das Urteil bestimmen.

Wenn wir in dieser Hinsicht die größten Mathematiker in der Weltgeschichte untersuchen, so finden wir, daß z. B. Keppler und Newton Christen waren, daß aber andererseits La Place ungläubig war. [69] Oder wenn ich unsere Zeit in Betracht ziehe und meine Aufmerksamkeit z. B. auf den Hauptsitz der mathematischen Studiums in England richte, so ist folgendes zu sagen: — als ich in Cambridge war, erstrahlte in dieser Fakultät von dort aus ein solch helles Licht wie wohl nie zuvor. Und das Merkwürdige für unseren gegenwärtigen Zweck ist dabei, daß die Träger der berühmtesten Namen auf Seiten der Orthodoxie standen: Sir W. Thomson, Sir George Stokes, die Professoren Tait, Adams, Clerk — Maxwell und Cayley — gar nicht zu nennen die weniger bedeutenderen: Routh, Todhunter, Ferrers u. s. w. waren alle überzeugte Christen. Clifford allein war damals gerade von dem Extrem der Orthodoxie zu dem des Unglaubens übergesprungen — ein vereinzeltes Beispiel, welches ich als besonders interessant für unsern Zweck ansehe, da es den überwiegenden Einfluß eines unnatürlich aufgeregten Charakters gerade auf einen so außerordentlich intelligenten Mann zeigt, denn die Vernunftmäßigkeit des ganzen Baues des christlichen Glaubens kann ihre Pole doch nicht innerhalb so weniger [S. 120] Monate gewechselt haben. Nun würde es ohne Zweifel leicht sein, wo anders als in Cambridge Mathematiker erster Größe zu finden, welche in unserer Generation entschiedene Gegner des Christentums sind oder gewesen sind, wenn auch sicherlich nicht eine so große Reihe von Sternen erster Größe. Aber sei dies wie es will, das Beispiel in Cambridge aus meiner eignen Zeit scheint mir an sich genugsam zu beweisen, daß der christliche Glaube durch die höchsten Kräfte der Vernunft weder begünstigt noch geschädigt werden kann, sondern daß er von anderen noch viel mächtigeren Faktoren abhängt.

Glaube und Aberglaube.

Mag das Christentum wahr sein oder nicht, — zwischen diesen beiden Begriffen bleibt doch immer ein großer Unterschied. Denn während der Hauptbestandteil des christlichen Glaubens ein sittliches Element ist, ist ein solches bei dem Aberglauben nicht vorhanden. Die einzige Ähnlichkeit zwischen beiden ist thatsächlich die, daß beide einen Geisteszustand bezeichnen, den man eben „Glaube“ nennt. Daher kommt es, daß beide Begriffe von Gegnern des Christentums und selbst von Nicht-Christen so oft verwechselt werden. Der viel wichtigere Unterschied wird nicht hervorgehoben, nämlich der, daß der Glaube in dem einen Fall ein rein intellektueller, im andern Fall hauptsächlich ein sittlicher ist. Wenn er nur intellektuell aufzufassen ist, so kann der Glaube nichts anderes als bloße Leichtgläubigkeit bei gänzlichem Mangel an Beweiskraft sein; aber wo ein sittlicher Grund zum Glauben vorhanden ist, da liegt der Fall natürlich ganz anders; denn selbst wenn es einem Fernerstehenden bloße Leichtgläubigkeit zu sein scheint, so mag dies dann daher kommen, daß jener die aus sittlichen Thatsachen hinzukommenden Beweise nicht in Betracht zieht. —

Glaube und Aberglaube werden oft verwechselt, ja sogar identifiziert. Ohne Frage sind sie auch in einem gewissen [S. 121] Punkt identisch, sie zeigen nämlich, wie gesagt, beide einen geistigen Zustand, den man eben „Glaube“ nennt. Dies können alle Menschen erkennen, aber nicht jeder kann weiter sehen und die Unterschiede erklären. Diese sind aber folgende: Wenn wir annehmen, daß das Christentum wahr ist, — so ist eben der Glaube der innere ( spiritual ) Beweis; wenn wir aber annehmen, daß das Christentum falsch sei: so bleibt doch noch ein moralischer Bestandteil im Glauben, welcher ex hypothesi (d. h. in Folge der Voraussetzung) im Aberglauben nicht vorhanden ist. Mit andern Worten: Glaube oder Aberglaube ruhen beide auf einer geistigen Grundlage (was auch bloße Leichtgläubigkeit sein kann); aber der Glaube ruht zugleich auf einem sittlichen Grunde, selbst dann, wenn er nicht in gleicher Weise auf einem geistigen Grunde steht. Sogar in menschlichen Verhältnissen giebt es einen großen Unterschied zwischen dem Glauben an eine wissenschaftliche Theorie und dem Glauben an einen persönlichen Charakter. Der Unterschied liegt eben darin, daß der letztere ein sittliches Element enthält.

Das „Heilen durch Glauben“ hat daher keine Ähnlichkeit mit dem „Dein Glaube hat dir geholfen“ des Neuen Testaments, wir müßten denn die persönlichen Unterschiede unberücksichtigt lassen, welche zwischen einem modernen Besprecher und Jesus Christus, die doch beide Gegenstand des Glaubens sind, bestehen. Glaube gründet sich nicht ausschließlich auf einen objektiven Beweis, der an die Vernunft appelliert (Meinung), sondern hauptsächlich auf einen subjektiven Beweis, der an eine ganz andere Fähigkeit appelliert (Vertrauen). Ob die Christen nun bei dem, was sie glauben, recht oder unrecht haben mögen, — ich bin so fest, wie nur sonst von irgend etwas überzeugt, daß die von mir soeben gegebene Begriffsbestimmung, welche sie alle für sich selbst stillschweigend machen, logisch unanfechtbar ist; denn niemand kann leugnen, daß es möglicher Weise ein Etwas giebt, was [S. 122] man ein Organ geistlicher ( spiritual ) Beurteilung [70] nennen könnte. Wollte man dies leugnen, so würde man thatsächlich die Stellung des reinen Agnostizismus in toto für falsch erklären; und dies bleibt selbst dann so, wenn es keine objektiven oder streng wissenschaftlichen Beweise für ein solches Organ gäbe, wie wir sie ja aber im Leben der Heiligen, und in geringerem Maße in der Universalität des religiösen Gefühls haben. Giebt es nun ein solches Organ, so folgt aus den vorhergehenden Paragraphen, daß die Hauptbeweise für das Christentum subjektiv nicht allein sein werden, sondern sein müssen: ich meine, sie müssen es sein, da gemäß der Voraussetzung des Christen das Christentum seinem Inhalt nach eine sittliche Prüfung enthält, und da der „Glaube“ sowohl eine Probe auf die Wahrheit ist als auch einen Lohn in sich schließt.

Manche praktischen Erwägungen entstehen daraus, z. B. die Pflicht der Eltern, die Kinder ebensowohl in dem zu erziehen, was sie glauben als in dem, was sie wissen. Das würde ganz ungerechtfertigt sein, wenn Glaube dasselbe wie Meinung wäre. Aber es ist durchaus gerechtfertigt, wenn ein Mensch nicht allein weiß, daß er etwas glaubt (Meinung), sondern auch glaubt, daß er etwas weiß (Glaube). [71] Wenn sich nun der Christ darin von dem natürlichen Menschen unterscheidet, daß jener ein inneres ( spiritual ) Organ der Erkenntnis besitzt, — vorausgesetzt daß er ehrlich glaubt, es sei so, so würde es unsittlich von ihm sein, wenn er nicht in Übereinstimmung mit dem handelte, was er für seine Erkenntnis hält. Diese Verpflichtung bei der Erziehung erkennt man auch in jedem anderen Fall an. Solch ein Mann ist moralisch im Recht, wenn er auch geistig irrt. —

Huxley sagt in seinen „Laien-Predigten“, daß der Glaube [S. 123] von der Wissenschaft als „Kardinalsünde“ erwiesen worden sei. Nun, dies ist allerdings wahr in Bezug auf Leichtgläubigkeit, Aberglauben u. s. w., und die Wissenschaft hat unendlich viel Gutes gethan, indem sie unsere Begriffe von Methode, Beweis &c. klarlegte. Aber dies liegt alles im Gebiet des Intellekts. Der Glaube wird von solchen Thatsachen oder Betrachtungen nicht berührt. Und welch eine schreckliche Hölle würde die Wissenschaft aus der Welt gemacht haben, wenn sie den „Geist des Glaubens“ auch in menschlichen Verhältnissen vernichtet hätte. Huxley verfällt also in den so allgemeinen Irrtum, daß er „Glaube“ und Meinung verwechselt.

Wenn man das Christentum für wahr hält, so ist es durchaus vernünftig, wenn der Glaube im oben schon erklärten Sinn als eine Probe der göttlichen Gnade erklärt wird. Wenn es überhaupt eine Scheidung der Menschen durch Christus giebt, dann muß sich der Hauptgesichtspunkt, nach dem diese geschieht, auf jene moralische Eigenschaft beziehen. Niemand kann eine Offenbarung annehmen, die sich bloß an den Intellekt des Menschen richtet, weil die Annahme derselben alsdann nur eine Sache der Klugheit wäre, indem man einer durch höhere Intellekte gemachten Demonstration beipflichtet.

Wenn das Christentum also berechtigter Weise diese Welt als eine Schule sittlicher Prüfung darstellt, dann können wir in der That kein besseres und dazu passenderes System finden als diese Welt und keinen besseren Schulmeister als das Christentum. Dies wird nicht allein durch ein allgemeines Räsonnement erwiesen, sondern auch durch das, was das Christentum in der Welt geleistet hat, durch seine Anwendbarkeit auf individuelle Bedürfnisse u. s. w. Man beachte nur die außerordentliche Verschiedenheit der menschlichen Charaktere in Bezug auf Sittlichkeit und geistliches ( spiritual ) Leben, und doch leben alle in derselben Welt. Aus äußerlich demselben Stoff und in derselben Umgebung entstehen so wunderbar verschiedene Produkte, je nachdem Stoff und Umgebung verwendet [S. 124] werden. Selbst menschliche Leiden in ihrer schlimmsten Gestalt können willkommen geheißen werden, wenn der Glaube an ein solches Ziel sie rechtfertigt. Leiden drücken nicht und Thränen haben nichts bitteres, sondern man soll sich ihrer vielmehr freuen. [72]

Es ist ferner eine Thatsache, daß es nur durch diese Theorie der Prüfung möglich ist, für die Welt einen Sinn, d. h. einen vernünftigen Zweck für das menschliche Dasein zu erkennen. Setzt man die Wahrheit des Christentums voraus, so wird jedermann nach den Ergebnissen seiner eignen Lebensführung gerichtet, und diese entwickelt sich aus seinem eignen moralischen Charakter. (Dies könnte nicht so sein, wenn der Entscheid Sache intellektueller Begabung wäre.) Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die Ausübung des Willens in der Richtung der Religion nicht einer Hilfe bedarf, um zum Glauben zu kommen und daß dazu der eine mehr, der andere weniger Hilfe nötig hat. Ja, es kann sogar sein, daß manche absichtlich von jeder Hilfe ausgeschlossen sind, damit ihre Verantwortlichkeit nicht vermehrt werde, oder daß sie nur wenig Hilfe erfahren, so daß die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Vernunft entspringen, für sie eine moralische Prüfung bilden. Doch, wie dem auch sein mag, uns steht darin sicherlich kein Richteramt zu.

Es ist auch eine Thatsache, daß uns allen der Intellekt des Menschen höher zu stehen scheint als seine Sinnlichkeit, wir mögen über ihren Ursprung eine Ansicht haben, welche wir wollen. Ebenso stellen wir alle in gleicher Weise die sittliche Seite des Menschen höher als seinen Intellekt, mögen wir sonst auch von beiden denken, was wir wollen. Es ist ferner [S. 125] eine Thatsache, daß wir die geistliche ( spiritual ) Seite höher stellen als die sittliche, welche Theorie von der Religion wir auch haben mögen. Die sittlichen und noch mehr die geistlichen Eigenschaften eines Menschen sind es, welche seinen Charakter bilden. Und es ist wunderbar, wie der Charakter auf allen Lebenswegen schließlich doch die Hauptsache ist.

Alle diese Begriffe sind klar und allgemein anerkannt, nämlich:

Der Mensch hat { Sinnlichkeit,
Intellekt,
Sittlichkeit,
Geist ( Seele ) („ spirituality “).

Sittlichkeit und Geist sind als zwei ganz verschiedene Dinge anzusehen. Ein Mensch kann in seinem Verhalten im höchsten Grade sittlich sein, ohne irgendwie seiner Natur nach geistlich gerichtet zu sein, und auch, wenn freilich in geringerem Maße, umgekehrt. Und objektiv erkennen wir denselben Unterschied zwischen Moral und Religion. Unter Geist verstehe ich die religiöse Denkart („Temperament“), mag damit irgend ein besonderes Glaubensbekenntnis oder Dogma verbunden sein oder nicht.

Es besteht wohl kein Zweifel, daß intellektuelle Genüsse befriedigender und nachhaltiger sind als sinnliche („ sensual “) — oder selbst nur für die Sinne erkennbare („ sensuous “). Und für die, welche sie erfahren haben, ist es ebenso sicher, daß geistliche Genüsse über intellektuellen, künstlerischen u. s. w. stehen. Es ist dies eine objektive Thatsache, die vollauf von jedem bestätigt wird, der die Erfahrung gemacht hat, und sie scheint anzuzeigen, daß die geistliche Seite des Menschen das Höchste in ihm, der Kulminationspunkt seines Wesens, ist.

Es ist vielleicht wahr, was Renan in seiner nachgelassenen Schrift sagt, daß es immer Materialisten und Spiritualisten [S. 126] geben wird, insofern man immer wird beobachten können, daß es kein Denken ohne Gehirn giebt, während andererseits des Menschen Instinkte immer nach einem höheren Glauben streben werden. Aber so muß es ja gerade sein, wenn die Religion Wahrheit ist, und wenn wir hier in einer Welt der Prüfung leben. Ist es nicht wahrscheinlich, daß der materialistische Standpunkt (der selbst von der Philosophie nicht mehr geachtet wird), nur einfach aus Gewohnheit und Mangel an Einbildungskraft entspringt? Woher käme sonst jener unausrottbare Instinkt?

