Title : Das Kind: Novelle
Author : Ernst Eckstein
Release date : August 12, 2018 [eBook #57674]
Language : German
Credits
: Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so markiert . Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so ausgezeichnet .
Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches .
Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.
Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.
Neunter Jahrgang. Band 22.
Novelle
von
Ernst Eckstein.
Stuttgart.
Verlag von J. Engelhorn.
1893.
Alle Rechte, namentlich das Uebersetzungsrecht, vorbehalten.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Graf Authenried trat, zur Abfahrt gerüstet, ins Speisezimmer, wo sich die übrigen Hausgenossen gerade vom Frühstück erhoben. Er selbst hatte in großer Hast ein paar Tassen Thee hinunter gestürzt, einen Zwieback zerbröckelt und Hals über Kopf Toilette gemacht, um noch rechtzeitig den Personenzug in Hoyersbrück zu erreichen. Der Landauer mit den zwei Edelrappen stand seit zehn Minuten schon vor der Einfahrt.
»Amüsiert euch gut!« sagte der Graf und stülpte den braunen Filz mit den Spielhahnfedern über das volle, etwas ungebändigte Haar. »Gegen halb neun bin ich, so Gott will, zurück! Somsdorff, ich bitte mir aus, daß Sie nicht gar zu viel musizieren und Litteratur schwatzen, wenigstens nicht vor den Bücherregalen! Führen Sie meine Frau hübsch hinaus in den Park; meinetwegen nach Gehlberg oder den Fluß entlang! Von dem ewigen Sitzen wird sie noch melancholisch. Hörst du, Adele? – Adieu! Adieu, lieber Somsdorff! Adieu, Kleine! Adieu, Miß Harriet!«
Das alles ward eilig und wie im Bann einer gewissen Zerstreutheit hervorgestoßen. Die letzten Worte galten der fünfjährigen Tochter des Hauses und ihrer englischen Gouvernante, die sich jetzt ehrerbietig verneigte, nachdem die [4] Thüre längst schon hinter dem Grafen ins Schloß gefallen. Das Kind hatte nur flüchtig genickt und »Gute Reise!« gemurmelt; es mochte wissen, daß sein Papa kein Freund von Umarmungen und ähnlichen Sentimentalitäten war, besonders nicht, wenn er sich so mitten im Strudel seiner »fachmännischen« Interessen befand.
Und diese Interessen nahmen ihn jetzt wieder völlig in Anspruch. Mit Leib und Seele ritt er sein Steckenpferd, über dem er fast alles vernachlässigte, was sonst den Menschen wichtig und teuer ist: die leidige Numismatik.
Gräfin Adele wenigstens hatte der sonst so harmlosen Wissenschaft dieses Epitheton beigelegt: denn die Münzkunde verschlang bei Gerold Graf Authenried mehr und mehr den Gatten, den Vater, den Menschen.
Es war eine Monomanie, gegen die sich mit ruhiger Vernunft ebensowenig ankämpfen ließ, als mit Freundlichkeit oder vollends mit Trotz. Ab und zu ebbte die Monomanie; dann kamen Tage der Ausspannung, die der Geselligkeit und dem Sport, vornehmlich der Jagd, gewidmet, oft auch mit Zechgelagen und sonstigem unerquicklichen Treiben ausgefüllt wurden. Für die Familie aber hatte Graf Gerold nichts übrig; sobald er sich mit Adele und seinem Töchterchen auch nur für Stunden allein sah, ergriff ihn eine seltsame Unrast, ein Drang, diesen Kreis zu erweitern, Elemente hereinzuziehen, die ihn besser und stärker beschäftigten, als die sanfte, in seiner Gegenwart etwas schweigsame Frau und das blonde, plappernde Püppchen. Uebrigens fing auch die kleine Josefa schon an, ihr lebhaftes Plauderbedürfnis einzudämmen, sobald sich der Vater zeigte, und ganz zu verstummen, sobald sie ihn unter dem Bann seiner Numismatik wußte. Die fremde [5] Vokabel war ihrem Ohre geläufig geworden, noch eh' ihre Lippen sie aussprechen konnten.
Graf Authenried wollte über Hoyersbrück nach Groß-Zeschau, der benachbarten Kreisstadt, wo vor kurzem der alte Rektor der berühmten Lateinschule Alma Ruperta, Professor Doktor Justus Spelhagen, Verfasser eines epochemachenden Werkes » De aureo Caracallae «, verstorben war und eine zwar kleine, aber sehr wertvolle Münzsammlung hinterlassen hatte, die heute zur öffentlichen Versteigerung gelangte. Der Pfarrer von Hoyersbrück, der sich gleichfalls für Numismatik interessierte, hatte den Grafen zuerst auf diese schöne Gelegenheit, sein Münzkabinett zu vergrößern, aufmerksam gemacht und sich erboten, ihn nach dem Schauplatze der Auktion zu begleiten, was Authenried mit großer Lebhaftigkeit acceptierte, schon deshalb, weil er so während der mehrstündigen Fahrt im Coupé einen Genossen hatte, mit dem er den Katalog der Sammlung ausführlich besprechen und Ansicht um Ansicht verständnisvoll austauschen konnte.
Auch Leo von Somsdorff, der jetzt mit Gräfin Adele, der kleinen Komteß und der englischen Gouvernante im Speisezimmer zurückblieb, war nur auf dem Wege über die Numismatik in die bevorzugte Stellung aufgerückt, deren er sich bei Graf Authenried unleugbar erfreute. Somsdorff war Diplomat und Historiker. Mehrere Jahre lang der deutschen Botschaft in Sankt-Petersburg attachiert, hatte er dort die geschäftliche Praxis, vor allem aber das flirrende, von schalster Genußsucht durchsetzte Treiben der Petersburger Gesellschaft so gründlich kennen gelernt und mit so großem Erfolg die Rolle des eleganten Eroberers gespielt, daß ihm dies ganze zwar emotionsreiche, aber innerlich [6] öde Leben plötzlich zuwider ward. Er nahm seinen Abschied, fest entschlossen, so bald als möglich zu heiraten und sich dann irgendwo als Privatdozent für neuere und neueste Geschichte zu habilitieren. Carriere im gewöhnlichen Sinne des Wortes brauchte er nicht zu machen; im Besitz eines ansehnlichen Vermögens war er vollständig unabhängig.
Da vertrat ihm das Schicksal in Gestalt der Gräfin Adele unerwartet den Weg, den er sich vorgezeichnet. Bei einem Diner in der Hauptstadt, wo sich die Authenrieds während der hohen Saison aufhielten, hatte er die kaum dreiundzwanzigjährige Frau kennen gelernt, und schon in der ersten Minute all seine trefflichen Vorsätze über Bord geschleudert. Das hübsche, hochblonde Mädchen, das ihm die Dame des Hauses nicht ohne Absicht als Partnerin zugeteilt hatte, fand ihn an diesem Tag von empörender Monotonie; die andere Seite, ein übermütiges junges Geschöpf, das allenthalben Triumphe zu feiern gewohnt war, urteilte noch vernichtender. Selbst der Hausfrau, die doch um zehn oder zwölf Plätze von Somsdorff entfernt saß, entging es nicht, daß der sprühende Kavalier, der sonst mit tändelnder Leichtigkeit ein ganzes Kollegium von Damen zu unterhalten wußte, diesmal völlig verwandelt schien und erst gegen Schluß der Tafel – nachdem er sich insgeheim einen Feldzugsplan zurechtgelegt hatte – wieder ein wenig auftaute.
Dieser Feldzugsplan paßte weit mehr zu dem Geist und der Tonart seiner Sankt-Petersburger Vergangenheit, als in den ernst-idyllischen Traum des deutschen Privatdozenten. Ein dunkles Gefühl, daß sein Rückfall etwas Beschämendes habe, drückte ihm zwar zu Anfang die Brust; [7] als er jedoch, während der Kaffee gereicht wurde, neben dem Sessel Adelens wie zufällig Platz nahm und mit jeder Minute andachtsvoller dem Klang ihrer Stimme lauschte, die so reich und so klar an sein Ohr schlug, und dennoch wieder so mild verschleiert, wie ein süßes Geheimnis: da war es aus mit den letzten Zuckungen seines Gewissens; der Don Juan von einst lebte mit drohender Allgewalt wieder auf; die Leidenschaft schlug ihm in rasender Lohe über dem Haupt zusammen.
Natürlich war er ja Menschenkenner genug, um sich zu sagen, daß diese Frau nicht in eine Kategorie gestellt werden dürfe mit den halbasiatischen Edeldamen, die sich ihm häufig genug an den Hals geschleudert, noch eh' er mit einigem Ernste um sie geworben hatte. Aber die wundersamen Erfahrungen in der russischen Metropole hatten ihn doch zu gründlich verdorben, als daß er die Möglichkeit eines Mißerfolges überhaupt erst in Frage gezogen hätte. Dort gab es nur offene Städte, hier stand er einer wohl verteidigten Festung gegenüber; er mußte die Taktik ändern: das war der Unterschied.
Je länger sein Zwiegespräch mit Gräfin Adele sich ausdehnte – man ließ die beiden geflissentlich ungestört – desto entschiedener kam er zur Ueberzeugung, daß hier die äußerste Vorsicht geboten sei. Jede Leichtfertigkeit des Tons, jede sonst vielleicht zündende Keckheit schien ausgeschlossen. Trotz der lebhaften Teilnahme, die sie bekundete, wenn er ihr, fast wider Willen ernst werdend, seine Ideen über Gesellschaft und Litteratur, über Leben und Kunst, über Menschen und Dinge entwickelte, trotz der Wärme, die manchmal blitzartig ihren herrlichen Augen entstrahlte, war doch die Gräfin ganz offenbar von jener Unnahbarkeit eingehüllt, [8] die sich nicht wehren zu müssen glaubt, weil der Gedanke des Angriffs ihr vollständig fern liegt.
Somsdorff durchschaute das schließlich; doch die Erkenntnis heilte nicht seine Leidenschaft. Im Gegenteil: je mehr er die Schwierigkeit dieser Eroberung einsah, um so glühender sann er auf ihre Verwirklichung. Die Eitelkeit des verwöhnten Frauenlieblings bäumte sich auf; die halbe Stunde, die er mit Gräfin Adele verplaudert hatte, war ausreichend gewesen, um den leidlich vernünftigen Freiersmann in das klägliche Wirrsal einer längst überwundnen Epoche der Frivolität und der Haltlosigkeit zurückzuschleudern.
Den Rest des Tages verbrachte er fast ausschließlich in der Nähe des Grafen Authenried. Mit der Findigkeit des Verliebten hatte er sofort ausgespürt, wo der Herr Graf am schnellsten zu packen sei, was ohnedies nicht schwer hielt, da dieser widerspruchsvolle Sonderling, der sonst so verschlossen war, just in dem einen Punkte das Herz auf der Zunge trug. Somsdorff besaß schon als Historiker immerhin mehr numismatisches Wissen, als die meisten Personen, die Gerold mit irgend einem interessanten oder uninteressanten Problem festzunageln versuchte. Kurz, beim Abschied in der Garderobe war die »Freundschaft« zwischen den beiden Männern so gut wie besiegelt, und Somsdorff hatte dem Grafen versprechen müssen, im Frühjahr nach Schloß Authenried-Poyritz zu kommen, um die gräfliche Sammlung und die nicht minder merkwürdige Bibliothek zu bewundern.
Das hatte sich in den letzten Tagen des März ereignet. Anfang April war die Familie Authenried nach Paris und von da nach Brüssel gereist, wo der Graf allerlei [9] wissenschaftliche Zwecke verfolgte, während die Gräfin mit großem Eifer nach einer französischen Gouvernante suchte, einem Gegenstück zu der vortrefflichen, anspruchslosen und äußerst zuverlässigen Engländerin Miß Harriet. Die Gräfin hegte nämlich die Ansicht, es sei für ihre Josefa zweckmäßig, beide Sprachen frühzeitig nebeneinander zu hören, und ihr Gemahl, obschon er diese Meinung nicht teilte, ließ ihr in allen Erziehungsfragen vollständig freie Hand. – Adele fand nicht, was sie beanspruchte; bei der unendlichen Zärtlichkeit ihres Mutterherzens legte sie an den Charakter und das Wesen der Damen, die ihr in Vorschlag gebracht wurden, einen vielleicht gar zu kritischen Maßstab. Um so befriedigter schien der Herr Graf. Die Herren vom Institut de France, denen er seine Aufwartung machte, waren die Liebenswürdigkeit selbst gewesen, sehr im Gegensatze zu einem berühmten deutschen Professor, der ihn, bei aller äußern Höflichkeit, nicht hinlänglich ernst genommen, sondern sogar das impertinente Wort »Dilettant« gebraucht hatte. Auch in Brüssel war ihm das meiste nach Wunsch gegangen, bis auf die gar zu kostspielige Erwerbung einiger Prachtstücke, die jetzt allerdings zu den Perlen seiner famosen Sammlung gehören und dem Somsdorff kolossal imponieren würden.
Kaum auf Schloß Authenried-Poyritz angelangt, schrieb er dem jungen Historiker, – und zwei Tage später, am zehnten Mai, langte der ehemalige Attaché, alle Träume seiner Petersburger Vergangenheit in der Seele, mit Sack und Pack an.
»Ein paar Wochen müssen Sie bleiben!« hatte der Graf geschrieben, – und »Nur zu gern!« dachte der fieberglühende Unhold, als bei dem Namen »Graf Authenried« [10] die schlanke, volle Gestalt Adelens mit den tiefschwarzen Augen und dem bezaubernden Lächeln um den süßen, küßlichen Mund lebenswahr vor ihm auftauchte.
Nun war er fast eine Woche schon hier, hatte die Sammlung des Grafen Stück für Stück eifrig studiert und glossiert, einen Enthusiasmus entwickelt, der selbst dem Grafen manchmal zu stark erschien, und sich mit jedem Tag unauflöslicher in das Netz verstrickt, das die Schönheit und mehr noch die undefinierbare weibliche Anmut Adelens über sein thörichtes Herz warf.
Merkwürdigerweise hatte der Graf seinen Gast während der letzten Zeit wenig in Anspruch genommen. Authenried schien sich in seinem Mitteilungsdrange erschöpft zu haben. Vielleicht auch fürchtete er, einen so schätzbaren und verständnisvollen Gesinnungsgenossen durch Uebertreibung sich abspenstig zu machen. Somsdorff hatte doch jedenfalls noch andere Interessen, die Pflege und Nahrung verlangten: er selbst, Graf Authenried, empfand ja zuweilen eine Art Ueberdruß, der ihn veranlaßte, das Bibliothekzimmer und die Sammlungsräume grundsätzlich wochenlang zu meiden, sich Ferien zu gönnen, wie er sich ausdrückte, und diese Ferien in derber Genußfreudigkeit auszunützen. Mochte der junge Mann daher bummeln, während Graf Authenried jetzt nach der Kreisstadt fuhr! Mochte er unter den großen Ulmen des Parks seine türkische Cigarette rauchen, mit Josefa Ball spielen, mit Adele über Händel und Bach schwatzen und sich ein wenig die Flügel bei ihr verbrennen!
Graf Authenried mußte in der Betonung der Worte »Adieu, lieber Somsdorff!« etwas von diesem letzten Gedanken, vielleicht unwissentlich, ausgedrückt haben; denn [11] Somsdorff fühlte sich, wie er sie jetzt in sich nachklingen ließ, unbehaglich, nagte ein wenig die Lippen und warf der Gräfin, die sich just mit Josefa beschäftigte, einen forschenden Blick zu. Hielt ihn dieser unbegreifliche Mensch mit der kalt berechnenden Stirn und dem gutmütig scheinenden Lächeln für so ungefährlich, daß er ihn gleichsam einlud, einen Sturm zu versuchen? Oder war er seiner Gemahlin so absolut sicher? Wie standen die zwei überhaupt? Graf Gerold zählte kaum vierzig Jahre; Adele war im April vierundzwanzig geworden. Bei dem stattlichen, frischen, eigentlich auch ganz sympathischen Aeußern des Grafen konnte daher von einem Mißverhältnis in dieser Beziehung durchaus nicht die Rede sein. Im Verkehr mit Adele war er wohl nicht gerade herzlich, aber doch ebenso wenig schroff oder unfreundlich. Daß Ehemänner nicht recht zu würdigen scheinen, welch einen köstlichen Schatz sie in ihrer Gattin besitzen, das gehörte zu den Alltäglichkeiten. Vielleicht spielte Graf Authenried die Rolle des Gleichgültigen nur der Welt gegenüber? …
Leo von Somsdorff beschloß, bei nächster Gelegenheit über diese gewichtigen Fragen ins klare zu kommen. Adele hatte ihm während der kurzen Zeit seiner Anwesenheit so viel Vertrauen entgegengebracht, daß er eine diskrete Andeutung wohl riskieren konnte, um so mehr, als er bis jetzt ja mit keiner Miene aus der für zweckentsprechend erkannten Rolle ehrlicher, wunschloser Freundschaft herausgetreten war, ihr nicht einmal bei der ersten Begrüßung die Hand geküßt oder sie sonst mit auffälligen Galanterieen umgeben hatte. Vielleicht that es ihr wohl, nach Jahren des Duldens und Schweigens einmal ihr bekümmertes Herz auszuschütten. Daß dieses Herz heimlich bekümmert [12] war, obschon er die Ursache nicht mit Bestimmtheit enträtseln konnte, das ließ er sich durch alles, was etwa dagegen sprach, nicht wegdemonstrieren. Für die nötige Stimmung zur Beichte wollte er sorgen. Hatte die Stimmung ihr Werk gethan, waren die Worte gefallen, die ihn zum Mitwisser ihrer Geheimnisse machten, dann wurde aus dem selbstlosen Freund im Handumdrehen der zärtliche Tröster, dem sich die Schluchzende blindlings zu eigen gab.
»Miß Harriet,« klang jetzt die Stimme Adelens, »drücken Sie auf die Klingel! Bitte, zweimal!«
In der Thüre erschien das Kammermädchen.
»Frida, den Gartenhut für die Kleine! Miß Harriet, ich überlasse Sie heut Ihrem Schicksal! Sie werden nicht böse sein, den Vormittag mit Ihrem Homer zu verbringen! Sie liest nämlich seit einigen Tagen die Ilias …«
»In der Ursprache?« fragte Leo von Somsdorff.
» Oh, no! « stammelte Harriet errötend. »In deutsch.«
»Sind Sie bereit?« wandte die Gräfin sich freundlich zu ihrem Gast. »Das Wetter ist herrlich, – ein Frühlingstag. … Ich begreife uns nicht, daß wir nicht gleich den Thee auf der Veranda genommen …«
»Es waren nur dreizehn Grad,« sagte die Engländerin. »Unsre Josefa möchte sich doch wohl erkältet haben. Augenblicklich bei fünfzehn ordne ich an …«
Gräfin Adele trat in die prächtige Vorhalle, die nach dem Park führte. Sie warf einen Blick auf das Thermometer.
»Kaum glaublich, wie schnell die Temperatur jetzt steigt!« sprach sie zu Herrn von Somsdorff. »Der Nachmittag wird sogar heiß werden. Kommen Sie!«
Ihr Kind bei der Hand fassend, schritt sie die aristokratisch [13] breiten Marmorstufen der großen Freitreppe hinunter, langsam und königlich, und dennoch in jeder Linie schwellende, hingebungsvolle Weichheit, mädchenhaft liebliche Unbewußtheit. Es lag wirklich etwas Madonnenhaftes in ihrer Art – nur ohne das Ewig-Ueberirdische, das wir sonst wohl mit diesem Begriff zu verbinden gewohnt sind. Das lichtblaue Sergekleid, der große, bändergeschmückte Strohhut, das glatte, schwer-goldene Armband über dem dänischen Handschuh, der hellrot gefütterte Atlasschirm, den sie von Zeit zu Zeit hin und her drehte, – das alles verlieh ihr einen bestrickenden Hauch von weltlicher Eleganz, von Freude am Schönen, man hätte fast sagen mögen: von lockender, frauenhafter Gefallsucht.
Leo von Somsdorff war vor Entzücken außer sich. Ach, und wie sie sich jetzt zu dem plaudernden Kind neigte und ihm Antwort gab, während die sammetschwarzen, oft so nachdenklich melancholischen Augen vor Mutterglück leuchteten! Wie schön sie war und wie gut, wie hold und begehrenswert!
Fünf Minuten lang ging er so neben ihr her, keines Wortes mächtig. Man schritt an dem großen Teiche vorüber, in dessen Mitte ein armsdicker Strahl haushoch emporsprang. Der Morgenwind trieb einen leisen Sprühregen über die Wasserfläche; die Maisonne warf in die stiebenden Tropfen ihr Licht; ein Regenbogen malte sich traumhaft gegen das Grün der Platanen. Josefa jubelte. Sie zeigte nicht übel Lust, sich von der schützenden Hand der Mama zu lösen und näher zur Balustrade zu treten. Die Gräfin jedoch hielt sie fest, warnte sie vor der Nixe, die allzudreiste Kinder hinabziehe, erinnerte sie an die Geschichte vom Sturmvogel, die Miß Harriet jüngst mit so grausiger Anschaulichkeit [14] erzählt hatte, und erhielt das Versprechen, die Kleine werde sich nie an die Brüstung heranwagen.
Leo von Somsdorff hörte das schweigend mit an, hatte auch keinen Blick für das Blütenmeer, das sich jetzt von beiden Seiten aufthat, für die Pracht der Syringen, die Knospenfülle des Rotdorns, die duftige Anmut der kaum erschlossenen Akazien, sondern lauschte nur immerzu dem Klang dieser wonnigen Frauenstimme, bis ihm die Gräfin, als man das Parkthor erreicht hatte, durch einen scherzhaften Vorwurf seine Wortkargheit zum Bewußtsein brachte.
»Verzeihen Sie,« bat er; »ich hörte eifrig mit zu. Was ist das für eine Geschichte vom Sturmvogel?«
»Eine sehr ernsthafte,« sagte die Gräfin mit einem Seitenblick auf Josefa. »Nicht wahr, Kleinchen? Erzähl' sie doch mal!«
»Ach, jetzt …!« schmollte das Kind mit einem flehenden Augenaufschlag. »Ich möchte jetzt Blumen pflücken …«
»Nun, wie du willst! Aber such' nur die schönsten, und rauf' mir nicht gleich so die halbe Wiese hinweg! Nein, weiter links! An dem Bach dort holst du dir nasse Füße!«
Josefa sprang eilends davon.
»Es ist nichts mit dem Sturmvogel,« sagte die Gräfin, als nun das Kind außer Hörweite war. »Eine Historie zum Abschrecken, so gut und so schlecht, als hundert andre. Ich glaube, Miß Harriet, die treue Seele, hat sich das Märchen aus eigner Kraft konstruiert, denn es paßt wie angegossen auf unsre lokalen Verhältnisse, – hier auf den Teich mit den steinernen Balustraden, dort auf den Fluß. Merkwürdig, daß Josefa so viel Sympathie fürs Wasser zeigt.«
»Vielleicht nur deshalb, weil man sie gar zu fern davon hält. Ich sah auf dem Teiche, der doch groß genug dazu wäre, keinerlei Fahrzeug. Weshalb läßt man die Kleine nicht gondeln?«
»Um Gottes willen!«
»Frau Gräfin scheinen über Gebühr ängstlich. Was soll passieren, wenn der Bediente rudert, und Sie selbst oder die Gouvernante das Kind neben sich halten?«
»Die Gouvernante schon gar nicht!«
»Mißtrauen Sie ihr?«
»Gewiß nicht. Aber der Zufall, das Schicksal kann wollen … mir schaudert, wenn ich nur daran denke!«
»Sie lieben das Kind sehr?« fragte Somsdorff nach einer Pause.
»Bin ich nicht seine Mutter?«
»Ich habe mich unrichtig ausgedrückt. Ich meine: Ihr Verhältnis zu Ihrem Töchterchen ist ein außergewöhnlich inniges?«
»Das Kind ist mein Alles!« fuhr Adele heraus. »Warum fragen Sie mich?«
»Ich frage, weil … weil es mich lebhaft interessiert. Sie müssen gemerkt haben, daß ich … an Ihrer Familie den regsten Anteil nehme. Insbesondere fühl' ich für Sie, Frau Gräfin, eine … wie soll ich mich ausdrücken? … eine heißbewundernde Sympathie, eine Freundschaft …«
»Die Freundschaft nehme ich dankend an,« versetzte sie ruhig. »Seien wir offen und klar, Herr von Somsdorff. Ich halte Sie für zu ehrlich und zu gescheit, als daß ich Ihnen die Ungereimtheit zutrauen sollte, mir von Freundschaft zu reden, während Sie thatsächlich nur von der Absicht beseelt wären, sogenannte psychologische Studien [16] zu machen, Ihre Erfahrungen zu bereichern oder sich gar über die Gläubigkeit eines schutzlosen Frauengemüts lustig zu machen. Soll ich in dieser Meinung nicht wankend werden, so lassen Sie ein für allemal Artigkeiten, die einer Mißdeutung fähig wären. Auf heißbewundernde Sympathie mach' ich durchaus keinen Anspruch!«
»Verzeihung, Frau Gräfin!« stammelte Somsdorff, mehr noch durch den Ausdruck ihrer ernststrafenden Züge verwirrt, als durch die Worte selbst, die sie mit großer Eintönigkeit vorgebracht hatte. »Nichts lag mir ferner, als Sie verletzen zu wollen. Auch die Freundschaft hat ihre Stunden der Ueberschwenglichkeit …«
»Für Ueberschwenglichkeiten bin ich zu alt.«
Er mußte lachen.
»Wirklich?« fragte er in dem Tone des Mannes, der einer harmlosen Koketterie auf der Spur ist.
»Ja, wirklich! Das Alter hängt nicht lediglich von den Jahren ab.«
»Sondern? …«
»Sondern von dem, was man erlebt.«
»Aber Sie haben mir vorgestern Ihre ganze Biographie erzählt …«
»Habe ich das? Vielleicht war's eine Thorheit … Was soll's damit?«
»Diese Biographie – ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn mein Freimut Sie wieder verletzen sollte – diese Biographie enthielt, offen gestanden, so gar nichts Abnormes …«
»Finden Sie?«
»Ja, Frau Gräfin! Selbst der launige Streich, den Sie im Reißnerschen Pensionat Ihrem Präzeptor spielten, [17] kann doch unmöglich die innre Entwicklung Ihres Gemüts so beschleunigt haben … Dann kamen die musikalischen Schwärmereien, das Autographensammeln, die Begeisterung für litterarische Tagesgrößen, die ersten Bälle – und schließlich die Huldigungen, die der Herr Graf Ihnen erwies. Die Herzen fanden sich, Graf Authenried warb um Sie, Ihr Papa fühlte sich ein wenig geschmeichelt – selbst der reichste, unabhängigste Kaufherr, wenn er bürgerlich ist, hat diese begreifliche Schwäche – Sie aber dachten nur an die edle, charaktervolle Persönlichkeit …«
»Herr von Somsdorff, Sie persiflieren mich!«
»Keineswegs! Ich stelle nur fest, daß nichts in Ihrem Leben, so weit Sie es mir enthüllt haben, zu der Meinung berechtigt …«
Ein plötzlicher Aufschrei der kleinen Josefa unterbrach ihn mitten im Satze. Das Kind war, Blumen suchend und Schmetterlinge verfolgend, eine Strecke vorangeeilt und stand jetzt, das Köpfchen mit dem breitkrämpigen Strohhut nach vorn gebeugt, die Händchen, deren linkes den Strauß hielt, weit von sich abgestreckt, starr in der Furche des Waldwegs. Nur wenige Schritte noch vor der Kleinen entfernt stutzte da ein gewaltiger Hirsch, – augenscheinlich eines der zahmen Fahrtiere, die Serenissimus, dessen Gehege ganz in der Nähe lag, ab und zu vor den kleinen Rokoko-Wagen spannte; denn trotz der schon vorgerückten Jahreszeit prangte der Hirsch im vollen Schmuck seines Geweihes. Die fürstlichen Hirsch-Wallache, vier an der Zahl, galten sonst für durchaus ungefährlich. Dieser Flüchtling jedoch, der, Gott weiß von welchem Einfall getrieben, die Umzäunung durchbrochen hatte, befand sich offenbar im Zustand einer bedrohlichen Aufregung. Er blähte die Nüstern und senkte das [18] Haupt mit der furchtbaren Angriffswaffe schnaubend zum Vorstoß.
Gräfin Adele taumelte. Fünf Sekunden noch, und das Kind war verloren. In diesem flüchtigen Zeitraum lebte sie das Entsetzliche, zu einer Ewigkeit ausgesponnen, Scene für Scene durch: von dem Augenblick, da sich das tollgewordene Tier mordend über den wehrlosen Engel herwarf, bis zu dem letzten Abschied an der gähnenden, sonnenlichtüberfluteten Gruft. Trotzdem war die Verzweifelte nicht im stande, einen Finger zu rühren. Die zuckende Schulter an den Stamm einer Buche gelehnt, stierte sie mit der hilflosen Ohnmacht des Vogels, dem sich die Schlange nähert, unter den Wimpern hervor, lautlos, kaum eines Seufzers fähig.
Leo von Somsdorff jedoch, bei aller Erregbarkeit seines Temperamentes ein Mann, dem die Gefahr nie die Besonnenheit raubte, stürzte alsbald vor. Er selbst wußte nicht, was ihn trieb. Vielleicht nur der selbstlose, instinktive Drang, der uns alle beseelt, wo es die Rettung eines bedrohten Lebens gilt; vielleicht auch der Wunsch, Adelen durch die That zu beweisen, daß ihm für sie kein Opfer zu groß sei; vielleicht sogar das weltlich schnöde Bedürfnis, da heroisch und mannhaft zu scheinen, wo er bis jetzt nur in zaghafter Scheu gegirrt und geschmeichelt hatte. Jedenfalls sprang er mit verblüffender Energie auf das Tier los und versetzte ihm, just wie es vordrang, mit dem knorrigen Griffe des Jagdstocks einen furchtbaren Hieb quer über die Augen.
Die Folge war, daß der Hirsch zwar das Kind verfehlte, aber nun dem verwegenen Angreifer, der nicht rasch genug ausweichen konnte, das scharfe Geweih tief in den Arm und die Hüfte stieß. Gleich danach krachte ein [19] Schuß. Mitten aufs Blatt getroffen, brach das wütende Untier zusammen, im Sturz noch die blutüberströmten Wunden Somsdorffs grausam vergrößernd. Die Forstleute erst, die aus dem Gehölz traten, befreiten den halb schon Bewußtlosen von der zerfleischenden Last, die schwer über ihm lag.
Gräfin Adele hatte ihr Kind mit einem wildleidenschaftlichen Jauchzen an sich gedrückt. Nun stand sie, bleich vor Entsetzen, neben dem Retter, dem die beiden fürstlichen Waldhüter den Notverband anlegten. Holzarbeiter, die in der Nähe beschäftigt waren, kamen hinzu. Die Leiter eines noch unbeladenen Wagens wurde mit Hilfe einiger Säcke und rasch aus der Erde gestochener Moosballen zur Tragbahre umgewandelt.
»Herr von Somsdorff, wie fühlen Sie sich?« raunte Adele, als sich der traurige Zug in Bewegung gesetzt hatte.
Er sah matt lächelnd zu ihr empor, ohne etwas zu erwidern.
»O Gott, o Gott!« schluchzte die Gräfin. »Wie soll ich Ihnen das jemals vergelten? Josefa, küsse dem guten, herrlichen Mann da die Hand! Bete für ihn! Er ist dein Schutzgeist gewesen. Er hat sich für dich und deine Mama geopfert!«
»Wenn Euer Gnaden die Freundlichkeit hätten, jede Aufregung zu vermeiden,« sagte der ältere von den Waldhütern, der nämliche, der den erlösenden Schuß gethan. »Ich meine nur so: das thut nicht gut bei dem Blutverlust …«
»Ich danke Ihnen! Gewiß, wir sprechen kein Wort mehr! Komm, Josefa! Halte dich still! So! Herr von Somsdorff muß Ruhe haben.«
Und lautlos schritten die vier Männer mit ihrer seufzenden Last durch den Park, an dem nämlichen Teich und [20] der nämlichen Balustrade vorüber, wo noch vor kurzem die Gräfin so harmlos mit ihrem Kinde geplaudert hatte, die Treppe hinauf nach dem großen Verandasalon, während der Kutscher, den man bereits durch den Gärtner benachrichtigt hatte, den leichten Phaethon, Gräfin Adelens Lieblingswagen, mit zwei Vollblutfüchsen bespannte, um drüben in Hoyersbrück den Landarzt zu holen.
Doktor Michalsky, ein stattlicher Mann in den Vierzigern , trat aus dem Krankenzimmer und begab sich schräg über den Korridor in das kleine Gemach, wo Gräfin Adele, ihr Kind fest an sich gepreßt, voll bangender Ungeduld auf ihn wartete.
»Ich denke, er wird's überstehen,« sagte er ruhig, während er neben der Gräfin Platz nahm. »Die Wunden sind schwer, aber nicht lebensgefährlich. Der Hüftknochen ist scharf gestreift, die Knochenhaut etwa zollbreit zerstört. Von Bruch oder Splitterung hab' ich nichts wahrgenommen. Auch die Verletzung des Oberarms beschränkt sich auf eine tüchtige Fleischwunde, während der Unterarm nur gequetscht ist. Wenn nicht Komplikationen eintreten, hoff' ich in drei oder vier Wochen …«
»Komplikationen?« fiel ihm Adele ins Wort. »Wie meinen Sie das? Welcher Art könnten die sein?«
»Ja, mein Gott, bei solchen Verwundungen ist gar mancherlei denkbar. Da kann Rose hinzutreten, Pyämie, Verjauchung, selbst Starrkrampf. Die Hauptsache ist eine sorgsame Ueberwachung der Pflege, und ängstliche Desinfektion. Was in letzterer Beziehung vorläufig geschehen [21] konnte, hab' ich gethan. Heute abend um neun Uhr komm' ich wieder. Frau Gräfin haben wohl die Geneigtheit, mich holen zu lassen; der Weg ist weit, und mein ehrlicher Schimmel braucht noch einmal so lang, als Ihre Prachtfüchse.«
»Selbstverständlich!« sagte die Gräfin erregt. »Punkt acht Uhr hält der Wagen vor Ihrem Hause. Uebrigens fällt mir da ein: sieben Uhr fünfzig kommt ja der Zug von Zeschau, mit dem mein Mann zurückkehrt. Ich schicke den Landauer an die Bahn und bitte den Grafen, Sie mitzubringen. Sie setzen ihm dann wohl gleich auseinander, was sich ereignet hat. So ersparen Sie mir die Notwendigkeit, all diese Einzelheiten noch einmal durchzusprechen. Ich schaudere, wenn ich nur daran denke.«
»Das begreift sich,« versetzte der Arzt. »Frau Gräfin sehen wirklich erschöpft aus. Essen Sie was – eine Kleinigkeit – und trinken Sie ein Glas Portwein! Man muß sich zwingen, Frau Gräfin! Na, und die kleine Komteß? Wie geht's denn, Püppchen? Gib mal die Hand! Wir scheinen uns, Gott sei Dank, rascher zu fassen, als die Mama. Das glückliche Vorrecht der Kindheit!«
Er nahm seinen Hut vom Teppich.
»Also, es bleibt dabei,« sagte er aufstehend, »Ihr Herr Gemahl holt mich ab. Morgen bin ich ohnedies in der Nähe; dann sehen wir weiter. Apropos: wünschen Sie eine Pflegerin?«
»Für die Besorgung der Wunden?«
»Nein. Die Verbände rührt niemand an, als ich selbst. Aber fürs übrige. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich in der Nacht Fieber einstellt. Ich glaube, Herr von Somsdorff wird ein ungeduldiger, schwer zu behandelnder Patient sein. Jedenfalls muß bis auf weiteres bei ihm gewacht werden …«
»O, dann ist die Pflegerin überflüssig,« sagte die Gräfin mit herzentquellender Wärme. »Es versteht sich von selbst, daß ich dies Amt übernehme …«
»Wenn Sie glauben, daß Ihre Kraft ausreicht …«
»Sie wird und sie muß ausreichen! Bitte, sagen Sie nur, was alles zu thun ist! So kann ich doch einen Teil meiner Schuld an den Retter meines geliebten Kindes abtragen!«
»Ich habe den Diener, der ja ein ganz verständiger Mensch ist, gut instruiert, – zum Ueberfluß ihm auch die wichtigsten Punkte aufgeschrieben …«
»Ich danke Ihnen. Karl ist in der That ein sehr anstelliger Kopf, der mich im Notfall schon ablösen wird. Und Frida, mein Kammermädchen! Sie sehen, wir haben hier Personal genug …«
»Und Miß Harriet!« rief die kleine Josefa.
Die Gräfin lächelte.
»Auf die zählen wir nicht!«
»Vielleicht mit Unrecht,« meinte der Arzt.
»Nein, nein! Ich kenne sie besser. Nicht, daß meine vortreffliche Harriet kein Mitgefühl hätte. Aber der Takt, der unerbittliche Takt … Sie verstehen mich!«
Doktor Michalsky zog die mächtige Stirn hoch und zuckte die Schultern.
»Dagegen ist nichts zu wollen,« sagte er spöttisch. »Gnädige Gräfin, ich habe die Ehre! Adieu, Komteßchen! Ja keinen Lärm machen! Ich glaube, er schläft!«
Der blinkende Hochradwagen mit den zwei goldroten Prachtrennern führte den Arzt pfeilschnell dahin, während Adele, das Töchterchen zärtlich umfangend, noch immer wie halb gelähmt in den Polstern des Sessels lag, wo sie den kurzen Bericht Michalskys entgegengenommen hatte. So [23] verharrte sie wohl eine Stunde lang. In der That, Leo von Somsdorff schlief; Karl, der Diener, saß bei ihm und hatte noch immer nicht auf die Klingel gedrückt, zum größten Verdruß der Zofe, die nach Verwindung des ersten Schrecks geradezu darauf brannte, sich an der Lagerstatt des Verwundeten nützlich zu machen.
Als Leo sich regte, begab sich Adele, von Frida begleitet, ins Krankenzimmer, während Miß Harriet die kleine Josefa nach der Veranda führte. Das heiße Dankgefühl ihres Herzens nicht mehr in Worte kleidend, fragte die Gräfin mit ruhiger Milde, ob der Patient einen Wunsch habe.
Leo verneinte. Er hatte die Augen nur halb geöffnet. Die Lippen bewegten sich kaum; er bot den Anblick traurigster Hinfälligkeit.
Gleich danach verlangte er Wasser.
Der Diener füllte aus der jetzt eben hereingebrachten taubeschlagnen Flasche ein Glas, mischte ein Viertel Fruchtsaft darunter und überließ es der Gräfin, den Dürstenden zu erquicken. Mit der einfachen Sicherheit einer barmherzigen Schwester hob sie dem Todmüden das Haupt und hielt ihm den Trank an die Lippen, den er begierig hinabsog. Dann strich sie ihm sorglich die Kissen zurecht, ohne ihn zu erschüttern, sanft und gewandt, als hätte sie jahrelang diese Obliegenheiten geübt, gab der Zofe die Weisung, im Nebenzimmer ein Fenster zu öffnen, so daß die warme, erquickende Mailuft in köstlichen Wellen durch die portierenverhangene Thür strömte, und ließ sich dann von dem Diener das Blatt mit den Notizen des Arztes zeigen.
