Title : Die Karikatur im Weltkriege
Author : Ernst Schulz-Besser
Release date : June 10, 2016 [eBook #52299]
Language : German
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: Produced by Peter Becker, Harry Lamé and the Online
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Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende dieses Textes .
Mit Genehmigung des Polizeiamtes der Stadt Leipzig
Abteilung für Presse-Angelegenheiten
Die
Karikatur im Weltkriege
von
Ernst Schulz-Besser
Mit 115 Abbildungen
Verlag von E. A Seemann / Leipzig
Druck von Ernst Hedrich Nachf., G. m. b. H., Leipzig
Wenn irgend etwas, so spiegelt die Karikatur die Empfindungen der verschiedenen Völker, ihre Zuneigungen oder Abneigungen, die ganze Stufenleiter ihrer Gefühle wider. Es ist eine alte Wahrheit, daß die Kultur oder oft besser gesagt — die Unkultur nirgends packender zum Ausdruck kommt als im Spottbilde. An der Hand der Karikaturen können wir nicht nur die Stimmung in den feindlichen Ländern verfolgen, sondern auch die schwankenden Anschauungen in „Neutralien“ kennen lernen, wo Freunde und Feinde der Zentralmächte vereinigt leben. So kommt es, daß sich auch in der Karikatur das Drama „Weltkrieg“ abspielt, das alle ohne Ausnahme in Mitleidenschaft gezogen hat und jedes Land zu irgendeiner Rolle zwingt. Denn immer geringer werden die bloßen Zuschauer. Die bedeutenderen Zeichner aller Völker greifen tätig in die gewaltigste Bewegung ein, die je eine Zeit erfüllt hat.
Schon der letzte große Krieg, den das Deutsche Reich schlagen mußte, der von 1870/71, hatte eine Fülle von Karikaturen im Gefolge. Namentlich das besiegte Frankreich stellte eine große Masse von Spottbildern her, die sich mehr durch Schamlosigkeit und Roheit, als durch künstlerische Werte auszeichneten. Der damals schon 60 Jahre alte Honoré Daumier war mit immer noch recht beachtenswerten Leistungen vertreten. Es ergibt sich eine schier unübersehbare Menge von vielen Zehntausenden von Karikaturen über Personen und Dinge des deutsch-französischen Krieges. Zwar vermögen uns — mit wenigen Ausnahmen — diese satirischen Kleinkünste (auch die deutschen) ästhetisch ebensowenig zu befriedigen wie die deutschen Schlachtengemälde des siebziger Krieges, doch als geschichtliche und kulturgeschichtliche Dokumente sind sie uns wert, als Erinnerung an eine große Zeit. Heute hat es der Künstler der Gegenwart, der mit ins Feld hinauszieht, um Studien zu machen, bedeutend schwerer als seine Kollegen von 1870. Erstens haben sich unsere Kunstanschauungen gewandelt und zwar gründlich, dann aber sieht sich jetzt der Zeichner bei der modernen Gefechtsweise vor eine ungleich schwierigere Aufgabe gestellt als seine Vorgänger von damals, wenn er dem Erleben sinnlichen Ausdruck geben will.
Eine sehr umfangreiche Sammlung von Karikaturen aus der Zeit des siebziger Krieges besitzt die Berliner Königliche Bibliothek, die auch diesmal neben anderen Instituten und zahlreichen Privaten die Veröffentlichungen über den Weltkrieg eifrig sammelt. Durchaus nicht alles, was erscheint, ist literarisch und künstlerisch bedeutsam, aber echte Sammler heben diese Dinge auf, auch das Kleinste und Unscheinbarste, als vergängliche Zeugnisse einer ungeheuer großen Zeit, mit der ein neuer Abschnitt der Weltgeschichte beginnt.
Wie verhältnismäßig leicht hatten es die Sammlungen und Sammler der siebziger Jahre — trotz der Fülle des Erschienenen — gegen die unserer Tage! Zwar in Frankreich ist unter dem Druck der gewaltigen Ereignisse der Born der Satire zunächst nur langsam geflossen, die Künstler des Humors und Witzes hatten das Lachen verlernt, oder es war zur Grimasse geworden. Aber die andern Länder, vor allem Deutschland, wetzten diese Scharte überreichlich aus. Gerade weil es niemand, auch den öffentlichen Sammlungen nicht, gelingen wird, eine auch nur annähernde Vollständigkeit zu erreichen, bietet sich dem einzelnen hier ein fruchtbares Feld. Aber es heißt, rasch zugreifen. Schon sind manche Einblattdrucke und Gelegenheitszeitungen außerordentlich selten.
Ein trefflicher Maßstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes ist seine Fachpresse; ihr Fortbestehen während der Kriegszeit kennzeichnet am besten die Widerstandskraft eines Reiches. In Frankreich haben viele wissenschaftliche Zeitschriften ihr Erscheinen im Sommer 1914 eingestellt und fehlen zum Teil noch heute. Die großen Tageszeitungen kommen auch jetzt noch in sehr verringertem Umfange heraus, während in England und in Deutschland fast die gesamte Presse ohne Unterbrechungen und Kürzungen erscheint und außerdem eine große Reihe neuer fortlaufender Veröffentlichungen entstanden ist. Auch das ist ein Zeichen deutscher Kraft und Überlegenheit. Ja, es ist der Fülle des Guten bei uns etwas reichlich viel geworden! Schon im November 1914 klagten die Buchhändler darüber, daß jeder Verleger sich verpflichtet fühle, eine Kriegsgeschichte herauszugeben, und daß es ihnen unmöglich sei, allen Wünschen um Verwendung für diesen reichen Segen nachkommen zu können. Waren doch schon in den ersten Wochen mehrere Dutzend Kriegs-Chroniken in Lieferungen angezeigt worden!
Selbst in den ernstesten Zeiten ist Witz und Satire nicht zu bannen; auch während dieses fürchterlichen Völkerringens lassen sich heitere Augenblicksbilder nicht ausschalten. Und schließlich, halten wir uns doch immer vor Augen: wirklicher Humor ist nur bei sittlich reifen und wahrhaft ernsten Menschen zu finden. Es wäre ja auch schlimm bestellt, wenn den vielen Millionen, deren Nerven jetzt aufs äußerste in Anspruch genommen werden, der Sinn für den Scherz verloren ginge! Die Karikatur ist eben eine Großmacht. Ein gut gezeichnetes Blatt prägt sich dem Gedächtnis weit stärker ein als der schönste Leitartikel, und manche Blätter können sogar erzieherisch wirken! Aber der Humor leistet noch mehr: er hilft den Kampf gewinnen. „Ich habe hier draußen die Erfahrung gemacht“, schreibt der Tübinger Nationalökonom Professor Robert Wilbrandt als Ortskommandant von La Roche bei Longwy an den „Kladderadatsch“, „wie wohltuend der Humor aus der Heimat uns ist, gerade jetzt in diesem einzigen Kampf, wo er jubelnd erklingt, wo er so ganz andere Objekte und so viel Grund hat zum Lachen. Für mich und meinen Zug habe ich durch Bestellung gesorgt; das zirkuliert dann noch weiter. Aber was bedeutet das gegenüber dem Bedürfnis; an der Front ist es gewiß noch viel stärker als hier beim friedlichen Landsturm. Eine nationale Mission ist zu erfüllen. Der Humor schlägt Schlachten. Im feuchten Schützenloch hilft er mit. Witzblätter an die Front! Das ist meine Bitte an Herausgeber, Stifter, Vereine, Liebesgabenspender. Möge Ihr Blatt diese Bitte beherzigen, unterstützen und verbreiten!“
Dem „Kladderadatsch“, der in den annähernd siebenzig Jahren seines Bestehens immer und fast ausschließlich die politische Satire pflegte und über einen ausgezeichneten Stab von Mitarbeitern, vor allem auch unter seinen Zeichnern, verfügt, war es nicht schwer, der begeisterten Erhebung der Deutschen Ausdruck in Wort und Bild zu verleihen. Von Gustav Brandt , dem Schüler der Düsseldorfer und Berliner Akademie, rührt seit Jahrzehnten das künstlerisch Feinste und Wichtigste her, das der „Kladderadatsch“ gebracht hat. Weltbekannt sind seine Porträts berühmter Zeitgenossen, denen er jetzt unter anderm das Bildnis des eigentlichen Urhebers des ganzen Krieges hinzugefügt hat ( Abb. 4 ). „Wie dem Kothurnschritt der alten Tragödie das leichte Satyrspiel folgte, so hat der Ernst der Geschichte, so hat der Ernst des Lebens immer den Humor und den Witz zur Seite gehabt, denn nur durch diese Begleitschaft wird der Ernst des Lebens uns erträglich gemacht. Es ist dies die idealere Seite unserer Witzblätter, wenn sie ihre Aufgabe richtig verstehen,“ schrieb er beim Erscheinen der ersten Kriegsnummer. Aber auch die andern deutschen Witzblätter, und selbst solche, die vorwiegend die gesellschaftliche Satire behandeln, nahmen rasch eine Neuordnung vor. Die Themen, die noch im Juli 1914 die Hauptsache bildeten, versanken vor größeren Aufgaben. Die Klänge des Two-Steps übertönte das Summen der 42er Brummer, und der Tango ging in den masurischen Sümpfen mit unter.
Selbst deutsche Witzblätter, die sich sonst von der Politik vollständig fernhielten, haben sich den veränderten Verhältnissen fügen müssen und bringen nun auch Kriegswitze und Kriegskarikaturen. In den „Meggendorfer Blättern“ finden sich recht hübsche Illustrationen von tüchtigen Zeichnern. In den „Fliegenden Blättern“ ist ebenfalls der sonst den Schwiegermüttern, zerstreuten Professoren, Dackeln und stehengebliebenen Regenschirmen geweihte Raum teilweise mit netten, stubenreinen Witzen, die sich in irgendeiner Weise mit dem Weltkrieg beschäftigen, angefüllt.
Und dabei sind die besten Scherze die ungewollten. Man denkt da an jene alte Frau, die auf die Frage, wie es ihrem Sohn ginge, glückselig antwortete: „Ja, zuerst hat er es sehr schwer gehabt, da hatte er wenig Ruhe, aber jetzt kann er in einemfort schlafen.“ Sie hatte die Worte „in einem Fort“ mißverstanden. — Als das (falsche) Gerücht am Anfang des Krieges verbreitet war, die Franzosen hätten durch Spione im Elsaß die Brunnen durch Cholerabazillen vergiften lassen, erzählte es ein biederer Sachse seinem Freunde auf der elektrischen Bahn. Er sprach aber immer nur von „Cholera-Pillen“, die die Franzosen ins Wasser geworfen hätten (da war es natürlich kein Wunder, daß die Abführung so rasch erfolgte!).
Außerordentlich groß war der Absatz, den die führenden deutschen Witzblätter fanden. Der „Kladderadatsch“ mußte einzelne Nummern siebenmal neu drucken lassen, „Lustige Blätter“, „Ulk“, „Jugend“ und „Der wahre Jakob“ konnten ihre Gesamtauflagen wesentlich erhöhen. Solche Zeitschriften wirken aufklärend im Auslande, denn der vom Feinde irregeführte Neutrale wird sich sagen, wer so zu lachen vermag, der kann nicht, wie man mir einreden will, geschlagen am Boden liegen. Auch der neu entstandene „Brummer“ hatte großen Erfolg. Und die verwöhntere Ansprüche befriedigenden Nummern der „Kriegszeit“ aus dem Verlage von Paul Cassirer in Berlin, in denen Führer der deutschen Griffelkunst wie Max Liebermann und August Gaul dem Geiste der Zeit künstlerischen Ausdruck gaben, fanden weit über den Kreis der eigentlichen Graphiksammler hinaus zahlreiche Freunde. Ganz erstaunlich aber war der Umsatz in Postkarten; ein einziger Berliner Verlag verkaufte von Ansichtskarten mit Karikaturen in einer Woche dreiviertel Millionen!
Der Weltkrieg hat mit vielem Morschen und Kranken aufgeräumt und reinigend gewirkt, er hat aber auch einen massenweisen Auftrieb von allerhand Schund zur Folge gehabt, der stets von neuem zeigt, wie gering das Verständnis für ein so gewaltiges Ereignis noch immer in manchen Köpfen ist. Was allein auf kunstgewerblichem Gebiete, wenn man den Ausdruck kunstgewerblich für diese Machwerke überhaupt anwenden kann, an Greueln geschaffen worden ist, spottet jeder Beschreibung. Es genügt hier, flüchtig an die 42 cm -Mörser-Schirmständer, an schwarz-weiß-rote Kinderbälle mit der Aufschrift „Ich kenne keine Parteien mehr“, an die Krawatten mit „Gott strafe England“, an die Granatsplitter als Vorstecknadeln und die Hindenburg-Schnupftücher zu erinnern (die ja auch in das Gebiet der Karikatur fallen, wenn auch in das der unfreiwilligen), um sich all diesen Unrat ins Gedächtnis zu rufen. Das Kgl. Landesgewerbemuseum in Stuttgart vereinigt in seiner Sammlung der Geschmacksverirrungen die Erzeugnisse jenes After-Kunstgewerbes, das, auf den Ungeschmack der Menge rechnend, den Patriotismus durch Massenerzeugung allerlei kriegsaktueller Attrappen und Surrogatscherze ausbeutet. Leider haben ja auch, wie die letzte Leipziger Messe zeigte, selbst altehrwürdige und unabhängige Porzellanmanufakturen sich von der Mode hinreißen lassen und dem Geschmack der breiten Masse Rechnung getragen. Hier zeigt sich, daß der Krieg das ästhetische Gefühl oft sehr ungünstig beeinflußt. Auch vor den Millionen von Kriegsgedichten packt weite Kreise allmählich ein wachsender Überdruß. Man hat es schließlich satt, noch weiter akademischen Stilübungen offizieller und inoffizieller Dichter zu lauschen. Reime wie Rote Hosen und Franzosen, Serben und Sterben, Brummer und Kummer, Japs und Klaps sind in Mißkredit gekommen, sodaß man sie kaum noch beachtet. Selbst der Reim French auf Mensch, für den es bisher keinen gab, (schon Grabbe sagt: „Warum sind Mensch und Jungfrau ungereimte Worte?“), hat allmählich an Wert verloren (die Dichter müßten eigentlich French für sein Erscheinen auf den Knien danken). Auch Joffre und Koffer ist nachgerade abgeschmackt geworden und es ist noch ein Glück für den französischen General, daß er nicht Jaffre heißt. Und was von den poetischen Gaben gesagt wird, trifft auch auf die Karikaturen zu. Das Kriegsbild, und nicht zum wenigsten die Kriegskarikatur, beherrscht die Stunde, aber es ist beileibe nicht immer ein angenehmes Herrschertum.
Der jetzige Krieg ist etwas so Gewaltiges, die militärischen Leistungen auf deutscher Seite sind so über jedes Lob erhaben, daß sie in der Dichtkunst ebensowenig wie in der bildenden Kunst jemals völlig verarbeitet werden können. Was er uns bisher gebracht hat, ist weder eine neue, noch eine besonders eigenartige Kunst. Eher darf man behaupten, daß er durch viele Tausende von flachen und minderwertigen Dingen kunstvernichtend gewirkt hat. Was von den „Mundbarbaren“ gilt, trifft zu einem großen Teile auch auf die „Barbaren des Griffels“ zu. Da sind beispielsweise die sehr unerfreulichen Schützengrabenwitze und -Illustrationen. Wollte man den Zeichnern glauben, so lebte es sich dort wie in einer Laubenkolonie. Unwahrhaftigkeit ist es, was so viele Bilder unverdaulich macht. Vielfach stört auch die allzu häufige Wiederholung des gleichen Vorwurfs, das ständige Wiedererscheinen der gleichen Typen, wie bei dem als Porträtmaler sonst geschätzten Ernst Heilemann . Hin und wieder gelingt ihm aber auch ein originelles Blatt, wie die internationale Völkerschau unserer Gefangenen, die in größerem Formate und mit der Unterschrift „Quelques champions de la civilisation, de la liberté et du progrès“ in Belgien angeschlagen wird, damit die Belgier ihre verbündeten Kulturträger: Neger, Hottentotten, Menschenfresser und andere Gentlemen stets vor Augen haben. Diese farbige Zeichnung ist auch als Postkarte mit französischem Texte vom deutschen Großen Hauptquartier im Westen verschickt worden. Aber auch dieses Thema ist in witzigerer Art in einer Karikatur behandelt worden, die „The Fatherland“ brachte, jenes in englischer Sprache in Nordamerika von Deutsch-Amerikanern herausgegebene Blatt, das die deutschen Interessen in den Vereinigten Staaten durch Aufklärung der englisch denkenden Amerikaner fördern hilft ( Abb. 2 ). Auch die Figuren von Heinrich Zille sehen immer gleich aus. Diese französischen Weiber und Kinder scheinen ganz frisch aus Berlin O importiert zu sein, mit dem einzigen Unterschied, daß die ersteren nicht, wie sonst bei Zille, den man den „Meister der schwangeren Frauen“ nennen könnte, fortgesetzt in anderen Umständen herumlaufen (womit er wohl diskret den Geburtenrückgang in Frankreich andeuten will.)
Glücklicherweise gibt es aber auch in Deutschland Karikaturisten, die sich mit den allerbesten anderer Länder messen können. An erster Stelle steht wieder mit Leistungen, die auch künstlerisch voll befriedigen, der „Simplicissimus“, und hier besonders der Skandinavier Olaf Gulbransson , der ja seit langen Jahren ganz zu uns Deutschen gehört. Neben seinem engeren Kollegen Th. Th. Heine und neben G. Brandt und A. Johnson vom „Kladderadatsch“ marschiert er an der Spitze der zeitgenössischen deutschen Karikaturenzeichner. Wollte man ihm gerecht werden, so müßte man schlechtweg seine sämtlichen Arbeiten im „Simplicissimus“ nennen, denn gelungen sind sie alle. Wie glänzend weiß er seine Helden zu charakterisieren, ohne durch gewaltsame Verzerrung Grotesken zu schaffen! In seiner Hand ist die Karikatur nicht nur im etymologischen Sinne des Wortes „Übertreibung“, hier wird sie zu einer großartigen politischen Satire. Man betrachte seine beiden Zeichnungen gegen die Japaner ( Abb. 8 u. 9 ). Ist hier nicht restlos die Stimmung wiedergegeben, die alle Kreise unseres Landes gegen das Volk erfaßte, das Kiautschou raubte? Auch andere Zeichner haben (es war ja sehr billig) die Japse als Affen dargestellt, in allen Zeichnungen traten sie als Vierhänder auf, aber niemandem ist das mit solch raffinierter Beschränkung in den künstlerischen Mitteln gelungen wie Gulbransson. Durch den Nachsatz „Auf den Protest beleidigter Schimpansen kann keine Rücksicht genommen werden!“ erhält das Bild erst die richtige Wucht: also noch unter die Affen werden die Japaner gestellt! Wie köstlich ist der beleidigte Schimpanse! Der Künstler drückt damit denselben Gedanken aus, den die „Jugend“ in die Worte kleidete: „Die Japaner haben den Augenblick, da Deutschland mit vier Staaten zugleich Krieg führt, dazu benutzt, ihm Kiautschou zu stehlen. Damit sind sie vom Niveau anständiger Makaken auf die Stufe von Engländern herabgesunken!“ Aber nicht bloß als Quadrumanen zeigt uns Gulbransson die Japaner; er ist auch der einzige, der noch eine andere Lösung fand, dem Haß gegen den englischen Helfershelfer bildlichen Ausdruck zu geben: in der Zeichnung „Die Wacht in Kiautschou“, wo die Mongolen den wie ein einsamer Fels stehenden deutschen Ritter als unzählige Wellenköpfe umbranden, um schließlich, allein durch ihre Masse, über ihn zu triumphieren. Reine Freude gewährt auch seine „Alpenwacht“ in der Italiennummer, wo auf gelbem Hintergrunde sich der deutsche Reichsaar und der österreichische Doppeladler mit kraftvollem Schwarz massig und gewaltig abheben, während in der Ferne das Diminutivum eines Italieners erscheint, nur aus einem großen Maule bestehend: „Und der will uns etwas anhaben, der ist ja nur auf Singvögel eingeschossen.“ Mit einfachen Mitteln ist hier eine große Wirkung erreicht. Dieses Blatt ist durch die flächige Behandlung auch dekorativ sehr wirkungsvoll. Ausgezeichnet sind ferner die Beiträge von Ragnvald Blix im „Simplicissimus“. Neben dem Schweden Gulbransson ist dieser Norweger eine der größten Begabungen, die in Deutschland arbeiten. Seine reiche Phantasie weiß die Persönlichkeiten, die er sich vornimmt, außerordentlich witzig zu charakterisieren. Hier braucht nur an seine famose Karikatur „An der Ostfront“ erinnert zu werden: „Ganghofer ist da — der Sturm kann beginnen.“ Nur wenige wissen, daß Blix noch vor einigen Jahren viel für französische Zeitungen, unter anderen auch für „Le Rire“ und „Le Journal“ gezeichnet hat. Er wurde bekannt durch eine Serie Karikaturen auf klassische Gemälde, die zuerst als Sammlung „Le voile tombe“ 1908 herauskam und auch deutsch im gleichen Jahre unter dem Titel „Nach alten Meistern“ erschien.
