The Project Gutenberg eBook of Wir Menschen: Gedichte

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Title : Wir Menschen: Gedichte

Author : Walther Georg Hartmann

Release date : June 15, 2016 [eBook #52335]

Language : German

Credits : Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WIR MENSCHEN: GEDICHTE ***

  

Walther Georg Hartmann

Wir Menschen

Gedichte

Kurt Wolff Verlag München

Bücherei „Der Jüngste Tag“ Band 79

Gedruckt bei Dietsch & Brückner, Weimar

Copyright 1920 by Kurt Wolff Verlag, München

I
Wir Menschen

Menschen

Über die Berge rauschen schwankende Wälder,

An die Küsten schlagen die Ozeane,

Wolken ziehen weiß von Stadt zu Stadt,

Und in die Ebenen fallen Winde ein. —

Ausgeschüttet in die unendlichen Nächte,

Die aufgewölbt strömendes Mondlicht tragen, —

Wir Menschen,

Veratmen wir uns aneinander.

An Sonnen und Sternen drehen wir uns vorbei,

Kleine Erde rollt unfühlbar durch kreisenden Raum,

Glühende Endlichkeiten springen an uns vorüber,

Und schwebendes Gleichgewicht trägt uns durch schimmernde Welten. —

Aufgesogen von blauen, zitternden Tagen, —

Wir Menschen,

Werfen wir uns gegen Schöpfung und Ewigkeit.

Wann wird der Mensch sich endlich ausgestalten,

Daß alle Kraft in seinem Inneren kreist?

O fremde Sehnsucht, stürmische Gewalten,

Wir sammeln Schöpfung, die euch schweigen heißt!

Bist du, mein Blut, denn meinen Adern fremd

Und immer wieder treu uralten Säften?

Bist, Seele, du noch immer eingehemmt

Und immer nur noch Kraft in dunklen Kräften?

Fühlst du, mein Atem, dich noch eingeengt

Und suchst dich in des Himmels Wind zu drängen?

Bist du, mein Traum, noch immer formbezwängt

Und mußt das irdische Gesetz zersprengen?

Wann wird der Mensch sich endlich ausgestalten,

Daß alle Kraft in seinem Inneren kreist,

Daß seine Adern alle Ströme halten?

Wann endlich überflügelt sein Entfalten

Die Sehnsucht, die ins Leere uns zerreißt,

Daß wir uns Erde werden, Kraft und Geist?!

Wir sind begraben

Unter der Welt

Wie unter dem riesigen Himmel der Sterne.

Schicksale haben

Uns ins Leben gestellt

Wie in zerwehte, nachtdunkle Ferne.

Nun fühlen wir,

Daß etwas mit uns geschieht,

Dem wir nicht gebieten;

Daß dunkle Gier

Uns in die Wirrnis von Taten zieht,

Die wir nicht schmieden.

Zuweilen denken wir lächelnd der toten Zier

Von Wollen und Träumen, die nicht gerieten.

Wir singen doch niemals unser eigenes Lied!

Wir sagen doch niemals, was unsere Seele hält

Als eigenstes Wort! — Befehlende Tage haben

Erstickt unsere Stimmen ...

Wir sind begraben

Unter dem Übermaß der Welt.

Abend

Jetzt geht Licht auf in allen Stuben,

Und das tägliche Wunder macht alle zarter.

Gesichter wenden sich zueinander,

Die sich eben einsam im Dunkel vergruben.

Tisch und Stuhl und Buch werden neu begonnen.

Straße sinkt tiefenblau hinter spiegelnde Fenster.

Gutes Allein-Sein in Stille perlt durch die Sinne,

Als sei ein warmer, emsiger Hafen gewonnen.

Ich sehe euch alle, Gesichter, erleuchtete Wangen, —

Von einer Lampe mildem Licht bin ich mit euch umfangen.

In den Tag wächst Liebe aus dem Traum

In Nächten ausgeströmter Träume reisen

Wir in das Ahnen, das der Tag uns bot.

In Sternen schmilzt die Angst, die ihn umdroht,

Die Dinge treten aus des Schicksals Not,

Und Welt und Menschen lassen sich ergreifen.

Leis drängt sich ein, was ohne Antwort blieb,

Und viele Worte fließen zu Gesang.

Was leer gefragt, wird als Geheimnis lieb.

