Title : Modernste Kriegswaffen - alte Erfindungen
Author : Franz M. Feldhaus
Release date : April 24, 2016 [eBook #51851]
Language : German
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Anmerkungen zur Transkription:
Der vorliegende Text wurde anhand der 1915 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Inkonsistente, altertümliche und ungewöhnliche Schreibweisen, auch bei Eigennamen, wurden nicht verändert.
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von
F. M. Feldhaus
Ingenieur
Verlag Abel u. Müller ⸫ Leipzig
Druck von E. Haberland, Leipzig-R.
Allen deutschen Kriegern besonders aber meinem lieben Freund und Mitarbeiter
Grafen Carl v. Klinckowstroem,
Hauptmann d. R. im Garde-Jäger-Bataillon
ins Feld geschrieben
vom Verfasser
Berlin-Friedenau, September 1915
Also hat der günstige Leser über 100. Genera von Concepten / welche dem ersten äußerlichen Ansehen nach ungereimt / thöricht und unvermöglich einem vorkommen solten / und dennoch in der That gut gethan / wahr befunden / und würcklich concipirt seyn / curios und nützlich: darumb man nicht alle Speculanten vor Gecken und Narren halten soll / als welche einen Sparren zu viel haben / sondern man muß wissen, daß durch solche Leute der Welt großer Nutz und Dienste gethan worden / und daß sie darmit ihre Mühe / Zeit und Geld verlohren / nur daß sie dem gemeinen Wesen dienen möchten.
Nach J. J. Becher, Närrische Weißheit und weise Narrheit, Frankfurt a. M., 1682.
Nordwestlich des großen Viktoriasees erzählen sich die Neger: „Ein Held von Nakivingi war der Krieger Kibago, der fliegen konnte. Wenn der König die Wanyoro bekriegte, so schickte er Kibago in die Luft empor, um die Stellung der Feinde auszuspähen. Nachdem sie von diesem außergewöhnlichen Wesen aufgefunden worden waren, wurden sie von Nakivingi in ihren Verstecken und außerdem noch von dem tätigen und treuen Kibago angegriffen, welcher aus der Luft große Felsstücke auf sie herabschleuderte und auf diese Weise sie in ganzen Massen erschlug. Zufällig sah Kibago unter den Gefangenen aus Unyoro ein schönes Frauenzimmer, welches der König zur Frau begehrte. Da aber Nakivingi seinen Diener für dessen in ihrer Art einzigen Dienste viel Dank schuldig war, so gab er sie an Kibago als Ehefrau, jedoch mit der Ermahnung, ihr die Kenntnis seiner Flugkraft nicht mitzuteilen, damit sie nicht Verrat an ihm üben möge. Sie waren schon lange verheiratet, ohne daß die Frau etwas davon erfuhr; da es ihr aber sehr auffiel und verdächtig erschien, daß ihr Gatte oftmals plötzlich verschwand und ebenso unerwartet heimkehrte, so überwachte sie ihn auf das Genaueste und war eines Morgens höchst erstaunt, als er die Hütte verließ, ihn plötzlich mit einer an seinen Rücken angeschnürten Bürde von Steinen in die Luft emporsteigen zu sehen. Bei diesem Anblick erinnerte sie sich, wie die Wanyoro sich darüber beklagt hatten, daß eine größere Zahl ihrer Leute auf irgend eine [S. 8] unerklärliche Weise durch Steinwürfe aus der Luft mehr als durch die Speere Nakivingis getötet würden, und, wie eine andere Delilah, ihre Rasse und ihr Volk mehr liebend als ihren Gemahl, eilte sie in das Lager ihres Volkes und teilte den darüber erstaunten Wanyoro mit, was sie an jenem Tage beobachtet hatte. Um sich an den Kibago zu rächen, legten die Wanyoro auf den Gipfeln aller hohen Berge Bogenschützen in den Hinterhalt und erteilten ihnen den Befehl, sich nur auf die Beobachtung der Luft zu beschränken und auf das Schwirren seiner Flügel zu horchen und ihre Pfeile in der Richtung dieses Geräusches abzuschießen, möchten sie nun etwas sehen oder nicht. Infolge dieser Kriegslist wurde Kibago eines Tages, als Nakivingi in die Schlacht zog, durch einen Pfeil tötlich verwundet. Man sah große Blutstropfen auf den Weg niederfallen, und als der König an einen hohen Baum kam, entdeckte er einen in die dicken Zweige desselben verwickelten Leichnam. Als der Baum gefällt war, sah Nikivingi zu seinem unendlichen Leidwesen, daß es der Leichnam seines treuen, fliegenden Kriegers Kibago war.“
Die bekannteste aller Flugsagen ist die vom Schmied Wieland, dem Sohn eines Riesen von der Insel Schonen. Sie wird aber fast immer falsch wiedergegeben, weil man annimmt, Wieland habe sich ein eisernes Flügelkleid „geschmiedet“.
Wieland war in Tirol von König Nidung durch [S. 9] Zerschneiden der Kniesehnen gelähmt worden, weil er des Königs Schmied Amilias im Wettkampf mit dem Schwert Mimung besiegt hatte. Um sich zu rächen, tötete Wieland des Königs beide Söhne und nahm sich seine Tochter, die von ihm Mutter des berühmten Wittich wurde. Sich selbst aber suchte er in Sicherheit zu bringen, indem er sich ein Flügelgewand verfertigte. Nachdem dieses fertiggestellt war, wollte Wieland es erproben. Er überredete seinen Bruder Egil, einen Versuch damit zu machen, und riet ihm, beim Niedersteigen auf die Erde sich vor dem Winde niederzulassen. Egil stürzte, als er diesen Rat befolgte, und Wieland, der sich nunmehr das Federkleid selbst anlegte, sagte zu seinem Bruder: „Ich traute dir nicht, daß du das Federkleid wiederbringen würdest, wenn du erführst, wie gut es wäre; und das magst du wissen, daß alle Vögel sich gegen den Wind niederlassen und ebenso emporheben. Nun aber will ich dir, Bruder, mein Vorhaben sagen: Ich will jetzo heimfahren, zuvor aber noch zu König Nidung, mit ihm zu reden. Und wenn ich da etwas sage, was den König verdreußt, sodaß er dich nötigt, nach mir zu schießen, so ziele unter meinen linken Arm; darunter habe ich eine Blase gebunden, worin Blut von Nidungs Söhnen ist. So vermagst du wohl deinen Schuß einzurichten, daß mir kein Schade daraus entsteht; wenn du irgend unsere Verwandtschaft ehren willst.“ Nun flog Wieland auf den höchsten Turm der Königsburg und rief den König heraus, mit ihm zu reden. Der König fragte ihn: „Bist du jetzt ein Vogel, Wieland? Was willst du und wohin willst du fliegen? Mancherlei Wunder machst du aus dir.“ Da sagte Wieland: „Herr, jetzo [S. 10] bin ich ein Vogel und zugleich ein Mensch; von hinnen gedenke ich nun, und nimmer sollst du mich wieder in deine Gewalt kriegen, nimmer erlebst du das.“ Indem flog Wieland hoch in die Luft empor. Da rief König Nidung: „Du, junger Egil, nimm deinen Bogen und schieß ihn in die Brust, nimmer soll er lebens von hinnen kommen, für die Frevel, die er hier verübt hat.“ Egil antwortete: „Nicht mag ich das tun gegen meinen Bruder.“ Da sagte der König Nidung, daß Egil des Todes sein sollte, wenn er nicht schösse und fügte noch hinzu, daß er schon den Tod verdient hätte für die Übeltaten seines Bruders: „Und dadurch allein rettest du dein Leben, daß du ihn schießest, und durch nichts anderes.“ Egil legte nun den Pfeil auf die Sehne und schoß Wielanden unter den Arm, sodaß das Blut auf die Erde fiel. Da sprach der König: „Das traf gut.“ Und er, und alle die das sahen, stimmten ein, daß Wieland diesen Schuß nicht mehr lange überleben könne. Wieland aber flog heim nach Seeland und wohnte in seinem Eigentum, welches Riese Wade, sein Vater besessen hatte.
In Skandinavien, Mecklenburg und Hannover fand man mehrere riesige Bronzehörner, die etwa ums Jahr 1000 vor Christus entstanden sind. Sie sind aus kleinen, äußerst dünn gegossenen Stücken sorgsam zusammengesetzt, haben einfache Kesselmundstücke und lassen sich noch heute, allerdings erst nach besonderer Übung, blasen. Ein solches Horn — Lur genannt — gibt die ersten zwölf Naturtöne und noch zehn chroma [S. 11] tische Töne unterhalb des Grundtones. Ob dies allerdings die richtigen Töne der Instrumente sind, bleibt äußerst fraglich, weil es doch weder bewiesen ist, daß die nordischen Bläser vor 3000 Jahren denselben Ansatz hatten wie unsere Hornisten und es sogar unwahrscheinlich ist, daß der musikalische Geschmack jener Zeit sich mit dem unsrigen deckt.
Immerhin zeugen diese Luren von einer hochentwickelten Kultur alter Kriegsvölker des Nordens.
Wo der Mensch auch immer schaffte, gern hinterließ er Spuren seiner angeborenen Schalkheit. Nicht die Religion, nicht der Tod, weder Krieg, Seuchen noch Gebrechen, weder Sonne noch Mücke, weder reich noch arm, sind in Dichtung, Wortspiel, in Farbe und Stein von dem willkommendsten der verneinenden Geister, dem Schalk, übergangen worden.
Ein Maler hat z. B. die Belagerung von Jerusalem, die im Jahre 70 nach Christus stattfand, so darge [S. 12] stellt, daß Kanonen und Mörser ihr Feuer gegen die Stadt richten, und daß der Oberbefehlshaber Titus, sowie die übrigen Feldherrn Pistolen im Gürtel tragen.
Noch lustiger ist ein Gemälde in einer Dorfkirche unweit Haarlem, das Opfer des Isaak darstellend. Abraham schwingt als Schlachtmesser eine fürchterliche Reiterpistole über dem Haupt seines unglücklichen Sohnes. Ihr Hahn ist schon gespannt, um auf den Knaben, der auf einem Holzbündel kniet, abgedrückt zu werden. Da erscheint hoch in den Wolken ein Engel, lüftet ein wenig sein leichtes Gewand und verrichtet gleich einem segenspendenden Regen ein kleines Geschäftchen unter dem Himmelsröckchen hervor, gerade so, daß sich ein rettender Strahl naßplätschernd auf die Pulverpfanne der tötlichen Pistole ergießt.
Es gibt eine Reihe von Zeitungen, die alljährlich, wenn der 1. April kommt, in ihren Blättern eine lustige Ecke einrichten, um dort mit der ernstesten Miene allerhand Schabernack zum besten zu geben. Oft geht’s gut, oft fällt aber auch jemand darauf rein, der, wie andere Leute eben nicht daran gedacht hat, daß es sich um einen Aprilscherz handelt.
So erzählte die „Deutsche Uhrmacher-Zeitung“ vor einigen Jahren, daß die hohen Häuser in Amerika, die sogenannten Wolkenkratzer, zum größten Schrecken der Architekten sich allmählich gegen den magnetischen Nordpol der Erde neigten. Selbst ernste Fachblätter [S. 13] gingen auf den Leim und druckten diese schauerliche Tatsache in allem Ernste nach. Wenn ich nun hier an die Leser die Frage gerichtet habe, ob Moses das Pulver gekannt hat, so kann ich mit gutem Gewissen betonen, daß es sich hier nicht um ein Geschreibsel zum ersten April oder um eine Bierzeitung, sondern um die Besprechung einer ganz ernsthaften Schrift handelt. Der Verfasser dieser Schrift, die, wie das Titelblatt sagt, in 5000 Exemplaren über die ahnungslose deutsche Jägerwelt ausgestreut wurde, ist, wie wiederum die Rückseite des Titelblattes meldet, ein Mann, der bereits über das Geld im Verkehrsleben, über Argentinien, über die Schweizerische Nationalbank, über zinsfreie Darlehn, über Geld und Bodenreform und über die Verwirklichung des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag geschrieben hat, sein Name ist Silvio Gesell.
Als ich diese Schrift gelesen hatte, stand ich da, wie der gute Zettel im „Sommernachtstraum“, nachdem ihm seine langen Eselsohren abgenommen worden waren, die er kurz vorher noch über seinem Kopf gefühlt hatte. Ich griff auch immer da oben hin und zitierte seine Worte: „Mir war, als wär’ ich, und mir war, als hätt’ ich — aber der Mensch ist nur ein Lump — und Lappenhans, wenn er sich unterfängt, zu sagen, was mir war, als hätt’ ich’s.“ Ja, wahrlich, mir war doch, als hätte ich schon so allerhand von der dunklen Geschichte des schwarzen Schießpulvers gehört, das ein Schwarzkünstler namens Berthold Schwarz in seiner dustern Seele ausgedacht hatte, aber von Moses... Kurz, nachdem ich die Gesellsche Schrift gelesen hatte, wußte ich überhaupt nichts mehr. Nicht einmal, wie [S. 14] man einen solchen haarsträubenden Unsinn schreiben, so etwas drucken, so etwas verkaufen und gar so etwas noch lesen kann.
Weil in den Mosaischen Büchern von brennenden Büschen, von leuchtenden Wolkensäulen und anderen Dingen die Rede ist, die mit dem Schießpulver nur das Feuer gemeinsam haben, beglückt uns Herr Gesell mit der Neuigkeit, daß Moses einen den heutigen Sprengmitteln ähnlichen Stoff kannte und zu bereiten wußte, und daß er sich desselben in ausgiebiger Weise bedient hatte. Wie der Verfasser die paar Dutzend Bibelstellen, die er für seine Beobachtung zitiert, „beweist“, will ich durch eine Stichprobe hier vorführen: „Zur Herstellung des Sprengpulvers braucht man Schwefel und Salpeter. Beides aber findet man bekanntlich heute noch in Mengen in Ägypten und Arabien. Zur künstlichen Herstellung des Salpeters brauchte man bis in die neueste Zeit in den sogenannten Salpeterplantagen Blut und Fett, und Moses sorgte dafür, daß ihm das Blut und das Fett all der von einem Hirtenvolke geschlachteten Tiere abgeliefert wurde. Wer von den Juden Fett und Blut der Tiere selbst verbrauchte, wurde ausgerottet. Wozu brauchte Moses solche ungeheure Mengen Blut? Er goß das Blut vor dem Altare aus. Und die Asche enthält Kali (Pottasche), einen ebenfalls zu Sprengmitteln verwendbaren Stoff! Es war also wohl eine Salpeteranlage, die Moses eingerichtet hatte. Vielleicht bereitete Moses auf dem Brandopferaltar, dem ununterbrochen ein dicker Qualm entstieg, Blutlaugensalz, ein Produkt, das auch zu Sprengstoffen dient.“
Warum redet man eigentlich den Jägern nach, daß [S. 15] sie so viel Phantasie hätten? Ist doch noch keiner von ihnen, obwohl er das Pulver täglich gebraucht, darauf gekommen, es schon bei Moses in der Bibel zu suchen.
Die Engländer schreiben sich die Erfindung des Sprachrohres, durch das man sich noch heute auf See verständigt, unrechtmäßig zu.
In den Trümmern von Ninive, der Hauptstadt des assyrischen Reiches, fand man unter den vielen Darstellungen aus dem 9. Jahrhundert vor Christus, die dort in Stein gehauen sind, auch die hier abgebildete. Es ist eine Militärperson dargestellt, die von einem erhöhten Platz aus durch ein Sprachrohr Befehle erteilt. Aber auch die Araber kannten das Sprachrohr [S. 16] bereits um das Jahr 1550. Erst im Jahre 1671 wurde das Sprachrohr in einer in London erschienenen Schrift unter der Bezeichnung „Sprech-Trompete“ für Marinezwecke bekannt gemacht.
Den Schwimmgurt wollen die Franzosen erfunden haben. Sie vergessen bei diesem Anspruch, daß wir die Schwimmgurte schon mehr als 2000 Jahre vorher bei assyrischen Kriegern kennen. Es werden nämlich auf einem der großen Alabasterreliefs am Königspalast zu Nimrud, nahe der Hauptstadt Ninive, Krieger dargestellt, die, nur mit dem Helm bekleidet, auf aufgeblasenen Tierbälgen mit der Flotte durch ein Gewässer schwimmen. Ein Lederschlauch führt von diesem Schwimmkissen in den Mund des Kriegers, sodaß sich die Luftfüllung regulieren läßt. Auf diese Weise konnte der Krieger mehr oder weniger untertauchen, um sich Nachforschungen oder den Geschossen des Feindes zu entziehen.
Die assyrische Darstellung, die diesen Schwimmgurt zeigt, stammt aus den Jahren 885 bis 860 vor Christus.
Übrigens war auch den Römern der Schwimmgurt bekannt; denn schon im Jahre 390 vor Christus durchschwamm ein Bote auf einem Korkgurt den Tiber. Und im Jahre 74 vor Christus schwamm ein Soldat mit Hülfe aufgeblasener Lederschläuche zum belagerten Kyzikos.
In den technischen Bilderhandschriften des Mittel [S. 17] alters werden die Schwimmgurte immer wieder unter den Kriegsgeräten abgebildet. Leonardo da Vinci rät gar ums Jahr 1480, daß jeder der eine Flugmaschine über dem Wasser versuchen will, einen luftgefüllten Schlauch als Rettungsgurt tragen müsse. Und an einer andern Stelle empfiehlt er aufgeblasene Lederschläuche, mit deren Hülfe „dies Heer den Fluß schwimmend übersetzen soll“.
Einmal versuchte gar ein König, der spätere Kaiser Maximilian I., mit Hülfe eines Schwimmgurtes über den Graben der Burg von Brügge zu entkommen. Sein treuer Diener Kunz von der Rosen war mit einem Schwimmgurt über den Graben geschwommen und hatte dem König einen gleichen Gurt mitgebracht, um ihn aus der Gefangenschaft zu retten. Das so glücklich begonnene Vorhaben mißlang nur, weil aufgescheuchte Schwäne die Wache aufmerksam machten.
In der Kriegstechnik des Altertums spielte ein schwerer Balken von 15 bis 35 Meter Länge, der vorn mit einer starken bronzenen Haube versehen war, eine große Rolle. Man gab dieser Haube häufig die Form eines Widderkopfes. Der Balken wurde von Mannschaften, die unter Schutzdächer standen, gegen die Mauer einer feindlichen Befestigung geschwungen, um diese einzurennen. Die römischen Kriegsschriftsteller berichten über die Erfindung des Widders: „Zuerst soll für die Belagerung der Widder erfunden worden sein, und zwar auf folgende Weise. Bei Caditz nahmen die Karthager (206 vor Chr.) einen Balken, und diesen mit den Händen fortgesetzt schwingend und mit dem oberen Ende fortgesetzt oben gegen die Mauer stoßend, warfen sie die Steinreihen herab. Durch dieses angeregt, stellte ein tyrischer Techniker, namens Pephasmenos, einen Mastbaum auf, hing daran quer einen anderen und brach mit diesem in die Mauer von Caditz Bresche. Der Kalchedonier Geras fertigte zuerst ein Gestell mit Räder darunter, hing an dieses den Widder und brachte von Rindshäuten eine Schutzdecke an, damit diejenigen, die an jener Maschine wären, gesichert sein.“
Unter Alexander dem Großen konstruierte der Ingenieur Diades einen Widder, dessen Balken auf einer Reihe kleiner Walzen lagerte, auf denen er mittels Flaschenzügen hin- und hergezogen wurde. Wir haben es hier also schon im 4. Jahrhundert vor Christus mit einer der erst in jüngster Zeit wieder so beliebten [S. 19] Walzenlagerungen zu tun. Die Walzenlager sind mit den Rollen- und Kugellagern verwandt, und dienen wie diese dazu, die Reibung an Maschinen möglichst zu verringern. Also eine anscheinend ganz moderne technische Idee vor über 2200 Jahren!
Aber, der von den Römern in seiner Erfindung so eingehend geschilderte Widder war im Orient längst bekannt. Wir sehen nämlich auf unserer Abbildung, die von einem der Reliefs am Königspalast von Nimrud in Assyrien stammt, einen fahrbaren Widder dargestellt, dessen in der Höhenlage verstellbarer Balken unter einem sicheren Schutzdach hervor die feindlichen Mauern bereits im 9. Jahrhundert vor Christus erfolgreich berennt.
Mit der Einführung des Wassergrabens vor den Festungsmauern verlor der Widder seine praktische Bedeutung. Dennoch fand ich ihn in mittelalterlichen Handschriften häufig wieder. Er hat aber dort sein Wesen anscheinend geheimnisvoll verwandelt. Wir erkennen aus unserer nächsten Abbildung einen solchen Widder nach einer in Berlin aufbewahrten kriegstechnischen Handschrift von 1540. Eine schriftliche Erklärung dieses Widders habe ich noch nicht gefunden. Zunächst fällt es auf, daß der Widderbalken rund ist und hinten nicht aus seinem Wagen herausragt, dann sehen wir, daß aus einem Schornstein des Wagens geheimnisvoller Rauch quillt. Es wird also hinter dem Flechtwerk und den das Dach schützenden Ochsenhäuten — an denen man zur Erhöhung des Eindrucks der Maschine die Schädel gelassen hat — ein Feuer geschürt, das seine große Flamme vorn zu dem metallenen Widderkopf heraussprühen läßt. Vermutlich dient [S. 21] also dieser Feuerwidder weniger zum Anrennen, als zum Anbrennen.
Es ist ein von England aus absichtlich genährter Irrtum, als sei die Baumwolle und deren Bearbeitung von dort aus in die Welt gekommen.
Tatsächlich kannte das Altertum die Baumwollestaude aus Ostindien und Oberägypten, und von dort her bezog man auch die baumwollenen Stoffe. Alte indische Gesetzbücher, deren Abfassungszeit möglicherweise Jahrhunderte vor der christlichen Zeit zurückreicht, sprechen von der Baumwollestaude und deren Kultur.
Herodot, der weltgereiste Geschichtsschreiber berichtet schon im 5. Jahrhundert vor Christus von der indischen Baumwollstaude: „Es tragen dort wilde Bäume statt der Frucht eine Wolle, die an Schönheit und Güte die Schafwolle übertrifft. Die Inder tragen Kleider von dieser Baumwolle.“ Und die Bekleidung des Hülfskorps des Xerxes beschreibt Herodot damals: „Sie hatten Kleider an von Baumwolle und führten Bogen von Rohr und Pfeile von Rohr, an denen oben Eisen saß.“
Durch die asiatischen Kriege wurde die Baumwolle den Römern ums Jahr 190 vor Christus bekannt. Man fand vor mehreren Jahren in christlichen Gräbern Ägyptens, die aus dem ersten bis vierten Jahrhundert stammen, sogar baumwollne Kleider bei den Leichen.
Etwa mit dem Jahre 1700 beginnt die englische Baumwollindustrie.
Man kann ruhig behaupten, daß schon die alten Griechen mit Geschützrohren, die auf einem Rädergestell lagen, in den Krieg gezogen sind.
Man kann es sogar beweisen. Thukidides berichtet nämlich, das die Böotier, jenes wegen seiner Plumpheit verrufene Volk im mittleren Griechenland, im Jahre 424 vor Christus eine eigentümliche Angriffswaffe in Stellung brachten. Sie bestand aus einem langen, aus Holz ausgehöhlten und mit Eisenreifen umgebenen Rohr, das auf einem Rädergestell lag. Vorn war ein durchbrochenes Gefäß mit glühenden Kohlen angebracht. Auf die Kohlen warf man Pech und Schwefel. Hinten erzeugten Bälge von großen Tieren ununterbrochen einen starken Luftstrom. Infolgedessen entstand vorn am Rohr eine lange, heftige Stichflamme, die von den Böotiern gegen die hölzernen Befestigungswerke der Stadt Delion gerichtet wurde.
Man muß aber zu der Behauptung von einem griechischen Geschützrohr auch die wichtige Erklärung abgeben, in wieweit es sich grundsätzlich von unsern europäischen Schießpulvergeschützen, die nicht vor dem Jahre 1300 erfunden sein können, unterscheidet.
Die „Berliner Zeitung am Mittag“ machte jüngst darauf aufmerksam, daß die Griechen bereits im Jahre 401 v. Chr. ihre blinkende Wehr durch Stoffbezüge [S. 23] gegen den Feind abblendeten. So berichtet Xenophon in der „Anabasis“ beim Zug der Griechen nach Kleinasien. Er erzählt, wie das Heer am 9. März 401 v. Chr. von Sardes über Kunaxa nach dem Schwarzen Meer marschiert. Vor der Königin findet bei Tyriaion eine Truppenschau statt und nun wird beschrieben, wie die Griechen im Paradeanzug erscheinen. Sie marschieren mit blanken Ausrüstungsgegenständen, Helm und Schild usw. auf, haben also die Überzüge, die sie über diesen trugen, abgenommen. Leider läßt sich aus keinem älteren Schriftsteller feststellen, welche Farben diese Überzüge hatten.
Als eines der geistvollsten Mittel im Seekrieg des Altertums galt die Erfindung des Archimedes, die Flotte der Athener mit Hilfe großer Brennspiegel zu zerstören.
Man wußte schon im alten Griechenland, daß man mittels der Sonnenstrahlen, die durch ein Brennglas hindurchgeleitet waren, auf einige Entfernung etwas in Brand stecken konnte. Der Lustspieldichter Aristophanes will im Jahre 423 vor Christus in seiner Komödie „Die Wolken“ einen Schuldschein dadurch aus der Welt schaffen, daß der Schuldner sich dem Schein unvermerkt mit einem Brennglas nähert, so daß der Zettel in Rauch aufgeht. Auch die Brennspiegel waren den Griechen mindestens ums Jahr 300 vor Christus bekannt. Aber vom Entzünden einer ganzen Flotte mit [S. 24] Hilfe großer metallener Spiegel ist im Altertum nirgendwo die Rede.
Erst im zweiten Jahrhundert nach Christus berichtet der berühmte griechische Arzt Galenos, daß Archimedes von Syrakus in den Jahren 213 bis 212 vor Christus die Flotte der Athener „durch künstliche Mittel“ in Brand gesteckt habe. Welcher Art diese Mittel waren, wird nicht gesagt. Erst im Jahre 530 nach Christus behauptet Anthemius ohne irgend welchen Grund, hier seien Metallspiegel angewandt worden. Das Mittelalter war ja die Zeit der Behauptungen. Schob man die Behauptung gar noch in die Schrift irgend eines berühmten Mannes ein, so entstand, selbst für die Gelehrten, auf diese Weise eine unantastbare Wahrheit. Kein Mensch verlangte für eine solche Behauptung eine Nachprüfung. Das gerade hat unsere Zeit so gewaltig groß gemacht, daß wir in naturwissenschaftlichen und technischen Dingen alles und jedes sorgsam prüfen. Im Mittelalter lernte man auf den Hochschulen das, und nur das, was berühmte Männer vor Jahrhunderten ausgesprochen hatten. Und daran zweifelte niemand. Unsere Zeit zeigt schon in den Schulen das Experiment, und auf den Hochschulen muß jeder Student alles durch eigene Versuche nachprüfen, was die Wissenschaft heute als richtig anerkennt.
Im Mittelalter ein Jahrhunderte langer starrer Stillstand der Ideen, nur unterbrochen von vereinzelten Großtaten einsichtsvoller Gelehrter. In unserer Zeit dagegen eine ständige Bewegung und Umwertung in der Wissenschaft, die einem tätigen und willensstarken Volk die Wege ebnet, um Neues zu schaffen, wenn das [S. 25] Alte ihm durch die Mißgunst seiner Feinde abgeschnitten wird.
Wer von den Geschützen des Altertums sprechen will, muß zwei verschiedene Konstruktionsarten scharf voneinander trennen: Standarmbruste und Torsionsgeschütze.
Die Armbrust ist eine Verbesserung des Bogens unserer steinzeitlichen Vorfahren, einer Waffe, die mindestens schon 25 000 Jahre vor Christus bekannt war. Die Führung des Pfeiles geschieht bei der Armbrust durch eine besondere Bahn, und die Sehne wird von einem Mechanismus bis zum Augenblick des Schusses gespannt erhalten. Standarmbruste sind besonders groß gebaute Armbruste, die man auf Böcke frei aufstellen kann.
Bei der Armbrust liegt die Kraft in den elastischen Bogenarmen. Anders bei den Torsionsgeschützen. Diese haben nämlich statt der elastischen Bogenarme starre Knüppel. Die Spannkraft wird dadurch erzeugt, daß man die Knüppel in sehr starke Stränge einsetzt, die aus Tiersehnen oder Frauenhaar geflochten sind. Diese Torsionsstränge werden so stark gespannt, daß die darin steckenden Knüppel nur mittels Flaschenzügen oder anderer Vorrichtungen rückwärts gezogen werden können. Läßt man den Knüppel mittels einer Abzugsvorrichtung los, so schleudert er — einzeln oder paarweis — einen Pfeil oder eine Kugel ab. Selbst bei mittelgroßen Pfeilgeschützen beträgt der Anfangsdruck etwa 24 000 Kilogramm.
Diese Torsionsgeschütze wurden etwa ums Jahr 400 vor Christus in Syrakus, wahrscheinlich von syrischen Technikern, erfunden, und alsbald im Festungs- und Seekrieg verwendet. Zuerst schoß man nur mit Pfeilen, später auch mit kleineren und größeren Steinkugeln.
Unter den verschiedenen Verbesserungen, die diese Geschütze im Laufe der Jahrhunderte erlebten, ist diejenige am interessantesten, die ein automatisches Laden ermöglicht. Wir erkennen in unserer Abbildung das auf einer Säule drehbar aufgestellte Geschütz, das auch in seiner Höhenrichtung verstellbar ist. Links, dicht vor der Säule, sehen wir den schweren Holzrahmen, in dem die Spannstränge sitzen. Aus jedem Spannstrang ragt ein starrer Knüppel nach hinten hinaus. Die freien Enden dieser Knüppel sind durch die Sehne verbunden. Die Sehne wird in der Mitte von einem Haken er [S. 27] faßt und durch Drehung des rechts sichtbaren Kreuzes mit Hilfe zweier Gelenkketten langsam gespannt, bis sie sich in der Abzugsvorrichtung festhakt. Gleichzeitig dreht sich bei diesem Vorgang eine Walze, die in dem oberen bügelförmigen Teil des Geschützes lagert. Über dieser Walze ist ein Behälter für Pfeile angebracht. Die Walze ist mit einer Nute versehen, die genau so groß ist, daß ein Pfeil darin Platz hat. Mithin wird die Walze bei jeder Umdrehung, bei jedem Anspannen der Sehne, in ihrer Nute oben einen Pfeil mitnehmen, und ihn nach unten hin auf die Läuferbahn befördern. So kann der Geschützführer also nach jedem Abzug das Geschütz sogleich wieder spannen, ohne sich um die Ladung zu kümmern.
Die Torsionsgeschütze des Altertums wurden im Mittelalter von einfachen Schleudergeschützen verdrängt. Diese, Bliden genannt, trugen einen senkrecht stehenden Balken auf wagerechter Achse. Diese Achse saß nahe dem unteren Ende des Balkens, wo ihm ein schweres Gewicht, meist ein Kasten mit Steinen, angehängt war. Das über die Achse hinausragende lange Ende des Balkens trug eine Lederschleuder oder einen Löffel für die Steinkugeln. Zum Schuß zog man den langen Balken zur Erde herunter, legte die Steinkugel ein und ließ die Sperrvorrichtung des Balkens los, so daß die Kugel weit weggeschleudert wurde.
Wie die Torsionsgeschütze des Altertums ausgesehen hatten, war völlig in Vergessenheit geraten. Die verschiedensten Versuche, Geschütze wieder herzustellen, waren mißlungen. Erst den unausgesetzten Bemühungen von Oberst Schramm und Professor Schneider gelang es, solche Geschütze wieder entstehen zu lassen. Im [S. 28] Jahre 1904 wurden sie unserm Kaiser vorgeführt. Auf der Saalburg, auf der Hohenkönigsburg, in Goslar und im Berliner Zeughaus kann man jetzt die Geschütze des griechischen Altertums wieder genau kennen lernen.
Ein römischer Soldat an einem keltischen Grenzwall, mit Schwert, Schild und Lanze in Feindesland auslugend, die kleine Pfeife gemütlich im Mund.
Ist das ein Kalauer? Ist’s Wahrheit?
Dies Bild ist das Ergebnis aus zahlreichen Funden, die wir in keltischen Siedelungen und römischen Militärstationen von Deutschland, Frankreich, England, Spanien, den Niederlanden und der Schweiz gemacht haben. Bei den Waffen und Geräten, die aus jener Zeit stammen, fanden sich insgesamt hunderte kleiner Pfeifen aus Ton und Metall. Besonders die Museen der Schweiz sind reich an solchen alten Soldatenpfeifen.
Schwierig bleibt die Beantwortung der Frage, was man sich damals in die Pfeife stopfte, da doch der Tabak erst anderthalb Jahrhunderte später durch die Entdeckung Amerikas in Europa bekannt wurde. Man vermutet, daß man Lawendel oder Hanf rauchte.
Man kann sich für diese Vermutung sogar auf eine Stelle des vielgereisten Herodot stützen, der schon ums Jahr 440 vor Christus sagt: „Die Skythen nehmen die Körner vom Hanf, kriechen unter ihre Filzzelte und werfen Hanfkörner auf glühende Steine. Wenn die Körner darauf fallen, qualmen sie und verbreiten einen [S. 29] solchen Rauch, daß kein hellenisches Dampfbad darüber kommt. Die Skythen aber heulen vor Freude über den Dampf.“ Sicherlich ist hier eine Erquickung am Dampf des Hanfsamens geschildert. Herodot hat den Vorgang wohl nicht genau beobachtet, oder man hat erst in späterer Zeit das erquickende Einfangen des Rauches praktischer, und vor allen Dingen tragbar gestaltet, indem man das Pfeifenrohr erfand.
Es scheint sogar, daß man auch im Mittelalter die Pfeife noch vereinzelt kannte. Es fanden sich nämlich vor einigen Jahren in der aus dem elften Jahrhundert stammenden Kirche von Hubeville und im Kloster von Corcumare in Irland zwei Figuren, die Männer in Gewändern der Karolingerzeit darstellen. Beide Figuren halten kurze Pfeifen zwischen den Zähnen.
Und in einem Gedicht über die Eroberung von Valencia aus dem Jahre 1276 findet sich wieder eine Andeutung, daß das Rauchen schon damals von den Soldaten geschätzt wurde: „Man sagt von dem Lawendel, daß er die Eigenschaft besitzt, den Schlaf zu vertreiben und dem Kraft zu geben, der ihn raucht , weil er die Feuchtigkeit des Gehirns austrocknet und auf diese Weise eine große Widerstandsfähigkeit entstehen läßt.“
Aus vielen Stellen der Bibel und aus andern hebräischen Schriften läßt sich schließen, daß die Verwendung von Tauben zur Beförderung von Briefen etwa 1000 Jahre vor Christus im Morgenland schon gebräuchlich war. Die Griechen kannten die Brieftaube [S. 30] etwa ein halbes Jahrtausend später; denn Anakreon, der Dichter der Liebe und des Frohsinns, läßt die Taube damals sprechen: „Ihm muß, wie du siehst, ich jetzt die Briefchen der Liebe tragen.“ Die Römer kannten außer Tauben auch Schwalben als Briefboten.
Die erste militärische Taubenpost wurde im Jahre 43 vor Christus von Brutus, dem hinterlistigen Freund des großen Cäsar, bei der Belagerung von Mutina — dem heutigen Modena in Italien — eingerichtet. Der ältere Plinius berichtet uns darüber: „Decimus Brutus schickte bei der mutinensischen Belagerung Briefe, die er an die Füße von Tauben gebunden hatte, in das Lager der Konsuln. Was nützte nun dem Antonius der Wall, die Wachsamkeit des Belagerungsheers und selbst die im Fluß ausgespannten Netze, da der Bote durch die Luft ging?“
Während des ersten Kreuzzuges wurde zwischen Rodvan und dem Herzog von Lothringen im Jahre 1098 bei Aleppo eine militärische Taubenpost eingerichtet. Die erste vollständig organisierte staatliche Taubenpost richtete Nur-Eddin im Jahre 1171 in Syrien ein. Unser kleines Bild zeigt eine Taubenpost nach einem Holzschnitt des Jahres 1488. Die Darstellung entstand nach den Handschriften einer Reiseerzählung des Johann von Mandeville etwa vom Jahre 1360.