Bei der riesigen Fülle ist es schwer, den Weizen von der Spreu zu sondern. Den Karikaturen des feindlichen Auslandes gegenüber muß dabei mit großer Weitherzigkeit begegnet werden. Zeitgeschichtliche Dokumente von bleibendem Wert sind auch scharfe und bissige Karikaturen des Feindes, sofern sie nur geistreich sind; sie haben tausendmal mehr Wert, als ein fader und süßlicher Kitsch, wenn er sich auch noch so hurrapatriotisch gebärdet. Gerade wir Deutsche als Sieger dürfen im Gefühl unserer überlegenen Kraft nicht zu empfindlich sein und müssen Humor genug besitzen, auch in der schärfsten Karikatur des Auslandes gegen uns den witzigen Gedanken und die künstlerische Qualität sehen zu können! Wenn irgendwo, so soll hier der Satz gelten: „Tout comprendre c’est tout pardonner.“ Es wäre ein ganz falsch verstandener Patriotismus, alle antideutschen Karikaturen des Auslandes in Bausch und Bogen zu verurteilen. Bringen doch sogar die Franzosen, denen man gewiß keine übermäßige Objektivität nachrühmen kann, in ihren Witzblättern regelmäßig Reproduktionen deutscher Scherzbilder, die in schärfster Weise französische Zustände geißeln. In einer der Nummern von „Le Rire“ vom Herbst 1915 erschien Gulbranssons englischer Löwe, den seine Verbündeten um Hilfe anrufen: „Was wollt ihr, das ich alles leisten soll! Habe ich nicht Dünkirchen und Calais besetzt?“ (Diese deutsche Satire in einem französischen Blatte! Das läßt doch tief blicken!) Und auch die Engländer haben gezeigt, daß sie Sinn für Humor besitzen, als sie Lissauers „Haßgesang gegen England“ (vor dessen internationaler Berühmtheit dem Autor jetzt selber graust) in einer, übrigens meisterhaften englischen Übersetzung für gemischten Chor vertont öffentlich im Royal College of Music zum Vortrag brachten; man denke: Engländer den Haßgesang gegen das eigene Land! Der Dirigent Sir Walter Parratt, der die Aufführung leitete, lobte in den Zeitungen den Enthusiasmus, mit dem der Chor die Komposition vortrug und bedauerte nur, daß er Lissauer kein Telegramm über den großen Erfolg senden konnte. Der Haßgesang kommt ja bei uns in Deutschland allmählich aus der Mode. Kurz nach seiner Entstehung wurde er als Lied eines bayrischen Soldaten im bayrischen Heere verbreitet (darauf bezieht sich Abb. 12 aus dem „Punch“ ); jetzt warnt das bayrische Unterrichtsministerium vor der Pflege des Hasses in den Schulen und wünscht die Ausmerzung des Haßgesanges aus den Lesebüchern, in denen er Aufnahme gefunden hat. Ein gerechter Krieg bedarf keinerlei Anstachelung durch Haßgesänge!
(„Faust“, 1.)
Eine der unerfreulichsten Erscheinungen waren die sogenannten Ulkkarten. Auf die französischen Gemeinheiten wird weiter unten eingegangen werden, aber auch bei uns ist mancherlei Böses auf diesem Gebiete verbrochen worden. Man hätte glauben dürfen, solche Ausbrüche als längst überwunden betrachten zu können. Das waren keine Satiren auf die Feinde, das waren vielmehr Karikaturen auf den Patriotismus selber! Traurig genug, daß sich augenscheinlich doch genügend Abnehmer für diese auf die niedrigsten Instinkte spekulierenden Machwerke sogenannter „Auch-Verleger“ fanden, die Unsinn mit Witz und Phrasendrescherei mit Patriotismus verwechselten. Natürlich fanden sie auch den Weg ins Ausland und wurden hier als Witz der deutschen „Barbaren“ beschrieben und — abgebildet; so im „Matin“ vom 8. Oktober 1914 mit folgender Anmerkung: Les Allemands n’ont pas beaucoup d’esprit naturel, chacun sait cela; mais ils s’efforcent d’en avoir. En temps ordinaire ils n’y réussissent guère; en ce moment, ils n’y réussissent pas. Leurs seuls traits originaux sont des traits de cruauté. Ils ont fait néanmoins, depuis deux mois, et même avant la déclaration de guerre, des débauches de plaisanteries. Leurs cartes postales du mois de juin dernier sont ruisselantes de gaieté — d’une gaieté insolente, comme il convient, et lourde, et grossière. Nous nous en sommes fait envoyer une collection et nous allons en montrer quelques-unes aux lecteurs français, chaque fois que nous aurons un peu de place pour étaler ces caractéristiques laideurs. Diese Auslassungen sind in ihrer Verallgemeinerung natürlich unzutreffend; aber das Recht auf eine scharfe Kritik solcher unwürdigen Hurrastimmung darf man dem französischen Blatte nicht absprechen. Glücklicherweise wandten sich Ministerien, Generalkommandos und auch Künstlerverbände in Rundschreiben und Erlassen gegen diesen Unfug, auch die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ machte dagegen mobil. Das Leipziger Polizeiamt traf schon im Dezember 1914 die vernünftige Anordnung, daß dem Verbote anheimfallen werden „Darstellungen auf Postkarten oder Bilderbogen, die auf eine unwürdige Verkleinerung oder Verunglimpfung unserer anerkannt tapferen Feinde, deren Herrscher und Heerführer hinausliefen“. — Wie traurig muß es aber im Hirn jener Menschen aussehen, die solche unsinnige Karten auch noch an die Kämpfer in die Front sandten. Unsere Truppen, die sich täglich mit den zähen und doch auch für ihr Vaterland kämpfenden Engländern und Franzosen herumschlagen müssen, haben denn auch glücklicherweise diese Art Kunst nicht zu würdigen gewußt. Erst vom Schlachtfeld selber mußte die Mahnung zur Einkehr kommen. Besser als jede Erörterung spricht der Brief eines Kompagnieführers, der der „Kölnischen Zeitung“ zur Verfügung gestellt wurde: „Ich habe bei der Verteilung der Postsachen an die Mannschaften verschiedentlich beobachtet, wie sich darunter Karten befanden, die die besiegten Franzosen, Engländer und Russen in geschmackloser Weise verhöhnten. Der Eindruck ist ein höchst bemerkenswerter. Fast keiner freute sich über die Karten, im Gegenteil drückte jeder Mann sein Mißfallen darüber aus. Ich habe einen Mann gesehen, dem die Tränen in die Augen traten. Wir sehen das unsägliche Elend des Schlachtfeldes. Wir freuen uns zwar auch über die Siege, aber unsere Freude ist gedämpft durch die Erinnerung an die traurigen Bilder, die wir fast täglich vor Augen haben. Und unsere Gegner haben es wahrlich zum weitaus größten Teile nicht verdient, daß man sie so verspottet. Hätten sie sich nicht so tapfer geschlagen, so hätten wir nicht solche Verluste zu verzeichnen. Ist daher schon an und für sich eine solche Karte meines Erachtens äußerst geschmacklos, so wirkt sie hier im Felde angesichts unserer Toten und Verwundeten geradezu widerwärtig. Die paßt ins Feld wie ein Clown auf ein Leichenbegängnis.“ Glücklicherweise lehnte also die große Mehrheit diese zwar nicht witzigen, dafür aber um so alberneren Produkte energisch ab. Man kann diese „Zeichner“ am besten mit jenen patriotischen Maulhelden vergleichen, die in jedem einen Vaterlandsverräter sehen, der nicht alle Engländer und Franzosen für ausgemachte Schurken erklärt. Aber nicht nur in den Karten, auch in manchen Witzblättern fand sich derartige Afterkunst. Oder zeugt es wirklich von so fabelhaftem Geiste, nach der Schlacht von Tannenberg immer und immer wieder den Russen zu zeichnen, wie er im Sumpfe „ersauft“ und mit der Wodkaflasche um Hilfe ruft? (Den „Künstlern“ sollte eigentlich bekannt sein, daß auch im russischen Heere streng auf Abstinenz gehalten wird.) Hindenburgs überwältigend großartige Leistung verliert auch dann kein Jota von ihrer Bedeutung, wenn man sich über den Erstickungstod von Hunderttausenden nicht lustig macht. — Viel berechtigter waren die Witze und Bilder über russische Unwissenheit und Bestechlichkeit. Solche hat uns in klassischer Form bereits Victor Hehn in seinem Buche „De moribus Ruthenorum“ überliefert, wie die Geschichte von dem ehrlichen Verwalter, der über das Verhältnis des männlichen Geschlechts zum weiblichen in seinem Bezirk berichten sollte und der erwiderte, das Verhältnis sei ein ganz angenehmes. Oder die Erzählung von dem Major, der an der Wolga über die Anzahl der Singvögel in dem ihm untergebenen Bezirk berichten sollte, und meldete, es seien deren 7500. Dies wunderte die Kontrollstelle; man befragte ihn, wie er auf die Zahl gekommen sei. Er antwortete treuherzig: „Ich dachte, kommt ein Revisor, so sage ich, die fehlenden sind in die benachbarten Kreise geflogen oder die darüber befindlichen sind aus dem Nachbarkreis herangeflogen.“ Oder die von dem Polizeihauptmann, dem Instrumente geschickt wurden, um danach über alle atmosphärischen Erscheinungen Beobachtungen anzustellen. Er beriet sich mit seinem Schreiber, was das bedeute. Sie kamen überein, es handle sich wohl um Fremdenpolizei. Die Instrumente wurden sorgfältig im Waffendepot des Bezirks niedergelegt. Nach längerer Zeit wurde angefragt, warum keine Berichte von ihm einliefen. Er antwortete, die Instrumente seien angelangt und wohl aufgehoben, die Erscheinungen seien ausgeblieben und von Atmosphäre habe er seit Jahren nichts bemerkt. —
An der Geschmacklosigkeit der oben genannten Erzeugnisse ändert die Tatsache nichts, daß auch das feindliche Ausland groben Schmähungen Raum gab. In England richtete sich der Haß vornehmlich gegen den deutschen Kaiser. Der Engländer sieht nicht oder will nicht sehen, daß seine eigene Regierung die Hauptschuld an dem unsäglichen Elend trägt, das dieser Krieg im Gefolge hat. („Wenn zwei sich streiten, freut sich der Brite“); ihm gilt „The Kaiser“ als der Urheber des Krieges. Wir können uns hier auf das älteste und bedeutendste Londoner Witzblatt, den „Punch“ , beschränken; seine allwöchentlichen Kartons beschäftigen sich fast durchweg mit Wilhelm II. Er ist immer der Herrscher von Gottes Gnaden, mit dem aufgesträubten Schnurrbart; so verlangt ihn das englische Publikum zu sehen, denn an diese Art der Darstellung hat es sich nun einmal gewöhnt und läßt nicht davon ab.
Man findet in englischen Blättern kein Wort des Abscheus gegen die Scheußlichkeiten, deren sich der farbige zoologische Garten, den England in Europa mitkämpfen läßt, schuldig macht. Wenn aber eine verirrte deutsche Kugel ein Schloß oder eine Kirche trifft, so entsteht ein furchtbares Geheul über die „Barbaren“. Dabei stand in England die Wiege der politischen Satire, von keinem Presseparagraphen oder Verbote behelligt. Hier konnten Gillray und Hogarth ungehindert ihre Hiebe gegen die Fehler des eigenen Landes austeilen: ihre Nachfolger von heute ziehen es vor, darauf zu verzichten. Raven Hill , Bernard Partridge und vor allem der bekannteste Zeichner des „Punch“ , F. H. Townsend , zeigen den Kaiser als Verbreiter von Lügendepeschen an die Neutralen, als Dachshund, der vor Amerika „schön macht“, als den Verführer der Türkei. Auch gegen den Kronprinzen werden die kindlichsten Lügen vorgebracht; eine Abbildung zeigt ihn französische Schlösser ausraubend als Geldschrankknacker! (Ähnliche Darstellungen brachten die französischen Spottbilder im siebziger Kriege auf Bismarck und die preußische Landwehr.) Aber, wir wollen ehrlich sein: sind nicht auch in unsern Blättern genügend solche Entgleisungen vorgekommen? Der Zar als Mörder und Brandstifter, Frankreich als gemeine Dirne, der englische König als ihr Zuhälter waren gar keine so seltenen Erscheinungen! Und auch da hatte die „Norddeutsche Allgemeine“ recht, wenn sie schrieb: „Dergleichen entspricht nicht der Würde der deutschen Nation. Wir müssen eine Ehre darein setzen, dem Gegner nicht nur auf dem Schlachtfeld überlegen zu sein, sondern auch in der Art, wie wir den Krieg mit geistigen Waffen führen. Den Feind, mit dem wir auf dem Felde der Ehre die Klinge kreuzen, durch niedrige Schmähbilder und Schimpfreden anzugreifen, ist nicht vornehm und setzt die Ehre der Nation herab, die sich solcher Mittel bedient. Überlassen wir das denen, die es nötig haben, den englischen Mob, die Pariser Apachen und die russischen Muschiks bei guter Laune zu erhalten. Unser deutsches Volk bedarf zur Belebung seines kriegerischen Schwunges solcher giftigen Medikamente nicht. Es trägt die Kraft, den Feind zu besiegen, in sich selbst. Darum fort mit diesen Schmähbildern und Karten aus unseren Witzblättern und Schaufenstern!“
Es war der bekannte Bibliograph der zeitgenössischen Karikatur, der deutschfreundlich gesinnte Grand-Carteret, der bereits vor zehn Jahren den heutigen Krieg und die politische Konstellation der dabei beteiligten Völker genau vorausgesehen hat. In seinem Buche über Eduard VII. „L’Oncle de l’Europe“ (deutsch bei A. Hofmann & Co. in Berlin) schreibt der geistvolle Franzose in einem Kapitel „Das Persönliche in der Karikatur, Onkel und Neffe“ die folgenden prophetischen Worte nieder, auf die jetzt zuerst die „Frankfurter Zeitung“ wieder aufmerksam machte und die gleichzeitig auch die wahren Gründe des Krieges treffen:
„Zeigt sich Wilhelm II. in diesem Ringen als der Vorkämpfer der immer größer werdenden Expansionskraft Deutschlands auf dem Gebiete der Industrie und des Handels, die gebieterisch für ihre reichen Erzeugnisse neue Absatzgebiete auf dem Weltmarkt fordern, so sehen wir im Gegensatz hierzu Eduard als den Verteidiger uralter Privilegien der englischen Nation, die bisher als größte Handelsmacht der Welt unbestritten die Hegemonie über den Erdkreis besaß und sich nun plötzlich einem Rivalen gegenübersieht, dessen Emporkommen sie nie und nimmermehr glaubte fürchten zu brauchen. Und dieser Kampf zwischen den beiden großen Mächten wird die Welt einst zu der Frage drängen: „Wird Europa englisch oder deutsch sein?“ Selbstverständlich handelt es sich dabei nicht um territoriale Eroberungen von deutscher oder englischer Seite, sondern um das moralische und tatsächliche Übergewicht, das sich durch seinen Einfluß, seine Sprache, seinen Handel, seine starke Lebenskraft äußert und das mehr oder weniger die anderen Nationen vielleicht einmal dazu zwingen wird, in gewissem Sinne Tributstaaten der einen oder anderen dieser Mächte zu werden, deren Ausdehnung schon so bedeutend ist und immer größer wird! Also: Eduard oder Wilhelm! Der Onkel oder der Neffe! Der erste stützt sich auf Frankreich, der andere hat in Österreich seinen treuesten Verbündeten gefunden. Und wer weiß, ob sich nicht dereinst im entscheidenden Moment die asiatischen Völker in die europäischen Angelegenheiten mischen werden, die Völker, die man gestern noch verächtlich Barbaren nannte, weil sie keine Christen sind? Wenn sich der Onkel in diesem Spiel — soll man ihn nun den guten oder bösen Onkel nennen? — gezwungen sähe, die japanischen Trümpfe auszuspielen, so würde sein Neffe sicher bei seinen getreuen Alliierten, den Türken , Hilfe finden. Die Karikatur mit ihrem oft prophetischen Blick hat sich dieses Problems bemächtigt und wird zu seiner Lösung beitragen, denn die Karikatur in ihren politischen Darbietungen spricht die Sprache der Völker, in ihr widerspiegeln sich die Anschauungen und Meinungen der Volksmassen, und diese sind es doch schließlich, die das Schicksal der Nationen entscheiden.“
So schrieb vor Jahren Grand-Carteret , und jetzt ist die Saat, die Eduard VII. gesät hat, aufgegangen.
In den englischen Kartons gegen Wilhelm II. steckt kein wirklicher Humor, kein attisches Salz. Der sehr fruchtbare Zeichner Townsend muß den im Frühjahr 1914 im Alter von 94 Jahren verstorbenen John Tenniel ersetzen, der ein halbes Jahrhundert lang für den „Punch“ etwa dreitausend Blätter geschaffen hat und dessen Zeichnung Dropping the Pilot (Bismarck verläßt das Reichsschiff, nachdem er es durch alle Fährnisse gesteuert hat) auch in Deutschland wohlbekannt ist. Dabei mag daran erinnert werden, daß die Engländer auch in den deutschen Einigungskriegen von 1864-1871 stets auf Seiten unserer Gegner gestanden haben. In der „Fine Art Society“ waren im Herbst 1914 solche Zeichnungen im Original ausgestellt. Die Spottblätter des „Punch“ gegen Wilhelm I. reden eine deutliche Sprache. Der „Punch“ hat jetzt eine Serie davon unter dem Titel „Punch and the Prussian Bully“ veröffentlicht als Kampfmittel gegen den „preußischen Militarismus“ ( Bully bedeutet hier soviel wie Eisenfresser). Schon damals wurde der Deutsche als täppischer Bauer dargestellt mit Schirmmütze, Pfeife im Mund, Brille auf der roten Nase und Holzpantoffeln oder schweren Stiefeln. Und die Kenntnis der Engländer von deutschem Wesen scheint sich seither nicht beträchtlich erweitert zu haben: auch jetzt gelten dieselben Dinge noch als Attribute, um den „Teutonen“ zu charakterisieren; nur die Knackwurst ist hinzugetreten. Typisch für diese Art der Darstellung ist das im August 1914 erschienene Blatt von Townsend „Bravo, Belgium!“ , das in England rasch volkstümlich wurde ( Abb. 14 ). — Die unvermeidliche Wurst erscheint neben den Maßkrügen auf jedem Bilde, wo Deutsche vereinigt sind, wie zum Beispiel in einer Zeichnung „Bei Bethmann“ mit Karikaturen auf den Kaiser, den Kronprinzen, den Reichskanzler und die bekanntesten Generale; auch da liegt die Wurst auf dem Flügel, auf dem der Thronfolger den „Tag“ spielt (nicht die Scherlsche Zeitung, sondern den angeblichen Trinkspruch deutscher Seeleute gegen England „The Day“ !)