Die Seelen tauchen auf, an deren Saum

Wir streiften, spenden tiefverwandten Klang.

Und in den Tag wächst Liebe aus dem Traum.

Frühe Stunde

Im Morgenhimmel schwammen die Sterne heilig und blau,

Wind kam von Höhen und Bäumen feucht von Nacht.

Träume liefen auf Straßen, geschreckt vom Tau,

Und kindliches Wachsein ward in den Herden entfacht.

Gelöst aus Schlaf und stillem Stubenlicht

Ging jeder schwer noch mit sich selbst allein,

Gewöhnte sich dem alten Angesicht

Und schwand so wie die Sterne in den Tag hinein.

Begegnung

Kann denn das sein: daß ich hingehe zu dir

Unter dem Sternenhimmel,

Durch wirbelnden Straßenklang

Und Netze von Laternen,

Hinreise wie zu der kleinsten Insel,

Auf der wir uns treffen werden?

Kann denn das sein: daß in tausendfacher Bewegung,

Inmitten Millionen Menschen

Und im Schwunge der Welten

Wir uns begegnen

In der schmalen Wärme des Händedrucks

Und fühlen, wie wir uns anders nahe sind

Als irgendeinem ...?

Geliebte, auch du mußt das große Jahr

In ungelöschten Adern fühlen.

Ewige Stimmen wehen,

Verblassende Bilder wühlen

Aus tiefem Bleiben und tieferm Vergehen

Empor.

Wie wir uns vergruben,

Ängstlich vor unserm Feuer,

In Kissen und Haar

Und dunkles, schwermütiges Nichts.

Atem der Stuben

War hütend um unsern Traum gestellt,

Und leise aus scheuer

Vergessener Welt

Ans Fenster, verirrt und blind,

Stieß Landstraßen-Wind.

Und jeden Morgen fuhren wir aus

Weit von den Häfen des Traumes

In die blauen Buchten des Tages,

Pflückten die Stunden zum bunten Strauß,

Wandelten ohne Gewicht des Raumes

In Straßen und Treppen und Haus.

Und wie wir uns verweinten

In Schmerz und Wut

Tiefer nur ineinander.

Nächte, schwer von unserm Blut,

Da wir uns fern und tot vermeinten,

Wild unsre Leben einten.

In Tagen und Nächten

Ein Strom, unaufhaltsam,

Jagte gewaltsam

Aus dunkelsten Schächten

Unser Geschick.

Geliebte! Der menschliche Bogen spannt

Einig und klar sich von Hand zu Hand,

Jeder ist Schöpfer, und jeder ist Kind,

Solange wir sind.

Treue

Leben, köstlich und stark immer wieder aufs neue,

Leben durchrinnt mich kühl

Wie lösender erster Gewitterwind.

Durch Schmerz und Lust wechsle ich wie ein Kind,

Doch daß ich innig im fernsten und nächsten Gefühl

Mich verliere — das ist meine Treue.

Mütter

Mutter, ich weiß ja noch,

Wie ich, ein Knabe,

Aus deinem Schoße stieg

In das Märchen der Blumen

Und aus den Kissen entwehte

Im Kindertraum

Von Mohn und Vergißmeinnicht.

Du aber wachtest durch blasse Nächte,

Und über deinen Worten schwebte

Die Träne des Todes schon.

War es deshalb so süß,

Ihrer Sanftheit zu lauschen

Und einzuschlafen

Unter deiner verwehenden Hand?

Und wie kommt ihr nun wieder,

Wehmut-heilig,

Aus dem Vergangenen —

Mutter und Märchen!

In jeder Stunde kannst du Schicksal lösen,

In jede Stunde Wunder niederstürzen,

Dich in die Güte finden mit den Bösen,

Das Leid der Welt zu einem Lächeln kürzen.

Leg nur die sanfte Hand auf einen Scheitel

Und sag das Wort, das dir im Herzen brennt,

Geh hin und sprich:

Ach, aller Schmerz ist eitel.

Ich bin dir gut. —

Es blüht das Firmament.

II
Die Zeit

Mein Bruder Feind!

Sie haben ein Tuch zwischen uns gehängt,

Mein Bruder,

Durch das unsre Degen nach unsern Herzen bohren.

Wir wollen uns vergeben,

Die wir lieben,

Daß die Waffe so streng unsern Willen zerschnitt.

