Title : Die Hohkönigsburg: Eine Fehdegeschichte aus dem Wasgau
Author : Julius Wolff
Release date : April 1, 2019 [eBook #59185]
Language : German
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Anmerkungen zur Transkription
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In der
Grote'schen Sammlung
von
Werken zeitgenössischer Schriftsteller
erschienen von Julius Wolff :
Till Eulenspiegel redivivus. Ein Schelmenlied. Mit Illustrationen. 24. Tausend. br. 4 M., geb. 4 M. 80 Pf.
Der Rattenfänger von Hameln. Eine Aventiure. Mit Illustrationen von P. Grot Johann . 70. Tausend. br. 4 M., geb. 4 M. 80 Pf.
Schauspiele. (Kambyses. – Die Junggesellensteuer.) Zweite Auflage. br. 4 M., geb. 4 M. 80 Pf.
Der wilde Jäger. Eine Waidmannsmär. 89. Tausend. br. 4 M., geb. 4 M. 80 Pf.
Tannhäuser. Ein Minnesang. Mit Porträtradirung nach einer Handzeichnung von Ludwig Knaus . Zwei Bände. 39. Tausend. br. 8 M., geb. 9 M. 60 Pf.
Singuf. Rattenfängerlieder. 16. Tausend. br. 4 M., geb. 4 M. 80 Pf.
Der Sülfmeister. Eine alte Stadtgeschichte. Zwei Bände. 39. Tausend. br. 8 M., geb. 9 M. 60 Pf.
Der Raubgraf. Eine Geschichte aus dem Harzgau. 47. Tausend. br. 6 M. 60 Pf., geb. 7 M.
Lurlei. Eine Romanze. 55. Tausend. br. 5 M. 60 Pf., geb. 6 M.
Das Recht der Hagestolze. Eine Heirathsgeschichte aus dem Neckarthal. 34. Tausend. br. 6 M. 60 Pf., geb. 7 M.
Die Pappenheimer. Ein Reiterlied. 23. Tausend. br. 5 M. 60 Pf., geb. 6 M.
Renata. Eine Dichtung. 28. Tausend. br. 5 M. 60 Pf., geb. 6 M.
Der fliegende Holländer. Eine Seemannssage. 29. Tausend. br. 4 M. 60 Pf., geb. 5 M.
Das schwarze Weib. Roman aus dem Bauernkriege. 21. Tausend. br. 6 M. 60 Pf., geb. 7 M.
Aus dem Felde. Nebst einem Anhang: Im neuen Reich. Dritte vermehrte Auflage. geb. 2 M. 50 Pf.
Assalide. Dichtung aus der Zeit der provençalischen Troubadours. 15. Tausend. br. 5 M. 60 Pf., geb. 6 M.
Der Landsknecht von Cochem. Ein Sang von der Mosel. 17. Tausend. br. 5 M. 60 Pf., geb. 6 M.
Der fahrende Schüler. Eine Dichtung. 14. Tausend. br. 5 M. 60 Pf., geb. 6 M.
Die Hohkönigsburg. Eine Fehdegeschichte aus dem Wasgau. br. 5 M. 60 Pf., geb. 6 M.
Grote'sche Sammlung
von
Werken zeitgenössischer Schriftsteller.
Siebenundsiebzigster Band.
Julius Wolff, Die Hohkönigsburg.
Eine Fehdegeschichte aus dem Wasgau
von
Julius Wolff.
Berlin,
G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung.
1902.
Alle Rechte, insbesondere das der Uebersetzung in andere Sprachen, vorbehalten.
Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.
Die Hohkönigsburg.
Charlottenburg, 1902.
Im Augustsonnenschein des Tages St. Bartholomäi 1483 wehte auf dem Bergfried der Hohkönigsburg, des größten Schlosses im ganzen Elsaß, eine Fahne in den Thierstein'schen Farben, gelb und roth, denn die Grafen dieses Namens führten in ihrem Wappenschilde sieben rothe Rauten in goldenem Felde.
Die Burg lag auf einem von Osten nach Westen gestreckten Bergrücken, der aber nach der Ebene zu mit seiner Schmalseite als ein alle anderen sichtbaren Höhen übersteigender, spitzer Kegel erschien und, Mauern und Thürme gleich einer zackigen Krone tragend, den Blick aus der Ferne schon auf sich zog und unwiderstehlich fesselte.
Die Umwallung der sehr ausgedehnten Werke bestand aus zwei, durch einen breiten Zwischenraum getrennten Ringmauern, deren äußere mit einer Anzahl vorspringender Rundthürme bewehrt war, und drei, in gemessenen Abständen aufwärts folgende Thore hatte zu durchschreiten, wer zum Hochschlosse hinan wollte. An jedem dieser Thore stand heut ein Doppelposten von geharnischten Knechten, die mit ihren Hellebarden in kerzengrader Haltung den nahenden Gästen des Burgherren salutirten. Hinter dem zweiten Thore gelangte man auf einen geräumigen Hof, [2] wo sich die Stallungen, Sattel- und Geschirrkammern und die Schmiede befanden. Dort mußten die Berittenen vom Pferde steigen, denn von hieraus hatten sie den in mehreren Absätzen über Treppenstufen führenden Weg zum dritten und höchsten Thore zu Fuß zu machen. Es hieß das Löwenthor, weil über seinem Bogen zu beiden Seiten eines stark beschädigten, nicht mehr erkennbaren Wappens – vermuthlich das der Hohenstaufen – zwei in Stein gehauene Löwen ruhten. Hier stand außer den zwei Reisigen noch ein Herold mit dem Stab, in Federbarett und gesticktem Wappenrock, um die Ankommenden im Namen seines Herren zu empfangen und sie bis zum Eingange des Saalbaues zu geleiten.
Man erwartete heut viel Besuch, denn es galt, das nach seiner Erstürmung völlig ausgebrannte, jetzt aber mächtig und prächtig wieder aufgerichtete Schloß durch ein glänzendes Fest einzuweihen, zu dem Einladungen an die im weiteren Umkreis wohnende Ritterschaft ergangen waren.
Wechselvolle Schicksale hatten die Hohkönigsburg seit ihrer Entstehung heimgesucht.
Ursprünglich geschaffen war sie im zwölften Jahrhundert von den Hohenstaufen. Nach ihnen hatten die Herzöge von Lothringen die Lehenshoheit und belehnten nach einander die Landgrafen von Werd, die Grafen von Öttingen und die Bischöfe von Straßburg mit der vielumworbenen Feste, die zeitweilig auch an die Rappoltstein, von Rathsamhausen und von Hohenstein als Afterlehen [3] überging. Dann kam sie an das Habsburgische Kaiserhaus, in dessen Besitz sie lange verblieb. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts aber hatte sich eine Schaar wüster Placker und Pracher, unter denen auch einige von Adel waren, dort widerrechtlich eingenistet und trieb als Wegelagerer und Buschklepper ihr freches Räuberhandwerk in einer für die ganze Umgegend so unerträglichen Weise, daß sich endlich der Bischof und der Rath von Straßburg, die Grafen von Rappoltstein und die Bürgerschaft von Schlettstadt zum Kampfe gegen die streitbaren Schnapphähne und ihre zahlreichen Spießgesellen verbündeten, die Burg belagerten und einnahmen, das Gesindel, das leider durch die Flucht entkam, verjagten und das zum Raubnest gewordene Schloß zerstörten.
Über ein halbes Menschenalter lang starrten die gewaltigen Trümmer öde und obdachlos auf dem hohen Bergrücken gen Himmel, bis 1479 Kaiser Friedrich III. die Grafen Oswald und Wilhelm von Thierstein mit der Burg belehnte und denen, die sie gebrochen hatten, dem Bischof und der Stadt Straßburg, gebot, sie zu Schutz und Trutz fest und wohnlich wieder herzustellen. Der Obermeister der im ganzen deutschen Reiche berühmten und entscheidenden Bauhütte des Münsters empfahl zu dem Zwecke einen tüchtigen, erfahrenen Mann, und der Erwählte, Meister Ebhardt, baute und besserte mit Straßburgischen Werkleuten und Straßburgischem Gelde Jahre lang, ehe die Grafen von Thierstein mit ihren Familien, einem auserlesenen Gesinde und einer ansehnlichen Besatzung [4] in die herrlich wieder erstandene Hochburg einziehen konnten. Und heute, kaum zwei Wochen nach deren Übersiedelung von ihrem Herrenhofe zu Straßburg, waren die Thore des alten Hohenstaufenschlosses laubgeschmückt und gastlich geöffnet, um die Menge der Geladenen einzulassen.
Nur ein Thierstein'sches Familienglied fehlte bei dem heutigen Feste, Graf Oswalds einziger, noch unmündiger Sohn Heinrich, der als Edelknabe auf der Burg eines alten Adelsgeschlechtes in der Schweiz war, um dort, wie das so Brauch war, unter fremder Zucht und Obhut ritterliches Wesen und höfischen Dienst zu lernen.
Die beiden Reisigen, die am Löwenthor die Ehrenwache hatten und reicher gekleidet und gewappnet waren als die Knechte an den unteren Thoren, waren Dienstleute aus der nächsten Umgebung des Schloßherren, der eine, Marx, der Falkonier, der andere, Herni, der Armbrustspanner des Grafen Oswald, der als der ältere der zwei Brüder Thierstein der eigentliche machthabende Lehensträger war. Der Dritte hier an dem Thore, der in Heroldstracht, Ottfried Isinger, nahm als Stallmeister eine Vertrauensstellung auf der Burg ein und kannte viele der Herren, die nach und nach mit ihren Gemahlinnen, Söhnen und Töchtern oder auch allein die Treppen heraufkamen. Er nannte seinen Gesellen die Namen von Fleckenstein, Müllenheim, Andlau, Geroldseck, Dürkheim, Kageneck, Zorn von Bulach, und der eine und der andere der Herren hatte ein freundliches Wort für ihn, aber die meisten schritten ohne Gruß durch das [5] Thor und würdigten den sich tief Verbeugenden keines Blickes.
Als nun wieder einmal eine Gesellschaft von Herren und Damen so achtlos eingetreten war, meinte Herni, der Armbrustspanner: »Es will mich bedünken, als kämen unsere vornehmen Gäste nicht alle mit fröhlichen Gesichtern. Manche schauen fast mürrisch und unzufrieden darein.«
»Hab ich auch schon gemerkt,« stimmte der Falkonier ihm zu. »Und wißt ihr, was ich glaube? – sie gönnen uns die schöne, große Burg nicht; manch Einer von ihnen hauste gern selber hier oben als hochmögender Herr und Landvogt im Wasigen.«
»Damit könntest Du Recht haben, Marx!« lachte Isinger. »Dieser und Jener mag auf das Lehen gehofft haben, denn keine von allen ihren Burgen ist so groß und stark wie diese außer Girbaden vielleicht, das den Müllenheim gehört. Aber unser Herr hat beim Kaiser einen Stein im Brett, denn er hat dem Haus Österreich gute Dienste geleistet, und Bischof Albrecht von Straßburg, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog in Bayern, hat als sein Fürsprecher beim Habsburger eine gewichtige Stimme.«
»Wer waren denn die Letzten, die so hochnäsig vorübergingen?« fragte Herni. »Der Eine, der Gedrungene, Breitschultrige, sah Dich ganz übermeßlich an, Ottfried!«
»Ja, der kennt mich, und ich kenne ihn auch,« erwiederte der Stallmeister mit besonderem Nachdruck. »Es war Herr Burkhard von Rathsamhausen mit seiner Sippe, die auf den beiden Ottrotter Schlössern sitzen.«
»Aha!« machte Herni, »darum der böse Blick. Die haben auch einmal hier oben gesessen, vom Kaiser Wenzel mit der Burg belehnt. Es geht die Sage, ihrer sieben Rathsamhausen hätten sich einst, als sie hier die Herren waren, durch Handfeste unter einander gelobt und verpflichtet, daß kein Einziger etwas von seinem Besitz veräußern sollte ohne Willfahren aller Übrigen.«
»So? woher weißt Du denn das?«
»Hat mir unser Graf einmal auf einem Pirschgang erzählt.«
»Ja, dann wird es sie wohl wurmen, daß sie nicht wieder die Belehnten sind,« meinte Isinger, »denn die Rathsamhausen sind das stolzeste Geschlecht im ganzen Wasgau.«
»Stolz! Graf Oswald ist auch stolz, und das wahrhaftig nicht wenig,« sagte Marx.
»Hat auch Ursach dazu als Schloßherr von Hohkönigsburg, aber so trotzig und starrköpfig wie Herr Burkhard ist er doch nicht. Das ist ein abenteuriger Mann und hat ein gar grimmig Gemüth; ich könnte euch mehr als ein verwegenes Stücklein von ihm erzählen.«
»O, unser Graf läßt nicht mit sich spaßen,« bemerkte Herni. »Wer ihm steifnackig entgegentritt, den weiß er zu ducken, wenn's nöthig ist.«
»Gewiß! aber in diesen letzten Tagen, wo ich viel mit ihm zu berathen hatte, wollte er mir garnicht gefallen. Er war unruhig, aufgeregt und schien sich auf [7] das Bankett nicht recht zu freuen, als sorgte er um den Verlauf und das gute Gelingen.«
»Dann konnte er es ja unterlassen,« sagte Marx.
»Das ging nicht; er ist es sich und seiner Stellung schuldig, sich bei seinem Einzuge hier als Herr und Gebieter der mächtigsten Burg im Lande den anderen Edelleuten zu zeigen und ihnen seinen hohen Rang von vornherein klar zu machen. Begreifst Du das?«
»Hm! deßhalb! ja natürlich!«
Sie mußten das Gespräch abbrechen, denn jetzt nahte Seine Hochwürden der Abt von St. Pilt mit mehreren seiner Chorherren und einigen Chorknaben, die zur Weihe der Schloßkapelle geladen waren und von den Wachthabenden in schweigender Ehrfurcht gegrüßt wurden.
Es war Nachmittag. Die Sonne stand noch ziemlich hoch über dem Walde, der mit seinen alten, mächtigen Tannen, seinen Eichen und Buchen die Berge und Thäler unabsehbar bedeckte und aus dem sich, hell beleuchtet, die benachbarten Burgen erhoben. Den schroffen Gipfel zur Rechten hielt Hohrappoltstein wie eine Wacht besetzt, zur Linken funkelte die Frankenburg und weiterhin am steilen Bergeshang die Scherweiler Schlösser Ortenberg und Ramstein. Tief unten aber, gradaus ergoß sich weit und breit mit Städten und Dörfern und Rebengeländen das Ried, die fruchtbare Ebene zum Rheine hin, dessen Spiegel man bei Breisach blitzen und blinken sah. Jenseits des Stromes lagerte deutlich das Kaiserstuhlgebirge, und im Hintergrunde schimmerten langgezogen und wolkenhoch die Umrisse [8] des Schwarzwaldes. Aber die äußerste Ferne war dunstig, und die Alpen, die bei ganz klarem Wetter ihre schneeigen Häupter über den Horizont emporrecken, waren nicht sichtbar.
So bot der Ausblick von hier oben ein herrliches Bild, und einer der Herren, die sich sammt ihren Damen soeben im Stallhof aus den Sätteln geschwungen hatten, schien es vom untersten Treppenabsatz über die Ringmauern hinweg so aufmerksam zu betrachten, als suchte er darin einen bestimmten Punkt. Es war der Graf Maximin, genannt Schmasman, von Rappoltstein, in dem Geschlecht der zweite seines Namens, der mit seiner Gemahlin Herzelande und seiner Tochter Isabella heraufgeritten war. Sie wohnten auf der St. Ulrichsburg über dem Städtchen Rappoltsweiler, und in ihrer Begleitung waren sein Bruder Kaspar und dessen noch junge Gemahlin Imagina, die von ihrem ganz nahe dabei befindlichen Felsenhorst Burg Giersberg den gleichen Weg mit ihnen hatten, während der dritte Bruder, der im Alter zwischen jenen beiden stand, Graf Wilhelm und seine Gemahlin von dem höher liegenden Hohrappoltstein noch fehlten oder vielleicht schon vor ihnen eingetroffen waren.
Gräfin Herzelande trat zu dem Umschauhaltenden heran und fragte: »Wonach spähst Du, Schmasman?«
»Mich verdrießt es,« erwiederte der Graf, »daß von Egenolf noch immer nichts zu sehen ist; er hätte heute pünktlich sein sollen.«
»Unser lieber Sohn wird schon nachkommen,« suchte [9] die Gattin den Grollenden zu beruhigen. »Ich habe ihm sein Festgewand bereit legen lassen, daß er nur hineinzuschlüpfen braucht, wenn er vom Gejaide heimkehrt.«
»Schon den dritten Tag ist er von früh bis spät auf der Pirsch. Welches seltenen Wildes Fährte mag er so eifrig verfolgen, daß er Alles darüber vergißt?«
»Ei, laß ihn doch pirschen, Schwager!« sprach mit anmuthiger Gebärde Gräfin Imagina und streichelte dem Familienoberhaupte die bärtige Wange. »Das edle Waidwerk ist nun einmal Egenolfs größte Freude.«
»Die Freude gönn' ich ihm,« sagte der Graf, »aber heute mußte er Rücksicht nehmen. Die Thiersteiner werden denken, er früge nichts danach, bei dem Antrittsfest ihr Gast zu sein. Graf Oswald ist ohnehin mißtrauisch und wittert bald hier, bald dort einen Gegner und Neider.«
»Es fehlt ihm auch wohl an solchen nicht,« fiel Graf Kaspar ein.
»Mag sein,« antwortete der ältere Bruder. »Er hat keinen leichten Stand und wird noch um Gunst werben müssen, ehe es ihm gelingt, sich unter uns Alteingesessenen hier heimisch und beliebt zu machen, falls ihm überhaupt etwas daran gelegen ist.«
»Die Thiersteiner sind selber ein altes Rittergeschlecht,« sprach Gräfin Herzelande.
»Aber Eingewanderte, Schweizer, aus dem Aargau und ehemals Lehensträger der Baseler Bischöfe. Der hohen Clerisei verdanken sie zumeist den kaiserlichen Lehensbrief.«
»Schmasman, Du hast mit keinem Auge nach der [10] Hohkönigsburg geschielt?« neckte ihn die allzeit muntere Imagina.
»Ich?! nein, Du fürwitziges Weiblein!« lachte der Graf hell auf, »aber ich glaube, ich hätte sie haben können, wenn ich ernsthaft danach getrachtet hätte.«
»Und Du hättest keinen Neider gehabt,« fügte Herzelande mit einem innigen Blick auf ihren stattlichen, ritterlichen Gemahl hinzu.
»Wer weiß? aber laßt uns hier nicht länger stehen bleiben,« mahnte Schmasman, »ich höre neue Gäste anreiten.«
Sie stiegen langsam die Stufen hinan, doch nach einer kleinen Weile sagte Schmasman zu der neben ihm gehenden Herzelande: »Soll mich nur wundern, ob die Ottrotter heute kommen werden.«
»Du zweifelst daran?« fragte sie, wie erschrocken wieder stehen bleibend.
»Sicher bin ich nicht. Burkhard war wenig geneigt dazu, und ich habe ihm stark zureden müssen. Er fühlt sich durch die Art der Einladung verletzt, weil es Graf Oswald nicht der Mühe werth gehalten, ihm seinen Besuch zu machen, sondern nur seinen jüngeren Bruder Wilhelm geschickt hat, der einen etwas kühlen Empfang auf Schloß Rathsamhausen gefunden haben mag, wie ich aus Burkhards Reden schließen muß.«
»Ist das sein einziger Grund, heut auf der Hohkönigsburg nicht erscheinen zu wollen? Da könnten wir uns ja gleichfalls beklagen, denn wenn auch Graf Oswald [11] bei uns auf der Ulrichsburg war, seine Frau und Tochter haben sich mir und Isabella nicht präsentirt, so nahe wir ihnen auch wohnen. Wir kennen die Damen noch gar nicht.«
»Das schadet ja nichts, Mutter« sprach hinter ihren Eltern Isabella. »Ich freue mich auf das Fest und werde mich mit der jungen Gräfin schon zu stellen wissen.«
»Sie haben auch in der kurzen Zeit, die sie hier sind, mehr zu thun gehabt als nach allen umliegenden Burgen zu reiten,« entschuldigte Herzelande selbst die ihr bisher noch Ferngebliebenen. »Wer wird denn unter diesen Umständen so empfindlich sein!«
»So denk' ich auch,« sagte Schmasman, »aber Du kennst doch unsern Freund Burkhard. Wenn der in übler Laune ist, ärgert ihn die Fliege an der Wand, daß ihm die Zornader schwillt. Ich bin sehr neugierig, ob er hier sein wird, und wenn nicht, so wird zwischen ihm und Thierstein wenig Liebe wachsen.«
Inzwischen waren sie, bald auf einem Treppenabsatz anhaltend, bald gemächlich weiterschreitend, an das Löwenthor gekommen. Schmasman stutzte, als er des Heroldes dort ansichtig wurde, faßte ihn scharf ins Auge und begann: »Bist Du es wirklich, Ottfried Isinger, der in dem prächtigen Wappenrocke steckt?«
»Euer Gnaden zu dienen, Herr Graf!« antwortete Isinger, sich nochmals verneigend und hoch erfreut, daß ihn Schmasman erkannt und angeredet hatte.
»Ich habe Dich lange nicht gesehen und wußte nicht, [12] daß Du mit hier oben bist. Was schaffst Du denn hier? spielst Du bloß Herold?«
»Nein, Herr Graf! ich bin Stallmeister auf der Hohkönigsburg.«
»Nu seh mal Einer an!« lächelte Schmasman. »Dann sagt mir doch, Herr Stallmeister: sind die Herren von Rathsamhausen schon eingetroffen?«
»Jawohl, Herr Graf!« erwiederte Isinger, »die Herren Burkhard und Philipp von Rathsamhausen mit dero Gemahlinnen und Junker Bruno sind bereits oben im Schloß.«
»Das freut mich zu hören,« sagte Schmasman, fast aufathmend, wie von einer Sorge befreit. – »Hat der Trotzkopf doch noch Vernunft angenommen,« flüsterte er Herzelande zu.
Sie schritten, von Isinger geleitet, durch den Eingang in den von hohen Gebäuden eingeschlossenen inneren Burghof, und hier wandte sich Imagina mit einem schelmischen Lächeln zu dem führenden Herold: »Herr Stallmeister, Euren Marstall müßt Ihr mir heute noch zeigen, ich habe soviel Pferdeverstand, daß ich einen Rappen von einem Schimmel unterscheiden kann.«
»Stehe jederzeit zu Befehl, gnädigste Frau Gräfin!« erwiederte Isinger ehrerbietig und begab sich zum Löwenthor zurück.
Die Herrschaften aber stiegen über die in einem Thurme befindliche Wendeltreppe zu den Festräumen des Palas empor.
»Seid willkommen auf der Hohkönigsburg, Ihr Herren und Frauen von Rappoltstein! ich grüße Euch als meine Standesgenossen und hoffe, daß ich mich guter Nachbarschaft von Euch zu versehen habe.« Mit diesen erhobenen Hauptes und in lautem Tone gesprochenen Worten empfing Graf Oswald von Thierstein die Eintretenden und reichte jedem derselben leicht die Hand. Dann wandte er sich um, winkte und rief in das Gemach hinein: »Margarethe! Leontine!«
Die Gerufenen, seine Gemahlin und seine Tochter, kamen herbei, und ihre Begrüßung der drei Rappoltstein'schen Damen war eine sehr herzliche. Sie drückten sich alle die Hände, schauten sich theilnahmsvoll prüfend in die Augen, und die Blicke von der einen wie von der anderen Seite bezeugten ein offenbares Wohlgefallen an einander.
»Verzeiht, Frau Gräfin Rappoltstein,« begann Gräfin Margarethe, »daß ich mit meiner Tochter noch nicht bei Euch war, aber in diesen zwei Wochen wußte ich wahrlich nicht –«
»Nur keine Entschuldigung, Gräfin Margarethe!« unterbrach sie Herzelande in der gewinnendsten Weise, »auch eine Schloßherrin ist in erster Reihe Hausfrau.«
»Ich danke Euch für Eure Nachsicht und werde das Versäumte nachholen; bald, sehr bald komme ich zu Euch.«
»Und sollt auf der Ulrichsburg mit offenen Armen empfangen werden.«
»Und Ihr, Gräfin Imagina?« wandte sich die Wirthin zu der Gemahlin Kaspars, »mein Gott, wie jung noch! Ihr könntet ja meine Tochter sein.«
»Da überschätzt Ihr Euch und unterschätzt mich, Frau Gräfin,« lachte Imagina, »Euch wie eine Mutter zu verehren wäre eine Beleidigung Eurer eigenen Jugendlichkeit.«
»Eine Schmeichlerin seid Ihr also? da muß man sich ja vor Euch hüten.« Und sie lachten sich beide fröhlich ins Gesicht.
Zu Isabella hatte die Gräfin Tochter gesagt: »Laßt uns versuchen, Freundschaft mit einander zu schließen. Leontine heiße ich und Ihr Isabella, ich weiß es schon und war sehr begierig, Euch zu sehen. Wir wollen zusammen reiten; ich weiß noch gar nicht Bescheid hier, habe mich neulich schon einmal im Walde verirrt, bis ich einen Jägerknecht traf, der mich zurechtwies. Da führt Ihr mich denn die schönsten, einsamen Waldpfade durch Thäler und Schluchten, die ich so gern zu Pferde durchstreife.«
Auch Graf Wilhelm von Thierstein und seine Gemahlin waren zu den Rappoltsteinern herangetreten und hatten mit ihnen Bekanntschaft gemacht, indessen Graf Oswald mit Schmasman im Gespräch geblieben war, das [15] sich in höflichen, aber gemessenen Formen bewegte. Jetzt aber erschienen neue Festgenossen, denen sich die Thiersteiner widmen mußten, und die Rappoltsteiner wandten sich den anderen Anwesenden zu und zerstreuten sich in den zur Verfügung stehenden Gemächern.
Alle, die als Gäste hier erschienen waren, kannten sich unter einander. Neulinge für einige Herren und die meisten Damen waren nur die Wirthe selber, die Thiersteiner, die sich unablässig durch die glänzende Gesellschaft bewegten, um mit jedem der Geladenen verbindliche Worte zu wechseln. Dabei befleißigten sich die Thierstein'schen Damen der größten Zuvorkommenheit, die überall Anklang fand und mit ungezwungener Freundlichkeit erwiedert wurde.
Graf Oswald dagegen bewahrte in seinem Auftreten und Benehmen eine gewisse Zurückhaltung, die ihm von Vielen als Überhebung ausgelegt wurde, so daß sie hin und wieder verwunderte Blicke tauschten, wenn er durch ein strenges Wesen und durch hochfahrende Äußerungen ein allzu großes Selbstbewußtsein verrieth. Doch konnte er auch von hingebender Liebenswürdigkeit sein, wenn er wollte, und immer war er dies schönen Frauen gegenüber ohne noch den Galan spielen zu wollen. Heute freilich, wo er so zu sagen eine Probe zu bestehen, vor seinen Gästen eine Prüfung abzulegen hatte, fühlte er sich ein wenig befangen, zumal er merkte, wie Aller Blicke beobachtend auf ihm ruhten, und weil sein ganzes Gehaben von dem Wunsch und dem Bestreben geleitet wurde, nicht nur einen [16] günstigen Eindruck auf die Geladenen zu machen, sondern sich auch mit einem Schlage eine hervorragende, maßgebende Stellung unter ihnen zu erobern, denn dies war ja, wie sein kluger Stallmeister wohl durchschaut hatte, der Hauptzweck des heutigen Festes.
Als Graf Oswald das Gespräch mit Schmasman beenden mußte, war des Letzteren erster Gedanke: wie mag wohl die Begrüßung zwischen Oswald und Burkhard ausgefallen sein? Schade, daß ich nicht früher kam, um dabei Zeuge und nöthigenfalls Vermittler sein zu können! Und er ging, um seinen alten Freund und Waffenbruder aus mancher kleinen und größeren Fehde aufzusuchen. Die Gemächer durchschreitend ward er bald hier, bald da von einem Bekannten angehalten, der ihm die Hand entgegenstreckte, und unterließ auch nicht, die Damen zu begrüßen, an denen er vorüberkam. Endlich entdeckte er Burkhard im hintersten Zimmer, in lebhafter Unterhaltung mit Rudolf von Andlau begriffen. Schmasman schüttelte beiden die Hand, hielt aber die Burkhards länger in der seinigen fest und sagte: »Freut mich, daß Du gekommen bist, alter Brummbär!«
»Danken kann ich Dir kaum dafür, daß Du mich dazu beschwatzt hast,« erwiederte Burkhard mit leichtem Stirnrunzeln. »Aber nun bin ich einmal da im Gefolge des gnädigen Herren von der Hohkönigsburg und mache gute Miene zu dem thörichten Spiel hier.«
»Die Miene, die Du machst, könnte immer noch ein wenig besser sein,« meinte Schmasman.
Rudolf von Andlau lachte: »Nehmt Euch mit ihm in Acht, Graf Rappoltstein! er hat heute wieder den rauhen Pelz an und knurrt. Sehet zu, wie Ihr ihn bändigt; ich hab's nicht fertig gebracht und überlasse ihn Euch, um Eurer Frau die Hand zu küssen.«
»Thut das, Andlau! sie wird sich freuen, Euch hier zu sehen,« rief der Graf dem Abgehenden nach.
»Nun, wie war der Willkomm, den Du bei dem Thiersteiner fandest?« fragte Burkhard sofort, als die Beiden, etwas abseits von den übrigen Gästen, mit einander allein standen.
»O – durchaus höflich und freundlich,« erwiederte Schmasman.
»Na, das dank' ihm der Teufel!« brauste Burkhard auf. »Ist das Alles, was Du darüber zu sagen hast?«
»Freilich, ein wenig herablassend kam mir die Begrüßung vor.«
»Aha!« machte Burkhard, »willst Du wissen, wie es mir vorkommt? Er empfängt seine Gäste wie ein Reichsfürst seine Vasallen empfängt. – Ja, ja!« fuhr er fort, als Schmasman darauf schwieg, »Du bist wohl eben erst angelangt und hast noch nicht bemerkt, wie hoch der Herr Graf den Kopf trägt, als wollte er über uns Alle hinwegsehen.«
»Er ist noch fremd hier und muß sich erst eingewöhnen unter uns, erst Fühlung mit uns gewinnen. Dabei müssen wir ihm behilflich sein, ihm entgegenkommen.«
»Ach was, entgegenkommen!« rief Burkhard ärgerlich. »Zahm und kirre machen müssen wir ihn und ihm die Zähne zeigen, wenn er sich aufspielen und großthun will. Gieb mal Acht darauf, wie herausfordernd er hier in der strotzenden Pracht, die ihm von Rechts wegen garnicht zukommt, unter seinen Gästen herum stolziert, Huld winkend, Gunst verheißend, Gnade spendend, als hätte er nur zu geben und wir von ihm zu empfangen.«
»Du hast eine vorgefaßte Meinung gegen ihn, zu der Dich nichts berechtigt. Ich möchte Dich an seinem Platze sehen.«
»So hochmüthig wäre ich nicht, Schmasman!«
»Nein, Du Ausbund christlicher Demuth und Duldsamkeit!« lachte Schmasman. »Grob wärst Du, wenn Dir die Nasen Deiner Gäste nicht gefielen. Ruhig! ich kann Dir das sagen, Bruder! aber ich sage Dir auch: habe nur den guten Willen, gieb Dir einmal Mühe, Dich auf einen freundlichen Fuß mit dem Thiersteiner zu stellen, dann wird es schon gehen. Ich prophezeie Dir: je öfter wir uns fortan mit Graf Oswald begegnen, je besser werden wir uns mit ihm verstehen und vertragen, denn er ist vom Scheitel bis zur Sohle ein Mann von makelloser Ehre.«
»Trage gar kein Verlangen nach öfterem Begegnen.«
»Wird schon von selber kommen; ich verlasse mich auf Dein ehrliches, ritterliches Herz, denn das ist noch das Beste an Dir.«
Burkhard blinzelte den Freund erst etwas zweifelhaft an, dann gab er ihm die Hand und sagte: »Jetzt bringe mich zu Deiner Frau, damit ich auf andere Gedanken komme. Ist das lustige Hexlein, die Imagina, auch hier?«
»Natürlich! und wenn es Einer versteht, Dir den Kopf zurechtzusetzen, so ist sie es.«
»Das weiß ich, darum fragte ich ja.«
»So komm, aber erst zu meiner Frau!«
Sie schoben sich durch die Gruppen der plaudernden Gäste, die nicht müde wurden, die glänzende Einrichtung der Gemächer zu betrachten, die schönen, figurenreichen Teppiche an den Wänden, die geschnitzten Gestühle mit bunten Kissen und Polstern, die großen Öfen mit grünen Kacheln, die messingenen Leuchterkronen, die kunstvollen Glasfenster und mehr dergleichen, was ihre Bewunderung und ihr Begehren erregte, es auf ihren Schlössern auch so haben zu können. Die Mächtigsten und Reichsten unter ihnen, die auch in Behaglichkeit und Bequemlichkeit wohnten, mußten sich wohl oder übel gestehen: so prunkvoll und üppig wie hier sah es bei ihnen zu Hause nicht aus. Während des Wiederaufbaues der Hohkönigsburg hatten sie mit fast ungläubigen Ohren schon Manches von dem Aufwand, der dabei getrieben wurde, gehört und waren daher auf allerlei Neues und Sehenswerthes gefaßt, fanden aber ihre Erwartungen durch das hier, wie Manche meinten, fast prahlerisch zur Schau Gestellte nun doch noch weit übertroffen.
Um in diese kostbar ausgestatteten Räume möglichst würdig mit ihrer äußeren Erscheinung hineinzupassen, hatten Männer wie Frauen ihre auserlesensten Festgewänder angelegt. Da war viel schillernde Farbenpracht zu sehen an den faltigen Kleidern mit langen Schleppen und großgemusterten Röcken, unter denen die spitzen Schnabelschuhe hervorlugten Um die Nacken der Frauen ringelten sich goldene Ketten mit funkelnden Steinen, auf ihren Häuptern glitzerten gold- und silberdurchwirkte Hauben und Gebinde, und frische Blumenkränze krönten die Scheitel der jungen Mädchen. Die älteren Herren trugen dunkelsammtene oder brokatene Röcke, mit Pelz verbrämt oder mit bunten Borten umsäumt, die jüngeren aber kurze, seidene Wämser mit breitem, gesticktem Brustlatz und eng anliegende, gestreifte oder geschachtete Beinkleider, kleine Barette mit Federstutzen auf dem langen, gekräuselten Haar, und am schmelzverzierten Gürtel hing der Dolch in tauschirter Scheide.
Wer von allen Frauen und Jungfrauen hier war die Schönste? Niemand that diese Frage laut, aber Jeder legte sie sich im Stillen vor und beantwortete sie sich mit dem Namen Leontine. Sie war das leibhaftige Bild von Kraft und Gesundheit, mit jedem Liebreiz blühender Jugend geschmückt und von einer bestrickenden Anmuth im Ausdruck ihrer Züge, in Haltung und Bewegung, in ihrem ganzen Wesen.
»Was habt Ihr für prachtvolles, rothblondes Haar!« sprach Imagina, als sie auf ihrem Rundgang durch die [21] Gemächer der Thierstein'schen Tochter begegnete, die mit ihrem Wuchs die schlanke Gestalt der sie Anredenden noch eine halbe Spanne lang überragte.
»Sagt nur getrost feuerrothe Mähne!« lachte Leontine und schüttelte die wallenden Locken, die sich in kein Netz und keine Haube zwingen ließen. »Man muß wohl schon bei meiner Geburt diesen Löwenkopfputz geahnt haben und hat mir darum den Namen Leontine gegeben, der mir oder dem ich die Rechtfertigung nun schuldig war.«
»Die übrigen Attribute sind auch nicht ausgeblieben,« scherzte Imagina und entschlüpfte der Geneckten durch das Gedränge der Gäste, wobei sie dem ihr entgegenkommenden Burkhard fast in die Arme lief.
»Halt, Frauchen Imagina!« rief er, »hier kommt Ihr nicht vorbei, und auf Euch fahnde ich gerade.«
»Auf mich? was wollt Ihr von mir?« entgegnete sie schnippisch.
»Ihr sollt mir das kleine, weiche Pfötchen geben.«
Sie schlug ein: »Da! was nun noch?«
»Weiter nichts; ich hab Euch so lange nicht gesehen; habt Ihr mich auch noch ein bischen lieb?«
»Ich Euch? nein! nicht im Mindesten, hab Euch in meinem Leben noch nicht lieb gehabt.«
»Ach! warum denn nicht?«
»Ihr seid mir zu rauh und stachlicht. Ich möchte nichts im Bösen mit Euch zu schaffen haben.«
»Im Bösen, da habt Ihr Recht; aufrichtig seid [22] Ihr wenigstens, Gräfin Imagina!« sagte Burkhard mit einem stechenden Blick. »Aber es ist ja garnicht Euer Ernst.«
»Mit Euch spaß' ich nicht, denn ich traue Euch nicht, nicht über den Weg trau ich Euch; Ihr seid gefährlich, man muß sich mit Euch hüten und fürsehen, die tiefe Falte da zwischen Euren Brauen –«
»Streicht sie weg, wischt sie mir aus, Imagina!«
»Von der Stirn kann man sie verbannen, aber im Herzen bleibt sie Euch doch. Was habt Ihr wieder heute? Euch bohrt und boßt etwas.«
»Soll ich's Euch sagen? Euch in die kleinen, rosigen Mauseohren flüstern?«
»Wenn Ihr nicht beißen und nicht allzusehr schreien wollt.«
»Könnt Ihr schweigen, Imagina?«
»Ich?! oh! Herr Burkhard!«
»So kommt her! – Ich gönne dem Thiersteiner die stolze Burg nicht.«
Sie lachte: »Und das soll ein Geheimniß sein? Das weiß ich schon lange.«
»So?« er starrte sie verblüfft an, »woher denn?«
»Von Euch selbst, wenn Ihr's mir auch nicht gesagt habt. Schon als sie noch daran bauten, ärgerte Euch jeder Stein, mit dem sie Mauern und Thürme erhöhten. Ihr solltet Euch so gierigen Neides schämen, Herr Burkhard!«
Er stampfte mit dem Fuß. »Daß Dich das Wetter!« knirschte er. »Sagt das Schmasman auch?«
»Nein, der denkt viel zu gut von Euch.«
»Seht Ihr? der kennt mich.«
»Nein, der kennt Euch leider nicht, aber ich, ich kenne Euch.«
»Und denkt schlecht von mir?«
»Ja! ganz schlecht, grundschlecht, nun wißt Ihr's. Empfehle mich Euer Gnaden!« und fort war sie.
»Racker!« brummte Burkhard, »verflucht schlaue Kröte, und dabei so hübsch, so niederträchtig hübsch!«
Die Gäste waren vollzählig versammelt bis auf Egenolf, nach dem schon Dieser und Jener gefragt hatte. Junker Bruno von Rathsamhausen erhielt auf seine Erkundigung nach dem Freunde von dessen Vater den Bescheid: »Ich wundere mich ebenso wie Du über das lange Ausbleiben meines Sohnes. Er war in den letzten Tagen ganz versessen auf die Jagd, und ich fange allmählich an zu fürchten, daß ihm ein Unfall zugestoßen ist; sonst müßte er schon hier sein.«
»Nein, Herr Graf!« sagte Bruno, »das fürchte ich nicht, dazu ist Egenolf ein zu tüchtiger Waidmann.«
»Hast Recht, Bruno!« erwiederte Schmasman, »also warten wir's ab, bis es ihm gefällt, sich einzustellen.«
Jetzt ertönte der Klang einer Glocke zum Zeichen, daß die Messe, die der Abt von St. Pilt in der Schloßkapelle feiern wollte, ihren Anfang nehmen sollte, und die Gesellschaft schickte sich an, sich in das nahebei belegene [24] Sanctuarium zu begeben. Da jedoch die Kapelle nicht sämmtliche Anwesende aufnehmen konnte, blieben die jüngeren nebst einigen älteren Herren, die sich aus der Feierlichkeit nicht viel machten, in den Gemächern zurück, und bald hörten sie dort den Gesang der Chorherren, dem sie schweigsam und mehr oder weniger andächtig lauschten.
Eine Stunde nach dem Aufbruch der Seinigen von der St. Ulrichsburg stieg auch der junge Graf Egenolf von Rappoltstein dort zu Pferde, um ihnen nach der Hohkönigsburg zu folgen. Seine Jagd war glücklich verlaufen; er hatte einen starken Wolf, dem er in den ausgedehnten Forsten drei Tage lang auf der Spur gewesen war, erlegt, ihn selbst abgehäutet und das Fell einem Kürschner in Rappoltsweiler zur Zubereitung übergeben, war also in frohester Stimmung.
Anfangs, so lange der Weg noch eben war, trabte er scharf zu, bald aber, als er in den Wald kam und es bergan ging, ritt er langsam und überließ sich träumenden Gedanken. Es war eine sehr ergötzliche Erinnerung, die ihn jetzt beschäftigte, die Erinnerung an ein liebliches Abenteuer, das er hier im Walde vor Kurzem erlebt hatte.
Er pirschte eines Morgens auf allerlei Raubzeug und schlich spähend und lauschend durch das Dickicht, als er plötzlich dumpfen Hufschlag zu vernehmen glaubte. Er blieb stehen und horchte, aber jetzt war Alles wieder still. Mit einem Male rief eine helle, zweifellos eine weibliche Stimme: »Sanct Hippolyt!« und siehe da! das Echo antwortete deutlich: »Sanct Hippolyt!« Dann wieder [26] die Stimme in singendem Tone: »Zeig' mir den Weg!« und das Echo wiederholte: »Zeig' mir den Weg!« Die Rufende, der das neckische Spiel offenbar Vergnügen machte: »Den Weg zu Dir!« und das gefällige Echo: »Den Weg zu Dir!« Jetzt rief Egenolf selbst, den Klang der Stimme so gut wie möglich nachahmend: »Wart', ich komme zu Dir!« Alles schwieg, auch das Echo, denn von des Rufers Standpunkt aus konnte es nach den natürlichen Gesetzen des Schalles nicht zu ihm zurücktönen. Nun eilte er durch das Gebüsch in der Richtung, von der aus die Worte erklungen waren, und fand dort mitten im Walde eine junge Dame zu Pferde halten, die er nicht kannte. Sobald sie seiner ansichtig wurde, redete sie ihn, der in schlichtester Jägertracht und mit Spieß und Armbrust bewehrt war, zuerst an indem sie vom Pferde herab sprach: »Ihr kommt zur rechten Zeit, guter Freund! wißt Ihr den Weg nach Sanct Pilt?«
»O ja!« erwiederte er, »aber in dieser Gegend ist er nicht zu finden.«
»So zeigt ihn mir!« befahl sie.
Egenolf sah sich die Reiterin jetzt genauer an. Sie war eine vornehme Erscheinung in geschmackvoller Kleidung, saß sehr gut im Sattel und hielt in der Rechten eine wuchtige Reitgerte; am Gürtel hing ihr ein langes Waidmesser. Sie gefiel ihm ausnehmend, und eben, weil er sie nicht kannte, konnte sie Niemand anders sein, als die junge Gräfin von Thierstein, die er noch nie gesehen hatte, weil sie erst kürzlich mit ihren Eltern nach der Hohkönigsburg [27] gekommen war. Alle anderen adligen Fräulein in der ganzen Umgegend waren ihm von Ansehen bekannt. So war er im Vortheil gegen die ihm vom Zufall Schutzbefohlene; er wußte, wer sie war, aber sie schien seine Abstammung von einem der edelsten Geschlechter des Landes nicht zu ahnen.
»Ihr seid hier falsch, Fräulein! Sanct Pilt liegt dort hinaus,« sprach er. »Euer Pferd muß auf Irrkraut getreten haben; dann verliert man den Weg und verirrt sich.«
»Jägerweisheit!« spottete sie. »Geht voraus und führt!«
Egenolf that wie ihm geheißen und suchte die bequemsten Stellen zum Reiten zwischen den Bäumen aus. Die Reiterin folgte ihm schweigend, denn sie hatte mit dem Lenken ihres Pferdes zu thun. Bald aber rief sie ihren Führer an: »He! Waidmann! Ihr steht wohl im Dienste der Grafen von Rappoltstein?«
Es belustigte ihn, daß sie ihn für einen Jägerknecht hielt, was in Anbetracht seines Äußeren in dem schon etwas abgetragenen Lederkoller mit Kragen und Kappe, deren großer Schirm ihr sein Gesicht vom Sattel aus halb verdeckte, nicht eben zu verwundern war. Und da es ihn reizte, sie in dem Wahne zu lassen, um sich bei seiner bevorstehenden Begegnung mit ihr auf der Hohkönigsburg an ihrer Verlegenheit weiden zu können, gab er ihr, sich zu ihr umwendend, in unterwürfigem Tone zur Antwort: »Zu dienen, Fräulein! ich bin des Herrn Grafen Maximin von Rappoltstein leibeigener Mann.«
»Maximin?« fragte sie, »ich denke, Schmasman heißt er.«
»Ja, so wird er gewöhnlich genannt, das ist dasselbe,« sagte er und schritt nun nicht mehr vor, sondern neben dem Pferde her.
»Soll ein sehr angesehener und holdseliger Herr sein, ein tapferer Ritter, aber von feinsinniger Art und mildem Gemüth, wie ich hörte. Ihr habt es gewiß nicht schlecht bei ihm, wie?«
»Ich kann über die Behandlung nicht klagen; er hält seine Leute gut, und wir dienen ihm gern,« erwiederte der vermeinte gräfliche Gefolgsmann. Um aber dem Gespräch, dessen Fortsetzung in diesem Gleise leicht zu einer Entdeckung seiner wahren Herkunft führen konnte, eine andere Wendung zu geben, fragte er: »Ihr wollt nach Sanct Pilt?«
»Ja, wohin sonst bringt Ihr mich denn, Rappoltstein'scher Spießträger?« entgegnete sie launig. »Den Abt will ich sprechen.«
»Also hoch zu Rosse zum Beichtstuhl. Das laß ich mir gefallen, ist aber etwas ungewöhnlich.«
»Was geht es Euch an, Jäger!« verwies sie ihn herrisch, »und wer sagt Euch, daß ich beichten will? Sehe ich aus wie eine arme Sünderin, die ein schlechtes Gewissen hat?«
»Nichts für ungut, Fräulein! hab Euch darauf noch nicht angeschaut,« entschuldigte er sich. »Aber,« fuhr er, wie mißbilligend mit dem Kopfe schüttelnd fort, »so ganz [29] allein und einsam hier im tiefen Walde, wo Ihr nicht einmal Bescheid wißt? Es ist hier nicht immer ganz geheuer, und Ihr seid eine verführerisch schöne –, ich wollte sagen,« verbesserte er sich schnell, als ihn ein strenger Blick von ihr traf, »Ihr habt da sehr schöne Steine an Eurem Gürtel.«
»Wollt Ihr mir etwa bange machen? das wird Euch nicht glücken, mein Lieber!« lachte sie. »Ich bin, wie Ihr seht, nicht wehr- und waffenlos und fürchte mich nicht vor Euch, das will ich Euch beweisen.« Und ehe er sich dessen versah, war sie aus dem Sattel zur Erde gesprungen, warf ihm den Zügel ihres Pferdes zu und sagte: »Da! führt meine Daphne! ich will zu Fuß mit Euch wandern.«
Jetzt, als sie ihm zur Seite schritt, merkte er erst recht, wie hoch und kräftig ihre Gestalt war, nur wenig kleiner als er. Sie gingen schweigend dahin im stillen Walde, durch dessen sanft bewegtes Laub die Sonnenstrahlen blitzten, daß auf dem dichten Grün des Bodens goldene Lichter tanzten und flirrten. Die Drosseln und Finken schlugen, und die Bienen summten, und die zwei jungen, blühenden Menschenkinder hingen ihren Gedanken nach, die wohl sehr verschiedenen Inhalts sein mochten.
»Gebt einmal Eure Armbrust her!« gebot jetzt die abgesessene Reiterin. Er reichte sie ihr und beobachtete mit Freuden, wie leicht und sicher sie mit den richtigen Griffen den stählernen Bogen spannte. »Und einen Bolzen!« Dann blickte sie zu den hohen Wipfeln empor. »Nichts [30] zu sehen, und einen Singvogel schieße ich nicht. Was soll ich treffen?«
»Den Mistelbusch dort oben im Wipfel der Birke.«
Sie zielte und schoß. Der Bolzen ging mitten durch die Mistel.
»Gut gemacht!« lobte er, »also Jägerin seid Ihr auch.«
»Ja, – auch!« sagte sie kurz und gab ihm die Armbrust zurück. »Nun zeigt Ihr Eure Kunst! – den Tannzapfen dort!«
Er schoß und fehlte.
Da lachte sie: »Nun, Jäger, wenn Ihr den hängenden Tannzapfen nicht trefft, ist wohl flüchtiges Wild ziemlich sicher vor Euch?«
»Der um meinen Arm geschlungene Zügel Eures Pferdes hinderte mich am ruhigen Zielen,« erwiederte er halb ärgerlich, halb beschämt.
»Daphne stand baumstill,« behauptete sie und fragte dann: »Wie weit ist es noch von hier bis Sanct Pilt?«
»Wir werden bald zu einem Wege gelangen, auf dem Ihr traben könnt, und dann seid Ihr in einer Viertelstunde an der Abtei. Aber wie wollt Ihr wieder in den Bügel kommen?«
Ein spöttischer Zug umspielte ihren Mund auf seine sie sehr thöricht dünkende Frage, und ein Lachen verbeißend sprach sie: »Das wird allerdings schwer halten, ich denke, von einem großen Steine kann ich wieder hinaufklettern, meint Ihr nicht?«
»Ja, wenn es nur hier große Steine gäbe!«
»Das ist Eure Sache, einen zu finden; gebt Acht darauf!« erwiederte sie und wandte sich dann seitwärts, um sich eine Glockenblume zu brechen. Sie pflückte sich im Gebüsch allmählich einen ganzen Strauß von Waldblumen zusammen ohne sich um den Leiter ihres Rosses weiter zu kümmern.
Endlich kamen sie zu dem Wege. »Hier ist der Weg,« rief er ihr zu, »von hieraus könnt Ihr nicht mehr fehlen, denn er führt Euch zur Abtei von Sanct Pilt.«
»Ja, der Weg ist gut zum Traben,« sprach sie, »aber wo ist der Stein, von dem ich aufs Pferd steigen könnte?«
Egenolf zuckte die Achseln. Sie stand schon neben dem Pferde. »Soll ich Euch in den Sattel heben?« fragte er.
Sie sah ihn mit flammenden Augen durchdringend an, sagte aber nur kühl und gelassen: »Dazu bin ich Euch zu schwer.«
Er lächelte: »Wollen wir's einmal versuchen?«
Ein hartes »Nein!« war ihre Antwort, – »das ist Ritterdienst.«
»Allerdings, Ritterdienst!« fuhr er, sich vergessend, auf, besann sich aber schnell und sagte: »Ja so! nun, dann muß der Knecht das Knie beugen, damit die Herrin sich aufschwingt.« Er kniete nieder, sie setzte den Fuß auf sein Knie und war mit behendem Schwunge im Sattel.
»Ich danke Euch,« sprach sie von oben, die Zügel ordnend.
»Wollt Ihr mir eine Gunst erweisen, Fräulein?« fragte er. – »Schenkt mir eine Blume aus Eurem Strauße.«
»Die habt Ihr verdient, Jägersmann!« sagte sie freundlich, suchte in dem Strauße und reichte ihm ein vierblättriges Kleeblatt: »Hier! möge es Euch Glück bringen! und nun – Waidmanns Heil!«
»Waidmanns Dank!« erwiederte er.
Sie trabte davon. Er blickte ihr nach, so lange er sie sehen konnte, und sprach dann lachend: »Auf Wiedersehen, schöne Gräfin von Thierstein! Ihr werdet Augen machen, wenn Euch der Jägerknecht oben auf Eurem Schlosse entgegentritt.« Dann schritt er in den Wald hinein. –
An diese Begegnung mußte Egenolf, wie er es seitdem schon so oft gethan hatte, auch jetzt wieder denken, als er nach der Hohkönigsburg zu dem Feste ritt, wo er die verirrte Reiterin zum ersten Male wiedersehen sollte. Wie wird sie ihn empfangen?
Ehe noch die Messe in der Kapelle beendet war, erschien Egenolf auf der Schwelle des Zimmers, von wo er die Anwesenden mit raschem Blick überschaute. Dann schritt er schnurstracks auf Leontine zu, verneigte sich vor ihr und begann: »Graf Egenolf von Rappoltstein bittet für seine Versäumniß um Verzeihung, edle Gräfin von Thierstein; ich habe mich auf der Jagd verspätet.«
»Ihr seid auch jetzt noch willkommen, Herr Graf,« erwiederte sie verbindlich. »Von meinen Eltern werdet [33] Ihr dasselbe hören, sobald sie mit den übrigen Gästen aus der Kapelle zurückkommen.«
Plötzlich weiteten sich ihre Augen und richteten sich mit starrem Blick auf die Brust des vor ihr Stehenden, wo sie ein an sein Wams geheftetes vierblättriges Kleeblatt, schon etwas welk, entdeckt hatte. »Was bedeutet das Vierblatt dort?« fragte sie erregt, ihm nun fest ins Gesicht sehend.
»Das soll mir Glück bringen,« lächelte er. »Ich habe es von einer holdseligen Waldfee, die beim Reiten den Weg verloren, weil ihr Roß auf Irrkraut getreten hatte, wie Jägerweisheit behauptet.«
»Ihr – Ihr waret der Jäger, der mich auf den Weg nach Sanct Pilt gebracht hat?« sagte sie bestürzt, bis an die Stirnlocken erröthend.
»Ja, der war ich, gnädige Gräfin!«
»O mein Gott! und wie hab ich Euch behandelt!«
»Ganz nach Stand und Gebühr eines Solchen, der ich nach Eurer Schätzung war.«
»Geht Ihr immer in so bescheidener Tracht auf die Pirsch wie neulich?«
»Ich wüßte nicht, warum ich es nicht thun sollte,« erwiederte er.
»Habt Ihr heute etwas getroffen?« fragte sie weiter.
»Einen starken Wolf hab ich erlegt, dem ich drei Tage lang nachgestellt habe und den ich heute durchaus haben wollte,« gab er ihr ruhig zur Antwort.
»Ihr – einen Wolf geschossen?« sprach sie mit einem [34] ungläubigen Lächeln. »Nun, Waidleute lieben es ja wohl, allerhand Märlein zu erzählen,« fügte sie schalkhaft hinzu.
Er verstand ihre Anspielung auf seinen vor ihren Augen gethanen Fehlschuß, ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen und erwiederte: »Aber manchmal sprechen sie auch die Wahrheit.«
»Wirklich? nun so sagt mir doch, warum Ihr Euch dort im Walde mir nicht zu erkennen gegeben habt.«
»Weil ich mir zu gut in der Rolle eines Rappoltstein'schen Knechtes gefiel, dem Ihr erlaubtet, das Knie vor Euch zu beugen, damit Ihr wieder in den Sattel kamet, gnädige Gräfin!«
»Glaubt Ihr im Ernst, Herr Graf, ich wäre nicht auch ohne Eure Hilfe vom Boden aus in den Sattel gekommen, wenn ich gewollt hätte? Mit leichtem Sprunge wäre es gethan gewesen; ich bin geübt darin.«
»Und glaubt Ihr, ich hätte keinen Stein zum Aufsteigen für Euch gefunden, wenn ich einen hätte finden wollen?«
Nun lachten sie beide herzlich, und aus beider Augen blitzte etwas, das nicht aussah wie Haß und Verachtung.
Jetzt kamen die Wirthe mit ihren Gästen aus der Kapelle zurück, und Egenolf hatte, nachdem er sich den Grafen Thierstein und ihren Gemahlinnen vorgestellt und sich bei ihnen wegen seines Ausbleibens entschuldigt hatte, eine Menge Bekannte zu begrüßen, ehe er seinem Freunde Bruno von seinem Pirschgang berichten konnte.
Bald meldete der Herold, daß das Festmahl bereit [35] sei, und die Gesellschaft ordnete sich paarweise zum Zuge in den großen Rittersaal, wo zwei lange Tafeln gedeckt standen, mit blinkenden Krystall- und Silbergeräthen besetzt und mit Blumen geschmückt. Der Abt von St. Pilt eröffnete den Reigen mit der Gräfin Margarethe und machte bei Tisch der immer noch schönen Frau von hohem, schlankem Wuchs mit weltmännischer Gewandtheit den Hof, soviel ihm dies sein geistliches Ordenskleid erlaubte. Graf Oswald hatte Gräfin Herzelande und Schmasman die Gemahlin des Grafen Wilhelm von Thierstein zu Tische geführt. Burkhard hatte sich Frau von Müllenheim erkoren, mit der er sich beständig zankte und doch vortrefflich unterhielt, weil sie seiner schnell auflodernden Heftigkeit mit schlagfertigem Witz begegnete. Graf Wilhelm von Rappoltstein hatte Frau Stephania von Rathsamhausen den Arm geboten, und Leontine hatte sich selber Egenolf als Tischherrn gewählt, – »um Euch zu versöhnen,« sagte sie. Ihnen gegenüber fanden Imagina und Isabella Platz, zwischen denen Bruno saß. Auch die übrigen Gäste reihten sich nach Wahl und Belieben.
Das Mahl verlief in ungetrübter Fröhlichkeit. Die Männer tranken sich fleißig gar edle Tropfen aus prächtigen Pokalen zu, die Frauen lächelten, man plauderte und scherzte und ließ es sich wohl sein an den reichversorgten Tischen der Hohkönigsburg, bis die vorgerückte Stunde zum Aufbruch der Gäste mahnte. Die Meisten hatten keinen langen Weg zu ihren Schlössern und nahmen weiter Wohnende zur Nachtherberge mit sich; auch auf der Hohkönigsburg [36] blieben einige in dazu bereit stehenden Gastzimmern.
»Auf Wiedersehen!« sagte Egenolf, als er Leontinen zum Abschied die Hand küßte, und »Auf Wiedersehen!« antwortete das Echo von ihrem lächelnden Munde.
Als das ältere Thierstein'sche Ehepaar in seinem Schlafgemach allein war, fragte Gräfin Margarethe ihren Gemahl: »Wie bist Du mit dem heutigen Tage zufrieden, Oswald?«
»Nicht übel,« erwiederte der Graf, »obwohl ich Anfangs einige mißvergnügte, um nicht zu sagen mißgünstige Gesichter bemerkte. Nicht alle, Margarethe, die heute hier waren, sind uns hold und freundlich gesinnt; Viele sind gewiß nur aus Neugier gekommen. Aber es war das erste Mal, daß wir uns mit den Leuten sahen; beim nächsten Zusammensein mit ihnen, wenn ich nicht den höflichen Wirth zu machen habe, sondern als Gast mich frei bewegen kann, werde ich schon leichter mit ihnen fertig werden. Am besten haben mir die Rappoltsteiner gefallen; was ist der Schmasman mit seiner würdevollen, hohen Gestalt und seiner vornehmen Erscheinung für ein ritterlicher Mann, außen und innen!«
»Und Gräfin Herzelande für eine kluge, liebenswürdige Frau mit ihren früh gebleichten Haaren! sie ist von Geburt eine Gräfin Fürstenberg,« fügte Margarethe hinzu. »Und Graf Egenolf? was hältst Du von dem?«
»Seines ritterlichen Vaters ritterlicher Sohn,« sagte der Graf. »Auch Graf Wilhelm von Rappoltstein ist ein Mann, den man für voll nehmen muß; er hat etwas [37] Entschlossenes, Kriegerisches an sich, das Einem Achtung einflößt. Das ist ein ganz anderer Schlag als die Rathsamhausen. Der Burkhard ist ein trotziger Gesell; mehr als einmal traf mich aus seinen unstäten Augen ein geradezu feindlicher, drohender Blick.«
»Seine Gattin, Frau Stephania, scheint mir eine liebe, herzensgute Frau zu sein. Ihres Geschlechts ist sie eine Gräfin Leiningen von der Dagsburg, wie ich von Imagina erfahren habe.«
»Du scheinst ja schon ziemlich genau über die Familienverhältnisse hier unterrichtet zu sein,« lachte der Graf. »Imagina, das ist die hübsche Blonde, die so munter plaudern und so silberhell lachen kann, die Gemahlin Kaspars, des jüngsten Rappoltstein? richtig! Übrigens,« fuhr er fort, »hat uns der älteste, Schmasman, zum Pfeifertag nach Rappoltsweiler eingeladen.«
»Zum Pfeifertag? was ist das?« fragte Margarethe.
»Die fahrenden Leute im ganzen Elsaß,« erklärte ihr Graf Oswald, »haben schon vor mehr als hundert Jahren eine Bruderschaft unter sich geschlossen, die sich vom Hauenstein im Jura bis zum Hagenauer Forst und von den Firsten des Wasigen bis zum Rhein erstreckt. Sie haben ihre eigenen Privilegien und Satzungen, die ihnen Kaiser Karl IV. urkundlich bestätigt hat. Immer der älteste Graf von Rappoltstein ist ihr Schutz- und Lehnsherr, und sie haben einen Pfeiferkönig, der selber Spielmann sein muß und dem sie unterthänig und unbedingt gehorsam sind. Jährlich am Tage von Mariä Geburt – denn die Jungfrau [38] Maria vom Dusenbach ist ihre Schutzheilige – feiern sie in Rappoltsweiler ein großes Fest, bei dem sie sich Alle versammeln und auch Gericht über sich halten. Dazu hat Schmasman uns und mehrere unserer heutigen Gäste eingeladen.«
»Du hast doch zugesagt?«
»Selbstverständlich und mit Freuden!« bestätigte Graf Oswald. »Das ist eine gute Gelegenheit, mich dem gemeinen Volke zu zeigen und auch unsern werthen Standesgenossen meinen Rang und meine Stellung etwas deutlicher vor Augen zu führen, als ich dies heute vermochte.«
»Vorsichtig, Oswald!« rieth Gräfin Margarethe, »wir sind noch neu unter ihnen, und Du kennst sie noch zu wenig.«
»Mich kennen sie auch noch nicht; darum sollen sie mich nun ehestens kennen lernen,« erwiederte der Graf gereizt.
Danach sprachen beide kein Wort mehr, denn ein nach den Anstrengungen des Tages wohlverdienter Schlaf schloß ihnen Mund und Augen.
Es war September geworden, und ein wolkenloser Himmel spannte sich über den Bergen, deren Kuppen und Gipfel sich in der klaren Luft so scharf von dem tiefen Blau abgrenzten, daß oben an ihrem Rande die Laubkronen der einzelnen Bäume, wie einer den anderen um ein Weniges überragte, deutlich zu unterscheiden waren. Da schritten zu später Nachmittagsstunde durch das Thor des alten, hohen Metzgerthurmes in Rappoltsweiler zwei Spielleute und wanderten selbander den Weg in das Strengbachthal hinein, wo zu ihrer Rechten sich braune Felsen erhoben, ihre Ecken und Spalten von kriechendem Eichengesträuch umgrünt und die Vorsprünge hie und da mit einer sturmzerzausten Kiefer bewachsen, die mit klammernden Wurzeln ihren hart erkämpften Stand behauptete.
Der eine der beiden Wanderer war von hohem, starkem Gliederbau, auf dem ein mächtiger Kopf saß mit grauem Langhaar und Langbart und buschigen Brauen über den gutmüthig blickenden Augen. Das war der allem fahrenden Volk im Wasgau gebietende Pfeiferkönig Hans Loder, der Trumpeter. Der Andere war ein alter, treuer Kumpan von ihm, Namens Syfritz, einer der vier Weibel, die des Pfeiferkönigs Helfer und Berather in der Ausübung seiner Machtvollkommenheit [40] und seine Beisitzer im Pfeifergericht waren. Er war von hagerer, aber sehniger Gestalt mit wettergebräuntem, bartlosem Gesicht, das einen entschiedenen und zugleich verschmitzten Ausdruck hatte. Ein Spielwerk, dessen sich der Trumpeter in seiner Königswürde nur noch bei besonderen Gelegenheiten bediente, hatte keiner von beiden mitgenommen, denn auf Musikmachen zogen sie nicht aus. Syfritz sollte zu der Kapelle am Dusenbach gehen und mit dem Messner die Vorbereitungen zu der nächstens dort stattfindenden kirchlichen Feierlichkeit verabreden, und Loder begleitete ihn nur ein Stück Weges, um ihm die Verhaltungsmaßregeln für den Sakristan noch einmal gehörig einzuschärfen, damit an dem Tage Alles klippte und klappte, weil, wie ihm Graf Schmasman mitgetheilt hatte, dieses Mal mehr adlige Herrschaften als sonst bei dem Fest erscheinen würden.
Im gemächlichen Gehen hatten sie das Nöthige zur Genüge mit einander beredet, und ihr Gespräch hatte sich im Anschluß daran auf einzelne Fälle gelenkt, die zur Entscheidung bei dem am dritten Tage des Festes abzuhaltenden Pfeifergericht vorläufig angemeldet waren. Diese Fälle bestanden zum größten Theil aus Streitigkeiten der Spielleute unter sich, die endgültig ausgetragen werden sollten. Aber es liefen auch stets aus anderen Kreisen Beschwerden über Fahrende wegen verübten Unfugs, zugefügten Schadens, nicht erfüllter Verpflichtungen und mehr dergleichen Vergehungen ein, die Sühne heischten und mit empfindlichen Strafen gebüßt werden mußten.
Bis jetzt waren nur wenig Klagen bei dem Rechtsprechenden und seinen Weibeln anhängig gemacht, denn die meisten wurden erst am Tage des Gerichts erhoben. Über diese wenigen, ihnen schon bekannt gewordenen Fälle hatten die Beiden hier im Strengbachthal ihre Meinungen ausgetauscht, und Loder sagte: »Die Sache mit dem Muffel ist nicht eben schlimm. Er ist ein Speivogel und Nichtsnutz, und seine Prügel hat er als Abschlagszahlung für seinen Schelmenstreich weg; wir dürfen ihm daher die Saiten nicht mehr allzu straff spannen.«
»Überhaupt, wie wollen sie ihm denn beweisen, daß er's mit Willen gethan hat?« stimmte Syfritz ein.
»Das kommt auch noch dazu,« sagte Loder, »und wie mögen sie ihn gereizt und geärgert haben! die anderen Drei sind die besten Brüder auch nicht. Viel mehr gegen den Strich,« fuhr er fort, »geht mir die Geschichte mit dem Seppele, der sein loses Lästermaul nicht halten kann und mit seinem Spottliede wieder demselben Wirthe Schimpf und Schande angehenkt hat. Er ist ein so kunstbewanderter Singer und Spieler, wie wir kaum einen zweiten unter uns haben, aber dabei ein durchtriebener Schalksnarr, und diesmal soll er nicht so leichten Kaufes von der Bank kommen wie bei der vorigen Klage gegen ihn.«
»Wenn er nur nicht geschworener Mann des Herrn von Rathsamhausen wäre!« gab Syfritz seinem Häuptling zu bedenken. »Bei dem gilt Seppele viel und hat einen starken Rückhalt an ihm.«
»Mir ist das keine rothe Bohne werth,« erklärte [42] Loder bestimmt, »darum lasse ich ihn nicht einen Tag weniger im Thurme sitzen.«
Sie waren jetzt an den Weg gelangt, der rechts ansteigend in das enge, schattige Dusenbachthal führte. Hier wollte Loder umkehren, als sie vom Walde her hallende Schritte vernahmen. »Wer kommt da?« frug er.
Syfritz beugte sich vor und spähte durch die Bäume. »Es ist der junge Graf Egenolf von Rappoltstein,« sagte er.
Da blieben sie stehen, bis der Herabkommende nahte.
»Grüß Gott, Hans!« rief Egenolf, sobald er den Pfeiferkönig erkannte. »Zu Dir wollt' ich eben; hast Du ein wenig Zeit für mich?«
»Immer, Herr Graf, Tag und Nacht, nach Eurem Willen und Gefallen,« erwiederte Loder, »und wenn Ihr zur Stadt wollt, so haben wir einen Weg, ich gehe auch zurück.«
»Und, Syfritz, Du?« wandte sich der Graf an diesen.
»Ich muß zur Kapelle, Euer Gnaden,« antwortete der Spielmann.
»So sprich ein Vaterunser für mich mit, ich kann's brauchen,« sagte Egenolf, und dann zu Loder: »Komm, Hans! ich habe einen Auftrag für Dich.«
Die Beiden gingen langsam nach Rappoltsweiler zu, während Syfritz das Dusenbachthal bergan schritt.
Vorerst sprachen sie beide nicht. Loder war zwar gespannt, von welcher Art der Auftrag sein mochte, den der junge Herr für ihn im Anschlag hatte, wartete indessen geduldig, bis dieser damit losdrücken würde. Egenolf aber [43] zögerte mit seiner Eröffnung und schien darüber nachzusinnen, wie er den Alten füglich in sein Vorhaben einweihen sollte. Endlich fing er an: »Hans, Du bist, seit ich denken kann, mein Vertrauter, mein väterlicher Freund und Beschützer gewesen, und ich verdanke Dir viel. Du hast mich auf Deinen Knieen und auf Deinen Schultern reiten lassen, hast mich die Vögel und die Blumen und Kräuter des Waldes kennen gelehrt, mir das Blasen und Fiedeln beigebracht, hast mir manchen guten Rath gegeben, mich von dummen Streichen zurückgehalten oder, wenn ich sie schon begangen hatte, sie wieder wett zu machen gesucht. Heute möchte ich Dich um Deinen Beistand angehen zur Ausführung einer von mir geplanten Überraschung, an deren Gelingen mir sehr viel gelegen ist, die aber – durchaus verschwiegen und geheim bleiben muß.« Er stockte, als wüßte er nicht weiter oder wagte sich nicht damit heraus.
»Ja, ich muß sie doch aber wissen, wenn ich Euch dabei helfen soll; also faßt Euch ein Herz und sagt's!« ermuthigte ihn der Alte.
»Da hast Du Recht, Du mußt sie wissen, wenn Du mir dabei helfen sollst,« sprach ihm Egenolf nach, »so höre denn! Ich habe neulich einen Wolf geschossen, ein großes, starkes Thier, von dessen Streifen im Forst mir ein Waldhüter gesagt und die Fährte gezeigt hatte. Den habe ich geschossen und die Haut dem Kürschnermeister Güldner in Rappoltsweiler geschickt, daß er sie mir zubereite zu einer Fußdecke, vor's Bett zu legen, verstehst Du! Du verstehst doch?«
»Bis jetzt, ja! aber ich kann nicht rathen, wo Ihr damit hinwollt,« sagte Loder. »Ihr habt auf dem Schlosse schon vor allen Betten Thierfelle liegen, von Hirsch und Reh und Wildsau, von Luchs, Fuchs und Wolf, und nun noch eins –«
»Nichts da!« unterbrach ihn Egenolf, »hier aufs Schloß soll sie nicht; sie ist zum weichen, warmen Teppich für die Füßchen einer jungen Dame, einer sehr schönen jungen Dame ausersehen –«
»Auf der Hohkönigsburg,« platzte Loder heraus.
»Mensch! – woher weißt Du das?« rief der Graf und war ganz roth geworden.
»Von den Hufspuren Eures Rosses, die ich letzter Zeit des Öfteren auf dem Wege zur Hohkönigsburg fand; das Übrige bläst der Wächter,« sagte Loder. »Ja, ja, ein Frauenhaar zieht stärker als ein hänfen Seil,« fügte er mit listigem Schmunzeln hinzu.
»Bist mir also nachgeschlichen.«
Der Alte schüttelte: »Nein, es war ganz zufällig.«
»So! dann kannst Dir mir wohl zufällig auch den Pelz an die Stelle liefern, für die er bestimmt ist?«
»Gewiß!« sprach Loder, »das bedarf nicht viel Wesens und Kunst. Ich habe auf der Hohkönigsburg einen alten Genossen meiner Jugend, der dort Huf- und Kurschmied ist, wie ich gehört habe. Der wird schon Rath schaffen, wie die Sache anzugreifen ist, daß Euer Wolfsfell der gnädigen jungen Gräfin unbemerkt zu Handen oder vielmehr [45] zu Füßen kommt. Morgen bringe ich's ihm, wenn es der Meister Kürschner fertig hat.«
»Wir gehen jetzt zu ihm, Hans, und fragen,« erwiederte Egenolf eifrig im Jubel seines Herzens, daß Loder bereit und im Stande war, ihm zu helfen. »Sieh mal,« fuhr er, aus seinem Wams ein weißes Tuch hervorziehend, mit frohlockenden Augen fort, »in dieses Linnen mußt Du den Balg hübsch einwickeln, ich hab es selbst aus einer Truhe stibitzt.«
»Aber Graf Egenolf!«
»Macht nichts, Alter! das erfährt meine Mutter gar nicht,« lachte der Glückliche. »Und hier hab ich noch etwas; dies Brieflein, das thust Du dem Wolf in den Rachen zwischen die Fänge, daß es die junge Gräfin dort findet.«
»Hm!« machte Loder, »werden's besorgen.«
»Aber daß es Dein alter Kumpan nur ja recht geschickt anstellt, es ihr richtig in die Hände zu spielen!«
»O der Ottfried Isinger ist ein mit allen Hunden gehetzter Schlaufuchs,« beruhigte Loder den freudig Erregten, »ich kenne ihn von Kindesbeinen an. Er ist seines Herkommens ebenso wie ich ein Spielmannssohn und auch in derselben Stadt mit mir geboren und aufgewachsen, hatte aber keine Lust und keine Anlage zur edlen Musika, weil er kein Gehör hatte. Ihn zog es von früh auf zu den Pferden; er trieb sich soviel er konnte in den Ställen umher, half die Gäule striegeln, füttern und tränken, bald auch in die Schwemme reiten. Dann kam er zu einem [46] Hufschmied in die Lehre, und als er ausgelernt hatte, ging er auf Wanderschaft, und aus dem Hufschmied ward allmählich auch ein Kurschmied. Die Fähigkeit dazu war ihm angeboren, denn seine Mutter gab sich auch mit allerhand Kuren ab, heilte Gebresten an Menschen und Vieh mit Wurzeln, Pilzen und Kräutersäften, konnte das Blut besprechen und stand in dem Geruche, von dergleichen heimlichen Dingen mehr zu wissen, als sie verrathen durfte, aber es war ein einträgliches Geschäft für sie. Der Ottfried mag wohl Manches von ihren verborgenen Künsten geerbt haben, denn er bewährte sich als Kurschmied und hatte Glück mit seiner Behandlung der Rosse. Er hielt sich bald in dieser, bald in jener Stadt auf, hatte auch gute Stellungen auf mehreren Schlössern, blieb aber nirgend lange, denn die Herren wollten ihn viel Weinsaufens halb, mit Ehren zu melden, auf die Dauer nicht um sich haben, weil er zu oft über den Durst trank und dann behauptete, er hätte einen Igel im Leib, der ihn stachelte, wenn er nicht schwömme. Ich verlor den einstigen Trautgesellen für lange Zeit aus den Augen und erfuhr letztlich, daß er schon seit Jahren im steten Dienst der Grafen von Thierstein in Straßburg wäre, die ihm die immerwährende Weinfeuchte ausgetrieben hätten. Sie haben ihn nun mit auf die Hohkönigsburg genommen, wo er einen angesehenen Posten bekleiden soll. Ich war noch nicht oben, habe ihn also noch nicht gesprochen, aber morgen werde ich ihn besuchen und ihm Euer Wolfsfell auf die Seele binden.«
So waren sie in die Stadt gekommen und wußten selber nicht wie. Dort gingen sie zum Kürschner, der das Fell sorglich und sauber zubereitet hatte. Der Wolfskopf, dem funkelnde Glasaugen eingesetzt waren, sperrte den Rachen halb auf und fletschte die Zähne, daß es fast graulich anzusehen war. Egenolf war zufrieden und lohnte den Meister reichlich für seine fleißige Arbeit. Loder hüllte den Balg in das Linnen, und sie verließen damit die Werkstatt des Kürschners.
Draußen auf der Gasse sagte Egenolf: »So, mein alter Hans, nun mache Deine Sache so gut Du kannst; möge Alles nach Wunsch gelingen und glücken!«
»Das walte Gott und unsere liebe Frau!« erwiederte Loder. Dann verabschiedete er sich von dem Grafen und schritt seiner Behausung zu.
Egenolf pfiff sich eine muntere Weise, die er von Loder gelernt hatte, und ging herzensfroh den Weg zur St. Ulrichsburg hinan. –
Seinem Versprechen getreu begab sich Loder am nächsten Morgen mit dem in die Leinwand geschlagenen Wolfsfell zur Hohkönigsburg hinauf und vom Stallhof unterhalb des Löwenthores sogleich in die Schmiede, aus der die Schläge eines Hammers klangen. Es war aber nicht Isinger, sondern ein Knecht, der dort am Amboß schaffte und dem Eintretenden auf seine Frage den Bescheid gab, der Herr Marschalk wäre drüben in den Ställen.
Der Herr Marschalk! also Marschalk läßt er sich [48] titulieren, dachte Loder, und ging in einen der Ställe, dessen Thür grade offen stand.
In dem nur mäßig erhellten Raume fand er den Jugendgenossen damit beschäftigt, mittelst eines mit einer bräunlichen Flüssigkeit durchtränkten Lappens die linke Vorderfessel eines Pferdes zu kühlen. Er rief ihn an: »Ottfried Isinger, kennst Du mich noch? ich bin Loder der Trumpeter.«
Der am Boden Knieende, schnell aufblickend, sagte mit freudigem Tone: »Was? der Pfeiferkönig? vielwillkommen Hans!« und streckte dem Freunde die Hand hin, nachdem er sie am Schweife des Pferdes abgetrocknet hatte. »Hab Dich ja eine Ewigkeit lang nicht gesehen.«
»Ich Dich auch nicht,« erwiederte Loder, »hörte erst kürzlich, daß Du hier oben wärest, und da trieb es mich, Dich einmal aufzusuchen.«
»Recht, recht, Hans!« sprach Isinger. »Wart' einen Augenblick! ich will nur der Stute den Umschlag noch anlegen; sie hat sich gequetscht. Es ist unserer jungen Gräfin ihre, denn die jagt oft ohne Weg und Steg über Stock und Stein.«
Er band den nassen Lappen um den Fuß des Pferdes und erhob sich. »So! nun komm! jetzt bin ich frei und habe Zeit für Dich.«
Er führte den Freund in ein einfaches Gelaß neben der Schmiedewerkstatt, in dem sich nur dürftiger Hausrath, ein Bett, ein grob gezimmerter Tisch und ein paar Schemel befanden. Der Herr Marschalk wohnt recht bescheiden, [49] dachte Loder wieder, als er sich hier umsah. An den Wänden hingen Bündel gedörrter Kräuter, und auf einem Holzgestell reihten sich Töpfe, Flaschen und Büchsen verschiedentlichen, meist nicht sichtbaren Inhalts.
Isinger schickte den Knecht mit der Weisung vom Amboß weg: »Geh, Wighelm, und sieh zu, ob Du uns von der Schaffnerin nicht ein Krüglein Wein besorgen kannst. Sag ihr nur, der Pfeiferkönig wäre bei mir zum Besuch.«
Die Beiden setzten sich und schauten einander prüfend ins Gesicht. »So rabenschwarz wie einst sind Deine Borsten nicht mehr, Ottfried, wenn Du auch noch nicht so ein alter Eisbär bist wie ich,« begann Loder.
