The Project Gutenberg eBook of Peter Moors Fahrt nach Südwest: Ein Feldzugsbericht This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Peter Moors Fahrt nach Südwest: Ein Feldzugsbericht Author: Gustav Frenssen Release date: December 10, 2016 [eBook #53706] Most recently updated: October 23, 2024 Language: German Credits: Produced by Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PETER MOORS FAHRT NACH SÜDWEST: EIN FELDZUGSBERICHT *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~. Im Original gesperrter Text ist +so markiert+. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Grote'sche Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller. Neunundachtzigster Band. Gustav Frenssen, Peter Moors Fahrt nach Südwest. Peter Moors Fahrt nach Südwest Ein Feldzugsbericht von Gustav Frenssen 167. Tausend G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung Berlin 1912 [Illustration] Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in andere Sprachen und auch das des Nachdrucks einzelner Teile, vorbehalten. ~Published, October 18, 1906. Privilege of copyright in the United States reserved under the Act approved March 3, 1905, by G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung.~❃ Buchschmuck von Hugo Steiner-Prag. Druck von Fischer & Wittig in Leipzig. Der deutschen Jugend, die in Südwestafrika gefallen ist, zu ehrendem Gedächtnis. Peter Moors Fahrt nach Südwest »Grolle dem Sänger doch nicht, daß er singt von dem Leid der Achäer! Solchem Liede ja geben den Preis vor andern die Menschen, Welches, die Hörer umschwebend, das jüngst Gescheh'ne verkündet!« Odyssee. I, 350. I Als ich ein kleiner Junge war, wollte ich Kutscher oder Briefträger werden; das gefiel meiner Mutter sehr. Als ich ein großer Junge war, wollte ich nach Amerika; da schalt sie mich. So um die Zeit, als die Schuljahre zu Ende gingen, sagte ich eines Tages, ich möchte am liebsten Seemann werden; da fing sie an zu weinen. Meine drei kleinen Schwestern weinten auch. Aber am Tage nach meiner Schulentlassung stand ich, ehe ich recht bedachte, was mit mir geschah, in meines Vaters Werkstatt am Amboß, und unser Geselle, der aus Sachsen zugewandert war und schon lange Zeit bei Vater arbeitete, sagte: »Siehst Du -- da stehst Du! Und da bleibst Du stehn, bis Du grau wirst,« und lachte. Da wir gerade eine gute Arbeit hatten, nämlich vor einem schönen Neubau an der Breiten Straße Tor und Gitter machten, gab ich mich zufrieden und blieb also die drei Jahre in der Werkstatt meines Vaters und arbeitete mit ihm und dem Gesellen und ging abends in die Gewerbeschule. Ich bekam zweimal einen ersten Preis. Im zweiten Jahr meiner Lehrzeit, in meinem siebzehnten Lebensjahr, traf ich auf der Straße Heinrich Gehlsen, den Sohn vom Lehrer Gehlsen, der früher bei uns angestellt war und jetzt Hauptlehrer in Hamburg ist, mit dem ich als Junge zuweilen gespielt hatte. Er war einige Jahre älter als ich und war nun Student in Kiel. Während wir zusammen die Breitenburger Straße hinunter gingen, erzählte er mir, daß er im Herbst 1903 als Einjähriger beim Seebataillon eintreten wolle. Ich fragte: »Warum willst Du gerade da eintreten?« Er sagte: »Es ist eine feine Truppe. Und dann ist es möglich, daß man einmal auf Reichskosten übersee kommt. Denn wenn in irgendeiner unserer Kolonien ein Aufstand ausbricht, oder sonst in der weiten Welt was los ist, kommt zu allererst das Seebataillon unterwegs.« Ich sagte nichts weiter dazu; aber ich dachte in meinem Sinn, daß ich später auch zum Seebataillon gehen könnte. Ich war schon einige Male in Kiel gewesen; und ich mochte auch die Uniform wohl leiden. Auch gefiel mir, was er von Übersee gesagt hatte. Ich wußte aber damals noch nicht, wie ich das Ding anfassen sollte. Aber im nächsten Jahr erfuhr ich eines Tages von einem älteren Schulkameraden, der in Kiel bei den Fünfundachtzigern diente, daß das Seebataillon Dreijährig-Freiwillige annähme. Da fragte ich am selben Abend meinen Vater, als ich beim Aufräumen war und er mit seiner halblangen Pfeife durch die Werkstatt ging, um ein wenig die Straße entlang zu sehen, wie er abends zu tun pflegte: ob ich mich melden solle. Ihm gefiel das wohl; denn er hatte es bei den Einunddreißigern in Altona bis zum Unteroffizier gebracht. Er sagte also nichts weiter als: »Deine Mutter wird vor dem Wort ›See‹ bange werden.« »Ja,« sagte ich, »aber sie hat doch die drei Mädchen.« »Geh hin,« sagte er, »und stelle es ihr vor; sie ist in der Küche.« Indem kam sie schon aus der Küche in die Werkstatt und sagte mißtrauisch: »Was steckt ihr noch die Köpfe zusammen?« Sie meinte: weil es schon Feierabend war und die Arbeit getan. Mein Vater sagte: »Der Junge will sich freiwillig beim Seebataillon in Kiel melden; Du mußt nicht bange werden: das Bataillon heißt nur darum so, weil es die Seefestung verteidigen muß. Und außerdem: wenn er sich nicht freiwillig meldet, kommt er vielleicht an die russische Grenze; und das ist weit weg.« Da ging sie still in die Küche und sagte nichts weiter dazu, und gab mir im Herbst die Wäsche mit, alles heil und rein, wie es sich gehört; das meiste war neu. Und sie war ganz zufrieden, weil Kiel so nah' bei Itzehoe liegt. Auch hatte ihr unser Kaufmann, der in Kiel Verwandte hat, erzählt, daß viele gute Handwerkersöhne im Seebataillon dienen. [Illustration] II Ich war gerne Soldat, besonders nachdem wir die Ausbildung hinter uns hatten. Wir hatten lauter ordentliche Leute auf der Stube, und der Unteroffizier, der ein Schleswiger war, war nur dann ungemütlich, wenn einer faul oder dreckig war. Den Leutnant taxierten wir damals nicht richtig. Wir meinten, er wäre für einen Offizier zu zart. Aber nachher haben wir erkannt, daß er ein Held war. Am Anfang meines zweiten Dienstjahres, in den Weihnachtstagen 1903, war ich auf Urlaub bei meinen Eltern in Itzehoe und tanzte am zweiten Weihnachtstage auf dem Ball mit Maria Genthien. Ich kannte sie ein wenig von meiner Kindheit her; aber ich hatte sie nachher niemals wieder getroffen; ich wußte auch nicht, daß sie seit zwei Jahren in Kiel in der Holtenauer Straße diente. Als wir zum drittenmal miteinander tanzten, lachten wir uns an und sagten beide zu gleicher Zeit: »Das geht schön!« Wir dachten aber mit keinem Gedanken daran, daß es eine ernste Sache werden könnte. Am Tage nach Neujahr ging ich wieder nach Kiel in den Dienst. Vierzehn Tage später, am Abend des 14. Januar, ging ich mit Behrens und einem andern Kameraden durch die Dänische Straße; da kam Gehlsen uns entgegen, der nun wirklich als Einjähriger diente und bei meiner Kompanie stand, und sagte zu mir: »Hast Du schon gelesen?« Ich sagte: »Was denn?« Er sagte: »In Südwestafrika haben die Schwarzen feige und hinterrücks alle Farmer ermordet, samt Frauen und Kindern.« Ich weiß ganz gut in der Erdkunde Bescheid; aber ich war erst doch ganz verwirrt und sagte: »Sind diese Ermordeten deutsche Menschen?« »Natürlich,« sagte er: »Schlesier und Bayern und aus allen andern deutschen Stämmen, und auch drei oder vier Holsteiner. Und nun, was meinst Du, wir vom Seebataillon ...« Da erkannte ich plötzlich in seinen Augen, was er sagen wollte. »Wir müssen hin!« sagte ich. Er hob die Schultern: »Wer sonst?« sagte er. Da schwieg ich eine kurze Weile; es ging mir sehr viel durch den Kopf. Dann war ich damit fertig und sagte: »Na, denn man zu!« Und ich freute mich. Und ich sah im Weitergehn die Leute an, die des Weges kamen, ob sie vielleicht schon wüßten und uns anmerkten, daß wir nach Südwest gingen, um an einem wilden Heidenvolk vergossenes deutsches Blut zu rächen. An einem Vormittag war es wirklich so weit. Der Major hielt auf dem Hof der Kaserne eine kurze Rede: das und das wäre draußen geschehen; es sollte ein Bataillon Freiwilliger geschickt werden; wer mit wolle. Da traten wir fast alle vor. Die Ärzte untersuchten uns, ob wir für den Dienst in den Tropen fähig wären. Sie fanden mich brauchbar. Am selben Nachmittag schon bekamen wir in den niedrigen Stuben der Kammer die gelben Langschäftigen ausgeliefert, dazu die kurze blaue Jacke oder Litewka. So ausgerüstet gingen wir sogleich in die Stadt. Was war das für ein Zunicken und ein Anreden! Während sonst Soldaten, die sich nicht kennen, stumm und ohne Gruß aneinander vorüber gehen, wurden wir jetzt von allen angeredet. Die Fünfundachtziger waren sehr zurückhaltend, weil sie zu Hause bleiben mußten; die Matrosen sprachen mit Würde, als wenn jeder von ihnen dreimal um die Welt gefahren wäre. Auch viele Bürger redeten uns an, sagten, es würde eine sehr interessante Fahrt werden und es würde eine angenehme und schöne Erinnerung fürs ganze Leben bleiben, und wünschten uns gute Heimkehr. Am andern Tage, als wir in der folgenden Nacht mit der Bahn nach Wilhelmshaven abreisen sollten, kamen Vater und Mutter auf zwei Stunden von Itzehoe herüber. Ich holte sie vom Bahnhof ab und ging ein wenig mit ihnen die Holstenstraße entlang bis nach dem Schloßplatz. Mein Vater fragte dies und das, ob da wilde Tiere wären, ob die Feinde schon Alle Gewehre hätten, oder ob sie noch mit Pfeil und Bogen schössen, ob es dort sehr heiß und fiebrig wäre und dergleichen. Ich konnte nicht viel drauf antworten; denn ich wußte alles dies nicht. Ich nahm aber an, daß es so wäre, wie er sagte, und gab ihm in allem recht. Wir saßen eine Stunde in einer Wirtsstube in der Nähe des Bahnhofs, sahen aus dem Fenster nach den Leuten, die vorbei gingen, und sagten nicht viel. Meine Mutter schwieg fast ganz. Sie starrte mit großen, steifen Augen auf den Fußboden und wenn sie aufsah und mich mit ihren Augen streifte, sah sie mich an, als ob sie mich das letzte Mal sähe. Als es Zeit wurde, brachte ich sie wieder nach dem Bahnhof. Als der Hamburger Zug kam und sie einsteigen mußten, bat mich mein Vater, ich möchte ihm irgendeine Kleinigkeit mitbringen, ein Horn, oder einen Schmuck der Feinde, oder so was. Ich glaube: das hatte er sich aufgespart, damit er im letzten Augenblick etwas zu sagen hätte. Meine Mutter aber umarmte mich plötzlich mit Weinen. Da sie mich seit meiner frühesten Kindheit niemals mehr umarmt hatte, erschrak ich und sagte: »Was tust Du, Mutter?« Sie sagte: »Ich weiß nicht, mein Sohn, ob ich Dich wiedersehe.« Ich lachte und schüttelte ihre Hände und sagte: »Es ist ja gar keine Gefahr! Ich will schon wiederkommen!« Die Eltern von Behrens waren auch auf dem Bahnhof. Als ich im Dunkeln nach der Kaserne zurück kam, war da ein großes Leben. Eltern, Geschwister, Verwandte, Bräute und Bekannte waren gekommen; sie tanzten und tranken und redeten. Da war einer, der hatte das eiserne Kreuz von 70 her, ein älterer Mann und Vorarbeiter auf der Werft; dessen Jüngster ging mit hinaus. Der stand auf und sprach einige Worte von Fahneneid und Tapferkeit, so, als wenn es gegen einen ernsthaften Feind ginge; aber wir hörten ihm doch gerne zu. Ja, wir wurden von seinen Worten Feuer und Flamme und vergaßen gern, daß wir wußten, es ginge gegen Flitzbogen und Holzkeule. Wir wollten ehrlich streiten, und wenn es sein mußte, auch sterben für die Ehre Deutschlands. Um Mitternacht nahmen wir auf dem Hofe Aufstellung und gingen dann mit vollen Kapellen durch die Stadt. Wenn ich hundert Jahre alt werde, so vergesse ich doch niemals diese nächtliche Stunde, als Tausende von Menschen mit uns zogen und in unsere Sektionen drangen, uns anriefen, grüßten und winkten, und Blumen auf uns warfen und unsere Gewehre trugen und uns zum Bahnhof brachten. Der Platz vor dem Bahnhof war schwarz von Menschen. Auf der Bahnfahrt nach Wilhelmshaven schlief und döste ich so vor mich hin. Auch die andern waren müde. Als wir ankamen, ging ich mit einigen andern in eine kleine Wirtschaft nicht weit vom Hafen und bekam für viel Geld ein wenig schlechtes Essen. Um vier Uhr nachmittags traten wir wieder an und gingen unter dem Zuschauen vieler Menschen, die aus der ganzen Umgegend zusammengelaufen waren, zu zweien, mit voller Bepackung, die lange, schmale Holztreppe hinauf, die vom Kai auf das hohe Schiffsdeck führte. Es war ein heller, bitterkalter Wintertag. [Illustration] III Wir stiegen zwei kurze Treppen hinunter und kamen in einen ziemlich großen, niedrigen Raum, der so ganz und gar und so dicht mit Bettstellen belegt war, daß wir uns wunderten. In zwei Stockwerken standen sie über- und unter- und hart beieinander. Sehr schmale Gänge liefen zwischen ihnen hin und an den Wänden entlang. Ich bekam ein unteres Bett. Da stellten und legten wir nun an und über unser Bett alles hin, was wir hatten: Gewehr, Tornister und Kleidersack. Und packten und hantierten und standen inzwischen an den Bullaugen und sahen aufs Wasser, und waren sehr lebhaft und guter Dinge, wie immer in einem neuen Quartier; und wurden nur fortwährend durch das Zittern, das vom Gang der Maschine her durch das ganze Schiff ging, erinnert, daß dies unser Quartier uns in die weite Ferne trug. Wir aßen im selben Raum, an der Seite, an langen Tischen, und bekamen an diesem Abend Erbssuppe und Kaffee. Nachher ging ich noch einige Zeit hinauf und stand im Windschutz der ersten Kajüte an der Reeling und sah nach der Küste hinüber. Ich sah aber im Dunkeln nichts weiter als von den Lichtern des Schiffes einen gelblichen, wirren Schein in schwarzen, schwer rauschenden Wellen, und in der Ferne einige stillstehende Lichter, wohl von Leuchttürmen oder Feuerschiffen; und am Himmel die Sterne. Da wurde ich von dem Gedanken bedrückt, daß ich fortgebracht würde und mich nicht dagegen wehren könnte und in der Fremde vielleicht Furchtbares erleben müßte. Ich fand aber Hilfe, als ich vor Gott gelobte, daß ich gut und fröhlich und mutig sein wolle, was mir auch geschähe. Am andern Morgen sahen wir nichts als weites, dunkelgraues Meer, soweit das Auge sah. Am Horizont standen einige Rauchwolken und einige kleine Segel. Wir gingen zum Appell an Deck und bekamen jeder auf unsern linken Arm einen Anzug aus leichtem braunen Leinen, das Khaki heißt, und große, topfartige, hellbraune Helme aus Kork, sogenannte Tropenhelme. Wir wunderten uns und lachten; und gingen in unsern Schlafraum und probierten die Helme und machten viel Unsinn. Nachher befestigten wir Knöpfe an die Anzüge. Wir standen aber viel an den Bullaugen und sahen hinaus. So waren wir den ganzen Tag sehr tätig. Einige schrieben schon die ersten Ansichtspostkarten. Am Spätnachmittag stand ich noch längere Zeit mit Heinrich Gehlsen vorn an der Back und redete mit ihm über die Kinderzeit. Nachher kamen noch einige andere Einjährige, davon der eine ein Arzt war -- wie ich nachher erfuhr --; und fingen an mit ihm zu reden. Da sie aber begannen von gelehrten Dingen zu sprechen, ging ich fort. Ich bin nachher häufig mit Gehlsen zusammengekommen. Er war nur klein von Figur und von Gesicht zart; aber es stak ein ganzer Mann in ihm. Er war auch nachher im Busch umsichtig, anschlägig und tapfer. Am zweiten Tag standen wir lange an der Steuerbordreeling und sahen nach der Küste von England hinüber, welche, gar nicht fern, mächtig schroff und stark aus dem Wasser aufstieg, und nach den Fischerböten, welche mit ihren grauen oder schwarzen Segeln in großer Zahl auf dem weiten, bewegten Meer lagen. Als ich dies große, weite Bild sah, dachte ich daran, daß wohl so klein und noch kleiner jene Fahrzeuge gewesen waren, mit denen einst vor tausend und mehr Jahren unsere Vorfahren dicht über den Wogen, ja fast zwischen ihnen, diesen rauhen Weg übers Meer gefahren waren, den wir jetzt fuhren; und ich malte mir die wilden Kämpfe aus, die sie bestanden hatten, ehe sie oben auf diesen hohen, starken Ufern Hütten gebaut und Heimat gefunden hatten. An dies alles dachte ich und freute mich, daß ich einen so guten Lehrer gehabt hatte und daß ich wohl als der erste von allen, die mit mir die Itzehoer Volksschule besucht hatten, diese Gegend mit meinen Augen sah. Als ich noch so stand, ging der Stabsarzt an mir vorüber; neben ihm ging ein Oberleutnant zur See. Sie wollten wohl einen Matrosen besuchen, der krank war. Wir hatten nämlich auch ein Kommando Matrosen an Bord, welches zum Ersatz für den Habicht hinausfuhr. Sie blieben eine Weile nicht weit von mir an der Reeling stehen und ich hörte, wie der Oberleutnant zu dem andern sagte: »Wir Seeleute denken anders über die Engländer, als die Menschen drinnen im Lande: Wir treffen sie in allen Häfen der Erde und wissen, daß sie von allen die respektabelsten Leute sind. Da hinter den hohen Kreidefelsen wohnt doch das erste Volk der Erde, vornehm, weltklug, tapfer, einig und reich. Wir aber? Eine einzige ihrer Eigenschaften haben wir von alters her: die Tapferkeit. Eine andre gewinnen wir langsam: den Reichtum. Ob wir den Rest jemals bekommen: das ist unsre Lebensfrage.« Ich wunderte mich über das Wort. Aber nachher sprachen auch die alten Afrikaner, die ich kennen lernte, mit großer Hochachtung von den Engländern. Das Wetter war kalt, hell und windig. Wir sahen kleinere Schiffe auf den Wogen auf- und niedergehen; aber unser großes Schiff rührte sich nicht viel, und es waren nur Einige ein wenig seekrank. Ich konnte es nicht ertragen, das lange, lange Deck entlang zu sehn, wie es sich langsam ein wenig hob und dann wieder hinunterging. Es erschien mir so unvernünftig und unglaublich, und es legte sich ein Druck auf den Vorderkopf und auf den Leib. Auch andern ging es so. Aber wenn ich mich dann zusammennahm und mich aufrichtete und hin und her ging und weit übers Meer sah, verging es wieder. Aber als wir aus dem Englischen Kanal heraus und in das Gebiet der Biscaya kamen, da wurde es plötzlich schlimm. Ich stand gerade in Gedanken vor meinem Bett, Behrens neben mir; wir besahen gemeinsam ein Bild seiner Eltern, das sie ihm mitgegeben hatten. In dem Augenblick hob und schob sich ganz plötzlich der Boden schräg unter unsern Füßen, während im gleichen Augenblick ein mächtiges Krachen, Klirren, Fallen und Schreien von überall her kam und wir beide übereinander und über das Bett fielen, und mit Armen und Beinen nach allen Richtungen Hilfe und Stützen suchten. Mühsam kamen wir wieder hoch und griffen nach den eisernen Stangen, welche die Bettstellen trugen, und torkelten, indem nun die andere Seite des Schiffes gewaltig hoch fuhr, gegen die andere Bettreihe; und strebten aus den Bettreihen heraus, als wenn da Rettung wäre. Ich hatte aber erst wenige Schritte gemacht, da war mir zumute wie damals, als ich zwölfjährig die erste Zigarre geraucht hatte. Ein Druck lag mir schwer auf dem Kopf, und mein Magen stieg und stieg zum Hals hinauf. Mein ganzer Mut und all meine Lebenslust war weg, und Angstschweiß tropfte mir von der Stirn. Da ging ich taumelnd und kläglich den Gang wieder zurück und warf mich auf mein Bett. Es war nur gut, daß ich nicht in ein oberes Bett hinauf mußte. Es war eine schlimme Nacht. Wenn ich jetzt, nach zwei Jahren, daran denke, wird mir noch wieder schlimm zumute und ich muß schlucken. Was war das für ein Gespuck und ein Gewürge! Viele jammerten, als ob ihr letzter Tag gekommen wäre. Bloß einer, der ja wohl von der Kinderflasche an Seewasser getrunken hatte, oder auf irgendeine andere Art einen ausgepichten Magen hatte, lachte zuweilen auf, und zwar so heimlich und von Herzen, als wenn unter lauter heulend Verdammten ein Engel lacht, aus seiner schönen und sichern Seligkeit heraus. Als ich gegen Morgen aus schwerem, dumpfem Schlaf erwachte, war es etwas ruhiger. Doch stöhnten noch viele. Der Ausgepichte aber pfiff leise und gemütlich. Da wurde ich zornig und überredete mich und nahm all meinen Willen zusammen und achtete auf das Hin- und Herfallen des Schiffes und dachte: ›Sieh! Hier geht es hin, da geht es hin. Es kann nicht anders. Es muß so. Und alles, was dran und drin ist, muß mit. Es kann nicht anders sein und es ist nichts dagegen zu machen, und daß man sich dagegen auflehnt, ist ein Unsinn. Geh hier hin! So! Kannst du nicht weiter? Dann geh dahin! So! Kannst du nicht weiter? Dann geh wieder nach der andern Seite!‹ So redete ich und wurde munter; und hörte dem Ausgepichten zu und merkte, daß er gut im Takt pfiff, in dem das Schiff hin- und herging. Da merkte ich, daß es besser mit mir wurde, und gleichzeitig, daß eine schreckliche Luft im Raum war. Ich setzte mich bedächtig aufrecht im Bett, dann nahm ich vorsichtig die Füße herunter. Dreimal stellte ich mich auf die Füße, und dreimal setzte ich mich wieder hin. Dann ging ich stolpernd und ganz langsam und vorsichtig, als hätte ich einen Magen von dünnem Glas, und kam glücklich hinaus. Ich tappte mit beiden ausgestreckten Armen nach der Reeling und fiel gegen sie und atmete die frische Luft und starrte dumm und dumpf in den nachtgrauen Morgen. Und da, als ich so stand und auf das Zittern des Schiffes und auf sein schweres Wiegen achtete und auf die großen, schwer aufrauschenden und schäumenden Wogen starrte, hatte ich noch wieder ein besonderes Glück. Ich sah, nicht weit von unserm Schiff, einen mächtigen Segler dahingleiten. Alle seine ungeheuren Segel hoch, lag er schräg vorm Wind, daß ich im grauenden Morgenschein das ganze Deck sehen konnte und den Steuermann im dicken Mantel so recht gemütlich auf dem Skylight sitzen sah, die kurze Pfeife im Mund. Es hob und senkte sich, von der Back bis zum Heck, schwer und machtvoll; aus zwei Fenstern kam heller Lichtschein. So zog es, eine mächtige Erscheinung, wie voll von einer ruhigen, großen Seele, lautlos, schön und mühelos im dunkelgrauen Morgen die dunkle, wilde Meerbahn. Ich habe niemals etwas Schöneres gesehen, von Menschen gemacht. Und ich wurde gesund davon. Es wurde nun Tag für Tag wärmer. Nicht weil der Frühling kam, sondern weil wir immer weiter nach Süden fuhren und die Sonne also immer senkrechter auf uns fiel. Die Sonne strahlte, das Meer war wieder ruhig. Wir waren vormittags sehr fleißig. Es war überm Heck ein Balken aufgestellt, der an seinem oberen Ende eine Scheibe trug; danach schossen wir mit unseren neuen Gewehren. Die Offiziere schossen auch, jeder mit seinem Revolver; und jeder prahlte mit seiner Waffe. Nachmittags saßen wir auf dem Deck umher, reinigten die Gewehre, oder flickten, oder wuschen; und unterhielten uns und sangen dazu. Abends saßen wir im Kreise und erzählten uns Kasernengeschichten aus Kiel, oder es erzählte jeder aus seiner Heimat. Einige Schelme konnten Stücke vortragen, die sie gelernt hatten, oder aus der Luft griffen. Es ging alles auf Hochdeutsch. Sie neckten uns Holsteiner aber, weil wir das »s« so zwischen die Lippen nahmen, als wäre es eine Nadel. Ich freute mich, daß wir Schleswig-Holsteiner an Bord zufällig lauter ordentliche Leute waren. Es gibt ja auch in unserer Provinz kümmerliche Menschen. Wir sprachen natürlich auch viel über die nächste Zukunft und ärgerten uns sehr, wenn wir daran dachten, daß der Aufstand vielleicht niedergeschlagen sein könnte, wenn wir einträfen, und wir also vielleicht gar nicht von Bord kämen. Wir wollten doch wenigstens das Land betreten haben und nachher zu Hause von den afrikanischen Urwäldern, Affenherden und Antilopenrudeln erzählen können und von Strohhütten unter hohen Palmenschatten. Einige spielten immer Skat. Ihr Eifer wurde immer größer; ihre Karten immer schmutziger. Es war ihnen ganz einerlei, was um sie vorging. Ob wir zu ihnen sagten: »Ihr da, da sind fliegende Fische zu sehen! Sie schwenken ein wie Schwadronen!« Oder: »Ein großer englischer Dampfer kommt vorüber!« Oder: »Ihr da, seht mal auf, wie schön die Sonne untergeht: das ganze Meer bis zu ihr hin ist goldgrün, und jede Welle hat einen blauschwarzen Kamm.« Oder: »Wir sehen den Rücken von einem Walfisch!« Oder: »Habt Ihr schon Meerleuchten gesehn? Geht doch mal nach dem Heck und seht, wie die aufbrodelnden Wellen ganz voll von warmem, rotem Feuer sind.« Aber sie sahen nicht auf. Sie schüttelten ärgerlich den Kopf; oder sagten: »Guck Dir das man genau an!« und spielten weiter. Sie spielten um nichts. Es waren ziemlich viele Kleine und ganz Junge unter uns, zwanzig Jahre alt und noch darunter. Ich glaube, von ihnen hatte mancher schweres Heimweh. Und einige von ihnen erschraken, so schien es mir, über alles Neue, das sie sahen. Es war ihnen verwunderlich und fast unheimlich und sie wurden immer stiller. Ich dachte darüber nach: wie wohl diese so Jungen, so Stillen sich machen würden, wenn wir jetzt in einen wirklichen, harten Krieg hineingingen. Wir gingen in einen wirklichen, harten Krieg hinein. Sie haben sich alle gut gemacht. Andere saßen in einer Ecke und übten stundenlang, eine Kapelle zustande zu bringen. Der eine hatte einen Kamm quer vorm Mund, der andere klapperte mit Holzstücken, der dritte pfiff durch die Finger; unsere Spielleute lieferten Flöte und Trommel. Ein kleiner Schlesier war der Hauptmakker. Er war es auch, der an jedem Abend die Lieder anstimmte, die wir zusammen sangen. Und besonders war es ein Lied, das wir sangen, daß es weit und traurig übers Meer klang: ›Nach der Heimat möcht' ich wieder.‹ Wenn ich jetzt im Geist die einzelnen Gesichter sehe, die es damals sangen, wird mir das Herz still, und ich muß die Lippen zusammenpressen. Es wurde immer wärmer und sonniger. Wir kamen in die Höhe der Straße von Gibraltar. Wir zogen die blauen Anzüge aus und zogen die leinenen braunen Khakisachen an. Immer, Tag und Nacht, zitterte das Schiff vom Gang der Maschine, wie der menschliche Körper vom Schlag des Herzens. Gott mag wissen, wie viel mal sie sich gedreht hat. Das Meer war immer gleicherweise sonnig, scheinend weithin. So jagten wir nach dem Süden, immer weiter, Tag und Nacht. Ich wunderte mich, wie groß die Welt war. Eines Tages sah ich auf der großen Karte, welche an der Treppe hing und auf welcher die tägliche Stellung unsres Schiffes bezeichnet war -- wir standen oft in Haufen vor dieser Karte --, daß nun bald die Insel Madeira kommen mußte. Und am andern Morgen schon, in aller Frühe, als ich sofort nach der Back ging, um Ausschau zu halten -- viele standen schon da --: da lag vor uns, nicht mehr fern im Meer, ein buntes Eiland. Es erhoben sich rauhe Felsen breit, wuchtig und kahl, von denen der mittlere alte breite Festungsmauern als schwere Krone trug. Davor aber, vom Strand sanft aufsteigend, breitete und dehnte sich eine ziemlich große Stadt von weißen, plattdachigen Häusern, die sich weiter nach oben hin, rund zu Füßen der alten Feste, in üppigem Grün, in Wäldern und Blumenfeldern verloren. Immer näher kamen wir dem schönen Wunder. Wir standen und staunten und glitten in die Bucht hinein, wie neugierige Kinder dem Bilderbuch näherrücken, bis wir dicht davor waren. Da hörten wir auf das Schreien und Zurufen unter uns und sahen unter uns Böte dicht am Schiff, deren Insassen aussahen wie Italiener, dunkelbraun von Haut und bunt gekleidet. Sie standen aufrecht in Böten und hielten Fruchtkörbe in die Höhe und riefen zu uns hinauf. Wir kauften aber nichts, da wir wußten, daß wir an Land kommen würden. Am Vormittag noch ging ich mit vielen andern die schmale Holztreppe hinunter, die draußen an der Schiffswand hinabgelassen war, und stieg in eins unsrer großen Boote, und wurde an Land gerudert. Wie war alles neu! Und wie war alles bunt! Unser Leutnant hatte uns gewarnt: »Ich will Euch was sagen: Kauft nicht so dumm drauf los! Es ist nicht alles, was bunt ist, schön und echt. Und nehmt Euch mit dem Wein in acht!« Aber es dauerte nicht lange, da standen hier zwei, dort drei, dort fünf und sechs in den weit geöffneten und niederen Läden und kauften für ihre Schwestern und Bräute Blusen und Tücher, alles aus leuchtender Seide in allerschönsten Farben. Und sie riefen mich an und sagten: »Du mußt doch auch ein Andenken mitbringen, Moor. Vielleicht ist der Aufstand vorbei, wenn wir in Swakopmund ankommen und wir kommen gar nicht an Land. Wenn Du dann nachher zu Hause sagst, Du wärst auch mit gewesen und hast nichts aufzuweisen, glaubt es Dir keiner.« Da schien mir richtig, was sie sagten, und ich ging hinein und kaufte zwei kleine seidene Halstücher für die beiden ältesten Schwestern; denn einen Schatz hatte ich nicht, und meine Mutter würde so Buntes niemals anlegen. Als wir endlich wieder heraus kamen, ging gerade der Leutnant vorüber, der vorhin so großartig von »Ich warne Euch« geredet hatte und hatte auch schon ein Paket in der Hand und ich mußte ein wenig lachen und er lachte auch. Es war überhaupt, als wenn wir alle, sobald wir das Land betreten hatten, von lieblichem Wein trunken waren: so schön hell und weich schien die Sonne und so prächtig glänzte alles in Farben und so fröhlich waren die Menschen. Ich dachte: ›Mach Deine Augen auf, daß Du jetzt etwas siehst; wer weiß, ob Du noch einmal im Leben wieder unterwegs kommst.‹ Ich ging durch mehrere Straßen und wunderte mich über alles, was ich sah, so über das langohrige Pferd, das vor seinem Karren ging, und erkannte plötzlich, daß es ein Maultier war, das ich zuweilen auf Bildern gesehen hatte. Ich besah die fremden Worte auf den Schildern der Läden und merkte mir am Inhalt des Ladens einige Worte. Ich sah nach den Frauen in bunten Kopf- und Schultertüchern und nach den Männern, die breite Schärpen um den Leib trugen; wunderte mich über den Stolz um den Mund und das dunkle Feuer im Auge. Ein Soldat kam langsam des Weges, ein schöner Mensch, aber in schlampiger Uniform. Er legte die Hand an die Mütze und sah mich freundlich an; da grüßte ich ihn ebenso. Nachdem ich so eine Weile allein gegangen war, kam ich wieder an den Strand und fand einige Kameraden in einer offnen Weinstube sitzen, dicht an der Straße, fast auf dem Bürgergang. Sie saßen um kleine Tische und schrieben eifrig Ansichtspostkarten und tranken dabei aus kleinen Gläsern. Ich setzte mich zu ihnen, winkte und bekam auch ein Glas und schrieb auch eine Karte an meine Eltern. Ich wollte auch noch an meinen Onkel in Hamburg schreiben, aber ich kam nicht dazu. Ich mußte immer um mich sehn. Meine Mutter hat mich oft gescholten, daß ich so neugierig sei und in ihrem Nähtisch jedes Schubfach und jede Schachtel öffnete. Aber als sie es einst meinem Lehrer klagte, lachte er und sagte: »Das ist Lernbegierde.« Nach einiger Zeit kamen einige der Unsrigen vorüber, die sangen und waren laut und wankten ein wenig. Da drängte ich die andern, daß wir weiter gingen. Der Wirt, in roter Weste und Hemdärmeln, konnte sicher kein einzig deutsches Wort sonst, aber die Namen der deutschen Geldstücke kannte er. Als ich den Leutnant am Kai stehen sah, war ich neugierig, ob er sich zu seinem schönen Tuch auch schönen Wein gekauft hatte; aber als ich ihm nahekam, sah ich, daß seine Augen nur trunken waren von all dem Schönen und Bunten und Freundlichen, das er gesehen hatte. Noch einen ganzen Tag lang, als wir schon wieder auf dem Meer schwammen, sah ich in träumender Seele schöne Menschen auf bunten, sonnigen Straßen gehn, dahinter erhoben sich weiche Hügel in schöner, frischer Fruchtbarkeit. Am dritten Morgen hiernach stand ich ziemlich früh an der Reeling und wartete auf den Dienst und sah so in Gedanken verloren übers Wasser, ob ich wohl etwa in der Ferne eine der Kanarischen Inseln entdecken könnte, in deren Nähe wir nun waren. Es schien mir aber ziemlich zwecklos; denn es war noch nebelig. Da sah Behrens, der neben mir stand, so von ungefähr nach dem Himmel auf und sagte: »Sieh mal, was für eine merkwürdige weiße Wolke da!« Ich sah auf und sah, ganz oben am Himmel, eine schwere, stillstehende, schneeweiße Wolke, von einem sanften Glanz, wie weißes Vogelgefieder, und stand noch und sah und dachte: ›Was ist das für eine merkwürdige Wolke.‹ Da kam Gehlsen nach vorne gelaufen, flink wie er war, und sagte in seiner raschen, kühnen Art: »Siehst Du schon? Dort? Siehst Du? Das ist der Berg von Teneriffa. Aus dem Meer steigt er auf, zu solcher Höhe, und sein Kopf ist mitten im Sonnenbrand weiß von Schnee.