Es ist viel leichter nicht zu glauben als zu glauben. Für die Vernunft liegt dies auf der Hand, aber auch für den Geist ist es so, denn nicht zu glauben entspricht dem Einfluß der Umgebung und der allgemeinen Gewohnheit der Menschen, während der Glaube eine geistliche ( spiritual ) Übung der Einbildungskraft fordert. Aus diesen beiden Gründen haben sehr wenig Ungläubige für ihren Unglauben irgend eine Entschuldigung, weder eine aus der Vernunft entspringende noch eine geistliche.

Der Unglaube stammt gewöhnlich aus Gleichgültigkeit, oft aus Vorurteil, und ist niemals etwas, worauf man stolz sein könnte.

„Warum ist es dir so unglaublich, daß Gott die Toten auferwecken kann?“ Ein reiner Agnostiker kann darauf offenbar keine Antwort geben. Aber er wird natürlich sagen: „Die Frage ist vielmehr, warum sollte es Euch glaubhaft sein, daß es einen Gott giebt, oder wenn es einen giebt, daß er Tote erwecken soll?“ Und ich denke, der weise Christ wird antworten: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten teils aus Gründen der Vernunft, teils aus innerer Anschauung (Intuition), doch vor allem aus beiden zusammen, mein [S. 127] ganzer Charakter nimmt so zu sagen das ganze Lehrsystem an, von dem die Lehre von der persönlichen Unsterblichkeit einen Hauptteil bildet.“ Dazu können wir wohl noch hinzufügen, daß die christliche Lehre von der Auferstehung unseres Leibes nicht deshalb aufgestellt worden ist, um den modernen materialistischen Einwürfen gegen die Lehre von der persönlichen Unsterblichkeit zu begegnen; daher ist es auch sicherlich sehr wunderbar, daß diese Lehre zu jener Zeit zusammen mit der anderen kaum weniger bezeichnenden Lehre von der Nichtigkeit des Körpers aufgestellt worden ist. Warum sagte man nicht, daß die Seele allein als ein entkörperter Geist leben bleiben würde? Oder wenn die Gestalt als notwendig erachtet wird, um den Menschen von Gott zu unterscheiden, — daß er ein Engel sein würde? Aber, wie dem auch sei, die Lehre von der Auferstehung ist dem materialistischen Einwurf gegen ein zukünftiges Leben durchaus zuvorgekommen, und hat so erst die spätere Frage hervorgerufen, mit welcher dieser Absatz beginnt.

Wir haben in der Einleitung gesehen, daß alle Hauptgrundsätze, selbst der wissenschaftlichen Thatsachen, durch Anschauung (Intuition), nicht durch den Verstand erkannt werden. Keiner kann dies leugnen. Nun also, wenn es einen Gott giebt, so gehört diese Thatsache doch sicherlich zu den ersten aller Hauptgrundsätze. Auch dies kann niemand leugnen. Niemand kann daher den zwingenden Schluß bestreiten, daß dann Gott, wenn es überhaupt einen Gott giebt, erkennbar sein muß und (wenn überhaupt erkennbar), durch Anschauung und nicht durch Vernunft. —

Es gehört wirklich nur wenig Nachdenken dazu, um zu zeigen, daß die Vernunft ihrer eignen Natur nach unfähig ist über diese Sache abzuurteilen, denn es ist ein Vorgang, bei dem man das Unbekannte aus dem Bekannten ableitet. —

Es wäre gegen die Vernunft selbst, wollte man voraussetzen, daß Gott, gerade wenn er existiert, durch die Vernunft [S. 128] erkannt werden könnte. Er muß, wenn er überhaupt erkennbar ist, durch Anschauung erkannt werden. [73]

Man beachte, selbst wenn Gott von sich eine objektive Offenbarung geben könnte, — d. h. wie die Christen glauben, daß es geschehen ist, — so würde auch dies an sich noch keine Erkenntnis von ihm bringen, ausgenommen für diejenigen, welche die Offenbarung eben für echt halten; und ich bezweifle die logische Möglichkeit, daß irgend welche Form objektiver Offenbarung zu dem Glauben an sie zwingen kann. Nein, wenn einer von den Toten auferstände, um dies zu bezeugen, so würde er es doch nicht vermögen, und auch Flammenbuchstaben vom Himmel könnten es nicht. Aber selbst wenn es logisch möglich wäre, so brauchen wir diese abstrakte Möglichkeit gar nicht in Betracht zu ziehen, da wir sehen, daß keine solche überzeugende Offenbarung gegeben worden ist. Daher ist die einzige berechtigte Stellungnahme der Vernunft der reine Agnostizismus. Dies kann niemand leugnen. Aber, wird man sagen, es besteht doch ein so großer Unterschied zwischen unserer intuitiven Kenntnis aller anderen obersten Grundsätze und der angeblichen Kenntnis des allerobersten Grundsatzes, nämlich der, daß der letztere eingestandener Maßen nicht allen Menschen bekannt ist. Gewiß, hier liegt in der That ein großer Unterschied; aber so muß es auch sein, wenn wir uns hier, wie erwähnt, in einem Stande der Prüfung befinden. Daß wir uns aber in einem solchen befinden, ist wie gesagt, nicht allein eine religiöse Hypothese, sondern auch die allein vernünftige Auslegung sowie auch die sittliche [S. 129] Rechtfertigung unseres Daseins als vernünftige und sittlich-handelnde Wesen. [74]

Es ist nicht nötig, wie J. S. Mill und alle anderen Agnostiker anzunehmen, daß, selbst wenn die innere Anschauung göttlichen Ursprungs wäre, die so gegebene Erleuchtung nur für den betreffenden Menschen als Beweis von Wert sein könne. Im Gegenteil; sie kann objektiv untersucht, wenn auch nicht subjektiv erfahren werden, und sie sollte doch auch von einem reinen Agnostiker, der von allen Seiten Erleuchtung ersehnt, schon deshalb untersucht werden. Selbst wenn er sie nicht als ein Noumenon erkennt, so kann er sie doch als ein Phänomen erforschen. Und angenommen, daß sie göttlichen Ursprungs ist, wie es die, welche sie erfuhren, glauben, und was zu bezweifeln er kein Recht hat, dann kann er noch mehr Beweisgründe dagegen, daß es eine bloß psychologische Täuschung sei, aus den übereinstimmenden Berichten aller Jahrhunderte erlangen. Wenn z. B. ein großer Teil der Menschheit Lichterscheinungen sehen würde, welche etwa von Magneten ausgehen, dann würde kein Zweifel an ihrem objektiven Vorhandensein bestehen.

Das Zeugnis des Sokrates von seiner Wahrnehmung einer inneren Stimme, welche ganz den Charakter einer Hallucination des Gehörs hat, hat den Philosophen Anlaß zu vielen Spekulationen gegeben.

Viele Erklärungen wurden versucht, aber wenn wir uns der kritischen Natur des Sokrates erinnern, der buchstäblichen Natur seiner Lehrmethode und der hohen Bedeutung, welche nach Plato's Meinung dieser Sache zukommt, dann scheint die Wahrscheinlichkeit dahin zu neigen, daß der [S. 130] „Dämon“ in dem eigenen Bewußtsein des Sokrates thatsächlich eine Gehörempfindung gewesen ist. Mag das nun sein, wie es will, meiner Meinung nach ist es keine Frage, daß wir uns diese Ansicht von der Sache wenigstens so weit aneignen dürfen, daß wir Sokrates auf gleiche Stufe mit Luther, Pascal u. s. w. stellen können, ganz zu schweigen von der ganzen Reihe von israelitischen und anderen Propheten, welche übereinstimmend von einer göttlichen Stimme sprechen. —

Dann aber entsteht die weitere Frage, ob wir alle diese Männer jenen Irrsinnigen gleichstellen sollen, bei denen die Phänomene der Gehör-Hallucinationen etwas alltägliches sind. Diese Annahme entspricht zweifellos dem Wesen unseres Zeitalters, einmal weil sie dem Sparsamkeitsgesetz gehorcht, und dann, weil es a priori die Möglichkeit einer Offenbarung zurückweist. —

Wenn wir aber diese Sache von dem Standpunkt des reinen Agnostizismus betrachten, so sind wir nicht berechtigt, eine solche grobe und schnell fertige Deutung zu geben.

Angenommen, daß nicht allein Sokrates und alle großen Religions-Reformatoren und Gründer religiöser Systeme vor und nach ihm in gleicher Weise von einer Geisteskrankheit befallen gewesen wären, sondern daß ähnliche Phänomene auch bei allen wissenschaftlichen Entdeckern : Galilei, Newton, Darwin &c. vorgekommen wären; — angenommen, alle diese Männer hätten erklärt, daß ihre Hauptgedanken ihnen durch subjektive Empfindungen gleichsam wie durch eine gesprochene Sprache mitgeteilt worden wären, so daß aller Fortschritt in dem wissenschaftlichen Denken der Welt dem des religiösen Denkens gleich wäre, und daher von den Förderern derselben direkten Inspirationen dieser Art zugeschrieben worden wäre; — alles dies angenommen, würde man dann leugnen können, daß das Zeugnis, welches derartig zu Gunsten der Thatsache einer subjektiven Offenbarung gegeben wäre, ein überwältigendes sei? Oder könnte man dann noch länger daran festhalten, daß die Thatsache einer subjektiv mitgeteilten Offenbarung nur [S. 131] für den Empfänger selbst Beweiskraft besitzen sollte? Man wird hierauf ohne Zweifel antworten: Nein, aber im angenommenen Falle entspringt der Beweis nicht nur der Thatsache ihrer subjektiven Anschauung, sondern aus der Thatsache ihrer objektiven Beglaubigung durch die wissenschaftlichen Resultate. Nun gut! aber dieses ist gerade das Zeugnis, an welches die hebräischen Propheten appellieren — das Zeugnis der wahren und falschen Propheten, das in der Erfüllung oder Nichterfüllung ihrer Weissagungen besteht und in den Worten ausgedrückt ist: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“. Zu sagen, daß das religiöse Bewußtsein der übrigen Menschen für uns kein Beweis a priori sein kann, ist ebenso thöricht, als wenn man sagt, daß das Zeugnis für das Wunderbare für andere keinen Wert hat. Der reine Agnostiker muß immer sorgfältig die Straße aprioristischer Urteile vermeiden. Aber andererseits muß er desto eifriger den Charakter des Beweises a posteriori aufrichtig nach Umfang und nach Inhalt beachten. Der Beweis ist nun in dem gegenwärtigen Fall ein doppelter, positiv und negativ. Es wird gut sein, den negativen zuerst zu betrachten.

Der negative Beweis wird durch die Natur des Menschen ohne Gott geliefert. Der Zustand eines solchen Menschen ist ein durchaus elender, wie Pascal es so schön gezeigt hat: den ganzen ersten Teil seiner Betrachtungen hat er diesem Gegenstand gewidmet. Ich brauche den Weg nicht zu betreten, den er bereits so gut durchforscht hat. —

Einige Menschen sind sich der Ursache dieses Elends nicht bewußt, indessen ändert dies nichts an der Thatsache, daß sie elend sind. Denn meistenteils verheimlichen sie die Thatsache so gut wie möglich sich selbst, indem sie sich in Gesellschaft oder im Sport und in Nichtigkeiten jeder Art, oder wenn sie intellektuell veranlagt sind, mit Wissenschaft, Kunst, Litteratur, Arbeit &c. zerstreuen. Dies ist indessen so, als wenn man die Hungernden mit Hülsen sättigen wollte. Ich kenne aus Erfahrung die intellektuelle Zerstreuungen der wissenschaftlichen [S. 132] Forschung, der philosophischen Spekulation und des künstlerischen Genusses, aber ich bin mir auch ebenso des einen bewußt: wenn man auch alles zusammen nimmt und alles dem Geschmack in Beziehung auf Ansehen, Mittel und gesellschaftliche Stellung möglichst angenehm macht u. s. w., — das alles ist doch nur ein feines Zuckerwerk für einen verhungernden Menschen. Er mag sich für kurze Zeit — besonders wenn er ein kräftiger Mensch ist — selbst mit dem Glauben betrügen, daß er sich ernährt, indem er seinen natürlichen Hunger verleugnet; bald jedoch erkennt er, daß er für eine ganz andere Nahrung gemacht wurde, selbst wenn sie weniger schmackhaft sein sollte.

Einige Menschen erkennen dies niemals klar und deutlich, doch immer zeigen sie es den andern deutlich genug. Bedenke z. B. „die größte Schwäche edler Seelen“: ich denke, die höchste und am wenigsten sinnliche von allen weltlichen Freuden besteht in der wohlverdienten Anerkennung der Welt darüber, daß wir aus uns selbst heraus zur hohen Vollendung gelangten. Und doch ist es wahr: „Gott hat verordnet, daß der Ruhm das höchste Sehnen nicht befriedigen kann.“ Ich habe nicht wenige von den berühmten Männern unserer Generation kennen gelernt, und habe diesen Ausspruch stets als durchaus wahr befunden. Gleich allen andern „sittlichen“ Befriedigungen wird auch dies bald durch Gewohnheit alltäglich, und, sobald eine Auszeichnung erlangt ist, sehnt man sich nach einer andern. Da giebt es kein Ende, bei dem man rasten könnte, während doch Krankheit und Tod stets im Hintergrund lauern. Gewohnheit kann den Menschen selbst über sein Elend blind machen; so weit, daß er es sich nicht klar macht, was ihm fehlt; aber es fehlt ihm doch immer etwas.

Ich halte es also für unwidersprechlich richtig, daß diese ganze negative Seite unseres Gegenstandes eine Leere in der Seele des Menschen zeigt, welche nur der Glaube an Gott ausfüllen kann.