»Ja, man wird alt und grau und merkt es nicht, bis es Einem ein guter Freund einmal unter die Nase reibt,« erwiederte Isinger. »Bist aber auch nicht jünger geworden, Hans, seit wir uns zuletzt auf dem Wege nach Sanct Odilien trafen bei dem großen Fest zu Ehren der Herrad von Landsberg, die vor dreihundert Jahren dort im Kloster Äbtissin war. Weißt Du's noch? Wir waren immer an der alten Heidenmauer entlang gewandert, saßen auf ihren riesigen Quadern und ruhten uns aus und hatten einen elenden Durst.«
»Richtig! an der Heidenmauer war es, ich erinnere mich wohl,« sagte Loder, »ach ja! das ist lange her.«
»Hast Dich aber sonst gut gehalten, Hans,« sprach Isinger weiter und klopfte seinem alten Freunde auf die Schulter, »bist mit Deinem reckenhaften Wuchs ein Pfeiferkönig, [50] der sich sehen lassen kann, das muß ich sagen. Gehört habe ich oft von Dir und Deinem Schalten und Walten; im ganzen Wasigen reden sie von Dir, Dein Lob und Preis geht von Mund zu Munde. Sollst ja auch bei den Rappoltsteinern hoch in Gunst und Gnaden stehen.«
»Das thu ich,« nickte Loder, »sie schenken mir groß Vertrauen, und für meinen edlen Schutzherrn und die Seinigen gehe ich durchs Feuer. Und Du? Herr Marschalk nannte Dich der Knecht.«
»So müssen sie mich nennen,« lächelte Isinger selbstgefällig, »damit sie den gehörigen Respekt vor mir haben. Ich bin Stallmeister hier, habe die Rüstkammer unter mir und auch sonst einige Aufsicht in der Burg. Graf Oswald ordnet nichts an ohne mich und meinen Rath.«
»Was Du sagst! und mit Pferdekuriren giebst Du Dich nebenbei auch noch ab, wie ich eben gesehen habe,« bemerkte Loder.
»Ja, die Roßpflege ist nun einmal meine Liebhaberei, und ich bin stolz auf meine Gäule da drüben im Marstall,« versetzte Isinger. »Jetzt kommen mir die reichen Erfahrungen zu Statten, die ich mir auf den adligen Schlössern erworben habe.«
»Das glaub' ich, bist ja viel herumgekommen im Lande, hast gar vielen Herren gedient, aber bei keinem lange ausgehalten, wie die Rede geht,« meinte Loder.
»Was sollt' ich machen? Einer spannte mich dem Andern bald wieder aus mit immer besseren Anerbietungen, [51] denn ich kam in großen Ruf durch die Erfolge, die ich überall aufzuweisen hatte,« flunkerte der seiner Behauptung nach vielbegehrte Kurschmied. »Aber meinem jetzigen gnädigen Grafen lasse ich mich nicht mehr abspenstig machen, denn so gut wie hier habe ich es nirgend gehabt. Siehst Du, da kommt auch schon der Wein, den ich für uns bestellt hatte. Gieb her, Wighelm!« sagte er zu dem mit einem Steinkrug und zwei Zinnbechern zurückkehrenden Knecht, »und nun laß das Hämmern in der Schmiede, damit hier Einer des Anderen Wort hören kann; geh zu Herni, ob er vielleicht Bolzen zu schärfen hat.«
Dann füllte er die Becher, stieß mit seinem alten Freunde an und sagte: »Zum Willkomm, Hans!«
»Allen Dank, Ottfried!« that ihm Loder Bescheid, und sie tranken.
»Du sprachst vorhin von Deiner jungen Gräfin,« nahm Loder das Wort, »sage mal, wie – wie ist sie denn so im Allgemeinen und im Besonderen?«
»Im Besonderen ist sie ein Mädchen von ausbündiger Schönheit und klug, o sehr klug, und im Allgemeinen haben wir sie Alle gern; ich stehe sehr gut mit ihr,« berichtete Isinger. »Und reiten kann sie Dir, daß es eine Art hat; meine Schule, Hans, meine Schule! solltest sie einmal über einen Graben oder eine Hecke setzen sehen. Aber sie reitet immer allein, will Keinen mitnehmen, nicht einmal mich, hat's freilich auch nicht nöthig, denn Furcht kennt sie nicht.«
»So! hat sie denn auch ein gutes Herz?«
»Ja, das hat sie, das ist ihr nicht abzusprechen, aber weich und weibisch ist sie nicht, ist eine echte Thierstein, die sind Alle nicht von schwächlicher Art.«
»So! hat sich denn noch kein Freier um sie beworben?«
Isinger zuckte mit den Achseln. »Weiß ich nicht; die nimmt auch nicht den Ersten, Besten, hat vielleicht schon Manchen durch den Korb fallen lassen, denn zu jung zum Heirathen ist sie nicht mehr. Hast Du vielleicht Einen für sie in Vorschlag, Hans, und willst Dir einen Kuppelpelz um sie verdienen?«
»Einen Pelz hab ich allerdings mitgebracht, aber der ist für sie selber bestimmt« lachte Loder, griff nach seinem Bündel und begann es mit einer feierlichen Umständlichkeit aufzuschnüren. »Sieh mal hier!« sprach er, als er damit zu Stande gekommen war, »dieses schöne Wolfsfell soll ich ihr als Geschenk vor ihr Bett unter die Füße schaffen, und ich hoffe, Du wirst mir dabei behilflich sein, daß es sicher und unbemerkt in ihren Besitz gelangt, denn es darf sonst Niemand davon wissen.«
»Donner und Hagel! ein mächtiger Kerl!« rief Isinger staunend aus, das Fell lang und breit entfaltend. »Aber was hat denn das zu bedeuten? als wessen Bote kommst Du denn mit dem Prachtstück? – Ja, das muß ich wissen, wenn ich mich damit beladen soll,« fuhr er fort, als der Andere die Frage nicht auf der Stelle beantwortete.
»Nun denn, unser junger Graf Egenolf schickt es der Gräfin – wie heißt sie doch gleich?«
»Leontine.«
»Also der Gräfin Leontine; er mag ihr wohl versprochen haben, einen Wolf zu schießen; vielleicht haben sie gar darum gewettet.«
»Und Gräfin Leontine hätte die Wette gewonnen; natürlich! Die gewinnt immer, wenn sie wettet und wagt,« lachte Isinger. »Nun, das geht mich nichts an; Dir zu Liebe nehme ich es auf mich, ihr das Geschenk zu übermitteln, und ich weiß auch schon, wie ich das anfange. Ich werde es der Dimot, ihrer schmucken Gürtelmagd, geben, der ich auch schon Manches zu Gefallen gethan habe; die mag dann zusehen, wie sie es ihrer jungen Herrin heimlich zusteckt oder es ihr ins Schlafzimmer legt.«
»Gut! sage dem schmucken Ehrenwadel, wenn sie das geschickt fertig brächte, wäre sie hiermit zum Pfeifertag nach Rappoltsweiler von mir eingeladen, da könnte sie einmal tüchtig tanzen. Und Du kommst auch, Ottfried, und bist dort mein Gast.«
»Für unser tanzlustiges Hofkätzchen will ich allenfalls zusagen,« erwiederte Isinger, »aber ich selbst werde hier schwerlich abkommen können. Denn wenn die Herrschaften alle, wie ich schon gehört habe, zu eurem Feste gehen, so ruht allein auf meinen Schultern die Obhut der ganzen Burg mit voller Verantwortung im Großen und im Kleinen,« fügte er wichtigthuend hinzu. Dann nahm er das Wolfsfell, um es wieder in das Tuch zu wickeln.
Aber Loder fiel ihm in den Arm. »Halt! nur Geduld!« und in die Tasche greifend holte er Egenolfs Brief [54] hervor mit den Worten: »Hier habe ich auch noch ein Brieflein an die Gräfin Leontine, das müssen wir dem Wolf in den Rachen stecken.«
»Was? einen Brief? und noch dazu mit rothem Wachs versiegelt?«
»Ja! den Grafen von Rappoltstein ist vom Kaiser das Recht verliehen, mit rothem Wachs siegeln zu dürfen.«
»Ei, ei! da seid ihr ja sehr vornehme Leute,« sprach Isinger und machte große Augen.
»Sind wir auch,« sagte Loder.
»Beim heiligen Eligius, meinem Schutzpatron! das hätt' ich nicht gedacht.«
»Und die Streifjagd im ganzen Wasigen haben wir auch.«
»Und das Pfeiferkönigthum!«
»Und vor Allem das Pfeiferkönigthum!«
Sie lachten beide herzlich, und die Becher klangen fröhlich an einander. Dann steckten sie Egenolfs Brief so zwischen die Wolfszähne, daß er nicht herausfallen konnte, legten das Fell behutsam zusammen und hüllten es in das Linnen. Isinger schenkte, den Rest des Weines ehrlich vertheilend, noch einmal ein, und nachdem sie ausgetrunken, brach Loder auf.
»Also ich hoffe auf Wiedersehen in Rappoltsweiler, Ottfried!« sprach er.
»Wenn's sein kann, gern,« erwiederte Isinger. »Gottbefohlen, Hans! wirst mir alle Zeit willkommen sein auf der Hohkönigsburg.«
»Soweit wäre die Sache ja nun in die richtige Bahn gelenkt; jetzt kommt es nur noch auf die Schlauheit des Ehrenwadels an,« sagte Loder zu sich selber, als er den Berg hinabschritt. »Was wohl am letzten Ende aus der Geschichte werden wird? eine Hochzeit? – gäbe ein herrliches Paar, die Beiden; na, Glück zu, Kinder! meinen Segen habt ihr.« –
Als spät Abends Gräfin Leontine sich zur Ruhe begeben wollte und mit Dimot, die ihr leuchtete, ihr Schlafgemach betrat, sah sie vor ihrem Bett an Stelle des bisherigen, hie und da schon etwas abgenützten Luchsbalges ein großes Wolfsfell ausgebreitet liegen. »Was ist das?« fragte sie verwundert, »wie kommt das dahin?«
Der sonst nicht so leicht um eine Antwort verlegenen Zofe klopfte schuldbewußt das Herz, und nach einigem Zögern sprach sie schüchtern und kleinlaut: »Da hingelegt hab' ich es, gnädige Gräfin.«
»Das kann ich mir denken, aber woher hast Du es?«
»Der Herr Marschalk hat mir's gegeben.«
»Marschalk! – Stallmeister ist er, nicht Marschalk,« verbesserte Leontine sie unwillig. »Wie kommt Isinger dazu?«
»Er hat es vom Pfeiferkönig, sagt er.«
Leontine blickte die Zitternde forschend an; ihr schien eine Ahnung aufzudämmern. »Vom Pfeiferkönig? ist das nicht ein König von Rappoltstein'schen Gnaden?«
»Ich glaube, ja,« lächelte Dimot, obwohl ihr bei dem Verhör nicht ganz wohl zu Muthe war. »Fühlt es nur [56] einmal an, gnädige Gräfin! es ist so schön dick und weich,« kam es schon etwas dreister von ihr heraus.
Leontine beugte sich nieder und strich mit der Hand über das dichte, graue Haar. »Du hast Recht, ein prächtiger Pelz! ein Wolf ist es, Dimot!« Dann ging sie, es beschauend, ganz um das Fell herum. »Was hat er denn da im Rachen?« fragte sie.
»Wo, meint Ihr? im Rachen?«
»Thu nur nicht so, als ob Du nichts davon wüßtest! Gieb mal her den Zettel!« befahl Leontine ungeduldig, »oder fürchtest Du, daß Dich der Wolf mit seinen großen, weißen Zähnen noch beißen könnte?«
»Ach nein, gnädige Gräfin!« erwiederte die immer lächelnde Zofe, bückte sich und reichte ihrer Herrin Egenolfs Brieflein, das Leontine hastig nahm, sofort erbrach und zu lesen begann.
Gott sei Dank! dachte Dimot, jetzt ist's überstanden und Alles in Rück und Schick; was nachkommt, habe ich nicht zu verantworten. Sie sah, wie Leontinens Hand, die den Brief hielt, leise bebte und ihre Brust sich rascher hob und senkte.
»Dimot,« fragte Leontine nach dem Lesen, »weiß sonst noch Jemand davon?«
»Keine Menschenseele, gnädige Gräfin!«
»Gut! so schweigst Du auch, wenn auch kein groß Geheimniß dabei ist,« sprach Leontine. »Graf Egenolf von Rappoltstein schickt mir das Fell, weil ich's ihm neulich nicht glauben wollte, daß er einen Wolf geschossen [57] hätte; nun liefert er mir hier den Beweis. Das ist Alles, was in dem Briefe drin steht.«
Die schlaue Zofe lächelte ganz spitzbübisch jetzt und sagte dann mit fast flüsterndem Tone, als hätten die Wände hier Ohren: »Falls sich gnädige Gräfin etwa bei dem Herrn Grafen für das schöne Geschenk bedanken wollten, – der Weg, auf dem der Wolf hierher gekommen ist, wäre auch für den Dank ganz heimlich und sicher.«
»Wirklich? meinst Du?« lachte Leontine, »nun, den Dank wollen wir uns erst noch überlegen, Dimot. Was für ein Botenbrot hat Dir denn die Schmuggelei eingebracht, wenn Du mir's gestehen willst?«
»Daß ich am Pfeiferfest in Rappoltsweiler tanzen kann, wenn gnädige Gräfin mir Urlaub geben.«
»Den sollst Du haben, Mädchen! ich gehe selber hin und werde Dich mitnehmen,« erwiederte Leontine, »aber –« sie legte den Finger auf den Mund ohne noch ein Wort hinzuzusetzen.
»O gnädigste Gräfin!« lächelte Dimot verschmitzt, »ich ließe mir ja eher –«
»Schon gut! schon gut! jetzt geh und laß mich allein!«
Die Zofe wünschte der Herrin eine geruhsame Nacht und angenehme Träume und verschwand aus dem Gemach.
Leontine las Egenolfs Brief noch einmal und las ihn auch zum dritten Male. Er lautete:
Ein zu jedem Ritter- oder Knechtsdienst bereitwilliger, treu ergebener Waidmann legt der holdseligen [58] Waldfee seine Jagdbeute ehrerbietigst unter die Füße und bittet, ihm in Zukunft Alles aufs Wort zu glauben, was immer auch er früher oder später ihr einmal zu sagen haben möge.
Danach saß sie noch ein Weilchen gedankenvoll auf dem Bett, streichelte, liebkoste förmlich den zottigen, weichen Pelz mit ihren bloßen Füßen, vergrub sie ganz darin. Den Brief aber legte sie unter ihr Kopfkissen. Dann vergegenwärtigte sie sich im Liegen ihre Begegnung mit Egenolf im Walde bis auf alle Einzelnheiten, und mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen versank sie allmählich in das Reich der Träume.
Der große Tag, dem die Spielleute des Wasgaues alljährlich mit Freuden, etliche, die kein reines Gewissen hatten, aber auch nicht ohne Bangen entgegensahen, war herangekommen. Aus allen Himmelsrichtungen, von nah und fern strömten die Fahrenden beiderlei Geschlechts durch die Thore der Stadt Rappoltsweiler herein, um an dem Feste theilzunehmen. Jedes Alter, jede Gattung von weltfreien Künstlern der vielverzweigten Zunft und alle möglichen Instrumente, denen durch Streichen und Blasen, Knipsen und Klimpern, Schwingen und Schlagen Töne entlockt werden konnten, waren in der tausendköpfigen Menge vertreten. Die Ankommenden hatten sich, je nach Mitteln und Geschmack, mit ihren besten Kleidern und Flittern in bunten, grellen, ja schreienden Farben aufgeputzt und trugen an einem blauen Bande um den Hals das Abzeichen der Bruderschaft, eine versilberte Schaumünze mit dem Bilde der heiligen Jungfrau Maria vom Dusenbach. Auffallende Erscheinungen, solche von jugendlicher Schönheit und Anmuth und solche von ungepflegtem, fast wüstem Äußern, anziehende, drollige, abenteuerliche Gestalten waren unter ihnen zu sehen. Aber fröhlich und guter Dinge waren sie Alle sammt und sonders, die am [60] reichsten Geschmückten wie die bettelhaft Dürftigsten, als wüßten sie nichts von des Lebens Drang und Noth und hätten Leid und Sorgen für heute von sich abgeschüttelt oder wie abgetretenes Schuhzeug daheim in ihren Hütten zurückgelassen.
Und Alle schienen sich unter einander zu kennen und begrüßten sich wie Glieder einer einzigen großen Familie, deren zahlreiche, weitläufige Verwandtschaft sich im Jahre nur einmal auf den Ruf ihres würdigen, allverehrten Oberhauptes versammelt, um sich ihrer Zugehörigkeit bewußt zu bleiben und ihre freundlichen Beziehungen unter sich aufzufrischen und aufrecht zu erhalten. Das Händeschütteln und Umarmen, das Lachen und Jauchzen beim Wiedersehen wollte kein Ende nehmen. Der Eine schaute dem Anderen in die Augen und fragte nach seinem Befinden und Ergehen. Harmlose und herausfordernde, kecke und derbe Scherze flogen hin und her, immer gut gemeint und niemals übelgenommen, denn an den Pfeifertagen sollte Eintracht walten; wehe dem, der den Frieden brach oder muthwillig störte!
Wie die zugewanderten Schaaren in der Stadt ein Unterkommen finden wollten, blieb der Umsicht und Spürkraft jedes Einzelnen überlassen, aber die Bürger, die sich allerseits an den Belustigungen des dreitägigen Festes rückhaltlos betheiligten und mit dem alljährlich in Massen wiederkehrenden, sich hier frank und frei tummelnden Spielmannsvolke von Jugend auf bekannt und vertraut waren, nahmen sie gern auf in ihren Häusern und gaben [61] ihnen kostenfreie Herberge unter Dach und Fach, soviel sie vermochten. Die Fahrenden waren auch nicht verwöhnt, begnügten sich mit einem Strohlager auf dem Söller, in Ställen und Schuppen und dankten ihren gütigen Wirthen mit allerhand Kunststücken und munteren Spielmannsweisen. Einige hatten sich, durch Erfahrung gewitzigt, ein zusammengelegtes, leichtes Zelt mitgebracht, das sie in Höfen und Gärten, an der Stadtmauer und wo sonst Platz war, aufschlugen, um mit Weib und Kind, allein oder zu Mehreren darin zu schlafen.
An Räumlichkeiten zu geselligem Aufenthalt fehlte es indessen nicht. Es gab Gastwirthschaften und Weinhäuser, die für geziemende Verpflegung mit Speise und Trank nur eine billige Irte berechneten. Für die Vorträge und Vorführungen der Spielleute und Geschicklichkeitskünstler, soweit sie nicht im Freien stattfanden, war an geeigneter Stelle eine große Halle mit Sitzbänken rings an den Wänden errichtet, die nach dem Feste abgebrochen und im nächsten Jahre wieder aufgebaut wurde. Bei ungünstigem Wetter wurde auch das Gericht darin abgehalten. Den vornehmen Gästen aber, namentlich den älteren Herren diente der mit guten Weinen versorgte Rathskeller als Trinkstube, wo sie unter sich waren und, ihre Frauen, Söhne und Töchter nach deren Belieben den Lustbarkeiten des Festes überlassend, dem Becher wacker zusprachen.
Graf Schmasman, als Ältester der Rappoltsteiner der Lehensherr der Pfeiferbruderschaft, hatte während der drei Tage den Wirth zu spielen, zwar ohne die Kosten tragen [62] zu müssen, doch mit der sich selbst auferlegten Verpflichtung, sich möglichst viel unter sein liebes Spielmannsvolk zu mischen und sich um das Wohl und Wehe seiner Schutzbefohlenen theilnahmsvoll zu bekümmern. Viele von ihnen kannte er und beglückte bald Diesen, bald Jenen mit einer traulichen Ansprache, wobei ihm überall von Alt und Jung die größte Ehrerbietung erwiesen wurde.
Um daneben auch eines vergnüglichen Verkehrs mit Standesgenossen pflegen zu können und zugleich dem Feste durch Betheiligung der ritterlichen Gesellschaft einen erhöhten Glanz zu verleihen, lud er stets einige benachbarte, ihm befreundete Familien dazu ein, die sich das bewegte, geräuschvolle Treiben und die ergötzlichen Gestalten der Fahrenden gern ansahen und, Schmasman in seinem Amt als Wirth unterstützend, die Spielleute durch ein wohlwollendes, freundliches Benehmen ehrten und erfreuten.
So hatte er diesmal die Thierstein mit den bei ihnen auf der Hohkönigsburg zu Gaste weilenden Fleckenstein, die Müllenheim, die Andlau, die Lützelstein von der Frankenburg und die Rathsamhausen geladen, welche letzteren während der Dauer des Festes auch auf der Rappoltstein'schen St. Ulrichsburg wohnten. Außer den Geladenen hatten sich auch noch einige andere ältere und jüngere Herren und Damen unaufgefordert in Rappoltsweiler eingefunden, die in dem Kreise durchweg willkommen geheißen wurden.
Graf Oswald von Thierstein war in der Erwartung und mit der Absicht gekommen, unter allen Anwesenden [63] hier eine erste, bevorzugte Stelle einzunehmen. Er hatte, als er mit den Seinigen, alle prächtig gekleidet und auf schön gezäumten Rossen, einritt, sich mit einem ansehnlichen Gefolge umgeben, um von vornherein die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der Stallmeister Isinger, der nun doch ohne Gefahr für die Sicherheit der Hohkönigsburg dort abkömmlich zu sein schien, bildete voranreitend die Spitze und die beiden Leibtrabanten des Grafen, Marx und Herni, nebst ein paar Troßknechten den Schluß des stattlichen Zuges, in dem auch die gefallsüchtig lächelnde Zofe Dimot nicht fehlte. Aufsehen erregte Graf Oswald allerdings damit, aber kein ihm günstiges. Nur ein kaltes, neugieriges Staunen hatten die fahrenden Leute für den prunkenden Aufzug, weil sie an eine solche Prachtentfaltung seitens der Herrschaften bei dem volksthümlichen Feste nicht gewöhnt waren. Die übrigen Herren und Damen hatten auch an der gebräuchlichen Einfachheit in ihrem Äußeren festgehalten und selbst die Fleckenstein, die mit den sämmtlichen Thiersteinern kamen, waren von dieser löblichen Sitte nicht abgewichen, was dem Grafen Oswald gerade recht war, denn desto mehr stach er selber mit seinen Angehörigen durch den gemachten Aufwand hervor. Den stolzen Erscheinungen der schönen Thierstein'schen Frauen versagte man die Bewunderung nicht, und sie gab sich in mancher laut werdenden Bemerkung kund, als sie durch die in den Gassen auf- und abfluthende Menge zur Herberge ritten.
Auf dem Platze davor, von dem die fromme Wanderung [64] nach der Kapelle am Dusenbach ausgehen sollte, versammelten sich die ritterlichen Gäste und wurden von den Rappoltsteinern auf das Zuvorkommendste empfangen.
Egenolf hatte vom ersten Erblicken an nur für Leontine noch Augen und konnte kaum der Versuchung widerstehen, ihr vom Pferde zu helfen, denn hier würde sie ja wohl nicht wie damals in der Waldeinsamkeit allein aus dem Sattel springen. Aber zu dieser Hilfsleistung war ja der Stallmeister mitgenommen, und Egenolf mußte sich gedulden, bis die Reihe an sie kam und er der Abgestiegenen die Hand bieten konnte, die sie leicht erröthend nahm mit den leise gesprochenen Worten: »Ich danke Euch vielmals, Herr Graf, für die freudige Überraschung, die Ihr mir mit dem herrlichen Wolfsfell bereitet habt –.« Sie hatte die Stimme am Ende des Satzes nicht gesenkt, als wollte sie noch etwas hinzufügen, aber sie brach ab und erwähnte des Briefes mit keiner Silbe. Was hätte sie ihm auch darüber sagen sollen? etwa, daß sie ihm künftig jedes Wort glauben wolle? das hätte er doch so auslegen können, als erwarte sie, bald ein bedeutsames Wort aus seinem Munde zu hören. Er konnte ihr auf ihren Dank nichts erwiedern, denn Imagina und seine Schwester Isabella nahmen sie sofort für sich in Beschlag.
Nach allseitiger Begrüßung entspann sich eine lebhafte Unterhaltung der sich hier Treffenden, denen Schmasman auf mancherlei Fragen nach dem herkömmlichen Verlauf des Festes Rede stehen mußte. Burkhard von Rathsamhausen [65] raunte ihm mit einem Augenwink auf Oswald spöttisch zu: »Nun sieh ihn Dir an, Schmasman! geputzt und gespreizt wie ein Pfau. Mir schwant, wir werden heute noch etwas mit ihm erleben.« Schmasman antwortete nichts, aber er hatte selber schon in Oswalds Zügen einen Ausdruck wahrgenommen, der ihm wenig gefiel und auch in ihm einige Besorgniß erweckte.
Noch war es nicht Zeit zur Wallfahrt, und mehrere der Gäste begaben sich mitten unter die harrenden Spielleute, sich diese oder jene seltsame Erscheinung genauer zu betrachten oder mit einem hübschen Mädchen ein paar scherzende Worte zu wechseln. Graf Oswald folgte dem Beispiel, um sich auch seinerseits bei dem Volke beliebt zu machen und die Huldigung der so tief unter ihm Stehenden wohlgefällig entgegen zu nehmen. Dabei mußte er jedoch die Enttäuschung erleben, daß ihm durchaus nicht mit der Unterwürfigkeit und ersterbenden Hochachtung Platz gemacht und begegnet wurde, wie er im Gefühl seiner Erhabenheit erwartet hatte. Die Fahrenden zeigten sich gleichgültig und kühl zurückhaltend gegen ihn statt die große Ehre gebührend zu würdigen, die er ihnen seiner Meinung nach mit seiner gnädigen Herablassung anthat. Diese schlichten Naturkinder, die bei allem Übermuth und Leichtsinn einen ihnen angeborenen gesunden Verstand, noch verstärkt durch ein gutes Theil List und Schlauheit, besaßen und sich in ihrem steten Wanderleben Menschenkenntniß und Erfahrung erworben hatten, durchschauten die Absicht des hoffährtigen Herren und fühlten sich durch [66] die Art und Weise seiner Annäherung mehr verletzt als geschmeichelt.
Zur Steigerung seines Verdrusses darüber mußte er nun noch mitansehen, wie so ganz anders sich die Spielleute gegen ihren Schutzherren benahmen, wie ihre Augen strahlten und an Schmasmans Munde hingen, wenn er mit ihnen sprach, wie sie so garnicht schüchtern vor ihm waren, sondern ihm freimüthig und treuherzig auf seine Fragen Bescheid gaben, seelensvergnügt lachten, ihn umdrängten, ihm so anhänglich und innig ergeben schienen, als wären sie jeden Augenblick bereit, ihr Leben für ihn zu lassen. Diese eifersüchtigen Beobachtungen waren freilich nicht dazu angethan, des Grafen Oswald Stimmung zu verbessern und aufzuheitern. Sein Gesicht ward immer ernster und finsterer, seine Haltung immer steifer und stolzer.
Jetzt fingen auf den Kirchthürmen die Glocken an zu läuten, und sofort kam Bewegung in die angestauten Massen. Hans Loder reckte seinen Stab über Aller Häupter empor und schwenkte ihn zum Zeichen, daß man Raum schaffen und sich zum Antreten des feierlichen Ganges nach der Kapelle ordnen solle.
Zwei Stadtknechte mit Hellebarden und nach ihnen eine Schaar festlich geschmückter kleiner Mädchen, die Blätter und Blumen auf den Weg streuten, eröffneten den Zug. Hinter ihnen schritt ganz allein Loder der Trumpeter im Glanz seiner Würde als Pfeiferkönig, gefolgt von den vier Weibeln und den zwölf Meistern, die eine aufsichtführende Stellung [67] in der Bruderschaft einnahmen. Dann kamen die Gäste, und da sich Schmasman, wohl einem alten Brauche gemäß, seine Gemahlin Herzelande zur Begleiterin erkoren, thaten ihm dies die anderen Herren nach, so daß jeder von ihnen die eigene Gattin im Zuge führte, während sich die Jugend nach Belieben zu einander gesellte. Egenolf war so glücklich oder so gewandt, sich Leontine zu erobern, und schien ihr als Partner willkommen zu sein. Graf Oswald von Thierstein aber war unzufrieden, daß er mit seiner Gemahlin nicht als Vorderster oder doch wenigstens unmittelbar hinter Schmasman und Herzelande gehen konnte, sondern noch vier andere Paare und unter diesen auch die Rathsamhausen vor sich hatte. In mürrischem Sinnen starrte er vor sich hin, als spönne er einen heimlichen Anschlag.
In endloser Reihe, Alt und Jung, Männer, Frauen und Mädchen bunt durch einander gemischt, schlossen sich die fahrenden Leute an, um an der geweihten Stätte ihrer Schutzheiligen, Unserer lieben Frau vom Dusenbach, in Andacht das Knie zu beugen. Und – o Lust und Pein! – Alle, Alle spielten mit der ganzen Kraft der Lungen und der Hände auf ihren Instrumenten ihre eigenen Weisen ohne sich in Takt und Tonart von dem bestimmen oder beirren zu lassen, was die Nachbaren im Zuge auf ihren Spielwerken zum Besten gaben. Sie bliesen und fiedelten, lautenierten und rasaunten Alle mit Gewalt darauf los, als wollte Jeder seine Melodieen, seine Sätze, Triller und Läufe am lautesten zur Geltung bringen.
An eine Unterhaltung der Paare war dabei nicht zu [68] denken. Man sah sich verzweifelnd und lachend an und mußte diese wunderbare, sinnbetäubende Musik stumm und geduldig über sich ergehen lassen und sein gemartertes Gehör zum Opfer bringen.
Erst dicht vor der Kapelle, die der Zug nach einer halbstündigen Wanderung erreichte, schwieg auf einen Wink des Pfeiferkönigs der fürchterliche Lärm, und die plötzlich darauf eintretende Stille wirkte überraschend, aber wohlthuend und beruhigend; man athmete auf.
Die Kapelle, die in ihrem Innern ein wunderthätiges Marienbild bewahrte, lag einsam im tiefen Waldesfrieden des Thales, und ihr hellgraues Gemäuer schimmerte freundlich aus dem grünen Laub der jenseitigen Bergeshalde, zu der eine Brücke über den Dusenbach führte.
Auf der geebneten Lichtung davor stellten sich die Angekommenen in einem nach der Kapelle zu geöffneten Halbkreise auf, dessen Mitte frei blieb und dessen vorderste Reihe die geladenen Gäste einnahmen. Hinter ihnen drängte sich die Menge Schulter an Schulter bis über die Brücke hinüber und noch auf dem Wege am andern Ufer.
Der Pfeiferkönig, in der Hand eine pfundschwere Wachskerze, die er der benedeiten Jungfrau als Weihegeschenk brachte, stieg die Stufen zum Eingang empor und hielt an die Versammelten eine kurze Ansprache, mit der er sie hier bewillkommnete und zum Eintritt in das Heiligthum aufforderte, soweit es der beschränkte Raum zuließ.
Jetzt geschah etwas Unerhörtes. Ehe Einer aus dem Kreise Miene machte, der Einladung des Pfeiferkönigs zu [69] folgen, weil Alle auf Schmasmans Anführung warteten, schritt Graf Oswald von Thierstein mit Gräfin Margarethe über den Platz und auf die Kapelle zu, um sich als die Ersten hineinzubegeben. Aber schnell vertrat ihnen Schmasman mit seiner Gemahlin den Weg und sagte: »Verzeiht, Herr Graf! ich habe den Vortritt.«
Oswald erwiederte trotzig: »Ihr? warum Ihr? ich meine, ich bin hier der Erste unter unseres Gleichen?«
»Da seid Ihr im Irrthum,« gab ihm Schmasman zur Antwort. »Vergeßt nicht, daß ich als Lehnsherr der Pfeiferbruderschaft vor allen Anderen hier den Vorrang habe.«
»Vergeßt Ihr nicht, Herr Graf von Rappoltstein,« sprach Oswald hochfahrend, »daß ich der Landvogt bin, es also mir gebührt, den ersten Rang hier einzunehmen.«
»Mit Nichten gebührt Euch das, Herr Graf!« erklärte Schmasman sehr bestimmt, »Ihr steht hier auf meinem Gebiet, und ich muß Euch bitten, die Kapelle erst nach mir zu betreten.«
»Das werde ich nicht thun, Herr Graf von Rappoltstein!« sagte Oswald in gereiztem Tone.
»Schmasman, hier am Gotteshause keinen Streit!« flüsterte Herzelande ihrem Gatten zu, »gieb nach! sie sind unsre Gäste.«
Aber Schmasman schüttelte das Haupt, warf einen Blick zu Burkhard hinüber, der von Jost von Müllenheim kaum in Ruhe zu halten war und vor Wuth ersticken wollte, und schritt mit den Worten: »Es bleibt bei dem, [70] was ich gesagt habe; hier habe ich allein zu entscheiden,« seine Gemahlin führend, an den Thiersteins vorbei und über die Stufen in die Kapelle hinein.
Graf Oswald stand bleich und rathlos und sprach heftig auf seine Gemahlin ein, die sich, leise an seinem Arme ziehend, vergeblich bemüht hatte, ihn zum Rückzug zu bewegen. Er wollte fort, hinweg von diesem Orte, mußte aber einsehen, daß ein Durchkommen über die dicht besetzte Brücke nicht möglich war. Schon waren andere Gäste dem Grafen Schmasman in die Kapelle gefolgt, und um wenigstens nicht der Letzte zu sein, blieb dem Ergrimmten nichts Anderes übrig als ebenfalls mit seiner Gemahlin die Stufen hinan und in den dämmrigen Raum hinein zu gehen.
Alle näher Stehenden hatten den überaus peinlichen Auftritt mit angesehen und den erregten Wortwechsel der beiden Betheiligten gehört. Die Gäste und noch weit mehr die Spielleute waren über das ungebührliche Vordringen des Thiersteiner Grafen empört. Die Letzteren bekundeten ihren Unwillen durch ein deutlich vernehmbares Murren, und Rufe wie »Zurück! Graf Rappoltstein voran!« wurden laut. Als sie aber sahen, daß Schmasman durch seine unerschütterliche Ruhe und Festigkeit in dem Rangstreit obsiegte, waren sie drauf und dran, ihre Freude darüber in hellem Jubel auszulassen, und die Weibel und Meister hatten Mühe, diesen, den Unterliegenden geradezu verhöhnenden Ausdruck leidenschaftlicher Parteinahme für den geliebten Lehnsherrn zu dämpfen.
Graf Oswald konnte seinen Ärger über diesen zweiten Mißerfolg seines ehrgeizigen Strebens kaum verbeißen und verbergen, zumal er sich sagen mußte, daß er sich damit bei seinen Standesgenossen eine durch nichts gut zu machende Blöße gegeben und beim gemeinen Volke sein Spiel nun erst recht ein für allemal verloren hatte. Und da war außer seinen nächsten Angehörigen Niemand, der ihm die zu Theil gewordene Zurückweisung nicht gegönnt hätte. Nur die an dem leidigen Vorfall völlig unschuldigen Thierstein'schen Damen bedauerte man, und jeder Einzelne von der adligen Gesellschaft nahm sich stillschweigend vor, durch ein doppelt freundliches und verbindliches Benehmen gegen die Gräfinnen Margarethe und Leontine den üblen Eindruck möglichst zu verwischen und ihnen zu zeigen, daß man sie für die unverzeihliche Anmaßung ihres Familienhauptes nicht im Mindesten verantwortlich machte, sondern sie nach wie vor hoch schätzte und verehrte, wie sie es für ihr liebenswürdiges Wesen verdienten.
Schwer litt Egenolf unter dem zwischen seinem und Leontinens Vater so unerwartet und scharf hervorgetretenen, muthwillig hervorgerufenen Zwiespalt, der nicht ohne Einfluß auf den geselligen Verkehr und die sich nahe berührenden Standes- und Rechtsverhältnisse der durch ihre Nachbarschaft auf einander angewiesenen Familien bleiben konnte. Im Grunde seines Herzens mußte er seinem Vater Recht und dem Grafen Oswald entschieden Unrecht geben. Dabei drängte sich ihm jedoch die ihn beunruhigende Frage auf, wie sich wohl Leontine fortan zu ihm stellen [72] und verhalten würde. Während des Streites, dessen Zeuge sie, neben Egenolf stehend, gewesen war, hatte sie mit keinem Wort und keiner Bewegung ihre Empfindungen verrathen und war dann auch ohne jede ablehnende Gebärde an seiner Seite in die Kapelle gegangen.
Das Kirchlein war bis auf den letzten Platz gefüllt, aber die große Mehrzahl der Gläubigen mußte außerhalb bleiben und dort das Ende des Gottesdienstes abwarten.
Es war üblich, daß an diesem Tage nicht nur Messe gelesen, sondern auch eine Predigt gehalten wurde, die seit Jahren der würdige Prior des Augustinerklosters zu Rappoltsweiler zu übernehmen pflegte. Auch heute betrat er die Kanzel und wandte sich mit seinen beredten Ausführungen an die Gemüther der Spielleute und Fahrenden. Er ermahnte sie zu unverbrüchlicher Eintracht in ihrem Bunde, zu christlicher Demuth und Bescheidenheit, zu Tugend und Ehrbarkeit, Zucht und Sitte. Sie sollten einander wie Brüder und Schwestern lieben und achten; Keiner sollte sich besser und vornehmer dünken als der Andere, Keiner dem Andern seinen Platz streitig machen, sich überheben und vordrängen wollen. Mit Nachsicht und Duldsamkeit sollte Jeder, eingedenk der eigenen Sündhaftigkeit, die Schwächen und Fehler, ja Hochmuth und Eitelkeit des Anderen ertragen in der tröstlichen Gewißheit, daß auch der hienieden scheinbar am höchsten Stehende vor Gott dem Allwissenden und Allgerechten keinen Deut mehr gälte als der Geringsten einer.
Der Prior, der bis zum Beginn der Messe in der [73] Sakristei verweilt hatte, wußte nichts von dem vorher stattgehabten Rangstreit der beiden Grafen und ahnte daher nicht, welche besondere Bedeutung seine Worte für die Hörer hatten. Diese sahen sich verwundert und mit dem Ausdruck großer Genugthuung darüber an, in welcher unabsichtlich, aber zutreffend anzüglichen Weise dem stolzen Grafen Thierstein hier ins Gewissen geredet wurde. Er selber saß in der vordersten Reihe, den Blick ohne mit einer Wimper zu zucken unverwandt auf den Redner gerichtet, als ginge ihn das in dieser Spielmannspredigt Gesagte garnichts oder doch nicht mehr als alle Übrigen an. Was sich in seinem Inneren dabei regte, was er und die rings um ihn und hinter ihm dicht Zusammengedrängten davon in ihren Gedanken und Gefühlen mit sich nahmen, das wußte auch nur der Allsehende, vor dem die Herzen der Menschen offen liegen wie ein aufgeschlagenes Buch.
Auf dem Rückwege nach Rappoltsweiler wandelte die Schaar derer, die ihrem Andachtsbedürfniß Genüge gethan, nicht in geordnetem, feierlichem Zuge wie auf dem Herwege, sondern Jedermann ging nach seinem Gefallen, und es ward auch dabei nicht musizirt. Die vom Gottesdienst Kommenden mußten sich an den geduldig Harrenden draußen vorbeidrücken, denn keiner von diesen wollte von hinnen ohne in der Kapelle gewesen zu sein und der Heiligen mit einem Kniefall und einem stillen Gebet seine Verehrung dargebracht zu haben. Das erforderte, weil die Andacht dieser frohgemuthen Menschen, deren Gewissen schwere Sünden nicht belasteten und leichte nicht bekümmerten, eine aufrichtige und herzinnige war, geraume Zeit, und ehe die Letzten dem Altar nahen konnten, langten die zuerst Heimkehrenden schon in Rappoltsweiler an. Der Kampf der beiden Grafen um den Vortritt war, von Augenzeugen den draußen Stehenden berichtet und von Mund zu Mund getragen, bald dem ganzen Spielmannsvolk bekannt geworden, und Alle dankten es laut oder leise ihrem dem Gedränge schon entschlüpften Lehnsherrn, daß er fest geblieben war und, wie sie die Sache auffaßten, damit die Ehre der Bruderschaft gewahrt hatte.
Die Herren und Damen schritten, zu plaudernden Gruppen vereint, wohlgemuth dahin. Sie wollten sich das eigenartige Vergnügen, einem Spielmannsfest beiwohnen zu können, nicht verkümmern lassen, erwähnten des Streites mit keinem Worte und thaten wie auf Verabredung ganz so, als ob nichts Ungewöhnliches vorgefallen wäre. Die Thierstein'schen Damen wurden allerseits mit absichtlicher Auszeichnung behandelt; besonders bestrebten sich Herzelande und Isabella, von Imagina unterstützt, sie den unliebsamen Zwist vergessen zu machen, und anscheinend mit dem besten Erfolge. Auch Schmasman schloß sich ihnen eine Strecke Weges an und entschuldigte bei der Gräfin Margarethe sein übermüthiges Spielmannsvolk wegen des musikalischen Mordspektakels auf dem Herwege mit einigen scherzenden Worten, die gute Aufnahme und freundliche Erwiederung fanden. Egenolf und Bruno wetteiferten mit einander, Leontinen die artigsten Dinge zu sagen und sie zum Lächeln und Lachen zu bringen, was ihnen auch gelang.
Schwieriger war die Lage des Grafen Oswald und die von ihm als Nothwendigkeit erkannte Aufgabe, sich in den heiteren Ton der Anderen hineinzufinden, an ihrer Unterhaltung unbefangen theilzunehmen und, wenn es unbeschadet seiner Ehre geschehen konnte, sich mit Schmasman einigermaßen zu versöhnen. Er fühlte sich, wenn auch nicht äußerlich gemieden, von seinen Standesgenossen im Stich gelassen und konnte sich dem Eindruck nicht verschließen, daß ihm sein entschiedenes Vorgehen von allen verdacht wurde. Seine Freunde Friedrich von Fleckenstein [76] und Hermann von Hattstadt suchten ihn zwar durch Gespräch auf andere Gedanken zu bringen, merkten aber sehr wohl, daß er fort und fort darüber grübelte und wußten nur nicht, ob er auf ein einlenkendes Wettmachen des begangenen Fehlers oder auf eine ihn erforderlich dünkende Vergeltung und Heimzahlung der ihm widerfahrenen Zurückweisung sann. Zu der ihm zugefügten Kränkung kam nun noch die anzügliche Predigt, die stellenweise wie auf ihn gemünzt und so gelautet hatte, als hätte der Prior schon vor der Messe noch schnell von seinem Streit mit Schmasman Mittheilung erhalten und ihm dafür von der Kanzel herab eine Verwarnung oder gar einen Verweis ertheilen wollen. Um nun zu zeigen, daß er sich von den gefallenen Anspielungen keineswegs getroffen fühlte, redete er den mitheimkehrenden Prior höflich an, sagte ihm laut, damit es möglichst Viele hören sollten, Schmeichelhaftes über seine vortreffliche, zu Herzen gehende Predigt und fragte ihn nach der Gründung der Kapelle und der Herkunft des Muttergottesbildes.
Da gesellte sich Schmasman, Oswalds Frage vernehmend und ebenso wie dieser eine Versöhnung wünschend, zu den Beiden und drückte dem Grafen seine Freude über dessen Antheilnahme an der Entstehung der Kapelle aus. Er erzählte ihm, ein Vorfahr von ihm, ein Egenolf von Rappoltstein, hätte zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts das Marienbild aus einem Kreuzzuge mit dem blinden Dogen Dandolo von Venedig mitgebracht und der heiligen Jungfrau zu Ehren das Kirchlein errichtet. Er selber hätte [77] die Absicht, das Innere der Kapelle mit bildlichen Darstellungen aus der heiligen Legende schmücken zu lassen.
Graf Oswald ergriff sofort die Gelegenheit, sich mit Schmasman wieder auf guten Fuß zu stellen. Er lobte dessen frommes Vorhaben und bat um die Vergünstigung, zum Schmucke des alten Gotteshauses auch seinerseits etwas beitragen und zur Erinnerung an seine heutige Anwesenheit bei dem Spielmannsfest, einen Genuß, den er nur Schmasmans gütiger Einladung verdanke, ein paar gemalte Glasfenster für die Kapelle stiften zu dürfen.
Schmasman nahm dieses großmüthige Anerbieten mit Dank an und reichte dem Thiersteiner Grafen die Hand. So war denn durch beiderseitiges Entgegenkommen in ritterlicher Gesinnung und gesellschaftlichem Takt der Friede zwischen ihnen wieder hergestellt und dem Einen wie dem Anderen ein Stein von der Seele herunter.
Wer aber keinen Frieden mit dem Grafen Thierstein schließen wollte, obwohl er noch gar keinen Streit mit ihm gehabt hatte, das war Herr Burkhard von Rathsamhausen. Beim Ausgang aus der Kapelle hatte er Schmasman die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: »Das hast Du vorhin gut gemacht, Bruder! Hättest Du nachgegeben und den Thiersteiner vorgelassen, – ich weiß nicht, was ich dann angefangen hätte, ich glaube, ich wäre vorgesprungen und hätte ihn mit Gewalt zurückgetrieben. Mit ihm hätte ich mich dann auf eigene Faust auseinandergesetzt, zwischen Dir und mir aber hätte ich wie Eberhard der Rauschebart das Tischtuch zerschnitten.«
»Das hättest Du nicht gethan, Alter!« hatte ihm Schmasman lächelnd erwiedert.
»Bei meiner armen Seele, Schmasman, der sich Gott in seiner Gnade dermaleins erbarmen möge! ich hätte es gethan, und ich thue es noch, wenn Du Dir in Deinen Hoheitsrechten jemals das Geringste gegen Den vergiebst,« hatte Burkhard mit drohendem Blicke geschworen. Dann waren sie im Gedränge von einander getrennt worden.
Jetzt ging er an Müllenheims Seite in leisem Gespräch, das damit schloß, daß Burkhard, die geballte Faust schüttelnd, durch die Zähne knirschte: »Ich ruh und raste nicht, bis ich Den von seinem Berge wieder herunter habe; da gehört ein anderer Mann hin.«
»Welchen meinst Du?« fragte Müllenheim.
»Davon ein andermal!« erwiederte Burkhard, »er wird zur Stelle sein, wenn die rechte Zeit dazu gekommen ist.«
Müllenheim schwieg, glaubte aber den anderen Mann, den Burkhard meinte, nicht weit suchen zu müssen. –
Mit einem stark begehrten Erfrischungstrunk nach der Wallfahrt, mit dem Mittagsmahl in gesonderten Kreisen und verschiedenen Wirthschaften und etwas später wieder mit einem Vespertrunk zur Vorbereitung und Anregung für die zu leistenden und entgegenzunehmenden Vorführungen verging die Zeit bis zum Beginn des Hauptvergnügens, der zu einer bekannt gemachten Stunde festgesetzt war.
Auf den Glockenschlag dieser Stunde fing der Trubel an, und das auf die mannichfaltigste Weise. Spielleute, einzeln, zu Paaren und in kleinen Banden, die sich mit [79] einander eingespielt hatten, durchzogen musizirend die Stadt, begegneten sich in den Gassen mit anderen ohne ihr Spiel dabei zu unterbrechen oder blieben vor den Häusern stehen, in deren Thüren sie dankbare Zuhörer fanden. Das Gleiche thaten andere Fahrende, die mit erstaunlichen Kunststücken und Leibesübungen Alt und Jung ergötzten, so daß immerwährend und überall ein geräuschvolles und vielbewegtes Treiben buntgekleideter Gestalten durch einander wogte und wirbelte.
Mittlerweile füllte sich mehr und mehr die mit Laubgehängen und Gewinden geschmückte große Halle, wo die Geübtesten und Geschicktesten der Bruderschaft sich hören und sehen ließen. Der Zutritt in diesen weiten Festraum stand Jedermann offen, aber alle darin Anwesende mußten sich den Weisungen der zwölf Meister fügen, die für Ordnung sorgten, in der Mitte genügenden Platz für die künstlerischen Darbietungen frei hielten und darauf achteten, daß die auf den Bänken sitzenden Herrschaften nicht durch vor ihnen Stehende am Schauen gehindert wurden.
In wechselnder Reihenfolge traten Geiger und Bläser, Lautner und Harfner, Sänger und Tänzer auf und zeigten das Beste, was sie konnten. Beim Kommen und Gehen machten sie ihrem Lehnsherrn und seinen Gästen ihre Verbeugung und wandten sich mit ihrem Spiel stets ihnen, zuweilen aber auch ihrem König Hans Loder zu, der nahe bei Schmasman stand und wie ein glücklicher Vater an seinen wohlgerathenen Kindern seine helle Freude an dem von ihm beherrschten Volke hatte.
Eine Anzahl lobenswerther Vorträge war bereits von Statten gegangen, als ein Spielmann mit einer Laute erschien, auf den Alle, die ihn kannten, besondere Erwartungen setzten. Es war Seppele von Ottrott, jener kunstbewanderte Sänger und durchtriebene Schalksnarr, wie ihn Loder in seinem Gespräch mit Syfritz im Strengbachthale genannt hatte, der sich nun hören lassen wollte. Er war ein Mann von mittler, gelenker Gestalt mit keck dreinschauendem Gesicht, dem Schelmerei und Spottlust um Mund und Augen spielten, als er bei seinem Auftreten den Blick dreist und siegessicher durch die Versammlung schweifen ließ. Dann aber nahmen seine Züge einen ernsten, sinnigen Ausdruck an; der kunstbewanderte Sänger gewann die Oberhand, der nun in die Saiten griff und mit geschultem Wohllaut ein Lied anstimmte.
Als er geendet, fielen sie Alle mit einander singend ein und wiederholten im Chore die zwei letzten Zeilen des [82] Liedes. Dann aber wurde schallender Beifall, den auch Herr Burkhard seinem bei ihm sehr in Gunst stehenden Hörigen nicht versagte, dem Sänger zu Theil, und es schien sich nach Seppele so bald kein Anderer vorwagen zu wollen.
Die dadurch entstehende Pause benutzte das Alter und die Jugend zu freier Bewegung und traulicher Aussprache. Die jungen Herren und Fräulein wandelten auf und ab oder standen in Gruppen umher, und dabei fanden sich wie zufällig Egenolf und Bruno mit den Gräfinnen Imagina, Isabella und Leontine zusammen.
Die beiden Jungherren trachteten wieder sehr danach, sich Leontinens Gewogenheit zu erringen, was der Vielumschwärmten nichts weniger als unangenehm zu sein schien. Sie hatte auch gewiß das Bestreben, den Sonnenschein ihrer Gnade auf beide gleichmäßig zu vertheilen, aber die helleren, wärmeren Strahlen fielen doch auf Egenolf. Sie lieh seinen Worten ein geneigteres Ohr, gab ihm eingehendere Antworten, hatte für ihn einen holderen Blick und ein häufigeres Lächeln als für Bruno, was diesem nicht entging und ihm eine sacht aufsteigende Eifersucht auf den glücklicheren Freund einflößte. Isabella bemühte sich, ihn für diese, Leontinen vielleicht gar nicht bewußte Zurücksetzung gegen ihren Bruder durch doppelte Freundlichkeit zu entschädigen, hatte damit aber nicht den gewünschten Erfolg bei ihm, denn Bruno ließ nicht ab, sich mit seinen Höflichkeiten immer wieder Leontinen zuzuwenden, bei der sie doch nicht die verdiente Würdigung [83] und Erwiederung fanden. Da gab Isabella ihre vergeblichen Versuche, ihn zu trösten und zu fesseln, allmählich auf und wurde schweigsam und in sich gekehrt.
Dieses, für einen feinen Beobachter so unterhaltsame Spiel hatte einen solchen an der Fünften des kleinen Kreises, an Imagina, hier das fünfte Rad am Wagen, wie sie sich selber sagte. Sie hatte sich an den Gesprächen nur mit kurzen, hin und wieder eingestreuten Bemerkungen betheiligt, dafür aber desto schärfer auf das gepaßt, was sich hier vor ihren sehenden Augen immer deutlicher gestaltete und entfaltete, so daß sie in den Herzen der anderen Vier richtig zu lesen glaubte.
Endlich mahnte der älteste Meister durch Klopfen mit seinem Stabe, für eine neue Aufführung Platz zu machen und Ruhe zu halten.
Und nun sollte sich den erwartungsvoll Gespannten ein entzückendes Schauspiel darbieten.
In der wieder freigewordenen Mitte der Halle standen mit einem Male ohne daß man wußte, wie sie so schnell dahin gekommen waren, ein Zigeuner und ein junges Mädchen, seine Tochter.
Sie waren die Mitglieder einer Bande gewesen, die vor etwa zehn Jahren auf ihren Wanderfahrten auch Rappoltsweiler heimgesucht hatte, waren durch die schwere Krankheit der Gattin des Mannes hier lange festgehalten und nach deren Tode hängen geblieben. Man hatte Mitleid mit dem armen Menschen und seinem halbwüchsigen Mädchen gehabt, sie hier geduldet, und da er ein stiller und geschickter Mann war, der sich mit allerlei Flickarbeit an zerbrochenem Geschirr ehrlich zu ernähren suchte, hatte man ihn, nachdem er sich mit seiner Tochter in der Kirche des heiligen Gregorius hatte taufen lassen, zu der Bruderschaft der Kessler, d. h. der Kupferschmiede und Kesselflicker zugelassen, welche der Herr von Rathsamhausen beschirmte wie der Graf von Rappoltstein die Pfeiferbruderschaft. Und da er ferner ein Meister im Geigenspiel war, fand er auch willige Aufnahme in dem großen Spielmannsbunde. Sie bewohnten eine außerhalb der Stadt einsam im Walde gelegene Hütte. Der Mann war in Ausübung [85] seines Handwerkes viel unterwegs, wobei er wohl seine Geige, aber nicht seine Tochter mitnahm. Diese schweifte wie ein scheues Wild im Walde umher, und man wußte nicht recht, wovon sie in Abwesenheit ihres Vaters lebte, munkelte deßhalb von einem heimlichen Beschützer, der liebevoll für sie sorgen sollte, obwohl man sie außer in der ihres Vaters nie in Begleitung eines Mannes sah und ihr nichts Übeles nachsagen konnte.
Der Mann, Namens Farkas, war mit Haut und Haaren ein echter Zigeuner, und auch seiner Tochter Haschop sah man ihre Abstammung auf den ersten Blick an. Sie war von Antlitz nicht eigentlich schön zu nennen, aber auf der schlanken, geschmeidigen Gestalt, dem braunen Gesicht mit dem üppigen, schwarzen Haar, das sie heute ganz mit Blumen besteckt hatte, den blitzenden Augen und den weißen Zähnen zwischen den rothen Lippen lag ein unsagbarer sinnlicher Reiz und Zauber ausgegossen.
Da standen die Beiden nun. Farkas in seiner Zigeunertracht, hoch aufgereckt, die Geige unter dem Kinn, den Bogen in der Hand, und Haschop in kurzem Kleid und eng anschließendem Mieder über dem blühenden Wuchs, den Oberkörper etwas zurückgebogen, die Arme in die Seiten gestemmt, den linken Fuß vorgestreckt, daß nur die Spitze den Boden berührte, wie ein bronzenes Gebild, von Künstlerhand geformt. Beim ersten Geigenstrich sprang sie an zu einem bacchantischen Tanz. Anfangs hielten sich Melodie und Bewegungen in gemessenem Takt. Die Tänzerin schritt gleichsam zaudernd vor und zurück, verharrte [86] eine Sekunde lang in malerischer Stellung, drehte sich, wand sich mit ruhiger Anmuth und wiegte sich mit leisem Schwanken in den Hüften. Allmählich aber wurden Spiel und Tanz lebhafter und immer lebhafter. Das Mädchen fing an, die Töne der Geige mit dem Tambourin zu begleiten, das sie mit vollendeter Geschicklichkeit handhabte. Da war es, als ob die beiden Instrumente einander anriefen und antworteten, sich mit ihren Klängen verflochten und verschmolzen, zu immer schnellerem, kühnerem Reigen einander hinrissen. Die Geige jubelte und jauchzte in raschen Läufen und Sprüngen, das Tambourin rollte und summte, klingelte und rasselte mit seinen Schellen. Mit gefälliger Rundung in der Haltung der Arme schwang und schlug es Haschop bald in der Rechten, bald in der Linken, bald über dem Haupte, warf es hoch und fing es wieder auf. Dabei ward ihr Tanz immer noch flinker, ausgelassener, wilder. Sie schwebte, flog und flatterte hinüber und herüber, neigte sich, beugte sich, schnellte empor und schüttelte die Locken; auf ihrem Angesicht flackerte ein dämonisches Feuer, aus ihren Augen sprühte eine schwer gezügelte Leidenschaft. Mit allen ihren in weichen Linien ausgeführten Schwenkungen aber überschritt sie niemals die Grenzen der Schönheit und natürlichen Anmuth.
Und seltsam! es war, als ließe die nicht Ermüdende all ihre Künste nur vor Einem spielen unter den Vielen hier, die mit starrer Bewunderung dem sinnberauschenden Tanze der selber tief Erregten folgten. Und dieser Eine [87] war Egenolf, der neben Leontine in der vordersten Reihe stand. Als wäre er der einzig zu Feiernde hier, dem allein zu Ehren und zu Liebe sie sich in ihren verführerischen Bewegungen und Stellungen zeigte, wandte sie sich damit immer nur ihm zu, was ihn in sichtliche Verlegenheit setzte. Wenn ihr Blick dann zufällig Leontinen streifte, so glitt ein spöttischer Ausdruck über ihre Züge, und sie umgaukelte die stolze Gräfin in einer halb neckischen, halb herausfordernden Weise. Sie zog eine Blume aus ihrem Haar, bot sie im Vorüberschwirren Leontinen an, und als diese danach griff, zuckte Haschop schnell zurück und warf sie Egenolf zu. Eine Blume nach der anderen löste sie sich, sie bald Egenolf, bald Schmasman, bald dem Pfeiferkönig zuschleudernd, vom Haupte, wodurch ihr Haar den Halt verlor und nun frei und lang ihr über Schultern und Rücken wallte, daß es sie im Wirbel des Tanzes umflog und umwogte.
Endlich gab sie ihrem Vater einen Wink; er schloß sein gluthvolles Spiel mit einem kräftigen Ausklang, und wieder stand die Tänzerin einen Augenblick regungslos gebannt wie ein Bild von Erz. Dann mit heißem Blick eine grüßende Beugung vor Egenolf, – und weg war sie, wie untergetaucht, in der Menge verschwunden.
Die Versammlung war erst wie betäubt von dem genossenen Schauspiel, dem Glanzstück des ganzen Abends. Dann aber brach der Jubel los und brauste wie eine mächtige Welle durch den Saal. Farkas ward umdrängt und beglückwünscht, selbst Schmasman und Loder kamen [88] zu ihm und drückten dem damit hoch Geehrten die Hand. Nach Haschop suchte man vergebens; Niemand wußte, wo sie geblieben war.
Egenolf aber war verstimmt; ihn hatte die ihm von der Zigeunerin so auffällig dargebrachte Huldigung beunruhigt, weil er befürchtete, daß man daraus Schlüsse auf geheime Beziehungen zwischen ihm und dem heißblütigen Mädchen ziehen würde. Und daß dies wirklich geschah, merkte er bald an den neugierig fragenden Blicken, mit denen er angesehen wurde. Das mußte er als Folge von Haschops unbesonnenem Gebaren über sich ergehen lassen, aber mit tiefem Gram erfüllte ihn die Wahrnehmung, daß auch Leontine einen derartigen Verdacht gegen ihn gefaßt zu haben schien. Auch aus ihren Augen traf ihn ein mißtrauischer Blick, und sie war einsilbig und nachdenklich geworden. Was sollte, was konnte er thun, sie von dem Argwohn, daß er mit Haschop näher bekannt sei, abzubringen? er konnte ihr doch nicht sagen: das ist vorbei, seit ich Dich erblickt, Dein Bild im Herzen trage. Rathlos stand er neben ihr und las in ihrem ernsten Gesicht seine Verurtheilung.
In dieser Bedrängniß kam ihm die kluge Imagina zu Hilfe, die seine mißliche Lage Leontinen gegenüber begriff und entschlossen war, ihn daraus zu befreien, indem sie ihm Gelegenheit gab, sich zu rechtfertigen.
Sie trat an die Beiden heran, erging sich in Lobeserhebungen über den berückenden Tanz der Zigeunerin und fügte, mit dem Finger drohend, neckisch hinzu: »Und [89] Dich, Egenolf, scheint sie ganz besonders in ihr Herz geschlossen zu haben; es war ja wahrhaftig, als wenn sie nur für Dich hier tanzte. Hab' ich nicht Recht, Gräfin Leontine?«
»Es hatte allerdings fast den Anschein,« gab Leontine beklommen zur Antwort.
»Siehst Du!« fuhr Imagina fort, »nimm Dich nur in Acht, daß Du ihr nicht ins Netz gehst!«
Egenolf verstand sofort, lächelte und sagte: »Ja, mir ist es beinahe selber so vorgekommen, als hätte ich eine unbewußte Eroberung an ihr gemacht; nur weiß ich nicht, wie das zugegangen sein sollte. Ich bin ihr ein paarmal im Walde begegnet, da hat sie mich angebettelt, und ich habe ihr stets etwas reichlich gegeben, und –«
»Und nun hat sie Dir heut ihren Dank getanzt und gesprungen« fiel Imagina lachend ein, »natürlich! Damit ist Alles erklärt, aber Du siehst daraus, daß man auch mit seinen Wohlthaten vorsichtig sein muß, denn sie können Einem von boshaften Menschen falsch ausgelegt werden.«
»Ich will nicht hoffen, daß es in diesem Falle geschieht,« sprach er unverfroren.
»Von unser Einem gewiß nicht, lieber Egenolf!« versicherte ihn Imagina mit treuherzigem Tone und einem schelmischen Seitenblick, »aber –, kurz und gut, schreibe Dir diese mütterliche Vermahnung hübsch hinters Ohr!«
»Soll pflichtschuldigst geschehen, verehrungswürdige Frau Muhme!« lachte er, und Imagina und Leontine lachten mit.
Damit war die Sache abgethan und Egenolf überzeugt, daß er jetzt wieder in Engelsunschuld vor Leontine dastand. O wie dankbar war er seiner holden Retterin Imagina! –
Farkas' Geigenspiel und Haschops Tanz konnten von keiner anderen Leistung mehr übertroffen werden, und die älteren Herren waren der Meinung, daß es nun wohl Zeit wäre, sich zu ihrem Abendtrunk in den Rathskeller zu begeben, wo gewiß schon Alles zu ihrem Empfange bereit war. Sie entfernten sich allmählich, die Einen mit, die Anderen ohne Verabschiedung von der verständigen Gattin, die zur Überwachung der Jugend in der Halle verblieb. Denn nun sollte hier der allgemeine Tanz beginnen, an dem sich alle Anwesenden, die Jungherren und Geschlechterfräulein, Bürgersleute und Spielmannsvolk, betheiligten und bei dem nun auch Dimot zu ihrem Rechte kommen sollte.
Der leichtherzigen Zofe gefiel das ausgelassene, bunte Treiben aus der Maßen, und da es ihr noch an Bekanntschaften hier fehlte, war es ihr sehr angenehm, daß Haschop, die sich jetzt wieder eingefunden hatte, sich ihr zuthulich anschloß und, wenn nicht eine von beiden tanzte, nicht von ihrer Seite wich. Die schmiegsame Zigeunerin wußte sich so schnell bei Dimot einzuschmeicheln, daß sie in den wenigen Stunden die besten Freundinnen wurden. Sie ließ sich viel vom Leben auf der Hohkönigsburg erzählen und fragte die Schwatzhafte dabei geflissentlich nach ihrer jungen Herrin aus, über die sie alles Mögliche zu wissen verlangte.
Dieses beständige Zusammensein mit Dimot hinderte Haschop indessen nicht, fortwährend Leontinen scharf zu beobachten und am schärfsten, wenn Graf Egenolf mit der schönen Gräfin sprach.
Beim Abschied fragte Haschop ihre neue Freundin: »Darf ich Dich oben auf der Burg einmal besuchen?«
»O gewiß! damit würdest Du mich sehr erfreuen,« erwiederte Dimot. »Ich werde der Thorhut Bescheid sagen, daß sie Dich einläßt.«
Da blitzten Haschops Augen gelüstig auf, und rasch sagte sie: »Hab Dank! ich komme.«
Bald saßen etwa ein Dutzend Herren in dem gewölbten, sauber und behaglich hergerichteten Kellerraum des Rathhauses um die klobigen Tische und labten sich aus den stattlichen Pokalen, die der wohlweise Rath der Stadt für solche feierlichen Gelegenheiten nach und nach angeschafft hatte, ein Jeder an dem Weine, der ihm am besten mundete.
Zunächst drehte sich die Unterhaltung um die mitangehörten und gesehenen Aufführungen, die meist belobt wurden, vor allen der entzückende Tanz der Zigeunerin, die mit ihrer reizvollen Erscheinung auch vor den Augen der ritterlichen Herren Gnade gefunden hatte.
Auch des Gesanges Seppele's von Ottrott wurde rühmend gedacht, und Burkhard sagte: »Das ist ein wahrer Teufelskerl mit Singen und steckt außerdem voller Schnurren und Schwänke. Hätte der Mensch nur nicht die vermaledeite lose Zunge, die ihm so oft Händel auf den Hals zieht! Beim Pfeifergericht ist schon wieder eine Klage gegen ihn eingelaufen, und ich will nur wünschen, daß die Sache einen leidlich guten Ausgang für ihn nimmt, denn ich kann den Seppele nicht entbehren und [93] lasse mir gern etwas von ihm vorsingen, wenn ich gerade bei Laune bin.«
»Was wohl nicht allzu häufig vorkommt,« warf Jost von Müllenheim ein, daß Alle lachten.
»Dann verhilft er mir mit seinen Späßen dazu,« erwiederte Burkhard. »Er ist nämlich unser Ofenheizer und Kaminfeger, aber im Sommer lasse ich ihm die Freiheit, mit seiner Laute in den Dörfern und Schenken herumzuziehen, denn ich halte große Stücke auf den lustigen Schelm.«
»Ein angenehmer Posten, im Sommer Strichvogel durch die Schenken, im Winter gut gepflegter Hofnarr,« meinte Rudolf von Andlau am Nebentische. »Sage mal, Du Häuptling aller Kesselflicker, ist der Farkas nicht auch Dein Unterthan?«
»Zur Hälfte,« entgegnete Burkhard, »denn er gehört sowohl zur Pfeifer- wie zur Kesslerbruderschaft, und wenn mir Schmasman seine Hälfte abtreten und der Zigeuner mit seiner herzenfängerischen Fiedel zu mir ziehen wollte, so hätte ich nichts dagegen.«
»Und mit seiner herzenfängerischen Tochter! nicht wahr? ja, das glauben wir Dir altem Sünder,« riefen sie ihm rechts und links zu.
»Schandmäuler seid ihr,« lachte Burkhard und leerte seinen noch halb gefüllten großen Pokal mit einem Zuge.
Nun kamen die Herren auf den Gegenstand zu sprechen, den sie nie erschöpfend genug behandeln konnten, auf den Werth und die Eigenschaften ihrer und aller ihnen im [94] weitesten Umkreis bekannten Pferde. Wilhelm von Rappoltstein wandte sich mit der Bemerkung an den Grafen Oswald: »Ihr habt Euch, wie ich heute gesehen, tüchtige Gäule mit hergebracht, ihr Herren von Thierstein.«
»Ich habe mit Absicht etwas schwere genommen,« erwiederte Oswald, »denn eure Reitwege hier sind nicht die besten.«
»Laßt sie ausbessern, wenn sie Euch nicht gefallen,« knurrte Burkhard.
»Die feingeschenkelten Zelter, auf denen Eure Damen so sicher und anmuthig in den Sätteln saßen, hatten den rechten Feldschritt und gute Folge auf der Hinterhand,« sagte Kaspar von Rappoltstein.
»Freut mich, daß Ihr das beachtet habt, Herr Graf!« lächelte Oswald geschmeichelt. »Unsere Frauen verstehen sich darauf und haben sich ihre Pferde selber beim Roßkamm ausgewählt. Die Stute meiner Tochter ist ein ausdauernder Renner, wird aber hier in den Bergen leider wenig Gelegenheit haben, das zu zeigen.«
»Dann hättet Ihr doch im Flachland bleiben sollen, um sie austraben zu lassen,« warf Burkhard wieder dazwischen.
»Ich sprach nicht zu Euch, Herr von Rathsamhausen,« wies ihn Oswald zurecht.
»Aber ich mußte schon zum zweiten Male hören, daß es Euch hier auf unseren Wegen und in unseren Bergen wenig zu behagen scheint.«
»Wenn Einem nur die Gesellschaft behagt, die man in diesen Bergen findet,« gab ihm Oswald anzüglich zurück.
»Das muß freilich auf Gegenseitigkeit beruhen, was leider nicht immer zutrifft, Herr Landvogt!« höhnte Burkhard.
»Damit habt Ihr Recht, Herr!« lachte Oswald gezwungen.
Um das unerquickliche Zwiegespräch abzubrechen nahm Schmasman das Wort, es an Oswald richtend: »Darf ich fragen, Herr Graf, was Ihr mit Eurem Hof in Straßburg zu thun gedenkt? Wollt Ihr das Lehen dem Bischof zurückerstatten? oder wollt Ihr den Hof in Afterlehen geben?«
»Vorläufig gedenken wir ihn selber zu behalten,« erwiederte Graf Oswald, »für den Fall, daß es uns wünschenswerth erscheinen sollte, noch einen Wohnsitz in Straßburg zu haben.«
»Sehr fürsorglich gedacht! denn ein solcher Fall könnte unvermuthet eintreten,« murmelte Burkhard, was aber Oswald nicht verstand oder nicht verstehen wollte, denn er fuhr ruhig fort: »Auf der Hohkönigsburg schneit man gewiß leicht ein und kann dann den ganzen Winter nicht herunter.«
»Herunter schon, aber ob dann wieder hinauf –?« kam es von Burkhard.
Graf Wilhelm von Rappoltstein winkte ihm Schweigen zu.
»Was willst Du, Wilhelm?« fuhr Burkhard auf. »Soll man hier nicht mehr seine Meinung sagen dürfen? Warte nur! über ein Kleines werde ich sie noch deutlicher aussprechen, und Niemand soll mich daran hindern.« Und er stieß den wieder geleerten Becher hart auf den Tisch.
»Wir bleiben Alle im Winter auf unseren Burgen,« sagte Rudolf von Andlau.
»Das mögt Ihr halten, wie Ihr wollt, Herr von Andlau,« sprach Oswald hochmüthig. »Ihr seid hier wohl daran gewöhnt, einsam zu hausen wie der Dachs in seinem Bau; ich füge mich keinem Zwange.«
»Na, na!« machte Burkhard.
Die beständigen Einreden ihres hitzigen Ottrotter Freundes auf Alles, was Oswald vorbrachte, fingen an, den übrigen Herren bedenklich zu werden, wenn sie auch dem Thiersteiner für sein anmaßliches Auftreten an der Kapelle so ein paar kleine, gelegentliche Seitenhiebe gönnten; aber Burkhard ging etwas scharf damit vor. Er war ein trinkfester Mann, der Wein konnte ihm unmöglich schon zu Kopfe gestiegen sein. Was bezweckte er denn mit seinen Sticheleien? Prickelte ihn nur das Gelüst, sich an dem Grafen zu reiben und ihm klar zu machen, daß man nicht gesonnen sei, sich von ihm einschüchtern und beherrschen zu lassen? Oder suchte er absichtlich und ernstlich Händel mit ihm und wollte ihn mit seinen Angriffen herausfordern? Die dem Störenfried zunächst Sitzenden bemühten sich, ihn von diesem Höhnen und Hetzen abzubringen und seine Aufmerksamkeit durch Fragen [97] und Gespräche auf andere Dinge zu lenken; aber er hörte und horchte mehr auf das, was Oswald sagte, und ließ nicht ab, dazu seine spöttischen und bissigen Glossen zu machen.
Schlimmer wurde die Sache noch, als Graf Oswald auf eine Bemerkung Fleckensteins, welche die Herren an Burkhards Tische nicht verstanden hatten, hochfahrend antwortete: »Das fehlte mir noch! nein, das muß anders werden, dafür laß mich sorgen, Friedrich! es muß überhaupt hier Manches anders werden, es haben sich hier allerhand lächerliche Gewohnheiten und Mißbräuche eingeschlichen, die ich nicht länger dulden werde.«
Da rief ihm Burkhard trotzig zu: »Was wollt Ihr nicht dulden, groß–mächtiger Herr Landvogt? Bei Änderungen landesüblicher Sitten und Bräuche werden wir wohl auch noch ein Wörtlein mitzureden haben. Was sagte doch heute der Prior in seiner Predigt, die ja für Euch ganz besonders erbaulich und belehrend gewesen sein muß? Er ermahnte zu Duldsamkeit, Bescheidenheit und Demuth, Keiner solle sich vornehmer dünken und überheben, Keiner sich vordrängen und einem Andern den ihm gebührenden Platz streitig machen. Habt Ihr das schon wieder vergessen?«
Graf Oswald, der seinen Grimm kaum bezwingen konnte, entgegnete darauf: »Herr von Rathsamhausen, mir ist erzählt worden, der Kaiser, der einen Ahnherrn von Euch einst mit Schloß Lützelburg belehnte und ihn damit aus Schulden und Dürftigkeit herausriß, hätte ihm dabei [98] gesagt, er möge nun auf diesem Lehen recht rathsam hausen. Danach führt Ihr Euren Namen, macht ihm aber geringe Ehre, wenn Ihr mit Euren Worten so wenig rathsam haushaltet.«
»Was? wollt Ihr mir den Mund verbieten?« brauste Burkhard auf. Aber in diesem Augenblicke flüsterte ihm ein Aufwärter etwas ins Ohr. »Endlich!« sagte er, stand auf und ging mit einem schadenfrohen Grinsen, das nichts Gutes weissagte, hinaus.
Ein beklommenes Schweigen trat ein; man hörte im ganzen Kreise nichts, als daß dieser und jener der Herren von seinem Weine trank, den Pokal mit leisem Klirren niedersetzte und sich aus seiner Kanne wieder einschenkte. Daß sich Burkhard wegbegeben hätte, um seinem Gegner das Feld zu räumen, glaubte keiner von ihnen.
Sie sollten nicht lange zu warten haben, bis es sich aufklärte, wozu er herausgerufen war. Bald kam er zurück, mit einer höchst seltsamen Kopfbedeckung ausstaffiert, die ihm, ohne Zweifel auf seinen im Voraus ertheilten Befehl, soeben überbracht sein mußte, denn er pflegte sie zuweilen zu fröhlichen Gelagen von Hause mitzunehmen. Es war ein ziemlich hoher Filzhut, der ringsum mit Eulenfedern besetzt war und vorn das natürliche Gesicht einer Eule mit Schnabel und Augen zeigte. Er wurde deßhalb auch »die Eule« genannt und war ein altes Erbstück und Familienheiligthum des Rathsamhausen'schen Geschlechts. Die wenigen Anwesenden, denen das Ding noch neu war, blickten verwundert dazu auf und [99] konnten nicht errathen, was die Mummerei bedeuten sollte; den Anderen aber, die wußten, welche Bewandtniß es damit hatte, ward schwül zu Muthe.
Burkhard hatte, während er sich wieder auf seinen Platz begab, immer noch das hinterhaltige Lächeln auf den Lippen, mit dem er hinausgegangen war. Schmasman bat ihn mit besorgter Miene: »Burkhard, thu mir den Gefallen und nimm den Filz von Deinem Haupte; die Eule starrt mich mit ihren funkelnden Glasaugen gar zu rauflustig an.«
»Ist ganz zahm, Bruder!« lachte der so abenteuerlich Bedeckte boshaft; »nur aufgeblasene, aufgeplusterte Spatzen zaust und rupft sie gern.«
Die Eingeweihten, die mit Sicherheit voraussahen, was nun kommen würde, machten keinen Versuch, den Eigensinnigen von seinem geplanten Vorhaben zurückzuhalten; wenn dies Schmasman nicht vermochte, so fand ihr Widerspruch dagegen vollends kein Gehör.
Burkhard wandte sich nun, den Blick fest auf Oswald gerichtet, an die Gesellschaft und begann: »Dieser uralte Federhut, ihr Herren, besitzt Zauberkraft und verleiht mir, wenn ich ihn auf dem Kopfe trage, die unschätzbare Gabe, die Wahrheit, die volle, untrügliche, unwiderlegliche Wahrheit zu sagen, aber auch die Wahrheit zu hören, sie durch alle Verhüllungen, Entstellungen und Lügen hindurch zu erkennen. Also, Herr Graf Oswald von Thierstein, Ihr sprachet vorhin von angeblichen lächerlichen Gewohnheiten und Mißbräuchen hier zu Lande, die Ihr abstellen wolltet. Da will ich Euch denn in Wahrheit verkünden, daß es Euch [100] nun und nimmer gelingen soll, an den althergebrachten, tief eingewurzelten Sitten und Bräuchen unseres Volkes auch nur zu rütteln, geschweige denn sie zu verdrängen und abzuschaffen. Bei jedem Schritt auf diesem gefährlichen Wege werdet Ihr mich und alle die vielen mit mir Gleichdenkenden als unüberwindliche Gegner antreffen. Und solltet Ihr es wagen, unsere ritterlichen Standesrechte, Vollmachten, Freiheiten und Privilegien anzutasten, so werdet Ihr Euch jämmerlich die Finger dabei verbrennen. Wenn Ihr dazu ins Land gekommen seid, so habt Ihr Euch in einen thörichten und verhängnißvollen Irrthum verrannt, aus dem Euch der gesammte eingeborene Adel in einer Weise heimleuchten wird, daß Ihr nicht lange mehr durch das Löwenthor dort oben aus- und eingehen werdet.«
Graf Oswald erhob sich und sprach mit zornbebender Stimme: »Nach dem, was ich soeben aus Eurem dreisten Munde gehört habe, möchte ich an die Wunderkraft der alten Vogelscheuche, die Ihr Euch närrischerweise auf Euren Querkopf gestülpt habt, beinahe glauben, denn Ihr habt die Wahrheit ganz unverschleiert ans Licht gebracht, d. h. Ihr habt mir Eure geheimsten Gedanken verrathen. Ich bin Euch hier ein Dorn im Auge und ein Pfahl im Fleische; Ihr möchtet mich gern so bald wie möglich wieder lossein, um nach wie vor, unbehindert von einem über Euch gesetzten Wächter der Ordnung, in schrankenloser Willkür schalten und walten zu können. Nun spitzet unter dem Eulenpopanz die Ohren für meine Erklärung! Ich bin als kaiserlicher Landvogt mit kaiserlicher Vollmacht [101] hierhergekommen, um jedem Unwesen zu steuern, allen Übergriffen mit Strenge zu begegnen und Euren unbotmäßigen Trotz zu biegen oder zu brechen. Das will ich und werde Euch beweisen, daß ich es kann. Ich habe mir die Hohkönigsburg stark und fest genug aufgebaut, –«
»Mit Straßburger Gelde!« rief Burkhard höhnend dazwischen.
»– um in Sicherheit und Ruhe abwarten zu können, ob Ihr Euch meinen Anordnungen fügen werdet oder nicht, und werde danach meine Maßregeln gegen Euch treffen. Ich sehe wohl, daß Ihr Alle unter einer Decke steckt, um das Joch abzuschütteln, das Ihr zu tragen noch nicht gewöhnt seid, das Ihr aber zu tragen bald genug lernen werdet.«
»Da haben wir's! Ihr sagt es selbst,« frohlockte Burkhard. »So hat meine Eule die Wahrheit und auch Eure innersten Meinungen und Absichten aus Euch herausgeholt. Unsere Deckung aber,« fuhr er in drohendem Tone fort, »sind unsere verbrieften Rechte und, wenn's sein muß, Wehr und Waffen. Und was das Joch betrifft, – wagt es Herr Landvogt, es uns auflegen zu wollen! Ihr werdet unbeugsam steife Nacken finden. Beim ersten Versuche werfe ich Euch den Handschuh vor die Füße.«
»Wir auch! wir auch! so ist's recht!« riefen Einige aus dem Kreise, die während Oswalds Rede schon mehrmals laut gemurrt hatten.
Schmasman aber erhob seine warnende Stimme: »Ruhig Freunde! Burkhard, treib es nicht auf die äußerste [102] Spitze! jeder Streit ist zu schlichten, wenn auf beiden Seiten –«
»Herr Graf von Rappoltstein,« unterbrach ihn Oswald schroff, »ich bat Euch noch nicht um Eure Vermittlung und bedarf ihrer nicht.«
»Schluck' es runter, Schmasman, und bedanke Dich bei Seiner Gnaden dem Herrn Landvogt!« lachte Burkhard.
»Ich will wünschen, Herr Graf, daß Ihr sie nicht noch einmal in Anspruch nehmen müßt,« erwiederte Schmasman kühl und stolz.