« Da erschrak ich, daß ich zitterte. So ergriff mich das Wunder, das Gott hier mitten ins weite Wasser und unter die brennende Sonne gestellt hatte. Sie standen alle und sahen hinauf. Einige redeten laut; aber viele sahen still hinauf. Und sahen, wie die Nebel da oben in der ungeheuren Höhe zur Seite glitten, und die glatten, schrecklich steilen Felsen sichtbar wurden, die wie alte, ungeheure Festungsmauern sich auftürmten, eine auf die andre. Und auf der obersten, breiten, zerfallenen Mauer lag der ewige Schnee. Langsam glitten wir an seinem steinernen Fuß dahin. Es ging immer weiter, Tag und Nacht, immer nach Süden. Es ist ein Wunder, wie groß die Welt ist. Wie leicht und rasch gleitet auf der Landkarte die Hand von Hamburg nach Swakopmund; aber wie arbeitet die Maschine hastig, eintönig, dumpf, fleißig, unermüdet, durch Tag und Nacht, über drei Wochen lang. Was haben die Menschen doch für Kraft in sich und harten Willen, daß sie so in die Ferne fahren und dort leben, handeln, forschen und herrschen wollen. Wir übten vormittags fleißig. Es knallte stundenlang; es wurde auch ein wenig exerziert. Die Stimmung war immer sehr gut. Wir steuerten südöstlich, der afrikanischen Küste zu. Wir sollten hier unterwegs siebzig Neger an Bord nehmen, wie die meisten Schiffe tun, die nach Swakopmund hinunterfahren. Diese siebzig Neger sind unterwegs Trimmer, Heizer und Helfer aller Art und da unten Schauerleute, laden ein und aus, und fahren nachher wieder mit dem Schiff zurück und werden an ihrer Küste wieder an Land gesetzt. Am siebenten Tag nach Teneriffa sahen wir die Küste von Afrika aufsteigen. Sie war ganz so, wie wir sie uns gedacht hatten: liebliche Hütten unter Palmen, viele hohe und schöne Bäume an sanft aufsteigenden grünen Hügeln und es wimmelte von Menschen. Daß sie schwarz waren, konnten wir noch nicht sehen. Als wir nicht mehr fern waren, kam Gehlsen zu mir und erzählte mir, daß die Väter und Großväter dieser Neger einst Sklaven in Nordamerika gewesen wären. Die dortige Regierung hatte sie wieder hierher in ihre Heimat zurück geführt und hilft ihnen bis heute, daß sie freie Republikaner sind. Als er mir das erzählt hatte, ging er nach vorn, um besser zu sehen; denn wir kamen nun schon dicht heran. Ich aber ging noch rasch nach unserm Schlafraum um eine Karte zu schreiben; denn es ging Post an Land. Als ich so saß und schrieb, ganz in Gedanken, kam von draußen ein Wundern und Schreien und dummes Gekreische, und ein Schleifen, und Rutschen, und Gleiten, daß ich aufsprang und hinausging. Da erschrak ich und staunte mit offenem Munde. Denn über beide Borde kam es, mit Katzenschleichen und Schlangengleiten, schwarz und lang und halbnackt, mit großen entblößten Gebissen, mit lachenden wilden Menschenaugen, ältere und jüngere, und kleine Jungen, um Brust und Leib ein wenig buntes Zeug, mit Säcken und Töpfen und Kisten. Sie liefen schwatzend und lachend über Deck ganz unbekümmert um unser Staunen und verkrochen sich unter Deck und richteten sich ein. Wir lagen nur einige Stunden dort. Dann ging die Fahrt weiter, Tag für Tag und die ganzen hellen Nächte hindurch. An einem dieser Tage machte ich mich an den dritten Maschinisten, der ein Eckernförder war, sagte ihm, daß ich ein gelernter Schlosser wäre und bat ihn, mich in den Maschinenraum mitzunehmen. Wir kamen durch viele Gänge und Räume, die ich noch nicht kannte; stiegen kurze eiserne Treppen hinunter, die ich noch nicht gesehen hatte, immer tiefer und tiefer. Immer stärker stieß und schütterte es unter meinen Füßen, immer näher hörte ich das wuchtige Gleiten schwerer Wellen und Kolben. Dann öffnete er eine eiserne Tür und ich stand in der Maschine. Die größte Maschine, die ich bisher gesehen hatte, war die in einer Hamburger Bierbrauerei. Diese war fünfmal so groß. Die Kurbeln waren so lang und breit wie der Körper eines zehnjährigen Jungen, massiv von Eisen. Sie schwangen sich leicht und sicher im Kreise und die beiden mächtigen Wellen, an deren Ende draußen die Schrauben sind, stark wie zwanzigjährige Lindenstämme, drehten sich fleißig. Ein Mann von mittleren Jahren, ziemlich fett und ölig, den ich noch nie gesehen hatte, obgleich ich nun schon drei Wochen lang mit ihm auf demselben Schiff wohnte, stand ruhig in all dem Auf und Ab und dem Hin- und Herspiel auf der durchlöcherten eisernen Plattform, die heftig zitterte, und sah so gleichmütig um sich, wie ein Bauer im Viehstall über seine wiederkäuenden Tiere schaut. Ich ging auch vorsichtig die Plattform entlang und eine Treppe hinunter durch ein offenes Schott nach dem rötlichbraunen eisernen Heizraum, in dem zwischen Steinkohlen und eisernen Schiebern und zischenden Hähnen halbnackte Leute vor den Kesseln standen, unter denen die mächtigen Feuer glühten. Ich sah alles rasch und scharf an und wäre gern noch länger geblieben, aber ich schämte mich, den im heißen Raum schwer Arbeitenden untätig zuzusehen. In meiner freien Zeit stand ich oft bei den Schwarzen und beobachtete sie, wie sie friedlich beieinander saßen und in gurgelnden Tönen miteinander schwatzten und wie sie um die großen Eßtöpfe hockten, mit den Fingern eine Unmenge Reis zum Munde führten, und mit ihren großen knarrenden Tiergebissen Beine, Gekröse und Eingeweide ungereinigt fraßen; es schien ihnen gar nicht drauf anzukommen, etwas Schmackhaftes zu essen, sondern nur, ihren Bauch zu füllen. Und es schien mir, daß es so stand, nämlich, daß die Leute von Madeira zwar Fremde für uns sind, aber wie Vettern, die man selten sieht, daß diese Schwarzen aber ganz, ganz anders sind als wir. Mir schien, als wenn zwischen uns und ihnen gar kein Verständnis und Verhältnis des Herzens möglich wäre. Es müßte lauter Mißverständnisse geben. Wie von Anbeginn der Fahrt redeten wir viel von unsern Erwartungen, von den Palmen und Affen, die wir sehen würden und von den bunten Tierfellen und Vögeln und schönem Flechtwerk, das wir mit nach Hause nehmen wollten. Wir sprachen auch wieder von der Furcht, daß der Aufstand zu Ende sein könnte, wenn wir ankämen. Es wurde auch viel darüber gescherzt, daß wir dem Äquator näher kämen. Die ein wenig unbeholfen oder träumerisch waren, wurden geneckt, sie sollten aufpassen, daß sie den Strich auf dem Meer sehen könnten und sollten sich gut festhalten, wenn es nun bergab ginge, und dergleichen mehr. Ich nahm an diesen Neckereien nicht teil, da ich gar nicht dazu veranlagt bin; auch taten mir die leid, auf die sie zielten. Die waren nämlich lange nicht die Dummen. Sondern oft waren die, welche neckten, die Dummen und Gedankenlosen; sie hatten nur ein großes Maulwerk. Darum zog ich gern ihren Spott von jenen auf mich, indem ich mich dumm stellte. Wenn ich dann wollte, schüttelte ich die Hunde leicht wieder ab und lachte inwendig über ihr Bellen und Beißen. Gegen Abend fingen wir an zu singen, und am liebsten und meisten sangen wir von dem bekannten Liede den dritten Vers, und es klang schön über das abendliche Meer: »Doch mein Schicksal will es nimmer, Durch die Welt ich wandern muß. Trautes Heim, dein denk' ich immer.« ... Die Nacht war in dem engen Raum sehr heiß, ja fast unerträglich. Einige schalten; aber die Vernünftigen sahen ein, daß es nicht anders sein könnte. Wenn man einmal erwachte, war es fast unmöglich wieder einzuschlafen. Einmal, als ich so schlaflos und unruhig lag, schien mir, als wenn der kleine Schlesier, der, welcher so gern und so fröhlich sang -- er lag rechts neben mir --, heiß und kurz aufschluchzte. Als ich ihn fragte, was los war, schwieg er erst. Dann sagte er mit leiser, ruhiger Stimme: »Dies Fahren wird langweilig, meinst Du nicht auch? Immer, Tag für Tag, ich weiß nicht wie viele Meilen ... es ist ja gar nicht möglich, daß wir einen so weiten Weg wieder zurückfinden.« Dann lag er wieder still. Am siebenten Tage, nachdem die Neger über die Reeling geglitten waren, an einem Morgen, sagte uns ein Matrose, daß wir Swakopmund heute noch erreichen würden. Da standen wir stundenlang vorn an Backbord und sahen hinüber; aber ein Nebel verbarg uns die Küste. Gegen Mittag aber wich der Nebel und wir sahen am Himmelsrand einige große Dampfer liegen, und dahinter einen endlosen Streifen rötlichweißer Sanddüne aus dem Meer herausragen. Auf Meer und Dünen brannte grelle Sonne. Wir meinten erst, es wäre eine Barre, die vor dem Land läge, damit die schöne und große Stadt Swakopmund und die Palmen und Löwen nicht nasse Füße bekämen; aber bald, da der Nebel sich vollends verzog, sahen wir in der flimmernden Luft auf dem kahlen Sande weiße Häuser und lange Baracken stehen und einen Leuchtturm. Da standen alle und staunten und sprachen ihre Meinung aus. Viele sahen still und ernst nach dem ungastlichen, öden Lande; andere spotteten und sagten: »Eines solchen Landes wegen so weit fahren!« Wir wurden an diesem Tage nicht ausgebootet. Einige sagten, wir kämen überhaupt nicht an Land, da der Aufstand schon niedergeschlagen wäre, andere sagten, die Sache würde noch sehr lange dauern. Es war eine große Unruhe und viel Hin- und Herreden unter uns. Zwischen dem Kanonenboot Habicht und uns wurden eifrige Flaggenzeichen gegeben bis an den Abend. So lagen wir, in ziemlich starkem Wellengang schaukelnd, diese Nacht vor Swakopmund. [Illustration] IV Am andern Morgen in aller Frühe stiegen wir der Reihe nach, den Tornister mit der weißen Schlafdecke auf dem Rücken, das Gewehr über der Schulter, den Patronengurt um den Leib, daran den Wassersack, den braunen Brotbeutel am Riemen, die Feldflasche daran, über die Reeling und kletterten die Strickleiter hinab nach dem sehr großen, flachen Boot, das in den starken Wellen wohl sieben Meter auf und nieder fuhr. Man mußte sehn, daß man zu rechter Zeit, nämlich, wenn das Boot oben auf einer Welle war, die Strickleiter los ließ; aber, obgleich ich es ganz richtig machte, fiel ich doch schwer gegen die Wandung. Als die Boote zwanzig bis dreißig Mann aufgenommen hatten, spannte sich ein kleiner flacher Dampfer davor und schleppte uns dem Lande zu. Je näher wir dem Strande kamen, desto unruhiger wurde das Wasser. Das Boot warf sich immer heftiger und unruhiger durch die wühlenden, springenden Wassermassen. Wir lagen oft tief zwischen zwei hochlaufenden Wellenbergen und sahen von dem Dampfer vor uns nichts. Im nächsten Augenblick waren wir oben und meinten, wir würden herunterschlagen. Zuletzt fuhren wir durch lauter Gischt und Schaum, der hoch rund um uns aufsprang und seine Spritzer übers Boot warf und uns ganz und gar durchnäßte. Das Boot wurde eine Zeitlang in dem Gewirr der kurzen, schweren, sich überschlagenden Wogen hin und her, auf und nieder gestoßen, daß ich dachte, es müßte ineinander fallen. Viele wurden von plötzlicher und heftiger Seekrankheit befallen und lagen totenbleich an den Planken. Aber nach einer Weile waren wir hindurch, und kamen in flaches, ruhiges Wasser und stiegen an Land. Durch den unendlich tiefen und heißen Sand, unter brennender Sonne, ungefähr sechzig Pfund auf den Schultern zogen wir landeinwärts. Wir hatten gedacht, daß ganz Swakopmund am Strand stehen würde, überglücklich, daß endlich Hilfe käme; aber es war kein einziger Mensch da. Wir kamen an einzelnen Häusern vorüber, die da im kahlen Sande standen, aber es zeigte sich kein Mensch, der uns einen freundlichen Gruß bot. Wo wir näher oder ferner im Schatten einer Veranda einen Menschen zu Gesicht bekamen, schien es uns, daß er uns gleichmütig und fast spöttisch zusah. Hinter uns hörten wir das schwere Tosen der Brandung -- es klang uns fast schon lieblich --, rund um uns, so weit wir sehen konnten, war nichts als dürrer, heißer Sand, auf den die Sonne mit grellem Flimmern brannte. Die Augen zogen sich zusammen; ein heißes, trockenes Gefühl zog die Kehle herunter. Wir waren ziemlich still. Wir erreichten den weiten, sandigen Bahnhof und sahen mißtrauisch und verwundert auf unsern Zug, der mit Rattern und Knattern vorfuhr. Er bestand aus einer endlosen Reihe von kleinen rohen Sandwagen; davor waren fünf oder sieben ganz kleine Maschinen gespannt. Wir wurden auf die Wagen verteilt und stiegen ein. Dann ging es langsam mit Fauchen und Stoßen und Klappern hinein ins Land. Es ging immer bergan, Stunde auf Stunde. Soweit wir zu beiden Seiten und nach vorne sahen, war nichts da als weißgelbe Sanddünen, die zuweilen machtvoll emporstiegen. Wir standen und hockten und saßen dicht gedrückt in den kleinen offenen Wagen. Von der drückenden Hitze immer durstig, waren wir eifrig und sorglos bei unsern Wassersäcken. Wir waren noch so sorglos, daß wir den Kaffee, den wir uns in Swakopmund auf dem Bahnhof gebraut hatten, weggossen, als wir schmeckten, daß er sauer wurde. Ein- oder zweimal wurde gehalten, damit wir die lahm gestandenen oder gesessenen Beine ein wenig vertraten. Am Spätnachmittag wurde an einer Stelle die Steigung so stark, daß der Zug in drei Teile geteilt wurde, damit er so stückweise auf die mächtige Höhe käme. Da wir alle Mann nachschoben, kam er glücklich hinauf. Dann ging es wieder etwas rascher weiter, immer durch gelbe Sanddünen, immer weiter bergan. Abends erreichten wir die Höhe. Hinter uns lief der abfallende gelbe Sandweg bis zum Meer, das fünfzig Kilometer zurück, unten in der Ferne lag. Dicht vor uns stand ein ungeheures, schrecklich wildes Gebirge. Ich hatte niemals ein Gebirge gesehen. Aber nicht allein ich und die andern Norddeutschen, sondern auch die Bayern staunten. Ganz nah vor uns, und fern und ferner ragten ungeheure nackte Felsen zum blauen Himmel empor. Einige waren von der Abendsonne beschienen und leuchteten hell und hart; andere, der Sonne abgewandt, drohten finster und fürchterlich, oft dicht über uns. Hier und da hatten alte ungeheure Mächte gewaltet, Stücke vom Felsen abgeschlagen und in die Tiefe gestürzt, andere Stücke, schon angerillt, hingen in ungeheurer Höhe, als ob sie jeden Augenblick abstürzen wollten. Kleine Mächte konnten auch hier nicht existieren. Wir sahen keinen Strauch, nicht einmal einen Grashalm, und kein Tier. Nur wir Menschen rollten auf unsern knarrenden Wägelein, drollig anzusehn, durch das ungeheure tote Wunderwerk. Wir hielten an einer kleinen Station, einem kahlen Wellblechhaus, und kochten uns Kaffee und Reis. Als wir wieder aufstiegen, wurde uns befohlen, den Mündungsdeckel von unsern Gewehren abzunehmen und zu laden. Ich tat es mit einem wunderlich unbehaglichen Gefühl. Dann ging es mit lautem Getöse, das häßlich und hart widerhallte, in die helle graue Nacht hinein. Es ging immer in einem tiefen, schmalen Tal entlang; zu beiden Seiten stiegen hohe Felsen empor. Viele von uns kauerten schlaftrunken, andere standen, andere saßen auf dem Wagenrand; jeder hatte seine weiße Wolldecke um sich gelegt. Wir sagten nicht viel. Viele waren wohl mit ihren Gedanken zu Hause, oder sahen sich heimkommen und von allen geschauten Wundern fröhlich erzählen. Viele dachten wohl, wie der Feind von jedem Felsen herab auf unser Knäuel von Menschen schießen könnte, während wir, fast wehrlos, langsam vorüberfuhren. So brüteten wir müde und hungrig und an den Gliedern zerschlagen. Am weiten, klaren Himmel standen auf hellem blauen Grunde unzählige goldblinkende Sterne. Das war wohl ein schönes, erhabenes Bild. Doch war es nicht so schön, weder so mächtig, noch so ruhevoll, wie in der Heimat. Wir fuhren die ganze Nacht hindurch. Die Nacht war unfreundlich kalt. Wir fuhren auch noch den größten Teil des andern Tages, der wieder sehr heiß und sonnig war, in den Tälern des schrecklichen, kahlen Gebirges. Da wir meinten, daß wir unsere Wassersäcke an einer der nächsten Stationen wieder füllen könnten, tranken wir, bis sie leer waren. Als wir aber dann am Mittag wirklich an einer Station hielten und die Maschine Wasser bekam und wir uns auch nehmen durften, konnten wir es nicht trinken, weil es widerlich salzig war. Zu der Zeit war uns auch das Brot ausgegangen. Wir kochten von unserm Reis eine Handvoll halb gar und aßen es. Die Geschirre wischten wir ein wenig mit Sand aus. Dann ging es weiter. Mancher griff zu den eisernen Portionen, die er im Tornister hatte, obgleich verboten war, davon zu nehmen. Aber viel schlimmer als der Hunger war der Durst. Wir hatten keine Feuchtigkeit im Munde, die Lippen ein wenig naß zu machen. Dürr und heiß ging der Atemzug durch die Mundhöhle. Brandige Trocknis stieg wie mit Sporen und Stacheln immer tiefer in den Hals hinab. Am Nachmittag kamen wir endlich aus dem Gebirge heraus und kamen auf eine weite Ebene. Wir machten sehr lange Hälse, als wir herauskamen. Wir meinten, nun endlich, nun wir zuerst die aufsteigenden Dünen, dann das wilde Gebirge hinter uns hatten, müßten die wunderschönen Palmenhaine kommen. Aber was wir sahen, war eine weite, weite Hochebene von rötlichgelber Erde, dürftig bestanden mit grobem, gelblichem, trockenem Grase, das kniehoch wie dünner Roggen wehte. In dem Grase standen verstreut, bald lichter, bald dichter, feste, dornige Büsche, anfangs nur mannshoch, dann drei und vier Meter hoch. Sie standen zuletzt so dicht, daß sie mit den Kronen aneinander stießen. In der Ferne sah man aus dieser weiten, weiten Ebene, hier und da, plötzlich einzelne hohe Bergkegel steil aufsteigen. Einmal, zweimal sahen wir vor uns, in weiter, weiter Ferne, ein wenig über der Ebene, in der heißen, zitternden Luft flimmernd, das, was wir zu sehen begehrten: hohe, fruchtbare Bäume und blaue Flächen wie Wasserteiche. Aber sie verschwanden wieder und waren Nebelbilder. Obgleich wir mit dem, was wir sahen, lange nicht zufrieden waren, wurde unsere Stimmung doch etwas besser. Es gab immer etwas zu sehn. Ein fremdes rehartiges Tier jagte in Rudeln durch das lange, wogende, gelbliche Gras; ein unbekannter bunter Vogel, papageienartig, flog auf. Die runden, spitzen Bergkegel standen scharf in der Sonne; genau sah man an ihrem Abhang und zu ihren Füßen klippige Felsenhaufen, welche von ihren Höhen hinabgestürzt waren. Je weiter wir kamen, wurden Gras und Buschwerk ein wenig saftiger, und das Bild ein wenig freundlicher. Alles, was wir sahen, das Nahe und Ferne, stand scharf in der wunderbar klaren Luft. Wir waren ein wenig muntrer geworden, trotz unseres Durstes; da kamen wir zu der ersten Haltestelle, welche die Schwarzen zerstört hatten. Sie hatten das bescheidene Haus ausgebrannt, das Wellblechdach heruntergerissen, den kleinen Hausrat zerschlagen, den Rest mitgenommen. In dem schmalen, dürftigen Garten, dem man noch ansah, mit welcher Mühe deutsche Hände ihn in dem dünnen Erdreich gepflegt hatten, lag ein Haufe weißer Steine. Darunter lag, einen Meter tief in dem dürren Land verscharrt, der Streckenwärter mit seiner Frau, von den Schwarzen überfallen und erschlagen. Die fünf oder sechs Matrosen vom Habicht, welche die Haltestelle zurzeit besetzt hielten, hatten aus Kistenholz ein Kreuz zusammengenagelt und mit stumpfer Bleifeder die Namen der Erschlagenen drauf geschrieben und darunter: Fielen von Mörderhand. Die Fensteröffnungen hatten sie mit blechernen Zementfässern und mit Säcken voll Sand verschanzt. Die Matrosen waren sehr ernst und still. Ihre Uniform war schmutzig und ganz zerschlissen. Einer trat an den Wagen heran, in welchem ich saß, und sagte: »Ihr werdet noch viel Arbeit bekommen. Wir sind seit drei Wochen nicht aus den Kleidern gekommen.« Ich sagte: »Wir wissen wenig. Wie steht es?« »Wie es steht?« sagte er. »Wir haben schwere Verluste gehabt.« »Tote?« sagte einer von uns. »Tote?« sagte der Matrose verwundert. »Wir haben in den letzten Wochen wieder über vierzig Tote. Sie schießen gut und mit guten Gewehren, nämlich mit denen, die wir ihnen verkauft haben, oder die sie unseren Magazinen oder unseren Toten abgenommen haben.« »So! so!« sagten wir. »Ich will Euch wünschen,« sagte er, »daß Ihr alle wieder zu Muttern kommt.« Die Tagfahrt war wieder lang und durstig; und die Glieder waren ganz zerschlagen. Gegen Abend kamen wir an einen größeren Bahnhof und schliefen in einer Baracke aus Wellblech an der Erde, in unsere Decken gewickelt, den Tornister unter dem Kopf. Als ich am frühen Morgen, bevor der Tag graute, erwachte und mein Nebenmann, ein kleiner, stiller Thüringer, es merkte, sagte er leise zu mir: »Ich weiß nicht, was das werden soll, wenn ich nicht wieder nach Hause komme. Ich bin der Älteste und habe fünf Geschwister, und mein Vater ist kränklich; wenn der Alte stirbt, muß ich zu Hause sein und für alle sorgen.« Ich sagte: »Du wirst wohl wieder heim kommen.« »Das muß ich,« sagte er. Dann lag er still. Als ich den Kopf ein wenig zur Seite wandte, sah er mit scharfen Augen nach oben. Ich glaube, daß er das Wellblechhaus, gegen das er blickte, gar nicht sah, sondern er sah Stube und Stall seines Elternhauses. Als ich an diesem Morgen von ungefähr um das Bahnhofsgebäude herumging, sah ich die ersten Feinde, einen Gefangenen und sein Weib. Er war ein langer Mann von starkem und stolzem Körper, halbnackt, mit einem gedankenlosen, gleichgültigen Ausdruck in dem ruhigen und finsteren Gesicht. Das Weib war ältlich und sehr häßlich. Am andern Mittag ging die Fahrt weiter, immer weiter durch das ebene Land, das nur etwas fruchtbarer war und etwas dichter mit dem gelben, langen Gras und den Büschen, und nun auch einzelnen Bäumen, besetzt war; aber es war doch alles graugrün und dürr. Die Haltestellen, an denen wir vorüberkamen, waren fast alle zerstört, neben mancher lag ein Haufe weißer Steine, welcher ein Grab bedeutete. Mitten in der nächsten Nacht kamen wir an ein großes Bahnhofsgebäude, dessen Fenster bis zu Schießscharten vermauert waren. In drei, vier Wellblechschuppen war viel Proviant aufgehäuft. Im viereckigen Hof einer Feste, die da war, bekamen wir endlich eine ordentliche Mahlzeit, nämlich Erbsensuppe mit Fleisch und Reis. Am andern, dem vierten und letzten Tag der Fahrt, wurde das Land noch fruchtbarer und freundlicher. In der Nähe und Ferne standen zuweilen, in hohem Gras oder Buschwerk, in Gruppen starke Bäume, die wie Eichen aussahen. Dazwischen lief ein breiter Streifen gelben Sandes, das ausgetrocknete Bett eines Flusses. Da waren im Dezember vorigen Jahres, drei Tage lang, Wellen entlang getanzt; man sah noch im Sande ihre Sprünge; aber nun war und blieb es auf ein Jahr, vielleicht auf drei, ganz und gar trocken. So waren alle Flüsse im Lande, die wir getroffen haben: Sandstreifen waren sie, einen oder einen halben Meter niedriger als die Ebene. Mir gefiel diese Landschaft, durch die wir an diesem vierten Tag fuhren, ziemlich gut. Eine kleine und größere Art von Antilopen, Rehen ähnlich, liefen zuweilen allein oder in Rudeln, behende über die Blößen im Busch. Fremdartige Vögel, etwas größer als Rebhühner, grau und weiß gesprenkelt, flogen über die Büsche hin und ließen sich nieder. Baumgruppen standen stattlich und schön in dem weichen Grün; von fern schauten grüne Bergabhänge nicht unfreundlich herüber. Aber meine Kameraden mochten das Land nicht leiden; ich glaube, es war ihnen nicht fremdartig, nicht wunderbar genug. Sie wollten, daß Afrika ganz, ganz anders aussähe als die Heimat. Am Nachmittag kamen wir in der Hauptstadt an. Sie ist eine kleine Stadt, sehr weitläufig und ganz unregelmäßig gebaut. Hier und da zerstreut stehn ihre plattdachigen, weißen Häuser auf sandiger, grauer Erde; dazwischen stehn vereinzelt dürftige Bäume. Wir keuchten in voller Bepackung durch Sand und Sonne zu der Feste hinauf, die auf einem mäßigen Hügel lag. Im Hof der Feste, der voll von buntem Leben war, traten wir auseinander. Was war das für ein Leben, das nun anging! Wir hatten vier Tage lang die Kleider nicht ausgehabt und uns nicht gewaschen. Wir hatten auch drei Tage lang keinen tüchtigen Schluck Wasser getan. Nun waren da Hähne an der Mauer des Hofes, aus denen warmes, fast heißes Wasser lief, das aus dem Berg kam. Wie rasch warfen wir unsere Kleider ab! Und wie fröhlich wuschen und spülten wir uns! Und wie rasch vergaßen wir Durst und Schmutz! Und wie neugierig sahen wir uns um! Es gingen da Schutztruppler in ihrer Korduniform, braunsamtener Rock und Pluderhose und Reiterstiefel. Dazu grauer Schlapphut. Sie waren meist schon jahrelang in diesem Lande. Krank oder verwundet, oder bestimmt, uns als Landeskundige an den Feind zu begleiten, gingen sie mit Muße oder geschäftig hin und her. Diese redeten wir an, während wir uns wuschen, und fragten sie, wie es mit der Sache stände. Sie waren etwas steif, wie alte Feldsoldaten immer sind, besonders, wenn man dumm drauf los fragt, wie einige von uns taten. Als ich aber einen von ihnen, einen Sergeanten, mit Respekt und Verstand anredete, erzählte er von der Grausamkeit der Feinde gegen die Farmer, von den schweren Verlusten in den letzten Gefechten, von der Stellung der Feinde. Da traten viele von uns hinzu. Der Sergeant hieß Hansen und war ein Hamburger. Es waren aber auf dem Hofe der Feste auch Weiber von den Feinden, von denen einige jung und nicht unschön waren, die meisten aber welk und häßlich. Sie holten sich Wäsche von den Soldaten und lungerten herum, schmutzig, eine kleine Pfeife im Munde. Es gefiel mir nicht, daß einige von uns sofort an sie herantraten und durch Gebärde und einige englische oder plattdeutsch-holländische Worte mit ihnen scherzten. Es waren auch Buren auf dem Hof, stattliche braune, langbärtige Männer in Kord- oder Khakiuniform. Die deutsche Regierung hatte sie als Frachtfahrer angenommen. Mächtige, vierräderige Wagen, sogenannte Kapwagen, mit einer Leinwandplane überdeckt, standen draußen vor dem Hof. Diese Wagen sollten morgen mit uns ausziehen und uns Proviant und Futter in die Wildnis schleppen. Wir schliefen in dieser Nacht auf dem Hof der Feste. Vor dem Einschlafen dachte ich lange an die Eltern und an Itzehoe und an mein bisheriges Leben. Es fiel mir dabei ein, daß ich wohl länger als ein ganzes Jahr nicht gebetet hatte und ich beschloß, daß ich wieder damit anfangen wollte. [Illustration] V Am andern Morgen, als es noch dunkel war, brachen wir auf. Wir sollten in einem großen Bogen nach Nordost den Feind umgehn, daß er nicht samt all seinen Viehherden, eigenen und gestohlenen, nach Osten hin ins englische Gebiet entliefe. Es marschierte vorläufig nur etwa eine Kompanie mit vier kleinen Kanonen; die andern sollten in einigen Tagen nachkommen. Voran zogen unsre Führer, die Schutztruppler, auf ziemlich guten, zottigen Pferden, das Gewehr im Lederschuh rechts auf dem Bein. Es waren meist alte Afrikaner, Farmer, die als Landwehrmänner zur Fahne gerufen waren. Dann ritt der Hauptmann mit den Offizieren. Dann kam die lange Reihe der Wagen und der Geschütze. Schwerfällig, von den langen Ochsenreihen gezogen, rumpelten die großen Wagen dahin. Bald mahlten die hohen, schweren Räder im tiefen Sand; bald kletterte ein Rad über einen in der Spur liegenden Stein; in allen Teilen krachend und knirschend fiel der Wagen wieder in seine Lage. Schwarze Treiber liefen neben her, schrien jeden Ochsen mit Namen an und klatschten mit der ungeheuren Peitsche, die sie mit beiden Händen angefaßt hatten. Hinter jedem Wagen, der mit seinem Gespann wohl fünfzig Meter lang war, marschierte eine Sektion in Staub und Sand, möglichst eben außerhalb der Wagenspur, das Gewehr über die Schulter gehängt, den Patronengurt um den Leib. Einzelne Reiter, Offiziere, zogen hier und da neben uns her. Zuletzt kam die sogenannte Nachspitze, ein halber Zug. Das Gelände war meistens mit mannshohem Busch bestanden, der bald lichter, bald dichter war. So zogen wir in unendlich langem Zug auf einem Weg dahin, der durch nichts als durch alte und neue Wagenspuren bezeichnet wurde. Bald stockte hier ein Wagen, weil das Geschirr der Ochsen in Unordnung gekommen war, bald da, weil ein Rad zu tief in ein Loch gefallen war, bald da, weil ein Ochse schlapp wurde und ausgespannt werden mußte. Die Sonne glühte gleich an diesem ersten Tag trocken und heiß. Der Weg war ziemlich hügelig. Dazu voll von großen Unebenheiten. Um elf Uhr, als die Hitze unerträglich wurde, kamen wir zum Glück an einen schönen schattigen Platz und machten da Rast. Unfern davon war ein schönes stattliches Farmhaus von den Schwarzen ganz und gar zerstört worden: die Fenster waren herausgerissen, die Stuben ausgebrannt; die schweren, sauber gearbeiteten Möbel lagen zerschlagen durcheinander; viele Bücher lagen verschmutzt und zerrissen umher. Wir kochten uns, jede Backschaft für sich, ein wenig Reis zu Mittag und legten uns dann zur Rast in den Schatten der Wagen. Am Nachmittag zogen wir weiter bis in den späten Abend hinein. In einer Lichtung machten wir dann ein Lager und befestigten es, indem wir die Wagen im Viereck rund um uns aufstellten. Dazu machten wir noch ungefähr fünfzig Meter außerhalb der Wagen, an allen vier Himmelsrichtungen, je einen kleinen Dornverhau, der mit seiner halbmondförmigen Rundung nach draußen wies, und legten in jeden einen Unteroffizier und drei Mann hinein. Der Unteroffizier mußte in der Mitte des Verhaus stehn und überweg sehn; zwei der Leute mußten seitwärts hinter ihm liegen; der vierte aber mußte bis zum nächsten Verhau, ungefähr vierhundert Meter weit, zwischen die Büsche durch, hin und her gehen. Es war bekannt, daß feindliche Haufen in der Nähe wären. Ich gehörte in dieser Nacht zum Posten Nummer zwei, lag bis acht Uhr hinter dem Unteroffizier auf der Erde und lugte und horchte in die Nacht hinaus, das Gewehr zur Hand. Von fern her aus dem Busch kam das Geheul fremder wilder Tiere; leise und niedrig setzte es an und wurde dann höher und heiser. Dazwischen klang ein anderes Geheul, gröber und stoßweise. Dann und wann krachte ein dürrer Ast. Ist es der Posten, der vom andern Verhau zurückkehrt? Ist es der Feind? Ist es ein Tier? Da kommt der Posten langsam und vorsichtig heran. Er beugt sich ein wenig vor und meldet in den Verhau leise: »Von Patrouille zurück. Alles klar.« Es war eine sehr dunkle Nacht. Kurz darauf kam an mich die Reihe unterwegs zu gehen, bis an den Morgen. Ich machte mich auf und tappte vorsichtig los und stand oft still und horchte in die dunklen Büsche hinein, die rings um mich standen, und kam zum nächsten Verhau, meldete und ging ebenso wieder zurück. Oft meinte ich deutlich, daß ein dunkler Körper da irgendwo an einem Busch im Grase kauerte. Das Herz klopfte mir wild. Nun brach hinter mir ein Ast. Ich trat mit einem leisen, vorsichtigen Schritt zurück, daß ich einen Busch im Rücken hatte, und spähte nach allen Seiten. Als alles wieder still war, ging ich vorsichtig weiter. Meine Augen gingen eilig hin und her, wie Mäuse in einer Falle. Da, beim dritten Gang, fiel vor mir, nach dem nächsten Posten zu, ein Schuß. Er schlug knallend durch das stille Dunkel der Nacht. Ich stürzte auf das Knie, riß mein Gewehr hoch und wartete, ob ich ein Ziel sähe. Ich lag eben, da drangen sie auch schon aus der Wagenburg, dem Posten zur Hilfe. Ich hörte ihre Stimmen; dann blitzten ihre Schüsse seitwärts vor mir. Das ganze Lager kam in Bewegung; ich hörte Kommandos; sie schossen eifrig. Ich lag, und wartete wohl eine halbe Stunde oder mehr, und schoß nicht; denn ich sah kein Ziel. Dann wurde es still. Da erhob ich mich und ging weiter, langsam und vorsichtig, damit ich nicht unversehens für einen Feind gehalten und beschossen würde. Ich kam glücklich zum Verhau und machte Meldung. Da war dort nur ein Mann. Ich fragte ihn leise, wo die andern wären. Er sagte ebenso leise, sie wären auf den ersten Schuß hinausgegangen, den Angegriffenen zu helfen und wären noch nicht zurückgekehrt. Da ging ich also wieder zurück. So wanderte ich in der stillen Nacht hin und her, wie mir gesagt war, und jedesmal, wenn ich zu dem andern Posten kam, beugte ich mich vor und sah in den Verhau und fand immer nur den einen, der stand aufrecht, das Gewehr im Arm und sah ins Dunkle. Und wenn ich leise fragte: »Die andern?« wandte er den Kopf rasch zu mir und hob die linke Hand abwehrend und spähte weiter in die Nacht und sagte kein Wort. Da dachte ich daran, daß es ein Unglück gegeben hätte. So ging ich hin und her, bis das Dunkel langsam grau und grauer wurde und die kleinen Stimmen in den Büschen zirpten und im Osten in fünf rosigen Streifen das Morgenlicht aufstieg. Da kam die Ablösung. Und da, als ich ins Lager gekommen und auf meine Backschaft zuging, die um ihr Feuerloch saß, und ich mich so von ungefähr umsah -- denn das ganze Bild war mir neu: die großen, schweren Wagen rundum, die alten Afrikaner in ihren hohen Stiefeln hemdärmlig um ihre Feuerlöcher, die beiden Zelte der Offiziere, die schwarzen Treiber in der Ecke in hockender Stellung schwatzend und lachend -- und ich grade den Mund auftun und ganz munter und großprahlig fragen wollte: »Was war das für 'ne Schießerei diese Nacht?« da stand das ganze Lager plötzlich auf und blickte mit großen, ernsten Augen nach dem einen Ende, wo viele zusammenliefen und vor sich auf die Erde sahen. Und einer sagte: »Siehst Du? Da ist es.« Da wußte ich, was geschehen war. Ich ging mit ihnen zu dem Haufen -- die Füße waren mir ganz schwer -- und sah drei Kameraden auf der Erde liegend, die ganze Brust blutig, mit offenem Mund und starren, trüben Augen. Ein Unteroffizier, der neben mir hinzugetreten war, sagte: »Es sind die vom Posten drei.