The Project Gutenberg eBook of Meine Reise um die Welt. Erste Abteilung This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Meine Reise um die Welt. Erste Abteilung Author: Mark Twain Release date: October 1, 2021 [eBook #66437] Language: German Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ERSTE ABTEILUNG *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Mark Twains Humoristische Schriften Neue Folge. 3. Band Meine Reise um die Welt Von Mark Twain Autorisiert Erste Abteilung Inhalt: Im Stillen Ozean -- Australien -- Von Australien nach Indien. [Illustration] Stuttgart Verlag von Robert Lutz 1903. Alle Rechte vorbehalten. Druck von A. Bonz’ Erben in Stuttgart. Inhalt der 1. Abteilung. _Im Stillen Ozean._ Kapitel 1--8. Seite 1--115. Abfahrt. -- Das Dampfboot, der Kapitän und die Mitreisenden. -- Der Nutzen übler Gewohnheiten. -- Geschichten vom Bumerang und außerordentlichem Gedächtnis. -- General Grant und Samuel Clemens. -- Eine Geschichte ohne Ende. -- Honolulu sonst und jetzt. -- Die Leprakranken auf Molokai. -- Gedanken beim Passieren des Aequators. -- Der 180. Längengrad und der verlorene Tag. -- Beglückung der Bewohner des Stillen Ozeans durch die Fortschritte der Kultur. -- Die Fidschi-Inseln. -- Höchst belehrende Vorträge über die Fauna Australiens, insbesondere über das Schnabeltier. _Australien._ Kapitel 9--17. Seite 116--182. Ein Meerwunder. -- Der Hafen von Sydney. -- Heiße Winde. -- Sträflingsleben. -- Der australische Squatter. -- Simson und Hanuman. -- Lustbarkeiten in Sydney. -- Cecil Rhodes und der Haifisch. -- Die Eisenbahn von Sydney nach Melbourne. -- Ein unaufgeklärtes Geheimnis. -- Das Preisrennen von Melbourne. -- Buckleys wunderbare Erlebnisse. Kapitel 18--24. Seite 183--262. Allerlei Statistisches. -- Das Silberbergwerk von Broken Hill. -- Der ›Scrub‹. -- Eingeborene als Pfadfinder. -- Gründung der Stadt Adelaide, ihr Niedergang und ihre Auferstehung. -- Religiöse Toleranz in Südaustralien. -- Das Nationalfest der Provinz. -- Das ›Weetweet‹. -- Der weiße Mann und der Australneger. -- Die Kolonie Viktoria. -- Ein landwirtschaftliches Institut. -- Die Goldbergwerke von Ballarat und Bendigo. -- Der Mark Twain-Klub. _Von Australien nach Indien._ Kapitel 25--34. Seite 263--346. Der Professor aus Neuseeland. -- Die Ureinwohner Tasmaniens. -- Robinson, der ›Versöhner‹. -- Ein Empfehlungsbrief. -- Hobart, die Hauptstadt Tasmaniens. -- Eisenbahnen in Neuseeland. -- Frauenbewegung. -- Auf der ›Flora‹. -- In Auckland. -- Gedankentelegraphie. -- Die Maori. -- Gluthitze in Australien. Erstes Kapitel. Es kommt vor, daß ein Mensch zwar keine üblen Angewohnheiten hat -- aber Schlimmeres. _Querkopf Wilsons Kalender._ Der Ausgangspunkt meiner Vorlesungstour um die Welt war Paris, wo ich seit ein paar Jahren mit den Meinigen lebte. Wir reisten von dort nach Amerika, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Das war schnell geschehen. Zwei meiner Angehörigen beschlossen die Reise mitzumachen -- desgleichen ein Karbunkel. Im Wörterbuch steht: ein Karbunkel oder Karfunkel ist eine Art Edelstein. Ich muß gestehen, daß der Humor in einem Wörterbuch schlecht am Platze ist. Mitten im Sommer brachen wir von New York nach dem Westen auf; alles Geschäftliche übernahm Herr Pond, bis zum Stillen Ozean. Es war ein heißes Stück Arbeit und in den letzten vierzehn Tagen obendrein rauchig zum Ersticken, weil in Oregon und Britisch Columbia gerade die Waldbrände wüteten. Während einer Woche genossen wir den Rauch auch noch am Seestrande, wo wir eine Zeitlang auf unser Schiff warten mußten. Es hatte im Rauch die Richtung verloren, war auf den Grund geraten und mußte erst gedockt und aufgezimmert werden. Endlich wurden die Anker gelichtet, und damit endete unser Schneckengang auf dem Festland, der vierzig Tage gedauert hatte. Wir segelten westwärts über die leicht gekräuselte, glitzernde Sommersee, die, zum Entzücken klar und kühl, von jedermann an Bord freudig begrüßt wurde. Am willkommensten war sie mir, nach dem Staub, dem Rauch und der Hitze, die ich in den letzten Wochen durchgemacht hatte. Die Seereise verschaffte mir eine dreiwöchentliche, fast ununterbrochene Ruhezeit. Wir hatten den ganzen Stillen Ozean vor uns, und nichts zu tun als nichts zu tun und uns gemütlich zu fühlen. Victoria, die Hauptstadt der Vancouver-Insel, leuchtete nur noch schwach aus ihrer Rauchwolke herüber und wollte eben verschwinden. Wir legten die Feldstecher beiseite und ließen uns friedlich auf den Klappstühlen nieder, wie zufriedene Leute. Aber sie brachen unter uns in Trümmer zusammen und brachten uns in Schmach und Schande vor allen Passagieren. Zum Preis von guten Stühlen hatten wir sie aus dem größten Möbelgeschäft von Victoria bezogen, und dabei waren sie keinen Heller per Dutzend wert. Im Indischen und im Stillen Ozean muß jeder noch immer seinen eigenen Klappstuhl mit an Bord bringen, wie das in längst vergangenen Zeiten auch auf dem Atlantischen Ozean Sitte war -- im finstern Mittelalter der Seereisen. Unser Dampfer war sonst recht behaglich eingerichtet; wir bekamen die gewöhnliche Schiffskost -- gute und reichliche Nahrung, von der Vorsehung gespendet, aber in des Teufels Küche gekocht. Auch die Mannszucht an Bord war so gut, wie sie überhaupt in jenen Breiten zu haben ist. Für eine Fahrt in den Tropen war das Schiff nicht besonders zweckmäßig ausgerüstet, aber das ist ja durchgängig bei allen Fahrzeugen der Fall, die man nach den Tropen schickt. An Kakerlaken litten wir keinen Mangel; auch das ist die Regel auf den Schiffen in jenen Meeren, das heißt, auf allen, die schon längere Zeit im Dienste stehen. Der Kapitän war ein junger, schöner Mann, groß und hübsch gebaut; eine Gestalt, auf der sich eine kleidsame Uniform besonders vorteilhaft ausnimmt. Er meinte es sehr gut mit uns und war freundlich und höflich, wie ein vollendeter Kavalier. Durch sein angenehmes, verbindliches Wesen verwandelte er jeden Raum, den er betrat, sofort in einen Salon; im Rauchzimmer ließ er sich nicht blicken. Von schlechten Gewohnheiten war er ganz frei; er rauchte und schnupfte nicht, kaute auch keinen Tabak; man hörte ihn weder fluchen noch schimpfen, kein grobes oder unfeines Wort kam je aus seinem Munde. Er machte keine schlechten Witze, erzählte keine Anekdoten, lachte nie unmäßig oder erhob die Stimme lauter, als es die Gesetze der Schicklichkeit vorschrieben; jeder Befehl, den er erteilte, nahm den Ton einer Bitte an. Nach Tische erschien er mit seinen Offizieren bei der Gesellschaft im Damensalon, beteiligte sich am Gesang und Klavierspiel oder wendete die Notenblätter um. Er besaß eine weiche, angenehme Tenorstimme und sang mit Geschmack und gutem Vortrag. War die Musik zu Ende, so kam eine Whistpartie an die Reihe, bis es für die Damen Schlafenszeit wurde. Im Salon brannte das elektrische Licht, solange die Gesellschaft es irgend wünschte, im Rauchzimmer aber nur bis elf Uhr. Keine von allen Vorschriften an Bord wurde so streng gehandhabt wie diese. Der Kapitän erklärte uns, daß er so fest darauf bestehen müsse, weil seine eigene Kajüte neben dem Rauchzimmer läge, und ihm vom Tabakgeruch übel würde. Da sich nun aber die beiden Zimmer auf dem Oberdeck befanden, wo immer frische Luft wehte, begriff ich nicht recht, wie unser Rauch in seine Kajüte kommen sollte. Die Zimmer waren durch keine Tür verbunden, und in der dicken Zwischenwand gab es weder Sprünge noch Risse. Für einen empfindlichen Magen ist aber vielleicht bloß eingebildeter Tabakrauch schon schädlich. Mit seiner sanften Natur, dem feinen, liebenswürdigen Wesen, seiner Lauterkeit in Sitte und Rede, paßte der Kapitän für den herrischen, rauhen Seemannsberuf so gut wie die Faust aufs Auge. Er war mir ein rechtes Beispiel von der Ironie des Schicksals. Obendrein lastete ein Mißgeschick auf ihm; das wußten die Passagiere und er tat ihnen leid: In der Nähe von Vancouver hatte er bei einer engen und schwierigen Durchfahrt, wo der dichte Rauch der Waldbrände alles in Dunkel hüllte, seinen Kurs verloren und war mit dem Schiff auf die Klippen geraten. Dergleichen würde unsereins für einen verzeihlichen Irrtum ansehen; bei den Direktoren einer Dampfschiffgesellschaft gilt es aber als ein Verbrechen. Zwar hatte das Admiralitätsgericht in Vancouver den Kapitän von aller Schuld freigesprochen, aber das konnte ihn nicht trösten. Bei seiner Heimkehr nach Sydney würde ein strengerer Gerichtshof den Fall untersuchen -- das Direktorium der Gesellschaft, auf deren Schiffen der junge Mann seit Jahren als Steuermann gedient hatte. Dies war seine erste Reise als Kapitän. Die Offiziere an Bord waren wackere und gesellige junge Leute, die sich an allen Belustigungen mit Vergnügen beteiligten, damit den Passagieren die Zeit nicht lang würde. Die Reisen auf dem Stillen und Indischen Ozean sind überhaupt wahre Lustfahrten für die Mannschaft. Unser Zahlmeister, ein junger Schotte, zeigte sich immer aufgeräumt, gesprächig und voller Leben, und doch war er ein körperlich kranker Mensch, das sah man ihm an. Aber sein Geist triumphierte über das Leiden; er besaß eine wunderbare Selbstbeherrschung, redete nie von seinen Schmerzen und benahm sich ganz wie jemand, der gesund und kräftig ist. Zu Zeiten litt er jedoch an den entsetzlichsten Herzkrämpfen, die oft viele Stunden dauerten. Während eines solchen Anfalls konnte er weder sitzen noch liegen; einmal hatte er sogar vierundzwanzig Stunden lang aufrecht stehen müssen, bei dem qualvollen Kampf auf Leben und Tod. Aber tags darauf sprudelte er wieder über von Lust und Laune, als ob nichts geschehen sei. Der geistreichste Passagier an Bord, ein Mensch von glänzender Begabung, war ein junger Kanadier, dem es die Branntweinflasche angetan hatte. Er stammte aus einer reichen, angesehenen Familie und schien bestimmt Großes in der Welt zu leisten, doch nützten ihm alle Talente nichts, weil er seine Trunksucht nicht bezähmen konnte. Schon oft hatte er das feierliche Versprechen abgelegt, sich des Trinkens zu enthalten; aber man weiß ja, wie wenig dergleichen törichte Gelübde einem Menschen helfen, der nicht einen wahrhaft eisernen Willen hat. Dies Mittel ist in doppelter Hinsicht gänzlich verkehrt: erstens greift es das Uebel nicht bei der Wurzel an, und zweitens ist jedes Gelübde irgendwelcher Art etwas durchaus Naturwidriges. Es gleicht einer klirrenden Kette, die den Träger ohne Unterlaß daran erinnert, daß er kein freier Mensch ist. Ja, ich wiederhole es: das Mittel greift das Uebel nicht bei der Wurzel an. Nicht das Trinken sollte man bekämpfen, sondern das Verlangen nach geistigen Getränken. Das ist ganz zweierlei. Zu ersterem gehört nur Willenskraft, die aber sehr stark und ausdauernd sein muß; zu letzterem nichts als Wachsamkeit und zwar während einer verhältnismäßig kurzen Frist. Da das Verlangen natürlich der Tat vorangeht, sollte man ihm auch die erste Aufmerksamkeit widmen. Was nützt es, immer und immer wieder der Tat zu wehren und das Verlangen ganz frei und unbehelligt zu lassen? Es macht sich stets von neuem geltend und endlich trägt es doch den Sieg davon. Sobald das Verlangen Einlaß begehrt, sollte man ihm die Türe verschließen; man muß unausgesetzt auf seiner Hut sein und es beizeiten vertreiben; sonst hat es sich fest eingenistet, ehe man sich’s versieht. Weist man dagegen ein Verlangen nur vierzehn Tage lang beständig zurück, so kann man fast mit Sicherheit darauf zählen, daß es nach Ablauf dieser Zeit stirbt. Das ist die einzige Art, um die Trunksucht zu heilen. Sich nur immer wieder des Trinkens zu enthalten, ohne gegen das Verlangen zu Felde zu ziehen, scheint mir die törichtste Kriegsführung, die sich denken läßt. Ich habe früher auch Gelübde abgelegt und sie gleich darauf gebrochen. Das ließ sich nicht ändern, denn mein Wille war nicht stark genug. Auch ärgert es einen im übrigen freien Menschen, sich irgendwie gebunden zu fühlen, und er zerrt so lange an seiner Kette, bis sie zerreißt. Deshalb übernahm ich zuletzt gar keine bestimmten Verpflichtungen mehr und beschloß nur, das schädliche Verlangen zu ertöten, ohne mich der Freiheit zu berauben, Verlangen und Gewohnheit wieder aufzunehmen, sobald ich wollte. Nun hatte ich keine Beschwerde mehr. In fünf Tagen machte ich meinem Verlangen Tabak zu rauchen den Garaus und brauchte nun nicht mehr auf der Hut zu sein, denn ich empfand niemals einen sehr heftigen Wunsch danach. Eines Tages wollte ich wieder anfangen ein Buch zu schreiben, nachdem ich fünfviertel Jahre so gut wie nichts getan hatte; aber seltsamerweise kam ich damit nicht von der Stelle. Da versuchte ich zu rauchen, um zu sehen, ob es mir dann gelingen würde. Und wirklich -- das half. Nun rauchte ich fünf Monate lang täglich acht bis zehn Zigarren und ebensoviele Pfeifen, bis das Buch fertig war. Dann rauchte ich ein ganzes Jahr über gar nicht mehr, bis ich ein neues Buch beginnen mußte. Ich vermag jede meiner neunzehn schlechten Gewohnheiten beliebig abzulegen, ohne daß es mir unbehaglich oder lästig wird. Auch Leute wie Doktor Tanner und andere, die vierzig Tage lang nichts essen, können das sicherlich nur durchsetzen, weil sie das Verlangen nach Speise gleich zu Anfang mit Entschlossenheit unterdrücken. Schon nach wenigen Stunden wird das Verlangen schwach und bleibt bald ganz aus. Einmal habe ich meine Methode auch in großem Maßstabe als Kur angewendet. Ich lag schon mehrere Tage am Rheumatismus zu Bett, und mein Zustand wollte sich nicht bessern. Zuletzt sagte der Doktor: »Meine Arzneien können Ihnen unmöglich helfen; bedenken Sie nur, wogegen ich alles ankämpfen muß; Sie rauchen ungemein stark, nicht wahr?« »Jawohl.« »Und trinken sehr viel Kaffee?« »Jawohl.« »Auch Tee?« »Jawohl.« »Sie essen allerlei durcheinander, was sich nicht zusammen verträgt?« »Jawohl.« »Auch trinken Sie jeden Abend zwei Gläser heißen Grog?« »Jawohl.« »Nun sehen Sie, das alles leistet mir Widerstand. Wie soll da die Genesung Fortschritte machen? Sie müssen sich durchaus in allen diesen Dingen beschränken und ein paar Tage lang weit weniger davon zu sich nehmen.« »Das kann ich nicht, Doktor.« »Warum denn nicht?« »Mir fehlt die Willenskraft. Sie mir ganz versagen -- das kann ich. Aber sie nur mäßig zu genießen, geht über mein Vermögen.« Er meinte, das werde auch dem Zweck entsprechen; morgen wolle er mich wieder besuchen. Doch wurde er selber krank und konnte nicht kommen; es war aber auch nicht mehr nötig. Zwei Tage und zwei Nächte lang enthielt ich mich aller jener Genußmittel, ja ich aß überhaupt nichts und trank nur Wasser. Nach vierundzwanzig Stunden verlor der Rheumatismus alle Kraft und verschwand spurlos. Ich war wieder kerngesund, dankte meinem Schöpfer und nahm meine frühere Lebensweise von neuem auf. Das Heilverfahren schien mir sehr empfehlenswert und ich riet es einer Dame an. Sie war sehr leidend und wurde immer schwächer, bis ihr zuletzt keine Arznei mehr helfen wollte. Als ich ihr sagte, ich könnte sie ohne allen Zweifel in acht Tagen wieder gesund machen, bekam sie neuen Mut und versprach, meine Ratschläge pünktlich zu befolgen. Nun sagte ich ihr, sie solle vier Tage lang weder trinken, noch fluchen, noch rauchen, noch zu viel essen, dann würde sie ganz hergestellt sein. Und ich weiß, meine Prophezeiung wäre auch eingetroffen; aber sie meinte, sie könne nicht aufhören zu rauchen, zu fluchen und zu trinken, weil sie so etwas überhaupt noch nie getan hätte. Da lag der Hase im Pfeffer: sie besaß gar keine Angewohnheiten, an die sie sich jetzt hätte halten können. Da sie versäumt hatte sich rechtzeitig einen Vorrat anzulegen, der ihr im Notfall zu gute käme, war ihr nicht mehr zu helfen. Sie glich einem sinkenden Schiff, das keinen Ballast hat, den man über Bord werfen kann, um das Fahrzeug zu retten. Irgend ein paar schlechte Gewohnheiten hätten sie noch retten können, aber es fand sich nichts bei ihr vor, sie war die reinste moralische Bettlerin. Als sie noch jung genug war, um sich dies oder jenes anzugewöhnen, hinderten ihre Eltern sie daran, die zwar in der besten Gesellschaft lebten, aber die Unwissenheit selber waren. Man muß für dergleichen in der Kindheit sorgen; wenn erst Alter und Krankheit kommen, läßt sich nichts mehr nachholen, und man hat kein Mittel in der Hand, um sie zu bekämpfen. Als junger Mensch faßte ich, wie gesagt, oft die besten Vorsätze und gelobte auch sie auszuführen, aber ich habe es nie gekonnt, weil ich meine Gewohnheiten nicht bei der Wurzel packte und das böse Verlangen ausriß; mehr als einen Monat setzte ich die Tugend nie durch. Einmal versuchte ich Maß zu halten und eine Weile ging es auch gut. Ich hatte mich verpflichtet, täglich nur _eine_ Zigarre zu rauchen; das schob ich immer auf bis zur Schlafenszeit, und dann schmeckte sie mir wundervoll. Aber das Verlangen verfolgte mich Tag für Tag, vom Morgen bis zum Abend. Vor Ablauf einer Woche fing ich an, mich nach größern Zigarren umzusehen, als ich zu rauchen gewohnt war; dann wählte ich noch größere und immer größere. Als vierzehn Tage um waren, bestellte ich mir besondere Zigarren; sie wuchsen fort und fort. Am Ende des Monats war meine Zigarre zu solcher Länge und Dicke gediehen, daß ich sie als Krückstock hätte brauchen können. Da erkannte ich denn, daß es töricht sei, sich auf _eine_ Zigarre zu beschränken, weil es den Menschen doch nicht vor dem Verlangen schützt. Also warf ich mein Versprechen über den Haufen und war wieder ein freier Mann. Doch, um wieder auf den jungen Kanadier zu kommen: er war auf ›Monatsgeld gesetzt‹, eine Einrichtung, von der ich bisher noch nie gehört hatte und die ich mir von den Passagieren erklären ließ. Die angesehenen Familien in England und Kanada pflegen nämlich ihre Taugenichtse nicht auszustoßen, solange noch irgend welche Hoffnung für sie vorhanden ist. Schwindet aber endlich jede Aussicht auf Besserung, dann wird der Tunichtgut eingeschifft und bekommt nur so viel Geld in die Tasche -- nein, in des Zahlmeisters Tasche -- um die Reisebedürfnisse zu bestreiten. Erreicht er den Ort seiner Bestimmung, so erwartet ihn dort ein Monatsgeld, und vier Wochen später trifft wieder ein Wechsel im gleichen -- nicht sehr hohen -- Betrage ein. Damit pflegt er unverzüglich seine monatliche Kost und Wohnung zu bezahlen -- der Hauswirt sorgt dafür, daß er diese Pflicht nicht vergißt -- und den Rest noch am selben Abend zu verprassen. Dann treibt er sich müßig, voll Kummer, Not und Schwermut umher, bis der nächste Wechsel kommt. Ein solches Leben erweckt das tiefste Mitgefühl. Wir hatten noch zwei andere Taugenichtse an Bord, die aber dem Kanadier in keiner Weise glichen; sie besaßen weder seinen Verstand noch seine hübsche Außenseite, weder sein anständiges Wesen noch seine Entschlossenheit, Großmut und Höflichkeit. Der eine mochte etwa zwanzig Jahre zählen, war aber in Kleidung, Sitte und äußerer Erscheinung eine lebendige Ruine. Er behauptete der Sprößling eines herzoglichen Hauses in England zu sein, den man, um der Familie willen, nach Kanada eingeschifft hatte, wo er alsbald in Ungelegenheiten geraten war; jetzt wurde er nach Australien befördert. Einen Titel hatte er nicht, wie er sagte; im übrigen ging er jedoch sehr sparsam mit der Wahrheit um. Bei seiner Ankunft in Australien brachte er es gleich so weit, daß man ihn ins Loch steckte, und am nächsten Morgen gab er sich bei dem Verhör auf dem Polizeiamt für einen Grafen aus, konnte aber den Beweis für diese Behauptung nicht liefern. Zweites Kapitel. Im Zweifelsfall sprich die Wahrheit! _Querkopf Wilsons Kalender._ Am fünften Tag nachdem wir Victoria verlassen hatten, wurde das Wetter heiß und alle männlichen Passagiere an Bord erschienen in weißen Leinwandanzügen. Einige Tage später passierten wir den 25. Grad nördlicher Breite, worauf sämtliche Schiffsoffiziere auf Befehl die blaue Uniform ablegten und sich in weiße Leinwand kleideten. Auch die Damen waren bereits ganz in Weiß. Auf dem Promenadendeck sah es so verlockend kühl und vergnüglich aus, von allen den schneeweißen Kostümen, wie bei einem großen Picknick. Aus meinem Tagebuch: Es gibt mancherlei Uebel in der Welt, denen der Mensch nie ganz entfliehen kann, er mag reisen so weit er will. Ist man dem einen glücklich entgangen, so fällt man dem andern sicherlich in die Klauen. Die Lügengeschichten von Seeschlangen und Haifischen sind wir endlich los geworden, das ist ein tröstlicher Gedanke. Aber nun kommen wir in das Bereich des Bumerangs, und es wird uns wieder weh zu Mute. Der erste Offizier erzählte, er habe einen Mann gesehen, der sich vor seinem Feinde hinter einem Baum versteckte; aber der Feind schleuderte seinen Bumerang hoch in die Luft, daß er weit fortflog, dann kam er zurück, fiel herunter und tötete den Mann hinter dem Baum. Der nach Australien bestimmte Passagier hatte gesehen, wie dasselbe Geschick zwei Männer hinter zwei Bäumen ereilte und zwar mit ein und demselben Wurf des Bumerangs. Da bei dieser Behauptung alle schwiegen, weil sie ihnen zweifelhaft erschien, bekräftigte er sie noch durch die Mitteilung, daß sein Bruder einmal gesehen hätte, wie der Bumerang einen Vogel auf hundert Meter Entfernung getötet und ihn dann dem _Werfer gebracht hätte_. -- Es gibt keine Hilfe gegen derlei Uebel; man muß sie eben ertragen. Vom Bumerang ging das Gespräch auf Träume über -- gewöhnlich ein fruchtbares Thema zu Wasser und zu Land -- aber diesmal war der Ertrag nur gering. Dann kam man auf Fälle von außerordentlichem Gedächtnis zu reden, das hatte bessern Erfolg. Jemand erwähnte den blinden Tom, einen schwarzen Klavierspieler, der jedes noch so lange und schwierige Stück richtig spielen konnte, nachdem er es einmal gehört hatte. Ein halbes Jahr später konnte er es abermals fehlerlos vortragen, ohne es inzwischen gespielt zu haben. Das auffallendste Beispiel erzählte uns aber ein Herr, der im Stabe des Vizekönigs von Indien gedient hatte. Er las uns vieles aus seinem Notizbuch vor, wo er die ganze Begebenheit auf frischer Tat eingetragen hatte, damit er sie, wie er sagte, Schwarz auf Weiß besäße und nicht in Versuchung käme zu glauben, er habe sie geträumt oder erfunden. Der Vizekönig machte eine Rundreise, und unter den Festlichkeiten, die der Maharajah von Mysore ihm zu Ehren veranstaltete, war auch eine Vorstellung der Gedächtniskunst. Nachdem der Vizekönig mit dreißig Herren seines Gefolges in einer Reihe Platz genommen hatte, wurde der Gedächtniskünstler, ein vornehmer Mann aus der Brahminenkaste, hereingeführt und setzte sich ihnen gegenüber auf den Fußboden. Außer seiner eigenen Sprache konnte er nur Englisch, erbot sich aber, die gewünschten Gedächtnisproben auch in jeder beliebigen fremden Sprache abzulegen. Sein merkwürdiges Programm bestand in folgendem: Er ließ sich von einem Herrn ein Wort aus einem Satze sagen und den Platz angeben, den es darin einnahm. Das französische Wort _~est~_ wurde ihm genannt; es war in einem Satz von drei Wörtern das zweite. Ein anderer Herr gab ihm das deutsche Wort _verloren_, als das dritte in einem Satz von vier Wörtern. Von dem nächsten Herrn ließ er sich eine Zahl zum Addieren, dann eine zum Subtrahieren nennen, auch andere Ziffern aus allerlei Rechenexempeln. Ferner erhielt er einzelne Wörter aus dem Griechischen, Lateinischen, Spanischen, Portugiesischen, Italienischen und andern Sprachen, nebst den Angaben ihrer Stelle im Satze. Als ihm jeder der Anwesenden das Bruchstück eines Satzes oder eine Zahl genannt hatte, fing er wieder von vorne an und ließ sich das zweite Wort und seine Stellung im Satze und die zweite Zahl in der Rechnung nennen, und so immer fort. Wieder und wieder nahm er alles vom Anfang an durch, bis er die sämtlichen Teile der Exempel und Sätze beisammen hatte, aber natürlich ganz durcheinander, ohne irgend welche Reihenfolge. Das dauerte zwei Stunden lang. Nun starrte der Brahmine eine Weile schweigend und nachdenklich vor sich hin und begann hierauf alle Sätze in richtiger Wortstellung zu wiederholen, die verwirrten Zahlen der Rechenexempel zu ordnen und für jedes die entsprechende Lösung anzugeben. Beim Beginn der Vorstellung hatte er die Zuschauer aufgefordert, ihn zwei Stunden lang mit Mandeln zu bewerfen, er wolle dann sagen, wie viele jeder von den Herren geworfen habe. Dies unterblieb jedoch, weil der Vizekönig meinte, das Kunststück wäre ohnehin schon anstrengend genug, man brauche es nicht noch zu erschweren. Auch General Grant hatte ein treffliches Gedächtnis, besonders für Namen und Gesichter. Davon hätte ich ein Beispiel zum besten geben können, aber es fiel mir gerade nicht ein. Bald nach seiner ersten Wahl zum Präsidenten kam ich von der Küste des Stillen Ozeans in Washington an, wo ich fremd war und das Publikum noch nichts von mir wußte. Als ich nun eines Morgens am Weißen Hause vorüberging, begegnete mir ein Bekannter, ein Senator aus Nevada, der mich fragte, ob ich wohl Lust hätte, den Präsidenten zu sehen. Ich erwiderte, daß es mir sehr angenehm sein würde und wir traten ein. Wenn ich aber gedacht hätte, ich würde den Präsidenten von einer Menschenschar umgeben finden, so daß ich ihn von ferne in aller Gemütsruhe betrachten könnte, wie die Katz den Kaiser ansieht, so befand ich mich im Irrtum. Es war noch früh am Tage und ich ahnte nicht, daß der Senator sich ein Vorrecht seines Amtes zu nutze machen wollte, um das Staatsoberhaupt in seinen Arbeitsstunden zu stören. Ehe ich mich’s versah standen wir vor ihm, und außer uns dreien war niemand zugegen. General Grant erhob sich langsam vom Schreibtisch, legte die Feder hin und trat mit dem steinernen Ausdruck eines Mannes, der seit sieben Jahren nicht gelacht hat und auch in den nächsten sieben Jahren nicht zu lachen gedenkt, auf uns zu. Er schaute mich groß an, da schwand mir der Mut und ich senkte den Blick. Ich hatte noch nie einem bedeutenden Manne gegenüber gestanden und im Bewußtsein meiner eigenen Nichtigkeit überkam mich eine erbärmliche Angst. »Herr Präsident,« sagte der Senator, »darf ich mir erlauben, Ihnen Herrn Clemens vorzustellen?« Der Präsident hielt meine Hand einen Augenblick teilnahmslos in der seinen und ließ sie wieder los; er sprach kein Wort und stand nur stocksteif da. In meiner Not fiel mir auch nicht das geringste ein, was ich hätte sagen können und ich wünschte mich hundert Meilen weit weg. Es folgte eine unangenehme, trübselige, entsetzliche Pause. Da kam mir ein Gedanke; ich sah empor in sein unbewegliches Gesicht und sagte schüchtern: »Herr Präsident, ich -- ich bin in rechter Verlegenheit. Sie wohl auch?« Seine Züge erhellten sich -- nur ganz wenig -- der schwache Schimmer eines Lächelns, der volle sieben Jahre zu früh kam, blitzte darin auf. So schnell wie er wieder verschwand, war auch ich zur Türe hinaus. Zehn Jahre darauf sah ich Grant zum zweitenmal. Ich war inzwischen eine bekannte Persönlichkeit geworden und hatte den Auftrag erhalten, bei einem Bankett, das die Armee von Tennessee dem General nach seiner Rückkehr von der Reise um die Welt in Chicago gab, einen längeren Toast auszubringen. Mitten in der Nacht war ich angekommen und stand morgens spät auf. Alle Treppen und Gänge des Hotels waren dicht voll Menschen, die General Grant erwarteten, der sich auf den für ihn bestimmten Platz begeben sollte, wo der große Festzug vorüberzog. Ich drängte mich an einer ganzen Reihe von überfüllten Wohnzimmern vorbei, bis ich endlich an der Ecke des Hauses ein offenes Fenster sah, das auf eine geräumige, mit Teppichen und Fahnen geschmückte Plattform hinausging. Als ich sie betrat, gewahrte ich unter mir Millionen von Menschen, welche die Straßen besetzt hatten; weitere Millionen schauten aus allen Fenstern und von den Hausdächern rings umher. Diese Menschenmassen hielten mich alle für General Grant und brachen in donnernde Hochrufe aus. Es war aber ein sehr guter Platz um den Festzug zu sehen, deshalb blieb ich dort. Nicht lange, so ertönte von ferne Militärmusik; der Zug kam die Straße herauf und machte sich Bahn durch die jubelnde Menge. An der Spitze ritt Sheridan, die kriegerischste Gestalt aus dem ganzen Feldzug, in seiner Generalleutnants-Uniform. Da trat General Grant Arm in Arm mit Major Harrison auf die Plattform; ihm folgten paarweise im Galaanzug die Mitglieder des Empfangskomités mit ihren Abzeichen. Der General sah genau so aus wie vor zehn Jahren bei jenem unangenehmen Besuch, eisern und unnahbar in seiner unerschütterlichen Selbstbeherrschung. Harrison kam und führte mich zu Grant, dem er mich feierlich vorstellte. Aber ehe ich noch die passenden Worte finden konnte, sagte der General: »Herr Clemens, Sie sind wohl in Verlegenheit? Ich nicht.« Und dabei blitzte wieder, wie vor zehn Jahren, jenes schwache Lächeln in seinen Zügen auf. Seitdem sind siebzehn Jahre vergangen, und während ich dies schreibe ist ganz New York auf den Straßen versammelt, um den sterblichen Ueberresten des großen Kriegers, die man zu ihrem letzten Ruheplatz unter dem Denkmal trägt, das Ehrengeleit zu geben. Kanonenschüsse und Trauergeläute schallen durch die Lüfte und viele Millionen Amerikaner gedenken des Mannes, der die Union gerettet, ihr Banner hochgehalten und der Volksregierung zu neuem Leben verholfen hat, so daß sie unter den segensreichen menschlichen Institutionen ihren Platz dauernd behaupten wird, wie wir hoffen und glauben. Eine Geschichte ohne Ende. Abends, wenn wir Männer uns nach dem öden, einförmigen Tageslauf im Rauchzimmer erfrischen wollten, vertrieben wir uns manchmal die Zeit damit, unvollendete Geschichten zu vervollständigen. Das heißt, jemand erzählte eine Geschichte bis auf das Ende und die andern versuchten den Schluß aus eigener Erfindung zu ergänzen. Wenn jeder, der wollte, seine Lesart zum besten gegeben hatte, fügte der erste Erzähler den ursprünglichen Schluß hinzu und überließ uns die Wahl. Manchmal gefiel uns eines der neuen Enden besser als das alte. _Eine_ Geschichte jedoch, mit der wir uns am eifrigsten und längsten beschäftigten, hatte überhaupt keinen Schluß, man konnte daher auch keinen Vergleich anstellen, ob eine unserer Erfindungen besser gewesen wäre. Der Erzähler sagte, er könne die einzelnen Tatsachen nur bis zu einem gewissen Punkte berichten, weiter wisse er selber nichts. Er hätte die Geschichte vor fünfundzwanzig Jahren gelesen, sei aber unterbrochen worden, ehe er ans Ende kam. Nun wolle er demjenigen, der einen befriedigenden Schluß dazu fände, fünfzig Dollars geben; wir möchten Richter aus unserer Mitte wählen, die zu entscheiden hätten, wem der Preis gebühre. Das taten wir und gingen der Geschichte wacker zu Leibe; aber, obgleich wir uns dies und jenes Ende ausdachten, so verwarfen die Richter doch alles, was vorgebracht wurde -- und sie hatten recht. Einen befriedigenden Schluß für diese Geschichte hätte nur der Verfasser selbst möglicherweise finden können, und wenn ihm das gelungen ist, so möchte ich wohl wissen wie. Ihr Inhalt ist etwa folgender: John Brown, ein guter, sanfter, ängstlicher und schüchterner Mensch von einunddreißig Jahren, wohnte in einem friedlichen Dorfe des Staates Missouri, wo er das Amt eines Vorstands der presbyterianischen Sonntagsschule bekleidete. Das war an sich nichts Großes, aber doch das Einzige, womit er in die Öffentlichkeit trat. Er betrieb es mit Treue und Eifer und war in aller Bescheidenheit stolz darauf. Jedermann kannte seine große Menschenfreundlichkeit und die Leute sagten, er sei ganz aus Güte und Schüchternheit zusammengesetzt. Auf seine Hilfe könne man immer rechnen, wo sie gebraucht werde und auch auf seine Schüchternheit, mochte sie am Platze sein oder nicht. Mary Taylor, ein sittsames, liebenswürdiges und schönes Mädchen von dreiundzwanzig Jahren, war sein ein und alles, und auch ihr Herz gehörte ihm fast ganz. Noch schwankte sie zwar, ob sie ihm ihr Jawort geben sollte, aber er war doch voller Hoffnung. Ihre Mutter hatte im Anfang allerlei Einwendungen gehabt; jetzt neigte sie sich zu seinen Gunsten. Offenbar hatte sein warmes Interesse für ihre beiden Schützlinge und seine Beisteuer zu deren Unterhalt ihr Herz gerührt und erobert. Diese Schützlinge waren nämlich zwei alte einsame Schwestern, die in einer Holzhütte an einem entlegenen Kreuzweg, vier Meilen weit von Frau Taylors Farm wohnten. Eine der Schwestern war irrsinnig und manchmal sogar gewalttätig, aber das kam nicht häufig vor. Eines Tages glaubte Brown, daß der rechte Augenblick für den entscheidenden Antrag gekommen sei. Er nahm allen Mut zusammen und beschloß, der Mutter, um sie günstig zu stimmen, die doppelte Summe wie gewöhnlich zu überreichen. War erst ihr Widerstand gebrochen, so durfte er eines schnellen Sieges gewiß sein. An einem schönen Sonntagnachmittag machte er sich also bei mildem Sommerwetter auf den Weg, gehörig ausstaffiert, wie es die Gelegenheit verlangte. Er war ganz in weiße Leinwand gekleidet, trug ein blaues Band als Krawatte und enge Lackstiefel; sein Einspänner war der feinste aus dem ganzen Mietstall, mit einer nagelneuen, weißleinenen Wagendecke, deren breiter, gestickter Rand an Schönheit und Kunst seinesgleichen suchte. Schon war er vier Meilen gefahren, als er in einsamer Gegend über eine hölzerne Brücke kam; da flog ihm der Strohhut vom Kopfe, fiel in den Fluß und wurde stromabwärts getrieben, bis er an einem Balken hängen blieb. Brown besann sich, was er tun sollte; den Hut mußte er wiederbekommen, das verstand sich von selbst, aber wie ließ sich das bewerkstelligen? Da kam ihm ein Gedanke. Die Straße war menschenleer, nichts regte sich. Ja, er wollte es wagen. Nachdem er sein Tier an den Rain geführt hatte, wo es nach Belieben grasen konnte, zog er sich aus, legte seine Kleider in den Wagen, streichelte dem Pferde den Hals, zum Zeichen beiderseitigen Wohlwollens, und eilte zum Fluß. Er schwamm nach dem Balken und gelangte rasch wieder in Besitz seines Hutes; als er aber ans Ufer zurückkehrte, waren Pferd und Wagen fort. Der Schrecken fuhr ihm in alle Glieder. Da er aber sah, wie das Pferd im Schritt den Weg weiter verfolgte, trabte er hinterdrein. »Halt, halt,« rief er, »warte mein gutes Tier!« Aber so oft er nahe genug herankam und sich im Sprung auf den Wagen schwingen wollte, lief das Pferd schneller und vereitelte sein Bemühen. In Todesangst rannte der nackte Mann immer weiter, jeden Augenblick fürchtend, einen Menschen zu Gesicht zu bekommen. Er bat, er beschwor das Tier stillzustehen; aber erst als er nicht mehr weit von Frau Taylors Behausung war, gelang es ihm endlich, in den Wagen zu springen. Rasch warf er das Hemd über, band seine Krawatte um, schlüpfte in den Rock und langte nach den -- aber ach, zu spät! Er setzte sich plötzlich nieder und zog die Wagendecke in die Höhe, denn er sah jemand durch das Hoftor kommen -- eine Frau, wie ihm schien. Eilig lenkte er das Pferd zur Linken auf den Kreuzweg. Der war schnurgerade und von allen Seiten sichtbar, aber in einiger Entfernung kam eine Waldecke, wo die Straße eine scharfe Krümmung machte. Er pries sich glücklich, als er die Stelle erreicht hatte, ließ das Pferd im Schritt gehen und langte nach den Ho -- aber leider wiederum zu spät. Gerade als er um die Ecke bog, stieß er auf Frau Enderby, Frau Glossop, Frau Taylor und Mary, die zu Fuß einherkamen und sehr müde und aufgeregt schienen. Sie traten an den Wagen, schüttelten Brown die Hand und versicherten alle zusammen aufs lebhafteste, wie froh sie wären ihn zu sehen und was für ein Glück es sei, daß er da wäre. Frau Enderby fügte mit großem Nachdruck hinzu: »Mag es auch wie ein Zufall aussehen, daß er gerade jetzt kommt, so halte ich es doch für eine Sünde, das anzunehmen -- nein, er ist uns gewißlich vom Himmel gesendet.« Alle waren gerührt und Frau Glossop flüsterte mit ehrfurchtsvoller Scheu: »Da hast du ein wahres Wort gesprochen, Sarah Enderby. Es ist kein Zufall, sondern die Vorsehung hat es so gewollt. Als Engel hat sie ihn uns geschickt; er kommt als ein Retter und Befreier. Nun soll mir noch jemand sagen, daß es keine besonderen Fügungen des Himmels gibt; wir haben hier den klarsten Beweis vor uns.« »Ja,« fiel Frau Taylor begeistert ein, »das ist auch meine Ueberzeugung. Wahrhaftig, John Brown, ich könnte vor Ihnen niederknieen und Sie anbeten. Fühlten Sie es nicht im Herzen -- trieb Sie nicht eine innere Stimme hierher? O, ich könnte den Saum Ihrer Wagendecke küssen.« Er brachte kein Wort heraus; Scham und Furcht lähmten ihm die Zunge. »Mag man die Sache betrachten wie man will, Julia Glossop,« fuhr Frau Taylor fort, »in allem läßt sich die Hand der Vorsehung sichtbarlich erkennen. Gegen Mittag sahen wir den Rauch aufsteigen. ›Die Hütte der alten Schwestern brennt, Julia‹, sagte ich. Nicht wahr, du kannst es bezeugen?« »Jawohl, Nancy, ich stand dicht bei dir und habe es deutlich gehört. Du warst ganz blaß geworden und sahst so weiß aus wie hier die Wagendecke.« »Kein Wunder! Und dann rief ich Mary zu, der Knecht solle gleich das Gefährt anspannen, wir müßten den Aermsten zu Hilfe eilen. Aber der war aufs Land gefahren, um seine Angehörigen zu besuchen. Ich hatte ihm selbst erlaubt, über den Sonntag zu bleiben, es jedoch ganz vergessen. So gingen wir denn zu Fuß und trafen Sarah unterwegs.« »Ja, und ich ging mit euch,« fiel Frau Enderby ein. »Wir fanden die Hütte in Asche liegen; die Irrsinnige hatte sie in Brand gesteckt. Die beiden alten Geschöpfe waren so schwach und hinfällig, daß wir sie nicht mitnehmen konnten. Wir führten sie an einen schattigen Platz, machten es ihnen behaglich so gut es ging und zerbrachen uns den Kopf, wie wir es anfangen sollten, um sie bis nach Nancys Haus zu schaffen. Da brach ich das Schweigen, und wißt ihr noch, was ich gesagt habe? ›Wir wollen es der Vorsehung anheimstellen!‹ Ja, das waren meine Worte.« »Richtig, das hatte ich ganz vergessen. So wahr ich lebe, du hast es gesagt. Wie wunderbar!« »Dann sind wir zusammen zwei Meilen weit bis zu Mosleys gegangen, aber wir fanden niemand zu Hause, alle waren im Feldgottesdienst. Wir kamen die zwei Meilen zurück und dann noch eine Meile hieher. Und nun schickt uns die Vorsehung Hilfe in der Not, das seht ihr ja selbst.« Alle blickten einander an, hoben die Hände empor und riefen wie aus einem Munde: »Es ist zu wunderbar!« »Wie wollen wir es nun aber machen?« fragte Frau Glossop. »Soll Herr Brown die alten Schwestern einzeln zu Frau Taylor fahren oder sie alle beide auf einmal in den Wagen setzen und das Pferd am Zügel führen?« Brown holte tief Atem. »Ja, das ist recht schwierig zu entscheiden,« meinte Frau Enderby. »Wir sind alle todmüde, und wenn Herr Brown die beiden schwachen Geschöpfe in den Wagen heben soll, so muß eine von uns mitgehen und ihm helfen; allein bringt er das nicht fertig.« »Wie wär’s denn aber, wenn ich mit Herrn Brown hinführe?« sagte Frau Taylor, »und ihr andern ginget nach meinem Haus, um alles in Bereitschaft zu setzen? Wir heben die eine Alte zusammen in den Wagen und fahren mit ihr --« »Wer wird denn aber unterdessen auf die andere acht geben?« fragte Frau Enderby. »Sie kann doch nicht allein im Walde bleiben -- die Irrsinnige schon gar nicht. Bis man hin- und zurückkommt dauert’s gute anderthalb Stunden.« Alle hatten sich, um auszuruhen, neben den Wagen ins Gras gesetzt und dachten schweigend nach, um einen Ausweg zu finden. »Jetzt hab’ ich’s,« rief endlich Frau Enderby, frohlockend. »Daß wir nicht mehr zu Fuß gehen können ist klar; seit Mittag haben wir neun Meilen zurückgelegt ohne einen Bissen zu essen -- vier Meilen hin, zwei Meilen zu Mosley macht sechs, und dann noch bis hierher -- es ist kaum zu glauben! Also, eine von uns muß mit Herrn Brown hinfahren und mit einer Alten zurückkommen; Brown leistet der anderen Gesellschaft. Die übrigen gehen nach Nancys Wohnung, ruhen sich aus und warten; dann fährt eine von uns zurück, holt die andere Alte, und Herr Brown geht zu Fuß.« »Vortrefflich,« riefen die Damen, »das können wir tun, so läßt sich’s machen!« Frau Enderbys Plan ward sehr gelobt, und um ihren Scharfsinn zu ehren, beschloß man, daß sie zuerst mit Brown zurückfahren solle. Glücklich und leichten Herzens standen alle vom Rasen auf, strichen ihre Kleider glatt und schickten sich zur Heimkehr an, während Frau Enderby schon den Fuß auf den Wagentritt setzte, um einzusteigen. Da endlich konnte Brown Worte finden und stieß keuchend hervor: »Bitte, rufen Sie die Damen zurück -- ich fühle mich unwohl -- ich kann nicht zu Fuß gehen -- es ist mir völlig unmöglich.« »O, lieber Herr Brown, Sie sehen wirklich ganz blaß aus! Weshalb habe ich das nur nicht gleich bemerkt? Kommt alle zurück, hört ihr! Herr Brown ist krank. Ach, es tut mir so leid. Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie Schmerzen?« »Nein, o nein, mir fehlt nichts, ich fühle mich nur in letzter Zeit zu schwach -- sonst hat es gar nichts auf sich.« Die Damen kehrten um und waren voller Teilnahme und Mitgefühl. Auch machten sie sich bittere Vorwürfe, weil ihnen Browns blasses Aussehen nicht sofort aufgefallen war. Augenblicklich entwarfen sie einen neuen Plan und kamen bald überein, daß es sich so am allerbesten machen würde: Zuerst wollten sie alle zu Frau Taylor gehen; dort sollte sich Herr Brown im Wohnzimmer auf das Sofa legen und sich von Mary und ihrer Mutter pflegen lassen, während die andern Damen erst eine der alten Schwestern abholten und dann die andere, welcher eine von ihnen inzwischen Gesellschaft geleistet hatte, und -- Unter solchen Beratungen waren sie zu dem Pferde getreten und schickten sich an, den Wagen zu wenden. Aber in der höchsten Gefahr fand Brown die Stimme wieder und das war seine Rettung. »Meine Damen,« sagte er, »Sie übersehen einen Umstand, der den Plan unausführbar macht. Wenn Sie die eine alte Schwester nach Hause bringen und jemand mit der anderen dort bleibt, so sind drei Personen an Ort und Stelle, wenn eine von Ihnen zurückkommt, um die andere Alte zu holen. Aber drei haben nicht Platz im Wagen und jemand muß doch kutschieren.« »Ganz recht, so ist es,« riefen alle in großer Bestürzung. »Was sollen wir nur anfangen?« sagte Frau Glossop seufzend; »eine so verwickelte Geschichte ist mir noch nie vorgekommen. Die Sache mit dem Wolf, der Ziege und dem Kohlkopf ist dagegen nur ein Kinderspiel.« Ganz ermattet setzten sie sich abermals nieder, um sich aufs neue das Hirn zu zermartern und einen Ausweg zu suchen. Mary hatte bisher noch keinen Vorschlag gemacht, endlich tat sie aber den Mund auf: »Ich bin jung, stark und gut zu Fuße,« sagte sie, »auch habe ich jetzt eine Weile ausgeruht. Bringt Herrn Brown in unser Haus und sorgt für ihn -- man sieht ihm ja an, wie sehr er der Pflege bedarf. Inzwischen will ich die beiden Alten behüten, in einer halben Stunde kann ich dort sein. Ihr andern aber führt unsern ersten Plan aus und paßt auf, bis ein Wagen auf der Landstraße vorbeifährt, den schickt ihr hin und laßt uns alle drei holen. Die Pächter kommen jetzt bald aus der Stadt zurück, da braucht ihr nicht lange zu warten. Der alten Polly will ich schon zureden, daß sie Geduld hat und guten Mutes bleibt -- bei der Irrsinnigen ist das nicht nötig.« Der Plan ward reiflich erwogen und gut befunden; etwas Besseres ließ sich unter den Umständen nicht tun, und den beiden Alten wurde gewiß die Zeit schon lang. Brown fühlte sich wie erlöst und von Herzen dankbar. Wenn er nur erst auf der Landstraße war, wollte er schon Mittel und Wege finden, dem Unheil zu entgehen. »Die Abendkühle wird früh hereinbrechen,« sagte jetzt Frau Taylor, »und die armen Abgebrannten haben nichts, um sich zu erwärmen. Nimm die Wagendecke mit, liebes Kind, das ist wenigstens ein Notbehelf.