Title : Wir Menschen: Gedichte
Author : Walther Georg Hartmann
Release date : June 15, 2016 [eBook #52335]
Language : German
Credits
: Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Walther Georg Hartmann
Gedichte
Kurt Wolff Verlag München
Bücherei „Der Jüngste Tag“ Band 79
Gedruckt bei Dietsch & Brückner, Weimar
Copyright 1920 by Kurt Wolff Verlag, München
Über die Berge rauschen schwankende Wälder,
An die Küsten schlagen die Ozeane,
Wolken ziehen weiß von Stadt zu Stadt,
Und in die Ebenen fallen Winde ein. —
Ausgeschüttet in die unendlichen Nächte,
Die aufgewölbt strömendes Mondlicht tragen, —
Wir Menschen,
Veratmen wir uns aneinander.
An Sonnen und Sternen drehen wir uns vorbei,
Kleine Erde rollt unfühlbar durch kreisenden Raum,
Glühende Endlichkeiten springen an uns vorüber,
Und schwebendes Gleichgewicht trägt uns durch schimmernde Welten. —
Aufgesogen von blauen, zitternden Tagen, —
Wir Menschen,
Werfen wir uns gegen Schöpfung und Ewigkeit.
Wann wird der Mensch sich endlich ausgestalten,
Daß alle Kraft in seinem Inneren kreist?
O fremde Sehnsucht, stürmische Gewalten,
Wir sammeln Schöpfung, die euch schweigen heißt!
Bist du, mein Blut, denn meinen Adern fremd
Und immer wieder treu uralten Säften?
Bist, Seele, du noch immer eingehemmt
Und immer nur noch Kraft in dunklen Kräften?
Fühlst du, mein Atem, dich noch eingeengt
Und suchst dich in des Himmels Wind zu drängen?
Bist du, mein Traum, noch immer formbezwängt
Und mußt das irdische Gesetz zersprengen?
Wann wird der Mensch sich endlich ausgestalten,
Daß alle Kraft in seinem Inneren kreist,
Daß seine Adern alle Ströme halten?
Wann endlich überflügelt sein Entfalten
Die Sehnsucht, die ins Leere uns zerreißt,
Daß wir uns Erde werden, Kraft und Geist?!
Wir sind begraben
Unter der Welt
Wie unter dem riesigen Himmel der Sterne.
Schicksale haben
Uns ins Leben gestellt
Wie in zerwehte, nachtdunkle Ferne.
Nun fühlen wir,
Daß etwas mit uns geschieht,
Dem wir nicht gebieten;
Daß dunkle Gier
Uns in die Wirrnis von Taten zieht,
Die wir nicht schmieden.
Zuweilen denken wir lächelnd der toten Zier
Von Wollen und Träumen, die nicht gerieten.
Wir singen doch niemals unser eigenes Lied!
Wir sagen doch niemals, was unsere Seele hält
Als eigenstes Wort! — Befehlende Tage haben
Erstickt unsere Stimmen ...
Wir sind begraben
Unter dem Übermaß der Welt.
Jetzt geht Licht auf in allen Stuben,
Und das tägliche Wunder macht alle zarter.
Gesichter wenden sich zueinander,
Die sich eben einsam im Dunkel vergruben.
Tisch und Stuhl und Buch werden neu begonnen.
Straße sinkt tiefenblau hinter spiegelnde Fenster.
Gutes Allein-Sein in Stille perlt durch die Sinne,
Als sei ein warmer, emsiger Hafen gewonnen.
Ich sehe euch alle, Gesichter, erleuchtete Wangen, —
Von einer Lampe mildem Licht bin ich mit euch umfangen.
In Nächten ausgeströmter Träume reisen
Wir in das Ahnen, das der Tag uns bot.
In Sternen schmilzt die Angst, die ihn umdroht,
Die Dinge treten aus des Schicksals Not,
Und Welt und Menschen lassen sich ergreifen.
Leis drängt sich ein, was ohne Antwort blieb,
Und viele Worte fließen zu Gesang.
Was leer gefragt, wird als Geheimnis lieb.
Die Seelen tauchen auf, an deren Saum
Wir streiften, spenden tiefverwandten Klang.
Und in den Tag wächst Liebe aus dem Traum.