[S. 133]

Nun zur positiven Seite! Man betrachte die Glückseligkeit der Religion und besonders der höchsten, nämlich der christlichen Religion. Abgesehen davon, daß der Glaube den Menschen außerordentlich kräftig beeinflußt, hält er auch am meisten aus, wächst und wird nie durch Gewohnheit altbacken. Kurz, er unterscheidet sich, wie auch alle, die ihn haben, einstimmig bezeugen, von jedem andern Glück nicht allein dem Grade, sondern auch dem Wesen nach. Die ihn besitzen, können es gewöhnlich durch das beweisen, was sie ohne ihn waren. Er hat keine Beziehung zu einem aus der Vernunft stammenden Zustand. Er ist ein Ding für sich und unübertrefflich.

So viel ist er für den Einzelnen. Aber der positive Beweis hört hiermit nicht auf. Man betrachte ferner die Wirkungen des christlichen Glaubens auf die menschliche Gesellschaft — durch christliche Persönlichkeiten auf die Familie, und durch die christliche Kirche auf die ganze Welt.

Alles dies zeigt uns, daß das Christentum allen höheren menschlichen Bedürfnissen angepaßt ist. Alle Menschen müssen diese Bedürfnisse mehr oder weniger fühlen, je nach dem Maße, als ihre höhere Natur in sittlicher oder geistlicher ( spiritual ) Beziehung entwickelt ist. Das Christentum aber ist die einzige Religion, welche im Stande ist, diese Bedürfnisse zu befriedigen, und zwar — nach denen zu urteilen, die allein fähig sind, es zu bezeugen, — im vollsten Maße. Alle diese Menschen, aus jeder Sekte, jeder Nation u. s. w., berichten darüber übereinstimmend aus ihrer eignen Erfahrung, so daß dieser Punkt über allem Zweifel erhaben ist. Die einzige Frage ist nur, ob sie nicht etwa alle betrogen sind.

[S. 134]

Peu de chose.

La vie est vaine:
Un peu d'amour,
Un peu de haine ....
Et puis — bon jour!
La vie est brève:
Un peu d'espoir,
Un peu de rêve ....
Et puis — bon soir! [75]

Diese Verse enthalten eine kurze und wahre Beurteilung dieses Lebens ohne die Hoffnung auf ein zukünftiges. Befriedigt es? — Doch der Christenglaube giebt ein ganz anderes Bild:

The night has a thousand eyes,
And the day but one;
Yet the light of the whole world dies
With the setting sun.
The mind has a thousand eyes,
And the heart but one;
But the light of a whole life dies
When love is done. [76]

Ja, das ist die Liebe! Wie erhaben ist aber dann das Christentum, die Religion der Liebe. Sie läßt die Menschen an den Urquell der höchsten Liebe und an die Unendlichkeit von Gottes Liebe zu den Menschen glauben.

[S. 135]

§ 5. Der Glaube an das Christentum.

Das Christentum wird in dieser Abhandlung einer ernsten Untersuchung unterworfen, weil diese „Prüfung der Religion“ [d. h. des Wertes des religiösen Bewußtseins] sich mit den Argumenten für den Theismus beschäftigt, wie sie der Mensch und nicht die Natur allein, abgesehen vom Menschen, liefert. Das Christentum aber ist unfraglich die höchste Offenbarung des religiösen Bewußtseins. —

Als ich meine frühere Abhandlung [„die unbefangene Prüfung“] schrieb, habe ich die ungeheuere Bedeutung, welche die menschliche Natur gegenüber der physikalischen für jede den Theismus betretende Untersuchung hat, nicht genügend gewürdigt. Aber seitdem habe ich eingehend Anthropologie (sowie Religionswissenschaft), Psychologie und Metaphysik studiert und das Ergebnis war, daß ich es nun klar erkannte, daß der Mensch für die Untersuchung der Theorie des Theismus das wichtigste Wesen der ganzen Natur ist. Dies hätte ich schon aus Gründen a priori vorher erkennen sollen, und das wäre auch ohne Zweifel geschehen, wäre ich nicht zu sehr in rein naturwissenschaftliche Untersuchungen vertieft gewesen.

Damals hielt ich es obendrein für erwiesen, daß das Christentum seine Rolle ausgespielt hätte, und glaubte überhaupt nicht, daß es irgend eine vernunftmäßige Bedeutung für die Frage des Theismus habe. Und wenn dies auch ohne Zweifel nicht zu entschädigen war, so glaube ich doch auch, [S. 136] daß sich die rationelle Stellung des Christentums seitdem wesentlich befestigt hat. Denn damals schien es so, als ob das Christentum als rationelles System den doppelten Angriff: von außen durch Darwin und von innen durch die Schule der negativen Kritik — unterliegen würde. Nicht allein das Buch der organischen Natur, sondern auch seine eigenen heiligen Dokumente schienen sich gegen es zu erklären. Doch jetzt ist dies alles wesentlich anders geworden. Wir haben es erlebt, daß es dem Darwinismus in dieser Hinsicht ebenso wie seiner Zeit dem Kopernikanischen Weltsystem u. s. w. ergangen ist, [77] und der Ausgang jenes großen Kampfes um den Text [78] ist, wie jeder Unparteiische anerkennen muß, ein glänzender Sieg des Christentums.

Ehe es die neue [biblische] Wissenschaft gab, hatten nachdenkende Menschen thatsächlich keine vernunftgemäße Grundlage weder für das Alter von irgend einer der neutestamentlichen Schriften noch infolgedessen für die historische Wahrheit der in denselben erzählten Begebenheiten. Evangelien, Apostelgeschichte und Episteln waren gleicherweise in diese Ungewißheit gehüllt. Daraus erklärt sich die Lebensfähigkeit des Skeptizismus im 18. Jahrhundert. Nun aber ist diese ganze Art Skeptizismus veraltet und für immer unmöglich gemacht: für eine genügende Zahl von Schriften, die Paulus zu dem praktischen Zweck schrieb, den Glauben der Apostel darzulegen, ist die Echtheit bestätigt, und mit Sicherheit ist nachgewiesen, daß die drei synoptischen Evangelien im ersten Jahrhundert veröffentlicht wurden. Daraus ist ein ungeheuerer Vorteil für den objektiven Beweis des Christentums erwachsen. Es ist außerordentlich wichtig, daß der kundige Forscher exakt sein [S. 137] muß, und daß die Laien, wie in jeder anderen Wissenschaft so auch hier, nur das auf Autorität hin als glaubwürdig annehmen müssen, worauf sich beide Seiten geeinigt haben. Aber wie bei jeder anderen Wissenschaft sind die Kundigen in Gefahr, die Wichtigkeit der sicheren Hauptergebnisse, über die man sich schon geeinigt hat, gegenüber den weniger wichtigen Punkten, über die man noch streitet, zu vergessen. Uns genügt es, daß die Episteln an die Römer, Galater und Korinther als echt anerkannt worden sind, sowie auch die Synoptiker, insofern sie sich auf die Hauptlehren Christi selbst beziehen. —

Man darf die außerordentliche Unbefangenheit der Biographen Christi nicht vergessen. [79] Man denke z. B. an Worte wie: „Aber einige zweifelten“, und beim Bericht des Pfingstfestes: „sie sind voll süßen Weins“. [80] Solche Bemerkungen sind wunderbar naturgetreu, aber nicht weniger wunderbar widersprechen sie der „Accretion“-Theorie. [81]

Wenn wir ganz ehrliche reine Agnostiker werden, so verändert sich das ganze Bild durch unseren veränderten Standpunkt. Alsdann können wir die Aufzeichnungen unparteiisch oder nach ihrem wahren Wert lesen, ohne schon von vorneherein die Überzeugung zu haben, daß sie falsch sein müssen. Es ist dann nur die eine Frage offen, ob sie historisch wahr sind oder nicht.

Objektive Beweise für das Christentum lassen sich so viele anführen, daß, wenn die im Mittelpunkt stehenden Lehrsätze von Wundern frei bezeugt wären, niemand an ihnen zweifeln würde. Aber wir sind keine kompetenten Richter, die a priori über das Wesen einer Offenbarung urteilen könnten. [S. 138] Wenn unser Agnostizismus rein ist, so haben wir kein Recht, die Sache aus „ prima facie “-Gründen zu beurteilen.

Einer der wichtigsten Punkte des objektiven Beweises zu Gunsten des Christentums wird von den Apologeten nicht genug betont. Ich kann mich in der That nicht entsinnen, ihn jemals erwähnt gesehen zu haben. Es ist dieser, daß in dem Bericht über das Leben Christi alle solchen Lehren fehlen, welche die spätere, wachsende, menschliche Erkenntnis — sei es in der Naturwissenschaft, Ethik oder Politik oder sonstwo — hätte entwerten können. Dieses negative Argument ist thatsächlich beinahe ebenso wichtig als das positive aus den Lehren Christi entnommene, denn wenn wir bedenken, wie viele Reden von ihm aufgezeichnet oder ihm wenigstens zugeschrieben sind, — so ist es doch höchst merkwürdig, daß buchstäblich nicht einzusehen ist, daß irgend eines seiner Worte je vergehen sollte. „Es wird heute selbst dem Ungläubigen nicht leicht sein“, sagt John Stuart Mill, „eine bessere Übertragung der abstrakten Regeln der Tugend ins Praktische zu finden, als wenn er sich bestrebt, so zu leben, daß Christus sein Leben billigen würde.“ [82] Man vergleiche Jesus Christus in dieser Beziehung mit anderen Denkern des Altertums: Plato war, obgleich der Zeit nach 400 Jahre älter als Christus, diesem in Bezug auf philosophisches Denken weit voraus, — nicht allein, weil damals Athen die außerordentliche Erscheinung einer seitdem nicht wieder erreichten Blüte zeigte, sondern auch weil er als Nachfolger des Sokrates an sich schon der größte Repräsentant menschlicher Vernunft in der Richtung des Spiritualismus war, allein selbst Plato ist in jener Hinsicht durchaus nicht mit Christus zu vergleichen. Man lese nur die Dialoge, und man wird sehen, wie groß der Kontrast derselben mit den [S. 139] Evangelien in Bezug auf Irrtümer jeder Art ist — ja, sie grenzen hinsichtlich ihrer Vernunftgemäßheit sogar an Absurdität und enthalten Aussprüche, die das sittliche Gefühl beleidigen. Und doch ist dies eingestandenermaßen die höchste Höhe menschlicher Vernunft in der Richtung des Spiritualismus, soweit sie nicht von göttlicher Offenbarung unterstützt wird.

Zweierlei könnte man erwidern: erstens, daß die Juden (Rabbiner) zu Christi Zeit die meisten seiner Sittensprüche schon ausgesprochen hätten. Aber, selbst wenn dies wahr wäre, dann sind doch die Worte offenbar dem alten Testament entnommen oder von ihm abgeleitet, und sind so ex hypothesi ursprünglich einer Offenbarung zuzuschreiben. Andererseits ist diese Behauptung doch auch wohl nicht ganz richtig, weil Christus seine Sittensprüche, wie „ Ecce Homo “ sagt, auch wenn sie von den Rabbinern und von dem alten Testament schon vorher ausgesprochen waren, doch selbst ausgewählt hat. —

Es ist allgemeine, vielleicht sogar ausnahmslose Regel, daß sich die Verächter des Christentums überhaupt aus keiner Religion etwas machen. „Drei Schritt vom Leib.“ Das war stets der Gedanke solcher Leute; während andererseits die Menschen, deren religiöses Gefühl unversehrt geblieben ist, die aber das Christentum aus intellektuellen Gründen verworfen haben, Christus doch noch fast vergöttern. Dies sind bemerkenswerte Thatsachen.

Wenn wir die Größe eines Mannes nach dem Einfluß beurteilen, welchen er auf die Menschheit ausgeübt hat, so kann es selbst vom weltlichen Standpunkt aus keine Frage sein, daß Christus der bei weitem größte Mann ist, der jemals gelebt hat.

Aus allen Seiten, nur nicht von thörichter Unwissenheit und niedriger Gemeinheit, wird es anerkannt, daß die von dem Christentum im Menschenleben hervorgerufene Umwälzung mit keiner anderen historischen Bewegung [S. 140] zu messen und zu vergleichen ist, oder daß sie von irgend einer anderen erreicht wird. Am nächsten steht ihr die durch die jüdische Religion hervorgerufene, aber jene ist nur eine Weiterentwicklung von dieser, so daß man beide als aus einem Stück betrachten kann. So angesehen, ist dieses ganze Religionssystem so unermeßlich hoch über allen anderen erhaben, daß zugestanden werden muß: wenn die Juden nicht gewesen wären, so würde das Menschengeschlecht keine unserer ernsten Aufmerksamkeit würdige Religion gehabt haben. Diese ganze Seite der menschlichen Natur würde sich niemals in dem zivilisierten Leben entfaltet haben. Und obgleich es zahllose Menschen giebt, die sich ihrer eignen Entwicklung in dieser Hinsicht nicht bewußt sind, so sind doch selbst diese in außerordentlichem Maße von der auch sie umgebenden religiösen Atmosphäre beeinflußt.