« »Das kann ich ja tun, Mutter, wenn du meinst,« versetzte Mary. Sie trat zum Wagen und streckte die Hand nach der Decke aus -- * * * * * Weiter ging die Geschichte nicht. Der Passagier, der sie uns erzählte, sagte, er sei vor fünfundzwanzig Jahren, als er sie im Eisenbahnwagen las, an diesem Punkt unterbrochen worden, weil der Zug von einer Brücke ins Wasser stürzte. Zuerst glaubten wir, es würde ein Leichtes sein, die Geschichte zu Ende zu bringen und gingen sehr zuversichtlich ans Werk. Bald stellte sich jedoch heraus, daß die Sache keineswegs so einfach war, sondern im Gegenteil höchst verworren und schwierig. Daran war Browns Charakter schuld -- seine Großmut und Güte, verbunden mit außerordentlicher Schüchternheit und Befangenheit, besonders in Gegenwart von Damen. Ferner kam seine Liebe zu Mary mit ins Spiel, die zwar sehr hoffnungsvoll, aber noch keineswegs der Erhörung sicher war -- das heißt, gerade in einem Stadium, wo die größte Vorsicht geboten schien, um weder einen Mißgriff zu begehen, noch Anstoß zu erregen. Und es galt die Mutter zu berücksichtigen, die noch schwankte, ob sie einwilligen solle, und die sich vielleicht jetzt oder nie gewinnen ließ, wenn man sie geschickt zu behandeln wußte. Im Walde warteten die beiden hilflosen Alten -- ihr Schicksal und Browns künftiges Lebensglück hing von der nächsten Sekunde ab. Mary streckte die Hand nach der Wagendecke aus; es war keine Zeit zu verlieren. Natürlich konnte der Preis nur jemand zuerkannt werden, der die Sache zu einem glücklichen Ende brachte. Browns Ansehen bei den Damen durfte nicht geschmälert, seine Selbstlosigkeit nicht in Frage gestellt, sein Anstandsgefühl nicht verletzt werden. Er mußte helfen die beiden Alten aus dem Walde zu holen, so daß man ihn als ihren Wohltäter pries, sein Lob in aller Munde war und sein Name mit Stolz und Freude genannt wurde. Wir versuchten es so einzurichten; aber auf allen Seiten stellten sich uns unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Natürlich würde Brown aus Scham und Befangenheit die Wagendecke nicht hergeben wollen. Dies mußten Mary und ihre Mutter übel nehmen, und auch die anderen Damen würden sich sehr darüber verwundern, denn ein solches Benehmen, wo es den unglücklichen Alten zu helfen galt, paßte nicht zu Browns Charakter; er war ja als Engel vom Himmel gesandt und konnte unmöglich so eigennützig handeln. Hätte man eine Erklärung von ihm verlangt, so wäre er viel zu schüchtern gewesen, um die Wahrheit zu bekennen, und aus Mangel an Uebung und Erfindungsgeist würde ihm keine glaubhafte Lüge eingefallen sein. Wir arbeiteten bis drei Uhr morgens an dem schwierigen Problem herum; aber noch immer langte Mary nach der Wagendecke. Da gaben wir es auf und ließen sie weiter die Hand danach ausstrecken. -- Nun kann sich der Leser selbst das Vergnügen machen, zu entscheiden, was aus der Sache geworden ist. Am siebenten Tage unserer Fahrt sahen wir eine ungeheure dunkle Masse in schwachen Umrissen aus den Fluten des Stillen Ozeans aufsteigen und wußten, daß dies gespenstische Vorgebirge der Diamantfels war, den ich zuletzt vor neunundzwanzig Jahren erblickt hatte. Wir näherten uns also Honolulu, der Hauptstadt der Sandwichinseln, die für mich das Paradies waren; ich hatte die ganze lange Zeit über gewünscht, sie noch einmal wiederzusehen. Nichts in der weiten Welt hätte mich so aufregen können, wie der Anblick jenes Bergriesen. Bei Nacht gingen wir eine Meile vom Ufer vor Anker. Durch meine Kajütenfenster konnte ich die Lichter von Honolulu funkeln sehen; zur Rechten und Linken dehnten sich schwarze Gebirgszüge aus. Das schöne Nuuana-Tal vermochte ich nicht zu entdecken, aber ich wußte, wo es lag und sah es in der Erinnerung noch deutlich vor mir. Wir jungen Leute pflegten dies Tal öfters zu Pferde zu durchstreifen und in einer sandigen Gegend, wo König Kamehameha eine seiner ersten Schlachten geschlagen hatte, Totenknochen zu sammeln. Das war ein merkwürdiger Mensch; merkwürdig nicht nur als König, sondern auch als Barbar. Noch ein kleiner, unbedeutender Fürst, als Kapitän Cook 1778 ins Land kam, faßte er vier Jahre später den Entschluß, ›seine Machtsphäre auszudehnen‹. Dies ist die beliebte Redewendung, durch die man heutzutage bezeichnet, daß jemand Raub an seinem Nachbar begeht, und zwar zu dessen eigenem Vorteil -- eine Wohltätigkeitsvorstellung, bei welcher als Ort der Handlung hauptsächlich Afrika benützt wird. Kamehameha unternahm einen Kriegszug, vertrieb im Lauf von zehn Jahren alle andern Könige und machte sich zum Herrn der sämtlichen neun oder zehn Inseln, welche die Gruppe der Sandwichinseln bilden. Aber er tat noch mehr. Er kaufte Schiffe, belud sie mit Sandelholz und andern heimischen Produkten und schickte sie bis nach Südamerika und China. Die fremden Stoffe, Werkzeuge und Gerätschaften, welche die Schiffe zurückbrachten, verkaufte er an seine Wilden und wurde so der Begründer der Zivilisation. Ob die Geschichte irgend eines andern Barbaren Aehnliches aufzuweisen hat, möchte ich bezweifeln. Die Wilden sind meist eifrig bemüht, dem weißen Manne neue Methoden abzulernen, wie sie einander umbringen können; aber seine höheren und edleren Anschauungen pflegen sie sich nicht anzueignen. Bei Kamehameha sehen wir dagegen, daß er stets bemüht war, alles gründlich zu untersuchen, was ihm die Weißen Neues boten, und unter den Proben, die er zu Gesicht bekam, eine einsichtsvolle Auswahl zu treffen. Nach meiner Meinung bewies er dabei weit größeren Scharfsinn als sein Sohn und Nachfolger Liholiho. Dieser hätte sich vielleicht zum Reformator geeignet, aber als König verfehlte er seinen Beruf, und zwar, weil er zugleich König und Reformator sein wollte. Das heißt aber, Feuer und Schießpulver untereinander mischen. Ein König sollte sich verständigerweise mit Reformen nichts zu schaffen machen. Das Beste, was er tun kann, ist, die Zustände zu lassen wie sie sind, und wo das nicht angeht, sie möglichst zu verschlechtern. Ich sage das nicht nur obenhin, denn ich habe mir die Sache reiflich überlegt, damit ich, falls sich mir einmal die Gelegenheit bietet König zu werden, gleich weiß, wie ich es am besten anzugreifen habe. Als Liholiho seinem Vater in der Regierung folgte, fand er sich im Besitz königlicher Vorrechte und Befugnisse, die ein weiserer Fürst verstanden hätte mit Vorteil auszunützen. Im ganzen Reich herrschte nur _ein_ Szepter, das er in Händen hielt, und _eine_ Staatskirche, deren Haupt er war. Den Oberbefehl seines Heeres, das aus 114 Gemeinen, 27 Generalen und einem Feldmarschall bestand, führte er allein. Ein stolzer alter Erbadel war im Lande ansässig. Und dann gab es noch eine merkwürdige Einrichtung, welche ›Tabu‹ genannt wurde. Dies war eine geheimnisvolle und furchtbare Macht, wie sie kein europäischer Monarch jemals besessen hat, ein Mittel und Werkzeug von unschätzbarem Wert für den Gewalthaber. Liholiho war auch Herr und Meister des ›Tabu‹. Es war die wirksamste und sinnreichste Erfindung, die je gemacht worden ist, um die Ansprüche des Volkes in bescheidenen Grenzen zu halten. Dies ›Tabu‹ (das Wort bedeutet ein Ding, das verboten ist) verlangte, daß beide Geschlechter in verschiedenen Häusern wohnten; aber essen durften sie nicht in den Häusern, dazu gab es einen andern Ort. Es untersagte den Frauen, ihres Mannes Haus zu betreten. Auch durften beide Geschlechter nicht zusammen essen; zuerst aßen die Männer, und die Weiber mußten sie bedienen. Dann konnten die Weiber essen, was übrig blieb -- wenn überhaupt noch etwas da war -- und sich selbst bedienen. Das heißt, sie bekamen nur die Reste der gröbsten, unschmackhaftesten Kost. Alle guten, leckern und auserlesenen Eßwaren, wie Schweinefleisch, Geflügel, Bananen, Kokosnüsse, die bessern Fischsorten und dergleichen, bestimmte das ›Tabu‹ ausschließlich zur Speise für die Männer. Die Weiber mußten sich ihr Lebenlang mit einem ungestillten Sehnen danach begnügen, und mußten sterben ohne je zu erfahren, wie das alles schmeckte. Diese Regeln waren, wie man sieht, sehr klar und verständlich, auch leicht zu behalten, und nützlich. Denn auf jeder Uebertretung eines Verbots aus der ganzen Liste stand Todesstrafe. Was Wunder, wenn die Frauen es gern zufrieden waren, Haifische, Hundefleisch und Torowurzeln zu verzehren, da sie andere Nahrungsmittel so teuer bezahlen mußten. Dem Tode verfiel, wer über verbotenen Grund und Boden ging, wer einen vom ›Tabu‹ geheiligten Gegenstand durch seine Berührung entweihte, wer einem Häuptling nicht kriechende Ehrerbietung zollte oder auf des Königs Schatten trat. Edelleute, Priester und Könige hängten immer bald hier bald da kleine Lappen auf, um dem Volke kund zu tun, daß der Ort oder das Ding mit ›Tabu‹ belegt war und der Tod in der Nähe lauerte. Der Kampf ums Dasein muß wohl zu jener Zeit auf den Inseln höchst ungewiß und schwierig gewesen sein. Alle diese Vorteile besaß der neue König, und was war das erste, das er nach seinem Regierungsantritt tat? Er rottete die Staatskirche mit Stumpf und Stil aus. Bildlich gesprochen glich er einem Seemann, der sein wackeres Schiff verbrennt und sich einem unsicheren Floß anvertraut. Jene Kirche war eine gräßliche Anstalt, die das ganze Land aufs schwerste bedrückte, und durch düstere, geheimnisvolle Drohungen alles in Furcht und Zittern erhielt. Sie schlachtete ihre Opfer an den Altären greulicher Götzen aus Holz oder Stein; sie ängstigte und schreckte das Volk und zwang es zu sklavischer Unterwürfigkeit gegen die Priester und durch diese gegen den König! Wahrlich, eine bessere und zuverlässigere Stütze hätte sich kein König wünschen können! Wenn ein berufsmäßiger Reformator die furchtbare, verderbliche Gewalt dieser Kirche zerstörte, so gebührte ihm Lob und Preis; aber ein König, der das unternahm, verdiente den schwersten Tadel, dem sich höchstens ein Gefühl des Mitleids zugesellen könnte, daß er so ganz und gar untauglich für seine Stellung war. Weil er die Torheit beging, seine Staatskirche abzuschaffen und ihre Götzen zu verbrennen, ist das Königreich jetzt zur Republik geworden. Das kommt davon! Zwar läßt sich nicht leugnen, daß es einen Fortschritt in der Zivilisation und zum Wohl seines Volkes bedeutete, aber geschäftsmäßig war es nicht, sondern höchst unköniglich und einfältig. Es brachte auch seinem Hause großen Verdruß. Noch rauchten die verbrannten Götzen auf den Altären, als amerikanische Missionäre ins Land kamen. Sie fanden das Volk ohne Religion und beeilten sich dem Mangel abzuhelfen, indem sie ihm ihre eigene Religion darboten, die mit Dank angenommen wurde. Aber dem unumschränkten Königtum gewährte sie keine Stütze und seit jener Stunde begann seine Herrschermacht zu sinken. Als ich siebenundvierzig Jahre nachher auf die Inseln kam, stellte Kamehameha V. gerade den Versuch an, Liholihos Mißgriff wieder gut zu machen, aber es gelang ihm nicht. Er errichtete eine Staatskirche und trat als Haupt derselben auf, doch war das nichts als Flickwerk und unechte Nachahmung -- eine Seifenblase, ein leeres Schaugepränge. Die Kirche besaß keine Macht und brachte dem Könige keinen Nutzen. Sie konnte das Volk weder aussaugen noch verbrennen und totschlagen; der wunderbaren Maschinerie, welche Liholiho zerstört hatte, glich sie in keiner Weise. Es war eine Staatskirche ohne Gemeinde, denn das ganze Volk bestand aus Nonkonformisten. Das Königtum selbst war schon längst nur noch ein bloßer Name und Schein. Die Missionäre hatten es frühzeitig in eine Art Republik verwandelt, und in letzter Zeit haben es die handeltreibenden Weißen ganz und gar zum Freistaat gemacht. In Kapitän Cooks Zeit (1778) schätzte man die eingeborene Bevölkerung auf 400000 Köpfe, 1836 betrug sie noch etwa 200000, 1866 kaum 50000 und die heutige Volkszählung weist 25000 auf. Alle einsichtsvollen Leute rühmen Kamehameha I. und Liholiho, weil sie ihrem Volke die Zivilisation zum Geschenk gemacht haben. Natürlich würde ich das auch tun, wäre nicht mein Verstand durch Ueberarbeitung jetzt etwas in die Brüche geraten. Als ich vor fast einem Menschenalter in Honolulu war, verkehrte ich dort mit einem jungen amerikanischen Ehepaar, das ein allerliebstes Söhnchen hatte; leider konnte ich mich mit dem Knaben nicht viel abgeben, weil er kein Englisch verstand. Er hatte von Geburt an auf der Pflanzung seines Vaters mit den kleinen Kanakas gespielt und solches Wohlgefallen an ihrer Sprache gefunden, daß er keine andere lernen wollte. Einen Monat nach meiner Ankunft zog die Familie von der Insel fort und alsbald vergaß der Knabe die Kanakasprache und lernte Englisch; im zwölften Jahre konnte er kein Wort Kanaka mehr. Neun Jahre später, als er einundzwanzig war, traf ich mit der Familie an einem der Seen im Staate New York zusammen, und die Mutter erzählte mir von einem Erlebnis, das ihr Sohn kürzlich gehabt hatte. Er war Taucher von Beruf. Bei einem Sturm auf dem See war ein Passagierdampfer mit Mann und Maus untergegangen, und einige Tage darauf ließ sich der junge Mann in vollem Taucheranzug in die Tiefe und betrat den Speisesaal des Bootes. Er stand auf der Kajütentreppe, hielt sich mit der Hand am Geländer fest und starrte in die düstere Flut. Da berührte ihn von hinten etwas an der Schulter; er wandte sich um und sah einen Toten, der dicht neben ihm auf und nieder tanzte und ihn forschend zu betrachten schien. Der Schrecken lähmte ihm alle Glieder. Er hatte, ohne es zu wissen, beim Herabtauchen das Wasser bewegt, und nun sah er von allen Seiten Leichen auf sich zuschwimmen, die mit dem Kopfe wackelten und sich hin- und herwälzten, wie schlaflose Menschen zu tun pflegen. Ihm schwanden die Sinne; er wurde in bewußtlosem Zustand wieder an die Oberfläche gezogen und verfiel in eine Krankheit. Mehrere Tage lang redete er in seinen Fieberphantasien unaufhörlich und fließend in der Kanakasprache und kein Wort Englisch. Auch als man mich an sein Bett führte, sprach er mit mir Kanaka, was ich natürlich nicht verstand. Wir wissen aus medizinischen Büchern, daß derartige Fälle nicht selten vorkommen; da sollten die Aerzte doch nach einem Mittel forschen, um solche Resultate öfter erzielen zu können. Wie viele Sprachen und Tatsachen geraten in unsern Köpfen in Vergessenheit und kommen nie wieder zum Vorschein, bloß weil man dies Mittel nicht kennt! Während wir die Nacht über bei der Insel vor Anker lagen, tauchten allerlei Erinnerungen an Honolulu wieder in mir auf. Entzückende Bilder zogen ohne Ende an meinem Geiste vorüber und ich erwartete den kommenden Morgen mit der größten Ungeduld. Drittes Kapitel. Es macht mehr Mühe, Lebensregeln aufzustellen, als das Rechte zu tun. _Querkopf Wilsons Kalender._ Endlich kam er -- aber wie wurde ich enttäuscht! -- Die Cholera war in der Stadt ausgebrochen und jeder Verkehr mit dem Ufer untersagt. So fiel mein neunundzwanzigjähriger Traum plötzlich ins Wasser. Zwar erhielt ich Grüße und Botschaften von den Freunden am Lande; sie selber durfte ich nicht sehen. Der Saal stand für meine Vorlesung bereit, allein ich sollte ihn nicht betreten. Von unsern Passagieren waren mehrere in Honolulu ansässig und wurden ans Land gesetzt; doch niemand durfte von dort wieder zurückkehren. Auch konnten wir die Leute, die bereits eingeschrieben waren, um mit uns nach Australien zu segeln, nicht auf der Insel abholen; wir hätten sonst vor Sydney wer weiß wie lange Quarantäne halten müssen. Tags zuvor wäre es ihnen noch möglich gewesen, nach San Francisco zu entkommen, aber jetzt war der Hafen gesperrt, und Wochen konnten vergehen, bevor ein Schiff wagen durfte, sie irgendwohin mitzunehmen. Uebrigens waren sie nicht die einzigen, denen ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde. Eine ältere Dame aus Massachusetts hatte mit ihrem Sohn zur Erholung eine Seefahrt unternommen; unversehens waren sie immer weiter mit uns nach Westen gefahren, hatten mehrmals den Rückweg antreten wollen und zuletzt den Beschluß gefaßt, von Honolulu bestimmt umzukehren. Aber, was nützen dergleichen Vorsätze in dieser Welt! -- Mutter und Sohn sahen sich jetzt gezwungen bei uns zu bleiben, bis wir Australien erreichten. Von dort konnten sie eine Reise um die Welt machen oder auf dem nämlichen Wege wieder zurückkehren; in betreff der Entfernung, der Kosten und des Zeitverlustes kam es ganz auf dasselbe heraus. So wie so mußten sie ihren beabsichtigten Ausflug von etwa fünfhundert Meilen auf vierundzwanzigtausend Meilen verlängern. Das war keine Kleinigkeit. Auch einen Rechtsanwalt aus Victoria hatten wir an Bord, der von der Regierung in internationalen Angelegenheiten nach Honolulu geschickt worden war. Er hatte seine Frau mitgenommen und die Kinder bei den Dienstleuten zu Hause gelassen -- was sollte er nun tun? Es wäre Torheit gewesen, auf die Gefahr der Ansteckung hin ans Land zu gehen. Das Ehepaar beschloß daher, nach den Fidschi-Inseln zu fahren und dort vierzehn Tage auf das nächste Schiff zu warten, um die Heimreise anzutreten. Daß es sechs Wochen dauern würde, bis sie ein solches Schiff zu Gesicht bekamen und sie inzwischen von den Kindern keinerlei Nachricht erhalten, noch ihnen irgend welche Kunde zukommen lassen könnten, hatten sie nicht vorausgesehen. Es ist kein Kunststück, in dieser Welt Pläne zu machen; auch ein Kater kann das tun. Aber man darf nur nicht vergessen, daß in jenen fernen Meeren menschliches Denken keinen größeren Wert hat, als eine Kateridee. Seine Bedeutung schrumpft dort ganz außerordentlich zusammen. Uns blieb keine andere Wahl, als auf dem Deck im Schatten der Sonnenzelte zu sitzen und nach den fernen Inseln hinüberzusehen. Wir lagen in klaren, blauen Gewässern, landwärts wurde das Wasser glänzend grün und am Ufer brach es sich in einer langen weißen Schaumwelle, aber ohne Anprall; kein Laut erreichte unser Ohr. Die Stadt schien wie begraben in undurchdringlichem Laubwerk. Ueber die duftigen Berge war der zarteste Schmelz und Farbenglanz ausgegossen und die Klippen hüllten sich in leichte Nebel. Ich erkannte alles wieder. Gerade so hatte ich es vor langen Jahren erblickt; die Schönheit war noch unverändert, nichts fehlte an dem entzückenden Bilde. Und doch hatte sich dort ein Wechsel vollzogen, aber er war politischer Art und vom Schiff aus nicht zu erkennen. Die damalige Monarchie hatte sich in eine Republik verwandelt, was aber keinen wesentlichen Unterschied machte. Nur den alten leeren Pomp und das unnütze, lärmende Schaugepränge bekommt man nicht mehr zu sehen, und die königliche Schutzmarke ist allenthalben verschwunden; etwas anderes würde man jedoch schwerlich vermissen. Jene Scheinmonarchie war schon zu meiner Zeit höchst absonderlich; hätte sie noch dreißig Jahre länger bestanden, so wären dem Könige gar keine Untertanen von seiner eigenen Rasse mehr übrig geblieben. Wir hatten einen wundervollen Sonnenuntergang. Die weite Oberfläche des Meeres teilte sich in Farbenstreifen, welche scharf von einander abstachen. Einige Strecken waren dunkelblau, andere purpurrot oder von glänzender Bronzefarbe; über die wellenförmige Bergkette breiteten sich die zartesten braunen, grünen, blauen und roten Schattierungen; manche der runden schwarzen Kuppen sahen so sammetweich aus wie ein glänzender Katzenbuckel; man bekam ordentlich Lust sie zu streicheln. Das allmählich abfallende Vorgebirge, das im Westen weit ins Meer hinausragte, hatte zuerst ein bleifarbenes, gespenstisches Aussehen, dann wurde es von einem roten Hauch übergossen, es zerfloß sozusagen in ein rosenfarbenes Traumgebilde und schien nicht der Wirklichkeit anzugehören. Urplötzlich aber sah man diesen Wolkenfels in eine wahre Feuersglut getaucht, die sich in den Wellen widerspiegelte; es war ein Anblick, bei dem man hätte trunken werden können vor Entzücken. Zufolge meiner Gespräche mit den Passagieren, die in Honolulu zu Hause waren, und mit Hilfe einer Skizze von Frau Mary Krout, war ich imstande, das heutige Honolulu mit dem damaligen zu vergleichen. Zu meiner Zeit war es ein schönes Städtchen, das aus schneeweißen, hölzernen Landhäusern bestand, die über und über mit tropischen Schlingpflanzen bedeckt und rings von Blumen, Bäumen und Sträuchern umgeben waren; Straßen und Wege, auf Korallengrund erbaut, waren steinhart, glatt und eben und so weiß wie die Häuser selbst. Schon der äußere Anblick verriet einen zwar bescheidenen aber behaglichen Wohlstand, der sich -- das ist nicht zu viel gesagt -- auf alle Bewohner erstreckte. Kostbare Häuser, Möbel und Zierate gab es nicht. In den Schlafzimmern brannte man Talglichter und im Salon eine Tranlampe. Matten aus einheimischem Fabrikat dienten statt der Teppiche, zwei oder drei Lithographien schmückten die Wände; meist waren es Bilder von Kamehameha IV., Ludwig Kossuth, Jenny Lind, oder auch ein paar Kupferstiche, z. B. Rebekka am Brunnen, Moses schlägt Wasser aus dem Felsen, Josephs Diener finden den Becher in Benjamins Sack u. dgl. Auf dem Mitteltisch lagen Bücher friedlichen Inhalts, wie: ›Menschenpflichten‹, Baxters ›Ruhe der Heiligen‹, ›Die Märtyrer‹ von Fox und Tuppers ›Philosophie in Sprichwörtern‹; auch der ›Missionsherold‹ und Pater Damons ›Freund des Seemanns‹ in gebundenen Exemplaren. Der Notenständer neben dem Harmonium enthielt gefühlvolle Liebeslieder, wie: ›Willie, wo weilst du nur?‹ ›Lieblicher Abendstern‹, ›Wandle doch, Silbermond‹, ›Sind wir jetzt beinah dort?‹ und ähnliches, nebst einer Sammlung ausgewählter Hymnen. Auch ein Nipptischchen war vorhanden mit halb kugelförmigen gläsernen Briefbeschwerern, in denen Miniaturbilder von Schiffen, Seestürmen mit Staffage und dergleichen zu sehen waren; ferner Seemuscheln mit Bibeltexten in erhabener Arbeit, Walfischbarten, in die aufgetakelten Schiffe eingeschnitten waren und allerlei einheimische Seltenheiten. Erzeugnisse fremder Weltteile fehlten ganz, denn niemand war auf Reisen gewesen. Man machte wohl Ausflüge nach San Francisco, aber die wurden nicht mitgerechnet; im allgemeinen blieb man ruhig im Lande. Seitdem ist Honolulu jedoch reich geworden, dadurch hat sich vieles geändert und die alte Einfachheit ist zum Teil verschwunden. Frau Krout beschreibt die moderne Wohnung wie folgt: »Fast jedes Haus liegt inmitten ausgedehnter Rasenplätze und Gartenanlagen, die mit einer Mauer aus vulkanischem Gestein oder dichten Hecken von glänzendem Hibiskus umgeben sind. »Im Innern sind die Häuser aufs geschmackvollste und behaglichste eingerichtet; der Fußboden aus hartem Holz ist mit Teppichen oder feinen indischen Matten belegt, die Möbel, wie man es in warmen Ländern liebt, aus Rotang oder Bambusrohr gefertigt. Auch das gewöhnliche Beiwerk von Raritäten, Büchern und Kuriositäten aus allen Teilen der Welt ist vorhanden und dient zum Schmuck sämtlicher Räume, denn die Bewohner der Sandwichinseln sind unermüdliche Reisende. »Die meisten Häuser besitzen ein sogenanntes ›Lanai‹. Das ist ein großes, an drei Seiten offenes Gemach, von dem eine Tür oder ein gewölbter, mit Draperien geschmückter Eingang in das Empfangszimmer führt. Häufig wölben sich die verschlungenen Zweige des Stechpalmbaumes darüber zu einem dichten Dach, das weder die Sonne hindurchläßt noch den Regen, außer bei sehr heftigen Gewittern. An den Seiten werden Schlingpflanzen gezogen -- Stephanotis oder irgend eine andere der zahllosen wohlriechenden und blühenden Arten, welche auf den Inseln wuchern. Gegen Sonne und Regen kann man sich auch durch herabzulassende Matten schützen. »Der Fußboden ist meist, der Kühle wegen, ganz unbedeckt oder nur zum Teil mit Teppichen belegt; auch enthält das ›Lanai‹ bequeme Stühle und Sofas, und auf den Tischen prangen wundervolle Farnkräuter in Töpfen oder die schönsten Blumensträuße. »Das ›Lanai‹ ist das beliebteste Gesellschaftszimmer; hier wird Musik gemacht, man reicht Eis und Kuchen herum, nimmt Morgenbesuche an und versammelt sich zum gemeinschaftlichen Ausritt, die Damen in hübschen geteilten Röcken, die sie der Bequemlichkeit wegen tragen, denn hier reiten alle auf die gleiche Weise, Europäer und Amerikaner beiderlei Geschlechts sowohl wie die Eingeborenen. »Man kann sich kaum vorstellen, wie köstlich bequem und behaglich ein solcher Raum ist, besonders in einer Villa am Seestrande. Sanfte Lüfte, von Jasmin und Gardenien durchduftet, wehen herein; man blickt durch schwankende Zweige von Palmen und Mimosen bald auf die zackigen Berge, deren Gipfel in Wolken gehüllt sind, bald auf das violettfarbene Meer mit der weißschäumenden Brandung, die sich fort und fort an den Klippen bricht und im gelben Sonnenschein oder beim zauberischen Mondesglanz der Tropen ein noch blendenderes Weiß annimmt.« Da habt ihr den Unterschied: Teppiche, Eis und Kuchen, Bilder, Lanais, weltliche Bücher, sündhafte Raritäten aus aller Herren Ländern, und die Damen sitzen rittlings zu Pferde. Zu meiner Zeit taten das nur die eingeborenen Weiber, die weißen Damen hatten nicht den Mut, diese vernünftige Sitte mitzumachen. Damals bekam man auch in Honolulu nur selten Eis zu sehen. Segelschiffe brachten es zuweilen als Ballast aus Neuengland, und wenn dann zufällig ein Kriegsdampfer im Hafen lag, so daß Bälle und Abendgesellschaften sich drängten, wurde der Ballast oft, nach glaubwürdiger Ueberlieferung, zu sechshundert Dollars die Tonne verkauft. Jetzt ist die Eismaschine in der ganzen Welt herumgekommen, und wer will, kann sich die Erquickung bereiten. Selbst in Lappland und Spitzbergen braucht heutzutage niemand mehr Natureis, ausgenommen die Bären und Walrosse. Vom Fahrrad steht in dem Bericht kein Wort; das ist auch nicht nötig. Wir wissen genau, daß es dort eingeführt ist, ohne uns erst zu erkundigen, denn, wo wäre es nicht zu finden? Ohne Fahrrad hätten die Menschen nun und nimmermehr ihre Sommerwohnung auf der Spitze des Mont Blanc nehmen können; der Grund und Boden dort oben hat nur nominellen Wert gehabt, ehe wir es kannten. Leider haben die Damen von Honolulu zu spät gelernt, wie man richtig zu Pferde sitzen muß. Was nützt es ihnen nun, da doch das Reitpferd sich in der ganzen Welt mehr und mehr vom Geschäft zurückzieht? In der Hauptstadt der Hawaii-Inseln wird man es bald nur noch vom Hörensagen kennen. Zu dieser Inselgruppe gehört auch Molokai, und wir alle wissen, daß Pater Damien, der französische Priester, einst freiwillig die Welt verließ, um nach jenem traurigen Aufenthaltsort zu den Leprakranken zu gehen. Wir kennen auch seine Wirksamkeit unter den armen Ausgestoßenen, die dort ihr elendes Dasein weiter schleppen und auf den Tod warten, der sie von ihren Leiden erlösen soll. Was er vorausgesehen hatte, ging wirklich in Erfüllung: er bekam selbst den Aussatz und starb an der entsetzlichen Krankheit. Es gibt aber noch andere Fälle von Selbstaufopferung. Ich erkundigte mich nach ›Billy‹ Ragsdale, einem halbweißen jungen Mann, der zu meiner Zeit als Dolmetscher beim Parlament angestellt und ebenso hochbegabt wie allgemein beliebt war. Ein so vorzüglicher Dolmetscher ist mir nirgends wieder vorgekommen; wenn er in einer Parlamentssitzung aufstand und die englischen Reden ins Hawaii, die hawaiischen Reden ins Englische übertrug, war seine rasche Auffassung und Zungenfertigkeit wahrhaft staunenswert. Auf eine Frage nach ihm erfuhr ich, daß seine glänzende Laufbahn ein völlig unerwartetes und rasches Ende gefunden hat, als er gerade im Begriff stand, ein schönes Mädchen gemischter Rasse zu heiraten. An einem fast unsichtbaren Zeichen auf seiner Haut hatte er erkannt, daß ihm das Gift des Aussatzes im Körper stecke. Niemand wußte um dies Geheimnis; er hätte es noch jahrelang verborgen halten können. Aber er wollte keinen Verrat an dem Mädchen üben, das er liebte, und es nicht durch die Heirat zu demselben grauenvollen Geschick verdammen, dem er entgegenging. So brachte er denn seine Angelegenheiten in Ordnung, suchte noch einmal seine Freunde auf, nahm Abschied von ihnen und segelte in dem Lepraschiff nach Molokai. Dort starb er den langsamen entsetzlichen Tod, den alle Aussätzigen sterben. Hier möchte ich noch einige Abschnitte aus dem ›Paradies des Stillen Ozeans‹ von Pfarrer H. H. Gowen einschalten: »Die armen Leprakranken!« sagt der Verfasser. »Es mag leicht sein, für die, welche weder Freunde noch Anverwandte unter ihnen haben, das Gebot völliger Absonderung in seiner ganzen Strenge durchzuführen! Aber, wer beschreibt die schrecklichen, herzbrechenden Auftritte, welche diese Gewaltmaßregeln im Gefolge haben? »Ein Mann aus Hawaii wurde plötzlich festgenommen und fortgeschafft. Seine Frau, die unmittelbar vor ihrer Entbindung stand, blieb allein und hilflos zurück. Ohne Not und Gefahr zu achten, unternahm sie die Reise nach Honolulu und bat so lange und inbrünstig um die Erlaubnis, ihren leprakranken Mann in die Verbannung begleiten zu dürfen, um dort wie eine Aussätzige mit ihm zu leben, daß die Behörden ihrem Flehen nicht widerstehen konnten. »Ueber eine glückliche Gattin und Mutter in der Blüte der Jahre wird das Urteil gefällt, daß sich bei ihr die Anfänge der Leprakrankheit zeigen; man schleppt sie ohne Aufschub aus ihrem Hause fort, und als der Mann heimkehrt, findet er nur noch seine zwei verlassenen Kleinen, die nach der verlorenen Mutter schreien. »Luka Kaaukau, die Frau eines Aussätzigen, lebt seit zwölf Jahren mit ihrem Mann auf der Leprainsel. Der Unglückliche hat fast keine Gelenke mehr; seine Beine sind unförmlich und mit Geschwüren bedeckt. Seit vier Jahren flößt ihm die Frau alle Nahrung ein; er hat schon oft gewünscht, sie möchte ihn seinem elenden Schicksale überlassen, da sie heil und gesund ist, aber Luka sagt, daß sie gern dableiben und den Mann, den sie geliebt hat, pflegen will, bis sein Geist von der Erdenlast befreit ist. »Ich selbst,« fährt Pfarrer Gowen fort, »habe manchen schweren Fall erlebt: Ein Mädchen, das mir scheinbar noch in voller Gesundheit geholfen hatte die Kirche beim Osterfest zu schmücken, ist, ehe es Weihnachten war, als unheilbare Leprakranke fortgeschafft worden. Eine Mutter hat ihr Söhnchen jahrelang im Gebirge verborgen gehalten, aus Furcht, man möchte es ihr entreißen; selbst ihre besten Freunde hatten keine Ahnung davon, daß das Kind noch am Leben war. Ein angesehener Weißer wurde von Frau und Kindern getrennt und gezwungen im Leprosenhause zu leben, wo er von aller Welt für tot angesehen wird, sogar von der Lebensversicherungsgesellschaft.« Und was am meisten unser Mitleid erregt, ist, daß diese armen Dulder ganz unschuldig leiden. Der Aussatz ist nicht die Folge ihres eigenen Lebenswandels, sondern ein Fluch, der auf den Sünden ihrer Vorfahren lastet, während diese selbst von der Krankheit verschont geblieben waren. Herr Gowen erzählt uns auch von einer ungemein rührenden und schönen Einrichtung, die auf der Leprainsel besteht: Wenn der Tod einem Leidenden die Kerkertür des Lebens auftut, so spielt das Musikchor eine Freudenhymne, um die Befreiung der gequälten Seele mit Jubel zu begrüßen. Viertes Kapitel. Es ist leichter, sich ein dutzendmal ins Gesicht tadeln zu lassen, als eine einzige unwahre Schmeichelei anzuhören. _Querkopf Wilsons Kalender._ _Von Honolulu abgesegelt. Aus meinem Tagebuch_: _2. September._ -- Scharen fliegender Fische -- schlank, wohlgestaltet, leicht beweglich und glänzend weiß. Im Sonnenschein sehen sie wie ein Schwarm silberner Obstmesser aus. Sie können über hundert Meter weit fliegen. * * * * * _3. September._ -- Frühstück unter 9° 50´ nördlicher Breite. Wir segeln schräg auf den Aequator zu. Alle, welche die Linie noch nie passiert haben, sind ungemein aufgeregt; auch ich möchte nichts in der Welt lieber sehen als den Aequator. Gestern abend erreichten wir die Gegend der Kalmen, wo vollkommene Windstillen mit täglichen Stürmen und Regengüssen wechseln, bei denen der Wind fortwährend umspringt, die See kurze Wellen schlägt und das Schiff wie betrunken hin- und herschwankt. Derartige Zustände findet man bisweilen auch in andern Regionen, aber in der Gegend der Kalmen hören sie nie auf; ihr Gürtel um den Erdball hat eine Breite von zwanzig Grad, und die Schnur, welche man den Aequator nennt, läuft in der Mitte herum. * * * * * _4. September._ -- Gestern abend hatten wir eine totale Mondfinsternis, die etwa bis 7.30 dauerte. Zuerst sah man eine schöne rosige Wolke mit zerklüfteter Oberfläche, die aus einem kreisförmigen Rahmen hervortrat -- es erinnerte an eine Portion Erdbeereis. Als der Mond zur Hälfte wieder sichtbar war, glich er einer goldenen Eichel in ihrem Näpfchen. * * * * * _5. September._ -- Um Mittag kamen wir dicht an den Aequator heran. Ein Matrose erklärte einem jungen Mädchen, das Schiff mache so wenig Fahrt, weil der Erdball in der Mitte eine Ausbuchtung habe, zu der wir emporklimmen müßten; hätten wir erst beim Aequator die höchste Stelle erreicht, dann ginge es bergunter mit Windeseile. Der Mann ist voller Gelehrsamkeit, da kann das Mädchen noch viel profitieren. _Nachmittags._ -- Wir haben die Linie passiert. Von weitem sah es aus, als breite sich ein blaues Band quer über den Ozean. Mehrere Passagiere machten photographische Aufnahmen. Wir hatten keinen Mummenschanz, keine Narrenspossen und groben Späße, das ist jetzt alles abgeschafft. In früheren Zeiten kam ein als Neptun verkleideter Matrose mit seinem Gefolge über den Schiffsbug gegangen, und jeder, der zum erstenmale die Linie passierte, mußte sich von ihm einseifen und barbieren lassen. Zum Schluß pflegte man die armen Opferlämmer abzuspülen, indem man sie von der Raanocke hinunterließ und dreimal ins Meer tauchte. Dies galt für sehr belustigend -- warum, weiß niemand. Das heißt, ja -- wir wissen es doch! Auf dem Lande hätten so närrische Veranstaltungen, wie sie ehemals beim Passieren der Linie Sitte waren, nicht die geringste komische Wirkung; man würde sie einfach für albern und sinnlos erklären. Aber die Landratten sollen nur erst einmal zu Schiffe gehen und eine lange Seereise machen, vielleicht wären sie dann anderer Ansicht. Auf solcher Fahrt nehmen die Verstandeskräfte gewaltig ab, und die klügsten Leute geraten bald in eine Gemütsstimmung, bei der sie eine kindische Unterhaltung jeder vernünftigen Beschäftigung vorziehen. Man staunt wirklich oft über die Kindereien, mit denen sich erwachsene Menschen an Bord abgeben und begreift nicht, wie sie dergleichen mit solchem Eifer betreiben und sich so königlich dabei amüsieren können. Ich spreche natürlich nur von langen Seereisen, bei denen der Geist sich allmählich abstumpft und träge und schwerfällig wird. Da verliert man sein gewöhnliches Interesse an höheren Dingen; nur derbe Späße sind noch imstande uns aufzurütteln, und ausgelassene Narretei gewährt uns das größte Vergnügen. Bei kürzeren Seereisen ist das anders; da hat der Geist nicht Zeit, auf so traurige Art zu versimpeln, und man schafft sich die nötige Körperbewegung durch das Beilkespiel. Auch wir vertrieben uns unterwegs die Zeit damit aufs angenehmste. Vor dem Beginn des Spiels zeichnet der Quartiermeister die nachstehende Kreidefigur auf das Deck, und jeder Spieler erhält vier hölzerne Scheiben von der Größe einer Untertasse, die er mit einer Art Besenstiel, an dem eine hölzerne Mondsichel befestigt ist, durch einen kräftigen Stoß fünfzehn bis zwanzig Fuß weit über das Deck befördern muß, so daß sie in einem der Quadrate landen. Bleibt die geworfene Scheibe dort, bis der erste Gang vorüber ist, so gilt sie so viel wie die Zahl in dem betreffenden Quadrat. Der Gegner muß sich bemühen, die feindliche Scheibe hinauszustoßen, besonders wenn sie auf eine hohe Nummer getroffen hat, und seine eigene an die Stelle zu setzen. Liegt sie aber auf ~10 minus~ so wird er im Gegenteil danach trachten, seine Scheibe so zu schieben, daß der andere Spieler die seinige nicht wieder aus diesem verderblichen Platz herausbringen kann, weil ihm der Zugang versperrt ist. Nach jedem Gang werden die Points gezählt; oft können alle Scheiben mitgerechnet werden, aber die, welche den Kreidestrich berühren, gelten nicht; auch findet manchmal ein großes Scharmützel statt, so daß keine einzige Scheibe mehr in den Quadraten liegt. Wenn eine Partei hundert Points hat, ist das Spiel zu Ende; es dauert meist zwischen zwanzig und dreißig Minuten, was vom Glück und der Bewegung des Schiffes abhängt. Geht die See hoch, so ist man genötigt, die Kraft und Richtung des Stoßes genau abzuwägen. Hebt sich das Schiff, muß man stark stoßen, senkt es sich, so kommt es darauf an Maß zu halten, da sich die Wirkung nicht leicht berechnen läßt. Schwankt das Schiff nach rechts, und man zielt nach der linken oberen Seite der Kreidefigur, so gleitet die Scheibe im Bogen gerade in ein Quadrat hinein, falls man nämlich genau die richtige Stärke getroffen hat. Das Spiel ist aufregend, und die meist sehr zahlreichen Zuschauer lassen es nicht an Beifall oder Hohngelächter fehlen, je nachdem eins oder das andere am Platze ist. Es erfordert auch viel Geschicklichkeit, aber da man sich auf die Bewegung des Schiffes nie verlassen kann, ist es noch mehr Glückssache. +-----------+ | 10 | +---+---+---+ | 8 | 1 | 6 | +---+---+---+ | 3 | 5 | 7 | +---+---+---+ | 4 | 9 | 2 | +---+---+---+ | 10 minus. | +-----------+ Um zu entscheiden, wer ›Meister des Beilkespiels auf dem Stillen Ozean‹ sein sollte, fochten wir großartige Turniere aus, an denen sich fast alle unsere Mitreisenden männlichen und weiblichen Geschlechts, sowie sämtliche Offiziere beteiligten. Der Kampf wurde viele Tage lang mit großer Hartnäckigkeit fortgesetzt, er war sehr lebhaft und machte uns todmüde, wegen der starken Bewegung, die man bei dem Spiele hat. Schließlich behauptete Herr Thomas, einer der Passagiere, seine unbestrittene Meisterschaft. Bei einem der kleineren Wettkämpfe hatte ich jedoch den Sieg davongetragen und den ausgesetzten Preis, eine Waterbury-Taschenuhr gewonnen, die ich im Koffer verwahrte. Neun Monate später, in der Stadt Prätoria in Südafrika, nahm ich sie wieder heraus, weil meine eigene Uhr stehen geblieben war, zog sie auf und stellte sie nach der Turmuhr am Parlamentsgebäude auf 8 Uhr 5 Minuten; dann begab ich mich in mein Schlafzimmer und ging früh zu Bette, da ich nach einer langen Eisenbahnfahrt der Ruhe bedurfte. Jene Parlamentsuhr hatte eine ganz verrückte Eigenschaft, die sonst nirgends in der Welt vorkommt, aber das wußte ich damals nicht; sie schlägt nämlich, wenn es halb ist, die nächste volle Stunde und schlägt sie dann abermals zur richtigen Zeit. Eine Weile rauchte und las ich noch im Bett; als ich aber die Augen nicht länger offen halten konnte und eben im Begriff war, das Licht zu löschen, dröhnte es gewaltig vom Turme. Ich zähle zehn Schläge und lange nach meiner Preisuhr, um sie zu vergleichen. Sie stand auf 9.30, war also schon eine halbe Stunde zurückgeblieben. Für eine Dreidollaruhr hatte sie jedenfalls zu geringe Geschwindigkeit, doch glaubte ich, das veränderte Klima sei schuld. Ich stellte sie eine halbe Stunde vor, nahm wieder mein Buch zur Hand und wartete. Es schlug noch einmal zehn; meine Uhr aber zeigte 10.30. Diese übergroße Eile überraschte mich -- es war zuviel für das Geld. Nachdem ich die Zeiger um eine halbe Stunde zurückgeschoben hatte, horchte und wartete ich wieder; ich konnte jetzt nicht anders, denn ich war unruhig und ärgerlich und fühlte keine Schläfrigkeit mehr. Nicht lange, so schlug es 11 vom Turme und auf meiner Uhr war es 10.30. Wieder stellte ich sie eine halbe Stunde vor und fing schon an die Geduld zu verlieren. Da schlug es noch einmal 11; als ich aber sah, daß die Waterbury-Uhr auf 11.30 zeigte, schleuderte ich sie gegen den Bettpfosten, daß sie in Stücke ging. Tags darauf, als ich hinter die Geschichte kam, tat mir das freilich leid. Doch ich kehre zum Schiff zurück. -- Der gewöhnliche Durchschnittsmensch ist ein boshaftes Geschöpf, und wenn er das nicht ist, hat er Freude an handgreiflichen Späßen. Für die Person, die ihm als Zielscheibe dient, kommt das auf eins heraus, sie wird jedenfalls zum Opferlamm. Auf allen Schiffen wird das Abspülen des Deckes in sehr früher Stunde vorgenommen, aber nur selten trifft man dabei Maßregeln zum Schutz der Passagiere; es wird ihnen weder vorher angekündigt, noch schickt man einen Aufwärter hinunter, um die Kajütenfenster zu schließen. So haben denn die Matrosen beim Deckspülen freie Hand, was sie sich nach Kräften zu nutze machen. Platsch! schütten sie einen Eimer Wasser längs der Schiffseite hin, daß es durch die Kajütenfenster fließt und nicht nur die Kleider der Passagiere, sondern auch diese selbst durchnäßt. Auf unserm Schiff herrschte diese gute alte Sitte ebenfalls und zwar unter sehr günstigen Bedingungen, denn in den glühenden tropischen Regionen wird außen am Fenster ein abnehmbarer Zinkvorsetzer in Form einer Zuckerschaufel befestigt, um den Wind zu fangen, so daß Luft ins Innere dringt. Aber auch das Wasser sammelt sich dort und fließt hindurch -- oft in ganzen Strömen. -- Frau J., eine kranke Dame, mußte nach ärztlicher Verordnung auf dem Sofa schlafen, der unter ihrem Kajütenfenster stand. Jedesmal, daß sie nicht auf ihrer Hut war und zu lange schlief, überschwemmten sie die Deckspüler mit einem Wasserguß. Und erst die Anstreicher -- was hatten die für ein lustiges Leben! Zwar sollte das Schiff in Sydney einen Monat lang in dem Dock ausgebessert werden, aber trotzdem wurde es die ganze Fahrt über bald hier bald da neu angestrichen. Die Kleider der Damen litten fortwährend Schaden, doch weder Bitte noch Einspruch fand Gehör. Es kam nicht selten vor, daß eine Dame in der Nähe eines Ventilators oder irgend eines andern Dinges, das gar nicht angestrichen zu werden brauchte, ihr Mittagsschläfchen hielt und beim Erwachen entdeckte, daß ein Spaßvogel sich mit seinen Farbentöpfen über besagten Gegenstand hergemacht hatte, und ihr weißes Kleid von oben bis unten mit kleinen gelben Ölflecken bespritzt war. Die Schiffsoffiziere sind nicht schuld an dieser Farbenkleckserei zu ungelegener Zeit, sondern der alte Brauch. Seit Noahs Tagen gilt das Gesetz, daß an einem Schiff während der Fahrt unausgesetzt herumgeputzt und angestrichen werden muß. Dies Gesetz ist zur Gewohnheit geworden, und auf der See haben Gewohnheit und Sitte ein ewiges Leben. Der alte Brauch wird nicht aufhören bis das Meer ausgetrocknet ist. * * * * * _8. September, Sonntag._ Wir segeln in fast gerader Linie nach Süden, sodaß wir täglich nicht mehr als zwei Längengrade kreuzen. Heute früh waren wir beim 178. Grad westlicher Länge von Greenwich; morgen kommen wir dicht an die Mitte der Erdkugel beim 180. Grad westlicher Länge und dem 180. Grad östlicher Länge. Und dann müssen wir einen Tag aus unserm Leben streichen, der auf immer unwiederbringlich verloren ist. Wir werden alle einen Tag früher sterben, als es uns seit Anbeginn vom Geschick bestimmt war. Die ganze Ewigkeit hindurch bleiben wir um diesen einen Tag zurück. Wenn wir droben zu den Engeln sagen: »Heute ist schönes Wetter!« werden sie stets erwidern: »Es ist gar nicht heute, sondern morgen!« Wir kommen nie wieder aus der Verwirrung heraus; unsere Seelenruhe ist auf immer dahin! * * * * * _Am nächsten Tage._ Jetzt ist es wirklich zur Wahrheit geworden. Gestern war _Sonntag_, der 8. September -- und heute steht auf dem Anschlagbrett am Eingang zur Kajütentreppe: _Dienstag_, 10. September. Man hat ein unbehagliches Gefühl dabei, als wäre Zauberei im Spiele. Es ist ja auch wirklich unbegreiflich, wenn man es recht bedenkt, und man kann sich keine Vorstellung davon machen. Als wir den 180. Meridian kreuzten, war es am Stern des Schiffes, wo die Meinigen sich aufhielten _Sonntag_, und am Bug, wo ich war, _Dienstag_. Sie verzehrten einen halben Apfel am 8. September, und ich aß gleichzeitig die andere Hälfte am 10. In den fünf Minuten, seit ich sie verlassen hatte, war ich um einen Tag älter geworden, sie dagegen nicht. Der Tag, den sie verlebten, erstreckte sich hinter ihnen um die halbe Erdkugel durch den Stillen Ozean, Amerika und Europa; der Tag, den ich verlebte, dehnte sich vor mir um die andere Hälfte der Erde aus, bis beide zusammentrafen. Tage von solchem Umfang waren uns noch niemals vorgekommen, alle früheren schrumpften im Vergleich dazu in ein Nichts zusammen. Auch der Temperaturunterschied der beiden Tage war bemerkenswert; der ihrige war heißer als meiner, wegen der größeren Nähe des Aequators. Gerade zur Zeit, als wir den Großen Meridian kreuzten, wurde im Zwischendeck ein Kind geboren, und nun läßt sich auf keine Weise feststellen, welches sein Geburtstag ist. Die Wärterin sagt Sonntag, der Arzt Dienstag. Das Kind selbst wird nie darüber ins klare kommen und immer zwischen den beiden Tagen schwanken. Dadurch müssen alle seine Ansichten über Religion, Politik, Liebe, Berufswahl und dergleichen in Unsicherheit geraten, seine Grundsätze werden erschüttert, seine Charakterentwicklung gehemmt, und dem armen Ding von vornherein jede Möglichkeit eines erfolgreichen Wirkens abgeschnitten. Das sagten alle Leute an Bord. Aber, damit war das Unheil noch nicht einmal erschöpft. Ein ungeheuer reicher Bierbrauer auf dem Schiff hatte nämlich schon zehn Tage vorher gesagt, falls das Kind an seinem Geburtstag zur Welt käme, würde er ihm zehntausend Dollars zum Geschenk machen. Sein Geburtstag war aber Montag den 9. September. Wenn alle Schiffe in derselben Richtung -- nämlich nach Westen -- führen, so würde der Welt eine ungeheure Menge wertvoller Zeit verloren gehen, weil Passagiere und Mannschaften eine solche Unzahl von Tagen auf dem Großen Meridian über Bord werfen. Aber glücklicherweise segelt die Hälfte der Schiffe nach Osten, und so entsteht kein wirklicher Verlust. Diese fischen nämlich die weggeworfenen Tage auf, um sie dem Zeitvorrat der Welt wieder hinzuzufügen und zwar fast unversehrt, denn durch das Salzwasser werden sie frisch erhalten und bleiben so gut wie neu. Fünftes Kapitel. Der Lärm tut nichts zur Sache: Oft gackert eine Henne, die nur ein Ei gelegt hat so laut, als hätte sie einen Planeten gelegt. _Querkopf Wilsons Kalender._ _Mittwoch 11. September._ Wir fahren jetzt stetig nach Süden und immer weiter hinunter auf dem runden Bauch der Erdkugel. Gestern abend sahen wir den Großen Bären und den Nordstern am Horizont untergehen und aus unserer Welt verschwinden. Das heißt, irgend jemand hat es gesehen und mir davon erzählt. Aber das macht keinen Unterschied, mir ist es so wie so einerlei, da ich die beiden herzlich satt habe. Sie sind ja in ihrer Art gar nicht übel, aber man will sie doch auch einmal los werden. Ich hatte jetzt nur noch Interesse für das ›Kreuz des Südens‹, von dem ich mein Lebenlang gehört hatte, ohne es zu sehen; natürlich brannte ich vor Verlangen danach. Kein anderes Sternbild verursacht so viel Gerede. Im allgemeinen habe ich, wie gesagt, gegen den Großen Bären nichts einzuwenden -- wie sollte ich auch? Er ist ja ein Bürger unseres Himmelsgewölbes und gehört zum Besitzstand der Vereinigten Staaten. Aber doch war ich froh, daß er aus dem Wege ging, um diesem Fremdling Platz zu machen. Nach meinem Dafürhalten brauchte ein Sternbild, von dem man so viel Wesens macht wie von dem Kreuz des Südens, den ganzen Himmel für sich allein. Aber das war ein Irrtum. Heute abend haben wir das Kreuz gesehen; es ist weder groß noch ungewöhnlich hell. Freilich stand es tief am Horizont; es wird vielleicht noch schöner, wenn es hoch am Himmel steht. Sein Name ist sehr sinnreich gewählt, denn es sieht gerade so aus, wie ein Kreuz aussehen würde, das man ebensogut für etwas ganz Anderes halten könnte. Aber diese Bemerkung ist viel zu allgemein und unbestimmt, ich will mich deutlicher ausdrücken: ein Kreuz mag es wohl sein, doch ist es entweder aus den Fugen gegangen oder verzeichnet, denn es hat zwar einen langen und einen kurzen Balken, aber letzterer ist ganz schief geraten. [Illustration] Vier große Sterne und ein kleiner bilden das Kreuz. Der kleine Stern liegt außer dem Strich und verdirbt die Form vollends; er sollte an der Stelle stehen, wo die Balken zusammengefügt sind. Wenn man nicht eine gedachte Linie zwischen den Sternen zieht, würde man gar nicht auf die Idee kommen, daß sie ein Kreuz vorstellen -- oder überhaupt irgend etwas. Um den kleinen Stern darf man sich nicht kümmern; er muß ganz beiseite bleiben, weil er alles verwirrt. Läßt man ihn weg, so kann man aus den vier Sternen wohl eine Art schiefes Kreuz machen, aber ebenso gut einen schiefen Drachen oder einen schiefen Sarg. Mit den Namen, die man den Sternbildern gegeben hat, ist es von jeher eine heikle Sache gewesen; sie wollen sich diesen Namen durchaus nicht anpassen und bestehen meist hartnäckig darauf, den Dingen, nach denen sie benannt sind, in keiner Weise zu gleichen. Zur Beruhigung der Gemüter sieht man sich zuletzt häufig genötigt, den phantastischen Namen in einen solchen umzuwandeln, der dem gemeinen Menschenverstand besser einleuchtet. Wenn es auf mich ankäme, würde ich das ›Kreuz des Südens‹ nicht den ›Sarg des Südens‹, sondern den ›Drachen des Südens‹ nennen. Kreuze und Särge haben dort oben in dem großen leeren Raum nichts zu schaffen, aber für einen Drachen ist es gerade der rechte Platz. In einiger Zeit -- ob über kurz oder lang weiß ich nicht -- wird der ganze Erdball im Besitz der englischredenden Rasse sein und natürlich auch das Himmelsgewölbe. Dann müssen alle Sternbilder neugeordnet, blank geputzt und umgetauft werden; die meisten wird man vermutlich ›Victoria‹ nennen, schon jetzt tragen viele Städte und Geräte den Namen ihrer britischen Majestät. Aber ein Sternbild wird auch als ›Drache des Südens‹ droben wandeln oder überhaupt von der Bildfläche verschwinden. In den letzten paar Tagen sind wir durch eine förmliche Milchstraße von Inseln gefahren. Auf der Karte liegen sie so dicht beisammen, daß man denken sollte, es wäre dazwischen kaum Platz für ein Kanoe -- und doch bekommen wir selten eine Insel zu Gesicht. Neulich sahen wir einmal zwei in weiter Ferne gespenstisch und schattenhaft auftauchen, Alofi und Futuna oder Horne. Auf der größeren herrschen zwei eingeborene Könige, die einander grimmig befehden. Sie sowohl wie ihre Untertanen gehören zur katholischen Kirche; französische Missionare haben sie bekehrt. Von den unzähligen Inseln in diesen Meeren bezog man früher die ›Rekruten‹ für die Plantagenarbeit in Queensland, und ich glaube, man holt sie noch jetzt dort her. Fahrzeuge, die in ihrer Ausrüstung den alten Sklavenschiffen glichen, schafften die Eingeborenen nach jener großen Provinz Australiens, wo sie als Arbeiter Verwendung fanden. Anfangs raubte man die Leute ohne alle Umstände, wie die Missionare bezeugen; von anderer Seite wird das zwar geleugnet, aber es läßt sich nicht widerlegen. Später verbot das Gesetz, die Eingeborenen gegen ihren Willen anzuwerben, und die Regierungsbeamten hatten Befehl, auf allen Werbeschiffen für Aufrechterhaltung des Gesetzes zu sorgen, was sie nach Aussage der Werber wirklich taten, aber auch oft unterließen, wie die Missionare behaupten. Ein Arbeiter konnte auf drei Jahre regelrecht angeworben werden und dann freiwillig noch ebenso lange im Dienst bleiben, wenn es ihm gefiel. War seine Zeit um, so durfte er auf seine Insel zurückkehren und erhielt auch die Mittel dazu. Die Regierung ließ sich dies Geld von dem Arbeitgeber auszahlen, ehe der ›Rekrut‹ ihm überlassen wurde. Kapitän Wawn, der viele Jahre ein Werbeschiff befehligte, hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben, aus dem hervorgeht, daß das Werbegeschäft im allgemeinen bei den Insulanern sehr beliebt war. Doch scheint es dabei weder langweilig noch einförmig gewesen zu sein, denn es bot allerlei kleine Abwechslungen, von denen der Kapitän berichtet, zum Beispiel die folgende: »Am Nachmittag, nachdem wir die Leprainsel erreicht hatten, lag der Schoner, bei fast vollständiger Windstille, im Schutz des gebirgigen Teils der Insel, etwa dreiviertel Meilen vom Ufer. Wir hatten die Boote ausgesetzt, konnten sie jedoch in Sicht behalten. Das Werbeboot war in eine kleine Bucht der felsigen Küste eingelaufen, wo auf steilem Uferrand eine einsame Hütte lag, hinter der sich dichter Wald erhob. Das zweite Boot, in dem sich der Regierungsbeamte und der Maat befanden, lag etwa 400 Meter westwärts. »Plötzlich hörten wir Schüsse und das laute Geheul der Eingeborenen am Ufer und sahen das Werbeboot mit anscheinend verminderter Bemannung das Weite suchen. Das andere Boot fuhr ihm rasch entgegen, nahm es ins Schlepptau und brachte es zum Schoner zurück. Von der Mannschaft war kein einziger ohne leichte oder schwere Verwundung davongekommen. Die Insulaner hatten unsere Leute unter dem Schein der Freundschaft in die Bucht gelockt; sie umschwärmten den Stern des Bootes, und einige der farbigen Burschen stiegen sogar an Bord. Urplötzlich schwangen sie aber ihre Keulen und Tomahawks und gingen zum Angriff über. Der Werber schützte sich mit den Fäusten gegen die ersten grimmigen Schläge, bis er Zeit fand, sich des Revolvers zu bedienen. Einer der Matrosen, Tom Sayers, erhielt einen Hieb mit der Streitaxt, der ihm die Kopfhaut durchschnitt, aber zum Glück den Schädel nicht spaltete; einem andern, Babby Towns, wurden beide Daumen zerschmettert, als er die Schläge abwehren wollte; den linken Daumen, der nur noch an Haut und Knochen hing, mußte der Wundarzt ganz von der Hand ablösen. Lihu, ein Knabe aus Lifu, der Diener des Werbers, hatte verschiedene leichte Hieb- und Stichwunden. Dem unglücklichen Jack, einem ›Rekruten‹ von der Insel Tanna, der als Bootsmann angeworben war, wurde der Vorderarm von einem Pfeil durchschossen, der noch auf beiden Seiten herausstak, als das Boot zurückkam. Der Werber selbst wäre frei ausgegangen, hätte nicht, gerade im Augenblick der Abfahrt, ein Pfeil ihm die Hand an den Griff des Steuerruders festgenagelt. Der Kampf war zwar kurz, doch heftig gewesen; auf feindlicher Seite waren zwei Mann erschossen worden.