The Project Gutenberg eBook of Dhoula Bel: Ein Rosenkreuzer-Roman This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Dhoula Bel: Ein Rosenkreuzer-Roman Author: Paschal Beverly Randolph Translator: Gustav Meyrink Release date: July 7, 2020 [eBook #62578] Language: German Credits: Produced by Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DHOULA BEL: EIN ROSENKREUZER-ROMAN *** Produced by Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive) Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. ROMANE UND BÜCHER DER MAGIE HERAUSGEBER: GUSTAV MEYRINK [Illustration] RIKOLA VERLAG WIEN · BERLIN · LEIPZIG · MÜNCHEN 1922 DHOULA BEL EIN ROSENKREUZER-ROMAN VON P. B. RANDOLPH AUS DEM ENGLISCHEN MANUSKRIPT ÜBERSETZT UND HERAUSGEGEBEN VON GUSTAV MEYRINK [Illustration] RIKOLA VERLAG WIEN · BERLIN · LEIPZIG · MÜNCHEN 1922 Copyright 1922 by Rikola Verlag A. G., Wien Druck der Gesellschaft für graphische Industrie, Wien VI VORWORT Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, das so ungewöhnlich viele in okkulter Hinsicht bemerkenswerte Menschen hervorgebracht hat, lebte in den Südstaaten Amerikas ein Mann, der sich P. B. Randolph nannte, in seiner Jugend Friseur war, später alle möglichen kleinen Berufe ausübte und in sonderbarem Stolz von sich behauptete, sieben Menschenrassen zu verkörpern: Inder, ägyptische Fellachen, Neger, Weiße, Turkmenen, Kreolen und Armenier. Ich kann seinen Stammbaum natürlich nicht nachprüfen, aber Freunde, die Randolph kannten, sagten mir, sein Typus sei derart auffallend und fremdartig gewesen, daß sie keinen Zweifel in seine Angaben gesetzt hätten. Randolph schrieb mehrere Bücher, teils Abhandlungen über sogenanntes Kristallsehen (eine Methode, Visionen durch Starren in schwarze Spiegel zu erzeugen), teils Romane höchst merkwürdigen und verworrenen Inhaltes, die sämtlich in Vergessenheit geraten sind; -- das Publikum wußte nichts Rechtes damit anzufangen und wohl schon, als die Bücher erschienen, mögen die meisten Leser den Kopf geschüttelt haben, als sie ihnen in die Hände fielen. Eines dieser Werke, »Dhoula Bel«, liegt hier vor als dritter Band der Serie »Romane und Bücher der Magie«. Ich habe es vor vielen Jahren als Manuskript durch Vermittlung einer okkulten amerikanischen Brüderschaft, deren Gründer der Autor war, von der Witwe Randolphs, einer Negerin in Ohio, nebst anderen Schriften und einem der erwähnten schwarzen Spiegel -- einem sogenannten indischen »Battah«-Spiegel -- erworben. Es sei hier kurz bemerkt, daß ich den Roman »Dhoula Bel«, keineswegs von der Ansicht ausgehend, es handle sich dabei um ein Buch von besonderem literarischen Werte, herausgebe, sondern lediglich in der Erwägung: es liegt ein starker Reiz darin, einen Blick in die Gedankenwelt eines Menschen zu tun, der, ein Schwärmer katexochen und ein Cagliostro im kleinen, ohne jemals auch nur die geringste Schulbildung genossen zu haben, plötzlich zur Feder greift und hemmungslos, ein Halbwilder und Besessener, zu uns spricht. Eine Zeitlang war er -- wenn ich nicht irre in Boston -- berufsmäßiger Hellseher und bestritt seinen Lebensunterhalt durch Verkauf der erwähnten magischen Spiegel, die er unter kuriosen, exotischen Zeremonien anfertigte. Einige meiner Freunde, die Randolph kannten, schrieben mir übereinstimmend, seine Gabe räumlich hellzusehen, sei geradezu verblüffend gewesen und habe alles weit in den Schatten gestellt, was auf diesem Gebiete jemals geleistet wurde. Tatsache ist, daß der letzte Napoleon ihn nach Paris kommen ließ; ein Kapitel in dem vorliegenden Roman behandelt Näheres darüber. Wie Eliphas Lévi (siehe II. Band der »Romane und Bücher der Magie«) war auch er ein erbitterter Gegner des Spiritismus. -- »Was immer sich in solchen Séancen zeigt«, sagte er wörtlich, »ist das Teuflischste, was ein menschliches Gehirn auszudenken imstande ist -- mag es sich auch noch so engelhaft gebärden.« Helene Petrowna Blavatsky, die bekannte Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, hatte ihn auf ihren Reisen in Amerika kennen gelernt; -- sie verkehrten miteinander auf eine höchst geheimnisvolle Weise, wie mir ein Freund, der beide kannte und oft mit ihnen beisammen war, berichtet hat. »Sie schienen sich telepathisch (durch Gedankenübertragung) verständigen zu können;« -- so schrieb mir mein Freund -- »oft, wenn ich mit der ›old lady‹ (Spitzname der Blavatsky) beim Tee saß, sprang sie plötzlich auf und rief: Was will denn der Kerl schon wieder! -- Und dann, wenn ich sie begleitete, jedesmal trafen wir den »Nigger« wartend auf irgendeinem Platze, dem Frau Blavatsky, als stünde sie unter einem Befehl, in größter Eile zugesteuert war. Was sie dann miteinander verhandelten, habe ich nie erfahren können, denn die old lady schwieg darüber wie das Grab.« -- -- -- »Randolph« -- so heißt es weiter in dem Brief meines Freundes -- »ist der unheimlichste Mensch, der mir in meinem Leben vorgekommen ist. -- Ich habe mir alle Mühe gegeben, sein Inneres zu durchschauen; -- vergebens. -- Plötzlich, mitten im Gespräche -- auf der Straße -- änderte sich der Ton seiner Stimme; ein Fremder schien aus ihm zu sprechen, oft in einer Sprache -- und ich kenne deren viele! --, die mir völlig unbekannt war. -- -- Seine Gabe, Vorgänge hellsehend zu schauen, die an weitentfernten Orten geschahen, grenzte ans Wunderbare. -- -- -- Da von ihm die Rede ging, er sei imstande, Frauen durch Fernsendung eines Willensstromes sich gefügig zu machen, beschloß ich eines Tages, ihm in dieser Hinsicht auf den Zahn zu fühlen und brachte das Gespräch darauf. -- Wir waren gerade im Theater und es war Zwischenpause. ›Jawohl,‹ sagte Randolph, als ich ihn fragte, ›jede Frau, die ich rufe, muß kommen. Jederzeit. Sofort.‹ ›Auch jetzt, zum Beispiel?‹ ›Gewiß. Auch jetzt. Bestimmen Sie selbst eine von den vielen, die da unten sitzen.‹ Ich deutete verstohlen auf eine blonde junge Dame in einiger Entfernung und Randolph versank sofort, die Augen schließend, in ein starres Brüten. Kaum zwei Minuten später erhob sich die Dame und taumelte wie eine Mondsüchtige hinaus. Natürlich bat ich Randolph, auf der Stelle das scheußliche Experiment zu unterbrechen.« * * * * * Das Leben P. B. Randolphs ist mir nur bruchstückweise bekannt. Seine Lehre der Magie, soweit er sie anderen mitteilte, ist einesteils sublim, anderseits -- negerhaft barbarisch wie nur möglich. Näheres darüber mitzuteilen (was ich weiß, entstammt Mitteilungen aus Kreisen der von ihm gegründeten »occult brotherhood of Eulis«) ist mir mangels Raum hier nicht möglich; außerdem würde ich davor zurückscheuen, es zu veröffentlichen, denn die Sache scheint mir zu gefährlich fürs Gemeinwohl, als daß ich mich auf eine genaue Schilderung einlassen möchte. Es genügt zu sagen: Randolph benützte als Stimulans zu magischen Handlungen sexuelle Mittel. Sapienti sat! Das Ende in derlei Fällen ist immer das gleiche: Irrsinn oder Selbstmord. Randolph ging an beidem zugrunde; er erschoß sich in einem Anfall höchst sonderbarer Geistesverwirrung. Ich zitiere wiederum meinen Freund. Er schrieb mir wörtlich: -- -- -- »Die Ursache des quasi über Nacht entstandenen Hasses zwischen Frau Blavatsky und Randolph ist mir vollkommen unbekannt. Vielleicht war es Rivalität. Jedenfalls ist die old lady Siegerin geblieben.« -- -- -- -- Dann heißt es am Schlusse des Briefes: »Es war in Adyar (Indien). Frau Blavatsky und ich saßen regungslos und schweigend auf unseren Sesseln unter großen Schirmen, denn es war glutheiß. Plötzlich rief Frau Blavatsky: ›Jetzt schießt er auf mich, der Nigger! -- -- -- So, jetzt hat ihn der Teufel geholt.‹ Auf meine erstaunte Frage, was denn los sei, erzählte sie mir, Randolph habe sie soeben auf magische Weise ermorden wollen, indem er (in Amerika! Tausende Meilen entfernt!) eine Pistole geladen habe mit dem Willensbefehl, die abzuschießende Kugel möge sich dematerialisieren (entstofflichen) und sich in ihrem Herzen (Blavatskys) wieder zu Blei zusammensetzen. Im letzten Augenblick jedoch sei Randolph wahnsinnig geworden und habe sich selbst in die Stirn geschossen. Ich glaubte das natürlich nicht, aber für alle Fälle notierte ich mir Stunde, Datum und Minute. Was ich ungefähr ein Jahr später von Kate (Randolphs Witwe) in Ohio erfuhr, hat mich tief erschüttert: tatsächlich hat sich der Nigger genau zur selben Zeit in die Stirn geschossen. -- Du wirst mir ja glauben und ich erzähle es auch nur dir. Anderen gegenüber schweige ich lieber, damit es nicht wieder heißt: ›Ach ja, theosophischer Hofklatsch.‹« * * * * * Ich hielt es für angebracht, diese »Anekdote« (so wird es wohl die größere Anzahl der Leser nennen) über Randolphs Leben hier wiederzugeben. Worauf ich jedoch die Aufmerksamkeit in »Dhoula-Bel« besonders lenken möchte, da es mir zur Erkenntnis spiritistischer Phänomene wichtig scheint, Ist das Kapitel über den Mediator »Nibchi«. Starnberg, im Herbst 1921 GUSTAV MEYRINK DHOULA BEL Ein Rosenkreuzer-Roman ERSTES BUCH 1. Kapitel DER SELTSAME MANN Er setzte sich müde am Wegrand der Landstraße nieder, denn er war weit gewandert an jenem Tage. Seine Füße waren wundgelaufen und seine Körperkraft war durch die Not und das Elend, das er durchgemacht, beinahe erschöpft. Seine Augen blickten verstört und ein Dunstkreis schwerer Düsterkeit umgab ihn, deutlich fühlbar für alle, die in seine Nähe kamen und ihn anblickten. Er war ein Mensch, den schwere Sorgen drückten. Und als er so am Wegrand saß, das Haupt auf seinen Stock gestützt, quollen bittere Tränen zwischen seinen Fingern hervor und netzten den Boden zu seinen Füßen. In späteren Zeiten erwuchs hier eine Zypresse, der Baum der Sorge, und grünte in düsterer und trauervoller Schönheit, wie um den Ort zu bezeichnen und zu behüten, wo einst der Mann seine klagende Stimme erhoben und laut geweint hatte. Doch das lag viele Jahre zurück und war der Anlaß zu meiner Bekanntschaft mit dem Manne, der in diesem Buch eine so hervorragende Rolle spielt. Damals bekannte sich der Verfasser dieses Buches zwar noch zu allen religiösen und psychologischen Glaubenssätzen des Christentums, mißtraute ihnen aber innerlich und hätte jemand auf gewisse geheimnisvolle Möglichkeiten, die seitdem bestätigt und bewiesen wurden, auch nur angespielt, so hätte er ihm ganz gewiß ins Gesicht gelacht und ihn für einen hervorragenden Narren oder Idioten gehalten. Seitdem hat sich manches geändert. Der Mann am Wegrand war von mittlerer Größe, weder beleibt noch mager, von schönem Mittelmaß. Kopf und Stirn waren breit und durch gewisse Eigentümlichkeiten der Kopfform in Wirklichkeit viel massiger, als es auf den ersten Blick schien. Der geistige Organismus des Mannes erhielt sich auf Kosten des körperlichen, da sein Nervensystem, wie bei allen derartigen Menschen, geradezu krankhaft empfindlich und reizbar war. Nichts Rohes, Brutales, Niedriges oder Pöbelhaftes war an ihm, weder von Natur noch durch Erziehung, und wenn je Im Kampf des Lebens eine dieser schlechten Eigenschaften bei ihm auftrat, so war dies lediglich widrigen Umständen zuzuschreiben, und der Behandlung, die er von der Welt erfuhr. Von Natur war er offen, wohlwollend und großmütig bis zur Schwachheit, und diese Züge nützten die Menschen zu seinem Unglück aus. Mit überreichen Fähigkeiten ausgestattet, die tiefsten und abstraktesten Fragen der Philosophie und Metaphysik zu lösen, war er doch vollkommen unfähig, die kleinsten geschäftlichen Angelegenheiten zu erledigen, selbst wenn sie nur ein geringes Maß von finanzieller Geschicklichkeit erforderten. Eine natürliche Folge davon war, daß dieser Mann mit allgemein als gut anerkannten Eigenschaften beständig das Opfer des ersten besten hergelaufenen Schurken wurde, von dem »Freunde« angefangen, der ihm sein halbes Vermögen abborgte, angeblich um die Hälfte davon anzulegen -- in Wirklichkeit, um das Ganze zu behalten, bis zu seinem Verleger, der ihn um Geld und Zeit betrog. Sein Gesicht war lohfarben gleich dem der Araberkinder in Beirut und Damaskus. Form und Stellung von Kinn, Backenknochen und Lippen verrieten mehr passive als aktive Stärke. Der Mund mit seiner leicht vorstehenden Oberlippe und zwei kleinen Falten an den Mundwinkeln deutete auf Geschicklichkeit, Leidenschaft, Mut, Festigkeit und Entschlossenheit. Die Wangen waren leicht eingefallen; dies deutete auf Kummer und Verdruß, während die ein wenig vorstehenden und breiten Backenknochen auf seine farbigen Vorfahren hinwiesen. Die Nase war nur durch die Beweglichkeit der Nasenflügel bemerkenswert, die ein leicht entzündliches Temperament verriet. Es bedurfte auch tatsächlich nur eines geringen Anlasses, um ihn aus einem passiven, geduldigen Menschen zur Verkörperung mannhafter Kampfbereitschaft für eine gerechte Sache zu machen oder zu einem Dämon von Haß und wahnwitziger Rachgier. Seine Augen oder vielmehr sein Auge -- denn eines war durch einen Unglücksfall nahezu zerstört -- war von einem tiefen, dunklen Nußbraun, das das Volk pechschwarz zu nennen pflegt. Es strahlte einen merkwürdigen magnetischen Glanz aus, wenn er auf der Rednerbühne sprach. Er war seinerzeit ein Volksredner gewesen und hatte auf diesem Gebiet keine geringe Berühmtheit erlangt. Wer ihn einmal so gesehen oder gehört, konnte ihn nie wieder vergessen, so verschieden war er von allen anderen Menschen, und so bezeichnend und eigenartig waren seine Eigenschaften. Er war ein ganz einzigartiger Mann -- dieser Rosenkreuzer --; ich kannte ihn wohl. Manche Stunde sind wir beisammen in dem kühlen Schatten irgendeiner alten, ehrwürdigen Ulme auf den grünen, blumenbesäten Ufern von Connecticuts Silberstrom oder unter einer turmhohen Palme am Ufer des alten Nils, im weißen Lande der Pharaonen, der Magie und der Mythen gesessen, wobei er beständig in mein Ohr seltsame, seltsame Sagen flüsterte -- Sagen aus uralter Zeit -- die meine dürstende Seele trank, wie die von der Sonne ausgetrocknete Erde den ersehnten Regen, oder der Sand die Tränen weinender Wolken. Und diese Erzählungen, diese Sagen, stellten die wildesten Phantasiegestalten Germaniens weit in den Schatten. Besonders betroffen war ich über eine Andeutung, die einmal seinen Lippen entfloh, daß viele Menschen auf dieser Erde und er selbst unter ihnen schon früher auf dieser Welt gelebt hätten, und daß er sich zu gewissen Zeiten deutlich an Orte, Personen und Ereignisse erinnere, die vor der Zeit lagen, in der er seine gegenwärtige Gestalt angenommen, und daß demnach sein wirkliches Alter sogar das Ahasvers, des ewigen Juden, noch übertreffe. Dieser Mann, mein Freund, sprach während unserer Bekanntschaft oft von der weißen Magie und gelegentlich versteifte er sich geradezu hartnäckig auf seine seltsame Seelenwanderungsdoktrin. Doch das war nicht alles: er behauptete, die Seelen der Menschen verließen zuweilen ihre Körper für ganze Wochen, während dieser Zeit würden dann die verlassenen Leiber von anderen Seelen bewohnt, manchmal von der eines für immer entkörperten Erdenmenschen, ein andermal von der eines Bewohners des Luftraumes, der, so inkarniert, nach Belieben auf Erden umherstreife. Wurde er um eine klare und bündige Erklärung gebeten, dann sprach er seinen festen Glauben aus, daß er auf diese Weise viele Menschenleben hindurch gelebt habe, und aus Gründen, die nur ihm bekannt seien, verurteilt worden, weiter auf Erden zu wandern wie der große Artefius -- jener andere Rosenkreuzer -- bis die Vollführung einer bestimmten Tat (bei der er selbst, unfreiwillig, tätig mitwirken sollte) ihn davon erlösen und ihm erlauben würde, das Los anderer Sterblichen zu teilen. Als eine Begleiterscheinung seiner Verschiedenheit von anderen Menschen ist es wohl auch anzusehen, daß er mit gewissen übersinnlichen Kräften ausgestattet war, darunter mit einer seltsamen Fähigkeit des Hellsehens. Diese Fähigkeit, mochte sie auch nicht immer offenkundig sein, setzte ihn bisweilen instand, Dinge, Personen und Ereignisse zu sehen und zu beschreiben, sogar über das Weltmeer hinüber, und die geheime Geschichte und die Gedanken des verschlossensten Menschen so leicht wie in einem Buch zu lesen. Anfänglich bezweifelte ich seine Behauptungen, führte sie auf einen abnormalen Geisteszustand zurück oder lachte über die tolle Behauptung, daß irgendeiner mitten im neunzehnten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung im Ernst so außerordentliche Kräfte für sich in Anspruch nehmen könne. Wie bereits gesagt, wies seine Gesichtsfarbe darauf hin, daß er ein Mischling war -- nicht gerade ein Bastard -- aber ein Mensch, in dem das Blut von mindestens sieben verschiedenen Rassen floß. Aus seiner Art zu reden hätte man schließen können, daß seine Erziehung nicht ganz vernachlässigt worden, aber sicherlich ganz anders beschaffen gewesen war, als die in christlichen Ländern allgemein gebräuchliche. Es war, wenn überhaupt, sehr wenig feine Sitte an ihm -- nicht etwa, daß es ihm an Höflichkeit oder Glätte gefehlt hätte --, aber seine Art war die der Flüsse, Wälder und Seen, nicht die der Salons und der Stätten des guten Tons. In allem, was sein Innenleben betraf, war er rätselhaft, und zwar meist dann, wenn er sich am offensten zu geben schien. Mir erschien er am Ende einer zehnjährigen Bekanntschaft noch sphinxhafter als am ersten Tage. Obwohl arm, hatte er doch ausgedehnte Reisen gemacht. Exotisch in seiner äußeren Erscheinung und seinem Geschmack, war er es noch mehr seiner Geistesverfassung nach und in allem, was Träumerei, Philosophie und Gefühlsleben betraf. Nach dieser Schilderung der Hauptperson meiner Erzählung gehe ich nun dazu über, eine andere Seite aus dem Lebensbuch dieses Mannes wiederzugeben. 2. Kapitel SEINE JUGENDZEIT -- DIE SELTSAME LEGENDE Und da saß der seltsame Mann am Wegrand -- traurig, still weinend -- als wollte sein Herz brechen. Seine Sorge hatte keine geringe Ursache. Es war nicht augenblicklicher Mangel an Nahrung, Unterkunft oder Kleidung, aber sein Herz war voll und seine Quellen flossen über. Die Welt hatte ihn ein Genie genannt und ihn als solches verzärtelt, gepriesen, bewundert und dabei hungern lassen; kein Funken Mitgefühl die ganze lange Zeit über, keine Spur von uneigennütziger Freundschaft. Die große Menge hatte sich um ihn gedrängt, wie die Gaffer der Großstädte sich um die letzte Neuheit im Panoptikum drängen, um dann, zufriedengestellt von der Besichtigung, sich abzuwenden und ihn seiner ganzen grenzenlosen Einsamkeit und seinem Elend zu überlassen. Im Alter von acht Jahren war er in der römisch-katholischen Kirche auf den Namen _Beverly_ getauft worden. Von seinem Vater erbte er wenig, außer dem hochfliegenden Geist und der ehrgeizigen rastlosen Natur sowie einer Empfänglichkeit für leidenschaftliche Erregungen, so groß, daß sie auf sein ganzes Leben dauernd und stark einwirkte. Nur ein Jahr lang genoß er regelrechten Schulunterricht, alle späteren geistigen Errungenschaften verdankte er nur seiner eigenen Anstrengung. Sein Vater liebte ihn wenig, um so mehr aber seine Mutter. Er war mit allen seinen Zähnen geboren worden und alte Klatschbasen weissagten ihm daraus eine außergewöhnlich erfolgreiche Laufbahn; außerdem bestärkten gewisse merkwürdige Geisterbesuche vor und kurz nach seiner Geburt seine Mutter in der Einbildung, daß er zu keinem gewöhnlichen Schicksal bestimmt sei. Zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre vor dem Beginn dieser Erzählung wohnte in der New York City, da, wo damals die Canal Street lag, in dem Hause Nr. 70 eine Frau, deren Gesichtsfarbe die einer Mississippiquarterone[1] war. Sie stammte aus Vermont und genoß den Ruf, das schönste Weib in dem Staate und vielleicht auf der ganzen Welt zu sein. Ihr Geist war ebenso vielseitig wie ihr Äußeres reizvoll. Ihr Leben verlief bis zu jener Zeit sehr bewegt und im Grunde tief unglücklich. Ihr Feinsinn, ihre Natur und Erziehung, ihr Charakter und ihre Fähigkeiten verlangten nach einer höheren gesellschaftlichen Stellung als die, die sie aus pekuniären Gründen einnehmen mußte. Ein anderer Grund für ihre Unrast war eine unglückliche Ehe. Ihr Gatte war nach langjähriger Abwesenheit zurückgekehrt, während welcher sie ihn für tot gehalten und eine zweite Ehe mit dem Vater ihres Söhnchens geschlossen hatte, und seit jenem Augenblick empfand sie niemals mehr auch nur einen kleinen Teil dessen, wonach sie sich jahrelang gesehnt, jene Liebe und Zuneigung, die als Tugend der Mütter gerühmt wird und die allein das Leben zu einem Segen machen und den rauhen, dornigen Pfad ebnen kann. Flora Beverly war unmittelbar verwandt mit den rothäutigen Söhnen der nördlichen Prärien, aber dieses Blut vermischte sich mit dem edleren Safte aus den Adern ihres Vorfahren, des Cid. Als sie heiratete, dachte sie sich als den Mittelpunkt eines Königreiches von ungetrübten Freuden und Wonnen zu sehen, darin sie als unbestrittene Herrscherin regieren wollte. Der Mann, den sie gewählt, nahm sie wegen ihrer Schönheit. Er glaubte mit ihrem Besitz den Himmel auf Erden zu erlangen. Beide wurden bitter enttäuscht. Ihr Gatte wußte nur die äußeren, oberflächlichen Eigenschaften und Vorzüge seiner Frau zu würdigen, während ihr inneres, höheres, besseres Ich -- ihre Seele -- ihm eine terra incognita war, die zu erforschen ihm, wie es bei so vielen anderen Ehemännern der Fall ist, nicht im entferntesten einfiel. Und so erwachten die beiden, nachdem der erste Rausch der Sinnlichkeit vorüber war. Der Mann kam zur Erkenntnis, daß sein Weib für ihn ein »recht niedliches Püppchen«, die Frau, daß ihr Gatte ein Tier war, dessen Seele fest unter seinen Sinnen schlief, und sie selbst seine Sklavin und sein Opfer. Naturgemäß wurde sie bald ihres seichten Lebens müde und verlor den Geschmack daran. Da sie fühlte, daß sie von den vielen, die um sie her lebten, nicht verstanden und gewürdigt wurde, verschmähte sie jede Berührung mit ihnen und zog sich ganz in sich selbst zurück, um allmählich ihre Sehnsucht mit jeder Faser ihres Herzens auf die zahllosen Millionen der Toten zu richten. Sie rief sie zu Hilfe und glaubte mit religiöser Inbrunst, ihre Bitten seien erhört und indem sie sich ganz ihrer geheimnisvollen Fürsorge und Leitung überließ, führte sie fortan ein doppeltes Leben -- ein Schattenleben in der Welt, ein wirkliches Leben im Lande der Geister. So wurde sie eine Seherin, eine Träumerin und in der für sie wenigstens wirklichen und tatsächlichen Verbindung mit den stolzen Geistern dahingegangener Völker, deren Häupter ihre Vorfahren in beiden Linien gewesen waren, suchte sie Mitgefühl für ihre Sorgen und für ihre seltsamen inneren Freuden. Und sie fand, was sie suchte, oder was für ihre impulsive Seele auf das gleiche heraus kam, sie glaubte es gefunden zu haben. Zuerst hatte sie einige Schwierigkeit, das, was sie für das leise Flüstern der ätherischen Bewohner des unsichtbaren Reiches Manitous hielt, in die verständliche menschliche Sprache des Herzens und der Worte zu übertragen. Sie sehnte sich glühend nach einem freieren Verkehr mit den Toten, und sie wurde befriedigt. Die arme Flora, dieses merkwürdige Mischgebilde von Natur und Kunst, sollte ein Kind gebären, und dieses Kind -- der Held dieses Buches -- wurde unter den Umständen geboren, von denen hier berichtet wird. Im Herzen dieser Frau schlummerte, wie ich schon sagte, ein Vulkan. Ihre überströmende Seele verkörperte sich wieder in dem Sohn, den sie geboren, und sie pflanzte dem Kinde ihre eigene brennende Sehnsucht nach Liebe und Gegenliebe ein, alle ihre mystischen Neigungen, ihre Vorliebe für das Geheimnisvolle, all ihr metaphysisches Streben nach unirdischen Beziehungen, ihre ganze entschlossene und doch fast verzweifelte, leidenschaftliche, impulsive, edle Natur, alles, alles fand in ihm Wohnung und Namen. So trat er in die Welt, von der Geburt an zu seltsamen und bitteren Erfahrungen verurteilt -- verurteilt, allein und ohne Freunde dem schneidenden Wehen der Winterstürme und der glühenden Hitze der Sommersonne zu trotzen; sich an die Hoffnung auf einen frühen Tod anzuklammern und dabei doch mit zehnfacher Zähigkeit am Leben zu hängen. An dieser Stelle will ich den Inhalt eines Berichtes wiederholen, den er selbst über seine Kindheit und seine geheimnisvollen Erfahrungen mit den Geistern gab. Man hatte ihn einmal über gewisse ihm zugeschriebene außergewöhnliche Kräfte befragt und er entgegnete darauf: »Als ich noch ein kleines Kind war, wohnte meine Mutter in einem großen, dunklen, düsteren, alten Steinhaus auf Manhattan Island. Damals war New York fast nur ein Viertel von dem, was es jetzt ist, und jenes Haus lag eine ziemliche Strecke außerhalb der Stadt. Es steht noch heute an der gleichen Stelle, aber die City ist meilenweit darüber hinaus gewachsen. Das Gebäude war in Zeiten, wo Pest, Fieber, Pocken oder Cholera wüteten, als Pesthaus oder Lazarett benützt worden und in ihm sind Tausende an jenen Krankheiten gestorben; von ihm aus nahm in meinem fünften Lebensjahre die Seele meiner Mutter ihren ewig dauernden Flug. Viele waren bereit, einen Eid darauf zu schwören, daß das alte Haus von Geistern heimgesucht werde, die in schrecklichem Schweigen durch die feierlichen, stattlichen Säle des massigen Inselschlosses wandelten. Aber im allgemeinen hatten die Zeugen solcher Geisterbesuche weder Zeit noch Neigung, um die Bekanntschaft mit den Besuchern zu pflegen -- ausgenommen einer, ein Apotheker namens Banker, der einmal einer jener Erscheinungen eine Verwünschung zurief, worauf diese ihm einen Schlag auf den Kopf versetzte und ihm zur Strafe für sein Majestätsverbrechen die Kinnlade vollständig zerschmetterte. Von dieser einen Ausnahme abgesehen, beeilten sich alle, die einem jener Geister begegneten, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen, und es war erstaunlich, mit welch überraschender Schnelligkeit selbst Gichtbrüchige die Flucht ergriffen, wenn einer von denen, die mit einem Schafhäutchen über dem Gesicht geboren waren, und denen daher im Volksmund die Fähigkeit zugeschrieben wurde, Geister zu sehen, erklärte, es sei ein Gespenst in der Nähe; und da derartig Bevorzugte Geister _sehen_ konnten, so wünschte ich mir oft, ich möchte einem begegnen, der mit zwei Schafhäutchen geboren war, so daß er sie nicht nur sehen, sondern auch mit ihnen _sprechen_ könnte. Viele glaubten nicht an Geister. Ich glaube an Geister der verschiedensten Arten, die ich im folgenden aufzählen möchte: 1. Es gibt Abbilder, die von den Seelen ausgesandt und irgendeinem andern weit Entfernten sichtbar werden. 2. Die Erzeugnisse einer erhitzten Phantasie -- die Vorspiegelung der Geister -- die Folgen von Gehirnfieber, Trunkenheit, Opium und andere Hirngespinste. 3. Die Geister toter Menschen. 4. Geistige Wesen von anderen Planeten. 5. Wesen von ursprünglichen Welten, die nicht gestorben, aber nichtsdestoweniger von so feiner Struktur sind, daß die Gesetze der Materie, denen wir unterworfen sind, für sie nicht gelten, und die, indem sie so unter die Wirksamkeit jener Gesetze fallen, die die entkörperten Menschen regieren, imstande sind, alles zu tun, was jene tun. 6. Ich glaube, daß menschliche Wesen aus Verzweiflung oder bösem Willen häufig geistige Harpyen ins Leben rufen, die furchtbare Verkörperung ihrer bösen Gedanken. Das sind quasi Dämonen, die so lange existieren, als ihre Schöpfer unter der Herrschaft des Bösen stehen. 7. Ich glaube an eine ähnliche, aber von den guten Gedanken guter Menschen ausgehende Schöpfungskraft, die lieblichen Emanationen sehnsüchtiger Seelen. Man beachte diese sieben Klassen wohl. Sie bilden eine genaue Darstellung der Lehre ›der Rosenkreuzer von der höheren Ordnung‹. Als ich etwa fünf Jahre alt war, kam ich eines Tages von der Schule nach Hause und fand die irdische Hülle, die körperliche Gestalt der einzigen Freundin, die ich je besessen, meiner Mutter, kalt und zusammengesunken. Welch ein Schlag für mein Kinderherz! Sie war an jenem Morgen der Erde müde geworden, hatte heiter und vertrauensvoll ihre liebevollen Augen geschlossen; und ich blieb allein zurück, um gegen vier mächtige Feinde zu kämpfen: Vorurteil, Armut und meine eigene Natur. Der vierte ist fast zu schrecklich und zu phantastisch, als daß man ihn für möglich halten könnte, aber ich will erzählen: DIE LEGENDE Vor vielen, vielen Jahrhunderten lebte in dem Lande, wo in späteren Zeiten Babylon und Ninive standen, ein mächtiger König, dessen Macht groß und unbestritten war. Weise, wohlgebildet, aber exzentrisch, hatte er eine Tochter, die über alle Beschreibung lieblich und klug und schön war. Könige und Fürsten bewarben sich vergebens um ihre Hand, denn ihr Vater hatte geschworen, er werde sie keinem anderen Mann geben als dem, der ihm ein Rätsel lösen könnte, das er, der König selbst, ihm aufgeben würde; wüßte er aber die Lösung nicht, so müsse er sterben. Das Rätsel lautete: »Welches sind die drei wünschenswertesten Dinge unter der Sonne, die nicht die Sonne sind, die aber in der Sonne wohnen?« Tausende von heiteren und ernsten, weisen und ehrgeizigen Männern versuchten die Lösung, fanden sie nicht, ließen ihr Leben und bestiegen das fahle Roß des Todes. Inzwischen war weit und breit verkündet worden, daß Purpurgewänder, goldene Ketten, der höchste Rang im Reiche und die Hand der Prinzessin die Belohnung des Glücklichen sein würden. Eines Tages nun kam eine glänzende Gesandtschaft von dem König des Südens an den Hof, die ein Bündnis schließen wollte, und neue Verträge vorschlug. In ihrem Gefolge befand sich ein junger Dichter, der der Gesandtschaft als Dolmetsch diente. Dieser Jüngling hörte von der merkwürdigen Angelegenheit, erkundigte sich nach den Bedingungen und prägte sich das Rätsel ein. Vier lange Monate hindurch brütete er darüber und dachte nach, indem er alle möglichen Antworten in seinem Geist erwog, aber ohne eine zu finden, die allen drei Erfordernissen gerecht wurde. Um ungestört nachdenken zu können, pflegte sich der junge Mann in eine Grotte hinter dem Palast zurückzuziehen und sich dort das Rätsel und alle möglichen Lösungen durch den Kopf gehen zu lassen. Als die Prinzessin davon hörte, beschloß sie, ihn zu beobachten und führte diesen Entschluß auch aus. So sah sie ihn täglich, ohne daß sie von ihm bemerkt wurde, und bald wurde sie von Liebe zu ihm so entflammt, daß sie ihn mehr liebte als ihr Leben. Eines Tages nun schlief der Jüngling in der Grotte ein und sein Haupt lag dabei gerade über einer Felsspalte, aus der ein sehr feiner, leichter Dampf hervorströmte, der ihn bald in einen Traumzustand versetzte, in dem er die Prinzessin selbst zu sehen glaubte, unverschleiert und lieblicher als die Blumen, die in des Königs Garten blühten. Er glaubte sodann eine Inschrift zu sehen, die ihn aufforderte, nicht zu verzweifeln, und zu gleicher Zeit stand vor seinem Geiste der Satz, der später die Losung jener mystischen Brüderschaft wurde, die einige Jahrhunderte lang unter dem Namen der Rosenkreuzer bekannt war: ›_Es gibt keine Schwierigkeit für den, der ernstlich will._‹ Und mit diesem Satz kam ihm die Lösung von des Königs Rätsel, an die er sich erinnerte, als er erwachte. Sogleich erklärte er, er sei bereit, das zu versuchen, was so vielen Abenteurern das Leben gekostet hatte. Es wurden umständliche Vorbereitungen getroffen, wobei der Henker nicht vergessen wurde, der mit einem blanken Schwert bereit stehen mußte, um den Dichter um einen Kopf kürzer zu machen, wenn er die Lösung nicht fände. Zur bestimmten Stunde versammelte sich der ganze Hof, darunter auch die Prinzessinnen in dem größten Saale des Palastes. Der Dichter näherte sich den Stufen des Thrones, kniete nieder und sprach: »O König, mögest du ewig leben! Welche drei Dinge sind wünschenswerter als Leben, Licht und Liebe? Welche drei sind untrennbarer? Und was kommt mehr von der Sonne und ist doch nicht die Sonne? O König! Ist dem Rätsel gelöst?« »Ja,« sagte der König, »du hast es gelöst, und ich werde mein Wort halten.« Und er gab sogleich Befehl, die Hochzeit mit königlichem Pomp zu feiern, obwohl er, durch einen hohen Hofbeamten beeinflußt, die Dichter im allgemeinen nicht leiden konnte, und diesen einen gerade deswegen nicht, weil er glaubte, der junge Mann habe ihn bei einem der soeben abgeschlossenen diplomatischen Verträge übervorteilt. Nun geschah es, daß der Großwesir gehofft hatte, irgendwie eine Lösung des Rätsels zu finden und so den großen Preis für einen seiner eigenen Söhne zu gewinnen; und sobald nun an jenem Tage der Diwan zu Ende war, eilte er in das Privatkabinett des Königs und bemühte sich, seinen Herrn noch mehr gegen den Sieger zu stimmen, indem er ihm vorspiegelte, jener habe nur durch Zauberei gesiegt. Dies erzürnte den König so sehr, daß er seine Einwilligung gab, den jungen Bräutigam noch in derselben Nacht durch einen schnellen, heimlichen, grausamen Tod beiseite schaffen zu lassen. Zu diesem Zweck wurde bei dem abendlichen Festmahl dem Dichter ein Schlaftrunk gegeben und, als dieser seine Wirkung getan hatte, legte man ihn auf ein Ruhebett und brachte ihn dann in den Raum, der für widerspenstiges Gesinde des Hofes bestimmt war. Dieser Raum lag unter der Erde und als der Jüngling dort mit roher Gewalt auf den Boden geworfen wurde, erwachte er und sah mit Bestürzung, daß er an Händen und Füßen gefesselt war; vor ihm stand der König, der Wesir und einige Soldaten und -- der Tod; denn er sah an den Blicken seiner Feinde, daß seine Tage gezählt waren. Vergebens verteidigte er sich gegen die Anschuldigung der Zauberei. Er wurde zum Tode verurteilt und der König gab sogleich Befehl zum Vollzug des Urteils. Gerade in dem Augenblick, als der tödliche Streich fallen sollte, erschien eine riesige Hand, die offenbar die erhobene Klinge aufhalten wollte. Aber zu spät, das Schwert fiel. Als es den Nacken des Dichters berührte, stieß dieser die schrecklichen Worte aus: »Ich verfluche euch alle, die ihr --« der Rest des Satzes wurde im Jenseits gesprochen; aber gleichzeitig erhob sich ein Lärm und ein Geschrei wie von tausend anklagenden Geisterstimmen, und eine von ihnen rief unter Donnergetöse: »Dieser Jüngling hat durch seine Willenskraft die Tore zu dieser Welt und zur Welt des Geheimnisses entriegelt. Er war der erste seines und deines Geschlechts, der jemals so hohen Ruhm erreichte. Und ihr habt ihn erschlagen, und er hat dich verflucht, und darum hast du, o König, und du, o Wesir, wie auch der Tote die menschliche Natur mit einer andern vertauscht. Der König wird durch die Jahrhunderte hindurch von einer Gestalt in die andere wandern. Du aber, o Wesir, wirst leben, bis dir vergeben ist; -- Dhoula Bel soll dein Name sein und du sollst den König versuchen durch Menschenalter hindurch und dein Streben soll zunichte werden, so oft immer der Jüngling -- der der ›Fremde‹ genannt werden wird -- es so will, um der Liebe willen, die er im Herzen trug. Dieses Drama soll dauern, bis ein Sohn Adams eine Tochter Ichs heiraten wird oder bis du, o König, in einer der Gestalten deines Daseins lieben und wirklich und treu wieder geliebt werden wirst, und zwar nur um deiner selbst willen. Möge eine Ewigkeit vergehen, bis dies geschieht.