Im Morgenhimmel schwammen die Sterne heilig und blau,
Wind kam von Höhen und Bäumen feucht von Nacht.
Träume liefen auf Straßen, geschreckt vom Tau,
Und kindliches Wachsein ward in den Herden entfacht.
Gelöst aus Schlaf und stillem Stubenlicht
Ging jeder schwer noch mit sich selbst allein,
Gewöhnte sich dem alten Angesicht
Und schwand so wie die Sterne in den Tag hinein.
Kann denn das sein: daß ich hingehe zu dir
Unter dem Sternenhimmel,
Durch wirbelnden Straßenklang
Und Netze von Laternen,
Hinreise wie zu der kleinsten Insel,
Auf der wir uns treffen werden?
Kann denn das sein: daß in tausendfacher Bewegung,
Inmitten Millionen Menschen
Und im Schwunge der Welten
Wir uns begegnen
In der schmalen Wärme des Händedrucks
Und fühlen, wie wir uns anders nahe sind
Als irgendeinem ...?
Geliebte, auch du mußt das große Jahr
In ungelöschten Adern fühlen.
Ewige Stimmen wehen,
Verblassende Bilder wühlen
Aus tiefem Bleiben und tieferm Vergehen
Empor.
Wie wir uns vergruben,
Ängstlich vor unserm Feuer,
In Kissen und Haar
Und dunkles, schwermütiges Nichts.
Atem der Stuben
War hütend um unsern Traum gestellt,
Und leise aus scheuer
Vergessener Welt
Ans Fenster, verirrt und blind,
Stieß Landstraßen-Wind.
Und jeden Morgen fuhren wir aus
Weit von den Häfen des Traumes
In die blauen Buchten des Tages,
Pflückten die Stunden zum bunten Strauß,
Wandelten ohne Gewicht des Raumes
In Straßen und Treppen und Haus.
Und wie wir uns verweinten
In Schmerz und Wut
Tiefer nur ineinander.
Nächte, schwer von unserm Blut,
Da wir uns fern und tot vermeinten,
Wild unsre Leben einten.
In Tagen und Nächten
Ein Strom, unaufhaltsam,
Jagte gewaltsam
Aus dunkelsten Schächten
Unser Geschick.
Geliebte! Der menschliche Bogen spannt
Einig und klar sich von Hand zu Hand,
Jeder ist Schöpfer, und jeder ist Kind,
Solange wir sind.
Leben, köstlich und stark immer wieder aufs neue,
Leben durchrinnt mich kühl
Wie lösender erster Gewitterwind.
Durch Schmerz und Lust wechsle ich wie ein Kind,
Doch daß ich innig im fernsten und nächsten Gefühl
Mich verliere — das ist meine Treue.
Mutter, ich weiß ja noch,
Wie ich, ein Knabe,
Aus deinem Schoße stieg
In das Märchen der Blumen
Und aus den Kissen entwehte
Im Kindertraum
Von Mohn und Vergißmeinnicht.
Du aber wachtest durch blasse Nächte,
Und über deinen Worten schwebte
Die Träne des Todes schon.
War es deshalb so süß,
Ihrer Sanftheit zu lauschen
Und einzuschlafen
Unter deiner verwehenden Hand?
Und wie kommt ihr nun wieder,
Wehmut-heilig,
Aus dem Vergangenen —
Mutter und Märchen!
In jeder Stunde kannst du Schicksal lösen,
In jede Stunde Wunder niederstürzen,
Dich in die Güte finden mit den Bösen,
Das Leid der Welt zu einem Lächeln kürzen.
Leg nur die sanfte Hand auf einen Scheitel
Und sag das Wort, das dir im Herzen brennt,
Geh hin und sprich:
Ach, aller Schmerz ist eitel.
Ich bin dir gut. —
Es blüht das Firmament.
Sie haben ein Tuch zwischen uns gehängt,
Mein Bruder,
Durch das unsre Degen nach unsern Herzen bohren.
Wir wollen uns vergeben,
Die wir lieben,
Daß die Waffe so streng unsern Willen zerschnitt.
Sie haben die Macht, die Sprecher der Staaten,
Daß wir töten einer den andern,
Aber nicht,
Daß wir uns hassen, mein Bruder!