« Kapitän Wawns Buch enthält eine große Menge von Beispielen solcher gefährlichen Zusammenstöße zwischen den Eingeborenen und den englischen und französischen Werbeschiffen; denn auch die Franzosen betreiben das Geschäft für die Plantagen von Neu-Caledonien. Die Werber scheinen daher doch nicht allzu beliebt bei den Insulanern zu sein, wie ließen sich sonst diese wilden Angriffe und blutigen Kämpfe erklären? Der Kapitän schiebt freilich die ganze Schuld auf die unverständigen Philanthropen. Wenn diese sich nur nicht einmischen wollten, meint er, würden die eingeborenen Väter und Mütter nicht mehr weinen und klagen, daß man ihre Kinder in die Verbannung schleppt, wo sie nicht selten ein frühes Grab finden, sondern ohne Frage ganz damit einverstanden sein und keinen Versuch machen, die freundlichen Werber totzuschlagen. Sechstes Kapitel. Die Geschichte ist eine Prophetin. Sie lehrt, daß wenn ein starkes, aufgeklärtes Volk einem schwachen, unwissenden Volke etwas nehmen will, was es besitzt, letzteres sich friedlich darein ergeben muß. _Querkopf Wilsons Kalender._ Eins ist sonnenklar: Kapitän Wawn kann die Missionare nicht ausstehen, weil sie ihm das Geschäft verderben. Seine Werbefahrten, die er wie eine Lustpartie betreiben möchte, nennen sie schlechtweg ›Sklavenfang‹ und machen sie ihm zur Last. Die Missionare haben nämlich ihre ganz eigene, nicht sehr schmeichelhafte Ansicht über den Handel mit Eingeborenen und die Art, wie die Werber die Gesetze zu umgehen wissen. Kapitän Wawns Buch ist erst kürzlich erschienen, aber mir liegt noch eine Broschüre neueren Datums über dasselbe Thema vor, welche soeben aus der Presse kommt und den Missionar W. Gray zum Verfasser hat. Ich habe es sehr interessant gefunden, das Buch und die Broschüre zusammen zu lesen. Es war mir auch alles leicht verständlich, nur ein Umstand nicht, auf den ich sogleich zurückkommen will. Warum der Besitzer der Zuckerpflanzung in Queensland den Kanaka haben will, liegt auf der Hand: einen so billigen Arbeiter bekommt er schwerlich wieder. Was der Pflanzer bezahlt ist folgendes: 20 £ an den Werber, der den Kanaka gedungen -- oder ›gefangen‹ hat, wie die Missionare sagen; 3 £ Einfuhrgebühren an die Regierung in Queensland und 5 £ für Rückbeförderung des Kanaka, falls er nach Ablauf seiner drei vertragsmäßigen Jahre noch am Leben ist; an den Kanaka selbst für Lohn und Kleidung während der drei Jahre 25 £ Summa summarum 53 £ und mit Verköstigung 60 £. -- Daß dem Werber sein Geschäft gefällt, begreift man ebenfalls. Der ›Rekrut‹ kostet ihn nichts als ein paar billige Geschenke -- die nicht er erhält, sondern seine Verwandten -- und bringt ihm bei der Ablieferung in Queensland 20 £ ein. Pflanzer und Werber ziehen also Gewinn aus dem Handel; aber weshalb der ›Rekrut‹ darauf eingeht, kann ich durchaus nicht verstehen. Er ist jung und kräftig; daheim auf seiner Insel führt er ein wonniges Leben, das einem langen, köstlichen Feiertag gleicht. Will er arbeiten, so braucht er nur jede Woche ein paar Säcke Kopra zu sammeln, die er für vier bis fünf Schillinge den Sack verkaufen kann. In Queensland muß er dagegen aufstehen, ehe der Morgen graut und täglich acht bis zwölf Stunden bei einem viel heißeren Klima als er gewohnt ist und für einen Wochenlohn, der nicht einmal vier Schillinge beträgt, in den Zuckerrohrfeldern arbeiten. Was ihn dazu bewegen kann, bleibt mir ein ungelöstes Rätsel. Der Pflanzer erklärt es sich auf seine Weise wie ich aus der Broschüre des Missionars ersehe: »Wenn der Kanaka seine Heimat verläßt, ist er nur ein gewöhnlicher Wilder. Er schämt sich nicht, daß er nackt geht und jeden Schmuckes entbehrt. Wenn er zurückkehrt ist er gut gekleidet, trägt eine Waterbury-Uhr mit Sekundenzeiger, Kragen, Manschetten, Stiefel und Schmuck. Er bringt auch ein paar Koffer mit, welche Kleidungsstücke, Musikinstrumente, Wohlgerüche und andere Luxusartikel enthalten, an deren Gebrauch er sich gewöhnt hat.« -- Sollte das die Lösung sein? -- Einen Augenblick scheint uns wirklich ein Licht darüber aufzugehen, was den Kanaka in Verbannung treibt: Er möchte sich _zivilisieren_. Erst war er nackt und schämte sich nicht, jetzt trägt er Kleider und hat gelernt sich zu schämen; er war unwissend, jetzt besitzt er eine Waterbury-Uhr; es fehlte ihm an feiner Sitte, jetzt trägt er Schmuck und duftet nach Wohlgerüchen; er genoß daheim kein besonderes Ansehen, jetzt ist er in fernen Ländern gewesen und hat ein erhöhtes Selbstgefühl. Das läßt sich hören und klingt gar nicht unwahrscheinlich. Aber der Missionar will von dieser Erklärung nichts wissen; er zerpflückt sie schonungslos, bis nichts mehr davon übrig bleibt, indem er fortfährt: »Mag auch die vorhergehende Beschreibung im allgemeinen richtig sein, so ist das Nachspiel gewöhnlich folgendes: Die Manschetten und Kragen werden von den jungen Burschen entweder gar nicht benutzt oder zum Staat unterhalb des Knies am Bein getragen. Die Uhr wandert zerbrochen und schmutzig für eine Kleinigkeit zum Trödler, oder das Werk wird herausgenommen, die Räder auf eine Schnur gezogen und um den Hals gehängt. Die Messer, Beile, Taschentücher und der Kleiderstoff werden unter die Freunde verteilt; mehr als ein Stück für jeden gibt es nicht. Oft geht der Kofferschlüssel auf dem Heimweg verloren, die Koffer selbst werden für drittehalb Schillinge verkauft, man kann sie in den Uferdörfern der Insel Tanna verfault umherliegen sehen, (ich sage das aus eigener Wahrnehmung). Ein heimgekehrter Kanaka geriet einmal gegen mich in heftigen Zorn, weil ich ihm nicht seine Beinkleider abkaufen wollte, die gerade für mich paßten, wie er behauptete. Später verkaufte er sie an einen meiner Lehrer aus Aniwa für ein Paket Tabak im Wert von dreiviertel Schilling, während er in Queensland gewiß acht bis zehn Schillinge für das Kleidungsstück bezahlt hatte. Einen Rock oder ein Hemd zu haben ist nützlich bei kalter Witterung. Auch die weißen Taschentücher, den ›~senet~‹ (Wohlgeruch), den Regenschirm und vielleicht den Hut behält der Insulaner; die Stiefel nur, wenn sie zufällig dem Koprahändler nicht passen. ›~Senet~‹ im Haar, das Gesicht mit Farbe bemalt, ein schmutziges weißes Taschentuch um den Hals, ein Stück Schildkrötenschale im Ohr, am Gürtel ein Messer mit der Scheide und einen Regenschirm in der Hand, so sieht man den heimgekehrten Kanaka am Tage nach seiner Landung umherstolzieren.« Bis auf den Hut, den Regenschirm und das Taschentuch ist er splinternackend. In einem einzigen Tage schmilzt die sauer erworbene Zivilisation so weit zusammen. Auch diese letzten vergänglichen Dinge bleiben nicht lange in seinem Besitz. Nur ein Stück seiner Zivilisation wird er sicherlich nicht wieder los -- nach des Missionars Bericht hat er nämlich fluchen gelernt. Das ist auch eine Kunst -- und die Kunst ist lang, wie der Dichter sagt. Die Gesetze eines Landes werfen stets ein Licht auf seine Vergangenheit. In Queensland lassen sie tief blicken. Sie zeigen uns, daß die Mißbräuche, über welche die Missionare klagen, von alters her bestanden und auch unter dem Schutzgesetz fortbestehen, da die Werber -- nach Behauptung der Missionare -- das Gesetz zu umgehen wissen, und der Regierungsbeamte ihnen dabei behilflich ist. Es kommt häufig vor, daß ein törichter junger ›Rekrut‹ wieder zu Verstande kommt, nachdem er seine Freiheit auf drei Jahre verkauft hat und für sein Leben gern die Verpflichtung wieder loswerden und daheim bei seinen Angehörigen bleiben möchte; dann schüchtert man ihn jedoch durch Drohungen ein, hält ihn mit Gewalt auf dem Werbeschiff zurück und zwingt ihn, seinen Kontrakt zu erfüllen. Solche Gewaltmaßregeln verbietet das Gesetz aufs strengste; der Paragraph 31 befiehlt dem Werber, den Kanaka in diesem Fall nicht nur freizulassen, sondern ihn wieder ans Ufer zu befördern und zwar im Boot, weil die Meere von Haifischen wimmeln. Das Gesetz und die Missionare haben Mitgefühl für den Kanaka, dem sein Vertrag wieder leid wird, und das ist sehr natürlich, weil er noch jung und unerfahren ist und sich leicht überreden läßt, zu tun was ihn reut; der Werber aber kennt kein Erbarmen. »Ein Kapitän, der den Handel viele Jahre hindurch betrieben hat,« erzählt Gray, »hat mir mitgeteilt, wie man mit dem kontraktbrüchigen Kanaka verfährt: »›Wenn ein Bursche über Bord springt,‹ sagte er, ›setzen wir ein Boot aus, das ihm vorausrudert und sich zwischen ihn und das Ufer legt. Schwimmt er an dem Boote vorbei, so fährt es immer wieder voraus, bis der Schwimmer erschöpft ist, freiwillig hineinsteigt und sich ruhig wieder an Bord zurückbringen läßt. Der Kunstgriff schlägt selten fehl.‹« Wäre der Schwimmer ein Sohn jenes Kapitäns und seine Verfolger Eingeborene, so würde er wohl anders darüber denken. Allein die Fähigkeit, sich in die Lage anderer Leute zu versetzen, ist nicht jedem gegeben. Auch der freie Geist des Kapitäns Wawn empört sich gegen das Schutzgesetz; es bereitet ihm viel Aergernis und vergiftet sein Leben, gerade so, wie es die Missionare tun. Wie sehr er sich nach der guten alten Zeit sehnt, die auf immer dahin ist, kann man in seinem Buche lesen; man meint ordentlich ihn zwischen den Zeilen weinen und fluchen zu hören, wenn er schreibt: »Lange Zeit durften wir alle Ausreißer, die den Vertrag an Bord unterzeichnet hatten, einfangen und festnehmen. Aber die ›eisernen Verordnungen‹ des Gesetzes von 1884 machten dem ein Ende. Sie gestatten dem Kanaka den dreijährigen Vertrag zu unterzeichnen, in dem Schiff spazieren zu fahren, sich füttern zu lassen und sich gütlich zu tun und dann auf und davon zu gehen, sobald es ihm beliebt. Nur darf er seine Vergnügungsfahrt nicht bis nach Queensland ausdehnen.« Missionar Gray dagegen, nennt jene ›eiserne Verordnung‹ ein Possenspiel. »Unter dem Schutz des Gesetzes,« sagt er, »wird gegen die Eingeborenen weit mehr Grausamkeit und Ungerechtigkeit verübt, als durch gesetzwidrige Taten. Die bestehenden Verordnungen sind ungerecht und in hohem Grade mangelhaft und werden es ewig bleiben.« Er belegt diese Behauptung auch durch Gründe, die ich jedoch des Raumes wegen hier nicht anführen kann. Wenn indessen der Kanaka von seinem dreijährigen Studium der Zivilisation in Queensland keinen andern Vorteil davonträgt als ein Halsband, einen Regenschirm und eine höchst unvollkommene Ausbildung des Fluchens, dann muß wohl der ganze Profit des Handels dem weißen Manne zugute kommen. Es läßt sich schon hieraus mit einiger Bestimmtheit die Schlußfolgerung ziehen, daß der Handel von Rechts wegen abgeschafft werden sollte. Man hat übrigens allen Grund anzunehmen, daß dies bald von selbst geschehen wird. Innerhalb der nächsten zwanzig oder dreißig Jahre müssen die Bezugsquellen des Handels versiegen, weil dann die Inseln gänzlich entvölkert sein werden. Für weiße Leute ist Queensland sehr gesund, die Ziffer der Sterbefälle beträgt nur 12 auf das Tausend; bei den Kanaken ist sie aber weit höher, im Jahre 1893 belief sie sich nach statistischen Angaben auf 52 und 1894 (im Mackay-Bezirk) auf 68. In den ersten sechs Monaten ist das Klima für den Kanaka ganz besonders gefährlich, von 1000 der neuen Ankömmlinge sterben oft 180, während die Sterbeziffer auf seiner heimischen Insel sich in Friedenszeiten auf 12 und in Kriegszeiten auf 15 vom Tausend beläuft. Der Aufenthalt in Queensland, der ihm Gelegenheit gibt, Zivilisation, einen Regenschirm und ungenügende Uebung im Fluchen zu erwerben, ist also zwölfmal so tödlich für ihn als ein Krieg. Demnach verlangt die christliche Nächstenliebe, ja schon die bloße Menschlichkeit, daß man die Leute sämtlich nach ihrer Heimat zurückschickt. Wenn, statt der Werber, Krieg, Pestilenz und Hungersnot bei ihnen einkehrten, würden sie nicht aussterben. Zum Besten der Inseln des Stillen Ozeans und ihrer Bevölkerung hat schon vor Zeiten -- das heißt vor fünfundfünfzig Jahren -- ein redegewaltiger Prophet den Mund aufgetan. Er sprach sogar etwas allzufrüh. Das Prophetentum ist zwar kein schlechtes Geschäft, aber es bringt mancherlei Gefahr. Der Prophet, den ich meine, war Seine Ehrwürden, der Doktor beider Rechte M. Russel aus Edinburgh. »Soll sich die Flut der Zivilisation nur bis zum Fuß des Felsengebirges wälzen?« fragt er. »Soll das Licht der Wissenschaft in den Wellen des Stillen Ozeans untergehen? Nein, der große Schöpfungstag, der vor vier Jahrtausenden begann, nähert sich endlich seinem Ende, die Sonne der Menschheit hat den ihr bestimmten Lauf vollbracht. Aber lange bevor ihre letzten Strahlen im Westen verlöschen, ist ihr Licht schon von neuem über den Inseln der östlichen Meere aufgegangen ... Wir sehen, wie sich das Geschlecht Japhets aufmacht, um die Inseln zu bevölkern und den Grund zu einem neuen Europa und einem zweiten England in den Regionen des Südens zu legen. Aber vernehmt das Wort der Weissagung: ›Er soll in den Zelten Sems wohnen und Canaan wird sein Diener sein‹. Sein Diener -- nicht sein Sklave. Der anglosächsischen Rasse ist das Szepter des Erdballs verliehen, aber weder die Peitsche des Sklavenvogts noch die Marterwerkzeuge des Henkers. Der Osten soll sich nicht mit denselben Greueln beflecken wie der Westen; der furchtbare Krebsschaden einer geknechteten Rasse soll nicht an dem Mark der Söhne Japhets im Lande der Sonne zehren. Wenn der Brite die Völker, unter denen er wohnt, nicht zu vernichten, sondern immer mehr zu humanisieren trachtet, je weiter er vorwärts dringt, wenn er mit ihnen in Eintracht steht, statt sie zu Sklaven zu machen, dann u. s. w. u. s. w.« Und er schließt seine Vision mit einem Aufruf aus Thomson: »Komm, holder Fortschritt, wandle deine Bahn! Mach dir die Welt als Herrscher untertan!« -- Jawohl, der holde Fortschritt ist gekommen, wie wir gesehen haben. Er hat die Zivilisation, die Waterbury-Uhr, den Regenschirm und die Kunst des Fluchens mitgebracht, auch einen Mechanismus, um die Völker zu humanisieren und nicht auszurotten, samt der Sterbeziffer von 180 auf das Tausend; kurz, er hat alles aufs beste in Gang gebracht. Aber, der Prophet, der zuletzt das Wort ergreift, ist immer im Vorteil gegenüber dem Pionier, der das Amt zuerst übernimmt. Hören wir, was der Missionar Gray sagt: »Es liegt mir schwer auf dem Herzen, daß eine christliche Nation wie wir, diese Rassen vertilgt, um sich selbst zu bereichern.« Und er schließt seine Broschüre mit einer harten Anklage, deren ungeschminkte, offenherzige Sprache ebenso beredt ist, wie der blumige Wortschwall seines Vorgängers im Prophetenamt. »Was ich gegen den Kanaka-Handel mit Queensland einzuwenden habe,« sagte er, »ist folgendes: »1. Er wirkt im allgemeinen demoralisierend auf die Kanaken, stürzt sie in Armut, beraubt sie ihres Bürgerrechts und entvölkert die Inseln, welche sie bewohnen. »2. Der Handel schadet dem Ansehen des weißen Arbeiters im landwirtschaftlichen Betrieb von Queensland und verkürzt jedenfalls seinen Lohn. »3. Das ganze System bringt in gesundheitlicher Beziehung große Gefahren mit sich, sowohl für das Festland von Australien als auch für die Inseln. »4. In sozialer und politischer Hinsicht macht die Fortdauer des Kanaka-Handels jede feste Vereinigung der Kolonien in Australien unmöglich. »5. Die gesetzlichen Vorschriften, welche für diesen Handel in Queensland bestehen, sind ungeeignet zur Verhinderung von Mißbräuchen; auch werden sie stets mangelhaft bleiben, das liegt schon in der Natur der Sache. »6. Das ganze System steht in völligem Widerspruch zu dem Geist und den Lehren des Evangeliums Jesu Christi, welches uns befiehlt, dem Schwachen Hilfe zu leisten, während der Kanaka geschunden und mit Füßen getreten wird. »7. Der Handel gründet seine Berechtigung auf die Annahme, daß Leben und Freiheit für einen Farbigen weniger Wert haben als für einen Weißen. Er hat sich aus der Sklavenjagd entwickelt und wird sich niemals weit von seinem Ursprung entfernen.« Siebentes Kapitel. Ehrlich währt am längsten, sagt das Sprichwort; aber mit dem Schein der Ehrlichkeit kommt man oft sechsmal so weit. _Querkopf Wilsons Kalender._ Aus dem Tagebuch. Seit einigen Tagen durchschiffen wir eine unsichtbare Wildnis von Inseln und bekommen manchmal die eine oder andere in schattenhaftem Umriß zu Gesicht. Auf der Karte erscheint das Insel-Gewirr undurchdringlich und ihre Zahl ohne Ende. Jetzt sind wir mitten in der Gruppe der Fidschis, die aus 224 Inseln und Inselchen bestehen. Das Gewirr erstreckt sich westwärts vor uns bis nach Australien, geht im Bogen hinauf nach Neuguinea und immer weiter bis Japan; hinter uns dehnt es sich nach Osten durch sechzig Längengrade über den ganzen Stillen Ozean aus; nach Süden zu liegt Neuseeland. Unter diesen Myriaden soll auch irgendwo Samoa sein; auf der Karte kann ich es nicht finden. Wer aber dorthin gehen möchte, braucht nur der Anweisung zu folgen, die Robert Louis Stevenson dem ~Dr.~ Conan Doyle und Mr. J. M. Barrie gegeben hat: »Fahrt nach Amerika,« sagt er, »und quer durch den Kontinent bis San Francisco, dann noch zweimal links um die Ecke, und ihr seid am Ziel.« -- Eine nette Beschreibung! * * * * * _Mittwoch, 11. September._ Wenn man sich einer der Fidschi-Inseln nähert, sieht man zuerst rings herum einen breiten Gürtel von blendend weißem Korallensand, dahinter hohe schlanke Palmen, unter denen die Hütten der Eingeborenen zwischen dem Buschwerk zum Vorschein kommen; weiter zurück eine Strecke ebenes Land von tropischem Pflanzenwuchs bedeckt und ganz im Hintergrund die malerischen Formen der wilden Gebirgszüge. Liegt nun noch im Vordergrund ein altes Wrack hoch oben auf der Uferklippe -- wie wir es sahen -- so läßt das ganze Bild vom künstlerischen Standpunkt aus nichts zu wünschen übrig. Am Nachmittag erblickten wir Suva, die Hauptstadt der Gruppe, und fuhren in den kleinen geschlossenen Hafen ein, der mit seinen glänzend blauen und grünen Gewässern im Schutz der umgebenden Hügel still und friedlich daliegt. Ruderboote schwammen vom Ufer herbei, sie waren mit Eingeborenen bemannt, den ersten, welche wir zu sehen bekamen. Daß sie bei der Hitze keine überflüssige Kleidung trugen, konnte man ihnen nicht verargen. Es waren große, muskelstarke Männer mit dunkler Haut, ebenmäßigem Gliederbau und klugen, charaktervollen Gesichtern. Ich glaube kaum, daß man irgendwo unter den farbigen Rassen schöneren Gestalten begegnen wird. Wir gingen alle ans Ufer, um die Insel in Augenschein zu nehmen und eine Mahlzeit am Lande zu halten, was der größte Hochgenuß für einen Seereisenden ist. Dort sahen wir noch mehr Eingeborene: runzlige alte Weiber mit flachen Brüsten, junge dralle Dirnen, deren freundlich lachender Ausdruck und anmutige Bewegungen den wohlgefälligsten Anblick boten; hübsche junge Frauen von edlem Wuchs, die den Kopf hoch trugen und in ihrer unbewußten Würde stattlich einhergeschritten kamen; majestätische junge Männer, wahre Athletengestalten, in lose, weiße Gewandung gekleidet, welche die bronzefarbene Brust und die Beine nackt ließ. Auf dem Kopf hatten sie eine förmliche Bürste von dichtem Haar, das vom Schädel abstand und brennend ziegelrot gefärbt war. Vor kaum sechzig Jahren steckten sie noch in tiefer, geistiger Finsternis; jetzt ist das Fahrrad auch bis zu ihnen gedrungen. Wir schlenderten in den Straßen der kleinen Stadt der Weißen umher und über die Berge auf Pfaden und Wegen, die zu europäischen Wohnhäusern, Gärten und Pflanzungen führten. Die großen Blüten der Hibiskussträucher mit ihrem feurigen Rot blendeten uns förmlich die Augen. Bei einem alten englischen Kolonisten blieben wir endlich stehen, um ein paar Fragen an ihn zu richten und uns teilnehmend über die furchtbare Hitze zu äußern. Darüber verwunderte er sich jedoch höchlich. »Das nennen Sie heiß?« fragte er. »Da sollten Sie einmal im Sommer hier sein.« »Ist denn nicht Sommer? Es sieht doch täuschend so aus. In keinem Lande der Erde würde man es für etwas Anderes halten. Was fehlt denn daran?« »Ein halbes Jahr. Wir sind jetzt mitten im Winter.« Ich litt schon seit mehreren Monaten an Husten und Schnupfen, und ein so plötzlicher Wechsel der Jahreszeiten mußte mir schädlich sein. Natürlich erkältete ich mich gleich von neuem. Vor vierzehn Tagen haben wir Amerika im Sommer verlassen, jetzt ist es Winter und in einer Woche, bei unserer Ankunft in Australien werden wir mitten im Frühling sein. Diese plötzlichen Sprünge von einer Jahreszeit in die andere sind höchst verwunderlich. Nach Tische traf ich im Billardzimmer einen Bewohner der Insel, dem ich schon früher in einem anderen Weltteil begegnet war, auch machte ich ein paar neue Bekanntschaften und wir fuhren zusammen aus, um den Gouverneur auf seinem Landsitz zu besuchen, der hoch und luftig gelegen, ein viel behaglicheres Klima hat, als die niederen Regionen, wo der Winter ein strenges Regiment führt und einem fast das Haar versengt, wenn man den Hut abnimmt, um zu grüßen. Von dem Hause seiner Excellenz hat man einen herrlichen Blick über das Meer, die Inseln und die zackigen Bergspitzen, während ringsum alles wie traumversunken in jener heiteren, ungestörten Ruhe zu schlummern scheint, welche dem Leben auf den Inseln des Stillen Ozeans seinen Hauptreiz verleiht. Einer meiner neuen Bekannten war mir durch seine ungewöhnliche Größe aufgefallen; ich sah noch bewundernd zu ihm empor, als er neben dem Gouverneur auf der Veranda stand. Da trat der Diener, ein Fidschi-Insulaner heraus, um uns zum Tee zu rufen -- und jener große Mann wurde zum Zwerge. Oder, wenn auch das nicht, so schien doch der Abstand gewaltig. Der farbige Riese war gewiß ein abgesetzter Inselkönig. Ich glaube, bei unserem Gespräch dort auf der Veranda wurde auch erwähnt, daß die eingeborenen Könige und Häuptlinge, sowohl auf den Fidschi- wie auf den Sandwichinseln viel mächtiger von Gestalt sind als der gemeine Mann. Die weißen, faltigen Gewänder, in die der Diener gekleidet war, schienen wie für ihn geschaffen; ein europäischer Anzug hätte ihm seine Würde und Eigentümlichkeit genommen. Das weiß ich ganz gewiß, denn es ist bei jedem Menschen der Fall, der unsere moderne Kleidung trägt. Man sagt, daß sich die Anhänglichkeit und Verehrung, welche die Eingeborenen der Person ihres Häuptlings zollten, noch unverändert erhalten hat. Das Oberhaupt eines Stammes der Fidschianer in der Hauptstadt ist ein gebildeter junger Herr, der ganz wie ein vornehmer Europäer gekleidet geht; aber seine Tracht vermag ihm nicht die Ehrfurcht des Volks zu rauben. Der Stolz auf des Häuptlings hohen Rang und alte Abkunft besteht fort, trotz seiner verlorenen Herrschermacht und der Hexenkunst seines Schneiders. Er braucht sich weder durch Arbeit zu entwürdigen, noch sein Herz mit niederen Erdensorgen zu belasten; der Stamm schützt ihn vor jedem Mangel und gibt ihm die Mittel, ein Herrenleben zu führen, um sein Ansehen zu bewahren. Ich sah ihn unten in der Stadt einen Augenblick im Vorbeigehen. Vielleicht ist er ein Abkömmling des letzten Königs -- dessen Name so schwer zu behalten ist und dem man mitten in der Stadt ein großes, steinernes Denkmal gesetzt hat. Ja so -- Thakombau heißt er, eben fällt es mir wieder ein. Der Name kommt einem so leicht aus dem Kopf, es ist gut, daß er auf dem Granitblock steht. Im Jahre 1874 trat dieser König die Fidschi-Inseln an England ab. Man sagt, der englische Bevollmächtigte habe den armen Thakombau trösten wollen, indem er versicherte, die Uebergabe seiner Herrschaft an England sei nur eine Art Wohnungswechsel, wie ihn der Einsiedlerkrebs vornimmt, worauf Thakombau die rührende Antwort gab: »Nur mit dem Unterschied, daß der Einsiedlerkrebs in eine unbewohnte Muschel kriecht, aber mein Gehäuse ist nicht leer.« Dem Könige scheint damals übrigens, wie ich gelesen habe, nur die Wahl zwischen zwei Uebeln freigestanden zu sein. Er schuldete den Vereinigten Staaten eine große Summe, die er ohne Aufschub bezahlen mußte, sonst drohte man sein Land mit Krieg zu überziehen. Um die Fidschianer vor diesem Schicksal zu bewahren, trat er das Land an Großbritannien ab, und eine Klausel des englischen Vertrags verbürgte die schließliche Tilgung seiner Schuld an Amerika. Vor Zeiten war das Volk sehr kriegerisch gesinnt und seinem Götzendienst mit großem Eifer ergeben. Die Häuptlinge waren stolze Gebieter und lebten in mancher Hinsicht auf sehr großem Fuße; alle hatten mehrere Weiber, die vornehmsten oft fünfzig Stück. Starb ein Häuptling und sollte begraben werden, so erdrosselte man vier oder fünf seiner Weiber und legte sie zu ihm ins Grab. Im Jahre 1804 gelang es siebenundzwanzig britischen Sträflingen, von Australien nach den Fidschi-Inseln zu entkommen; sie brachten auch Flinten und Schießbedarf mit. Man stelle sich nun vor, welche Macht diese Waffen ihnen verliehen! Hätten sie verstanden die Gelegenheit zu benutzen, wären sie tatkräftige nüchterne Menschen gewesen, so war ihre Herrschaft gesichert -- sie konnten siebenundzwanzig Könige werden, von denen jeder acht oder neun Inseln unter seinem Szepter hatte. Allein sie verscherzten ihr Glück und vergeudeten ihr Leben in üppiger Schwelgerei. Die meisten starben eines gewaltsamen ehrlosen Todes. Nur einer, ein Irländer Namens Connor, scheint eine Ausnahme gemacht zu haben. Er hatte den Ehrgeiz, fünfzig Kinder groß zu ziehen, brachte es aber nur auf achtundvierzig und konnte sich über diesen Mißerfolg sein Lebenlang nicht zugute geben. Das war eine Habgier seltsamer Art; mancher Vater wäre sich schon mit 40 Kindern reich genug vorgekommen. Ja, die Fidschianer sind eine schöne Rasse; auch fehlt es ihnen nicht an Klugheit und Wißbegierde. Ihre wilden Vorfahren hatten eine Art Unsterblichkeitslehre -- das heißt, in beschränktem Sinne. Sie glaubten nämlich, daß ihre toten Freunde nur in ein glückliches Jenseits hinübergingen, wenn man imstande war, ihre Körperteile zu sammeln. Das machten sie zur Bedingung. Um dem Missionar zu beweisen, daß seine Lehre viel zu allgemein und unbegrenzt sei, lenkten sie seine Aufmerksamkeit auf gewisse, nicht zu bestreitende Tatsachen: Viele ihrer Freunde, sagten sie, seien zum Beispiel von Haifischen gefressen worden; die Haifische wären dann ihrerseits von andern Leuten getötet und verzehrt worden; später wurden diese zu Kriegsgefangenen gemacht und die Feinde verspeisten sie. Dadurch seien die ursprünglichen Personen zu Fleisch und Blut der Haifische und diese zu Bestandteilen der Kannibalen geworden. Wie sollte man nun die Glieder jener Personen wieder ausfindig machen und zusammensetzen können? Diese Schwierigkeit verursachte den Fidschianern tausend Zweifel, und sie waren nicht davon abzubringen, daß die Missionare die Sache gar nicht mit dem gehörigen Ernst und der ihr gebührenden Aufmerksamkeit erwogen hätten. Die Missionare brachten diesen schwer zu befriedigenden Wilden viele schätzenswerte Dinge bei und lernten auch ihre Vorstellungen kennen, von denen eine besonders zart und poetisch war. Die armen, einfachen Naturkinder glaubten nämlich, daß die Blumen, nachdem sie verwelkt sind, vom Winde emporgetragen werden und droben, auf den himmlischen Gefilden, ewiglich in unvergänglicher Schönheit blühen! Achtes Kapitel. Er war so bescheiden wie eine Zeitung, wenn sie von ihren eigenen Vorzügen spricht. _Querkopf Wilsons Kalender._ Ja, das Inselgewirr im Stillen Ozean, wie wir es auf der Karte sehen, ist eine Täuschung. Weite Meereswüsten liegen zwischen den einzelnen Gruppen; auch ist noch vieles über die Inseln, deren Bewohner und Sprachen, bisher unerforscht geblieben. Zum Beweis hierfür erwähne ich nur die Tatsache, daß vor zwanzig Jahren zwei fremde, einsame Wesen auf die Fidschis gebracht wurden, die aus einem unbekannten Lande kamen und eine unbekannte Sprache redeten. Viele hundert Meilen entfernt von jeder bisher entdeckten Insel, hatte ein vorüberfahrendes Schiff sie in einem kleinen Kanoe auf dem Meer treiben sehen und an Bord genommen. Als man sie fand waren sie nichts als Haut und Knochen; niemand konnte verstehen, was die Leute sagten, und sie haben das Land ihrer Herkunft nie genannt, wenigstens keinen Namen, der auf irgend einer Karte steht. Jetzt sind sie dick und wohlgenährt und freuen sich ihres Lebens. Im Logbuch des Schiffes ist die Länge und Breite eingetragen, unter der sie gefunden wurden; Aufschluß über ihre verlorene Heimat wird man vielleicht nie erhalten.[1] Klingt das nicht höchst seltsam und romantisch? -- Ueberhaupt ist ja diese Inselwelt der richtige Schauplatz für alle phantastischen, geheimnisvollen Traumgebilde -- und noch manches andere: Wer in der großen Welt Schiffbruch gelitten hat beim Kampf ums Dasein, der findet hier in der erhabenen Einsamkeit, in der Schönheit und tiefen Ruhe der Natur, was er für sein wundes Herz bedarf; Menschen, welche die Welt eines Verbrechens wegen ausstößt, Leute, die ein träges, sorgloses Leben führen möchten, und andere, die gern frei umherschweifen, weil sie Abenteuer und Abwechslung lieben, sie alle finden hier was sie brauchen. Auch können Glücksritter, die auf bequeme Weise Geld zu erwerben und Handel zu treiben wünschen, daneben noch manches Eheband knüpfen, das nicht allzu fest hält, auch nicht erst vor Gericht mit vielen Kosten gelöst werden muß. Jeder, der sich in seinem Spaß und Zeitvertreib nicht beschränken lassen will, gelangt hier mühelos zu vollem Lebensgenuß. * * * * * Neu gestärkt und erfrischt segelten wir weiter. * * * * * Die gebildetste Persönlichkeit bei uns an Bord war ein junger Engländer aus Neuseeland. Von Beruf Naturforscher, besaß er tiefe, gründliche Kenntnisse in seinem Fach und betrieb es mit wahrer Leidenschaft. Er hatte auch eine ziemliche Rednergabe, und wenn er vom Tierreich sprach, hörte man ihm mit Vergnügen zu. Was er sagte war sehr belehrend, nur manchmal schwer aufzufassen, weil er allerlei technische Ausdrücke brauchte, die über unser Verständnis gingen. Wenigstens lagen sie ganz außerhalb meines Horizonts, aber, da er uns gern erklärte, was wir nicht begriffen hatten, machte ich mir eine Pflicht daraus, diese Gelegenheit zur Bereicherung meines Wissens nicht unbenützt vorbeigehen zu lassen. Ich war zwar in Naturgeschichte für einen Laien ziemlich bewandert, aber erst durch seinen Unterricht erhielt was ich wußte, eine klare, wissenschaftliche Form und bekam wirklichen Wert. Hauptsächlich interessierte er sich für die Fauna Ozeaniens, über die er ebenso genaue wie erschöpfende Studien gemacht hatte. Von den dort eingeführten Kaninchen und ihrer wunderbaren Fruchtbarkeit war mir schon viel zu Ohren gekommen; im Gespräch mit ihm erfuhr ich jedoch, daß die Kaninchenplage über alle meine Begriffe ging und im Handel und Verkehr die lästigste Störung verursacht. Er erzählte mir, das erste Kaninchenpaar, welches man nach Ozeanien brachte, habe sich so wunderbar vermehrt, daß die Tiere schon nach einem halben Jahr das ganze Land bedeckten, und man die dichte Masse mit Laufgräben durchziehen mußte, um von Stadt zu Stadt zu kommen. Der gelehrte Herr sagte mir auch allerlei von Würmern, vom Känguruh und andern ~Coleoptera~ und versicherte, er kenne die Geschichte und Lebensweise aller dieser ~Pachydermata~. Das Känguruh habe Taschen, in die es seine Jungen hineinstecke, wenn es keine Aepfel fände. Der Emu wäre so groß wie ein Strauß und sähe diesem ähnlich, er fräße alles durcheinander, selbst Ziegelsteine. Zwischen einem Dingo und einem Dodo sei nur der Unterschied, daß sie beide nicht bellten, sonst glichen sie einander aufs Haar. Aber ein Dingo wäre gar kein Dingo, sondern einfach ein wilder Hund. Unter den einheimischen Vögeln, sagte er, sei der schönste der Paradiesvogel, dann käme der Leierschwanz. Aber, der ›Sonnenvogel‹ sei gar kein Vogel, sondern ein Mensch. ›Sonnenvogel‹ ist nur die australische Bezeichnung für einen Herumtreiber, Trinker und Schmarotzer, der zur Zeit der Schafschur unter dem Vorwand Arbeit zu suchen, das Land durchstreift. Er weiß es dabei so einzurichten, daß er immer erst nach Sonnenuntergang bei einer Schafweide anlangt, wenn das Tagewerk zu Ende ist. Was er sucht, ist nur Whisky, Abendbrot, Nachtlager und Frühstück; das läßt er sich geben und dann verschwindet er wieder. Der Naturforscher sprach auch vom Glockenvogel, der den ganzen Tag mit kurzen Unterbrechungen aus der Tiefe des Waldes sein weiches, wundervolles Geläute ertönen läßt. Der ›Sonnenvogel‹ liebt ihn sehr und betrachtet ihn als seinen besten Freund; denn, da er weiß, daß es überall, wo der Glockenvogel sich aufhält, nur Wasser zu trinken gibt, geht er stets nach einer andern Richtung. Der sonderbarste Vogel von allen, sagte der Gelehrte, sei der ›lachende Hans‹ und der größte, die jetzt ausgestorbene Moa. Dieser Riesenvogel war dreizehn Fuß hoch; er konnte über einen gewöhnlichen Menschen hinwegschreiten und ihm dabei den Hut samt dem Kopf abreißen. Flügel hatte er nicht, war aber ein Schnelläufer; die Eingeborenen benützten ihn als Reitpferd, er konnte hintereinander vierhundert Meilen ohne Ermüdung zurücklegen, vierzig Meilen die Stunde. Als die Eisenbahn nach Neuseeland kam, lebte er noch und war als Postbote angestellt. Gleich anfangs führte die Bahnverwaltung einen Fahrplan ein, wie er noch heutigen Tages besteht, nämlich wöchentlich zwei Schnellzüge, mit zwanzig Meilen die Stunde. Um den Postbetrieb zu bekommen, mußte die Eisenbahngesellschaft erst die Moas vertilgen. Die seltsamen Abweichungen von den bestehenden Gesetzen, welche sich die Natur in Australien erlaubt, ließen sich, meinte der Gelehrte, am besten beim Schnabeltier beobachten, das eine wunderliche Verbindung von Vogel, Fisch, Amphibium, Grabetier, Reptil, Christ und Vierfüßler sei. An Vielseitigkeit des Charakters und der Beschaffenheit stehe das Schnabeltier, auch Ornithorhynchus genannt, weit über allen anderen Geschöpfen der Welt. »Man kann es zu jeder Tierart zählen und wird nicht irre gehen,« sagte er. »Es ist ein Fisch und verbringt sein halbes Leben im Wasser, die übrige Zeit aber als Landtier auf dem Ufer, und da es nicht weiß, wo es ihm besser gefällt, ist es ein Amphibium. Es hält Winterschlaf sobald in der Welt nicht viel los ist und es Langeweile hat, vergräbt sich auf dem Grunde einer Pfütze im Schlamm und haust dort zur Abwechslung ein paar Wochen. Zu den Enten gehört es auch, denn es hat einen Entenschnabel und Schwimmhäute an den Füßen. Fisch und Vierfüßler zugleich, rudert es mit den Schwimmfüßen im Wasser oder stampft damit auf dem Lande umher; auch für einen Seehund kann es gelten, weil es einen Pelz hat wie er. Das Schnabeltier ist Fleischfresser, Pflanzenfresser, Insektenfresser und Würmerfresser, denn es nährt sich von Fischen, Gras, Schmetterlingen und allerlei Gewürm, das es im Schlamm findet. Offenbar ist es ein Vogel, da es Eier legt und sie ausbrütet, aber auch ein Säugetier, denn es säugt seine Jungen. Daß es eine Art Christ ist, wird niemand bestreiten, da es Sonntagsruhe hält, wenn es sich beobachtet weiß, diese Pflicht jedoch unterläßt, wenn keiner es sehen kann. Es hat Geschmack für alles, nur keinen geläuterten und nimmt alle Sitten und Gewohnheiten an, die es gibt, mit Ausnahme der guten. »Charles Darwin hat die Theorie über die Entstehung der Arten aufgestellt, nach welcher der Kampf ums Dasein mit dem ›Ueberleben des Passendsten‹ endet. Das Schnabeltier aber hat das unbestrittene Verdienst, dies Experiment selbst ausgeführt und damit zuerst den Beweis geliefert zu haben, daß sich Darwins Theorie auch in der Praxis bewährt. Beiden gebührt daher der gleiche Ruhm. »Als die Sündflut kam, flüchtete es sich nicht in die Arche Noäh, dort würde man seinen Namen vergebens suchen. Nein -- es besaß Selbstlosigkeit genug, um draußen zu bleiben und an der praktischen Entwicklung der Theorie zu arbeiten, auch war ja kein Geschöpf der Welt für dies Werk so gut ausgerüstet wie das Schnabeltier. Die Arche schwamm dreizehn Monate auf den Wassern, welche die Erde überfluteten, so daß nirgends Land zu erblicken war. Es gab weder Speise noch Trank mehr für ein Säugetier; kein Pflanzenwuchs, kein Nahrungsmittel war übrig geblieben, und das Salzwasser der Meere hatte sich mit den reinen Fluten des Himmels gemischt, so daß kein gewöhnliches lebendes Wesen es hätte trinken können. Aber dieser Zustand der Dinge war dem Ornithorhynchus gerade recht. Das Wasser seiner Flußheimat hatte immer den Salzgeschmack der Meeresfluten gehabt, und die Wogen, welche über die Berggipfel dahinrollten, führten zahllose Stämme von Waldbäumen mit sich. Auf diesen schiffte der Ornithorhynchus friedlich weiter und schwamm von einer Zone zur andern, von einer Halbkugel zur andern, in aller Behaglichkeit und Gemütsruhe. Voll Interesse für den stets wechselnden Schauplatz seiner Fahrt und dankbar für die ihm verliehenen Vorrechte, verfolgte er in stets wachsender Begeisterung die Entwicklung der großen wissenschaftlichen Theorie, für deren Wahrheit er -- wenn ich mich so ausdrücken darf -- bereit war, sein Leben, sein Glück und seine Ehre einzusetzen. »So lebte das Schnabeltier in ruhigem Wohlbehagen, wie jemand der sein genügendes Auskommen hat. Von allem, was es zu einem glücklichen Dasein bedurfte, mangelte ihm nichts. Wollte es einen Spaziergang machen, so kroch es auf dem Baumstamm entlang; bei Tage träumte es unter dem Blätterdach und schlief nachts in dessen Schutz. So oft das Tier wollte, konnte es ein Schwimmbad nehmen; hatte es Verlangen nach Pflanzenkost, so fraß es Baumblätter, unter der Rinde grub es nach Würmern und Larven oder fing es sich einen Fisch; wollte es Eier haben, so brauchte es sie nur zu legen. Wenn alles Gewürm in einem Baume verzehrt war, so schwamm es nach einem andern hin, und Fische gab es stets in solchem Ueberfluß, daß es nur die Qual der Wahl hatte. Bekam es aber Durst, so schlürfte es mit Wonne die salzige Mischung, an der ein Krokodil umgekommen wäre. »Als das Schnabeltier endlich nach seiner dreizehnmonatlichen Forschungsreise in allen Zonen auf einem Berggipfel gelandet war, stieg es ans Ufer und dachte stolzen Mutes: ›Mögen die, welche nach mir kommen, Theorien erfinden, und sich in ihrer Phantasie mit dem ›Ueberleben des Passendsten‹ beschäftigen; _aber ich habe die Möglichkeit zuerst durch die Tat bewiesen_.‹ »Dies wunderbare Geschöpf,« fuhr der Gelehrte fort, »stammt gleich dem Känguruh und vielen andern merkwürdigen Tierarten Australiens aus einer Erdperiode, in der vom Menschen noch keine Spur vorhanden war. Damals führte ein viele hundert Meilen breiter und Tausende von Meilen langer Riesendamm von Australien nach Afrika hinüber; die Tierwelt beider Erdteile war die nämliche und gehörte jener geologischen Epoche der Urzeit an, welche die Wissenschaft unter dem Namen ›alte rote totliegende ~Post-Pleosaurius~-Formation‹ kennt. Später versank der Riesendamm im Meere und gewaltige Erderschütterungen hoben das afrikanische Festland um tausend Fuß höher als vormals, während Australien seinen alten Standpunkt behauptete. In dem neuen afrikanischen Klima entwickelte sich notwendigerweise auch die Tierwelt ganz anders und begann die Formen abzustreifen, wodurch neue Familien und Arten entstanden. Die Tiere in Australien dagegen blieben wie sie waren, bis auf den heutigen Tag. Auch der afrikanische Ornithorhynchus hat sich im Lauf einiger Millionen Jahre immer weiter entwickelt und eine Eigenheit nach der andern abgelegt, bis das ganze Geschöpf in seine Teile zerfiel und sich zersplitterte. Wenn man jetzt in Afrika einen Vogel oder Vierfüßler sieht, eine Otter oder einen Seehund, so kann man darauf wetten, daß es irgend ein Ueberbleibsel des wunderbaren Urgeschöpfs ist, von welchem ich rede -- das der Inbegriff aller Arten war und doch keiner einzelnen angehörte -- dem überreich begabten ~E Pluribus Unum~ der Tierwelt. »Dies ist die Lebensgeschichte des ältesten und ehrwürdigsten Geschöpfs, das heutzutage auf Erden lebt, des ~Ornithorhynchus Platypus Extraordinariensis~, das Gott noch lange erhalten möge!« Zu so hohem Schwung erhob sich der Naturforscher bisweilen in seiner Schilderung, wenn er von dem Gegenstand mächtig ergriffen war, und zwar nicht nur in Prosa, nein, auch in gebundener Rede. Er hatte viele Verse gemacht und lieh den Passagieren sein Manuskript; ja, er erlaubte ihnen sogar eine Abschrift davon zu machen. Ein Gedicht, welches mir am erhabensten von allen erschien, und in dem auch die wenigsten technischen Ausdrücke vorkommen, will ich hierhersetzen: Aufforderung. Aus deinem Schlammbett komm, Du liebes Schnabeltier, Und willig gib und fromm, Jetzt Red’ und Antwort mir. Noch ist mir unbekannt Dein Stamm und deine Art, Weshalb dein Körperbau So ganz und gar apart. Du trägst den Biberschwanz, Die Schwimmhaut statt der Klaun, In deiner Schnauze ist Manch scharfer Zahn zu schaun. Auch dir, mein Känguruh, Mit kurzem Vorderfuß Und spitzem Rattenkopf Entbiet’ ich meinen Gruß! Wer lehrt’ dich kühnen Sprung? Wer gab den Beutel dir? Geschöpf aus frührer Zeit, Warum weilst du noch hier? Versteint im Erdenschoß, All’ deine Freunde ruhn. Was willst in fremder Welt Du hier allein noch tun? Neuntes Kapitel. Bemitleidet die Lebenden, beneidet die Toten. _Querkopf Wilsons Kalender._ _15. September_ abends. -- Jetzt sind wir dicht an Australien. Sydney ist nur noch fünfzig Meilen entfernt. Das hatte ich eben geschrieben, als die Passagiere auf Deck gerufen wurden, wo es etwas Schönes zu sehen gab. Es war sehr dunkel; das Auge konnte kaum fünfzig Meter in der Runde über die Meeresfläche schweifen, weiterhin verdüsterte sich alles und entschwand dem Blick. Wer aber eine Weile geduldig in die Finsternis hineinschaute, wurde reich belohnt. Nicht lange da erschien eine Viertelmeile entfernt ein blendend heller Schein oder Strahl auf dem Wasser, so plötzlich und mit so wundervollem Glanz, daß man unwillkürlich den Atem anhielt. Die Lichtmasse dehnte sich rasch im Zickzack bis zur ungeheuern Länge der fabelhaften Seeschlange aus; man glaubte jeder Bewegung ihres Körpers folgen zu können. Sowohl das Kielwasser hinter dem Schweif, als auch die Wellen, die vor dem Kopf dahinschossen, waren wie in Feuersglut getaucht. Und mit welcher blitzartigen Geschwindigkeit das Ungetüm daherkam! Ehe man sich’s versah, war der fünfzig Fuß lange, feurige Drache vorbeigestürmt und im Nu verschwunden. Aber auf demselben Fleck, von wo er gekommen war, leuchtete es wieder auf; es folgte ein zweiter Strahl, ein dritter, ein vierter, die sich mit rasender Eile in Seeschlangen verwandelten. Einmal sahen wir sechzehn zu gleicher Zeit aufblitzen und auf uns zuschießen. Die sich in zahllosen Windungen schlängelnden Feuerströme boten einen Anblick von zauberhafter Schönheit, ein Schauspiel so voller Glut und Glanz, wie es die meisten jener Zuschauer wohl erst nach ihrem Tode wieder zu sehen bekommen werden. Und was war es? -- Nichts anderes als zahlreiche Scharen von Delphinen, die sich im phosphoreszierenden Meere tummelten. Sie vereinigten sich gleich darauf zu einem prächtigen, wilden, verworrenen Knäuel unter dem Bug des Schiffes, wo sie wohl eine Stunde lang ihr munteres Spiel trieben. Bald schnellten sie in die Höhe, hüpften und vergnügten sich auf allerlei Weise, bald schossen sie Purzelbäume vor dem Schiffsschnabel und darüber hinweg ohne sich je zu stoßen oder den Vordersteven zu berühren, obgleich sie sich ihm stets auf Zollweite näherten. Es waren Delphine von gewöhnlicher Größe, 8--10 Fuß lang, aber bei jeder Bewegung ihres Körpers schlängelten sich feurige Schneckenwindungen weithin nach rückwärts über das Wasser. Dies glänzende Gewirre bot einen geradezu entzückenden Anblick, auch rührten wir uns nicht von der Stelle, bis das Schauspiel zu Ende war; dergleichen bekommt man im Leben schwerlich ein zweitesmal zu sehen. Die Delphine sind zwar stets voller Lust und Beweglichkeit und haben nichts als Possen im Kopf wie die Spielkätzchen, aber so ausgelassen wie an jenem Abend hatte ich sie noch nie gesehen, sie waren förmlich wie betrunken. Als wir uns Sydney bis auf dreißig Meilen genähert hatten, kam das große elektrische Licht zum Vorschein, das auf einem der hohen Wälle angebracht ist. Aus dem winzigen Lichtfunken wurde allmählich eine Riesensonne, die das dunkle Firmament wie mit einem fernhin leuchtenden Schwert zerteilte. Der Hafen von Sydney ist durch eine steile Felswand abgeschlossen, an welcher der neue Ankömmling auch nicht die kleinste Oeffnung bemerken kann. Der richtige Eingang liegt in der Mitte, ist aber so leicht zu übersehen, daß selbst Kapitän Cook vorübersegelte, ohne ihn zu finden; dicht daneben ist ein falscher, der jenem gleicht und ehemals bei Nacht dem Schiffer oft gefährlich geworden ist, als die Einfahrt noch keine Beleuchtung hatte. Auch eins der schrecklichsten Trauerspiele auf dem wilden, ruchlosen Meer, der denkwürdige Schiffbruch des ›Duncan Dunbar‹ entsprang aus dieser Ursache. Es war ein prächtiges und sehr beliebtes Segelschiff, welches von einem Kapitän befehligt wurde, der bei den Passagieren in hoher Gunst stand und sich des besten Rufes erfreute. In Sydney erwartete man die Rückkunft des Schiffes von England und zählte die Stunden bis zu seinem Eintreffen, denn es hatte eine große Menge Mütter und Töchter an Bord, die wegen der Erziehung der letzteren lange von den Ihrigen getrennt gewesen waren, und nun Freude und Leben in die verwaisten Heimstätten Sydneys zurückbringen sollten. In Australien und Indien, wo die Beziehungen zu dem Mutterlande so zahlreich sind, weiß man mehr als sonstwo was es heißt, wenn der Mensch Schiffe mit dem Liebsten, das er auf Erden hat, befrachtet und sie von den tückischen Winden -- nicht vom Dampf -- befördern lassen muß. Nur dort erfahren die Menschen, wie angstvoll das Warten ist und wie groß das Entzücken, wenn das Fahrzeug mit ihren Kleinodien in den sicheren Hafen einläuft und Furcht und Qual vorüber ist. An Bord des ›Duncan Dunbar‹ waren die Heimkehrenden eifrig mit Vorbereitungen beschäftigt, als es zu dämmern begann, denn sie sollten ja, noch ehe der Tag zu Ende ging, mit ihren Lieben vereint sein. Frauen und Mädchen legten die Kleider ab, die sie unterwegs getragen hatten, und schmückten sich aufs beste -- die armen Bräute des Todes! Aber, sei es nun, daß der Wind sich gelegt hatte oder die Entfernung falsch berechnet war -- noch kam die Landzunge nicht in Sicht, als schon das Dunkel hereinbrach. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde der Kapitän wohl auf offener See geblieben sein, um erst den Morgen zu erwarten; aber da er die vielen flehenden Blicke sah und auf allen Gesichtern sich die bitterste Enttäuschung malte, mag ihn sein Mitgefühl bewogen haben, die schwierige Einfahrt trotz der Finsternis zu wagen. Schon siebzehnmal war er in den Hafen von Sydney eingelaufen und glaubte seiner Sache ganz sicher zu sein. So steuerte er denn in gerader Linie auf die falsche Oeffnung los, die er für die richtige hielt. Als er seinen Irrtum erkannte, war es bereits zu spät. Das Schiff war rettungslos verloren, die hochgehende See riß es mit sich fort und schleuderte es auf die spitzen Klippen am Fuß der Felswand, daß es mit Krachen zerbarst und zersplitterte. Von der ganzen holden Schar liebreizender Frauen und Mädchen blieb auch nicht eine am Leben. Jeder Fremde, welcher an der Unglücksstätte vorbeifährt, bekommt diese traurige Geschichte zu hören. Sie wird niemals veralten, wie vielen künftigen Geschlechtern man sie auch noch erzählen mag. Der namenlose Jammer, welchen sie in sich schließt, muß jedes Herz erschüttern. Zweihundert Personen befanden sich an Bord, aber nur ein Matrose entging dem Tode. Eine ungeheure Woge warf ihn an die Felswand, wo er in halber Höhe auf einem schmalen Klippenvorsprung die Nacht über liegen blieb. Unter andern Umständen wäre er dort elend verschmachtet, da seine Auffindung undenkbar schien. Allein, als sich am andern Morgen die entsetzliche Nachricht verbreitete, daß der ›Duncan Dunbar‹ angesichts der Heimat gescheitert sei, strömten die Bewohner der Stadt scharenweise hinaus und spähten von der Felswand ins Meer. Da sah einer, der sich weit vorbeugte, den Mann, welcher durch ein Wunder dem Tode entronnen war. Man brachte Stricke herbei und das schier unmögliche Rettungswerk gelang. Der Matrose war ein Mensch mit praktischen Anlagen; er mietete einen Saal in Sydney und stellte sich dort für ein kleines Eintrittsgeld so lange dem Publikum aus, bis seine Einnahme den Ertrag der Goldfelder in jenem Jahre überstiegen hatte. Wir fuhren ein, gingen vor Anker und schifften am andern Morgen unter manchem Ach und Oh der Bewunderung durch die Buchten und Krümmungen des schönen, geräumigen Hafens, der ein Wunder der Welt und das Herzblatt von Sydney ist. Daß die Bewohner stolz auf ihren Hafen sind und kaum Worte finden können, um ihrer Begeisterung Luft zu machen, ist sehr begreiflich. Ein heimgekehrter Bürger wollte wissen, was ich dazu sagte, und ich sprach ihm meine Gefühle nach besten Kräften aus, in der Hoffnung es würde ihm genügen. Herrlich, rief ich, wunderschön! Dann aber gab ich unwillkürlich Gott die Ehre. Der Bürger schien jedoch nicht zufrieden. »Natürlich ist der Hafen schön,« sagte er, »allein damit ist noch nicht alles gesagt; Sydney gehört auch dazu, um die Schönheit vollkommen zu machen, beide zusammen vollenden erst das Ganze. Den Hafen hat Gott geschaffen, dagegen läßt sich nichts einwenden, aber Sydney ist ein Werk des Teufels.