Oswald hörte nicht darauf, sondern wandte sich mit verstärkter Heftigkeit an seinen entschiedensten Widersacher: »Und Ihr, Herr von Rathsamhausen, was seid Ihr anders als ein Rebell gegen Kaiser und Reich?«
»Nein! nur gegen Euch und Eure verrätherischen Anschläge,« rief Burkhard wild. »Eure Gegenleistung, für die Ihr das Lehen der Hohkönigsburg durch heimtückische Pfaffenränke erschlichen habt, ist die von Euch übernommene schmachvolle Verpflichtung, dem Lande die Freiheit zu rauben und es schändlicher, schamloser Pfaffenzucht auszuliefern. Der alte, schwachsinnige Kaiser Friedrich weiß nichts von diesen ehr- und gewissenlosen Machenschaften.«
Da sprang Oswald wie ein Rasender auf Burkhard los, schlug ihm die Eule vom Haupte, daß sie unter den Tisch rollte, und schrie: »Hut ab, wenn Ihr den geheiligten Namen des Kaisers in den Mund nehmt!«
Burkhards Hand packte den Griff des Dolches, aber schnell umschlang den Wuthschnaubenden sein Bruder [103] Philipp und hinderte ihn, den blanken Stahl zu zücken. Ein allgemeiner Aufruhr und Tumult entstand; in einen Knäuel zusammengedrängt bemühten sich Alle, die beiden Kampfbereiten zu trennen. Friedrich von Fleckenstein bemächtigte sich des Grafen Oswald und führte ihn mit beschwichtigenden Worten hinaus. Sein Bruder Wilhelm folgte ihnen.
Burkhard, noch immer von drei der Zurückbleibenden festgehalten, stöhnte: »Das soll ihm theuer zu stehen kommen! Jetzt laßt mich los, ich laufe ihm nicht nach.«
Sie gaben ihn frei. Er reckte die Arme, drückte sich beide Fäuste auf die Brust und sagte tief aufathmend: »Ha! das hat wohlgethan, daß ich mich einmal frisch von der Leber weg aussprechen konnte. Nun noch eine Kanne vom besten, ältesten Rangenwein!«
»Wir haben wohl Alle für heute genug, Burkhard,« meinte Schmasman.
»Nein, ich muß mir erst wieder Ruhe trinken,« erwiederte der noch sehr Erregte. »Und dann müssen auch die Thiersteiner erst weg sein; ich mag ihnen nicht mehr begegnen.«
Ungern willfahrten sie seinem Wunsch und setzten sich wieder. Der Schenk brachte ein paar Kannen von dem begehrten Wein, die sie schweigsam leerten, und dann verließen sie den Rathskeller in verstörter und bedrückter Stimmung. An die Eule und ihren Verbleib dachte keiner von ihnen, auch Burkhard nicht.
Auf dem die Stadt Rappoltsweiler mächtig überhöhenden Berge standen die drei Rappoltstein'schen Schlösser. Als oberstes, auf des Berges Gipfel weit sichtbar, Burg Hohrappoltstein, des Grafen Wilhelm festes Haus mit dem ragenden Bergfried, als unterstes auf einem westlichen Vorsprung die große St. Ulrichsburg, Schmasmans fürstlicher Herrensitz, und dicht dabei, nur wenig höher gelegen, das auf einem steil aufsteigenden Felsgrat frei und schwindlig in die Luft gethürmte kleine Schloß Giersberg, Kaspars und Imagina's sturmtrotzendes Heim. Die St. Ulrichsburg mit ihren weiten, prächtig ausgestatteten Räumen betrachteten sämmtliche Mitglieder des gräflichen Geschlechts als ihr eigentliches, gemeinsames Hoflager. Dort trafen sie sich zu einmüthiger Geselligkeit und zu glänzenden Gastmählern, dort hielten sie Familienrath und feierten dort ihre Gedenktage und traulichen Feste.
Heute, am zweiten der Pfeifertage, sollte auf der St. Ulrichsburg nach altem Herkommen etwas vorgehen, das die Rappoltsteiner auch als eine Art Familienfest ansahen, obwohl die daran Theilnehmenden mit dem Schloßherrn nicht im Entferntesten blutsverwandt oder verschwägert waren. Die empfangenden ritterlichen Wirthe konnten auch [105] keine Gäste dazu einladen, als die sie gerade über Nacht bei sich beherbergt hatten, weil schon bald nach Sonnenaufgang Alles dazu bereit sein mußte. Nur Graf Kaspar und Gräfin Imagina wollten dabei nicht fehlen und waren, den kurzen Weg von Giersberg herübereilend, rechtzeitig zur Stelle.
Es galt die alljährlich seinem Lehnsherrn aufs Neue darzubringende Huldigung des Spielmannsvolkes.
Zu früher Morgenstunde kamen sie von Rappoltsweiler heraufgezogen. In dem großen Burghof nahmen sie, so viele dort Platz fanden, Aufstellung, und eine auserlesene Schaar spielte eine ernste, getragene Weise. Dann trat Loder unten ein paar Schritte vor, setzte seine Trompete, die er ausnahmsweise heute mitgebracht hatte, an die Lippen und blies unter lautloser Stille seinem Gebieter zu Ehren eine schmetternde Fanfare mit kunstvollen Gängen und Figuren, die einen ausdauernden Athem erforderten. Wie auf einen Lockruf erschien jetzt Schmasman mit den Seinen auf einem Altan über dem Hofe und nickte und winkte seinem alten Trumpeterhans von oben freundlich zu. Dieser sprach nun, nach Beendigung seines Meisterstückes, die ein für allemal feststehenden Worte zum Altan hinauf, mit denen er im Namen der Pfeiferbruderschaft gelobte, ihrem edlen Schutzherrn allzeit hold und gewärtig, dienstbar und ergeben zu sein. Alle erhoben die Hand zum Treuschwur, und wie aus einem Munde erscholl der brausende Ruf: »Heil und Segen unserm gnädigen Schutzherrn, Grafen Maximin von Rappoltstein!«
Schmasman dankte den Versammelten und versprach, ihnen nach seinem besten Wissen und Können ein gewogener und gerechter, theilnahmsvoller und thatkräftiger Schützer und Schirmer in allen ihren Rechten und Gepflogenheiten sein zu wollen, dessen Ohr Jedem offen stünde, der mit einer Bitte oder einer Beschwerde zu ihm käme.
Sie jubelten ihm noch einmal zu und fielen mit einer heiteren Melodie in den allgemeinen Freudenrausch ein.
Damit war der pflichtgemäße Theil der Begrüßung zu Ende, und der ungebunden fröhliche nahm seinen Anfang.
Dieser bestand in einer freigebigen Bewirthung mit Wein und Backwerk und in traulicher Unterhaltung der Herrschaften mit den sie umringenden Spielleuten jedes Alters und Geschlechts. Indeß das Burggesinde Speise und Trank an die ohne Blödigkeit Zugreifenden vertheilte, mischten sich die Grafen und Gräfinnen Rappoltstein und mit ihnen die drei Rathsamhausen unter alle die Hunderte der Heraufgekommenen und plauderten und scherzten mit ihnen in huldvoller Weise.
Hans Loder, der Pfeiferkönig, wurde dabei vor Allen geehrt und bevorzugt; besonders die Damen hatten ihr Wohlgefallen an der stattlichen und würdigen Erscheinung und ihren Spaß an den launigen Reden und Antworten des graubärtigen Helden.
Die Weibel sorgten dafür, daß die in den Burghof Gedrungenen den Platz mit den Draußengebliebenen [107] wechselten, damit auch diese sich an der dargebotenen Beköstigung erquicken konnten, denn Niemand sollte hungrig und durstig von der St. Ulrichsburg gehen.
Nach der so durchaus befriedigend ausgefallenen Huldigungsfeier zog das Völklein wieder ab und fiedelnd, hornend, harfend und singend den Berg hinunter.
In Rappoltsweiler konnten die Fahrenden sich heute, ohne Vorschriften über die Ausfüllung der Tagesstunden, ganz nach ihrem Gefallen ergehen und erlustigen, aber Rast und Ruhe hielten die Nimmermüden, Immerfrohen doch nicht. An allen Ecken und Enden der Stadt schwirrte und surrte, sang und klang es in allen möglichen Tönen und Tonarten. Die Einen spielten den Anderen ihre besten Stücke vor, krittelten, lachten, neckten sich und trieben seelensvergnügt allerhand harmlose Kurzweil und Possen.
Andere wieder, Tänzer, Luftspringer und Gaukler, gelenke Männer und geschmeidige Mädchen, thaten sich in Gruppen zusammen und zeigten auf ablegenen Plätzen vor den Thoren der Stadt sich gegenseitig ihre gewagtesten Übungen, bei denen sie keine anderen Zuschauer haben wollten als Kenner ihrer Kunst und Genossen ihres Faches, vor denen sie mit ihren freiesten und kecksten Schaustellungen nicht zurückzuhalten und sich eines etwaigen Mißlingens besonders schwieriger Leistungen von Kraft und Geschicklichkeit nicht zu schämen brauchten. –
Auf der St. Ulrichsburg in dem schönen, großen Saale, dessen lange Reihe gekuppelter, durch zierliche Säulchen getheilter Bogenfenster einen herrlichen Ausblick in das [108] offene Land gewährte, saßen nun Wirthe und Gäste, zusammen ihrer neun an der Zahl, beim Morgenimbiß. Sie sprachen noch viel von den gestrigen Aufführungen in der Festhalle, aber kein Wort von dem Zank mit dem Grafen Oswald im Rathskeller, denn die dabei betheiligt gewesenen Herren hatten unter sich ausgemacht, den höchst verdrießlichen Verlauf und Ausgang der Abendzeche den Ihrigen einstweilen noch zu verschweigen. Die drei hier, die davon wußten, Schmasman, Kaspar und Burkhard, waren zerstreut und wortkarg bei Tische, und namentlich Burkhard merkte man die Ungeduld an, das Frühmahl beendet zu sehen und sich mit Schmasman über den Vorfall aussprechen zu können, was sie gestern Abend beide vermieden hatten.
Es kam ihm daher sehr gelegen, als nach Aufhebung der Tafel Imagina zu ihren jungen Freunden sagte: »Kommt mit uns hinauf nach Giersberg; ich möchte euch meinen neuen Falken zeigen, den mir Konrad von Busnang geschenkt, nachdem sich mein Hagard verstoßen hat. Ich bin eben dabei, ihm eine schöne Haube zu sticken, denn ich soll ihn noch öfter verkappt auf der Faust tragen, damit er sich an mich gewöhnt.« Egenolf, Isabella und Bruno folgten der Aufforderung gern und gingen mit Kaspar und Imagina zu deren Felsennest hinauf.
Nun begaben sich Schmasman und Burkhard, ihre Gattinnen hausmütterlichen Gesprächen überlassend, ein Geschoß höher im Palas und in Schmasmans behaglich eingerichtetes Zimmer. Dort nahmen sie in zwei geschweiften [109] Sesseln Platz, lehnten sich bequem darin zurück und blickten sich schweigend an. Jeder wußte, was der Andere auf dem Herzen hatte, und erwartete von ihm das erste Wort.
»Nun also, was denkst Du, Bruder?« fing Schmasman endlich an.
»Wir müssen ihm absagen.«
»Hm! – zuerst gereizt hast Du ihn, Burkhard! schon ehe Du die Eule auf dem Kopfe hattest.«
»Mag sein; aber er forderte von Anfang an durch seinen hochmüthigen Ton und seine abfälligen Bemerkungen zum Widerspruch heraus, schwatzte von lächerlichen Gewohnheiten und unerträglichen Mißbräuchen, die er nicht dulden wollte, – da kochte es in mir über. Mit der Eule, die ich mir in den Rathskeller bestellt hatte, trug ich ursprünglich nichts Anderes im Sinn, als was wir so manches Mal mit ihr angestellt haben. Ich wollte den Thiersteiner nur mit scherzhaften Spitzworten ein wenig necken, ihn wegen seiner Eitelkeit und Überhebung aufziehen, nenn' es meinetwegen verhöhnen. Wie oft haben wir uns – erinnere Dich! – bei fröhlichen Gelagen, wenn die Eule rundum vom Einen zum Anderen ging, die derbsten Anzüglichkeiten unter schallendem Gelächter ins Gesicht gesagt! Niemand durfte dem, der ihn mit der Eule auf dem Kopfe hänselte und foppte, etwas übelnehmen, und that er es dennoch, so fielen Alle über ihn her und hudelten und zausten ihn, daß kein gutes Haar mehr an ihm blieb, aber niemals entstand daraus ein Streit. So haben es unsere Altvorderen schon vor unvordenklichen Jahren getrieben; [110] die Eule durfte immer und überall ungerügt und ungestraft hecheln, spotten und schelten, wie ihr der Schnabel gewachsen war.«
Schmasman hatte den Anderen ruhig ausreden lassen und entgegnete ihm nun: »Das ist unter Freunden geschehen, die das Possenspiel kannten und vergnügt mitmachten. Du hast aber den Thiersteiner, der von dem närrischen Brauch nichts wußte, so grobe Wahrheiten an den Kopf geworfen, daß er sie nicht auf sich sitzen lassen konnte.«
»Also doch Wahrheiten, giebst Du zu. Und auf ihm sitzen geblieben sind sie auch, denn er konnte meine Anschuldigungen gegen ihn nicht widerlegen, versuchte nicht einmal, ihre Triftigkeit zu leugnen. Im Gegentheil, er hat – und das rechne ich ihm noch als Verdienst an – mit seinen Absichten und seiner Gesinnung durchaus nicht hinter dem Berge gehalten, hat sich offen zu den Plänen bekannt, die er gegen unsere und des Landes geheiligte Rechte, Freiheiten, Sitten und Gewohnheiten im Schilde führt. Und das sollen wir uns gefallen und geduldig über uns ergehen lassen? Nun und nimmermehr, so lange ich noch ein Schwert an meiner Seite habe! Er muß fort, fort, zum Lande hinaus!« rief Burkhard, mit der Faust heftig auf die Armlehne seines Stuhles schlagend.
»Das wäre Friedensbruch, Burkhard.«
»Friedensbruch? du lieber Gott, Schmasman! als wenn nicht jede Fehde ein Friedensbruch wäre! Wir haben beide, Du so gut wie ich, schon manch Einem um geringerer [111] Ursache willen abgesagt und uns so lange mit ihm herumgebalgt, bis Einer den Kürzeren zog und der Gewalt weichend wohl oder übel nachgeben mußte.«
»Wir haben als Gäste an des Grafen Oswald Tische gesessen.«
»Und gestern war er Dein Gast. Das wechselt, heute Freund, morgen Feind, wie die Würfel fallen.«
»Er ist kaiserlicher Landvogt.«
»Was geht das uns an! Wir sind die zwei ersten Geschlechter im Wasgau, ihr das mächtigste, wir das älteste. Kein Landvogt, kein Kaiser soll uns ein Titelchen von unserer Standeshoheit nehmen; sie zu vertheidigen ist schon eines kühnen Handstreiches werth.«
»Und die Vehme?«
»Läßt auch Keinen hängen, ehe sie ihn hat. Übrigens begehen wir keinen Meuchelmord; eine ehrlich angesagte Fehde zieht kein Freigraf vor das offenbare oder das heimliche Ding.«
»Und wie denkst Du Dir die Fehde?«
»Nun, ich sollte meinen, daß wir es allmählich wohl gelernt hätten, Einen mit gewaffneter Hand anzulaufen,« lachte Burkhard. »Wir müssen eben unsere Lehnsleute aufmahnen und mit großem reisigen Zeug, mit allerlei Kriegsrüstung zum Werfen, mit Stücken und Tarrasbüchsen vor der Hohkönigsburg lagerhaftig werden und sie nehmen.«
»Sie ist schier unnehmbar.«
»Sie ist schon einmal genommen, und ihr Rappoltsteiner habt dabei geholfen.«
»Aber jetzt ist sie stärker als ehemals.«
»Nicht zu stark für uns, wenn wir einig sind und fest zusammenhalten. Die Thiersteiner werden wenig Bundesgenossen finden.«
»Zum Beispiel den Bischof und den Rath von Straßburg.«
»Den Bischof? Herzog Albrecht wird sich lange besinnen, ehe er gegen uns zu Felde zieht, und die Hochwohledeln, die in Straßburg auf den Dreizehnerstühlen über Krieg und Frieden zu Rathe sitzen, sind froh, wenn wir sie ungeschoren lassen. Der Ammeister Peter Schott und seine Zünftler gehen lieber zur Morgensprache in die Trinkstuben, als daß sie den Harnisch anthun und aus ihren Mauern herauskommen. Höchstens die Fleckenstein und Hermann von Hattstadt könnten den Thiersteinern helfen, und gegen die gewinnen wir doppelt und dreifach die Überhand.«
»Und was soll mit der Hohkönigsburg werden, Burkhard, wenn wir sie erstürmt und erstiegen haben?« fragte Schmasman.
Burkhard antwortete darauf nicht gleich und sprach sodann mit einiger Unsicherheit im Ton: »Das können wir erwägen, wenn sie in unseren Händen ist und die Thiersteiner mit Mann und Maus herunter sind.«
»Sie wieder in Schutt und Asche legen, nachdem sie kaum erst neu aufgebaut ist?«
»O bewahre! das wäre Schade drum,« fuhr es Burkhard heraus.
»Ja, was dann? wer soll sie haben?«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht,« erwiederte Burkhard mit abgewandtem Gesicht. »Das können auch wir beide nicht allein entscheiden.«
»So! Du hast noch nicht darüber nachgedacht,« wiederholte Schmasman. »Die Frage liegt aber doch sehr nahe; respice finem , sagt der Lateiner.«
»Das riecht nach dem Schulsack, mein Lieber!« spöttelte Burkhard, »ihr Rappoltsteiner seid gelehrte und belesene Leute, aber damit kommen wir hier nicht durch. Das Ende wird sich von selber ergeben, das Wichtigste ist jetzt der Anfang. Wir müssen dem Thiersteiner absagen und ihn überzucken, ehe und bevor er sein widerrechtliches Fürnehmen gegen unsere Unabhängigkeit ins Werk setzen kann.«
Schmasman schüttelte das Haupt: »Das Ziel muß ich klar vor Augen sehen, muß wissen, was aus der Hohkönigsburg werden soll, nachdem wir die Thiersteiner daraus vertrieben haben.«
»Mein Gott! das wird sich finden, wenn es soweit ist,« rief Burkhard unwillig und ungeduldig.
»Weißt Du, Burkhard, was sich dabei finden wird?« sagte Schmasman und legte die Hand auf den Arm des Freundes. »Hader und Zwietracht zwischen uns , zwischen Allen, die sich zu der Hatz verbunden und dabei geholfen haben. Jeder wird den Preis des Sieges für sich begehren.«
»An sich darf Keiner dabei denken, nur daran, wie wir der Burg Herr und Meister werden,« erwiederte Burkhard. »Was ist denn Deine Meinung über ihre Zukunft?« fügte er, um den Zurückhaltenden auszuholen, mit forschendem Blick hinzu.
Schmasman zuckte mit den Achseln und ließ die Frage unbeantwortet. »Das Liebste wäre mir, aufrichtig gesagt,« kam es zögernd von ihm heraus, »wenn wir die Sache mit Ehr und Glimpf vergleichen könnten, daß alle Wirrniß gestillt und im Keime erstickt würde.«
»Vergleichen? der Thiersteiner will keinen Vergleich. Wie schnöde und hochfahrend hat er Deine Vermittlung zurückgewiesen! Und ich soll zum Frieden mit mir handeln lassen nach einer handgreiflichen, thätlichen Beleidigung?« brauste Burkhard auf. »Schmasman, ich frage Dich bei Deiner Ritterehre: würdest Du Stolzer es ruhig hinnehmen, daß man Dir den Hut vom Kopfe schlägt, ohne es blutig zu rächen? nicht um die ganze Hohkönigsburg! Wenn das Dir geschehen wäre, so würde ich mich ohne Besinnen flugs an Deine Seite stellen, wie ich das jetzt von Dir erwarte.«
»Du hast mich auf Deiner Seite, wenn Du für die Dir zugefügte persönliche Beleidigung von dem Grafen Genugthuung fordern willst,« sagte Schmasman. »Aber dazu bist Du auch allein Manns genug, ohne daß wir in einer allgemeinen, großen Fehde zu Hauf über ihn herfallen.«
»Du willst mich also im Stich lassen,« knirschte Burkhard. [115] »Ja, fühlst Du Dich denn von dem Schlage, den er mir versetzt hat, nicht mitgetroffen? uns Alle hat er damit ins Gesicht geschlagen, nicht bloß mich, einen Einzelnen, der dafür auf seine eigene Faust Rache nehmen kann und wird, sondern den gesammten Adel des Landes. Bist Du denn so blind, daß Du nicht siehst, was folgen, wie das weiter und weiter gehen wird, bis es dahin gekommen ist, wohin er es haben will, zu unserer völligen Unterwerfung? Dagegen müssen wir Alle wie ein Mann aufstehen und reine Bahn machen. Und dazu giebt es nur einen Weg: der Thiersteiner muß fort, aus dem Lande hinaus! ich sage es noch einmal und bleibe dabei, sonst werden wir niemals Ruhe und Frieden vor ihm haben. Unsere Ehre ist verletzt, unsere Freiheit ist bedroht, Schmasman! Aus seinem eigenen Munde hast Du gehört, was er mit uns vorhat und wozu er hergekommen ist. Wie kannst Du Dich da noch bedenken! Willst Du Dich vor ihm bücken und demüthigen? Willst Du Deinen Nacken unter das Joch beugen, an das uns gewöhnen zu können sich dieser Mensch in seinem maßlosen Hochmuth einbildet? – Gieb Antwort! auf Dich und Deinen Entschluß kommt Alles an. Wenn Du uns vorangehst, folgen wir Alle; ohne Dich vermögen wir nichts, mit Dir haben wir gewonnen Spiel. Nun sprich, ob Du uns helfen willst oder nicht!«
Schmasman stand auf und schritt, die Hände auf dem Rücken, erregt im Zimmer auf und ab. Burkhard beobachtete ihn verstohlen, störte aber den noch schwer [116] Kämpfenden jetzt mit keinem Worte. Viel hing für den in herzklopfender Spannung Wartenden an der Entscheidung dieses Augenblickes. Schmasmans Ja oder Nein bedeutete den Aufschwung oder den Absturz seiner geheimen Hoffnungen.
Nach einer Weile trat dieser auf ihn zu und sprach: »Du hast Recht, und ich bin einverstanden, daß wir Ernst machen gegen ihn und ihm Feind werden.«
Burkhard wollte in seiner Freude vom Stuhle aufspringen, aber Schmasman drückte ihn mit beiden Händen an den Schultern darauf nieder, und, ihm fest in die Augen sehend, fuhr er fort: »Versprichst Du mir, Dich ohne Hintergedanken der Führung und dem Befehle meines Bruders Wilhelm, der unter uns Allen der Kriegskundigste ist, im Gang der Fehde unbedingt zu fügen?«
»Ja, das verspreche ich.«
»Dann vorwärts! ich bin entschlossen,« sagte Schmasman und gab Burkhard frei, der sich nun auch erhob. »Aber laß uns nichts übereilen, laß uns vorerst in aller Stille Bundesgenossen werben. Sprich Du mit Deinen Freunden Müllenheim und Dürkheim; ich werde mich mit Andlau und Lützelstein in Verbindung setzen. Schade, daß sie nicht mehr hier sind; sie wollten heute früh abreiten. Brauchen wir noch andere Hilfe, so wird es uns daran gewiß nicht fehlen.«
»Je weniger Hilfe wir von Anderen brauchen, desto besser,« erwiederte Burkhard. »Müllenheim ist heute nach Schlettstadt geritten, kommt aber morgen wieder. Du behältst [117] mich wohl morgen auch noch hier, nicht wahr? ich möchte dem Pfeifergericht beiwohnen, Seppele's wegen. Stephania und Bruno brechen heute Nachmittag auf.«
»Ihr seid unsere lieben Gäste, so lange es euch gefällt,« sagte Schmasman und reichte seinem alten Waffenbruder die Hand.
»Abgemacht! wir sind einig,« sprach Burkhard, den Handdruck erwiedernd, »und nun Gottbefohlen!«
»Wo willst Du hin?«
»Hinauf zu Wilhelm; ich habe versprochen, ihn auf Hohrappoltstein zu besuchen. Darf ich ihm von unserem Abkommen Mittheilung machen?«
»Ja, thu das! aber er soll's noch geheim halten,« versetzte Schmasman. »Auf Wiedersehen!«
Burkhard ging, und als er auf dem schattigen Waldwege den Berg hinanstieg, sagte er sich: »Ohne Hintergedanken! was soll das heißen? – ich lege es mir so aus, daß ich nichts Arges über Wilhelms Oberbefehl denken soll. Das will ich auch nicht, ich vertraue ihm, denn er versteht sich aufs Kriegshandwerk besser als Einer von uns. Aber innerhalb des Löwenthores ist es mit seiner Führung zu Ende, über die Hohkönigsburg hat er nichts zu befehlen. Ich muß ihm die Nothwendigkeit der Fehde nur im rechten Lichte zeigen, daß er mir nicht in die Karten sieht; man muß Füchs' mit Füchsen fahen. Von Schmasmans Bedenken und langem Sträuben braucht er nichts zu wissen. Also vorsichtig, Zunge im Zaum, alter Eulenspiegel!« Er blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. [118] »Gotts Blitz und Donnerschlag, die Eule! wo ist die Eule? die ist im Rathskeller geblieben; hoffentlich hat sie der Schenk mir gut verwahrt. Die Eule, die Eule zu vergessen!« Und über sich selber den Kopf schüttelnd stieg er weiter.
Als Schmasman allein war, nahm er seine Wanderung hin und her im Gemache wieder auf, und auch er überließ sich einem geflüsterten Selbstgespräch: »Burkhard hat Recht, es muß sein, es geht nicht anders, so schwer es mir auch wird, den Frieden zu brechen. Um die Frauen thut mir's bitter leid, denen hätte ich das harte Schicksal gern erspart. Aber mit dem Grafen ist auf die Dauer nicht auszukommen, und Bedingungen für sein künftiges Verhalten läßt er sich nicht vorschreiben. Oder vielleicht doch. Wenn er unsern einmüthigen, entschlossenen Willen erkennt, seine Niederlage vor Augen sieht und ihm zuletzt nur die Wahl bleibt, von der Hohkönigsburg auf Nimmerwiederkehr zu weichen oder sich einem Vergleiche zu fügen, dessen stipulationes wir bestimmen, so läßt er wohl zum Frieden mit sich handeln. Aber es müßte ein fester Vertrag sein mit beiderseitig streng abgegrenzten Rechten und Pflichten, schwarz auf weiß, besiegelt und beschworen. Fragt sich nur, was die Anderen dazu sagen; – sie werden einverstanden sein, bis auf Burkhard. Der wird in den Zügel beißen und schäumen; aber was will er machen? er allein kann nichts ausrichten gegen uns Alle. Von Anfang an war er den Thiersteinern entschieden feindlich gesinnt; was mag er nur haben gegen sie, daß er sie [119] durchaus befehden und von der Hohkönigsburg vertreiben will? Freilich, die Fehde muß angesagt und ausgefochten werden. Wir müssen mit einer ansehnlichen Streitmacht anrücken, und ein paar blutige Scharmützel müssen geliefert werden, damit der Übermüthige unsern Ernst und Nachdruck fühlt. Mit dem Rüsten könnte man immerhin schon langsam anfangen ohne die Zustimmung der Freunde abzuwarten.«
Er hörte Schritte vor der Thür und öffnete. Sein Kämmerling war es, dem er nun gebot: »Geh zum Grafen Egenolf, Reimar, und sag ihm, wenn er schon von Giersberg zurück ist, ich ließe ihn bitten, zu mir zu kommen.«
Als Egenolf nach einigen Minuten bei ihm eintrat, empfing ihn Schmasman mit den Worten: »Egenolf, Du mußt satteln und reiten, morgen schon.«
»Gern, Vater! wohin Ihr befehlt,« antwortete der Sohn.
»Das Wohin und Wozu ist ein Geheimniß, das ich Dir ohne Scheu anvertraue; Du wirst es hüten, nicht wahr?«
»Unverbrüchlich, Vater!«
»In die Thäler mußt Du reiten, Egenolf, überall, wo Lehnsleute von uns auf ihren Höfen sitzen, und ihnen bestellen, daß sie sich vorsehen und rüsten sollen zur Gefolgschaft mit Wehr und Waffen, zu Roß und zu Fuß, denn es ist eine Fehde im Anzuge.«
»Eine Fehde?« rief Egenolf mit freudig blitzenden Augen, »darf ich fragen, gegen wen?«
Schmasman zögerte mit der Antwort, dann sagte er ruhig und fest: »Gegen den Grafen Oswald von Thierstein auf der Hohkönigsburg.«
»Um Gotteswillen! was ist das? Vater, wie ist das möglich?« sprach Egenolf tief erschrocken und unwillkürlich einen Schritt zurücktretend.
»Es ist so, und es muß sein,« erwiederte Schmasman kurz.
»Eine wirkliche, ernsthafte Fehde, unvermeidlich, unabwendbar?«
»Unvermeidlich, wir haben's wohl erwogen, und schwer genug ist mir der Entschluß geworden. Jetzt frage nicht weiter, ich kann Dir die Gründe heute noch nicht mitteilen. Auch den Lehnsleuten sage nicht, gegen wen sie kämpfen sollen, sie werden es zur rechten Zeit erfahren.«
Egenolfs Gedanken stürmten und wirbelten durch einander. Feindschaft, Fehde gegen den Vater Leontinens! War das die Folge des Streites an der Kapelle? Aber die beiden Herren hatten sich doch nachher versöhnt und freundlich mit einander verkehrt? Unbegreiflich! wie war das gekommen, und was sollte daraus werden? Sein Herz war dort oben, und sein Arm sollte –, o es war entsetzlich. Und kein Davonkommen! da konnte auch Imagina nicht helfen. Und was wird Loder sagen? Loder! – schnell durchzuckte es ihn, – das – das ginge, es wäre doch ein Aufschub, wenn auch ein kurzer nur.
»Vater,« begann er, »ich soll nicht fragen, aber eine Bitte darf ich wohl aussprechen. Gebt mir Hans Loder [121] mit bei dem Auftrag! er kennt alle unsere Leute im Wasigen und weiß mit ihnen zu reden und zu verhandeln besser als ich. Ihr habt ihn schon öfter zu wichtigen Sendungen verwandt, die er stets zu Eurer vollen Zufriedenheit ausgeführt hat.«
»Gut, nimm den Hans mit,« erwiederte Schmasman, »und ich will ihn selbst vorher noch sprechen; also überlaß es mir, ihn einzuweihen. Aber da fällt mir ein, morgen ist ja das Pfeifergericht, da kann er nicht abkommen, und heute hat er auch alle Hände voll zu thun und ist nicht mehr zu haben. Nun, so große Eile hat es nicht; also übermorgen will ich ihn sprechen, und den Tag darauf reitet ihr.«
Damit war die Unterredung zu Ende. Eine kleine Frist war mit dem Ausweg gewonnen, aber weiter nichts, und Egenolf verließ seines Vaters Gemach mit einem sehr schweren Herzen.
Das Pfeifergericht. Das Wort hatte einen sehr verschiedenen Klang in den Ohren der fahrenden Leute. Den Einen graute davor, weil sie, irgend eines Vergehens angeklagt, ihrer Verurtheilung und Bestrafung entgegensahen und das fröhliche Spielmannsfest für Manchen ein trauriges Ende hinter Schloß und Riegel finden sollte. Die Anderen aber freuten sich darauf, weil dabei allerhand lustige Dinge zu Tage kamen und die Verhandlungen oft einen für die Zuhörer sehr ergötzlichen Verlauf nahmen. In den Satzungen der Bruderschaft waren bestimmte Vergehungen auch mit bestimmten Strafen bedroht, aber die tausend Thorheiten, Seitensprünge und Schelmenstreiche, in denen sich das leichtlebige Völklein so sehr gefiel, konnten unmöglich alle voraus bedacht und verboten werden. So war es denn meist ein ungeschriebenes, althergebrachtes Gewohnheitsrecht, das im mündlichen Verfahren durchaus unparteiisch gehandhabt wurde, und die Entscheidungen waren lediglich dem Ermessen des erkennenden Richters anheimgegeben, der seine Beisitzer gelegentlich dabei zu Rathe zog. Dieser Richter, zu dessen Gerechtigkeit die Fahrenden ein unbegrenztes Vertrauen hatten und gegen dessen Urtheil es keinen Widerspruch und keine Berufung [123] gab, war Hans Loder, der Pfeiferkönig. Er, selber ein Spielmann und einer alten Spielmannsfamilie entsprossen, war in der Lebensauffassung und Denkweise von seines Gleichen aufgewachsen und alt geworden, fühlte mit ihnen Lust und Leid und redete mit ihnen in ihrer Sprache, derb und grobkörnig, frank und frei, so wie sie es liebten. Heute, nur heute, trug er auf dem Haupte eine vergoldete Krone und um die Schultern einen vorn zurückgeschlagenen hellblauen Mantel. So sah er in seiner ehrwürdigen Stattlichkeit mit dem langen, grauen Barte fast aus wie einer der heiligen drei Könige aus dem Morgenlande.
Die Gerichtsstelle war unter freiem Himmel auf dem Markte, damit möglichst viel Volk zuhören konnte. An einem Tische, vor dem genügender Raum für Kläger, Beklagte und Zeugen bleiben mußte, hatte Loder seinen für ihn allein etwas erhöhten Sitz, und rechts und links neben ihm saßen die vier Weibel.
Die Verhandlungen fingen früh Morgens an und mußten bis Sonnenuntergang beendet sein. Die Aussagen wurden meist auf Treu und Glauben hingenommen, oft aber auch durch Zeugen erhärtet. Versuchtes Leugnen wurde schnell als haltlose Ausreden durchschaut, und sehr selten kam es vor, daß einer Partei oder einem Zeugen ein feierlicher Eid gestabt wurde, wozu der Pfeiferkönig die Befugniß hatte.
Bis Mittag, wo eine kurze Pause gemacht wurde, war bereits eine erkleckliche Zahl mehr oder minder verzwickter Fälle erledigt. Freigesprochen war Niemand, denn alle [124] Vorgeladenen hatten irgend etwas auf dem Kerbholz mit Ausnahme der wenigen, die selber als Kläger auftraten.
Zu diesen Letzteren gehörte ein Fahrender, der nicht grade den Eindruck hochkünstlerischer Begabung machte und doch wegen schwerer Kränkung seiner Spielmannsehre den Schutz des Gerichtes anrief. Der Stättmeister von Molsheim hatte ihn öffentlich einen elenden Geigenbuckler geschimpft und behauptet, daß bei dem Kratzen und Schaben auf seiner kreischenden Fiedel die Hunde heulten, die Menschen davonliefen und das Bier in den Krügen sauer würde. Drei Ohrenzeugen bestätigten die boshafte Schmährede, und der Beleidigte verlangte Genugthuung.
»Sollst Du haben, Gumpenberger!« tröstete ihn Loder, »das brauchst Du Dir, auch wenn es mit dem Gekratz seine Richtigkeit hätte, nicht gefallen zu lassen. Brich Dir einen handfesten Knüppel vom Zaune und prügele damit den Schatten des Stättmeisters aus Leibeskräften durch, wenn Du ihn erwischen kannst und er stillhält. Aber nimm Dich in Acht, daß Du nicht statt seines Schattens den wohlgeborenen Herrn Stättmeister selber triffst, denn das könnte Dir übel bekommen. Fertig! weiter!«
Dem Nächsten wurde nachgewiesen, daß er es in der Gewohnheit hätte, um nichts und wieder nichts so gottsjämmerlich zu fluchen, daß es Einem kalt über den Rücken liefe. Kürzlich hätte er das sogar gethan, als zufällig ein ehrwürdiger Pater vorübergegangen wäre, der sich vor Schreck gleich dreimal hinter einander bekreuzt hätte.
»Schäme Dich, Wilwolt!« sprach Loder streng. »Gleich [125] bittest Du's unserer Mutter Erde ab, daß sie einen so wüsten Gesellen tragen und nähren muß! Da knie nieder, schreib mit dem Finger ein Kreuz in den Staub und küsse es reu- und demüthig mit Deinem gottlosen Munde.«
Wilwolt that, wie ihm geheißen war, und machte sich dann schnell davon, froh, mit so leichter Buße losgekommen zu sein.
Jetzt traten auf den Wink eines der Weibel Kläger und Verklagter zugleich vor. Der Ellernmüller aus dem Groß-Rumbachthale beschuldigte den augenscheinlich mit einem schlechten Gewissen neben ihm Stehenden, ihm aus seinem Kolk einen Fisch gestohlen zu haben.
»Boppel, was hast Du darauf zu erwiedern?« fragte Loder.
»Is nit wahr.«
»Was? Du alter Heckenkriecher, Du hängemäßiger Dieb Du, nit wahr wär's?« rief der Müller entrüstet. »Ich hab ihn ja damit weglaufen sehen. Des Morgens ganz früh war's, als ich aus der Mühle kam und das Schütz ziehen wollte, ganz deutlich hab ich ihn kennt, ich schwör's so hoch wie der Knopf auf dem Kirchthurm ist.«
»Nu, reiß nur's Maul nit so weit auf mit Dei'm Geschrei um so e klei's Fischle wege.«
»Klei's Fischle?« fuhr der Müller auf ihn los, »ein fünfpfündiger Hecht war's! er hatt' ihn unterm Mantel, aber dem Fisch sein Schwanz hing eine Spanne lang drunter vor; ich hab's gesehn, mit diesen meinen Augen hab ich's gesehn, Du Galgenstrick!«
»Boppel, was sagst nu?« fragte Loder wieder.
»Is scho recht, das Mäntle war e bissel zu kurz,« gab Boppel klein bei.
»Du zahlst dem Ellernmüller den doppelten Werth vom Hecht und liegst fünf Tage lang im Thurm bei Wasser und Brod,« verfügte Loder. »Damit hast Du für diesmal Deinen Bescheid; ein andermal häng einen längeren Mantel um oder stiehl einen kürzeren Fisch.«
Darauf kamen zwei Frauenzimmer, ein altes, verschrumpeltes Weiblein und ein Mädchen mit jugendlich offenen Zügen und sicherem Auftreten.
»Wer ist denn das?« fragte Loder.
»Das ist Ammarei, genannt Schellenfünf,« belehrte ihn einer der Weibel, Syfritz war es.
»Meiner Seel, die Schellenfünf!« lachte Loder. »Und Du altes, gebrechliches Bettelmenschel lebst auch noch und quinkelierst immer noch auf Deiner Quinterne herum?«
»Ja, das thu ich, und besser als manche Junge,« erwiederte die Alte mit einem giftigen Seitenblick nach ihrer Gegnerin.
»Was willst Du denn hier?«
»Das unverschämte Ding, das Kätherlin, hat mir einen Maienbaum mit Zipollen und Knoblauch auf meinen Acker gestellt und mir damit Schimpf und Schande angehenkt,« klagte Ammarei.
»Die alte, hämische Neidliese hat mir aus lauter Niederträchtigkeit meine Harfe verhext, daß die Saiten nicht mehr stimmen wollen, hat mich beschrieen, ich sänge [127] falsch, und mir auch sonst noch allerlei üble Nachrede gemacht mit ihrem garstigen Klatschmaul,« behauptete Kätherlin mit großer Zungenfertigkeit.
»Sie hat mich Hexe gescholten, mit dem Finger auf mich gezeigt und die Dorfbuben auf mich gehetzt, daß sie mit Steinen nach mir geschmissen haben,« keifte die Alte.
»Was bist Du denn sonst als eine gräulige, schwarzgallige Wetterhexe, die keiner Anderen einen ehrlich verdienten Batzen gönnt?«
»Und Du flattriges Geschöpf, das alle vier Wochen einen anderen Liebsten hat, –«
»Nicht einmal einen Liebsten gönnt es mir, das alte, verlumpte Scheusal,« lachte Kätherlin.
»– Du verdientest soviel Hiebe wie Du Haare auf dem Kopfe hast, Du Grasaffe, Du Zierpuppe, Du Satanskind, Du –«
»Ruhe!« donnerte der Pfeiferkönig und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Ihr scheint euch nicht gut vertragen zu können; das müßt ihr lernen. Ihr kommt drei Mittage eine Stunde lang auf den Kak in den Beißkasten, da könnt ihr euch zanken und schimpfen, bis ihr heiser werdet. Fort mit euch!«
Die Meister nahmen die alte Lautnerin und die junge Harfenistin wie Alle, die zu einer Strafe verurtheilt wurden, in Empfang und führten sie ab.
Nun erschienen ihrer Drei vor dem Richterstuhle, ein alter heruntergekommener Mensch mit allen Kennzeichen eines Trunkenboldes, seine blühende Tochter, eine Zitherspielerin, [128] und ein junger, kräftiger Mann, der Luftspringer war. Dieser beklagte sich, daß der Alte seiner Tochter verwehrte, sich mit ihm zu verehelichen, alltags auf der Bärenhaut läge, wenn er nicht in der Schenke säße, und das Mädchen allein für seinen Unterhalt sorgen ließe.
»Dich kenn' ich, Schuddebuddel!« sagte Loder, »kannst Du Dich denn mit Deinem Dudelsack nicht selber ernähren?«
»Nein,« stöhnte der Alte und tupfte sich mit der Hand auf seine eingefallene Brust, »es geht nicht mehr, hier – hier – keinen Athem mehr.«
»Weil Du Dir den Hals abgesoffen hast, Du alter Weinschlauch!« fuhr ihn Loder an. »Natürlich, wenn man den lieben langen Tag in der Lumpardei sitzt, ein Schöpple nach dem andern hintergießt und dann bei nachtschlafender Zeit in voller Unsinnigkeit an den Wänden heimschleicht, wo soll denn da die Puste zum Blasen herkommen? Das ist eines ehrbaren Spielmannes gänzlich unwürdig.«
»Hm!« machte Schuddebuddel, »hab all mein Lebtag gehört, von hundert Spielleuten süffen neunundneunzig gern.«
»Will's nicht in Abrede stellen,« erwiederte Loder, »aber Alles mit Maßen. Einem paar Gutgesellen die Becherlein leeren helfen oder auch mit einem alten Kumpan an einem hohen Festtag einmal einen starken Trunk thun, dagegen hab ich nichts, aber Du treibst das Tag für Tag über allen menschlichen Verstand und Glauben.«
Schuddebuddel nickte blöde vor sich hin und seufzte: »Ja, es ist ein schweres Leiden, das ich mir aus dem Dudelsack durch das fleißige Blasen zugezogen habe. Von der grausamen innewohnenden Lebertröckne kann mich nun kein Baucharzt und kein Schneidarzt mehr kuriren.«
»Ich würd's schon fertig bringen,« lachte Loder. »Du solltest zwischen dem Blasen des Hirten, wenn er austreibt und wenn er wieder eintreibt, keinen Tropfen mehr in Deine rostige Kehle kriegen und auf der Wirthsbank die Nachtglock nicht mehr läuten hören. Jetzt sage mir, warum Du Deine Tochter nicht heirathen lassen willst.«
Der Alte schwieg.
»Christinel, sprich Du!« gebot Loder.
»Der Vater sagt, er könnte mich nicht entbehren und müßte elend verhungern, wenn ich nicht für ihn sorgte. Er schickt mich aus, daß ich mit meiner Zither Geld verdienen soll, und wenn ich nicht genug nach Hause bringe, schilt er mich aus und schlägt mich,« erwiederte das Mädchen traurig und verschämt.
»Ich hab auch schon beigesteuert von meinem Verdienst,« fiel der Luftspringer ein, »aber das will Christinel nicht mehr annehmen, weil der Alte doch Alles versäuft, was er in die Hände kriegt. Nach lang gehabter Geduld klagen wir nun, ob Ihr uns helfen könnt, daß wir zu einander kommen.«
»Landolin, kannst Du eine Frau ernähren?« fragte Loder.
»Ei, das will ich meinen!« lachte Landolin mit dem ganzen Gesicht, »sie soll's gut bei mir haben.«
»Schuddebuddel, hast Du gegen den Landolin als Eidam etwas einzuwenden?«
»Das grad nit.«
»Hast gar kein Grund und Ursach, den Beiden die Ehe zu hindern?«
»Sonst keinen, aber wovon soll ich denn in meiner großen Armuth leben, wenn sie heirathen? Als junges Ehevolk werden sie mir nichts mehr gunnen und geben.«
Da erhob sich Loder von seinem Sitz und sprach: »Euch beiden, die ihr euch lieb habt, will ich helfen. Kraft der in meiner Hand ruhenden Ambacht des Königreiches fahrender Leute ertheile ich hiermit im Namen der ganzen Bruderschaft meine Einwilligung, daß Du, Landolin, und Du, Christinel, mit einander in die Ehe tretet, heut oder morgen, wann es euch gefällt. Führt sie euer Leben lang in Ehren und Freuden, und der allmächtige Gott gesegne sie euch! Allen Brüder Spielleuten aber verbiete ich hiermit auf das Eindringlichste unter Androhung schwerer Buße, fürderhin bei einem Wirthe aufzuspielen, der diesem alten Suferle, dem Schuddebuddel, sei es bezahlt, sei es geschenkt, mehr als ein Becherlein zur nothdürftigen Löschung des Durstes verzapft oder verzapfen läßt. – So!« schloß er, sich wieder setzend, »das nimm in Dein Ohr, wisch' Dir's Maul und scher' Dich weg, Du Rabenvater! Was giebt es weiter?« wandte er sich dann zu den Weibeln.
Schuddebuddel zog, tonlos die Lippen bewegend, verdrießlich ab. Landolin und Christinel aber blickten sich glückselig in die Augen und verschwanden Hand in Hand in der ihnen zujubelnden Menge.
»Halberdrein und Dürrschnabel wegen der Strohpuppe,« kam von den Beisitzern die Antwort auf Loders Frage.
»Gut! tretet mal vor, ihr beiden Missethäter!« befahl Loder.
Zwei Spielleute, zwei ganz verwegene Gesellen ihrem Äußeren nach, kamen heran.
»Ihr habt,« begann Loder, »laut Beschwerde der Patres von der Abtei Murbach im Klostergarten dort eine lebensgroße Strohpuppe aufgestellt, mit einer Mönchskutte angethan und mit einem Eselskopfe versehen, dessen Ohren lang durch zwei Löcher aus der Kapuze herauslugten. Wie seid ihr in den Garten gekommen?«
»Über die Mauer,« sagte Halberdrein.
»Wo habt ihr die Kutte her?«
»Gefunden,« erwiederte Dürrschnabel.
»Und den Eselskopf?«
»Vom Schinder gekauft.«
»So! gefunden und gekauft; ihr irrt euch doch nicht?« fragte Loder. »Wer oder was hat euch denn zu dem Malefiz aufgewiegelt?«
»Das fügte sich dergestalt,« nahm Dürrschnabel das Wort. »Ich zog mit meinem geheimen und guten Gesellen auf Murbach zu, wo wir das Abendmahl nehmen [132] wollten, und blieben zu Herberg in einem Dorf, weil da grade die Kirchweih im Schwange war. Anderen Tages kamen wir in Murbach an, aber die Mönche wollten uns auf all unser standhaft fleißig Bitten nicht zum Abendmahl zulassen, weil wir als Spielleute ehrlos, echtlos und rechtlos wären, und das sind wir doch nicht mehr.«
»Nein, das sind wir nicht mehr,« erklärte Loder. »Kaiser Karl IV. hat uns ein Wappen verliehen und uns damit ehrlich gemacht, und der heilige Vater Sixtus – Gott segne ihn dafür! – hat uns vom Kirchenbann gelöst und verordnet, daß man fortan auch den fahrenden Leuten das Sakrament reichen soll wie andern Christenmenschen. Ihr waret also in eurem guten Rechte, und es ist ja sehr erfreulich, daß euch nach der Gnadenspende so sehnlich verlangt hat; eure Sünden müssen euch nicht schlecht auf eurer armen Seele gebrannt haben. Aber der Zaunpfahlwink mit dem Eselskopf nach der frommen Weisheit der Gesalbten ist derb und deutlich, und ihr habt euch fahrenden Fußes nach der Abtei Murbach zu begeben und das Kapitel kniefällig mit Entdeckung des Hauptes und mit lauten Worten um Verzeihung zu bitten. Hoffentlich wird man euch dort bei euren eigenen Eselsohren nehmen und euch eine namhafte Buße auflegen. Da freßt es aus, was ihr euch eingebrockt habt. Dann aber verlangt ihr die Darreichung des heiligen Abendmahles, und wird sie euch nochmals verweigert, so bestellt ihr dem hochwürdigsten Abte: ich, Hans Loder, der König aller fahrenden Leute im Wasigen, forderte für euch das Sakrament, und [133] wenn er euch das abschlüge, so würde ich ihn bei Seiner Gnaden dem Bischof von Basel und, wenn's sein müßte, bei Seiner Heiligkeit dem Papste in Rom verklagen. Gehabt euch wohl, und Glück auf die Reise!«
Als Nächste kamen vier Spielleute an die Reihe, von denen drei gegen einen klagten und der Eine sich über die Drei beschwerte. Sie waren sämmtlich Bläser und hatten ihre Instrumente umgehängt bei sich, Clarete, Zinke, Krummhorn und Flöte. Die abenteuerlichen, überaus drolligen Gestalten, in denen sich die denkbar stärksten Gegensätze menschlicher Erscheinungen ausprägten, erweckten schon bei ihrem Vortreten Gespött und Gelächter.
»Ihr habt Schelt- und Schlaghändel unter euch gehabt,« redete sie Loder an, »ihr Drei habt dem Muffel eine fließende Wunde geschlagen. Wie kommt ihr dazu?«
»Es war auf dem Sebaldusmarkt in Thann,« gab Werlin, der Zinkenist, zur Antwort. »Da wurde groß Wunder von Wein geschenkt, und Abends in der Zech, als das Becherlein umging, sind wir einander in die Haare gefallen.«
»Warum?«
»Wir hatten zum Tanz aufgespielt, und der Muffel hatte mit seiner Clarete immer falsch dazwischen geblasen, mit Willen falsch, uns zum Tort falsch geblasen. Es war zum Steinerbarmen, er hat uns beim Zusammenspiel ganz aus der Wiege geworfen.«
»Muffel, hast Du mit Willen falsch geblasen?« fragte Loder.
»Nein! ganz und gar nicht; die Drei haben falsch geblasen, daß unser Spiel nicht mehr stimmte und in Verwirrung kam. Da wollte ich ihnen recht laut den richtigen Ton angeben, damit sie sich wieder hineinfänden.«
»Mach' uns hier keine Schneckentänze vor!« sagte Werlin. »Warum hast Du uns denn bei Deinem mißtönigen Getute jedesmal so boshaft und schadenfroh über Deine Clarete weg angegrinst?«
»Weil ich euch ärgern wollte und euch nicht mehr traute, denn ihr hattet mich Abends vorher beim Theilen schmählich übers Ohr gehauen, ich hab's wohl gemerkt.«
»Das ist nicht wahr,« rief Rulin, der mit dem Krummhorn. »Er hat uns betrogen; wir haben's gesehen, daß er beim Einsammeln eine Handvoll Rappen über Seite gebracht und heimlich eingesackt hat. Dafür haben wir ihn denn mit Pfirter Münz ausgezahlt.«
»Das heißt, ihr habt ihn durchgeprügelt.«
»Ja! nur noch nicht genug, er hätte mehr verdient.«
»Falsch geblasen hab ich, und mit Willen, daß ihr's nur wißt! aber beim Einsammeln hab ich nichts eingesackt.«
»Wir haben's Alle gesehen,« riefen die drei Anderen wie aus einem Munde.
»Nein! ihr habt mich beim Theilen zu kurz kommen lassen.«
»Das kannst Du nicht beweisen,« hielt ihm Wurant, der Flötist, entgegen.
»Mir könnt ihr auch nichts beweisen.«
»Was fangen wir nun mit den vier Herzensbrüdern an?« wandte sich Loder an die Beisitzer.
»Erwiesen ist nichts bis auf das Falschblasen und die Prügel,« antwortete einer der Weibel.
»Nein, aber es scheint, sie sind sich gegenseitig nichts schuldig geblieben,« meinte der zweite.
»Ja, das ist Gurr wie Gaul,« lachte Syfritz, der dritte, »ein Barbier schneid't dem andern die Haar.«
»Die Prügel müssen wir ihnen ankreiden,« schloß der vierte.
Loder entschied: »Muffel, ein Spielmann, der mit Willen falsch bläst, ist in meinen Augen ein erbärmlicher Wicht. Die Prügel hast Du verdient, und ich will sie Dir als Strafe anrechnen. Aber als abscheuliches Beispiel und zur offenbaren Warnung vor Deiner gefährlichen Clarete sollst Du zwei Wochen lang mit verkehrt angezogenem Wamse laufen, das Futter nach außen, damit man den Vogel gleich an seinen Federn erkennt. Ihr andern Drei büßt für den Schlagfrevel jeder zwei Pfund Wachs an die Kapelle unserer lieben Frau vom Dusenbach; damit werdet ihr wohl begnügig und zufrieden sein. – Nun?«
Der älteste Weibel erhob sich und rief: »Seppele von Ottrott! – – Seppele von Ottrott zum zweiten! – – Seppele –«
»Komme schon!« tönte es aus der Menge, und Seppele trat mit seiner Laute vor.
»Seppele,« begann Loder, »Du bist wieder desselben Schabernacks wegen angeklagt wie voriges Jahr, wo Du drei Tage dafür im Loch gesessen hast. Es ist männiglich kund, daß Du als vielbeliebter Sänger und Spielmann in allen Schenken freien Trunk hast, nur nicht beim Falkenwirth in Grendelbruch; um welch einfältiger Ursach willen' weiß ich nicht. Um Dich dafür, daß Du Deine Zeche bei ihm bezahlen mußt, an ihm zu rächen, hast Du ihn in bösen Leumund gebracht und hast, ihn in seinem Gewerbe zu schaden, überall das Geschrei herumgetragen, der Falkenwirth fälschte und verwässerte seinen Wein und müßte dieser unmenschlichen Sünde wegen dermaleins ewig in der Hölle brennen. Das wirst Du wohl nicht leugnen wollen.«
»Bei Leibe nicht!« erwiederte Seppele, »das ist die reine Wahrheit. Wie soll denn ein Wirth in den Himmel kommen, der unserm Herrgott die Kunst abgeluchst hat, aus Wasser Wein zu machen?«
»Hast Du ihn schon einmal beim Manschen und Panschen ertappt?«
»Das nicht, aber geschmeckt hab ich's; Bauchgrimmen kriegt man von dem Gesöff, aber ein ehrliches Räuschlein kann man sich davon nicht antrinken.«
»Und das ist ein Jammer, meinst Du?«
»Jammer und Schade um den schönen Durst! Weißt doch, Hans, 'ne Spielmannskehle –«
»Ja, ja, aber nun hast Du kürzlich ein trutziges Spott- und Schelmenlied auf den Falkenwirth gemacht [137] und auf allen Bänken sechs Meilen in der Runde gesungen; das hat Anstoß und Ärgerniß gegeben.«
»Anstoß und Ärgerniß? gelacht haben sie, daß ihnen die Thränen über die Backen gelaufen sind. Soll ich's euch vorsingen?« sagte Seppele und zog schon die Laute vom Rücken hervor.
»Hier vor Gericht?«
»Warum denn nicht?«
Loder warf rechts und links einen fragenden Blick auf die Beisitzer. Diese nickten ihm zu, und aus der Menge rief man: »singen! singen!«
Seppele hatte schon angefangen, eine lustige Weise zu klimpern und bat: »Laß mich's doch singen, Hans!«
»Du neundrähtiger Erzschalk denkst uns damit milder gegen Dich zu stimmen; wir sollen auch lachen und Dich dann ungerupft laufen lassen,« sagte Loder. »Weit gefehlt! schrei' nicht juh, ehe Du über den Graben bist! Aber meinetwegen laß Dein nichtsnutziges Schelmenstück hören.«
Da griff Seppele kräftig in die Saiten und sang.
Das Lied wurde mit einem Ausbruch allgemeiner Heiterkeit belohnt, deren sich auch Loder nicht erwehren konnte. Er sprach: »Wenn ich Dich auch mit lachendem Munde abfertige, Seppele, so muß ich doch nach Deinem Verschulden mit Dir handeln und kann Dir das freche Lied nicht ungeschenkt und ungestraft hingehen lassen, [139] mein allerliebster Gesell! Du bist im Rückfall; voriges Jahr hast Du drei Tage krumm gelegen, heut wanderst Du dreimal drei Tage in den Thurm.«
»Ich biete für jeden Tag ein Pfund Wachs, wenn Ihr ihn freilaßt,« rief laut eine Stimme aus dem Hintergrunde.
»Wer spricht da?« fragte Loder streng. »Wart Ihr es, Herr von Rathsamhausen?«
»Jawohl, ich war es, Herr Pfeiferkönig,« erwiederte Burkhard, der sich unbemerkt dem Hörerkreise angeschlossen hatte, »die Strafe ist zu hart und darum ungerecht. Ich wiederhole meinen Sühnevorschlag: neun Pfund Wachs für eure Kapelle.«
»Das Urtheil ist gefällt,« sprach Loder. »Ich entscheide hier als Richter weder um Liebe noch um Leid und um keines der Dinge, die Sonne oder Mond bescheint. Niemand hat mir dreinzureden, weder Bischof noch Bader.«
»Oho! Ihr vergeßt, mit wem Ihr sprecht.«
»Durchaus nicht, ich weiß, daß ich es mit dem Herrn von Rathsamhausen zu thun habe. Man kennt den Herrn am Gesind wie das Wetter am Wind.«
»Ich frage noch einmal: nehmt Ihr mein Angebot an? besinnt Euch wohl!« kam es drohend von Burkhards Lippen.
»Da ist nichts zu besinnen, ich nehme es nicht an, und damit hat die Sach ein Ende, ich stehe Euch nicht mehr Rede.«
Burkhard wandte sich, in blitzblauem Ärger einen Fluch murmelnd, ab und schritt der Herberge zu, das Satteln seines Pferdes zu bestellen.
Jetzt trat der älteste Beisitzer vor den Tisch des Richters und meldete: »Pfeiferkönig, die Sonne ist untergegangen.«
Loder erhob sich und sprach, allem Volk vernehmlich: »Liebe Gesellen, die Sonne ist untergegangen, Jedem ist Recht und Keinem ist Unrecht geschehen, ich schließe das Pfeifergericht. Friede sei mit euch Allen, hier und dort, unter Dach und unter freiem Himmel, allzeit und allwege!« Dann nahm er die Krone vom Haupte und legte den Mantel ab, beides dem Weibel in Verwahrung gebend.
Die Menge blieb noch auf dem Platze, in froher Unterhaltung durch einander wogend. Loder wurde von manchem Fahrenden angesprochen, und mancher warme Händedruck ward ihm zu Theil. Dann ging auch er zur Herberge, wo soeben Burkhards Pferd gesattelt vorgeführt wurde. Er nahm es dem Knecht ab und sagte: »Geh nur, Schackebel, ich werde dem Herrn von Rathsamhausen den Bügel halten.«
Bald trat Burkhard aus der Thür des Gasthauses und blickte sich auf der noch immer sehr belebten Gerichtsstelle davor suchend um. Da er nicht fand, was er suchte, wollte er sich in den Sattel schwingen ohne Loder, der auf der anderen Seite des Pferdes stand, zu bemerken. Da hörte er sich bei Namen rufen, drehte sich schnell um und [141] antwortete: »Jost! kommst Du endlich? mir lieb, daß ich Dich noch sehe.«
Müllenheim trat an Burkhard, der schon den Zügel gefaßt hatte, heran, und Burkhard sagte frohlockend: »Gute Botschaft, Jost! die Rappoltsteiner hab ich glücklich herumgekriegt. Mit Schmasman hielt es schwer, aber endlich hat er zugesagt, fest zugesagt, mit seiner ganzen Macht aufzuziehen. Und dabei hat er keine Ahnung, für wen er die Hohkönigsburg stürmen soll.«
»Hat er keinen Verdacht auf Dich?«
»Nicht den geringsten; der wird sich wundern, wenn wir ihm da oben die Binde von den Augen nehmen. Ich denke, wir feiern heuer hinter dem Löwenthor fröhliche Weihnachten, und dann seid ihr meine Gäste.«
»Hilf Gott!« sagte Müllenheim und lachte.
Dann schüttelten sie sich die Hände, Müllenheim ging fort, und Burkhard saß auf. Jetzt erst sah er, wer ihm den Bügel hielt. »Was? Du?« rief er verwundert, halb erschrocken.
»Ja, das ist Euch wohl noch nicht begegnet, Herr von Rathsamhausen, daß ein König Euch den Bügel hielt,« sagte Loder. »Ich wollte Euch damit nur zeigen, daß ich Euch nichts nachtrage wegen Eures Widerspruchs gegen mein Urtheil.«
»Du mir was nachtragen? das wäre noch schöner!« höhnte Burkhard. »Ich aber werde es Dir schwarz anstreichen, daß Du mir meinen Seppele eingesperrt hast. [142] Nimm Dich vor mir in Acht, Schnurrpfeiferkönig!« und mit einem grimmigen Blick ritt er ab.
Loder stand und schaute ihm wie vor den Kopf geschlagen nach. Nicht der ausgestoßenen Drohung wegen, die kümmerte ihn wenig. Aber er hatte die von Burkhard unvorsichtig laut geführte Unterhaltung mit Jost von Müllenheim Wort für Wort verstanden. »Schmasman hat keine Ahnung, für wen er die Hohkönigsburg stürmen soll,« und »Weihnachten seid ihr da oben meine Gäste.« So hatte er's mit seinen scharfen Spielmannsohren aus Burkhards Munde gehört. Was hatte das zu bedeuten? er konnte sich keinen Vers daraus machen, und kopfschüttelnd wandte er sich und schritt des Weges dahin, wo ihm ein erquickender Abendtrunk im Kreise trauter Gesellen winkte.
Als am anderen Morgen Graf Schmasman mit den Seinigen das Frühmahl eingenommen und sich in sein Zimmer hinauf begeben hatte, folgte ihm ein wenig später seine Gemahlin dahin nach. Das war sonst nicht ihre Gewohnheit, aber Schmasman wunderte sich über ihr Kommen nicht, denn er konnte sich schon denken, was sie zu ihm führte.
»Dich drückt die Neugier, mein Alterchen,« sprach er lächelnd zu ihr, ehe sie selber ein Wort gesagt hatte.
»Dich drückt etwas viel Schwereres, Schmasman,« erwiederte sie mit einem forschenden Blick in sein Angesicht. »Hinter Deinem grübelnden Schweigen, das mir in diesen letzten Tagen an Dir sehr aufgefallen ist, steckt ein Geheimniß, von dem ich meinen Antheil verlange; deßhalb komme ich.«
»Gern verschwiege ich es Dir,« gab er ihr zur Antwort, »aber Du wirst die Harnische bald genug rasseln hören, und dann läßt sich's doch nicht mehr verbergen. Wir Männer müssen auf die Gäule.«
»Eine Fehde?«
»Ja, eine Fehde, und was meinst Du, gegen wen?«
»Doch nicht gegen die Thiersteiner?«
»Gegen die Thiersteiner.«
»O mein Gott!« rief sie, »was ist denn geschehen?«
»Geschehen ist bis jetzt noch wenig,« erwiederte er, »aber es droht etwas, das nicht geschehen soll und nur mit Gewalt zu verhindern ist.«
»Gieb mir keine Räthsel auf, Schmasman!« sprach sie ungeduldig und ängstlich zugleich. »Was hat Dir Graf Oswald angethan? Ich denke, euer Wortwechsel an der Kapelle ist ausgeglichen.«
»Vollkommen, aber das war nur das Vorspiel.«
»Das Vorspiel wovon? wozu? ich verstehe von alledem kein Sterbenswort.«
»Am ersten Pfeifertage ist es Abends im Rathskeller zum Klappen gekommen.«
»Ach so! bei den großen Pokalen,« lachte sie spöttisch. »Der Graf hat wohl den schönsten für sich begehrt bei eurem Gelage? schrecklich!«
»Den hätten wir ihm wohl überlassen, aber die Sache ist für uns Alle sehr ernsthaft geworden. Da setze Dich hin und höre zu!«
Nun erzählte Schmasman der aufmerksam Hörenden ausführlich den Verlauf und schlimmen Ausgang der Abendzeche und schloß: »Du wirst einsehen, daß man so gefährlichen Drohungen gegenüber die Hände nicht im Schoß halten kann.«
»Das sind Worte, in der Weinlaune gesprochen,« sagte die Gräfin, »ein Becherstreit mit heißen Köpfen, der in [145] der nächsten Morgenkühle wie ein Rausch aus dem Hirn verflogen und vergessen ist.«
»So dachte ich Anfangs auch, habe mich aber überzeugen müssen, daß unsere Freiheiten und Rechte gefährdet sind; zu spät geschützt heißt in diesem Falle unwiderbringlich verloren.«
»Du hast Dich von Burkhard davon überzeugen lassen , willst Du sagen.«
»Nun ja, man kann nicht Alles mit eigenen Augen sehen.«
»Schmasman, traue dem Ottrotter nicht zuviel! er ist hinterhaltig und stets auf seinen Vortheil bedacht.«
»Herzelande! er ist mein alter Waffenbruder!« sprach Schmasman im Tone des Vorwurfs.
Die Gräfin schürzte die Lippen und sagte: »Ja, Du hältst ihm die Treue, aber ob er Dir –?«
»Aber Herzelande!« sprach Schmasman noch einmal, »wie kannst Du –«
»Was habt ihr denn mit dem Thiersteiner vor?« unterbrach sie ihn.
»Mit einem Worte: ihn von der Hohkönigsburg zu vertreiben und ihn wieder dahin zu schicken, wo er hergekommen ist,« erwiederte Schmasman.
»Schmasman!« rief Herzelande und schlug die Hände zusammen, »das wird ja keine Fehde, das giebt einen Krieg.«
»Wenn Graf Oswald nicht einlenkt, – wohl möglich.«
»Die armen, armen Frauen!« jammerte Herzelande.
»Die thun mir auch leid,« gestand Schmasman, »aber ich kann ihnen nicht helfen.«
In diesem Augenblick trat Egenolf ein und ahnte sogleich, was die Anwesenheit seiner Mutter zu dieser Stunde hier zu bedeuten hatte. »Ich wollte nur fragen, Vater,« sprach er, »ob sich Loder schon bei Euch gemeldet hat; ich habe ihn auf heute Morgen herbestellen lassen.«
»Noch war er nicht hier,« sagte Schmasman.
Herzelande trat an ihren Gemahl heran und fragte leise: »Weiß Egenolf von der Sache?«
»Ja,« entgegnete Schmasman, »aber die Gründe kennt er nicht.«
»Egenolf,« wandte sie sich nun zu dem Sohn, »der Vater will gegen den Grafen Thierstein zu Felde ziehen.«
»Könnt' ich's nur hindern, Mutter!« kam es bedrückt von Egenolfs Lippen. »Aber ich soll heute noch mit Loder reiten und die Lehnsleute aufbieten.«
»Also so weit ist es schon.«
»Ich bin ja noch nicht im Sattel, Mutter!« tröstete er sie in der stillen Hoffnung, daß es ihr am Ende gelänge, den Vater von dem grausamen Plane noch abzubringen. »Darf ich jetzt vielleicht wissen, Vater,« fuhr er fort, »was euch Herren mit dem Grafen Oswald verfeindet hat?«
»Wir haben im Rathskeller einen hitzigen Streit mit ihm gehabt,« erwiederte Schmasman. »Dabei kam es heraus, daß er es auf die Verkürzung und Verkümmerung unserer Freiheiten und Standesrechte abgesehen hat. Ein [147] böses Wort gab das andere, und zuletzt schlug Graf Oswald unserem Freunde Burkhard die Eule vom Kopfe. Burkhard griff zum Dolche, und wir konnten ihn in seiner Wuth kaum bändigen.«
»Und darum sollen die Thiersteiner von der Hohkönigsburg herunter?«
»Ja.«
Egenolf und Herzelande schwiegen.
Jetzt wurde Loder gemeldet.
Als er hereinkam, reichte ihm Schmasman die Hand und sprach: »Hans, Du mußt den alten, dicken Schimmel besteigen und mit Graf Egenolf zu unsern Lehnsleuten traben. Sie sollen sich bereit halten, mit ihrem reisigen Zeug zu uns zu stoßen, sobald ich sie rufen werde. Du kennst sie am besten und sollst sie dazu aufmahnen. Und damit Du Bescheid weißt, um was es sich handelt, theile ich Dir im Vertrauen auf Deine Verschwiegenheit mit, daß wir dem Grafen Thierstein absagen, die Hohkönigsburg stürmen und ihn daraus vertreiben wollen.«
»Das weiß ich schon, Herr Graf,« sagte Loder ruhig.
Schmasman warf einen strengen Blick auf seinen Sohn.
»Von mir nicht, Vater,« sprach Egenolf.
»Von wem dann?« fragte Schmasman unwillig.
»Von Herrn Burkhard von Rathsamhausen, für den ja die Hohkönigsburg gestürmt werden soll, damit er mit seinen Gästen dort fröhliche Weihnachten feiern kann,« kam es von Loder heraus.
»Was ist das? bist Du toll geworden, Alter?« brauste Schmasman auf.
»Ich habe es aus Herrn Burkhards eigenem Munde, daß er Euch dazu herumgekriegt hat, Herr Graf,« erwiederte Loder mit derselben Ruhe wie vorher. »Hättet Ihr mich nicht herbefohlen, so wäre ich von selber gekommen, um Euch zu melden, was mir von Ungefähr wie ein Mücklein in die Ohren geflogen ist und wovon mein Herz mir nichts Gutes weissagte. Ich dachte mir dabei: das heißt doch, Einem den Münsterthurm von Straßburg zum Angebinde versprechen.«
Der Graf war starr; sein fragender Blick begegnete dem seiner Gemahlin, der ihm die stumme Antwort gab: da hörst Du's! Noch begriff er nicht, was es mit Loders verblüffender Meldung auf sich hatte, und stellte diesen nun mit dem Zornausbruch: »Heraus mit der Sprache! was soll das unsinnige Gerede?«
Loder berichtete nun wortgetreu das Gespräch Burkhards mit Jost von Müllenheim, das er mit angehört hatte, als er nach Schluß des Pfeifergerichts dem Abreitenden den Steigbügel hielt. Von seinem Wortwechsel mit Burkhard wegen Seppele's Verurtheilung und von des Ersteren Drohung gegen ihn sagte er aber nichts.
Schmasman fragte in tiefster Erregung: »Und das Alles willst Du wörtlich so gehört haben? kann da kein Irrthum, kein Mißverständniß sein?«
»Nein, Herr Graf!« erwiederte Loder, »ich bürge mit Ehr und Gewissen für jedes Wort.«
Durch des Grafen hohe Gestalt ging ein Zittern. Um seine mächtige, innere Bewegung zu verbergen, trat er an ein Fenster, den Anderen den Rücken zukehrend. Ein dumpfes Schweigen herrschte im Gemache, Niemand rührte sich von der Stelle.
Endlich wandte sich Schmasman um und sagte, auf Loder zuschreitend, mit einer eisigen Ruhe: »Ich danke Dir, Hans! Du hast mir einen großen Dienst erwiesen.« Dann setzte er sich in einen Sessel und stützte den Ellenbogen auf die Lehne und das Haupt auf die Hand.
Loder wollte abtreten, aber die Gräfin winkte ihm zu, noch zu bleiben. Dann ging sie zu ihrem Gemahl und sprach, ihm leise die Schulter berührend: »Nimm es auch nicht allzuschwer, Liebster! Burkhard wird auf die eine oder die andere Weise zur Vernunft zu bringen sein.«
»Wie ist es nur möglich?« fuhr Schmasman aus seinem Brüten auf. »Er hat mich getäuscht und schmählich hintergangen, hat mich mißbrauchen wollen als gefügiges Werkzeug seiner ehrgeizigen, habgierigen Pläne. Ich bin blind und taub gewesen in meinem festen Glauben an ihn. Jetzt begreife ich seine vorgefaßte Meinung und seine Feindschaft gegen die Thiersteiner. Jetzt verstehe ich manches Wort, das ihm unbedacht entschlüpfte und das ich ihm stets zum Guten auslegte als nicht so bös und ernst gemeint. Ich habe ihn gefragt, was mit der Hohkönigsburg werden sollte, wenn wir sie erstiegen hätten. Da ist er mir ausgewichen mit seiner Antwort, hat mir nicht ehrlich gesagt, daß er sie selber haben möchte.«
»Aber warum hat er sie denn nicht genommen, so lange sie ihm herrenlos und unvertheidigt offen stand?« fragte Herzelande.
»Weil er sie dann selber mit seinem Gelde aus den Trümmern hätte wieder aufrichten müssen,« entgegnete Schmasman. »Jetzt findet er sie fertig vor, so stark und schön, wie sie vorher niemals war, und würde sich dagegen sträuben, wenn wir sie nach ihrer Erstürmung wieder ausbrennen wollten. Nicht in das zerstörte, nein, in das sicher und fest gebaute Nest will er sich setzen.«
»Was beschließest Du nun zu thun?« fragte Herzelande.
»Darüber kann ich mich unmöglich heute schon entscheiden, denn das bedarf sehr reiflicher Erwägung,« sagte Schmasman. »Burkhard hat mein Wort, zur Fehde zu rüsten, dem Thiersteiner abzusagen und an dem Kampfe gegen ihn theilzunehmen.«
»Das Wort hast Du unter ganz anderen Voraussetzungen und Bedingungen gegeben und würdest es nicht gethan haben, wenn Du Burkhards Hintergedanken durchschaut hättest,« wandte die Gräfin ein. »Er hat den Thiersteiner unablässig gereizt, hat ihn nach Deiner eigenen Darstellung zu unüberlegten Drohungen verlockt und herausgefordert, deren Anfang zur Ausführung doch wenigstens abgewartet werden sollte. Dann ist es immer noch Zeit, den Versuch dazu durch einmüthigen, entschiedenen Widerstand und, wenn's sein muß, mit Gewalt zurückzuweisen. Burkhard hat es, nur in der Absicht, die Hohkönigsburg [151] für sich selber zu gewinnen, darauf abgelegt, einen Streit heraufzubeschwören und euch Alle mit hineinzuziehen, hat ihn willentlich immer weiter und weiter mit Sticheln und Hetzen getrieben, bis ein blutiger Waffengang unvermeidlich schien. Soll er seinen eigennützigen, mit so verwerflichen Mitteln verfolgten Zweck nun wirklich erreichen?«
»Ein Wort ist ein Wort und bleibt ein Wort,« erwiederte Schmasman, »ich kann damit nicht umspringen, wie der Wind die Wetterfahne dreht. Die Lage der Sache ist nur insofern verändert, daß die Fehde nun noch ein Nebenziel hat, das nicht von vornherein klar ausgesprochen ist, das ich nicht billige und zu dessen Erreichung ich dann am wenigsten helfen werde, wenn ich dazu überlistet und übertölpelt werden soll.«
»Und ohne Dich, gegen Deinen Willen werden die Anderen den Kampf nicht wagen,« meinte Herzelande.
»Der eigentliche Grund zum Kampfe bleibt bestehen,« sagte Schmasman, »so lange Graf Oswald uns nicht bündige Zusicherung und annehmbare Bürgschaft giebt, seinen herrschsüchtigen Gelüsten gegen den ansässigen Adel völlig zu entsagen. Thut er dies, so fällt jede Veranlassung zu einer Fehde weg. Die persönlichen Beleidigungen, die sich Burkhard und Oswald gegenseitig zugefügt haben, mögen die Zwei unter sich allein ausfechten; das wird weder den Einen noch den Anderen eine Burg kosten. Ich glaube, eine offene, ruhige Aussprache mit dem Grafen Oswald unter vier Augen würde sehr dazu beitragen, einen [152] allgemeinen Kampf zu verhüten, und ich bin der Anbahnung einer Verständigung mit ihm durchaus nicht abgeneigt, damit er sieht, daß ich unter gewissen, unerläßlichen Bedingungen bereit bin, die Hand zum Frieden zu bieten. Jedenfalls,« schloß der Graf, zu Egenolf und Loder gewandt, »reitet ihr vorläufig nicht zu den Lehnsleuten.«
»Aber soll ich nicht auf die Hohkönigsburg reiten, Vater,« frug Egenolf, »und dem Grafen eine Wink geben, daß Ihr nichts Feindliches gegen ihn im Schilde führt?«
Schmasman schien zu überlegen.
»Wäre nicht so übel, Herr Graf,« mischte sich Loder in das Gespräch, der Egenolfs sehnlichen Wunsch nach Frieden und Eintracht unter den beiden Familien wohl verstand und ihm gern zu einem Wiedersehen mit der jungen Gräfin behilflich sein wollte. »Graf Egenolf ist bei dem Streite nicht unmittelbar betheiligt und könnte mit seinem freundnachbarlichen Besuche dem Grafen Oswald zeigen, daß zwischen Euch und ihm kein Stein im Wege liegt.«
»Nein, das wäre verfrüht und geht auch aus anderen Gründen nicht,« entschied der Graf. »Nach dem Zank im Rathskeller sähe das aus wie ein schleuniger Rückzug, wie eine Abbitte, möchte ich sagen, ein Zukreuzkriechen.«
»Ich muß Dir vollkommen beipflichten, Schmasman,« sagte Herzelande, »aber ich habe einen anderen Vorschlag. Die junge Gräfin Leontine hat unsere Tochter um ihren Besuch gebeten, und diese hat ihn ihr auch zugesagt. Isabella weiß von der ganzen Fehdesache nichts, und sie [153] darf auch nichts davon erfahren, um völlig harmlos und unbefangen mit ihrer neuen Freundin und deren Eltern verkehren zu können. Also rathe ich, daß wir Isabella hinauf schicken. Laß mich nur machen; es soll weder für Isabella noch für die Thiersteiner nach irgend einer Absicht aussehen. Aber Graf Oswald wird sich sagen, daß wir unsere Tochter nicht auf die Hohkönigsburg hinauf lassen würden, wenn ein unabwendbarer Kampf zwischen Dir und ihm nahe bevorstünde.«
»Das läßt sich hören, damit bin ich einverstanden,« erklärte Schmasman. »Das verpflichtet mich nach keiner Seite hin, und die beiden Mädchen geht der Streit der Männer nichts an.«
»Isabella kann heute Nachmittag hinaufreiten und zwei Nächte oben bleiben,« bestimmte Herzelande.
»Und wir machen gegen Abend einen Pirschgang, Vater; ich weiß, wo ein starker Bock wechselt,« fügte Egenolf hinzu.
»Auch das soll mir recht sein,« erwiederte der Graf, »und ich errathe, welches Waidmannsheil Du mir mit dem Bock da im grünen Walde zutreiben willst. Ich bin zwar, weiß Gott! nicht in Jagdstimmung, aber ich muß Luft haben, muß mein Blut beruhigen, und es wäre mir noch lieber, wenn Du statt des Bockes einen groben Keiler mit der Schweinsfeder abzufangen hättest.« Sich zu Loder wendend fuhr er fort: »Du bist in Gnaden entlassen, Hans! Gott erhalte Dir Deine feinhörigen Lauscher!«
»Ich wäre ja kein Spielmann,« lachte Loder, »wenn ich im Zusammenklange nicht sofort die Falschheit eines Tones merkte, mag er herkommen, von wo er will.«
Nun schieden die Drei aus dem Gemach und ließen den Grafen allein.
Herzelande kramte sogleich in einer geschnitzten Eichentruhe und entnahm ihr einen kostbar gestickten Frauengürtel, mit dem sie sich zu ihrer Tochter begab.
»Isabella,« begann sie zu dieser, »hast Du Lust, heute Nachmittag auf die Hohkönigsburg zu reiten?«
»Mit Freuden, liebe Mutter!« erwiederte Isabella, »ich habe ja Leontinen meinen Besuch versprochen.«
»Eben darum!« sprach Herzelande, »aber ich habe noch einen anderen Zweck dabei. Neulich beim Pfeiferfest lobte mir Gräfin Margarethe den Gürtel, den ich Abends in der Halle trug; er schien ihr ausnehmend zu gefallen. Da ich nun noch einen ähnlichen habe, beschloß ich, den anderen der Gräfin zum Geschenk anzubieten. Aber ich möchte das nicht auf die lange Bank schieben; ich habe von Deinem Vater einmal ein lateinisches Sprichwort gehört, das er mir übersetzte: Doppelt giebt, wer schnell giebt. Darum wünsche ich, daß Du ihn der Gräfin heute bringst. Sieh mal! dieser ist es, ein Erbkleinod meiner lieben Mutter, alte Burgunder Arbeit, wie man sie heut zu Tage nur noch sehr selten findet; ist er nicht schön?« fragte sie, den Gürtel von dunkelrothem Sammet mit reicher Goldstickerei vor den bewundernden Augen der Tochter entrollend.