Wesentlich harmloser sind die Karikaturen, mit denen sich die Engländer selber verspotten; diese Selbstironisierung hat wenigstens etwas Versöhnendes an sich. Harrisons „Badestuhl“ ( Abb. 19 ) ist ein Scherz auf die Zeppelinfurcht, Townsends Szene im Barbierladen ein solcher auf die Angst vor den überall eingedrungenen Deutschen ( Abb. 15 ). Besonders die Spionenfurcht trieb in London derartige Blüten, daß auch englische Zeitungen darüber zu spotten begannen. „Evening Standard“ veröffentlichte folgenden Dialog: „Was machen Sie hier? Sie wollen doch sicherlich spionieren!“ fragt ein Schutzmann ein verdächtiges Individuum. — „Nein, ich wollte nur einbrechen!“ — „Dann entschuldigen Sie bitte!“ — — Und nachdem man in England erkannte, daß der Krieg doch kein „Gänsemarsch mit Militärmusik“ ist, wie man anfangs dachte, spotteten sogar die „Times“ über die Erfolge der Verbündeten. Auch George Morrows Geschichte von dem Kubisten ist gut, der seine bis dato unverkäuflichen Bilder „Tulpenstilleben“, „Damenporträt“ und „Frühlingssang“ nun als „Zerstörung von Löwen“, „Ruinen der Reimser Kathedrale“ und „Die Hunnen“ spielend absetzt. Viel des Interessanten enthält der „Punch-Almanack“ auf 1915. In Anlehnung an die jedem englischen Kinde geläufigen „Mother Goose’s Nursery Rhymes“ mit ihrem ganz eigenartigen Rhythmus, der das Einprägen dieser Verse so spielend leicht macht, werden die politischen Ereignisse vorgeführt. Da ist eine Serie „When William comes to London“ . Dann erhalten die englischen Parlamentarier, die nicht bedingungslos für den Krieg stimmten, besondere Auszeichnungen: Ramsay das Eiserne Kreuz, Hardie als Keir von Hardie den Nobelpreis (erstaunt blickt auf diesem Bilde der kaiserliche Dackel die ihm ganz ungewohnte zerknüllte Hose des Arbeiterführers an). Hardie hatte seinen Landsleuten vorgeworfen, sie hätten eine Lügenfabrik errichtet, von der auf Bestellung deutsche Greueltaten geliefert würden. Auch das politische Alphabet fehlt nicht ( Abb. 16 , 17 , 18 ); R eine Verspottung der Russen, die nicht in Frankreich landen konnten. Und eine Nachdichtung auf das berühmte „Mary had a little lamb“ ist da, nur heißt sie „Willie had a little Wolff“ (das offizielle Telegraphenbureau). Dieser „Punch-Almanack“ hält sich von allem ausgesprochen Rohen frei; er wird als ein amüsantes zeitgeschichtliches Dokument (das natürlich von Engländern und für Engländer verfaßt ist) auch in späteren Zeiten oft genannt werden.
Einen Geschäftszweig hat der Krieg in England sicher beeinträchtigt: das ist der Verlagsbuchhandel. Die Tatsache, daß der sonst wöchentlich erscheinende „Bookseller“ nur noch monatlich herauskommt und das monatliche „Book Monthly“ in eine Vierteljahrsschrift verwandelt wurde, ist ein deutlicher Beweis für das Gesagte, das übrigens von den Blättern selber zugegeben wird, die die Geschäftstätigkeit im englischen Buchhandel als wesentlich eingeschränkt bezeichnen.
Unter den neuen Veröffentlichungen in England nehmen die satirischen, mit Karikaturen illustrierten Schriften über den Krieg eine hervorragende Stelle ein. Die Bändchen sind sehr verschiedenartig, sie reichen vom gemeinsten, blödesten Machwerk bis zur witzigen Parodie. Zu den ersteren gehören neben einem scheußlichen Karikaturenwerk von Dyson , von dem es auch eine Luxusausgabe für mehrere Pfund gibt, gemeine Pamphlete gegen den Kaiser. Diesen Erzeugnissen liegen immer bekannte Vorbilder zugrunde. Die größte Verbreitung fand eine Nachahmung des Struwwelpeter „Swollen Headed William“ , von der drei starke Auflagen in Zeit von einer Woche verkauft wurden (jetzt vergriffen). Auch hier also die Anlehnung an ein berühmtes Original. ( Abb. 24 .)
The Allies’ Alphabet von Fay und Morrow ist eines jener, besonders in England zahlreichen Alphabet-Bücher, wie wir sie ähnlich, beispielsweise in den Busch’schen Bilderbogen, besitzen, die ja auch zahlreich parodiert wurden („der Affe sehr possierlich ist“). Die, auch durch Verwendung von viel Rot, stark blutrünstigen Bilder bewegen sich teilweise im Stile der gehässigen Karikaturen des Holländers Raemaekers und der französischen Boulevardpostkarten. Erheiternd wirkt es heute, wenn wir ein Bild sehen, auf dem ein riesenhafter Russe die Deutschen von der Erde vertreibt:
Oder, wenn wir einen Omnibus mit der Aufschrift „To Berlin“ voller jubelnder Tommies erblicken:
Bisweilen sollen die Verse auch Wortspiele bringen:
Wicked Willie von Margaret A. Rawlins mit Illustrationen von Gwen Forwood und Florence Holmes geht nicht nur unter der Marke einer Jugendschrift, sondern ist wirklich ein Buch für Kinder und hält sich daher auch von allem fern, was für Kinderaugen nicht bestimmt ist. Der Verfasserin schwebte das 1871 erschienene „Dame Europa’s School“ vor, an das sie sich nach dem Grundsatze Imitation is the sincerest flattery anlehnt; auch die „Dame Europa“ war eine Geschichte des deutsch-französischen Krieges für englische Kinder (das sehr selten gewordene Buch ist übrigens jetzt nach 44 Jahren neu aufgelegt worden). Der Wicked Willie soll den Weltkrieg (selbstverständlich vom englischen Standpunkte aus) den Kleinen verständlich machen; die Nationen treten hier als Kinder ( Wicked Willie , Poor Joseph , Fezzie [Türkei], Little Albert , Little Helvetia usw.) handelnd auf. „Einst war“, so beginnt der hübsch gedruckte Quartband, „Tante Europas Schule nicht größer als andere Schulen auch; die meisten Kinder waren unwissende, gutmütige kleine Dinger, sie standen herum, die Finger im Munde, und gehorchten den Anordnungen der wenigen, die größer und klüger waren. Natürlich konnten sie, wie das bei Kindern nun mal so ist, nicht immer friedlich miteinander spielen ..., aber erst, als die Schule immer ausgedehnter und bedeutender wurde, da begann der große Streit, der jetzt noch anhält ...“ — Für Erwachsene bestimmt sind trotz des Titels die Nursery Rhymes for Fighting Times von Elphinstone Thorpe , illustriert von Stevens . An der Hand altberühmter englischer Reime, wie sie Mütter und Erzieherinnen den Kindern vorsagen, werden hier die politischen Ereignisse satirisch behandelt:
Deutschland ist hier wieder als „Dachshund“ dargestellt. — Ähnliche Absichten verfolgt The Crown Prince’s First Lesson Book or Nursery Rhymes for the Times von George H. Powell mit Randleisten in kräftiger Holzschnittmanier von Scott Calder .
Auf Sven Hedin s berühmtes Buch „Ein Volk in Waffen“ ist ähnlich ausgestattet wie die deutsche Volksausgabe eine Parodie erschienen: In Gentlest Germany by Hun Svedend. Translated from the Svengalese by E. V. Lucas with 45 illustrations a. 1 map by George Morrow . Bei dem „Svengalesischen“ hat der Verfasser wohl auch an die bekannte Figur des Svengali aus „Trilby“ gedacht. Die kleinen Schwächen des Hedinschen Originals (sie kommen dem großen Werte des Werkes gegenüber ja gar nicht in Betracht) sind geschickt ausgenutzt. Die Anlage des Buches ist ganz neuartig: der Text der Satire hält sich meist wörtlich an das Vorbild, und der Verfasser Lucas wirft nur ein paar Brocken (die er natürlich Hedin in den Mund legt) dazwischen, um den Originaltext ins Lächerliche zu ziehen. Vielleicht wird es am besten durch ein Stück aus dem Text gezeigt, das hier folgt; die in gewöhnlicher Schrift gedruckten Sätze entsprechen wörtlich dem Texte Sven Hedin s (in der billigen Ausgabe Seite 32), die gesperrt gedruckten Stellen sind Zusätze von Lucas :
( Hedin schildert, wie einfach die Speisenfolge im Hauptquartier des Kaisers ist und dann die Unterhaltung bei Tisch): „Der Kaiser sprach fast die ganze Zeit mit mir, nannte mich stets ‚mein lieber Hun Svedend‘ , er knüpfte an meinen letzten Vortrag in Berlin an, dem er beigewohnt hatte: Tibet, wo ich so unruhige Zeiten erlebte, werde wohl bald das einzige Land auf der Erde sein, das Ruhe habe; das mache ihn stolz und glücklich . Mich freute besonders zu hören, mit welcher Achtung und Sympathie der Kaiser sich über Frankreich aussprach. Er beklagte die Notwendigkeit, die ihn gegen seinen Wunsch gezwungen habe, sein Heer gegen die Franzosen zu führen. Er hoffte, daß die Zeit kommen werde, da Deutsche und Franzosen gute Nachbarschaft halten können, wie Löwe und Lamm, wenn das Lamm bequem eingebettet im Magen des Löwen liegt . Wenn die Franzosen eine Ahnung von der wirklichen Denkweise des Kaisers hätten, würden sie ihn ganz anders beurteilen als jetzt. Warum sie diese Ahnung nicht haben, könne Er nicht begreifen. Sicherlich wären sie doch nicht so kindisch, um sich durch die feindlichen Bewegungen Seiner Heere beeinflussen zu lassen. “
Die Engländer sind wütend auf Hedin , weil er der Freund eines Landes geworden ist, gegen welches England kämpft. England, das ihn ( Hedin ) zum Ehrendoktor von Cambridge und Oxford gemacht hat! „In Gentlest Germany“ soll die Rache dafür sein.
In Holland sind eine große Reihe tüchtiger Karikaturisten an der Arbeit, den Krieg im Bilde festzuhalten. Für den „Amsterdammer“ zeichnet seit 1887 der 1858 geborene Johan Braakensiek wöchentlich etwa zwei Satiren über aktuelle politische Ereignisse, in nicht gerade übermäßig witziger, oft eher hausbackener Art. Im Bestreben, nirgends anzustoßen, bleibt er meist sehr korrekt. Das Beste, was er geschaffen hat, ist der Totenkopf-Schmetterling ( Abb. 23 ) mit der Unterschrift „Geht fort, wir wollen gegen Unbewaffnete nicht kämpfen“. Von ihm rührt auch die in Abb. 1 wiedergegebene Lithographie her, die kurz nach Ausbruch des Krieges erschien; der Tod redet den ermordeten Erzherzog an: „Königliche Hoheit, ich habe geglaubt, eine Fürstlichkeit wie Sie darf nicht ohne Gefolge reisen“ (nämlich nicht ohne Gefolge ins Jenseits, daher im Hintergrunde die Schemen der Gefallenen). Nur einmal hat Braakensiek sein Phlegma verloren, das war nach dem Untergang der Lusitania , auf den später noch besonders eingegangen werden soll.
Der Wochenschrift „De Amsterdammer“ ist in dem „Nieuwe Amsterdammer“ , der Anfang 1915 gegründet wurde, eine schwer ins Gewicht fallende Mitbewerberin erwachsen. Das neue Blatt hat es verstanden, sich einen der allerbedeutendsten Karikaturisten Hollands, Piet van der Hem , als dauernden Mitarbeiter zu sichern. Die Reihe der großen farbigen Blätter, die er für die genannte Zeitschrift geliefert hat, gehören zum Besten und Stimmungsvollsten des ganzen Krieges, so zum Beispiel die „Versuchung des heiligen Antonius“ ( Abb. 6 ), dann das Blatt, das nach dem Untergang der Lusitania entstand und in das Redaktionsbureau einer deutschen Zeitung versetzt ( Abb. 66 ), vor allem aber auch ein Blatt „De nieuwe Dood“ ( Abb. 73 ). Viele dieser Zeichnungen sind von tiefem sittlichen Ernst erfüllt.
Für das Wochenblatt „De Notenkraker“ , einer Beilage der bekannten sozialdemokratischen Zeitung „Het Volk“ , arbeitet der an die deutschen Simplicissimuszeichner erinnernde Albert Hahn ; in knapper Form und ohne viel Beiwerk gibt er seinen Gedanken bildlichen Ausdruck. Ihm erscheint der Krieg nicht als das Werk eines einzelnen, er sieht die Dinge von einer höheren Warte. In Abb. 22 polemisiert er gegen die Verwendung der Reimser Kathedrale als militärischen Stützpunkt durch die Franzosen. Die gleiche Absicht leitet E. Nunes in den „Meggendorfer Blättern“ ( Abbildung 21 ).
Für den „Notenkraker“ zeichnet auch Jordaan ; die Karikatur „Der Suezkanal“ ( Abb. 27 ) ist sein Werk. Der deutschfeindliche „De Telegraaf“ bringt Beiträge von Louis Raemaekers . Es sind ihm eine ganze Reihe ergreifender Darstellungen des Kriegselends gelungen; viele sind ganz objektiv gehalten, ohne einzelne Völker treffen zu wollen. Aber das Schicksal Belgiens, des stammverwandten Landes, hat ihm den Griffel in die Hand gedrückt, um seinem Haß gegen die „Eroberer“ Luft zu machen. Wenn sein Temperament mit ihm durchgeht, dann werden für ihn die Deutschen zu „Barbaren“, dann zeigt er belgische Bürger, die den deutschen Truppen vorausmarschieren müssen, um im feindlichen Kugelregen zusammenzubrechen, dann führt man Krieg mit den toten Meistern der Kunst van Eyck , Massys und Rubens , die auf einem Scheiterhaufen stehen, vor dem deutsche Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett Wacht halten. Eine Reihe seiner Darstellungen des Kriegselends und seiner Spottbilder hat er im Verlage „Elsevier“ auch als Alben herausgegeben.
Auf einzelne Werke der hier genannten holländischen Zeichner wird an andern Stellen noch näher eingegangen werden.
Unter den Blättern unserer Verbündeten steht die „Muskete“ an der Spitze, eine ähnliche Stellung in Österreich einnehmend wie in Deutschland der „Simplicissimus“, sie zählt eine ganze Reihe tüchtiger Illustratoren zu ihren ständigen Mitarbeitern. Zu ihnen gehört beispielsweise Rudolf Herrmann . Das Thema, das er in der Abb. 13 trefflich behandelt, die Vorspanndienste, die die Verbündeten England leisten müssen, kommt auch in einer Zeichnung unseres anderen Bundesgenossen, wenn auch primitiver, zum Ausdruck, in der türkischen Karikatur, die wir hier wiedergeben ( Abb. 28 ).
Es waren ganz bestimmte Personen und ganz besondere Objekte, denen sich die Stifte und Pinsel der Karikaturenzeichner in erster Linie zuwandten: Menschen und Dinge, die rasch — und mit vollem Recht — eine unbegrenzte Volkstümlichkeit erwarben. Daß eine so prächtige und erfolgreiche Persönlichkeit wie Hindenburg , die für uns das neue deutsche Heldentum verkörpert, an die allererste Stelle rückte, war bei seinen großartigen Leistungen nur natürlich. Ein äußeres Zeichen wahrer Volkstümlichkeit zeigt sich in den Anekdoten, mit denen berühmte Männer, wie etwa Bismarck, umgeben werden. Das Volk webt um alles, was es liebt, einen förmlichen Sagenkreis. So war es auch bei dem großen Befreier des deutschen Ostens, der plötzlich wie ein Riese, bis dahin den meisten völlig unbekannt, vor uns stand. Gicht, Rheuma und alle möglichen Krankheiten sollten ihn plagen. Er wußte diese Dinge mit Humor in den zahlreichen Gesprächen mit Berichterstattern dankend von sich abzulehnen. Viel fester aber noch setzte sich die Mär, daß Hindenburg Sommer für Sommer in Ostpreußen zugebracht hätte, sich vom Garnisonkommando in Königsberg alljährlich eine Kanone entliehen und sie regelmäßig durch alle masurischen Seen und Sümpfe gezogen hätte, um diese auf ihre Tiefe zu prüfen! Man sollte es nicht für möglich halten, daß unter den vielen Tausenden von poetischen Erzeugnissen, mit denen der Generalfeldmarschall angesungen wurde (und die er dank seiner guten Gesundheit trefflich überstand), sich auch das Werk eines angesehenen Dichters befindet, die „Ballade von den masurischen Seen“ des Österreichers Franz Karl Ginzkey, die diese Geschichten allen Ernstes als Tatsachen behandelt und die damit in das Gebiet des unfreiwilligen Humors rückt. Aus dem in der Form gelungenen Gedicht, das namentlich auch das Gurgeln der Sümpfe lautmalend trefflich wiedergibt, diene folgender Abschnitt als Probe:
Man versuche nur, sich das einmal vorzustellen: die Prüfung aller der einzelnen Reptilien und Amphibien durch Hindenburg! Denn es „lebt keine Unke, kein Frosch, kein Lurch, die er nicht kennte durch und durch “. Der Dichter hat das Recht, sich der Hyperbel als einer poetischen Form zu bedienen, aber das hier geht denn doch zu weit! Was hat schließlich der anatomische Bau dieser harmlosen Tiere mit dem Verlaufe der Schlacht von Tannenberg zu schaffen? — Eine Reihe wirklich guter Scherze knüpft sich an den Namen Hindenburg. So zum Beispiel: „Weshalb hat der Zar Petersburg in Petrograd umgetauft?“ Antwort: „Weil er hinten (Hinden)burg nicht leiden kann.“ — Hindenburg ist Ehrendoktor aller vier Fakultäten. „Welchen davon hat er am meisten verdient?“ „Den Dr. med. ; denn niemand hat in Ostpreußen so großartige und gelungene — Operationen ausgeführt wie er.“ Von dem Generalfeldmarschall erwartet man nach dem Burgfrieden einen Hindenburgfrieden , der Deutschland für alle Zeiten gegen neue Überfälle sichert. Und wie populär er auch gerade bei der Jugend ist, die nach Eintreffen seiner Siegesnachrichten schulfrei erhält, zeigt die Äußerung eines unvorbereiteten Quartaners vor der Lateinstunde: „Wenn Hindenburg heute keinen Sieg meldet, bin ich verloren!“ — Der Generalfeldmarschall wird immer im Scherzbilde und Scherzworte fortleben, ein Zeichen wahrer Volkstümlichkeit, die er in so hohem Maße nur noch mit Bismarck und Zeppelin gemeinsam hat. — Hier muß auch der Biertischstrategen gedacht werden. Niemand hat sie so köstlich karikiert wie Johnson im „Kladderadatsch“ in Anlehnung an Defreggers bekanntes Bild „Der Salontiroler“ ( Abb. 31 ). Ein nettes Scherzgedicht von Hans Flux in der „Schwäbischen Tagwacht“ richtet sich gegen diese Besserwisser:
Einem Hindenburg gegenüber verstummten auch deutschfeindliche Blätter des Auslandes mit ihren Anklagen, er wird auch in der amerikanischen Presse als „the man of the hour“ gefeiert ( Abb. 30 , 32 , 33 ). Unter dem Eindrucke der großen deutschen Erfolge können auch die Zeichner, die sonst Deutschland nicht gerade freundlich gesinnt sind, nicht anders; sie bringen zwischendurch germanophile Blätter. Auf Abb. 34 ruft der englische Löwe Polen an: „Nicht die Preußen, die Reußen will ich sprechen“. Mackensen: „Das tut mir leid, die sind gerade abgezogen.“
Einen Hindenburg macht eben niemand nach, obgleich eine Anzeige im „Breslauer Generalanzeiger“ lautet: „Hindenburg sowie sämtliche deutsche Heerführer liefert zu günstigsten Bedingungen Verlag Carl Tinius, Leipzig-Neustadt. Vertreter an allen Plätzen gesucht. Muster franko bei vorheriger Einsendung von einer Mark.“ — Man muß sich wirklich wundern, daß von der französischen, englischen und russischen Regierung nicht schon Bestellungen eingelaufen sind.