« Ich hatte diesem, seinem Freunde, nicht zu nahe treten wollen und stammelte eine Entschuldigung. Daß Sydney dazu gehörte war ganz richtig; der Hafen an sich wäre nur halb so schön ohne die Stadt. Er hat etwa die Form eines Eichenblatts -- in der Mitte eine breite Fläche des herrlichsten blauen Wassers und rechts und links schmale, tiefeinschneidende Buchten zwischen hohen, bewaldeten Landzungen, welche nach beiden Seiten abfallen wie Grabhügel. Auf dem Rücken ihrer Berge stehen hier und da prächtige Villen, halb im Laubwerk versteckt, die man mit Entzücken betrachtet, während das Schiff sich der Stadt nähert. Sydney erhebt sich auf einer Hügelgruppe und deren Ausläufern in wellenförmigen Linien, welche überall durch Türme, Kirchen und Prachtgebäude unterbrochen werden, die aus der Häusermasse hervorragen. Dadurch erhält erst der Gesamteindruck seinen großen malerischen Reiz. Die schmalen Buchten, die sich, wie gesagt, sehr tief ins Land hineinerstrecken, winden sich hierhin und dorthin, bis in die verborgensten Winkel und wimmeln fortwährend von Vergnügungsbooten mit Gesellschaften, die auf Entdeckungsreisen aus sind, oder irgendwo Picknicks halten wollen. Zuverlässige Leute sagen, daß, wer diese Buchten alle durchschiffen will, eine Wasserfahrt von mindestens siebenhundert Meilen machen muß. Aber, es gibt hier zu Lande auch viele Lügner, die, wenn sie einmal im Zuge sind zu übertreiben, sich nicht scheuen, die Behauptung aufzustellen, daß die Meilenzahl doppelt so groß ist. Zehntes Kapitel. Eure menschliche Umgebung, _die_ macht das Klima. _Querkopf Wilsons Kalender._ Der Oktober war vor der Tür, der Frühling hatte sich eingestellt. Alle, die man fragte, erklärten, daß es Frühling sei, aber in Canada hätte man ihn, ohne den geringsten Argwohn zu erregen, für Sommer verkaufen können. Solches Wetter ist bei uns zu Hause wunderschön, wenn man nämlich einen Aufenthalt im Gebirge oder am Seestrande macht. Aber dort nannten sie es kühl und behaupteten, wer wissen wolle was Wärme sei, müsse im Sommer nach Sydney kommen, und um die eigentliche Hitze kennen zu lernen, brauche man nur etwa tausend Meilen nach Norden zu gehen; in der Nähe des Aequators legen die Hennen gebackene Eier. Kapitän Sturt, der große Forschungsreisende, macht folgende Beschreibung von der Hitze: »Der Wind, der den ganzen Morgen aus N.O. geblasen hatte, wurde zum heftigen, alles ausdörrenden Sturm. Ich werde seine verheerende Wirkung nie vergessen. Zwar suchte ich Schutz hinter einem großen Gummibaum, aber die glühenden Windstöße waren so entsetzlich, daß ich glaubte, das _Gras müsse in Brand geraten_. Ein unerträglicher Zustand, der alles Leben zu vernichten drohte. Die Pferde standen mit dem Rücken nach dem Winde und senkten die Nase tief zu Boden; sie hatten nicht Muskelkraft genug, um den Kopf in die Höhe zu halten; alle Vögel waren verstummt, und die Blätter des Baums, unter dem wir saßen, fielen massenhaft von den Zweigen. Zur Mittagszeit nahm ich meinen Thermometer, der in 127° geteilt war, aus dem Futteral; das Quecksilber stand auf 125°. Ich glaubte, das könne nicht richtig sein und legte das Instrument in die Gabel eines nahen Baumes, wo es dem Einfluß von Wind und Sonne ausgesetzt war. Als ich eine Stunde später danach sah, war das Quecksilber bis zur Spitze gestiegen und hatte die Kugel zersprengt, was wohl noch kein Reisender je zu berichten gehabt hat. Mir fehlen die Worte, um dem Leser auch nur eine schwache Vorstellung von der intensiven, atembeklemmenden Glut zu geben, welche während der Zeit herrschte.« Wenn solche heiße Winde über Sydney dahinwehen, führen sie manchmal einen sogenannten ›Staubregen‹ mit sich, der auch in andern Städten Australiens häufig genug vorkommt. Selbst erlebt habe ich keinen, aber nach der Schilderung zu urteilen, welche Mr. Gane davon gibt, muß die Naturerscheinung den in Nevada herrschenden Alkalistaubwirbeln nicht unähnlich sein. »Je mehr wir von der Höhe hinabstiegen,« sagt Gane, »um so größer wurde die Hitze, bis wir die hübsche Stadt Dubbo erreichten, die nur sechshundert Fuß über dem Meeresspiegel auf einer weiten Ebene liegt ... Bei trockenem Wetter zerkrümelt der Erdboden förmlich und die Oberfläche bedeckt sich mit einer dicken Staubschicht. Weht nun der Wind aus einer gewissen Richtung, so hebt er die ganze Schicht in einem Stück in die Luft empor, gleich einer langen, schwärzlichen Wolke. Bei solchem Staubregen kann man die Hand kaum vor Augen sehen, und der Unglückliche, den er im Freien überrascht, muß so schnell wie möglich ein schützendes Obdach suchen. Jede gute Hausfrau, welche die dunkle Säule im Wirbel auf ihr Heim zusteuern sieht, beeilt sich, Türen und Fenster zu schließen. Eine Dame, die mehrere Jahre in Dubbo wohnte, hat mir gesagt, daß wenn man aus Nachlässigkeit das Fenster des Wohnzimmers beim Staubregen offen läßt, der Staub so dick auf dem Teppich liegt, daß man ihn mit einer Schaufel fortschaffen muß.« Wahrscheinlich in ganzen Wagenladungen. Nein, so schlimm ist es in Nevada doch nicht. Elftes Kapitel. Leben ist Leiden. Selbst die verborgene Quelle des Humors ist nicht Freude, sondern Schmerz. Es gibt keinen Humor im Himmel. _Querkopf Wilsons Kalender._ Kapitän Cook hat Australien im Jahre 1770 entdeckt und achtzehn Jahre später gründete die britische Regierung ihre dortige Sträflingskolonie. Alles in allem wurden im Lauf von dreiundfünfzig Jahren 83,000 Sträflinge nach Neusüdwales eingeschifft. Sie trugen schwere Ketten, wurden schlecht genährt und von ihren Aufsehern arg mißhandelt. Bei der geringsten Uebertretung der Regel drohten ihnen harte Strafen; sie standen unter der ›grausamsten Zucht, die je geübt worden ist‹, sagt ein Schriftsteller. Damals kannte das englische Gesetz kein Erbarmen. Für geringfügige Vergehen, die heutzutage mit einer kleinen Geldbuße oder ein paar Tagen Gefängnis bestraft würden, schickte man Männer und Frauen auf sieben oder vierzehn Jahre bis ans andere Ende der Welt und für schwere Verbrechen auf Lebenszeit. Kinder, die ein Kaninchen gestohlen hatten, kamen auf sieben Jahren nach der Strafkolonie. Als ich vor dreiundzwanzig Jahren in London war, hatte man eben eine neue Strafe eingeführt, um dem Garrottieren und der Mißhandlung von Ehefrauen Einhalt zu tun -- fünfundzwanzig Hiebe mit der neunschwänzigen Katze auf den nackten Rücken. Man sagt, diese furchtbare Strafe habe auch den verstocktesten Bösewicht bekehrt, und kein Mensch sei je imstande gewesen, nach dem neunten Hiebe seine Gefühle noch für sich zu behalten; gewöhnlich fing das Klagegeheul schon früher an. Die Wirkung des Gesetzes auf die Garrottierer und schlechten Ehemänner war ganz vortrefflich, aber es kam dem modernen London zu unmenschlich vor und wurde wieder aufgehoben. Manches arme, zerschlagene englische Eheweib hat seitdem Anlaß gehabt, diese grausame Nachsicht einer sentimentalen Menschlichkeit bitter zu beklagen. Fünfundzwanzig Hiebe! In Australien und Tasmanien erhielt der Sträfling fünfzig für jedes kleine Vergehen; oft fügte ein roher Beamter noch fünfzig hinzu und abermals fünfzig, solange das unglückliche Opfer die Qual aushielt ohne den Geist aufzugeben. In einer alten amtlichen Urkunde habe ich von einem Fall in Tasmanien gelesen, wo ein Sträfling, der ein paar silberne Löffel gestohlen hatte, dreihundert Hiebe erhalten hat. Und das war noch nicht die höchste Zahl. Wer teilte sie aber aus? Häufig ein anderer Sträfling, zuweilen der beste Kamerad des Unglücklichen, und er mußte die Peitsche mit allem Nachdruck führen, sonst bekam er sie selber zu kosten zum Lohn für sein Erbarmen, ohne daß er dem Freunde damit einen Dienst geleistet hätte. Das Strafinstrument wanderte nur in eine andere Hand, bis das Urteil in vollster Ausdehnung vollzogen war. Das Sträflingsleben in Tasmanien war so unerträglich, und ein Selbstmord so schwer auszuführen, daß die Menschen in ihrer Verzweiflung sich zuweilen zusammentaten und durch das Los bestimmten, wer von ihnen einen aus ihrer Zahl töten sollte, damit dem Leben des Mörders und der Augenzeugen seiner Tat durch Henkers Hand ein Ende gemacht würde. Dies sind nur Beispiele aus einer ganzen Flut ähnlicher Fälle, nur schwache Andeutungen, welche die Unsumme von Leiden ahnen lassen, die das Sträflingsleben mit sich brachte und von denen wir uns schaudernd abwenden. Zwölftes Kapitel. Wir können uns das Wohlgefallen anderer Menschen sichern, wenn wir uns nichts zu schulden kommen lassen und ihnen zu Diensten sind; aber unser eigener Beifall ist hundertmal mehr wert, und es ist noch kein Mittel entdeckt worden, uns den zu sichern. _Querkopf Wilsons Kalender._ Vier Jahre nach Ankunft der ersten Sträflinge zählte die Kolonie deren etwa 2500. Einige -- vielleicht eine ziemliche Menge -- waren wohl sehr schlechte Menschen, selbst für die damalige Zeit; aber die meisten werden vermutlich nicht viel verderbter gewesen sein, als es die Leute, die daheim blieben, im allgemeinen waren. Wir können kaum umhin das zu glauben. Ein Volk, das es unentwegt mit ansehen konnte, wie man Frauen, die von Frost und Hunger getrieben ein Stück Speck oder einen alten Lumpen stahlen, an den Galgen brachte, wie man Knaben ihrer Mutter und den Vater seiner Familie entriß, um sie wegen ähnlicher kleiner Vergehen auf lange Jahre in die Strafkolonie zu schleppen -- ein solches Volk läßt sich doch unmöglich als ›zivilisiert‹ bezeichnen. Auch muß sein Fortschritt in der Zivilisation weder rasch noch bedeutend gewesen sein, da alle wußten wie es jenen Unglücklichen in der Verbannung erging und sich vierzig Jahre lang ruhig darein ergaben. Wenn wir uns zudem noch den Charakter und das Verhalten der hohen Herren und der Beamten vergegenwärtigen, welche für Aufsicht, Ernährung und Zucht der Sträflinge zu sorgen hatten, so finden wir auch da keinen wesentlichen Unterschied der Moral oder Gesittung im Vergleich mit den Sträflingen selbst oder ihren Volksgenossen im Heimatland. Sie standen so ziemlich alle auf der gleichen Stufe. Nicht lange, so begannen sich auch freiwillige Ansiedler in der Kolonie niederzulassen, und diese sowohl als die schon beträchtliche Anzahl der Deportierten, bedurften des Schutzes für den Fall, daß Zwistigkeiten unter ihnen selbst oder mit den Eingeborenen entstünden. Letztere kamen auch einigermaßen in Betracht, wiewohl sie sehr wenig zahlreich waren. Zu einer Zeit, als man sie noch ziemlich ungestört ließ, weil sie niemand im Wege standen, rechnete man in Neusüdwales etwa einen Eingeborenen auf ein Gebiet von 45,000 Morgen. Wie sollte man die Kolonie schützen? Kein Offizier der regulären Armee hätte sich um einen Dienst am andern Ende der Welt beworben, bei dem weder Ehre noch Auszeichnung zu holen war. So sah sich denn England genötigt, eine Art uniformierter Bürgermiliz auszurüsten und einzuschiffen, das sogenannte ›Korps von Neusüdwales‹, das aus tausend Mann bestand. Für die Kolonie war das ein furchtbarer Schlag, der sie fast zu Boden schmetterte. Anschaulicher hätte der moralische Zustand Englands außerhalb der Gefängnisse gar nicht dargestellt werden können, als durch diese Korps. Die Kolonisten zitterten vor Angst, daß man ihnen nächstens auch noch eine Schiffsladung von Adligen herüberbringen würde. Anfänglich vermochte die Kolonie sich noch nicht selbst zu erhalten. Nahrung, Kleidung und alle andern Lebensbedürfnisse wurden aus England geschickt und in großen Warenhäusern der Regierung aufgestapelt. An die Sträflinge verteilte man was sie brauchten, und den Ansiedlern verkaufte man es mit einem kleinen Profit über den Selbstkostenpreis. Diesen Umstand machte sich das Korps zu nutze. Sämtliche Offiziere begannen Handel zu treiben und zwar auf völlig gesetzlose Weise. Allen Warnungen und Verboten der Regierung zum Trotz führten sie Spirituosen ein und errichteten eigene Branntweinbrennereien im Lande. Sie schlossen einen Bund, der den Markt beherrschte und die Regierung samt allen andern Händlern boykottierte; auch verstanden sie es, ihr Monopol streng aufrecht zu erhalten. Kam ein mit Rum befrachtetes Schiff an, so wurde außer ihnen kein Käufer zugelassen, und sie zwangen den Eigentümer, seine Ladung zu dem niedrigen Preise herzugeben, welchen sie bestimmten. Durchschnittlich kauften sie den Rum zu zwei Dollars die Gallone und verkauften ihn zu zehn Dollars; ja, sie machten den Rum zur Hauptwährung im Lande, denn Geld gab es damals so gut wie gar nicht. Achtzehn oder zwanzig Jahre lang beherrschten sie die Kolonie ausschließlich und setzten ihren verderblichen Einfluß fort, bis es endlich der Regierung gelang, sie zu besiegen und zu vernichten. Es kann kaum Wunder nehmen, daß sich bei diesen Verhältnissen die Trunksucht unter der gesamten Einwohnerschaft verbreitete; mancher Ansiedler hatte seine Farm nach und nach gegen Rum verschachert, und die Offiziere des Korps waren steinreich geworden. Wenn ein Farmer sich vor Durst nicht mehr zu lassen wußte, nahmen sie ihren Vorteil wahr, um ihn bis aufs Blut zu schinden. Einmal verkauften sie einem Mann eine Gallone Rum, die zwei Dollars wert war, für ein Grundstück, dessen Preis später bis auf 100,000 Dollars stieg. Als die Kolonie etwa zwanzig Jahre lang bestanden hatte, entdeckte man, daß sich das Land vorzüglich zur Schafzucht eigne. Damit war sein Wohlstand begründet, es trat mit seiner Wolle in den Welthandel ein; bald fand man auch reiche Schätze an Edelmetallen, Einwanderer strömten herbei, auch Kapitalien blieben nicht aus. So hat sich im Laufe der Zeit das große, begüterte und aufgeklärte Staatswesen von Neusüdwales gebildet. Bergbau, Schafzucht, Straßen- und Eisenbahnen, Dampferlinien, Zeitungen, Schulen, Universitäten, botanische Gärten, Bildergalerien, Bibliotheken, Museen, Hospitäler -- alles ist dort in Fülle vorhanden. Jede Art von Kultur, jedes praktische Unternehmen findet Anklang und bereitwillige Förderung; Kirchen gibt es wie Sand am Meere, und Rennbahnen im Ueberfluß. Dreizehntes Kapitel. Durch Erfahrung sollen wir zwar klüger werden, aber nicht allzu klug. Eine Katze, die sich einmal auf den heißen Ofendeckel gesetzt hat, vermeidet den Platz in Zukunft und tut recht daran. Aber sie will sich auch auf keinen kalten Ofendeckel setzen. _Querkopf Wilsons Kalender._ In allen Kolonien, wo Englisch gesprochen wird, herrscht die überschwenglichste Gastfreundschaft; auch Neusüdwales mit seiner Hauptstadt bildet keine Ausnahme von dieser Regel, wie ich aus eigener Erfahrung bezeugen kann. Sydney hat 400,000 Einwohner, und einem Fremden, der aus Amerika kommt, fällt zuerst auf, daß die Stadt achtmal so groß ist als er erwartet hatte. Bei näherer Betrachtung findet er dann, daß sie ganz englisch ist, mit amerikanischem Aufputz. Kommt er später nach Melbourne, so erinnert ihn dort auch der Baustil häufig an Amerika, und man könnte ihm leicht weiß machen, eine Photographie des prächtigsten Teils der Geschäftsgegend stelle das Straßenbild einer großen amerikanischen Stadt dar. Man sagte mir, daß die schönsten Gebäude Eigentum der Squatter sind und von ihnen bewohnt werden, wenn sie zur Stadt kommen. Da sieht man recht, welchen Einfluß eine Veränderung von Klima und Lebensart nicht nur auf die Tiere, sondern auch auf die Wörter haben kann. Wenn wir in Amerika von einem Squatter reden, so meinen wir immer einen armen Menschen, aber in Australien versteht man darunter einen Millionär. Bei uns besitzt der Squatter höchstens ein paar Morgen, und oft ist sein Rechtstitel obendrein zweifelhaft, in Australien hat die Grenzlinie seines Grundstücks die Länge einer Eisenbahn; bei uns gehören dem Manne vielleicht zwei Dutzend Stück Vieh, in Australien zwischen 50,000 und einer halben Million. In Amerika ist der Squatter ein Mensch ohne Einfluß und Ansehen, niemand nimmt den Hut vor ihm ab; in Australien tut man das immer, denn er ist ein hochgeehrtes und wichtiges Mitglied der Gesellschaft. Hat man bei uns einen Onkel, der Squatter ist, so übergeht man es mit Stillschweigen; in Australien hängt man es an die große Glocke. Die Freundschaft mit einem Squatter nützt in Amerika nichts; aber wer in Australien einen Freund hat, der Squatter ist, kann mit Königen zu Nacht speisen, wenn gerade welche in der Umgegend sind. In Australien braucht man zum Unterhalt für ein Schaf etwa drittehalb Morgen Weideland, (manche Leute sagen doppelt so viel); hat nun ein Squatter eine halbe Million Schafe, so ist sein Grundbesitz nach ungefährer Schätzung so groß wie der Staat Rhode Island. Der Wollertrag bringt ihm jährlich vielleicht eine halbe oder eine Viertelmillion Dollars ein. Meistens bewohnt er seinen Palast in Melbourne, Sydney oder einer anderen großen Stadt und macht nur dann und wann Ausflüge zu den Schafherden in seinem Reich, das viele hundert Meilen entfernt auf der weiten Ebene liegt, um nach den Scharen seiner berittenen Aufseher, Hirten und andern Hilfsmannschaften zu sehen. Dort hat er ein geräumiges Wohnhaus, und wenn er jemand besonders wohl will, so ladet er ihn auf eine Woche bei sich zu Gaste. Er macht es ihm behaglich, zeigt ihm seinen großen Industriebetrieb bis ins einzelne, speist, trinkt und raucht mit ihm und setzt ihm von allem das Beste vor, was nur für Geld zu haben ist. Auf einem dieser riesigen Landgüter liegt eine ziemlich große Stadt, die ich selbst gesehen habe. Man findet dort alle Geschäfte und Gewerbe vertreten, welche die Menschen zu betreiben pflegen; die Stadt selbst aber und der Grund und Boden, auf dem sie erbaut ist, sind Eigentum des Squatters. Vermutlich gehört das gar nicht einmal zu den Ausnahmefällen. Australien liefert der Welt nicht nur schöne Wolle, sondern auch Hammelfleisch. Die neue Erfindung des Transports ganzer Schiffsladungen gefrorenen Fleisches hat diesen großartigen Handel erzeugt. In Sydney besuchte ich ein Exporthaus, wo man täglich tausend Hammel schlachtet, reinigt und fest gefrieren läßt, um sie nach England einzuschiffen. Zwischen Australiern und Amerikanern kann ich, weder was Kleidung, Lebensart, Sitte, Aussprache, noch ihr Wesen im allgemeinen betrifft, einen nennenswerten Unterschied finden. Vorübergehend erinnern die Australier zwar an ihren englischen Ursprung, aber durchaus nicht so stark, daß es auffallend wäre. Sobald der Fremde vorgestellt ist, bekommt der Verkehr einen ungezwungenen, herzlichen Anstrich, was ganz amerikanisch ist. Englische Steifigkeit und englisches Selbstbewußtsein fallen fort, wenn ich so sagen darf, und nur die englische Freundlichkeit bleibt noch übrig. Auch daß in den Familien das Tischgespräch lebhaft und natürlich ist, ohne Zwang und Förmlichkeit, erinnert an Amerika. Das bringt wohl der streng demokratische Geist mit sich, der in Australien vorherrscht und alles steife Wesen, das aus dem Unterschied des Ranges entspringt, von vornherein ausschließt. Sowohl in England wie in den Kolonien findet der Vorleser bei seiner Zuhörerschaft eine merkwürdig lebhafte und verständnisvolle Aufnahme. Wo sich in England die Massen versammeln, schwindet der Kastengeist und mit ihm die englische Zurückhaltung. Für den Augenblick ist völlige Freiheit und Gleichheit hergestellt; ja, der Einzelne fühlt sich so sehr aller Fesseln entledigt, daß er die gewohnte Vorsicht vergißt und seinen augenblicklichen Gefühlen ungehindert freien Lauf läßt. Er klatscht ganz allein Beifall, wenn ihm danach zu Mute ist -- eine Kühnheit, die man in der übrigen Welt nur höchst selten antrifft. Macht man dagegen die Bekanntschaft des Engländers, wenn er allein ist oder in eine kleine, ihm fremde Gesellschaft tritt, so bleibt er ernst und verschlossen. Er ist dann stets auf der Hut und läßt sich durch nichts von seinem gemessenen Wesen abbringen. Dadurch ist er in den falschen Ruf gekommen, daß er überhaupt weder Sinn noch Verständnis für den Humor hat. Natürlich sind englischer und amerikanischer Humor wesentlich verschieden, aber auch letzterer stammt doch ursprünglich aus England und ist nur durch neue Verhältnisse und eine andere Umgebung beeinflußt worden. Ich habe nie humoristischere Tischreden gehört, als gerade in Neusüdwales. Die eine hielt ein Engländer im Klub, die andere ein Australier. Vierzehntes Kapitel. Es gibt Leute, welche die Schuljungen oberflächlich und leichtsinnig schelten. Und doch war es ein Schuljunge, der gesagt hat: ›Glauben ist, wenn man was glaubt und dabei weiß, es ist nicht so.‹ _Querkopf Wilsons Kalender._ In Sydney hatte ich einen Riesentraum, den ich einem Missionar erzählte, welcher aus Indien kam und seine Verwandten in Neuseeland besuchen wollte. Mir träumte nämlich, das sichtbare Weltall sei die leibliche Erscheinung Gottes; die großen Himmelskörper, die wir in Entfernungen von vielen Millionen Meilen von einander am Firmamente funkeln sehen, wären die Blutkügelchen in seinen Adern, und wir und die anderen Geschöpfe die Mikroben, durch welche das Blut auf tausendfältige Art belebt wird. Herr X., der Missionar, dachte eine Weile nach, dann sagte er: »An Großartigkeit hat der Traum jedenfalls nicht seinesgleichen, denn er umfaßt das ganze Universum. Auch scheint mir, daß er als Erklärung für etwas gelten kann, was sonst beinahe unerklärlich ist -- nämlich für den Ursprung der heiligen Sagen der Hindus. Vielleicht haben die Hindus sie auch nur geträumt und beim Erwachen geglaubt, es seien göttliche Offenbarungen. Es hat ganz den Anschein, denn ihr Maßstab ist von so ungeheurer Größe, daß man unmöglich annehmen kann, die Priester hätten mit wachen Sinnen diese kolossalen Phantasiebilder ausgeklügelt.« Er erzählte mir verschiedene Sagen, an welche, wie er behauptete, alle Hindus, selbst in den höchsten und gebildetsten Klassen, felsenfest glaubten; und gerade diese Leichtgläubigkeit hielt er für ein großes Hindernis bei dem Missionswerk. »Zu Hause können die Leute nicht begreifen, warum das Christentum in Indien so langsame Fortschritte macht,« sagte er. »Man hat gehört, daß die Hindus leicht zu überzeugen sind und eine natürliche Vorliebe für Wunder haben. Da meinen nun viele, man brauche nur die Wahrheiten des Christentums zu verkünden und durch die biblischen Wunder zu bekräftigen, dann würden die Hindus sich bekehren und alle ihre Zweifel überwunden sein. Aus der Tatsache, daß das Christentum so wenig Eingang in Indien findet, zieht man den sehr natürlichen Schluß, daß wir schuld daran sind, weil wir die Lehren und Wunder nicht mit dem nötigen Eifer verbreiten. »Aber die Sache ist keineswegs so einfach, wie der Laie denkt. Die Aufgabe wird uns dadurch erschwert, daß wir -- um ein kriegerisches Bild zu brauchen -- zwar gutes Pulver in den Kanonen, aber statt der Kugeln nur einen Ladepfropfen haben. Das heißt -- unsere Wunder machen keinen Eindruck; die Hindus sind gleichgültig dagegen, weil sie selbst viel merkwürdigere haben. Ihre eigene Religion wird in allen Einzelheiten durch Wunder belegt, und wir müßten ihnen auch für unsere sämtlichen Glaubenssätze auf die gleiche Art den Beweis liefern. Als ich meine Missionsarbeit in Indien begann, unterschätzte ich die Schwierigkeiten der Aufgabe bedeutend, aber ich wurde bald eines Besseren belehrt. Gleich unsern Freunden daheim glaubte ich, man könne die kindlich Wundersüchtigen am besten zur Aufnahme des Evangeliums bewegen, wenn man ihnen als Vorbereitung staunenerregende Wundergeschichten erzählte. So begann ich denn voller Vertrauen ihnen von den Wunderdingen zu berichten, die Simson -- der stärkste Mann, den es je gegeben -- vollbracht hat. »Zuerst malte sich die lebhafteste Spannung in den Mienen meiner Zuhörer, aber als ich weiter in der Geschichte kam, sah ich zu meiner Betrübnis, wie das Interesse der Leute sich mehr und mehr verringerte. Das war mir unverständlich; es überraschte und enttäuschte mich in hohem Grade. Zuletzt verwandelte sich das schwindende Interesse sogar in völlige Gleichgültigkeit, die bis zum Schluß unverändert blieb, trotz aller meiner Bemühungen. »Ein guter, alter und sehr gebildeter Hindu klärte mich über den Sachverhalt auf: ›Wir Hindus,‹ sagte er, ›erkennen einen Gott an dem Werk seiner Hände -- ein anderes Zeugnis gibt es für uns nicht. Offenbar ist das bei euch Christen auch der Fall. Wenn jemand Dinge tut, die er als Mensch nicht vollbringen könnte, so wissen wir, daß ein Gott ihm dazu die Kraft verleiht. Mir scheint, auch die Christen haben kein anderes Mittel, um zu sehen, ob ein Mensch aus eigener Macht handelt oder als Werkzeug eines Gottes. Ihr erkanntet, daß in Simsons Haar eine übernatürliche Macht lag, denn sobald er es verloren hatte, war er nicht stärker als alle andern Menschen. Wie gesagt, so machen wir es auch. Es gibt viele Völker in der Welt, und jede Völkergruppe hat ihre eigenen Götter und betet die fremden Götter nicht an. Jedes Volk hält seine Götter für die stärksten und vertauscht sie nur mit andern Göttern, wenn diese erwiesenermaßen größere Kraft besitzen. Der Mensch ist ein schwaches Geschöpf, er braucht die Hilfe der Götter -- ohne sie vermag er nichts. Soll er nun sein Geschick schwachen Göttern anvertrauen, wenn es stärkere gibt? Das wäre Torheit. Nein, wenn er vernimmt, daß andere Götter stärker sind als seine eigenen, so soll er sich taub dagegen stellen, denn es ist eine Sache von größter Wichtigkeit. Aber, wie läßt sich erkennen, ob seine Götter stärker sind oder die der anderen Völker? -- Es gibt nur ein Mittel: er muß die ihm bekannten Werke seiner Götter mit den Taten der fremden Gottheiten vergleichen. Das tun wir, und fühlen uns gerade deshalb nicht zu den Göttern irgend eines andern Volkes hingezogen. Aus den Werken unserer Götter ersieht man, daß sie am stärksten und mächtigsten sind. Die Christen haben nur wenige Götter, die obendrein neu sind und nach unserer Meinung nicht sehr stark. Zwar wird sich ihre Zahl vermehren, denn das ist bei allen Göttern geschehen, aber erst in langer, langer Zeit, wenn viele Jahrhunderte vorbei sind. Die Zahl der Götter nimmt langsam zu, was ja ganz natürlich ist, da für sie tausend unserer Jahre nur ein Augenblick sind. Zwischen der Geburt unserer Götter liegen Millionen von Jahren. Auch ihre Kraft wächst nur allmählich. Im Lauf der Jahrtausende hat sich die Stärke unserer Götter aufs wunderbarste vergrößert. Dafür haben wir zahllose Beweise, teils durch ihre eigenen Werke, teils durch die Taten gewöhnlicher Menschen, denen sie göttliche Kraft verliehen. Auch euer Simson besaß übernatürliche Stärke; als er die Seile von frischem Bast zerriß, Tausende mit dem Eselskinnbacken tötete und die Tore der Stadt auf seinen Schultern forttrug, ergriff euch Staunen und Entsetzen, weil ihr wußtet, daß nur ein Gott ihm solche Stärke geben konnte. Aber von den Hindus ließ sich nicht erwarten, daß sie sich über diese Kraftproben verwundern sollten. Sie haben dieselben natürlich mit dem verglichen, was Hanuman vollbrachte, als die Götter seine Muskeln mit ihrer Kraft begabten, und da machte ihnen Simson keinen Eindruck mehr -- wie Sie gesehen haben. »›In uralter Zeit nämlich, vor vielen Jahrhunderten, als unser Gott Rama mit dem bösen Gott von Ceylon Krieg führte, beschloß er, das Meer zu überbrücken, um Ceylon und Indien zu verbinden, so daß seine Heere bequem hinüberschreiten könnten. Er schickte seinen Feldherrn Hanuman aus, um die Bausteine zur Brücke herbeizuschaffen und gab ihm göttliche Kraft, wie sie euer Simson hatte. In zwei Tagen legte Hanuman fünfzehnhundert Meilen bis zum Himalaya zurück, nahm eine zweihundert Meilen lange Kette dieses hohen Gebirges auf seine Schultern und machte sich damit auf den Weg nach Ceylon. »›Es war Nacht, und als er über die Ebene kam, hörten die Bewohner von Govardhun, wie das Erdreich unter dem Donner seiner Fußtritte erbebte. Da liefen sie hinaus und sahen den Himalaya mit seinen gen Himmel ragenden Schneegipfeln vorüberziehen! Auf den Abhängen des riesigen Gebirges funkelten die Lichter von tausend schlummernden Dörfern; es sah aus, als kämen sämtliche Sternbilder in langem Zuge durch die Luft geflogen. Während die Leute noch gaffend dastanden, stolperte Hanuman, und bei der Erschütterung riß sich ein kleiner, zwanzig Meilen langer Bergrücken von rotem Sandstein los und fiel zu Boden. Jetzt, nach vielen Jahrhunderten, ist er zwar zur Hälfte verschwunden, aber die andern zehn Meilen stehen noch heutigen Tages in der Ebene von Govardhun, als ein Zeugnis von der Macht, welche unsere Götter den Sterblichen verleihen können. Daß Hanuman das Gebirge nur durch göttliche Kraft nach Ceylon tragen konnte, liegt auf der Hand. Seine eigene Stärke hätte dazu nicht genügt; also weiß man, daß ihm die Götter ihre Kraft gaben, so gut wie man von Simson weiß, daß er die Stadttore mit göttlicher Kraft und nicht mit seiner eigenen getragen hat. Zwei Dinge werden Sie mir aber zugeben müssen: Erstens, daß durch Simsons Kraftprobe der Vorrang eurer Götter vor den unsrigen nicht erwiesen ist, und zweitens, daß ihr kein anderes Zeugnis dafür habt, als eure Ueberlieferung, während bei Hanumans Großtat die Ueberlieferung noch aufs kräftigste durch ein sichtbares und greifbares Zeugnis festgestellt und bestätigt wird: Wir besitzen das Sandsteingebirge, und solange es vorhanden ist, kann man nicht an der Tatsache zweifeln. Habt ihr etwa die Stadttore?‹« Fünfzehntes Kapitel. Wer ängstlich ist, verlangt den zehnten Teil von dem, was er haben möchte; wer kühn ist fordert das Doppelte vom Normalwert und ist mit der Hälfte zufrieden. _Querkopf Wilsons Kalender._ Bei allen öffentlichen Einrichtungen ist man in Australien erstaunlich freigebig. Städte, die in Amerika durchschnittlich so und so viele hundert Dollars für ihr Rathaus, ihre Hospitäler, Irrenhäuser, Parks und botanischen Gärten ausgeben, würden in Australien ebenso viele Tausende darauf verwenden. Ich habe in einer australischen Ortschaft von viertausend Einwohnern ein geräumiges, gut ausgestattetes Hospital in hübschem Baustil gesehen, das ganz auf Kosten der Bürger und benachbarten Pflanzer errichtet worden ist und auch seine laufenden Ausgaben von ihnen bezahlt erhält. Dergleichen wäre anderswo vollkommen unerhört. Das Städtchen stand eben im Begriff, elektrische Straßenbeleuchtung einzuführen, hatte also London überholt. London wird noch durch Gas verdunkelt, und die Beleuchtung ist obendrein in manchen Gegenden zu sehr verteilt; die Gaslaternen stehen so weit auseinander, daß es eine Kunst ist, sie zu finden, wenn nicht der Mond scheint. Der botanische Garten von Sydney ist achtunddreißig Morgen groß, wundervoll angelegt und reich an Gewächsen aus allen Ländern und Zonen der Welt. Er liegt auf einer Anhöhe mitten in der Stadt, so daß man den Hafen überblickt, und stößt an die Anlagen, welche zum Regierungsgebäude gehören. Diese umfassen sechsundfünfzig Morgen und stehen in Verbindung mit öffentlichen Spielplätzen, deren Flächeninhalt zweiundachtzig Morgen beträgt. Außerdem gibt es noch den Zoologischen Garten, die Rennbahn und einen großen Kricket-Platz, wo die internationalen Wettspiele stattfinden. Man hat also Raum genug, um in aller Ruhe müßig und beschaulich umherzuliegen oder sich Bewegung zu machen, wenn man eine derartige Anstrengung vorzieht. Gesellige Freuden gibt es in Sydney viererlei: Wer sich beim Gouverneur ins Fremdenbuch schreibt, erhält -- falls gegen seine Person nichts vorliegt -- eine Einladung zum nächsten Ball, der dort im Hause stattfindet. Ein solches Fest ist sehr unterhaltend, denn man trifft da alle Welt, außer dem Gouverneur selbst, und kann neue Bekanntschaften machen. Der Gouverneur pflegt in England zu sein, wie immer. Auf dem australischen Continent sind vier oder fünf Gouverneure angestellt; wie viele gebraucht werden, um die fernen Inselgruppen zu regieren, weiß ich nicht, jedenfalls kriegt man keinen zu sehen. Wenn sie ernannt werden, kommen sie aus England, lassen sich feierlich in ihr Amt einsetzen, geben einen Ball und beteiligen sich an dem Bittgebet um Regen; dann besteigen sie das Schiff, fahren wieder nach Hause und überlassen dem Vize-Statthalter alle Arbeit. Ich war drei und einen halben Monat in Australien und habe nur einen einzigen Gouverneur gesehen; alle andern waren in der Heimat. Vielleicht würde der Gouverneur nicht so flüchtig in Australien weilen, wenn seine Tatkraft dort durch einen Krieg, ein Veto oder dergleichen in Anspruch genommen wäre, aber das ist nicht der Fall. Krieg gibt es nicht, ein Veto hat er nicht, und so fehlt es ihm wirklich an genügender Beschäftigung. Australien zieht vor, sich selbst zu regieren und zwar mit unermüdlichem Eifer; auch wacht es so argwöhnisch über seine Unabhängigkeit, daß es alle Vorschläge der kaiserlich britischen Regierung, ihm dabei zu helfen, eigensinnig von der Hand weist. Das kaiserliche Vetorecht besteht zwar als Tatsache, aber meist nur dem Namen nach. Die Berufsgeschäfte des Gouverneurs sind viel eingeschränkter und daher anstrengender als in den Vereinigten Staaten. Er ist das scheinbare Staatsoberhaupt und das wirkliche Haupt der Gesellschaft, der Vertreter von Kultur, Bildung, Geschmack, feinen Sitten und Religion, die er durch sein Beispiel fördern muß, damit sie wachsen, blühen und gute Früchte tragen. Er führt die Moden ein und gibt den Ton an; sein Ball ist der Ball aller Bälle, und unter seinem Schutz nimmt das Pferderennen einen gedeihlichen Fortgang. Gewöhnlich ist er ein Lord, und das trifft sich günstig, denn seine Stellung zwingt ihn, großen Aufwand zu treiben, und dazu besitzt ein englischer Lord meist die genügenden Mittel. -- Zweitens kann man sich in Sydney das Vergnügen machen, der Admiralität einen Besuch abzustatten. Die zierlichen diensttuenden Boote fahren den Fremden nach dem Gebäude, das auf einer Anhöhe liegt, von der man ins Meer hinaussieht. Sowohl dort wie auf dem Flaggschiff wird eine Gastfreundschaft geübt, die dem Empfang beim Gouverneur in keiner Weise nachsteht. Der kommandierende Admiral auf einer Flottenstation in britischen Gewässern ist einer der ersten Großwürdenträger des Reichs, und bewohnt ein Prachtgebäude, wie es seinem Range gebührt. Die dritte eigentümliche Lustbarkeit, welche Sydney bietet, ist eine Spazierfahrt im Hafen auf einer schönen Dampfbarkasse. Man wird dazu von seinen reicheren Bekannten, die ein eigenes Vergnügungsboot besitzen, häufig eingeladen, und die Fahrt ist so reizend, daß einem die Zeit wie im Fluge vergeht. Als vierte Art der Unterhaltung kommt zuguterletzt noch der Haifischfang. Im Hafen von Sydney wimmelt es von diesen menschenfressenden Raubfischen; man findet nirgends in der Welt schönere Exemplare. Viele Leute erwerben ihren Lebensunterhalt mit dem Fang, denn die Regierung zahlt eine Belohnung dafür. Je größer der Hai, desto höher ist die Prämie, und manche Fische sind zwanzig Fuß lang. Man bekommt aber nicht nur das ausgesetzte Geld, sondern darf auch alles behalten, was sich im Magen des Haifisches findet, und manchmal ist sein Inhalt wertvoll genug. So rasch wie der Hai, schwimmt kein anderer Fisch; der schnellste Dampfer kann sich nicht mit ihm messen. Auch treibt er sich überall in den Meeren herum und besucht alle Küsten der Erde auf seiner rastlosen Wanderschaft. Davon kann ich eine Geschichte erzählen, die noch nie zuvor im Druck erschienen ist: Im Jahre 1870 kam ein junger Fremdling nach Sydney und begann alsbald eine Beschäftigung zu suchen; aber er kannte niemand, hatte auch keine Empfehlungsbriefe und bekam daher keine Arbeit. Zuerst wollte er ziemlich hoch hinaus, aber als die Zeit verging und sein Geld mehr und mehr zusammenschmolz, nahmen auch seine Ansprüche ab. Schließlich würde er gern jede Dienstleistung übernommen haben, um nur sein tägliches Brot und ein Obdach zu finden; aber das Glück war ihm abhold, nirgends wollte sich eine Aussicht eröffnen. Endlich war auch sein letztes Geld ausgegeben; er irrte den ganzen Tag und die folgende Nacht auf den Straßen umher und zerbrach sich den Kopf, was er anfangen sollte. Alles Denken war umsonst, es fiel ihm nichts ein und sein Hunger wuchs von Stunde zu Stunde. In der Morgendämmerung schweifte er ziellos außerhalb der Stadt am Hafen umher und sah einen Schiffer schlaftrunken am Ufer sitzen. Als er an ihm vorüberkam, blickte der Mann auf und rief ihm zu: »Heda, junger Bursche, nehmt einmal meine Angel ein Weilchen, vielleicht bringt mir das Glück.« »Wenn’s Euch aber Unglück brächte?« »Das glaub’ ich kaum. Schlimmer wie’s heute nacht gewesen ist, kann’s sowieso nicht werden. Also versucht’s nur getrost.« »Gut, es gilt. Aber was bekomm’ ich dafür?« »Den Haifisch, wenn Ihr einen fangt.« »Einverstanden! Ich glaub’, ich würd ihn verzehren samt allen Gräten. Her mit der Angel!« »Da habt Ihr alles. Jetzt geh ich eine Strecke weiter, um Euch den Fang nicht zu verderben, denn ich weiß aus Erfahrung -- oho! zieht die Leine ein, rasch, rasch, ein Fisch hat angebissen. Hab’ mir’s doch gleich gedacht! Sobald ich Euch zu Gesicht bekam, wußt’ ich, daß Ihr ein Glückskind seid. Nun, da haben wir ihn ja -- am Land ist er!« Es war ein ungewöhnlich großer Hai, wohl neunzehn Fuß lang, wie der Fischer sagte, während er dem Tier den Bauch aufschnitt. »Nehmt nur alles heraus, junger Mann; es finden sich da manchmal Dinge, die gar nicht zu verachten sind. Ich will einstweilen einen neuen Köder aus dem Korb holen und dann versuchen, ob mir das Glück jetzt um Euretwillen günstig ist.« Als der Fischer wiederkam, hatte sich der Fremde eben die Hände gewaschen und schickte sich an, zur Stadt zurückzukehren. »Was, Ihr wollt fort?« »Ja. Lebt wohl!« »Aber, wie wird’s mit dem Haifisch?« »Was soll mir der Fisch nützen?« »Viel, sehr viel. Ihr seid mir der Rechte. Wißt Ihr denn nicht, daß die Regierung Euch achtzig Schilling Belohnung dafür zahlt? In klingender Münze. Na, was sagt Ihr dazu?« »Laßt Euch das Geld auszahlen.« »Und soll ich’s behalten -- he?« »Jawohl.« »Na, Ihr gefallt mir. Seid so ’ne Art Sonderling, wie mir scheint. Ja, ja, man kennt den Vogel nicht immer an den Federn. Eure Kleider sehen recht schäbig aus, und doch müßt Ihr reich sein.« »Das bin ich auch.« In tiefen Gedanken schritt der junge Mann langsam zur Stadt zurück. Einen Augenblick blieb er vor dem besten Restaurant stehen; aber er sah seine Kleider an, ging vorüber und ließ sich in der nächsten Schenke ein Frühstück geben. Es war sehr reichlich und kostete fünf Schillinge. Er zog ein Goldstück heraus, und als es gewechselt war, warf er einen Blick auf das Silbergeld und murmelte: »Zum Einkauf von Kleidern reicht es doch nicht!« Um halb zehn Uhr saß der reichste Wollmakler in Sydney daheim im Wohnzimmer; er hatte seinen Morgenimbiß eingenommen und sich eben in die Zeitung vertieft. Da steckte ein Diener den Kopf herein. »Vor der Tür steht ein Sonnenbruder, Herr, und fragt nach Ihnen.« »Was fällt dir ein, mir mit solchem Anliegen zu kommen; schick’ ihn fort.« »Ich hab’s versucht, aber er will nicht gehen.« »Was -- er weigert sich -- das ist sonderbar. Entweder muß er verrückt sein, oder -- ein ungewöhnlicher Mensch. Ist er verrückt?« »Nein, Herr. Danach sieht er nicht aus.« »Hat er denn gesagt, was er von mir will?« »Nur, daß er Sie in einer sehr wichtigen Angelegenheit sprechen muß.« »Und fortgehen will er nicht? Hat er das gesagt?« »Ja, er versichert, er bliebe an der Tür stehen, bis er Sie zu sehen bekommt, und wenn’s den ganzen Tag dauern sollte.« »Na, wenn er wirklich nicht verrückt ist, so laß ihn heraufkommen.« Der Sonnenbruder trat ein. »Nein, der ist bei Sinnen,« dachte der Makler, »das sieht man auf den ersten Blick. Also muß er kein gewöhnlicher Mensch sein. -- Sagen Sie mal, mein Lieber,« fügte er laut hinzu, »was wollen Sie eigentlich? Aber rasch, ohne unnütze Worte, ich habe keine Zeit zu verlieren.« »Ich möchte Sie bitten, mir 100000 Pfund zu leihen.« »Himmel! (Es ist ein Irrtum -- er muß doch verrückt sein. Nein -- unmöglich -- mit solchen Augen!) Das versetzt einem ja den Atem! Wer sind Sie denn, wenn ich fragen darf?« »Jemand, den Sie nicht kennen.« »Und Sie heißen?« »Cecil Rhodes.« »Nein, den Namen hab’ ich noch nie gehört. Aber, sagen Sie mir doch -- nur wegen der Merkwürdigkeit -- wie kommen Sie darauf, sich mit Ihrem seltsamen Verlangen an mich zu wenden?« »Weil ich die Absicht habe, innerhalb der nächsten sechzig Tage hunderttausend Pfund für Sie und ebensoviel für mich zu machen.« »Wahrhaftig! Sehr außergewöhnlich -- da möchte ich doch -- setzen Sie sich -- was Sie sagen interessiert mich -- nicht Ihr Plan, nein, aber Sie selbst. Es liegt etwas Bestrickendes in Ihrem Wesen, so ein angeborenes -- ich weiß nicht recht, wie ich es nennen soll -- das aus Ihnen spricht. Also -- wenn ich Sie recht verstehe -- so haben Sie den Wunsch --« »Ich sagte -- die Absicht.« »Jawohl, aber warten Sie -- ich will erst ein wenig im Zimmer umhergehen -- Sie haben mich überrascht -- und scheinen gar nicht aufgeregt -- ich will suchen mich zu beruhigen. -- -- -- So, nun kann mich nichts mehr aus der Fassung bringen. Heraus mit Ihrem Plan -- reden Sie!« »Ich will den diesjährigen Wollertrag kaufen, mit sechzigtägiger Lieferungsfrist!« »Was -- den ganzen Ertrag?« »Ja, die sämtliche Wolle.« »Unsinn! Wissen Sie denn, auf welche Summe sich das belaufen wird?« »Auf zwei und eine halbe Million Pfund Sterling, vielleicht noch etwas mehr.« »Da sind Sie recht berichtet. Und wissen Sie auch, wieviel das Sicherheits-Depositum auf sechzig Tage betragen würde?« »Gerade hunderttausend Pfund -- welche ich mir von Ihnen borgen will.« »Die Rechnung stimmt. Meiner Treu, ich wollte Sie hätten das Geld, nur zur Befriedigung meiner Neugier. Was würden Sie denn damit anfangen?« »Ich werde damit in sechzig Tagen zweihunderttausend Pfund gewinnen.« »Das heißt, Sie möchten das tun, wenn --« »Ich werde es tun.« »Sie sprechen ja mit ganz wunderbarer Bestimmtheit. Man sagt, das läßt auf einen klaren Kopf schließen. Ich fange wirklich an, es nicht für ganz unmöglich zu halten, daß Sie einen vernünftigen Zweck im Auge zu haben meinten, als Sie hier in dies Ihnen fremde Haus kamen mit dem ausfahrenden Plan, die Wollschur der ganzen Kolonie auf Spekulation zu kaufen. Reden Sie nur dreist heraus -- Sie erschrecken mich nicht -- ich bin jetzt auf alles gefaßt. _Weshalb_ wollen Sie die Wolle kaufen? Und weshalb glauben Sie dabei eine so große Summe gewinnen zu können?« »Ich glaube es nicht -- ich weiß es.« »Aber woher sind Sie denn Ihrer Sache so gewiß?« »Weil Frankreich an Deutschland den Krieg erklärt hat, und der Preis der Wolle in London vierzehn Prozent in die Höhe gegangen ist und noch steigt.« »Wirklich, meinen Sie? Da sind Sie doch sehr im Irrtum. Sie dachten wohl, ich würde vom Donner gerührt sein bei Ihrer Nachricht? Fehlgeschossen, mein Bester. Da, lesen Sie die Morgenzeitung. Das schnellste Schiff unserer Flotte ist gestern abend um elf Uhr eingetroffen. Vor fünfzig Tagen hat es London verlassen und bringt alle neuesten Nachrichten. Nirgends läßt sich eine Kriegswolke sehen, und was die Wolle betrifft, so ist sie der flaueste Artikel auf dem ganzen englischen Markt. Nun, was haben Sie dagegen einzuwenden? Warum sitzen Sie in solcher Gemütsruhe da, wenn --« »Weil ich spätere Kunde habe.« »Spätere Kunde? Unmöglich! Die unsere ist in fünfzig Tagen brühsiedendheiß aus London gekommen mit dem --« »Meine Nachricht ist zehn Tage alt.« »Das klingt ja nach Münchhausen. Wo stammt sie denn her?« »Aus dem Bauch eines Haifisches.« »Da hört denn doch alles auf! Soll ich die Polizei rufen -- mein Schießgewehr holen -- die ganze Stadt in Aufruhr bringen? Sie reden im Wahnsinn; alle Irrenhäuser der Welt müssen in Ihrer Person -- --« »Setzen Sie sich und nehmen Sie Vernunft an. Wozu solche Aufregung? Warten Sie doch erst, ob ich meine Behauptung beweisen kann, ehe Sie mich einen Narren schelten.« »O, ich bitte tausendmal um Entschuldigung; im Grunde ist es ja gar keines Aufhebens wert, wenn man einen Haifisch nach England schickt, um den Marktbericht zu holen -- -- -- was schreiben Sie denn da?« »Ich bin gleich fertig; nur ein paar Zeilen; meine Aussage in betreff des Haifisches nebst einigen andern Dingen. So, nun setzen Sie Ihren Namen darunter.« »Lassen Sie doch sehen -- Sie behaupten -- wahrhaftig, das ist interessant. Wenn Sie mir die Beweise liefern, sollen Sie das Geld haben, meinetwegen die doppelte Summe, und wir teilen den Gewinn. Wo ist denn die Nummer der zehn Tage alten Londoner ›Times‹? Zeigen Sie mir doch das Blatt!« »Da, sehen Sie her -- auch diese Knöpfe und das Tagebuch haben dem Manne gehört, den der Haifisch verschlungen hat. Wahrscheinlich trug sich das Unglück in der Themse zu, denn die letzte Notiz hier ist aus London, vom selben Datum wie die Nummer der ›Times‹ -- da steht’s: ›Der Krieg ist erklärt! Ich reise noch heute nach Deutschland ab, um mein Leben auf dem Altar des Vaterlandes niederzulegen‹. Das heißt, der brave Mensch wollte in den Kampf ziehen, aber er kam nicht weit; ehe der Tag zu Ende war, verschlang ihn der Haifisch.« »Schade um ihn. Aber wir wollen den Mann ein andermal beklagen; jetzt haben wir dringendere Geschäfte. Ich will gleich unter der Hand alles in Bewegung setzen und die Wolle kaufen. Das wird die niedergeschlagenen Gemüter unserer Händler einstweilen wieder aufrichten. Freilich nur vorübergehend, aber nichts ist ja von Dauer in dieser Welt. Wenn sie nach sechzig Tagen die Ware abliefern müssen, werden sie nicht wissen, wie ihnen geschieht und meinen, der Blitz hätte sie getroffen. Aber, das läßt sich nicht ändern, und wir haben dann noch immer Zeit, mit ihnen zu trauern. Kommen Sie nur jetzt zu meinem Schneider. Wie war doch schon Ihr Name?« »Cecil Rhodes.« »Der ist schwer zu behalten. Aber wenn Sie am Leben bleiben, werden Sie schon noch dafür sorgen, daß alle Welt ihn kennt. Es gibt dreierlei Menschen -- gewöhnliche, außergewöhnliche und verrückte. Ich hoffe nicht fehl zu gehen, wenn ich Sie zu den außergewöhnlichen zähle.