Aber das Christentum ist nicht allein allen anderen Religionen unermeßlich weit überlegen, sondern auch allen anderen Gedankensystemen , die je in Bezug auf Alles, was sittlich und geistlich ( spiritual ) ist, aufgestellt worden sind. Mag das Christentum wahr sein oder nicht, sicher ist, daß weder die Philosophie noch die Naturwissenschaft, noch die Poesie je etwas gezeitigt haben, was an Gedankentiefe, Reinheit des Lebens oder Schönheit irgendwie mit der Lehre des Christentums zu vergleichen wäre. Dies wird, denke ich, in Bezug auf Reinheit des Lebens von allen Seiten anerkannt werden. In Bezug auf Gedankentiefe und Schönheit kann es vielleicht bestritten werden. Aber man bedenke — was hat die ganze Naturwissenschaft oder die ganze Philosophie für das Denken der Menschheit gethan, verglichen mit dem einen Satz: „Gott ist die Liebe?“ Ob wahr oder nicht, man denke nur einmal aus, was der Glaube an dieses Wort Tausenden von Millionen unsres Geschlechts gewesen ist. Da aber liegt sein Einfluß auf das Denken des Menschen und dann weiter auf den Lebenswandel. Wenn man diesen unvergleichlichen Einfluß auf das Leben zugiebt, so heißt das indirekt auch den [S. 141] Einfluß auf das Denken zu geben. Was andererseits die Schönheit anbelangt, so zeigt der Mensch, der nicht erkennt, wie unvergleichlich erhaben jene Lehre in dieser Hinsicht ist, damit seine eigene Unfähigkeit, das zu würdigen, was das das Edelste am Menschen ist. Mag die ganze Geschichte vom Kreuz wahr sein oder nicht, sie ist von ihrem Anfang im Sehnen der Propheten bis zu ihrem Höhepunkt im Evangelium das Herrlichste, was uns in der Litteratur je dargeboten wurde. Und sicherlich nimmt ihm der Umstand, daß alles in ihr durchlebt worden ist, nichts von ihrem poetischen Wert. Auch verliert sie an ihrer Erhabenheit dadurch nichts, daß jeder einzelne Christ unserer Zeit sie sich noch als eine lebenskräftige Religion aneignen kann. Nur einem Menschen, der jeder geistigen Empfindung gänzlich bar ist, kann das Christentum nicht als die großartigste, je auf unserer Erde erfaßte Darstellung des Schönen, des Erhabenen und alles dessen erscheinen, was sich an unsere geistliche Natur wendet.

Doch diese Seite seiner Anpassungsfähigkeit bezieht sich nur auf Menschen von höchster Bildung. Das bewunderungswürdigste am Christentum ist, daß es sich Menschen von jeder Art und Lebensstellung anpaßt. Bist du geistig hoch begabt? In seinen historischen und philosophischen Problemen findest Du eine Welt von Stoff, dem Du Dich Dein ganzes Leben lang mit demselben Interesse widmen kannst, wie es den Naturforschern in ihrem Gebiet geschenkt ist. Oder bist Du nur ein Landmann in Deiner Dorfkirche und kennst nur wenig außer der Bibel? Dennoch bist Du ...... [83]

Wiedergeburt.

Wie bemerkenswert ist die Lehre von der Wiedergeburt, [S. 142] wie sie im neuen Testament [84] dargestellt ist, schon an und für sich, und wie schön paßt sie zu dem nicht zu demonstrierenden Charakter einer sich nur an die Vernunft wendenden Offenbarung, zu der Hypothese einer sittlichen Prüfung u. s. w. Nun ist diese Lehre eine der charakteristischesten Merkmale des Christentums. Sie bedeutet, wie Christus wiederholt und bestimmt sagte und wie seine Apostel nach ihm ausführten, folgendes: während diejenigen, die den heiligen Geist empfiengen, — die durch den Glauben an den Sohn zum Vater kamen, die vom heiligen Geist wiedergeboren wurden (und viele andere gleichbedeutende Ausdrücke) — der christlichen Wahrheit so zu sagen durch direktes Schauen oder durch Eingebung durchaus gewiß werden, werden die fleischlich Gesinnten andererseits durch keinen noch so starken direkten Beweis beeinflußt, selbst wenn einer von den Toten auferweckt würde, wie es Christus kurz darauf wirklich zur Erfüllung dieser Vorhersagung that. So kann der Skeptizismus von den Christen geradezu als eine Bestätigung des Christentums betrachtet werden.

Jedenfalls wollen wir uns unser unabhängiges Urteil bewahren; die vorliegende Frage gehört aber ganz besonders zu denen, bei welchen reine Agnostiker sich der Anmaßung enthalten und die Thatsache unparteiisch als unfragliche Erscheinung der Erfahrung betrachten müssen.

Kurz nach Christi Tod trat diese Erscheinung, die er voraus gesagt hatte, ein, und zwar, wie es scheint, zum ersten Mal. Sie ist seitdem sicherlich auch weiterhin eingetreten, und sie ist von den Historikern jenem besonderen „Pfingsten“ genannten Zeitpunkt zugeschrieben worden, wobei eine gewaltige Aufregung des Volks entstand, und eine große Zahl von Menschen zum Glauben an Christum gelangten. —

Nehmen wir diese Erzählung nun auch an oder nicht, so ist es doch ganz fraglos, daß die Apostel mit Glauben an [S. 143] die Person und das Amt ihres Meisters erfüllt wurden, und das genügt, um seine Lehre von der Wiedergeburt zu rechtfertigen. —

Bekehrungen.

Augustinus bezeugt, — und andere Kirchenväter thun ähnliches, — daß mit ihm nach seinem 30. Lebensjahre eine plötzliche, andauernde und außerordentliche Wandlung vorgegangen sei, die man Bekehrung [85] nennt. —

Diese Erfahrung hat sich wiederholt und ist durch zahllose Millionen zivilisierter Männer und Frauen aus allen Nationen und auf allen Stufen der Bildung bestätigt worden. Es kommt nicht darauf an, ob diese Bekehrung plötzlich oder allmählich geschieht, obgleich sie als psychologische Erscheinung bemerkenswerter ist, wenn sie plötzlich und ohne Symptome geistiger Störung eintritt. Doch selbst bei allmählichem Wachstum in reiferem Alter ist ihre Beweiskraft nicht geringer (cf. Bunyan u. s. w.).

In allen Fällen ist es aber durchaus keine bloße Änderung des Glaubens oder der Meinung; der springende Punkt ist dabei vielmehr eine mehr oder weniger tiefe Wandlung des Charakters.

Bedenkt man die verwickelte Natur des Charakters, so erkennt man, daß diese Umwandlung keine so einfache sein kann. Wenn sie auch sogenannten natürlichen Ursachen zugeschrieben werden mag, so ist dies doch kein Beweis gegen ihren sogenannten übernatürlichen Ursprung, wenn wir nicht die ganze Frage nach dem Göttlichen in der Natur von vornherein bejahen. Für reine Agnostiker liegt der Beweis für die Realität der Wiedergeburt und der Bekehrung in der Menge dieser psychologischen Erscheinungen, die kurz nach Christi Tod eintraten, [S. 144] ferner darin, daß sie sich seitdem wiederholten und darin, daß sie überall in der Welt in derselben Weise auftreten u. s. w.

Christentum und Leiden.

Das Christentum ist von seinem Ursprung im Judentum her ganz und gar eine Religion der Aufopferung und der Trübsal. Es ist eine Religion des Blutes und der Thränen und dennoch der tiefsten Glückseligkeit für seine Anhänger gewesen. Dieser scheinbare Gegensatz entspringt aus der Tiefe des Christentums und aus der Vereinigung dieser scheinbar entgegengesetzten Wurzeln in der Liebe. Mit diesen scheinbar entgegengesetzten Eigenschaften ist es ganz und gar und je länger je mehr eine Religion — oder besser die Religion — der Liebe gewesen. Wahrscheinlich können nur diejenigen, deren Charakter durch die in dieser Religion gewonnene Erfahrung vertieft worden ist, diesen Widerspruch geistig lösen. —

Fakirs hängen sich auf, Heiden zerschneiden sich selbst und sogar ihre Kinder, opfern Gefangene u. s. w., um teuflische Götter zu versöhnen. Die jüdische und christliche Auffassung des Opfers ist ohne Zweifel ein Überbleibsel dieser Auffassung der Gottheit, was durch natürliche Kausalität bewirkt ist. Doch ist dies kein Beweis dagegen, daß die höhere Auffassung der Gottheit die ist, [wie sie der christliche Glaube darstellt,] denn angenommen, daß die höhere Auffassung die wahre ist, dann würden die früheren Ideale den früheren niedrigeren Offenbarungen entsprungen sein, und das würde mit der entwicklungsgeschichtlichen Methode der Offenbarung, welche wir unten erörtern werden, [86] übereinstimmen.

Aber das Christentum ist, wie gesagt, mit seinen Wurzeln im Judentum, die Religion der Trübsal par excellence , weil [S. 145] es zu den wahrsten und tiefsten Gründen unsrer geistlichen Natur hinabreicht und daher sowohl für jene Trübsal wie für jene Freude Verständnis hat, welche sicherlich nur im zivilisierten Menschen vorhanden ist. Ich meine die Trübsale und Freuden eines vollentwickelten geistlichen Lebens — so wie sie sich bei den Juden wunderbar früh entwickelt haben und wie sie im allgemeinen in der ganzen Christenheit verbreitet sind. Kurz, es sind jene Trübsale und Freuden, die aus dem voll entwickelten Bewußtsein der Sünde gegen einen Gott der Liebe entstehen, zum Unterschied von dem Gedanken einer notwendigen Aussöhnung mit bösen Geistern. Diese Freuden und Trübsale sind rein geistlich, nicht nur physisch, und sie gipfeln in dem Ausruf: „Du hast nicht Lust zum Opfer ...... Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist.“ [87]

Ich stimme mit Pascal [88] darin überein, daß man thatsächlich nichts gewinnt, wenn man nur ein Theist und noch kein Christ ist. Unitarismus ist nur die Sache des Verstandes — eine bloße abstrakte Theorie des Geistes und hat nichts mit dem Herzen oder den wirklichen Bedürfnissen der Menschheit zu thun. Nur wenn man das neue Testament nimmt, einige Blätter, welche von der Gottheit Christi handeln, herausreißt, und allem andern beistimmt, so kann ein darauf aufgebautes System möglicherweise die Basis einer persönlichen Religion werden.

Wenn es einen Gott giebt, dann scheint es wahrscheinlicher zu sein, daß er sich offenbart, als daß er dies nicht thun sollte.

Die Frauen sind in allen Ländern dem Christentum viel mehr zugethan als die Männer. Ich denke, die wissenschaftliche [S. 146] Erklärung dafür findet sich in den Gründen, welche ich in meiner Abhandlung „Die geistigen Unterschiede zwischen Mann und Weib“ angegeben habe. Aber wenn man das Christentum für wahr hält, dann giebt es natürlich eine tiefer eindringende Erklärung religiöser Art — wie in allen Fällen, wo es sich um Ursächlichkeit handelt. In diesem Falle zweifle ich nicht, daß die wichtigste Erklärung darin liegen möchte, daß die Leidenschaftlichkeit der Frauen weniger heftig ist als die der Männer und daß sie durch die sozialen Lebensbedingungen auch mehr zurückgehalten wird. Das bezieht sich nicht allein auf Sittenreinheit, sondern ebenso sehr auf die meisten anderen psychologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wie Ehrgeiz, Selbstsucht, Verlangen nach Macht u. s. w. Kurz, das ganze Ideal christlicher Ethik entspricht mehr dem weiblichen als dem männlichen Charakter. [89] Nun widerspricht nichts dem christlichen Glauben so sehr wie ein unchristlicher Lebenswandel. Das ist besonders bezüglich der Unkeuschheit der Fall; mag man dies nun aus religiösen oder nichtreligiösen Gründen erklären, jedenfalls ist es doch mehr auf den Unglauben als auf die spekulative Vernunft zurückzuführen. Das Weib ist folglich aus allen diesen Gründen geeigneter, den christlichen Glauben aufzunehmen und sich zu erhalten.

Der moderne Agnostizismus erweist dem christlichen Glauben diesen großen Dienst: er bringt allen vernunftmäßigen Skeptizismus aprioristischer Art zum Schweigen, und das um so mehr, je reiner er ist. Jeder folgenden Generation muß es [S. 147] daher in Zukunft durch logisches Denken immer klarer werden, daß alle aprioristischen Einwürfe gegen das Christentum, die sich auf die Vernunft allein gründen, ipso facto nichtig sind. Die stärksten Einwürfe gegen das Christentum sind nun aber von jeher aprioristische gewesen. Daher ist der Einfluß des modernen Denkens derart, daß er mehr und mehr rein spekulative Schwierigkeiten, wie z. B. die Menschwerdung u. s. w. verringert. Die Richtigkeit des Butlerschen Ausspruchs, [90] daß wir keine kompetenten Richter sind, stellt sich also mehr und mehr heraus.

Die logische Entwicklung hierfür liegt in der schon angeführten Anschauung über die natürliche Kausalität. Denn ebenso wie der reine Agnostizismus zugeben muß, daß die Vernunft inkompetent ist, um a priori für oder wider die christlichen Wunder, die Menschwerdung mit inbegriffen, abzuurteilen; so muß er auch weiterhin zugeben, daß die Vernunft, wenn die Wunder jemals stattfanden, nichts dagegen sagen kann, daß sie mit der allgemeinen Kausalität im Zusammenhang stehen. Soweit daher die Vernunft dabei beteiligt ist, muß der reine Agnostizismus zugeben, daß hier nur der endgültige Ausgang beweisen kann, ob das Christentum wahr ist oder nicht. „Ist es von Gott, so können wir es nicht ausrotten, auf daß wir nicht erfunden werden, als die wider Gott kämpfen.“ Aber der Einzelne kann nicht auf diese empirische Entscheidung warten, was soll er also thun? Die unbeeinflußte und unbefangene Antwort des reinen Agnostizismus sollte vernünftigermaßen in dem Wort von John Hunter liegen: „Denke nicht, sondern versuche es!“ d. h. in unserem Fall, versuche das einzige Experiment, das hier helfen kann: das Experiment des Glaubens. Folge der Lehre und wenn das Christentum wahr ist, so wird der Wahrheitsbeweis nicht ausbleiben; freilich nicht mittelbar durch irgend eine Anwendung der spekulativen Vernunft, sondern unmittelbar durch [S. 148] geistliche Anschauung. Nur wenn ein Mensch Glauben genug hat, um diesen Versuch ehrlich zu machen, wird er auch in der rechten Verfassung sein, um über den Erfolg zu entscheiden. So betrachtet würde das Experiment des Glaubens nicht als ein Narrenexperiment erscheinen, sondern im Gegenteil, da genug prima facie Gründe vorliegen, um ernste Aufmerksamkeit zu erregen, so würde solch ein Experiment eine von der Vernunft geforderte Pflicht jedes reinen Agnostikers sein.