»Herrlich! wie wird sich Gräfin Margarethe darüber freuen!«
»Das hoffe ich; sage ihr, ich bäte sie, den Gürtel als eine kleine Liebesgabe von mir anzunehmen und ihn recht oft zur freundlichen Erinnerung an mich zu tragen. Wenn Du willst und sie Dich dazu auffordern, kannst Du bis übermorgen bei Leontinen bleiben.«
»Ich danke Dir, liebe Mutter, daß Du mich zur Überbringerin des werthvollen Geschenkes machst,« sprach Isabella. »Gleich nach dem Mittagsmahl werde ich mich zu dem Ritt bereit halten. Einer von den Knechten geleitet mich wohl, oder vielleicht Egenolf –?«
»Nein, Egenolf will mit dem Vater pirschen, Du nimmst Dir einen Knecht mit.«
Als etwas später Isabella zum Burghof hinabstieg, um sich Pferd und Geleitsmann zu sichern, traf sie dort ihren Bruder.
»Egenolf,« redete sie ihn an, »hast Du vielleicht auf der Hohkönigsburg etwas auszurichten? ich reite heute Nachmittag hinauf.«
»Du reitest zur Hohkönigsburg hinauf? soso! sieh mal an!« sagte Egenolf, den Erstaunten spielend. »Nun dann bestelle nur dort oben einen recht herzlichen Gruß von mir.«
»Gern, aber an wen denn?« fragte sie mit einem schalkhaften Lächeln.
»Nun, an – an den Stallmeister Isinger; an wen denn sonst?«
»Natürlich! an wen denn sonst?«
»Und wann kehrst Du zurück?«
»Übermorgen gegen Mittag.«
»Ich werde Dir entgegenkommen, um von Dir zu hören, wie – ob mich der Stallmeister auch wiedergrüßen läßt.«
Graf Oswald von Thierstein war zu der Erkenntniß gekommen, daß er sich mit seinen auf Umgestaltung bestehender Verhältnisse gerichteten Plänen zu rasch und zu weit vorgewagt hatte und damit auf einen Widerstand gestoßen war, den zu überwinden er geringe Aussicht hatte.
Sein Vorhaben war gewesen, den Wildbann im Wasgau anders zu regeln, Reichsbannforste abzugrenzen, andere Brücken- und Wegezölle einzurichten, die Märkte mit höheren Abgaben zu belegen und kleineren Städten, die sie noch nicht besaßen, Marktfreiheit gegen Zahlung von Gilten und Beden zu gewähren. Die Einkünfte der Klöster wollte er heben durch Vermehrung der Frohnen und Verlängerung der Fristen für den alleinigen Verkauf von Wein, dem sogenannten Bannwein. Er wollte die Dinghöfe, eine althergebrachte, volksthümliche Gerichtsbarkeit, abschaffen und die dabei den Vorsitz führenden Hochhuber und Dinghofsmeier durch von ihm berufene Richter ersetzen, die im Namen des Kaisers Recht sprechen sollten.
Er plante das Alles jedoch nicht, um selber Vortheil und Gewinn davon zu haben, sondern dieser sollte in die Kassen des Kaisers und der Bischöfe von Basel und Straßburg fließen, welche beiden Prälaten ihm ihre Wünsche, [158] in welcher Weise er sein ihm durch ihren Einfluß übertragenes landvogteiliches Amt zu ihren Gunsten ausnutzen sollte, sehr deutlich zu verstehen gegeben hatten. Den Dank des Kaisers erhoffte er in der Verleihung einer hohen Stellung bei Hofe.
Mit diesen Plänen, die durch vorzeitiges Aussprechen bekannt geworden waren, griff er nicht nur in die Sitten und Gewohnheiten des gemeinen Volkes, sondern auch in die Machtbefugnisse und Vorrechte der adligen Standesherren ein, und das war unter allen Umständen ein für ihn sehr gefährliches Unternehmen. Mit zweien dieser stolzen Barone, die sich unabhängig wie Reichsfürsten fühlten und gebärdeten, hatte er bereits üble Erfahrungen gemacht und sah nun ein, daß er andere Saiten aufziehen mußte, wenn er mit seinen ritterlichen Genossen in Frieden leben und sich eine geachtete und einigermaßen angenehme Stellung unter ihnen wahren wollte statt von ihnen gemieden und angefeindet zu werden.
Mit dem Mächtigsten von ihnen, dem Grafen Maximin von Rappoltstein, hatte er sich zwar nach dem zu seinen Ungunsten geendeten Rangstreit wieder vertragen, mit dem Trotzigsten aber, Herrn Burkhard von Rathsamhausen, schien ihm eine Versöhnung kaum denkbar, und er wunderte sich, daß dieser noch nicht Genugthuung für die gegen ihn verübte Thätlichkeit von ihm gefordert hatte. Bei dem Wortgefecht mit Burkhard im Rathskeller hatte er die anwesenden Herren, mit Ausnahme seines Freundes Fleckenstein und seines Bruders Wilhelm, sämmtlich auf der [159] Seite seines Gegners gefunden und hatte sich in seiner zornigen Erregung noch obenein dazu hinreißen lassen, den Grafen Schmasman, als dieser in wohlwollendster Absicht eine Beilegung des Streites versucht hatte, scharf anzufahren und zurückzuweisen, was er seitdem schwer bereute.
Wie groß war nun Oswalds Überraschung und Freude, als er, gegen Abend in das Wohngemach seiner Gemahlin tretend, dort die soeben zum Besuch eingetroffene Rappoltstein'sche Tochter Gräfin Isabella erblickte! Also Graf Schmasman grollte ihm nicht, trug ihm sein schroffes Benehmen nicht nach, sonst hätte er seine Tochter nicht hier heraufreiten lassen. Er begrüßte Isabella auf das Zuvorkommendste, erkundigte sich nach ihren Eltern und Verwandten und erging sich in den zartesten Aufmerksamkeiten gegen sie. Dem Geschenk der Gräfin Herzelande für seine Gemahlin, dem kostbaren Gürtel, zollte er seine volle Bewunderung und gedachte mit dankbaren Worten des genußreichen Spielmannsfestes, mit keinem Wimperzucken die weniger angenehmen Erinnerungen verrathend, die ihn dabei überkamen.
Von Leontine war Isabella mit offenen Armen empfangen und mit hellem Jubel ans Herz gedrückt, und Gräfin Margarethe that, was sie konnte, der Freundin ihrer Tochter den Aufenthalt hier so behaglich wie möglich zu machen, so daß Isabella von ihrer Aufnahme auf der Hohkönigsburg im höchsten Maße erfreut und entzückt war.
Der Abend, wo sich auch Graf Wilhelm mit seiner Gemahlin Katharina zu ihnen gesellte, verging ihnen Allen [160] im Fluge, und sie wußten nicht, wo die Zeit geblieben war, als der Wächter vom Bergfried herab auf seinem Horne den Gute Nacht-Gruß blies, für alle Burgbewohner die stimmungsvolle Mahnung, sich zur Ruhe zu begeben.
Da erzählte Isabella noch, auf den nahe bei einander liegenden Rappoltstein'schen Schlössern hätten vor langen, langen Jahren einmal drei Brüder Rappoltstein drei Schwestern zu Gattinnen gehabt, und die drei Frauen hätten sich täglich von Burg zu Burg einen Morgen- und Abendgruß zugeblasen. Dieser Brauch bestünde in ähnlicher Weise auch heute noch. Wenn man auf einer Burg Besuch von einer anderen wünschte oder dort seinen Besuch ansagen oder sich sonst eine kurze Mittheilung machen wollte, so geschähe dies durch Hornrufe, deren jeder nach Takt und Ton eine seit langer Zeit feststehende, verabredete Bedeutung hätte.
Dann trennte man sich, um das Haupt zum Schlummer zu betten. Leontine geleitete Isabella in das für sie bereite Gastzimmer, und die lächelnde Dimot bot ihre gefälligen Zofendienste an, die jedoch von Isabella dankend abgelehnt wurden.
Den nächsten Vormittag benutzten die beiden jungen Mädchen zu gemächlichem Lustwandeln unter traulichen Gesprächen. Sie gingen in den Baumgarten, besuchten den Marstall und seine vierfüßigen Bewohner und wanderten auch ein Stück bergab in den Wald. Darauf führte Leontine ihre Freundin auf deren Wunsch durch alle Räume des Schlosses, wo Isabella nicht müde wurde, [161] sich an der prächtigen Ausstattung und dem kunstvoll gearbeiteten Hausrath zu weiden.
Zuletzt kamen sie in Leontinens Schlafgemach, das so schmuck und üppig eingerichtet war wie für eine Märchenprinzessin.
Nachdem sich Isabella eine Weile darin umgesehen hatte, fragte Leontine, auf das Wolfsfell zeigend, mit einem eigenthümlichen Lächeln: »Wie gefällt Dir das?«
»Gut,« erwiederte Isabella, »muß ein gewaltiger Isegrim gewesen sein.«
»Weißt Du, wer ihn geschossen hat?«
»Dein Vater?«
»Nein, Dein Bruder.«
»Mein Bruder?«
»Ja, er hat mir das Fell geschenkt, mich damit überrascht; ich fand es eines Abends hier vor dem Bett. Dimot hat es heimlich für meinen alten Luchsbalg untergeschoben, bestochen durch eine Einladung zum Tanz am Pfeifertag!«
»Davon hat mir Egenolf garnichts gesagt,« sprach Isabella. »Ach!« fuhr sie fast erschrocken fort, »ich habe Dir ja seinen Gruß noch nicht bestellt.«
»Läßt er mich grüßen?« fragte Leontine schnell mit leuchtenden Augen.
»Ja, recht herzlich soll ich Dich von ihm grüßen, und er dächte sehr viel an Dich.« Bei dieser eigenmächtigen Überschreitung von ihres Bruders Auftrag ward auch Isabella ein wenig roth.
»Grüß ihn wieder!« sagte Leontine kurz und machte sich an dem Wolfsfell zu schaffen, einen der Läufe, der etwas schief lag, gerade streckend.
»Denkst Du auch zuweilen an ihn?« fragte Isabella.
»Weiß nicht. Frag' nicht so dumm!« erwiederte Leontine mit abgewandtem Gesicht. »Komm weiter!«
Isabella lächelte still vor sich hin, und sie verließen das Gemach. Draußen sagte Leontine: »Hier rechts geht es zu meines Vaters Zimmer, aber da dürfen wir Frauen nicht hinein, wenn er uns nicht rufen läßt.«
Sie gingen nun zur Gräfin Katharina. –
Graf Oswald saß in seinem Gemach und blätterte in vergilbten Schriften. Die Wände waren mit Waffen, alterthümlichen und jetzt gebräuchlichen, und mit allerlei Jagdzeug, ausgestopftem Gethier, Geweihen und Gehörnen geschmückt, und an der linken Augensprosse eines kapitalen Zwanzigenders schwebte Herrn Burkhards Eulenhut. Oswalds Bruder hatte ihn inmitten des Tumultes im Rathskeller geschickt bei Seite zu bringen gewußt und als ärgerliches Beweis- und Beutestück mit sich genommen. Nun hing er hier auf der Hohkönigsburg an dem Hirschgeweih, und Burkhard, der sich über den Verlust seiner Eule gewiß unsäglich boßte und ihren Verbleib nicht ahnte, konnte lange warten, bis er sie wiederbekam.
Etwa eine Stunde vor Mittag trat Graf Wilhelm eilend herein und rief: »Oswald, nun geht es los; rathe, wer soeben im Stallhof vom Pferde gestiegen ist!«
Oswald blickte seinen Bruder fragend an.
»Jungherr Bruno von Rathsamhausen.«
»Also endlich!« sagte Oswald und erhob sich vom Stuhle. »Na, nur zu! Aber –« fuhr er fort, nachdem er schweigend ein paar Schritte auf und ab gethan hatte, »aber den eigenen Sohn als Unterhändler oder, was wahrscheinlicher ist, als Boten mit dem Fehdebrief zu schicken ist mir auch noch nicht vorgekommen. Hast Du ihn schon gesprochen?«
»Nein, er wird wohl mit Dir unter vier Augen reden wollen.«
»Nun, ich werde ihn hier erwarten und ihm höflich begegnen; er hat mich nicht beleidigt.«
»Aber laß ihn die Eule nicht sehen, thu sie weg!« erinnerte Wilhelm.
»Da hast Du Recht, die darf er nicht sehen,« erwiederte Oswald, nahm den Filz vom Geweih und verbarg ihn.
»Ich gehe,« sprach Wilhelm, »bedarfst Du meiner, so laß mich rufen.«
Graf Wilhelm ging, und Oswald blieb allein und harrte, harrte lange auf Bruno's Anmeldung, aber vergeblich. Sollte sich Wilhelm geirrt haben? dachte er. Endlich ließ ihn seine Gemahlin bitten, zum Mittagsmahle zu kommen.
»Sind außer der Gräfin Isabella noch andere Gäste da?« frug er.
»Nur einer, Herr Graf!« erwiederte der Diener, [164] »Jungherr Bruno von Rathsamhausen wird an der Tafel theilnehmen.«
»So! schön! ich komme sogleich.«
Der Diener verschwand. Oswald schüttelte den Kopf und sprach zu sich: »Das wird immer lustiger. Beim Wein hat die Geschichte angefangen, beim Wein wird sie fortgesetzt.«
Die Thierstein'schen Damen, die von dem bösen Streit des Grafen mit Burkhard nichts wußten, fanden Bruno's Besuch ganz in der Ordnung, da er bei dem großen Fest ihr Gast hier im Schlosse gewesen war. Mit zwiespältigem Gefühl aber vernahm Isabella seine Ankunft. Theils freute sie sich, Den wiederzusehen, den sie nur allzu gern sah, theils sagte sie sich: er kommt nur Leontinens wegen. Leontine jedoch hatte die gleiche Vermuthung in Bezug auf Isabella, und ihr, von einem ahnungsvollen Lächeln begleiteter Blick trieb der Freundin das Blut in die Wangen, denn sie las darin die Frage: ein verabredetes Stelldichein?
Bruno selber stutzte, als er, zu seiner nicht ganz freudigen Überraschung, Isabella hier vorfand, näherte sich ihr aber nach Begrüßung der Thierstein'schen Damen mit größter Artigkeit und Freundlichkeit.
Leontine war Anfangs heiter entgegenkommend ihm gegenüber und ermunterte ihn zum Gespräch, in das sie so viel wie möglich Isabella hineinzog mit der Absicht, den Beiden das von ihnen doch wohl gewünschte Vertrautwerden mit einander zu erleichtern. Sobald sie aber [165] aus Bruno's Gebaren die Voraussetzung dieses Wunsches als einen Irrthum erkannte und es sich herausstellte, daß er sie selber wieder wie Abends in der Festhalle zu Rappoltsweiler vor Isabella auffallend bevorzugte, und vollends als sie beobachtete, daß Isabella dabei immer stiller und ernster, fast traurig wurde, durchschaute sie die Lage der Dinge und sah, daß hier zwei Herzen waren, deren Neigung nicht erwiedert wurde. Von da an benahm sie sich zurückhaltend und kühl gegen ihn, um ihn über ihre Empfindungen nicht im Unklaren zu lassen. An eine wirkliche Leidenschaft Bruno's glaubte sie nicht und gab deßhalb die Hoffnung nicht auf, das von ihr verschmähte Herz des ritterlichen jungen Helden ganz leise ihrer Freundin Isabella zuführen zu können, an deren heimlicher Liebe sie nicht mehr zweifelte.
Gräfin Margarethe, der weder die Huldigung, die Bruno Leontinen darbrachte, noch deren Ablehnung seitens ihrer Tochter entging, hielt es nicht für nöthig, ihren Gemahl früher rufen zu lassen, als bis die Mittagstafel im Nebengemach bereit stand.
Jetzt erschien Graf Oswald und begrüßte den Sohn seines Gegners mit gemessener, aber tadelloser Höflichkeit.
Bruno verneigte sich vor ihm und sprach: »Verzeiht den Überfall, Herr Graf! ich wollte Euch und Euren Damen meinen Dank aussprechen für die gastliche Aufnahme, die auch ich hier bei Euch gefunden habe. Und dann« – er stockte – »und dann führt mich auch noch ein anderer Beweggrund auf die Hohkönigsburg.«
»Ich stehe zu Diensten, Jungherr von Rathsamhausen,« sprach Oswald mit leicht umwölkter Stirn. »Wollt Euch mit mir in mein Zimmer bemühen.«
»O das eilt ja nicht, Herr Graf.«
»Wenn es auch nicht eilt, – ich würde doch vorziehen, das Geschäft, das Euch herführt, noch vor Tische zu erledigen. Wir sitzen dann freier und ruhiger beim Wein. Bitte, kommt!«
»Herr Graf,« lächelte Bruno verlegen, »in Eurem Zimmer können wir die Sache nicht abmachen, sondern – im Marstall.«
»Im Marstall?« frug Oswald, aufs Höchste erstaunt.
»Ja,« sagte Bruno, »ich habe nämlich gehört, daß Euer Stallmeister ein erfahrener Kurschmied ist und möchte ihn gern um einen guten Rath angehen wegen meines Rappen.«
»Um Euren Rappen handelt es sich? ich dachte, Ihr hättet einen Auftrag an mich von Eurem Vater.«
»Nein, Herr Graf!«
»Wirklich nicht?« fragte Oswald noch einmal.
»Wirklich nicht, Herr Graf! ich bedaure, aber mein Vater weiß garnicht von meinem Besuch hier. Ich bin schon zwei Tage von Hause fort, hörte erst unterwegs von Eurem trefflichen Stallmeister und entschloß mich schnell, hierher zu reiten, auf Eure gütige Nachsicht hoffend.«
»Ihr seid mir willkommen, Jungherr!« sprach Oswald, der mit seiner Verwunderung kaum noch an sich halten [167] konnte. »Wilhelm,« rief er dem eben mit seiner Gemahlin eintretenden Bruder zu, »Jungherr Bruno von Rathsamhausen kommt zu dem Zwecke, sich bei unserem weit und breit berühmten Isinger weisen Rath für eine Pferdekur zu holen.«
Graf Wilhelm blickte verdutzt vom Einen zum Andern, ob er denn recht gehört hätte, und mußte seine Gedanken erst wieder sammeln, ehe er Bruno die Hand reichen und sprechen konnte: »Da kommt Ihr vor die rechte Schmiede, Jungherr!«
Gräfin Katharina fügte, als sich Bruno ihr nahte, hinzu: »Der Isinger weiß für Alles Rath, und nicht bloß bei Thieren. Auch mir hat er schon einmal ein Tränklein gebraut, das mich von einem quälenden Husten befreite.«
»Und jetzt kommt zu Tische!« sagte Oswald, »der Stallmeister läuft uns nicht fort.«
Man begab sich zu Tische, und Jeder nahm den Platz ein, den ihm die Wirthin bestimmte.
Bruno saß den beiden jungen Gräfinnen gegenüber und kam im Verlauf des Mahles immer gründlicher zu der Einsicht, daß er sich auf Leontinens Gunst keine Hoffnung machen durfte. Sie sprach wenig mit ihm und gab ihm nur kurze Antworten, wenn sie auch aus Rücksicht auf Isabella nicht unfreundlich gegen ihn war. Dagegen nahm Isabella's anmuthiges, liebenswürdiges Wesen den sich damit Tröstenden mehr und mehr gefangen, und wenn er ihr beim Reden in die Augen sah, so traf ihn daraus [168] ein warmer Strahl, der ihm zu Herzen drang. Er war keineswegs eine flatterhafte Schmetterlingsnatur, die sich von einem Blüthenkelche schnell zum andern schwingt, aber eine Wandlung, ihm selbst noch unbewußt, ging doch in ihm vor; er fühlte sich mit einem Male zu Isabella hingezogen, obwohl sie nichts that, ihn an sich zu fesseln.
Nach Aufhebung der Tafel schlug Graf Oswald seinem Gast einen Rundgang innerhalb der Umwallung vor und verfolgte damit einen ganz bestimmten Plan. Er wollte dem Rathsamhausen auf Schritt und Tritt die Stärke der neu erbauten Burg zeigen, damit dieser sich von ihrer Uneinnehmbarkeit überzeugen und seinem Vater darüber berichten sollte. So führte er ihn denn von Werk zu Werk, von Thurm zu Thurm und erklärte ihm den für die Vertheidigung wohlbedachten Zweck jeder einzelnen Anlage, so daß Bruno am Schluß der langen Wanderung freiwillig gestand, eine so stark befestigte Burg noch nie gesehen zu haben.
Der Graf nahm das mit Befriedigung auf, aber seltsam war ihm doch zu Muthe, wie er hier dem Sohne des Mannes, von dem er nur Feindschaft, Angriff und Kampf zu erwarten hatte, so gastfreundliche Ehren erwies. Was wird Burkhard sagen, dachte er, wenn ihm Bruno von der Aufnahme erzählt, die er ohne Wissen und Willen des Vaters in den Mauern der Hohkönigsburg und an dem Tische des gehaßten Burgherrn gefunden hat! Aber er ließ seinen Gast von diesen Betrachtungen nichts merken [169] und sprach: »Nun kommt zu unserem vielgewandten Kurschmied!«
Sie gingen zum Marstall und trafen den Stallmeister in der Schmiede allein. Bruno klagte ihm die Leiden seines schwarzen Lieblings daheim im Stalle und bat um Angabe eines Heilmittels.
Isinger stellte eine Reihe von Fragen an Bruno über die Dauer der Unpäßlichkeit, über deren äußere Kennzeichen, über Fütterung und Freßlust des Thieres und mehr dergleichen, konnte aber aus Bruno's Antworten nicht recht klug werden und kam zu der Überzeugung, daß die Sache unmöglich von der Bedeutung sein könnte, um dieserhalb, zur Einholung seines geschätzten Gutachtens einen Ritt nach der Hohkönigsburg zu unternehmen. Ein paar Tage Schonung würden genügen, das Unwohlsein des geliebten Rappen zu verflüchtigen.
Das sagte der schlaue Stallmeister aber nicht; von seiner Kur sollte der Kranke gesund werden. Er setzte daher eine bedenkliche Miene auf und sann über den schweren Fall nach. Ihm kam der Gedanke, ob vielleicht sein alter Freund Hans Loder hier die Hand im Spiele und ihm den Jungherrn auf den Hals geschickt hatte, um seine vielgepriesene Heilkunst auf die Probe zu stellen, oder ob Hans den leichtgläubigen Jungherrn selber zum Narren haben wollte, bei welchem Possen Isinger natürlich gern half.
Er that sehr wichtig und erklärte: »Euer Rappe ist dämpfig und herzschlächtig, Herr, aber dem ist beizukommen, [170] wenn die richtigen Mittel dagegen angewandt werden.« Nun mischte er aus seinem Vorrath siebenerlei getrocknete Kräuter zu einem Häufchen zusammen, übergab dies Bruno und sagte: »Aus diesen heilkräftigen Kräutern müßt Ihr mit Wasser, Branntwein und Honig zu gleichen Theilen einen Sud bereiten lassen; aber es gehört noch etwas dazu, was ich augenblicklich nicht habe, nämlich Herz und Galle von einem Raben, die mit hineingekocht werden müssen. Nun, Ihr schießt Euch einen, und dann ist der Trank bald hergestellt, von dem Ihr dem Rappen täglich drei Löffel voll einschütten laßt. Nun weiß ich aber noch ein Geheimmittel, das unfehlbar wirkt. Um es Euch mittheilen zu können, muß ich jedoch den Herrn Grafen bitten, uns allein zu lassen, denn nur Der darf es hören, der es gebrauchen will, sonst hilft es nicht.«
»Ich gehe schon,« sprach Graf Oswald und entfernte sich mit verhaltenem Lachen aus der Schmiede, denn er ahnte, daß jetzt der Schalk, der seinem durchtriebenen Stallmeister im Nacken saß, hervorkommen und dem Jungherren eine gehörige Nase drehen würde.
»Also, Jungherr,« fuhr Isinger nun fort, »Ihr müßt Euren Rappen täglich dreimal, Morgens, Mittags und Abends, mit einem rothen Frieslappen aus dem Rock eines Gehenkten abreiben, aber Niemand darf es sehen oder davon wissen.«
»Ja, um Gottes willen! wo soll ich denn den schauerlichen Lappen hernehmen?« fragte Bruno fast entsetzt. [171] »Muß ich etwa zu dem Zweck erst einen armen Sünder an die Herberge zu den drei Säulen liefern?«
»Nicht nöthig; im Henkerlehen findet Ihr dergleichen.«
»Im Henkerlehen?«
»Ja; das Henkerlehen, müßt Ihr wissen, ist ein einträglicher Hof bei Oberehnheim, und sein Lehensträger hat die Verpflichtung, die Kosten der in Barr, Oberehnheim und Rosheim stattfindenden Hinrichtungen zu bestreiten, wogegen ihm die Kleider der Gehenkten, Geköpften und Geräderten als Eigenthum zufallen.«
»Eine recht erbauliche Erbschaft!« lachte Bruno.
»O, sie bringt dem Manne viel ein; derlei Dinge werden stark begehrt und theuer bezahlt, denn in den Kleidern und einzelnen Gliedern von Gerichteten stecken Zauberkräfte,« flüsterte Isinger.
»Nun, ich werde sehen, ob ich mir das Zaubermittel beschaffen kann. Nehmt einstweilen meinen Dank, Herr Stallmeister!« sagte Bruno und drückte dem gewitzten Kurschmied ein paar Geldstücke in die Hand.
Als Oswald und Bruno in den Palas zurückkehrten, fanden sie dort nur die Gräfin Margarethe mit den beiden jungen Damen.
»Hat Euch unser kluger Thierarzt gut berathen?« fragte Margarethe.
»Wenn die Kur so gut anschlägt, wie die Mittel dazu absonderlich sind, so kann ich zufrieden sein,« lächelte Bruno.
»Danach darf man nicht fragen, Grete! das sind tiefsinnige [172] Geheimnisse; ich habe auch nicht hören dürfen, welchen wunderbaren Zauber Isinger unserem jungen Freunde für seinen herzschlächtigen Rappen empfohlen hat,« sprach Oswald mit kaum verhohlenem Spott und wandte sich dann zu Bruno: »Was meint Ihr, Jungherr, wollen wir uns ans Brett setzen und Schachzabel spielen?«
»Mit Vergnügen, Herr Graf!« erwiederte Bruno, »aber ein guter Spieler bin ich nicht.«
»Ich auch nicht,« sagte der Graf und holte das Brettspiel herbei.
»Und was fangen dann wir an?« war Margarethens Frage. »Halt! ich weiß es. Eure liebe Mutter hat mir erzählt, Isabella, Ihr sänget zur Harfe. Gönnt uns den Genuß, Euch zu hören! In meinen jungen Jahren habe ich diese Kunst auch geübt und werde Euch meine Harfe bringen lassen.« Damit ging sie hinaus ohne Isabella's Einwilligung abzuwarten, die nun den Anderen gegenüber mit schüchternen Worten erfolgte.
»Ich fürchte, wir werden ein schweres Spiel auf dem Brett haben, wenn Euer holder Gesang uns die Gedanken verwirrt,« sprach Oswald. »Schachzabel und Harfenspiel vertragen sich nicht gut mit einander; wir sollten uns die Ohren verstopfen vor Euren Sirenenklängen.«
Als die Gräfin mit einer die Harfe tragenden Zofe zurückkam, nahmen die drei Damen in einiger Entfernung vom Schachtische Platz, und Margarethe sagte: »Ich werde sie Euch erst stimmen, liebe Isabella.«
Während dies geschah, setzten sich die Herren zu ihrem Brett, und zwar Bruno so, daß er, ohne sich wenden zu müssen, Isabella sehen konnte.
Das Spiel auf dem Brett und das Spiel auf der Harfe begann.
Mit süßem Wohllaut sang Isabella ihre Lieder, und die Hörer waren entzückt von ihrer schönen Stimme und ihrem meisterlichen Vortrag zum Klange der Saiten, die sie mit ihren schlanken Händen vollkommen beherrschte. In den Pausen, die sie zwischen den einzelnen Liedern machte, mußte sie den begeisterten Beifall des kleinen Kreises hinnehmen mit der stets wiederholten Bitte um mehr, immer mehr.
Auf dem Schlachtfelde aber, wo die weißen Truppen gegen die schwarzen kämpften, sah es wunderlich aus, und die beiden Könige kamen sich wie verlassen und verrathen von ihren Vasallen vor; so schlecht waren sie noch nie vertheidigt und beschützt, aber auch noch nie so ungeschickt angegriffen worden. Besonders Bruno's Heer erlitt empfindliche Verluste, und ein Held und Hauptmann der Seinigen fiel nach dem andern, obwohl das Gefecht sehr langsam von Statten ging und Oswald großmüthig genug war, seinen Gegner auf manchen verhängnißvollen Fehler aufmerksam zu machen, ehe der zerstreute Spieler den falschen Zug vollendete. Bruno blickte zu wenig auf das Brett und zuviel nach der lieblichen Sängerin, und als er nach einer Stunde die Schlacht verloren hatte, da [174] war er ein doppelt Besiegter und so unrettbar verstrickt wie sein gefangener König.
Isabella sang und spielte noch weiter, und beim letzten Liede, das sie zu hören gab, ließ sie die Saiten der Harfe mächtig rauschen und stürmen, und aus ihrem Munde klangen die Töne und Worte wie lauter Herzensjubel glücklicher Liebe.
Dann vertrieb man sich die Zeit mit anderen Unterhaltungen, bis die Nacht herniedersank und die Sterne über der Hohkönigsburg aufzogen, und als der Thürmer wieder sein Gute Nacht vom Bergfried herab ertönen ließ, ging man froh und zufrieden mit dem verlebten Tage zur Ruhe.
Schon legte der Wald stückweise sein vielfarbiges Herbstkleid an, das sich, in kühlen Nächten gewirkt, jeden Morgen bunter und scheckiger zeigte. Das Laub in den Wipfeln der Buchen röthete sich, die im leisesten Windhauch erzitternden Blättchen der zwischen dunklem Nadelholz vereinzelt stehenden Birken flirrten und flimmerten wie geschlagenes Gold, und die Zweige der Vogelbeerbäume senkten sich unter der Fülle ihrer Trauben von leuchtendem Scharlach.
Die Luft war krystallklar und frisch, und wohlig athmend sogen sie die Reiter ein, die von der Hohkönigsburg herab den Waldweg dahinzogen.
Isabella und Bruno waren es. Er hatte sie um die Gunst gebeten, ihr bis Rappoltsweiler das Geleit geben zu dürfen und war damit einem stillen Wunsche von ihr entgegengekommen. Allerdings hatte Leontine dabei ein wenig nachgeholfen, indem sie, noch ehe Bruno die Absicht geäußert, mit Leontine gleichzeitig aufzubrechen, zu ihnen gesagt hatte: »Wenn ihr beiden den Berg zusammen herunter seid und Sanct Pilt vor euch habt, müßt ihr nach rechts abbiegen, sonst könnt ihr euch leicht verirren.« Das war ein deutlicher Wink für Bruno gewesen, für den er Leontine [176] sehr dankbar war, denn nun verstand es sich ja von selbst, daß er Isabella seinen ritterlichen Schutz anbot, was er ohne diese verhüllte Aufforderung vielleicht nicht gewagt hätte.
Die Unterhaltung der Zwei bewegte sich in so ruhigem Gleise wie der Schritt ihrer Pferde, drehte sich um gleichgültige Dinge und blieb dem am fernsten, was ihren Herzen am nächsten lag. Innigeres aber als die Lippen sprachen die Augen der Beiden, wenn ihre Blicke sich trafen, sich festhielten und so bald nicht wieder losließen.
Die Sonne hatte schon mehr als drei Viertel ihrer Mittagshöhe erreicht, als Isabella, sich im Sattel reckend und auf einen einsamen Reiter zeigend, ausrief: »Da kommt Egenolf! er hatte mir versprochen, auf meinem Rückwege zu mir zu stoßen.« Sie winkte dem Bruder mit ihrem Tuche, und sein Pferd in Galopp setzend sprengte er heran.
»Wo seid ihr beiden euch denn begegnet?« fragte er, als er ihnen die Hand reichte und sein Pferd wendend sich ihnen anschloß.
»Oben auf der Hohkönigsburg,« antwortete Isabella mit frohlockendem Tone.
»Auf der Hohkönigsburg? Du warst auf der Hohkönigsburg, Bruno?« sagte Egenolf und zog unwillkürlich den Zügel an, als müßte er bei dieser befremdlichen Kunde Halt machen.
»Tag und Nacht; warum sollte ich nicht?« sprach Bruno.
»Tag und Nacht! – hattest dort Wichtiges zu schaffen?«
»Ja, höchst Wichtiges!« lachte Isabella hell heraus. »Der Stallmeister läßt Dich übrigens vielmals wiedergrüßen,« fügte sie hinzu, dem Bruder schelmisch mit den Augen zublinkend.
»Das freut mich sehr; ich danke Dir, lieb Schwesterlein! – Habt ihr gute Aufnahme dort oben gefunden?« Diese Frage richtete Egenolf zumeist an Bruno, über dessen Besuch bei den Thiersteinern er gern Näheres wissen wollte.
»Die allergastfreundlichste,« erwiederte Bruno. »So verbindlich und liebenswürdig habe ich Graf Oswald noch nie gesehen.«
Da werde ein Mensch klug draus! dachte Egenolf. Weiß er denn nichts von seines Vaters Racheplänen? oder hat er dem Grafen schon die Absage gebracht? aber dann gastfreundlich aufgenommen? unbegreiflich! Grübelnd ritt er neben Bruno dahin.
»Solltest Du wieder einmal einen Wolf schießen, Egenolf, so denke doch auch an Dein lieb Schwesterlein,« fing Isabella nach einem Weilchen an.
»Er hat ja jüngst erst einen geschossen,« bemerkte Bruno.
»Ja freilich, aber der Himmel mag wissen, wo er den Pelz gelassen hat!« sprach Isabella, »und ich hätte ihn so gut vor meinem Bette brauchen können.«
»Bei Sanct Huberti Heiligenschein! das sollt Ihr nicht umsonst gesagt haben, Gräfin Isabella!« vermaß sich Bruno, »von heut an ist keiner mehr sicher vor mir.«
»Dann wehe den Wölfen im Wasgenwald!« lachte sie.
»Deine Schwester kann singen, Egenolf, wie ich es auf Erden noch nicht gehört habe,« kam es begeistert aus Bruno's Munde. »Ich wußte das gar nicht.«
»Und Dein Freund kann Schach spielen, – bewundernswerth!« spöttelte sie. »Jeden Zug thut er dreimal und dann doch noch falsch.«
»Spielt Ihr mal Schach, wenn –«
»Wenn Ihr singt, wollt Ihr sagen,« fiel sie neckisch ein, »werde mich hüten!«
»Die Schachfiguren tanzten auf dem Brett vor Freuden bei Eurem Gesange.«
»Aber es war ein Todtentanz; sie sanken dahin wie gemäht.«
»Weil ich nicht bei ihnen war, sondern mit allen Sinnen bei Euch, Isab – Gräfin Isabella!«
»Schachmatt, Jungherr Bruno! das war das Ende vom Liede.«
»Euer Lied vergeß' ich im Leben nicht!«
Egenolf hörte die muthwilligen Reden der Beiden mit steigender Verwunderung und gerieth in einen wahren Irrgarten von Gedanken und Vermuthungen. Was hatte Bruno auf der Hohkönigsburg zu suchen gehabt? In seines Vaters Auftrag, ja mit dessen Wissen nur war er nicht oben gewesen. War er hinaufgeritten, um sich Leontinens Gunst zu erobern? Das war das Wahrscheinlichste, aber wenn dies wirklich seine Absicht gewesen war, geglückt schien sie ihm nicht zu sein. Denn erstens ließ Leontine [179] ihn selber grüßen, was ihr schwerlich beigekommen wäre, wenn sie Bruno's Werbung gnädig auf- und angenommen hätte. Und zweitens würde in diesem Falle Isabella, deren stille Neigung zu Bruno dem Bruder kein Geheimniß war, nicht so ausgelassen lustig sein. Aber auch Bruno verrieth eine überschwängliche Fröhlichkeit, die nichts Erzwungenes, Gemachtes hatte. Wie könnte er in so guter Laune sein, wenn er bei Leontinen angeklopft hätte und von ihr abgewiesen wäre. Für die Vereinbarung so merkwürdiger, widerspruchsvoller Umstände fand Egenolf nur eine einzige vernunftgemäße Erklärung: Bruno mußte sein Herz, das er Leontinen zu Füßen zu legen gedachte, dort oben an Isabella verloren haben wie das Schach an den Grafen Oswald. Die plötzlich eingetretene Wandlung in dem gegenseitigen Benehmen der hier neben ihm Reitenden war so in die Augen springend und so unzweideutig, daß ihm kein Zweifel mehr darüber bleiben konnte: die Beiden liebten sich. Diese Entdeckung erfüllte ihn mit großer Freude. Er gönnte die Schwester dem Freunde, der ihrer in jeder Beziehung werth war, und er sonnte sich in dem Glücke der Schwester, daß ihre verhohlene Liebe vom Freunde nun auch erwiedert wurde.
So waren sie an Rappoltsweiler herangekommen, und Bruno sagte etwas kleinlaut: »Wann werden wir uns wohl einmal wiedersehen, Egenolf?«
»Das kannst Du mich ja fragen, wenn wir von einander gehen,« erwiederte Egenolf. »Du kommst doch jetzt mit uns hinauf zur Ulrichsburg?«
»Meinst Du? das war eigentlich nicht meine Absicht. Was sagt Ihr dazu, Gräfin Isabella?« wandte sich Bruno an diese.
Isabella sprach mit leise bebender Stimme: »Ich meine, Ihr solltet die Aufforderung meines Bruders nicht ablehnen.«
»Na, siehst Du! so kräftigem Zureden kannst Du doch nicht widerstehen,« lachte Egenolf. »Natürlich kommst Du mit, weißt doch, daß Du meinen Eltern willkommen bist,« fügte er hinzu und fing dafür einen dankbaren Blick seiner Schwester auf, den er ihr mit einem freundlich verschmitzten Lächeln zurückgab.
»Gern komme ich mit euch,« erwiederte frohgemuth Bruno, der auf diese Einladung schon sehnlichst gewartet hatte.
So ritten sie denn zusammen zur St. Ulrichsburg hinauf, und Egenolf trug sich mit nicht geringer Neugier, was wohl sein Vater zu Bruno's Besuch auf der Hohkönigsburg sagen würde.
Bruno ward im Schlosse herzlich willkommen geheißen, und Graf Schmasman ließ ihn nichts davon empfinden, was ihn seines Vaters wegen verdroß und bekümmerte.
Isabella erzählte von ihrer vorzüglichen Aufnahme bei den Thiersteinern, bestellte ihrer Mutter den freudigen Dank der Gräfin Margarethe für den Gürtel und theilte mit, daß ihr Leontine einen baldigen Gegenbesuch versprochen hätte.
»Und wo kommst Du her, Bruno?« fragte Schmasman so beiläufig.
»Auch von der Hohkönigsburg,« antwortete Bruno.
»Aber Du warst nicht oben auf der Burg? nicht darin?«
»Doch, Herr Graf!«
»Von Deinem Vater entsandt?«
»Nein.«
»Ja, was wolltest Du denn da?«
»Ich wollte den Stallmeister Isinger, den vielgepriesenen Kurschmied, um Rath fragen wegen meines herzschlächtigen Rappen.«
Da brach Egenolf in helles Lachen aus. Nun ist das Räthsel gelöst, dachte er; seines herzschlächtigen Rappen wegen ist er den weiten Weg geritten, nicht zur Eroberung eines heißbegehrten Mädchenherzens, und wie habe ich mich mit der Ergründung seiner tief verborgenen Anschläge abgequält! »Der Isinger wird Dir einen schönen Bären aufgebunden haben,« konnte er zu sagen sich nicht enthalten.
»Fast glaub ich es selber,« erwiederte Bruno, in das Lachen des Freundes gutmüthig einstimmend.
Schmasman blieb sehr ernst und setzte seine Fragen fort: »Hast Du den Grafen Oswald gesprochen?«
»Gewiß! er hat mich auf der ganzen Burg herumgeführt, mir alle Vertheidigungswerke gezeigt und mir den besonderen Zweck jedes einzelnen erklärt.«
»Er hat Dir die Werke gezeigt?« sprach Schmasman [182] höchst erstaunt. »Nun, Bruno, Dein dämpfiger Rappe war doch wohl nur ein Vorwand für Deinen Besuch, und wenn auch nicht in Deines Vaters ausdrücklichem Auftrag, so doch wohl auf seinen leisen Wink hast Du Dir vom Grafen Oswald die neuen Befestigungen so genau zeigen lassen; ich wundere mich nur, daß er's gethan hat.«
»Er hat sich ohne meinen Wunsch selbst dazu erboten.«
Schmasman starrte den vom Grafen Oswald so Bevorzugten an, als verstünde er das Alles nicht. Dann sagte er: »Du kannst also nun angeben, an welchen Stellen die Burg am ehesten zu berennen und zu erstürmen ist, wenn Dich Jemand danach fragen sollte?«
»Ich halte sie für uneinnehmbar,« erwiederte Bruno. »Aber, Herr Graf, wer denkt denn daran, die Hohkönigsburg zu erstürmen?«
»Dein Vater, Bruno!«
Bruno saß da, wie auf den Mund geschlagen; kaum brachte er hervor: »Mein Vater?«
»Ja, er hat mit dem Grafen Oswald einen harten Streit gehabt und will sich an ihm rächen, ihm zum Kampf mit Feuer und Schwert absagen. Ich glaubte, Du hättest ihm schon den Fehdebrief überbracht, als ich hörte, daß Du von der Hohkönigsburg kommst.«
»Davon hat mir mein Vater kein Wort gesagt; er weiß allerdings auch nicht, daß ich dahin geritten bin,« sprach Bruno erregt und erschrocken.
»Höre nur weiter! die Fehde ist beschlossene Sache; Dein Vater hat auch mich dazu beredet, und ich habe ihm [183] meine Hilfe zugesagt. Aber nach reiflichem Erwägen und aus schwerwiegenden Gründen bin ich anderen Sinnes geworden, und wärest Du heute nicht hierher gekommen, so hätte ich morgen Deinen Vater meine Willensänderung wissen lassen. Nun bestelle Du ihm, daß ich von dem Fehdeplan gegen die Thiersteiner zurückträte.«
»Und wenn mich mein Vater nach Euren Gründen fragt?«
»Dann sage ihm –,« begann Schmasman mit auflodernder Heftigkeit, bezwang sich aber schnell und fuhr ruhiger fort: »Sage ihm, ich hielte einen Streit beim vollen Becher einer blutigen Fehde nicht werth.«
»Mit dieser Botschaft werde ich einen üblen Empfang zu Hause finden,« meinte Bruno besorgt.
»Was kannst Du dafür!« tröstete ihn Schmasman. »Aber vielleicht besinnt sich Dein Vater nun auch eines Besseren, wenn er hört, daß ich nicht mitthun will.«
Bruno schüttelte den Kopf und sprach: »Schwerlich; was er sich einmal in den Kopf gesetzt hat, davon bringt ihn nichts in der Welt wieder ab.«
»O ich kenne ihn,« sagte Schmasman, »er wird wüthen gegen mich.«
Danach blieb es eine Zeit lang still in dem Kreise. Die Anderen hatten sich an dem Gespräch nicht betheiligt, auch Gräfin Herzelande nicht. Isabella, die von diesen Fährlichkeiten jetzt zum ersten Male hörte, empfand es schmerzlich, daß ihre Freundin Leontine und deren Eltern von so bitteren Feindseligkeiten bedroht waren. Bruno [184] lag es bergeschwer auf der Brust, was ihn hier wie ein Blitz aus heiterm Himmel überstürzt hatte. Er sah den Ausbruch einer scharfen, vielleicht verhängnißvollen Zwietracht zwischen seinem Vater und dem Grafen von Rappoltstein voraus, die seine jung aufsprießenden Hoffnungen auf den einstigen Besitz Isabella's vernichten konnte. Aus seinem Besuch auf der Hohkönigsburg konnte sein Vater ihm keinen Vorwurf machen. Warum hatte Herr Burkhard ihm nicht Vertrauen geschenkt, ihn nicht in diese mißlichen Verhältnisse eingeweiht, wie dies Schmasman doch seinem Sohne gegenüber gethan haben mußte, denn Egenolf hatte sich von den bedauerlichen Neuigkeiten durchaus nicht überrascht gezeigt. Und doch war es Bruno lieb, daß er bis jetzt nichts davon gewußt hatte, denn dann hätte er nicht auf die Hohkönigsburg reiten und dort unvermuthet mit Isabella zusammentreffen können.
Die Stimmung auf der St. Ulrichsburg war eine niedergeschlagene, so sehr auch Herzelande sich bemühte, die Unterhaltung, die sie geschickt auf andere, unverfängliche Gebiete hinübergeleitet hatte, einigermaßen im Gange zu erhalten. Egenolf war der Einzige, der die Wendung der Dinge, wie sie heute lagen, als eine für ihn und seine Herzenswünsche günstige betrachten konnte, nachdem er aus seines Vaters Munde den Entschluß vernommen hatte, die Thiersteiner nicht befehden zu wollen, aber frei von dem auf Allen lastenden Drucke fühlte auch er sich nicht. Ihn dauerten Freund und Schwester, und mehr als einmal sah er, wie die Beiden einen traurigen Blick wechselten, [185] als früge Jeder den Andern: was wird nun aus uns?
Bruno wollte aufbrechen und heimreiten, um den Sturm, der aus seines Vaters Zorn über ihn daherbrausen würde, so bald wie möglich zu bestehen und dann hinter sich zu haben. Er ließ sich jedoch von Schmasman und Herzelande, die ihn von Klein auf kannten und daher auch jetzt noch Du nannten, leicht zum Bleiben bewegen.
Endlich regte sich bei Allen der Wunsch, den Zwang von Umständen, an denen vorläufig nichts zu ändern war, von sich abzuschütteln, und in diesem Bestreben kam es am Abend, als Egenolf mit Erfolg darauf drang, aus dem Schloßkeller einige Herzstärkungen heraufholen zu lassen, noch zu einem ganz vergnüglichen Beisammensein. Auch Schmasman, der eine gewisse Beruhigung darin fand, daß er seine Willensmeinung wegen der Fehde von der Seele herunter hatte und Burkhard nun Kunde davon erhielt, war gesonnen, sich jetzt einer frohen Geselligkeit hinzugeben, und genoß mit Behagen die edlen Tropfen, die sein heute schier übermüthiger Sohn auftischen ließ. Und Herzelande, die vornehm und liebreich waltende, klug und mild alles Widerwärtige zum Guten kehrende Schloßfrau, saß ihm mit lachenden Augen gegenüber und freute sich, ihn wieder heiter zu sehen. Selbst Bruno vergaß an Isabella's Seite der drohenden Wolken, die über seinem schuldlosen Haupte schwebten, und Isabella war mehrmals in seligen Träumen versunken, aus denen sie erst Anrede oder Frage eines Anderen weckte.
Als nun der alte, seinen Beruf nie verfehlende Freudenbringer die Lebensgeister angefacht hatte, wandte sich Bruno plötzlich mit einem fast feierlichen Tone zu Schmasman und sagte: »Herr Graf, ich habe eine Bitte an Euch, eine große Bitte.«
Isabella erschrak und warf einen ängstlichen Blick auf ihren Bruder, den es auch durchfuhr: er wird doch nicht –?
»Laß sie hören, Bruno!« rief Schmasman freundlich und geneigt ihm zu.
Bruno hub an: »Der Pfeiferkönig hat unsern Seppele von Ottrott auf neun Tage in den Thurm gesperrt wegen eines Spottliedes auf den Falkenwirth in Grendelbruch. Zur Hälfte hat er die Strafe schon verbüßt, und nun bitte ich Euch als den Schutz- und Lehnsherrn der Spielleute: erlaßt ihm in Gnaden die andere Hälfte und gebt den Seppele frei. Ihr würdet meinem Vater damit eine Freude machen, und es würde nicht wenig zu seiner Besänftigung beitragen, wenn ich ihm nach der anderen, sehr unwillkommenen die tröstliche Meldung von Seppele's Freilassung überbringen könnte.«
Isabella athmete auf, und Egenolf mußte nun selbst darüber lächeln, welche Übereilung er seinem Freunde Bruno zugetraut hatte.
Schmasman antwortete nicht gleich, aber als ihm Herzelande eifrig zunickte, sprach er: »Nun gut, Deine Bitte soll erfüllt werden, Bruno. Egenolf mag morgen mit Dir nach Rappoltsweiler hinunter reiten; da geht ihr zum Frohnvogt und verkündet ihm in meinem Namen [187] Seppele's Begnadigung. Dann kannst Du den Nichtsnutz gleich mitnehmen.«
»Ich dank' Euch vielmals, Herr Graf!« sagte Bruno und war nun erst recht aufgeräumt und guter Dinge.
Nicht lange darauf zogen sich die beiden Damen zurück, aber die drei Herren zechten noch weiter, bis Schmasman erklärte: »Nun ist's genug; schlaft wohl, ihr beiden!«
Gern wäre Bruno noch mit Egenolf allein sitzen geblieben, um ihm beim Becher seine Liebe zu Isabella zu beichten, aber das wollte Egenolf heute vermeiden. Er sprach daher: »Komm! es ist spät geworden.«
Da erhoben auch sie sich und suchten ihre Schlafgemächer auf.
Vier Tage waren vergangen, seit Bruno von der St. Ulrichsburg abgeritten war und seinem Vater von Schmasmans Entschluß, die Thiersteiner nicht angreifen zu wollen, Mittheilung gemacht hatte. Aber noch war keine Kunde hierher zurückgelangt, was Burkhard bei so veränderter Sachlage zu thun gedächte, ob er nun den Fehdeplan aufgab, oder ob er, auch ohne die Hilfe der Rappoltsteiner, auf der Durchführung des feindlichen Unternehmens nach wie vor bestand. Dieses Ausbleiben jeglicher Nachricht versetzte Schmasman in große Unruhe, denn er konnte sich Burkhards Schweigen nicht erklären. War dieser so wüthend auf ihn, daß er ihn keiner Botschaft mehr würdigte? oder wollte er seine Entschlüsse und Veranstaltungen vor ihm geheim halten, um ihn mit einer vollendeten Thatsache, einem nicht zurücknehmbaren Schritte zu der Entscheidung zu zwingen, mit ihm oder wider ihn zu sein? Denn wenn es wirklich zum Kampfe kam, so konnte Schmasman diesem nicht als Unbetheiligter müßig zuschauen, sondern mußte auf der einen oder der anderen Seite handelnd eingreifen.
All die Tage her und manche halbe Nacht hatte er sich mit den abenteuerlichsten Gedanken darüber herumgeschlagen [189] und sich schon die Frage vorgelegt, ob die von Loder belauschte Unterhaltung Burkhards mit Müllenheim und des Ersteren dabei geäußertes Verlangen nach dem Besitz der Hohkönigsburg auch wohl ernst zu nehmen sei. Er hielt es jetzt für möglich, daß Burkhard dem Schloßherrn von Girbaden nur hatte auf den Zahn fühlen wollen und daß seine Einladung an ihn zum Weihnachtsfest dort oben nur ein prahlerischer Scherz oder eine muthwillige Fopperei gewesen war. Denn er konnte Burkhard noch immer nicht die Tücke zutrauen, ihn im Widerspruch mit der jeden Nebenzweck verneinenden Versicherung so gröblich täuschen zu wollen, und war auf dem besten Wege zu der Überzeugung, daß er seinem rauflustigen Freunde mit diesem Verdacht Unrecht thäte. Aber Gewißheit, was er von ihm denken sollte, mußte er um jeden Preis haben, und dazu konnte er nur gelangen, wenn er vor Burkhard hintrat und ihn Auge in Auge zur Rede stellte.
Mit dem Entschlusse, dies zu thun, kam er am fünften Morgen nach Bruno's Besuch in das Gemach seiner Gemahlin und theilte ihr sein Vorhaben und dessen Begründung mit.
Herzelande hörte ihn ruhig an und sagte darauf: »Den Ritt nach Ottrott kannst Du Dir sparen; dieser Brief Stephania's, den sie mir durch einen Knecht gesandt hat, wird Dich aller Zweifel über Burkhards wahre Absichten entheben.« Sie reichte ihm das Blatt, und Schmasman las, was Frau Stephania geschrieben hatte.
Meine herzliebe Frau Gevatterin Gräfin Herzelande!
Freundlichen Gruß und alles Guts zuvor! Mit beschwertem Gemüth, aber in gutherziger Meinung schreibe ich Euch diesen angsthaftigen Brief. Mein lieber Herr und Gemahl ist ob der betrübsamen Kunde, so ihm unser Sohn vom Grafen Schmasman überbracht hat, in einer ganz erschrecklichen, zornmüthigen Verfassung und läßt sich durch keine Beschwichtigungen mit guter Vernunft zu einem gebührlichen Einsehen bewegen. Graf Schmasman will von der stattgehabten Abrede, dem Grafen Thierstein auf Leib und Leben, Gut und Blut abzusagen, zurückzucken, und Burkhard schilt ihn ein Mal übers andere wortbrüchig und bundbrüchig und droht, auch euch Rappoltsteiner mit gewaffneter Hand anzufallen, wenn Graf Schmasman nicht steifhält, was er gelobt hat. O meine großgünstige Freundin, was soll aus so beschaffenen Umständen werden? Zwietracht und Uneinigkeit ist das größte Gift auf Erden, und nun gar zwischen alten Freunden, die ihr Lebtag in gutem Frieden mit einander ausgekommen sind. Mein Gemahl hat ein unruhig Herz und einen stolzen Kopf; er will bei seinem gefaßten Fürhaben beharren und die ihm von dem Thiersteiner angethane Schmach mannlich rächen. Er will nicht ablassen, bis er ihn von der Hohkönigsburg vertrieben hat, und mich will fast bedünken, als hätte er dabei noch einen anderen Endzweck im Auge, den er mir nicht aufdecken will. [191] Ihr könnt leichtlich entnehmen, daß ich groß Überlast mit ihm habe und, wie schon gemeldt, in zitternden Ängsten und Sorgen bin, daß daraus viel Unsegen und Leiden erwachsen. Aus diesen bewegenden Ursachen bitte ich Euer Liebden im Namen Gottes, doch ja mit größter Fürsichtigkeit zu thun, was in Euren Kräften steht, daß zwischen unseren beiden Herren Friede und Eintracht bleibt, und vertraue herzhaft auf Euch, daß Ihr Euren Ehgemahl dazu vermögt, dem meinigen Wort zu halten und ihn nicht im Stich zu lassen.
Der Allmächtige erhalte Euch bei langwieriger, bequemer Gesundheit, und wollet meiner im Guten nicht vergessen.
Zu aller Lieb und allem Dienst
Eure
treuverbundene Freundin und Gevatterin
Stephania von Rathsamhausen.
Schmasman war vom Lesen dieses Briefes tief erschüttert. Er schritt ein paarmal schwer athmend im Zimmer auf und ab und rief mit grollender Stimme: »Wortbrüchig, bundbrüchig nennt er mich, – das ertrag' ich nicht!« Dann blieb er vor Herzelande stehen. »Hab' ich es euch nicht gesagt: ein Wort ist ein Wort und bleibt ein Wort? Sie hat ganz Recht, ich kann nicht zurück, ich muß steifhalten, was ich gelobt habe. Ein Wortbruch ist das Abscheulichste, was ich kenne.«
»Und willst ihm helfen, die Hohkönigsburg zu erstürmen und sich darin festzusetzen?« fragte Herzelande.
»Nein! das nicht, das nicht!«
»Ja, was dann? der andere Endzweck, von dem Stephania spricht, liegt doch für uns klar auf der Hand.«
»Dabei hat der Kaiser auch noch mitzureden; er ist der oberste Lehnsherr.«
»Der Kaiser!« sagte sie mit geringschätziger Miene, »Du weißt besser als ich, wie weit des Kaisers Macht reicht und wie weit sie nicht reicht. Und was ist denn schlimmer, Wortbruch oder Friedensbruch?«
Er drückte die geballten Fäuste gegen die Stirn und stöhnte: »Es ist grausam, vor eine solche Wahl gestellt zu sein.«
»Entscheiden mußt Du Dich für's eine oder für's andere.«
»Mach mich nicht rasend, Frau! ich weiß mir nicht aus noch ein. Wortbrüchig! wortbrüchig!« und wieder lief er hin und her wie ein Löwe im Käfig. Dann riß er die Thür auf und rief hinaus, daß es laut durch die Gänge schallte: »Reimar! Reimar!« Der Kämmerling erschien. »Geh hinauf zum Thürmer; er soll blasen, daß meine Brüder kommen, sogleich kommen.«
Der Hornruf ertönte, und nun horchten sie auf die Antwort. Bald klang es von Giersberg und auch von Hohrappoltstein zurück: ich komme.
»Wozu Wilhelm rathen wird, weiß ich im Voraus,« [193] sprach Herzelande. »Bei Kaspar ist es mir zweifelhaft, er ist eine friedliebende Natur.«
»Sie werden beide so rathlos sein wie ich.«
»Ich hoffe, ihr werdet einen ehrenvollen Ausweg finden.«
»Einen anderen gehen wir nicht, Herzelande!« sagte Schmasman. »Ich erwarte sie oben bei mir; sorge, daß wir nicht gestört werden.« Damit schritt er hinaus und stieg die Treppe hinan.
Kaum hatte er das Gemach verlassen, als Isabella und Egenolf zugleich eintraten, die Eine in den Augen die stumme, der Andere auf den Lippen die laute Frage: »Was ist geschehen, Mutter? die Oheime sind herberufen; etwa Nachricht von Herrn Burkhard?«
»Nicht von ihm selber, aber von Frau Stephania,« erwiederte Herzelande mit einem Tone, aus dem Leid und Sorge herauszuhören waren.
»Willst Du mir sagen, Mutter –«
»Herr Burkhard besteht auf blutiger Fehde gegen die Thiersteiner und verlangt des Vaters Beistand.«
»Und der Vater?«
»Ist in der schwierigsten Lage und weiß nicht, was er thun oder lassen soll. Er will mit seinen Brüdern Raths pflegen.«
»Was sie ihm auch rathen werden,« sprach Egenolf, »ich kann mir nicht denken, daß sich der Vater zur Absage an Graf Oswald entschließen wird.«
»Dann giebt es Fehde mit Burkhard,« sagte Herzelande.
»O mein Gott!« entfuhr es Isabella's zuckendem Munde.
Darauf schwiegen die Drei, und Jeder gab sich seinen trüben Gedanken hin.
Graf Kaspar traf als der Nächstwohnende zuerst auf der St. Ulrichsburg ein und mit ihm seine Gattin Imagina.
»Na, vergnügte Gesichter macht ihr grade nicht, seht aus, als wäre euch Gott weiß was verregnet.« Mit diesen Worten begrüßte Imagina beim Eintritt ins Gemach die Anwesenden, von einem zum andern blickend. »Was ist denn los hier?«
»Der Teufel ist los,« brummte Egenolf.
»Burkhard speit Feuer und Flammen, nicht wahr?« fragte Kaspar.
Herzelande nickte: »Er hält Schmasman bei seinem Worte fest, – Fehde gegen Thierstein.«
»Brr!« machte Imagina, »da spielen wir nicht mit.«
»Werden wohl müssen,« sagte Kaspar ärgerlich.
»Schmasman erwartet Dich oben, und Gott gebe euch einen guten Rath ein,« erinnerte Herzelande ihren Schwager, und dieser ging nun zu Dem, der seiner harrte.
»Könnt' ich nur dabei sein bei ihrer Berathung!« sprach Egenolf unwillig.
»Der Vater wird seine besonderen Gründe haben, daß er Dich nicht dazu aufgefordert hat,« meinte Herzelande.
Bald kam auch Graf Wilhelm an, aber ohne seine Gemahlin, und begab sich sofort hinauf zu seinen Brüdern.
»Mich werdet ihr hier nicht los, bis ich erfahre, was sie da oben ausgeheckt haben,« sprach Imagina und kauerte sich wie ein Kätzchen so recht behaglich in einen bequemen Lehnstuhl.
»Wenn sie's uns überhaupt anvertrauen,« warf Egenolf ein.
»Hm!« lächelte Imagina und sah ihn mit einem Blick an, der wohl sagen sollte: dafür laß mich sorgen.
Egenolf hätte sich am liebsten in den Sattel geschwungen und in einem scharfen Ritt seine Unruhe vertrieben, aber auch er wollte nicht von hinnen, ehe er wußte, wie die Entscheidung ausgefallen war, zumal er noch immer hoffte, daß nichts Feindliches gegen die Thiersteiner beschlossen wurde.
Eine Viertelstunde nach der anderen verging in banger Erwartung. Isabella schnürte die Angst die Kehle zu, daß es gegen die Rathsamhausen gehen könnte, und auch Herzelande ward es schwer, ihre innere Erregung vor den Andern zu verbergen. Nur Imagina behielt ihren Gleichmuth; sie blinzelte schläfrig mit den Augen, und ihr rothes Mündchen öffnete sich, so weit es konnte, zu einem lieblichen Gähnen, das sie mit der Hand zu verdecken suchte. »Kinder, ist das langweilig!« sagte sie dann, »Geduld ist meine starke Seite nicht.«
Die Anderen beharrten in ihrem Schweigen, und die Minuten schlichen stumm durch die endlose Zeit. Ein tiefer Athemzug, ein halb unterdrückter Seufzer waren die einzigen bemerkbaren Geräusche.
Plötzlich aber ließ sich vor dem Gemach ein Rauschen und Zischeln vernehmen; die Thür ward aufgestoßen, und Leontine kam hereingeschossen.
»Grüß Gott!« rief sie fröhlich, »da komm' ich gestoben wie der Wirbelwind über die Stoppeln. Ja, was thut ihr denn hier? sitzt da zu Vieren, und kein Laut ist zu hören? haltet ihr hier eine stille Andacht ab?«
»Jawohl,« lachte Imagina, die sich zuerst faßte und aufgesprungen war, »ich habe soeben gebetet, der Himmel möchte uns irgend ein kleines blaues Wunder bescheren, und nun haben wir's leibhaftig vor uns, und größer als ich's mir in meiner Bescheidenheit gewünscht habe.«
Leontine flog nun aus einem Arm in den andern, und Alle beherrschten sich so gut, daß die Ahnungslose von ihrer Bestürzung über dieses höchst seltsame Zusammentreffen nichts gewahr wurde.
»Ich kann Euch nicht sagen, wie willkommen Ihr mir seid, Leontine!« sprach Herzelande mit einer eigenthümlichen Bewegung im Tone. Ihr brachte Leontinens Erscheinen Erleichterung und Erlösung von marternder Pein, und es war ihr, als käme der Schutzgeist des Hauses Thierstein eilends dahergeschwebt, dem Unheil zu wehren, das sich vielleicht in dieser Stunde über dem Hause zusammenzog. Nun konnten doch unmöglich die Drei da oben Feindschaft gegen den Grafen Oswald beschließen, während seine Tochter vertrauensvoll als Gast unter Schmasmans Dache weilte.
»Du bleibst doch recht lange hier, hoff' ich,« sprach [197] Isabella und hielt Leontinen umschlungen, als wollte sie die eben Gekommene nun auch so bald nicht wieder freigeben.
»Leider muß ich heut Abend wieder zurück,« erwiederte Leontine, »wir erwarten Besuch aus Straßburg, und da muß ich zu Hause sein.«
»Wie Schade!«
»Ich komme bald einmal wieder; es trieb mich unwiderstehlich, Dich schnell einmal wiederzusehen, und ich weiß nicht, wie lange unsere Gäste bleiben werden.«
»Es wird ihnen auf der Hohkönigsburg schon zu längerem Aufenthalt gefallen,« meinte Herzelande; »sie ist gar schön und prächtig nach ihrem Wiederaufbau. Die weißhaarige Greisin läßt sich nun wohl nicht mehr sehen?«
»Welche weißhaarige Greisin?« fragte Leontine neugierig.
»Wißt Ihr davon nichts?« sprach Herzelande. »In den langen Jahren, wo die Burg in Trümmern lag, wandelte, so erzählt man sich, eine Greisin mit wallendem weißen Haar in hellen Vollmondnächten auf den gebrochenen Mauern gespenstisch umher, rang stumm klagend die Hände und erhob sie flehend zum Himmel. Eine verstorbene Gräfin Öttingen soll es sein, die vor Trauer über den Verfall der Burg in ihrem Grabe nicht schlafen konnte. Nun aber, da sie in alter Größe wieder hoch und herrlich dasteht, wird ihre einstige Herrin wohl die ewige Ruhe gefunden haben und, so hoff' ich zu Gott, nie wieder darin gestört werden.«
»Davon habe ich noch nie gehört.«
»Weiße Frauen gehen nächtens auf vielen Burgen im Wasigen um,« fuhr Herzelande fort, »auch auf der unsrigen hier, obwohl sie von uns Lebenden noch keiner gesehen hat. Auf Schloß Rathsamhausen, auf der Dagsburg, Haselburg, Spesburg, Plixburg, Ochsenstein, Greifenstein und anderen Burgen zeigen sie sich, und ihr Erscheinen bedeutet stets eine drohende Gefahr oder ein bevorstehendes Unglück.«
»Nur Unglück prophezeien sie?«
»Unglück und Gefahr; sie sind Ahnfrauen, die ihr nachfolgendes Geschlecht vor allem Bösen warnen und behüten wollen,« erwiederte Herzelande. »Achtet man ihres Kommens nicht, so bricht das Verderben herein. So geschah es einmal auf den Ottrotter Schlössern. Auf den Burgen Rathsamhausen und Lützelburg, die kaum einen Pfeilschuß weit auseinander liegen, wohnten einst zwei Brüder, die zuweilen in der Frühe selbander auf die Pirsch zu gehen pflegten. Sie weckten sich gegenseitig dadurch, daß der zuerst Erwachende beim grauenden Morgen einen Pfeil gegen den geschlossenen Fensterladen des Bruders schoß, und kannten aus langer Übung die Richtung so genau, daß sie auch im Halbdunkel ihres Zieles nicht fehlten. Eines Morgens aber öffnen beide gleichzeitig den Laden; Jeder schießt im selben Augenblick, und Jeder sinkt, vom Pfeile des Bruders getroffen, sterbend danieder. Drei Nächte vorher war beiden die weiße Frau erschienen.«
»Schrecklich!« sprach Leontine.
»Wißt ihr noch mehr so grauliche Geschichten?« frug Imagina. »So am helllichten Tage lasse ich sie mir gefallen, aber kurz vor Schlafenszeit halte ich mir die Ohren davor zu, sonst träumt man davon.«
»Du hast Recht,« sagte Herzelande, »wir wollen unsere liebe Leontine nicht mit so schauerlichen Geschichten unterhalten.«
»O ich fürchte mich nicht,« lachte Leontine und sah sich in dem schönen, ganz durchsonnten Zimmer aufmerksam um. Auf ein gemaltes Fenster zeigend fragte sie: »Ist das Euer Wappen?«
»Ja, das ist unser Wappen,« erwiederte Herzelande, »und wenn ich nicht irre, haben es die Rappoltsteiner schon von den Saliern, den Kaisern Heinrich IV. und V., die das Geschlecht mit den drei Burgen, auf denen wir heute noch wohnen, einst belehnten.«
»So? Wie kommt es denn aber, daß sich ganz dasselbe Wappen am Zunfthause der Maler in Straßburg befindet?«
»Es ist nicht ganz dasselbe,« belehrte sie Herzelande, »sondern zeigt die umgekehrten Farben, nicht drei rothe Schildlein in weißem Felde wie dies hier, sondern drei weiße Schildlein in rothem Felde, und es hat damit eine eigene Bewandtniß. Als vor langen Jahren Meister Ulrich von Ensingen den Thurmbau des Straßburger Münsters leitete, arbeiteten unter ihm drei berühmte Künstler, drei Brüder Jungherren von Prag, als [200] Baumeister, Bildhauer und Maler. Ein Vorfahr meines Mannes, ein Herr von Rappoltstein, beleidigte sie, ich weiß nicht mehr womit. Sie beklagten sich beim Kaiser Sigismund, als dieser bald darauf nach Straßburg kam, und der Kaiser gab den Jungherren nicht nur Recht, sondern verlieh ihnen auch zur Sühne das nur in den Farben veränderte Wappen ihres Beleidigers. Und seitdem führen alle Malerzünfte im ganzen deutschen Reiche das Rappoltstein'sche Wappen, aber in den umgekehrten Farben: drei weiße Schildlein in rothem Felde.«
»Das ist ja merkwürdig,« sagte Leontine. »Ihr wißt so Vieles zu erzählen, Gräfin Herzelande! ich könnte Euch Tage lang zuhören.«
»Und ich würde nicht fertig werden damit,« lächelte Herzelande, »ich weiß noch viel, viel mehr, denn unser alter, schöner Wasigen steckt so voll von Sagen und Geschichten wie kein anderer deutscher Gau. Ich könnte Euch von der Fee Haband am Schlüsselstein erzählen, die bei Kerzenlicht die Mähnen der Rosse strählt und Nachts mit einem spukhaften Gefolge weißverschleierter Fräulein weit umherzieht, vom Weingeigerlein von Brunstatt, das zur Zeit der Rebenblüthe einen guten oder schlechten Herbst verkündet, vom böttgernden Küfer im Falkenstein, der dasselbe thut, von dem Gnom im Silberschacht bei Mariakirch, der sich in die Tochter des Steigers verliebte und weil sie ihn nicht erhörte, den Schacht mit allen seinen Schätzen auf ewig verschloß, von den Eisenringen in der Heidenmauer an der Tänchelwand, wo die Schiffe festgebunden [201] wurden, die den großen See, der sich einst dort befand, befuhren, von Schwänen umkreist, und von noch mehr so wunderbaren Dingen. Aber das verspare ich mir auf ein ander Mal, denn ich höre die Herren kommen.«
Die drei Brüder traten herein, und auf ihren sehr ernsten, noch etwas erregten Gesichtern spiegelte sich Verwunderung und einige Verlegenheit, grade zu dieser Stunde Leontinen hier zu begegnen.
»Sieh da! die Herren Grafen alle drei beisammen!« rief Leontine sich erhebend. »Ihr staunt, mich hier zu sehen, und ich fürchte fast, ich bin in einen wichtigen Familienrath recht ungelegen und störend hineingeschneit.«
»Weder störend noch ungelegen, Gräfin Leontine!« erwiederte Schmasman freundlich und reichte ihr die Hand. »Wir waren nur nicht auf die Freude vorbereitet, einen so lieben Gast hier zu finden; seid willkommen!«
Auch Wilhelm und Kaspar begrüßten Leontinen mit ritterlicher Höflichkeit.
Vier Augenpaare bohrten sich mit forschenden Blicken in die Gesichter der drei Brüder, aber in ihnen war nichts von dem zu lesen, was sie beschlossen hatten und danach zu fragen wagte in Leontinens Gegenwart Niemand.
Graf Wilhelm verabschiedete sich, um zu seiner Gemahlin zurückzukehren. Kaspar aber und Imagina blieben zur Mittagstafel, an der man es sich so wohl sein ließ wie [202] dies den auf die getroffene Entscheidung angstvoll Gespannten möglich war. Imagina und Leontine waren die Muntersten bei Tische, und Schmasman und Herzelande führten die Unterhaltung so ungezwungen und geschickt, daß Leontine von dem Banne, der auf Allen lag, nichts merkte.
Egenolf hatte sich Leontinen gegenüber gesetzt, aß und trank wenig und war ziemlich wortkarg. Seine Augen suchten die ihrigen, und sehr oft traf ihn ein schüchterner Blick von ihr, über den sie dann schnell die Wimpern senkte, aber doch nicht schnell genug, daß er den leuchtenden Blitz nicht gesehen hätte. Sie aber wußte sich das Gemisch von Sehnsucht und Sorge, mit dem er sie immer wieder und wieder anschaute, nicht zu deuten. Wovor bangte ihm? Konnte er denn noch in Ungewißheit sein, wie sie über ihn dachte, was sie tief im Herzen für ihn fühlte?
Die heimlich beobachtende Imagina hatte wohl erkannt, was da wie schwellende Knospen zum freudigen Aufblühen trieb und drängte, und nahm sich vor, den Beiden zu ihrem Glücke zu verhelfen, wobei sie auf Isabella's Beistand rechnen konnte.
Nachdem man vom Tische aufgestanden war, sagte sie zu ihrem Gatten: »Du hast wohl mit Schmasman noch Manches zu ordnen; wir gehen derweilen in den Wald, und ich treffe Dich später zu Hause.« Dann that sie noch eine leise Frage an ihn, auf die eine kurze, von Niemand sonst verstandene Antwort erfolgte.
Es kam auch so, wie Imagina vorgeschlagen hatte. Sie, Leontine und Isabella wandelten bald, von Egenolf begleitet, auf einem stillen Waldpfade, wo der Wind, im welkenden Laube raschelnd, sein wehmüthiges Herbstlied sang und bald hier, bald dort ein gelbes Blatt vom Zweige brach, das aus dem Wipfel lautlos zu Boden flatterte.
Anfangs gingen sie zu Vieren, paarweise getheilt, mit einander, und die Unterhaltung war eine gemeinsame. Nach einiger Zeit aber wußte es Imagina so einzurichten, daß sie mit Isabella vorn war und diese, Arm in Arm mit ihr, zu rascherem Vorwärtsschreiten veranlaßte, so daß Egenolf und Leontine etwas hinter ihnen zurückblieben. Leontine schien nicht darauf zu achten und plauderte ruhig weiter. Als sich die beiden Anderen aber immer mehr von ihnen entfernten, durchschaute sie deren Absicht, Egenolf Gelegenheit zu einer Aussprache mit ihr zu geben, und das war ihr durchaus nicht recht. Sie wollte zum Alleinsein mit ihm nicht so auffällig hingeleitet, hingestoßen sein, am wenigsten hier und heute, wo es ja den Anschein haben konnte, als wäre sie eigens dazu nach der St. Ulrichsburg gekommen. Darum beschleunigte nun auch sie ihren Schritt und zwang Egenolf damit, dasselbe zu thun. Er verstand sie und versuchte nicht, sie zurückzuhalten. Aber etwas hatte er ihr doch zu sagen, was jene Beiden nicht zu hören brauchten. Daher begann er, ehe sie die Voranschreitenden einholten: »Wie lange wird Euer Straßburger Besuch auf der Hohkönigsburg bleiben?«
»Ich denke, zwei oder drei Tage, länger gewiß nicht,« erwiederte sie. »Warum fragt Ihr danach?«
»Weil ich eine Bitte an Euch habe, Gräfin Leontine,« sprach er. »Ich möchte mit Euch gern einmal einen Ritt durch den Wald machen. Wollt Ihr mir diese Gunst gewähren?«
Sie fühlte sich erröthen, neigte das Haupt tiefer und sagte leise: »Wenn Ihr es wünscht, Graf Egenolf, so will ich es gern.«
»O wie dank' ich Euch! Ist es Euch recht, daß wir uns am vierten Tage von heute um die neunte Stunde dort treffen, wo wir uns zum ersten Male gesehen haben, wo das Echo wohnt?«
»Wo das Echo wohnt,« lächelte sie; »hört Ihr's? es antwortet auch hier.«
»Und aus Eurem Munde, Leontine!« jubelte er.
Weiter sprachen sie nichts, denn sie waren jetzt schon nahe an die Beiden herangekommen, mit denen sie sich nun wieder vereinigten und zur Burg zurückkehrten.
Als sie durch das Thor schritten, machte sich Egenolf an Imagina's Seite und flüsterte: »Weißt Du's, was beschlossen ist?«
»Ja, ich weiß es,« erwiederte sie mit einem mitleidigen Blick, »Fehde gegen Thierstein.«
Es traf ihn wie ein Schlag aufs Herz, aber er schwieg und verrieth, so lange Leontine noch blieb, mit keinem Wort und keiner Miene seinen verzweifelten Gemüthszustand, [205] in dem er das Schicksal, das seiner Hoffnung holde Blüthen erbarmungslos niedertreten wollte, schon herankommen sah.
Bald brach Leontine auf. Als sie im Burghof schon zu Pferde saß, schüttelte ihr Egenolf noch einmal die Hand, und nicht die Lippen, aber die Augen beider sprachen: Auf Wiedersehen!
Nicht mit einem frohen, freien Herzen ritt Egenolf an dem bestimmten Tage durch den Wald, Leontinen entgegen, denn er befand sich auf diesem Wege in einer schweren Bedrängniß. Er hatte sie um das Stelldichein gebeten, bevor er wußte, was die drei Brüder Rappoltstein beschlossen hatten, und nun er dies von Imagina erfahren, konnte er sich auf die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, mit ihr einen Bund fürs Leben zu schließen, kaum noch Hoffnung machen.
Aber er durfte die ihn Erwartende nicht vergeblich seiner harren lassen, denn nach seinem bisherigen Benehmen gegen sie war er ihr eine Erklärung schuldig, oder er setzte sich in ihren Augen dem Verdacht aus, ein unverantwortliches Spiel mit ihr zu treiben.
Wenn er ihr nun heute, wie er sich vorgenommen hatte, seine Liebe gestand und sie nach der ihren fragte, so durfte er ihr als ehrlicher Mann nicht verschweigen, welche Schranke sich zwischen ihm und ihr aufbaute, und wenn er's ihr sagte, schob er selber den Riegel vor, der ihm ihren Besitz unnahbar verschloß, denn sie konnte sich unmöglich Einem zu eigen geben, der auf Seiten der Feinde ihres Vaters stand.
Früher als nöthig war er von Hause weggeritten, um in der Waldeinsamkeit zu immer wieder neuer Überlegung Zeit zu haben, was er thun sollte, und blieb dann doch bei dem Entschlusse, den er schon vor Tagen gefaßt hatte.
Er wollte ihr offen sagen: ich liebe Dich über Alles in der Welt, und Dich zu besitzen wäre das höchste Glück meines Lebens, aber ich darf nicht um Dich werben, weil es mir ein Hinderniß verbietet, das wegzuräumen nicht in meiner Macht liegt. Dieses Hinderniß würde sie sofort erkennen, sobald an ihren Vater die Absage seiner Gegner kam, die ja nicht lange mehr ausbleiben konnte.
Was dann geschah, was die Zukunft brachte, konnte Niemand voraussehen. Die Fehde würde beginnen und würde auch einmal endigen. Aber – wie die Entscheidung des Kampfes auch ausfallen mochte – ob dann, nach geschlossenem Burgfrieden, eine Verbindung zwischen den Familien des Siegers und des Besiegten überhaupt noch möglich war und zu Stande kommen würde, blieb immerhin höchst fraglich.
Unter so düsteren Betrachtungen hatte sich Egenolf allmählich der Stelle genähert, wo er damals Leontinens rufende Stimme und den Widerhall darauf vernommen hatte, und jetzt sah er die Geliebte auch schon langsam dahergeritten kommen. Er galoppirte ihr entgegen, aber sie that nicht das Gleiche, sondern ließ ihr Pferd im ruhigen Schritt.
Als er sie erreicht hatte und ihr die Hand bot, legte sie die ihrige nur leicht hinein, ohne den Druck der seinigen [208] zu erwiedern, und sah ihn mit einem langen, theils forschenden, theils traurigen Blick an.
»Ich bin gekommen, Graf Egenolf,« begann sie mit wahrnehmbarer Ergriffenheit, »weil ich es Euch versprochen hatte und weil unser heutiges Wiedersehen doch wohl das letzte und ein Abschied für immer ist.«
»Ein Abschied für immer?« sprach er erschrocken, »wie meint Ihr das, Gräfin Leontine?«
»Solltet Ihr nicht wissen, was ich weiß?« fragte sie mit leisem Vorwurf.
»Was wißt Ihr, Gräfin Leontine? sagt es frei heraus!« bat er dringend.
»Ich weiß, daß Euer Vater, Graf Schmasman, meinem Vater auf Gut und Blut absagen will. Ist es so, oder ist es nicht so?«
»Es ist so,« kam es ihm dumpf und schwer von den Lippen. »Seit wann wißt Ihr's?«
»Erst seit gestern,« erwiederte sie.