« Das Geschäft gelang und verschaffte dem jungen Fremdling das erste Vermögen, womit er seine Taschen füllte. Sechzehntes Kapitel. In jedem Beruf muß einer, dem es glücken soll, gesunden Menschenverstand zeigen; nur bei der Rechtspflege ist es sicherer, ihn zu verbergen. _Querkopf Wilsons Kalender._ Eigentlich sollten sich die Bewohner Sydneys vor den Haifischen fürchten, aber sie sind weit davon entfernt -- warum, weiß ich nicht. Samstags machen die jungen Leute gewöhnlich eine Segelfahrt, und das Wasser ist oft ganz bedeckt mit kleinen Booten. Nicht selten schlägt eins aus Zufall um, was Anlaß zu den tollsten Possen gibt; häufig bringen die Burschen ihr Boot auch absichtlich zum kentern, so daß die Insassen ins Wasser fallen, trotzdem sie sehen, daß die Haifische in der Nähe nur darauf lauern. Rasch klettert dann alles wieder hinein, manchmal heil und ganz -- aber nicht immer. Während ich in Sydney war, geschah es, daß ein Knabe bei der Mündung des Paramattaflusses aus dem Boot fiel. Auf sein Hilfegeschrei sprang ein Knabe aus einem andern Boot ins Meer, um ihn vor den herbeischwimmenden Haifischen zu retten. Die Untiere machten jedoch mit allen beiden nur kurzen Prozeß. Die Regierung zahlt, wie gesagt, eine Prämie für den Fang. Um das Geld zu verdienen, befestigen die Fischer ein Stück saftiges Hammelfleisch als Köder an den Angelhaken oder das Schleppnetz. Die Kunde hiervon verbreitet sich wie ein Lauffeuer, und nun kommen die Haifische aus dem ganzen Stillen Ozean herbeigeschwommen, um sich an der leckern Speise gütlich zu tun. Wenn das so fortgeht, wird die Haifischzucht bald eins der erträglichsten Gewerbe in der Kolonie werden. Im Mai war ich in New York krank gewesen, hatte mich dann zweiundachtzig Tage lang erträglich wohl befunden, und war auf dem Schiff wieder erkrankt. Auch in Sydney bekam ich einen Rückfall, aber erst nachdem ich manchen schönen Ausflug gemacht und alle meine Vorlesungen gehalten hatte. Doch ging mir wegen dieser Krankheit mein Besuch in Queensland verloren, da es unter diesen Umständen nicht für ratsam gehalten wurde, nordwärts zu reisen, wo die Hitze noch größer war. So wandten wir uns denn nach Südwesten und fuhren mit der Eisenbahn siebzehn Stunden nach Melbourne, Hauptstadt der Kolonie Victoria, das, erst sechzig Jahre alt, bereits eine halbe Million Einwohner zählt. Auf der Karte scheint die Entfernung nur klein, aber das ist in einem so großen Lande wie Australien mehr oder weniger bei allen Entfernungen der Fall. Die ganze Kolonie Victoria sieht auf der Karte nicht viel größer aus, wie eine englische Grafschaft und hat doch denselben Umfang wie England, Schottland und Wales zusammengenommen. Melbourne abgerechnet, scheint Victoria einer kleinen Zahl von Squattern zu gehören, von denen jeder Schafweiden besitzt, die etwa so groß sind, wie der Staat Rhode Island. Wenigstens muß man das aus dem Gerede der Leute schließen; doch ist die Wollindustrie dort lange nicht so ausgedehnt wie in Neusüdwales. In Victoria fehlt es auch nicht an andern Hilfsquellen, es wird viel Weizen gebaut, und die Weinkultur ist sehr bedeutend. Wir fuhren nachmittags mit dem Vieruhrzug von Sydney ab und zwar in einem ganz amerikanischen, höchst vernünftig eingerichteten Schlafwagen, der sauber, schön und neu war und in keiner Weise an die Eisenbahnen erinnerte, wie sie meist auf dem europäischen Festland sind. Aber unser Gepäck wurde gewogen und besonders bezahlt, was ebenso europäisch wie lästig ist. Wir hatten Rundreisebillets nach Melbourne, von da nach Adelaide in Südaustralien und dann wieder zurück bis nach Sydney -- zwölfhundert Meilen mehr als wir wirklich fahren wollten. Da aber die Rundreise nicht teurer war als ein gewöhnliches Billet, so hielten wir es doch für besser, uns die größte Meilenzahl zu kaufen, die man für den Preis haben konnte, obgleich wir sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht benützen würden. Der Mensch hat stets ein natürliches Verlangen, von etwas Gutem mehr zu bekommen als er braucht. Jetzt muß ich aber noch eine Merkwürdigkeit erwähnen, das wunderlichste, seltsamste, unerklärlichste und erstaunlichste Ding in seiner Art, das ganz Australien aufzuweisen hat: An der Grenze zwischen Neusüdwales und Victoria wurden die sämtlichen, zahlreichen Insassen des Zuges, morgens bei Laternenlicht, in einer hoch gelegenen Gegend, wo es bitterkalt war, aus ihren behaglichen Betten geholt, um den Wagen zu wechseln. Und doch geht die ganze Bahn von Sydney nach Melbourne ohne Unterbrechung fort! Der Gedanke kann nur einem vollständig vernagelten Hirn entsprungen sein, und eine vorsintflutliche Gesetzgebung muß die Verordnung erlassen haben. Bis zur Grenze ist die Eisenbahn nämlich schmalspurig und von da bis Melbourne hat sie eine größere Schienenweite. Das ist so von den beiden Regierungen, welche die Bahn erbaut haben und denen sie gehört, wohlweislich eingerichtet. Ihre gegenseitige Eifersucht scheint der Hauptgrund dieses merkwürdigen Zustands der Dinge zu sein. Man gibt zwar noch andere Gründe dafür an, aber sie kommen nicht in Betracht, da sie das Unerklärliche doch nicht erklären könnten; übrigens habe ich sie auch vergessen. Alle Passagiere ärgern sich über die verschiedene Schienenweite, und wie lästig ist sie erst für den Frachtverkehr! Nutzlose Kosten, Verzögerungen und Unbequemlichkeit aller Art sind unzertrennlich damit verbunden; kein Mensch hat einen Vorteil davon. Unser Wagenwechsel fand in Albury statt, und dort sahen wir auch bei Sonnenaufgang die ferne Kette der ›Blauen Berge‹. Sie tragen ihren Namen mit Recht! ›Auf mein Wort,‹ wie der Australier sagt, ein solches Blau sucht seinesgleichen. Es ist bald tief, stark glänzend, wundervoll, erhaben, majestätisch -- eine einzige blaue Masse; bald sanft leuchtend oder durchsichtig, als hätte man im Innern ein Feuer angezündet. Das Blau des Himmels erlosch davor, es nahm eine weißliche, ausgewaschene Farbe an und sah bleich und ungesund aus neben jener wahrhaft köstlichen Bläue. Ein Bürger von Albury sagte mir, das wären gar keine Berge, sondern Haufen von Kaninchenleibern, die man so lange der Luft und Fäulnis ausgesetzt hätte, daß sie davon ganz blau aussähen. Vielleicht sprach der Mann die Wahrheit; aber ich habe so viele Reiseberichte gelesen, daß ich alle Belehrung, welche mir unerbeten, auf nicht amtlichem Wege zu teil wird, nie ohne Mißtrauen aufnehme. Die Reisenden werden oft in ganz unverantwortlicher Weise durch falsche Angaben irre geführt. Die Kaninchenplage in Australien ist freilich sehr groß gewesen, und wenn es sich nur um _einen_ Berg handelte, so wollte ich es gern glauben. Aber ein ganzer Gebirgszug -- das ist doch wohl übertrieben. Wir frühstückten auf dem Bahnhof. Alles war billig und gut, außer dem Kaffee. Die Preise bestimmt die Regierung selbst und läßt sie öffentlich anschlagen. Daß wir männliche Bedienung hatten, war etwas Ungewöhnliches in Australien; meistens findet man Kellnerinnen, das heißt junge Damen, die man für Prinzessinnen halten könnte. Wie sie gekleidet gehen? -- So, daß sie in Europa beim Gala-Empfang einer Königin Bewunderung erregen müßten. Selbst Fürstinnen und Herzoginnen ziehen sich nicht so an. Ihre Mittel würden es ihnen zwar erlauben, aber sie brächten es doch nicht zu stande. Den ganzen Morgen über fuhren wir in der Ebene dahin, durch lichte Wälder von großen Gummibäumen, deren Rinde in langen, gerollten Streifen herunterhing, wie die Haut von Kranken, die sich nach dem Scharlachfieber schälen. Ueberall standen winzige Hütten, teils aus Holz, teils aus graublauem Wellblech; auf den Zäunen und Türschwellen sah man Scharen kleiner stämmiger Buben, in einfacher Kleidung, die ihren Altersgenossen an den Ufern des Mississippi zum verwechseln ähnlich waren. Auch an Dörfern kamen wir vorüber, deren saubere Bahnhofsgebäude von oben bis unten mit Anzeigen beklebt waren. Wir sahen allerlei Vögel, aber weder ein Känguruh, noch einen Emu, weder ein Schnabeltier, noch einen Vorleser, auch keinen Eingeborenen; alles Wild war im Lande wie ausgestorben. Aber nein -- ich habe mich geirrt. Unter Eingeborenen versteht man nur Weiße, die in Australien zur Welt gekommen sind. Ich hätte sagen sollen, daß ich keine Wilden, keine Schwarzen gesehen habe -- und zwar bis auf den heutigen Tag nicht. Die großen Museen sind voll von Wundern aller Art, aber was den Fremden am meisten interessieren würde, sucht er dort vergebens. Auch in Amerika haben wir zahllose Museen, allein man findet nicht eine einzige amerikanische Rothaut darin. Das ist so verkehrt, wie nur irgend möglich, aber merkwürdigerweise habe ich früher noch nie daran gedacht; es fällt mir heute zum erstenmal ein. Siebzehntes Kapitel. Der Mensch hat einen Sinn für das was recht ist und einen Sinn für das was unrecht ist. Die Geschichte lehrt uns, daß er den ersteren gebraucht, um dem rechten aus dem Wege zu gehen und den letzteren, um aus dem Unrechten Nutzen zu ziehen. _Querkopf Wilsons Kalender._ Seit vielen Jahren schwebte über mir ein Geheimnis, das sich nirgends anders enträtseln ließ, als in Melbourne. Die Sache verhielt sich folgendermaßen: Ich war im Jahre 1873 mit Frau und Kind eben in London angekommen, als ich aus Neapel eine Zuschrift erhielt, unter der ein mir unbekannter Name stand. Es war nicht Bascom und auch nicht Henry, aber der Bequemlichkeit halber will ich den Briefsteller Henry Bascom nennen. Das Schreiben bestand aus etwa sechs Zeilen auf einem weißen Papierstreifen, der am untern Ende abgerissen war. Im Lauf der Jahre erhielt ich noch viele solche Streifen, die alle einander an Form und Größe völlig gleich sahen; auch der Inhalt war meist der nämliche: der Schreiber forderte mich auf, mit den Meinigen an dem und dem Tage nach seinem Landsitz in England zu kommen, um ihm einen achttägigen Besuch zu machen. Der Zeitpunkt für Ankunft und Abreise war genau angegeben. Diese Einladungen erfolgten stets lange im voraus; wenn wir in Europa waren, etwa drei Monate, waren wir in Amerika, schon ein halbes oder ein ganzes Jahr vorher. Auch der Zug, mit dem wir kommen und gehen sollten, war jedesmal in dem Schreiben bestimmt erwähnt. Jener erste Brief setzte einen Tag in drei Monaten für unsere Ankunft fest; wir sollten am sechsten August mit dem Nachmittagszug 4.10 von London abfahren und im Wagen abgeholt werden. Eine Woche später würde uns der Wagen wieder zu dem und dem Zug auf den Bahnhof bringen. Als Nachschrift standen noch die Worte darunter: »Sprechen Sie mit Tom Hughes.« Ich zeigte dem Verfasser von ›Tom Brown in Oxford‹ den sonderbaren Brief, und er sagte: »Nehmen Sie die Einladung mit Dank an.« Hierauf schilderte er mir Herrn Bascom als einen genialen, hochgebildeten und in jeder Beziehung außergewöhnlichen Mann, einen so edlen und reinen Charakter, wie man ihn nur selten findet. Auch sei es schon der Mühe wert, eine weite Reise zu machen, um Bascom Hall -- eins der stattlichsten herrschaftlichen Schlösser aus der Zeit der Königin Elisabeth -- in Augenschein zu nehmen. Herr Bascom sei eine gesellige Natur und sehe gern interessante und liebenswürdige Menschen bei sich. Man könne daher dort im Hause stets die angenehmsten Bekanntschaften machen. Wir statteten damals den Besuch ab und noch mehrere andere im Lauf der nächsten Jahre, den letzten 1879. Bald darauf trat Bascom auf seinem eigenen Dampfer eine Reise um die Welt an. Er wollte lange fortbleiben, alles mit Muße betrachten und in den fremden Ländern auch Vögel, Schmetterlinge u. dgl. sammeln. Am 2. Juli 1881, dem Tage, an welchem Präsident Garfield von dem Mörder Guiteau tödlich verwundet wurde, kam in dem kleinen Badeort am Sund von Long Island, wo wir unsere Sommerfrische hielten, ein Brief mit dem Poststempel Melbourne an. Er war an meine Frau adressiert, da ich aber Bascoms Handschrift erkannte, machte ich ihn auf. Der Brief enthielt wie gewöhnlich nur ein paar Zeilen auf einem Papierstreifen, aber ihr Inhalt war sehr merkwürdig und ganz anders als sonst. -- Vielleicht könne es den Kummer meiner Frau lindern -- so ungefähr lautete das Schreiben -- wenn sie erführe, wie erfolgreich die Vorlesungstour ihres Gatten in Australien von Anfang bis zu Ende gewesen sei. Der Briefsteller könne das nach bestem Wissen bezeugen und die Mitteilung hinzufügen, daß der allzu frühe Tod ihres Gatten von der ganzen Bevölkerung aufs tiefste beklagt werde. Sie würde das jedoch ohne Zweifel bereits aus Zeitungstelegrammen ersehen haben. Alle Beamten und Würdenträger der Kolonie und der städtischen Regierung wären bei dem Begräbnis zugegen gewesen. Schreiber dieser Zeilen hätte zwar leider Melbourne nicht mehr rechtzeitig erreichen können, um die Leiche noch einmal zu sehen, doch hätte er es sich nicht versagen wollen, als Freund der Familie wenigstens unter den Hauptleidtragenden zu sein. Unterschrieben: ›Henry Bascom‹. Wenn er doch den Sarg hätte öffnen lassen! Das war mein erster Gedanke. Er würde sich dann überzeugt haben, daß es die Leiche eines Betrügers war, er hätte sie öffentlich versteigern und mir das Geld schicken können und das ganze Trauergefolge, samt der betrübten Regierung, würde sich die Tränen aus den Augen gewischt haben. Damals ließ ich die Sache auf sich beruhen. Ich hatte schon früher mehrmals die Polizei in Anspruch genommen, um mich gegen meine lebendigen Vorlesungs-Doppelgänger in Amerika zu schützen; doch war man ihrer niemals habhaft geworden. Auch andere meiner Kollegen hatten umsonst versucht, _ihre_ betrügerischen Duplikate zu entlarven. Was sollte es da wohl nützen, einen abgeschiedenen Geist zu beunruhigen? -- So störte ich denn seinen Frieden nicht; aber neugierig war ich doch, Näheres über die Vorlesungstour jenes Menschen und seine letzten Lebensstunden zu erfahren. Ich wollte warten, bis ich Bascom wiedersähe, und mir alles von ihm erzählen lassen; er starb jedoch, ohne daß wir uns zuvor noch einmal im Leben trafen, und dann dachte ich nicht mehr an jenes Ereignis. Als ich jedoch die Reise nach Australien plante, war meine Neugier wieder erwacht. Sehr natürlich -- denn, wenn die Zuhörer meiner Vorlesungen etwa gesagt hätten, ich sei recht fade und langweilig, im Vergleich zu dem, was ich vor meinem Tode gewesen, so würde die Einnahme darunter gelitten haben. Wie sehr war ich nun überrascht, als mir die Zeitungsredakteure in Sydney sagten, sie hätten _von jenem Betrüger noch nie etwas gehört_. Ich mochte sie ausfragen so viel ich wollte, sie wußten nichts von ihm und zweifelten an der ganzen Geschichte. Mir war das unverständlich; doch glaubte ich, in Melbourne würde sich die Sache leicht aufklären lassen. Die Regierung und das übrige Trauergefolge mußten sich doch noch an den Leichenzug erinnern. Bei dem Festessen, das mir die Journalisten gaben, stellte sich jedoch heraus, daß auch sie nichts hatten verlauten hören und mir keine Auskunft geben konnten. So blieb, zu meiner großen Enttäuschung, das Geheimnis nach wie vor in Dunkel gehüllt. Ich hoffte nun nicht mehr, daß ich die Lösung des Rätsels noch auf Erden erfahren würde und suchte mir die Sache aus dem Sinne zu schlagen. Aber endlich, gerade als ich es am wenigsten erwartete -- doch nein, hier ist nicht der richtige Platz, um die übrige Geschichte zu erzählen; ich werde in einem viel späteren Kapitel wieder darauf zurückkommen. * * * * * Die Stadt Melbourne hat eine ungeheure Ausdehnung und Bauwerke von hervorragender Pracht und Größe. Ihre Straßenbahnen sind vortrefflich, sie besitzt Museen, höhere und niedere Schulen, öffentliche Gärten, Gas, Elektrizität, Bibliotheken und Theater. Sie ist der Mittelpunkt für den Bergbau, die Wollindustrie, für Kunst und Wissenschaft, man findet dort Gewerkvereine, Schiffe, Eisenbahnen, einen Hafen, gesellige Vereinigungen, Journalistenklubs, Rennvereine und einen Klub der Squatter, dem ein wundervoll eingerichtetes Haus gehört, auch so viele Banken und Kirchen, wie irgend nebeneinander bestehen können. Kurz, Melbourne hat alles, was zur modernen Großstadt gehört; es ist die bedeutendste Stadt auf dem australischen Festland und den Inseln und füllt ihren Posten als solche mit Ehre und Würde aus. Einen besonderen Vorzug besitzt es aber noch, den man nicht mit andern Dingen zusammenwerfen darf. Es ist nämlich das Zentrum für den Kultus des Pferderennens. Sein Rennplatz ist das Mekka von Australien. Am 5. November, dem alljährlichen Festopfertag, stehen auf einer Strecke, die länger ist, als von New York nach San Francisco, und breiter als von den nördlichen Seen bis zum Golf von Mexiko, sämtliche Geschäfte völlig still; Männer und Frauen jedes Standes und Ranges, deren Mittel es erlauben, lassen daheim alles stehen und liegen, und kommen herbeigeströmt. Schon zwei Wochen vor dem bestimmten Tage beginnen die Scharen sich zu Schiffe und mit der Eisenbahn einzufinden; täglich erscheinen sie in immer dichteren Schwärmen, bis alle Transportmittel die Last kaum mehr zu bewältigen vermögen und die Hotels und Wohnhäuser von oben bis unten vollgestopft sind. Zu Hunderttausenden sieht man sie anmarschieren, wie glaubwürdige Zeugen versichern, um den Riesenplatz und die Tribünen zu füllen. In ganz Australien bekommt man nirgends ein ähnliches Schauspiel zu Gesicht. Das Preisrennen von Melbourne ist es, zu dem alle diese Menschen zusammenströmen. Die Festkleider sind schon lange vorher bestellt; sie müssen an Pracht und Schönheit alles überstrahlen, was je dagewesen ist; keine Kosten werden gescheut, und man verbirgt sie sorgfältig vor neugierigen Blicken, bis der große Tag erscheint, dem man sie geweiht hat. Ich meine natürlich die Toiletten der Damen; aber das versteht sich ja von selbst. Die Tribünen bieten denn auch einen wundervollen, blendenden Anblick; man sieht dort die zauberhaftesten Farben, die entzückendste Schönheit. Der Champagner fließt in Strömen, die allgemeine Stimmung ist lebhaft, aufgeregt, glücklich; jeder wettet, und Unsummen werden gewonnen oder verloren. Tag für Tag finden Wettrennen statt, wobei stets die ausgelassenste Lust und Laune herrscht. Nachdem das Programm des Tages erschöpft ist, tanzen die Leute noch die ganze Nacht hindurch, um sich für das Rennen des nächsten Tages zu stärken. Am Schluß der großen Woche sichern sich die Menschenmassen zuguterletzt Unterkunft und Fahrgelegenheit für das nächste Jahr; dann verstreut sich alles, jeder kehrt nach seiner fernen Heimat zurück, zählt seinen Gewinn oder Verlust, bestellt die Kleider zum nächsten Preisrennen, legt sich zu Bett, schläft vierzehn Tage lang und steht endlich mit dem traurigen Gedanken wieder auf, daß man ein ganzes Jahr warten muß, bevor man sich wieder aus vollster Seele seines Lebens freuen kann. Das Preisrennen von Melbourne ist das Nationalfest Australiens. Seine Wichtigkeit läßt sich gar nicht hoch genug anschlagen. Jeder andere Fest- oder Feiertag irgend welcher Art, den die Kolonien begehen, wird durch seinen Glanz verdunkelt. Zwar feiert man noch allerlei, teils aus Gewohnheit, teils von Amts wegen, aber nicht so gründlich, so allgemein, so aus freien Stücken, wie das große Wettrennen. Es hat seinesgleichen in keinem andern Lande der Welt. Je näher dies höchste Fest des Jahres herankommt, um so glühender wird die Erwartung, die Vorbereitung und die allgemeine Glückseligkeit; man denkt und redet überhaupt nichts anderes mehr. In Amerika haben wir keinen Tag im Jahr, der so wie dieser die Gesamtbevölkerung beseligen kann. Wir feiern den vierten Juli, Weihnachten und das Dankfest. Aber keiner dieser drei Festtage hat einen Vorrang vor dem andern, und keiner ist, wie gesagt imstande, das ganze Volk zu beglücken. Von zehn erwachsenen Amerikanern empfinden mindestens acht ein wahres Entsetzen vor dem vierten Juli mit seinem gefährlichen Höllenspektakel und wünschen sich Glück, daß er vorüber ist -- wenn sie noch am Leben sind. Auch das Nahen des Weihnachtsfestes bringt vielen trefflichen Menschen Qual und Pein. Sie müssen ganze Wagenladungen von Geschenken kaufen und wissen nie, ob sie den Geschmack der Empfänger getroffen haben. Drei Wochen lang arbeiten sie im Schweiße ihres Angesichts und wenn der Weihnachtsmorgen anbricht, fühlen sie sich so enttäuscht und so unzufrieden mit ihren Leistungen, daß sie sich am liebsten hinsetzen möchten, um sich nach Herzenslust auszuweinen und nur in dem Gedanken Trost finden, daß bloß einmal im Jahr Weihnachten ist. Unser Dankfest wird seit einiger Zeit ganz allgemein durch ein Festessen gefeiert. Das Dankgefühl ist bei uns jedoch weit weniger verbreitet. Zu verwundern braucht man sich darüber nicht. Zwei Drittel des Volkes haben jetzt das ganze Jahr hindurch so wenig Glück und ein so schweres Leben, daß ihre Festfreude sich bedeutend abkühlt. Auch in andern Ländern feiert man hohe Feste, aber wie gesagt, keins an dem das ganze Volk so von Herzen Anteil nimmt. Man wird mir daher wohl zugeben müssen, daß das Preisrennen von Melbourne das Fest aller Feste ist und vermutlich seinen hohen Rang noch lange Zeit behaupten wird. Für den Reisenden hat in fremden Landen dreierlei das größte Interesse: erstens, die Bevölkerung, zweitens, alles was ihm neu ist und drittens, die geschichtlichen Erinnerungen, welche sich an die Orte knüpfen. In Städten, die auf der Höhe der modernen Zivilisation stehen, wird er selten etwas Neues finden. Kennt man solche Städte in andern Weltteilen, so kennt man tatsächlich auch die großen Städte Australiens. Zwar sind Unterschiede vorhanden, aber es gehört schon ein recht geübtes Auge dazu um sie zu entdecken, und der Fremde hat selten Zeit zu so genauer Beobachtung. Freilich in den Museen sind endlose Zimmer voll der merkwürdigsten und anziehendsten Gegenstände. Aber das ist doch mehr oder weniger bei allen Museen der Fall; ihre Besichtigung macht uns immer Augenweh und Rückenschmerzen und verzehrt unsere Lebenskraft durch ihr aufreibendes Interesse. Man nimmt sich stets von neuem vor, nie wieder hinzugehen -- und tut es schließlich doch. Die Paläste der Reichen in Melbourne gleichen den Palästen der Reichen in Amerika fast aufs Haar, auch die Lebensweise darin ist die nämliche, aber weiter geht die Aehnlichkeit nicht. Die Gartenanlagen, in denen die amerikanischen Paläste liegen, sind selten groß und oft gar nicht schön; aber in Melbourne haben sie meist den Umfang von fürstlichen Parks und die Kunst des Gärtners schafft daraus mit Hilfe des Klimas etwas ganz Zauberhaftes. Manche Landgüter außerhalb der Stadt sollen sich an Größe und wunderbarem Reiz mit der Besitzung eines englischen Lords messen können. Aber das weiß ich nicht aus eigener Anschauung; ich hatte in der Stadt alle Hände voll zu tun und bin nicht aufs Land hinaus gekommen. Wie ist aber diese Riesenstadt mit ihren palastähnlichen Häusern und Landsitzen entstanden? Ein englischer Sträfling hat den ersten Stein dazu gelegt und das erste Haus gebaut. Die Geschichte Australiens ist durch und durch romantisch, voll der sonderbarsten, merkwürdigsten Begebenheiten, gegen die alles andere Neue, das man sieht und hört, in den Hintergrund tritt. Sie liest sich gar nicht wie Geschichte, sondern wie eine Sammlung der schönsten Lügen und zwar noch nie dagewesener, keiner abgedroschenen. Allerlei Ueberraschungen, Abenteuer, Ungereimtheiten, Widersprüche und unglaubliche Dinge werden einem aufgetischt; aber sie sind buchstäblich wahr und haben sich wirklich zugetragen. Auch die Geschichte des Mannes, der den Grundstein von Melbourne gelegt hat, ist ein förmlicher Roman. Sein Name war Buckley, und über kurz oder lang wird man Melbourne in Buckleystadt oder Buckleyburg umtaufen müssen, um die bisherige Ungerechtigkeit wieder gut zu machen. Buckley war ein junger, riesenstarker Engländer, der das Maurerhandwerk betrieb. Später wurde er Soldat und brachte aus den Kriegen mit Holland eine ehrenvolle Wunde heim; die Narbe trug er sein Leben lang. In England wurde er eines Tages angeklagt und überführt, gestohlene Waren verborgen zu haben -- wahrscheinlich im Wert von sechs Schillingen --, und einstweilen ins Gefängnis geworfen. Dabei schiffte man ihn mit einer Ladung anderer Sträflinge nach Australien ein -- auf wie viele Jahre sagt die Geschichte nicht. Dies war der vielversprechende, ereignisreiche Anfang seines jungen Lebens. Es geschah 1803, als er dreiundzwanzig Jahre zählte. Die Fahrt dauerte fünf und einen halben Monat, dann landete das Schiff nicht weit von der Stelle, wo jetzt Melbourne erbaut ist. Die Gegend war noch mit wildem Urwald bedeckt, in dem nur Eingeborene lebten. Die nächste Niederlassung der Weißen, die kleine Kolonie Sydney, lag viele hundert Meilen entfernt. Man begann sofort eine Sträflingskolonie einzurichten (die bald wieder aufgegeben wurde), und Buckley legte den Grundstein des ersten Hauses. Der schmachvolle Sklavendienst seines neuen Lebens war Buckley ein Greuel; auch das Klima sagte ihm nicht zu, als im Januar der Hochsommer kam, und er seine harte Arbeit bei einer Temperatur von 110° im Schatten verrichten mußte. So machte er denn einen Fluchtversuch und erlangte glücklich seine Freiheit wieder. Von den Gefährten seiner Flucht wurde einer durch die Wache erschossen, die andern irrten sechs Tage lang mit Buckley im Busch umher, dem Hungertode preisgegeben. Da sie aber sahen, daß ihre Leiden in der Freiheit nicht geringer waren als beim Sträflingsleben, wo sie doch wenigstens Nahrung erhielten, kehrten sie wieder um. Buckley wollte sie nicht begleiten und blieb allein zurück; als Mann von echtem Schrot und Korn dachte er an keinen Rückzug. Ursprünglich hatte er die Absicht gehabt, mit den Genossen nach Kalifornien zu wandern; sie waren eben ungebildete Leute und wußten wenig von der Erdbeschreibung. Als nun Buckley sich selbst überlassen war, gab er den Plan auf, teils wegen der Entfernung, teils weil ihm nicht ganz klar war, in welcher Richtung er Kalifornien zu suchen hätte. Er beschloß dagegen, nach Sydney zu wandern, ging jedoch fehl und kam immer weiter von seinem Ziel ab. Lange fristete er sein Leben mit Beeren, Muscheln und dergleichen, bis er endlich den Eingeborenen in die Hände fiel. Gerade an jenem Morgen hatte er jedoch, ohne es zu wissen, einen glücklichen Fund getan. Er hatte einen Speer, der in einem Grabhügel steckte, herausgezogen und hielt ihn noch in der Hand, als die Eingeborenen ihn umringten. Sie glaubten, er sei der wieder lebendig gewordene Insasse jenes Grabes und begrüßten ihn als Stammesgenossen und Verwandten. In ihrer Freude über seine Wiederkehr versahen sie ihn alsbald mit Speise und Weibern, auch mit einem Neffen und andern zum Leben notwendigen Erfordernissen und nahmen ihn gastlich in ihrer Mitte auf. Er lebte unter den Wilden und wurde ein wichtiger, einflußreicher Häuptling des Stammes, lernte dessen Sprache und vergaß mit der Zeit seine eigene. Ohne jemals wieder einen Weißen zu sehen, brachte dieser neue Robinson zweiunddreißig Jahre unter so seltsamen Verhältnissen zu, und kein Mensch ahnte, daß er noch am Leben sei. So etwas kann auch nur in Australien vorkommen. Die andern Robinsone verschwinden vielleicht auf vier Jahre, tauchen dann wieder auf und kommen in Ziegenfelle gekleidet, großprahlerisch einherstolziert; aber der australische Robinson geht ein ganzes Menschenalter verloren und kehrt bescheiden zurück, ohne irgend etwas anzuhaben, weil er die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken wünscht. Heutzutage würden Telegraphen, Zeitungen und illustrierte Journale sich einer neuentdeckten Persönlichkeit, wie dieser Buckley, annehmen, seinen Namen in alle Welt posaunen, und ihn zum reichen Manne machen. Aber der Buckley aus alter Zeit konnte den Roman seines Lebens zu keinem so glänzenden Abschluß bringen. Er pries sich schon glücklich, als er zum Leibdiener des kommandierenden Obersten der Kolonie ernannt wurde und die nötigen Kleidungsstücke erhielt; eine Zeitlang tat er auch Dienste als Konstabler und Geheimpolizist. Bald legte er jedoch sein Amt nieder, ging nach Van Diemensland (dem jetzigen Tasmanien) und wurde zweiter Verwalter im Auswandererheim. Zuletzt erhielt er den Posten eines Torschließers im Frauenasyl. 1840, als er sechzig Jahre alt war, heiratete er die Witwe eines Handwerkers. Mit siebzig Jahren ließ er sich pensionieren und erhielt ein Ruhegehalt von 60 Pfund Sterling, das er noch sechs Jahre lang genießen durfte. Dann nahm ihn der Tod hinweg, der ihm sein Glück nicht länger gönnen mochte. So endete denn der wunderbare Lebenslauf des Gründers von Melbourne auf sehr hausbackene und alltägliche Weise. Achtzehntes Kapitel. Die Engländer kommen schon in der Bibel vor, wo es heißt: ›Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.‹ _Querkopf Wilsons Kalender._ Wenn wir bedenken, wie ungeheuer groß der Flächeninhalt des britischen Kaiserreichs ist, wie bedeutend seine Einwohnerzahl und sein Handel, so wird es uns schwer zu glauben, daß Australien und Ozeanien wirklich einen so hervorragenden Anteil an Englands Weltstellung haben, wie man versichert. Der Länderbesitz aller andern Mächte -- außer Rußland -- ist im Vergleich zum britischen Reich winzig klein, und es übertrifft selbst Rußland etwa um ein Viertel an Größe, was ich aus sicherer Quelle weiß. Großbritannien und China herrschen ungefähr über die gleiche Bevölkerungszahl; jedes dieser beiden Reiche hat 400000000 Untertanen. Da bleiben alle andern Mächte -- auch Rußland -- weit zurück. Die vier Millionen Einwohner von Australien scheinen zwar nur ein Tropfen in dem kaiserlich britischen Meer von vierhundert Millionen Köpfen; allein, sie gewinnen sehr an Bedeutung, wenn man ihren Einfluß auf den britischen Welthandel in Betracht zieht. Englands jährliche Einfuhr und Ausfuhr wird auf drei Billionen Dollars geschätzt[2] und davon soll mehr als ein Zehntel auf die Ausfuhr und Einfuhr zwischen Australien und England kommen.[3] Daneben treibt Australien noch Handel mit anderen Staaten, wodurch ein jährlicher Ertrag von hundert Millionen Dollars erzielt wird, während der Umsatz innerhalb der Kolonien sich auf hundert und fünfzig Millionen beläuft.[4] In runden Zahlen ausgedrückt kaufen und verkaufen also die 4000000 Einwohner jährlich etwa Waren im Wert von 600000000 Dollars, wovon die Hälfte, wie behauptet wird, aus einheimischen Produkten Australiens besteht. Die Ausfuhr der Produkte Indiens trägt jährlich eine Kleinigkeit über 500000000 Dollars ein,[5] woraus sich Zahlen ergeben, die höchst verwunderlich sind, nämlich: Indiens Produktion (300000000 Einwohner) $ 500000000. Australiens Produktion (4000000 Einwohner) $ 300000000. Demnach produziert der einzelne Inder an Ausfuhrartikeln durchschnittlich für $ 1.75 im Jahr; der einzelne Australier dagegen für $ 75! Nach zuverlässigen statistischen Tabellen, welche von Sir Richard Temple und andern aufgestellt worden sind, beläuft sich die jährliche Produktion eines Inders für Ausfuhr und Verbrauch im Lande auf $ 7.50 oder $ 37.50 für eine Familie von fünf Personen; während die Durchschnittsproduktion einer ebenso großen Familie in Australien fast $ 1600 beträgt. Es gibt doch wirklich nichts Ueberraschenderes in der Welt als Zahlen, wenn man erst einmal anfängt sich mit ihnen einzulassen. Wir fuhren von Melbourne mit der Eisenbahn nach Adelaide, der Hauptstadt der großen Provinz Südaustralien -- eine Reise von siebzehn Stunden. Unterwegs trafen wir mehrere Bekannte aus Sydney, u. a. einen Richter, der auf der Rundreise war und in Broken Hill, wo das berühmte Silberbergwerk ist, eine Gerichtssitzung halten wollte. Der Weg, den er einschlug, um in jene Gegend zu gelangen, schien uns etwas sonderbar gewählt: Broken Hill liegt dicht an der Westgrenze von Neusüdwales und Sydney in dessen äußerstem Osten; die Entfernung zwischen beiden Orten mag in gerader Linie etwa 700 Meilen betragen, während der Richter mehr als 2000 Meilen mit der Eisenbahn fahren mußte, nämlich von Sydney südwestlich bis Melbourne, dann nordwestlich nach Adelaide, von da zurück nordöstlich und wieder über die Grenze von Neusüdwales bis Broken Hill. Die Sache erklärte sich jedoch auf sehr einfache Weise: Vor Jahren war die Welt plötzlich durch den fabelhaft reichen Silberfund von Broken Hill überrascht worden. Die Aktien hatten anfänglich nur ein paar Schillinge gegolten, allein im Handumdrehen stieg ihr Wert bis zu ganz unglaublichen Summen. Es war einer jener Fälle, wo die Köchin für ihren Monatslohn einen Anteilschein ersteht, und im folgenden Jahre ihrer Herrschaft das Haus abkauft und selbst hineinzieht; wo der Kutscher ein paar Aktien nimmt und nach Monatsfrist eine Bank eröffnet; wo der gemeine Matrose sich mit dem Preis, den ihn ein Zechgelage kosten würde, bei dem Unternehmen beteiligt und im nächsten Monat ein eigenes Handelsgeschäft gründet, mit dem er der Dampfschiffgesellschaft Konkurrenz macht. Kurzum, es entstand ein förmliches Entdeckungsfieber; urplötzlich strömten große Menschenmassen auf ein und derselben Stelle zusammen, und man mußte unverzüglich für ihre Bedürfnisse sorgen. Adelaide war in nächster Nähe und Sydney weit entfernt; da baute Adelaide natürlich eine kurze Eisenbahn über die Grenze, bevor Sydney noch Zeit hatte eine lange Linie zu bauen. Der ganze ungeheure Handelsprofit von Broken Hill wurde unwiderruflich nach Adelaide gelenkt, und für Sydney verlohnte es sich später überhaupt nicht mehr der Mühe, eine Bahn dorthin anzulegen. So steht denn Broken Hill unter der Gerichtsbarkeit von Neusüdwales, das seine Richter 2000 Meilen weit schicken muß -- meist durch andere Provinzen -- während Adelaide ruhig und ohne sich zu beklagen, sämtliche Dividenden einstreicht. Wir fuhren nachmittags um 4.20 ab und meist durch ebenes Land. Am Morgen kamen wir in den ›Scrub‹, so heißen die mit verkrüppeltem Buschwerk bewachsenen Gegenden, welche in den australischen Romanen eine so große Rolle spielen. Dort lauert der feindliche Eingeborene, schweift ungesehen umher, macht von Zeit zu Zeit plötzliche Ausfälle, beraubt und tötet den allzu sichern Ansiedler und schleicht ins Dickicht zurück, ohne eine Spur zu hinterlassen, welche der weiße Mann zu entdecken vermöchte. Dort verirrt sich auch die Heldin des Romanschreibers; alles Suchen nach ihr ist vergebens, sie wandert hierhin und dorthin, bis sie ermattet und bewußtlos niedersinkt. Die ausgesandten Retter gehen wenige Meter von der Stelle wo sie liegt an ihr vorüber, ohne ihre Nähe zu ahnen, und erst viel später findet irgend jemand zufällig ihr Gebeine und das hinterlassene Tagebuch, das sie noch mit Aufbietung ihrer letzten Kraft geschrieben hat. Eine verlorene Heldin im Scrub aufzuspüren, vermag keiner außer dem eingeborenen Pfadfinder, und der gibt sich nur damit ab, wenn es dem Romanschreiber in seinen Plan paßt. Der Scrub erstreckt sein grünes Dickicht viele Meilen weit nach allen Richtungen und sieht aus wie ein plattes Dach, in dem weder Riß noch Spalte ist, oder wie eine große Decke ohne Naht. Sich im Scrub zurecht zu finden ist ein Ding der Unmöglichkeit, er ist pfadlos wie eine Wasserwüste. Und doch sagt man, daß der Eingeborene verirrte Wanderer im Scrub, im Busch und in der Wüste aufspüren, ja ihnen selbst über nackte Felsen oder Sandbänke folgen kann, von denen die Fluten jede Spur eines Fußtritts hinweggespült haben. Sowohl aus australischen Büchern, wie aus den mündlichen Schilderungen, die mir gemacht wurden, habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß der eingeborene Pfadfinder so viel Schlauheit, Scharfblick, Klugheit und Beobachtungsgabe besitzt, wie man es bei keinem Volke der Erde, weder unter Weißen noch Farbigen wiederfindet. In einer von der Regierung der Provinz Victoria veröffentlichten Beschreibung der Negerbevölkerung Australiens, heißt es unter anderm, daß der Eingeborene nicht nur an der Rinde des Baumes die schwache Spur entdeckt, welche das Opossum beim Klettern zurückläßt, sondern auch irgendwie zu erkennen vermag, ob die Spur von gestern oder erst von heute herrührt. Man sagt, der Ansiedler ~A~ habe einmal mit seinem Nachbar ~B~ eine Wette gemacht, daß ein Eingeborener ~B~’s Kuh wiederfinden würde, wo und wie er sie auch verbergen möchte. ~B~ zeigte dem Eingeborenen die Fußspuren der Kuh und läßt ihn dann einschließen und bewachen. Hierauf führt er das Tier auf eine Straße, von der nach allen Seiten Kreuzwege abzweigen und die mehrmals wieder in der Runde zurückführt. Er wählt die schwierigsten Pfade aus, treibt das Tier öfters durch große Kuhherden, wo seine Spur unter den andern Rindern ganz verloren geht, und bringt die Kuh schließlich wieder nach Hause. Nun entläßt man den Eingeborenen aus seinem Gewahrsam, worauf er sofort im Kreise herumgeht und die Fußspuren aller Kühe solange untersucht, bis er die richtigen gefunden hat; dann folgt er den verschlungenen Wanderungen der Kuh, ohne sich beirren zu lassen und entdeckt sie zuletzt wirklich in dem Stall, wo ~B~ das Tier verborgen hat. Nun sage mir einmal jemand, wodurch sich die Spuren der einen Kuh von denen einer andern unterscheiden? Es muß irgend ein Unterschied vorhanden sein, sonst könnte der Eingeborene sein Kunststück nicht ausführen. Und wie merkwürdig, daß für den Abkömmling einer Rasse, von der viele behaupten, sie stehe auf der niedrigsten geistigen Stufe menschlicher Entwicklung, dieser wesenlose, schattenhafte Unterschied erkennbar ist, welchen weder ich, noch einer meiner Volksgenossen -- selbst nicht der verstorbene Sherlock Holmes[6] -- imstande wäre aufzuspüren. Neunzehntes Kapitel. Es ist leichter gar nicht hineinzugehen als wieder herauszukommen. _Querkopf Wilsons Kalender._ Der Zug kam jetzt auf seiner Fahrt durch ein freundliches Hügelland und schlängelte sich an lachenden, grünen Tälern vorüber. Wir sahen Gummibäume der verschiedensten Art, darunter wahre Riesen. Einige hatten die Form und Rinde von Sykomoren, andere sahen höchst absonderlich aus und erinnerten an die seltsamen Apfelbäume auf japanischen Bildern. Ein ganz prächtiger Baum war mir völlig unbekannt; er trug Tannennadeln in großen Büscheln, die untere Hälfte hatte eine glänzend braune oder dunkle Goldfarbe, der obere Teil ein kräftiges, lebhaftes, beinahe schreiendes Grün -- die Farbenwirkung war zauberhaft. Der Baum muß wohl sehr selten sein; alle Exemplare, welche wir zu sehen bekamen, standen auf einer Strecke, durch die wir in einer halben Stunde fuhren. Noch ein anderer Baum fiel mir auf, eine Art Fichte, wie man uns sagte. Die grüne Masse seines Laubwerks schien aus haarfeinen Fäden gewoben und wölbte sich als Krone über dem geraden, kahlen Stamme, wie eine aufsteigende zarte Rauchwolke. Er wuchs nicht gesellig in Gruppen oder Paaren; jeder einzelne Baum stand abgesondert von seinem Nachbar da. So verteilten sie sich in ihrer einsamen Größe weit über Abhänge und grasbewachsene, schwellende Hügel, wo der herrlichste Sonnenschein sie umflutete. Und so lange man den Baum noch erblicken konnte, sah man auch seinen kohlschwarzen Schatten auf dem glänzend grünen Teppich an seinem Fuß. Wir fuhren häufig an blühenden Ginsterbüschen vorbei; die Pflanze ist aus England eingeführt. Ein Herr, der vorübergehend in unser Coupé kam, wollte mir den Unterschied zwischen gemeinem Ginster und Stechginster erklären; es wurde ihm jedoch schwer, da er ihn selbst nicht wußte. Zur Entschuldigung seiner Unkenntnis sagte er: vor diese Frage sei er im Verlauf von mehr als fünfzig Jahren, die er bereits in Australien lebe, noch niemals gestellt worden, und so hätte er sich nicht damit abgegeben. Zu entschuldigen brauchte er sich eigentlich kaum, denn nichts ist so allgemein verbreitet wie diese Untugend. Um alles Neue und Fremdartige bekümmern wir uns, aber sich für das Nächstliegende zu interessieren verstößt gegen die menschliche Natur. -- Die verschiedenen Ginsterarten bildeten einen großen Schmuck der Landschaft. Hier und da hob sich plötzlich ihr grelles Gelb mit so leuchtendem Schein von dem düstern Hintergrund ab, daß man den Atem anhalten mußte vor Staunen und Ueberraschung. Dazu kam noch die einheimische Akazie mit ihrer üppigen Fülle goldgelber Blüten. Sie wächst als Busch oder Baum und ist wegen ihres Wohlgeruchs bei den Australiern sehr beliebt, denn den meisten dortigen Blumen fehlt der Duft. Der Herr, dem ich den Mangel an Belehrung über die Ginsterarten verdankte, erzählte mir, er sei vor fünfzig Jahren mit sechsunddreißig Schillingen in der Tasche aus England in die Provinz Südaustralien eingewandert. Er kam als Abenteurer, ohne Gewerbe, ohne Beruf, ohne Freunde, doch hatte er ein bestimmtes Ziel vor Augen: er wollte im Lande bleiben, bis er sich 200 Pfund Sterling erworben hatte und dann wieder nach der Heimat zurückkehren. In fünf Jahren hoffte er dies Vermögen zu sammeln. »Das ist jetzt über fünfzig Jahre her,« fügte er hinzu, »und ich bin noch immer da.« Beim Hinausgehen traf er in der Tür mit einem Freunde zusammen, den er mir vorstellte. Wir plauderten und rauchten eine Weile miteinander, der Freund und ich, und dabei kamen wir auf jene Unterhaltung zu sprechen. Ich sagte, der Gedanke an das halbe Jahrhundert, welches sein Freund in der Verbannung verlebt habe, sei für mich tief ergreifend, und ich wollte, es wäre ihm gelungen, die 200 Pfund zu erwerben. »O, darum machen Sie sich keine Sorge,« erhielt ich zur Antwort. »Ihm ist es nicht schlecht ergangen, das Glück war ihm hold. Er hat nur aus Bescheidenheit einige Einzelheiten seiner Geschichte verschwiegen. Damals kam er gerade rechtzeitig nach Südaustralien, um bei der Entdeckung der Burra-Burra-Kupferminen mitzuhelfen, die in den ersten drei Jahren 700000 Pfund Sterling eingebracht haben. Bis jetzt beläuft sich ihr Gesamtertrag auf 20000000 Pfund, wovon mein Freund seinen Anteil erhalten hat. Er war noch nicht zwei Jahre im Lande, da hätte er heimkehren und sich ein ganzes Dorf kaufen können, und ich glaube, wenn er wollte, könnte er sich jetzt eine Stadt kaufen. Nein, der Mensch ist nicht zu beklagen; sein Kupfer wurde zu jener Zeit eine wahre Rettung für Südaustralien, denn eben waren die großen Landspekulationen fehlgeschlagen und alle Geschäfte lagen darnieder.« Habe ich’s nicht gesagt? -- Die romanhaftesten Geschichten sind in diesem Erdteil ganz an der Tagesordnung! Im Jahre 1829 hatte Südaustralien noch keinen Weißen gesehen. 1836 gründete das britische Parlament dort in der Wüste eine Provinz, ernannte den Gouverneur und setzte die Regierung ein. Nun bemächtigten sich eifrige Unternehmer der Sache, man erwarb große Strecken Landes, beförderte die Einwanderung und lockte die Leute durch glänzende Versprechungen. In London wurden die Aktien der Gesellschaft fleißig ausgeboten und Mitglieder aller Stände, selbst des Adels und der Geistlichkeit, kauften was sie nur bekommen konnten. Die Ansiedlung begann; in den Sandregionen und den Sümpfen am Meeresstrande, die der Mangrove-Baum durchwurzelte, wurde Land abgesteckt, wo eine Stadt gegründet oder eine Farm angelegt werden sollte. Immer neue Scharen strömten herbei, der Preis für Grund und Boden stieg fort und fort; alles freute sich seines Lebens und der Schwindel wuchs ins Riesengroße. Mitten im Sande -- da wo jetzt Adelaide liegt -- sah man Hütten von Eisenblech und hölzerne Schuppen gleich Pilzen in die Höhe schießen; in den Wigwams des so rasch entstandenen Dorfes machte sich jedoch die neueste Mode breit. Reich gekleidete Damen spielten auf kostbaren Klavieren, Londoner Stutzer mit Frack und Lackstiefeln stolzierten umher; die feine Gesellschaft trank Champagner und führte in der armseligen Scheunenstadt ein Leben, wie sie es in den vornehmen Vierteln der großen Weltstadt gewohnt gewesen. Man errichtete Prachtgebäude für die Provinzialregierung und mitten in Gärten erhob sich ein Palast. Der Gouverneur, der darin seinen Sitz hatte, umgab sich mit einer Leibwache und einem Hofstaat. Straßen, Schiffswerften und Hospitäler wurden angelegt. Alles auf Kredit, auf dem Papier, für künstlich gesteigerte oder gefälschte Werte -- nichts als Wind und leerer Schein! Vier oder fünf Jahre lang ging die Sache flott, dann brach plötzlich alles zusammen. Rechnungen für ungeheure Summen, die der Gouverneur einschickte, wurden vom Schatzamt zurückgewiesen, der Kredit der Kolonialgesellschaft ging in Rauch auf, es entstand eine Panik, alle Werte fielen mit rasender Schnelligkeit. Die Einwanderer griffen entsetzt nach Ranzen und Stab, und die Gegend, in der es noch soeben von Menschen gewimmelt hatte, wie in einem Bienenkorb, war zur Einöde geworden. Adelaide hatte sich schnell entvölkert; es zählte nur noch 3000 Einwohner. Zwei Jahre lang dauerte die Todeserstarrung, es war keine Aussicht auf Wiederbelebung, allmählich schwand jede Hoffnung. Dann folgte auf den raschen Niedergang ebenso plötzlich die Auferstehung. Die wunderbar reichen Kupferminen wurden entdeckt, der Leichnam erwachte zu neuem Leben und tat vor Freuden einen Luftsprung. Im Nu war alles wie umgewandelt. Die Wollproduktion nahm einen gewaltigen Aufschwung, der Getreidebau blühte und zwar so üppig, daß die kleine Kolonie, welche früher ihr Mehl zu hohem Preise einführen mußte -- man bezahlte einmal 50 $ für das Faß -- schon vier oder fünf Jahre nach Auffindung des Kupfers einen bedeutenden Getreidehandel trieb. Und noch immer war das Glück nicht erschöpft: Nach einigen Jahren gefiel es der Vorsehung, ihr liebevolles Interesse für Neusüdwales an den Tag zu legen und vor aller Welt zu bezeugen, daß diese Kolonie um ihrer hohen Tugend und Gerechtigkeit willen, einen besonderen Beweis der göttlichen Gnade verdiene. In Broken Hill wurde -- wie bereits gesagt -- ein Silberschatz von unermeßlichem Wert entdeckt; aber Südaustralien ging über die Grenze und nahm ihn mit Lob und Dank in Besitz. Unter unsern Mitreisenden war ein Amerikaner, der einen Beruf hatte, den kein anderer Mensch auf Erden betreibt. Er kaufte nämlich sämtliche Känguruhfelle in Australien und Tasmanien für ein New Yorker Handelshaus. Die Preise waren nicht hoch, da kein Wettbewerb bestand, aber doch kosteten ihn die Felle jährlich 30000 Pfund. Das wunderte mich, da ich mir eingebildet hatte, das Känguruh wäre in Tasmanien fast ausgestorben und auch auf dem australischen Festland nur noch selten zu finden. In Amerika werden die Felle gegerbt und zu Schuhen verarbeitet. Das gegerbte Leder bekommt einen neuen Namen, den ich jedoch vergessen habe; soviel ich weiß, erinnert er ganz und gar nicht an seine Abstammung vom Känguruh. Vor einigen Jahren versuchten die Deutschen eine Zeitlang dem Manne Konkurrenz zu machen; da sie aber das Geheimnis der Zubereitung des Leders nicht entdecken konnten, gaben sie das Geschäft wieder auf. Also habe ich wirklich einen Menschen gesehen, dessen Tätigkeit einzig in ihrer Art ist. Mir fällt wenigstens kein anderes Beispiel ein, daß ein einzelner einen ganzen Berufszweig für sich hat. Es gibt mehr als einen Papst, mehr als einen Kaiser, sogar mehr als einen Gott, der noch auf Erden wandelt und vor dem die Menschen auf den Knieen liegen. Ich habe selbst in Indien ein paar solcher Wesen gesehen und gesprochen, und von einem sogar seinen Autographen erhalten. Der kann mir gewiß noch einmal als Passierschein irgendwo Einlaß verschaffen. In der Nähe von Adelaide verließen wir den Zug und fuhren im offenen Wagen über die Hügel zur Stadt hinunter. Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde und war unbeschreiblich schön. In vielen Windungen zog sich die Straße an Klüften und Schluchten vorbei und bot die wechselvollsten Aussichten und Szenerien: Berge, Klippen, Landhäuser, Gärten und Wälder in wunderbarem Farbenglanz; die Luft war kräftig und frisch, der Himmel blau, kein Wölkchen verdunkelte die herrliche Sonne. Zuletzt öffnete sich die Bergkette, und nun breitete sich unten die weite Ebene aus, die nach allen Seiten hin in zarten, weichen, duftigen Farbentönen mit der nebligen Ferne verschwamm. An ihrem Rande dicht in unserer Nähe lag Adelaide. Wir fuhren hinunter und besichtigten die Stadt, in der nichts mehr an die elenden Hütten und Holzschuppen erinnerte, aus denen sie zur Zeit des Länderschwindels bestand. Sie macht im Gegenteil einen ganz modernen Eindruck mit ihren breiten, dicht bebauten Straßen, den schönen Privathäusern, die in Laubwerk und Blumen wie begraben sind, und der stattlichen Menge öffentlicher Gebäude, in edlem, vornehmem Stil. Das Land hatte gerade wieder einen großen Glücksfall zu verzeichnen, der alles in Aufregung brachte. Die Vorsehung wollte jetzt ihr liebevolles Interesse für die benachbarte Kolonie -- Westaustralien -- an den Tag legen und vor aller Welt bezeugen, daß sie wegen ihrer hohen Tugend und Gerechtigkeit einen besonderen Beweis göttlicher Gnade verdiene. Deshalb war in dieser Provinz kürzlich die goldene Schatzkammer von Coolgardie eröffnet worden; aber Südaustralien kam auch diesmal herbeigeschlichen und eignete sich mit Lob und Dank den riesigen Goldschatz an. Wer brav ist und geduldig wartet, dem fällt alles in den Schoß; er kann sogar die Pläne der Vorsehung durchkreuzen. Südaustralien besitzt jedoch auch eigene hohe Verdienste; es gewährt zum Beispiel jedem Fremden, der dort Zuflucht sucht, die gastlichste Aufnahme -- ihm und seiner Religion. Nach der letzten Volkszählung hat es zwar nur 320000 Einwohner, die Verschiedenartigkeit ihrer Religionen läßt jedoch darauf schließen, daß sich Leute von allen Orten und Enden des Erdballs darunter befinden. Das Verzeichnis aller dieser Religionen macht einen höchst merkwürdigen Eindruck; man würde Mühe haben irgendwo ein ähnliches aufzutreiben. Ich will eine Abschrift davon aus der amtlichen Liste hierhersetzen: Englische Staatskirche 89271 Römische Katholiken 47179 Wesleyaner 49159 Lutheraner 23328 Presbyterianer 18206 Independenten 11882 Bibel-Christen 15762 Aeltere Methodisten 11654 Baptisten 17547 Christliche Brüder 465 Jüngere Methodisten 39 Unitarier 688 Kirche Christi 3367 Gesellschaft der Freunde 100 Heilsarmee 4356 Kirche des neuen Jerusalem 168 Juden 840 Protestanten 5532 Mohammedaner 299 Anhänger des Konfucius etc. 3884 Andere Religionen 1719 Konfessionslos 6940 Nicht angegeben 8046 -------- 320431 Unter der Bezeichnung ›Andere Religionen‹, sind nach dem amtlichen Bericht folgende zu verstehen: Agnostiker 50 Atheisten 22 Christgläubige 4 Buddhisten 52 Calvinisten 45 Christadelphianer 136 Christen 308 Christkapelle 9 Christliches Israel 2 Christlich Soziale 6 Gotteskirche 6 Kosmopoliten 3 Deisten 14 Evangelisten 60 Exklusive Brüder 8 Freie Kirche 21 Freie Methodisten 5 Evangelische Gemeinde 11 Griechische Kirche 44 Hugenotten 2 Hussiten 1 Ungläubige 9 Maroniten 2 Mennoniten 1 Mährische Brüder 139 Mormonen 4 Naturalisten 2 Orthodoxe 4 Unbestimmt 17 Heiden 20 Pantheisten 3 Plymouth-Brüder 111 Rationalisten 4 Reformierte 7 Freidenker 258 Anhänger Jesu 8 Shaker 1 Sintoisten 24 Spiritisten 37 Theosophisten 9 Sekularisten 12 Adventisten 203 Gesellschaft f. inn. Mission 16 Walliser Kirche 27 Anhänger des Zoroaster 2 Zwinglianer 1 Man sieht daraus wie gesund die dortige Atmosphäre für die Religionen ist. Alle kommen darin fort: Agnostiker, Atheisten, Freidenker, Ungläubige, Mormonen, Heiden, unbestimmte Bekenntnisse. Und die großen Sekten der Welt fristen dort nicht nur ihr Dasein, sondern blühen, gedeihen und breiten sich aus -- alle, außer den Spiritisten und Theosophisten. Das ist noch die wunderbarste Seite dieser merkwürdigen Tabelle. Warum spielen die Geister wohl eine so kleine Rolle? Weshalb verschwinden sie hier fast ganz vom Schauplatz, während man sich doch aus dem Verkehr mit ihnen in der ganzen übrigen Welt einen willkommenen Zeitvertreib macht? -- Zwanzigstes Kapitel. Der Mensch tut _viel_, um geliebt zu werden; um beneidet zu werden, tut er _alles_. _Querkopf Wilsons Kalender._ Der botanische Garten von Adelaide ist ein wahres Eden; bei uns zu Lande wäre aber eine so paradiesische Schöpfung einfach ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn wir auch ein viele Morgen großes Glashaus mit Dampfheizung bauen wollten, so bliebe das doch immer nur ein Notbehelf, denn die schwüle Hitze, die enge, dumpfe Luft, die uns zu ersticken droht, würden wir doch nicht los. In Australien dagegen lacht die helle Sonne vom blauen Himmel, uns umfächelt ein köstlicher Windhauch, und wir können alles, was bei uns im Treibhaus wächst, üppig im Freien wuchern sehen. Als der erste weiße Ansiedler in das Land kam, war es an Pflanzenarten fast so arm wie die Wüste Sahara; jetzt findet man dort und in Ozeanien alles was die Erde trägt. Mit wie gutem Erfolg Australien seinen Tribut von der Flora der ganzen übrigen Welt eingesammelt hat, erkennt man allenthalben, wohin man blickt, in Feld, Garten und Wald, sowie in dem üppigen Grün, das die Landstraßen umsäumt. Bei jedem auffallend schönen und merkwürdigen Baum, Busch oder sonstigen Gewächs, nach dem man fragt, erhält man sicherlich zur Antwort, daß es aus irgend einem fremden Lande -- Indien, Afrika, Japan, China, England, Amerika, Java, Sumatra, Neu Guinea, Polynesien oder anderswoher stammt. Im zoologischen Garten von Adelaide sah ich den einzigen ›Lachenden Hans‹ oder Rieseneisvogel, der sich jemals gestimmt zeigte, mir Aufmerksamkeit zu erweisen. Er sperrte den langen Schnabel weit auf und lachte wie ein Dämon oder wie ein Verrückter, der bei dem abgedroschensten Wortwitz in ein Hohngelächter ausbricht. Es klang nicht wie tierische Laute; ich wäre überzeugt gewesen, daß ich einen Menschen lachen hörte, hätte ich den wunderlichen Vogel nicht vor mir gesehen, dessen Kopf und Schnabel viel zu groß sind für den übrigen Körper. Mit der Zeit werden alle wilden Tiere Australiens vermutlich ausgerottet werden, nur dieser Räuber wird übrig bleiben, weil ihm der Mensch wohlgesinnt ist und ihm nicht nachstellt. Das hat natürlich seinen guten Grund, wie immer, wenn wir einem wilden Geschöpf Barmherzigkeit erweisen -- sei es Mensch oder Tier. Man verschont den Vogel, weil er die Schlangen tötet. Ich kann dem ›Lachenden Hans‹, den man auch Königsfischer nennt, zu seinem eigenen Besten nur ernstlich raten, nicht alle zu vertilgen, sondern stets ein paar Schlangen am Leben zu lassen. Ebendaselbst sah ich auch den wilden australischen Hund, den Dingo. Es war ein schönes, ebenmäßig gebautes Tier, das zwar etwas an den Wolf erinnerte, aber einen freundlichen Ausdruck in den Augen hatte und gesellige Neigungen zeigte. Der Dingo ist nicht importiert worden. Als die Weißen zuerst auf das Festland kamen, fanden sie ihn schon in großer Menge vor. Er gilt für den ältesten Hund in der Naturgeschichte, man kennt seinen Ursprung und die Gegend, aus der seine Vorfahren stammen, ebensowenig wie die Herkunft des Kamels. Zwar ist er der vorzüglichste Hund, den es gibt, denn er bellt nicht; aber er hat leider in einer schwachen Stunde der Versuchung nicht widerstehen können und ist in die Schafhürden eingebrochen, um seinen Hunger zu stillen. Damit war sein Geschick besiegelt; man jagt ihn jetzt, als wäre er ein Wolf, weil man beschlossen hat ihn zu vertilgen, und dies Todesurteil wird sicherlich vollzogen werden. Dagegen läßt sich nichts einwenden, es ist vollkommen gerechtfertigt, denn die Erde ist für den Menschen geschaffen worden -- das heißt, für den Weißen. Der Name Südaustralien ist recht unpassend gewählt, weil alle australischen Kolonien -- außer Queensland -- eine südliche Lage haben. Man hätte die Provinz Mittelaustralien nennen sollen, denn sie geht gerade mitten durch das Festland hindurch, wie die eingelegte Platte in einem runden Tisch. Sie mißt 2000 Meilen von Süden nach Norden und ihre Breite beträgt etwa ein Drittel der Länge. In einem winzig kleinen Stückchen der südöstlichen Ecke wohnen neun Zehntel der Bevölkerung. Das übrige Zehntel verteilt sich in andere Gegenden, wo es sich nach Gefallen ausbreiten kann -- Raum genug ist dazu vorhanden. Südaustralien hat in den Jahren 1871 und 72 eine zweitausend Meilen lange Telegraphenverbindung, zwischen Adelaide und Port Darwin an der Nordküste, in gerader Linie durch die Wüste und die Wildnis gelegt. Die Einwohnerzahl betrug damals erst 185000. Es war ein großes Unternehmen, denn es gab weder Weg noch Steg, und ein Teil der Strecke -- dreizehnhundert Meilen -- war vorher nur ein einzigesmal von weißen Männern durchwandert worden. Alle Lebensmittel, alle Stangen und Telegraphendrähte mußten durch weite Wüsten mitgeführt werden; ja, man war genötigt, unterwegs Brunnen zu graben, damit Menschen und Tiere nicht vor Durst umkamen. Da bereits ein Kabel von Port Darwin nach Java und von dort nach Indien gelegt war, und auch zwischen England und Indien telegraphische Verbindung bestand, so brauchte Adelaide nur die Linie nach Port Darwin zu eröffnen, um mit der ganzen Welt Anschluß zu haben. Das Werk gelang, und nun konnte man täglich die Schwankungen des Londoner Marktes beobachten, was den Wollproduzenten Australiens sofort einen ungeheuren Gewinn brachte. Einige Monate nach meinem ersten Aufenthalt besuchte ich Adelaide abermals, um den Nationalfesttag der Provinz mitzubegehen. Alle Welt strömte nach der benachbarten Stadt Glenelg, wo zur Erinnerung an die Gründung der Kolonie, die Proklamation von 1836 öffentlich verlesen wurde. Das Fest ward mit großem Jubel gefeiert; es ist das höchste im ganzen Jahr, und das will viel sagen in diesem Lande, wo eine Sucht nach Feiertagen herrscht, die den Engländern sonst fern ist. Es sind meistens Arbeiterfeiertage, denn in Südaustralien ist der Arbeiter die Hauptperson: er gibt den Ausschlag bei allen Wahlen, jeder Politiker bewirbt sich um seine Stimme. Das Parlament ist nur dazu da, um den Willen des Arbeiters zu verkünden, und die Regierung um ihn zu vollstrecken. Ueberall in Australien spielt der Arbeiter eine große Rolle, aber die Provinz Südaustralien ist sein Paradies. Mich freut, daß er eins gefunden hat, denn es ist ihm sauer genug geworden in der Welt und er hat es wohl verdient. Wie duldsam die Provinz in religiöser Beziehung ist, haben wir bereits gesehen. Sie zeichnet sich aber auch noch auf andere Weise aus: ihre mittlere Temperatur beträgt 62°, und die Sterblichkeitsziffer 13 vom 1000 -- etwa halb so viel wie in New York. Das heißt, das ist die Zahl für den Durchschnittsgänger; alte Leute sind ausgeschlossen, denen kann der Tod hier nichts anhaben, wie es scheint. Es waren ihrer sechs beim Festbankett zugegen, die sich noch an Cromwell erinnerten; auch hatten sie die Verlesung der ursprünglichen Proklamation im Jahre 1836 mit angehört. Aeußerlich waren sie zwar von der Zeit nicht unberührt geblieben, aber ihre Herzen hatten sich jung und froh erhalten. Sie wurden nicht müde als Redner aufzutreten und Geschichten aus ihrer Jugendzeit zu erzählen nebst allem was sie erlebt und gelitten hatten, als es galt, unter harter Arbeit die starken Grundpfeiler ihres Gemeinwesens, Freiheit und Duldsamkeit, aufzurichten. Einer der sechs alten Herren machte mir später noch verschiedene interessante Mitteilungen, hauptsächlich über die Ureinwohner des Landes, von denen er sagte, sie wären in mancher Beziehung merkwürdig begabt gewesen und hätten, neben einzelnen unangenehmen Eigenschaften, auch ihre großen Vorzüge gehabt, weshalb das Aussterben der Rasse sehr zu beklagen sei. Als Beispiele ihres erfinderischen Geistes nannte er den Bumerang und das ›Weetweet‹, mit denen sie Wunder der Geschicklichkeit verrichteten, die kein einziger Weißer je im stande gewesen sei, ihnen nachzumachen. Nur der Eingeborene, meinte der Alte, vermöchte die Bewegung des Bumerangs so zu lenken, daß er ihm allen Willen tut. Auch erzählte er mir die unglaublichsten Dinge, welche die Neger mit dem seltsamen Wurfgeschoß in seiner Gegenwart vollbracht hätten; sie sind mir später durch andere alte Ansiedler bestätigt worden, und auch in australischen Büchern habe ich davon gelesen. Man behauptet -- und wir wollen es nicht bestreiten --, daß einige wilde Stämme in Europa den Bumerang schon zur Römerzeit gekannt haben; Belege hiefür finden sich bei Vergil und noch zwei anderen römischen Dichtern. Auch den alten Aegyptern soll er nicht fremd gewesen sein. Dadurch entstehen zweierlei Möglichkeiten: entweder ist jemand in frühster Zeit mit einem Bumerang nach Australien gekommen, bevor noch in Europa die Kunde davon verloren gegangen war, oder -- die Ureinwohner jenes Erdteils haben ihn neu erfunden. Es wird nicht leicht sein, ausfindig zu machen, auf welche von den beiden Arten die Sache wirklich vor sich gegangen ist. Aber es hat keine Eile, man kann sich alle Zeit zu der Untersuchung nehmen. Einundzwanzigstes Kapitel. Wir besitzen in unserm Lande drei unschätzbare Güter, für die wir Gott gar nicht genug danken können: Redefreiheit, Gewissensfreiheit und die Klugheit, uns weder der ersteren noch der letzteren jemals zu bedienen. _Querkopf Wilsons Kalender._ Ehe ich nach Australien kam, hatte ich überhaupt noch nie von dem ›Weetweet‹ reden hören, auch sind mir nur wenige Leute begegnet, die selbst gesehen hatten, wie man es wirft. Es gleicht einer dicken hölzernen Zigarre, welche man mit dem stumpfen Ende an einen biegsamen Zweig befestigt hat; das ganze Ding ist ein paar Fuß lang, wiegt aber kaum zwei Lot. Man schnellt es nicht in die Luft, sondern wirft es eine Strecke weit vor sich auf den Boden, von dem es abspringt, um ihn in langen Sätzen immer wieder zu berühren, wie der flache Stein, den ein Knabe über das Wasser hüpfen läßt. Freilich, der Stein findet auf der glatten Fläche keinerlei Hindernis; ein Mann kann ihn mit starkem Arm fünfzig bis fünfundsiebzig Meter weit springen lassen. Das ›Weetweet‹ hat es viel schwerer, denn es trifft bald auf Gras, bald auf Sand und Erde, und doch hat ein geschickter Eingeborener es schon zweihundert und zwanzig Meter weit hüpfen lassen, bis das Gestrüpp von Farnkraut und Unterholz ihm den Weg versperrten. Hätte nicht Mr. Brough Smyth dies mit eigenen Augen gesehen, die Strecke ausgemessen und die Tatsache in seinem Buch über das Leben der Eingeborenen verzeichnet, das er im Auftrag der Regierung von Viktoria geschrieben hat, so würde ich es für unmöglich erklären, daß ein so federleichtes Ding auf unebenem Boden so weit springen kann. Wie wird aber dies Kunststück gemacht? -- Niemand weiß das; es verstößt anscheinend gegen alle Gesetze der Natur, und keiner hat mir das Rätsel lösen können. Mein Ansiedler sagte, das ›Weetweet‹ sei fast ebenso wunderbar wie der Bumerang; er hätte es in seiner Jugend ganz unglaublich weit fliegen sehen. Der Missionar J. G. Wood findet eine große Aehnlichkeit zwischen den Sprüngen des ›Weetweet‹ und denen einer Känguruh-Ratte, die angstvoll vor ihren Verfolgern flieht und den langen Schwanz nachschleppt. »Das ›Weetweet‹,« sagt er, »schießt mit dem zischenden, unheilverkündenden Laut einer Flintenkugel durch die Luft, erhebt sich aber höchstens sieben oder acht Fuß vom Boden; es ist ganz erstaunlich, wie weit die Australneger es werfen können.« Sie müssen wirklich einen gehörigen Vorrat von Scharfsinn und Schlauheit besessen haben, diese nackten, spindeldürren Eingeborenen, wie hätten sie sonst so unnachahmliche Pfadfinder, so unvergleichliche Bumerang- und Weetweet-Werfer sein können! Wahrscheinlich ist es dem Rassenhaß zuzuschreiben, daß man so lange in der ganzen Welt der Meinung war und noch heutzutage behauptet, sie stünden auf einer der niedrigsten geistigen Stufen. Träge sind sie allezeit gewesen, das ist wahr, und Trägheit ist ein schlimmer Fehler, der Todfeind jedes höheren Strebens. Sie hätten doch gewiß die Kunst erfinden können, wie man ein ordentliches Haus baut, oder wie man das Land urbar macht und bepflanzt, aber das taten sie nicht. Sie hatten kein Obdach, gingen nackt einher, nährten sich von Fischen, Früchten, Beeren und mancherlei Gewürm und blieben bei all ihrer Schlauheit doch nach wie vor echte Wilde. Ihr Land, in dem sie hätten wachsen und sich mehren sollen, war so groß wie die Vereinigten Staaten, und ansteckende Krankheiten wurden ihnen erst durch die Weißen gebracht, nebst den anderen Wohltaten der Zivilisation. Trotzdem hat die australische Rasse wohl zu keiner Zeit mehr als 100000 Köpfe gezählt. Die Ureinwohner duldeten keine Uebervölkerung; sie beschränkten ihre Zahl mit allem Fleiß, teils durch Kindermord, teils durch gewisse andere Methoden. Als sie jedoch mit den Weißen in Berührung kamen, brauchten sie sich in dieser Beziehung nicht länger zu bemühen. Die Zunahme der Bevölkerung zu hindern, verstand der Weiße noch viel besser als der Eingeborene; er konnte die Zahl der Ureinwohner eines Landes binnen zwanzig Jahren um achtzig Prozent verringern. So weit hatte es der Australneger noch nie gebracht. Als die Engländer in den dreißiger Jahren zuerst in Australien landeten, sollen in der jetzigen Kolonie Viktoria noch 4500 Eingeborene gelebt haben; davon kamen 1000 auf das sogenannte ›Gippsland‹ von denen nach vierzig Jahren etwa 200 übrig waren. Der Geelong-Stamm schmolz noch rascher zusammen: nach zwanzig Jahren lebten von 173 Leuten noch 34 und nach abermals zwanzig Jahren war nur noch ein einziger Mann am Leben. Die beiden Melbourne-Stämme zählten 300 Köpfe, und 1875, als die Weißen siebenunddreißig Jahre im Lande waren, höchstens 20. Zwar haben sich noch hier und da Ueberreste verschiedener Stämme in der Kolonie Viktoria erhalten, aber Vollblut-Eingeborene sollen jetzt, wie man mir sagt, eine große Seltenheit sein; nur in den ausgedehnten Länderstrecken von Queensland trifft man sie noch in ziemlicher Menge. Die ersten Weißen waren nicht an den Verkehr mit Wilden gewöhnt. Sie kannten nicht einmal das Grundgesetz der Eingeborenen, wonach der ganze Stamm für jede Unbill verantwortlich ist, die einer seiner Angehörigen jemand zugefügt hat. Man darf sich an jedem einzelnen dafür rächen, ohne erst lange nach dem Schuldigen zu suchen. Wenn nun ein Weißer einen Neger tötete, so handelten die Eingeborenen nach ihrem uralten Gesetz und brachten den ersten besten Weißen um, der ihren Weg kreuzte. Das kam den Europäern ganz schauderhaft vor und sie hielten es in ihrer Entrüstung für völlig gerechtfertigt, derartige Geschöpfe vom Erdboden zu vertilgen. Zwar brachten sie nicht alle Schwarzen um, aber doch so viele, als es ihre eigene Sicherheit verlangte. Diese Vorsichtsmaßregel haben sie von Anbeginn der Zivilisation bis auf den heutigen Tag stets angewendet. In den ›Skizzen aus dem Leben in Australien‹ von Mrs. Campbell Praed, die ihre Kindheit in Queensland zugebracht hat, finden wir lehrreiche Beispiele von der Art, wie Weiße und Schwarze einander anfänglich zu reformieren suchten. Ueber die Zeit, als die ersten Ansiedler sich in der ungeheuren Wildnis von Queensland niederließen, berichtet Mrs. Praed u. a.: »Zuerst zogen sich die Eingeborenen vor den Weißen zurück und beunruhigten sie wenig; höchstens töteten sie dann und wann ein Stück Vieh aus der Herde durch einen Speerwurf. Aber die Zahl der Squatter wuchs; jeder nahm große Strecken Landes für sich in Besitz und brachte zwei oder drei Dienstleute mit, so daß die Schäferhütten und die Stationen der Viehzüchter vereinzelt und schutzlos inmitten feindlicher Negerstämme lagen. Da wurden auch die Raubzüge der Schwarzen häufiger, und Mordtaten waren bald an der Tagesordnung. »Wie einsam es im australischen Busch ist, läßt sich kaum in Worten schildern. Meilenweit dehnt sich der Urwald, den noch nie der Fuß eines Weißen betreten hat, nach allen Seiten aus. Unabsehbare Strecken sind mit den mächtigen Stämmen des Eukalyptus bewachsen, welche den roten Gummi ausschwitzen, der wie phantastische Tropfsteingebilde von den dünnen Zweigen herabhängt. An den steilen Schluchten wuchert langes Gras in dichten Massen. Große baumlose Ebenen wechseln mit hügligem Weideland, das hier und da von einem Gebirgszug, einer tiefen Kluft oder einem ausgetrockneten Flußbett durchschnitten wird. Alles ist wild, pfadlos und menschenleer; überall begegnet dem Auge dasselbe einförmige Grau, außer wo der Akazienbusch zur Blütezeit seine geflügelten, goldgelben Blumen entfaltet, oder der ›Scrub‹, der in seiner Undurchdringlichkeit einem indischen Dschungel gleicht, wie ein grüner, glänzender Gürtel die Einöde durchzieht. »Das Gefühl der Verlassenheit wird noch durch die seltsamen Laute der Tierwelt verstärkt, die wohl geeignet sind, selbst starke Nerven zu erschüttern. Bei Tage hört man zuweilen das Getrampel einer Herde Känguruhs, die in wilder Flucht dahinstürmen, das Rascheln der Beutelratte oder den Fußtritt des Dingos, der durch das hohe Gras zu seiner Höhle schleicht. Dazwischen schwirren Heuschrecken, der Lachvogel läßt sein dämonisches ha! ha! ha! erschallen, Kakadus und Papageien kreischen, die Krageneidechse zischt, und zahllose Insekten, die sich im dichten Unterholz verbergen, summen ohne Unterlaß. Dazu gesellt sich bei Nacht noch der schauerliche Klagelaut der Sumpfvögel, das Geheul des Dingos und das ohrenzerreißende Gequake der Frösche. Kein Wunder, wenn sich bange Furcht in das Herz des einsamen Squatters schleicht und der Schlaf sein Lager flieht.« Dies war der Schauplatz, auf dem sich so manches Drama mit blutigem Ausgang abgespielt hat. Es ließ sich auch kaum etwas Anderes erwarten, wenn man alle Einzelheiten bedenkt: Die Stationen der Viehzüchter waren über die ganze ungeheure Wildnis verteilt, kaum ein halbes Dutzend Leute wohnten beisammen in meilenweiten Zwischenräumen. Sie hatten große Herden, während die Eingeborenen bei dürftiger Nahrung stets Hunger litten. Und doch war das Land ihr Eigentum; die Weißen hatten es nicht gekauft, das konnten sie gar nicht, denn die Stämme besaßen keine Häuptlinge. Niemand war da, der die Befugnis gehabt hätte, einen Handel abzuschließen, auch wären die Neger außer stande gewesen, einen solchen Wechsel des Landbesitzes zu begreifen. Ueberdies verachteten die weißen Eindringlinge die Stämme, deren Grund und Boden sie in Besitz genommen hatten, und zeigten ihnen ihre Geringschätzung bei jeder Gelegenheit. Wie hätte da der Beginn der Feindseligkeiten lange ausbleiben können? »Auf der Nie Nie-Station,« erzählt Mrs. Praed, »hatte der arglose Squatter in einer dunklen Nacht seine Hütte, wie er glaubte, vor jedem Angriff sicher verwahrt und lag, in seine Decke gewickelt, in festem Schlummer. Da kamen die Schwarzen geräuschlos durch den Kamin herabgeglitten und schlugen ihm den Schädel ein, während er schlief.« Diese wenigen Zeilen geben uns einen klaren Einblick in den Stand der Dinge. Der Kampf hatte begonnen und sollte nicht eher enden, bis eine der beiden Parteien sich dauernd der Obergewalt bemächtigt hatte. »Verrat lauerte auf beiden Seiten,« fährt die Erzählerin fort. »Die Schwarzen töteten die Weißen, sobald diese unbeschützt waren, und die Weißen erschlugen die Schwarzen massenhaft, ohne Gnade und Barmherzigkeit, so daß sich mein kindliches Gerechtigkeitsgefühl oft gewaltig darüber empörte ... Die Neger wurden für wenig besser als Tiere geachtet und in einigen Fällen hat man sie förmlich _vertilgt wie Ungeziefer_. »Ich will nur ein Beispiel anführen: Ein Squatter, dessen Weideplatz von Negern umschwärmt wurde, denen er feindliche Absichten zutraute, trat vor seine Hüttentür und hielt ihnen eine Ansprache. Er sagte, es sei jetzt Weihnachtszeit, und da pflegten alle Menschen sich gütlich zu tun, sie möchten schwarz oder weiß sein. Nun habe er aber viel Mehl, Rosinen und allerlei gute Dinge in der Vorratskammer, und er wolle ihnen einen Pudding machen, wie sie ihn ihr Lebtag noch nicht gekostet hätten, einen so großen Pudding, daß alle davon essen könnten, bis sie satt wären. Die Neger hörten auf seine Worte, und da war es um sie geschehen. Von dem Pudding bekam jeder sein Teil; aber am nächsten Morgen ging lautes Heulen und Wehklagen durch das Lager. Der Zucker war mit Arsenik vermischt gewesen.« Eigentlich war der Squatter ganz in seinem Recht, verwerflich war nur die Methode. Seine Gesinnung unterschied sich in nichts von derjenigen, welche der zivilisierte Weiße gewöhnlich gegen den Neger hegte, aber die Anwendung des Gifts war ungebräuchlich. Darin lag auch meiner Meinung nach das hauptsächlichste Unrecht. Im übrigen scheint mir sein Verfahren besser, menschenfreundlicher, rascher und weniger unbarmherzig als manches andere, welches die Sitte geheiligt hat. Vor der Anwendung so ungewöhnlicher Mittel muß man sich hüten, weil sie die Einbildungskraft des Publikums auf krankhafte Weise beschäftigen. Sie machen den Eindruck nutzloser Grausamkeit und bringen unsere Zivilisation in Verruf, was bei den alten gewalttätigen Methoden nicht der Fall ist, weil sie längst hergebracht und also unschuldig sind. In vielen Ländern haben wir den Wilden angekettet und Hungers sterben lassen oder ihn am Marterpfahl verbrannt; wir haben die Schwarzen, samt Frauen und Kindern, mit Hunden durch Wälder und Sümpfe gehetzt, um uns ein Jagdvergnügen zu machen und haben uns totlachen wollen über ihre verzweifelten Sprünge, ihr Geschrei und ihr Flehen um Erbarmen. Wo wir konnten, haben wir dem Neger Grund und Boden genommen und ihn zu unserem Sklaven gemacht; wir haben ihm täglich die Peitsche gegeben, seinen Stolz gebrochen, ihn gezwungen zu arbeiten, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach und den Tod als sein einziges Heil ansah. Wäre es da nicht im Vergleich eine wahre Wohltat gewesen, ihn rasch durch Gift zu töten? -- Noch heute bleiben wir im Matabele-Land der vom Alter geheiligten Sitte treu, wir südafrikanischen Millionäre und englischen Herzöge -- kein Mensch macht ein Aufhebens davon; wer möchte auch an den alten heiligen Bräuchen rütteln? Wir verlangen nur, daß keine neuen, aufregenden Methoden eingeführt werden, die unsere Gewissensruhe stören. Mrs. Praed sagt über den Giftmischer: »Dieser Squatter verdient, daß sein Name für alle Zeiten mit Abscheu von der Nachwelt genannt werde.« Es tut mir leid, dies Urteil zu hören. Ich selbst habe, wie gesagt, nur das _eine_ an dem Menschen auszusetzen, daß er eine neue Methode eingeführt hat, die geeignet _ist_, ein schlechtes Licht auf unsere Zivilisation zu werfen. Das hätte er bleiben lassen sollen. Im übrigen zeichnete sich dieser Squatter in mancher Beziehung vorteilhaft aus. Wenn er irrte, so war daran mehr sein Verstand schuld als sein Herz. Er ist fast der einzige Pionier unserer Zivilisation, von dem die Geschichte erzählt, daß er sich über die angeerbten Vorurteile seiner Kaste hinwegzusetzen vermochte und versucht hat, bei dem Verkehr der höher begabten Rasse mit dem Wilden menschliches Erbarmen walten zu lassen. Es ist zu beklagen, daß man seinen Namen nicht kennt, denn er verdient von der Nachwelt mit Preis und Verehrung genannt zu werden. In einer Londoner Zeitung stand folgender Artikel zu lesen: »Wenn wir wissen wollen, auf welche Weise Frankreich die Segnungen der Zivilisation in seinen auswärtigen Besitzungen verbreitet, so brauchen wir nur einen Blick nach Neu-Kaledonien zu werfen. Um freie Ansiedler zur Auswanderung nach dieser Strafkolonie zu bewegen, nahm M. Feillet, der Gouverneur, den Kanakas ihre besten Pflanzungen zwangsweise fort und gab ihnen dafür eine lächerliche Entschädigung, trotz des Einspruchs, den der Generalrat der Insel dagegen erhob. Wer sich entschloß, übers Meer zu fahren, um sich dort niederzulassen, wurde sofort Besitzer von zahlreichen Kaffee-, Kakao-, Bananen- und Brotfruchtbäumen, welche die armen Eingeborenen unter jahrelanger Mühe und Arbeit großgezogen hatten; diese selber aber behielten nichts, als ein paar Frankenstücke, die sie in den Branntweinschenken von Noumea vertrinken konnten.« Was ist das anders als Beraubung, Unterdrückung und langsamer Mord durch Mangel und durch das Feuerwasser der Weißen? Der einzige edle, großmütige und selbstlose Freund, den der Neger je gehabt hat, war leider nicht zur Stelle, um ihm mit seinem vergifteten Pudding ein gnädiges, rasches Ende zu bereiten. Es gibt wunderliche Dinge in der Welt; aber eins der lächerlichsten ist die Einbildung des weißen Mannes, daß er weniger barbarisch sei als die andern Wilden. Die Australneger pflegen sich im allgemeinen nicht von der romantischen Seite zu zeigen, bis auf einzelne Ausnahmen. Mrs. Praed erwähnt ein solches Beispiel. Zur Zeit als die Weißen und Schwarzen einander im ganzen Lande verfolgten und umbrachten, reiste Mr. Murray, (der Vater von Mrs. Praed) mit Frau und Kindern und einigen schwarzen Dienern durch die Wildnis, um einer ihm befreundeten Familie beizustehen. Unterwegs rasteten sie in einer Gegend, wo ein gewisser Donga Billy, ein starker und berühmter schwarzer Krieger, häufig mit seinen Gefährten umherschweifte. Bald bemerkte man denn auch die Spuren eines Negerlagers in nächster Nähe. »Es stand kein Mond am tiefblauen Himmel,« sagt Mrs. Praed, »nur die lieben Sterne leuchteten durch die Nacht -- der Orion, das Unterste zu oberst gekehrt, der Skorpion, das Kreuz des Südens -- und das Lagerfeuer erhellte einen dunkeln Fleck Erde, wo hohes Gras über alten Baumstämmen wucherte. Neben den mächtigen Gummibäumen nahmen sich die Grasbäume mit den langen Büscheln ganz gespensterhaft aus; wie müde Schildwachen hielten sie ihre braunen Speere in schräger Richtung. In das Summen der Insekten mischte sich das klägliche Geschrei der Nachtvögel und das Stampfen der Rosse. Mein Vater saß am Feuer, beschäftigt, sich eine Peitschenschnur zu flechten, als ich unsern Tombo heranschleichen sah. »›Massa, ich glaube es lauern wilde Schwarze im Hinterhalt.‹ »Kaum hatte er das gesagt, als eine zweite dunkle Gestalt aus dem Schatten der Bäume herangeschlichen kam -- ein Neger, der nur einen Gürtel trug, sonst war er unbekleidet und mit roter und blauer Farbe tätowiert und bemalt; am Halse hatte er Schnüre von Schilfperlen und auf seiner starken Brust hing ein Amulett aus Knochen. Er war mit Speer, Bumerang und Nulla-Nulla versehen, doch hielt er die Waffen nicht zum Angriff bereit. Es lag etwas Freimütiges und Furchtloses in seinem Wesen; offenbar hatte er weder nächtlichen Verrat noch sonst einen Mordplan im Sinne. »Mein Vater blickte auf und sah den Schwarzen. Doch griff er nicht nach seiner Flinte, die in der Nähe des Platzes, wo er saß, an einem Baum lehnte. Nun entspann sich die folgende Unterhaltung: »›Murray?‹ »›Ja.‹ »›Ich bin Donga Billy. Meine schwarzen Gefährten sagen, du bist böse auf mich.‹ »›Ja‹, wiederholte mein Vater mit unerschütterlicher Ruhe; dann erklärte er, Donga Billy habe häufig auf den Ansiedlungen, die er besuche, Aufruhr erregt und die Schwarzen veranlaßt, das Vieh mit Speerwürfen zu töten, deshalb werde er seine Gegenwart in Naraigin, wo er wohne, nicht dulden. »›Gut!‹ lautete die Antwort. ›Ich fürchte mich nicht. Ich werde nach Naraigin kommen. Wenn du böse bist, wirst du eine Pistole nehmen und ich habe Speer, Nulla-Nulla und Bumerang. Wir wollen sehen, wer von uns am stärksten ist und den andern tötet.‹ »Als Donga Billy mit seiner Rede fertig war, richtete er sich stolz in die Höhe wie ein Held und wartete, ob die Herausforderung angenommen würde. »›Ja. Ich verstehe. Aber gehe jetzt weg!‹ »›Gut; ich gehe!‹ und er entfernte sich. »Es vergingen einige Wochen, dann trafen sich die beiden in der Schlacht. Donga Billy gehörte zu den wenigen Schwarzen, die sich ihrem Gegner im offenen Kampfe stellen. Dies war vielleicht die erste und letzte Gelegenheit im Leben des mutigen Eingeborenen, seine Waffen gegen die Verteidigungsmittel der Weißen zu erproben. Mein Vater erinnerte sich an jene Herausforderung und suchte ihn im Kampfe auf. Donga Billy trat ihm tapfer gegenüber und focht wie ein Mann. Meines Vaters Pferd ward vom Speer getroffen und er selbst mit dem Bumerang schwer verwundet; aber die Pistole behielt die Oberhand und Donga Billy ward zu seinen Vätern versammelt.« Zweiundzwanzigstes Kapitel. Es gibt auf der Welt nichts so Unzuverlässiges wie unsere linke Hand, außer der Taschenuhr einer Dame. _Querkopf Wilsons Kalender._ Man merkt gleich, daß Mrs. Praed eine geborene Schriftstellerin ist: sie schildert die Dinge so, daß man sie leibhaftig vor sich sieht. Mit diesem Talent steht sie jedoch nicht allein; Australien ist reich an Verfassern, in deren Schriften sich die Geschichte des Landes und das Leben seiner Bewohner getreu widerspiegelt. Aus dem trefflichen Stoff, der sich ihnen in Fülle bot, haben Marcus Clarke, Ralph Baldrewood, Gordon, Kendall und andere, eine glänzende, lebenskräftige Literatur entwickelt, die ihren Platz dauernd behaupten wird. Wahrlich, an Stoff ist kein Mangel! Ueber die Ureinwohner allein könnte man eine ganze Büchersammlung schreiben, so bunt und mannigfaltig sind ihre Sitten und Charaktere, so ganz verschieden von allem Hergebrachten, das für uns den Reiz der Neuheit verloren hat. Man braucht die romantische Einkleidung nicht erst zu erfinden, sie bietet sich ganz von selber dar. In der Geschichte der Ureinwohner, welche die Weißen aufgezeichnet haben und in ihren Archiven bewahren, findet man alle Fehler und Tugenden wieder, die ein Menschenkind nur jemals besessen hat: Der eingeborene Australier ist ein Feigling -- das beweisen zahllose Beispiele; aber in tausend Fällen hat er auch große Tapferkeit an den Tag gelegt. Wie verräterisch er ist, läßt sich kaum mit Worten sagen; doch ist er auch treu, anhänglich und wahrhaftig, was durch manche edle, hochherzige Tat aufs rührendste und schönste bezeugt wird. Oft hat er den halb verhungerten Fremden, der ihn um Nahrung und Obdach bat, erbarmungslos umgebracht, dagegen aber auch einem verirrten Weißen bereitwillig Hilfe geleistet, der noch tags zuvor ohne jede Veranlassung auf ihn geschossen hatte, er hat ihn gespeist, getränkt und ihm den sicheren Weg gezeigt -- auch dafür gibt es Beweise. Der Wilde entführt seine widerstrebende Braut mit Gewalt, wirbt mit Keulenschlägen um ihre Gunst und liebt sie dann treulich ihr Leben lang. Stirbt sie, so nimmt er auf gleiche Art eine andere Frau, mißhandelt sie täglich zur bloßen Kurzweil und gibt bei Gelegenheit sein Leben hin, um sie zu schützen, falls ihr von außen Gefahr droht. Er stellt sich hundert Feinden kühn entgegen, wenn es gilt, eines seiner Kinder zu retten, und tötet ein anderes Kind mit eigener Hand, weil er keine zu zahlreiche Familie haben will. Ihn ekelt vor mancherlei, womit der Weiße sich nährt; aber verdorbene Fische, gebratenes Hundefleisch, Katzen und Ratten ißt er gern, ja, er verspeist seinen eigenen Oheim mit besonderem Behagen. Er ist ein geselliges Geschöpf; doch wenn er seine Schwiegermutter vorbeigehen sieht, weicht er ihr aus und versteckt sich hinter seinen Schild. Vor Gespenstern und etwaigen Zufälligkeiten, die seine Seele gefährden könnten, hat er eine kindische Furcht; drohen ihm aber körperliche Schmerzen, so kennt er weder Schwäche noch Angst. Allen großen Sternbildern und selbst vielen kleinen hat der Australneger Namen gegeben. Er besitzt eine Zeichenschrift, durch welche er Botschaften an nahe oder ferne Stämme senden kann; auch hat er ein richtiges Auge für Form und Ausdruck und versteht ein gutes Bild zu zeichnen. Sein scharfer Blick erkennt die Spur eines Flüchtlings, wo der Weiße nichts zu sehen vermag, selbst der klügste Europäer begreift nicht, auf welche Weise er die Fährte entdeckt. Er hat ein Wurfgeschoß erfunden, das der Weiße lange Zeit vergebens gesucht hat nachzuahmen und über dessen geheimnisvolle Kraft sich die Mathematiker siebzig Jahre lang vergebens die Köpfe zerbrochen haben. Der Eingeborene verrichtet Wunder damit, die dem Weißen ein Rätsel bleiben, selbst wenn man ihm sagt, wie sie gemacht werden. Kurz, innerhalb gewisser Grenzen ist der Wilde so aufgeweckt und zeigt einen so scharfen Verstand, wie nur irgend ein Geschöpf Gottes, und doch ist der Aermste weder im stande gewesen, ein Zahlensystem auszudenken, das über fünf hinausgeht, noch ein Gefäß herzustellen, in dem man das Wasser zum Kochen bringen kann. Es gibt keine zweite Rasse auf Erden, die so merkwürdige Gegensätze in sich vereinigt; zwar ist sie so gut wie ausgestorben, aber ihre eigentümlichen Charakterzüge werden in Geschichte und Ueberlieferung unvergänglich fortleben. Die folgenden Einzelheiten sind persönlichen Beobachtungen des Regierungsbeamten Philipp Chauncy entnommen, welche er in seinem Bericht über die Eingeborenen für das Archiv von Viktoria zusammengestellt hat. Er rühmt besonders die Schärfe und Genauigkeit ihres Blicks im Verfolgen der Richtung, die ein Wurfgeschoß nehmen wird, sowie die Geschmeidigkeit ihrer Glieder und die Schnelligkeit, mit der sie dem Wurf ausweichen. Von einem Wilden erzählt Chauncy, daß er eine halbe Stunde lang als Zielscheibe für geübte Cricketspieler gedient habe, welche versuchten, auf eine Entfernung von zehn bis fünfzehn Meter aus allen Kräften mit dem Ball nach ihm zu werfen. Er konnte sich nur mit dem Schilde decken oder durch eine plötzliche Seitenbewegung dem Wurf entgehen, der ihn, wenn er traf, womöglich getötet hätte; doch verließ er sich in aller Ruhe auf sein Auge und seine Behendigkeit. Dabei ist noch zu bemerken, daß der Schild des Australnegers nicht breiter ist als ein Ofenrohr und etwa Armeslänge hat; der Weiße könnte sich unmöglich damit schützen. Und wenn ein Cricketball kunstgerecht geworfen wird, pflegt er plötzlich noch dicht vor dem Ziel die Richtung zu ändern, und geradeswegs darauf loszufliegen, statt darüber hinaus oder seitwärts, wie es den Anschein hatte. Ich selbst wäre nicht im stande, mich auch nur zehn Minuten lang gegen solche Würfe zu decken. Wir haben alle schon gesehen, wie ein Zirkusreiter vom Sprungbrett aus über acht neben einander stehende Pferde hinwegsetzt. Chauncy sah einen Wilden über elf Pferde springen, und man versicherte ihm, er spränge gelegentlich auch über vierzehn. Weit merkwürdiger ist aber noch folgendes Kunststück: Ein Eingeborener schoß vom Boden aus einen Purzelbaum in der Luft ohne die Hände zu gebrauchen und stülpte sich dabei einen Hut auf, den ein Reiter, welcher aufrecht zu Pferde saß, mit der Oeffnung nach oben auf dem Kopfe trug -- Roß und Reiter waren etwa mittelgroß. Den Hut auf dem Kopf landete der Wilde glücklich hinter dem Pferde. Die Höhe des Sprunges und die Sicherheit, mit welcher der Mann dabei genau in den Hut hineintraf, sind wahrhaft staunenswert. Nun weiß man doch auch, von wem das Känguruh seine Sprünge gelernt hat. Sir George Grey und Mr. Eyre berichten, daß die Wilden im Sand vierzehn bis fünfzehn Fuß tiefe Brunnen gegraben haben, die zwei Fuß im Durchmesser hatten, ›ganz kreisrund waren und senkrecht in die Tiefe gingen‹. Wie haben sie das gemacht? -- Sie hatten keine andern Werkzeuge als ihre Hände und Füße. Wie haben sie den Sand von unten aus dem Loch geworfen? Wie konnten sie sich in dem zwei Fuß großen Raum bücken, um ihn auszugraben? Wie schützten sie sich davor, in dem engen Schacht vom Sande verschüttet zu werden? -- Ich habe keine Ahnung davon. Es scheint ein Ding der Unmöglichkeit -- und doch ist es geschehen -- vielleicht haben sie den Sand verschluckt -- wer weiß! Chauncy spricht voll Bewunderung von der Geduld, der Geschicklichkeit und wachsamen Klugheit des Eingeborenen, wenn er auf die Jagd geht, um den Emu, das Känguruh oder irgend ein anderes Wild zu erlegen. Mit leichtem, geräuschlosem Tritt, kaum den Boden berührend, gleitet er durch den Busch; sein scharfes Auge erspäht jede Fährte, ein umgewandtes Blatt, ein geknickter Zweig, ein niedergetretener Grashalm fesselt seine Aufmerksamkeit. Ihm entgeht nichts, weder auf der Erde noch oben in den Bäumen, sei es nah oder fern, was ihm zur Nahrung dienen oder ihn vor drohender Gefahr warnen kann. Am Stamm eines Baumes, dessen Rinde die hinauf- und herunterkletternden Opossums über und über zerkratzt haben, vermag er ohne Schwierigkeit zu erkennen, ob eins der Tiere _am Abend zuvor hinaufgestiegen ist, ohne wieder herunter zu kommen_. Das wäre etwas für unsern Fenimore Cooper gewesen! Er hätte diese Wilden zu schätzen gewußt und würde selbst den dümmsten von ihnen nicht für den schlausten Mohikaner eingetauscht haben, den er je erfunden hat. Alle Wilden pflegen Gegenstände in Umrissen auf die Rinde der Bäume zu zeichnen, aber die Aehnlichkeit mit dem Vorbilde ist nicht groß und in den Gesichtern fehlt der Ausdruck. Nur der Australier hat es verstanden, Tiere zu zeichnen, die in Gestalt, Gang und Haltung richtig sind und voller Geist und Leben. Auch seine Bilder von Weißen und Eingeborenen sind nicht weniger gut; er kleidet die Weißen sogar -- Herren wie Damen -- nach der neuesten Mode. Kein ungelehrter Naturmensch hat wohl je den Stift mit so großem Geschick geführt wie diese Wilden. Man wird zugeben müssen, daß sie eine hohe Stelle unter den Zeichenkünstlern einnehmen, wenn man alle Umstände in Betracht zieht. Ich würde dem Eingeborenen seinen Platz etwa zwischen Botticelli und Du Maurier anweisen. Das heißt, er zeichnet nicht so gut wie Du Maurier, aber besser als Botticelli. Im Ausdruck sowohl als auch in Bezug auf die Anordnung der Gruppen und sein Lieblingsthema, erinnert er an beide. Seine ›Kriegstänze‹ aus der australischen Wildnis finden ihr Gegenstück in Du Mauriers vornehmen Londoner Ballsälen; nur sind die Tanzenden dort von der Kultur beleckt und haben Kleider an. In Botticellis ›Frühling‹ ist das Gegenstück zwar noch idealisierter, trägt aber weniger Kleider und ziert sich um so mehr. Die Absicht der Künstler mag gut sein, aber -- das ist auch alles! Der Wilde versteht -- wie bekannt -- Feuer zu machen, indem er zwei Holzstücke aneinander reibt. Das ist keine Kleinigkeit -- ich habe es selbst versucht und spreche aus Erfahrung. Wieviel körperlichen Schmerz der Eingeborene ertragen kann, ist kaum zu glauben. Henry Wollaston aus Melbourne, der Wundarzt war, ehe er Prediger wurde, erzählt davon wahrhaft nervenerschütternde Einzelheiten, mit denen ich den Leser jedoch verschonen will. Nun werde ich mich wohl endlich von den Wilden losreißen müssen, was ich höchst ungern tue, denn sie haben für mich eine ganz außergewöhnliche Anziehung. Seit einem Vierteljahrhundert hat ihnen die Regierung in allen Kolonien Stationen angewiesen, wo die Ueberlebenden behaglich untergebracht, gut genährt und auf jede Weise versorgt werden. Hätte ich das nur gewußt als ich in Australien war, so würde ich mir die Leute angesehen haben. Ich ginge jetzt gern dreißig Meilen weit zu Fuß, wenn ich auch nur einen einzigen ausgestopften Wilden zu Gesicht bekommen könnte. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Deinen Anzug magst du meinetwegen vernachlässigen, doch im Herzen muß alles sauber sein. _Querkopf Wilsons Kalender._ Als wir nach längerem Aufenthalt Adelaide verließen, war unser nächstes Ziel Horsham in der Kolonie Viktoria, eine ziemlich weite, aber nicht unangenehme Reise. Das friedliche Landstädtchen liegt in einer vollkommen flachen Gegend, wie wir sie in australischen Büchern so oft beschrieben finden: während der kurzen Dürre ist sie grau, kahl, düster, trübselig, der Boden rissig und versengt, und der erste Regen verwandelt sie in ein endloses, wogendes Meer von grünem Gras. Horsham sieht freundlich und einladend aus mit seinen hübschen Häusern und den Gärten voller Blumen und Gebüschen. * * * * * _Aus dem Tagebuch. Horsham 17. Oktober._ -- Wundervolles Wetter. Dem Hotelfenster gegenüber, vor der Londoner Bank von Australien prangt eine schöne kanadische Pappel im herrlichsten Frühlingsgrün; jedes einzelne Blatt ist deutlich erkennbar, man meint ordentlich es wachsen zu sehen. Am Ufer entlang und im hintern Teil des Gartens stehen hohe, vielästige Bäume mit zartem, gefiedertem Laub, das jeder Windhauch bewegt und auf deren üppigem Grün die Streiflichter in wechselnden Farben spielen und funkeln gleich Opalen. Auf meine Frage erfuhr ich, es seien Pfefferbäume, die aus China stammen; sie haben einen weichen Seidenglanz und einige tragen lange Büschel mit roten Trauben wie Johannisbeeren, die sich unter den Blättern verbergen. In der Entfernung sieht der Baum dadurch bei gewisser Beleuchtung aus, als sei er in Rosenfarbe getaucht, was seine Schönheit noch erhöht. Acht Meilen von Horsham ist eine landwirtschaftliche Schule, die wir besichtigen wollten. Der Vorsteher fuhr uns im offenen Wagen um die Mittagszeit dorthin; die Luft war ganz still, der Himmel wolkenlos und strahlender Sonnenschein -- 92° ~F.~ im Schatten. In anderen Ländern würde eine solche anderthalbstündige Fahrt ohne Schutz und Schirm die grenzenloseste Erschöpfung zur Folge haben; aber hier, in diesem köstlichen Klima, ist davon keine Rede. Man fühlte die Hitze gar nicht; ja, die Luft war überhaupt nicht heiß, sondern herrlich rein und frisch. Hätte die Fahrt auch den halben Tag lang gedauert, wir würden kein Unbehagen empfunden haben oder matt und schläfrig geworden sein. Nur aus der ungewöhnlichen Trockenheit der Atmosphäre, welche in jener Ebene herrscht, läßt es sich erklären, daß 112° im Schatten dem Menschen dort nicht beschwerlicher sind als eine Temperatur von 80° oder 90° in New York. Unterwegs sahen wir die gewöhnlichen australischen Vögel -- hübsche kleine grüne Papageien, Elstern und andere; auch den schlanken, einheimischen Vogel mit dem dunkeln Gefieder und dem Namen, den ich nie behalten kann; ich weiß nur, daß er mit einem M. anfängt. Er ist der schlauste von allen Vögeln und plappert geläufiger als ein Dutzend Papageien. Die Elster war überall auf Feldern und Zäunen in Menge zu sehen. Dieser schöne große Vogel hat schneeweiße Flecken und eine tiefe, volltönende Singstimme. Früher soll er bescheiden und schüchtern gewesen sein, aber seit er entdeckt hat, daß er der einzige Sänger von Australien ist, fehlt es ihm nicht an Selbstbewußtsein. Eine zahme Elster zu haben ist ein großes Vergnügen, denn sie besitzt alle Eigenschaften des verzogenen Lieblings -- sie ist klug, mutwillig, unverschämt, kommt nie, wenn man sie ruft, ist immer da, wo man sie nicht braucht und übt sich mit großem Eifer im Ungehorsam. Man hält sie nicht im Käfig, sondern läßt sie sich frei im Garten und Haus herumtreiben, gleich dem Lachvogel. Ob sie sprechen kann weiß ich nicht, aber sie lernt verschiedene Melodien singen und das Stehlen braucht man sie nicht erst zu lehren. In Melbourne machte ich die Bekanntschaft einer zahmen Elster, die seit mehreren Jahren bei einer Dame wohnte und der Meinung war, das Haus gehöre ihr. Die Dame hatte sie abgerichtet und mußte nun alles tun, was die Elster wollte. Der Vogel setzte seinen Willen stets durch; sobald man seine Gegenwart nicht wünschte, kam er zum Vorschein, er tyrannisierte den Hund und quälte die Katze schier zu Tode. Er konnte viele Melodien und sang sie alle hinter einander ganz richtig und im Takt, aber nur wenn er still sein sollte; forderte man ihn auf zu singen, so war er verhindert und ging seiner Wege. Lange war man der Meinung gewesen, daß in der dürren, wasserlosen Umgegend von Horsham keine Obstbäume gedeihen könnten, aber die landwirtschaftliche Schule hat den Gegenbeweis geliefert. Man zieht Apfelsinen, Aprikosen, Zitronen, Mandeln, Pfirsiche, Kirschen, achtundzwanzig verschiedene Apfelsorten, kurz alle möglichen Früchte in reichster Fülle. Die Bäume schienen das Wasser nicht zu entbehren; sie sahen sehr kräftig und wohlerhalten aus. Auch stellte man dort Versuche an, um zu sehen, in welchem Erdboden dies oder jenes Gewächs am besten gedeiht, und welches Klima ihm am meisten zusagt. Die Landwirte kommen aus allen Gegenden Australiens herbei und holen sich in der Schule guten Rat, wie sie ihr Land am vorteilhaftesten anbauen und den größten Ertrag erzielen können. Außer einigen Landwirten, welche die Anstalt besuchen, um sich gründlicher auszubilden, kommen die meisten Zöglinge -- es waren ihrer vierzig -- als gänzliche Neulinge aus den Städten. Mir schien es sonderbar, daß junge Leute, die in der Stadt aufgewachsen sind, Lust haben sollten, eine landwirtschaftliche Schule zu besuchen, aber die Tatsache steht fest. Es sind sogar sehr tüchtige Schüler, die in geistiger Beziehung über dem Durchschnittsstandpunkt der ländlichen Bevölkerung stehen; sie bringen keine ererbten Vorurteile mit und hängen nicht an uralten, törichten Mißbräuchen, die durch lange Gewohnheit geheiligt sind. An drei Tagen in der Woche arbeiten die Zöglinge von morgens bis abends auf dem Felde, in der Baumschule und bei der Schafschur, um die praktische Seite ihres Berufs zu erlernen. Die andern drei Tage studieren sie und hören Vorlesungen über Chemie und ähnliche Wissenschaften, die für die Landwirtschaft unentbehrlich sind. Wir sahen die Schüler der zweiten Klasse bei der Schafschur ein Dutzend Schafe scheren. Es geschah mit der Hand, nicht mit Maschinen. Das Schaf wurde ergriffen, hingeworfen, festgehalten, und die Schüler nehmen ihm rasch und geschickt seine Wolle ab. Manchmal schnitten sie freilich auch ein Stückchen vom Schaf mit fort, aber das tun alle Schafscherer ohne Gewissensbisse. Sie machen sogar noch weniger Aufhebens davon als das Schaf selbst, schmieren rasch eine Salbe auf die Stelle und fahren in ihrem Geschäft fort. Das Vließ der Tiere war ganz unglaublich dick. Ehe das Schaf geschoren ist, sieht es aus wie die dicke Frau im Zirkus, nachher gleicht es einer hölzernen Bank. Die Wolle war bis auf die Haut glatt und gleichmäßig abgeschnitten, sie kommt in einem Stück herunter und läßt sich ausbreiten wie eine Decke. Von Horsham fuhren wir mit der Bahn nach Stawell, das gleichfalls in der Kolonie Viktoria liegt; in der Umgegend sind reiche Goldbergwerke. Auf der Bank bewahrt man ein Fünflitermaß, das mit reinem, glänzendem Goldstaub und Goldsand gefüllt ist, im Kassenschrank; es war ein angenehmes Gefühl, ihn durch die Finger gleiten zu lassen, vielleicht würde es noch angenehmer gewesen sein, wäre er daran kleben geblieben. Auch ein paar Goldklumpen waren da, die sich nicht leicht heben ließen. Sie hatten einen Wert von 7500 Dollars das Stück und kamen aus einem ergiebigen Quarzbergwerk, von welchem zwei Drittel einer Dame gehören. Ihr Einkommen beläuft sich monatlich auf 75000 Dollars; damit läßt sich der Haushalt schon bestreiten. In der Nähe von Stawell gibt es nicht nur Gold, sondern auch ausgedehnte Weinberge, die ein treffliches Gewächs liefern. Am berühmtesten ist der Musterweinberg des Herrn Irving, dessen vorzüglicher Champagner und köstlicher Rotwein auch im Auslande beliebt sind. Für Weißwein hat er vor zwei oder drei Jahren in Frankreich einen Preis erhalten. Der Champagner wird in einem in den Felsen gesprengten, unterirdischen Labyrinth aufbewahrt, um ihm während der dreijährigen Lagerzeit, deren er zu seiner völligen Reife bedarf, eine stets gleichmäßige Temperatur zu sichern. Ich habe in jenen Gewölben 120,000 Flaschen Champagner liegen sehen. Man sagt, daß die Bevölkerung der Kolonie Viktoria, die sich auf eine Million beläuft, jährlich 25,000,000 Flaschen Champagner trinkt. Das müssen einmal durstige Kehlen sein! -- Kürzlich hat die Regierung den Einfuhrzoll auf fremde Weine heruntergesetzt. Solche Härten bringt der Schutzzoll mit sich. Wenn ein Mann, im Vertrauen auf die bestehenden Gesetze, jahrelange Arbeit und große Summen Geldes auf ein tüchtiges Unternehmen verwendet hat, wird eines schönen Tages das Gesetz zu seinem Schaden umgeändert, und die eigene Regierung raubt dem Unternehmer seinen rechtmäßigen Gewinn. Auf unserm Rückweg nach Stawell sahen wir die ›drei Schwestern‹, eine merkwürdige Gruppe von Felsblöcken, die auf einer Hochebene liegen, welche sich allmählich abdacht. Weit und breit ist kein Berg zu sehen, von dem sie sich hätten loslösen können, vielleicht hat sie das Gletschereis vor Urzeiten hergeführt. Es sind ganz ansehnliche Felsstücke. Das eine ist so groß, glatt und ausgebaucht wie ein Riesenballon in Kugelgestalt. Die Straße führte durch einen Wald von großen, ausgetrockneten Gummibäumen, die sehr trübselig dreinschauten; der Boden war gelblichweiß, vermutlich eine Art Lehmerde. Von Zeit zu Zeit begegneten wir großen Lastwagen, die von einer langen, doppelten Reihe Ochsen gezogen wurden; sie fahren oft zweihundert Meilen weit, wie man mir sagt, und tun den Eisenbahnen großen Abbruch, welche Eigentum der Regierung sind und auf Staatskosten betrieben werden. Die traurigen Gummibäume im gelben Lehmboden können als Sinnbild der Geduld und Ergebung dienen. Zur Not behilft sich der Baum auch ohne Wasser, doch hat er eine wahrhaft leidenschaftliche Begierde danach. Auf eine Entfernung von fünfzig Fuß merkt der kluge Gummibaum, wo Wasser im Boden verborgen ist, und sendet seine langen, dünnen Wurzelfasern auf die Suche aus. Die finden es richtig und wissen ihm beizukommen, wäre es auch durch eine sechs Zoll dicke Zementmauer. In Stawell nahm eines Tages die Wassermenge einer Zementröhrenleitung bedeutend ab und versiegte zuletzt ganz. Als man die Sache untersuchte, ergab sich, daß das Rohr verstopft war; man fand es ganz angefüllt mit einer undurchdringlichen Masse zarter, haarfeiner Wurzelfasern. Zuerst konnte man sich gar nicht erklären, wie der Faserstoff in das Rohr gekommen sei, bis man einen fast unsichtbaren Ritz entdeckte, durch den die Wurzeln sich Einlaß verschafft hatten. Ein Gummibaum, dessen Standort vierzig Fuß entfernt war, hatte das Rohr angezapft und seither das Wasser getrunken. In Australien bekommt der Reisende oft höchst ungewöhnliche Wolkenbildungen zu Gesicht. So erging es uns auf dem Wege nach Ballarat, weshalb wir bei dieser Reise mehr vom Himmel als von der Erde sahen. Anfänglich war das ganze hohe Gewölbe mit winzigen, blendend weißen Wölkchen bedeckt; sie hatten alle dieselbe Form, waren an den Enden ausgefasert und durch gleiche Zwischenräume von einander getrennt, wo das wundervolle Blau durchschimmerte. Es sah aus, als würden zahllose Schneeflocken vom Sturmwind über den Himmel gejagt; allmählich flossen die Flocken ineinander, es bildeten sich lange Streifen und dazwischen mattfarbige Höhlungen, die sich in scheinbarer Wellenbewegung fortwälzten, wie eine mächtig wogende See. Dann wurden