Es ist eine Thatsache, daß der christliche Glaube viel mehr aus einem Handeln als einem Denken entspringt, wie das Neue Testament es vorhersagt: Joh. 7, 17: „So jemand will des Willen thun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst rede.“ Und wahrlich, selbst aus Gründen der Vernunft sollte zugegeben werden, daß das Christentum, wenn es von Gott ist, sich mehr an die geistliche als an die vernunftmäßige Seite unserer Natur wenden muß.

Selbst innerhalb des Gebiets der reinen Vernunft (oder des prima facie -Falls) hat die moderne Wissenschaft in der Kritik des Neuen Testaments sicherlich mehr für als gegen das Christentum gearbeitet. Denn nachdem sich die bedeutensten Gelehrten ein halbes Jahrhundert um die Texte gestritten haben, ist die Zeit der Abfassung der Evangelien als innerhalb des ersten Jahrhunderts liegend und für wenigstens 4 Paulinische Briefe die Echtheit über alle Zweifel festgestellt worden. Das genügt, um die ganze Kritik des 18. Jahrhunderts zu vernichten, welche die geschichtliche Existenz Christi und seiner Apostel „als Erfindungen der Priester“ u. s. w. bezweifelte. Das war die schlimmste Kritik, die je geübt wurde. Die historischen Thatsachen können nicht länger bezweifelt werden, ausgenommen die Wunder; die letzteren aber werden von der negativen Kritik aus lediglich aprioristischen Gründen ausgeschieden. Dieser nun noch verbleibende — und ex hypothesi notwendige Zweifel — hat eine von der anderen ganz verschiedene Bedeutung.

[S. 149]

Um den Glauben der Zeitgenossen Christi zu zeigen, genügt es andererseits, daß die Echtheit der Paulinischen Episteln nachgewiesen ist.

Dies sind Thatsachen von höchster Wichtigkeit. Die Kritik des Alten Testaments ist bis jetzt noch zu unreif, um von uns beachtet zu werden.

Der Plan in der Offenbarung.

Die Ansichten, welche ich über diesen Gegenstand als junger Mann hegte, [nämlich die landläufigen, orthodoxen Ansichten] habe ich angesichts der Entwicklungstheorie verlassen, d. h. der Theorie der natürlichen Kausalität, welche eine glaubwürdige, naturwissenschaftliche Erklärung [auch auf dem Gebiet der religiösen Erscheinungen des Judaismus] oder, was dasselbe ist, bis zu einem gewissen Punkt eine Erklärung in den Grenzen bestimmbarer Ursachen, lieferte, jener Punkt kann indessen in diesem besonderen Falle nicht einmal innerhalb ziemlich weiter Grenzen bestimmt werden, so daß die Geschichte Israels immer etwas Mysteriöses behalten wird und zwar viel mehr als irgend eine andere Geschichte.

Erst 25 Jahre später erkannte ich deutlich die letzten Konsequenzen meiner jetzigen Ansichten über die natürliche Kausalität. Sie zeigen, daß es jedenfalls für einen Theisten (d. h. für jeden, der die Theorie des Theismus aus unabhängigen Gründen angenommen hat) hinsichtlich des überzeugenden Wertes des göttlichen Offenbarungsglaubens, wie er im Alten und Neuen Testament zum Ausdruck kommt, nicht viel ausmacht, ob man zugiebt, daß das Ganze einer sogenannten natürlichen Ursache entsprungen ist. Ich sage „nicht viel“, denn daß es doch immerhin etwas ausmachen muß, leugne ich nicht. Nehmen wir einen ganz analogen Fall: man sagt oft, daß die Theorie der Entwicklung aus natürlichen Ursachen keinen logischen Unterschied bezüglich des [S. 150] Nachweises eines Planes oder einer Zwecksetzung, wie sie sich in der organischen Natur offenbaren, ausmacht, — da es nur eine Frage des modus operandi sei, ob alle Teile der organischen Maschinerie plötzlich oder nach und nach erschaffen seien; der Nachweis einer Zwecksetzung bliebe doch bestehen. Nun habe ich aber anderwärts [91] gezeigt, daß dies falsch ist. Es mag zwar für jemanden, der schon Theist ist, nicht viel ausmachen, denn für ihn ist es bloß eine Frage des modus ; aber für den Nachweis des Theismus überhaupt macht es sicherlich viel aus.

So ist es auch bei der Darlegung eines Planes, wenn durch ihn der Nachweis einer Offenbarung geliefert werden soll. Wenn man bis heute keine Offenbarung behauptet hätte, und wenn Christus jetzt plötzlich zum ersten Mal in aller der Macht und Herrlichkeit erscheinen würde, welche die Christen von seiner Wiederkunft erwarten, so würde der Nachweis seiner Offenbarung ein überzeugender sein. Für die Beweisführung würde also eine plötzliche Offenbarung viel überzeugender sein, als eine sich allmählich entwickelnde. Aber sie würde gänzlich ohne alle Analogie innerhalb der Kausalität in der Natur [92] sein. Überdies könnte selbst eine allmähliche Offenbarung unter Umständen einen überzeugenden Wert haben; — so wenn z. B. Prophezeiungen von historischen Ereignissen, von wissenschaftlichen Entdeckungen u. s. w. so deutlich gemacht würden, daß sie nicht mißzuverstehen sind. Aber wie schon gezeigt, eine überzeugende Offenbarung ist nicht gegeben worden, und sie mag auch wohl aus triftigen Gründen unterblieben sein. Wenn es nun aber solche Gründe giebt (z. B. unser Prüfungsstand hienieden), so können wir leicht einsehen, daß die allmähliche Entfaltung eines Offenbarungsplans von dem frühesten Aufdämmern der Weltgeschichte [S. 151] bis zum Ende der Welt („ich rede töricht“) bei weitem einer plötzlichen Kundgebung vorzuziehen ist, die spät genug in der Weltgeschichte eingetreten wäre, um für alle kommenden Zeiten historisch beglaubigt zu sein, denn:

1) die allmähliche Entwicklung stimmt mit Gottes übrigen Werken überein.

2) Sie läßt Gott in keiner Zeit der Weltgeschichte unbezeugt.

3) Sie giebt zu allen Zeiten hinreichend Spielraum zu anhaltender Forschung — d. h. sie giebt einen moralischen Prüfstein und nicht bloß einen aus intellektuellen Gründen stammenden Beweis für irgend ein ( ex hypothesi ) unantastbar beglaubigtes, historisches Ereignis.

Die Zeichen, die für einen Plan in der Offenbarung sprechen, sind in der That beachtenswert genug, um die Aufmerksamkeit ernstlich zu fesseln.

Wenn die Offenbarung eine allmähliche und fortschreitende gewesen ist, so folgt daraus, daß sie das nicht allein in historischer, sondern auch gleicher Weise in intellektueller, moralischer und geistlicher Beziehung gewesen ist. Denn nur auf diese Weise konnte sie stets den fortschreitenden Lebensbedingungen der Menschheit angepaßt sein. Diese Betrachtung zerstört alle die zahlreichen Einwände gegen die Heilige Schrift in Bezug auf die Absonderlichkeit oder Unmoral ihrer Berichte oder Gebote; es sei denn erweisbar, daß die durch die Kritik notwendig gemachten Abänderungen, welche die Berichte oder die Gebote mit dem modernen Fortschritt in Harmonie bringen, den Anforderungen der Welt zu der in Frage stehenden Zeit ebenso gut angepaßt gewesen sein würden, wie die uns wirklich vorliegenden Berichte oder Gebote.

Wenn wir das Christentum als wahr anerkennen, so ist es sicher, daß die von ihm überlieferte Offenbarung schon wenigstens seit dem Aufdämmern der historischen Zeit vorher bestimmt worden ist; denn die objektiven Beweise für das [S. 152] Christentum als Offenbarung haben in jenem Aufdämmern ihren Ursprung. Und diese objektiven Beweise sind durchaus [ein Zeugnis für] einen Plan, bei dem man das Ziel von Anfang an erkennen kann. Und gerade die Art und Weise, wie dieser Plan selbst offenbart wird (angenommen, daß es ein Plan ist) liefert beachtenswerte Beweise von Zwecksetzung. Diese Art und Weise besteht, frei herausgesagt, in Wundern, Prophetie und in dem Einfluß der Lehre auf die Menschheit. Kein Mensch kann irgend eine bessere Methode erdenken, durch welche den nachfolgenden Zeiten ein Beweis der Wahrheit geliefert würde und zwar eine Methode, die mit sittlicher und religiöser Erziehung verbunden ist. Die Thatsache allein, daß sie mit der Profan-Geschichte so eng verwachsen ist, macht die christliche Religion zu einer ganz einzigartigen Erscheinung: die Welt ist während dieses ganzen historischen Zeitraums gewissermaßen die Leinwand gewesen, auf welche die göttliche Offenbarung gemalt worden ist — und zwar so allmählich, daß dieser Prozeß Tausende von Jahren vor sich gehen mußte, bis es möglich wurde, seinen Inhalt zu erkennen.

Christliche Dogmen.

Mag Christus selbst göttlicher Natur gewesen sein oder nicht, das würde in Bezug auf die Frage, ob das Christentum als die höchste Stufe der religiösen Entwicklung anzusehen ist vom rein weltlichen [oder naturwissenschaftlichen] Gesichtspunkt aus, nicht viel ausmachen. Vom religiösen Standpunkt aus oder wenn es sich um das Verhältnis Gottes zum Menschen handelt, würde es aber natürlich eine viel größere Schwierigkeit bedingen, dieselbe gehört dann ja aber demselben Gedankengang an wie die Schwierigkeiten aller anderen vorhergehenden Epochen der Entwicklung. So scheint der Übergang von dem nichtamtlichen zu dem sittlichen Zustand vom weltlichen oder naturwissenschaftlichen Standpunkt aus, so weit wir es beurteilen [S. 153] können, eine Folge von mechanischen Ursachen in der natürlichen Zuchtwahl oder von etwas ähnlichem zu sein. Aber gerade wie bei dem Übergang von dem nichtgeistlichen zu dem geistlichen Zustand u. s. w., möchte dieser Übergang im letzten Grund dem göttlichen Willen zuzuschreiben sein, und so muß es ja gerade nach der Theorie des Theismus gewesen sein. Es ist daher also vom weltlichen oder wissenschaftlichen Standpunkt aus gleichgültig, ob Christus göttlicher Natur war oder nicht; denn jedenfalls war ja die Bewegung, die er hervorrief, die nächste oder die in Erscheinung getretene Ursache der beobachteten Resultate.

So läuft also selbst die Frage nach der Gottheit Christi schließlich auf die wichtigste von allen Fragen hinaus — nämlich auf die: ist die mechanische Kausalität „die äußere und sichtbare Form einer inneren und geistlichen Gnade“ oder nicht? Ist sie phänomenal oder ontologisch, ist sie die letzte Ursache oder selbst abgeleitet?

Ähnlich ist es in Bezug auf die Erlösung. Mag nun Christus wirklich göttlicher Natur gewesen sein oder nicht — insoweit der Glaube an seine Göttlichkeit eine notwendige Ursache der moralischen und religiösen Entwicklung, die sein Leben auf Erden hervorrief, gewesen ist, hat dieser Glaube sein Volk von seinen Sünden befreit, d. h. natürlich, er hat es von seinem eigenen Gefühl der Sünde als einem auf ihm lastenden Fluch erlöst. Ob er auch irgend eine entsprechende Veränderung von objektivem Charakter auf ontologischem Gebiet hervorgebracht hat oder nicht, das hängt wieder von der eben aufgeworfenen wichtigsten von allen Fragen ab.

Das Vernunftgemäße in den Lehren von der Menschwerdung und der Dreieinigkeit.

Reine Agnostiker und solche, die in dem Christentum nach Gott suchen, sollten sich mit der metaphysischen Theologie nicht [S. 154] befassen. Sie ist ein Gebiet der Forschung, welches ex hypothesi transcendental ist, und das erst von solchen getrieben werden sollte, die das Christentum bereits angenommen haben. Die Lehren von der Menschwerdung und von der Dreieinigkeit schienen mir in den Tagen meines Agnostizismus die absurdesten von allen zu sein. Aber als reiner Agnostiker sehe ich jetzt in ihnen durchaus keine vernunftwidrige Schwierigkeit. Was die Dreieinigkeit betrifft, so hängt die Mehrzahl der Personen notwendig mit der nahe verwandten Lehre von der Menschwerdung zusammen. Es liegt daher in beiden Lehren nur eine Schwierigkeit; denn da bei der Lehre von der Menschwerdung eine Zweizahl von Personen vorausgesetzt wird, so liegt für den reinen Agnostiker in der Lehre von der Mehrzahl der Personen keine neue Schwierigkeit. Zu einer gewissen Zeit erschien es mir unmöglich, daß irgend eine Behauptung, wenn man sie wörtlich so verstände, absurder sein könnte als die [Lehre von der Menschwerdung]. Nun erkenne ich, daß mein damaliger Standpunkt durchaus unverständig war und daß er allein aus der Blindheit der Vernunft selbst hervorgegangen war, die ihrerseits wieder aus der Gewohnheit [rein] naturwissenschaftlichen Denkens entsprang. „Aber sie widerspricht doch dem gesunden Menschenverstand!“ Ganz gewiß, ohne Zweifel; aber das muß sie auch, wenn sie wahr sein soll. Gesunder Menschenverstand ist nichts anderes als ein [grobes] Verzeichnis alltäglicher Erfahrung; aber die Menschwerdung kann doch auf alle Fälle, wenn sie stattfand, was für ein Bewandtnis es mit ihr auch gehabt haben mag, kein gewöhnliches Ereignis gewesen sein. „Aber es thut Gott Abbruch, Mensch zu werden!“ Woher weißt Du das? Überdies war Christus kein gewöhnlicher Mensch; dies beweist sowohl die negative Kritik als auch der historische Erfolg seines Lebens, und wenn wir zur Beweisführung den christlichen Standpunkt anerkennen, so ist das ganze Wesen der Menschheit in ihm zusammengefaßt. Endlich giebt es noch Erwägungen indirekter Art, welche eine Menschwerdung a priori [S. 155] wahrscheinlich machen. [93] Aus aprioristischen Gründen muß es Mysterien geben, welche für die Vernunft unfaßbar sind, wie z. B. das Wesen Gottes u. s. w., vorausgesetzt, daß überhaupt eine Offenbarung stattfand. Daher ist der Umstand, daß man im Christentum an solche Mysterien glaubt, kein stichhaltiger Einwand gegen das Christentum. Warum soll man aber andererseits a priori über die Lehre von der Dreieinigkeit stolpern, zumal der Mensch ja selbst ein dreieiniges Wesen ist, mit Körper, Geist (d. h. Vernunft) und Seele (d. h. moralischen, ästhetischen und religiösen Fähigkeiten). Die zweifellose Vereinigung dieser nicht weniger zweifellos verschiedenen Seiten im Wesen des Menschen wird uns unmittelbar als eine Thatsache der Erfahrung bekannt, aber sie ist für irgend einen logischen Prozeß oder für irgend einen Vernunftschluß ebenso unverständlich wie das Dogma von der Dreieinigkeit Gottes.