«« * * * * * »Fragt mich nicht,« sagte der junge Beverly, »warum, sondern glaubt mir, wenn ich sage, daß ich weiß, daß ich vor unvordenklicher Zeit jener König war; daß der Fremde meiner Mutter erschien, daß Dhoula Bel mich noch immer wegen der alten Sünde heimsucht und quält. Ich kenne das Schicksal, das über mich verhängt ist, und ich weiß, daß ich in dieser gegenwärtigen Gestalt ein neutrales Wesen bin, für das es keine Hoffnung gibt, außer der Vereinigung von mir, einem Sohne aus Adams Geschlecht mit einer Tochter Ichs, einer, die nicht aus Adams Geschlecht stammt ... Das also ist das tragische Geschick, dem ich so erbarmungslos an jenem Morgen, da meine Mutter auf Manhattan Island starb, ausgeliefert wurde -- verurteilt, für ein Verbrechen zu sühnen, das vor Jahrtausenden begangen worden war.« 3. Kapitel EIN GEISTERHAFTER BESUCH Beverly fuhr folgendermaßen fort: »Ich wußte dies alles natürlich noch nicht, als ich fünf Jahre alt war. Das einzige, was mich vollständig beherrschte, war der Verlust meiner Mutter -- ihr seltsames Schweigen -- der schmerzliche Blick derer, die mein Haupt streichelten und ›armes Kind‹ sagten. Ich versuchte mit aller Kraft, männlich zu sein, wie sie mir geboten, und nicht zu weinen, aber ich konnte meine Tränen doch nicht zurückhalten. Als ich an dem Bett stand, in dem sie so still lag, fragte ich die anwesenden Trauergäste, wohin meine Mutter gegangen sei, ob sie niemals mehr zu mir reden, mich küssen und liebkosen werde. Und sie sagten ›nie mehr‹, und wiederholten diesen schrecklichen und doch unwahren Kehrreim immer wieder, bis mein armes Herz bis zum Zerspringen voll war von Kummer und Trübsal. Und dann warf ich mich über den teuren Leichnam und weinte, bis die Tränen nicht mehr fließen wollten. Als ich an der kalten Brust meiner lieben Mutter lag, sagte eine Frau zu mir: ›Weine nicht, armes Kind, sie ist jetzt glücklich. Sie hat den Weg zum Himmel beschritten.‹ Und ich glaubte, was die Frau sagte, und sah hinaus durch das dichte Laubwerk der dicht vor dem Hause stehenden Bäume; ich blickte sehnsüchtig zum Himmel hinauf in der Erwartung, die emporsteigende Seele wahrzunehmen, und als mein Blick auf eine silberne Wolke fiel, da glaubte ich, es sei meiner Mutter geheiligte Seele. Fast glaube ich es jetzt noch, denn, als die Wolke sich in der Bläue des Himmels in Nichts auflöste, hörte ich deutlich eine Stimme, leise, zart und ein wenig traurig, gleich den sterbenden Tönen einer Äolsharfe, die sanft vom Hauch des Zephirs berührt wird, die Worte in mein Ohr flüstern -- ich damals noch nicht ganz verstand --: ›Einsamer! möge dir das Leben, das du jetzt beginnst, Ruhe bringen! Laß deinen Wahlspruch sein: ›Versuch's!‹ Verzage nicht, sondern erinnere dich immer daran, daß wir dennoch glücklich sein können, trotz alledem! Lebe in Frieden, armes Kind! Du wirst von deiner Mutter bewacht und behütet!‹ ›Und von dem Fremden‹, fügte eine andere noch hellere Stimme aus der tiefen Stille des nachmittägigen Himmels hinzu. Ich erkannte diese mystische Stimme -- die erste -- und fühlte, daß sie von jenseits der Schwelle der Zeit kam. Von dieser Stunde an begann für mich und in mir ein seltsames Doppelleben. Zwei in jeder Hinsicht vollkommen wahre Vorfälle will ich erzählen, von denen der eine es mir für immer zur Gewißheit machte, daß es menschliche Wesen gibt, die die Feuerprobe des Todes überleben. Nicht lange nach meinem unersetzlichen Verlust ging ich mit einigen anderen Kindern in dem Dachzimmer jenes dunklen alten Hauses zu Bett. Irgendein lustiges Geschehnis war vorhergegangen, und wir waren alle von Freude und Heiterkeit erfüllt, und unser Frohsinn war so laut, als er sein durfte bei der Furcht vor den Ogern unter uns, die die üble Angewohnheit hatten, mit Hilfe von Riemen und Birkenruten sich Ruhe zu erzwingen. Mitten im ärgsten Lärm wurden uns plötzlich ganz langsam von einer völlig unsichtbaren Macht die Bettdecken weggezogen. Wir zogen sie wieder zurück, aber immer und immer wieder wurden sie fortgezogen, und dies war von einem Getöse und Gerassel begleitet, wie wenn fünfzig Kanonenkugeln auf dem Boden umherrollten; und das führte sogleich die Oger von unten zu uns herauf, die sehen wollten, was vorging. Soweit es uns unser Schrecken erlaubte, erklärten wir es ihnen, worauf sie schrecklich weise dreinsahen, die Bettdecken wieder in Ordnung brachten und sich zurückzogen. Kaum waren sie fort, als die Kanonenkugeln wieder über dem Boden zu rollen begannen. Und als ich den Mut aufbrachte, mich aufzurichten, um nach der Bettdecke zu haschen, die schon wieder weggezogen worden war, sah ich klar und deutlich eine weibliche Gestalt zu Füßen meines Bettes stehen, aber nicht auf dem Boden, denn sie schwebte wie eine Dunstwolke in der Luft. Es war, wenn überhaupt, nur wenig Licht in dem Raume, außer dem, welches die Erscheinung umfloß und von ihr auszugehen schien. Sie stand inmitten eines silbernen oder phosphoreszierenden Nebels, war aber in ihrem Äußern keineswegs phantastisch, sondern so klar und scharf umrissen, daß ich mich an alle einzelnen Bestandteile ihrer Kleidung erinnere, eine Tatsache, die ein Geheimnis enthält, das kein Psychologe bis jetzt zu ergründen vermochte. Die anderen Kinder, die es ebenfalls bemerkten, erschraken, ich nicht, denn ich fühlte, daß die Gestalt mir nichts tun würde, weil ja eine Mutter ihre Kinder liebt. Und diese Erscheinung war meine Mutter! Nach diesem Vorfall verfloß eine ziemlich lange Zeit. Ich war zu einem kräftigen, lebhaften Knaben herangewachsen und hatte mich schon einige Jahre lang in der Welt umhergetrieben, als ich mich eines Tages als Schiffsjunge auf der Brigg ›Phöbe‹ aus New Bedford befand, deren Kapitän ein gewisser Alonzo Baker war, der aber nicht aus New Bedford stammte. Auf diesem Schiff diente ich mehrere Monate, zu niemandes Zufriedenheit, auch nicht zu meiner eigenen, da ich zu klein, zu schwach und zu zart war, um die schweren Pflichten erfüllen zu können, die mir auferlegt waren, und ich mußte daher auch die üblichen Strafen dafür erleiden. Seeleute sind stets abergläubisch, wenn auch jetzt vielleicht weniger als in der Zeit, von der ich spreche. Aber auch heute ist es trotz allen Fortschritts nicht schwer, Matrosen zu finden, die einem zwischen der Hundewache und acht Glas unter der Wetterreling ein Garn spinnen, daß sich einem die Haare sträuben wie einer zornigen Katze. -- An Bord der ›Phöbe‹ befanden sich einige alte Seebären, die eine Menge Geschichten von den Geistern ermordeter Matrosen zu erzählen wußten, die mitten in fürchterlichen Stürmen erschienen, um die Maaten vor dem Mast zu ermuntern und die Seelen schuldbeladener Steuerleute und Kapitäne zu erschrecken. Dies trug natürlich dazu bei, meine abergläubischen und mystischen Neigungen zu verstärken. Oft habe ich die Nähe und die Macht des Todes oder jener, die niemals sterben, gefühlt, und oft bin ich auf geheimnisvolle Weise gerettet worden, wenn ich versucht war, an den gefährlichen Vergnügungen meiner älteren Kameraden teilzunehmen. Seeleute lieben die Macht und freuen sich, sie über den auszuüben, den ihnen ein glücklicher oder unglücklicher Zufall in die Hände liefert; und auf jedem Schiff gibt es sicherlich einen, der die Zielscheibe kleinlicher Tyrannei und Mißhandlung ist. An Bord der ›Phöbe‹ war ich dieser eine, und da mir ein kräftiger Widerstand nicht möglich war, beschloß ich, mich zu rächen. Ich verwahrte in meiner Kiste ungefähr eine Gallone Rum, in die ich vorher etwa eine halbe Unze Krebsblumenöl aus der Medizinkiste gegossen hatte. Ich versah den Krug mit einem Zettel ›Gift‹. Krebsblumenöl ist das wirksamste gegenwärtig bekannte Abführmittel. Die Matrosen fanden den Krug, lasen den Zettel, glaubten der Aufschrift nicht, tranken die Flüssigkeit und waren folgerichtig danach für mehrere Stunden stark beschäftigt. Eine ganze Reihe von ernsten, gewandten Männern war nicht mehr zu sehen. An jenem Abend konnten sie dem Essen keinen Geschmack abgewinnen. Sie prügelten mich dafür unbarmherzig durch, aber ich war gerächt. Sie mißhandelten mich noch weiter, bis mich eines Tages ein Matrose in der Kambuse in die Nase kniff und für seine Quälerei eine halbe Gallone heißen Schmalzes auf den Unterleib bekam, die ihn sehr belästigte ... Zuletzt dachte ich an Selbstmord als die einzige Erlösung, und in einem Anfall von Wut und Verzweiflung, wie sie nur einen Knaben zu überkommen pflegen, rannte ich wirklich aufs Hinterdeck, um den Gedanken auszuführen, durch einen Sprung über den Heckbord in die wogende See. Da wurde ich durch einen leisen Hauch von warmer, beinahe heißer Luft gebannt. Ich war bis in mein Innerstes durchschauert, blieb stehen und in meiner Seele wurde ein beredter und entrüsteter Widerspruch gegen meine Tollheit laut. Ich erlauschte deutlich die Worte: ›Sei geduldig! Versuch's!‹ Es ist unmöglich, all dies einer Selbsttäuschung zuzuschreiben. Eines Abends, lange Zeit nach dem eben berichteten Ereignis, unterhielt sich eine Gesellschaft von Damen und Herren in Portland im Staate Maine in einem Hause in der Nähe des Observatoriums über das allgemeine Thema ›Geister‹ und über Lohn und Strafe nach dem Tode. Als wir uns in jenem Zimmer niedersetzten, waren wir gerade dreizehn Personen. Wir waren von der Diskussion sehr in Anspruch genommen, so sehr, daß der Gastgeber den Dienern strengen Befehl gab, uns nicht zu stören und niemand einzulassen, wer es auch sei. Und so plauderten wir darauf los; die Diener saßen in der Vorhalle an der Türe und niemand wurde vorgelassen. Mitten im Austausch der Meinungen nahm einer der Anwesenden durch seine Beredsamkeit und seine ehrwürdige Erscheinung unsere ganze Aufmerksamkeit gefangen. Er sprach genau eine Stunde lang, und der Inhalt seiner Ausführungen erschütterte uns tief. Als er geendet, schwand er uns aus den Augen und wir bemerkten nun erst, daß er der vierzehnte Gast gewesen war. Auf gegenseitiges Befragen stellte sich heraus, daß ihn keiner kannte oder früher je gesehen oder sein Fortgehen wahrgenommen hatte -- nicht einmal die Dienerschaft, die erklärte, daß seit zwei Stunden niemand weggegangen sei. Man sagte ›sehr seltsam‹ und wir beschlossen, um unseres eigenen Ansehens willen die Sache zu verschweigen, doch wir kamen überein, in acht Tagen am selben Ort wieder zusammenzukommen, um die Angelegenheit näher zu besprechen und die Meinungen zu vergleichen, zu denen die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft inzwischen kommen würden.« 4. Kapitel EINE HÖCHST SELTSAME GESCHICHTE ETTELAVAR »An dem verabredeten Abend kam ein ausgewählter Teil unserer Gesellschaft wieder zusammen, aber keiner hatte eine Lösung des Rätsels gefunden. Unsere Unterhaltung wurde womöglich noch interessanter und spannender als beim erstenmal, und zwar wegen der ungewöhnlichen Dinge, die ich dabei erlebte. Ich war an jenem Abend so vollständig der Sache hingegeben, daß ich zwei- oder dreimal in eine Art mesmerischen Halbschlafs verfiel, der in dem Grade tiefer wurde, als die Diskussion sich steigerte, bis meine unteren Gliedmaßen kalt wurden und mich eine eisige Erstarrung befiel, worüber ich derart erschrak, daß ich, selbst auf die Gefahr hin, das Gespräch zu unterbrechen, den anderen die Verfassung, in der ich mich befand, kundtun wollte. Wollte -- denn ich versuchte es und bemerkte zu meiner Bestürzung, daß ich keine Silbe mehr sprechen konnte -- daß ich nicht mehr der geringsten Bewegung fähig war. Ich war entsetzt. Die Gesellschaft war von dem Gesprächsgegenstand so sehr in Anspruch genommen, daß niemand von der an mir vorgegangenen Veränderung Notiz nahm, auch argwöhnte niemand, daß ich nicht mit größter Aufmerksamkeit bei der Sache sei. Mit unbeschreiblichem Schrecken fühlte ich, daß mir das Leben rasch entfloh und daß der Tod langsam, aber sicher mit eisigem Griff meine Seele packte. Ich war am Sterben. Es schien mir, als sei eine lange Zeit zwischen den letzten bewußten Momenten und dem augenblicklichen deutlich bewußten Todeskampf verlaufen. Da plötzlich schoß ein scharfes quälendes Schmerzgefühl wie ein Nadelstich durch mein Gehirn. Daraufhin nahm mein Empfindungsvermögen ab, wie wenn der Körper in untätiger Passivität der Auflösung keinen Widerstand mehr leisten wollte, und es kamen, mit der Schnelligkeit des Blitzes, die fürchterlichsten Agonien, die je ein sterblicher Mensch erduldet haben mag. Als sie zu Ende waren, schwand mein Bewußtsein und ich fiel auf den Boden, wie ein plötzlich vom Tode Überraschter, zum größten Schrecken der Gesellschaft, wie man mir später sagte. Wie lange diese physische Leere dauerte, kann ich jetzt nicht sagen, aber, während mein Körper in diesem apathischen Zustand war, wurde meine Seele zu zehnfacher Kraft aufgepeitscht; denn sie sah die Dinge in neuem, geheimnisvollem Licht und weit deutlicher, als sie es je durch die körperlichen Augen vermocht hätte. Diese Zunahme des Gesichts war von einer ebenso starken Zunahme des Gehörs begleitet, und ich hörte eine Stimme, die ganz der ähnlich war, die ich beim Tode meiner Mutter und damals, als ich mich in die See stürzen wollte, gehört, und sie sagte: »Erwache! Eine Aufgabe erwartet dich!« Gleichzeitig ließ meine Lethargie nach und ich wurde nach oben geführt und legte mich mechanisch auf ein Sofa, wobei ich meine Augen unwillkürlich auf das fahle weiße Zifferblatt einer seltsamen alten vlämischen Uhr richtete, die die ganze südliche Ecke des Zimmers einnahm. Dann ließen mich meine Freunde allein, um im Gesellschaftszimmer unten ihre Unterhaltung wieder aufzunehmen. Das alte Zifferblatt wurde vor meinen Augen heller und heller und dehnte sich immer mehr aus, bis ich, von seiner Körperlichkeit nicht mehr behindert, in ein Meer von märchenhaftem Lichte blickte, dergleichen ich noch nie gesehen. Ich glaubte mich nicht mehr an meinen Leib gefesselt, sondern frei von Raum und Zeit, ein freier Bürger der Ewigkeit. Und ich fühlte mich auf einer Dunstwolke in die Luft emporgehoben, von dem mächtigen Arme eines seltsam blickenden alten Mannes -- dem genauen Ebenbild desjenigen, der uns einige Tage vorher durch seine Erzählungen und sein geheimnisvolles Verschwinden in so große Bestürzung versetzt hatte. Er sagte, ich solle mich nicht fürchten, sondern auf mich und ihn vertrauen; nicht Böses, sondern Gutes wolle er mir tun: sein Name sei Ettelavar, seine Jahre zählten nach Menschenaltern und er sei der Gefährte derer, die sterben und wieder leben -- und jener, die niemals den Tod erleiden. All dies und noch mehr sagte er mir; und er fügte hinzu, er wolle sich und mir helfen. Er kenne geheimnisvolle Mächte, die durch Jahrhunderte hindurch die Weisen und Gelehrten der Erde zu besitzen behaupten -- die Narek el Gebel, die Hermetisten, die Pythagoräer, die drei Tempel des Rosenkreuzes, die mittelalterlichen und die modernen Rosenkreuzer und die zu allen Zeiten und an allen Orten lebenden Erforscher von Geheimnissen. Während ich diesem seltsamen Wesen Ettelavar zuhörte, war mir, als ob ich im Luftraum schwebte; ich verspürte ein so intensives Lebensgefühl wie nie zuvor, und wußte zum erstenmal, was es heißt, ein lebendes, menschliches Wesen zu sein. Durch eine mir unbekannte Kraft tat Ettelavar unserer Bewegung Einhalt und die Wolke, auf der wir dahinzusegeln schienen, stand mitten im Weltraum still und er sagte zu mir: ›Sieh und lerne!‹ Wie geschäftige Insekten in der Sommersonne sah ich in weiter Ferne zahllose menschliche Wesen, die mühsam auf einer steilen Anhöhe arbeiteten, über deren Gipfel schwerfällig dichte, dunkle, düstere Wolken hingen. An ihren Rändern waren sie blutrot, wie wenn sie mit Donner gekrönt und ihr Inneres übervoll von Blitzen wäre; ihre finsteren Schatten legten sich schwer und bleich auf die Ebene unten, wie Sterbekleider auf die Glieder einer schönen Frau. ›Es ist nur eine Masse‹, sagte ich; und das Wesen an meiner Seite wiederholte in erstauntem Tone: »Nichts als eine Masse? Knabe, die Schicksale der Völker beruhen auf der Masse. Sieh weiter!« Ich gehorchte mechanisch und bald bemerkte ich eine seltsame Bewegung unter der Menge, ein Klagegeheul drang empor -- ein Schrei höchster Angst -- ein Schall, schwerbeladen mit Weh und Seelenleiden. Ich schauderte. Auf der äußersten Spitze des Berges stand ein gewaltiges Monument, kein Obelisk, aber eine Art Tempel, vollkommen in allen seinen Linien und prächtig anzuschauen. Auf diesem Gebäude stand eine kleine Pyramide aus glänzendem Gold und auf jeder ihrer Seiten war das lateinische Wort ›felicitas‹ eingegraben. Ich fragte meinen Führer nach einer Erklärung, aber anstatt sie zu geben, legte er seine ätherische Hand auf meine Hand und indem er leicht über meine Augen fuhr, sagte er: ›Sieh!‹ Hatte seine Berührung Zauberkraft? Es schien so, denn sie vergrößerte meine Sehkraft wohl um das Fünfzigfache und als ich mich wieder der Erde zuwandte, wurde mein Interesse durch ein wirkliches Drama erregt, das sich da und dort abspielte. Offensichtlich war die große Mehrheit der Leute teilweise, wenn nicht völlig blind, und ich beobachtete, daß eine Gruppe in der Mitte der Ebene am Fuße des Berges sich in größerer Erregung zu befinden schien als die anderen. Ihre Unruhe schien aus dem Wunsch hervorzugehen, der hier jeden beherrschte, nämlich eine Kugel und einen Stab aus Gold zu bekommen, die auf einem roten Samtkissen in dem prächtigen Gebäude auf dem Berge lagen. Inmitten dieser letzteren Gruppe, die sich heftig bemühte, den Weg zu dem Monument hinauf zu erreichen, befand sich ein Mann, der mit weit mehr Willenskraft und Entschlossenheit ausgestattet zu sein schien als alle anderen. Mutig strebte er auf dem Wege zum Gipfel vorwärts und nach unglaublichen Anstrengungen hatte er auch Erfolg. Frohlockend nahte er sich dem Tempel. An seiner Seite waren noch Hunderte. Er überholte sie, trat ein und streckte die Hände nach der Kugel und dem Zepter aus -- ich glaubte schon, er würde gewiß sein Ziel erreichen -- seine Finger berührten schon den Preis, ein Lächeln des Triumphes erhellte sein Antlitz, aber da nahm es plötzlich die Farbe des Todes an -- er fiel zur Erde, von einem tödlichen Schlag getroffen, den eine verräterische Hand von hinten geführt hatte, und schon packten ihn andere und warfen ihn in den gähnenden Abgrund, an den der Tempel hart angrenzte. Wohl war er der erste, aber der erste, der in Stücke gerissen und von den eisernen Fersen der Neuankommenden zu Tode getreten wurde -- von Menschen, die kein Mitleid fühlten, sondern sich vielmehr freuten, daß die Zahl ihrer Rivalen sich um einen vermindert hatte. ›Ist es möglich,‹ rief ich innerlich aus, ›daß ein so infernalischer Neid in menschlichen Seelen kocht?‹ ›Leider, wie du siehst‹, antwortete Ettelavar an meiner Seite. ›Laß dir zur Lehre dienen, was du gesehen hast. Ruhm ist ein Wahnsinn, nicht wert, ihn zu besitzen, wenn man ihn erlangt hat. ›Felicitas‹ schwebt dem Menschen immer vor und wird nie erreicht, darum sollte man gar nicht danach streben. Freundschaft ist ein leerer Name oder ein bequemes Kleid, das die Menschen anlegen, um einander mit größerer Leichtigkeit berauben zu können. Kein Mensch freut sich, wenn er den anderen emporkommen sieht, außer, wenn dieses Emporkommen seiner eigenen Erhöhung nützt. Und der Hintenstehende wird den Vornstehenden erdolchen, wenn er ihm im Wege steht. Ich beginne mein Amt als dein Schützer, indem ich dich vor der Welt warne -- und damit dich gegen sie bewaffne -- und vor allen, die zu ihr gehören. Wenn du wirklich emporsteigen willst, dann mußt du erst lernen, die Welt und alles, was sie enthält, auf seinen richtigen Wert einzuschätzen. Denke daran; ich, der ich zu dir spreche, bin Ettelavar. Erwache!‹ Wie die plötzliche schwarze Wolke in östlichen Meeren, so kam eine Finsternis über mich; meine Augen öffneten sich und erblickten das alte Zifferblatt. Seine Zeiger sagten mir, daß genau dreizehn Minuten verflossen waren, seit ich zum erstenmal auf jener Uhr nach der Zeit gesehen hatte. Seit jener Stunde habe ich manches Ähnliche erlebt und das ist auch der Grund für die in gewisser Hinsicht außergewöhnlichen Kräfte, die ich mir nicht anmaße, sondern die mir zugeschrieben werden.« Dies war der Inhalt der Erzählung des jungen Mannes, die er zur Antwort auf die Fragen gab, die ihm, lange bevor er hier dem Leser vorgeführt wurde, vorgelegt worden waren. 5. Kapitel LIEBE -- EULAMPIA[2] -- DAS SCHÖNE Die goldene Sonne ging unter, der Tag sank unter seine purpurnen Decken im glühenden Westen. Arbeitsmüde Bauern wanderten langsam ihren Weg nach Hause zum Abendessen. Noch saß der Wanderer an der Landstraße; noch fielen seine Tränen und wenn die Heimkehrenden an ihm vorbeikamen, machten sie wohl Bemerkungen über ihn, ohne sich darum zu kümmern, ob er sie hörte oder nicht. Zuletzt kamen drei Personen des Wegs, von denen zwei unzweifelhaft Indianer waren, während es bei der dritten, einem Mädchen von einzigartiger Gestalt, Grazie und Gesichtsfarbe und ungewöhnlicher Schönheit sehr schwer war, ihre Rassenzugehörigkeit zu bestimmen. Sie war etwa vierzehn Jahre alt. Der Knabe, der sie und den alten grauhaarigen Indianer begleitete, mochte gegen zwölf Jahre zählen. Dieser Junge nun bemerkte den Fremden zuerst. »O, Eulampia,« sagte er, »sieh doch! Da sitzt ein Mann und weint, ich will ihm helfen!« Er redete in seiner Muttersprache. Er war ein Vollblutindianer, furchtlos, lebhaft und edelmütig. Er war vom Stamme der Oneida, die zu den Mohawks gehören. Unglück sehen und zu Hilfe eilen war für ihn ein und dasselbe, wie es auch bei seinem Volke gebräuchlich war, bis es durch schlechte Sitten und durch eine noch schlechtere Schutzherrschaft »kultiviert« und »zivilisiert« wurde. Der Indianer hieß Ki-ah-wah-nah (der Lindernde und Tapfere) und war der Häuptling des Stockbridge-Zweiges der Mohawks. Das Mädchen, Eulampia, war dem Namen nach sein Enkelkind, in Wirklichkeit aber hatte sie außer Kleidung, Sprache und Erziehung nichts Indianisches an sich, obgleich man sie wohl für einen Mischling hätte halten können. Ihr Name war neugriechisch, aber ihre Züge und ihre Gesichtsfarbe erinnerten nicht mehr an die der schönen Bewohner der Gestade des Bosporus als an die der Indianer oder Angelsachsen. Vor vielen Jahren war das Mädchen von einer Frau, die zu einer Bande wandernder Zigeuner gehört, dem Häuptling gebracht und für eine Woche seiner Obhut übergeben worden. Diese Frau hatte, durch den Ruf der Neuen Welt angelockt, ihre europäische Heimat verlassen und die See durchquert, um eine goldene Ernte zu sammeln. Die Zigeunerbande hatte sich fast ein Jahr lang in Cornhill in Utica aufgehalten und dann von dort das Land in weitem Kreise durchzogen. Die Frau war niemals zurückgekommen, um ihr Kind wieder zu holen, denn die übrigen Mitglieder der Gesellschaft brachen plötzlich auf. Der alte Häuptling, der Eulampia als Kind übernommen hatte, gewann sie, als sie heranwuchs und größer wurde, ebenso lieb wie wenn sie eine Frau seines eigenen Stammes gewesen wäre. Dies war keineswegs verwunderlich, denn ihr überlegener Geist erzwang sich bald Achtung und Bewunderung. Keine einzige der ethnologischen, körperlichen oder seelischen Eigenheiten der Zigeunervölker war an ihr wahrzunehmen und kluge Leute vermuteten deshalb, sie sei irgendwo von jenem Weibe gestohlen worden, das sie aus Furcht oder Berechnung ihrem Schicksal und der Fürsorge des guten alten Indianers überlassen hatte. Sie galt weit und breit nicht nur als die Schönste, sondern auch als die Gescheiteste unter all ihren Altersgenossinnen und war die unbestrittene Königin jener Indianerreservation, nicht von Rechts wegen, sondern durch ihre geistige Überlegenheit. Dies war also die »hellstrahlende« Jungfrau, die sich jetzt, durch die Rufe des Knaben aufmerksam gemacht, dem jungen Beverly näherte. Als sie sein Äußeres gewahrte, das von Not und Kummer Zeugnis ablegte, legte sie ihre zarte Hand sanft auf sein Haupt und sagte mit einer ungemein herzlichen und sympathischen Stimme: »Mann mit dem schweren Herzen, warum weinst du da? Ist deine Mutter vor kurzem gestorben?« Der junge Mann hob den Kopf, sah das Mädchen in seiner blendenden Schönheit vor sich und entgegnete, nachdem er einen Augenblick gezögert hatte, wobei ihn ein Schaudern wie von einer schmerzlichen Erinnerung überlief, mit leiser Stimme: »Nein; es kann nicht sein! -- es kann nicht sein! -- Und gar in diesem Teil der Welt! Nein!« Dann fügte er hinzu: »Mädchen, ich bin allein und das ist's, warum ich weine. Ich bin noch jung, aber das Gewicht von Jahren des Kummers lastet schwer auf mir und drückt mich nieder. Heute ist der Jahrestag des Todes meiner Mutter und ich begehe ihn immer in Tränen und Gebet. Seit sie zum Himmel heimging, habe ich keinen wahren Freund gehabt, und mein Los und Leben ist Elend. Die Menschen nennen sich meine Freunde und beweisen es, indem sie mich berauben. Vor kurzem kam einer zu mir -- er war sehr reich -- und sagte: ›Man sagt mir, daß Ihr sehr geschickt in der Behandlung von Kranken seid. Kommt; ich habe eine Schwester, die die Ärzte bereits aufgegeben haben. Ich liebe sie, Ihr seid arm, ich bin reich. Rettet sie; Gold wird Euer Lohn sein.‹ Ich ging, die Ärzte hatten sie aufgegeben und nur zwei Möglichkeiten gab es noch, ihr Leben zu verlängern -- entweder die Übertragung von Blut aus meinen Adern in die ihrigen, oder eine Übertragung des Lebens selbst. Ich war jung und kräftig und wir beschlossen, den letzteren Weg einzuschlagen. Und Monate lang saß ich nun -- während der Zeit von drei Jahren -- bei der armen Kranken und ließ ihren zerstörten Körper auf magnetischem Wege wieder Leben gewinnen, ohne darauf zu achten, daß ich dabei meine eigene Gesundheit untergrub. Schließlich brach ich vor Erschöpfung und Krankheit zusammen und war, nur um mein Leben zu retten, genötigt, das magnetische Band zwischen uns zu lösen und nach Europa zu gehen. Kaum war die Verbindung unterbrochen, so sank sie ins Grab. Falsche Freunde haben mich betrogen und mich an den Bettelstab gebracht. Du weißt jetzt, warum ich traurig bin, Mädchen mit dem guten Herzen! Ich bin schwach heute abend; der Morgen wird mir wieder Kraft bringen. Sieh, die goldene Sonne geht im Westen unter. Ich fürchte, meine Sonne geht auch unter und die lange, lange Nacht des Elends wird folgen.« »Du sprichst gut, Mann mit der wunden Seele,« entgegnete sie, »du sprichst gut, wenn du sagst, daß die Sonne untergeht; aber du scheinst zu vergessen, daß sie wieder aufgehen und so hell wie heute scheinen wird! Alte Leute sagen, daß die finsterste Stunde die vor dem Anbruch des Tages ist. Ich bitte dich, fasse Mut. Du kannst trotzdem glücklich sein!« »Genau der Wahlspruch der geheimnisvollen Brüderschaft! -- Genau die Worte meiner toten Mutter! Wie ist dieses Mädchen dazugekommen? Wann? Wo? Durch wen?« Beverly stutzte und blickte in die dunkle Tiefe ihres Auges. Er wollte schon die Fragen an sie stellen, die sich ihm soeben aufgedrängt hatten, tat es dann aber doch nicht. »Wir können alle trotzdem glücklich sein,« wiederholte sie, »denn der große Geist hat es mir gesagt«, und sie faltete ihre Hände über ihrer jungfräulichen Brust -- glühend von unsterblicher Glut und Begeisterung. Und sie warf mit einem Ruck ihres Hauptes ihr langwallendes schwarzes Haar zurück und stand da als die vollkommene Verkörperung von Treue und Hoffnung, wie wenn ihre emporgewandten Augen ein Gottesblick vom Himmel herab träfe. Der alte Häuptling und der Knabe an ihrer Seite sagten nichts, aber jeder faltete instinktiv seine Hände zum Ausdruck des Vertrauens und des Gebets. Die Gesamtwirkung dieses Eindrucks auf den jungen Mann war eine ungeheuere. Der seltsame Vorfall erschütterte ihn so mächtig, daß er aufstand und dem Mädchen seine Hände auf das Haupt legte. Dann erhob er seine Augen und seine Stimme gen Himmel und antwortete aus der Tiefe seiner Seele: »Amen und nochmals Amen.« In diesem kritischen Moment kam ich, der Verfasser dieses Buches, zufällig dahin, wo jene Szene stattfand. Einige wenige Worte genügten zur Einführung, und an derselben Stelle begann eine Freundschaft zwischen uns, die selbst der Tod nicht zu trennen vermochte. Zwei Stunden später saß der Häuptling mit seinem Sohne, das Mädchen, der Jüngling und ich bei einem freundschaftlichen Mahle in dem Hause des Alten. Nach beendeter Mahlzeit nahm das Gespräch eine philosophische Wendung, wobei der Häuptling, der wirklich ein glänzendes Beispiel eines gebildeten Indianers war, sich lebhaft und mit Interesse an der Unterhaltung beteiligte. Endlich griffen die Älteren zu ihren Pfeifen, die Jüngeren legten sich schlafen, und Beverly und Levambea, wie sie allgemein genannt wurde, gingen hinaus und setzten sich unter einer alten Sykomore nieder, die ihre gigantischen Glieder wie ein Schutzgeist über das Häuschen streckte. Dort plauderten sie, zuerst heiter, dann aber in einem zarteren und ernsteren Ton und es war klar, daß zwischen diesen beiden Menschenkindern schon etwas Wärmeres als Freundschaft aufgeblüht war. Als sie sich erhoben, um ins Haus zu gehen, waren die letzten Worte, die das Mädchen sprach -- und zwar mit demselben begeisterten Ton, wie bei ihren ersten Worten --: »Ja, ich werde dich lieben, aber nicht hier, nicht jetzt, vielleicht nicht einmal auf dieser Erde. Doch ich will deine Stütze und dein Stab sein, mögen auch weite Meere zwischen uns liegen. Höre zu: Wenn ich in Gefahr bin, wirst du es wissen, wo immer du auch sein magst. Wenn du in Gefahr bist, wirst du mich sehen. Vergiß nicht, was ich sage, und stelle keine Fragen. Dein Schicksal ist ein einzigartiges, aber nicht einzigartiger als das meine. Gute Nacht! Lebe wohl! Wir werden uns jetzt nicht mehr sehen -- es ist nicht erlaubt!« Und ohne noch ein Wort zu sprechen, verließ sie ihn plötzlich, eilte ins Haus, stieg die Treppe hinauf und war verschwunden wie ein Geist. Am nächsten Tage willigte der junge Beverly auf das Zureden des Häuptlings und anderer, die Interesse an ihm nahmen, ein, mit mir nach meinem Heim zu gehen, das viele Meilen von jenem Orte entfernt war. Wir kamen nach Verlauf der gewöhnlichen Zeit an und er blieb mehrere Monate lang mein Hausgenosse. Und während er sich noch unter der Einwirkung seiner geschwächten Gesundheit und des daraus folgenden mitteilsamen Zustandes befand, wurde ich mit vielen der erhabenen und tiefen Geheimnisse der berühmten Brüderschaft der Rosenkreuzer vertraut, über die er genau Bescheid wußte und die er mir in bestimmten Grenzen zu veröffentlichen erlaubte, unter der einen Bedingung freilich, daß ich den Sitz der Logen, des Domes und die Namen der obersten Führer nicht angeben dürfe, während er mir für die unteren Tempel des Ordens -- die in diesem Lande die drei ersten Grade umfassen -- keine solche Beschränkung auferlegte, da den Dienern dieser letzteren die höheren Logen vollständig unbekannt sind. Wie oft, ach, wie oft, saß ich neben ihm an den grünen Ufern des Flusses, der mein kleines Besitztum durchströmte, und lauschte hingerissen der tiefen Weisheit, und den Schilderungen des Wesens und des Ursprungs, der Macht und der Bestimmung der Rosenkreuzer -- und all dies hörte ich von den Lippen eines Mannes, der völlig unfähig war, sich mit der habsüchtigen Welt des Handelns und Feilschens auch nur mit dem geringsten Erfolg herumzustreiten. Es war der seltsamste Widerspruch, der mir je an einem Menschen begegnete. Dieser Mann, der in geistigen Wollüsten schwelgte, wie sie für Engel geschaffen sein mochten, hatte nicht so viel Schlauheit, um die Pläne eines gewöhnlichen Betrügers zu vereiteln; -- dieser Mann setzte blindlings für lange Jahre sein ganzes Vertrauen auf einen anderen, dessen einziges Ziel es war, ihm nicht nur sein kleines Vermögen, sondern auch seinen guten Ruf zu rauben -- dieser Mann mußte zusehen, wie ein ihm teures Kind verhungerte, buchstäblich verhungerte, und begraben wurde, während jener mit den Seinigen im gleichen Augenblick das Geld verpraßte, für das er seine Gesundheit, ja sein Leben in Tausch gegeben hatte. Welch seltsame Widersprüche! Ich habe mich oft gewundert, wie solche Dinge geschehen konnten und besonders dann, wenn er mir die höheren Geheimnisse des Ordens enthüllte, wenn er von Apollonius von Tyana, von den Platonikern, den alten Pythagoräern, von den Sylphen, Salamandern und Glendovers, von Cardan, von Yung-tse-Soh und dem kabbalistischen Licht, von Hermes Trismegistos und den smaragdenen Tafeln, von Hexerei und weißer und schwarzer Magie, vom Labyrinth, von göttlicher Weisheit, von Gott und dem Reiche der Götter, von den Wahrheiten und Irrtümern der goldsuchenden Hermetisten und Pseudorosenkreuzer, von Justinus dem Märtyrer, von Tertullian, Cyprian, Lactantius und Clemens Alexandrinus, von Origines und Macrobius, Josephus und Philo, von Enoch und den präadamitischen Geschlechtern, von Dambuk und Cekus, Psellus, Jamblichus, Plotin und Porphyrius und Paracelsus und über tausend andere mystische Bekenner sprach. So sagte er eines Tages zu mir: »Denken Sie noch daran, wie Sie mich auslachten, als ich zum erstenmal von den Rosenkreuzern zu sprechen begann und Sie behaupteten, daß eine solche Brüderschaft, wenn sie überhaupt existiere, aus Schurken oder Narren bestehen müßte? Wie Sie herzlich lachten, als ich Sie darüber aufklärte, daß der Orden auf beiden Seiten des Grabes sich in die kleinsten Verzweigungen gliedere, daß er am anderen Ufer derzeit in seinen unteren Graden als der ›Königliche Orden von Gann‹ bekannt sei und in seinen höheren als der ›Große Orden der Neridien‹, daß, wer immer sich aus irgendwelchen Gründen der Brüderschaft diesseits des Grabes anschließe, nicht nur jedes Schutzes sicher sei und ihm auch eine große Menge wichtiger Kenntnisse vermittelt würden, sondern daß ihm auch ein Anteil an dem jenseitigen Ufer des Lebens zuteil würde, im Vergleich zu der jedes andere Schicksal unbedeutend und nutzlos ist. Ich wiederhole diese Behauptung jetzt.