die Streifen immer dichter und teilten sich schließlich in unzählige, hohe weiße Säulen von gleicher Größe, die sich quer über den Himmelsraum perspektivisch aufstellten, so daß sie einen ungeheuren Säulengang zu bilden schienen -- ohne Zweifel eine Luftspiegelung, die aus den fernen Toren des Jenseits zurückgeworfen wurde. Ehe man Ballarat erreicht, kommt man durch große dünne Strecken hügligen Weidelands; hier und da weilt das Auge mit innigem Vergnügen auf den goldgelben und dunkelgelben Ginsterhecken -- und auf dem reizenden See. Der Gedankenstrich ist mit Fleiß eingefügt, um den Leser aufzurütteln, damit er ja nicht vorübergeht ohne den See zu beachten. Das wäre ein großer Verlust, denn die australische Eisenbahn führt zwar häufig an trockenem Land, aber nur äußerst selten an einem schönen See vorbei. Zweiundneunzig Grad im Schatten und dabei frische, balsamische, köstliche Luft -- ein ganz herrliches Klima! Vor sechsundvierzig Jahren war die Stelle, wo das heutige Ballarat liegt, eine paradiesisch schöne Waldeinsamkeit. Keiner hatte je etwas davon gehört. Aber am 25. August 1851 wurde in Australien hier zum erstenmal eine größere Menge Gold entdeckt. Die wandernden Erzschürfer, die es fanden, gewannen gleich am ersten Tage dritthalb Pfund Gold im Wert von 600 Dollars. Schon nach ein paar Tagen wimmelte es dort wie in einem Bienenstock -- eine Stadt war entstanden. Die Nachricht von dem Goldfund hatte sich mit Blitzesschnelle nach allen Enden der Welt verbreitet. So urplötzlich ist vielleicht nie zuvor ein Ort zu allgemeiner Berühmtheit gelangt. Es war, als sei der Name ~BALLARAT~ mit Riesenbuchstaben an den Himmel geschrieben worden, wo alle Welt ihn gleichzeitig lesen konnte. Schon auf die Nachricht von den kleineren Goldfunden, die man drei Monate früher in Australien gemacht hatte, waren Scharen von Auswanderern nach Neusüdwales aufgebrochen; jetzt strömten ganze Fluten herbei. In einem einzigen Monat kamen hunderttausend Menschen aus England in Melbourne an und überschwemmten die Bergwerke. Die Mannschaft der Schiffe, die sie herübergebracht hatten, zog mit ihnen, dann folgten die Angestellten aus den Regierungsbureaus, die Köche, Dienstmädchen, Kutscher, Kammerdiener und das übrige Hausgesinde; desgleichen die Zimmerleute, Klempner, Buchdrucker, Berichterstatter, Verleger, Anwälte, Klienten, Schenkwirte, Bummler, Schwindler, Gauner, Dirnen, Krämer, Metzger, Bäcker, Doktoren, Apotheker und Wärterinnen; auch die Polizei ging mit, und sogar hohe Beamte gaben ihre vielbeneideten, angesehenen Stellungen auf, um sich dem Zuge anzuschließen. Die lawinenartig wachsende Menge stürmte aus Melbourne hinaus und ließ die Stadt verödet zurück. Es herrschte eine Sabbatstille, alles war gelähmt und zum Stillstand gebracht; die Schiffe lagen müßig vor Anker, jedes Leben schien erstorben, nur Wolkenschatten huschten noch über die leeren Straßen. Bald war die paradiesische Waldeinsamkeit in Ballarat zerstört: der Boden aufgerissen, zerkratzt, durchwühlt und ausgeplündert in der fieberhaften Gier nach den verborgenen Schätzen. Eine himmlische Gegend zu Schanden zu machen, ihr alle Anmut, Schönheit und Fruchtbarkeit zu rauben, und sie in eine Stätte des Grauens und Entsetzens umzuwandeln, versteht wohl niemand besser als die Goldgräber. Was für Reichtümer wurden aber auch gewonnen! Während der Zeit, die man brauchte, um das Schiff zu entladen und neu zu befrachten, hatten die Auswanderer schon ihr Glück gemacht und konnten mit Schätzen beladen in derselben Kajüte auf immer heimkehren, in der sie arm übers Meer gekommen waren. Das heißt nicht alle -- aber doch manche. Die Zurückgebliebenen -- soweit sie Zeit und Tod noch verschont und ihre unstäte Wanderlust sie nicht fortgetrieben hatte -- habe ich selbst fünfundvierzig Jahre später in Ballarat gesehen. Einst waren sie jung und lustig gewesen, jetzt sind sie altersgrau und ernsthaft. Nichts bringt sie mehr in Aufregung; sie reden von früheren Tagen und leben in der Vergangenheit, in Rückerinnerungen; die Gegenwart ist für sie nur ein Traum. In Ballarat kam das Gold häufig in Klumpen vor; man fand dort größere als in Kalifornien, ja die größten in der ganzen Welt. Zwei solcher Goldklumpen hatten zusammen einen Wert von 90000 Dollars und wogen jeder etwa 180 Pfund. Man bot sie dem ersten besten Armen zum Geschenk an, wenn er sie auf seine Schultern laden und forttragen könne. So freigebig hatte der Ueberfluß an Gold die Leute bereits gemacht. Zuerst war Ballarat eine Zeltstadt und es wimmelte darin wie in einem Ameisenhaufen. Alle Welt war zufrieden und auch anscheinend glücklich. Doch das dauerte nicht lange. Die Regierung forderte plötzlich eine Grubensteuer und zwar eine der schlimmsten Art, denn nicht von dem, was der Goldgräber gefunden hatte, sollte er die Abgabe zahlen, sondern von dem, was er möglicherweise finden könnte. Es war eine Konzessionssteuer, und wer sie nicht bezahlt hatte, durfte nicht anfangen auf seiner Parzelle zu graben. Machen wir uns einmal klar, was das heißen will: Kein anderes Geschäft auf Erden ist so unsicher wie das Goldgraben. Die Parzelle kann gut sein, aber auch völlig wertlos; sie macht ihren Eigentümer vielleicht in einem Monat zum wohlhabenden Mann, aber er kann auch ein halbes Jahr im Schweiße seines Angesichts arbeiten und Zeit und Kraft vergeuden, weil das zu Tage geförderte Gold nicht die Kosten deckt. Es wäre gar kein übler Plan, wenn die Regierung dem Bergmann monatlich eine Summe vorschießen wollte, um ihm Lust zu machen, die Schätze der Erde auszugraben; aber ihn monatlich im voraus zu besteuern, an so etwas hätte man in Amerika auch nicht im Traum gedacht. Dort wurde weder für die Parzelle selbst, noch für den Ertrag, mochte er groß oder klein sein, irgend welche Abgabe bezahlt. Die Goldgräber von Ballarat sandten Proteste, Klagen, Bittschriften ein -- alles umsonst. Die Regierung beharrte auf ihrem Willen; sie fuhr fort die Steuer zu erheben und zwar unter Gewaltmaßregeln, die jeden freien Menschen aufs äußerste erbittern mußten. Da zog sich ein grollendes Gewitter zusammen und der Ausbruch des Sturms ließ nicht lange auf sich warten. Es war nur eine kleine Revolution, aber politisch von großer Bedeutung -- ein Kampf um die Freiheit, eine Auflehnung gegen Willkürherrschaft und Bedrückung, wie ihn die englischen Barone einst gegen König Johann geführt, wie er bei Concord und Lexington ausgefochten worden. Dies neue Beispiel einer verlorenen Schlacht, durch die der Sieg gewonnen wurde, ist zugleich das schönste, ruhmreichste Blatt in der Geschichte Australiens -- das Volk weiß es und ist stolz darauf. Das Andenken der Männer, die auf den Schanzen von Eureka gefallen sind, wird treulich bewahrt, und Peter Lalor, ihrem Führer, hat man ein Denkmal errichtet. Die oberen Bodenschichten bei Ballarat waren durch und durch voll Gold; sie wurden umgegraben, zerwühlt, durchpflügt, zerkrümelt und ihres kostbaren Schatzes beraubt. Dann ging man tiefer in die Erde hinein, bis zu dem Kiesbett der alten Bäche und Flüsse; man folgte ihrem Lauf, grub den Kies aus, förderte ihn eimerweise durch den Schacht zu Tage, wo er ausgewaschen wurde und einen reichen Goldertrag lieferte. Einige der größten Goldklumpen fand man in einem alten Flußbett, 180 Fuß unter der Erde. Zuletzt kamen die Quarzgänge an die Reihe. Das ist keine Arbeit für mittellose Leute. Quarzbau und Pochwerke erfordern große Ausdauer, Geduld und Kapitalien. Es bildeten sich bedeutende Aktiengesellschaften und mehrere Jahrzehnte lang sind die Gruben jetzt mit Erfolg ausgebeutet worden und haben reiche Schätze geliefert. Seit 1853 hat man aus den Goldbergwerken von Ballarat, alles in allem, Gold im Wert von über dreihundert Millionen Dollars gewonnen. Also hat dieser kleine, auf der Erdkarte kaum erkennbare Fleck, in vierundvierzig Jahren etwa ein Viertel von dem Ertrag gehabt, den ganz Kalifornien in siebenundvierzig Jahren lieferte. Die Summe, welche von 1848 bis 1895 incl. aus Kalifornien bezogen wurde, beträgt nach statistischen Angaben aus der Münze der Vereinigten Staaten 1265217217 Dollars. Ballarat ist jetzt eine Stadt von kaum 40000 Einwohnern. Da es aber in Australien liegt, besitzt es alle Einrichtungen und Vorzüge der modernsten Kultur, was sich ganz von selbst versteht. Ich sollte wohl endlich aufhören, diese Tatsache immer wieder zu erwähnen, aber es wird mir schwer, weil es mich stets von neuem überrascht. So will ich denn nur noch berichten, daß die kleine Stadt einen Park von 326 Morgen Flächeninhalt besitzt und einen Blumengarten, der 83 Morgen groß, mit den kostbarsten Farnkrautanlagen und ungewöhnlich schönen Statuen geschmückt ist. Besonders bemerkenswert ist auch der künstliche See, mit einer Ausdehnung von 600 Morgen, auf dem eine kleine Flotte von Kähnen, Segelbooten und kleinen Vergnügungsdampfern schwimmt. Vierundzwanzigstes Kapitel. Klassisch nennt man Bücher, welche viel gelobt werden, die aber kein Mensch liest. _Querkopf Wilsons Kalender._ Wieder auf der Eisenbahn -- die Fahrt geht nach Bendigo. * * * * * _Aus dem Tagebuch: 23. Oktober._ Um sechs Uhr aufgestanden; Abfahrt 7.30; bald kamen wir nach Castlemaine, einem der ältesten und ergiebigsten Goldfelder, wo wir bis 3.40 auf den Zug warten mußten, der uns dann in einer Stunde nach Bendigo brachte. Mein Reisegefährte, ein katholischer Priester, war ein weit besserer Mensch als ich, was er jedoch nicht zu wissen schien; man mußte ihn lieb haben, weil er so reich an Gemüt, Geist und Herz war. Er wird noch zu hohen Ehren kommen, wird Bischof, Erzbischof und Kardinal werden. Und zuletzt hoffentlich ein Erzengel. Dann wird er sich einmal in der Ewigkeit meiner erinnern, wenn ich zu ihm sage: »Wissen Sie noch, wie wir mit einander von Ballarat nach Bendigo gefahren sind -- damals, als Sie nur der einfache Pater C. waren und ich nichts im Vergleich zu dem, was ich jetzt bin?« Die Fahrt nach Bendigo hat wirklich volle neun Stunden in Anspruch genommen. Wir würden sieben Stunden erspart haben, wären wir zu Fuß gegangen. Aber wir hatten ja keine Eile. Auch in der Gegend von Bendigo wurden einige der ersten großen Goldlager entdeckt. Jetzt ist dort der Quarzbau in starkem Betrieb, ein Geschäft, das mehr Verstand, Ruhe und Ausdauer erfordert als alle andern, die ich kenne. Der Ort ist voll himmelhoher Schornsteine und Fördermaschinen; er sieht aus wie eine Petroleumstadt. Nur ein Beispiel, wieviel Geduld man braucht: Eine dortige Gesellschaft hat die Tiefbohrungen und das Schürfen _elf Jahre lang_ ununterbrochen fortgesetzt, ohne eine Spur von Gold zu finden oder auch nur einen Pfennig Ersatz zu bekommen -- dann stieß sie plötzlich auf eine Goldader und wurde steinreich. Die elfjährige Arbeit hatte 55000 Dollars gekostet und der erste Fund war ein Goldkorn, so groß wie ein Stecknadelknopf. Man verwahrt es als ungeheure Kostbarkeit hinter Schloß und Riegel; der Fremde darf es nur mit abgezogenem Hut in ehrfurchtsvoller Scheu betrachten. Als man es mir zeigte, kannte ich seine Geschichte noch nicht. »Es ist Gold,« ward mir gesagt; »betrachten Sie es genau mit dem Vergrößerungsglas. Wieviel glauben Sie wohl, daß es wert ist?« »Etwa zwei Cents, sollte ich meinen, oder vier englische Heller,« war meine Antwort. »Hm. Es hat elftausend Pfund gekostet.« »Sie spaßen wohl?« »Durchaus nicht. Ballarat und Bendigo haben die drei berühmtesten Goldklumpen der Welt geliefert und dies hier ist der merkwürdigste. Die beiden andern haben jeder einen Wert von 9000 Pfund, aber dieser kostet noch ein paar Tausend mehr. Er ist klein und unansehnlich, trägt jedoch seinen Namen mit Recht. Er heißt Adam, weil er das erste Goldkorn der Grube war, und Adams Kinder zählen nach Millionen.« Jawohl, Geduld ist vonnöten. In einem andern Bergwerk wurde siebzehn Jahre lang mit großen Unkosten gearbeitet, bis der Erfolg die Mühe belohnte, und bei einem dritten mußte man sogar einundzwanzig Jahre auf den Ertrag warten. In beiden Fällen ersetzten sich dann die Auslagen innerhalb eines Jahres mit Zinseszins. Bendigo hat noch mehr Schätze geerntet als Ballarat. Beide zusammengenommen haben etwa Gold im Werte von 650000000 Dollars geliefert -- halb so viel als Kalifornien. Daß mein Aufenthalt in Bendigo sich so angenehm und interessant gestaltete, war hauptsächlich das Verdienst eines gewissen Herrn Blank. Er machte mir das selber klar, indem er versicherte, er habe bewirkt, daß die Stadt für mich das Fest im Rathaus veranstaltete, bei dem mir zu Ehren so viele Reden gehalten wurden, die ich dankend erwidern durfte; auf seine Veranlassung hin habe man mit mir die schöne Spazierfahrt durch die Stadt gemacht, um mir alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen; seinem Einfluß sei es zuzuschreiben, daß ich Gelegenheit erhielt, die großen Bergwerke zu besichtigen und das Hospital, wo der kranke Chinese lag, der acht Wochen zuvor um Mitternacht in seiner einsamen Hütte von Räubern überfallen, durch sechsundvierzig Dolchstöße verwundet und dann skalpiert worden war. Als ich an sein Bett trat, saß der jammervoll zusammengeflickte und bepflasterte Unglückliche da, und tat, als ob er eins meiner Bücher läse -- auch das war eine Veranstaltung des Herrn Blank. Außerdem hatte er sich nach Kräften bemüht, mir bei dem katholischen Erzbischof von Bendigo eine Einladung zur Tafel auszuwirken und den anglikanischen Bischof zu bewegen, eine Abendgesellschaft für mich zu geben. Seinem Einfluß war es auch zu verdanken, daß der Chef aller Zeitungsredakteure mit mir in die umliegenden Wälder fuhr, wo sich uns von einem Berggipfel der herrlichste Ausblick über weite Täler und bewaldete Höhen bot, den ich in ganz Australien genossen habe. Als mich Blank zuletzt fragte, was mir in Bendigo den größten Eindruck gemacht hätte und ich erwiderte, es sei der gemeinnützige Geist und gute Geschmack der Einwohner, der sie bewogen habe, die Straßen hundertfünf Meilen lang mit schattigen Bäumen zu bepflanzen -- da teilte er mir mit, daß dies auf seine Veranlassung geschehen wäre. Aber, ich stelle Blank vielleicht in ein falsches Licht. Er hat gar nicht _gesagt_, ich hätte das alles seinem Einfluß zuzuschreiben -- das wäre ja unhöflich gewesen. Er hat es nur durch die Blume zu verstehen gegeben, in leisen Andeutungen, so daß ich es von ferne ahnen konnte, wie man den Wohlgeruch spürt, von dem die Luft erfüllt ist, wenn man im Sommer durch die Felder geht. Es lag auch in seinen Andeutungen keine Spur von Prahlerei und Selbstbewußtsein, nichts was man hätte übel nehmen können -- aber doch _gab er es zu verstehen_. Blank war ein Irländer, ein gebildeter, ernsthafter Mann, höflich und freundlich in seinem Benehmen, unverheiratet und dem Ansehen nach 45, höchstens 50 Jahre alt. Er suchte mich im Hotel auf und da hatten wir die oben erwähnte Unterhaltung, bei der er mich gleich für sich einzunehmen wußte, ohne daß es ihm irgend welche Mühe kostete. Teils gefiel er mir um seines angenehmen, zuvorkommenden Wesens willen, teils wegen der fabelhaften Vertrautheit mit meinen Werken, welche er im Laufe des Gesprächs verriet. Er kannte sogar die allerneusten, und ihr Inhalt war ihm so geläufig, als hätte er sie sein Lebenlang Wort für Wort studiert. Das schmeichelte mir ungemein; noch nie war ich so zufrieden mit mir selbst gewesen. Offenbar besaß der Mann einen ungewöhnlichen Sinn für Humor, doch merkte man seinem Gesichtsausdruck nichts davon an, er blieb immer ernsthaft und verzog keine Miene. Mich aber brachte er die ganze Zeit über zum Lachen -- was recht anstrengend war und zugleich ein großes Vergnügen -- denn alle Witze, die er zum Besten gab, stammten aus meinen eigenen Büchern. Beim Fortgehen wandte er sich an der Tür noch einmal um. »Sie haben sich meiner wohl nicht mehr erinnert?« fragte er. »Ich? -- Nein, wieso? Sind wir einander schon früher begegnet?« »Das nicht, aber wir haben Briefe gewechselt.« »Briefe?« »Ja, vor vielen Jahren; es können zwölf oder fünfzehn Jahre sein -- vielleicht noch mehr. Aber natürlich --« er schwieg gedankenvoll und fuhr dann fort: »An Schloß Corrigan werden Sie sich aber jedenfalls erinnern?« Nein, der Name kam mir ganz unbekannt vor. Einen Augenblick blieb Blank mit der Klinke in der Hand zögernd stehen, dann sagte er, ich hätte mich früher einmal für Schloß Corrigan interessiert; er würde gern mit mir heute abend bei einem Glase heißen Grogs gemütlich darüber plaudern, wenn ich ihn besuchen wollte. Da ich zum Mäßigkeitsverein gehöre und mich freue einmal eine Ausnahme zu machen, nahm ich die Einladung an. Als meine Vorlesung um halb elf Uhr aus war, fuhren wir zusammen nach seiner Wohnung, die sehr hübsch und geschmackvoll eingerichtet ist und glänzend erleuchtet war. Gute Bilder hingen an den Wänden; auf dem Kaminsims, in Nischen und Ecken standen allerlei indische und japanische Vasen und sonstige Zierate; Bücher sah man, wohin man blickte -- größtenteils meine Werke, was mich mit Stolz erfüllte. Ich lehnte mich behaglich in die weichen Kissen des Armstuhls zurück und zündete mir eine Zigarre an. Als der Grog gebraut war, schob mir Blank einen Briefbogen hin und fragte: »Kennen Sie das?« Und ob ich es kannte! Das Papier trug ein verschlungenes Monogramm in Gold, Rot und Blau, wie es vor Jahren in England Mode gewesen, und darunter stand in saubern, gotischen Buchstaben mit blauer Druckschrift: =Mark Twain-Klub= =Schloß Corrigan den ... 187...= »Merkwürdig!« sagte ich. »Wie kommt das in Ihre Hände?« »Ich war Präsident des Klubs.« »Nicht möglich! Sie --« »Jawohl, der erste Präsident. Alljährlich wurde ich wieder gewählt, solange die Versammlungen in meinem Schloß -- Corrigan -- stattfanden, fünf Jahre lang.« Nun zeigte er mir ein Album mit dreiundzwanzig Photographien meiner Person. Fünf davon waren älteren Datums, die übrigen aus späteren Jahren; das letzte Bild der Sammlung war erst vor einem Monat bei Falk in Sydney gemacht. »Die fünf ersten haben Sie uns geschickt; die übrigen sind gekauft.« Ich fühlte mich wie im Paradiese. Bis spät in die Nacht hinein saßen wir beisammen und plauderten ohne Ende über den Mark Twain-Klub vom Corrigan-Schloß in Irland. Die erste Kenntnis von diesem Klub hatte ich vor etwa zwanzig Jahren durch einen verbindlichen Brief auf einem Bogen von der oben beschriebenen Sorte erhalten, dessen Unterschrift lautete: »Im Auftrag des Präsidenten. -- C. Pembroke, Sekretär.« Mir wurde darin gemeldet, der Klub sei mir zu Ehren gegründet worden und man hoffe, ich werde gegen diesen Beweis der Anerkennung, die man meiner schriftstellerischen Tätigkeit zolle, nichts einzuwenden haben. Natürlich sandte ich den gebührendsten Dank und gab mir dabei große Mühe, meine innere Genugtuung nicht allzusehr durchblicken zu lassen. Nun begann ein langer Briefwechsel. Mir wurden die Namen der zweiunddreißig Mitglieder und die Liste des Vorstands: Präsident, Vizepräsident, Sekretär, Schatzmeister u. s. w. zugeschickt, sowie der Plan für die Zusammenkünfte, nebst einer Abschrift der Statuten und anderweitigen Bestimmungen. Einmal monatlich sollten Artikel über meine Werke verlesen werden und allgemeine, zwanglose Besprechungen stattfinden; alle Vierteljahre aber eine Geschäftsverhandlung mit darauffolgendem Abendessen und Tischreden gehalten werden. Die Zuschrift machte mir große Freude, da sie bewies, mit wieviel Eifer und Interesse die Mitglieder bei der Sache waren. Zum Schluß bat man um meine Photographie und ich ging sofort hin, ließ mein Bild machen und schickte es -- natürlich mit einem Briefe. Zunächst erhielt ich das Abzeichen des Klubs, ein wahres kleines Kunstwerk in seiner Art. Auf einem vergoldeten Untergestell erhob sich ein malerisches Gewirr von Grashalmen und Binsen, daraus schaute ein emaillierter Frosch hervor, der eine goldene Nadel auf dem Rücken trug. Fiel das Licht seitwärts darauf, so sah man, daß die zarten Binsenstengel sich zu einem Monogramm verschlangen -- es war das meinige! -- Dies kostbare kleine Ding machte mir ein förmlich kindisches Vergnügen, und ich konnte mich gar nicht satt daran sehen. Der Klub hielt nun regelmäßige Sitzungen und der Sekretär versah mich mit reichlicher Beschäftigung für alle meine Mußestunden. Er erstattete mir ausführlichen Bericht über die Besprechungen meiner Bücher im Klub. Meistens teilte er sie mir nur in geistvollen Auszügen mit, was ihm vortrefflich gelang, war aber eine Rede ungewöhnlich interessant, so stenographierte er sie und schrieb die schönsten Stellen wörtlich für mich auf. Letzteres tat er besonders bei den fünf besten Rednern, deren Stil und Ausdrucksweise ebenso verschiedenartig wie charakteristisch war. Im Laufe der Zeit ward ich mit den Eigentümlichkeiten dieser fünf Herren so genau vertraut, daß ich über die Person des jedesmaligen Redners nie den geringsten Zweifel hegte. Die Berichte wurden mir monatlich eingeschickt, auf großen Foliobogen; fünfundzwanzig engbeschriebene Seiten, von denen jede etwa sechshundert Wörter enthielt. Eine Riesenarbeit! Das Schriftstück zu lesen war trotz seiner Länge sehr unterhaltend, aber es kam unglücklicherweise nicht allein, sondern war von einer ganzen Liste von Fragen über die Bedeutung einzelner Stellen und Aussprüche in meinen Büchern begleitet, auf die der Klub Antwort zu haben wünschte. Jedes Vierteljahr trafen auch noch die Aufzeichnungen des Schatzmeisters, des Komitees und des Revisors ein, sowie der Schlußbericht des Präsidenten. Ueber sämtliche Zuschriften sollte ich meine Meinung abgeben und auch sonst zum Besten des Klubs allen möglichen guten Rat erteilen. Mit der Zeit bekam ich ein wahres Grauen vor diesen Sendungen, das mehr und mehr zunahm, bis mich schon im voraus ein kalter Schauer überlief, wenn ich nur daran dachte. Denn ich bin von Natur ein träger Mensch und Briefschreiben ist mir ein Greuel. Sobald die Schriftstücke ankamen, mußte ich aber, -- um meiner eigenen Gemütsruhe willen -- alles stehen und liegen lassen, mußte mich hinsetzen und mir den Kopf zerbrechen, bis ich die Antwort glücklich zu stande gebracht hatte. Im ersten Jahr ging es noch ziemlich gut, aber in den vier folgenden Jahren war der Mark Twain-Klub vom Corrigan-Schloß meine Qual, mein Schreckgespenst, der Fluch und das Elend meines Lebens. Auch bekam ich einen förmlichen Abscheu davor, mich ewig photographieren zu lassen. Fünf Jahre war ich regelmäßig zum Photographieren gegangen, in der Hoffnung, den unersättlichen Klub endlich zufrieden zu stellen, da riß mir der Geduldfaden. Ich empörte mich gegen den unerträglichen Druck, raffte alle meine Kraft zusammen, zerbrach die Ketten und war wieder ein freier, glücklicher Mensch. Von jenem Tage an verbrannte ich die dicken Briefe des Sekretärs sofort nach ihrer Ankunft, und mit der Zeit blieben sie ganz aus. Als wir nun an jenem Abend in Bendigo gesellig beisammen saßen, bekannte ich diese ganze Geschichte ohne jeglichen Rückhalt, und Blank antwortete mir mit derselben Offenheit. Zuerst schickte er ein Wort der Entschuldigung voraus und gestand dann freimütig: _er_ sei der Mark Twain-Klub, und es gebe außer ihm gar keine Mitglieder. Eigentlich hätte ich mich darüber schrecklich erbosen sollen, aber mir war gar nicht zornig zu Mute. Blank sagte, er habe nie nötig gehabt, sein Brot selber zu verdienen, und als er dreißig Jahre alt gewesen sei, hätte sich der größte Lebensüberdruß seiner bemächtigt. Das Dasein erschien ihm als Last und Plage, jedes Interesse war für ihn erloschen. Er war der Verzweiflung nahe und trug sich mit Selbstmordgedanken. Da kam ihm plötzlich der Einfall, einen Phantasie-Klub zu gründen, und er machte sich voller Eifer und Hingebung ans Werk. Die Tätigkeit beglückte ihn und sie wuchs zusehends unter seinen Händen; immer schwieriger und verwickelter wurden die Geschäfte, die ihm anfänglich so einfach erschienen. Jede Vergrößerung seines ursprünglichen Planes, die er sich ausdachte, vermehrte seine Freude und verschaffte ihm neue Interessen. Er machte selbst den Entwurf zu dem Abzeichen des Klubs, änderte und besserte tagelang daran und bestellte es endlich in London. Nur das _eine_ Exemplar für mich wurde gemacht, der ›übrige Klub‹ mußte sich ohne Abzeichen behelfen. Die zweiunddreißig Mitglieder und ihre Namen, die fünf besten Redner und ihr verschiedenartiger Stil, waren lauter Erfindungen von ihm, ihre Reden und die Berichte darüber verfaßte er selbst. Wenn es nach ihm gegangen wäre, und ich nicht die Flinte ins Korn geworfen hätte, würde er den Klub bis auf den heutigen Tag fortgeführt haben. An jedem einzelnen Bericht hatte er wochenlang im Schweiße seines Angesichts zu arbeiten. Die Beschäftigung freute ihn, sie machte ihm das Leben wieder lieb, und er empfand es als einen schweren Schlag, daß er den Klub eingehen lassen mußte. Auch das Schloß Corrigan lag weder in Irland noch sonstwo -- er hatte es gleichfalls erfunden. Eine wunderbare Geschichte von Anfang bis zu Ende! Mir war ein so mühsam ausgeklügelter, lustiger und arbeitsreicher Spaß noch nie vorgekommen. Alles in allem war er wirklich gar nicht so übel; ich hörte Blank ordentlich mit Vergnügen zu, als er ihn mir erzählte, und doch habe ich mein Lebtag, so lange ich denken kann, einen wahren Abscheu vor derartigen Scherzen gehabt. Zuletzt sagte er noch: »Erinnern Sie sich wohl an einen Brief, der vor etwa fünfzehn Jahren aus Melbourne bei Ihnen ankam und über Ihre Vorlesungstour in Australien, Ihren Tod und Ihr Begräbnis berichtete? -- Ein Schreiben von Henry Bascom, dem Besitzer von Bascom Hall in Upper Holywell?« »Jawohl.« »Den Brief habe ich verfaßt.« »Was sagen Sie!?!« »Ja, ich habe es getan; warum weiß ich nicht. Der Gedanke fuhr mir plötzlich durch den Kopf, und ich führte ihn ohne weitere Ueberlegung aus. Es war sehr unrecht und hätte großen Schaden anrichten können; ich habe es oft bereut und bitte Sie um Verzeihung. Bascom hatte mich auf seiner Reise um die Welt mitgenommen, er sprach oft von Ihnen und wie angenehm ihm Ihre Besuche auf seiner Besitzung gewesen wären. Da kam ich einmal in Melbourne auf den Einfall; ich ahmte seine Hand nach und schrieb den Brief.« So ward mir denn nach vielen, vielen Jahren auch dieses Geheimnis aufgeklärt. Fünfundzwanzigstes Kapitel. Es gibt Menschen, die im stande sind die edelsten Taten zu vollbringen; nur _eines_ ist ihnen unmöglich, sie können es nicht unterlassen, Unglücklichen von ihrem Glück zu erzählen. _Querkopf Wilsons Kalender._ Nachdem wir noch Maryborough und einige andere australische Städte besucht hatten, schifften wir uns nach Neuseeland ein. Wenn es nicht den Anschein hätte, als wollte ich mich mit meiner Weisheit brüsten, so würde ich dem Leser sagen, wo Neuseeland liegt. Aber es geht ihm gewiß, wie es mir erging: er glaubt, daß er es schon weiß. Im allgemeinen ist man nämlich der Ansicht, daß Neuseeland irgendwo dicht bei Australien oder Asien liegt und man auf einer Brücke hinübergehen kann -- aber das verhält sich nicht so. Neuseeland liegt nirgends dicht am Lande, sondern ganz für sich. Am nächsten ist es noch an Australien, aber doch durchaus nicht nahe, sondern zwölf- bis dreizehnhundert Meilen entfernt, und eine Brücke gibt es nicht. Ich weiß das alles von einem Professor der Yale-Universität, den ich kurz vor meiner Reise nach dem Stillen Ozean auf einem Eriedampfer traf. Um mit ihm ins Gespräch zu kommen, brachte ich die Rede auf Neuseeland, in der Meinung, er werde nach einigen allgemeinen Bemerkungen dies Thema fallen lassen und von andern, ihm geläufigeren Dingen sprechen. War nur erst einmal das Eis gebrochen, so konnten wir Bekanntschaft machen und uns angenehm unterhalten. Zu meiner Ueberraschung setzte ihn jedoch meine Frage keineswegs in Verlegenheit, er schien sie vielmehr mit Freuden zu begrüßen. Fließend, ohne Anstoß, frei und zuversichtlich sprach er über den Gegenstand, während ich ihm mit Staunen und stets wachsender Bewunderung zuhörte, denn ich sah, daß er nicht nur wußte, wo Neuseeland lag, sondern auch dessen Geschichte, Politik, Religionen und Handelsverkehr bis ins einzelne kannte, und in der Flora, Fauna und Geologie, den Erzeugnissen und klimatischen Verhältnissen der Insel genau bewandert war. Als er geendet hatte, starrte ich ihn wie verzaubert an und sagte mir: der Mann weiß alles; im Reiche menschlicher Erkenntnis herrscht er als König. Da ich begierig war, ihn noch mehr Wunder verrichten zu sehen, stellte ich ihm nun andere verfängliche Fragen, aber da erging er sich in Gemeinplätzen und kam nicht vom Fleck. Sobald man Neuseeland nicht aufs Tapet brachte, glich er dem seines Haupthaars beraubten Simson und war schwach, wie andere Menschen auch. Dies Rätsel ging mir so sehr im Kopf herum, daß ich alle Scheu überwand und ihn geradezu bat, es mir zu erklären. Zuerst machte er Ausflüchte, dann meinte er lachend, es verlohne sich nicht der Mühe, die Sache in Dunkel zu hüllen, er wolle mir das Geheimnis anvertrauen, und erzählte folgende Geschichte: »Letzten Herbst saß ich eines Morgens daheim bei der Arbeit, als eine Visitenkarte mit einem mir fremden Namen hereingebracht wurde; darunter stand eine Zeile, welche besagte, daß der unbekannte Besucher ein Professor der Theologie an der Wellington-Universität in Neuseeland war. Das setzte mich in große Verlegenheit, wegen der Kürze der Frist. Denn nach der Satzung unserer Hochschule mußte er von einem Mitglied der Fakultät zu Tische gebeten werden und zwar noch für den nämlichen Tag; die Einladung auf einen der folgenden zu verschieben wäre ein Verstoß gegen die herrschende Sitte gewesen. Diese verlangt außerdem, daß wenn ein fremder Gast zugegen ist, das Tischgespräch mit einem schmeichelhaften Hinweis auf sein Land, dessen große Männer, gelehrte Anstalten, Verdienste um den Kulturfortschritt und dergleichen eingeleitet wird. Dafür ist natürlich der Wirt verantwortlich; er muß entweder jene Bemerkungen selber machen oder Sorge tragen, daß ein anderer es tut. Meine Not war groß; je mehr ich mein Gedächtnis befragte, um so ängstlicher war mir zu Mute. Denn ich wußte ja gar nichts von Neuseeland, außer allenfalls wo es lag, nämlich irgendwo dicht bei Australien oder Asien, so daß man auf einer Brücke hinübergehen kann. Aber vielleicht war selbst das nicht richtig und jedenfalls genügte es nicht für das Tischgespräch. Es mußte ja der ganzen Fakultät zur Schande gereichen, wenn ich, ein Professor der ersten Universität Amerikas, eine so grobe Unwissenheit verriet; natürlich würde der Gast es weiter erzählen und sich über mich lustig machen. »Mich überlief es heiß bei dem Gedanken. Ganz aufgeregt ging ich zu meiner Frau, sagte ihr alles und bat sie mir beizustehen, worauf sie vorschlug, sie wolle den Besuch einstweilen empfangen und sagen, ich sei ausgegangen, werde aber sogleich wiederkommen. Inzwischen solle ich zur Hintertür hinausschlüpfen und Professor Lawson ankündigen, daß er den Fremden zu Tische bitten müsse. Lawson wisse ja alles und könne gewiß die Ehre der Universität retten. Ich folgte ihrem Rat, ward aber schwer enttäuscht. Lawson -- dies schrecklich gelehrte Haus -- wußte nichts von Neuseeland, als daß es irgendwo dicht bei Australien oder Asien läge und man auf einer Brücke hinübergehen könne. Also war ihm alle seine Gelehrsamkeit nichts nütze, sie ließ ihn im Stich, wo er sie am nötigsten brauchte. »Was war zu tun? Der Ruf der Universität stand auf dem Spiel; wir mußten die andern Mitglieder der Fakultät zu Hilfe holen. Vielleicht wußte doch einer von ihnen mehr über Neuseeland als wir. Zuerst riefen wir den Professor der Astronomie ans Telephon; er erwiderte, daß er nur wisse, Neuseeland läge irgendwo dicht bei Australien oder Asien und man ginge -- »Wir machten ›Schluß‹ und riefen den Professor der Biologie, welcher sagte, es sei dicht bei Aust -- Abermals Schluß! -- Nein, das ging nicht an, wir mußten einen andern Plan ausdenken. Lange überlegten wir hin und her und trafen endlich folgende Entscheidung: Das Mittagessen sollte bei Lawson stattfinden, und die Fakultät sofort per Telephon benachrichtigt werden, daß sie sich vorbereiten und fleißig studieren müsse, um nach acht und einer halben Stunde, wenn wir zu Tische kämen, so genau über Neuseeland unterrichtet zu sein, daß wir vor dem Gast nicht zu erröten brauchten. Um als gebildete Leute zu erscheinen, mußten wir über Bevölkerungszahl, Politik, Regierungsform, Handel, Steuern und Produkte des Landes Bescheid wissen, mußten seine alte und neue Geschichte kennen, nebst den verschiedenen Religionen, Gesetzen, klimatischen Verhältnissen, den Quellen, aus welchen sein Einkommen floß und dergleichen mehr; kurz wir mußten die Karten und das Konversationslexikon in- und auswendig lernen. Während wir uns so das Nötigste einpaukten, sollten die Damen der Fakultät nach einander, wie von ungefähr, zu meiner Frau herüber kommen und ihr beistehen, den Neuseeländer festzuhalten, damit er ja nicht ins Freie gelangen und uns bei unsern Studien stören könnte. »Der Plan glückte vollkommen, aber er brachte alles zum Stillstand -- die ganze Kulturarbeit der Universität geriet plötzlich ins Stocken. Die Annalen von Yale werden noch künftigen Geschlechtern von dem denkwürdigen Feiertage erzählen, an welchem die Räder des Fortschritts plötzlich gehemmt wurden und eine Sabbatstille eintrat, während die Fakultät sich gebührend vorbereitete, um mit Ehren in Gegenwart des Professors der Theologie aus Neuseeland bei Tische sitzen zu können. »Als die Essensstunde kam, waren wir alle entsetzlich matt und müde, aber wohl unterrichtet, das muß ich sagen. Unsere Kenntnisse waren geradezu erstaunlich, und man konnte sich nicht genug wundern, wie natürlich und ungezwungen sie uns von den Lippen flossen. Neuseeland bildete ein völlig unerschöpfliches Thema der Unterhaltung. »Auf einmal bemerkte jemand, daß unser Gast ganz verblüfft und stumm dasaß, und wir waren sogleich eifrig bemüht, ihn in die Unterhaltung zu ziehen. Da tat er den Mund auf und sprach uns in beredten Worten eine so ehrliche, aufrichtige Bewunderung aus, daß die Fakultät davor erröten mußte. Er sagte, er fühle sich unwürdig in der Gesellschaft solcher Männer zu sitzen -- vor Staunen habe er geschwiegen, aber auch vor Scham über seine Unwissenheit. ›Achtzehn Jahre lebe ich schon in Neuseeland,‹ fuhr er fort, ›seit fünf Jahren bin ich Professor; ich sollte das Land und seine Einrichtungen genau kennen und weiß doch so gut wie nichts davon. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich in diesen zwei Stunden bei Tische hundertmal mehr über Neuseeland erfahren habe, als je zuvor in der ganzen langen Zeit. Darum, bitte, meine Herren, lassen Sie mich schweigend zuhören und fahren Sie mit diesem Gespräch fort, bei dem ich Ihnen wenigstens folgen kann. Wenn Sie irgend ein anderes Thema wählen, um Ihre Gelehrsamkeit zu entfalten, würde ich mir ja ganz wie verraten und verkauft vorkommen. Wer über ein so kleines, unbedeutendes Stückchen Erde wie Neuseeland so genaue und umfassende Kenntnis besitzt, was mag der erst alles von andern Dingen wissen!‹« -- Sechsundzwanzigstes Kapitel. Die allgemeine Menschenliebe ist unser köstlichstes Gut -- aber, wie selten ist es auch! _Querkopf Wilsons Kalender._ _Aus dem Tagebuch. 1. November._ Wir fahren zwischen Tasmanien, dem früheren Vandiemensland, und den benachbarten Inseln hindurch. Von diesen Inseln aus haben die armen verbannten Wilden weinend nach ihrem verlorenen Heimatland hinübergeblickt, und vor Sehnsucht ist ihnen das Herz gebrochen. Mich freut es, daß die Vertilgung der eingeborenen Rassen jetzt ein Ende hat, da fast alle so gut wie ausgestorben sind. Von den Ureinwohnern Tasmaniens lebt wenigstens kein einziger mehr. James Bonwick sagt in der Einleitung seines Buches über die ›verschwundene tasmanische Rasse‹: »Die Eingeborenen Tasmaniens glaubten, sie seien allein auf der Welt. Ihre Haut war dunkel, ihre Augen glänzend; große Zähne, ein starker Unterkiefer, wolliges Haar, ein gekräuselter Bart, eine platte Nase, ein Leib voller Narben, wohlgeformte Füße und kleine Hände zeichneten sie aus. Die zerstreuten Stämme leben von der Jagd, den Ackerbau kannten sie nicht. Um Feuer zu machen, rieben sie zwei Holzstücke aneinander und brieten das Fleisch in der Asche. Sie besaßen weder Haus, noch Kochgerät, noch Kleidung außer rohen Tierfellen, hatten keine festen Wohnsitze und brauchten auch keine. »Aber, trotzdem sie auf der tiefsten Stufe der Barbarei standen, waren sie weder einfältig noch unglücklich. In ihrer tausendjährigen Abgeschlossenheit hatten sie sich nicht über den rohesten Zustand erhoben, doch waren sie Menschen und konnten denken und fühlen. »Sie hatten wenig leibliche, noch weniger seelische Bedürfnisse, dienten keinen Götzen und kannten keine Form der Gottesverehrung; nur das wilde, schauerliche Getöse von Sturm und Gewitter erfüllte sie mit unbestimmter Furcht. Ganz der Erde angehörig, Kinder an Verständnis, ohne höheres Streben, zufrieden mit der Nahrung und Freude, die ihnen der Tag brachte, lebten sie sorglos dahin, wie ihre Väter vor ihnen. »Da landete eine andere Rasse auf der Insel, die auch das springende Känguruh verfolgte. Der Eingeborene sah einen Menschen gleich ihm, aber weiß von Haut, welcher Kleider trug und mit dem Donner bewaffnet war, den er aus dem Himmel entwendet hatte. In jene Täler und Wälder, wo sich die farbige Rasse solange unbekümmert ihres Lebens gefreut hatte, brachte der fremde Eindringling Mißtrauen und Arglist. Mit einem Schlage war alles verwandelt und ein neuer Himmel wölbte sich über den Menschenkindern.« Die englische Flagge wurde aufgehißt und, wie in Sydney, eine Verbrecherkolonie gegründet. Zwar hatte die Regierung strengen Befehl erteilt, daß die Weißen den Eingeborenen freundlich begegnen und sie in ihrer Lebensweise nicht stören sollten, aber schon im Jahre 1804 kam es zu einem blutigen Zusammenstoß. Bei einer Känguruhjagd stürmten etwa vierhundert Eingeborene mit Frauen und Kindern den Berg hinunter; den englischen Soldaten war die Art der Wilden neu; in der Meinung, das bedeute einen kriegerischen Ueberfall, feuerten sie auf die harmlosen Leute und töteten ihrer fünfzig. Die Gegenwart der Frauen und Kinder war der sicherste Beweis friedlicher Gesinnung, aber das wußten die Soldaten nicht. Von da ab scheiterten alle Bemühungen, das Vertrauen der Eingeborenen wieder zu gewinnen, und sie nährten einen unversöhnlichen Haß gegen die Weißen. Kein Wunder, denn sie kamen fast nur mit dem Auswurf derselben in Berührung: mit entflohenen Verbrechern, die als sogenannte Buschranger in den Wäldern hausten und vor keiner Schandtat zurückbebten und mit andern Bösewichten, meist früheren Deportierten, die auf einsamen Stationen als Diener der Weißen zerstreut in der Wildnis Tasmaniens wohnten, oft mit den Schwarzen in Streit gerieten und sie niederschossen. Natürlich übten die Wilden Wiedervergeltung an allen Weißen, die in ihre Hände fielen, und der Kampf der Rassen ward Jahrzehnte lang auf beiden Seiten mit großer Grausamkeit fortgesetzt, wie sehr auch die Regierung bemüht war, eine Versöhnung herbeizuführen und die Eingeborenen zu schonen. Diese waren nicht zahlreich, aber wachsam, schlau und behende; sie kannten jeden Schlupfwinkel in ihrem Lande und es glückte ihnen trotz ihrer geringen Anzahl lange Zeit Widerstand zu leisten, so daß sie vielen Weißen Tod und Verderben brachten. Die Regierung ergriff die verschiedensten Maßregeln, um womöglich die gänzliche Ausrottung der Eingeborenen zu verhindern: Sie wollte diese auf eine benachbarte Insel schaffen lassen und bot für jeden lebendig eingelieferten Schwarzen fünf Pfund als Prämie. Einen Wilden zu fangen ist aber kein leichtes Werk, und bei den Streifzügen der Weißen wurde meist, um einen Gefangenen zu machen, ein halbes Dutzend getötet. Das lag nun nicht in den Absichten der Regierung und man schritt daher zu einem andern Versuch: die Schwarzen wurden alle nach einem Ende der Insel getrieben und man zog zur Abwehr eine Truppenkette quer durch das Land. Auch das half wenig, denn die Eingeborenen brachen unaufhörlich durch und fuhren fort zu sengen und zu morden. [Illustration] Nun erließ der Gouverneur eine gedruckte Proklamation, welche den Schwarzen befahl, die öde Gegend, die man ihnen angewiesen hatte, nicht zu verlassen! Aber das nützte nichts, weil keiner sie zu lesen verstand. Es folgte nun eine Proklamation in Bilderschrift, die auf Bretter gemalt und im Walde angenagelt wurde. Ich füge hier einen photographischen Abdruck derselben bei. Ihre Bedeutung war im wesentlichen folgende: 1. Der Gouverneur wünscht, daß Schwarze und Weiße einander lieben sollen. 2. Er liebt seine farbigen Untertanen. 3. Wenn ein Schwarzer einen Weißen tötet, wird er gehängt. 4. Wenn ein Weißer einen Schwarzen tötet, wird er gehängt. Die Ausführung ihrer mancherlei Pläne kostete der Regierung etwa 30000 Pfund; mehrere Tausend Weiße strengten jahrelang alle Kraft und allen Scharfsinn an, um den gewünschten Zweck zu erreichen -- aber, es war ein erfolgloses Bemühen. Endlich, nachdem die Feindseligkeiten zwischen beiden Rassen ein Vierteljahrhundert gedauert hatten, wurde der rechte Mann gefunden. Dies war Georg August Robinson, den die Geschichte ›den Versöhner‹ nennt. Er war zwar weder ein gebildeter noch ein angesehener Mann, sondern lebte als gewöhnlicher Maurer in der Stadt Hobart, doch muß er eine ganz wunderbare Persönlichkeit gewesen sein. Ich wäre gern weit gereist, um ihn einmal zu Gesicht zu bekommen, denn mag es auch irgendwo seinesgleichen in der Weltgeschichte gegeben haben, so ist mir doch davon nichts bekannt. Die Aufgabe, die er sich stellte, war ein unerhörtes Wagestück. Er wollte in die Wildnis hinausgehen, wo sich die zu Tode gehetzten Eingeborenen, die kein Erbarmen kannten, in Sümpfen und Bergschluchten versteckten; unbewaffnet wollte er unter sie treten und sie durch Liebe und Güte bewegen, das wilde freie Leben in der Heimat, das ihrem Herzen so teuer war, aufzugeben und ihm zu den verhaßten Weißen zu folgen. Unter ihrem Schutz und Schirm und von ihren Wohltaten lebend, sollten die Eingeborenen dann den Rest ihres Daseins verbringen. Auf den ersten Blick glaubte man es mit dem Hirngespinst eines Wahnsinnigen zu tun zu haben; alle Welt lachte und spottete darüber. Zwanzig Jahre früher hätte auch die Regierung gelacht, aber jetzt lieh sie dem Plan ihr Ohr; alle vernünftigen Maßregeln waren umsonst erschöpft worden, weshalb sollte man es nicht einmal mit einer unvernünftigen versuchen? Es konnte viel Gutes daraus entstehen und nichts Schlimmes -- außer für den ›Versöhner‹ selbst. Die Lage der Dinge war einzig in ihrer Art, etwas Aehnliches hatte die Welt noch nicht erlebt. Die weiße Bevölkerung belief sich im Jahre 1831 auf vierzigtausend, die Zahl der Eingeborenen betrug dreihundert, Weiber und Kinder mit eingeschlossen. Die Weißen waren mit Flinten bewaffnet, die Schwarzen mit Keule und Speer. So hatten sie einander seit fünfundzwanzig Jahren befehdet, ohne daß die Weißen den Sieg davontrugen, obwohl sie kein Mittel unversucht ließen, um die Eingeborenen zu fangen, zu töten und zur Unterwerfung zu zwingen. Die dreihundert unüberwindlichen Wilden wollten nicht nachgeben, keine Bedingungen annehmen und sich bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Dabei war nicht einmal ein Dichter unter ihnen, der ihren Heldenmut neu entfachen und ihre beispiellose Vaterlandsliebe in feurigen Gesängen preisen konnte! Nach einem Vierteljahrhundert erbitterten Kampfes trotzten die überlebenden dreihundert nackten Wilden dem Gouverneur und seinen 40000 noch ungebrochenen Mutes. Man wußte sich weder Rat noch Hilfe. Da ging der Maurer Robinson -- jener Wundermann -- in die Wildnis hinaus, ohne Waffen und ohne Schutz, nur der Macht seiner Rede, seiner treuen Augen und seines menschenfreundlichen Herzens vertrauend. Er spürte die grimmigen Wilden in ihren Schlupfwinkeln auf, folgte ihnen in die dunkeln Wälder und auf die beschneiten Berggipfel und bezwang sie durch die Menschenliebe, die in ihm wohnte und mit überzeugender Gewalt aus seinem Wort und Wesen sprach. Vier Jahre lang ging er geduldig jeder einzelnen Gruppe der Schwarzen nach über Berg und Tal, viele hundert Meilen weit. Kam er zuerst in ihre Nähe, so stürmten sie auf ihn zu, um ihn zu töten, aber er wich und wankte nie, unbewaffnet stand er vor ihnen und zwang sie ihn anzuhören. Aber alle, die seine Rede vernahmen, warfen ihre Speere weg und zogen mit ihm. In vier Jahren hatte er die Eingeborenen sämtlich herbeigebracht, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen; freiwillig waren sie ihm gefolgt, hatten sich dem Gouverneur als Gefangene ergeben und dem Krieg ein Ende gemacht, der seit dem Jahre 1804 von vielen Tausenden mit Pulver und Blei vergebens geführt worden war. Marsyas, der einst wilde Tiere durch den Zauber seiner Musik gezähmt haben soll, gehört ins Fabelreich; aber das Wunder, das Robinson vollbracht hat, ist eine geschichtlich beglaubigte Tatsache, die uns mit Staunen und Ehrfurcht erfüllt. Weder das Altertum noch die Neuzeit hat etwas aufzuweisen, das sich ihr an die Seite stellen ließe. Und zum Andenken des größten Mannes, den Australien und Ozeanien je hervorgebracht, ist dem ›Versöhner‹ Georg August Robinson von der dankbaren Nachwelt ein stattliches Denkmal errichtet worden, das in -- -- ach nein, ich bin im Irrtum -- es ist das Denkmal eines andern Mannes, dessen Namen ich vergessen habe. Robinsons eigene Zeitgenossen haben es jedoch nicht an Ehrenbezeigungen für ihn fehlen lassen und sich dadurch selbst geehrt. Die Regierung belohnte ihn mit einer großen Summe und verlieh ihm tausend Morgen Land; das Volk aber hielt Massenversammlungen, um seine Tat zu verherrlichen und es ward ihm, zum Zeichen der allgemeinen Hochachtung, ein reiches Geldgeschenk übergeben. Uebrigens hatte Robinson sein großes Unternehmen nicht unbedachtsam begonnen; er war kein törichter Schwärmer, der sich blindlings in Todesgefahr stürzt. Vor allem verlangte er, daß die Feindseligkeiten seitens der Weißen gänzlich eingestellt würden, solange er sein Friedenswerk betrieb. Für das Gelingen derselben verließ er sich vor allem auf seine jahrlange genaue Kenntnis des Charakters der Eingeborenen, die er als menschliche Wesen betrachtete und nicht als wilde Bestien, wie es die Leute taten, die seinen Plan verspotteten. Auch ging er nur ungern allein; aber, obgleich hohe Summen geboten wurden, fand sich kein Weißer, der ihm unbewaffnet in die Wildnis folgen wollte, nur mehrere Eingeborene beiderlei Geschlechts, die sich den Weißen unterworfen hatten, ließen sich überreden, ihn zu begleiten, trotzdem sie einem beinahe sichern Untergang entgegengingen. Ein Beweis, wie groß sein Einfluß auf die Gemüter war. Wenn wir bedenken, welchen Gefahren Robinson und seine schwarzen Führer trotzen mußten, so erfüllt uns die größte Bewunderung für seine Kühnheit und ihre unwandelbare Treue. Die wilden Stämme waren nirgends vereinigt, sie hausten in einzelnen Gruppen von zwanzig, zwölf, sechs oder selbst drei Personen in den Bergen, und es galt weite Strecken der ödesten Gegenden zu durchwandern, wo kein lebendes Geschöpf, selbst kein Vogel zu sehen war, weil sich dort keinerlei Nahrung vorfand. Mitten im Winter mußten die Friedensboten unter unsagbarer Mühsal über tiefe, reißende Ströme setzen, sechstausend Fuß hohe Berge erklimmen und sich durch gefährliches Dickicht ihren Weg bahnen. »Bei allen Beschwerden und Entbehrungen bewies die kleine Schar jedoch einen wahren Heldenmut. In einem an den Sekretär Burnett gerichteten Brief vom 2. Oktober 1844 hat Robinson später die Schrecken geschildert, welche sie umgaben. Er sagt, die Eingeborenen hätten ein förmliches Grauen vor den furchtbaren Bergpässen gehabt; sieben Tage lang seien sie über ›endlose Eisfelder gewandert, wo die Schwarzen oft über die Hüften im Schnee versanken‹. Doch der ermutigende Zuruf ihres hochherzigen Freundes hielt die armen, schlecht gekleideten und genährten, bis aufs äußerste ermatteten Männer und Weiber immer wieder aufrecht, und sie wankten nicht in ihrer Ergebenheit.« Bonwick, der uns dies alles schildert, sagt auch, daß Robinsons friedlicher Sieg über den Big River-Stamm die größte Tat war, die er vollbracht hat. Dieser Stamm stand unter dem allergefürchtetsten Häuptling und war der Schrecken der ganzen Kolonie. Lange mußte Robinson suchen und Drangsale aller Art durchmachen, bis er die grimmigen schwarzen Krieger endlich im Westen einer wilden Berggegend des Innern fand. Jetzt kam der entscheidende Augenblick. War auch das Unternehmen bisher von Erfolg gekrönt gewesen, so hoffte doch Robinson hier selbst auf kein Gelingen; er glaubte, seine Todesstunde sei gekommen. In drohender Haltung, den achtzehn Fuß langen Speer in der Hand, stand der fürchterliche Häuptling da, hinter ihm seine kampfbereiten Krieger mit haßerfüllten Mienen, aus denen der alte Ingrimm gegen die weiße Rasse sprach. »Sie rasselten mit den Speeren und stießen ihr Kriegsgeschrei aus.