« Wir standen und sahen auf sie nieder. Immer mehr kamen hinzu. Wir sagten kein Wort. Ein Offizier trat hinzu und schickte uns fort. Einige Stunden später wurden die Toten, in ihre Wolldecken gehüllt, an einer sanften Anhöhe begraben. Acht Mann schossen über ihrem offenen Grab schräg hinauf in die Luft, zu ihrer Ehre. Der Hauptmann sprach ein Vaterunser. Dann saßen wir still und bedrückt an unsern Kochlöchern. Wir blieben drei oder vier Tage an dieser Stelle. Denn es war Befehl gekommen, daß wir hier den Major erwarten sollten, der mit der andern Kompanie nachkam. Wir mußten viel Dienst machen: Gewehrappelle, Gefechtsübungen im Busch und dergleichen. Daneben machte uns das Kochen viel Arbeit. Aber wir machten auch viel unnötige Umstände dabei und Ungeschicklichkeiten. Jede Backschaft -- das waren meist sechs Mann -- machte sich ein Kochloch, so schön, wie es nur möglich war, und machte mit viel Kunst und noch mehr Gerede in einem Kreis eine Rinne darum, knietief, darin ein jeder seine Beine stecken konnte, so daß wir recht behaglich herum saßen. Einige Backschaften prahlten mächtig mit solchen Erdarbeiten. Dann mußte einer, und zwar einer mit gutem Griff und Mundwerk, Proviant vom Wagen holen: Reis, Fleisch, Weizenmehl, Salz, Kaffee. Andere mußten aus dem Busch ums Lager trockenes Holz zusammen suchen. Andere mußten aus den steilen schwarzen Klippen aus tiefen Wasserlöchern Wasser holen. So hatte jeder seine Arbeit. Eine schwierige Sache war das Brotbacken. Der eine erinnerte dies, der andere das. Jeder wußte etwas. Einige sahen in Gedanken auf die Erde und hatten dann glücklich eine Erinnerung wie ein Gesicht und sprudelten heraus, was ihnen im Geist erschienen war. Einer, ein Holsteiner aus der Gegend von Neumünster, schien die größte Zeit seiner Kindheit neben seiner Mutter vor dem Backofen gestanden zu haben, der in der Ecke des Gartens am Wall gestanden hatte; er behauptete sogar, seine Mutter hätte ihn mehrmals aus Versehen auf die Schaufel gesetzt und hineingeschoben, er wüßte also nicht allein wie einem Brotbäcker, sondern auch, wie einem Brot zumute sei. Er war ein Schelm und wir hörten nicht auf ihn. Wir waren sehr neugierig. Besonders machte der Sauerteig uns viel Gedanken. Nach langen, hitzigen Reden und nach viel Gelauf hin und her zu andern Backschaften machten wir ihn aus Rum und Mehl. Einige standen schon lange mit aufgekrempelten Ärmeln, bereit zum Kneten. Einer schlug vor, daß sie sich vorher die Hände waschen sollten. Er bekam aber einen scharfen Verweis, daß er einen Vorschlag mache, der lächerlich wäre. Es gab kein Wasser zum Händewaschen. Sie kneteten den Teig fleißig. Sie legten ihn vorsichtig ins Kochgeschirr auf das gelinde Kohlenfeuer. Er ging auch ein wenig in die Höhe. Er bräunte sich auch ein wenig. Aber er war dann doch klitschig und klebrig. Abends saßen wir um das verglimmende Feuer und sprachen von der Stellung der Feinde und dem Verlauf des Feldzuges -- es liefen viele wilde und auch wunderliche Gerüchte hin und her -- und kamen auf das letzte Gefecht: daß wir keinen einzigen toten Feind gefunden hatten und ob die drei vielleicht von uns selbst erschossen wären, und schüttelten sehr die Köpfe und sahen in die Glut, und einer beugte sich vor und half dem Feuer ein wenig auf. Dann kamen wir auf Kiel zu sprechen und auf die Heimat. Und jeder erzählte von seinem Leben und seiner Kindheit und lobte sie. Und besonders die Schwaben redeten viele und große Worte, was sie da alles hätten und könnten. Dann legten wir uns so, wie wir saßen, im Kreis um das Kochloch, legten die Decke über uns und schliefen. Am vierten Abend, als es schon dunkel war und wir um die Feuer saßen, sahen wir im Osten Lichter blitzen. Bald darauf blitzte es auch im Westen. Wir kamen sehr in Aufregung; wir meinten, es wären Signale, welche die Feinde sich gäben, uns anzugreifen. Es stellte sich einen Augenblick wie ein weißer Stern am Horizont, und verschwand, und erschien gleich wieder. Es schien ganz nahe. Aber am andern Morgen erzählte mir Gehlsen, daß es Lichtsignale der unsrigen gewesen wären, die fern im Osten, mitten unter den Feinden, in einer Feste saßen. Sie hatten über uns weg nach Westen hin, der Hauptstadt zu, ihre Meldung gemacht und von da Antwort bekommen. Am andern, dem fünften Morgen, in aller Frühe, sahen unsere Posten den Major heranziehen. Da stiegen viele auf die Wagen und sahen den langen, langen Zug, der langsam aus den Schluchten der Berge herauf kam, und wir redeten, als wären wir schon alte Afrikaner, obgleich wir ihnen doch bloß um vier Tage und drei Tote voraus waren, und sagten einer zum andern: »Na, der Alte wundert sich! Das ist ein anderes Marschieren als in Kiel!« So standen wir und sahen, wie sie zu uns heraufzogen, und freuten uns besonders, als wir den Alten erkannten. Wir waren ihm zum erstenmal überlegen. [Illustration] VI Wir sollten den Feind nordostwärts im Bogen umgehn und ihn stellen, wie einer auf der Hofstelle einen Bogen läuft und das Fohlen stellt, daß es wieder zurück läuft, wo mit dem Halfter in der Hand der Knecht wartet. In Eilmärschen sollten wir marschieren, mit wenigen und leichten Wagen, das heißt, mit wenigem und leichtem Proviant, und weniger und leichter Kleidung. Wir waren gegen dreihundert Mann, Seesoldaten, Matrosen und die Schutztruppler, die uns führten. Voran zog wieder der Haufe alter Afrikaner, Offiziere und einfache Soldaten, alle beritten. Dann kam der Alte mit einem Offizier. Dann kamen wir zu Fuß, in langer, dünner Linie, in Staub gehüllt. In unserer Linie, hier und da, fuhren unsere dreißig mächtigen Kapwagen mit Proviant und Munition, und die leichten Geschütze, von je zehn bis vierundzwanzig langhörnigen Ochsen gezogen, von Schwarzen unter lautem Schreien getrieben. Zu beiden Seiten des Weges war dichter oder lichter, graugrüner Dornbusch mit knochenhartem Holz und fingerlang gebogenen Dornen, mannshoch, zuweilen zwei Mann hoch. In solcher Weise und durch solches Gelände sind wir nun Tag für Tag, Woche für Woche gezogen. Und von Tag zu Tag und Woche zu Woche mühseliger. Denn bald fing die Zeit an, wo wir mehr und mehr verhungerten und verelendeten, wo die Ochsen vor Entkräftung stürzten und wo einige der schweren rumpumpelnden Wagen voll von dem Jammer der Verwundeten und Schwerkranken waren. Wenn die Sonne über uns hoch und höher, fast bis zur höchsten Himmelshöhe stieg und der Sand unter unseren Füßen glühend wurde und Auge und Kehle brannten, hielt die Spitze an einer Lichtung, wo Wasser sein sollte. Nicht immer war Wasser da; oft mußten wir, die schwer dürstenden, Löcher graben, ob wir ein wenig fänden, welches langsam hervorsickerte; fast immer war es salzig, oder milchig von Kalk, oder stinkend. Oft aber fanden wir auch dieses lumrige, widerliche Wasser nicht und mußten durstig weiter ziehn bis in die Nacht. Fanden wir es, so machten wir erst einen Dornverhau rund um uns. Dann holte sich jede Backschaft ihre schmale Nahrung: ein wenig Fleisch von einem frischgeschlachteten schlappen Ochsen, ein wenig Mehl, ein wenig Reis. Das Fleisch oder Mehl verrührten wir in unserm Kochgeschirr mit dem schlechten Wasser, setzten es aufs Feuer und nannten es Fleischsuppe, Bouillon mit Reis, oder Pfannkuchen, die sie Plinsen nannten. Die Kochgeschirre reinigten wir mit dem Sand, der daneben lag. Danach lagen wir noch eine Stunde im Schatten der Wagen oder einer hochgestellten Zeltbahn. Dann ging es weiter. Müde und gleichgültig zogen wir in den Abend hinein. Ich weiß nicht, ob wir in diesen Wochen jemals gesungen haben. Oft zogen wir bis in die Nacht. Wunderlich fahl, wie helle Spinnweben, lag der Mondschein über dem weiten, buschigen Land; wunderlich wirr und unruhig funkelten die fremden Sterne. Der Gewehrriemen auf der Schulter drückte; die Füße stolperten in der unebenen Wegspur; die Gedanken waren langsam und stumpf. Wenn wir dann in der Nacht eine Wasserstelle erreicht hatten und zuletzt ein oder zwei, oder, wenn es hoch kam, drei Kochgeschirrdeckel voll des schlimmen Wassers ausgeliefert bekommen hatten, waren wir zu müde, um noch ordentlich abzukochen. Wir rührten ein wenig zusammen, was wir bekamen, und aßen es halb gar. Es war uns befohlen, das Wasser erst zum Sieden zu bringen. Aber ich habe gesehen, daß auch die Offiziere, ja selbst die Ärzte es so wegtranken. Wir waren zu müde und zu stumpf. So ging es Tag nach Tag, vier Wochen lang. Das Land war immer eben, buschig. Wir trafen kein einziges Haus und wir trafen keinen Menschen. Es war schlimm, daß wir nicht reichlich Proviant mitnehmen konnten. Dann hätte mancher die Heimat wiedergesehen. Wir selbst merkten es nicht; aber die Offiziere und Ärzte haben es wohl gesehen, daß wir allmählich saft- und kraftlos wurden. Wenn wir noch Zeit und Lust gehabt hätten, ordentlich zu kochen; aber das Wasser war oft so widerlich, daß es keine Freude war. Und wir mußten noch dazu so sparsam damit umgehen, daß unsere Geschirre verschmutzten. Ich rieb sie mit Sand; ich rieb sie mit abgerissenem Gras, aber sie wurden nicht rein. Es war auch schlimm, daß wir nichts als den dünnen Khakianzug hatten. Die Beinkleider, morgens im kniehohen, nassen Gras, mittags im heißen Staub, den ganzen Tag zwischen dornigem Buschwerk, fransten unten aus und hingen bald in Fetzen. Wenn zuweilen ein Gewitter oder ein Regensturz herniederging und dann die Nacht kam, fror uns entsetzlich. Es gab sehr kalte Nächte. So mußte es kommen, daß wir bald kraftlose Leute wurden. Wir selbst merkten es nicht. Ich dachte nur zuweilen verwundert: ›Es war doch so viel Reden und Streiten an Bord! Es waren doch so viele Schelme unter uns! Wo sind die Narren? Und warum singen wir nicht? Wie ist Behrens gelblich blaß und mager geworden! Wie liegen dem Unteroffizier die Augen tief und fiebrig im Kopf! Was haben wir für wunderliche dünne Bärte, wir jungen Menschen!‹ Es waren viele unter uns, die noch nicht zwanzig waren. Einmal trafen wir einen großen Kapwagen. Verlassen stand er auf dem Weg. Ein Farmer oder Händler hatte entfliehen wollen, hatte seine wertvollste Habe auf den Wagen gepackt, seine Ochsen davor gespannt, seine übrige Herde vor sich hergetrieben. Bis hierher war er gekommen. Seine Knochen lagen von Tieren rein gefressen, seitwärts am Busch in der Sonne; seine Habe war gestohlen; und rund um den Wagen lag zerrissen das einzige, was der Feind nicht hatte brauchen können: Briefe und Bücher. Wir begruben die Knochen im Busch, banden mit Bindfaden ein Kreuz zusammen und stellten es auf das Grab, und nahmen einige Briefe und Buchfetzen an uns und lasen darin und warfen sie weg. An einem andern Tag entdeckten wir, versteckt im Busch neben dem Weg, auf einer Anhöhe, viele verlassene Hütten der Feinde. Sie waren wie große Bienenkörbe, im Gerippe aus Ästen und Reisig, mit Kuhdung beschmiert. Obgleich wir so müde waren, nahmen wir uns doch Zeit, sie anzustecken, und standen nachher auf einer Steigung unseres Weges und sahen zurück. Die Glut färbte weithin den Abendhimmel. Sonst weiß ich nicht, daß uns etwas Besonderes begegnet wäre. Wir zogen immer auf dem sandigen Weg dahin, in Staub gehüllt. Zu beiden Seiten war Buschfeld, das zuweilen dünner war, und zuweilen zur Seite wich, daß es eine stattliche Lichtung gab. Unsere Reiter, die alten Afrikaner und die Offiziere, ritten oft voraus, oft stundenweit, und suchten den Feind zu erspähen. Wenn sie zurückgekommen waren, ging es oft durch die Reihen, und abends von Feuerstelle zu Feuerstelle: »Wir sind dem Feind nun ganz nah, morgen, übermorgen treffen wir ihn!« Dann freuten wir uns, und jeder saß und besah sein Gewehr und untersuchte den Patronengurt. Aber es kam ein neuer Tag, und noch einer, und wir wurden matter und schlapper und sahen nichts vom Feind. So ging es vier Wochen, immer weiter, weiter. Es war schlimm, daß wir nie aus den Kleidern kamen und uns nie waschen konnten, selten und unvollkommen einmal das Gesicht und die Hände. Aber schlimmer war wohl, daß wir uns nie mehr satt essen konnten. Sie hatten es mir übergeben, den Proviant zu holen: ich brachte immer weniger zum Kochloch. Ein wenig Reis, ein wenig Büchsenfleisch, ein wenig Mehl, ein wenig Kaffee. Es gab keinen Zucker mehr. Und dann kam ich eines Tages vom Wagen zurück: da brachte ich kein Salz mit. Da buk ich Plinsen aus Mehl und schmutzigem Wasser. Das Wasser, das wir dazu tranken, schmeckte oft widerlich nach Glaubersalz, oft war es gelb wie Erbsensuppe und stank. Die Nächte waren kalt. Ich kann nicht sagen, daß wir immer niedergeschlagen waren. Auch murrten wir nicht. Wir sahen ein, daß es nicht anders gehen konnte, und daß die Offiziere alles wie wir ertrugen. Wir waren aber still und sehr ernst. Wir dachten immer, und damit hielten wir uns aufrecht: »Wir kommen nun bald an den Feind und schlagen ihn und beenden damit den Feldzug, und dann ... dann, ach, dann kehren wir nach der Hauptstadt zurück und bekommen einen neuen Anzug und baden. Wir springen ins Wasser. Und bekommen ein Taschentuch, ein schönes rotgewürfeltes, ganz reines, und bekommen einen großen Topf voll schönem Fleisch und eine Handvoll weißem, körnigem Salz, und einen großen, großen Becher voll reinem, silberblankem Wasser ... wie das hell leuchtet! und trinken einen langen, langen Zug, und halten den großen leeren Becher wieder hin und -- wieder fließt das Wasser hinein -- und trinken und trinken ... Und dann, nach einigen Tagen, fahren wir zur Küste und dann geht es in die Heimat. Was werden wir alles erzählen aus diesem Affenland!« Unsere Stiefel gingen entzwei; unsere Beinkleider waren unten nichts als Fetzen und Lumpen; unsere Jacken bekamen vom Dorn große Löcher und wurden entsetzlich schmierig, weil wir alles daran abwischten; unsere Hände waren voll von entzündeten Stellen, weil wir oft in den Dorn greifen mußten. Unser Leutnant sprach oft mit uns. »Seid munter!« sagte er. »Wir werden ein Gefecht haben und die Kerle nach Westen zu der Hauptabteilung in den Rachen werfen. Und im Juli sind wir wieder zu Hause.« Ich wunderte mich über ihn, daß er, obwohl er nicht viel älter war als wir, und alle Beschwerden hatte wie wir, immer gleichmäßig ruhig war, während wir doch oft unnütz waren und zornig wurden und schimpften. Es kam nicht davon, daß er mehr gelernt hatte als wir: ich glaube, es kam daher, daß er ein inwendig gebildeter Mensch war; das heißt: Seele und Geist in Gewalt hielt, daß sie die Dinge rund um ihn her ruhig, gerecht und nachsichtig überdachten. Sein Wille wollte so, und da geschah es. Da habe ich gemerkt, daß Wille zehnmal mehr wert ist als Wissen. Wir sagten mit keinem Wort, wie viel wir von ihm hielten. Aber wir sprachen oft von ihm und sahen oft nach ihm hin. Er war ein kleiner Mann und ritt ein starkes, ostpreußisches Pferd und trug den grauen Filzhut mit der aufgeklappten linken Krempe immer ein wenig auf dem linken Ohr. Der Alte kam auch zuweilen zu uns und redete uns an. Dabei sah er jeden genau an, als wollte er erkennen, ob er irgendeine Not hätte. Wir fühlten alle, daß er ein kluger und wacher Mann war und daß er ein mildes, teilnehmendes Herz hatte. Darum fühlten wir uns sicher unter ihm, wußten auch, daß es nicht anders sein konnte, wie es war -- sonst hätte er es geändert --, und liefen wie die Hasen, wenn wir ihm etwa eine Freude machen konnten. Und wenn einer so gelaufen war, verspotteten wir ihn: »Mensch, was bürstest Du!« Aber wenn die Reihe an einen andern kam, lief er ebenso. Zuweilen, wenn wir an unserm Kochloch saßen, machte ich mich davon und ging zu den alten Afrikanern, die ihr Feuerloch immer an einem der Wagen hatten, die Sergeant Hansen führte. Dann winkte mir Hansen; denn er mochte mich leiden, seit ich ihn im Hof der Feste angesprochen hatte. Sie saßen immer für sich, nicht allein aus Stolz, sondern auch, weil sie meist fünf oder gar zwanzig Jahre älter waren als wir. Einige von ihnen waren schon zehn Jahre oder darüber im Lande. Ich setzte mich still zu ihnen und hörte mit großer Begierde, was sie miteinander redeten. Zuweilen sprachen sie von den wilden fünfzehnjährigen Kämpfen in der Kolonie, die sie ganz oder zum Teil mitgemacht hatten, und von den Kämpfen der letzten drei Monate. Sie nannten manchen Ort tapferer Tat und manchen wackern Mann, Tote und noch Lebende. Ich wunderte mich, daß schon so große und harte Dinge von Deutschen in diesem Lande ausgeführt waren, davon ich nimmer auch nur ein Wort gehört oder gelesen hatte, und daß schon so viel deutsches Blut qualvoll in diesem heißen, dürren Lande geflossen war. Sie kamen auch auf die Ursachen des Aufstandes; und ein Älterer, der schon lange im Lande war, sagte: »Kinder, wie sollte es anders kommen? Sie waren Viehzüchter und Besitzer, und wir waren dabei, sie zu landlosen Arbeitern zu machen; da empörten sie sich. Sie taten dasselbe, was Norddeutschland 1813 tat. Dies ist ihr Befreiungskampf.« »Aber die Grausamkeit?« sagte ein anderer. Aber der erste sagte gleichmütig: »Glaubst Du, daß es ohne Grausamkeit abginge, wenn bei uns das ganze Volk gegen fremde Unterdrücker aufstände? Und sind wir nicht grausam gegen sie?« Sie sprachen auch darüber, was wir Deutschen hier eigentlich wollten. Sie meinten, darüber müßten wir uns klar werden. »Jetzt stände es so: Es wären Missionare hier, die sagten: ›Ihr seid unsere lieben Brüder in dem Herrn, und wir wollen Euch diese Güter bringen: Glauben, Liebe und Hoffnung,‹ und es wären hier Soldaten, Farmer und Händler, die sagten: ›Wir wollen Euch Euer Land und Euer Vieh so allmählich abnehmen und Euch zu rechtlosen Arbeitern machen.‹ Das ginge nicht nebeneinander. Das sei eine lächerliche und verrückte Sache. Es sei entweder recht und richtig, zu kolonisieren, das heiße entrechten, rauben und zu Knechten machen, oder es sei recht und richtig, zu christianisieren, das heiße Bruderliebe verkünden und vorleben. Man müsse das eine klar wollen und das andre verachten, man müsse herrschen wollen oder lieben wollen, gegen Jesus sein wollen oder für Jesus. Die Missionare predigten ihnen: Ihr seid unsre Brüder! Und verwirrten ihnen die Köpfe! Sie seien nicht unsre Brüder; sondern unsre Knechte, die wir menschlich aber streng behandeln müßten! Diese sollten unsre Brüder sein? Sie mögen es einmal werden, nach hundert oder zweihundert Jahren! Sie mögen erst mal lernen, was wir aus uns selbst erfunden hätten: Wasser stauen und Brunnen machen, graben und Mais pflanzen, Häuser bauen und Kleider weben. Danach mögen sie wohl einmal Brüder werden. Man nimmt niemanden in eine Genossenschaft auf, der nicht vorher seinen Einsatz bezahlt hat.« Ein älterer Frachtfahrer, der manches englische und holländische Wort in seine Rede mischte, sagte, es wäre das Beste, wenn die Kolonie an die Engländer verkauft würde, die Deutschen seien wohl brauchbare Soldaten und Farmer, aber von der Verwaltung der Kolonien verständen sie nichts; sie wollten dies und sie wollten das. Ein jüngerer, der erst drei Jahre im Lande war, sagte darauf: »Es müssen erst tausend oder zweitausend deutsche Gräber in diesem Lande sein, und die werden vielleicht noch in diesem Jahre gegraben werden.« Über diesen Gesprächen wurde es tiefe Nacht und die Feuer glühten noch wenig und ich sah in ihrem unsicheren Schein die Gesichter, die vom Brand der afrikanischen Sonne verwittert und dunkelbraun geworden waren. In diesen schlimmen, heißen Marschtagen und mondhellen, kalten Nächten, da wir auf der Spur der Feinde mühselig, doch nicht mutlos durch das wilde, buschige Land zogen, eine Woche nach der andern -- da war kein Haus, kein Graben, kein Baum, keine Grenze, im Sonnenbrand des Tages und in dem fahlen Mondlicht der klaren Nächte -- da ich hungrig, schmutzig und müde neben der sandigen, holperigen Wagenspur dahinzog, das Gewehr am Riemen über der Schulter, da ich in heißer Mittagsstunde im Schatten des hohen Kapwagens und in bitterkalten Nächten hungrig und unruhig in dünner Decke auf der blanken Erde lag und am schönen, blauen Himmel die fremden Sterne standen: da, glaube ich, gerade in diesen schweren Wochen habe ich das wunderliche, endlose Land lieb gewonnen. [Illustration] VII Gegen Ende der vierten Woche kamen vorgeschickte Reiter wieder einmal mit der Meldung, der Feind wäre nahe. Da machten wir ein besseres Lager als gewöhnlich. Wir stellten unter einem großen Baum das Zelt des Alten auf und machten einen starken Dornverhau rund um uns und hoben draußen Latrinen aus, und schliefen die Nacht. Am andern Morgen in aller Frühe, als ich vom Posten kam, hörte ich, daß alle unsere Reiter, nicht allein die alten Afrikaner, sondern auch die meisten Offiziere als Patrouille ausziehn und die Stellung der Feinde erkundigen wollten. Bald darauf sah ich auch, wie sie sattelten, und das Maschinengewehr und den einen zweiräderigen Karren mit Ochsen bespannten. Dann zogen sie, gegen vierzig Reiter, noch in aller Frühe aus dem Lager. Der Alte mit seiner kleinen strammen Gestalt und seinem forschen Gesicht ritt mitten unter ihnen. Auch unser Leutnant ritt mit. Ich ärgerte mich, daß er statt meiner den Unteroffizier mitgenommen hatte. Doch sah ich ihm nach, bis der schmale Sandweg in den Büschen verschwand. Er trug den Hut auf dem linken Ohr. Nachdem sie fort waren, fingen wir eine große Wäsche an, denn es war an dieser Stelle ziemlich viel Wasser in tiefen Löchern, die in den hellgrauen kalkigen Boden hinein gegraben waren. Wir machten bei unserm Feuerloch eine breite Grube, legten eine wasserdichte Zeltbahn darüber, gossen das Wasser hinein, zogen unsere Lumpen aus und wuschen und rieben mit großem Eifer. Dann hingen wir sie über die Büsche zum Trocknen. So verbrachten wir den Tag ein wenig munterer als lange, und sprachen über unsere Reiter: ob sie den Feind wohl fänden, und wann sie wohl wiederkämen. Gegen Abend ging ich zu unsern Proviantwagen und empfing unser Teil für die Backschaft und machte einen Mehlpapp und wir setzten uns nach unserer Gewohnheit um das Kochloch und aßen. Als wir noch so saßen, sahen wir plötzlich, wie die nächste Backschaft die Hälse reckte und aufstand. Zugleich hörten wir ein Rufen vom Ende her. Da sprangen wir auf und sahen, auf dem Weg her, auf dem unsere stolze Patrouille heute morgen ausgezogen war, einen einzelnen Reiter heran galoppieren. Er war vor Anstrengung matt, daß er mit den schweren Sprüngen des Pferdes hin und her wankte, und das Pferd war dunkelblank von Schweiß und mit Schaumflocken übersät. Sie halfen ihm vom Pferde. Sprechen konnte oder wollte er nicht. Der Hauptmann kam aus dem Zelt und nahm ihn mit sich. In dem Augenblick kamen, kurz nacheinander, zwei weitere Reiter, alte Afrikaner. Der eine war ein Schleswiger, ein tüchtiger, ernster Mann. Sie riefen nach dem Hauptmann und sagten vom Pferd mit schwerer Stimme: »Über die Hälfte sind tot.« Da riefen wir durcheinander: »Wer denn? Was denn? Wer lebt denn? Wo ist der Alte? Ist Peter tot? Ist unser Leutnant tot? Sag' es doch!« Aber sie sagten nichts. Da kam auch der erste wieder aus dem Zelt und sagte: »Die Karre wird gleich kommen mit mehreren Offizieren, die verwundet sind.« Da machten wir unsere Gewehre bereit, verstärkten den Posten und schickten einen Zug aus, dem Wagen entgegen, und warteten und brüteten vor uns hin und sprachen mit leiser Stimme. Wir waren wie auf den Kopf geschlagen. Bald hörten wir dann von ferne aus dem Busch Peitschenknallen; dann sahen wir das weiße Zeltdach des Wagens zwischen den Büschen schimmern. Das Geschirr der Ochsen war verwirrt; mehrere der Tiere waren verwundet. Auf der Kiste, mitten im Wagen, saßen die verwundeten Offiziere, mehrere andere lagen wie tot daneben. Der Alte aber stand in der Mitte aufrecht. Sein Haar war blutig und sein Gesicht war bleich. Die Lazarettgäste kamen mit wollenen Decken gelaufen und legten sie über die Liegenden und trugen sie vom Wagen. Das Blut sickerte in großen roten Tropfen vom Wagenbrett. Nach geraumer Zeit kamen, nach und nach, noch fünfzehn, unter ihnen der Sergeant Hansen. Das war alles was wiederkam. Ich ging zu meiner Backschaft zurück und saß eine Weile trübsinnig unter ihnen. Die alten Afrikaner saßen nicht weit von uns. Ich wagte aber nicht zu ihnen zu gehn; denn sie waren ein kleiner Haufe geworden. Zuletzt ging ich doch und setzte mich stumm ein wenig zur Seite. »Er wollte zurück,« sagte Sergeant Hansen und starrte vor sich in das Feuer. »Aber er hatte einen schlimmen Schuß im Bein. So ist er liegen geblieben.« Es wurde ein anderer Mann genannt. »Der hatte Glück,« sagte der Schleswiger. »Er bekam einen Schuß in die Brust und lag gleich still.« Ich fragte leise nach unserm Leutnant. »Ich weiß nicht,« sagte der eine. Der andere sagte: »Er ging zur Seitendeckung in den Busch. Karl hat ihn da fallen sehn.« Einer erzählte vom Alten: »Ich höre mein Leben lang in all dem Jammer und Geschieße seine ruhige Stimme. Es ist ein Wunder, daß er lebend davon gekommen ist.« Ein anderer sagte: »Sie haben sich alle gut gemacht. Sie lagen und standen und sprangen, und lagen todwund, als tapfere Männer.« Der Schleswiger schüttelte den Kopf und legte die Hand schwer auf sein Knie: »Daß uns das geschehen konnte!« Sie nannten zwei gute Namen, alte Afrikaner, die geführt hatten und gefallen waren. Ich sagte mit starker Stimme: »Es sind merkwürdig viele Tote und wenige Verwundete.« Aber Hansen sagte: »Sei nicht so dumm. Sie machen keine Gefangenen. Wir tun's ja auch nicht.« Dann sprachen sie noch davon, daß wir nun wohl ein Gefecht haben würden und daß dies Gefecht ein sehr schweres sein würde. Während ich noch bei ihnen saß und ihnen zuhörte, wurden in der Mitte unseres Lagers aus großen Pistolen rote und weiße Glühkugeln als Signale steil in den Nachthimmel hinauf geschossen. Viele standen auf den Wagen und auf den Ästen der Bäume und sahen über das weite, dunkle, schweigende Buschfeld, ob von der großen Abteilung eine Antwort käme. Aber es kam keine. Als Ruhe im Lager befohlen wurde, ging ich zu meiner Backschaft zurück. Unser Unteroffizier war nicht wieder gekommen. Da wurde ich am andern Tag zum Gefreiten befördert. Die Knöpfe, die Gehlsen mir schenkte, nähte ich mir mit weißem Zwirn an. Schwarzer Zwirn war nicht da. Wir lagen noch mehrere Tage an dieser Stelle. Es kamen und gingen täglich mehrere Male Patrouillen; aber keine hatte vom Feind etwas gesehen. Auch kam immer noch keine Botschaft oder Signale von der Hauptabteilung. Wir sprachen viel über unsere Lage, und meinten, der Feind werde eines Tags, von der Hauptabteilung bedrängt, mit seinen Tausenden nach Osten zu auf uns los kommen und uns überrennen, um in die Wüste durchzubrechen. Das mochte wohl ein schwerer Stand werden. Nach einigen Tagen wurde das Wasser knapp und schlecht. Wir brachen also am Nachmittag auf. Wir marschierten mit großer Vorsicht; denn es war anzunehmen, daß der Feind, der wegen seiner großen Viehherde viel Wasser brauchte, die nächsten Wasserlöcher, die sehr reichhaltig sein sollten, innehätte und hart verteidigen würde. Einige Sektionen mußten also zu beiden Seiten ausschwärmen und geduckt zwischen den Büschen vorschleichen, das Gewehr in beiden Händen bereit. Dazu wurde auch ich kommandiert. Da unser Haupttrupp auf dem hindernislosen Weg rasch vorwärts kam, hatten wir, die wir immer vorn zur Seite sein mußten, tüchtig zu laufen, zu schleichen, zu bücken, zu springen, immer Fühlung zu halten. So ging es durch sieben Stunden. Als ich abgelöst wurde, war ich todmüde, meine Stiefel, die schon seit vierzehn Tagen vorn zerrissen waren, hatten lose Sohlen. Meine Füße waren wund. Im Weitermarschieren band ich mir die Sohlen mit Riemen aus frischer Ochsenhaut und zog mir starke Dornen aus Händen und Armen. Wir gingen bis in die tiefe Nacht hinein, die besonders dunkel war. Mitten in der Nacht kam von der Spitze her plötzlich Befehl, Halt zu machen und aufzurücken. Auch die Wagen fuhren in großer Eile auf und zusammen. Im Viereck knieten wir um sie, das Gesicht nach draußen, das Gewehr bereit. Wir meinten, nun käme der Ansturm. Wir gierten alle danach. Aber es kam nichts, und bald hieß es: »Gewehre zusammenstellen und Decken empfangen!« Da stellten wir Posten auf und lagerten dort die Nacht. Früh am andern Morgen zogen wir unbehindert weiter und kamen gegen Mittag an die Wasserstelle. Es war ein ziemlich großes, von kalkiger Erde weißliches Feld; in mehreren tiefen Löchern war ziemlich viel gutes Wasser. Da lagerten wir. Am andern Morgen zog unsere Kompanie aus, um die Stelle zu suchen, an der unsere große Patrouille gefochten hatte und zur Hälfte vernichtet war. Nach einem langen, beschwerlichen Marsch durch dichten Busch, an mehreren flachen Teichen vorbei, die gutes Wasser hatten, sahen wir über dem Buschfeld gegen Mittag unendlich viele Geier und Adler in der Luft schweben und auf Bäumen sitzen. Wir gingen darauf zu, und kamen an eine lichte Stelle, die am andern Ende eine kleine buschig werdende Anhöhe sanft hinauf lief, auf welcher, schon im Busch ziemlich versteckt, verlassene Hütten der Feinde standen. An dieser Anhöhe, vor den Hütten des Feindes, lagen viele Leichen der Unserigen im hohen, dürren Gras, nackt, verstümmelt und zerfressen. Viele von uns waren still; andere knirschten mit den Zähnen und ballten die Hände und fluchten; andere spotteten und sagten: »Wie lange wird es dauern, dann liegen wir auch so. Dann haben wir keine Not mehr.« Wir stellten Wachen rund um uns in den Busch und fingen an, die andern Toten zu suchen, besonders die, welche in den Busch ausgeschwärmt und dort gefallen waren, und fanden sie alle. Da gruben etliche Gräber, andere flochten aus dem dürren Gras Kränze, andere machten aus Holzstücken Kreuze, andere kappten mit ihren Messern und Seitengewehren die hornharten Dornbüsche. Dann legten wir die Toten in ihre Gräber, schaufelten sie zu und legten die abgehauenen dornigen Äste als einen Verhau darüber, damit die wilden Tiere und Menschen sie in Ruhe ließen, und zogen wieder nach dem Lager. [Illustration] VIII An diesem Abend oder am andern Morgen kam eine Patrouille mit der Nachricht zurück, daß es den Anschein hätte, als wenn die Feinde südlich von uns nach Osten durchbrechen wollten. Da diese Bewegung unsere Etappenlinie bedrohte, und da überdies immer noch keine Nachricht von der Hauptabteilung ankam, und wir ohne sie mit unserm kleinen Haufen dem Ansturm der Tausende schwerlich standhalten konnten, beschloß der Major, etwa drei Tagemärsche zurückzugehen und dort an unserer alten Wasserstelle, in einem befestigten Lager auf der Lauer zu liegen und auf Nachricht zu warten. Also machten wir uns denn auf den Rückzug. Wir waren alle unmutig; viele waren müde und stumpf. Als wir aber nach einigen Stunden an einen großen, schönen Wald kamen, dessen Bäume wie deutsche Eichen aussahen, wurden wir sehr an die Heimat erinnert, und wurden, während wir hindurchzogen, ein wenig lebhaft und munter. Wir kamen dann durch das sandige, trockene Bett eines Flusses, das einen Meter tiefer lag, als seine Ufer. Dann ging es wieder durch ziemlich enge Buschwege. Als wir an diesem Abend lagerten, sahen wir endlich nach Südwesten zu Signale. Sie leuchteten in weißen und roten Raketen fünf- oder sechsmal auf und erregten und ermunterten uns. Wir dachten, daß es Signale der Hauptabteilung wären und daß wir nun doch noch wieder und auf den Feind losgehen würden. Später, nach Wochen, erfuhren wir, daß der Feind es war, der einige Raketen, die er bei unsern Toten gefunden hatte, spielenderweise abgeschossen hatte. Wir waren an diesem Abend stiller als sonst. Es war Osterabend. An diesem Abend vermachte mir Behrens für den Fall, daß er fiele, seine Pistole, die er sich von Kiel mitgenommen hatte, und ich vermachte ihm dafür meine Uhr mit Kette, die ich mir als vierzehnjähriger Junge mit freiwilligem Helfen in der Werkstatt verdient hatte. Der Einjährige Otto Hargens aus Ditmarschen, der an diesem Abend Unteroffizier wurde, ein munterer Junge, war Zeuge. Am andern Morgen, als es noch dunkel war, machten wir mitten im Lager von trockenem Dornbusch ein schönes Osterfeuer und standen darum und sahen hinein und waren doch froh, daß wir das Leben noch hatten, obwohl es ein so schmutziges und freudloses und mühseliges war, und dachten an die Heimat, wie Mutter nun die Sonntagskleider ausgab, und die Stube so blank war, und der Morgenkaffee so festlich, und die Kirchenglocken über die Häuser hinriefen. Um diese Stunde, im Morgengrauen, zog ein großer Haufe der Feinde wirklich nach Osten zu; aber nicht, um in die Wüste hinein durchzubrechen, sondern um an einer besonders buschigen Stelle des Weges, die wir heute passieren würden, auf uns zu lauern. Gegen sechs Uhr, als die Ostersonne hell und klar heruntergekommen war, brachen wir auf. Wir zogen aber so: Voran die kleine Reiterschar, die wir noch hatten, auf abgemagerten, verwundeten und zottigen Pferden; dann marschierte eine Kompanie. Dann kamen unsere Kanonen. Dann kam wieder eine Kompanie. Dann kamen unsere fünfzig Wagen mit je vierundzwanzig Ochsen bespannt. Dann kam meine Kompanie. Ich ging im ersten Zug. Hinter unserm Zug marschierte, als die letzten der ganzen Kolonne, in einem Abstand von ungefähr dreihundert Meter, ein halber Zug. Die ganze Marschkolonne war fünf Kilometer lang. Man konnte in dem dichten, schmalen, staubigen Weg, der sich in Biegungen durch den dichten Busch wand, immer nur einen kleinen Teil davon sehen. Man hörte nur aus dem Peitschenknallen und dem Schreien der schwarzen Treiber: Wörk! wörk! Osse! wie der Zug weiter ging. Ich ging so in Heimatgedanken vor mich hin, ging durch unser ganzes Haus, und ging vor die Tür, und sah die Straße entlang, wo die Leute zur Kirche gingen, und kehrte mich um und ging in die Küche, wo Mutter die Schwestern besah, ob sie ordentlich waren zum Kirchgang. Wie war da alles friedlich und rein und schön. Und ich zog hier in fremdem Land, fern von der Heimat, mitten unter wilden, heidnischen Feinden, müde, hungrig und in schmutzigen Lumpen. So sann ich. Ich glaube, ich hörte die Osterglocken, wie sie mit schwerfälligen Stößen über die Stadt wankten. Da fielen nicht weit hinter mir zwei Schüsse. Ich wachte auf; aber ich dachte gleich, es wäre ein Offizier, der in den Busch gegangen und auf ein Stück Wild zum Schuß gekommen war. Wir zogen weiter. Aber im nächsten Augenblick, während nun hinter uns Schuß auf Schuß fiel und wir uns umdrehten, das Gewehr schon zur Hand, kam ein Mann atemlos, lief an uns vorüber nach vorn und rief: »Die Nachspitze hat Feuer.