Title : Die Anfänge der Naturbeherrschung. 1. Frühformen der Mechanik
Author : Karl Weule
Illustrator : Max Wilhelm
Release date : November 5, 2017 [eBook #55892]
Language : German
Credits
: Produced by Peter Becker and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Die Anfänge der
Naturbeherrschung
1. Frühformen der Mechanik
Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde ◈ Stuttgart
Die Gesellschaft Kosmos bezweckt, die Kenntnis der Naturwissenschaften und damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres Volkes zu verbreiten. — Dieses Ziel sucht die Gesellschaft durch Verbreitung guter naturwissenschaftlicher Literatur zu erreichen im
Kosmos , Handweiser für Naturfreunde
Jährlich 12 Hefte mit 4 Buchbeilagen. Preis vierteljährl. 7.50 M.
Diese Buchbeilagen sind, von ersten Verfassern geschrieben, im guten Sinne gemeinverständliche Werke naturwissenschaftlichen Inhalts. Vorläufig sind für das Vereinsjahr 1921 festgelegt (Reihenfolge und Änderungen auch im Text vorbehalten):
Prof. Dr. K. Weule, Die Anfänge der Naturbeherrschung. 1. Frühformen der Mechanik.
Hanns Günther, Radiotechnik.
Dr. Kurt Floericke, Würmer.
Wilh. Bölsche, Im Bernsteinwald.
Jedes Bändchen reich illustriert.
Geb. M 5.20 Gebd. M 7.80
Diese Veröffentlichungen sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen; daselbst werden Beitrittserklärungen zum Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde , entgegengenommen. Auch die früher erschienenen Jahrgänge sind noch erhältlich. (Satzung, Bestellkarte, Verzeichnis der erschienenen Werke sowie Preise usw. siehe am Schluß.)
Geschäftsstelle des Kosmos: Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart.
1. Frühformen der Mechanik
Von
Dr. Karl Weule
Direktor des Museums für Völkerkunde
und Professor an der Universität zu Leipzig
Mit zahlreichen Abbildungen
nach Originalzeichnungen von Max Wilhelm
Stuttgart
Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde
Geschäftsstelle: Franckh'sche Verlagshandlung
1921
Alle Rechte, besonders das Übersetzungsrecht, vorbehalten
Gesetzliche Formel für die Vereinigten Staaten
von Nordamerika:
Copyright 1921 by Franckh'sche Verlagshandlung
Stuttgart.
STUTTGARTER SETZMASCHINEN-DRUCKEREI
HOLZINGER & Co., STUTTGART
Seite | |||
1. Einleitung. Kultur ist Naturbeherrschung. Die weiße Rasse steht darin zu oberst, doch beruht auch ihre Herrschaft mehr auf bloßer Erfahrung als auf wahrer Erkenntnis der Naturgesetze. Wie steht es damit bei den Naturvölkern? | 7–8 | ||
2. Die Freihaltung der Hand. Arbeitsmöglichkeit des Menschen nur bei dauernd freier Hand. Vom Sammelbeutel der Urzeit bis zum Damenhandtäschchen und zum Rucksack von heute. Die Kindertragarten | 8–15 | ||
3. Der Aufmarsch. Die Einteilung der Physik und die Einpassung ethnographischer Erscheinungen in ihren Rahmen | 15–16 | ||
4. Holz und Stein. Holzzeit und Steinzeit. Das Parallelogramm der Kräfte. Wesen des direkten und des indirekten Schlages. Der schräge Schlag und der Schlagbuckel. Das Abdrücken. Einfache und zusammengesetzte Maschinen. Der Grabstock als Keil und Hebel. Die Schneid-, Hieb- und Stichwerkzeuge | 16–22 | ||
5. Das Leitungsvermögen. Inneres und äußeres Leitungsvermögen. Gute und schlechte Leiter. Die Prinzipien der Tracht und der Wohnung. Das Feuer und das Leitungsvermögen der Kochgerätschaften. Holzzange und vegetabiler Kochtopf | 22–28 | ||
6. Der Luftdruck. Wesen des Siedens. Der Schildkrötenfang mit dem Fisch. Verwandlung der Arbeit in Wärme. Das pneumatische Feuerzeug. Der Schröpfkopf im dunklen Weltteil | 28–30 | ||
7. Hebel, Rolle und Rad an der Welle. | |||
a ) | Der Hebel. Zweiarmige und einarmige Hebel. Bohrmaschinen in Vorzeit und Gegenwart. Das Wurfholz und die Schleuder. Zentrifugal- und Zentripetalkraft. Die Ölpresse der Pangwe. Das Tipití-Problem | 31–38 | |
b ) | Die Rolle. Feste und bewegliche Rollen. Der Flaschenzug bei den Eskimo | 38–41 | |
c ) | Das Rad an der Welle. Das Differentialwellrad bei den Chinesen. Die Baumwollentkernmaschine in Südasien | 41–42 | |
8. Schiefe Ebene, Keil und Schraube. Die schiefe Ebene als Rampe und als Keil. Die Rampe im alten Orient und im neolithischen Europa. Die Megalithen der Alten Welt und Ozeaniens. Ernst Machs Ansicht vom ethischen und kulturhistorischen Verdienst der Sklaverei. Bedeutung der organisierten Arbeit. Auch die Riesenbauten von Alt-Peru und Ozeanien nur durch Organisation [S. 6] möglich. Das Brewarrina-Labyrinth in Alt-Australien. Seilbahnen und Gleitbrücken in den Kordilleren und in Hochasien. Der Pflug als Paradigma der bewegten schiefen Ebene. — Der Drall. Angewandte Festigkeitslehre in Afrika. Abgesetzt geschmiedete Speer- und Pfeilspitzen. Bulbul oder der Drall beim Kinderspielzeug von Neumecklenburg. Der Wurfriemen der Griechen, Römer und Neukaledonier. — Die aufgewickelte schiefe Ebene oder die Schraube. Der Drillbohrer bei uns und im Stillen Ozean. Das Schwungrad. Parallellaufende Schraubenräder in Südostasien. Die Eskimoschraube. Der Bumerang ein Stück Schraubenmutter | 42–54 | ||
9. Das Beharrungsvermögen. Der Besitz der Rotation als ein Kriterium des Fortschritts. Das Wesen der Trägheit. Kreisel und Diabolo. Spindel und Spinnwirtel. Bola und Lasso | 54–60 | ||
10. Das Parallelogramm der Kräfte. Streichruder und Paddel. Die schnellen Dualaboote. Das Segeln. Alter, Verbreitung und Wesen des Kreuzens gegen den Wind. Warum die Mikronesier nicht über Stag gehen können. Der Fischdrachen und das Wesen des Luftdrachens | 60–65 | ||
11. Licht und Schall. Das Fischspeeren und der Brechungsquotient. Das Negertelephon. Die Trommelsprache und die Tonhöhen. Das drahtlose Telephon Südamerikas | 66–68 | ||
12. Schlußbetrachtungen. Die Naturvölker keine absoluten Naturbeherrscher, aber doch Herren ihres Lebensraumes. Die künstliche Beleuchtung. Der Docht und die Kapillarität. Wie die Ozeanier sich vor dem Verdursten schützen. Filtrieranlagen. Der Wassertransport und die Interferenz. Das Sagoschlämmen und das spezifische Gewicht. Die Töpferscheibe. Hat der Neger die Eisentechnik erfunden? Hochöfen und Gebläse. Die Elastizität und ihre Anwendung | 69–76 |
Den Begriff Kultur definieren wir für gewöhnlich als die Gesamtsumme aller geistigen Errungenschaften einer Zeit. Demgegenüber kann man auch sagen: Kultur ist Naturbeherrschung . Nur wer der Natur und ihren Gegebenheiten als Herr gegenübersteht, besitzt Kultur, die um so höher sein wird, je unumschränkter sich jene Beherrschung darstellt.
Tritt man von diesem Gesichtspunkt an eine Betrachtung der Menschheit heran, so stellen wir, wenigstens nach unserer Meinung, den Gipfelpunkt aller Völker und Zeiten überhaupt dar. Die weiße Rasse spielt förmlich mit den Elementen im chemischen Sinn; sie hat sich eine große Anzahl von Gesetzen der Physik untertan gemacht; sie verändert nach Belieben die Erdoberfläche durch Abtragung und Aufschüttung, fährt unter dem Wasser und in der Luft — kurz, sie macht mit dem Erdball, was sie will.
Soweit die technische Seite der Kultur in Frage kommt, wird man diesen Leistungen seine rückhaltlose Bewunderung nicht versagen können. Anders steht es hingegen um die moralische Seite. Vom gegenwärtigen Augenblick und der Zeit des Weltkrieges ganz abgesehen, wo durch Lüge und sittlichen Zusammenbruch ärger gesündigt worden ist als vielleicht jemals in der Menschheitsgeschichte, hat unsere Rasse nicht allzuviel Anlaß, auf ihr Verhalten in sich selbst und gegen die anderen stolz zu sein. Wollen wir also den Eindruck des Überragenden für uns bewahren, so bleibt nichts übrig, als vor allem eben jene technische Seite zu betonen.
Aber auch auf diesem Gebiete sind wir in höherem Grade das Opfer unserer Einbildung und Selbstüberschätzung als uns gemeinhin zum Bewußtsein kommt. Niemand wird den hohen Rang und die staunenswerten Leistungen unserer Chemie und Physik, soweit sie von der strengen Wissenschaft getragen werden, anzweifeln oder sie herabzusetzen wagen. Aber wenn wir im gleichen Atem auch von einer Chemie und Physik des täglichen Lebens, sozusagen [S. 8] unseres Haushaltes sprechen, so sieht die Sache sogleich wesentlich anders aus, soweit es sich um das Verständnis des einzelnen handelt. Jeder Großstadtbewohner fährt wohl täglich mit der Straßenbahn, aber wie wenigen sind die bei ihr zur Anwendung gelangenden physikalischen Gesetze geläufig! Genau das gleiche gilt, ob wir mit oder ohne Draht telegraphieren, durch das Opernglas schauen, durch das Telephon sprechen oder hören usw.
So ist es ganz allgemein bis zu den alltäglichsten Dingen herab. Wer überlegt sich, wenn er die Tür öffnet oder schließt, daß dabei bestimmte Hebelgesetze in Frage kommen; wer, wenn er eine Wanduhr aufzieht, daß für ihren gleichmäßigen Gang die Gesetze des freien Falles wie auch des Falles auf kreisförmiger Bahn in Wirksamkeit treten? Das Ansetzen des Wassers zum Kochen wird tagtäglich millionenfach wiederholt, aber welche von den Beherrscherinnen des Küchendepartements ist sich klar über das Wesen des Siedepunktes, über den atmosphärischen Druck und seine Überwindung? Welche über die physikalischen und chemischen Wirkungen, die durch den Koch-, Röst- oder Dünstprozeß im Äußern und Innern der Speisen hervorgerufen werden? Wir dürfen auch von uns ruhig sagen: Das alles ist selbstverständlich dem Fachmann vollkommen geläufig; über die eine oder andere Erscheinung denkt auch wohl der Laie einmal nach — dem Volke selbst indessen sind bei seinem Tun die Gesetze der Chemie und der Physik ebenso fremd wie gleichgültig, zumal es ja auch ohne diese Kenntnis auskommt.
Die gleichen geringen Anforderungen muß man nun aber auch an die Naturvölker stellen. Zwar verfügen sie, im Gegensatz zu uns, über keinerlei Wissenschaft im strengen Sinn, sondern wie unsere breite Masse nur über Empirie, über Erfahrung, aber in dieser haben sie es in vieler Beziehung weiter gebracht als man von vornherein erwarten darf. Ein Gang durch die anscheinend so einfache Welt dieser Völker wird uns in überraschender Weise darüber belehren.
Wer den Menschen in seiner Entwicklung verfolgt, muß den Blick über ihn hinaus rückwärts zur Tierwelt wenden, ganz gleich, ob es sich um die Entfaltung seiner körperlichen oder seiner geistigen Eigenschaften handelt. Mit dem schwierigen, aber über alle Maßen fesselnden Problem seiner körperlichen Entwicklung aus niedrigeren Formen haben wir uns im einschlägigen Kapitel der [S. 9] »Kultur der Kulturlosen« befaßt; [1] hier müssen und können wir uns damit begnügen, uns unsern Vorfahren als aufrecht stehenden, frei auf seinen Beinen schreitenden Homo sapiens vorzustellen, der die Anwartschaft auf eine unbegrenzte Gehirnentwicklung besaß, der über die Fähigkeit der artikulierten Sprache verfügte, und dessen jederzeit frei bewegliche Hände ihn zu allen jenen zahllosen Tätigkeiten befähigten, die ihn im Laufe der Zeit so himmelhoch über seine weniger glücklichen tierischen Gefährten von einst erhoben haben.
Aber stimmt dieses rosige Bild auch wirklich in allen Einzelheiten? Mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit können wir annehmen, daß die Lebensführung des jungen Menschengeschlechts sich in ganz ähnlicher Weise abgespielt hat, wie sie bei den zurückgebliebensten Völkern der Erde noch heute erfolgt, d. h. daß man das Leben unsteter Sammler und Jäger geführt hat. Ihnen war noch alles fremd, was wir Produktion nennen: jeder Eingriff in die Natur zum Zweck der Vermehrung und der Veredlung von Pflanze und Tier. Man hob auf, was man an genießbarem pflanzlichem Material, Kerftieren und anderen leicht erreichbaren Lebewesen fand, und verfolgte an großem Getier, was einem erleg- und genießbar dünkte.
Bei dieser, äußerlich betrachtet, noch rein tierischen Lebensweise ist alsbald jener Fortschritt eingetreten, der unter der Bezeichnung der sexuellen oder geschlechtlichen Arbeitsteilung in der neueren völkerkundlichen und wirtschaftsgeschichtlichen Literatur einen so großen Raum einnimmt. Während der Mann auf Grund seiner ganzen körperlichen und geistigen Veranlagung dem Wilde folgte und den menschlichen Gegner bekämpfte, begnügte sich die Frau mehr mit dem Zusammentragen harmloserer Beute, deren Zubereitung ihr mit dem Augenblick mehr Sorge, aber auch mehr Befriedigung brachte, wo das Feuer in den Dienst der Menschheit trat. Mit Fug und Recht kann man ihr von diesem Moment an den Ehrentitel einer Hausfrau erteilen.
Doch wie vollzog sich diese Urform der Wirtschaft im einzelnen? Solange der Mann ohne Beute einherzog, war er mit seiner Urkeule oder dem Urspieß, oder welcher Waffe er sich sonst bediente, in jedem Augenblick abwehr- und angriffsbereit gegen Mensch und [S. 10] Tier. Anders hingegen, wenn die mehr oder minder umfangreiche Last des erlegten Wildes ihn behinderte; ein unvorhergesehener Überfall oder ein jäher Angriff von Mensch oder Tier fand ihn dann möglicherweise wehrlos, einfach weil er im entscheidenden Augenblick nicht freier Herr über Hand und Arm war. Die Sorge für beide ist also vom ersten Augenblick des Menschentums ab an ihn herangetreten.
Das gilt für beide Geschlechter auch noch aus einem friedlicheren Grunde. So sehr der Primitive auch das Kind des Augenblicks ist, das unverzüglich verspeist, was es vom Boden aufliest — ganz ohne Vorratsammeln geht es schließlich bei keinem von ihnen ab. Und da auf jenen Stufen auch der Mann neben der Jagd stets die Sammeltätigkeit betreibt, so ist das nächstliegende Erfordernis die Beschaffung eines Behälters, in den alles getan wird, was nicht sofort zum Mund und in den immer hungrigen Magen wandert. Dieser Behälter — ein Ledersack in Gebieten mit größerem Wild, ein geflochtenes Netz oder ein Beutel überall dort, wo jene Vorbedingung nicht erfüllt wird — ist in der Tat das Wahrzeichen beider Geschlechter auf allen niedrigen Kulturstufen. Ihn tragen Buschmann und Buschmännin auf allen ihren Zügen; er ziert den Australier und sein Weib, den Kubu von Sumatra, den Wedda von Ceylon, den alten Kalifornier, den Mela- und Mikronesier, kurz er ist, wie sein Gegenstück, der bald zu behandelnde Grabstock, die Grundlage aller menschlichen Kultur, sozusagen das Symbol ihrer Sonderstellung im Reich alles Organischen überhaupt.
Und dieses Symbol ist er geblieben durch alle Zeiten und alle Kulturstufen hindurch bis auf den heutigen Tag. Über den Urbeutel oder Ursack hinaus hat die Menschheit im Lauf unabsehbar langer Zeiträume und über die ganze Erde hinweg eine ebenso unübersehbare Zahl weiterer Trag- und Transportgeräte erdacht, einfache und komplizierte, praktische und weniger praktische — jenes Urgerät indessen hat sie beibehalten, wo immer es sei, hat es beibehalten müssen, schon weil es letzten Endes keine andere Möglichkeit gibt, die Hand für den Gebrauch dauernd frei zu halten. In diesem Sinne kann man das Handtäschchen unserer Damen und die Aktenmappe unserer Herren nur mit gemischten Gefühlen betrachten; ganz im Gegensatz zum Tornister des Soldaten und dem Rucksack des Touristen, sowie der Umhängetasche, erfüllen sie ihren Endzweck nur in recht fragwürdigem Grade. Zumal das Handtäschchen bedeutet, rein ethnographisch besehen, einen Rückschritt. Zunächst ist es für eine wirksame Entlastung der Trägerin viel zu klein, zwingt diese vielmehr, selbst winzige Pakete einzeln zu tragen. Geradezu verhängnisvoll wird es indes im modernen [S. 11] Verkehrsleben, wenigstens dort, wo, wie in Deutschland und Österreich, die Straßenbahnen rechts fahren. Die weibliche Gewohnheit, alles links zu tragen, verleitet beim Abstieg selbst die Kennerin des Trägheitsgesetzes zum Griff mit der Rechten an die nächstbefindliche hintere Griffstange. Der Wagen braucht nur noch oder schon wieder ein wenig in Bewegung zu sein, um für die Ärmste zu einer Sturzkatastrophe zu führen. Ob die links fahrenden Völker ihre den weiblichen Gewohnheiten besser angepaßte linksseitige Fahrweise aus bewußter oder unbewußter Galanterie eingeführt haben, bleibe dahingestellt.
Wir nennen die Gegenwart stolz das »Zeitalter des Kindes«. Das ist richtig, insofern die Allgemeinheit ein Interesse hat und es betätigt, dem Staat einen brauchbaren Nachwuchs zuzuführen. Im gegengesetzten Sinn, nach dem das nächstbeteiligte Einzelwesen, nämlich die Mutter, die größere Verantwortung hat, ist der Ausdruck hingegen falsch; nach ihm reicht die »Kinderfrage« im Gegenteil ebenfalls bis in die frühesten Jugendtage der Menschheit zurück. Welch unbegrenzte Hilfsmittel und welche Erleichterungen stehen der Mutter von heute zu Gebote! Weise Frauen und Kliniken, Ammen und Wärterinnen, die mit allen Vorsichtsmaßregeln gewonnene und behandelte Milch unserer Haustiere, Kindermehle aller Art, die hygienischsten Wohnungseinrichtungen und hundert andere Ausflüsse der Sorge um das junge Menschenkind mehr. Vor allem aber das eine, das wir ebenso gedankenlos hingenommen haben wie so viele andere grundlegende Erfindungen auch. Das ist der Kinderwagen. Heute ist er in den Ländern der Höchstkultur tatsächlich Gemeingut aller Schichten und gewährleistet somit der gesamten Weiblichkeit der weißen Rasse den freien Gebrauch ihrer Hände. Und wie rasch das gegangen ist! Jeder Landgeborene von uns Älteren ist bestimmt noch ein Schutzbefohlener des großen Umschlagmantels gewesen, in dem der Kleine zwar warm und mollig saß, der aber die Trägerin fast jeder Arbeitsfähigkeit beraubte.
Die Urmutter und alle ihre Nachfolgerinnen unter den Naturvölkern haben das Problem der Arbeitsfähigkeit ungleich besser gelöst, auch diesmal zweifellos, weil sie es einwandfrei lösen mußten . Die Rolle der Frau im Wirtschaftsleben der Menschheit hat es von Anfang an mit sich gebracht, daß sie, wenn auch nicht überall schwerer, so doch anhaltender hat arbeiten müssen als der Herr und Gebieter. Ihr hat der innere Betrieb obgelegen bis in die Gegenwart. Da ist es nun erstaunlich zu sehen, wie sie sich zwischen Pol und Äquator mit dem Neugeborenen abgefunden hat. Wärterinnen gibt es im besten Fall erst, wenn die älteste Tochter das kleine Brüderchen oder Schwesterchen zu tragen vermag; vorher [S. 12] heißt es »Selbst ist der Mann« vom Tage der Geburt bis zu dem Augenblick, wo das Kleine sich selbst behelfen kann. Wie ihn aber unterbringen, wo die Arbeit nur so treibt, wo aber die mütterliche Brust die einzige Nahrungsquelle darstellt? Das ganze Buch oder doch zum mindesten einen großen Teil von ihm könnte man mit der Darstellung der Mittel füllen, welche die Mütter aller Zonen ersonnen und entdeckt haben, um diese Frage, die für sie gewissermaßen die Frage aller Fragen ist, zu lösen.
Die einfachsten Tragweisen sehen noch von außerkörperlichen Geräten ab, indem das Kind mit Hilfe eines oder beider Arme an der Brust, auf der Hüfte ( Abb. 1 ) oder auf der Schulter ( Abb. 2 ) getragen wird. Eine Befreiung der Hand findet hierbei nur teilweise statt, weshalb die Bevorzugung einer bestimmten Körperseite noch nicht festzustellen ist; die Mutter trägt das Kind ebenso oft links wie rechts. Als Regel kann gelten, daß diese Methode gegenwärtig nur noch vorübergehend angewendet wird. Hier und da reitet das Kind auch auf dem Nacken der Mutter, mit den Beinchen nach vorn über deren Brust hinab ( Abb. 3 ), oder es reitet »Huckepack« auf dem Rücken. Hierbei werden beide mütterliche Arme zum Tragen beansprucht, während sie dort zwar frei bleiben, aber zu lebhafter Arbeit gleichwohl kaum verwandt werden dürfen, da der kleine Reiter sonst leicht zu Boden stürzen könnte.
Besser als diese noch fast tierisch anmutende Maßnahme sind die weitverbreiteten Bänder und Gurte, mit denen der Säugling auf der Hüfte festgehalten wird ( Abb. 4 ). Dadurch wird dann wenigstens der entgegengesetzte Arm für die Arbeit frei. Wie ungemein [S. 13] bedeutsam schon dieser geringe Fortschritt empfunden wird, geht daraus hervor, daß der Gurt stets über die rechte Schulter nach der linken Hüfte verläuft, so daß dadurch die rechte Hand frei bleibt. Unter den vielen Dutzenden einschlägiger Bilder im Leipziger Völkermuseum befindet sich nur eine Ausnahme. In diesem Fall aber werden wir es mit einer Linkshänderin zu tun haben.
Die endgültige Lösung des Problems bringen erst die höchst mannigfaltigen Tragvorrichtungen, bei denen das Kind am Körper der Mutter hängt, ohne überhaupt einen Arm in Mitleidenschaft zu ziehen. Für große Teile Afrikas ist die Unterbringung des Säuglings in dem bekannten Rückentuche bezeichnend, worin der ganze Körper warm und geschützt in der Höhe des mütterlichen Kreuzes kauert, während die Beinchen rechts und links heraushängen ( Abb. 5 ). Das Kind nimmt in dieser Lage an jeder Bewegung der Mutter teil, ohne diese im geringsten zu behindern und auch ohne selbst den geringsten Schaden an Körper und Geist zu erleiden. Andere Rückentragvorrichtungen finden sich in den mannigfachsten Konstruktionen über die ganze Erde hin verbreitet bis zu der großen Pelzkapuze der Eskimofrauen ( Abb. 6 ) und der kunstvollen Tragwiege vieler Amerikaner und Nordasiaten. Der Rücken hat sich bei den tastenden Versuchen der geplagten Mütter nach einer Befreiung der Hände schon aus dem Grund als der geeignetste Ort erwiesen, weil die Last hier dem eigentlichen Arbeitsbereich räumlich am weitesten entrückt ist. Außerdem gewährt die Unterbringung der Last auf ihm die beste Möglichkeit, den eigenen Körper im Gleichgewicht zu erhalten.