Was Hindenburg unter den Lebenden, ist der 42- Zentimeter-Mörser unter den leblosen Dingen. Oder soll man hier nicht auch lieber von einem Lebewesen sprechen? Das Volk hat diese volkstümlichste Waffe rasch personifiziert: männlich als „Großen Brummer“, weiblich als „Fleißige Berta“ oder auch „Dicke Berta“ zu Ehren der Besitzerin der Kruppwerke, die hier das Attribut der Dicke unverschuldet mit in den Kauf nehmen muß. Auch um die „Dicke Berta“ hat sich ein Sagenkreis gesponnen, erstens wegen ihrer rasch erworbenen Popularität, zweitens weil niemand etwas Näheres über sie erfuhr. Ging man doch so weit, ihre Existenz überhaupt leugnen zu wollen! Es ist eine der herrlichsten Erscheinungen in diesem Kriege, daß die wenigen Menschen, die um den 42-Zentimeter-Mörser wußten, das Geheimnis so wunderbar gehütet haben! Als nach Kriegsausbruch bekannt wurde, die Deutschen besäßen ein Riesengeschütz, aus dem wenige Schüsse genügten, die stärkste Festung zu Fall zu bringen (Lüttich hatte es ja gleich bewiesen), da ging ein Staunen durch die ganze Welt, gemischt mit geheimem Grauen. Der Mörser 42 aber wurde, wie später auch U 9 , das Symbol deutscher Tüchtigkeit, das Wahrzeichen der militärischen Energie Deutschlands. Die Überlegenheit dieses Riesenmörsers erkannten auch die Neutralen restlos an. Es bildete sich Legende über Legende über den großen Brummer; die Hauptsache war, daß das Geschütz, wie ein Militärschriftsteller bemerkte, einige Armeen wert ist. Die Bezeichnung „ Fleißige Berta“ sollte wohl den Gegensatz zur „ Faulen Grete“ bringen, ein Name, der zuerst für Geschütze auftauchte, mit denen die Hohenzollernfürsten die aufsässigen Quitzows bekämpften.
In Form eines Märchens hat Hans Natonek die Wirkung des „Großen Brummers“ besungen:
„In den letzten Julitagen war es, da klang es wie fernes Trompetengeschmetter durch die Luft. Und näher kam der Ton, immer näher, schwoll ungeheuer an, es war das Rasseln von tausend Kanonenrädern, der Tritt von Millionen und das Säbelklirren einer Welt, die zum Kampf aufzog. Die schlummernden Riesen erwachten. Im Dunkel der Nacht, von undurchdringlichem Geheimnis umhüllt, wurden sie verladen. Plötzlich — niemand wußte wie — standen sie vor einer mächtigen Feste mit Panzertürmen und Mauern aus Stahl und Beton. Lüttich. Wie Tiere, die man aus langer Gefangenschaft entlassen hat, nach Beute gierig, spähten die ungeheuren Schlünde in die Ferne. Dann brüllten sie auf, daß der Luftraum zusammenzukrachen schien, ein Feuerball, wie ein Komet mit blutrotem Schweif, sauste durch die Luft, die Panzertürme barsten, und die Mauern aus Stahl und Beton waren überhaupt nicht mehr da... Was sind die blutigen Kometen, die in sagenhaften Zeiten den Krieg verkündeten, gegen die brennenden Gase des Geschosses, das die Luft durchsaust! Die 42-Zentimeter-Granate war der Kriegskomet des Jahres 1914! Nun staunt die Welt. Die Sage spinnt geheimnisvolle Fama um den Riesenmörser, von dem man weiß, daß er da ist, unbestimmt ahnt, was er zu wirken vermag, um den es aber noch immer so märchenhaft dunkel ist, wie zuvor, als man noch gar nicht wußte, daß es so etwas in Wirklichkeit gibt.“
Der „Große Brummer“ oder „Dicke Berta“ hielten nun auch bald ihren Einzug in die Witzblätter; jeder Künstler stellte sie in seiner Art dar, und es ist reizvoll, eine Reihe solcher Darbietungen miteinander zu vergleichen. Das Material würde ausreichend sein für eine Monographie „Der große Brummer in der Karikatur“. M. Claus zeichnete ihn als fleißige, strickende korpulente Dame unter Innehaltung der Geschoßform ( Abb. 44 ); Walter Trier als Nachtmahr des Zaren, auf dessen Bett er mit offenem Schlunde hockt, während gleichzeitig Zeppeline den Betthimmel umkreisen (ein Blatt, das besser ist als die meist recht rohen und humorlosen Zeichnungen dieses Künstlers); Peter Pfeffer stellte ihn einem Franzosen, der das Maul aufreißt, gegenüber („Na, nun wollen wir doch mal sehen, wer das letzte Wort behält!“); Gustav Brandt läßt ihn selbst den unverletzlichen indischen Fakir zerschmettern ( Abb. 39 ); Thomas Theodor Heine zeigt das englische Gegenstück „ Lord Kitchener s neuen Faktor“ ( Abb. 40 ); W. A. Wellner zeichnet die „Dicke Berta“ im Wochenbett bei einem „Freudentag im Hause Krupp“, es hat gerade wieder ein Kind von ihr das Licht der Welt erblickt. Ein neu gegründetes Witzblatt, der „Brummer“, ein Ableger der „Lustigen Blätter“, führt seinen Namen nach dem Geschütz. Die Volkstümlichkeit des Riesenmörsers spiegelt sich auch in dem scherzhaften Briefe eines Frankfurter Konfektionärs aus dem Felde an die „Frankfurter Zeitung“ wider:
„Modelle zeigen diesmal wir Deutsche den Franzosen, und zwar hat ein bekanntes Haus in Essen zahlreiche piècen mit 42 Zentimeter Taillenweite herausgebracht, die, wo sie auch erscheinen, Staunen des Fachmanns und Verwunderung des Laien erregen. Die tonangebende Farbe für diese Saison ist feldgrau, sie hat die Versuche französischen Ursprungs, Rot und Blau zur Geltung zu bringen, überall siegreich aus dem Felde geschlagen. Die französischen Cutaways scheinen auch nicht die Sympathie ihrer Träger gefunden zu haben, denn sie wurden zahlreich vorzeitig abgelegt, da sie beim Laufen sehr hinderlich sind. Großen Vorrat haben wir in points . Es gibt zwei Sorten: points tirés à la main und à la machine . Letztere sind allerdings bei unseren Kunden sehr unbeliebt, da sie nolens volens sehr große Quantitäten in kürzester Zeit abnehmen müssen. Der Absatz von diesen Artikeln ist sehr hoch, da große englische Häuser extra auf den Kontinent gekommen sind, um noch davon abbekommen zu können. Der französische Markt scheint auch noch große Quantitäten davon aufnehmen zu wollen; wir sind aber genügend vorgesehen, um ihn vollständig zu befriedigen.“
Auch die Zeichner des Auslandes zeigten den Riesenmörser im Bilde. Zwar nicht die feindlichen Länder, obgleich deren Truppen besondere Bezeichnungen dafür haben: die Franzosen nennen die schweren deutschen Geschütze marmite , die Engländer Jack Johnson . Aber Holland und Amerika brachten recht geschickte Darstellungen. Johan Braakensiek schuf für „De Amsterdammer“ ein Blatt „Goochelaar Papa Mars“ , der Kriegsgott als Zauberer mit den Mörsern ( Abb. 35 ); der Holländer P. de Jong zeigt den Brummer eindrucksvoll als den Unwiderstehlichen, der die Jungfrau Antwerpen bezwungen hat und mit eisernen Klammern am Boden festhält ( Abb. 41 ); ihr Schild mit der Aufschrift „Bundesgenossen“ ist zerbrochen, und alle anderen Geschütze erscheinen gegenüber dem Riesen wie Spielzeug. Eine ganz originelle Auffassung der „Fleißigen Berta“ bringt der Flame George van Raemdonck ( Abb. 38 ), hier kommt neben dem Humor auch das Tragische zum Ausdruck: der Unterkörper hat die Form eines Grabhügels, drapiert mit Totenschädeln, Knochen und Schwertern, die Haare und der üppige Busen der Dame zeigen die Attribute des Todes, und selbst der Stiel des Lorgnons ist ein Totenknochen. Sidney Greene , der fruchtbare Karikaturist des New Yorker „Evening Telegram“ zeigt in seiner Verwandlungsfolge „From Pilsner to Powder“ ( Abb. 43 ) die Entwicklung vom Frieden zum Kriege: aus dem harmlosen Pilsner und der Zigarre wird allmählich der 42-Zentimeter-Mörser und sein Geschoß. „A 42 centimeter Mistake“ betitelt sich die Zeichnung von Robert Carter , die zur Weihnachtszeit in dem New Yorker „Evening Sun“ erschien ( Abb. 42 ). In Amerika kommt der Weihnachtsmann durch die Essen in die Häuser, um die zu diesem Zwecke hingehängten leeren Strümpfe der Kinder mit Gaben zu füllen; die hohen Rohre des Mörsers 42 hält er für Schornsteine. (Man darf dem alten Herrn den Irrtum nicht übelnehmen.) Sehr nett ist dann die Zeichnung von A. M. Froehlich in der „New Yorker Staats-Zeitung“: „den geehrten Verbündeten empfehlen sich als Verlobte der Onkel aus Friedrichshafen und die Tante aus Essen“ ( Abb. 37 ). Die Idee, die diesem Scherzbilde der größten deutschen Tageszeitung Amerikas zugrunde liegt, ist recht gut: die „Dicke Berta“ und der „Zeppelin“ verloben sich, um zusammen zu wirken: die Verbindung der beiden möge die Geburt eines größeren Deutschlands in die Wege leiten!
Die amerikanische Karikatur nimmt überhaupt in diesem Kriege einen außergewöhnlich großen Raum ein; sie spiegelt getreu die Stimmung in den Vereinigten Staaten wider. Dabei haben die amerikanischen Karikaturen den Vorzug, meist sehr gut gezeichnet zu sein, und es liegen ihnen auch fast immer recht originelle Ideen zugrunde. Sehr böse sind die Spottbilder gegen Deutschland in dem bedeutendsten Witzblatt der westlichen Halbkugel, dem „Life“, besonders die von William H. Walker . Es sind die abgedroschenen Themen vom Kaiser als Feind der Zivilisation, der an der Niedertretung Belgiens und Zerstörung der Kunstdenkmäler seine Freude hat. Typisch dafür das seitengroße Blatt „My Heart bleeds for Louvain“ , der Kaiser als Keiler über den Trümmern von Löwen (die Darstellung des Kaisers als Keiler war schon im spanisch-amerikanischen Kriege üblich. Der damals sehr beschäftigte Davenport ist ihr Schöpfer; die aufrechtstehenden Schnurrbartenden haben ihn zum Vergleich mit den Hauern geführt. Diese Art, den deutschen Kaiser zu zeichnen, hat sich bis heute in der englischen und amerikanischen Karikatur erhalten). Das seit über dreißig Jahren erscheinende Blatt ist in Deutschland so gut wie gar nicht bekannt. Hin und wieder sieht man in deutschen Blättern sehr starke Anlehnungen an die wirklich meist recht guten Zeichnungen des „Life“ . Ein Tierkarikaturist, wie ihn die Zeitschrift in S. Sullivant besitzt, kann nur mit Oberländer in seiner besten frühen Zeit verglichen werden. Die Darsteller gesellschaftlicher Zustände (der upper ten ) wie Harrison Cady und Foster Lincoln können sich getrost unsern besten Satirikern an die Seite stellen; der bekannte George Dana Gibson wiederholt sich in letzter Zeit zu oft, seinen großen Serien Ebenbürtiges ( Education of Mr. Pipps etc. ) hat er nicht mehr geschaffen. Otho Cushing s von antikem Geiste beeinflußte Umrißzeichnungen zeigen ein feines Formgefühl, sie sind von rhythmischer Schönheit erfüllt. Rea Irvin sprudelt nur so von witzigen Einfällen, er hat auch nebenbei eine Reihe von japanisierenden Illustrationen zu den „Letters of a Japanese Schoolboy“ geschaffen, die amerikanische Zustände vom japanischen Standpunkte beleuchten.
Amerika ist also reich an geschickten Karikaturenzeichnern, sie kommen mehr noch als in den Wochenschriften in der Tagespresse zur Geltung. Die großen Zeitungen der Vereinigten Staaten, die oft Millionenauflagen erreichen, bringen fast alle Illustrationen; auch vornehme Blätter wie „Sun“ haben sich schließlich diesem Gebrauche fügen müssen. Die Zeichnungen müssen rasch erscheinen. Das eben eingegangene Telegramm muß möglichst gleich mit den nötigen Illustrationen herauskommen. Time is money. Der Amerikaner will nicht lange nachdenken; die Sache muß ihm so bequem wie möglich gemacht werden. Dabei passiert denn in der Eile und aus Unkenntnis mancher nette Schnitzer: als Bernhard von Bülow Reichskanzler wurde, brachte eine der bekanntesten New Yorker Zeitungen zusammen mit der Nachricht ein Bild Bülows; es war auch Bülow, aber — Hans von Bülow, der berühmte Dirigent, der zwar ein Orchester leiten, aber nicht das Deutsche Reich hätte lenken können. Sein scharf geschnittener Kopf mit dem charakteristischen Knebelbart fungierte nun für die New Yorker als Bild des neuen deutschen Kanzlers. Hier handelte es sich um einen Irrtum; aber auch sonst ist der Amerikaner in solchen Fällen nicht verlegen. „Portland News“ brachten kürzlich eine Reproduktion von Anton von Werner s Bild „Erstürmung der Spicherer Höhen“ als „Sturm deutscher Infanterie in geschlossener Formation auf einen Hügel“. — Im allgemeinen müssen die Illustrationen der Tageszeitungen humoristisch gehalten sein (so will es das Publikum), und so sind denn in den Vereinigten Staaten eine ganze Reihe tüchtiger Karikaturisten entstanden. Diese satirischen Darstellungen vermögen viel schärfer als lange Auseinandersetzungen die Blößen der darin Karikierten zu zeigen; deshalb kann man ihre Bedeutung zu politischen Propagandazwecken auch gar nicht hoch genug einschätzen, besonders, wenn man die Riesenauflagen der amerikanischen Zeitungen in Betracht zieht.
Es war eine der schmerzlichsten Enttäuschungen für das Deutsche Reich, daß sich die Mehrheit in den Vereinigten Staaten (das Anglo-Amerikanertum und die seinem Einfluß unterworfenen Gruppen) mehr oder weniger offen auf die Seite unserer Feinde stellte und ganz unverhohlen ihre Sympathie für diese zum meist recht deutlichen Ausdruck brachte, obgleich doch auch Japan, Amerikas Todfeind, zu den Verbündeten zählt. Ebenso erfreulich war die angenehme Enttäuschung, welche die Deutsch-Amerikaner durch ihr mutiges Eintreten für ihr Stammland bewiesen; man glaubte sie großenteils dem „Vaterland“ verloren; nun zeigten sie, daß sie ihre alte Heimat nicht vergessen hatten und setzten sich in jeder Hinsicht tatkräftig dafür ein, daß die Wahrheit über die Ursachen und den Verlauf des Krieges durchdringen konnte. An ihre Seite traten aus altem angeborenen und unausrottbarem Hasse gegen England geschlossen die zahlreichen in Amerika lebenden Irländer, die drüben großen politischen Einfluß besitzen. Man glaube nicht, daß ausschließlich die Beherrschung der Kabel durch England und die Verbreitung der Lügendepeschen die antideutsche Stimmung erzeugt haben; hinter diese Täuschungen kam man sehr rasch: von einem Amerikaner rührt das Wortspiel her: allies = all lies (die Alliierten = alles lügt). Es spielen da andere tiefeingewurzelte Vorurteile mit. Der Amerikaner betrachtet England immer noch als eine Art Mutterland, Paris als maßgebend in allen Geschmacksfragen (vor allem auch in der bildenden Kunst). Eine Niederlage dieser Länder würde er wie eine persönlich Schlappe empfinden. Dann glaubt er immer noch an einen „deutschen Militarismus“, von dem das deutsche Volk „erlöst“ werden müßte und fürchtet von einem siegreichen Deutschland später Verletzungen der bis zum Überfluß zitierten Monroe -Doktrin (daher schon im spanisch-amerikanischen Kriege die feindliche Stimmung gegen Deutschland, die erst nach der Reise des Prinzen Heinrich freundschaftlicheren Gefühlen Platz machte).
So erklären sich die gegen Deutschland gerichteten Karikaturen, die den Kaiser „auf dem Rückzuge“ aus Rußland schildern ( „German Defeat“ ) mit dem Schatten Napoleons: „Glaubst du siegen zu können, wo ich unterlag?“ oder „die Ereignisse reifen schnell“ ( the leaves are falling fast , die deutschen Waffen sinken wie trockene Blätter zu Boden) oder Sidney Greene ’s „Cracking a cultured nut“ (der Kaiser in der Nußzange zwischen Heer und Marine der Verbündeten) und so die schon erwähnten giftigen Zeichnungen im „Life“ . Denn, was man wünscht, glaubt man gern! Es kommen auch noch andere Momente für die antideutsche Stimmung in Frage, als da sind die rauhe Außenseite des Deutschen, die unvorteilhaft absticht von den gewandteren Formen des Anglo-Amerikaners, und die nicht gerade absolut notwendig ist als Zeichen von Rechtschaffenheit und Wahrheitsliebe, dann die deutsche Vereinsmeierei in Amerika mit ihren oft recht komisch wirkenden Auswüchsen.