« Im nächsten Augenblick riefen schon die Offiziere, in die Büsche vorzudringen. Ich lief schon mit Gehlsen und Behrens in den Busch, und dann, in der Richtung des Weges, den wir gekommen waren, auf die Schüsse zu. Ich drang ein wenig so vor. Da sah ich vor mir, zwischen den Büschen, zwei Rauchwolken aufsteigen, riß das Gewehr an die Backe und schoß im Stehen. Im selben Augenblick sah ich zur Seite etwas schwer nach vorn fallen, wie ein Pfahl umfällt. Als ich meinen Schuß getan, sah ich Behrens da in Krämpfen liegen. Ich sprang mit andern, die nachkamen, schräg nach vorn hinter den nächsten Busch, warf mich ins Knie und gab ein heftiges Schnellfeuer nach dem Rauch hin ab und nach etwas, was unruhig und dunkel hinter dem Buschwerk huschte. Ich weiß nicht, wie viel Schüsse. Da fiel mein anderer Kamerad, der neben mir kniete. Im Fall entfiel ihm das Gewehr; er stöhnte und jammerte laut auf. Ich warf mich ganz hin und schoß schnell weiter, um meine Kameraden aufmerksam zu machen, wo ich in großer Bedrängnis läge. So war es abgemacht worden. Die sprangen auch heran und warfen sich hier und da hin und schossen wie ich, gegen Feinde, von denen wir nichts sahen, als hier und da zwischen Büschen ein Wölkchen Rauch. Wir lagen wie Bäume. Dicht neben mir lag ein Unteroffizier, dem der linke Arm schwer blutete. Er hatte das Gewehr auf einen dürren Ast gelegt und feuerte in kurzen, ruhigen Abständen. Die Kugeln kamen von vorn und von beiden Seiten. Nun sah ich auch etwas Fremdes herankommen. In Klumpen lag und kniete und schlich es zwischen den Büschen. Ich sah keinen einzelnen; nur eine Masse. Es kam ganz nah. Die Kugeln splitterten um mich im Buschwerk. Ich schrie so laut ich konnte: »Hierher! Hier!« Ich glaube fast, daß wir an unserer Stelle uns so gehalten hätten, bis Verstärkung gekommen wäre. Aber da kam der Ruf des Hauptmanns: »Sprungweise rückwärts.« Ich sprang mit vier Nebenleuten auf und lief um ein oder zwei Büsche zurück und warf mich wieder hin. Drei kamen wir an; einer wurde im Sprung getroffen und stolperte und fiel hin. Er versuchte leise jammernd nachzukriechen, konnte es aber nicht. Ich lag und schoß über ihn weg und rückte ein wenig zur Seite, weil er im Schmerz beide Arme hob. Wieder sprangen wir auf, und wieder im Lauf griff mein Nebenmann nach seiner Brust, ließ sein Gewehr fallen, lehnte sich ein wenig seitwärts nach einem Busch und sagte, mit einem Blick auf mich, noch im Stehen: »Gib meinem Bruder das Buch,« und fiel schwer hin und rührte sich nicht mehr. Ich konnte nach dem Buch nicht suchen; denn in diesem Augenblick sah ich, mich zum Schießen umwendend, hier und da zwischen den graugrünen Büschen fremde Menschen in Korduniform wie Schlangen aus dem Gras sich heben, sah um mich und sah, daß ich allein war. Da sprang ich wieder auf und lief drei, vier Sätze zu meinen Kameraden zurück, anderen, die nun gebückt vorgingen, wandte mich wieder um und kniete wieder unter ihnen und schoß; und sah nicht weit von mir eine schwarze, halbnackte Gestalt, wie einen Affen, mit Händen und Füßen, das Gewehr im Maul, auf einen Baum klettern, und zielte nach ihm, und schrie auf vor Freude, als er am Stamm herunterfiel. Als ich dann wieder schießen wollte und den Zeigefinger krümmte, war die Hand plötzlich machtlos. Ich kam in rasenden Zorn und sah in Wut auf sie. Da sah ich Blut aus dem zerlumpten Ärmel laufen und fühlte auch, daß der Arm vom Ellbogen herunter naß war. Im Halbkreis um mich hörte ich ein dumpfes, wildes Schreien und Rufen der Feinde. Es war niemand mehr bei mir. Da dachte ich plötzlich an das Wort, das mein Vater so oft zu mir gesagt hatte: »Wenn Du Deine Nase in ein Ding steckst, vergißt Du darüber alle andern Dinge.« Ich kroch eilig auf allen vieren zurück, sprang auf und lief geduckt weiter. Da lief noch einer neben mir, ganz auf der Seite hängend, mit blutigem Leib. Ich griff im Laufen unter seinen Arm; aber er fiel stöhnend in die Knie und krümmte sich im Knien. Da nahm ich sein Gewehr, damit es den Feinden nicht in die Hände fiele. Mein eigenes hatte ich über die Schulter geworfen. Und lief so weiter und kam durch vordringende Kameraden hindurch auf eine Lichtung. Da sah ich den Alten dastehen, straff und ruhig wie sonst, mitten auf dem Platz; um ihn einige Offiziere und Mannschaften. Von drüben aus dem Weg brachen Sektionen hervor, breiteten sich nach seiner Handweisung über die Lichtung rund um ihn aus, warfen sich hin und schossen gegen den Feind. Hinter den Laufenden kamen die Kanonen herangejagt und warfen sich auf seinen Wink dicht vor ihm herum und schossen über die vor ihm liegenden Kompanien weg gegen den Feind. An einer Revolverkanone entfielen mir beide Gewehre und meine Knie vergaßen die Kraft und ich sank zusammen. Ich sah verzweifelt auf meinen blutigen Arm. Im Kauern langte ich nach dem Verbandpäckchen, das ich im Rockschoß hatte, und bekam es auch zu fassen; als ich es aber umbinden wollte, stand das Blut nicht. Da half mir ein Matrose. Einige Verwundete lagen und knieten schon da; andere kamen mit schmerzvollen Gesichtern angekrochen und legten sich hinter die Kanonen, die mit Macht feuerten. Bald darauf, als Munitionswagen und Lazarettkarren herangaloppiert kamen, stand ich auf und versuchte eine Munitionskiste heranzuschleppen, die sie mit Äxten aufschlugen. Ich konnte auch eine Weile mithelfen; ich weiß nicht wie lange. Aber plötzlich lösten sich wieder die mit Gewalt gefestigten Knie. Da schlich ich mich wieder zu den andern und saß bei ihnen und hielt mit der linken Hand das Blut auf und hob zuweilen die Augen und wenn ich sie hob, sah ich nach dem Alten, der mit seinen Augen die ganze Lichtung absuchte. So lagen und standen sie im Halbkreis um uns Verwundete und um die ausgeladenen Kranken, die teilnahmlos mit geröteten Gesichtern unter ihren Decken lagen, und feuerten heftig gegen die herandrängenden Feinde. Sie kamen so nah, daß ich sie sah. Sie trugen meist die Uniform unserer Schutztruppe, andere hatten europäische Sommeranzüge, einige waren halbnackt. Ihre Glieder erschienen merkwürdig lang, ihre Bewegungen waren merkwürdig glatt und gewunden. So schlichen, glitten und sprangen sie durch die Büsche an uns heran. Zwei- oder dreimal schossen die Artilleristen mit Schrapnells; es rauschte wie ein Sturzbach durch die Luft; dann prasselte und knatterte es und sie wichen wieder. So lagen und standen die Unsern zwei Stunden lang um uns und hielten den wilden Ansturm aus, und konnten keinen Schritt vorwärtsdringen. Dann aber drangen sie langsam in dem Busch vor und stießen den Feind zurück und drangen bis zu der Stelle, wo wir, die Nachspitze, gekämpft hatten, und hofften wohl, sie würden einige noch lebend finden. Aber sie waren alle tot und nackend. Sie brachten sie heran und legten sie in großem Halbkreis unter einen Baum. Ich und andere gingen heran; ich wollte meine beiden liebsten Kameraden noch einmal sehn. Aber wir wurden zurückgedrängt, daß wir den Jammer nicht sähen. Einige Kameraden gruben schon ein Grab; andere verschanzten das Lager. Denn wir wollten die Nacht hierbleiben. Gegen Abend, als die Sonne unterging, wurden die Toten in das Grab gelegt. Zwanzig Mann schossen über ihrem offenen Grab; der Alte sprach von Vaterland und Gott, und von Tod und Osterglauben. Ich saß wund und halb von Sinnen bei den Verwundeten, von denen einige, ans Wagenrad gelehnt, leise redeten, andere mühselig seufzten, andere vor Ermattung oder Ohnmacht schliefen, einer oder zwei sterbend röchelten. Gehlsen, der auch einen Fleischschuß im Arm hatte, saß neben mir. Sie brachten uns ein wenig Reis und einen Kochgeschirrdeckel voll Wasser; das ist ungefähr ein halber Liter. Ich hätte gern drei Liter getrunken; es war aber weit und breit kein Wasser. Ich fühlte mich sehr verlassen und hatte heißes Heimweh. Es war gut, daß Hansen und Wilkens kamen und mich unterm Arm nahmen und zu ihren Genossen, den alten Afrikanern brachten und mir heimlich noch etwas Wasser und noch ein Stück trockenen Pfannkuchen gaben und eine Decke. Sie waren immer etwas besser versehn, als wir. So saß ich und hörte mit düstern Sinnen, was sie redeten. Sie sagten, daß das Gefecht ein kleiner Erfolg gewesen war, da der Feind geflohen wäre; aber der Erfolg wäre doch wohl zu teuer bezahlt. Sie sagten auch, sie hätten dem Feind eine so große Tapferkeit nicht zugetraut und hielten für wahrscheinlich, daß er morgen wieder käme. Ich hörte auch noch, daß sie über unsere Kranken redeten und sagten, bei solch elender Nahrung und bei dem verdorbenen Wasser würden noch viel mehr krank werden. Ich wunderte mich im Halbschlaf, daß sie so viel Wesens von unsern Kranken machten und nicht viel mehr von den zweiunddreißig redeten, die unter dem großen Baum in der Erde lagen, und von deren Eltern und Geschwistern. Ich war müder und müder geworden und hatte mich in die Decke gewickelt und den brennenden Arm auf die Hüfte gelegt und hörte nur dann und wann ein Wort, bis alles um mich still schien. Da fing es wieder an durch die Büsche herzukommen. Im unruhigen Schlaf hörte ich wieder Schüsse und sah Schwarze rund umher, und sah sie auf die Bäume steigen, das Gewehr quer im Maul. Die alten Afrikaner standen rund um mich und trafen mit jedem Schuß. Aber es waren zu viel Feinde, und einer kam und faßte mich am Arm, und wollte mir die schützende Decke wegziehen. Da stöhnte ich sehr und erwachte halb, halb schlief ich noch, und hörte, wie Heinrich Hansen sagte: »Laß ihn da liegen: Ich brauche keine Decke, ich habe eine Haut von Speck und Dreck.« Am andern Morgen bekamen wir ein bißchen Reis und ein wenig Wasser. Dann wurden die Kranken und Verwundeten auf die Wagen geladen; zwei von ihnen waren ohne Besinnung. Ich setzte mich auf die Kiste vorn im Wagen, den Arm, in dem es stach und brannte, in der Binde. Hinter mir lagen in dem langen Kapwagen in zwei Reihen vier Verwundete und zwei Kranke. Der Schwarze neben den Ochsen hob seine langen, magern Arme zum ersten langen Peitschenschwung und schrie die Tiere an. Dann stieß das Wagenrad gegen den ersten Stein, der in der Spur lag, und fiel herunter, schwer aufstoßend; hinter mir stöhnte es mühsam. Ich stützte den gesunden Arm aufs Knie. So ging es vorwärts in langem, langem Zug, Wagen hinter Wagen, dazwischen eingestreut Kanonen und marschierende Kameraden. Als wir an dem großen Grab unterm Baum vorüber fuhren, sah jeder noch einmal mit einem langen Blick hinüber. Die es vergessen hatten, drehten den Kopf zurück. Ich dachte, als ich vorüber fuhr: ›Wenn Gott mich nach der Heimat zurückführt und mir langes Leben und Gesundheit gibt, will ich noch einmal davor stehn und überdenken, ob ich dann in meinen eignen Augen wert bin, daß ich einst aus diesem Feuerloch lebend heraus kam.‹ Dann lagen sie einsam. Der eine, der einen Schuß in den Leib hatte, quälte sich langsam und mühselig dem Tode zu. Am Morgen sprach er noch mit leiser Stimme kurze Worte, am Mittag nahm er noch ein wenig von dem dreckigen Wasser; bald darauf röchelte er schwer und war ohne Besinnung. Gegen Abend lag er mit offenem Munde und gebrochenen Augen; ich merkte aber an dem Heben und Senken der schmutzigen Wolldecke, daß er immer noch lebte. Einer von unseren Einjährigen, der Arzt war, kam bei jeder Rast und sah in den Wagen, und ich sah das helle Mitleid in seinen Augen. Er war nicht viel älter als ich; es war ihm aber im Busch ein langer, starker Bart gewachsen. Als ich gegen Abend aus einem Halbschlaf erwachte, saß einer vom ersten Zug, ein Rheinländer, neben mir auf der Kiste. Er klagte über Schwäche in den Füßen und Knien, fühlte sich bald heiß, dann wieder kalt. Er sah mich aus tiefen, trockenen Augen wunderlich wirr an; aus seiner Stirn traten große Schweißtropfen hervor. Der Einjährige kam, fühlte nach seinem Puls, sah ihn mißtrauisch an und sagte so vor sich hin: »Das ist der Zwölfte in sieben Tagen,« und ging wieder davon. Gegen Abend erreichten wir unser altes Lager. Da wollten wir nun bleiben, auf der Lauer liegen und auf Nachricht warten. [Illustration] IX Ich konnte an diesem Abend vor Fieber nicht schlafen. Ich lag mit offenen Augen neben dem Lazarettzelt und sah zu, wie sie sich um die Verwundeten und um die Kranken mühten. Sie nahmen eine Zeltbahn und schlugen sie einmal zusammen und knüpften die offenen Seiten zu und stopften in diese so entstandenen Säcke das lange, dürre Gras und legten den Leidenden darauf und taten ihm Gutes so viel sie konnten. Gegen Morgen kam ein neuer Kranker; er kam mit schleppenden Füßen und halbgeschlossenen Augen, blaß wie der Tod. Am Vormittag kamen wieder zwei. Nun lagen da schon neben siebzehn Verwundeten vierzehn Kranke. Die Kranken lagen teilnahmlos da, wie von einem Schlag vor den Kopf betäubt. Wenn man sie fragte, sagten sie, sie fühlten keinen Schmerz, sie wären aber so matt und so heiß. In den folgenden drei Tagen wurden weitere zwölf krank. So ging es Tag für Tag. Da sagten sie es offen, daß es Typhus wäre. Er war durch die geringe und schlechte Nahrung und durch das verdorbene Wasser und den Schmutz und das Frieren in den dünnen, verlumpten Kleidern gekommen. Wenn wir am Morgen an möglichst großem Feuer, damit wir uns nach der kalten Nacht wärmten, unsern Kaffee oder unsere Mehlsuppe gebraut hatten, traten die Kameraden an und übten Griffe, als wenn sie in Kiel auf dem Kasernenhof wären. Dann schwärmten sie zugweise aus in den Busch, krochen, schlichen, duckten sich, warfen sich hin und lagen im Anschlag, zielten gegen die Sonne und mit der Sonne, sprangen auf und stürmten mit Hurra. Aber die alten Afrikaner höhnten und sagten, sie schrien nicht »Hurra«, sondern »Hunger«. Um zwölf kam von den Wagen her die Stimme des Feldwebels: »Proviant empfangen.« Die Vertrauensmänner rannten hin und kamen mit ein wenig Mehl in der Zeltbahn und Reis und Salz und ungebranntem Kaffee wieder. Und dann begann in jeder Backschaft das Feuern und Rühren, Reden und Raten, Löffeln und Essen. Ich konnte nichts weiter tun als ein wenig Wassertragen. Um drei begann wieder der Dienst. Korporalschaftsweise saßen sie in den Schützengräben und reinigten ihre Gewehre. Ich saß bei ihnen. Die Unterhaltung ging langsam und träge. Ein trauriges Lied wurde angestimmt: Zu Straßburg auf der Schanz', oder: Steh' ich in finstrer Mitternacht. Aber es klang stumpf und verstummte bald. Abends dunkelte es rasch. Wir saßen im Windschutz der aufgestellten Zeltbahn, redeten von diesem und jenem und sangen ein Lied. Vom Zelt des Alten her kam eine helle Stimme, ein Scheltwort oder ein Lachen. Aus der dunklen Öffnung des langen Lazarettzeltes blinkte das irrende Licht des Wärters, der von einem zum andern ging. Hier und da glimmte noch aus einem Feuerloch ein Schein empor. Unter einem Baum saßen die schwarzen Ochsentreiber und sangen leise und mehrstimmig einen Choral, den die Missionare ihnen beigebracht hatten. Der Offizier vom Dienst kommt von den Unteroffiziersposten, die rund ums Lager stehen, ruft den Schwarzen kurz zu, den Mund zu halten: »~Will jelle slap?!~« und geht in sein Zelt. So verging ein Tag nach dem andern. Wunderliche Gerüchte gingen immer wieder neu durchs Lager: tausend Reiter wären von Deutschland her unterwegs, uns zu helfen; der Gouverneur hätte die Schwarzen in einer zweitägigen Schlacht geschlagen; es wären unzählige Schwarze getötet und auf Scheiterhaufen verbrannt worden. Wohl fünfzigmal kam immer wieder von neuem das Gerede: wir sollten abgelöst werden und nach Hause. Davon sprachen wir am liebsten. Nach Hause! Was werden sie zu Hause sagen, wenn wir wiederkommen! Was werden sie für frohe Gesichter machen! Was werden wir alles zu erzählen haben! Wenn die ausgesandte kleine Patrouille von fünf, sechs Mann auf ihren mageren und müden Pferden heimkam, wußte man bald an jedem Kochloch, was sie ausgekundschaftet hatte, und man stellte große Behauptungen auf. Jeder war ein Generalstäbler und weiser als alle andern. Und dann, wenn wir den Feind so oder so geschlagen haben; dann geht es nach Haus! O, nach Haus! Wir wollten alle, alle nach Haus. Die drückende Hitze des Tags und die schneidende Kälte der Nacht, die jämmerliche Nahrung, das erbärmliche Wasser machten immer mehr Kameraden schlaff, träge und gleichgültig. Wir bekamen alle eine andere Sprache; ohne Leben, ohne Schwung; wie schlaftrunken redeten wir. Einige wenige blieben munter. Heinrich Gehlsen kam oft zu mir, mich zu ermuntern. Er war trotz seiner Armwunde immer tätig, hatte an allem, was er Neues sah, Interesse: an dem Vogel in der Luft, an der Wolke am Himmel, an der Sprache der schwarzen Treiber, an dem Fieber der Kranken. Heinrich Hansen, der alte Schutztruppler, winkte mir zuweilen heimlich und steckte mir im Schutz des Proviantwagens einen Lappen kalten Pfannkuchen in die Hand. Der durchgeschossene Arm schmerzte und fieberte; dazu hatte ich im Leib ein widerlich drückendes Gefühl. Ich war so matt, daß mir zuweilen am hellen Tage, wenn ich so am Feuerloch saß und das Leben um mich besah, die Augen zufielen und das Kinn auf die Brust sank und ich langsam zur Seite fiel und schlief. Der Gesang im Lager wurde immer, immer weniger, die Unterhaltung immer mühsamer. Wir wurden immer hungriger, schmutziger, kranker. Gleichmütig und still sahen wir an jedem Abend einen oder zwei von uns in ihre abgerissenen, schmutzigen Lumpen und in ihre grauen Wolldecken gewickelt unten in der fremden, grauen Erde liegen, schwer und müde hoben die Befohlenen die Arme in die Luft zum Feuern, den Toten zur Ehre; müde und stumpfsinnig schaufelten sie Erde auf sie und legten Dornen darauf. Nachts erwachte ich von den müden, wirren Reden der Kranken und von dem Heulen der Schakale, welche die Gräber witterten. Als wir vierzehn Tage so gelegen hatten, war es so weit, daß jeder vierte Mann krank war. In zwei langen Reihen lagen sie auf der nackten Erde in voller Uniform, eine Zeltbahn über sich gegen den Sonnenbrand. Sie mußten da in ihrer schweren Krankheit liegen, nicht allein ohne irgendwelche Medizin, sondern auch ohne Stärkung. Wir hatten nicht einmal Milch und Eier. Wir hatten nicht einmal ein Stück trockenes Brot. Wir hatten nicht einmal ein bißchen Reinlichkeit. Der Alte stellte sich, als wenn er immer guten Mut hätte, und tat alles für uns, was er erdenken konnte. Mancher hat seine letzte Freude auf der Erde, ein gutes, munteres Wort, von ihm bekommen. Ich sah ihn oft aus dem Lazarettzelt kommen und freute mich oft an seinem guten Trost. Als aber immer mehr von uns krank wurden und immer mehr so gleichgültig dumpf ihrer Arbeit nachgingen, und immer noch keine Nachricht, oder Proviant, oder Lazarett kam, da mußte auch er die Hoffnung aufgeben. Er dachte wohl einmal daran, wieder vorzugehen, aber er erkannte, daß seine kleine Truppe keinen Heerzug mehr darstellen würde, sondern einen Krankentransport. Da schickte er Boten an die Hauptabteilung, daß er ohnmächtig wäre und vom Feind ablassen müsse und dies Hinsterben der Jugend nicht länger ansehen dürfe und eine bessere Wasserstelle suchen wollte. [Illustration] X Da packten sie denn, während ich untätig und mit dumpfem, halbwirrem Kopf mit meinem entzündeten und brennenden Arm am Rad des Munitionswagens hockte, die Schwerverwundeten und die Kranken auf die Wagen. Die Gesunden marschierten neben und hinter den Wagen. Wenige saßen auf müden, zottigen Pferden. So zogen wir bedrückt davon. Ich saß auf dem Proviantwagen, den Hansen führte. Manche Stunde saßen wir nebeneinander auf der Kiste, während er aus seiner kurzen Pfeife rauchte und spärlich dazu redete. Einmal ging einer im Irrsinn so einfach aus dem Wagen weg in den Busch hinein und wurde nicht wiedergefunden. Da mußten Wachen um die Wagen gestellt werden, daß niemand entfloh. Einer der Fiebernden ging mit dem Seitengewehr auf den Arzt los; ein anderer, der noch in Reihe und Glied ging, schoß plötzlich wild um sich. Drei von den Kranken starben unterwegs und wurden im Busch begraben. Der Einjährige war Arzt, Wärter, Soldat, alles zugleich. Sein Gesicht wurde schmaler und bleicher; aber sein Bart wurde länger und dichter. In der dritten Nacht wurden mehrere Ochsen vor dem letzten Krankenwagen schlapp und einer verendete. Da ließen wir auch unsern Wagen halten, um ihnen zu helfen. Ich weiß nicht, wie es kam, daß die andern weiterzogen; sie meinten wohl, die Biwakstelle wäre ganz nah und wir würden gleich nachkommen. Aber wir hatten eine stundenlange Verzögerung. Da hielten wir denn auf dem schmalen Weg im Busch in der finstern Nacht: zehn Kranke mit drei Mann Bedeckung; und die Treiber behaupteten, sie hätten im Busch Feinde gesehen. Ich kletterte mühsam in den Wagen und sagte den beiden Verwundeten, die noch leidlich bei Sinnen und Kräften waren, wie es um uns stand. Sie richteten sich halb auf und nahmen ihre Gewehre und hielten so mit uns andern Wache, bis wir weiter fahren konnten. Am vierten Tag erreichten wir auf unserm Rückzug eine gute Wasserstelle. Es war da eine kleine, ganz schlichte Kirche, welche die Mission gebaut hatte, und das halbzerstörte Haus des Missionars; in diesem Gebäude wurden auf der Erde aus Gras und Decken Lager bereitet. Die Gesunden lagerten einige hundert Meter aufwärts an einem Hügel. Da wollten wir nun liegen bleiben, bis die Krankheit unter uns ausgewütet hatte. Zu der Zeit hörten wir, daß der Feldzug vorläufig ganz zum Stillstand gekommen wäre, weil der Aufstand für die kleine deutsche Macht, die zurzeit in der Kolonie vorhanden war, allzumächtig emporgelodert war. Als wir ungefähr zehn Tage dagelegen hatten, kamen endlich Nahrungsmittel, und für die Kranken Matratzen und auch Stärkungsmittel, nämlich Wein, Bouillon, Eiweiß, Kakao, Quäker Oats, so daß die Kranken nun endlich gebettet und gesättigt wurden, und auch wir satt wurden. Wir blieben aber weiter in den schrecklich dreckigen Kleidern. Wir lebten in großer Niedergeschlagenheit, wir lauter Kranke und immer einige Sterbende. Ich machte mich nützlich, soviel ich konnte. Matt und mit dumpfem Kopf ging ich von einem zum andern, gab mit meiner gesunden linken Hand dem einen Wasser, dem andern ein Stück Zwieback, und half dem dritten ein wenig in die Höhe, daß er seine Leibesbedürfnisse verrichten konnte. In diesen jammervoll dumpfen Wochen traten mir besonders zwei Kameraden nahe. Wir hatten uns früher, da wir gesund waren, kaum gekannt. Der eine war ein Thüringer Junge mit kindlich-braunen Augen; er sprach wenig. Mir war schon auf dem Schiff aufgefallen, daß er so still war und so verwundert darein sah. Nachher, wie wir das Land betraten und dann in das Buschfeld eingedrungen waren, waren seine Augen immer banger, sein Mund immer stummer geworden. Er war sonst von kräftigem Körper und ertrug alles gut und klagte nicht, stand auch im Gefecht seinen Mann. Nun wurde er hier im Lager krank. Er kam mit Gewehr und Decke vom Lager her zu uns herab, fröstelnd, mit glanzlosen Augen, und sagte mit schüchternem Scherz: »Nun will ich Rentner bei Euch werden alle meine Tage,« und legte sich hin. Ich sprach nun oft mit ihm, nicht viel mit Worten; denn unser Gaumen war ein ausgedörrter Schlauch und unsere Gedanken hatten Schleppfüße; aber mit Andeutungen und Zeichen. Da wurde mir klar, daß ihm alles, alles, was wir erlebt hatten, seit wir Kiel verlassen hatten, unheimlich und grausig gewesen war. Die unendliche Weite des offenen Meeres, die trotzige, ernste Küste von England, der erhabene Berg von Teneriffa, die fremden Sternbilder, die stechende Sonne, der kahle Strand von Swakopmund, der Anblick unserer Toten, das Sterben der Kameraden: seine Seele war nicht stark genug für alle diese großen und harten Dinge. Er starb an Ruhr und Herzschwäche am siebenten Tag. Der andere war schon schwerkrank, als wir dies Lager bezogen. Er war in Nürnberg geboren und hatte dort seine Kindheit zugebracht. Fünfzehnjährig war er wegen seines Stiefvaters aus der Heimat gegangen und war seitdem unruhig durch die Welt gewandert. Als Steward war er von Bremen aus nach Südamerika gefahren, war quer hindurch nach Chile gekommen, hatte Samoa gesehen und hatte in San Franzisko Kellner gespielt. Dann war er in die Marine der Vereinigten Staaten eingetreten; doch nicht auf lange. Einige hundert Mark, die er in der Tasche hatte, hatten ihn verleitet, von New Orleans nach Australien zu fahren, um Gold zu graben; er hatte aber wenig oder nichts gefunden. Als Australien gegen die Buren Freiwillige stellte, war auch er hinübergefahren, als Trimmer, aber um den Buren zu helfen. Er war gefangen genommen und hatte auf Ceylon böse Tage erlebt. Von da war er nach Kapstadt zurückgekehrt und war auf die erste Nachricht vom Aufstand in unserer Kolonie als Kriegsfreiwilliger eingetreten. Es gibt, glaube ich, nicht wenige Deutsche, die so unruhig und wirr und gutmütig dumm durch die Welt wandern. Ihr ganzes Leben geht damit hin, wahllos einem ersten Einfall ihres unruhigen, haltlosen Gemütes zum Rechten oder Verkehrten nachzulaufen und nach getanem Lauf ohne Nachdenken oder gar Reue sich auf ein anderes Ziel, das eben gerade in ihr Gesichtsfeld kommt, zu stürzen. Er schalt auf die Engländer, auf die Amerikaner und am meisten auf die Buren; aber ich war überzeugt, daß er zu den Franzosen und Japanern gelaufen wäre, wenn da bei ihnen irgend etwas los gewesen wäre. Es ist schlimm, wenn ein Mensch sein Leben nicht in der Hand behält. Nun lag er ziemlich lange schwerkrank an Typhus, obgleich er so sicher gemeint und geprahlt hatte, daß er ein »Gesalzener« wäre, und phantasierte in einem fort. Als er sich langsam wieder erholte, war er ganz vernünftig und erzählte mir von seinem ganzen Leben; er behielt aber noch eine ganze Woche lang den Wahn, daß ihm beide Beine abgeschossen wären. Ich saß manche Stunde bei ihm und habe aus der Unterhaltung mit ihm viel gelernt. Was nachher mit ihm geworden ist, weiß ich nicht. Ich blieb immer so stark, daß meine Füße mich tragen konnten. Aber wenn ich vors Lager hinausging, meine Leibesbedürfnisse zu verrichten, was ich oft am Tage tun mußte, und ich mir vornahm, daß ich nicht hinter mich sehn wollte, sah ich doch hin und sah, daß es ganz blutig war. Dann kam ich sehr mutlos zu den andern und saß und brütete vor mich hin und meinte fest, ich müßte wohl auch hier sterben, und fand mich mit trüben Sinnen in dies Schicksal und dachte voll stiller Wehmut an mein Elternhaus. Dem Arzt sagte ich nichts. Es war aber ein Lazarettgast da, den ich fragte. Der sagte: »Du hast vorne im Leib den Typhus und hinten die Ruhr; aber Du hast eine glückliche Natur und machst es so im Gehn durch«; und gab mir Pillen. Ich nahm die Pillen genau wie er mir gesagt hatte; aber ich glaubte weiter an seine Predigt nicht; denn er war halb von Verstand. Da waren viele in diesem Feldzug: Offiziere, Ärzte, Lazarettgäste, Soldaten, die taten noch treu ihre Pflicht wie eine Maschine, die noch eine Weile weiterläuft, wenn der Dampf schon abgestellt ist, und waren inwendig schon krank und voll von wirren Gesichten. Eines Abends -- ich war schon wochenlang im Typhuslager -- hatte jemand einen Brief bekommen, ich glaube aus Swakopmund, darin stand unter anderm, daß in Deutschland jedermann von dem Krieg zwischen Rußland und Japan spräche, von uns aber spräche kein Mensch, ja man spotte über uns und unsern Jammer als über Leute, die für eine lächerliche und verlorene Sache stritten, und man wolle nichts von uns wissen, weil wir das rasche Siegen nicht verstünden. Ich wollte den Brief erst wegwerfen; dann aber dachte ich, ich wollte ihn Heinrich Hansen zeigen. Der kam aber nicht. Doch kam am andern Tag ein andrer alter Schutztruppler, da zeigte ich dem den Brief; denn mir war aller Mut entfallen. Er las ihn und lachte und sagte: »Was wundert Dich das? Ist es nicht immer so gewesen? ›Wie viele Frauen hat der König von Siam? Was für ein Strumpfband trägt die Königin von Spanien? Welche Antwort hast Du auf die Postkarte bekommen, welche Du dem japanischen Feldherrn geschickt hast?‹ Sieh! Das sind die Dinge, welche die Deutschen interessieren. Du solltest mal hören, wie die Engländer über uns lachen, über uns Redefratzen und Hänse in allen Gassen. Die Engländer fragen bei jeder Sache: ›Was nützt es mir und England?‹« Damit ging er weg. Ich ging wieder zu den kranken Kameraden, holte meine Decke und setzte mich an die Seite des Eingangs auf die Erde. Es war ein kalter, unfreundlicher Abend. In den Büschen knarrte vertrocknetes Astwerk; Geier flogen seitwärts nach höhern Bäumen, die plump und dunkel übers Buschfeld ragten. Aus dem Raum hinter mir kam lautes, stoßweises Wimmern eines Schwerkranken. Ein Leichtkranker saß vor dem Proviantzelt geduckt auf einer halbzerschlagenen Kiste, stierte vor sich hin und sang mit müder, dösiger Stimme unser altes Lied: »Doch mein Schicksal will es nimmer, Durch die Welt ich wandern muß. Trautes Heim, dein denk' ich immer, Trautes Heim, dir gilt mein Gruß. Sei gegrüßt in weiter Ferne, Teure Heimat, sei gegrüßt.« Zwei Kameraden gingen in ihren Mänteln, Spaten auf der Schulter, querüber nach dem Hügel, ein neues Grab zu graben. [Illustration] XI In der vierten Woche meines Aufenthalts im Typhuslager hörte ich, daß von Deutschland her frische Truppen angekommen wären, und noch mehr ankommen würden, lauter Husaren, im ganzen viertausend, und daß der Feldzug nun also mit mehr Macht wieder losgehn sollte. Aber mir war es gleichgültig; ich dachte: ›Wärst Du bloß aus diesem Affenlande heraus.‹ Aber in der fünften Woche wich meine Krankheit. Wie aber Gesundheit und Kraft leise wieder kamen, dachte ich, daß es doch nicht schön wäre, so, nach diesen Erlebnissen, nach Hause zurückzukehren. Ich wollte gern bei dem zweiten und bessern Teil des Feldzugs, bei dem »raschen Siegen«, dabei sein. Es traf sich, daß ein Oberleutnant mit einer kleinen Patrouille von drei Mann von Osten her kam und unterwegs einen Mann verlor und einen andern als Typhuskranken hier liegen lassen mußte. Dem sprang ich vor die Füße und bat ihn, daß er mich mitnähme. Er fragte mich, ob ich reiten könnte. Ich sagte: »Ja,« obgleich ich seit meinen Kindertagen nicht wieder auf einem Pferd, und auf einem Sattel noch niemals gesessen hatte. Er sah mich mißtrauisch an und sagte: »Du fällst mir unterwegs vom Pferd.« »Zu Befehl,« sagte ich, »ich bin stark wie ein Baum,« und sah ihn an. Er war mager wie ein Brett und seine Augen glitzerten unter der Stirn. Er sagte: »Ich habe vier Monate lang ein Hundeleben geführt.« »Zu Befehl,« sagte ich, »ich auch. Und darum möchte ich hier weg.« Da machte er mich beim Hauptmann los. Bevor der Morgen graute, ging ich zu den Pferden, die schon an unsern Wagen angebunden standen, und sagte dem Unteroffizier, der mitritt und der schon neben den Pferden stand, daß ich noch nicht auf dem Sattel geritten hätte. Er schimpfte erst mächtig und fragte mich, ob ich denn wenigstens wüßte, wo bei einem Pferd vorn oder hinten wäre. Ich dachte: ›Mach' ihn nicht ganz wild‹ und griff nach dem Sattel und trat an das eine Pferd heran, und sah im Geist, wie ich in meinem Leben wohl schon hatte satteln sehn und machte es ja wohl nicht ganz falsch; denn er fing wieder an, gewaltig zu schimpfen und mir zu zeigen, wie es richtig wäre. Dann übte ich ebenso das Auf- und Abkommen und dachte: ›Das wird schon gehn.