»Sie können jetzt gehen, Karl,« sagte sie endlich. »Sehen Sie zu, daß Sie ein paar Stunden vorweg schlafen. [24] Diese Nacht müssen Sie Wache halten. In der folgenden lös' ich Sie ab, ich und Frida. Für heute abend bestellen Sie ein Gedeck mehr. Sie wissen, um neun kommt der Arzt. Miß Harriet lasse ich bitten, weitab in den Garten zu gehen, und dann später ins kleine Eckzimmer; die Veranda muß frei bleiben, man hört hier sonst jedes Wort! Ueberhaupt: allen im Hause empfehlen Sie Ruhe an, peinlichste Ruhe! Der Koch soll die Fenster schließen, der Gärtner den Springbrunnen abstellen …«
Der Diener verneigte sich.
»Gnädige Gräfin sprechen zu keinem Unverständigen. Als ich noch in Stroßhaida bei den Dragonern stand, lag der Herr Rittmeister, mein vortrefflicher Herr, volle sechs Wochen in Lebensgefahr – ein Schuß in die Lunge – und ich allein hab' ihn gepflegt mit dem gnädigen Fräulein, der Schwester nämlich, was aber nur so ganz nebenher war; denn sehr lange hielt sie's nicht aus, und bekam schließlich Migräne und Rückenschmerz. Ich kenn' die Geschichte, und wie's da förmlich an einem Haar hängt. Will's den Leuten schon eintrichtern, besonders dem Koch, der wirklich thut, als wär' er mit seinen Kasserollen und Löffeln allein im Haus.«
»Ich verlass' mich auf Sie.«
»Aber was ich bemerken wollte: die gnädige Gräfin müssen doch auch gewissermaßen an Ihre eigene werte Person denken. Wie Frida sagt, haben Frau Gräfin noch nicht gespeist. Es ist ja wahr, bei solchen Entsetzlichkeiten vergißt man Gott und die Welt, geschweige denn das Diner. Der Koch ist natürlich wütend, der jungen Erbsen wegen, auf die er so protzt, und weil er die Zunge selbst eingepökelt hat; von seinen Hähnchen gar nicht zu reden. Mir [25] kann's ja gleich sein, denn ich stehe nicht sehr mit dem François. Aber wenn die Frau Gräfin befehlen, könnt' ich denn doch eine Kleinigkeit …«
Adele sah nach der Uhr.
»Wahrhaftig, schon beinahe vier! Ich ahnte das nicht. Sie haben recht, Karl! Miß Harriet soll mit der Kleinen zu Tisch gehen. Mir bringen Sie eine Tasse Bouillon. Nichts weiter! Höchstens dann später vielleicht den Kaffee.«
»Und Frida?« murmelte Karl mit einem fürsorglichen Blick auf das Kammermädchen.
»Frida kann ja gleich mit Ihnen gehen. Sobald sie gegessen hat, kommt sie zurück.«
Die beiden entfernten sich. Adele trat leise an die Portiere und sah nach der Bettstatt, wo Leo, die Augen geschlossen, wieder entschlummert schien. Sie seufzte tief, schlich dann bedächtig zum Fenster und sah eine Weile hinaus nach dem Teich, wo noch der armsdicke Wasserstrahl rauschend gen Himmel stieg, bis er dann plötzlich in sich zusammenbrach und verstummte. Die ganze lichtüberströmte Natur da draußen schien dies Verstummen mit zu empfinden. Alles veränderte sich, alles verlor gleichsam die Seele. So mußte es sein, wenn ein teures, leidenschaftlich geliebtes Leben, dessen beglückende Gegenwart man bis dahin als selbstverständlich betrachtet, dessen Verlust man nie für möglich gehalten hat, plötzlich erlosch.
Adele zitterte. Ach, um ein Haar wäre das unermeßliche Weh, das sich ihr jetzt hier nur symbolisch darstellte, ja in Wahrheit ihr Schicksal gewesen! Die kleine, süße, blonde Josefa! Ihr Ein und Alles! Der Angelpunkt ihres Daseins!
Noch nie hatte die Gräfin mit so erschöpfender Klarheit gefühlt, was sie in diesem Kinde besaß.
Die Stirn wider den Fensterrahmen gepreßt, überließ sie sich einer verzweifelten Selbstschau.
Mit dem üblichen Maßstabe einer weiblichen Existenz gemessen, war ihr Dasein von Grund aus verfehlt.
Die Ehe mit Gerold von Authenried glich einer Wüstenei. Das siebzehnjährige Mädchen, von den Verwandten gedrängt, selbst ein wenig bestochen durch allerlei Aeußerlichkeiten und fest überzeugt, daß Gerold sie anbete, hatte sich übereilt.
Zu spät mußte sie die Entdeckung machen, daß die liebenswürdige Art, mit der Graf Authenried sich ihr angepaßt, ihre kleinen Phantastereien genährt, ihren harmlosen Eitelkeiten geschmeichelt hatte, ebenso Maske war, wie der Ausdruck von Bonhomie, der alle Menschen so lange über den wahren Kern dieses Charakters täuschte, bis ein entscheidender Augenblick die sympathische Hülle hinwegschob.
Gerold war überhaupt der Liebe nicht fähig. Kalte Berechnung, herzloser, grausamer Egoismus, starre Gemütlosigkeit – das waren die Grundzüge seines Wesens. Der überschwengliche Bräutigam hatte sich nach der Hochzeit fast ohne Uebergang in den frostigen Mann verwandelt, der sich selber genug ist, der keines mitfühlenden Herzens bedarf, um des Lebens froh zu werden. Durch gehäufte Beobachtung war Adele zu dem gräßlichen Resultat gelangt, daß sie das Opfer einer elenden Spekulation geworden. Der Graf war, zum Teil wohl infolge der übermäßigen Summen, die er blindlings für seine Sammlung vergeudete, seit Jahren verschuldet: die glänzende Mitgift [27] der reichen Patrizierstochter, die überdies als Universalerbin einer entfernten Verwandten viele Millionen eignen Vermögens besaß, zog ihn mit einem Schlag und für immer aus der Verlegenheit. Und gerade der Wahn, daß der Graf, der ganz allgemein für einen der reichsten Aristokraten galt, nur sie selber begehre und nicht ihre äußeren Glücksgüter, hatte bei dem hundertfältig umworbenen Mädchen den Ausschlag gegeben! Er schien so gut, so ehrlich, so vollständig frei von verletzenden Nebengedanken!
Im übrigen war ja an der Behandlung, die der Graf seiner jungen Frau angedeihen ließ, nichts Ernstliches auszusetzen. Er verstieß nie gegen die Form, wenn sein Gebaren auch reichlich den Eindruck machte, als sei die Höflichkeit, ja der mitunter scherzhafte Ton, den er anschlug, nur die Wirkung einer in Fleisch und Blut übergegangenen guten Erziehung, etwas rein Mechanisches ohne Sinn und Gefühl. Niemand im ganzen Schloß ahnte denn auch, wie schmerzlich Adele unter dem Druck dieser inneren Beziehungslosigkeit litt, wie schwer sie mit ihrer eigenen Mißstimmung kämpfte, wie oft sie einen gewaltsamen Anlauf nahm, sich der Lüge zu zeihen, ihren Gemahl vor der Anklage, die doch so zweifellos war, zu entschuldigen und durch Güte und Freundlichkeit das zu erobern, was ihr mit jedem Jahr mehr zu entschwinden drohte: die menschliche Teilnahme Gerolds an ihrem Geschick und an dem ihres Kindes. Alles umsonst. Ihre Sanftmut, ihr stummes, geduldiges Werben glitt an ihm ab, wie das Wasser am Pelze des Eisbären. Er merkte wohl gar nicht, wie sich die Trauernde mühte; vielleicht auch ward ihr Bestreben wirkungslos durch die geheime Verachtung, die immer und immer wieder in ihrem Herzen emporquoll und [28] manches Wort minder versöhnlich färbte, als sie es wünschen mochte.
Den Blick auf die Fläche des Teiches geheftet, der jetzt glatt wie ein Spiegel die ganze Vegetation und den tiefblauen Himmel zurückwarf, forschte Adele gramerfüllt in dem Buch dieser zahlreichen mißglückten Versuche, die sie ja freilich seit vielen Jahren schon eingestellt hatte. Längst war sie an die Unabwendbarkeit ihres Schicksals gewöhnt. Ja, es schien, als hätte sie sich halbwege damit zurechtgefunden. Ihr Kind, ihr süßes, angebetetes Kind ersetzte ihr, was ihr das Leben sonst an Herzensfreude und Glück versagt hatte. Josefa war ihr Gedanke bei Tag und bei Nacht. Dies liebe Geschöpf gegen alle Rauheiten des Daseins zu schirmen, seine Erziehung ängstlich zu überwachen, sein Herz mit allen Banden der Zärtlichkeit an sich zu fesseln: das galt ihr für den alleinigen Zweck ihres Lebens. Ernster und strenger, als dies sonst wohl zu ihrer Jugend gepaßt hätte, arbeitete Gräfin Adele an ihrem eignen Charakter, stets im Hinblick auf dieses geheiligte Ziel. Sie wußte, daß der unmittelbare Eindruck des Beispiels kräftiger wirkt, als die Schattenhaftigkeit noch so häufig gepredigter Lehren; sie ahnte etwas von dem machtvollen Nachahmungstriebe der Kindheit auch im Gebiete des Fühlens und Anschauens.
Und jetzt, wie sie so dastand im Bewußtsein der kaum überwundnen Gefahr, wiederholte sie sich das Gelübde, ihrem Kind eine Mutter zu sein, deren geheimste Gedanken in die schuldlose Seele des Lieblings einströmen dürften, ohne sie zu entweihen. Kein Groll gegen das Schicksal, keine Mißstimmung gegen den Mann, der sie so wenig begriff, sollte in ihrer Brust mehr Raum finden. [29] War sie nicht glücklich trotz alledem? Füllte das Kind sie nicht vollständig aus? Und mußte nicht der Gedanke, daß sie in Demut und Schweigsamkeit ihre Pflicht that, die heitere Klarheit, die sie Josefas halber so manchmal erkünstelt hatte, allgemach in Natur verwandeln? Ja, es gab einen Frieden, der höher und herrlicher war denn alle Vernunft, eine Gleichmäßigkeit des Empfindens, dem selbst die Bitternis langer, trüber Erfahrungen nichts mehr anhaben konnte.
Sie schloß die Hände wie zum Gebet. Tiefträumerisch regten sich ihre Lippen. So völlig war sie versunken, daß sie jählings zusammenschrak, als der Verwundete jetzt leise zu stöhnen begann. Eilig huschte sie über die Schwelle und beugte sich vor, um zu lauschen. Somsdorff beruhigte sich wieder. Er schlief noch. Aber sein Antlitz, das bis vor kurzem noch bleich und blutlos gewesen war, hatte sich merklich gerötet. Ein Zucken ging um die Augen; die Hand des unbeschädigten Armes, der auf der Decke lag, glitt von Zeit zu Zeit knisternd über die schwarzblaue Halbseide.
»Das Wundfieber ist im Anzug!« seufzte Adele. »Gott schütze ihn!«
Sie kam sich vor wie eine Frevlerin, daß sie im Ueberschwang ihrer Mutterliebe auch nur minutenlang mehr an sich selbst und Josefa, als an den Mann gedacht, der sich so hochherzig für die Kleine geopfert hatte. Im Geist bat sie ihn fußfällig um Verzeihung. Wie gern hätte sie diese Hand, die den rettenden Schlag geführt, voll Inbrunst geküßt, wie man die Hand eines Beichtvaters küßt, wenn er dem Beichtkind die Last einer quälenden Schuld von der Seele genommen! Aber da stieg eine Erinnerung vor [30] ihr auf, die sich während der letzten Stunden gleichsam versteckt hatte: das Bewußtsein, daß er von Sympathieen geredet, deren Lebhaftigkeit sie in dieser Form nicht zu dulden gewillt war. Das vertrat ihrem Eifer sofort den Weg. Und sie durfte ja auch seinen Schlaf nicht stören, diese unheimlich dumpfe Rast, die ihr manchmal nur wie die Regungslosigkeit eines tödlich Erschöpften vorkam. Jetzt besonders war ihr zu Sinne, als ob der Verwundete sehe und höre, aber zu schlaff sei, um seine Wimpern zu heben.
Ein lautes Aechzen riß sie aus dieser Betrachtung. Somsdorff hatte den Kopf ein wenig zurückgeworfen; die Züge des sonst so regelmäßig geschnittenen Angesichts waren schmerzlich verzerrt. Dann fiel der Kopf wieder nach vorn. Der Atem des Kranken ging schwer und beklommen.
Adele flößte ihm, mit einer Bewegung der Abwehr gegen die Hilfsbereitschaft der Zofe, ein paar kühlende Tropfen ein.
»Danke!« hauchte er fast unhörbar. Ein müder Blick streifte sie, fahl und bleich wie der letzte Schimmer eines verlöschenden Herbsttages. Dann schloß er die Lider, seufzte und ließ die Stimmung, die ihn beseelen mochte, in einem fast unmerklichen Beben der Mundwinkel ausklingen. Dies herzzerreißende Lächeln rührte die junge Frau fast zu Thränen.
Adele genoß an diesem traurigen Nachmittage kaum einen Bissen. Das Kammermädchen, das nach Verlauf einer Stunde heraufkam, setzte sich mit ihrer Näharbeit in das Krankenzimmer, während die Gräfin im Seitengemach unruhig das Sinken der Sonne und das Wachsen der Schatten über dem Teich verfolgte, ab und zu von dem elfenbeingeschnitzten Regal ein Buch herabnahm, ein paar Zeilen durchflog, ohne zu ahnen, was sie gelesen hatte, und [31] dann wieder auf den Standplatz am Fenster zurückkehrte. Sie meinte, dies Harren und Warten mit dem Blick auf den Park daure nun schon seit Wochen: so oft hatte sie die nämlichen Gegenstände mit rein mechanischer Aufmerksamkeit durchmustert, sich voll Ueberdruß abgewandt und dann von neuem begonnen.
Endlich brach so die Dämmerung herein. Josefa kam scheu an die Thür, um ihrer Mama gute Nacht zu sagen.
Adele küßte sie leidenschaftlich.
»Ehe du einschläfst, bete für unsern Freund!« raunte sie ihr ins Ohr. »Bitte den lieben Gott, daß er ihn bald gesund macht!«
Das Kind nickte.
»Miß Harriet will auch beten,« sprach es nach einer Weile und schmiegte sich zärtlich an seine Mutter.
Man klopfte. Karl trug die Lampe herein und setzte sie auf den Ebenholztisch neben dem Diwan. So fiel nur ein handbreiter Lichtstreifen durch die Portiere, der für die längst feiernde Frida ausreichte, den Verwundeten zu beobachten.
Nun rollte der Wagen vor. Adele erhob sich, um ihrem Gemahl und dem Landarzt entgegenzugehen.
»Schöne Geschichten!« sagte der Graf, noch eh' er den Gruß Adeles erwidert hatte. »Das ist ja mehr als infam! Ich werde beim Fürsten Verwahrung einlegen! Solch eine Lotterwirtschaft! Aber ein ganzer Kerl ist der Somsdorff, das muß ihm der Neid lassen. Gehn Sie nur, Doktor! Hoffentlich macht sich die Sache! Es wäre doch zu fatal, wenn er bis Ende Mai nicht wieder flott wäre. Sie wissen, unser Kongreß in Bonn …«
»Daran wird leider wohl nicht zu denken sein,« brummte Michalsky.
»Verwünscht! So muß ich allein fahren! Und Somsdorff – nein, es ist wirklich wie ausgesucht!«
Der Arzt stieg die Treppe hinauf, während die Gräfin ihren Gemahl in den kleinen Salon begleitete, wo er sich keuchend in einen Sessel warf.
»Ein Unglückstag!« stöhnte er, mit dem Taschentuch über die Stirn fahrend. »Erst das Malheur in Zeschau – der größte und beste Teil der Sammlung verkauft – nach England – noch eh' die Auktion beginnt … ich glaube, man braucht sich die augenscheinliche Schwindelei nicht gefallen zu lassen … Dann auf der Rücktour ein Achsenbruch – zwanzig Minuten Verspätung – und nun die Bescherung da mit dem Somsdorff! … Es fehlte jetzt nur, daß dich der Schreck wieder acht Tage rabiat machte, wie damals bei der Erkrankung deiner Mama. Weiß Gott, du siehst aus … fehlt dir etwas? Sprich nur! Ich mach' dir ja keinen Vorwurf!«
»Ich bin etwas angegriffen: aber das geht schon vorüber.«
»Gott sei Dank! An dem einen Patienten hab' ich ja mehr als genug. Nichts regt mich so auf und stört mich so im Verfolg meiner Studien, als der Gedanke: dein Haus ist ein Lazarett. Und für die nächste Zeit hab' ich enorm zu thun. Auf dem Kongreß in Bonn – ich weiß nicht, ob Somsdorff dir schon gesagt hat – na, du interessierst dich zwar nicht dafür …«
»Doch, Gerold. Aber was hast du nur? Du bist so erregt …«
»Das macht der Verdruß über die schändliche Spitzbüberei in Zeschau. Denke dir nur, eine Sammlung mit Prachtstücken ersten Rangs, griechische, römische, altitalienische [33] Seltenheiten vom höchsten Wert – und dieser elende Kniff, der mich einfach beraubt! Denn das alles war mein; ich hätte die Mitbieter unbedingt aus dem Felde geschlagen! Nun, es ist mal geschehen, und da hilft kein Lamento! Ja, du hast recht; ich bin wohl zu ungestüm …«
»Wenn's dich erleichtert, Gerold …«
»Pah, man soll seinen Aerger nicht mit nach Haus schleppen …«
»Was ist das mit dem Kongreß in Bonn?«
»Am sechsten und siebenten Juni tagt dort die Hauptversammlung der Numismatiker, – Deutsche, Franzosen, Engländer, Italiener, tutti quanti ! Leipold in Breslau – weißt du, der alte Herr mit den Blatternarben, den wir im Schwarzwald kennen gelernt – hat mir den Zutritt vermittelt. Infolge eines sehr liebenswürdigen Briefes von Beaulieu-Sarcenet kam mir nun plötzlich der Einfall, auf dem Kongreß einen Vortrag zu halten. Das Material zu dem, was ich plane, liegt mir seit lange vor; aber ich muß nun ergänzen, Belegstellen aufsuchen, ordnen – kurz, es ist eine riesige Arbeit für die beschränkte Zeit, und da heißt's, den Kopf oben behalten! Ich hatte darauf gerechnet, Somsdorff ein wenig heranzuziehen; er hat die unschätzbare Gabe des Ueberblicks; er findet sich schnell zurecht; er hätte mir mancherlei abnehmen können … Das ist nun alles vorbei! Ein wahrer Jammer! Leipold hat mir auch eine Karte für ihn geschickt … ich wollte Somsdorff damit überraschen … Ja wohl! Der Mensch denkt, und Gott lenkt! Wären die Sechzehnender Seiner Fürstlichen Durchlaucht nicht …«
Adele sah ihn mit ihren großen, herrlichen Augen verständnislos an. War's denn zu glauben? Das Kind [34] dieses Mannes hatte vor wenigen Stunden in Todesgefahr geschwebt; ein Freund des Hauses hatte dies Kind unter Preisgebung seiner eignen gesunden Glieder gerettet und lag jetzt droben vielleicht in den letzten Zügen – und Gerold von Authenried sprach mit wachsender Lebhaftigkeit von Beaulieu-Sarcenet, von Leipold in Breslau, von der Idee eines numismatischen Vortrags auf dem Kongreß zu Bonn! Mit keiner Silbe hatte er nach Josefa gefragt; kein Wort des Dankes für die Gnade der Vorsehung war ihm noch über die Lippen gekommen. Sein ganzer Kummer beschränkte sich, wie es schien, auf den Verlust eines erwünschten Helfers und Reisebegleiters.
Die Gräfin verspürte ein eigentümliches Frösteln. Es war, als lege sich ihr eine starre, eiskalte Hand aufs Herz und drücke es langsam und stetig zusammen.
»Willst du dich umkleiden?« fragte sie endlich, da sie im Speisezimmer das Klirren des Tafelgeschirrs hörte.
»Natürlich. Man ist ja verstaubt wie ein Müllerknecht. Das war ja ein Qualm im Coupé …«
»Doktor Michalsky bleibt doch zu Tisch?«
»Ich hab' ihm gesagt, er solle nur gleich übernachten. Morgen in aller Frühe versorgt er dann unsern Patienten und was er hier sonst in der Nähe hat … So spart er zwei Touren. Er war damit einverstanden.«
»Gut. So will ich das Nötige anordnen.«
»Thu' das! Und nicht wahr, sobald die Geschichte da droben in Ordnung ist … Du verstehst mich? Kein langes Erörtern mehr mit dem Doktor! Ich habe seit zwei nichts genossen, außer dem elenden Kaffee im Görlitzer Hof. Ich verkomme vor Hunger!«
Am fünften Juni reiste Graf Gerold nach Bonn, trostlos darüber, daß Leo von Somsdorff ihn nicht begleiten konnte. Die Ausarbeitung des Vortrags hatte den Grafen derart in Anspruch genommen, daß er sogar die abendlichen Spazierritte ins Gehölz unterließ und sich kaum Zeit gönnte, ein paar Worte mit Doktor Michalsky zu reden oder gelegentlich bei dem Patienten selbst Nachfrage zu halten.
Um so treuer und eifriger lag die Gräfin der Pflege ob. Drei Tage lang schwebte der Kranke in Lebensgefahr. Dann schritt die Genesung langsam, aber mit Stetigkeit vorwärts. Just um die nämliche Zeit, da Gerold – wie er an Somsdorff telegraphierte – in Bonn mit Leipold und Beaulieu-Sarcenet eine hochwichtige Privatkonferenz hatte, die ihn bestimmte, den Vortrag über altgriechische Fest- und Gedenkmünzen bis auf weiteres zurückzuziehen (Leipold nämlich hatte das Manuskript durchgesehen und mehrere Lücken entdeckt, die seiner Meinung zufolge erst ausgefüllt werden mußten, wenn die sonst außerordentlich wirksame Arbeit auf der Höhe der Wissenschaft stehn und bei den leider impertinent kritischen Fachleuten widerspruchslos durchschlagen sollte) – just um die nämliche Zeit also gab der Arzt die Erlaubnis, Herrn von Somsdorff nach der Veranda zu schaffen.
Das war kein leichtes Stück Arbeit. Vier Personen mußten zugleich anfassen, um die Chaiselongue, auf die man den Dulder gebettet hatte, wagerecht und möglichst ohne Erschütterung die Treppe hinab ins Parterre zu tragen.
»Man hätte das früher bedenken sollen,« brummte der Arzt beim Anblick des etwas halsbrecherischen Transportes. »Freilich, in so verteufelten Situationen verliert man den Kopf; das ist menschlich. Selbstredend müssen wir jetzt für die Nächte ein Zimmer im Erdgeschoß herrichten.«
»Das ist schon geschehen,« versetzte die Gräfin. »Ich dachte, den kleinen Salon am Ostflügel …«
»Ah, sehr gut! Bequemer kann er's nicht haben! Und nicht wahr, die größte Vorsicht beim Umbetten! Die Wunden sind ja so ziemlich geheilt, dank seiner phänomenalen Konstitution; aber ein einziger Stoß, eine falsche Bewegung kann uns um Tage zurückwerfen.«
Gräfin Adele sorgte dafür, daß nichts geschah, was den glücklichen Fortgang der Rekonvalescenz hätte hindern können. Mit der lächelnden Unerbittlichkeit einer Mutter hielt sie auf strengste Erfüllung aller ärztlichen Vorschriften, oft im Widerspruch mit den Wünschen des jungen Mannes, den zuweilen die Ungeduld heimsuchte, namentlich wenn ihn die Gräfin der Obhut der Dienerschaft überließ. Aber Karl sowohl als die Zofe hatten strikten Befehl, ihm unter keiner Bedingung nachzugeben. Zwanzigmal forderte er Papier und Bleistift, um Briefe oder Notizen zu schreiben, was ihm, da sein linker Arm noch im Verband lag, Schwierigkeiten verursachte, die ihm das Blut nach der Stirn trieben. Einmal hatte er's durchgesetzt, und nicht wieder … Die Schreiberei schien der Gräfin um so vermeidbarer, als die sechs Zeilen, die er mit großer leiblicher und geistiger Mühe niedergekritzelt, einen »Dank an die gütige Fee« enthielten, und zwar in klangvollen, etwas verworrenen Rhythmen, deren zwei letzte Reimworte »Adele« und »Seele« [37] waren. Auch das anhaltende Sprechen verwies sie ihm, und den Eifer, mit dem er zu gestikulieren versuchte, als müsse er die vorübergehende Außerdienststellung des kranken Armes durch verdreifachte Thätigkeit des gesunden wettmachen.
Wenn er so, wohlig und warm zugedeckt, auf der Veranda lag und die köstliche Luft schlürfte, die ihm selbst um die Mittagszeit nicht zu heiß schien, saß Adele oft stundenlang, eine Stickarbeit in der Hand, neben ihm, ohne daß zwischen den beiden ein Wort fiel. Dann wieder that er aus tiefen Gedanken heraus eine plötzliche Frage, erzählte ihr fast ohne Uebergang ein Erlebnis, eine Scene aus seiner Kindheit oder veranlaßte sie zum Plaudern. Manchmal hatte sie auch ein Buch und las ihm zehn Minuten lang vor, den Anfang einer Novelle, etwas von Rosegger, ein paar schwermütig rauschende Klänge aus Geibels »Spätherbstblättern«. Die Augen geschlossen, ein seliges Lächeln auf den geöffneten Lippen, lauschte er, kaum noch atmend; es blieb unentschieden, ob die Poeten mehr Anteil an dieser Verzückung hatten, oder die Vorleserin.
Und dann sprach er wieder, als müßte ihm das Empfangne die Brust zersprengen, wenn er noch stumm bliebe. Es war nicht viel, was er sagte, wohl auch nichts sonderlich Interessantes. Aber die Gräfin lauschte nun eben so andachtsvoll, wie er, wenn sie las, und stellte ihre Betrachtung darüber an, wie seltsam die Stimme des jungen Mannes sich während der Krankheit verändert hatte. Das war nicht mehr die trotzige Fülle stürmischer Leidenschaft, die sie zu Anfang – jetzt ward es ihr klar – beinah' aus jeder Silbe herausgehört hatte. Nein, die Glut war [38] in Milde – sie hätte fast sagen mögen: in kindliche Sanftmut – umgewandelt. Der Klang seines Organs hatte jetzt Modulationen, deren schmeichelnde Art sie fast an Josefa erinnerte. Vielleicht sprach die Dankbarkeit überall in den gleichen herzberauschenden Tönen?
Am neunten Juni wurde Graf Gerold zurückerwartet. Ein Telegramm an Somsdorff, das den Verlauf des Kongresses knapp schilderte und die befremdliche Nachricht enthielt, Gerold habe sich mit Beaulieu-Sarcenet überworfen, bestellte den Wagen auf sieben Uhr fünfzig nach Hoyersbrück.
Somsdorff empfing die Depesche auf seinem gewöhnlichen Ruheplatz zwischen den beiden Verandasäulen. Er hatte jetzt eben mit Hilfe des Dieners gespeist und lag etwas erschöpft in den Kissen, als ihm die Gräfin, bereit, wieder neben ihm Platz zu nehmen, das Telegramm überreichte.
»Ich hab' es auch diesmal geöffnet, der ausdrücklichen Weisung des Arztes gemäß. Sie werden mir Indemnität erteilen.«
»Bitte,« lächelte Somsdorff. »Der Inhalt geht ja eigentlich mehr die Frau Gräfin als mich an.«
»Zum Teil … gewiß. Ich habe auch alles Erforderliche schon angeordnet.«
»Wie immer! Die Liebe, Güte und Fürsorge in Person!«
»Mein Gott,« lachte die Gräfin, »scheint Ihnen das in der That so gütig und fürsorglich, wenn ich dem Kutscher eine Bestellung ausrichte und für den Abend ein Gericht mehr ansetze?«
»Das nicht,« stammelte Somsdorff, die Augen schließend. »Ich weiß nicht, es fiel mir so bei … Wes das Herz [39] voll ist … mir schwebt eben stündlich vor, was Sie an mir thun …«
Die Gräfin errötete.
»Sie wollen mich böse machen oder beschämen,« sagte sie ernsthaft. »Wären Sie mir ein wildfremder, unsympathischer Mensch, ich hätte das gleiche an Ihnen gethan; wenn es denn überhaupt der Rede wert ist. So aber … ein Freund meines Mannes …«
»Nicht Ihr Freund?«
»Auch das … natürlich. Aber ich meine, zunächst … Bitte, lassen wir doch dies Thema, das mich peinvoll daran erinnert, wie sehr ich in Ihrer Schuld bin!«
»Nicht so sehr, als Sie glauben. Was ich that, war völlig naturgemäß – die Eingebung der Minute! Tausend andere hätten dasselbe gethan. Und ferner: im entscheidenden Augenblick dachte ich nur an die Sache. Ich wäre genau so dazwischen gesprungen, wenn es sich um das Kind einer Unbekannten, meinetwegen der ersten besten Landstreicherin, gehandelt hätte. Ich sage das nur, um der Wahrheit die Ehre zu geben; ich will nicht besser, nicht opferwilliger scheinen, als ich es bin! Ach, und ich dächte, Frau Gräfin, Sie wüßten das ohnedies! Nur der blanke Instinkt macht uns Männer gegebenen Falls zum Beschirmer der Schwäche. Die scheinbar mutige That folgt da unmittelbar auf die Wahrnehmung, wie dem Blitze der Donner folgt, ohne daß Pflicht und Moral irgend ins Spiel kämen. Sie aber, teure Freundin, haben mich wochenlang mit der beglückenden Atmosphäre Ihrer Geduld, Ihrer Wachsamkeit, Ihrer Milde umgeben, ohne je zu ermüden, ohne sich je zu sagen: ›Der Mensch da konnte doch eben so gut im Spital genesen!‹«
»Herr von Somsdorff …«
»Sie haben sich die entzückenden Frühlingstage zur Pein gemacht,« fuhr er mit großer Lebhaftigkeit fort, ohne sich durch die Gebärde der Abwehr beirren zu lassen. »Sie haben ausgeharrt wie ein Engel.«
»Ich verbiete Ihnen, kraft meines Amtes als Pflegerin, diesen elegischen Ton mit aller Entschiedenheit,« sagte sie scherzhaft. »Da,« (sie zog ein wenig den Vorhang zurück) »schau'n Sie hinaus ins Grüne! Jetzt blendet's nicht mehr, und ein leiser Wind hat sich aufgemacht! Nicht wahr, das erquickt? So, und nun warten Sie! Wenn Sie vernünftig sind, gibt es auch heut eine Extrabelohnung, wie gestern!«
Sie trat in den kleinen Salon und kam mit einer goldgrauen Schale zurück, auf der eine türkische Cigarette und eine Silberbüchse mit Streichhölzern lag.
Er sah zu ihr auf, wie ein Beter zum Heiligenbild. Ein Leuchten ging über sein Antlitz, so heiß und scheu, daß Gräfin Adele sich mit augenfälligem Eifer der silbernen Büchse zuwandte, hastig ein Zündholz herausnahm und es für Leo in Brand setzte.
Nun stiegen die bläulichen Tabakswolken sacht kräuselnd empor und zerflatterten zwischen den Säulen wie heimliche Wünsche, die sich ins Licht des Tages nicht hinauswagen dürfen.
Adele war seltsam bedrückt. Dieser Moment hatte ihr klar gemacht, was sich im Lauf der letzten drei Wochen unbemerkt, aber stetig wachsend, in ihrer Seele entwickelt hatte.
Sie setzte sich abseits und stickte, während Leo von Somsdorff ruhig und wie in tiefe Gedanken verloren, weiterrauchte.
Er sprach nicht mehr; es war, als habe er mit dem einen flammenden Blick alles gesagt, was er ihr sagen wollte; ja, als besorge er, durch den Klang eines überflüssigen Wortes die Stimmung dieser Minute rauh zu verwischen. Und da er nicht sprach, und Adele mit ihrer Nadel ein sanft monotones Geräusch machte, das sich vom Rauschen der Baumwipfel abhob wie ein milder Diskant von den Accorden des Basses, so überließ sich Leo einem Gefühle wohliger Rast und hoffnungsfroher Geborgenheit, das ihn schneller als sonst entschlummern ließ.
Nun legte die Gräfin, starr auf den Schlafenden hinblickend, die Rechte mit der kaum angefangenen Stickerei in den Schoß, während sie mit der Linken den Kopf stützte.
Sie wußte jetzt, daß sie für Leo etwas empfand, was sie zuvor niemals empfunden hatte, selbst nicht in den Tagen der Illusion, da sie von Gerolds uneigennütziger Liebe fest überzeugt war. Und sie gestand sich blutenden Herzens, dieses Etwas müsse das Glück sein, das vollkommene, göttliche, das sie bis jetzt nur im Traume gesehen! Leo von Somsdorff hatte sich eigentümlich umgestaltet; sie meinte: veredelt. Die Blässe, die noch immer nicht weichen wollte, verlieh seinen Zügen etwas Rührendes, Herzbewegendes. Früher hatte zuweilen ein Hauch von Schroffheit und Egoismus um seine Lippen gespielt. Als er ihr damals mit so bedenklichem Ausdruck von der Glut seiner »bewundernden Sympathie« gesprochen, blitzte in seinen Augen sogar etwas Teuflisches, was sie tödlich erschreckt hatte. Jetzt aber schien das alles wie von Schleiern umhüllt, im Glanz einer bläulichen Mondnacht dahinschmelzend, ohne Härte und Starrheit. Adele bangte nicht mehr vor [42] dem eigentümlichen Dämon hinter der Stirne des jungen Mannes: sie bangte jetzt nur vor sich selbst.
Das Verhalten ihres Gemahls seit der Verwundung Leos steigerte ihre Furcht. Graf Gerold bot ihr so gar keine Handhabe, um sie von dem gähnenden Abgrund, an dessen Rand sie sich fühlte, zurückzuziehen!
Daß Leo sie liebte, hatte sie nie so deutlich empfunden als jetzt. Die Liebe trug nur einstweilen noch die Vermummung der Dankbarkeit. Aber wie lange würde das dauern?
Ein paar Sekunden lang zuckten ihr schauerlich süße Gedanken durchs Hirn, die sich durch keine Kraft der Selbstbeherrschung bannen und bändigen ließen.
Wär' ich noch frei! Hätt' ich den andern niemals kennen gelernt! Zu spät!
Sie malte sich dieses Glück, das sie verfehlt und versäumt hatte, mit den brennendsten Farben und erstarrte dann plötzlich in dem Gefühl: Du sündigst!
Ja, schon der Gedanke war Frevel! Je mehr ihr grauste in dem Bewußtsein der Unwiderruflichkeit, je trostloser die Atmosphäre ihr dünkte, in der sie bis dahin geatmet hatte, um so fester stand ihr Entschluß, auch nicht um Fingersbreite vom Pfad ihrer Pflicht abzuweichen. Mochte Graf Gerold der Unerschütterlichkeit ihrer Treue nicht wert sein: sie hielt diese Treue sich selbst und dem Licht ihres Lebens, dem schuldlosen Kinde, dem sie dereinst frei in das Auge schauen, vor dem sie nicht heimlich erbeben wollte, wie Judas Ischariot unter dem trauernden Blicke des Heilands.
Sie nahm sich vor, bei Herrn von Somsdorff auch nicht den leisesten Schatten von dem zu dulden, was [43] wie der Anfang einer unerlaubten Huldigung aussah; ihn kühler und förmlicher zu behandeln, als sie bisher es im stande gewesen; vor allem jedoch so selten als möglich mit ihm allein zu sein.
Gar zu lang konnte die Zeit bis zu seiner völligen Wiederherstellung nicht mehr dauern; vierzehn Tage vielleicht, höchstens drei oder vier Wochen. War er dann abgereist, so würde sie im Verkehr mit Josefa und im stillen Genuß ihrer Lieblingsautoren, die sie so manchmal getröstet hatten, das Gleichgewicht ihrer Seele schon wiederfinden.
Also die Trennung! So weit war es mit ihr gekommen, daß sie nur in der Trennung noch die Möglichkeit eines Heils erblickte!
Ihr Stolz rebellierte, und gleichzeitig fühlte sie ein unermeßliches Weh …
Gab es denn gar keinen Ausweg? Somsdorff war so klug und so gut … Konnte sie nicht in etwas dieses erhöhten und vergeistigten Lebens teilhaftig werden, das von ihm ausstrahlte? Konnte sie nicht den Sturm seiner Leidenschaft ein für allemal brechen, ihn durch die ruhige Energie ihres Wollens gleichfalls zur Ruhe zwingen? Wie? Sollte im Ernst eine Freundschaft zwischen Leo und ihr, eine echte, selbstlose Herzensgemeinschaft, die nirgends die Pflicht verletzte und keine Sünde bedeutete, ewig unmöglich sein?
In diesem Moment schlug Somsdorff die Augen auf. Adele fuhr heftig zusammen, als ob ein Späher sie bei ihren tiefsten Geheimnissen überrascht habe.
Drunten vom Park her vernahm sie die Stimme Josefas, die, von Miß Harriet geführt, durch die breite Allee rechts von dem Teiche daher kam.
Die Gräfin erhob sich – errötend, erbleichend und [44] so verwirrt, daß sie nicht einmal einen Vorwand suchte, um Herrn von Somsdorff so plötzlich allein zu lassen. Barhäuptig, ohne Schirm, schritt sie die Treppe hinab, durchquerte den freien Platz, auf dem noch in voller Glut die Nachmittagssonne lag, und eilte dem Kind entgegen, das mit den Worten: »Mama, liebe Mama!« auf sie zusprang und sie umhalste.
Leo von Somsdorff sah durch die Säulen hindurch, wie leidenschaftlich die junge Frau ihr Töchterchen herzte und küßte, inbrünstig, als sei es – halb schon verloren geglaubt – ihr eben erst wieder geschenkt.
»Aber Mamachen, du thust mir ja weh!« sagte das Kind verwundert.
Und wieder küßte sie ihm die Stirn und die Wangen und nahm es dann fest und weich in den Arm, wie sie es früher so oft gethan, wenn sie das Baby zur Dämmerzeit in den Schlaf wiegte.
Sie war jetzt schon eine tüchtige Last, die kleine Josefa, bei weitem zu schwer, wie Miß Harriet meinte, um sich so nur zum Vergnügen die Treppe nach der Veranda hinauftragen zu lassen. Aber die Gräfin schien diese Last gar nicht zu fühlen, so flink und elastisch hob sich ihr Fuß über den Marmorstufen. Und sie lachte dabei lustig und glockenhell; denn sie hatte jetzt wieder die Herrschaft über sich selbst gefunden und erkannte nun klar, daß sie die Sache durchaus ins Scherzhafte kehren mußte, wenn Leo von Somsdorff ihr ganzes Gebaren nicht höchst eigentümlich finden und seltsame Schlüsse auf die Verfassung ihres Gemüts daran knüpfen sollte.