Schon dieser kurze Ausblick auf nur eine einzige Seite des [S. 14] Völkerlebens ist geeignet, ein überraschendes Licht auf das Ausmaß der geistigen Arbeit zu werfen, die nötig gewesen ist, unseren Vorfahren den freien Gebrauch der Hand zu gewährleisten. Die wahrhaft überragende Stellung des Menschen im Rahmen der Natur versteht man tatsächlich erst, nachdem man ihr von dieser Seite her näher getreten ist. Und vor allem der Frau wird man erst gerecht, wenn man den Ideenreichtum bewundert, den sie in der gleichzeitigen Sorge für das Kind und für die Ausführungsmöglichkeit der ihr zustehenden Arbeit entfaltet hat. Unter den neueren Ethnographen zeiht vor allem der geistvolle Heinrich Schurtz gerade sie der Nüchternheit und Ideenarmut, die beide überall dort zutage träten, wo der frauliche Geist zu schöpferischen Taten Gelegenheit gehabt habe. So in der Töpferei, deren Erfindung auf die Frau zurückgeht; so auch in der Weberei, an deren Erfindung und vorläufiger Entwicklung ihr ebenfalls ein rühmlicher Anteil gehört. Bis zu einem gewissen Grad ist der Vorwurf berechtigt; in Afrika z. B. nimmt die Keramik blühende Formen an, sobald sie, wie in Nordwestkamerun und in Uganda, Männerarbeit wird. Den Stab über die Frau zu brechen, ist gleichwohl nicht ohne weiteres erlaubt, wie schon ihre Leistungen auf dem Gebiet der Tragweisen dartun. Die Wahrheit wird vermutlich in der Richtung zu suchen sein, daß man sagt: ihre Phantasie ist in dem ewigen Kleinkram der täglichen Wirtschaftssorgen verkümmert, der keinen großen Wurf zuläßt. Es wird für kommende Generationen interessant sein, festzustellen, ob die neuerliche Befreiung wenigstens der weißen Frau von dieser unübersehbar langen Bedrückung den Vorwurf jenes ungalanten Ethnographen entkräftet.
Wie dem aber auch sei: beide Geschlechter haben den großen Wurf getan und der Natur wertvollstes Geschenk für den Menschen, die Hand, frei gemacht für die Arbeit. Die ist ihnen alsbald in tausenderlei Arten und Mannigfaltigkeit erwachsen, ganz unserer vorgefaßten, aber falschen Ansicht zum Trotz, wonach gerade der Wilde jeder Arbeit überhoben sei. Manche neue Aufgabe wird dabei zunächst noch rein instinktiv erfaßt und gelöst worden sein; andere wieder werden sehr bald ein gewisses Nachdenken, ja ein förmliches Studium erfordert haben, bis durch die gehäufte Erfahrung ganzer Geschlechterreihen jene relative Höchstleistung erreicht worden ist, die der betreffenden Kulturstufe harmonisch angepaßt erscheint. Von einem wirklichen Erkennen der Naturgesetze, einem wissenschaftlichen Einblick in das Wesen der Erscheinungen ist, wie gesagt, dabei nirgends die Rede; stets handelt es sich vielmehr um dieselbe Empirie, die bloße Erfahrung, die auch das Leben unserer breiten Masse beherrscht.
[S. 15] Die Befreiung der Hand vom Naturzwang ist also die erste große Tat des Menschen auf dem Wege zum Fortschritt, ja sie ist die Vorbedingung des Fortschrittes selbst. Dieser bahnt sich nunmehr in ebenderselben Mannigfaltigkeit an, wie dem Menschen die Arbeit entgegentritt. Uns freilich erscheint das Leben des Wilden als ein unausgesetzter Kampf um den Lebensunterhalt allein, als die nackte Behebung der Sorge: wie friste ich mein Dasein und wie rette ich mich vor Hunger und Durst? Das trifft in Wirklichkeit zwar in höherem Grade zu als bei den Trägern höherer Zivilisation, doch kann man es andererseits direkt als Gesetz ansprechen, daß jeder Mensch die gleiche Leistung mit dem geringsten Kraftaufwand zu erreichen strebt, d. h. daß er die Bequemlichkeit sucht, wo und wie immer es sei. Die dadurch gewonnene Muße aber hat auch das einfachste Volk zu höheren Dingen zu verwenden gewußt, sei es in der Richtung auf eine behaglichere Lebensführung hin oder aber auf dem Gebiete des Sports und des Spiels oder gar dem der Kunst. Die fast allgemeine Verbreitung der tausenderlei Genußmittel ist ein Beleg für das eine, materielle Streben nach oben, die ebenso weite Verbreitung von Tanz und Musik, Spielzeug und Spiel und die bemerkenswerten Leistungen gerade niedrigster Völker in der bildenden Kunst ein solcher für das andere, ideelle Streben in derselben Richtung. Leiblicher und geistiger Komfort — das ist der Wahlspruch des Menschengeschlechts, wann und wo immer es uns entgegentritt.
Bei allen außerkörperlichen Betätigungen des Menschen gelangen Gesetze der Physik und der Chemie oder beider zugleich zur Anwendung. Der Physik gehören dabei alle die Vorgänge an, die nicht die stoffliche Zusammensetzung der gebrauchten Körper beeinflussen, während es die Chemie gerade mit den Veränderungen der stofflichen Natur der Dinge zu tun hat. Der systematische Ausbau der Physik seit Aristoteles und die ungeheure Vervielfältigung der Lebensbetätigungen auf den höheren Kulturstufen haben es mit sich gebracht, daß wir das Gebiet dieser Wissenschaft, deren Rolle im Haushalt der Naturvölker uns hier zunächst beschäftigen soll, in eine ganze Anzahl von Unterabteilungen haben zerlegen müssen, je nachdem es sich um bewegte oder ruhende Körper handelt und ob diese fest, flüssig oder gasförmig sind. Wir fassen den ganzen Komplex dieser Erscheinungen unter dem Namen Mechanik zusammen, die wir dann je nach den Aggregatzuständen der ruhenden oder bewegten Körper als Statik und Dynamik für die festen, als Hydrostatik oder Hydrodynamik für die flüssigen und als Aërostatik und Aërodynamik für [S. 16] die gasförmigen bezeichnen. Zu ihnen treten des fernern die Wärmelehre, die Akustik und die Optik, von Elektrizität und Magnetismus hier zu schweigen, da sie für die niederen Kulturen nicht in Betracht kommen.
Fast möchte es gewagt erscheinen, die einfachen Lebensäußerungen der Naturvölker in die prunkvollen Hallen dieses wissenschaftlichen Riesengebäudes zu übertragen. Aber einmal hat gerade die Völkerkunde die Pflicht, den Anfängen oder doch den Frühformen aller Wissenschaften bei ihren Schutzbefohlenen nachzugehen, sodann aber besitzen auch wir mehr als ein Buch, welches die Physik des täglichen Lebens in unseren Volkskreisen behandelt. Dieses aber unterscheidet sich nicht dem Wesen, sondern höchstens dem Grade nach von dem der Naturvölker. Hinsichtlich des Verständnisses physikalischer Vorgänge schließlich besteht nicht einmal mehr jener Gradunterschied. Weder Wilder noch Weißer gibt sich überflüssigem Nachdenken hin.
Bei alledem bestehen nicht unwesentliche Unterschiede in der Darstellungsmöglichkeit des tatsächlich vorhandenen. Unsere Lebensverhältnisse sind jedermann vollkommen geläufig, so daß die Darstellung die physikalischen Prinzipien zur Grundlage nehmen kann, ohne die ethnographischen Verhältnisse, unter denen sie zur Anwendung gelangen, zu schildern. Das geht bei unseren Fremdvölkern nicht, ohne Gefahr zu laufen, einen blutleeren Organismus zu schaffen. Hier wird es vielmehr angezeigt sein, beides in der Weise miteinander zu verknüpfen, daß man die einzelne technische Erfindung möglichst mitten in die lebendige Natur hineinsetzt, sie förmlich aus der Notwendigkeit der Anpassung an den Lebensraum der einzelnen Völker herauswachsen läßt. Nur so darf man ein einigermaßen wirkungsvolles Bild erhoffen. Es wird, zumal bei der Enge des zur Verfügung stehenden Raums, kaum mehr als skizzenhaft sein, doch bedeutet es ja auch nur einen Anfang, einen Versuch in der Technohistorik der Naturvölker.
Wir setzen gewohnheitsmäßig an den Anfang aller Kulturentwicklung die Steinzeit; und wenn wir neuerdings vor deren älteren Zeitraum, vor das Paläolithikum, noch das Eolithikum mit seinen ganz urtümlichen Geräten setzen, so verstehen wir unter diesen Geräten doch auch wieder nur solche aus Stein.
Dieses Bild ist nur sehr bedingt richtig. Man kann sich sehr wohl vorstellen, daß der Urmensch in Gegenden gelebt hätte, die wie die Steppe oder so mancher tropische Urwald mit seinem tiefen Humus ohne jeden Stein war. Dann wäre die Erfindung steinerner Waffen [S. 17] und Geräte ganz von selbst unterblieben, der Mensch hätte sich vielmehr mit Holz, Knochen, Muscheln, Horn u. dergl. Dingen zu behelfen gelernt, bis die Entdeckung der Metalltechnik ihn schließlich in eine günstigere Lage versetzt hätte. Alle diese Stoffe hat er nun aber auch dort herangezogen, wo ihm die Benutzung des Steins offenstand, ja von ihnen hat das Holz in demselben Maß vorgewaltet, wie es bis in die Neuzeit bei den Naturvölkern der Südsee und Amerikas der Fall gewesen ist, und wie man es selbst im Kulturbesitz entlegener Gegenden Europas überraschenderweise noch heute feststellen kann. Wenn die vorgeschichtlichen Funde ein anderes Bild ergeben, so liegt das einfach daran, daß wohl Stein, Muscheln und unter günstigen Umständen Knochen sich erhalten haben, nicht aber das vergänglichere Holz. An diesem und dem Stein hat also der Mensch sein Erfindungstalent zu üben zuerst Gelegenheit gehabt. Beim Stein können wir es mühelos noch an den vorgeschichtlichen Erzeugnissen selbst nachprüfen, hier und da auch bei einigen zurückgebliebenen Völkern der Gegenwart, während wir beim Holz auf diese allein angewiesen sind.
Bei der Steinbearbeitung ist das Nächstliegende der Schlag. Auch jeder von uns wird den Versuch einer Klingenherstellung nicht anders beginnen. Für unsere Altvordern handelte es sich dabei entweder um das Nachschärfen stumpf gewordener Schneiden, oder um das Behauen eines passenden Knollens zur Herstellung eines selbständigen Werkzeuges, oder um das Absplittern einer besonderen Klinge von einem größeren Kernstein oder Nuklëus und deren etwa noch weiteres Zurechtstutzen. Die einfachste und nächstliegende Methode war der Schlag mit einem passenden anderen Stein auf die zu bearbeitende Stelle selbst. Das ist der direkte Schlag, den jeder Laie anwenden wird. Feiner ist die Methode, die zu treffende Stelle des in Arbeit befindlichen Steines auf eine besondere Unterlage zu setzen und nunmehr auf einen bestimmten Punkt oben auf dem Stein zu schlagen; dann springt ein Splitter in jeder gewünschten Größe ab. Die Unterlage kann der runde Rücken eines anderen Knollens sein oder auch die Oberkante eines prismatischen Steins, wie ihn Abb. 7 zeigt. Das Weimarer Städtische Museum, dessen herrliche urgeschichtliche Abteilung gerade nach der technologischen Seite hin mustergültig durchgeführt ist, führt jedem ernst zu nehmenden Besucher auf Wunsch beide Methoden vor, wobei die Vorteile des indirekten Schlages ohne weiteres in die Augen springen. [S. 18] Bis auf Bruchteile eines Millimeters kann bei einiger Übung das Arbeitsstück eingestellt werden.
Ermöglicht wird diese Sicherheit durch das Walten eines physikalischen Prinzips, welches bei allen Arbeiten mit Schlag, Druck oder Zug zur Geltung gelangt. Das ist der bekannte Satz vom Parallelogramm der Kräfte, welches unsere Vorfahren, ohne sein Wesen zu erkennen, seit Zeiten benutzt haben, die aller Schätzung spotten. Da er uns auch sonst noch oft entgegentreten wird, sei er durch die Abbildung 8 erläutert.
Nach diesem Satz der Mechanik können zwei Kräfte, die unter irgendeinem Winkel an einem Punkt angreifen, durch eine Mittelkraft, die Resultante, ersetzt werden, die ihrer Größe und Richtung nach gleich ist der Diagonale des Parallelogramms das aus den Seitenkräften und dem von ihnen eingeschlossenen Winkel konstruiert wird. AC und AB seien die Seitenkräfte oder Komponenten, die auf A wirken; dann ist AD die Resultante. Ein Boot z. B., das durch den Wind oder die Dampfkraft allein quer über den Fluß von A nach C , durch die Strömung allein in der gleichen Zeit stromabwärts von A nach B getrieben würde, wird durch beide zugleich auf dem Weg AD zu dem weiter stromabwärts gelegenen Punkte D des jenseits gelegenen Ufers gelangen. Beim Schlag ist die Sachlage umgekehrt; hier ist die Resultante AD mit der Stärke und Richtung des Schlages gegeben, so daß es nunmehr gilt, sie in 2 Komponenten zu zerlegen, die zusammen dieselbe Wirkung hervorrufen wie jene allein. Das ist aus dem Grund ein schwieriges Beginnen, weil die Komponenten jede beliebige Richtung annehmen können. Eine bestimmte Lösung ist erst möglich, wenn die Komponenten bestimmte Voraussetzungen nach Richtung und Größe erfüllen. In der Praxis des Schlagens sind diese Unbekannten in der Härte und der Struktur des Steines, der Länge und Stärke des beabsichtigten Absplisses begründet, mit denen also jeder Schlagkünstler rechnen muß.
Das Weimarer Museum ist auch hier wieder mit praktischen Versuchen vorbildlich vorangegangen, indem es die Sprung- und Splittererscheinungen des Feuersteins an durchsichtigem Glase studierte. Man benutzte dazu polierte Briefbeschwerer von Würfel- und Säulenform. Schlug man mit einem Treibhammer der Klempner, der eine kugelähnlich vorgewölbte Schlagfläche besitzt, senkrecht auf eine ebene Fläche, so entstand eine Figur, wie Abb. 9 sie zeigt: unter dem Treffpunkt entstand in dem Glas ein vollkommener Kegel von [S. 19] der Form einer Lampenglocke, der sich je nach der Heftigkeit des Schlages bis zur Basis des ganzen Körpers fortsetzte, so daß man den äußeren Glaskörper wie eine Haube abheben konnte. Das kommt daher, daß die Energie im Augenblick des Auftreffens auf den harten Körper nicht mehr ausschließlich nach unten wirken kann, sondern auch nach den Seiten ausstrahlen muß. [2] Die Resultante ist in ihre Komponenten zerlegt worden.
In der Praxis der Naturvölker von einst wie von heute spielt dieser senkrechte Schlag keine Rolle, wohl aber der schräge. Weitaus die meisten Feuersteinklingen des Paläolithikums zeigen, soweit sie von einem Nuklëus abgesplittert worden sind, an ihrem dickeren Ende eine auffällige Hervorwölbung mit zentralem, stets an der Kante liegendem Treffpunkt. Das ist der Schlagbuckel oder Schlaghügel, auch Bulbus oder Schlagzwiebel genannt, mit seinen konzentrischen Wellenringen und Längssprüngen, wie Abb. 10 sie zeigt. Er entsteht dadurch, daß der Hieb schräg auf die Fläche des Kernsteins erfolgt. Dann kann sich nur ein Teil des Kegelmantels ausbilden, indem auf dem von der Schlagfläche aus in spitzem Winkel abspringenden Abspliß nur ein Schlagbuckel entsteht. Ganz große Meister der jüngeren Hälfte der älteren Steinzeit haben auf diese Weise Feuersteinklingen fast von der Länge eines kleinen Schwertes abgeschlagen; aus Obsidian, dem vulkanischen Glas, bringen die Bewohner der Admiralitätsinseln im Norden des Bismarck-Archipels ganz gleiche Kunstwerke noch heute mühelos zuwege.
Daß eine solche Meisterschaft nur auf Grund einer endlos vererbten und gesteigerten Übung hat erreicht werden können, unterliegt keinem Zweifel. Welche Erfahrung gehört allein dazu, die Eigenschaften des Materials zu erkennen, seine Spaltrichtung, seine Härte, und wieviel Berechnung muß dann noch vorausgehen, um den Schlag mit Sicherheit [S. 20] und der Aussicht auf ein gutes Gelingen zu führen! Die Alten sind unbewußt große Physiker gewesen.
Auf demselben Satz vom Parallelogramm der Kräfte beruht auch jene andere Methode der Steinbearbeitung, wie sie bei den Feuerländern und Eskimo noch neuerdings beobachtet worden ist, und wie sie auch während des ganzen jüngeren Paläolithikums Verwendung gefunden hat. Das ist das Abdrücken von Splittern bei der feineren Bearbeitung der Steinklingen. Wie es bei den genannten amerikanischen Völkerschaften ausgeführt wird, habe ich bereits in den »Kulturelementen der Menschheit«, S. 25, unter Beifügung einer Abbildung beschrieben, die hier in Fig. 11 wiederholt sein mag. Es handelt sich dort um die Verwendung einer gebogenen Druckstange mit einem weicheren Einsatzstück, das man in bestimmtem Winkel auf die Kante des zu bearbeitenden Steins setzt, um nun durch einen starken Druck eine Lamelle zum Abspringen zu bringen. Der Leser begreift leicht, daß auch hier Richtung und Stärke des Drucks die Resultante darstellen; die eine der Komponenten verläuft dann tangential an der Schlagzwiebel, während die andere schräg durch den Abspliß geht. Ob die Paläolithiker den gleichen oder einen ähnlichen Apparat verwendet haben, läßt sich nicht mehr feststellen; das gleiche Prinzip haben sie indessen benutzt, auch wenn sie ihre Splitter nur mit einem einfachen Knochen oder einem Holzstab abgepreßt haben sollten.
Wir nennen unsere Gegenwart mit Stolz nicht nur das Zeitalter des Kindes, sondern vielleicht mit noch mehr Berechtigung dasjenige der Maschine. In der Tat sind wir von solchen umgeben, wohin wir auch blicken: in der Industrie, in der Landwirtschaft und auch im anscheinend so elementaren Betrieb unseres Haushaltes. Die Begriffsbestimmung Maschine ist viel umstritten. Im physikalischen Sinn versteht man unter ihr eine Vorrichtung, die es ermöglicht, die Richtung, den Angriffspunkt oder die Größe einer Kraft in der gewünschten Weise abzuändern, wobei das, was an Größe der Kraft gewonnen wird, an Hubhöhe oder Schnelligkeit der Leistung verloren geht, oder umgekehrt. Man unterscheidet einfache und zusammengesetzte Maschinen. Als einfache Maschinen oder mechanische Potenzen bezeichnet man Hebel, Rolle und Rad an der Welle, schiefe Ebene, Keil und Schraube, weil sie keine Zerlegung in noch einfachere Maschinen zulassen. Die zusammengesetzten stellen Kombinationen der einfachen dar.
Mit Ausnahme der Rolle reicht die Verwendung einfacher Maschinen im Wirtschaftsleben der Menschheit ebenfalls bis in deren [S. 21] Frühzeit zurück, wie wir im Lauf unserer Betrachtungen mehrfach sehen werden. Schon das hölzerne Urgerät verknüpft ihrer zwei miteinander. Das ist der in der neueren Völkerkunde viel besprochene Grabstock , dessen wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung ich bereits in der »Urgesellschaft und ihrer Lebensfürsorge« zu würdigen versucht habe. Physikalisch vereinigen sich in ihm die beiden Maschinen des Keils und des Hebels. Das Wesen des Keils ist jedermann bekannt; er ist ein dreiseitiges Prisma, das mit einer Kante zwischen zwei Körper dringt, um diese vermöge einer auf seinem Rücken zur Wirkung gelangenden Kraft voneinander zu entfernen. Man kann ihn als ein System von zwei schiefen Ebenen auffassen, die mit ihren Grundflächen aneinander gelagert sind. Die Wirkung, allerdings auch der Weg, ist um so größer, je beträchtlicher die Seitenlänge des Keils im Verhältnis zu seinem Rücken, d. h. je spitzer oder schärfer er ist. Unter einem Hebel verstehen wir jeden um einen festen Punkt oder eine feste Achse drehbaren Körper, an dem Kräfte wirken. Schaukelbrett und Brecheisen sind gemeinverständliche Hinweise auf sein Wesen.
Beider Wirkungsweise vereinigt sich also im Grabstock und damit wohl dem urtümlichsten und ältesten Werkzeuge der Menschheit überhaupt. In dem Augenblick, wo unser ältester Vorfahr denselben Stock, den er mutwillig vom nächsten Baum abgerissen hatte, mit der durch diese Abtrennungsart bedingten abgeschrägten Endfläche in den Erdboden stieß, um irgendeinen genießbaren Gegenstand herauszuholen, war der Keil erfunden, und wenn er darauf den Stock mit dem Schwung eines jugendkräftigen Geschlechts zur Seite bog, um die Knollenfrucht, oder worum es sich sonst handelte, dem Schoß der Erde zu entheben, so hatte sich ihm auch die Entdeckung des Hebels hinzugesellt, denn mit der Drehung um einen festen Punkt, in diesem Fall die Übergangsstelle in den Erdboden, wird der Stock eben zu dieser einfachen Maschine. Nach der einmal gewonnenen Erkenntnis ihres Wesens und ihrer Wirkung hat der Mensch dann gerade mit ihr förmlich gewuchert, denn wir finden den Hebel fortan fast bei allen außerkörperlichen Betätigungen verwendet.
Uralte und dabei universale Formen des Keils sind alle unsere Schneid-, Hieb- und Stichgeräte und -waffen, ohne daß uns die physikalische Seite dieser Dinge für gewöhnlich so recht zum Bewußtsein kommt. Trotz ihrer Einfachheit sind sie dabei streng auf den Menschen beschränkt, indem kein Tier sich zur Höhe außerkörperlichen Schneidens, Hauens und Stechens emporzuschwingen verstanden hat.
Im Sinn der Kappschen Theorie von der Selbstbeobachtung und der Organprojektion gibt dieser Umstand sehr zu denken. Diese berühmte [S. 22] Lehre sagt, daß zum Erkennen der Zweckmäßigkeit eines einmal erprobten Werkzeugs die Fähigkeit des Vergleichs mit den eigenen körperlichen Organen gehört (Kulturelemente S. 10 ff.). Erst wenn ich endgültig festgestellt habe, daß ein Steinsplitter, mit dem ich ein Fell zerschneide, vorteilhafter wirkt als meine eigenen Zähne oder meine Fingernägel, werde ich dem Werkzeuge den Vorzug geben, es beibehalten und gegebenenfalls vervollkommnen. Wenn nun nicht einmal die intelligentesten Tiere, trotzdem sie mit Stöcken schlagen und mit Steinen werfen, fähig gewesen sind, den Schritt zu den auf dem so einfachen Prinzip des Keils beruhenden Werkzeugen zu tun, so spricht das doppelt stark zugunsten der Kappschen Theorie. Lediglich der Mensch verfügt eben über jene Fähigkeit der Selbstbeobachtung, und nur er hat es in der Folge verstanden, die mangelhafte Wirkung seiner eigenen Schneid-, Hieb- und Stichorgane, also des Gebisses und der ausgestreckten Finger und ihrer Nägel, durch Messer und Zange, Stemm- und Hobeleisen, Beil und Säge, Lanze, Schwert und Dolch u. dergl. zu ersetzen. Das aber sind alles Dinge, die wiederum nur mit der Hand geführt werden können, so daß sich unser Wunderorgan also auch hier wieder als die unerläßliche Vorbedingung zum Aufstieg des Menschen darstellt.
Nach diesem vorläufigen Einblick in die Gesetze der Physik, unter denen die beiden urtümlichsten Stoffe in den Dienst der jungen Menschheit gestellt worden sind, können wir die Flugbahn in das Reich der Mechanik nunmehr etwas ungebundener und kühner wählen, indem wir fortan auch solche Erscheinungen heranziehen, die ein tieferes, wenn auch immer noch unbewußtes Eindringen in die Geheimnisse der Natur zur Schau tragen. Manche von ihnen blicken auf ein ehrwürdiges Alter herab, während andere wieder viel jüngeren Datums, menschheitsgeschichtlich neue Erfindungen oder Entdeckungen sind. Sinnbilder des systematischen Hineinwachsens unseres Geschlechts in die Herrscherrolle über alles Organische und Unorganische bleiben sie dabei ohne Ausnahme.