Ich liebe dich
Um deines Lebens willen, warm wie das meine,
Um aller Sehnsucht willen, deiner Mütter und Schwestern,
Um deiner Arbeit willen, still und schwer wie die unsre,
Um deiner Schmerzen willen liebe ich dich,
Mein Bruder.
(1914)
Am blassen Morgen fühlt ich mich entstehen
Aus Nacht und Schlaf,
War mir die Welt ein jugendliches Wehen,
Das hold mich traf,
Erlernt ich wieder: Berg und Haus und Baum
Wie Tief-Vergessenes
Und faßte Wirklichkeit nach blindem Traum
Wie Nie-Besessenes.
Da grüßte ich die Schöpfung brüderlich,
Die mir erschienen,
Ding schmiegte lächelnd sich an Ding, — und ich:
Ding zwischen ihnen.
(Laon)
Über uns Millionen Soldaten sinkt Regen.
Wolken und Tote hauchen dumpfen Geruch,
Blutrieseln singt.
Sternloser Himmel plätschert in Trichtern und Gruben,
Trostloser Wind weht Nebel und Stöhnen in Schlaf.
Aber neben uns wacht der Posten: Verzweiflung.
Weit hinter den Gräben rattern Kolonnen auf Straßen,
Die wie schmale Brücken im endlosen Elend stehn.
Granaten fegen durchs Spiel der schwebenden Feuer.
Ein Gewehr schreit vor Haß.
Seit wieviel hundert Jahren stehn wir im Tode,
In diesem trägen Sumpfe von Hirn und Blut?
Regen rieselt über uns Millionen Soldaten.
Nacht fröstelt in uns und ermüdeter Schmerz.
Das Land dunkelt fremd und kennt uns nicht.
(Verdun 1916)
Von schmerzlicher Welt durchbohrt,
Unfaßbar von Leid überströmt,
Ruf ich dich, Gott.
Geist, zu dem als Kinder wir beteten,
Geist, in dessen Brand als Jünglinge wir dich verneinten,
Geist, der erneut uns zuwuchs aus hartem Gestein
In der Jahre Erkenntnis und Tat.
Verhetzt von Qual, Mensch gegen Mensch
Ist aufgebäumt,
Gegeneinander gerissen in Wut,
Die das eigene Herz zerreißt.
Erniedrigt in Neid, zermartert in Haß
Hör’ ich ausgestoßen
Worte der Feindschaft
Aus verzweifeltem Munde.
Ich rufe dich, Gott.
Unter Wolkenzug steh ich,
Horizont kreist berg-blau um meine Augen.
Ich rufe die Hand, die herunter greift
Und Segen austeilt durch ein einziges Wort,
Durch ein Wort, das sieghaft wär
Aus dem Reiche der Ewigkeit:
Menschen!
Nicht über die grausam tätigen Hände allein
Ergieße dich, helfender Geist!
Nicht über die donnernde Feindschaft der Stirnen allein,
Die unterm Tage hassend zusammenschmettern.
Doch in die Herzen stürze,
In die verborgensten Falten,
Wo bittre Worte aufgären wie Fäulnis,
Wo böse Tat aufkeimt in verstecktester Feindschaft,
Wo liebeleer Wille aus bleichen Wurzeln sich nährt.
Überschütte doch,
Hülle doch
Alle heimlichste Bitterkeit
In jedem Herzen, in jedem Sinn,
Auch in dem meinen,
Mit deinem Lichte!
So wie ich hier steh, — ein Mensch, der wenig geliebt wird,
Und bin nicht Mutter, die Kinder in dieses gierige Leben geboren,
Und bin nicht Vater, der Träume in tätige Söhne geschaffen,
Und nicht Geliebter, dem Herz und Wille in sanfteste Hand gegeben, —
Ich bin ein Mensch nur, der fremd und wenig umschlossen
Mit anderen Gästen der Erde den Tag verbringt:
Ich kann den Haß dieser Welt doch nicht mehr tragen,
Ich kann die Qual geheimster Verfeindung nicht mehr ersticken,
Ich werfe mich wild von Leid und Liebe zwischen die meuternden Menschen
Und weine.