Somsdorff indes war hinlänglich Psycholog, um sich durch diese fein improvisierte Wendung, die Gräfin Adele [45] dem Auftritt gab, nicht täuschen zu lassen. Er hatte verstanden, und sein Verständnis weckte ihm all die strafbaren Hoffnungen wieder, denen er schon halb entsagt hatte.
Acht Tage später, am herrlichsten Juniabend, saß Leo mit Gräfin Adele auf der Bank des Proserpinahügels, der so benannt war nach einer im Stil des Bernini gehaltenen plastischen Darstellung der allbekannten Entführungsgeschichte.
Die Bank unter dem breiten Geäst einer zweihundertjährigen Eiche, im Halbkreis von blühenden Sträuchern umrahmt, mit dem Blick in die bläulich verdämmernde Ferne, die sich in schmalem Ausschnitt zwischen zwei säulenartig emporstrebenden Birken zeigte, war Adelens ausgesprochener Lieblingspunkt. Während die vordere Hälfte des Parks im Geschmack von Versailles angelegt war, herrschte hier, abgesehen von der etwas schwülstigen Marmorgruppe, ein Hauch von ungekünstelter Freiheit, man konnte fast sagen von Wildnis, der nach den regelrechten Alleen und Balustraden außerordentlich wohlthat. Der Gärtner sogar schien diese Wildnis zu respektieren; denn auf dem Boden rings um den Sockel wucherte Gras, und die Jasminsträucher griffen mit ihren saftstrotzenden Schößlingen hier und da über die Bank hinaus.
Es war kurz vor sieben. Die Sonne warf ihre Strahlen schräg in den Fichtenbestand, der die südliche Böschung umkleidete, und flammte goldhell auf dem lichten [46] Gewand Josefas, die hundert Schritte von dem »Raub der Proserpina« abseits Erdbeeren suchte.
Seit der Rückkehr des Grafen hatte sich manches im Schloß verändert. Gerold mußte auf dem Kongreß zu Bonn allerlei Unannehmlichkeiten erlebt haben, über die er sich selbst gegen Leo von Somsdorff nicht ausließ. Den Vortrag über altgriechische Fest- und Gedenkmünzen hatte er nicht mehr erwähnt. Ueberhaupt war er, im Gegensatz zu der Ausführlichkeit seiner Depeschen, sehr karg mit den Einzelheiten. Den Gang der Verhandlungen charakterisierte er als »recht interessant«, rühmte die geistvolle Ansprache eines vlamländischen Forschers Namens Boemkneisje und die Mitteilungen des Italiener Lunghi über gewisse Funde bei Rimini und erklärte dann rasch, die Arbeit der letzten drei Wochen habe ihn doch etwas angegriffen. Er bedürfe jetzt sehr der Zerstreuung; Somsdorff möge sich ja beeilen, wieder ganz flott zu werden, um dann in frischester Kraft und Empfänglichkeit mit von der Partie zu sein …
Adele begriff, daß die Marotte der Numismatik nun für einige Zeit Ferien hatte.
Der Graf ritt jetzt allmorgendlich stundenlang in den Forst, konferierte eingehend mit dem Koch, entwarf selbst das Menü und begab sich in Begleitung Karls nach dem Keller, wo er Musterung hielt und Befehle erteilte, die sich der Diener mit großer Gewissenhaftigkeit ins Notizbuch schrieb.
Der Champagner, den Graf Gerold sonst nur in Ausnahmefällen trank, fehlte jetzt weder mittags noch abends; und zwar bevorzugte man die allerkräftigsten Marken. Aehnliches galt vom Rheinwein, obschon hier manchmal ein etwas leichterer Tropfen mit durchschlüpfte, [47] sowie von den reichhaltig vertretenen französischen Rotweinen.
Vier Tage nach der Rückkehr des Grafen hatte der Kutscher am Bahnhof zu Hoyersbrück sehr fidelen Besuch abgeholt: die Freiherren von Steinitz, Vater und Sohn, die allem Anschein nach trefflich in die Zerstreuungsperiode Gerolds hineinpaßten.
Freiherr von Steinitz der Aeltere war ein pensionierter Major, einige fünfzig Jahre alt, seit zwölf Jahren Witwer, Lebemann ohne höhere Interessen, von etwas geräuschvoller Lustigkeit, als Gesellschafter »unbezahlbar«.
Sein Sohn Friedrich, Ende der Zwanziger, hatte ein paar dieser schätzbaren Eigenschaften vom Vater geerbt, nur daß er weit eleganter und dem Ernste des Lebens vielleicht noch abholder war als der Papa. Wenn er lachte oder nur lächelte, zeigte er unter dem blonden, sorglich gepflegten Schnurrbart zwei Reihen tadellos schöner Zähne, und rechts und links von den rotblühenden Lippen zwei reizende Grübchen. Ein liebenswürdiger, aber gefährlicher Leichtsinn strahlte in den lebendigen Augen, die so blau und so treuherzig dreinschauten wie schuldlose Veilchen und beim Genuß alkoholreicher Getränke einen feuchtwarmen Schimmer bekamen. Kurz, er gehörte zu jenen Erscheinungen, die im Ballsaal Dutzende unbewachter weiblicher Herzen zu glühender Sehnsucht aufstacheln, von der Mehrzahl schon bei der zweiten Begegnung ruhiger verlassen werden, hier und da aber doch ein betrübsames Unheil anstiften, da sie – überglücklich in dem Gefühl der eignen Vollkommenheit – selbst der bezauberndsten Anmut und Schönheit gegenüber vollständig kalt bleiben, bis schließlich trotz alledem eine, die weder die Hübscheste noch die [48] Klügste zu sein braucht, dem lockeren Vogel gehörig die Schwingen stutzt.
Mit diesen zwei Kavalieren vergnügte sich Gerold so ausgiebig, daß Gräfin Adele zunächst kaum eine Vermehrung ihrer Repräsentationslast verspürte, zumal der Graf ihr im Beisein der Herren ausdrücklich gesagt hatte: »Pfleg du nur den Jungen, den Somsdorff, daß er sich endlich aus dieser traurigen Lethargie aufrafft! Ich glaube, Doktor Michalsky nimmt ihn zu schwer. Das bißchen Blässe und Hinfälligkeit wird sich schon geben, wenn er nur erst einmal wieder zu Pferde sitzt und einen tüchtigen Trunk thut!«
Dann, zu dem pensionierten Major gewendet, hatte er fortgefahren: »Er ist ein prächtiger Mensch, der Leo von Somsdorff. Jetzt freilich scheint er wie auf den Mund geschlagen. Der Arzt muß ihm nächstens wieder erlauben, mit uns zu Tisch zu gehen. Dies öde Herumliegen auf der Veranda drückt ihm die Nerven.«
Steinitz der Vater nickte, während Steinitz der Sohn ein wenig den blonden Schnurrbart zwirbelte und so ein kleines perfides Lächeln verdeckte, das da besagte: »Herr von Somsdorff wird seine Gründe haben, sich so in der Einsamkeit der Veranda verhätscheln zu lassen!«
Die Herren von Steinitz wohnten in Zeschau, wo Friedrich der Sohn sich angeblich mit der Verwaltung des Zeschauer Grundhofs, eines ihm testamentarisch vermachten Landguts, befaßte, das früher sich im Besitz einer Seitenlinie befunden hatte. Kurz nach der Ankunft der Kavaliere erhielt die Gräfin einen mit »Zeschau« gestempelten Brief, worin eine ihr halb schon entschwundene Jugendfreundin, Gertrud Mettenius, die früher geleisteten Schwüre [49] unwandelbarer Geneigtheit stürmisch erneuerte, brennende Sehnsucht nach einem Wiedersehen verriet und am Schluß in die Worte ausbrach: »Wenn Du mir also nicht abtelegraphierst, komme ich übermorgen!«
Schloß Authenried-Poyritz war auf Meilen in die Runde für mehr als gastfrei bekannt. Gräfin Adele, obwohl sie den Ton dieses Briefes nicht eben sympathisch fand, konnte also nicht Nein sagen. Sie telegraphierte sofort, daß man sich herzlich auf den in Aussicht gestellten Besuch freue, und bat um Antwort, mit welchem Zuge man Fräulein Mettenius erwarten dürfe.
Die Auskunft lautete prompt: »Ich reise noch heute und bin um neun Uhr fünfzehn in Hoyersbrück.«
Fräulein Gertrud Mettenius kam, sah und siegte. Nicht nur, daß sie sich sofort eine sehr günstige Allgemeinposition schuf: auch im besondern schien sie dem leicht zu durchschauenden Ziel, das sie verfolgte, rasch näher zu kommen.
Gertrud Mettenius war bis über die kleinen rosigen Oehrchen verliebt in Friedrich von Steinitz. Die Anwesenheit dieses Edelherrn auf Schloß Authenried-Poyritz hatte auch sie hergelockt; und mit der ganzen kernigen Resolutheit, die ihr zu eigen war, ging sie ans Werk, den unbeständigen, farbenschillernden Schmetterling, der zunächst noch ahnungslos flatterte, in ihr Netz zu bekommen, ohne bei diesem Fang die Grenzen der Weiblichkeit allzusehr zu verletzen.
Im ersten Moment hatte sie meisterlich die Verblüffte gespielt.
»Sie hier? Ich ahnte nicht, daß Sie mit Authenrieds so befreundet sind! Die Welt ist wirklich ein bißchen [50] eng: man kommt von Zeschau und trifft hier Zeschau! Aber ich lass' mir die Ueberraschung gefallen! Ihr lieber Papa ist ein so reizender Herr, und Sie, wenn Sie wollen, haben auch das Talent …«
So ging's eine Weile fort, harmlos und äußerlich unbefangen, wie im Verkehr mit guten Bekannten, die man im übrigen ebenso leichtblütig verschmerzt als genießt. Und diesen glücklich gewählten Ton behielt sie auch späterhin bei, so daß Friedrich von Steinitz, aller schweren Indizien ungeachtet, wirklich im Zweifel darüber blieb, was Gertrud im Schild führte. Manchmal hatte der sonst so zuversichtliche junge Mann das Gefühl, als mache sich Fräulein Mettenius über ihn lustig, oder als sei sie bestrebt, ihn bloß zu schnöden Dekorationszwecken an ihren Triumphwagen zu schirren – beides Vermutungen, die ihn heimlich empörten, sein Interesse für das lustige, frische und eigenartige Mädchen jedoch fortwährend steigerten.
An dem Nachmittage, der jetzt seine schräger und schräger fallenden Strahlen durch den Fichtenbestand am Proserpinahügel goß, war Graf Authenried mit Fräulein Gertrud Mettenius und den beiden Baronen im offenen Jagdwagen über Land gefahren. Leo durfte der Vorsicht halber an dieser Partie nicht teilnehmen, und Graf Authenried selbst hatte seine Gemahlin ersucht, ihrem »Schützling« Gesellschaft zu leisten. Gräfin Adele willfahrte diesem Wunsch um so lieber, als ihr die breite, wortreiche Jovialität des Majors wenig erbaulich war, zumal dieser Herr sich neuerdings vorzugsweise zu ihr kehrte, wenn er aus dem unerschöpflichen Schatz seines Wissens eine windschiefe Anekdote zum besten gab oder, plötzlich mit einiger Anstrengung ernst werdend, von dem erhabnen Berufe der deutschen Frau sprach.
Uebrigens war Gräfin Adele ja fest überzeugt, das ungestörte Alleinsein mit Leo, das sich ergab, sobald sie daheim blieb, sei jetzt vollkommen gefahrlos.
Sie glaubte dies nicht nur deshalb, weil sie ihrerseits von der Unerschütterlichkeit ihres Pflichtgefühls heilig durchdrungen war, sondern ebensosehr im Hinblick auf das Verhalten Somsdorffs. Dieses Verhalten nämlich machte durchaus den Eindruck, als sei die anfangs so leidenschaftlich erregte Seele des jungen Mannes endgültig auf eine ruhige, wunschlose Freundschaft gestimmt.
In Wahrheit jedoch hatte sich nichts an der tollen Verliebtheit Somsdorffs geändert. Im Gegenteil: wenn ihn die ersten Stadien der Rekonvalescenz in das Fluidum einer halb mit Dankbarkeit untermischten sanfteren Schwärmerei getaucht hatten, so war in den letzten Tagen wieder die alte dämonische Glut erwacht, die um jeden Preis vorwärts drängt, die kein Hindernis kennt und noch jubelt, wenn sie auf rauchenden Trümmern ihre Standarte aufpflanzt. Nur daß Leo von Somsdorff jetzt gründlicher mit dem Terrain vertraut war, und demgemäß die Kriegslist für zweckentsprechender hielt als den offenen Angriff.
Er wußte jetzt, daß Adele ihn liebte – trotz der machtvollen Energie, mit der sie gegen dies Schicksal angekämpft hatte. Sein Instinkt empfahl ihm, diese Energie nicht durch verfrühte Erneuerung eines Sturmes zu steigern, sondern sich vorläufig in die Rolle zu fügen, die Adele ihm stillschweigend angewiesen hatte: in die des ehrlichen, taktvollen Kameraden, mit dem sich alles besprechen läßt, bis auf den einen verfänglichen Punkt.
Sie saßen jetzt auf der steinernen Bank zwischen den stark duftenden blütenbesäten Jasminsträuchern und führten [52] – Gott mochte wissen, wer das Thema in Fluß gebracht hatte – einen schwermutsvollen Dialog über zerstörte Hoffnungen, innere Vereinsamung und die Mittel, den Regungen einer oft gegenstandslosen Melancholie den Stachel zu nehmen.
Leo betonte den Wert einer regelmäßigen, rein praktischen Arbeit und kam so, die Bedeutung der Wissenschaft, der Kunst und der Geselligkeit streifend, bei seinem Lieblingsproblem, der echten und opferwilligen Freundschaft, an.
Adele, gedankenvoll zwischen den Birkenstämmen hinaus in die Ferne starrend, warf, da er jetzt einen Augenblick schwieg, ein Wort ein, das die kleine Josefa betraf. Auch zwischen Mutter und Kind herrsche ja eine Art Freundschaft, die zur Grundlage die Natur, als Bedingung ihres Gedeihens aber die stete Wechselbeziehung der Herzen, die Gemeinschaft aller Interessen, die Selbstlosigkeit der gegenseitigen Hingebung habe, namentlich wenn erst das Kind ein gewisses Alter erreiche. Glücklich die Tochter, die als erwachsenes Mädchen, als Frau noch in ihrer Mutter die beste Freundin erblicke, und glücklich die Mutter, der eine solche Tochter beschert sei. Dieses Ziel zu erreichen, sei ihr, der Gräfin, heiligstes und höchstes Bestreben.
Somsdorff, der auf die kleine Josefa längst schon eifersüchtig war, wie auf einen begünstigten Nebenbuhler, verzog ein wenig die Brauen, bezwang jedoch seinen Mißmut und fand einen Uebergang, der das Gespräch sofort wieder von diesem Kind ablenkte, ohne daß Gräfin Adele die Absicht herausgefühlt hätte.
Er ward beinahe sentimental. Mit vollen Herzenstönen pries er die unbeschreibliche Wonne, die einem edel veranlagten Menschen daraus erwächst, daß er bei Geistesverwandten [53] echtes Verständnis für seine Interessen findet, für die heimlichen Schwärmereien vielleicht, die von der Masse verkannt oder bespöttelt werden.
Nachgerade trieb er im Fahrwasser einer Romantik, die auf Adele nicht ohne Einfluß blieb.
Immer nur Freundschaft predigend, faßte er wie ein Prophet, der seiner Verzückung nicht Herr ist, die schlaff im Schoße liegende Hand der Gräfin, sanft, ohne Druck, beinahe traumhaft. Diese Hand, die sich ihm nicht entzog, bebte ein wenig. Und jetzt glaubte er wahrzunehmen, wie die standhafte junge Frau, von dem Klang seiner Stimme, dem Zauber der krystallklaren Luft, dem süßbetäubenden Hauch der Jasminblüten unwiderstehlich verlockt, schwach zu werden begann.
Da neigte er sein glühendes Antlitz zu ihrem Ohr und sagte tonlos: »Adele, ich liebe dich!«
Die Gräfin, überwältigt von einem tödlich süßen Gefühl der Glückseligkeit, ließ den Kopf schauernd zurücksinken. Somsdorff, heiß, atemlos, warf einen hastigen Blick in die Runde. Nirgend ein Späher! Das Kind war für Augenblicke hinter dem Kleinholz verschwunden. Noch eine Sekunde – und Somsdorff hätte die Willenlose an sich gerissen und ihren halbgeöffneten Mund, rasend vor Leidenschaft, mit Küssen bedeckt.
Da fuhr sie empor. Mit beiden Händen tastend und abwehrend wie eine Blinde, stand sie neben der Bank und rief aus angstgepreßtem Herzen fast überlaut: »Josefa! Josefa!«
»Gleich, Mama!« tönte es glockenhell von der Böschung herauf.
Ehe noch Somsdorff begriff, wie ihm geschah, knirschte [54] der nadelbesäte Abhang, und die Kleine, hochrot vor Eifer, in jeder Hand einen mächtigen Erdbeerstrauß, erklomm jubelnd den Rundplatz.
»Das hab' ich für dich gepflückt, süße Mama, und das für Sie!«
Leo von Somsdorff nahm die höchst unerwartete Gabe dem Kind aus der Hand, stammelte ein beklommenes »Danke« und sah nicht sonderlich geistreich aus, wie er nun mit erkünstelter Aufmerksamkeit die reifen und halbreifen Beeren betrachtete, die sich vereinzelt von dem zusammengerafften Grün abhoben.
Auch Gräfin Adele dankte, und zwar so herzlich, so übertrieben, daß Josefa erstaunt zu ihr aufschaute.
»Aber Mama, das thu' ich doch gern!«
Adele nahm das Kind auf den Schoß und legte sein Köpfchen wie zur Beschwichtigung auf ihr pochendes Herz.
»Darf ich nun wieder fort, Mama?« fragte Josefa nach einer Pause.
»Nein, bleib! Du bist furchtbar erhitzt! Du darfst nicht gar zu sehr tollen!«
Sie strich der Kleinen, immer noch etwas bebend, über die Wangen.
»Wirklich, Du hast genug! Ueberhaupt – es wird spät. Kommen Sie, Herr von Somsdorff! Die Herrschaften können jeden Augenblick heimkehren!«
Ihr Kind an der Hand schritt sie voraus. Der junge Mann folgte, Scham, Zorn und wilde Verbitterung im Antlitz, den Erdbeerstrauß mit dem ungeordneten Rankenwerk immer noch zwischen Daumen und Zeigefinger, als sei das Geschenk der unschuldigen kleinen Komteß ein widerwärtiges [55] Tier, ein Insekt, dessen Biß oder Stich er zu fürchten habe.
Er war jetzt geradezu außer sich. Der ruhig gefestete Blick, mit dem sich die Gräfin zum Gehen gewandt, bürgte dafür, daß diese schwache Minute sich nie wiederholen würde. Von ihm und seinen verstörten Zügen war jener Blick, halb unbewußt, zu Josefa geglitten … Ja, diese Mutter würde in der unendlichen Liebe zu ihrem Kinde die Kraft finden, auch in dem qualvollsten Kampf zwischen der Leidenschaft und den Geboten der Pflicht obzusiegen!
Leo fühlte das mit der unmittelbaren Gewißheit der Intuition. »Entsage ihr!« klang es durch sein Gemüt – aber umsonst. Die Erkenntnis, daß er hier ein Unmögliches anstrebe, steigerte nur den unermeßlichen Brand seiner Sehnsucht.
Man erreichte erst eben die Freitreppe, als von der Landstraße her das Rollen des Jagdwagens und das vergnügte Knallen der Peitsche ertönte.
Die kleine Gesellschaft hatte sich wundervoll amüsiert, obgleich die Partie an und für sich keine sehr nennenswerte Ergötzlichkeit bot. Ein Teil der Fahrt ging sogar über ziemlich reizlose Acker- und Wiesenstriche, wo die glühende Prallsonne des Junitages kaum hier und da durch ein paar Obstbäume abgedämpft wurde. Aber die Laune, die gute Laune! Fräulein Gertrud und der alte Major hatten sich so köstlich geneckt, und so urkomische kleine Geschichten [56] waren erzählt worden, daß man just auf diesem sonnüberströmten Plateau aus dem Gelächter gar nicht herauskam.
Und dann die Bowle im Nehrauer Birkenwald. Natürlich hatte man alles Notwendige mitgebracht. Den sauren Landwein des Nehrauer Sternwirts konnte man selbst mit uraltem Cognac, Zucker und frischem Waldmeister nicht zur Genießbarkeit aufkünsteln: aber der bauchige Vorratskasten des Jagdwagens hatte ja Raum genug – sogar für das unumgängliche Eis! Neun Flaschen, sage, neun Flaschen edlen Gewächses waren unter dem luftigen Blätterdach der Nehrauer Birken rite verzecht worden. Selbst Fräulein Gertrud hatte sich eifrig daran beteiligt, wenn auch der Schein ihrer Leistung größer war als die Wirklichkeit. Und sie sorgte dafür, daß dem Herrn Grafen und dem Major, der ihr geflissentlich zutrank, mehr dieser stark imponierende Schein, dem jungen Baron mehr die maßvolle Wirklichkeit in die Augen stach.
Die heitere, fast übermütige Stimmung, die man von der Partie mit nach Haus brachte, setzte sich während des anderthalbstündigen Schwelgens im Speisegemach fort.
Somsdorff nahm heute zum erstenmal an dem Souper teil und mühte sich, es den übrigen an Vergnügtheit und Frische des Tones gleichzuthun, was von dem Grafen und ganz besonders von dem Major mit höchster Genugthuung konstatiert wurde.
»Der Appetit kommt beim Essen,« sagte der Graf. »Das gilt auch von der Geselligkeit. ›Wer sich der Einsamkeit ergibt, ach, der ist bald allein‹ – heißt es bei Goethe. Im Kreise fröhlicher Kameraden dagegen erwacht vom Schlummer, was Nervosität und Krankheit in uns erstarren ließ: der Urquell der Fidelität, und nun erst – [57] nicht wahr, lieber Major? – genest man ex fundamento ! Na, kommen Sie her, Somsdorff! Dieser hochduftige Edelwein aus der Bourgogne heilt alle Gebresten! Ihr Wohl!«
Somsdorff stieß mit ihm an; der alte Major und Gräfin Adele folgten dem Beispiel des Grafen; Gertrud Mettenius und Friedrich von Steinitz waren zu sehr ineinander vertieft, als daß man sie hätte stören dürfen.
Somsdorff leerte den großen geschliffenen Kelch auf einen Zug und litt es lächelnd, daß der Major ihm sofort wieder einschenkte. Graf Authenried erzählte bei diesem Anlaß ein komisches Intermezzo vom Bonner Kongreß – das erste Mal seit der Ankunft der beiden Barone, daß er das Thema der Numismatik streifte – und nun hielt es auch Gertrud für zweckmäßig, ihren eifrigen Kavalier nicht durch ferneres Lauschen auf sein bewegtes Geplauder zu verwöhnen. Sie mischte sich, eine launige Frage an den Major richtend, flott in die Hauptkonversation, so daß sich in kurzer Frist ein reizvolles Chaos ergab, das in den Nebenräumen den Eindruck erzeugte, als tafele hier eine Gesellschaft von zehn bis zwölf Personen.
Nur Gräfin Adele nahm wenig teil am Gespräch. Inhaltsvolle Gedanken schienen sie stark zu beschäftigen, was sie indes durch häufige Weisungen an den Bedienten und sonstige Aufmerksamkeiten fürs Wohl ihrer Gäste sattsam bemäntelte. Somsdorff allein ahnte, was in ihr vorging.
Nach Tisch begab man sich in den größern der beiden Verandasalons.
»Adele, nun singst du etwas!« bat Graf Gerold mit einer artigen Kopfneigung.
»O, ich kann nichts!« wehrte die Gräfin.
Gertrud Mettenius trat an das Notengestell.
»Hier sind ja Lieder zu Hunderten … deutsche, französische, italienische … Liebes Adelchen, ich glaube du zierst dich! Im Pensionat sagte doch schon der Kantor, du solltest dich ausbilden lassen! Aber was red' ich noch? Heut erst, unter den Nehrauer Birken hat dein Gemahl uns erzählt, daß du zum Besten des Frauenvereins öffentlich das famose › Vorrei morir ‹ geschmettert …«
»Oeffentlich?«
»Nun ja, – vor einem geladenen Publikum, aber doch so zu sagen …«
»Mein Gott, wenn ihr absolut wollt,« sprach die Gräfin und trat an den Flügel. »Aber ich bin so ganz aus der Uebung.«
»Wie kommt das?« frug der Major.
»Gerold ist kein Freund von Musik; sie stört ihn bei seinen Studien. Ueberhaupt … ich weiß selbst nicht …«
Sie strich mit der Hand über die Stirne und fuhr dann in etwas verändertem Tone fort:
»Was soll ich denn singen?«
»Nun, eben dies › Vorrei morir ‹, wenn uns die Bitte gestattet ist,« sagte der junge Baron mit einem schwärmerisch leuchtenden Blick auf Gertrud Mettenius.
»Verstehen Sie italienisch?« fragte die Gräfin.
»Gerade genug, um mir die beiden Wörter › Vorrei morir ‹ ins Deutsche zu übersetzen. ›Ich möchte sterben!‹ Das andre überlaß ich dem Komponisten und der Künstlerin, die mir sein Tonwerk interpretieren soll.«
Der alte Major staunte. Was war das? Die Stimme des Sohnes hatte bei dieser Bemerkung eine so schmelzende, man konnte fast sagen, kokett wehleidige Klangfarbe, daß [59] er den übermütigen Leichtfuß nicht wiedererkannte! Diese verteufelte Gertrud schien auf den kotillonordenüberschütteten König der Zeschauer Klub- und Ressourcenbälle wirklich einen geradezu phänomenalen Eindruck gemacht zu haben. Nun, ihm, dem Papa, sollte das recht sein! Eigne Erfahrungen flößten ihm für die Zukunft des Sohnes manchmal recht ernste Befürchtungen ein. Die Schwiegertöchter, wie sie dem Herrn Major tauglich erschienen, waren nur spärlich gesät. Straff mußte die sein, klug und energisch, die einen Menschen wie Friedrich aus den Gefahren des Leichtsinns dauernd erretten wollte. Diese Gefahren … du lieber Himmel! Er selbst, der gute Major, wußte Historien davon zu erzählen bis auf den heutigen Tag, trotz seiner vieljährigen Ehe mit Dorothea Freiin von Pehrts, die allerdings fast zwei Jahre älter gewesen als er, und viel zu geduldig und harmlos.
Gräfin Adele setzte sich, ließ ihre schlanken Hände präludierend über die Tasten gleiten und sang das funkelnde Tostische Lied mit dem sehnsuchtsvollen Refrain › Vorrei morir ‹. Die herrliche Altstimme war von unsagbarem Wohllaut.
Somsdorff, der abseits in einem Fauteuil saß, fühlte, wie ihm das Herz vor wildem Verlangen beinahe in Stücke brach. Zuletzt hielt er es nicht mehr aus. Die Wände des schwülen Raumes schienen die eingesogene Tagesglut unter dem Schwall dieser vulkanischen Töne mit verdoppelter Heftigkeit wieder auszustrahlen … Die Thüre nach der Veranda war halb geöffnet. Beim Verrauschen der Schlußaccorde erhob er sich und trat leise und langsam über die Schwelle.
Die Freitreppe, die Balustraden des Teiches, die [60] Parkwege glänzten im Scheine des Vollmonds, der groß und leuchtend über den Wipfeln stand. Zwischen den Säulen hindurch strömte silbernes Licht auf das Marmorgetäfel und floß um die teppichbelegte Chaiselongue, wo Somsdorff während der letzten Wochen so manchmal selig geträumt hatte.
Ein warmblütiges Lachen scholl vom Salon heraus in die trostlose Mondnachtstimmung. Es war Gertrud Mettenius, die sich jetzt ans Klavier setzte und mit dem Sprudelton dieser herzentquellenden Lustigkeit eine nicht ganz geschickte Bemerkung ihres Verehrers Friedrich von Steinitz beantwortet hatte …
Nun spielte sie …
»Etwas Flottes!« hatte der Graf gesagt; »dieses › Vorrei morir ‹ war doch gar zu sentimental!«
Und wie ein prasselndes Feuerwerk sprühten die Klänge des neuesten Wiener Walzers unter den kecken, beweglichen Fingern hervor und prallten in unversöhnlichem Gegensatz auf den bläulichen Märchenschimmer des Parks und die verzweiflungsvolle Erregtheit Somsdorffs.
Da rauschte etwas über die Fliesen. Gräfin Adele, in der Linken den Fächer, trat bis zum Rande der Freitreppe, schien ein paar Augenblicke zu zögern und wandelte dann, sich Kühlung wehend, die Stufen hinab.
Drinnen ertönte ein lautes Bravo des Herrn Majors, ein kurzes Stimmengemurmel, und gleich danach, mit neckischer Virtuosität vorgetragen, der Karneval von Venedig.
Somsdorff, unweit des Langsofas an die Säule gelehnt, stand noch unschlüssig, ob er der Gräfin folgen sollte, als sie schon wieder zurückkam.
Nun erst bemerkte sie ihn. Sie stutzte, machte eine [61] Bewegung, als wolle sie rasch über die Schwelle, und schritt dann geradeswegs auf ihn zu.
»Es nimmt mir die Ruhe,« sagte sie halblaut. »Besser, ich frage Sie gleich, als daß ich's noch über Nacht mit mir herumschleppe.«
Sie stand jetzt vor ihm.
»Frau Gräfin …« stammelte Somsdorff.
Der Mond schien ihr voll ins Gesicht. Er sah, daß ihre Augen sich feuchteten.
»Offen heraus,« fuhr sie fort, »ich schäme mich! Bleischwer liegt es mir auf der Brust, kaum zu ertragen! Ich schäme mich, daß Sie so Unerhörtes gesprochen – und mehr, daß ich noch eine Silbe der Höflichkeit für Sie fand, nachdem Sie's gewagt hatten … Herr von Somsdorff! Ich wünsche zu wissen, bei Ihrer Ehre: hab' ich etwas gethan oder geduldet, was Sie zu dieser Kränkung berechtigte?«
Sie schaute ihn fest an, fast drohend. Ihr Mund zuckte; von ihren Wimpern lösten sich zwei rollende Thränen.
Er suchte nach Worten. Einer plötzlichen Eingebung folgend, sagte er kurz und rasch, ohne auf die gestellte Frage zu antworten:
»Adele, Sie lieben mich!«
»O Gott!« stöhnte sie, mit der Hand nach der Brüstung fassend.
»Sie lieben mich,« sagte er ruhig. »Wenn Sie den Mut haben, eine Lüge zu sprechen, so sagen Sie Nein!«
»Ich darf Sie nicht lieben! Nein, ich liebe Sie nicht!«
Somsdorff machte eine Gebärde nach dem Salon hin.
»Etwa um dieses Gemahls willen?«
»Allmächtiger Himmel!« raunte sie angstvoll. »Sie [62] wissen nicht mehr, was Sie reden! Sie häufen Beleidigung auf Beleidigung! Ich verzeihe Ihnen als dem Erretter meines geliebten Kindes; aber Sie können nicht länger bei uns zu Gast sein! Wenn Sie nicht wollen, daß ich verzweifle, so reisen Sie schleunigst ab! Schleunigst! Ich würde sagen: heut' abend, in dieser Minute … Aber das geht nicht! Morgen jedoch … Im Laufe des Vormittags kommt Doktor Michalsky. Irgend was Glaubhaftes wird sich schon finden lassen. Er muß Sie beurlauben …«
»Ich abreisen?« flüsterte Somsdorff. »Das wäre mein Tod!«
»Sie müssen,« sprach sie, die Hände faltend. »Ach, versteh'n Sie nicht falsch! Es soll keine Strafe sein … Ich bin sogar überzeugt, Sie haben im Grund Ihres Herzens Respekt vor mir – aber ich sehe doch, wie Sie ganz und gar außer stande sind, sich zu beherrschen! Und – weshalb soll ich es leugnen? – Ihre Haltlosigkeit raubt mir die Ruhe …«
»Sie lieben mich also!« war das Einzige, was sie zur Antwort bekam.
Frei erhob sie das Antlitz wie jemand, der sich entschlossen hat, einer Gefahr trotzig und kampfbereit in das Auge zu sehen.
»Ja!« versetzte sie kurz. »Für meine Empfindungen kann ich nichts; wohl aber für meine Handlungen. Jetzt, da's heraus ist, kommt es mir vor, als hätt' ich mir eine Last von der Seele gewälzt! Sie wissen's nun, – und deshalb müssen Sie fort!«
»Adele! Wie ist es möglich …«
»Was?«
»Solch ein Geständnis zu machen und gleichzeitig das Verbannungsurteil zu sprechen?«
»Das ist möglich, weil ich fest an die Ehrenhaftigkeit Ihrer Gesinnung glaube! Ich halte die Liebe für etwas Heiliges. Wer liebt – und Sie behaupten doch, daß Sie mich lieben – der kann den Gegenstand seiner Liebe unmöglich erniedrigen wollen. Dies würde aber geschehen, wenn … Sie mich ferner mit so abscheulichen Blicken verfolgten, wie vorhin, als ich zum Flügel schritt. Diese Blicke verletzen mich; sie machen mich unglücklich! Wenn Sie denn kein Verständnis haben für die Pflichten der Gattin, so erwägen Sie, daß ich ein süßes, holdes, schuldloses Kind besitze!«
Somsdorff erschauerte. So herrlich und lockend war ihm die edle Gestalt und das bezaubernde Antlitz mit dem blühenden Mund, der im fließenden Mondlicht wie verträumt auf ihn einsprach, noch niemals erschienen. Er hatte das bange Gefühl, als müsse er im nächsten Moment vor unsagbarer Liebessehnsucht verrückt werden.
Aber just der Ueberschwang seiner Leidenschaft lieh ihm die Fähigkeit, sich äußerlich zu bezwingen. Wenn er die Hoffnung nicht aufgeben wollte, mußte er dieser Frau gegenüber eine Komödie spielen, deren Entwurf ihm blitzartig durchs Gehirn schoß.
»Das Kind,« murmelte er wie geistesabwesend. »Ja, das Kind!«
Dann fuhr er, etwas lebhafter werdend, mit seltsam raunender Stimme fort: »Adele! Mich überkommt's wie die frohe Gewißheit, daß in Josefa uns beiden das Heil erblüht! Glauben Sie an himmlische Offenbarungen? Ich glaube daran – seit einer Minute! Das Kind … [64] Fürchten Sie nichts! Dulden Sie mich noch vierzehn Tage lang hier! Sie können's getrost – und so war es ja ausgemacht! Eine frühere Abreise müßte Verdacht erwecken; auch wäre sie zwecklos. Adele, Sie sollen nicht wieder durch meine Thorheit zu leiden haben! Wie Schuppen fällt es mir von den Augen: die Erinnerung an das eine entscheidende Wort, das Sie jetzt eben gesprochen, wird mir die Kraft geben … Lassen Sie uns hier feierlich einen Bund schließen, der über allem Vergänglichen hoch und erhaben steht! Lassen Sie uns die Sehnsucht, der wir nicht folgen dürfen, mutig in einer Empfindung begraben, die heilig und selbstlos ist: in der gemeinsamen Liebe zu Ihrer Josefa! Wollen Sie? Dann reichen Sie mir die Hand …«
Im Salon verstummte jetzt die Musik. Adele, von plötzlicher Angst ergriffen, man möchte heraustreten, und ihr mondscheinumflutetes tête-à-tête mit Herrn von Somsdorff mißdeuten, schlug hastig ein und verließ ihn, ohne auf seine pathetischen Phrasen etwas erwidert zu haben.
Er starrte ihr nach, sah, wie ihr wallendes Kleid langsam über die Schwelle glitt, und lehnte sich dann, schwer atmend, gegen die Säule.
Dunkel und schweigsam lagen die Wölbungen der gewaltigen Baumgänge. Rechts vor der tiefen Allee glänzte im Mondlicht die Stelle, wo neulich die kleine Josefa, ihre Miß Harriet verlassend, der Mutter entgegengeeilt und so überaus leidenschaftlich geherzt und geküßt worden war.
Dies Bild verfolgte ihn jetzt wie ein Gespenst.
War's denn zu glauben? Das herrlichste, wonnigste Weib liebte ihn – und versagte sich ihm bei all ihrer [65] Glut, weil da ein kleines fünfjähriges Wesen herumlief, das doch, bei Gott, nicht verkürzt wurde, wenn er die Mutter, ach, nur ein einzigesmal selig umfing! Das Kind und immer wieder das Kind! Dies thörichte kleine Geschöpf versperrte ihm also unabwendbar die Straße zum Glück! Es drängte sich stets wie ein Dämon zwischen ihn und den Labequell, sobald er sich niederbeugte, um seinen Durst zu löschen!
Er suchte sich nun die Züge Josefas recht deutlich vorzustellen, mit dem uneingestandenen Zweck, das hübsche Gesichtchen, das ihm zu Anfang so hold erschienen, um jeden Preis antipathisch zu finden.
»Sie ist das Ebenbild ihrer Mutter,« dachte er stirnrunzelnd. »Gut! Um die Brauen jedoch und im Blick hat sie etwas vom Vater – etwas Kaltes, Unangenehmes, Ordinär-Pfiffiges. Wahrhaftig, sie lächelt manchmal, sie lächelt … Wie sie mir heute den Strauß brachte! Infam! Die kleine Canaille weiß, daß sie stört! Sie ahnt es mit dem alles witternden frühreifen Instinkt einer spinösen Weiblichkeit.«
Und das Antlitz Josefas dünkte dem Aufgeregten immer entsetzlicher und verabscheuungswerter. Zuletzt kam es ihm vor, als ringelten sich statt der Locken gelbe, giftsprühende Schlänglein um die Stirne des Kindes … ein kleines Gorgonenhaupt, das mit Adele nur die Augen gemein hatte!
Ach, und da drinnen im kerzenhellen Salon, auf den er jetzt mühsam zuschritt, blühte, den Arm auf die Kante des Flügels geschmiegt, der Gegenstand seines Verlangens, die Göttin, deren Altar er längst schon mit leuchtenden Blumen geschmückt hätte, wäre der garstige, natternumzüngelte [66] Kopf nicht gewesen, das öde, alberne Püppchen, das da im Herzen der Mutter eine so breite Stelle einnahm, das mit dem Klang seiner süßlichen Schmeichelworte das Weib in Adele grausam ertötet hatte!
Bis gegen elf Uhr musizierte man noch. Friedrich von Steinitz trug ein Studentenlied vor. Sein Papa, der den Sekt ein wenig spürte, fiel beim Refrain donnernd mit ein und schwang dabei die zierliche Mokkatasse wie ein rebenumkränztes Hochglas. Hiernach erbat sich der Graf das unverwüstliche ›Gaudeamus‹. Friedrich von Steinitz konnte das nicht begleiten, wohl aber Gertrud Mettenius, die alles vom Blatt spielte. Ihre Accorde brausten wie Orgelklänge. Von der zweiten Strophe ab sangen die drei Kavaliere gemeinschaftlich, grundfalsch zum Teil, aber mit sprühender Verve. Bei der dritten ging dem Major der Text aus, was ihn nicht hinderte, auf die Silben › la-la ‹ volltönig weiter zu schmettern. Bei der vierten folgte Gertrud Mettenius dem Beispiel der Herren und ließ eine flotte, nicht unangenehme Diskantstimme los. Bei der fünften zeigte sich Karl, der Bediente, schüchtern im Nebenzimmer und reckte staunend das sonst so diskrete Haupt: die Herrschaften waren ja ganz außerordentlich gut bei Laune!