Adam, der Sündenfall und der Ursprung der Sünde.

Diese christlichen Dogmen werden ohne Zweifel durch den naturwissenschaftlichen Nachweis einer Entwicklung hart getroffen, (aber es sind auch die einzigen Dogmen, von denen man das sagen kann) und da sie die logische Grundlage des ganzen Systems bilden, so scheint auf den ersten Blick der Nachweis ihrer Nichtigkeit notwendigerweise den Untergang des ganzen auf ihnen errichteten Baues nach sich zu ziehen. Aber es ist doch die Frage, ob sie für einen reinen Agnostiker überhaupt als nichtig erwiesen sind, mit anderen Worten, ob meine Grundsätze hier nicht ebenso wie anderwärts den Unglauben in die Flucht schlagen können.

Was zuerst Adam und Eva betrifft, so ist schon lange vor Darwin die Geschichte von den Menschen im Paradiese [S. 156] von einsichtsvollen Theologen als allegorisch erkannt worden. Und sicherlich, wenn man sie vorurteilsfrei liest, werden die ersten Kapitel der Genesis immer als eine von einer Geschichte wohlunterschiedenen Dichtung angesehen werden müssen. Man würde sie nie irrtümlicher Weise für Geschichte gehalten haben, wenn man an sie nicht mit vorgefaßter Meinung im Interesse der Inspiration herangetreten wäre. Doch für den reinen Agnostiker darf es solche vorgefaßten Meinungen nicht geben, so daß man heute eine Vermutung gegen ihre Inspiration nicht deshalb allein aufstellen darf, weil sie nicht als Geschichte bewiesen worden ist — und dies bleibt selbst dann bestehen, wenn wir nicht erkennen können, wovon sie eine Allegorie sein soll. Denn wenn sie inspiriert ist, so hat sie sicherlich in der Vergangenheit gute Dienste geleistet, und kann dies auch noch heutzutage thun, indem sie einen allegorischen, wenn auch nicht wörtlich zu nehmenden Ausgangspunkt für den göttlichen Erlösungsplan bildet.

Vergleich der Beweisgründe für die natürliche und für die geoffenbarte Religion.

Man hat oft gesagt, daß die Entwicklung der organischen Lebensformen einen ebenso guten Beweis für eine Zwecksetzung liefert wie eine Schöpfung im einzelnen, weil ja alle Thatsachen der Anpassung, in denen der Beweis besteht, für beide Fälle dieselben sind. Man übersieht aber dabei, daß auf diese Weise gerade das, was in Frage steht, für das Ergebnis vorausgesetzt wird. Die Frage ist: Sind diese Thatsachen der Anpassung an sich ein ausreichender Beweis dafür, daß ihre Ursache eine Zwecksetzung war? Aber wenn mit Recht zugegeben werden muß, daß bei der Annahme einer Entwicklung aus natürlichen Ursachen die Thatsachen der Anpassung von derselben Art sind wie alle anderen Naturthatsachen, so kann auf sie nicht mit mehr Berechtigung als auf irgend welchen [S. 157] anderen Naturthatsachen ein Beweis für eine Zwecksetzung aufgebaut werden. So sind also die Thatsachen der Anpassung gleich allen anderen nur dann als Argument für eine Zwecksetzung zulässig, wenn man annimmt, daß alle natürliche Kausalität geistigen Charakter hat und diese Annahme setzt einfach die Bejahung der Frage nach der Zwecksetzung voraus. Unter der Voraussetzung, daß sie aus natürlichen Ursachen stammen, sind also die Thatsachen der Anpassung nur dann als ein an sich guter Beweis für eine Zwecksetzung zu gebrauchen, wenn bereits angenommen worden ist, daß sie, weil aus natürlichen Ursachen entspringend, eine Zwecksetzung fordern.

Die natürliche Religion gleicht der geoffenbarten Religion im Folgenden: Nehmen wir beide als göttlich an, so können beide, soweit die Vernunft uns führen kann, den Nachweis eines Zweckes nur soweit führen, daß sie für die Frage nach demselben ernstlich Aufmerksamkeit erregen. Mit anderen Worten: in Bezug auf beide muß der Standpunkt der reinen Vernunft der reine Agnostizismus sein, (man beachte, daß die Unzulänglichkeit der Teleologie oder der Zwecksetzung in der Natur als Beweis für den Theismus von allen intelligenteren Christen aller Zeiten anerkannt worden ist, doch ist diese Anerkennung seit Darwin allgemeiner geworden. In dieser Hinsicht möchte ich besonders auf Pascal [94] und viele andere Schriftsteller hinweisen.) Hierin liegt eine zweite auffallende Analogie zwischen Natur und Offenbarung, angenommen, daß beide denselben Urheber haben — d. h. gerade so wie die entwicklungsgeschichtliche Methode bei beiden dieselbe ist.

Wenn die Annahme einer Zwecksetzung bei beiden [d. h. Natur und Offenbarung. — Der Übersetzer] berechtigt ist, so geht daraus hervor, daß jene Annahme bei beiden in gleicher Weise nur durch das Organ unmittelbarer Anschauung erwiesen werden kann, — d. h. durch jene andere Seite des menschlichen Fassungsvermögens, durch welche die Vernunft ergänzt wird. Hier [S. 158] stellen wir wieder die Analogie fest. Und wenn jemand auf diese seinen Verstand ergänzende Weise die höchste Wahrheit erfassen kann (nehmen wir dies einmal an) so ist es seine Pflicht, sein geistliches Augenlicht zu üben, indem er nach Gott in der Natur wie in der Offenbarung sucht. Und dann wird er (immer vorausgesetzt, daß es einen Gott giebt und daß er sich von denen, die mit Fleiß nach ihm suchen, finden läßt) erkennen, daß sich seine subjektiven Zeugnisse für Gott in der Natur und in der Offenbarung gegenseitig stärken — und so gewinnt er für seine Vernunft ein weiteres Zeugnis. Die Teleologie der Offenbarung ergänzt die Teleologie der Natur und so gewinnen sie für den geistlich gerichteten Menschen logisch und gegenseitig immer mehr Gewißheit.

Paley's Schriften bilden eine ausgezeichnete Erläuterung für die Übereinstimmung des teleologischen Arguments aus Natur und Offenbarung, obgleich sie eine sehr unvollkommene Erläuterung des letzteren für sich allein genommen sind; denn da Paley allein das Neue Testament und auch dieses nur sehr teilweise behandelt — so ignoriert er alles, was Christo vorherging, und vieles von dem, was nach den Aposteln geschah. Übrigens scheint Paley selbst die Ähnlichkeit des Arguments, wie es in seiner „Natürlichen Theologie“ bezw. in seinen „Beweisen für das Christentum“ entwickelt ist, nicht bemerkt zu haben. Aber niemand hat im übrigen für beide Fälle den Beweis besser geführt als er. Sein größter Fehler lag darin, daß er nicht bemerkte, daß dieses teleologische Argument an sich in beiden Fällen nicht ausreicht, um zu überzeugen, sondern nur um ernstlich Aufmerksamkeit zu erregen. Paley stellt es überall so dar, als ob solch ein Appell an die Vernunft allein schon genügte. Er sieht nicht, daß in diesem Fall kein Raum für den Glauben übrig bliebe. Mit anderen Worten, er erkennt nicht das geistliche Organ des Menschen und das Objekt, durch welches es ergänzt wird: die Gnade in Gott. Insofern ist er kein Christ. Und mag nun Theismus und Christentum wahr oder falsch sein, sicher ist, daß das teleologische [S. 159] Argument allein nicht zur Überzeugung sondern zum Agnostizismus führen muß.

Wenn es aprioristisch unwahrscheinlich ist, daß ein Mensch ein Wunder ohne ein sittliches Objekt vollbracht haben sollte, so kann dies leicht mit der Unwahrscheinlichkeit verwechselt werden, daß Gott es mit einem entsprechenden sittlichen Objekt vollbracht hat. Die erstere [Unwahrscheinlichkeit] ist unermeßlich groß, die letztere ist wie die Unwahrscheinlichkeit der Theorie des Theismus gleich null.

Christliche Dämonologie. [95]

Man wird sagen — wenn Du auch die aprioristischen Einwendungen gegen die Wunder aus aprioristischen Gründen hinwegzuschaffen suchst, so bleibt doch die Thatsache bestehen, daß Christus den landläufigen Aberglauben in Bezug auf die Besessenheit vom Teufel annahm. Dadurch, daß dabei von Teufeln gesprochen wird, verliert die ganze betreffende Erzählung ihren Wert. Du mußt also eins von beiden wählen: entweder war die landläufige Theorie richtig oder nicht. Wenn Du sagst, daß sie richtig war, so mußt Du zugeben, daß dieselbe Theorie für alle ähnlichen Stufen der Kultur gilt [aber nicht für die späteren Stufen] und daß daher die Naturwissenschaft der erfolgreichste Teufelaustreiber ist, obgleich sie nicht durch den Glauben an die Theorie, sondern durch die Verwerfung [S. 160] derselben wirkt. Beachte, daß die betreffenden Krankheiten durch die Überlieferung so klar beschrieben sind, daß sie unmöglich mißverstanden werden können. Dann mußt Du annehmen, daß sie anno domini 30 von Teufeln und a. d. 1894 von Nervenstörungen herrührten. Sagst Du aber, die Theorie sei falsch, dann mußt Du entweder annehmen, daß Christus es nicht besser wußte oder daß er die Unwahrheit sagte.

Die Antwort lautet, daß beide Annahmen vom Christentum acceptiert werden können. Des Beweises wegen können wir einmal die Frage bei Seite lassen, ob Christus die Teufelslehre selbst wirklich annahm, oder ob ihm dieselbe durch seine Biographen nach seinem Tode zugeschrieben wurde. Wenn Christus wußte, daß die Thatsachen nicht Teufeln zuzuschreiben waren, so muß er auch gewußt haben, daß es das beste war, die landläufige Ansicht anzunehmen anstatt das Volk durch einen pathologischen Vortrag zu verwirren. Wenn er es nicht wußte, — ja warum sollte er es denn wissen, hatte er sich doch vorher seiner Allwissenheit entäußert? Freilich, wenn er die landläufige Ansicht geleugnet hätte, so würde er einen Beweis naturwissenschaftlicher Erkenntnis oder naturwissenschaftlicher Anschauung gegeben haben, die weit über die Kultur seiner Zeit ging, aber dies würde nicht mit seiner in zahllosen anderen Fällen bewiesenen Methode übereinstimmen, und diese bestand darin, daß sie seine göttliche Sendung niemals durch Vorwegnahme naturwissenschaftlicher Kenntnisse kundgab. Die besondere Frage nach Christus und der Dämonologie ist also nur eine Teilfrage einer viel größeren Hauptfrage.

Darwins Bedenken [96]

Auf Darwins Einwand, daß nur ein so kleiner Teil der [S. 161] Menschheit von Christus je gehört hat, giebt es mehrere Antworten:

1) Nehmen wir an, daß das Christentum wahr ist, so ist es die höchste und letzte Offenbarung, d. h. der Plan der Offenbarung folgt der Entwicklungslehre. Gerade daraus ergiebt sich, daß der größte Teil der Menschheit nie etwas von Christus hören konnte, nämlich alle, welche vor seiner Ankunft lebten.

2) Aber diese waren nicht ohne Bezeugung geblieben. Sie hatten alle ihre Religion und ihr sittliches Bewußtsein, jeder nach seiner eigenen Entwicklungsstufe. Daher hat Gott die Zeiten der Unwissenheit übersehen, Apostelgeschichte 17, 30.

3) Zudem waren diese Menschen nicht von Christi Wohlthaten ausgeschlossen; denn es wird gesagt, daß er für alle Menschen starb — d. h. wenn er nicht gewesen wäre, würde Gott nicht die Zeiten der Unwissenheit übersehen haben. Die Wirkung der Erlösung wird als transcendental dargestellt und als nicht davon abhängend, daß jemand von dem Erlöser gehört hat.

4) Es ist wunderbar, daß gerade Darwin diesem trügerischen Argument unterlegen ist; denn es hat ja gerade durch die Entwicklungslehre seinen Todesstoß erhalten, d. h. wenn es wahr ist, daß die Entwicklung die Methode natürlicher Kausalität gewesen ist, und wenn es wahr ist, daß die Methode der natürlichen Kausalität von einer Gottheit abhängt, dann folgt daraus, daß dies späte Erscheinen Christi auf der Erde absichtlich gewesen sein muß. Denn es ist sicher, daß er nicht früher erscheinen konnte, ohne daß dadurch die Entwicklung verletzt worden wäre. Daher mußte er nach der Theorie des Theismus dann erscheinen, als es geschah, d. h. in dem Augenblick der Geschichte, in dem es zuerst möglich war. Auch aus anderen Gesichtspunkten ergiebt sich, daß die Zeit, in der Christus erschien, die geeignetste war. Selbst weltliche Geschichtsschreiber [S. 162] stimmen darin überein, daß die Zeitumstände zusammen paßten und führen den Erfolg seines sittlichen und religiösen Systems auf diese Thatsache zurück. So auch die, welche sich mit vergleichender Religionswissenschaft beschäftigen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Schlußbemerkung des Herausgebers.