Übrigens hat man in diesem Jahre vergessen, eines Ereignisses zu gedenken, das vor hundert Jahren, am 18. Juni 1815, stattfand. Das Bankhaus Rothschild in London hatte Brieftauben bei der englischen Armee, und diese überbrachten ihm noch am Abend jenes Tages die Nachricht vom Sieg über Napoleon I. Dadurch war Rothschild am nächsten Tage auf der Londoner Börse der einzige, der um diesen für Englands Weltmachtstellung entscheidenden Sieg wußte. Das Haus Rothschild soll durch diese Brieftaubennachricht damals Riesensummen an der Börse verdient haben.
Während der Belagerung von Paris erfand Dagron den mikrophotographischen Brieftaubendienst. Man photographierte jede einzelne Depesche mikroskopisch klein. Eine Taube konnte 18 dünne Kollodiumhäute in einer Federpose aufnehmen. Auf diesen Häuten waren insgesamt 50000 Depeschen zu je 15 Worten photographiert. Auf der Empfangsstation wurden die mikroskopischen Bilder durch einen Vergrößerungsapparat auf eine weiße Wand geworfen, so daß man sie gut lesen konnte.
Die Armbrust, die wichtigste Schußwaffe im Mittelalter, ist auch schon im Altertum bekannt gewesen. Vermutlich kam sie auf Handelswegen aus dem chinesischen Reich in die römische Kolonie von Südfrankreich. Wir finden sie dort in zwei verschiedenen Formen auf Grabdenkmälern abgebildet. Meine Zeichnung gibt die Figur auf einem dieser Grabdenkmäler wieder.
Den Römern war auch noch eine besonders große Art der Armbrust bekannt, deren Sehne man nur dadurch spannen konnte, daß man sich mit dem ganzen Gewicht des Oberkörpers auf einen besonderen Schieber der Armbrust lehnte. Man nannte sie deshalb damals „Bauchspanner“.
Ums Jahr 1100 war die Armbrust so sehr vervollkommnet worden, daß das zweite lateranische Konzil und dem Papst Innozens II. ihre Verwendung im Jahre [S. 33] 1139 gegen Christen verbot. Nur gegen Heiden durfte diese furchtbare Waffe damals noch verwendet werden..... Genutzt hat das Verbot nichts.
Es ist oft über die Frage gestritten worden, welcher Mensch zuerst geflogen sei. Soweit wir die Geschichte bis jetzt kennen, läßt sich schon von einem Flugversuch im Jahre 67 nach Christi Geburt berichten. Viele altchristliche Schriftsteller erzählen uns, wie damals unter Kaiser Nero ein Zauberer namens Simon einen Flug durch die Luft versucht habe. Dieser Simon wird ja auch im 8. Kapitel der Apostelgeschichte als gefährlicher Zauberer erwähnt. Die großen Kirchenschriftsteller kommen außerordentlich oft auf die Erzählung von dem Flug des Simon zurück. Einige berichten, daß Petrus in dem Tun des Simon eine Verhöhnung und Nachahmung der Himmelfahrt Christi gesehen habe, und daß der Flug durch das Gebet Petri vereitelt worden sei. Deshalb habe Kaiser Nero den Petrus gefangen gesetzt und später kreuzigen lassen.
Unter der christlichen Legende, die sich so allmählich herausbildete, liegt eine geschichtliche Tatsache verborgen, die uns auch von den heidnischen Schriftstellern der damaligen Zeit bestätigt wird. Im Herbst des Jahres 67 versuchte Simon im großen Zirkus zu Rom in Gegenwart des Kaisers Nero einen Schwebeflug von einem hohen Gestell herab. Er stürzte jedoch dabei und kam so nahe beim Kaiser zu Fall, daß dessen Gewand vom Blut des Fliegers bespritzt wurde.
Im Mittelalter finden wir Simon in der Magussage wieder fliegend. Auch der Zauberer Faust, dessen Erzählung sich auf diese Magussage aufbaut, wird verschiedene Male als Flieger geschildert.
So läßt denn auch Goethe seinen Faust wieder fliegen. Die betreffende Stelle ist allgemein bekannt, jedoch ihrem Sinne nach wenig beachtet. Erinnern wir uns, daß Goethe diese Stelle im Jahre 1783, also während der Aufstiege der ersten Luftballone in Frankreich schrieb. Goethe verfolgte diese Luftfahrten damals mit größtem Interesse, und bereute sehr, daß er früher gewisse Experimente nicht weiter verfolgt habe, weil er jetzt sah, „wie nahe ich dieser Entdeckung gewesen“. Und er empfand „einigen Verdruß, es nicht selbst entdeckt zu haben“.
Als Goethe nun 1783 die ursprüngliche Gestalt seines Faust-Dramas umarbeitete, schuf er — in Erinnerung der Flugsage von Magus Simon und unter dem Eindruck der französischen Luftfahrten — eine neue Szene.
Kurz nachdem der Schüler das Studierzimmer verlassen hat, tritt Faust auf und fragt den Mephisto: „Wohin soll es nun gehn?“, und später: „Wie kommen wir denn aus dem Haus? Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?“
So spießbürgerlich denkt Faust sich die Fahrt mit dem Teufel. Dieser aber antwortet:
Jetzt erkennen wir, daß Goethe den Mephistopheles hier von der Hülle des Luftballons als Mantel sprechen läßt, und daß die Feuerluft, die darunter bereitet wird, die Warmluft oder das Gas der Luftballone sein soll.
Im alten Rom verwendete man das Blasrohr, mit dem heute unsere Kinder gern schießen, zur Vogeljagd. Als Byzanz, das heutige Konstantinopel, die Hauptstadt des oströmischen Kaiserreiches war, und man das gefürchtete, in seiner Zusammensetzung nicht mehr genau bekannte, griechische Feuer gegen den Feind zu schleudern verstand, verwendete man auch Blasrohre unter der Bezeichnung „Hand-Siphone“, um dieses Kriegsfeuer dem Feind auf kürzere Entfernung entgegen zu schleudern. Auch benutzte man Blasrohre im Jahre 1108, als die Byzantiner bei der Belagerung von Durazzo gegen die Normannen kämpften. Weil die zeitgenössischen Nachrichten nur kurz von „Rohren“ sprechen, glaubte man früher, die Byzantiner hätten Kanonen mitgeführt. Es handelt sich jedoch nur um Blasrohre, aus denen man Geschosse warf, die aus Harz und Schwefel gegossen waren, und die sich an einer besonderen Vorrichtung beim Verlassen der Blasrohre entzündeten.
In Deutschland ist das Blasrohr wohl nie im Krieg verwendet worden; denn Albertus Magnus, der vielseitige Kölner Gelehrte, verstand ums Jahr 1250 die Beschreibung der Blasrohre nicht, die er in einem zeitgenössischen griechischen Schriftsteller fand. Nur [S. 36] beim Aufkommen der Gewehre wurde ums Jahr 1422 einmal angeregt, ein Blasrohr mit Schießpulverladung zu konstruieren.
Eine große Verbreitung hat das Blasrohr bei den Eingeborenen in fast ganz Amerika. Es finden sich Exemplare bis zu 5,5 Meter Länge. Manche dieser Waffen sind sogar mit Visier versehen. Die Schußweite beträgt bis zu 50 Meter, und als Geschosse werden gern vergiftete Pfeile verwendet. In Hinterindien, Sumatra, Malakka und auf Borneo verwenden die Eingeborenen Blasrohre als Waffe. Auf Borneo ist den Blasrohren manchmal eine Lanzenspitze als Bajonett aufgesetzt.
Wenn einmal eine Luftschiffzeitung, wie dies andere Fachblätter schon seit Jahren tun, eine Aprilnummer herausgeben würde, möchte sich da ein Artikel „Wie man im alten Rom den Drachen steigen ließ“ oder „Wie man im Mittelalter dem Aufstieg eines Luftballons zusah“ nicht gut ausnehmen?
Gemach! Auch der scheinbar größte Widersinn wird unter der kritischen Betrachtung des Geschichtsforschers leicht aufgeklärt. Tatsächlich kannte man im alten Rom so etwas wie den Luftdrachen und im Mittelalter etwas ähnliches wie den heute im Kriege wohlbekannten, wurstförmigen Fesselballon von Parseval.
Der sagenhafte Drache galt für eine riesige Schlange. Die Römer lernten von fremden Völkern [S. 37] ein „Drachen“-Feldzeichen kennen, das auf einer Stange getragen wurde. Es hatte einen metallenen, weit aufgesperrten Rachen und einen aus Fellen zusammengenähten, schlangenartigen Leib. Wenn der Wind in den offenen Rachen dieses Drachenfeldzeichens blies, wand sich der Leib so, als sei das Tier lebendig. Auf der berühmten Trajanssäule in Rom werden diese Drachenfeldzeichen mehrere Male deutlich abgebildet, und sie sind uns auch von einigen Schriftstellern der Römer klar beschrieben. Auch wissen wir, daß diese Drachen später von den Persern und gar den Indern ins Feld mitgeführt wurden.
Deutsche Ritter im 9. Jahrhundert
auf nächtlichem Kriegszug —
Der Spitzenreiter trägt ein Drachenfeldzeichen vorauf,
das einen Feuerbrand im Rachen hält.
Die hier abgebildete Malerei eines Drachens stammt aus einer überaus wertvollen Handschrift der [S. 38] Bibliothek in St. Gallen, und zeigt einen deutschen Ritter, der seiner Truppe einen Drachen voraufträgt. Auffallend ist an dieser Malerei, daß der Drache Feuer speit. Man gab also dem Feldzeichen, um es bei Nacht sichtbar zu machen, einen Feuerwerkskörper ins Maul.
Hierbei mußte sich die an sich einfache Tatsache zeigen, daß der ganze Drache leichter wurde, und mit seinem hohlen Leib nach oben hin strebte; wurde doch die Luft in dem sackförmigen Leib erwärmt, als sei dies ein Luftballon. Wann und wo man diese Tatsache beobachtete, ist nicht erwiesen. Außer unserer, oben wiedergegebenen Malerei, die etwa aus dem Jahre 850 stammt, wissen wir, daß die Chinesen im Jahre 1232 einen Feuerdrachen aufsteigen ließen. Auch aus der berühmten Mongolenschlacht von Wahlstatt bei Liegnitz, am 9. April 1241, wissen wir durch den Chronisten, daß die Mongolen einen Feuerdrachen benutzten, um die Christen zu erschrecken.
Diese Feuerdrachen auf Stangen wurden im Lauf der Zeit von den Kriegstechnikern so verbessert, daß sie als Luftballone frei schwebten. Wann und durch wen das geschah, wissen wir leider noch nicht.
Als ich meine Ansicht von den Luftballonen im Mittelalter vor etwa zehn Jahren zum erstenmal in der Fachpresse aussprach, wurde ich verlacht. Inzwischen konnte ich soviel Belege für das Vorkommen dieser Luftflugzeuge beibringen, daß auch die ärgsten Zweifler verstummt sind. Hier kann ich nur andeuten, daß sich Darstellungen und Beschreibungen solcher Luftdrachen in der Zeit von 1405 bis 1648 an vielen Stellen fanden.
Die wichtigste Stelle findet sich bei dem süddeut [S. 39] schen Kriegsingenieur Konrad Kyeser von Eichstädt, von dem wir noch mehr hören und sehen werden.
Zwei Seiten aus der kriegstechnischen Handschrift des
Ingenieurs Konrad
Kyeser von Eichstädt aus dem Jahr 1405. Rechts der Drachenballon am
Fesselseil. Links oben die Petroleumlampe zum Drachenballon. Unten ein
Krieger, der eine Büchse mittels des Gluteisens abschießt.
Zu der hier wiedergegebenen, äußerst feinen Miniaturmalerei, die uns einen Reiter zeigt, der an einer kleinen Winde einen riesigen Drachen freischwebend lenkt, berichtet uns Kyeser genau über die Herstellung und den Auftrieb: Der Drache soll aus Pergament, [S. 40] Leinen und Seide angefertigt und bunt bemalt werden. In dem offenen Maul trage der Drache ein kleines Glas, das mit Petroleum gefüllt und mit einem baumwollenen Docht versehen sei.
Militärischer Signalballon um 1540 mit
Winde und Fesselseil.
Der Drachenballon ist mit 2 Stabilisierungsflächen und Steuerschwanz
versehen. Im Maul trägt er die — übertrieben gezeichnete —
brennende Lampe zur Erhitzung der Luft im Innern. Nach einer
Malerei in Codex german. fol. 94 der Königlichen Bibliothek
zu Berlin.
Die Petroleumlampe wird also die im Drachen eingeschlossene Luft erwärmen, und den Drachen schwebend erhalten. Da er an einer Schnur festgehalten wird, wird auch der Wind gegen seine Fläche blasen, [S. 41] und ihn, gleich unsern Kinderdrachen emporheben. Die Warmluftfüllung wurde zu den Luftballonen auch angewandt, als man diese im Jahre 1782 in Frankreich wieder aufs neue erfand. Erst später ging man zur Gasfüllung über.
In den verschiedenen Malereien, die ich in späteren Handschriften von solchen Kriegsdrachen entdeckte, finden sich immer wieder neue Verbesserungen. Besonders wichtig sind größere Flügel, die man seitlich am Leib des Drachens anbrachte. Sie dienen dazu, das Fahrzeug in der Luft ruhig zu erhalten, oder wie wir heute sagen, zu stabilisieren. Dann finden sich Raketen auf dem Rücken des Drachens so angebracht, daß ihre Gase nach hinten hin gewaltsam ausströmen, mithin den Drachen in der Luft vorwärtsbewegen. In zwei Handschriften fand ich den Drachen so groß dargestellt, daß sein Seil an einer in die Erde gerammten Winde gehalten werden mußte.
Ja, es muß damals sogar schon einen Streit der Meinung über das „unstarre“ und das „starre“ System gegeben haben; denn in einer Handschrift vom Jahre 1453, die sich im Besitz des Großen Generalstabes zu Berlin befindet, ist der Drache mit einem großen, walzenförmigen Leib dargestellt, der ersichtlich durch innere Reifen aufgespreizt wird, sodaß annähernd die Form eines „Zeppelin“ herauskommt.
Wie das meiste Wissen der Kriegstechnik, blieb auch dieses ein Geheimnis der Kriegsingenieure. Deshalb finden wir in der gedruckten Literatur nur verhältnismäßig spät Angaben über hohle Drachen mit innenstehenden Lampen. Und wo man solche Bemerkungen ums Jahr 1650 gedruckt findet, läßt sich aus [S. 42] den dürren Worten entnehmen, daß man die Bedeutung dieser Luftdrachen längst nicht mehr kannte.
Starrer Warmluftballon, 1453.
Der Zeichner, der diese rohe Darstellung ausführte, verstand nicht
den Sinn der Darstellung und ließ daher das Seil zwischen Winde
und Drachen weg. Dafür mußte er der Winde — man vergleiche
deren Form in der voraufgehenden Abbildung — eine riesige
Abmessung geben.
Unzweifelhaft wußten aber die Kriegsingenieure des ausgehenden Mittelalters, daß man einen gewöhn [S. 43] lichen Drachen hohl gestalten und ihn mit Hülfe der Wärme eines Lichtes leichter steigen lassen konnte. Sie bezweckten mit diesem Drachen wohl die Durchführung von Signalen auf weit sichtbare Entfernungen.
Beachten wir, daß auch der Parsevalsche Drachenballon durch Winddruck und leichte Füllung zugleich steigt, daß er, wie die Ballone des Mittelalters, einen Steuerschwanz, Stabilisierungsflächen, ein Halteseil und eine Erdwinde benötigt.
Ehe man die hochexplosiblen Sprengstoffe kannte, spielte die Petarde, die man auf feindliche Schiffe fallen ließ, im Kriegswesen eine Rolle.
Da wir heute aus Luftfahrzeugen wieder den Feind „von oben her“ bekämpfen, interessiert es, etwas von jenen alten, eigenartigen Fallgeschossen zu hören.
Anna Komnena, die gelehrte Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios I., berichtet uns, daß die Seeschlacht vor Durazzo im Jahre 1081 durch die Venetianer dadurch entschieden wurde, daß man einen schweren, mit eiserner Spitze versehenen Holzblock von einer Segelstange aus in das feindliche Führerschiff fallen ließ. Der Schiffsboden wurde von dieser kalten Fallpetarde durchschlagen, das Schiff sank, und die übrige Flotte von Guiscard, dem Beherrscher von Mittelitalien, hielt nicht mehr stand.
Der erste, der das Schießpulver zu einem solchen Fallgeschoß verwendete, war der Ingenieur Joseph Furttenbach, nachmals Stadtbaumeister und Ratsherr [S. 44] von Ulm. Furttenbach zählt zu den ersten Artilleristen Deutschlands. Er hatte in Italien, wo er mit dem großen Galilei befreundet war, und bei den deutschen Lehrern des Artilleriewesens Georg Hoff und Hanns Feldhaus studiert. Furttenbach empfiehlt, daß man auf einer Segelstange des Führerschiffes einen ausgestopften Vogel sehen lasse. Dieser soll das Zeichen sein, daß man von den anderen Schiffen „einen Pettardo“ fallen lasse, um auf diese Weise dem feindlichen Schiffsboden „ein übel geproportioniertes Loch, welches nicht so leichtlich als wie die gebohrten Löcher“ zu verstopfen sei, beizubringen.
Im Schloß zu Sondershausen steht seit Jahrhunderten die hier abgebildete Bronzefigur. Ihrethalben wurde ein gewaltiger Strom Tinte vergossen. Man nannte diese ums Jahr 1550 ausgegrabene Figur: Pustericius, Beister, Büster, Beustard, neuerdings Püstrich. Weit vielartiger als der Name sind die angeblichen Verwendungszwecke dieser solange rätselhaft gebliebenen Figur. In Zeitschriftenartikeln, gelehrten Abhandlungen und sogar in besonderen Büchern hat man alle möglichen Erklärungen für diesen kleinen Bronzeknaben versucht. Er sollte sein: „Ein von christlichen Geistlichen gebrauchtes Schreckbild zur Erreichung von Gaben“ oder „Eine Gottheit der alten Deutschen“ oder „Ein Werkzeug zur kräftigen Beschützung Kaiser Friedrich I. oder auch einiger Raubschlösser“ oder „Ein Gott der Slaven“ oder „Ein [S. 45] Destillierapparat eines Brandweinbrenners“ oder „Eine Gießkanne“ oder „Die Sockelfigur eines Taufbeckens“.
Uns interessiert hier besonders die Nachricht, wie man es sich vorstellte, daß diese kleine Figur für ein gefährliches Kriegswerkzeug gehalten werden konnte. Der Püsterich ist 57 cm hoch, wiegt etwas über 35 kg und stellt einen Knaben in knieender Stellung dar. Bauch, Brust und Kopf sind im Verhältnis zu den Armen und Beinen übermäßig stark. Die Haartracht und auch die [S. 46] übrigen Merkmale deuten auf das 13. Jahrhundert als Entstehungszeit hin. Die Figur ist hohl und mit zwei kleinen Löchern versehen. Das eine Loch sitzt im Mund, das andere neben dem Scheitel im Haar.
Weil Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa, in der Nähe des Fundortes dieses Püstriches einmal Hoflager gehalten hat, soll die Figur ihm „als Schutzmann“ gedient haben. Sie habe hoch auf dem Berge gestanden, „rings um sich Feuer ausgeworfen, und mit glühendem Regen und Auswürfen die Feinde des Kaisers so abgehalten, daß keiner sich demselben habe nähern können“. Diesen Unsinn berichtet Praetorius im Jahre 1683. Tentzel weiß 1689 vom Püstrich zu sagen, daß dieser vor langen Zeiten auf der Rotenburg gestanden habe, wo nicht allein die heidnischen Pfaffen, sondern später selbst die christlichen Mönche mit ihm das leichtgläubige Volk erschreckt und gezwungen haben sollen, ihn mit mancherlei Gaben zu besänftigen. An diesen Unsinn glaube er — Tentzel — aber nicht, sondern er halte den Püstrich für ein Verteidigungswerkzeug des Raubschlosses Kyffhausen. Der Püstrich habe dem Besitzer mittelst seiner Feuerauswürfe und der dadurch erfolglos zu machenden feindlichen Anfälle sehr wohl als Verteidigungswerkzeug dienen können.
Die beiden alten Gelehrten bekämpfen hier einen Unsinn mit dem andern.
Ich selbst habe den Püstrich niemals für etwas anderes gehalten, als für einen Dampfbläser, für eine im Mittelalter beliebte Spielerei, die man auf Schlössern im Kaminfeuer benutzte. Als ich meine Meinung vor einigen Jahren öffentlich äußerte, wurde ich gerade [S. 47] von Sondershausen aus maßlos spöttisch angegriffen. Nun wiegt aber bei wissenschaftlichen Erklärungen nicht die Menge des Spottes, sondern allein das Gewicht des Beweismaterials. In Sondershausen hat man sich nämlich neuerdings wieder in einer Stadtgeschichte dafür festgelegt, daß der Püstrich ehemals eine der Tragfiguren eines Taufbeckens gewesen sei. Den Schein eines Beweises hat man nie erbracht. Jeder Kunstverständige, der die zierlichen, fromm gebeugten Figuren großer Taufbecken kennt, muß mitleidig lächeln, wenn jemand vier solcher Mißgeburten unter ein Taufbecken setzen will.
Der Püstrich ist weder ein Taufbeckenträger, noch ein Kriegswerkzeug, noch eine Gießkanne, sondern, wie ich schon sagte, ein Dampfbläser. Albertus Magnus, der berühmte Gelehrte des 13. Jahrhunderts sagt uns nämlich: „Man nehme ein starkes Gefäß aus Erz, das innen möglichst gewölbt sei und oben eine kleine Öffnung, und eine andere wenig größere im Bauch hat. Und das Gefäß habe seine Füße so, daß sein Bauch die Erde nicht berühre. Es werde mit Wasser gefüllt und nachher durch Holz kräftig verschlossen an jeder der beiden Öffnungen. Man setzt es auf ein starkes Feuer, dann entsteht Dampf im Gefäß, dessen Kraft durch eine der beiden verschlossenen Öffnungen wieder hervorbricht. Bricht sie oben hervor, so wirft sie das Wasser weit zerstreut über die umliegenden Stellen des Feuers. Bricht sie unten hervor, dann spritzt die das Wasser in das Feuer und schleudert durch den Ungestüm des Dampfes Brände und Kohlen und heiße Asche weit vom Feuer über die Umgebung. Man nennt deshalb auch ein solches Gefäß gewöhnlich [S. 48] sufflator und pflegt es nach der Gestalt eines blasenden Mannes zu formen“.
Diese von mir aufgefundene Stelle beschreibt also ganz deutlich die Figur eines Püstrichs. Die Weltbedeutung der Schriften des Albertus Magnus gab mir die Gewähr, daß ich solche Püstriche auch in späteren Jahrhunderten wieder erwähnt finden würde. Und so kam es denn auch. Ich fand die Püstriche nicht nur bei Leonardo da Vinci und in den Handschriften mittelalterlicher Kriegsingenieure beschrieben, sondern sogar mehrfach abgebildet. Und ich fand außer dem bronzenen Püstrich in Sondershausen noch weitere Püstrichfiguren aus Bronze in den Museen zu Wien, Hamburg und Venedig.
Der deutsche Kriegsingenieur Konrad Kyeser, von dem wir noch eingehend hören werden, bildete im Jahre 1405 einen Püstrich ab, von dem er folgendes sagt: „Dieser Kopf, der, wie du ihn hier abgebildet siehst, in seinem Mund Schwefelstaub hat, zündet eine Kerze, so oft sie ausgelöscht wird, immer wieder an, wenn sie seinem Mund genähert wird, schießt der Feuerstrahl heraus.“ Und an anderer Stelle läßt Kyeser den Püster sprechen: „Ich bin Philoneus, aus Kupfer, Silber, Erz, Ton, oder Gold gefertigt. Ich brenne nicht, wenn ich leer bin. Doch halte mich mit Terpentin oder feurigem Weingeist gefüllt an das Feuer, so sprühe ich, erwärmt, feurige Funken mit denen du jede Kerze anzünden kannst.“
Statt der Wasserfüllung des Albertus Magnus kennt Kyeser hier also eine Weingeistfüllung. Im Prinzip genau den gleichen Apparat verwenden wir heute als Lötlampe.
Nun wird es uns auch erklärlich, wie man den Püstrich von Sondershausen als ein Kriegsgerät des Kaisers Barbarossa bezeichnen konnte. Es war im Volk noch das Wissen der alten Kriegsingenieure lebendig geblieben.
Aristoteles, der Denker des Altertums, dessen Schriften ihren Einfluß so lange und tief auf das Geistesleben des Mittelalters ausübten, wie kein anderes Werk des heidnischen Altertums, Aristoteles ist auch derjenige, der den Gedanken an unterseeische Arbeiten über anderthalb Jahrtausend allein lebendig hielt. Der große Stagirite, „der Fürst aller Philosophen“, dessen Einfluß erst im 16. Jahrhundert gebrochen wurde, berichtet nämlich in seiner Schrift über die mechanischen Probleme, daß die Elefanten mit Hilfe ihrer aufgerichteten Rüssel auch noch unter Wasser atmen können. Dabei vergleicht er den Elefantenrüssel mit den Hilfsmitteln zum Atmen unter Wasser, deren sich die Dauertaucher bedienten.
Diese Stelle regte immer wieder spekulative Köpfe an, es mit Entwürfen zu Unterseearbeiten zu versuchen. In der deutschen Sage ist, nach Grimms deutscher Mythologie, die Rede von Wasserhäusern, tief unter der Oberfläche. Goethe lehnt sich im zweiten Teil seines Faust daran an, wenn er den Mephistopheles vor dem Kaiser von der „prächt’gen Wohnung in der ew’gen Frische“, von einem unterseeischen, gläsernen Palast gaukeln läßt.
In zwei mitteldeutschen Volksbüchern tritt uns alsbald die Beschreibung von Tauchapparaten und Unterseebooten entgegen. Einmal in dem Volksbuch von „Salman und Morolf“, das andere Mal in der „Geschichte des großen Alexanders“. Salman und Morolf ist ein deutsches Spielmanngedicht, das auf einem verlorenen byzantinischen Roman fußt, der wiederum auf jüdischen Erzählungen aufbaut. Die erhabene Weisheit des Königs Salomo wird in der Dichtung immer mit den rohen Späßen seines Gegner beantwortet. So wird auch erzählt, wie Morolf der Königin einen wüsten Streich spielt. Salman beschließt daraufhin, den Morolf gefangen zu nehmen. Dieser aber hatte sich ein „schiffelin“ angefertigt, auf dem er entwich. Der König Salman rüstete nun eine Flotte von 24 Galeeren und verfolgte den Morolf:
Die Dichtung sagt weiter, daß das Schiffchen mit Leder überzogen und mit Pech verdichtet war, und [S. 51] daß es seinem Erbauer gelang, sich in diesem unterseeischen Fahrzeug volle vierzehn Tage vor seinen Verfolgern verborgen zu halten. Wir werden nachher sehen, wie lange es dauerte, bis der von dem Dichter erwähnte Luftschlauch in der Praxis allgemein wurde.
In der Geschichte des großen Alexanders, die zu den meistgelesensten Volksbüchern des deutschen Mittelalters gehört, wird gleichfalls ein Tauchversuch beschrieben. Bereits um die Mitte des 13. Jahrhunderts berichtet der wegen seines physikalischen Wissens von seinem Orden hart bestrafte englische Franziskaner Roger Baco: „Man kann Instrumente herstellen zum Tauchen ohne irgendwelche Gefahr, wie Alexander der [S. 52] Große solche Vorrichtungen herstellen ließ.“ Baco schreibt also dem historischen König der Mazedonier, nicht dem diesem nachgebildeten Helden des mittelalterlichen Romans, die Kenntnis von Tauchapparaten zu. Der Romanheld Alexander aber ist der, der alles wagt, alles glücklich vollbringt.
So taucht er ins Meer hinab, um — wie er sagt — „zu messen und zu ergründen die Tiefe des Meeres, auch darin zu sehen und zu erfahren die wilden Meerwunder“. Dieser Gedanke ließ ihn weder ruhen noch rasten und zwang ihn so sehr, daß er ihm nicht mochte widerstehen. Da berief er die besten Sternseher und Geometer, die er hatte, und auch gute Meister der Alchemie, und bat sie, eine Truhe zu machen, dadurch man sehen könne, und die fest und stark sei und nicht leicht zerbrechen könnte. Das taten denn auch seine getreuen Meister und machten ihm einen starken Kasten gar gut mit Eisen gebunden und überzogen mit gesalbten Ochsenhäuten. Darinnen waren mit köstlicher List viele Fenster gemacht, daß kein Wasser hineindringen konnte. Der Kasten war an eine lange eiserne Kette gehängt. Darauf verabschiedete sich der König von seinen getreuen Rittern, ging in den Kasten, nahm etliche Speise mit und ließ sich versenken in das Meer, das man Ozean nennt, bis zu 30 000 Klafter Tiefe. Da sah er mannigfache Gestalten, gebildet nach den Tieren der Erde, die gingen auf dem Grunde des Meeres herum. Und er sah Meerwunder, die so wild waren und sich so grausamlich stellten, daß er es gar nicht zu erzählen vermochte.
Soweit der wesentliche Inhalt der Stelle über diesen Tauchversuch im Alexander-Roman. Sowohl in [S. 53] einer Brüsseler, als einer Berliner Pergamenthandschrift dieses Volksbuches findet man Miniaturmalereien des 13. Jahrhunderts über diesen merkwürdigen Vorgang. Die altfranzösische Überschrift in unserer, dem Berliner Exemplar entnommenen Abbildung lautet in der Übersetzung: Wie Alexander sich versenkt in das Meer in einer Tonne aus Glas. Der Hintergrund des Bildes ist oben von einem Teppichmuster überspannt. Davor sehen wir ein kleines Schiff, von dem aus zwei Männer den König in seiner Glastonne an vier Stricken ins Meer hinabgelassen haben. Zwischen Schiff und Meeresboden wimmelt es von allerlei Fisch- und Tiergestalten. Greulich-groß schwimmt ein Wallfisch mit bösem Blick gerade über dem Glasfasse dahin. Der königliche Held sitzt in vollem Ornat, mit Krone und Zepter, dicht unter dem Einsteigedeckel seines Tauchapparates auf einer Bank und beschaut beim Schein zweier Lampen, die links und rechts neben ihm hängen, die Wunder ringsumher. Auf dem Meeresboden gibt es vierfüßige Tiere, grünende Bäume und fischfressende Meermenschen.
Der Tauchversuch aus dem Alexander-Roman wurde um die Mitte des 14. Jahrhunderts in der Weltchronik des Rudolph von Ems noch in einer weit originelleren Weise in drei Malereien dargestellt, und natürlich dort auch wieder dem historischen Alexander zugeschrieben. Als Tauchgefäß dient eine große, gläserne Kugel, die an einer Kette befestigt ist. Im ersten Bild wird die Kette von der Königin in einem Schiff gehalten, und der König hat sich sogar seine Haustiere mit in die Tiefe hinabgenommen. In dem zweiten Bilde, wo der König auf dem Meeresboden Rast macht, wird sein [S. 54] Fahrzeug von häßlich gestalteten Meerwundern mit Tier- und Menschenköpfen bedroht. Im letzten Bild entsteigt der König seinem unterseeischen Fahrzeug. Diese Darstellung hat sich der Maler besonders leicht gemacht, indem er nur einen schmalen Spalt an der Kugel geöffnet erscheinen läßt.
Während der König noch den linken Fuß aus der Spalte herauszieht, erzählt er bereits seinen Getreuen von dem, was er unten auf dem Meeresboden gesehen.
Später ging die Darstellung des Tauchversuches auch in die Druckausgaben des Alexander-Romans über; so findet man z. B. die Abbildung in der Straßburger Ausgabe von 1488. Die schönen Glasgefäße der Handschriften sind zu häßlichen nüchternen Kästen zusammengezezichnet worden.
Daß der im Volk durch die Dichtungen lebendig gebliebene Glaube an die Möglichkeit unterseeischer Arbeiten nicht nutzlos verloren gegangen war, erkennen wir aus einer Reihe von Darstellungen in Werken alter Kriegstechniker. Es sind Göttinger, Dresdener und Münchener Handschriften aus der Zeit von 1405 bis 1460, die uns verschiedentlich die praktische Anwendung der in den Volksdichtungen gegebenen Anregungen zu Tauchversuchen zeigen.
Leider ist seit einer Reihe von Jahren die einzige, in Stuttgart aufbewahrte Handschrift von Salman und Morolf, worin, wie wir hörten, vom Luftschlauch die Rede ist, mehrerer ihrer Malereien beraubt worden. Unter diesen befindet sich ersichtlich auch die Malerei über das Unterseeboot Morolfs.
Im Alexanderroman wird auch erzählt, wie der König eine Luftfahrt unternahm.
Als ich die künstlerische Darstellung dieser Luftfahrt vor Jahren in der Berliner Handschrift des Alexanderromanes sah, hätte ich sie beinahe nicht beachtet, weil doch von einer Luftfahrt oder von irgend einem andern technischen Problem auf den ersten Blick nichts zu sehen ist. Ich sah nur einen König auf seinem Thron sitzend, und das erschien mir nicht besonders erachtenswert. Erst die altfranzösische Überschrift des Bildes machte mich neugierig. Es heißt dort nämlich: „Wie Alexander sich läßt tragen in die Luft von Vögeln, die man Greife nennt.“
Der ganze Hintergrund ist wiederum durch einen großen Vorhang abgedeckt, vor dem sich folgendes ereignet. Zwei Gruppen von würdigen Hofleuten schauen empor und deuten durch die Sprache ihrer Hände an, daß sie etwas verwunderliches sehen. Ihre Blicke sind auf einen Thron gerichtet, auf dem der König Alexander wieder im Königsornat sitzt. An dem Thron bemerken wir lange, seitlich herausragende Stangen, und an die Stangen sind geflügelte Tiere mit den Beinen festgebunden. Die Blicke aller dieser Tiere sind mit gierigen Augen auf die große Lanze gerichtet, die der König zum durchbrochenen Dach seines Luftsitzes hinausgesteckt hat.
Der Text zu dieser Malerei erzählt uns folgendes Erlebnis des Königs: „Da gedacht ich, wie ich an [S. 56] den Himmel rühren möchte und ließ mir bereiten eine starke Sänfte, die gut mit Eisen beschlagen war. Daran hieß ich Stangen machen, und band daran gezähmte Greife. Und ich hatte eine lange Stange, daran war den Greifen ihr Essen gemacht. Diese Stange konnte ich zu den Greifen und von ihnen wegrücken. Ich ließ die Greife von ihrer Speise kosten. Darnach reckte ich die Stange in die Höhe; weil aber die Greife meinten, sie könnten ihre Speise erlangen, schwangen sie ihr Gefieder: da erhoben sie sich mit der Sänfte von der Erde. Ich aber reckte die Stange mit der Speise empor, die greiffen flugen nach und fürten mich so [S. 57] hoch in die lufft, das ich weder wasser noch erden gesehen mocht.“
Nun erzählt Alexander weiter, wie er in den Lüften schwebt und unter sich blickte. Er war so hoch, daß ihm die Erde wie eine kleine Kugel erschien! Köstlich ist es zu lesen, wie der König wieder abwärts flog. Er neigte einfach die Stange „unter sich“, und die Greife „sanckten sich zu tal“. Als seine Getreuen ihn wieder in der Luft sahen, eilten sie auf Dromedaren in schnellem Lauf herbei. Sie mußten aber zehn Tagereisen bis in eine wilde Wüste zurücklegen, ehe sie ihren König erreichten. Von dort aus führten sie ihn getreulich, fröhlich und wohl gesund wieder zu seinem getreuen Volk. Da erhob sich große Freude und Wonne, denn das ganze Volk hatte große Angst und großes Leid um den König gelitten; denn sie meinten und besorgten fast, daß er nimmer wieder zu ihnen kommen würde. So wurde denn diese Sorge und Angst in große Freude und Wonne verkehrt.