« 6. Kapitel NAPOLEON III. UND DIE ROSENKREUZER EIN UNGEWÖHNLICHER MANN UND EINE UNGEWÖHNLICHE THEORIE Beverly fuhr in seiner Erzählung fort: »Ich habe schon von dem Fluch erzählt, der über mich verhängt ist; -- daß ich zu ewigen Verwandlungen verdammt bin, wenn ich nicht durch die Ehe mit einer Frau erlöst werde, in deren Adern kein Tropfen vom Blute Adams kreist -- und auch das nur, wenn eine vollkommene gegenseitige Liebe besteht. Dieser Fluch hat mich mit gewissen Wesen, Mächten und Einflüssen in Berührung gebracht, wie schon andere vor mir, und schließlich wurde ich ein freiwilliger Adept der Geheimnisse der Brüderschaft der Rosenkreuzer. Wie, wann und wo ich würdig befunden wurde, aufgenommen zu werden, darf ich natürlich nicht sagen; es mag genügen, daß ich zu dem Orden gehöre, daß ich -- nachdem ich auf gewisse Dinge hatte verzichten müssen -- zu der Genossenschaft der Lebenden, der Toten und derer, die niemals sterben, sowie zu den berühmten Derishavi-Laneh zugelassen wurde und daß ich mit den letzten Geheimnissen der Fakie-Deeva-Register vertraut bin. Im Leben habe ich immer drei große Möglichkeiten vor mir gehabt: Eine davon ist die, daß ich -- da ich eine neutrale Seele bin -- nach meinem Tode der Führer eines hohen Ordens, das ›Licht‹ genannt, werden würde. Die zweite wäre die Berufung zur Führerschaft des ›Schattens‹, eines entgegengesetzten Ordens, gewesen. Die dritte, die ich am meisten fürchte, ist die, daß der vor vielen Menschenaltern ausgesprochene Fluch eines Sterbenden, ich müsse in verschiedenen Körpern auf der Erde umherwandern, ewige Dauer erlangen könnte, wie ich schon erzählt habe, wenn ich nicht durch die treue Liebe eines Weibes losgekauft werde, in deren Adern nicht ein Tropfen von Adamsblut fließt. Es ist mein sehnsüchtiger Wunsch, alle diese drei Möglichkeiten zu vermeiden und des Loses anderer Menschen teilhaftig zu werden. Ich habe noch andere geheimnisvolle Dinge zu erzählen. Ohne Zweifel erinnern Sie sich, daß jener Fluch von dem jungen Dichter ausgestoßen wurde und daß die geheimnisvolle Stimme in dem Gefängnis, wo er erschlagen wurde, erklärte, daß jener Jüngling fortan, bis der Fluch erfüllt sei, durch alle Zeiten als der ›Fremde‹ bekannt sein solle. Nun gut, im Verlauf der Jahrhunderte wurde dieser Fremde Mitglied einer erhabenen Brüderschaft des Jenseits mit dem Namen ›das Licht‹. Sie wissen auch, daß ich, der König, verurteilt wurde, bis zu meiner Erlösung rastlos umherzuwandern, und Sie wissen auch, daß dem Wesir, der den Namen ›Dhoula Bel‹ erhielt, ein seltsames Geschick auferlegt wurde. Auch er wurde ein tätiges Mitglied einer ausgedehnten Vereinigung im Weltraum, des ›Schattens‹. Das ist jedoch nur die eine Hälfte des Geheimnisses, denn Dhoula Bel und der Fremde hatten es sich zur Aufgabe gemacht, aus mir ein in jeder Beziehung neutrales Wesen zu machen, eines, das keine Neigungen zum Guten oder zum Bösen, sondern nur zu rastlosem Streben haben sollte. Bei einem meiner zahlreichen Aufenthalte in Paris wurde ich mit einigen hervorragenden Rosenkreuzern bekannt und als ich ihre seelische Tiefe maß, fand ich das Wasser sehr seicht und sehr schmutzig -- wie dies ja auch bei denen gewesen war, die ich in London getroffen hatte. Schließlich bekam ich eine Einladung von dem Baron D...t, an einer mesmeristischen Sitzung teilzunehmen. Ich ging hin und der Ruf, den ich dabei erlangte, bewirkte, daß ich schon nach einigen Tagen auf Befehl Kaiser Napoleons III.[3], der 34 Jahre lang ein treuer Rosenkreuzer gewesen war, in die Tuilerien entboten wurde. Ich war schon vorher mit ihm am gleichen Orte, aber in einer anderen Angelegenheit zusammengetroffen. Was damals, soweit ich als tätiger Teilnehmer in Betracht kam, geschah, das zu sagen steht mir nicht zu, außer daß gewisse Experimente in ›Hellseherei‹ als sehr gut gelungen bezeichnet wurden. Bei dieser Gelegenheit spielte ich Schach und Karten mit verbundenen Augen und gewann, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Dabei fanden die Spiele gleichzeitig statt und die Spieler saßen in drei getrennten Zimmern. Es war auch ein italienischer Edelmann mit einem unaussprechlichen Namen da, ferner ein russischer Graf Tsowinski und eine Frau Dablin, eine Mesmeristin und Opernsängerin. Nach einer Weile fragte der Kaiser die Kaiserin und den General Pellissier, den späteren Herzog von Malakoff, ob sie sich einem magnetischen Versuch durch einen der drei genannten Lehrer dieser Kunst unterziehen wollten. Sie stimmten zu, worauf der Kaiser mit lauter Stimme fragte, ob jemand aus der Gesellschaft geneigt sei, in eigener Person die magnetischen Kräfte seiner Exzellenz des italienischen Grafen zu bestätigen, dessen Methode beim Magnetisieren sich völlig von der damals allgemein üblichen unterschied. Er pflegte nämlich, wie der Schauspieler Boucicault in seinem berühmten Spiel ›Das Gespenst‹, nicht herumzugehen, auch blickte er die Versuchsperson überhaupt nicht an. ›Mit dem größten Vergnügen,‹ erwiderte der Graf auf die Aufforderung, seine seltsamen Kräfte vorzuführen, ›mit dem größten Vergnügen, Majestät‹. Und sogleich wandte er sich um und blickte starr in einen großen Spiegel, der den ganzen Raum zwischen den Fenstern des Salons einnahm. Als er sprach, kam es mir plötzlich zum Bewußtsein, daß ich diesen italienischen Rosenkreuzer schon einmal getroffen hatte, aber ich hätte um den Preis meines Lebens nicht sagen können, wo. Doch war ich völlig sicher, seine Stimme schon gehört und noch sicherer, sein seltsames, süßliches Lächeln schon gesehen zu haben. Der Graf stand so vor dem Spiegel, daß, wenn sein Auge eine leuchtende Flamme gewesen wäre, die von dem Spiegel zurückgeworfenen Strahlen mitten auf die Stirne eines aus unserer Gesellschaft getroffen hätten; dieser jedoch argwöhnte nicht das Geringste. Er merkte es erst, als es zu spät war und als der Experimentator ihn in den Brennpunkt seiner Sehstrahlen brachte, die Fäuste ballte, mit zehnfacher Konzentration in den Spiegel blickte und einige unverständliche Worte vor sich hin murmelte; -- und schon fiel der andere zu Boden, wie wenn ihn eine Kugel ins Herz getroffen hätte, oder wie wenn er mit einer Keule niedergeschlagen worden wäre. Alles fuhr auf und jeder glaubte, es handle sich um einen Schlaganfall -- ausgenommen der Kaiser, der Experimentator, ich und der Russe. Einige eilten herbei, um ihn aufzurichten, aber bevor sie dazu kamen, sprang er auf die Füße und begann zu tanzen und zu singen (im gleichen Moment begriff die Gesellschaft, daß es sich um ein mesmeristisches Phänomen handelte), um gleich darauf für sein Leben zu flehen, wie wenn er mit der Aussicht auf Gefängnis oder Hinrichtung vor seinen Richtern stände. Alles war von dem Vorfall im höchsten Grade hingerissen. Plötzlich verwandelte sich diese Gerichtsszene in eine musikalische, ohne daß der Graf ein Wort gesprochen hätte, und obgleich der Betreffende sonst durchaus nicht singen oder musizieren konnte, spielte er jetzt mehrere schwierige Stücke auf der Harfe und dem Klavier, sang selbst den Text dazu und das in so hervorragender Weise, daß alle Anwesenden unwillkürlich applaudierten. Plötzlich unterbrach er sein Spiel und trat genau an die gleiche Stelle, an der der Italiener vorher gestanden hatte und starrte wie er in den Spiegel. Zwanzig Sekunden später stürzte ein anderer Herr, der im Brechungswinkel der reflektierten Strahlen stand, zu Boden und als eine Dame ihm zu Hilfe eilen wollte, und dabei zufällig in den Bereich der Sehstrahlen geriet, hob sie ihn so leicht auf, als wäre er eine Puppe gewesen und begann mit ihm einen geradezu unbeschreiblich wilden Tanz. Dies wirkte ansteckend, denn in weniger als einer halben Minute wirbelten, sprangen und flogen wohl siebzehn Personen, würdige Lords und vornehme Damen, wilder als Bacchanten durch den Saal. Sie hatten sich alle der Reihe nach gegenseitig hypnotisiert. Über alle Maßen erstaunt, zog ich mich, um die weitere Entwicklung der Szene besser zu beobachten, nach der entgegengesetzten Seite des Salons zurück und lehnte mich an eines der beiden dort stehenden kolossalen japanischen Götterbilder. Niemand war in meiner Nähe. Und in meiner Überraschung murmelte ich leise: ›Welch erstaunliche Kraft!‹ Ich bin fest überzeugt, daß selbst ein ganz nahe bei mir Stehender nicht hätte verstehen können, was ich sprach, und doch hatte ich diese Worte kaum geäußert, als sich der Graf auf dem Absatz umdrehte, auf mich zukam und mit einem seltsamen süßlichen Lächeln sagte: ›Diese ganze Kraft ist die Ihre, wenn Sie nur ein einziges Wort sprechen.‹ ›Was für ein Wort?‹ fragte ich, verblüfft, daß jemand so schnell meine Gedanken hatte lesen können, denn er konnte meinen Ausruf unmöglich gehört haben. ›Daß Sie sich freiwillig der erhabensten Brüderschaft anschließen wollen, die es je auf der Erde gegeben hat. Überlegen Sie sich's. Wir sprechen uns später!‹ ›Wann? Wo?‹ fragte ich hastig, denn die erlauchte Gesellschaft und insbesondere der Kaiser, der uns unter seinen buschigen Brauen hervor ebensoviel Aufmerksamkeit schenkte, wie den wunderbaren Vorgängen im Saale, beobachteten uns fortwährend. Er antwortete nicht ohne weiteres, sagte aber schließlich: ›Durch die Ausübung der Macht, die ich besitze und Ihnen übertragen will -- bedingungsweise natürlich. Sie werden fähig sein, jeden Menschen der Sprache zu berauben und Mann, Weib oder Kind vollkommen Ihrem stummen Befehl dienstbar zu machen, wie die Leute dort meinem Willen dienstbar sind. Da lebt hier z. B. in Paris ein gewisser Jean Boyard, der durch einen bloßen Blick jeden beliebigen Gegenstand auf sich zutanzen lassen kann. Sie werden ihn um das fünfzigfache übertreffen! Auf dem Boulevard du Temple läßt ein gewisser Hektor eine Rose aus einer grünen Knospe in sieben Minuten voll erblühen. Sie werden es in einer Minute tun können. In der Rue du Jour lebt eine weise Frau, die alle Übel heilt, die überhaupt heilbar sind, und zwar durch bloße Berührung und durch Gebet: Sie werden mehr leisten, als sie je zu hoffen wagen darf. Sie brauchen nur zu sagen: ›Ich will diese Kräfte haben.‹ Und sie werden Ihnen zu Gebote stehen, und sie sind wahrhaftig des Besitzes wert. Ich habe meine Geheimnisse unter den Magiern des Ostens erlernt -- Männern, die nicht halb so zivilisiert sind, wie wir im Westen, die aber trotzdem ein gut Teil mehr wissen als die Weisen der Christenheit -- nicht von Technik, Politik und Finanzwesen, sondern von der menschlichen Seele, ihrer Natur, ihren Kräften und den Methoden ihrer Entwicklung. Anstatt der modernen wissenschaftlichen Entdeckungen auf diesem Gebiet froh zu sein, schämen wir uns des ›Wahren Tempels‹ ... ›Was für ein Tempel?‹ unterbrach ich ihn. Der ›Hohe Dom des Rosenkreuzes‹‹, sagte er. Der Kaiser mußte diese Frage und die Antwort gehört haben, denn er ging gerades Wegs zu uns herüber, um an unserer seltsamen Unterhaltung teilzunehmen. Der Graf verneigte sich und schien durch die Gegenwart des großen Gründers des zweiten Kaiserreiches nicht im geringsten in Verlegenheit gebracht. ›Was ich sagen wollte‹, nahm er den Faden wieder auf, ›anstatt über das, was die Wissenschaft geleistet hat, in Ekstase zu geraten, schämen wir uns vielmehr über den zögernden Gang des ›Fortschritts‹ -- ja: ›Fortschritts!‹ Wo sehen Sie denn einen Fortschritt, außer im Elend, in der Armut, im Verbrechen, in der Unterwürfigkeit? Fortschritt ist mehr Phantasie als Wirklichkeit. Zivilisation ist ein Irrtum, Utilitarismus eine Entweihung der Menschenseele, Philosophie ist Betrug und Gelehrsamkeit Lüge.‹ Ich war froh, daß der Kaiser gerade in diesem Augenblick zu uns getreten war, und zwar aus zwei Gründen: einmal, weil ich hören wollte, was er darauf zu sagen hatte, und dann, weil ich sehen wollte, ob die Hypnotisierten unter dem Einfluß des Grafen bleiben würden, wenn seine Aufmerksamkeit von ihnen abgelenkt und auf andere Dinge gerichtet war. ›Kehren Sie sich nicht an das, was er da erzählt‹, sagte der Kaiser zu mir, ›diese Mesmeristen sind alle ein wenig verrückt.‹ Und er lächelte, während der Italiener die Achseln zuckte und ausrief: ›Doch mit Methode!‹ Dann wandte der Italiener seine Aufmerksamkeit wieder der Gesellschaft zu, tat durch irgendeine unerklärliche Macht ihrem Tanze Einhalt und brachte sie wieder in ihren normalen Zustand zurück, nahm dann gleich darauf Mme. Dablin aufs Korn, die stracks mit geschlossenen Augen auf ein großes Piano zuging, mit unvergleichlicher Geschicklichkeit wie zum Vorspiel über die Tasten fuhr und dann eine der seltsamsten, glänzendsten und dabei wildesten und zauberischsten Phantasien, die je ein Genie erträumt, zum Besten gab. Mein ganzes Wesen aber war in diesem Augenblick von weit wichtigeren Dingen erfüllt, als von diesem Experiment, so interessant es auch sein mochte. Denn im besten Falle konnten seine Wirkungen und die Erinnerung daran nur vorübergehend und ephemer sein, sagte ich mir, während die Dinge, die ich von dem Italiener lernen konnte, im Gegenteil so lange dauern würden, als meine Seele ihr Bewußtsein behielt. Der Kern der Antworten, die er auf meine und des Kaisers Fragen gab, war folgender: ›Die Seele und ihre Eigenschaften, ihre Leidenschaften und ihr Ausmaß drückt sich im körperlichen Wesen deutlich aus und ist für alle ohne weiteres klar, die den Schlüssel dazu besitzen. Für alle anderen ist es schwierig, diese Zeichen richtig zu deuten und noch schwieriger, die gegenwärtige, die mögliche und die relative Stärke und den Wert jeder Eigenschaft zu erkennen. Jede Handlung eines Menschen wirkt sowohl auf seinen Körper wie auf seine Seele ein, und die Spuren dieser Einwirkungen sind für immer in seinen Gesichtszügen wahrzunehmen. Daher kann der Adept leicht seine Vergangenheit -- sogar seine geheimsten Taten oder Gedanken -- erkennen, und zwar so leicht, wie wenn sein Gesicht eine bedruckte Seite mit großen, schönen, klaren Lettern wäre. Jeder Mensch kann auf mesmerischem Wege von einem anderen ausgeforscht werden, weil kein Mensch im ganzen genommen stärker ist als seine schwächste Eigenschaft: eine Kette ist nicht stärker als ihr schwächstes Glied. So hypnotisiere ich jetzt die Menschen, weil ich auf den ersten Blick die verwundbarste Seite ihres Wesens erkenne. Selbstliebe, Eifersucht und Wille ist die einige Dreiheit, um die sich das Seelenleben dreht. Eins von diesen ist immer verwundbar; unterwerfen Sie sich dieses und Sie haben den ganzen Menschen unterworfen. Wenn ich hier solche Experimente vollführe, wie Sie sie soeben gesehen, dann mesmerisiere ich zunächst nicht das ganze Gehirn, sondern eine einzelne Eigenschaft desselben, die bald auch die übrigen nach sich zieht. Der Geist des Menschen ist ein Spiegel! Das werden Sie zugeben. Nun gut, ich schalte dann meinen eigenen Geist vollständig aus: ich denke nämlich an gar nichts anderes, als an ein in Umdrehung begriffenes Rad. Die Versuchsperson spiegelt diese Tätigkeit wider; dann singe, tanze, spiele ich in meiner Phantasie und der Magnetisierte spiegelt meine Gedanken durch die entsprechenden Handlungen wider.‹ ›Aber angenommen, Ihre Versuchsperson besitzt die Fähigkeiten dazu nicht, wie dann?‹ ›Alle Seelen haben diese Fähigkeiten. Die Körper freilich nicht, aber ich bringe ja die Seele unter meine Gewalt, nicht nur den Körper.‹ ›Das ist eine gefährliche Macht‹, meinte der Kaiser, ›und nur ein guter Mensch sollte sie besitzen.‹ ›Ein schlechter Mensch kann kein wahrer Rosenkreuzer werden, obgleich die Menschen ihre Waffen gegen die Mitglieder der Brüderschaft gekehrt haben, und ihre Geheimnisse wie ja auch sonst alles, was dazu gehört, zu unlauteren Zwecken mißbraucht worden sind. Es kann ein Kundiger einen Kranken durch diese Kraft heilen, aber er kann auch einen Gesunden damit töten; tatsächlich ist dies schon oft geschehen, besonders bei den Eingeborenen Afrikas. Ich stelle mir z. B. vor, daß Sie krank und am Sterben sind, und wenn ich diesen Wunsch und Willen aufrecht erhalte, so ist nichts sicherer, als daß er in Erfüllung gehen wird. Manche Leute besitzen von Natur eine ungeheure Willenskraft und sind sogar fähig, sichtbare Bilder hervorzubringen. Bilder von allem, was sie sich gerade vorstellen -- etwa von einer Blume, einer Hand, einem Arm, einer menschlichen Gestalt -- und diese Erscheinungen werden dann von Scharen verblüffter Zuschauer gesehen, die in ihrer vollständigen Unwissenheit und Unkenntnis des menschlichen Geistes und Körpers und ihrer gegenseitigen Kräfte sie für die Geister toter Menschen halten.‹ Der Kaiser bat nun den Grafen, aus eigener Kraft Geisterphänomene vorzuführen, was dieser sofort versprach. Er eilte mehrmals rasch im Saale hin und her, gab Befehl, das Licht zu verringern; dies geschah; dann trat er wieder wie vorher vor den Spiegel, wo er eine oder zwei Minuten lang stehen blieb. Endlich wiederholte er kurz und scharf dreimal das Wort: ›Seht her!‹ Wir taten es und wirklich: die Flammen tausend leuchtender Blitze zuckten über die Oberfläche des Spiegels, den Boden, die Decke und die Wände; bald in Gestalt von Gabeln, bald wie Ketten eines elektrischen Fluidums, bald verwandelten sie sich in feurige Eicheln, die sich allmählich zu einer flammenden Krone vereinigten; einen Augenblick schwebte sie über der Gesellschaft und schließlich blieb sie etwa fünf Zoll über dem Haupte Napoleons stehen -- eine Krone von Feuer. Nachdem er einen so glänzenden Beweis seiner fast unglaublichen Macht gegeben hatte, wandte er sich an mich, wiederholte seine Einladung, ich möchte ein Akolyt des ›Tempels‹ werden und sagte noch einmal, wir würden uns später noch begegnen. Bald darauf war die Sitzung zu Ende und ich verließ den Palast um ein bedeutendes klüger als bei meinem Eintritt fünf Stunden vorher. * * * * * Eines Nachts kam ich nach Monte Carlo, um mir den ›Barbier von Sevilla‹ anzuhören und dem herrlichen Gesang eines Mario, Grisi oder einer Gassier zu lauschen. Ich war über all meinen Kummer hinausgehoben durch die ›Musiklektion‹ dieser berühmten Sängerin und summte auf dem Heimweg die gehörten Melodien vor mich hin, und als ich schon im tiefen Schlafe lag, klangen sie noch lange in meinem Ohr nach. Ich war zu Bett gegangen. Mit all der Vorsicht, die die Amerikaner im allgemeinen und die Kalifornier ganz besonders an sich haben, -- deren Gewohnheiten ich angenommen -- hatte ich vor dem Schlafengehen das ganze Zimmer untersucht, um zu sehen, daß alles sicher und in richtiger Ordnung war. Nachdem ich dann noch Türen und Fenster gewissenhaft geschlossen, schlief ich bald ein. Unter meinem Kopfkissen lag meine Geldkatze mit etwa 2000 Golddollars und ein scharf geladener Revolver, der einmal einem meiner Bekannten in Kalifornien gehört hatte. Am Morgen war das Zimmer noch genau so wie am Abend vorher, aber der Revolver war entladen und das Gold lag auf dem Tisch, und zwar in Form eines Dreiecks angeordnet, an dessen Spitze der Buchstabe ›R‹ thronte. An der Brust meines Schlafanzuges aber war mit einigen Nadeln ein Brief in englischer Sprache in einer kühnen, klaren Handschrift, in roter Tinte, angeheftet. Am Abend war dieser Brief noch nicht dagewesen -- menschliche Hände konnten ihn nicht hieher gebracht haben. Ich las: ›Vergiß den Zweck nicht, um dessentwillen Du den Ozean überquert hast, denn Dein Unternehmen betrifft die kommenden Jahrhunderte der Welt! Es ist noch nicht vollendet. Vollende es! Ich will Dir dienen und Dich retten. -- E.‹ Ich war wie vom Blitz getroffen. Wieder kreuzte ein geheimnisvolles Wesen meinen Weg, ein Wesen, dessen Reich das Hier und Drüben war und dessen Willen mich in einen feurigen Ring einschloß, aus dem es kein Entkommen gab. Ich war in Verzweiflung, denn schon hatten sich graue Haare auf meinem Haupte gezeigt; ich fühlte, daß ich vorzeitig alt wurde und immer weniger durfte ich mit der Möglichkeit rechnen, daß ich, ein Sohn Adams, mich jemals mit einer Tochter Ichs vermählen würde.« ZWEITES BUCH 1. Kapitel ÜBER DIE ROSENKREUZER Es ist nicht meine Absicht, alle Abenteuer Beverlys zu erzählen, noch seine Spuren in Ägypten, Syrien, der Türkei oder in Europa zu verfolgen. Mehr als eine lange Reise unternahm ich mit ihm und gelegentlich verlor ich ihn wohl auf Monate aus den Augen, aber durch die seltsamsten Zufälle trafen wir uns immer wieder, bald auf der Spitze der großen Pyramide von Giseh, bald in den Wüsten von Dongola und Nubien, dann in einem französischen Café oder in den Säulenwäldern von Karnak oder Theben. An der Existenz der Brüderschaft vom Rosenkreuz zweifelte ich ebenso wie an allem, was Beverly über ihre Macht erzählte, obwohl ich über die berühmte Brüderschaft schon viel gehört und noch mehr gelesen hatte. Auf meinen zahlreichen Reisen begegnete ich immer wieder Pseudoadepten des Rosenkreuzordens, die eine klägliche Unwissenheit hinsichtlich der elementarsten Dinge der wirklichen Brüderschaft an den Tag legten. Unter dem Buchstaben ›R‹ findet man in der ›American Encyclopedia‹ für das Wort ›Rosicrucians‹ folgende Erläuterung: ›Mitglieder einer Gesellschaft, deren Existenz zu Anfang des 17. Jahrhunderts bekannt wurde. Ihr Zweck war offenbar die Reform der Kirche, des Staates und der Menschen überhaupt. Eine nähere Untersuchung ergab aber, daß ihr wirkliches Ziel die Entdeckung des Steins der Weisen war. Ein gewisser Christian Rosenkreutz, der angeblich lange Zeit unter den Brahminen lebte, soll den Orden im 14. Jahrhundert gegründet haben, doch glaubt man, der wirkliche Gründer sei ein gewisser Andreä, ein deutscher Gelehrter zu Beginn des 16. Jahrhunderts, gewesen. Ihm wird die Absicht zugeschrieben, die durch die scholastische Philosophie entweihte Religion zu reinigen. Andere vermuten, daß er lediglich einer schon vor ihm von Cornelius Agrippa von Nettesheim gegründeten Gesellschaft einen neuen Charakter verlieh. Der Schriftsteller Krause sagt, daß Andreä von frühester Jugend an sich mit dem Plan einer geheimen Gesellschaft zur Hebung des Menschengeschlechts getragen habe. Im Jahre 1614 veröffentlichte er seine berühmte ›Reformation der ganzen Welt‹ und seine ›Fama Fraternitas‹. Christliche Enthusiasten und Alchimisten glaubten die in diesen Büchern geschilderte poetische Vereinigung und so wurde Andreä der Vater der späteren Rosenkreuzer-Brüderschaften, die sich über Europa verbreiteten. Nachdem noch eine Reihe von Büchern über das Rosenkreuzertum erschienen war, geriet die Sache in Vergessenheit, bis das allgemeine Interesse in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts wieder erwachte, und zwar infolge der Auflösung des Jesuitenordens und des Bekanntwerdens seiner Machinationen sowie der Betrügereien Cagliostros und anderer berühmter Schwindler.‹ Soviel von dem Naseweis, der diesen Artikel der ›American Encyclopedia‹ schrieb. Demgegenüber zitiere ich wörtlich Seite 132 bis 135 aus der Autobiographie Heinrich Jung-Stillings, späteren Hofrats des Großherzogs von Baden (London 1858), folgendes: ›Eines Morgens im Frühjahr 1796 kam ein hübscher junger Mann in einem grünseidenen Plüschrock, der auch sonst gut gekleidet war, in Stillings Haus in Ockershausen. Er stellte sich in einer Weise vor, die eine gebildete und adelige Erziehung verriet. Stilling fragte ihn nach seinem Namen und erfuhr, daß es der bekannte ... sei. Stilling war über den Besuch erstaunt und sein Erstaunen wuchs in der Erwartung dessen, was dieser rätselhafte junge Mann ihm mitzuteilen haben möchte. Nachdem sie sich beide gesetzt, begann der Fremde seine Erklärungen, indem er den Wunsch aussprach, Stilling wegen einer Augenkranken namens P. zu konsultieren. Der wirkliche Zweck seines Besuches bedrückte ihn jedoch so sehr, daß er plötzlich zu weinen begann, erst Stillings Hand, dann seinen Arm küßte und sagte: ›Mein Herr, sind Sie nicht der Verfasser der ›Nostalgia‹?‹ ›Gewiß.‹ ›Dann sind Sie also einer meiner geheimen Vorgesetzten?‹ (In der Großen Loge vom Rosenkreuz.) Hier küßte er wieder Stillings Hand und Arm und weinte fast laut. Stilling antwortete: ›Nein, mein lieber Herr, ich bin weder Ihr noch sonst jemands geheimer Vorgesetzter. Ich bin in keiner wie immer gearteten geheimen Verbindung.‹ Der Fremde sah ihn starren Auges und mit innerer Erregung an und entgegnete: ›Teuerster Freund, hören Sie auf, sich zu verstellen! Ich bin lange und streng genug geprüft worden. Ich dachte, Sie kennen mich schon!‹ ›Nein, Herr, ... ich versichere Ihnen feierlich, daß ich keiner geheimen Gesellschaft angehöre und tatsächlich von all dem, was Sie da sagen, nicht das Geringste verstehe.‹ Diese Worte waren zu ernst und streng gesprochen, als daß sie den Fremden noch länger in Ungewißheit hätten lassen können. Die Reihe, erstaunt und bestürzt zu sein, war jetzt an ihm. Er fuhr fort: ›Aber dann sagen Sie mir doch, wie es kommt, daß Sie die große und verehrungswürdige Verbindung im Osten so genau kennen und sie in der ›Nostalgia‹ so umständlich beschrieben haben, wobei Sie sogar Ihre Versammlungsorte in Ägypten, auf dem Sinai, im Kloster von Canobia und unter dem Tempel in Jerusalem erwähnten?‹ ›Ich weiß nichts von all dem‹, erwiderte Stilling, ›diese Ideen stellten sich meinem Geiste in sehr lebendiger Form dar. Das Ganze ist also nichts als Fabel und Erfindung.‹ ›Verzeihen Sie, aber die Dinge, die Sie schildern, entsprechen der Wahrheit und Wirklichkeit. Es ist erstaunlich, daß Sie dies entdeckt haben -- das kann doch nicht durch Zufall geschehen sein!‹ Der Fremde erzählte nun Einzelheiten von der Vereinigung im Osten. Stilling war über alle Maßen erstaunt, denn er hörte da merkwürdige und außerordentliche Dinge, die jedoch derart sind, daß sie nicht veröffentlicht werden können. Ich stelle lediglich fest, daß das, was Stilling von dem Fremden erfuhr, durchaus keinen Bezug auf politische Angelegenheiten hatte.‹ Um dieselbe Zeit schrieb ein bekannter mächtiger Fürst an Stilling und fragte ihn, ›wie es komme, daß er so genau über die Gesellschaft im Osten Bescheid wisse, denn diese sei tatsächlich genau so beschaffen, wie er sie in seiner ›Nostalgia‹ beschrieben habe.‹ Die Antwort war natürlich dieselbe wie die, die er dem eben erwähnten Fremden mündlich gegeben hatte. Stilling hat noch mehr Erfahrungen dieser Art gemacht, die ihm bestätigten, daß seine Einbildungskraft genau mit den wirklichen Tatsachen übereinstimmte, ohne daß er vorher die geringste Kenntnis oder auch nur Ahnung davon gehabt hätte. Stilling stellt keine Betrachtungen über die Sache an, sondern läßt sie auf sich beruhen und betrachtet sie als eine Fügung der Vorsehung, deren Absichten ihn in ganz bestimmter Richtung führten. Die Entdeckung des Rosenkreuzer-Geheimnisses im Orient ist jedoch für ihn von großer Wichtigkeit, weil sie Beziehung hat zu dem Reiche Gottes. Vieles bleibt freilich im dunkeln, denn Stilling hörte später von einer angesehenen Persönlichkeit Verschiedenes über eine asiatische Gesellschaft ganz anderer Art. Es bleibt noch zu erklären, ob es sich um zwei verschiedene Vereinigungen handelte oder ob beide identisch sind. So weit Jung-Stilling. Erst kürzlich erfuhr ich von der Existenz von Rosenkreuzer-Logen in unserem Lande und erhielt verschiedene Nachrichten über die Brüderschaft, von denen ich die folgenden sieben Paragraphen betreffend die exoterische oder äußere Tätigkeit des Tempels zu veröffentlichen ermächtigt wurde. DIE ROSENKREUZER =Wer und was sie sind= EHRE, MANNHEIT, GÜTE =VERSUCH'S!= I. Wir Rosenkreuzer sind eine Körperschaft gutgesinnter Männer, die unter einer großen Logenverfassung wirken. Sie leiten ihre Macht und Autorität von dem ›Königlichen Dom‹ des ›Dritten Hohen Tempels‹ des Ordens ab. Die große Loge und der Große Tempel erteilen die Bewilligung zur Gründung von Hilfslogen, und zwar an jedem beliebigen Ort innerhalb der Grenzen ihrer Rechtsprechung. II. Alle Rosenkreuzer sind praktisch tätige Menschen, die an Fortschritt, Gesetz, Ordnung und Selbsterziehung glauben. Sie glauben fest, daß Gott denen hilft, die sich selbst helfen; daher ist ihr Wahlspruch das Wort: Versuch's! Sie glauben, daß dieses kleine Wort eine gewaltige Brücke werden wird, über die der Mensch vom Schlechten zum Guten und vom Guten zum Besseren wandelt, von der Unwissenheit zur Erkenntnis, von der Armut zum Wohlstand, von der Schwäche zur Macht. III. Unsere Gesellschaft ist über die ganze Welt verbreitet und die Zahl unserer Niederlassungen ist in ständigem Wachstum begriffen. Wir wollen Menschen hohen Geistes den Verkehr mit Gleichgesinnten ermöglichen. Da außer der unseren keine andere derartige Organisation besteht, gibt es unter denen, die uns noch nicht kennen, viele, die durch ihre Vereinsamung leiden. In unseren Logen finden solche Männer alles, was sie suchen und noch mehr. In unseren wöchentlichen Zusammenkünften wird eine edle Geselligkeit gepflegt. Die besten Gedanken werden vorgebracht und die echteste menschliche Freude wird ausgekostet. IV. Jeder Rosenkreuzer ist jedem anderen Rosenkreuzer auf der weiten Welt bekannt und sein geschworener Bruder, und als solcher verpflichtet, ihm jede mögliche erlaubte Hilfe zu gewähren. Jeder kann zu einem, zwei oder drei Graden gewählt werden; wenn er einmal ein wahrer Rosenkreuzer geworden ist, ist es nahezu unmöglich, daß er späterhin einmal in Not gerät, denn in allem, was gerecht ist, wird ihm Schutz gewährt, solange er ein würdiger Bewohner des Tempels bleibt. Es herrschen die Wahlsprüche: ›Versuch's!‹ und ›Exzelsior!‹ V. Die Ordensmitglieder zahlen eine Eintrittsgebühr und einen monatlichen Beitrag von einem Dollar. Dafür genießt jedes Mitglied die Vorteile guter Lektüre und wissenschaftlicher Bildungsmittel und eines namhaften Krankengeldes. Ebenso wird für ein standesgemäßes Begräbnis gesorgt, Witwen und Waisen werden vom Orden unterstützt. VI. Der Orden ist eine Schule der höchsten und besten Kenntnisse, die die Erde überhaupt gewährt. Er überragt alle anderen wohltätigen Gesellschaften, denn er ist nicht nur eine wechselseitige Schutzgesellschaft, sondern er strebt noch nach weit höheren und edleren Zielen -- von denen nur einige wenige, sehr wenige, in diesem Büchlein angedeutet sind. Eines der vornehmsten Ziele der Brüderschaft ist es, eine Schule für Menschen zu sein, die Menschen einander nützlicher zu machen, indem man sie stärker, wissender und daher weiser und auch glücklicher macht. Als Rosenkreuzer erkennen wir den ungeheuren Wert von Sympathie, Mut, Ehrgeiz und Ausdauer an. Nil mortalibus arduum est. Es gibt keine Schwierigkeit für den, der ernstlich will! Was immer Gutes und Großes von einem Menschen getan wurde, kann auch durch dich und durch mich ausgeführt werden, mein Bruder, wenn wir so denken und mit wahrem, tiefem Ernst darangehen. Versuch's! Wir proklamieren die Allmacht des Willens! Und wir erklären, daß der Wille des Menschen wie unsere eigenen Taten beweisen, eine erhabene und allerobernde Kraft ist, daß diese gewaltige Macht jedoch nur negativer Art ist, wenn sie ausschließlich zu selbstsüchtigen und eigennützigen Zwecken benützt wird; wird sie aber in die rechten Bahnen geleitet, so wird sie unwiderstehlich. Güte ist Macht. Daher verwenden wir unsere größte Sorge darauf, den normalen Willen zu bilden und ihn so zu einem kraftvollen, mächtigen Werkzeug für das positiv Gute zu machen. Ein wahrer Rosenkreuzer lernt die Menschen so völlig durchschauen, als wären sie durchsichtig. Und diese Fähigkeit erlangt er nur durch die Tatsache, daß er Rosenkreuzer ist, und kein anderer kann sie je besitzen, er mag tun, was er will. Der Tempel lehrt seine Akolyten, wie diese königliche Kunst der menschlichen Seele, des Willens, zu erwerben, wie sie zu steigern, zu klären und auszudehnen ist. VII. Die Tore unserer Logen sind ehrlichen und strebenden Menschen niemals verschlossen, noch kann irgendein irdischer Herrscher _nur_ vermöge seines Ranges Zutritt erlangen; denn, mag er auch ein König sein, so braucht er deswegen kein Mann zu sein; dieser Titel steht weit über allen anderen auf der Erde. Wir Rosenkreuzer sind stolz auf unseren Rang, und zwar gerade deswegen, weil wir eine Brüderschaft von Männern sind, und Mannheit als wahres Königtum betrachten. Der Orden hat nichts mit Politik und Religion zu tun, und es ist gleichgültig, zu welchem Glauben sich einer bekennt, wenn er nur ein _Mensch_ ist. Religiöse und politische Dinge dürfen bei uns nicht besprochen, ja nicht einmal erwähnt werden. Man wird bemerkt haben, daß an diesen Bestimmungen nichts Magisches ist und doch zweifle ich nicht, daß die Mitglieder des Ordens seltsame Geschichten erzählen könnten, wenn sie wollten. Viele, aber keineswegs alle Alchimisten und hermetistischen Philosophen waren Diener dieser großen geheimen Brüderschaft, die seit den ältesten Zeiten geblüht und unter verschiedenen Namen in verschiedenen Ländern ihre Mission vollendet hat und noch vollendet. Mitglieder dieser mystischen Vereinigung waren die alten Magier in Chaldäa in Mesopotamien. Mitglieder waren auch die ersten Sabäer, die lange vor den Weisen von Chaldäa lebten, ferner die Begründer der semitischen Kultur. Aus dieser großen Brüderschaft gingen Buddha, Lao-tse, Zoroaster, Platon, die Gnostiker, die Essäer und Christus selbst hervor -- der ein Essäer war und die heiligen Lehren vom Berge des Lichtes predigte. Mitglieder waren ferner die großen Träumer und Dichter aller Jahrhunderte. Was immer an überirdischem Licht jetzt die Welt erleuchtet, kommt von den Fackeln, die sie an der Quelle alles Lichts entzündeten, auf jenem mystischen Berge, den zu erklimmen sie allein Mut und Ausdauer hatten; und sie erklommen ihn auf einer Leiter, deren Sprossen Jahrhunderte voneinander entfernt waren. Hermes Trismegistos, Ägyptens mächtiger König, war ein Adept und der andere Hermes (Asklepius IX.) ein Bruder. Ein Priester -- wie Malki Zadek vor ihm -- war jener berühmte präadamitische Monarch, jener Melchisedek, von dem man erzählte, er sei aus einem Gedanken geboren worden und habe unzählbare Jahrhunderte gelebt. Ebenso war es mit dem griechischen Mercurius. Ihrer war jene erstaunliche Gelehrsamkeit, in der Moses so bewandert war, und aus ihrem Brunnen trank der hebräische Josef. Nichts Ursprüngliches ist an der Thaumaturgie, Theologie, Philosophie, Psychologie, Entologie und Ontologie, was sie nicht der Welt gegeben hätten; und wenn je Philosophen glaubten, sie hätten neue Erkenntnisse und Wahrheiten gewonnen, so beweisen die Dokumente des Ordens, daß sie schon Menschenalter vor der adamitischen Zeitrechnung bekannt und das geistige Eigentum der Adepten waren. Ich habe mich auf diese Bemerkungen und Erläuterungen eingelassen, einmal, um endgültig und autoritativ die schwierige Frage nach dem Wesen des Rosenkreuzertums zu lösen und dann, um auf das Folgende helleres Licht zu werfen. 2. Kapitel WER WAR ES? -- WAS WAR ES? »Ich machte meine geplante Reise«, sagte Beverly eines Tages zu mir, »und kehrte weiser zurück, als ich ausgegangen war, aber der Erfüllung meiner hauptsächlichsten Hoffnung war ich nicht näher gekommen.