Der intellektuelle Standpunkt dem Christentum gegenüber, welcher in diesen Notizen ausgesprochen ist, kann man bezeichnen als — 1) reinen Agnostizismus, auf dem Gebiet der sich in dem Naturwissenschaftlichen bethätigenden Vernunft, verbunden mit 2) einer klaren Erkenntnis der geistlichen Notwendigkeit des Glaubens und der Berechtigung und des Wertes seiner Anschauungen, 3) als eine Empfindung der positiven Kraft der historischen und geistlichen Zeugnisse für das Christentum.

George Romanes kam in diesen Notizen, wie auch in der mündlichen Unterhaltung zu der Erkenntnis, daß es vernünftig sei, an das Christentum zu glauben, bevor er die Kraft oder die Gewohnheit des Glaubens wieder erlangt hatte. Sein Leben ging bald, nachdem er diesen Standpunkt erreicht hatte, zu Ende; aber es wird niemanden überraschen zu hören, daß der Verfasser dieser „Gedanken“ noch vor seinem Tode zu jener vollbewußten Gemeinschaft mit der Kirche Jesu Christi zurückgekehrt ist, auf die zu verzichten er sich so viele Jahre hindurch aus Gewissens-Bedenken gezwungen sah. So wurde es in diesem Falle „dem Manne reines Herzens“ nach langer Zeit der Finsternis noch vor seinem Tode vergönnt, „Gott zu schauen“.

Fecisti nos ad te Domine, et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.

C. G.

FUSSNOTEN

[1] Im Folgenden gebe ich zunächst eine kurze Inhaltsübersicht des I. Teils, durch welche die Einführung in das Buch wesentlich erleichtert werden soll; jedenfalls macht sie denjenigen, welchen er zu schwer ist, die Lektüre von Abschnitt I leichter oder überflüssig.

[2] Siehe aber eine interessante Notiz in Romanes „ Mind and Motion and Monism “ p. 111.

[3] Veröffentlicht in Trübners English and Foreign Philosophical Library 1878; es ist aber „einige Jahre vorher“ (Vorwort) geschrieben. „Ich habe mit der Veröffentlichung zurückgehalten,“ erklärt der Verfasser, „damit ich nicht hinterher entdecken möchte, daß reiferes Nachdenken die Schlüsse, welche der Autor verkündigt, modifiziert.“

[4] Zuweilen habe ich die Beweisführung in dem Kapitel verständlicher zu machen versucht, indem ich Aussprüche aus früheren Teilen des Buches oder Erklärungen in meinen eignen Worten einschaltete. Diese letzteren habe ich in eckige Klammern gesetzt. — Der Herausgeber.

[5] d. h. in Bezug auf den Glauben an Gott — Der Übersetzer.

[6] d. h. in dem höchst kompliziert gebauten Gehirn des Menschen. — Der Übersetzer.

[7] Nach Kompliziertheit und Größe des Gehirns. — Der Übersetzer.

[8] p. 24.

[9] p. 28.

[10] p. 28.

[11] p. 45.

[12] nämlich der Zwecksetzung. — Der Übersetzer.

[13] p. 47.

[14] p. 50.

[15] p. 63.

[16] p. 58 ff.

[17] Nämlich der Theorie des Atheismus gegenüber. — Der Übersetzer.

[18] In Bezug auf die Gesichtspunkte und Argumente der „Unbefangenen Prüfung“ mag es interessant sein, hier Folgendes zu bemerken:

1) Romanes kam zuletzt dahin, den subjektiven religiösen Bedürfnissen und Anschauungen des menschlichen Geistes eine viel größere Bedeutung beizulegen.

2) Er erkannte, daß das subjektive religiöse Bewußtsein objektiv als ein großes Phänomen der menschlichen Natur betrachtet werden muß.

3) Er verurteilte später seine frühere Kausalitäts-Theorie und kehrte zu der Anschauung zurück, daß alle Kausalität der Ausfluß eines Willens ist.

4) Er wies später die materialistische Ansicht von der Entstehung des Geistes entschieden zurück.

5) Er kehrte zu dem Gebrauch des Ausdrucks „Das Argument vom Zweck“ zurück und gab also auch seine heftige Abneigung gegen dasselbe auf.

6) Er durchschaute Herbert Spencers Widerlegung der im weiteren Sinn gefaßten Teleologie von Baden Powell und fühlte die Kraft des teleologischen Beweises von neuem.

7) Er erkannte, daß die wissenschaftlichen Bedenken gegen die Lehre vom freien Willen schließlich doch nicht stichhaltig sind. — Der Herausgeber.

[19] Siehe Mind and motion and Monism pp. 36 ff.

[20] In einigen Notizen des Sommers 1893 finde ich Folgendes: Das Ergebnis (der philosophischen Untersuchung) ist gewesen, daß der Mensch in seinen tausendjährigen Beobachtungen und Erfahrungen in Bezug auf gewisse Seiten des Welträtsels Gewißheit erlangt hat, die nicht weniger sicher ist, als die, welche er im Gebiet der Naturwissenschaft besitzt, z. B. Logischer Vorrang des Geistes vor der Materie — daraus folgend Unhaltbarkeit des Materialismus, — Relativität der Erkenntnis, — Naturordnung, — die Erhaltung der Energie, Unzerstörbarkeit der Materie, soweit die menschliche Erfahrung reicht, das Entwicklungsprinzip, das Überleben des Passendsten. — Der Herausgeber.

[21] Über die Bedeutung des „reinen“ Agnostizismus siehe unten.

[22] Hiermit ist offenbar das materialistische Dogma gemeint. — Der Übersetzer.

[23] Vergleiche hiermit folgende Aussprüche, die sich hundertfach vermehren lassen:

Baco von Verulam: „Nur eine oberflächliche Kenntnis der Natur vermag uns von Gott abzuführen, eine tiefere und gründlichere dagegen führt zu ihm zurück.“

Oswald Heer:

„Wer oberflächlich die Natur betrachtet,
Im grenzenlosen All sich leicht verliert;
Doch wer auf ihre Wunder tiefer achtet,
Wird stets zu Gott, dem Herrn der Welt, geführt.“

— Der Übersetzer.

[24] Die dritte Abhandlung wird hier nicht veröffentlicht, weil Romanes Ansichten über die Beziehung zwischen der Naturwissenschaft und dem Glauben an die geoffenbarte Religion in den „Notizen“ besser und reifer zum Ausdruck kommen. — Der Herausgeber.

[25] Um Mißverständnisse zu vermeiden, will ich bemerken, daß ich bei den obigen Definitionen von Religion und Naturwissenschaft diese in den Verhältnissen nehme, in welchen sie wirklich existieren. Möglich, daß beide Denksphären unter anderen Umständen nicht so scharf geschieden sind. So z. B.: Wenn eine Religion erschiene, welche der Wissenschaft eine Offenbarung über Sachen der natürlichen Kausalität brächte, solch' eine Religion (vorausgesetzt, daß eine derartige Offenbarung durch Versuche als wahr befunden wäre) — würde vermutlich auf die Wissenschaft einen ganz berechtigten Einfluß ausüben.

[26] Siehe Mental evolution in animals p. 155-158.

[27] Das Beispiel, um welches es sich handelt, hat wohl Fenelon zuerst benutzt, Paley beginnt mit ihm seine „Theologie der Natur.“ Da es nun aber den deutschen Lesern sehr viel weniger geläufig sein möchte als den englischen, andererseits aber in diesen beiden Abhandlungen von Romanes eine große Rolle spielt, so möchte es wohl angebracht sein, es in der Paley'schen Fassung hier wiederzugeben. Es heißt bei ihm folgendermaßen:

„Wenn ich, eine Wüste durchirrend, über einen Stein stolperte und mich fragte: wie mag dieser Stein hierhin gekommen sein? — dann genügte es wohl zu antworten, daß er zu allen Zeiten dort gelegen haben mag. Es möchte schwer zu beweisen sein, daß eine solche Antwort etwas Widersinniges enthielte.“

„Setzen wir nun aber den Fall, ich hätte statt des Steines eine Uhr gefunden, dann würde die Antwort, daß sie zu allen Zeiten dort gelegen habe, sicherlich nicht so zulässig sein. Woher dieser Unterschied? Weil ich bei der Untersuchung der Uhr vieles entdecke, was ich in dem Stein nicht finden konnte, nämlich: daß an der Uhr verschiedene Teile ersichtlich werden, die alle für einander gemacht erscheinen, und zwar zu einem gewissen Zwecke, daß dieser Zweck die Bewegung ist, und endlich, daß diese Bewegung die Angabe der Stunden, also des Zeitlaufes bezweckt.“


„Habe ich den Mechanismus der Uhr richtig erfaßt, dann erscheint mir auch die Folge ihrer Wirkungen ganz klar. Nämlich ich gewahre, daß ein derartiges Werk von einem klugen Bearbeiter und nicht von ungefähr hervorgebracht sein müsse und daß vorher schon ein Werkmeister vorhanden gewesen sein muß, der das Ergebnis beabsichtigte, als er die Uhr anfertigte.“

„Eine derartige Folgerung würde auch nicht weniger unvermeidlich sein, wenn wir niemals eine Uhr hätten verfertigen sehen oder nie einen Uhrmacher gekannt hätten ......“ Der Übersetzer.

[28] [Ich habe um des Arguments willen „verlangen mag“ statt „verlangt“ gesetzt. — Der Herausgeber.]

[29] Eine Note (von 1893) enthält folgendes: „Das Sein ist abstrakt genommen logisch dem Nichtsein oder dem Nichts gleichwertig. Denn wenn wir durch immer weiter gehende Abstraktion den Begriff des Seins seiner Attribute und Beziehungen entkleiden, so kommen wir auf den Begriff dessen, was nicht sein kann, d. h. auf einen logischen Widerspruch oder auf das logische Korrelativ des Seins, nämlich das Nichts (alles dies ist in Caird's Evolution of Religion gut ausgeführt). Daß ich diese Thatsache nicht erkannte — ist ein Hauptfehler in meiner „Unbefangenen Prüfung des Theismus“, wo ich das Sein als eine hinreichende Erklärung der Naturordnung oder des Kausalitätsgesetzes darstellte.“

[30] [Dieses Versprechen ist in dem vorletzten Absatz der Abhandlung nur teilweise erfüllt. — Der Herausgeber]

[31] Essays vol. III p. 246 u. ff. Die ganze Stelle sollte nachgelesen werden, da sie zu lang ist, um sie hier zu zitieren.

[32] In einem Aufsatz über Professor Flint's „Theismus“, Anhang zur „unbefangenen Prüfung“.

[33] A candid examination of Theism . p. 171-172.

[34] [Ich habe als Herausgeber der Versuchung widerstanden in das obige Argument einzugreifen. Aber ich möchte dies doch auf eine Thatsache hin thun und darauf hinweisen, daß Gottes Wesen „gemäß der theologischen Theorie der Dinge“, d. h. gemäß der Dreieinigkeitslehre, in dem besteht, was ganz genau „den sozialen Verhältnissen entspricht“, und daß Er in Seiner Schöpfung die Liebe nicht nur offenbart , sondern daß er selbst die Liebe ist. Siehe über diesen Gegenstand besonders R. H. Huttons Abhandlung über die Menschwerdung in seinen „ Theological Essays “ (Macmillan). — Der Herausgeber].

[35] Scientific Evidences of Organic Evolution , p. 76. Dieser ganze Passus ist völlig unhaltbar, und es ist nicht verständlich, daß Romanes auch hier noch an ihm festhält: im Gegenteil, die Natur ist ein großartiges Netzwerk von unter einander durch ihre Lebensweise verbundenen Individualitäten, es giebt nicht nur eine Korrelation der Organe sondern auch der Spezies. Es genügt auf die großartigen Lebensgemeinschaften der Natur und auf die zahlreichen Fälle von Symbiose hinzuweisen, die ja z. B. bei den Flechten soweit geht, daß Alge und Pilz ihre eigne Individualität völlig zu Gunsten des Ganzen verlieren. — Allerdings, dies ist eines der wichtigsten Argumente gegen die Darwinsche Theorie. — Der Übersetzer.

[36] Nature , April 5, 1883.

[37] S. unten p. 124 und Fußnote. Ich finde auch folgende Notiz aus der Zeit nach dem Jahr 1889. „Es ist Thatsache, daß der Pessimismus unlogisch ist, einfach deshalb, weil wir unzulängliche Beurteiler der Welt sind, und der Pessimismus würde daher dem Agnostizismus gerade entgegengesetzt sein. Wir wissen wohl, daß in der Beziehung zwischen uns und der Welt etwas nicht ganz in Ordnung ist, aber wir können nicht wissen, ob der Fehler bei der Welt oder bei uns liegt.“

[38] Proceedings of the Aristotelian Society, Williams and Norgate I .

[39] [Ich darf auch erwähnen, daß Romanes mir am Sonntag vor seinem Tode mündlich seine völlige Übereinstimmung mit dem Argument von Professor Knight in seinen „ Aspects of Theism “ (Macmillan 1893) aussprach; in Bezug auf diesen Gegenstand siehe SS. 184-186: „ein höheres Ziel wird durch den Sichtungsprozeß erreicht, durch den die physische Natur ihre schwächeren Erzeugnisse bei der Seite wirft“ u. s. w.]

[40] Die erste Auflage, die im Jahre 1878 veröffentlicht wurde, war rasch vergriffen; aber da der Zweck der Veröffentlichung nur der war, die Kritik um meinerselbst willen herauszufordern, kam ich mit dem Verleger überein, keine weitere Auflage herauszugeben. Das Werk ist deshalb seit vielen Jahren vergriffen. [Diese Abmachung wurde indeß nicht ganz eingehalten, oder war wenigstens dem gegenwärtigen Inhaber der Firma Kegan Paul, Trench, Trübner u. Comp. nicht bekannt; so kam es, daß zu des Verfassers großem Erstaunen 1892 eine neue Auflage erschien. — Der Herausgeber].

[41] [Oder vielmehr R. beabsichtigte sie unter dem Pseudonym „Metaphysicus“ erscheinen zu lassen. — Der Herausgeber].