Sie haben die Macht, die Sprecher der Staaten,

Daß wir töten einer den andern,

Aber nicht,

Daß wir uns hassen, mein Bruder!

Ich liebe dich

Um deines Lebens willen, warm wie das meine,

Um aller Sehnsucht willen, deiner Mütter und Schwestern,

Um deiner Arbeit willen, still und schwer wie die unsre,

Um deiner Schmerzen willen liebe ich dich,

Mein Bruder.

(1914)

Am blassen Morgen fühlt ich mich entstehen

Aus Nacht und Schlaf,

War mir die Welt ein jugendliches Wehen,

Das hold mich traf,

Erlernt ich wieder: Berg und Haus und Baum

Wie Tief-Vergessenes

Und faßte Wirklichkeit nach blindem Traum

Wie Nie-Besessenes.

Da grüßte ich die Schöpfung brüderlich,

Die mir erschienen,

Ding schmiegte lächelnd sich an Ding, — und ich:

Ding zwischen ihnen.

(Laon)

Regennacht

Über uns Millionen Soldaten sinkt Regen.

Wolken und Tote hauchen dumpfen Geruch,

Blutrieseln singt.

Sternloser Himmel plätschert in Trichtern und Gruben,

Trostloser Wind weht Nebel und Stöhnen in Schlaf.

Aber neben uns wacht der Posten: Verzweiflung.

Weit hinter den Gräben rattern Kolonnen auf Straßen,

Die wie schmale Brücken im endlosen Elend stehn.

Granaten fegen durchs Spiel der schwebenden Feuer.

Ein Gewehr schreit vor Haß.

Seit wieviel hundert Jahren stehn wir im Tode,

In diesem trägen Sumpfe von Hirn und Blut?

Regen rieselt über uns Millionen Soldaten.

Nacht fröstelt in uns und ermüdeter Schmerz.

Das Land dunkelt fremd und kennt uns nicht.

(Verdun 1916)

Geschlechter, ihr nach uns!

1

Von schmerzlicher Welt durchbohrt,

Unfaßbar von Leid überströmt,

Ruf ich dich, Gott.

Geist, zu dem als Kinder wir beteten,

Geist, in dessen Brand als Jünglinge wir dich verneinten,

Geist, der erneut uns zuwuchs aus hartem Gestein

In der Jahre Erkenntnis und Tat.

Verhetzt von Qual, Mensch gegen Mensch

Ist aufgebäumt,

Gegeneinander gerissen in Wut,

Die das eigene Herz zerreißt.

Erniedrigt in Neid, zermartert in Haß

Hör’ ich ausgestoßen

Worte der Feindschaft

Aus verzweifeltem Munde.

Ich rufe dich, Gott.

Unter Wolkenzug steh ich,

Horizont kreist berg-blau um meine Augen.

Ich rufe die Hand, die herunter greift

Und Segen austeilt durch ein einziges Wort,

Durch ein Wort, das sieghaft wär

Aus dem Reiche der Ewigkeit:

Menschen!

2

Nicht über die grausam tätigen Hände allein

Ergieße dich, helfender Geist!

Nicht über die donnernde Feindschaft der Stirnen allein,

Die unterm Tage hassend zusammenschmettern.

Doch in die Herzen stürze,

In die verborgensten Falten,

Wo bittre Worte aufgären wie Fäulnis,

Wo böse Tat aufkeimt in verstecktester Feindschaft,

Wo liebeleer Wille aus bleichen Wurzeln sich nährt.

Überschütte doch,

Hülle doch

Alle heimlichste Bitterkeit

In jedem Herzen, in jedem Sinn,

Auch in dem meinen,

Mit deinem Lichte!

3

So wie ich hier steh, — ein Mensch, der wenig geliebt wird,

Und bin nicht Mutter, die Kinder in dieses gierige Leben geboren,

Und bin nicht Vater, der Träume in tätige Söhne geschaffen,

Und nicht Geliebter, dem Herz und Wille in sanfteste Hand gegeben, —

Ich bin ein Mensch nur, der fremd und wenig umschlossen

Mit anderen Gästen der Erde den Tag verbringt:

Ich kann den Haß dieser Welt doch nicht mehr tragen,

Ich kann die Qual geheimster Verfeindung nicht mehr ersticken,

Ich werfe mich wild von Leid und Liebe zwischen die meuternden Menschen

Und weine.