Er lenkte sein Pferd ihr zur Rechten und ritt nun auf dem schmalen Waldwege neben ihr. Ihm war es eine große Erleichterung, daß sie es schon wußte und er es ihr nicht zu sagen brauchte, aber eine noch viel größere Freude, daß sie trotzdem zu dem Stelldichein gekommen war.
»Ihr fragt nicht, woher ich es weiß, aber ich will es Euch sagen,« fing sie wieder an. »Mein Vater zeigte schon den Abend vorher ein seltsam erregtes und gegen seine Gewohnheit verschlossenes Wesen, als trüge er sich mit Sorgen oder ränge mit schweren Entschlüssen. Gestern [209] Morgen stellte er mir Fragen, über die ich mich im Stillen wundern mußte. Welche Aufnahme ich bei Euch auf der Sanct Ulrichsburg gefunden hätte, ob Ihr Alle freundlich zu mir gewesen wäret, ob ich keine verlegene oder gedrückte oder gar feindselige Stimmung gegen mich oder gegen ihn bemerkt hätte. Ich sagte: nein, nicht im Mindesten, Ihr hättet mich herzlich willkommen geheißen, auch alle drei Herren Grafen, die dort zu einer wichtigen Unterredung versammelt gewesen wären. Da fuhr er zornig auf und rief: ›alle drei Brüder zusammen? so ist es richtig; da haben sie Rath gehalten und den Plan geschmiedet, und ich weiß auch, wer dahinter steckt und es angezettelt hat.‹ ›Welchen Plan denn?‹ fragten meine Mutter und ich zugleich. ›Absagen wollen sie mir auf Leben und Tod, die Rappoltsteiner und die Rathsamhausen. Ich habe es schwarz auf weiß von sicherer, gut befreundeter Hand,‹ erwiederte er heftig und schritt, ohne uns eine Aufklärung zu geben, eilig hinaus. Dann ließ er seinen Bruder Wilhelm rufen und hatte mit ihm eine lange Besprechung in seinem Zimmer. Später erfuhr ich von meiner Gürtelmagd, daß Tags vorher ein Fleckenstein'scher Knecht dagewesen wäre und ein Schreiben seines Herren überbracht hätte. Dieses Schreiben muß wohl eine Mittheilung, eine Warnung an meinen Vater enthalten haben. Fragen mag ich ihn nicht; er würde mir auch nicht Rede stehen.«
»Es ist Alles so, wie Ihr sagt, Gräfin Leontine,« sprach Egenolf, »und ich weiß es auch, wer dahinter steckt, Herr Burkhard von Rathsamhausen, kein Anderer. Er will sich [210] an Eurem Vater für eine von diesem ihm zugefügte Beleidigung rächen und hat meinen Vater nach dessen langem, heftigem Widerstreben überredet, ihm beizustehen. Mir scheint, sie pflegen noch Unterhandlungen mit anderen Freunden und halten es darum noch geheim vor Eurem Vater, aber Burkhard muß wohl geschwatzt und sich damit gebrüstet haben, so daß Herr von Fleckenstein davon Kunde erhalten und Euren Vater gewarnt hat.«
»Seht, Ihr wißt soviel wie ich,« sagte Leontine, »und seid auch wohl nur hergekommen, um mir das mitzutheilen und um – und – weil es einmal verabredet war,« fügte sie aus gepreßtem Herzen hinzu.
Ein schmerzliches Lächeln umschwebte seine Lippen. »Nein, nicht darum. Ahnt ihr denn wirklich nicht, Leontine, wozu ich Euch um dieses Stelldichein gebeten habe?«
»Und wenn ich es riethe?« sprach sie erröthend, »wenn ich es riethe, was Ihr vorhattet, – jetzt habt Ihr es aufgegeben, nicht wahr? es muß ja sein.«
»Nun und nimmermehr!« rief er. »Leontine, – seht mir in die Augen! ach! wozu noch fragen! Ihr wißt es, daß ich Euch liebe, hört es nun aus meinem Munde, daß ich ohne Euch nicht leben kann, mag kommen, was will! Was sagt Ihr?«
Sie sah ihn innig, freudestrahlend an und sprach: »Egenolf, diesmal tönt unser Waldesecho aus der Tiefe meines Herzens: mag kommen, was will!« Und mit einer raschen Bewegung streckte sie ihm entschlossen die Hand entgegen.
»Leontine!« jauchzte er auf und erfaßte ihre Hand und hielt sie mit festem Druck umspannt. »Du mein, ich Dein in alle Ewigkeit!«
Ihr versagte die Stimme; sie nickte ihm zu mit schwimmenden Augen und mit einem Lächeln, das ihm das Herz erglühen und erzittern machte.
Er nahm die Zügel in die rechte Hand und wollte mit dem freien Arm die Geliebte umfangen. Dabei stießen die beiden Pferde mit den Köpfen zusammen, Leontinens Pferd scheute, that einen Seitensprung und bäumte sich. Aber die Reiterin saß fest im Sattel und bändigte ihr lebhaft tänzelndes Roß mit vollkommener Sicherheit. »Daphne,« sprach sie, ihm den glatten Hals klopfend, »willst Du Dich störrisch auflehnen gegen Deiner Herrin höchstes Glück? sei ruhig, Daphne! er liebt mich ja.«
Als sie des Thieres völlig Meister geworden war, ritt Egenolf wieder an sie heran, und die Pferde standen nun dicht bei einander still. Da bogen die Zwei sich von Sattel zu Sattel hinüber, und Egenolf umfing Leontinen und küßte sie auf den Mund, den sie ihm willig darbot.
Dann ritten sie, Blick in Blick und Hand in Hand, eine Weile schweigend weiter. Der Wind rauschte mächtig in den Bäumen und Sträuchern, daß die Zweige an einander schlugen, und spielte mit Leontinens Haar, daß es ihr gekräuselt um Nacken und Schläfen flatterte. Sonst war es still und einsam um die Beiden hier, die sich in selig träumenden Gedanken wiegten. Aber wenn auch ihr [212] Glück so groß war, daß es keine Worte fand, ihre Sorgen drängten zur Aussprache.
»Was thun wir nun, Leontine?« hub Egenolf endlich an.
»Das sage Du mir, Egenolf!« erwiederte sie.
»Wenn ich jetzt zu Deinem Vater ginge,« sprach er, »und ihn um die Hand seiner Tochter bäte, würde er sie mir verweigern, mich streng abweisen oder mich auslachen.«
»Sicherlich!«
»Und wenn ich vor meinen Vater träte und spräche: Gebt diese Fehde auf, Vater! Gräfin Leontine will mein Ehgemahl werden, so würde auch das vergeblich sein, denn er kann und will von seinem Worte nicht zurück.«
»Also müssen wir unsern Bund noch verheimlichen.«
»Und wenn es zum Schlagen kommt, Leontine?«
»So gehst Du zu uns über oder ich zu euch; ich trenne mich nicht von Dir, nichts in der Welt bringt mich zur Entsagung.«
»Ich kann nicht gegen den eigenen Vater kämpfen.«
»Und ebenso wenig gegen den Vater Deiner Verlobten.«
Und wieder schwiegen sie, rathlos, hoffnungslos in all ihrer Herzenslust und ihrem Herzeleid.
Wie sie nun so stumm neben einander dahinritten, trat plötzlich vor ihnen eine weibliche Gestalt aus dem Gebüsch, in der sie zu ihrem Verdrusse die Zigeunerin Haschop erkannten.
Sie kam heran und rief ihnen spöttisch zu: »Ihr tragt Rosen im Munde? ach nein, sind Küsse, die ich auf [213] euren Lippen sehe.« Dicht vor ihnen blieb sie im Wege stehen, daß sie halten mußten, wenn sie die Verwegene nicht überreiten wollten.
»Gieb Raum! was willst Du?« herrschte sie Egenolf an.
»Euch Schicksal verkünden,« erwiederte sie keck. »Ihr liebt euch, aber noch habt euch nicht, müßt es verschweigen.«
»Was weißt Du davon, fürwitziges Ding!«
»Hat Haschop nicht Augen zum Sehen und Ohren zum Hören? Ich hab euch in meiner Hütte zur Mitternachtsstunde Karten gelegt, und im Vollmond hab ich's erkannt: weissagen nichts Gutes für euch, nein, Schlimmes, sehr Schlimmes.«
»Behalt Deine Weisheit für Dich! uns verlangt nicht danach,« fuhr sie Egenolf ungeduldig an. »Weg da! oder –«
»Laß sie sprechen!« flüsterte Leontine ihm zu.
Haschop hob mit drohender Gebärde die Hand und sprach: »Verachtet nicht Wahrheit aus wissendem Munde!« Sie warf sich ihr scharlachenes Obergewand vom Rücken herauf über Haupt und Schultern, daß sie wie von einem rothen Schleier umwallt dastand, aus dem ihr gebräuntes Antlitz mit den schwarzen, funkelnden Augen höhnisch heraussah. Dann fuhr sie in prophetischem Tone fort: »Graf freit um stolze Gräfin. Auf glänzenden Festen spann Schicksal seine Fäden um sie, und nun sind umgarnt von Gefahr und Unheil, von Liebe gefangen wie Fische im Netz. Wehe beiden! Väter sind Feinde, sinnen auf Streit, rüsten zum Kampf. Aber es muß harter Winter sein, ehe ein Wolf andern frißt, und nicht so [214] schnell fahren Schwerter aus den Scheiden. Jeder scheut sich, ersten Streich zu führen, und doch wird er fallen und Einer bluten, das ist der Besiegte. So sagten Karten um Mitternacht beim Scheine des Vollmonds. Nun wißt ihr Wahrheit. Laßt ab von einander, oder es fließt Blut um euch!« schloß die Zigeunerin und schlug ihr Kleid von Haupt und Schultern wieder zurück.
Leontine war von dem Gehörten tief erschüttert; sie starrte vor sich hin und rührte sich nicht. »Komm weiter!« erinnerte sie Egenolf.
»Halt! ein Wort noch!« sprach Haschop und trat einen Schritt zurück. »Hütet Euch, schöne, goldlockige Gräfin! Eine steht Euch im Wege und bietet Euch Trotz in allen vier Winden.«
»Du Hexe!« rief Leontine jetzt empört und trieb ihr Pferd auf sie los. »Da hast Du den Lohn für Deinen Unglückssegen!« Sie holte mit der Reitgerte aus; aber Haschop sprang zur Seite, daß der pfeifende Hieb nur eben noch ihre Schulter traf.
Das Mädchen schrie auf und stieß mit einem Blicke tödtlichen Hasses eine Verwünschung oder Drohung in fremder Sprache aus, wobei sie wie eine gereizte Schlange zischte. Dann verschwand sie im Dickicht.
»Ereifere Dich nicht,« bat Egenolf, »sie ist es nicht werth.«
»Das klang schrecklich, Egenolf!« sagte Leontine mit verstörtem Gesicht. »Was hältst Du von der Wahrsagung?«
»Dieses wilde Zigeunervolk weiß von allerhand übernatürlichen Dingen und nützt seine dunklen Künste mit List und Bosheit aus, so viel es kann,« erwiederte er ausweichend und selber beunruhigt.
»Das freche Geschöpf!« sprach Leontine schaudernd, »treff ich es noch einmal, so reit ich es nieder und zerstampf es wie ein Unkraut. Schnell fort von hier! Der Weg ist breit genug, – Galopp!«
Sie preschten eine lange Strecke durch den Wald dahin, bis Egenolf Schritt gebot.
Der scharfe Ritt hatte Leontinens Erregung verflüchtigt; sie schüttelte die wehenden Locken, als wollte sie auch den letzten Rest von Erinnerung an den unheimlichen Auftritt aus den Gedanken verscheuchen. Dann sagte sie wieder harmlos lächelnd: »Als wir uns hier zum ersten Male gefunden hatten, hast Du mich wohl für recht dumm gehalten.«
»Warum das?« frug er lachend.
»Weil ich Dich für einen Jägerknecht gehalten und den Edling nicht in Dir erkannt hatte.«
»Du hast mich ja kaum angesehen, wie ich in Koller und Kappe da neben Dir ging,« erwiederte er, »und ich that auch das Meinige, Dich in Deinem Glauben zu bestärken, weil es mir Spaß machte. Aber wollen wir uns nun nicht öfter hier treffen?«
»Nicht hier,« entschied sie, »am Wege nach St. Pilt, den Du mir gezeigt hast, und auch frühestens erst in drei [216] Tagen wieder; es würde auffallen, wenn ich täglich so weit umherschweifte.«
»In drei Tagen kann Vieles geschehen,« sprach er halb zu sich selber, den Blick auf den Sattelknopf gesenkt.
»Vielleicht kannst Du mir das nächste Mal bessere Nachrichten bringen.«
»Was sollte das sein?« erwiederte er bekümmert. »Zu Hause fangen sie an zu rüsten, und ich sah Boten eilen. Auch mein Vater und seine Brüder reiten öfter fort, ich weiß nicht wohin. Mir sagen sie nichts, als ahnten sie, wie nah es mich angeht, und wollten mich schonen.«
»Meinst Du, sie hätten gemerkt, daß wir –?«
»Daß wir uns lieben, – sprich es doch aus, das holde Wort!«
»Daß wir uns lieben,« lächelte sie und reichte ihm die Hand.
»Meine Schwester und Imagina wissen's, die Andern wohl nicht.«
»Hast Du es ihnen gesagt?«
»Mit Worten nicht, aber meine Augen und Deine haben es ihnen verrathen. Denke an den Gang im Walde, wo die Beiden uns allein hinter sich zurückließen, damit ich reden sollte.«
»Und Du schwiegst.«
»Du liefest mir davon.«
»War es denn heute nicht schöner so unter vier Augen, trotzdem wir nun wissen, wie Schweres uns droht? [217] Mit Leid fängt unsere Liebe an; möge sie mit Lust und Freude –«
»Doch nicht enden?« unterbrach er sie jäh.
»Nein! zu Lust und Freude sich wenden, wollt ich sagen; nicht enden, niemals wird sie enden,« sprach sie mit einem tiefinnigen Blick.
»In drei Tagen sehen wir uns wieder,« tröstete er sie. »Je nach dem, was sich inzwischen ereignet, wollen wir dann beschließen, was wir thun.«
Sie waren an den Weg gekommen, der zur Hohkönigsburg führte, und Leontine sagte: »Hier müssen wir uns trennen, es ist Zeit, daß ich heimkomme. Lebewohl, mein Egenolf!«
Da ließen sie die Zügel fallen, umschlangen sich vom Sattel aus mit beiden Armen und küßten sich wieder und wieder. Dann schieden sie von einander, und Jeder ritt allein seines Weges.
Egenolf trabte mit ganz anderen Gefühlen nach der St. Ulrichsburg zurück als mit welchen er heute Morgen ausgeritten war. Er hatte das Herz der Geliebten errungen, nein, sie hatte es ihm entgegengebracht, hatte ihre Hand in seine gelegt mit dem Gelübde, treu bei ihm aushalten zu wollen in Gefahr und Noth. Und das nicht in Unwissenheit oder leichtsinniger Unterschätzung dessen, was sich feindlich zwischen sie beide drängte und die Erfüllung ihrer Wünsche hemmen und hindern wollte, sondern in klarer Erkenntniß der Schwierigkeiten, die sie zu überwinden, und der harten Prüfungen, die sie voraussichtlich zu bestehen hatten. Jetzt, wo er sich mit der Geliebten eins wußte, sollte keine Macht der Erde stark genug sein, sie dauernd von einander zu trennen.
So in sich selber gesichert und gehoben langte er auf der St. Ulrichsburg an und stieg im Burghof vom Pferde, das er streichelte und klopfte, leise zu ihm sprechend: »Hast mich zu meinem Glücke getragen, laß mich immer auf Deinem Rücken zum Ziele meiner Wünsche kommen!«
Als er oben seine Mutter recht heiter begrüßte, schaute sie ihn prüfend an und sagte: »Du bist heiß, hast wohl einen weiten Ritt gemacht?«
»Ja,« erwiederte er, still in sich hineinlächelnd, »einen sehr weiten.«
»Und es war wohl schön im Walde?«
»Ach, herrlich, Mutter!«
Er meinte das in ganz anderem Sinne. Vom Walde hatte er nichts gesehen, obwohl er stundenlang darin gewesen war, und wie gern hätte er jetzt der lieben Mutter erzählt, was er dort erlebt hatte! Er hatte ein unbegrenztes Vertrauen zu ihr, aber das wagte er doch nicht. Ein so wichtiges, in die obwaltenden Verhältnisse tief eingreifendes Ereigniß, wie es seine Verlobung mit der Thierstein'schen Tochter war, würde und konnte sie seinem Vater nicht verschweigen, und dieser würde den sehr zur Unzeit und hinter seinem Rücken gethanen Schritt im höchsten Grade mißbilligen. Über dessen Absichten in dem Streite mit dem Grafen Oswald erfuhr er von seiner Mutter nichts. Entweder wußte sie selber nichts, weil ihr sein Vater nichts darüber mitgetheilt hatte, oder er hatte ihr Schweigen auferlegt, auch dem Sohne gegenüber. Imagina war die Einzige, die sich vielleicht dazu herbeiließ, ihm noch weitere Eröffnungen oder wenigstens Andeutungen über den Stand der Dinge zu machen, soviel sie von ihrem Gatten eingeweiht war, und sie war auch die Einzige, der er, weil sie auch ohne sein Bekenntniß von seiner Liebe wußte, sein übervolles Herz ausschütten konnte. Er nahm sich daher vor, sie noch an diesem Nachmittag auf Schloß Giersberg zu besuchen, um ihr Alles zu sagen und sie um ihren treuen Rath [220] in seiner bedenklich verstrickten Herzensangelegenheit zu bitten.
Gegen Mittag kehrte Graf Schmasman von einem Ritt nach Hause zurück und kam in augenscheinlich zufriedener und behaglicher Stimmung zu Tische. Wo er gewesen war, sagte er nicht, aber seine ungewöhnliche Gesprächigkeit wirkte auf die Seinigen anregend und erheiternd.
Egenolf, dessen Gedanken halb von Liebesglück erfüllt waren und halb von Sorge, wie er es seinem Vater beibringen sollte, wurde immer lebhafter und fröhlicher in der Unterhaltung, wobei er dem Weine fleißiger zusprach als sonst.
Isabella setzte ihn in nicht geringe Verlegenheit mit der Frage, wo er den ganzen Morgen gesteckt hätte, Hans Loder wäre dagewesen und hätte ihn sprechen wollen.
»Hans Loder?« sagte Egenolf ohne auf die Frage nach seinem Verbleib zu antworten, »was wollte der von mir?«
»Ich traf ihn draußen auf der Brücke,« erwiederte Isabella. »Er frug erst nach dem Vater und dann nach Dir, war mißmuthig und wollte nicht mit der Sprache heraus, welches Anliegen er hätte. Als ich jedoch in ihn drang, gestand er mir, er wäre sehr unzufrieden darüber, daß Du Seppele von Ottrott aus dem Thurme befreit hättest.«
»Das habe ich doch auf des Vaters Befehl gethan.«
»Das sagte ich ihm, aber er behauptete, das käme auch dem Vater nicht zu, das wäre ein unerlaubter Eingriff [221] in sein Richteramt und eine Beeinträchtigung seiner Gewalt als Pfeiferkönig, die er sich nicht gefallen ließe. Er würde sich den Seppele wieder herholen und ihn nicht eher von Handen lassen, als bis er die ihm zugesprochenen neun Tage Haft abgesessen hätte. Kurzum, er war sehr unwirsch.«
»Der Hans hat also einen gefährlichen Groll auf mich,« lachte Schmasman. »Ich glaube, der wäre im Stande, seinen gnädigen Schutz- und Lehnsherrn selber einzusperren, wenn ich mich von ihm einsperren ließe.«
»Er kommt vielleicht heute Nachmittag wieder,« fügte Isabella noch hinzu.
»Da trifft er mich wieder nicht,« sagte Schmasman. »Ich muß heute Nachmittag hinauf nach Hohrappoltstein und Giersberg, weil ich mit meinen Brüdern zu reden habe.«
Diese Ankündigung machte nun einen Strich durch Egenolfs Rechnung. Wenn sein Vater nach Giersberg ging, konnte er nicht dahin und mußte seinen Besuch bei Imagina auf morgen verschieben. Einestheils war ihm dies sehr unlieb, denn er brannte darauf, sich gegen Imagina auszusprechen; anderntheils aber getröstete er sich damit, daß sein Vater den Oheimen vielleicht eine wichtige Neuigkeit mitzutheilen hätte, die er, Egenolf, dann hoffentlich morgen von Imagina erfahren würde.
Er suchte sich in Geduld zu fassen, aber die Ungeduld überwog in ihm, und die Stunden des Tages vergingen ihm sehr langsam.
Am andern Morgen stieg er zu dem Felsenschloß empor und war so glücklich, Imagina allein zu finden.
»Da kommt Einer, der sich stolz wie ein Sieger trägt!« Mit diesen Worten empfing sie ihn gleich bei seinem Eintritt. »Wann ist's geschehen? wo ist's geschehen? wie ist's geschehen? – Mein Gott, so antworte doch!«
»Gestern Morgen, im Walde, zu Pferde,« lachte er.
»Leontine ist Dein?«
»In Leben und Tod!«
»Horridoh! Waidmanns Heil!«
»Waidmanns Dank!«
»Weiß sie von der Fehde?«
»Alles. Fleckenstein hat es ihrem Vater hinterbracht.«
»Und nun?«
»Ja, und nun!«
»Wissen sie's schon auf der Ulrichsburg?«
»Nicht ein Wort!«
»Hm! – ja, da ist guter Rath theuer.«
»Den mir von Dir zu holen komme ich her.«
»Könnt' ich Dir nur welchen geben!«
»Imagina,« – er nannte die ihm an Jahren Nahestehende nicht Muhme, obwohl sie die Frau seines Oheims war – »Imagina,« sprach er, »Du allein kannst mir rathen und helfen, denn Du wirst wissen, wie die Sachen stehen, die man mir verhehlt.«
»Und da soll ich die Späherin und Verrätherin spielen, meinst Du?« lächelte sie.
»Ungefähr so dacht' ich's mir,« erwiederte er. »Mir [223] ist gestern eine unheilvolle Verkündigung zu Theil geworden, und zwar von einer Seite, von der ich's am wenigsten erwartet hätte, von Haschop.« Und nun erzählte er ihr ausführlich das Abenteuer mit der Zigeunerin und deren Prophezeiung.
Sie hörte ihm aufmerksam zu und sagte dann: »Das lautet allerdings schlimm genug.«
»Es bedrückt mich schwer, so sehr ich mich auch sträube, ihr jedes Wort zu glauben,« sprach er. »Aber da sie über Gegenwärtiges und Vergangenes die Wahrheit sagte, muß ich fürchten, sie kennt auch viel von dem, was die Zukunft birgt. Nun thu mir die Liebe und gieb mir Aufschluß über das, was Dir zu Ohren gekommen ist. Mein Vater kehrte gestern Mittag von einem weiten Ritt in froher Stimmung zurück. Ich vermuthe deßhalb, daß sich irgend etwas ihm Angenehmes ereignet hat, daß eine seine Wünschen entsprechende Wendung im Gange der Verhandlungen eingetreten ist, von der Du doch wahrscheinlich durch Ohm Kaspar unterrichtet bist, denn mein Vater war gestern Nachmittag hier bei euch.«
»Etwas Neues ist meines Wissens nicht vorgefallen,« erwiederte sie. »Burkhards Rüstungen gehen sehr langsam von Statten, weil er sie in großem Umfange betreibt und möglichst viel Bundesgenossen zu werben bemüht ist. Dein Vater und seine Brüder wollen sich allerdings an der Fehde gegen den Grafen Oswald betheiligen, aber nur zu dem Zwecke, durch Entfaltung einer gemeinsam aufziehenden ansehnlichen Kriegsmacht einen Druck auf ihn auszuüben, [224] daß er sich zum Einlenken entschließt und von Einführung der beabsichtigten Maßregeln im Wasgau völlig absieht. Von einer Vertreibung der Thiersteiner aus der Hohkönigsburg ist keine Rede, denn Dein Vater hat den festen Willen, den Gelüsten des Herrn Burkhard entschieden entgegenzutreten.«
»Ich danke Dir herzlich für Deine Aufklärungen, die mich wenigstens meiner ärgsten Befürchtungen entheben und mir wieder einige Hoffnung einflößen,« sprach Egenolf. »Es ist freilich sehr die Frage, ob Graf Oswalds Stolz es zulassen wird, sich vorgeschriebenen Bedingungen zu unterwerfen, und ob auch in diesem Falle nicht eine dauernde Verstimmung und Zwietracht zwischen ihm und seinen ihn zum Nachgeben zwingenden Gegnern, also auch zwischen ihm und uns Rappoltsteinern zurückbleiben wird.«
»Ja, da heißt es nun abwarten, Egenolf.«
»Abwarten! ein schwacher Trost für die Sehnsucht!«
»Einen anderen habe ich nicht,« erwiederte sie. »Bedenke, daß meine Mittheilungen viel trostloser hätten ausfallen können.«
»O gewiß, gewiß! verzeihe mir! ich danke Dir nochmals,« sprach er und drückte ihr die Hand zum Abschied.
Leichteren Herzens, als er hinaufgestiegen war, schritt Egenolf von Schloß Giersberg wieder hinab, denn Imagina's Nachrichten waren doch von ziemlich beruhigender Art gewesen. Danach lief die bevorstehende Fehde mehr auf ein Drohen mit dem blanken Schwerte hinaus als auf ein blutiges Zuschlagen, und er kannte seinen Vater gut [225] genug, daß dieser es nicht auf eine kränkende Demüthigung des Grafen Oswald anlegte, sondern ihm den Rückzug so leicht und ehrenvoll wie möglich machen würde.
Aber eine Demüthigung – so sagte sich Egenolf beim Weiterwandern – eine Demüthigung war und blieb es für den Grafen doch, wenn er schon dem bloßen Drohen seiner Gegner weichen mußte und ohne Schwertstreich zum Aufgeben seiner hochfliegenden Pläne gezwungen wurde. Und ließ er es, uneingeschüchtert, auf eine Kraftprobe mit ihnen ankommen, so stürzte er sich damit in ein höchst gefährliches Wagniß, bei dem er Alles aufs Spiel setzte. Es würde eine langwierige Fehde geben, so ungleich auch die Streitkräfte der beiden gegnerischen Parteien vorläufig noch waren. Außer seinem Freunde Friedrich von Fleckenstein und einigen mit bischöflichen Burgen belehnten Rittern hatte Graf Oswald noch wenig Anhänger im Lande, auf deren Beistand im Kampf er rechnen konnte. Und was wollte das gegen die vereinte Macht der Rappoltstein und Rathsamhausen besagen!
Immer langsamer wurden Egenolfs Schritte auf dem Pfade bergab, und bald ließ er sich auf einem umfänglichen Baumstrunk unweit des Weges nieder, um ruhend seinen Gedanken nachzuhängen. Je klarer er sich hier die Lage der Dinge vergegenwärtigte, desto schwerer fühlte er die Bedrängniß seines Herzens, das mit der stolz ragenden Burg dort oben auch all sein Glück und alle seine Hoffnung gefährdet wußte. Fügte sich Graf Oswald nicht, so waren seine Tage auf der Hohkönigsburg gezählt, und [226] wenn Imagina behauptete, daß von der Vertreibung der Thiersteiner keine Rede wäre, so war dies ein Irrthum ihrerseits, ein Mißverständniß dessen, was Kaspar ihr darüber gesagt hatte, denn eine Bürgschaft, sie unter allen Umständen auf der Hohkönigsburg zu halten, würden die drei Brüder Rappoltstein niemals übernehmen. Im besten Falle konnten sie beschlossen haben, nach einer Auseinandersetzung mit dem Grafen Oswald nicht zu gestatten, daß die Hohkönigsburg dennoch von ihm geräumt oder ihm mit Waffengewalt genommen würde, nur um dem ehrgeizigen Verlangen Burkhards Genüge zu thun und ihn als Herrn und Gebieter in das mächtige Bergschloß einziehen zu lassen. Und selbst wenn ein derartiger Beschluß gefaßt worden war, so wurde damit doch nicht der Ausbruch der Fehde verhindert, die, wie sie auch verlaufen mochte, leicht eine dauernde Feindschaft zwischen den beiden Grafengeschlechtern Thierstein und Rappoltstein zur Folge haben konnte.
Wo blieben nun vor dem bitteren Ernst der Wirklichkeit die beruhigenden Versicherungen Imagina's, die ihm von ihren Lippen so fröhlich geklungen hatten wie ein Vogellied aus durchsonntem Wipfel. Sie hatte ihn damit nicht einschläfern wollen, hatte in ihrem leichten Sinne, mit dem sie Alles im rosigsten Lichte sah, das selber geglaubt, was sie ihn hatte glauben machen wollen, damit er sich sorglos seines Liebesglückes freuen sollte. Als ihm nun ihre hoffnungsvollen Tröstungen gleich täuschenden Luftspiegelungen zu Nichts zerflossen, da drängten sich ihm [227] wieder die düsteren Prophezeiungen der Zigeunerin auf, die mit schwerem Unheil drohten.
Imagina und Haschop, – wie die gute und die böse Fee in alten Mären kamen ihm die Beiden vor. Die Eine, die Blonde, mit ihrem heiteren Wesen, die ihm das denkbar Beste und Liebste gönnte und ihm lächelnd beistand, es zu erreichen, und die Andere, die Schwarze, die ihm mit grausamen Verwünschungen in den Weg trat und ihm Glück und Freude tückisch zu stören suchte.
Egenolf war kein Kopfhänger und Träumer, der leidend und klagend müßig über sich ergehen ließ, was ihn traf; aber hier war er rathlos. Was sollte er thun? Konnte er den Ausbruch einer Fehde hemmen, zu der sich die mächtigsten Burgherren des Wasgaues rüsteten? Von dem Augenblick an, wo das Schwert das Wort hatte, mußten alle persönlichen Rücksichten schweigen, dann hieß es nur noch: hie Thierstein! hie Rappoltstein! Die einzige Möglichkeit, den Dingen in letzter Stunde noch eine friedliche Wendung zu geben, sah er darin, daß die beiden feindlichen Grafen, wenn sie von der Liebe ihrer Kinder hörten, vielleicht anderen Sinnes und einer Einigung geneigter würden. Wie, wenn er zu seinem Vater ginge und ihm Alles gestünde? Ganz ohne Einfluß auf dessen Beschlüsse konnte die Nachricht von der Verlobung des Sohnes mit der Tochter des Gegners nicht bleiben. Aber das eben war es, was Egenolf von dem Schritte zurückhielt. Er durfte seinem Vater nicht in den erhobenen Arm fallen, ihn durch keine Bitte, keine noch so bescheidene Vorstellung [228] zu bewegen suchen, etwas Anderes zu thun, als was der Vielerfahrene für recht und nothwendig hielt. Und außerdem wollte er ihm das schmerzliche Bewußtsein ersparen, gegen den Herzenswunsch und das höchste Glück seines einzigen Sohnes kämpfen zu müssen. Darum beschloß er, sein Verlöbniß mit Leontinen seinem Vater so lange zu verhehlen, als nicht etwa Ereignisse eintraten, die ihm ein offenes Bekenntniß zu einer Pflicht der Ehre oder der Liebe machten. Auf Leontinens Einverständniß mit diesem Entschlusse, auch ihrem Vater gegenüber, hoffte er zuversichtlich.
Seine Züge hellten sich auf, als er an das verabredete Stelldichein mit der Geliebten dachte. Er sah sie im Geiste schon mit ihrer schlanken, blühenden Gestalt zu Rosse vor sich, wie sie ihn beim Zusammentreffen mit liebreizender Anmuth begrüßte, wie ihre großen Augen ihn freudig anblitzten, ihr Goldhaar im Winde flatterte, und hörte die klangvolle Stimme ihres verführerischen rothen Mundes. Er nahm sich vor, mit ihr oder vielmehr mit ihrem Pferde besondere Reitübungen anzustellen zu dem Zwecke, daß sich Daphne das Scheuen abgewöhnte und keine Seitensprünge machte, sondern in ruhigem Schritt blieb oder muckstill stand, wenn er der Reiterin nahe kam und sich vom Sattel aus zu ihr hinüberbog. Dieses ihn sehr ergötzlich dünkende Kunststück wollte er mit Hilfe Leontinens, auf deren Sicherheit in der Zügelführung er sich verlassen konnte, so lange versuchen, bis es Daphne begriffen hatte, und dann würden sie beide schon dafür sorgen, daß es das gelehrige Thier nicht wieder vergaß.
Er selber aber vergaß Fehde und Feindschaft über dem ihn ganz beherrschenden Gedanken an seinen nächsten Ritt mit Leontinen. Zwei Tage waren es noch bis zum Wiedersehen, zweimal vierundzwanzig Stunden! – nein, soviel waren es, von jetzt gezählt, schon gar nicht mehr.
Das Herz wieder voll Hoffnung, von der er selber nicht wußte, woher sie kam, erhob er sich von dem Eichenstrunk und wanderte mit langen Schritten bergunter zur väterlichen Burg.
Das Wetter hatte sich gewendet. Ein feuchter Dunst verschleierte die Berge, daß ihre Formen und Umrisse nur matt hindurchschimmerten, und über dem Lande schwebten dunkle, tiefhängende Wolken, die sich zu ergießen drohten. Mißmuthig blickte Egenolf aus dem Fenster in den trüben Morgen hinein, und seine Hoffnung auf das für heute verabredete und von ihm so heiß ersehnte Wiedersehen mit der Geliebten sank. Wenn er auch wußte, daß sich Leontine vor einem gelinden Tropfenschauer nicht fürchtete, mußte er sich doch sagen, daß die Ihrigen sie von einem Spazierritt im Regen oder bei einem heraufziehenden Unwetter zurückhalten würden. Wieder und wieder schaute er aus, ob nicht einige Aufklärung bemerklich war, und endlich schien sein Wunsch in Erfüllung zu gehen. Der Wind erhob sich und brachte Bewegung in den drückenden Nebel; hier und dort zeigten sich lichtere Stellen, und bald lugte aus dem sich zertheilenden Gewölk ein Stückchen blauen Himmels hervor. Da gab Egenolf Befehl, seinen Rhenus zu satteln und schritt vertrauend zum Burghof hinab.
Als ihm dort der Sattelmeister das Pferd vorführte, wunderte sich der pflichttreue Mann, daß der junge Herr [231] Graf gegen seine Gepflogenheit den Halt des Gurtes prüfte und nach dem Aufsitzen sich mit der vollen Wucht seines Körpers erst auf den einen und dann auf den andern Bügel stützte, um sich zu überzeugen, daß der Sattel dabei nach keiner Seite hin wankte. Egenolf sah den stummen, fast vorwurfsvollen Blick des altbewährten Dieners und sprach mit einem begütigenden Lächeln: »Brauchst Dir keine Gedanken zu machen, Gerolf! ich weiß, ihr sattelt fest und tadellos, aber ich habe heute mit dem Rhenus ein paar rasche Volten und kühne Sprünge vor; da muß ich doppelt sicher sein.«
»Seht Euch vor, Herr Graf! der Boden ist heute feucht und schlüpfrig,« mahnte der Alte.
Egenolf winkte ihm freundlich zu und ritt zum Thore hinaus, und als der Hufschlag des Rosses auf der Zugbrücke dröhnte, brach der erste Sonnenstrahl hervor und grüßte den Reiter mit verheißungsvoll funkelndem Golde. »Rhenus, wir haben wieder einmal Glück,« sprach Egenolf fröhlich und klopfte den glatten Hals seines Thieres, das dazu verständig mit dem Kopfe nickte. »Nun sei auch hübsch artig und behutsam gegen die schlanke Daphne und mache sie nicht scheu, damit ich mein Herzenslieb ohne Wagniß und Gefährde in die Arme schließen kann.«
Er hatte bis zum Orte des Stelldicheins noch eine gute Strecke zu reiten, und als er schon aus der Entfernung die Gegend überschauen konnte, wo der Weg nach St. Pilt abbog, war zu seiner Verwunderung noch weit und breit keine Reiterin zu erblicken. Aber dort stand [232] ein einzelnes weibliches Wesen, das auf Jemand zu warten schien. Leontine konnte es nicht sein, denn die würde nicht zu Fuße kommen und war auch größer von Gestalt als die Fremde. Als er dieser nahe genug war, um ihre Züge unterscheiden zu können, wollte es ihn bedünken, daß er sie schon einmal irgendwo gesehen haben mußte.
Er hielt sein Pferd bei ihr an, und die ängstlich zu ihm Aufblickende sagte: »Ich bin Dimot, die Gürtelmagd der Gräfin Leontine von Thierstein.«
Da erkannte er sie wieder und erinnerte sich, sie beim Tanz am Pfeifertage in beständiger Gesellschaft von Haschop gesehen zu haben. Das hatte ihm wenig gefallen, und mißtrauisch begann er: »Bringst Du mir eine Botschaft von der Gräfin Leontine?«
»Ja,« erwiederte das Mädchen, »meine gnädige Herrin läßt sagen, daß sie heute nicht mit dem Herrn Grafen reiten könnte.«
Da war alle seine Hoffnung dahin, und tief niedergeschlagen frug er: »Was hindert sie denn, zu kommen?«
»Sie ist krank.«
»Krank?« rief er bestürzt, »was fehlt ihr denn? wovon ist sie denn krank geworden?«
Dimot zitterte und konnte nicht antworten; plötzlich schlug sie die Hände vor das Gesicht und fing laut an zu weinen.
Egenolf sprang vom Pferde, trat dicht an sie heran und sprach unruhvoll: »Was ist geschehen? rede, Mädchen! sage mir Alles!«
Es dauerte eine Weile, bis die Weinende hervorbrachte: »Meine Schuld! meine Schuld!«
»Deine Schuld? was hast Du denn gethan?«
Von Schluchzen oftmals unterbrochen erzählte Dimot nun: »Vor zwei Tagen kam Haschop, die Zigeunerin, mit der ich befreundet war, zu mir auf die Hohkönigsburg, weil ich sie eingeladen hatte, mich einmal zu besuchen. Sie sagte, sie hätte mir auch etwas mitgebracht. Sie wüßte genau, daß der Herr Graf sich um die Gunst der Gräfin Leontine bewürbe, und weil sie die schöne, junge Gräfin gern glücklich sehen möchte, hätte sie einen Liebestrank bereitet, der dem Herrn Grafen die Neigung meiner Herrin sichern würde. Sie sagte es nicht, aber sie deutete an, daß es mit Wissen und Willen, im Auftrage des Herrn Grafen geschähe, und gab mir eine ausgehöhlte, mit Wachs wieder zugeklebte welsche Nuß, in der sich ein Pulver befand. Davon sollte ich meiner Herrin an drei Abenden hinter einander einen halben Fingerhut voll in den Schlaftrunk thun; es wäre ganz geschmacklos, so daß sie nichts davon merken würde. In der besten Absicht, meine liebe junge Herrin, für die ich mein Leben lassen würde, zu ihrem Herzensglücke zu verhelfen, befolgte ich Haschops Weisung an demselben Abend noch. Aber schon in der Nacht erkrankte Gräfin Leontine heftig, und daran bin ich schuld, o mein Gott! mein Gott! hätte ich das geahnt!«
»Nur weiter, weiter!« drängte Egenolf.
»Man holte einen arzeneikundigen Pater aus der Abtei Sanct Pilt. Der brachte starkwirkende Mittel und kochte [234] ein Tränklein, das die Gräfin einnehmen mußte und das ihr sehr gut gethan hat. Sie ist schon wieder außer Bett, aber noch angegriffen und matt; darum kann sie heute nicht zum Reiten mit dem Herrn Grafen kommen, aber in ein paar Tagen hofft sie wieder so weit zu sein, soll ich dem Herrn Grafen melden.«
»Weiß Deine Herrin das Alles?« frug Egenolf.
»Nein, o nein! nur Euch habe ich es in meiner Angst gestanden, und ich bitte Euch, Herr Graf, ich bitte Euch bei allen Heiligen im Himmel, sagt es ihr nicht! ich schämte mich zu Tode, ich ginge ins Wasser, wenn sie es erführe.« Und Dimot fiel auf die Knie, hob die Hände flehend zu Egenolf empor, verhüllte dann wieder ihr thränenüberströmtes Gesicht und jammerte und schluchzte.
»Steh auf!« sprach Egenolf, »ich verspreche Dir, zu schweigen. Bestelle Deiner Herrin meinen ehrerbietigen Gruß und meinen innigsten Wunsch, daß sie schnell wieder genese.«
»O ich danke Euch, ich danke Euch viel tausendmal, Herr Graf!« stammelte Dimot und erhob sich. Dann griff sie in die Tasche ihres Kleides und bot ihm einen kleinen, in Papier gewickelten Gegenstand dar. »Hier ist die Nuß mit dem Rest des Pulvers,« sagte sie, »nehmt es an Euch, Herr Graf, vielleicht könnt Ihr die Falsche damit ihrer schändlichen That überführen.«
Egenolf steckte das Päckchen zu sich, schwang sich aufs Pferd und jagte auf dem Wege zurück, den er gekommen [235] war. »Giftmischerin, verfluchte!« murmelte er, »mit dem Leben sollst Du es büßen!«
Er ritt aber nicht heim, sondern lenkte nach der Hütte der Zigeuner, deren einsamer Standort im Walde ihm sehr wohl bekannt war.
In einiger Entfernung davon stieg er ab, band das Pferd an einen Baum und pirschte sich leise an die Hütte heran in der Hoffnung, Haschop darin zu überraschen.
Ihm klopfte das Herz in so wilder Erregung, daß er mehrmals anhalten mußte, um Athem zu schöpfen. Als er, allmählich näher gekommen, wieder einmal im Dickicht rastete, glaubte er ein Klingen zu vernehmen, das nur aus der Hütte schallen konnte. Er drang durch das Gebüsch weiter vorwärts und hörte die eigenthümlichen Laute nun deutlicher. Was war das? Sang sich die Giftmischerin etwa gar ein Lied, um ihr Gewissen zu betäuben? Doch nein, das waren keine menschlichen Töne. Es klang so wehmüthig weich, so süß und melodisch durch den stillen Wald, daß er wie gebannt stehen blieb und lauschte. Und nun wußte er mit einem Male, was es war, – es war Geigenspiel von Farkas' des Zigeuners Meisterhand. Den wollte er nicht treffen hier, denn unmöglich konnte er in dessen Gegenwart ein, wie er in der ersten, maßlosen Wuth gesonnen war, blutiges Strafgericht an seiner Tochter vollziehen, was auch der Zigeuner nicht ohne harten Kampf geschehen lassen würde.
Schon wollte er, verdrossen, daß er an der Verruchten nicht seine Rache nehmen konnte, umkehren zu seinem [236] Pferde und davonreiten, aber noch mit halbem Ohre nach den wunderbaren Klängen hinhörend, fing er an zu überlegen, was er thun oder lassen sollte. War es denn sicher, daß er Haschop bei ihrem Vater fand, wenn er zu ihm ging? Er wagte nicht, es zu wünschen. War sie aber nicht zugegen, so konnte er seinen heißen Groll vor Farkas ausschütten und von ihm, wenn auch nicht Haschops Tod, so doch ihre Entfernung auf Nimmerwiederkehr verlangen oder ihm drohen, sie versuchten Giftmordes wegen dem Blutrichter auszuliefern. So ging er denn auf die Hütte, deren Thür und Fensterluken offen standen, langsam zu und trat hinein.
Der Zigeuner saß in dem ärmlichen Stübchen am Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, das Haupt auf die Geige gebeugt und in sein Spiel so vertieft, daß er Egenolfs Kommen nicht eher gewahr wurde, als bis dieser vor ihm stand. Da brach er sein Spiel jach ab und sprang auf.
Egenolf sah sich in dem Raume nach Haschop um, aber sie war nicht da. Mit vor Erregung heiserer Stimme frug er: »Farkas, wo ist Haschop?«
»Wo Haschop is, wissen Herr Graf besser als ich,« entgegnete der Zigeuner trotzig.
»Wenn ich es wüßte, würd' ich nicht fragen,« gab ihm Egenolf streng zurück.
»Herr Graf haben sie doch selbst mit Botschaft nach Rathsamhausen geschickt.«
»Was? – wohin hätt' ich sie geschickt?« sprach Egenolf erbleichend.
»Nach Rathsamhausen zu Herr Burkhard,« wiederholte Farkas.
Egenolf stützte sich mit der Hand auf den groben Tisch im Stübchen, als bedürfe er eines Haltes bei dieser Nachricht.
»Is nit so? haben Herr Graf sie nit hingeschickt?« fragte Farkas.
»Lieber in die Hölle als nach Rathsamhausen!« brach Egenolf los.
»Warum in die Hölle? Herr Graf dachten früher anders.«
»Weil sie eine Mörderin ist und die junge Gräfin Thierstein vergiftet hat.«
Farkas trat einen Schritt zurück und blickte den Grafen starr an. Dann schüttelte er sein schwarzlockiges Haupt und sagte ruhig: »Glaubt Farkas nit.«
»Ich habe Zeugen und habe den Beweis in Händen; hier ist er,« rief Egenolf, holte Dimots Päckchen hervor und übergab es dem sichtlich Erschreckenden. »Mit dem, was Du darin finden wirst, hat Deine Tochter der Gräfin den Schlaftrunk gewürzt.«
Farkas enthüllte es mit zitternder Hast, schüttete etwas von dem bräunlichen Pulver in seine Hand, roch daran und führte mit der befeuchteten Fingerspitze eine Kleinigkeit davon an die Zunge. »Is kein Gift,« erklärte er dann. »Wir Zigeiner kennen alle Gifte, besser als Doctors [238] und Lateiner, aber das is kein Gift. Haschop is nit Giftmischerin.«
»Das wird der Blutrichter entscheiden; seine Häscher werden sie greifen, daß er den Stab über sie bricht,« erwiederte Egenolf drohend.
Farkas schwieg ein Weilchen, ehe er mit verbissenem und höhnischem Ausdruck sprach: »Und wenn Richter armes Zigeinermädchen fragt: warum hast Du schöne Gräfin vergiftet? wird es zur Antwort geben: weil ich jungen Grafen geliebt hab und er mich auch und weil Graf mich betrogen und verlassen hat. Hab ich mich rächen wollen an Einer, die mir sein Herz gestohlen. So wird Haschop antworten, und Alles, Alles in ganze Land, große Herren und vornehme Damen und geringes Volk wird mit Finger auf stolzen Grafen zeigen: hat Zigeinermädchen betrogen und auf die Richtstatt gebracht! und die Spielleut werden's umtragen, und Pfeiferkönig kann's nit hindern und –«
»Farkas!« unterbrach ihn Egenolf bebend, »schweig! kein Wort mehr! Schwörst Du mir, dafür zu sorgen, daß Deine Tochter das Land räumt weit weg von hier auf Nimmer-Nimmerwiederkehr? Es soll Dein Schade nicht sein.«
»Farkas verspricht nischt, was nit halten kann,« erwiederte der Zigeuner. »Seit zwei Tage is sie fort; wer kann wissen, ob sie wiederkommt! ich kann sie nit hüten, und fangen läßt sie sich nit, is wie ein Waldschratt, über den Niemand Gewalt hat, ich auch nit.«
»Farkas, – wenn sie wiederkommt, ist sie unrettbar des Todes,« rief Egenolf. »Jetzt sage mir noch, was für eine Botschaft von mir hat sie Dir vorgelogen?«
Darauf gab ihm Farkas den Bescheid: »Beim Weggehen sagte sie: soll Herrn Burkhard von Rathsamhausen bestellen, Graf Egenolf und Gräfin Leontine würden sich heirathen, wenn nischt dazwischen käme.«
»Nichts dazwischen käme! – ich weiß genug,« sprach Egenolf ergrimmt und schritt ohne Gruß hinaus.
Farkas blickte durch die Fensterluke dem Enteilenden nach, bis dieser im Gebüsch verschwunden war. Dann nahm er die Nuß mit dem Pulver wieder zur Hand, unterzog es noch einmal einer kurzen Prüfung und nickte vor sich hin: »Bilsenkrautwurzel und Tollkirschblätter; weiß wohl, wo sie's her hat, alte Großmutter hat sie's gelehrt. Schade um junge Gräfin, daß hat sterben müssen! war so schön und hat nit Schuld. Ihn, ihn hätt's treffen müssen, Messer ins Herz! is Zigeinerrecht, auf Liebesverrath steht Tod bei Mann und Weib. – Nun hinter Haschop her und sie warnen, darf nit wiederkommen, niemals, niemals.«
Egenolf ritt, seinen Rhenus treibend, nach der St. Ulrichsburg, übergab dort das dampfende Pferd einem Stallknecht und stürmte hinauf nach Schloß Giersberg zu Imagina.
»Imagina,« rief er ihr zu, da er sie wie das vorige Mal wieder allein fand, »Imagina, jetzt ist es mit dem [240] Abwarten aus, jetzt heißt es handeln. Leontine ist erkrankt, die Zigeunerin hat ihr Gift beigebracht.«
»Alle guten Geister!« stieß die aufs Tiefste Erschrockene hervor, »Egenolf, was sagst Du da?«
»Was ich vor zwei Stunden von ihrer Zofe gehört habe.«
»Schwebt sie in Lebensgefahr?«
»Gott sei gelobt! wie es scheint, nicht mehr. Aber jetzt bin ich fest entschlossen, jetzt werb' ich um sie,« sprach er in der höchsten Erregung.
»Nur ruhig, Lieber, ruhig!« mahnte Imagina. »Erzähle mir doch erst –«
»Ja so! Du weißt ja noch garnichts.« Er theilte ihr nun Wort für Wort Dimots Geständniß mit und schloß: »Und was noch dazu kommt, ist, daß es Burkhard hinterbracht worden ist.«
»Burkhard hinterbracht? was denn?«
»Mein Verlöbniß mit Leontine. Haschop ist nach Rathsamhausen entflohen, um Burkhard Alles zu verrathen.«
»Woher weißt Du das? von Loder?«
»Nein, von Farkas, ihrem eigenen Vater, aber Hans Loder werd' ich es klagen; er soll auf die Schändliche fahnden, sie hängen oder ersäufen lassen, sie darf nicht leben!«
Imagina schüttelte besorgt ihren hübschen Blondkopf und sagte: »Ich bin ja nicht in Zweifel darüber, wie Du mit Haschop gestanden hast, und will Dir keine Vorwürfe [241] machen. Sie ist ein verführerisches Geschöpf, und so eines kleinen Liebeshandels wegen wird Niemand einen ritterlichen Junggesellen schelten. Aber eines möcht' ich wissen: was reizt die Zigeunerin, zu Burkhard zu laufen und just ihm ihre Kundschaft von Deinem Bunde mit Leontine zuzutragen?«
»Sie muß wie eine witternde Füchsin Wind davon bekommen haben, wie die Dinge zwischen Burkhard und meinem Vater stehen, denn sie ist eine Schleicherin und Ohrenmelkerin, die herumläuft und Alles auskundschaftet und aus den Leuten heraushorcht und herausholt, was sie wissen will. Nach ihrem Mordversuch gegen Leontine will sie nun den Rathsamhausen auf uns Rappoltsteiner hetzen,« erwiederte Egenolf zornwüthig.
»Also das Eine wie das Andere die Rache der Verstoßenen,« sagte Imagina und fuhr nach einem kurzen Schweigen fort: »Bei so bewandten Umständen kann ich Dir nur rathen, Egenolf, Deinem Vater offen zu bekennen, was Du ohne ihn zu fragen gethan hast. Er muß Dein Verlöbniß mit Leontinen jetzt erfahren, und zwar von Dir selber.«
»Von mir selber soll er's auch erfahren,« stimmte ihr Egenolf zu, »und so bald wie irgend möglich, um dem Dazwischentreten Burkhards vorzubeugen, der Alles daran setzen wird, unsere Verbindung zu hintertreiben. Aber nicht früher möcht' ich es meinem Vater mittheilen, als bis die Sache entschieden und nichts mehr daran zu ändern ist; er würde mir sonst streng verbieten, um Leontinen [242] zu werben. Ein paar Tage warte ich noch, bis ich hoffen kann oder höre, daß sie wieder ganz gesund ist. Dann aber reite ich zur Hohkönigsburg hinauf, und kein Mensch auf der ganzen weiten Welt soll mich daran hindern. Ich will vor meinen Vater hintreten und ihm sagen können: Leontine ist meine Braut. Was dann weiter wird, ist mir Alles gleich.«
»Aber Egenolf!«
»Ist mir Alles gleich!« schrie er noch einmal. »Von einander lassen thun wir doch nicht, nun und nimmer nicht und in alle Ewigkeit nicht, mag kommen, was will!«
»Gott im Himmel, mit so einem verliebten Menschen ist nichts, rein gar nichts anzufangen,« seufzte Imagina verzweifelt. »Mach, daß Du fortkommst und suche Dir Deinen Verstand wieder, den Du zwischen Ulrichsburg und Hohkönigsburg verloren hast, und wenn Du ihn wiedergefunden hast, komm zu mir und zeig' ihn mir.«
»Das will ich thun; Dank für den Rath! komm, laß Dich küssen dafür!«
»Du bist wahrhaftig verrückt,« lachte sie hell auf, »fort, fort, hinaus mit Dir!« Lachend wehrte sie den Ungestümen ab und schob ihn an den Schultern zur Thür hinaus.
Gegen Abend des zweiten auf das Gespräch Egenolfs mit Imagina folgenden Tages saß Graf Maximin in seinem Gemach und hielt in der auf seinem rechten Knie ruhenden Hand ein Schreiben, das er soeben gelesen hatte und über dessen Inhalt er nun sann und grübelte. Sein Blick war darauf gerichtet, aber er sah nichts, er starrte mit weit offenen Augen ins Leere, ganz und gar in Gedanken verloren. Dann schüttelte er den Kopf, als wollte ihm irgend etwas nicht hinein von dem, was in dem Briefe stand.
»Wenn etwas Wahres daran wäre,« sprach er endlich zu sich selber, »so könnte das böse Verwickelungen geben; aber ich glaube nicht daran. Wie kommt Burkhard zu dieser Hindeutung auf das mögliche Eintreten eines Ereignisses, an das noch kein Mensch gedacht hat? Verräth sich damit nur seine Furcht vor einer solchen entfernten Möglichkeit? und will er mich mit Androhung seiner Feindschaft zwingen, etwas noch Unerwogenes und Ungewolltes im Voraus zu verhüten, das, wenn es geschähe, ihn treffen würde wie ein Schlag vor den Kopf? Klar sehen muß ich, was dahinter steckt.«
Er erhob sich, rief seinem Kämmerling und befahl ihm, nachzusehen, ob Graf Egenolf im Schlosse anwesend [244] wäre, in welchem Falle er ihn sofort zu sprechen wünschte.
Dann nahm er sein Selbstgespräch wieder auf: »Aber wenn die neue Mär nun doch nicht ohne Grund und Boden wäre, – was dann? In welche verzwickte Lage kämen dann Oswald und ich! Jeder würde seine Einwilligung an Bedingungen knüpfen, deren Erfüllung dem Einen oder dem Andern sehr schwer fallen, vielleicht unmöglich sein würde. Ja, wenn Vieles anders wäre, als es ist, – welch ein Glück wäre das für die beiden prächtigen Menschen! Ach, was quäle ich mich mit Hirngespinnsten! es kann ja nicht sein, es ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen schier undenkbar.«
In diesen Betrachtungen wurde er durch den Eintritt des Sohnes unterbrochen, der mit einem unsicheren, fast scheuen Blick in seines Vaters Zügen zu lesen suchte, was seiner wohl hier warten möchte. Sollte Burkhard seine ihm zugeflogene Wissenschaft wirklich schon an den Mann gebracht haben?
»Du wirst nicht vermuthen, Egenolf,« begann der Graf, »weßhalb ich Dich zu mir bescheiden ließ. Höre, was ich Dir mitzutheilen habe.«
Sie nahmen beide Platz, und Schmasman fuhr fort: »Ich habe da von meinem alten Freund und Waffenbruder Burkhard einen Brief empfangen, der nichts Geringeres enthält als seine deutliche Absage, wenn ich nicht thue, was er hartnäckig von mir verlangt, nämlich ihm bei der gewaltsamen Vertreibung der Thiersteiner und seiner [245] Besitzergreifung der Hohkönigsburg mit aller meiner Macht zu helfen. Da ich nun, selbst nach einem kriegerischen, für uns sieghaften Austrage der schwebenden Streitigkeiten, doch keineswegs in die Vertreibung der Thiersteiner willigen werde, so kann es leicht dahin kommen, daß wir, Burkhard und ich, uns über kurz oder lang feindlich und kampflich gegenüberstehen.«
»Es freut mich sehr, lieber Vater,« fiel Egenolf, von der Sorge befreit, daß es sich um sein Verlöbniß handelte, lebhaft ein, »aus Eurem eigenen Munde zu hören, daß Ihr entschlossen seid, die Demüthigung des Grafen Oswald zu verhindern.«
»Die Vertreibung, habe ich gesagt,« verbesserte Schmasman den Sohn, »denn sich beugen, unserm Widerspruch gegen seine Absichten sich fügen wird Graf Oswald müssen, wenn er Frieden haben und behalten will. Aber warum freut Dich mein Entschluß, ihn vor dem Schlimmsten, was ihm droht, zu bewahren?« frug er aufmerksam. »Hast Du Veranlassung, besonderen Antheil an seinem Geschick zu nehmen?«
»Nun, – wir waren doch seine Gäste auf der Hohkönigsburg,« gab Egenolf verlegen und ausweichend zur Antwort.
»Das war Burkhard mit den Seinigen auch und ist ihm doch Feind geworden und verlangt, daß wir es auch werden. Gieb Acht, was er mir schreibt.« Schmasman nahm den Brief zur Hand und las ihn dem Sohne vor.
Maximin von Rappoltstein!
Du hast mir auf der Ulrichsburg gelobt, mir in der Fehde gegen Thierstein mit trefflich großem Zeug zu Roß und zu Fuß beizustehen, und ich habe mich auf Dein Wort verlassen. Nun läuft aber ein heimlich Gemurmel, Du wollest Dich mit ihm gegen mich verbünden, und dabei ist mir die neue Mär zu Ohren gekommen von einer vorhabenden Heirathsabrede zwischen Deinem Sohn und seiner Tochter.
Bei dieser Stelle erhob Schmasman ein wenig das Haupt und streifte seinen Sohn mit einem schnellen, forschenden Blicke. Egenolf biß die Zähne zusammen und hielt die Lehne seines Stuhles umklammert. Da war es nun doch, was er gefürchtet; der Pfeil war abgeschossen. Schmasman las weiter.
Ich habe Grund und Ursach, der Meldung Glauben zu schenken und frage Dich: soll, was Du mir gelobt hast, nun mit einem Male kraftlos und unbündig sein? Solcher Untreu hab ich mich nicht von Dir versehen, daß Du jetzt den Kopf aus der Halfter ziehen und mir in die Schanz fallen willst. Das nenne ich auf zwei Sätteln reiten. Nächstens werde ich dem Thierstein mit namhaft ritterlichen Gutgesellen absagen und muß nun wissen, was ich mir etwan Gefährliches von Dir zu besorgen habe. Darum fordere ich jetzt von Dir, daß Du Farbe zeigst. Du sollst mir zu mehrerer Sicherheit und Bekräftigung eine Bürgschaft, d. h. Wahrzeichen [247] und Geschrift geben, daß Du mir Wort halten willst. Wenn Du aber von mir abfällst und Dich auf des Thiersteiners Seite stellst, so sage ich Dir auch ab und komme mit Hengst und Harnisch über Dich.
Burkhard von Rathsamhausen.
Egenolf saß noch immer regungslos und erwartete mit herzklopfender Spannung die Frage seines Vaters, die unfehlbar jetzt kommen mußte.
Und sie kam auch. Schmasman hub an: »Du hast gehört, daß in dem Schreiben einer Heirathsabrede zwischen Dir und der Thierstein'schen Tochter Erwähnung geschieht. Was soll ich davon denken, Egenolf? ich weiß nichts davon.«
»Aber ich, lieber Vater!« klang es nun fest und sicher von Egenolfs Lippen. »Herr Burkhard ist gut bedient, und ich muß Euch ein Geständniß ablegen, das Euch einigermaßen erstaunen wird. Gräfin Leontine von Thierstein und ich haben uns Lieb und Treu gelobt, wollen die Ringlein tauschen und als ehelich Mann und Weib bis an unseres Lebens Ende nicht von einander lassen.«
»Du hast Dich mit der Gräfin Leontine betraut? Egenolf, – was hast Du gethan!« fuhr Schmasman auf. »Wir rüsten zum Kampfe gegen den Grafen Oswald, und Du gehst einen Liebesbund mit seiner Tochter ein? Das ist mir ganz unfaßbar, ist geradezu eine Tollheit, der ich Dich wahrlich nicht fähig gehalten hätte.« Er sprang auf und schritt eine Weile rasch und erregt im Zimmer auf [248] und nieder. »Was soll daraus werden?« rief er dann, mit über der Brust verschränkten Armen vor Egenolf stehen bleibend. »Wo nimmst Du nur die leiseste Hoffnung her, daß dieser unbedachte Schritt zu einem guten Ende führen könnte?«
»Ich habe die Hoffnung, Vater, daß es nicht zum Kampfe kommt.«
»Das ist eine thörichte, eine ganz haltlose Hoffnung. Der Kampf ist allen Anzeichen nach unabwendbar.«
»Unsere Liebe wird ihn überdauern.«
»Der Groll des Besiegten auch. Wissen sie auf der Hohkönigsburg, was ihnen Feindliches bevorsteht?«
»Ja, sie wissen es,« erwiederte Egenolf, »durch einen Brief Friedrichs von Fleckenstein haben sie es erfahren.«
»Und trotzdem willst Du beim Grafen Oswald um die Hand seiner Tochter werben? Oder hast Du es schon gethan?«
»Nein, noch nicht, aber ich will es thun.«
»Und Du bildest Dir ein, daß er sie Dir giebt? jetzt giebt? Das ist ja zum Lachen!« rief er, sich wieder niederlassend.
»Wenn ich ihm sagen könnte, Vater, daß ich mit Eurem Einverständniß um seine Tochter würbe, so –«
»So müßte er annehmen, daß ich wenigstens ihn nicht befehden will, daß ich sogar auf seiner Seite stehe, meinst Du. O er wird noch viel mehr annehmen; er wird denken, ich wäre es, der diese Verbindung wünscht und anbahnt [249] und ihm Bundesgenossenschaft als Preis dafür bietet, mit anderen Worten, der ihn um Frieden bittet.«
»Diesen Gedanken werde ich nicht bei ihm aufkommen lassen,« sprach Egenolf. »Aber wäre es Euch denn nicht selber lieb, Vater, wenn Friede bliebe und keine Fehde zwischen euch ausbräche?«
»Ob mir lieb oder nicht, kommt nicht in Betracht. Ich habe keine Wahl und kann nicht voraussehen, ob Fehde wird oder Friede bleibt.«
»In wessen Hand ruht denn die Entscheidung darüber, wenn nicht in der Euren, Vater?«
»Da irrst Du,« entgegnete Schmasman. »Sie hängt einzig und allein von der Annahme oder Ablehnung gewisser Forderungen und Bedingungen ab, deren einige zwar von untergeordneter Bedeutung, andere dagegen von der größten Wichtigkeit für die Fortdauer unserer fest verbrieften und verbürgten Standesrechte sind.«
»Ließe sich denn nicht auch über diese wichtigen eine Vereinbarung treffen?«
»Nur dann, wenn Graf Oswald eine solche wünscht und selber den Vorschlag dazu macht, denn ich kann es nicht thun. Er hat meine Vermittelung einmal zurückgewiesen, und ich will mich dem nicht zum zweiten Male aussetzen.«
»Ich werde sie ihm auch nicht anbieten. Aber wenn er nun Eure Vermittelung anriefe? wenn er Euch durch mich darum ersuchen ließe?«
»Wenn! wenn! – das thut er nicht.«
»Wer weiß, Vater? es kommt darauf an, –«
»Wie Du ihm die Sache darstellst, willst Du sagen. Egenolf, wäge Deine Worte, wenn Du vor ihm stehst! Du darfst ihm nicht das kleinste Zugeständniß in meinem Namen machen; ich will freie Hand behalten nach jeder Richtung hin. Du handelst auf Deine eigene Verantwortung und Gefahr, und bedenke wohl,« fügte Schmasman warnend hinzu, »wenn Dich Graf Oswald schroff abweist, so ist zwischen ihm und mir kein Friede möglich.«
»Und wenn er mich nicht abweist, so ist der Friede zwischen euch geschlossen?« fuhr es Egenolf freudig heraus.
»Das hängt mehr von ihm ab als von mir,« erwiederte Schmasman ernst. »Aber nun erkläre mir: woher weiß Burkhard von eurem Verlöbniß?«
»Ich bitte Euch, Vater, mir die Antwort auf diese Frage zu erlassen,« sprach Egenolf.
»Ah so! – nun, – dann will ich sie nicht von Dir verlangen,« sagte Schmasman, der wohl etwas von dem errathen mochte, weßhalb Egenolf diese Auskunft verweigerte. »Aber eine andere Frage: warum hast Du es mir verschwiegen? Ich hätte es doch, wenn es einmal geschehen war, sofort erfahren müssen, um mich danach richten zu können.«
»Ich bin mir wohl bewußt, lieber Vater, daß es meine Schuldigkeit gewesen wäre, Euch in mein Geheimniß einzuweihen,« erwiederte Egenolf, »aber glaubt mir! nicht aus Zaghaftigkeit hab ich es unterlassen. Ich schwieg aus Rücksicht auf Euch.«
»Aus Rücksicht auf mich? wieso?«
»Das, was Ihr als die Folge eines von mir abgelegten Geständnisses eben andeutetet, gerade das wollte ich vermeiden. Ich wollte nicht den leisesten Druck auf Eure Entschlüsse ausüben, wollte nicht, daß Ihr mir zu Gefallen bewogen werden könntet, etwas Anderes zu thun, als was Ihr einmal für recht und nothwendig erkannt hattet. Und wenn es zum Schlagen kommt, solltet Ihr nicht wissen und ahnen, daß Ihr den Vater Derjenigen bekämpft, in deren einstigem Besitz ich mein höchstes Glück auf Erden sehe.«
Von dieser unerwarteten Eröffnung sehr wohlthuend berührt, stand Schmasman auf, und seinen sich gleichfalls erhebenden Sohn freundlich anblickend sprach er: »Das ist ehrenhaft und nobel gedacht, Egenolf, und entwaffnet jeden Vorwurf, den ich Dir über Deine Heimlichkeit machen könnte. Deine Zurückhaltung, die Hintansetzung Deiner eigenen brennenden Wünsche verdient Anerkennung und Lob. Sie wird Dir nicht leicht geworden sein.«
»Nein, sie ist mir ziemlich schwer geworden,« gestand Egenolf freimüthig. »In der ersten Freude meines Herzens gab ich mich der Hoffnung hin, daß Ihr und Graf Oswald, wenn ihr die Liebe eurer Kinder erführet, vielleicht geneigt sein würdet, einander die Hand zu einem Ausgleich zu bieten. Bei reiflicher Überlegung aber sah ich selber ein, daß ich Euch mit einer verfrühten Mittheilung dessen, was ich eigenmächtig hinter Eurem Rücken gethan, in eine mißliche Lage bringen würde.«
»Verfrüht nennst Du das?« sagte Schmasman. »Bis [252] wann hattest Du Dir denn vorgenommen, mir Dein Verlöbniß zu verschweigen? bis nach dem Ausgang der Fehde?«
»Das war allerdings meine Absicht. Später aber, erst kürzlich, entschloß ich mich, nicht einmal den Anfang der Fehde abzuwarten, sondern schon vorher beim Grafen Oswald um die Hand seiner Tochter zu werben und, wenn er sie mir bewilligte, vor Euer Angesicht zu treten und zu sprechen: Leontine ist meine Braut; gebt uns Euren Segen, Vater!«
»Das wäre viel gewagt gewesen, Egenolf.«
»Für meine Liebe wage ich noch mehr, wage ich Alles, Vater!« rief Egenolf. »Nun ist mir Herr Burkhard zuvorgekommen und hat Euch gemeldet, was ihm verrathen worden. Mir ist es lieb und recht so, denn nun kann ich doch mit Eurem Wissen und Eurer Genehmigung zur Werbung auf die Hohkönigsburg reiten.«
»Du sattelst geschwind, mein Sohn! noch habe ich meine Genehmigung nicht ausgesprochen.«
»Aber Ihr werdet sie mir nicht versagen, nicht wahr?«
»Nun denn, – nein!« beruhigte Schmasman den Hoffnungsvollen. »Deine besonnene und feinfühlige Rücksichtnahme, die Du bei der Sache bewiesen hast, will ich damit erwiedern, daß ich Dir gestatte, Dein Heil bei dem Grafen Oswald zu versuchen. Aber noch einmal sage ich Dir: Alles, was Du thust, das thust Du nur auf Deine eigene Gefahr.«
»Vertraut mir, Vater! ich werde keinen Augenblick vergessen, daß ich der Sohn des Grafen Maximin von Rappoltstein bin,« sprach Egenolf hoch aufgereckt mit freudigem Stolze. »Eines nur bekümmert mich, – daß Ihr durch meinen Herzensbund mit Leontinen in Zwietracht und Streit mit Eurem alten Freunde Burkhard gerathen werdet.«
»Das ist nicht Deine Schuld und möge darum auch nicht Deine Sorge sein,« erwiederte Schmasman. »Den Kampf mit Burkhard habe ich kommen sehen, und da liegt ja nun seine unumwundene Absage. Doch davon ein ander Mal. Wann willst Du denn Deinen Freiersgang zum Grafen Oswald antreten?«
»Vielleicht übermorgen.«
»Warum erst übermorgen? warum noch zaudern damit?«
»Weil Leontine seit einigen Tagen nicht ganz wohl ist, wie ich erfahren habe.«
»Du scheinst ja gute Kundschaft mit der Hohkönigsburg zu unterhalten,« lächelte Schmasman. »So geh mit Gott, und alles Glück auf den Weg!« schloß er, dem Sohne die Hand reichend.
»Ich danke Euch, Vater!« rief Egenolf bewegt und führte des Vaters Hand an seine Lippen. Dann entschwand er aus dem Gemach und eilte hinauf zu Imagina, um ihr Alles zu berichten.
Als Schmasman wieder allein war, sagte er sich: »Mit beiden Händen wird Oswald zugreifen. Egenolf [254] bringt seiner Braut als Morgengabe den Frieden, und Leontinens Mitgift ist die Unantastbarkeit unserer alten Standesrechte.« – Er lachte vergnügt in sich hinein: »Freit um die Tochter unseres Feindes! einen pfiffigeren dummen Streich hätte der Junge nicht machen können. Aber Oswalds Gesicht bei der Werbung möcht ich wohl sehen.«
Leontine war von ihrem Übelbefinden fast völlig wieder genesen, und Niemand außer Dimot konnte sich dessen Ursache erklären. Nur dem heilkundigen Mönch von St. Pilt mußte der Verdacht einer Vergiftung aufgestiegen sein, denn Pater Eusebius fragte genau nach Allem, was die so plötzlich Erkrankte in den letzten Tagen genossen und ob sie etwa im Walde Beeren gegessen hätte, die ihr möglicherweise geschadet haben konnten, was sie jedoch verneinte. Dimot pflegte sie mit hingebender Sorgfalt und ließ es sich nicht nehmen, Nachts bei ihr zu wachen, was zwar nicht von Nöthen war, ihr jedoch sowohl von Leontinen wie von Gräfin Margarethe hoch angerechnet wurde. Sie machte sich die bittersten Vorwürfe, daß sie der Zigeunerin getraut hatte, und ahnte nun auch deren Beweggrund zu der verbrecherischen That.
Mit der zurückkehrenden Gesundheit wuchs auch Leontinens Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit dem Geliebten, und wenn sie allein war, prüfte sie die Kraft ihrer Glieder, ob sie wohl schon wieder im Stande wäre, einen Ritt zu unternehmen, fürchtete nur, daß ihre Mutter dies noch nicht gestatten würde. So lange sie das Zimmer hüten mußte, forschte sie mit ängstlicher Wißbegierde nach [256] allen Vorgängen auf der Burg und nach eingelaufenen Nachrichten und erfuhr von Dimot, daß Isinger in rastloser Thätigkeit mit Instandsetzung von Waffen und Rüstzeug beschäftigt war und daß von Schlettstadt her große Vorräthe von Lebensmitteln in die Burg eingeführt wurden, man sich also auf eine Belagerung einzurichten schien.
Diese Mittheilungen erfüllten Leontinen mit schweren Sorgen, und sie dachte dabei weniger an die Gefahren, denen die Ihrigen und sie selber ausgesetzt waren, als an Egenolf, den sie in heftigem Widerstreit zwischen Sohnes- und Ritterpflicht einerseits und den Gefühlen seines Herzens andererseits glaubte. Sie liebte ihn mit einer tiefen Leidenschaft, die sie jedoch so zu zügeln wußte, daß man ihr nichts von der Gluth in ihrem Innern anmerkte. Durch die ihr zu Theil gewordene Erziehung hatte sie Selbstbeherrschung gelernt, und nur in seltenen Fällen riß sie das heiße Blut, das in ihren Adern rollte, zu einer rasch aufwallenden Erregung hin, dann aber auch mit einer ursprünglichen Naturkraft, die ihr Niemand zutraute, der sie nicht näher kannte. Für gewöhnlich trugen ihre edel geformten Züge den Ausdruck einer kühlen, fast hoheitlichen Ruhe, und ihre Art zu sprechen und sich zu bewegen hatte meist etwas Zurückhaltendes und Maßvolles. Sie war wie in ihrer schönen, stattlichen Erscheinung so auch in ihrem vornehmen Auftreten und Gebaren das getreue Ebenbild ihrer Mutter, die bei aller Entschiedenheit ihres zuweilen etwas spröden Wesens sich niemals gehen ließ und [257] deren stolzer Sinn mit einer ihr angeborenen bestrickenden Anmuth umhüllt war.
Auf der Hohkönigsburg waren jetzt unruhige Tage. Graf Oswald wartete beinahe mit Ungeduld auf die förmliche Absage seiner Gegner, der Rappoltsteiner und Rathsamhausen und ihrer Freunde, denn die Ungewißheit, in der er über ihre Absichten schwebte, war ihm ein schier unerträglicher Zustand. Er fürchtete sich vor ihrem Angriff nicht, denn in seiner überaus festen Burg, die mit allem Nöthigen zu Schutz und Trutz, mit Wehr und Waffen und mit Nahrungsmitteln für die bedeutend verstärkte Besatzung reichlich versehen war und auch einen Brunnen mit gutem Trinkwasser besaß, fühlte er sich ziemlich sicher und konnte auch eine längere Belagerung darin aushalten. Und doch wünschte er in seines Herzens Grund, den Kampf vermeiden zu können. Er selber konnte ihn nicht verhindern, konnte seinen Feinden nicht mit Friedensvorschlägen kommen, ehe der Friede gekündigt oder gebrochen war. Wenn man ihm aber eine Brücke zu einem Rückzuge mit Ehren baute, würde er nicht lange zögern, sie zu beschreiten.
Er saß und stöberte wieder einmal in alten pergamentenen Urkunden, Schutz- und Lehnsbriefen, an denen große Siegel in hölzernen Kapseln hingen. Sie gehörten zu dem landvogteilichen Archiv und handelten von Gerechtsamkeiten und Privilegien, von Obliegenheiten und Abgaben der einzelnen Herrschaften, Städte und Klöster, über die sich der Graf genau unterrichten wollte.
Wie erstaunt war er nun, als ihm während dieser Beschäftigung eines Morgens die Ankunft des Grafen Egenolf von Rappoltstein gemeldet wurde, der ihn um eine Unterredung unter vier Augen bitten ließ. Sofort fiel ihm der ebenso überraschende Besuch Bruno's von Rathsamhausen ein, aber diesmal verirrte er sich nicht wieder zu dem absonderlichen Gedanken, daß ihm der Sohn die Absage des Vaters bringen könnte, wenngleich Egenolfs Einritt in die Hohkönigsburg mindestens so auffällig und räthselhaft war wie damals der von Bruno. Den Rathsamhausen hatte die Sorge um seinen herzschlächtigen Rappen hergetrieben; was mag nun, mitten in den Vorbereitungen, einander aufs Blut zu befehden, den Rappoltstein herführen, fragte er sich, vielleicht auch so eine lächerliche Geschichte, auf die ein vernünftiger Mensch nicht im Traume kommt.
Egenolf trat ein und erschien in einer ungewöhnlich reichen Gewandung und mit einer ungewöhnlich feierlichen Miene, was den Grafen Oswald allerdings stutzen machte. Der Letztere forderte den Gast auf, Platz zu nehmen, und sah ihm gespannt, was sich da wohl entwickeln würde, ins Gesicht.
»Herr Graf,« begann Egenolf, »Ihr werdet von mir etwas so Unerwartetes hören, wie Ihr es Euch gar nicht denken könnt. Ich komme, und zwar, wie ich vorausbemerken will, nicht ohne Wissen und Genehmigung meines Vaters, um mir von Euch die Hand Eurer Tochter Gräfin Leontine zu erbitten.«
Wäre der gewaltige Bergfried Hohrappoltsteins von da drüben durch die Luft herangeschwebt gekommen, so hätte Graf Oswald nicht in größere Verwunderung darüber gerathen können als über die aus Egenolfs Munde vernommenen Worte. Er konnte es gar nicht fassen; verwirrt und stockend sprach er: »Verzeiht, Herr Graf, – ich weiß nicht, – ich glaube verstanden zu haben, daß Ihr mich um die Hand meiner Tochter bittet.«
»Ganz recht, Herr Graf! so lautete meine Bitte.«
»Ja, aber – ich begreife nicht, – Ihr sagtet, Ihr kämet mit Wissen und Genehmigung Eures Vaters.«
»So ist es, Herr Graf,« sprach Egenolf. »Ich sagte Euch aber auch, daß Ihr etwas ganz Unerwartetes von mir hören würdet.«
»Ja ja, aber das Gehörte übersteigt doch beinahe die Grenzen der Glaubhaftigkeit und Möglichkeit. Es wird Euch doch bekannt sein, daß in Folge meines Streites mit Herrn Burkhard von Rathsamhausen auch zwischen Eurem Vater und mir mit gezücktem Schwerte der böse Geist der Fehde steht.«
»Ich weiß es wohl, aber welcher böse Geist wäre nicht zu bannen!«
»Wie meint Ihr das?« frug Oswald aufhorchend.
»Herr Graf,« erwiederte Egenolf, »ich habe keine Vollmacht, Euch etwas Anderes mitzutheilen als meine eigene Bitte um die Hand Eurer Tochter.«
»Graf Egenolf,« sprach Oswald nach einem kurzen Schweigen, »gebt mir auf eine offene Frage eine offene [260] Antwort! Haltet Ihr eine friedliche Einigung zwischen Eurem Vater und mir für möglich?«
»Ja!«
»Würde sich Euer Vater zu einer Unterredung mit mir verstehen?«
»Wenn Ihr ihn darum ersuchtet, so zweifle ich nicht daran, aber – versprechen kann ich nichts.«
»So! versprechen könnt Ihr nichts. – Weiß meine Tochter von Eurer Liebe zu ihr?«
»Ja, Herr Graf! wir haben den Bund der Herzen geschlossen und uns Lieb und Treu gelobt für Zeit und Ewigkeit,« erwiederte Egenolf mit festem Ton und freiem Blick.
»Hm! auf den Gedanken wäre ich nie gekommen.« Graf Oswald sann nach, und sein scharfer Verstand rechnete schnell: Egenolf weiß mehr, als er sagen will. Er hält eine Einigung für möglich, das heißt soviel wie Schmasman wünscht sie. Damit ist die Brücke geschlagen, aber zu einem Rückzuge werde ich sie nicht beschreiten.
Er erhob sich und sprach: »Herr Graf, bei Vergebung der Hand einer Tochter hat die Mutter ein Wort mitzureden. Verzeiht eine kleine Weile, ich möchte mit der Gräfin sprechen.« Darauf ging er hinaus und ließ Egenolf allein.
Auch Egenolf hatte sich erhoben und des Grafen leichte Verbeugung erwiedert. Ihm war getrost und froh zu Muthe, denn es war ihm nicht entgangen, wie beifällig [261] Oswald die zugegebene Möglichkeit einer Einigung mit seinem Vater aufgenommen hatte.