Je nach Laune behauptet und bestreitet man, daß der Franziskaner-Mönch Berthold Schwarz, dessen Familienname vor dem Eintritt ins Kloster Konstantin Ancklitzen gelautet habe, der Erfinder des Schießpulvers ums Jahr 1354 gewesen sei.
Als ich die vorstehende Behauptung, die jeder wohl schon einmal, wenigstens bruchstückweise, gehört hat, vor Jahren kritisch untersuchte, blieb an ihr auch nicht [S. 58] ein wahres Wort. Ich sagte mir, daß die Kriegstechniker des Mittelalters diesen Mann am besten gekannt haben müssen, diesen Mann der durch seine Taten die ganze Kriegstechnik in neue Bahnen zu weisen vermochte. Und so fand ich denn in einer Reihe von Handschriften, deren älteste etwa bis zum Jahre 1420 zurückreichen, einen gewissen Bertholdus auch stets erwähnt. Ich kann deshalb folgendes über diesen Mann auf Grund jener alten Schriften sagen:
Ein deutscher Mönch im Kloster der Bernhardiner hieß Berthold der Schwarze. Er hatte studiert und sich mit der Alchemie beschäftigt. Bei einem seiner Experimente benutzte er die damals schon bekannte Schießpulvermischung. Es erfolgte zufällig eine gewaltige Explosion, und so kam Berthold zu einer Verbesserung der Mischung, deren Wesen von ihm bei weiteren Untersuchungen „ganz erneut gesucht und gefunden wurde.“ In Verbindung hiermit verbesserte [S. 59] er auch die Kunst aus Büchsen zu schießen. Das geschah im Jahre 1380. Der Berthold aber ist, „vonn wegen der kunst die er erfunden und erdacht hat, gerichtet worden vom leben zum todt im 1388. Jar.“
Diese Angaben lassen sich mit den übrigen geschichtlichen Tatsachen ganz gut in Einklang bringen. Eine so weltumgestaltende Erfindung, wie Geschütz und Schießpulver, konnte nicht von einem einzigen Manne ausgehen. Die einzelnen Erfinder sind überhaupt sehr rar, wenn man ihre Leistungen kritisch betrachtet. Fast immer stehen sie auf den breiten Schultern voraufgehender Männer. So auch dieser Bertholdus. Er faßte wohl die Technik des Schießpulvergeschützes auf Grund wissenschaftlicher Untersuchungen einheitlich zusammen, trat für diese Erfindung ein, machte sie in weiten Kreisen bekannt, wurde von seinen Gegnern der Zauberei angeklagt, verfolgt und hingerichtet. So wurde aus dem Märtyrer einer Idee im Volksmund ein Erfinder.
Daß der Bertholdus aus Freiburg im Breisgau stammt, wird erst im Jahre 1599 ganz zufällig und ohne Angabe irgend eines Grundes angenommen. Dort setzte man ihm ein Denkmal.
Als ich an einem trüben Herbsttag mit der elektrischen Taschenlampe die äußersten Winkel des alten Klosters absuchte, in dem das berühmte Germanische Nationalmuseum in Nürnberg untergebracht ist, entdeckte ich in einem Kreuzgang unter der Decke [S. 60] eine zusammengerollte Strickleiter, die mir verdächtig schien. Mir geht es wie dem Kriminalschutzmann: alles was mir auf meinem Gebiet begegnet, ist mir verdächtig. Ich muß die kleinsten Einzelheiten mißtrauisch betrachten.
An jener verstaubten Leiter fielen mir blaue Quasten auf, die am Ende der Sprossen angebracht waren. Eine Leiter ist schließlich kein Sofakissen, an dem man als Zierrat Quasten anbringen mag. Ich holte die Leiter herunter und fand, daß die Quasten nur an einer Seite der Leiter angebracht waren, und daß sie dort scheinbar Löcher zu verbergen hatten, die in die Sprossen gebohrt waren.
Nach einiger Betrachtung fand ich, daß in diese Löcher starke Stifte paßten, die an der anderen Seite der Leiter an jeder Sprosse saßen.
Betrachten wir zunächst das nebenstehende Bild, das uns die Konstruktion schneller klar macht. Wir sehen eine Strickleiter mit starren Sprossen. Links trägt jede Sprosse eine Bohrung; rechts je einen Stift. Die Stricke zwischen zwei Sprossen sind so lang, daß man den Stift der zweiten Sprosse in die Bohrung der ersten stecken kann. Steckt man dann die dritte Sprosse auf den Stift der zweiten, und fährt so fort, [S. 61] so erhält man eine lange Stange. Auf diese Stange steckt man zuletzt den großen Haken (in der Zeichnung sind die zu diesem Haken führenden Seile zu kurz gezeichnet). Man kann also den auf der Stange sitzenden Haken auf eine Mauer auflegen. Zieht man alsdann an der untersten Sprosse, so werden die Stifte aus den Bohrungen herausrutschen und es kommt eine Leiter zustande.
Es ist dies also eine Strickleiter, die auch zum Aufsteigen benutzt werden kann, während die gewöhnliche Strickleiter nur zum Absteigen verwendbar ist.
Jüngst fand ich eine solche Steckstrickleiter schon in einer im Wiener Hofmuseum befindlichen Handschrift vom Jahre 1435 abgebildet. Ums Jahr 1620 findet sich diese Leiter mit einer Vorrichtung dargestellt, durch die man den Haken wieder von der Mauer entfernen kann, wenn man an einem dritten Strick zieht. Man brauchte also die Leiter dem Feinde nicht zu überlassen, wenn der Aufstieg mißlungen war.
Am 28. August des Jahres 1405 vollendete der aus Franken stammende Ingenieur Konrad Kyeser von Eichstädt ein Prachtwerk, in dem er alles zusammentrug, was zur technischen Kriegsführung seiner Zeit geeignet war. Über drei Jahre lang wurde an der kostbaren, auf Pergament geschriebenen und mit mehreren hundert Malereien gezierten Reinschrift gearbeitet. Diese Reinschrift war für Kaiser Rupprecht [S. 62] von der Pfalz bestimmt; sie wird heute auf der Universitätsbibliothek in Göttingen aufbewahrt.
Kyeser gibt seinem Werk den lateinischen Titel Bellifortis, womit er andeuten will, daß der Besitzer dieses Buches zum Krieg besonders gestärkt sei. Zu Anfang seiner umfangreichen Einleitung betet Kyeser: „O höchste Weisheit, verleihe mir Klugheit, bis ich die scharfsinnigen Pläne zu Ende geführt habe, durch die der ganze Erdkreis mit wilder Tapferkeit bezwungen wird.“
Soll man nicht glauben, diese Worte wären ein halbes Jahrtausend später für uns geschrieben? Doch hören wir noch weiter, was Kyeser in seiner lateinischen Widmung des Werkes zu sagen weiß.
Soll das Buch zunächst dem Kaiser gehören, so vergißt Kyeser doch nicht, es auch den berühmten Herzögen, den äußerst kriegstüchtigen Landgrafen, den glänzenden Rittern, den hochherzigen Heerführern, den kühnen Hauptleuten, den kraftvollen Kapitänen, den ausdauernden Soldaten und andern Ständen zuzueignen.
Seine deutsche Heimat liebt Kyeser über alles: „Rühmt sich Indien seiner Edelsteine, Arabien seines Goldes, Ungarn seiner schnellen Pferde, Italien seiner List (!), England seines Reichtums, Frankreich seiner Vornehmheit und Freundlichkeit (?): so ist Deutschland wahrlich berühmt durch seinen entschlossenen, starken und tapferen Soldatenstand. Wie der Himmel sich mit Sternen schmückt, so leuchtet Deutschland hervor durch seine freien Künste, wird geehrt wegen seiner mechanischen Kenntnisse und zeichnet sich aus durch vielerlei Gewerbe, deren wir uns billig rühmen. Im übrigen [S. 63] ist unser Heer über die ganze Erde berühmt geworden; denn als die Erhebung vieler Nationen die Augen auf sich zog, die gesetzliche Ordnung störte, und die Wage des Rechts aus dem Gleichgewicht brachte; da handeln wir Deutschen nicht also ; wir sind nicht von Sinnen, und leiden nicht an jener geistigen Schwäche, daß wir uns nicht lieber von der Wahrheit leiten, als von der Falschheit betrügen ließen, und nicht dem Kaiserthron, der uns von höchsten Wesen für ewige Zeiten übertragen und bestimmt war, lieber durch Gerechtigkeit schützen, als durch Ungerechtigkeit wanken machen.“
Als Kyeser dies niederschrieb lebte er als Verbannter in den böhmischen Wäldern. Weshalb er verbannt war, was er sich im Wechsel des Krieges hatte zuschulden kommen lassen, wissen wir nicht. Nachdem er sein Buch vollendet hatte, bleibt er für uns verschollen.
Aus dem vielseitigen Inhalt seines Werkes sei in den folgenden Abschnitten einiges herausgenommen.
Eine Malerei in der Kyeserschen Handschrift zeigt den Angriff auf eine Burg. Rechts erkennt man, wie die aufgeklappte Zugbrücke mittels eines besonderen langen Hakens gefaßt wird, um sie dann an Stricken herabzuziehen. Währenddem die Belagerten so vom Feinde beschäftigt werden, nähern sich der Burg [S. 64] Krieger von der anderen Seite zu einem „Angriff mittelst Körben, die bis zu den Lenden herabreichen und gleichmäßig aus grünem Holz hergestellt sind.“
„Hier kannst du einen Zugang kennen lernen, der aus schief ineinander greifendem Flechtwerk hergestellt wird und in den Graben herausragt. Er schützt die darin Verborgenen und bewahrt sie vor den Fährlichkeiten des Krieges. Darunter treten die Greise, die Führer und die Unerfahrenen.“
Die Umständlichkeit, mit der man die ersten Geschütze laden mußte, hatte eine äußerst geringe Feuergeschwindigkeit zur Folge. Unter einer Viertelstunde konnte man selbst ein kleines Geschütz nicht laden, und bei größeren dauerte es über eine Stunde und mehr. Deshalb lag der Gedanke nahe, mehrere Rohre im geladenen Zustande so auf einer Drehscheibe oder um eine Walze anzuordnen, daß man eines nach dem anderen schnell abschießen konnte.
Kyeser zeichnet verschiedene derartige schnellfeuernde Geschütze. Am interessantesten ist die kleine Malerei, die ein „ revolvendus “ schießendes Drehgeschütz zeigt. Wir erkennen eine starke hölzerne Walze, die auf einer Achse drehbar lagert. Seitlich ragt aus dem Holzklotz ein Hebel heraus, sodaß man die Walze bequem drehen kann. Kyeser sagt: „Dieser große mit sechs Büchsen versehene Block ist in besonderer Art drehbar. Nach dem ersten Schuß dreht er sich, es folgt der zweite, und so fort. Dadurch werden die Feinde getäuscht, die nach dem ersten Schuß keinen weiteren erwarten.“
Kyeser zeichnet uns hier Sprenggeschosse. Sie sind mit Schießpulver gefüllt und entweder mit starkem Leder umnäht (oben rechts), oder fest umschnürt (Mitte): „Fülle diese Sprenggeschosse mit Schießpulver; ein Feuerstrahl wird aus ihnen hervorstürzen, alles zerstören, was er erreicht: so richtet man großen Schaden an.“
Wir hören von Kyeser auch, wie der Aberglaube der Zeit noch in der Praxis steckt. Es soll [S. 68] nämlich nach der Kyeserschen Vorschrift Salpeter in eine Eierschale geladen, und diese ins Feuer gelegt werden. Pulverisiert man dann die Eierschale, „und mischt sie mäßig dem Pulver bei, und ladet damit ein Sprenggeschoß, so wird das Geschoß zerspringen.“
Auf einem Blatt bildet Kyeser fünf Fässer ab, und neben jedes dieser Fässer schreibt er die Verwendungsmöglichkeit:
„Im Seekrieg schleudere mit Kalkstaub gefüllte Wurfgeschosse, durch die du die Augen der Feinde blendest und diese so leicht besiegst.“
„Mit flüßiger Seife gefüllte Fäßchen schleudere auf Schiffe oder Brücken. Dadurch werden diese schlüpferig, die Feinde stürzen, und du siegst so durch List.“
„Oder du kannst Fäßchen mit Pech, Schwefel, Teufelsdreck, Öl, Kampfer, Vernisium oder gutem Petroleum füllen, diese anzünden und auf Schiffe oder Brücken schlendern, und diese werden verbrannt.“
„Oder du kannst sie mit altem übel riechendem Kot füllen und schleudern, wohin du willst, so werden die Leute ohnmächtig und der Boden wird schlüpfrig“ — also Stinkbomben!
„Einzelne Gräben kannst du einebnen: werfe listigerweise mit Sand, Erde oder Schotter gefüllte Fäßchen in den Wassergraben, dann stürmst du [S. 69] trockenen Fußes und unter dem Schutz von Sturmdächern die Mauern, besteigst sie im Kampf und besiegst den Feind.“
Betrachten wir dieses Bild aus der Kyeserschen Handschrift:
Im Hintergrund ein Faß auf einem Handwagen. Zwei gerüstete Krieger daneben mit fröhlichen Mienen beim Wein.
Im Vordergrund links eine Quelle, in die sich ein Krieger eine Feldflasche mit Wein zur Kühlung gestellt hat. Im hohen Gras versucht der — in der Perspektive damals selbstverständlich noch unerfahrene — Zeichner drei weinselige Krieger in schlafender Stellung unterzubringen. Doch jeder von ihnen wird von einem nur schwach gerüsteten Bauern unsanft geweckt und mit dem Knüttel erschlagen.
Kyeser gibt zu dieser sonderbaren Darstellung die Erklärung, daß man Wurzeln gewisser Bäume einkochen und dem Wein beimischen soll: „So kannst du mit einem Faß, daß man noch auf einem Lastwagen zu führen imstande ist, eine große Legion vernichten. Es ist dies ein großes Geheimnis der Weisen, des Wirkung du sehen wirst, wie es dir beliebt. Ist kein Essig vorhanden, dann gibt es kein anderes Gegengift; denn dieses Betäubungsmittel lähmt in kurzer Zeit. Bringst du einem einen besonderen Samen durch dieses Getränk bei, so fassen sich die Trinker an den Kopf und bekommen lahme Füße. Dies oben Geschriebene merke dir.“
Als auch selbst die kleinen Städte im Mittelalter ihre eigene Herrschaft führten, waren Überfälle aus der Nachbarschaft täglich zu erwarten. Die Ingenieure trachteten deshalb danach, die wehrhaften Bürger möglichst schnell auf die Verteidigungstürme der Festung hinauf zu bringen. Das beste Mittel hierzu blieb der Aufzug.
Wir wissen heute, daß man schon im alten Rom den Aufzug kannte, und dazu benutzte, um ohne lange Zwischenpausen die Kämpfer und die wilden Tiere im großen Zirkus in die Arena fahren zu lassen.
Kyeser zeichnet hier einen Aufzug, und wenn wir von der etwas wunderlichen Zeichnungsart absehen, ist die Darstellung ohne weiteres verständlich. Wir erkennen die senkrecht stehenden Fahrschienen, zwischen denen der Fahrkorb auf- und abgleitet. Nun ist aber noch eine Maschinerie vorhanden, bestehend aus zwei ein wenig rückwärts gelagerten Achsen, die an jedem Ende ein großes Windrad tragen. Um die Achsen schlingt sich das Förderseil, und zieht, vorausgesetzt, daß Wind geht, den Fahrkorb in die Höhe. Die Einzelheiten der Maschinerie, besonders die Ausrückvorrich [S. 72] tung, die Bremse usw. läßt Kyeser in seiner Skizze weg. Erklärend sagt er: „Die durch Wind arbeitende hölzerne Maschine wird auf diese Weise gebaut: in dem in der Mitte befindlichen Kasten sitzt der Mann, der sich durch Straffziehen des Seiles emporhebt, durch Nachlassen herabläßt. Manche bringen unten noch zwei Windräder an, dann ist der Gang sicherer, kräftiger und schneller.“
Spaßig wirkt die Kyesersche Erklärung zu einer Malerei, die zwei geharnischte Ritter im Dolchkampf zeigt. Oben links scheint die Sonne in glühender Fülle: „Wenn der Kämpfende seinen Schild nach der Sonne richtet, verrichtet er mit Hülfe der Sonne Mannes-Taten; denn flimmernde Strahlen entsendet die Leuchte des Himmels und blendet das Auge des anderen Mannes, der so besiegt werden muß. Denn der Schild spiegelt das Bild der Sonne wieder.“
Erinnern wir uns, daß Kyeser in der Zeit lebte, da Geschütze und Gewehre noch neu waren, und die Kriegsweise des Altertums noch nicht verdrängt hatten. So wundert es uns nicht, in seinem Werk eine Reihe von Kriegsmaschinen zu finden, denen auch er keine Bedeutung mehr beimessen konnte, die er aber erwähnen mußte, um zu zeigen, daß er das durch die Länge der Zeit Geheiligte kannte und anscheinend schätzte.
Da sehen wir denn z. B. wie zwei Krieger einen riesigen eisernen Kopf auf einem Rädergestell einen Hügel hinanschieben: „Dieses bewaffnete Haupt, das auf zwei Rädern geschoben wird, und beiderseits mit den Ohren schneidet, tötet, was es mit seiner Zunge und dem Horn sticht, und wird Martiale genannt. Innen [S. 74] von Holz, ist es von außen mit starkem Eisen gerüstet, damit es nicht mit zweischneidigen Hämmern oder anderen Werkzeugen zerstört werden kann. Der indische König Porus führte dieses Kriegsgerät, durch das er die Feinde besiegte, indem er viele damit tötete.“
Es ist also einer der in der Kriegsführung des Altertums beliebten Sichelwagen, zu seiner Wirkung jedoch auch auf das Grauenerregen berechnet.
Hier zeichnet uns Kyeser ein aus Leder zusammengenähtes Luftkissen. Rechts oben erkennen wir einen kleinen Blasbalg, durch den man es füllen kann. Mit den beiden Riemen bindet man die Füllöffnung fest zu: „Das aufblähbare Ruhekissen wird auf allen vier Seiten mit starker Naht versehen, sodann ein Blasbalg [S. 75] in dasselbe eingeführt, dadurch mit Luft gefüllt und dann mit Schnüren unterbunden.“
Daß Schneeschuhe, Schlittschuhe und andere meist nur zu lustigem Sport dienende Geräte in einem Feldzug eine hohe Bedeutung haben, hat der vergangene Winter uns gelehrt. Der heute so beliebte Schneeschuh, auf dem man schnell über losen Schnee dahingleiten kann, hat seinen Vorläufer in dem Schneeschuh, der nur das tiefe Einsinken in den Schnee zu verhindern hat, in dem sogenannten Schneereifen. Schon Xenophon berichtet uns ums Jahr 350 vor Chr., daß die Armenier zur Winterzeit ihren Pferden Säcke um die Füße binden, um die Sohlenfläche des Tieres zu vergrößern und so das Einbrechen zu verhindern. Fast 400 Jahre später erzählt Strabon, das man im Kaukasus ungegerbte Ochsenfelle unter die Füße befestigte, um im Schnee nicht einzubrechen. In Norwegen war der Schneeschuh im 10. Jahrhundert schon bekannt. Die altnordische Mythologie hat eine besondere Schneeschuhgöttin. Das Schiff wird dort auch „Schneeschuh des Meeres“ genannt, woraus man [S. 76] schließen kann, daß der Schneeschuh im Norden älter ist, als die Seeschiffahrt. Das um das Jahr 1265 verfaßte Buch „Konungs skuggsjá“, d. h. Königsspiegel, eine zusammenfassende Beschreibung von Grönland sagt: „Die Vögel im Fluge oder die schnellsten Windhunde oder Rennntiere überholt der Läufer mit Schneeschuhen an den Füßen.“
Kyeser sagt, man soll sich aus Stroh Ringe flechten und diese mit Strohbändern unter die Füße der Menschen und Pferde binden; dann werde man nicht im Schnee versinken. Jetzt besteht der Schneereif aus einem hölzernen Ring, der mit Seilen durchflochten ist. Auf diesen liegt ein Stück Leder, das man unter den Fuß bindet.
Die niedliche Malerei einer Seilschwebebahn, die wir hier sehen, stammt aus einer technischen Handschrift, die sich in der Hofbibliothek in Wien befindet. Die Zeichnung ist in ihren Einzelheiten zwar nicht sehr genau, doch erkennen wir deutlich, wie der Mann einen Korb zu der Burg hinüberkurbelt. Seit jener Zeit findet man in kriegstechnischen Handschriften Seilschwebebahnen häufig dargestellt, um Geschütze oder Menschen über Flüsse oder Täler zu befördern. Auch zum Festungsbau wird die Seilschwebebahn schon im [S. 78] Jahre 1592 verwendet, um die Erde auf größere Entfernungen wegzuschaffen.
Die erste Seilschwebebahn, von deren Ausführung wir wissen, wurde im Jahre 1644 in Danzig erbaut, als man innerhalb der Festung eine Bastei anlegte. Die nötige Erdmasse mußte vom außerhalb der Festung liegenden Bischhofsberg herangeschafft werden. Um die Anlage einer guten Fahrstraße und einer starken Brücke über den Festungsgraben zu ersparen, baute der leitende Ingenieur eine Seilbahn, die bei den Zeitgenossen großes Aufsehen erregte. Ein langes Seil „mit etlich hundert angehängten kleinen Eymerlein“ wurde auf Pfosten von der Bastei zum Bischofsberg hin- und hergeleitet. An den beiden Enden ging das Seil über große Scheiben, die von Pferden getrieben wurden. „Wie nun drei Männer bestellt waren, welche die Erdschollen auf dem Berge nach und nach in die Eimer füllten, so waren auch etliche andere in der Stadt, die solche im Laufe umstürzten und ausleerten, und so wurde der Berg oder dessen Erde ohne Wunderwerk versetzt.“ Man verkaufte damals in Danzig sogar einen großen Kupferstich, der diese Anlage in allen Einzelheiten zeigte. In der Danziger Stadtbibliothek wird noch heute ein langes Lobgedicht auf diese Bahn aufbewahrt.
Die Erfindung von Drahtseil -Schwebebahnen gebührt dem Bergassessor von Dücker. Die erste große Ausführung wurde dadurch wenig bekannt, daß sie im Auftrag des Staates nach dem deutsch-französischen Krieg zu den Festungsbauten bei Metz erbaut wurde. Erst vor einigen Jahren konnte ich die Erfindung aus den Akten der Fortifikation zu Metz veröffentlichen.
Die Münchner Hof- und Staatsbibliothek besitzt unter ihren reichen Schätzen an Handschriften auch ein überaus merkwürdiges Geheimbuch eines Kriegsingenieurs, namens Joannes Fontana, das ums Jahr 1420 verfaßt sein mag. Nach einer neueren Forschung war dieser Fontana in den Jahren 1418 bis 1419 Rektor der artistischen Fakultät der Universität Padua.
Um seine Geheimnisse nicht zu verraten, schreibt Fontana sämtliche Aufzeichnungen in einer Geheim [S. 80] schrift. Wir erkennen diese in den letzten drei Zeilen auf unserm Bild. Weit später hat jemand diese Geheimschrift entziffert und den lateinischen Text in lesbarer Schrift über die Geheimschrift geschrieben.
In dieser Handschrift werden alle möglichen geheimen Mitteln angegeben, deren man sich besonders im Kriege bedienen soll. Eines unter ihnen ist eine Zauberlaterne um bei Nacht den Feind zu erschrecken. Wir sehen in der linken unteren Ecke des Bildes einen orientalisch gekleideten Menschen, der eine runde Laterne in der Hand hält. Auf der gewölbten Scheibe der Laterne ist, wie man deutlich zu erkennen vermag, ein grausiger Teufel mit Flügeln, Hörnern und Krallen gemalt, der einen gefährlichen Spieß schwingt. Wir bemerken auch den kegelförmig aufgerollten Wachsstock auf dem Boden der Laterne, der dieses Teufelsbild von innen her beleuchtet. Den übrigen Teil der Laternenscheibe müssen wir uns durch Blech, oder durch schwarze Farbe abgeblendet denken. Nähert man sich mit einer solchen Laterne einer weißen Wand, so wird dort die Teufelsfigur vergrößert — natürlich aber auch verschwommen — sichtbar werden. So zeigt denn Fontanas Zeichnung auch, wie der Teufel recht groß und greulich auf der Wand erscheinen soll.
Über zweihundert Jahre später findet sich die Zauberlaterne wieder, nachdem man sie mit geschliffenen Gläsern der inzwischen erfundenen Fernrohre versehen hatte. Heute feiert diese Laterne magica im Kinematographen ihre höchsten Triumphe.
Fontana ist auch der erste, der uns die heute so gefürchtete Torpedowaffe im Bilde zeigt. Wir erkennen ein kleines, spitziges Fahrzeug, ringsherum geschlossen und mit zwei, nach hinten hinausragenden Seitensteuern versehen. Zwischen diesen sitzt eine Öse, an die ein Seil mit einem nachschwimmenden Mittelsteuer geknüpft wird. Das Fahrzeug ist vorn mit einem langen, spitzen Widerhaken versehen, und in seinem Innern mit Schießpulver gefüllt.
Um es bei seiner geheimnisvollen Annäherung dem überraschten Feind möglichst gefährlich erscheinen zu lassen, sind ihm zwei Augen so aufgemalt, daß es — [S. 82] aus dem angegriffenen Schiff von oben her gesehen — wie der Kopf eines heranschwimmenden Ungeheuers aussieht.
Seinen Antrieb erhält dieser Torpedo durch zwei aus seinem Deckel nach hinten hinausragenden Raketen. Ihre Brandsätze werden vor dem Abfahren angezündet. Sie sind in ihrer Brenndauer so berechnet, daß der Torpedo sein Ziel erreicht hat, ehe die Raketen ausgebrannt sind. Ihre Endladung wird also, sobald sich die gefährliche Waffe mit ihrer Spitze in die Holzwand des feindlichen Schiffes eingebohrt hat, die ganze Pulvermasse im Torpedo entzünden, sodaß das getroffene Schiff durch die gewaltige Explosion ein Leck bekommt.
Der Fontanasche Torpedo geht in seiner Konstruktion auf kleinere Fahrzeuge zurück, die den Arabern schon ums Jahr 1258 bekannt waren.
In den späteren Jahrhunderten hört man nichts mehr vom selbstfahrenden Torpedo. Man beschränkte sich darauf, den Torpedo entweder durch schwimmende Mannschaft heimlich an den Feind zu bringen, oder ihn beim Nahkampf mittels Stangen von Schiff zu Schiff zu lanzieren. Man hatte nämlich erkannt, daß das Schießen unter Wasser keine einfache Sache ist.
Erst seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts beschäftigt man sich mit Torpedokonstruktionen. Damals erhielt die Waffe auch den heutigen Namen, und zwar nach dem „Torpedo“, einem Fisch, der aus besonderen Organen gefährliche elektrische Schläge auszuteilen vermag.
Über das Vorkommen und Aussehen der Schießpulverwaffen herrscht noch in den weitesten Kreisen Unklarheit, sodaß es sich wohl lohnt, einmal einen kurzen Überblick über die Geschichte des Schießpulvers, der Gewehre und der Geschütze zu geben.
Höchstwahrscheinlich sind die Chinesen ums Jahr 1175 im Besitz einer Mischung von Salpeter, Schwefel und Kohle gewesen, die sie als Spreng -Mittel in eisernen Bomben verwendeten. Die Sprengwirkung eines solchen Schießpulvers beschreibt in Europa im Jahre 1242 der von der Kirche wegen seiner naturwissenschaftlichen Forschungen später heftig verfolgte Roger Baco. Wenige Jahre hernach berichtet ein Grieche, namens Marchos, über dieses sprengsame Schießpulver und im Jahre 1265 macht der vielgelesene Albertus Magnus weitere Kreise hierauf aufmerksam.
Wer dieses Schießpulver in seinem Mischungsverhältnis so verändert, daß es in einem eisernen Rohr treibend wirken konnte, ist gänzlich unbekannt. Den Vater der bedeutsamsten Erfindung aller Zeiten kennen wir nicht!
Wir wissen nur, daß zwischen 1325 und 1350 Schießpulver und Geschütze in verschiedenen Urkunden erwähnt, bezw. primitiv abgebildet werden. Die älteste Darstellung eines solchen Geschützes findet sich als dekorative Zugabe in einer Randleiste eines in Oxford aufbewahrten lateinischen Manuskriptes „Über das Amt der Könige“. Die Malerei verrät, [S. 84] daß der Künstler ein Geschütz nur von Hörensagen kannte. Auf einer viel zu schwach gezeichneten Holzbank liegt ein an der Pulverkammer übertrieben verstärktes Rohr. Aus seiner Mündung schießt ein Kugelpfeil gegen das Tor eines Turmes, weil ein hinter dem Geschütz stehender Ritter im Augenblick ein glühendes Eisen an die kleine Pulverpfanne hält.
Die Ungeschicklichkeit des Malers kann gerade uns heute nicht wundern. Erleben wir es doch, daß niemand von uns etwas sicheres über die neuen Waffen der Gegenwart weiß, obwohl wir mehrere Male am Tage aus den Berichten unserer Zeitungen die erstaunlichsten Leistungen dieser neuen Waffen erfahren. Wie anders erst vor 600 Jahren, wo die Geheimniskrämerei, verbunden mit einer starken Dosis Aberglauben, und unterstützt durch die langsame Berichterstattung, fast in jedem Beruf zu finden ist. Im Beruf der Kriegstechniker ist das Geheimnis noch Jahrhunderte lang möglichst in allen Dingen gepflegt worden. Ihre Handschriften, deren wir trotz aller Kriegswirren vergangener Zeiten noch einige hundert Stück besitzen, sind entweder ganz ohne Text, oder in Geheimschrift, oder in einer unverständlichen, phantastischen Sprache geschrieben, und immer wieder begegnet man, wenn der Verfasser kaum begonnen hat, eine Neuerung zu erklären, den eiligen Schlußworten „so fortfahrend kannst du dies machen, wenn du die Kunst kannst“.
Weil wir in der Technik überall zuerst das Grobe, und erst später als Verbesserung das Feine finden, können wir annehmen, daß das schwere Geschütz älter ist, als die Handfeuerwaffe. Die Urkunden bieten zwar wenig Anhalt für diese Annahme, weil eine fest [S. 85] stehende Bezeichnung in keiner Sprache zu finden ist. Die Franzosen nennen ihre ersten Geschütze Eisenköpfe, wir bezeichnen große und kleine Rohre zunächst als Büchsen. Chronisten, die später ältere Urkunden abschrieben oder übersetzten, haben viele Verwirrung angerichtet, weil sie nach Gutdünken solch unklare Ausdrücke präzisierten. So entstanden denn dort, wo höchstens eine Wurfmaschine oder ein Rohr zum Schleudern einfacher Brandsätze erwähnt wird, willkürlich eine „Kanone“ oder ein „Gewehr“. Das ist z. B. in vielen spanischen und orientalischen Urkunden der Fall. Ebenso in einer Genter Urkunde von 1313 bezw. 1393 und einer Metzer Urkunde von 1324. Ließt man die Urtexte, so steht vom Schießpulvergeschütz nicht das geringste darin.
Die ersten Geschütze wurden bald aus Eisen, bald aus Bronze angefertigt. Sie hatten eine Rohrlänge von sechs Kalibern, d. h. das Rohr war sechs Mal so lang als die dazu gehörige Kugel. Kugeln waren bald aus Eisen, bald aus Stein gefertigt. Bemerkenswert bei den ältesten Rohren ist die innere Konstruktion. Fast alle Rohre haben nämlich, wenn man etwa bis zu ⅝ in ihre Rohrlänge eingedrungen ist eine scharfe Verengung. Hinter diese Verengung schüttet man das Schießpulver, dann trieb man einen Holzklotz in das Rohr, der sich gegen die Verengung stemmen mußte und alsdann lud man die Kugel vor den Holzklotz und befestigte sie durch kleine Holzteile. Zwischen dem Schießpulver und dem Holzklotz blieb ein Luftraum, sodaß ein allzu starkes Eintreiben des Klotzes das Schießpulver nicht zur Entzündung bringen konnte. Zum Schießpulver führt eine Bohrung, die mit [S. 86] Pulver gefüllt und mit dem glühenden Geschützhaken (Abb. Seite 39) erst später mit der Lunte, entzündet wurde. Neben einem jeden Geschütz brannte ein kleines Feuer, oder ein kleiner Ofen, um den eisernen Geschützhaken an der Spitze glühend zu machen. Das Geschützrohr hatte keinerlei Zapfen. Es wurde auf eine Balkenunterlage gelegt und dort stark verkeilt. Infolgedessen hatte das Geschütz nur eine einzige Schußrichtung. Das Laden und Abfeuern eines Geschützes nahm eine viertel bis eine volle Stunde Zeit in Anspruch. Was wir heute als Geschützlafette bezeichnen, ist uns aus dem ersten Jahrhundert der Geschütze so unbekannt, daß noch keine Zeughausverwaltung bis heute für ihre ältesten Rohre eine glaubwürdige Lafette konstruieren konnte. Noch zur Zeit Kaiser Maximilians finden wir zu Anfang des 16. Jahrhunderts schwere Geschützrohre in den einfachsten unbeweglichen Balkenbettungen liegen.
Die ältesten Gewehre waren sogenannte „Stangenbüchsen“, das heißt einfache Schießrohre, die auf einer Stange von etwa anderthalb bis zwei Meter Länge saßen. Man lud sie vorn mit Pulver, Pfropfen und Kugel, und feuerte sie gegen den Feind ab, indem man einen glühenden Haken oder eine brennende Lunte an die Pulverpfanne hielt. Die Pulverpfanne war manchmal durch einen Deckel gegen Wind und Wetter geschützt.
Diese Gewehre waren also verkleinerte Kanonen [S. 87] auf Stangen, sodaß sie sich bequem tragen ließen. Wann und wo die Handfeuerwaffen aufkamen, weiß kein Mensch; um’s Jahr 1340 finden sie sich plötzlich an verschiedenen Orten.
Das älteste mit einer Jahreszahl versehene Gewehr entdeckte ich vor einigen Jahren auf sonderbare Weise im Museum für Völkerkunde in Berlin. Es lag dort in einem Schrank der chinesischen Abteilung und war als „Wallpistole“ bezeichnet. Das aus Bronze gegossene Rohr mißt 35 cm in der Länge und trägt in chinesischen Zeichen die Aufschrift „Kaiser Yunglo, im 19. Jahr, 7. Monat“. Außerdem sind noch Inventarnummern auf dem Rohr zu lesen. Das 19. Jahr der Regierung jenes chinesischen Kaisers war unser Jahr 1421.
Als ich mir diese chinesische Inschrift hatte erklären lassen, war ich nicht wenig erstaunt, eine Wallpistole in der Hand zu halten, die 120 Jahre älter sein mußte, als die früheste Nachricht von Pistolen überhaupt. Gewiß, die Form der Waffe sprach für eine Pistole: in der Mitte den wulstigen Teil mit einer länglichen Zündpfanne, die ehemals durch einen Deckel geschlossen werden konnte, als Handgriff der lange Schaft, und als Pistolenrohr der kurze Teil. Betrachten wir unsere Abbildung, so wäre der Handgriff nach oben hin, das Pistolenrohr nach unten hin gerichtet (der im Pistolenrohr versteckte Holzschaft fehlte).
Als ich diesen seltenen Fund zweifelnd in der Hand hielt, kam mir der erleuchtende Gedanke zur rechten Zeit: blase in den Lauf hinein, dann kommt die Luft zum Zündloch hinaus. Schlau, nicht wahr?