4

Die Zeit steht ehern wie ein Koloß,

Läutet und dröhnt den unerbittlichen Donner,

Übertürmt die wütend flehenden Hände.

Die an ihr reißen.

Wenn Sonne emporschießt wie eine Fanfare,

Wenn die Sterne ihr schweigendes Gloria klingen,

Wenn der Wind über Länder sich biegt, —

Zeit steht, Zeit geschieht, Zeit braust

Und bleibt errichtet,

Drückt uns die Zentnerlast auf versagende Nacken.

Wir werden verzweifeln müssen.

5

Stürze zusammen unsichtbarer Bau,

Gewölbt aus Menschsein und einigstem Gefühl!

Stürze zusammen, heilige Spannung

Über Herz und allverständlichem Wort!

Stürze zusammen, Bogen des Lebens,

Aufsteigend und ruhend über uraltem Grund!

Stürze zusammen, lichtes Gewölbe,

Gefügt aus Erkenntnis rollender Zeiten!

Kein Boden trägt mehr,

Kein Land ruht mehr

In Flut und Getöse.

Weggerissen in Brandung von Schrei und Angst

Zerbirst das Gefüge der Welt.

Nicht Haß hat gesiegt, — aber Verzweiflung!

Verzweiflung zerrüttet den Bau der Welt.

6

Es gehen Engel in den Städten um.

Und sei’s nur einer in den tausend Straßen,

Nur einer , dessen Auge Wahrheit leuchtet,

Und dessen Herz im Gang der Welten schlägt, —

Es bieten reine Hände sich ins Leben,

Und reine Stimmen sagen ew’ge Namen.

Doch die Gnade des Glaubens ist uns versagt,

Zu fremd die Liebe, der die Hand sich böte.

Eingefressen in die tiefsten Adern

Treibt die Not den toten Gang

Und vergiftet jeden Wunders zartesten Keim.

Es gehen Engel in den Städten um.

Vergebens!

7

Preßt den Ring des Verzichts um das stürmende Herz!

Nehmt die Hand aus den Händen, die man euch reichte!

Schreitet hinunter in die brodelnde Zeit!

Vergebens Geduld und Schrei und Gebet,

Erfülle dich, tobender Abgrund!

Nicht wir mehr halten und retten,

Nicht uns mehr spannt sich der himmlische Bogen,

Wir sind verdammt.

Aber, Geschlechter ihr, nach uns,

Hebt euch auf aus unserem armen Blut,

Aus dem Schutt unsres Schmerzes

Mit euren Stirnen in das Schneelicht der Gerechtigkeit.

8

Aber Geschlechter ihr, nach uns, hebt euch auf aus unserem dumpfen Streit!

Unsern Wunden ist der Lohn versagt,

Über unsern Schlachten stand kein Stern,

Über unsern Scharen keine Liebe.

Unsre Sünde trat den Glauben nieder.

Aber Geschlechter ihr, nach uns, euch vertrauen wir.

Wir strömen alle Hoffnung euch ins Blut,

In euere Geburten alle Liebe,

In euren Aufgang alle reinste Tat.

Des Menschen ew’ges Sternbild steig euch auf!

III
Lobpreisung

Preis der Vergänglichkeit

1

Ich bin vergänglich, und ich will vergehn,

Auslöschen wie eine Lampe

In den roten Morgen,

Wenn meine Nacht um ist;

Abklingen wie ein Ton,

Wenn der Bogen absetzt.

Ich bin vergänglich, und der Gedanke

Des Gesetzes berauscht mich.

Abgleiten will ich wie eine Fahne,

Die vom Maste sinkt

In den Lüften des Hafens;

Wie Rauch der sich hebt

Von gestillter Flamme.

Ich bin vergänglich, und selig bin ich,

Hinwegzugehen gleich allem Lebendigen,

Wie eine Wolke mich auszuregnen ins Land,

Wenn mein Wind still ist.

2

Wir haben kein Recht zum Schmerz!

Welten schwingen sich durch die Nacht.

Abende kommen und Sonnen.

Fahnen wehen im Winde. Und Fenster trinken

Den Himmel. Und Lampen lächeln geduldig

Vergessenen Stuben —

Unvergänglich.