Die Zeit steht ehern wie ein Koloß,
Läutet und dröhnt den unerbittlichen Donner,
Übertürmt die wütend flehenden Hände.
Die an ihr reißen.
Wenn Sonne emporschießt wie eine Fanfare,
Wenn die Sterne ihr schweigendes Gloria klingen,
Wenn der Wind über Länder sich biegt, —
Zeit steht, Zeit geschieht, Zeit braust
Und bleibt errichtet,
Drückt uns die Zentnerlast auf versagende Nacken.
Wir werden verzweifeln müssen.
Stürze zusammen unsichtbarer Bau,
Gewölbt aus Menschsein und einigstem Gefühl!
Stürze zusammen, heilige Spannung
Über Herz und allverständlichem Wort!
Stürze zusammen, Bogen des Lebens,
Aufsteigend und ruhend über uraltem Grund!
Stürze zusammen, lichtes Gewölbe,
Gefügt aus Erkenntnis rollender Zeiten!
Kein Boden trägt mehr,
Kein Land ruht mehr
In Flut und Getöse.
Weggerissen in Brandung von Schrei und Angst
Zerbirst das Gefüge der Welt.
Nicht Haß hat gesiegt, — aber Verzweiflung!
Verzweiflung zerrüttet den Bau der Welt.
Es gehen Engel in den Städten um.
Und sei’s nur einer in den tausend Straßen,
Nur einer , dessen Auge Wahrheit leuchtet,
Und dessen Herz im Gang der Welten schlägt, —
Es bieten reine Hände sich ins Leben,
Und reine Stimmen sagen ew’ge Namen.
Doch die Gnade des Glaubens ist uns versagt,
Zu fremd die Liebe, der die Hand sich böte.
Eingefressen in die tiefsten Adern
Treibt die Not den toten Gang
Und vergiftet jeden Wunders zartesten Keim.
Es gehen Engel in den Städten um.
Vergebens!
Preßt den Ring des Verzichts um das stürmende Herz!
Nehmt die Hand aus den Händen, die man euch reichte!
Schreitet hinunter in die brodelnde Zeit!
Vergebens Geduld und Schrei und Gebet,
Erfülle dich, tobender Abgrund!
Nicht wir mehr halten und retten,
Nicht uns mehr spannt sich der himmlische Bogen,
Wir sind verdammt.
Aber, Geschlechter ihr, nach uns,
Hebt euch auf aus unserem armen Blut,
Aus dem Schutt unsres Schmerzes
Mit euren Stirnen in das Schneelicht der Gerechtigkeit.
Aber Geschlechter ihr, nach uns, hebt euch auf aus unserem dumpfen Streit!
Unsern Wunden ist der Lohn versagt,
Über unsern Schlachten stand kein Stern,
Über unsern Scharen keine Liebe.
Unsre Sünde trat den Glauben nieder.
Aber Geschlechter ihr, nach uns, euch vertrauen wir.
Wir strömen alle Hoffnung euch ins Blut,
In euere Geburten alle Liebe,
In euren Aufgang alle reinste Tat.
Des Menschen ew’ges Sternbild steig euch auf!
Ich bin vergänglich, und ich will vergehn,
Auslöschen wie eine Lampe
In den roten Morgen,
Wenn meine Nacht um ist;
Abklingen wie ein Ton,
Wenn der Bogen absetzt.
Ich bin vergänglich, und der Gedanke
Des Gesetzes berauscht mich.
Abgleiten will ich wie eine Fahne,
Die vom Maste sinkt
In den Lüften des Hafens;
Wie Rauch der sich hebt
Von gestillter Flamme.
Ich bin vergänglich, und selig bin ich,
Hinwegzugehen gleich allem Lebendigen,
Wie eine Wolke mich auszuregnen ins Land,
Wenn mein Wind still ist.
Wir haben kein Recht zum Schmerz!
Welten schwingen sich durch die Nacht.
Abende kommen und Sonnen.
Fahnen wehen im Winde. Und Fenster trinken
Den Himmel. Und Lampen lächeln geduldig
Vergessenen Stuben —
Unvergänglich.
Was vorbestimmt lag im Geboren-Sein,
Hüllt sich leis in Geschick und Erfüllung.