Auch Leo von Somsdorff that zuletzt, als ob er sich dem ausgelassenen Konzert anschließe, während Adele wieder für Augenblicke ins Freie trat. Aber sein Herz wußte nichts von dem Uebermut dieser Stunde. Das Kind, das Kind verfolgte ihn unablässig – und als man gegen halb zwölf nach einem kurzen Geplauder, woran auch Gräfin Adele teilgenommen, sich trennte, da war er von diesem Gedanken wie festgepackt.
In trostloser Stimmung betrat er sein Schlafgemach. Rasch zog er sich aus, zum erstenmal ohne die Hilfe des Dieners, obgleich die Hüfte ihn wieder schmerzte. Sein Ingrimm steigerte sich mit jeder Minute. Er löschte das Licht und schloß gewaltsam die Augen, da ein Reflex des Mondes über dem Thürgesims ihn peinlich erregte. Die Fäuste geballt, sah er den flirrenden Schein trotzdem durch die zusammengepreßten Lider hindurch – und das bleiche Oval spann sich ihm aus zu einer bethörenden Sinnestäuschung. Es wuchs und wuchs, und schließlich war es Gräfin Adele, die im duftigen, milchweißen Gewand, die Arme bis an die Schultern entblößt, über die Schwelle glitt. Vor seinem Lager kniete sie langsam nieder, legte ihm schmeichlerisch die Hand auf die Stirn, küßte ihn heiß auf die Lippen und zog ihn mit ihren weichen, wonnigen Armen fest an die Brust.
»Adele!« rief er, von Glück und Seligkeit überwältigt.
Da schrillte schon wieder aus nächster Nähe die unleidliche Stimme: »Mama, Mama!«
Und das Kind kam herein durch die doppelt verriegelte Thür wie ein Geist, der die Mauern zerteilt, und zerrte hohnlachend das süße, himmlische Weib am Gewand und schlug dem liebeglühenden Mann die kleinen, spitzigen Krallen ins Antlitz, daß ihm das Blut über die Wangen troff.
Er fuhr stöhnend empor. Mit zuckender Hand strich er sich über die Augen.
Ja, da rieselt es warm wie entquellendes Blut. Es sind Thränen, – Thränen des Zorns, der Sehnsucht, der ohnmächtig wilden Verzweiflung. Er hat geträumt, – und noch liegt der Nachklang des jäh unterbrochenen [68] Traumes auf seiner Brust wie ein Alp. Händeringend stößt er einen beklommenen Schrei aus und drückt die Stirne keuchend in seine Kissen.
»Ein Schreiben von Beaulieu-Sarcenet,« sagte der Graf beim Frühstück, als er mit höflichst eingeholter Erlaubnis der Gäste seinen Kurier durchmusterte. »Seltsam! Was kann er wollen? Nach jener unerquicklichen Auseinandersetzung?«
Das blinkende Falzbein mit der kugelumspannenden Adlerkralle durchschnitt das Couvert.
»Sie gestatten …« fragte Graf Gerold nochmals. »Ich bin mehr als gespannt …«
Beaulieu-Sarcenet schien die fatale Erörterung, die ihn auf dem Kongreß zu Bonn mit dem Grafen entzweit hatte, völlig vergessen zu haben – oder so schwer zu bedauern, daß er für seinen Kummer nicht Worte fand … Wenigstens ließ er die Sache ganz unerwähnt.
Hauptinhalt des Briefs war die Mitteilung, ein populär-wissenschaftliches Wochenblatt, die »Minerva« in Stuttgart, habe sich mit Vergnügen bereit erklärt, den Vortrag des Grafen über altgriechische Fest- und Gedenkmünzen ehestens zum Abdruck zu bringen, falls dieser Vortrag den Raum von drei Spalten à dreitausendfünfhundert Buchstaben nicht überschreite oder doch von dem Verfasser auf diesen Umfang gekürzt werde.
Beaulieu-Sarcenet hatte den Chefredakteur der »Minerva« letzthin aus rein persönlichen Gründen besucht und [69] ihm beiläufig und gesprächsweise das Thema genannt. Hieraus ergab sich das Weitere. Beaulieu-Sarcenet riet dem Herrn Grafen aufs dringendste, die Gelegenheit zu benützen, um so die Abhandlung wenigstens einem quasi -gelehrten Publikum vor Augen zu führen. Auch erbot er sich höflichst zur Lesung der Revisionsabzüge. Er schloß mit der angenehmen Eröffnung, daß er im Frühherbst, wenn der Herr Graf dies gestatte, auf Schloß Authenried-Poyritz vorsprechen und die neuesten Errungenschaften des gräflichen Münzkabinetts einer genauen Besichtigung unterwerfen wolle.
Diese Zuschrift des weltberühmten Archäologen führte im Leben und Treiben der Schloßbewohner einen erheblichen Umschwung herbei. Die Numismatik, seit Wochen entthront, gelangte nun wieder urplötzlich zur Herrschaft.
Noch an dem selbigen Vormittag nahm Graf Gerold seinen rechtswidrig unterdrückten Vortrag zur Hand, stellte zuvörderst die beklemmende Thatsache fest, daß der Umfang der Rede – selbst mit Weglassung sämtlicher Vokative an die Adresse der »hochansehnlichen«, »schätzbaren«, oder »gelehrten« Versammlung – immer noch dreimal so lang war, als das von dem Chefredakteur der »Minerva« bezeichnete Maximum, und las dann die Arbeit vier- oder fünfmal durch, stets zu dem unabweisbaren Resultat gelangend, daß er im Grunde nichts, aber auch gar nichts weglassen könne, ohne dem köstlichen Aufsatz die unheilbarsten Wunden zu schlagen.
So kam der Mittag heran. Sichtlich zerstreut schenkte der Graf weder dem duftigen Pomard, der so tief purpurrot in den schweren, altertümlichen Gläsern blinkte, noch den Schwänken des Herrn Majors die gebührende Aufmerksamkeit, [70] ließ den Champagner verperlen, wie ein Kranker sein künstliches Selterswasser, und hatte nicht einmal Sinn mehr für die bewegliche Heiterkeit Gertruds, die sich mit aller Kraft ihres sprühenden Konversationstalents abmühte, das allgemach zögernde Tischgespräch leidlich im Gang zu erhalten.
Beim Dessert legte der Graf plötzlich das Messer weg und sagte, den Blick wie entgeistert auf die halb schon geschälte Birne richtend:
»Aber die Illustrationen! Illustrationen sind unumgänglich! Was meinen Sie, Somsdorff?«
»Illustrationen?«
»Nun ja doch! Erläuternde Illustrationen zu meiner Studie!«
»Ah so! Allerdings …«
»Nicht wahr? Ich muß mir sofort Gewißheit darüber verschaffen, ob die ›Minerva‹ auch Illustrationen bringt! Ich habe das Blatt nie in den Händen gehabt. Sie entschuldigen, meine Herrschaften … Karl! Hören Sie nicht? Schnell Tinte und Feder!«
Er schrieb ein dringendes Telegramm – Antwort bezahlt – an Beaulieu-Sarcenet:
»Bringt die ›Minerva‹ auch Illustrationen? Welchen Zeichner empfehlen Sie?«
Hiernach ließ er den Reitknecht rufen und behändigte ihm den Zettel mit dem Befehl, unverzüglich ins Dorf zu laufen und die Depesche dort gegen Empfangsbestätigung aufzugeben.
»Nur gegen Quittung!« rief er ihm nochmals nach. Er lauschte mit einer gewissen Aengstlichkeit, bis die schwer wuchtenden Schritte des Burschen im Korridore verhallt [71] waren. – Dann erst schälte er seine Forellenbirne schweigend zu Ende.
Drei Tage lang hielten es die Herren von Steinitz noch aus. Dann gab ein Familienfest, das sie in Zeschau mitmachen sollten, dem Herrn Major den erwünschten Vorwand, mit guter Manier aus den unheimlich gewordenen Räumen des Schlosses zu flüchten und sich die Wiederkehr für eine bessere Zeit vorzubehalten. Es lag jetzt in der That über den Hallen von Authenried-Poyritz wie ein geistiger Druck; der Major meinte sogar: wie das Vorgefühl eines Unglücks. Nicht nur der Graf mit seinen erneuten numismatischen Anwandlungen war vollständig ungenießbar, auch Gräfin Adele und Somsdorff strömten einen nicht recht definierbaren Hauch von Schwermut und Monotonie aus.
Unmittelbar nachdem die Herren von Steinitz abgereist waren, erhielt auch Gertrud Mettenius ein Briefchen ihrer Mama, das sie nach Hause berief. Somsdorff war fest überzeugt, daß Gertrud sich dieses Briefchen bestellt hatte, um nicht zwecklos noch ein paar Tage lang von ihrem Liebsten getrennt zu sein; denn Friedrich von Steinitz und Gertrud – wenn man aus hundert Symptomen einen berechtigten Schluß zog – mußten jetzt vollständig einig sein, und selbst den Papa hatte man kurz vor der Abfahrt nach Hoyersbrück wohl ins Vertrauen gezogen.
Nachdem so das Schloß wieder in den normalen Zustand seiner vornehmen Abgeschiedenheit und Ruhe zurückgetaucht war, nahmen auch die während der letzten Tage etwas beeinträchtigten Garten- und Feldwanderungen der Gräfin mit Leo von Somsdorff einen gesteigerten Aufschwung.
Der Graf wollte das so, und zwar aus zweierlei Gründen. Einmal konnte er, wenn sich Adele viel mit Somsdorff befaßte, ungestört an der Neugestaltung seines münzwissenschaftlichen Vortrags arbeiten, ohne doch gar zu rücksichtslos zu erscheinen. Außerdem bedünkte es ihm eine Ehrenpflicht, dem jungen Mann, der sich bei der Errettung Josefas so fürchterlich zugerichtet, alles zu bieten, was da geeignet war, seine Erholung zu fördern, seine Stimmung zu heben, kurz, den status quo ante möglichst rasch wieder herzustellen.
Und einer seelischen Anregung und Erfrischung, wie sie sich aus dem Naturgenuß in Gesellschaft einer ihm offenbar höchst sympathischen jungen Frau ergab, schien der blasse, immer noch etwas hohläugige Somsdorff stark zu bedürfen.
Er war mitunter seltsam verstimmt; merkwürdig abgeneigt, eines der gräflichen Pferde zu reiten, obgleich Doktor Michalsky dies letzthin erlaubt hatte; unlustig, ein Buch oder selbst nur ein Zeitungsblatt in die Hand zu nehmen; apathisch gegen die Briefe und Telegramme Beaulieu-Sarcenets; von höflicher Schweigsamkeit während der Mahlzeiten; auf der Chaiselongue zwischen den beiden Verandasäulen beinahe mürrisch.
Nur wenn die Gräfin sich anschickte, das große verwöhnte Kind »auszuführen«, wie der Graf diese regelmäßigen diätetischen Gänge bezeichnete, flog ein Leuchten über sein Antlitz. Man sah ihm dann deutlich an, wie sehr er sich auf das planlose Wandern durch die Alleen, auf das köstliche Hin- und Herschlendern zwischen den Rotdornsträuchern und Haselnußbüschen, auf die langsamen Streifzüge ins Gehölz freute …
Und doch blieb dies Leuchten nur von sehr kurzer Dauer. Oft machte es schon, bevor man die Freitreppe hinabschritt, einem Ausdruck der Müdigkeit, ja der Verbitterung Platz, der sich erst nach und nach, unter dem Einfluß der sommerlich schönen Natur und der mildfreundlichen Worte Adelens wieder verlor.
Eines Morgens in aller Frühe – der Graf schlief noch, denn er hatte bis zwei Uhr nachts über der Arbeit gesessen – traten die zwei in besonders ungesprächiger Stimmung einen Gang durch den Park an – auch diesmal von der kleinen Josefa begleitet, die Gräfin Adele seit jenem Abend auf der mondscheinbeglänzten Veranda kaum von der Hand ließ. Höchstens durfte das Kind draußen im Feld ein paar Schritte vorlaufen, um aus dem Aehrengewoge sich Raden und Kornblumen zu brechen. Sobald man jedoch wieder den Park mit seinen phantastisch verschlungenen Irrgängen erreichte, blieb Josefa, wie durch das Auge der Mutter gebannt, stets in unmittelbarster Nähe; ja, sie setzte sich, wenn man irgendwo Rast hielt, meist unaufgefordert zwischen Somsdorff und ihre Mama, ein Warnungszeichen für den Bethörten und gleichsam die lebendige Mauer, in deren Schutz die verzauberte Königin trotzig auf ihre Unnahbarkeit pochte.
An jenem Morgen schritt man die Balustraden des Teiches entlang, bog dann links ab, durchstreifte die Rosenbeete, die in verblüffender Pracht standen, wechselte zwei, drei Worte über die Lieblingsarten der Gräfin, die Marschall-Niel- und La-France-Rosen, die von dem Gärtner mit überraschender Ausgiebigkeit gepflegt wurden, und erreichte auf Umwegen den Proserpinahügel, wo Leo sich damals so nahe am Ziel geglaubt.
Seitdem hatte er diesen Platz nicht wieder betreten.
Qualvolle Dumpfheit legte sich ihm aufs Herz, als er den marmorgemeißelten Gott erblickte, der sich die Braut mit so trotzigem Ungestüm – und bei alledem so bequem und natürlich – vom Boden rafft, um sie hinab zu schleppen in die Verborgenheit seines Palastes. Ein wehmütig beklommener Nachklang jener »heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten«, zog in Goetheschen Melodieen durch sein vergrämtes Gemüt.
Gräfin Adele hingegen schien klarer, frischer und ruhiger als je. Mit vollkommenster Unbefangenheit blieb sie einen Moment vor der leidenschaftlich bewegten Gruppe stehen, fand die zackige Krone des Gottes, die hie und da zu zerbröckeln begann, komisch und maskeradenhaft, meinte, das Ganze erinnere zu stark an den Raub der Sabinerin, der zu Florenz die Loggia de' Lanzi schmückt, und wandte sich dann, wie mechanisch, zur Bank hinüber, wo noch immer der blütenbesäte Jasmin seinen berauschenden Duft streute.
Man setzte sich.
Auch diesmal ergab es der Zufall oder Adelens Geschicklichkeit, daß die kleine Josefa den Platz in der Mitte bekam. Das Kind schmiegte sich schalkhaft an seine Mama und neckte sie, hell auflachend, mit einem schwankenden Zweig.
Der Fichtenbestand, der neulich im Goldglanz der sinkenden Sonne gestrahlt hatte, war jetzt beschattet. Die ganze Beleuchtung hatte für Somsdorff etwas Traurigverändertes. Es war ihm zu Mut, als ob er ein teures Antlitz, das er bei voller Gesundheit verlassen, im Kampfe mit einer schleichenden, todbringenden Krankheit wiedererblicke.
Und nun das ewige Lachen und Plappern des Kindes, das die Schweigsamkeit der Erwachsenen mit geradezu ungebührlicher Konsequenz ausnützte!
Es war natürlich nur Einbildung, wenn Somsdorff sich vorsprach, der allgegenwärtige kleine Teufel sehe ihn manchmal so spöttisch, so gemein triumphierend an … Dennoch, trotz aller Vernunftgründe, ward der erregte Mann diesen Eindruck nicht los.
»Josefa durchschaut dich,« klang es in seinem Herzen. »Sie kennt deine Qual! Sie ergötzt sich an deiner verzweifelten Ohnmacht! Ihr Lachen ist niederträchtiger Hohn!«
Gräfin Adele nickte ihm zu.
»Warum so ernst, lieber Freund?« frug sie mit schlichter Herzlichkeit.
Er zuckte ein wenig die Achseln.
»Man hat seine Stimmungen,« sagte er lächelnd. »Ich bin jetzt neuerdings auf dem Standpunkt angelangt, daß ich im Lenz schon den Herbst wittere, und wo sich das Leben entfaltet, Zerstörung und Tod. Dieser azurblaue Sommertag schnürt mir die Brust zusammen. Dort in der Tiefe zwischen den Fichtenstämmen erblick' ich Gespenster …«
»Das sind einfach die Nachwehen Ihrer Leidenszeit,« sagte die Gräfin, ohne den Doppelsinn ihrer Worte zu merken. »Sie dürfen sich nicht so nachgeben.«
Fragend heftete er den Blick auf ihr Angesicht, das so gütig erschien und so mild, wie das einer Mutter, die ihren Sohn tröstet.
Adele sah in dem einfachen, rosagestreiften Morgenkleid und dem beinahe schmucklosen Strohhütchen auf dem herrlichen Haar unbeschreiblich hold und verlockend aus. [76] Ihre Absicht, durch Vermeidung jeglicher Toilettenkunst den Eindruck, den sie auf Leo hervorgebracht, thunlichst abzuschwächen, hatte sich nie so verfehlt erwiesen, als heute. Sie ahnte nicht, wie gerade die blumenartige Schlichtheit ihrer Erscheinung einen Charakter von der Eigenart Leos umstricken mußte. Diese ungekünstelte Anmut bedeutete ja für Somsdorff äußerlich fast dasselbe, was ihre weibliche Würde, ihre hoheitsvolle und doch nicht geschraubte Strenge innerlich für ihn bedeutete: ein Fremdes, Neues und dennoch Vertrautes, ein himmlisches Etwas, das auf sein ganzes Gemüt wirkte wie die Seebrise auf die pochende Stirne des Fieberkranken.
Und nun sich sagen zu müssen: dies neue, unbeschreibliche Glück würde dir in den Schoß fallen, wenn dies Kind nicht wäre, dessen bloße Anwesenheit ihr unausgesetzt Moralpredigten hält und ihr Gehirn mit Phantasmen erfüllt, die du mit aller Kraft deiner sieggewohnten Verführungskunst nicht hinwegblasen kannst!
Daß Josefa wirklich das einzige Hindernis auf dem Weg zur Eroberung sei, darüber hegte der junge Mann, der ja noch immer die Fesseln einer leichtsinnigen Vergangenheit nachschleppte, kaum einen Zweifel.
»Denn –« sagte er sich – »wäre die Tugend Adelens an und für sich über jeden Ansturm erhaben, so brauchte sie nicht diese Schildwache hinzupflanzen, die schleunigst Alarm schlägt, sobald sich mir nur das leiseste Wort auf die Lippen wagt.«
Er seufzte schwer.
»Frau Gräfin,« frug er dann plötzlich in französischer Sprache, »wie lange gedenken Sie diese Komödie fortzusetzen?«
»Welche Komödie?«
»Die mit der kleinen Ehrendame, die sich hier zwischen uns drängt.«
Sie errötete heftig.
»Wie so Ehrendame?«
»Teuerste Gräfin, Sie betrügen sich selbst – und verraten sich! Weil Sie sich schwach fühlen, weil Sie mich lieben – heiß, über jede Beschreibung – deshalb gebrauchen Sie diesen Engel da mit dem flammenden Schwert, der mich so feindlich von hinnen scheucht! Aber ich schwöre es Ihnen: das frommt nicht! Sie werden an dieser Thorheit zu Grunde gehen! Nein, lassen Sie mich jetzt ausreden! Wird Ihr Kind darum besser und glücklicher, weil seine Mutter um eines Vorurteils willen sich heimlich zerquält und einen ehrlichen Menschen, der sie vergöttert, einfach ins Tollhaus bringt? Adele, Adele! Es kommt eine Zeit, da niemand auf dieser Erde mehr weiß, wo unsre Gebeine ruhen! Die Pflugschar geht einst über die Stätte, wo jetzt Ihr Schloß ragt … Glauben Sie wirklich, daß Ihre Seele dann irgendwo im unendlichen Weltraum Freude darüber fühlt, sich und mich damals zertrümmert zu haben?«
»Das weiß ich nicht,« versetzte die Gräfin ruhig. »Auch wäre das eine traurige Pflichterfüllung, die sich von der Erwägung abhängig machte, ob eine That sich lohnt. So viel im allgemeinen. Jetzt aber muß ich Ihnen doch scharf betonen, daß Sie mich vollständig mißversteh'n! Ich bin fertig und klar mit allem und durch Gottes Hilfe so stark, daß ich von keinem Kampf mehr zu reden habe. Ach, Herr von Somsdorff, Sie glauben also im Ernste, ich hätte um meinetwillen das Kind hier mitgenommen?«
»Ich dachte …«
»Sie irren, mein Freund! Nur um Ihnen das zu erleichtern, was Sie mir neulich versprochen haben … Nein, Herr von Somsdorff: eine Mutter, die einmal ernstlich mit sich zu Rate gegangen, hat die Gegenwart ihres Kindes nicht nötig, um unausgesetzt ihrer Liebe zu diesem Kinde und der Verpflichtungen, die ihr daraus erwachsen, bewußt zu bleiben! In diesem Engel, dem Ihr Sarkasmus ein flammendes Schwert verleiht, atme und lebe ich! Hundert Meilen dürften uns jahrelang scheiden: an der Allgewalt dieses Gefühls könnte das kaum was mindern! Seh'n Sie doch endlich ein, daß der Weg, den Sie jetzt wandeln, traurig ins Leere führt! Ich habe auf Ihrer Abreise nicht bestanden, weil Ihre Nähe mich nicht mehr erschreckte – und weil Sie so heilig gelobt hatten … Es scheint aber, daß Sie der Freundschaft in Wahrheit nicht fähig sind …«
Ein verlorener Sonnenstrahl zitterte auf dem goldgelben Band ihres Hutes und glitt, da sie den Kopf jetzt zurücklehnte, wie kosend über die schön gerundete Wange hinab auf die Brust, die so geruhig atmete und so gleichmäßig, als wollte sie den fiebrischen Brand seiner Sehnsucht verhöhnen.
Er sprang auf.
»Gehen wir?« fragte er tonlos.
Sein Gesicht war bleicher als je; die Lippen verdorrten ihm fast.
»Fehlt Ihnen was, Herr von Somsdorff?«
»Es scheint so. Ich bin zu Tode erschöpft. Ich fürchte, ich werde krank.«
»Es gibt einen Spruch …« sagte die Gräfin, als [79] sie am Teiche entlang schritten. »Mein Geschichtslehrer hat ihn häufig citiert … Es war Latein, und der Sinn war der: ›Wolle gesund sein, und du bist es!‹ Ihnen mangelt vielleicht der Wille. Uebrigens, kennen Sie nicht die Schrift Kants – das Einzige, was ich von Kant gelesen habe: ›Die Kunst, seiner krankhaften Gefühle Meister zu werden‹? Natürlich, Sie kennen das! Aber danach zu handeln, das fällt euch Herren der Schöpfung, die ihr doch sonst so vornehm auf uns herabschaut, nicht ein!«
»Ich glaube, Sie machen sich über mein Elend lustig?« versetzte Leo stirnrunzelnd; denn sie hatte die letzten Worte im Tone der leichtesten Plauderei gesprochen.
»Das sei ferne von mir!« sprach sie mit plötzlich veränderter Stimme.
Die Thränen traten ihr in die Augen.
Er aber sah das nicht. In seiner Seele hatte nur eins Raum: der Gedanke, daß diese Frau ihn geliebt hatte – und nicht mehr liebte!
Dies Bewußtsein war niederschmetternd – die erste große Enttäuschung seines verwöhnten Lebens!
Der Widerstand einer abstrakten Moral – so philosophierte er – ließ sich durch eisenfeste Beharrlichkeit über den Haufen werfen. Eine Siegerin aber, der es gelungen war, das Feuer der Leidenschaft – das er doch ihrem eignen Geständnis zufolge in ihrer Seele entzündet hatte – in so lächerlich kurzer Frist mit Gewalt auszulöschen: ein solches Geschöpf stand außerhalb jeder Berechnung!
Ja, wäre ihr Herz vereinsamt gewesen! Hätte dies Kind nicht alle Abgründe ihres Gemüts täglich neu mit Rosen und Lilien verschüttet! Aber so wirkte Josefa schon durch die bloße Thatsache ihres Vorhandenseins!
Und gerade er, Somsdorff, mußte dies wühlende Weh dulden – er, vor dem sich die angebetetsten Schönheiten seufzend im Staube gewunden! Er mußte das gerade hier dulden, wo es zum erstenmale im Leben ihm ernst war – so ernst zum wenigsten, wie es für einen jahrelang kultivierten Leichtsinn, der nichts für heilig erachtet, noch möglich war! Er liebte sie wahnsinnig, mit der Glut eines Verschmachtenden; jeder Tag dieser grauenhaften Entsagung hatte der Lohe, die ihn verzehrte, neuen Brennstoff geliefert; er fühlte, wie sein Gehirn kochte und brodelte, wie jeder Nerv in ihm krankte – und sie gab ihm den Rat, Kants Schrift zu lesen ›über die Kunst, seiner krankhaften Gefühle Meister zu werden‹!
Noch ein Schritt – und seine Zurechnungsfähigkeit hörte auf. Was dann kam – er schauderte vor der Ausmalung dieser Möglichkeiten zurück, die sich ihm hundertfach variiert und dennoch stets in der gleichen Grundstimmung aufdrängten. Der Egoismus der Leidenschaft hatte den Höhepunkt seiner Starrheit erreicht.
Als Leo am Nachmittag sein Zimmer aufsuchte, um für einige Stunden allein zu sein, folterte ihn ein fürchterlicher Gedanke, den er nicht bannen konnte. Ja, es fehlte ihm, so sehr er sich mühte, die sittliche Kraft, sich dieses unerhörten Gedankens zu schämen. Dabei fühlte er jetzt, gleichsam als Folie zu seiner Zwangsvorstellung, einen stechenden Druck in der Seite, etwas oberhalb jener Stelle, wo ihm der wütende Hirsch das mörderische Geweih eingebohrt hatte.
»Du Narr!« klang es in seinem Innern, während er grimmig die Faust wider den schmerzenden Punkt stemmte. »Hättest du damals ein paar Sekunden gezögert [81] und dein Leben, das noch so lebenswert und so rosig erschien, nicht in die Schanze geschlagen, so … wäre jetzt alles vorüber! Kein Hindernis türmte sich mehr zwischen dich und dies wonnige Weib! Du könntest sie trösten … Ein Tröster erfüllt seine Sendung nur halb, wenn er nicht auch ersetzt … du würdest in ihrem Herzen die Lücke ausfüllen, die der Verlust des unseligen Kindes ihr hinterlassen hätte! Sie wäre dein Eigen, wenn nicht schon jetzt, so doch dereinst, nachdem sich der erste, verzweifelte Jammer gelegt hätte! Die Undankbare! Wie hat sie dir's denn gelohnt, daß du gespießt wurdest? Ein paar gütige Phrasen hat sie für dich gehabt, ein sentimentales Geständnis, bei dem drei Viertel der zärtlichen Glut auf Rechnung des Kindes kamen! Und nun, wie du in deiner Ungeduld aufschreist, gibt sie dir lächelnd den unerhörtesten Fußtritt! Das hast du von deinem selbstlosen Opfermut, du trauriger Don Quixote, du öder, hirnverbrannter Hanswurst!«
In blinder Wut schlug er sich auf die schwer atmende Brust.
»Hätt' ich's geahnt,« fauchte er durch die Zähne, »hätt' ich's geahnt!«
Und die verbrecherische Empfindung der Reue über die Rettung, die er damals vollbracht hatte, goß sich ihm heiß durch die Adern. Nein, er würde im gleichen Falle nicht wieder so handeln. Jeder war sich doch selbst der Nächste, wo es um Sein oder Nichtsein ging! Man half nicht dem Todfeind, wenn er am Rande des Abgrundes zu straucheln begann. Das war nicht Menschlichkeit, sondern Wahnsinn.
Er stöhnte bei diesen grauenhaften Erwägungen wie ein Sterbender.
Immer wieder knirschte er vor sich hin: »Hätt' ich's geahnt! Hätt' ich's geahnt!«
Die Ritterlichkeit, die ihn sonst auszeichnete, die natürliche Wahrheit seines Gemüts, sein Gerechtigkeitssinn – alles schien untergegangen in dem fürchterlichen Gewoge einer schamlosen Selbstsucht.
Gegen Ende der Woche traf Gertrud Mettenius wiederum ein – ganz erfüllt von ihrem süßen Geheimnis, das sie der Freundin sofort, und den übrigen Hausbewohnern, soweit sie gesellschaftlich mitzählten, am folgenden Morgen unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit anvertraute.
Sie hatte sich also wirklich mit Herrn von Steinitz junior verlobt und hielt's nun daheim bei ihrer etwas nervösen Mama nicht länger mehr aus; denn Friedrich, der holde, reizende Mensch, hatte sofort unverhofft wieder abreisen müssen. Der Neubau des Herrenhauses auf Groß-Nieder-Wartha – so hieß die Besitzung, wo Gertrud als Freifrau von Steinitz demnächst ihren Herrscherstab handhaben würde – erforderte unbedingt seine Anwesenheit.
Das laute, geräuschvolle Wesen der jungen Braut wirkte auf Leo von Somsdorff wie der Lärm einer Mühle. Er hatte nie sonderlich für das Mädchen geschwärmt. Jetzt fand er sie geradezu störend – vielleicht nur deshalb, weil die Unverfrorenheit ihres Jubels dem traurigen Zustande seines eignen Gemüts so schroff widersprach. [83] Ein rätselhaftes Geschöpf, diese Gertrud! Ganz offenbar hatte sie doch die Grenzen der weiblichen Scheu und Zurückhaltung stark überschritten. Trotzdem lag etwas Kindliches in der Art ihrer Aufdringlichkeit, etwas Kernhaft-Gesundes, das unter andern Verhältnissen bei Leo von Somsdorff sehr wahrscheinlich gewisse humorvolle Sympathieen geweckt hätte, zumal der Erfolg ihr durchaus recht gab. Friedrich von Steinitz verlangte das so; er war ihr ganz augenscheinlich dankbar dafür: sonst hätte ihn das Gebaren Gertruds doch abgestoßen, nicht aber zum Sklaven gemacht. Wie Leo indessen gestimmt war, hatte er jetzt nur das Gefühl, als müsse er diesem übersprudelnden Lachen und Schwatzen grundsätzlich aus dem Wege gehen. Es machte ja fast schon den Eindruck, als ob Fräulein Gertrud um seine trostlose Situation wisse und sich das schnöde Vergnügen bereite, ihm die Glückseligkeit in recht unbarmherzigen Farben zu malen, damit seine Qual ihr zur Folie diene.
Gertrud merkte, trotz ihrer Naivität, sehr wohl, daß er mit jeder Begegnung kühler und förmlicher ward.
»Was will er nur?« fragte sie staunend. »Wahrhaftig, Adele, ich glaube, er legt's darauf ab, mich hier fortzugraulen!«
»Ach, er denkt nicht daran! Etwas nervös ist er …«
»Dann soll er doch seine Nervosität an den Dienstboten auslassen oder wo sonst! Ich kehr' ihm jetzt einfach den Rücken, bis er von selbst wieder Anstalten macht … Dazu ist denn doch eine glückliche Braut nicht da, um irgend einem beliebigen Griesgram als Blitzableiter zu dienen …«
Gräfin Adele küßte ihr tröstend die Wange und legte [84] für Herrn von Somsdorff ein freundliches Wort ein. Nun lachte Gertrud, flüsterte mit eigentümlicher Schalkhaftigkeit, so gar schlimm habe sie ja die Anklage nicht gemeint, und sprach dann wieder von Groß-Nieder-Wartha und dem entzückenden Neubau.
Am folgenden Tag mußte Adele das Bett hüten. Die Kämpfe der letzten Zeit, die doch heftiger in ihr tobten, als sie selbst sich gestehen wollte, hatten ihr stark zugesetzt, so daß eine kleine Erkältung, deren sie sonst nicht geachtet hätte, ihr alle Spannkraft benahm.
»Das hat noch gerade gefehlt!« knirschte Somsdorff in sich hinein, als er beim Frühstückstisch den Grafen allein fand und die Meldung erhielt, Gräfin Adele fiebere ein wenig.
Graf Gerold war heute langweiliger als je. Er hielt eine Nummer des »Athenäums« zwischen den Fingern. Sofort begann er mit laut hallender Stimme einen Bericht über die jüngsten pompejanischen Ausgrabungen zu lesen, die ein hochwichtiges Ergebnis zu Tage gefördert hatten – in Gestalt nämlich einer erzgetriebnen Kassette, die eine Anzahl von Goldmünzen und Medaillen enthielt, darunter mehrere von altgriechischer Prägung. Der Graf war der Meinung, Verschiednes aus diesem Bericht für seine noch immer nicht ganz vollendete Abhandlung verwenden zu können, obschon die Kürzung dadurch aufs neue erschwert wurde. Er wünschte die Ansicht Somsdorffs namentlich über zwei Punkte zu hören …
Leo empfand beim Vorlesen des umfangreichen Artikels einen heftigen Widerwillen. Die ruhig-sachliche Untersuchung, die sich hier abspielte, kontrastierte eben so schroff mit seiner eignen quälenden Unrast, als die Brautseligkeit Gertruds.
Der Graf ließ ihm nicht einmal so viel Zeit, sich genauer nach dem Befinden der jungen Frau zu erkundigen.
»Eine Art Grippe,« sagte er rasch und fuhr dann, als wolle er jeden weitern Versuch der Unterbrechung im Keime ersticken, mit wachsender Energie fort: »Die größte dieser Medaillen zeigt in künstlerisch vollendeter Bildung eine Reiterstatue mit der etwas beschädigten Umschrift …«
Somsdorff hörte nichts mehr. Voll stummer Verbitterung rückte er seinen Stuhl, klapperte rücksichtslos mit dem Löffel an seiner Theetasse, hustete, seufzte sogar, als hätte er jede Regel der Höflichkeit unter dem Schutt seiner Mißgefühle begraben – und erreichte damit ein fortwährendes Anschwellen der freudig erregten Stimme, die nur ab und zu mit dem Vorlesen innehielt, um parenthetisch ein »Höchst interessant!« oder ein »Hören Sie, Somsdorff?« dazwischen zu schleudern.
Leo, der schon mehrmals erwogen hatte, ob es nicht besser sei, die hoffnungslose Belagerung Adelens aufzugeben und schleunigst die Flucht zu ergreifen, war jetzt nahe daran, in dieser Richtung einen definitiven Entschluß zu fassen. Kleinigkeiten geben ja oft bei solchen lang in der Schwebe gebliebenen Fragen den Ausschlag.
Jedenfalls trug er, als nun der Graf sich entfernt hatte, kein Verlangen danach, dies eigentümliche Frühstück in Gemeinschaft mit Gertrud Mettenius fortzusetzen, zumal ihm die junge Dame gleich beim Betreten des Zimmers einen merkwürdig herausfordernden Blick zugeschleudert hatte.
Er stand vielmehr auf, machte ihr eine ceremoniöse Verbeugung und zog sich in seine Gemächer zurück, wo [86] er sich fruchtlos bemühte, beim Rauchen einer pompösen Cigarre den Zwiespalt, der ihn zerklüftete, aus dem Bewußtsein zu tilgen. Es lag ihm wie Blei in den Gliedern. Freilich, die Nächte hier , und namentlich in den letzten, hatte er ganz erbärmlich geschlafen – oft stundenlang grell geöffneten Auges zur Decke gestiert, um dann mitten aus einer quälenden Vorstellungsreihe heraus in einen starrkrampfähnlichen Zustand zu fallen, der nichts weniger als erquicklich war und mit dem Schlaf nur die Unwirksamkeit des Willens gemein hatte. Das mußte ein Ende nehmen – so oder so. Er fühlte, daß er zu Grund gehen würde, wenn seine Leidenschaft für dies wahnwitzig stolze Weib nicht endlich Genüge fand oder gewaltsam ertötet wurde …
Er nahm ein Buch. Schon bei den ersten Seiten befiel's ihn wieder mit einer Art von Hypnose. Statt des bedruckten Blattes und der klaren Antiquaschrift sah er die Bank auf dem Proserpinahügel – und zwischen den blütenbedeckten Jasminzweigen die herrlichen Augen Adelens, die ihm entgegenstrahlten, wie zwei lockende Sterne aus dem Grund eines verzauberten Brunnens.
Aufschreckend griff er sich nach der Stirne.
Welche Verrücktheit auch, bei diesem herrlichen Juniwetter im Zimmer zu sitzen, dazu noch bei festgeschlossenen Fenstern! Das Stubenmädchen mit ihrem ewigen Luftabsperren war die Borniertheit selbst – wie alle Frauenspersonen! Ja, wie alle! In diesem Moment glaubte er selbst Gräfin Adele mit einschließen zu sollen. Ihre rabiate Schwärmerei für das Kind war doch auch eine Art von Beschränktheit, eine fixe Idee, wie sie nur im Gehirn eines Weibes reift.
Ingrimmig setzte er den erdfarbenen, gemsbartgeschmückten Hut auf, nahm seinen Jagdstock und schritt hinaus.
Es war jetzt zehn Uhr. Ein tiefblauer Himmel spannte sich wolkenlos über die blühende Erde. Der Tag versprach heiß zu werden. Um so gescheiter, wenn man sich jetzt ein wenig die brennende Stirn kühlte. Ueber den Fluß her wehte noch eine Ostluft von belebender Frische.
Rasch, wie ein Mensch, der sich selber entfliehen will, stieg er die Seitentreppe hinab und durchquerte den Platz vor dem Teich. Hier im Park, wo ihm jeder Strauch die Erinnerung an das schmähliche Scheitern seiner strafbaren Hoffnung zurückrief, litt es ihn nicht. Auch der Pfad nach dem Gehölz schien ihm von Grund aus verhaßt. Das Kind schwebte hier wie ein Gespenst über der Moosdecke. Dieser Wald mit den zahlreichen Schneisen und Lichtungen war ja der Schauplatz jener unseligen Rettungsthat. Ja, nochmals schalt er in seinem krankhaft erregten Gemüt jene That unselig. Er lachte vor selbstironischer Wut, als ob er sich vorwürfe, sein Glück mutwillig zertreten zu haben. Hiernach graute ihm doch ein wenig vor der empörenden Roheit dieser Empfindungen. Er zuckte die Achseln, seufzte und schlug den Weg nach dem Fluß ein.
Es war still hier draußen. Auf den hellschimmernden Wiesengründen lagen die graugrünen Heuhaufen. Das Korn wogte in mannshohen Aehren. Hier und da nur, jenseits des Stromes, gewahrte man an den Hängen vereinzelte Landleute – so weit entfernt, daß man sie kaum mit der Stimme erreichen konnte.
Leo bog die Zweige des üppig wuchernden Erlengestrüpps zurück und trat an das Ufer.
Auch der Fluß, noch zu schmal und zu ungleichmäßig in seiner Tiefe, um schiffbar zu sein, bot mit der unbelebten, stark strömenden Wasserfläche den Anblick einer weltfremden Einsamkeit.
Das Ufer senkte sich an der Stelle, wo Somsdorff herangetreten war, schroff ab. Weiter nach rechts aber bildete seine Böschung eine Art natürlicher Bank, die zu beschaulicher Rast lud. Sommerliche Gewittergüsse hatten diese Einbuchtung wohl zusammengewühlt.