Der wichtigste Grund der Deutschfeindlichkeit war aber für den Anglo-Amerikaner diesmal die Verletzung der sogenannten Neutralität Belgiens (so in den Reden des früheren Präsidenten der Harvard Universität, Eliot ). Das „scrap of paper“ , die Bezeichnung des belgischen Neutralitätsvertrages als eines wertlosen Papierfetzens, spielt in den amerikanischen Blättern genau so wie in den englischen die größte Rolle. Auch wirtschaftliche Faktoren sprechen mit. Mit den Verbündeten kann man Geschäfte machen; mit Deutschland würde man es auch tun, wenn die Möglichkeit dazu vorhanden wäre. Im allgemeinen kann man sagen: die wirtschaftlichen Kreise, besonders die Hochfinanz in den Neu-England-Staaten, halten zu den Alliierten, das akademisch gebildete Publikum bewahrt wenigstens teilweise seine Sympathien für Deutschland, dem es so viel schuldet und ist weit davon entfernt, es für ein von Barbaren bewohntes Gebiet zu halten. Man lese nur die ehrliche Flugschrift, die der bekannte Austauschprofessor Burgeß von der Columbia -Universität bereits im August 1914 veröffentlichte (im Herbst 1915 ist von ihm [deutsch bei S. Hirzel in Leipzig] eine andere, sehr sachlich gehaltene Arbeit erschienen); er ist Anglo-Amerikaner und kann seinen Stammbaum Hunderte von Jahren zurückführen, er bekennt aber ganz offen, daß ihm näher als sein Mutterland das Vaterland Deutschland steht, dem er sein Wissen und seine Bildung verdanke. Und Burgeß steht mit seiner Propaganda für richtige Bewertung deutscher Kultur durchaus nicht einzeln da.
Das Wichtigste an Aufklärungsarbeit aber leisteten die deutschen Vereinigungen, besonders auch die vom Mitgliede des Repräsentantenhauses Bartholdt gegründete „Neutralitätsliga“. Teilweise erfolgt diese Aufklärung in humoristischer Form. Der deutsche Preßklub in New York hat ein solches Blatt herausgegeben; es nennt sich „Die gefüllte Kriegsente“ und beginnt gleich damit, die rätselhafte Neutralität Amerikas zu verspotten, indem es an seinen Kopf setzt: New-York, Great Britain, 14. November 1914 . Dann gibt es lustige Kriegsberichte von allen Schauplätzen, ganz im Stil der anglo-amerikanischen Hetzblätter. „Englands Flotte nach den Masurischen Seen“ heißt es in Riesenlettern, und nun entwickelt der Berichterstatter in Retroward den neuesten Feldzugsplan des Generals Kannrennen im Sinne der Überschrift. Aus Paris gibt er folgenden ergötzlichen Schlachtbericht:
„Auf unserm linken Flügel erlitten die Deutschen eine vernichtende Niederlage. Die afrikanischen Schützen griffen zusammen mit den Indiern und Hottentotten das Zentrum des Feindes bei Wosollderduebelweiten in Belgien an. Es entspann sich ein wütendes Geschützfeuer, welches von unserer braven Artillerie indes bald nur mit Schweigen beantwortet wurde. Da nämlich unser genialer Artilleriekommandeur sah, daß die deutschen Granaten eventuell die französischen Truppenbewegungen hätten stören können und die Prussiens überdies keinen Schuß Pulver wert sind, so zog er einfach seine Leute zurück. Dann begannen wir mit Heldenmut den eigentlichen Angriff. Da aber das Gelände ungünstig war, so wurde das Schlachtfeld später einige Kilometer rückwärts verlegt. Unsere tapfern Truppen ließen den Feind nicht zur Ruhe kommen und blieben trotz der Hast unseres Rückzugs mit ihm in Fühlung. Seine Verluste sind fürchterlich. Der feindliche General hat Selbstmord begangen. Sechs preußische Prinzen wurden schwer verwundet, der Bruder des Kaisers wurde gefangen genommen.“
Bemerkt sei noch, daß die Kriegsente mit Abbildungen reich verziert ist, die ebenfalls über die Gesinnung der Zeichner keinen Zweifel lassen. Ein jämmerlich verprügelter englischer Löwe schmückt die letzte Seite, hoffentlich auch das Symbol, mit dem der Weltkrieg einst zu Ende geht.
Solche Satiren auf gewisse amerikanische Zeitungen sind sehr nötig. Was allein der in Deutschland in seiner Bedeutung weit überschätzte „New York Herald“ (er gehört durchaus nicht zu den Blättern der besseren Klassen) in Lügen und Verhetzungen leistet, ist so hahnebüchen, daß man es nicht für möglich halten sollte; es übertrifft an Dummheit bei weitem alles, was etwa von französischen Zeitungen geboten worden ist. Danach müßte von dem deutschen Heere überhaupt kein Mann mehr übrig sein: Tausende von hungernden Menschen wälzen sich durch die Straßen Berlins vor das Schloß, überall in der Reichshauptstadt werden Schützengräben gezogen (vielleicht hat der Berichterstatter des „Herald“ die Ausschachtungsarbeiten für die neuen Untergrundbahnen gesehen!). Kurzum, Deutschland steht vor seinem nahen Ende. Und diesen Blödsinn dann mit zentimeterhohen Typen in den „headlines“ , den Überschriften, für deren sensationelle Aufmachung ein eigener Mitarbeiter gehalten wird! Daneben geht der haarige Unsinn, den andere amerikanische Zeitungen ihren Lesern vorsetzen. „San Francisco Chronicle“ schrieb: „Kaiser clips Ends of His Mustache. When it was observed some time after the beginning of the war that the Kaiser’s hair had turned white, no one paid much attention to that change, but the removal of his mustache ends has struck the public imagination, and has, perhaps, strange as it may seem, done more than anything else to convince the population of Berlin that the war outlook is becoming bad for Germany.“ („Der Kaiser schneidet die Spitzen seines Schnurrbarts ab. Als man einige Zeit nach dem Ausbruch des Krieges bemerkte, daß das Haar des Kaisers weiß geworden war, achtete niemand sonderlich auf diese Veränderung, aber die Entfernung seiner Schnurrbartenden hat einen tiefen Eindruck auf das Publikum gemacht und hat die Bevölkerung von Berlin mehr als alles andere davon überzeugt, daß die Kriegsaussichten ungünstig für Deutschland sind.“) — Im Chicagoer „Hardwood Record“ , einem Blatt, das in der amerikanischen Holzindustrie angesehen ist, war folgende Notiz enthalten: „In Österreich werden Sägespäne mit Teer gemischt und zu Heizbriketts verarbeitet. In Deutschland wird aus Sägespänen, die mit Roggenmehl vermischt werden, eine Art Brot gebacken, das von Menschen sowohl als auch von Pferden verzehrt wird. Eine Dampfbäckerei stellt allein zwanzigtausend solcher Brote am Tage her.“ Solcher Unsinn stand übrigens nicht bloß in der anglo-amerikanischen Presse, deren Ignoranz zur Genüge bekannt ist. Auch englische Zeitungen, z. B. die Londoner Times haben in der ersten Zeit manche Ente in die Welt gesetzt. Ein uraltes Vorrecht der Unterliegenden ist die Lüge. Später, als es mit den Lügen nicht mehr ging, haben sie allerdings recht objektiv berichtet. Interessant ist, wie solche falschen Berichte oft entstehen. Man entsinnt sich, daß im September 1914 die Nachricht die Runde durch die gesamte Presse machte, es wären achtzigtausend Russen im Hafen von Archangelsk nach Frankreich eingeschifft worden. In England nennt man im Eierhandel die russischen Eier einfach Russen, wie wir russische Zigaretten kurzweg als Russen bezeichnen und wie die Kaninchen, die in Massen aus Belgien über Ostende nach London kommen, „Ostendes“ heißen. Zu Beginn des Septembers erhielt nun ein Londoner Eier-Kommissionär eine Depesche des Wortlauts: „80000 Russen aus Archangel abgegangen.“ Ein Telegraphenbeamter erzählte diese Ankündigung als neueste inhaltschwere Zeitungsdepesche geschwätzig weiter, irgendein Reporter griff sie auf — und in zwei Tagen waren die Zeitungsleser der Alliierten um eine verheißungsvolle, erst nach langer Zeit weichende Hoffnung reicher. — Hier waren also die unschuldigen Eier an einer Nachricht schuld, die die ganze Welt tagelang beschäftigte. Omne vivum ex ovo!
Über französische Lügen hatte sogar „Corriere d’Italia“ eine grotesk wirkende Liste gebracht: Die Basutoneger haben sich den Engländern als Pfeilschleuderer angeboten; der Sultan von Marokko hat außer 50000 Getreuen auch ein Heer von Odalisken nach Frankreich gesandt; die Deutschen haben die Provinz Antwerpen geräumt, belagern aber die Festung dieses Namens; die in Archangelsk an Bord genommenen Russen sind am Nordkap gelandet und treffen morgen in London ein; der Inn wälzt blutige Wogen in den Lech usw. usw.
Bewußt harmlos sind dagegen die Zeichnungen in dem schon mehrfach zitierten „Life“ , wie die von Dan Lynch über Fabrikation der Schweizerkäse in der jetzigen Zeit ( Abb. 50 ); die Käse werden zwischen der deutschen und französischen Grenze in die Höhe gewunden, und die Geschosse sorgen für die Durchlöcherung.
Hand in Hand damit gehen zahlreiche Spottbilder gegen die „ hyphenated americans “ . So nennt man drüben die Irisch-Amerikaner, Italo-Amerikaner, besonders aber die Deutsch-Amerikaner , also die Leute mit dem Bindestrich ( hyphen ); sie werden als Bürger zweiter Klasse betrachtet, weil sie nicht als „reine Amerikaner“ gelten, besonders die „Dutchmen“ (Spottwort für die Deutschen). Gegen sie wendet sich die Presse der Kriegshetzer. In New York ist kürzlich sogar ein Theaterstück „The Hyphen“ gegeben worden, das ein ganz blödes Machwerk der Deutschenhetze darstellte. Autor und Direktor, J. Miles Forman und Charles Frohmann , gingen ein paar Wochen später mit der Lusitania unter. Es konnte sich übrigens nicht lange auf dem Spielplan halten, obgleich die Reklame dafür sehr geschickt eingeleitet worden war. — Gegen die hyphenated americans richten sich also zahlreiche Karikaturen. Meist sitzen die Hyphenated auf einer Mauer und wissen nicht, nach welcher von beiden Seiten (Germany oder United States ) sie sich wenden sollen, oder sie erscheinen halbiert und singen rechts „Deutschland über alles“, links „The Star Spangled Banner“ ( Abb. 51 ). Im Sommer 1915 mehrten sich die Karikaturen auf William Jennings Bryan , dem man allzu große Deutschfreundlichkeit vorwirft ( Abb. 53 , 54 , 58 ). Daß Bernstorff , Dernburg und der in den letzten Monaten oft genannte österreichisch-ungarische Botschafter Dumba im Spottbilde eine große Rolle spielen, versteht sich von selbst ( Abb. 52 ).
Aber auch hier muß der Wahrheit gemäß berichtet werden, daß es unter den „echten“ Amerikanern viele gibt, die mutig für Deutschland eintreten. Gegen die Kriegshetzer schreibt unter anderem witzig das sozialistische „Appeal to Reason“ den Amerikanern ins Stammbuch: „Wenn Sie den Krieg lieben, ziehen Sie einen Graben in Ihrem Garten, füllen ihn halb mit Wasser, kriechen hinein und bleiben dort einen Tag oder zwei, ohne etwas zu essen; bestellen Sie sich weiter einen Geisteskranken, damit er mit ein paar Revolvern und einem Maschinengewehr auf Sie schieße, dann haben Sie etwas, das gerade so gut ist und Ihrem Lande eine Menge Geld erspart.“
Eines imponiert den Amerikanern: die deutsche Organisation. Man kann das gerade an den Karikaturen der Tageszeitungen wieder deutlich feststellen. J. M. Allison , einer der Kriegskorrespondenten des nichts weniger als deutschfreundlichen „New York Sun“ , der dem Einmarsch der deutschen Truppen in Ostende als Augenzeuge beigewohnt hat, schildert das, was er gesehen, den Lesern seines Blattes in einem Bericht, der sich über die Ordnung, Manneszucht und Organisation der deutschen Armee mit Worten uneingeschränkten Lobes ausspricht. „Seit ich die Besetzung Ostendes durch die Deutschen erlebte,“ schreibt Allison, „bin ich ein gläubiger Bekenner des Wahrheitssatzes, daß es in der Welt nur drei vollkommene Organisationen gibt: die katholische Kirche, die Standard Oil Company und die deutsche Armee.“ Aus dem „Evening Sun“ stammt auch die in Abb. 46 wiedergegebene Karikatur aus dem Anfang des Krieges von Robert Carter „More news and not quite so thin“ , eine Satire gegen Englands falsche Nachrichten.
Neben Robert Carter steht der originelle Sidney Greene . In „The Bread Line“ knüpft der Zeichner an den Gebrauch großer New Yorker Bäckereien an, die gegen Mitternacht, besonders im Winter, Brot an die hungrigen Armen verteilen lassen, die sich dabei hintereinander anstellen müssen. Eine solche „Brotlinie“ werden nach seiner Meinung vielleicht auch die europäischen Mächte bilden, wenn ihnen die Nahrungsmittel ausgehen und sie Amerika um Unterstützung angehen müssen. Greene zeichnete auch ein Kinotheater, genannt „Theatre de l’Europe“ . „Greatest war scenes in history“ , die größten Kriegsereignisse der Welt werden vorgeführt. Ein Plakat zeigt die Hauptdarsteller, die „principals“ , und unter ihnen sofort ins Auge fallend den deutschen Kaiser. Italien überlegt sich, ob es teilnehmen soll oder nicht. Der Tod sitzt an der Kasse, und da fällt die Entscheidung schwer. Inzwischen ist Italien doch eingetreten, und der Tod hat reichliche Ernte gehalten. —
Den „ Dachshund “ (das Wort ist ganz in den englischen Sprachgebrauch übergegangen) findet man häufig als „Vertreter“ Deutschlands. Besonders in England und Amerika treffen wir die Dackel in Scherzbildern, die sich mit deutschen Angelegenheiten befassen. Die „Fliegenden Blätter“ könnten gelb werden vor Neid! So zum Beispiel in dem Karton von Jack Walker aus dem „Daily Graphic“ in London ( Abb. 55 ). Das war noch zur Zeit, als man in England seine Hoffnung auf die russische Dampfwalze gesetzt hatte. Aber wir haben die vom Zeichner ironisch aufgestellte Warnung „Beware of steam roller“ („Achtung, Dampfwalze!“) befolgt, wenn auch in anderer Weise, als den Engländern lieb war. Das gleiche Thema behandelt, künstlerisch aber weit bedeutender, die Zeichnung von Marcel Bloch in der „Guerre sociale“ ( Abb. 57 ). Mit innigem Behagen und einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit gegen unser Heer und seine Führer im Osten betrachten wir diese Blätter heute, wo längst der Große Bär in den Wendekreis des Krebses getreten ist, oder, um deutsch zu reden, Rußland kehrt gemacht hat und immer weiter nach Osten weicht.
Einen Dackel zeichnet auch Sidney Greene ( Abb. 56 ); er hat sich reichlich übernommen. Aber die Dackel sind ja kluge Tiere: er wird mit den vielen Knoten (Knoten im doppelten Sinne) schon fertig werden! Die Dackel folgen bekanntlich nie. Vielleicht ist das auch ein Grund, weshalb uns die Engländer so darstellen: wir sind ja ihren Wünschen auch nicht gefolgt. Englische und französische Überpatrioten hatten am Anfang des Krieges verlangt, man solle die (besonders in England viel gehaltenen) Dackel als „boches“ töten und ausrotten. Dann erfuhr der „Dachshund“ aber eine „Ehrenrettung“ durch „Daily Mail“ , die herausbrachte, daß sich Dackel schon auf altägyptischen Denkmälern dargestellt finden.
Eine der gelungensten Zeichnungen Greene s ist die Kluckhenne ( Abb. 45 ). Kluck hat einen großen Sieg errungen. Es entstand die Frage: „Can he hatch it?“ Kann er ihn ausbrüten, das heißt: ausnutzen in Anbetracht der zahlreichen Waffen, die ihn umstarren?
Durch spöttische Bemerkungen machen sonst ganz in englischem Fahrwasser schwimmende Blätter gegen englische Nachrichten und die irrsinnigen Redewendungen mancher Redakteure mobil, deren Sprache als „Desperanto“ bezeichnet wird. Einen geistvollen Aphorismus, der die englische Politik vortrefflich kennzeichnet, brachte die „Deutsche Zeitung“ in Charleston: „This war was not made in Germany, but ‚made in Germany‘ is the cause of it!“ („Dieser Krieg wurde nicht in Deutschland gemacht, aber ‚made in Germany‘ ist die Ursache davon“).
Sehr sympathisch berührt uns die Karikatur des schon mehrfach genannten Robert Carter „Who said rats?“ ( Abb. 59 ). Der englische Minister Churchill hatte von den deutschen Schiffen als Ratten gesprochen, die man aus ihren Löchern ausgraben müsse, da sie sonst nicht hervorkämen. Die großartigen Leistungen deutscher Unterseeboote waren die Antwort. Der amerikanische Künstler zeigt uns nun in dem sehr geschickt komponierten Blatte, wie Tirpitz, hinter dem ein Heer von Schiffen und Zeppelinen steht, den englischen Löwen bei den Ohren nimmt. Daß ein sonst Deutschland abholdes Blatt eine solche Zeichnung bringt, die damit zu Hunderttausenden von Lesern gelangt, ist ein deutlicher Beweis dafür, daß schließlich über alle Lügen und Entstellungen doch die lautere Wahrheit triumphieren muß!
Wasser auf die Mühlen aller deutschfeindlichen Elemente war die Torpedierung der „Lusitania“ am 7. Mai. Die aufs äußerste erregte Stimmung in den Vereinigten Staaten spiegelt auch hier die Karikatur deutlich wider. Ein Gefühl der Erhabenheit über Beleidigungen ist diesen Zeichnungen gegenüber besonders notwendig.
Die modernen Waffen dieses Krieges, die namentlich auf deutscher Seite so außerordentlich erfolgreich angewendet wurden: Unterseeboote, Luftschiffe, tötende Gase, haben auch in der gesamten Weltkarikatur zu zahlreichen, oft sehr bedeutenden Darstellungen geführt. Alle die Bilder über die Torpedierung der „Lusitania“ gehören ja in das Kapitel „ Unterseeboot “, über das sich allein schon ein dicker Band von Karikaturen zusammenbringen ließe. Die „Lusitania“-Karikaturen sind eigentümlicherweise nicht in England am zahlreichsten, das durch den Untergang des Riesendampfers doch am meisten getroffen wurde, vielmehr hat quantitativ und qualitativ Amerika das meiste geleistet und nächst ihm Holland; wie überhaupt, soweit sich das Gebiet der Karikatur im Weltkrieg bisher übersehen läßt, in Amerika und Holland die künstlerisch wertvollsten Scherzbilder entstanden sind.