Die Wärme hat die Eigenschaft, sich auszubreiten, indem sie von Stellen höherer Temperatur zu solchen von niedrigerer übergeht. Das geschieht sowohl innerhalb ungleich erwärmter Körper selbst, wie auch zwischen zwei nebeneinandergelagerten verschiedenartigen Substanzen. Halten wir eine Metallstange ins Feuer, so wird auch das andere Ende warm, und halten wir an die heiße Metallstange irgendeinen anderen Körper, so erwärmt sich auch dieser. Jene Leitungsfähigkeit nennt man die innere, diese die äußere.
[S. 23] Diesem Wärmeausgleich gegenüber verhalten sich die verschiedenen Substanzen nun höchst ungleich; während die Metalle im allgemeinen gute Leiter sind, gehören alle übrigen Substanzen zu den schlechteren. Setzen wir, wie es üblich ist, das Leitungsvermögen des Silbers gleich 100, so zeigt die Tabelle für eine Anzahl von Körpern folgende Vergleichszahlen: [3]
Substanz | Leitungsvermögen | |
Silber | 100 | |
Kupfer | 74 | |
Eisen | 12 | |
Wismut | 2 | |
Eis | 0 | ,5 |
Glas | 0 | ,2 |
Wasser | 0 | ,14 |
Holz längs der Fasern | 0 | ,15 |
Holz quer zu den Fasern | 0 | ,07 |
Baumwolle | 0 | ,05 |
Papier | 0 | ,03 |
Schafwolle | 0 | ,02 |
Seide | 0 | ,02 |
Luft | 0 | ,005 |
Diese Verschiedenheiten haben die Menschheit zu den mannigfaltigsten Maßnahmen und Verhaltungsregeln veranlaßt. Zunächst in Kleidung und Wohnung, dann auch in der Küche; schließlich und vor allem in der Technik.
Die Völkerkunde unterscheidet in der heutigen Tracht nach Georg Gerland die tropische, die subtropische und die boreale oder nordische Form. Jene ist am schwächsten; sie fehlt oftmals ganz oder doch bei bestimmten Bevölkerungsteilen und bedeckt nie größere Körperflächen, sondern beschränkt sich im großen und ganzen auf die Hüftpartie. Nur wo großflächige Stoffe leicht erhältlich sind, nimmt die tropische Kleidung ebenfalls größere Dimensionen an, wie bei den Haussa in Westafrika, den Baganda im Nordwesten des Viktoria Nyansa und neuerdings den Massai und Wahehe in anderen Teilen Ostafrikas.
Die subtropische Kleidung besteht aus einem hemdartigen Unterkleid und dem Mantel, wie die altrömische Tunika und die Toga dartun. Große Teile des Körpers bleiben dabei frei; der Mantel ist zudem leicht ablegbar — kurz, es handelt sich offensichtlich um eine Übergangsform.
Das boreale Kleid endlich bedeckt den ganzen Körper und besteht aus vielen neben- und übereinandergetragenen Stücken, von der Kopfbedeckung bis zu Strumpf und Schuh herunter. Sie ist im Begriff, sich die ganze Welt zu erobern.
Die menschliche Kleidung ist nach alledem sichtlich eine Anpassungserscheinung an das Klima. Sie ist als Folgewirkung unserer Ausnahmestellung rein außerkörperlich, im strengen Gegensatz zum Tier, welches sich einer rauheren Außenwelt durch einen natürlichen Pelz anpaßt. Pelzwerk ist in der Tat der gegebene Kleidungsstoff für den hohen Norden, denn es vereinigt in sich alle Eigenschaften, die an ein zweckentsprechendes Gewand gestellt werden müssen: ein eigenes, schlechtes Leitungsvermögen und zugleich die Fähigkeit, in seinen lockeren Haar- oder Federmassen — es gibt bei den Hyperboräern auch Vogelbalgpelze — viele Luft einzuschließen und zurückzuhalten. Nach dem treffenden Vergleich von A. Byhan in dessen hübschem Buch »Die Polarvölker« (Leipzig 1909) läuft die dortige Kleidung auf das gleiche Prinzip wie unser Doppelfenster hinaus; wie dieses zwischen den an sich schon schlecht leitenden Glasscheiben noch eine ganz schlecht leitende stehende Luftschicht beherbergt, verringert auch die arktische Kleidung den Zutritt äußerer Kälte und den Verlust an Eigenwärme auf ein Minimum. Auf beides kommt es bei aller warmen Kleidung an; daher die zwiebelartige »Vielschaligkeit« auch unserer Wintertracht im Gegensatz zur sommerlichen.
Faßt man, wie manche Kulturhistoriker es tun, den menschlichen Wohnbau als eine Erweiterung unserer Kleidung auf, sozusagen als das gemeinsame weitere Gewand einer ganzen Menschengruppe, so darf es uns nicht wundern, die auf das Kleid verwendeten physikalischen Leitsätze auch beim Hause wieder zu finden, diesmal allerdings mit der Maßgabe, daß man in den heißen Ländern die Wärme nicht in das Haus hinein-, sie in den kalten aber nicht herauslassen will. Daher das sehr weit nach außen überstehende oder tief nach unten ragende Stroh- oder Palmendach so vieler tropischer Häuser und Hütten; daher die Fensterlosigkeit ebendort; daher schließlich die verschiedenartigen Abschlußmethoden arktischer Völker gegen die eisige Außenluft. Von diesen am bekanntesten ist der lange, in den Schnee oder auch den Boden gegrabene Gang bei den Eskimo, der entweder gekrümmt oder unterhalb des Niveaus der Hüttensohle angelegt ist. In Verbindung mit der luftdichten Bauart der Winterhütten verhütet besonders der tief angelegte Gang den Abfluß der Wärme nach außen und den Zustrom äußerer Kälte nach innen, indem die in dem unterhalb der Hüttensohle gelegenen Teile der Gangröhre lagernde schwere Luft ganz wie ein Stöpsel wirkt. Bei den Wandertschuktschen und Korjaken des nordöstlichsten Asiens beruht die Isolation weniger auf dem Gewicht als auf dem Einschluß der Luft. Diese leitet nur dann schlecht, wenn sie an der Bewegung verhindert ist, so daß sie nicht wechselt und solange sie nicht durch [S. 25] Verdampfung von Wasser Wärme entzieht. Daher für die Eingebornenkinder dort am Kältepol die Möglichkeit, bei mehr als 60° unter Null nackend im Schnee zu spielen, solange die Luft sich nicht regt. Um auch im Zelt dagegen geschützt zu sein, legt man in ihm eine Isolierkammer aus Renntierfellen an, die mit der Haarseite nach innen gekehrt sind. Sie nimmt etwa den dritten Teil des Innenraumes ein, wird tagsüber mit Lampen geheizt und dient des Nachts als Schlafraum. Die um sie herumlagernde starke Luftschicht sichert ihr durchaus genügende Temperaturverhältnisse zu.
Das geringe Leitungsvermögen von Schnee und Eis ist gleichfalls in mehrfacher Weise ausgenutzt worden. Zunächst in der des Iglu, der bekannten Schneehütte der Zentraleskimo (vergl. Kulturelemente, Seite 83 ff.), die physikalisch nach jeder Richtung hin gut begründet ist; denn zu dem schlechten Leitvermögen der Schnee- oder richtiger Firnwand selbst gesellen sich der soeben geschilderte Abschluß durch die Gangröhre und das ebenso geringe Leitvermögen des Fensters aus Seehundsdarm oder Eis. Sodann in einer primitiveren Form, indem sich der Sibirier, sofern er in den polaren Einöden von einem Schneesturm überfallen wird, ein Loch in den Schnee scharrt, gerade groß genug, um darin kauern zu können, und es mit Zweigen u. dergl. überdeckt. Etwas ähnliches unternimmt nach Heilborn [4] auch der nordamerikanische Elch, indem er sich richtige umwallte Schneeburgen schafft, nur daß er nicht für deren Bedachung zu sorgen weiß.
In ein neues Verhältnis zum Leitungsvermögen der Substanzen tritt der Mensch mit der Hereinziehung des Feuers in seinen Bereich, insonderheit seine Küche und die Technik. Solange er es nur zum Rösten und Braten benutzte, konnte es seinen Händen nicht gefährlich werden, denn der Stock, auf den er das Fleisch steckte, der Rost, auf den er es legte, waren beide schlechte Leiter, die er ruhig angreifen konnte, ohne sich zu verbrennen. Viel später kommt dann das Kochen auf, die Aufschließung der Speisen in siedendem Wasser. An Möglichkeiten, den Siedepunkt zu erzielen, gab es zwei, die auch beide benutzt worden sind. Die eine ist das Kochen von oben her mit Hilfe glühender Steine, die man in das Wasser hineinwirft ( Abb. 12 a ), bis es siedet, um es durch weiteren Nachwurf auf dieser Temperatur bis zur Erreichung des jeweiligen Endzwecks zu erhalten. Dabei mußte das Auswechseln der Steine Nachdenken verursachen, bis ein Schlaukopf die Kelle erfand, oder auch die Zange, indem er einen Zweig einfach in der Mitte zerknickte, um nunmehr [S. 26] die Steine einzeln zwischen die Zweigenden zu klemmen ( Abb. 12 b ). Schlechte Wärmeleiter und darum praktische Küchengeräte waren Kelle wie Zange aus bekannten Gründen.
Die andere Methode ist das gegenwärtig über die ganze Erde mit Ausschluß der Südsee geübte Kochen von unten her. Wir benutzen dabei Metallgefäße, deren Dünnwandigkeit und gutes Leitungsvermögen eine rasche Erhitzung von Topf und Inhalt verbürgen. Weitaus ungünstiger ist und war die Lage für alle Köchinnen, die sich lediglich der Tongefäße bedienen konnten, wie es vom Beginn der jüngeren Steinzeit an jahrtausendelang in Europa üblich war, und wie es bei vielen Urbewohnern von Asien, Afrika und Amerika noch heute der Fall ist. Ton leitet ungleich schlechter als Metall, und zumal die dickwandigen Gefäße der älteren Perioden müssen der Wärmeübertragung nachhaltigen Widerstand entgegengebracht haben.
[S. 27] Das gilt nun im Höchstmaß schließlich von den noch urwüchsigeren Gefäßen, mit denen die Frau vor der Erfindung der Töpferei ihr Heil versuchte. Das konnten in Afrika Straußeneischalen sein, dort und anderswo Flaschenkürbisse, abgedichtete Schildkrötenschalen, Bambusröhren oder Bast- und Rindengefäße oder ähnliches, meist aber doch wohl eigens ausgehöhlte Holzschalen, jedenfalls lauter Substanzen von ganz geringem Leitungsvermögen, so daß ihre Verwendung in unserer Zeit der Kohlenteuerung und Kohlenknappheit kaum empfehlenswert sein dürfte.
Aber kann man denn in Holzgefäßen überhaupt kochen? Die müssen doch elendiglich verbrennen, bevor der Inhalt auch nur eine halbwegs höhere Temperatur erreicht haben wird. Nun, man kann sogar in einem Papiergefäß kochen, in ihm sogar eine Bleikugel schmelzen, vorausgesetzt, daß man dafür sorgt, daß die Flamme keine freiliegende Stelle beleckt. Das Papier gibt die Wärme rasch an den Inhalt ab. Da die Wassertemperatur dabei nicht über 100° hinaussteigt und auch Blei schon bei 330° schmilzt, beide Temperaturen dem Papier jedoch nicht schaden, so bleibt es unverletzt. Bei den übrigen organischen Kochgeschirren liegen die Verhältnisse ganz ähnlich: zwar können sie außen verkohlen, doch schlägt die Flamme nicht durch, weil das benachbarte Wasser mit seiner relativ niedrigen Temperatur dies verhindert. Noch aus der jüngsten Vergangenheit ist der Gebrauch von Bastkörben und Bambuszylindern zu Kochzwecken aus Indonesien verbürgt ( Abb. 13 ); es wäre nicht ohne Interesse zu wissen, ob die dortigen Hausfrauen für die doch immerhin vorhandene Seltsamkeit des Vorganges irgendwelches Verständnis haben oder ob sie ihn hinnehmen wie jedes andere alltägliche Geschehnis im Leben auch.
Mit dem Aufkommen der Metalle lernt der Mensch schließlich auch die höheren Leitungsvermögen kennen. Er wird sicher schweres Lehrgeld in Gestalt verbrannter Finger bezahlt haben, bevor er begriff, daß man ungestraft kein heißes Metall berührt. Ganz Afrika hatte denn auch Schmiedezangen uralten Stils in der Form jener geknickten Holzstäbe, bis die Berührung mit dem Europäer auch hier die eiserne Zange mit den aufgesteckten hölzernen Handgriffen und damit ein Isoliermaterial von nur 0,15 oder gar 0,07 Leitungsfähigkeit eingeführt hat. Die Verwendung anderer Isoliermittel, wie Filz, Stroh, Sägespäne, Kieselgur, Kork, Kautschuk und [S. 28] dergleichen, gehört erst späteren Stufen der Metalltechnik an. Ohne diese Hilfsmittel wäre sie gar nicht zu denken.
Die meisten Flüssigkeiten verdampfen an ihrer Oberfläche bei jeder Temperatur. Das Wasser z. B. verdampft schon bei 0 Grad langsam, bei Zimmertemperatur schneller, bei höheren Temperaturen noch schneller. Dabei aber verdampft es immer nur an der Oberfläche, bis durch weiteres Erhitzen schließlich eine Temperatur erreicht wird, wo sich auch im Innern Dampf bildet. Diese Temperatur nennt man den Siedepunkt einer Flüssigkeit; sie besagt, daß die Spannkraft der in ihr enthaltenen Dämpfe dem auf der Flüssigkeit lastenden Druck das Gleichgewicht hält.
Das Wesen des Siedepunktes ist für die Mehrzahl selbst der sogenannten Gebildeten ein Buch mit sieben Siegeln; wir dürfen also mit um so weniger Recht gegen die Naturvölker den Vorwurf erheben, die Tatsache der Luftschwere nicht erkannt zu haben. Kochen können viele von ihnen trotzdem vielleicht ebensogut wie manche weiße Bürgersfrau. Auch von der exakten Feststellung des Luftgewichts, wie es unsere Barometer uns täglich vorführen, ist keinem jener Völker jemals Kunde geworden, und trotz alledem haben etliche von ihnen von der Tatsache selbst in ganz angemessener Weise Gebrauch gemacht.
In allen Meeren tropischer und gemäßigter Breiten, auch im Mittelmeer, lebt die Fischgattung Echeneïs, im Volksmund Schildfisch oder Schiffshalter genannt. Jenen Namen führt er von einer ovalen Scheibe her, die, wie die Abbildung 14 zeigt, an Kopf und Nacken sitzt und aus zahlreichen kleinen, aufrichtbaren Platten besteht, die von einem erhöhten Rand umgeben und von einer Längsleiste geteilt werden. Drückt der Fisch den Rand mit dem die Scheibe umgebenden Ringmuskel an einen anderen Gegenstand an und richtet darauf die Platten hoch, etwa so, wie wir die Blätter einer Jalousie hochrichten, so entsteht zwischen diesen Platten ein luftverdünnter Raum, und die Scheibe heftet sich fest an. Das ist eine Folge des atmosphärischen Druckes, zu dem im Wasser noch der Druck der über der Haftungstiefe lagernden Wassersäule hinzutritt. Auf diese Weise saugt sich der [S. 29] Echeneïs an größeren Fischen, namentlich an Haien, fest und läßt sich fortschleppen, vermutlich, um sich seine Nahrung so bequem wie möglich zu verschaffen. Gern heftet er sich aber auch an Schiffe, und da das Volk in seinem naiven Glauben Tieren stets Übermächtiges zutraut, so ist er schon früh in den Geruch gekommen, Schiffe sogar anhalten zu können. Daher die Bezeichnung Schiffshalter.
Die Unterart Echeneïs Remora , der diese Macht im Gebiet der alten Mittelmeerkultur zugeschrieben wurde, ist nur 20–25 cm lang; von ihr ist also eine wirkliche Kraftleistung nicht zu erwarten. Dahingegen haben sich die Bewohner von Westindien, der Insel Sansibar und der Torresstraße die ungleich gewichtigere Masse des bei ihnen heimischen Echeneïs Naucrates (des »Schiffsmächtigen«) zunutze gemacht, indem sie mit ihm zwar keine Schiffe, nicht einmal kleine Boote, wohl aber Schildkröten aufhalten und fangen. Das geschieht in der Weise, daß sie sich mehrere Exemplare des 1 Meter langen Fisches einfangen und bis zum Fangtage gefangen halten. Den armen Geschöpfen durchbohrt man dabei den Schwanz, zieht einen Strick hindurch und schlingt diesen sicherheitshalber noch um den Schwanz herum. Am Fangtage selbst fährt man aufs Meer hinaus, die »Meute« an der Leine. Ahnungslos treiben in süßem Schlummer Schildkröten auf den Wellen. Da jagt es in der Tiefe von allen Seiten unhörbar heran, saugt sich jäh, aber unlösbar ringsum fest; der Fischer zieht langsam die Leinen an — das Wild ist gefangen.
Das andere Vorkommnis gehört nicht im wissenschaftlichen Sinn unter die Rubrik Luftdruck, wohl aber im volkstümlichen, weshalb es an dieser Stelle gleichwohl Aufnahme finden soll.
Die Verwandlung von Arbeit in Wärme ist uns allen bekannt und geläufig. So oft wir ein Zündholz reiben oder mit Stahl und Stein Feuer schlagen, erzeugen wir Wärme aus Arbeit; erst die durch Reibung oder Schlag entstandene Wärme entzündet den Phosphor oder den Schwamm. Darauf beruhen auch alle Feuererzeugungsmethoden der Wilden, das Quirlen mit dem Bohrstab wie das Reiben in der Längsrinne und das Sägen in der Querrille. (Vergl. die »Kultur der Kulturlosen«, Seite 60–94.) Selbst die Erzeugung von Feuer in der pneumatischen Röhre beruht auf demselben Gesetz: durch die rasche Kompression der Luft in der unten geschlossenen Röhre wird die Luft so heiß, daß sie den in der unteren Stempelhöhlung untergebrachten Schwamm entzündet. Ob die Bewohner Hinterindiens und der großen Sunda-Inseln, wo dieses pneumatische Feuerzeug im Gebrauch ist, allerdings unabhängig von uns auf die Idee gekommen sind, bleibe einstweilen dahingestellt. Möglicherweise ist ein genialer Kopf bei der Herstellung eines Blasrohres, der für [S. 30] jene Gebiete charakteristischen Fernwaffe, besonders energisch gewesen; in dem Bemühen, das Internodium einer markhaltigen Pflanze zu durchstoßen, um einen glatten Lauf zu gewinnen, mag er seinen Stempel mit starker Wucht nach unten gedrückt haben, um mit Erstaunen festzustellen, daß sich das fein zerteilte Mark dabei entzündet habe. Dann gehörte nur noch das Erfassen des Vorgangs hinzu, um die Erfindung bewußt weiter zu erhalten und auszubauen.
Auf exakten wissenschaftlichen Prinzipien beruht hingegen wieder eine medizinische Verwendung des Luftdrucks. Das ist die Anwendung des Schröpfkopfes, der keineswegs auf die Heilkunst der Kulturvölker beschränkt ist, sondern sich ganz allgemein auch in Afrika, vereinzelt auch im Malaiischen Archipel und Nordamerika findet. Bei uns hat er die Form einer kleinen Metall- oder Glasglocke, die man über einer Weingeistflamme schwach erhitzt und möglichst schnell auf die zu schröpfende Hautstelle setzt. Durch die Volumenverminderung der Luft entsteht ein luftverdünnter Raum, in den die Haut und dabei auch die Blutgefäße dieser Partie hineingepreßt werden. Das geschieht durch den atmosphärischen Druck, der alle Teile unseres Körpers füllt, widrigenfalls wir unter der ungeheuren Last von etwa 300 Zentnern, die auf unserer rund 1½ Quadratmeter großen Körperoberfläche lagert, elendiglich zusammenbrechen würden. Hatte man vor dem Ansetzen des Schröpfkopfes Einschnitte gemacht, so tritt das Blut jetzt aus diesen heraus; war das nicht geschehen, so wird das Blut aus der Nachbarschaft des Schröpfkopfes nur unter diesen hingezogen, also von den darunter liegenden Teilen weggeleitet. Abb. 15 zeigt uns die Schröpfung eines Ostafrikaners. Der afrikanische Schröpfkopf besteht in der Regel aus der Spitze eines Kuhhornes, in die man von oben her ein Loch gebohrt hat. Zur Herbeiführung des Vakuums setzt der Medizinmann das breite Ende auf die zu schröpfende Hautstelle und saugt mit dem Munde, so stark er kann. Glaubt er das Horn luftleer genug, so praktiziert er geschickt mit der Zunge ein Stück Wachs, das er im Munde hält, auf die obere Öffnung und setzt den Mund ab. Das Horn wirkt nun in genau derselben Weise, nur vermutlich noch stärker, als unser »zivilisiertes« Gegenstück.
Den Hebel im eigentlichen Sinn haben wir bereits beim Auftakt zu unseren Betrachtungen, beim Grabstock, kurz berührt; in Wirklichkeit hat die primitive Menschheit sich seiner und seiner Abarten in viel umfangreicherer und zum Teil auch höchst sinnreicher Weise bedient.
Abb. 16 zeigt uns das den Kosmoslesern aus den »Kulturelementen« bekannte Bild eines Neuguinea-Mannes bei der Herstellung eines Muschelarmringes. Er hat sich ein Stück aus dem riesenhaften Gehäuse von Tridacna gigas handlich zurecht geschlagen, es mit Rotangstreifen umflochten und in einer Vertiefung seiner hölzernen Arbeitsunterlage festgeklemmt. Bohrer kann, wie in den »Kulturelementen« beschrieben wurde, jeder hohle oder massive Holzstab sein, nur daß man Quarzsand als Angriffsmittel hinzuziehen muß. Für gewöhnlich verwendet man den leicht zugänglichen Bambus.
Technohistorisch interessant ist das Verfahren, außer durch die erwiesene Erkennung des Härteunterschiedes zwischen Muschelschale und Quarz, durch die wenn auch noch so urwüchsige Verwendung des Hebels, wie sie in Gestalt des angebundenen länglichen Steins erfolgt. Durch seine Masse wirkt er gleichzeitig als Beschwerer, also im Sinn eines selbsttätigen Vorschubs, und zugleich endlich auch als Schwungrad. Das Verfahren enthält also bereits alle wesentlichen Keime unserer modernen Bohrmaschinen.
Der Mann könnte auf den Stein verzichten und den Bambus mit den bloßen Händen zu drehen versuchen; das wäre dann ein Rückfall auf die Ausgangsmethode für alle menschliche Bohrtätigkeit überhaupt. Sie ist bis auf die elementare Erzeugung des Feuers durch den mit den bloßen Händen gequirlten Bohrstab vielerorts durch Verfahren vervollkommnet worden, die schon wirklich zusammengesetzte Maschinen bedeuten. Dem Pumpenbohrer werden wir bei den Kapiteln Schraube bzw. schiefe Ebene und Trägheitsgesetz wiederbegegnen, während man Drehstrick und Drehbogen physikalisch als Hebel auffassen kann, deren Drehpunkt in der Längsachse des Bohrstabes liegt.
Prähistoriker haben auf Grund von Teilfundstücken, die man als authentisch glaubt ansehen zu können, Bohrmaschinen und Steinsägen konstruiert, von denen die in Abb. 17 und 18 wiedergegebenen [S. 32] Forrerschen aus dem Neolithikum nach vielfach geteilter Ansicht am besten beglaubigt sind. Über ihre technische Seite handelt ein Aufsatz im »Kosmos-Handweiser« 1917, Seite 14–16; im übrigen sprechen die Zeichnungen für sich selbst. Physikalisch stellt der sogenannte Vorschub, d. h. der horizontale Balken, an dem Bohrstab wie Sägenträger befestigt sind und dessen Aufgabe es ist, Bohrholz wie Sägenstein in die Unterlage hineinzutreiben, je seinen sog. einarmigen Hebel dar. Dessen Wesen wird dem Leser am besten durch den Hinweis auf unseren Schubkarren klar. Beide Arme wirken auf der nämlichen Seite des Drehungspunktes, beim Karten also der Radachse. Die Last zieht am kürzeren Arm, nämlich der Ladefläche, nach unten, während sich die an den Griffen des längeren Hebelarms aufwärts ziehende Muskelkraft des Kärrners dagegen stemmt. Bei den beiden neolithischen Maschinen ist es umgekehrt: der längere Arm drückt in beiden Fällen nach unten, die Härte des Steins hingegen wirkt in entgegengesetzter Richtung. Bei der Säge stellt das pendelartige Gebilde einen weiteren einarmigen Hebel dar. Die Hand zieht oder schiebt am kürzeren Arm; den Widerstand findet sie in der Rinne der zu zerteilenden Unterlage.