Seelen wandern vorbei an den Jahren,
Und Geist wächst in die Formen der Erde
Unvergänglich.
Und Liebe ist — nicht deine Liebe —,
Und Augen erwachen — nicht nur die deinen —,
Und Schmerz ist, — nicht dein Schmerz —,
Schmerz ist und Seligkeit
Unvergänglich.
Glocken klangen an und riefen,
Türme sangen leis im Wind.
Stimmen wundersam verliefen
Sich im Traum der Straßentiefen,
Tasteten beseelt und blind.
Menschen aneinander rührten,
Ließen Wunsch und Lust entgleiten;
Bang noch, daß die scheu verspürten
Sie in Wunder fremd entführten, —
Schon im Wunder sank ihr Schreiten.
Helle Fenster warfen Blüten,
Klänge bauten Spiegel auf.
Sterne überm Dach versprühten,
Augen ineinander glühten,
Sprengten letzte Siegel auf.
Zu hundert Gipfeln bin ich aufgestiegen,
In hundert Täler weich hinabgerauscht.
Landschaften sah ich in den Wind gebauscht
Und Felder friedvoll in der Sonne liegen.
Verschränkte Stimmen, wundersam vertauscht,
Entflogen vogelgleich aus Wälderwiegen.
Posaunen schrien aus sturmdurchwühlten Siegen,
Und Worte sangen, Nächten abgelauscht.
Wie Silberflüsse liefen Melodien
Ausbuchtend durch das ungewisse Land,
Geleiteten wie fromme Führerhand.
Doch fern wie Wolken zogen Harmonien,
In keine dinggewohnte Form gespannt:
Nur Gruß und Farbe von dem andern Strand.
Der Wind hat feierlich die Welt entfaltet,
Und alle Farben prunken unterm Licht.
Von Bäumen, Rasengrün und Dächern bricht
Der Glanz, noch eh er sich zur Form gestaltet.
Und wenn ihr durch die Straßen geht, behaltet
Ihr keines Dinges Namen noch Gewicht:
Nur Fensterspiegeln, Wolken, ein Gesicht,
Und die Bewegung stark und unveraltet.
Von steilen Dächern rinnt die Sonne, prallt
Wie ein Trompetenstoß auf Mensch und Wagen
Und springt zurück vom hastigen Asphalt.
Markisen, rot- und weiß-gestreifte, schlagen
In mächtgen Wogen, und der Himmel wallt
Wie eine Fahne, — üppig und getragen.
Wenn sich die Türme alt, barock und schlank
Ganz selig in die Abendwellen heben,
Dann zu den wunderzarten Wesen streben
Entzückte Blicke auf und sagen Dank.
Von Brückenbögen, Dampfer, Park und Bank
Wehn Grüße auf in festlichem Erleben,
Und von den kupfergrünen Dächern schweben
Jahrhunderte und Freuden, sanft und schwank.
Durch die Theaterstunde, die, noch hell,
Die Lichter aufgesteckt vor den Portalen,
Rollen die Wagen, — aber voll und schnell
Erraffen noch die Augen dieses Grüne,
Dies Gold, das Türme vor den Himmel malen;
Und fühlen’s noch in Licht, Musik und Bühne.
(Dresden)
Und um die Städte breitet sich das Land
Mit Wäldern, Äckern, wolkenüberzogen,
Mit Bergen, die in fernem, zartem Bogen
Vor einem großen Himmel ausgespannt.
Da sind wir plötzlich für die Welt entbrannt,
Und leicht wie Vögel landwärts ausgeflogen
Entwehen wir durch Wind und Sonnenwogen,
Und Leben fließt wie Gold durch unsre Hand.
Nie bist die Straßen du so leicht geschritten,
Alleen, ganz von Weiten eingesäumt!
Nun bist du dir und jedem Sein entglitten,
Verstehst der Schwalben Tage und der Bienen,
Bist tief in Blütenbäume eingeträumt
Und bist der Duft, das Licht, das Lied in ihnen.
Da liegen vor mir die verschollenen Jahre,
Da man von Wald und Strom und Hörnern sang,
Da Dichter ihrer Heimat Dorf am Hang
Erträumten, drin sie Kind und selig waren.