Und ich blies. Es kam aber keine Luft.
Und ich blies schließlich in den langen, wohl zur Gewichtserleichterung hohl gegossenen Handgriff der Pistole, da zischte die Luft zum Zündloch hinein. Zunächst allgemeines Staunen. Dann lieh ich mir einen Besenstiel, steckte die angebliche Wallpistole mit ihrem kurzen „Lauf“ darauf auf und konnte so den erstaunten Sinologen die Verwendung ihrer Waffe klar machen. Es ist gar keine Wallpistole, sondern die älteste bisher bekannt gewordene, datierte Stangenbüchse, zugleich das älteste datierte Gewehr überhaupt. Aus unserer Abbildung erkennen wir, wie das Bronzerohr auf dem Holzschaft steckt. Bei näherer Untersuchung fanden sich in der unteren, kurzen Bohrung noch die Reste eiserner Stifte, die Rohr und Holzschaft ehemals zusammenhielten.
In den beiden deutschen Reichspatenten Nr. 12122 und 39511 aus den Jahren 1880 und 1886 werden Verfahren zur Herstellung eines Explosivstoffes angegeben, wie sie schon 4½ Jahrhunderte vorher bei den deutschen Kriegsfeuerwerkern bekannt waren. Es handelt sich um einen wirksamen Sprengstoff, wie wir ihn jetzt im Dynamit verwenden.
Wer diesen Sprengstoff im Mittelalter erfand, wissen wir nicht. Vielleicht war es ein Büchsenmeister [S. 89] namens Abraham, der im Jahre 1422 zu Herzog IV. von Österreich in den Dienst trat. Das alte Rezept ist in dem sogenannten „Feuerwerksbuch“ jener Zeit niedergeschrieben. Dieses Buch war damals einem jeden Artilleristen bekannt.
Es ist überaus auffallend, daß die Vorschrift zur Herstellung dieser mittelalterlichen Dynamitart sogar wortgetreu in andere Werke überging, daß aber niemand soviel Einsicht hatte, um die ungeheure Wirkung dieses Nitrosprengstoffes zu erkennen. Wäre die Erfindung damals, als selbst die Schießpulverbereitung noch in primitivster Form betrieben wurde, verfolgt worden, dann hätten sich daraus für die Menschheit Umwälzungen ergeben müssen, denen gegenüber die Umwälzungen, die uns das Schießpulver brachte, verschwindend klein erscheinen müssen.
So aber ruhte dieses gewaltige Rezept, verborgen in alten Handschriften, bis auf unsere Tage.
Erst Sobrero entdeckte 1846 ein ähnliches Produkt, das Nitroglyzerin. Zwanzig Jahre nachher tränkte Alfred Nobel Infusorienerde mit diesem Sprengstoff und erhielt somit das Dynamit.
In fast allen kriegstechnischen Handschriften des Mittelalters werden Schiffe beschrieben, die durch einen geheimen Mechanismus betrieben werden. Sie sind durch Bohlen völlig überdeckt, sodaß der Feind den Mechanismus nicht erkennen, und durch Schüsse beschädigen kann. Unsere Malerei zeigt ein solches [S. 90] Boot nach einer Handschrift im Besitz des Fürsten von Fürstenberg. Sie ist etwa ums Jahr 1425 entstanden. Wahrscheinlich sind diese Boote aber schon tausend Jahre älter. Der Maler hat hier die Bohlen weggelassen, um den Mechanismus des Antriebs zu zeigen. Die Perspektive ist schlecht geraten. So steckt z. B. die Antriebsachse diagonal in dem Balkengerüst, und der Fahrer müßte sich gründlich verrenken, wollte er die Kurbel von seinem Sitz aus drehen. Solche zeichnerischen Fehler kommen aber im Mittelalter ganz allgemein vor.
In einer in Weimar aufbewahrten Ingenieurhandschrift wird das folgende Schiff abgebildet, das auf stillen Wassern gehen sollte. Wir erkennen die Schießscharten und sehen auch vorn ein drohendes Geschützrohr herausragen. Der Text sagt: „Dies ist ein [S. 92] Schiff, das geht auf stillem Wasser und hat vier Fittichräder, und da gehören vier Mann zu, die sie drehen, zwei hinten, zwei vorn. Und es mag wohl zwanzig Gewappnete tragen, außer den vier Mann, die das Schiff treiben. Und die Fittiche gehen in dem Wasser um und inwendig hat jeder Fittich eine Kurbel, die man umdreht. So mag man fahren auf dem Wasser auf und abwärts. Und das Schiff ist verdeckt und heißt ein Streitschiff, und damit sind die Katalonier allen andern Schiffen überlegen.“
In den Zeitschriften mittelalterlicher Kriegsingenieure begegnet uns immer die Konstruktion der Mühle; denn die Verpflegung der Truppe mußte bei den schlechten Wegeverhältnissen des Mittelalters, die so schlecht waren, daß wir uns heute vielleicht nur in Polen wieder einen Begriff davon machen konnten, meist vom Halm aus erfolgen. Überall mußte der Reibstein oder die Mühle zur Zerkleinerung der Halmfrüchte mitgeführt werden. Je größer aber die Heermassen wurden, um so schwieriger war die Brotbereitung auf kleinen Mühlen. Die Mühlen des Feindes fand man stets zerstört. Zum Bau von Wasser- und Windmühlen fehlte die Zeit; denn die Herstellung von Zahnrädern, Achsen usw. erforderte große Vorbereitung.
Nach einer Handschrift aus der Zeit der Hussitenkriege kam der Papst auf den Gedanken, eine einfache Mühle mit einem Wasserrad zu verbinden. Alle [S. 93] Zahnräder und Getriebe fallen weg, wenn man das Wasserrad und den Läuferstein auf dieselbe Achse setzt. Man leitet das Bachwasser dann seitwärts auf die Schaufeln des Rades und läßt es durch Stoßkraft wirken.
Wer dieser Papst sein mag, konnte ich trotz weitgehender Nachforschungen nicht feststellen. Dieser Erfinder auf dem Stuhl Petri in Rom wies uns den Weg zur Konstruktion der wirksamen Turbinenräder, durch die wir heute, besonders in Gebirgsgegenden Millionen von Pferdekräften für die Industrie nutzbar machen.
In der gleichen Handschrift der Zeit der Hussitenkriege sehen wir hier einen Taucher auf dem Meeresgrund dargestellt. Seine Ausrüstung ist so vollständig, daß wir uns über das hohe Alter dieser Malerei nicht genug verwundern können. Der Mann trägt einen Anzug aus Leder, Schuhe mit Bleisohlen und einen großen, kugelförmigen Taucherhelm. Vor den Augen sitzen große Gläser. Um die Lenden schlingt sich ein Strick, an dem der Taucher hinabgelassen und hinaufgezogen wird. Ein Luftschlauch geht bis über den Spiegel des Wassers. Seine Mündung schwimmt [S. 95] dort, von Korkkugeln getragen. So ausgerüstet kann der Taucher versunkene Ballen und Fässer an besondere Seile befestigen, damit sie emporgezogen werden.
Wie so manche Aufzeichnung in den Handschriften mittelalterlicher Ingenieure, sind auch Zeichnungen von Taucheranzügen Jahrhunderte lang nur denen bekannt geworden, die sich beruflich mit dem Inhalt kriegstechnischer Werke zu beschäftigen hatten.
Die neu geschaffene und alsbald neu vermehrte Reitertruppe der „Jäger zu Pferde“ hat im Mittelalter ihren Vorläufer in dem „ eques scoppetarius “ gehabt, den wir ums Jahr 1450 in verschiedenen Handschriften des Ingenieurs Mariano dargestellt finden.
Roß und Reiter sind schwer gepanzert. Der Reiter trägt eine langgeschäftete Hakenbüchse von großem Kaliber als Waffe. Beim Schuß legt er den Haken in eine Gabel, deren unteres Ende am Sattel befestigt [S. 96] ist. Den Schaft der Waffe stützt er gegen den Brustpanzer. Das Gewehr wird mit der linken Hand gerichtet, während die rechte die brennende Lunte bereit hält. Die Munition trägt der Reiter in einem besonderen Sack, der hinter den Sattel gelegt wird. Aus dem Text ist zu entnehmen, daß diese Jäger zu Pferde — wörtlich Stutzbüchsenreiter — noch ihr Schwert zum Angriff oder zur Verteidigung gebrauchen, wenn ihnen in der Schlacht das Pulver oder die Kugeln ausgehen. „Die Jäger zu Pferde sind geeignet zum ersten Angriff auf den Feind, auch erregen sie großen Schrecken und Pein und sind die Ursachen für den Sieg.“
Handgranaten waren bereits im 15. Jahrhundert, wie eine im Hofmuseum zu Wien befindliche Handschrift berichtet, den deutschen Heeren bekannt. Sie bestanden aus zwei hölzernen Halbkugeln, die mit Pulver und „Schifferstein“ angefüllt waren. Irdene Handgranaten beschrieb 1559 der berühmte Kriegstechniker Reinhard v. Solms, und zwei Jahre später zeigte Brechtel in einem Holzschnitt, wie man die Granaten mit der Hand werfen mußte. Daß die Sprödigkeit der Granatenhülle für die Wirkung der Handgeschosse von besonderem Werte sei, berichtet zuerst Boillot im Jahre 1598; er wußte allerdings kein anderes Material als sprödes Glockenmetall zu empfehlen. Ums Jahr 1600 bildete Sebastian Hälle Handgranaten mit Fallzündern ab. Graf Johann [S. 97] v. Nassau beschrieb im Jahre 1610 die Herstellung der Handgranaten zum ersten Male eingehend. Er erzählt, daß die am meisten angewandte Art die Größe eines Granatapfels habe, und daß man deshalb den Geschossen ihren Namen gegeben habe. Das Gewicht seiner Handgranaten schwankte zwischen 1,5 und 3 Pfund. Als Material kamen bei ihm Eisen, Bronze oder Glas zur Verwendung. Vor dem Wurf wurde die Brandröhre entzündet und krepierte, wenn der Zündsatz verbrannt war. Eine zweite Art, die Johann [S. 98] v. Nassau beschrieb, entzündete sich beim Aufschlagen auf die Erde. Die Granatenwerfer, ehemals „Granatierer“ genannt, waren meist freiwillige Musketiere. Sie trugen im Tornister zehn Handgranaten und eine Lunte. Als Waffe trugen sie eine Pistole. „Oft werden die Granatierer von ihren eigenen Granaten gesprengt, und an diesem gemeinen Unheil und miserablen Verstümmelungen der Menschen“ seien meistens die Feuerwerker schuld, so berichtet Michael Mieth, einer der bedeutendsten Artilleristen des 17. Jahrhunderts. Mieth war wohl der erste, der das Werfen der Handgranaten aus kleinen, tragbaren Mörsern empfahl. Am 22. Oktober 1711 zeigte der berühmte Mechaniker Gärtner aus Dresden Peter dem Großen auf der Durchreise nach Karlsbad einen Granatenwerfer, der auf eine Entfernung von 1300 Schritt Granaten schleuderte. Der Vorteil dieser Maschine war der, daß man sie „als eine Flinte“ auf der Schulter tragen konnte. In Preußen schieden die letzten Handgranaten 1885 aus; der russisch-japanische Krieg brachte der alten Waffe wieder neue Anerkennung.
Wer heute eine Maschine konstruieren will, muß die vielen Einzelteile genau kennen, deren man sich zur Erreichung eines gewissen Zweckes zu bedienen vermag. Da gibt es Nieten, Schrauben, Keilarten, Hebel, Lager, Gestänge und eine Unzahl von eigentümlichen Bewegungsmechanismen.
Es ist höchst erstaunlich, daß manche dieser Einzel [S. 99] heiten in gewissen Zeitabständen wieder als Neuheiten aufgetaucht sind. Die Kurbel ist doch wahrlich eine Erfindung, die ein Alter von Jahrtausenden hat und doch wurde sie zur Dampfmaschine im Jahre 1780 neu erfunden und sogar patentiert. Infolgedessen konnte der berühmte James Watt sie damals zu seiner Dampfmaschine nicht verwenden!
Ich freue mich nun immer, wenn es mir gelingt, bei den pfiffigen Ingenieuren des Mittelalters Maschinenteile zu finden, die erst nach Jahrhunderten in der Technik öffentlich vorkommen. Das schönste Beispiel für das Alter mancher Maschinenteile ist die hier abgebildete „Maus“. Diese Maschine soll gleich einer Maus ein Loch unter der Stadtmauer hindurchgraben. Ich stelle mir den wohl mit Eisenplatten beschlagenen Kasten recht groß vor. Der Erfinder dachte [S. 100] sich wohl diese Maschine in einen Minengang zu bringen und ihn dort vorwärts zu schieben. Wenn die hinten sichtbare Kurbel gedreht wird, setzt sich eine in dem Kasten liegende Förderschnecke in Bewegung, um das Erdreich nach hinten zu schaffen, das von den Messern gelöst wird, die an den Achsen der Laufräder sitzen.
Ich halte die Ingenieure des Mittelalters nicht für so blöd, daß sie diese Maschine genau so gebaut haben, wie die Zeichnung es angibt. In allen ihren Handschriften versuchen sie ihre Geheimnisse zu bewahren. Nur der Mann vom Fach sollte ihre Aufschriften verstehen. So wohl auch hier. Hier soll es doch nur darauf ankommen, zu zeigen, wie man beim Untergraben der Mauer die Erde mit Hülfe einer Förderschnecke rückwärts schaffen kann, und wie man mit walzenförmig gestellten Messern die Erde wegzuschneiden vermag. Die Ausführung müßte eine wesentlich andere sein. Dieser anscheinend närrische Gedanke birgt die Konstruktion der ums Jahr 1800 aufgekommenen, heute als Transportvorrichtung überaus wichtigen „Schnecke“ und ebenso die Idee des rotierenden Spiralmessers, das erst seit dem Jahre 1812 an Tuchschermaschinen aufkam.
Die Königliche Bibliothek in Dresden besitzt eine sehr schön gemalte Handschrift des Ingenieurs Valturio aus der Zeit von 1460. Im Jahre 1472 erschien [S. 101] der Inhalt dieser Handschrift als erstes technisches Buch im Druck.
Sowohl in der Handschrift als auch in den Druckausgaben findet man ein ringsum geschlossenes Boot in zwei Ansichten dargestellt. In der oberen Darstellung sind die beiden Spitzen des Bootes abgenommen. Es soll also wohl gezeigt werden, auf welche Weise man das Boot zu besteigen hat. In der unteren Darstellung ist das Boot ganz geschlossen. Außen an dem Fahrzeug erkennt man kleine Schaufelräder. Auf ihren Achsen sitzen Kurbeln, um die Räder zu drehen. Der Zeichner hat sich die Darstellung wieder einmal recht bequem gemacht, indem er auch die Kurbeln so zeichnet, als ob sie außen säßen. In Wirklichkeit müssen die Achsen natürlich in das Innere des Bootes führen, damit die Insassen von dort aus die Schaufelräder in Bewegung setzen können.
Dieses sonderbare Boot wird allgemein für das erste Tauchboot gehalten. Mir sind in dieser Beziehung neuerdings Bedenken aufgestiegen und ich möchte die Zeichnung nur auf ein Boot beziehen, das teilweise unter Wasser geht. Es soll dann soweit eintauchen, daß die Achsen der Schaufelräder noch ein wenig über dem Wasser liegen.
Das erste Tauchboot, von dem wir sichere Nachricht haben, wurde im Jahre 1623 auf der Themse versucht. 1663 versuchte man ein solches Fahrzeug in Rotterdamm und 1692 ein ähnliches in Deutschland auf der Fulda. Seitdem haben sich viele Erfinder mit der Konstruktion von Unterseebooten beschäftigt.
Der genannte Valturio zeigt uns auch zum ersten Male, wie man sich einen Kriegs kraftwagen bauen kann.
Bereits im Jahre 1257 sagt der Gelehrte Roger Baco, „es können Wagen hergestellt werden, die von keinem Tier gezogen werden und mit unglaublicher Gewalt daherfahren.“ Der Ingenieur Fontana, dessen Teufelslaterne und Torpedo wir schon kennen lernten, zeichnete im Jahre 1420 einen Kraftwagen, der mittelst eines Seilantriebes von dem bewegt wurde, der darin fahren wollte. Im Jahre 1421 führte man bei der Belagerung von Zateo an der Eger einen Sturmschild vor, der von den darunter stehenden hundert Mann mittelst eines besonderen Mechanismus fortbewegt wurde. Die Memminger Chronik berichtet, daß am [S. 104] 2. Januar 1447 ein Wagen ankam, der „ohn Roß, Rindter und Leutt“ fuhr. Er wurde von dem Meister bewegt, der in dem Wagen saß. Auf welche Weise dies geschah, habe ich nicht sehen können, weil der Wagen „wol verdeckht“ gewesen sei. Und die Chronik von Pirna weiß zu erzählen, daß im Jahre 1504 ein Wagen „mit rädern und schraubengezeug“ von seinem Erfinder nach Dresden gefahren werden sollte. Die Straße war aber zu schlecht, sodaß der Meister wieder umkehren mußte. Ähnliche Nachrichten finden sich später noch häufig.
Valturio will zum erstenmal eine Naturkraft, den Wind, zur Fortbewegung des Wagens verwenden, und er hofft ihn so für den Krieg brauchbar zu gestalten. Bei Betrachtung des Bildes müssen wir uns an die ungewöhnliche, im Mittelalter sehr beliebte Darstel [S. 105] lungsart, einen Gegenstand von mehreren Seiten zugleich zu zeigen, gewöhnen. Wir sehen nämlich den Wagen nicht nur von vorn, sondern auch von beiden Seiten. Das Wagengestell ist sehr hoch und es soll mit starken Bohlen gegen feindliche Geschosse verschalt werden. Die vier Laufräder weisen zwischen den Laufkränzen Zahntriebe auf, in die große Zahnräder eingreifen. Diese Räder werden durch kleine Zahngetriebe bewegt, an denen je ein Windrad sitzt. In der Zeichnung sind die Räder viel zu klein geraten. Wie der Wagen gelenkt werden soll, ist nicht gezeigt. Als diese Abbildung wenige Jahre nach ihrer ersten Ver [S. 106] öffentlichung in einem deutschen Buch erschien, verstand man sie so wenig, daß man das ganze Bild auf dem Kopf stehend abdruckte.
Zur praktischen Verwendung kamen die durch Windkraft bewegten Wagen im 16. Jahrhundert. Besonders gerühmt wird das Fahrzeug, in dem Prinz Moritz von Nassau-Oranien — bekanntlich einer der Ahnen des deutschen Kaisers — nach der Schlacht von Nieuport (2. Juli 1600) mit dem gefangenen Admiral Don Francisco de Mendoza „an den holländischen Ufern, wo es eben war, zur recreation angefahren“. Es gibt von diesem Wagen verschiedene Darstellungen, die einen flach gebauten, langen Wagen zeigen, der von zwei großen Segeln fortbewegt wird. Es erschien damals aber auch ein prächtiger Kupferstich, der den Wagen in übertriebener Form zeigt. Ich bilde ihn hier nach einer Photographie ab und verweise auf die Geschützrohre und auf den Mann unter dem Großsegel, der das Herannahen des Wagens durch Hornsignale ankündigt.
Wäre ich nicht in Neuß auf die Welt gekommen, so hätte ich seine Chronik wohl nie gelesen, und könnte nicht von der sonderbaren Begebenheit erzählen, die sich zutrug, als diese Stadt, die am Niederrhein bei Düsseldorf liegt, im Jahre 1475 von Karl dem Kühnen und dem Bischof von Köln belagert wurde. Die Stadt war eng vom Feinde umschlossen, und so der Besatzung und den Einwohnern jede Verbindung nach außen hin [S. 107] abgeschnitten. Die Kölner Bürger waren mit ihrem Bischof nicht einig, und sie beschlossen denn den Neußern Schießpulver und Lebensmittel zuzuführen. Doch ihre Versuche scheiterten an der Wachsamkeit der Belagerer. So verfielen sie denn auf eine List. Sie schossen am 21. April 1475 drei Kanonenkugeln, in denen Briefe enthalten waren in die Stadt Neuß hinein. Die Neußer, zunächst bestürzt über die Beschießung, schöpften aus der Hülfe, die die Kölner ihnen in ihrer Kugelpost versprachen, neue Hoffnung. Einen ganzen Monat lang ging diese Kugelpost zwischen Neuß und dem Lager der Kölner Bürger über die Köpfe der Belagerer hinweg. Bald schossen die Neußer einen Brief, bald antworteten die Kölner auf gleiche Weise. Das Stadtarchiv in Köln besitzt noch heute die aus Neuß herausgeschossenen Originalbriefe. Die Neußer Chronik berichtet über diese sonderbare Postverbindung in einem Kapitel „wie uyssz (aus) dem coelschen heir (Heer) troestlich brieve binnen Nuyß geschossen wurden“.
Die Erfindung der Kölner besingt der Neußer Chronist:
Im Jahre 1789 machte jemand der Pariser Regierung den Vorschlag, eine schnelle Verbindung der Armeen der Republik mit Paris auf folgende Weise zustande zu bringen. Es sollten in Schußweite um die Hauptstadt nach allen Richtungen hin besondere Stationen für die Kugelpost erbaut werden. Die von Paris abgeschossenen Kugeln sollten hohl und ihre Hälften durch Scharniere verbunden sein. Die zu befördernde Nachricht hätte in der hohlen Kugel Platz gefunden. Die Geschütze dieser Post wären fest eingemauert, sodaß die Schußrichtung bei gutem Wetter stets gegeben wäre. Die Kugeln würden auf den Stationen in einem besonderen Kugelfang aufgelesen, sogleich wieder in das Geschütz der Station geladen und zur nächsten Station abgeschossen. Auf diese Weise wäre eine schnelle Beförderung von Nachrichten durch ganz Frankreich möglich. Der Erfinder dieser Kanonenpost ging sogar soweit, daß er einen ausführlichen Plan der notwendigen Gebäude zeichnete und diesen seinem Manuskript beilegte. Das Manuskript befindet sich jetzt in Besitz des Grafen von Klinckowstroem in München.
Im Jahre 1831 schlug Ingenieur Alexander Gordon der englischen Militärverwaltung vor, lange hohle Geschosse zur Beförderung von Depeschen und Briefen auf drei Meilen Entfernung zu verwenden.
In einer in Heidelberg aufbewahrten, von Philip Mönch verfaßten Bilderhandschrift des Jahres 1496 [S. 109] fand ich eine Malerei, die ich hier in Umrissen wiedergebe. Es wird gezeigt wie man ein schweres, mit Schutzschild versehenes Geschütz bis in die Feuerstellung schieben kann. Anscheinend soll das Geschütz sogar während der Fahrt abgeschossen werden, denn der im Vordergrund stehende Krieger nähert den Luntenstock dem Zündloch. Diese Idee, das Geschütz vorwärts schieben zu lassen, findet sich in späterer Zeit noch mehrfach.
Das schon die römischen Soldaten ein Pfeifchen zu schätzen wußten, haben wir in einem früheren Artikel gehört. Sie mußten sich mit Lawendel, Hanf oder ähnlichem begnügen. Den Tabak lernten wir erst nach der Entdeckung Amerikas im Jahre 1497 kennen.
Die Amerikaner rauchten ehemals den Tabak aus Pfeifen, deren Rohre in zwei Spitzen ausliefen. Diese steckte man in die Nase, um so den Rauch einzusaugen. Daß man aber auch die Zigarre schon vor der Entdeckung Amerikas kannte, zeigt der hier abgebildete Außenpfeiler an der ehemaligen Stadt Palenque in Mexiko. Man sieht einen Gott oder einen Priester des Maya-Volkes in den Stein gehauen, der eine gewaltige Zigarre im Mund hält, und ihr große Dampfwolken entströmen läßt. Noch heute findet man auf den Philippinen die riesige Familienzigarre, an der alle, vom kleinen Kinde bis zur Urgroßmutter des Hauses, saugen. Auch jedem eintretenden Gast wird die Familienzigarre ohne weitere Förmlichkeiten in den Mund gesteckt.
In Europa wurde die Zigarre erst ziemlich spät bekannt, und zwar durch die Holländer. Wohl die früheste Nachricht findet sich in einem Wörterbuch vom Jahr 1735: „Seegars sind Tabaksblätter, die so zusammengerollt werden, daß sie sowohl zur Pfeife als auch allein brauchbar sind.“ Fünfzig Jahre später wurde das öffentliche Zigarrenrauchen in einzelnen Städten von Amerika bereits bestraft. So heißt es in der Polizeiverordnung von Newburyport: „Jede Person, die Pfeife oder Sergars rauchend auf den Straßen und Plätzen, Alleen, Werften befunden wird, verfällt einer Strafe von zwei Schilling für jeden einzelnen Fall.“
In Deutschland versuchte Hans Heinrich Schlottmann in Hamburg die Zigarrenfabrikation, die er in Spanien kennen gelernt hatte, im Jahre 1788. Damals wurden von Hamburger Seeleuten vereinzelt Zigarren in Hamburg geraucht. Das Schlottmannsche [S. 111] Unternehmen ging so schlecht, daß er sein Fabrikat verschenken mußte, um es bekannt zu machen. Erst als mehrere Schiffe Zigarren aus Amerika brachten und Abnehmer dafür fanden, ging es mit Schlottmanns Unternehmen besser. Es dauerte aber noch bis zum Jahre 1796, ehe die Zigarre ein Bedürfnis des Hamburger Rauchers geworden war. Wie wenig bekannt die Zigarre vor hundert Jahren im übrigen Deutschland noch war, sieht man aus den ersten Auflagen des Brockhaus’schen Konversations-Lexikons: „Cigarros [S. 112] sind Blätter, welche man zu fingerdicken hohlen Cylindern zusammenrollt, und dann an einem Ende anzündet, mit dem andern in den Mund genommen und so geraucht werden. Ob aber dadurch den Rauchern der Geschmack veredelt oder verbessert werde, ist wohl nicht gut zu bestimmen, eben weil es — Sache des Geschmackes ist.“
Kürzlich mußte die Postbehörde vor der Versendung von Zigarren mit Selbstzündern warnen, weil diese neue Art feuergefährlich ist, und die Feldpost gefährdet. Diese Selbstanzünder tragen an der Spitze eine Zündmasse. Reibt man diese auf einer rauhen Fläche, so setzt sich die Zigarre in Brand.
Wie neu diese Selbstzünder sind, kann man in Zeitschriftenartikel des Jahres 1835 nachlesen, wo sie damals beschrieben werden.
Ist ein Schiff auf See in Gefahr, dann wirft man eine gutverschlossene Blechbüchse oder Flasche, in der sich die Nachricht von den letzten Schicksalen der Besatzung befindet, ins Meer. Auch in diesem gegenwärtigen Weltkriege haben einzelne solcher Flaschenposten uns Nachrichten von untergegangenen Schiffen gebracht. Manches Mal dauert es Jahre, ehe eine Flaschenpost angetrieben oder aufgefunden wird. Bisher nahm man stets an, die Erfindung dieses eigenartigen Verkehrsmittels sei jüngeren Datums.
Doch schon in den Tagebüchern des Kolumbus, des Entdeckers von Amerika, finden wir hierüber eine Nachricht. Als der große Seefahrer auf der Rückreise von seiner glücklichen Entdeckung in der Nacht vom 14. zum 15. Februar 1493 einen schweren Sturm zu bestehen hatte, glaubte er, die letzte Stunde seines kleinen Schiffes sei gekommen. Er verschloß deshalb eine kurze aber genaue Nachricht des Entdeckungsweges in ein kleines Faß, verpichte es und warf es über Bord. Diese erste Seepost kam nie an, wohl aber der kühne Seefahrer. Wären beide verschollen geblieben, wer weiß, ob so bald einer wieder den Wagemut besessen hätte, die kühne Fahrt zu unternehmen.
Fast 300 Jahre dachte niemand mehr an eine solche Seepost. Da schlug man im Jahre 1784 schwimmende Flaschen vor, um die Meeresströmungen kennen zu lernen. Und am 17. August 1786 wurde die erste genau bezeichnete Flasche im Golf von Biscaya in Spanien ausgeworfen; sie landete am 9. Mai 1787 an der Küste der Normandie in Frankreich.
Kaiser Maximilian I., der den Ehrennamen „der letzte Ritter“ führt, kann auch den Titel „der erste Artillerist“ für sich in Anspruch nehmen. Von seinen Bemühungen um die Ausgestaltung des Artilleriewesens zeugen noch heute die überaus prächtigen, in seinem Auftrag gemalten Inventare der Zeughäuser seiner Lande. Die Feuerwaffen, sowohl die großen Geschütze, wie die kleinen Gewehre, bekamen durch die [S. 114] Bemühungen des Kaisers erst den ihnen gebührenden Platz im Heer.
Besonders bemühte sich der Kaiser um die Einführung mehrläufiger Geschütze und Gewehre. Bei den Geschützen dieser Art lagen drei bis sechs Rohre gleich Orgelpfeifen nebeneinander. Man nannte sie deshalb Totenorgeln. Auch kommt ein Geschütz in den Zeughausbüchern vor, bei dem fünf Lagen von je acht Rohren übereinander liegen. Die Zündlöcher einer jeden Lage waren durch einen gemeinsamen Kanal miteinander verbunden, sodaß dieses Schnellfeuergeschütz fünf Salven von je acht Schuß hintereinander abgeben konnte.
Unten: Abschießen eines Schnellfeuergewehres
mittels der Lunte.
Oben: Zwei solche Schnellfeuergewehre.
Sonderbar ist der Gedanke des Kaisers, vier Gewehrrohre auf einem Schaft zu vereinigen. Er nannte [S. 115] diese, oben abgebildete Gewehrart „Schaufelpüchsen“. Wir erkennen, wie ein Krieger die Schaufelbüchse unter dem rechten Arm hält, während er sie mit der linken Hand richtet. Ein Kriegsknecht zündet den einen Lauf der Schaufelbüchse mittelst einer Lunte. War auch der nebenliegende Lauf auf diese Weise abgeschossen, so wendete der Schütze das Gewehr, und es konnten alsdann das dritte und das vierte Rohr der Schaufel abgeschossen werden. Ein etwas umständliches Verfahren.
Die Abbildung zeigt über den beiden Schützen zwei Schaufelbüchsen in deutlicherer Darstellung.
Die große Bedeutung des gewellten Bleches ist im gegenwärtigen Kriege beim Bau von Unterständen wieder erkannt worden. Soviel man bisher wußte kam das Wellblech zuerst im Jahre 1837 als Zinkplatten von 16 Zoll Länge und Breite auf, und wurde damals zu einem der Dächer des Botanischen Gartens in Paris verwendet. Man stellte es zunächst mittelst eines Fallwerkes her, versuchte seit 1854 in Amerika aber auch die Herstellung auf dem Walzwerk.
Der Zweck des Wellbleches ist, die Tragfähigkeit des Bleches wesentlich zu erhöhen. Und seine Erfindung wurde ursprünglich auf Grund der Erfahrungen in der Schlacht gemacht. Als nämlich gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Formen der eisernen Leibpanzer immer breiter wurden, erfuhr man, daß ein solcher Panzer nicht mehr die genügende Widerstandskraft [S. 116] gegen Hieb und Stoß hatte. Deshalb wellte man unter Kaiser Maximilian zuerst den Brustteil und alsbald auch die übrigen Teile der Rüstung vom Helm bis zu den Fersen. Auf diese Weise erhielt man selbst bei Verwendung dünner Bleche eine große Widerstandsfähigkeit der Rüstung. Genau wie bei unserm Wellblech.
Wie man schon im Altertum Elefanten verwendete, um die Reihen der Feinde zu durchbrechen, so versuchte man im ausgehenden Mittelalter durch Tiere Feuerbrände in die Reihen der Feinde zu schaffen. Wir sehen hier die Zeichnung eines Büffels, der auf einem besonderen Sattel den an einer langen Stange hängenden Feuertrog vor sich trägt. Durch einen Schutzschild ist das Tier vor den Flammen geschützt. Meistens aber waren die Feuerbrände Hunden oder Katzen an [S. 117] die Schwänze gebunden, sodaß die Tiere in ihrer Todesangst vor dem Feuerbrand mit wilder Wut in die feindlichen Reihen stürzten.
Es ist wenig bekannt, daß der große Maler und Bildhauer Leonardo da Vinci in seinem Hauptberuf Ingenieur, zuletzt „General-Ingenieur“ für die oberitalienischen Festungen war. Wir besitzen noch heute mehrere tausend technische Handzeichnungen dieses vielseitigen Mannes, der sicherlich auch ein großer Erfinder war. Am meisten beschäftigte ihn die Konstruktion von Flugmaschinen, Fallschirmen, Werkzeugmaschinen, Hebezeugen und Maschinen für die Weberei und für die Tuchmacherei. Seine Geschütze sind meistens Hinterlader, und zu den Gewehren erfand er wahrscheinlich das Radschloß.
Eine sehr große Malerei von Leonardo zeigt uns, wie man zwei Mörser mit vielen Kugeln laden kann, deren Zwischenräume durch besonders geformte Geschosse ausgefüllt sind. Unter die Geschosse ladet man [S. 119] ein starkes Brett, den sogenannten Spiegel. In der Abbildung sieht man die beiden Bretter kurz vor der Mündung der Mörser herausfliegend. Sobald die einzelnen Geschosse am Ziel aufschlagen, soll aus besonderen Bohrungen ein neuer Geschoßregen herausdringen.
Leonardo zeichnete unter seinen vielen Maschinen ein Walzwerk, das er durch die im Vordergrund sichtbare Wasserturbine antreiben läßt. Das rechts vorn sichtbare Zahnrad bewegt die lange rechte Schrauben [S. 120] spindel, an der das zu ziehende, glühende Eisen angehängt ist. Dieses Eisen soll eine solche verjüngte Form bekommen, daß sich etwa zwölf dieser Eisen zu einem Geschützrohr zusammenschweißen lassen. Die endgültigen Querschnitte eines Eisens erkennen wir in den beiden rechts sichtbaren kleinen Skizzen. Die allmähliche Verjüngung des Eisenstabes wird in der Maschine dadurch bewirkt, daß eine oben links allein gezeichnete stählerne Spirale das glühende Eisen immer mehr zusammenpreßt. Die Wirkung der Maschine läßt sich in der deutlichen Skizze ohne weiteres verfolgen.
Leonardo berichtet uns, daß er einmal ein Dampfgeschütz versucht habe. Es habe eine Kugel, die ein Talent wog, sechs Stadien weit geworfen. Man kann dem großen Meister diese Behauptung wohl glauben, [S. 121] wissen wir doch, daß er sich auch sonst eingehend mit Untersuchungen über die Dampfkraft beschäftigt hat. In der Skizze erkennen wir das Dampfgeschütz unten fertig zusammengestellt; oben sehen wir in drei Skizzen die Einzelheiten. Ein Kohlenfeuer erhitzt das im hinteren Ende des Laufes eingeschlossene Wasser. Sobald man das oben sichtbare Ventil öffnet, wird die Kugel herausgeschleudert. Kohlen und Wasser werden in besonderen Kästen am Lafettenschwanz mitgeführt. Noch in späteren Jahrhunderten versuchte man häufig Dampfgeschütze, doch stets ohne Erfolg.