Was vorbestimmt lag im Geboren-Sein,

Hüllt sich leis in Geschick und Erfüllung.

Seelen wandern vorbei an den Jahren,

Und Geist wächst in die Formen der Erde

Unvergänglich.

Und Liebe ist — nicht deine Liebe —,

Und Augen erwachen — nicht nur die deinen —,

Und Schmerz ist, — nicht dein Schmerz —,

Schmerz ist und Seligkeit

Unvergänglich.

Wunder

Glocken klangen an und riefen,

Türme sangen leis im Wind.

Stimmen wundersam verliefen

Sich im Traum der Straßentiefen,

Tasteten beseelt und blind.

Menschen aneinander rührten,

Ließen Wunsch und Lust entgleiten;

Bang noch, daß die scheu verspürten

Sie in Wunder fremd entführten, —

Schon im Wunder sank ihr Schreiten.

Helle Fenster warfen Blüten,

Klänge bauten Spiegel auf.

Sterne überm Dach versprühten,

Augen ineinander glühten,

Sprengten letzte Siegel auf.

Musik

Zu hundert Gipfeln bin ich aufgestiegen,

In hundert Täler weich hinabgerauscht.

Landschaften sah ich in den Wind gebauscht

Und Felder friedvoll in der Sonne liegen.

Verschränkte Stimmen, wundersam vertauscht,

Entflogen vogelgleich aus Wälderwiegen.

Posaunen schrien aus sturmdurchwühlten Siegen,

Und Worte sangen, Nächten abgelauscht.

Wie Silberflüsse liefen Melodien

Ausbuchtend durch das ungewisse Land,

Geleiteten wie fromme Führerhand.

Doch fern wie Wolken zogen Harmonien,

In keine dinggewohnte Form gespannt:

Nur Gruß und Farbe von dem andern Strand.

Fünf Sonette

I

Der Wind hat feierlich die Welt entfaltet,

Und alle Farben prunken unterm Licht.

Von Bäumen, Rasengrün und Dächern bricht

Der Glanz, noch eh er sich zur Form gestaltet.

Und wenn ihr durch die Straßen geht, behaltet

Ihr keines Dinges Namen noch Gewicht:

Nur Fensterspiegeln, Wolken, ein Gesicht,

Und die Bewegung stark und unveraltet.

Von steilen Dächern rinnt die Sonne, prallt

Wie ein Trompetenstoß auf Mensch und Wagen

Und springt zurück vom hastigen Asphalt.

Markisen, rot- und weiß-gestreifte, schlagen

In mächtgen Wogen, und der Himmel wallt

Wie eine Fahne, — üppig und getragen.

II

Wenn sich die Türme alt, barock und schlank

Ganz selig in die Abendwellen heben,

Dann zu den wunderzarten Wesen streben

Entzückte Blicke auf und sagen Dank.

Von Brückenbögen, Dampfer, Park und Bank

Wehn Grüße auf in festlichem Erleben,

Und von den kupfergrünen Dächern schweben

Jahrhunderte und Freuden, sanft und schwank.

Durch die Theaterstunde, die, noch hell,

Die Lichter aufgesteckt vor den Portalen,

Rollen die Wagen, — aber voll und schnell

Erraffen noch die Augen dieses Grüne,

Dies Gold, das Türme vor den Himmel malen;

Und fühlen’s noch in Licht, Musik und Bühne.

(Dresden)

III

Und um die Städte breitet sich das Land

Mit Wäldern, Äckern, wolkenüberzogen,

Mit Bergen, die in fernem, zartem Bogen

Vor einem großen Himmel ausgespannt.

Da sind wir plötzlich für die Welt entbrannt,

Und leicht wie Vögel landwärts ausgeflogen

Entwehen wir durch Wind und Sonnenwogen,

Und Leben fließt wie Gold durch unsre Hand.

Nie bist die Straßen du so leicht geschritten,

Alleen, ganz von Weiten eingesäumt!

Nun bist du dir und jedem Sein entglitten,

Verstehst der Schwalben Tage und der Bienen,

Bist tief in Blütenbäume eingeträumt

Und bist der Duft, das Licht, das Lied in ihnen.

IV

Da liegen vor mir die verschollenen Jahre,

Da man von Wald und Strom und Hörnern sang,

Da Dichter ihrer Heimat Dorf am Hang

Erträumten, drin sie Kind und selig waren.