Auf gesicherteren Bahnen bewegen wir uns dem Gebrauch derartiger Maschinen gegenüber, soweit wir ihnen bei Naturvölkern von heute begegnen. Einfache Verlängerungen des menschlichen Hebelarmes und dabei doch ungemein wirksam sind das Wurfholz und die Schleuder . Jene sind Vorrichtungen aus Holz, Bambus oder Knochen von 40–120 cm Länge und brett- oder stabförmiger Gestalt, die zum verstärkten Fortschleudern von Wurfspeeren oder Pfeilen dienen. Das geschieht, indem entweder ein am hintern Ende des Wurfholzes befindlicher Haken in das etwas ausgehöhlte untere Ende des Speer- oder Pfeilschaftes faßt (s. Abb. 19 ), oder indem ein im Wurfholz selbst befindliches rinnenförmiges Widerlager einen am Speerschaft angebrachten Haken aufnimmt ( Abb. 20 ). Der Speerschaft selbst liegt in beiden Fällen dem Wurfholz dicht an, wobei [S. 33] er zwischen den freien Fingerenden der werfenden Hand eine gewisse Führung erhält. Manche Völker werfen den Speer so mit der Rechten allein; andere stützen sein vorderes Ende auf die hoch nach vorn ausgestreckte Linke. Die Wurfbewegung beschreibt dabei keine eigentliche Kreisform, sondern erfolgt mehr zugartig, wobei sich das Wurfgeschoß leicht aus der Befestigung löst, ohne daß die anfängliche Zielrichtung eine Änderung erfährt. Besonders die Ablösungsvorrichtungen der Eskimo stellen wahre Wunderwerke an Durchdachtheit dar; einwandfreier würde auch kein weißer Ballistiker diese Probleme lösen.
Verbreitet ist das Wurfholz über große Teile Australiens, Mela- und Mikronesiens, über den Nordosten Asiens und den gesamten von Eskimo und einigen ihrer Nachbarn bewohnten Norden Amerikas, über einen kleinen Bezirk von Mexiko und das zentrale Brasilien. Im vorkolumbischen Amerika war es viel weiter in Gebrauch; vor allem auch bei den alten Kulturvölkern Mexikos und den Inkaperuanern. In Europa endlich glaubt man es schon im ausgehenden Paläolithikum, in der sogenannten Renntierzeit, nachweisen zu können.
Die Wirkung beruht auf den Gesetzen des Hebels und der Fliehkraft. Man beabsichtigt, durch eine größere Anfangsgeschwindigkeit eine größere Durchschlagskraft oder eine beträchtlichere Wurfweite zu erzielen, und erreicht das dadurch, daß bei der Anwendung des Wurfholzes die Kraft des Armes längs eines längeren Weges aufgewendet wird, um auf dem Geschoß eine größere Geschwindigkeit aufzuhäufen. Beim Wurf aus freier Hand wirkt die Kraft nur auf eine kürzere Strecke.
Den übrigen künstlichen Wurfvorrichtungen, die von gewissen Völkern zur Erzielung größerer Wirkungen ersonnen worden sind, den Wurf- oder Rollriemen und Wurfschlingen, werden wir unter einem anderen Stichwort begegnen.
Die Schleuder und ihr Gebrauch sind allgemeiner bekannt, trotzdem sie aus unserem Volksleben seit langem verschwunden ist. [S. 34] Ihre Bestandteile sind zwei Schnüre, zwischen denen ein Stück Leder oder ein kleines Geflecht von der Form einer zusammenklappbaren Tasche befestigt ist. Zum Wurf legt man einen Stein in diese Tasche, wickelt das Ende der einen Schnur um die drei letzten Finger und faßt das Ende der anderen Schnur zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann versetzt man den Stein in rasche Kreisbewegung und läßt im geeigneten Moment das letzte Schnurende los, worauf der Stein mit erstaunlicher Geschwindigkeit fortfliegt.
Die Wirkung gleicht ganz derjenigen des Wurfholzes, beruht also ebenfalls auf den Prinzipien des Hebels und der sogenannten Fliehkraft. Eine solche gibt es nun gar nicht, sondern was man so oder Schwungkraft nennt, ist lediglich die Folge des Beharrungsvermögens oder der Trägheit, kraft dessen jeder Körper in seinem Zustande der Ruhe oder der gleichförmigen Bewegung in geradliniger Bahn verharrt, solange er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, diesen Zustand zu ändern. Ein in krummliniger Bahn bewegter Körper widerstrebt der Krümmung seiner Bahn also mit der aus dem Beharrungsvermögen entspringenden Kraft, eben der Fliehkraft oder Zentrifugalkraft. Eine auf gekrümmter Bahn dahinfahrende Lokomotive hat in jedem Augenblick das Bestreben, entlang der Berührungslinie oder Tangente der Bahn geradeaus zu gehen, also sich vom Mittelpunkt der Kurve zu entfernen. Dieses Bestreben äußert sich durch einen Druck der Radkränze auf die äußere Schiene. Dieser Druck oder diese Kraft heißt die Zentrifugalkraft. Ihr entgegen wirkt von seiten der unnachgiebigen Schiene eine gleich große, nach innen gerichtete Kraft, die als Zentripetalkraft die Lokomotive zwingt, auf den Schienen zu bleiben.
Bei der rasch im Kreis herumgeschwungenen Schleuder erleiden die Schnüre eine Spannung, die, als Zentripetalkraft nach innen wirkend, den Stein nötigt, von der geradlinigen tangentialen Bewegung abzuweichen und eine Kreislinie zu beschreiben. Die Zentrifugalkraft übt zugleich einen Zug auf die Hand aus, die die freien Enden der Schnüre festhält. Läßt diese Hand die eine der Schnüre frei, so hört mit der Zentripetalkraft auch die Zentrifugalkraft plötzlich auf, und der Stein fliegt, nunmehr nur noch der Trägheit gehorchend, in tangentialer Richtung mit der Geschwindigkeit davon, die er im Augenblick des Loslassens besaß.
Mitten in das Wirtschaftsleben der Naturvölker zweier Erdteile führen uns die nächsten Verwendungsarten des Hebels.
Abbildung 21 a zeigt eine Ölpresse der Pangwe im äquatorialen Westafrika. Ihre Einrichtung ist einfach genug und aus der Zeichnung ohne weiteres ersichtlich. Die auszupressende Masse der mazerierten und vorgewärmten Palmölfrüchte füllt das Beutelchen am [S. 35] senkrecht aufgehängten Preßbrett. Der Hebel ist wieder einarmig; sein Drehpunkt ist das feste Widerlager am handfreien Ende, längerer Arm die Strecke vom Drehpunkt bis zu den Händen des Arbeiters, der kürzere die Strecke vom Drehpunkt bis zum gepreßten Sack.
Die Methode, wie unsere Abb. 21 a sie zeigt, bedeutet in der Technik der Pangwe einen Fortschritt. Nach einem anderen Beobachter nämlich erfolgt das Pressen auch noch in der Art, daß der Arbeiter den Hebel nicht selbst auf den Ölsack drückt, sondern das freie Hebelende an den rechten Pfosten heranzieht und dort festbindet ( Abb. 21 b ), so daß der nunmehr stark gekrümmte Preßstab lediglich durch seine Elastizität wirken kann. Unter diesem ersten Stock befestigt er in der gleichen Weise einen zweiten, einen dritten usf., so daß der Zweck des Auspressens schließlich auch auf diese kindliche Weise erreicht wird. Entwicklungsgeschichtlich erweckt, wie gesagt, dieses Verfahren den urwüchsigeren Eindruck; ob es gleichwohl autochthon, d. h. von den Pangwe selbst erfunden, oder ob es von irgendwo anders her entlehnt worden ist, kann einstweilen nicht entschieden werden. Zwar sind die Pangwe, trotzdem sie lange im Verdacht eines stark ausgebildeten Kannibalismus gestanden haben, ein intelligentes Volk, dem man eine derart einfache, eigentlich auf der Hand liegende Maschine schon zutrauen könnte, doch ist der Neger nach der technischen Seite hin im allgemeinen nicht hoch veranlagt.
Das gilt in etwas erhöhtem Grade von manchen südamerikanischen Indianern und in beträchtlich höherem von den Eskimo, die man mit Fug und Recht die einzigen wirklichen Handwerker unter den Naturvölkern nennen kann.
Hauptnahrungsmittel der meisten Indianerstämme Brasiliens ist das Mehl aus der Wurzel des Kassawestrauches Manihot utilissima . [S. 36] Diese Knolle enthält neben geringen Mengen von Blausäure (0,002 vom Tausend) den überaus starken Giftstoff Manihotoxin, der vor dem Genuß natürlich entfernt werden muß. Das geschieht, indem man die Wurzeln zu Mehl zerreibt, dieses zu einem wässrigen Brei anrührt und den giftigen Saft dann entweder durch Kneten auf einem feinen Sieb oder durch Pressen in einem Schlauch entfernt. Diese Schläuche heißen Tipití; sie sind aus zähen Rohrstreifen geflochten, 1,50 bis 2 Meter lang, zylindrisch, und endigen oben und unten je in einer Schleife oder Öse. Zum Gebrauch füllt man den Schlauch mit dem Brei und hängt ihn mit der oberen Öse an einem vorstehenden Querbalken des Hauses auf. Durch die untere Öse steckt man eine derbe Stange, deren kürzeres Ende man in einem Loch in der Hauswand verankert. Auf das freie längere Ende setzt sich dann entweder die geplagte Hausfrau allein ( Abb. 22 ), oder mit ihr auch noch die übrige halbe oder ganze Familie, so daß der Schlauch in die Länge gezogen und der giftige Saft aus seinem Inhalt herausgepreßt wird. Ist alle Flüssigkeit in die untergestellte Schale gelaufen, so drückt die Frau den Schlauch wieder zusammen, verkürzt und erweitert ihn dadurch, und schüttet die nunmehr trockne Masse in einen bereitgehaltenen flachen Korb.
Physikalisch beruht das einfache, aber doch recht praktische Verfahren wiederum auf dem Prinzip des einarmigen Hebels und wäre insofern kaum erwähnens- und bemerkenswert. Das ändert sich jedoch durch die merkwürdige Rolle, zu der das Tipití in der Literatur gestempelt worden ist.
Für so einfach wir Nichtphysiker das Wesen des Hebels halten, bis wir durch Unterricht und Studium eines anderen belehrt werden, so zwiespältig steht man dem zylindrischen Schlauch gegenüber. »Natürlich muß der Manioksaft auslaufen,« sagen die einen, »denn durch [S. 37] das Ausziehen wird das Volumen des Schlauches eo ipso kleiner.« »Unsinn,« entgegnen die anderen, »das Volumen bleibt sich gleich, denn was ich an Durchmesser verliere, gewinne ich an Länge.« Von den Nächstbeteiligten, nämlich den Amerikareisenden selbst, hat sich keiner über diese Frage ausgelassen; sie haben lediglich die interessante Tatsache berichtet. Auch die allgemeine Völkerkunde oder Ethnologie als solche ist, wie über technische Fragen überhaupt, achtlos über das Tipitíproblem hinweggeschritten. Erst der neuerdings begründete Wissenszweig der Technohistorie hat es aufgegriffen und zu lösen versucht. Zunächst durch Horwitz [5] in dem Sinn, daß die bloße Verengerung des Schlauchzylinders das Auspressen des Saftes bedinge; später dann durch F. M. Feldhaus [5] in dem etwas modifizierten Sinn, daß die Streckung im Grunde genommen wie eine Schraube wirke. Der Schlauch sei nämlich diagonal geflochten, so daß jede Längenänderung sein Gefüge seitlich verschöbe. Beim Strecken zöge das eine Verlängerung und zugleich auch eine Verengung nach sich, die dann einen Druck auf die Füllmasse bewirke. Feldhaus stellt sich den Vorgang also als eine Art Wringbewegung vor.
Schließlich habe auch ich der Frage mein Augenmerk gewidmet. [5] Von den 11 Tipití des Leipziger Völkermuseums zeigt nur ein einziges eine diagonale Flechtart, während die Flechtstreifen bei allen übrigen longitudinal verlaufen. Nun »schraubt« oder »wringt« jenes eine zwar beim Ausziehen, doch übt die geringfügige Bewegung eine kaum merkbare Wirkung auf das Schlauchvolumen aus. Die Feldhaussche Erklärung genügt also nicht. Mein Appell an Leipziger Physiker fruchtete zunächst nichts; später hat dann unser Geophysiker Prof. Dr. Wenger mathematisch festgestellt, daß eine Verlängerung stets auch eine Volumenverminderung bedeutet, die um so größer wird, wenn sich mit dem Ausziehen auch ein engeres Aneinanderlegen der Baststreifen verbindet. Die Drehung hingegen hat an sich keine Volumenverminderung zur Folge, es sei denn, daß sich auch bei ihr die Streifen dichter aneinander oder gar übereinander legen. Nach meinen im Anfang dieses Jahres vorgenommenen praktischen Versuchen ist dieses engere Aneinanderlegen der einzelnen Baststreifen tatsächlich das ausschlaggebende Moment bei dem ganzen Vorgang.
Urwaldindianer sind keine Mathematiker, weder »höhere« noch »elementare«; sie haben das kleine, für sie und ihre Erhaltung aber [S. 38] ungeheuer wichtige Problem von einer anderen Seite, nämlich der der Praxis, anfassen müssen. Dabei hat ihnen Allmutter Natur schon von sich aus ganz hübsche Weghilfen gegeben. Die Zerkleinerung des klobigen Wurzelknollens gebot schon die Rücksicht auf den eigenen Mund; die Erfindung des Reibbrettes mit seinen eingesetzten Steinreihen lag also nicht weit. Brachte man dann das Mehl in einem geflochtenen Behälter unter, dessen Herstellung im Lande der Palmen mit ihren Fiederwedeln ebenfalls in der Luft lag, so ergab schon der natürliche Zug infolge der Schwerkraft eine Verengerung der Flechtfugen und eine Verlängerung des Behälters — der Saft floß mit anderen Worten ganz von selbst heraus. Zwischen dieser Beobachtung und der rationellen Durchführung des Gesamtverfahrens, wie es heute geübt wird, liegt sicher ein auch zeitlich ungeheuer langer Weg mit mühselig errungenen kleinen Fortschritten und harten Fehlschlägen; man hat zweifellos die verschiedensten Flechtarten durchprobiert und enge oder weite Fugen gelassen, bis schließlich jene Stufe erreicht worden war, die wir in diesem Teil der Neuen Welt vor 400 Jahren vorgefunden haben. Die Presse arbeitet, wie der Augenschein lehrt, vollkommen zweckentsprechend und einwandfrei, denn wäre das nicht der Fall, so hätte keiner der Erbauer Gelegenheit gehabt, sich seiner Erfindungsgabe zu freuen — das Manihotoxin hätte den letzten Aruaken und den letzten Karaiben schon vor Jahrtausenden dahingerafft.
Die Rolle ist uns allen in ihren beiden Formen geläufig, als feste sowohl wie als bewegliche. Jene finden wir über den Ladetüren aller älteren Speicher hoch oben im obersten Stock, wo sie dem Aufziehen leichterer Lasten dient; diese als Flaschenzug überall dort, wo es sich um den Hub schwerer Lasten handelt. Der physikalische Unterschied besteht darin, daß die feste Rolle lediglich die Richtung der Arbeitsleistung ändert, nicht aber deren Größe, während bei der beweglichen eine Kraftvermehrung stattfindet, der allerdings eine Verringerung des Weges gegenübersteht. Die Leichtigkeit, mit der ein Mann mit Hilfe des Flaschenzugs die schwersten Lasten, wenn auch ganz langsam, emporzieht, ist ein Bild, das uns alltäglich entgegentritt.
Im Leben der Naturvölker gibt es zu solchem Tun kaum Gelegenheit; dazu ist es im allgemeinen zu einfach und elementar. Wo einzelne Völkerschaften oder gar ganze Zeitalter gleichwohl dazu geschritten sind, haben sie andere physikalische Prinzipien befolgt. Nur den Allerweltskünstlern unter den Naturvölkern von heute, den Eskimo, ist es, soweit ich im Augenblick übersehe, vorbehalten geblieben, [S. 39] die rühmliche Ausnahme zu bilden, und zwar gleich in einem Maßstab, der ein wahrhaft grenzenloses Erstaunen hervorrufen müßte, sofern es sich um eine selbständige Eskimoerfindung handelte. Aber auch bei der Annahme einer Entlehnung bleibt ein gerüttelt Ausmaß geistiger Auffassungs- und Durcharbeitungsfähigkeit übrig.
Es handelt sich um den auf unserem Titelbilde wiedergegebenen Vorgang. Die ursprüngliche Quelle ist mir nicht zugänglich gewesen, ich entnehme das Bild vielmehr einer Arbeit von Otis Tufton Mason, den man mit Fug und Recht als den Technologen unter den amerikanischen Völkerkundlern bezeichnen kann. [6]
Die Szene spielt im Nordwesten von Nordamerika, an der Küste der Halbinsel Alaska. Eskimo haben ein gewaltiges Walroß zur Strecke gebracht und wollen es nun an Land zerlegen. Den ungefügen, zwanzig bis dreißig Zentner schweren Körper des toten Riesen ohne andere mechanische Hilfsmittel als die üblichen Stricke aus ungegerbter Tierhaut das felsige Steilufer hinaufzubewegen, erweist sich als aussichtslos. Da steckt der geistige Führer von ihnen zwei Ruder oder auch irgendein paar kräftige Stücke Treibholz je in eine Felsenspalte, ordnet die Stricke in einer ganz bestimmten Weise an ( Abb. 23 ) und gebietet nun seinen Gefährten, nach zwei entgegengesetzten Richtungen zu ziehen. Das tun sie aus Leibeskräften und — o Wunder! der vordem unbewegliche Koloß gleitet zwar langsam, aber doch sozusagen spielend die Felsenfläche hinauf.
Was der umsichtige Eskimo konstruiert hat, stellt sich bei genauerem Hinsehen als ein sehr sinnreiches System zweier beweglicher Rollen dar, die ganz im Sinn eines vierseiligen Flaschenzuges wirken, so daß die ziehenden Männer auch nur ein Viertel der Kraft [S. 40] aufzuwenden haben, die sie ohne diese Vorrichtung hätten einsetzen müssen. Zum Verständnis diene die beifolgende Abbildung 24 . Das eine Seilende c ist befestigt, das andere a sowie der Kloben b mit der Rolle beweglich, so daß beim Ziehen an a außer einer Drehung auch eine fortschreitende Bewegung der Rolle eintritt. Da nun durch Vermittlung der Rolle in beiden Seilenden c und a die gleiche Spannung herrscht, so verteilt sich die Last in zwei gleiche Teile, und wenn die beiden Seilstücke einander parallel laufen, so entfällt auf jeden dieser Teile gerade die Hälfte. Der Arbeiter hat in diesem Fall also nur die halbe Kraft aufzuwenden; dafür wird der Weg, um den die Last gehoben wird, nur halb so groß sein wie der Weg, den der Arbeiter selbst oder seine Hand zurückzulegen hat.
Das Seilsystem der Eskimo fällt in etlichen Konstruktionsteilen aus diesem Schema heraus. An Stelle der Rollen sehen wir nur Schleifen, die mit dem Messer aus der dicken Haut des Tieres herausgeschnitten sind. Auf Grund der unter ihnen liegenden Speckschicht wirken sie allerdings trotzdem völlig ausgleichend auf die beiden durch sie hindurchlaufenden Seilenden, so daß sie frei beweglichen Rollen gleichgesetzt werden können. Die beiden Ruder versehen je eine doppelte Funktion; jedes von ihnen bildet in seinem System sowohl den festen Punkt c , wie auch die Gleitbahn für das freie Ende a des Seiles. Dabei gilt indessen der Begriff »fester Punkt« auch nur mit dem Vorbehalt, daß die Seile oder die Ruder selbst nicht sehr glatt sind. Wäre das der Fall, so möchte bei einer sehr ungleichen Zugleistung der beiden Männergruppen schließlich das ganze Seilsystem ins Gleiten geraten, ja das schwächer bediente Seilende würde möglicherweise gar durch die Hautschleifen und hinter den Rudern hinweg in die ungefesselte Freiheit rutschen und die stärkeren Männer unliebsam zu Falle bringen. Bei der Rauheit ungegerbter Fellstreifen liegt ein solcher Fall allerdings wohl außerhalb aller Wahrscheinlichkeit.
Mason und wahrscheinlich auch sein Gewährsmann Elliott sagen nichts über die vermutliche Herkunft dieser merkwürdigen ethnographischen Erscheinung hier im entlegensten Teile der Neuen Welt. Sie dem Haupt eines Eskimo selbständig entspringen zu lassen, wäre ein kühner Gedanke, den selbst die sonstige technische Geschicklichkeit jenes Volkes nicht stützt; man wird also wohl oder übel Entlehnung annehmen müssen. Nun kennen und benutzen zwar schon die Chinesen der Han-Zeit, also der Jahrhunderte um Christi Geburt, die feste Rolle zum Heraufholen ihrer Wassereimer aus den Brunnen, und in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat Sir John Francis Davis im Reich der Mitte sogar eine Hebevorrichtung beobachtet, die ein richtiges Differentialwellrad darstellt, also eine [S. 41] weit höhere Form, als auch wir sie für gewöhnlich verwenden. [7] Die Maschine ist in Abb. 25 wiedergegeben; ihre Wirkungsweise leuchtet ohne weiteres ein. Wird die ungleich starke Welle nach hinten zu umgedreht, so wickelt sich von dem dickeren linken Teil mehr Tau ab als rechts aufgewickelt wird; die Rolle und ihre Last senken sich also, wenn auch nur um die halbe Differenz der Auf- und Abwicklung. Bei der entgegengesetzten Drehung erfolgt die Hebung der Last in demselben Tempo.
Also die Chinesen beherrschen, wie so viele andere technische, so auch dieses Prinzip. Trotzdem liegt es näher, bei der geographischen Lage Alaskas eher an europäische Beeinflussung zu denken. In den mehr als 170 Jahren, seitdem der Deutsche Georg Wilhelm Steller jene Küste betreten hat, haben die Eingeborenen ja auch genugsam Gelegenheit gehabt, die Tätigkeit von Hebekranen an Bord europäischer, insbesondere russischer Schiffe zu betrachten. Aber selbst dann bleibt die Übernahme noch eine erstaunliche Leistung. Man versetze 10000 Weiße, denen theoretische wie praktische Kenntnisse der Physik abgehen, in die gleiche Lage — würde wohl mehr als einer den Mechanismus einer solchen Einrichtung begreifen? Vermutlich keiner. Also Hut ab vor jenen Walroßjägern!
Der Name klingt gelehrter, als die Maschine in Wirklichkeit aussieht. Tatsächlich kennt sie jeder, der einmal eine Wäscherolle gedreht oder einen Eimer Wasser aus einem Windebrunnen emporgehoben hat. Auch das soeben behandelte chinesische Hebezeug zeigt das Wesen des Wellrades, wie es ebenfalls genannt wird, in bester Weise.
Das Wellrad besteht danach aus einem um seine Achse drehbaren Zylinder oder einer Welle, auf der ein Rad von größerem Durchmesser befestigt ist. In der chinesischen Maschine stellt die stärkere Welle das größere Rad dar; sie zeigt zugleich die entgegengesetzte Wirkung der um beide Wellen geschlungenen Seile.
Bei den Naturvölkern sucht man das Wellrad in dieser Form vergebens; außer beim Bohrer, dem Kreisel, der Spindel, der bei ihnen noch immer umstrittenen Schraube und dem später ebenfalls noch zu behandelnden Drall sind sie überhaupt nicht zur Rotation [S. 42] wellenförmiger Körper gelangt. Eine Ausnahme bildet lediglich die Baumwollentkernungsmaschine, wie sie bei den Batta auf Sumatra, in Hinter- und Vorderindien und einzelnen Teilen Hochasiens gebräuchlich ist. Abbildung 26 gibt eine solche Maschine wieder.