‹ Am andern Tag erfuhr ich von dem andern Mann, daß auch der Unteroffizier erst vor kurzer Zeit zum erstenmal ein Pferd bestiegen hatte, und mit viel mehr Ach und Krach als ich. Da wunderte ich mich was doch Gott für merkwürdige Kostgänger hat. Darüber habe ich mich überhaupt oft gewundert. So ritt ich denn an diesem Morgen mit der Patrouille nach Westen, nach Windhuk zu, nachdem ich vier Monate lang im Busch und in der Wildnis gewesen war. Auch meine Begleiter waren so lange draußen gewesen. Ich fürchtete mich sehr vor dem ersten Trab; es ging aber leidlich gut. Mit frohem Herzen und wehem Gesäß, immer eifrig mit dem Kopf nickend, ritt ich dahin. Am andern Tag ging es schon viel besser. Der Oberleutnant, ein langer Rheinländer mit kurzem, schwarzem Vollbart, war ein gemütlicher Mann; er unterhielt sich oft mit mir und schien Gefallen an mir zu finden. Nachdem wir zwei Tage lang durch öde, menschenleere Gegend geritten waren, näherten wir uns der Stadt. Als wir von fern den ersten Telegraphenpfahl sahen, sagten wir es einer zum andern und besahen das lange, dünne Ding von oben bis unten mit frohen Augen. Als wir uns dem ersten Hause näherten, das nicht dachlos war und nicht ausgebrannte Fensterhöhlen hatte, bewunderten wir es sehr; und als wir im Vorbeireiten bemerkten, daß auf der offnen Veranda ordentliche Möbel standen, ein Tisch und Stühle darum, staunten wir sie an und wandten uns im Sattel bis wir vorüber waren. Mit großen Augen spähten wir in den Garten hinein, den die Schutztruppler in früheren Jahren mit großer Mühe hier angelegt hatten; da waren wahrhaftig Palmen und Weinlauben, von denen wir in Kiel und auf dem Meere geträumt und geredet hatten; und da war ein Teich! O, wenn man da hineinreiten dürfte! Und da, im Schatten einer Veranda, stand eine deutsche Frau; sie hatte ein kleines Kind auf dem Arm. Wie wir hinsahen! Wie wir uns über das helle, saubere Kleid freuten und über das reine, freundliche Gesicht und über das kleine weiße Kind. Wie auf ein Himmelswunder starrten wir auf das, was man in Deutschland alle Tage sehn konnte. Wie die heiligen drei Könige, die auch aus der Wüste kamen und vom Pferd herab Maria mit ihrem Kinde sahen. Sie sah uns hungrige, ganz verlumpte und schmutzige Gesellen mit großen, mitleidigen Augen an und neigte sich freundlich, als wir alle wie auf Befehl die Hand an die Feldmütze legten. Müde und doch eifrig gingen unsre Pferde den Sandweg zur Feste hinauf. Im Hof, wo etliche Soldaten und einige Weiber der Hottentotten waren, stiegen wir von den Pferden und besorgten sie. Der Oberleutnant ging zum Kommandanten, seine Meldung zu machen. Ich aber -- als wir die Tiere besorgt hatten -- ging über den Hof und reckte meine Arme zu beiden Seiten von mir -- so ekelte mich vor mir selbst -- und kam in die Kammer und erhielt einen ganz neuen Kordanzug ausgeliefert samt hohen Reiterstiefeln, und schob meinen verlumpten linken Ärmel zurück und legte den Anzug darauf und ging eilig quer hinüber nach der Badeanstalt, riß mir alle Lumpen von den Gliedern, und stieg ins Wasser und wusch und seifte und rieb, bis ich über den ganzen Körper rot war. Als ich wieder in den Hof kam, in meiner schmucken, reinen Schutztruppenuniform, stand der Oberleutnant da, noch in seinen Lumpen, und sprach mit einem Bürger und erkannte mich nicht. Dann aber lachte er mich an und sagte etwas zu dem Bürger über mich. Da wandte der sich zurück und sagte: »Ich bin der Mann jener Frau, die mit ihrem Kind auf der Veranda stand, als Sie vorüberritten. Sie möchte sich für den freundlichen Gruß bedanken. Wollen Sie heute abend unser Gast sein?« Da freute ich mich so, daß ich rot wurde. Also ging ich am Abend, nachdem ich noch einmal wieder gebadet und mich noch einmal wieder eingeseift hatte, in die Gegend des Hauses voraus und wartete, bis der Oberleutnant hineingegangen war und ging gleich hinterher. Als ich in die Stube kam und der Mann mir die Hand gab und die Frau mich freundlich ansprach und mir das Kind zeigte und ich dann mit ihnen am Tisch saß, starrte ich stumm auf das weiße Tischtuch und die Teller, und auf Brot und Milch und Zucker und horchte auf die liebliche Stimme der Frau. Ich wäre in dieser Stunde überglücklich gewesen, wenn ich es hätte lassen können, an die vielen kranken und toten Kameraden zu denken. Als ich mich nach dem Essen verabschiedete und wieder nach der Feste hinaufging, sah ich im Hof einige Kameraden mit den Weibern der Hottentotten reden und lachen, und einer ging an mir vorüber und sagte, daß alle diese Weiber uns zu jeder Zeit zu Willen wären. Da ärgerte ich mich und ging auf die lange Veranda, die nach Westen hin liegt. Dort stand ich lange und sah nach den fernen Bergen, welche die sinkende Sonne vergoldete, und dachte mit heftiger Sehnsucht nach Hause. Ich lebte nun drei Wochen auf der Feste und kam von der bessern Nahrung, die ich erhielt, und von der Reinlichkeit, die ich nun hatte, mehr und mehr zu Kräften. Ich schrieb drei Tage lang an einem ausführlichen Brief nach Hause, und ging oft in das Haus des Kaufmanns, spielte mit seinem Kind und redete mit den Eltern. Da der Feldzug zu dieser Zeit noch ganz und gar stockte, waren die Feinde sehr frech. Ihre reitenden Patrouillen kamen von Norden herunter und belästigten und überfielen Proviantkolonnen, Patrouillen und Viehwachen. Sie wagten sich sogar bis dicht an die Hauptstadt, trieben Vieh weg und erschossen mehrere der Unsrigen. Ich saß oft mit andern zu Pferde, um sie zu erspähen; aber wir kamen selten einmal zum Schuß. Ich hatte auch viele Unterhaltung mit Kameraden, die beim Kommando waren, oder die krankheitshalber, wie ich, in Windhuk waren, oder die ab- und zugingen, und mit den Buren, welche der Gouverneur als Frachtfahrer angenommen hatte, und mit den Farmern, die aus dem Buschfeld hierher geflohen waren. Es gingen unter allen diesen verschiedenen und von allen Seiten zusammengekommenen, ab- und zugehenden Menschen die wildesten Gerüchte hin und her. Denn wie überhaupt zu Kriegszeiten verworrene Gerüchte immer neu aufsteigen und von den erregten Gemütern geglaubt und weitergetragen werden, so ist besonders Südafrika, vom Kongo bis zum Kap, wegen seines erst werdenden und unruhig und rasch sich entwickelnden politischen Daseins, wegen der vielen gegeneinander streitenden Interessen der Rassen und der Unternehmungen, und wegen der ungeheuren Entfernungen und unzähligen faulen Stunden, welche das Trekken mit Ochsen mit sich bringt, von einem ungeheuren Klatsch übersponnen. Man mag sagen, daß es in Südafrika hergeht wie in einem großen Neubau, in dessen sämtlichen Räumen die Handwerker klopfen, hämmern und reden. Es hallt hell und laut durch die großen, leeren Räume. Aber gerade nach solchen Unterhaltungen ging ich gern allein auf die Veranda und sah nach Westen ins weite Land hinaus und sah die Sonne versinken. Und wie sie sank, sah ich alsbald oben vom Himmel herunter leichte, weite Wolken fallen, die waren ausgebreitet wie ein Gewand. Und ich sah das Gewand langsam vor der Sonne niedersinken bis zur Erde, und sah, wie die vergehende Sonne alle wunderbaren Farben darauf malte, die es gibt. In zarten Streifen glitten sie nebeneinander zur Erde herab. Seitwärts aber, nach Süden zu, glänzte ein mächtiges Gebirge von nacktem Stein; es glänzte wie Metall; da aber, wo das scheidende Licht nicht mehr hinkam, drohte es hart und finster. Ich stand und sah es immer mit neuem Wundern, bis das ganze schöne Bild verblich und rasch die Nacht kam und die Sterne. Und die Sterne waren auch schön. Wie wunderbar heiß glühten sie am tiefschwarzen Himmel! Aber ich dachte bei aller Pracht des Tages und der Nacht: ›Ach, Afrika! Wär' ich zu Hause!‹ [Illustration] XII Am Anfang der vierten Woche merkte ich, daß ich meine volle Gesundheit wieder hatte; da ekelte mich das faule Leben. Gerade in dieser Woche rüstete sich der Oberleutnant, nach Norden zur Front zu gehn. Da sagte ich ihm, was ich auf dem Herzen hatte: daß ich den neuen Feldzug gern mitmachen und mit ihm hinaufziehn möchte. Er fuhr nach seiner Gewohnheit auf und schalt mich: »Was? Was willst Du mit mir laufen? Wo sind denn die andern?« Ich sagte: »Ein Drittel von uns ist tot; das zweite Drittel ist krank und verwundet; das dritte ist hier und da zerstreut auf Etappe.« Er sah mich in Gedanken an und sagte: »Ihr armen Kerle! Ihr wart so schmuck und so protzig, als Ihr ankamt, und habt nichts erlebt als Not und Tod. Bist noch nicht satt davon? ... Nun, komm' mit! Ich bring' Dich wohl unter.« Da freute ich mich sehr und besorgte mir allerlei Kleinigkeiten. Am dritten Tag reisten wir ab. Wir kamen nach einer eintägigen Bahnfahrt, nach der Küste zu, auf der großen Bahnstation an, wo alle Bedürfnisse des neuen Feldzugs, die von der Küste her kamen, aufgestapelt wurden: Pferde von Argentinien, Ochsen und Wagen von Kapstadt, Pferde, Munition, Bekleidung, Konserven, Lazarette von Deutschland. Als ich vor fünf Monaten von der Küste her durch diesen Ort gekommen war, hatte er aus fünf oder sechs Wellblechhäusern bestanden; jetzt war er ein Heerlager. Im Bahnhofsgebäude, wo die Kommandantur und die Post war, liefen Offiziere und Ordonnanzen und Depeschenboten, die meist noch nicht im Buschfeld gewesen, alle noch ziemlich sauber, aus und ein. Ein Haufe von jungen Offizieren und Mannschaften war dabei, Pferde und Maultiere, die eben erst von Argentinien angekommen waren, zuzureiten oder ans Geschirr zu gewöhnen. Ich habe niemals in meinem Leben einen Menschen so wettern und schelten hören, wie einen Leutnant, der mit zwanzig Mann, alle in Hemdsärmeln, mit langen Stricken in den Händen, zwischen einem Haufen von Maultieren arbeitete, die fast so aufgeregt waren wie die Hemdsärmligen. Batterien standen in Reih und Glied: es wurde an ihnen geputzt, geübt, gespannt. Vor einigen langen Zelten, in denen ungeheure Mengen Lebensmittel aufgestapelt waren, hielten mächtige Kapwagen und bekamen ihre Lasten. Schwarze Treiber kamen wild schreiend mit den langhörnigen Ochsen von der fernen Weide und schirrten sie an, zwölf Paar vor jeden Wagen. Der Bur, der Besitzer von Wagen, Ochsen und Treibern, setzte sich auf die grellbemalte Kiste, die vorn im Wagen stand oder nahm selbst die lange Peitsche. Die Begleitmannschaften traten an. Dann ging es mit lautem Hott und Hü, in großer Staubwolke, nach Norden aus dem Lager. Von der großen Stellmacherei und Schmiede her klopfte und klang es bis in die Nacht hinein. Von den Kantinen her kam lautes Lachen und Reden. Von der Front, von Norden her, kamen täglich Leerkolonnen; sie brachten meist einige Kranke von daher mit. Als ich an einen Wagen, der gerade ankam, herantrat, war der Arzt schon hineingestiegen und redete einen Kranken an. »Na, mein Junge, wie geht's denn? Na ... nun antworte doch! Du kannst doch sagen, wie es geht?« Da wandte er sich zu dem, der daneben lag: »Nu, warum sagt er denn nichts?« Der raffte sich aus seiner Wirrnis auf und sagte auf plattdeutsch: »Hee's dood.« Der Arzt drehte sich um und fragte die Bedeckung: »Warum habt Ihr ihn nicht unterwegs begraben?« Sie sagten: »Wir mochten ihn da nicht allein liegen lassen; wir hatten auch keine Zeit, ihn ordentlich zu begraben; die Schakale hätten ihn wieder ausgebuddelt.« Die Lebendigen lagen neben dem Toten, meist besinnungslos, oder doch halb von Sinnen, auf dem harten Wagenbrett, in Stiefeln und Uniform, das Gewehr und den Schlapphut neben sich, mit tiefen und blauen Augenhöhlen, Lippe und Zunge vertrocknet. So waren sie acht Tage unterwegs gewesen. Das Lazarett war eine lange Wellblechbaracke. Ich hörte, daß ein Bekannter aus Itzehoe dort läge, und ging hinein, ihn zu besuchen. Die Typhuskranken lagen, jeder unter einem rund gespannten Moskitonetz, wie ein kleines Kind in seinem Wagen, Reih an Reih, dicht an dicht. Einige lagen stumm mit geschlossenen Augen, blaß und eingefallen; andre ermunterten mit klarer Stimme ihr Pferd, oder sahen Feuerschein oder riefen Kommandoworte, jeder in der Mundart seines Stammes, plattdeutsch oder sächsisch oder bayrisch; andre waren in der Genesung, lagen bleich, und verfolgten mich mit ihren Augen; einer nickte mir zu. Der Itzehoer war ohne Besinnung. Als ich wieder hinausging, atmete ich hoch auf und war lange bedrückt. Es war da eine Fahne am Lazarett, die zog der wachthabende Unteroffizier jeden Morgen hoch; aber es half ihm nichts: an jedem Vormittag trat ein Lazarettgast an ihn heran und machte ihm eine kurze Meldung; dann sank die Fahne. Am vierten Tag zogen wir mit einer Proviantkolonne von sechs Kapwagen, mit Buren, Treibern und Ochsen ab, die der Oberleutnant führte. Als Bedeckung begleiteten zehn Mann den Zug, alle beritten. Ich hatte die Verantwortung für drei Wagen und ritt einen dunkelbraunen Argentinier, der zwar mager war, aber gut bei Kräften. Gerade als wir unter Peitschenknallen und großem Hallo der Treiber zwischen den schwerfällig schwankenden Wagen nordwärts aus dem Lager ritten, war es einer Patrouille des Feindes gelungen, das weite, trockene Grasfeld des Berges, der sich östlich von der Station erhebt, in Brand zu stecken, um uns die gute Weide zu nehmen. Der ganze weite Berg lohte von rotem züngelndem Feuer. Im Sturm überwarf es das Buschfeld mit fliegendem rotem Netz; in breiter Front kroch es langsamer in die Ebene hinab. Das ganze Lager stand und sah hinüber, wunderte sich über das Schauspiel und schimpfte über den Schaden, den der Feind uns antat. Gleich der erste Tagesmarsch war sehr anstrengend. Bald ging es durch grundlosen Sand, bald über holprigen Steinboden. Viel gefallenes Vieh lag stinkend dicht an der schmalen Wegspur, als Gerippe, oder halb aufgefressen oder im Anfang der Verwesung. Aasgeier kreisten über uns und Schakale heulten im Busch. Wir rasteten abends neben einer kleinen Kirche, die voll von Kranken war. Im Hause des Missionars war alles kurz- und kleingeschlagen, nur über der Tür der Stube hing noch ein Stück Pappe mit den Worten: »Liebet Eure Feinde!« Auf dem kleinen Kirchhof unweit der Kirche lag eine ganze Reihe der Unsrigen, in den letzten paar Monaten hier begraben. Auf dem Grab eines Hauptmanns lag ein Palmenwedel, der wohl drei Meter lang war. Je höher wir hinaufzogen, desto häufiger lagen die verendeten Tiere am Weg, desto schlechter wurde die Weide. Die Feinde hatten sie nach Möglichkeit abgegrast oder verbrannt; den Rest hatten unsere Truppen verbraucht. Wir sahen auch wieder auf diesem Marsch kein Haus und keinen seßhaften Menschen; das einzige, was wir trafen, waren die Leerkolonnen. Doch begegnete uns einmal ein einzelner Reiter. Ich war zufällig Vorspitze und redete ihn schon von weitem gemütlich an, in der Meinung, es wäre ein Kamerad, oder höchstens ein Unteroffizier. Als er aber näher kam, sah ich am Gesicht, daß es ein höherer Offizier war. Er gab mir freundliche Antwort und ritt vorüber. Er war gekleidet wie ein einfacher Soldat. Dies langsame, schwerfällige Trekken durch das menschenleere, weite, eintönige Land, dies Liegen und Rauchen in den Ruhestunden, im Schatten der Wagen, und das gemütliche, gemächliche, langsame Reden, Necken und ein wenig Prahlen, dies dürftige Essen und spärliche Trinken, ein Schuß im Busch auf eine Schar Perlhühner, und wenn das Glück wollte, auf eine Antilope, vier Stunden Schlaf am verglimmenden Feuer, den Sattel unterm Kopf: das alles erlebte ich nun wieder. Und es war mir, da ich nun zum zweitenmal so unterwegs war, als wenn ich dies Land nun schon lange, lange kannte, als wenn ich schon vor langer, langer Zeit, die weit vor meiner Geburt lag, so neben einem Wagen durch solch wildes Land gezogen war, und im Wagenschutz geruht und geschlafen hatte. Das sind ja wohl die Erlebnisse der Vorväter, die in den Geschlechtern einen langen Schlaf tun und in dem Kinde, das wieder alte Wege und Stege geführt wird, aufträumend das graue Haupt erheben. Am dritten Abend, als wir erst bei voller Dunkelheit zur Wasserstelle kamen, hielt da schon eine Leerkolonne von drei Wagen. Sie gruben gerade ein Grab; denn es war ihnen einer von den Typhuskranken, die sie mitbrachten, gestorben. Ich sprang noch ins Grab und machte es einen halben Meter tiefer, länger wollten sie nicht warten. Dann ließen wir ihn in seiner vollen Korduniform an zusammengebundenen Pferdezügeln hinunter; den Hut legten wir ihm aufs Gesicht. Es standen sechs Deutsche, braungebrannt, acht Buren, noch brauner, alle in Schlapphüten und hohen Stiefeln, und siebzehn Schwarze an seinem Grabe. Die Buren schossen über ihm. Als seine Mutter, in einem Dorf in Pommern, ihn auf dem Schoß hatte, hatte sie sich nicht träumen lassen, daß er so früh und so fern und mit so wunderlichem Gefolge zu Grabe käme. Als ich am Spätabend noch zu dem Feuer der Buren hinüberging, um sie zu fragen, wie es an der Front stände, sah ich, daß am letzten Wagen ein gutes dunkelbraunes Pferd angebunden war. Da beschloß ich, es mir zu klauen; und besah mir die Gelegenheit. Wir wollten schon bald nach Mitternacht weiter ziehn. Als wir dann aber abfuhren und ich mich zurückschlich, an den Wagen heran, blaffte der Hund des Buren und hinterm Wagen rührte es sich. Da sprang ich davon. Ein Schuß krachte hinter mir drein. Der Oberleutnant und die andern lachten über die langen Sätze, die ich gemacht hatte. Ich sah aber immer danach aus, wie ich mir ein Pferd erobern könnte; denn mein Argentinier war von Tag zu Tag schwerer in Trab zu bringen, und ich merkte an den vielen toten Pferden an unserem Weg, daß es an der Front schlecht damit stand. Hatte ich aber da vorn kein Pferd, so war ich nur ein halber Soldat. Vor allem konnte ich dann keine Patrouille reiten. Am vierten Tag holten wir gegen Abend eine andere Proviantkolonne ein, die durch Verlaufen der Ochsen Verzögerung gehabt hatte. So rasteten wir mit dieser Kolonne abends an derselben Wasserstelle und blieben auch den folgenden Tag mit ihr zusammen. Der Führer dieser Kolonne war schon sechs Jahre im Land. Er war zuerst drei Jahre bei der Schutztruppe gewesen; dann war er Händler geworden, das heißt: er war mit einem Ochsenwagen von der Bahnlinie aus nach dem Norden im Land umhergezogen und hatte den Schwarzen Plattentabak, bunten Kattun und Schnaps verkauft und hatte als Entgelt Ochsen und Kälber bekommen. Die hatte er in Windhuk an seinen Großkaufmann verkauft; doch hatte er immer einige bei einem befreundeten Farmer in Grasung gegeben. Er hatte sich auf diese Art schon ein ziemliches Kapital erworben und hatte gerade die Absicht gehabt, wieder einmal nach Norden zu fahren, aber diesmal, um sich in der Nachbarschaft des befreundeten Farmers anzukaufen: da war das ganze schwarze Volk rund um ihn in wildem Haß gegen die fremden, schlauen und harten Eroberer aufgestanden. Er hatte sich mit genauer Not samt seinem Hab und Gut nach Süden hin gerettet, und war nun als Reservemann eingezogen worden. Ich fragte ihn viel und er antwortete bedächtig, während er, die kurze schwarze Scheckpfeife im Mund, am Wagen lag. Ich fragte ihn, wie er es anfange, eine Farm zu gründen. Er sagte: »Ich suche mir einen Platz aus mit gutem Wasser und guter Weide; dort lasse ich mir von der Regierung so ungefähr fünftausend Hektar anweisen. Es geht nicht so genau wie in Deutschland, sondern es heißt: von dem Baum bis zu dem Wasserloch, und dann zu der Pad, und so weiter. Dann lasse ich das bißchen Vieh, das ich habe, dort weiden. Es nährt und tränkt und mehrt sich selbst, ganz wie bei Abraham und Jakob. Nach zwei, drei Jahren habe ich schon eine ganze Herde. Unterdes baue ich mir ein kleines steinernes Haus. Wenn ich allmählich anfange, einige Stücke Vieh zu verkaufen, wird aus dem Haus ein besseres.« Ich fragte ihn, ob er trotz des Aufstandes und all der Zerstörung im Lande bleiben wolle. Er sagte: »Sieh! Du kannst hier gehn und stehn und ruhn und trekken, hundert Meilen, und kein Mensch sagt Dir, was Du sollst oder nicht, und Du hast keine Sorge um Freundschaft mit dem Nachbar auf derselben Etage, oder mit dem Vizewirt um die Tapete im Wohnzimmer, oder um Tagelohn, oder um täglich Brot. Wenn Du das eine Kalb verzehrt hast, schlachtest Du ein andres. Magst Du kein Kalbfleisch mehr, schlachtest Du eine Ziege. Oder Du gehst auf die Jagd, so weit Du magst, drei Stunden oder drei Tage, und wenn Du unterwegs nicht recht was vor den Schuß bekommst, machst Du den Leibriemen etwas enger.« Ich fragte ihn, ob er wohl heiraten wolle. Er sah mich von der Seite an und sagte: »Wenn der Krieg zu Ende ist, kommt ein Mädchen aus Deutschland, mit dem ich brieflich eins geworden bin. Ich kenne ihre Eltern und auch sie ein bißchen. Die Farmerfrauen sind hier guter Dinge, das kannst Du Dir auch denken; wenig Arbeit, keine Konkurrenz, also kein Neid und Streit, viel Land, Kühe und Ochsen, ein Pferd zum Reiten, keine Sorge ums Auskommen.« So erzählte er. Ich hörte ihm gern zu, und konnte alles, was er sagte, wohl verstehn. Der Busch wurde etwas lichter. Wir zogen zuweilen mit unserer langen Kolonne durch eine stattliche, freie Ebene; aber oft ging es auch wieder durch dichten Busch, der so hoch war, daß man zur Not unter seinen Kronen, die sich berührten, unten durch reiten konnte. Die Tage waren hell und heiß, wie fast immer im Land; die Nächte kalt, einmal so kalt, daß unsere Bärte eisig wurden und das Wasser in unsern Wassersäcken gefror. Je weiter wir nach Norden kamen, desto häufiger kamen weite Flächen, welche der Feind abgebrannt hatte, uns die Weide zu nehmen; wir sahen an jedem Abend nach Norden zu starken Feuerschein. Um die Wasserstellen herum war die Weide immer kahl weithin; das Wasser war schlecht und noch dazu verunreinigt. Immer häufiger lagen die Pferde, die zusammengebrochen waren, und die Ochsen, die vorm Wagen schlapp geworden und gefallen waren. Oft hatte man ein Feuer unter ihr Hinterteil gemacht; aber sie waren doch liegen geblieben und an derselben Stelle gestorben. Am achten Tag lag alle Kilometer ein totes oder sterbendes Tier. Am achten Tag vormittags sahen wir nordwärts, nicht mehr fern, den länglichen Ballon, der über dem Lager in der Luft stand. Da ruhten wir am Mittag nur während der größten Hitze und zogen dann weiter. Gegen Abend erreichten wir das Lager. Sie waren gerade beim Abkochen. In ihren hohen gelben Stiefeln und Pluderhosen und in Hemdsärmeln saßen und hantierten sie um die Kochlöcher und riefen uns zu, als wir hindurchzogen, ob wir Post mitbrächten. Sie schienen noch guter Dinge zu sein; die Mehrzahl von ihnen war ja auch erst einen Monat im Land. In der einen Ecke hauste ein ganzer Trupp von Wittboys, häßlichen Menschen mit wilden, dunkelgelben Gesichtern; sie waren vom Süden der Kolonie gekommen uns zu helfen, trugen unsere Uniformen und wurden von deutschen Offizieren befehligt. In einer andern Ecke lagerte die große schwarze Horde der Treiber um ihre Feuer; sie lachten und schwatzten. Wagen und Geschütze standen in Haufen und einzeln rund umher. Ich wunderte mich aber, als ich am andern Morgen sah, wie stark das Lazarett besetzt war. Auch wunderte ich mich über die Pferde, nicht, daß sie von der Nachtkälte zottig waren, aber daß sie so mager und müde waren; dazu hatten viele von dem trocknen und scharfen Gras schlimme Wunden am Maul, und manche hatten große, offene Wunden an den Lenden, worin die Fliegen saßen. Viele Leute hatten ihr Pferd schon verloren und gingen zu Fuß. Von den sechs größern Abteilungen, die im Halbkreis an den Feind herangingen, um ihn zwischen sich zu erdrücken, waren wir die Mittlern; darum war auch das Hauptquartier bei uns. Ich sah den General noch am selben Abend, wie er vor seinem Zelt mit einer Patrouille redete, die dann in die Nacht hinausritt. Er war ein aufrechter, rascher Mann mit grauem Haar und Augen. Wir waren nicht weit mehr vom Feind. Jede Patrouille, die nach vorn geschickt wurde und heimkam, hatte ihn zu Gesicht bekommen. Einige hatten schwere Verluste gehabt; eine, von einem Leutnant geführt, war ganz vernichtet worden. Ich freute mich sehr, daß ich wieder in einem ordentlichen Heereszug unter so vielen muntern Kameraden war, und lebte ganz wieder auf. Tagsüber wurde fleißig im Busch geübt, ausgeschwärmt, geschlichen, gekrochen und gestürmt; es wurde Gewehr gereinigt, geflickt, gekocht. Einmal war ich einen ganzen Tag lang unterwegs, um verlaufene Pferde zu suchen. Ich fand sie und unterschlug eins davon, einen hellbraunen Ostpreußen, und mischte dafür meinen Argentinier unter die gefundenen. Ich glaube, daß der Oberleutnant es merkte, aber er sagte nichts. Er hatte mich zu seiner Kompanie genommen. Abends fand sich an einem Kochloch oder unter einem Wagen zusammen, was sich leiden mochte und vertrug. Ich traf von meinen alten Kameraden nur Peters und Gehlsen wieder, die jetzt Wagenführer bei der Stabswache waren. Unter den Neuen war einer aus Brunsbüttel. Ich saß also fast unter lauter Neuen und hörte ihren Unterhaltungen zu; ich selbst war durch das, was ich erlebt hatte, stiller geworden, und von der Weite, Öde und Hitze des Landes, in dem ich nun schon sechs Monate lebte, langsamer und gleichgültiger, als ich von Natur war. Sie sprachen gern von ihrer frühern Dienstzeit oder von ihrer Heimat, oder von ihrem Beruf. Zuletzt kam dann dieser und jener darauf zu sprechen, warum er sich freiwillig nach Südwest gemeldet hatte. Einige wollten im Heerdienst bleiben und darin rascher weiter kommen. Einige wollten sich von der Kriegslöhnung ein Stück Geld verdienen, um ihren Eltern zu helfen, oder um in ihrem Beruf selbständig zu werden. Viele hatte jugendliche Freude und Begeisterung, germanische Lust an der Fremde und am Krieg, hinausgejagt; einige hatten sich gemeldet, um auf Reichskosten ein Stück der weiten Welt zu sehen. Einige, so schien mir, wollten etwas Besonderes erlebt haben, um nachher ein Leben lang damit prahlen zu können. Einige schwiegen über die Ursache, die sie hinausgetrieben hatte; doch sagten, die ihnen nahestanden, von dem einen, daß er das Unglück gehabt hatte, unschuldigerweise, im Spiel, einen Schulkameraden zu töten, von einem andern, daß er von seiner Liebsten verlassen wäre. Diese beiden saßen oft abseits und waren stille Leute. Aber am meisten sprachen wir über den Feind, über seine Kampfweise, seine Stärke und seine Absichten, und über den entscheidenden Schlag, den wir gegen ihn tun wollten. Es waren aber unter uns Soldaten auch einige, die früher in Deutschland Offiziere gewesen waren und auf irgendeine Weise ihren Degen verloren hatten. Da sie ihn nur in einem Kriege wiederzubekommen hoffen durften, hatten sie auf den Ausbruch eines Krieges gebrannt, und hatten sich sofort als Freiwillige nach Südwest gemeldet. Nun waren sie schlichte Soldaten. Einer von diesen sprach gleich am ersten Abend viel und mit großen Worten von Pflichtbewußtsein, Selbstzucht, Ehrgefühl und dergleichen, so daß ich dachte: ›Was ist das für ein ehrenfester Mann und wie hat er seinen Degen verlieren können?‹ Aber bald nachher und später im Sandfeld merkte ich, daß er diese Reden für sich selbst hielt, und zwar ganz vergeblich; denn er nörgelte immer und meist ohne Ursache an den Vorgesetzten, vom Unteroffizier bis zum General hinauf, und drückte sich faul vor jeder Arbeit. Ein andrer war ein lieber, immer munterer und hilfreicher Kamerad; wir mochten ihn alle gern und wünschten ihm das Beste. Er war bei Hamakari auch tapfer. Aber er hat sein Ziel doch wohl nicht erreicht, und wenn er es erreicht hat, so nützt es ihm nicht viel; denn wenn seine Stunde gekommen war, vergaß er alle Vorsätze und trank und spielte wie ein Sinnloser. Die andern aber -- ich habe von mehreren gehört -- waren wackere Leute, gute, schlichte Kameraden, stramm und stumm im Dienst, und im Gefecht wie Löwen und mehrere von ihnen sind gefallen; denn nur wenn sie schwer verwundet wurden oder wenn sie zur Auszeichnung vorgeschlagen wurden, gewannen sie den Degen wieder. Da war einer in einer andern Kompanie, der hatte ganz jung geheiratet, erzählten sie, und hatte es bis zum Oberleutnant gebracht. Da war ihm nach zwei Mädchen ein kleiner Junge geboren worden. Er war darüber ganz unsinnig froh geworden; altes, tapfer unterdrücktes Erbübel hatte sein wildes Haupt erhoben; er hatte sich schwer betrunken und war in eine Straßenprügelei verwickelt worden. Da war er weggeschickt worden. Nun war er hier in Südwest. Er saß viel allein, in sich versunken; sie sagten, er schriebe nie an Frau und Kinder; er sprach kein überflüssig Wort. Jeder, Offizier wie Soldat, erwies ihm Rücksicht. Als aber in Okahandja ein Einjähriger mit einem Glas Wein in der Hand auf ihn zugekommen war und gutmütig gesagt hatte: »Auf Ihren Jüngsten!« da war er mit blassem Gesicht und verschüttetem Glas zurückgetreten. So hatte der Unglückliche ihn angesehn. Er war wie ein Gebannter. Ich bekam hier endlich die Briefe aus der Heimat, die mich lange gesucht hatten. Alle hatten geschrieben. Vater schrieb vom Geschäft; Mutter hatte mit Doktor Bartels gesprochen, wie ich mich am besten vor Typhus schützen sollte; die kleinen Schwestern schrieben von ihren neuen Sonntagskleidern. Ich machte mir, als ich ihre Briefe las, Gedanken darüber, daß ich allein schon groß war und drei so kleine Schwestern hatte. Es war mir bisher nie aufgefallen. Aber als ich mich noch darüber wunderte, sah ich auf und sah von ungefähr, wie eine Patrouille heimkam, ganz verstaubt, mit von Dornen zerrissenen Händen und Gesichtern, auf müden, verwundeten Pferden, zwei schwarze Gefangene an der Leine neben ihnen: da erkannte ich, wo ich war, warf meine Träume in die Ecke, stand auf und sah nach meinem Pferd. [Illustration] XIII Weil ich schon länger im Lande war als die andern, bekam ich am fünften Tag nach meiner Ankunft vom Hauptquartier den Auftrag, mit drei Mann eine Meldekarte zu der westlichen Abteilung zu bringen, die als die letzte von Deutschland gekommen und in ihrem Anmarsch noch etwas zurück war. Ich setzte noch durch, daß der Mecklenburger ein besseres Pferd bekam, und sah auch selbst nach, ob das Sattelzeug in gutem Stand war und ob in jeder Satteltasche der nötige Proviant und die acht Pfund Hafer waren: dann ritten wir nach Westen zu in die helle Nacht hinaus. Der Oberleutnant hatte alles genau mit mir durchgesprochen: Wasserstelle, Wegspur und Richtung nach dem Kreuz, das klar am Himmel stand. Ich sollte möglichst südlich reiten und dann nordwestlich, um zu sehn, wie weit die Feinde nach Süden hinunter säßen. Nach einem Ritt von etwa achtzig Kilometern sollte ich verrichteter oder unverrichteter Sache umkehren. Wir ritten scharf, eine Viertelstunde Trab, dann fünf Minuten Schritt. Voran ein Berliner, ein heller Junge, Sohn eines Droschkenkutschers, dann ich und ein ganz junger Elsässer, dann, hinter uns, der Mecklenburger. Es war eine kalte, klare, sehr helle Nacht. Mondschein war nicht; aber das wirre Sternenheer funkelte am ganzen Himmel. Die ersten drei Stunden vergingen ohne ein besonderes Ereignis. Der Berliner und ich lugten scharf ins Dunkle vor uns und zur Seite. Der Elsässer neben mir rückte zuweilen wunderlich im Sattel und gestand mir leise, daß er sich durchgeritten hätte; er hätte aber den Ritt so gern mitmachen wollen. Der Mecklenburger trabte treulich im Sande hinter uns her. Es war so hell, daß ich die Staubluft sah, welche die Pferdehufe hochwarfen. Zwischen dem stumpfen Aufstoßen der Hufe im Sand klang von fern aus dem Buschfeld das lange, klagende Heulen eines Schakals und das scharfe Keckern einer Hyäne, das mich jedesmal, wenn es plötzlich ansetzte, erschreckte. Zuweilen stolperte ein Pferd; mit leisem Fluch riß der Reiter es wieder hoch. Dann und wann stieß ein Huf gegen einen Stein, daß es einen hellen Klang gab. Nach Nordwest zu stand überm Busch hinter fernen, hohen Bäumen ein heller Feuerschein; der Berliner behauptete, er könne riechen, daß es ein Grasbrand wäre. Der Mond ging auf. Ein klares, sanftes Licht lag weich und still weit und breit über dem Busch. Etwas nach Mitternacht, als wir eine langsam ansteigende Wagenspur hinauftrabten, hob der Berliner die Hand und deutete nach rechts vor uns über eine Lichtung. Nicht fünfhundert Meter von uns entfernt, ganz unten an der Erde, glühten, klein und wie umhegt, mehrere Feuer, wie Katzenaugen im Dunkeln unter Büschen. Da unsere Pferde laut schnoben, was sie in der Nachtkälte oft taten -- und die Nacht war nun bitterkalt -- stiegen wir leise ab und führten sie eine Weile und spähten dabei nach rechts, nach den Feuern. So kamen wir bald an eine Stelle, wo das lange Gras zu beiden Seiten des Weges zertreten war. Da legte ich mich in die Knie und kroch eine Strecke, und sah die Spuren unendlich vieler Kinderfüße, dazwischen die Spuren Erwachsener. Große Kinderscharen, von ihren Müttern geführt, waren hier nach Nordosten zu über den Weg gegangen. Ich stand wieder auf und ging nach einem niedrigen Baum, der da am Wege stand, und kletterte in meinen schweren Stiefeln einige Meter hinauf. Da sah ich, nur hundert Meter von mir entfernt, eine breite, mondbeschienene Anhöhe hinaufsteigend, Hunderte von runden Laubhütten, aus deren niedrigen Eingängen hier und da Feuerschein blitzte, und hörte auch Kinderweinen und das Aufblaffen eines Hundes. Es lagen da Tausende von Frauen und Kindern unter leichtem Laubdach um versunkene Feuer. Und weiter dahinter, auf immer breiter werdender Anhöhe, bis zum Rande des Gebirges, das scharf gegen den blauen Sternhimmel aufragte, standen in Haufen Hütten, wie Klumpen, verschwommen und dunkel. Auch von dorther kam Hundegebell und Viehbrüllen. Ich starrte mit großen, lungernden Augen auf das mächtige nächtliche Bild und merkte mir genau die Lage zum Rand des Gebirges; doch fuhr es mir durch den Kopf: ›Da liegt ein Volk, mit all seinen Kindern und all seinem Hab und Gut, von allen Seiten von wildem, schrecklichem Blei gedrängt und zum Tode verurteilt;‹ und es ging mir kalt über den Rücken. Wir gingen vorsichtig weiter, erst zu Fuß; dann stiegen wir wieder in den Sattel. Um sechs Uhr, im anbrechenden Morgenlicht, kamen wir an eine Stelle mit hohem, krausem Gras, das die Pferde gern fraßen. Da lockerten wir die Sättel und ließen die Pferde eine Stunde lang grasen, während wir, die Trense in der Hand, dabei standen. Rechts von unserer Wegrichtung erhob sich steil, mit Wucht und Kraft, wie eine Festung, der breite Berg, vor dem das feindliche Volk lagerte. Die Morgensonne beschien warm und hell die Wälder, die auf seinem Rücken lagen, und vertrieb die Nebel, die noch hier und da in den Waldecken hingen. Als wir wieder in den Sattel stiegen, merkte ich, wie steif und müde unsere Pferde