Da seh ich Wege, hell von stillen Paaren,

Die schwärmen Arm in Arm den Wald entlang,

Da höre ich der Glocken Morgenklang

Den Geist der Andacht heimlich offenbaren.

Und alles ist wie Vers aus alten Schriften,

Wie liebe Zeilen, die man lächelnd sieht,

Wie Reime nur von Berg und Strom und Triften,

Und sind doch alles Unvergänglichkeiten!

Wie nah ist mir dein Herzschlag und dein Lied,

Mein Bruder du aus jenen sanftern Zeiten!

V

Ein einz’ges kleines Wölkchen sah ich stehen

Hoch über meiner kühlen Rast im Gras;

Das schwebte selig, wie gesponnen Glas,

Und ließ den Wind durch seine Flocken wehen.

Ich sah es weiß im ew’gen Blau sich drehen,

Das leise seinen feinen Rand zerlas,

Umschmeichelte mit seinem Übermaß,

Daß es zerfloß in sonnigem Zergehen.

Und wie als Kind erblickt’ ich Bild um Bild:

Nun war es Roß, nun Krone, Zelt und Greif,

Um immer leichter, lichter, ungestillt

Ganz zu zerfließen wie in lauter Raum:

Es hob sich auf, ein blau-durchstrahlter Streif, —

Und nun war alles Bläue ohne Saum.

Die selige Erde

1

Der Schwung der Erde

Ist jung und gut.

Die blonden Tage,

Die duftenden Nächte

Wiegen uns zärtlich

Durch stiebenden Raum.

Wimpel entwehen

Den glücklichen Augen,

Brüste verschmiegen

Sich weich in den Wind.

Kaum noch an Sohlen,

Kühlen und schwingenden,

Haftet uns Boden,

Hält uns der Ball.

Blau um die Stirnen

Schlingen die Himmel

Uns flatternde Bänder,

Und die Gestirne

Zischen wie Funken

In unserm Blut.

2

Die Hand gib mir,

Daß wir uns halten

Und im Entwirbeln

Nicht verlieren,

Mein Bruder, du,

Du Irgendwer,

Geliebte du,

Du Irgendeine.

Die Hand gib mir,

Wir fahren schnell

Wir Menschen durch die blassen Räume,

Und unser Atem bleibt uns nicht.

Die Hand gib mir,

Daß Himmelfahrt

Durch unser beider Pulse ströme,

Der Himmel weht durch deine Locken,

Ich greife ihn.

Die Hand gib mir,

So schweben wir

Im blauen Flug,

Der unser Leben ist.

3

Schiffe aus bunter Musik

Zittern in schwellenden Segeln,

Heben die Brust aus den Wellen

Und rauschen dahin.

Golden umstäubt von den Straßen,

Traben die glänzenden Wagen,

Klirren die Räder der Reise

Durch offene Welt.

Gärten erklingen von Liebe,

Küssen sich Kinder und spielen,

Nahen sich Menschen und Tiere

Mit wissendem Blick.

Und die wandernden Schwalben

Biegen die Himmel zusammen,

Fremdester Zonen Geheimnis

Zu unserem Land.

4

Hell-türmige Städte

Halten sich nicht,

Auch sie fliegen auf

In den göttlichen Raum.

Die silbrigen Wälder,

Die alten und guten,

Sie schicken sich rauschend

In sphärische Fahrt.

Die Ströme treiben

Die Meere zum Himmel,

Die glückliche Erde

Wirft Wolken empor.

Die dunkelen Menschen,

O siehe, die schwersten,

Nimmt heiter und gütig

Und ungemerkt

Der zärtliche Hauch

In den Träumen mit.

5

Ich fühle leise

Das Zittern der Erde

Wie eines Dampfers

Auf emsiger Fahrt:

In der Weite des Meeres

Wellend in Schnelligkeit.

Die köstlichste Stunde,

Hinter uns bleibt sie,

Reißt uns vom Munde

Der Wind des Flugs.

Biegt euch kühn

Über schäumenden Bug!

Zukunft zerteilt sich

An unsrer rauschenden Brust.

Von Walther Georg Hartmann erschien im Verlag von Rudolf Kaemmerer, Dresden:

DER
BEGEISTERTE WEG

mit sechs Holzschnitten von C. von Mitschke-Collande