Recht findig ist eine Idee von Leonardo, um den stürmenden Feind von der Mauer herabzuwerfen. Wir erkennen in der Leonardoschen Handzeichnung, wie die [S. 122] von außen her an die Festungsmauern angelegten Leitern von einem in der Mauer verborgen liegenden Balken in dem Augenblick umgeworfen werden können, da die Feinde die Leitern erstiegen haben. Wie das Umwerfen geschieht, ist aus der Skizze deutlich zu ersehen. Leonardo vermerkt zu der Skizze: „Das Holz, wo sich die Leitern aufstützen, muß in der Mauer verborgen liegen, damit die Feinde nicht die Leitern tiefer anlegen und dieses Holz mit Äxten zerhauen.“
Ein eigene „Art und Weise, ein Schiff in den Grund zu bohren“ beschreibt Leonardo also: „Es ist vor allem nötig, daß die einander feindlichen Schiffe ineinander verschränkt seien, das heißt, derart ineinanderverhakt, daß du von deines Schiffes Spitze aus nach deinem Belieben loshaken kannst, damit, wenn das (feindliche) Fahrzeug auf Grund geht, es das deinige nicht mit sich ziehe. Und es wird folgendermaßen gemacht: ziehe ein Gewicht in die Höhe und darauf laß es los, und im Fallen wird dasselbe einen [S. 123] derartigen Schlag ausüben, wie dies bei einem Pfahle seitens eines Rammblocks geschieht. Und beim Fallen zieht sich der Kopf eines Balkens, der in einem Zapfen lagert (beweglich) aufgerichtet ist, nach rückwärts. Und wenn der obere Kopf des Balkens herankommt, so geht der untere (Kopf hinweg) und bringt das Schiff zum Sinken. Aber mache, daß das Holz schneidend sei, damit, wenn es zum Stoß heraneilt, das Wasser ihm keinen Widerstand bereite. Und vor allem mache, daß die Fesseln, welche die Fahrzeuge aneinandergehakt halten, sich nach deinen Belieben von deiner Seite aus zerschneiden lassen, damit das gegnerische Fahrzeug beim Untersinken dich nicht mit sich ziehe.“
Mit dem geheimnisvollen Namen Zepata bezeichnet Leonardo das hier abgebildete Fahrzeug, das die blockierende Flotte durchbrechen soll. Dies ist der erste [S. 124] Entwurf zu einem Sprengschiff. Sobald dieses Fahrzeug, von gutem Wind getrieben, gegen die Hafensperre stößt, werden eine Reihe von Zünddrähten in Schießpulverpfannen gesenkt. Die unten im Schiff aufgespeicherte Pulverladung explodiert und wirft die darüber aufgeschichteten Balken umher.
Wie man eine große Trommel beim Heerzug selbsttätig schlagen lassen kann, zeigt die hier wiedergegebene Skizze Leonardos. Von den beiden Laufrädern des kleinen Wagens aus werden zwei Stiftwalzen durch Zahnräder in Bewegung gesetzt. Von den Stiften werden die Trommelstöcke auf beiden Kalbfellen bewegt.
In unserem Bildchen, einer flüchtigen Handskizze von Leonardo, wird jeder vergebens nach einer Weckuhr suchen; und doch ist sie da.
Leonardo vermerkt zu seiner Skizze: „Dies ist eine Uhr für solche anwendbar, die in der Verwendung ihrer Zeit geizig sind. Und sie wirkt so: wenn der Wassertrichter so viel Wasser in das Gefäß e fließen ließ, wie in der anderen Wagschale ist, gießt diese, indem sie sich hebt, ihr Wasser in das erstgenannte Gefäß. Dieses hebt, indem es sein Gewicht (dadurch) verdoppelt, mit Gewalt die Füße des Schlafenden, dieser richtet sich auf und geht seinen Geschäften nach.“
Der erwähnte Buchstabe „ e “ ist in der sehr vergilbten Zeichnung schwer zu erkennen. Rechts sehen wir einen Menschen im Bett liegend. Einige Schritte vom Fußende des Bettes entfernt, steht ein hohes hölzernes Gestell, das ein Wassergefäß trägt. Aus diesem läuft über Nacht das Wasser ganz langsam in die darunter befindliche Schale e . Diese Schale sitzt an einem röhrenförmigen Hebel, der seinen Drehpunkt an dem hohen Gestell hat. Nahe an dem Fußende des Bettes erweitert sich der rohrförmige Hebel zu einem flachen Wassergefäß. Über diesem und dem Wassergefäß auf dem hohen Gestell, sowie auch über dem runden Wassergefäß am andern Ende des Hebels, liest man jedesmal das Wort „Wasser“, von Leonardos Hand geschrieben. Sobald das runde Wassergefäß sein Übergewicht bekommt, senkt es sich. Dadurch hebt sich das flache Wassergefäß ein wenig, und es schüttet seinen Inhalt [S. 126] schnell durch den rohrförmigen Hebel in das runde Wassergefäß. Wer sich mit dieser Weckvorrichtung zu Bett begibt, muß seine Füße abends in eine Schlinge legen, die an dem Hebel befestigt ist. Durch den Ruck, den das plötzlich ausstürzende Wasser erzeugt, wird der Schläfer wohl wach werden.
Diese Weckvorrichtung ist mehr originell als praktisch. Vom technischen Standpunkte aus ist sie aber sehr interessant, weil sie uns wohl zum ersten Male den Grundgedanken verrät, auf dem unsere sogenannten „mechanischen Relais“ oder „Krafteinschalter“ beruhen. Es sind dies Mechanismen, bei denen durch geringe Kraft eine leicht bewegliche Steuerung so umgeschaltet wird, daß jetzt eine große Kraft hinzukommt, die die eigentliche Bewegung ausführt.
Am 21. September des Jahres 1507 versuchte John Damian im Flug schneller über den Kanal zu kommen, als eine Gesandtschaft, die an diesem Tage [S. 127] von England nach Frankreich abreiste. Die Chronik berichtet darüber: „Zu diesem Zweck ließ er sich ein Paar Schwingen aus Federn herstellen, die er fest auf seinen Körper band, und flog von der Mauer des Stirling-Schlosses auf, stürzte aber sogleich zur Erde und brach sich ein Bein.“
Aber was bedeutet ein solches Mißgeschick, wenn man die richtige Entschuldigung dafür zu finden weiß. Der Chronist berichtet: „Die Ursache hierfür schrieb Damian dem Umstand zu, daß sich in den Schwingen einige Federn von Hennen befunden hätten. Diese strebten immer zum Miste, nicht aber zum Himmel hinauf.“
In dem herrlichen, urdeutschen Schauspiel von Goethe „Götz von Berlichingen“ ist eine der schönsten Szenen die, da Bruder Martin — unter dem Goethe sich den jungen Luther vorstellt — den Ritter erkennt.
Am Abend trifft Bruder Martin den Ritter vor einer Herberge; wie gern möchte er diesem Ritter gleichen, der so mannhaft spricht! Wenigstens seinen Namen möchte er wissen, aber Götz darf sich nicht zu erkennen geben, und er reicht dem frommen Bruder die Linke zum Abschied.
„Bin ich die ritterliche Rechte nicht wert?“
„Und wenn ihr der Kaiser wärt, Ihr müßtet mit dieser vorlieb nehmen. Meine Rechte, obgleich im Kriege nicht unbrauchbar, ist gegen den Druck der Liebe unempfindlich: sie ist eins mit ihrem Handschuh; Ihr seht, er ist von Eisen.“
„So seid ihr Götz von Berlichingen! Ich danke dir, Gott, daß du mich hast ihn sehen lassen, diesen Mann, den die Fürsten hassen, und zu dem die Bedrängten sich wenden! (er nimmt die rechte Hand). Laßt mir diese Hand, laßt mich sie küßen!........ Laßt mich! Du, mehr wert als Reliquienhand, durch die das heiligste Blut geflossen ist, totes Werkzeug, belebt durch des edelsten Geistes Vertrauen auf Gott..... Es war ein Mensch bei uns vor Jahr und Tag, der Euch besuchte, wie sie Euch abgeschossen ward vor Landshut. Wie er uns erzählte, was ihr littet, und wie sehr es Euch schmerzte, zu Eurem Beruf verstümmelt zu sein, und wie Euch einfiel, von einem gehört zu haben, der auch nur eine Hand hatte, und als tapferer Reitersmann doch noch lange diente — ich werde das nicht vergessen.“.......
Berlichingen hatte seine rechte Hand im Jahre 1504 vor Landshut durch einen Schuß aus einem Nürnbergischen Geschütz dadurch verloren, daß die Kugel den Schwertgriff entzweischlug, und ihm die Hälfte davon zwischen Hand und Arm eindrang. Viele Monate lag der Ritter in Landshut, gequält von dem Gedanken, daß er nun zum Kriegshandwerk dauernd untauglich sei. Da erinnerte er sich, von seinem Vater gehört zu haben, daß ein Kriegsknecht, namens Köchle, eine künstliche Hand getragen habe.
Vom Dorfschmied, der nahe der Burg des Ritters wohnte, ließ er sich eine Eisenhand anfertigen, die sich noch heute im Besitz seiner Familie befindet. Sie ist roh gearbeitet. Die vier Finger sind nur gemeinsam in ihrer gekrümmten Stellung nach innen hin beweglich, und während man sie bewegt, nähert sich [S. 129] ihnen der gekrümmte Daumen. So konnte Götz zwischen Daumen und Finger die Schwertscheide, die Zügel, oder sonst etwas einklemmen. Drückt man auf einen Knopf oben auf dem Handrücken, dann springen Finger und Daumen wieder auseinander. In späteren Jahren ließ Götz sich eine sorgfältig gearbeitete Eisenhand anfertigen, die gleichfalls noch erhalten ist. An ihr ist jedes einzelne Fingerglied verstellbar, und drei verschiedene Druckknöpfe lassen das Handgelenk, die Gelenke des Daumen und die Gelenke sämtlicher Finger wieder in Streckstellung springen.
Eiserne Hand, um 1450. Die eisernen, gekrümmt stehenden
Finger sind nur paarweis, der Daumen ist allein beweglich.
(Im Besitz des Gymnasium zu Neu-Ruppin.)
Sind die Eisenhände des Götz die bekanntesten, die ältesten sind sie bei weitem nicht.
Bereits der Urgroßvater des berüchtigten römischen Staatsmannes Catilina, der im zweiten punischen Krieg um 210 vor Christus die rechte Hand verloren hatte, ließ sich dafür eine eiserne anfertigen.
Die älteste wohlerhaltene Eisenhand habe ich hier abgebildet. Man fand sie im Jahre 1836 beim Brückenbau in Alt-Ruppin. Sie mag 50 bis 100 Jahre älter sein, als die Eisenhände des Götz.
In späteren Jahrhunderten wurden künstliche Hände für Kriegsbeschädigte häufig angefertigt. Auch mehrere fürstliche Personen, die im Kriege eine Hand verloren hatten, ließen sich mechanische Eisenhände anfertigen.
Als der berühmte österreichische Waffenschmied Girardoni im Jahre 1779 bei der Probe eines von ihm konstruierten Magazingewehres die Linke verloren hatte, fertigte er sich selbst eine so künstliche Eisenhand, mit der er an der Werkbank arbeiten konnte. Diese unglückliche Explosion veranlaßte ihn aber auch, das gefährliche Pulvermagazin aufzugeben, und ein Luftmagazin anzuwenden. So wurde er, wie wir noch hören werden, zum Erfinder der Kriegs-Windbüchse.
In früheren Zeiten muß man einer richtig gehenden Uhr im Kriege keine Bedeutung beigelegt haben; denn in der Kriegsliteratur ist nur sehr selten von Uhren die Rede, und nur ein einziges Mal fand ich eine Uhr für das Feld abgebildet.
Ums Jahr 360 vor Christus sagt der griechische Kriegsschriftsteller Ainaias, man verwende einfache Wassergefäße mit einer kleinen Ausflußöffnung, um im Felde die Zeit zu messen. Je nach der Jahreszeit verstopfte man die Öffnung mehr oder weniger durch Wachs, um bei kürzeren oder längeren Nächten eine gleichmäßige Einteilung der Nachtwachen zu erhalten. Die erwähnte Abbildung einer Wasseruhr für den [S. 131] Krieg fand ich in dem Buch von Valle aus dem Jahre 1521.
Ein Wassereimer hängt an einem Seil, an dessen anderem Ende 24 Gewichte übereinander angebracht sind. Je mehr Wasser aus dem Eimer abläuft, um so leichter wird er. Mithin würde er immer schneller nach oben steigen. Nun legt sich aber in jeder Stunde eines der Gewichte auf den Fußboden, und gleicht dadurch den Gewichtsverlust an Wasser aus. Mithin [S. 132] bewegt sich der Zeiger am Eimer gleichmäßig über die 24 Stundenzahlen. — Ob mit genügender Genauigkeit?
Mund- und Ziehharmonikas, im Felde heute die beliebtesten Musikinstrumente, sind Berliner Erfindungen. Sie wurden von Christian Friedrich Ludwig Buschmann erfunden, und zwar in den Jahren 1821 und 1822. Sie hießen damals Mund-Aeoline und Hand-Aeoline. Die Mundharmonika, auch Aura genannt, geht auf die deutschen Brummeisen des ausgehenden Mittelalters zurück. Das Brummeisen bestand aus einem eisernen Bügel, in dem eine Zunge schwingend angeordnet war. Blies man gegen diese Zunge, so entstand ein brummender Ton. Wie man den Geschützen im Mittelalter Namen gab, die man von ihrem Aussehen, oder ihrem Ton herleitete, so nannte man einzelne Geschütze auch Trummel, Maultrommel oder Brummerin. Diese Benennung leitet sich von den Brummeisen oder Maultrommeln her. Im Berliner Zeughaus liegt noch heute ein französisches Prachtgeschütz vom Jahre 1535, auf dem man ein solches Brummeisen bildlich dargestellt sieht. Ein ganz ähnliches Geschütz ist in das Arsenal von Woolwich gekommen, und dort noch vorhanden. In der Literatur erwähnt wird die Maultrommel wohl zuerst im Jahre 1658 von dem berühmten Pädagogen Comenius in seinem „Orbis pictus“ . Es ist also nicht richtig, daß man den Jesuiten Kircher als den Erfinder der Maul [S. 133] trommel bezeichnet. Er beschrieb sie nur im Jahre 1673.
Die Ziehharmonika von Buschmann war noch äußerst primitiv. Eine weite Verbreitung erlangten solche Instrumente seit 1829 durch den Wiener Klaviermacher Demian unter der Bezeichnung „Acordion“. Ursprünglich hatten die Instrumente fünf Tasten, die je einen Akkord zum Ansprechen brachten. Knöpfe an Stelle der Tasten führten Bichler und Klein 1834 ein. 1843 erfand Band in Krefeld die komplizierte Form der Ziehharmonika, das Bandonion.
Der Holzschnitt, den unsere Abbildung nach einem Original vom Jahr 1544 wiedergibt, knüpft an den Bericht alter Kriegsbaumeister, daß ein deutscher Mönch, genannt Berthold der Schwarze, der Erfinder der Schießpulvergeschütze sei, an. Neuere Forschungen haben ja auch ergeben, daß der schwarze Berthold ums Jahr 1380 irgendwo in Deutschland als wissenschaftlicher Reformator auf dem Gebiete der Artillerie tätig war. Aber noch Jahrhunderte lang waren die Chronisten und die Dichter dem Manne gram, der das „graußamn vnd erschröcklich püxengeschütz erfundten“ hatte. Man erklärte seine Erfindung als eine Einflüsterung des Teufels und fluchte ihr noch lange. Wir sehen deshalb auf dem Bildchen auch den Teufel als den Urheber der Erfindung, den Mönch nur als sein willenloses Werkzeug. Das Bildchen zeigt zwei [S. 134] getrennte Vorgänge nebeneinander: rechts den Teufel und den Mönch beim Pulvermachen, links die beiden an einer Kanone beschäftigt. Beim Pulvermachen führt ein häßlicher, fliegender Teufel den Stössel mit seinem Maul. Am Geschütz umarmt ein Teufel liebevoll den Mönch, der beim Laden ist. Im Vordergrunde sitzt ein häßliches Tier, wie ein Dudelsack anzusehen, das mit seinem Rüssel Schießpulver aus einer Schüssel frißt. Es soll auf die unheimlichen Töne hindeuten, die das anscheinend harmlose Pulver zu geben vermag.
In einem dem Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen ums Jahr 1620 gewidmeten Manuskript wird ein dreiläufiges, aus Holz anzufertigendes Geschütz dargestellt. Es sei „ein sonderbahren hultzern Hagell Geschütz, Welches denn Hagell sehr weit von sich wirfft undt solches eine geraume Zeit treibt, wirdt in Sturmes nöthen sehr nützlichen von den Defensoren gebraucht“.
Ob hölzerne Geschütze wirklich, wenn man solche auch in der höchsten Not der Belagerung angefertigt hatte, einen praktischen Wert hatten, bleibt zweifelhaft. Eine starke Pulverladung durfte man ihnen nicht zumuten. Angeblich wurden schon im Jahre 1544 hölzerne Geschütze von den Engländern bei der Belagerung von Boulogne gebraucht. Wenigstens zeigte man solche Geschützrohre in London, bis sie dort im Jahre 1841 beim Brand des Towers vernichtet wurden.
Bei der Anlage von Befestigungswerken bediente man sich schon längst nach Möglichkeit der Maschinen. Ja, wenn der Maschinenbau von irgend einer Seite her ständig befruchtet wurde, so geschah es aus den Bedürfnissen des Krieges. Wenn es gilt, Haus und Hof zu schützen, die Selbständigkeit einer Stadt, eines Volkes zu wahren, dann kommt es weder auf die Kosten noch auf die Innehaltung althergebrachter Regeln an. [S. 137] Und die Kostenfrage, noch weit mehr aber die aus dem Innungs- und Zunftwesen herausgewachsenen Regelungen der Technik, wirkten stets hemmend. Für Erfinder war es ehemals schwer, ein Feld der freien Entfaltung zu finden.
War aber die Heimat bedroht, galt es den Feind niederzuringen, dann fragte man nicht nach Innungswesen und Zunftregeln. Dann durfte der Rotschmied auch einmal gehämmertes Messing verarbeiten, während er sonst nur gegossene Ware behandeln und verkaufen konnte, und der Messingschlager durfte seine [S. 138] gehämmerte Ware sogleich blank schaben, ohne vom Nachbarn, dem Meister Messingschaber, sogleich beim Rat verklagt zu werden.
Eine sehr interessante Maschine — eine der zahllosen, die beim Festungsbau zur Entwässerung, Gründung, Erdanschüttung in Gebrauch waren — zeigt uns der Ingenieur Besson in einem ums Jahr 1565 geschriebenen, häufig herausgegebenen und auch (wie die meisten ähnlichen Werke jener Jahrhunderte) in deutscher Sprache erschienenen Buch.
Wir sehen von Künstlerhand gestochen, einen Festungsbau. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß man diese Maschine damals praktisch anwendete, sonst hätte man nicht einen namhaften Künstler der damaligen Zeit herangezogen, um sie zu verewigen. Es soll der Zwischenraum im Mauerwerk einer Festung mit Erde ausgefüllt werden. Nach außen hin die starke Mauer, nach innen hin eine schwache Mauer, dazwischen Erdreich. Mittelst einer Eimerkette wird die Erde nach oben befördert. Man läßt diesen Eimerkettenbagger aber noch nicht selbst schöpfen, sondern füllt die Eimer unten mittelst Schaufeln. Der Antrieb erfolgt durch ein Schneckenrad.
Die Eimerkettenbagger wurden im Jahre 1753 wieder erfunden, aber erst im Jahre 1859 kamen sie in die Praxis.
Vergleichen wir einmal die beiden voraufgehenden Bilder. Beide zwei Kettenbagger mit Eimern. [S. 139] Beide Maschinen beim Festungsbau, die Menschen an beiden Baggern in gleicher Zahl und Stellung, und auch die technischen Einzelheiten fast völlig übereinstimmend. Es fällt uns zunächst nur auf, daß auf dem zweiten Bild Chinesen und chinesische Schriftzeichen zu sehen sind.
Nun hat wohl jeder schon einmal von dem „uralten chinesischen Lexikon“ gehört, das, aus vielen hundert Bänden bestehend, eine unausschöpfliche Quelle menschlicher Weisheit sein soll. Man weiß auch, daß chinesische Kaiser und Weisen schon vor Jahrtausenden alle möglichen wichtigen Erfindungen, so etwa den Pflug, das Papier, den Kompaß und ähnliches erfunden haben sollen.
In dem großen chinesischen Wörterbuch, das auch in mehreren Exemplaren in Deutschland vorhanden ist und aus über 1600 Bänden besteht, findet sich die hier abgebildete Baggermaschine und noch eine Menge anderer geistreicher Apparate abgebildet und beschrieben.
Man kann also wohl daraus schließen: die Chinesen sind die Erfinder aller dieser Maschinen. Man hat diesen Schluß auch genügend oft und genügend laut getan. Es gibt ja bei uns immer noch Leute, die alles, was „von fremd her“ kommt, bis über die Puppen loben.
Und die Wahrheit: fast alle Maschinen in dem großen chinesischen Wörterbuch sind aus europäischen Werken abgezeichnet, zum größten Teil sogar falsch nachgezeichnet und — das ist am wichtigsten — das riesige chinesische Wörterbuch ist erst im Jahre 1726 gedruckt!
Nix uralt!
Die Erklärung ist ziemlich einfach. Europäische Missionare brachten unter anderen Wissenschaften auch die Bücher über Maschinenbau mit nach China, dort wurden sie ins chinesische übersetzt, und diese chinesischen Bücher alsdann zur Bearbeitung des großen Wörterbuches mitbenutzt. Fast alle europäischen Schriftsteller über Maschinenbau, die vor dem Jahre 1700 arbeiteten, sind in dem chinesischen Riesenwerk wiederzufinden.
An technischen Einzelheiten verraten die Chinesen übrigens ihre Unkenntnis. So kann man an der Baggerkette leicht verfolgen, daß mehrere Einzelheiten sinnlos verzeichnet sind. Es fehlen z. B. oben und unten die Walzen, über die die Baggerkette geht. Es fehlt insbesondere das Schraubenrad, durch das ein einzelner Mann imstande ist, die schwere Last von acht bis 12 gefüllten Eimern zu heben. Besonders spaßhaft ist es zu sehen, was man aus dem unten links stehenden Manne machte, der die Hacke schwingt, um das Erdreich zu lockern. Er wird in China zu einem Kerl, der mittelst eines Hakens gewaltig an der Baggerkette zieht.
Das eine Beispiel mag hier genügen. Es ließen sich hunderte von andern und ähnlichen Maschinen beibringen. Wären die Maschinen in China uralt, so müßten sie sich auch in älteren chinesischen Werken finden. Das ist aber nicht der Fall; denn in dem großen chinesischen Lexikon vom Jahre 1629 ist keine Spur von ihnen zu finden, obwohl auch dort einige primitive Maschinen beschrieben und abgebildet werden. [S. 141] In jener Zeit waren die europäischen Missionen in China noch nicht bei Hofe seßhaft.
läßt Wagner seinen Hans Sachs in den „Meistersingern“ strengverweisend sprechen, als der junge Stolzing den Wert des Alten, wenn auch Veralterten, nicht anerkennen will.
Suchen wir unter der Oberfläche der Geschichte, so findet sich gar manches, was uns in Staunen setzt, weil es eine entwickelte Technik „alter“ Zeiten in kleinen Einzelheiten hervorlugen läßt.
Ist da im Münchner Kupferstichkabinett ein kleines Bild von etwa 1579, wie wir es hier sehen. Vor dem abgesperrten Platz stehen links die Zuschauer, innerhalb des Zaunes hohe Herren als Schützen. Zwischen zwei kleinen Häusern, die die Gewehre enthalten, steht der überdeckte Schützenstand. Man schießt gegen eine Reiterscheibe, die auf einer Schiene hin- und herläuft. Vermutlich wird die Scheibe mittels eines Seiles, das in einem Graben liegt, bewegt. An der Schutzmauer hinter der Scheibe sieht man die Spuren der fehlgegangenen Schüsse. Rechts im Hintergrund spielt die Musik und von dem dort stehenden Anzeigestand aus läuft eine „gloggen schnur“ nach dem Stand der [S. 143] Schützen, um mittels einer Glocke Zeichen geben zu können.
Also: ein Schießstand mit beweglicher Scheibe und tele„phonischer“ Verbindung vor 300 Jahren.
In Parkanlagen sieht man öfters inmitten eines freien Rasenplatzes eine kleine Kanone, auf einer Säule stehen, die jeden Mittag 12 Uhr — astronomischer Zeit — selbsttätig einen Schuß abgibt. Zufällig stieß ich auf eine Stelle, die das hohe Alter dieses seltsamen Zeitsignals erkennen läßt.
Samuel Zimmermann, ein Augsburger Kriegsbaumeister, schrieb ein Buch mit dem Titel: „Dialogus oder Gespräch zweier Personen, nämlich eines Büchsenmeisters mit einem Feuerwerkkünstler.“ Die Handschrift ist vom Jahre 1573 datiert und in mehreren zeitgenössischen Abschriften verbreitet. Eine dieser Abschriften, datiert 1577, besitzt das Berliner Zeughaus. Nachdem der Verfasser von der Anlage der Sonnenuhren gesprochen hat, sagt er: „Also auf diese Weise kann man auch wohl ein Büchsengeschoß legen, daß wie gemelt (= gemeldet), durch der Sonne Schein und Wiederschein auff eine gewisse Stunde vnd Zeit ab und los ginge, dardurch also leichtlich und balt erschossen...“
Der Büchsenmeister, der in diesem Dialog immer Fragen an den Feuerwerker stellt, fragt hier: „Welche Stunden im Tage oder Zeit soll ich erwehlen, darin die Sonne zum allerkräfftigsten und stercksten scheint?“ Dar [S. 144] auf antwortet der Feuerwerker: „Alle Wege umb den Mittag auff 12 Uhr oder zwischen 12 vnd 1 Vhr ist der Sonnen Hitze vnd Schein am kräftigsten, bis Mittag nimbt die Sonne zu von Stundt zu Stundt, Nachmittag aber nimbt sie ab an Hitze vnd Schein mit Wiederschein, von Stundt zu Stundt, biß zu ihrem Untergang. Die Zeit aber im Jahre zu erwehlen, seindt 3 Monat, nemblichen Junius, Julius, Augustus, in welchen dreyen Monden der Sonnen Hitze vnd Schein am krefftigsten ist.“
Zimmermann verwendet „ein metallisch oder cristallischen Spiegell“, um die Sonnenstrahlen auf die Pulverpfanne der kleinen Kanone zu lenken. Wann derartige Kanonenuhren in der Gartenbaukunst Eingang fanden, konnte ich nicht ermitteln. Es erscheint mir sehr auffallend, daß dies hübsche Schaustück schon über 300 Jahre alt ist.
Denn bekannt gemacht wurden diese Kanonenuhren erst ums Jahr 1798, und in unseren Museen sind sie überaus selten. Die hier abgebildete Uhr soll aus Moskau stammen, ist wohl aber deutschen Ursprungs. Sie befindet sich im Mathematisch-physikalischen Salon zu Dresden.
Vor wenigen Jahren erregte die Konstruktion eines Automobils großes Aufsehen, mit dem man ohne weiteres vom Land in einen Fluß oder einen See hineinfahren konnte, um am gegengesetzten Ufer mit dem Wagen wieder auf dem Trockenen weiterzufahren. Die Idee zu einem solchen amphibischen Fahrzeug ist schon über dreihundert Jahre alt. Wir sehen hier den Entwurf des Ingenieurs Ramelli, der seine Wagen, die [S. 146] zu Lande allerdings von Pferden gezogen wurden, im Wasser mittels großer Schaufelräder weiterbewegt. Solche Fahrzeuge dienen, wie wir sehen, zum Angriff gegen Festungen.
Ganz vereinzelt kommen Patronen schon vor über 300 Jahren vor. In den Dresdner Sammlungen haben sich Patronen erhalten, die von der Leibwache des Kurfürsten Christian I. stammen. Im dreißigjährigen Kriege hatten die Soldaten von Gustav Adolf stets einige Gewehrpatronen für den Notfall bei sich. Allgemeiner wurde die Patrone erst in späterer Zeit mit der Einführung der Hinterladegewehre.
Jüngst sind alle mögliche Leute aufgetreten, von denen jeder „der allein echte“ Erfinder der transportablen Feldküche sein wollte. Daß man tragbare Feldküchen schon vor Jahrhunderten kannte, zeigt unser Bild. Das Tragtier sollte auf jeder Seite eine Holzkiste tragen, in die ein metallener Kasten eingesetzt war. [S. 147] Auf einem Rost kochten in dem Kasten die Speisen während des Marsches. Der Holzkasten schützte vor Wärmeverlusten.
Im Jahre 1798 wurde eine auf Rädern mitgeführte Feldküche bekannt gemacht, die das Essen für 1200 Mann während des Marsches kochte. In Bayern führte man 1806 fahrbare Feldküchen für 1000 Mann versuchsweise ein, und im Jahre 1869 bemühte sich ein Breslauer Erfinder, eine gleiche Feldküche an den Staat zu verkaufen.
Der Krieg versteht es immer sich die neuesten Neuheiten zu Nutzen zu machen, und ihnen so eine Ver [S. 148] breitung zu verschaffen, die sie bei der Gleichgültigkeit des Volkes sonst vielleicht nie, oder erst recht spät erreichen würde.
Zum Beispiel: Als die Gelehrten vor genau 250 Jahren dünn gesägte Graphitstäbe beschrieben, die man in eine gedrechselte Holzhülse einfaßte, so wie wir es in unserer Abbildung sehen, blieben diese Schreibstifte ein Kuriosum.
Als aber im Jahre 1595 Graf Johann der Jüngere von Nassau seine Vorschriften für die Ausrüstung der Reiter niederschrieb, empfahl er, diese „Federn von spanischem Blei“ nicht zu vergessen, weil sie dem Reiter zum Aufschreiben von Nachrichten weit dienlicher wären, als Tinte und Federkiel.
Im Gebirgskrieg, zumal im Kolonialkrieg, wenn die Sonne heiß und dauernd aus wolkenlosem Himmel niederstrahlt, spielt der Heliograph eine Rolle. Man fängt die Sonnenstrahlen in einem kleinen Spiegel auf, um sie so auf weite Entfernungen zum befreundeten Posten zu lenken. Der Spiegel ist beweglich, sodaß man mittels solcher Strahlenbündel längere und kürzere Zeichen geben kann, die sich zu einem telegraphischen Alphabeth vereinigen. Ehe diese Sonnentelegra [S. 149] phen aufkamen, hören wir aus der Geschichte, daß man mittels der Mondstrahlen einmal auf gleiche Weise telegraphiert habe. In einem Bericht über die Eroberung der ungarischen Festung Raab am 26. März 1598 heißt es, daß Kaiser Rudolph über diesen Erfolg schon genau unterrichtet war, als der Oberbefehlshaber ihm den Sieg durch einen Kurier mitteilen ließ. Der Kurier war hierüber sehr bestürzt, da „hat ihm Ihr Majest. vermelt, sie wissens durch eine Kunst.... mit zwei Spiegeln... damit man von vil Meil einander in Monschein zaichen geben kan.“ Der eine dieser Spiegel sei beim Oberkommando, der andere im kaiserlichen Lager gewesen.
Was an dieser Geschichte wahres ist, läßt sich nicht mehr nachprüfen. Die Idee der Telegraphie mit Himmelslicht ist zweifellos hier ausgesprochen.
Vor mehr als dreihundert Jahren kam jemand auf die sonderbare Idee, das Tellereisen nicht nur auf der Jagd, sondern auch im Kriege zum Menschenfangen zu verwenden. Es hatte sich damals in Festungskriegen eine besondere Art von Geschossen, die sogenannte Petarde, bewährt. Diese Petarden bestanden aus starken, eisernen Gefäßen, die man mittels eines Ringes an ein Festungstor hing, um dieses aufzusprengen. Die Erfindung geschah um 1575 in Frankreich, und ihre erste Anwendung versuchte man zur Breschierung des Tores von Ambert im Jahre 1577. Deutschland lernte die Petarde am 23. Dezember 1587 am Rheintor [S. 150] von Bonn kennen. Hatte sich ein Soldat mit einer Petarde bei Nacht und Nebel an eines der Stadttore geschlichen, so gab es für das Tor kaum noch eine Rettung. Nach wenigen Minuten war die Zündschnur abgebrannt, und die Pulverladung der Petarde hatte in das Holz des Tores Bresche gelegt. — Boillot sagt 1598 zu dem obenstehenden Kupferstich, diese Erfindung könne an vielen Orten dienlich sein, um die „Petardierer und andere vorhaben zu verhindern auch solche, die dergleichen understünden umzubringen oder zu beschedigen“. Man soll das Instrument vor einem Tor aufrichten, anhängen oder flach niederlegen. Wer es [S. 151] in der Mitte berühre, werde „beschädiget, auch der gestalt gefesselt und angehalten werden, daß jhme unmüglich, sich darvon zu entledigen“. Aus der nun folgenden Beschreibung möchte man entnehmen, daß die Tellereisen damals noch nicht allgemein bekannt waren, denn der Verfasser beschreibt das Instrument in allen seinen Teilen äußerst umständlich. — Vielleicht regen diese Zeilen dazu an, dem Ursprung des Tellereisens weiter nachzugehen.
An Geschützen und Gewehren ist das Zielfernrohr heute eine alltägliche Zugabe geworden. Es wird deshalb interessieren, etwas über das hohe Alter der Instrumente zu erfahren. Vor der Erfindung der Fernrohre — sie sind wahrscheinlich nicht in Holland im Jahre 1608, sondern in Italien vor dem Jahre 1590 erfunden worden — benutzte man zum Distanzmessen zwei im Winkel zu einander bewegliche Maßstäbe mit zwischengeschobenem Sinusmaßstab. Man maß die Entfernung also nach den Regeln der Trigonometrie, indem man sich zwischen Geschütz und Ziel ein rechtwinkliges Dreieck konstruierte. Die Verbindungslinie zwischen Ziel und Geschütz, also die gesuchte Entfernung, war die eine Kathete des Dreiecks, zugleich dessen Höhe. Der rechte Winkel lag beim Geschütz. Die Basis des Dreiecks war der eine Maßstab. Die Hypotenuse wurde von der Basis aus durch den zweiten Maßstab auf das Ziel hin visiert und nun durch [S. 152] den Sinusmaßstab dieser Basiswinkel gemessen. Da man jetzt die Länge der Basis und die beiden Winkel an der Basis kannte, mußte die an dem Sinusmaßstab abgelesene Entfernung der Länge der zweiten Kathete, d. h. der Zielentfernung entsprechen.
Im Jahre 1608 erschien von Leonhard Zubler, einem Züricher Büchsenmeister, eine damals hochgeschätzte Schrift, welche die Verwendung eines solchen Distanzmessers erläuterte. Der Titel der Schrift lautet: „Newe Geometrische Büchsenmeisterey, d. i. Grundlicher Bericht, wie man durch ein new Geometrisch Instrument mit sonderer Behendigkeit jedes Geschütz nit allein richten, sondern zugleich auch desselben Höhe und Weite messen soll.“ Tatsächlich sind mit dieser Ankündigung die Aufgaben, welche Zubler seinem Instrument stellt, noch keineswegs erschöpft. Es soll nämlich nicht nur zum Richten und Justieren des Geschützes, sondern auch zum Distanzmessen, zum Höhenmessen und Terrainaufnehmen dienen. Von den Gewohnheiten der Büchsenmeister, all ihr Wissen geheimnisvoll zu gestalten, konnte sich Zubler auch noch nicht frei machen, deshalb bleibt vieles in seiner Schrift dunkel. Vielleicht kam es aber auch dem Mann darauf an, durch seine Schrift die Fachgenossen aufzufordern, seine persönliche Unterweisung zu suchen, um das Nähere über die Verwendung des Instrumentes zu erfahren.
Der erste, der von der Anwendung eines Fernrohres zum Distanzmesser spricht, ist der um die Kriegswissenschaften hochverdiente Philosoph Leibniz. Er sagt im Jahre 1670 in einem an Spinoza gerichteten Brief, er habe eine neue Form der Linse eines Fernrohres er [S. 153] dacht, welche zugleich als Distanzmesser dienen könne. Leider gibt er die Konstruktion nicht an.