waren, besonders das des Mecklenburgers. Da wir vom Feind nichts sahen, auch keine Spur mehr über den Weg lief, als höchstens die eines einzelnen, glaubte ich, daß wir die Stellungen des Feindes hinter uns hätten. Auch der Berliner meinte es. So ritten wir langsam vier Stunden, in immer größerer Hitze; da trafen wir drei tiefe Wasserlöcher im kalkigen Grund, seitwärts von einem hohen Baum. Der Berliner warf einen Stein hinein und hörte am Klang, daß Wasser in der Tiefe war. Da beredete ich es kurz mit dem Berliner, daß wir hier der Pferde wegen, die am Ende ihrer Kraft waren, eine ordentliche Mittagsrast halten wollten. Wir sattelten also ab, banden die Trensen zusammen, die Futtersäcke daran, ließen den Berliner hinuntersteigen und holten ein wenig schlechtes aber kühles Wasser herauf und tränkten die Pferde. Wir tranken aber selbst nicht von dem Wasser, sondern nahmen das letzte aus unsern Wassersäcken und füllten von dem schlechten Wasser hinein und gingen nach einem hohen Baum, um zu essen. Ich weiß noch, daß mir der Gedanke durch den Kopf fuhr, daß wir in der brennenden Sonne bleiben wollten, weil der Baum mir zu nah am Busch stand; aber ich gönnte ihnen den kühlen Schatten und ich wollte nicht, daß der Berliner, der ziemlich naseweis war, mich heimlich für feige hielte; ich verließ mich auch auf die Lebendigkeit des Berliners, der als erster wachen sollte. Indes wollte ich die Pferdewache übernehmen. Ich erzähle dies so genau, weil ich mir immer wieder Gedanken mache, ob ich etwas versehen habe. Als ich wohl bald zwei Stunden zwischen den weidenden Pferden gestanden hatte, die Trense in der Hand, und mich grade bücken wollte, um eine große, stechende Fliege zu töten, welche zwischen den Vorderbeinen meines Pferdes saß, daß es heftig stampfte, da hörte ich von der Lichtung her einen kurzen, furchtbaren Aufschrei, der sich mir sofort wie ein harter Druck aufs Gehirn legte. In die Höhe fahrend sah ich, wie sich zwanzig oder dreißig Feinde mit Gewehren und Keulen um meine liegenden Kameraden drängten, die unter Schüssen und Hieben liegen blieben. Der Berliner, der noch eben, halbaufgerichtet, zum Schuß kam, erhielt im selben Augenblick, das Gewehr an der Backe, einen furchtbaren Kolbenhieb, daß er in sich zusammensank. Im selben Augenblick kamen auch Schüsse von links her über die Lichtung gegen mich. Laute Rufe und Scheltworte flogen heran. Kriechend und springend kamen sie durch das hohe, bewegte Gras auf mich zu. Da sprang ich, die Trense noch in der Hand, in fliegender Eile auf das nächste ungesattelte Pferd und brachte das müde Tier in Galopp und entkam ihnen am Busch entlang. Ich weiß nicht viel von den nächsten Stunden. Ich weiß nur, daß es mir entsetzlich schwer und dumpf auf dem Schädel lag, als wäre mein Hut voll Blei, und daß ich den Kopf sonderbar geduckt zwischen den Schultern hielt und die Augen halb geschlossen und daß ich immer die furchtbaren Hiebe fühlte, die ich gesehen hatte. In schrecklich wüster Dumpfheit und wirrem, halbverrücktem Grübeln ritt ich wohl drei Stunden lang. Wann und wie ich dem Pferd die Trense angelegt habe, weiß ich nicht. Es war das erbärmliche Pferd des Mecklenburgers. Als mir ein wenig klarer wurde, dachte ich nach, wohin ich wohl ritte, und wußte es nicht. Ich sah nach der Sonne; aber sie stand fast grade über mir. Da richtete ich mich nach dem leisen Wind, der die Nacht über vom Meer her geweht hatte und ritt ihm entgegen. Ich ritt immer grade aus, zwei oder drei Stunden, aber ich traf keine Spur oder Weg oder Menschen. Ich kam über lichte Stellen und durch hohen, dichten Busch, der über meinem Kopf zusammenkam. Mein Rock war von den Dornen zerfetzt und Gesicht und Hände waren blutrünstig. Um das Pferd zu schonen, stieg ich zuweilen ab und führte es; es war übermüdet und verdurstet. Als ich mich wieder aufgesetzt hatte und über eine Lichtung ritt, stolperte es und fiel in die Knie und blieb eine Weile in den Knien liegen; dann fiel es mit Stöhnen um. Da ließ ich es und ging zu Fuß weiter. Ich zog mein Messer heraus und band es mir mit einem Ende Tau um das linke Handgelenk, damit ich es zur Hand hätte, wenn ich etwa das Gewehr nicht mehr brauchen könnte; ich wollte mir lieber das Letzte antun, als daß ich lebend in ihre Hände fiele. Nachdem ich es gut angebunden hatte, wagte ich es und gab drei Schüsse ab und horchte, ob eine Antwort käme; aber es kam nichts. Die Sonne sank und ich sah nun, wo Westen war. Aber es half mir nicht viel, daß ich es wußte, weil mir ganz unbekannt war, in welcher Richtung ich in den ersten Stunden nach dem Überfall geritten hatte. Meine Zunge lag schwer und dick im Mund; mein Hals wurde trocken bis in die Brust hinunter; meine Gedanken wurden stumpf. Ich dachte, daß ich hier so allein und so erbärmlich umkommen müßte -- wie gern läge ich unter dem Baum, weit im Osten, wo meine lieben Freunde lagen --, ich quälte mich mit der Heimat, gab jedem die Hand und sagte ihm, daß ich nun vom Leben schiede und er sollte nicht so sehr trauern, das Leben wäre doch nicht viel wert, und ging auch zu dem Oberleutnant und sagte ihm, daß er mir vergeblich vertraut hätte, ich wäre kein klarer und ruhiger Mensch, sondern von meiner Kindheit an ein Träumer gewesen. Ich wollte ein leises Wort sagen, um meine Stimme zu hören, aber ich konnte es nicht. Ich ging aber immer weiter, in den schweren Stiefeln, durch Sand und durch hohes, spärliches, hartes Gras, kletterte auch zwei- oder dreimal auf einen Baum oder auf einen Termitenhaufen. Einmal erschreckte mich ein großes, schweres Tier, wie ein Ochse; es hatte aber zwei Hörner, lang, und wie Spieße aufrechtstehend. Ich habe nicht erfahren, was für ein Tier es gewesen ist, da ich mit keinem über diese Stunden gesprochen habe. Einmal erhob sich nicht weit von mir ein riesiger Baum, der ganz abgestorben war. An einem seiner toten Äste hing eine dunkle Masse dichten Flechtwerks, so groß und so gestaltet wie der Leib eines Ochsen; darin wohnten unzählig viele kleine graue Vögel. Eine dicke, dunkle Schlange wand sich langsam heraus aus den Nestern und wandte züngelnd den Kopf hin und her, als wäre sie vom Sonnenschein geblendet; ich lief in Angst weiter. Einmal stieg ich auf einen Felsen, der plötzlich, zehn Meter hoch, aus dem Buschfeld aufstieg. Ich sah aber nichts, als an mehreren Stellen in der Ferne Rauch oder sonnebeschienenen Staub. Rund um mich lag weit und breit das stille Buschfeld. Gegen Abend kam ich an eine undeutliche, lange nicht befahrene Wagenspur. Da ruhte ich nicht weit davon, im Busch versteckt -- ich dachte, es könnte doch jemand dieses Wegs kommen --; und schlief ein. Als ich erwachte, weil mich sehr fror, war es Nacht. Es war eine Nacht, wie die vorige: kalt, und die Sterne klar. Da stand ich auf und sah mich in großer Not um und begehrte, tot zu sein. Da, wie ich so stand, kam plötzlich schräg vor mir über das Buschfeld hin ein grelles, scharfes Aufblitzen. Nun wieder! Nun wieder! Eine Signalstation! Aber wie fern wohl! Wohl viele, viele Meilen weit! Wie hell und warm es schien! Da waren Kameraden; da war Rettung. Es war töricht, schien mir, drauf loszulaufen; aber ich merkte mir am Himmel die Richtung; und lief, so rasch ich konnte. Ich lief wohl zwei Stunden oder mehr; ich zerriß mir an den schrecklich langen und harten Dornen Kleider, Gesicht und Hände. Da merkte ich mit heißer Freude, daß ich näher kam. Denn das Licht fing zusehends an, höher über den Büschen zu blitzen; es war aber zu nahe, als daß es etwa von einem fernen, hohen Berge herabkäme. Da schrie ich laut und lief noch mehr. Aber das gab ich bald wieder auf. Ich lief wohl noch eine halbe Stunde, da fing ich wieder an zu rufen, damit sie nicht auf mich schössen. Da fingen sie an zu antworten: »Komm nur her! Wer bist Du denn? Komm 'ran!« Aus den Büschen kam ich heraus und lief über die Lichtung zu ihnen, die am Fuß von klippigen Felsen standen, und sagte, wer ich wäre und wie es mir gegangen wäre. Sie sagten: »Du armer Teufel. Wir können Dir wenig helfen; wir sitzen hier selbst im schlimmsten Dreck. Unser Unteroffizier, der das Signalgeben versteht, ist vorgestern mit einem andern zum Wasserloch gegangen und nicht wiedergekommen; und der Gefreite, der die Lampe jetzt bedient, ist krank. Und wir haben seit vierzehn Tagen keine Ablösung, keinen Schlaf und kein Brot, bloß ein bißchen Reis, Büchsenfleisch und Wasser; und warten, bis die Schwarzen kommen und uns abtun.« Zwei von ihnen waren gleichmütig liegen geblieben, in ihre Mäntel gewickelt. »Die sind krank,« sagten sie. Ich hörte nicht auf das, was sie noch sagten; ich hörte das Wort »Wasser« und bat sie. Sie gaben mir aus einem Wassersack zwei Deckel voll. Da merkte ich, daß es eklig war und nahm den dritten Deckel voll nicht an. Unterdes rief der Gefreite von oben immerzu, wer da unten wäre, ob Ablösung da wäre. Ich merkte an der Sprache, daß er ein Bayer war. Sie sagten zu mir: »Geh hinauf und rede mit ihm und sprich ihm gut zu. Er hat zwei Nächte nicht geschlafen.« Ich kletterte die Felsen mühsam hinauf und kam zu ihm. Er stand im Mantel neben der Lampe, und riß im Takt die Blende ab, daß es grell in die Nacht hinausschien. Das Licht flackerte in dem eisig kalten Nachtwinde. Er flog am ganzen Körper. Nun ließ er ab von der Lampe und sah scharf über das nächtliche Buschfeld nach einem Licht, das fern am Horizont aufblitzte und schrieb mit hin- und herfliegender Hand auf einem Block Papier, was er sah, fragte mich in Absätzen nach woher und wohin und sagte: »Wir sind schmutzig und hungrig und durstig und krank, und zwei von uns sind schon abgetan; und keiner kommt und löst uns ab.« Ich fragte ihn: »Hast Du Verbindung mit der neuen Abteilung?« Er sagte: »Grade seit einer Stunde,« und lächelte kläglich und sagte: »Man wird noch verrückt hier. Gestern nacht habe ich lauter dummes Zeug signalisiert, immer los: ›So leben wir, so leben wir,‹ und so was; aber sie haben den Unsinn nicht verstanden.« Er ließ den Block sinken und hockte sich nieder und schüttelte sich. Er schien zu meinen, daß ich Ablösung wäre. Ich wollte ihn aufmuntern und fragte ihn nach den Lichtern, die hier und da durch die Nacht zuckten. Er raffte sich wieder auf und zeigte mir mit hastender Hand das Licht jeder Abteilung. Im Halbkreis lagen sie um den Feind, bereit, ihn morgen gegen die Wand des breiten Berges zu drücken, vor dem er stand. Indem er noch zeigte, blitzte oben, vom Berge herab, ein neues Licht. Grell und frech stand es plötzlich da. »Sieh,« sagte er verwundert. »Die sind hinten herum auf den Berg geklettert. Nun stehen sie da oben hoch über dem Kopf des Feindes, und übersehen alles und melden, was sie sehen.« Ich sah lange nach dem grellen Licht und dachte trotz meiner eignen Not an die zehn oder zwanzig Kameraden, die da oben auf den ungastlichen Höhen saßen, jeden Augenblick gewärtig, überrannt zu werden. Und sah nach dem weiten Gebiet, das dunkel zwischen all den Lichtern lag. Da saß im Busch das feindliche Volk. Mit welchen Gedanken mochten sie und ihre Kinder die Lichter sehen? Der Bayer hatte wieder nach der Lampe gegriffen und wollte das Empfangene weitergeben. Er redete leise bei sich selbst, sank in sich zusammen und stellte sich dann wieder stramm --: da hörten wir unter uns aus dem Busch her Pferdeschnauben und gleich darauf die helle Stimme eines Offiziers. Da kletterte ich eilig hinunter und stand und hörte, wie der Offizier fragte, was hier los wäre, da wäre so eine verrückte Meldung gekommen. -- Da trat ich vor und nannte mich: Gefreiter Moor, und woher ich käme und daß der Bayer oben krank und nicht ganz mehr bei Sinnen wäre, und daß ich Kameraden und Pferd verloren hätte. Und ich möchte wieder zu meiner Abteilung. Er schickte einen Mann den Hügel hinauf und sagte, es wäre nicht nötig, daß ich den gefährlichen Ritt jetzt sofort machte; denn sie hätten jetzt wieder Signalverbindung mit dem Hauptquartier. Ich aber sagte: »Ich habe meine Kameraden verloren und muß melden, wie es gekommen ist.« Er hatte wohl Mitleid mit mir und sagte: »Wir haben einen überzähligen Gaul bei uns. Schön ist er nicht; aber wenn Sie gern hinüber wollen, sollen Sie ihn haben.« Er ging noch selbst mit mir zu dem Pferd und ich glaube, daß er mir ein besseres gab; denn ich hörte, wie er leise zu dem Unteroffizier sagte: »Er hat sieben Stunden zu reiten und reitet allein.« Er sah auch selbst nach dem Sattelzeug, fragte mich, ob ich gedienter Kavallerist wäre, zog am Gurt und sagte: »Nach drei Stunden müssen Sie den Gurt anspannen,« und zeigte mir den Proviant für mich und das Pferd in der Satteltasche. Dann rief er nach dem Hügel hinauf: »Wo steht das Hauptquartier?« Die deuteten mit der Hand. Er zeigte mir noch am Kreuz, das klar am Himmel stand, die Richtung und empfahl mir, gradeaus zu reiten bis ich an die große Pad käme, und ließ mich ziehen. Auf diesem Ritt, der zehn Stunden dauerte, begegnete mir keinerlei Unfall. Ich erreichte todmüde den Weg, den meine Abteilung zog, und zwar an der Wasserstelle, an der ich sie vorgestern verlassen hatte, trank und tränkte auch mein Pferd und ritt dann den Weg hinauf, den sie heute und gestern gezogen waren. Es lagen viele tote und sterbende Tiere an dem Weg. An der nächsten Wasserstelle traf ich die Abteilung rastend. Ich meldete mich und berichtete und ging dann nach meiner Backschaft und setzte mich auf die Erde, und schlief sechs Stunden wie ein Toter. Sie sagten nachher, sie hätten mich mit Fragen überstürmt; ich hätte sie auch angesehen; aber ich hätte kein Wort gesagt, sondern wäre hingefallen und hätte geschlafen. An diesem Abend war ein eifriges Leben im Lager. Jeder war betriebsam. Der eine sah sein Gewehr nach; der andere füllte sorgfältig seinen Patronengurt; der dritte sorgte um sein Pferd; der vierte und fünfte lag auf der Erde und schrieb einen Gruß nach Hause. Als wir uns zum Schlafen um unser Kochloch in den Sand legten, sagte der Freiwillige, der zehn Jahre älter war als wir: »Na, Jungs, nun betet noch ein Vaterunser. Wer weiß, ob Ihr es morgen abend könnt.« Feuer brannte in dieser Nacht nicht. [Illustration] XIV Schon vor Mitternacht rückten wir weiter vor, dem Feinde zu. Es wurde gesagt, daß unsre Abteilung etwa gegen Morgen auf den Feind stoßen würde. Voran ritten als Kundschafter die Wittboys. Dann kam unsre Kompagnie. Ein Teil von ihr war abgesessen und suchte zur Seite des Wegs im Busch vorwärts zu kommen; der andre Teil ritt noch auf dem Weg. Ich ritt im dritten Zug. Hinter uns, dicht aufgeschlossen, fuhr die Artillerie. Wir marschierten möglichst lautlos; aber es gab doch allerlei Lärm: Schnauben der Pferde, Stoßen der Räder, ein ungeduldiger, zorniger Ruf, ein Peitschenhieb. Mich fror heftig im Sattel. Damit ich nachher, wenn ich schießen sollte, nicht steife Finger hätte, legte ich die Zügel über den Patronengurt und steckte die Hände in die Taschen. Endlich graute der Morgen; und bald schossen am hellgrauen Himmel von unten herauf zarte, rosige Streifen Lichtes gegen die Himmelshöhe. Rasch wurden die Farben tiefer, fröhlicher und stärker. Es jauchzte das Rot in seiner Fülle und es freute sich das Blau seiner reinen Schönheit. Es kam herauf und dehnte sich und stieg auf wie eine neue Welt, die war wohl tausendmal schöner als die alte. Und dann kam groß und klar die Sonne, wie ein großes, ruhiges, weitoffnes Auge anzusehn. Obgleich ich als ein guter Soldat mit allen Sinnen nach vorne hin dachte, nach dem Feinde zu, und den schweren Stunden, denen ich vielleicht entgegenginge, sah ich doch die Himmelsherrlichkeit. Neben mir ritt ein Hamburger, ein frischer, ruhiger Junge. Er hatte mir mal gesagt: »Siehst Du, man muß einmal was Ordentliches erlebt haben: Wie soll man sonst ein tüchtiger, ernster Mensch werden? Darum bin ich hierhergekommen!« Er wollte nachher in das Geschäft seines Vaters eintreten. Er ritt wie ich, die Zügel überm Patronengurt, die Hände in den Taschen; er hatte aber die Stirn heute morgen sehr kraus gezogen und sah scharf vor sich hin. Schräg hinter mir ritt der gewesene Offizier. Um diese Tageszeit sollten wir nach den Aussagen unsrer Patrouillen den Feind erreichen. Aber er war nicht da. Da dachte ich mit vielen andern, daß es wieder nichts würde, und ärgerte mich sehr. Doch hörten wir bald darauf von rechts herüber Kanonendonner. Es wurde acht; es wurde neun. Der Busch wurde so eng, daß die Ausgeschwärmten nicht weiter konnten. Sie kamen heraus und zogen sich auf dem Weg zusammen. Die Sonne stieg und stieg; es wurde ein heißer Tag. Es fing an, warm im Sattel zu werden. Die Pferde wurden müde. Ein kleiner schmaler Leutnant mit einem zähen, hagern Gesicht und scharfen Augen ritt an meiner Seite vorüber und sagte mit gedämpfter Stimme: »Wir sind keine drei Kilometer von den Wasserlöchern.« Er hatte in den letzten Tagen mehrmals eine gefährliche Patrouille bis in diese Gegend geritten und kannte jeden Busch. Da fiel vorn der erste Schuß. Die Gewehre flogen aus dem Schuh. Wir waren mit raschem Schwung aus dem Sattel; die Zügel flogen über den Pferdehals; die Pferdehalter griffen zu. Unsre Kompanie war nur neunzig Mann stark; zehn ließen wir bei den Pferden; nur achtzig Mann gingen wir in den dichten Busch hinein. Die Feinde schossen heftig und stießen kurze, wilde Rufe aus. Ich sah einen von den Unsrigen verwundet; er kauerte und untersuchte seine Wunde am Schenkel. Ich sah noch nichts vom Feinde. Aber da sah ich, einen Augenblick nur, ein Stück von einem erhobenen Arm im graubraunen Kordrock und schoß dahin. Dann lag ich und spähte auf ein neues Ziel. Es ging lebhaftes Feuern hin und her. Wenn einer von uns getroffen zu haben glaubte, verkündigte er es mit lauter Stimme: »Der steht nicht wieder auf! Mensch, mitten in die Brust!« Der dritte Mann zu meiner Rechten, der ein wenig nach vorn an einem Busch lag, zuckte zusammen. Drüben schrie eine lachende Stimme: »Hast genug, Dütschmen?« Der Kamerad sagte mit ruhiger Stimme: »Ich habe einen Schuß in der Schulter« und kroch auf allen vieren zurück. Ich hörte durch all unser eigen Schießen, daß wir auch von links her Feuer bekamen. Nun wurde dies Feuer stärker. Sie kamen näher. In dichten Reihen krochen und schossen und schrien sie heran. Zwei von meinen Nachbarn schossen nicht mehr. Wir krochen um eine, zwei Körperlängen zurück. Sie schrien und riefen: »Paß auf, Dütschmen! Paß auf!« Und lachten wild. Andre schrien: »Hurra, Hurra!« Es wimmelte von Menschen. Ich glaubte, daß sie nun hervorbrächen, im wilden Sturm, und daß es aus mit uns wäre. Ich hatte wegen unsrer Verwundeten eine furchtbare Angst für den Fall, daß wir zurück mußten. Ich nahm mir fest vor, wenn das Kommando käme, laut zu rufen: »Die Verwundeten mitnehmen!« Aber als ich es eben bei mir beschloß, kam ein Unteroffizier mit einigen Mann und ermutigte uns durch einige Worte: »Haltet! Ich schicke Hilfe.« Bald darauf hörte ich hinter mir etwas schleifen und klirren und eine ruhige, sanfte Stimme hinter mir sagte: »Nu rück mal ein bißchen zur Seite.« Das Rohr eines Maschinengewehrs schob sich neben meinem Gesicht vor. Gleich darauf knatterte es los. Die rasende Kugelsaat pfiff in die Büsche, prasselte und pfiff. Wie schön das klang! Wie sicher und ruhig ich schoß! »Getroffen habe ich!! Hast gesehn? Mensch, schieß! da ... da!« Nun donnerten auch die Kanonen von einer Anhöhe hinter uns über unsre Köpfe weg. Da wurde es drüben etwas stiller. Und da kam auch schon der Ruf: »Sprungweise vor!« Wir sprangen auf und stürzten vor; aber eine entsetzliche Kugelsaat prasselte gegen uns an -- wir warfen uns wieder hin. Schräg vor mir hatte ein Unteroffizier eine Kugel in den Leib bekommen; das Blut strömte sofort mit Gewalt aus der Wunde, er kauerte und versuchte, es mit seinem Taschentuch zu hemmen und rief laut um Hilfe. Er war ein schmucker hellblonder Mensch. Da kam der gewesene Offizier, der Gebannte, schräg von der Seite, faßte den Verwundeten an den Schultern und zog ihn hinter uns. Die Kugeln schlugen um ihn; der Lauf seines Gewehrs flog getroffen klappernd zur Seite. Er legte sich ruhig wieder an seinen Platz. Von drüben, im Busch, schossen sie mit wildem Eifer und schrien vor Wut. Wir kamen nicht vorwärts. Ich weiß nicht, wie lange wir so lagen und schossen. Es sind wohl Stunden gewesen. Ich wunderte mich einmal, daß sich kein Offizier bei uns sehen ließ, und vergaß es wieder. Der Schweiß rann mir wie Wasser über den ganzen Körper. Nicht meine Zunge, mein Hals, mein ganzer Körper schrie nach einem Schluck kühlen Wassers. Seitwärts versuchte ein Lazarettgehilfe einem Verwundeten einen Gummischlauch um den stark blutenden Schenkel zu legen. Der Verwundete bat in süddeutscher Mundart: »Bring' mi ein bißle zurück; kannscht das?« Da schleppte der ihn keuchend zurück. Das Feuer drüben wurde schwächer. Eine Stimme befahl: »Langsamer feuern.« Von drüben klang es heiser und höhnisch nachäffend: »Langsamer feuern!« Ein Verwundeter rief laut und ängstlich nach Wasser. Wir lagen, Gewehr im Anschlag, und warteten. Von rechts her ging es von Mund zu Mund: »Der Hauptmann ist tot. Der Oberleutnant auch. Alle Offiziere ... Und fast alle Unteroffiziere.« Ich nahm mit der linken Hand meine Feldflasche, während ich das Gewehr aufliegen ließ, und nahm den kleinen Schluck, den ich für die höchste Not aufgespart hatte. Als ich die Flasche absetzte, dachte ich, daß dies vielleicht mein letzter Trunk gewesen wäre, und dachte auch an meine Eltern. Ich meinte, daß der Feind ein wenig Luft holen und gleich im Sturm vordringen würde. Aber es geschah nichts. Da kam ein Oberleutnant, der zum Stabe gehörte, geduckt unsere Reihe entlang. Als er hinter mir war, kniete er da, tippte auf meinen Stiefel und sagte: »Gehen Sie zum General und melden Sie, daß wir nach meiner Schätzung etwa einen Kilometer von den letzten Wasserlöchern entfernt sind.« Ich hob mich vorsichtig in die Knie und lief gebückt zurück und kam auf den Weg. An einem Termitenhaufen, der wohl drei Meter hoch war, mühte sich ein Arzt und ein Lazarettgehilfe, einen Verwundeten vor dem Verbluten zu schützen; ich glaube aber, daß sie zu spät kamen: er lag wie ein Toter auf seiner roten dunkeln Decke. Dann sah ich den Ballon nicht weit vor mir. Darauf zu rannte ich über die Lichtung. Die langen Reihen der Ochsen, in Geschirren vor ihren Wagen, hoben die offenen Mäuler, witterten lechzend die Wasserlöcher und brüllten heiser. Die Kameraden an den Pferden und die bei den Wagen riefen mich mit trockener Stimme an: »Macht doch vorwärts, Ihr Kerls da vorne! Sind wir bald beim Wasser? Geht es vorwärts?« Sie sahen mich aus tiefen, trockenen Augen an. Die Pferdehalter hatten ihre Mühe mit den verdurstenden Tieren, die in dichten Haufen standen, von Insekten umschwärmt und gepeinigt. Die Sonne glühte herab. Eine dicke, schrecklich dürre Staubluft lag über dem ganzen Lager. Vor einem Lazarettwagen standen in weißen Mänteln die Ärzte um einen Tisch, auf dem einer lag. Ich wunderte mich, wie viele da schon im Schatten des Wagens lagen; fünf oder sechs davon tot, darunter unser Hauptmann. Ein Verwundeter, ich glaube, es war ein Leutnant, tränkte mit seiner gesunden Hand die Schwerverwundeten; der andere Arm blutete ihm schwer. Auf dem Wagen des Generals stand ein Mann am Heliograph. Der General stand daneben, einige Offiziere und Ordonnanzen bei ihm, alle zu Fuß. Ich machte meine Meldung und hörte noch, wie einer sagte: »Die Tiere halten nicht mehr und die Leute verdursten uns.« Im nächsten Augenblick, da ich mich schon umgewandt hatte, um nach vorn an die Front zu laufen, kam von hinten her, von zwei oder drei Seiten wildes Schreien und Schießen aus dem Busch. Die Posten, die rundum auf der Erde lagen und knieten, erwiderten sofort. Die Stimme eines Offiziers klang scharf und hell: »Schwärmen.« Ich lief und sah noch im Lauf, wie ein Hagel von Kugeln die Wand des Lazarettwagens zersplitterte und die Ärzte nach ihren Gewehren griffen und einer von ihnen verwundet wurde, und hörte noch, wie einer von ihnen sagte: »Wir wollen doch die weißen Röcke ausziehen.« Dann lag ich an einem Busch und schoß gegen die Feinde, die unter wilden Rufen durch die Büsche vorstürmten. Schreiber, Ordonnanzen, Fahrer, Bedeckung, Offiziere, alles stürzte heran und lag nebeneinander und wehrte sich seiner Haut. Die Artillerie machte im Feuer kehrt und feuerte über uns weg. Aufgeregt vom Lauf und von dem plötzlichen Angriff gab ich ein heftiges Schnellfeuer. Eine Stimme neben mir sagte: »Ruhiger schießen.« Ich schoß ruhiger und dachte: ›Wer hat das gesagt?‹ und griff nach dem Patronengurt und sah nach der Seite: da lag der General zwei Mann von mir und schoß ruhig, wie es sich für einen alten Soldaten ziemt. Sie drangen in dichten Reihen durch den Busch heran und schrien und schossen. Aber wir lagen ruhig und schossen gut. Da wurden sie stiller. Die Offiziere standen auf und gingen wieder in die Mitte des Lagers. Gleich darauf kam der Befehl, daß das Lager zweihundert Meter vorrücken sollte. Ich sah noch im Vorbeilaufen, wie sie anfingen, die Verwundeten und Toten in die Wagen zu heben. Dann lief ich wieder nach vorne in die Schützenlinie an meinen Platz. Nun, da ich wieder lag, fühlte ich, wie sehr ich ausgedörrt war. Ein Bitten und Klagen und Quälen um Wasser ging durch die Reihe. Von hinten her klang das heisere Brüllen der verdurstenden Tiere. Ich glaube, es war um diese Zeit, nachmittags vier Uhr, kein Tropfen Wasser mehr im ganzen Lager, außer für die Verwundeten. Da wurde die ganze dünne Front entlang alles daran gesetzt, Gewehr, Geschütz und Maschinengewehr. Ein wildes Schnellfeuer prasselte gegen den müde werdenden Feind. Dann ging es von Mann zu Mann: Wir wollen stürmen. Nun gellte der Ruf. Niemals in meinem Leben vergesse ich ihn. Mit wildem Schreien, mit verzerrten Gesichtern, mit trockenen, brennenden Augen sprangen wir auf und stürmten vorwärts. Die Feinde sprangen, schossen und stoben mit lautem Schreien zurück. Wir liefen ohne Unterbrechung schreiend, fluchend, schießend bis zu der ziemlich großen Lichtung, auf der die heißbegehrten Wasserlöcher lagen, und gleich darüber weg bis an ihren jenseitigen Rand, wo der Busch wieder anfing. Das ganze Lager: die schweren Wagen mit den langen Ochsenreihen, die Hunderte von Pferden, die Lazarettwagen mit Ärzten, Verwundeten und Toten, das Hauptquartier: alles kam hinterher und lagerte sich auf der Lichtung. Wir aber lagen rund um sie am Rand des Buschfelds und wehrten die Feinde, die bald hier, bald da in wilden Haufen mit lautem Schreien durch den dichten Busch heranbrachen. Und nun kletterten sie hinter uns mit Feldkesseln in die zehn Meter tiefen Wasserlöcher und füllten die Eimer, die an zusammengebundenen Zügeln herabgelassen wurden, und fingen an, Mensch und Tier zu tränken. Wenn je zehn Tiere ein wenig bekommen hatten, war das Wasserloch leer. Es waren wohl zehn oder zwölf Löcher an dieser Stelle. Die Sonne ging unter. Einige von uns schlichen hoch und hieben mit ihren Seitengewehren Buschwerk ab und machten einen Kraal vor uns. Die Artilleristen stellten hinter uns die Maschinengewehre und Geschütze auf und knieten daneben. Abgesandte Kameraden krochen von Mann zu Mann und gaben uns ein wenig Wasser. Hinter uns im Lager tränkten sie im Dunkeln die unruhig drängenden Haufen der Tiere; an den Lazarettwagen gingen die Pfleger mit Laternen in der Hand und beugten sich über jeden. Dazwischen feuerten die Feinde noch immer. Rund ums Lager blitzte es auf im dunkeln Busch. Erst gegen Mitternacht wurde es stiller. Wir reichten uns von Hand zu Hand ein wenig Zwieback. Dann kam die völlige Dunkelheit und das Schießen hörte auf. Was hatte der Feind vor? Hier lagen wir, vierhundert Mann, in dunkler Nacht, übermüde, halb verdurstet, und vor uns und um uns ein wildes, rasendes Volk von sechzigtausend. Von den anderen deutschen Abteilungen wußten und hörten wir nichts. Vielleicht waren sie abgetan, und die sechzigtausend ziehen sich nun zusammen und fallen über uns. Von fernher hörten wir durch die stille Nacht das Brüllen von ungeheuren, verdurstenden Viehherden und fernes, schweres Getöse wie vom Ziehen eines ganzen Volkes. Ostwärts stand ein riesiger Feuerschein. Ich lag, so lang ich war, das Gewehr bereit, und ermunterte meine todmüden Kameraden, daß sie wachten. So kam allmählich der Morgen. Da stießen einige Patrouillen vorsichtig vor. Und da erfuhren wir zu unserer großen Verwunderung, daß der Feind abgezogen war, und zwar in wilder Flucht. Wir wären ihm gern gleich gefolgt; aber wir hatten noch keine Nachricht von den anderen Abteilungen. Auch waren Mensch und Tier am Ende ihrer Kraft. So ruhten wir denn diesen Tag, aßen ein wenig dürftiges Essen und reinigten und besserten an unserm Zeug und unseren Gewehren; denn wir sahen aus wie Leute, die sich in einem Anfall von Tobsucht zerschlagen, zerschunden und beschmutzt hatten. Die Raserei stand uns noch auf der gefurchten Stirn und stand noch schrecklich in unseren Augen. Unsere Toten lagen im Schatten eines Baumes mitten unter uns. Wir hatten viel Arbeit mit den Tieren, daß sie uns nicht umkamen. Wir konnten sie lange nicht satt tränken, und Weide konnten wir ihnen gar nicht geben; denn die ganze Gegend war vom Vieh der Feinde so kahl gefressen, als wenn Ratten und Mäuse alles rein abgenagt hätten. Noch in die Erde hinein hatten Menschen und Vieh nach Wurzeln gewühlt und gesucht. Es war ein trübseliger Tag. Die Sonne glühte. Ein Gestank von altem Dünger erfüllte stickig das ganze Land. Am Nachmittag kam endlich Botschaft von den anderen Abteilungen. Zwei meldeten, daß sie den Feind geschlagen hätten, die dritte, daß sie sich mit Mühe und Not seiner erwehrt. Der Feind war mit seiner ganzen ungeheuren Masse, mit Weibern, Kindern und Herden, ostwärts entflohen. Gegen Abend begruben wir unsere Toten unter dem Baum. [Illustration] XV Am andern Morgen wagten wir es, den Feind zu verfolgen. Wir ließen alle unsere Unberittenen bei unsern Verwundeten und Kranken im Lager und machten uns ostwärts auf. Wir waren zweihundert Reiter. Aber unsere Pferde waren schlapp, ausgehungert oder krank; und die Gegend, in die wir vorstießen, war eine Durststrecke und wenig erforscht. In einer Breite von ungefähr hundert Metern war die Erde zur Diele zertreten. In solch breiter und solch dichter Schar waren der Feind und seine Viehherden dahin gestürmt. Auf diesem Fluchtweg lagen Decken, Tierfelle, Straußenfedern, Geschirre, Weiberschmuck, sterbendes und totes Vieh, vor sich hinstierende, sterbende und tote Menschen. Ein entsetzlicher Geruch von altem Mist und verwesenden Kadavern erfüllte drückend die heiße, stille Luft. Je weiter wir in der brennenden Sonne zogen, desto jammervoller wurde der Weg. Wie tief hatte sich das stolze, wilde, höhnende Volk in seiner Todesangst erniedrigt. Wohin ich von meinem müden Pferd herab die Augen wandte, da lag haufenweise all ihr Gut: Ochsen und Pferde, Ziegen und Hunde, Decken und Felle. Und da lagen Verwundete und Greise, Weiber und Kinder. Ein Haufe kleiner Kinder lag hilflos verschmachtend neben Weibern, deren Brüste lang und schlaff herabhingen; andre lagen allein, die Augen und Nasen voll von Fliegen, noch lebend. Irgend jemand schickte unsere schwarzen Treiber; ich denke, die haben ihnen zum Tode verholfen. So wie alles da lag, all dies Leben, so wunderlich verstreut, Tier und Mensch, wie ihm die Knie gebrochen waren, hilflos, schwer, sich noch quälend, oder schon unbeweglich, sah es aus, als wenn es aus der Luft herabgestürzt wäre. Mittags machten wir an Wasserlöchern Halt, die bis an den Rand voll von Kadavern waren. Wir zogen sie mit den Gespannen der Geschütze heraus; aber es war nur ein wenig blutiges und stinkendes Wasser in der Tiefe. Wir versuchten die Löcher tiefer zu graben; aber es kam kein Wasser. Weide war auch nicht. Die Sonne glühte so heiß auf den Sand, daß wir uns nicht einmal hinlegen konnten. Auf durstenden und hungernden Pferden ritten wir weiter, wir Durstenden und Hungernden. In einiger Entfernung hockten Haufen alter Weiber, die stumpfsinnig vor sich hinstarrten. Hier und da standen Ochsen und brüllten. Mensch und Tier wird nachher in den Busch gestürzt sein, irgendwohin, sinnlos, in letzter Verzweiflung, irgendwo Wasser zu finden. Im Busch werden sie verdurstet sein. Wir zogen weiter bis an den Abend. Dann sollten wir ein trocknes Flußbett erreichen und dort Wasser finden. In große Staubwolken gehüllt kamen Rinderherden gegen uns an, mit stieren Augen und heiserm Brüllen. Das war ein schlechtes Zeichen von der Gegend, in die wir ritten. »Wollt Ihr klüger sein als die Tiere? Kehrt um! Kehrt um!« »Nein, wir wissen es besser: um sieben Uhr werden wir an dem Feind und an Wasser und Weide sein.