Er trat an eines der Fenster und schaute über das Ried hinaus in die Ferne, nach dem Kaiserstuhlgebirge und den massigen Höhen des Schwarzwaldes. Bei der völlig klaren Herbstluft waren heute sogar die Alpen sichtbar, die sich mit ihren schneeigen Häuptern wie eine lange, silberhelle Wand am Horizont von Osten nach Westen dehnten und ihre ragenden Schroffen und Spitzen deutlich erkennen ließen. Diesen heiteren, sich nur selten in solcher Schönheit darbietenden Anblick nahm sich Egenolf zum guten Zeichen. –
Graf Oswald, der Mühe gehabt hatte, seine Freude über die ihn im höchsten Grade überraschende Werbung Egenolfs und die sich für ihn selbst daran knüpfenden Hoffnungen vor seinem Gaste zu verhehlen, bedurfte einer Spanne Zeit zur Sammlung und Überlegung, und es drängte ihn, seiner Gemahlin von dem erstaunlichen Ereigniß Mittheilung zu machen.
In großer Erregung trat er bei ihr ein mit den hervorgesprudelten Worten: »Margarethe, denke Dir, wer oben bei mir ist! – Graf Egenolf von Rappoltstein. Und was will er? – er wirbt um die Hand Leontinens.«
»Oswald! – wie ist das möglich?« rief die Gräfin, von ihrem Sitz emporschnellend.
»Ich wußte selber nicht, wie mir geschah, als er damit herausrückte,« erwiederte der Graf. »Und was das [262] Beste dabei ist, er kommt mit Wissen und Genehmigung seines Vaters.«
»Eine Siegesbotschaft, Oswald!« frohlockte Margarethe.
»Nicht wahr?«
»Was hast Du ihm geantwortet?«
»Vorläufig weiter nichts, als daß ich über die Hand der Tochter nicht ohne die Zustimmung ihrer Mutter verfügen könnte. In der ausgesprochenen Absicht, mich mit Dir zu berathen, verließ ich ihn. Was thun wir nun? ich gedenke vorsichtig und zurückhaltend zu sein.«
»Ja, das wohl, aber nicht abweisend,« sprach die Gräfin. »Du stellst Deine Bedingungen, vor deren Annahme von einer Heirath keine Rede sein kann. Zunächst verlangst Du die Bundesgenossenschaft seines Vaters, des Grafen Maximin, gegen den Rathsamhausen.«
»Selbstverständlich!« nickte Oswald.
»Sodann,« fuhr Margarethe fort, »beharrst Du bei den oder erhöhst noch die Forderungen, die Du sowohl zur Durchführung Deiner Pläne wie zur Befestigung Deiner Machtstellung für nöthig erachtest.«
»Noch erhöhen? Margarethe, spannen wir den Bogen nicht allzu straff!«
»Nur nicht schüchtern und blöde jetzt!« rief sie entschlossen. »Eine so gute Gelegenheit, Dich und Deinen Willen durchzusetzen, kommt Dir nicht wieder.«
»Gewiß nicht,« gab Oswald zu. »Aber mit dem jungen Grafen kann ich über diese Dinge nicht verhandeln.«
»Mit ihm verhandeln sollst Du auch nicht,« erwiederte [263] sie, »sondern ihm nur sagen, daß ohne vorhergehende Einigung zwischen Dir und seinem Vater an eine Verbindung mit uns nicht zu denken wäre. Dann höre, was er darauf antwortet. Vielleicht bringt er schon Vorschläge dazu mit.«
»Er hat keine Vollmacht von seinem Vater zu irgend welchen Versprechungen.«
»Nun, er kommt doch mit dessen Genehmigung; also wird er Dir, wenn auch nicht feste Versprechen, so doch wohl gewisse Anerbietungen zu machen haben,« meinte die Gräfin. »Wie weit ist er mit Leontinen?«
»Ein Herz und eine Seele!« lachte der Graf.
»Wirklich?« sprach Margarethe mit hell blinkenden Augen und einem frohen Lächeln, das ihr Antlitz wie Sonnenschein beglänzte. »O ich freue mich ihres Glückes, und wir haben Schmasman gegenüber mit unserer Einwilligung ein Pfand in den Händen, das wir nicht unter seinem Werthe weggeben dürfen.«
»Darin stimme ich Dir vollkommen bei,« erwiederte Oswald, »aber gerade Leontinens wegen darf ich keine übertriebenen Forderungen stellen, denn wenn die Verhandlungen mit Schmasman fehlschlügen, ginge damit auch das Glück unserer einzigen Tochter in die Brüche.«
»Sie werden nicht fehlschlagen,« entgegnete Margarethe lebhaft. »Egenolf wird für seine Liebe Himmel und Hölle in Bewegung setzen, zwischen Dir und seinem Vater Eintracht zu stiften. Tritt nur fest und entschieden auf und gieb nicht zu früh nach, damit wir Zeit gewinnen.«
»Weißt Du was?« sagte der Graf, »komm mit mir hinauf zu ihm und höre selber, wie er meine Entscheidung aufnimmt.«
»Ja, das will ich thun,« sprach Margarethe, und sie gingen beide. –
Egenolf war in wachsender Ungeduld das Zimmer oben auf- und abgeschritten und stand wieder am Fenster, mehr in seine hoffnungsvollen Gedanken als in den Anblick des großartigen Landschaftsbildes vertieft, als die Thüre klang. Schnell wandte er sich um, und ein heller Schimmer glitt über sein Antlitz, als er in Begleitung des eintretenden Grafen dessen Gemahlin erblickte, die er, ihr die Hand küssend, mit ritterlicher Höflichkeit begrüßte.
Graf Oswald begann sofort mit verbindlichem, aber ernstem Tone: »Wir kommen, Herr Graf, um Euch auf Euren ehrenwerthen Antrag den Bescheid zu bringen, daß Ihr uns als Eidam herzlich willkommen wäret und wir Euch mit Freuden unsere Tochter als Ehgemahl anvertrauen würden, wenn die Verhältnisse anders lägen, als es leider der Fall ist. Daher kann ich Eure Werbung nur annehmen, wenn ich die sichere Bürgschaft erhalte, daß ich in dem mir bevorstehenden Kampfe mit Herrn Burkhard von Rathsamhausen und seinen Freunden Euren Vater als Bundsgenossen an meiner Seite haben werde. Könnt Ihr mir diese Bürgschaft auf Manneswort geben?«
»Nein, Herr Graf, das kann ich nicht,« erwiederte Egenolf betroffen.
»Dann bedaure ich aufrichtig, Euren Antrag ablehnen [265] zu müssen,« sprach Oswald. »Ihr werdet selber einsehen, daß ich nicht anders kann,« fuhr er fort, als Egenolf schwieg. »Ich kann die Hand meiner Tochter nicht dem Sohne meines Feindes geben.«
Da raffte sich Egenolf aus seiner tiefen Bestürzung zu der Entgegnung auf: »Mein Vater ist in einigen Punkten Euer Gegner, aber nicht unter allen Umständen Euer Feind, Herr Graf. Ich sagte Euch bereits auf Eure Frage, daß ich eine Einigung zwischen Euch und ihm für möglich hielte.«
»Die bloße Möglichkeit genügt mir nicht, ich muß Gewißheit darüber haben, wenn ich Euren Herzenswunsch erfüllen soll,« erklärte Graf Oswald.
»Ihr weist mich also mit meiner Werbung ab?« sprach Egenolf erregt. »Auch Ihr, Frau Gräfin?« wandte er sich zu dieser.
Margarethe zuckte mit den Achseln und erwiederte: »Ich kann meinem Gemahl nicht Unrecht geben, Herr Graf, so sehr ich auch meinerseits bedaure, Euch unter den obwaltenden Verhältnissen nicht zu Eurem Glücke verhelfen zu können.«
Egenolf starrte finster vor sich hin und schwieg.
»Habt Ihr mir einen Auftrag an meinen Vater mitzugeben, Herr Graf?« frug er dann, noch in der Hoffnung auf einiges Entgegenkommen seitens des Grafen von Thierstein.
Aber Oswald antwortete: »Einen Auftrag? ich wüßte [266] nicht, welchen, Herr Graf. Ich habe dem, was ich Euch kund that, nichts hinzuzufügen.«
Das ist der Abschied, sagte sich Egenolf, es fehlt bloß noch: da ist die Thür! Herb und trocken sprach er: »So habe ich hier nichts mehr zu suchen.«
Da zog Oswald unwillkürlich die Brauen hoch wie Jemand, der erstaunt oder erschrickt, und Margarethe machte eine Bewegung, als wollte sie vortreten und sich einmischen.
Doch Egenolf fuhr fort, erst ruhig, dann allmählich lauter und erregter werdend: »Ich gehe mit schwerem Herzen, Herr Graf, und nehme nichts mit als eine schmerzliche Enttäuschung. Damit Ihr aber wißt, wie Ihr mit mir daran seid, erkläre ich Euch hiermit: ob Fehde oder Friede wird, von Leontinen lasse ich nicht, so lange ich das Leben habe, und werde Euch immer wieder und wieder um sie bitten, bis Ihr sie mir gebt, und thut Ihr das nicht, so komme ich und hole sie mir.«
Ehe Graf Oswald auf diese in einem trotzigen, fast drohenden Tone gesprochenen Worte etwas erwiedern konnte, flog die Thür auf, und hastig, mit heißrothen Wangen trat Leontine herein.
»Ihr habt mich nicht gerufen, aber ich weiß, was hier vorgeht,« stieß sie, fast athemlos vom schnellen Treppensteigen, hervor. »Eine Lauscherin an der Thür hat es mir hinterbracht, und wenn über mein Schicksal beschlossen wird, will ich dabei sein.« Mit geschwinden Schritten war sie an Egenolfs Seite, ergriff seine Hand und fuhr [267] erhobenen Hauptes und mit erhobener Stimme fort: »Vater und Mutter, hier stehe ich neben dem, bei dem ich immer und allwege stehen werde und der mein Herr und Gemahl wird oder sonst Keiner. Ihr könnt mich von seiner Seite reißen, könnt mich auf der Hohkönigsburg einsperren, daß ich ihn niemals wiedersehe, aber meine Liebe könnt ihr mir nicht nehmen; die habe ich ihm geschworen, die gehört ihm und bleibt ihm bis zu meinem letzten Athemzuge.« Erregt und erschöpft lehnte sie sich hingebend an Egenolf und schmiegte das Haupt an seine Schulter, der sie mit dem Arm umfing, während ihm das Herz in Freuden klopfte.
Graf und Gräfin waren bei diesem leidenschaftlichen Austritt sprachlos. Margarethe blickte mit innigem Stolz auf ihre muthige Tochter.
»Leontine,« begann Oswald, nachdem er sich gefaßt hatte, »Du weißt nicht, was die Familien Rappoltstein und Thierstein von einander trennt und scheidet.«
»O ich weiß es wohl, Vater!« fuhr sie auf, »diese unglückselige Fehde, die vermieden werden könnte, wenn auf beiden Seiten der gute Wille dazu vorhanden wäre. Egenolf, ich frage Dich: glaubst Du nicht, daß Dein Vater den guten Willen dazu hat?«
»Ich bin fest davon überzeugt, Leontine,« erwiederte Egenolf.
»Und Ihr, Vater? habt Ihr ihn nicht? auch nicht mir zu Liebe?« kam es von Leontinens bebenden Lippen.
»So rasch glaube ich an Eures Vaters guten Willen [268] nicht,« sprach Oswald, als hätte er die an ihn gerichtete Frage Leontinens nicht gehört. »Er weiß, daß Ihr hier seid und warum Ihr hier seid, aber keinen Gruß, keinen Wink, nicht ein Wort hat er Euch mitgegeben, aus dem ich auf seinen guten Willen zur Einigung mit mir schließen könnte.«
»Und dennoch ist es mir außer allem Zweifel, daß er den aufrichtigen Wunsch hat, mit Euch Frieden zu halten,« fiel Egenolf ein.
»So mag er es mich wissen lassen! Ich bin es, der hier um etwas gebeten, von dem etwas verlangt wird, und zwar nicht mehr und nicht weniger als die Hergabe meiner einzigen Tochter. Warum soll nun ich den ersten Schritt thun und Eurem Vater die Hand entgegenstrecken ohne zu wissen, ob sie von ihm angenommen wird?«
»Vater,« rief Leontine, »schickt mich zum Grafen Maximin! ich bringe Euch den Frieden zurück, oder Ihr seht mich nicht wieder!«
Da konnte sich Margarethe nicht länger halten. Aus unwiderstehlichem Drang stürzte sie auf Leontinen zu, umhalste und küßte sie. »Recht so, mein Kind!« schluchzte, jauchzte sie, »aber nicht Du, nicht Du! Der da wird für eure Liebe eintreten, wie er kann und vermag.« Im Tiefsten ergriffen und bewegt, bereute sie in diesem Augenblick, ihren Gemahl zum zähen Festhalten Schmasman gegenüber noch aufgestachelt zu haben, und war jetzt selber zu jedem Opfer für das Glück ihres Kindes bereit. »Und Du, Oswald,« wandte sie sich an den Grafen, »sieh Dir [269] die Beiden hier an und sprich ein Wort, wie Dir ums Herz ist!«
Graf Oswald stand und blickte vom einen zum andern von den Dreien, unschlüssig und mit sich kämpfend. Endlich fing er an: »Wohlan, Graf Egenolf! so höret mein letztes Wort, das ich Euch zu sagen habe. Ich will Euch meine Tochter geben unter der Bedingung, daß zwischen Eurem Vater und mir nach vorausgegangener Verständigung über alle streitigen Punkte Friede bleibt und Freundschaft wird.«
»Die Bedingung nehme ich an, Herr Graf!« rief Egenolf aufathmend und schlug kräftig in Oswalds dargebotene Hand.
»Vater! Vater!« jubelte Leontine und umschlang ihn stürmisch.
Oswald befreite sich sanft von ihr und sprach: »Nun gehet hin zu Eurem Vater, Graf Egenolf, sagt ihm Alles, was wir hier gesprochen haben, und bittet ihn, mir seine Vorschläge zu machen.«
Egenolf sah den Grafen an, als wollte er in dessen Seele lesen, ehe er mit dem herauskam, was ihm auf der Zunge schwebte. Dann begann er: »Herr Graf, zunächst erlaubt mir selber einen Vorschlag. Wenn es Euch und der Frau Gräfin genehm ist, so reite ich schnell nach der Ulrichsburg und komme gleich wieder zurück – mit meinen Eltern. Eure Verständigung könnte ja hier und heute noch erfolgen.«
Graf Oswald stutzte. »Heute noch? so eilig? da ist doch vorher noch manches zu bedenken und zu erwägen –«
Die Gräfin unterbrach ihn: »Ja, ja, so soll es geschehen. Berathen und erwägen könnt ihr beiden Herren auch hier. Der Vorschlag ist gut; führt ihn aus, Graf Egenolf!«
Leontine aber legte ihren Arm in den des Geliebten, und mit einem flehentlichen Blick zu ihm aufsehend sprach sie: »Egenolf, ich möchte Dich heute nicht von mir lassen. Könnten wir Deinen Eltern nicht Botschaft senden mit der Bitte, gleich heraufzukommen?«
»Ja, das können wir, und das wollen wir,« rief Egenolf. »Du hast doch den klügsten Gedanken.«
»Glaubt Ihr, daß sie daraufhin kommen werden?« frug Oswald.
»Ich hoffe es zuversichtlich,« erwiederte Egenolf. »Ich schreibe ein paar Zeilen an meinen Vater, daß Ihr eine offene Aussprache mit ihm wünschtet.«
»Daß ich sie wünschte, wäre wohl etwas zuviel gesagt,« wandte Graf Oswald ein. »Daß ich dazu bereit, nicht abgeneigt wäre, scheint mir richtiger ausgedrückt.«
»Überlaßt mir die Fassung der Worte, Herr Graf,« bat Egenolf, »sie sollen Euch zu nichts verpflichten.«
»Nun gut! dort auf meinem Tische findet Ihr Schreibgeräth; inzwischen lasse ich Isinger rufen.« Oswald schlug mit dem Waidmesser an eine helltönende metallene Schale und befahl dem eintretenden Diener, den Stallmeister herzubescheiden.
Als Egenolf geschrieben hatte, stand er auf und sagte [271] mit einer einladenden Handbewegung: »Wollt nicht auch Ihr, Herr Graf –?«
»Ich?« sprach Oswald, »Eure Bitte bedarf wohl keiner Unterstützung meinerseits.«
»Das nicht, aber es würde meinen Vater doch freuen –«
Oswald zögerte noch. Er überlegte: vergebe ich mir damit nichts? – nein, er kommt zu mir, ich nicht zu ihm. Dann beugte er sich auf den Tisch und schrieb stehend mit raschem Federzuge nur die Worte:
Reconciliemus nos!
O. v. T.
»Ist noch Platz für eine Zeile von mir an Deine Mutter?« fragte Leontine schelmisch.
»Gewiß!« lächelte Egenolf, »komm her!«
Sie setzte sich schnell und schrieb, litt aber nicht, daß Jemand las, was sie geschrieben hatte.
Graf Oswald faltete das Schreiben und versiegelte es.
Isinger erschien, und als er Egenolf mit Leontinen Hand in Hand bei einander stehen sah, begriff er sofort, und ein verschmitztes Lächeln glitt über seine gebräunten Züge. Graf Oswald gebot ihm: »Herni soll gleich nach der Sanct Ulrichsburg reiten und dem Herrn Grafen Maximin von Rappoltstein diesen Brief überbringen. Wir erwarten die Herrschaften hier so bald wie möglich.«
Isinger, das Schreiben nehmend, verbeugte sich stumm und ging. Im Stallhof trieb er Herni zur größten Eile, [272] gab ihm noch ein zweites gesatteltes Pferd mit und sagte: »Auf diesem frommen Gaul bringst Du mir den Hans Loder mit herauf und bestellst ihm, es gäbe heut einen guten Trunk hier oben. Aber reit zu!«
Das Mittagsmahl ward ein paar Stunden später angesetzt, so daß der Koch Zeit genug zur Ausführung des Befehles hatte, es ja recht sorgsam vorzubereiten und zwei oder drei auserlesene Gänge einzuschieben. Das gesammte Burggesinde gerieth in einen freudigen Aufruhr, als die Veranlassung dazu unter ihm ruchbar wurde. Dimot tanzte vor Vergnügen und machte prahlerische Andeutungen, als hätte nur ihre einflußreiche Vermittlung den geschlossenen Herzensbund zu Stande gebracht.
Auf Oswalds Einladung erschienen nun Graf Wilhelm und Gräfin Katharina bei ihren Geschwistern. »Sieh mal hier, Wilhelm!« rief Oswald seinem Bruder zu, »wir haben schon einen Gefangenen gemacht.«
»Gefangen in diesen holden Banden,« lächelte Egenolf und schritt mit Leontinen auf das gräfliche Paar zu.
»Das begreife, wer kann!« sagte Graf Wilhelm, »ich verstehe kein Wort davon. Es scheint, daß man sich auf der Hohkönigsburg an Überraschungen gewöhnen muß.«
»Die nächste Überraschung für Dich wird wohl die sein,« erwiederte Oswald, »daß wir den Grafen Maximin von Rappoltstein mit den Seinigen hier erwarten. Ihr müßt euch deßhalb mit dem Mittagsmahl noch etwas gedulden.«
»Nun, wenn es sich nachher der Mühe verlohnt, will ich gern noch fasten und mich kasteien,« lachte Wilhelm.
Oswald nahm ihn bei Seite und gab ihm die nöthigen Aufklärungen, die Wilhelm mit sichtlicher Befriedigung anzuhören schien.
Die Zeit des Wartens, die Allen länger däuchte als sie war, weil nach ihrem Ablauf mehr als eine wichtige Entscheidung getroffen werden sollte, suchte man sich durch eine etwas gezwungene Unterhaltung über gleichgültige Dinge zu vertreiben ohne mit einem Worte den Vorgang zu berühren, der sich in der eben verflossenen Stunde hier abgespielt hatte. Man that so, als wäre Egenolf nur ein zufällig anwesender Gast und nichts weiter.
Es wirkte daher wie eine Erlösung, als endlich die Ankunft der Rappoltsteiner gemeldet wurde. Oswald eilte zum Empfange der Hochwillkommenen die Wendeltreppe in den inneren Burghof hinab.
Egenolfs ehrfürchtiges Gesuch an seinen Vater, Allesammt sogleich zur Hohkönigsburg heraufzukommen, war in einem so verheißungsvollen und so inständig bittenden Ton abgefaßt, daß es dem dringenden Zureden Herzelande's gelang, Schmasmans heftiges Sträuben gegen diese Zumuthung zu überwinden. Dazu trugen auch die beiden Nachschriften das Ihrige bei. Mehr aber als Oswalds eigenhändiges »Vertragen wir uns!« halfen zur Annahme der Einladung die wenigen, so recht aus vollem Herzen kommenden Worte, die Leontine an Egenolfs Mutter geschrieben hatte.
So entschloß sich denn Schmasman endlich, mit Frau und Tochter und den Beiden von Schloß Giersberg zur Hohkönigsburg hinaufzureiten.
Er und Graf Oswald waren sich nach dem unheilvollen Abend im Rathskeller zu Rappoltsweiler nicht wieder begegnet, und ihr heutiges Wiedersehen würde in Anbetracht dessen, was in der Zwischenzeit dem Einen vom Andern gedroht hatte, etwas Peinliches gehabt haben, wenn sich nicht beide mit weltmännischer Gewandtheit und dem Willen, zu vergessen, darüber hinweggesetzt hätten. Ihre Begrüßung war gegenseitig die denkbar höflichste, und in [275] der gleichen höchst verbindlichen Weise begrüßte Oswald die Gräfinnen Herzelande und Isabella sowie Imagina und den Grafen Kaspar.
Er führte seine Gäste den ihrer oben Harrenden zu, sagte dann aber zu Schmasman: »Wenn es Euch recht ist, Herr Graf, ziehen wir beide uns erst zu einer vertraulichen Unterredung ein Weilchen zurück.«
»Damit kommt Ihr meinen eigenen Wünschen entgegen, Herr Graf,« erwiederte Schmasman, und sie begaben sich selbander in Oswalds Gemach.
Die um die Schloßherrin versammelt bleibenden Übrigen waren zwar nicht völlig außer Sorge über den Ausfall der das Schicksal der Verlobten entscheidenden Berathung ihrer Familienhäupter, thaten aber so, als wären sie es, und ergingen sich während der langen Abwesenheit der beiden Grafen in möglichst harmlosen, manchmal freilich etwas befangenen Gesprächen. Nach und nach wurde die Unterhaltung jedoch lebhafter und heiterer, und zuletzt sprudelte Imagina von neckischem Übermuth und trug eine wahre Taubenunschuld dabei zur Schau, als hätte sie nicht das Geringste von den Herzenspraktiken der zwei Liebenden geahnt.
»Wo in aller Welt habt ihr euch denn zusammengefunden?« fragte sie keck, »und wer hat eure Liebesschwüre und Sehnsuchtsseufzer von Burg zu Burg hinüber und herüber getragen?«
»Abgerichtete Schwalben haben uns mit Überbringung [276] von Briefen und Blumen Botendienste gethan,« lachte Leontine.
»Ich hatte das Schellenmännlein in meinem Solde,« fügte Egenolf hinzu, »das kennt die unterirdischen Gänge in den Bergen hier und läuft wie ein Maulwurf darin herum.«
»Und ich die leichtbeschwingte Waldnymphe Echo,« sagte Leontine wieder, »die rief uns unsere Grüße zu und enthüllte dem Einen die Gedanken des Anderen.«
»Ja, wenn ihr Vögel und Blumen, Nymphen und Zwerge zu Helfershelfern hattet, brauchtet ihr freilich keines Menschen Rath und Beistand,« sprach Imagina mit einem schlauen Lächeln.
»Sollten sie wirklich ohne alle menschliche Hilfe gewesen sein, Imagina?« sagte Herzelande zu der sich unwissend Stellenden. »Es giebt doch mitleidige Seelen, die gern Kundschaft treiben und kluge Winke geben.«
»Und die schweigen können, Herzelande!« lachte Imagina.
Die Scherzreden verstummten plötzlich, weil endlich die beiden älteren Grafen wieder eintraten, denen sich nun Aller Blicke forschend zuwandten. Sie sahen froh und zufrieden aus; was sie aber im Einzelnen berathen und beschlossen hatten, blieb vorläufig ihr Geheimniß. Ihre Unterredung mußte sie jedoch zu vollkommener Einigkeit geführt haben, denn Graf Oswald schritt auf Egenolf und Leontine zu, ergriff ihre Hände und legte sie in einander mit den Worten: »Hiermit gebe ich euch vor Gott und Menschen [277] zusammen, nehmt euch hin und werdet glücklich! Gott segne euch!«
Da war die Freude bei allen Anwesenden groß, und es folgte eine allgemeine herzliche Beglückwünschung. Schmasman sprach leise zu seinem Sohn: »Hast's gut gemacht, Egenolf! aus eurer Liebe erblüht uns der Friede.«
»Ich dacht' es wohl, Vater! Leontinen gebührt unser Dank; sie hat es gemacht,« erwiederte Egenolf glückstrahlend.
»Laß auf dem Bergfried die Fahne aufziehen! die Hohkönigsburg feiert heute einen Ehrentag in ihren Mauern,« sagte Graf Oswald zum Hausmeister, der seiner Gebieterin eben eine leise Meldung gemacht hatte. »Und nun einen herzhaften Trunk darauf, Graf Maximin! nicht wahr?«
»Habe meinerseits nichts dagegen einzuwenden,« lächelte Schmasman.
»Die Tafel ist bereit,« verkündete Gräfin Margarethe.
»Und ich bin es auch,« sprach Imagina. »So etwas greift den Menschen an und macht grausam hungrig.«
Man begab sich in den Saal und an die Tafel, die von Silbergeräthen blinkte und blitzte.
Es ward ein überaus heiteres Mahl. Zuerst tranken Schmasman und Oswald stumm, Auge in Auge, einander zu und drückten sich über den Tisch hinüber die Hände. Dann sprach Schmasman würdige und herzliche Worte zum Wohle des Brautpaares.
Die Geister des Friedens und der Eintracht, der Liebe und Freude schwebten über den Häuptern der Versammelten, [278] erfüllten ihre Herzen mit Glück und lenkten ihre Zungen zum Austausch freundlicher Gedanken.
Manch Einem der hier sorglos Tafelnden mochte wohl unwillkürlich gleich einer Erscheinung in schweren Träumen die Gestalt Burkhards von Rathsamhausen auftauchen, aber seinen Namen sprach Niemand aus. Es sollte nicht lange dauern, daß er selber sich ihnen in Erinnerung brachte.
Inmitten des Mahles trat Isinger herein.
»Isinger, was willst Du? machst ein fast unfroh Gesicht,« rief ihm Oswald zu. »Hoffentlich ist keiner Deiner Pflegebefohlenen herzschlächtig geworden?«
»Nein, Herr Graf, die Rosse sind alle gesund,« erwiederte Isinger, »aber sie scharren unruhig mit den Hufen, und Euer Tristan wiehert in einem fort.«
»Er hat Durst, Isinger!« lachte der Graf, »und Du gewiß auch, darum kommst Du, hast gewittert, was hier vorgeht.« Auf seinen Wink brachte ihm ein Diener einen Becher, den er selber füllte und dem Stallmeister darbot: »Hier! trink auf das Wohl des Brautpaares!«
Isinger hob den Becher und sprach: »Lang lebe in Glück und Gesundheit das edle Paar, Graf Egenolf und Gräfin Leontine!« Darauf leerte er den Becher, blieb aber noch im Saale stehen.
»Nun? noch nicht genug? habt ihr unten nichts zu trinken?« fragte Graf Oswald.
»O doch, Herr Graf! in Hülle und Fülle, und einen Gast habe ich auch unten.«
»Einen Gast? wen?«
»Einen alten, treuen Kumpan von mir, Hans Loder, den Pfeiferkönig.«
»Den Pfeiferkönig? bring ihn herauf, Isinger! er soll auch einen Ehrentrunk thun. – Nun, so geh doch und hol' ihn her!«
»Zu Befehl, Euer Gnaden! wenn ich aber den Herrn Grafen –«
»Was noch für Wenn und Aber?« frug Oswald, ungeduldig werdend.
»Ich möchte es dem Herrn Grafen lieber allein vertrauen.«
»Ach was! heraus damit! wir sind hier Alle gute Freunde.«
Da zog Isinger aus seinem Wams ein versiegeltes Schreiben hervor und sprach: »Diesen Brief hat ein Reisiger gebracht von Herrn Burkhard von Rathsamhausen.«
»Ah!« machte der Graf, »der kommt zur rechten Stunde, gieb her!« Er nahm das Schreiben, drehte es hin und her und sagte dann zu der erwartungsvollen Gesellschaft: »Wozu noch öffnen? ich weiß, was darin steht. Oder wollt ihr es auch wissen?«
»Lest den Liebesgruß, Graf Oswald!« forderte Schmasman ihn auf.
Oswald erbrach den Brief und las ihn vor:
Graf Oswald von Thierstein!
Ihr werdet Euch wissen zu erinnern, was für ehrvergessene Worte Ihr über mich als einen ehrlichen [280] Reichsritter von Adel ausgegossen habt. Darauf gebe ich Euch zu vernehmen, daß ich Faust und Stärke genug habe, mich Eures bösen Willens zu erretten und den mir angethanen Schimpf gebührlich zu rächen. Wir, ich Burkhard von Rathsamhausen und meine guten und ritterlichen Gesellen, Graf Schaffried von Leiningen, Jost von Müllenheim, Eckbrecht von Dürkheim, Dietrich von Lützelstein, Henning von Landsberg und Klaus Zorn von Bulach, wir sagen Euch hiermit auf Gut und Blut ab und wollen mit Feuer und Schwert, mit Berennen und Stürmen Euch Schaden und Abbruch thun, wie wir nur wissen und können. Deß zur Urkund haben wir unsere Ingesiegel an diesen Brief gehenkt.
Nach der Vorlesung trat eine Stille ein. Dann sagte Schmasman: »Eine Überraschung ist es nicht für Euch, Graf Oswald, und wir wollen uns den Wein in den Pokalen damit nicht trüben lassen.«
»Nein, wahrlich nicht!« lachte Oswald. »Setzt Ottrotter Rothen auf! wir wollen, ehe wir sein eigenes vergießen, vorläufig von Herrn Burkhards Rebenblute trinken. Isinger, es wird fortgerüstet.«
»Darum hat auch Euer Tristan gewiehert, Herr Graf!« rief Isinger vergnügt, »und jetzt hole ich den Trumpeterhans herauf.« Damit entschwand er und kehrte bald mit Hans Loder zurück, der von den Rappoltsteinern mit lauten Zurufen begrüßt und auch von den Thiersteinern willkommen geheißen wurde.
»Schenkt dem Pfeiferkönig ein!« befahl Oswald.
»Laßt es mich thun!« bat Egenolf. Er füllte den ihm gebrachten Becher und hielt ihn Loder hin: »Komm her, Hans, und trink auf das Glück meiner Liebe; Du hast von Allen zuerst davon gewußt.«
Loder nahm den Becher und sprach, zum Brautpaar gewendet: »Die Pfeiferbruderschaft im ganzen Wasgau bringt Euch mit diesem Trunke ihre Glück- und Segenswünsche dar!«
Egenolf und Leontine dankten dem Alten, aber danach fing die Unterhaltung an, ein wenig zu stocken.
»Soll der Knecht des Herrn von Rathsamhausen auf Antwort warten?« fragte Isinger leise.
»Nein,« erwiederte Graf Oswald, »darauf giebt es keine Antwort.«
»Aber ich werde Herrn Burkhard in den nächsten Tagen auf seinen Brief an mich die Antwort senden,« sagte Schmasman.
»Und ich überbringe sie ihm, Herr Graf!« rief Loder, »ich muß ohnehin nach Ottrott, mir den Seppele wiederzuholen.«
»Gut, Hans! Du sollst mein Bote sein,« versprach ihm Schmasman.
»Und nun soll sich der Knecht zum T– zu seinem Herrn zurückbegeben,« sagte Wilhelm von Thierstein, worauf sich Isinger lachend mit seinem Kumpan hinausbegab.
Wilhelm und auch alle übrigen Anwesenden waren unmuthig darüber, daß Burkhards Absagebrief gerade heute [282] gekommen war und doch eine kleine Störung in ihrer Festfreude verursacht hatte.
Imagina, von dem Verlangen beseelt, der gedämpften Fröhlichkeit wieder aufzuhelfen, fand dazu ein wirksames Mittel. »Leontine,« begann sie, »fülle Deinen Becher jetzt einmal bis zum Rande, trink uns ein Schlücklein daraus zu und laß ihn am Tische von Mund zu Munde kreisen. Jeder von uns soll Dir Bescheid thun und dabei einen guten Wunsch für Dich und Egenolf aussprechen.«
Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Leontine füllte ihren silbernen Pokal, nippte daran und reichte ihn dem neben ihr sitzenden Schmasman, indem sie lächelnd zu ihm sagte: »Fanget an, Herr Graf, und denkt Euch etwas recht Liebes und Gutes für uns aus!«
Schmasman sann ein Weilchen nach, hob den Pokal der holden Kredenzerin grüßend entgegen und sprach: »Ich eröffne den Reigen mit dem Wunsche, daß euer Schicksal so fest und sicher wider alle Stürme gebaut sei wie die Hohkönigsburg.« Dann setzte er den Becher an die Lippen und trank.
»Ich wünsche,« sagte Gräfin Katharina, ihn aus Schmasmans Hand nehmend, »daß eure Herzen stets in vollem Einklang schlagen wie die Glocken des Münsters zu Straßburg.«
»Möget ihr allzeit über Leid und Ungemach so hoch erhaben sein wie die höchsten Tannen des Wasgenwaldes [283] über dem Boden, in dem sie wurzeln,« lautete Kaspars Wunsch.
Isabella wünschte: »Euer traulich Nest umwehe stets ein Hauch von Fried und Freud, so süß, wie wenn im Ried die Reben blühen.«
»Und rund herum ziehe sich Schutzwehr und Ringwall gegen Unheil und Gefahr wie die Heidenmauer um Sanct Odilien,« fügte Graf Wilhelm hinzu und that einen gar langen Trunk darauf.
»Halt! nicht zuviel!« rief Imagina lachend und ihn am Arme ziehend, »wir sind hier unser noch mehr.« Dann nahm sie ihm den Becher schnell weg, schwang ihn hoch dem Brautpaar zu und sprach: »Ich wünsche euch gute Freunde und treue Diener. Gesellig und lustig gehe es bei euch im Saal und im Burghof zu, wie Meister Gottfried von Straßburg singt:
»Breit und glänzend wie der Rhein ziehe euer Leben dahin, und nur glückbringende Sterne mögen sich darin spiegeln,« wünschte Graf Oswald mit einem freudigen Blick auf seinen künftigen Eidam.
»Ich bin eine alte Frau,« lächelte Herzelande, »und mein Wunsch ist, Leontine, daß Du dereinst in meinen Jahren so glücklich mit Egenolf bist, wie ich es mit meinem lieben Schmasman bin.«
»Als die Letzte in der Runde habe ich auch den letzten Wunsch,« sagte Gräfin Margarethe, »und knüpfe ihn an den ersten an, den Graf Maximin aussprach. Wie die Hohkönigsburg die Heimat eures Glückes ist, so möge sie auch stets der Hort eurer Liebe bleiben.«
Damit gelangte der Pokal zum Brautpaar zurück. Egenolf erhob sich an Leontinens Seite und sprach: »Ich trinke die Neige bis auf den letzten Tropfen mit dem Gelübde, Alles zu thun, was in eines Menschen Willen und Kräften steht, daß das in Erfüllung gehe, was ihr uns zu unserem Glücke gewünscht habt.«
Der wandernde Becher und die ihn begleitenden Wünsche hatten im ganzen Kreise Frohsinn und festliche Stimmung wieder hergestellt, die auch bis zum Ende des Mahles die Herrschaft behielten. Bald aber mußten die Rappoltsteiner aufbrechen. Die Thiersteiner geleiteten sie bis zum Stallhof, wo sie zu Pferde stiegen und fröhlich abritten, auf der Hohkönigsburg nur Freunde zurücklassend. –
»Margarethe,« sprach Oswald zu seiner Gemahlin als sie wieder oben und beide allein waren, »das war heut ein großer Tag für uns, der mich von schweren Sorgen befreit und unserem Hause eine glorreiche Zukunft eröffnet hat. Jetzt stehe ich auf festen Füßen und kann allem Kommenden die Stirn bieten. Die Fehde mit Burkhard muß durchgefochten werden; nun ich aber Rappoltstein zum Bundesgenossen habe, sehe ich ihr mit Ruhe entgegen. Unsere Tochter haben wir einem edlen jungen Ritter verlobt, der einmal der einflußreichste Lehensherr [285] im Lande sein wird, wie es jetzt sein Vater ist. Leontine wird mit ihm glücklich werden.«
»Hast Du den Frieden mit Schmasman auch nicht zu theuer erkauft?« fragte die Gräfin.
»Ich denke nicht. Wir haben uns über Alles geeinigt; in einigen Stücken habe ich nachgegeben, in anderen hat er mir Zugeständnisse gemacht.«
»Du hast also nicht viel erreicht, wie mir scheint.«
»Ich bin froh, daß ich von dem willensstarken, klugen und weitschauenden Manne überhaupt etwas erreicht habe,« sprach Oswald. »Trotz seines unverkennbaren Wohlwollens gegen mich hatte ich einen harten Kampf mit ihm und war mir dabei in jedem Augenblick bewußt, welch ein hoher Einsatz es war, den ich wagte, um den ich mit ihm rang, und daß Alles verloren gehen konnte, wenn ich halsstarrig blieb und mich auf nichts einließ, – diese Burg, die Reichsgewalt, meine ganze Stellung und auch Leontinens Glück. Aber nun Kopf hoch, Margarethe! die Gefahr ist vorüber. In der Pfalz Friedrich des Rothbarts zu Hagenau wurde früher die deutsche Kaiserkrone aufbewahrt; jetzt ist die Hohkönigsburg das Bollwerk kaiserlicher Macht im alten Wasgau, und ich bin ihr berufener Hüter und Handhaber.«
»Wann wollen sie denn Hochzeit machen?« fragte Syfritz.
»Sobald die Fehde ausgefochten ist,« erwiederte Loder.
»Und Du meinst immer noch, daß sie sich in die Haare fallen werden?«
»Wie ich den Rathsamhausen kenne, glaub ich fürwahr, daß der Hoppeltanz ehestens losgeht.«
Diese Fragen und Antworten wurden zwischen Loder und Syfritz gewechselt, als die Beiden mit einem Schreiben Schmasmans nach Schloß Rathsamhausen wanderten. Loder hatte sich seinen Freund Syfritz auf diesen Botengang zur Gesellschaft mitgenommen und ihm unterwegs ausführlich von dem Festmahl zu Ehren des neuverlobten Paares auf der Hohkönigsburg erzählt.
»Du bist in Alles gut eingeweiht, Hans,« sprach Syfritz, »nun sage mir doch: wenn Graf Schmasman mit dem Thiersteiner Frieden und Freundschaft schließt, könnte das Herr Burkhard doch auch thun; warum thut er es denn nicht?«
»Das will ich Dir sagen, Fritz,« entgegnete Loder. »Die Sache ist, daß Burkhard sich nicht bloß kampflich an dem Thiersteiner rächen, sondern ihn ganz von der [287] Hohkönigsburg vertreiben will, um sich selber für alle Zeit darin festzusetzen.«
»Oho!«
»Ja, so ist es. Aber daß unser Graf dem künftigen Schwieger seines Sohnes das nicht anthun lassen will, na –«
»Das liegt am Tag wie der Bauer an der Sonne,« fiel Syfritz ein, »und das wird auch wohl in dem Briefe stehen, den Du bei Dir trägst.«
»Wahrscheinlich,« erwiederte Loder, »ich fürchte nur, daß Graf Schmasman mit seinen Vorhaltungen in einen kalten Ofen bläst. Viel Gefallens wird Burkhard nicht daran haben, und daß er daraufhin von seinem trutzlichen Fürnehmen stillschweigend abstehen und das Maul hängen lassen wird wie der Gaul an der Schmiede, das glaub ich für mein Theil so wenig, wie daß man fliegen kann, wenn man keine Federn hat.«
»Was soll er denn machen in seiner ohnmächtigen Wuth darüber, daß er mit seinen boshaften Schlichen durchschaut ist? Was krumm ist, kann er nicht gerade machen. Aber wenn er sieht, daß es ihm mit seinen heimlichen Anschlägen so überzwerchs geht, wirst Du mit Deiner Botschaft übel bei ihm zu Platz kommen, Hans,« meinte Syfritz.
»Soviel das belanget, besorg ich mir selber mehr Wagniß als Gewinn,« sagte Loder. »Er wird mir nicht groß Ehr anthun, obzwar ich meines Schirmherrn Abgesandter bin, dem er das Schienbein nicht reiben darf.«
»Willst ihm aber auch seinen viellieben Ofenheizer, den Seppele, wieder wegnehmen und einstecken.«
»Das hab ich gesagt und will es auch thun, aber das ist noch nicht einmal die Halbscheid von meinem Vorhaben, weßwegen ich mich zu dem Gange nach Ottrott erboten habe. Die Hauptsach ist mir ganz etwas Anderes.«
»Du sagst das so grimmig, Hans! was ist denn nachher die Hauptsach?« fragte Syfritz neugierig.
»Der verfluchten Hexe, der Zigeunerin den Hals umdrehen!«
»Was? der Haschop, der hübschen Tänzerin?«
»Ja! sie soll mit den vier Winden zu Tanz gehen am eichenen Kirschbaum, die Giftmischerin!« rief Loder wild in seinem Zornerguß. »Ich habe Grund zu vermuthen, daß sie sich in Ottrott aufhält oder dort in der Gegend herumtreibt. Wir müssen auf sie fahnden, und wenn wir sie erwischen, muß sie sterben, und wenn ich sie mit diesen meinen Händen erwürgen soll!«
»Giftmischerin? wen hat sie denn vergiftet?«
»Frage mich nicht, ich darf es nicht verrathen,« erwiederte Loder. »Sie hat auch gewahrsagt,« fügte er nach einer Weile hinzu, »wenn Graf Egenolf und Gräfin Leontine sich mit einander verbänden, so würde groß Unglück und Blutvergießen daraus kommen. Und es kommt schon, es kommt schon, Fritz! Du sollst sehen, zwischen unserem Herrn und Burkhard giebt es dieses Verlöbnisses wegen heiße, blutige Fehde.«
Unter solcherlei Gesprächen waren sie allmählich in [289] Ottrott angelangt und hielten hier in der Herberge zum lustigen Rebmann eine kurze Rast, um sich durch einen Trunk zu stärken.
»Willst Du hierbleiben und auf mich warten, bis ich oben im Schloß meine Sach erledigt habe?« fragte Loder.
»Nein, Hans, ehrbare Biederleut verlassen sich nicht,« erwiederte Syfritz. »Ich gehe mit Dir, würde mich hier um Dich sorgen und Dich in großen Gefährden sehen. Dem Rathsamhausen trau ich Alles zu, garnichts ausgenommen und hintangesetzt.«
Loder schüttelte den Kopf: »Es wäre ja wider allen deutschen Brauch, wenn er mir etwas anthäte.«
»Ich bleibe, wo Du bleibst,« erklärte Syfritz nochmals.
»So komm denn!«
Auf Schloß Rathsamhausen fanden sie ein lebhaftes Treiben von reisigem Volk und eine große Menge von Gewaffen und allerhand Rüstzeug aufgestapelt. Sie ließen sich beim Burgherrn anmelden, der den Befehl gab, ihm Loder sofort vorzuführen, seinen Gesellen aber bis auf Weiteres nicht aus dem Thor heraus zu lassen.
Burkhard empfing Loder sehr unwirsch, riß ihm das dargebotene Schreiben aus der Hand und erbrach es mit einer ungeduldigen Hast.
Erstaunen und heftiger Unwille drückte sich beim Lesen des sehr langen Briefes auf seinen Zügen aus; er stampfte mehrmals mit dem Fuß auf den Boden und stieß mißmuthig unverständliche Worte aus. Dann warf er den Brief verächtlich auf den Tisch und höhnte: »Schöne, [290] herrliche Klugreden, – Narrenspossen, über die ich lachen muß!«
»Ich hab Euch beim Lesen nicht lachen sehen, Herr von Rathsamhausen,« sprach Loder unverfroren.
Burkhard maß ihn von unten bis oben mit einem finstern Blick und sagte mit scharfem Ton: »Du antwortest nicht unbehend, weißt auch wohl, was in dem Geschreibsel drinsteht, das halb bettelt, halb trutzt.«
»Wissen thu' ich's nicht, aber denken kann ich's mir.«
»Hat Dein Herr mehr solche Briefe versandt? auch an Andere?«
»Meines Wissens nicht, und ich glaub's nicht.«
Da flog ein Ausdruck der Befriedigung über Burkhards Gesicht. »Ich soll mit dem Thiersteiner Frieden machen,« sprach er, »ist das etwan nicht lächerlich?«
»Meines Dafürhaltens nicht.«
»Aber meines Dafürhaltens ist es schimpflich und schmachvoll, wenn ein Rittersmann dem andern sein verpfändet Wort bricht.«
»Da habt Ihr Recht, Herr! Man muß den Stier bei den Hörnern, die Frau beim Rock und den Mann beim Wort fassen,« erwiederte Loder. »Wer aber selber nicht Treu und Glauben hält, darf sich nicht wundern, wenn sich der Betrogene von ihm abkehrt.«
»Wer ist betrogen, und wer hat betrogen?« fuhr Burkhard auf.
»Ich habe einmal eine Mär von einem Rittersmann gehört, der sich mit einem andern unter einer gewissen Bedingung [291] zu einer Fehde verabredet hatte, diese Bedingung aber nicht einhielt, sondern seinen Bundesgenossen nur zu seinen eigenen ehr- und habsüchtigen Zwecken hinterrücks ausnutzen wollte.«
»Was Du sagst! ein ganz verzwickter Fall! Schade, daß Du den Rittersmann nicht vor Dein Pfeifergericht ziehen und einsperren kannst wie den armen Seppele seines lustigen Schelmenliedes wegen.«
»Ja, sehr Schade! ich thät' es gar zu gern,« lachte Loder.
»Unverschämter!« rief Burkhard zornroth, »es ist mir noch in frischem Gedächtniß, wie Du Dich in Deinem Lumpenkönigthum trotzig gegen mich aufgespielt und mein Angebot einer erklecklichen Buße für Seppele schnöde zurückgewiesen hast.«
»Mit Fug und Recht, Herr! und den Seppele hole ich mir doch und sperre ihn so lange wieder ein, bis er seine Zeit abgesessen hat, mit oder ohne Eure gnädige Erlaubung.«
»Blähst Dich ja schon wieder ganz hochmüthig auf und bist doch hier in meiner Gewalt.«
»Eine Gans bückt sich, wenn sie durchs Scheunenthor geht. Im Übrigen stehe ich hier als Abgesandter des Grafen Maximin von Rappoltstein,« sprach Loder nachdrücklich im Bewußtsein seiner Würde.
»Hoher Sendling,« spottete Burkhard, »könntest Dir ein gutes Botenbrod verdienen, wenn Du mir sagtest, wer meine Eule hat, die sie mir in Rappoltsweiler gestohlen [292] haben. Ich will sie wiederhaben, und der sie mir vom Kopfe geschlagen, an dem will ich mich rächen, o – blutig rächen, keine Ruhe hab ich, bis ich an dem Menschen meine Rache gekühlt habe,« schrie er voll Gift und Galle. »Gesteh es! wer hat die Eule?«
»Ich weiß es nicht, einer von meinen Herren gewiß nicht.«
»Hast Du sie nicht auf der Hohkönigsburg gesehen? bist doch wohl oben gewesen und hast für Deinen Junker den Freiwerber bei der rothmähnigen Grafentochter gemacht. Oder hat sich Gräfin Imagina damit ein Paar rothe Kuppelschuhe verdient?«
»Dazu bedurfte Graf Egenolf keines Vermittlers; er hat selber um die schöne, junge Gräfin geworben,« entgegnete Loder. »Bei dem Brautschmaus auf der Hohkönigsburg war ich zu Gaste, aber wenn ein Rappoltstein einen Fürsprecher nöthig hätte, würde er sich dazu einen Mann von Stand und Rang aussuchen.«
»Ihr Rappoltsteiner, Herr wie Knecht, bildet euch wohl ein, die Eier, die eure Hennen legen, hätten zwei Dotter?«
»Das nicht, aber zwei Zungen haben die Rappoltsteiner auch nicht im Munde.«
Wieder traf den Kühnen ein drohender Blick, doch Burkhard bezwang sich noch, und mit gespannt lauerndem Ausdruck sprach er: »Jetzt sage mir einmal, wenn Du es weißt, welche Klatschzunge es gewesen ist, die Deinem Herren meine Absicht auf die Hohkönigsburg verrathen hat.«
»Die selbe Zunge, Herr, die hier zu Euch spricht.«
»Du? – Du hast das gethan?« rief Burkhard mit weit aufgerissenen Augen und, die Hand auf dem Tische, sich wie zum Sprunge vorbeugend.
»Niemand anders. Erinnert Ihr Euch, daß ich Euch bei Eurem Abreiten vom Pfeifergericht in Rappoltsweiler den Bügel hielt? Ihr sahet mich nicht, weil ich auf der anderen Seite Eures Pferdes stand, aber ich hörte das Gespräch, das Ihr vor dem Aufsitzen mit Herrn Jost von Müllenheim über meinen Lehnsherrn und die Hohkönigsburg führtet.«
»Und das Gespräch hast Du Deinem Herrn hinterbracht?«
»Wort für Wort.«
»O Du Schelm! o Du Hund von einem Schelm, das will ich Dir ankreiden!« knirschte Burkhard und schüttelte die geballte Faust vor Loders Gesicht. »Also Du bist der Schmied gewesen, der den Pfeil gegen mich geschmiedet hat. Ich weiß, Du bist Deinem Herrn soviel und vielleicht noch mehr werth als mir der Seppele, für dessen ungebührliche Verfestung ich Dir den Habedank auch noch schuldig bin. Jetzt sperre ich Dich ein für Deinen Verrath, und bei der ersten feindlichen Bewegung Deines Schutzherrn gegen mich sollst Du des Henkers Tauben füttern.« Dabei beschrieb er mit dem Zeigefinger einen Kreis um den Hals und wies nach oben in die Luft. »Weil Du aber ein König bist,« fuhr er höhnisch fort, »sollst Du ritterlich Gefängniß haben. Deinen Spießgesellen, [294] den Du mitgebracht hast, schicke ich morgen heim, damit er eurem wortbrüchigen Herrn meldet, wie gut und sicher Du hier aufgehoben bist und was Dir bevorsteht, wenn er nur eine Hand gegen mich rührt.« Dann schrie er zur Thür hinaus, der Vogt sollte kommen.
»Ob Ihr mir ritterlich und königlich Gefängniß gebt, Euer Handeln ist unritterlich und ehrvergessen,« warf ihm Loder mit stolzer, unerschrockener Haltung ins Gesicht.
»Reize mich nicht zum Äußersten, Mensch!« schnob ihn Burkhard wüthend an. »Kein Wort mehr! oder ich lasse Dir den Kopf abschlagen und schicke ihn Deinem Herren als einzige Antwort auf seinen Freundschaftsbrief.«
Dem Alten lief es kalt über den Rücken; der Tobende war in seinem rachsüchtigen Jähzorn zu Allem fähig, seine Augen rollten und funkelten unheimlich.
Der Schließer trat ein, und sein Gebieter befahl ihm: »Losiere den Pfeiferkönig oben in dem Jeratheusgemach ein, und seinen Gesellen sperrt ihr in den Thurm, aber hungern soll er nicht.«
»Komm mit!« sprach der Schließer und legte seinem Gefangenen die Hand auf die Schulter.
An der Thür wandte sich Loder noch einmal zu Burkhard um und fragte: »Schickt Ihr morgen den Syfritz nach Rappoltsweiler zurück?«
»So hab ich gesagt,« erwiederte Burkhard, »und so wird es geschehen.«
Als er allein war, verbrannte er Schmasmans Brief. [295] »Kein Mensch darf erfahren, was darin gestanden hat,« sprach er zu sich selber.
Der Schließer führte Loder in dem gewaltigen, vierstöckigen Burgbau noch zwei Treppen höher in ein Gemach, das einen großen, von schönen romanischen Säulen getragenen Kamin hatte. Sie nannten es im Schloß das Jeratheusgemach, weil vor langen Jahren ein Ritter von einem anderen Zweige des Geschlechts, ein Herr Jeratheus von Rathsamhausen zum Stein, als Gefangener dort gesessen hatte und in dem Zimmer an seinen im Kampf erhaltenen Wunden gestorben war.
Es war allerdings ein ritterliches Gefängniß, in dem sich Loder hier befand, und noch nie und nirgend hatte er einen so behaglichen Wohnraum zur Verfügung gehabt, wie diesen, den man ihm zwangsweise angewiesen hatte. Aber der Freiheit beraubt, zur Einsamkeit verdammt litt er unsäglich, und seine alte, sonst so lustige Spielmannsseele war wie geknickt und gebrochen. Das graue Haupt schwer auf die Hand gestützt saß er am Tische und sann über seine Lage, in die er ohne Schuld verstrickt war, nach. Wenn jedoch Burkhard Wort hielt und Syfritz am nächsten Tage freiließ, so würde dieser auf der St. Ulrichsburg das Schicksal seines Genossen melden, und dann wußte Loder ganz genau, daß Schmasman seinen alten Trumpeterhans nicht im Stich lassen, sondern Alles zu seiner Befreiung aufbieten würde, auch Waffengewalt, um die Mauern seines Kerkers zu stürmen und zu brechen. Aber gerade darin lag die größte Gefahr für ihn, denn [296] er mußte darauf gefaßt sein, daß Burkhard dann mit seiner Drohung Ernst machte und ihn aufknüpfen ließ. Und that er dies auch nicht gleich beim ersten Angriff, so würde er doch seinen Gefangenen die Erstürmung und Übergabe der sehr widerstandsfähigen Burg gewiß nicht überleben lassen.
Burkhard hielt Wort. Am andern Morgen kam der Schließer zu Syfritz und zeigte ihm seine Freilassung an mit dem Auftrage, dem Grafen von Rappoltstein zu verkünden, was Burkhard für den Fall einer feindseligen Haltung Schmasmans über Loder beschlossen hatte. In der Hand hatte er einen in einen Lappen gewickelten Gegenstand, den er jetzt vor Syfritz' schreckstarrenden Augen enthüllte. Es war ein menschliches Ohr. »Damit Dein Herr gleich sieht,« lachte der Vogt, »daß wir hier nicht spaßen und fackeln, schickt ihm Herr Burkhard dieses Ohr, das wir dem Pfeiferkönig gestern Abend noch abgeschnitten haben. Da, nimm es hin und bring es Deinem Herrn als Wahrzeichen.« Mit Schaudern steckte Syfritz das wieder eingehüllte Ohr ein. »Nun trolle Dich und mach, daß Du heimkommst!« fügte der Schließer hinzu.
»Schinder und Schinderknechte! Gott verdamm' euch!« sagte Syfritz, wofür er zum Abschied einen Schlag ins Genick bekam.
Mit welcher fürchterlichen Botschaft ging nun Syfritz dahin! Er eilte nach Leibeskräften, aber in den Städten und Dörfern, durch die sein Weg ihn führte oder die er auf kleinen Umwegen erreichen konnte, hielt er an, erzählte [297] das schreckliche Begebniß, zeigte das abgeschnittene Ohr des allbekannten und allbeliebten Pfeiferkönigs und rief überall Abscheu und Entrüstung über die nichtswürdige That hervor. Wo er Spielleute antraf oder ausfindig machen konnte, da stachelte und hetzte er sie auf und verpflichtete sie, die Kunde von Ort zu Ort weiterzutragen und in der ganzen Pfeiferbruderschaft zu verbreiten. Das versprachen sie gern und thaten es ungesäumt. Sie liefen umher, Einer sagte es dem Andern und dieser wieder einem Dritten, der dann noch ferner Wohnenden die grausige Mär überbrachte: Hans Loder liegt mit Ketten gebunden im Thurm von Rathsamhausen und ist mit dem Tode bedroht, die Ohren haben sie ihm schon abgeschnitten. Einige schlossen sich Syfritz sofort an, und immer mehr gesellten sich auf dem Wege zu ihm, so daß er Abends mit einem Trupp von fahrenden Leuten in Rappoltsweiler ankam, die das fast Unglaubliche in allen Gassen ausschrieen. Bald war es in der ganzen Stadt bekannt, und Jammern und Wehklagen, Wuthausbrüche und Verwünschungen wurden laut.
Syfritz begab sich an dem Abend noch zur St. Ulrichsburg hinauf, wo seine Meldung bei Herrschaft und Gesinde das größte Entsetzen erregte. Graf Schmasman, der sich so gut zu beherrschen verstand, gerieth vor tiefinnerster Empörung über Burkhards ruchlose Behandlung seines Abgesandten ganz außer sich und machte sich bittere Vorwürfe, Hans Loder die erbetene Erlaubniß zur Bestellung des Briefes ertheilt zu haben. Mit zornbebender Stimme [298] erklärte er den Seinigen: »Jetzt einen Strich durch die alte Freundschaft! die ist für mich todt und abgethan. Kein Zaudern, kein Schwanken und keine Schonung mehr! Das Schwert soll entscheiden, und wehe dem verblendeten, gewaltthätigen Pocher, wenn er dem Hans noch das geringste Leid zufügt! Morgen sollen die Boten fliegen, und der Fehderuf soll Herren und Mannen in den Harnisch treiben, die eine Faust zum Dreinschlagen für die drei rothen Schildlein im weißen Felde haben.«
Am nächsten Morgen ertönte vom Bergfried der St. Ulrichsburg wieder der Hornruf des Thürmers, durch den Schmasman seine Brüder Wilhelm und Kaspar zu sich bescheiden ließ. Sie kamen auch alsbald, waren über die Einkerkerung und Todesbedrohung Loders in gleichem Maße empört wie Schmasman und völlig einverstanden mit ihm, daß zur Befreiung des Gefangenen Alles gethan werden müßte, was in ihrer Macht stand. Alle drei beschlossen, die Fehde gegen Burkhard sofort nach Zusammenziehung der verfügbaren Streitkräfte zu beginnen und ihm Angesichts seiner unritterlichen Handlungsweise gar nicht erst förmlich abzusagen.
Nun galt es zunächst, die Freunde zu benachrichtigen und die Lehnsleute aufzubieten. Es wurden kurze Briefe und Befehle geschrieben und Boten zu ihrer Überbringung an die nah und fern hausenden Kampfgenossen abgefertigt. Tags darauf, weil heute keine Zeit mehr zu weiten Ritten übrig geblieben war, sollten die Grafen Wilhelm und Kaspar zu Rudolf von Andlau und Johann von Kageneck reiten und ihnen mit der Rathsamhausen'schen Unthat zugleich die zu Stande gekommene Einigung Schmasmans und Oswalds sowie das auf der Hohkönigsburg [300] stattgehabte Verlöbniß Egenolfs und Leontinens mittheilen. Egenolf aber sollte heute noch dem Grafen Oswald von den jüngsten Ereignissen und den Beschlüssen der Brüder Rappoltstein Kunde geben.
Wie schnell und weit herum das widrige Geschick Loders bekannt geworden war, und welche große Theilnahme es in der Pfeiferbruderschaft gefunden hatte, davon gab die Menge der von allen Seiten herbeiströmenden Spielleute ein beweiskräftiges Zeugniß. Vom frühen Morgen an kamen sie in Rappoltsweiler hereingewandert, einzeln, zu Paaren und Mehreren gesellt, auch solche, die Loder im Pfeifergericht schon einmal mit harten Bußen belegt hatte und die sich doch nun um ihn bangten und für ihn eintreten wollten. Auch ältere und jüngere Frauen und Mädchen kamen mit, und unter ihnen mochte manch Eine sein, die aus früherer Zeit her noch mit alter Liebe an ihm hing. Denn der unbekehrte Hagestolz war in jungen Jahren mit seiner schlanken Gestalt und den lachenden, feurigen Augen ein gar schmucker, geschwinder Gesell gewesen, dem die heiß klopfenden, nicht eben spröden Herzen der weiblichen Fahrenden in Hulden geneigt und ergeben waren, und auch später noch sollte er bei Vielen Hahn im Korbe gewesen sein und sich großer Gunst zu erfreuen gehabt haben; dem liebenswürdigen, verführerisch kecken Trumpeterhans könnte man nichts abschlagen, hieß es stets. Nun waren die einstigen trauten Freundinnen von ihm mitgekommen, um Genaueres über sein Schicksal zu erfahren, und Syfritz war beständig von Fahrenden [301] umgeben, denen er immer und immer wieder Red und Antwort stehen mußte.
Nachmittags hielten sie vor den Thoren der Stadt eine Versammlung ab, in der sie den Gefühlen ihres Herzens mit leidenschaftlichen Worten und heftigen Forderungen Luft machten und sich dahin einigten, allesammt nach der St. Ulrichsburg hinaufzuziehen und von ihrem Schutz- und Schirmherrn die gewaltsame Befreiung Loders zu verlangen. Gegen Abend trafen sie in einer fast zweihundert Köpfe zählenden Schaar im Burghof ein und wünschten den Herrn Grafen zu sprechen. Als Schmasman auf dem Altan, wo er ihre Huldigung am zweiten Pfeifertage entgegengenommen hatte, erschien, riefen sie ihm mit erhobenen Händen in wilder Erregung zu: »Loder befreien! Hans Loder retten! wir wollen unsern Pfeiferkönig wiederhaben!« Er winkte ihnen Schweigen, sagte ihnen, daß er sich über ihre anhängliche Treue zu dem Schwerbedrohten von Herzen freue, und versicherte sie, daß er selber zu dessen Rettung fest entschlossen sei und die dazu nöthigen Schritte bereits eingeleitet habe; der Kampf gegen Rathsamhausen würde in den nächsten Tagen seinen Anfang nehmen und sollte mit allem Nachdruck geführt werden. Da jubelten sie ihm stürmisch und freudig zu, schwangen die Hüte und schrieen und jauchzten ohne Unterlaß. Dank und Segenswünsche für Schmasman wechselten mit zornlodernden Flüchen gegen Burkhard, bis Einer aus der Menge mit einer alle anderen übertönenden Stimme als Sprecher auftrat und zum Altan hinaufrief: »Euer Gnaden Herr Graf, [302] wir Spielleut verstehen uns schlecht auf Kriegsbrauch und Handhabung der Waffen, aber Tag und Nacht, mit Leib und Leben wollen wir Euch helfen und bitten Euch, unsere Dienste nicht zu verschmähen. Wir wollen auf der Lauer liegen und kundschaften, was von den Unternehmungen des Feindes zu erspüren ist. Mit Spähern wollen wir ihn umstellen, damit Ihr erfahrt, was gegen Euch im Werk ist, wo sich reisig Volk blicken läßt, und Alles, was zu wissen Euch nützen und ihm schaden kann, wollen wir Euch sicher und schnell zutragen.« »Ja, das wollen wir! das wollen wir! Tag und Nacht wollen wir Spielleut für Euch auf der Hut sein,« fiel die ganze Schaar begeistert ein.
»Ich dank euch, liebe Freunde, und nehme eure guten Dienste gern an,« sprach der Graf. »Ich weiß, daß ich mich auf euch verlassen kann, und wenn Hans Loder zu retten ist, so rett' ich ihn, darauf geb' ich euch mein Wort. Und damit Gottbefohlen! fahretwohl!«
Er trat vom Altan in das Innere des Schlosses zurück, und wie ein tosender Sturmwind brauste ihm der Jubel der Menge aus dem Burghof nach. Dann zogen sie wieder ab und in froher Hoffnung singend und lärmend den Berg hinunter.
Als Egenolf Abends von der Hohkönigsburg zurückkehrte, fand er seine Eltern mit Isabella schon beim Nachtimbiß. Er hatte ein paar glückliche Stunden bei den Thiersteinern verbracht und bestellte von ihnen, namentlich von Leontinen, die freundlichsten Grüße. Über den Eindruck, [303] den seine Nachrichten dort gemacht hatten, konnte er seinem Vater berichten, daß Graf Oswald das allem ritterlichen Brauch hohnsprechende Verfahren Burkhards mit den schärfsten Ausdrücken verurtheilt, dagegen die Mittheilung von dem Beschlusse, nunmehr, nach einer so verdammenswerthen Herausforderung, ohne Zaudern zum Angriff zu schreiten, mit sichtlicher Genugthuung aufgenommen hätte. Er selber, ließ er sagen, wäre gerüstet und würde seine Freunde Fleckenstein und Hattstadt sofort benachrichtigen, sich gleichfalls kampfbereit zu machen.
Danach ward es still im Gemach unter den Vieren. Sie waren von Sorgen erfüllt und begaben sich frühzeitig zur Ruhe, obwohl sie nicht schlafmüde waren.
Egenolf lag noch lange wach und stellte über die kommenden Ereignisse Betrachtungen an, die ihn auf abenteuerliche, waghalsige Pläne brachten, bis sich ihm die Gedanken allmählich verwirrten und er einschlief. Im hellen Lichte des Tages aber sah er die Dinge klarer und erhob sich endlich vom Lager mit einem gefaßten Entschlusse, dessen Ausführung er jedoch bis zur Rückkehr seiner beiden Oheime von ihrem Ritt nach den Burgen aufschieben wollte.
Gegen Abend kamen die Grafen Wilhelm und Kaspar, Einer nach dem Andern, auf der St. Ulrichsburg an und hatten ihrem Bruder nur Gutes und Günstiges von den befreundeten Rittern zu melden.
Als Egenolf darauf mit seinem Vater allein war, theilte er diesem seine Absicht mit, morgen früh einen Beobachtungsritt [304] in die weitere Umgegend zu unternehmen. Er wollte sich überzeugen, ob die fahrenden Leute, wie sie versprochen, auf dem Posten wären und aufpaßten, und wollte sie nach Neuigkeiten ausfragen.
Schmasman willigte darein, weil es ihm sehr darum zu thun war, Zuverlässiges zu erfahren. Doch ermahnte er den Sohn, scharf Umschau zu halten und sich wohl zu hüten, daß er nicht etwa streifenden Rathsamhausen'schen Reitern in die Hände fiele, die ihn aufheben und als zweite, noch werthvollere Geißel an Burkhard ausliefern würden.
»Seid unbesorgt, Vater!« erwiederte Egenolf, »sie sollen mich nicht fangen, und wo es auf den Wegen nicht recht geheuer ist, werden mich ja die Spielleute warnen.«
Egenolf hatte seinem Vater das Wichtigste seines Vorhabens verschwiegen. Er wollte gelegentlich auch nach den Fahrenden sehen, hatte aber noch ein anderes Ziel, dessen Verfolgung ihm sein Vater vielleicht nicht erlaubt hätte.
In der nächsten Morgenfrühe ritt er, zur Vorsicht mit Sturmhaube, Brustharnisch und langem Schwert gewappnet, von der St. Ulrichsburg ab. –
Drei Tage schon saß Loder in dem hoch gelegenen Gemach auf Rathsamhausen eingeschlossen und bekam keinen anderen Menschen zu sehen als den Knecht, der ihm Speise und Trank, beides gut und reichlich, brachte, ihm aber auf keine seiner Fragen Antwort gab. So wußte er nichts von dem, was außerhalb seines Gefängnisses vorging, und [305] lauschte vergeblich auf Waffengetöse und den Ansturm seiner Befreier, allerdings mit der trüben Aussicht, daß dann wohl sein letztes Stündlein schlagen würde. Jetzt war es Nacht, schon dem Morgen nahe, und Grabesstille im Schloß und rings umher. Der Mond schien in das Zimmer, und Loder konnte nicht schlafen. Er lag in quälenden Gedanken, die aber mit Todesfurcht nichts gemein hatten, sondern zumeist auf seinen lieben gnädigen Herrn gerichtet waren, wie der sich um ihn grämen und sorgen würde, und wie es wohl um den Gang der Fehde stünde, die er seinetwegen nicht aufgehoben oder aufgeschoben wünschte, wenn er auch ihr erstes Opfer werden sollte. Da glaubte er plötzlich in dem Schornstein des großen Kamins ein Geräusch zu vernehmen, als wenn etwas wie ein Kehrbesen die inneren Wände streifte. Er horchte, und das Rascheln wiederholte sich. Schnell sprang er auf und stellte sich abwartend vor den Kamin. Da erblickte er denn beim Schein des Mondes ein aus dem Schornstein herabhängendes Seil, an das in regelmäßigen Abständen Querhölzer geknüpft waren. Es schwankte hin und her, und jetzt kamen zwei Füße, dann zwei Beine und endlich ein ganzer Mensch zum Vorschein, der nun aus dem Kamin heraustrat, – Seppele von Ottrott.
»Seppele! wo fährst Du her?« rief Loder in maßlosem Staunen.
»Das hast Du doch gesehen, Hans!« lachte der Hochhergekommene. »Wozu ist man denn Ofenheizer und Kaminfeger? Schnell zieh Dich an! ich helfe Dir aus.«
»Fort? in die Freiheit?« fragte Loder, bebend vor Freude.
»Natürlich! der Strick da ist so fest und sicher wie eine Leiter und der Weg zum Söller hinauf nicht weit. Dort ist eine eiserne Thür im Schornstein, durch die ich einsteige, wenn ich den Kamin fegen will. Vom Söller schleichen wir die Treppe hinab und unbehindert durch ein Hinterpförtchen aus der Burg hinaus ins Freie; ich habe Alles vorgesehen. Der wachthabende Knecht ist mein Trautgesell und wird taub und blind sein.«
»Seppele! Seppele, das vergeß ich Dir in meinem Leben nicht!« sprach Loder gerührt. »Ich wollte Dich einfangen, Dich mitnehmen und wieder einsperren, und nun giebst Du mir die Freiheit!«
»Komm nur, komm!« drängte Seppele, »das können wir draußen abmachen; der Morgen graut. Ich bringe Dich so weit, bis Du außer Gefahr bist, stundenweit, wenn Du willst.«
»Bringst Du Dich auch nicht selber in Gefahr damit?«
»Nein,« sprach Seppele, »um mich brauchst Du Dich nicht zu sorgen. Niemand weiß, daß ich im Schlosse war, denn ich hause jetzt noch in Ottrott, habe mich in der Dämmerung hineingestohlen und Alles zu Deiner Flucht vorbereitet. Das stand fest bei mir von dem Tage, wo ich Dich hier oben in der Klemme wußte, denn Deine Schmach that mir wehe. Bist Du fertig? Dann vorwärts! ich klettere voran, und Du folgst mir; das nennt man Abschied hinter der Thür nehmen.«
Sie stiegen nun beide, Einer hinter dem Andern, den weiten Schornstein hinan und gelangten durch die eiserne Thür oben glücklich auf den Söller. Seppele nahm das Seil mit und führte seinen Schützling, beide die Schuhe in der Hand, so leise wie möglich auftretend, die Treppe hinab. In der äußeren Umwallung wußte er eine niedrige Stelle, dort knüpfte er das Seil an einen vorspringenden Stein, und beide glitten daran in den trockenen Graben. Hans Loder war gerettet.
»Aber da hängt nun der Strick,« sprach er, »der wird uns verrathen.«
»Wird er nicht,« erwiederte Seppele, »mein guter Freund nimmt ihn weg und versteckt ihn, ehe die Hähne krähen. Nun hotterum, Hans! hier rechts durch die Büsche müssen wir kriechen und die Wege vermeiden, bis wir jenseits Ottrott sind. Dann wirst Du wohl sicher sein, und ehbevor sie Deine Flucht merken, bist Du über alle Berge.«
»Herr Burkhard wird Augen machen, wenn er erfährt, daß der Vogel davongeflogen ist, dem er an den Kragen wollte,« sagte Loder. »Was sie wohl glauben werden, wie ich ausgekommen bin!«
»Kerle wie wir, Hans, müssen überall heraus und hinein wischen können wie der Pfeifer ins Wirthshaus,« lachte Seppele.
Sie wanden sich langsam durch das Gebüsch bergab. Endlich unten angekommen, sprach Loder: »Seppele, ich [308] habe noch was vergessen. Ist die Hexe, die Zigeunerin Haschop noch hier oder in Ottrott?«
»Oben im Schloß ist sie gewesen, aber ich habe sie nicht zu Gesicht bekommen,« erwiederte Seppele.
»Wenn Du sie triffst, schmeiß sie ins Wasser und ersäuf sie!«
»Das nützt nichts, Hans. Hexen gehen nicht unter, die schwimmen oben.«
»So dreh ihr den Hals um.«
»Wäre Schade drum, sie hat so 'nen schönen Hals. Laß sie leben, Hans! uns wird sie ja nicht behexen.«
Loder brummte etwas Unverständliches in den Bart, und sie wanderten in einem großen Bogen um Ottrott herum im Walde weiter. Mittlerweile war es Tag geworden, aber trüb und wolkig. Seppele wollte noch immer nicht umkehren und brachte Loder nun auf den begangenen Weg, von wo er nicht mehr fehlgehen konnte, auf dem aber sein Befreier noch bei ihm blieb. –
Egenolf war, wo er irgend konnte, in der schnellsten Gangart geritten und hatte sein Pferd sehr angestrengt. Hie und da war er einem Fahrenden begegnet, der ihm aber nichts mitzutheilen wußte, weil er streifende Söldner nicht bemerkt hatte. Als er jetzt über St. Nabor hinaus auf dem Wege nach Ottrott war, sah er zwei Männer daherkommen, die er anfänglich ebenfalls für fahrende Leute hielt. Aber – täuschte ihn denn sein scharfes Jägerauge? – wenn der Eine von den Beiden nicht Hans Loder mit seinem langen, grauen Barte war, so [309] konnte er keinen Bären mehr von einem Wolf unterscheiden. Er sprengte auf sie los, und »Hans! Hans!« rief er jubelnd, »bist Du's wahr und wahrhaftig? oder äfft mich ein Spuk am hellen, lichten Tage?«
»Bin's, Herr Graf! bin's lebendig und leibhaftig,« antwortete ihm Loder und schwenkte den Hut.
Egenolf sprang aus den Bügeln und fiel dem Alten um den Hals. Aber schnell zuckte er zurück, packte Loder bei den Schultern, drehte ihn hin und her und besah ihn rechts und links. »Hans!« rief er dann, »Du hast ja zwei Lauscher am Kopfe!«
»Ja, habt Ihr schon einmal einen Menschen gesehen, der drei Ohren hatte, Graf Egenolf?« erwiederte Loder.
»Aber sie haben Dir doch eins abgeschnitten.«
»Mir? daß ich nicht wüßte! ich habe nichts gemerkt.« Er faßte sich mit der Hand erst nach dem einen, dann nach dem anderen Ohr und sagte: »Sie sitzen alle beide noch an der richtigen Stelle.«
Seppele schüttelte sich vor Lachen. »Ich kann's Euch erklären, Herr Graf,« sprach er. »Hans weiß nichts davon, und ich wollt' es ihm auch nicht sagen. Im Schloß Rathsamhausen war gerade eine alte Scheuerfrau gestorben, der hat man, aber wie sie schon todt war, auf Befehl des Herrn Burkhard ein Ohr abgeschnitten und es Syfritz mitgegeben, daß er's dem Herrn Grafen Schmasman als ein Ohr von Hans Loder überbrächte, um Euch zu schrecken und einzuschüchtern.«
»Was? ein Altweiberohr für ein Ohr von mir ausgegeben?« [310] rief Loder entrüstet. »Als ob ich Ohren wie ein altes Weib hätte!«
»Das ist eine offenbare Beleidigung, Hans,« neckte ihn Egenolf. »Da hättest Du wohl lieber eins von Deinen eigenen hergegeben.«
Dann stimmten sie aber beide in Seppele's Lachen von Herzen ein.
»Ich bin hergeritten, Hans,« sprach Egenolf, »um zu versuchen, ob ich Dich mit Hilfe meines Freundes Bruno heimlich aus Deiner Haft lösen könnte, und nun bist Du schon frei. Wie geht das zu?«
»Der hier hat mir ausgeholfen,« sagte Loder auf Seppele zeigend. »Aber Jungherr Bruno darf es nicht wissen, Herr Graf!«
»Der Seppele von Ottrott? da bin ich doch neugierig; das mußt Du mir nachher erzählen. Und Du, Seppele,« wandte sich Egenolf an diesen, »ich bitte Dich, geh jetzt zurück und sage dem Jungherrn Bruno, da ich einmal hier in der Nähe wäre, würde ich mich sehr freuen, ihn sprechen zu können und erwartete ihn – ja, wo denn? – in Sanct Nabor. Weißt Du kein Wirthshaus in Sanct Nabor, Seppele?«
»Aber Herr Graf! ich und kein Wirthshaus wissen!« lachte der Spielmann. »Geht nur in den ›wackelnden Stern‹ da ist's gut. Querwaldein bin ich in einer kleinen halben Stunde auf Schloß Rathsamhausen und bestelle Euch den Jungherrn nach Sanct Nabor. Fahrwohl, Hans! sperrst mich auch nicht wieder ein?«
»Nein, Du treue Seele! Deine heutige That macht Alles wett, bist dafür in Gnaden aller Beschwerden entledigt,« versicherte Loder den eilig Scheidenden mit einem warmen Händedruck.
»Komm, Hans!« sprach Egenolf, »wir wollen in dem wackelnden Stern Angst und Schrecken mit Weinaufgießen beschwichtigen.«
Vor der Herberge in St. Nabor angekommen, befahl er, seinen Braunen in den Stall zu führen und abzureiben, aber noch nicht gleich Wasser zu geben. Dann traten sie ein und setzten sich an einen glatt gehobelten Tisch.
»Alten oder Neuen?« fragte der Wirth diensteifrig.
»Alten Klevner,« bestimmte Egenolf.
Als die bildsaubere Schenkin den Wein brachte, hielt sie Loder an ihren langen, blonden Zöpfen fest und scherzte mit ihr: »Mädel, wozu brauchst Du Deinen kirschrothen Mund am liebsten? zum Essen und Trinken, zum Schwatzen oder zum Küssen?«
»Euch zu sagen, daß Ihr ein rechter Schalk seid, Pfeiferkönig!« antwortete sie muthwillig, machte sich von ihm los und lief hinaus.
»Da hast Du's, Alter!« lachte Egenolf. »Wozu brauchst Du auch noch zu schäkern und zu tändeln!«
»Man muß kurzweilig sein mit den Leuten, die Gänse verstehen es nicht,« erwiederte Loder schmunzelnd. »Aber daß der Racker mich kennt!«
»Siehst Du! Die wird Dir einen feinen Leumund machen. Zum Wohl!«
Sie thaten jeder einen kräftigen Zug, und nun mußte Loder erzählen.
Als er mit dem umständlichen Bericht von seinem Wortstreit mit Burkhard und dem Hergang seiner Befreiung durch Seppele zu Ende war, sprach Egenolf: »Wir haben uns schwer um Dich gesorgt, Alles war in Aufruhr Deinetwegen. Deine Pfeiferbrüder, die Spielleute, kamen zu Hunderten auf die Ulrichsburg gezogen und bestürmten meinen Vater, Dich mit Gewalt zu befreien. Er versprach es ihnen auch, aber dabei stand zu befürchten, daß Du gehenkt würdest. Darum beschloß ich, auf eigene Faust und ganz verstohlen einen fein ausgesponnenen Befreiungsversuch zu unternehmen. Dazu bin ich nun zu spät gekommen, aber dabeisein möchte ich, wenn Du heut in Rappoltsweiler einwanderst und noch dazu mit beiden Ohren am Kopfe. Weißt Du was? Geh Du schnell voraus, ich komme Dir später langsam nach und hole Dich unterwegs ein, oder Einer wartet an einem bestimmten Punkte auf den Anderen, und wir ziehen beide zusammen in Rappoltsweiler ein. Ich setze Dich auf mein Pferd, gehe als Dein Knappe nebenher und bringe Dich im Triumph durch die Gassen und auf die Burg. Was meinst Du dazu?«
»Ja, so wollen wir's machen,« erwiederte Loder, »aber auf's Pferd setze ich mich nicht, wenn Ihr zu Fuße nebenher geht. Ich breche jetzt auf, werde rüstig ausschreiten und, wenn Ihr mich nicht früher einholt, in Sanct Pilt auf Euch warten. Von da an bleiben wir bei einander. Also auf Wiedersehen, Graf Egenolf!«
»In Sanct Pilt.«
Loder ging ab, und Egenolf blieb allein. Aber nicht lange währte es, da vernahm er Hufschlag vor der Herberge. Bruno war es, und Egenolf eilte hinaus, ihn zu empfangen. Die Begrüßung der Freunde war eine herzliche, aber wehmüthige, und jeder verstand den andern auch ohne Worte. »Komm herein!« sprach Egenolf.