« Ich hatte in der Stadt Boston eine medizinische Praxis auszuüben begonnen und bewohnte ein Bureau, das im Rufe stand, von den aufgestörten Geistern verschiedener Personen heimgesucht zu werden, die durch einen seltsamen Einfluß dorthin gezogen wurden. Ich lachte darüber und machte mich über die Behauptungen ganzer Scharen sogenannter Somnambuler lustig, die diese leichtbeschwingte Gesellschaft gesehen zu haben versicherten. Da kam an einem stürmischen Tag bei stürmischem Schneetreiben eine Dame zu mir, um mich wegen einer skrophulösen Erkrankung ihres Kindes zu konsultieren. Damals genoß ich einen bedeutenden Ruf auf diesem Spezialgebiet, denn ich hatte wenige Monate vorher für diese Art von Leiden eine besondere Behandlungsweise eingeführt. Nachdem ich meiner ärztlichen Pflicht genügt, erhob ich mich und dachte, die Dame würde das Zimmer verlassen. Sie traf jedoch keine Anstalt, sich zu verabschieden, sondern wünschte mit mir über spiritistische oder ähnliche Themen zu debattieren, was ich aus angeborener Abneigung gegen Blaustrümpfe respektvollst ablehnte. Doch besaß sie alle Eigenschaften eines guten Klebepflasters, und ich konnte mich unmöglich von ihrer Gesellschaft befreien. Dabei erklärte sie, sie sehe beständig die Toten und unterhalte sich mit ihnen und wolle auch gerne Proben ihrer Befähigung in dieser Richtung liefern. Nach diesen Worten wurde sie sofort von einem äußerst heftigen Zittern befallen, das von krampfartigen Zuckungen und Konvulsionen begleitet war. Ich hatte so etwas geahnt und war daher über ihren Zustand nicht sehr bestürzt, ging aber doch in das Hinterzimmer, holte mir einen Stuhl und setzte mich nieder, um weitere Vorführungen abzuwarten. Diese ließen nicht lange auf sich warten, aber was da von einem Etwas, das meine Mutter zu sein behauptete, an Ratschlägen und Ermahnungen an mich gerichtet wurde, war nichts als Wortgeflunker und Gemeinplätze. Diese meine angebliche Mutter schien z. B. ihren Namen vergessen zu haben, ebenso wie meinen eigenen, und wann und wo sie aus dem Leben geschieden war. Ich war vollkommen sicher, daß es nicht meine Mutter sein könne, war aber anderseits ebenso überzeugt, daß Mrs. Graham nicht bewußt die Rolle einer Betrügerin spielte. Ich erklärte mir das Phänomen mit der Rosenkreuzerischen Theorie -- die mir damals noch ganz neu war --, daß sie von einer anderen Individualität, die ihrer eigenen durchaus fremd war, besessen sei. Für mich war es sehr bald klar, daß sie wie tausend andere unter dem Einfluß und der Herrschaft eines Willens stand, der tausendfach stärker war als der irgendeines menschlichen Wesens, das je auf dieser Land- und Wasserkugel einen Körper bewohnte, eines höchst intelligenten, mächtigen, unsichtbaren und vollkommen gewissenlosen Wesens, das nichts Menschliches mehr an sich hatte. Die Dame kam nach einigen Minuten wieder zu sich und ich setzte ihr freimütig meine Meinung auseinander. Sie war ihr neu und sie war sichtlich erstaunt. »Keine menschlichen Wesen, aber intelligent? Ein intelligentes Ding und arglistig? Es ist entsetzlich! Fürchterlich! Was ist denn dann dieses Ding? Ein Engel? Nein! Ein Teufel? Wenn ja, woher kommt es? Warum? Zu welchem Zweck?« Wir plauderten mehr als drei Stunden lang. Die Stimmung meiner Besucherin wurde zuletzt wirklich erregt, denn ich holte noch einmal meine Rosenkreuzerlehre hervor. Schließlich sagte sie: »Gibt es wirklich im Universum intelligente, aber unsichtbare Wesen, anders geartet wie die Menschen -- das ist die Frage?« »Natürlich gibt es solche Wesen! Myriaden!« rief eine klare, männliche Stimme in den Raum hinein. Die Dame konnte es nicht sein, die etwa so auf ihre eigene Frage geantwortet hätte und ich war es erst recht nicht. Nach sekundenlangem Zögern wandte ich mich dem Sprecher zu, der mir als ein magerer, seltsam blickender, runzliger, alter Mann in der Erinnerung haftet, mit merkwürdigen kleinen, scharfen, grauen Augen. Er sah halberfroren aus und benahm sich auch so, denn er begann gemächlich seine Hände über meinem Laboratoriumsofen zwischen der Tür und der Wand zu wärmen. Die Dame schien von der unerklärlichen Gegenwart dieses eigentümlichen Eindringlings nicht überraschter zu sein als ich. »Ich bin nicht ganz sicher,« erwiderte ich auf die Worte des Alten, »ob es wirklich solche Wesen gibt.« »Dann sind Sie ein größerer Narr als ich je einen gesehen habe. Guten Abend!« Und er bewegte sich langsam gegen die Tür zu, an der mein Stuhl stand. »Gehen Sie noch nicht, ich wünsche noch Aufklärung von Ihnen«, sagte die Dame. »Meinen Sie nicht auch?« wandte sie sich dann an mich, während sich auf ihrem Gesicht, besonders in ihren Augen, ein auffallender Ernst ausdrückte. »Ich glaube, er sollte seine Behauptung beweisen und uns nicht in diesem Zustand der Ungewißheit lassen. Das ist grausam!« Und wie sie so sprach, traf ihr Auge das meine und blieb daran haften, wie wenn die sich treffenden Blicke aneinander gefesselt wären. Es muß einen magischen Einfluß in der Seele geben, der nur bei sehr seltenen Anlässen in Wirksamkeit tritt; warum hätte sonst ihr Auge meinen Blick für zehn Minuten so gebannt, daß ich mich nicht bewegen konnte? Endlich war dieser faszinierende Zauber vorüber, ich wandte meine Augen ab und antwortete: »Gewiß; er sollte es uns erklären; und natürlich werden Sie«, so suchte ich den Mann zu überreden, »es gerne erklären ...« Aber: Es war niemand mehr da! Keine Spur, daß er jemals dagewesen war. Er war fort -- vollständig verschwunden -- nicht durch das Fenster, denn von dort waren siebzig Fuß bis zur Straße -- außerdem war es vor etwa vier Monaten unten zugenagelt worden -- auch nicht durch die Tür, denn mein Stuhl und mein Rücken versperrten sie! Mein Besuch fiel in Ohnmacht und stürzte vornüber zu Boden. * * * * * Ich wohnte damals in Charlestown und an jenem Abend erreichte ich mein Heim ziemlich früh. Nicht, daß ich Furcht empfunden hätte, o nein, aber weil mir meine Wohnung gemütlicher erschien als das Bureau; denn das Wetter war bitter kalt und windig. Immer fort traf den fröstelnden Wanderer, der seinen Weg dahintrabte, der Wind gerade ins Gesicht, gleichgültig, welche Richtung er gerade einschlug, denn ein Bostoner Schneesturm bläst immer von allen Seiten zugleich. Es war ein schweres Stück Arbeit, des Abends die vier Meilen zu meiner Wohnung zu gehen, denn jeder Schritt mußte erst mühsam erkämpft werden. Endlich erreichte ich mein Heim und setzte mich fröhlich zu einem üppigen Abendessen, bestehend aus Tee und geröstetem Brot, in meinem engen kleinen Wohnzimmer nieder. Wie es draußen stürmte! Und wie warm und behaglich es in dem kleinen Hafen war, in dem ich eben Anker geworfen hatte! Ich genoß gerade die zweite Tasse Tee und die zweite Brotschnitte zusammen mit meiner Zeitung, als plötzlich ein lautes, zweimaliges Klopfen an der Türe ertönte, ähnlich dem der englischen Briefträger, wenn sie Eile haben. Der Diener öffnete und mochte wohl denken, es sei jemand plötzlich krank geworden und ich solle ärztlichen Beistand leisten. Aber wie groß war mein Erstaunen als kein anderer als der kleine alte Mann von vorhin so gemütlich und nonchalant hereinspazierte, wie wenn er hier zu Hause wäre. Ich war wie vom Blitz getroffen. Er ging auf das Feuer zu und rief dabei aus: »Welch einen Schrecken habe ich Ihnen und Ihrem Gaste heute nachmittag verursacht! Haha! Das war doch großartig, nicht?« Ich antwortete ziemlich kurz und bündig: »Sehr!« -- nichts weiter, denn ich fand keinen Geschmack an seinem Scherz. Überhaupt gefiel mir der ganze Mensch nicht. Nicht daß er mir verabscheuenswert oder verächtlich erschienen wäre, sondern einfach aus dem Grunde, weil ein gewisses Etwas an ihm war, vor dem mir graute. Es ist allgemein bekannt, daß es eine der Hauptlehren der Rosenkreuzer ist, das leibliche Leben könne auf zwei verschiedene Arten durch Menschenalter hindurch verlängert werden, einmal mit Hilfe des Lebenselixiers und dann durch den bloßen Willen. Im ersten Falle ist das Alter von Schönheit und Jugendkraft begleitet, im zweiten aber ist es ein Jahrhunderte währendes Greisentum. Jetzt, in dieser stürmischen Nacht, fiel mir ein, als ich das verwitterte Wrack da vor mir ansah, dieser Mann könne einer jener Unglücklichen sein, die durch die zweite Methode eine unendliche Zahl von Jahren erlangt und infolgedessen alles Jugendfeuer, alles Gefühl, alle Liebe und alles Gewissen verloren haben. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß dieses Schicksal vielleicht auch mir bevorstehen könne. Er bemerkte die Bewegung und ein Lächeln voll unaussprechlichen Hohns kräuselte dabei seine Lippen. Ich dachte schnell an etwas anderes. Es ist Tatsache, daß nahendes Unheil seinen Schatten vorauswirft und von feinnervigen Menschen wahrgenommen werden kann. Und ein solches Vorgefühl, ein solcher Schrecken schien mich jetzt zu umschweben, schien in meiner Nähe irgendwo in einem Winkel zu kauern, um auf mich zuzukriechen und meine Seele zu packen, während der seltsame kleine Mann an meiner Seite stand. Es war ein aus Furcht und Schuldbewußtsein gemischtes Gefühl und doch hatte ich keine Schuld auf mich geladen. Nachdem ich das Wort »sehr« ausgesprochen hatte, schwieg ich in dem Bestreben, den Schrecken, der mich befallen, zurückzudrängen, und versuchte, so unwillig wie möglich dareinzublicken, was der andere aber sogleich bemerkte, denn er trat näher, klopfte mir vertraulich auf den Rücken, goß sich eine Tasse Tee ein, trank sie aus und aß ein Brötchen dazu -- womit übrigens das Problem, ob er ein Geist sei oder nicht, für mich gelöst war. Dann ließ er sich gemächlich in meinem Sorgenstuhl nieder, rieb seine kleine aufgebogene Nase mit seinen dünnen, bläulich-blassen Fingern und indem er sich plötzlich mit einem Ruck verbeugte, so daß er mir gerade ins Gesicht sah, lachte er herzlich und heulte dann mehr als er sang in den höchsten Fisteltönen, deren seine Stimme fähig war: »Ach, wie heult der Sturm so traurig! Komm, wir wollen lustig leben, Und wir werden Dinge kennen, Dinge, nie gekannt zuvor! Ich komme weit vom fernen Westen Den Mann zu sehen, den ich am meisten liebe. Glaub nicht, ich sei nur Laster und Verderben -- Ich will den Mittelpunkt der Schwere suchen -- Du aber wirst den Stein der Weisen finden.« Und dann brach er wieder in ein so wildes und exaltiertes Gelächter aus, wie es kaum je ein Mensch gehört hat. Ich kannte die paar Verse nicht, die er soeben gekrächzt, noch weniger wußte ich von dem Sänger und nicht im entferntesten dachte ich, daß diese Zeilen für mich die wichtigsten waren, die ich je vernommen hatte. Ganz allmählich und unmerklich begannen meine Vorurteile zu schwinden; ich plauderte mit ihm über verschiedene Gegenstände, und zwar fast vier Stunden lang. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, war es beinahe elf Uhr, als er aufstand, mir herzlich die Hand schüttelte und sagte, er werde jetzt gehen, wobei er aber versprach, wieder zu kommen, »wenn er mir zu dienen wünsche«; dann öffnete er die Tür und ging in einen der fürchterlichsten Stürme hinaus, die je die Küste der Bostonbay heimgesucht hatten. Es war seltsam: im tiefsten Winter war dieser Mann in einen ganz dünnen Anzug gekleidet, der nicht einmal für den Juni der nördlichen Gegenden ausgereicht hätte, geschweige denn für das schreckliche Wetter in der Nacht jenes 4. Februar, bei einer Kälte von 20 Grad unter Null. »Allem Anschein nach ist er ein Mensch und der Mesmerismus gibt uns einen Schlüssel zur Lösung des scheinbaren Rätsels«, dachte ich; und mit dieser tröstlichen Überzeugung ging ich zu Bett und überlegte mir alles noch einmal, was er gesagt und getan hatte. Obwohl über seine eigene Person nur wenig gesprochen worden war, hatte ich doch soviel erfahren, daß er von Geburt ein Armenier namens Miakus war, was im Altchaldäischen »Priester des Feuers« bedeutet. Er sagte mir dies, als er sich niederbeugte, um die süße kleine Cora, mein Töchterchen, zu küssen, und als er dabei erwähnte, daß er Kinder sehr gern habe. Nachdem das Kind zu Bett gegangen war, hatte Miakus ein kleines, flaches, viereckiges Kästchen aus der Brusttasche gezogen, das offenbar aus Rosen- oder Olivenholz bestand und ungefähr sieben Zoll in der Länge und zweieinhalb in der Breite maß. Es war verschlossen und der silberne Schlüssel hing mittels einer goldenen Spange an einer gewöhnlichen stählernen Uhrkette um seinen Hals. Er stellte das Kästchen auf den Schreibtisch, wo es ungestört stehen blieb. Mir wurde später klar, daß der Grund seines Kommens irgendwie mit diesem Kästchen und mit mir in Zusammenhang stehen müsse. Ebenso klar war mir, daß sein Gesichtsausdruck zur Hälfte verstellt war und daß unter seiner oberflächlichen Nonchalance und Derbheit eine große Sorge ihn beherrschte; denn gelegentlich klang aus seiner Rede ein melancholischer Ton, der kundigen Ohren, wenn nicht von einem gebrochenen Herzen, so doch von einem tief gekränkten und beraubten erzählte. Dieser Umstand berührte mich tief, denn mein ganzes Leben lang war ich betrübt mit den Betrübten, und froh mit den Frohen. Nach einer kleinen Weile sagte er dann, eine seiner Absichten gehe dahin, mich in gewisse Geheimnisse der weißen Magie einzuführen, mich zu lehren, wie ein magischer Spiegel zu verfertigen sei, mittels dessen fast jeder Mensch durch unermeßliche Räume zu blicken und die Toten zu sehen und mit ihnen zu sprechen vermöge. »Es gibt nichts Wertvolles außer der Magie! Sie sind ein Narr gewesen, wenn Sie danach gestrebt haben, weise zu sein, und Sie glauben zu wissen, was Sie sich bisher nur eingebildet haben.« Er stand auf, nahm das Kästchen, stellte es auf den Tisch zwischen uns und fuhr dann fort: »Es ist eine merkwürdige Fügung des Schicksals, daß der Besitzer eines magischen Spiegels in ihm alle Schicksale erblicken kann, nur das seinige nicht; wenn er es wissen will, muß er andere Seher befragen. Nun gibt es gewisse Wesen, deren Zukunft in diesem Spiegel nur von ganz bestimmten, besonders gearteten Menschen geschaut werden kann. Sie scheinen mir einer von diesen letzteren zu sein, und ich bin eine der ersteren; ein solches Zusammentreffen wie das von uns beiden findet nur am Anfang und am Ende großer Zeitepochen statt. Wir leben jetzt in einem solchen Zeitpunkt. Ich will Ihnen den Spiegel schenken, ich will Sie auch die Kunst lehren, solche Spiegel zu verfertigen.« Zwei Stunden vorher hatte ich, als ich ihn essen und trinken sah, meine Geisterhypothese über den seltsamen Alten schleunigst aufgegeben. Jetzt aber, als er so merkwürdig daherredete und so großsprecherisch ankündigte, er werde das Tor alles Wissens öffnen, veränderte das Geheimnisvolle, das ihn umgab, seinen Charakter und hüllte ihn in zehnfaches Düster. Es lag etwas Unirdisches in seiner Stimme und in seiner ganzen Art und Weise; z. B. einmal, als er seinen Stuhl herumdrehte, kam sein rechter Oberschenkel unmittelbar in Berührung mit dem bis zur Rotglut erhitzten Ofen; ich beobachtete, daß der Stuhl von der Wärme angegriffen wurde und der Rauch seines Firnisses allmählich den Raum erfüllte. Und doch war der Mann nicht verbrannt, sondern stand kühl auf und öffnete die Tür, um den Rauch abziehen zu lassen; dann ließ er sich wieder auf seinen Sitz nieder, wie wenn nichts geschehen wäre. Zwei- oder dreimal des Abends fühlte ich, daß ein kalter Hauch von ihm ausging und ich sah auch deutlich sein Gerippe sich unter seiner dünnen, pergamentartigen Haut abzeichnen, wie wenn eine durchsichtige Decke leicht über ihn geworfen wäre, um die nackte Formlosigkeit eines Grabentstiegenen zu verbergen. 3. Kapitel CHEMIE UND LEBENSELIXIER Von Staunen erfüllt über die seltsamen Ereignisse jenes Tages und jener Nacht, die ich eben erzählt habe, zog ich mich in mein Zimmer zurück, aber nicht, um zu Bette zu gehen, denn noch vor Tagesanbruch ereignete sich etwas, was den Verlauf und den Charakter meines Lebens vollständig veränderte. An dem Morgen, der dieser ereignisreichen Nacht folgte, begab ich mich zu einem Zahnarzt, der im Rufe stand, ein Philosoph zu sein und dessen Gehirn ein weit interessanteres Museum war als das wirkliche Museum in der Nähe seiner Wohnung. Ich plauderte eine Weile mit ihm und lernte durch ihn einen bedeutenden Denker kennen, dessen Name, glaube ich, Blood war. Nachdem wir in seinem Laboratorium eine Zigarre geraucht hatten, ging ich zu dem Apotheker Nichol, wo ich einige kleine Einkäufe machte, und dann in mein Sprechzimmer. Ich hatte einige Zeit vorher einen chemischen Apparat gekauft, mit dem ich im Geheimen experimentierte -- hauptsächlich nach 12 Uhr nachts --, und zwar mit der Absicht, La Brières großen Versuch zur Entfernung der feurigen und giftigen Bestandteile des Protozoons auszuführen, ohne daß dabei seine belebenden medizinischen Eigenschaften gleichfalls zerstört würden. Ich hatte schon fünf Monate lang unermüdlich und mit größten, meine Verhältnisse weit übersteigenden Kräften experimentiert, aber ich hielt noch immer an der unerschütterlichen Überzeugung fest, daß ich Erfolg haben müßte. Der Versuch war mir sehr wichtig. Churchill hatte seine Hypophosphate hergestellt und sie hatten kläglich versagt; daher vermied ich bei meinen Arbeiten seine und andere Formeln. Der Erfolg, das fühlte ich, würde nicht nur meiner eigenen privaten Praxis zugute kommen, sondern auch der großen Menge der Nervenkranken und damit der gesamten Medizin nützen. Ich wußte, daß diese Entdeckung den Ärzten ein wirksames und gleichzeitig doch völlig harmloses nervenstärkendes Reizmittel in die Hand geben würde. Der Versuch war daher die Zeit, die Mühe und die Ausgaben, die ich ihm widmete, wohl wert. Tatsächlich war es La Brière gelungen, Erfolge zu erzielen, aber sein Geheimnis war verloren gegangen. Ich beschloß, es wieder zu erwecken. Und nach hunderten von Fehlschlägen gelang es mir endlich, das herzustellen, was er Protozoon genannt hatte. Ich versuchte seine Wirkung an mir selbst, verschiedene andere Ärzte taten desgleichen; schließlich wurde es an Patienten auf deren eigenen Wunsch ausprobiert und das Ergebnis ließ keinen Zweifel darüber, daß ich vollauf berechtigt war, »Heureka« zu rufen. Diese Vorrede ist zum Verständnis des Folgenden notwendig. Einige Tage vorher nämlich, ehe ich Mrs. Graham gesehen, war es geschehen, daß ich etwa vier Pfund Protozoon zusammen mit dem fünffachen Gewicht anderer Stoffe in einem starken Glasgefäß in ein Sandbad getan hatte, so daß alles für die Bereitung von etwa einem Viertelliter des kostbaren Trankes bereit war. Als ich vom Zahnarzt heimkam und mein Zimmer betrat, war es natürlich mein erstes, das Gas anzuzünden. Einige Minuten lang beobachtete ich, wie der schöne scharlach- und purpurfarbene Dampf aufstieg und sich durch den Hals der Retorte und die langen gläsernen Röhren zum Kondensator wand. Mitten in dieser interessanten Tätigkeit wurde ich plötzlich durch den Ruf: »Sorgloser Narr! Gib acht! Lauf hinaus!« erschreckt. Ich gehorchte mechanisch und sprang in das äußere Zimmer, als auch schon eine heftige Explosion erfolgte, die Retorte war in Millionen Stücke zersprengt, der Apparat und die Fenster in kleine Trümmer geschlagen und einige Pfund glühend heißer Chemikalien auf den Boden verspritzt worden. Ein wüstes Durcheinander herrschte -- aber nicht für den Sprecher, denn mit Gedankenschnelle packte er den Teppich auf dem Boden mit samt den darauf geschütteten Chemikalien und warf alles auf den Schneehaufen unten im Hofe hinaus, der unter der Einwirkung der intensiven Glut dieses fast unlöschbaren Feuers alsbald zu schmelzen begann. Endlich fiel es in sich zusammen und nur ein weißer Rauch erzählte noch von der Gefahr, in der ich und das Haus sich befunden hatten. Als das Feuer erloschen und mein Schrecken einigermaßen geschwunden war, sah ich mich endlich um, wer mich eigentlich so gerade im rechten Augenblick noch gerettet hatte und sah den kleinen Alten lächelnd vor mir stehen. »Wie! Sie sind es?« fragte ich, ihm herzlich meine Hand entgegenstreckend. »Ich glaube beinahe,« sagte er, »und es war ein Glück für Sie, daß ich zufällig schon so früh am Morgen hier war. Sie sind kein allzu geschickter Chemiker, mein lieber Doktor, sonst würden Sie niemals damit gerechnet haben, daß Ihr Protozoongas den Kondensator erreicht, wenn der Hahn geschlossen ist, oder daß eine gesprungene Glasretorte dem ungeheuren Druck des überhitzten Dampfes widerstehen kann. Ich sehe, daß Sie Alchimist und Hermetist geworden sind -- wie ja so viele Rosenkreuzer! Und daß Sie dazu bestimmt sind, sich selbst in die Luft zu sprengen, oder Das große Elixier zu finden Und über den Stein der Weisen zu stolpern.« Dabei schlug der kleine Alte seine Hände zusammen und tanzte in ausgelassener Freude im Zimmer umher. »Aber, mein Freund,« sagte er dann, »da ausdauernde Versuche ein Mittel zum möglichen Erfolg sind, habe ich nicht den geringsten Zweifel, daß Sie eines Tages ein reicher Mann sein und ein hohes Alter erreichen werden; denn um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Sie sind heute früh der Zusammensetzung des Lebenselixiers -- dieses wahren Elixiers, um das sich die Weisen aller Jahrhunderte vergebens abgemüht haben -- näher gekommen als irgendein Mensch, der je gelebt. Hätten Sie nur eine geringere Menge von Elementen in die Retorte getan, von dem ersten und dritten Ingrediens mehr und vom zweiten, vierten und fünften weniger, dabei etwas weniger Hitze entwickelt, und zwei Unzen ... und ... eine Unze ... (er nannte dabei die betreffenden Stoffe), so hätten Sie das Wasser der ewigen Jugend und Gesundheit gefunden -- das wunderbare Mittel, das die Säfte reinigt, Verkalkung der Adern beseitigt und den Menschen gegen Miasmen und Krankheiten und überhaupt gegen alle lebenzerstörenden Einflüsse -- außer natürlich gegen Körperverletzung -- wappnet. Was meinen Sie dazu? Haha!« Und wieder brach er in ein heulendes Kreischen aus: »Den Mittelpunkt der Schwere will ich suchen, Du aber sollst den Stein der Weisen finden.« Wie groß war mein Erstaunen, als mir der ausgemergelte Alte ins Ohr flüsterte, daß ich vor der größten überhaupt denkbaren Entdeckung stehe, daß der Schlüssel zum Geheimnis aller Geheimnisse in meiner Hand läge! Eine große Erregung bemächtigte sich meiner. Bald aber wurde ich ruhiger und fragte mich: Wieso kannte er die Stoffe, die ich für das Elixier verwendet hatte? Vielleicht hatte er den Rauch gesehen und daraus Schlüsse gezogen. Aber wie konnte er den Inhalt des Kondensators kennen, durch den der Dampf hindurch mußte, um seine schädlichen Eigenschaften zu verlieren? Kein Mensch hatte mir bei den Vorbereitungen zugesehen. Woher wußte er, zu welchem Zweck ich die Flüssigkeit zusammengebraut hatte? Wie konnte er den Traum, die Hoffnung, das einzige Ziel meiner Seele während langer mühseliger Jahre kennen? All dies diente nur dazu, ihn selbst noch tiefer in den Schleier des Geheimnisses zu hüllen, und während ich so von Zweifeln hin und her geworfen wurde, stand er an meiner Seite und blickte neugierig durch die zerbrochenen Fenster auf den aufsteigenden Rauch, der sich in die Luft emporkräuselte. Bald darauf hatten wir die Trümmer beiseite geräumt, der Alte verließ mich mit dem Versprechen, am selben Tag noch einmal herzukommen, und ich ging fort, um einen neuen Apparat, neue Fensterscheiben und einen neuen Teppich zu bestellen und einige Patienten zu besuchen. Dann kehrte ich wieder zurück. Es schlug drei Uhr und ich war noch nicht lange zu Hause, als Miakus, seinem Versprechen getreu, ebenfalls erschien. 4. Kapitel DER MAGISCHE SPIEGEL »Ich will Ihnen einen Rat geben«, sagte er, »denn Sie brauchen ihn. Zunächst: vertrauen Sie niemals einem Freunde irgendein Geheimnis an, das Unglück oder Sorge bringen kann, wenn es verraten wird. Mischen Sie sich nie in einen Streit ein, ganz gleichgültig, auf wessen Seite Recht oder Unrecht ist, sondern lassen Sie die Welt ihren Kampf allein austragen, während Sie abseits stehen und sorgfältig auf jeden Vorteil achten, den Ihnen der Zufall verschafft. Und zuletzt: behalten Sie für sich, was Sie wissen, bis die Zeit dazu gekommen ist. So, und jetzt wollen wir unsere magnetischen Spiegel befragen.« Sogleich gingen wir in das Hinterzimmer, das inzwischen wieder instand gesetzt worden war, wenigstens was Fenster und Teppich betraf. Der Alte hielt das Rosenholzkästchen eine Weile in der Hand und stellte es sodann auf den Tisch. Dann schloß er die Fenster und spannte einen seidenen Vorhang rings um das ganze Zimmer auf, um so jedem Lichtstrahl den Zutritt zu wehren. »Das ist ein magischer Vorhang«, erklärte er. »Sie haben jedenfalls schon eine Laterna magica-Vorführung gesehen. Nun, ich werde Ihnen hier etwas ganz Ähnliches zeigen, aber ohne Laterne. Ich öffne jetzt dieses Kästchen, wie Sie sehen, und nehme den Spiegel heraus. Er besteht aus zwei französischen Glasplatten, die durch eine Holzumrahmung etwa einen halben Zoll voneinander entfernt gehalten werden, so daß ein gewisses Fluidum zwischen ihnen nicht entweichen kann. Das Kästchen, der Vorhang und die beiden Gläser sind durchaus unwichtig; alles hängt lediglich von dem Fluidum ab, das von dunkelbrauner Farbe ist, aus der Entfernung aber tintenschwarz erscheint. Ich hänge jetzt den Spiegel mit seinem Haken an den in den Vorhang eingenähten Ring. Dann verriegle ich die beiden Türen und stelle zwei Stühle für Sie und mich davor. Dann nehme ich diesen Reflektor hier und stelle ihn so, daß er einen starken Lichtkegel wirft, damit in der Mitte des Spiegels eine kreisrunde, glänzende Lichtfläche erscheint.« Wir setzten uns vor dem Vorhang nieder und ich bemerkte, daß die Flüssigkeit zwischen den Gläsern in einer opalisierenden Farbe schillerte. »Bevor wir die Richtigkeit von Hamlets Bemerkung gegenüber Horatio beweisen,« fuhr der Experimentator an meiner Seite fort, »will ich Ihnen einige Erklärungen geben. Zwischen dem menschlichen Körper und allen Dingen der Außenwelt desselben besteht nicht nur eine geheimnisvolle mächtige Sympathie, sondern eine noch größere zwischen diesen Dingen der Außenwelt und der Seele, was durch die erstaunliche Macht bewiesen wird, die verschiedene Substanzen auf sie ausüben, von denen die meisten für immer von der Erde verbannt und verflucht werden sollten, -- so z. B. Belladonna, Cantharidin, Bang, Opium, Haschisch, Dewammeskh, Hyndee, Tartooroh, Hab-zafereen, Mah-rubah, Gunjah und viele andere Pflanzengifte, von denen jedes nicht nur den Körper, sondern auch die Seele beeinflußt. Steigen wir jetzt von den greifbaren Körpern zu den flüchtigen Erscheinungen herab, z. B. zum Licht. Mit konkaven Spiegeln können wir Bilder in den Raum senden, die von Tausenden gesehen werden können. Wir fesseln sozusagen einen Schatten, und wer immer eine photographische Kamera besitzt, hat einen solchen Gefangenen. Wir machen damit ein paar magnetische Striche über ein Glas Wasser, sättigen es so mit irgend einer bestimmten, von uns gewünschten, angenehmen oder unangenehmen Eigenschaft, und es bringt sofort bei dem Patienten, der es zu sich nimmt, die entsprechende Wirkung hervor. Da haben Sie Geist und Außenwelt in einem einfachen Willensakt vereinigt. Aber wir gehen noch weiter: Wir nehmen gewisse Stoffe und machen damit das Wasser noch viel empfindlicher. Wir übertragen unsere Seele darauf, und zwar in einem solchen Grade, daß es den Körper eines Menschen völlig einschläfert und seine Seele zum höchsten Grade des Hellsehens erhebt. Noch mehr: es ist möglich, eine Flüssigkeit herzustellen, die jedes auf sie geworfene geistige Bild erfaßt und für eine gewisse Zeit festhält. Noch mehr: es gibt unmittelbare Beziehungen zwischen jedem Ding und jeder Person auf dieser Erde und über ihr. Durch gewisse Kenntnisse vermögen manche Personen jene Substanzen zu finden, die zu den Bewohnern der oberen Welten und des Weltraumes eine innere Verwandtschaft haben. Die Glasscheibe vor Ihnen nun enthält eine solche Flüssigkeit, die folgendermaßen zusammengesetzt ist ...« Hier gab er mir eine genaue Erklärung des Verfahrens zur Herstellung solcher Spiegel und der Art der Einbringung der Flüssigkeit, die, wie ich bemerkte, gleichzeitig eine elektrische, magnetische und ätherische sein mußte. Dann erklärte er mir, wie der Spiegel für die verschiedenen Gebrauchsarten zu präparieren sei -- als Spielzeug, als ein Mittel für ärztliche Diagnose, zum Zwecke der Traumdeutung, dann um irdische Dinge zu sehen, verlorene Schätze zu entdecken, Vergangenheit und Zukunft zu erfahren und vieles andere --, da kein Spiegel zur gleichen Zeit zu mehr als einem dieser Zwecke dienen kann, wenn er nicht besonders für allgemeinen Gebrauch eingerichtet ist, was aber seine Herstellung zu teuer machen dürfte. »Richtig behandelt«, fuhr er dann fort, »wird Ihr Spiegel so ungeheuer empfindlich, daß er nicht nur Dinge festhält, die für das Sonnenlicht zu subtil sind, sondern sie sogar reproduziert und sichtbar macht. Das ist aber noch nicht alles. Es gibt Licht im Lichte, Luft in der Luft und intelligente Wesen, die darin wohnen und mit den Menschen nur durch solche Spiegel verkehren können, in dem sie durch darin nachgebildete Vorgänge und darauf projizierte Worte die Nachricht hervorbringen, die sie zu übermitteln wünschen. Jetzt geben Sie gut acht! Gedanken sind Stoff, sind körperhafte Wirklichkeiten. Sie werfen Schatten, haben Gestalt, Umrisse, Masse, manche sind flach, andere scharfkantig, schneidend, spitz und bohren sich ihren Weg durch die Welt von Jahrhundert zu Jahrhundert. Wieder andere sind fest, rund, massig und wanken, wenn sie an Ihnen vorbeistreichen und gegen die Dinge der Welt stoßen. Gedanken leben, sterben und wachsen. Hören Sie zu! Blicken Sie fest und starr! Wünschen Sie sich irgend etwas zu sehen, ganz gleichgültig, was!« Ich lächelte ungläubig und meinte, man könne sein Gesicht auch in jedem andern Glase sehen. »Gewiß,« erwiderte er, »aber Sie haben noch niemals Ihre Seele gesehen und diese Kleinigkeit will ich Ihnen heute zeigen. Ich will jetzt noch verborgene Ereignisse enthüllen, die bald oder auch in späterer Zukunft auf der Erde oder über ihr geschehen werden.« Ich erklärte ihm, daß ich der Sache sehr skeptisch gegenüberstünde und mein Glauben erst erzwungen werden müßte. Ich lachte geradezu, worauf Miakus bemerkte: »Lachen Sie nur zu, lachen Sie immerhin; aber geben Sie acht, daß das Lachen sich nicht gegen Sie wende. Die Wahrheit ist eine recht eifersüchtige Dame und findet niemals Geschmack an Scherzen, die man auf ihre Kosten macht. Aber sehen Sie zu! Der Spiegel beginnt zu wirken.« Und sogleich beugte er sich nieder, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, blieb ungefähr eine Minute lang in dieser Stellung und fragte dann: »Was sehen Sie in dem Glas?« »Nichts,« erwiderte ich, »als unsere eigenen Bilder.« »Geduld! Sehen Sie noch einmal hin! Versuch's!« Ein kurzes Schweigen folgte. »Sehen Sie jetzt etwas?« »Ja, aber nichts Außergewöhnliches. Nur eine helle Stelle, eine Öffnung in der Mitte des Glases. Ja! Jetzt ändert sich etwas -- schwache, nebelhafte, dämmerige Schatten huschen darüber, aber nichts Deutliches und Unterscheidbares.« »Ist das alles?« »Ja.« »Sehen Sie weiter!« »Jetzt sehe ich klar und deutlich den Vorderteil eines großen, grauweißen Hundes. Er wird größer! Jetzt ist er ganz sichtbar! Das Bild steht voll und scharf außerhalb des Spiegels!« Während ich nun in den Spiegel blickte, wunderte ich mich im stillen darüber, wie es möglich sein sollte, mit Hilfe dieses Glases das große Geheimnis aller Menschenalter zu lösen. Aber gleich darauf fühlte ich einen gewissen Unwillen darüber, ein solches Bild zu sehen, während er mir doch versprochen hatte, ich würde meine eigene Seele erblicken. Ich sagte es ihm. »Nehmen Sie daran keinen Anstoß«, sagte er, »dieses Bild ist nicht wirklich, sondern nur ein Symbol. Ist der Hund nicht ein Muster ausdauernder Freundschaft, vollkommenen Vertrauens und unbegrenzter Liebe? Dies sind die Eigenschaften Ihrer Seele.« Jetzt erschien auf dem Glas ein breiter, leerer Raum und das Ganze wurde klar und durchsichtig wie der feinste Kristall und gerade in der Mitte zeigte sich ein kleiner, strahlender Lichtfleck, dessen Glanz sich immer mehr steigerte, bis mein Auge vom Hinsehen geblendet wurde. Allmählich breitete er sich aus und wiederum in der Mitte erstrahlte ein Lichtpunkt heller als der hellste Mittag, in den ich mit Entzücken hineinblickte, denn das intensive Licht hatte sich in eine Art von nebligem Dampf verwandelt. »In diesem Dampf und durch diesen will ich Sie vor mir sehen. Aber nicht jetzt. Die Zeit ist nicht günstig. Was Sie erblicken, ist die Linse eines mystischen Teleskops, mit dem ich die Regionen durchforschen kann, wo Myriaden von Welten gleich der unserigen rollen, die der Mensch noch nicht kennt. Mit ihm können Sie nicht nur diese Welten, sondern auch ihre Bewohner und alles, was sie tun, beobachten.« »Wie! Wollen Sie damit sagen, daß ein lebender Mensch mit diesem Teleskop, wie Sie es nennen, alles, was auf dem Mars oder Jupiter geschieht, wahrnehmen kann?« »Gewiß! Und noch eine Million anderer Planeten, Sonnen und Sonnensysteme. Es wird Ihnen das Schicksal jedes Lebenden und Toten enthüllen. Schreiten wir gleich zum Beweis.« Bei seinen Worten schien sich ein röhrenförmiges Lichtgebilde meinem Auge zu nähern, und ich erblickte dadurch wie in einem Diorama all die schrecklichen und schmerzlichen Szenen dessen, was ich für mein jüngstes Leben auf der Erde halte. Ich sah meine wenigen Freuden und Erfolge und die unzählbaren Schmerzen des Leibes und der Seele, von denen sie umrahmt waren. Und Menschen begegneten dem Phantom meines Ichs mit lächelndem Antlitz, die honigsüße Worte zu sprechen schienen, damit man ihnen vertraue; und dann erdolchten diese Wesen den Zuhörer. Er fiel wohl, aber er schien nicht zu sterben, denn ein scheußliches Gespenst schwebte beständig über ihm, zögerte aber aus Mitleid oder Bosheit, ihm den tödlichen Streich zu versetzen. Die Szene änderte sich. Ein Landstädtchen erschien -- das Datum stand in feurigen Ziffern in der Ecke: 1852. In einem Barbierladen übte ein fröhlicher, leichtherziger Jüngling seinen Beruf aus. Dann zeigte der Spiegel denselben Mann im öffentlichen Leben; man nützte ihn aus, schmeichelte seiner Eitelkeit und er beging so manchen Fehler. In dem Augenblick jedoch, wo sein Irrtum entdeckt wurde und er ihn eingestand, erhoben sich tausend Dolche gegen ihn, zehntausend Zungen schmähten ihn -- und warum? Weil er seiner Vernunft, seinem Gewissen und seinem Gott treu geblieben war. Ich sehe ihn jetzt mit gequältem Herzen. Wieder eine Veränderung: sieh da, derselbe Mann erscheint wieder. Von der Glut des Hasses, des Neides und des Undanks und der Bosheit seiner früheren Freunde niedergeschmettert, hatte er sich allmählich wieder aufgerichtet. »Ich erstehe neu aus meiner Asche« war der Wahlspruch auf dem Banner, das er im Winde flattern ließ. Er änderte seine Lebensweise. Einer von denen, die ihn zuerst von seiner Arbeit weg in die Welt geführt hatten, klammerte sich noch immer an ihn und erklärte, nicht einmal der Tod könne sie trennen. Die Pantomime war so klar verständlich wie gesprochene Rede und jener glaubte dem Lügner. Wieder änderte sich das Bild. Der Barbier und Redner war zu Ansehen gelangt, hatte viel Geld verdient, er hatte für ein Weib, das aber seine Liebe nicht erwiderte, zu sorgen, dem sein Herz zugeneigt war. Sein »Freund« eignete sich durch Betrug alles an, was jener besaß und verleumdete dann die Frau bei seinem Opfer, das er zum Bettler gemacht hatte. Dies brachte den ehemaligen Barbier fast um seinen Verstand, während der andere ihn auslachte und in Freuden lebte. Wieder entflog das Bild; Jahre waren vergangen: der Böse hatte den Boden unter den Füßen verloren, sein Opfer, der Barbier, war in der Welt der Wissenschaft emporgestiegen, die Menschen ehrten ihn und verachteten den anderen. »Der Weg der Welt!