Der Italiener Porta hatte 1589 in seinem weit verbreiteten Buch über natürliche Magie Anregungen zur optischen Telegraphie gegeben. Der aus Wetzlar stammende Maler Franz Keßler unternahm daraufhin Versuche und legte deren Ergebnis in einer heute außerordentlich seltenen Schrift „Secreta, Oder Ver [S. 154] borgene geheime Künste“ nieder, die 1616 in Oppenheim erschien. Wir sehen aus dem Bilde, daß eine telegraphische Verbindung zwischen Napfort und Eckhausen geplant ist, um „durch die freie Luft hindurch, über Wasser und Land von sichtbaren zu sichtbaren Orten, alle Heimlichkeiten zu offenbaren und in kurzer Zeit zu erkennen“. Auf beiden Stationen befinden sich brennende Feuertonnen. Sobald der Beamte Hans auf der Station Napfort an einem Strick zieht, wird sein Feuer dem Beamten Peter in Eckhausen sichtbar. Aus der Anzahl der auf diese Weise zustande gekommenen Signalblitze läßt sich das telegraphierte Wort von einer neben der Feuertonne liegenden Tafel ablesen.
Keßler zeigt in seinem Buch auch, wie sich ein Jäger durch aufgeblasene Schwimmhosen über Wasser erhalten und durch Klappruder an den Füßen im Wasser fortbewegen soll. Bleischuhe verhindern das Umschlagen im Wasser.
Boillot gibt im Jahre 1598 an, wie man dem Feind mit List Koffer, Fässer oder Körbe mit Eiern auf den Weg stellen soll. Wer an diesen Beutestücken die Stricke löst, oder den Kranz aus den Eiern herauszieht, löst dadurch Radschlösser aus, die eine verborgene Pulverladung zur Explosion bringen. Wir [S. 156] sehen, daß unter den Eiern scharfe Eisenstücke verborgen liegen, die den Feind schwer beschädigen müssen.
Dem gesuchten, und in Kriegszeiten geplagten Pulvermacher, der sein gefährliches Gewerbe je nach [S. 157] Bedarf und Bezahlung bald in dieser Stadt, bald bei jenem Landesherrn ausübte, seine Arbeit zu erleichtern, trachtete der Urheber unseres kleinen Bildes.
Es war ein kenntnisreicher Ingenieur, namens Branca, der im Jahre 1629 ein Buch über vielerlei neuartige Maschinen herausgab. Hier plant er, das [S. 158] Stampfwerk eines Pulvermachers durch Dampfkraft zu betreiben.
In einer üblichen Perspektive wird gezeigt, wie mehrere Zahnräder die Bewegung eines großen Dampfrades immer mehr verlangsamen und endlich eine Walze drehen, an der zwei Stifte die Stampfer emporheben. Gegen die Zellen des Dampfrades bläst ein Strahl aus einem lächerlich klein gezeichneten Dampfkessel. Um dies Blasen dem Laien verständlich zu machen, hat der Dampfdom die Gestalt eines blasenden menschlichen Kopfes. Oben auf dem Schädel sehen wir die Verschraubung zum Einfüllen des Wassers. Der Dampfkessel ruht etwas primitiv auf einer dreibeinigen Pfanne, aus der die Flammen an den Kesselwandungen emporzüngeln.
Welch langer und mühseliger Weg, zwischen diesem Dampfrad und unsern heutigen, ähnlichen Dampfturbinen, die uns unsere Kriegsschiffe treiben!
Damit die Geschütze „erstlich nicht so viel kosten, zum andern, daß solche leicht fortzubringen“ erfand der kaiserliche Oberst von Wurmbrand im Jahre 1625 leichte Kartätschengeschütze aus dünnen Kupferrohren, die mit Tauen umwickelt und mit Leder umhüllt waren. Da Wurmbrand später zu den Schweden überging wurden diese ledernen Kanonen Gustav Adolph bekannt und durch ihn während des dreißigjährigen Kriegs berühmt. „Sie sind aber durch die Hern schweden selbst bald verworffen, weil sie in wenig Schüssen zer [S. 159] sprungen und zunichte worden.“ Die Abschaffung geschah bei den Schweden bereits im Jahre 1631, und zwar hauptsächlich deshalb, weil das dünne Kupferrohr sich stark erhitzte und dadurch leicht eine Selbstentzündung der Ladung herbeiführte.
In Preußen wurden im Jahre 1627 vorübergehend Ledergeschütze benutzt. Zwei Jahre später erfand der Leutnant Wolff Müller in Chemnitz ein Ledergeschütz, von der der Kurfürst von Sachsen zwei Stück anfertigen ließ. Nach einer Aufzeichnung des Dresdener Zeughauses müssen die damit angestellten Versuche aber ungünstig verlaufen sein.
Im nächsten Jahre, 1630, „hat ein Geistlicher in Antorf ein einpfündiges Geschütz aus einer Kupferröhre gefertigt, die mit eisernen Platten belegt, durch Ringe zusammengehalten und mit Hanf umwickelt“ wurde und einen Anstrich von Tischlerleim erhielt.
Das Berliner Zeughaus besitzt gegenwärtig fünf Ledergeschütze aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Eins stammt aus Stettin, ein anderes aus Stralsund; die Herkunft der übrigen läßt sich nicht mehr feststellen. Die Länge der Rohre schwankt zwischen 121 und 216 cm , das Kaliber zwischen 3,5 und 6,1 cm . Zwei dieser Geschütze haben statt der kupfernen Innenrohre sogar Lederkernrohre. Eins ist sogar ohne jedes Metall gebaut, und vollständig elastisch. Was man mit einer solchen biegsamen Kanone bezweckt hat, läßt sich nicht erkennen. Es ist nur anzunehmen, daß in den Wirren des dreißigjährigen Krieges manches Mal Geschütze aus dem ersten Material gebaut wurden, was zur Hand war. Not kennt kein Gebot.
Im heutigen Stellungskrieg spielt der alte Wallgucker wieder eine große Rolle als — neue Erfindung.
Der berühmte Danziger Astronom Hevelius gab im Jahre 1637 ein Instrument an, das er „Polemoskop“ oder Wallgucker nannte. Es bestand, wie heute, aus einer Röhre, an der oben und unten je ein Spiegel saß. Hob man die Röhre mit ihrem einen Ende über den Rand des Walles, so konnte man, ohne den Kopf herausstecken zu müssen, im Spiegel am untern Ende alles sehen, was vor dem Wall geschah.
Aber nicht nur, daß dieses heute wieder so beliebte Instrument schon Jahrhunderte alt ist, interessiert uns als Kuriosität, noch mehr, daß aus diesem ehemals das „Opernglas“ hervorging.
Im Jahre 1755 beschrieb nämlich der Mathematiker Kästner den alten Wallgucker unter der Bezeichnung „Operngucker“. Man sollte sich des Instrumentes im Theater bedienen, um von seinem Platze aus, ohne sich zu regen, rings Umschau halten zu können. Das Rohr war sehr kurz gebaut. Man hielt das Ganze in der Hand verborgen vor ein Auge und konnte nun, indem man das Rohr langsam drehte, unter sich, nach links, nach oben und nach rechts in die Logen schauen. Kein Mensch wußte, wohin man sah, weil es den Anschein hatte, als sehe man geradeaus auf die Bühne; bei den Damen waren diese Gläser damals bald beliebt.
Unser heutiges Opernglas — aus dem später der Feldstecher hervorging, entstand aus der Vereinigung zweier Fernrohre. Man versuchte solche Instrumente [S. 161] schon im Jahre 1609 zu bauen, doch führten sie sich erst 1823 unter dem Namen „Doppel-Theater-Perspektive“ ein.
Wir hörten schon, daß die Eingeborenen der Insel Borneo auf ihren Blasrohren Lanzenspitzen als Bajonette anbringen. Seit wann sie dies tun, wissen wir nicht. Es ist aber anzunehmen, daß sie einmal das europäische Bajonett kennen lernten und es nachahmten.
Wir wissen auch nicht, wo das Bajonett bei uns aufgekommen ist. Daß seine Einführung oder gar Erfindung ums Jahr 1643 in der französischen Stadt Bayonne geschah, läßt sich durch nichts beweisen. Die ältesten erhaltenen Bajonette besitzt das Zeughaus der Burg Schwarzburg an der Schwarza. Die Länge der Messer schwankt zwischen 22 und 32 cm . Ein eiserner Ring hält die oben abgebildete Waffe über dem Gewehrlauf fest. Diese Bajonette stammen mindestens aus der Zeit, in der sie in Bayonne erfunden sein sollen.
Sicher bekannt ist nur, daß die Franzosen das Bajonett bei ihren Kämpfen in den Niederlanden im Jahre 1647 benutzten und dadurch die Waffe bekannt wurde.
Als der Hohentwiel, die herrliche Burg im Hegau, 1641 lange belagert wurde, kamen die Belagerten auf den Einfall, sich eine Maschine zu erbauen, die bei jedem Wind gehen mußte. Wir erkennen deutlich rechts neben der Windmühle das riesige, dicht auf einem Turm liegende Rad dieser Windturbine, deren Kraft den Belagerten das Wasser pumpen und Getreide mahlen konnte.
Das Gewehr galt sowohl im Kampf, als auf der Jagd in der ersten Zeit nicht als eine Herrenwaffe. Nur langsam gab der Ritter Lanze, Streitaxt und Schwert als erste Angriffswaffe auf. Als die Gewehre zu treffsicheren, gefährlichen Waffen geworden waren, versteckten findige Waffenschmiede sie gern in Prunkwaffen für hohe Herrn. So sehen wir hier einen Barten von sorgsamer Metallarbeit, der in seinem Schaft ein Feuerrohr birgt. Der Mechanismus des Feuersteinschlosses ist in einem Wulst untergebracht.
Der Tabak wurde in Mitteleuropa durch den dreißigjährigen Krieg erst allgemeiner verbreitert. Kein Wunder, daß man diese „Unsitte“ nach dem Krieg auszurotten versuchte. Aus einem in ABC-Form ver [S. 164] faßten Flugblatt gegen den Tabak, das im Jahre 1652, also vier Jahre nach jenem verhängnisvoll langen Krieg erschien, sei hier einiges mitsamt den Bildern mitgeteilt. Zunächst wird das Kraut schlecht gemacht, „weil es von wilden Leuten kömmt“; denn es „pflegt toll und voll und wilde Leut zu machen“. Dann wird bei jedem Buchstaben etwas gegen den Tabak vorgebracht.
Bei C heißt es zu unserm ersten Bild:
Beim Buchstaben D lesen wir:
Beim E heißt es:
Und beim F steht:
Der große Philosoph und Staatsmann Leibniz hat sich viel mit der Technik befaßt. Wir besitzen von ihm z. B. in Hannover noch eine großartige Rechenmaschine, die ihren Verfertiger fast ein ganzes Vermögen gekostet [S. 167] hat. Leibniz war auch an der Erfindung der Dampfmaschine beteiligt, und besonders rührt die selbsttätige Öffnung und Schließung der Ventilhähne von ihm her. Auch die Heißluftmaschine ist seine Erfindung. Ferner sprach er zuerst die Idee des Aneroidbarometers aus.
1714 weist er auf die Vorteile leichter Metallpontons an Stelle der schweren hölzernen Kähne zum Brückenbau hin. Gleichfalls konstruierte er einen Distanzmesser.
Im Jahre 1670 suchte Leibniz geschichtlich nachzuweisen, daß Alexander der Große, Hannibal und Gustav Adolf ihre Erfolge im wesentlichen dem Waffenwesen zu verdanken gehabt hätten. Von den Bomben sagt er damals: „Wenn der erste Erfinder die Sache einem einzigen Fürsten mitgeteilt, und dieser sein Geheimnis so wohl gewahrt hätte, wie die Chinesen das ihrige beim Porzellan, so hätte er leichtlich Herr der ganzen Welt werden können.“ An Stelle des Söldnerwesens wies Leibniz bereits energisch auf die Notwendigkeit eines stehenden deutschen Heeres hin, an dessen Seite außerdem noch eine Art Landwehr zu bilden sei. An Stelle der Piken, von deren Unbrauchbarkeit er überzeugt war, sollte das Bajonett treten.
Besonderen Wert legte Leibniz auf eine sichere Schußwaffe. Es seien deshalb vor allen Dingen die Luntenschloßgewehre abzuschaffen und an deren Stelle die Batterieschloßgewehre einzuführen, damit die Truppe stets feuerbereit sei. Vom Radschloß hält er nicht viel, und er regte darum den Gedanken an, auf irgend eine andere Art ein „lebendiges Feuer“ im [S. 168] Gewehr zu verbergen, damit man daraus jederzeit zünden könne.
Verschluß eines Hinterladegewehrs von 1658.
Links der Lauf, rechts der Kolbenteil mit dem Schloß und der Kammer.
Der Lauf wird mit einer halben Drehung auf das
unterbrochene Gewinde aufgesetzt.
Besonders auffallend ist folgende Stellung aus den Leibnizschen „Gedanken der teutschen Kriegsverfassung“ (1670), wo der Philosoph von Hinterlade- und Reptiergewehren spricht: „Neue Art sehr guter, beständiger und in allem mehr vorteilhafter Feuerrohre, als die man bisher gebraucht; nämlich man soll die Rohre von hinten laden, par la culasse , dergestalt, daß man nicht anders vonnöthen habe, als hinten ein Gewerbe (-Wirbel, der sich in einem Gelenk dreht) aufzuthun, die Kammer hineinzuschieben und dann vermittelst einer Feder wieder zuschnappen lassen; welches mit großer Geschwindigkeit geschieht. Der Schuß ist unvergleichlich schärfer und gerader, die Ladung (Ladeweise) auch geschwinder als auf die gemeine Weise, und hat man dann keine Stopfens und Pfropfens vonnöthen, aus dessen Ermangelung sonst doch oft der Schuß ganz matt ist. — Solches Gewehr würde [S. 169] zwar noch eins soviel als das gemeine kosten, hingegen gut und beständig sein und wohl zehnmal soviel Nutzen bringen.
Gewehr, daraus man oft ohne neue Ladung mit Pulver schießen kann, ist zum gemeinen Gebrauch nicht bequem, dieweil alles darin gar zu nett auf einander passen muß, sonst ist Gefahr dabei. Man könnte aber an dessen Statt mit Wind ohne neue Ladung zum öfteren schießen; und weil die Windbüchsen nicht leicht zu laden, solche hernach mit einem Schuß Pulver wieder spannen.“
Ferner hebt Leibniz den großen Nutzen tüchtiger Waffenschmiede hervor. Auch mit der Stückgießerei und mit gegossenen eisernen Geschützen befaßt er sich. Endlich macht er Vorschläge zu Brandsätzen und Höllenmaschinen und gibt einige Regeln der Ballistik und des Wurffeuers.
Leibniz ist auch der erste, der daran dachte, die Truppen während langer Märsche oder anderer großer Anstrengungen durch Verpflegung mit Konserven dauernd bei ausreichenden Kräften zu erhalten. Die besten Mittel hierzu beschreibt Leibniz in einer in Hannover aufbewahrten Handschrift, die als „Utrechter Denkschriften“ bezeichnet ist. Seine Konserven nennt er „Kraft-Compositiones“.
Aber schon in früheren Jahren, um 1680, hatte Leibniz mit dem Erfinder der Dampfmaschine, dem Marburger Professor Papin, über das Einkochen der [S. 170] Konserven korrespondiert. Papin hatte sich seit der Erfindung seines verschließbaren Dampfkochtopfes mit dem Einkochen von Fleisch und Gemüse beschäftigt. Auf Grund dieser Erfahrungen konnte er Leibniz mitteilen, daß er die zum Einmachen verwendeten Gefäße mit schwefeliger Säure behandele, das Einlegen der Konserven im luftleeren Raume vornehme und den Deckel mit Kitt abdichte.
Leider wurden diese Vorschläge damals nicht berücksichtigt. Erst im Jahre 1807 machte die französische Marine Versuche mit konservierter Fleischbrühe, konserviertem Fleisch und Gemüsekonserven.
Ein „Extract aus Fleisch, dessen Composition mir bekannt ist“ wird gleichfalls von Leibniz ums Jahr 1714 in den Utrechter Denkschriften erwähnt. Auch hierüber hatte Leibniz mit Papin korrespondiert. Allerdings kommt damals die Bezeichnung Fleischextrakt noch nicht vor, sondern es ist nur von der Bereitung eines höchst nahrhaften Gelées die Rede, das die geistigen und flüchtigen Bestandteile des Fleisches, die man beim üblichen Einsalzen verliere, festhalte.
Niemand beachtete diese Anregung. Erst Napoleon I. ließ 100 Jahre später den Verwundeten in Ägypten Fleischextrakt zur Stärkung geben. Eine Bedeutung erlangte der Fleischextrakt erst, als der Hamburger Ingenieur Giebert im Jahre 1863 das Liebigsche Verfahren zur Bereitung des Fleischextraktes [S. 171] in riesigem Maßstab in den viehreichen Gegenden von Südamerika zur Durchführung brachte.
Vor 250 Jahren arbeitete der Jesuit Lana eifrig an einem umfangreichen Werk „um die inneren Prinzipien der Naturwissenschaft nach genauer Methode von Versuchen und Erfindungen aufzudecken“. In diesem, dem Kaiser Leopold I. gewidmeten Buch werden eine Reihe von Erfindungen, z. B. die Chiffreschrift, die Blindenschrift, Apparate für die Wetterkunde, Säemaschinen, Fernrohre usw. behandelt. Besonders eingehend beschäftigt Lana sich mit seinem eigenen Plan zur Herstellung eines Luftfahrzeuges. Die Natur der Gase war damals noch wenig bekannt, wohl aber wußte man durch die Versuche des geistvollen Magdeburger Bürgermeisters Otto v. Guericke, daß ein luftleeres Gefäß wesentlich leichter ist, als ein mit Luft gefülltes. Auf diese Tatsache stützte Lana seinen Plan. Er wollte vier dünnwandige Kugeln aus Kupfer oder Glas anfertigen, die Kugel luftleer pumpen, und sie über einer Gondel befestigen. Er schloß richtig, daß er mit diesem Fahrzeug in die Luft steigen könne. Theoretisch hat Lana vollständig recht, und die Idee des Vakuumluftschiffes ist bis auf unsere Tage immer wieder verfolgt worden. Praktisch ist die Idee undurchführbar, weil der Luftdruck die dünnwandigen Ballongefäße eindrücken würde.
In Lanas Plan, der im Jahre 1670 im Druck erschien, interessiert uns heute die folgende Stelle „... [S. 172] sonst sehe ich keine Schwierigkeiten, die man vorbringen könnte, außer einer, die mir größer erscheint als alle andern: Gott wird niemals zugeben, daß eine solche Maschine wirklich zustande kommt, um die vielen Folgen zu verhindern, die die bürgerliche und politische Ordnung der Menschheit stören würden. Denn wer sieht nicht, daß keine Stadt vor Überfällen sicher wäre , da ja das Schiff zu jeder Stunde über dem Platz derselben erscheinen und die Mannschaft sich herablassen und aussteigen könnte. Dasselbe geschehe in den Höfen der Privathäuser und bei den Schiffen , die das Meer durcheilen. Ja, wenn das Schiff nur aus hoher Luft bis zu dem Segelwerk der Meerschiffe herabstiege, könnte es die Taue kappen, und auch ohne herabzusteigen, könnte es mit Eisenstücken , die man aus dem Schiff nach unten werfen könnte, die Fahrzeuge zum kentern bringen, die Mannschaft töten und die Schiffe mit künstlichem Feuer, mit Kugeln und Bomben in Brand stecken . Und nicht nur Schiffe, sondern auch Häuser, Schlösser und Städte mit völliger Gefahrlosigkeit für diejenigen, die aus ungemessener Höhe solche Sachen herabwürfen.“
Professor Lohmeier aus Rinteln ließ sechs Jahre später durch einen seiner Schüler die Lanasche Arbeit in weitgehendem Maße zu einer Doktorarbeit benutzen, und antwortete darin: „Hat Gott die Erfindung der Säbel, Flinten, der Kanonen und des Pulvers, womit einige Jahrhunderte her soviel Blut vergossen worden ist, nicht verhindert, warum sollte er diese Kunst verhindern? Der Staat wird, wenn es einmal dahin kommen sollte, schon Gegenmittel finden und, gleich wie [S. 173] wir Flinten gegen Flinten und Kanonen gegen Kanonen gesetzt haben, so würden wir auch Luftschiff gegen Luftschiff vorrücken lassen und förmliche Luft-Bataillen liefern.“
Was heute ein Küchendragoner ist, das brauche ich doch nicht zu sagen.
Aber, wie wir zu dieser Bezeichnung kamen, ist interessant zu lesen.
Es gab in den Jahren 1689 bis 1704 drei Dragonerregimenter, die die dienstliche Bezeichnung „Hofstaats- und Küchendragoner“ führten, und zwar deshalb, weil sie damals den Dienst am Hofe und besonders in der Hofküche versehen mußten. Als der „alte Dessauer“ — Fürst Leopold von Anhalt-Dessau — im Jahre 1729 die Stammliste der preußischen Regimenter aufstellte, schrieb er über das Reiterregiment von Blanckensee Nr. 4, es sei „anno 1674 von denen Hofstaats- oder Küchendragonern“ gebildet und zum Leibregiment ernannt worden. Daß gerade dieses Regiment zu den Küchendragonern gehörte, ist nicht nachgewiesen worden. Es scheint also, daß der alte Dessauer sich hierin irrte. Die heutige scherzhafte Bezeichnung „Küchendragoner“ geht aber doch auf diese ehemalige dienstliche Bezeichnung zurück.
Ein Kurier, der mit allerlei neuen Nachrichten anfang Juni 1709 nach Wien kam, berichtete auch über eine Flugmaschine, die am 24. Juni in Portugal erprobt werden sollte. Man veröffentlichte damals in Wien sogleich diese Neuigkeit mit dem nebenstehenden Bild in der Zeitung: „... eine Kunst zu fliegen, vermittelst welcher man in 24 Stunden durch die Lufft 200 Meyl machen, denen Kriegs-Heeren in denen weit entlegenen Ländern die Ordre, auch zu jenen neben denen Brieffen, Volck, Lebens- Kriegs- und Geld-Mitteln überschicken“ könne.
Nicht weniger könne man „die belagerten Plätze mit allen Nothwendigkeiten versehen“. Diese Erfindung sei von einem Brasilianer gemacht und dem König von Portugal angeboten worden.
Kein Wunder, daß die Nachricht von diesem Kriegsluftfahrzeug schnell durch Sonderdrucke und Flugblätter verbreitet wurde. Ein findiger Buchdrucker erweiterte die Nachricht sogar und erzählte sogleich von einer geschehenen Luftreise von Portugal nach Wien. Die Reise sei sehr gefährlich gewesen und der Luftschiffer habe mit Adlern, Störchen und auf der Erde unbekannten Vögeln kämpfen müssen. Auf dem Mond sei ein großer Tumult entstanden, als das Luftschiff gesichtet worden sei, und der Luftfahrer habe die Mondbewohner deutlich erkennen können. Leider sei die Landung in Wien mißlungen; denn das Fahrzeug sei gegen die Spitze des Stephansturmes ge [S. 175] fahren und dort hängen geblieben, so daß man den Luftfahrer nur mit Mühe habe retten können. Zunächst habe man den kühnen Mann in Wien gastlich aufgenommen, hernach aber doch eingesehen, daß er ein Hexenmeister sei, sodaß man ihn verhaften mußte. Er „dürffe nebst seinem Pegaso erster Tage verbrandt werden; vielleicht; damit diese Kunst, welche, wenn sie gemein werden sollte, große Unruhe in der Welt verursachen könnte, unbekannt bleiben möge“.
Von der „großen Unruhe“, die die Luftschiffahrt zu bringen vermag, kann jetzt manche Stadt, zumal London etwas erzählen.
Wir hörten, daß der mit warmer Luft gefüllte Ballon zwar im Mittelalter bekannt gewesen ist, daß die Kenntnisse zu seiner Herstellung mit der Zeit aber verloren gingen. Erst im Jahre 1782 füllte man in Frankreich wieder einen großen Ballon mit warmer Luft, und im folgenden Jahr begann dann die Zeit der gasgefüllten Ballone.
Und doch sehen wir hier einen Luftballon gen Himmel steigen, wenn auch der Künstler den Ballon selbst ein wenig zu klein, oder die Gondel zu groß gezeichnet [S. 177] hat. Wir haben das Titelblatt eines vielgelesenen Romanes „Reise nach dem Mond“ vor uns. Dort wird erzählt, wie man mittelst einer mit Rauch gefüllten Kugel in die Luft emporsteigen kann.
So haben also ein Dichter und ein Maler fast dreiviertel Jahrhundert früher die Darstellung eines Luftballons gegeben, ohne daß jemand hier den so überaus fruchtbaren Gedanken fand.
Eine Liebesgabe von gewaltiger Abmessung sandte man im Juni des Jahres 1730 den Kgl. polnischen und Kurfürstlich sächsischen Truppen ins Hauptquartier.
Wir sehen links auf dem Bilde einen schwebenden Engel, der die Zeichnungen des Grundrisses und des Ofenprofiles, sowie die Darstellung des zehn Ellen langen Messers, das zum Zerschneiden der Liebesgabe diente, hält. Der Ofen selbst ist im freien Felde aufgemauert. Der Dresdner Bäckermeister Zacharias leitete das gewaltige Unternehmen. Er rührte einen Teig aus 18 Scheffeln Mehl, 1½ Tonne Hefe, 326 Kannen Milch, 3600 Eiern und drei Pfund Muskatblüten. Auf einer Bretterunterlage brachte man den Teig mit Hülfe der vor dem Ofen aufgestellten Maschine mittelst Stricken in den Ofen, und zog ihn hernach wieder so heraus. Der „Strietz oder Kuchen“ maß 18 Ellen in der Länge, acht Ellen in der Breite und 1½ Schuh in der Höhe.
Im Vordergrund des Bildes sehen wir den Kuchen auf einem besonders zu diesem Zweck erbauten Wagen, von acht Pferden gezogen und unter militärischer Bedeckung in das Königliche Hauptquartier bei Radewitz geführt.
Die Engländer verstanden es von jeher, sich alle Erfindungen zu Nutzen zu machen, die der Schiffahrt und dem Seekrieg dienen konnten.
Von besonderer Wichtigkeit mußte der englischen Flotte eine Erfindung sein, mit deren Hülfe sie ihre Kriegsschiffe bei windstillem Wetter aus oder in den Hafen bringen konnte. Auf hoher See findet sich schon ein wenig Wind, wenn es am Lande auch noch so still ist. Der Engländer Jonathan Hulls ließ sich am 21. Dezember 1736 ein Schiff patentieren, in dem ein Dampfkessel mit Dampfmaschine untergebracht waren. Die Dampfmaschine trieb ein großes an Heck liegendes Schaufelrad. Wir sehen auf unserm Bild deutlich das Rad und die dazugehörige Seiltransmission.
Ein solches Dampfschiff nahm die Fregatte ins Schlepptau. Es wird berichtet, daß die englische Admiralität mit dieser Erfindung sogleich einen Versuch anstellen ließ. Näheres ist nicht bekannt geworden, weil der Versuch, wenn er überhaupt stattgefunden hat, wahrscheinlich geheim gehalten wurde.
Als im vergangenen Jahr unsere „Emden“ den kühnen und erfolgreichen Vorstoß gegen den Feind machte, wobei sie sich mit einem vierten Schornstein [S. 181] maskiert hatte, waren genau hundert Jahre verflossen, daß das erste durch eigne Dampfeskraft bewegte Kriegsschiff von Stapel gelaufen.
Die Deutsche Tageszeitung berichtete kürzlich über Eisgeschütze folgendes: „Die ersten Eiskanonen scheinen in dem strengen Winter 1740 in St. Petersburg hergestellt worden zu sein. Es handelt sich um sechs Kanonen und zwei Mörser, die in ihren Größenverhältnissen völlig den üblichen Metallgeschützen entsprachen. Die Ladung bestand aus ¼ Pfund Pulver, als Geschoß dienten „Werck-Ballen“ oder auch eiserne Kugeln. Anläßlich eines Probeschießens, das in der Gegenwart des gesamten Hofstaates stattfand, wurde auf 60 Schritt Entfernung ein Brett von zwei Zoll Dicke durchlöchert. Einen ähnlichen Versuch unternahm in dem kalten Winter 1795 der Professor und kurfürstliche Rat Weber zu Landshut in Bayern. Er ließ „aus einigen der reinsten und dicksten Eisstücke aus der Donau“ Kanonen und Mörser drehen, wobei das Eis die Form der Geschütze vollständig annahm. Die Eisgeschütze wurden auf Lafetten gelegt und mit Pulver und Kugeln, welch letztere ebenfalls aus Eis bestanden, geladen. Dabei gelang es, eine 36 Lot schwere Eiskugel aus dem senkrecht gestellten Mörser zu einer solchen Höhe emporzutreiben, daß sie erst nach fast zwei Minuten wieder die Erde erreichte. Selbst als Tauwetter eingetreten war, glückte der Versuch noch, nachdem man das geschmolzene Eis herausge [S. 182] wischt und den Mörser mit Löschpapier ausgetrocknet hatte. Das Geschütz erlitt durch das Abfeuern nicht die geringste Beschädigung.“
Den zerbrechlichen Gänsekiel hatte man schon in früheren Jahrhunderten durch bronzene oder eiserne Röhrchen ersetzt, die vorn zugespitzt und gesplissen waren. Unsere Stahlfeder wurde erst während des zweiten Aachener Friedenskongresses im Jahre 1748 erfunden. Darüber erzählt uns der damalige Aachener Bürgermeistereidiener Johannes Janßen: „Eben umb den Congres Versammlung hab ich auch allhier ohn mich zu rühmen neuwe Federn erfunden. Es konnte vielleicht sein, daß mir der liebe Gott diese Erfindung nicht ohngefähr hätte lassen in den Sinn kommen mit diese meine stahlene Federn zu machen, deweil alle und jede allhier versammelte H. Hr. Gesandten davon die Erste und Mehreste gekauft haben, hoffentlich den zukünftigen Frieden damit zu beschreiben, und dauerhaft wird sein wie diese meine stahlenen Federn, daß der liebe Gott will geben, dan der verderbliche Krieg hatt lang genug gewährt; weilen aber jetzo alles wohl zum Frieden aussieht, hatt man auch Hoffnung, daß er lang dauern soll, eben wie der harte Stahl, damit er beschrieben wird. Dergleiche Federn hatt Niemand nie gesehen noch von gehört, wie diese meine Erfindung ist, allein man muß sie rein und sauber von Rost und Dinten halten, so bleiben sie viel Jahr zum Schreiben gut, ja wenn man auch 20 Reis Papier damit würde [S. 183] beschreiben, mit einer Feder, so wäre die letzte Linie beschrieben wie die erste, sonder was an die Feder zu verandern, sogar sie seindt in allen Ecken der Welt hineingeschickt worden als eine rare Sach, als nach Spanien, Frankreich, Engeland, Holland, ganz Teutschland. Es werden deren von anderen gewiß nachgemacht werden, allein ich bin doch derjenige, der sie am ersten erfunden und gemacht hat, auch eine große Menge verkauft außer und binnen Lands, das Stück for 9 M. aix oder ein Schilling specie und was ich hier hab kunnen machen ist mir abgeholt worden.“
Eine Verspottung der Maschinen-Erfinder. Kupferstich von 1754.
Die „Bartroßmühle“, eine Maschine, die über ein Dutzend Männer
zugleich rasiert. Man hält das eingeseifte Gesicht nur in eines der
runden Fenster, hinter dem die von dem Pferd bewegten
Rasiermesser kreisen.
In einer der vielen Robinsongeschichten, die dem echten weltbekannten Roman vom Seefahrer Robinson Crusoe folgten, wird eine köstliche Darstellung einer Flugmaschine gegeben. Der Held der Erzählung [S. 185] erreicht, nachdem sein Gefährte schon ermattet zusammengebrochen ist, mit seiner Flugmaschine ein gesegnetes Eiland. Viel Platz haben die beiden auf ihrem Eindecker nicht gehabt. Ununterbrochen mußten sie, als ständen sie an einer Feuerspritze, „den Schwengel drehen“.
Der Direktor der Kgl. Hofapotheke zu Berlin, Herr Johann Heinrich Pott, erfand im Jahre 1756 ein „Pulver wider den Hunger“. In den bekanntesten Tagebüchern des Generalmajors von Scheelen wird über diese Erfindung folgendermaßen berichtet: „Der Regiments-Felscher Schmuckert von der Garde hatte ein Pulver erfunden, davon man ohne Brot und ander Essen 14 Tage leben kann, und es dem König gemeldet, der König machte also die Probe. Den 5. mußte von der Garde der Lieutnant Raoul mit drei Mann vor die langen Brücke nach der Maulbeerplantage vom Waisenhause gehen und daselbsten acht Tage in einem Hause sich einquartieren und alle Tage stark arbeiten und manchmal des Tages zwei Meilen marschieren. Es waren drei verschiedene Kerls. Der erste war ein gesunder starker Kerl, der für zwei Mann essen konnte. Der zweite war ein ordinairer Esser, aber ein starker Trinker, etwas liederlich. Der dritte ein sehr ordentlicher Mensch im Essen und Trinken. Der Lieutnant Raoul hingegen, war der schwächlichste von ihnen allen. Ein jeder bekam des Tages zwölf Loth Pulver, des Morgens zwei Loth, alsdann vier Stunden gearbeitet, [S. 186] zu Mittag sechs Loth, wieder vier Stunden gearbeitet, als Wasser zu trinken. Der liederliche konnte Tabak rauchen und täglich vor ein Dreier Branntwein trinken, des Abends vier Loth. Man tat das Pulver in kochend Wasser und ließ es zwei Minuten kochen, so war es gut und wie ein Brei zu essen, es quoll auf, die Leute bekamen sonst nichts anderes zu essen, der Lieutnant mußte davon repondieren. Sie bekamen auch nichts. Die ersten Tage sättigte das Pulver die Leute sehr gut, ohne daß ihre Kräfte abnahmen. Der Lieutnant rapportierte alle Morgen schriftlich davon General Retzwo, Major Diericke. Des Nachts schliefen die Leute auch draußen. Das neuerfundene Pulver wider den Hunger ist in Frankreich erst vorm Jahr erfunden worden, man hält es dorten sehr geheim. Der Herzog von Nivernois hat unserm König was davon gegeben, dieser hat es in Berlin durch den Professor Pott auflösen lassen. Das Rezept hat Balbi und General Retzwo an den Regiments-Felscher Schmuckert gegeben, der hat das Pulver nachgemacht und gibt es vor seine Erfindung aus.“
So ist auch die Erbswurst, die der Berliner Koch Grüneberg im Jahre 1867 aufbrachte, an sich nichts neues gewesen.
Der Kupferstecher Bodenehr zeichnete das hier als Titelbild dargestellte Geschütz, das wohl damals von irgend einem Erfinder ausgedacht wurde. Der riesige Wagen soll mit der ganzen Bedienung von dem hinten [S. 187] sitzenden Soldaten anscheinend bequem und schnell gekurbelt werden.
In dem Roman „Die fliegenden Menschen“ wird erzählt wie ein Reisender zu einem Volk kommt, das die Fähigkeit hat mittelst eines Flügelkleides zu fliegen und sich in der Luft so zu bewegen, als sei es auf fester Erde. Dieser Roman erlebte mehrere Auflagen und wurde in verschiedenen Sprachen herausgegeben.
Der Reisende ist Zuschauer bei einem Luftkampf von „Nasgig“
und dem „General von Harlokin“, Kupferstich von 1763.
Man beachte links und rechts oben die in der Luft
still-schwebenden Flieger.