Leo ging die kleine Strecke stromaufwärts, umklammerte das Geäst einer verdorrten Weide und stieg so die anderthalb Meter hohe Lehne dieser Naturbank hinab. Unten setzte er sich behaglich zurecht. Als Schemel diente ihm ein Granitblock, der wie ein erratischer Einsiedler aus der lehmigen Wandung ragte.
Es war ein Ruheplatz von eigentümlichem Reiz. Droben das schattende, schwergrüne Laub der Erlen, gegenüber das steil ragende Ufer, gleichfalls mit Erlen besäumt – und zwischen den beiden Baumreihen, die hier die Welt abschlossen, das murmelnde Wasser.
Langsam und tief atmend sah Leo von Somsdorff in das immerzu wechselnde und doch so gleichmäßig glitzernde Wellenspiel. Zu seinem eignen Erstaunen wurde er von den elegischen Versen Nikolaus Lenaus heimgesucht:
So weit also war es mit ihm gekommen!
Die Fluten blinkten und rauschten – und spielten zuweilen wie neckende Elfen an dem Granitblock empor. [89] Die weiche, grasüberwachsene Wand schmiegte sich polsterähnlich wider den Rücken des Träumers, und sein rechter Arm fand so bequem einen Stützpunkt. Wenn er die Augen schloß, hatte er fast die Empfindung, als liege er auf der Chaiselongue zwischen den beiden Verandasäulen …
Und er schloß die Augen jetzt wiederholt, und immer auf länger, bis er zuletzt nicht mehr die Kraft besaß, der entzückenden Müdigkeit, die ihn umströmte, Halt zu gebieten.
Aller Gram seines Herzens schien von dem gütigen Fluß, der ihn hier einwiegte, fortgeschwemmt, alles Weh aufgelöst, aller Kampf selig gestillt. Die plätschernden Wellen wurden dem Schläfer zu holden, zauberhaften Sirenen, die ihm die süßesten Märchen vorschwatzten.
Und plötzlich war es die Stimme seiner verstorbenen Mutter, die zu ihm sprach, und das Märchen, das sie erzählte, war die unheimlich bange Geschichte »Gott überall«. Er kannte sie jetzt noch auswendig, – die kindlich-naive Historie von der gehorsamen Schwester und dem ungehorsamen Bruder, der im Keller die Milch benascht, und den Spalt am Fenster, durch den die himmlische Sonne blitzt, ärgerlich zustopft, damit der allsehende Gott nicht hereinblicke. Das war seine Lieblingsgeschichte … Wenn die Mutter ihm das erzählte, gestand er ihr jedesmal unter Thränen, was er an kleinen, harmlosen Unthaten auf dem Gewissen hatte. Und die Mutter war gütig und lieb, – und sie küßte ihn, und alles war wieder gut. Diesmal aber quälte ihn das Gefühl, als ob die sonst so freundlichen Augen trüb und vorwurfsvoll auf ihm haften blieben. Das Märchen, das ihm der Traum erzählte, mischte sich ihm phantastisch mit der geträumten Wirklichkeit. Er selber war nun der Held der Fabel. Er hatte, um heimlich [90] naschen zu können, nicht nur am Fenster den Spalt verstopft, sondern sogar dem Schwesterchen, das ihn warnte, voll Tücke den Tod gewünscht …
»Nein, mein Sohn,« erklang die schmerzlich bewegte Stimme, »das verzeih' ich dir nicht, sondern steige nun traurig ins Grab, weil du so schlecht geworden!«
Er stieß einen bänglichen Schrei aus.
»Aber so hab' ich's ja nicht gemeint!« keuchte er händeringend …
»Schweig!« sagte sie traurig. »Es mag wohl sein, daß es dich jetzt gereut: aber gewünscht und gewollt hast du's! Wir Toten sind ja allwissend! Wir lesen in euren Herzen! Vor uns gilt keine Lüge und keine Beschönigung!«
Sie legte ihm die Hand auf den Arm, just an die Stelle, wo kaum erst seine Wunde geheilt war.
»Siehst du,« raunte sie unter Thränen, »selbst das kauft dich von deiner Sünde nicht frei! Selbst meine Liebe nicht!«
Einmal noch berührte sie wie ein Hauch seine Stirn. Dann zerfloß sie in Schaum und Nebel …
Somsdorff erwachte. Verstört blickte er unter den brennenden Lidern hervor. Stromabwärts am Ufer hörte er jammern und wehklagen. Er griff nach dem Weidengeäste und schwang sich hinan.
Fünfzig Schritte von ihm entfernt gewahrte er eine Gruppe … Zuvörderst Gertrud, die ihm den Rücken kehrte; dann die englische Gouvernante, Miß Harriet, die sich – ein schrecklicher Gegensatz zu ihrer sonstigen maßvollen Ruhe – am Boden wälzte und sich laut wimmernd das Haar und die Kleider zerraufte; daneben einen halbwüchsigen [91] Bauernburschen, die kleine Josefa im Arm, beide von Wasser triefend.
»Das Kind ist ertrunken!« rief Gertrud außer sich, als Leo von Somsdorff näher kam. »Hätte jemand den Mut besessen, ihm rechtzeitig nachzuspringen …«
Sie warf ihm einen feindseligen Blick zu, den Somsdorff in seiner fürchterlichen Erregtheit nicht weiter beachtete.
»Ertrunken!« wiederholte er tonlos.
Er bebte an allen Gliedern. Im ersten Anprall dieses Ereignisses hatte er buchstäblich das Gefühl, als habe er selber die »abscheuliche Kreatur«, wie er die Kleine in den Ausbrüchen seiner Verbitterung so oft genannt hatte, ins Wasser geschleudert und so mit klarem Bewußtsein ermordet.
Bald jedoch kehrte die angeborene Geistesgegenwart, die er trotz seiner Jugend schon in so mancher schwierigen Lage bewährt hatte, ihm völlig zurück. Er übernahm alles. Der Bauernbursche mußte das Kind sofort nach dem Schloß tragen, wo Leo persönlich die Wiederbelebungsversuche einleitete, während der Kutscher nach Hoyersbrück fuhr, um Doktor Michalsky zu holen. Er tröstete die verzweifelte Gouvernante, die sich ein Leids anthun wollte, obgleich sie vollkommen unschuldig war. Er teilte dem Grafen, der lange nach Mittag erst von dem benachbarten Frohnheim zurückkehrte, wo er den Gutsherrn mit dem Artikel des »Athenäums« gequält hatte, zögernd das Entsetzliche mit, und staunte über die stoische Fassung des Mannes. Er würde sogar in seinem fanatischen Thätigkeitsdrange vor Gräfin Adele getreten sein, um ihr die Unheilsbotschaft so schonend als möglich beizubringen, hätte die Schicklichkeit dies gestattet.
So fiel die traurige Aufgabe denn ihrem Gemahl zu.
Am Nachmittag, in der sechsten Stunde, nachdem der Arzt ihm erklärt hatte, daß alle Bemühungen fruchtlos seien, schlich der Graf – schwerer beklommen als in dem Augenblick, da er selber das Unglück erfahren hatte – zu Gräfin Adele ans Krankenlager.
Somsdorff war ihm zitternd gefolgt, um vor der Thüre Posto zu fassen, als könne er so dem angebeteten Weib da drinnen, das jetzt den furchtbarsten Schmerz ihres Lebens erfahren sollte, Hilfe und Linderung gewähren.
Eine Zeit lang war alles still. Dann tönte die Stimme des Grafen wie dumpfes Gemurmel, abgerissen, beängstigend. Und mit einemmal scholl ein markerschütternder Aufschrei durch das Gemach, ein greller, schaudervoller Naturlaut, dem ein tödliches Schweigen folgte.
Nach zwei Minuten trat der Graf auf den Korridor.
»Somsdorff! Gut, daß Sie da sind! Den Arzt! Holen Sie schnell den Arzt! Er kann noch nicht fort sein! Da, nun hör' ich den Wagen!«
Wie ein Pfeil sauste Leo die Treppe hinunter. Der Landauer war noch in Hörweite.
Sofort machte der Kutscher Kehrt. Doktor Michalsky stieg wieder aus und verfügte sich kopfschüttelnd zu der Ohnmächtigen.
Als er nach zwanzig Minuten aus dem Gemach trat, schien er bedenklich.
»Eine nervöse Krisis,« sprach er zu Somsdorff, der ihn erwartet hatte. »Augenscheinlich kommt so mancherlei hier zusammen. Ich begreife übrigens nicht, was den Herrn Grafen bestimmen konnte, mich beinahe schon wegfahren [93] zu lassen, ohne mir eine Silbe zu sagen! Etwas Migräne, hieß es.«
»Die Frau Gräfin hat das so angeordnet …«
»Man folgt nicht den Anordnungen eines Patienten. Schöne Migräne! Ein Fieber von neununddreißig acht …«
»Herr Doktor, die Gräfin liebte ihr Kind abgöttisch …«
»Aber sie war eine kerngesunde Natur. Ich kenn' sie seit lange. Ihr Zustand weist noch auf andre Ursachen …«
Somsdorff nickte gedankenvoll.
»Ist ernste Gefahr vorhanden?« fragte er leise.
Doktor Michalsky zog seine Schultern hoch.
»Wir müssen das abwarten. Vorläufig bin ich noch meiner Diagnose nicht sicher. Jede Faser an ihr scheint in Aufregung. Ich habe Chloral verschrieben. Peinlichste Ruhe im ganzen Schlosse ist Hauptbedingung! Eins noch: Sorgen Sie doch dafür, daß dies Fräulein – wie heißt sie doch, Gertrud – sofort abreist! Gräfin Adele macht diese Dame – ob nun mit Recht oder nicht, ist hier vollständig gleichgültig – für das Unglück verantwortlich, und ergeht sich in Drohungen … O, Sie kennen das eigentümliche Temperament der Gräfin nicht! Allen Respekt vor dieser machtvollen Energie! Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen … ja, ja, man sieht's ihr nicht an … Und nun jetzt in diesem Zustand maßloser Ueberreiztheit! Item, ich halte es für geboten, das Fräulein auf irgend eine diskrete Art zu verständigen. Sie darf nicht im Haus bleiben! Man soll nicht einmal von ihr reden!«
»Aber das Fräulein trägt ebensowenig Schuld an der Katastrophe als Miß Harriet! Die Kleine ist ihrer Erzieherin einfach davongelaufen; je ängstlicher Miß Harriet sie anrief, desto entschiedener folgte sie dem Drang ihres [94] Uebermuts. Fräulein Mettenius vollends hatte nicht die geringste Autorität über das Kind.«
»So!« nickte der Arzt. »Nun, später kann man die Sache ja aufklären. Vorläufig muß ich aber bei meiner Bitte verharren. Ich vertraue Ihrer Geschicklichkeit, Herr von Somsdorff. Dieses Fräulein Mettenius scheint mir überhaupt ein recht ungeeigneter Gast für ein Krankenheim …«
Er drückte dem jungen Manne die Hand und empfahl sich.
Somsdorff nagte die Lippen.
Er sann und sann, wie er am schnellsten und klügsten der ihm auferlegten peinlich-delikaten Mission sich entledigen könne.
Der Zufall überhob ihn aller gefürchteten Schwierigkeit.
Als er den großen Salon betrat, kam Fräulein Mettenius mit starken Anzeichen der Verlegenheit auf ihn zu.
»Was hat der Doktor gesagt?« hub sie in lebhafter Unruhe an. »Steht es schlimm? Glauben Sie, daß ich entbehrlich bin? Mein Bräutigam schreibt mir nämlich, daß er zurück ist; daß er mich spätestens morgen erwartet … Natürlich, wenn ich der armen Adele irgend wie nützen kann …«
»Ich glaube,« versetzte Somsdorff, »Sie können der Pflicht gegen Ihren Verlobten Genüge leisten. Miß Harriet ist eine tüchtige Pflegerin; auch das Dienstpersonal hängt mit ungewöhnlicher Innigkeit an der Gräfin und wird seine Schuldigkeit thun.«
»Wenn Sie meinen …?«
»Ja, ich meine das.«
»Gut! Auf Ihre Verantwortung! Es ist jetzt gerade halb sieben. Wenn ich um neun hier abfahre, erreiche ich [95] in Hoyersbrück noch den Kurierzug. Es ist ja eigentlich schrecklich, daß ich so Knall und Fall wegreise und nicht einmal die Beerdigung abwarte … aber nicht wahr, Sie sehen doch ein …«
»Vollkommen.«
Sie überlegte.
»Ob ich jetzt gleich von Adele Abschied nehme?«
»Das dürfen Sie überhaupt nicht. Die Kranke versucht zu schlafen. Der Arzt hat streng untersagt …«
»So werd' ich Miß Harriet bitten, ihr meine Grüße zu sagen! Die arme Adele! Wer hätte das heute früh wohl geahnt! Es ist geradezu fürchterlich! Wenn man bedenkt … es wäre noch Zeit gewesen …«
»Zeit? Wozu?«
»Ach, nichts! Es fuhr mir so durch den Kopf …! Sie entschuldigen mich, Herr von Somsdorff, ich muß meinen Koffer packen! Wenn Sie die Güte hätten, dem Kutscher Befehl zu erteilen, daß er Punkt neun Uhr vorfährt …«
Somsdorff machte ihr eine Verbeugung.
»Danke sehr!« lispelte Gertrud.
Noch einmal warf sie ihm einen prüfenden Blick zu. Es war, als forsche sie in dem bleichen Gesicht nach einem Zuge von Scham oder Schuldbewußtsein. Jeder war sich ja selbst der Nächste, – und der geübteste Schwimmer konnte Malheur haben. Indes – die starre Unthätigkeit, die Somsdorff im entscheidenden Augenblick, trotz des Schreiens der Gouvernante und trotz ihrer eigenen Angst- und Weherufe an den Tag gelegt, schien doch gar zu empörend! Daran änderte selbst die Entschlossenheit nichts, die er damals im Kampf mit dem rasenden Sechzehnender [96] bekundet hatte. Es war einfach unmännlich, erbärmlich und herzlos. Nur der Leichtblütigkeit ihrer sprudelnden Jugend verdankte er's, wenn sie noch überhaupt mit ihm sprach. Sie vergaß und verschmerzte so leicht; die Eindrücke hafteten nicht, wenn nicht ihr eigenes Ich unmittelbar daran interessiert war …
Der Blick, mit dem sie das Antlitz des jungen Mannes durchmustert hatte, blieb resultatlos. Nie glich Somsdorff dem überlieferten Ideal eines Diplomaten so völlig wie jetzt. Alles war unergründlich an ihm und leblos. Der Widerwille, den Gertruds naiv-kindischer Egoismus ihm einflößte, lieh ihm die Kraft, ihr gegenüber noch mehr als in den kurzen Gesprächen mit dem Arzte seine Gemütsbewegung zu meistern.
Als Gertrud ihr Zimmer betrat, weilten ihre Gedanken schon vollständig bei Friedrich von Steinitz. Die Hoffnung, ihn ehestens wiederzusehen, nahm ihr die Fähigkeit, über Leo von Somsdorff und sein Verhalten irgendwie nachzugrübeln. Friedrich hatte ausführlich geschrieben – zehn Seiten lang – und die Hälfte des Briefes handelte von Groß-Nieder-Wartha. Es lagen hier so hochwichtige Fragen der künftigen Einrichtung vor, daß Gertrud sich die kleine Kaltherzigkeit nicht verübelte, mit der sie vom Krankenlager Adelens und von dem Totenbette der kleinen Josefa den Uebergang zu japanischen Möbeln und echt persischen Teppichen fand …
Punkt neun stand der gräfliche Wagen am Schloßportal. Der Graf, den Somsdorff über die Situation verständigt hatte, reichte der jungen Dame die Hand und half ihr beim Einsteigen, während der Diener das letzte Gepäckstück auflud. Sonst war niemand zugegen. Fräulein [97] Mettenius hielt es für schicklich, ihr Taschentuch an die Augen zu führen, dem Grafen noch einmal ihr tiefstes Beileid zu stammeln und ihm viel tausend zärtliche Grüße an ihre heißgeliebte Adele aufs Herz zu binden.
So fuhr sie hinaus in die dämmernde Sommernacht.
Am neunundzwanzigsten Juni wurde Josefa auf dem nahegelegenen Frohnheimer Kirchhof zur ewigen Ruhe bestattet. Der Pfarrer von Hoyersbrück, als Freund der Familie, der auch die Kleine getauft hatte, hielt eine warme und ehrlich empfundene Ansprache. Die Worte des Geistlichen wirkten auf Somsdorff wie schreckvolle Anklagen, die er nur mühsam entkräften konnte. Er hatte das Kind einfach ertrinken lassen: dieser abscheuliche Vorwurf, an sich eine Unwahrheit, nahm doch für ihn den Charakter der Wahrheit an, sobald er sich in die Stimmung der letzten paar Tage zurückversetzte. Das fürchterliche »Hätt' ich's geahnt!«, die verwerfliche Reue über die einzige That seines Lebens, auf die er bis jetzt vielleicht Grund hatte, stolz zu sein – kurz, die ganze Gehässigkeit, die ihn erfüllt hatte, trat ihm noch täuschender als zuvor im Gewand einer ursächlichen Verknüpfung mit dem Tode Josefas entgegen und raubte ihm angesichts der geöffneten Gruft beinahe die Fassung.
Gräfin Adele war am Tag der Beerdigung nicht bei klarem Bewußtsein. Gegen Abend begann sie zu delirieren. Die Balustraden des Parkteichs und die Geschichte vom [98] Sturmvogel, die Miß Harriet erzählt hatte, spielten im rastlos wirbelnden Chaos ihrer Phantasmen die Rolle von Angelpunkten. Immer wieder sah sie das Kind über die Brüstung klettern, hinabstürzen, vom Sturmvogel gespießt und zerhackt werden, bis dann fremdartige Momente dazwischentraten. Der wirkliche Schauplatz des Unheils, der Fluß mit seinen buschverhangenen, steil abfallenden Ufern, schien aus ihrem Gedächtnis hinweggetilgt.
Am dreißigsten Juni kam ein prächtiger Kranz von Gertrud, begleitet von einer Zuschrift, in der sie dem gräflichen Ehepaar nochmals ihr tiefstes Mitgefühl und die Unwandelbarkeit ihrer Freundschaft beteuerte.
»Ein böses Vorzeichen, Gott behüte uns!« sagte das Kammermädchen, als sie den Kranz über den Arm hing, um die verspätete Gabe nach dem Frohnheimer Friedhof zu tragen.
»Wie so?« fragte Leo von Somsdorff.
»Bei uns daheim geht die Rede: wenn ein Kranz nach dem Begräbnis eintrifft, so bedeutet das noch einen Todesfall in derselben Familie und im nämlichen Jahr!«
»Thorheit!«
»Ja, man weiß nicht … mir ist so bange ums Herz. Auch Karl meint, der Doktor Michalsky mache ein sonderbares Gesicht …«
»Sei'n Sie nicht abergläubisch! Ein sonst so verständiges Mädchen! Thun Sie nur Ihre Schuldigkeit; dann wird alles schon gut werden. Was ich noch sagen wollte … bitte, warten Sie einen Moment! Ich bin gleich wieder hier!«
Er ging in den Park, schnitt eine Handvoll köstlicher Marschall-Niel-Rosen, band sie mit einigen Epheuranken [99] zusammen und gab sie dem Mädchen, das bereits anfing, mit staunender Ungeduld nach ihm auszuschauen.
»So, Frida! Die Blumen hier legen Sie mit auf das Grab, – nicht zu dem kunstvollen Kranz da, sondern ein bißchen abseits … Können Sie beten, Frida?«
»Aber ich bitte Sie, gnädiger Herr! Man ist doch christlicher Leute Kind! Ich noch dazu, als die Tochter eines lutherischen Küsters!«
»Ja, ja, ich zweifle ja nicht! Wenn Sie die Rosen dann hingelegt haben und irgend ein Sprüchlein murmeln, so thun Sie's in meinem Namen! Ich bin leider nicht fromm; aber dem Kinde möcht' ich ein freundliches Wort nachrufen …«
»Gott, ja!« schluchzte das Mädchen gerührt. »Sie war so herzig und süß, die kleine Komteß! Die rechte Hand gäb' ich darum, könnt' ich den armen Engel wieder lebendig machen!«
Somsdorff wandte sich ab. Er hörte den Grafen, der sich bei Karl eifrig nach ihm erkundigte.
Graf Gerold hatte sich seit der Rückkehr von dem Grab seines Töchterchens mit verdoppelter Wucht auf den jüngsthin vernachlässigten Artikel für die »Minerva« gestürzt und ihn nach zweimal siebenstündiger Arbeit glücklich vollendet. Nun sollte sich Herr von Somsdorff über das schwer zu enträtselnde Manuskript hermachen und dem Verfasser ein offenes Urteil sagen.
Somsdorff willfahrte ihm. Der Aufsatz war pedantisch in der Form und inhaltlich überladen, aber vielleicht für ein gewisses Publikum, das gerne mit archäologischen Kenntnissen prahlt, recht geeignet. Somsdorff, zu ernster Kritik nicht aufgelegt, wohl auch gar nicht befähigt, lobte [100] die Arbeit mit einigen wenig charakteristischen Schlagwörtern, die dem Herrn Grafen indes vollauf genügten.
Nunmehr begannen die Vorstudien für eine zweite, umfangreichere Monographie, bei denen der Graf den Wunsch verspürte, mit »Gleichgesinnten« über die Fragen, die ihn beschäftigten, ernste Debatten zu spinnen. Mehrmals wurde der Pfarrer von Hoyersbrück zu Gaste gebeten. Somsdorff mußte wohl oder übel den breiten Erörterungen Gerolds mit dem geistlichen Münzkenner beiwohnen und sich mit ins Gespräch mischen, obschon die Probleme, die hier aufs Tapet kamen, ihn jetzt gerade am wenigsten interessierten.
Freilich, daß sich der Graf so geflissentlich einbohrte, das begriff sich. Die Numismatik war jetzt für Gerold von Authenried die erlösende Göttin: sie lenkte ihn wohlthätig von der Betrachtung seiner gestörten Häuslichkeit ab. Er mochte das Kind in seiner Art doch wohl geliebt haben. Seit dem Tag des Begräbnisses haftete ihm eine sonderbare Gebärde des Suchens an. Er, der sonst sehr wenig nach der Kleinen gefragt hatte, schritt jetzt häufig mit einer gewissen Unruhe von Gemach zu Gemach, und kehrte dann mürrisch und dumpf in sein Gelehrtenzimmer zurück, wo er mit Vorliebe auch den Abend verbrachte. In den Salons vermißte er augenscheinlich das Walten Adelens. Er hatte sich, wie er einmal zu dem Geistlichen sagte, gar zu sehr an die Frau gewöhnt. Man sollte das nicht. Man wurde ja so ein Sklave der äußeren Verhältnisse. Dabei aß und trank er jedoch mit gewohntem prächtigen Appetit und fand, wie gesagt, die Probleme der Münzwissenschaft, in der er doch nur dilettierte, mit jedem Tage erbaulicher und für das Gesamtwohl der Menschheit bedeutungsvoller.
Nach Verlauf einer Woche war Leo von Somsdorff mit seiner Geduld fertig. Er konnte die drückende Atmosphäre, die über Schloß Authenried lastete, nicht mehr ertragen. Trotz der dringenden Bitte Gerolds, der ihn »so nötig« hatte, bat er um Urlaub. Was sollte er noch in diesen vereinsamten, lichtlosen Räumen? Seine Leidenschaft für die Gräfin hatte, so glaubte er, eine seltsame Wandlung erfahren. Der Tod des Kindes, der da, vom Standpunkt einer gefühlsarmen Logik betrachtet, nur die Hinwegräumung eines Hindernisses bedeutet hätte, schien ihm den letzten Schimmer der Hoffnung endgültig zu vernichten. Die Mutter, die der Gram um den Verlust ihres Lieblings beinah getötet hatte, stand nun auf einer Höhe, zu der ein profaner Wunsch nicht mehr heranreichte. Die Erinnerung an die Verstorbene mußte bei einer Natur von der seelischen Tiefe Adelens eine noch machtvollere Wirkung ausüben, als früher des Kindes lebendige Gegenwart.
Er reiste also.
Zunächst in die Schweiz; im Frühherbst nach den italienischen Seen; Anfang Oktober zurück in die Hauptstadt, wo er sein glänzendes Junggesellenheim in der Boliviastraße bezog.
Von Graf Authenried hatte er ab und zu Nachricht erhalten. Schon im September erfuhr er, daß Gräfin Adele soweit genesen sei, um die letzten paar Wochen vor Eintritt der rauheren Jahreszeit möglichst abgeschieden im Harz zu verbringen. Doktor Michalsky hatte dort, unweit von Osterode, ein Dörfchen entdeckt, das, reizend gelegen, vom großen Strom der Touristen und Badegäste kaum noch bespült worden war …
Beim Empfang dieser Botschaft ward Leo von einer [102] plötzlichen Unrast bewegt. Fast stand er schon im Begriff, seinen Koffer zu packen; aber ein machtvoller Instinkt hielt ihn trotzdem in zwölfter Stunde zurück. Das dumpfe Dahinleben, dem er sich seit seiner Abreise von Schloß Authenried-Poyritz willenlos überlassen hatte, war für ihn Balsam gewesen im Vergleich mit den Stürmen, die ihn dort beinahe zu Boden geschleudert. Er wollte die mühsam erkämpfte Ruhe nicht zwecklos gefährden. Noch war er, nach seiner Meinung, nicht stark genug.
Nachdem er sich in der Hauptstadt kaum wieder eingebürgert, ward ihm die überraschende Kunde, der Graf und die Gräfin würden im Laufe des Monats November dort eintreffen, um sich für immer daselbst niederzulassen. Gräfin Adele könne sich absolut nicht mit dem Gedanken vertraut machen, daß sie im künftigen Sommer wieder das Schloß und den Park beziehen solle, wo sie so Schweres erlebt habe. Das Anwesen sei veräußert. Als Ersatz dafür gedenke Graf Gerold im Harz eine Villa zu kaufen. Die Wald- und Bergluft thue seiner Gemahlin besonders gut, wie ja der Augenschein lehre. Die Gräfin beginne jetzt wieder aufzublühen, auch hier und da ein Interesse zu zeigen. Sie habe sich anfänglich gegen die Hauptstadt gewehrt. Doktor Michalsky jedoch bestehe darauf. Jetzt, nachdem sie sich soweit erholt habe, seien Zerstreuungen ihr so nötig wie's liebe Brot. Wenn sie auch – selbstredend – der eigentlichen Geselligkeit zunächst fremd bleibe, so müsse sie doch alle verfügbaren Hebel ansetzen, um ihren Geist von der Vergangenheit abzuziehen. Sie solle Theater und Vorlesungen besuchen – Konzerte weniger, da die Musik leicht im entgegengesetzten Sinn wirke. Ja, schon ein Gang durch die menschenbelebten Straßen, ein Vorüberschlendern [103] an den Auslegefenstern der Magazine sei ihr von Nutzen. Die Gräfin habe dem Grafen seltsamerweise den Vorschlag gemacht, dann doch lieber nach Wien, Paris oder Neapel zu gehn. Er aber tauge nicht für die Fremde. Er wurzle zu sehr im Deutsch-Nationalen, wobei, wie er nicht leugne, der Umstand, daß er mit Leo so angenehme Beziehungen habe, mit in die Wagschale falle.
Leo von Somsdorff spürte an seinem Herzklopfen, daß er sich schmählich getäuscht hatte, wenn er die aussichtslose Neigung zu Gräfin Adele verwunden glaubte.
Er las die enggeschriebne Epistel des Grafen zwei-, dreimal durch, als müsse er irgendwo ein Symptom entdecken, das da zu gunsten seiner jetzt neu erwachenden Sehnsucht sprach. Der flüchtige Schimmer von Hoffnung, den er in dem Umstand gewahrte, daß Gräfin Adele sich gegen die Uebersiedelung nach der Hauptstadt gesträubt hatte, brachte ihn so von Sinnen, daß er den Brief des Mannes, den er so schnöde zu täuschen trachtete, wie ein köstliches Billetdoux an die Lippen drückte. Er besaß keine Empfindung mehr für die Widerlichkeit des Kontrastes zwischen dem Sinn dieser unwillkürlichen Liebkosung und der falschen Adresse, an die sie gelangte. So eingehend und scharmant, wie diesmal, hatte der Graf kaum je an Somsdorff geschrieben. Er mußte wirklich für Leo eine Art Faible, wenn nicht gar Freundschaft fühlen. Desto unerbaulicher blieb die Thatsache, daß Leo nach so monatelanger Depression, die nicht arm gewesen an Stunden sittlicher Selbsterkenntnis, nun so plötzlich wieder im alten Strome schwamm.
Ende November hatte der Graf sich vollständig installiert, und nun begann ein Verkehr, der sich von dem [104] auf Schloß Authenried-Poyritz nur durch eine gewisse Feierlichkeit des Tones, eine gemessene Vorsichtigkeit des Auftretens unterschied, wenigstens was die Gräfin und Leo von Somsdorff betraf. Es war, als liege noch immer ein Kranker im Haus, den man durch allzu geräuschvolles Offenbaren gewisser Gedanken und Regungen stören könne. Uebrigens wurde der gräfliche Numismatiker äußerlich in diese Gedämpftheit des Tons mit hineingezogen. Wenn er aus einer englischen oder französischen Revue eine Notiz vorlas, eine Studie über das Vorkommen altrömischer Münzen auf Ceylon oder ein kurzes Essay über die Prägeanstalten Venedigs, that er dies weder so laut, noch so eindringlich als bisher; auch heischte er nicht so despotisch die hingebungsvolle Aufmerksamkeit Leos, der seinerseits fast noch zerstreuter war, als an dem Morgen des Unglückstages bei der Vorlesung des Athenäumartikels.
Außer Leo von Somsdorff verkehrten nur wenige und dazu seltene Gäste im Hause des Grafen. Adele verspürte noch durchaus keine Neigung zu repräsentieren. Um so öfter besuchte sie die großen Theater, zumal wenn Schauspiele und Konversationskomödien in Scene gingen, während sie vor der Tragödie eine mit ihrem früheren Geschmack nicht vereinbare Abneigung hegte.
Von Gertrud hatten die Authenrieds noch im Harz die Vermählungsanzeige erhalten und dann nichts weiter gehört, als daß die neugebackene Freifrau von Steinitz nach einer kurzen Hochzeitreise in Groß-Nieder-Wartha gelandet war und nun das prächtig eingerichtete Herrenhaus total auf den Kopf stellte. Es mußte nach dem, was dem Grafen zufällig durch einen Vetter zu Ohren kam, eine ganz tolle Wirtschaft sein, lustig und farbig, ein [105] perpetuierlicher Karneval. Die Nachbarn trieben es übrigens gerade so. Die Mehrzahl der dortigen Grundbesitzer hauste auch während des Winters auf ihren Gütern; sie gaben Fest über Fest, so daß die Landstraßen von den hin und her fliegenden Karossen und Schlitten nicht leer wurden.
»Um so besser!« sagte der Graf zu Leo. »Es wäre fatal gewesen, hätte das junge Paar sich etwa hier in die Hauptstadt verirrt. Meine Frau spricht ja nicht weiter davon; aber ich weiß positiv: sie hat eine förmliche Idiosynkrasie gegen die vormalige Pensionatsfreundin.«
Gräfin Adele »sprach nicht weiter davon«. Sie sprach überhaupt nicht von der Vergangenheit. Ihre Beziehungen zu Leo von Somsdorff trugen jetzt wirklich den Charakter einer stillen, sturmlosen Sympathie. Er las ihr vor, wenn der Graf, wie dies nicht selten geschah, »fachwissenschaftliche« Briefe schrieb oder im Klub ein paar Stunden lang Poker und Baccarat spielte. Zum Abendthee – Punkt neun Uhr – war er dann spätestens wieder zurück und bedankte sich mit überhöflichem Eifer bei seinem »Freund«, der sich so »ehrlich bemühte«, die junge Frau zu zerstreuen und aufzuheitern.
Somsdorff hatte bei diesen Redensarten die klare Empfindung, als ob der Graf ihn verspotte. Das Blinzeln, das ihm gelegentlich über die Wimpern flog, schien halb Mitleid, halb Ironie zu sein.
»Du armer, dummer, verliebter Kerl« – so legte sich Somsdorff dies Blinzeln zurecht – »du bildest dir ein, durch solche Aufmerksamkeiten und Ritterdienste ihr Herz zu erobern! Ja, wenn sie anders wäre! Siehst du, ich bin so ruhig, so ruhig! Während du deine Zwecke zu fördern glaubst, förderst du nur die meinen! Du hilfst, [106] ihre Gedanken von dem ewigen Weh der Erinnerung ablenken! Du trägst so mit dazu bei, daß sie endlich wieder in jenen normalen Gemütszustand kommt, der leider Gottes für mein Behagen so nötig ist!«
Ehedem hätte Somsdorff bei dieser Erkenntnis getobt. Jetzt war er mit dem Gefühl peinvoller Demütigung, das ihn heimsuchte, schnell fertig. Es hatte so kommen sollen. Vielleicht war das nur die gerechte Strafe für seine Thorheit, die immer noch halb an der sündigen Hoffnung der ersten Tage hing.
Allmählich keimte ihm so der Entschluß, im Ernste das durchzuführen, was er damals auf der mondscheinbestrahlten Veranda nur als Komödie geplant hatte: jeden Gedanken unerlaubter Natur niederzukämpfen und dieser bewunderungswürdigen, herrlichen Frau das zu sein, was man auf Erden so selten findet, wie Rosen im Hochgebirg: ein echter, wahrhaftiger Freund.
Weihnachten kam so heran – das Fest, vor welchem sich Gräfin Adele so über die Maßen gefürchtet hatte.
Der Gegensatz zwischen dem Einst und dem Jetzt war zu grausenhaft …
Im vorigen Jahr – welch ein schallender Jubel in dem großen Verandasalon! Welch ein heiß flutender Strom der Glückseligkeit unter dem strahlenden Christbaum, wo eine Fülle bunter Geschenke für das jauchzende Kind verschwenderisch ausgestreut lag! An jenem Festabend hatte [107] die Gräfin alles vergessen, was sie gegen das Schicksal sonst auf dem Herzen hatte: die innere Oede, die der gefühlsarme, selbstsuchterfüllte Gemahl ihr zurückließ; die Reue über die kurze Verblendung, der ein so banges Erkennen gefolgt war; den heimlichen Gram über ein Leben, das sie verfehlt hätte nennen müssen, wäre das liebe, lachende, reizende Kind nicht gewesen …
Und nun?
Sie hatte schon bei dem bloßen Gedanken an die demnächstige Wiederkehr dieser Erinnerungen gefröstelt. Am liebsten hätte sie den Tag übersprungen, verschlafen, im Erledigen aufreibender Arbeit aus ihrem Bewußtsein gelöscht.
Aber wie war dies möglich?
Ihr Gemahl hatte so wenig Verständnis für dies nagende Leid, dessen eigentlichster und erster Grund er ja selbst war. An der Seite eines Mannes, den sie geliebt, der sie mit seiner warmfühlenden Seele umfangen, gehegt und beschwichtigt hätte, wäre ja auch das bitterste Weh zum Schweigen gekommen. Das treue Bestreben, sich gegenseitig über die Qual dieser Stunden hinauszuhelfen, würde bei allem Schmerz ein Glück in die Herzen gegossen haben, eine Empfindung tief innerlicher Gemeinschaft, ach, eine unbeschreibliche Wonne, die ihr bis dahin versagt geblieben!
Nein, Graf Gerold verstand sie nicht. Nur mühsam hatte sie ihn von der fürchterlichen Idee abgebracht, einen Baum für sie schmücken zu lassen. Einen Baum, dessen Nadeln ihr mit vergifteten Spitzen die Brust zerfleischt, dessen leuchtende Kerzen ihr das wildpochende Hirn versengt und verglüht hätten.
Wenn er das nicht einmal einsah – wie sollte er mehr begreifen? Rücksichtslos hätte er sie genannt, oder [108] im besten Falle thöricht und selbstquälerisch, wenn sie dabei verharrt wäre, den heiligen Abend für sich in der Einsamkeit ihrer Klause zuzubringen, wo sie doch im Gebet vielleicht eine Entlastung fand. Sie fügte sich also den Anordnungen des Grafen in duldsamer Resignation und wiederholte sich heimlich das Wort Shakespeares, das sie so oft seit dem Verluste des Kindes sich vorgesprochen:
Ruhiger, als sie dies selber sich zugetraut, sah sie die Frühdämmerung des vierundzwanzigsten Dezember durch die Gardinen schimmern. Es war ein bleigrauer Morgen, dumpfig, schwer und mit niedrigem Himmel. Nachdem sie sich angekleidet hatte, stand sie wohl zwanzig Minuten am Fenster und blickte hinaus auf die beschneiten Straßen und Dächer. Schwarzästig ragten die Riesenbäume des nahen Volksgartens zum Gewölk auf, und breite Flocken schwebten vereinzelt hernieder wie ein zerstückeltes Leichentuch.
Ihre Gedanken schwebten hinüber nach dem Frohnheimer Kirchhof. Schwermütige Starrheit umspann sie. Es war nicht zu ändern. Es gab so vieles in dieser Welt, bei dem nichts übrig blieb, als einfach mit blutendem Herzen stille zu halten.
Nachmittags gegen vier kam Leo von Somsdorff. Punkt fünf sollte Bescherung sein. Der Graf hatte sich die Notwendigkeit einer solchen durch keine Logik hinwegdemonstrieren lassen. Frauen mit heimlichen Kümmernissen seien Patienten, die man, dem hundertfältig betonten Grundsatz Michalskys zufolge, nicht fragen dürfe. Je rascher man wieder ins altgewohnte Geleise zurückkehrte, um so zweckmäßiger. Es gab auch eine Manier, den Schmerz [109] zu verhätscheln, der unter keiner Bedingung Vorschub zu leisten war.
Somsdorff saß mit Adele im Ecksalon – sie auf dem türkischen Sofa, er auf dem Schaukelstuhl. In der Mitte des Zimmers brannten zwei Kerzen des Kronleuchters, nur mäßige Helle verbreitend. Abseits, von einer gelben Damastdecke verhüllt, lagen die kleinen Geschenke, die Gräfin Adele, auf den Wunsch ihres Gemahls eingehend, für ihn und für Somsdorff bestimmt hatte. Den Aufbau dessen, was er schenkte, wollte der Graf eigenhändig im Hauptsalon vornehmen.
Das Gespräch zwischen Adele und ihrem Gast war nicht sonderlich lebhaft. Zuweilen stockte es gänzlich. Trotz der Schneemassen brach da draußen mit unheimlicher Geschwindigkeit das Dunkel herein, kalt, sternlos, wolkig, als ob sich der Qualm eines ungeheuren Rauchschlots über die Stadt wälze. Der Ausblick durch das unverhangene Fenster neben dem Schaukelstuhl war von beklemmender Unwirtlichkeit. Der Hauch dieser Unwirtlichkeit schien bis herein in das Zimmer zu dringen, um die matt flackernden Kerzen zu streifen und das glänzende Gelb der Damastdecke mit einem Grau zu durchsetzen, das schwer auf die Nerven fiel.
Es schlug fünf. Graf Authenried kam nicht.