« rief Miakus, »aber erinnern Sie sich, daß stets das Recht den Sieg erringt und immer die Gerechtigkeit das letzte Wort behält. Was konnten Sie anders von einem so schwachen Menschen erwarten? Vertrauen Sie niemand! Das war Schicksal und dem Schicksal kann man nicht entgehen. Unterwerfen Sie sich ihm! Es wird für die Folge gut sein. Wir können doch glücklich sein!« Schon wieder diese Worte! Und noch dazu aus Miakus' Munde! Mein Geist begehrte etwas von der Zukunft zu sehen, was ebenso klar sein würde wie die Bilder der Vergangenheit, und wollte wissen, ob es kein Mittel gebe, um die Schläge des Schicksals zu mildern, und als mein Auge wieder durch die magische Röhre blickte, glitt der Kopf und die Büste eines jungen Mädchens über das Sehfeld. So schnell floh es dahin, daß nur ein elektrischer Strahl seiner Schönheit in mir zurückblieb. Doch eine unbestimmte Ahnung sagte mir, daß ich das Haupt Eulampias gesehen hatte, daß mir vom Weibe allein die Erlösung kommen könnte. Aber in jenem Fluch hieß es doch: »eine Tochter Ichs« und sie war ein Kind Japhets! Kaum war dieses Bild entschwunden, als das Glas wolkig und dunkel zu werden begann, bis es schließlich wieder genau das Aussehen hatte wie vorher, als es aus dem Kästchen genommen worden war. »Heute können wir nichts mehr sehen«, sagte Miakus, »aber ich habe Ihnen schon jetzt unbezahlbare Gaben verliehen. Sie können in die Welt hinausgehen und die Kranken heilen, die Wahnsinnigen wieder zu Verstand bringen, Sie können Spiegel machen und das Elixier bereiten, Sie können Vergangenheit und Zukunft lesen. Und doch ist das alles nichts gegen das, was Sie erwartet, wenn Sie feierlich geschworen haben, den Schlaf Sialam für mich zu schlafen.« Ich erkannte bereitwillig alles an, was er sagte, und die Dankbarkeit drängte mich, zuzustimmen. Die Worte schwebten mir schon auf den Lippen, als plötzlich dasselbe Haupt und dieselbe Büste wie vorhin langsam vor mir, etwa einen Fuß von meinem Gesicht entfernt, vorbeizog. Es war unzweifelhaft Eulampia und ihr Gesicht war traurig und tränenfeucht, als sie wieder verschwand. Während dies geschah, sprach eine leise, sanfte, wohlklingende Stimme: »Wenn ich in Gefahr bin, wirst du es wissen, wo immer du auch sein magst. Wenn du in Gefahr bist, wirst du mich sehen, und wenn Meere zwischen unseren Körpern lägen.« Genau die Worte, die das Mädchen an der Tür der Hütte des alten Häuptlings gesprochen hatte, als wir so traurigen Abschied nahmen. So auf geheimnisvolle Weise gewarnt, hielt ich mit meiner Zustimmung zurück. Miakus warf mir einen kläglichen und enttäuschten Blick zu. Er sagte jedoch nichts, sondern packte schweigend seine Instrumente wieder zusammen, wünschte mir ferneres Wohlergehen und dann ging ich mit ihm bis auf die Straße hinab, wo wir uns die Hände schüttelten und Abschied nahmen. Ich konnte nicht umhin, dem rätselhaften Alten für die Gunst, die er mir erwiesen hatte, dankbar zu sein und doch war ich fest überzeugt, daß ich durch Geisterhilfe aus einer großen Versuchung siegreich hervorgegangen war, wenn auch Miakus mich nach allem für undankbar halten würde. Unwillkürlich klammerte ich mich an die Erinnerung an das Mädchen im Tale, segnete sie von ganzem Herzen und sandte ein Gebet empor, sie möchte, wenn es möglich wäre, der rettende Engel sein, nach dem meine einsame Seele so heiß verlangte und seufzte. DRITTES BUCH 1. Kapitel RAVALETTE Jahre waren vergangen. Ich befand mich auf meiner zweiten Orientreise und hatte unterwegs London und Paris besucht. Meine Absicht war eine dreifache: zunächst wollte ich den »Hohen Dom des Rosenkreuzer-Tempels« sowie seinen Großmeister besuchen, die höheren Lehren des Ordens studieren und mit den Brüdern sprechen; zweitens wollte ich mir in Jerusalem die Substanzen holen, die ich zur Bereitung des Lebenselixiers brauchte, nicht etwa, um es herzustellen, sondern, weil ich eben diese Substanzen in meiner ärztlichen Praxis, die ich nach meiner Rückkehr nach Amerika wieder aufnehmen wollte, zu verwenden gedachte. Und drittens brauchte ich Ruhe, Entspannung und Ortsveränderung, denn ich fühlte, daß ich, wenn ich nicht ginge, an dem, was ich seit jenem Betrug erlebt hatte, sterben würde; und wenn ich starb, was dann? -- Und so ging ich. In Paris brachte ich den größten Teil meiner Zeit damit zu, die Schätze der assyrischen und ägyptischen Galerie zu betrachten. Bei einem solchen Besuche nun stand ich in Bewunderung versunken vor den Keilinschriften auf einer Reihe von Tafeln, die die Archäologie bis jetzt noch nicht entziffert hat. Während der letzten fünf oder sechs Besuche in dem Museum hatte ich in meiner Nähe einen alten Herrn bemerkt, der offenbar Franzose war und zu dem kleinen Überrest des alten Adels gehörte, der noch auf dem Boden der Grande Nation lebte. Man konnte das aus der ganzen Art seines Auftretens und Benehmens schließen, das sehr höflich und vornehm, aber durchaus einfach war; aus der Güte, die sein Gesicht ausstrahlte, konnte man leicht ersehen, daß Glück und Frieden in seiner Brust wohnten, und daß er ein Wohltäter und gleichzeitig ein eifriger Förderer der Menschheit war. Im Museum schien er offensichtlich mit derselben Aufgabe wie ich beschäftigt, nämlich der Entzifferung der erwähnten Inschriften. Früher waren zwischen uns, wenn wir uns begegneten, nur Begrüßungen und jene allgemeinen Höflichkeiten, wie sie zwischen wohlerzogenen Leuten üblich sind, ausgetauscht worden. Diesmal jedoch war unser Gruß wie durch gegenseitige Anziehung wärmer und länger; wir rückten zwei Stühle vor die Tafeln und begannen über die Inschriften zu disputieren. Der alte Edelmann, dessen Name Ravalette war, sagte: »Wie kommt es, daß Sie täglich hier die Inschriften kopieren und die Buchstaben zu entziffern suchen, über die sich die hervorragendsten Gelehrten Europas noch immer verzweifelt und hoffnungslos die Köpfe zerbrechen? Sie sind doch noch so jung und hoffen da auf Erfolg, wo alte Gelehrte scheiterten?« »Verzweifle wer will«, sagte ich. »Ich glaube, daß ich diese Rätsel noch ganz richtig lösen werde.« »Nun gut«, sagte Ravalette, »Sie wünschen also zu lernen und sind doch schon ein halber Gelehrter; und wenn Sie willens sind, zu lernen, so bin ich willens, zu lehren. Auf jeden Fall kann aus der Erörterung von Ideen kein Leid entstehen, vielleicht sogar viel Gutes.« Ich war entzückt, Ravalette so sprechen zu hören, denn ich fühlte, daß er, trotz des großen Altersunterschiedes, in vielen Beziehungen ein mir kongenialer Geist war, und ich wartete mit Spannung, bis er die reichen Schätze seiner Gedanken und Erfahrungen vor mir ausbreiten würde. »Ich bin mit Ihnen der Ansicht«, fuhr Ravalette fort, »daß die Sätze auf den Tafeln da vor uns beweisen würden, daß sich die menschliche Geschichte in Wirklichkeit noch viel weiter in die Nacht der Zeit erstreckt, als bis zu der Periode, deren Beginn durch Moses bezeichnet wird. Es gibt Denkmäler, die unzweifelhaft beweisen, daß die Menschheit viel älter ist, als man gewöhnlich annimmt, und daß die Kulturen schon in längst vergangenen Jahrhunderten der Erde ihre Segnungen mitgeteilt haben und dann hinweggefegt worden sind und nur vereinzelte Spuren zurückgelassen haben, um die Nachwelt wissen zu lassen, daß sie existiert haben. Noch mehr! Inmitten der Überreste jener verflossenen Zeiten finden wir solche, die sichtlich auf noch viel weiter entfernte Zeiten und Kulturen zurückgehen -- die Trümmer einer Welt, an die sich nur noch die Seraphim erinnern! Einen Beweis für diese Behauptung bieten die Pyramiden, über deren Erbauungszeit und Zweck wir nur Vermutungen anstellen können. Die authentische Geschichte Ägyptens kann auf über 6000 Jahre zurückverfolgt werden, aber schon für jene ferne Epoche waren die Pyramiden ebenso wie heute ein Rätsel.« Nachdem wir noch eine Weile geplaudert hatten, lud er mich ein, ihn in seine Wohnung zu begleiten und mit ihm zu speisen. »Es ist nur ein kleines Stück Weges«, sagte er, »mein Haus liegt in der Rue Michel le Compte, ganz nahe der großen Rue du Temple, einige Minuten von hier.« Ich nahm seine Einladung an, schob meinen Arm in den seinigen und dann gingen wir zusammen fort. Seine Wohnung war eines jener alten, stattlichen Herrenhäuser, wie sie der Adel in der Zeit Ludwigs des Vierzehnten zu bauen pflegte. Wir traten ein und setzten uns alsbald zu einer reichen, üppigen und gemütlichen Mahlzeit nieder. Die seltensten Weine, die kostbarsten Gerichte schmückten seine Tafel, die aufmerksamsten Diener warteten auf und zum Schluß folgte der beste Kaffee, den ich je getrunken, und der feinste Tabak, den ich je geraucht hatte. Nach dem Essen schlug er vor, einen kleinen Spaziergang zu machen, und bald schlenderten wir Arm in Arm nach der Rue du Temple, von wo wir immer in der gleichen Richtung weitergingen, bis wir die Grenzen der Altstadt erreichten und in eine Vorstadt, Belleville, kamen. Bevor wir die Straße verließen, hatte ich mir die Lage des Hauses eingeprägt und mir die Nummer auf mein Elfenbeintäfelchen notiert, das ich stets bei mir zu tragen pflege. Schließlich betraten wir ein Café, wo wir etwas Eiskaffee zu uns nahmen. Dann schlug er mir vor, uns eine Guinguette, d. h. ein Teehaus anzusehen, wie es kürzlich für das gewöhnliche Volk errichtet worden war und wo der Besucher für 10 Sous den vornehmen Mann spielen und seinen Kaffee aus silbernen Tassen schlürfen konnte. Wir sprachen mit dem Besitzer über die Neuheit seines Unternehmens und fragten ihn, ob nicht seine Gäste -- die alle den unteren Volksschichten angehörten -- eine scharfe Überwachung nötig machten und ob nicht ab und zu einmal einer mit ein paar silbernen Löffeln oder Bechern oder einer vergoldeten Fruchtschale durchginge. »Nein«, erwiderte der Mann darauf, »ich habe genug vom Leben und von der Menschheit gesehen, um mein scheinbar närrisches, auf jeden Fall aber neues Unternehmen wagen zu können. Mein Lokal wird von Tausenden besucht, mein Betriebskapital ist groß und doch habe ich bei dem kostspieligen Versuch, dem Unbemittelten den Komfort des Reichen zugänglich zu machen, noch nicht 10 Franken verloren.« Wir konnten die Menschenkenntnis Herrn Popinardes nur bewundern, denn wir fühlten, daß seine Philosophie des Vertrauens, wie er sie nannte, einen reichen Schatz an Wahrheit barg. Dann nahmen wir, immer noch Arm in Arm, unseren Weg in die Umgebung von Belleville, und dort, inmitten der freien Natur, begannen wir über ein Thema von besonderem Interesse zu sprechen. Dieses Thema war »die menschliche Seele und ihre Hilfsmittel«. Ich erinnere mich nur noch an den letzten Teil unseres Disputs. Der alte Edelmann sagte nämlich: »Dann glauben Sie also wirklich, daß es eine Art natürlicher Magie gibt, die in ihren Ergebnissen viel wunderbarer ist, als Aladins Lampe oder Salomons Glücksring?« »Ganz gewiß glaube ich das.« »Wie haben Sie von ihrer Existenz erfahren, und wie stellen Sie es sich vor, Novize zu werden, und sich gewisser beabsichtigter Verbindungen zu bedienen? Vielleicht glauben Sie an Elfen, Feen, Genien und Magier?« fragte er mit unterdrücktem Lachen. »Ich weiß nicht sicher,« erwiderte ich, »ob es solche Magie gibt, aber ich glaube es. Durch ernstes Streben kann sie gefunden werden. Es gibt Stufen, die zu ihr führen, und wenn wir die erste davon entdeckt haben (die wir, glaube ich, schon im Mesmerismus besitzen), können wir ihr folgen, bis wir den großen Thron erreichen. Ich glaube nicht, daß Elfen, Feen, Genien und Magier nur mythische Wesen sind. Es muß, wie mir scheint, ein Funken Wahrheit in den sagenhaften Erzählungen von ihnen stecken, die das Staunen des Hörers und Lesers wachrufen.« »Sehr gut. Aber sagen Sie mir, ob solche Wesen dieser Welt oder der Welt der Toten angehören.« In diesem Augenblick schien es mir, als verlöre ich meine geistige Selbständigkeit und als bemächtige sich eine fremde Macht meiner Seele, die für mich antwortete: »Sie gehören keiner von beiden an, sondern einer ganz anderen Welt!« Ravalette sah bei diesen Worten erstaunt drein und, nachdem er mich fast eine Minute lang aufmerksam angeblickt hatte, murmelte er kaum verständlich die Worte: »Es wird so sein! Sie sprechen vom Mesmerismus als der ersten Stufe zur wahren Magie, an die Sie glauben und von der ich weiß, daß sie existiert, und Sie dachten, es könnte davon mit Erfolg Gebrauch gemacht werden, um Kenntnisse zu erwerben, die durch die gewöhnlichen Mittel und Methoden nicht erreichbar sind. Sagen Sie mir, wie? Sicherlich doch nicht durch gewöhnliches Hellsehen, das immer nur vergangene Tatsachen enthüllt und nichts anderes, und daher dem Forscher nur wenig nützen kann? Sie glauben mit mir, daß die gesamte alte Geschichte, wie sie uns überliefert wird, im besten Falle eine bloße Fabel oder ein Gemisch von Mythen darstellt, obwohl vielleicht gewisse Teile einer tatsächlichen Grundlage nicht ganz entbehren, wobei das Wahre tausendfach von Erdichtetem überwuchert wird. Wie wollen Sie da mit Hilfe mesmerischer Kräfte wahr und falsch unterscheiden? Können Sie mir darauf antworten?« »Glauben Sie mir, mein kluger junger Freund, daß der Mesmerismus -- wie man ihn nun einmal nicht ganz richtig nennt -- recht gut ist zu dem verschiedenartigsten medizinischen Gebrauch. Er mag auch ein bewundernswertes Mittel für die Kontrolle der geistigen Fähigkeiten eines anderen sein, auch recht gut zum Hervorbringen der Grenzerscheinungen des zweiten Gesichts benützt werden, so daß er schließlich zu einer Leiter wird, auf der man mit Geschick und Ausdauer die geringeren Höhen wahren Hellsehens zu erklimmen befähigt wird, aber trotzdem ist der Mesmerismus das niederste der vielen Mittel, um Einsicht und Überblick über die weiten Meere der Geheimnisse zu gewinnen, die das menschliche Leben und das Bewußtsein überall eingrenzen. Ich gebe zu, daß der Mesmerismus in einigen wenigen Fällen den Beweis erbracht hat, daß er ein königlicher Weg zu mancherlei Kenntnissen ist; wissen Sie aber, daß er sich noch öfter als Irrweg erwiesen hat, der zu Skeptizismus und Zweifel führt? Und daher rate ich Ihnen, allen diesen Wegen zu mißtrauen, und dies umsomehr, als jedes menschliche Wesen, das seine Tierheit überwunden hat, in sich selbst Kräfte und Fähigkeiten besitzt, die, wenn nur für ihre Ausbildung genügend Sorge getragen wird, schließlich für alle Mühe reichlich belohnen. Der aber ist ein Narr, der sich selbst verläßt, mesmerische Behandlung oder Arzneien oder dergleichen anwendet und dadurch unter den Boden der Außenwelt sinkt, ohne die wahre Feuerseele erreichen zu können.« Ich biß mich auf die Lippe vor Verstimmung und Ärger über solche Tiraden gegen etwas, was meine innerste Seele bis jetzt als lichtbringend verehrt hatte. Und obwohl ich nicht zweifeln konnte, daß Ravalette im vollsten Ernst sprach, konnte ich nicht umhin, auf seinen Lippen ein triumphierendes Lächeln zu bemerken. Dieser Mann ist älter als ich, sagte ich mir, und weiß, wovon er spricht, sonst wäre er nicht so voll sicheren Vertrauens. Er kennt etwas Höheres als den Mesmerismus. Was mochte es wohl sein? Immer strebte ich, ein Problem zu lösen, an dessen Ende das »Warum?« und das »Warum nicht?« alles menschlichen Sehnens liegt -- die Frage der bewußten, persönlichen Unsterblichkeit. War vielleicht alles, was ich an mesmeristischen Erscheinungen selbst gesehen und anderen in eigener Person vorgeführt hatte, nichts weiter als ein Produkt von Phantasie und Vermutung? Ich konnte es nicht glauben und doch hatte mein sarkastischer Begleiter dies, wenn nicht behauptet, so doch logisch gefolgert, und offenbar wußte er ebenso viel von den Vorgängen in meinem Geiste, wie ich selbst, und vielleicht sogar noch bedeutend mehr. Ich befand mich in vollständiger Verwirrung. 2. Kapitel EIN SELTSAMES GESCHEHNIS Ravalette fuhr fort: »Man kann heute nicht mehr dieselben Wirkungen damit hervorbringen wie vor wenigen Jahren, denn der Mesmerismus ist entartet und stößt alle feinfühligen Menschen ab. Seine Anhänger verlieren unausbleiblich den Verstand -- wenn sie überhaupt einen hatten. Die Philosophie, die sie zu finden glauben, ist reiner Anachronismus. Mesmeristen sind Betrüger oder Betrogene, oder beides. Die Sentimentalitäten eines stöhnenden, hysterischen Mädchens, das zur einen Hälfte in Verzückung, zur anderen Hälfte liebeskrank ist -- wie das die meisten modernen Hellseherinnen sind -- zählen in der Reihe bewiesener Wahrheiten nicht mit und die Rasereien verrückter Somnambulen haben überhaupt nichts zu bedeuten; jene tragen wenigstens noch ein wenig Poesie in sich, diese aber überhaupt nichts. Nein, nein, mein Freund, setzen Sie kein allzu großes Vertrauen darauf, daß der Magnetismus Sie bei Ihren Forschungen unterstützen könnte; Sie werden sonst sicherlich eine Enttäuschung erleben und es dann, wenn es zu spät ist, bedauern, daß Sie aus dem Stall der Natur das schlechteste Tier gewählt haben. Folgen Sie meinem Rate und nehmen Sie ein besseres!« Als der alte Kavalier seine Philippika gegen den animalischen Magnetismus beendet hatte, der mir so viel bedeutete, schwieg ich etwa eine Minute lang und ließ dabei alle meine Erfahrungen und Kenntnisse auf diesem Gebiete Revue passieren. Das Resultat überraschte mich nicht im geringsten, denn bei ruhigem, leidenschaftslosem Zusehen fand ich, daß seine Behauptungen und Anschauungen unmöglich zu bestreiten und zu entkräften seien. Einst hatte ich diese Wissenschaft für den großen Boten des Lichtes gehalten, durch dessen Hilfe wir mühelos die Vorgänge einer so entfernten Vergangenheit erfahren können, daß die Kohlenlager der Erde im Vergleich dazu Schöpfungen von gestern sind. Und da warf Ravalette mit einem einzigen grausamen Schlag das ganze Gebäude unbarmherzig über den Haufen. Verstimmt schwieg ich eine Weile, während wir auf einer Art natürlicher Esplanade auf den Hängen der Hügel bei Paris auf und ab gingen. Mechanisch trat ich beim Hin- und Hergehen in die vorher gemachten Fußstapfen und ebenso mechanisch bemerkte ich, daß Ravalette das Gleiche tat. Dabei fiel mir, obwohl mein Geist angestrengt auf der Suche nach Argumenten zu seiner Widerlegung war, ein seltsamer Umstand auf: Die Schuhe Ravalettes waren von ganz eigenartigem Schnitt, wie ich dergleichen vorher noch nie gesehen hatte. Im oberen Teile waren sie fast dreieckig. Vorher war dies meiner Aufmerksamkeit entgangen, jetzt erschien es mir plötzlich sehr merkwürdig. Ebenso überraschend aber war der Umstand, daß seine Schuhe statt des gewöhnlichen Absatzes und der Sohle vier kreisförmige Ringe aus Messing hatten, die mit Lappen bedeckt waren; die Spur, die er auf dem weichen nachgiebigen Boden hinterließ, war in der Tat höchst ungewöhnlich. Diese Spur und die Schuhe unterbrachen fast meinen Gedankengang. Ich bemerkte nun auch, daß die Sohle seines Schuhs mit einem Kreuz, zwei Halbmonden, zwei Dreiecken und einer massiven Stange, die einen Teil des Kreuzes bildete, geschmückt war. Ich sah auf -- Ravalette lächelte über meine Überraschung. »Das ist nur eine Laune von mir«, erklärte er. »Ich habe eine besondere Verehrung für diese Figuren, wie Sie leicht sehen können.« Dabei lenkte er meine Aufmerksamkeit auf eine große Spange oder Vorstecknadel an seiner Brust. Dieses seltene Kleinod, das ich früher zwar gesehen, aber nicht besonders beachtet hatte, bestand aus einem Dreieck, einem Halbmond oder Viertelkreis und einem Zirkel. In der Mitte befand sich ein kleines Kreuz aus winzigen Sternen und am Schnittpunkt der beiden Kreuzbalken war eine blühende Rose, in natürlichen Farben in Email ausgeführt, angebracht. Als ich diese Busennadel mit einem starken Vergrößerungsglas untersuchte, entdeckte ich auf dem Halbmond eine Inschrift in winzig kleinen fremdartigen Buchstaben. Auf der linken Seite des Mondes war ein Pelikan, der seine Jungen mit seinem eigenen Herzblut nährt, in der Mitte eine kleine schwarze Rose und rechts eine dunkelrote. Die Arbeit war außerordentlich fein, denn das Ganze war nicht größer als ein Golddollar. Er zeigte mir auch ein großes Siegel, das an seiner Uhr hing und auf seiner Oberfläche eine Leiter von zwölf Sprossen zeigte, von denen die erste und die fünfte zerbrochen waren. Der Fuß dieser Leiter stand auf einer zertrümmerten Säule, neben der eine Maurerkelle lag, und ihr oberes Ende lehnte sich gegen den Schaft und den Ring eines Ankers, der auf dem Kopf stand und dessen unterer Teil in einer Wolke verschwand. Nachdem ich das Siegel zur Genüge betrachtet hatte, zog er seine Uhr heraus, die an einer schönen goldenen Taukette befestigt war, und sagte mit einem halben Lächeln: »Ich habe noch mehr von der Art.« Es war eine gewöhnliche glatte goldene Uhr mit einem Schutzgehäuse, die vielleicht 50 oder 60 Pfund Sterling wert sein mochte. Einen besonderen Wert aber erhielt sie dadurch, daß auf der Innenseite ein stilisierter Anker in Diamanten dargestellt war. Die entgegengesetzte Seite zeigte, in hervorragender Emailarbeit ausgeführt, eine Windrose: drei Sterne glänzten im Westen, ein Grabgewölbe mit halbgeöffnetem Tor stand im Osten, gebrochene Säulen zierten den Süden, und im Norden war ein von kleinen Dreiecken gebildeter Kreis, in dessen Mitte eine Rose auf den Armen eines durch Punkte angedeuteten Kreuzes schwebte. Das Ganze war in derselben Feinarbeit ausgeführt wie das Siegel und die Nadel. Als ich fragte, was dies bedeute, gab er eine ausweichende Antwort. Er wiederholte seine vorherige Bemerkung und sagte schließlich: »Suchen Sie jetzt nicht zu erfahren, was diese Dinge bedeuten; Sie werden es in den nächsten Tagen wissen. Reden wir von etwas anderem. Sie bemerkten vorhin, daß der Mesmerismus eine spirituelle Kraft sei, aber ich bin nicht ganz überzeugt, daß Sie recht haben. Nach meiner Ansicht ist er eine physische Kraft -- er mag ultraphysisch oder ultramateriell sein, aber er ist eben doch physisch.« »Wie!« rief ich erstaunt, »menschlicher Magnetismus, dieses mächtige Agens, das so gewaltige Wirkungen hervorruft, sollte physischer Natur sein? Unmöglich! Schon der Gedanke ist, verzeihen Sie, absurd; die Behauptung ist geradezu lächerlich!« »Das dachte auch ich einmal«, sagte Ravalette. »Ich glaube es nicht mehr; und seien Sie überzeugt, die Zeit ist nicht mehr fern, da auch Sie in dieser Frage auf meiner Seite stehen werden. Ich will versuchen, Ihnen die Sache zu erläutern. Nehmen wir zum Beispiel die Schlangen. Wir wissen, daß diese Reptilien auf Vögel und andere Tiere einen Einfluß ausüben, der ganz dem eines Magnetiseurs ähnlich ist, nur mit dem Unterschied, daß die menschlichen Versuchsobjekte nicht den eigenartigen Schrecken zeigen, wie er bei den niedrigeren Arten von Lebewesen in diesem Falle auftritt. Denn das Tier hat einen sicheren Instinkt dafür, daß jene Macht zu seiner Vernichtung ausgeübt wird, wovon die menschliche Versuchsperson natürlich völlig frei ist. Wir sehen die Schlange dieselbe Kraft ausüben wie den Magnetiseur und wir bemerken bei beiden die gleichen Resultate; und doch wird es keinem Menschen einfallen, auch nur einen Augenblick lang anzunehmen, daß die Schlange ein spirituelles Wesen ist.« »Ich will nicht sagen«, fuhr er fort, »daß die Seele des Menschen physische Natur ist, aber sein Geist ist es gewiß; -- ich habe das vor über 60 Jahren völlig zufriedenstellend bewiesen. Halten Sie mich, ich bitte Sie, nicht etwa für einen Materialisten und behaupten Sie nicht, daß ich die Existenz des Geistes bestreite; das sei fern von mir! Ich glaube nicht nur an einen Geist, sondern sogar an ein großes spirituelles Reich, das viel ausgedehnter, mannigfaltiger und schöner ist als dieses unser materielles Reich; und glauben Sie mir, mein Freund, wenn ich Ihnen versichere, daß unter Zehntausenden nicht einer eine richtige Vorstellung von dem hat, was er meint, wenn er das Wort ›Geist‹ ausspricht, und daß unter der dreifachen Zahl noch nicht einer ihn genau definieren kann. Sodann gestatten Sie mir als ein Vorspiel zu dem, was Ihnen noch zustoßen wird, zu sagen, daß ich, entsprechend der modernen Philosophie und in geradem Gegensatz zur populären Anschauung, der Ansicht bin, daß der Geist im Geiste nicht die Wirkungen hervorrufen kann, wie sie beim mesmerischen und den analogen Phänomenen auftreten, aber ich bezweifle keineswegs, daß die Materie diese Fähigkeit hat. Ja, mein Freund, ich bin der Überzeugung, daß die Materie allein ohne jede äußere Hilfe zur Erzeugung magnetischer Wunder und hundert anderer noch viel wunderbarerer Vorgänge fähig ist. Ich glaube zum Beispiel nicht, daß irgend eine bloß mesmerische Kraft und noch weniger die Träume des gewöhnlichen Schlafes Sie unter irgendwelchen Umständen befähigen können, die Inschriften auf den Tafeln im Louvre zu entziffern oder die Geheimnisse von Karnak, Baalbek, Niniveh oder Ampyloe zu erforschen, aber ich kann Ihnen rein materielle Kräfte nennen, die für die Ausführung dieser Aufgaben und noch viel größerer völlig ausreichen. Ich kenne ein materielles Mittel, das die Seele befähigt, vor ihrem Blick die Geheimnisse des fernsten Altertums bloßzulegen, die Vergangenheit ihrer Hülle zu entkleiden und triumphierend den Schleier zu lüften, der die Zukunft vor unserem Auge verbirgt -- oder vielmehr vor Ihrem Auge.« Der seltsame Alte hielt inne und mein Geist verharrte eine Weile bei seinen letzten Worten. Es war ganz klar, so dachte ich, daß er auf gewisse Medikamente anspielte, die lange Zeit zur Erzeugung einer Art ekstatischen Traumzustandes gebraucht worden sind, und so erwiderte ich: »Sie haben zweifellos recht und können durch physische Kräfte eigenartige seelische Phänomene und merkwürdige Äußerungen geistiger Tätigkeit erregen, aber ohne allen Zweifel überschätzen Sie ihre Wichtigkeit, denn nicht eine einzige von ihnen ist imstande, einem klaren, starken Geist die Möglichkeit zu gewähren, sich in der Sphäre des Verborgenen aber Wirklichen zu bewegen.« »Sie haben etwas Besonderes im Auge, mein Freund?« »Ich habe verschiedene chemische und pflanzliche Verbindungen im Auge, so zum Beispiel jene Pflanzen, die einen großen Prozentsatz Narkotika enthalten, wie Opium, Beng und Hanf, dann die Präparate des wonnebringenden, aber gefährlichen ..., die bezaubernden Abkochungen des ..., nicht zu vergessen: das Haschisch, dieses verfluchte Mittel, unter dessen Einfluß im Orient Millionen in ein vorzeitiges, aber regenbogenfarbenes Grab sinken, und das in den westlichen Ländern Hunderte zu heulenden Wahnsinnigen gemacht und starke Männer in geifernde Idioten verwandelt hat.« Wir verfielen in Stillschweigen, bis Ravalette mit Eifer meine Hand ergriff und sagte: »Mein lieber junger Freund, es gibt hier in Paris eine hohe und edle Gesellschaft, deren Haupt ich bin. Sie zählt viele Rosenkreuzer zu ihren Mitgliedern. Wie die Vereinigung, zu der Sie gehören, hat auch die unserige ihr Hauptquartier im Orient. Seit ich Sie gesehen habe, hatte ich den sehnlichen Wunsch, Sie als Bruder in unserem Orden zu wissen. Soll ich Ihre Aufnahme ins Werk setzen? Sind Sie erst einmal bei uns, so ist Ihnen kein Zweig des Wissens, des Mystischen und irgend eines anderen mehr verschlossen, und im Vergleich dazu nehmen sich selbst die Geheimnisse des dritten Tempels des Rosenkreuzes wie das Alphabet einer Enzyklopädie aus.« Er redete mir noch weiter zu, aber ich hatte keine Sehnsucht, in seine Brüderschaft einzutreten, und erklärte ihm dies auch höflich, aber bestimmt. Daraufhin brach er unsere Unterredung ab, indem er sich erhob, wobei er noch bemerkte: »Sie werden es bereuen, ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Die Gesellschaft existiert; wenn Sie sie brauchen, dann finden Sie sie; sie kann gefunden werden. Aber sehen Sie: Mein Reitknecht wartet schon lange mit dem Pferd; ich muß Sie jetzt verlassen. Nehmen Sie dieses Papier, öffnen Sie es, wenn es nötig ist. Sie werden Paris morgen oder in den nächsten Tagen oder wann immer Sie wollen, verlassen. Wenden Sie Ihr Antlitz nach Süden, nicht nach Norden, wie Sie vor hatten. Suchen Sie mich nicht, außer in der Stunde der höchsten Not. Inzwischen rate ich Ihnen, gehorchen Sie Ihrer höchsten Einsicht bis auf den Buchstaben! Leben Sie wohl!« Und so trennten wir uns. Ich schätzte Ravalette hoch, aber nicht seine Brüderschaft. Die Unterhaltung, wie überhaupt das ganze Zusammensein mit ihm, war von einer eigentümlichen, zauberhaften Atmosphäre umgeben. Es war ersichtlich, daß alle seine Worte und Anspielungen einen tieferen Sinn hatten, als es zunächst schien. Seine Ausführungen hatten meine Seele mit neuen seltsamen Ideen und Erregungen erfüllt, und ich fühlte, daß er mich an dem inneren Tor eines großen Gebäudes hatte stehen lassen, nachdem er mich geschickt durch den Vorhof geführt. Was für Welten der Geheimnisse, welch tiefe und dunkle Vermutungen lagen noch dahinter verborgen? Ich empfand und wußte, daß er kein gewöhnlicher Mensch sei, und dies wurde mir später auf merkwürdige Weise bewiesen. Da ich meine geplante Reise durch die Pikardie und die Normandie verschoben hatte, hatte ich mich mit der Hoffnung getröstet, ich könnte engere Bande der Sympathie zwischen uns knüpfen, und durch die Berührung mit einem so bedeutenden Intellekt wie dem seinigen an Weisheit zunehmen. Wie gewaltsam und plötzlich war diese Hoffnung jetzt zunichte gemacht! Als er mich Knall und Fall verließ, nachdem er meine Seele mit einem so prächtigen Köder angelockt hatte, war ich erstaunt und bekümmert. Ein Tag in seiner Gesellschaft wäre mir ein Vermögen wert gewesen, aber leider konnte diese Gunst des Schicksals nicht einmal mit Tausenden erkauft werden. Seine letzten Worte waren das Grabgeläute meiner Hoffnungen. Jetzt wurde ich auch einer Tatsache gewahr, die mir bisher entgangen war, nämlich, daß ein berittener Stallknecht mit einem Handpferd unter einem großen Baum am südöstlichen Ende unserer Promenade geduldig gewartet hatte. Als mir der Alte das versiegelte Papier in die Hand drückte, näherte sich der Knecht und half seinem Herrn beim Aufsteigen. Sobald die beiden im Sattel saßen, gaben sie den Tieren die Sporen und jagten in gestrecktem Galopp davon, und bevor ich mich von meiner Bestürzung erholt hatte, waren sie außer Sehweite. 3. Kapitel DAS GEHEIMNIS -- EIN HERR STEIGT IN EINE DROSCHKE, UM SEINEN EIGENEN GEIST ZU SUCHEN Es mochten wohl drei Minuten verflossen sein, als ich wieder völlig zu mir kam. Ich faßte den Entschluß, mich nicht in dieser, wenn auch ritterlichen Weise äffen zu lassen, sondern noch eine Zusammenkunft zu erzwingen, komme was da wolle. Mit dieser Absicht rannte ich den Hang des Hügels entlang und dann durch die Hauptstraße von Belleville, bis ich den Schlagbaum an der Straße erreichte, die in die Rue Faubourg du Temple führt. Dort rief ich eine Droschke an und befahl dem Kutscher, mich so schnell wie möglich nach der Rue Michel de Compte zu fahren, wo ich vor wenigen Stunden mit Ravalette gespeist hatte. Während ich mit dem Kutscher sprach, ereignete sich etwas Seltsames. An jenem Schlagbaum stand eine Schar von Müßiggängern herum und in ihrer Mitte bemerkte ich eine Bonne, die drei hübsche Kinder beaufsichtigte, von denen eines, ein Knabe von sieben Jahren, ein ungewöhnliches Interesse für mich an den Tag legte. Dieses Kind nun lief, als es mich sah, zu der Bonne und sagte: »Fanchette, was hat der Mann da? Ist er krank? Warum schaut er so seltsam drein?« »Still, Kind,« sagte die Bonne darauf, »dieser Herr sucht etwas, was er nicht finden kann.« »Was sucht er denn, Fanchette?« »Er sucht seinen eigenen Geist, mein Kind!« erwiderte sie laut, da sich die Kinder um sie drängten, um ihre Antwort zu hören. »Ma foi!« echoten die Gaffer, als sie ihre Worte vernahmen -- ob sie im Ernst oder im Scherz gesprochen waren, kann ich nicht sagen --, »ma foi! der Herr nimmt eine Droschke, um auf die Suche nach seinem eigenen Geist zu gehen!« Gerade als diese Worte von hundert Zungen wiederholt wurden, setzte sich mein Wagen in Bewegung. »Was zum Teufel bedeutet das?« fragte ich mich, »was bedeutet das? Wie kommt die Bonne zu diesem seltsamen Gedanken?« Während ich noch darüber nachgrübelte, hielt die Droschke vor dem verlangten Hause. Ich stieg sogleich aus, bezahlte den Kutscher und läutete hastig. Der Concierge erschien alsbald und um so schneller, als ich etwas ungestüm geläutet hatte. »Ist Ihr Herr zu Hause, mein Freund?« »Gewiß, er ist heute noch nicht fort gewesen.« »Wie! Nicht fortgewesen, wo er mich doch erst vor dreißig Minuten verlassen hat? Unmöglich! Monsieur Ravalette muß fortgewesen sein!« »Wer ist Monsieur Ravalette? Ich kenne niemand dieses Namens. Mein Herr ist Monsieur Jacques d'Emprat.« Hier war ein neues Geheimnis. »Melden Sie mich, bitte, Ihrem Herrn!« »Sofort, mein Herr. Jeanette, geh hinauf und sage dem gnädigen Herrn, daß ihn jemand zu sprechen wünscht.« Jeanette, ein kleines Mädchen von zwölf Jahren, eilte, den Befehl auszuführen, nach wenigen Minuten erschien der Herr des Hauses selbst, und ich stellte mit Überraschung fest, daß der schürzengeschmückte Kellermeister, der uns bei unserem Diner bedient hatte, und der Hausherr ein und dieselbe Person waren. Ich erfuhr, daß Ravalette, der dem Wirt im übrigen vollkommen unbekannt war, vor zwei Tagen zu ihm gekommen sei, um ein opulentes Diner für zwei Personen zu bestellen -- der Hausbesitzer war nämlich von Beruf Gastwirt. Ravalette hatte die Rechnung im voraus beglichen und ihm eine seltsam gearbeitete kleine Silbermünze als Andenken verehrt. Er zeigte mir die Medaille und ich sah mit Erstaunen, daß es eine getreue, etwas vergrößerte Kopie derjenigen war, die ich am selben Tage in Belleville an seinem Halstuch bemerkt hatte. Auf die Frage, wann er Ravalette zuletzt gesehen habe, antwortete er: »Ich weiß nicht, wo er ist, auch nicht, wann ich ihn wiedersehen werde -- ich weiß überhaupt gar nichts. Er ist mit Ihnen fortgegangen und seitdem nicht zurückgekehrt. Er ist ein rätselhafter Mensch und hätte ich nicht diese Medaille hier und 310 Goldfranken in der Tasche, so wäre ich fast geneigt zu glauben, daß er der Teufel in eigener Person war. Aber der Teufel zahlt niemals mit Gold, wie die sagen, die es wissen müssen, und Ravalette hat mich unzweifelhaft in funkelnagelneuer Münze bezahlt, die ich, weil sie so schön aussah, in meine lange Lederbörse einband, um sie meiner Tochter, die auf der Schule in Dijon ist, zum Geburtstag zu schenken. Sehen Sie her!« Dabei zog er eine abscheuliche Lederbörse hervor, die an einem Ende mit Bindfaden sorgfältig verschnürt und mit rotem Siegellack versiegelt war. »Ich kann Ihnen das Geld nicht zeigen, weil ich das Siegel nicht verletzen möchte, aber Hören ist ja ebenso gut wie Sehen und Sie sollen es gleich klirren hören.