Der österreichische Gewehrtechniker G. C. Girardoni, ein äußerst fruchtbarer und genialer Erfinder, hatte 1780 eine Reptierkonstruktion an einem 15 mm Jägerstutzen versucht. Dabei zerschmetterte eine Magazinexplosion ihm den linken Arm. Mit einer eisernen Hand an dem zerstörten Arme vervollkommnete Girardoni seine Erfindung dennoch weiter. Nur verwandte er statt der gefährlichen Pulverkammer eine Kammer mit komprimierter Luft. „So entstand“, sagt Dolleczek nach einem Privatbrief der Urenkel Girardonis, „die Windbüchse, welche als Reptierwaffe mit rauch- und nahezu knallosem Schusse über 35 Jahre in der österreichischen Armee eingeführt war.“
Diese Girardonische Windbüchse führte, wie jedes andere Armeegewehr, eine dienstliche Bezeichnung „Reptier-Windbüchse M. 1780“. Sie hatte 13 mm Kaliber, einen mit zwölf Zügen versehenen Lauf mit ⁵⁄₄ Drall, an den sich hinten ein messingnes Ventilgehäuse, dann der in den kleinen mit Leder überzogenen Kolben eingekleidete Rezipient anschloß. Dieser Kolben, Flasche genannt, wurde vor dem Schießen abgeschraubt mit gepreßter Luft gefüllt und dann wieder luftdicht angeschraubt. Die Luftfüllung reichte für 40 Schuß. Jeder Schütze führte 24 gefüllte „Flaschen“ mit ins Gefecht. Jeder Kompagnie führte man auf Wagen Reserveflaschen und zwei Luftpumpen nach.
Anfänglich wurden vier Mann in jeder Kompagnie mit Luftgewehren ausgerüstet; 1790 schon schritt man zur Bildung eines eigenen Korps, 1313 Mann stark, [S. 189] das vom Hauptmann des General-Quartiermeister-Stabes Freiherrn von Mach instruiert wurde. Diese Schützen schossen nur je 20 Schuß aus einer „Flasche“, da dann infolge geringeren Drucks Treffsicherheit und Schußweite abnahmen. Auf der rechten Seite des Laufes befand sich das Kugelmagazin, aus dem durch einen leichten Druck auf einen Querriegel eine Kugel in den Lauf vor das Luftventil gelangte. Durch einen anderen Druck wurde der Hahn und mithin die Feder gespannt, die beim Abdrücken das Ventil öffnete. Die Handhabung war also sehr einfach, sodaß der Schütze in der Minute 20 Schuß abgeben konnte. Die Schußweite habe 150 bis 400 Schritte betragen. Im Kleinkrieg war die Windbüchse eine fast unbezahlbare Waffe. Napoleon I. ließ in den Kriegen gegen Österreich jeden sogleich erschießen oder aufhängen, der eine Windbüchse besaß. Hätte das Gewehr nichts geleistet, dann wäre der Korse wohl nicht zu dieser Maßregel veranlaßt worden. Die Herstellung der Windbüchse wahrte Österreich als strenges Geheimnis. Girardoni erhielt eigene Werkstätten und beeidete Arbeiter.
Daß sich diese merkwürdige Waffe nicht erhalten hat, und nach dem Jahre 1815 als disponibler Vorrat der Festung Olmütz überwiesen wurde, liegt, abgesehen von den veränderten taktischen Ansichten, hauptsächlich an dem Umstande, daß für die Behandlung der feinen Schloß- und Ventilbestandteile ausgebildete Büchsenmacher nicht vorhanden waren, und daher „der in den Relationen ersichtliche Prozentsatz der unbrauchbar gewordenen Windbüchsen ein so erschreckend großer ist“. 1848 und 49 sind aus den Beständen des Olmützer [S. 190] Zeughauses die brauchbarsten jener Windbüchsen von Girardoni nochmals zur vorübergehenden Verwendung gekommen.
Daß die Fischform für ein schnellfahrendes, dickbauchiges Luftschiff die beste sein muß, erkannte man schon in einer Zeit, da die Verwirklichung dieser herrlichen Idee noch unmöglich war.
Beachten wir dies, so erscheint uns das Bild des Luftfisches nicht mehr so närrisch, wie zuvor. Ein Schweizer meinte im Jahre 1784, also im zweiten Jahre der Gasballone, daß ein solch fischförmiges Fahrzeug gewiß sich im Luftozean ebenso schnell fortbewegen müsse, wie der Körper eines Fisches im Wasser am besten zu schwimmen vermöge. Ein riesiger Schwanz sollte als Steuer dienen und große Flossen — aus dem Innern gleich Ruder bewegt — das Vorwärtskommen des Untieres bewirken. Es scheint gar so, als [S. 191] sollte dieser Luftfisch ein kriegerisches Ziel verfolgen; denn aus dem vordersten Fenster der Gondel schießt doch wohl jemand auf die Erde hinab?
Denken wir an den spitzen Kopf unserer Luftschiffe, an deren Schwanzsteuer, und deren Stabilisierungsflossen, an deren verschlossene Gondel, wenn wir dies alte Bild betrachten!
Es ist bekannt, daß unser Lied „Heil Dir im Siegerkranz“ von Balthasar Gerhard Schumacher am 17. Dezember 1793 als „Berliner Volksgesang“ in den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen bekannt gemacht wurde. Schumacher bezeichnete seinen Gesang als eine Umarbeitung des „Liedes für den dänischen Unterthan an seines Königs Geburtstag zu singen in der Melodie des englischen Volksliedes“.
Mit der heute so oft gesungenen Melodie unserer Hymne wurden wir Deutsche — darauf sei hier wohl zum erstenmal hingewiesen — im Februar des Jahres 1793 durch das in jener Zeit angesehene, heute recht selten gewordene „Journal des Luxus und der Moden“ (S. 73) bekannt. Vermutlich lernte auch Schumacher die Melodie aus dieser Quelle kennen.
Daß die Hymne bereits 1796 in Berlin vor dem König gesungen wurde, konnte ich vor einigen Jahren an anderer Stelle nachweisen. In einem Bericht über ein physikalisches Theater, der unter dem 20. Juni 1796 an das Journal des Luxus eingesandt wurde, [S. 192] und dort im Augustheft zum Abdruck kam, fand ich die Nachricht, daß man „Heil Dir im Siegerkranze“ am 24. Juni 1796 in Berlin sang. Es war nämlich ein aus Stuttgart stammender Mechaniker namens Enslen wiederum — wie bereits 1791 — nach Berlin zur Vorstellung gekommen. Er zeigt zunächst drei automatische Figuren, nämlich einen Flöte spielenden Spanier, eine Harmonika spielende Frau und einen Trompeter. Alsdann kam ein Bühnenkunststück mit einem Luftballon, der die Form von einem Reiter zu Pferde hatte. Darnach kam ein turnender Automat an die Reihe. Im zweiten Teil der Enslenschen Vorstellung wurden optische Kunststücke vorgeführt. So erschienen Petrarca und Laura, Heloise und Abelard. Das nächste Bild wird also beschrieben: „Dann zeigt sich in der Ferne ein heller Stern, erweitert sich, und aus ihm entwickelt sich das sehr ähnliche Bild Friedrichs des zweyten, in seiner gewöhnlichen Kleidung und Haltung, also nicht als Geist. Das Bild wird immer größer, kommt immer näher, bis es dicht vor dem Orchester in Lebensgröße zu stehen scheint. Der Eindruck, den diese Erscheinung in dem Parterre und den Logen machte, war auffallend. Das Klatschen und Jauchzen war unaufhörlich. Da Friedrich sich zu seinem Stern zurückzuziehen anfing, riefen Viele: O bleibe bey uns! Er ging in seinen Stern zurück, aber auf das laute Ancorarufen mußte er noch zweimal wiederkommen.“
Alsdann wird berichtet, daß am 24. Juni der König selbst — also Friedrich Wilhelm II. — mit den Prinzen und Prinzessinnen das Enslensche Theater besucht habe. Es wurde diesmal anstatt der Erscheinung [S. 193] Friedrichs II. ein transparentes Bild des Königs vorgestellt. Das Orchester spielte das Lied: „Heil Dir im Siegerkranze“ und das ganze Parterre sang es laut.
Die Vorstellungen von Enslen fanden im Pinettischen Theater in der „Bärenstraße“ statt. Es trug seinen Namen nach einem Künstler, der sich Chevalier Pinetti de Merci nannte und dem der König das ehemalige Döbblinische Haus in der Behrenstraße geschenkt hatte.
Eine der merkwürdigsten Verwendungen der Luftballone hat am Ende des 18. Jahrhunderts ein Franzose vorgeschlagen. Er machte sich einen Ballon von etwa 3 Meter Durchmesser, füllte ihn mit Gas, band ihn zu und befestigte das kleine Luftfahrzeug mittelst Riemen an einen Brustgurt über seinem Kopf schwebend. Ein solcher Ballon vermag etwa 50 Pfund zu tragen und sein Erfinder wollte ihn zu Fußreisen benutzen, damit er an seinem eigenen sterblichen Gewicht einen ½ Zentner weniger zu tragen habe. Statt des Spazierstockes nahm der Erfinder ein großes Doppelruder aus Taffet, mit dem er, als wäre er im Wasser, Bewegungen ausführte. Was aus dieser Erfindung geworden, weiß man nicht. Sie scheint vergessen worden zu sein, weil es jenen Leuten mit hochfliegenden Plänen zu niedrig war, den Ballon des freien Äthers im Staube zu benutzen.
Als der optische Telegraph bei seinem Auftreten in Frankreich (1793) durch die fabelhaft schnelle Übermittlung der Nachrichten vom Kriegsschauplatz populär geworden war, ersann ein findiger Kopf eine unterhaltende Spielerei für die Pariser Gesellschaft: den Telegraphenfächer.
In der damals recht leichtlebigen Pariser Gesellschaft spielte der Fächer bei den Damen eine große Rolle. Hinter ihm konnten sie sich beliebig verstecken und unbeobachtet nach einer Richtung hin ihre Augen spielen lassen. Der Fächer war damals noch der ständige Begleiter einer jeden Dame.
So eignete er sich besonders gut, an ihm einen Telegraphen anzubringen. Am oberen Rande des Fächers waren halbkreisförmig die einzelnen Zeichen des optisch-telegraphischen Alphabets so aufgezeichnet, daß die Dame, die hinter dem Fächer kokettierte, die Zeichen ablesen konnte. Aus dem letzten Stab des Fächers oder aus einer der beiden Deckplatten konnte man ein zierlich aus Silber gearbeitetes Stäbchen herausziehen. Am Ende dieses Stäbchens drehte sich ein kleiner Querbalken, der an seinen beiden Enden wiederum zwei bewegliche Ärmchen besaß. Dieser winzige Apparat glich vollständig den großen optischen Telegraphenapparaten. Die Trägerin des Fächers konnte die einzelnen Buchstaben eines Wortes an dem kleinen Telegraphen einstellen, nachdem sie von ihrem Fächerrand die Stellung des Telegraphen für jeden Buchstaben abgelesen hatte. In Deutschland wurden die Tele [S. 195] graphenfächer 1796 bekannt. Nach England kamen sie im folgenden Jahre. Ein Italiener Badini verbesserte den Telegraphenfächer, sodaß man die kleinen Signalflügel schneller einstellen konnte.
In Berlin erschien 1796 eine Abhandlung über einige akustische Instrumente, mit Zusätzen versehen von Gottfried Huth. Der Verfasser nennt sich: Doktor der Weisheit und öffentlicher, ordentlicher Lehrer der Mathematik und Physik auf der Universität zu Frankfurt a. O., sowie Mitglied einiger Gelehrtengesellschaften. In dem dritten Zusatz zu diesem Buch hören wir des Verfassers Ansicht „Über die Anwendung der Sprach-Röhre zur Telegraphie“. Es wird ziemlich umständlich auseinandergesetzt, wie man an Stelle des optischen Telegraphen mit Hilfe gewöhnlicher Sprachrohre, wie sie auf See verwendet werden, eine Verständigung auf weite Entfernung herbeiführen könne. Es sollen in gewissen Abständen Stationen errichtet werden, die die Nachrichten in einer Geheimsprache mittels Sprachrohren über Land rufen. Der Verfasser kehrt also im wesentlichen wieder zu den Rufpostenketten der alten Perser zurück. Was uns an seiner Abhandlung allein interessiert, ist die von ihm gewählte Benennung des Apparates. Er meint, da sein Apparat ganz anders sei als der eines Telegraphen, so verdiene er auch einen andern Namen, und er sagt: „Welcher würde sich hier nun schicklicher empfehlen als der gleichfalls aus dem Griechischen [S. 196] entlehnte: Telephon oder Fernsprecher. Es sey mir also erlaubt, in der Folge dieser Abhandlung mich dieses Wortes der Kürze wegen für die hier vorgeschlagene Anstalt zu bedienen, und so den Telephon von dem Telegraphen, ob sie gleich einen und ebendenselben Zweck haben, da sie ihn durch ganz verschiedene Mittel erreichen, zu unterscheiden.“
Richtig übersetzt hat Huth das Wort Telephon nicht: denn sonst hätte er statt Fernsprecher, Ferntöner sagen müssen. Es ist nun aber sehr merkwürdig, daß eine richtige Übersetzung bereits seit kurzer Zeit vorlag. Christian Heinrich Wolke, ehemaliger Mitstifter und Direktor des philanthropischen Erziehungsinstituts in Dessau hatte nämlich kurz vorher eine bereits seit mehreren Jahren von ihm erdachte „Pasiephrasie“ erfunden, d. h. ein für alle kultivierten Völker brauchbares Universalwörterbuch. Dieses höchst umständliche System einer Universalsprache nannte er auch „Telephrasie oder Fernsprechkunst“.
Auch noch später läßt sich mehreremal ein unserm Wort Telephon ähnlicher Ausdruck nachweisen. So hieß ein Musiktelegraph von Sudre vom Jahre 1828 „Telephonium“, und der Physiker Wheatstone bezeichnete drei Jahre später die Fähigkeit hölzerner Stangen, den Schall auf mechanischem Wege fortzuleiten, mit dem Ausdruck „Telephon“. Die gleiche Benennung wandte Romershausen 1838 auf ein Schallröhrensystem an. Der erste aber, der von einer elektrischen Telephonie sprach, war der Unterinspektor der Französischen Telegraphie, Charles Bourseul, der am 26. August 1854 einen Artikel über „ Téléphonie électrique “ in der „ L’Illustration de Paris “ ver [S. 197] öffentlichte. Unser Philipp Reis begann nach eigenen Angaben seine Arbeiten erst 1852. Am 26. Oktober 1861 machte er sein Telephon zuerst bekannt. Vor genau 55 Jahren, also 1860 soll auf seinen Apparaten zuerst folgendes kleine Zwiegespräch im Garnierschen Institut in Friedrichsdorf bei Homburg v. d. Höhe geführt worden sein: (Reis) „Die Pferde fressen keinen Gurkensalat.“ — (sein Freund) „Das weiß ich längst, Sie alter Schafskopf.“
Im Jahre 1799 legte der in Wien lebende Jakob Kaiserer im Archiv der Universität eine Schrift nieder: „Über meine Erfindung, einen Luftballon durch Adler zu regieren.“ Diesem merkwürdigen Vorschlag wurde [S. 198] die Ehre zuteil, vor mehreren Jahren wiederum gedruckt zu werden. Kaiserer geht von der Beobachtung aus, daß Adler Lämmer rauben können und daß ein Pferd, das kaum einige Zentner tragen kann, 100 Zentner gegen den Strom zu ziehen vermag, mithin müsse ein Adler auch zehnmal soviel ziehen als tragen können. Da man Raubvögel zur Falknerei züchten könne, würde er seine Adler auf Ruf und Peitschenknall abrichten. Solch ein Paar gezähmter Adler wollte Kaiserer mittelst eines Joches von Fischbein und Leder vor die Mitte des Ballons spannen und sie gleich Pferden lenken.
Da ich vom Ursprung des Tabaks und der Zigarren schon erzählt habe, will ich auch vom Alter der Zigarette berichten. Gehören die drei Dinge im Krieg doch zum „Unentbehrlichen“.
Ein Hamburger, namens Nemnich, erzählt im Jahr 1808 in einer deutschen Zeitschrift, dem „Journal für Fabrik“, daß man auch „Papier-Cigarren“ habe, die besonders in Sevilla unter dem Namen „Pitillos“ hergestellt würden. In Havanna und im übrigen spanischen Amerika nenne man sie „Cigarritos“.
Das Brockhaussche Konversationslexikon, das seit der ersten Auflage von den „Cigarros“ spricht, weiß von den heute so beliebten Zigaretten erst in der zehnten Auflage im Jahre 1852 zu berichten: „Cigarrettas oder Cigarritos heißen die spanischen Papierzigarren, welche aus einem Röllchen feinem Papiers oder Reis [S. 199] strohs bestehen, das mit feingeschnittenem Tabak gefüllt ist; sie werden auch in Deutschland verfertigt, wo sie aber wenig beliebt sind.“ Diese Angaben widerlegen die allgemein verbreitete Ansicht, wir hätten die Zigarette erst im Jahre 1862 aus Rußland kennen gelernt.
Ob die Engländer jetzt nicht mit einem unbehaglichen Gefühl der Spottbilder gedenken, die im Jahre 1804 erschienen, als Napoleon I. England mit allen Mitteln zu bekämpfen suchte? Damals schlug jemand vor, eine französische Armee auf riesigen Luftballonen über den Kanal nach England zu senden. Napoleon wies den Plan als unausführbar ab.
Er trachtete damals eine Flotte von 2000 Fahrzeugen zusammenzubringen. Im Juni 1805 war alles zur Landung bereit. Gegen 132000 Mann, 15000 Pferde und 450 Geschütze konnten in zwei Stunden eingeschifft werden und sollten zehn Stunden später auf englischem Boden stehen. Nur der englischen Kriegsflotte konnte Napoleon mit seinen Fahrzeugen nicht Herr werden. Eine beabsichtigte Täuschung der Engländer war zwar gelungen, doch eines ihrer schnellen Schiffe konnte die Heimatsflotte noch rechtzeitig warnen. Der französische Admiral verzagt, und Napoleons genialer Plan, der die Welt von der drückenden Willkür Englands befreien sollte, hatte so die geeignete Zeit der Verwirklichung verpaßt.
Von wem der Plan, England im Luftballon zu erreichen ehemals ausging, ist nicht bekannt geworden. Selbstverständlich war das Vorhaben für die damalige Zeit gänzlich undurchführbar.
Ein wohl satyrisches Blatt zeigt links den Hafen von Boulogne, rechts — reichlich nahe — die englische Küste. Der Zeichner benutzte als Vorlage ein Blatt, das im Jahre 1785 veröffentlicht worden war, als zwei Franzosen eine, allerdings mißlungene, Fahrt im Luftballon über den Kanal angetreten hatten.
In großen Warmluftballonen sind die napoleonischen Heere verladen. Wir sehen Soldaten, Pferde, Fahnen, Kanonen und Fahrzeuge in den Riesengondeln. Unter einem jeden Luftballon hängt eine große Öllampe, deren Flamme durch einen Glaszylinder geschützt ist. Diese Lampe hat den Zweck, die sich an den Ballonwandungen allmählich abkühlende Luft während der Fahrt wieder aufzuwärmen.
Außer diesem satyrischen Blatt muß in Frankreich damals eine Serie mit Projekten zur Eroberung Englands erschienen sein; denn unser großes Bild ist als zweites Blatt „Verschiedener Projekte zum Abziehen nach England“ bezeichnet. Links haben wir wieder die französische, rechts die englische Küste. Der Tunnel unter dem Kanal, von dem vor zwei Jahren wieder so viel die Rede war, ist fertig und niemand denkt daran, den Franzosen ihren Durchzug mit Roß und Geschütz zu hindern!
An der französischen Küste ist es lebendig. Wir sehen große Zeltlager und den Aufstieg von truppenbesetzten Luftballonen. Optische Telegraphen auf dem Berg und an der Küste sprechen mit der übersetzenden [S. 202] Flotte. In den vordersten Schiffen erkennen wir Geschütze, die die englische Küste beschießen. Man hat die einfachsten und billigsten Transportschiffe gewählt, während die Engländer ihre hochmastige Flotte zur Verteidigung gegen den Angriff zur See längs ihrer Küste aufgestellt haben.
Sobald die französischen Lufballone in den Bereich der englischen Küste kommen, werden sie heftig beschossen. Die Scharfschützen baumeln an den Schwänzen riesiger Luftdrachen, deren Halteseile vom englischen Festland aus dirigiert werden. Aber dennoch nähern sich die französischen Kriegsballone immer mehr der Küste, und der erste Ballon, der sich über den englischen Schiffen befindet, wirft schon eine mächtige Brandbombe aus seiner Gondel herab....
Englands Sonderstellung muß gebrochen werden. So war es damals, so ist es heute; denn
Es ist jetzt 100 Jahre her, daß Johann Friedrich Westrumb die ersten Suppentafeln anfertigte. Alsbald ward die Herstellung solcher Tafeln, in die viel Fleisch eingepreßt war von einer Gesellschaft in Buenos-Ayres im Großen unternommen. 1849 wurden der Pariser Akademie gepreßte Gemüse vorgelegt, die [S. 203] nach dem Aufweichen den früheren Geschmack zeigten und sich deshalb auf das Beste für Kriegsschiffe eigneten. Earl Borden jun. in Galveston (Texas) stellte im Jahre 1850 Fleischzwieback her, indem er eine bis zur Sirupkonsistenz verdampfte Fleischbrühe mit Weizenmehl mischte und den Teig bei mäßiger Wärme im Ofen backte. Diese Zwiebacke erregten großes Aufsehen; wie man allerdings erst viel später sah, enthalten sie nicht die Nährstoffe des Fleisches, sondern nur dessen Extraktivstoffe. Der französische Fabrikant Etienne Masson konservierte im gleichen Jahr Gemüse, indem er sie getrocknet einer starken Pressung unterwarf, und sie zu kleinen viereckigen Tafeln formte. Die „Aktiengesellschaft für Fabrikation comprimierter Gemüse“ zu Frankfurt am Main erhielt am 23. August 1855 ein frankfurtisches Patent (für die Zeit vom 31. Januar bis 30. Januar 1864) auf die Fabrikation konservierter Vegetabilien.
Der in Mannheim lebende Forstmeister Freiherr Drais von Sauerbronn hatte sich im Jahre 1813 ein kleines Fahrzeug mit drei Rädern gebaut, auf dem er zum nicht geringen Erstaunen seiner Landsleute in den Straßen herumfuhr. Als der Kaiser von Rußland damals nach Mannheim kam, ließ er sich das sonderbare Fuhrwerk vorführen, „fand Wohlgefallen daran und sandte dem Erfinder einen brillantenen Ring für das Vergnügen, welches ihm damit gemacht worden sei“.
Diese Ehrung stieg dem phantastisch veranlagten Freiherrn zu Kopf, er verließ den Forstdienst und wurde Erfinder. Eine ganze Menge von Ideen brachte er im Laufe seiner immer mehr abwärts neigenden Lebensbahn zu Tage. Nur wenige vermochte er zu verwirklichen. Einige seiner Pläne kamen erst lange nach seinem Tode zur Durchführung, darunter das Fahrrad, die Schreibmaschine und die Spiegel, mit denen man Tageslicht in dunkle Zimmer wirft.
Das Draissche Fahrrad, wie es hier in seiner ältesten bekannten Form abgebildet ist, hatte keinerlei Tretmechanismus. Man setzte sich auf den Sattel, legte die Unterarme bequem auf die Lenkstütze und stieß sich mit den Füßen vom Fußboden ab. Um die Schuhspitzen nicht so sehr abzunutzen, schraubte man sich Eisenkappen unter. Am 12. Juli 1817 machte Drais auf seiner Laufmaschine die erste Fahrt von Mannheim nach Schwetzingen und zurück. Dieser Weg, der vier Poststunden lang war, wurde von ihm auf dem Rad in weniger als einer Stunde zurückgelegt. Drais verstand es meisterlich, für seine Erfindungen Reklame zu machen, und so lesen wir denn auch bald in fast allen größeren Zeitungen und Zeitschriften von dieser seiner erfundenen Laufmaschine. Besonders empfahl er das Fahrrad dort zu benutzen, wo man sonst einen Eilreiter, die Stafette, nötig hatte. Im Jahre 1818 erhielt Drais auf seine Erfindung ein badisches Patent, und man ernannte ihn zum Professor der Mechanik. Es ist der einzige mir bisher bekannt gewordene Fall, daß jemand wegen einer Erfindung kurzerhand zum Professor ernannt wurde.
Nach allen Weltgegenden wurden die Draisschen [S. 205] Fahrräder, die man damals Velocipedes oder Draisiennen nannte, verschickt. Besonders die Fürstlichkeiten interessierten sich für dieses neue Verkehrsmittel. In England gab man der Maschine sogleich einen Antrieb durch Handhebel. Die miserablen Wegeverhältnisse der damaligen Zeit verhinderten jedoch damals eine dauernde Verwendung dieser „Knochenschüttler“.
Erst nach dem Tode des verarmten Erfinders (1851) begann man mit Versuchen, die Laufmaschine mit Tretkurbeln zu versehen. Im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 wurden solche Fahrräder von den Franzosen bereits in bescheidenem Umfange angewandt.
Daß heute Tag und Nacht Unmengen von Gütern aller Art zu unseren Truppen an die Front rollen, erscheint selbstverständlich.
Als die Eisenbahnen etwas neues waren, galt es als Besonderheit, einen leblosen Gegenstand mit der Dampfbahn zu befördern.
Man hatte zwar bei der ersten deutschen Eisenbahn, die im Jahre 1835 zwischen Nürnberg und dem benachbarten Fürth in Betrieb gekommen war, vorgesehen, neben dem Personentransport auch Güter zur Besorgung zu übernehmen, doch ging man wieder bald von dem Gedanken ab, weil die Schwierigkeiten zu groß erschienen.
Am 17. Mai 1836 stellte Andreas Jacob Hartmann den Antrag auf Benützung der Ludwigsbahn zum Waren- und Gütertransport. Das Direktorium ging jedoch nicht darauf ein. Es erwiderte dem Antragsteller am 10. Juli 1836: „Erst wenn die erforderliche Anzahl von Personenwagen vorhanden sind, möchte die Möglichkeit gegeben sein, Warentransporte von größeren Quantitäten versuchsweise anzustellen, obschon fast im voraus zu entnehmen ist, daß dieselben bei den niedrigen Frachtpreisen und bei den Auslagen, welche der Transport der Waren zur Bahn und von dieser nach dem Hause des Empfängers verursacht, wofür die Boten 3 Kr. per Zentner im ganzen erhalten, kein befriedigendes Resultat geben werden. Der Transport von Pakets, Schachteln und Briefen aber bleibt auch für die Zukunft eine unausführbare Idee, da der Verwirklichung [S. 207] derselben einmal die Post- und Botenordnung entgegensteht, und die dadurch bedingte Vermehrung des Dienstpersonals und die Ausgaben für passende Lokalitäten in Nürnberg und Fürth selbst bei dem stärksten Betrieb in keinen Verhältnissen zu den Einnahmen steht, abgesehen davon, daß abermals eine große Anzahl von Familien, namentlich in Fürth, dadurch brotlos gemacht werden dürfte. Der Antrag des Hartmann ist weder zeit- noch zweckmäßig.“ Die Abweisung des Hartmannschen Antrages, die ihren hauptsächlichsten Grund in dem Mangel an Transportwagen hatte, hinderte indes nicht, bald darauf einen Versuch mit dem Gütertransport zu machen, allerdings in einem sehr bescheidenen Umfang. Dem Bierbrauer Lederer wurde nämlich am 11. Juli 1836 gestattet, mit den ersten nach Fürth gehenden Wagen zwei Fäßchen Bier an den Wirt zur Eisenbahn gegen Vergütung von je 6 Kreuzern Transportlohn unter der Bedingung zu senden, daß die Fäßchen von dem Wirt bei Ankunft des Wagens sogleich abgeholt werden. Direktorial-Kommissär Dr. Löhner sollte Sorge tragen, daß dieser kleine Anfang des Gütertransportes in gehöriger Ordnung vor sich gehe, „um solchen vielleicht späterhin ins Große ausdehnen zu können,“ wie die Direktorial-Ordre hinzufügt.
Als im vergangenen Jahr unsere Eisenbahnen die Riesenmassen der Heere mit einer Ruhe und einer Gleichmäßigkeit beförderten, als seien sie Uhrwerke, haben wir im Ernst der Zeit ganz vergessen, daß wir [S. 208] das Jubiläum der Truppentransporte in Preußen begehen könnten.
Wir lesen nämlich in der Geschichte der Unteroffizierschule in Potsdam folgendes beim Jahre 1839: „An den Herbstübungen des Gardekorps, welches in zwei Zeltlagern in der Umgegend von Potsdam zusammengezogen war, nahmen auch das Lehr-Infanterie-Bataillon und in dessen Reihen die kräftigsten Zöglinge des dritten Jahrgangs der Schulabteilung teil. Das Infanterielager befand sich am Fahrländer See, das der Kavallerie vor dem Brandenburger Tor, zwischen Schafgraben und Pirschheide. Nach beendigtem Manöver kehrte die Berliner Infanterie per Eisenbahn in ihre Garnison zurück. Von der Plattform des Bahnhofsgebäudes aus sah Seine Majestät der König der Verladung und der Abfahrt der Truppen zu, damals insofern ein interessanter Anblick, als es das erste Mal war, wo dergleichen Truppenbeförderungen auf der Eisenbahn stattfanden.“
Als man 1835 in Paris eine Europäische Luftschiffahrtsgesellschaft gegründet und mit dem Bau eines großen Luftschiffes begonnen hatte, das den Verkehr zwischen Paris und London aufnehmen sollte, regten sich überall die Erfinder. In Deutschland zog der Nürnberger Mechaniker Leinberger vergebens mit dem Modell seines Dampfluftschiffes herum, um die Mittel zum Bau eines großen Dampfluftschiffs zu erlangen. Wie naiv man damals an die gewaltige [S. 209] Aufgabe der Luftschiffahrt ging, beweist die Anordnung des Schornsteins der Dampfmaschine, der mitten durch die Ballonhülle hindurchführt.
Die blutige Fackel des Bürgerkrieges hatte bereits dreimal über Wien aufgelodert, als der verhängnisvolle 6. Oktober 1848 über die Hauptstadt hereinbrach.
Damals lebten in Wien die aus Regensburg gebürtigen Mechaniker Johann Nepomuk und Leonhard Mälzel. Der Jüngere von ihnen, Leonhard, war ein großes musikalisches Genie und der Kaiser von Österreich hatte ihn schon im Jahre 1827 wegen seiner vielen auf das beste ausgeführten mechanischen Musikwerke zum „musikalischen Kammermaschinisten“ ernannt. Die [S. 210] Brüder Mälzel lebten in guten Verhältnissen und manches wertvolle Stück war in ihrer Wohnung zu finden. Was Wunder, daß unlautere Elemente der Revolution sich an ihrem Eigentum vergreifen wollten, gehörte doch der eine der Brüder, wie gesagt, zum kaiserlichen Hofstaat. Gruppenweis sammelten sich Leute an jenem verhängnisvollen Tage vor den Fenstern des Mälzelschen Hauses und immer lauter wurden die Drohungen gegen den Mann, der wegen seiner Anhänglichkeit an den Kaiser unbeliebt war. Zwar hatten die kaiserlichen Truppen schon die ganze Gegend eingeschlossen und Leonhard Mälzel hätte auf jeden Fall für seine Person Schutz gefunden, doch er fürchtete die Zerstörung seiner wertvollen Musikapparate. Immer mehr Volk sammelte sich, immer drohender wurde das Geschrei der Menge. Einige pochen an die Tür, andere wollen zu den Fenstern hereinklettern, da erscheint hinter den Gardinen die mächtige Gestalt eines kaiserlichen Trompeters in Paradeuniform und schmettert seine Fanfare über die vor Schreck gelähmte Menge. Alles stob auseinander und im Augenblick war die Umgebung des Mälzelschen Hauses wie ausgestorben. Denn wo ein kaiserlicher Trompeter war, mußte mindestens auch eine Eskadron Kürassiere zum Schutz des kaiserlich-musikalischen Kammermaschinisten untergebracht sein. Mälzel und seine großen Kunstwerke waren gerettet, gerettet durch einen künstlichen Trompeter, den Mälzel kurz vorher vollendet hatte. Dieser Trompeter ist heute im Münchener Museum zu sehen. Mittelst einer Kurbel werden starke Federn aufgezogen. Vor Beginn des Spieles hebt der Trompeter den rechten Arm, der das Instrument hält, in die Höhe, und 2 Blasbälge zwischen den Schultern sitzend, erzeugen, vom Laufwerk getrieben, den Wind.
Noch heute ist dieser mechanische Trompeter betriebsfähig und kann seine militärischen Signale, die einst ihm und seinem Meister das Dasein retteten, erklingen lassen. Es ist einer der wenigen, noch erhaltenen Automaten aus vergangener Zeit.
Man beachte oben das Musikgeschütz auf der Bühne, die in
der Luft herumwirbelnden Noten und „Kugeln“, die verstohlen zündende
Hand in der unteren rechten Ecke der Bühne und die „lauschenden“ Ohren
in den Logen.
Unter dieser Überschrift ging Anfang Juni eine Nachricht durch die Presse, die folgenden Wortlaut hatte:
Über eine frühere Beschießung Venedigs aus Luftfahrzeugen befinden sich in den Sammlungen des Wiener Kriegsarchivs Aufzeichnungen von hohem Gegenwartsinteresse, die die Neue Freie Presse mitteilt. Der österreichische Linienhauptmann und Doktor der Philosophie und der freien Künste, Heinrich Hauschka, erzählt in seiner Schrift „Die Belagerung von Malghera und Venedig“ folgendes aus dem Jahre 1849:
Im Monat Juli wurden Versuche angestellt, mittelst Luftballons Bomben aufsteigen zu lassen. Bei Erreichung des Scheitelpunktes der belagerten Stadt sollte sich die Bombe von ihrem Ballon trennen, herabfallen und mittelst Perkussion explodieren. Die Zufälligkeiten des Windes, welcher in den oberen Luftschichten eine andere Richtung als in den unteren hatte, ließen diese Versuche, sowohl vom Lande als von der See aus auf dem Dampfer „Vulkan“, nicht recht glücken, denn die meisten Bomben fielen ins Wasser. Der [S. 213] Kapitän der englischen Brigg „Frolio“, sowie der eines griechischen Fahrzeuges, welche zur selben Zeit in Venedig waren, schilderten die Angst der Einwohner und Schiffe, überhaupt den moralischen Effekt als sehr groß. Diese sinnreiche Idee ging vom damaligen Artillerieoberleutnant Franz Uchatius aus. Dadurch dürfte es feststehen, daß es mit dieser Art Ballons möglich ist, Bomben und andere Feuerwerkskörper bis auf 5000 Klafter Distanz sowohl vom Lande als auch von der See aus zu werfen, sobald die Grundbedingung, eine günstige Windrichtung, vorhanden ist, und daß hierdurch viele der größeren Städte, welche bisher durch ihre umliegenden Werke vor einem Bombardement gesichert waren, es jetzt nicht mehr sind.
Tatsächlich gelang es im Verlaufe der Belagerung mehrmals Bomben in der Richtung gegen Murano zu bringen und sie über feindliche Schiffe zu dirigieren. Auch der französische Dampfer „Panama“ wurde durch einen solchen Ballon bedroht. In dem offiziellen Kriegsbericht wurde gemeldet, daß am 25. Juli 1849 zwei mit Schrapnells versehene Ballons vom Dampfer „Vulcano“ aufstiegen und am Lido über dem Giardino Pubblico in 1500 Meter Höhe und 6300 Meter Entfernung sich entladen haben. Die Panik, die durch die Ballonbomben verursacht wurde, wird übereinstimmend als sehr groß geschildert, und die heute in Venedig bestehende Fliegerfurcht mag dem damaligen Stande der Luftschiffahrt entsprechend der Wirkung gleich gewesen sein, welche die Uchatius-Flieger hervorgerufen haben.