Wie bekannt, erfolgte die Torpedierung der „Lusitania“ ohne vorherige direkte Warnung, wobei eine große Anzahl bekannter oder, wie man drüben sagt, „prominenter“ Amerikaner ihr Leben verlor. Wir wollen einmal annehmen, das Umgekehrte wäre eingetreten, Deutschland hätte in einem Kriege, in dem es neutral geblieben wäre, auf die gleiche Weise eine Reihe seiner besten Bürger eingebüßt: sicherlich wäre auch bei uns die Erregung zur Siedehitze gestiegen und hätte in den Witzblättern (in diesem Kriege ist der Ausdruck „Witzblatt“ eigentlich geradezu eine Profanation) zu den denkbar schärfsten Angriffen geführt. Allerdings hätte man in Deutschland die Bekanntmachung eines fremden Gesandten nicht mit Spott und Hohn hingenommen, wie es in Amerika mit den Warnungen geschehen ist, die Graf Bernstorff in Zeitungen und durch private Briefe ergehen ließ. Deshalb ist es ja auch nicht richtig, von einem Torpedieren der „Lusitania“ ohne vorherige Ankündigung zu sprechen. Aber die amerikanische Presse nahm diese Warnungen nicht ernst. So zeigt noch ein Spottbild in der Morgenausgabe des „New York Herald“ vom Sonnabend dem 8. Mai „The Announcer“ Bernstorff mit umgeschlagenem Mantel und den Attributen des Todes, während im Hintergrund das Plakat der Cunard-Linie klebt, die dort ihre Abfahrtszeiten der „fastest and largest steamers“ ungehindert ankündigt. Diese Zeichnung von W. A. Rogers sollte ein Hohn auf Bernstorffs Warnungen sein. Nachdem das große Schiff nun tatsächlich versenkt war, überbot sich die amerikanische Presse an gehässigen Darstellungen, die sich hauptsächlich gegen den Kaiser und Tirpitz, die als die Urheber des „Verbrechens“ angesehen wurden, richteten. Der schon früher genannte Sidney Greene zeigt im „Evening Telegram“ den Kaiser persönlich mit einem riesigen Torpedo die „Lusitania“ in den Grund bohrend, während Frauen und Kinder rettungslos auf den Wellen treiben: „ Sein Platz an der Sonne“. In derselben vielgelesenen Tageszeitung brachte der Zeichner Farr eine Karikatur, in der die drei größten Seeräuber aller Zeiten, Kapt. Kidd , Simms und — Sir Henry Morgan dem Kaiser den Lorbeer ( the wreath ) überreichen: „Handing it to him“ („Ihm gebührt der Ruhmeskranz“). Robert Carter veröffentlichte in „Evening Sun“ eine Satire mit der ironischen Bezeichnung „Brave Work“ , auf der der Kaiser einem Seewolf, der die Bezeichnung trägt: „War on Helpless Shipping“ , das Eiserne Kreuz umhängt. In der gleichen Zeitung konnte man ein Bild sehen, das den Kaiser mit der gepanzerten Faust, die berühmte „mailed fist“ , mit Tirpitz im Hintergrunde zeigt: „Laws? I make My Own Laws“ (Was scheren mich Gesetze, ich mache meine eigenen!), „Cincinnati Times“ brachte eine Zeichnung von Bushnell mit der riesigen Figur des Todes, die aus dem Meeresgrunde aufsteigt und die „Lusitania“ in die Tiefe zieht, während das deutsche Unterseeboot unbekümmert abfährt; „Philadelphia Public Ledger“ vereinfachte den Gedanken: Man sieht auf den tobenden Wellen einen deutschen Helm mit der Piratenflagge an der Spitze. „Brooklyn Eagle“ bringt die amerikanische Flagge ( Stars and Stripes ), blutbefleckt, darunter die Unterschrift: „Das ist unser Blut“. Noch viel schärfer waren die Darstellungen in der schon genannten bedeutendsten Wochenschrift „Life“ ; sie sind derartig zynisch, daß man ihren Inhalt aus einfachen Anstandsgründen nicht einmal zitieren kann. Auf einer der verhältnismäßig noch harmlosen Zeichnungen von McKee sieht man Uncle Sam , wie ihn der Kaiser mit der Peitsche bearbeitet, so daß Streifen auf dem Rücken entstehen, und Tirpitz ihm mit einer schweren Keule auf den Kopf schlägt, so daß Funken und Sterne sprühen; die ironische Unterschrift lautet: „Stars and Stripes“ . In der gleichen Zeitung, deren Leser nach vielen Hunderttausenden zählen, findet man dann die häßlichsten und gemeinsten Spottverse gegen Deutschland und seinen Kaiser.
Und dieselbe, auch in England weitverbreitete amerikanische Wochenschrift, gab gleichzeitig eine Sondernummer „Vive la France“ heraus, in der die „Schwesterrepublik“ in einer Reihe süßlich-fader Bilder in den Himmel gehoben wird!
Man hat in Deutschland im allgemeinen doch wohl nicht begriffen, wie erregt und kritisch nach dem Untergange der „Lusitania“ die Stimmung in Amerika gegen uns war. Die Karikaturen zeigen es zur Genüge, und wir können den Männern, deren Bemühungen es gelungen ist, den Frieden mit einem Lande zu erhalten, in dem so viel stammverwandte Menschen wohnen, gar nicht dankbar genug sein. Die hier angeführten Beispiele sind nur ein kleiner Teil der ungezählten „Lusitania“-Zeichnungen der Amerikaner. — Natürlich hat es auch in der französischen Presse nicht an beißenden Satiren gefehlt. J. J. Roussau brachte ein Blatt: „Dieu vous sauve“ ; der Personendampfer ist eben versenkt, und Frauen und Kinder treiben hilflos auf den Wellen, während der deutsche Unterseeboots-Kommandant lachend davonfährt. Diese Zeichnung trägt die Überschrift: „Les fils chéris de Bénoit XV“ , ist also gleichzeitig ein Spottblatt gegen den Papst, dessen unparteiische Haltung ihm besonders in Frankreich und Italien wütenden Haß einbrachte ( Abb. 61 ). Grandjouan zeichnete für „Le Rire Rouge“ eine ganzseitige Darstellung, die Wilson am Meeresstrande zeigt, wo die Leichname einer Mutter und zweier Kinder angespült werden, die noch den Rettungsring der „Lusitania“ tragen, während im Hintergrunde Haifische auf das leckere Mahl warten: „Décidément, non, je ne peux être du parti des requins“ (Wahrhaftig, nein, mit diesen Menschenfressern will ich nichts mehr zu tun haben!) ( Abb. 63 ). — Sehr deutschfeindlich sind auch die Darstellungen, die die holländische Presse über den „Lusitania“-Untergang brachte. Johan Braakensiek lithographierte für den „Amsterdammer“ ein Blatt „De dolle stier is los“ . Der tolle Stier ist natürlich Deutschland, auf den die ganze Welt Jagd machen müßte. Von P. de Jong erschien im „Nieuwe Amsterdammer“ eine Darstellung des Untergangs der „Lusitania“, in der der Tod die Schornsteine und Segel kappt, während rechts der Teufel, der die Züge des deutschen Kaisers trägt, in die Worte ausbricht: „Goed zoo! Zoo’n cultuur is ook de mijne!“ (Gut so! Solche Kultur ist auch die meinige!). Eine Inschrift auf des Teufels Flügeln lautet in deutscher Übersetzung: „Sterbliche, laßt in meinem Dienste alle Menschlichkeit fahren!“ Am schlimmsten gibt sich, wie immer, Louis Raemaekers : Das Gewissen hält den „Mörder“ (Deutschland) in die Höhe „Alle, die Ihr nicht protestiert gegen die barbarischen Kriegsmethoden dieses Ungeheuers, seid seine Mitschuldigen!“ — Das charakteristischste Blatt aber brachte dieselbe Zeitschrift in einer farbigen Zeichnung von dem schon früher gewürdigten P. van der Hem . Von ihm rührt auch das großartige Blatt her, das wir weiter hinten abbilden, die Wirkung der Stickgase darstellend. Auf der hier wiedergegebenen Karikatur „De Lusitania“ sehen wir uns in das Bureau einer deutschen Zeitung versetzt (der Name an der Tür ist wohl ganz willkürlich gewählt). Die Schreibmaschine trägt die Aufschrift „Gott strafe England“, einer der Mitarbeiter fragt den Chefredakteur: „Ich habe hier noch einen Nekrolog über den Untergang der ‚ Titanic ‘, können wir den nicht jetzt wieder abdrucken?“ worauf der andere erwidert: „Tun Sie das, aber er muß dann als Jubel-Artikel umgearbeitet werden.“ ( Abb. 66 .)
Die Torpedierung der „Lusitania“ ist nur eines der vielen weltbewegenden Ereignisse dieses Krieges gewesen. Macht man sich nun klar, welche Fülle von Karikaturen allein dieses eine Vorkommnis hervorgerufen hat, so gibt das ungefähr einen Begriff von der ungeheuren Masse satirischer Bilder, die der Weltkrieg überhaupt angeregt hat.
Indirekt gehören zu dem Kapitel „Lusitania“ auch die selbstironisierenden Zeichnungen über die mangelhafte Rüstung der Vereinigten Staaten, denen man in der amerikanischen Presse begegnet. So klug sind die Amerikaner doch, um zu wissen, daß sie militärisch einem mächtig gerüsteten Reiche gegenüber, wie es „Germany“ ist, nichts auszurichten vermögen. Die in Abb. 72 wiedergegebene Zeichnung „The World Power“ , in der die United States ironisch als Weltmacht bezeichnet werden (sie ist von Harry Grant Dart und im Juli 1915 im „Life“ erschienen), möge dafür als typisches Beispiel dienen.
Das Unterseeboot ist, wie schon gesagt und wie auch die Abbildungen 60 , 62 , 66 - 70 weiter zeigen, ein häufiges Thema in den Karikaturen; oft kommt ein Gemisch von Bewunderung und Neid darin zum Ausdruck. Ein findiger Franzose schlägt im „Figaro“ vor, das Meer im Gebiete der Kriegszone mit Öl zu begießen. Dadurch würden die Gläser der Periskope fettig werden, dann könnte man sie nicht mehr benutzen, und die deutschen Unterseeboote wären lahmgelegt. Der Chefredakteur des „Figaro“ , Alfred Capus ( de l’Académie ) gibt diese Anregung mit empfehlenden Worten weiter.
Ebenso geht es den Zeppelinen ; denn wenn auch die Alliierten so tun, als rührten sie die Zeppelinfahrten nicht (der „Punch“ bringt sogar scherzhafte Plakate, wie eine Ankündigung des Bades Northend on Sea , das als besondere Attraktion „frequent visits of Zeppelins“ empfiehlt), so haben sie doch in Wirklichkeit einen Heidenrespekt vor den Beherrschern der Luft. Und ebenso muß eine Zeichnung von Paul Iribe im „Journal“ bewertet werden, wenn die Mutter zu ihrem ungezogenen Jungen in Paris sagt: „Sei artig, sonst darfst du nicht mitgehen, wenn wir uns heute die Zeppeline ansehen gehen!“
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PRESUMING TO TRIFLE WITH THE DIGNITY AND HONOR OF THIS GREAT NATION DOES SO AT THE RISK OF INSTANT ANNIHILATION BY OUR MIGHTY ARMY AND MAGNIFICENT NAVY UNDER THE EFFICIENT MANAGEMENT OF ITS HEAVEN-GUIDED BOSS.
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U.S.A.
Wolffs Telegraphen-Bureau darf natürlich auch nicht zu kurz kommen; hier ist es besonders die französische Presse, die sich diese Depeschenagentur aufs Korn genommen hat (genau so wie die deutsche das Bureau Reuter), übrigens nicht nur in rein karikaturistischen Darstellungen wie die der Abb. 71 , sondern auch in harmloserer Verbindung. A. Guillaume , der bekannte Darsteller galanter Szenen, zeigt den plötzlich von der Reise ins Schlafzimmer seiner Frau zurückkehrenden Ehemann (der Galan verschwindet grade unterm Bett): „Ich bin schleunigst wiedergekommen; ich habe eine Depesche erhalten, daß du mich betrügst!“ Darauf sie: „Pah! Das ist doch natürlich wieder nichts anderes als so eine alberne Nachricht des Wolffschen Bureaus !“
Die modernste und vielleicht schrecklichste Waffe, die Stickgase ( asphyxiating gases ) hat in dem schon vorher genannten P. van der Hem ihren Meister gefunden. Sein großes Blatt aus dem „Nieuwe Amsterdammer“ kann man wohl mit Recht als eine sehr gelungene Versinnbildlichung der erstickenden Dämpfe betrachten. Aus dem langen, röhrenartig erweiterten Totenschädel strömen die giftigen Dämpfe in den feindlichen Schützengraben, Tod und Verderben verbreitend. Bei allem Ernst, der über dem Blatt lagert, ist der Vorwurf, den sich der Künstler gewählt hat, temperamentvoll wiedergegeben. Trotzdem außer dem schwarzen Grundton nur Blau verwendet wurde, ist die Zeichnung farbig doch sehr stimmungsvoll. Ein Mann wie P. van der Hem , bei dem sich so scharfe Beobachtung mit technischem Können vereint, wäre der gegebene Zeichner für einen großen Totentanz des Weltkriegs. Gegen seine Darstellung der Stickgase ( Abb. 73 ) fällt die des Franzosen Lanos „La bête puante“ aus dem „Rire rouge“ gänzlich ab. Unter Hineinschleppung viel zu vieler Einzelheiten und bei farbig-fahriger Buntheit läßt die Zeichnung den Eindruck des Schrecklichen, den der Künstler beabsichtigte, durchaus vermissen und wirkt eher komisch.
(La Fontaine
Wohl kaum einem Lande ist der Krieg so überraschend gekommen wie Frankreich, denn wenn man dort auch immer stolz auf das „archiprêt“ pochte und eine Reihe von Kriegshetzern fleißig an der Arbeit waren, so hatte man, wenigstens soweit die große Mehrheit in Betracht kam, doch nicht ernstlich an einen Krieg geglaubt, zum mindesten nicht an einen solchen im Jahre 1914. So fand denn der 1. August die Franzosen archiprêt in dem Sinne von 1870, nämlich unvorbereitet. Wandel und Handel stockte, vor allem der Buchhandel, und er hat sich auch bis heute noch nicht richtig erholen können, während er in andern Ländern schon längst sich den neuen Verhältnissen anzupassen wußte. In Deutschland beträgt allein die Zahl der mit dem Kriege in Zusammenhang stehenden Neuerscheinungen vom 1. August bis 31. Dezember 1914 1416 Nummern, während in Frankreich der „Mémorial de la Librairie“ im ganzen bloß 286 Werke verzeichnete und unter diesen nur 20, die in direktem Zusammenhange mit den Zeitereignissen standen. Eine große Reihe von Revuen und Zeitungen verschwanden sang- und klanglos und sind auch nicht wieder erstanden; andere fristen notdürftig als zweiseitige Blätter ihr Dasein. In Paris hörten die Witzblätter nach Ausbruch des Krieges zunächst auf zu erscheinen. Die Karikatur trat zuerst wieder in den Tageszeitungen auf, in jenem Stil, der für die gesamte Literatur und Kunst seit dem Ausbruch des Krieges für Frankreich charakteristisch ist. Es ist dort anders als bei uns: während hier nur wenige Schreier und Toren die Ausnahme bilden und die weitaus überwiegende Mehrzahl der Deutschen sich vernünftig und korrekt benimmt, ist es in Frankreich gerade umgekehrt; dort ist die Besonnenheit eine Ausnahme, und die Masse des Volkes, auch die der Gebildeten, ist von einer Art Wahnsinn befallen, dessen pathologische Wutausbrüche in der Tagespresse, den Witzblättern, den Ansichtskarten und in Einzelheften zum Ausdruck kommen, die zu sammeln für jeden, der sich überhaupt mit der Kriegsliteratur beschäftigt, zum mindesten sehr reizvoll ist. Das Bewußtsein der Ohnmacht einem stärkeren Feinde gegenüber hat die Franzosen in eine hysterische Raserei versetzt, deren Ergüsse einfach jeder Beschreibung spotten. Aber es ist wirklich richtiger, alle diese Dokumente von der komischen Seite zu betrachten, als sie ernst zu nehmen. Die gekränkte Eitelkeit, die Sorge um den Untergang der „Gloire“ hat dieses bedauernswerte Volk zu solchen sonderbaren Delirien geführt. Frankreich glaubt noch immer, die Welt führe Krieg, weil seine Eitelkeit vor 44 Jahren durch den Verlust Elsaß-Lothringens verletzt wurde. Nur ganz langsam und allmählich machen sich auch Stimmen in Frankreich bemerkbar, die vor übergroßem Siegesbewußtsein warnen und den Deutschen Gerechtigkeit widerfahren lassen, ja, die sogar das Wort „Les Allemands“ wieder in Anwendung bringen, das doch jetzt in der französischen Presse verpönt ist und durch „Assassins“ , „Barbares“ , oder das so beliebte „Boches“ ersetzt wird.
Besonders interessant sind jene Dokumente, die angeblich authentische deutsche Originalaufnahmen bringen, während es sich tatsächlich um französische Fälschungen schlimmster Art handelt. Durch alle Blätter bei uns ging ja jene Illustration, die drei deutsche Offiziere mit ihrem „Raub aus französischen Schlössern“ zeigte, in Wirklichkeit die Abbildung dreier Kavallerieleutnants, die sich nach einem Herrenreiten mit den drei gewonnenen Preisen hatten photographieren lassen; der Hintergrund war vorsichtig wegretuschiert worden. Auf eine andere Fälschung aus dem „Matin“ (der überhaupt kaum zu überbieten ist) machte kürzlich der „Kunstwart“ aufmerksam: das Blatt hatte eine Aufnahme eines Berliner Photographen benutzt, die den Kaiser und den Kronprinzen in freundlichem Gespräche vorführte. Der „Matin“ fälschte nun in das Original verschiedene „Kleinigkeiten“ hinein und dann wurde der nötige Text zu dieser Fälschung fabriziert: „Explication orageuse des deux Willies. Les officiers de la suite sourient ironiquement.“ Noch toller aber ist, was sich das Blatt „L’Intransigeant“ kürzlich geleistet hat; es brachte eine Gruppe hoher deutscher Offiziere mit ausgesprochen tieftraurigen Gesichtern, alle Mienen verraten Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit. Die Unterschrift: „Offiziere des deutschen Großen Generalstabes beim Rückzug nach einem mißglückten Angriffsversuch.“ Die Photographie war allerdings vollständig Original und auch nicht gefälscht. Aber man sah in dem französischen Blatte die Figuren nur bis etwa zu den Knien, die ganze Aufnahme zeigte nämlich die so traurigen und kopfhängerischen deutschen Offiziere bei der Beerdigung eines auf dem Felde der Ehre gefallenen Kameraden!
Bei all diesen Hetzereien passieren auch originelle Schnitzer. Das „Journal“ brachte im Januar mit der nötigen Entrüstung eine Abbildung aus der „Jugend“: Kitchener als Frosch mit den Händen in einer blutigen Masse hingemordeter Menschen wühlend. Man hoffte wohl auf die Entrüstung der gekränkten Engländer. In Wirklichkeit handelte es sich aber um eine — französische Karikatur der „Assiette au Beurre“ aus der Zeit des Burenkrieges (wie die „Jugend“ auch richtig angegeben hatte).
Abbildung 76 zeigt eine Karikatur von L. Métivet , die in der letzten vor dem Kriege ausgegebenen Nummer von „Le Rire“ veröffentlicht worden ist. Sie bezieht sich auf die berühmte „Stiefeldebatte“ in der französischen Kammer, die sich um die mangelhafte Ausrüstung des Heeres drehte und über die ja in deutschen Witzblättern zahlreiche Satiren veröffentlicht wurden. Der Soldat ist in Betrachtung seiner beiden Füße versunken, deren einer bekleidet, deren anderer unbekleidet ist, und fragt verwundert, welcher nun eigentlich der „Kriegsfuß“ sei. Die Kritik des eigenen Heeres spielte in französischen Witzblättern ja überhaupt immer eine große Rolle, wenn sie auch ganz anderer Art war, als jene harmlosen Scherze, mit denen deutsche Witzblätter über den bisweilen etwas zu großen Schneid unserer Offiziere in liebenswürdiger Weise spotteten. Besonders die Zeichnungen von Jossot lassen an Schärfe nichts zu wünschen übrig; sie üben an der ganzen Organisation des französischen Heeres eine ätzende Kritik.