»Nein, wir sind hier nicht sicher genug,« erwiederte Bruno. »Wir sind hier zu nahe bei Rathsamhausen, und dort dürfen sie nicht wissen, daß wir uns getroffen haben, was ihnen von hieraus leicht hinterbracht werden könnte. Laß uns nach Kloster Truttenhausen reiten; ich kenne den Prior, er wird uns gern eine kurze Rast gönnen, und wir sind dort ungestört und unbelauscht.«
Egenolf ließ sein Pferd vorführen. Sie saßen auf und trabten nach dem von Herrad von Landsberg gegründeten Kloster, das sie in kaum einer Viertelstunde erreichten.
In Truttenhausen wurden sie vom Prior Albertus freundlich aufgenommen und in das Refectorium geleitet, wo er ihnen guten Wein und einen Imbiß auftischen ließ. Nachdem er ihnen den Willkommstrunk dargebracht, zog er sich zurück, da er wohl merkte, daß die Beiden allein sein wollten.
»Du bist in Wehr und Waffen,« fing Bruno an, auf Egenolfs Harnisch deutend, »und ich kann Dir's wahrlich nicht verdenken, daß Du Dich für alle Fälle vorsiehst.«
»Wir werden uns, Gott sei's geklagt! bald schwerer bewaffnet begegnen,« sagte Egenolf. »Es ist traurig, daß unsere Väter, alte Freunde wie wir es sind und unter allen Umständen bleiben werden, gegen einander zu Felde ziehen, aber Dein Vater will die Fehde.«
»Leider ist es so,« seufzte Bruno. »Meine Mutter hat ihm unablässig mit Bitten und Flehen in den Ohren gelegen, Frieden zu halten, aber vergeblich. Er ist beständig in einer furchtbaren, krankhaften Erregung und will sich durchaus an dem Grafen Oswald blutig rächen.«
»Ach, Bruno, das steht ihm erst in zweiter Reihe,« sprach Egenolf. »Wir wissen, welches brennende Verlangen ihn zum Kampfe spornt; sein Ziel ist die Hohkönigsburg. Und wir können die Thiersteiner dabei nicht im Stich lassen. Du wirst erfahren haben, daß Leontine meine Verlobte ist.«
»O verzeihe, daß ich daran noch nicht dachte, und nimm meinen Glückwunsch von Herzen!« sagte Bruno und drückte dem Freunde die Hand.
»Ich danke Dir, und nun, Bruno, laß uns wie immer offen gegen einander sein. Ich weiß, was Dich bei dem unseligen Zwist unserer Väter am schwersten bedrückt. Du liebst meine Schwester Isabella.«
»Ob ich sie liebe!«
»Und zweifelst nicht daran, daß sie Dich wiederliebt.«
»Wenn ich das wüßte!«
»Sie hat mir kein Wort gesagt, aber Du kannst dessen so sicher sein, wie daß ich hier Dir gegenüber sitze.«
»Egenolf!«
»Ja! darüber sei ohne Sorge. Aber ich weiß, wie Einem zu Muthe ist, der die Tochter seines Feindes liebt; war ich doch in der gleichen Lage wie Du jetzt. Soll ich es Isabella sagen, daß Du sie liebst?«
»Nein, nein! Das soll sie zuerst aus meinem Munde hören.«
»Recht so! aber eine leise Andeutung, nicht in Deinem Auftrage, darf ich ihr doch machen, um ihrem bangenden Herzen Ruhe und Sicherheit zu geben. Darf ich, Bruno?«
»Ja! bestelle ihr einen Gruß von mir, so innig, wie Du ihn in Worte zu kleiden vermagst.«
»Soll geschehen,« sprach Egenolf und erhob sich. »Ich muß fort, denn ich habe einen weiten Weg.«
Sie ließen sich beim Prior melden, um sich von ihm zu verabschieden und ihm für seine Gastfreundlichkeit zu danken. Nachdem sie dies gethan, bestiegen sie die Pferde, sagten sich herzlich Lebewohl und ritten von dannen, der Eine nach Norden, der Andere gen Süden. Des durch Seppele befreiten Gefangenen hatte keiner von beiden mit einem Wort Erwähnung gethan. –
Als die Klosterglocke von St. Pilt das Ave läutete, erblickte Egenolf den mit langen Schritten ausgreifenden Loder in einiger Entfernung vor sich. Er setzte sein Pferd in Trab und hatte ihn bald erreicht. »Bist wohl mit Siebenmeilenstiefeln gewandert,« rief er ihm zu, »ich dachte nicht, daß Du so weit kommen würdest, ehe ich Dich einholte.«
»Rasch gehen ist meine Art von früher Gewohnheit aus der Zeit, da ich noch als junger Fahrender durch die Welt lief, und ich kann es auch in meinem betagten Alter noch,« erwiederte Loder.
»In Rappoltsweiler willst Du nicht hoch zu Roß einziehen,« sprach Egenolf, »aber jetzt steigst Du auf und ruhst Dich im Sattel ein wenig aus, ich will es so. Soll ich Dir den Bügel halten?«
»Na, das fehlte noch!« lachte Loder, gehorchte aber gern und saß auf. Egenolf ging nebenher und hielt mit dem Reitenden gleichen Schritt.
»In Rappoltsweiler wissen sie's jetzt wahrscheinlich schon, daß ich frei geworden bin,« sagte Loder. »Ich traf zwei Pfeiferbrüder, die vorausgerannt sind, meine Rückkehr zu verkünden.«
»Da wird es nun von Mund zu Munde heißen: der Pfeiferkönig kommt wieder! und sie werden Dich großartig empfangen. Wie herrlich wäre es nun, wenn Du eingeritten kämst! thu es doch, Hans!« suchte Egenolf ihn zu bereden.
»Nein, das thu ich nicht. Ja, wenn wir zwei Pferde hätten, ich den alten, dicken Schimmel aus dem Gnadenstall der Ulrichsburg, daß wir beide neben einander reiten könnten, das ließ' ich mir gefallen, aber Ihr gehen und ich reiten, – nein, das bring ich nicht fertig,« erklärte der Alte.
Dicht vor Rappoltsweiler stieg er ab, und Egenolf schwang sich wieder auf. Am Thore, zum Theil vor dem [317] Thore standen Haufen von Menschen, und als die Beiden herankamen, als brächte Egenolf den befreiten Liebling seinem harrenden Volke wie im Siegeszuge zurück, da brach der helle Jubel los. »Willkommen! willkommen, Hans!« schrieen sie ihm zu, und Alles drängte sich an ihn heran, ihm die Hände zu schütteln. Einer der Fahrenden, die seine Rückkehr verkündet hatten, sprang herzu, strich ihm die langen, grauen Locken an beiden Schläfen zurück und rief: »Seht her! kein einziges von seinen Ohren fehlt ihm!« was die Freude des Wiedersehens noch erhöhte. Viele, die von seiner Flucht noch nichts Näheres gehört hatten, jauchzten auch Egenolf dankbar zu, weil sie glaubten, er hätte den Pfeiferkönig befreit und aus Rathsamhausen zurückgeholt, und Egenolf kam in dem Lärm nicht zu Worte, die unverdiente Ehrung abzulehnen. Das ging so durch die ganze Stadt, bis die Zwei durch das Thor des Metzgerthurmes wieder heraus waren, um sich zur St. Ulrichsburg hinaufzubegeben, denn dahin mußte Loder mit; Egenolf ließ es sich nicht nehmen, ihn seinem Vater lebendig und heil zuzuführen.
Als er dann mit dem Geretteten plötzlich oben in das Gemach trat, wo er die Seinigen mit Kaspar und Imagina beisammen fand, waren Überraschung und Freude erst recht groß. Sie flogen förmlich von ihren Sitzen, umringten Loder und bestürmten ihn mit tausend Fragen. Da machte es Egenolf so wie unten in der Stadt jener Fahrende: er zeigte ihnen Loders beide unversehrte Ohren. Der Pfeiferkönig mußte zum Abendessen und auch die [318] Nacht auf der Burg bleiben, und bei Tische erzählte er ausführlich seine Erlebnisse.
Schmasman ärgerte sich zwar über den höhnischen Schimpf und Possen, den ihm Burkhard mit dem untergeschobenen Ohr gespielt hatte, war aber froh, daß es nur ein heimtückischer Narrenstreich gewesen war, und freute sich von Herzen, seinen lieben Hans lebendig wieder zu haben. Lächelnd sprach er: »Nun verzeihst Du mir auch wohl, Hans, daß ich den Seppele ohne Deine Erlaubniß frei gelassen habe. Oder hast Du ihn, wie Du ja wolltest, wirklich wieder mitgebracht, um ihn einzusperren?«
»Nein, Herr Graf, heute hab' ich ihn begnadigt,« lachte der Alte.
Nach Tische flüsterte Egenolf seiner Schwester Isabella ein paar Worte zu, die ihre Augen aufleuchten und ihre Wangen erglühen machten.
Da trat Imagina, der nichts entging, was in ihrer Gegenwart geschah, auf ihn zu und sagte leise: »Egenolf, wenn das nicht ein Gruß von Bruno war, so will ich fortan mit Eulen statt mit Falken baizen.«
»Was sollte es wohl sonst gewesen sein, Du Allwissende!« gab er ihr lachend zurück.
Als Herrn Burkhard die Flucht Loders gemeldet wurde, wollte er Anfangs gar nicht daran glauben und gerieth, als er es doch wohl oder übel mußte, in eine unbändige Wuth, von der er nur nicht wußte, an wem er sie austoben sollte. Der Schließer schwor bei allen Heiligen, die Thür heute Morgen fest verschlossen und unversehrt, das Gemach aber leer gefunden zu haben. Auf welche Weise war der so sicher Verwahrte nun entkommen? Aus dem Fenster konnte er nicht gesprungen sein, denn das Jeratheusgemach lag in so bedeutender Höhe über dem Erdboden, daß ein Sprung in die Tiefe dem ihn Wagenden unfehlbar den Tod bringen mußte. Der Reisige, der in der Nacht die Wache gehabt, wurde einem scharfen Verhör unterzogen, behauptete jedoch, auf seinen fleißigen Rundgängen nicht das Geringste von dem Ausbrechen des Gefangenen wahrgenommen zu haben. Trotzdem wurde er drei Tage lang in den Thurm gesperrt. An den Weg durch den Kamin dachte Niemand.
Burkhard stand vor einem Räthsel, und je länger er vergeblich über dessen Lösung tüftelte, desto mehr boßte er sich über die unbegreifliche Thatsache. Endlich kam er auf die naheliegende Vermuthung, daß seine lieben Rappoltsteiner [320] bei der Befreiung ihres verhätschelten Günstlings die Hand im Spiele gehabt hätten. Aber wie? Der Schließer ließ sich nicht bestechen. Sollte sich Jemand bei Nacht in seine Kammer geschlichen, dem Schlafenden den Schlüssel zum Jeratheusgemach entwandt und nachher unbemerkt wiedergebracht haben? Das konnte dann nur Einer gethan haben, der im Schlosse wohnte. Und nun stieg dem Ergrimmten mit einem Mal ein dringender Verdacht auf seinen Sohn Bruno, den vertrauten Freund Egenolfs von Rappoltstein, auf. Sofort ließ er ihn zu sich bescheiden.
Aber Bruno war nicht daheim, war weggeritten, wie der Diener berichtete.
Weggeritten? – Aha! – »Sobald mein Sohn zurückkehrt, will ich ihn sprechen,« befahl er.
Sein Verdacht wurde damit zur Gewißheit: Bruno, von Egenolf dazu angestiftet, hatte Loder durch heimliche Aneignung des Schlüssels befreit und gab ihm nun zu Pferde das Geleit, bis der Flüchtige in Sicherheit war. Das sollte dem Aufsässigen, der mit seinen Feinden unter einer Decke zu stecken schien, übel bekommen.
Burkhard mußte geraume Zeit warten, bis Bruno vor ihm erschien, was ihn in eine immer gereiztere Stimmung versetzte. Er nahm sich vor, ihm die That auf den Kopf schuld zu geben, ihn damit zu überrumpeln und dermaßen zu verwirren, daß er nicht leugnen konnte.
So empfing er ihn denn mit der zornig barschen Frage: »Wohin hast Du Loder gebracht?«
»Wohin ich Loder gebracht habe? – Die Frage versteh ich nicht, Vater; was ist denn mit Loder?« erwiederte Bruno verblüfft.
»Thu nur nicht so, als wüßtest Du nicht, daß Loder auf und davon ist. Du hast ihm ausgeholfen,« fuhr Burkhard auf den Sohn los.
»Loder auf und davon? und ich ihm ausgeholfen?« Bruno schüttelte den Kopf und blickte seinen Vater verwundert, fast mißtrauisch an, als dächte er Gott weiß was von ihm.
»Leugne nicht! es nützt Dir nichts,« schrie Burkhard, kirschroth im Gesicht.
»Vater, ich höre in diesem Augenblick das erste Wort davon, daß Loder entflohen ist.« Bruno sagte das mit einer so unschuldigen Miene und einem so unbefangenen Tone, daß Burkhard stutzig und zweifelhaft wurde.
»Du kommst von einem Ritt nach Hause,« hub er nach einem kurzen Schweigen wieder an. »Wo warst Du?«
»Ich habe einen Ausritt in die Umgegend von Ottrott und Sanct Nabor gemacht.«
»Und hast von Loder nichts gesehen und gehört?«
»Nicht die Spur, Vater! ich versichere es Euch,« erwiederte Bruno noch immer ruhig. Aber trotz seiner heimlichen Freude über Loders Befreiung ward ihm schwül zu Muthe, denn ihm bangte vor dem weiteren Forschen seines Vaters nach dem Zweck und Ziel seines Rittes. Daß er mit Egenolf zusammengewesen war, durfte jener nicht erfahren.
»Hast Du unterwegs einen Bekannten getroffen? – ich meine zufällig, vielleicht einen unserer Freunde oder –«
Aber ehe Burkhard seine Frage vollenden konnte, kam dem nun wirklich in Verlegenheit Gerathenden eine unverhoffte Rettung, die ihn der Antwort überhob.
Die Thür ward aufgestoßen, und der Ritter Jost von Müllenheim trat unangemeldet und geräuschvoll herein. Er war mit seiner knochigen Gestalt fast einen Kopf größer als der untersetzte, stiernackige Burkhard, auf den er gleich zusprang. »Hallo, Burkhard, da bin ich!« rief er, dem Freunde kräftig die Hand schüttelnd, »gieb mir einen Schluck von Deinem Ottrotter Rothen, ich hab's nöthig und hab's auch verdient um Dich. Du weißt, was ich einen Schluck nenne.«
»Ich schaff' Euch ein Krüglein, Herr Pathe!« sprach Bruno, froh, mit so guter Gelegenheit seinem Vater entschlüpfen zu können.
»Thu das, mein Söhnlein! aber das Krüglein kann auch ein Krug sein,« rief Jost dem Enteilenden nach, »ich bin seit Sonnenaufgang im Sattel.«
»Ich habe heute noch keine Sonne gesehen,« sagte Burkhard in schlechter Laune. »Wo kommst Du denn her?«
»Von Girbaden, aber auf Umwegen,« erwiederte Müllenheim. »Zu Nacht war ich auf Burg Landsberg bei Henning. Dietrich von Lützelstein von der Frankenburg und Eckbrecht von Dürkheim waren bei ihm, und da [323] ließen sie mich gestern Abend nicht mehr los von dem Faß neuen Geisberger, das sie angezapft hatten.«
»Also davon der Durst,« brummte Burkhard.
»Deine Freude über mein Kommen scheint mäßig,« bemerkte Müllenheim. »Was hast Du denn?«
»Blitzblauen Ärger hab' ich. Mir ist diese Nacht Einer ausgekommen, den zu halten mir viel werth war, der Pfeiferkönig.«
»Den Pfeiferkönig hattest Du eingelegt?«
»Ja; er brachte mir ein Geschreibsel von Schmasman, ich sollte mit dem Thiersteiner Frieden machen,« sagte Burkhard höhnisch. »Dabei kam es heraus, daß der Schuft, der Loder, mein Gespräch mit Dir über die Hohkönigsburg erlauscht und seinem gnädigsten Herren Wort für Wort überliefert hat. Zum Dank dafür ließ ich ihn einsperren, um ihn als Geißel gegen die Rappoltsteiner gebrauchen zu können, aber der Kerl ist mir entwischt; wie, das weiß der leibhaftige Satan, der dabei geholfen haben muß.« Darauf erzählte er seinem Gaste die Geschichte mit dem untergeschobenen Altweiberohr, worüber Müllenheim in ein schütterndes Lachen ausbrach.
»Du lachst,« sprach Burkhard stirnrunzelnd, »und auf der Ulrichsburg werden sie noch mehr lachen, wenn sie sehen, daß es nur eine List von mir war, weil ich wußte, daß es Schmasman nicht darauf ankommen lassen würde, seinen geliebten Pfeiferkönig dem Gehängtwerden auszusetzen, womit ich ihm bei der ersten Feindseligkeit gegen mich gedroht hatte. Der Loder war mir eine sichere [324] Bürgschaft, so lange ich ihn als Geißel in meiner Gewalt hatte.«
»Geißel, Geißel gegen Rappoltstein! was soll denn das bedeuten?« fragte Müllenheim ungeduldig.
»Schmasmans Sohn heirathet die Rothe auf der Hohkönigsburg,« platzte Burkhard grimmig heraus.
»Was? Du hast wohl das Zipperlein zur Abwechselung einmal im Hirn statt wie sonst in den Zehen,« lachte Müllenheim wieder hell auf.
»Jawohl! der Schlag könnte Einen dabei rühren,« knirschte Burkhard in stickender Wuth. »Aber wahr ist's, und das Übrige kannst Du Dir an Deinen fünf Fingern abzählen.« Von dem auf der Hohkönigsburg abgeschlossenen, allen Streit beilegenden Vertrage der beiden Väter des jungen Paares, über den ihm Schmasman in seinem Briefe ausführlich berichtet hatte, sagte er dem Freunde kein Wort.
»Schockschwerenoth! das ist eine verteufelte Geschichte,« rief Müllenheim und that zur Stärkung auf den Schrecken einen tiefen Zug von dem Ottrotter, den er vor sich stehen hatte. Dann strich er sich ein paarmal seinen langen Schnurrbart und sagte: »Da wirst Du Dir wohl den Zahn auf die Hohkönigsburg ausziehen lassen müssen.«
»Fällt mir im Traume nicht ein; auf der Hohkönigsburg sollen sie nicht Hochzeit feiern,« fuhr Burkhard auf. »Vorausgesetzt, daß ihr, Du und die Anderen, nicht auch von mir abfallt wie Schmasman, der Verräther,« fügte er mit einem lauernden Blick hinzu.
»Das werden wir nicht, aber eine schwere Sache wird's, Burkhard,« erwiederte Müllenheim ernst und machte ein sehr besorgliches Gesicht dabei.
»Wenn ihr mir Treu und Glauben haltet, hat's keine Noth,« sagte Burkhard beruhigt. »Wie weit seid ihr mit euren Rüstungen?«
»Darum komme ich ja her, Dir darüber zu berichten,« sprach Müllenheim. »Wir sind alle zum Ausrücken bereit und warten nur auf Deinen Ruf. Wo sollen wir uns sammeln?«
»Nun, hier bei uns und in Klingenthal, Ottrott, Sanct Nabor, wo ihr Platz findet. Aber bist Du der Anderen auch wirklich ganz sicher, Jost?« fragte Burkhard noch einmal.
»Wie meiner selbst, Burkhard!« betheuerte Müllenheim. »Hättest mal Deinen Schwager Schaffried von Leiningen, bei dem ich vor zwei Tagen auf der Dagsburg war, und die Drei auf Schloß Landsberg hören sollen, wie sie über den Landvogt herzogen, den uns der Kaiser hier auf den Hals geschickt hat, als hätte er im ganzen deutschen Reiche keinen hochmüthigeren finden können. Sie wußten freilich ebenso wenig wie ich etwas von der Heirathsabrede und dem sich doch wahrscheinlich daraus ergebenden Bündniß zwischen Rappoltstein und Thierstein. Die Beiden zusammen mit ihren Freunden sind sehr stark, Burkhard!« fügte er mit erhobenem Finger warnend hinzu, »und gegen ihre vereinten Kräfte die Hohkönigsburg zu stürmen –«
»Wär' ein hartes Stück Arbeit, willst Du sagen; da hast Du Recht,« fiel Burkhard ein. »Mein Sohn ist ohne mein Wissen vor einiger Zeit einmal oben gewesen. Ich vermuthe, der Hansnarr hat sich dort einen Korb von der Rothen geholt. Bei der Gelegenheit hat ihn Thierstein aus freien Stücken und wahrscheinlich mit bewußter Absicht auf der ganzen Burg herumgeführt und ihm alle Werke gezeigt, die so gewaltig sein sollen, daß sie Bruno für unnehmbar hält.«
»Und doch willst Du sie berennen?«
»Nein, den Gedanken hab' ich aufgegeben. Wir müssen den Thierstein herauslocken und ihn mit seinen Verbündeten zur Feldschlacht zwingen.«
»Wie willst Du das anfangen?«
»Wir fallen in Rappoltstein'sches Gebiet ein und rauben, brennen und sengen so lange, bis sie uns entgegenkommen und sich uns zum offenen Kampfe stellen. Da sind wir ihnen gewachsen, hoff' ich, und haben wir sie geschlagen, so wird die Hohkönigsburg der Siegespreis, ohne den wir das Schwert nicht wieder einstecken,« sprach Burkhard mit einer bewunderungswürdigen Zuversicht.
Müllenheim wiegte nachdenklich das Haupt und sagte: »Es wäre vergeblich, Dir jetzt noch abzurathen, sonst thät' ich's; denn Hoffnung auf gut Gelingen hab' ich nicht, aber Du hast mein Wort, und ich lasse Dich nicht im Stich. Die Unsrigen sind alle wagemuthige Kampfhähne und freuen sich auf die Fehde wie die Mädels auf die Kirchweih, denn es ist ihnen schon viel zu lange Ruh [327] und Frieden im Lande gewesen. Also nur drauf und dran und nicht mehr zögern damit!«
»Ist auch meine Meinung,« stimmte Burkhard zufrieden bei. »Ich will nur noch ein wenig kundschaften lassen, wie weit sie da drüben sind; dann schicke ich euch Allen schnell Botschaft, daß ihr kommen sollt.«
»Gut! laß uns nicht zu lange warten,« sagte Müllenheim und erhob sich. »Für heute lebewohl und auf Wiedersehen in Helm und Harnisch!«
»Wo willst Du von hieraus hin?«
»Heim nach Schloß Girbaden.«
»So begleit' ich Dich bis Klingenthal,« sprach Burkhard. »Ich habe dort in verstecktem Bau ein schlaues Füchslein sitzen, dessen Lichtern und Lauschern ich beim Spüren vertrauen kann.«
Er rief den Diener herbei und befahl ihm, satteln zu lassen. Bald darauf ritten die Beiden von Schloß Rathsamhausen selbander hindann.
Mehrere Tage waren seit der Befreiung Loders vergangen, und noch hatte man im Rappoltstein'schen Lager von den fahrenden Leuten keine anderen Nachrichten über die Absichten der Gegner erhalten, als daß sie eifrig rüsteten und in ihren Burgen und deren nächster Umgebung große Massen reisigen Volks zusammenzogen, die sie jederzeit zu einem geschlossenen Heerhaufen vereinigen konnten.
Das Gleiche war auch auf Seiten der Vertheidiger und Beschützer der Hohkönigsburg geschehen, die nur der Weisungen eines noch nicht gekürten Feldobersten harrten.
Zur Wahl eines solchen und zur Verabredung über die Aufstellung und das gemeinsame Vorgehen der jetzt noch vereinzelten Streitkräfte sollte nun auf der St. Ulrichsburg Kriegsrath gehalten werden, wozu sämmtliche Rappoltstein'sche Verbündete, die Thierstein, Fleckenstein, Andlau, Kageneck und Hattstadt eingeladen waren, und an dem auch Egenolf theilnahm. Sie trafen an dem dazu bestimmten Morgen nach und nach in Rappoltsweiler ein und ritten einzeln, wie sie kamen, das Strengbachthal ein Stück hinauf, bis sie rechtsab in den Weg bogen, der zur Burg empor führte.
Aber nicht unbeobachtet sollten sie dahin gelangen. Im Strengbachthal, dicht am Wege, saß unter den breiten, tief gesenkten Zweigen einer mächtigen Buche ein junger Kesselflicker, mit der Hantirung seines Gewerbes beschäftigt. Die eine Hälfte seines Gesichts war mit einem umgebundenen Tuche verhüllt, das auch sein linkes Auge fast ganz bedeckte, und die andere Hälfte war, wohl durch Berührung mit den unsauberen Händen, stark von Ruß befleckt. In dieser Verunstaltung war von seinen Zügen nicht viel zu erkennen, zumal er eine Mütze mit weit vorstehendem Schirm trug, wahrscheinlich, damit ihn bei der Arbeit die Sonne nicht blendete. Neben ihm am Boden lag ein kleiner Ranzen, einiges Handwerkszeug und eine Rolle Eisendraht, mit dem er einen von langem Gebrauch im Feuer geschwärzten und beschädigten Topf zusammenflickte.
Mit emsigem Fleiß betrieb der Bursche sein Handwerk nicht, denn er band und bastelte nur dann an dem Topfe herum, wenn zufällig Leute des Weges kamen. Sobald sie vorüber waren, ließ er die Hände müßig sinken und spähte mit dem einen freigebliebenen Auge lauernd nach rechts und links. Mit größter Aufmerksamkeit folgte sein glühender Blick den ritterlichen Herren, die zu Pferde an ihm vorüberzogen. Er kannte sie alle, vermied es aber, sie sein Gesicht sehen zu lassen. Hinter ihrem Rücken jedoch nickte er ihnen boshaft lächelnd nach und nannte sich leise die Zahl eines jeden, der wievielte er schon der Reihe nach war.
Jetzt kam Rudolf von Andlau, bemerkte den auf seine Arbeit Gebeugten unter der Buche und rief, sein Pferd anhaltend, ihm zu: »He! Kesselflicker! sind schon mehr Herren hier vorübergeritten?«
»Ja, Herr!« antwortete der Bursche, »sechs, einer nach dem andern, aber kannte sie nicht, bin fremd hier.«
»Schon sechs? dann wäre ich ja der Letzte. Da muß ich mich eilen. Gott helfe Dir von Deinem Zahnweh, armer Gesell!« sprach Andlau und ritt weiter.
Als er ein paar Pferdelängen entfernt war, schob der Bemitleidete das Tuch vom Munde zur Seite, fletschte dem Ritter zwei lückenlose Reihen elfenbeinblanker Zähne nach und kicherte: »Dankt Schöpfer, Herr von Andlau, wenn so gesunde Zähne habt wie ich! – Also ist Siebenter, drei Grafen Rappoltstein macht zehn, mit Egenolf elf, und zum Ballspiel kommen da oben nicht zusammen. Warte ich, wie lange sie bleiben.«
Auf der St. Ulrichsburg waren die übrigen Herren schon zur Berathung versammelt, hatten aber mit deren Beginn bis zur Ankunft des Letzten gewartet. Graf Oswald von Thierstein war sammt seinem Bruder Wilhelm von Allen aufs Freundlichste empfangen worden, und der ehemalige Zwiespalt war völlig vergessen, denn Alle waren von dem friedlichen Abkommen, das Schmasman in ihrer Aller Namen mit ihm getroffen hatte, genau unterrichtet. Auch Andlau begrüßte ihn jetzt rückhaltlos als Bundesgenossen.
Graf Wilhelm von Rappoltstein übernahm, von den [331] Andern dazu aufgefordert, den Vorsitz im Rathe und hatte vor sich auf dem Tische einen Bogen Papier liegen, auf dem er mit einem Kohlenstift das Gelände, die Berge und Thäler, die Lage der Ortschaften und die Wege zeichnen wollte.
Er begann: »Liebe Herren! unsere Streitkräfte sind, wie ihr Alle wißt, in den benachbarten Städten und Burgen ringsum so vertheilt, daß wir dem zweifellos nahe bevorstehenden feindlichen Angriff überall begegnen können. Schwerlich wird Burkhard daran denken, vor der Hohkönigsburg lagerhaftig zu werden, und ebenso unersprießlich wäre meines Erachtens unserseits die Absicht, die sehr starken Ottrotter Schlösser Rathsamhausen und Lützelburg zu bestürmen; ich wenigstens würde mit aller Entschiedenheit davon abrathen. Bleibt also nur übrig, dem Feinde entgegenzuziehen und ihm die offene Feldschlacht anzubieten. Dabei fragt es sich, auf welchem Wege er herankommen wird. Ich sehe da nur zwei Wege. Entweder kommen die Rathsamhausen mit ihren Verbündeten über Barr, Eichhofen, Dambach, oder sie kommen über Barr, Eichhofen, hinter Ittersweiler um den Ungersberg herum nach Thannweiler und das Weilerthal herab. Seht hier! so meine ich, daß sich auf die eine oder die andere Weise ihr Anmarsch vollführen wird.«
Er zeichnete die Wege auf das Papier, während sich die Anderen über den Tisch beugten und den Weisungen seines Stiftes aufmerksam folgten. Darüber erhoben sich nun eingehende Erörterungen, in denen die von einander [332] abweichenden Meinungen verfochten und begründet wurden.
Graf Wilhelm hielt mit seiner eigenen Ansicht noch zurück und ließ die Anderen streiten ohne sich einzumischen, bis die Minderheit von der Mehrheit überzeugt wurde, daß der zuletzt genannte Weg der wahrscheinlichere wäre, d. h. daß der Feind über Thannweiler durch das Weilerthal anrücken würde.
»Das ist auch meine Meinung,« nahm Graf Wilhelm wieder das Wort, »denn dieser Weg hat vor dem anderen viel voraus. Unsere Kundschafter, die Spielleute, werden uns schnell genug benachrichtigen, und ihre Meldungen werden bestätigen, daß ich Recht habe. In der fast sicheren Voraussetzung also, daß die Rathsamhausen durch das Weilerthal kommen, schlag ich euch folgenden Plan vor. Ihr Thiersteiner geht ihnen durch die Gebirgsschluchten über Kestenholz in das Weilerthal entgegen. Fleckenstein, Kageneck und Hattstadt schließen sich euch zwischen Scherweiler und Kestenholz an, und ihr zusammen haltet den Feind möglichst lange fest, daß er nicht aus dem Thale heraus kann. Wir Rappoltsteiner ziehen mit Andlau durch das Strengbachthal über Markirch in das Leberthal und über Leberau in das Weilerthal und fassen den Feind von hinten. Dann sitzt er zwischen euch und uns eingekeilt in der Mitte, kann weder vor- noch rückwärts und ist rettungslos verloren.«
Diesem Schlachtplane stimmten Alle unter voller Anerkennung seiner gut durchdachten Ausführbarkeit ungetheilt [333] zu und sahen sich schon als Sieger, vorläufig allerdings erst auf dem Papiere, wo ihnen der Führer des Wortes jetzt auch die Angriffswege gezeichnet hatte.
Graf Wilhelm fuhr fort: »Das Wichtigste, liebe Freunde, ist, daß wir den rechten Zeitpunkt nicht verpassen, daß wir nicht zu früh und nicht zu spät ausrücken und uns vom Anmarsch der Rathsamhausen nicht etwan überraschen lassen. Von Deinem Schloß Ortenberg, Kageneck, blickt man in die beiden Thäler tief hinein, und ich wollte wohl sagen, daß von Deinem Thurm uns Allen sichtbare Fahnenzeichen gegeben werden könnten, sobald die Vorhut des Feindes dort bemerkt wird. Aber das genügt mir nicht, dadurch würde zuviel Zeit, uns zu sammeln, verloren gehen. Wir müssen überall auf den Wegen zwischen unseren Lagern berittene Wachtposten in nicht zu weiten Entfernungen von einander aufstellen, die windschnell die Kunde vom Nahen des Feindes zurückbefördern. Ja, ich schlage vor, daß wir Tags über fortwährend unter Waffen und vollständig gerüstet mit unseren Reisigen bleiben, um jeden Augenblick bei der Hand zu sein.«
Auch diese Vorschläge fanden einstimmige Annahme. Dann wurde noch für die Rappoltstein'sche Streitmacht Graf Wilhelm und für die Thierstein'sche Friedrich von Fleckenstein zum Oberbefehlshaber ernannt.
Damit war der Kriegsrath zu Ende. Die Herren wollten nach einer flüchtigen Begrüßung der Rappoltstein'schen Damen die St. Ulrichsburg sofort wieder verlassen, um in den nöthigen Anordnungen nur ja nichts zu versäumen, [334] und Schmasman versuchte unter diesen Umständen auch nicht, seine Gäste und Bundesgenossen länger bei sich zu halten. So ritten sie denn mitsammen ab. –
Der junge Kesselflicker lag noch immer auf der Lauer am Wege, aber jetzt ohne auch nur zum Schein noch zu arbeiten und an einer anderen Stelle als vorher, höher hinauf im Walde und mehr durch Gesträuch gedeckt, wo er weniger gesehen werden und besser hören konnte, was die zurückkehrenden Herren etwa unter einander reden würden.
Als sie an ihm vorüber kamen, hörte er Hermann von Hattstadt zu dem neben ihm reitenden Johann von Kageneck sagen: »Ich glaube nicht, daß sie vor vier, fünf Tagen kommen.« Kageneck antwortete: »So denk' ich auch, und es ist ganz in meinem Sinne, daß wir ihnen entgegenziehen und ihnen die Feldschlacht bieten.« Mehr konnte der Lauscher vor dem Schnauben und Hufgetrappel der Pferde nicht verstehen.
Sobald die Reiter außer Sicht waren, sprach er zu sich: »Also vier Tage dünken die sich noch sicher. Nun Beine in die Hand nehmen und laufen, laufen, daß ihnen schon in zwei Tagen auf Hals kommen.« Eine gute Weile blieb er in seinem Versteck noch liegen; dann kroch er, den beschädigten Topf wegwerfend, daraus hervor und wollte sich auf den Heimweg machen.
Da hörte er den Berg herunterkommende Schritte. Er lugte behutsam um einen Baumstamm und erkannte in dem Nahenden zu seinem Schrecken den Grafen Egenolf. [335] Was jetzt thun? fliehen oder bleiben? Zwei Möglichkeiten schossen ihm durch den Kopf, wie dieses unerwünschte Wiedersehen enden konnte, und rasch entschlossen ging er dem allein Daherwandelnden entgegen.
Als beide zusammentrafen, redete der bergan Steigende mit soviel wie möglich verstellter Sprechweise den Herabkommenden an und fragte: »Verzeiht, Herr! geht es hier hinauf zur Ulrichsburg?«
Egenolf, in seinen Gedanken mit weit abliegenden Dingen beschäftigt, gab, ohne sich den Frager recht anzusehen, kurz zur Antwort: »Ja; was willst Du dort?«
»Armer Kesselflicker findet da vielleicht Arbeit.«
Egenolf lachte: »Auf der Ulrichsburg werden wohl Kessel und Töpfe zerbeult und zerbrochen, aber nicht wieder geflickt.«
»Will's doch versuchen, Herr. Ist's noch weit hinauf zur Burg? bin müde, möchte dort oben ruhen und rasten.«
Dem Grafen klang aus der Stimme des jungen Kesselflickers etwas ins Ohr, das ihn seltsam berührte wie eine fern auftauchende Erinnerung. »Wo kommst Du her?« frug er, den halb Vermummten nun aufmerksamer betrachtend.
»Habe keine Heimstatt, Herr, muß wandern und wandern, mein Brod zu verdienen.«
Immer mehr fühlte sich Egenolf von dieser Stimme betroffen, und gespannt frug er: »Bursch, wo haben wir uns schon gesehen?«
Da riß der Gesell die Mütze vom Kopf und das Tuch vom Gesicht, wischte sich damit schnell den Ruß von der Wange und lachte: »Kennt mich Graf Egenolf jetzt?«
Egenolf starrte den ihm keck Gegenüberstehenden eine Sekunde lang sprachlos an, bis er zornbebend losbrach: »Haschop! – Du – Du wagst es, meine Wege zu kreuzen?«
»Haschop wagt es,« sprach das verkleidete Mädchen zutraulich.
»Weißt Du nicht, Unglückliche, daß ich Dir den Tod geschworen habe, wo ich Dich finde?«
»Hat mir Vater gesagt, glaub's aber nicht. Graf Egenolf mordet seine Haschop nicht,« erwiederte sie mit einem innigen Blick.
»Ich thu's!« rief er in gärender Wuth und machte eine Bewegung, als wollte er sich auf sie stürzen, die, ihn fest im Auge behaltend, sich nicht von der Stelle rührte. »Wolltest Du doch die Gräfin Leontine ermorden, Giftmischerin!«
»Nein, o nein!« entgegnete sie rasch, »war kein Gift, wollte schöne, stolze Gräfin nur lützel erschrecken zum Entgelt für Peitschenhieb vom Pferd herab. Und – Ihr wißt nicht, wie's thut, verlassen werden von Einem, der vormals –«
»Schweig!« unterbrach er sie heftig. Aber er selber schwieg jetzt, verwirrt nach Worten suchend. Sein Athem flog, seine Hände zuckten wie zum Erwürgen bereit. Endlich stieß er, sich mühsam beherrschend hervor: »Was [337] schaffst Du hier? wozu bist Du gekommen? Du bist Deines Lebens keinen Tag sicher hier, und wenn ich auch meine Hand nicht mit Deinem Blute beflecken will, so bist Du doch verloren, wenn Dich der Pfeiferkönig entdeckt. Ich kann Dich nicht schützen, und ich will es auch nicht.«
»In dieser Tracht sucht mich Niemand,« sagte sie, gefallsüchtig auf das Ebenmaß ihres schlanken Wuchses zeigend, »nicht mal Ihr kanntet Eure Haschop.« Unwillig furchte er die Stirn. Sie aber fuhr mit schmeichlerischem Ton und einem verführerischen Lächeln fort: »Und was ich hier will? Euch noch einmal sehen, Graf Egenolf, letztes Mal, Abschied nehmen auf ewig, oder – oder soll ich – soll ich bleiben und wieder –?«
»Bist Du von Sinnen?« brauste er auf. »Nicht mehr denken will ich an Dich. Fort, fort! laß Dich nie mehr blicken! Du bist todt für mich, todt und vergessen, – mußt es sein.«
»Muß ich sein? todt und vergessen?« Ein unheimliches Licht flackerte in den Augen der Zigeunerin auf, das aber schnell wieder erlosch. »Dann lebt wohl, Graf Egenolf!« sprach sie wehmüthig und fügte bittend hinzu: »Nur diesen einen noch, den letzten, allerletzten!« Und mit sehnsüchtig ausgebreiteten Armen und verlangenden Lippen näherte sie sich ihm in zitternder Erregung.
Er wies sie schroff ab, einen Schritt von ihr zurückweichend.
Da flammten Haß und lechzende Rachgier unter ihren schwarzen Brauen hervor, und mit einem Panthersprunge [338] warf sie sich auf ihn. Mit ihrem linken Arm umschlang sie seinen Nacken, und im gleichen Augenblick fühlte er unversehens einen Kuß auf seinem Munde und einen Messerstich an seiner Hüfte. Egenolf wollte die Tückische packen und festhalten, aber schlangenhaft geschmeidig entglitt sie ihm, und hohnlachend: »Nun wirst an mich denken!« floh sie in das Gebüsch, gleich so spurlos darin verschwindend, daß er sie nicht verfolgen konnte.
Er stand regungslos, wie betäubt von dem mordlichen Überfall und bohrte den Blick in den schweigenden Wald. Da spürte er es feucht werden unter seiner Gewandung. Das brachte ihn zum Bewußtsein dessen, was geschehen war, und er preßte die Hand auf die Wunde, das sickernde Blut zu dämmen. Der Stoß war niedriger gegangen, als er gezielt war, hatte den Knochen getroffen und war daher nur wenig eingedrungen; zwei Daumenbreit höher, und er wäre verhängnißvoll geworden. Egenolf wandte sich und schritt eilig wieder bergan.
Unterwegs stieg ihm die Vermuthung auf, die sich allmählich zur Überzeugung steigerte, daß Haschop nicht seinetwegen gekommen war zu dem Versuche, wieder mit ihm anzubandeln, sondern als von Rathsamhausen entsandte Späherin, die jeden Weg und Steg hier kennend zu solchem Dienste durchaus geeignet war. Er mußte es seinem Vater mittheilen, daß sie hier in unmittelbarer Nähe der Burg umlauert und beobachtet wurden, damit man seine Maßregeln danach treffen konnte. Aber die Zigeunerin nennen und seinem Vater den Verlauf seiner [339] Begegnung mit ihr erzählen durfte er nicht und sann nun darüber nach, wie er seinen Bericht über das Erlebniß, das ihn doch tiefer erschüttert hatte, als er sich selber eingestehen mochte, gestalten sollte.
Auf der St. Ulrichsburg kleidete er sich um und verband sich die Wunde, die ihm trotz des Schmerzes, den sie ihm verursachte, von so geringer Bedeutung schien, daß er hoffte, sie den Seinigen verheimlichen zu können.
Darauf begab er sich zu seinem Vater und meldete ihm die gemachte Entdeckung mit den Worten: »Vater, wir werden auskundschaftet; unweit des Burgweges sah ich einen Kesselflicker umherschleichen. Er kann leicht erlauscht haben, was die von hier abreitenden Herren etwa über den Kriegsrath unter einander gesprochen haben.«
»Einen Kesselflicker? also einen von Burkhards rußigen Schutzbefohlenen,« sagte Schmasman. »Warum hast Du ihn nicht festgenommen und eingebracht? vielleicht hätte man Geständnisse von ihm erpressen können.«
»Ich konnte ihn nicht greifen; er verschwand blitzschnell im Walde, so daß nichts mehr von ihm zu sehen war,« gab Egenolf verlegen zur Antwort.
»Schade! da müssen wir nun auf unserer Hut sein und unsere Bereitschaft mit doppelter Eile betreiben,« sprach Schmasman. »Habe Dank für Deine Wachsamkeit!«
»Es war ja nur ein Zufall, Vater, daß ich den Kesselflicker sah,« erwiederte Egenolf und schied aus seines Vaters Gemach mit ernsten Gedanken über das, was er verschwiegen hatte.
Aber etwas Gutes hatte das gefährliche Abenteuer doch zur Folge, – die Beschleunigung der Schlagfertigkeit. Damit tröstete er sich über die empfangene Wunde, und es däuchte ihm eine günstige Vorbedeutung, als wäre er durch dieses kleine Opfer an vergossenem Blut nun gegen eine Verwundung in dem bevorstehenden Kampfe gefeit.
Unwiderstehlich trieb es Egenolf am nächsten Tage zur Hohkönigsburg hinauf, und bei gehöriger Vorsicht konnte er auch den Ritt schon wagen. Er hatte das Gefühl, daß er die peinliche Begegnung mit der Zigeunerin am besten durch den Anblick der Geliebten aus seiner Erinnerung verscheuchen könnte.
Leontine empfing ihn freudestrahlend. »Ich wußt' es, daß Du kommen würdest,« rief sie, als sie ihm bei seinem Eintritt ins Zimmer entgegenflog, »meine Sehnsucht hat Dich wie an langer Kette herbeigezogen.«
»Sie brauchte nicht eben stark zu ziehen,« lächelte er, »meine eigene Sehnsucht schob kräftig nach, und so muß es dem Rhenus wohl leicht geworden sein, mich hier herauf zu tragen; er hastete förmlich bergan, als trottete er auf ebenem Wege dahin.«
»Wüßt' ich nur, was ich ihm zu Gute thun könnte, daß er Dich aus der Fehde mir heil und gesund zurückbringt!«
»Er wird es, Leontine!« sprach Egenolf, »eine frohe Ahnung läßt mich hoffen, daß mir nichts Schlimmes widerfahren wird. Ich habe ja einen holdseligen Schutzengel, [342] der mich mit seinen Gedanken und Wünschen beständig umschwebt.«
»Tag und Nacht, Egenolf!« fiel sie ein und umschlang ihn innig, als wollte sie jetzt schon seine Brust vor feindlichem Speer und Geschoß schirmen und decken.
Sie waren beide allein im Gemach und blieben es auch. Graf Oswald hatte jetzt weder Zeit noch Lust, Besuche zu empfangen, am wenigsten einen, der ihm nicht galt, und Gräfin Margarethe gönnte den Liebenden diese Stunde ungestörten Glückes, vielleicht auf lange Zeit die letzte, der sie sich erfreuen durften.
Nun saßen sie dicht an einander geschmiegt auf einer Fensterbank, blickten sich aber mehr in die Augen als auf die Berge und Thäler und in das offene Land hinab, das sich tief unten so friedlich breitete, als drohte ihm nicht Waffengetöse und Hufgestampf.
Sie wollten von ganz anderen Dingen reden als von der Fehde und schlugen bald diese, bald jene Saite bei ihrer Unterhaltung an, kamen aber unwillkürlich immer wieder auf die nächstkünftigen Ereignisse zu sprechen, rechneten und wogen die Streitkräfte der feindlichen Parteien gegen einander ab und riethen hin und her, wann und in welcher Gegend wohl das erste Treffen stattfinden und zu wessen Gunsten es enden würde. Egenolf hatte jedoch dabei durchaus nicht den Eindruck, als wenn sich Leontine einer, wenn auch nicht überflüssigen, so doch nutzlosen Bangniß um ihn oder ihren Vater hingäbe. Er kannte ihr muthiges Herz, das sich vor Gefahren nicht fürchtete, [343] denen mit Entschlossenheit und Tapferkeit zu begegnen war.
»Weißt Du, was ich möchte, Liebster?« sagte sie mit funkelnden Augen. »Einen Panzer anthun und mit Dir ins Gefecht reiten. Einen leichten Speer kann ich allenfalls auch schwingen, und fangen sollten sie mich nicht, denn einen so schnellfüßigen Renner wie meine Daphne giebt es hüben und drüben nicht. Mit lang flatternden Haaren wie eine Walküre wollte ich neben Dir dahinsausen und in der Schlacht den Schild über Dich halten, mein blonder Recke!«
»Und zuletzt mich als gefallenen Helden auf Deinem Rosse, in Deinen Armen nach Walhall zu den Einheriern tragen,« lachte er, »nicht wahr?«
»Nein, nein! Dir den Siegeskranz auf die kampfheiße Stirn drücken,« rief sie begeistert. »Was Du Ahnung nennst, ist mir Glaube und Gewißheit: Du kommst wieder! und mein Lohn und Preis sollen hundert oder tausend sein wie dieser hier,« schloß sie mit einem glühenden Kuß auf seinen Mund.
Die knapp bemessene Zeit, die sich Egenolf zum Verkehr mit der Geliebten jetzt abmüßigen konnte, verging ihnen mit Plaudern und Kosen nur allzuschnell, und er mußte aufbrechen, obwohl ihn Leontine mit Bitten und Schmeicheln noch zu halten suchte. Es war ein langer, leidenschaftlicher Abschied, den sie von ihm nahm, denn im Geheimen war sie weit besorgter um ihn, als sie sich [344] merken lassen wollte, um nicht auch ihm das Herz schwer zu machen.
Nach der St. Ulrichsburg ritt er so schnell zurück, wie es die Beschaffenheit des Weges erlaubte, weil er gewärtig sein mußte, daß ihn sein vielbeschäftigter Vater, der seiner Dienste jetzt häufig bedurfte, schon sehr vermißte.
Graf Maximin hatte nach Egenolfs Meldung von der dreisten Kundschafterei, welche die Rathsamhausen inmitten der gegnerischen Stellungen betrieben, dafür gesorgt, daß die verbündeten Streitkräfte in der Runde näher an einander geschlossen wurden, damit sie jederzeit den beiden Feldhauptleuten zur Verfügung stünden. –
Isinger war in seinem Fahrwasser und entfaltete eine sich abhetzende Geschäftigkeit in der Musterung von Waffen und Kriegsgeräth, und das nicht bloß auf der Hohkönigsburg, sondern auch in den Lagern, wo er eigentlich nichts zu suchen und zu sagen hatte. Er war viel in den Bügeln, tauchte bald hier, bald da plötzlich auf, gab kleine Winke und machte auf zweckdienliche Änderungen und Verbesserungen in mehr oder weniger bescheidener Weise aufmerksam. Es lag in seiner großspurigen Art, dabei wichtig zu thun, als wäre er mit besonderen Vollmachten versehen und mit geheimen Aufträgen betraut.
Als er eines Nachmittags nach Rappoltsweiler geritten kam, fand er die Stadt von Gewappneten zu Roß und zu Fuß überfüllt, die in Bürgerhäusern, zum Theil selbst in der Kirche und im Kloster untergebracht waren. Viele aber blieben bei ihren Pferden, die nicht alle Stallung [345] gefunden hatten und, an Pflöcke gebunden, auf dem Markt oder vor den Thoren standen.
Er fragte nach Hans Loder und mußte ziemlich lange nach ihm suchen, bis er ihn mit dem Lehnsträger eines bei Thannenkirch belegenen Rappoltstein'schen Hofes in einer Herberge beim Weine fand. Der Mann kannte Isinger und lud den Herrn Stallgrafen ein, mitzutrinken, was sich der dem Becher allzeit Gewogene nicht zweimal sagen ließ. »Nehm' ich mit Wohlgefallen und Dank an,« sprach er und setzte sich klirrend und rasselnd zu den Beiden an den Tisch. Er war geharnischt und sah sehr unternehmend und kriegerisch aus, hatte sich den Schnurrbart keck aufgezwirbelt, blickte stolz um sich und sprach in einem lauten, herausfordernden Tone.
»Das schaut hier ringsum wie ein Feldlager aus,« hub er an. »Überall sieht man Stahl und Eisen in der Sonne blitzen, Fähnlein von Reisigen ziehen und Reiter traben oder Wacht halten, als lebten wir schon mitten im Kriege.«
»Wenn's nur erst losginge!« sagte der selbst geharnischte Lehnsmann. »Wir Rappoltstein'schen brennen darauf, den Rathsamhausen mal eins auszuwischen.«
»Wir von der Hohkönigsburg werden uns auch nicht auf faulem Pferde finden lassen, sondern ihnen tüchtig eins über den Kopf schmieren,« schloß sich ihm Isinger an, sein Schwert auf den Boden stoßend. »Seht mal, mit diesem langen Flederwisch kann ich Einem eine Wunde [346] hacken, die man mit einem eichenen Brett und siebenundzwanzig Schloßnägeln zustopfen muß.«
»Na, das ist ein Wort, das unter Brüdern seine zehn Pfund wiegt,« lachte Hans Loder. »Gnade Gott Dem, der in Deine Schmiedefäuste fällt, Ottfried!«
»Ja, da wird Mancher die Schuld der Natur auf der Landstraße bezahlen und ins Gras beißen müssen,« fiel der Lehnsmann ein.
»Wir sind ja unser auch genug mit all unserem Anhang,« sprach Isinger. »In Schlettstadt liegen die Fleckenstein'schen mit großer Macht und in Bergheim das Andlau'sche Volk, Kageneck und Hattstadt kommen von ihren Burgen Ortenberg und Bernstein dazu, und hier in Rappoltsweiler ist vor lauter Gewappneten kaum soviel Platz, daß man ein Roß darauf wenden kann.«
»Das Wetter ist günstig zum Schlagen,« warf Loder ein. »Ihr werdet vor Hitze nicht ersticken in euren Harnischen, heute früh hatte es auf den Wiesen gereift.«
»Ein Vergnügen ist es nicht, jetzt im Freien zu liegen, wenn man mit seinem Gaul das Kieseldaunenbett unterm blauen Himmel theilen muß. Diese Nacht war es fast so kalt wie im Winter, wenn die Bettler vor Frostkribbeln in den Zehen das Vaterunser tanzen,« sagte der Hofbesitzer. »Ja, hab ich nicht Recht?« wandte er sich, als die anderen Beiden lachten, zu den Genossen an den Nebentischen, die gleichfalls lachend ihm zustimmten.
So redeten sie beim Trunk, und Isinger hörte nicht auf, mit seinem Kampfmuth zu prahlen. Dabei hatte er [347] jedoch Hans Loder schon ein paarmal zugeblinzelt und ihn unterm Tisch mit dem Knie angestoßen, bis es der Alte endlich merkte.
»Verstehe schon, Du willst was von mir, Ottfried,« lächelte er.
»Ja, ich habe eine geheime Botschaft an Dich; komm mit!« sprach Isinger.
Sie erhoben sich beide, dankten dem freigebigen Thannenkircher für die Zeche und verließen die Herberge. Draußen sagte Isinger: »Laß uns ins Strengbachthal gehen, denn Du mußt zur Ulrichsburg hinauf.«
»Zur Ulrichsburg? was soll ich da jetzt?«
»Wirst Du gleich erfahren, Hans.«
Als sie durch den Metzgerthurm aus der Stadt hinaus waren und Niemand etwas von ihrer Unterhaltung hören konnte, sprach Isinger gönnerhaft: »Ich habe Dir damals geholfen, Hans, das Wolfsfell vom Grafen Egenolf ins Schlafgemach unserer jungen Gräfin zu schmuggeln, heute verlange ich von Dir einen Gegendienst.«
»Drücke los!« sagte Loder.
Isinger brachte nun sein Anliegen vor und fing an: »Gräfin Leontine ist nicht ohne einige Sorge, daß ihrem Herzallerliebsten im Gefecht etwas zustoßen könnte. Er wird ja in einer guten Eisenhaut stecken, die so leicht keinen Schwerthieb durchläßt, aber zu seiner größeren Sicherheit möchte sie ihm ein Schutzmittel, einen Ta–lis–man, ja, so nannte sie's, – ich habe mir das sackermentsche Wort dreimal von ihr vorsprechen lassen – einen [348] Talisman mitgeben. Es ist einer von ihren Handschuhen, die sie an dem Tage getragen hat, als ihr Graf Egenolf zum ersten Mal im Leben begegnet ist. Dieser Handschuh soll die Kraft in sich haben, den Grafen hieb- und stichfest zu machen, sagt sie. Ob sie einen heimlichen Zauber damit vorgenommen hat, weiß ich nicht, aber ich habe fürsichtigerweise und ohne ihr Wissen noch ein bischen nachgeholfen, bin mit dem Handschuh in Sanct Pilt gewesen und habe dort von einem frommen Mönch einen kräftigen Wundsegen darüber sprechen und ihn mit Weihwasser besprengen lassen.«
»Hm!« machte Loder, »und den Handschuh sollst Du oder soll ich dem Grafen Egenolf einhändigen.«
»Nein, nicht einhändigen, das hätte die junge Gräfin selber thun können. Er muß ihn während der ganzen Fehde stets bei sich tragen, ohne daß er es weiß, sonst wirkt der – Talisman nicht,« erwiederte Isinger. »Gräfin Leontine meint, daß Du auf der Ulrichsburg jederzeit freien Zutritt hast, und läßt Dich daher bitten, dafür zu sorgen, daß der Handschuh verhohlen in Graf Egenolfs Harnisch oder Helm oder Sattel befestigt wird. Verstehst Du?«
»Ja, aber im Helm oder Harnisch würde er des Dinges doch ansichtig werden, wenn er sich wappnet. Da wird's das Beste sein, ich lasse den Handschuh inwendig in das Futter seines Sattels nähen, das kann er nicht merken. Aber ohne den Sattelmeister bring ich das nicht fertig.«
»O der kann's ja wissen, wenn's nur der Graf selber nicht erfährt.«
»Nein, nein! der Sattelmeister hält dicht; gieb den Handschuh her, ich nehm's auf mich.«
»Ich habe ihn im Wams; schnalle mir mal hier an der Seite den Harnisch auf, dann kann ich ihn herauslangen.«
Loder that dies, und Isinger übergab ihm den Handschuh. Es war der von der rechten Hand und aus feinem, weichem Rehleder. Während Loder dann mit dem Wiederzuschnallen von Isingers Harnisch beschäftigt war, sahen sie einen Spielmann mehr laufend als gehend dahertrotten. Als er den Pfeiferkönig erkannte, winkte er ihm mit beiden Armen fuchtelnd zu, als hätte er eine große Neuigkeit zu melden, und kam nun wirklich angelaufen.
»Was giebt's, Rodewig?« fragte Loder, »bist ja ganz außer Athem.«
»Sie kommen, sie kommen, sie sind schon unterwegs!« keuchte der Spielmann.
»Wer? die Rathsamhausen?«
»Ja, die Rathsamhausen und die Müllenheim, die Dürkheim'schen und was weiß ich, wer alles noch. Heute Mittag sind sie ausgerückt aus Ottrott und Oberehnheim und wo sie sich gesammelt hatten und gelegen haben. Aber sie können sich nur langsam vorwärts bewegen, weil sie schweres Rüstwerk bei sich haben, Tarrasbüchsen und Wurfzeug, das nicht rasch fahren kann, und Fußvolk ist ja auch viel dabei,« berichtete Rodewig.
»Woher weißt Du das Alles?« fragte Isinger.
»Aus dritter Hand erst, von Pfeiferbrüdern, aber von sicheren Leuten. Einer hat's dem Andern mit größter Schnelligkeit zugetragen, und ich will das Abendmahl darauf nehmen, daß es wahr ist,« erwiederte der Kundschafter.
»Dann mach nur, daß Du zu unserem Grafen hinaufkommst mit Deiner Nachricht,« sagte Loder, »ich folge Dir auf dem Fuße nach; hier rechts geht es hoch.«
»Ich weiß, ich weiß,« versetzte Rodewig und schlug sich eilends in den Wald hinein.
»Du mußt Dich auch sputen, Hans, daß der Handschuh noch in den Sattel kommt,« sprach Isinger. »Ich trabe nach der Hohkönigsburg zurück und werde in Rappoltsweiler und durch die Eisenreiter unterwegs die Meldung schleunigst weitergehen. Nach meiner Rechnung kann es morgen früh oder morgen Vormittag zum Hauen kommen.«
»Die Rechnung wird stimmen,« nickte Loder. »Fahrwohl, Ottfried, und Gott behüte Dich!«
»Ich werde in der Schlacht meinen Mann stehen, Hans!« rief Isinger und schlug sich mit der Faust auf die gepanzerte Heldenbrust.
Sie trennten sich, und Jeder ging hurtig seines Weges.
Die Nachricht vom Aufbruch der Rathsamhausen'schen Streitmacht war nach den nächsten Burgen und überallhin, wo reisiges Volk lagerte, am Abend noch verbreitet worden, und in der Nacht brachte ein anderer Fahrender noch die Kunde, daß der Feind von Eichhofen auf Thannweiler zöge. Graf Wilhelm von Rappoltstein behielt also Recht mit seiner Vermuthung, daß der Zusammenstoß im Weilerthal stattfinden würde.
Zur Ausführung seines im Kriegsrath entworfenen Schlachtplanes thaten die Verbündeten nun das, was jedem als besondere Aufgabe zugewiesen war. In der Morgenfrühe rückten die Thiersteiner über Kinzheim nach Kestenholz, wo Fleckenstein, von Schlettstadt kommend, sich ihnen anschloß und sich über Scherweiler auch Kageneck und Hattstadt mit ihnen vereinigten. Diese vier stattlichen Haufen besetzten unter Fleckensteins Befehl den Ausgang des Weilerthales, gingen aber nicht weiter vor, um den Rappoltsteinern Zeit zu lassen, die Mündung des Leberthales in das Weilerthal zu erreichen, kurz nachdem der Feind diesen Punkt überschritten hatte.
Fleckenstein mußte hier, sehr gegen seinen und seiner Gefährten Wunsch, wohl eine Stunde lang unthätig halten, [352] ehe ihm die zum Kundschaften ausgesandten Reiter das Vorrücken des Feindes meldeten, aber mit seiner Ungeduld wuchs auch seine Hoffnung, daß die Rappoltsteiner, durch diese Verzögerung begünstigt, rechtzeitig auf dem Kampfplatz erscheinen würden.
Das Thal war, sich seinem Ausgang ins Flachland nähernd, sehr breit und bot mit seinen ebenen Feldern und Wiesen Raum genug zur Entwickelung eines größeren Gefechts, dessen Beginn, nachdem sich die beiden Heerhaufen erblickt hatten, nun endlich zu gewärtigen war.
Schon von fern erkannte Fleckenstein, daß der Feind seine Reiterei als erstes Treffen vor dem Fußvolk führte, während er selber seine Mannschaft in einem einzigen Treffen aufgestellt hatte, das Fußvolk in der Mitte und die Reiterei auf beiden Flügeln, eine Anordnung, die ihm bei seinem nun erfolgenden Angriff sehr zu Statten kommen sollte.
Als sie sich nahe genug waren, stürmten die beiderseitigen Reiterschaaren gegen einander an, und die Rathsamhausen'schen wurden von den Fleckenstein'schen wie von zwei Armen umfaßt, so daß sie sich nach rechts und links wehren mußten.
Es war ein harter Anprall, den sie zu bestehen hatten, aber sie hielten ihn aus und waren nicht zum Weichen zu bringen. Die Ritter suchten die Ritter in diesem Reiterkampfe, der sich immer hitziger entspann und das Thal mit lautem Getöse von Eisenklirren, Rufen, Schnauben und Stampfen erfüllte. Nun kam auch das Fußvolk [353] heran, und es entstand ein heftiges Scharmützel zwischen ihm und den Berittenen; alle regelrechte Schlachtordnung war aufgelöst, man schlug und stach wild auf einander los, und Blut floß auf beiden Seiten reichlich.
Burkhard spähte rachgierig nach Oswald von Thierstein aus, um sich tödtlich mit ihm zu messen, konnte ihn aber nicht entdecken, weil er sich an anderer Stelle mit Jost von Müllenheim herumschlug, bis ihm Johann von Kageneck zu Hilfe kam, so daß Müllenheim weichen mußte. Isinger hielt sich soviel wie möglich an seines Herren Seite, ward aber mehrmals von ihm abgedrängt und gerieth zuweilen in mißliche Lage, aus der er sich jedoch stets tapfer wieder heraushieb.
Das hin und her wogende Gefecht kam allmählich zum Stehen, begann sogar für die Fleckenstein'schen eine üble Wendung zu nehmen, weil diese, ohne die Rappoltsteiner, der Rathsamhausen'schen Macht nicht gewachsen waren. Plötzlich aber lichteten sich deren Reihen. Hinter ihnen erhob sich ein verworrenes Geschrei, und gleich darauf drang deutlich vernehmbar Waffenlärm daher, ein Zeichen, daß jetzt auch dort gekämpft wurde. Die Rappoltsteiner waren dem Feinde in den Rücken gefallen und griffen mit frischen Kräften in das Gefecht ein, das nun eine ganz andere Gestalt annahm und sich an zwei Stellen des Thales zugleich entfaltete. Burkhard erkannte sofort, wessen Werk diese wohlberechnete Taktik war, und jagte, eine Schaar der Seinigen mit sich fortreißend, auf die Rappoltsteiner zu.
In dem nun entstehenden, sich über einen weiten Raum ausdehnenden Getümmel begegneten sich Egenolf und Bruno und wechselten, Jeder den Anderen erkennend, eine Anzahl mustergültiger Fechterhiebe, die alle mit geschickter Deckung aufgefangen wurden. Dann nickten sie sich lachend zu und stoben auf Gegner los, die sie nicht schonen wollten. Nun konnten sie doch sagen, daß sie heldenhaft mit einander gekämpft hätten.
Burkhard bemühte sich, Alle, die ihm gefolgt waren, zu einem entschiedenen Angriff oder geschlossenen Widerstande zu sammeln, was ihm aber in dem wirren Durcheinander nicht glückte. Er konnte nur mit einer verhältnißmäßig geringen Zahl beherzter Draufgänger ein paar verzweifelte Vorstöße unternehmen, die aber stets zurückgewiesen wurden, so daß er sich nun auf verstreute Einzelgefechte beschränkte, wo er die Gelegenheit dazu ersah. Schmasman wollte er vermeiden wie dieser ihn, weil keiner von beiden sein Schwert mit dem Blute des alten Freundes färben wollte. Aber auf Wilhelm von Rappoltstein hatte er es in seinem Grimm über dessen gelungene Umgehung und verderbenbringenden Überfall desto böswilliger abgesehen. Wüthend rannte er ihn an, als er ihn erblickte, und zwischen beiden entspann sich ein erbitterter Zweikampf, aus dem Graf Wilhelm endlich als Sieger hervorging. Ein gewaltiger Schwerthieb des Letzteren durchschlug das Riemenzeug an Burkhards Panzer und drang, das Schlüsselbein brechend, ihm tief in die linke Schulter, sodaß Burkhard [355] im Sattel wankte und kampfunfähig vom Pferde zu Boden sank.
Die Rathsamhausen'schen, von vorn und von hinten zugleich bedrängt, wurden überwältigt, zersprengt, in die Flucht getrieben, Verwundete und Todte auf dem Schlachtfelde zurücklassend. Der Kampf war zu Ende, und der ihn heraufbeschworen hatte, blieb als Gefangener in den Händen der Sieger.
Man nahm ihm den Harnisch ab und öffnete das Wams, um seine stark blutende Wunde nothdürftig zu verbinden, was Isinger mit Geschick vollbrachte. Weit mehr aber als diese Wunde schmerzte den Trotzigen die erlittene Niederlage. Er warf einen langen Blick auf Schmasman, wie wenn er sagen wollte: Hättest Du mir Wort gehalten, was Du gelobt hattest! Dann lag er, von Bruno gestützt, ganz still und gab auf keine Frage mehr Antwort. Wie innerlich gebrochen stierte er halb finster, halb träumerisch ins Leere, als wäre sein Geist mit etwas weit Abliegendem, Geheimnißvollem beschäftigt, das ihn der Gegenwart entrückte.
Für ihn selbst und seine Freunde war die Gefangennahme Burkhards ein geradezu vernichtender Schlag, für die Thierstein'schen Verbündeten dagegen ein Gewinn von so großer Bedeutung, daß er ihnen die herben Verluste, die auch sie erlitten hatten, vollständig aufwog.
Unter den wenigen Gefangenen ritterlichen Standes befand sich auch Jost von Müllenheim, der statt zu fliehen so lange bis aufs Äußerste gekämpft hatte, bis er, unentrinnbar [356] umzingelt und leicht verwundet, sich ergeben mußte. Schmasman berieth nun mit den beiden siegreichen Feldhauptleuten, was mit den Gefangenen geschehen sollte. Sie waren alle drei abgesessen und standen etwas entfernt von der Gruppe, die den am Boden liegenden Burkhard umringte.
Graf Wilhelm von Rappoltstein drang darauf, Müllenheim nach Hohrappoltstein zu bringen und dort so lange einzusperren, bis mit sämmtlichen Besiegten Abrechnung gehalten und Friede geschlossen war.
Diesem Vorschlage trat auch Friedrich von Fleckenstein bei, indem er seine Zustimmung damit begründete, daß man schneller zum Friedensschluß gelangen würde, wenn man die beiden bedeutendsten und gefährlichsten Gegner in Haft nähme, denn daß Burkhard, der Anstifter und unablässige Hetzer der Fehde, festgesetzt werden mußte, war außer Frage.
Schmasman aber widersprach der Einlegung des mächtigen Schloßherren von Girbaden, darauf hinweisend, daß Müllenheim der Einzige wäre, der bei Burkhard zuweilen Gehör fände und deßhalb bei den Verhandlungen mit dem Störrigen als Vermittler wirken könnte. Nur sein ritterliches Selbstgefühl, das sich gegen die Ansprüche des Grafen Thierstein kräftig auflehnte, und seine Anhänglichkeit an Burkhard hätten ihn vermocht, sich an der Fehde zu betheiligen und des Freundes ehrgeizigen Plänen Vorschub und Beistand zu leisten. Daß er nun auch gegen die Rappoltsteiner kämpfen mußte, wäre nicht sein Wunsch und Wille, sondern die natürliche Folge der inzwischen [357] eingetretenen Ereignisse gewesen, welche die Rappoltsteiner zu Verbündeten Thiersteins gemacht hatten.
Das Alles hielt Schmasman den beiden Anderen in nachdrücklicher Weise vor und setzte es durch, daß wie die übrigen Gefangenen, sammt Burkhards Sohn Bruno, auch Müllenheim freigelassen und ihm nicht einmal Rüstung, Waffen und Pferd abgenommen wurde.
Bis auf Bruno, der seinen schwer verwundeten Vater noch nicht verlassen wollte, verabschiedeten sie sich alle von Burkhard, dem sie Worte des Trostes, einige von ihnen auch solche der Hoffnung auf einen günstigen Fortgang der Fehde zuflüsterten, und folgten dann ihren geschlagenen Genossen das Weilerthal hinauf nach.
Bevor Müllenheim abritt, zog ihn Schmasman, der den äußerlich Derben und Rauhen als einen rechtschaffenen, klugen und besonnenen Mann schätzte, noch in ein längeres Gespräch ohne Zeugen. Er verständigte ihn, da jener zu seinem größten Erstaunen noch gar nichts davon wußte, über seinen mit Oswald von Thierstein geschlossenen Vertrag, den er Burkhard brieflich und seinen Verbündeten mündlich mitgetheilt hätte und der von den letzteren allseitig gutgeheißen worden wäre. Müllenheim billigte die getroffenen Vereinbarungen durchweg als die auch ihm willkommene, beste Schlichtung des leidigen Streites. »Hätt' ich das nur früher gewußt!« rief er aus, »Burkhard hat mir kein Wort davon gesagt, aber jetzt weiß ich auch, was ich zu thun habe.«
Dann schüttelten sie sich die Hände und schieden von [358] einander, nun nicht mehr Feinde. Müllenheim schwang sich in den Sattel und trabte den Seinigen nach.
Für Burkhard wurde auf dem Untergestell eines eroberten Wurfgeschützes, auf dem er gefahren werden konnte, ein Lager hergerichtet, und Niemand erhob Widerspruch gegen das Verlangen des Grafen Oswald von Thierstein, ihn unter Isingers Obhut auf die Hohkönigsburg zu bringen. Als Burkhard dies hörte, flog ein unwilliges Zucken über sein Gesicht. Auf die Hohkönigsburg sollte er! Das war von Allem das Schwerste, was er bei seinem tiefen Falle zu tragen hatte, doch er schwieg.
Bruno richtete an den Grafen Oswald die Frage: »Wollt Ihr mir gestatten, Herr Graf, meinen Vater bis auf die Hohkönigsburg zu begleiten?«
»Sehr gern, Jungherr Bruno!« erwiederte Graf Oswald, »und ein Reitender soll sogleich den Klosterarzt von St. Pilt aufs Schloß bestellen.«
»Ich danke Euch, Herr Graf!« sagte Bruno. »Nachdem ich meinen Vater hinaufgebracht, werde ich heimreiten, um meine Mutter zu beruhigen.«
Als sich der Zug mit dem Verwundeten unter Bedeckung von Reisigen in Bewegung setzte, trat Egenolf noch an Bruno heran und sprach leise zu ihm: »Ich werde thun, was ich kann, Bruno, daß die alte Freundschaft unserer Väter wieder lebendig werde.« Ein stummer Handdruck Bruno's dankte ihm.
Beinahe Mittag war es geworden, als die Entscheidung in dem heißen Kampfe gefallen war, und nach einer kurzen Ruhe verabschiedeten sich, ihres Sieges froh, die ritterlichen Streiter herzlich von einander, um mit ihren Schaaren abzurücken, jeder heim nach seiner Burg. Doch wurden, auch von den Besiegten, Mannschaften auf dem Schlachtfelde zurückgelassen, die gegen die zahlreichen Verwundeten und Todten, zu welchen letzteren auf Thierstein'scher Seite ein jüngerer Bruder Hermanns von Hattstadt und auf Rathsamhausen'scher ein Zorn von Bulach gehörte, die Pflichten der Menschlichkeit erfüllen sollten.
Die das traurige Geschäft zu besorgen hatten, stießen dabei auch auf einen Gefallenen, der in Ansehung seiner mangelhaften Ausrüstung und Bewaffnung wie seiner Jugend nicht zu den Kämpfenden gehört haben konnte. Er trug keinen Panzer über dem Wams, aber eine rostige, zu große Blechhaube auf dem Kopfe, und ein kleines, altes Schwert hing ihm am Gürtel. Er lag auf dem Rücken in einer Lache Blut, das sich aus einer klaffenden Halswunde ergossen hatte. Sie standen vor dem Entseelten, betrachteten seine schlanke Gestalt und sein hübsches, [360] noch ganz bartloses Gesicht, und es jammerte sie des armen Gesellen, den hier ein früher Tod ereilt hatte.
Die ihn gefunden hatten, waren zwei reisige Knechte aus Rappoltsweiler, und der eine sprach zum anderen: »Weißt Du, Merten, wie der aussieht? – wie ein Zwillingsbruder von Haschop, unserer Zigeunerin.«
»Genau so!« fuhr Merten aus seinen Gedanken auf, »ich wollt' es eben auch schon sagen. Aber Haschop hat keinen Bruder, und jetzt bin ich meiner Sache sicher, daß sie es selber ist.«
»Ich glaub's wahrhaftig auch,« sagte der Erste wieder, »mein Gott! wie kommt die hierher?«
Sie nahmen die Blechhaube von dem etwas zur Seite geneigten Kopfe, und da quoll üppiges, schwarzes Frauenhaar hervor, so daß ihnen kein Zweifel mehr blieb, wen sie vor sich hatten.
Es war in der That Haschop, deren einst so liebreizend lachender Mund nun für immer verstummt war. Sie hatte sich, wieder in der männlichen Kleidung, die sie als Kesselflicker getragen, dem Fuhrwesen der Müllenheim'schen angeschlossen, von denen Niemand sie kannte und die sie, ihr wahres Geschlecht nicht ahnend und sie für einen gut gewachsenen, eigentlich schon waffenfähigen Troßbuben haltend, gern bei sich aufgenommen hatten. Sie wollte Zeuge des Kampfes sein, um zu sehen, was dabei das Schicksal Egenolfs sein würde, ob nicht eine feindliche Lanze das vollbrächte, was ihrem Messer mißlungen war. In ihrer Rachsucht und ihrer Unerfahrenheit hatte sie sich [361] sogar der kindischen Hoffnung hingegeben, möglichenfalls mit ihrem kurzen Schwerte zu seinem Verderben beitragen, vielleicht durch Verwundung seines Pferdes Roß und Reiter zum Sturze bringen zu können. Darum hatte sie sich tollkühn in das Gefecht hinein gewagt und war auf der Flucht von den Reitern eingeholt und niedergehauen worden.
Voll Mitleid beschlossen die beiden Knechte, sie in einem Grab allein zu bestatten, hoben sie auf und trugen sie zum nahen Walde. Dort bereiteten sie ihr die letzte Ruhestätte und pflanzten auf den Hügel statt eines Kreuzes einen abgehauenen Baumzweig, dessen Blätter schon welk und braun waren.
Nachdem sie am Grabe knieend ein kurzes Gebet verrichtet hatten, sagte Merten: »Dem Pfeiferkönig müssen wir es melden, wenn wir heimkommen, wen wir hier zum langen Schlaf gebettet haben. Wie wird sie ihn dauern! er hatte die hübsche Schwarzäugige gern.«
»Und der arme Farkas!« sprach der Andere. »Vor zehn Jahren hat er sein Weib begraben, und heute hat er hier sein einziges Kind verloren; nun ist er ganz verlassen und allein.«
»Nicht viel über zwanzig Jahr kann sie geworden sein,« fing Merten wieder an. »Hast Du sie mal tanzen sehen? Die konnte Sprünge machen, sag' ich Dir! Schade, Schade um das schöne, junge Leben! Gott nehme sie in Gnaden zur ewigen Seligkeit auf!«
Das war Haschops Grabrede aus einem einfältigen, [362] treuherzigen Gemüth, das von ihrem Lieben und Leiden, ihren Listen und Tücken nichts wußte.
Egenolf, der die Zigeunerin im Gefecht nicht bemerkt, wenigstens nicht erkannt hatte, erhielt heute keine Kunde mehr von ihrem Tode. Die Grafen von Rappoltstein waren schon weit weg vom Kampfplatze, weil sie vorläufig keinen erneuten Angriff zu befürchten hatten und von einer Verfolgung des geschlagenen Feindes absahen. Sie zogen mit den Ihrigen über Kinzheim, Orschweiler und Bergheim nach Rappoltsweiler und ihren Schlössern, wohin Schmasman einen Reiter mit der Siegesbotschaft vorausgeschickt hatte.
In Rappoltsweiler wurden sie von der gesammten Bevölkerung freudig empfangen und unter glückwünschenden Zurufen durch die Stadt geleitet. Auf der Zugbrücke der St. Ulrichsburg erwartete sie Hans Loder mit seiner Trumpete und blies bei ihrem Nahen eine schmetternde Weise, in die der Thürmer auf dem Bergfried mit seinem Wächterhorn jubelnd einstimmte.
Die Gräfinnen Elisabeth und Imagina waren schon eingetroffen und hatten dafür gesorgt, daß auch ihre Gatten sich der bestaubten Rüstungen entledigen und umkleiden konnten. Als die vier Herren dann erfrischt in den Saal zurückkehrten, setzte Imagina ihrem Schwager Wilhelm einen schnell für ihn gewundenen Eichenkranz aufs Haupt, den Alle, auch Schmasman, dem kriegserfahrenen Bruder, dessen vortrefflichem Plan und Oberbefehl der Sieg zu danken war, von Herzen gönnten.
Bald saß die ganze Familie an der Tafel beim fröhlichen Mahl, an dem auch Hans Loder heute theilnehmen mußte. Die Männer schilderten den aufmerksam zuhörenden Frauen den Gang des Gefechtes, und Graf Wilhelm äußerte ein Wort des Bedauerns, Burkhard mit eigener Hand so schwer verwundet zu haben. »Aber der über unseren Rückenangriff Erboßte,« sprach er, »rannte mich ungestüm an und ließ nicht ab von mir, so daß sich zwischen uns ein Zweikampf auf Leben und Tod entspann, in dem Einer von uns fallen mußte, und da hat das Glück zu meinen Gunsten entschieden.«
»Sagen wir Dein gutes Schwert und Deine überlegene Fechtkunst, Wilhelm,« fiel Schmasman ein. »Übrigens scheint mir seine Wunde nicht lebensgefährlich und wird in der Kur des Pater Eusebius gewiß bald heilen.«
»Auch Bruno und ich haben unsere Fechtkunst gegen einander erprobt,« erzählte nun Egenolf. »Wir trafen uns im Scharmützel und haben eine Jägermesse lang unsere Klingen Schlag auf Schlag regelrecht gekreuzt. Bruno ist im heutigen Kampfe völlig unversehrt geblieben,« schloß er mit einem Blick auf Isabella, für die allein seine Mittheilungen bestimmt waren und die ihrem Bruder dafür mit den Augen dankte.
»Glaubst Du, Schmasman,« begann Gräfin Herzelande, »daß mit dem heutigen Gefecht nun die ganze Fehde, die uns so lange beunruhigt und bedroht hat, abgethan und aus ist?«
»Fast möcht' ich es glauben, weil Burkhard außer [364] Kampf gesetzt ist,« erwiederte Schmasman. »Ohne ihn werden die Übrigen nichts weiter gegen uns oder die Thiersteiner zu unternehmen wagen.«
»Und wenn Burkhard von seiner Verwundung genesen ist?«
»So wird ihn Oswald doch nicht eher aus den Mauern der Hohkönigsburg herauslassen, als bis er ihm Urfehde geschworen hat.«
»Welch ein Hohn des Schicksals!« sagte Gräfin Elisabeth. »Nun sitzt er auf der Hohkönigsburg, aber nicht als ihr Herr und Gebieter, wie er es wollte, sondern als ihr erster Gefangener seit ihrem Wiederaufbau.«
»Willst Du nicht versuchen, zwischen ihm und Oswald Frieden zu stiften und auch zwischen euch beiden die alte Freundschaft wieder herzustellen?« fragte Herzelande.