Wie wir sehen, ist von einem größeren Rad oder auch nur einer stärkeren Welle bei ihr keine Rede, man muß das Wellrad vielmehr in einem anderen Bestandteil suchen. Das ist nun die Kurbel, mit der die untere Welle gedreht wird, worauf sie durch das Schraubensystem am anderen Ende auch die obere Welle in Umdrehung versetzt. Indem man die Baumwollflocken zwischen beiden Wellen hindurchtreibt, quetscht man die Samenkörner heraus.
Diese Kurbel läßt sich als zweierlei auffassen: als Hebel und als der ideelle Teil einer Rolle, die man sich ja auch ohne Schwierigkeit als voll denken kann. In diesem Augenblick hätten wir dann das wirkliche Wellrad vor uns. Die Bewegungsübertragung von einer Walze auf die andere durch horizontale Schraubenräder ist deswegen merkwürdig, weil solche Schraubenräder, wie Horwitz meint, in der europäischen Technik erst sehr spät, wahrscheinlich erst seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, verwendet worden sind, während sie in Indien vermutlich auf ein hohes Alter zurückblicken. In ihnen hätten wir damit also endlich einmal eine Erfindung höheren Grades, die nicht von unserer sonst alles überragenden Rasse vorweggenommen worden ist. Im übrigen hat bei dieser Maschine auch der Keil sehr reichlich Verwendung gefunden: zunächst bei der Befestigung der Kurbel an der unteren Welle selbst; sodann bei dem unter dem Walzenpaar befindlichen Brett, welches mit ihrer Hilfe in die Höhe getrieben werden kann. Die Wirkung überträgt sich dann durch zwei im Innern der Pfosten laufende Gleitstücke auf die untere Walze, die damit fester gegen die obere gepreßt wird.
Auch von dieser zweiten Gruppe der einfachen Maschinen sind uns bereits vereinzelte Anwendungsarten begegnet. Die schiefe Ebene tritt in doppelter Weise als Maschine auf: als Rampe und als Keil. Der Unterschied besteht darin, daß bei der Rampe die schiefe Ebene stehen bleibt, während das Gleitstück, indem es gehoben wird, die [S. 43] Ebene entlang gleitet; beim Keil hingegen wird die schiefe Ebene selbst verschoben, so daß das Gleitstück gehoben wird.
Die Rampe spielt in unserem unendlich vielgestaltigen Verkehrsleben eine bedeutsame Rolle. Keine Überführung einer Landstraße oder einer Eisenbahn über die andere, kein Güterbahnhof ohne ihre mehr oder minder gleichmäßig geneigte Fläche; ja selbst Wasserfahrzeuge befördert man, wie das bekannte Beispiel des Oberländischen Kanals in Westpreußen beweist, auf diese bequeme Weise von einer Höhenlage auf die andere. Ohne die Rampe wären der moderne Massen- und Schnelltransport überhaupt nicht zu denken. Man kann sie daher als ein Kind der Gegenwart bezeichnen.
Das hindert indessen nicht, daß sie auch schon in alter Zeit und sogar auch bei den Völkern niedrigerer Kulturstufe ihre Würdigung gefunden hat. Wer sich den Transport jener Steinkolosse vorstellt, wie sie zu den gigantischen Bauten der alten Ägypter, den Pyramiden und Tempelanlagen, sowie zu den Denkmälern der Babylonier und Assyrer verwendet worden sind, kommt ohne die theoretische Zuhilfenahme von Anrampungen gar nicht aus. Tatsächlich hat die Fortbewegung denn auch auf solchen bis zu den Spitzen der Pyramiden hinauf stattgefunden, wobei die Blöcke selbst auf Schleifen oder Kufen ruhten, die man entweder ohne ein anderes Hilfsmittel als die Zugkraft ungeheurer Menschenmassen oder aber auf untergelegten Rundhölzern weiter schaffte.
Etwa gleichzeitig mit ihrer Rolle im Zweistromland und am Nil hat die Rampe eine Blütezeit auch im Westen des Mittelmeeres und in Westeuropa erlebt. Das ist die Zeit der Megalithen ( megas = groß, lithos = Stein) oder, wie wir volkstümlich sagen, der Hünengräber. Auch wer diese gewaltigen Steinplatten sieht, wie sie die Dolmen und Ganggräber Norddeutschlands, Nordhollands, Englands, kurz der ganzen Umrandung der Nordsee, auch Portugals und des Nordrandes von Afrika von Marokko im Westen bis zur Halbinsel Barka im Osten überdecken, oder jene ebenso wuchtigen langgeformten Blöcke, wie sie unter dem Namen Menhir und Bautasteine als stimmungsvolle Zeugen eines heroischen Kultus oder einer ebenso kraftvollen Pietät aus dem Boden derselben Erdstellen in eine ganz, ganz anders geartete Gegenwart hereinragen, der wird sich fragen müssen, wie anders jene alten Baumeister diese Massen hätten bewegen und aufrichten sollen als eben auch wieder unter Zuhilfenahme der Rampe. Belege haben wir meines Wissens nicht, doch bleibt keine andere Vorstellung übrig. Mit Platten von mehreren Dezimetern Dicke und mehreren Metern Länge und Breite und Blöcken von Hunderten von Zentnern an Gewicht hantiert man [S. 44] vor dem Zeitalter hydraulischer und elektrischer Krane und Hebezeuge nicht ohne weiteres.
Außerhalb des europäisch-mittelmeerischen Kulturkreises sind Megalithen über alle Erdteile außer dem Festland Australien verbreitet; sie finden sich in reicher Anzahl in Vorderindien, wo gewisse Völkerschaften sie bis in die Neuzeit hinein errichtet haben, und sind auf zahlreichen Inseln Mikro- und Polynesiens festgestellt worden, wo im allgemeinen kein Mund mehr Kunde über Alter, Zweck und Herstellungsart der Steinbauten zu geben vermag. Dort finden sich gewaltige, viele Meter lange und breite, meist aus zyklopisch schweren, viele Tonnen wiegenden Steinblöcken errichtete Terrassen und Plattformen, Pyramiden und straßenähnliche Anlagen, menhirartige Steinobelisken und Nachbildungen der menschlichen Gestalt u. a. mehr. Auf der Karolineninsel Ponape gibt es eine ganze heilige Stadt, die nur vom Adel und den Priestern betreten werden darf und eine Fläche von nicht weniger als 1½ bis 2 qkm bedeckt. Sie besteht aus 92 Gehegen aus Korallensteinplattformen, die mit Basaltmauern von 3 bis 10 Meter Höhe eingefaßt sind. Von ihnen allein wissen wir, daß man die Steine auf Flößen von weither herbeigeschleppt und mit Hilfe richtiger Baugerüste, Rampen und Hebel an Ort und Stelle gebracht hat. Wie dagegen die alten Bewohner der Osterinsel die riesigen Massen ihrer berühmten Steinidole bewegt und aufgerichtet haben mögen, entzieht sich wohl für immer unserer Kenntnis. Da es sich um Monolithe handelt, die im Durchschnitt 7–8 Meter aus dem Erdboden herausragen, so kann auch hier keine andere Möglichkeit als die Beförderung des langen Steinblocks eine schiefe Ebene hinauf in Frage kommen, die unmittelbar neben der Vertiefung lag, in der man das Idol aufrichten wollte. Theoretisch erscheint dann das Hinabkippen des freien Steinendes in die Baugrube sehr leicht; in Wirklichkeit wird es den polynesischen Baumeistern arge Kopfschmerzen verursacht haben.
In seinem kleinen, aber gedankenreichen Buch »Kultur und Mechanik« (Stuttgart 1915) meint der Physiker Ernst Mach, man dürfe die zwangsweise Verwendung ungeheurer Mengen von Sklaven, wie sie bei den Riesenbauten Mesopotamiens und Ägyptens zum Transport jener Steinmassen üblich war, nicht ohne weiteres verdammen, so drakonisch auch die Strafen bei der mühseligen Arbeit mit den rohen Hilfsmitteln gewesen sein möchten; ja sie könne neben einem ethischen sogar auch ein kulturhistorisches Verdienst für sich in Anspruch nehmen. Vordem habe man kriegsgefangene Feinde entweder gepfählt oder geblendet; jetzt, nach ihrer Heranziehung zu nutzbringender Arbeit, sei man ohne weiteres dazu übergegangen, die haarsträubenden Grausamkeiten zu mildern, [S. 45] bis sie schließlich verschwinden. Auf technischem Gebiet aber sei das Zusammenschweißen vieler Kräfte zu einem Zweck die erste größere Erfindung orientalischer Machthaber gewesen.
Mit seinen beiden Beobachtungen singt der seither verstorbene Historiker und Philosoph der Mechanik das Loblied sowohl der Arbeit wie der Organisation; ohne beides wären in der Tat weder die altägyptischen noch die mesopotamischen Kulturen möglich und denkbar gewesen, denn hier wie dort zwang die ungleichartige Wasserführung der lebenspendenden Ströme zu Eingriffen in die Natur, die nur mit der organisierten Arbeit ganzer Arbeiterheere durchzuführen waren. Auf der damit gewonnenen materiellen Grundlage hat sich die Zivilisation beider Gebiete dann ganz von selbst aufbauen können.
Erhebt ein Gesetz auf Geltung Anspruch, so muß es Allgemeingültigkeit besitzen; die Machsche Beobachtung muß sich demnach bestätigen, wo immer gleiche oder ähnliche Voraussetzungen gegeben sind; auch unter den Naturvölkern. Nehmen wir ein paar Stichproben vor.
Bauten von unerhörter Großartigkeit sowohl in den räumlichen Abmessungen wie dem Gewicht der verwendeten Steinkolosse erregten das Erstaunen der Spanier bei ihrer Ankunft im alten Peru. Befestigungsanlagen wie die Burg Sacsahuaman in Cuzko, Ollantaytambo und andere an der Waldgrenze gegen die wilden Indianerstämme gingen über alles, was die Conquistadoren in dieser Art gesehen hatten. Erklärlich werden sie auch nur durch die politischen und sozialen Verhältnisse des Inkareiches, dessen Sonnenkönig über die Arbeitskraft schlechthin jedes Untertanen und vor allem jedes Unterworfenen gebieten konnte, trotzdem Tahuantinsuyu, das »Reich der vier Teile der Welt«, im Grunde genommen ein rein sozialistisches Staatswesen war, in dem es weder Privateigentum an Grund und Boden, noch Geld, weder Reichtum noch Armut, dafür allerdings auch ein alles durchsetzendes Beamtentum und keinerlei innere und äußere Freiheit gab. Darf man den überraschend schnellen Aufstieg dieses Reiches mit einigem Recht auf die kraftvolle Zusammenfassung aller militärischen Machtmittel durch eine Reihe starker Herrscher zurückführen, so ist sein jäher Zusammenbruch vor einer Handvoll hergelaufener Abenteurer mit um so größerem Recht durch diese Überorganisation auf der einen, den Mangel an Persönlichkeit auf der anderen Seite bedingt.
Im stillen Ozean sprechen die Verhältnisse noch klarer im Sinne Machs. Mikronesier und Polynesier sind malaiische Einwanderer [S. 46] von Westen her. Sie waren Seefahrer von einer Kühnheit, daß nicht einmal Weiten von der Länge des halben Erdumfanges — so viel und mehr beträgt der Abstand von Madagaskar, ihrem äußersten Westpunkt, bis zur Osterinsel — sie zu schrecken vermochten. Wenn solche kraftvollen Menschen zur Errichtung zyklopischer Baudenkmale schritten, die nur durch ein Zusammenwirken aller zustande kommen konnten, so kann das niemand wundern; ebensowenig, daß in den neuen, engen Verhältnissen auf den kleinen Eilanden dieses Stärkebewußtsein verbleichen und dahinschwinden mußte, sobald die Erinnerung an die nautischen Großtaten schwand. Tatsächlich fanden James Cook und die übrigen Entdecker des 18. Jahrhunderts die Bevölkerung im unverkennbaren Zustande des sittlichen und kulturellen Rückganges vor.
Mit einigem Recht können wir das Machsche Gesetz selbst beim Festlandaustralier und damit einer Menschengruppe verfolgen, die nach allgemeiner Anschauung am wenigsten von der Kultur beleckt sei. Heute ist das unglückselige Volk allerdings eine jammervolle Ruine, dem unter den grausamen und harten Maßnahmen der englischen Eindringlinge über kurz oder lang die letzte Daseinsmöglichkeit genommen sein wird. Aber auch schon bei Beginn der Kolonisation am Ende des 18. Jahrhunderts entbehrten sie alles dessen, was ein wirkliches Volkstum ausmacht: des strammen Rassegefühles und des politischen und sozialen Zusammenhangs. In kleinen und kleinsten Trupps durchzogen sie jahraus, jahrein ihre Jagd- und Schweifgebiete.
Diese selben Leute nun besitzen ein Monument, welches Zeugnis ablegt, daß es einstmals weit besser um den Australier gestanden haben muß. Das ist das Steinlabyrinth von Brewarrina im oberen Darling, etwa 100 Kilometer oberhalb der Stadt Bourke in Neusüdwales. Es besteht aus einem etwa 90 Meter langen Steinwehr, das sich auf felsiger Unterlage quer durch den Fluß erstreckt. Von diesem Quergang aus ist dann ein ungefähr 100 Meter weit stromaufwärts reichendes Labyrinth von Steinmauern erbaut, das den Fang der den Fluß hinauf- und hinabziehenden Fische erleichtern soll. Die Mauern bilden zu dem Zweck kreisförmige Becken, die zumeist durch stark gewundene Gänge miteinander verbunden sind. So fest sind diese Mauern gebaut, daß die gewaltigen Fluten, die zu Zeiten in einer Höhe von 7 Metern darüber hinwegrauschen, höchstens die obersten Lagen der Steine zu verschieben imstande sind.
Und was lehrt uns dieses Brewarrina-Wehr? Nun, doch wohl [S. 47] nichts anderes, als daß es auch im Leben dieser Ärmsten von heute einmal eine Periode gegeben haben muß, wo die Bevölkerung dichter und wo sie vor allem organisations- und arbeitsfähig gewesen ist. Australische Horden der Gegenwart wären solcher nur durch gemeinsames, zweck- und zielbewußtes Zufassen erreichbarer Leistungen um so weniger fähig, als auch bei Brewarrina der Baustoff aus großer Entfernung hat herbeigeschafft werden müssen. Ob dieses Aufflackern einer großen Energie aus der Mitte der alten Australier selbst geboren ist, oder ob es auf eine fremde, kraftvollere Völkerwelle zurückgeht, die später in das australische allgemeine Elend heruntergezogen worden ist, läßt sich einstweilen nicht entscheiden, wäre aber aus kulturhistorischen Gründen der Untersuchung wert.
Mit dem Begriff der Rampe verbinden wir uneingestandenermaßen den Begriff der Beförderung schwerer Lasten. Weil diese für das einfache Leben der Naturvölker und Halbkulturvölker von heute überhaupt nicht in Betracht kommen, darf man sich nicht wundern, daß auch die Rampe so stark zurücktritt oder ganz fehlt. Lediglich in Hochgebirgsgegenden mit ihren besonderen Naturbedingungen hat das Verkehrsleben zu einer eigenartigen Verwendungsart der feststehenden schiefen Ebene geführt, bei jenen Seilbahnen und Gleitbrücken nämlich, die unter dem Namen Tarabiten aus den Kordilleren Südamerikas bekannt sind, und ganz gleichartigen Seilbahnen aus den Hochgebirgsländern Zentralasiens. Das Prinzip ist einfach das der im stabilen Gleichgewicht aufgehängten Last, die an einem geneigt verlaufenden Seil über tiefe Schluchten und reißende Bergströme nach der niedrigeren Seite hinübergleitet. Ob die Last aus Menschen oder aus in Gurten schwebenden Pferden oder sonstigen Dingen besteht, ist dabei belanglos. Das Titelbild des Kosmosbändchens »Urgesellschaft« zeigt eine solche Tarabite in vollem Betrieb.
Die bewegte schiefe Ebene oder ihre Verdoppelung, den Keil, in ihrer kulturhistorischen Bedeutung zu schildern, ginge weit über unseren Rahmen hinaus. Wie bereits betont wurde, fällt die gesamte unübersehbare Schar aller Hieb-, Schneid- und Stechgeräte physikalisch unter den Begriff Keil. Nur auf eine Form der einfachen bewegten schiefen Ebene sei noch hingewiesen, schon deshalb, weil sie vielleicht die kulturförderlichste aller menschlichen Erfindungen überhaupt darstellt.
Das ist der Pflug. Über seine Ausgangsform oder Ausgangsformen gehen die Ansichten noch weit auseinander, trotzdem sichtlich alles dafür spricht, daß er mit der quergestellten Feldhacke zusammen seinen gemeinsamen Ausgangspunkt in der Astgabel besitzt. [S. 48] Auch in der uranfänglichen Wirkung stimmen beide überein, indem bei beiden das Erdreich nicht gewendet, sondern nur gehoben und dadurch gelockert wird. Insofern stellen beide bewegte schiefe Ebenen dar. Mit dem Aufkommen der Metalle nimmt die Pflugschar, unter Beibehaltung der horizontalen Grundfläche, die bekannte geschweifte Form an, die erst das Wenden der Scholle und damit bestimmte biologische Vorgänge in der Ackerkrume ermöglicht. Vom mechanischen Standpunkt aus kann man diese Bewegung als eine Art Drall oder auch als eine Art Schraubenbewegung auffassen, womit wir von neuem zu ein paar in der Völkerkunde vielumstrittenen physikalischen Erscheinungen gelangen.
Was Drall ist, weiß jeder, der einmal durch einen gezogenen Gewehr- oder Geschützlauf hindurchgesehen hat. Die in dessen Wandung eingeschnittenen Rillen sollen dem Geschoß während des Fluges eine Drehung um seine Längsachse verleihen, so daß, es sich nicht überschlägt, kein Querschläger wird, sondern unter dem geringsten Luftwiderstand seine einmal begonnene Bahn möglichst weit verfolgt. Die Beibehaltung der im gezogenen Lauf gewonnenen Drehbewegung ist unmittelbar die Wirkung des uns bereits geläufigen Beharrungsvermögens, das erst durch irgendeine andere Kraft, den Aufschlag oder sonst eine Störung, unterbrochen oder aufgehoben wird.
In der Völkerkunde hat man in früheren Jahrzehnten eine solche Drallvorrichtung gern bei Wurfspeeren und Pfeilen der Naturvölker gesucht. Zunächst in Form und Querschnitt gewisser afrikanischer Eisenspitzen. In diesem Erdteil findet man deren beide Hälften innerhalb ihrer Längsachse häufig scharf gegeneinander abgesetzt, so daß ein Querschnitt von der nebenstehenden Form ( Abb. 27 b ) entsteht. Selbst der Altmeister der modernen Ethnologie, Adolf Bastian, hat in dieser Form die Ursache einer Rotationsbewegung vermutet. Das ist nun physikalisch unmöglich, zumal keine der beiden Flächen im geringsten flügelartig geschweift verläuft, was Vorbedingung [S. 49] für die Rotationsbewegung wäre. Beide stellen vielmehr vollkommene, wenn auch etwas zueinander geneigte Ebenen dar.
Die Frage nach dem eigentlichen Endzweck dieser abgesetzten Klingenform gehört in das Kapitel der Festigkeitslehre, für deren Behandlung durch den Neger diese Erfindung einen sehr hübschen Beitrag liefert. Es handelt sich kurz gesagt um eine Versteifung der Klinge, um deren Umbiegen beim Auftreffen auf den menschlichen oder tierischen Körper zu verhindern. In meiner Arbeit über den afrikanischen Pfeil (1899) war mir diese Erklärung entgangen. Kurz nach deren Erscheinen übersandte mir der damalige Kieler Geograph Prof. O. Krümmel in einem Brief ein Stück Papier, das schon beim ersten Blick durch seine kunstvolle Faltung oder Kniffung in der Mittel- oder Höhenlinie dasselbe Prinzip wie die afrikanischen Klingen offenbarte ( Abb. 27 c ). Es war dasselbe Geschoß, das wir als Knaben so oft erfolgreich in die Luft entsendet hatten. Das afrikanische Eisen ist von Haus aus sehr weich; Härteverfahren sind dem Neger nicht bekannt; da ist man durch Zufall auf diese Art der Versteifung gestoßen, die nun über weite Strecken Allgemeingut geworden ist.
Andere haben den Drall in der Befiederungsanlage der Pfeile gesucht. Dort wäre er leicht möglich, indem man die einzelnen Fahnen der längshalbierten Federn derart am Schaft befestigte, daß die Flügel schiffsschraubenartig geschweift verlaufen; dann muß sich das Geschoß förmlich in die Luft hineinbohren, wodurch das Überschlagen vermieden würde. Nun finden sich unter den Tausenden von Pfeilen unserer Völkermuseen zwar vereinzelte Beispiele dieser Art, doch wäre es immerhin gewagt, bei ihnen an eine bestimmte Absicht zu denken, zumal dann doch in jedem Fall auch eine pfriemenförmige Spitze zu einem solchen Rotationspfeil gehörte. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Jede flächenförmige Pfeilspitze aber würde den Drall der Fiederung in seiner Wirkung aufheben.
So scheint es denn wirklich, als ob die Naturvölker es bis zu dieser Errungenschaft nicht gebracht haben. Mir persönlich ist nur ein einziges, noch dazu der Welt der Kinderspielzeuge angehöriges Beispiel bekannt, das ich der Vollständigkeit wegen mitteilen will, trotzdem es für die Herrschaft des Menschen über die Natur vollkommen bedeutungslos ist.
Das Spiel heißt Bulbul und wird im nördlichen Neu-Mecklenburg und auf Neu-Hannover, beides Inseln im Bismarck-Archipel, gespielt. Hauptmann Friederici berichtet darüber (Mitt. a. d. deutschen Schutzgebieten, Erg.-Heft 5, Berlin 1912, Seite 98–99) wie folgt: »Die Knaben hocken am Strande dort, wo die über das flache [S. 50] Riff kommenden Ausläufer der Brecher den Sand andauernd benetzen. Aus diesem feuchten Stoff (in der Hauptsache Kalksand) formen sie durch Drehen und Streichen außerordentlich regelmäßige und recht feste Figuren etwa von der Form einer Runkelrübe ( Abb. 28 a ). Mit einem starren Halm wird dann dieser Figur das spitze Ende so abgedreht, daß ein flacher Kegel nach innen entsteht. Die Abdrehung geschieht ganz in der Weise unserer Drechsler, indem der starre Halm festgehalten wird, während man die Sandfigur drehend gegen sein Ende drückt. Dem so entstandenen flachen Kegel wird schließlich durch dieselbe Manipulation noch ein kleiner, nach innen gerichteter Spitzkegel aufgesetzt ( Abb. 28 b ). Hat der Kanake eins, zwei oder drei dieser Kunstwerke fertiggestellt, so tritt er, die eine Figur in der rechten und zwei in der linken Hand, stolz in das Wasser hinein, wobei er nicht vergißt, sich vergewissernd nach mir umzuschauen, ob ich auch die bevorstehende Kunstleistung beobachte. Nun wird eine Figur nach der andern mit einer drehenden, wirbelnden Bewegung aus der rechten Hand hoch in die Luft gestoßen, das dicke schwere Ende nach oben, das spitze, durch den Doppelkegel ausgehöhlte nach unten. Der beabsichtigte Enderfolg ist nun der, daß die oben dicke und schwere Figur, ohne die senkrechte Richtung ihrer Längsachse zu ändern, hoch in die Luft steigt und ohne umzuschlagen auch wieder herunterfällt. Sie schlägt dann mit dem spitzen ausgehöhlten Ende auf die Wasserfläche auf, wodurch das mit Gewalt in die beiden Kegel hineingepreßte Wasser eine Art Sprengwirkung hervorbringt. Mit dumpfem Knall löst sich die Figur auf, um als schmutzige Masse unter dem Wasser zu verschwinden. Das Spiel verlangt eine nicht geringe Kunstfertigkeit und Übung, wenn es gelingen soll. Einmal müssen diese Figuren aus Seesand sehr sorgfältig und symmetrisch hergestellt werden, und dann erfordert das Hochstoßen eine ganz erstaunliche Beherrschung von Arm, Hand und Finger. Wird die Figur nicht genau senkrecht, mit genügender Kraft und hinreichender Umdrehungsgeschwindigkeit aus den Gelenken emporgeschleudert, so schlägt sie um oder fällt auf die Seite. Sowie ferner der Wurf nicht genau in der Längsachse der Figur erfolgt, bricht das dicke Ende genau in dem Augenblick ab, wo das Spielzeug die ungeschickte Hand des Knaben verläßt.«
Friederici knüpft an diesen lebensvollen Bericht noch Betrachtungen aus seiner Leutnantszeit, wo er als Rekrutenoffizier die jungen Soldaten in die Geheimnisse des Dralls bei unserem Dienstgewehr einweihen mußte. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß die schwarzen Knaben von Neu-Hannover das Problem spielend [S. 51] in der Praxis zu lösen wußten, während manchem braven Bauernsohn und Rekruten von damals die Theorie des Schießens bis zu den letzten Diensttagen nicht recht klar geworden sei. Friederici schließt endlich mit dem kulturgeschichtlich bedeutungsvollen Hinweis, daß dieses Bulbul mit seinem durch die Handbewegung erzeugten Drall, sodann unsere gezogenen Gewehre und Geschütze und schließlich der Wurfriemen der Alten, die αγκυλη der Griechen und das ammentum der Römer, zusammen eine Erfindung darstellen, die ganz offenkundig mehrfach und unabhängig voneinander gemacht worden sei. Den Bulbul Melanesiens und den Riemenspeer des weit entfernten, 2000 Jahre älteren mittelmeerischen Kreises werde ernsthaft wohl niemand in kulturhistorischen Konnex miteinander bringen wollen, und daß auch die Theorie der gezogenen Kanonen nicht auf den Riemenspeer des klassischen Altertums zurückführe, gehe schon daraus hervor, daß dieser von uns erst 1868 in seinem Wesen erkannt worden sei, wo man gezogene Geschütze und Gewehre längst eingeführt habe.