Es war im Jahre 1852. Professor Schönlein war bei König Friedrich Wilhelm IV. um die Erlaubnis eingekommen, die Wirkungen des damals neuen Chloroforms an einem lebenden Wesen, das operiert werden sollte, zu versuchen. Einen Menschen wollte man nicht dazu opfern, aber der König erteilte die Erlaubnis, daß ein großer Bär des zoologischen Gartens, dem, weil er erblindet war, der Star gestochen werden mußte, für das Experiment herhalten durfte. Die Operation gelang. Doch — leider — der Patient wachte nicht mehr auf. Die Berliner ulkten natürlich über dieses Mißgeschick der Ärzte und der König war nicht einer der letzten Lacher. Der Bildhauer Wolf modellierte daraufhin eine kleine Gruppe, die dem König so sehr gefiel, daß er sie im Guß verlangte. Man sieht in einem Sessel den Bär im Schlafrock und Schlafmütze regungslos zusammengekauert. Um ihn herum stehen ratlos die Ärzte, denen der Bildhauer die Physiognomie von Tieren gegeben hatte. Dem König gefiel der Guß so sehr, daß er die Erklärung dazu in einem Vers verlangte. Der Dichter, dem dies am besten gelänge, bekäme zur Belohnung einen weiteren Abguß von der Gruppe. Da studierte auf der Berliner Universität der Sohn des Berliner Professors Karl Heyse, der spätere Dichter Paul Heyse, damals 22 Jahre alt; der schickte folgenden Vers ein:
Man könnte sagen: als es andersherum war, als heute, war es ebenso wie jetzt. Nämlich so:
Als die Engländer und Franzosen anno 1855 mit den Türken gegen die Russen verbündet waren, belagerte man diese in der Feste Sebastopol. Und die Russen machten damals häufig Ausfälle aus der Festung, wobei sie — wie im jetzigen Krieg wieder — in weiße Mäntel gehüllt waren.
Über diese sonderbaren Schneemäntel berichtete damals die „Times“ ihren Lesern. Der Berliner Klad [S. 216] deradatsch griff diese Nachricht auf und erläuterte sie durch unser eigenartiges Bildchen: „Die Russen machen jetzt häufig Ausfälle aus Sebastopol, bei welchen sie ganz in weiße Mäntel gehüllt, auf der blendenden Schneedecke nicht zu bemerken sind, da dieselben aber keine Schlemihls sind, so werfen sie notgedrungen einen Schatten, und erkennen so die Belagerer die nahende Gefahr.“
Daß Peter Schlemihl ein Mann des Märchens ist, der keinen Schatten besaß, und darüber sehr unglücklich war, das hat uns ja Adalbert von Chamisso einst erzählt.
Wie „leicht“ es einmal den Menschen gemacht würde, sich in die Luft zu erheben, ahnte ein Witzbold der [S. 217] Zeitschrift „Punch“ der Zeit voraus im Jahr 1860; da ißt, wer zu einer kleinen Luftreise aufgelegt ist, zum Frühstück mit der ganzen Familie etwas gashaltiges „Aero-Brot“ und die aeronautische Reise beginnt sogleich. Wer länger reisen will, fastet lange genug vorher und stillt seinen Heißhunger durch eine besonders große Brotmenge.
Sieht es nicht so aus, als ob die Familie, die hier in die Höhe gestiegen ist, sich im Brot vergriffen hätte? Ich glaube, die wollten allesamt nur ihr einfaches Frühstück einnehmen, um zur Arbeit gehen zu können. Nun müssen sie „steigen“ und machen lange Gesichter.
Als die Deutschen im Winter 1870 bis 1871 Paris eingeschlossen hatten, konnte man durch Brieftauben zwar Nachrichten aus der Festung hinaus schicken, doch die Verbindung zur Festung mittelst Brieftauben wurde den Franzosen zu unsicher. So versuchten sie denn den Nachrichten- und Personenverkehr durch Luftfahrzeuge zu erreichen, und sie kamen dabei sogar — was wenig bekannt ist — bis zum Bau eines militärischen Luftschiffes.
Von Paris aus stiegen insgesamt 64 Luftballons während der Belagerung auf. Außer den 64 Führern beförderten sie 91 Personen, darunter am 7. Oktober den Diktator Gambetta, um die Regierung in Tours zu übernehmen. Außerdem wurden 363 Brieftauben auf diese Weise aus der Festung ins Land be [S. 218] fördert, so daß die Tauben mit Nachrichten in die Festung zurückfliegen konnten. Endlich wurden noch über 9000 Kilogramm Depeschen und eine besondere Zeitung „Ballon-Poste“, die die Neuigkeiten der Hauptstadt in die Provinz tragen sollte, von den Ballonen mitgenommen.
Zwei dieser Ballone gingen verloren, davon einer im atlantischen Ozean. Fünf Lufballone fielen in die Hände der Belagerer. Krupp hatte in aller Eile ein Ballongeschütz konstruiert; es bestand aus einem sehr großen Gewehr, das in einem Gestell drehbar auf einem vierrädrigen Wagen stand. Zwei Exemplare dieses ersten Kruppschen Ballongeschützes befinden sich im Berliner Zeughaus, andere Exemplare in den Waffensammlungen zu Dresden und München.
Außer diesen Freiballonen verwendeten die Franzosen in Paris Fesselballone, um unsere Stellungen zu erkunden. Sie verfielen dabei auf den originellen Gedanken, die Drahtseile, an denen die Ballone gehalten wurden, an einer Lokomotive zu befestigen, so daß sie den Ballon in der Luft hin- und herfahren lassen konnten.
Ihre Versuche, mittelst Luftballonen bei günstigem Wind von verschiedenen Städten des Landes aus nach Paris zu gelangen, schlugen gänzlich fehl.
Als die Not im belagerten Paris immer größer wurde, von den Armeen und der Regierung im Lande aber keine Hilfe kam, erinnerte man sich der Versuche, die der Ingenieur Giffard in den Jahren 1852 und 1855 mit einem Luftschiff gemacht hatte. Das Kriegsministerium beauftragte einen tüchtigen, doch mit lufttechnischen Dingen nicht vertrauten, Marineingenieur, [S. 219] namens Dupuy de Lôme, ein lenkbares Fahrzeug zu bauen, das über die Köpfe der Belagerer hinweg bei Nacht den Verkehr zwischen Paris und dem Lande unternehmen sollte. Mit allem Eifer ging man sogleich an den Bau. Da es nicht möglich war, in Paris eine geeignete Betriebsmaschine für das Luftschiff zu finden, begnügte der Erbauer sich mit dem Antrieb der Luftschraube durch Menschenkraft: acht Soldaten mußten in der Gondel mittelst Kurbeln die Luftschraube drehen. Das Luftschiff hatte eine Länge von 36,2 Metern und einen Durchmesser von 14,84 Meter.
Doch ehe das Luftschiff fertig war, hatten wir Paris genommen. Erst am 2. Februar 1872 konnte dieses Luftschiff seine einzige Probefahrt machen. Es hatte eine zu geringe Geschwindigkeit und wurde deshalb sogleich auf Abbruch verkauft.
Unsere günstige Lage im deutsch-französischen Krieg stellte an uns keine lufttechnischen Aufgaben. Dennoch wurden Anfang September 1870 in Köln zwei Luftschifferabteilungen mobil gemacht, die bei der Belagerung von Straßburg zu Erkundigungen aufstiegen. Als sie nach dem Fall von Straßburg nach Paris geschickt wurden, konnte unsere Einschließungsarmee die Ballone nicht verwenden, weil es dort an Gas zur Füllung fehlte.
Auch die heutige Ansichtspostkarte wurde aus dem Krieg geboren.
Die Postkarte selbst war erst am 25. Juni 1870 zum erstenmal zur Ausgabe gelangt. Bald nachher [S. 220] kam der Krieg. Da druckte, es war am 16. Juli, der Buchhändler August Schwartz in Oldenburg, auf eine gewöhnliche Postkarte ein in seiner Druckerei vorhandenes Bildchen ab, das einen Artilleristen an seinem Geschütz zeigt. Seine Schwiegereltern waren nämlich in Marienbad, und hatten große Not, sich durch den Truppenaufmarsch bei der Mobilmachung bis Oldenburg durchzuschlagen. Bis Magdeburg waren sie gekommen, mußten dort aber Aufenthalt nehmen. So begrüßte der Schwiegersohn sie dort in der Hoffnung auf baldiges Wiedersehen mit der oben abgebildeten Karte, deren Bildchen ein Hinweis auf den Kriegszustand sein sollte.
Im Oktober 1875 erschien diese artilleristische Bilderkarte mit 24 ähnlichen Karten, die teils humoristische, teils ernste Bilder trugen, bei Schwartz im Handel.
Alsbald nahmen Gasthäuser und Vergnügungsorte die Idee der Bilderpostkarte zu Reklamezwecken auf.
Johann Joachim Becher, der Sohn eines Pfarrers aus Speyer, ein im 17. Jahrhundert vielgelesener Schriftsteller, kam später in Verruf, weil die Eigenart und die Menge der von ihm geäußerten Ideen so garnicht in den ruhigen Gedankengang des bezopften Gelehrtentums des 18. Jahrhunderts passen wollte. Erst den neueren Bestrebungen zur Erforschung der Geschichte der Naturwissenschaften, besonders der Geschichte der Chemie, ist es zu danken, daß man sich die Werke von Becher näher ansah. Wir lernten in [S. 222] ihm einen zwar unruhigen aber äußerst vielseitigen und fruchtbaren Geist kennen. So berichtet er z. B. schon von der Brauchbarkeit des Gases zur Beleuchtung, von der Nutzbarkeit des Torfes, von der Spritfabrikation aus Kartoffeln und von vielen andern erst weit später verwirklichten Ideen.
In Bechers Buch „Närrische Weißheit Und Weise Narrheit Oder Hundert / so Politische alß Physicalische / Mechanische und Mercantilische Concepten und Propositionen / Deren etliche gut gethan / etliche zu nichte worden / Samt den Ursachen / Umbständen und Beschreibungen derselben“ (Frankfurt 1682) wird unter anderen Ideen auch von einem Knalldämpfer für Gewehre berichtet. Es heißt nämlich im ersten Teile des Buches — wo diejenigen Erfindungen aufgeführt werden, „welche dem euserlichen Ansehen nach närrisch, irraisonnable und ohnmöglich geschienen, dennoch in praxi wohl succedirt, und mit Nutzen reussiret“ — und zwar im 21. Kapitel: „Dousons Kunst-Rohr, welches da schießet mit gemeinem Pulver und Bley, als ein ander Rohr, und doch keinen Knall tut, und besteht die Kunst allein in Bereitung des Rohrs.
Diese Invention schickt sich zu den vorigen zweyen (diese beiden Erfindungen behandeln das Süßwasserbereiten aus Meerwasser auf kaltem Wege), denn ob sie wohl mechanisch ist, so thut sie doch einen wunderlichen Physikalischen Effect: Man hat zwar vor diesem viel vom stillen Pulver gesagt, es ist aber gedachtes Pulver still geblieben, und nie vor den Tag kommen, so viel mir allzeit wissend, und so fleißig ich nach demselben gefraget. Dieses Dousons Rohr aber hat gantz [S. 223] eine andere Bewandtniß, denn er nimmt gemein Pulver und gemein Bley in der ordinari-Ladung und thut weiter nichts darzu, schießet so stark als ordinari, und wird doch kein Knall gehöret, und bestehet die Kunst allein in dem Rohr, dessen Structur den Knall supprimirt. Ich habe zwar selbst den Effect dieses Rohres nicht gesehen, aber Se. Hoheit, der Prinz Ruprecht haben mir etliche mahl gesagt, daß sie dergleichen Rohr haben, und die Probe darmit gethan, wie es mir dann auch Douson selbsten bekräfftiget.“
Becher lebte in den letzten Jahren seines Lebens in England. Auch Ruprecht von der Pfalz hielt sich von 1673 bis zu seinem Tode in Windsor auf. Ruprechts physikalische und mathematische Sammlungen sind zum Teil heute noch in England erhalten. Es wäre also nicht unmöglich, daß ein in seinem Besitz gewesenes Rohr, „dessen Structur den Knall supprimirt“, sich noch jetzt in England vorfände.
Der von Becher genannte „Douson“ hieß richtig d’Esson. Er war 1604 zu Reims geboren und machte sich als Kupferstecher und Mechaniker einen Namen. Er wird bei allerlei Erfindungen damaliger Zeit genannt, doch ist sein Name meist verstümmelt, z. B. als: du Son, Tousson, Deson, Lisson, d’Egmond, d’Aigmond usw.
Das heute im Lande so begehrte Petroleum ist nicht von Amerika aus bei uns bekannt geworden, sondern schon das Altertum kannte Erdölquellen und verwen [S. 224] dete deren Produkt als Waffe. Der bedeutendste Kriegsschriftsteller des römischen Kaisertums, Flavius Vegetius, der um die Völkerwanderungen schrieb, berichtet nämlich, daß man in besonders konstruierten Brandpfeilen Harz, Schwefel, Erdpech oder Erdöl brennend eingoß und so gegen den Feind schoß. Die Brandpfeile trugen hinter der Spitze eine spindelförmige, durchlöcherte Hülse, die mit Werg vollgestopft und mit den erwähnten brennbaren Stoffen getränkt war. Ein solcher Feuerpfeil durfte aber nur von einem mäßig gespannten Bogen abgeschossen werden. Er hatte also keine große Kraft und reichte nicht weit. Auch wußte der Feind, daß man diese Feuerpfeile durch Aufwerfen von Erde ersticken könne.
Man trachtete deshalb früh nach der Erfindung von Feuerwerkssätzen, die nicht leicht ausgelöscht werden könnten. Als eine der ersten Errungenschaften der Kriegsfeuerwerkerei ist wohl allen aus dem Geschichtsunterricht noch das sogenannte griechische Feuer in Erinnerung. Richtig heißt es „Byzantinisches Kriegsfeuer“, denn es wurde unter den byzantinischen Kaisern erfunden, und dieser Zeit galt das Wort Grieche als ein schlimmes Schimpfwort. In diesem Kriegsfeuer war nur das Erdöl enthalten; sicherlich, weil es schon bei etwa 40 Grad sehr leicht entzündliche und in Vermischung mit Luft explosive Dämpfe entwickelt. Die Erfindung des byzantinischen Feuers wird auf Kallinikos, einen Kriegsbaumeister aus Heliopolis in Syrien, zurückgeführt. Das Erfindungsjahr soll das Jahr 671 sein. Schon 678 zerstörten die Byzantiner mit diesem Feuer eine Belagerungsflotte der Araber vor Kyzikos. Im Jahre 716 wurde die Hauptstadt [S. 225] Byzanz zum ersten Male durch griechisches Feuer verteidigt. Den größten Triumph erlangte die Erfindung im Jahre 941, als Kaiser Konstantinos VII. mit seiner aus 15 Fahrzeugen bestehenden Flotte durch griechisches Feuer die aus mehr als 1000 Schiffen bestehende Flotte der Russen vor Byzanz vertrieb und zum Teil zerstörte. Der Kaiser erkannte die Wichtigkeit dieser Erfindung, und sagte deshalb in seinen Schriften über die Staatsverwaltung darüber: „Ein Engel, das sage jedem, der dich darüber fragt, ein Engel brachte diese Wundergabe dem ersten christlichen Kaiser Konstantin, und trug ihm auf, dies flüssige Feuer, das aus Röhren Verderben auf die Feinde speit, einzig für die Christen und nur in der christlichen Kaiserstadt Konstantinopel zu bereiten. Niemand, so wollte es der große Kaiser, sollte dessen Zubereitung kennen lernen; kein anderes Volk, wer es immer sei.... Deshalb ließ er selber im Hause des Herrn eine Tafel aufhängen, auf der mit großen Buchstaben eingegraben stand, daß, wer dieses wichtige Geheimnis einem fremden Volke verrate, als ehrlos und des christlichen Namens für verlustig erklärt wurde; ihn, den niederträchtigen Verräter, treffe die härteste und grausamste Strafe.... Als dennoch ein Großer des Reichs dies Geheimnis verriet, traf ihn die Strafe des Himmels: eine Flamme kam, als er in das Gotteshaus eintrat, vom Himmel herab, ergriff ihn und enthob ihn den Blicken der von großem Schrecken ergriffenen Sterblichen.“
Der Kaiser umgab also die Erfindung absichtlich mit einem großen Geheimnis und führte ihre Entstehung sogar auf Kaiser Konstantin den Großen zurück. Erst vor wenigen Jahren hat v. Romocki in seiner [S. 226] Geschichte der Explosivstoffe (1895, Bd. 1) auf Grund sehr schwieriger Textuntersuchungen festgestellt, was dieses griechische Feuer eigentlich war. Er zeigte vor allem dabei, welch wichtige Rolle der Zusatz von Erdöl bei der Wirkung dieses so gefürchteten Kriegsfeuers spielt. Romocki konnte nämlich nachweisen, daß sich die Rezepte des byzantinischen Feuers, allerdings in entstellter Form, in spätere Schriften von Kriegstechnikern eingeschlichen hatten. Dort wird nun berichtet, daß die aus Schwefel, Harz, Erdöl, Salz und gebranntem Kalk bestehende Mischung aus Druckspritzen gegen den Feind geschleudert wurde. Da sich gebrannter Kalk in feuchter Luft — oder in einer Seeschlacht bei Berührung mit dem Wasser — bis auf 150 Grad erhitzt, so mußte er in dem beigemischten Erdöl leicht entzündliche Dämpfe entwickeln.
Brachte man eine größere Menge eines aus Erdöl und ungelöschtem Kalk bestehenden Feuerwerkssatzes dadurch mit vielem Wasser in Berührung, daß man das Gemisch von einem Schiffe aus durch Spritzen auf der Wasseroberfläche sich ausbreiten ließ, so entzündete sich das Erdöl nicht ruhig, sondern die starke Erhitzung des Kalkes rief aus dem Erdöl eine plötzliche heftige Entwicklung von Dämpfen hervor, die, mit Luft gemischt, stark explosiv wirkten. Natürlich konnte man ein solches Gemisch auch an der Mündung der Druckspritzen bereits entzünden.
Die alten Kriegstechniker waren bei der Bereitung ihrer erdölhaltigen Feuerwerke auch auf die Destillation des Petroleums gekommen, d. h. sie verstanden es schon, die am leichtesten flüchtigen und wegen ihres hohen Gehaltes an brennbarem Wasserstoff mit der höchsten [S. 227] Wärmeentwicklung brennenden Teile des Erdöls auszuscheiden. Schon in vorchristlicher Zeit kannte man die Harzdestillation und betrieb sie besonders in der Stadt Kolophon. Deshalb nennt man noch heute die bei der Verflüchtigung des Terpentinöls zurückbleibende Masse „Kolophonium“. Wie einfach die Destillation vor sich ging, berichtet uns Plinius der Ältere ums Jahr 65 n. Chr. (Buch 1, Kap. 7); man kocht das Produkt und spannt währenddem über dem Kessel Felle aus. Diese Felle, in deren Wolle sich die flüchtigen Teile verdichtet hatten, wurden alsdann ausgedrückt. Das 4. Jahrhundert n. Chr. kannte aber bereits Destillierapparate mit Vorlagen. In byzantinischer Zeit wird dann verschiedentlich vom Destillieren des Petroleums gesprochen, wenn Rezepte für unauslöschbare Feuersätze gegeben werden.
Das Pferd braucht, solange es in der Freiheit lebt, keine Hufeisen. Wenn es aber Lasten ziehen, oder Menschen tragen muß, oder wenn es gar auf steiniger Straße geht, nützen sich seine Hufe schnell ab. Im Altertum schützte man deshalb die Pferdehufe durch untergebundene Sohlen oder Schuhe aus Bast, Ginster, Filz oder Leder. Besonders schwache Hufe schützte man in der Römerzeit durch eine eiserne Sohle, die mit Riemen am Huf befestigt wurde.
Wann und wo die untergenagelten Hufeisen aufkamen, wissen wir nicht genau. Diesseits der Alpen verwendeten die Römer bestimmt untergenagelte Huf [S. 228] eisen für Pferde. Besonders auf der Saalburg, jenem großen Römerkastell nahe Frankfurt a. M., fanden sich zahlreiche Hufeisen aus der Römerzeit.
Erst seit dem 9. Jahrhundert begann man, die Kriegspferde allgemein zu beschlagen.
Der Sattel wurde im Altertum zunächst nur bei größeren Tieren, besonders bei Kamelen verwendet, um ihnen Lasten bequem aufladen zu können. Erst in römischer Zeit sieht man einzelne Reitpferde von Offizieren auf Grabdenkmälern gesattelt dargestellt. Seit dem 4. Jahrhundert wird der Reitsattel für Krieger allgemein. Bis dahin saß man auf einer dem Pferd übergeschnallten Decke.
Im Altertum bestieg man das Pferd entweder mit einem Sprung, oder mit Hülfe eines an den Heerstraßen in gewissen Abständen aufgestellten großen Steines. Die Soldaten hatten an den Schäften ihrer Lanzen eine starke Lederschleife, in die sie mit dem einen Fuß hineinstiegen, um sich bequemer auf das Pferd schwingen zu können. Erst im 6. Jahrhundert kommt vereinzelt der Steigbügel vor. Es war aber stets an jedem Pferd zunächst nur ein Bügel angebracht, da man ihn nur zum Aufsteigen, nicht zum Festhalten beim Reiten gebrauchte.
Erst unter Kaiser Otto I., im 10. Jahrhundert, wurde die Benutzung von zwei Steigbügeln allgemein gebräuchlich.
Sporen finden sich bei den Einwohnern von Mitteleuropa schon im 3. Jahrhundert v. Chr. und zwar bestehen sie aus einem kurzen eisernen Bügel, an dessen Mitte eine kleine Spitze sitzt. Man befestigt den Bügel [S. 229] mittels Riemen am Fuß. Die Römer aber kannten bereits die Rädchensporen. Sie bogen jedoch den Rädchenhalter so stark nach auswärts, daß man auch bei einer schrägen Haltung des Fußes das Pferd nicht zufällig mit dem Rädchen treffen konnte.
Man liest allgemein im Jahre 1340 habe Augsburg, 1344 Spandau und 1348 Liegnitz je eine Pulvermühle besessen. Schon nach Lage des damaligen Büchsenmeister- und Feuerwerksberufs erschienen mir diese Angaben als unwahrscheinlich. Was hätte man mit dem Quantum Schießpulver anfangen wollen, das eine Mühle täglich zu produzieren imstande ist? Sicherlich hat im 14. Jahrhundert der Handmörser in den meisten Fällen genügt, um das von Fall zu Fall notwendige Schießpulver zu bereiten. Ich wandte mich jedoch auch an die drei genannten Städte und erfuhr von dort, daß nichts von Pulvermühlen in so früher Zeit bekannt sei.
Das Stadtarchiv in Augsburg schrieb: Es ist mir keine urkundliche Nachricht bekannt, die auf ihre Anfrage Auskunft gäbe.
Spandau besitzt eine große handschriftliche Chronik von D. F. Schulze, die von Oberpfarrer Recke neu bearbeitet wurde. Letzterer teilte mir mit, daß irgend eine Angabe über Schießpulver oder Geschütze so früh in der Chronik nicht enthalten sei. Die gedruckte Geschichte der Stadt von Kuntzemüller sagt, daß die erste Pulvermühle dort 1578 angelegt sei.
Über die angebliche Pulvermühle in Liegnitz stellte das dortige Rathäusliche Archiv auf meine Bitte eingehende Nachforschungen an. Zunächst wurde festgestellt, daß in den Urkunden des Stadtarchivs bis zum Ende des Mittelalters, in den Stadtbüchern auch bis zu diesem Zeitpunkte und in den Schöppenbüchern bis zum Jahre 1424 keine Nachricht über eine Pulvermühle zu finden sei. Die Petro-Paulinische Kirchenchronik, eine Handschrift vom Ende des 17. Jahrhunderts, erwähnt die erste Pulvermühle im Jahre 1624: „Anno 1624 d. 19. Juli geht die Pulvermühle im Rauch auf: erstlich die Offizin, da bleibet Meister und Junge; hernach die Stube, worinnen in die 16 Zentner Pulver gelegen, mit erschrecklichem Krachen, Beben und Schaden der ganzen Stadt. Die Meisterin springet in die Bach und wird salviret. Anno 1685, den 6. Dezember, zwischen 7 und 8 Uhr des morgends (ist die neue Pulvermühle) abermals in die Luft geflogen, darinnen damahls in der 40 Pfund gewesen, und die Mühle stille gestanden, da gleich der Geselle darin gewesen, so sehr beschädigt worden.“
Nach dem Vorstehenden muß man also die bisherige Annahme, es hätten in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu Augsburg, Spandau und Liegnitz Pulvermühlen bestanden, fallen lassen.
Die erste sichere Nachricht von der Bereitung des Schießpulvers haben wir aus dem Jahre 1360 aus Lübeck. Dort verbrennt „durch die Unvorsichtigkeit derer, die das Schießpulver für die Geschütze bereiten“ das Rathaus.
Als Napoleon I. zur Besiegung seines Todfeindes England das europäische Festland absperrte, war es nicht mehr möglich, den in England damals in bester Qualität hergestellten Gußstahl, der besonders zu Werkzeugen und Waffen verwendet wurde, zu erlangen. Deshalb beschäftigten sich viele Techniker mit dem Geheimnis der Gußstahlbereitung. Auch Kaufleute versprachen sich von der Herstellung dieses wichtigen Materials große Vorteile. So der Essener Kaffeehändler Friedrich Krupp. Der später berühmt gewordene Sohn von diesem, Alfred Krupp, erklärte später: „Sagen Sie nur, daß mein Etablissement im Jahre 1810 infolge einer Preisaufgabe Napoleons I. gegründet wurde, welcher den Fabrikanten von Gußstahl gleich dem englischen 1 Million Franks verhieß.“ Da Essen damals zu Frankreich gehörte, hatte Krupp Hoffnungen, die von der französischen Regierung ausgesetzten Preise auf die Herstellung von Gußstahl und Stahldraht zu erringen. Als der Erfolg aber erzielt war, war die Franzosenherrschaft in Essen längst zu Ende.
Alfred Krupp, der spätere Kanonenkönig, versuchte seit dem Jahre 1844, Geschützrohre aus Gußstahl herzustellen. Da es nicht möglich war, schwerere Blöcke als 300 Pfund zu gießen, machte die Verwendung zu Geschützen Schwierigkeiten. Krupp mußte sich deshalb damit begnügen, nur die Seele des Geschützes aus Gußstahl zu machen, während die Ummantelung, der Boden und die Zapfen des Geschützes aus Gußeisen bestanden.
Es ist nun auffallend, daß sich neben Krupp zu gleicher Zeit in der Nachbarschaft eine andere Fabrik mit der Erfindung der Gußstahlgeschütze beschäftigte. Es war die Firma Mayer & Kühne, jetzt als Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation bekannt. Zu Ende des Winters 1846 wandten Mayer & Kühne sich nach Berlin, um dort ein Patent auf ihre Gußstahlgeschütze zu erhalten. Auch sie wollten, vielmehr konnten, nur ein Kernrohr aus Gußstahl in eine gußeiserne Ummantelung eingießen. Da sie ihr Patentgesuch nicht auf die Konstruktion, sondern lediglich auf das Material gestützt hatten, wurde ihnen das Patent in Berlin versagt.
Alfred Krupp reichte sein Patentgesuch in Berlin im Jahre 1847 ein. Die noch erhaltene Originalzeichnung zu seinem Gußstahlgeschütz trägt das Datum vom 31. Juli 1847. Krupp legte in seinem Patentgesuch den Hauptwert auf die Verbindung des Kernrohres aus Gußstahl mit dem Mantel aus Gußeisen. Und so wurde ihm denn das Gußstahlgeschütz am 27. September 1849 für Preußen patentiert.
Solche Geschichten könnte ich aus alten Büchern gar noch viele erzählen. Aber allerlei mahnt zum Schluß. Das Buch würde sonst zu dick, zu schwer für die Feldpost, zu teuer und auch zu spät fertig. Also Schluß.
Auch beim Bücherschreiben sind drei Dinge schwerer als die übrige ganze Arbeit: 1. ein guter Titel, 2. ein verständiger Anfang und 3. ein „schöner“ Schluß.
Sicherlich säße ich bei diesen drei Dingen kauend an meinem Federhalter, wenn ich nicht alles auf der Schreibmaschine geschrieben hätte und diese sich doch nur schwer anknabbern läßt.
Aber halt. Ein Schluß!
Von Glocken will ich erzählen. Von den Glocken aus alten Geschützen, den herrlichen Verkündern eines langdauernden Friedens.
Ich hatte vor einigen Jahren eine genußreiche Nacht im Hause jenes Glockengießers in Apolda, bei dem Schiller seine Studien zum „Lied von der Glocke“ machte. Am Abend vor dem Guß wurden 50 bis 60 Zentner alte bronzene Geschützrohre und Metallbarren in den großen Schmelzofen gebracht, der im wesentlichen einem Backofen ähnelt. Nur die große Tür des Ofens liegt etwas höher als bei einem Backofen; denn sonst würde das schmelzende Metall zur Tür herauslaufen. An der linken Seite hat der Ofen das nach der Gießgrube hinführende Ausflußloch für das glühende Metall. An der rechten Seite ist ein hoher Schacht neben dem Ofen aufgemauert. Der Schacht hat unten einen Rost, und die Flamme, die hier durch ununterbrochenes Nachheizen von Fichtenholz erzeugt wird, schlägt in den Schacht empor. Da aber der Schacht jedes Mal wieder geschlossen wird, sobald ein Scheit Holz in das Feuer geworfen wird, muß die gewaltige Flamme ihren Weg in den nebenstehenden Ofen nehmen. Die viele Meter langen Stichflammen umzüngeln die im Ofen aufgeschichteten Geschützrohre und Metallblöcke und entweichen an der andern Seite des Ofens durch einen hohen Schornstein. Von sechs nachmittags, bis über den nächsten Mittag hinaus, sitzt [S. 234] der Meister dem Ofen gegenüber in einem Sessel. Die Flammengarbe preßt sich andauernd in einem breiten Fächer zwischen Ofenwand und Ofentür hervor, und sobald diese dunkelrot und stark qualmenden Feuerzungen nachlassen, ertönt des Meisters Ruf: „Auf“. Dann öffnet ein Mann den Schieber des Feuerschachtes und wirft Holz auf. Stunde um Stunde verrinnt, nur unterbrochen von dem eintönigen Kommandoruf, von dessen richtiger Abgabe doch so vieles abhängt. Denn wird zu wenig geheizt, dann würde sich die Vorbereitung zum Guß endlos lange hinziehen; würde aber zu stark geheizt, dann würde das Metall, und besonders das Zinn der Legierung verbrennen und ein anderes Gemisch aus dem Ofen herauskommen, als in den Ofen hineingeschickt wurde.
Auch muß der Meister das Kommando geben, um in großen Zwischenräumen weiteres Metall in den Ofen zu bringen. Zu diesem Zweck werden kleine Metallstücke vor der Ofentür aufgebaut, damit sie sich anwärmen. Dann wird die Tür aufgezogen und Metall in die flüssige Glut hineingestoßen. Gegen Ende der Schmelzzeit werden mit langen Eisenhaken die auf dem glühenden Metall schwimmenden, fast schneeweiß anzusehenden Schlacken abgezogen. Schiller erklärt uns in seinem „Lied von der Glocke“, man tauchte ein Stäbchen ein, um die Güte des Metalls zu prüfen. Heute wendet man dieses Verfahren nicht mehr an, sondern man achtet auf das Verhalten des Metalls und der Schlacke. Wenn der „Brei“ noch nicht gut ist, weicht die Schlackenmasse zurück, und der bloßgelegte flüssige Metallspiegel im Ofen erscheint schwarz. Ist aber die richtige Temperatur erreicht, dann sieht sich die [S. 236] Oberfläche der glühenden Masse an wie ein glänzender Spiegel. Nach der Zeit kann sich der Glockengießer nicht richten, denn manches Mal muß der Ofen vier oder fünf Stunden länger oder kürzer brennen, bis die richtige Temperatur erreicht ist. Vier Fuhren Fichtenholz und für etwa 56000 Mark Rohmaterial waren seit sechs Uhr abend in dem Ofen verschwunden. 16 Glocken standen in der Gießgrube dicht vor dem Ofen und 16 andere Glocken in einer benachbarten Grube. Vom Abflußloch des Ofens aus waren die einzelnen Glocken durch einen fausttiefen, aus Lehm geformten Kanal miteinander verbunden. Damit aber das Metall nach und nach von Glocke zu Glocke laufen mußte, waren die Kanäle vor jeder Glocke durch eine senkrecht stehende Dachschindel verschlossen.
Alle Mann, von der nur durch zeitweisen Schlaf unterbrochenen dreißigstündigen Arbeitszeit ermüdet, warten auf das Kommando: „Fertig“. Die Gesellen treten zwischen die Glockenformen und halten dort die Gießöffnungen der dem Ofen am nächsten stehenden Glocken durch eiserne Stangen verschlossen, damit das Metall nicht in mehrere Glocken zugleich gelangen kann. Alle stehen in sichtlicher innerer Erregung vor den letzten entscheidenden Augenblicken ihrer mehrwöchigen Arbeit. „Hut ab“ ruft der Meister; alles entblößt den Kopf. „Und der Herr unser Gott sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände.“ So betet Meister Schilling, während er eine lange Eisenstange mit riesigen, über die ganzen Arme hinaufreichenden Handschuhen gegen die Öffnung des Ofens hält. Noch einen Augenblick Stille; dann: „Achtung“ — „Stoßt auf“, mit einem gewaltigen Ruck hat der [S. 237] Meister den eisernen Zapfen mittels der Eisenstange in das Innere des Ofens hineingestoßen. Die flüssige Bronze fließt in einem nur zwei bis drei Finger dicken Strahl ruhig aus dem Ofen und nimmt ihren Weg in die Öffnung der zunächst stehenden Glockenform. Aus zwei „Pfeifen“ entweicht die im Innern der Glockenform befindliche Luft. Ein klein wenig Dampf und ein gurgelnder Ton ist alles, was man während der kurzen Dauer des Gusses äußerlich an der Form wahrnehmen kann. Wenn sich die Form mit flüssigem Metall gefüllt hat, wird die Glut in den beiden Pfeifen sichtbar und brodelt wohl auch ein wenig aus ihnen heraus. In diesem Augenblick wird die Schindel zerschlagen, die dem Glockenmetall den Zugang zur nächsten Form sperrte. So werden nach und nach alle Formen mit Metall gefüllt. Die 16 ersten Glocken zu gießen forderte etwa acht Minuten Zeit. Dann wurde der noch glühende Ofen von neuem mit einigen Geschützen und fertig abgewogenen Metallblöcken beschickt und zum Guß für die übrigen 16 Glocken geheizt. Die in dem Mauerwerk aufgespeicherte Glut beförderte das Schmelzen so sehr, daß dieser Guß schon nach wenigen Stunden erfolgen konnte.
Nach zwei bis drei Stunden wird die Erde aus der Grube herausgeschaufelt und die Glocke vom Kran emporgezogen. Das Reinigen und Abfeilen und das Nacharbeiten der Inschriften und Verzierungen mit dem Meißel vollendet die Glocke.
Meister Schilling hat während seiner langen Tätigkeit 6728 Glocken gegossen. Nun wartet er auf den Frieden, der ihm wieder sein edles Metall freigibt.
Der knappe Raum gestattet es nicht, zu jedem einzelnen Artikel die benutzten Werke anzuführen. Es sei deshalb hier auf die Stellen verwiesen, die in den meisten Fällen genügend Auskunft geben können:
F. M. Feldhaus. Die Technik der Vorzeit, der geschichtlichen Zeit und der Naturvölker . Ein Handbuch für Archäologen und Historiker, Museen und Sammler, Kunsthändler und Antiquare. Leipzig 1914. 1400 Spalten Text mit 873 Abbildungen.
F. M. Feldhaus. Ruhmesblätter der Technik von den Urerfindungen bis zur Gegenwart . Leipzig 1910. 631 Seiten mit 231 Abbildungen.
F. M. Feldhaus. Leonardo da Vinci, der Techniker und Erfinder . Jena 1913. 166 Seiten mit 9 Tafeln und 131 Abbildungen.
Geschichtsblätter für Technik, Industrie und Gewerbe, illustrierte Monatsschrift . Herausgegeben von Graf v. Klinckowstroem und F. M. Feldhaus. Berlin, seit 1914. Monatlich ein Heft.