[42] Bemerkungen in eckigen Klammern sind von mir hinzugefügt. Aber ich habe dieselben nicht angewandt, wenn ich einzelne unbedeutende oder für den Sinn offenbar notwendige Worte eingefügt habe.

Der Herausgeber .

[43] [S. das Zitat aus dem Vorworte von „Physikus“ S. 24 . Der Geisteszustand in dieser Notiz ist eine Rückkehr zu dem früheren in der Burney -Abhandlung (p. 17). Der Verfasser war ganz erfüllt von dem Gedanken, daß die Beweise für das Christentum sehr mannigfaltig seien und außerhalb des Gebietes der Wissenschaft liegen. — Der Herausgeber.]

[44] Nach welchem man möglichst viele Erscheinungen auf eine Ursache zurückführen, mit neuen Ursachen also sparsam sein muß. — Der Übersetzer.

[45] [d. h. eine übernatürliche, aber nicht streng genommen göttliche Person. Sicherlich jedoch ist diese Annahme nicht aufrecht zu erhalten. — Der Herausgeber.]

[46] [Dies ist wieder ein Beispiel, wie der Verfasser auf frühere Gedanken zurückgreift; s. Burney Essay p. 25 und „Geist und Monismus“. — Der Herausgeber.]

[47] Life and Letters of Charles Darwin , p. 308.

[48] Faraday war jedoch ein strenggläubiger Christ. — Der Übersetzer.

[49] [Ich hielt es doch für besser, die Namen fort zu lassen. — Der Herausgeber.]

[50] d. h. das, was dem ersten Eindruck, dem ersten Blick, dem Augenschein entspricht. — Der Übersetzer.

[51] [Im Manuskript fährt er fort: „Hier ist vor allem einzuschalten, was ich über diesen Punkt in meiner Burney-Preisschrift gesagt habe.“ Ich habe indessen keine dieser Stellen in dieser Schrift aufgenommen, einmal, weil ich denke, daß Romanes Meinung auch hier klar genug ausgesprochen ist, sodann kann ich auch in der in Frage stehenden Abhandlung keinen passenden Satz in angemessener Kürze finden, um ihn hier einzuschalten. Der größere Teil der Abhandlung soll dem wissenschaftlichem Einwand dagegen, das das Gebet auf dem Naturgebiet erhört wird, begegnen, indem gezeigt wird, daß dieser Einwand hauptsächlich auf dem Schluß von dem Bekannten auf das Unbekannte beruht, d. h. von dem bekannten Gebiet der unveränderlichen Naturgesetze auf das unbekannte Gebiet der Beziehungen Gottes zu diesen Gesetzen. Und dieser Einwand ist um so hinfälliger, je weiter dieses unbekannte Gebiet von der möglichen Erfahrung wissenschaftlicher Art entfernt ist und eine unendliche Zahl von Möglichkeiten zuläßt, die für unsere Einbildung mehr oder weniger begreiflich sind; und dies würde oder könnte verhindern, daß das wissenschaftliche Argument auf die in Rede stehende Frage berechtigter Weise angewendet werden kann. — Der Herausgeber.]

[52] Wenn ich im Folgenden das Wort „geistlich“ gebrauche, so ist es die Übersetzung des englischen „ spiritual “; ich bin mir bewußt, daß es die Sache nicht ganz genau trifft, allein ein wirklich genau passendes Wort wird im Deutschen schwer zu finden sein, es soll darin ein gewisser Gegensatz zu dem Begriff „verstandesgemäß“ (d. i. kausaliter, nach den Formen von Ursache und Wirkung durch Erfahrung etwas feststellend) liegen, das ist aber nicht der Fall bei dem Wort „geistig“, der gewöhnlichen Übersetzung von spiritual , denn dies wird oft gerade als verstandesgemäß aufgefaßt. Ich gebrauche hier das Wort „geistlich“ also in demselben Sinn wie Paulus 1. Cor. 4, 14: Der natürliche (oder seelische, also auch den Intellekt benutzende) Mensch aber vernimmt nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Thorheit und kann es nicht erkennen, denn er muß geistlich gerichtet sein — Der Übersetzer.

[53] In Deutschland würde man wohl als Vertreter dieser Klasse von Forschern R. Wagner, den berühmten Physiologen, anführen, von dem bekanntermaßen das so oft mißverstandene und doch in gewisser Hinsicht so richtige Wort von der „doppelten Buchführung“ auf dem Gebiet der Wissenschaft und des religiösen Glaubens herrührt. — Der Übersetzer.

[54] Fortnightly Review Febr. 1894 . Die letzte Zeile enthält eine Andeutung an ein Gedicht von Wordsworth, dieselbe bedeutet: Peter Bell war kein Philosoph:

A primrose by the river brim
A yellow primrose was to him
And it was nothing more.

— Der Übersetzer.

[55] First principles p. I. ch. I.

[56] [Hier beabsichtigte Romanes eine weitere Erklärung einzuschieben, welche zeigen sollte, daß uns bloße Beobachtung der Kausalität in der äußeren Natur nichts anderes als die Beziehungen von Zeit und Raum offenbart haben würde. — Der Herausgeber.]

[57] [Diese Theorie wurde in der Burney-Abhandlung Seite 136 besprochen und in der „Unbefangenen Prüfung“ lächerlich gemacht. Siehe oben Seite 9. Romanes beabsichtigte an dieser Stelle seine alten Ansichten „über die Kausalität als Folge des Seins als Sein“ ausführlicher zu behandeln. — Der Herausgeber]

[58] [Siehe indessen Aubrey Moore in Lux mundi , p. 94-96 und Le Conte, Evolution in its relation to religious thought p. 355 ff.]

[59] Nämlich zwischen „natürlich“ und „übernatürlich“. — Der Übersetzer.

[60] [Es wurde jedoch nichts weiter darüber geschrieben, als was jetzt folgt. — Der Herausgeber.]

[61] [Der Verfasser wollte weiterhin die Hohlheit dieser Theorie zeigen und nachweisen, wie Mill dies selbst zu erkennen scheint, wenn er hinter den Ausdruck „unveränderlich“ den Ausdruck „bedingungslos“ einrückt; er bezieht sich auch auf Martineau, Study of Religion p. 152 — Der Herausgeber.]

[62] [Romanes Gedanken über den freien Willen sind klarer in einem Aufsatz ausgesprochen, der nach diesen Notizen in Mind and Motion and Monism p. 129 ff. veröffentlicht ist. — Der Herausgeber.]

[63] Nämlich derjenigen, die den freien Willen besitzt. — Der Übersetzer.

[64] [Siehe oben Seite 25. — Der Herausgeber.]

[65] Contemporary Review, July 1886 . [Aber „die letzte Schwierigkeit“, auf die Romanes sich oben bezieht, würde das Verhältnis der mannigfachen, abhängigen Willensäußerungen, zu dem einen letzten und allumfassenden Willen sein. — Der Herausgeber.]

[66] Im engl. Original steht spiritual , es will mir scheinen als ob die Übersetzung „geistlich“ den Sinn am besten trifft, s. oben. — Der Übersetzer.

[67] Dies möchte auf deutsche Verhältnisse nicht gerade anwendbar sein. — Der Übersetzer.

[68] Vergl. Pascal, „ Pensées “. „Denn wir dürfen uns nicht täuschen, wir haben in uns ebenso so viel Automatisches wie Intellektuelles, und daher kommt es, daß das Mittel der Überredung nicht Demonstration allein ist. Wie wenig Dinge werden wirklich demonstriert! Beweise können nur den Geist überzeugen; Gewohnheit liefert uns unsere stärksten Beweise und die, welche wir am festesten halten, sie regieren den Automaten, der dann den unbewußten Intellekt nach sich zieht ....... So ist es auch die Gewohnheit, die so viele Menschen zu Christen macht, Gewohnheit macht andere zu Türken, Heiden, Handwerkern, Soldaten u. s. w. Schließlich müssen wir auch zur Gewohnheit unsere Zuflucht nehmen, wenn der Geist einmal gesehen hat, wo die Wahrheit liegt, um unseren Durst zu löschen und uns in jenen Glauben zu tauchen, der uns zu jeder Stunde entwischt, denn stets Beweise bei der Hand zu haben, wäre zu beschwerlich. Wir müssen einen leichteren Glauben haben, den Glauben der Gewohnheit, der ohne Gewaltthätigkeit, ohne Kunst, ohne Argument unsern Beifall findet und dem alle unsere Kräfte zuneigen, so daß unsere Seele ihm ganz naturgemäß zufällt .....

Es ist nicht genug nur kraft der Überzeugung zu glauben, wenn der Automat geneigt ist, das Gegenteil zu glauben. Dann müssen beide Seiten in uns genötigt sein zu glauben, der Intellekt durch Argumente, der Automat durch Gewohnheit und indem man ihm nicht gestattet nach der entgegengesetzten Richtung zu neigen. Inclina cor meum Deus .“ Siehe auch Newmans Grammar of Assent. chap. VI und Church's Human Life and its conditions . S. 67-69.

[69] Eine genaue Untersuchung zeigt übrigens, daß die Zahl der „ungläubigen“ Mathematiker gegenüber derjenigen der „gläubigen“ ganz verschwindend klein ist. Vergl. meine Schrift: Die Religion der Naturforscher, Breslau 3. Auflage 1896. — Der Übersetzer.

[70] Wobei der Intellekt keine Rolle spielt. — Der Übersetzer.

[71] Nicht der Inhalt , sondern die Thatsache des Glaubens bezw. Wissens kommt hier in Betracht. — Der Übersetzer.

[72] [Der Verfasser hat hinzugefügt, „denn was das Leiden der Tiere betrifft, siehe weiter unten“, — er scheint aber über diesen Gegenstand nichts weiter geschrieben zu haben. — Der Herausgeber].

[73] [In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal erwähnen, daß G. Romanes zwei Tage vor seinem Tod seine innige Zustimmung zu Professor Knights „ Aspects of Theism “ gab, — ein Werk, in welchem großer Nachdruck auf das Argument von der Anschauung in verschiedenen Formen gelegt ist. — Der Herausgeber.]

[74] Siehe darüber Pascal, „ Pensées “ p. 103

[75]

Das Leben ist eitel:
Ein wenig Lieben,
Ein wenig Hassen ....
Und dann .... Ade.
Das Leben ist kurz:
Ein wenig Hoffen,
Ein wenig Träumen ....
Und dann .... Leb wohl.

[76]

Die Nacht hat tausend Augen,
Ein einz'ges nur der Tag;
Und doch erstirbt das Licht der ganzen Welt,
Wenn die Sonne niedersinkt.
Der Geist hat tausend Augen,
Ein einziges nur das Herz,
Und doch erstirbt des ganzen Lebens Licht,
Wenn die Liebe ist hin.

[77] [d. h. der Darwinismus ist eine Theorie, die zuerst als ein gefährlicher Stoß gegen die landläufigen Lehren des Christentums erschien, die aber, wie sich dann herausstellte, kein Gegner seiner Grundprinzipien ist. — Der Herausgeber.]

[78] [d. h. der Kampf in Bezug auf die christlichen Texte und Dokumente. — Der Herausgeber.]

[79] S. Gores Bampton Lectures p. 74 ff.

[80] Math. 28, 17. Apostelgesch. 2, 13.

[81] Die Theorie, daß die Evangelien später bearbeitet worden sind. — Der Übersetzer.

[82] Three essays on Theism p. 255.

[83] [Unvollendete Notiz. — Der Herausgeber.]

[84] [G. Romanes fing an, eine Sammlung von neutestamentlichen Aussprüchen zu machen, die sich auf diesen Gegenstand beziehen. — Der Herausgeber.]

[85] S. Pascal „ Pensées “ p. 245.

[86] [Die Notizen über diesen Gegenstand waren zu fragmentarisch, um veröffentlicht werden zu können. — Der Herausgeber.]

[87] Psalm 51. 18 u. 19.

[88] Pensées p. 91-93.

[89] [Die oben erwähnte Abhandlung sollte zur Erklärung dieses Ausdrucks gelesen werden. Genauer würde Romanes Ansicht, denke ich, so ausgedrückt sein: „Das Ideal des christlichen Charakters besteht vor allem in dem, was wir als spezifisch weiblich ansehen, z. B. Entwicklung der Affekte, Vertrauensseligkeit, Dienstwilligkeit, Bereitwilligkeit zum Leiden u. s. w.“ — Der Herausgeber.]

[90] Siehe Analogy Part I. ch. 7; Part II. ch. 3, 4 u. ff.

[91] Siehe den Schluß, von „Darwin und nach Darwin“ Teil I.

[92] Ich werde noch zeigen, daß Butler eine viel bessere Abhandlung geschrieben haben würde, hätte er die Entwicklung als allgemeines Naturgesetz gekannt.

[93] Siehe Gore's Bampton Lectures II .

[94] Pensées “, p. 205 ff.

[95] [Romanes Argumentation in dieser Notiz ist meines Erachtens unmöglich aufrecht zu erhalten. Der Nachdruck, den Jesus Christus auf ein Wirken von Dämonen legt, ist so groß, daß er, wenn es nicht Wahrheit ist, entweder selbst bezüglich der Wahrheiten des Seelenlebens ernstlich irrte, oder aber andere ernstlich in die Irre führte. Und weder in dem einen noch in dem anderen Fall könnte er der vollkommene Prophet sein. Ich denke, ich bin berechtigt, meine Abweichung von Romanes Argumentation in diesem Punkt ausdrücklich zu erklären. — Der Herausgeber.]

[96] [In Darwins Schriften findet sich nichts, was mir Romanes zu berechtigen scheint, ihm speziell dieses Bedenken zuzuschreiben. Aber er kannte Darwin so genau und verehrte ihn so sehr, das man einen Irrtum seinerseits nicht annehmen kann. — Der Herausgeber.]

Anmerkungen zur Transkription

Text, der im Original gesperrt gesetzt war, wurde hier fett dargestellt.

Text, der im Original nicht in Fraktur, sondern in Antiqua gesetzt war, wurde hier kursiv dargestellt.

Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden übernommen, nur offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.

The cover image was created by the transcriber and is placed in the public domain.