Es ist eigentlich jammerschade, daß das bedeutendste französische Witzblatt (und man kann wohl sagen: die bedeutendste Karikaturen-Zeitung der Welt überhaupt), die „Assiette au Beurre“ bereits vor mehreren Jahren ihr Erscheinen eingestellt hat. Es wäre doch sehr wichtig gewesen, gerade sie unter der Kriegsliteratur vertreten zu sehen. — Und dabei denkt man unwillkürlich ein bis zwei Jahrzehnte zurück, an die Zeit, als sich die ganze Schärfe des französischen Witzes mit aller Wucht und allem Haß gegen die jetzigen Verbündeten Frankreichs, die Briten, wandte, als sogar Sondernummern gegen die Engländer herausgegeben wurden, wie namentlich zur Zeit des Burenkrieges. Derselbe Willette , der sich heute in gehässigen Kartons gegen die deutschen „Barbaren“ nicht genug tun kann, brachte damals ein Blatt, auf dem der Tod die abgemagerte Britannia davonträgt. Darunter stand zu lesen: „Der Tag, an dem das perfide Albion verreckt, wird ein Freudentag der Menschheit werden!“ — Aber auch später haben die Pariser Witzblätter sich noch weidlich über England lustig gemacht. So nach den letzten englischen Manövern, die wegen totalen Wirrwarrs und weil niemand mehr ein und aus wußte, schließlich abgebrochen werden mußten. — Vielleicht ist die Zeit nicht allzu fern, wo sich die Stifte der französischen Zeichner wieder gegen jenen Feind wenden werden, der die Ursache der „Schmach von Faschoda“ war. Dann wird Frankreich einsehen, wie treffend die Situation jene als Abbildung 74 wiedergegebene Karte charakterisiert, die aus dem deutschen Großen Hauptquartier im Westen stammt. Frankreich erntet eben die Früchte seiner Revanchepolitik und wird wohl schließlich die Hauptzeche zahlen müssen, wenn die Engländer die Absicht haben, bis zum letzten Franzosen zu kämpfen.
LE SILENCIEUX: JOFFRE
Eine andere Karte mit französischem Text hat das deutsche Große Hauptquartier im Westen sich von Trier zeichnen lassen. Sie zeigt einen Engländer, der im Blute watet und die darin ertrinkenden Franzosen mit folgenden Versen anredet (dieser Engländer scheint übrigens eine Ausnahme zu sein, denn die wenigsten, nicht einmal Herr Grey , beherrschen eine andere Sprache, als die englische):
Als Ersatz für die nicht mehr erscheinenden Witzblätter mußten in den ersten Kriegsmonaten Ansichtskarten herhalten, die auf den Boulevards zu Tausenden gekauft wurden. Sie sind noch viel schlimmer als die deutschen „Ulkkarten“ aus den ersten Monaten des Krieges, und das will doch gewiß viel heißen! Irgend etwas Geistvolles bringt diese schmutzige Wut nicht fertig. Man sieht den deutschen Kaiser, dem täglich ein Glas Blut frischgeschlachteter Kinder serviert werden muß (der „Künstler“ nennt sich P. Carrère ); sieht den Kaiser in der Uniform der Totenkopf-Husaren ein Kind als Zielscheibe festhalten, während ein „Boche“ mit kupferroter Nase es totschießt, auf einer andern den Kaiser vor der Bibel betend, während ein deutscher Soldat mit einem Schwein daneben auf einen Priester schießt (die letzteren beiden Karten sind erschienen bei La Litho Parisienne, 27 rue Corbeau ; der Zeichner führt den urfranzösischen Namen Muller ). Es wäre ganz verkehrt, diese Absurditäten tragisch zu nehmen und sich sittlich darüber zu entrüsten, sie sind unsagbar dumm; höchstens kann man bedauern, daß ein hochkultiviertes Volk so tief sinken konnte. Dann gibt es Karten mit dem abgehackten Kopf eines Deutschen als „Plat du jour“ und solche mit allen möglichen Schandtaten, die die Boches verüben. Wie traurig muß es um ein Volk bestellt sein, das zu solchen Mitteln greift! Das alles ist ja nun eigentlich nicht neu. Wer die Ausstellung von Kriegsliteratur der Jahre 1870/71 besichtigt hat, die die Berliner Kgl. Bibliothek kürzlich veranstaltete, der hat sich überzeugen können, daß es auch vor vierzig Jahren nicht anders war, und daß die Bezeichnung Hunnenfürst für den Repräsentanten des deutschen Kaisertums schon damals gang und gäbe war. Da heißt es in einem Erlasse: „Les hordes barbares de l’Attila moderne égorgent, violent, brûlent et saccagent tout dans nos plus riches départements; ils osent menacer Paris, la ville sainte, la capitale du monde civilisé.“ Und auch gegen den deutschen „Militarismus“ wurde schon damals für „Freiheit und Zivilisation der Welt“ gefochten; Napoleon III. ermahnt in einem Erlaß vom 28. Juli 1870 seine Soldaten: „La France entière vous suit de ses voeux ardents et l’univers a les yeux sur vous. De nos succès dépend le sort de la liberté et de la civilisation.“ Und auch von den Grausamkeiten der Deutschen war schon damals die Rede. Ein Manifest vom 18. Januar 1871 sagt wörtlich: „L’ennemi tue nos femmes et nos enfants, il nous bombarde jour et nuit, il couvre d’obus nos hôspitaux.“ [1] Und daß die französischen Schulhefte als Titelblätter vor dem Kriege Hetzbilder gegen die Deutschen brachten, ist uns ja wohlbekannt. In dem gleichen Stile bewegen sich jene Karikaturenhefte, die zu billigem Preise in Paris verkauft werden. Man hat das Gefühl, als ob dieser wahnsinnige Haß allein noch die verschiedenen Parteien in Frankreich zusammenzuhalten vermag. Ein solches Album ist beispielsweise bei Ollendorff in Paris unter dem Titel „Boches“ erschienen. ( Boches! Deutschland unter alles. Von Ricardo Florès . Preis 60 Centimes , Ollendorff Editeur , Paris. 16 Seiten in Großquart.) Abbildung 75 führt eine verhältnismäßig harmlose Seite daraus vor. Die übliche Ungenauigkeit der Franzosen bei Darstellung deutscher Verhältnisse zeigt sich auch hier wieder: Sie kennen nicht einmal den Namen des Generaldirektors der preußischen Museen (der übrigens sprechend unähnlich dargestellt ist). Die übrigen Tafeln zeigen die bekannten Darstellungen von Plünderung, Raub, Kindermord usw.
[1] „Schlagworte“, Aufsatz von Rudolf Friedmann in der „Vossischen Zeitung“ vom 2. Januar 1915.
Zu den widerlichsten Veröffentlichungen Frankreichs gehört das im Verlage der „Librairie de l’Estampe“ erschienene „La ‚Kultur‘ Germanique en 1914/15“ . Blättert man diese vierzehn Zeichnungen durch, so fragt man sich unwillkürlich: Gibt es denn in ganz Frankreich keinen Menschen, der diese sinnlosen Roheiten öffentlich an den Pranger stellt? Auf dem Umschlag eine abgehackte, beringte Frauenhand und im Innern Darstellungen von Mord, Schändung, Vergewaltigung und den widerlichsten Grausamkeiten. Ein Volk, das solche Gemeinheiten duldet, hat wahrlich kein Recht, von andern als Barbaren zu sprechen. Wie weit sich aber in der französischen Presse die Schamlosigkeit offenbarte, dafür ist eine Karikatur von Maxa in dem so viel genannten „Matin“ vom 26. Januar ein charakteristisches Beispiel. Die „Frankfurter Zeitung“ bemerkt dazu treffend: „Der Pariser ‚Matin‘ , der nicht auf den Krieg gewartet hat, um sich im Urteil der ganzen Welt einschließlich der damals noch etwas urteilsfähigeren öffentlichen Meinung Frankreichs selber als den Schandfleck der europäischen Presse zu dokumentieren, fürchtet jetzt offenbar, daß es irgendwo in der Welt noch jemand geben könnte, der an seinem völligen Verzicht auch auf den letzten Funken von journalistischem Anstandsgefühl zweifelt. In der Tat, nur als verzweifelte Bemühung der Schamlosigkeit, sich selbst zu übertreffen, ist das Bild zu verstehen, das der ‚Matin‘ in seiner Nummer vom 26. dieses Monats veröffentlicht, und das in den Zügen eines Affen den greisen Kaiser von Österreich erkennen lassen will. Die Infamie der bildlichen Darstellung aber ist noch gesteigert durch die Bezeichnung ‚L’Increvable‘ , für die es weder im Deutschen, noch in der Sprache irgendeines Menschen, dem die Würde des Alters nicht als geeigneter Gegenstand scheußlichster Verhöhnung erscheint, eine dem gemeinen Gedanken entsprechende Übersetzung gibt. Der Geist, der aus diesem Schandprodukt spricht, ist im übrigen würdig des Blattes, das jetzt im Begriff ist, mit der Veranstaltung einer Volksausgabe (!) des französischen Greuelberichts ein Geschäftchen zu machen, zu dessen Hintertreibung sich der Pariser Rechtsgelehrte Charles Gide nicht umsonst gerade an den Senator Béranger in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Liga für die Bekämpfung der Pornographie gewandt hat.“ — Manchmal hat der „Matin“ auch Pech gehabt, wie mit seinem „Dardanellen-Thermometer.“ Als die Beschießung der Meerengen durch die Alliierten begann, erschien im „Matin“ ein „Thermometer“ von der Hand der Verbündeten gehalten. Unten lag Kum Kaleh, oben Konstantinopel, dazwischen die andern Orte der Dardanellen. Dieses Klischee sollte täglich gebracht werden und zeigen, wie die Quecksilbersäule immer höher steigt (durch das Feuer der Alliierten!), bis sie schießlich Konstantinopel erreichen würde. Aber schon am dritten Tag blieb das schöne Klischee aus den Spalten des „Matin“ wieder weg: die Quecksilbersäule war zu tief gefallen.
Seit November 1914 erscheint „Le Rire“ wieder und zwar unter dem Titel „Le Rire rouge“ als Kriegsausgabe, nachdem dieses bedeutende französische Witzblatt kurz nach Ausbruch des Krieges, wie schon erwähnt, sein Erscheinen eingestellt hatte. Die erste Nummer zitiert Henri Lavedan s Ausspruch: „Le soldat français rit, partout. C’est une de ses manières.“ Und dann heißt es weiter in der Ansprache an die Leser, die das Wiedererscheinen in so ernster Zeit rechtfertigen soll: „ Le Rire ne sera pas le fou Rire, mais le Rire rouge. In der jetzigen tragischen, aber ungeheuer ruhmvollen Zeit, die wir erleben, ist Le Rire alles andere als unangebracht, im Gegenteil sehr notwendig; wieviel Wahrheiten müssen gesagt werden, wieviel Heldentaten von den Meistern der Satire und der Zeichnung festgehalten werden! Und was besonders Wilhelm II. betrifft (die Adjektiva sind hier in der Übersetzung weggelassen), muß nicht gerade er mit dem roten Eisen der Karikatur gezeichnet werden? Dieser Aufgabe werden sich unsere Mitarbeiter mit allem Eifer und allem Talent und aller patriotischen Begeisterung widmen usw. usw.“ Nicht immer scheint übrigens die Redaktion mit der Zensur Glück gehabt zu haben; schon in der zweiten Nummer beklagt sie sich darüber, daß ihr „deux admirables dessins de Willette“ , mit denen sie den Haß gegen die „massacreurs des femmes et tueurs des enfants“ nähren wollte, gestrichen worden sind, aber die folgenden Nummern enthalten noch genug Roheiten, so daß die Redaktion nicht allzu viel Grund hat, sich über die Zensur zu beklagen. Hin und wieder erscheinen allerdings immer noch leere Flächen an den Stellen, wo das Blatt verkleinerte Abbildungen aus den Witzblättern des Auslandes bringt, übrigens sehr unparteiisch und bewundernswerterweise auch solche deutsche Karikaturen, die Frankreich in sehr derber Weise verhöhnen. So gibt es gleich in der ersten Nummer zwei leere Flächen mit der Unterschrift „Simplicissimus, Munich“ . Sieht man nun von den Geschmacklosigkeiten des Inhalts ab, so muß man doch, wenn man gerecht sein will, anerkennen, daß künstlerisch „Le Rire Rouge“ auf einer höheren Warte steht. Kein Wunder: die bekanntesten und bedeutendsten Karikaturisten Frankreichs haben sich hier ein Stelldichein gegeben: Fabiano , Faivre , Gerbault , Guillaume , Léandre , Métivet , Steinlen , Willette usw., also auch ein großer Teil von denen, die früher an der „Assiette au Beurre“ mitgearbeitet haben. Mit dem Text sieht es natürlich böse aus: fast alles läuft auf eine Verhöhnung Deutschlands, besonders des Kaisers und des Kronprinzen, hinaus, und von dem berühmten französischen Esprit ist nicht viel zu spüren. Wie weit der Haß geht, und daß er auch vor den Kindern der Deutschen nicht Halt macht, davon möge die nachstehende Übersetzungsprobe ein Bild geben. Was werden wohl später die Franzosen sagen, wenn sie solche Roheiten wieder hervorholen; werden sie sich nicht selber schämen? Die Geschichte nennt sich „La Noël des petits Boches“ :
Weihnachten bei den kleinen Boches . „Gut,“ sagte der liebe Gott zum Weihnachtsmann, „dies Jahr brauchst du dir augenscheinlich keine Sorgen zu machen; aus Amerika schickt man von allen Seiten Puppen für die kleinen Kinder in Frankreich, Belgien, England, Rußland und Serbien. Du kannst sie nun verteilen und hast es nicht nötig, auf den Lagern Umschau zu halten.“ — „Das ist alles ganz schön,“ antwortete der Weihnachtsmann, „aber es bleibt mir doch noch weitere Arbeit, wenn es auch nicht gerade die angenehmste ist ... Du wirst es begreiflich finden, daß niemand in der Welt daran gedacht hat, Puppen für die kleinen Boches zu schicken. Ich muß aber auch ihnen etwas bringen, denn das ist meine Pflicht.“ — „Geh zum Teufel (wenn es mir erlaubt ist, mich so auszudrücken)“, schrie der liebe Gott und stieß mit einem Fausthieb die Wolken weg, die ihm als Kissen dienten, so daß die Barometer in allen Ländern anfingen zu fallen, „ich will mit diesen Wilden und ihrem Auswurf nichts mehr zu schaffen haben!“ — „Aber, lieber Vater, wie soll ich mir die Puppen besorgen?“ — „Mach das, wie du willst; ich will mit der Sache nichts mehr zu tun haben!“ — Der Weihnachtsmann war sehr verstört, als er den lieben Gott verließ; er wußte nicht, was er nun anfangen und woher er die Puppen für die kleinen Boches nehmen sollte. Plötzlich schlug er sich an die Stirn. Warum war er auch nicht eher auf die Idee gekommen? Warum hatte er nicht schon früher daran gedacht, daß die Boches ja einen Gott für sich haben; sicher würde ihm dieser alte gute Gott die notwendigen Puppen nicht verweigern. Und er suchte und fand ihn zwischen grauen und schweren Wolken, die über der Provinz Brandenburg hingen. Dort trug er ihm sein Ersuchen vor. „Zum Teufel!“ schrie der alte gute pommersche Gott. „Du hast gut reden!... Übrigens habe ich deinen Besuch schon erwartet. Die Puppen sind fertig und eingepackt. Unser Michael wird dir die Lieferung übertragen; es ist alles erstklassige Ware, made in Germany .“ Sankt Michael führte den Weihnachtsmann mit verbundenen Augen zwischen vier Trabanten hindurch in ein Magazin, wo er ihm die Pakete aushändigte, die in schwarz-weiß-rotes Papier gepackt waren. Der Weihnachtsmann zog wieder ab, bis zur Himmelsgrenze von den vier Satelliten bewacht, die ihn nicht aus den Augen ließen. Dann begann er seine Reise und ließ die Pakete in die Schornsteine fallen. Oft mußte er sich die Nase zuhalten, denn aus den Essen drang der ekelhafte Geruch von Sauerkraut und Würsten und der noch üblere Duft der Boches . — Am nächsten Morgen aber klatschten die kleinen Boches vor Freuden in die Hände, als sie die Sendungen in den deutschen Farben erhielten. Und noch mehr freuten sie sich, als sie die Pakete geöffnet hatten und die schönen Puppen sahen. Das waren auch wirklich wundervolle Puppen! So herrlich, wie sie sie noch nie vorher bekommen hatten; sie stellten im kleinen ein vollständiges Abbild jener Art von Menschlichkeit dar, die ihre Papas zu verwirklichen sich bemühten: der einen Puppe war der Kopf gespalten, der anderen die Hände abgeschnitten, wieder einer anderen die Augen ausgestochen, und einer war der Bauch aufgeschlitzt. Es gab nicht eine einzige, die nicht sorgfältig verstümmelt worden war. — Und die kleinen Boches , aufs höchste erfreut und entzückt, drückten mit Freudentränen in den Augen ihre Puppen an die Brust und riefen: „Gott mit uns! Deutschland über alles.“ —
Diese Probe dürfte vollauf genügen, und wir brauchen nicht erst noch auf den „Carnet de Route de Fritz Schweinmaul“ , den „Dentiste Boche“ und ähnliche „Scherze“ einzugehen. Der Inhalt beschäftigt sich sonst mit den üblichen Angriffen gegen den Kaiser und Kronprinzen, welch letzterer mit allen möglichen Gegenständen verschwindet, sogar mit dem Schachbrett Napoleons. Unterschrift: „Non content d’avoir volé le jeu d’échecs de Napoléon le kronprinz collectionne aussi les échecs sur les champs de bataille.“ Sehr eingehend beschäftigt sich „Le Rire rouge“ auch mit dem deutschen „Gretchen“, das für ihn die Repräsentantin der deutschen Frau ist, ein plumpes, fettes, ungeschlachtes Weib mit Bammelzöpfen und oft mit Brille ( Abb. 79 ). Auf diesem Bilde treten auch, wie figura zeigt, wieder die obligaten Würste als Attribute des Deutschen in Aktion, die wir schon auf den englischen Karikaturen zu bewundern Gelegenheit hatten. Im Gegensatz dazu wird die Französin als vornehm und mondän gezeichnet, zum Beispiel in einem Bilde von Fabiano „Flirt 1914“ , auf dem eine elegante Pflegerin einem verwundeten Senegalesen zärtlich die Hände streichelt, während ein im Nebenbette liegender Franzose sich dieser Bevorzugung nicht erfreuen darf.
Le Barbier de CET’VILLE
Avec un impeccable maestria, Auguste exerce en plein vent ses fonctions de Figaro.
Son Salon de Coiffure extrarudimentaire est simple et de bon goût.
Une couverture protège les clients contre les morsures de l’aigre bise qui disperse aux quatre coins du camp les toisons multicolores. Les glaces sont absentes, les frictions et les schampoings sont passés à l’état de légende, mais Auguste a tourné la difficulté. Il a lancé la coupe “Aux Enfants Captifs” qui transforme les cranes en une superbe boule de billard.