Im Gemüte der jungen Frau quoll eine unbeschreibliche Bitternis auf, die ihr jetzt beinahe willkommen war; denn diese Regung erwies sich als Schutzmittel gegen den wühlenden Schmerz, den sie schon kaum mehr bewältigt hatte.
So einsam also stand sie in dieser Welt, so völlig verlassen!
An diesem Abend sogar, der für ein blutendes Mutterherz so verhängnisvoll war, ließ Graf Gerold sich draußen [110] durch eine Geringfügigkeit festhalten – vielleicht durch ein Gespräch über sein Lieblingsthema – und versäumte so die Vollendung seines eigenen Arrangements! Sie hatte ja gar nicht verlangt, daß er ihr Gaben auftürmte; nicht einmal, daß er des Festes, dem heute abend in Millionen von Häusern und Hütten die Menschen glückselige Opfer brachten, irgend Erwähnung that. Das eine aber hätte sie doch wohl erwartet: daß er nicht völlig vergaß, wie es um sie bestellt war, wie trostlos verarmt und verwaist sie sich fühlte, und wie grausenhaft dieses Gefühl sich steigern mußte, wenn er ihr gerade an diesem Abend so recht ins Bewußtsein rief, ein guter Bekannter, ein Zeitungsartikel oder ein müßiges Debattieren über sogenannte Probleme der Numismatik seien ihm wichtiger als seine trauernde Gattin!
Um so erbärmlicher fand sie diesen Verrat, als Gerold nicht wissen konnte, wie völlig ihr Herz ihm entfremdet war. Sie hatte ihn stets mit zartsinniger Aufmerksamkeit behandelt; sie hatte ihm eine Freundschaft erheuchelt, die sie nicht fühlte, weil sie die fromme Täuschung für ihre Pflicht hielt. Das alles war spurlos an ihm vorübergegangen. Der erste beste nichtige Tand interessierte ihn mehr, als das Weib seiner Wahl. Freilich, nur der Verstand, nur die Berechnung hatten ihm ja diese Wahl diktiert: aber die Zeit hätte hier doch eine Wandlung schaffen, hätte sein starres Gemüt nachträglich aufwecken, hätte ihm zeigen können, daß ihm die Frau mehr in die Ehe gebracht als die begehrten Millionen! War sie denn wirklich so ganz ohne jeden weiblichen Zauber, daß sich der Graf nicht einmal zu jener Alltagsliebe emporschwingen konnte, die zu einem Zwanzigstel Neigung, im übrigen Macht der Gewohnheit und Mitleid ist?
Und da saß nun, wenige Schritte von ihr entfernt, ein junger, gefühlsstarker Mann, für sie Zeus und Apollo in einer Person, ein ehrlicher, treuer, mit aller Kraft männlicher Selbstüberwindung begabter Mensch, der sie vergötterte! Diesem Manne gegenüber mußte sie unausgesetzt die Rolle der Kühl-Verständigen spielen, mit so eiserner Konsequenz, daß sie noch bis vor kurzem selber geglaubt hatte, er sei ihr vollständig gleichgültig …
Bis vor kurzem … Nun aber war es mit dieser künstlichen Selbsttäuschung ein für allemal aus.
Ihr Herz pochte. Eilig erhob sie sich. Für ein paar Augenblicke mußte sie jetzt allein sein, wollte sie nicht Gefahr laufen, ihre Empfindungen zu verraten. Und das hätte sie, aufgeregt wie sie war, nicht überlebt …
Sie nahm einen Vorwand und begab sich durch die noch unerleuchtete Zimmerflucht in ihr Boudoir. Fünf Minuten saß sie dort unbeweglich im Dunkeln. Dann machte sie Licht. Die Finsternis war ihr mit einemmal unerträglich geworden. Sie glaubte aus den versteckten Winkeln des kleinen Raumes ein gespenstisches Kichern zu hören. Krause Gestalten quollen vor ihr empor, die bei dem gelblichen Strahl der Kerze in Nichts zerflossen.
Es war die blumenbemalte Kerze auf ihrem Schreibtisch, die sie entzündet hatte. Zu der silbernen Ampel reichte ihr Arm nicht hinauf; den Diener wollte sie nicht herbeirufen.
Halb mechanisch nahm sie nun vor dem Schreibtisch Platz und that, was sie seit Monaten nicht gethan hatte: sie kramte in ihren Papieren. Bald hier, bald da zog sie ein Schubfach auf; Briefe, Zettel, Hefte und Umschläge knisterten unter dem fiebrischen Griff ihrer Finger.
Eine Mappe, außerordentlich zierlich, gerade nur handgroß, lag da zwischen den halb vergessenen Korrespondenzen. Sie schlug sie auf: lose Blätter aus ihrer Mädchenzeit, – eine Art Tagebuch …
Da: »Am siebzehnten Januar …« Das war der Tag ihrer Verlobung …
Sie las.
Freilich, das war nicht der Ton, in welchem die Liebe redet. Sie wußte jetzt besser, was Liebe war. Dennoch – wie völlig anders hatte sich alles gestaltet! Welch ein Bild entwarf sie sich hier von dem Manne, dem ihr kindliches Herz sich zu eigen gab! Hier atmete doch der Geist einer lebendigen Zuversicht, ein klares, ruhiges und freudiges Hoffen, – gleichsam der fromme Entschluß, glücklich zu sein und glücklich zu machen.
Sie zerknickte das Blatt im Schmerz ihrer Enttäuschung wie einen Schmähbrief.
Da auf der letzten Seite, am Tag vor der Hochzeit geschrieben, standen die Worte:
»Er ist so gut und so zartfühlend! Mit jeder Sekunde vertrau' ich ihm tiefer und ernsthafter! Ich glaube, er wird mich zeitlebens auf Händen tragen!«
Das Blut schoß ihr heiß ins Gesicht. Sie nahm die Feder, tauchte sie heftig ein und setzte in großen, zornbebenden Lettern die Worte darunter:
»Ich fluche dem Irrwahn, der mich dies träumen ließ! Heute, am Weihnachtsabend, bin ich allein! Er überantwortet mich in schurkischer Kaltherzigkeit meiner Verzweiflung! Er hat mich elend gemacht! Ich verabscheue ihn!«
Sie fügte die Jahreszahl bei. Die zollgroßen Ziffern waren verrenkt und zersplittert wie die Schrift einer Wahnsinnigen.
Hiernach sank sie erschöpft in den Stuhl zurück und ließ die Feder achtlos auf den kostbaren Teppich fallen.
In diesem Moment ward heftig die Klingel gerissen. Die Bronzeuhr über dem Schreibtisch zeigte halb sechs. Wirre Stimmen ertönten im Korridor, eigentümlich gedämpft und angstvoll.
Gleich danach kreischte es gell auf.
Das war Frida, die Zofe.
»Der gnädige Herr! Der gnädige Herr!« ächzte das Mädchen. »Allgütiger Gott, meine Ahnung! Der Kranz, der unselige Kranz!«
Und dann brummten und flüsterten wieder die fremden Stimmen, bis zuletzt über dem unverständlichen Chaos die bebenden Worte Somsdorffs vernehmbar wurden:
»Laßt nur, ich gehe selbst!«
Gräfin Adele wußte alles im voraus, ehe noch Somsdorff an die Thüre des Boudoirs pochte. Sie hatte ihren Gemahl nicht geliebt. In dieser Minute noch war ihr der Groll des vereinsamten Herzens maßlos übergeschäumt. Trotzdem hielt sie der Schreckensbotschaft, die sich fast buchstäblich mit ihrem Vorgefühl deckte, kaum stand. Somsdorff hatte die größte Mühe, ihr Fassung zu predigen. Sie wollte, nachdem er ihr das Entsetzliche mitgeteilt, auf keine Ermahnung hören. Sie ließ ihn sogar heftig an und gab ihm verstört zur Antwort, sie habe ein Recht, sich hier aufzuregen; sie wolle nicht ewig als Marionette abgeschmackter Gesundheitsrücksichten Ordre parieren.
Graf Gerold hatte sich allerdings verspätet – im [114] Kaffeehaus, wo er den Pfarrer von Hoyersbrück traf, der im Begriffe stand, mit dem Sechsuhrzuge nach einer kleinen Station der Nordbahn zu fahren. Dort besaß er Verwandte, in deren Familie er das Christfest begehen wollte. Die beiden Männer hatten sich, wie der Geistliche später erzählte, auch in der That über ein interessante Novum auf dem Gebiete der Münzwissenschaft unterhalten, so daß der Graf den richtigen Zeitpunkt des Aufbruchs verplauderte. Um das Versäumte nun gut zu machen, war er im letzten Moment noch unter dem niedergehenden Arm einer Barriere hindurch geschlüpft und dann in der Eile so unglücklich auf die Schienen gestürzt, daß der Kurierzug, der mit rasender Schnelligkeit dahergebraust kam, über ihn wegging. Als man ihn aufhob, war er bereits entseelt. Der furchtbare Anprall der Lokomotivschaufel hatte den Tod fast augenblicklich herbeigeführt.
Gräfin Adele hatte, trotz allem, was in ihr vorgegangen, jetzt das Gefühl einer gähnenden, unausfüllbaren Lücke. Erst das Kind, dann ihr Gemahl: das überstieg ihre Kraft. Und am heiligen Christabend! Sie hatte wohl Grund gehabt, vor diesem Abend zu zittern … Der geistige Druck dessen, was sie erleben sollte, war schon längst machtvoll am Werke gewesen. Das Kind hatte seinen Papa nach sich gezogen, um in der dumpfigen Erde nicht so allein zu sein …
Der schleunigst herzugerufene Arzt, der bei dem Verunglückten nichts mehr zu thun fand, hatte sich desto mehr mit der zitternden Frau zu beschäftigen. Um die drohende Wiederholung einer ähnlichen Krise, wie bei dem Tode Josefas, zu hintertreiben – Somsdorff hatte ihm diese Antecedenzien kurz auseinandergesetzt – duldete er unter [115] keiner Bedingung, daß Gräfin Adele, wie sie dies wollte, während der Nacht bei der Leiche die Wache hielt. Das übernahm Graf Gerolds getreuer Diener, während die Zofe beauftragt wurde, die Gräfin thunlichst sofort in ihr Schlafgemach zu begleiten und der Erregten einige Gläser Bromwasser zu verabreichen.
Leo von Somsdorff, der, wie damals auf Schloß Authenried-Poyritz, so auch jetzt über allem ein Auge hatte, trat nach Erledigung mannigfaltiger Anordnungen auch in Adelens Boudoir, verteilte die Hefte und Briefschaften je nach Gutdünken in die verschiedenen Gefächer und schloß auch die Mappe mit den Tagebuchzetteln weg, nicht ohne zuvor das seltsame Blatt mit der schauerlich exaltierten Nachschrift von heute bemerkt zu haben.
Er war indes zu mächtig erschüttert, um lange darüber nachzugrübeln. Die Schattenseiten im Charakter des Grafen, die Sonderbarkeiten und Schwächen traten jetzt auch für Somsdorff ganz und gar in den Hintergrund, während die Vorzüge eine erhöhte Beleuchtung gewannen. Ihm war mit Gerold, so schien es, ein wirklicher Gönner, ein Freund gestorben, der sich ihm stets nur von der liebenswürdigsten Seite, nicht selbstsüchtig noch gemütsroh, sondern beinahe väterlich wohlwollend und erfüllt von den herzlichsten Sympathieen gezeigt hatte. Und so graß und gewaltsam hatte der frische, kräftige Mann enden müssen! Ein schweres, unheilvolles, dämonisches Jahr!
Der Verlust ihres Gatten bedeutete für die Gräfin zunächst einen Absturz aus den Höhen der Selbstbeherrschung, die sie während der letzten zwei Monate mühsam erklommen hatte.
Nach einiger Zeit jedoch gab sie der scheuen Erwägung Raum, daß es für ihr umdüstertes Herz doch vielleicht eine Zukunft gebe.
Somsdorffs Liebe hatte sich glänzend bewährt. Mit keiner Silbe sprach er von dem, was er im stillen so heiß ersehnte. Die Gräfin jedoch, für die er jetzt nur der beratende, tröstende, gütige Freund schien, fühlte deutlich heraus, wie seine Neigung trotz dieser äußeren Zurückhaltung täglich an Tiefe zunahm. Sie war ihm dankbar für sein taktvolles Schweigen, das ihr Frist gab, sich an die Lage der Dinge erst zu gewöhnen und so den Mut zu finden, einem Gefühle, das ihr bis jetzt wie verbrecherisch vorgekommen und das nun plötzlich erlaubt war, allgemach Raum zu geben. Sie erkannte wohl, daß die Leidenschaft, die er für sie empfand, nichts mehr gemein hatte mit der banalen Verliebtheit des Weltlings, der eine Frucht nur begehrt, weil sie verboten ist. Jeder Zug seines Wesens sprach von der Wandlung, die er seit vorigem Jahr durchgemacht hatte; jeder Blick, mit dem er der teuren Gestalt folgte, wenn er sich unbeobachtet glaubte, ließ es erkennen, daß Leo sich gar kein höheres Glück träumte, als ihren dauernden Vollbesitz.
So kam denn, was der Natur der Dinge nach kommen mußte. Eines Abends im Mai warb er um ihre Hand, und Gräfin Adele sagte mit überquellender Innigkeit »Ja«. [117] Reichliche Thränen stürzten ihr heiß über die Wangen; hundert Erinnerungen überwältigten sie; der Schmerz um Josefa schien neu zu bluten: dann versank sie in wehmütigsüße Mattigkeit. Sie liebte ihn ja! Sie hatte die Glut ihrer Neigung so lange zurückgedrängt! Und sie brauchte um seinetwillen das fromme Gedächtnis ihres verklärten blondlockigen Engels nicht aus dem Herzen zu reißen! So mußte sie endlich, nach so erschütternden Stürmen, ruhig werden und ihres Glückes froh: das Kind selber würde im Himmel für seine Mutter beten.
Man kam überein, keine Verlobungsanzeigen zu verschicken, sondern nach Ablauf des Trauerjahres die Hochzeit in aller Stille auf einen noch festzusetzenden Tag im Februar oder im März zu rüsten und die Verwandten und Freunde durch die vollendete Thatsache zu überraschen.
Einen Moment lang hatte die Gräfin bei dem Gedanken an diese demnächstige Ueberraschung das peinliche Vorgefühl, als möchte irgend wer, dem die Beziehungen Somsdorffs zu dem gräflichen Hause vor dem Hinscheiden Gerolds bekannt gewesen, eine Bemerkung wagen, deren Fassung ihr sehr undeutlich vorschwebte, deren Sinn aber darauf hinauslief: »Das war ja vorauszusehen!« – Doch unterdrückte sie diese Regung als überängstlich. Alle Welt wußte, daß ihr verstorbener Gemahl und nicht etwa sie für Leo von Somsdorff so außergewöhnlich geschwärmt hatte. Somsdorffs Verkehr aber mit ihr damals im Schlosse war doch höchstens von Gertrud Mettenius und Friedrich von Steinitz beobachtet worden, die beide vollauf mit sich selber zu thun hatten; vielleicht auch von dem Major. Zudem – was lag daran? Somsdorff hatte sich nie das [118] geringste erlaubt, was die Vermutung erwecken konnte, er hege mehr Interesse für sie, als für den Grafen, – abgesehen von den wenigen tollkühnen Worten, die nur ihr zu den Ohren gedrungen. Und sie hatte ihn dann ja sofort belehrt, daß er im Ton sich vergriffen – und doppelt eifrig war er nach diesen Vorkommnissen bemüht gewesen, ihr keinerlei Anlaß zur Klage zu geben … Die Leute schwatzten ja stets … Mochten sie reden, wenn nur sie – die Gräfin – ein gutes Gewissen hatte!
Obgleich der Sommer nun vor der Thüre stand, konnte Adele sich immer noch nicht entschließen, die Stadt zu verlassen. Die alte Dame, die seit dem Tode des Grafen ihr Heim teilte – Fräulein von Rauch, eine entfernte Verwandte von ihr – hätte es zwar vollkommen ermöglicht, daß sie auf Reisen gegangen wäre, wie dies der Arzt wünschte. Der Gedanke jedoch, sich von Leo trennen zu sollen, war ihr zu schrecklich, und mit ihm zusammen zu reisen, das ging doch trotz der Anwesenheit jener Dame nicht wohl an.
So ward es Juni, ohne daß sich die Lebensführung Adelens geändert hätte. Man hielt sich nach wie vor äußerst zurückgezogen, verbrachte jedoch die unvergleichlichsten Nachmittage unter den Buchen, Eschen und Ahornbäumen des Gartens, der, selbst zwar nicht umfangreich, mit der Rückseite an den prinzlich hohenbrandischen Park stieß und so für den Blick eine höchst imposante Erweiterung erfuhr. Das liebenswürdige Fräulein von Rauch ging dabei nur so viel ab und zu, als sie für schicklich hielt, störte übrigens auch durch ihre Gegenwart niemals den warmen, ruhigen Goldton des Glückes, der jetzt bei Gräfin Adele mehr und mehr die Anwandlungen der Trauer und Wehmut verdrängte.
In Leos Wesen lag etwas eigentümlich Verhaltenes; selbst seine Stimme nahm teil an dieser beinah' gekünstelten Gleichmäßigkeit. Das alles jedoch war nur der Ausdruck jener unendlichen Wonne, die – aus Angst vielleicht vor dem Neide der Götter – nicht laut werden will. Die schweren Ereignisse der Vergangenheit lagen dem jungen Manne noch in den Gliedern wie der letzte nervöse Druck eines furchtbaren Schreckens.
Man sprach viel und eingehend von Leos Zukunft.
Er hatte die Absicht gehegt, die Laufbahn des Diplomaten endgültig aufzugeben, um sich nun ganz und gar seinen historischen und volkswirtschaftlichen Studien zu widmen.
Adele, die halb unbewußt hinter den »Studien« ein ähnliches, Herz und Geist absorbierendes Steckenpferd witterte, wie es die Numismatik für Graf Gerold gewesen, hatte ihn umgestimmt. Die Vorzüge einer praktischen Thätigkeit waren so mannigfach, und just die Carriere des Staatsmannes dünkte ihr außerordentlich reizvoll. Gelehrte und Künstler stehen dem Weib gegenüber wesentlich anders da, als die Männer der That. Sie finden oft schon nach kurzer Frist mehr Genüge in ihrem Beruf, als der Gattin genehm ist, während der Mann, den die Welt schüttelt und stößt, doppelt gern zu dem Herzen der Frau flüchtet.
Sie sagte das nicht, aber sie gab es ihm sehr geschickt ein. So hatte er Schritte gethan, um die kaum erst gelösten Fäden aufs neue zu schürzen, was ihm nicht schwer ward; denn seine Talente waren unzweifelhaft, und bis hinauf an den Thron besaß er die einflußreichsten Verbindungen.
Schon in kürzester Frist konnte er mitteilen, daß er [120] entweder für Madrid oder für Konstantinopel bestimmt sei, was eine Reihe unerschöpflicher Diskussionen und Plaudereien eröffnete und die eingehendste Beschäftigung mit Spanien und dem osmanischen Reich veranlaßte.
Am fünfundzwanzigsten Juni hatte sich Leo nochmals beim Minister vorzustellen, aller Voraussicht nach, um eine definitive Entscheidung zu hören. Die junge Frau erwartete ihren Verlobten unmittelbar nach dieser Audienz zu Tisch.
Kurz vor halb zwei – man speiste um vier – ließ sie anspannen, um in die Stadt zu fahren. Sie hatte noch Einkäufe zu besorgen; vor allem auch frische Blumen als Tafelschmuck, die sie persönlich aussuchen wollte. Es war ja doch ein bedeutsamer Tag, der auf lange hinaus ihre Zukunft bestimmte; man mußte ein übriges thun.
Wie Adele dies dachte und sich dabei wohlig in die Kissen des Wagens zurücklegte, fiel ihr ein, was sie den ganzen Vormittag über vergessen hatte, obgleich sie sonst mehr, als Leo dies wünschte, im Bann der Erinnerungen stand: daß nämlich übermorgen sich jenes fürchterliche Ereignis jährte, das ihr die süße, kleine Josefa entrissen. Ihr Auge umwölkte sich. Sie machte sich einen Vorwurf daraus, daß ihr ein Blumengeschenk für den Lebenden vorschwebte, eh' sie das längst schon geplante Blumengeschenk für die Tote bestellt hatte. Sie schwankte sogar, ob sie den Einfall, die Tafel zu schmücken, nicht aufgeben sollte. Bald aber fand ihr bewegtes Gemüt einen Ausweg. Der Mann, den sie so heiß und so innig liebte, der da allein auf der weiten Welt im stande gewesen war, sie nach dem Verlust ihres Kleinods – zuerst als Freund und jetzt als zukünftiger Lebensgenosse – aufrecht zu halten, er durfte [121] um keinen Preis hier verkürzt werden. Das wäre ihr vorgekommen wie eine Beraubung. Ihm also die prächtigen Festblumen, die von der Hand des Gärtners sorgsam genährt und gezüchtet waren. Am Abend wollte sie dann im Hausgarten still einen Kranz winden, nicht reich und nicht prunkvoll, sondern zusammengestellt aus den wenig gepflegten Rosen des einzigen Beetes …
Nun ward ihr freier ums Herz. Eine milde Versöhnlichkeit stieg in ihr auf. Sie staunte nicht mehr wie vorhin, daß sie je wieder froh geworden; sie glaubte, das sei der Wille Gottes, der ja für alles Weh einen Balsam habe und nach so tiefen Erschütterungen ihr doppelt freigebig seinen Trost spende.
Von dieser Stimmung beseelt, erblickte sie, als der Wagen jetzt anhielt, das etwas hager gewordene Antlitz ihrer ehemaligen Freundin Gertrud. Adele zuckte ein wenig zusammen. Gertrud von Steinitz war flüchtig errötet und hatte sich abgewandt. Sie kam aus dem nämlichen Magazin, das die Gräfin betreten wollte. Adele jedoch, die alles Unausgeglichene ebnen, alles Verworrene schlichten zu müssen glaubte, rief sie mit Namen und bot ihr freundlich die Hand.
»Wie geht's?« frug sie ein wenig unsicher. »Wir haben seit lange nichts mehr voneinander gehört.«
»Lediglich deine Schuld!« erwiderte Gertrud und warf die Lippen auf.
»Mag sein! Verzeih mir! Ich war so leidend, so aufgeregt …«
»O, ich weiß ja, was du mir höchst ungerechterweise vorwarfst! Es hat mich bitter gekränkt! Aber ich war denn doch in all meiner Nichtsnutzigkeit ein bißchen zu stolz, um dich aufzuklären!«
»Kranke sind immer ungerecht,« sagte die Gräfin erglühend. »Es war wie eine fixe Idee … Und dann, wie du so gar nichts mehr von dir hören ließest, dachte ich natürlich erst recht … Ich wundre mich nur, wie dir's zu Ohren gekommen …«
»Dafür sorgen die Dienstboten. Auch beim ehrlichsten Willen kann man sich ihre Aufdringlichkeit nicht vom Leibe halten. Aber das macht die Geschichte nur um so peinlicher. Es war geradezu unerhört von dir!«
»Nochmals: vergib mir!«
»Wenn dir was daran liegt, meinetwegen! Im Grunde ist ja alles so gleichgültig! Jetzt entschuldige mich …«
»Wo willst du hin?«
»Das weiß ich selber noch nicht.«
»Wohnt ihr jetzt hier?«
»Für ein paar Tage. Mein Mann hat geschäftliche Konferenzen. Er behauptet das wenigstens, und so muß ich's wohl glauben.«
»Du scheinst nicht glücklich zu sein,« fuhr Adele heraus.
»Pah! Wer ist glücklich in dieser Welt?«
»Ich!« wollte die Gräfin sagen, dankerfüllt gegen die Vorsehung, die ihr nach so unsäglichem Leid Ruhe und Rettung gewährt hatte. Sie unterdrückte jedoch diesen warmquellenden Ausbruch. Es kam ihr herausfordernd und nicht eben zartfühlend vor, so mit der Gnade des Himmels Staat zu machen. Auch hätte sie ihre verblüffende Antwort erläutern müssen, und dazu verspürte sie keine Lust.
»Hast du denn wirklich so große Eile?« fragte sie nach einer Pause, als Gertrud ihr kühl zwei Finger entgegenstreckte, um Abschied zu nehmen.
»Weshalb?«
»Nun, ich wollte dich … Du erklärtest vorhin, es sei lediglich meine Schuld, wenn wir einander so fremd geworden! Ich bin zwar heute und für die nächsten Tage so schwer in Anspruch genommen, daß ich dir nicht einmal sagen darf: ›Komm und besuche mich‹. Aber ein ganz klein wenig möchte ich diese Schuld doch gut machen. Weißt du was? Ich unterlasse hier meine Einkäufe und was ich sonst an Besorgungen vorhatte, und hole nur drüben etwas im Blumengeschäft. Dann fahren wir nach dem Volksgarten. Du erzählst mir, wie's dir gegangen ist, sagst mir, daß du mir wieder gut bist, und ich bring' dich in dein Hotel!«
Gertrud zögerte einen Moment. Dann sagte sie achselzuckend:
»Na, schön! Ich steige einstweilen hier ein und dirigiere den Kutscher …«
Nach fünf Minuten trat Gräfin Adele aus der spiegelnden Glasthür des Blumengeschäfte und nahm an der Seite Gertruds Platz. Eine Verkäuferin, die ihr gefolgt war, trug einen großen Korb mit wundervollen Azaleen, den der Bediente vorsichtig auf die Polster stellte.
»Habt ihr Geburtstag heute?« frug Gertrud, während der Wagen dahinsauste.
Sie dachte an den Geburtstag des Grafen. Bei ihrem ewigen Hin- und Herreisen hatte sie nicht einmal Kunde von seinem Tode erhalten. Vielleicht wußte ihr Mann davon. Aber der hatte so massenhafte Bekannte, daß es auf einen mehr oder minder nicht ankam. Zudem sprachen die beiden Ehegatten seit ihrer Heimkehr nach Deutschland nur das Notwendigste. Die Trauerkleidung der Gräfin [124] setzte Gertrud von Steinitz ausschließlich auf Rechnung des Kindes.
»Nein,« sagte die Gräfin ausweichend. »Aber nun laß uns von dir sprechen! Wie lebst du? Wie findet ihr euch zurecht?«
»Gar nicht!« versetzte Gertrud. »Die Antwort bezieht sich auf beide Fragen, auf das Leben wie aufs Zurechtfinden. Ich vegetiere nur noch! Die lustige Gertrud von ehedem ist so müde geworden, so halt- und kraftlos … Im übrigen …«
Die Thränen traten ihr in die Augen.
»Armes Kind!« seufzte Adele und nahm die Hand Gertruds. »Wie lange seid ihr verheiratet?«
»Noch kein Jahr. Aber du weißt ja selbst: diese Männer brauchen höchstens drei Monate, um sich als das zu entpuppen, was sie in Wirklichkeit sind: als elende, herzlose Egoisten.«
»Sprich leiser!« mahnte die Gräfin mit einem Blicke auf Karl, der augenscheinlich herunterhorchte.
»Meinetwegen darf es die ganze Welt hören,« flüsterte Gertrud. »Wirst du mir glauben, daß Friedrich schon auf der Hochzeitsreise mich schmählich betrogen hat?«
»Kind, du bist eifersüchtig! Die Eifersucht aber hat schlechte Augen!«
Gertrud wiegte den Kopf.
»Die Sache ekelt mich an; ich erspare mir also die Einzelheiten. Du würdest sonst rasch begreifen, daß hier die Möglichkeit eines Irrtums ausgeschlossen erscheint. Dabei ist der Mensch ein Tyrann, ein Tyrann – ich verstehe mich manchmal selbst nicht! Mein einziger Trost beruht darin, daß ich mir sage: die andern sind gerade so! [125] Da gibt's keine Ausnahme! Ich danke noch Gott, daß er nicht Urkunden fälscht und keinen Giftmord begeht!«
»Gertrud!«
»Liebste Adele, ich sehe die Welt so, wie sie ist! Du freilich in deinem rosenroten Idealismus, du glaubst noch an alles, an Tugend, an Liebe, an Freundschaft, obgleich dein Leben doch auch nicht arm an Erfahrungen ist!«
»Ja, Gertrud! Ich glaube, daß in der Seele der meisten Menschen der Keim des Guten und Edlen schläft, und daß es oft nur die Schuld der verständnislosen Umgebung ist, wenn dieser Keim nicht geweckt wird.«
»Das sind so Redensarten. Früher hab' ich mir's auch eingebildet … Genug davon! Der Aerger macht mich noch krank! Wenn ich nur erst mal über dies Stadium hinaus wäre und anfinge, die ganze Geschichte mehr auf die leichte Achsel zu nehmen! Dann hätt' ich gewonnenes Spiel!«
»Wie so?«
»Nun, ich fände dann Mut und Stimmung, ihm heimzuzahlen! Weißt du, ich gehöre von Temperament nicht zu den frommen Dulderinnen, die lautlos dahinschmachten, während ihr Peiniger schandbare Orgien feiert! Ich bin nur eingeschüchtert, auch körperlich etwas heruntergekommen – und leider Gottes noch immer etwas verliebt … Er hat eine Art, die mich kettet, trotz alledem! Das muß ich erst mit Gewalt ausmerzen. Dann aber – wenn mir dann einmal so ein Freund kommt, wie dir damals der Leo von Somsdorff, dann werd' ich den Teufel thun und ihm ausweichen!«
»Wie meinst du das?« fragte die Gräfin errötend.
»Ach, thu' nur nicht so!«
»Herr von Somsdorff war in der That mein Freund. Wenn du meinst …«
»Ich vermute nur, was ich weiß. Uebrigens sprach ich mehrmals mit Friedrich darüber – kurz nach unsrer Verheiratung. Damals tauschten wir unsre Gedanken noch aus. Nun, und Friedrich, wenn ich auch sonst kein gutes Haar an ihm lasse, in Liebesgeschichten kennt er sich aus, und sein Scharfblick im Wittern unerlaubter Verhältnisse ist geradezu großartig. Um Gottes willen, versteh' nicht falsch! Er hat nicht im Traume daran gedacht, dir etwas nachzusagen! Im Gegenteil, es war ja auf hundert Schritte zu merken, daß du den Somsdorff abfahren ließest! Ein glücklicher Liebhaber – der gebärdet sich anders! Daß er aber in dich vernarrt war bis zur Tollwut, und daß du von diesem Zustand genau unterrichtet warst – um das zu erkennen, brauchte man nur die Augen zu öffnen.«
»Wär's möglich …?«
»Es ist so, liebste Adele! Du fingst es nicht gerade sonderlich schlau an, muß ich dir sagen! Man merkte sogar, wie Friedrich behauptet, daß du stark mit dir kämpftest! In höchst auffälliger Weise nahmst du die Zuflucht zu deinem Kinde …«
Die Gräfin zuckte.
»Ach, vergib, daß ich hier eine Wunde berühre, die noch zu bluten scheint,« raunte Gertrud erregt. »Aber da's mir denn doch einmal beifällt, weshalb soll ich nicht frei von der Leber sprechen? Das Kind war dir damals eine Art Talisman, der dein Herz vor Verirrungen schützte. Vielleicht auch war es die pure Einbildung, wenn du meintest, solchen Talisman nötig zu haben. Offen gestanden, ich selbst hatte nicht sonderlich acht darauf. Friedrich [127] aber, und noch mehr sein Papa … ach, das sind geriebene Patrone! Erst später hab' ich mir's dann aus ihren Reden zusammengeklaubt. Der Somsdorff merkte, daß ihm das Kind bei der Verfolgung seiner Don-Juanprojekte im Weg war, und so erklärt sich's … Pfui, pfui, was sind doch die Männer für nichtswürdige, erbärmliche Kerle!«
»Gertrud! Ich sagte dir, Herr von Somsdorff sei mir ein Freund gewesen, ein lieber, teurer Freund …«
»Ja wohl! Ein Freund, der deine Josefa ruhig ertrinken ließ!« platzte Gertrud heraus. »Ein Freund, der die Hände kaltherzig in den Schoß legte, weil ihm dies Unglück just in den Kram paßte!«
»Bist du von Sinnen?« rief Adele so laut, daß der Bediente sich umdrehte.
»Ich rede die Wahrheit! Ich würde sie ihm kurzer Hand ins Gesicht schleudern und wäre denn doch begierig, ob er den Mut fände, mich Lügen zu strafen! Weshalb soll ich's verschweigen! Vielleicht hat er ja selber den Irrtum bei dir genährt, als sei ich schuld gewesen, ich, die ich bei Gott … Nein, du sollst wissen, daß sich dein Schmerz und dein Groll damals in der Adresse vergriff! Herr von Somsdorff, der ein ausgezeichneter Schwimmer ist, weißt du, ein Virtuose, nicht nur, was man gewöhnlich so nennt – Herr von Somsdorff saß in Lebensgröße gemütlich am Ufer und sah mit zu, wie die Kleine hinabstürzte; aber er rührte sich nicht! Damals hielt ich ihn nur für feige; jetzt aber weiß ich, daß es gemeinste Berechnung war … Aber was hast du denn? Lieber Himmel, ich dachte, du seiest so weit gefaßt, um das hören zu können …! Hätt' ich geahnt …«
»Sprichst du die Wahrheit?« fragte die Gräfin tonlos. »Oder willst du bloß Rache nehmen für die erlittene Kränkung? Ich beschwöre dich, Gertrud: sprichst du die Wahrheit?«
»Was sonst? Aber ich sehe, du regst dich ganz fürchterlich auf! Sei doch verständig! Wir beide werden die Welt nicht ändern! Streng genommen war Somsdorff ja nicht verpflichtet, sein Leben zu wagen … Und eine Gefahr lag ja immer noch vor …«
»Ich kann's nicht glauben, ich kann nicht! Gertrud, verzeih, ich fühle mich elend zum Sterben! Ich muß nach Hause! Nein, ohne dich! Thu mir die Liebe an, nimm eine Droschke und fahr' allein ins Hotel! Du ahnst ja nicht …«
»Ich kann dich unmöglich in diesem Zustand allein lassen!« murmelte Gertrud.
Trotzdem stieg sie, dem flehenden Blicke Adelens gehorchend, bei der Viktoriaallee aus. Sie zuckte die Achseln, wie's ihre Gepflogenheit war, wenn sie Gemütsbewegungen gegenüberstand, die sie nicht teilte, drückte der Freundin die Hand und schritt ein wenig verstimmt zu der nächsten Haltestation.
Adele fuhr inzwischen auf dem kürzesten Wege nach ihrer Wohnung.
Leo von Somsdorff war schon im Ecksalon und blätterte in dem neuesten Heft einer Monatsschrift, als Gräfin Adele marmorblaß über die Schwelle trat. Fräulein von Rauch, [129] die stets mit peinlichster Sorgsamkeit Toilette machte, überdies auch den jungen Mann im Spiel seiner rosenfarbnen Gedanken nicht stören wollte, war bis jetzt nicht zum Vorschein gekommen. Heimgekehrt, hatte Adele ihr sagen lassen, sie möge noch eine Zeit lang verziehen, da sie, die Gräfin, mit Herrn von Somsdorff zu reden habe.
Als Gräfin Adele den Strahl zärtlicher Freude gewahrte, der sich bei ihrem Erscheinen über das offene, liebenswürdige Antlitz ihres Verlobten ergoß, war sie geneigt, Gertrud von Steinitz rund heraus der Verleumdung zu zeihen. Jedenfalls, wenn sie nicht log, mußte ein seltsamer Irrtum vorwalten, der sich ja aufklären würde. Aber weshalb dann dieses zerhämmernde Herzklopfen, das ihr den Atem benahm und sie zwang, sofort niederzusitzen? Wozu das mühsame Lächeln, da sie doch klüger und einfacher ihre Erregung gar nicht verhehlt, sondern gleich beim Eintritt ehrlich zu Somsdorff gesprochen hätte: Höre, mein Freund, was Gertrud von Steinitz behauptet, und sage mir, was ich auf diese unglaubliche Narrheit erwidern soll! …
Leo, der schon im Begriff gewesen, ihr das Resultat seiner Audienz beim Minister entgegenzurufen, unterbrach sich mitten im Satz. Er vergaß die Umarmung, die er ihr zugedacht, und den Willkommkuß. Teilnehmend, wie ein Vater, ergriff er jetzt ihre Hand.
»Du bist nicht wohl?« fragte er fürsorglich. »Der glühende Nachmittag! Bestimmt, Liebling, du hast dir zu viel gethan!«
Nochmals versuchte sie ein gekünsteltes Lächeln, das ihr so fahl und so traurig geriet, wie ein Abschiedsgruß.
»Ja,« hub sie mit einem Seufzer an und drückte den [130] Kopf wider die Lehne des Sofas – desselben, wo sie an jenem furchtbaren Weihnachtsabend auf Gerold gewartet – »ja, ich bin sehr erschöpft … es liegt mir so dumpf über der Stirn! Ich traf Gertrud von Steinitz … doch hiervon später! … Du aber, Leo! Erzähle, ich bitte dich!«
Da er nun gleich mit der Hauptsache kam und ihr, halb schon beruhigt, mitteilte, man habe ihn für Madrid bestimmt, fiel sie ihm rasch ins Wort. Sie konnte nichts hören; sie mußte erst vollständig klar sehen, eh' sie sich dieser lebhaft gewünschten Entscheidung zu freuen vermochte.
»Was hast du nur?« fragte er staunend.
»Nichts! Verzeih mir! Weißt du auch, was wir übermorgen für einen Tag haben?«
Er wußte es wohl. Sein Staunen wuchs. Sie hatte fast niemals von dem Kinde geredet, als fürchte sie durch ein Wort der Erinnerung das kaum entschlummerte Leid wieder aufzuwecken.
»Wie sollte ich nicht?« sagte er stammelnd.
In diesem Moment türmte sich alles, was Gertrud erzählt hatte, mit erneuter Bedrohlichkeit vor Adelen empor. Die seltsame Scheu, womit Somsdorff die letzten Worte gleichsam nur zögernd über die Lippen gebracht, überwältigte sie. War es denn möglich? Drückte den Mann da im Ernste ein Schuldgefühl? Sie begriff nicht, daß nur die zärtliche Sorge um sie ihn so unsicher machte, vielleicht auch ein wenig der Schmerz darüber, daß sie in diesem Moment, der so völlig der Zukunft gehörte, fast nur der Vergangenheit dachte.
Plötzlich entsann sich die Gräfin, vor Jahren einmal [131] ein französisches Drama gelesen zu haben, worin der Untersuchungsrichter den Urheber eines Verbrechens dadurch entlarvt, daß er ihm, ganz ohne äußerliche Veranlassung und mitten im freundschaftlichsten Gespräche die Worte sagt: »Wozu noch die Umschweife? Ich verhafte Sie als den Mörder des Duchâtel!« Es lag absolut nichts Greifbares gegen den Mörder vor. Nur der Instinkt hatte den Richter geleitet, und die verblüffende Schroffheit des Angriffs führte alsbald zum Sieg. Der Verbrecher verriet sich. Aehnlich wollte es Gräfin Adele mit Leo von Somsdorff machen. Sprach Gertrud wahr, so konnte auch hier die Wirkung nicht ausbleiben.