Friederici hätte der Aufzählung seiner unabhängigen Drallprovenienzen noch eine vierte hinzufügen können, die der Neukaledonier nämlich, die bis zu ihrer Europäisierung den dort üblichen langen Wurfspeer ebenfalls mit Hilfe einer Drallvorrichtung schleuderten. Das Prinzip bei diesen allen, den antiken wie auch dem modernen ozeanischen, bestand in einem Riemen oder einer geflochtenen Schnur, deren eines Ende man am Daumen der rechten Hand befestigte, während der übrige Teil spiralig um die Mitte des Speerschaftes gewickelt wurde ( Abb. 29 ). Verließ dann der Speer im Wurf die Hand, so rollte der Riemen ab, wodurch der Speer selbst in Rotation um seine Längsachse geriet, was ein Überschlagen verhinderte.
Die schiefe Ebene wirkt um so günstiger, je länger die Basis im Verhältnis zur Höhe ist. Das legt den Wunsch nahe, stets sehr lange schiefe Ebenen zu benutzen. Dadurch würde indessen die Maschine [S. 52] sehr unhandlich. Um sie in ein bequemeres Format zu bringen, empfiehlt es sich, sie auf einen Zylinder aufzuwickeln. Dann entsteht einerseits die Wendeltreppe, andererseits die Schraube. Abbildung 30 stellt diesen Vorgang dar.
Die Elemente der Schraube sind die Schraubenspindel und die sie umhüllende Schraubenmutter. Bei Anwendung der Schraube handelt es sich fast immer darum, durch eine drehende Bewegung der Spindel eine in der Richtung der Achse fortschreitende langsame Bewegung der Mutter, oder durch eine drehende Bewegung der Mutter eine in der Richtung der Achse fortschreitende langsame Bewegung der Spindel mit stark vergrößerter Kraft hervorzubringen.
Eine seltenere Verwendung der Schraube besteht darin, daß man die Schraubenmutter fortschreitend bewegt, um dadurch eine drehende Bewegung der Schraubenspindel zu bewirken. Das geschieht z. B. bei unserem Schraubendrillbohrer, bei dem durch die Ab- und Aufwärtsführung der handlich geformten Mutter auf der Triebstange diese abwechselnd nach beiden Richtungen rotiert. Die Schraubengänge müssen hier sehr steil sein, damit der auf Reibungsarbeit entfallende Bruchteil der aufgewendeten Arbeit nicht zu groß wird. Wer sich jemals mit Laubsägearbeiten befaßt hat, kennt das bequeme Instrument aus eigener Erfahrung.
Unter den Naturvölkern hat dieser Drillbohrer eine Form angenommen, bei der die Mutter nicht so ohne weiteres zu erkennen ist. Das ist die in Abb. 31 wiedergegebene Maschine, wie sie manche Bewohner des Stillen Ozeans zum Durchbohren von Muschelschalen und Schildkrötplatten verwenden, und wie sie von den alten Indianern am St.-Lorenz-Strom zum Feuerquirlen gebraucht worden ist. Die Schraubenmutter ist hier nicht von Anbeginn vorhanden, sondern bildet sich erst in der Form der sich um die Triebstange wickelnden Doppelschnur. Zur Inbetriebsetzung des Bohrers dreht man die Triebstange mit der Hand, so daß die Doppelschnur sich schraubenförmig um sie herumwickelt; sodann drückt man die horizontale Druckstange nach unten, wodurch die Triebstange in rasche Drehung gerät. Durch die Trägheit der Schwungscheibe setzt sich die Drehung über den Nullpunkt, d. h. den Moment des Ablaufens der Schnur, hinaus fort, so daß sich die Schnur wohl oder übel von neuem um die Triebstange wickelt und die Druckstange wieder nach oben führen muß. Sodann wiederholt sich das Spiel von neuem. Dem Schwungrad begegnen wir hier in der Welt der Naturvölker wohl zum ersten- und einzigenmal, sofern es nicht auch schon unsere Neolithiker bei einer allerdings fast hypothetischen Bohrmaschine (anderer Konstruktion als der in Abbildung 17 wiedergegebenen) verwendet [S. 53] haben sollten. Diesen Pumpenbohrer vermag sich jeder selbst leicht zu konstruieren. Trotzdem nehmen die Ethnologen an, daß er im stillen Ozean und im Malaiischen Archipel erst neuerdings von Europa her eingeführt sei, während er bei den Algonkin und Irokesen vermutlich autochthon ist. Das Schwungrad hat die Aufgabe, infolge seines Beharrungsvermögens Unregelmäßigkeiten im Gang einer Maschine auszugleichen und die Rotationsbewegungen der Welle über den sogenannten toten Punkt hinwegzuführen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben muß es möglichst massiv sein, was bei dem Pumpenbohrer mit seiner unverhältnismäßig schweren Holzscheibe ja auch der Fall ist.
Die Erfindung der technisch richtig ausgebildeten Schraube durch die Naturvölker ist noch umstritten, trotzdem diese Frage neuerdings eine ziemlich umfangreiche Literatur gezeitigt hat. [8] Von Indien abgesehen, wo wir die merkwürdigen Schraubenräder mit parallelstehenden Achsen bereits kennengelernt haben und wo die Schraube vermutlich auf ein hohes Alter zurückblickt, kommen als möglicherweise selbständige Erfinder lediglich die Eskimo in Betracht. [S. 54] In welch sinnreicher Weise sie die Schraube verwenden, geht aus den Abbildungen 32 a b hervor. Bei a sind Spindel und Mutter zwar schon beide vorhanden, doch noch nicht geometrisch vollkommen ausgebildet. Den Pflock aus Holz ( b ) oder Walroßzahn verwenden die Eskimo zum Verstopfen der den Seehunden durch die Harpune verursachten Wunden, einesteils um das Ausbluten zu verhindern, andernteils um das Bugsieren des toten Körpers zu erleichtern. Die Schraube wird in die Wunde eingebohrt; sie schafft sich also hierbei ihre Mutter in der Tierhaut selbst, ganz in derselben Weise wie unsere Holzschrauben das in dem vorgebohrten Loch auch tun. Auf die zahlreichen sonstigen Verwendungsarten der Schraube bei diesem technisch so hochstehenden Volk können wir nicht eingehen. Man hat ihm, möglicherweise mit Recht, ihre Erfindung abgesprochen, die Bekanntschaft der Eskimo mit der Schraube vielmehr auf die lange Berührung mit den in Grönland ansässigen Europäern zurückgeführt. Aber selbst in diesem Fall bleibt die Geschicklichkeit und Vielseitigkeit in der Verwendung des neuen Kulturgutes noch höchst bemerkenswert.
Der eigenartigsten Schraube begegnen wir jedoch wieder im armseligen Australien. Das ist der berühmte Bumerang, den jeder kennt und der ballistisch doch vielleicht mehr Geheimnisse birgt als irgendeine andere Geschoßart. Einen ethnographischen Abriß über ihn habe ich in den »Kulturlosen« (S. 26/28) gebracht; physikalisch stellt seine geschweifte Gestalt das Segment einer Schraubenmutterwindung dar, die sich während des Fluges um eine imaginäre Spindel dreht, während des Anstiegs aufwärts, beim Fall darauf abwärts. Die merkwürdigen unberechenbaren Kurven gerade während dieses Abstiegs scheinen auf Unregelmäßigkeiten im Bau dieser merkwürdigsten aller Schrauben zurückzugehen.
Ernst Mach nennt als wichtigstes und anregendstes Werkzeug dem in der Kulturgeschichte die größte Rolle zugefallen sei, den Feuerbohrer. Er deutet damit zunächst auf die grundlegende Wichtigkeit hin, die dem jederzeit künstlich erzeugbaren Feuer in der menschlichen Kulturentwicklung zugefallen ist, sodann aber doch auch auf die nicht minder folgenreiche Erfindung der Rotationsbewegung, zu der kein anderes Geschöpf auch nur den geringsten Auftakt gefunden hat. In der Tat ist der Mensch mit dem Gewinn der Wellenbewegung in den Besitz der entwicklungsfähigsten aller einfachen Maschinen, ja zur Grundlage aller zusammengesetzten Maschinen [S. 55] überhaupt gelangt. Ohne Rotation wäre die Vollkultur einfach nicht zu denken.
Wenn wir bei den Naturvölkern aller Zeiten diese urtümliche Wellenbewegung so unverhältnismäßig wenig weiter gebildet vorfinden, so gibt uns dieser Umstand eine ungeheuer wichtige Handhabe, ja vielleicht direkt den Schlüssel für das Zurückbleiben so vieler Völker auf niedrigen Stufen in die Hand. Sie haben, wie die bisherigen Ausführungen lehrten und die weiteren noch lehren werden, die mannigfaltigsten Vorrichtungen gefunden und erfunden, um ihre Lebenshaltung über die Höhenlage einfach tierischer Wirtschaft emporzuheben. Dadurch indessen, daß sie die unbegrenzte Ausbaumöglichkeit jener Drehbewegung nicht erkannt, ausgenutzt und weiter verfolgt haben, sind sie aller jener ungezählten Vorteile verlustig gegangen, die die glücklichere weiße Rasse zur Beherrscherin des Erdballs und aller seiner Bewohner gestempelt haben.
Das Gesetz der Beharrung oder der Trägheit ist, wie wir wissen, durchaus nicht auf rotierende Körper beschränkt, betrifft vielmehr jeden Körper in jeder Lage. Ist er in Ruhe, so bleibt er darin, bis ihm Geschwindigkeit von außen erteilt wird. Ist er in Bewegung, so verharrt er in seiner Geschwindigkeit, bis ihm diese von außen genommen wird. Auch die Bewegungsrichtung kann er nur ändern infolge einer von außen wirkenden Kraft. Aber für den Laien verknüpft sich der Begriff der Beharrung in erster Linie unleugbar mit dem anderen der Bewegung und insonderheit der Rotation. Im Zeitalter der tausenderlei Fahrzeuge und vor allem des Fahrrads ist das kein Wunder. Wodurch erhält sich denn z. B. der Radfahrer im Gleichgewicht, und zwar um so leichter, je schneller er fährt? Doch nur durch das Trägheitsgesetz; denn jeder rotierende Körper hat die Eigenschaft, daß er einer Änderung der Lage der Rotationsebene und damit also auch der Rotationsachse einen Widerstand entgegensetzt, der nichts als die Folge der Trägheit ist. Es bedarf einer Kraft, um die Achse des rotierenden Körpers aus ihrer Lage zu bringen, die um so größer sein muß, je schneller er sich dreht. Für den Radfahrer ist es daher schwieriger, sehr langsam zu fahren und doch das Gleichgewicht zu erhalten. Auch beim Kreisel ist es die Rotation, die ihn in aufrechter Lage erhält, und beim Diabolo seligen oder unseligen Angedenkens war es nicht anders.
Zu dieser Erkenntnis sind die Naturvölker also nicht gelangt, womit sie sich ihre Aufstiegsmöglichkeit bis zu einem sehr hohen Grade verscherzt haben. Das Schwungrad am Feuerquirl der alten Anwohner des Lorenzstromes und der kanadischen Seen und der seiner Herkunft nach zudem noch zweifelhafte Drillbohrer Ozeaniens bestätigen als einsame Ausnahmen nur die Regel.
[S. 56] In diesem Zusammenhang klingt es fast wie ein Witz der Kulturgeschichte, daß gerade nur jene soeben erwähnten beiden Spielzeuge des Kreisels und des Diabolos ein paar weitere, für den Fortschritt völlig bedeutungslose Belege bilden. Der Kreisel ist heute sicher allgemeines Besitztum der Jugend aller Zonen; woher er ursprünglich stammt und ob er nur ein- oder mehrmals erfunden worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Im Malaiischen Archipel besitzt er ganz ungefüge Abmessungen, so daß ein ruhiger Gang gewährleistet ist. In Afrika tritt er allein schon im Rovuma-Gebiet in vier verschiedenen Formen auf, die in den Abbildungen 33 a bis d wiedergegeben sind. Die eine, kegelförmige ( a ) gleicht ganz der unsrigen; sie wird auch in ganz derselben Weise in Bewegung gesetzt. Bei den beiden weiteren ( b und c ) ist keine Schnur nötig, bei ihnen genügt das Schnellen zwischen Daumen und Mittelfinger zur Inbetriebsetzung. Das Schwungrad, denn um ein solches handelt es sich doch offensichtlich, besteht aus Scheiben vom Flaschenkürbis. Die vierte Art ist mir in zwei Varianten bekannt: der in d abgebildeten vom Rovuma und der in e wiedergegebenen aus Urundi am nördlichen Ostufer des Tanganyika. Bei beiden tritt zum erstenmal ein neues mechanisches Element auf: die gleitende Reibung, indem sich die Kreiselwelle beim Abrollen der Schnur gegen ein von der linken Hand gehaltenes Widerlager legt. Wir haben hier in der Tat den Anfang unseres Wellenlagers. Das Widerlager besteht am Rovuma aus einem durchlochten abgegessenen Stück Maiskolben, in Urundi aus einem 15–30 cm langen Stück Hirsehalm, aus dem ein fensterartiger Rahmen herausgeschnitten ist. Beide Kreisel arbeiten vortrefflich, [S. 57] manche von ihnen sogar unter Hervorbringung gar nicht übler Töne.
Als das Diabolospiel 1907 bei uns auf der Bildfläche erschien, war es für alle lebenden Deutschen etwas Neues, und es bedurfte erst literarischer Studien, um festzustellen, daß eine gleichartige »Seuche« schon einmal, vom Herbst 1812 bis etwa 1825 bestanden hat. Der modernen Wiederholung ist bekanntlich eine weit kürzere Lebensdauer beschieden gewesen, indem der interessante Doppelkegel schon nach 1 bis 2 Jahren wieder verschwand. Wir sind schnellebiger geworden. Feldhaus führt das Wiederaufleben des Spiels auf den Kricketspieler Frey zurück. Frey hat es vermutlich aus der Literatur über jene erste Diabolowelle entlehnt. Woher es jedoch die Pariser Modedamen und Modeherren von 1812 genommen haben, kann ich nicht entscheiden.
Im Sommer 1906 habe ich Gelegenheit gehabt, das Diabolospiel auf dem Makondeplateau im Südosten von Deutsch-Ostafrika kennenzulernen. Inmitten der großen Menge von Eingeborenen, die gekommen waren, mir ihre Tänze und Spiele vorzuführen, vergnügte sich ein Mann damit, einen in der Mitte gerillten schweren Holzzylinder mit Hilfe einer an zwei Stöcken befestigten Schnur in die Höhe zu werfen und auf dieser Schnur immer von neuem aufzufangen. Bei genauerem Zusehen stellte ich als das wirksame Prinzip des ganzen Vorgangs die rasend schnelle Rotation fest, in die der Holzzylinder durch bestimmte Armbewegungen des Spielers versetzt wurde. Jenes Original befindet sich heute im Leipziger Völkermuseum. Es ist in der obenstehenden Abbildung 34 abgebildet.
Gebührt dem Makonde-Diabolo unstreitig die Priorität vor dem europäischen von 1907, so ist das noch mehr der Fall bei zwei anderen Vorkommnissen, von denen das eine ebenfalls auf Afrika, das andere auf Vorderindien entfällt. Von jenem erzählt der englische Reisende V. L. Cameron, der von 1873 bis 1875 Afrika von Osten nach Westen durchquerte, während der indische in einem kompilatorischen Werk vermerkt ist. Cameron sollte damals dem berühmten Missionar und Reisenden David Livingstone neue Hilfsmittel nach dessen Arbeitsgebiet südöstlich vom Tanganyika bringen; ihm begegnete indessen in Tabora nur die Leiche des am 1. Mai 1873 verstorbenen großen Menschenfreundes, so daß Cameron seinen Plan änderte und durch den ganzen Süden des heutigen Kongostaats bis zur Westküste zog. In der Nähe des Tanganyika unterhielt eines Tages ein Sklave eines Häuptlings [S. 58] Djonmah die Reisenden durch seine Geschicklichkeit, indem er ein Stück Holz von der Form einer Sanduhr vor und hinter sich in die Luft warf, es auffing und wieder warf, so daß es immerfort weiter spann. Cameron sagt kein Wort von den beiden Stöcken und der sie verbindenden Schnur, die ihm also gar nicht aufgefallen sein müssen, ein Beweis entweder für sein nur geringes Interesse oder für eine wenig scharfe Beobachtungsgabe, in jedem Fall aber doch für seine Unbefangenheit. Ihm war das Spiel vollkommen neu.
Das indische Diabolo wird nach Thurston ( Castes and Tribes of Southern India ; Madras 1909, III . S. 502–504) von den Korava seit undenklichen Zeiten gespielt. Die Korava sind einer jener niedrigen Stämme, die seit vorarischer Zeit unstet im Lande schweifen. Sie sind so geschickt mit dem Diabolo, daß sie es selbst beim Seiltanzen bis zur Höhe von Kokosnußbäumen in die Luft schleudern, und daß manche Künstler es auffangen, ohne überhaupt hinzusehen. Das Diabolo besteht bei ihnen, ganz wie das afrikanische, aus festem Holz, ist aber nur ebenso groß und schwer wie das europäische.
Die Übereinstimmung im Material könnte, zumal bei den übrigen engen Kulturbeziehungen, für einen Zusammenhang zwischen Indien und Afrika sprechen. Aber woher haben dann die Korava diese ihrem sonstigen Kulturbilde doch sehr wenig angepaßte Maschine? Ist sie ein Überlebsel aus der Seuchenwelle, die Europa erstmals 1812 überflutete und vielleicht auch nach Südasien hinübergebrandet ist? Oder liegt bei den Korava etwa gar selbständige Erfindung vor? Ganz unmöglich wäre das nicht, wenngleich sehr unwahrscheinlich.
Von einwandfreierem Alter im Gebrauch der Menschheit, nämlich neolithisch, ist das Zurückgreifen auf das Trägheitsgesetz in der Form des Wirtels auf der Spindel; in ihr haben wir zugleich einen weiteren höchst wichtigen Ausgangspunkt für die ganze spätere Rotationsmechanik. Den Gebrauch der Spindel kennt unsere Generation nur noch aus Büchern; selbst in Ostafrika fand ich sie 1906 nur noch bei zwei sehr alten Leuten. Der eingeführte Kattun hatte die eigene Weberei auch dort bereits gemordet. Form und Gebrauch unserer alteuropäischen Spindel zeigt Abbildung 35 . Man wand den Spinnstoff um einen hölzernen Stock, den Rocken, den die Spinnerin neben sich aufstellte oder in den Gürtel steckte. Jetzt legte sie die einzelnen Fasern durch Zupfen mit der einen Hand einander parallel, ordnete sie zu einer Art Vorfaden, während sie mit der andern die Spindel an ihrem oberen Ende in Drehung versetzte. An der Spindel war der Faden mit einer Schlinge in einem Häkchen oder einem schraubenförmigen Einschnitt so befestigt, daß die Drehung [S. 59] der Spindel auf ihn übertragen wurde. Die Spindel selbst bestand aus einem meist hölzernen, seltener knöchernen oder elfenbeinernen oder metallischen, pfriemenförmigen Stäbchen, dessen stärkerem unterem Teil eine scheibenförmige Schwungmasse aus gebranntem Ton, Stein, Horn, Holz oder Metall, der sogenannte Wirtel, aufgesetzt war. Durch dieses kleine Schwungrad wurde die Drehbewegung der Spindel ausgiebiger und gleichmäßiger, was sich ohne weiteres auf den Faden übertrug, der sich bei ihrem rotierenden Absinken zur Erde bildete. War die Bewegung abgelaufen, so wurde der Faden vom oberen Spindelende abgelöst, auf diese aufgerollt und von neuem festgehakt. Sodann begann der Vorgang von neuem.
In Europa reicht diese Spinntechnik, wie gesagt, bis in die jüngere Steinzeit zurück. Bei den Naturvölkern ist sie nur lückenhaft verbreitet, wobei Australien, Polynesien und die Arktis ganz ausscheiden, während in Afrika und Amerika im allgemeinen nur die niedriger stehenden Völkergruppen nicht bis zu ihr fortgeschritten sind. Zu einem maschinellen Betriebe höherer Art, wie ihn schon unser Handrad und noch mehr das anheimelnde Trittrad unserer Spinnstuben darstellen, ist indessen keins von ihnen vorgedrungen, so vollendet uns im übrigen z. B. der westafrikanische horizontale Webstuhl entgegentritt. Der unterscheidet sich von unserem, nunmehr allerdings auch überholten Handwebstuhl lediglich durch dessen Festigkeit und Eleganz des Aufbaues, keineswegs aber durch die innere Einrichtung.
Zum Schluß sei noch einiger Gerätschaften gedacht, deren Wirkung zwar ebenfalls auf dem Prinzip des Beharrungsvermögens beruht, die sich aber im Gegensatz zu der friedlich anmutenden Spindel der Hackbauern vorwaltend bei reisigen Steppen- und Reitervölkern finden. Das sind die Bola und der Lasso. Ihre Gemeinsamkeiten und ihre Unterschiede sind bekannt. Bei beiden wirbelt der Reiter das ganze Riemensystem um das Haupt; während er aber die dreikugelige Bola im geeigneten Augenblick ganz fliegen und um sich rotieren läßt, damit sich ihre durch Stein- oder Metallkugeln beschwerten Riemen dem unglücklichen Opfer um Hals oder Beine schlingen, behält er beim Lasso das eine Ende fest in der Hand, so daß sich nur die gleitende Schlinge über das Opfer legt. Indem er im selben Augenblick hält oder in scharfem Winkel abbiegt, wirkt [S. 60] die Masse von Pferd und Reiter als äußere Kraft auf die Schlinge ein, die sich nunmehr schließt und den Gegner wehrlos macht. Beide Wurfwaffen stellen wahrhaft fein durchdachte Anwendungen mechanischer Prinzipien dar.
Von allen Sätzen der Mechanik wird keiner so oft unbewußt verwendet wie dieser, denn in Wirklichkeit kann man zwei an einem Punkt unter einem Winkel angreifende Kräfte stets durch eine einzige ersetzen, wie auch eine gegebene Kraft stets in zwei Seitenkräfte zerlegen, die zusammen dieselbe Wirkung hervorbringen wie jene allein. Der gesamte Komplex unserer menschlichen Betätigung steht im Zeichen des Kräfteparallelogramms von seinen Anfängen an bis zur Gegenwart hinauf.
Aus dieser Fülle Beispiele herauszugreifen hält schwer. Wir wollen uns mit einigen wenigen begnügen, die das Hineinwachsen unseres Geschlechts in die Herrenrolle dafür um so beredter predigen.