Aber auch gegen die eigenen Schwächen der Franzosen geht das Blatt bisweilen mit einer bewundernswerten Offenheit vor. So bekämpft es vor allen Dingen die gerade in Frankreich infolge der vielen Vetterschaften zahlreichen Drückeberger aller Art; gab es doch „Verwalter der eroberten Provinzen“, Registratoren der Milchkühe usw. ( Abb. 86 ). Auf einem Bilde „Les Cadeaux du Trésorier-Payeur“ zeigt Métivet , wie ein Zahlmeister seiner Geliebten eine Menge von Geschenken in Gestalt von Schinken und allen möglichen andern Paketen überreicht („O, welche Fülle von Aufmerksamkeiten; wird Ihnen denn das nicht zuviel?“ — „Nicht im geringsten, — das war ja für die Schützengräben bestimmt“). Leroy zeichnet ein ganzseitiges farbiges Blatt „Les Inconscients“ ; man sieht die jammervolle Gestalt eines aus dem nordöstlichen Frankreich geflüchteten französischen Bauern am Tisch eines Ehepaares („Nun haben Sie mit uns gegessen, lieber Freund, nun erzählen Sie uns auch einmal, wie Ihre Kinder hingeschlachtet worden sind.“)
In allen Witzblättern werfen sich die Gegner jetzt gegenseitig vor, Kinder und Greise in das Heer einzustellen. Wenn in Deutschland und Frankreich Mütter voller Sorgen und doch voll Stolz ihre noch nicht militärpflichtigen Söhne als Freiwillige hingeben, so sollte das eigentlich kein Stoff für Scherze sein — auch in deutschen Blättern nicht. Wenn französische Blätter die beabsichtigte Einberufung siebzehnjähriger Franzosen als Kinderkreuzzug bezeichnen, so ist das doch nur Galgenhumor. Dieses Thema ist aber unerschöpflich, wie Abbildungen 94 - 97 zeigen. Die höchste Hyperbel erreicht Roger Cartier : in einer glänzend gezeichneten Linien-Karikatur zeigt er drei hochschwangere Frauen, deren Söhne bereits im Mutterleibe auf ihre militärische Brauchbarkeit hin untersucht werden. So absurd der Gedanke ist: die Karikatur selber gehört zu den witzigsten und besten des ganzen Krieges. Die Darstellung entbehrt jeder Roheit, und das außerordentlich heikle Thema ist hier mit einer Delikatesse behandelt, wie wir sie schon früher in den Zeichnungen französischer Graphiker beobachten konnten, die die gewagtesten Sachen mit so viel Geschick zu illustrieren wissen, daß diese Darstellungen mit pornographischen Erzeugnissen nicht das geringste mehr zu tun haben. In „Le Rire rouge“ begegnen wir einer ganzen Reihe solcher amüsanten Karikaturen, die um so mehr auffallen, als sie mit Produkten jammervoller Roheiten vereint stehen. Den größten Raum in „Le Rire rouge“ nehmen natürlich die Verhöhnungen der deutschen Truppen ein. In einer Zeichnung D’Ostoyas „En Serbie“ sieht man die weinenden Frauen und Kinder vor der deutschen Front („Und da sagt man immer, wir seien nicht galant, wir lassen die Damen sogar voran gehen!“) Eine große Rolle spielt Joffre , der französische Nationalheld der Gegenwart, der Hindenburg Frankreichs. Charles Léandre widmet ihm das in Abbildung 77 wiedergegebene ganzseitige Blatt „Le Silencieux: Joffre. Il ne dit rien, mais chacun l’entend.“ Er ist der Mann, der die Geschicke Frankreichs leitet, nicht der Präsident Poincaré , die sonntägliche Spießbürgertype, von dem die französischen Zeitungen eigentlich nur noch reden, wenn er anstandshalber einmal an die Front fährt. — Wie viel „Le Rire rouge“ zusammenlügt, zeigen die Bilder, die die Deutschen, besonders den Kronprinzen, auf der Flucht vorführen. Dieser Gedankengang kommt auch in einer Zeichnung von Djilio zum Ausdruck ( Abb. 85 ), auf der ein Musikalienhändler dem Kaiser Noten anbietet: „Hier ist ein Marsch, ‚Berlin-Paris‘, ein ‚Triumphzug nach Warschau‘;“ darauf der Kaiser: „Haben Sie keine Retraiten (Rückzüge)?“ — Das alles in einem Lande, dessen Regierung dem Volke auch noch nicht eine Verlustliste zugemutet hat!
Ein anderes sehr beliebtes Thema ist das deutsche K-Brot, das sich die Franzosen als ein Brechmittel schlimmster Art vorzustellen scheinen ( Abb. 87 ). Métivet zeichnet ein Bild „Boulangerie allemande“ mit der Unterschrift: „Après le pain K, le pain KK. Ça ne sent pas bon un K, deux K, trois K! Cette histoire-là finira par vingt Q.“ (Wortspiel für vaincu = besiegt). Ein anderes Bild von Maxa zeigt einen Offizier im Gespräch mit einem Kinde. „— M’sieur, J’veux faire du pain pour vos soldats! —“ ...??? — „ ... KK!“ — Am besten ist noch die große farbige Zeichnung von Abel Faivre „La grande vie à Berlin.“ In einem eleganten Lokale sitzt ein Deutscher, sehr nachlässig gekleidet, wie ihn sich der Franzose vorstellt; der Primgeiger tritt an den Tisch und fragt: „Quelle morceau, M’sieur, préfère-t-il?“ Die Antwort lautet: „Un morceau de pain.“
Der Verlag von „Le Rire“ hat zu Weihnachten und Neujahr eine Postkartenserie herausgegeben, um diese an die Soldaten ins Feld zu schicken: ( Les Voeux de la France à nos Soldats pour Noël et le Jour de L’An. 12 Cartes Postales en couleurs. Publiées par le Journal Le Rire rouge. ) Sie sind verhältnismäßig anständig, teilweise sogar sentimental. Es sind Zeichnungen von Barrère , Delaw , Faivre , Fabiano , Florès , Guillaume , Gerbault , Métivet ( Joli cadeau a faire à nos soldats ; eine elsässische Puppe mit dem Lorbeerzweig des Siegers), Meunier , Roubile , Vallet , Willette ( Les étrennes de Marianne ; die französische Republik mit Elsaß und Lothringen an der Hand). Die Karten tragen sämtlich französischen und englischen Text und sind sehr stark anglophil gehalten. Wollte man nun hiernach urteilen, so wäre es mit der angeblichen geheimen Feindschaft der Franzosen gegen die Engländer nicht so schlimm.
Als die deutschen Zeitungen berichteten, es würde notwendig sein, die zirka 20 Millionen Schweine in Deutschland aus Mangel an Futter zu schlachten, brachte Bigot ein Bild „Les derniers mobilisés“ , ein Schwein, mit tränenden Augen im Gespräch mit einem Metzger: „Sagen Sie Sr. Majestät dem Kaiser, daß auch wir 22 Millionen Schweine bereit sind, unser Blut für das deutsche Vaterland zu vergießen.“
Wesentlich harmloser ist eine, für Freunde von Sprachscherzen nicht uninteressante Karte mit folgendem Text (ein Gespräch zwischen dem Kaiser und einem Arzt):
Docteur, je re Metz entre vos mains mon auguste Pér(s)onne . Je re.. Sens Toul les Meaux . J’ai mal dans l’Aisne et ma Vistule me fait souffrir. Je suis Arras ..se. Mézières en Guise de Bouillon j’ai pris du Champagne et ça me Reims les boyaux.
Sire, quand on m’a appelé j’ai dit Givet de Spa . Quelle La Fère! votre Majesté était Seine quand elle vivait dans l’Oise ..iveté elle marchait les Rhin Cambrai .
Oui, c’est l’Anvers de la médaille, je ne Craonne plus maintenant j’ai La Ferté bien abatue.
Je trouve votre pouls un peu Laon , il faudrait prendre de l’elexir de Longwy .
Die durch fetten Druck hervorgehobenen Städtenamen bezeichnen die Orte, an denen nach Meinung der Franzosen die Deutschen Niederlagen erlitten haben oder zum Rückzug gezwungen wurden; diese sind mit gleichen oder ähnlich klingenden Worten der französischen Sprache, die Krankheitssymptome schildern, in Verbindung gebracht. Die Übertragung in richtiges Französisch lautet: „Docteur, je remets entre vos mains mon auguste personne. Je ressens tous les maux. J’ai mal dans l’aine et ma fistule me fait souffrir. Je suis harassé. Mais hier en guise de bouillon j’ai pris du champagne, et ça me rince les boyaux etc. — Je trouve votre pouls un peu lent, il faudrait prendre de l’élixir de longue vie.“ In deutscher Übersetzung: „Herr Doktor, ich lege in Ihre Hände meine hohe Person. Ich fühle wieder alle Übel. Ich habe Schmerzen in der Leistengegend, und meine Fistel läßt mich leiden. Ich bin abgemattet. Gestern habe ich an Stelle von Bouillon Champagner genommen, und das durchwühlt mir die Gedärme. — .... — Ich finde Ihren Puls etwas langsam, es würde nötig sein, Lebenselixir zu nehmen!“ —
Solche Sprachscherze scheinen in allen Feldzügen aufzutauchen. Auch im amerikanisch-spanischen Kriege von 1898 waren sie an der Tagesordnung.
Vergessen werden dürfen auch nicht die Karikaturen der bekannten Pariser Tageszeitungen. Die meisten bringen täglich von bekannten Künstlern Beiträge, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen wie die Wochenblätter. Zeichnerisch sind sie meist recht gut. Mit wie wenig Strichen sind beispielsweise auf der hier abgebildeten Karikatur ( Abb. 83 ) von Sacha Guitry aus „Le Journal“ die charakteristischen Züge des österreichischen und des deutschen Kaisers wiedergegeben! Das Gesicht Wilhelms II. ist nur durch eine einzige Schnurrbartlinie dargestellt, und doch wird ihn niemand nach der Abbildung verkennen. —
Der am wenigsten verhaßte von allen Geistern, die verneinen, muß sich ungleich zahmer betragen, wenn er sozusagen unter militärischer Kontrolle steht, wie es bei dem Blatte „Le Héraut“ der Fall ist, das die französischen Gefangenen im Lager von Zossen herausgegeben haben. Es ist nur eine Nummer erschienen, und diese ist schon heute eine bibliophile Seltenheit. Das vom lithographischen Stein abgezogene, vier Großfolioseiten umfassende Blatt ahmt nicht ungeschickt den Stil der großen französischen Tageszeitungen nach. Rédacteur principal ist ein gewisser Eugène Dienne; als Chefredakteur zeichnet Luc Fichtner , der auch im Anzeigenteil sein Pelzgeschäft in Paris empfiehlt. Dieser Annoncenteil ist durchaus ernst gemeint; er gibt ein treffliches Bild davon, welchen Ständen die französischen Gefangenen angehören. Wir finden da Inserate über die Baumschulen Legrux in Douai , über die Milchzentrifuge Cambraisienne in Maubeuge usw. usw. Leitartikel, wissenschaftliche und Sportnachrichten, nichts fehlt. „Le but essentiel du Héraut est de propager sous une forme gaie, vivante, et de faire comprendre, l’esprit de Fraternité.... Nos pensées restent graves; sans l’oublier jamais, qu’il nous soit permis de chasser le cafard, suivant l’expression imagée des coloniaux, surmontant le regret de la Patrie éloignée, par une réaction de gaité saine et de bon aloi, légitime et nécessaire ...“ — Nette Federzeichnungen sind in den Text eingestreut, von denen Abb. 88 eine Probe gibt.
Unter den Zossener Gefangenen sind auch eine Anzahl Künstler und Lehrer, die sich ihre freie Zeit durch Anfertigung von scherzhaften Originalaquarellen vertreiben, die von guter Begabung zeugen und denen infolgedessen auch ein künstlerischer Wert nicht abzusprechen ist. Zwei dieser farbigen Originale auf Postkarten sind hier in schwarzer Reproduktion abgebildet ( Abb. 89 und 90 ), Spottblätter auf die mitgefangenen „Verbündeten“. Andere Karten zeigen zum Teil in sehr derber Darstellung, „Les Aborts“ , „Toilette intime“ , „A la Queue“ (das Essenfassen; hier hat der Künstler, um die Eßmarke im Original auf der Karte verwenden zu können, sogar auf die eigene Ration verzichten müssen).
In Frankreich selbst sind die in der Etappe, ja sogar im Schützengraben erscheinenden Zeitungen (im Stile unserer Bierzeitungen) fast noch zahlreicher als bei uns, wenn sie auch an Güte lange nicht an die Liller Kriegszeitung heranreichen, die wohl das weitaus Beste in ihrer Art darstellt. Auch in der Vergangenheit haben weltgeschichtlich bewegte Zeiten solche Gelegenheitszeitungen hervorgebracht. Man denke an die zur Zeit der Choleraepidemie 1831 erschienenen Blätter, an die zahlreichen kurzlebigen Zeitungen des Jahres 1848. Und ganz besonders hatte „Le Héraut“ schon 1870 einen Vorgänger in der Zeitung „Prométhé“ , die französische Gefangene in Spandau herausgaben und die heute zu den gesuchtesten Seltenheiten zählt.
Es gibt nur ein Land, dessen Presse Frankreich im Deutschenhaß zu überbieten suchte, und das ist Italien. Ist man doch dort so weit gegangen, zu dem Zwecke Deutschland und Österreich zu bekämpfen und Italien zum Kriege gegen seine Verbündeten zu hetzen, eigens Witzblätter zu gründen . „Il Numero“ ist ein solches Erzeugnis des Krieges, dem die Aufgabe zufiel, die Leidenschaften gegen die italienische Neutralität und die Zentralmächte, vor allen Dingen gegen Österreich, zu schüren. Von den italienischen Witzblättern steht künstlerisch dieser „Il Numero“ immerhin am höchsten. Was die andern leisten, ist unsagbar trostlos. Auch das Blatt des italienischen Klerus „Il Mulo“ , das in Bologna erscheint und wohl so ziemlich das einzige ist, das nicht deutschfeindlich auftritt, sondern eher noch eine dem deutschen Reiche gegenüber freundliche Absicht verfolgt, besitzt unter seinen Zeichnern nicht einen , der auch nur den geringsten Ansprüchen, die man an einen Karikaturisten stellen muß, gerecht wird. Immerhin soll ausdrücklich anerkannt werden, daß der italienische Klerus hier ein Blatt geschaffen hat, das wenigstens das verbündete Deutschland und Österreich nicht angreift. „Il Mulo“ kämpft wie „Bastone“ „gegen französische Freimaurerei und englischen Krämergeist“. Ein doppelseitiger Karton in der Weihnachtsnummer richtete sich sogar ausdrücklich gegen Frankreich, weil es sich mit dem Waffenstillstand während der Weihnachtsfeiertage nicht einverstanden erklärt hatte.
Ganz besonders arbeitet das Witzblatt „Asino“ gegen die beiden Kaiser der Zentralmächte; es ist auch nicht einmal andeutungsweise möglich, den Inhalt der Schmähbilder, die ein gewisser Rata Langa verbrochen hat, wiederzugeben. Die Existenz eines solchen Blattes wäre in Deutschland unmöglich, selbst wenn es sich nur gegen die Feinde richtete. Das, was „L’Asino“ bietet, stellt den tiefsten Grad von Verleumdung und Lügen dar, der denkbar ist. Dabei sprüht in dem ganzen Blatt kein Funke von Humor auf, der vielleicht noch mit einem oder dem andern der „Scherze“ versöhnen würde. Allerdings hat ja gerade Italien nie Überfluß an Witz besessen. Vielleicht sind auch diese Exzesse wüster Geschmacklosigkeit auf metallische Händedrücke der Alliierten zurückzuführen. Eine besondere Rubrik „Tedescherie“ verzeichnet Schandtaten der Deutschen, gegen welche jene in französischen Blättern beinahe als sanft bezeichnet werden müssen. Die meist in Grün und mit starkem Rot gedruckten Abbildungen haben schon äußerlich etwas Blutrünstiges. Abbildung 82 gibt eine der zahmsten wieder. Den Höhepunkt der Gemeinheit erreichte das Blatt in seiner Weihnachtsnummer, wo es unter dem Titel „Il Natale Tedesco“ einen betrunkenen deutschen Soldaten zeigt, wie er mit seinem Bajonett das Jesuskind aufspießt, während ein anderer die Mutter Maria ermordet, ein dritter den heiligen Josef erwürgt und zwei andere den Esel seiner Habe berauben!
Das bereits erwähnte neue satirische Wochenblatt „Il Numero“ steht, wie schon gesagt, künstlerisch wesentlich höher. Eine ganze Reihe geschickter Zeichner arbeiten dafür. Die Nummern, die zehn Centesimi kosten, haben oft einheitlichen, geschlossenen Inhalt; so wendet sich beispielsweise ein Heft gegen die Schweiz, die angeblich ihre Neutralität in allzu deutschfreundlichem Sinne ausgenutzt hat. Auch der 42 cm -Mörser spielt in diesem Blatte eine große Rolle, wie in der Zeichnung „Der Gleichmacher“ von Nirsoli ( Abb. 36 ). Cadorin zeichnet die kommende Hagia Sofia in Konstantinopel ( Abb. 91 ). Ein anderer Künstler, Scarpelli ( scarpe = Schuhe; daher die Signatur links unten) zeigt den deutschen Kaiser, wie er das durch die Neutralität „gefesselte“ Italien mit der Türkei schreckte ( Abb. 93 ). Zu den zahlreichen Blättern gegen den österreichischen Kaiser gehört eine Zeichnung von Nasika „La Bocca del Cattaro“ , ein Ausdruck der Freude über die Beschießung dieses süddalmatinischen Hafens durch die französische Marine, die ja übrigens recht trostlos verlief und an jenen berühmten „Sieg“ der Franzosen bei der Beschießung des Leuchtturmes Pelagosa erinnert; damals bestand die Beute aus den Unterhosen des Leuchtturmwächters, zwei alten Hennen, dreißig jungen Hühnern, zwei Tauben, einer Ziege, einem Kanarienvogel und einem halben Hektoliter Wein, die alle von den französischen Matrosen mitgeschleppt wurden. — Daß auch die italienischen Zeitungen den Krieg in Gestalt von Karikaturen verarbeiten, zeigt Abbildung 110 ; auch in dieser kurz vor Eintritt Italiens in den Krieg erschienenen Zeichnung kommt bereits die deutschfeindliche Tendenz zum beredten Ausdruck.
Seit dem Herbste 1915 ist aber Italien unzufrieden, auch mit seinen neuen Verbündeten. Die Ereignisse überstürzen sich, besonders auf dem Balkan! Rumänien, das früher schwankte ( Abb. 113 ), will, wie Griechenland, seine Neutralität wahren und nicht mitmachen, Bulgarien hat seine Entscheidung getroffen und sich den Zentralmächten angeschlossen, weil es, seine Interessen richtig erkennend, sich nicht an ein abwärts rollendes Rad binden wollte ( Abb. 111 ). Schon vor Monaten hat Jordaan im „Notenkraker“ gezeigt, wo man England an der Gurgel packen muß ( Abb. 27 ).
Kein Wunder, daß der „Figaro“ schon im Oktober 1915 jammert: „Wenn die Deutschen in Konstantinopel einrücken, wenn sie weiter die große Handelsstraße von der Elbmündung zur Mündung des Euphrat und Tigris eröffnen, dann ist es um die englische Weltherrschaft geschehen. Das ganze großartige Gebäude des britischen Reiches wird dann bis in seine Fundamente ins Wanken gebracht , von Zypern bis nach Ceylon, vom Nil bis zum Ganges. Aber wenn die bepickelhaubten Hyperboreer und ihr Kaiser den Bosporus erreichen, so bedeutet das auch das Ende des russischen Reiches . Es ist desgleichen zu Ende mit der Bestrebungen Italiens in der Levante, die sie als Erbe der Cäsaren überkommen haben. Alles, was Italien dann zu tun hat, beschränkt sich darauf, wieder einmal wie zu Dantes Zeit, die Herberge des Volkes von vorwitzigen Altertumskrämern und teutonischen Hochzeitsreisenden zu sein (!), während zur selben Zeit germanische Eisenbahnlinien über die alten Römerstraßen laufen, östlich von der Adria wie im Asien des Lukullus und Pompejus.“
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Abb. 100: Das Witzblatt hieß “Il 420”, nicht “Il 42°”.
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