»Leo,« begann sie dumpf, »ich hab' etwas Furchtbares auf dem Herzen …«
Sie wollte hinzufügen: »Du hast Josefa mit Absicht ertrinken lassen, obgleich du sie retten konntest!«
Aber das klang ihr denn doch zu grausenhaft.
So drückte sie ihren Gedanken etwas gemildert aus: »Ich weiß jetzt, daß du den Tod meines Kindes gewünscht hast.«
Leo erbleichte.
»Wie kommst du darauf?«
»Ich weiß es! Und hätt' ich es nicht gewußt, ich würd' es in dieser Minute dir ansehen!«
»Adele! Was redest du?«
»Willst du's abstreiten? Wohlan, so thu's! Hierauf den Knieen will ich dir's abbitten, wenn du mich überführst! Gib mir dein Ehrenwort, daß ich mich irre!«
»Aber wie kannst du nur glauben …«
»Ich glaube dir, was du verlangst, sobald du dein Ehrenwort gibst!«
»Nimm doch Vernunft an! Ich begreife dich nicht! Jeder Mensch hat krankhafte Stimmungen … aufgeregte Momente, wo er nicht Herr seines Willens ist …«
»Allmächtiger Gott!« schrie Adele und drückte die Hand auf die Augen. »Es ist also wahr?«
»Unglückselige, weshalb fragst du mich? Ja, es ist wahr …! Ich habe … ich wußte doch damals nicht, wie es kommen würde! Ich sah das Kind als das ewige Hemmnis meiner Glückseligkeit an; ich war ja sinnlos vor Leidenschaft … Und so geschah es …«
»Daß du ihr Mörder wurdest!« unterbrach ihn Adele, rasend vor Schmerz. »Daß du in kaltem Triumphe mit zusahst, wie sie den Tod fand!«
»Wer sagt das?«
»Elende Frage! Reut dich schon dein Geständnis? Freilich, die Wirkung, die du erwartet hast, bleibt nun aus! Deine Offenheit war zu wohlfeil. Du meintest die Anklage Gertruds auf gute Manier abzuschwächen, da du nicht leugnen konntest!«
Erschöpft sank sie zurück. Die zuckenden Lippen waren geöffnet, die Wangen wie eingefallen. Müde Verzweiflung umspann ihre ganze Gestalt.
»Ich verstehe dich jetzt!« murmelte Somsdorff.
Nach einer langen Pause hob er dann wiederum an:
»Gertrud irrt! Siehst du, Adele, kein Wort der Aufklärung würde mir über die Lippen kommen, wenn sich mein Herz nicht doch einer Schuld bewußt wäre, die mir so manchmal die Röte der Scham ins Gesicht getrieben! So aber nehm' ich den Wahnwitz, den du da vorbringst, wie eine Strafe!«
Kurz und wahrheitsgetreu erzählte er nun, was in [133] ihm vorgegangen, bis zu dem Augenblick, da er, fast nicht mehr zurechnungsfähig, die Worte geraunt: »Hätt' ich's geahnt, hätt' ich's geahnt!« Er schonte sich nicht. Rücksichtslos mit der Frankheit des Büßers räumte er ein, daß er die mutige That im Gehölz wirklich bereut hatte; ja, daß er, vom Taumel seines Verlangens betäubt, Ingrimm und Haß empfunden …
Dann aber fuhr er mit sehr veränderter Stimme fort:
»So, nun hab' ich gebeichtet! Alles übrige muß ich zurückweisen, klar und energisch und ohne Verklausulierung. Ich wiederhole dir: Gertrud irrt, – oder sie lügt!«
Nachdem er der immer noch schweigenden jungen Frau mitgeteilt, was ihn entlastete – den Gang nach dem Uferplatz, die Schlaflosigkeit so vieler trauriger Nächte, das Rauschen der einsamen Flut, das ihn mit Allgewalt hypnotisierte, sein bängliches Träumen, sein jähes Erwachen und die erschütternde Wahrnehmung, daß es zu spät sei – fügte er im Ton feierlichster Beteuerung hinzu:
»Glaub' mir, Adele, ich hätte dein Kind auch damals gerettet, trotz jener gehässigen Stimmung, die ich jetzt kaum noch begreife! Daß es nun starb, das empfand ich ja gleich in der ersten Sekunde wie einen Vorwurf, obgleich ich so schuldlos war, als du selbst! Schau mich doch an! Du kannst ja nicht zweifeln, daß ich die Wahrheit rede!«
»So gibst du dein Ehrenwort?«
»Ja, mein Ehrenwort!«
Sie brach in ein wildes Schluchzen aus.
»Und du meinst,« stöhnte sie schmerzlich, »daß nun alles mit dieser Erklärung gut sei? Daß sie dem Mutterherzen genügt …? Sieh, das wußte ich ja im voraus: irgend etwas in dem Exempel Gertruds war ungenau! [134] Männer wie du sind eher noch einer schändlichen That fähig, als einer so nichtswürdigen Unterlassung. Aber was bleibt, ist gerade noch furchtbar genug. Leo, ich kann mit dem Mann, der meinen Liebling hinweggewünscht hat, nicht glücklich werden! Wie? Diese Hand, die vor Wut und Feindseligkeit gegen das Licht meines Lebens gekrampft hat – diese Hand, mit der du mein süßes Kind hättest erwürgen mögen – ich soll sie zum ewigen Bund in die meine schließen? Niemals! Lieber die Einsamkeit bis ans Ende! Nein, ich beschwöre dich, rühr' mich nicht an, Leo! Es gibt Dinge, gräßliche Dinge, die wider alle Natur sind! Laß mich – in dieser Minute noch! Alles, was ich versprochen, nehm' ich zurück! Ich liebe dich nicht! Ich verzeihe dir nicht! Ich kann deinen Anblick nicht länger ertragen! Geh!«
Sie hatte sich langsam erhoben. In den tiefschwarzen Augen glomm ein verzehrendes Feuer. Sie stand ruhig und majestätisch vor ihm, völlig verändert in ihrem Wesen, grausam gegen sich selbst, aber unerbittlich in ihrem Entschluß.
»Adele! Du willst mich zurückstoßen, du, mein Glück und mein Alles!«
»Geh!« wiederholte sie gleichmütig.
Somsdorff zögerte noch.
»Ich kann's ja nicht glauben!« sagte er, blaß wie ein Toter. »Wenn ich so Schauderhaftes gedacht und gefühlt habe, – du weißt's doch, Adele – so war's nur im Irrsinn, im Wahn der Verzweiflung! Ich habe mich dieser Gedanken geschämt; ich habe sie bitter bereut. Wie oft mag Aehnliches schon gedacht worden sein, ohne daß es dann später zur Aussprache kam! Liebste Adele! [135] Besinne dich, um deinet- und meinetwillen! Ich gehe, wenn mich ein gütiges Wort nicht zurückhält! Noch einmal: Vergiß meine Schuld! Das alles ist ausgelöscht! Lebte dein Kind, ich würde es hegen wie meinen Augapfel! Hörst du, Adele?«
»Du hast ihr den Tod gewünscht!« sagte die Gräfin. »Wer dieser Schändlichkeit fähig war, der kennt auch die Liebe nicht! Dem Himmel sei Dank, der mir im letzten Moment noch die Augen öffnet! Geh nur! Ich wünsche dir alles Gute!«
Sie drehte ihm langsam den Rücken und schritt auf das halbgeöffnete Fenster zu, wo ein flüchtiger Hauch die Gardinen bewegte.
»Es ist großartig!« murmelte Somsdorff bebend. »Die Mutter, für deren Kind ich beinah gestorben wäre, jagt mich hinaus wie einen lästigen Strolch! Nun, ich bin nicht gewohnt, mich aufzudrängen! Möchtest du deine Engherzigkeit niemals bereuen!«
»Was geht hier vor?« stotterte Fräulein von Rauch, die in demselben Moment auf die Schwelle trat, als Somsdorff die Klinke ergriff.
»Ich habe mich eben von der Frau Gräfin verabschiedet,« sagte er spöttisch. »Heute noch reise ich ab nach Madrid, wo ich einstweilen mich einleben will, bis ich von amtswegen dort zu thun habe. Nein, ich bedaure unendlich! Keine Minute mehr! Ihnen, mein gnädiges Fräulein, danke ich anläßlich dieser Wendung noch ganz besonders für die unendliche Güte, mit der Sie meine geringe Person überschüttet haben. Leben Sie wohl! Gräfin Authenried wird Ihnen alles Nötige schon auseinandersetzen!«
»Herr von Somsdorff, ich bitte Sie …«
»Laß ihn, laß ihn!« stöhnte Adele, durch die frostige Ironie im Tone Leos plötzlich um ihre Fassung gebracht. »Ich will nicht, daß du auch nur eine Silbe noch mit ihm redest!«
»Er ist dessen nicht würdig,« fügte Somsdorff hinzu. »Nun, er wird sich zu trösten wissen!«
Hals über Kopf trat Somsdorff die Reise an; wenn auch nicht an dem nämlichen Tage, so doch am folgenden. Leuthold, sein Diener, hatte ihm das Notwendigste packen müssen. Die alte Wirtschafterin, die seit vergangenem Herbst engagiert war, blieb zunächst in der Wohnung. Sie sollte vor ihrem Weggang, der Ende September erfolgen würde, die Möbel bei einem Transportgeschäft unterstellen. Den Leuthold, einen gewandten, tüchtigen Menschen, der ihn bereits nach Rußland begleitet hatte, nahm er auf dieser plötzlichen Flucht mit.
Somsdorff kannte die Gräfin hinlänglich, um zu wissen, daß es sich hier durchaus nicht um eine »Scene« handelte, die nach einigen Tagen des Schmollens mit einer Versöhnung schließt. Der Aufschrei ihres verletzten Gefühls war zu leidenschaftlich, zu elementar gewesen, als daß sich ein Umschwung in absehbarer Zeit hätte erwarten lassen. Uebrigens war Leo zu stolz, um diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. – »Er wird sich zu trösten wissen!« [137] Dies letzte Wort beim Ueberschreiten der Schwelle klang in ihm nach wie ein feierliches Gelöbnis.
Zu Anfang meinte er auch, das mit dem Trösten ginge so leidlich. Die Bitternis, die in ihm gärte, täuschte ihn über den Kern seines Empfindens.
»Ich habe die Frauen zu hoch taxiert,« sagte er zu sich selbst, und kokettierte dabei mit den Stimmungen einer längst überwundenen Frivolität. »Noch in Sankt Petersburg war ich ein Weltweiser, der sie nahm, wie sie sind! Mit dem Augenblick, da ich vom Pfade der Philosophie abwich, hat im Verborgenen die Nemesis auf mich gelauert! Ein ganz abnormer Charakter, diese Adele! Bezaubernd, hinreißend – ja! Aber doch eben so wankelmütig, wie ihre Schwestern, wenn auch auf andrem Gebiet! Es fehlt ihr im Blute! Wo die gewöhnlichen Weiber die Liebe wechseln, da wechselt sie mit dem Haß! Erst ihr bedauernswerter Gemahl, – dann ich! Wer weiß, wodurch er sich die Verstimmungen zugezogen, die ihr die Galle empörten! Vielleicht war die erste Ursache eine ganz harmlose Bemerkung über das Kind! Ein Wort des Verdrusses, der Ungeduld! Sie aber, mit ihrer nervösen Feinfühligkeit … Lächerlich!«
Und es war nicht zu ändern! Sollte er sich sein jungfrisches Leben verkümmern um dieses flüchtigen Intermezzos willen? Er war ja nun auf der Fahrt nach Paris, wo er sich acht Tage aufhalten wollte, vielleicht auch vierzehn. Dort in dem Eldorado der Teufel hielt eine deutsche Liebe, wenn sie daheim noch so viel Zeit gehabt, Wurzeln zu schlagen, nicht lange vor. Auch Spanien galt für ein zweckentsprechendes Heilterrain! Zunächst San Sebastian mit seinem funkelnden Badeleben; denn in der Hauptstadt [138] war es vor Mitte September zu heiß … Fort also mit den trüben Gedanken! Im Herbste kam dann die Arbeit … es würde schon gut werden!
Leider schwand diese Zuversicht rasch. In Paris fühlte sich Somsdorff, trotz der mannigfachen Beziehungen, die er mit Leichtigkeit anknüpfen konnte, öd und vereinsamt. Die Vergangenheit war nicht durch einen bloßen Entschluß abzustreifen, und ebensowenig ließ sich die Neigung und das Verständnis für die oberflächlichen Tändeleien der goldenen Jugend künstlich heraufbeschwören. Wer einmal am Born einer echten und wahrhaftigen Liebe getrunken, den mutet alles, was ihn sonst wohl gelockt hat, schal und erbärmlich an, just wie der Sage zufolge an dem geweihten Spiegel, den Ormas göttlicher Hauch streifte, kein Wasser haftet.
Am vierten Abend bereits, da Somsdorff aus einer der großen Konzerthallen der Champs Elysées, wo er mit einem jungen Rumänier den brausenden Fanfaronaden einer bildhübschen Volkssängerin gelauscht hatte, in sein Hotel zurückkam, war es mit seiner Selbstbeherrschung zu Ende. Alles, was er sich vorgeredet, zerfloß wie Rauch. Nach einer schlaflosen Nacht war sein Entschluß gefaßt. Er schrieb an Gräfin Adele einen ausführlichen Brief, worin er noch einmal ruhig und klar auseinandersetzte, was er ihr mündlich gesagt, und sie heilig beschwor, nicht um der einen tausendfältig beklagten Thorheit willen ihn und sich selbst für alle Zeit elend zu machen. Er könne das Leben fern von ihr nicht ertragen. Was er bis jetzt gelitten, sei auch im schlimmsten Fall Buße genug, zumal doch auch seine Eigenliebe unter der schroffen Behandlung, die er erfahren, immer noch blute. Zum Schluß bat er [139] sie um sofortige Nachricht. Er werde nicht eher wieder frei aufatmen, bis er Gewißheit habe, daß sie ihm endlich verzeihe.
Somsdorff ließ den Brief, den er als Einschreibesendung bezeichnete, unverzüglich durch seinen Bedienten zur Post bringen. Er wollte die halbe Stunde, die er noch zur Erledigung seiner Toilette brauchte, nicht erst verstreichen lassen; sonst wäre er selbst gegangen.
Nun begann eine Zeit fiebernder Ungeduld.
Im ersten Taumel der sich neu belebenden Hoffnung rechnete Leo fest auf ein Telegramm. Adele, wenn sie nun sah, wie er im Gram sich verzehrte, würde ihn doch bestimmt nicht so lang auf die Folter spannen, bis eine briefliche Antwort in seine Hände gelangt sein konnte! Er sah sie im Geist, wie sie mit zitternder Hand die Empfangsbescheinigung unterschrieb, das Couvert erbrach, die längst schon erwarteten Zeilen im Sturm überflog und dann sofort anspannen ließ, um in eigner Person nach dem Telegraphenbüreau zu fahren. O, diese Depesche! Ganze Stunden verbrachte Somsdorff mit dem Erwägen des vermutlichen Inhalts. Keine der Fassungen, die ihm vorschwebten, dünkte ihm herzlich genug, keine entsprach der köstlichen Eigenart der Geliebten! Es würde ein langes, ein umständliches Telegramm sein, glühend und doch versteckt im Ausdruck, nur ihm verständlich, für die Beamten jedoch hieroglyphisch und rätselhaft …
Aber der Tag, an dem der Einschreibebrief spätestens in die Hände Adelens gelangt sein mußte, verstrich, ohne daß der Portier des Hotels auf die wohl zwanzigmal wiederholte Nachfrage Somsdorffs eine bessere Antwort gehabt hätte, als ein lächelndes » Rien, Monsieur « oder ein [140] artig bedauerndes » Pas encore «. Bis gegen Mitternacht hielt sich Somsdorff buchstäblich auf der Lauer. Er saß, die Abendnummer eines Boulevardblattes zwischen den Fingern, in dem spärlich erleuchteten kleinen Salon, der an sein Schlafzimmer stieß, und horchte auf jedes Geräusch, das draußen im Gang sich rührte, auf jeden Schritt, der abgedämpft über den Läufer huschte. Von Zeit zu Zeit stand er auf, um die Thüre zu öffnen. Er glaubte Stimmen zu hören, die nach ihm fragten. Einmal klang es wie » Monsieur de Somsdorff «, so scharf und bestimmt – er hätte die Wirklichkeit dieser Worte beeidigt … Und doch war alles ein Spiel seiner erregten Einbildungskraft.
Schwer niedergedrückt ging er nun endlich zu Bette. Da er infolge des unausgesetzten Wartens nicht gleich einschlafen konnte, versuchte er, sich die Trostlosigkeit der Enttäuschung zurechtzulegen, und kam – wie dies immer geschieht, wenn man die Hoffnung auf ein glückliches Resultat um keinen Preis aufgeben will – zu der frohen Erkenntnis, er selbst trage die Schuld an dieser Enttäuschung, da er etwas vorausgesetzt habe, was er gar nicht voraussetzen durfte. Ganz mit der nämlichen Logik, die ihm bis jetzt dargethan hatte, es sei unmöglich, daß Gräfin Adele nicht telegraphiere, bewies er sich jetzt das Gegenteil. Wie hatte er annehmen können, sie, das feinfühlige, scheue Gemüt, werde so peinlich intime Vorgänge einem Blatt anvertrauen, das durch die Hände unbeteiligter Menschen wandern und Gott weiß von wie vielen gleichgültigen oder gar spöttischen Blicken profaniert werden mußte! Und ferner: das Beste, das Heiligste, was sie ihm sagen konnte, ging doch naturgemäß seiner Wirkung [141] verlustig, wenn es ihm nicht in den eigenen Schriftzügen der Geliebten vors Auge trat! Ein Telegramm, das Offenbarungen des Herzens enthielt, war eine Roheit, die mit den Heiratsannoncen und ähnlichen Ausgeburten des Zeitgeistes auf der nämlichen Stufe stand! Nein, solcher Mißgriffe war Adele nicht fähig, – und im Geiste bat er sie um Vergebung, daß er so thöricht gewesen, das einfach Undenkbare für wahrscheinlich zu halten.
Nun ward er ruhig und fand so allmählich den Schlaf. Kurz nach sechs jedoch fuhr er, wie jemand, der sich plötzlich erinnert, empor. Die Julisonne schien grell durch die unvollständig geschlossenen Gardinen, deren brennender Purpur über das ganze Gemach einen rosigen Schimmer goß. Es war wie die Vorahnung eines Festtages. Leo von Somsdorff nahm das zum guten Zeichen. Heute konnte ja nun ein Brief kommen!
Er zog sich an, bestellte sich Thee, warf einen Blick in die Zeitung, die er während des gestrigen Abends mehr zerknickt als gelesen hatte, und verließ dann mit Herzklopfen das Hotel.
Das eigentliche Paris war noch nicht aufgewacht. Arbeiter und kleine Verkäuferinnen wanderten scharenweise nach ihren mannigfaltigen Werkstätten, Magazinen und Läden, während ganze Kolonnen von Straßenkehrern damit beschäftigt waren, den Fahrdamm zu reinigen. Somsdorff beschaute dies fremdartige Bild mit jener vielgeschäftigen Neugier, die alles willkommen heißt, was ihr Ablenkung von dem Gegenstand ihrer Ungeduld bietet. Unter den Mädchen, die zum Teil in geschmackvollen, wenn auch meist sparsamen Toiletten über den glatten Asphalt huschten, befanden sich ganz allerliebste Gesichter, anmutig, frisch und [142] just wie geschaffen, um ein vergrämtes Gemüt zum Frohsinn und zur Lebenslust zu bekehren. Somsdorff indes starrte sie an, ohne das wahrzunehmen.
Nur ein einziges Mal ward er aus seiner Stumpfheit aufgerüttelt, als er, nach seinem Hotel zurückschreitend, mit zwei solcher Püppchen, die eben aus einem Thorweg heraustraten, heftig zusammenstieß, ein verblüfftes » Pardon! « stammelte und höflich den Hut zog.
Die Mädchen lachten. Eine von ihnen, die hübscheste kleine Blondine, die man sich denken konnte, sagte mit dem entzückendsten Stimmchen » Il n'y a pas de quoi «, und warf ihm dabei einen Blick zu, den er trotz aller Zerstreutheit nicht übersehen konnte. Dann schritten die beiden quer über die Straße nach einem Putzmachergeschäft, dessen mächtige Eisenvorlagen noch fest geschlossen im Glanz der Sonne blinkten, und verschwanden dort in dem Nebeneingang unter dem Thürschilde, das in silberner Rundschrift den melodischen Namen der Inhaberin »Félicie Marchand« trug.
Nun endlich, da Somsdorff wieder vor seinem Hotel stand, kam der »Facteur«, den hölzernen Kasten schwer mit Briefschaften aller Art überladen. Leo war seiner Sache gewiß. Er fragte jetzt gar nicht: »Haben Sie was für mich?« sondern streckte dem Mann, der einen ganzen Stoß von Korrespondenzen nach der Portierloge trug, einfach die Karte entgegen.
Aber der Briefträger zuckte ganz mit der gleichen Gebärde, wie gestern der Concierge, die Achseln und sagte dann höflich: »Vielleicht mit dem folgenden Umgang!«
Diesmal war Leo von Somsdorff sprachlos. Trostsprüche, wie er sie gestern so leicht noch handhabte, verfingen [143] nicht mehr. Sie hat nicht geschrieben; sie wird überhaupt nicht schreiben: das war der Sachverhalt, der ihm jetzt unwiderruflich schien. Es gibt Obliegenheiten, die man entweder gar nicht, oder sofort erledigt. In diese Kategorie zählte die Antwort auf seinen Brief, der doch wahrlich ein übriges that in Demut und Selbstverleugnung! Also sie wollte nicht!
Trotzdem blieb er noch eine Weile im Zustand unausgesprochner Erwartung. Fünf- oder sechsmal ging er und kam er … Mit auffälliger Langsamkeit schob er sich an der Loge vorüber … vielleicht, vielleicht trat der beleibte Concierge zu ihm heran … Direkt nachzufragen schämte er sich.
Es war ein qualvoller Tag. Das ewige Auf- und Niederwogen der Stimmung, der unvermittelte Wechsel von Bangigkeit, Sehnsucht, Aerger und Zorn drückte auf alle Nerven. Zuletzt hielt er's in dem Bereich des Hotels, das er umkreist hatte, wie ein Detektiv die Verbrecherhöhle, nicht länger aus. Er bestieg eine Droschke und fuhr auf dem kürzesten Weg ins Boulogner Gehölz. Er kam sich so über die Maßen jämmerlich und verwaist vor, daß er laut hätte aufschreien mögen. Da es die Zeit des Diners war, nahm er dort irgendwo einen Imbiß, trank eine Flasche Léoville, die ihm den Kummer nicht einwiegte, und machte sich gegen halb neun auf den Heimweg.
Obgleich die Jahreszeit schon stark vorgerückt war und ein erheblicher Teil der »Gesellschaft« sich in Villegiatur befand, herrschte doch auf den glänzend erleuchteten Boulevards ein Gedränge, wie kaum in der hohen Saison. Die endlosen Tischreihen vor den Kaffeehäusern waren über und über mit Gästen besetzt. Ein flüchtiger Regenschauer [144] hatte den Staub niedergeschlagen; die Luft war köstlich; ein tiefblauer Himmel, der noch im Westen ein leuchtendes Rot zeigte, spannte sich wolkenlos über das bunte Gewühl.
Somsdorff fragte sich, ob er nicht trotz des herrlichen Wetters noch ein Theater oder das gastfreie Haus einer vornehmen englischen Dame besuchen solle, die heute Empfangstag hatte. Dies stumme Alleinsein unter dem wogenden Menschenschwarm, der so angeregt und vergnügt schien, so ganz und gar ohne Sorgen und Kümmernisse, spannte ihn ab. Es war wie das nervenermüdende Branden des Meeres, ein ewiger Wellenschlag – ohne Einzelerlebnisse, die ihn wirklich zerstreut hätten.
Da, an der Ecke der Rue Vivienne, wo er einen Moment stehen blieb, sah er plötzlich in zwei strahlende Mädchengesichter, die erstaunt zu ihm aufschauten. Es gab ihm einen Stich ins Herz. Sofort hatte er die beiden zierlichen Püppchen von heute morgen erkannt, mit denen er so ungeschickt karamboliert hatte. Die ganze Stimmung jener Minute, die freudige Zuversicht, die sich so bald in herbste Enttäuschung verwandeln sollte, trat ihm grell ins Bewußtsein. All seine Trübsal erneute sich.
Und der Abend war so bezaubernd, das Licht floß in so funkelnden Strömen von rechts und links aus den Kaffeehäusern und Brasserieen, und die zwei Mädchen, die ihn mit ihren schelmischen Augen so freundlich anblitzten, waren so jung und so lebensfrisch! Besonders die eine – die mit dem quellenden Blondhaar unter dem zierlichen braunen Strohhut! Ihre Zähne schimmerten schneeglöckchenweiß durch das rosige Lippenpaar, das sich ein bißchen stark öffnete, wenn sie lachte, aber so duftig schien, so weich und so küßlich …
Nun sah die Blonde sich um. Wahrhaftig, ein reizendes Ding, so zierlich und schwalbengleich! Die echte Pariserin! Ganz ehrbar und anständig schauten sie aus, die beiden übermütigen Kinder, aber doch so, daß man es wagen durfte, sie anzureden. Natürlich! Sie flanierten ja so allein – just wie Somsdorff – und wenn man den Tag über Federn und Blumen zu arrangieren hat, und nicht die Mittel besitzt, am Abend einen Salon zu besuchen, wo man Bekanntschaften macht nach allen Regeln des guten Tons, dann nimmt man es grade nicht streng mit der Etikette und amüsiert sich einmal auch ohne den Austausch der üblichen Präliminarien …
Somsdorff besann sich nicht lange. – Er war ja nun frei. – »Nun« war nicht einmal das bezeichnende Wort, denn frei war er schon mit dem Moment, als Gräfin Adele ihm grollend die Thür wies. Er konnte getrost da wieder anknüpfen, wo er aufgehört, eh' ihn das Schicksal nach Authenried-Poyritz geführt. Hätte er doch dies unheilvolle Besitztum nie mit Augen gesehen!
Er machte jetzt Kehrt. Nach zwei Minuten hatte er die Mädchen erreicht. Mit der Höflichkeit eines Weltmannes, der eine hochgefeierte Aristokratin begrüßt, zog er den Hut und ließ eine Phrase vom Stapel, die dem Selbstgefühle der beiden Putzmacherinnen ganz außerordentlich schmeichelte. Er bat um Entschuldigung, daß er hier scheinbar den Takt verletze: aber es dränge ihn, nach dem Rencontre von heute früh, dessen Schuld ihn allein treffe, den Damen nochmals sein tiefstes Bedauern zu äußern.
Er hielt diesen etwas gespreizten Ton eine Weile noch fest, obgleich er alsbald merkte, daß er sich über die Anspruchslosigkeit dieser kleinen Geschöpfe durchaus nicht [146] getäuscht hatte. Die Blonde sah ihn so dankbar an! Es war ihr augenscheinlich höchst angenehm, in Herrn von Somsdorff, der sich sogar jetzt vorstellte, und zwar schlechthin als »Monsieur Léon«, einen so wohlerzogenen, rücksichtsvollen, wenn auch vielleicht etwas gar zu umständlichen Kavalier kennen zu lernen.
Nach Verlauf einer Viertelstunde saßen die drei vor dem Café Riche und plauderten frisch darauf los, als sei die kaum erst geschlossene Kameradschaft schon Wochen alt. Die Blonde hieß Blanche – Blanche Leterrier –; die Schwarze, weniger hübsche, Cécile Prévôt. Sie waren Cousinen und jetzt schon über ein Jahr bei Mademoiselle Félicie Marchand, wo sie ihr gutes Auskommen hatten. Das Geschäft dieser Dame warf ein Stück Geld ab – enorm! Und Mademoiselle Marchand, die selber von klein auf angefangen, war eine wirkliche Mutter für ihre Arbeiterinnen. Blanche excellierte im »Fertigstellen«; sie gab den Hüten und Hütchen den letzten Chic und mußte sie sämtlich am großen Spiegel des Rückzimmers aufprobieren, da sie, wie Mademoiselle behauptete, ein so ausgezeichnetes Hutgesicht hatte. Cécile war vorzugsweise »Fleuriste«. Sie arrangierte die Blumen- und Rankenwerke. Mademoiselle beschäftigte vierzehn Arbeiterinnen und eine »Première«, die nur die Aufsicht führte und Briefe und Rechnungen schrieb, dafür aber mehr bezog, als Blanche und Cécile beide zusammengenommen.
»O, und sie ist so häßlich!« meinte die liebliche Blanche mit einem Lächeln, das gar deutlich besagte: »Wir dagegen – nicht wahr – Monsieur? …«
Nachdem sie die große Portion Gefrorenes hinabgelöffelt und sich nunmehr für einen » petit noir « erklärt [147] hatten, fingen die beiden Mädchen an, ihren Herrn Ritter nach seinem Was und Woher zu fragen. Somsdorff, dessen Beklemmung allmählich nachließ, machte sich das Vergnügen, den stolzen Talar einer gewissen Romantik um die Schultern zu nehmen und sich mit großer Treuherzigkeit für einen russischen Flüchtling auszugeben, der seiner freiheitlichen Bestrebungen halber von der moskowitischen Tyrannei verfolgt werde. Der Galgenhumor, der ihn ergriff, trieb ihn zu immer grelleren Ausmalungen. Er lockte so in die Augen der hübschen Blanche einen Schimmer der Rührung, der um so lebhafter wurde, je öfter er seine Worte direkt an sie wandte. Als man sich nach Verlauf einer Stunde erhob, konnte sie nicht mehr im Zweifel darüber sein, daß sie die Bevorzugte war; daher sie denn auch das Wort ergriff, um Leos Frage, ob und wo er die beiden Damen wiedersehen dürfe, mit liebenswürdiger Deutlichkeit zu beantworten.
»Morgen,« sagte sie, »ganz um dieselbe Zeit – hier auf dem Boulevard! Nicht wahr, Cécile?«
»Ganz wie du willst! Freilich – morgen hat Antoinette Geburtstag …«
»O, das macht nichts! Wir gratulieren ihr schon beim Frühstück! Also – auf Wiedersehen!«
Somsdorff wollte die Mädchen bis an die Wohnung bringen: aber sie dankten mit großer Entschiedenheit. So ging er noch eine Weile im dichtesten Volksgewühl auf und ab, lächelte innerlich über die Albernheit seiner Erfindungen und begab sich dann ins Hotel, fest entschlossen, die ganze Glut seiner Einbildungskraft nunmehr auf das hübsche Gesichtchen der reizenden Blanche Letellier zu konzentrieren.
Das gelang ihm jedoch sehr mangelhaft. Als er das Zimmer betrat, wo Leuthold soeben die Fenster schloß, überkam ihn der Gedanke, wie ganz anders er den heutigen Abend verbracht haben würde, wäre am Nachmittag der glühend ersehnte Brief eingetroffen … Diese Vorstellung wich und wankte nicht. Ja, es regte sich, aller Vernunft zum Trotz, etwas wie Hoffnung in seiner bedrückten Seele, ein letzter Schimmer: »Es wäre ja immer noch möglich!« Wütend über sich selbst ging er zu Bett, wälzte sich stundenlang hin und her und sah dann im Halbschlaf die himmlischen Züge Adelens, die ihm vertraulich zunickte, gütig und mild, wie einst in den Tagen des ersten Glücks.
Eine Woche verstrich, ohne daß sich etwas in der Situation Leos geändert hätte. Ab und zu verkehrte er mit dem jungen Rumänier. Ab und zu machte er seine Fahrt ins Gehölz. Ab und zu traf er Blanche und Cécile; einmal sogar Blanche allein, weil Cécile einen Schnupfen hatte, oder weil Blanche das hübscher fand. Im großen und ganzen jedoch wußte er nicht, was er eigentlich von Paris wollte. Er langweilte sich; er fühlte sich geradezu unglücklich. Zum Ernsten wie zum Vergnüglichen fehlte ihm Ruhe und Sammlung. Es war ein unaufhörliches Kommen und Gehen, eine Flucht vor sich selbst. Jetzt betrat er, wie stolz auf diesen erlösenden Einfall, das Louvre – etwa die Säle der Plastik –: und gleich darauf kam es ihm vor, als wandle er dort unter Leichen. Dann lief er nach dem Quartier latin, mischte sich unter die jungen Studenten, und sah nun erst recht, daß für den Verstoßenen hier kein Bleibens sei. Kaum gab es ein Stadtviertel, das er nicht heimgesucht hätte, zu Fuß, zu Wagen, frühmorgens, oder beim Schimmer der Gaslaterne. [149] Ueberall fand er die gleiche Oede und Farblosigkeit. Selbst das sogenannte »Interesse« für Blanche ließ sich mit allem Eifer nicht großziehen.
Es half hier zunächst kein Trotz und kein Philosophieren: er stand noch sklavisch unter dem Bann seiner Leidenschaft. Nicht einmal sein stark ausgeprägter Gerechtigkeitssinn half ihm darüber hinaus. Im Gegenteil, sobald er sich anstrengte, ganz objektiv zu sein, mußte er einräumen, daß Adelens Entschluß doch nicht so unbegreiflich sei, wie er dies anfangs behauptet hatte. Sie kannte ja nicht die Genesis jener Stimmung, in der sein Unmut dem Kinde den Tod gewünscht: sie hielt sich vorab an die Thatsache. Das Schlimmste war, daß sie durch ihre Schroffheit in Somsdorffs Augen nur noch gewonnen hatte. Diese grenzenlose Pietät für die Tote, diese Treue über das Grab hinaus paßte ja vollständig zu dem Bild hehrster und lieblichster Weiblichkeit, das er von Gräfin Adele im Herzen trug! Sie handelte groß und heroisch! Es grauste ihr vor dem Manne, der nicht mehr im stande war, gemeinsam mit ihr die fromme Erinnerung an den verstorbenen Liebling zu hegen: so war sie denn tapfer genug, ein Band zu zerreißen, von dem sie kein Heil mehr hoffte!
In der zweiten Hälfte des Juli ward ihm die Oedigkeit seines Treibens, dazu auch der Staub und die Hitze so unerträglich, daß er sich plötzlich zur Abreise entschloß, wenn auch unter Veränderung seines ursprünglichen Planes. Er gab die Küste von San Sebastian auf und fuhr über die deutsche Grenze zurück nach dem Schwarzwald. Sein Nervensystem war so überreizt, daß er jetzt vor der Seeluft, die ihn erfahrungsgemäß aufregte, eine förmliche Angst empfand. Das dunkle Tannengrün dieser Berge [150] mußte ihm wohlthun. Einige Bücher hatte er mitgenommen. Der ländliche Wirt, bei dem er sich eingemietet, war in seiner Art ein verständiger Mann, kernig und urwüchsig, mit dem sich ein Wort reden ließ, wenn man der sonst so willkommenen Einsamkeit müde war. Die Tochter, ein gutes, braves, häßliches Mädchen, gab nicht zu denken, wie die reizende Blanche, die doch bei all ihrer Hübschheit so wenig im stande gewesen, das kranke Gemüt von seinen Zwangsvorstellungen abzuleiten.
So vergingen dem jungen Mann zwei Monate in der schweigsamen Thalschlucht, eine Epoche der Unlust für das bewegliche Temperament seines vortrefflichen Leuthold, der sich aus barer Trostlosigkeit dazu herabgab, der garstigen Wirtstochter gründlich den Hof zu machen, heilsam jedoch, wie es schien, für den Herrn, der seine Tage mit diätetischer Pünktlichkeit einteilte, regelmäßige Ausflüge ins Gebirg unternahm, wieder ordentlich schlief, und einen freundlichen Ernst annahm, der mit der früheren Ungeduld seines Wesens nichts mehr gemein hatte.
In der letzten Septemberwoche trat Leo von Somsdorff die Fahrt nach Madrid an.
Ein Jahr verging und ein zweites. Somsdorff hatte sich in Madrid rasch eingelebt.
Die Geschäfte nahmen ihn mäßig in Anspruch; um so mehr Zeit verwandte er auf seine wissenschaftlichen Studien.
Das Interesse, das er von je der wirtschaftlichen Situation der Pyrenäenhalbinsel entgegengebracht, hatte [151] mit Teil daran, wenn er sich der Entscheidung, die ihn nicht nach Konstantinopel, sondern hierher berief, so lebhaft gefreut hatte. Er konnte jetzt unmittelbar an der Quelle schöpfen. Und so entstand in rastlosem Fleiß eine Reihe von Untersuchungen, die er demnächst unter dem Titel »Spanien« im Verlag einer altrenommierten Firma zu publizieren gedachte.
Das spanische Ministerium war ihm dabei mit großer Gefälligkeit an die Hand gegangen. Es schien, als lege die Madrider Regierung – vielleicht im Hinblick auf zukünftige Handelsverträge, vielleicht auch nur aus reinem Patriotismus – Wert darauf, die einschlägigen Verhältnisse einmal durch die Feder eines zwar objektiven, aber doch wohlwollenden Autors in amtlicher Stellung geschildert zu sehen, nachdem so oft schon Leute das Wort ergriffen hatten, denen Vorurteilslosigkeit oder gar Sympathie für Spanien nicht nachgerühmt werden konnte. Die Regentin sogar hatte sich über das Werk berichten lassen, nachdem der Gobernacionsminister einen der Hauptabschnitte – »Spaniens natürliche Hilfsquellen« – durch eignen Augenschein kennen gelernt.
Somsdorffs rastlose Thätigkeit vor dem Schreibtisch, in den Bibliotheken und im Büreau seiner Botschaft ward durch mehrfache Reisen in die verschiedensten Teile des Königreichs unterbrochen. Er besuchte Galicien, Estremadura und Leon; ein andermal die Provinzen des Südens, und von dort das betriebsame Katalonien; ein drittes Mal, um auch die Schatten in seinem Bilde nicht fehlen zu lassen, die Provinz Arragonien, wo er aus der Betrachtung der sogenannten » despoblados «, der abgestorbenen oder im Aussterben begriffenen Ortschaften, die dort in überraschender [152] Anzahl zu finden sind, ein umfassendes Studium machte.
Zu Anfang Oktober – gerade zwei Jahre nach seiner Ankunft in Spanien – erbat er sich einen mehrmonatlichen Urlaub. Bis dahin hatte er auch während der Ferien die Halbinsel nicht verlassen, sondern die heiße Jahreszeit teils in Aranjuez, teils in der Sierra Guadarrama verlebt. Insbesondere war er vor dem Gedanken zurückgeschreckt, seine Erholungstage in Deutschland zuzubringen. Der Anblick der Heimat – das fühlte er – hätte ihm tausend gefahrvolle Erinnerungen wachgerufen und ihm den mühsam erkämpften Gleichmut in Frage gestellt. Jetzt aber hielt er den Augenblick für gekommen, diesen Erinnerungen Trotz zu bieten. Die Zeit hatte ihn ja von Grund aus verwandelt. Er, der früher ein Mann des lebendigen Lebens, ein lichtfreundlicher Epikuräer gewesen, schien jetzt untergetaucht im Ernst eines Schaffens, das ihn von allem, was sonst Männer in seinen Jahren lockt, endgültig abzog. Er war nicht glücklich, aber zufrieden – von jener kühlen, starren Zufriedenheit, die nicht weiter über sich nachgrübelt und vollständig aufgeht in den Anforderungen des Tages. Von Gräfin Adele hatte er nichts mehr gehört. Sie lag nun hinter ihm wie ein Traum. Wenn je einmal der Gedanke sich regte, wie alles nun sein könnte, so wies er ihn spöttisch zurück. Das war eine Schwäche, die übrigens mit der Zeit immer seltner sich einstellte, bis er zuletzt die Wendung der Dinge, wie sie nun vorlag, als etwas Selbstverständliches hinnahm, ohne Groll und Bedauern.