« Dabei schlug er mit der Börse ein paarmal an die Wand, aber statt des fröhlichen Goldgeklimpers vernahmen wir nur den dumpfen Klang unedlen Metalls. Der Wirt wechselte die Farbe, zog hastig sein Messer, durchschnitt die Schnur und schüttete den Inhalt des Beutels in seine hohle Hand. Wir waren starr: statt des Goldes hielt er einen Haufen bleierner Scheiben in der Hand! Auf jedem stand eine Nummer und ein Buchstabe und eines trug auf der Rückseite die Inschrift: »Ordnet die Münzen nach der Reihenfolge der Nummern.« Wir taten es und sahen nun, daß die Buchstaben Wörter und diese einen Satz bildeten, der lautete: »Es ist nicht alles Gold, was glänzt.« Mir gerann das Blut in den Adern. Ich konnte kaum ein Wort sprechen oder mich bewegen, so groß war meine Bestürzung; unbeschreiblich war das Entsetzen des Hausherrn, der mit offenem Munde und mit herausquellenden Augen auf die Münzen starrte. Und während wir beide noch hinsahen, ging mit den Münzen eine neue Schrecken erregende Veränderung vor: die Buchstaben nahmen zunächst eine hellblaue Färbung an, die dann in ein dunkles Karmesin und schließlich in Blutrot überging. Gleichzeitig aber hatten sich auch die Buchstaben selbst verwandelt und wir lasen jetzt: »Denken Sie an Ravalette! Fürchten Sie nichts!« Mit einem Entsetzensschrei schleuderte der Wirt die verhexten Münzen auf den Boden und fiel sogleich in eine todesähnliche Ohnmacht. Allgemeine Verwirrung entstand, der Portier, Jeanette und ein halbes Dutzend anderer Dienstboten stürzten herbei, um ihrem Herrn zu helfen. Wir trugen ihn sorgsam und vorsichtig hinauf, begannen sofort Wiederbelebungsversuche anzustellen, und nach einer halben Stunde erwachte er wieder zum Leben. Diesen Moment benützte ich, um ihm Lebewohl zu sagen und mit dem Versprechen, am andern Morgen wieder zu kommen -- wenn ich nicht überhaupt Paris verließe --, ging ich fort. Vorher jedoch wollte ich noch die wunderbaren Münzen an mich nehmen und ich ging daher mit dem Hausmeister, der gesehen hatte, wie sein Herr sie weggeworfen, in den Hof hinunter. Wir suchten lange und fanden wohl die Eindrücke, die sie auf dem Boden zurückgelassen hatten, aber von den Münzen selbst keine Spur. Niemand im Hause konnte sie aufgehoben haben, denn alle waren um den Wirt beschäftigt gewesen; niemand hatte in der Zwischenzeit hereinkommen können, denn das Tor war verriegelt und seit ich eingetreten, nicht mehr geöffnet worden. Schließlich gaben wir die Hoffnung auf, noch etwas zu finden. Ich sah den Portier an und schüttelte den Kopf, und er sah mich an und schüttelte den Kopf. In diesem Augenblick hörten wir eine Stimme, weiß Gott woher (sie schien weder von oben, noch von unten zu kommen), eine hohle, halb pathetische und halb sarkastische Stimme, die unsere eigenen Gedanken aussprach: »Es ist eine sehr seltsame Sache!« Der erschrockene Hausmeister bekreuzte sich, während ich das Tor entriegelte und auf die Straße hinausstürzte. Die Sache war von so zauberhafter Art, daß ich meinen Sinnen nicht mehr traute, aber wenn ich mir alle Umstände von Anfang bis zum Ende überlegte, konnte ich an der Wahrheit des Erlebten schlechterdings nicht zweifeln. Doch während ich, die Rue Michel de Compte verlassend, in die Rue du Temple einbog und langsam dahinschritt, kam mir plötzlich ein anderer Gedanke: Vielleicht hatten Ravalette und die Leute in jenem Hause mir nur eine ganz raffiniert angelegte und sehr geschickt durchgeführte Komödie vorgespielt? Aber wie ließen sich dann die kaleidoskopischen Veränderungen der Münzen erklären? Hier lag doch noch ein Widerspruch. »Ich hab's!« rief ich schließlich. »Das Problem ist gelöst und ich habe es gefunden!« Ganz spontan war mir eine Lösung eingefallen, die vielleicht sogar das Münzenrätsel befriedigend erklärte, und was mir vor zehn Minuten noch als ein tiefes und schreckliches Mysterium erschienen, lag jetzt anscheinend so klar wie die Mittagssonne. Meine Gedankengänge waren diese: Ravalette war ein reicher, exzentrischer Kavalier, der meine natürliche Neigung für die Antike und das Okkulte bemerkt und daraufhin beschlossen hatte, sich und seine Freunde auf meine Kosten zu amüsieren; oder aber er bemitleidete mich wegen meiner gefährlichen Verblendung und hatte dieses ziemlich kostspielige Experiment angestellt, um mich dadurch von ihr zu befreien. Die Leute im Hause, ebenso wie die am Schlagbaum, bildeten die Statisten in dem Schauspiel. Er war ein gescheiter Mann und wußte, daß er mich nicht so einfach würde hinters Licht führen können, und darum rief er die Wunder der Chemie und Bauchrednerei zu Hilfe -- mit dieser letzteren erklärte ich mir nämlich jene überirdische Stimme, mit der ersteren die Verwandlung der Münzen: sie waren wohl mit einer Substanz überzogen gewesen, die sich bei der Berührung mit der freien Luft veränderte. Das Erscheinen der letzten Worte war für den Wirt das Zeichen sie wegzuwerfen und eine Ohnmacht zu heucheln. Die entstandene Verwirrung konnte dann dazu benutzt werden, die Münzen zu beseitigen. Der Satz endlich: »Es ist eine sehr seltsame Geschichte« war unter diesen Umständen ganz natürlich und mußte so notwendigerweise genau meinen Gedanken wiedergeben und der ganzen Szene noch einen besonders geheimnisvollen Reiz verleihen. Ich war stolz auf meine Erklärung und sie hätte alle Fragen dieses Problems wunderbar gelöst, wenn nicht ein einziger kleiner Einwand gewesen wäre, und der war -- daß sie eben nicht stimmte -- was vielleicht recht trivial erscheint, aber wir werden gleich genaueres vernehmen. Ich war von meinen Schlußfolgerungen schon halb zufriedengestellt und nachdem der erste Freudenausbruch über meine Entdeckung vorüber war, überlegte ich weiter. Mochte meine Lösung richtig oder falsch sein, auf jeden Fall wollte ich nach Belleville zurückkehren und dort Nachforschungen anstellen. Ein Omnibus brachte mich an den Schlagbaum, wo ich zu meiner großen Freude genau dieselben Leute fand, die beim ersten Male dort gewesen waren. Die Bonne und die Kinder sahen soeben den Vorführungen eines Marionettentheaters zu. Glücklicherweise waren alle -- im ganzen etwa dreihundert Personen -- von den Späßen Polichinells und seines keifenden Weibes so gefangen, daß keiner mich bemerkte. Ich ging daher in ein Café in der Nähe, verlangte eine Tasse Kaffee und schickte einen der Kellner fort, um das Mädchen mit den drei Kindern zu holen. Ich bestellte für sie und die Kinder Kaffee und Kuchen und fragte sie, was sie zu so merkwürdigen Redensarten über mich veranlaßt habe. »Ach mein Herr,« sagte sie, »ich habe nur die Worte wiederholt, die ein alter Mann gesprochen hatte, der an der entgegengesetzten Seite des Wagens stand, wo Sie ihn nicht sehen konnten. Ich ging gerade von dort nach der anderen Seite herüber, als Sie mich sahen und hörten. Als Sie die Straße herunterliefen, sah jeder, daß Sie in Eile waren, und mehrere Leute stellten Vermutungen über den Grund Ihrer Hast an. Einer sagte: ›Der Mann ist verrückt‹, ein anderer: ›Seine Frau ist mit einem Liebhaber durchgegangen‹; und der Alte neben mir sagte: ›Er sucht etwas, was er sobald nicht finden wird.‹ ›Und was ist das, mein Herr?‹ fragte ich ihn. ›Er ist auf der Suche nach -- ähem, er sucht -- seinen eigenen Geist, meine Liebe!‹ sagte er und ging fort. Die Bemerkung war so seltsam, daß ich die ganze Zeit, während ich über die Straße ging, daran dachte -- und das ist für uns Kindermädchen eine sehr lange Zeit, mein lieber Herr -- und als Auburt -- das war eines der Kinder -- mich fragte, was Ihnen fehle, wiederholte ich unwillkürlich die Worte des Alten -- so und -- noch eine Tasse Kaffee, bitte -- und das war alles!« Ich atmete auf. »Aber sagen Sie mir, meine Liebe, was für eine Art Mensch war dieser alte Kerl? Beschreiben Sie ihn mir einmal!« »Mit Vergnügen -- Kellner: noch einen Kuchen, der Herr wird ihn bezahlen -- mit Vergnügen«, und sie beschrieb ihn mir; es war zweifellos -- Ravalette. Ich wußte jetzt genug, gab es auf, noch weitere Fragen zu stellen, zahlte und eilte so schnell wie möglich nach den Blumengärten, die Ravalette und ich zusammen besucht hatten. Ich betrat den betreffenden Garten und fragte den Gärtner, ob er den alten Mann gesehen habe, der in meiner Begleitung erst vor kurzem hier gewesen sei. »Ein alter Mann? Sonderbar, wie können Sie so etwas sagen. Ich erinnere mich ganz deutlich, Sie waren da in Begleitung eines etwa 17 jährigen Knaben -- den hab ich seither nicht mehr gesehen.« »Oho, mein Freund,« rief ich, »ich weiß genau, daß mein Gefährte kein Jüngling, sondern ein Mann von gut 70 Jahren war.« »Sacre bleu! Glauben Sie, daß ich lüge! Sagen Sie was Sie wollen, aber ich will verflucht sein, wenn er sein zweites Jahrzehnt schon überschritten hatte. Doch ich will Ihnen einen Vorschlag machen: Ich wette eine Flasche Chateau Lafitte, 42 Jahre alt, daß Ihr Begleiter ein kleiner, magerer, blasser Knabe von nicht mehr als fünfzehn Jahren war! Halten Sie die Wette?« »Ja, und noch vierzig andere von der gleichen Art. Aber wer wird unser Schiedsrichter sein und die Wette entscheiden?« »Lassen Sie die Zeugen, meine Gehilfen, meine Frau und meine Töchter entscheiden. Ich stehe Ihnen gut dafür, daß sie wegen einer Flasche Wein nicht lügen werden. Sind Sie einverstanden?« »Ja, rufen Sie sie her, ich will ihnen vertrauen.« »Das können Sie auch, es sind lauter anständige Leute. Meine Frau hat Sie eingelassen, ich habe Ihnen einen Strauß verkauft, einer meiner Leute ging mit Ihnen durch den Garten und der andere holte das Wechselgeld, um Ihnen auf das Fünf-Francs-Stück heraus zu geben, mit dem Sie mich bezahlt haben.« Hier erhob er seine Stimme und rief: »Kommt alle her! Ich habe mit dem Herrn gewettet und ihr sollt die Wette entscheiden.« Die drei kamen sofort und der Gärtner sagte zu mir: »Jetzt, Herr, wollen wir beide an das andere Ende des Gartens gehen und dort will ich Ihnen den Mann genau beschreiben, der heute nachmittag mit Ihnen hier war. Dann wollen wir die Zeugen einzeln rufen, so daß keiner hört, was der andere sagt, und genau das berichtet, was er selbst gesehen zu haben glaubt.« Dieser Vorschlag war durchaus unparteiisch und ich stimmte zu. Die beiden Männer wurden dann an zwei entgegengesetzte Seiten des Gartens geschickt, die Frau mußte sich zwischen ihnen an der dritten Seite aufstellen, während wir beide uns nach der vierten und freien Seite begaben. Hier begann der Gärtner zu sprechen: »Ihr Freund sah genau so aus wie ich ihn beschrieben habe, und ich füge hinzu, daß er polnische Lederschuhe trug und einen Panama- oder Livornohut auf dem Kopf. Außerdem trug er einen leichten Rohrstock, helle Baumwollhosen, einen weiten Überrock und eine weiße Kaschmirweste. Merken Sie sich das, bitte. Und nun komm her, Josef«, rief er etwas lauter. Josef kam. »Sei so gut und beschreibe die Person, die heute mit diesem Herrn hier war.« »Mit Vergnügen, Meister. Der Neger, der mit diesem Herrn kam, war sehr fett und schwer, hatte große, auswärts gebogene Füße, ungeheure Hände, ein breites flaches Gesicht, eine Nase, die wohl ein Pfund schwer war, und Lippen von mindestens dem doppelten Gewicht. Sein Haar war wollig und die Zähne glänzend weiß und regelmäßig. Er trug niedrige Schuhe, eine grüne Mütze, Kniehosen, eine rote Weste und eine purpurfarbene Jacke.« Wir beide, der Gärtner und ich, sahen uns mit grenzenloser Verblüffung an. Josef war es gewesen, der uns im Garten herumgeführt hatte. Wir waren die einzigen Besucher an dem Tage gewesen! »Zum Teufel, Josef, du bist wohl verrückt! Der Mann war doch --« »Halt ein,« unterbrach ich ihn, »denken Sie an die Bedingungen unserer Wette und sprechen Sie kein Wort, bis sie alle ihre Aussagen gemacht haben.« Dann wandte ich mich an den Burschen: »Geh wieder in deine Ecke«, und rief sodann Peter, der sogleich kam. Wir forderten ihn auf, eine genaue Beschreibung meines Begleiters zu geben und er sagte: »Ach, Sie meinen die alte Dame. Meiner Seel'! Ich muß jetzt noch darüber lachen -- verzeihen Sie, aber ich kann mir nicht helfen -- ich muß lachen, wenn ich bloß an sie denke. Was das für eine verrückte alte Schachtel war! Dieses zusammengequetschte Gesicht, und die Nase erst und das Kinn! Sie hatte eine täuschende Ähnlichkeit mit einem Nußknacker. Ich hielt sie für die Großmutter Methusalems, oder für eine Schwester von Adams erster Frau.« Dabei brach er in ein herzliches Lachen aus und fuhr dann fort: »Und ihre Kleidung! Keine Spur von Tuch daran, alles aus grünem und blauem Maroquinleder! Und dann ihre zierlichen Schuhe, wie aus Schmetterlingsflügeln gemacht sahen sie aus; und ihr Kopfputz -- verwelkte Blumen und zwei Büschel von verschossenen Bändern!« Und bei diesen Worten kehrte er wieder an seinen Platz zurück und lachte, als wollte er zerspringen. Der Gärtner sah noch um einige Grade verblüffter drein; was für ein Gesicht ich machte, kann ich nicht sagen, aber was ich fühlte, kann kein Sterblicher beschreiben. Wir schwiegen jedoch beide und gingen zu der Frau des Gärtners, die geduldig gewartet hatte und sich wunderte, warum Peter so laut lachte. »Meine liebe Frau,« sagte ihr Gatte, »willst du uns vielleicht die Person beschreiben, die du selbst heute mit diesem Herrn hier eingelassen hast? Ich glaube fast, daß der Teufel selbst hier die Hand im Spiele hat, denn bis jetzt hat jeder eine andere Beschreibung gegeben. Du aber, meine Liebe, du wirst uns sicher die Person richtig beschreiben können, nicht wahr?« »Ja, mein Lieber, das süße Kind, das heute mit diesem Herrn hierher kam und das mit mir in mein Privatgemach ging, damit ich ihr Haar in Ordnung bringen und an ihren Unterröcken etwas richten sollte, war eine so schöne, junge Blondine von etwa 18 Jahren, wie sie nur je das Herz eines Mannes stärker schlagen ließ. Diese Fesseln, diese Füßchen, dieser rosige Hauch auf ihren Lippen und Wangen! Oh! Und die Figur, die Hüften, die Taille! Herrgott! Ein Glück nur, daß ich kein Mann bin, sonst wäre ich meiner Treu verrückt geworden und durchgegangen und hätte den Herrn seinen Verlust betrauern lassen, während ich mit seiner Braut die Freuden der Liebe genossen hätte. Außerdem --« »Halt, halt, um Gottes willen, halt, Ninette! Ich habe eine Flasche Jean Lafitte -- über 40 Jahre alt! -- verloren und meinen Verstand dazu!« Wir waren bei den letzten Worten alle zusammengetreten und ich erklärte den anderen die ganze Sache, was dem Peter die Heiterkeit und der Gärtnerin alle Poesie gründlich vertrieb. Ich hatte Wette und Wein vergessen, verließ die Gesellschaft in unbeschreiblichem Schrecken und eilte in größter Hast nach der Guinguette, wo wir uns beide, Ravalette und ich, wie ich erzählt habe, mit dem Besitzer über sein neuartiges Unternehmen unterhalten hatten. Als ich angekommen war, stellte ich ihm die nämliche Frage wie dem Gärtner. Seine Antwort machte mich sprachlos, denn er behauptete hartnäckig, ich sei ganz allein bei ihm gewesen; allerdings hätte ich mit ihm in zwei ganz verschiedenen Stimmen gesprochen und er habe daher geglaubt, ich übte mich in der Bauchrednerei, was er dann geschickt dazu benützt habe, mir einige Schmeicheleien über meine Fähigkeiten auf diesem Gebiet zu sagen; denn er hätte natürlich geglaubt, ich sei nur deswegen zurückgekehrt, um mich nach dem Erfolg meines Experiments zu erkundigen. Ich war zu entsetzt, als daß ich ein Wort hätte sprechen können, verabschiedete mich stammelnd und ging in einer unbeschreiblichen Stimmung fort. Noch nicht zufrieden damit, erkundigte ich mich, ob jemand zwei Reiter nach meiner besonderen Beschreibung durch die Straßen von Belleville habe reiten sehen. Niemand hatte sie bemerkt, überhaupt war an jenem Nachmittag dort kein Reiter gesehen worden. »Ich will seine Spur verfolgen,« rief ich, »denn der Ort, an dem wir spazieren gingen, und wo der Groom mit den Pferden wartete, war ein weicher Rasen. Da muß es sich ja zeigen, ob ich mit einem Lebenden oder einem Toten gesprochen habe.« Ich rannte hin. Keine Spur von einem Pferdehuf! Keine Spur von Ravalettes seltsamen Schuhen! Meine eigenen Fußstapfen waren deutlich zu sehen, aber von denen Ravalettes -- nichts. Das Geheimnis wurde immer dunkler, und ich sah auch nicht den geringsten Schimmer einer Erklärung. Langsam und in Verzweiflung wandte ich meine Schritte wieder nach Paris und fragte dabei unterwegs noch verschiedene Leute, ob sie zwei Männer in der Richtung nach Charonne Vilette oder Mesnilmontant hätten reiten oder einen Schlagbaum passieren sehen. Ich hätte gar nicht erst zu fragen brauchen! Aber noch war dieses Kapitel teuflischer Zauberei nicht abgeschlossen; denn die nunmehr folgenden Ereignisse stellten alles Vorhergehende weit in den Schatten. 4. Kapitel EIN MORD Sie werden sich erinnern, daß ich mich nach meinen fruchtlosen Nachforschungen nach den beiden Reitern und nach den ebenso fruchtlosen Versuchen, die Fußspuren Ravalettes zu finden, wieder auf den Weg nach Paris machte. Ich ging langsam und war in tiefes Sinnen versunken. Als ich die Rue Faubourg du Temple hinunterschritt, verkündete eine entfernte Glocke die vierte Stunde. Mir fiel ein, daß mich einer meiner Pariser Freunde, Baron de Marc, vor acht Tagen schon für heute halb sieben Uhr abends zu einer spiritistischen Séance geladen hatte. Aber da ich noch mehr als zwei Stunden Zeit hatte, beschloß ich, bei d'Emprat vorzusprechen, um zu hören, was während meiner Abwesenheit vorgefallen war. Ich hatte die Rue Michel le Compte bald erreicht und sah zu meiner Überraschung, daß sich vor dem Haustor eine große Menge staute. Mit klopfendem Herzen und einem vagen Gefühl von Unruhe und Furcht näherte ich mich einem intelligent aussehenden Mann und fragte ihn mit erheuchelter Gleichgültigkeit nach der Ursache dieser Menschenansammlung. »Denken Sie sich, mein Herr,« sagte er, »der Teufel und fünf seiner Kobolde sind soeben in diesem Hause gewesen und haben drei oder vier von den Inwohnern in einer bläulichen Flamme durch das Dach entführt. Das ist wahr, meiner Seel'!« Mir schien diese Antwort nur eine Ausgeburt des Aberglaubens und ich dachte mir, daß seine Dummheit sein Aussehen Lügen strafe. Ich zog nun ein Blatt Papier und einen Bleistift aus der Tasche und zeigte sie recht auffällig vor den Augen der Menge, um so die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Meine List hatte Erfolg: die Leute hielten mich für einen Reporter und machten mir den Weg frei, so daß ich bald ohne besondere Schwierigkeiten in das Innere des Gebäudes gelangte. Dort erfuhr ich, daß der arme D'Emprat nach jener ersten Ohnmacht in eine zweite gefallen sei, die von den fürchterlichsten Krämpfen begleitet gewesen, wobei er, Schaum auf den blutleeren Lippen, in einemfort geschrien habe: »O, der Teufel! der Teufel ist gekommen, um meine Seele zu holen, weil ich Baptiste Lemoine vor 37 Jahren getötet habe! Mein Gott! Mein Gott! Er will mich zur Hölle schleppen!« Seine Frau versuchte alles mögliche, um diese gefährlichen Ausrufe zu ersticken, aber vergebens. Sein Geschrei ging in Geheul über, bis schließlich die Polizei aufmerksam wurde und in das Haus eindrang. Die Nachricht breitete sich wie ein Lauffeuer aus und die Fragen der Polizisten sowie die Bemühungen des Hausmeisters, der schleunigst überall die Ereignisse des Nachmittags erzählte, trugen noch dazu bei, die Aufregung zu erhöhen. Der Hausmeister nahm schließlich zwei Polizeioffiziere beiseite und sagte ihnen leise etwas, worauf sie, von heftigem Schrecken ergriffen, zurückfuhren und sich bekreuzigten. Sie befahlen ihm, keinem Menschen ein Wort von der Sache zu sagen. Dann gingen sie wieder in das Zimmer, wo D'Emprat im wildesten Delirium lag und sich noch immer eines vor langer Zeit begangenen Mordes bezichtigte. Er schrie, der Teufel stehe neben ihm und hielte einen Dreizack in der Hand. Während dieser schrecklichen Szene tat Frau D'Emprat was sie nur konnte, um ihren Gatten zu beruhigen, doch umsonst. Die Geister böser Taten waren erwacht und rächende Engel peitschten seine Seele zum Wahnsinn auf. »Sei still,« schrie sie, »um Jesus willen, sei still! Du wirst unter der Guillotine sterben! O, sei still! Oder wenn du schon sprechen mußt, dann sage etwas anderes!« Einer der Offiziere schrieb jedes Wort, daß der Mann oder die Frau äußerte, unbeobachtet nieder. Er benützte dabei mein Papier und meinen Bleistift und schrieb auf dem Rücken eines Kameraden. Gottes Wege sind wunderbar; und ich dankte ihm innerlich, als es mir offenbar wurde, daß die Leute im Hause nicht, wie ich vermutet, mit Ravalette im Einverständnis gewesen waren, und daß der geheimnisvolle Vollstrecker der göttlichen Vergeltung nicht von höllischer Herkunft war, mochte er sonst sein, was er wollte. Ein Stein fiel mir vom Herzen -- doch die Erleichterung hielt nicht vor -- bald sollte es von neuem in Ratlosigkeit und Zweifel gestürzt werden. »Du hast ihn nicht getötet, D'Emprat. So sage auch nicht, daß du es getan hast« rief das Weib in höchster Verzweiflung. »Das ist eine Lüge! Ich habe es getan!« schrie der Unglückliche. »Ich habe ihn im Keller mit dem Beil erschlagen und ihn im Stall unter dem Stand des Grauschimmels verscharrt.« »Barmherziger Gott! Wir sind verloren!« jammerte die Frau, die jetzt selbst schon halb wahnsinnig war, »schon immer habe ich mir gedacht, daß du meinen Bruder ermordet hast, aber ich habe es bis jetzt nicht geglaubt. Und ich glaube es auch jetzt noch nicht.« Der Hausmeister trat vor: »Ich kann es beweisen,« sagte er, »ich erinnere mich wohl des blutigen Beils, auch hat mich der Herr nie den Grauschimmelstand reinigen lassen und ich habe ihn beobachtet, wie er in dem Boden nach Gold grub und sich im Schlafe selbst anklagte.« »Dann verhafte ich Sie, D'Emprat, und Sie, Madame, im Namen des Gesetzes; Sie, Hausmeister, gehen als Zeuge mit. Leute, tut eure Pflicht, nehmt die Arrestanten mit und säubert das Haus!« sagte der Sergeant. Fünf Minuten später waren die Unglücklichen bereits unterwegs nach dem Gefängnisse, während ich in mein Hotel ging, um mich -- sogar unter solchen Umständen -- für die Soiree bei dem Baron umzukleiden, freilich in einer Geistesverfassung, die mich wenig befähigte, Zuschauer bei psychologischen Experimenten zu sein. Doch ich hatte nun einmal mein Wort gegeben und mußte hingehen. Und ich ging hin. -- Schlag 6 Uhr stand ich im Empfangszimmer des Barons. 5. Kapitel DIE SITZUNG BEIM BARON -- EINE GANZ SCHEUSSLICHE TEUFELEI Als ich ankam, war die erwähnte Gesellschaft im Salon versammelt und wartete mit fast ängstlicher Spannung auf das Erscheinen des Mannes, der uns heute unterhalten und belehren sollte. Zunächst schien es, als stehe uns eine Enttäuschung bevor. Er hatte versprochen, vor halb 8 Uhr zu kommen, diese Zeit war vorbei und er noch nicht da. Als es aber auf der Uhr der Eustachiuskirche Halb schlug, verkündete die Hausglocke seine Ankunft. Er war von großer, anmutiger Figur und sichtlich von Geburt ein Ire, hatte aber sonst nichts Auffälliges an sich. Er weigerte sich zunächst, uns seinen Namen zu nennen: »Wenn ich unbekannt bleibe, werde ich nicht als Wundertier angestaunt, das heißt mit anderen Worten, nicht von Leuten, die ihre krankhaft zudringliche Neugier befriedigen wollen, belästigt werden -- von Leuten, die auf der Jagd nach Mirakeln sind, anstatt Künste und Wissenschaften zu studieren und durch eine eingehende Beschäftigung mit philosophischen Wahrheiten und den verborgenen Geheimnissen der Natur ihre Kenntnisse zu bereichern.« Er war sehr höflich und gebildet, begann sofort unbefangen ein Gespräch und schien selbst von dem Cercle, den er hielt, so befriedigt, daß er bald alle Zurückhaltung aufgab, lachte und scherzte. Schließlich teilte er uns auch seinen Namen mit -- allerdings unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit: Nibchi Vatterale -- ein merkwürdiger Name! Dann schlug er vor, in das Nebenzimmer zu gehen. Dort stellte er je sechs Stühle in einer Reihe auf, im ganzen achtzehn, also drei Reihen, die zusammen ein Dreieck bildeten. Darauf bedeutete er dem Baron, daß seine Vorbereitungen erledigt seien, worauf der Baron sagte: »Herr Vatterale hat mir mitgeteilt, daß vor solch einer Sitzung alle Anwesenden unbedingt ihren leiblichen Organismus stärken müssen. Ich lade Sie daher ein, vor dem Beginn unserer Vorführungen an einem kleinen Souper teilzunehmen und --« »Gestatten Sie einen Augenblick«, fiel Mr. Vatterale höflich ein, »es ist das nämlich eine Gewohnheit von mir und geschieht zu dem Zweck, um alle üblen Folgen zu vermeiden, die aus einer zu starken Erregung des Nervensystems hervorgehen könnten.« »Dann, meine Damen und Herren, bitte ich Sie mir zu folgen«, rief der Baron, reichte seiner Gemahlin den Arm und führte uns in sein prächtiges Speisezimmer. Nach dem Souper kehrten wir wieder in das Nebenzimmer zurück und ließen uns auf den im Dreieck aufgestellten Stühlen nieder, wobei die Damen, sechs an der Zahl, die westliche Seite einnahmen. Nun stellte Vatterale in den freien Raum zwischen uns zwei Stühle einander gegenüber und zwei mit Damastsamt bedeckte Fußschemel nebeneinander in den einen Winkel des Dreiecks. Dann verschloß er alle Türen des Zimmers und band die Schlüssel mit einem scharlachfarbenen Band zusammen, dessen Ende er an einem der Glasprismen befestigte, die von dem großen Gasluster in der Mitte des Zimmers gerade über unseren Sitzen herunterhingen. Die sieben Flammen dieses Lusters brannten sämtlich und das Zimmer war in allen seinen Teilen so hell erleuchtet wie bei Sonnenschein. Die beiden Fenster in der nördlichen Wand waren verhängt und fest geschlossen. Ich wiederhole noch einmal, daß die sieben Gasflammen während des ganzen Abends brannten -- außer wenn sie ohne Hilfe menschlicher Hände ausgelöscht wurden. Sie wurden übrigens jedesmal, wenn sie auf solche Weise erloschen, sofort wieder angezündet. Nachdem Vatterale die Schlüssel auf die erwähnte Art gesichert hatte, untersuchte er die beiden Fenster auf das genaueste, machte sie unten fest -- das heißt die unteren Scheiben (es waren nämlich sogenannte Guillotine- oder Schiebefenster), während er eine der oberen herunterließ, dann die Fensterläden öffnete und befestigte. Ich bemerke noch, daß er selbst natürlich niemals vorher in diesem Raum und überhaupt nicht in dieser Wohnung gewesen war und daher über deren Anlage und Einrichtung nicht orientiert sein konnte. Trotzdem bat er jetzt den Baron, einem Diener zu läuten, und befahl diesem durch die geschlossene Tür, ein Sofa aus dem unmittelbar über uns befindlichen Zimmer in das dunkle Schlafzimmer im dritten Stock zu bringen, da es an seinem gegenwärtigen Standort die vorzunehmenden Experimente beeinflussen könnte. Dies überraschte uns natürlich alle, besonders den Baron, der Vatterale anstarrte, wie wenn er von den Toten auferstanden sei, denn dies wäre kaum erstaunlicher gewesen. Er bestätigte, daß die beiden genannten Zimmer tatsächlich existierten; wie jedoch Vatterale zu solcher Kenntnis gekommen war, erschien durchaus rätselhaft, denn er hatte uns keinen Augenblick verlassen und mit der Dienerschaft kein Wort über die Wohnung gesprochen. Wir hatten uns von unserer Überraschung noch nicht erholt, als wir schon wieder merkten, daß wir es mit einem außergewöhnlichen Menschen zu tun hatten, denn er wandte sich an mich und bat mich, ihm eine kleine Metallmünze zu leihen, die ich etwa zehn Minuten bevor er -- Vatterale -- das Haus betreten, von einem Freunde erhalten hatte. Ich gab Vatterale die Münze, er steckte sie in die Tasche, nahm eine Reihe elfenbeinerner Täfelchen, schrieb etwas darauf und überreichte sie dann einer älteren Dame, der Marquise de Fronde, einer Milchschwester des Barons. Das Geschriebene enthielt eine Frage, die so seltsam war, daß die alte Dame sie sogleich laut vorlas: »Will die Frau Marquise die Güte haben, sich in den Alkoven zurückzuziehen und die Metallplatten an den Sohlen und Absätzen ihrer Schuhe zu entfernen, sodann die Kupfer- und Zinkplatten zu trennen, die Platten des gleichen Metalls zusammenzulegen und sie wieder an ihren Schuhen anzubringen?« Die Marquise fiel vor Verwunderung fast in Ohnmacht, denn kein Mensch wußte, wie sie behauptete, daß sie tatsächlich solche Platten trug, und zwar schon seit etwa zehn Jahren, weil sie elektrische Ströme erzeugten und diese wohltätigen Einfluß auf ihre Nerven übten. Sie zog sich zurück und zeigte uns dann nach einer Minute die Platten, die genau so waren, wie sie Vatterale beschrieben hatte. Nachdem sie sich abermals für eine Weile entfernt hatte und die Platten wiederum in der gewünschten Weise befestigt waren, kehrte sie auf ihren Platz zurück. Nun brachte Vatterale einen kleinen Mantelsack, den er schon beim Betreten des Hauses in der Hand getragen hatte, herbei und entnahm ihm drei kleine Rollen Draht, ferner eine große Saucière aus sehr dickem Porzellan, eine Phiole mit einer farblosen Flüssigkeit, eine Schachtel mit Kleister und endlich zwei große völlig leere Flaschen mit so dünnen Wänden, daß man hindurchsehen konnte. Sie waren offenbar aus dem feinsten Kristallglas hergestellt. Schließlich entnahm er dem Sack noch etwas, was wie drei Papierrollen aussah, von denen die eine sehr umfangreich, die beiden anderen ziemlich klein zu sein schienen. Er entrollte die größere und breitete sie am Boden aus. Sie hatte etwa drei Fuß im Durchmesser und war mit allen möglichen Farben und seltsamen Figuren bemalt. Der Mittelpunkt dieses Blattes lag jetzt genau im Mittelpunkt des Dreiecks und somit genau unter dem Kronleuchter. »Das symbolische Bild des Universums«, erklärte er. Darauf stellte er die Saucière in die Mitte der symbolischen Karte, wenn man es so nennen will. Dann spannte er den Draht hinter den Köpfen der Herren der einen Reihe aus und befestigte ihn an den beiden anderen Drähten, die er vor den zwei anderen Seiten des menschlichen Dreiecks gezogen hatte. Der Draht, den wir mit der einen Hand hielten, während wir mit der andern die des Nachbars faßten, war auf der Seite der Damen aus gewöhnlichem versilberten Eisen, auf der unserigen aus vergoldetem Stahl und auf der dritten noch übrigen aus massivem Golde, das mit Seide umsponnen war. Die Damen hielten den Draht mit der linken Hand, die Herren dagegen mit der rechten. Nun schüttete Nibchi die Hälfte des Kleisters und die farblose Flüssigkeit in die Saucière und zündete das Ganze an. Es brannte mit heller, bläulicher Flamme, wobei sich ein eigentümlicher, jedoch nicht unangenehmer Geruch im ganzen Zimmer verbreitete. Während dieses Verbrennungsprozesses saß der Experimentator auf seinem Stuhle und starrte angestrengt nach dem offenen Fenster, während wir übrigen fröhlich plauderten und uns verwundert fragten, was wohl alle diese seltsamen Vorbereitungen bedeuten sollten. Ich sagte, wir plauderten fröhlich, muß aber dabei eine Person ausnehmen und das war -- ich selbst, denn es war mir unmöglich, mich mit der Unbefangenheit der anderen an der Unterhaltung zu beteiligen. Ich hatte die schrecklichen Ereignisse dieses Tages noch nicht vergessen und auf meinem Gemüt lastete ein Alp. Der »Geist Ravalettes« schien unsichtbar über mir zu schweben und ich glaubte, seine Gegenwart deutlich zu fühlen. Die Vorfälle in Belleville drängten sich immer wieder vor mein geistiges Auge: die Wette mit dem Gärtner, das Weib am Schlagbaum und dann die grauenvolle Szene in der Rue Michel le Compte, die unzweifelhaft auf der Guillotine mit dem Tode D'Emprats ihr Ende finden sollte, endlich die überirdischen Mittel, durch die sein Verbrechen -- der schreckliche Mord vor 37 Jahren -- ans Licht gebracht wurde; dies alles bedrückte mich so, daß ich für die augenblicklichen Vorgänge wenig Interesse übrig hatte. Tatsächlich achtete ich auch wenig auf Nibchi und seine Tricks, die ich, als ich seine Vorbereitungen sah, nicht nur verachtete, sondern ohne weiteres in das Gebiet der Gaukelei verwies, wenn auch manches daran merkwürdig und überraschend sein mochte. Man wird gleich sehen, auf wie schreckliche Weise ich gewahr werden sollte, daß ich den Mann vor uns so falsch eingeschätzt hatte. Seine Geschicklichkeit in der Entdeckung der Münze, des Sofas und der Platten konnte mich nicht überraschen, denn ich erinnerte mich an Kaspar Hauser und andere dieser Art, die durch einen »magnetischen Sinn« die Gegenwart von Metallen feststellen konnten. Auch seine Beschreibung des Schlafzimmers im dritten Stock war sehr einfach zu erklären, da fast alle alten Häuser solche Zimmer im dritten Stock haben und sein Scharfsinn ihn leicht die nötigen Schlüsse ziehen ließ. So konnte ich, dem die Taten des mystischen Ravalette noch frisch im Gedächtnis hafteten, kein sonderliches Interesse für die Spielereien aus der niederen Magie haben, die der Hexenmeister vor uns, wie ich überzeugt war, gleich vorführen würde. Plötzlich stand der Mann, an dem ich soeben innerlich eine so vernichtende Kritik geübt hatte, von seinem Stuhle auf, warf das Haupt zurück, so daß seine langen, wallenden Locken auf die Schultern fielen und murmelte zwischen den Zähnen, wie wenn ihm das Hervorbringen der Worte den größten Schmerz bereitete: »Er kommt!« Dabei sahen wir, daß sein Gesicht, das für gewöhnlich von einem schmutzigen Gelb war, plötzlich eine aschgraue Färbung annahm, während seine Augen Funken sprühten. Gleichzeitig legte er seine rechte Hand auf die linke Brustseite. Es schien, als wollte er eine plötzlich aufsteigende Angst unterdrücken, dann rief er zu uns gewandt: »Sehen Sie scharf hin! Seien Sie stark! Seien Sie furchtlos! Geben Sie acht! Wenn Sie eine gräßliche Gefahr vermeiden wollen, so rühren Sie sich nicht von Ihren Sitzen! Halten Sie die Schnur und fassen Sie sich an den Händen, sprechen Sie, was Sie wollen, aber bewegen Sie sich keinen Zoll von Ihren Plätzen, geschehe, was da wolle! Es wird sich etwas Überraschendes ereignen!