Da ist als uralte und nahezu allgemein menschliche Kunstübung das Rudern zu nennen. Jeder, auch der wasserfremdeste Großstadtbewohner, bildet sich ein, es zu können. Die Unfallstatistik bringt leider den Gegenbeweis. Auch von den Naturvölkern verstehen es nicht alle, ein Zeichen, daß der Mensch das Rudern wirklich erst hat lernen müssen. Die Kulturvölker rudern anders als die Naturvölker; wir streichen, diese »paddeln«, d. h. tauchen, im Boot stehend oder hockend und das Gesicht nach vorn, ihr kurzes Ruder aus freien Händen etwas nach vorn, aber parallel der Kielebene in die Flut und drücken das Boot so vorwärts. Physikalisch handelt es sich in beiden Fällen um die Arbeit von Hebeln, und zwar einer Kombination je des ein- und des zweiarmigen Prinzips. Da das Boot weiterkommen soll, liegt der eigentliche Drehpunkt am unteren Ruderende im Wasser. Beide Hebelarme liegen dann innerhalb der Ruderlänge selbst. Den kürzeren Arm stellt der Widerstand des Wassers dar, der überwunden werden muß; den längeren das Ruder bis zu den Händen seines Meisters. Die Zweiarmigkeit wird uns klar, wenn wir sehen, mit welcher Leichtigkeit unsere Wettruderer in ihren Booten mit den weitausladenden Dollen große Geschwindigkeit erzielen. Das ermöglicht ihnen der inseits der Dolle liegende längere Hebelarm, der dafür allerdings auch eine größere Streichweite erfordert. Daher die auf Rollen laufenden Gleitsitze. Beim Paddeln liegt der Drehpunkt des zweiarmigen Hebels in der unteren Hand.
In welch einschneidender Weise ein zu weites Ausholen die Arbeitsleistung schädigt, zeigt uns die dem Pfaundlerschen Werk entnommene [S. 61] Abbildung 36 ; zugleich auch, in welcher Weise die Zerlegung der Kräfte vor sich geht. »Wenn wir,« sagt Pfaundler, »wie das auf der rechten Bootseite gezeichnet ist, das Ruder aus der Stellung OR in die Stellung OR′ bringen, wobei ein Bogen von 120° beschrieben wird, so stelle zu Beginn des Ruderschlages ad die Kraft dar, mit der er auf das Wasser wirkt. Diese Kraft zerfällt in die für uns nutzlose Komponente ab und in die Komponente ac . Nur die letztere bringt das Schiff vorwärts. Ebenso ist gegen Ende des Ruderschlags nur die Teilkraft a′c′ für unsern Zweck dienlich. Nur in dem Moment, wo das Ruder senkrecht auf die Mittellinie des Schiffes gerichtet ist, wirkt die volle, ungeteilte Kraft des Ruderschlages vorwärtstreibend auf das Schiff. — Beobachten wir dieselben Konstruktionen auf der linken Seite, wo der Bogen des Ruders nur 60° beträgt. Hier sind die wirksamen Teilkräfte zu Beginn und am Ende des Ruderschlages wieder ac und a′c′ . Während nun auf der rechten Seite ac und a′c′ nur ungefähr die Hälfte der vollen Kraft betragen, sind auf der linken Seite die wirksamen Teilkräfte nur wenig kleiner als die volle Kraft. Das zu weite Ausholen ist also unökonomisch; zwar bringt der doppelt so weite Ruderschlag das Boot weiter vorwärts als der weniger weit ausholende, aber durchaus nicht doppelt so weit, während unsere Anstrengung doppelt so groß ist. Rationeller ist es also, kleinere, aber dafür zahlreichere Schläge auszuführen, allerdings auch nur bis zu einem gewissen Grade, da ja auch das Ausheben und Einsenken des Ruders Arbeitskraft erfordert.«
Das Paddeln erfolgt nach genau den gleichen Gesetzen, nur daß die Ruderebene um annähernd 90° gedreht ist. Da es bei der Kürze der Ruder keine großen Ausschläge gestattet und der Ruderer sein Gesicht dem Ziel zuwendet, besitzt es einige Vorteile vor unserer Art des Ruderns. In der geräumigen Kamerunbucht äußerten sie sich jahrzehntelang in der Weise, daß bei den Wettrudern der deutschen Matrosen die buntbemalten großen Einbäume der Duala-Neger in der Regel schneller fuhren als unsere langrudrigen schweren Plankenboote, was für jenen an sich schon nicht sehr bescheidenen Volksstamm stets ein Grund lärmendsten Triumphes war. Tempi passati!
[S. 62] Über den Anfängen des Segelns lagert ein tiefes Dunkel. An sich erscheint seine Entdeckung oder Erfindung leicht, da der Wind ja schließlich jeden flächenhaften schwimmenden Gegenstand vor sich hertreibt. Trotzdem ist es unter den Naturvölkern nur sehr lückenhaft verbreitet, beim Neger von Haus aus gar nicht, in Amerika nur bei den Inkaperuanern und den Maya, während es die Inselkaraiben Westindiens und die Tupí und Guaraní des östlichen Südamerika vermutlich erst in nachkolumbischer Zeit von den Europäern gelernt haben. Nur bei der malaiischen Rasse ist es seit unvordenklichen Zeiten Allgemeingut; wie hätte sie sonst ihre Wanderung um mehr als den halben Erdball vollführen können!
Auf diese seetüchtige Rasse ist nun auch das Lavieren oder Kreuzen gegen den Wind beschränkt. Für Nordwest-Europa wird diese schwierigste aller nautischen Künste zum erstenmal für das Jahr 1189 erwähnt, [9] ist also eine recht junge Errungenschaft. Wie alt sie bei den Malaien und insonderheit den Poly- und Mikronesiern ist, und ob diese ihre Durchdringung des Stillen Ozeans bis Hawaii im Norden und der Osterinsel im Osten bereits der durch das Kreuzen bedingten Unabhängigkeit von den Windrichtungen verdanken oder dem bloßen Segeln mit dem Winde, läßt sich wohl kaum noch entscheiden. Heute, wie gesagt, beherrschen sie diese Kunst, wenngleich sie dabei auch ein ganz klein wenig anders verfahren, als das bei unseren Segelmanövern geschieht. Der Gegenstand ist schon aus diesem Grund einer näheren Betrachtung wert, wobei wir uns wiederum an Pfaundler anschließen wollen.
Aufkreuzen ist in allen den Fällen nötig, wo der Wind vom Ziele her weht. Um es trotzdem zu erreichen, drehen wir das Boot so, daß seine Kiellinie KK′ gegen einen andern Punkt Z′ gerichtet ist, und stellen die Segelfläche in die Richtung SS′ , also zwischen die Windrichtung und die Kiellinie ( Abb. 37 ). Nun sucht der Wind den Punkt A des Segels in der Richtung nach D zu bewegen. Die Strecke AD stelle uns die Kraft dar, mit der das geschieht. Diese Kraft zerlegt sich in zwei Komponenten AB und AC . Die erstere läßt die Luftmassen längs des Segels abstreichen, ohne weitere Wirkung zu äußern; die letztere Teilkraft, die senkrecht auf der Segelfläche steht, sucht Segel und Schiff in der Richtung AC mit der Stärke AC zu bewegen. Aber das Schiff kann nur in der Kiellinie fahren, da der Widerstand des Wassers sonst zu groß ist. Somit zerfällt die Kraft AC wiederum in zwei Teilkräfte Ab u. Ac . Ab übt keine Wirkung wegen des Widerstandes des Wassers aus, Ac aber treibt das Schiff in der Richtung des Kiels mit einer Kraft, [S. 63] die durch die Strecke Ac vorgestellt wird. Somit segeln wir in der Richtung nach dem Ziele Z′ . Nach einiger Zeit wenden wir mit dem Steuer das Boot rechts herum in der Richtung nach Z″ und stellen das Segel wieder nach SS′ , zwischen die Windrichtung WD und die Kielrichtung K′K . Nun wiederholt sich wie früher die doppelte Zerlegung, und wir segeln gegen Z″ . An dem Punkt Z″ angekommen, wenden wir wieder nach links, so daß das Boot in die gleiche Stellung kommt wie bei der Abfahrt. So müssen wir unser Ziel Z erreichen.
Das ist der Vorgang rein schematisch betrachtet. In der Praxis kompliziert er sich bei uns durch die Blähung des Segels, noch mehr aber in der Südsee, wo zunächst der Ausleger in Rechnung zu ziehen ist, wo aber auch, wie auf den Marshall-Inseln, der Mast nicht mittschiffs, sondern außenbords auf der Auslegerbrücke steht. Dieser Ausleger, ein durch Querhölzer mit dem Boot verbundener balkenförmiger Schwimmer, ist der Grund, warum die Mikronesier nicht über Stag gehen oder halsen, d. h. durch einfaches Wenden des Schiffes aufkreuzen können. Er muß nämlich stets an der Windseite bleiben, um den Segeldruck auszugleichen. [10] Deshalb wird an der Wendestelle das Boot mit dem Heck nach vorn gedreht — sie sind hinten wie vorn gleich scharf gebaut — und das Segel von hinten nach vorn getragen. Also ein in Einzelheiten urtümliches, als Ganzes aber doch großartiges Verfahren, dem kein anderes Naturvolk etwas Gleichwertiges an die Seite zu setzen hat.
Der Ausleger kompliziert das Fahren aber auch noch in einer anderen Beziehung. Er bietet dem Wasser einen Widerstand, der auf die Fahrtrichtung des Bootes selbst nicht ohne Wirkung bleiben kann. Sie äußert sich in Reibung, die das Schiff nach seiner Seite hin ablenken und theoretisch im Kreis herumführen muß. Um dem [S. 64] zu begegnen, haben außer den Nikobaresen vor allem die Marshall-Insulaner die dem Ausleger zugewandte Bootseite erheblich gewölbter gestaltet als die andere Seite, die beim Marshallboot eine fast gerade Fläche bildet. Auf diese Weise wird der ungleiche Wasserwiderstand so gut ausgeglichen, daß die Fahrt nunmehr in der gewünschten geraden Linie erfolgt.
Wir können von der Südsee nicht scheiden, ohne noch einer halb nautischen, halb aëronautischen Großleistung ihrer Bewohner zu gedenken. Das ist der Fischdrachen, dessen Verwendung ich bereits im »Kosmos-Handweiser« von 1917, Seite 65, kurz geschildert habe. Er wird heute in drei Gebieten gebraucht, vom Westende von Neuguinea bis zur Bandasee und vereinzelt sogar bis zur Sundastraße, vom Ostende Neuguineas bis zu den Santa-Cruz-Inseln und den nördlichen Neuen Hebriden, und schließlich im nördlichen und westlichen Bismarck-Archipel. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er nicht einheimisch, sondern über Indonesien von irgendwoher eingewandert.
In Form und Handhabung ähnelt der Fischdrachen unserem heimischen Papierdrachen sehr, nur ist er aus leichten Pflanzenblättern zusammengestellt und gegen den Winddruck durch dünne Stäbchen versteift. Wie man aus der Abbildung 38 ersieht, paddelt der Fischer kräftig gegen den Wind; der Drache steigt, schleppt aber am Ende [S. 65] seines Schweifes einen Köder in Form eines Bündels zusammengewickelter Spinnwebfäden, in denen sich große Fische, wie Hornhechte, beim Hineinbeißen mit den Zähnen verfangen sollen. Der Köder hüpft bei der frischen Brise lustig über die Wellen dahin, so daß er die Aufmerksamkeit der Hornhechte sehr wohl erregen wird.
Bis hierher sind die Literaturangaben klar und unmißverständlich. Wie aber bringt der Fischer, falls er allein auszieht, den Drachen zum Steigen, und wie zieht er ihn, nachdem er am Zucken der Schnur das Anbeißen des Fisches festgestellt hat, ein, ohne daß der Drache ins Wasser fällt? Selbst die eingehenden Studien meines Mitarbeiters Dr. Plischke, der dem Fischdrachen zurzeit eine Monographie widmet, haben in den meisten dieser Punkte bisher keine Klarheit zu schaffen vermocht.
Physikalisch stellt der Luftdrache eine solche Häufung von Gesetzen dar, daß wir auf eine ausführliche Darlegung verzichten, uns vielmehr mit einer groben Analyse begnügen müssen. In der Abbildung 39 stelle sp den horizontal im Schwerpunkt p der geneigten Drachenfläche bb angreifenden Winddruck dar. Nach dem Satz vom Kräfteparallelogramm zerlegt sich die Resultante pa in die Teilkraft pd , die wirkungslos an der Fläche entlang gleitet, und die Teilkraft pc , die senkrecht gegen die Fläche aufwärts drückt. Dorthin würde also der Drache gehoben, wenn er ohne Gewicht wäre. Da das nicht der Fall ist, setzt sich der Druck pc mit der in p senkrecht abwärts wirkenden Schwerkraft zu der Gesamtresultante pg zusammen. Die bei p befestigte Schnur ep nimmt die Richtung dieser Resultante an und hält ihr durch ihre Spannung das Gleichgewicht, d. h. der Drache schwebt beim Festhalten und steigt beim Nachlassen der Schnur. Die besonderen Einwirkungen des Schweifes auf Schwerpunkt, Schnurbefestigung usw. müssen wir hier als zuweit führend beiseite lassen.
Zu dem Fischer mit dem Drachen gesellt sich der andere mit Wurfspeer und Bogen und Pfeil; während aber jener nur auf die angegebenen Teile Ozeaniens und Indonesiens beschränkt ist, kehrt dieser in allen Erdteilen wieder. Zudem muß zum mindesten der Speerwurf nach dem Fisch uralt sein, denn er wird gerade von den allertiefststehenden Völkern gern geübt. Der Bogen hingegen ist eine verhältnismäßig junge Erfindung, die bei uns einwandfrei erst von der jüngeren Steinzeit an nachweisbar ist.
Die naheliegende Frage ist nun: Wie hat sich der Schütze bei seinem Beginnen zu verhalten? Zielt er auf den Fisch selbst, oder über oder unter ihn? Daß ein Stock, wenn man ihn schräg ins Wasser hält, nach oben geknickt erscheint, beobachtet jedes Kind, es kann sich jedoch die Erscheinung nicht erklären. Später hört es dann im Unterricht von der Brechung des Lichts beim Übergang von einem Medium in ein anderes und sieht nunmehr die Sache schon mit etwas mehr Verständnis an. Ein gefälliger Erwachsener zeigt ihm schließlich den von dem alten griechischen Mathematiker Euklid schon vor 2200 Jahren angestellten Versuch mit der Silbermünze in der undurchsichtigen Schüssel, worauf es keinen Augenblick länger im Zweifel sein wird, daß der Gegenstand selbst sich tiefer befindet als es den Anschein hat. Jener Versuch besteht bekanntlich darin, daß man die Münze in der leeren Schüssel so legt, daß der etwas abseits stehende andere sie eben gerade nicht mehr sieht. Füllt man dann die Schüssel vorsichtig mit Wasser, so taucht die Münze für den Beobachter nach und nach über dem Schüsselrand auf, bis sie schließlich vollkommen sichtbar ist, während sie in Wirklichkeit noch unverrückt in ihrer alten Tiefe liegt.
Den Urmenschen hat niemand weder mit Versuchen beglückt noch über Brechungsgesetze unterrichtet, und doch haben er und seine Nachfahren gelernt, mit Brechungsquotienten zu rechnen. Wie ungezählt viele Fehlwürfe und Fehlschüsse ihn das gekostet hat und noch heute jeden angehenden Wasserschützen kosten mag, ist gar nicht auszudenken. Hier hat die Empirie, die Erfahrung, das Maximum an Arbeit verlangt, aber auch einen ihrer größten Triumphe gefeiert.
Wie sich der Vorgang im einzelnen abspielt, läßt sich bequem aus der Abbildung 40 ersehen. Die Brechung der von Gegenständen unter dem Wasser ausgehenden Lichtstrahlen hat zur Folge, daß sie uns näher der Wasseroberfläche zu liegen scheinen, als es in Wirklichkeit der Fall ist. So erscheint der Fisch F , wenn wir ihn von a aus erblicken, in F′ zu sein. Ist aber das Auge in a′ , so scheint er [S. 67] uns in F″ zu stehen. Die scheinbare Erhöhung wird also immer größer, je schiefer wir auf die Wasserfläche schauen; auch nimmt sie dabei immer rascher zu. Will man daher Fische schießen, so muß man stets tiefer zielen, und zwar um so mehr, je geneigter die Schußrichtung ist. Die »wilden« Jäger wissen das ganz genau, sind auch sonst über die Schwierigkeiten gut unterrichtet, vor allem über die Notwendigkeit, ein festes »Abkommen« zu haben. Daher das häufige schräge Eintauchen des Pfeils in das Wasser, um den Grad der Lichtbrechung zu prüfen; daher bei vielen Indianern Südamerikas auch das Hineinwerfen einer leuchtend roten Beere in den Fluß, um in dem Augenblick, wo ein von unten zuschnappendes Fischmaul sie verschlingen will, den Pfeil zu entsenden.
Auf dem Gebiet der Akustik besteht die höchste Leistung der Naturvölker in der Besiegung des Raumes durch den sozusagen artikulierten Schall, durch die Signal- oder Trommelsprache. Vollendeter zwar ist das niedliche Telephon, das sich ostafrikanische Kinder konstruieren. Es ist in der Literatur schon seit den 1890er Jahren bekannt, doch fehlt es in den meisten Sammlungen. Im Süden von Deutsch-Ostafrika habe ich 1906 ein paar Belegstücke erlangen können. Abb. 41 zeigt ein solches Telephon, bei dem es sich ganz offenbar um eine allerdings sehr geschickte Entlehnung aus europäischen Spielwarenläden handelt. Wie man sieht, besitzen diese Telephone die Form einer kleinen Trommel aus Holz oder Flaschenkürbis, deren obere Öffnung mit der feinen enthaarten Haut eines bestimmten Nagetieres überspannt wird. Die Leitung, eine sehr dünne, gut gearbeitete Pflanzenfaserschnur, wird durch ein enges Löchlein in der Mitte der Membran gezogen und durch einen Knoten am Durchgleiten verhindert. Die Apparate arbeiten ausgezeichnet; man kann sich bei straff angespannter Schnur auf 100 Meter und mehr — länger sind die Leitungen nicht — sehr gut durch sie verständigen. [S. 68] Welches Gesetz für das Leitungsvermögen einer solchen Schnur in Frage kommt, entzieht sich meiner Beurteilung; dazu bin ich nicht Physiker genug.
Alle übrigen akustischen Verständigungsmittel, soweit sie auf der Trommel beruhen, haben den Vorzug, ureigenes Gut der Naturvölker zu sein. Die Erfindung einer Signalsprache ist nicht schwer, denn die Beobachtung, daß die stärkere Holzwand eines ausgehöhlten Holztroges einen tieferen Ton gibt als die schwächere, liegt nahe. Die konventionelle Einführung einer Art Morsesystems in Gestalt tieferer und höherer Töne für bestimmte Begriffe unter den Stammesgenossen bringt die Erfindung dann ebenso leicht zum Abschluß.
Zu einer wirklichen Trommelsprache gehört allerdings doch wohl noch mehr. Ihre höchste Entfaltung hat sie in den küstennahen Gegenden Äquatorial-Westafrikas gefunden, wo die Eingebornen sich mühelos die längsten Geschichten über weite Entfernungen hin erzählen. Das ist nun ein Gebiet, wo manche Sprachen von sogenannten Tonhöhen oder musikalischen Akzenten durchsetzt sind, wo mit anderen Worten die Bedeutung der Silben mit der Art der Aussprache wechselt, ganz wie im Chinesischen auch. An diesen Umstand knüpft Prof. v. Luschan an, indem er meint, daß gerade erst dieser besondere Sprachcharakter die wesentlichste Vorbedingung für jene Vollentwicklung der Trommelsprache gewesen sei. Ob diese Vermutung durch weitere phonetische und linguistische Untersuchungen über Bord geworfen oder bestätigt werden wird, muß die Zukunft lehren; in jedem Fall hatte die vollendete Durchführung jener Errungenschaft ihren Besitzern ein bedeutendes Übergewicht über ihre Nachbarn eingetragen, bis die Herrschaft der Europäer das alles wieder ausgeglichen hat.
Die allerfeinste Heranziehung der Akustik durch Naturvölker findet sich jedoch im tropischen Südamerika. In Ethnologenkreisen ist sie unter dem Namen Cambarysu bekannt und berühmt. Das sind ebenfalls Schlitztrommeln aus Holz, die von den Eingebornen so untergebracht und aufgestellt werden, daß ihre Töne ausschließlich an den gewünschten Punkten, nämlich gleichartigen »Stationen«, vernommen und gedeutet werden können. Zu dem Zweck baut man bei den Catuquinaru besondere Häuschen und stellt die Trommel darin in eine mit Holzstücken gefüllte Grube, die bei anderen Stämmen wegfällt. Trommeln nun die Männer in der Morgenstille, so werden die Zugänge zum Aufstellungsraum verschlossen gehalten, damit die Tonwellen nicht vom Walde verschluckt werden, sondern sich konzentrieren, durch die Giebel des Hauses entweichen und sich erst über den Wipfeln der Bäume in der freien Luft ausbreiten. Also eine leibhaftige Telephonie ohne Draht!
Mit dem Cambarysu wollen wir den Rundblick auf die physikalischen Errungenschaften der Naturvölker einstweilen beschließen. Dieser kleine Wunderapparat wendet sich bewußt an die nur geringe Schar der Eingeweihten. Das ist falsche Bescheidenheit, denn ein kurzer Überschlag alles von uns Gebrachten beweist doch unzweideutig, daß die Naturvölker keineswegs jene halb- oder ganztierischen Lebewesen sind, für die sie in Laienkreisen so oft gehalten werden. Alle Völker der Erde sind, wie wir in den Kosmosbändchen so oft betont haben, gleich alt, und alle haben genugsam Zeit und Gelegenheit gehabt, Erfahrungen zu sammeln und Entdeckungen und Erfindungen der verschiedensten Art zu machen. Wenn die weiße Rasse dabei ungleich erfolgreicher gewesen ist als alle übrigen, so haben ihr dabei zahlreiche Umstände geholfen, auf die hier einzugehen wir um so weniger Veranlassung haben, als der Unterschied keineswegs dem Wesen, sondern lediglich dem Grade nach besteht. Ganz ohne Errungenschaften ist nicht einmal das primitivste Völkchen geblieben, ja die Mehrzahl kann sich sogar eines oft nicht einmal unbeträchtlichen Schatzes an technischen Mitteln rühmen.
Aber die Herrschaft über die Natur? Besitzen sie auch die? In dem Sinn, wie wir sie auffassen, sicherlich nicht; weder verfügen sie so souverän über die Kräfte der Luft und des Wassers, noch über die der Tierwelt, des Dampfes, der Elektrizität und der explosiblen Gase, wie wir das von uns rühmen. Aber Herrscher sind sie bei alledem doch, wenn auch nur über ihren eigenen, mehr oder weniger beengten Lebensraum. Und auch das verstehen wir zuweilen falsch. Wie bedauern wir den unglückseligen Buschmann in seiner kargen Heimat! Kaum jemals fühlbarer Überfluß, dafür aber um so häufiger der bitterste Mangel an allem, was uns zur bloßen Fristung des nackten Daseins erforderlich dünkt. Dabei fühlt sich dieser Wilde in seinem Dasein entschieden geborgener als mancher Großstadtbewohner in dem seinigen. Das Nahrungsbedürfnis? Als Sammler und Jäger kennt er alle Schliche und Methoden, die seiner Umwelt angepaßt sind. Die in jenen Regionen doppelt brennende Wasserfrage? Auch sie hat er zu lösen verstanden allezeit, vom Völkchen der Buschmänner lebte sonst längst nicht einer mehr. Wie im wahrsten Sinn souverän deren Herrschaft über ihre Heimat ist, lehrt nichts besser und einwandfreier als die noch immer zu wenig beachtete Tatsache, daß alle die Herero, die nach der Schlacht am Waterberg im August 1904 nach Osten in das Sandfeld zogen, sich nur dadurch vom sicheren Untergang haben retten können, daß sie sämtliche Lebensgewohnheiten der vordem von ihnen so verachteten [S. 70] Vorbewohner dieser Region, eben der Buschmänner, sklavisch angenommen haben.