»Gewiß werde ich das,« erwiederte Schmasman. »Aber ich muß ihm erst Zeit lassen, sich zu besinnen, damit der bittere Groll, den er jetzt noch auf mich hat, anderen, besseren Gefühlen Platz macht; früher ist eine Verständigung mit ihm nicht möglich. Schwieriger wird seine Befriedung mit dem Thiersteiner werden. Wie ich von dessen Bruder Wilhelm gehört habe, verlangt Oswald nichts Geringeres als die Übergabe der beiden Ottrotter Schlösser, wenigstens des Schlosses Rathsamhausen. Ich werde das Meinige thun, ihn zu milderen Bedingungen zu bewegen; ob ich aber damit durchdringe, ist mir noch sehr zweifelhaft. Zunächst werde ich versuchen, mich selber mit ihm auszusöhnen.«
»Herr Graf, ich wüßte wohl ein Mittel, ihn zur Versöhnlichkeit zu stimmen,« sagte Loder.
»Und das wäre?« fragte Schmasman.
»Wenn Ihr ihm seine Eule wiederschaffen könntet, die ihm im Rathskeller abhanden gekommen ist.«
»Da hast Du Recht, Hans!« rief ihm lachend Graf Wilhelm zu. »Wenn Du Burkhards Eule hättest, Schmasman, und sie ihm wiedergäbest, würde er vor Freuden springen und tanzen und wieder Dein dickster Freund sein.«
»Gern wollt' ich ihm dazu verhelfen,« lächelte Schmasman, »aber leider habe ich sie nicht und weiß auch nicht, wo das Unglücksding an dem Abend geblieben ist.«
»Laßt uns ihm doch eine neue, der verloren gegangenen täuschend ähnliche machen,« schlug Gräfin Elisabeth vor. »Einen Waldkauz muß uns Egenolf dazu liefern.«
»Mit dem größten Vergnügen!« erklärte der ritterliche junge Waidmann.
»Nein, das geht nicht, das würde Burkhard sofort merken, und eine noch so geschickt nachgemachte würde ihm die echte, an der so viel fröhliche Erinnerungen haften, nicht ersetzen,« bedeutete Wilhelm seine Gemahlin.
»Er würde sie von uns Rappoltsteinern auch gar nicht annehmen,« fügte Kaspar hinzu. »Ja, wenn es die alte wäre! wer ihm die wiederbringt, erobert sich im Sturme sein Herz damit.«
»Ich möchte ihn wohl einmal sehen mit dem schnurrigen Eulengestell auf seinem weinrothen Rappelkopfe,« lachte Imagina. Doch schnell bereute sie die Worte, als [366] sie einem vorwurfsvollen Blick Isabella's begegnete. War es doch Bruno's Vater, den sie hier vorhatten.
Auch Herzelanden ging der Spaß zu weit. »Ihr spottet hier und macht euch über den Ärmsten in seinem Unglück lustig,« hub sie an. »Ich will es eurer frohen Siegesstimmung zu Gute halten, aber denkt einmal daran, wie traurig es in der nächsten Zeit bei Frau Stephania auf Schloß Rathsamhausen aussehen wird.«
»Unsere Schuld ist es nicht, Herzelande, und der Spott war nicht bös gemeint,« sprach Wilhelm begütigend.
»Na, die Ohren werden ihm wohl auf der Hohkönigsburg geklungen haben,« meinte Schmasman.
Aber Herzelande's Mahnung war bei den Ihrigen doch auf guten Boden gefallen. Sie lenkten das Gespräch auf andere Dinge, bis sie sich zu vorgerückter Stunde trennten, um nach dem schweren Tage, der den Männern Kampf und den Frauen Sorge gebracht hatte, dem sich fühlbar machenden Ruhebedürfniß nachzugeben.
Zur selbigen Stunde, wo die Familie Rappoltstein auf der St. Ulrichsburg bei Tische saß und den erfochtenen Sieg feierte, waren die vornehmsten der Rathsamhausen'schen Bundesgenossen auf der Frankenburg bei Dietrich von Lützelstein versammelt, der sie auf ihrem Rückzuge aus der verlorenen Schlacht zu einem Imbiß nach den Anstrengungen des Kampfes eingeladen hatte.
Die Meisten von ihnen waren Dank ihrer starken Rüstungen ohne jede, ihrer zwei mit einer nur leichten Verwundung davongekommen, aber ihre Stimmung war eine mißmuthige und bedrückte. Ihre Unterhaltung drehte sich um Einzelheiten des Gefechtes, und einige der Herren machten ihrem abwesenden Befehlshaber Burkhard den Vorwurf, daß er nicht ein paar Reiter zum Kundschaften das Leberthal hinauf gesandt hatte, die ihm das Nahen Rappoltsteins von dieser Seite gemeldet und sie dadurch vor dem sie völlig überraschenden, ihre Niederlage herbeiführenden Rückenangriff des Feindes bewahrt hätten. Philipp von Rathsamhausen entschuldigte seinen Bruder damit, daß dieser kurz vor ihrem Aufbruch von einem Späher die Nachricht erhalten hätte, die Thierstein'schen Verbündeten [368] erwarteten den Anmarsch ihrer Gegner erst in vier oder fünf Tagen.
Auch Henning von Landsberg nahm Burkhard in Schutz und meinte: »Hätten wir von dem Anrücken Rappoltsteins durch das Leberthal Kunde gehabt, so hätten wir ihm die Hälfte unserer Macht entgegenschicken müssen und wären dann Thierstein gegenüber zu schwach gewesen. Burkhard hat recht gethan, unsere Kräfte nicht zu theilen.«
Dietrich von Lützelstein schnitt die weiteren Erörterungen darüber ab mit den Worten: »Laßt uns nicht mehr streiten, Freunde, ob hier ein Fehler gemacht ist oder nicht; sagt lieber, was nun geschehen soll.«
Darauf schwiegen sie zunächst, als wären sie rathlos. Dann redeten Alle zugleich laut durcheinander, aber die Antworten fielen, auch dem Sinne nach, sehr verschieden aus.
»Wir scheinen nicht Alle einerlei Meinung zu sein,« sprach Jost von Müllenheim. »Ich schlage vor, daß Einer nach dem Andern die seinige kund giebt. Fange Du damit an, Dietrich; Du hast die Frage aufgeworfen, und es ist allerdings das Gescheiteste, daß wir gleich hier, wo wir noch beisammen sind, darüber Beschluß fassen.«
Die Anderen waren damit einverstanden, und die kleine Gesellschaft verwandelte sich in einen Kriegsrath, dem sie auch weit ähnlicher sah als einem fröhlichen Zecherkreise, denn die Herren waren alle in ihren Harnischen, nur die Helme hatten sie abgenommen.
Dietrich von Lützelstein hub an: »Leicht ist die Entscheidung [369] nicht, aber ehrlich gestanden bin ich mehr zum Frieden geneigt als zur Fortsetzung des Kampfes.«
»Wir können doch die Schmach nicht auf uns sitzen lassen,« fiel Graf Schaffried von Leiningen unwillig ein.
»Nun, eine Schmach ist es wohl nicht, unvermuthet von zwei Seiten angegriffen, der Übermacht unterlegen zu sein,« sagte Eckbrecht von Dürkheim.
»Gewiß nicht!« stimmte ihm Philipp von Rathsamhausen zu, »auch ich bin nicht für Fortsetzung der Fehde.«
»Wenn das Dein Bruder hörte, Philipp!« hielt ihm Leiningen vor.
»Ich wollte, er wäre hier,« erwiederte Philipp. »Zweifellos würde er mir heftig widersprechen, aber gerade zu seinem Heile wäre es, wenn wir ihn zwingen könnten, die verlorene Sache aufzugeben.«
»Sie ist keine verlorene; wir haben nur Unglück im ersten Gefecht gehabt, und die Scharte läßt sich auswetzen,« sprach Henning von Landsberg.
»Mir aus der Seele gesprochen!« rief Leiningen. »Haben wir darum wochenlang gerüstet, unsere Mannen aufgeboten und den armen Zorn von Bulach todt auf dem Schlachtfelde lassen müssen, um nach dem ersten unglücklichen Gefecht klein beizugeben und um Frieden zu betteln? Ihr schweigt, Müllenheim; – was ist Eure Meinung?«
»Frieden machen, nichts Anderes,« sagte Müllenheim mit Nachdruck.
»Wie ist es nur möglich, zu so etwas zu rathen!« [370] brauste Leiningen auf. »Müllenheim, – Ihr! wollt Ihr Burkhard im Stich lassen? Ich trete für ihn ein; er ist und bleibt unser Führer, dem wir die kräftigste Unterstützung schuldig sind, denn er verdient sie um uns.«
»Hört mich an, Graf Schaffried, und ihr Anderen auch,« erwiederte Müllenheim ruhig. »Daß wir die mit so großer Macht vertheidigte Hohkönigsburg nicht stürmen und unsern Freund Burkhard nicht mit Gewalt befreien können, werdet ihr wohl einsehen, oder ist Einer unter euch, der das nicht einsieht?« Sie schwiegen. »Also darin wären wir einig,« fuhr er fort. »Daß unsere Gegner uns auch im Felde überlegen sind, haben wir heute zu unserem Schaden gemerkt. Wie denkt ihr euch nun die Fortsetzung der Fehde? Uns verstärken? noch Bundesgenossen werben, angenommen, daß wir welche finden? Wir haben heute große Verluste erlitten, die nicht so bald zu ersetzen sind.«
»Die da drüben sind auch nicht leer ausgegangen,« warf Henning von Landsberg dazwischen.
»Sicher nicht! wir haben uns tapfer gewehrt. Aber ein geschlagenes Heer ist schwer wieder an den Feind heran zu bringen, und ich fürchte, unsere Leute, wenn sie uns auch, ihrem Lehnseide getreu, Folge leisteten, würden nur widerwillig und unlustig noch einmal in den Kampf gehen und ihre Haut für eine Sache zu Markte tragen, deren Nothwendigkeit und Gerechtigkeit sie nicht verstehen.«
»So muß man ihnen dieses Verständniß klar machen,« sprach Leiningen.
»Könnt Ihr das, Graf Schaffried? ich nicht. Denn nach dem, was ich heut erfahren habe, kann ich unsere Sache nicht mehr für eine gerechte halten.«
»Oho! das ist ja ganz etwas Neues. Auch gegen den Thiersteiner nicht?« riefen Leiningen und Landsberg dem Wortführer zu, und auch Lützelstein schloß sich ihrem Widerspruch an.
»Nein, auch Thierstein gegenüber nicht,« erwiederte Müllenheim. »Was Burkhard, obwohl er genaue Kenntniß davon hatte, uns Allen zu Unrecht verschwiegen hat, das hat mir heute Schmasman offenbart, sein Übereinkommen mit dem Grafen Thierstein, das er in unser Aller Namen mit ihm getroffen hat und das –«
»Wer hat ihm dazu Vollmacht ertheilt?« unterbrach Leiningen den Redner heftig.
– »und das,« fuhr Müllenheim unbeirrt fort, »für beide Theile so zufriedenstellend ausgefallen ist, daß Schmasmans Freunde, die doch ebenso entschiedene Gegner der Thierstein'schen Ansprüche waren wie wir, sich damit vollkommen einverstanden erklärt und sich Schmasmans Bündniß mit Thierstein angeschlossen haben.«
»Schmasman hat sie wohl dazu beredet, weil sich sein Sohn mit Thiersteins Tochter betraut hat,« bemerkte Henning von Landsberg.
»Das ist nicht die Veranlassung zu dem Bunde, sondern eine Folge davon; vorher kam das Bündniß der Väter und danach erst das Verlöbniß ihrer Kinder zu [372] Stande,« entgegnete Müllenheim. »Wollt ihr die vereinbarten Bedingungen hören?«
»Ein andermal,« sprach Dürkheim. »Wir können Schmasman vertrauen, daß er weder sich selbst noch uns dem Thiersteiner gegenüber das Geringste vergeben hat.«
»Das können wir allerdings,« pflichtete Lützelstein dem Vorredner bei. »Aber warum hat uns Burkhard das verschwiegen?«
»Aus Trotz,« rief Müllenheim, »weil er keinen Ausgleich und keinen Frieden wollte und weil er – es muß einmal gesagt werden – weil er die Hohkönigsburg haben wollte.«
»Die Hohkönigsburg? für sich? und wir sollten sie für ihn erobern?« fragten gleichzeitig einige der Herren, höchst betroffen von diesen aufregenden Mittheilungen. Auch die Anderen schüttelten mißbilligend und murrend den Kopf und schwiegen, weil sie das soeben Vernommene mit keinem Worte zu beschönigen wußten.
Müllenheim aber fuhr fort: »Ich hoffe, liebe Herren, ich habe euch Alle überzeugt, daß es das Gerathenste ist, mit unsern Gegnern Frieden zu schließen. Wir können es mit Ehren thun, und sie werden uns dabei auf halbem Wege entgegenkommen. Außerdem ist es das sicherste Mittel, unserem Freunde Burkhard die Freiheit zu verschaffen.«
Als kein Widerspruch dagegen laut wurde, nahm Lützelstein wieder das Wort und sagte: »Du hast Recht, Jost; es bleibt uns nichts Anderes übrig.« Seine Gäste nickten [373] ihm der Reihe nach zu außer Leiningen, der verdrossen dasaß und sich nicht rührte.
»Ich fürchte nur, Burkhard wird sich gegen unsern Beschluß mit aller Gewalt auflehnen, seine Zustimmung verweigern und uns Alle mit einander Abtrünnige schelten,« sagte Landsberg.
»Mag er! fügen muß er sich,« versetzte Müllenheim. »Er allein kann die Fehde nicht weiterführen, und ohne Handfeste giebt ihn Thierstein nicht frei.«
»Wer wird es ihm beibringen?« fragte Dürkheim, »Philipp, Du?«
»Ich? nein! ich richte bei meinem Bruder nichts aus. Das kann nur Müllenheim,« erwiederte Philipp.
»Ich übernehm' es,« erklärte Jost. »Graf Thierstein wird mir eine Unterredung mit seinem Gefangenen nicht verwehren.«
»Ich beneide Euch um diesen Gang nicht, Herr Jost von Müllenheim,« lachte der Dagsburger höhnisch.
»Glaubt Ihr, daß er mir Freude macht, Graf Schaffried? ich trete ihn Euch gern ab, wenn Ihr Lust dazu habt,« entgegnete ihm Müllenheim scharf.
»Auf gute Verrichtung, Jost!« sprach Henning, der einem drohenden Wortstreit zwischen den Beiden durch einen gemeinsamen Trunk vorbeugen und damit zugleich das Zeichen zum Aufbruch geben wollte.
Sie leerten ihre Becher und erhoben sich, mit den Harnischen klirrend und rasselnd, vom Tische, um unten [374] die Rosse zu besteigen und von der Frankenburg abzureiten. –
Burkhard befand sich auf der Hohkönigsburg in einem so bequemen Gewahrsam und genoß einer so vorzüglichen Pflege, wie er sich beides nicht besser wünschen konnte. Pater Eusebius kam täglich, seine Wunde zu behandeln und die Heilung des gebrochenen Schlüsselbeines zu bewirken. Außer diesem aber und seiner Bedienung wollte der langsam Genesende Niemand sehen und hatte sich den ihm zugedachten Besuch des Grafen Oswald entschieden verbeten, man sollte ihn in Ruhe lassen, er wollte allein sein. Mit verbundener Schulter saß er in finsterem Brüten oder schaute sehnsüchtig in das weite Land hinaus, wo die Freiheit winkte und in der Ferne wie ein verführerisch zwinkerndes Auge ein Stück vom Spiegel des Rheines blitzte. Er sah die Wolken am Himmel ziehen und hörte den Wind in den Bäumen rauschen, beständig fürchtend, daß er das nicht lange mehr können, daß man ihn nach Fehderecht bald aus seiner wohnlichen Krankenstube hier in den Thurm werfen und dort elend verkommen lassen würde. Aber die Hoffnung ließ er nicht sinken, daß seine Freunde die größten Anstrengungen zu seiner Befreiung machen würden. Sie würden gewiß nicht still sitzen und müßig bleiben, sondern neue Kräfte sammeln und den Feind wieder und wieder angreifen. Vielleicht glückte es ihnen auch im weiteren Verlauf der Fehde, einen der hervorragendsten Gegner, wo möglich einen Rappoltstein, gefangen zu nehmen, gegen den er [375] dann ausgetauscht werden könnte. Andere Mittel und Wege zu seiner Befreiung als die siegreiche Hilfe seiner Freunde sah er nirgend, denn nun und nimmer würde er sich dazu herbeilassen, sich vor dem Thiersteiner zu demüthigen und wußte daher nicht, wie lange Zeit, wie viele Jahre vielleicht er die Pein der Gefangenschaft zu tragen haben würde, er, der Alles eher ertrug als den Zwang, sich dem Willen eines Anderen fügen zu müssen. –
Nach Verlauf einer Woche wurde ihm der Besuch Schmasmans gemeldet. Aber auch ihn wollte er nicht empfangen. »Nein, nein!« rief er, »ich will ihn nicht, er soll mir nicht vor die Augen kommen.«
Schmasman jedoch, schon dicht vor der nicht ganz geschlossenen Thüre wartend, hörte den unfreundlichen Bescheid und trat auch ohne die ertheilte Erlaubniß mit den Worten ins Zimmer: »Ich lasse mich nicht abweisen, Burkhard. Hier bin ich; hinauswerfen kannst Du mich nicht, mußt hören, was ich Dir zu sagen habe.«
»Was willst Du hier?« fuhr Burkhard auf, »Dich an meinem Unglück weiden? ist ja Dein Werk, Wortbrüchiger, der Du bist!«
»Was ich Dir darauf erwiedern könnte, weißt Du,« entgegnete Schmasman. »Das Mitleid treibt mich her, denn ich meine es gut mit Dir, Burkhard, und verzeihe Dir Alles, was Du mir angethan hast. Also laß uns ruhig und vernünftig mit einander reden.«
»Was sollten wir noch mit einander zu reden haben!«
»Willst Du mir ein paar Fragen beantworten?«
»Das kommt auf die Fragen an.«
»Zunächst gestattest Du wohl, daß ich mich setze,« sagte Schmasman, indem er Burkhard gegenüber, der sich selber nicht von seinem Sitz erhoben hatte, auf einem Stuhle Platz nahm. »Du hast eine Begegnung mit dem Grafen Oswald abgelehnt. Hast Du schon darüber nachgedacht, auf welche Weise Du Deine Freiheit wiedererlangen willst?«
»Wenn ich ausbrechen könnte, thät' ich's; Worte verliere ich darüber nicht.«
»Du hättest doch Oswald nach seinen Bedingungen fragen können.«
»Bedingungen? ich lasse mir von dem Thiersteiner keine Bedingungen stellen,« trotzte Burkhard.
»Er war vor Kurzem bei mir auf der Ulrichsburg; da habe ich gethan, was ich konnte, seine Anfangs sehr hohen Forderungen zu ermäßigen. Es ist mir auch gelungen, und Du mußt nun zufrieden sein mit dem, was ich für Dich erreicht habe.«
»Hast Du den Auftrag, mit mir darüber zu verhandeln?«
»Nein, das nicht.«
»Ich dachte. Thierstein wird ja durch die Heirathsabrede eurer Kinder Dein Herr Bruder. Ich wünsche Dir Glück zu diesem Bruder.«
»Danke!«
»Ihr werdet ja sehen, ihr kurzsichtigen, leichtgläubigen Thoren, was ihr nun erst mit ihm erleben werdet, nachdem [377] ihr ihm in seinem Hochmuth beigestanden und ihn noch darin bestärkt habt. Jetzt wird er euch erst recht den Fuß auf den Nacken setzen, euch seine landvogteiliche Gewalt fühlen lassen und euch ein Recht nach dem anderen über dem Kopfe wegnehmen. Oder fällt bei Deinem geheimen Abkommen mit ihm noch ein ganz besonders werthvolles Privileg für Dich ab, dessen kein Anderer theilhaftig wird?«
»Burkhard!!« – Schmasman sprang auf, und auch Burkhard erhob sich ungestüm. Mit zornfunkelnden Augen maßen sich die Beiden, die in ihrem Leben manchen Strauß zusammen ausgefochten, manchen Ritt Bügel an Bügel gethan und so manchen, manchen Becher Wein an einem Tische mit einander getrunken hatten. Schmasman kämpfte seine Empörung nieder und sprach mit erzwungener Ruhe: »Ich will die schmählichen Worte, die Dir in Deinem Unverstand eben entschlüpft sind, nicht gehört haben, denn ich bin nicht gekommen, um mich mit Dir zu zanken, sondern um Dir zu rathen und zu helfen.«
»Ich habe Dich noch nicht um Rath und Hilfe ersucht und will Dir nichts zu danken haben,« schnob Burkhard.
»So? aber zur Hohkönigsburg sollte ich Dir verhelfen, die Hohkönigsburg wolltest Du mir zu danken haben, wenn ich sie mit Dir, für Dich gestürmt und erobert hätte.«
»Nun, Du hast es nicht gethan, also kann ich mir den Dank sparen.«
»An etwas Anderes aber möchte ich Dich erinnern.«
»An was? wenn's beliebt,« fragte Burkhard mit umwölkter Stirn.
»An unsere alte Freundschaft, Burkhard!«
»Pah! alte Freundschaft!« sprach ihm Burkhard hohnlachend nach. »Die liegt da unten im Weilerthal begraben und steht nicht wieder auf.«
»Ich hoffe doch, Burkhard!«
»Nein! wenn Du gekommen bist, Todtes zu erwecken, – das wäre verlorene Mühe.«
»So laß Dich an die Deinigen erinnern zu Hause, wie sie sich grämen werden.«
»Bei Dir werden sie nicht betteln gehen.«
»Burkhard, um Deine Freiheit handelt es sich.«
»Was kümmert Dich meine Freiheit! gebrauche die Deinige und – geh!«
»Es kostet Dich ein Wort, Burkhard, –«
»Das einzige Wort, das ich Dir zu sagen habe, hast Du eben gehört.« Damit wandte er sich ab und stellte sich, Schmasman den Rücken zukehrend, ans Fenster.
»Du weisest mir die Thüre?« sprach Schmasman. »Nun, – dann lebewohl! und wenn Du mich brauchen kannst, so rufe mich, dann bin ich da. Aber, Burkhard, ungebeten komme ich nicht zum zweiten Male. Lebewohl!«
Burkhard antwortete nicht. –
»Es ist nichts mit ihm anzufangen,« sagte Schmasman unmuthig, als er nach der fruchtlosen Unterredung mit [379] Burkhard wieder in Oswalds Gemach trat. »Er hat mich barsch abgewiesen, sein Trotz ist unbeugsam.«
»Was meint Ihr,« sprach Oswald, »wenn wir seinen Sohn Bruno veranlaßten, herzukommen und ihm im Namen seiner Gemahlin, Frau Stephania, Vorstellungen zu machen.«
»Das schlägt bei Burkhard nicht an,« erwiederte Schmasman. »Der läßt sich durch nichts bewegen, von nichts Anderem lenken und leiten als von seinem eigenen unerschütterlichen Willen. Auf nichts in der Welt nimmt er Rücksicht, nicht auf Bruder und Freund, nicht auf Weib und Kind.«
»Habt Ihr ihm die milden Bedingungen, die Ihr mir für ihn abgerungen, mitgetheilt?«
»Nein, er ließ mich gar nicht damit zu Worte kommen.«
Graf Oswald schüttelte den Kopf und sprach ärgerlich: »Dieser Gefangene ist eine wahre Last für mich.«
»Ihr wäret froh, wenn Ihr seiner erledigt würdet?«
»Ach ja, Schmasman! und ich will mich noch mehr herunterhandeln lassen, um ihn nur loszuwerden. Aber Ihr werdet mir nicht zumuthen, daß ich gegen Den, der mich von hier vertreiben wollte, den Großmüthigen spiele und ihm seine Freilassung bedingungslos anbiete, ihm förmlich aufdringe.«
»Wahrhaftig nicht!« sagte Schmasman. »Laßt ihm Zeit; auf die Dauer hält er den Verlust der Freiheit nicht aus.«
»Ich will sie ihm gern zurückgeben, aber Urfehde muß er schwören.«
»Das versteht sich,« stimmte Schmasman zu, »Gott gebe, daß er zur Vernunft kommt! Auf Wiedersehen, Oswald! Euren Damen meinen ehrerbietigen Gruß!«
Graf Oswald besann sich nicht lange, was er antworten sollte, als ihm einige Tage später die unerwartete Ankunft Josts von Müllenheim gemeldet wurde, der durch Isinger anfragen ließ, ob ihm der Herr Graf eine Besprechung unter vier Augen mit Burkhard verstatten wolle.
»Führe Herrn von Müllenheim zu mir herauf,« befahl er dem Stallmeister.
»Soll ich das Löwenthor hinter ihm schließen lassen?« frug Isinger.
»Nein, ich gewähre dem Ritter freies Geleit ein und aus. Sag' ihm das!« erwiederte der Graf.
Müllenheim hatte sich in seinem Vertrauen zu Oswalds ritterlicher Gesinnung nicht getäuscht, als er sich davor sicher glaubte, daß dieser ihn als noch unbefriedeten Gegner festhalten und einlegen könnte.
Oswald empfing ihn höflich wie einen Gast mit der zuvorkommenden Anrede: »Die Erfüllung Eures Wunsches ist selbstverständlich, Herr von Müllenheim, in der Voraussetzung, daß Ihr mit Herrn von Rathsamhausen nicht neue feindliche Pläne gegen mich schmieden wollt.«
»Keineswegs will ich das, Herr Graf!« versicherte [382] Müllenheim. »Das Gegentheil davon ist die Veranlassung meines Erscheinens hier.«
»Desto angenehmer ist mir Euer Besuch,« sprach Oswald. »Darf ich Euch zu meinem wenig umgänglichen Gefangenen führen? ich werde Euch mit ihm allein lassen.«
Müllenheim verbeugte sich dankend und sagte: »Vorher nur noch ein Wort zur Aufklärung! Wisset, Herr Graf: erst nach dem Gefecht haben wir von Eurem Vergleich mit Maximin von Rappoltstein Kunde erhalten.«
»Graf Maximin hat ihn Euch verschwiegen?« frug Oswald verwundert.
»Nicht Maximin; er hat ihn Burkhard brieflich mitgetheilt. Dieser aber hat ihn uns, seinen Bundesgenossen, verheimlicht.«
»Das ist – verzeiht! eine ganz unverantwortliche Handlungsweise,« konnte Graf Oswald nicht umhin zu bemerken.
»Der Meinung bin auch ich,« stimmte Müllenheim zu. »Alles wäre anders gekommen, wenn wir das gewußt hätten. Aber Burkhard verfolgte seine eigenen Zwecke, die er uns verbarg.«
»Und hofft Ihr ihn bekehren zu können, daß er nun einen anderen Weg einschlägt?«
Müllenheim zuckte die Achseln. »Meine Neuigkeiten werden ihm wenig gefallen.«
»Was Ihr auch mit ihm zu reden haben möget, ich wünsche Euch einen besseren Empfang bei ihm, als sich Schmasman dessen zu rühmen hatte,« sprach Oswald.
»War Schmasman hier?«
»Ja, und Herr Burkhard hat ihm die Thür gewiesen.«
»Die Thür gewiesen? Na, das sollte der Grobsack mal bei mir versuchen!« lachte Müllenheim mit drohender Geberde. In verbindlichem Tone fügte er dann hinzu: »Darf ich nun bitten, Herr Graf?«
Oswald führte den Unerschrockenen bis vor Burkhards Gemach und verabschiedete sich dort von ihm. –
»Sei mir gegrüßt, Burkhard!« sprach Müllenheim, als er eintrat.
»Jost! Gottwillkommen!« rief Burkhard, dem Freunde entgegeneilend und ihm die Hand reichend. »Als wir uns zuletzt sahen, warst Du ein Gefangener wie ich; bist Du es noch? etwa bei den Rappoltsteinern? und haben sie Dir auf Ehrenwort Urlaub gegeben, mich zu besuchen? viel Gunst und Gnade von den hochedlen Herren!«
»Ich bin frei und komme gerades Weges von Girbaden, um Dir zu sagen –«
»Daß die Fehde guten Fortgang nimmt?« unterbrach ihn Burkhard freudig. »Das hör' ich gern.«
»Hast's aber noch nicht gehört und wirst's auch nicht zu hören bekommen,« sagte Müllenheim. »Die Fehde ist aus, Burkhard.«
»Jost! – Die Fehde ist aus? was soll das heißen?« fragte Burkhard, wie durch einen kalten Wassersturz ernüchtert und den Überbringer dieser Hiobspost steif und starr anblickend.
»Wir waren nach dem Gefecht im Weilerthal Alle bei Dietrich von Lützelstein auf der Frankenburg versammelt und haben uns dort nach gründlicher Berathung dahin geeinigt, mit Rappoltstein und Thierstein Frieden zu schließen, weil eine Fortsetzung des Kampfes nicht möglich ist,« erwiederte Müllenheim ernst und bestimmt. »Ich komme nun, um Dich zu bewegen, ebenfalls Deinen Frieden mit ihnen zu machen, damit Du frei wirst.«
»Da hättest Du ruhig zu Hause bleiben können; denn das thu ich nicht,« entgegnete Burkhard hochmüthig. »O ihr Treulosen! ihr – was sag' ich? ihr –«
»Nimm kein Blatt vor den Mund! ich bin etwas gewöhnt von Dir,« sprach Müllenheim gelassen.
»Also zu Kreuze kriechen wollt ihr, euch ducken und demüthigen vor Dem hier, feig und erbärmlich!«
»Jetzt sag' ich: hüte Deine Zunge, Burkhard! feig sind wir nicht,« gab ihm Müllenheim in rasch aufwallender Erregung zur Antwort.
»Feig seid ihr!« schrie Burkhard borstig und schlug derb mit der Faust auf den Tisch, an dem sie beide saßen.
Aber Müllenheim hieb noch fester auf und schrie noch lauter: »Sind wir nicht! Du hast falsches Spiel mit uns getrieben –«
Burkhard wollte wüthend auffahren.
»– hast falsches Spiel mit uns getrieben,« wiederholte Müllenheim zornsprühend, »hast uns hinterlistig verhohlen, welchen vernünftigen und guten Vergleich [385] Schmasman mit dem Thiersteiner abgeschlossen hat, obwohl Du es wußtest, denn Schmasman hat es Dir geschrieben. Selbst mir hast Du diese wichtige Nachricht vorenthalten, als ich noch vor Beginn der Fehde bei Dir war. Ist das freundschaftlich, ist das ehrlich gehandelt? nein! tausendmal nein!«
»Ich habe Schmasmans Brief in meinem Ärger gleich nach dem Lesen verbrannt, weiß gar nicht mehr recht, was darin gestanden hat,« erwiederte Burkhard verlegen.
»O so etwas vergißt man nicht, und Du hattest bisher kein so durchlässiges Gedächtniß,« höhnte Müllenheim. »Meinst Du, wir wüßten nicht, warum Du es uns Allen verheimlicht hast? Weil Du uns mißbrauchen wolltest für Deinen ehrgeizigen Plan. Wir sollten uns für Dich an der Schildmauer der Hohkönigsburg die Schädel einrennen, damit Du über uns hinweg hier einziehen könntest als siegreicher Feldherr und Eroberer.«
»Du hast meinen Plan gekannt und gebilligt.«
»Gebilligt? niemals! gewarnt hab' ich Dich, und nie wäre es zu dieser Fehde gekommen, wenn Du uns reinen Wein eingeschenkt hättest statt uns so schmählich zu hintergehen. Du hattest, was Du mir ebenfalls verschwiegen hast, Schmasman versichert und gelobt, keine Sonderabsichten auf die Hohkönigsburg zu haben und hattest sie doch damals schon. Wie nennst Du das? ich habe nur ein Wort dafür, – willst Du es hören?«
»Sollte Thiersteins Beleidigung gegen mich ungerächt [386] bleiben?« erwiederte Burkhard ausweichend, weil er das Wort doch lieber nicht hören wollte.
»Steigt ihr Zwei doch auf die Gäule, legt die Lanzen auf einander ein und zerschrotet euch mit den Klingen Helm und Harnisch,« rief Müllenheim. »Ich will mit Vergnügen zusehen, wenn es zwischen euch splittert und kracht.«
Burkhard stand auf und durchmaß das geräumige Zimmer kreuz und quer mit unruhigen, hastigen Schritten. Er wußte gegen Müllenheims ihm schonungslos ins Gesicht geschleuderte Vorwürfe nichts Stichhaltiges zu seiner Entschuldigung vorzubringen und würgte an den bitteren Pillen zum Ersticken.
Als er minutenlang geschwiegen hatte, fing Müllenheim wieder an: »Ich frage Dich, Burkhard, was soll aus Dir werden? Willst Du in Deinem überspannten Trotz hier verschimmeln und verfaulen statt Dir die Freiheit mit einem billigen Nachgeben zu erkaufen? Deinem alten Waffenbruder Schmasman hast Du schnöde die Thür gewiesen, die er Dir durch seine Vermittelung öffnen wollte. Wir Anderen rühren keine Hand und zäumen kein Roß mehr Deinetwegen, der Du in Deiner heillosen Verblendung und Verstocktheit dickköpfig beharrst, taub für Freundesrath und Vernunftgründe. Du bist in Thiersteins Gewalt; ich an seiner Stelle ließe Dich nicht in diesem behaglichen Gastgemach, sondern würfe Dich in das dunkelste Loch und machte Dich mit Hunger und Durst [387] kirre, bis Du das Knie vor mir bögest und um Gnade flehtest.«
»Das thätest Du! aber Gott sei Dank weiß ich mich hier in ritterlicheren Händen als in den Deinigen,« brauste Burkhard grimmig auf.
»Ah! in ritterlichen Händen! also zu der Einsicht bist Du doch schon gekommen, daß Du hier in der Gewalt eines ritterlichen Mannes bist. Das wäre ja ein sehr erfreulicher Fortschritt Deiner mangelhaften Erkenntniß.«
»Man kann sich in seinen Feinden wie in seinen sogenannten Freunden irren,« gab ihm Burkhard bissig zum Bescheid. »Du überschüttest mich mit kränkenden Worten, willst aber keine Hand für mich rühren und läßt mich elend im Stiche.«
»Tod und Teufel! was soll ich denn machen?« wetterte Müllenheim. »Es ist doch Deine Schuld, daß Du hier festsitzest. Kann ich Dich aus dem Fenster auf meinem Rücken durch die Luft tragen? Du bist ein verlorener Mensch und kommst im Leben nicht wieder los, wenn Du nicht das Wörtlein Frieden über die Lippen bringst.«
»Eh ich das thue, will ich verrecken!« schrie Burkhard, die Fäuste ballend und nach seiner Gewohnheit mit dem Fuß auf den Boden stampfend.
»Nun, dann bin ich fertig mit Dir und gebe Dich auf,« sprach Müllenheim und erhob sich. »Ich wünsche Dir eine dauerhafte Geduld. Sollte jedoch dieser bei Dir ohnehin sehr schwache Faden einmal reißen und Dich die Laune anwandeln, Dich frei zu machen, so weißt Du, wo [388] Du mich zu suchen hast. Auf Schloß Girbaden sehen wir uns wieder, sonst nie und nirgend mehr.«
Damit schritt er, ohne dem Zurückbleibenden die Hand zu reichen, zur Thür hinaus, die er dröhnend hinter sich zuwarf. –
»Von den Einen bestürmt, von den Anderen verlassen!« sprach Burkhard, als er wieder allein war. »Meinen Stolz soll ich verleugnen, meine Schuld soll ich bekennen. Worin besteht denn meine Schuld? eine Beleidigung rächen, meinen Nacken nicht unter das Joch beugen zu wollen, ist das ein Verbrechen, das ich zu büßen hätte? Die Hohkönigsburg! – wenn wir sie im Kampfe bezwungen hätten, warum sollte dann ich sie mir nicht nehmen eher als ein Anderer? Wir Rathsamhausen sind die Ältesten im Wasgau, mir käme sie zu. Nun wird sie niemals mein werden. Daß ich den Genossen verschwiegen habe, was ich wußte, das ist das Recht eines Jeden, der als Feldoberster allein zu gebieten und zu entscheiden hat. Und ich war der Führer der Anderen, die sich mir gesellt, sich mir untergeben hatten; ich hatte für sie zu denken, für sie zu handeln und brauchte sie in meine Maßnahmen und Pläne nicht einzuweihen. Erkaufen und erbetteln soll ich mir die Freiheit, sie wie ein Gnadengeschenk aus der Hand des Übermüthigen hinnehmen und mich auch noch dafür bedanken. Nichts in der Welt kann mich dazu bewegen, wenn es das Eine nicht thut, das Furchtbare, Grausige. Das hält mich umstrickt und läßt mich nicht los und raubt mir den Schlaf, immer und [389] immer umschwebt es mich.« Stöhnend warf er sich in einen Sessel und verhüllte das Gesicht, als könnte er sich so vor dem Anblick von etwas Schrecklichem schützen.
In der nächsten Nacht schlief er fast gar nicht. Er hatte gegen Abend von seiner Gemahlin einen Brief erhalten, worin ihn Frau Stephania mit den innigsten Worten und Vorstellungen anflehte, doch nachzugeben und Frieden zu schließen, damit er frei würde und wieder zu ihr käme. Sie verginge in Ängsten um ihn; auch Bruno und die in der Lützelburg sorgten sich seinetwegen, selbst das Burggesinde, vom Ersten bis zum Letzten, früge in treuer Anhänglichkeit fast täglich, wie es mit ihm stünde, wann er denn zurückkehrte.
»Auch das noch!« seufzte Burkhard, als er den Brief gelesen hatte. »Armes Weib! sie jammert mich. Unter heißen Thränen hat sie das geschrieben, da sind die Tropfen. Und ich kann nicht, ich kann nicht! ich bringe es nicht über mich, den einzigen Schritt zu thun, der mir die Freiheit wiedergiebt, die Freiheit, nach der ich mich sehne, nach der mein Herz dürstet und schreit wie der Hirsch im Walde.«
So blieb denn Alles beim Alten, und Schmasman hatte Recht, als er zu Oswald gesagt hatte: »Nicht Freund, nicht Bruder, nicht Weib und Kind können den Trotz dieses Unbeugsamen brechen.« –
Pater Eusebius kam jetzt nur noch jeden dritten Tag. Heute war der zweite nach seinem letzten Besuch, morgen also mußte er wieder kommen.
Er erschien auch zur gewohnten Zeit, prüfte die verharschende Wunde nur flüchtig und sagte dann: »Herr von Rathsamhausen, ich brauche nun nicht mehr zu kommen, denn ich kann Euch nichts mehr nützen. Eure völlige Heilung wird die allgütige Mutter Natur besorgen auch ohne meine jetzt überflüssige Hilfe. Nur Schonung ist noch nöthig, die ich Euch dringend empfehle.«
»So nehmet meinen Dank, ehrwürdiger Pater,« sprach Burkhard, »nur den aufrichtigen, mündlichen Dank eines armen Gefangenen, der nichts hat als Worte. Ihr habt mich sorglich gepflegt, und ich will es Eurem Kloster entgelten, sobald ich frei werde, oder auch schon früher durch die Meinigen daheim.«
Aber Eusebius ging noch nicht, und Burkhard merkte ihm an, daß er noch etwas auf dem Herzen hatte. »Herr von Rathsamhausen,« begann er in seiner sanften Weise, »ehe ich von Euch scheide, habe ich Euch noch etwas zu sagen, etwas, womit ich Euch, so lange Ihr zu leiden hattet, nicht beschweren wollte. Ich bin nicht bloß Arzt, ich bin auch ein Diener der heiligen Kirche, des Glaubens und der christlichen Liebe. Ich bitt' Euch, höret mich ruhig an, edler Herr,« fuhr er fort, als Burkhard bei dieser Einleitung die Stirne krauste. »Ich will hier nicht als Euer Beichtiger auftreten, der ich nicht bin, will nicht rechten mit Euch, nicht mit Strafen des Himmels und der Hölle drohen. Denket, ein alter Freund spräche zu Euch, dem Eurer Seele Heil am Herzen liegt. Macht Frieden, Herr! Frieden mit Euch, mein' ich, gebt Euch [391] selber den Frieden zurück, den Ihr – ich weiß es – schwer entbehrt. Ich frage nicht nach Eurem Streite mit anderen ritterlichen Herren, alles Weltliche liegt mir fern. Ist Euch Unrecht geschehen, so suchet Euer Recht auf gütlichen Wegen, und könnt Ihr es nicht finden, so laßt Den da oben richten und schlichten.«
»Ihr meint es gut, Eusebius,« erwiederte Burkhard, »aber sparet die Mühe, Ihr könnt mir auch hierbei nicht nützen und helfen. Nicht das Kreuz, nur das Schwert kann mich erlösen und mir den Weg in die Freiheit bahnen.«
Der Alte schüttelte langsam das geschorene Haupt und den wallenden Bart. »Weiset mich nicht ab, lieber Herr!« hub er von Neuem an. »Ich möchte Euch den Stachel aus der Brust ziehen und alle Feindschaft, die Ihr dort heget, mit der Wurzel ausreuten. Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, hat ein weiser, ein göttlicher Mund gesprochen, und Der uns diese Lehre hinterlassen, hat sie mit seinem Blute besiegelt. Thut nach seinem Gebote, Herr, eh es zu spät ist, damit Ihr es in Eurem letzten Stündlein nicht zu bereuen habet, damit Eure Seele nicht schuldbeladen von hinnen scheidet und Ihr nicht unversöhnt mit Euren Widersachern hinüber fahret ins Jenseits, wo man nichts weiß von Kampf und Zwietracht, wo ein ewiger, seliger Friede waltet. Wer aber hier nicht Frieden hält und Frieden stiftet, der findet auch da drüben keinen, und die Ewigkeit ist lang, ach! endlos lang. Bedenket, [392] Herr, jeden Tag könnt Ihr abberufen werden aus diesem Erdenleben, und Eure Rechnung hienieden muß beglichen, Euer Gewissen muß rein sein, wenn der Tod kommt und Euch seine kühle Hand aufs Herz legt, daß es still steht und aufhört zu schlagen, zu hoffen, zu fürchten und zu hassen. Macht Euch den Abschied vom Irdischen einmal leicht, Herr! ich sage Euch, ein unbußfertiger Tod ist ein schrecklicher Tod; graut Euch davor nicht? Und dann, – was soll werden mit Euch, wenn dereinst die Posaunen erschallen und die Todten auferstehen zum jüngsten Gericht?«
»Mach' ein Ende, Mönch!« rief Burkhard angstvoll aus, »Du marterst mich mit Deinen Litaneien, und ich will noch nicht sterben.«
»Ich gehe, Herr,« sprach Eusebius. »Der allmächtige Gott erleuchte Euren Sinn und lenke Euer Herz, er sei Euch gnädig in Zeit und Ewigkeit!« Und nach dem Zeichen des Segens verließ er den Zerknirschten.
Burkhard saß, den Arm auf den Tisch gestützt und die Stirn in die Hand gelegt. »Liebet eure Feinde!« murmelte er, »unser Heiland hat es gesagt, aber noch hab' ich Keinen gekannt, der das vermocht hätte. Wie soll ich es anfangen, der sein Leben lang auf einen Schlag immer zwei zurückgegeben hat? Ich kann für meine Feinde nicht flehen: Herr vergieb ihnen! weil ich ihnen selber nicht vergebe und auch von ihnen keine Vergebung verlange. Wenn der Tod kommt, – ja, der läßt sich nicht die Thüre weisen, der packt und schüttelt die Armesünderseele [393] mit seinen Schauern und Schrecken, daß sie zittert und bebt. Sollte das Scheiden leichter sein, wenn man mit aller Welt in Frieden dahingeht? Wer giebt mir Antwort darauf? Ich habe dem Tode oft genug ins Auge gesehen, draußen im Feld, hab' ihn nie gefürchtet, bin ihm hoch zu Rosse, das Schwert in der Faust, entgegengestürmt im fröhlichen Reitergefecht. Aber im Bette, wenn man machtlos liegt wie gefesselt und fühlt, daß er kommt, daß er jeden Tag, jede Stunde einen Schritt näher heranschleicht, Einen abzuholen ins Dunkle, Unbekannte, in ein unverbürgtes Jenseits, von dem kein Mensch weiß, was seiner dort wartet, – davor hab' ich Angst, Angst wie das Kind vor der Ruthe. Wenn ich mir die von der Seele herunterbeten, mich von ihr loshandeln könnte, kein Preis wäre mir zu hoch dafür.«
Immer einsamer ward es um den Gefangenen. Seine Freunde Jost und Schmasman, die er hart vor den Kopf gestoßen hatte, kamen nicht wieder. Der gute Pater Eusebius, der sich stets eine Weile freundlich mit ihm unterhalten hatte, blieb von jetzt an auch weg. Nun sah er Niemand mehr außer dem Thierstein'schen Burgmann, der ihn bediente. Tag und Nacht war er allein in den geschlossenen vier Wänden, allein mit dem bohrenden Groll über sein Schicksal, der nagenden Sorge um seine Zukunft und der brennenden Sehnsucht nach der Freiheit. Diese Drei sogen an seinem Lebensmark wie eine zehrende Krankheit und brachten den an rastlose Bewegung und unbeschränkte Bethätigung seiner Kraft und seiner leidenschaftlichen [394] Gemüthsart Gewöhnten, nun aber zum trost- und hoffnungslosen Ausharren Verdammten an den Rand der Verzweiflung. Legte er sich Abends zur Ruhe nieder, so fand er sie doch nicht. Die Augen konnte er wohl schließen, aber die Gedanken aus seinem zerwühlten Gehirn nicht aussperren. Immer klangen ihm die mahnenden Worte des Paters Eusebius vom letzten Stündlein und vom jüngsten Gericht in den Ohren. Kein Anderer hatte ihm so ans Herz gegriffen wie dieser frommgläubige Mönch.
Um die Morgendämmerung erwachte Burkhard aus einem kurzen Schlummer, athemkeuchend, schweißgebadet. Ihm hatte von der weißen Frau geträumt, die auf Schloß Rathsamhausen ihr gespenstisches, Unglück voraussagendes Wesen trieb. Es ward ihm bald klar bewußt, daß es nur ein Traum gewesen war, nichts weiter; aber er nahm, was er im Schlafe gesehen, für eine Botschaft aus der anderen Welt, für eine Ankündigung des Besuches jener unheimlichen Nachtwandlerin, deren Erscheinen unfehlbar seinen nahen Tod bedeuten würde.
Ihm grauste. Mit bebenden Lippen flüsterte er: »Sie kommt, und nun zum dritten Male. Ihrem Willen soll ich gehorchen, nicht dem meinigen, und ich weiß, was sie von mir verlangt. Zweimal habe ich mich ihrem Befehle widersetzt, das dritte Mal wär' es umsonst, dagegen giebt es keinen Einspruch mehr.«
Doch lag er noch eine Zeit lang in unstetem Schwanken zwischen Widerstand und Ergebung. Endlich aber, entschlossen, zu thun, was er bis heute für unmöglich gehalten hatte, erhob er sich, kleidete sich an und konnte kaum abwarten, daß sein Wärter kam, ihm das Frühmahl [396] zu bringen, obschon ihn wahrlich nicht nach Speis' und Trank gelüstete.
Dem aufmerksamen Diener fiel sogleich bei seinem Eintritt das verstörte, fieberhafte Aussehen des im Zimmer unruhvoll Umherirrenden auf, und er fragte: »Was fehlt Euch, Herr? seid Ihr krank? habt Ihr eine schlechte Nacht gehabt?«
Burkhard schüttelte und gebot ihm: »Geh zu Deinem Herrn, Drotmund, und sag' ihm, ich ließe ihn inständig bitten, einen reitenden Boten zum Grafen Maximin von Rappoltstein zu schicken mit dem Ersuchen an ihn, heute noch zu mir herauf zu kommen.«
»Nun ist's entschieden,« sprach er, als der Diener hinaus war. »Wäre nur erst Alles überstanden! dies ist der schwerste Tag meines Lebens. Als ein Gedemüthigter werde ich von der Hohkönigsburg abziehen, auf der ich zu herrschen gedachte. Wär' ich nur erst aus ihren Mauern heraus! nie sollen sie mich wiedersehen. Was wird Schmasman sagen? wird er nicht spotten und lachen über mich? mir ins Gesicht wohl nicht, aber hinter meinem Rücken. Und wie protzig wird sich der Thiersteiner gehaben, wenn er mich in Gnaden entläßt! Auch das muß ich tragen, – o Freiheit, du wirst theuer bezahlt!«
Ohne Verzug geschah, was der Gefangene so dringlich erbeten, und als der entsandte Knecht seinen Auftrag auf der St. Ulrichsburg ausgerichtet hatte, erklärte sich Schmasman auf der Stelle bereit, Burkhards Wunsch zu erfüllen. Er ließ satteln und ritt eilig ab.
Was war vorgefallen, daß Burkhard seiner begehrte, seiner bedurfte und ihn, den er in so verletzender Weise seiner Wege zu gehen geheißen hatte, jetzt selber zu sich rufen ließ? Es mußte etwas Außerordentliches, Wichtiges sein, was den Halsstarrigen zu diesem ihm gewiß nicht leicht gewordenen Schritte getrieben hatte. Ein Zwist mit Oswald, in welchem er den Schiedsrichter machen sollte? oder – Schmasman wagte kaum, es zu hoffen – ein plötzlicher Umschlag seines Willens, weil er des Eingesperrtseins überdrüssig und von einem nicht mehr zu bändigenden Freiheitsdrange bewältigt war? Von einem Beweggrund auf den andern rathend ritt Schmasman zur Hohkönigsburg hinauf, wo er im Laufe des Vormittages eintraf.
Nach einer kurzen Zwiesprach mit dem Grafen Oswald, der ihm zwar keine Auskunft über Burkhards Verlangen ertheilen konnte, ihn jedoch unter der einen, ihm bekannten Bedingung zu jedem Abkommen mit diesem bevollmächtigte, begab er sich zu dem, der seiner harrte.
Burkhard empfing ihn in einer Erregung, die er vergeblich zu bemeistern suchte. Er ging ihm entgegen, bot ihm die Hand und sagte: »Sei mir willkommen, Schmasman, und habe Dank! Du findest heut einen Andern hier, als der war, der sich vor Wochen im Zorne von Dir abwandte. Verzeihe mir die bösen Worte, die ich Dir zu hören gab, sie thun mir jetzt bitter leid.« Nur ein noch festerer Handdruck war Schmasmans Antwort darauf. »Du hattest mir versprochen, wiederzukommen, [398] wenn ich Dich riefe, und wirst Dir wohl denken können, warum ich Dich heute zu mir bitten ließ.«
Schmasman blickte den vor ihm Stehenden forschend an und sagte dann: »Du willst frei werden, Burkhard, nicht wahr?«
»Ja, Schmasman, ich will frei werden, mag es kosten, was es will!« klang es fest und bestimmt wie ein unwiderruflicher Spruch aus Burkhards Innerstem heraus. »Ich werde irrsinnig im Käfig; lieber todt in der Gruft als lebendig in der Gefangenschaft.«
»Ich wußt' es wohl, mein armer Freund, daß Du es auf die Dauer nicht aushalten würdest,« erwiederte Schmasman, selber ergriffen von dem Ton, in dem der Andere sprach. »Nur die Freiheit ist das Element, worin Du athmen kannst.«
Burkhard nickte: »Setze Dich und höre mich an! ich habe Dir viel zu sagen.«
Als sich beide gegenüber saßen, ward es Burkhard schwer, den Anfang zu machen. Es schien ein Druck auf ihm zu liegen, der ihm die Brust beengte, und aus seinem Blicke sprach eine gewisse Scheu, als zögerte er mit einem geheimnißvollen Geständniß, das er sich erst von der Seele losringen müßte. Endlich begann er, noch immer mit seiner tiefen Erregung kämpfend: »Jost von Müllenheim war bei mir und hat mir gesagt, daß die Fehde aus ist, weil meine Verbündeten nicht mehr gegen euch kämpfen wollen. Damit ist mir, von Allen verlassen, jede Hoffnung genommen, auf andere Weise frei zu werden, als [399] – als wenn ich mich unterwerfe. So unsagbar schwer es mir auch wird, bin ich doch entschlossen dazu, weil ich muß, denn ich thue es nicht freiwillig. Ich würde meinen Stolz bis zum letzten Athemzuge bewahren und lieber als Besiegter mit Ehren zu Grunde gehen als, vom Tode gezeichnet wie ein Baum im Forste von der Axt des Fällers, um Gnade bitten. Aber etwas Furchtbares, schauerlich Ahnungsvolles drückt mich zu Boden. Nicht ihr, Schmasman, habt mich im Kampf überwunden und bezwungen, das haben dunkle Mächte gethan, gegen die ein Sterblicher nicht aufkommt. Vergeblich haben sie mich gewarnt, vergeblich habe ich ihnen getrotzt, sie blieben die stärkeren und haben meine Kraft gebrochen. Noch keinem Menschen hab' ich es gesagt, Du allein sollst es wissen. – Schmasman, mir ist in Rathsamhausen die weiße Frau erschienen.«
Schmasman fuhr bei dem zuletzt Vernommenen unwillkürlich auf seinem Stuhle zusammen, unterbrach den Mittheilsamen aber mit keinem Worte, und Burkhard sprach weiter: »In zwei Nächten ist sie zu mir gekommen; kein Traum war es, kein Blendwerk, keine Einbildung; ich lag wach und war klar bei Sinnen. Deutlich hab ich sie beim Dämmerlicht des Mondes im Zimmer aus dem Dunkel hervorkommen sehen. In langem, weißem Gewande, mit marmorbleichem Gesicht und aufgelöstem Haar schwebte sie lautlos, als berührten ihre Füße den Boden nicht, auf mich zu, blieb vor meinem Bette stehen, und mich mit ihren weit geöffneten Todtenaugen starr anblickend erhob [400] sie drohend die Rechte gegen mich, bewegte wie verneinend das Haupt und glitt dann langsam wieder in den Schatten zurück, aus dem sie gekommen war. Sprechen, sie anrufen konnte ich nicht, mir war die Zunge wie gelähmt, und ich rührte mich nicht. Das geschah in der Nacht vor dem Tage, da ich meinen Brief an Dich abschickte. Wohl war ich erschrocken, wohl schwankte ich am Morgen, was ich thun oder lassen sollte, aber mein Grimm und – ich gesteh's – meine Gier waren zu groß und gewannen die Oberhand über das Grauen. Ich schlug die mitternächtige Warnung in den Wind und sandte den Boten mit dem Brief an Dich ab.«
Hier machte Burkhard eine Pause, als müßte er Athem schöpfen, und fuhr dann fort: »Zum zweiten Male kam sie in der Nacht vor dem Ausrücken zum Kampfe. Diesmal erschien mir die Gestalt größer, ihr Arm höher gereckt, ihr Blick drohender, sonst war ihr Nahen und Verschwinden genau so wie beim ersten Male. Du kannst Dir wohl denken, Schmasman, daß mich dieser zweite Besuch noch mehr erschütterte als der erste. Allein was sollte ich thun? Die Befehle zum Aufbruch waren ertheilt und Alles bereit. Ich schämte mich vor meinen Bundesgenossen, Alles wieder rückgängig zu machen und damit Furcht und Feigheit zu verrathen, die mir sehr fern lagen, zumal das erste Erscheinen der Grabentstiegenen kein Unglück im Gefolge gehabt hatte. So achtete ich denn auch dieser zweiten Warnung nicht und zog mit unseren gewaffneten Schaaren aus. Aber da ereilte mich [401] das Unheil nun doch, Du weißt ja wie. Und seit ich hier oben gefangen sitze, werde ich die Erinnerung an die beiden Schreckensnächte nicht aus den Gedanken los. Ich habe mit zähem Muth und mannhafter Beherztheit dagegen angekämpft, aber vergeblich; eine innere Stimme flüstert mir beständig zu: hüte dich vor dem dritten Kommen der weißen Frau! sie wird dich suchen, dich bis hierher verfolgen und dich auch hier zu finden wissen; erscheint sie dir zum dritten Male, so bringt sie dir unrettbar Tod und Verderben. Und diese Nacht, Schmasman, diese Nacht hab' ich sie im Traume gesehen, nicht wirklich wie in Rathsamhausen, sondern nur als ein Traumbild. Ich weiß es genau, daß es nur ein Traum war, aber er ist mir ein Wink von oben, daß sie bald selber auch zum dritten Male kommen wird, und dann – dann ist's um mich geschehn. Denk an den doppelten, tödtlichen Pfeilschuß der zwei Brüder Rathsamhausen, denen sie unmittelbar vorher drei Nächte hinter einander erschienen war. So bin ich ihrem Bann verfallen, mit meiner Kraft am Rande und zu keinem Widerstande mehr fähig. Macht mit mir, was ihr wollt, ich bin zu Allem bereit.«
Er schwieg, lehnte sich erschöpft in seinen Stuhl zurück und trocknete sich die perlende Stirn.
Schmasman erhob sich und sprach, seine Hand auf des alten Freundes Schulter legend: »Dein Schicksal ist es, Burkhard, das Dich mit Geisterhauch und Grausen wach rüttelt, damit Du seinen Willen thust, ehe es Dich [402] nach seinen unwandelbaren Gesetzen verderben und vernichten muß. Ich lobe Deinen Entschluß, nachzugeben, denn er ist Deine einzige Rettung. Heute hat mir Graf Oswald Vollmacht ertheilt, in seinem Namen mit Dir Frieden zu schließen, wenn Du die einzige Bedingung erfüllst, die er Dir auferlegt.«
Burkhard stand auf und fragte: »Was verlangt Graf Thierstein?«
»Daß Du ihm Urfehde schwörst, weiter nichts. Willst Du das thun?«
Burkhard zuckte, und seine Brust arbeitete heftig. Noch einmal bäumte der alte Trotz sich widerspenstig auf, und die Zunge sträubte sich, das bindende Wort auszusprechen. Dann aber kam es ihm kurz und bündig von den Lippen: »Ja, ich will es thun.«
Schmasman reichte ihm die Hand und sprach: »Nun wird die weiße Frau nicht wiederkommen, Burkhard.«
Burkhard aber seufzte: »Jetzt erst, Schmasman, bin ich überwunden und besiegt. Bis zu diesem Augenblicke war ich es nicht.«
»Und von diesem Augenblick an bist Du frei.«
»Gehe hin zum Grafen Oswald und sage ihm, daß ich den Schwur leisten will.«
»Noch nicht,« erwiederte Schmasman. »Erst noch eine Frage, und gieb mir ehrlich Antwort darauf! Sind wir beide wieder Freunde, wie wir es waren?«
»Wir sind's und wollen's bleiben, Schmasman, komm her!« Er öffnete die Arme, so weit er es mit dem einen, [403] noch ungelenken, konnte, und sie drückten, beide tief bewegt, einander an die Brust.
»Jetzt geh' ich,« sagte Schmasman, »und hole Dir die Freiheit.«
Burkhard war allein und stand am Fenster. Sinnend schaute er hinab auf Berg und Thal, auf Wald und Flur. Dann reckte und streckte er sich wie ein aus langem, erquickendem Schlummer Erwachender, mit neuer Kraft Gestärkter und sprach tief aufathmend zu sich selber: »Frei! frei! aber es brauchte einen starken Ruck, diese Fesseln abzuschütteln.«
Bald kehrte Schmasman zurück, und Oswald kam mit ihm. Ein Zittern ging durch Burkhards Körper, als er den Grafen erblickte.
»Herr von Rathsamhausen,« begann Oswald, »Graf Maximin hat mir eine erfreuliche Botschaft gebracht –«
»Laßt es uns kurz machen, Herr Graf!« unterbrach ihn Burkhard ungeduldig, »ich weiß, was Ihr fordert, und gehe den Pakt ein. Hier stehe ich vor Euch und schwöre bei Gott dem Allwissenden ewige Urfehde. Ich gelobe, Euch niemals wieder anzufeinden, mich niemals an Euch zu rächen, mit Euch Frieden zu halten bis an meines Lebens Ende.«
Oswald erwiederte: »Mit diesem Handschlag nehme ich den Frieden an, den Ihr mir bietet, und auch ich will ihn treulich halten. Ich will vergessen, was Ihr gegen mich im Schilde führtet, als hätt' ich nie davon gewußt. Ihr habt es gebüßt, und mit dem Blute, das Ihr vergossen, ist es gesühnt und ausgelöscht. Herr Burkhard [404] von Rathsamhausen, Ihr seid frei. Ziehet mit Gott, wohin es Euch beliebt. Aber,« fügte er hinzu, Burkhards Rechte auch mit seiner anderen Hand umfassend, »wie ich hier Eure Hand mit meinen Händen umspanne, so möchte ich auch Euch selber noch halten. Gewährt mir eine Bitte! Bleibt noch zwei Tage mein Gast, laßt Eure Gemahlin und Euren Sohn kommen und Ihr, Schmasman, alle die Eurigen, auf daß wir den Frieden hier in Gegenwart der uns liebsten Zeugen mit einem festlichen Trunke besiegeln.«
Burkhard, der Oswalds Worte von dem Vergessenwollen mit finsterer Miene angehört hatte, schaute bei dem Schlusse der Rede betroffen auf, als traute er seinen Ohren nicht. Statt hochmüthiger Herablassung kam ihm aus dem Munde des Grafen ein freundlicher Antrag entgegen, der ihn aufs Höchste überraschte, fast verwirrte. Oswalds Gast sollte er sein, bei seinem bis vor Kurzem noch bitter gehaßten Gegner mit den Seinigen und den Rappoltsteinern fröhlich tafeln und bechern. Wie ein Fest wollte der Graf seine Erlösung feiern. In diesen plötzlichen Wechsel seiner Lage konnte er sich so schnell nicht finden. Er stand wie bestürzt, dachte nach und schüttelte leise das Haupt. »Das ist zuviel verlangt, – das kann ich nicht,« sprach er halblaut.
»Warum nicht, Burkhard? bleibe hier!« redete ihm Schmasman zu. »Auch wir ertränken dann den Drachen der Zwietracht, der den Weg von Rathsamhausen nach Rappoltstein versperrte.«
Burkhard schwankte noch immer, und es ward ihm sehr schwer, sich zu entschließen. Aber Oswalds versöhnliche Ansprache war ihm doch zu Herzen gedrungen und hatte dort mit ihrem warmen, zutraulichen Ton einen lebendigen Widerhall erweckt. Die großen Aufregungen der letzten Tage und Nächte, die wie Stürme über ihn dahingebraust waren, hatten ein Wunder an ihm gethan und eine entschiedene Wandlung seines Sinnes bewirkt. Nun reichte er dem Thiersteiner wieder die Hand, die er ihm schon entzogen hatte, und sagte mit einer nicht zu verbergenden inneren Bewegung: »Es geschehe nach Eurem Wunsch und Willen, Herr Graf! Ihr habt mich in wahrhaft ritterlicher Haft gehalten, werdet es mir aber nachfühlen, daß ich glücklich bin, frei zu werden, und in meiner Freude darüber gelingt es mir auch vielleicht, an Eurem Tische mit den Frohen froh zu sein. Schickt hin nach Ottrott und laßt sie kommen.«
»Das war wohlgesprochen, Herr Burkhard!« erwiederte Oswald, »Herni soll reiten, daß die Funken stieben. Morgen Mittag müssen sie hier sein.«
»Von den Meinigen soll keiner fehlen, ich bringe sie alle mit,« rief Schmasman in Freuden.
»Und nun kommt zu meiner Frau!« sprach Oswald, nahm Burkhards Arm und führte selber seinen Gefangenen hinaus in die Freiheit.
Das Wiedersehen Burkhards mit Denen, die sich heute zum Friedensmahl auf der Hohkönigsburg versammelten, hatte anfänglich etwas Bedrückendes für ihn. Waren sie doch Alle, mit Ausnahme von Gattin und Sohn, seine Gegner gewesen und wußten, daß er dem Grafen Oswald hatte Urfehde schwören müssen. Er schämte sich seiner Demüthigung, wie er bei sich selber sein Nachgeben nannte, das doch nach fehderechtlicher Auffassung durchaus nichts Ehrenrühriges hatte. Daher waren Alle bestrebt, ihm über seine Befangenheit möglichst schnell hinwegzuhelfen, am meisten Graf Oswald, der in seiner Freude, ihn los zu werden und fortan Ruh und Frieden vor ihm zu haben, all seine Liebenswürdigkeit und ritterliche Gastfreundschaft aufbot, ihn in eine behagliche Stimmung zu versetzen.
Stephania umfing ihren Gemahl mit gerührter Zärtlichkeit, seelensfroh, ihn frei und genesen wiederzuhaben, hoffentlich auch geheilt von der ehrgeizigen Eroberungssucht, die ihm Feinde auf den Hals gezogen und ihn in Gefahr und Noth gestürzt hatte. Sie hoffte das nur, sprach es aber nicht aus. Dann ging sie auf Herzelande zu und schloß auch diese in die Arme, ihr zuraunend, wie glücklich [407] sie wäre, daß nun Alles wieder in Rück und Schick zwischen ihnen sei, worin ihr Herzelande aufrichtig beistimmte.
Allmählich ward es Burkhard freier und sicherer zu Muthe, und als ihm Wilhelm von Rappoltstein die Hand reichte, sagte er schon ganz heiter: »Schlägst eine wackere Klinge, Wilhelm! das war ein Meisterhieb, schwer abzufangen; ich werde ihn mir merken und nächstens einmal anwenden.«
»Was? nächstens anwenden? Er denkt schon wieder an kämpfen und fechten,« lachte Imagina, die daneben stand. »Jetzt sitzt Ihr erst einmal ein paar Wochen still, Herr Burkhard, ehe Ihr wieder eine neue Fehde anfangt!«
Das war, außer Burkhards eigenem Bekenntniß gegenüber Wilhelm, die einzige Anspielung auf das jüngst Vergangene, die heute fiel. Aber er nahm sie gut auf und antwortete: »Ihr seid auch Eine, die nicht Frieden halten kann, immer kampflustig zum Angriff mit der stichelnden Zunge.«
»Das ist die Lanze der Frauen,« sprach Imagina, »und es muß ein sehr dickes Fell sein, durch das sie nicht eindränge.«
»Ach Gott ja! mich habt Ihr schon viel zu tief ins Herz getroffen.«
»Aber sie kann auch die Wunden heilen, die sie schlägt,« lächelte Imagina. »Heute gefallt ihr mir, Herr Burkhard. Ihr steigt in meiner Gunst und Gnade.«
»Verwöhnt mich nur nicht!« erwiederte er lachend.
Auch mit allen Anderen wechselte er freundliche Worte und fand sich dadurch bald in den angeschlagenen Ton einer fröhlichen Eintracht zwanglos hinein. Er schien heut ein ganz anderer Mensch zu sein, in welchem man den widerhaarigen, streitlustigen Muckebold gar nicht wiedererkannte, als hätten die reinigenden Gewitter der gemachten Erfahrungen eine rauhe, stachlichte Schale von ihm abgestreift, so daß der von einem schweren Drucke befreite gute Kern, der darin steckte, zu Tage kam.
Im Speisesaal waren die Plätze klug und geschickt vertheilt, indem, was feindlich gegen einander gewesen war, jetzt in bunter Reihe friedlich bei einander saß. Sicherlich war es Leontinens Praktik, daß sich Bruno und Isabella Seite an Seite und dem Brautpaar gegenüber fanden. Gräfin Margarethe hatte von jedem Prunk und Pomp auf der Tafel Abstand genommen, um der Gasterei unter Vermeidung aller feierlichen Äußerlichkeiten und Förmlichkeiten mehr die Gestalt und das Wesen eines traulichen Freundschafts- und Familienmahles zu geben. Nur die größten und schönsten Pokale aus dem Thierstein'schen Silberschatz hatte sie für den besten der Weine und für den herzenseinigenden, treuegelobenden Friedenstrunk aufsetzen lassen.
Beim dritten Gange erhob sich Graf Oswald und hieß – noch nicht den vor ihm stehenden Prachtpokal, sondern einen bescheideneren Becher in der Hand – seine Gäste mit beredten und warmen Worten willkommen, ohne jedoch die Veranlassung zu ihrem Hiersein zu berühren [409] oder auch nur anzudeuten, und schloß mit dem Wunsche, daß sie ihm recht oft Gelegenheit geben möchten, sie als liebe Gäste an seinem Tische begrüßen zu können.
Graf Wilhelm von Rappoltstein dankte in Aller Namen ihm und der Gräfin Margarethe für ihre Gastfreundschaft und machte in launiger Weise darauf aufmerksam, daß sie beide, er und Oswald, so nahe Nachbarn wären, daß sie sich gegenseitig in die Fenster sehen könnten, was von den anderen Rappoltstein'schen und den Ottrotter Schlössern nicht möglich wäre. Und sintemal es von Hohrappoltstein nach Hohkönigsburg genau so weit wäre wie von Hohkönigsburg nach Hohrappoltstein, so hoffte er, daß die verehrte Familie Thierstein auch recht bald einmal über seine Brücke reiten würde, was ihm Oswald gern versprach.
Nicht lange darauf schien dem Grafen Oswald der rechte Augenblick gekommen, seinem bevorzugten Gaste hier eine überaus freudige Überraschung zu bereiten, deren sich dieser wahrlich heute nicht versah.
Er ging aus dem Saale hinaus und kam wieder zurück, in den hoch erhobenen Händen Burkhards Eule tragend.
Burkhard war sprachlos, als er sie erblickte. Sein Gesicht verklärte sich in einen Freudenschimmer, und seine Augen strahlten und glänzten, als wollten Thränen daraus hervorquellen.
Oswald schritt um den Tisch herum auf ihn zu und sprach: »Ich habe Euch die Eule vom Haupte gestoßen, Herr Burkhard, ich setze sie Euch jetzt wieder auf. Seid [410] gekrönt mit Eurem ehrwürdigen Erbkleinod und tragt es noch recht oft bei frohen Gelagen im Kreise Eurer Freunde!«
Burkhard, die Eule auf dem Kopfe, erhob sich und schüttelte, vergeblich nach Worten des Dankes suchend, dem Grafen beide Hände.
Der ergötzliche und unter den obwaltenden Umständen bedeutsame Vorgang rief lauten Jubel hervor, denn Alle wußten, eine größere Freude als die Wiedererlangung seiner Eule hätte dem über ihren Verlust Untröstlichen nicht widerfahren können.
Burkhard stand noch immer aufrecht, und als sich der Tumult am Tische gelegt hatte, hub er an zu sprechen: »Ich weiß nicht, Graf Oswald, wie ich Euch danken soll, daß Ihr mir wiedergebt, was ich so schmerzlich vermißt habe. Erinnert Euch, was ich sagte, als ich mit der Eule auf dem Kopfe im Rathskeller zu Rappoltsweiler erschien. Ich sagte, daß sie ihrem Träger die Macht und das Recht verliehe, die Wahrheit zu erkunden und zu verkünden und frank und frei auszusprechen, was er denkt und fühlt. Laßt mich das auch heute thun. Aber nicht wieder drohen will ich Euch, nicht mit Euch streiten, denn ich habe Euch Burgfrieden gelobt und bin Euch Dank schuldig. Euer Gefangener war ich, Euer Gast bin ich, und werden möchte ich noch etwas Anderes. Wundert Euch nicht über den raschen Wandel meiner Gesinnung; das kommt Einem an in der Nacht, man weiß nicht wie. Ich will Euch die Wahrheit sagen, [411] denn mit der Eule auf dem Kopfe kann ich nicht heucheln und lügen. Nichts hält mich ab, in diesen Mauern und in dieser Gesellschaft offen und ehrlich zu bekennen, daß ich von einem bösen Wahn befallen war. Er ist für immer entschwunden, wie vom Winde verweht, der um diese Höhe braust und Nebel und Wolken verscheucht. Ihr wünschtet mir vorhin, daß ich diesen alten Hut noch recht oft im Kreise meiner Freunde tragen möchte. In einem solchen Kreise befinde ich mich hier und will Euch künden, was in diesem Augenblicke mein Herz bewegt. Es ist der Wunsch, Euer Freund zu werden, wenn Ihr mich dessen werth haltet und auch der meinige werden wollt. Hier meine Hand! nehmt Ihr sie an, Graf Oswald?«
»Und hier die meine!« rief Oswald aufstehend und in Burkhards Rechte schlagend.
»Darf ich als Dritter auch die meinige dazu legen?« fragte, sich erhebend, Wilhelm von Thierstein.
»Sie ist mir willkommen, Graf Wilhelm!« erwiederte Burkhard und reichte auch ihm die Hand über den Tisch hinüber.
Es war ein fast feierliches Ereigniß, das Allen ans Herz griff, die seine Zeugen waren, und ringsum an der Tafel ward eine Stille, die aber nichts Beklemmendes hatte, sondern sich wie eine segensvolle Weihe der Stunde auf die Gemüther legte.
Burkhard nahm nun die Eule vom Haupte und blickte sich suchend um, wo er sie lassen sollte.
Da sprach die ihm zur Rechten sitzende Gräfin Margarethe: »Wollt Ihr mir erlauben, Herr von Rathsamhausen, Euren zaubermächtigen Federhut einmal näher zu betrachten?«
»Sehr gern, Frau Gräfin!« erwiederte Burkhard verbindlich und reichte ihr die Eule.
»Gebt sie dann weiter! wir kennen sie auch noch nicht,« bat eine der Frauen.
So ging denn die Eule bei den Damen am Tische herum, und die eine und andere machte ihre Bemerkungen über die wunderliche Kopfbedeckung.
»Die Eule ist der Vogel der Weisheit,« sagte Gräfin Katharina, »aber ob es wohl immer weise Worte sind, die von den Herren gesprochen werden, wenn sie beim Weine von Haupt zu Haupte schwebt?«
»Im Wein ist Wahrheit,« rief ihr Gräfin Elisabeth zu, »und wenn unter dem Schutz und Schirm dieses Eulenhutes sich Weisheit und Wahrheit vereint offenbaren, so ist er mehr werth als eine Königskrone.«
Als der Hut an Imagina kam, setzte sie ihn sich auf ihr blondes Köpfchen und sah mit ihrem blühenden, lachenden Antlitz unter dem großäugigen Kauz entzückend aus.
»So!« sprach sie, »jetzt habe ich die Eule auf dem Kopfe, und nun will ich euch Wahrheit und Weisheit zugleich verkünden. Höret mich an! Hier an diesem Tische befinden sich zwei Herzen, die heimlich in Liebe und Sehnsucht für einander schlagen. Das ist die Wahrheit. Weisheit aber wäre es, wenn wir die Sehnsucht der Beiden [413] stillten und sie zu ihres Lebens höchstem Glück zusammengäben.« Sie stand auf und fuhr mit lauter Stimme fort: »Lieber Schwager Maximin von Rappoltstein, ich werbe bei Dir für den Jungherrn Bruno von Rathsamhausen um die Hand Deiner Tochter Isabella.«
Die allgemeine Freude der Gesellschaft war weit größer als ihr Erstaunen über diese Erklärung aus dem Munde Imagina's, die man als eine Vielwissende in Herzensangelegenheiten kannte. Überrascht davon waren nur Burkhard und Stephania, die nun einen hellen Blick zufriedenen Einverständnisses mit einander wechselten.
Schmasman aber erhob sich und sprach: »Bruno und Isabella, ich frage euch: hat Imagina die Wahrheit gesprochen?«
»Ja!« kam es laut von Bruno's und leise von Isabella's Lippen.
Schmasman sprach weiter: »Herzelande, ich frage Dich: hast Du gegen Imagina's Weisheit etwas einzuwenden?«
»Nein, lieber Mann!«
Nun ging Schmasman zu den zwei Liebenden, legte ihre Hände in einander und sagte: »Hier hast Du sie, und hier hast Du ihn! Glückauf Rathsamhausen und Rappoltstein!«
Jauchzende Glückwünsche ergossen sich von allen Seiten auf die unsagbar Beseligten. Egenolf und Leontine stürzten sich förmlich auf das neue Brautpaar, es in die Arme zu schließen.
Auf einmal ertönten feierliche Klänge, und Alles lauschte.
Oben an der Wand des Saales war ein kleiner Altan mit einer Thür, die in die nebenliegende Kapelle und zu den Sitzen führte, auf denen die Familie des Schloßherren dem Gottesdienste beizuwohnen pflegte. Zu diesem Gestühl gelangte man von der Kapelle aus auf einer Wendeltreppe, und aus der offenen Thür dort kamen die Töne, ein liebliches Saitenspiel, von einem sanften Blasen begleitet.
Als die noch Unsichtbaren ihr Stück beendet hatten, rief Graf Oswald hinauf: »Wer seid ihr Spielleute? zeigt euch!«
Da erschienen oben auf dem Altan Hans Loder und Seppele von Ottrott, die Günstlinge der Rappoltstein'schen und Rathsamhausen'schen Familien, und hinter ihnen als Dritter der Thierstein'sche Vertrauensmann, Ottfried Isinger, der die beiden Anderen da hinaufgeführt hatte.
Isinger, der von Herni erfahren hatte, was im Werke war, hatte schnell Hans Loder eingeladen, das oben im Palas stattfindende Versöhnungsfest bei ihm in der Schmiede mitzufeiern. Loder aber hatte durch einen äußerst glücklichen Zufall seinen Freund Seppele mit der Laute getroffen und ihn beredet, mitzukommen, mitzutrinken und den Herrschaften bei der Tafel ein Stücklein aufzuspielen, zu welchem Zwecke er auch seine Trumpete mitgenommen hatte.
Die Gesellschaft unten im Saale rief und winkte den Spielleuten da oben Beifall zu und forderte sie auf, noch [415] eins zum Besten zu geben, was sie, auf dem Altan stehen bleibend, auch thaten.
Nun endlich sollten die großen, schönen Pokale zur Geltung kommen und wurden mit dem edelsten Rappoltsweiler Zahnacker gefüllt.
Da erhob sich Schmasman von seinem Sitz und sprach: »Liebe Freunde allzumal! ich bin der Älteste hier, darum ergreife ich das Wort, um bei diesem duftigen Wasgenwein der Ursach zu gedenken, die uns hier so fröhlich zusammengeführt hat. Es ist der zwischen uns aus Herzensgrund geschlossene Friede, den wir nach altem deutschen Brauch mit einem festlichen Trunke beglaubigen und besiegeln wollen. Fortan wird Eintracht unter uns walten, durch alte Bande der Freundschaft gestützt, durch neue Gelübde der Liebe gestärkt und durch Wort und Handschlag gefestet. Kommt ein Sturm über den Wasgau daher, so werden wir ihn Schulter an Schulter bestehen, und Jeder von uns wird wissen, daß er Bundsbrüder und Freunde hat, die ihn in Gefahr und Noth nimmer verlassen. Mögen wir und unsre Lehnsleute, unsere Burgen, unsere Wälder und Felder und Rebengelände vor allem Unheil gnädig bewahrt bleiben! Und diesem alten, so glänzend wieder auferbauten Schlosse Hohkönigsburg das von zwei mächtigen deutschen Kaisergeschlechtern, den Hohenstaufen und den Habsburgern, nach einander beherrscht und behütet ist, dem wünsche ich eine lang dauernde, ruhmreiche Zukunft und seinen Lehnsträgern ein kräftiges, fröhliches Blühen und Gedeihen bis in die spätesten kommenden [416] Zeiten. Fest wie die Mauern und Thürme der Hohkönigsburg stehe das Glück der Thiersteiner, weit sichtbar im Lande wie das flatternde Banner auf dem Bergfried mit den sieben rothen Rauten im goldenen Felde, und unantastbar wie ihr ehrenblanker Wappenschild beschirme sie der dreimal gesegnete Friede! Der stolzen, herrlichen Hohkönigsburg weihe ich diesen Trunk!«
An der ganzen Tafelrunde klangen die Pokale zusammen, Hände schüttelten sich, Heil- und Segensrufe ertönten, und oben auf dem Altan schmetterte der Pfeiferkönig Hans Loder mit seiner Trumpete darein, und Seppele von Ottrott ließ dazu die Saiten seiner Laute schwirren und rauschen, während Isinger, seine Kappe schwenkend, wie besessen schrie: »Thierstein, Rappoltstein, Rathsamhausen! Rathsamhausen, Thierstein, Rappoltstein!«
Die Strahlen der Abendsonne vergoldeten die ragenden Zinnen der Hohkönigsburg und bis zum Rheine hin leuchtend thronte sie auf ihrem mächtigen Berge über dem friedlich ruhenden Wasgau.
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Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
Korrekturen:
S. 183: schüttelte → schüttelte den Kopf
Bruno
schüttelte den Kopf
und sprach