« Wir ritten vorwärts. Unsre Reihe lockerte sich. Wir ritten, so wie jeder vorwärts konnte. Vom Feinde war nichts zu sehn. Aber Wittboys, die voraus geritten waren, kamen zurück und meldeten, daß er nicht fern wäre. Gegen Abend, da ich mit vier Mann befohlen wurde, zur Seitendeckung im Busch zu reiten -- denn es wurde dann und wann aus dem Busch auf uns geschossen -- sahen wir von ungefähr hinter hohen Büschen einen verlassenen Kapwagen stehen und hörten Menschenstimmen. Wir stiegen aus dem Sattel und schlichen heran und sahen sechs Feinde im lebhaften Gespräch um ein kleines Feuer sitzen. Ich machte mit Zeichen deutlich, auf wen jeder von uns schießen sollte. Vier blieben gleich liegen, der fünfte entfloh. Der sechste stand halb aufgerichtet, schwer verwundet. Ich sprang mit geschwungenem Kolben hinzu. Er sah mich gleichmütig an. Ich wischte den Kolben im Sande rein und warf das Gewehr am Riemen über die Schulter. Aber ich mochte den Kolben den ganzen Tag nicht anfassen. Die Erde war rund umher kahl, gelbbraun, steinig; das spärliche Gras war abgegrast oder verbrannt oder vertreten. Überall lag totes Vieh. Das heisere Brüllen verendender Rinder zitterte schrecklich durch die Luft. Der Busch wurde dünner; oft weitete sich ein Raum zu einer großen Lichtung. Ganz verlassen lag in der glühenden Sonne ein zweijähriges Kind. Als es uns sah, setzte es sich aufrecht und sah uns an. Ich stieg ab und hob es auf und trug es eine Strecke zurück, wo an einem Busch eine verlassene Feuerstelle war. Es kroch gleich auf allen vieren über die Stelle, wobei es mit der Hand Asche und Unrat zur Seite rakte. Es fand auch gleich etwas, den Rest einer Wurzel oder einen Knochen, und aß. Es weinte nicht; es fürchtete sich auch nicht; es war ganz gleichmütig. Ich glaube, es ist da im Busch groß geworden, ohne Hilfe von Menschen. Der heiße Tag senkte sich. Unsere Pferde wurden sehr müde. Wir hatten Mühe, die stolpernden Tiere wieder hoch zu kriegen; einige Reiter stiegen ab; gegen Abend führten schon viele ihre Pferde. Bald darauf stürzten einige. Die Reiter warfen die Sättel auf die Wagen und zogen zu Fuß weiter. Es wurde dunkel. Vom Feinde war nichts zu sehen. Da kamen wir endlich zu den heiß ersehnten Wasserlöchern. Da waren sie bis an den Rand voll von toten Ochsen; und Wasser war nicht da. Und von Weide keine Spur. Da bissen wir die Zähne zusammen und starrten vor uns hin; denn nun wußten wir, daß wir zurückmußten und daß viele Pferde zugrunde gehen würden. Wir mußten wohl froh sein, wenn wir alle Menschen lebendig zum Lager zurückbrachten. Wir blieben hier drei oder vier Stunden der Nacht. Ich versuchte, mir ein wenig Wasser zu verschaffen, zwängte mich zwischen die toten Tiere und kam nach einer Stunde mit einem halben Feldkessel voll von einer schrecklichen Flüssigkeit heim. Wir kochten uns aber doch Kaffee damit und tranken ihn. Die anderen hatten indes ein großes klumpiges Nest von Webervögeln vom Baume geholt und es den Pferden vorgelegt; auch alten Kuhdung trugen wir in den Händen zusammen und schnitten Zweige von den Büschen, entfernten die Dornen und hielten sie ihnen vor. Ich ging eine Stunde lang rund um mein Pferd, und rieb es mit der Faust und war freundlich mit ihm. Nach Mitternacht traten wir den Rückzug an. Zuerst, wenn ein Pferd fiel, nahm der Reiter den Sattel auf den Rücken und ging in schweren Reiterstiefeln durch den Sand; aber bald lag da, bald da ein Sattel. Wir anderen stiegen ab und führten die Pferde; es war ein langer, müder Zug. Dicht vor meinen Füßen taumelte ein Kamerad und fiel lang hin. Wir hoben ihn mit vier Mann auf; er war schwer wie Blei. Immer mehr Pferde fielen; bald lag alle Kilometer ein edles Tier. Dann und wann krachte ein Schuß; wir achteten nicht darauf. Die älteren Kadaver waren hochaufgetrieben; eine schreckliche Luft dunstete über dem weiten Totenfelde. Wir setzten stumm Fuß vor Fuß. Der Mund war heiß; die stickige, stinkende Luft ging wie mit Peitsche und Sporen den Hals hinunter. Einer vor mir fing an, wild zu reden, er wolle alle Feinde erschlagen und sich an ihrem Blute satt trinken. Sie setzten ihn auf ein Pferd; zwei Mann hielten ihn. Ich spürte keinen Hunger; der Ekel vertrieb den Hunger. Aber der Durst quälte mich, daß ich begehrte, das Blut zu trinken, das ich in den Adern der gefallenen Tiere sah. Der Morgen war da und die brennende Sonne. Wir erreichten eine Wasserstelle, die aber wieder voll von verendetem Vieh war. Wir warfen uns dennoch hin und versuchten in der Tiefe Wasser zu finden, und schöpften einige Deckel voll von der ekligen Flüssigkeit und tranken der Reihe nach. Als die Reihe an mich kam und ich den Deckel schon zum Munde hob, wurde mein Kopf sachte zur Seite geschoben. Als ich mich erstaunt umsah, steckte mein Pferd sein Maul in den Deckel und trank. Da tat ich mir schreckliche Gewalt an und dachte: »Was willst Du Dir an geronnenem Blut und Urin den Tod saufen? Lieber verdursten,« und ließ es ihm, und stand auf, und hatte keine Hoffnung mehr, den Abend dieses entsetzlichen Tages zu erreichen. Unser Zug wurde länger und länger. Es ist wunderbar, wieviel der Mensch ertragen kann. Ich bin noch vier Stunden lang in brennender Sonne gegangen. Ich weiß aber wenig oder nichts von diesen Stunden; ich habe nur eine Erinnerung, als wenn ich durch Feuerlohe gegangen bin. Mein Pferd fiel und blieb liegen. Gegen Abend, als wir noch zehn Kilometer vom Lager entfernt waren, bekam ich Befehl, ein anderes Pferd zu besteigen und zu sehen, ob ich auf ihm das Lager erreichen könnte, damit man uns von da einige frische Zugochsen entgegenschickte; denn unsere Gespanne versagten. Ich stieg in den Sattel und brachte den Ostpreußen wirklich in langsamen, schweren Trab: so ritt ich allein den Totenweg entlang. Als ich eine Weile geritten hatte, zog von Süden her eine schwere, dunkle Wolke herauf wie eine Gewitterwolke. Ich freute mich und sah mit Begier, wie sie breiter und breiter und breiter wurde; ich glaubte schon den Regen zu schmecken. Da fiel mir auf, daß sie so niedrig hing und so rasch näher kam, gleich als wenn sie flöge. Und nun kam sie heran: rauschend und surrend umschwirrten mich dicht gedrängt, die Sonne verdunkelnd, unzählige Mengen von großen Heuschrecken. Es glitzerten ihre fingerlangen, silberblanken Flügel wunderschön in der untergehenden Sonne; in zahllosen Scharen fielen sie rund um mich auf den Busch. Ich aber schüttelte mich vor Entsetzen über dies schreckliche, wunderlich fremde Land, und kam durch sie hindurch. Ich erreichte das Lager, meldete, trank, und fiel hin und schlief. [Illustration] XVI Es gab in den vier Tagen, die wir noch in diesem Lager blieben, dreimal am Tag Fleisch von schlappen Ochsen und Reis; andre Lebensmittel waren nicht da. Wasser war zwar genug vorhanden, da aber der Feind wochenlang und in Massen, samt seinen großen Viehherden, um diese Wasserlöcher gehaust hatte, waren sie ganz verschmutzt. So kam es, daß in wenigen Tagen der zehnte Mann an der Ruhr erkrankte. Ich blieb leidlich gesund; aber als ich unter einem Busch ein wenig Gras für mein verhungerndes Pferd suchte, bekam ich einen Dornstich in die Hand, die schnell anschwoll und einige Tage schlimm aussah. Es war offenbar die ganze Gegend verpestet: Wasser, Erde, Busch und Luft. Dann kam die Nachricht, daß der Feind nach Überwindung und Umgehung der großen Durststrecke, auf der Tausende von ihm umgekommen waren, weit im Osten, am jenseitigen Rand des Sandfeldes, an kümmerlichen Wasserstellen säße. Da beschloß der General, ihm dorthin zu folgen, ihn anzugreifen und zu zwingen, nordostwärts in den Durst und in den Tod zu gehn, damit die Kolonie für alle Zeit vor ihm Ruhe und Frieden hätte. So zogen wir nun also in gewohnter Weise mit einem ungeheuren Troß von Ochsenreihen, Kapwagen, Karren und Treibern, die unsre Verpflegung in die Einöde schleppten, nach Osten zu in die weite Steppe, die kein Weißer vor uns betreten hatte; man wußte nur von ihr, daß sie sehr wasserarm war. Unterwegs stieß ein großer Transport frischer Pferde zu uns, so daß wir wieder alle beritten waren. Es war das vierte Pferd, auf dessen Rücken ich mich setzte; der Leutnant, der viele und weite Patrouillen geritten hatte, stieg auf das sechste. Wir waren in unsrer Abteilung vierhundert Mann. Der Sand war tief und die Sonne sengte. Und nachts, auf der Erde, den Kopf auf dem zusammengedrückten Hut oder auf dem Sattel, gab es einen kurzen Schlaf; die Sterne schienen klar und ein eisiger Wind wehte. Die Kost war eintönig und dürftig. Aus den verseuchten Wasserlöchern des Lagers hatte sich mancher den Typhus getrunken, der brach nun aus. Auf dem geschüttelten, harten Wagenbrett mußte der Kranke tagelang zurückfahren, bis er an ein Feldlazarett kam; da lag er ohne Stärkung und ohne Kühlung und ohne Reinlichkeit wochenlang auf dürftigem Graslager. Je weiter wir in die Steppe hineinkamen, desto lästiger wurden ziemlich große Fliegen, die um diese Jahreszeit aufkamen; sie waren so gierig, daß wir sie mit den Fingerspitzen aus Augen und Mundwinkeln holen mußten. Daß sie in unsrer Suppe schwammen, kümmerte uns schon lange nicht mehr. In der zweiten, dritten Woche fingen die neuen Pferde schon wieder an, schwach zu werden; bald blieb das eine und das andre am Wege liegen. Die Ochsen wurden bei den weiten Märschen und der dürftigen Weide schlapp und schlapper. Kleider, Stiefel und Sattelzeug wurde wieder rissig und schmutzig; wir sahen aus, als hätten wir uns im Staub gewälzt. Als wir drei Wochen marschiert hatten und wir die Gegend erreichten, wo der Feind sitzen sollte, zeigte es sich, daß er noch weiter nach Osten gezogen war und an den allerletzten dürftigen Wasserstellen saß. Da mußten wir weiter hinterher. Abends sahen wir hier und da nach Osten hin Grasbrände, die er angemacht hatte, und die Feuer einzelner seiner Horden, die sich von der Hauptmasse lösten und nach Westen hin, der alten Heimat zu, durchzubrechen suchten, um dem grausen Dursttode zu entgehn. Es wurden Patrouillen ausgeschickt, daß sie nicht durchkamen, damit sie nicht in der Heimat einen ewigen Kleinkrieg mit uns führten. In der vierten Woche kam ich endlich einmal wieder aus dem Kompanieverband heraus. Mit einer Patrouille von zwanzig Mann, die ein Leutnant führte, ritten wir aus dem Nachtlager nach Norden, um die Gegend zu erkunden, von der es Karten nicht gab, besonders um etwa eine gute Wasserstelle zu finden. Es waren in der Gegend zwar viele Wasserstellen; aber von dreien waren immer zwei vertrocknet, und die dritte gab erbärmlich wenig Wasser. Der gewesene Offizier, den ich den Gebannten nannte, ritt auch mit. Wir waren nach Mitternacht ausgezogen und ritten bis neun Uhr. Da sattelten wir ab und rasteten. Wir hatten aber noch nicht lange im Schatten einiger Büsche gelegen, da spürten wir einen brenzligen Geruch, der rasch stärker wurde, so daß wir es trotz unsrer Gleichgültigkeit für richtig hielten, uns nach der Ursache umzusehn; da kam auch schon der Posten gelaufen und sagte, daß der Wind einen mächtigen Grasbrand auf uns zutriebe. Wir schimpften auf den Feind und standen auf und sattelten schon in aller Eile; denn Qualm und Feuer, das durch den Qualm grell blinkte, kam in breiter Front auf uns zu. Da unsre Pferde unruhig wurden, sich bäumten und durcheinander fuhren, gingen wir, so rasch wir konnten, ohne irgendeine Verabredung, die Pferde an der Hand, nach einer Stelle, wo die Lichtung sich senkte. Wir waren eben da und hatten eben angefangen, noch eine kleine Strecke Gras abzuschneiden und zu raufen: da kamen sie schon an wie eine kleine glühende Kinderschar, die, sich an den Händen haltend, vorwärts tanzte; hier und da sprang eine höher als alle andern und duckte sich gleich; im Springen brausten und bliesen sie einen entsetzlich dürren, heißen Atem vor sich her, den sie uns in Mund und Augen jagten. Einige von uns hatten von dem kalten Kaffee, den sie in ihren Wassersäcken hatten, auf ihre Taschentücher gegossen; andere duckten sich hinter ihren Pferden; andre drückten ihr Gesicht gegen die feuchten Wassersäcke. Dann gab es einen kurzen Augenblick großer Verwirrung; die Pferde bäumten sich wild, der Atem stand, ein Kamerad stolperte und wurde hochgerissen. Da war es vorüber. Wir sahen aus wie die Schornsteinfeger, schimpften und schüttelten die Köpfe und sahen uns an; und mußten zuletzt über das Abenteuer lachen. Ich aber lachte noch besonders in mich hinein, da ich an den Schelmen von der holsteinischen Heide dachte, den seine Mutter zuweilen in den Backofen geschoben hatte, wie er sagte. Dem hätte ich dies Abenteuer gegönnt. Abends gelangten wir an Wasserlöcher, die vertrocknet waren; wir gruben sie etwas tiefer und schliefen die Nacht, indem wir die Sättel im Kreise hinlegten und jeder sich hinter seinen Sattel legte. Die Pferde wurden in aller Eile auf einem ziemlich guten Weideplatz mit gesammelten und abgehauenen Dornzweigen eingekraalt. Der Leutnant und der Gebannte wachten abwechselnd im Kreis der Schlafenden; zwei Posten, stündlich abgelöst, umkreisten sie; ein Mann stand im Pferdekraal. Als die Reihe der Wache an mich kam und ich hinausging, war die Nacht so bitter kalt, daß ich mir allerlei Bewegung machte, um ein wenig Wärme zu halten. So stieg ich auch zweimal auf einen niedrigen, verfallenen Termitenhaufen und sah nach den Feuern, die hier und da, meist aber ziemlich fern, durch die Nacht leuchteten. Dabei fiel mir eines auf, das nicht weit von uns im dichten Busch brannte. Ich merkte es mir und sagte es bei meiner Ablösung dem Leutnant, der neben dem heruntergebrannten Feuer auf der Erde saß. Da machten wir uns vor Morgengrauen auf und entdeckten richtig die Stelle im Busch und umschlichen sie. Sie hockten, fünf Mann, und acht oder zehn Weiber und einige Kinder um das trübe, kleine Feuer, in Lumpen, ganz erstarrt. Wir drohten ihnen, daß sie sich nicht rühren sollten, und durchsuchten die Bündel, die neben ihnen lagen, und fanden zwei Gewehre und gestohlene, wahrscheinlich unsern Toten geraubte Unterkleider; der eine der Männer aber trug einen deutschen Waffenrock, der die Namenzeichen eines unsrer gefallenen Offiziere trug. Da führten einige von uns die fünf Männer zur Seite und erschossen sie. Die Weiber und Kinder, die jämmerlich verhungert aussahen, jagten wir in den Busch. Als wir wieder an die Stelle kamen, wo wir übernachtet hatten, war in die tiefer gegrabenen Löcher so viel Wasser gesickert, daß wir jedem Pferd ein Kochgeschirr voll geben konnten und auch ein wenig in unsre Wassersäcke taten. Das Wasser war im Geschmack nicht so ganz übel; es hatte aber, wie fast überall im Sandfeld, einen Gehalt von Glaubersalz und hatte davon, wie der Leutnant es nannte, eine entschieden durchschlagende Wirkung. Wir fanden diesen ganzen Tag keine gute Wasserstelle und der Leutnant war sehr ärgerlich, während wir uns immer noch freuten, daß wir einmal wieder aus dem Kompanieverband heraus waren und allein durch das weite, grenzenlose Land zogen. Während wir bis an den Abend ritten, erzählte er uns seinen Plan, daß wir unsern nächsten kleinen Posten aufsuchen sollten, der schon seit einigen Wochen in der Nähe kampierte, um feindliche Horden am Rückzug in die Heimat zu verhindern. Bei dem wollte er sich befragen. Aber gegen Abend, ehe wir nach den Angaben, die wir bekommen hatten, bei jenem Posten sein konnten, wurden die Büsche plötzlich üppiger, das Gras saftiger, einige große Bäume stiegen aus dem Busch, einige Hühner flogen auf: kurz, wir merkten, daß wir an Wasser kamen, wurden sehr froh und stolz, daß wir so findige Leute wären, und setzten unsre müden Tiere in Trab. Und sieh da, seitwärts auf der Lichtung, wahrhaftig, da war ein kleiner Teich oder mehr nur eine Pfütze mit blankem Wasser. Wir kamen an, stiegen ab, und einige knieten schon und tranken; die Pferde standen bis zum Knie im Wasser neben uns. In dem Augenblick kam ein fremder Kamerad die Anhöhe herunter gelaufen und schrie: »Ums Himmels willen, trinkt nicht von dem Wasser. Trinkt nicht: es ist Typhus darin.« Wir ließen ab und schoben die Schultern hoch; einige wurden ernst; andre lachten leichtfertig. Oben auf der Anhöhe war ein kleines Feldlazarett neu eingerichtet, das wir noch nicht kannten. Wir blieben diese Nacht in der Nähe, doch abseits von den Typhuskranken und abseits von dem bösen Teich. An seinem Wasser hatten sich -- wie sich nach einigen Tagen und Wochen zeigte -- sechs von uns den Typhus getrunken und zwei davon den Tod. Am andern Morgen zogen wir in aller Frühe weiter und fanden gegen zehn Uhr richtig den Posten, den wir suchten. Sie hausten, fünfzehn Mann, auf einer Lichtung in einem kleinen Lager, das sie rundum mit einem Dornverhau verschanzt hatten. Innerhalb dieses Verhaus hatten sie sich zwei Laubhütten gebaut und ein großes Kochloch gemacht. Außerhalb gingen in einiger Entfernung ihre Pferde und ihr Vieh, nämlich vier Kühe, die sie sich aufgegriffen hatten und die sie melkten. Dazu hatten sie sich ein ältliches Buschweib gefangen, das ihnen die Wäsche besorgte und Holz sammelte. Der Leutnant, ein untersetzter Mann mit rötlichem Haar, der den Posten befehligte, hatte wegen seines Haares und weil er unermüdlich tätig und sehr findig war, streifende feindliche Banden zu erspähen und aufzuheben, den Namen »der rote Freibeuter« bekommen. Er kam gerade von einem solchen Streifzug zurück. Wenn seine Mutter, eine Bürgermeistersfrau, ihn gesehn hätte, hätte sie sich entsetzt: sein Haar war rattenkahl geschoren, sein Bart war stoppelig, sein Rock war dreckig, seine Hosen nicht ohne Risse und seine Stiefel waren ziemlich heruntergetreten; ein halbes Dutzend Perlhühner, die er auf dem Rückweg geschossen hatte, hingen an einem Riemen aus frischer Ochsenhaut von der Schulter; und als er nachher seine Brust etwas öffnete, sah ich, daß er wenigstens heute kein Hemd hatte: es war wohl in den wringenden Händen des dürrbeinigen Buschweibes. Er freute sich sehr, als er uns sah und erzählte uns, über sich selbst spottend, von seiner hiesigen Bedeutung und täglichen Tätigkeit. Dann lud er uns zum Mittagessen ein. Nun war es immer so, daß, wenn man Kameraden von einer andern Abteilung traf, man über dreierlei sprach, zuerst über den Feind, dann über Ereignisse im Heer, zum dritten über allerlei Kochkunst. Nachdem Punkt eins und zwei genügend besprochen waren, führte er uns mit wichtiger Miene zu einer Stelle in der Ecke des Lagers, wo ein wenig dünner Rauch aus der Erde stieg. Er nahm ein Stück Holz und schob die Erde vorsichtig zur Seite; da kamen zwei Kochgeschirre heraus, eingepackt in Kuhmist, der leise glühte. Zwei Mann kamen heran und hoben die Geschirre mit großer Geschicklichkeit aus der Grube hervor und der Leutnant erzählte, daß die Geschirre sechzehn Stunden in dieser Glut gestanden hätten. Dann nahm er den Deckel ab, und forderte uns mit Stolz auf, daran zu riechen. Da war es eine schöne Bouillon und das Fleisch war auch mürbe. Wir mußten es sehr loben und aßen es auch gern; wir waren aber etwas bedrückt, daß sie und nicht wir diese große Erfindung gemacht hatten. Als wir nun so umhersaßen, jeder seinen Kochgeschirrdeckel in der Hand, hatte der rothaarige Leutnant noch eine andre Überraschung: eine ziemlich neue Nummer einer Südwestafrikanischen Zeitung. Da sie in seinem Lager schon von Hand zu Hand gegangen war, war sie schon sehr schmutzig und lappig geworden; doch griff unser Leutnant eilig danach und breitete das Blatt aus und sah, von ungefähr oder nicht, auf die Stelle, wo neue Dekorierungen standen: da sah er plötzlich auf, mit zusammengebissenen Zähnen, und sah nach dem Gebannten, der ein wenig seitwärts von uns saß und nach seiner Weise vor sich hin auf die Erde sah, nannte seinen Namen und sagte: »Kamerad, sehn Sie mal hier!« Der fuhr aus seinen Gedanken auf und kam und kniete hinter ihm und sah auf die Stelle, die jener zeigte und atmete kurz und schwer. Der Leutnant sah uns an und sagte leise: »Er ist zur Dekorierung eingegeben.« Da konnte der Gebannte sein heftiges, innerliches Schluchzen nicht mehr zurückhalten; er weinte sehr; wir aber umdrängten ihn und schüttelten ihm die Hand, die meisten mit feuchten Augen. Dann schrieb er eine Postkarte an seine Frau und Kinder, und wir alle mußten unterschreiben: ein Leineweber aus Oberschlesien, ein Schornsteinfeger aus Berlin, ein Knecht aus Oldenburg, ein Graf aus Bayern, ein Schlossergesell aus Holstein und andre. Wir waren noch alle in Fahrt und Aufregung über diese Begebenheit, da kam der Posten vom Viehkraal her und meldete: »Herr Leutnant, die bunte Kuh will kalben und kann nicht.« Der rote Leutnant sah ganz perplex darein: »Was?« sagte er, »kann nicht? Natürlich kann sie.« Da lachten wir über ihn und waren sehr gemütlich; und der Knecht aus Oldenburg half der Kuh. Dann ritten wir weiter. Von einer guten Wasserstelle wußte der Rote nichts; er sagte, man müsse sich das Trinken abgewöhnen. Nachmittags, auf dem Rückweg zu unsrer Abteilung, überholten wir eine Proviantkolonne, mit deren Führer sich unser Leutnant eine Zeitlang unterhielt. Die andern sprachen derweil mit der übrigen Bedeckung. Ich aber konnte meine Augen nicht von einem Treiber abwenden, der, die lange Peitsche über der Schulter, mit langen, würdevollen Schritten neben seinen Ochsen herging. Hinter ihm ging seine Frau, ein kleines zweijähriges Kind im Tuch auf dem Rücken; dann kamen, weiter im Gänsemarsch, nach der Größe abgestuft, noch drei halbwüchsige Kinder. Eine Scheckpfeife, die gemeinsames Eigentum der Familie war, ging vom Mann die Reihe entlang bis zum letzten kleinen Achtjährigen, der sie, nachdem er einige Züge getan hatte, im Trab vorlaufend, seinem Vater wiederbrachte. Nur das kleinste hatte für den Tabaksgenuß noch kein Interesse; es versuchte -- und ich glaube mit Erfolg -- von seinem Sitz auf dem Rücken der Mutter, nach ihrer Brust zu langen, die lang und schlaff auf den Leib herunterhing. Als ich noch in Betrachtung dieses Bildes dahinritt, rief mich der Leutnant und sagte mir, daß, nach der Aussage des Kolonnenführers, der oberste von unsern Ärzten, selbst krank, und mit einem einzigen kranken Begleiter und einem schwarzen Diener, vor etwa drei Stunden diese Pad gezogen wäre, um unsre Abteilung zu erreichen; nun wäre aber seine Spur nicht zu finden und es wäre zu befürchten, daß er eine andre Pad gezogen wäre, die ihn nicht zu einer Wasserstelle führen würde. Ich sollte mit zwei Mann reiten und sehn, ob ich ihn fände und ihn zu unsrer Abteilung geleiten. Ich war sehr froh über den Auftrag und vollführte ihn mit besonderem Glück; denn als wir etwa eine Stunde zurückgeritten waren, wobei ich jede Spur, die über die Pad lief, wie ein alter Jäger betrachtete, entdeckte ich zu meiner großen Freude, daß die drei Reiter an einer Stelle, die sandig genug war, die Spur deutlich zu zeigen, nach rechts von der Pad abgebogen waren, um den Versuch zu wagen, das Lager auf dem kürzesten Weg quer durch den Busch zu erreichen. Wir verfolgten nun also ihre Spur und sahn die drei einsamen Reiter bald vor uns in sehr dünnem Busch, wie sie auf sehr müden Pferden dahinzogen. Links ritt der Doktor, an seiner kurzen, kräftigen Figur zu erkennen; ich hatte ihn vor dem letzten Gefecht mehrmals gesehn. Sein Begleiter, der zur Linken ritt, hing im Sattel als wenn er schliefe; dann und wann langte der Doktor nach ihm, um ihn zu halten oder ihn aufzurütteln. Der schwarze Diener ritt als Wegführer einige zwanzig Meter voran. Ich schüttelte den Kopf darüber, daß der Arzt mit so geringer Begleitung und Bedeckung von Lazarett zu Lazarett kreuz und quer durch dies weglose, durstige und von feindlichen Horden durchstrichene Land reiten mußte, und setzte mein müdes Pferd in Trab. Da sah sich der schwarze Diener auch schon um und meldete uns. Der Doktor gab seinem Begleiter wieder einen Knuff, wandte sein Pferd und nahm sein Gewehr aus dem Schuh. Da viele Feinde unsre Uniform trugen, auch unsre Schlapphüte, unter denen unsre verbrannten Gesichter fast schwarz aussahn, zumal ja die Sonne fast senkrecht herunterschien, so hielt er uns vorläufig für Feinde. Als wir aber die Hüte abnahmen, erkannte er uns. Da sah ich denn, daß sein Begleiter schwer krank war und sich nicht recht mehr im Sattel halten konnte, und daß der Doktor selbst, der beim Gefecht, vor vier Wochen, noch stattlich und frisch ausgesehn hatte, sehr zusammengefallen war und müde und fiebrig aus tiefliegenden Augen sah. Er war seit sechs Wochen von Abteilung zu Abteilung geritten und hatte gestern und heute siebzig Kilometer gemacht und in zwanzig Stunden nicht geschlafen. Während er mich nach woher und wohin fragte und aus meinem Wassersack trank und, dazwischendurch, den Schwarzen auslümmelte, der aus lauter Gleichgültigkeit und Faulheit den Wassersack nicht gefüllt hatte, halfen die Kameraden dem Begleitsmann vom Pferd und führten ihn abseits, daß er sein Bedürfnis verrichtete. Dann hoben wir ihn mit aller Macht aufs Pferd, und ritten langsam weiter. Spät abends kamen wir todmüde zu unsrer Abteilung, die an vertrockneten Wasserlöchern die Nacht zubrachte. Es war eine sehr kalte, unfreundliche Nacht. Ein scharfer, schneidender Wind fuhr über die Steppe und jagte feinen, dürren Sand über die verdurstenden Menschen und Tiere. Am folgenden Tag kamen Gewitter über uns hin. Wie von allen Seiten stieg dunkles Gewölk auf; Donner rollten gewaltig über die weite Ebene, glühende Peitschen zuckten lang über den Himmel; Regen fuhr nieder. Aber nach einer Stunde war alle Feuchtigkeit wieder weg und ein stürmischer Wind blies uns den Sand ins Gesicht, daß wir Augen und Mund nicht öffnen konnten. Wir schützten uns abends im Biwak vor der schneidenden Kälte, indem wir Zeltbahnen als Windschirme aufstellten; in deren Schutz kochten wir mit schlechtem Wasser bei kümmerlichem Feuer unsre alltägliche Mahlzeit, zähes Fleisch und Reis, und redeten stumpf und wenig. Fern im Osten standen mächtige Rauchwolken, von Feuer durchglüht. Der Feind verbrannte auf seinem Rückzug in die Wüste die spärliche, trockne Weide. Am andern Tag, vor Mittag, sollten wir an einer Stelle im trocknen Flußbett Wasser finden. Wir fanden auch Löcher; sie waren aber leer. Da stiegen zwanzig Mann hinein und gruben sie tiefer; aber es kam kein Wasser. So konnten wir also weder trinken noch kochen. Auch die Pferde konnten, ungetränkt, nicht weiden; die vertrocknete Schleimhaut konnte das trockne, grobe Gras nicht verarbeiten. Es blieb nichts übrig als weiter zu ziehn. Wir stiegen ab und führten die Pferde und gingen im tiefen Sand und heißer Sonne, mit ausgedorrtem Halse, gegen wehenden Sand an, ein langer, müder Zug. Ab und zu strauchelte ein Pferd; der Reiter riß es hoch und redete ihm zu, freundlich oder barsch. So wurde es Nacht und dunkel. Der Boden wurde steinig und hart, und wir konnten die Spur nicht mehr sehn. Da machten wir Halt, stellten Wachen rund um uns, zündeten einige Feuer an und lagen dumpfschlafend auf der Erde. Die Pferde standen und lagen neben uns an den Feuern. Gegen Mitternacht stieg langsam der Mond auf über der weiten Steppe. Wir zogen die Wachen ein, sattelten und zogen weiter, und kamen nach drei Stunden zu der Wasserstelle, welche unsre Patrouillen ausgekundschaftet hatten. Der Mondschein war so hell, daß wir schon von weitem die Wasserlöcher sahen, die als dunkle Stellen auf der kalkigweißen, gespenstisch hellen Fläche lagen. Zur Seite standen hier und da einzelne schöne, hohe Bäume. Zwei Termitenhügel standen grau und hellbeschienen unter ihnen. Es sah aus wie ein schön geebneter, marmorbelegter Platz in einem herrlichen Park, Statuen zur Seite unter hohen, stillen Bäumen. Die Pferde hoben die Köpfe; ihr Schritt wurde munterer; die verschlafenen, verfrorenen und verhungerten Reiter wurden lebendig. Nun waren die ersten am ersten Wasserloch. Aber ihre Pferde wandten sich ab und gingen zum zweiten, und gingen zum dritten. Da kamen auch wir heran und spürten den aasigen Geruch, der wie ein böses, schreckliches Ungeheuer platt und gierig auf der ganzen schönen, mondbeschienenen Lichtung lag. Die Löcher waren voll von verwesendem Vieh. Da standen die Pferde mit hängenden Köpfen da, und wir neben ihnen, die aufeinander gelegten Hände aufs Gewehr aufgestützt. Und mancher wankte, verschlafen und ausgehungert, im Stehn. Wir mußten weiter, den Rest der Nachtkühle auszunutzen. In dieser nächtlichen Stunde hat mancher gedacht: ›Wärst Du zu Hause geblieben! Könntest Du jetzt zu Hause sein; nie wieder gehst Du in die Fremde.‹ Aber sein stolperndes Pferd weckte ihn aus seinem Traum. Und wenn das Pferd nach einigen stolpernden Schritten zitternd stand und dann plötzlich vorn in die Knie fiel und sich stöhnend auf die Seite legte und die nachfolgenden gleichmütig an ihm und seinem liegenden Pferd vorbei weiter zogen und es dann hieß: »Nun, steh nicht so lange! Schnell die Packtasche ab und häng' sie Dir um!«, dann wurde mancher ganz wach; dann hieß es: »Hinter Dir und zu beiden Seiten unter den dürren Büschen trabt und läuft der Tod. Nur nach vorn ist Leben und Heimkehr.« Er bückte sich nach der Packtasche, warf noch einen langen Blick in die Augen seines Pferdes und trabte voran. An der Pad entlang lag eine Menge kleiner, erloschener Feuerstellen; daneben allerlei liegengelassenes Gut, eigenes und gestohlenes, besonders Kleider und Sättel; auch christliche Bücher, welche die Missionare ihnen geschenkt oder verkauft hatten. Der ganze Weg war voll von gefallenem Vieh. Wir hatten den Fluchtweg des Feindes erreicht. Eine Patrouille kam mit der Nachricht, daß unsre andere Abteilung einen Teil des Volkes überrascht, mit Granaten beworfen und auseinander gesprengt hatte. Am andern Tag erreichten wir endlich eine gute Wasserstelle und vereinigten uns hier mit der andern Abteilung. Vereint wollten wir nun den Feind, der an der nächsten und letzten Wasserstelle saß, angreifen und ihm den Garaus machen. Es war allgemein der Glaube, daß es ein Gefecht werden würde wie das vor vier Wochen, ebenso schwer und verlustreich. Der General wollte seine Soldaten, die er nun vereint hatte, in Reih und Glied sehn, auch in Erwartung des Gefechts den Geist heben; also befahl er für den andern Tag Parade und Gottesdienst. Da nahmen wir denn auf der weiten Lichtung Aufstellung: die Reiter, und die zu Fuß gehn mußten, und die Artilleristen bei ihren Kanonen. Die Ochsen, die schwarzen Treiber, die Kapwagen und der Himmel über der weiten Steppe sahen zu. Wir standen schön in Reih und Glied und großartig klang es: »Guten Morgen, Soldaten!« -- »Guten Morgen, Exzellenz!«, aber die Pferde waren mager, zottig und müde; und die Kleider und Stiefel zerrissen; und Hunger und Krankheit stand vielen im Gesicht. Am Nachmittag um vier traten wir zum Gottesdienst an. Der Pastor war immer bei einer andern Abteilung gewesen, so daß ich ihn erst vor einigen Tagen zum erstenmal gesehn hatte. Er war ein großer, starker Mann und trug die Uniform und die hohen Stiefel wie wir, und saß mit Gewehr und Patronengurt im Sattel. Auch jetzt, da er vor der Kiste stand, die mit einem roten Tuch bedeckt war, trug er die Uniform und die Reiterstiefel; er hatte aber ein goldenes Kreuz vor der Brust hängen und trug am Arm eine blauweiße Binde mit rotem Kreuz. Es wurde zuerst das Lied gesungen: »Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten«; dann fing er an zu sprechen und sagte, ein Naturvolk habe sich gegen die Obrigkeit erhoben, die Gott ihm gesetzt hätte; dazu habe es sich mit entsetzlichem Morden befleckt. Da hätte die Obrigkeit uns das Schwert in die Hand gegeben; das sollten wir morgen wieder brauchen. Möchte jeder von uns als ein braver Soldat es redlich führen. Es wäre eine ernste Stunde; es möchte wohl geschehen, daß der eine oder andre morgen den Abend nicht erlebe. Wir wollten Gottes Angesicht suchen, daß er uns etwas von seiner Heiligkeit und Ewigkeit schenke; dem, der sich ihm ergebe, habe er eine ewige Ruhe und Frieden vorbehalten. Wir merkten, daß es dem Pastor Ernst mit seinen Worten war, und daß er ganz und gar an sie glaubte; und wir wußten alle, es ginge in ein ernstes Gefecht und vielleicht in raschen Tod oder jammervolle Verwundung und traurigen Transport; und dann noch stand uns allen das bevor: schwerer, weiter, mühsamer Weg durch schreckliche Krankheiten und heißen Hunger und quälenden Durst, bis wir wieder nach der fernen Heimat kamen. Darum hörten auch alle mit großem Ernst zu. Dann nahmen wir die Hüte ab zum Gebet. Abends um zehn Uhr machten wir uns auf. Das Land war leicht wellig, mit dünnem Busch bedeckt. Wir zogen oben auf der Höhe einer Welle entlang und sahen im Mondschein die weichen, schönen Linien der Hügel; unten in der Niederung lief ein breiter, heller Streifen, das Sandbett eines Flusses. Es wurde vier Uhr und es wurde Morgen; vom Feinde war nichts zu sehen. Aber wir dachten: wenn wir die Höhe vor uns erreicht haben, werden wir den Feind sehen. Es ging trotz der heißer werdenden Sonne weiter. Die Spitze erreichte die Höhe und verschwand. Kein Schuß. Die vordere Kompanie erreichte die Höhe. Kein Schuß. Wir sahen, wie die Artilleristen die Staubkappen von den Geschützen nahmen. Weit von vornher fielen einige Schüsse. Nun erreichten auch wir die Höhe. Vom Feinde war nichts zu sehen, als unten in der Ferne eine ungeheure schwere Staubmasse, die rasch durch die Steppe vorwärtszog. Da war es klar, daß dem stolzen Volke aller Mut und alle Hoffnung vergangen war; daß sie lieber den Tod in der Wüste wollten, als weiter mit uns kämpfen. Wir ruhten ein wenig an der vom Feinde verlassenen Wasserstelle und an seinen noch brennenden Feuern; dann zogen wir auf müden Pferden weiter. Gegen Abend, als wir am Flusse entlang zogen, kamen wir zu einer Stelle, wo Wasser sein sollte. Wir fanden auch einige alte Wasserlöcher, daneben Hunderte von neuen, welche die Feinde gestern gemacht hatten. Sie waren bis vier Meter tief und tiefer; aber Wasser hatten sie nicht. Es kam aber die Meldung, daß ungefähr fünf Reitstunden weiter noch eine letzte Wasserstelle wäre, an welcher Haufen Feinde säßen. Da wurde beschlossen, daß wir sie da noch vertreiben müßten und wollten. Wenn wir sie von dort verjagt hatten, dann blieb ihnen nichts weiter als das Sandfeld. Um ein Uhr in der Nacht traten wir an und zogen, müde Pferde und Reiter, sieben Stunden. Da kamen wir zu der Stelle; aber Wasser war nicht da. Von einer Anhöhe aus sahen wir, wie zwei mächtige Staubwolken eilig nach Osten und Nordosten zogen, hinein in den Dursttod. Aber auch wir waren am Ende. Der vierte Mann war an Ruhr oder Typhus krank; die anderen überangestrengt. Von unseren Pferden waren über die Hälfte gefallen; unsere Kleider und Sättel waren zerrissen. Und wir waren sieben Stunden von der nächsten dürftigen Wasserstelle entfernt und vierundzwanzig von der besseren. Es war die Gefahr nicht fern, daß wir hier am Rande der Wüste hängen blieben. Darum befahl der General, die Verfolgung abzubrechen. Doch sollten einige Patrouillen versuchen, noch einige Stunden weit vorzustoßen. Es meldeten sich, wie zu allen Patrouillenritten, so auch jetzt zu diesem letzten schweren, Freiwillige genug. Da ich ein guter Reiter war, bekam ich das Pferd eines Unteroffiziers, der eben krank aus dem Sattel geglitten war, und ritt mit der einen Patrouille aus dem Lager. Ein Oberleutnant, der aussah wie ein Gelehrter, führte uns. Wir ritten und ritten; wir rasteten eine Stunde. Dann zogen wir weiter. Wenn wir zehn Minuten schwerfällig getrabt hatten, sprangen wir ab und führten die Pferde, und zwar so, daß einer zwei Pferde zog und der andere sie von hinten her antrieb. So ging es ziemlich rasch vorwärts. Dem Oberleutnant wurde die Stimme in der vertrockneten Kehle heiser von dem Kommandieren: »Absitzen ... Aufsitzen ... Trab!