Da seh ich Wege, hell von stillen Paaren,
Die schwärmen Arm in Arm den Wald entlang,
Da höre ich der Glocken Morgenklang
Den Geist der Andacht heimlich offenbaren.
Und alles ist wie Vers aus alten Schriften,
Wie liebe Zeilen, die man lächelnd sieht,
Wie Reime nur von Berg und Strom und Triften,
Und sind doch alles Unvergänglichkeiten!
Wie nah ist mir dein Herzschlag und dein Lied,
Mein Bruder du aus jenen sanftern Zeiten!
Ein einz’ges kleines Wölkchen sah ich stehen
Hoch über meiner kühlen Rast im Gras;
Das schwebte selig, wie gesponnen Glas,
Und ließ den Wind durch seine Flocken wehen.
Ich sah es weiß im ew’gen Blau sich drehen,
Das leise seinen feinen Rand zerlas,
Umschmeichelte mit seinem Übermaß,
Daß es zerfloß in sonnigem Zergehen.
Und wie als Kind erblickt’ ich Bild um Bild:
Nun war es Roß, nun Krone, Zelt und Greif,
Um immer leichter, lichter, ungestillt
Ganz zu zerfließen wie in lauter Raum:
Es hob sich auf, ein blau-durchstrahlter Streif, —
Und nun war alles Bläue ohne Saum.
Der Schwung der Erde
Ist jung und gut.
Die blonden Tage,
Die duftenden Nächte
Wiegen uns zärtlich
Durch stiebenden Raum.
Wimpel entwehen
Den glücklichen Augen,
Brüste verschmiegen
Sich weich in den Wind.
Kaum noch an Sohlen,
Kühlen und schwingenden,
Haftet uns Boden,
Hält uns der Ball.
Blau um die Stirnen
Schlingen die Himmel
Uns flatternde Bänder,
Und die Gestirne
Zischen wie Funken
In unserm Blut.
Die Hand gib mir,
Daß wir uns halten
Und im Entwirbeln
Nicht verlieren,
Mein Bruder, du,
Du Irgendwer,
Geliebte du,
Du Irgendeine.
Die Hand gib mir,
Wir fahren schnell
Wir Menschen durch die blassen Räume,
Und unser Atem bleibt uns nicht.
Die Hand gib mir,
Daß Himmelfahrt
Durch unser beider Pulse ströme,
Der Himmel weht durch deine Locken,
Ich greife ihn.
Die Hand gib mir,
So schweben wir
Im blauen Flug,
Der unser Leben ist.
Schiffe aus bunter Musik
Zittern in schwellenden Segeln,
Heben die Brust aus den Wellen
Und rauschen dahin.
Golden umstäubt von den Straßen,
Traben die glänzenden Wagen,
Klirren die Räder der Reise
Durch offene Welt.
Gärten erklingen von Liebe,
Küssen sich Kinder und spielen,
Nahen sich Menschen und Tiere
Mit wissendem Blick.
Und die wandernden Schwalben
Biegen die Himmel zusammen,
Fremdester Zonen Geheimnis
Zu unserem Land.
Hell-türmige Städte
Halten sich nicht,
Auch sie fliegen auf
In den göttlichen Raum.
Die silbrigen Wälder,
Die alten und guten,
Sie schicken sich rauschend
In sphärische Fahrt.
Die Ströme treiben
Die Meere zum Himmel,
Die glückliche Erde
Wirft Wolken empor.
Die dunkelen Menschen,
O siehe, die schwersten,
Nimmt heiter und gütig
Und ungemerkt
Der zärtliche Hauch
In den Träumen mit.
Ich fühle leise
Das Zittern der Erde
Wie eines Dampfers
Auf emsiger Fahrt:
In der Weite des Meeres
Wellend in Schnelligkeit.
Die köstlichste Stunde,
Hinter uns bleibt sie,
Reißt uns vom Munde
Der Wind des Flugs.
Biegt euch kühn
Über schäumenden Bug!
Zukunft zerteilt sich
An unsrer rauschenden Brust.
Von Walther Georg Hartmann erschien im Verlag von Rudolf Kaemmerer, Dresden:
DER
BEGEISTERTE WEG
mit sechs Holzschnitten von C. von Mitschke-Collande