So ist es allerorts; in allen Zonen hat der Mensch sich förmlich erst seine Lebensbasis geschaffen, sowenig das scheinbar rein vegetative, pflanzenähnliche Dahindämmern so manches Naturvolkes dafür zu sprechen scheint. Um das im einzelnen zu beweisen, müßte man eine umfassende Völkerkunde größten Umfanges schreiben. Einige wenige Belege rein physikalischen Charakters haben wir in den vorstehenden Ausführungen gebracht, die gleichsam nur als Stichproben aus dem gesamten Kenntnisschatz der Naturvölker betrachtet sein wollen. Den auf vorwaltend chemischer Grundlage beruhenden Errungenschaften soll das nächste Kosmosbändchen gewidmet sein. Somit bleibt uns heute nur noch die Aufgabe einer mehr andeutungsweisen, unsystematischen Übersicht wenigstens der Hauptsache dessen, was unsere so oft falsch beurteilten Freunde an weiteren physikalischen Leistungen und Kenntnissen zu verzeichnen haben.
Wie weit reicht die künstliche Beleuchtung der menschlichen Wohnung zurück? Nun, sicher doch ebensoweit, wie das Feuer im Dienst unseres Geschlechtes steht; das Herdfeuer seiner Urhütte diente am Abend zugleich auch zu deren Erhellung. Auf dieser Stufe stehen seltsamerweise die meisten Naturvölker noch heute; sie haben kein höheres Lichtbedürfnis, sondern sitzen bis zum frühen Schlafengehen malerisch um ihr Universalfeuer herum. Kienspan, Fackel und Lampe sind unter diesen Umständen nur dünn verteilt zu finden, jener im alteuropäischen Kulturkreis, die Fackel aus Pflanzenharzen und stark ölartigen Früchten bei westafrikanischen und malaio-polynesischen Völkerschaften, die Lampe endlich bei den Eskimo und im alten Südeuropa. Schalenförmige Steine, die man als Lampen deutet, hat man neuerdings in südfranzösischen Höhlen des ausgehenden Paläolithikums gefunden; sie wie auch die Specksteinlampe der Eskimo brennen nur mit Hilfe eines Dochtes, und bestehe er auch nur aus einem zusammengedrehten Pflanzenflöckchen; sie beruhen also auf dem Gesetz der Kapillarität, deren wenn auch unbewußte Heranziehung in die menschliche Wirtschaft damit bis in überraschend ferne Zeiten zurückreicht. Unter Kapillarität verstehen wir die Erscheinung, daß in engen Röhren, die man in eine Flüssigkeit taucht, diese höher oder tiefer steht als außerhalb. Die Erscheinung erklärt sich aus der molekularen Anziehung zwischen den Flüssigkeitsteilchen unter sich (der Kohäsion) und zwischen den Teilchen der Flüssigkeit und der festen Wand (der Adhäsion). Ihre Wirkungsweise kann jedes Schulkind tagtäglich an seinem Löschblatt feststellen. Badeschwamm, Handtuch, Pinsel und Docht beruhen auf demselben Prinzip.
Für den einzelnen Mitteleuropäer gibt es insofern keine Trinkwasserfrage, [S. 71] als er bloß an die Wasserleitung oder an den Brunnen zu gehen braucht. Beim Primitiven liegt die Sache so einfach nicht; in Trockengebieten bedroht ihn ständig die Frage der Beschaffung schlechthin; in Sumpfregionen oder solchen des Brackwassers muß er sich fragen: Wie mache ich die Flüssigkeit genießbar und bekömmlich? Beide Zwangslagen haben selbst schon die einfachsten Menschheitsgruppen zu den mannigfachsten Maßnahmen und Einrichtungen veranlaßt, so daß ein Ethnologe neuerdings ein ganzes Buch über den Gegenstand schreiben konnte. [11]
Uns galt das Seewasser so lange für gänzlich unbenutzbar, bis wir es destillieren lernten. Wenn den Andamanesen und den Mikronesiern auf ihren langen Seefahrten das Süßwasser ausgegangen ist, springen sie morgens und abends je für lange Zeit in die salzige Flut, wodurch der Körper durch die Hautporen Wasser aufnimmt. Das rettet sie immerhin eine ganze Zeitlang vor dem Verdursten. Von den Polynesiern wird berichtet, daß sie neben Wasservorräten stets auch solche von bestimmten Pflanzen mitnehmen. Das Kauen dieser Blätter soll die Wirkung haben, daß man Seewasser genießen kann, ohne Schaden zu erleiden. Sickerlöcher für Brack- und Sumpfwasser finden sich vielerorts; im Gebiet des Schari südöstlich vom Tschadsee liegen sie bis zu 2 Kilometer vom Fluß ab, und im Lande Bornu umsäumen sie ganz systematisch die modrigen und brackigen Seen des Landes. Man hat also Sand und Kies als treffliche Filter erkannt. Für die Filtrierung des Meerwassers dienen auf vielen Südseeinseln ganz gleichartige, im Innern des Landes abgeteufte Anlagen. Selbst das von vielen Ethnologen als besonders primitiv angesehene Völkchen der Wedda auf Ceylon greift zu ihnen, da man das Wasser von Tümpeln und selbst dasjenige klarer Flüsse für giftig hält.
Eine recht niedliche Erfindung wird von den Australiern berichtet. Diesen fehlt die Töpferei, so daß sie sich mit flachen Rindenmulden für den Wassertransport behelfen müssen. Um ein Ausschwappen und Ausspritzen des in diesem Lande doppelt kostbaren Inhalts zu verhindern, bedecken sie ihn mit buschigen Zweigen. Bei den Völkern des südlichen Deutsch-Ostafrika traf ich dasselbe Verfahren an; es entspricht vollständig der Verwendung jener kleinen Bretterkreuze, die bei uns zu Lande auf die gefüllten Wasser- oder Milcheimer gelegt werden. Physikalisch fällt die Erscheinung unter den Begriff der Interferenz, d. h. der gegenseitigen Einwirkung zusammentreffender Wellen. Begegnen sich auf einer Wasserfläche zwei gleiche Wellensysteme, so wirken sie bei ihrer Durchkreuzung [S. 72] derart aufeinander ein, daß an allen Stellen, wo die Wellenberge des einen Systems mit den Wellenbergen des andern zusammentreffen, das Wasser zu doppelter Höhe erhoben, an den Stellen, wo zwei Täler zusammenkommen, zu doppelter Tiefe herabgedrückt wird, während es dort, wo je ein Wellenberg mit einem Wellental zusammenfällt, seine ursprüngliche Höhenlage beibehält. Das Entstehen solcher überhohen Wellenberge durch Einlegen von Fremdkörpern zu verhüten, ist der Zweck der einfachen, aber sinnreichen Einrichtung.
Mit dem Begriff des spezifischen Gewichts ist der Mensch vertraut geworden, seitdem er zum erstenmal selbst ins Wasser gegangen oder sich ihm auf einem schwimmenden Fremdkörper anvertraut hat. Hätte er sein absolutes Gewicht feststellen können und es durch sein Volumen dividiert, so würde er haben feststellen müssen, daß er leichter war als das Wasser, trotzdem sein erster Schwimmversuch dem Anschein nach das Gegenteil erwies.
Neben Schwimmen und Schiffahrt spielt das spezifische Gewicht im Leben der Naturvölker wohl nur dort eine Rolle, wo es auf das Abscheiden fester Bestandteile aus Flüssigkeiten ankommt. Bei dem Auspressen des Maniokmehls mit dem Tipití unter den Amazonasindianern nimmt der abfließende Saft noch eine Menge feinverteilter fester Teilchen mit, die sich in der untergestellten Schale sammeln. Die Indianerfrau läßt das volle Gefäß ruhig stehen; die festen Teilchen setzen sich ab, werden abgegossen und ergeben getrocknet ein Mehl, das von den Indianern weit höher geschätzt wird als die ausgepreßte Masse selbst.
Weit allgemeiner findet sich der gleiche Prozeß überall dort, wo der Sago den Grundstock der Nahrung bildet, also in ganz Hinterindien, im Malaiischen Archipel und auf Neuguinea. Die Sagopalme hat die angenehme Eigenschaft, in ihrem ganzen Innern aus der geschätzten Speise zu bestehen, nur daß sie einstweilen noch innig mit holzigen Bestandteilen durchsetzt ist. Hat man den übermannsstarken Baum gefällt, so gilt es, dieses durchwachsene Mark herauszuschlagen und zu zerkleinern, was mit stumpfen Hacken oder Klöpfeln verschiedener Konstruktion geschieht. Dann endlich erfolgt der Abscheidungsprozeß. Wie er am Kaiserin-Augusta-Fluß in Kaiser-Wilhelms-Land durchgeführt wird, zeigt Abbildung 42 . Man wählt einen Trog, nämlich den unteren konischen Teil einer der gewaltigen Blattscheiden des Sagobaumes selbst, legt ihn etwas schräg auf Böcke und baut in das tiefer liegende Ende ein Gitter aus feinen Stäben ein, gegen welches sich ein Stück getrockneter Kokosblattscheide als eigentlicher Filter legt. Im Troge selbst knetet man nun die rohe Masse mit Wasser durch, wobei die Späne zurückbleiben, während das Sagomehl [S. 73] mit dem Wasser durch eine vorgesetzte steile Rinne in einen auf dem Boden stehenden Behälter abfließt. Der weitere Vorgang gleicht dem der Behandlung des Maniokmehls.
Die letzten, hier noch eben zu streifenden Errungenschaften ragen gewissermaßen schon in die höhere Technik herein; sie eignen sich demgemäß auch vortrefflich zu einem natürlichen Abschluß. Die eine ist die Töpferscheibe; andere hängen eng mit den Anfängen der Metalltechnik zusammen; die letzten schließlich fallen unter den Begriff der Elastizität.
Die Töpferscheibe ist eine senkrecht stehende Achse mit einer schweren Scheibe in Tritthöhe unten und einer kleineren auf dem oberen Achsenende. Der Töpfer versetzt die Maschine durch Treten der unteren, zugleich als Schwungrad dienenden Scheibe in Rotation, während er mit den Händen auf der oberen die Tonmasse formt; also eine höchst einfache Vorrichtung. Trotzdem — vielleicht auch gerade deshalb — ist man über Alter und Herkunft noch immer nicht unterrichtet. In Ägypten ist sie uralt, bei uns erscheint sie erst mit den Slawen, also vor noch nicht 1½ Jahrtausenden; bei den Naturvölkern existiert sie gar nicht oder doch nur in leisen Anfängen in Gestalt von Topfscherben, die die Töpferin bei ihrer Modellierarbeit als immerhin schon drehbare Unterlage benutzt. Die Rotation hat unserm Geschlecht, wie man immer wieder sieht, überraschend viele Schwierigkeiten bereitet.
Die vorkolumbische Menschheit schied sich in zwei große Teile: den metallverarbeitenden Westen, aus Europa, Asien und Afrika bestehend, und den metallosen Osten, der aus Australien, Ozeanien und Amerika bestand. Wer das erste Kupfer geschmolzen und verarbeitet, die erste Bronze legiert und das erste Eisen verhüttet hat, ist noch immer eine Streitfrage, doch denkt man bei Kupfer und Bronze einheitlich wenigstens an den vorderasiatisch-europäischen Kulturkreis. [S. 74] Beim Eisen ist man nicht einmal so weit, da für seine Entdeckung und erste Verarbeitung auch die Neger Afrikas in Frage kommen können; ja, Professor v. Luschan hat direkt den Beweis zu führen versucht, daß unsere Eisentechnik aus Afrika komme, also beim Neger älter sei als selbst im alten Orient. Träfe das zu, so bedeutete es einen ungeheuern Triumph für diese Rasse, zugleich allerdings auch einen ebenso niederschmetternden Beweis für ihre technische Unfähigkeit, etwas nicht einmal ohne Geschick Errungenes nun auch zielbewußt weiter auszubauen.
Die Anfänge sind in der Tat vollkommen sachgemäß und einwandfrei: richtige Hochöfen vom Prinzip unseres älteren rheinischen Ofens mit Gicht, Schachtraum, Rast, Schmelzraum und Herd und vollkommen rationeller Beschickung mit abwechselnden Lagen von Holzkohle und Eisenstein; dazu Einlaßdüsen für Gebläse, die das Erz zwar nicht bis zum Schmelzfluß bringen, wohl aber zum Zusammensintern, so daß es sich mit leichter Mühe aus der entstandenen Luppe herausschmieden läßt. Also alles in allem ein vortrefflicher, vielversprechender Auftakt, nur schade, daß das Stück nicht weitergeführt worden ist.
Genau dasselbe Bild zeigen die Gebläse. Abbildung 43 zeigt die beiden afrikanischen Typen kombiniert mit dem malaiischen. Von jenen besteht der eine aus einem abgezogenen Tierbalg mit drei zugebundenen Beinen, während in das vierte die zum Hochofen oder Schmiedefeuer führende Düse eingefügt ist. Ventil ist der oben belassene [S. 75] Schlitz, der beim Herunterdrücken mit Hilfe zweier angebundener Längsstäbchen geschlossen, beim Hochziehen geöffnet wird. Das ist der Schlauchblasebalg. Der andere Typ besteht aus einer Art großen Doppellöffels aus Holz oder Ton, dessen beide Aushöhlungen mit Fell oder großen Blättern überspannt sind, in deren Mitte je ein langer Stab eingebunden ist. Das ist der Gefäßblasebalg. Die Handhabung geschieht durch abwechselndes Heben und Senken beider Stäbe, wodurch ein annähernd gleichmäßiger Luftstrom entsteht. Der malaiische Blasebalg endlich gleicht im Aufbau unserer Saug- und Druckpumpe, wie sie jedermann von der Feuerspritze her kennt: in den Bambuszylindern laufen an Stöcken befestigte Kolben auf und nieder und pressen die Luft in die seitlich angesetzte Düse.
Allen drei Systemen gemeinsam ist der Mangel an eigentlichen Ventilen, d. h. Klappen, durch welche die Luft beim Hub von unten her oder seitlich zugeführt werden könnte; überall muß sie sich vielmehr einen Weg durch die Düse selbst oder, wie beim malaiischen Blasebalg, an der Undichtigkeit der Stempel entlang suchen. Hier sind wir also an der oberen Grenze des Schlußvermögens jener Rassen angelangt; darüber hilft auch der Umstand nicht hinweg, daß der Malaie sich die Elastizität der eingespannten Bambusstange zunutze macht, die ihn wenigstens des Stempelhubs überhebt und dadurch nicht unerheblich entlastet.
Mit der Elastizität haben sich sowohl der Arktiker wie der Südasiat und der Neger ungleich besser zu stellen verstanden als mit so knifflichen Fragen wie der des Ventils, was aus der unendlich [S. 76] langen Holzzeit, welche die junge Menschheit hat durchlaufen müssen, durchaus erklärlich erscheint. Das Hauptverwendungsbereich liegt natürlich da, wo es auf die Auslösung plötzlicher Energie ankommt, also beim Bogen und der Armbrust und den unterschiedlichen Tierfallen. Alle drei sind so späte Errungenschaften, daß sie nicht Zeit gefunden haben, den Weg um die ganze Erde zurückzulegen. Mehrfach erfunden zu werden, sind sie aber bereits zu kompliziert, so einfach sie uns verwöhnten Europäern auch erscheinen mögen. Abbildung 44 zeigt den indonesisch-afrikanischen Haupttypus, Abbildung 45 eine in Hinterindien heimische Form dieser Tierfallen. Jeder halbwüchsige europäische Knabe wird imstande sein, die Konstruktion alsbald nachzuempfinden und zu erläutern; wieviel Generationen sich aber dort unten am Äquator den Kopf an dieser immerhin nicht ganz kleinen Häufung physikalischer Probleme zermartert haben mögen, bis das Werk zu der heutigen Vollendung heranreifte, das ist nicht auszudenken.
[1] K. Weule , Die Kultur der Kulturlosen. Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde Franckh'sche Verlagshandlung. Stuttgart 1910. S. 51–60. Auch die beiden anderen einschlägigen Kosmosbändchen »Kulturelemente der Menschheit« und »Die Urgesellschaft und ihre Lebensfürsorge« sind in den folgenden Ausführungen oftmals herangezogen worden.
[2] Illustrierter Führer durch die vorgeschichtliche Abteilung des Weimarer Städtischen Museums. Herausgegeben im Auftrage der Stadt Weimar von Armin Möller, Kustos. Verlag des Städtischen Museums.
[3] L. v. Pfaundler , Die Physik des täglichen Lebens. 3. Auflage. Stuttgart und Berlin 1913. S. 272. Auf das ausgezeichnete Buch hat oftmals zurückgegriffen werden können.
[4] A. Heilborn , Allgemeine Völkerkunde. I. Aus Natur und Geisteswelt Nr. 487. S. 64.
[5] H. Th. Horwitz , Beiträge zur außereuropäischen und vorgeschichtlichen Technik. Jahrbuch des Vereins deutscher Ingenieure. 1916. Bd. 7. S. 181; F. M. Feldhaus , Über die Saftpresse der Guayana-Indianer. Zeitschrift für angewandte Chemie. Jahrgang 31. Nr. 53 vom 2. Juli 1918; K. Weule , Zusammenhänge und Konvergenz. Petermanns geograph. Mitteilungen. 1920. S. 70.
[6] O. T. Mason , The human beast of burden . Report of the United States National Museum 1887 , S. 255.
[7] Berthold Laufer , Chinese pottery of the Han Dynasty . Leiden 1909, S. 72 ff.
[8] Globus , Band 79 und 80; M. P. Porsild , The principle of the screw in the technique of the Eskimo . American Anthropologist. N. S. Vol. 17 , Nr. 1; B. Laufer , The Eskimo screw as a Culture-Historical Problem , ebenda, Nr. 2; Horwitz , a. a. O.
[9] Vgl. Walther Vogel , Geschichte der deutschen Seeschiffahrt. I. Berlin 1915. S. 515.
[10] Vgl. Dr. P. Hambruch , Die Schiffahrt auf den Karolinen- und Marshall-Inseln. Meereskunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge. 6. Jahrgang, 6. Heft. S. 10.
[11] Dr. A. Haberlandt , Die Trinkwasserversorgung primitiver Völker. Petermanns geogr. Mitteilungen. Erg.-Heft 174. Gotha 1912.
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III.
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1. Gruppe 1904–1907. Broschiert M 65.60, gebunden M 101.20.
1904 Bölsche, W., Abstammung des Menschen. — Meyer, Dr. M. W., Weltuntergang. — Zell, Ist das Tier unvernünftig? (Dopp.-Bd.) — Meyer, Dr. M. W., Weltschöpfung.
1905 Bölsche, W., Stammbaum der Tiere. — Francé, Sinnesleben der Pflanzen. — Zell, Dr. Th., Tierfabeln. — Teichmann, Dr. E., Leben und Tod. — Meyer, Dr. M. W., Sonne und Sterne.
1906 Francé, Liebesleben der Pflanzen. — Meyer, Dr. M. W., Rätsel der Erdpole. — Zell, Dr. Th., Streifzüge durch die Tierwelt. — Bölsche, W., Im Steinkohlenwald. — Ament, Dr. W., Die Seele des Kindes.
1907 Francé, Streifzüge im Wassertropfen. — Zell, Dr. Th., Straußenpolitik. — Meyer, Dr. M. W., Kometen und Meteore. — Teichmann, Fortpflanzung und Zeugung. — Floericke, Dr. K., Die Vögel des deutschen Waldes.
2. Gruppe 1908–1911. Broschiert M 65.60, gebunden M 101.20.
1908 Meyer, Dr. M. W., Erdbeben und Vulkane. — Teichmann, Dr. E., Die Vererbung. — Sajó, Krieg und Frieden im Ameisenstaat. — Dekker, Naturgeschichte des Kindes. — Floericke, Dr. K., Säugetiere des deutschen Waldes.
1909 Francé, Bilder aus dem Leben des Waldes. — Meyer, Dr. M. W., Der Mond. — Sajó, Prof. K., Die Honigbiene. — Floericke, Kriechtiere und Lurche Deutschlands. — Bölsche, W., Der Mensch in der Tertiärzeit.
1910 Koelsch, Pflanzen zwischen Dorf und Trift. — Dekker, Fühlen und Hören. — Meyer, Dr. M. W., Welt der Planeten. — Floericke, Säugetiere fremder Länder. — Weule, Kultur der Kulturlosen.
1911 Koelsch, Durch Heide und Moor. — Dekker, Sehen, Riechen und Schmecken. — Bölsche, Der Mensch der Pfahlbauzeit. — Floericke, Vögel fremder Länder. — Weule, Kulturelemente der Menschheit.
3. Gruppe 1912–1915. Broschiert M 65.60, gebunden M 101.20.
1912 Gibson-Günther, Was ist Elektrizität? — Dannemann, Wie unser Weltbild entstand. — Floericke, Fremde Kriechtiere und Lurche. — Weule, Die Urgesellschaft und ihre Lebensfürsorge. — Koelsch, Würger im Pflanzenreich.
1913 Bölsche, Festländer und Meere. — Floericke, Einheimische Fische. - Koelsch, Der blühende See. — Zart, Bausteine des Weltalls. — Dekker, Vom sieghaften Zellenstaat.
1914 Bölsche, Wilh., Tierwanderungen in der Urwelt. — Floericke, Dr. Kurt, Meeresfische. — Lipschütz, Dr. A., Warum wir sterben. — Kahn, Dr. Fritz, Die Milchstraße. — Nagel, Dr. Osk., Romantik der Chemie.
1915 Bölsche, Wilh., Der Mensch der Zukunft. — Floericke, Dr. K., Gepanzerte Ritter. — Weule, Prof. Dr. K., Vom Kerbstock zum Alphabet. — Müller, A. L., Gedächtnis und seine Pflege. — Besser, H., Raubwild und Dickhäuter.
4. Gruppe 1916–1920. Brosch. M 68.80, gebunden M 106.25.
1916 Bölsche, Stammbaum der Insekten. — Dekker, Dr., Heilen und Helfen. — Floericke, Dr., Bulgarien. — Weule, Krieg in den Tiefen der Menschheit (Doppelband).
1917 Besser, Natur- und Jagdstudien in Deutsch-Ostafrika. — Floericke, Dr., Plagegeister. — Hasterlik, Dr., Speise und Trank. — Bölsche, Schutz- und Trutzbündnisse in der Natur.
1918 Floericke, Forscherfahrt in Feindesland. — Fischer-Defoy, Schlafen und Träumen. — Kurth, Zwischen Keller und Dach. — Hasterlik, Dr., Von Reiz- und Rauschmitteln.
1919 Bölsche, Eiszeit und Klimawechsel. — Zell, Neue Tierbeobachtungen. — Floericke, Spinnen und Spinnenleben. — Kahn, Die Zelle.
1920 Fischer-Defoy, Lebensgefahr in Haus und Hof. — Francé, Die Pflanzen als Erfinder. — Floericke, Schnecken und Muscheln. — Lämmel, Wege zur Relativitätstheorie.
Alle 4 Gruppen auf einmal bezogen: brosch. M 226.50, geb. M 352.—
Einzeln bezogen kostet jed. Band brosch. M 4.20, geb. M 6.60 (für Nichtmitgl. je M 5.20 bezw. M 7.80). Die Jahrgänge 1904–1916 (je 5 Bände) kosten für Mitglieder brosch. je M 18.—, geb. je M 28.20. Die Jahrgänge 1917–1920 (je 4 Bände) kosten für Mitglieder brosch. je M 14.40, geb. je M 22.40.
Vom Kosmos-Handweiser sind noch geringe Vorräte von 1910, 1911, 1913, 1914, 1915, 1917, 1918, 1919, 1920 vorhanden. Jeder Band kostet für Mitglieder brosch. M 10.—, geb. M 19.50 (für Nichtmitglieder brosch. M 12.—, geb. M 24.—).
Schriften über
Völkerkunde u. Völkerforschung
von
Prof. Dr. Karl Weule
:
Die Kultur der Kulturlosen
Ein Blick in die Anfänge menschlicher Geistesbetätigung
Mit 3 Tafeln und zahlreichen Abbildungen.
Kulturelemente der Menschheit
Anfänge und Urformen der materiellen Kultur
Mit 4 Tafeln und zahlreichen Abbildungen.
Die Urgesellschaft und ihre Lebensfürsorge
Mit zahlreichen Abbildungen.
Vom Kerbstock zum Alphabet. Urformen der Schrift
Mit zahlr. Abbild. nach Originalaufnahmen u. Originalzeichnungen
Der Krieg in den Tiefen der Menschheit.
Mit zahlr. Abbildungen nach Originalzeichnungen. (Doppelband).
Jeder Band ( Januar 1921) geb. M 5.20, gebd. M 7.80
Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart
STUTTGARTER SETZMASCHINEN-DRUCKEREI
HOLZINGER & Co., STUTTGART