« Einige Male sahen wir von einer kleinen Erhöhung die Staubmasse, die sich langsam vorwärts schleppte; aber wir kamen ihr wenig näher. Wir dachten, sie sollten rasten; dann wollten wir sie mit unserer letzten Kraft erreichen und durch unsere Erscheinung und unser Gewehrfeuer aufschrecken und noch weiter in die Öde jagen. Die Sonne brannte entsetzlich heiß auf das weite, dürre Land. Mein Hals war so ausgetrocknet, daß ich jedesmal, wenn ich dem Drange zu schlucken folgte, vor Schmerz leise stöhnte. Ich hatte zuweilen ein plötzliches Gefühl der Angst, daß ich aus dieser schrecklich dürren, heißen Luft herausmüßte und weg von dieser stechenden Sonne, sonst würde sich mein Verstand plötzlich, mit einem schrecklichen Aufschrei, verwirren. Ich konnte nicht widerstehen und trank das letzte Wasser im Sack und befeuchtete mit dem feuchten Sack meine brennenden Augen. Bald danach fing einer von uns zwanzig an, im Sattel zu wanken und vor sich hin zu murmeln; als ich mich nach rückwärts umsah, wie es mit den anderen stand, hingen zwei oder drei bleich und stumpf im Sattel, andere ritten mit tiefliegenden geschlossenen Augen. Der Unteroffizier sah mich mit einem Blick an, als wenn er sagen wollte: »Es ist ein Wahnsinn, daß wir noch weiter reiten.« Gleich darauf ließ der Oberleutnant auch Halt machen und ließ fünf absteigen und sich hinlegen. Wir deckten sie vor der Sonne mit ihren Mänteln zu und zogen weiter. Aber nach ungefähr einer Stunde konnten fünf oder sechs die Pferde nicht mehr führen; die Glieder waren ihnen wie Blei. Zwei zitterten an allen Gliedern und erbrachen sich. Wir ließen sie sich hinlegen und deckten sie zu; sie lagen noch nicht, da schliefen sie schon wie Tote. Ich merkte, daß der Oberleutnant sich sehr ärgerte, daß er nicht weiter konnte, obgleich er selbst kaum mehr sprechen konnte. Er stand und sah mit dem Glase nach der Anhöhe hinauf, hinter der die Staubwolke verschwunden war -- es lag noch wie ein Dunst über der Höhe --; er wollte gern, daß wir uns da oben zeigten, wenn etwa die Feinde jenseits der Höhe Halt gemacht hätten, in der Hoffnung, die deutschen Truppen wären nun endlich umgekehrt. Ein Schutztruppler, der mit dabei war, trat an ihn heran und sagte, daß er und sein Pferd wohl noch kräftig genug wären, ein bis zwei Stunden zu reiten, zumal es gegen den Abend ginge. Da trat auch ich heran und bot mich an, mit ihnen zu reiten. Wir machten mit den andern ab, daß sie zu den ersten fünf zurückkehren und dort bis zehn Uhr auf uns warten sollten. Kämen wir bis dahin nicht, so sollten sie den Rest der Nachtstunden benutzen, zum Lager zu kommen. Ich hatte die heimliche Meinung, daß die beiden ihren Plan nicht eher aufgeben würden, als bis sie vor Übermüdung zusammenbrächen. Da wollte ich bei ihnen sein; denn ich hielt mich für stärker als sie. Nach einer halben Stunde machten wir uns auf. Das Führen der Pferde gaben wir auf; wir blieben im Sattel. Nach einer Weile kamen uns drei Kühe entgegen; sie waren entsetzlich mager und brüllten kläglich; dem einen Tier war mit einem Messerschnitt die Seite aufgeschnitten, wohl um das hervorquellende Blut zu trinken. Wir ritten eine Weile weiter; da lag eine Ziege am Weg und neben ihr ein Knabe mit magern, merkwürdig langen Gliedern, als hätten sie sich im Sterben gereckt. Wir bogen kaum aus mit unseren Pferden, daß sie ihn nicht traten; es ist merkwürdig, wie gleichgültig uns Mensch und Menschenleben ist, wenn es von anderer Rasse ist. Nach einer halben Stunde oder mehr näherten wir uns der Höhe; der Schutztruppler ritt voran, das Gewehr zur Hand; der Oberleutnant und ich hinterher. Es ging sehr langsam. Da spähte ich von ungefähr nach einigen Büschen hinüber, die, in einer Entfernung von ungefähr fünfzig Metern, dichter beieinanderstanden als die andern, und sah zwischen und unter den Büschen, Schulter dicht an Schulter, Menschen sitzen in Klumpen, ganz unbeweglich. Einige hatten die Köpfe ganz tief auf der Brust, die Arme lang herabhängend, als wenn sie schliefen; andre saßen an Busch oder Nachbar angelehnt, mit offenem Mund, rasch und trocken atmend und sahen uns mit blöden Augen an; einige, Frauen und Kinder, hatten sich schräg zur Seite auf die Beine und den Schoß der Sitzenden gelegt. Ich hatte den beiden andern leise gesagt, was ich sah; sie warfen einen langen Blick hinüber, sagten aber nichts. Wir ritten weiter. Der Schutztruppler zeigte noch zwei- oder dreimal in die Büsche; ich sah darüber hin. So erreichten wir die Höhe und spähten über die Steppe, die wie ein gelblich graues Meer in unendlicher Weite und lautloser Stille zu unseren Füßen lag. Die langen Strahlen der untergehenden Sonne lagen wie Streifen dünnen hellglänzenden Tuchs drüber. Wir sprangen von den Pferden und lockerten die Gurte und legten uns auf die Erde. Das Pferd des Schutztrupplers fing an, über sein Gesicht zu schnuppern; er merkte es nicht, er war schon eingeschlafen. Der Oberleutnant stand wieder auf und sagte mit mühsamer, heiserer Stimme: »Stehn Sie auf. Wenn wir einschlafen, verschlafen wir die Nacht; und dann sind wir verloren.« Ich stand auf und wir beide standen eine Weile in dumpfem Sinnen zwischen Wachen und Schlafen. Die Sonne versank in der roten Glut; es wurde kühler; die Pferde wurden etwas muntrer und fingen an mit müden Schritten einige Büschel abzureißen. Nach einer Weile erwachte der Schutztruppler und fragte mit kläglicher Stimme, ob nicht ein einziger Tropfen Wasser da wäre. Ich sagte: »Nein.« Er sagte: »Der Oberleutnant hat etwas.« Ich sagte: »Nein.« Da sagte er, er könne es nicht mehr aushalten ohne Wasser; er hätte sich zuviel zugetraut; er müsse hier sterben. Der Oberleutnant, der sich am Sattel seines Pferdes haltend, im Stehn halb geschlafen hatte, war bei einem Schritt seines Pferdes aufgewacht und tröstete ihn: »Ermuntern Sie sich; wir brechen gleich auf. Dann geht es nach Haus; der Krieg ist ja nun zu Ende.« »Ja,« sagte der Schutztruppler, »der ist zu Ende: vierzigtausend von ihnen sind tot; all ihr Land gehört nun uns. Aber was hilft es mir; ich muß hier sterben.« Er bat kläglich: »Haben Sie nicht einen einzigen Tropfen Wasser?« Der Oberleutnant schüttelte den Kopf: »Sie wissen, daß ich nichts habe. Ruhen Sie noch ein wenig; die Nacht ist da; die wird uns frischer machen.« Der Schutztruppler stand schwerfällig auf und ging mit gekrümmtem Rücken seitwärts die Anhöhe hinunter, wo einige Büsche standen. Ich sagte: »Was will er? Ich glaube, er ist von Sinnen; er will Wasser suchen.« In dem Augenblick kam aus dem Busch, in dem der Schutztruppler verschwunden war, ein kurzes Geräusch von Schelten, Laufen und Springen. Gleich darauf erschien er und hielt einen baumlangen, magern Schwarzen in europäischer Kleidung an der Hüfte und riß ihm das Gewehr aus der Hand und schalt in fremder Sprache auf ihn ein, und zerrte ihn zu uns heran und sagte: »Ein deutsches Gewehr hat der Lump; Patronen hat er nicht mehr.« Er war ziemlich munter geworden, fing an auf ihn einzureden, drohte ihm und stieß ihn in die Knie. Der Schwarze hockte und antwortete auf jede Frage mit einem großen Wortschwall und mit raschen, sehr gelenkigen und merkwürdigen Bewegungen der Arme und Hände. »Er sagt, er hat den Krieg nicht mitgemacht.« Dann fragte er wieder und deutete nach Osten und der Schwarze deutete auch dahin und antwortete dies und das, wovon ich nichts verstand. Der Schutztruppler sagte: »Er lügt mir die Haut voll.« Er drohte ihm mit dem Gewehr und fragte weiter. So ging es eine Weile. Ich höre noch die beiden leise kreischenden, vertrockneten Stimmen, die des Deutschen und des Fremden. Dann hatte er wohl genug erfahren und sagte: »Der Missionar sagte einmal zu mir: ›Mein Lieber, vergessen Sie nicht: die Schwarzen sind unsere Brüder;‹ nun will ich meinem Bruder seinen Lohn geben.« Er stieß den Schwarzen von sich und deutete: »Lauf weg!« Der sprang auf und versuchte in langen Zickzacksätzen schräg hinunter über die Lichtung zu kommen. Aber er hatte noch nicht fünf Sprünge gemacht, da traf ihn die Kugel, daß er lang nach vorn hinschlug und still lag. Ich knurrte ein wenig; ich dachte, der Schuß könnte feindliche Haufen, die etwa noch zurückgeblieben waren, auf uns aufmerksam machen; der Oberleutnant aber meinte, mir wäre nicht recht, daß er den Schwarzen erschossen hatte, und sagte in seiner gelehrten, bedächtigen Weise: »Sicher ist sicher. Der kann kein Gewehr mehr gegen uns heben und keine Kinder mehr zeugen, die gegen uns kämpfen; der Streit um Südafrika, ob es den Germanen gehören soll oder den Schwarzen, wird noch hart werden.« Der Schutztruppler lehnte sich in schweren Brustschmerzen an sein Pferd und erzählte mit seiner gequälten Stimme: »Als wir einmal da im Süden mit unserm Hauptmann am Feuer saßen, da sagte er, zwei Millionen Deutsche würden hier wohnen; ihre Kinder, sagte er, würden sicher durchs Land reiten und ihre Gespielen besuchen, und würden unterwegs ihre Pferde an den alten Wasserstellen tränken und an vielen neuen, welche überall gegraben würden. Aber ich werde nichts davon sehn, krank bin ich, schrecklich krank. Habt ihr nicht einen einzigen Tropfen Wasser?« Er hielt sich am Sattel seines Pferdes und sah mit stieren Augen über die Steppe, über welcher die Sterne erschienen. Der Oberleutnant redete ihm zu und setzte es durch, daß er sich hinlegte, und deckte den Mantel über ihn. Er selbst stand mit der Uhr in der Hand neben seinem Pferd und hob die Uhr im Takt, um sich wach zu halten. So standen wir beide eine gute Weile. Darauf sagte er: »Diese Schwarzen haben vor Gott und Menschen den Tod verdient, nicht weil sie die zweihundert Farmer ermordet haben und gegen uns aufgestanden sind, sondern weil sie keine Häuser gebaut und keine Brunnen gegraben haben.« Dann kam er auf die Heimat zu sprechen und sagte dies und das und meinte: »Was wir vorgestern vorm Gottesdienst gesungen haben: ›Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten,‹ das verstehe ich so: Gott hat uns hier siegen lassen, weil wir die Edleren und Vorwärtsstrebenden sind. Das will aber nicht viel sagen gegenüber diesem schwarzen Volk; sondern wir müssen sorgen, daß wir vor allen Völkern der Erde die Besseren und Wacheren werden. Den Tüchtigeren, den Frischeren gehört die Welt. Das ist Gottes Gerechtigkeit.« Der Schutztruppler war eingeschlafen; der Oberleutnant stand aufrecht, zuweilen ein wenig schwankend, die Uhr in der Hand. Ich stand neben meinem Pferd, halb wachend, halb schlafend. Der Mond ging auf; die Nacht wurde kalt und windig. Nach einer Weile sagte der Oberleutnant: »Aber der Missionar hat doch recht, daß er sagt, daß alle Menschen Brüder sind.« Ich sagte: »Dann haben wir also unsern Bruder getötet;« und sah nach dem dunkeln Körper, der lang im Grase lag. Er sah auf und sagte mit seiner heisern, schmerzenden Stimme: »Wir müssen noch lange hart sein und töten; aber wir müssen uns dabei, als einzelne Menschen und als Volk, um hohe Gedanken und edle Taten bemühen, damit wir zu der zukünftigen, brüderlichen Menschheit unser Teil beitragen.« Er stand und sah in Gedanken über die weite, mondbeschienene Steppe und wieder auf den stillen, toten Körper. Ich hatte während des Feldzugs oft gedacht: ›Was für ein Jammer! All die armen Kranken und all die Gefallenen! Die Sache ist das gute Blut nicht wert!‹ Aber nun hörte ich ein großes Lied, das klang über ganz Südafrika und über die ganze Welt, und gab mir einen Verstand von der Sache. Nach einer Weile deutete er mit der Hand, daß wir aufbrechen wollten. Er ging mit schweren Schritten zu dem Schlafenden, weckte ihn und brachte ihn mit Mühe in die Höhe, und befahl mir, die Gurte der Pferde anzuziehn. Dann halfen wir dem Schutztruppler in den Sattel, stiegen auf und ritten davon. Wir fanden die Zurückgelassenen beisammen in tiefem Schlaf; der Unteroffizier allein saß auf einem Sattel in ihrer Mitte und wachte. Es war ein mühsamer Ritt durch den Rest der Nacht. Einige baten immer wieder um Wasser; zwei mußten im Sattel gestützt werden. Ich selbst weiß wenig von diesen Stunden; mein Geist war weit weg in Traum und Schlaf. Eine Stunde nach Sonnenaufgang, als die Hitze anfing lästig zu werden, erreichten wir das Lager. Sie rüsteten zum Aufbruch. Der Feldzug war zu Ende. [Illustration] XVII So machten wir uns denn also aus dem fernen Osten auf und zogen nach Westen, der Hauptstadt zu. Weit über die Hälfte von uns mußte zu Fuß, die Packtasche auf dem Rücken, dahinziehn. Es war um die Zeit des Oktobers, wo in dieser Gegend der Frühling ins Land zieht. Regen und Gewitter waren schon tüchtig über die Steppe gefahren und fuhren noch darüber; davon sprießte nun neue Kraft aus der Erde, die so unfruchtbar aussah. In dem langen gelblichen Gras erschienen Blumen und erfüllten die Luft mit ihrem milden, schönen Duft. Der verhaßte Dornbusch bekam dunkelgrüne Blätter und schneeweiße Blüten; manch einer von uns trat heran und pflückte ein buntes Zweiglein von dem Verhaßten. Die einzelnen großen Bäume schmückten sich mit langstieligen gelben oder lilafarbenen Dolden; andre trugen Blüten, die federartig waren und von schneeiger Weiße. Und über all dem frischen Grün und dem herrlichen reinen Weiß und satten Gelb wölbte sich hoch, hoch oben der wolkenlose blaue Himmel. Wenn wir recht gesund und satt gewesen wären und wir nicht an Krankenkolonnen und an frischen Gräbern vorbeigemußt hätten, wäre es wohl ein schöner Weg gewesen. Ich hatte das fremde Land schon lange gern; bleiben wollte ich zwar nicht; ich wollte meine Eltern und mein Handwerk nicht aufgeben; doch stand bei mir fest, daß ich es nach Jahren einmal wieder besuchen wollte; und ich werde das auch durchsetzen. Es waren aber nicht wenige unter uns, denen das Land desto mehr gefiel, je mehr sie es kennen lernten und die ernstlich bei sich beschlossen, zu bleiben und Farmer zu werden. Wenn auch nur die Hälfte bei ihrem Beschluß geblieben ist, werden an fünfhundert von uns im Lande bleiben. Als wir noch zehn Tagemärsche von der Hauptstadt entfernt waren und abends bei besserer Kost -- es war ein Proviantwagen mit Speck und Kaffee und andern guten Dingen angekommen -- gemütlich ums Feuer saßen und wieder mal von unsrer fröhlichen Heimkehr sprachen, kam Heinrich Gehlsen vom Hauptquartier herüber zu uns und sagte, daß die Hottentotten, die im Süden wohnen, sich plötzlich erhoben hätten, und daß nun also noch ein zweiter Feldzug käme, der wohl ebenso schwierig sein würde wie der eben beendete; an Heimkehr wäre jedenfalls nicht zu denken. Da wurden wir aber sehr still. Dann schalten wir und wunderten uns. Ein Berliner, der unter uns saß, kam zuletzt zu dem Schluß und sagte: »Na, mich soll's ejal sein; aber meine Mutter wird schön schimpfen.« Wir beredeten die Sache noch sehr lange, gingen auch zu den anderen Backschaften, und erfragten und erfuhren allerlei. Am Spätabend kam ein mächtiges Gewitter vom Süden herauf und stieg bis über das breite, trockne Flußbett; flackernder Lichtschein erfüllte bis nach Mitternacht die ganze südliche Himmelsseite. Es war als wenn wir wissen sollten, wie schwer der Kampf würde, der da unten bevorstand. Gegen Morgen wurde die Nacht bitterkalt und windig. Am folgenden Morgen fragte mich der Oberleutnant, mit dem ich den letzten Patrouillenritt gemacht hatte, ob ich ihn aufs schnellste nach der Hauptstadt begleiten wollte; er wäre krank und wolle ungern auf der Pad zusammenbrechen. Ich war mit Freuden bereit und ritt also mit ihm, so rasch unsere Pferde konnten. Am dritten oder vierten Tag unsres Rittes fiel mir auf, daß mein Herz so schwer und laut schlug. Ich drückte oft die flache Hand fest darauf und dachte: ›Was fällt dir ein, sei ruhig!‹ aber das half nicht. Ich dachte mir auch noch nicht viel, als ich am vierten oder fünften Tag, zum erstenmal in meinem Leben, ohnmächtig wurde. Ich hatte auch viel zu sorgen, daß ich den Oberleutnant im Sattel hielt, der sein letztes bißchen Kraft zusammen nahm, um den Ritt zu Ende zu bringen. Aber als wir am achten Tag morgens durch die Hauptstadt ritten, wurde der stechende Schmerz im Herzen unerträglich; ich konnte den Oberleutnant noch an der Tür des Lazaretts abliefern und im Schritt zur Feste hinaufreiten. Da aber wurde ich ohnmächtig von heranspringenden Kameraden vom Pferde gehoben. Man brachte mich ins Lazarett und der Arzt untersuchte mich, und sagte, ich hätte mir durch die langen Anstrengungen, besonders durch den letzten scharfen Ritt, einen Herzfehler geholt und könnte in einem Lande mit so hoher Lage und so dünner Luft jetzt nicht leben und müßte nach Haus. Da fuhr ich denn, nachdem ich acht Tage im Lazarett gelegen hatte, in vier ungemütlichen Tagfahrten mit der kleinen klappernden Bahn in den offenen kleinen Rübenwagen nach der Küste und kletterte am zweiten Tag nach meiner Ankunft in meiner Schutztruppenuniform mit Tornister und Mantel die Strickleiter hinauf an Deck des Wörmanndampfers. Wir waren fünfzig Mann an Bord, die meisten kränklich, einige sehr krank. Einer hatte einen Schuß in die Brust bekommen, der noch eiterte. Wir saßen oft neben ihm und trugen ihn auf seinem Lager an die Sonne, und trösteten ihn; aber er hatte keinen Mut; er lag dumpfbrütend und zuweilen wimmerte er leise. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Einer, eines Tagelöhners Sohn aus Pommern, hatte ein Bein verloren; er konnte schon an Krücken springen, und tat, als wenn er guter Dinge wäre; er sagte, er könne nun in Wahrheit singen, was sie in der Dorfschule so oft gesungen hätten: »Alles was ich bin und habe, dank' ich dir, mein Vaterland.« Aber er saß oft mit stillem Gesicht in seinem langen Stuhl; er war erst dreiundzwanzig Jahre alt. Einer hatte auf einem Eilmarsch einen Hitzschlag bekommen und hatte seitdem fixe Ideen, die während der Fahrt immer schlimmer wurden. Er hielt sich für den König von Südafrika und wollte in Deutschland Kanonen bestellen. Ich habe gehört, daß er wieder ganz gesund geworden ist. Einer hatte einen Knochenschuß und sollte in Berlin noch einmal operiert werden. Die andern waren fast alle herzkrank oder hatten schweren Typhus hinter sich. Wir waren alle freundlich miteinander und hielten gut zusammen; nur einer war da, der von Tag zu Tag unbeliebter wurde, ein Berliner, der alles hatte, konnte und wußte. Ich hatte mir über hundertfünfzig Mark von der Kriegslöhnung gespart und verwandte sie dazu, daß ich in der zweiten Kajüte fuhr. Heinrich Gehlsen, der einen schweren Typhus überstanden hatte und auch mit zurück fuhr, hatte mich auf den Gedanken gebracht. Ich tat es gern und habe es nicht bereut. Wer in äußerlichen Dingen auf sich hält, der wird dadurch vorwärtsgetrieben, daß er es auch in allen anderen Dingen weiterbringt. Ich verkehrte am meisten mit ihm und mit einem Stückmeister von der Marine, das ist der Mann, der auf den großen Kriegsschiffen einen Panzerturm bedient. Er war mit Gehlsen und mir bei unserem ersten schweren Gefecht mit dabei gewesen und war ein breiter, behaglicher Mann, voller Schnurren und Schelmereien. Ich mochte ihn besonders darum so gern, weil er seinen beständigen und großen Humor nicht allein den Gesunden, sondern besonders auch unseren Kranken zukommen ließ. Obgleich wir fast alle irgendwelchen Schaden hatten, waren wir doch fröhlich über die Heimkehr. Bis hinauf nach Spanien hat die Back viel Schelmenspiele, Gesang und Narrheit gesehn; ich konnte selbst nichts dazu beitragen; ich hatte aber viele Freude daran. Wir waren sehr froh, als wir die Küste von England wiedersahen. Gleich darauf begegnete uns das erste deutsche Schiff, ein kleiner schlanker Kreuzer unserer Marine, noch ganz neu. Er stürmte gewaltig dahin. Am Abend des anderen Tages kam uns ein Wörmanndampfer entgegen, der Mannschaft für den Feldzug gegen die Hottentotten an Bord hatte. Sie standen in ihren weiten grauen Mänteln und großen Schlapphüten an der Reeling und riefen zu uns herüber. Am anderen Abend um fünf Uhr näherten wir uns Cuxhaven; wir sahen es deutlich im Dämmern liegen. Obgleich es schneidend kalt war, standen wir doch in unseren dicken Mänteln lange an der Reeling. Erst als es dunkle Nacht wurde, gingen wir unter Deck. Um ein Uhr in der Nacht machte das Schiff in Hamburg am Petersenkai fest; wir blieben aber die Nacht über an Bord. Am Vormittag kam der Arzt und besah einen jeden von uns. Dann kamen zuerst die Schwerkranken von Bord; dann wir. Am Nachmittag wollte ich zur An- und Abmeldung nach Kiel fahren. Als ich so in meiner abgetragenen, schmutzfarbenen Korduniform, mit dem sonnenverbrannten dunkeln Gesicht den Jungfernstieg entlang schlenderte, gesellte sich ein Mann in mittleren Jahren zu mir, der mich im Weitergehen dies und das fragte. Im Laufe des Gespräches kam es heraus, daß ich schon oft im Elternhause von ihm gehört hatte; denn er war von Kind an mit meinen Eltern bekannt gewesen und hatte sie neulich wieder besucht. Da fing ich an, nach Allen zu Hause zu fragen, und hörte nicht auf damit. Es war mir, als wenn ich sieben Jahre von Hause fortgewesen wäre. [Illustration] Inhalt der +Grote+'schen Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller 1. Band: Otto Glagau, +Fritz Reuter und seine Dichtungen+. Neue, umgearbeitete Auflage. Mit Illustrationen. Geb. 4 M. 2. Band: Julius Wolff, +Till Eulenspiegel redivivus+. Ein Schelmenlied. Mit Illustrationen. Sechsundzwanzigstes Tausend. Geb. 4 M. 80 Pf. 3. Band: Julius Wolff, +Der Rattenfänger von Hameln+. Eine Aventiure. Mit Illustrationen von P. Grot Johann. Sechsundsiebzigstes Tausend. Geb. 4 M. 80 Pf. 4. Band: Wilhelm Raabe, +Horacker+. Mit Illustrationen von P. Grot Johann. Siebzehnte Auflage. Geb. 4 M. 5. Band: Friedrich Bodenstedt, +Theater+. (Kaiser Paul. -- Wandlungen.) Geb. 4 M. 6. Band: Anastasius Grün, +In der Veranda+. Eine dichterische Nachlese. Dritte Auflage. Geb. 2 M. 7. Band: Julius Wolff, +Schauspiele+. Zweite Auflage. Geb. 4 M. 80 Pf. 8. Band: Carl Siebel, +Dichtungen+. Gesammelt von seinen Freunden. Herausgegeben von Emil Rittershaus. Geb. 4 M. 9. Band: Wilhelm Raabe, +Die Chronik der Sperlingsgasse+. Neue Ausgabe mit Illustrationen von Ernst Bosch. Vierundsiebzigste Auflage. Geb. 4 M. 10. Band: Julius Wolff, +Der wilde Jäger+. Eine Weidmannsmär. Hundertfünftes Tausend. Geb. 4 M. 80 Pf. 11. Band: Hermann Lingg, +Schlußsteine+. Neue Gedichte. Geb. 4 M. 12./13. Band: Julius Wolff, +Tannhäuser+. Ein Minnesang. Zwei Bände. Dreiundvierzigstes Tausend. Geb. 8 M. 14. Band: Julius Wolff, +Singuf+. Rattenfängerlieder. Siebzehntes Tausend. Geb. 4 M. 80 Pf. 15. Band: Julius Grosse, +Gedichte+. Mit einer Zuschrift von Paul Heyse. Geb. 4 M. 16./17. Band: Julius Wolff, +Der Sülfmeister+. Eine alte Stadtgeschichte. Zwei Bände. Dreiundfünfzigstes Tausend. Geb. 8 M. 18./19. Band: A. von der Elbe, +Der Bürgermeisterturm+. Ein Roman aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Zweite Auflage. Geb. 7 M. 20. Band: Julius Wolff, +Der Raubgraf+. Eine Geschichte aus dem Harzgau. Dreiundsechzigstes Tausend. Geb. 7 M. 21./22. Band: Julius Grosse, +Der getreue Eckart+. Roman in zwölf Büchern. Zwei Bände. Zweite Auflage. Geb. 9 M. 60 Pf. 23. Band: Theodor Fontane, +Unterm Birnbaum+. Eine Novelle. Zweite Auflage. Geb. 4 M. 24. Band: Wilhelm Raabe, +Unruhige Gäste+. Ein Roman aus dem Säkulum. Sechste Auflage. Geb. 4 M. 25. Band: Julius Wolff, +Lurlei+. Eine Romanze. Sechsundsechzigstes Tausend. Geb. 6 M. 26. Band: Wilhelm Raabe, +Im alten Eisen+. Eine Erzählung. Sechste Auflage. Geb. 4 M. 27. Band: Arthur Drews, +Irold+. Eine Rhapsodie in sechs Gesängen. Geb. 4 M. 28. Band: Julius Wolff, +Das Recht der Hagestolze+. Eine Heiratsgeschichte aus dem Neckartal. Vierzigstes Tausend. Geb. 7 M. 29./30. Band: Wilhelm Jordan, +Zwei Wiegen+. Ein Roman. Neue Ausgabe. Zwei Bände. Fünftes Tausend. Geb. 7 M. 31./32. Band: Guido List, +Carnuntum+. Historischer Roman aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. Zwei Bände. Geb. 8 M. 33. Band: Julius Wolff, +Die Pappenheimer+. Ein Reiterlied. Vierundzwanzigstes Tausend. Geb. 6 M. 34. Band: Ernst Eckstein, +Murillo+. Dritte Auflage. Geb. 3 M. 35. Band: Ernst Eckstein, +Hertha+. Roman. Dritte Auflage. Geb. 8 M. 36. Band: A. von der Elbe, +In seinen Fußstapfen+. Roman aus Lüneburgs Vorzeit. Geb. 7 M. 37. Band: Großfürst Konstantin, +Gedichte+. In freier Nachbildung von Julius Grosse. Geb. 4 M. 38. Band: Julius Wolff, +Renata+. Eine Dichtung. Einunddreißigstes Tausend. Geb. 6 M. 39. Band: Anton Springer, +Aus meinem Leben+. Mit zwei Bildnissen. Geb. 7 M. 40. Band: C. Gräfin von Haugwitz, +Eines Kaisers Traum+. Dichtung. Geb. 4 M. 41. Band: Anton Ohorn, +Der Ordensmeister+. Eine deutsche Minne- und Heldenmär. Geb. 4 M. 42./43. Band: Hermann Lüders, +Unter drei Kaisern+. Malerfahrten. Mit 221 Illustr. vom Verf. Zwei Bände. Geb. 9 M. 60 Pf. 44./45. Band: Ernst Eckstein, +Themis+. Roman. Zwei Bände. Geb. 9 M. 60 Pf. 46. Band: Julius Wolff, +Der fliegende Holländer+. Eine Seemannssage. Vierunddreißigstes Tausend. Geb. 5 M. 47. Band: Ernst Julius Hähnel's +Literarische Reliquien+. Herausgegeben von Julius Grosse. Geb. 6 M. 48. Band: Ernst Eckstein, +Der Mönch vom Aventin+. Novelle. Vierte Auflage. Geb. 4 M. 49. Band: Ludwig Ganghofer, +Doppelte Wahrheit+. Neue Novellen. Fünftes Tausend. Geb. 5 M. 50. Band: Maria Janitschek, +Atlas+. Novelle. Geb. 2 M. 51. Band: Ernst Eckstein, +Familie Hartwig+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8 M. 52. Band: Maria Janitschek, +Pfadsucher+. Vier Novellen. Geb. 4 M. 53. Band: Julius Wolff, +Das schwarze Weib+. Roman aus dem Bauernkriege. Vierundzwanzigstes Tausend. Geb. 7 M. 54. Band: Ernst Eckstein, +Kyparissos+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8 M. 55. Band: Julius Wolff, +Aus dem Felde+. Nebst einem Anhang: +Im neuen Reich+. Gedichte. Vierte, vermehrte Auflage. Geb. 2 M. 50 Pf. 56. Band: Konrad Telmann, +Bohémiens+. Roman. Geb. 6 M. 57. Band: Ola Hansson, +Der Schutzengel+. Roman. Geb. 4 M. 58. Band: Ernst Eckstein, +Roderich Löhr+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8 M. 59. Band: Julius Wolff, +Assalide+. Dichtung aus der Zeit der provençalischen Troubadours. Siebzehntes Tausend. Geb. 6 M. 60. Band: Ernst Eckstein, +Adotja+. Novellen. Geb. 6 M. 50 Pf. 61. Band: Ernst Eckstein, +Die Hexe von Glaustädt+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8 M. 62. Band: Gustav Frenssen, +Die drei Getreuen+. Roman. Hundertviertes Tausend. Geb. 5 M. 63. Band: Julius Wolff, +Der Landsknecht von Cochem+. Ein Sang von der Mosel. Einundzwanzigstes Tausend. Geb. 6 M. 64. Band: Freiherr von Schlicht, +Die feindlichen Waffen+. Humor. Roman. Geb. 4 M. 50 Pf. 65. Band: Heinrich Steinhausen, +Heinrich Zwiesels Ängste+. Eine Spießhagener Geschichte. Geb. 5 M. 66./67. Band: Ludwig Ganghofer, +Das Schweigen im Walde+. Roman in zwei Bänden. Einunddreißigstes Tausend. Geb. in 1 Band 6 M. 68. Band: Julius Wolff, +Der fahrende Schüler+. Eine Dichtung. Vierzehntes Tausend. Geb. 6 M. 69. Band: Gustaf Dickhuth, +Wie der Leutnant Hubertus von Barnim sich verloben wollte und anderes+. Novellen. Geb. 4 M. 70. Band: Gustav Frenssen, +Die Sandgräfin+. Roman. Dreiundsechzigstes Tausend. Geb. 5 M. 71. Band: Robert Wendlandt, +Der Wendenhof+. Roman. Geb. 4 M. 50 Pf. 72. Band: Hermann Heiberg, +Reiche Leute von einst+. Roman. Geb. 4 M. 73. Band: Gustav Frenssen, +Jörn Uhl+. Roman. Zweihundertdreiundzwanzigstes Tausend. Geb. 5 M. 74. Band: Victor Blüthgen, +Gedichte+. Neue vermehrte Ausgabe. Geb. 4 M. 75. Band: Wilhelm Raabe, +Nach dem großen Kriege+. Eine Geschichte in zwölf Briefen. Vierte Auflage. Geb. 3 M. 50 Pf. 76. Band: Hans Hopfen, +Gotthard Lingens Fahrt nach dem Glück+. Roman. Geb. 5 M. 77. Band: Julius Wolff, +Die Hohkönigsburg+. Eine Fehdegeschichte aus dem Wasgau. Achtundzwanzigstes Tausend. Geb. 6 M. 78. Band: Johannes Trojan, +Auf der anderen Seite+. Streifzüge am Ontario-See. Geb. 3 M. 79. Band: Wilhelm Raabe, +Die Kinder von Finkenrode+. Siebente Aufl. Geb. 4 M. 80. Band: Johannes Trojan, +Berliner Bilder+. Hundert Momentaufnahmen. Zweite Auflage. Geb. 4 M. 81. Band: Joseph Lauff, +Pittje Pittjewitt+. Ein Roman vom Niederrhein. Sechzehntes Tausend. Geb. 5 M. 82. Band: Adam Karrillon, +Michael Hely+. Roman. Siebentes Tausend. Geb. 5 M. 83. Band: Julius Wolff, +Zweifel der Liebe+. Roman aus der Gegenwart. Zwanzigstes Tausend. Geb. 6 M. 84. Band: Ernst von Wildenbruch, +Das schwarze Holz+. Roman. Fünfzehntes Tausend. Geb. 5 M. 85. Band: Joseph Lauff, +Frau Aleit+. Roman. Vierzehntes Tausend. Geb. 5 M. 86. Band: Gustav Frenssen, +Hilligenlei+. Roman. Hundertsechsunddreißigstes Tausend. Geb. 6 M. 87. Band: Adam Karrillon, +Die Mühle zu Husterloh+. Roman. Fünftes Tausend. Geb. 5 M. 88. Band: Fritz Philippi, +Adam Rotmann+. Ein Leben in der Zelle. Roman. Geb. 4 M. 89. Band: Gustav Frenssen, +Peter Moors Fahrt nach Südwest+. Ein Feldzugsbericht. Hundertsiebenundsechzigstes Tausend. Geb. 3 M. 90. Band: Wilhelm Raabe, +Halb Mär, halb mehr+. Erzählungen, Skizzen, Reime. Zweite Auflage. Geb. 4 M. 91. Band: Julius Wolff, +Das Wildfangrecht+. Eine pfälzische Geschichte. Achtzehntes Tausend. Geb. 6 M. 92. Band: Joseph Lauff, +Die Tanzmamsell+. Roman. Vierzehntes Tausend. Geb. 5 M. 93. Band: Ernst von Wildenbruch, +Lukrezia+. Roman. Zwölftes Tausend. Geb. 6 M. 94. Band: F. Hugin, +Durch den Nebel+. Roman. Geb. 4 M. 95. Band: Joseph Lauff, +Sankt Anne+. Roman. Zwölftes Tausend. Geb. 5 M. 96. Band: Adam Karrillon, +~O domina mea~+. Roman. Fünftes Tausend. Geb. 5 M. 97. Band: Charitas Bischoff, +Amalie Dietrich+. Ein Leben. Dreizehntes Tausend. Geb. 5 M. 98. Band: Julius Wolff, +Der Sachsenspiegel+. Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit. Dreizehntes Tausend. Geb. 6 M. 99. Band: Gustav Frenssen, +Klaus Hinrich Baas+. Roman. Siebzigstes Tausend. Geb. 6 M. 100. Band: Joseph Lauff, +Kevelaer+. Roman. Vierzehntes Tausend. Geb. 5 M. 101. Band: Erich Scheurmann, +Ein Weg+. Roman. Geb. 5 M. 102. Band: Heinrich Federer, +Lachweiler Geschichten+. Fünftes Tausend. Geb. 4 M. 50 Pf. 103. Band: Heinrich Federer, +Berge und Menschen+. Roman. Siebentes Tausend. Geb. 6 M. 104. Band: Johannes Jegerlehner, +Marignano+. Eine Erzählung. Drittes Tausend. Geb. 4 M. 105. Band: Gustav Frenssen, +Der Untergang der Anna Hollmann+. Eine Erzählung. Einundfünfzigstes Tausend. Geb. 3 M. 106. Band: Joseph Lauff, +~Lux aeterna~+. Roman. Zehntes Tausend. Geb. 5 M. End of Project Gutenberg's Peter Moors Fahrt nach Südwest, by Gustav Frenssen *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PETER MOORS FAHRT NACH SÜDWEST: EIN FELDZUGSBERICHT *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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