Am zwölften Oktober sah er zum erstenmal das Haus wieder, wo ihn die Gräfin damals so grausam zurückgestoßen. Es war nur ein Zufall, daß er vorbeikam: die [153] Kutsche, die ihn nach dem Palais des Ministers brachte, fuhr diesen Weg, ohne daß er zu Anfang darauf geachtet hätte. Nun aber nahm er doch wahr, wie ihm das Herz lebhafter pochte. Dort die zwei Fenster gehörten zum Ecksalon, wo sich die traurige Scene abgespielt hatte … Drüben die Baumwipfel, die sich schon gelb und rot färbten, rauschten über dem Platz, wo sie so manches Mal während der kurzen, vergänglichen Zeit ihres Glückes beisammen gesessen und von der sonnigen Zukunft geplaudert hatten … Das war nun mehr als zwei Jahre her … und damals hatten sie Pläne geschmiedet, Pläne, deren Verwirklichung ihnen so zweifellos schien! … Armes, erbärmliches Schicksal des Staubgeborenen! Alles kommt anders! Selbst das Zuverlässigste hängt in der Schwebe, und das Gewisse scheint ebenso fraglich, wie das Ungewisse!
Ob Gräfin Adele noch jetzt hier wohnte? Leo stand ja so ganz außer Zusammenhang … Er mied die Beziehungen zu dem Einst und was ihn daran erinnern konnte, geflissentlich. Auch blieb ihm bei der gewaltigen Arbeitslast, die er sich aufgebürdet, absolut keine Zeit für müßige Privatkorrespondenzen …
Wie er dies eben erwog, fiel sein Blick auf das staunende Antlitz der Dame, die seit dem Tode Gerolds der Gräfin Gesellschaft leistete. Fräulein von Rauch kam zu Fuß aus der Richtung der Baustraße. Sie hatte vielleicht in der Nachbarschaft einen Besuch gemacht. Ihr Ausdruck verriet, daß sie ihn gleich erkannt hatte. Somsdorff ärgerte sich, weil er zusammenfuhr, wie ein ertappter Dieb. Er grüßte höflich, aber mit großer Gemessenheit, und trällerte dann die Anfangsstrophe eines Gitanaliedes.
Der Besuch bei dem Minister und ein langes Gespräch mit einem der vortragenden Räte riß ihn zunächst aus dieser unangenehmen Laune heraus: dann jedoch nahm sie mit desto größerer Nachhaltigkeit wieder Besitz von ihm. Den ganzen Tag blieb er noch unter dem Eindruck der »höchst fatalen Begegnung«. Gräfin Adele wohnte also noch da … und sie wußte es jetzt, daß er zurück war; ja, daß er durch ihre Straße gefahren! Fräulein von Rauch würde ihr's doch natürlich erzählen und vielleicht eine recht sonderbare Glosse daran knüpfen. Wie peinlich, wenn Gräfin Adele sein Vorbeikommen an der Wohnung für Absicht hielt!
Zum erstenmal seit geraumer Zeit hatte er so den Gleichmut verloren. Er staunte darüber; ja, es verdroß und erschreckte ihn, bis er sich sagte, diese Reflexerscheinung bedeute noch lang keinen Rückfall. Treibt uns nicht die Erinnerung an eine Gefahr, die weit hinter uns liegt, noch manchmal das Blut nach dem Herzen?
Er beruhigte sich also, fand nun die Sache begreiflich, und ging am nächstfolgenden Tag mit erneuertem Ernst seinen Interessen nach.
Zuvörderst bei seinem Verleger. Es gab hier mancherlei zu erörtern – Wissenschaftliches, Technisches und Geschäftliches – was mehrere Stunden in Anspruch nahm. Somsdorff stand so auf einmal wieder mitten im strengen Ideenkreis seiner Arbeit. Die selbstgenügsame Ruhe, die er bei ihrer Förderung sich angeeignet, kehrte zurück, um nicht mehr zu weichen.
So vergingen ihm fünf oder sechs Wochen. Somsdorff hatte seitdem die Gegend, wo er auf so unerwünschte Manier mit Fräulein von Rauch zusammengetroffen war, [155] nicht wieder besucht und auch sonst nichts gesehen noch gehört, was zu der Gräfin Beziehung hatte. Er widmete sich – zum erstenmal seit mehr als zwei Jahren – ein wenig der großstädtischen Geselligkeit, verkehrte in mehreren Häusern, besuchte das Schauspiel, ritt, jagte und war von ungewöhnlicher Artigkeit gegen die Damen, während er in der spanischen Hauptstadt durchweg für einen »Bären« gegolten hatte. Kurz, er spannte sich vollständig aus, um für die Zukunft neue Kräfte und neue Schaffenslust anzusammeln.
Gegen Ende November saß er – es war gegen zwölf Uhr mittags – in seinem Zimmer und studierte den Fahrplan. Uebermorgen gedachte er abzureisen; vorerst nach Italien, wo er den Rest seines Urlaubs mit einer befreundeten Familie aus Malmö verbringen wollte, die vor acht Tagen bereits Deutschland verlassen hatte. Anfang Januar sollte er in Madrid sein.
Da pochte es leise an seine Thüre.
»Herein!« rief er ein wenig unwirsch. Er glaubte, es sei Leuthold, sein Diener. Nun aber rauschte es über die Schwelle, wie von Frauengewändern, und als er verwundert aufsah, stand Gräfin Adele vor ihm.
Sie zog die Thüre verschüchtert nach sich, als könne sie schon im nächsten Moment ein Wort hören, das ihr das Bleiben unmöglich mache. Er aber sprach keine Silbe. Mit der Gebärde des Nachtwandlers, den man plötzlich beim Namen ruft, hatte er sich erhoben. Unwillkürlich trat er zwei Schritte zurück, während sie regungslos auf dem Fleck verharrte. Ihr Antlitz war von rührender Blässe. Um den Mund lag ein tiefschmerzlicher Zug. Nur die Augen hatten den Glanz und das schwärmerische Feuer von einst.
»Herr von Somsdorff,« begann sie atemlos, »Sie staunen, daß ich's gewagt habe …«
Leo, so tief ihn der unerwartete Anblick erregt hatte, war doch gleich wieder Herr seiner selbst. Mit einer höflichen Phrase, die just so klang, als hätte er diese bebende Frau erst vor wenigen Tagen bei irgend einem indifferenten Souper gesehen, rückte er einen Stuhl herzu und bat sie, gefälligst Platz zu nehmen.
»Ich bin in der That überrascht,« sagte er kühl. »Was verschafft mir die Ehre?«
Sie hatte sich zögernd niedergelassen. Somsdorff bemerkte erst jetzt, daß sie noch tief in Trauer war. Er setzte sich gleichfalls. Mehr und mehr nahm er den Ausdruck einer kaltherzigen Courtoisie an.
»Fräulein von Rauch hat mich begleiten wollen,« sagte die Gräfin unsicher. »Fräulein von Rauch ist so gut und besorgt … Sie hielt es für schicklich …«
»Bitte!«
»Aber ich ließ sie drunten … Ich konnte nicht anders … ich mußte …«
»Was mußten Sie?« fragte Somsdorff, der bei dem Anblick ihrer zuckenden Lippen fast schon die Haltung verlor.
»Ich mußte dir sagen, daß ich dich liebe, daß ich nicht leben kann, wenn du mir nicht verzeihst!«
Ehe noch Somsdorff etwas erwidern konnte, sank sie schluchzend vor ihm aufs Knie und umklammerte seine Hände, wie eine Verzweifelte.
Nun bemühte sich Leo vergebens, die Rolle, die er sich vorgesetzt, weiterzuspielen. Alles zerbrach und zerschmolz. Ehe er noch ahnte, wie ihm geschah, hatte er [157] die Geliebte emporgerissen. Mit beiden Armen hielt er sie fest umschlungen. Sie weinte, sie lachte, sie schmiegte ihr Antlitz erschauernd an seine Brust und stammelte unaufhörlich: »Vergib mir, vergib mir!«
Er küßte sie heiß und strich ihr tröstend über die Wangen.
»Wie gut du bist, und wie großmütig!« hauchte sie sanft. »Ja, nun soll alles vergessen sein! Wenn du mich willst, bin ich dein eigen für immer. Ich will dich hegen und pflegen wie mein teuerstes Kleinod, dir jeden Wunsch von den Augen absehen, dich doppelt lieb haben für das bittere Leid, das ich dir zugefügt!«
Nun ward sie ruhiger. Sie trocknete sich die Thränen hinweg und ergriff seine Hand.
»Weißt du auch, Leo, wie das gekommen ist? … Ach, ich war so verstockt in meinem thörichten Pharisäerstolz, der nicht des Wortes gedachte: ›Wir sind allzumal Sünder …‹ Fräulein von Rauch hat mir erzählt, daß du hier seiest, daß sie dir angemerkt, wie die Begegnung mit ihr dich erschüttert habe … Damals schon rief eine Stimme in meiner Brust: ›Mach's wieder gut! Geh zu ihm! Sag ihm, daß du ihn liebst!‹ Aber ich sträubte mich, – ach, du weißt ja, warum! Da hab' ich nun gestern – Leo, du wirst mich verachten oder bemitleiden, daß ich mein Lebensglück und das deine von solchen Zufällen abhängig machte – da hab' ich nun gestern in meinen Papieren gekramt, und da fiel mir ein Blatt in die Hand, das ich im Drang so unendlicher Aufregungen völlig vergessen hatte. Damals, an jenem gräßlichen Weihnachtsabend … ich weiß ja selbst nicht, wie es geschah … ich habe da in der Raserei meines Unmuts Dinge geschrieben …«
»Ich kenne das Blatt,« sagte Leo.
Er teilte ihr mit, wie er zu dieser Kenntnis gelangt war.
Sie errötete heiß.
»Wohl! So ersparst du mir die Notwendigkeit, die entsetzlichen Worte zu wiederholen. Gestern, als ich sie wieder las, hab' ich mich ihrer geschämt, wie einer Missethat. Leo, wie ungerecht war ich damals, wie grausam und frevelhaft! In demselben Moment fluchte ich ihm, da er den gräßlichsten Tod erlitt – und weshalb erlitt? Weil er sich über Gebühr eilte, um die paar Minuten, die er versäumt hatte, wieder einzubringen! Nun fand ich das gestern, und da sank mir der Schleier vom Auge, und ich begriff nun, daß ich kein Recht hatte, unversöhnlich zu sein …«
»Und wenn du eins hattest …«
»Nein, nein,« fiel sie ihm rasch ins Wort, »ich hätte verzeihen müssen! ›Richtet nicht!‹ heißt's in der Schrift … Und du liebst mich ja … Nun, dem Himmel sei Dank, noch kommt meine Reue ja nicht zu spät! Laß uns die beiden verlorenen Jahre hinnehmen, wie eine Zeit der Läuterung! Aber, nicht wahr, Leo, in dem einen Punkt stimmst du mir bei: es war eine Schuld! Denn das bedünkt mich doch eine rohe Auffassung und edel veranlagter Menschen nicht würdig, die Sünde lediglich in der That zu suchen. Die That ist nur die reifgewordene Frucht des Empfindens; nicht die Hand frevelt, sondern das Herz!«
»So will ich geloben, mein Herz künftig mit einer einzigen, großen Empfindung zu tränken, die alle übrigen ausschließt …«
Er küßte sie lang und inbrünstig auf die Lippen.
Ende.
Schriften desselben Verfassers.
Romane. | ||
Die Claudier. 15. Auflage. | M. | 7.– |
Prusias. 6. Auflage. | " | 7.– |
Aphrodite. 5. Auflage. | " | 6.– |
Nero. 5. Auflage. | " | 5.– |
Hertha. 3. Auflage. | " | 7.– |
Dombrowsky. 2 Bände. 3. Auflage. | " | 8.– |
Der Mönch vom Aventin. 2. Auflage. | " | 3.– |
Familie Hartwig. 2. Auflage. | " | 7.– |
Kyparissos. 2. Auflage. | " | 7.– |
Roderich Löhr. 2. Auflage. | " | 7.– |
Adotja. | " | 5.– |
Themis. 2 Bände. | " | 8.– |
Das Kind. | " | –.50 |
Epische Dichtungen. | ||
Das Hohelied vom deutschen Professor. 6. Auflage. | M. | 1.– |
Venus Urania. 5. Auflage. | " | 2.– |
Schach der Königin. 3. Auflage. | " | 3.– |
Murillo. 3. Auflage. | " | 2.– |
Ferner erschien: | ||
Lyra Germano-Latina. Eine Auswahl der berühmtesten deutschen Gedichte ins Lateinische übertragen. | M. | 1.– |
Verstehen wir Deutsch? Volkstümliche Sprachuntersuchungen. | " | 1.– |
Initium fidelitatis! Humorist. Liederbuch. 14. Aufl. | " | 1.– |
Jucunda juventus! Neues humoristisches Liederbuch. | " | 1.– |
Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.
Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.
Alle vierzehn Tage erscheint ein Band.
Preis jedes Bandes 50 Pf. Eleg. in Leinwand geb. 75 Pf.
(26 Bände jährlich, Gesamtpreis broschiert 13 Mark, gebunden 19 Mark 50 Pf.)
Stimmen der Presse über »Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek«:
Das ist ein Unternehmen, das in jeder Weise gefördert zu werden verdient! Bis vor nun mehr denn 19 Jahren die ersten roten Bände erschienen, mag mancher Kurzsichtige und Engherzige den Kopf geschüttelt haben über das tolle Wagstück, wirklich gute und wertvolle geistige Kost zu so billigen Preisen zu verabreichen. Wenn man heute auf die lange Reihe von Jahren zurückblickt, wie viel ist da nicht schon erreicht! Fast kein Haus, keine Familie, wo die soliden Bände nicht ihren Einzug gehalten hätten; fast keine, noch so klein angelegte Privatbibliothek möchte die sich so freundlich präsentierenden roten Freunde aus ihrer Mitte missen. Und doch, noch gibt es viel zu tun! Noch gibt es Häuser, in denen die vermorschten und verrotteten Hintertreppenromane lieber gelesen werden. Hier wäre es Pflicht jedes Nächststehenden, die giftige Saat zu verdrängen und an ihre Stelle die gesunde und durchweg gute Kost der »Engelhornschen Allgemeinen Romanbibliothek« zu legen. Der glücklich Geheilte wird, wenn er erst klar sieht, dem freundlichen Helfer sicher Dank wissen.
( Hamburgischer Correspondent. )
Seit 19 fahren erfreuen sich die »Rotröcke«, die in rote Leinwand geschmackvoll gebundenen Bände aus » Engelhorns Allgemeiner Romanbibliothek « einer großen Beliebtheit beim deutschen Lesepublikum. Wir haben wiederholt das Verdienst betont, das darin liegt, einerseits dem leselustigen Publikum gute Unterhaltungsliteratur zu bieten und anderseits sie zu einem Preise und in einer Ausstattung zu liefern, die sowohl den Anforderungen des Geschmacks als auch den kategorischen Imperativen des Geldbeutels Rechnung trägt. Durch eine sorgsame Auswahl aus den Literaturen aller Völker sichert die Verlagsbuchhandlung der Sammlung eine große Reichhaltigkeit; sie erfüllt die Forderung: wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Diese Buntheit macht es auch, daß »Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek« in der stattlichen Reihe von ähnliche Zwecke verfolgenden Sammlungen, angesichts deren man sich wirklich wundern muß, daß noch Leihbibliotheken bestehen können, immer noch die erste Stelle einnimmt.
( Straßburger Post. )
Die bisher erschienenen, in dem nachfolgenden Verzeichnis aufgeführten Romane können fortwährend durch jede Buchhandlung zum Preise von 50 Pfennig für den broschierten und 75 Pfennig für den gebundenen Band bezogen werden.
Erster Jahrgang. Band 1. 2. Ohnet , Der Hüttenbesitzer. – 3. Conway , Aus Nacht zum Licht. 4. Praed , Zéro. – 5. 6. Gréville , Wassilissa. – 7. Aïdé , Vornehme Gesellschaft. – 8. 9. Ohnet , Gräfin Sarah. – 10. Braddon , Unter der roten Fahne. – 11. Halévy , Abbé Constantin. – 12. Verga , Ihr Gatte. – 13. 14. Reade , Ein gefährliches Geheimnis. – 15. Theuriet , Gérards Heirat. – 16. Gréville , Dosia. – 17. Kraszewski , Ein heroisches Weib. – 18. 19. Norris , Eheglück. 20. Kielland , Schiffer Worse. – 21. Colombi , Ein Ideal. – 22. Conway , Dunkle Tage. – 23. Boyesen-Spielhagen , Novellen. – 24. Vincent , Die Heimkehr der Prinzessin. – 25. 26. Delpit , Ein Mutterherz.
Zweiter Jahrgang. Band 1. 2. Ohnet , Der Steinbruch. – 3. Lindau , Helene Jung. – 4. Bret Harte , Maruja. – 5. Die Sozialisten. – 6. Halévy , Criquette. – 7. Wilbrandt , Der Wille zum Leben. Untrennbar. – 8. Valera , Die Illusionen des Dr. Faustino. – 9. 10. Farjeon , Zu fein gesponnen. – 11. Kielland , Gift. – 12. Kielland , Fortuna. – 13. 14. Ohnet , Lise Fleuron. – 15. Farina , Aus des Meeres Schaum. – 16. Frey , Auf der Woge des Glücks. – 17. 18. Croker , Die hübsche Miß Neville. – 19. Feuillet , Die Verstorbene. – 20. Hopfen , Mein erstes Abenteuer u. a. G. – 21. 22. Alexander , Ihr ärgster Feind. – 23. v. Glümer , Ein Fürstensohn. Zerline. – 24. Bret Harte , Von der Grenze. – 25. 26. Conway , Eine Familiengeschichte.
Dritter Jahrgang. Band 1. 2. Remin , Die Versaillerin. – 3. Braddon , In Acht und Bann. – 4. Schjörring , Die Tochter des Meeres. – 5. 6. Malot , Lieutenant Bonnet. – 7. About , Pariser Ehen. – 8. Marryat , Hanna Warners Herz. – 9. 10. Boyesen , Eine Tochter der Philister. – 11. Gréville , Savelis Büßung. – 12. 13. Ohnet , Die Damen von Croix-Mort. – 14. Pasqué , Die Glocken von Plurs. – 15. 16. Daudet , Fromont jun. und Risler sen. – 17. Hopfen , Der Genius und sein Erbe. – 18. Reade , Ein einfach Herz. – 19. 20. Malot , Baccart. – 21. Norris , Mein Freund Jim. – 22. Sienkiewicz , Hanna. – 23. de Tinseau , Das beste Teil. – 24. 25. Conway , Lebend oder tot. – 26. de Bonnières , Die Familie Monach.
Vierter Jahrgang. Band 1. 2. Haggard , Eine neue Judith. – 3. Ohnet , Schwarz und Rosig. – 4. Feuillet , Das Tagebuch einer Frau. – 5. 6. Remin , Jahre des Gärens. – 7. Lafontaine , Gute Kameraden. – 8. Lie , Die Töchter des Commandeurs. – 9. 10. Malot , Zita. – 11. Gréville , Die Erbschaft Xenias. – 12. Voß , Kinder des Südens. – 13. 14. Fogazzaro , Daniele Cortis. – 15. Farjeon , Die Herz-Neune. – 16. 17. Ohnet , Sie will. – 18. v. Wolzogen , Die Kinder der Excellenz. – 19. Farina , Um den Glanz des Ruhmes. – 20–22. Daudet , Der Nabob. – 23. Burnett , Der kleine Lord. – 24. Theuriet , Der Prozeß Froideville. – 25. 26. Braddon , Stella.
Fünfter Jahrgang. Band 1. 2. Hopfen , Robert Leichtfuß. – 3. Daudet , Der Unsterbliche. – 4. Ouida , Lady Dorotheas Gäste. – 5. 6. Memini , Marchesa d'Arcello. – 7. Was der heilige Joseph vermag. – 8. v. Glümer , Alessa. Keine Illusionen. – 9. 10. Philips , Wie in einem Spiegel. – 11. Kielland , Schnee. – 12. Claretie , Jean Mornas. – 13. 14. Wood , Auf der Fährte. – 15. v. Roberts , Satisfaktion. – 16. Gravière , Die Scheinheilige. – 17. 18. Ohnet , Doktor Rameau. – 19. Peschkau , Frau Regine. – 20. de Maupassant , Zwei Brüder. – 21. 22. Farina , Mein Sohn. – 23. Gréville , Dosias Tochter. – 24. Lie , Der Lotse und sein Weib. – 25. 26. Daudet , Numa Roumestan.
Sechster Jahrgang. Band 1. 2. v. Wolzogen , Die tolle Komteß. – 3. de Tinseau , Eine Sirene. – 4. Philips , Jack und seine drei Flammen. – 5. 6. Gunter , Mr. Barnes von New York. – 7. Theuriet , Gertruds Geheimnis. – 8. Conway , Wunderbare Gaben. – 9. 10. Ohnet , Letzte Liebe. – 11. Voß , Die Sabinerin. – 12. Memini , Mia. – 13. 14. Croker , Diana Barrington. – 15. v. Heigel , Der reine Thor. – 16. Pontoppidan , Ein Kirchenraub. Junge Liebe. – 17. 18. Daudet , Die Könige im Exil. – 19. Philips , Die verhängnisvolle Phryne. – 20. 21. Ohnet , Sergius Panin. – 22. Serao , Achtung Schildwache. – 23. Rabusson , Salonidylle. – 24. 25. Gunter , Mr. Potter aus Texas. – 26. Murray , Ein gefährliches Werkzeug.
Siebenter Jahrgang. Band 1. 2. v. Roberts , Preisgekrönt. – 3. Ohnet , Die Seele Pierres. – 4. Theuriet , Zum Kinderparadies. – 5. 6. Aïdé , Imogen. – 7. Daudet , Port Tarascon. – 8. Hope , Ein Mann von Bedeutung. – 9. 10. Galitzin , Ohne Liebe. – 11. Norris , Die Erbin. – 12. 13. v. Wolzogen , Die kühle Blonde. – 14. de la Brète , Mein Pfarrer und mein Onkel. – 15. Voß , Der Mönch von Berchtesgaden. – 16. 17. Haggard , Oberst Quaritch. – 18. Peschkau , Noras Roman. – 19. de Renzis , Auf Vorposten u. a. Gesch. – 20. 21. de Tinseau , Versiegelte Lippen. – 22. Jeffery , Aus den Papieren eines Wanderers. – 23. Theuriet , Mein Onkel Scipio. – 24. 25. Delpit , Wie's im Leben geht. – 26. de Renzis , Verhängnis.
Achter Jahrgang. Band 1. 2. Croker , Irgend ein Anderer. – 3. Gordon , Fräulein Reseda. Ein Mann der Erfolge. – 4. Feuillet , Künstlerehre. – 5. 6. Böhlau , In frischem Wasser. – 7. Norris , Die geprellten Verschwörer. – 8. Gordon , Daphne. – 9. 10. Remin , Ein Genie der That. – 11. Poradowska , Mischa. – 12. 13. v. Wolzogen , Der Thronfolger. – 14. Colombi , Im Reisfeld. Ohne Liebe. – 15. Mairet , Eine Künstlerin. – 16. 17. Gunter , Miß Niemand. – 18. Heyse , Marienkind. – 19. Villinger , Schwarzwaldgeschichten. – 20–22. Daudet , Jack. – 23. Der schwarze Koffer. – 24. Mairet , Der Affenmaler. – 25. 26. Masterman , Schwer geprüft.
Neunter Jahrgang. Band 1. 2. Ohnet , Im Schuldbuch des Hasses. – 3. Savage , Meine offizielle Frau. – 4. Zehren , Sein Genius. – 5. 6. Croker , Ein Zugvogel. – 7. Filon , Violette Merian. – 8. Lay , Fräulein Kapitän. – 9. 10. Gordon , Ein puritanischer Heide. 11. Coppée , Das Stück Brot u. a. Gesch. – 12. Bret Harte , In der Prairie verlassen. – 13. 14. de Berkeley , Zwischen Lipp' und Kelchesrand. – 15. Conway , Mein erster Klient u. a. Gesch. – 16. de Tinseau , Auf steinigen Pfaden. – 17–19. Malot , Heimatlos. – 20. v. Heigel , Baronin Müller. – 21. Mairet , In guter Hut. – 22. Eckstein , Das Kind. – 23. 24. Warden , Das Haus am Moor. – 25. Serao , Giovannino oder den Tod! Dreißig Prozent. – 26. Coudouze , Des Seemanns Tagebuch.
Zehnter Jahrgang. Band 1. 2. Cherbuliez , Das Geheimnis des Hauslehrers. – 3. v. Wildenbruch , Das wandernde Licht. – 4. St. Aubyn , Einer alten Jungfer Liebestraum. – 5. Schubin , Schatten. – 6. 7. Croker , Unerwartet. – 8. Franzos , Ein Opfer. – 9. 10. Nielsen , Die Möwe. – 11. Simmy , Geopfert. – 12. Dick-May , Unheimliche Geschichten. – 13. 14. v. Bülow , Margarete und Ludwig. – 15. Mrs. Oliphant , Die Herzogstochter. – 16. Daudet , Briefe aus meiner Mühle. – 17. 18. Sims , Erinnerungen einer Schwiegermutter. – 19. v. Roberts , Lou. – 20. Lie , Hof Gilje. – 21. 22. de Marchi , Don Cirillos Hut. – 23. Schultz , Jean von Kerdren. 24. Villinger , Unter Bauern. – 25. 26. Savage , Prinz Schamyls Brautwerbung.
Elfter Jahrgang. Band 1. 2. Ohnet , Das Recht des Kindes. – 3. v. Gersdorff , Ein schlechter Mensch. – 4. Peard , Mademoiselle. – 5. 6. Bourget , Kosmopolis. – 7. Stockton , Eine schnurrige Geschichte. – 8. Coppée , Die wahren Reichen. – 9. 10. Bock , Simson und Delila. – 11. Jókai , Die gelbe Rose. – 12. Gréville , Verloren. – 13. 14. Croker , Zwei Herren. – 15. de Amicis , Eine Schultragödie. – 16. Harraden , Schiffe, die nachts sich begegnen. – 17. 18. Spielhagen , Susi. – 19. Tim. – 20. Munch , Frauen. – 21. 22. de Berkeley , Die alte Geschichte. – 23. v. Heigel , Der Sänger. – 24. Sims , Möblierte Wohnungen. – 25. 26. Clifford , Tante Anna.
Zwölfter Jahrgang. Band 1. 2. v. Wolzogen , Die Erbschleicherinnen. – 3. Ottolengui , Der Kameenknopf. – 4. Claretie , Die Cigarette und andere Geschichten. – 5. 6. Benson , Dodo. – 7. Zehren , Die Brüder. – 8. Howells , Pflichtgefühl. – 9. 10. v. Roberts , Revanche! – 11. Serrao , Pinsel und Meißel. – 12. v. Gersdorff , Schwere Frage. – 13. 14. Rameau , Das Magdalenenhaar. – 15. Moore , Der Verkauf einer Seele. – 16. Savage , Wandelbilder. – 17. 18. Spielhagen , Selbstgerecht. – 19. Jerome , Roman-Studien. – 20. Busse , Jugendstürme. – 21. 22. Croker , Eine Familienähnlichkeit. – 23. van Horst , Verbotene Frucht. – 24. Moeller , Gold und Ehre. – 25. 26. Jota , Eine gelbe Aster.
Dreizehnter Jahrgang. Band 1. 2. Voß , Villa Falconieri. – 3. Ohnet , Die Tochter des Abgeordneten. – 4. Hopfen , Die Siegerin. – 5. 6. Croker , Eine dritte Person. – 7. Gyp , Flederwischs Heirat. – 8. Bigot , Eine internationale Ehe. – 9. 10. Gerbrandt , Sich selber treu. – 11. Loti , Islandfischer. – 12. Böhlau , Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. – 13. 14. Rod , Die weißen Felsen. – 15. v. Heigel , Der Herr Stationschef. – 16. de Berkeley , Ein Reiseabenteuer. – 17. 18. Savage , Die Hexe von Harlem. – 19. Verga , Königstigerin. – 20. Boyesen , Selbstbestimmung. – 21. 22. Mengs , Frost im Frühling. 23. Niemann , Smaragda. – 24. Croker , Lady Hildegard. – 25. 26. Luska , Zu jung gefreit.
Vierzehnter Jahrgang. Band 1. 2. Wolzogen , Der Kraft-Mayr. – 3. Böhlau , Altweimarische Liebes- und Ehegeschichten. – 4. Mathers , Das Bäschen vom Lande. – 5. 6. Ohnet , Der Pfarrer von Favières. – 7. 8. Schubin , Die Heimkehr. – 9. de Tinseau , Vergessene Pflicht. – 10. Hyne , Gauner-Ehre. 11. de Amicis , Liebe und Gymnastik. – 12. 13. Croker , Ein Millionär. – 14. Brada , Im Joche der Liebe. 15. Böhlau , Verspielte Leute. – 16. Robinson , Die goldene Hand. – 17. 18. v. Roberts , Die schöne Helena. – 19. Murray , Der Bischof in Not. – 20. Gréville , Das Geständnis. – 21. 22. White , Korruption. – 23. Vincent , Künstlerblut. – 24. Merrick , Eine persönliche Ansicht. – 25. 26. Orloffsky-Golowin , Die Nihilistin.
Fünfzehnter Jahrgang. Band 1. 2. Hopfen , Der Väter zweie. – 3. Hill , Um eines Haares Breite. – 4. Eckstein , Willibald Menz. Lavafluten. – 5. 6. Ohnet , Nimrod & Cie. – 7. Malling , Der alte Herrenhof. – 8. Griffiths , Im Expreßzug Rom-Paris. – 9. 10. H. v. Zobeltitz , Talmi. – 11. Yorke , Um des Kindes willen. – 12. Claretie , Das Auge des Toten. – 13. 14. Croker , Verheiratet oder ledig? – 15. Ahrenberg , Neue Bahnen. – 16. Murray , Ein Spitzbubengewissen. – 17. 18. Schubin , Vollmondzauber. – 19. Clifford , Ein sonderbarer Stellvertreter. – 20. v. Bunsen , Auf Riedenheim. – 21. 22. Markewitsch , Prinzessin Lina. – 23. Doyle , Ein gefährlicher Ausflug. – 24. Georgy , Aus den Memoiren einer Berliner Range. – 25. 26. Rameau , Die Letzten aus dem Hause Montberthier.
Sechzehnter Jahrgang. Band 1. 2. Ohnet , In der Tiefe des Abgrunds. – 3. Skowronnek , Hans der Sieger. – 4. Loti , Ein Seemann. 5. 6. Croker , Miß Balmaines Vergangenheit. – 7. v. Woude , Im eigenen Nest. – 8. Hope , Mr. Witts Wittwe. – 9. 10. Döring , Jadwiga. – 11. Hornung , Der neue Herzog. – 12. De Bièvre , Tante Baby. – 13. 14. F. v. Zobeltitz , Das Heiratsjahr. – 15. Wahlenberg , Marta Hilding. – 16. Alden , Seine Tochter. – 17. 18. Hopfen , Die ganze Hand. – 19. Gerard , Eine vergessene Sünde. – 20. Wolters , Der Wohlthäter. – 21. 22. Theuriet , Die Zuflucht. – 23. Grahame , Das goldene Zeitalter. – 24. v. Baudissin , Im engen Kreise. – 25. 26. Croker , Berechtigter Stolz?
Siebzehnter Jahrgang. Band 1. 2. Davis , Soldaten des Glücks. – 3. Skowronnek , Ihr Junge. – 4. de Wailly , Lucettes Schwur. – 5. 6. Kipling und Balestier , Naulahka. – 7. Misch , Der Adelsmensch. – 8. de Tinseau , Durch fremde Schuld. – 9. 10. Schulte vom Brühl , Frühlings-Evangelium. – 11. Murray , Die Jagd nach Millionen. – 12. Busse , Röschen Rhode. – 13. 14. Leys , Das Geheimnis des Rechtsanwalts. – 15. H. v. Zobeltitz , Die Tante aus Sparta. – 16. Theuriet , Unter Rosen. – 17. 18. Schubin , Im gewohnten Geleis. – 19. Lie , Im Märchenland. – 20. Hopfen , Zehn oder elf? – 21. 22. Croker , Die Dorfschönheit. – 23. Blicher-Clausen , Inga Heine. – 24. Griffiths , Ein schneidiges Mädchen. – 25. 26. v. Oertzen , Eine glückliche Hand.
Achtzehnter Jahrgang. Band 1. 2. v. Wolzogen , Die arme Sünderin. – 3. Bodkin , Verschwindende Diamanten. – 4. v. Bülow , Im Hexenring. – 5. 6. Lesueur , Slavische Leidenschaft. – 7. Voß , Der gute Fra Checco u. a. Gesch. – 8. de Vere-Stacpoole , Toto. – 9. 10. v. Roberts , Schwiegertöchter. – 11. Aïdé , Die Erzieherin. – 12. H. v. Zobeltitz , Frau Karola. – 13. 14. Robinson , Jung-Nin. – 14. v. Oertzen , Frei für die Ehre! – 16. Bourget , Das Spitzenmäuschen und andres. – 17. 18. F. v. Zobeltitz , Die papierene Macht. – 19. Glyn , Elisabeths Besuche. – 20. Döring , Der Förster. Heinrich Timm. – 21. 22. Ohnet , Die lichtscheue Dame. – 23. Croker , Die Spinne u. a. Gesch. – 24. Heine , Bis ins dritte und vierte Glied. – 25. 26. Burnett , Eine vornehme Dame.
Neunzehnter Jahrgang. Band 1. 2. F. v. Zobeltitz , Der Backfischkasten. – 3. Ouida , Zwei Sünder. – 4. Schubin , Marška. – 5. 6. Malot , Daheim. – 7. v. Rom , Man lebt so hin. – 8. Bodkin , Fräulein Detektiv. – 9. 10. v. Oertzen , Irrlichter. – 11. Rod , Auf halbem Wege. – 12. Westkirch , Geschichten von der Nordkante. – 13. 14. Hunt , Kein Herz. – 15. Döring , Deutsche und polnische Liebe. – 16. Poradowska , Die Stimme des Blutes. – 17. 18. Skowronnek , Das rote Haus. – 19. Cobb , Skrupel. – 20. Lie , Nordwärts. – 21. 22. Ohnet , Der Schritt zur Liebe. – 23. Croker , Eine verhängnisvolle Fahrt. – 24. Olden , Die erste Krawatte und andre Geschichten. – 25. 26. Warden , Das Gasthaus am Strande.
Zwanzigster Jahrgang.
Ein Königsdrama. Von Richard Voß . 2 Bände.
Das neue Werk des berühmten Dichters ist von gewaltiger Wirkung. Mit dem ehernen Schritt einer antiken Tragödie einherschreitend, ergreift es den Leser im Innersten, um ihn nicht mehr loszulassen, bis sich das grausige Schicksal des beklagenswerten Helden erfüllt hat.
Die Amazone und andere Geschichten. Von Johannes Johannsen .
Von einsamen Frauen wissen diese Geschichten zu erzählen und von heimlichen Tränen; von schlanken Mädchen wissen sie zu berichten und von fröhlichen Herzen. Wen die Stille abseits liegender Gehöfte lockt und der Zauber verwachsener Gärten, der wird die aus diesen Novellen sprechende Stimmung verstehen und die Charaktere ihrer Gestalten begreifen.
Gefeit. Von D. Mélégari . Aus dem Französischen.
Interessante Streiflichter auf die Gesellschaft des modernen Rom wirft dieser überaus fesselnd geschriebene Roman, der sich namentlich auch durch eine feine und selbständige Auffassung der Frauenfrage auszeichnet.
Maximum. Roman aus Monte Carlo. Von Ossip Schubin . Zwei Bände.
Ein Meisterstück erschütternder Seelenmalerei, worin feine Beobachtungsgabe und intime Kenntnis des menschlichen Herzens sich zu vollendeter Charakterzeichnung erheben.
(Der Bazar.)
Ein Einbrecher aus Passion. Von E. W. Hornung . Aus dem Englischen.
Man wäre versucht, den Helden dieser spannenden Abenteuer, einen abgefeimten Verbrecher mit ritterlichem Wesen, für die Ausgeburt einer tollen Phantasie zu halten, wenn sich nicht erst kürzlich ganz ähnliche Vorkommnisse vor englischen Gerichten abgespielt hätten.
Die schwarze Maske. Von E. W. Hornung . Aus dem Englischen.
Das edle Paar, das wir in »Ein Einbrecher aus Passion« kennen gelernt haben, setzt sein Geschäft mit ungeschwächten Kräften fort und gibt neue Proben seines Scharfsinnes, der einer besseren Sache würdig wäre.
Goldene Blumen. Von Champol . 2 Bände. Aus dem Französischen.
Dieser wirklich gute und gediegene Roman weist alle Vorzüge des Schrifttums unserer westlichen Nachbarn auf, ohne in dessen Fehler zu verfallen; er ist duftig und graziös, prickelnd und spannend, aber dabei sittlich ganz einwandfrei.
Die nachstehenden Romane sind auch einer zu Geschenken ganz besonders geeigneten
Salon-Ausgabe
auf feines, extra starkes Papier gedruckt und in elegantem Liebhaber-Einband zum Preise von
M. 2.– für den einfachen und |
M. 3.– für den doppelten Band |
erschienen.
Einfache Bände:
Böhlau , Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten .
Burnett , Der kleine Lord .
Feuillet , Das Tagebuch einer Frau .
Georgy , Aus den Memoiren einer Berliner Range .
v. Gersdorff , Ein schlechter Mensch .
Gyp , Flederwischs Heirat .
Harraden , Schiffe, die nachts sich begegnen .
Hopfen , Zehn oder elf?
Paul Lindau , Helene Jung .
Loti , Ein Seemann .
Savage , Meine offizielle Frau .
Skowronnek , Ihr Junge .
Voß , Kinder des Südens .
Was der heilige Joseph vermag.
v. Wolzogen , Die Kinder der Excellenz .
H. v. Zobeltitz , Die Tante aus Sparta .
Doppel-Bände:
Conway , Eine Familiengeschichte .
Croker , Die hübsche Miß Neville .
– Ein Zugvogel .
Hopfen , Der Väter zweie .
– Robert Leichtfuß .
Ohnet , Der Hüttenbesitzer .
Sims , Erinnerungen einer Schwiegermutter .
v. Wolzogen , Der Kraft-Mayr .
– Der Thronfolger .
– Die tolle Komteß .
F. v. Zobeltitz , Das Heiratsjahr .
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die Antiqua-Formatierung der Werbeseite wurde entfernt.
Korrekturen:
S. 20: Vierzigen → Vierzigern
ein stattlicher Mann in den
Vierzigern
S. 86: her → hier
Freilich, die Nächte
hier
, und namentlich