« Wir erklärten unsere Zustimmung und einige aus der Gesellschaft begannen sogar über seine Zauberei zu scherzen, als wir plötzlich alle von unseren Sitzen aufsprangen, aber sofort durch einen zornigen Blick und eine herrisch befehlende Geste seiner Rechten zurückgewiesen wurden. Unser gleichzeitiges Aufstehen war durch einen gellenden Schrei verursacht worden, der nicht, wie man vermuten könnte, von einer Frau, sondern von einem Herrn namens Theodor Dwight, einem Amerikaner aus Philadelphia, der zurzeit in Paris wohnte, ausgestoßen worden war. Er ist, wie alle, die ihn kennen, bestätigen werden, durchaus kein schwacher, hysterischer, nervöser Mensch, und man dürfte auf der ganzen Welt kaum einen Mann finden, dem diese Eigenschaften weniger zu eigen sind als ihm. Der Schrei, der von seinen Lippen kam, schien von Entsetzen und Todesangst eingegeben, wie ihn wohl ein Verdammter in der Hölle ausstoßen mag. Es war in der Tat ein Anfall von schrecklicher, tödlicher Furcht. Alle Augen wandten sich nach ihm. Er war leichenblaß -- ein Bild des Todes, seine Augen quollen aus den Höhlen und er zitterte am ganzen Körper. Er war durchaus unfähig, den Grund seines Schreckens anzugeben, aber sein Blick hing mit dem Ausdruck unaussprechlichen Entsetzens an der Saucière am Boden. Instinktiv sahen auch wir hin, ausgenommen Vatterale, der noch immer auf das offene Fenster starrte. Welch ein Anblick bot sich uns! Die Saucière war noch da, die zwei kleinen Papierrollen aber waren verschwunden! Sie waren weg und statt ihrer sahen wir deutlich -- denn erinnern Sie sich wohl, gerade über unseren Köpfen erstrahlten sieben Gasflammen im hellsten Lichte! -- sahen mit eigenen Augen, ich wiederhole: mit unseren physischen, körperlichen Augen, drei schreckliche Wesen, die etwa wie ungeheure Skorpione aussahen, nur daß sie statt der Klauen Arme und Hände hatten! Und zwar genau die Arme und Hände eines neugeborenen Negerkindes. Diese scheußlichen Dinger, denn ich wage nicht, Gott damit zu lästern, daß ich sie Kreaturen nenne, waren am Rücken etwa fünf Zoll breit bei achtzehn Zoll Länge und von dunkelroter Farbe, die mit purpurnen, grünen und gelben Streifen und Flecken durchsetzt war. Außerdem waren sie vollständig mit Schuppen bedeckt, ähnlich wie ein Gürteltier. Stellen Sie sich, wenn Sie können, zwei Taranteln oder eine Spinne von dieser Größe vor, die sich auf zwölf Beinen von je 16--18 Zoll Länge fortbewegten und dabei mit ihren zwei je 18 Zoll langen Armen und Händen herumtasten, die drei Viertel der gesamten Körpergröße ausmachten, dann haben Sie ein einigermaßen richtiges Bild dieser grausigen, häßlichen Ungeheuer, die da um die Saucière auf dem Boden herumkrochen oder vielmehr stelzten. Das eine der ekelhaften Wesen hatte vier große hervorquellende Augen, ähnlich denen eines indischen Riesenfrosches; sie funkelten -- und und ich glaube, kein Feuerfunke hätte heller leuchten können -- sie funkelten, sage ich, in einer geradezu infernalischen Röte, denn mit jedem Blick schienen sie das gesammelte Gift einer Meduse zu entsenden. Unter ihrem schrecklichen Bann saßen wir alle unbeweglich vor Furcht. Wie groß unser Entsetzen gewesen wäre, wenn die Ungeheuer es sich hätten einfallen lassen, auf uns loszugehen, wage ich mir nicht vorzustellen, sie bewegten sich jedoch immer nur auf der gleichen Spur rund um die Saucière auf dem Boden. Wir fühlten und wußten, daß es wirkliche lebende Wesen waren, nicht nur eine optische Täuschung oder irgend eine auf mesmerische oder andere Weise erzeugte Vorspiegelung. Diese Ansicht wurde noch auf handgreifliche Weise dadurch bestätigt, daß sie, als sie so dämonisch-feierlich auf dem Mittelpunkt der symbolischen Karte umherwandelten, auf dieser einen Streifen von Ichor oder Eiter -- grünlichem, geronnenem Eiter -- hinterließen. Tropfen davon fielen auf den Teppich, auf dem die Karte lag. Einige Monate später unterhielten wir uns brieflich über die Ereignisse dieser Nacht und der Baron schrieb mir, daß kein einziges chemisches Mittel die Flecken auf dem Teppich zu entfernen vermöchte, obwohl hunderte der verschiedensten Chemikalien verwendet worden waren. Das war aber noch nicht alles, denn bei einem ihrer Rundgänge verließ eines der beiden Scheusale die Karte ein wenig und streifte den Fuß des Barons, worauf es eine stinkende Flüssigkeit ausspritzte, von der etwas auf seinen Schuh fiel; und an der betreffenden Stelle wurde das Leder geschwärzt, wie wenn es mit einem glühenden Eisen berührt worden wäre. »Redet mir daher nicht mehr von Gaukelei! Redet mir nicht von optischer Täuschung oder betrügerischen Vorspiegelungen angesichts solcher Tatsachen!« schrieb mir der Baron, »das sind greifbare Beweise, die jeden Widerspruch verstummen machen. Sie wurden in jener Nacht verursacht, und sie sind noch jetzt da. Und wenn ich auch rufe: »Fort, verfluchte Flecken!« so bleiben sie trotzdem als Zeugen lebender, seltsamer, unwiderleglicher Tatsachen!« »Aber warum sprangt Ihr unter solchen Umständen nicht einfach alle auf und verließt das Zimmer?« das ist eine ganz natürliche und vielleicht nicht einmal unvernünftige Frage, die man mir hier nicht mit Unrecht entgegenhalten könnte. Ich erwidere darauf: aus mehreren Gründen, von denen ich einige nennen will. Zunächst waren alle Türen fest verschlossen und obwohl wir gesehen hatten, daß Nibchi auf einen Stuhl stieg und die Schlüssel mit dem erwähnten Bande an dem Kronleuchter befestigte, sahen wir, als wir nachher hinblickten, daß sie ebenso wie die Papierrollen verschwunden waren. Zweitens waren die Fenster unten geschlossen und außerdem lagen sie in ziemlicher Höhe -- mindestens 15 Fuß -- über dem Boden; durch sie zu flüchten kam gar nicht in Frage; im übrigen dachten wir auch nicht an diese Möglichkeit. Drittens stand vor unserem Gedächtnis die ernste und feierliche Ermahnung Vatterales, daß uns, wenn wir uns nicht bewegten, nichts Schlimmes zustoßen werde, wenn wir auch erschrecken würden. Außerdem hätten wir das Zimmer nicht verlassen können, auch wenn alle Türen offen gewesen wären. Haben Sie nie von der faszinierenden Macht der Gefahr gehört? Nun, wir befanden uns damals in ihrem Bann. Wir waren an jenen Platz gebunden, gefesselt, festgenagelt von einer Gewalt, die man nie verachten sollte, denn wenn sie einmal ihr Opfer festhält, ist sie erbarmungslos, grausam und unnachgiebig. Wir fühlten, daß jede Bewegung die Möglichkeit einer unbekannten, unerwarteten Gefahr heraufbeschwören würde. Alle waren von Schrecken gelähmt. Eine Bewegung hätte unser Entsetzen noch um das Zehnfache gesteigert! Wir hatten bei dem ganzen Vorgang ein Gefühl, wie das des Inders, der aus seinem Mittagsschlummer aufgeschreckt die feuchten Windungen der Kobra langsam unter seinem Gewand auf dem nackten Körper kriechen fühlt, und weiß, daß, während sein Herzschlag stockt, sein Blut zu Eis erstarrt und große Tropfen kalten Schweißes aus jeder Pore hervorbrechen, jede Bewegung, jeder Atemzug, ja ein bloßes Zittern den unbedingten sicheren Tod bedeutet. So war also das Gefühl, das die achtzehn Personen damals durchdrang, als die drei Scheusale langsam um die Saucière am Boden herumkrochen und uns mit ihren großen, hornigen, vorstehenden Augen ansahen, die fortwährend funkelten und blitzten und einen Ausdruck von geradezu teuflischer Bosheit hatten. Ich fürchte, daß die weiblichen Mitglieder der Gesellschaft sich nie mehr von dem Schrecken jener Nacht erholt haben. Sie fielen nicht in Ohnmacht und schrien nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, und zwar einfach aus dem Grunde nicht, weil die Spannung der Seele und der Nerven zu stark war, als daß auch nur für einen Augenblick jene Reaktion hätte eintreten können, die ein unbedingtes Erfordernis für die erwähnten Wirkungen ist. Wahrscheinlich betrug die Zeit, die von dem Schrei unseres Freundes bis zum Verschwinden der drei Monstren verstrich, noch nicht einmal drei Minuten, aber wir erlebten in dieser kurzen Spanne Jahre des Entsetzens. Tatsächlich wird ja die Zeit nicht nach den Schlägen der Uhr gemessen, sondern nach den Erregungen der Seele und dem Pochen des Herzens. Nach Verlauf der angegebenen kurzen Zeit erhob sich Nibchi, nahm ein kleines Körbchen aus seinem Mantelsack, ergriff dann furchtlos eines der drei Wesen nach dem andern, schlug ihnen sorgfältig die Beine übereinander und legte sie schließlich so in den Korb. Dann nahm er die zwei Kristallflaschen, legte sie der Länge nach mit den Öffnungen gegeneinander auf die Karte und ließ sich wieder auf seinen Stuhl nieder, ohne ein Wort über den Zweck dieser Manipulationen zu verlieren. -- Und da begann es auf einmal dunkel zu werden. Die Gasflammen schienen weniger hell zu brennen. Binnen kurzem war der Raum finster, allerdings nicht vollständig, denn es war noch ein unbestimmtes Zwielicht da, eine Art bläulicher, halb mattrötlicher, nebliger Ausstrahlung, die gerade hinreichte, uns die einzelnen Dinge vag und undeutlich unterscheiden zu lassen. »Rühren Sie sich nicht! Fürchten Sie sich nicht!« sprach da wieder die fette Stimme Vatterales, und bevor wir antworten konnten, trat ein Ereignis ein, das nur selten ein Mensch gesehen: Kaum waren nämlich die Worte verklungen, als das Zimmer plötzlich hell beleuchtet schien, wie wenn die Luft selbst mit glänzendem Licht erfüllt wäre, und wir erkannten die beiden Flaschen ganz deutlich. Aus der einen kroch jetzt eine riesige Schlange und streckte sich, bis ihr Körper das dreifache des Volumens der beiden Flaschen hatte. Dann kam eine zweite, eine dritte und so fort, so daß schließlich nicht weniger als zwölf Schlangen dalagen. Als die letzte jedoch aus der einen Flasche hervorgekrochen war, zog sich die erste sogleich in die andere Flasche zurück und so verschwanden sie alle wieder der Reihe nach, wie sie gekommen waren. »Ich will Ihnen jetzt beweisen, daß Sie nicht immer Ihren Sinnen trauen können,« sagte Vatterale, »und nicht immer für das bürgen können, was Sie gesehen haben,« und dabei stülpte er den Korb um und zerschlug die Flaschen. Sie waren sämtlich leer! Keine Spur von einer Schlange oder einem Skorpion war mehr vorhanden! »Nun will ich Ihnen noch etwas Merkwürdiges zeigen. Rufen Sie, bitte, eine Magd und lassen Sie sie auf einem dieser Stühle Platz nehmen. Lassen Sie sie dann unter irgend einem Vorwand einen Strang Seide zum Abwickeln halten -- nur, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln --, das ist alles. Aber,« setzte er mit großem Ernst hinzu, »was Sie auch sehen und hören werden, sprechen Sie kein einziges Wort!« Wir stimmten zu und ein Strähn Seide wurde gebracht. »Es wird genau 17 Minuten dauern, bis das Mädchen fertig ist«, sagte Nibchi, »und ich will Ihnen in der Zwischenzeit einen kleinen Betrug demonstrieren. Die Kreaturen, die Sie vorhin gesehen haben, sind wirklich, aber nicht von Dauer -- es sind Schöpfungen des Willens, die untergehen, wenn die Macht zu wirken aufhört, die sie ins Leben gerufen hat. Zum Beweis dessen, sehen Sie dort hin!« In der östlichen Ecke des Zimmers begann aus dem Boden ein heller Nebel aufzusteigen, der sich immer mehr verdichtete, bis schließlich eine Dampfwolke von etwa 3 Fuß Durchmesser in der Luft schwebte. Sie blieb etwa eine Minute lang so stehen, dann veränderte sie allmählich ihre Form und nach Verlauf von weiteren vier Minuten hatte sie die Gestalt eines Menschen angenommen -- oder richtiger, der Karikatur eines Menschen! Zuerst hatte die Gestalt nur nebelhafte Umrisse, die aber schnell klarer und bestimmter wurden, bis ein halbnacktes krummbeiniges, sperrfüßiges Ungeheuer vor uns stand. Es war nicht größer als drei Fuß, die Breite der Brust und des Bauches betrug nahezu ebenso viel, während die Beine nicht über acht Zoll maßen; die Arme dagegen waren so lang wie der ganze Körper. Der Kopf, der ohne Übergang eines Halses auf dem Rumpfe saß, war geradezu gigantisch und an ihm hing eine wirre Masse fadenförmiger Würmer bis auf den Boden herunter. Sein Mund war ein fürchterlicher roter Abgrund, der bis dahin reichte, wo sonst die Ohren zu sitzen pflegen, die ihm völlig fehlten. Ebenso war von Augen, Nase, Wangen, Kinn, Lippen und Stirne nichts zu sehen. Glauben Sie ja nicht, daß dies nur eine Erscheinung war, denn, obwohl aus Dampf entstanden, wurde es in fünf Minuten so fest wie Eisen, was es dadurch bewies, daß es schwer und gewichtig durch das Zimmer stampfte bis in die Mitte des freien Raumes zwischen unseren Stühlen, um dort stehen zu bleiben, leise hin und her schwankend, wie wenn sein Herz zu schwer wäre. »Zeige, was du kannst,« befahl Vatterale. »Sogleich«, zischte es und ging auf einen Tisch zu, an dem es einige Minuten stehen blieb, worauf dieser sich zu drehen begann, sich nach allen Seiten neigte, sich schließlich in die Luft erhob und schwebte, genau wie man dergleichen in spiritistischen Sitzungen zu sehen pflegt. »Nun, meine Damen und Herren, bitte ich genau so zu tun, als ob dies hier ein menschlicher Geist wäre, der darauf brennt, Nachrichten aus dem Jenseits zu bringen. Sie werden von den Ergebnissen überrascht sein. Sie haben schon gesehen, daß er ein ausgezeichneter Tischrücker ist, nun bitte ich Sie, auch seine geistigen und körperlichen Kräfte ebenso zu erproben; jetzt, wo ich Ihnen erlaube, das Schweigen, das für den ersten Teil dieses Versuches sehr wichtig war, zu brechen, haben Sie nichts mehr zu fürchten.« Daraufhin baten mehrere von uns das Wesen um eine Äußerung und sogleich machte es Bewegungen, wie wenn es schreiben wollte. Wir legten ihm Bleistift und Papier vor, es ergriff den Stift mit seinen langen, klauenartigen Fingern und seine Hände flogen wie der Blitz über das Blatt. In zehn Sekunden war es fertig und bekundete dies, indem es dreimal mit der Faust schwer auf den Tisch schlug. Herr D... nahm das Papier an sich und las; es war eine der zärtlichsten Botschaften, die wohl je eine tote Mutter an ihren lebenden Sohn gerichtet hat, sogar die Handschrift war die seiner Mutter, auch der Name -- Lucy -- stimmte, auch verschiedene Eigentümlichkeiten im Ausdruck waren genau wiedergegeben. Herr D... erbleichte. »Ist es möglich, daß ich so schändlich betrogen wurde?« rief er erschüttert, denn er war ein überzeugter Anhänger des modernen Spiritualismus. Das geisterartige Ding gab sodann noch mehrere gleich gut gelungene und überzeugende Proben seines Könnens, sowohl durch Schreiben, Tischrücken und -klopfen, wie auch durch Erscheinenlassen von Geisterhänden, -gesichtern, -blumen und anderen Gegenständen, von denen sich viele nicht nur durch ihre Seltenheit, sondern auch durch ihre hohe Schönheit auszeichneten. In weniger als fünf Minuten hatte das augenlose Monstrum dreizehn solcher Bilder ausgeführt, die man als glänzende Muster »magischer Kunst« betrachten konnte. »Jetzt zu etwas anderem«, sagte Vatterale, und wandte sich an die Gestalt: »Du wirst dich jetzt unsichtbar machen und uns zeigen, was für ein Musiker du bist!« Dann bemerkte er zu uns: »Wirkliche Geister lieben das Licht, solche aber wie dieser da, arbeiten im Dunkeln ebenso gut, denn sie haben den Vorteil, daß sie in direkte Berührung mit materiellen Substanzen kommen können, was für wirkliche Geister sehr schwierig ist.« Während seiner Worte war unsere Aufmerksamkeit von seinem Geschöpf abgelenkt -- ich sage: »seinem« Geschöpf --, denn man darf nicht vergessen, daß die ganze Erscheinung lediglich eine Inkarnation seines bewußten Willens und nur durch einen Gedanken ins Leben gerufen worden war und wieder zum Verschwinden gebracht werden konnte. Freilich gibt es auch andere, die solche schöpferische Fähigkeit besitzen, aber diese Leute üben ihre Kraft entweder unfreiwillig durch mechanische Willensvorgänge aus, oder sie sind als Medien nur die Werkzeuge der »Larven«. Als Vatterale zu Ende gesprochen hatte, war der Geist verschwunden, d. h. für unseren Gesichtssinn, nicht aber für das Gehör, denn als er seine Hand leicht bewegte, ertönte sofort die zarteste süßeste und ergreifendste Musik, die je ein Mensch gehört hat. Sie schien überall zu ertönen, über uns, unter uns, um uns, bald hier, bald da, bald ganz nahe, bald in weiter Ferne; ich könnte sie nur mit einem feierlichen Requiem vergleichen, das von Engeln über der zerstörten körperlichen Form eines Gottes gesungen wurde. Die Töne klangen so erhaben und majestätisch und dabei so wehdurchzittert, daß sie lebhaft an das klagende »Huhm, meleagar, malooshe, Huhm, meleagar, ma-looshe« erinnerten, nur daß sie zehnmal tiefer waren und an Abgründe rührten, die jenes Lied nie hätte erreichen können. Diese seltsame Musik konnte als Beweis für die Theorie des italienischen Grafen dienen, die er, wie erinnerlich, in der Séance vor Napoleon aufgestellt hatte, denn, wenn man einerseits zugäbe, daß sie von einem wirklich existierenden, selbständigen Lebewesen hervorgebracht wurde, konnte man anderseits nicht bestreiten, daß sie nur von einer hochentwickelten Seele erzeugt werden konnte, während jenes Wesen aber doch in der Skala der Organismen sehr niedrig stand. War dieses Wesen aber nun eine Schöpfung von Nibchis Willen, so erhellte daraus, daß es nur seine eigenen Gedanken ausdrückte, während es selbst für die Musik und ihre Bedeutung nicht das geringste Verständnis hatte. Das Lied hörte auf und Vatterale bat den Grafen von M., das eine Ende eines Akkordions zu halten, während der Geist unsichtbar das andere halten und so spielen sollte. Der Graf tat es und hielt das Instrument mit dem Boden nach oben in Armeslänge von sich ab, und zwar gerade unter dem Luster. Und tatsächlich begann es in dieser Stellung zu spielen. Niemand war zu sehen und niemand war in der Nähe. Ebenso ging es dann mit anderen Instrumenten, wie Gitarre, Harfe und Klavier. Sodann wurde die ganze Vorstellung auf das Gebot Vatterales von dem Geist in sichtbarer Gestalt wiederholt. Da verkündete uns ein Klopfen an der Tür, daß das gewünschte Dienstmädchen da sei. Sie wurde eingelassen; der Geist war wieder verschwunden. »Marie«, sagte der Baron, »wir haben gewettet, daß keiner dieser Herren einen Strähn Seide aufwickeln kann, wenn sowohl ihm als auch Ihnen die Augen verbunden sind. Ich habe gewettet, daß es dennoch möglich ist. Wenn ich gewinne, dürfen Sie auf drei Tage Ihre Angehörigen zu Hause besuchen und ihnen etwas mitbringen. Sie dürfen aber nicht lachen oder sprechen, solange die Seide aufgewickelt wird, sonst habe ich verloren. Wollen Sie es versuchen?« »Gewiß«, erwiderte das Mädchen, »und Sie sollen sehen, daß ich nicht lachen werde.« Dann nahm sie ihren Platz ein und ließ sich von der Baronin die Augen verbinden und die Seide um die Handgelenke legen. Darauf ergriff Herr D... auf ein Zeichen Vatterales das andere Ende des Fadens und begann ihn langsam aufzuwickeln. »Beginne!« sagte Vatterale, nach der Stelle gewandt, wo der Geist verschwunden war. Er erschien sofort wieder und berührte die Hand des Mädchens, das auf der Stelle gleich in einen tiefen magnetischen Schlaf fiel, aus dem sie eine zweite Berührung wieder, jedoch nicht zum vollen Bewußtsein, erweckte. Sie stand auf, warf die Seide beiseite und trat der Reihe nach an die sämtlichen Instrumente heran, um uns einige Stücke zum Besten zu geben. Der Geist berührte ihren Kopf und sogleich flüsterte sie drei Herren aus der Gesellschaft nacheinander die glühendsten Liebesworte ins Ohr. Wieder berührte sie der Geist und sie begann in pathetischem Ton zu deklamieren. Bald war sie Charlotte Corday, dann Maximilian von Mexiko, bald die Jungfrau von Orleans, dann ein einfaches Indianermädchen, jetzt war sie die Malibran und sang wundervoll, dann wieder eine ernste Frau und sprach über das göttlich-schöpferische Werk des Weibes, über die Liebe und über vieles andere. Es gab kaum ein Thema, das sie nicht angeschlagen hätte. All dies mochte etwa zwei Stunden gedauert haben, dann tat Vatterale dem Wirken des Geistes Einhalt und weckte das Mädchen wieder auf, das von den gesamten Vorgängen keinerlei Erinnerungen hatte. Die Anwesenden schenkten ihr einige Goldstücke und sie verließ das Zimmer, zweifellos mit dem Wunsche, noch öfter Seide auf diese Weise aufzuwickeln. »Nun will ich Ihnen etwas zeigen,« sagte Vatterale, »was vielleicht interessanter ist als alles, was Sie je gesehen haben. Schauen Sie her!« Im gleichen Augenblick erschienen auf allen Seiten des Zimmers unzählige kleine Feuerkügelchen in den verschiedensten Farben -- rot, grün, blau, purpur- und scharlachfarben, gold, silber, karmin, weiß und violett -- und blitzten und tanzten umher wie wenn sie eine sehnsüchtige Freude verspürten. Es waren wohl Tausende von ihnen vorhanden, die durcheinander in der Luft umherwirbelten, bald die Bilder an den Wänden beleuchteten, bald sich in größeren Massen vor den Spiegeln ansammelten oder auf dem Boden unter den Stühlen zwischen unseren Füßen und über den Teppich rollten wie im Übermut des Spiels. Jede ihrer Bewegungen war von einem zischenden Laut begleitet, ähnlich dem einer steigenden Rakete, wenn auch nicht so stark. Schließlich bildeten sie eine Krone, genau so, wie ich sie vor einigen Jahren hier in Paris über dem Haupte Napoleons hatte schweben sehen. Ich hielt diese beiden Umstände nebeneinander und wandte mich schon an Vatterale, um etwas zu sagen, als er, wie wenn er meine Absicht geahnt hätte, mir mit der Bemerkung zuvorkam: »Ich habe Ihnen einmal gesagt, wir würden uns bald wieder begegnen! Geduld -- diese Nacht muß vorübergehen. Nehmen Sie das Geschenk an, das ich für Sie in Ihrem Hotel zurückgelassen habe, und vergessen Sie nicht, daß wir uns wieder begegnen werden.« Dann schwieg er wieder wie zuvor, und die Gesellschaft wußte mit seiner abgerissenen und scheinbar sinnlosen Äußerung nichts anzufangen. Ich aber wußte jetzt: Vatterale und der Graf waren ein und dieselbe Person, wer aber waren die beiden anderen: Miakus und Ravalette? Die feurige Krone bildete übrigens den Schluß der Vorführungen; die Gesellschaft trennte sich in ziemlich vorgerückter Stunde und jeder ging nach Hause. 6. Kapitel ANKUNFT DES VERFASSERS Zu erregt, um zu schlafen, warf ich mich auf mein Sofa und überdachte noch einmal die seltsamen Ereignisse der Nacht. Zwei Dinge, nein, drei, waren absolut sicher: Erstens, daß weder Ravalette noch Vatterale, noch der italienische Graf Menschen waren wie andere; zweitens, daß keiner aus der Gesellschaft dies ahnte, und drittens, daß ich einzig und allein der Gegenstand dieser außergewöhnlichen Besuche war. Darüber hinaus wurde mir klar, daß sein Schicksal sich schnell und unaufhaltsam einer Krisis näherte, und daß der Fremde (der in der Legende erwähnt wurde), ebenso wie Dhoula Bel mich noch beeinflußten, aus welchen Gründen und zu welchem Zweck, konnte ich nicht verstehen. Ich war bereits Rosenkreuzer geworden, war bis zum fünften Grad vorgerückt, hatte den Orient besucht und stand im Begriff, ihn abermals zu besuchen, hatte manche düstere Geheimnisse kennen gelernt und war in den verschiedenen Arten der Magie unterrichtet worden; ich wußte alles Wissenswerte über das Lebenselixier, die Kräfte des Willens, die Kunst, das Schicksal anderer vorauszusagen, die Kunst, magische Spiegel zu verfertigen und Gold- und Silberminen zu entdecken und hatte tief bedauert, daß der furchtbare Eid, durch den sich der wahre Rosenkreuzer verpflichtet, niemals Reichtümer für sich selbst zu suchen oder als Belohnung für seine Tätigkeit anzunehmen, mich hinderte, mich der Vorteile des Geldes zu bedienen. Ich wußte, daß ich alle äußeren Interessen meiner Persönlichkeit auf dem Altar des Wissens geopfert hatte. Ich wußte, daß mein Herz nach Weibesliebe schmachtete und daß dieses Gefühl zu Zeiten einen Teil meiner Seele gefangen hielt, aber sie niemals ganz erfüllte, und ich wußte, daß darin die einzige Möglichkeit lag, dem, was ich fürchtete, zu entgehen, wenn es mir nämlich gelang, mich mit einer Frau zu vereinigen, in deren Körper kein Tropfen von Adams Blut floß; ich gab fast alle Hoffnung auf, je zu vollenden, was meine Versucher in Belleville, in den Tuilerien und in Boston von mir verlangt hatten, als ich mich plötzlich des Papiers, das mir Ravalette in die Hand gedrückt und des Geschenkes, das Vatterale für mich zurückgelassen hatte, erinnerte. Doch beschloß ich, alle Sorge darum bis zum Morgen aufzuschieben und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich erst spät am folgenden Vormittag erwachte, um sogleich die Nachricht zu erhalten, daß mein teurer Freund (der Verfasser) aus Alexandrien angekommen sei und bei mir vorgesprochen habe. 7. Kapitel DAS GROSSE GEHEIMNIS? Dem Verfasser dieser Blätter fällt nun die Aufgabe zu, die Erzählung Beverlys, seines Freundes, zu vervollständigen. Ich war soeben in Paris über Marseille angekommen, nachdem ich dort einige Tage früher von Alexandria über Malta angelangt war. Ursprünglich hatte ich die Absicht, hier zu übernachten, um dann über Rouen und Dieppe nach England und von dort nach Amerika zu reisen. Wie alle anderen Reisenden, gedachte ich eigentlich, eine Woche in Paris zuzubringen, aber leider hielten mich Geschäfte ab und ich hatte mich daher darauf eingerichtet, die Hauptstadt am Tage nach meiner Ankunft wieder zu verlassen. Außerdem sprach noch der Umstand mit, daß ich gern noch länger die Gesellschaft eines Herrn genießen wollte, mit dem ich von Kairo bis Paris zusammen gewesen war, und der sich in Paris nicht lange aufhalten wollte, um so bald wie möglich seine Tochter zu treffen, die seit etwa drei Jahren in Paris erzogen wurde und die er in sein neuerworbenes Haus in New York führen wollte. Die Geschichte des Herrn Im Hokeis und seiner Tochter, die er mir auf der Reise erzählte, ist wohl wert, wiedergegeben zu werden, und so will ich, selbst auf die Gefahr hin, dieses Kapitel ungebührlich zu erweitern, einen kurzen Abriß davon geben: »Ich bin an den Ufern des Kaspischen Meeres geboren«, hatte Hokeis mir erzählt, »und entstamme der Familie der Hokeis, einer heiligen Familie, die den höchsten Priesterstand bekleidete und der die Sorge für das heilige Feuer oblag, denn wir waren Parsen, und das Feuer durfte nie erlöschen und ist auch seit vielen Tausenden von Jahren nicht erloschen, wie unsere Überlieferungen erzählen, denn Religion ist bei uns etwas ganz anderes als bei den Männern des Islams oder den Bewohnern Indiens oder Roms oder des Westens. Wir sind stolz auf die Reinheit unseres Glaubens und auf seine Überlegenheit über alles, was von den Kindern Adams bekannt geworden ist, ebenso wie auf unsere Abstammung von Ich, dem großen Begründer unseres Stamms und mächtigen präadamitischen König und Eroberer.« Es mangelt mir hier Raum und Zeit, die Gründe anzuführen, mit denen Im Hokeis seine Behauptung bewies, es gebe auf der Erde noch andere Menschen als solche, die von Adam abstammten. Er sagte, er sei von Geburt an zum ersten Priester seines Glaubens bestimmt gewesen, und habe im Alter von 17 Jahren ein Weib seines Stammes geheiratet. Um die Zeit, als er eingekleidet werden sollte, war zwischen den Parsen und ihren persischen Tyrannen ein Krieg ausgebrochen. Er und sein Weib wurden gefangen genommen, nach Herat gebracht und verurteilt, geblendet zu werden, doch wurden sie von einem Mitglied der englischen Gesandtschaft vor diesem schrecklichen Schicksal bewahrt. Sie blieben dann fast drei Jahre lang bei ihrem Retter und lernten während dieser Zeit die englische Sprache. Hokeis hatte später das Glück, seinem Wohltäter das Leben retten zu können, und die Folge war, daß zwischen ihnen eine so herzliche Freundschaft entstand, daß die beiden mitgehen durften, als die Gesandtschaft nach England zurückkehrte. In London nahm Hokeis eine Stellung als Dolmetscher an und war bald so wohlhabend geworden, daß er Handelsgeschäfte mit Persien anfangen konnte. Während der neun Jahre, die er so verlebte, schenkte ihm der Himmel kein einziges Kind, wohl aber ungeheuren Reichtum. Im dreizehnten Jahre ihrer Ehe wurden endlich die Gebete des Ehepaares erhört, denn es wurde ihm ein hübsches Mädchen geboren. In dem Augenblick jedoch, als es das Licht der Welt erblickte, schlossen sich die Augen seiner Mutter für immer. Eines Tages fuhr die Amme, die eine Verwandte der Frau war, das Kind in den Straßen von Hampstead spazieren. Sie geriet dabei in ein Zigeunerlager und ließ sich überreden, sich ihre und des Kindes Zukunft weissagen zu lassen. Aus den Gesichtszügen und der Hautfarbe der beiden ließ sich leicht auf ihre Nationalität schließen und das Zigeunerweib überzeugte sich durch geschicktes Fragen, daß sie Parsen vor sich hatte. Als der Schwindel vorüber war und die Amme bezahlt hatte, kehrte sie mit ihrem Schützling wieder nach Hause zurück. Die Zigeuner aber schlichen ihr nach und in derselben Nacht wurde das Kind entführt, während die Amme schlief. Man stellte Nachforschungen nach den Zigeunern an -- aber vergebens -- die ganze Gesellschaft war am folgenden Tage auf einem Paketboot nach Amerika unter Segel gegangen. Viele Jahre waren verflossen und eines Tages ging der trostlose Vater in dem Garten des Hauses spazieren, aus dem das Kind geraubt worden war, als er von einer alten Frau angesprochen wurde, die ihn fragte, wieviel er für eine Nachricht über sein Kind zahlen würde. Das Folgende mag übergangen werden, es genügt, wenn ich berichte, daß der Vater und die Zigeunerin innerhalb 24 Stunden bereits an Bord eines Schiffes waren, das sie nach der neuen Welt führen sollte. Das Kind, das sich inzwischen zu einer Jungfrau von wunderbarer Schönheit entwickelt hatte, wurde gefunden und Vater und Tochter wohnten eine Zeitlang in New York, wo er sich einen schönen Landsitz gekauft hatte. Der alte Herr liebte Amerika so sehr, daß er beschloß, sich dort für den Rest seines Lebens niederzulassen, nachdem seine Tochter in Europa eine sorgfältige Erziehung genossen hätte. Er brachte sein Vermögen nach Amerika und machte dann noch eine Abschiedsreise nach Persien zu seinen Freunden und Glaubensgenossen im Osten. Auf seiner Rückkehr hatte ich ihn, wie schon erzählt, getroffen und ihn von Ägypten bis nach Frankreich begleitet. Das bringt mich wieder auf die Nacht meiner Ankunft in Paris zurück. Da es nicht mehr möglich war, sogleich die Tochter aufzusuchen, begaben wir uns in ein Hotel beim Palais Royal. Wir hatten dort soeben unser Souper beendet, als ein Mann, der uns beiden gänzlich unbekannt war, den Speisesaal betrat, eine tiefe Verbeugung machte und sagte: »Heil! Ich komme um dir, Im Hokeis, zu sagen, daß du morgen Paris nicht verlassen wirst. Um die vierte Stunde wirst du deine Tochter nach dem Hause bringen, das das vorletzte ist, wenn du den Boulevard de Luxembourg hinaufgehst. Du wirst keine Fragen stellen, sondern gehorchen. Daß ich das Recht habe, dir zu gebieten, will ich sogleich beweisen«, und er flüsterte Hokeis drei Worte ins Ohr, die diesen aufspringen machten, wie wenn er von einer Kugel getroffen worden wäre. _Er hatte ihm das geheime Losungswort der Priester des Feuers gesagt!_ Dann wandte er sich an mich und sagte: »Und du wirst morgen in aller Frühe in das Hotel Fleury gehen. Dort wirst du deinen Freund Beverly finden. Gehe, wohin er geht, und verlaß ihn während der nächsten zwei Tage nicht einen Augenblick -- seine Rettung hängt davon ab! Ich gehe jetzt. Vergiß die Worte des Fremden nicht!« Ich war grenzenlos verblüfft und man kann sich leicht denken, wovon wir beide diese Nacht sprachen, bevor wir schlafen gingen. Das führt mich auf meine nächste Zusammenkunft mit Beverly, dessen Geschicken wir jetzt folgen wollen. Man wird sich erinnern, daß Ravalette ihm ein Papier gegeben hatte, bevor sie Belleville verließen, und daß Vatterale ebenfalls etwas für ihn im Hotel zurückgelassen hatte. Die Worte auf dem Zettel Ravalettes waren in einer kühnen, kräftigen Handschrift geschrieben und lauteten: »Wenn Sie mich brauchen, wenn Sie bereit sind, einer der unsrigen zu werden -- wenn Sie alle Hoffnung aufgegeben haben, je das Geheimnis meiner und Ihrer Existenz zu ergründen -- dann suchen Sie mich in dem Hause, das das vorletzte ist, wenn Sie den Boulevard de Luxembourg hinaufgehen -- Ravalette.« Also dieselbe Anweisung -- und fast in den gleichen Worten -- wie die, die jener geheimnisvolle Fremde Hokeis in der vorhergehenden Nacht erteilt hatte. Dieser Umstand machte auf mich einen starken Eindruck, aber die Klugheit verbot, ihn Beverly gegenüber zu erwähnen. Er schien sehr glücklich über diese Aussicht auf eine Lösung des seltsamen Rätsels zu sein und bat mich zu meiner großen Freude, den Tag mit ihm zu verbringen; am Abend wollten wir dann gemeinsam der Sache nachgehen. Mehrere Gründe veranlaßten mich, das regste Interesse an diesen Vorgängen zu nehmen -- Freundschaft, Neugier und eine unbestimmte Hoffnung, das, was Beverly als seinen Fluch bezeichnete, unwirksam zu machen. Man wird sich erinnern, daß Beverly mich einst hatte überzeugen wollen, es sei an der seltsamen Legende von dem König, der Prinzessin, dem Rätsel, dem Mord und dem Fluch und seiner Erfüllung mehr, als die meisten Leute wohl zugeben würden. Ich war wohl geneigt, an Dhoula Bel und die anderen Verdammten zu glauben, aber ich hatte kein rechtes Vertrauen zu Miakus, Ravalette, dem italienischen Grafen und Vatterale. Noch glaubte ich nicht, daß irgend etwas Übernatürliches in die Sache hereinspiele, und da ich das ganze nur geschickten Tricks zuschrieb, beschloß ich, den Zauberkünstlern eine Falle zu stellen, um sie während der Vorführung zu fangen. »Hoho! Herr Vatterale, Sie sollen einmal etwas erleben!« rief ich, als ich Beverlys Hand schüttelte. Als ich ihn dann verließ -- da er ein Bad zu nehmen wünschte --, tat ich, als ginge ich zur Post, in Wirklichkeit aber eilte ich zur Polizeidirektion, wo ich kurz und bündig erklärte, daß ein Freund von mir einem ungeheuren Betrug zum Opfer fallen solle. Der diensttuende Beamte hörte mir aufmerksam zu, instruierte mich, wie ich es einzurichten hätte, um die Verdächtigen nicht vorzeitig zu warnen, und versprach mir, er werde zur genannten Stunde mit einer Abteilung Polizisten in der Nähe des Hauses auf dem Boulevard de Luxembourg sein. Auf meinem Rückweg zum Hotel Fleury sprach ich noch bei Hokeis vor, traf ihn aber nicht und erhielt die Auskunft, er sei nach Versailles zu seiner Tochter gegangen. So suchte ich Beverly wieder auf. 8. Kapitel DER BOULEVARD DU LUXEMBOURG Beverly erwartete die Ereignisse der nächsten Stunden, in denen alle Zweifel für immer geklärt werden sollten, fast noch ungeduldiger als ich. Schlag drei Uhr waren wir noch etwa eine Steinwurfsweite von dem Hause unseres Stelldicheins entfernt und die drei oder vier kleinen Schilder mit den Aufschriften »Zimmer zu vermieten«, »Möblierte Zimmer« usw. deuteten an, daß es sich um eines jener Bürgerhäuser handelte, wo man ein Leben lang ungestört leben kann, vorausgesetzt, daß die Miete pünktlich bezahlt wird. Bald betraten wir den quadratischen, gepflasterten Hof des Gebäudes und bevor wir irgend eine Frage stellen konnten, kam der Hausmeister schon aus seiner Loge, grüßte uns respektvoll und sagte: »Die Herren gehören wohl zu denen, die der Mieter im zweiten Stock für heute erwartet? Bitte, hinaufzugehen. Er wohnt im ersten Zimmer links.« Damit hinkte der Alte in sein Zimmer zurück und begann wiederum auf einen Schuh loszuhämmern, den er in Arbeit gehabt hatte, als wir eintraten. Wir folgten seiner Anweisung und stiegen eine breite Treppe hinauf bis zum ersten Stiegenabsatz, von dem eine Treppe weiter nach oben führte, während eine zweite in den Hof hinunterging. An dem entfernteren Ende war eine Tür, ebenso an dem näherliegenden. Wir durchschritten die erste Tür und gelangten in ein hübsch ausgestattetes großes, viereckiges Zimmer. Da niemand in dem Zimmer war, gingen wir in das zweite, fanden aber auch hier nicht das geringste Anzeichen, daß der Bewohner in der Nähe sei. So hatten wir Gelegenheit, uns vorher zu erkundigen. Ich rief den Hausmeister und fragte ihn nach Namen und Beschäftigung des Inwohners sowie nach der Dauer seiner Anwesenheit im Hause und erfuhr, daß er ein fremder Gelehrter namens Elatterav sei, daß er offenbar beträchtliches Vermögen besitze und seit fünf Jahren hier wohne, ferner, daß er wenig in Gesellschaft verkehre, niemals zu Hause speise und ein sehr vornehmer Mann sei (er bezahlte dem Portier zwei Louis im Monat). Als der Hausmeister wieder gegangen war, sah ich mir die Räumlichkeiten näher an und bemerkte, daß der Boden und die Decke wie in allen französischen Häusern aus Stein bestanden. Der Kredenztisch war niedrig und schmal und dicht mit Weinflaschen und Gläsern besetzt, so daß man hätte meinen können, man befinde sich in der Wohnung eines Studenten, statt in der eines ernsten Philosophen wie Ravalette, wenn anders er überhaupt mit dem von dem Portier beschriebenen Elatterav identisch war. Der Alkoven war klein und einfach und enthielt nur ein Feldbett mit dem nötigen Zubehör. Von irgendeiner Einrichtung für magische Zwecke war nichts zu sehen. Gerade bei dieser Inaugenscheinnahme schlug die Glocke Vier und wir hörten Schritte in dem andern Zimmer, trotzdem wir von einem Öffnen der Tür nichts bemerkt hatten. Wir gingen hinüber und Beverly rief: »Ravalette, so wahr ich lebe!« Und richtig, da stand, ruhig lächelnd, ein alter Herr, genau der Beschreibung entsprechend, die mir mein Freund von ihm gegeben hatte. »Sie haben mich gesucht und gefunden! Ich hoffe, es wird Ihnen zum Heile dienen«, sagte er zu Beverly; »und Sie, mein Herr, haben gut daran getan, Ihren Freund zu begleiten«, meinte er dann zu mir gewandt, in einem geradezu beleidigenden Tone. Es war offensichtlich, daß ihn meine Gegenwart höchst unangenehm berührte. Was mich betrifft, so hatte ich kaum den ersten Blick auf ihn geworfen, als ich überzeugt war, daß ich vor einem der gescheitesten Köpfe der Erde stand -- vor einem Mann, der alles dessen fähig war, was man ihm zuschrieb, und der sein Ziel erreichen würde und wenn er dazu durch Menschenblut waten müßte. Ich beschloß, seine Pläne auf jeden Fall zu durchkreuzen, selbst wenn ich dabei zu meiner Pistole oder meinem Revolver greifen müßte, die ich vorsichtshalber mitgenommen hatte, bevor wir uns in das Haus wagten, das vielleicht eine Verbrecherhöhle war. Ravalette mochte meine Gedanken erraten haben, denn sein Gesicht bekam einen verärgerten Ausdruck, doch sagte er nichts, denn im gleichen Augenblick öffnete der Portier die Tür, meldete »Monsieur Hokeis und Tochter« und mein Reisegefährte und seine Tochter -- das üppigste und herrlichste Weib, das ich je in irgend einem Lande gesehen, die glühenden Schönheiten von Beirut und Stambul nicht ausgenommen -- traten ein. Ravalette hatte sie offenbar erwartet; denn er schien über ihr Kommen nicht im geringsten überrascht zu sein. Die Wirkung aber, die sein Anblick auf Hokeis und seine Tochter ausübte, war eine geradezu elektrische. Hokeis warf sich vor ihm auf die Knie nieder, neigte sein Haupt, faltete die Hände mit einer halb flehenden, halb anbetenden Gebärde und sagte: »O schrecklicher Geist des Feuers und der Flamme! Sehe ich dich hier? Ach! Ich bin ein Elender, du aber bist mächtig und wirst verzeihen! Mein Abfall geschah nicht aus freier Wahl, sondern war das Werk eines Zufalls und ich habe in der Religion Isauvis mehr Frieden gefunden, als in deinen oder Astartes Tempeln!« In meinem Gehirn wirbelte es unter einem Sturm von Erregungen, während Beverlys Gesicht aschgrau wurde und seine Glieder wie Espenlaub zitterten. Im nächsten Augenblick bereits änderte sich die Szene vollständig, denn das junge Weib, das seines Vaters Tun und Sprechen gar nicht bemerkt zu haben schien, trat auf Ravalette zu, legte die juwelengeschmückte Hand auf seine Schulter, blickte ihm gerade ins Auge, wie wenn ihr Blick ihn vernichten wollte, und sagte mit leiser, aber klarer, tiefer Stimme: »So also, Feind, sehen wir uns wieder! Willst du noch mehr von deinen Kniffen und Zaubereien versuchen? Willst du der Tochter Im Hokeis' noch mehr Schlingen legen? Was hast du dabei zu gewinnen? Du antwortest nicht. Gut, ich werde für dich antworten: Erinnerst du dich des Tages -- vor vielen, vielen Jahren, als ich noch ein Kind war -- da du an eines alten Mannes Tür klopftest und um ein Nachtlager batest? Wohl, ich erinnere mich. Du wurdest von dem edelmütigen Indianer aufgenommen. Du aßest an seinem Tisch, rauchtest seine Pfeife und trankst seinen Wein, dann, als du am Feuer saßest, bemerktest du mich und wolltest mir mein Schicksal weissagen. Du sagtest, ich würde in einem Monat einen traurigen, müden, weinenden, unglücklichen, einsamen Jüngling treffen, der mein Herz entflammen würde; ich würde ihn lieben und ihn heiraten wollen; wenn ich dies aber täte, würden dunkle Wolken über uns heraufziehen und der Morgen der Liebe würde einen Tag des Widerwillens und einen Abend der Sorge und eine Nacht des Verbrechens, der Schande und des Todes bringen. Du sagtest, eine Verbindung mit einem anderen Mann jedoch werde mir alles das geben, was das Leben lebenswert machen kann. Ich glaubte dir, denn vieles von dem, was du weissagtest, ging in Erfüllung. Drei Wochen des Monats verflossen und eines Tages hatte ich einen Traum, und ich sah dich und den Jüngling, den ich im Leben noch nie gesehen hatte. In diesem Traum wiederholtest du alles, was du vorher gesagt hattest, und dann verschwandest du. Aber deine verhaßte Gegenwart hörte nicht eher auf, als bis eine erhabene Gestalt erschien, in Schönheit und Majestät gehüllt, die mir gebot, nicht auf dich zu achten, sondern jenen armen Menschen zu lieben, dessen Schatten vor mir stand -- ihn zu lieben, aber es nicht zu gestehen, bis die Stunde gekommen sei; denn wenn ich einen anderen wählte, so würde ich glücklich sein, wenn ich aber ihn wählte, dann würde ich eine Seele vor einem schrecklichen Schicksal bewahren. Sie gebot mir, dir zu widerstehen, den Jüngling zu ermutigen, sein Herz zu trösten und ihn zu ermahnen, er solle nicht verzweifeln, denn er würde trotzdem glücklich sein. Er --« Aber sie konnte nicht mehr weiter sprechen, Beverly stürzte auf sie zu, stieß Ravalette zur Seite, ergriff ihre Hand, küßte sie und rief: »Eulampia!« »Beverly!« Und sie sanken einander in die Arme. Ich merkte, daß dieses Drama mit jeder Minute ernster wurde, aber mir blieb keine Zeit, lange darüber nachzudenken, denn in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und zwar von niemand anderem als dem Polizeikommissär, dem zwei Mann der Garde de Ville folgten; gleichzeitig sah ich durch die offene Tür, daß Treppe und Vorplatz dicht mit Gendarmen besetzt waren. Die Sache wurde ernsthaft. Ravalette stand unbeweglich und sagte lächelnd: »Ihre Mühe ist umsonst, Monsieur! Sie werden nicht benötigt und werden unverzüglich dorthin zurückkehren, woher Sie gekommen sind; der Herr hier, der Sie kommen ließ, kann hier bleiben.« Diese kühle Bemerkung verwirrte den Kommissär ein wenig, doch erwiderte er: »Es ist meine Pflicht, alle zu schützen, die meinen Schutz für sich oder für andere verlangen.« »Richtig; aber in diesem Falle ist nichts geschehen, oder auch nur beabsichtigt, was irgend einen Grund für eine solche Maßnahme geben könnte. Aber da Sie nun einmal hier sind, so mögen Sie bleiben, bis Sie sich von der Wahrheit meiner Worte überzeugt haben. Nehmen Sie Platz!« Wenn ich sagen würde, daß die Situation »hochdramatisch« war, so gäbe das nur einen sehr annähernden Begriff von diesen seltsamen Ereignissen. Der einzige, der vollkommen ruhig zu sein schien, war Ravalette. Was Hokeis betrifft, so hätten Michelangelo und Raffael zusammen das Bild seines Antlitzes oder nur den hundertsten Teil der ungeheuren grenzenlosen Bestürzung und des Schreckens unmöglich wiedergeben können, der sich auf seinem Gesicht ausdrückte. Nicht zwei Personen sahen die Sache in demselben Licht, oder verstanden einander, aber alle wurden völlig durchschaut von dem großen Meister vor ihnen. Für eine Weile herrschte beklemmendes Schweigen, das schließlich -- sehr zu meinem Erstaunen -- von meinem Rosenkreuzerfreunde Beverly gebrochen wurde, der, Ravalette gerade ins Auge blickend, sagte: »Wer immer du auch sein magst, ich verzeihe dir, daß du versucht hast, mich, einen Sohn Adams, an der Vermählung mit diesem Weibe, Eulampia, der hellstrahlenden Tochter Ichs zu hindern. Ich verzeihe dir, daß du sie zu einer Heirat mit einem andern treiben wolltest, was mich zu einem Schicksal verdammt hätte, vor dem ich seit Jahrhunderten zurückbebte. Ich verzeihe dir alles Weh, das du mir zugefügt hast, aus Dankbarkeit für das, was du für mich getan hast, und weil ich glaube, daß dein Helfershelfer mich damals in Boston vor der platzenden Retorte rettete, als ich La Brières Versuch mit dem weißen Feuer wiederholen wollte. Durch dich oder deinesgleichen habe ich unbezahlbare Geheimnisse erfahren. Ich bin dir dankbar dafür, daß du mich das Geheimnis des magischen Spiegels gelehrt hast. Ich bin dir dankbar für das Geheimnis aller Jahrhunderte -- die Kunst, das Lebenselixier zu verfertigen, nach dessen Genuß niemand mehr altern kann; wer aber ein Jahr lang davon trinkt, der erfreut sich ewiger Jugend. Ich werde dieses Elixier niemals zu seinem eigentlichen Zweck verwenden, aber fünf von seinen sieben Bestandteilen bilden ein Mittel, das die Chemie seit langem vergebens gesucht hat. Dadurch, daß ich die Formel dafür meinem Freunde und damit der medizinischen Welt hinterlasse, werde ich meine Sünden büßen, indem ich Tausenden das Leben gebe. Freiwillig, ohne Zwang, verspreche ich feierlich, den Schlaf Sialam zu schlafen, bevor ich dieses Haus verlasse. Und ich will dir alles beantworten, was ich kann, doch unter der Bedingung, daß du vorher das Geheimnis aufhellst, das dich selbst umgibt. Und da ich dir freiwillig das gewähre, was du durch ein Menschenalter voll Betrug nicht erlangt hättest, so sollst du zuerst feierlich bei dem, durch dessen Willen du existierst, du magst nun Mensch oder Teufel sein, versprechen, mich weder jetzt, noch nachher, wenn ich schlafe, irgendwie zu beeinflussen.« Ein Schimmer plötzlicher Freude flammte in den Augen des seltsamen Wesens vor uns auf. Er blickte wie ein Bräutigam in der Überfülle seiner Freude und indem er seine Hände -- bleiche, magere, blauweiße Hände -- auf die Brust legte, sah er auf und sagte: »So sei es! Ich verspreche dir, mit dem fürchterlichsten Eide, den man sich denken kann, daß ich alle deine Bedingungen annehme.« Hierauf ging er nach dem Alkoven und brachte einen halbkreisförmigen, etwas weniger als mannshohen Bettschirm, der etwa vier Fuß Durchmesser hatte. Er bat den Kommissär, ihn zu untersuchen, was dieser auch tat und dann erklärte, es sei ein ganz gewöhnlicher Bettschirm. »Sie haben Recht; es ist nichts anderes als ein Bettschirm, ich bitte Sie aber jetzt, irgendeinen Platz in diesen Zimmern zu bestimmen, wo wir ihn aufstellen können; damit Sie aber nicht glauben, ich hätte die Absicht zu entfliehen, fordere ich Sie auf, Ihre Leute hereinzurufen und ihnen den Befehl zu geben, auf mich zu schießen, wenn ich versuche, das Zimmer zu verlassen!« »Ganz, wie Sie wünschen, Monsieur! Peter, rufe die Leute!« Die Polizisten kamen sogleich -- 27 Mann hoch -- herein und als alle vollzählig waren, sagte der Kommissär, auf Ravalette deutend: »Dieser Herr ist fluchtverdächtig, habt acht, daß er eure Reihen nicht lebend passiert. Seht zu, daß mein Befehl pünktlich befolgt wird. Ist es Ihnen so recht, Mr. Ravalette?« »Vollkommen -- vollkommen! Es könnte nicht besser sein.« »Ihr werdet vierzehn Mann rings um das Haus aufstellen, um die Fenster zu bewachen und die übrigen dreizehn verteilt Ihr auf die Treppe und die Treppenabsätze«, sagte der Kommissär zu dem Sergeanten. »Soll geschehen«, erwiderte dieser und führte seine Leute wieder aus dem Zimmer -- aber nicht bevor ich ihm eine doppelläufige Pistole und einen Revolver, beide frisch geladen und mit neuen Zündhütchen versehen, gegeben hatte -- denn ich haßte Ravalette, mochte er ein Mensch oder ein Teufel sein, ich haßte ihn mit einem religiösen Haß -- und dies ist wohl der glühendste Haß, den es gibt --; ich hatte den lebhaften Wunsch, zu erproben, ob er kugelfest sei oder nicht. Während dieser ganzen Zeit hatten der Vater, die Tochter, Beverly, ich und die beiden Gefährten des Kommissärs nichts gesagt; auf ein Zeichen Ravalettes jedoch setzten wir uns nieder, und zwar so, daß wir die Tür zwischen den beiden Zimmern, den Alkoven, den Kredenztisch und die Fenster an beiden Seiten übersehen konnten. Der Kommissär stellte nun den Bettschirm mit der konvexen Seite gegen uns in der Mitte des Zimmers auf, nahm dann neben mir Platz und sagte, daß er nunmehr das seinige getan hätte. Die Blässe seiner Lippen, der Ton, in dem er sprach und die Häufigkeit, mit der er sich bekreuzte und Gebete in schlechtem Französisch und noch schlechterem Latein murmelte, zeigten deutlich, daß er wünschte, es möchte alles vorüber sein. »Ich bin fertig,« sagte Ravalette, »ich, der ich nichts mehr zu verbergen habe, erkläre, daß ich derjenige bin, den jener Mann -- Im Hokeis und sein Parsenstamm -- jahrhundertelang für den Gott des Feuers und der Flamme gehalten hat. Das Geheimnis meines Seins kann noch nicht entschleiert werden. Ich bin nicht allein! Die Herrschaft über die Magie und die Materie ist eine Erbschaft von Menschenaltern. Wir, die wir einst wie die anderen waren, wurden verdammt durch den Fluch eines Sterbenden wie Isaak Ahasverus, der Jude von Jerusalem, der den Herrn verspottete und anspie, als er sein Kreuz auf dem Schmerzenswege trug, und den er, der Sanftmütige, verfluchte, auf der Erde zu weilen, bis er wieder komme. So mächtig wir in allem anderen sind, kann doch keiner von uns seine eigene Zukunft erforschen: nur besonders Begabte können es, wie dieser Beverly hier. Solche aber werden selten geboren; wenn sie aber geboren werden, so gibt es nur eine Möglichkeit, sie uns dienstbar zu machen; sie müssen im Geiste unvermählt bleiben, sonst können sie nicht den Schlaf Sialam schlafen und auf keine andere Weise können wir das Buch unseres Schicksals enträtseln. Daher die Hindernisse, die wir ihm und jenem Mädchen in den Weg gelegt haben ... Es ist möglich, unser Schicksal auf ein neutrales Wesen abzuwälzen, wer immer es auch sein mag. In diesem Falle aber bestand ein starker Beweggrund, jenem Manne die Jahrhunderte aufzubürden, der mein Zeitgenosse gewesen ist, seit Epochen, die weit vor der Erbauung von Babylon und Ninive liegen. Noch einer dieser Art ist am Leben -- und bei ihm ist mir mein Plan mißlungen -- es ist der Fremde -- und noch jemand gibt es: die Mutter dieses Beverly. Ich hoffte, ihn durch Magie zu gewinnen: es ist nicht gelungen. Er hat mich so gesehen, wie ich jetzt bin --« und bei diesen Worten ging er um den Bettschirm herum bis zur andern Ecke und sagte: »Und so.« Wir waren über alle Maßen erstaunt über die Veränderung, die in weniger als zwölf Sekunden vor sich gegangen war: Ravalette war verschwunden und an seiner Stelle sahen wir einen mageren, dürren, runzligen kleinen Mann, in jeder Beziehung das gerade Gegenteil Ravalettes. »Miakus! so wahr ich lebe -- der Mann von Portland und Boston -- er ist es!« rief Beverly, als die Gestalt bereits abermals um den Bettschirm herumging, sich von neuem veränderte, »und so!« sagte. »Beim Himmel!« schrie Beverly, »das ist Ettelavar, mein mysteriöser Führer und Lehrer im Reiche des Traums!« Und schon war eine neue Veränderung erfolgt und mit den Worten: »Und so!« erschienen nacheinander der italienische Graf und Vatterale. In dieser letzten Gestalt sagte er: »Nibchi ist nur eine Umstellung von »Ich bin«, Miakus heißt: »Ich selbst«, Vatterale ist ein Anagramm aus Ravalette und jeder Schuljunge hätte euch sagen können, daß Ettelavar die Umkehrung dieses Namens ist -- dieses Namens, der bedeutet: »der Geheimnisvolle«. Für dich, Beverly, bin ich all dies gewesen. Sieh mich jetzt als das, was ich wirklich bin!« Damit ging er abermals um den Schirm herum und erschien als ein kleiner alter Mann, der vom Kopf bis zum Fuß in flammendes Rot gekleidet war. »Der Vampir: Dhoula Bel!« schrien Beverly und Im Hokeis zugleich. * * * * * Was während der nächsten halben Stunde vorging, läßt sich hier nicht schildern; ich bemerke nur, daß Beverly nach Verlauf dieser Zeit in einen tiefen Schlaf gefallen war, und zwar offenbar aus freiem Willen. Das Folgende wird in dem nächsten und letzten Kapitel dieses Werkes zu lesen sein. 9. Kapitel DER SCHLAF SIALAM Tief war das Schweigen, selbst unser Atem hatte aufgehört. Rasch schlugen unsere Herzen und unsere Augen waren voll Tränen; denn Großes ging vor. Die Glieder steif und kalt von den Dämpfen der Auflösung, das Gesicht bleicher als der Tod, Herz und Puls vollkommen unhörbar, die Augen weit geöffnet und so weit nach oben gedreht, daß nur noch das Weiße zu sehen war, so saß mein Freund Beverly in einem großen Lehnsessel. Was wir hier sahen, war kein mesmerischer Schlaf. Innerhalb fünf Minuten machte sich auf dem Gesicht des Schläfers eine Veränderung bemerkbar; er wurde erleuchtet, wie wenn seine Seele in diesem Augenblick die unaussprechliche Glorie des Jenseits sähe. Er sagte: »Jetzt!« Bei diesem Worte wurde die Tür des Zimmers leise geöffnet und zwei Männer traten herein und wollten sich eben niedersetzen, als der Kommissär rasch aufstand, militärisch grüßte und rief: »Der Kai...« »Still!« sagte der Angeredete, »hier sind alle Fremde!« dann wandte er sich an Dhoula Bel, mit dem er sehr vertraut zu sein schien, und fragte: »Endlich?« »Endlich!« antwortete dieser, worauf die Neuangekommenen sich auf zwei Stühlen niederließen. Das Ganze war so völlig aller Berechnung entgegengesetzt verlaufen, die Ereignisse hatten eine so absolut unerwartete und plötzliche Wendung genommen, daß ich mich über diesen neuen Zwischenfall nicht mehr wunderte, sondern nur beschloß, sorgsam das Resultat abzuwarten, was es auch sein möchte. Natürlich glaubte ich, daß der Neuangekommene nunmehr die Leitung des Vorganges in die Hand nehmen werde. Dies geschah aber nicht, denn Dhoula Bel, wie ich ihn von nun an nennen will, wandte sich an den kleineren der beiden und sagte: »Warum sucht Ihr mich zu besiegen? Vor vielen Jahren fand ich Euch als Lehrling der Magie in Eurem einsamen Gefängnis, wohin Ihr gesteckt worden wart, weil Ihr in zwei Fällen Mißerfolg gehabt hattet. Ich half Euch, gab Euch Freiheit, Macht und Ansehen und setzte Euch auf den stolzesten Thron der Erde, ich machte Euch berühmt und gefürchtet. Für Euch habe ich Britannien erniedrigt, für Euch habe ich eine Jahrhunderte alte Macht gebrochen -- das Papsttum -- für Euch habe ich Österreich zerrissen und ein neues Reich auf der Erde errichtet, für Euch habe ich den fürchterlichsten Krieg entfacht, den die Welt je gesehen hat, für Euch habe ich ein Volk von Brüdern in zwei feindliche Lager geteilt, von denen jedes nach dem Blute des andern dürstete. Und während Ihr das schweigende Werkzeug wart, habe ich Euch die Worte eingegeben und die Drähte regiert, mit denen die Welt beherrscht wird, und habe nichts dafür verlangt und doch seid Ihr nun hier, um meinen Plan zu durchkreuzen, obwohl ich doch immer Euer Freund gewesen bin. Warum tut Ihr dies?« »Ich gebe zu -- ich weiß keinen Grund dafür. Ich bin ein Mann des Schicksals!« »Soll ich es enthüllen?« »Ich habe keine Lust dazu.« »Gut, ich gedulde mich; aber laßt diesen Schläfer es sagen!« »Ich bin einverstanden. Befragt ihn. Dies ist die Stunde, auf die ich seit langem gewartet habe. Laßt das Orakel sprechen.« »Hört mir zu«, sagte da der größere der beiden Eindringlinge. »Ihr seid beide nur Werkzeuge einer höheren Macht gewesen und obwohl sogar ich, der Fremde, jeden von euch getäuscht habe, wurde doch mein Tun beschlossen. Das Drama von Jahrhunderten wird heute zu Ende gehen. Keiner von uns kann seine eigene Zukunft lesen: Nur einen gibt es auf der Erde, der es kann und nur eine Stunde gibt es, in der es geschehen kann. Der Mann ist da, die Stunde ist gekommen. Nicht mit dem magnetischen Hauch hysterischer stammelnder Somnambulen, nicht mit dem prahlerischen Vertrauen selbstgefälliger Erforscher apokrypher Regionen, die nicht existieren, sondern in einer einfachen reinen Vision wird dieser Schläfer den Horizont der Zukunft rein fegen und unserem Blick enthüllen. Daher seid ruhig und haltet Frieden, bis das mystische Buch gelesen ist.« Dann wandte er sich an Beverly und sagte: »Was siehst du, o Seele? Sieh zu! Was siehst du von Frankreich und seinem Herrscher?« »Frankreich wird noch eine Revolution durchzumachen haben. Sie wird in Wasser beginnen und in Blut und Feuer endigen! Aber das Ende wird aufgeschoben werden. Krone, Zepter, Dynastie -- alles wird von der unwiderstehlichen Flut der politischen Umwälzung hinweggespült werden und die letzten Adeligen und Priester werden das Schicksal der letzten gekrönten Häupter teilen -- Verbannung und Tod.« »Was siehst du von den anderen Nationen?« »Preußen wird unter einer neuen Regierung ein Vaterland für sein Volk werden; Belgien, Holland und andere germanische Länder werden mit jetzt schon bestehenden Reichen vereinigt werden. Spaniens Nacht zieht näher -- seine Kolonien werden sich in schwarze Republiken verwandeln und es im Stiche lassen, bis es wie Rom ein Teil des großen italienischen Reiches wird. Österreich wird geteilt werden, Ungarn und Polen werden sich verbünden und eine neue Großmacht bilden. Die Türkei wird in die Hände der Griechen übergehen und Syrien in die der Russen. England wird Kanada, Indien, Oregon und Irland verlieren und dieses letztere wird eine Republik werden. Die Vereinigten Staaten werden Kanada, Mexiko und das ganze britische Amerika in sich aufnehmen -- seine schwarzen Rassen werden ein Reich gründen, das sich unter der Herrschaft einer Reihe von Präsidenten von seinen südlichen Grenzen bis nach Brasilien erstrecken wird. Das von den Taipings christianisierte China wird die erste Macht im Osten werden und Japan und viele andere kleinere Staaten verdunkeln. Indien wird ein Kaiserreich, Australien eine Republik werden. Und all dies wird geschehen, innerhalb 63 Jahren von dem siebenten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts an gerechnet.« »Jetzt, Prophet, was siehst du für dich selbst?« »Raschen Tod, Befreiung von Sorge, das Schicksal aller Menschen, und ein verhältnismäßiges Glück -- auf der andern Seite der Zeit.« »Was siehst du fürs Rosenkreuzertum?« »Nach vielen Jahren wird ein großer Mann sich erheben -- ein Deutscher, ein Preuße -- der den Weg bereiten wird für einen Größeren von derselben Nation und dieser wird dann diese Lehre der Welt erklären und er wird für Europa der Mann des Jahrhunderts sein und er wird eine ungeheure Macht ausüben. Denn er wird Könige und Kaiser stürzen und die Freiheit des Volkes erkämpfen. Um diese Zeit wird in der westlichen Welt ein größerer Mann aufstehen, als die Welt ihn je seit Beginn der Zivilisation gesehen hat. Er wird in gewissem Sinne für die intellektuelle und philosophische Welt das sein, was Gautama Buddha -- der Gesegnete! -- für Indien war, Platon für Griechenland, Thutmosis III. für Ägypten, Moses für die Juden, Mohammed für Arabien, Luther für Europa und Columbus für die Neue Welt, aber er wird größer sein, als sie alle und mächtiger im Guten als irgendeiner. Er wird rasch ans Werk gehen und sein Erscheinen wird das Zeichen für eine religiöse, politische, soziale, moralische und philosophische Erhebung sein, wie sie die moderne Welt noch nie erlebt hat. Er wird kühn die großen Lehren des dritten und höchsten Tempels des Rosenkreuzes verkünden; und seine Jünger werden sein wie der Sand am Meere und ihre Lehren werden so unwiderstehlich sein wie seine Wogen. Er wird sein Werk selbst beginnen, bevor dieser ganze Aufstand der menschlichen Sklaverei beendet sein wird. Beachtet dies wohl!« Bei diesen Worten des Schläfers schien der kleinere der beiden Fremden verwirrt zu werden, denn er rief aufspringend: »Dann wird also die Laufbahn dieses Mannes meiner eigenen ähnlich sein?« »So wie das Feuer dem Eise gleicht. Seine Laufbahn wird friedlich sein. Sein Pfad wird von keinem einzigen Tropfen Blut befleckt sein, kein Verstümmelter wird ihn verfluchen, keine Witwe, keine Waise wird nach Rache schreien, noch auch wird die Unwissenheit des Volkes den Hebel seiner Macht bilden oder das Instrument, mit dessen Hilfe er sich auf den Thron schwingen wird.« »Aber ich bin stark! -- Mexiko! -- Kaiserreich! -- Die lateinische Rasse! -- Die Kirche! -- Maximilian! -- Was kann diese Kette brechen, wenn ich ihr noch das letzte Glied hinzufüge?« »Das Schicksal! Der Hauch der Vereinigten Staaten wird sich bald wie eine Wolke auf Frankreich und das neue Reich legen, wenn aber diese Wolke sich erhebt, werden zwei Dynastien für immer verschwunden sein!« »Zum Teufel --«, rief der Fragesteller und stampfte mit dem Fuße, während er mit den Zähnen in dämonischer Wut knirschte. »Es wird zwei verfluchte Nationen geben, wenn dieser Vorsatz ausgeführt wird«, sagte der Schlafende mit melodischer Stimme und so ruhig, daß es eher schien, als spreche er vom Gewinn und Verlust eines Spiels als von dem Schicksal von Königreichen. Für einen Augenblick herrschte Schweigen; dann sagte Dhoula Bel: »Und nun mein Los? Was, o Schläfer, siehst du über mir?« Der Seher lächelte mild und streckte seine Hand gegen ihn und den großen Mann aus. Sie traten näher und ergriffen sie. »Die Feindschaft von Jahrhunderten ist zu Ende!« »Sie ist zu Ende!« wiederholte der Große. »Sie ist zu Ende! Dein Werk ist getan -- und das meine -- und das deine --«, sagte der Seher, bei den letzten Worten auf Ravalette deutend. »Von nun an ist Ruhe für die Müden -- ist Ruhe für dich! Wir drei sind nicht länger verurteilt, auf Erden zu wandeln -- wir verlassen sie! Unsere Pfade gehen jetzt auseinander. Über unseren Häuptern stehen die Worte: Ihr könnt dennoch glücklich sein!« »Dem Himmel sei Dank!« sagte Dhoula Bel. »Dem Himmel sei Dank!« wiederholte der Fremde. »Es ist zu Ende!« sagte Beverly. Während er noch sprach, trat Dhoula Bel hinter den Schirm und gleich darauf ertönte der scharfe Knall einer Schußwaffe, begleitet von einigen in nicht sehr gewähltem Französisch ausgestoßenen Flüchen. Ich stürzte mit dem Kommissär an die Tür und fragte, was vorgefallen sei. »Bei den heiligen Evangelisten! Ich habe gerade auf seinen Kopf gezielt und habe um keinen Zoll gefehlt!« schrie der Sergeant. »Und ich habe ihn mitten in den Kopf getroffen, aber es hat ihm nicht das geringste gemacht!« sagte ein anderer. »Und ich habe ihm zwei Kugeln in die Brust gejagt, auf zehn Zoll Entfernung, und der Teufel soll mich holen, wenn nicht alle beide auf mich zurückgeflogen sind,« rief ein dritter. »Und ich will schwören, daß er nicht durch die offene Tür kam, denn sie war fest verschlossen und ich habe meine Hand keine Sekunde von dem Riegel genommen!« beteuerte ein vierter. »Es war der Teufel!« ächzte ein fünfter. »Oder einer seiner Kobolde!« der sechste. »Ich will tausend Eide schwören, daß er bei mir hier an der unteren Treppe nicht vorbeigekommen ist!« bemerkte der siebente Mann. »Kommt alle hier in das Zimmer und berichtet, was geschehen ist!« Mit diesen Worten machte der Kommissär den Ausrufen ein Ende. »Erinnern Sie sich noch, daß Sie mir sagten, ich sollte einen gewissen Herrn nicht hinausgehen lassen, selbst wenn ich auf ihn schießen müßte?« fragte der Sergeant, als er eingetreten war. »Gewiß. Erzählen Sie weiter!« »Nun, das erste, was ich weiß, ist, daß dieser Herr plötzlich außerhalb der Tür stand und mir Gesichter schnitt und die Zunge herausstreckte und höhnte: ›Ich gehe hinaus, Monsieur!‹ ›Wirklich?‹ ›Natürlich: Sie sehen es ja!‹ Und damit schritt er gerade auf die Treppe zu und vier von uns packten ihn, auch ich war dabei. Haben Sie je eine heiße Kartoffel aufgehoben? Gerade so war es. Wir vier haben diesen Mann so schnell wieder losgelassen, als wäre er wirklich eine. Wir hatten genau das Gefühl, das man hat, wenn man eines jener verfluchten elektrischen Dinger mit den Drähten daran anfaßt, die einem den Blitz in die Glieder jagen, ehe man drei zählen kann. Wir ließen also den Herrn sehr schnell wieder los und er lief zwei oder drei Stufen hinab und lachte uns aus, was mich wütend machte, so daß ich auf ihn feuerte. Auch die anderen taten es, aber wir hätten ebenso gut versuchen können, einen Schatten zu töten. Meine Herren, der Mann ist im Rauch unserer Schüsse verschwunden! In sichtbarer Gestalt ist er nicht hinausgegangen!« Während dieses Berichtes hatte ich beschlossen, nachzusehen, ob Dhoula Bel tatsächlich das Zimmer verlassen hätte, und ging daher an das Fenster und sah hinter den Schirm. Niemand war dahinter oder in der Nähe. Ich kehrte zurück, sagte aber nichts und ließ mich wieder auf meinen Stuhl nieder. »Seid Ihr dessen sicher, was Ihr uns berichtet habt, daß Ihr völlig wach seid und nicht träumt?« fragte der Kommissär. »Ebenso sicher, wie er nicht in diesem Zimmer ist!« »Das zeigt wieder einmal, wie leicht die Leute zu täuschen sind«, sagte da eine Stimme hinter dem Bettschirm und gleich darauf trat Dhoula Bel selbst hervor in die Mitte des Zimmers und nachdem er spöttisch mit dem Finger auf den Sergeanten und seine Leute gedeutet hatte, kehrte er wieder hinter den Schirm zurück. Mein Haar sträubte sich vor Entsetzen. Die sieben wackeren Franzosen aber stürzten vor und riefen: »Aber jetzt haben wir dich, Mensch oder Teufel!« Damit warfen sie den Schirm um, aber -- Niemand war dahinter. Der Sergeant stürzte, wie von einer Kugel getroffen, zu Boden. Entschlossen, mich selbst vor jeder Überraschung zu schützen, blieb ich sitzen und beobachtete den Fremden und seinen Gefährten. Der letztere stand auf, ging auf Hokeis und seine Tochter zu, die während dieser ganzen Szene schweigend und wie gebannt dagesessen hatten, und sprach leise einige Worte mit ihnen. Während dessen ging der große Fremde in das andere Zimmer und als ich nach etwa 12 Sekunden mich erhob und ihm folgte, war auch er verschwunden! * * * * * Am nächsten Tage wurde in Paris eine Hochzeit gefeiert. Ein Sohn Adams hatte sich mit einer Tochter Ichs vermählt. Zwei Wochen später brachten wir einen Kranken nach den Bädern der Schweiz. Wir blieben drei Monate dort und brachten ihn, da sein Befinden sich verschlimmert hatte, nach Paris zurück. * * * * * Drei Monate vergingen. Ein Leichenzug wand sich durch die Wege des Père-la-Chaise. Ein Sarg wurde in ein neues Grab gesenkt. An seinem Rande aber stand ein alter grauhaariger Mann, der ein schönes, gramzerrissenes Weib stützte. -- Sie war erst vor kurzem Frau geworden. * * * * * Vier Monate: Es war am Vorabend meiner Abreise von Frankreich. Ich ging nach dem Friedhof und saß eine Stunde lang bei einem Grabstein, auf dem die Worte standen: BEVERLY Der Rosenkreuzer »Ich erstehe neu aus meiner Asche« * * * * * Über dem Ozean. Ich betrat mein Vaterland wieder. Ich habe mich den Kenntnissen gewidmet, die mir mein Freund übermittelt hat. * * * * * Als ich gestern abends von der Rosenkreuzerloge, der ich angehöre, heimkehrte, sprach ich bei einer befreundeten Dame in der x-ten Avenue vor. Sie hielt ein reizendes kleines Kind in den Armen -- »ein Knabe«, sagte sie, »ist er nicht schön? Gleicht er nicht seinem Vater?« »Er gleicht ihm wundervoll«, erwiderte ich, »wie heißt er denn?« »Osiris Budh! Ein seltsamer Name, nicht?« »Sehr seltsam!« antwortete ich, als ich ging, »sehr seltsam!« * * * * * Consummatum est. Fußnoten: [1] Eine Oktorone ist das Kind eines Quarterons und einer Weißen, ein Quarteron das Kind eines Weißen und einer Terzerone (d. h. des Kindes eines Weißen und einer Mulattin). Anm. d. Übers. [2] Neugriechisch εὺλαμπία, lat. Eulampia »hellscheinend, lieblich, geheimnisvoll schön«. [3] Dies ist historische Tatsache, wie auch der ganze folgende Bericht jener merkwürdigen Sitzung. Der dem Leser vielleicht auffallende Anachronismus ist absichtlich in die Erzählung verwoben worden. ROMANE UND BÜCHER DER MAGIE _Herausgeber_ GUSTAV MEYRINK Unter diesem Sammelnamen bringt der Autor des bekannten Romans »Der Golem« eine Serie von Werken in- und ausländischer Verfasser, die auf dem so überaus interessanten Gebiete der Mystik und Magie wirklich etwas zu sagen haben und nicht bloß, wie Tausende Scharlatane aller Zeiten und Völker, vorgeben, Wissende zu sein. Lebensläufe und seltsame Erlebnisse in das _GEWAND SPANNENDER ROMANE_ gekleidet, werden abwechselnd mit Schilderungen nackter, überaus fesselnder Tatsachen aus einem Wissensgebiete gebracht werden, das seit Menschengedenken zu dem Geheimnisvollsten gehört. Die drei ersten von Gustav Meyrink bearbeiteten, voneinander unabhängigen Bände werden sein: SRI RAMAKRISCHNA der letzte Indische Prophet Von _Dr. Carl Vogl_ Vorwort von _Gustav Meyrink_ DHOULA BEL Ein Rosenkreuzer-Roman Von _P. B. Randolph_ Übersetzt von _Gustav Meyrink_ ELIPHAS LÉVI (Abbé Constant) Der große Kabbalist Von _R. H. Laarss_ Vorwort von _Gustav Meyrink_ WIEN RIKOLA VERLAG LEIPZIG BERLIN MÜNCHEN GUSTAV MEYRINK DER WEISSE DOMINIKANER Aus dem Tagebuche eines Unsichtbaren Roman Nach mehrjährigem Schweigen hat Gustav Meyrink das Werk geschaffen, zu dem seine bisherigen Romane den verheißungsvollen Auftakt gegeben haben. Hier spricht in der mitreißenden Handlung nicht nur der souveräne Meister phantastischer Gestaltung, sondern auch der Adept aller Geheimlehren der okkulten Welt. In einem atemraubenden Roman von beispielloser Färbung und betäubender Atmosphäre gibt der Dichter die Verheißung jener großen Zukunftskirche, in die dereinst alle Bekenntnisse, Riten und Sekten einmünden werden, und deren Zeitpunkt dann gekommen sein wird, wenn der weiße Dominikaner erscheint, der zweiundfünfzigste Papst unseres Zeitalters. Durchtränkt von den enthüllten Geheimnissen der Kabbala, den Glaubenssätzen der geheimen Orden aller Länder, zieht dieser Roman den Leser in den rasenden Wirbel seiner gespenstischen Begebnisse, um ihn völlig verändert, berauscht und betäubt zurückzulassen. Ein Buch, dessen Wirkung auf Gläubige und Ungläubige des europäischen Kulturkreises nicht abzusehen ist. Geh. ca. M 25·-- (K 450·--), geb. ca. M 30·-- (K 530·--) In Leinenband M 45·-- (K 700·--) Signierte Halblederausgabe in Vorbereitung WIEN RIKOLA VERLAG LEIPZIG BERLIN MÜNCHEN Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Antiqua gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original fetter Text ist =so markiert=. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DHOULA BEL: EIN ROSENKREUZER-ROMAN *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that: • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.” • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. • You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.