« Die Weiber hielten einen neuen Vorrat von Waffen bereit, und alle harrten nur auf das Zeichen des Häuptlings zum Angriff. Da nahm Robinson seinen ganzen Mut und alle Ueberredungskunst zusammen. Er begann seine Ansprache in des Stammes eigenem Dialekt, was den Häuptling verwunderte und ihm zu gefallen schien. »Wer seid ihr?« fragte er. »Eure Freunde.« »Wo sind eure Schießgewehre?« »Wir haben keine.« Der Krieger staunte. »Und eure kleinen Flinten (Pistolen)?« »Wir haben keine.« Es vergingen einige Minuten -- die Stammesgenossen berieten untereinander. Inzwischen hatten sich Robinsons eingeborene Begleiterinnen zu den wilden Frauen hinübergewagt, um sie günstig zu stimmen. Der Häuptling aber trat zu den alten Weibern, welchen »die eigentliche Entscheidung über Krieg oder Frieden oblag,« um mit ihnen zu beraten. »Auf das Schlimmste gefaßt,« fährt Bonwick fort, »harrte die kleine beherzte Schar des Ausgangs; ihre ängstliche Spannung war jedoch nur von kurzer Dauer. Da reckten die Frauen des Stammes dreimal die Arme in die Höhe, das war ein untrügliches Friedenszeichen. Die Speere senkten sich, und mit einem Seufzer der Erleichterung aus tiefer Brust und einem dankbaren Blick nach oben wagten die Geretteten näher heran zu treten. Als die Wilden in ihren Reihen Angehörige des eigenen Stammes erblickten, stürzten sie jubelnd und weinend auf sie zu. Nun folgte ein allgemeines Freudenfest, und mit Lachen und frohen Tänzen endete der ereignisreiche Tag. »So war auch dieser gefürchtete Stamm zu friedlicher Unterwerfung gebracht worden. Um eine Handvoll Feinde zu bekämpfen, die sich nur mit hölzernen Speeren verteidigten, hatte die Regierung Riesensummen verausgabt und die ganze Bevölkerung der Kolonie zu den Waffen gerufen -- das erfuhr man jetzt mit Staunen und Ueberraschung. Der berüchtigte Big River-Stamm, unter dem sich die Europäer in ihrer Furcht ein ganzes Heer vorgestellt hatten, bestand nur aus sechzehn Männern, neun Frauen und einem Kinde. Aber wieviel Unheil hatten sie in der ganzen Gegend angerichtet, welche wunderbaren Märsche hatten sie gemacht, wieviel Beweise von Mut und kriegerischer Tüchtigkeit gegeben! Alle eingeborenen Völkerschaften, welche je den Engländern Widerstand geleistet hatten, sowohl die Zulus in Afrika als die Maori in Neuseeland und die Araber im Sudan waren besser mit Waffen versehen, auch weit zahlreicher und erfahrener in der Kriegskunst als die nackten Tasmanier, die sich als so gefährliche Feinde erwiesen. Mit Recht hat sie der Gouverneur Arthur eine edle Rasse genannt.« Ein wunderbares Volk, diese Eingeborenen! Man hätte sie nicht aussterben lassen, sondern sie mit der weißen Rasse vermischen sollen; dieser wäre das nur vorteilhaft gewesen, und den Eingeborenen hätte es keinen Schaden getan. Statt dessen wurde das Leben jener kühnen, wilden Menschenkinder unnütz vergeudet. Man pferchte sie auf den benachbarten Inseln in kleinen Ansiedlungen zusammen und die Regierung nahm sich ihrer väterlich an, ließ ihnen Religionsunterricht erteilen und verbot ihnen das Tabakrauchen, weil der Superintendent der Sonntagsschule das Tabakrauchen nicht leiden konnte und das Rauchen für sündhaft erklärte. Die Eingeborenen waren weder an Kleider noch Häuser, noch regelmäßige Zeiteinteilung gewöhnt, Kirche, Schule, Sonntagsfeier, Arbeit und alle andern übelangebrachten Quälereien der Zivilisation hatten keinen Reiz für sie, und sie wurden die Sehnsucht nach dem freien, ungebundenen Leben in der Heimat nicht los. Zu spät bereuten sie, ihren Himmel gegen diese Hölle eingetauscht zu haben. Klagend saßen sie auf den fremden Felsenklippen und schauten Tag für Tag mit nassen Augen ins Meer hinaus, wo in der Ferne ihr einstiges Paradies in nebligen Umrissen auftauchte; so verzehrten sie sich einer nach dem andern in ungestilltem Verlangen, bis ihnen das Herz vor Heimweh brach. Nach einigen Jahren war nur noch ein kleiner Ueberrest am Leben. Wenige schleppten sich weiter bis ins Alter. 1864 starb der letzte Mann und 1876 das letzte Weib; es lebte nun niemand mehr von den Spartanern Australiens. Selbst der gutherzigste Weiße ist nun und nimmermehr befähigt für das Wohl der Wilden zu sorgen, das ist eine alte Erfahrung. Er sollte nur einmal versuchen den Spieß umzudrehen und sich vorzustellen, wie ihm zu Mute sein würde, wenn ein wohlmeinender Wilder ihm sein Haus, seine Kirche, seine Kleider, Bücher und Leckerbissen nehmen und ihn in eine schauerliche Einöde verbannen wollte, unter Sand und Klippen, Schnee und Eis, Hagel, Sturm und Sonnenglut, wo Schlangen, Aas und Gewürm seine einzige Nahrung wären und er kein Obdach, kein Lager, keine Decke fände, um seinen nackten Leib zu schützen. Das wäre für ihn die Hölle auf Erden. Warum kann er denn nun nicht einsehen, daß seine Zivilisation für den Wilden genau solche Hölle ist? Wahrlich, er sollte Verstand genug haben, um das zu begreifen; aber daran fehlt es ihm eben, daran hat es ihm zu allen Zeiten gefehlt. Wie wäre er sonst imstande gewesen, die unglücklichen Eingeborenen zu der entsetzlichen Qual seiner Zivilisation zu verdammen, und ein solches Verbrechen obendrein im besten Glauben zu begehen? -- Er sah die armen Geschöpfe in ihrer Pein, schaute sie voll ratloser Unruhe an und ahnte nicht, was ihnen fehlen könne. Fast tun uns jene Missetäter leid in ihrer bodenlosen Unwissenheit; sie haben es so aufrichtig gemeint, sie waren so reich an guten, menschenfreundlichen Absichten! Weshalb die verbannten Wilden dahinstarben, war und blieb ihnen unbegreiflich, bis endlich ein Mann in einem gleichen Fall in Neusüdwales den Ausspruch tat: »_Sie vergingen vor dem Zorn Gottes, der vom Himmel offenbar wurde gegen alle Sündhaftigkeit und Gottlosigkeit der Menschen._« Das erklärt ja die Sache! Siebenundzwanzigstes Kapitel. Wie gut, daß es Narren in der Welt gibt, die den klugen Leuten zu ihrem Fortkommen helfen! _Querkopf Wilsons Kalender._ »Im rechten Augenblick kommt auch der rechte Mann,« ist ein wahres Sprichwort. Man muß nur Geduld haben, sein Kommen abzuwarten. In Robinsons Fall dauerte das ein Vierteljahrhundert, aber als der Augenblick da war, legte der ›Versöhner‹ seine Maurerkelle hin und schritt zur Tat. Mir fällt dabei eine Geschichte ein, die mir ein Kentuckier einmal im Eisenbahnzug erzählt hat; ich will sie hier wiedergeben, so gut ich sie noch in der Erinnerung habe: Schon einige Jahre vor Ausbruch des Bürgerkrieges erkannten einsichtige Leute an deutlichen Zeichen, daß die Stadt Memphis in Tennessee bald ein großer Stapelplatz für den Tabakhandel werden würde. Memphis hatte ein Werftboot zum Löschen der Güter, an welches die einlaufenden Dampfer anlegten. Aller Warenverkehr zwischen den Schiffen und dem Ufer ging über das breite Deck des Werftbootes hinüber und herüber. Zur Aufsicht war dabei eine Anzahl junger Beamter angestellt, die natürlich während einiger Stunden sehr viel zu tun hatten, aber den Rest des Tages müßig gingen und sich sterblich langweilten. In ihrem Jugendübermut griffen sie mit Wonne nach dem ersten besten Zeitvertreib und fanden ihr Hauptvergnügen darin, einander irgend welchen Schabernack zu spielen. Zur Zielscheibe solcher Späße wählten sie meist ihren Kameraden Eduard Jackson, der selbst nie jemand etwas zu leide tat und sich leicht anführen ließ, weil er alles aufs Wort glaubte. Eines Tages teilte er den Gefährten seinen Plan für die Ferien mit. Er wollte in diesem Jahre weder auf die Jagd noch auf den Fischfang gehen, sondern mit dem Sümmchen, das er von seinen vierzig Dollars Monatsgehalt erspart hatte, eine Reise nach New York machen. Das war ein großartiges Unternehmen; etwa so merkwürdig wie heutzutage eine Reise um die Welt. Zuerst glaubten die jungen Leute, Ed sei ein wenig übergeschnappt; als sie aber sahen, daß es sein Ernst war, kamen sie sofort überein, daß man die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen dürfe, ohne ihm einen Streich zu spielen. Es fand eine geheime Beratung statt und bald war der Plan fertig. Man beschloß, daß einer der Verschwörer einen Empfehlungsbrief für Ed an Kommodore Vanderbilt, den berühmten New Yorker Millionär, verfassen solle. Das ließ sich ohne Schwierigkeit ausführen, auch konnte man Ed leicht überreden den Brief abzugeben. Aber, was er bei seiner Rückkehr nach Memphis tun würde, war eine ernstere Frage. Bisher hatte er zwar in seiner Gutherzigkeit alle Späße geduldig ertragen, diese waren jedoch harmlos gewesen und nicht dazu angetan ihn öffentlich zu beschämen. Das grausame Spiel aber, welches die Kameraden jetzt vorhatten, konnte ihnen gefährlich werden. Er war ein Südländer und er würde sicherlich die Verschwörer vor Wut umbringen wollen, sobald sie ihm in die Hände fielen! Den Plan aufzugeben war aber unmöglich. Der herrliche Spaß mußte ausgeführt werden, mochte daraus werden was wollte. So wurde denn der Empfehlungsbrief mit aller Sorgfalt und Ausführlichkeit in durchaus freundschaftlichem Tone entworfen und ›Alfred Fairchild‹ unterschrieben. Der Ueberbringer -- hieß es darin -- sei der beste Freund vom Sohne des Briefstellers, ein wackerer junger Mann und trefflicher Charakter, den der Kommodore mit Wohlwollen aufnehmen möge. »Vielleicht,« -- so fuhr der Schreiber fort -- »hast du mich, deinen alten Schulkameraden, in den langen Jahren ganz vergessen, doch wird mein Andenken sofort wieder bei dir lebendig werden, wenn ich dich daran erinnere, wie wir an jenem Abend den Obstgarten des alten Stevenson zusammen geplündert haben. Weißt du noch, wie er auf der Straße hinter uns dreinlief und wir querfeldein rannten, durch das Hintergäßchen zurückkamen und uns bei seiner eigenen Köchin die gestohlenen Aepfel für einen Hut voll Dampfnudeln eintauschten? Und dann damals, als wir -- --« So ging es in dem Briefe immer weiter; alle möglichen erfundenen Namen früherer Schulgefährten und ihre gemeinsamen lustigen Streiche und Abenteuer wurden auf die anschaulichste und geschickteste Weise hineingeflochten. Als nun der junge Fairchild seinen Kameraden mit großer Ernsthaftigkeit fragte, ob er einen Brief an Kommodore Vanderbilt zu haben wünsche, war Eduard Jackson sehr erstaunt, wie sich nicht anders erwarten ließ. »Was,« rief er, »du kennst den großen Vanderbilt?!« »Ich nicht, aber mein Vater. Sie waren zusammen auf der Schule. Wenn du willst, könnte ich meinen Vater schon bitten, dir einen Empfehlungsbrief zu schreiben. Ich weiß, er tut es mir zuliebe; in drei Tagen hast du ihn in Händen.« Ed fand kaum Worte um seine Freude und Erkenntlichkeit auszudrücken. Als die drei Tage um waren, erhielt er das Empfehlungsschreiben und reiste ab, nachdem er noch allen ein herzliches Lebewohl gesagt und Fairchild dankbar die Hand gedrückt hatte. Als er fort war, wollten sich die Kameraden im Jubel über den gelungenen Spaß zuerst vor Lachen ausschütten, dann aber stiegen allerlei Zweifel in ihnen auf, ob die Täuschung nicht schlimme Folgen haben könne, und sie gerieten in eine recht kleinlaute Stimmung. Bald nach seiner Ankunft in New York begab sich der junge Jackson nach dem Geschäftshaus von Kommodore Vanderbilt und ward in ein großes Vorzimmer geführt, wo ein paar Dutzend Leute geduldig harrten, bis die Reihe an sie käme, auf zwei Minuten bei dem Millionär vorgelassen zu werden. Ein Diener verlangte Jacksons Visitenkarte und erhielt statt dessen den Brief. Gleich darauf ward Ed in das Privatbureau geführt. Herr Vanderbilt war allein und hielt den offenen Brief in der Hand. »Bitte, nehmen Sie Platz, Herr -- hm --« »Jackson.« »Richtig -- also, bitte Herr Jackson, setzen Sie sich. Nach der Einleitung zu urteilen kommt dieser Brief von einem Jugendfreunde. Sie entschuldigen wohl -- ich will nur rasch sehen, was er enthält. Da steht, wir hätten -- ja aber, wer schreibt denn das?« Er wandte das Blatt und sah nach der Unterschrift. »Alfred Fairchild -- hm -- Fairchild -- der Name ist mir nicht erinnerlich. Kein Wunder -- wie viele tausend Namen habe ich mit der Zeit vergessen. Und er weiß das alles noch -- hm -- hm -- aber das ist wirklich gut -- ein köstlicher Spaß! Ganz deutlich erinnere ich mich nicht daran -- nur eine leise Ahnung habe ich noch, aber es wird mir wohl alles wieder einfallen. Ja wahrhaftig, mir ist als sähe ich es vor mir -- nur undeutlich -- aber doch -- es ist ja auch schon so lange her -- auf einige von den Namen besinne ich mich nicht genau -- aber es wird mir ganz warm ums Herz dabei, als hätte ich meine verlorene Jugend wieder! -- Doch zu Gefühlen ist jetzt keine Zeit, das Alltagsleben verlangt sein Recht -- das Geschäft eilt und die Leute draußen warten -- ich will mir den Schluß für heute nacht versparen, wenn ich zu Bett gehe -- und von meinen Jugendtagen träumen. -- Wenn Sie Fairchild wiedersehen -- habe ich ihn nicht damals Alf genannt? -- so danken Sie ihm herzlich in meinem Namen und sagen Sie ihm, daß sein Brief mich mitten in meiner Arbeitslast ordentlich erfrischt und verjüngt hat. Er soll mich stets bereit finden, für ihn oder einen seiner Freunde alles zu tun, was in meinen Kräften steht. Sie aber, lieber Jackson, sind mein Gast. Bleiben Sie nur noch ein Weilchen hier sitzen, bis ich die Leute, die mich sprechen wollen, abgefertigt habe, dann gehen wir zusammen nach Hause. Verlassen Sie sich auf mich, mein Sohn, ich werde schon für Sie sorgen.« Ed blieb eine Woche da und war glückselig. Er hatte keine Ahnung davon, daß Vanderbilts scharfes Auge ihn täglich beobachtete, um seine Gaben und Kräfte genau zu prüfen. In seinem Hochgenuß schrieb er gar nicht nach Hause, sondern sparte alles auf, um es den Gefährten bei der Heimkehr brühwarm zu erzählen. Zweimal erinnerte er in größter Bescheidenheit daran, daß sein Besuch wohl jetzt lange genug gewährt habe; doch der Kommodore erwiderte nur: »Nein, gehen Sie noch nicht -- ich will Ihnen schon sagen, wann es Zeit ist.« Damals war Vanderbilt gerade mit seinen gewaltigsten Kombinationen beschäftigt, welche darauf ausgingen, die verschiedenen kleinen, zerstreuten Eisenbahnen in ein einheitliches System zu bringen und dem ungewiß schwankenden Handel und Verkehr einen festen Mittelpunkt zu geben. Unter anderm hatte sein weitschauender Blick auch die bereits erwähnten, wunderbar günstigen Konjunkturen für die Entwicklung eines großartigen Tabakhandels in Memphis erspäht, die er für seine Zwecke auszubeuten gedachte. Als eine Woche um war, rief der Kommodore den jungen Jackson zu sich. »Sie können nun abreisen,« sagte er. »Aber zuvor möchte ich noch einmal mit Ihnen von geschäftlichen Dingen reden: In betreff jener Tabakangelegenheit sind Sie vollkommen unterrichtet; Sie wissen, daß ich das Geschäft machen will, weil ich es für vorteilhaft halte; auch in meine darauf bezüglichen Pläne habe ich Sie eingeweiht. Ihren Charakter und Ihre Fähigkeiten kenne ich jetzt so genau wie Sie sich selber kennen -- vielleicht besser. Ich brauche einen zuverlässigen Mann, der imstande ist, die Verwaltung einer so wichtigen Sache zu übernehmen und mich in Memphis zu vertreten. Diese Stelle habe ich für Sie bestimmt.« »Für mich!« »Ja. Sie werden natürlich als mein Vertreter ein hohes Gehalt beziehen, das sich mit der Zeit steigern kann. Auch müssen Sie eine Anzahl Gehilfen haben; gehen Sie bei der Wahl sorgfältig zu Werke, stellen Sie nur brauchbare Leute an; wenn Sie tüchtige Freunde haben, geben Sie diesen den Vorzug. Nun leben Sie wohl, mein Sohn, und danken Sie Alf, daß er Sie mir geschickt hat.« Sobald Ed in Memphis angekommen war, eilte er nach der Werft, denn er brannte vor Verlangen, den Gefährten die große Nachricht zu verkünden und ihnen nochmals für den Brief an Herrn Vanderbilt zu danken. Es war Mittagszeit, die Sonne glühend heiß und die Werft wie ausgestorben. Als Ed sich jedoch zwischen den Warenballen durchdrängte, sah er unter einem Schattendach eine Gestalt in weißem Leinwandanzug auf den Kornsäcken ausgestreckt im Schlummer liegen. »Das ist ja Charley Fairchild,« rief er erfreut, trat hinzu und legte die Rechte zärtlich auf des Schläfers Schulter. Dieser rieb sich die Augen, blickte auf, ward totenblaß, glitt von den Säcken herunter und lief davon wie der Wind. Ed sah ihm verwundert nach. Hatte Fairchild plötzlich den Verstand verloren? Was bedeutete diese schnelle Flucht? Langsam und nachdenklich schritt er nach dem Werftboot hin; als er an einem Haufen Frachtgüter vorbeikam, sah er zwei der Kameraden in heiterm Gespräch beisammen stehen. Kaum hatten sie ihn erkannt, so verstummte ihr Lachen, sie stoben auseinander und sprangen wie gehetzt über Ballen und Fässer davon. Ed wußte nicht, ob er wache oder träume und fand keine Erklärung für dies wunderliche Benehmen. Auf dem Werftboot angekommen, lehnte er sich gedankenvoll an das Geländer. Da stürzte plötzlich eine weiße Gestalt an ihm vorbei und sprang über Bord; prustend und keuchend tauchte sie wieder auf und eine Stimme rief: »Geh’ fort! Tu mir nichts! Ich bin’s nicht gewesen. Wahrhaftig, ich hab’s nicht getan!« »Was soll denn das heißen? So komm doch herauf! Warum lauft ihr alle vor mir davon, ich habe doch nichts verbrochen!« »Ja, bist du denn gar nicht böse auf uns?« »Bewahre -- weshalb? Ich denke nicht daran.« »Der Tausend,« brummte der junge Mann im Wasser, »der Mensch hat Lunte gerochen und den Brief gar nicht abgegeben! Na, meinetwegen, ich werde mich hüten die Geschichte zur Sprache zu bringen.« Mit triefenden Kleidern kam er wieder an Bord gestiegen und schüttelte Ed die Hand. Nun schlichen auch die übrigen Verschwörer -- bis an die Zähne bewaffnet -- einer nach dem andern herbei. Als sie die friedliche Lage der Dinge erkannten, feierten sie gleichfalls ein Wiedersehen. Auf alle Fragen Eds, was ihr sonderbares Benehmen ihm gegenüber zu bedeuten habe, antworteten sie ausweichend, es sei nur ein Spaß gewesen, und jeder dachte bei sich: »Er hat den Brief nicht abgegeben, und diesmal sind wir die Angeführten. Aber zum Glück weiß er es nicht, und keiner von uns wird dumm genug sein, es ihm zu sagen.« Nun sollte aber Ed von der Reise erzählen. Er ließ ein paar Flaschen Wein auf Deck bringen und als sie alle gemütlich beisammen saßen und die Zigarren brannten, begann er seinen Bericht: »Als ich Herrn Vanderbilt den Brief übergab --« »Donnerwetter!« »Was ist denn los -- was erschreckt ihr mich so?« »Ach nichts -- es fuhr uns nur eben heraus.« »Nun, wie gesagt, als ich den Brief übergab --« »Hast du ihn wirklich abgegeben?« Sie sahen einander ganz verblüfft an und hörten dann Eds Mitteilungen mit offenem Munde zu. Die wunderbare Geschichte benahm ihnen schier den Atem, sie waren stumm vor Staunen und zwei Stunden lang saßen sie wie versteinert da, ohne einen Laut von sich zu geben. Endlich war Ed Jackson bis zum Schluß seines Romans gekommen. »Und euch, Jungens,« sagte er, »verdanke ich das alles; dafür will ich mich auch erkenntlich zeigen. Welcher Mensch hat wohl je so gute Freunde gehabt! Jeder von euch bekommt eine Stelle, denn ihr seid tüchtige Kerls, wenn ihr auch dann und wann einen schlechten Spaß macht. Dich aber, Charley Fairchild, ernenne ich zu meinem ersten Gehilfen, weil ich weiß, was du für ein kluger Geschäftsmann bist und weil du mir den Brief verschafft hast. Auch möchte ich damit deinem Vater eine Freude machen, der den Brief geschrieben hat und Herrn Vanderbilt, an den er gerichtet war. Und nun stoßt alle mit mir an, auf das Wohl des großen Mannes! Hoch soll er leben, dreimal hoch!« Die Tabakspekulation hatte einen glänzenden Erfolg und so war auch hier der rechte Mann zur rechten Zeit erschienen, trotzdem er erst hatte von weither kommen müssen und nur mit Hilfe eines Schabernacks entdeckt worden war. Achtundzwanzigstes Kapitel. Die Natur hat der Heuschrecke ein Verlangen nach Pflanzenkost verliehen; hätte der Mensch die Heuschrecke geschaffen, so würde sie nichts als Wüstensand fressen. _Querkopf Wilsons Kalender._ An der Mündung des Derwent liegt, ganz von Laubwäldern umschlossen, die Hauptstadt Tasmaniens, das freundliche Hobart, auf Hügeln, die allmählich zum Hafen abfallen und in deren Hintergrund der Wellingtonberg zu majestätischer Höhe emporsteigt. Die Gegend ist himmlisch schön; sie bietet mit ihrem Reichtum an Formen und Gruppen, ihrer Farbenpracht, dem üppigen Grün, den Buchten und Vorgebirgen, den anmutig welligen Hügeln, dem leuchtenden Sonnenglanz und den mattschimmernden Fernsichten, ein entzückendes Landschaftsbild. Mir ist noch keine Stadt vorgekommen, in der alles so von Sauberkeit und Ordnung strahlt, wie in Hobart; nirgends sieht man hier baufällige, schäbige Häuser oder eingefallene Zäune; kein Unkraut wächst in den Vorgärten; im Hinterhof der Armen liegen weder alte Blechbüchsen noch zerrissene Stiefel oder leere Flaschen, kein Kehricht ist im Rinnstein, kein Schmutz auf dem Bürgersteig. Selbst die bescheidenste Hütte sieht aus wie gestriegelt und gebügelt; jede hat ihre Blumen, ihre Schlingpflanzen, die sie umranken, einen sauberen Zaun mit guter Tür, und auf dem Fensterbrett liegt die wohlgepflegte Katze und schläft. Der Kurator des Museums, ein Herr aus Amerika, war so freundlich, uns die Sammlungen zu zeigen. Wir sahen dort wenigstens ein halbes Dutzend verschiedener Marsupialia[7], unter andern den ›Tasmanischen Teufel‹, der zu dieser Gattung gehört, wie ich glaube. Auch ein Fisch war da, der durch Lungen atmet und im Schlamm weiterlebt, wenn der Fluß austrocknet. Am merkwürdigsten ist aber ein Papagei, der den Schafen nachstellt. Auf einer großen Schafweide hat er einmal in einem einzigen Jahre tausend Stück umgebracht. Da er aber nicht das ganze Schaf frißt, sondern nur das Nierenfett, so ist die Ernährung des Vogels sehr kostspielig. Er hackt das Fett mit dem Schnabel heraus und das Schaf stirbt an der Wunde. Die Geschichte dieses Papageis ist für die Entwicklungslehre von Wichtigkeit; sie zeigt, daß unter veränderten Bedingungen eine wesentliche Neubildung stattfinden kann. Als man zuerst die Schafzucht einführte, wurden gewisse Würmer vertilgt, die des Papageis Hauptnahrung gebildet hatten. Der Hunger trieb ihn dazu, Fleischreste zu verzehren, die er noch an den Schaffellen fand, welche zum Trocknen auf den Zäunen hingen. Bald schmeckte ihm das Nierenfett der Schafe am allerbesten, aber die Form seines Schnabels hinderte ihn es sich zu verschaffen. Da kam ihm die Natur zu Hilfe und bildete seinen Schnabel um, so daß er sich jetzt nach Herzenslust vom Fett seiner Mitgeschöpfe nähren kann. Wir fuhren durch ein blühendes, duftendes Zauberland nach dem Armenasyl, einem geräumigen, bequem eingerichteten Heim mit Krankenhäusern und dgl. für Männer und Frauen. Dort waren Scharen der ältesten Leute beisammen, die mir je vorgekommen sind. Man sah sich plötzlich in eine andere Welt versetzt -- eine unheimliche Welt, aus der die Jugend verbannt war, und in der nur das Alter mit seinen zahllosen Runzeln gebückten Ganges umherwandelte. Von den 359 dort untergebrachten Personen waren 223 frühere Deportierte; sie hätten ohne Zweifel aufregende Geschichten erzählen können, wären sie mitteilsam gewesen. Zweiundvierzig hatten das achtzigste Lebensjahr überschritten und einige waren nahe an neunzig; das durchschnittliche Sterbealter ist dort sechsundsiebzig Jahre. Nein, in einem so gesunden Orte möchte ich nicht leben. Siebzig ist ganz alt genug -- später wird die Sache zu ungewiß. Jugend und Heiterkeit könnten verschwinden, ehe man sich’s versieht -- und was bleibt dann noch übrig? Nur ein Tod bei lebendigem Leibe, der weder Wohltäter noch Befreier ist. -- Unter den 185 Frauen in jenem Asyl waren 81 vormalige Strafgefangene. Das Dampfboot machte uns einen Strich durch die Rechnung; wir hatten gedacht, es würde, wie gewöhnlich, lange in Hobart verweilen, statt dessen fuhr es nach kurzem Aufenthalt weiter, so daß wir Tasmanien nur wie im Fluge zu sehen bekamen. Den Abend und die darauffolgende Nacht brachten wir auf dem Meere zu und erreichten am frühen Morgen die Stadt Bluff am Südende von Neuseeland. Eigentlich hätten wir nun quer nach der Westküste hinüberwandern müssen, die reich an den herrlichsten Naturschönheiten ist; hohe Schneeberge und mächtige Gletscher, wundervolle Seen und tiefe Buchten, die den norwegischen Fjords nicht an malerischem Reiz nachstehen, daneben ein Wasserfall, der neunzehnhundert Fuß tief hinabstürzt; man nennt diese Gegend die Neuseeländer Schweiz. Doch die Umstände nötigten uns, diesen Besuch auf unbestimmte Zeit zu verschieben, so leid es uns tat. * * * * * _6. November._ Ein prächtiger Sommermorgen mit glänzend blauem Himmel. Hinter Invercargill kamen wir durch meilenweite grüne Ebenen, die mit Schafen wie beschneit waren -- ein hübscher Anblick. Die Bewohner von _Dunedin_ sind Schottländer. Auf ihrem Wege von der Heimat in den Himmel haben sie hier Wohnung genommen, weil sie glaubten, sie wären am Ziel ihrer Wallfahrt. Die Einwohnerzahl der Stadt wird von dem Journalisten Malcolm Roß auf 40000 geschätzt; ein Parlamentsmitglied behauptet dagegen, sie betrüge 60000 -- aber Journalisten können nicht lügen. Wir besuchten ~Dr.~ Hockin in seiner Wohnung. Er hat eine gute Sammlung Bücher über Neuseeland und sein Haus ist ganz mit Altertümern der Maori und Erzeugnissen ihrer Kunstfertigkeit angefüllt. Von vielen früheren Häuptlingen der Eingeborenen besitzt er Porträts in farbigen Holzschnitten. Es sind auch geschichtlich berühmte Leute darunter. Sie tragen nichts von Barbaren an sich; ihre schönen regelmäßigen Züge, der kluge Gesichtsausdruck, ihre männlich edle Haltung berühren den Beschauer aufs angenehmste. Die Ureinwohner von Australien und Tasmanien sehen wie Wilde aus, aber diese Neuseeländer Häuptlinge gleichen römischen Patriziern. Sogar die Tätowierung der Bildnisse ändert daran nichts. Die Linien sind so schön, so leicht und anmutig gezeichnet, daß man sie nur mit Wohlgefallen betrachtet. Nach den ersten zehn Minuten hat man sich an die Farben gewöhnt, nach weiteren zehn Minuten möchte man es gar nicht anders haben, und von da ab macht jedes unbemalte, europäische Gesicht einen häßlichen, unedlen Eindruck. * * * * * _9. November._ Der Präsident des Künstlervereins führte uns durch das Museum und die öffentliche Bildergalerie. Unter den Bildern, die teils geschenkt sind, teils durch Kauf erworben, gibt es einige sehr schöne. Von dort gingen wir in die Kunstausstellung, welche eben eröffnet war und alljährlich stattfindet. Daß eine verhältnismäßig kleine Stadt zwei solche Kunstanstalten und einen Künstlerverein hat, ist in Australien etwas ganz Gewöhnliches. Letzterer besitzt ein eigenes Gebäude, das die Mitglieder auf ihre Kosten errichtet haben. Ich würde dies Gedeihen der Kunst begreiflich finden, wenn man es mit einer absoluten Monarchie zu tun hätte, die sich die Mittel zu ihren Zwecken nicht erst von den Abgeordneten bewilligen läßt, sondern einfach das Geld benutzt, wozu sie will. Aber die Kolonien haben republikanische Verfassung und allgemeines Stimmrecht -- in Neuseeland sogar auch für die Frauen. Sonst pflegen in Republiken weder die Regierungen noch die reichen Bürger sehr geneigt zu sein, zur Ausbreitung der Kunst beizutragen; in ganz Australien werden jedoch Gemälde berühmter europäischer Künstler für die öffentlichen Galerien angeschafft. Man kauft sie entweder aus Staatsmitteln oder es sind Geschenke von wohlhabenden Bürgern, welche diese obendrein bei ihren Lebzeiten machen -- nicht erst wenn sie tot sind. Neunundzwanzigstes Kapitel. Die Sündhaftigkeit des Fluchens liegt nicht in den Worten, sondern in dem Zorngeist, der sie gebiert. Das Kind fängt schon an zu fluchen, ehe es noch sprechen kann. _Querkopf Wilsons Kalender._ _11. November. Auf der Eisenbahn._ Die fahrplanmäßige Zeit unseres Schnellzugs ist nur zwanzig und eine halbe Meile die Stunde; aber man möchte gar nicht rascher fahren, um die wechselnde Aussicht auf Meer und Land nach Wunsch genießen zu können, wozu die behaglich eingerichteten Wagen die beste Gelegenheit bieten. Sie sind weder englisch noch amerikanisch, sondern ein Mittelding zwischen beiden, wie in der Schweiz. An der Seite hin läuft ein schmaler Vorbau, der mit einem Geländer versehen ist, so daß man während der Fahrt auf und ab gehen kann; auch gehört zu jedem Waggon eine Wasch- und Toiletteeinrichtung. Das nenne ich Fortschritt! Da zeigt sich der Geist des neunzehnten Jahrhunderts! -- Die sogenannten Schnellzüge fahren in Neuseeland zweimal die Woche. Es ist gut, wenn man das weiß, denn wer mit Zwanzigmeilenschritten das Land durchmessen will, könnte leicht an einem der fünf falschen Tage abfahren und in einen Zug geraten, der nicht einmal mit seinem eigenen Schatten Schritt hält. Mich erinnerten die angenehmen Bahnzüge in Neuseeland, um des Gegensatzes willen, an die Zweigbahn von Maryborough auf dem australischen Festland und die Bemerkungen, welche mir ein Mitreisender auf der Fahrt über die Bahn und das dortige Hotel gemacht hat. Ich war unterwegs eine Weile in das Rauchcoupé gegangen, wo sich noch zwei Herren befanden, die beide rückwärts fuhren und an den äußersten Enden des Wagens Platz genommen hatten. Ich setzte mich dem einen gegenüber ans Fenster; dem Anzug nach hielt ich ihn für den Prediger einer Dissentergemeinde, er hatte ein gutes, freundliches Gesicht und mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Unaufgefordert zündete er ein Streichholz an und hielt die Hand davor, bis meine Zigarre in Brand war. Das weitere entnehme ich meinem Tagebuche: Um die Unterhaltung in Gang zu bringen, fragte ich ihn einiges über Maryborough, worauf er mit sehr angenehmer, wohltönender Stimme die ruhige und bestimmte Antwort gab: »Es ist eine reizende Stadt, aber das Hotel ist ein wahrer Höllenpfuhl.« Ich sah ihn verwundert an; es kam mir sehr merkwürdig vor, daß ein Prediger solchen Ausdruck gebrauchte. »Jawohl,« fuhr er gelassen fort, »ein schlechteres Hotel gibt es in ganz Australien nicht.« »Schlechte Betten?« »Nein -- gar keine. Nur Sandsäcke.« »Auch die Kopfkissen?« »Versteht sich. Nichts als Sand -- und obendrein kein guter; er backt zusammen und ist nicht durchgesiebt, sondern grober Kies. Man schläft wie auf Haselnüssen.« »Gibt es denn keinen feinen Sand?« »Die Hülle und Fülle. Man findet in hiesiger Gegend einen so vorzüglich losen und lockern Sand wie sonst nirgends; aber, den kauft der Wirt nicht. Er nimmt nur Sand, der sich zusammenbackt und hart wird wie Stein.« »Wie sind denn die Zimmer?« »Acht Fuß groß im Viereck; der Boden ist mit eiskaltem Wachstuch bedeckt, auf das man treten muß, wenn man am Morgen aus dem Sandloch kommt.« »Und die Beleuchtung?« »Eine Erdöllampe.« »Die hell brennt?« »Nein, so düster wie möglich.« »Ich lasse meine Lampe gern die ganze Nacht brennen.« »Das geht bei dieser nicht; man muß sie früh auslöschen.« »Aber man könnte doch nachts Licht brauchen und sie im Finstern nicht wieder finden.« »O, man findet sie leicht -- sie stinkt ganz abscheulich.« »Ist ein Schrank da?« »Nur zwei Nägel an der Tür, um sieben Anzüge aufzuhängen -- falls man so viele hat.« »Eine Klingel?« »Ist nicht vorhanden.« »Was tut man denn, falls man Bedienung braucht?« »Man ruft, aber es kommt niemand.« »Wenn nun aber das Zimmermädchen den Wassereimer ausgießen soll?« »Dergleichen gibt es nicht. Außer in Sydney und Melbourne findet man nirgends Wassereimer in den Hotels.« »Ach ja, das weiß ich; es ist eine Eigentümlichkeit von Australien und kommt mir sehr komisch vor. -- Noch eins: ich muß morgen früh im Dunkeln aufstehen und mit dem Fünfuhrzug weiter reisen. Wenn nun der Hausknecht --« »Den gibt es nicht.« »Oder der Portier --« »Es ist keiner da.« »Aber, wer will mich denn wecken?« »Kein Mensch. Sie müssen von selber aufwachen und sich auch hinunterleuchten. Es brennt kein Licht, weder im Gang noch anderswo. Auf der Treppe würden Sie im Dunkeln den Hals brechen.« »Wer wird mir helfen mein Gepäck hinuntertragen?« »Niemand. Aber, ich will Ihnen einen Rat geben. In Maryborough wohnt ein Amerikaner, schon seit einem halben Menschenalter, ein stattlicher Mann, auch wohlhabend und allgemein beliebt. Machen Sie dessen Bekanntschaft; dann sorgt er für alles und Sie können in Frieden schlafen. Morgens weckt er Sie zur rechten Zeit und bringt Sie auf den Zug. -- Wo haben Sie denn Ihren Geschäftsführer gelassen?« »In Ballarat. Er macht dort Sprachstudien; auch muß er nach Melbourne fahren, um alles für Neuseeland vorzubereiten. Es ist mein erster Versuch, mich allein durchzusteuern, und mir scheint, das ist gar nicht sehr leicht.« »Leicht? Wo denken Sie hin -- besonders auf dieser Strecke, der schwierigsten in ganz Australien. Dazu muß man ein ganz ungewöhnlich praktischer Mensch sein. Aber, das sind Sie wohl auch?« »Ich -- hm -- ich glaube -- indessen --« »Ja, dann werden Sie es nun und nimmermehr allein fertig bringen. Aber der Amerikaner wird Ihnen helfen, verlassen Sie sich darauf. Haben Sie Ihr Billet?« »Ja, zur Rundreise bis nach Sydney.« »Aha! dacht’ ich mir’s doch! Sie fahren um 5 Uhr morgens über Castlemaine -- zwölf Meilen -- weil der 7.15 Zug über Ballarat zwei Stunden länger unterwegs bleibt. Aber Ihr Billet lautet auf Ballarat -- auf den zwölf Meilen ist es ungültig, und die Regierung gestattet nicht --« »Was kümmert es denn die Regierung, welchen Weg ich wähle?« »Das weiß der liebe Himmel. In der Eisenbahnverwaltung läßt sie sich nicht drein reden. Zuerst übergab man sie einer Gesellschaft von Blödsinnigen, das war schlimm; dann rief man Franzosen ins Land, die verstanden noch weniger davon; zuletzt übernahm die Regierung die Verwaltung selbst, und nun geht alles rückwärts. Um die Gunst eines Wählers nicht zu verscherzen, der vielleicht zwei Schafe und einen Hund besitzt, baut man ihm eine Bahn wohin er will. So kommt es, daß wir zum Beispiel in der Kolonie Viktoria achthundert Bahnhöfe haben, darunter achtzig, wo an der Kasse kaum zwanzig Schillinge die Woche einkommen.« »Fünf Dollars? Sie scherzen wohl!« »Es ist buchstäblich wahr.« »Aber auf jedem Bahnhof sind doch drei oder vier Beamte angestellt, die ihr Gehalt beziehen.« »Natürlich. Glauben Sie mir, die Bahnlinie verdient nicht einmal den Zucker in ihren Kaffee. Und gefällig sind die Beamten! Man braucht nur mit irgend einem Lappen zu wehen, so hält der Zug mitten in der Wildnis und läßt den Reisenden einsteigen. Das macht alles Kosten. Und wenn in einer Stadt viele stimmberechtigte Bürger sind, die sich einen schönen Bahnhof wünschen, so wird er gebaut. Sehen Sie sich nur den Bahnhof von Maryborough einmal an! Sämtliche Einwohner haben Platz darin, jeder kann ein Sofa für sich haben und es bleibt noch Raum übrig. Und eine Uhr ist dort -- ich sage Ihnen, so etwas hat kein Bahnhof in ganz Europa aufzuweisen. Zum Glück schlägt sie nicht und hat auch keine Glocken, denn in Australien hört das Gebimmel und das ewige dong-dong Tag und Nacht nicht auf. Na, bei so vielen Prachtbauten für die Eisenbahn und Verlust beim Betrieb, können Sie sich schon denken, daß die Regierung irgendwo sparen muß. Das Betriebsmaterial muß herhalten. Achtzehn Güterwagen und für die Passagiere zwei elende Hundelöcher, die so schäbig und liederlich eingerichtet sind wie nur möglich, ohne hygienische Vorkehrungen, ohne Trinkwasser, mit aller nur denkbaren Unbequemlichkeit -- das ist der Zug von Maryborough -- und langsam geht er, wie eine Schneckenpost. So spart die Regierung ihr Geld. Für Tonnen Goldes baut sie Paläste auf, in denen man ein paar Minuten warten muß, und deportiert einen dann sechs Stunden lang wie den gemeinsten Verbrecher, um die vergeudeten Summen wieder einzubringen. Jeder vernünftige Mensch fühlt sich gern unbehaglich im Wartezimmer, weil ihm dann die Fahrt in einem hübschen, bequemen Zug eine angenehme Abwechslung bietet. Aber gesunden Menschenverstand sucht man bei der Eisenbahnverwaltung vergebens. Und dann steckt sie noch für die zwölf Meilen eine Extravergütung ein, erklärt ihre eigenen Fahrkarten für ungültig und -- --« »Nun aber, jedenfalls kann ich wenigstens --« »Warten Sie nur, ich bin noch nicht fertig. Ohne den Amerikaner würden Sie überhaupt nicht fortkommen. Zuerst sieht niemand Ihr Billet an, der Schaffner läßt es sich erst zeigen, wenn der Zug schon im Abfahren ist. Dann können Sie kein Extrabillet mehr kaufen, der Zug wartet nicht, und Sie müssen wieder aussteigen.« »Aber, kann ich es denn nicht dem Schaffner bezahlen?« »Er ist nicht berechtigt Geld anzunehmen, und nimmt auch keins. Es bleibt Ihnen nichts übrig -- Sie müssen heraus. Der Eisenbahnbetrieb ist hier das einzige, was ganz nach europäischem Muster eingerichtet ist -- nicht nach englischem, nein, wie auf dem Festland. Alles wird genau so gemacht, sogar das Wiegen des Gepäcks, diese Erzplackerei, fehlt nicht.« Jetzt hielt der Zug an der Station meines Mitreisenden. Beim Aussteigen sagte er noch: »Jawohl, in Maryborough wird es Ihnen gefallen. Sie treffen dort sehr gebildete Leute. Eine reizende Stadt! Aber das Hotel ist ein wahrer Höllenpfuhl!« Als er fort war, wandte ich mich an den andern Herrn: »Ihr Freund ist wohl Geistlicher?« »Nein, aber er treibt theologische Studien.« Dreißigstes Kapitel. Zeit und Flut warten auf niemand! Ein prahlerisches, dünkelhaftes Sprichwort, das sich eine Billion Jahre erhalten hat, aber heutzutage nicht mehr gilt. Wir, mit unsern elektrischen Drähten und den Schiffen mit Wasserballast, kehren es um und sagen: Niemand wartet auf Zeit und Flut. -- _Querkopf Wilsons Kalender._ Auf der Fahrt bis Christchurch glaubt man im heutigen England zu sein -- die Gegend sieht aus wie ein Garten. Christchurch selbst ist eine englische Stadt, mit englischen Parkanlagen und einem englischen Fluß, der sich gleich dem Avon durch die Landschaft schlängelt -- er heißt auch Avon, aber nach einem Manne, nicht nach Shakespeares Fluß. An seinen grünen Ufern stehen die stattlichsten und denkwürdigsten Trauerweiden der ganzen Welt. Sie machen ihrer hohen Abkunft alle Ehre, denn sie sind aus Ablegern der Weide gezogen, die einst Napoleons Grab in Sankt Helena beschattete. In dem guten alten Städtchen finden sich alle Reize und Annehmlichkeiten, alles Behagen und alle Heiterkeit eines idealen Familienlebens beisammen. Man könnte sich einbilden, drüben in England zu sein; es fehlt nichts als die Staatskirche und der Unterschied der Stände. Das Museum enthält Raritäten. Unter anderm sahen wir ein schönes Haus der Eingeborenen aus alter Zeit; ganz getreu nach der Natur, sowohl die grellen Farben als alle Einzelheiten. Jedes Ding war am richtigen Platz, die hübschen Matten und Teppiche, die künstlichen, wundervollen Holzschnitzereien, deren Muster und feine Ausführung mit Recht unser Staunen erregen, wenn wir bedenken, daß die Eingeborenen dazu keine bessern Werkzeuge hatten, als Feuerstein, Nephrit und Muscheln sie ihnen lieferten. Auch Totems waren da, Pfähle, auf denen sämtliche Ahnherren des Stammes, einer über dem andern, abgebildet sind. Die abscheulichen, häßlichen Teufel waren mit großem Geschick und vieler Liebe geschnitzt; sie streckten alle die Zunge heraus und falteten die Hände behaglich über dem Bauche, in dem sie die Ahnherren anderer Leute begraben hatten. In dem Haus waren auch ausgestopfte Eingeborene als Staffage, jeder wo er hingehörte, als ob sie leibten und lebten, sowie ihr ganzes Hausgerät; dicht dabei lag ein geschnitztes und reich verziertes Kriegskanoe. Wir sahen auch kleine Götzenbilder aus Nephrit oder Beilstein, die, aber nur von Eingeborenen hohen Ranges, um den Hals getragen wurden; ferner Waffen und allerlei Schmuck, aus dem gleichen, ausnehmend harten Stein ohne jedes eiserne Werkzeug verfertigt. Durch einige Stücke waren kleine runde Löcher gebohrt; niemand weiß wie das gemacht wurde, es ist ein Geheimnis, eine verlorene Kunst. Wer jetzt in ein Stück Nephrit ein Loch gebohrt haben will, muß erst zu einem Steinschneider nach London oder Amsterdam schicken, wie man mir sagt. Auch ein ganzes Skelett der Riesen-Moa bekamen wir zu sehen. Es war zehn Fuß hoch und muß einen netten Anblick gewährt haben, als es noch ein lebendiger Vogel war. Wie der Strauß brauchte das Tier beim Kampf nicht den Schnabel, sondern die Füße. Einen solchen Fußtritt zu bekommen, mag kein schlechtes Vergnügen gewesen sein, etwa wie wenn man von Windmühlenflügeln in die Luft geschleudert wird. In den alten, längst vergessenen Zeiten, als das Geschlecht der Moas noch auf Erden wandelte, müssen sie in großer Menge vorhanden gewesen sein. Man findet ihre Knochen haufenweise in ungeheuren Gräbern dicht beisammen liegen, und zwar nicht in Felsenhöhlen, sondern in der Erde. Niemand weiß, wer sie dort eingescharrt hat. Da es wirkliche Knochen und keine Versteinerungen sind, können die Moas noch nicht so gar lange ausgestorben sein. Merkwürdig, daß sie die einzigen Tiere Neuseelands sind, welche in den so zahlreichen Legenden der Eingeborenen gar keine Rolle spielen. Dieser Umstand ist sehr bedeutsam und kann als Indizienbeweis dafür dienen, daß die Moas seit vierhundert Jahren von der Erde verschwunden sind, denn der Maori selbst ist nach der Ueberlieferung seit dem Ende des 15. Jahrhunderts in Neuseeland ansässig. Der erste Maori kam aus einem unbekannten Lande, ruderte in seinem Kanoe dahin zurück und kehrte in Begleitung aller Stammesangehörigen wieder; sie drängten die Ureinwohner in das Meer oder brachten sie unter den Boden und nahmen die Inseln in Besitz. So sagt die Ueberlieferung. Die Ankunft jenes ersten Maori ist begreiflich, denn jeder kann schließlich unversehens an einen Ort kommen, wohin er nicht will; aber wie der Entdecker ohne Kompaß den Weg nach der Heimat zurückfand, ist ein Rätsel, das er mit sich ins Grab genommen hat. Aus seiner Sprache ging hervor, daß er aus Polynesien stammte. Er hat auch gesagt, woher er kam, aber da er den Namen des Ortes nicht richtig buchstabieren konnte, fand man ihn nicht auf der Karte, welche von klugen Leuten gemacht ist, die den Namen ganz anders buchstabieren. Vor allem müssen doch die Namen richtig auf der Karte stehen, so daß man sich auf sie verlassen kann; das übrige ist Nebensache. In Neuseeland haben die Frauen das Recht, die Mitglieder des gesetzgebenden Körpers zu wählen, sie selbst dürfen aber nicht Abgeordnete sein. Das Gesetz, welches ihnen das Stimmrecht verleiht, wurde 1893 erlassen, als die Einwohnerzahl von Christchurch sich nach dem Census von 1891 auf 31454 belief. Die erste Wahl, nachdem das Gesetz in Kraft getreten war, fand im November statt. An der Wahlurne erschienen 6313 Männer und 5989 Frauen. Diese Zahlen liefern den Beweis, daß die Frauen der Politik nicht so gleichgültig gegenüberstehen, wie man uns glauben machen will. Die Gesamtzahl der stimmfähigen weiblichen Bevölkerung Neuseelands betrug 139915; hiervon zeichneten 109461 ihre Namen in die Wahllisten ein -- 78,23 Prozent von allen. 90290 erschienen wirklich an der Wahlurne und gaben ihre Stimmen ab -- 85,18 Prozent. Eifriger erfüllen die Männer wohl kaum ihre politischen Pflichten, weder in Amerika noch in andern Ländern. Der amtliche Bericht spricht sich auch noch in anderer Beziehung günstig über jene Wahl aus: »Besonders bemerkenswert,« heißt es, »war der Geist der Ordnung und Nüchternheit, der unter den Leuten herrschte. Die Frauen wurden auf keine Weise belästigt.« Bei uns in Amerika wird als Hauptgrund gegen das weibliche Stimmrecht regelmäßig der Satz aufgestellt, daß die Frauen nicht zur Wahlurne gehen könnten, ohne sich tätlichen Beleidigungen auszusetzen. Dergleichen Weissagungen sind äußerst bequem. Seit im Jahre 1848 die Frauenbewegung begann, haben die Propheten nicht aufgehört zu verkünden, daß allerlei Unheil daraus entstehen würde; aber in einem Zeitraum von fünfzig Jahren ist noch nichts davon eingetroffen. Im Gegenteil, es ist den Frauen gelungen, aus dem amerikanischen Gesetzbuch eine große Anzahl ungerechter Verordnungen zu entfernen. Die Männer sollten alle Achtung vor ihren Müttern, Frauen und Töchtern haben und sie mit ganz andern Augen betrachten, nachdem sie sich in einer verhältnismäßig so kurzen Frist im wesentlichen aus ihrer Leibeigenschaft befreit haben. Ohne Blutvergießen hätten die Männer das nicht zustande gebracht; wenigstens haben sie es bis jetzt noch nicht getan, vermutlich, weil sie nicht wußten, wie sie es machen sollten. Aber selbst durch die friedliche und höchst wohltätige Umwälzung, welche die Frauen bewirkt haben, sind die Männer im Durchschnitt noch nicht zu überzeugen gewesen, daß die Frau Mut, Kraft, Ausdauer und Seelenstärke besitzt. Es gehört eben viel dazu, um den Durchschnittsmann von irgend etwas zu überzeugen. Vielleicht wird nichts imstande sein, ihn jemals zu der Erkenntnis zu bringen, daß die Frau ihm im Durchschnitt überlegen ist, und doch scheint das in mancher wichtigen Einzelheit wirklich der Fall zu sein, wie sich aus Tatsachen beweisen läßt. Seit Anbeginn der Welt hat der Mann das Menschengeschlecht regiert, und er wird zugeben müssen, daß die Welt bis zur Mitte dieses Jahrhunderts im allgemeinen recht träge, dumm und unwissend war. Jetzt sieht es schon weit weniger unerfreulich darin aus, und es wird mit der Zeit fort und fort besser. Die Frau hat gegenwärtig Gelegenheit zu zeigen was sie kann -- und zwar zum allererstenmal. Wo wird wohl der Mann nach abermals fünfzig Jahren sein -- das möchte ich wissen. Im Gesetz von Neuseeland steht folgende Anmerkung: »Wo in den Verordnungen das Wort _Person_ vorkommt, ist die _Frau_ mit inbegriffen.« Das nenne ich doch eine Beförderung! Durch solche Erweiterung des Begriffs wird die weise Matrone, der eine fünfzigjährige Erfahrung zur Seite steht, mit einem Schlage in politischer Hinsicht gleichberechtigt mit dem einundzwanzigjährigen Bürschchen, das kaum trocken hinter den Ohren ist. Die Einwohnerzahl der Weißen in der Kolonie beläuft sich auf 626000, die der Maori auf 42000. Die Weißen wählen siebzig Mitglieder in das Abgeordnetenhaus und die Maori vier; auch die Maori-Frauen stimmen mit bei der Wahl ihrer vier Abgeordneten. * * * * * _16. November._ Nach einem viertägigen angenehmen Aufenthalt in Christchurch verlassen wir den Ort heute um Mitternacht. Mr. Kinsey hat mir einen Ornithorhynchus geschenkt, den ich zähmen will. * * * * * _Sonntag den 17._ Gestern abend fuhren wir in der ›Flora‹ von Lyttleton ab. Ja, wahrlich! Und wer die Fahrt in der ›Flora‹ mitgemacht hat, wird sie sein Lebtag nicht vergessen, wie alt er auch werden mag. Das Schiff war auf wahnsinnige Art überfüllt. Wäre es in jener Nacht gesunken, so hätte man für die Hälfte der Leute, die an Bord waren, keinerlei Rettungsmittel auftreiben können. Wenn auch die Schiffseigentümer in technischer Hinsicht keinen Mordversuch gemacht hatten -- von der moralischen Schuld konnte man sie nicht freisprechen. Mir wurde ein Verschlag des großen Viehstalls zugeteilt, in welchem eine lange, doppelte Reihe Schlafkojen angebracht war, immer zwei übereinander. Ein Kattunvorhang diente als Zwischenwand; auf einer Seite befanden sich zwanzig Männer und Knaben, auf der andern zwanzig Frauen und Mädchen. Das Loch war so finster wie die Seele der Unionsgesellschaft und es roch darin wie in einem Hundestall. Als das Schiff aufs hohe Meer kam und anfing zu rollen und zu stampfen, fielen die Gefangenen in ihrer dunkeln Höhle sofort der Seekrankheit zum Raube. Durch das was nun folgte, wurden alle meine früheren Erfahrungen dieser Art völlig in den Schatten gestellt. Und dann das Heulen und Stöhnen, das Geschrei und Gekreische, die Stoßseufzer aller Art -- es spottet jeglicher Beschreibung. Die Frauen und Kinder, auch einige Männer und Knaben verbrachten die Nacht in dem Raume, weil sie zu krank waren, um sich zu rühren; wir übrigen aber standen allmählich auf und begaben uns nach dem Sturmdeck. Nie zuvor war ich an Bord eines so abscheulichen Fahrzeugs gewesen. Als wir uns im Frühstückssalon zwischen den auf dem Boden und den Tischen dicht aneinander gelagerten, schwitzenden Passagieren hindurchwanden, ließ der Geruch an Kräftigkeit nichts zu wünschen übrig. Beim ersten Anlegeplatz stiegen viele von uns aus, um ein anderes Schiff zu benutzen. Nach dreistündigem Warten fanden wir denn auch in dem ›Mahinapua‹ gute Unterkunft. Es war ein schmuckes kleines Fahrzeug von nur 205 Tonnengehalt, reinlich, bequem, gute Bedienung, gute Betten, ein guter Tisch und kein Gedränge. Die Wellen warfen es hin und her wie eine Ente, aber es war sicher und seetüchtig. Ganz früh am Morgen kamen wir an den ›französischen Paß‹, eine enge Durchfahrt zwischen steilen Felswänden, die nicht viel breiter aussah wie eine Straße. Die Strömung schoß mit rasender Gewalt hindurch und das Schiff flog dahin wie ein Telegramm. In einer halben Minute lag der Engpaß hinter uns und wir kamen an eine breite Stelle, wo großartige Wasserwirbel in der Nähe von Untiefen fort und fort ihre stolze Runde machten. Ich fragte mich, wie es dem kleinen Fahrzeug wohl dabei ergehen würde. Das sollte ich nur allzubald erfahren. Die Wirbel hoben es auf, warfen es mit Leichtigkeit herum und landeten es ganz behutsam auf einer weichen, festen Sandbank. So sanft war die Berührung, daß wir sie kaum fühlten und gerade nur merkten, wie das Schiff erbebte, als es zum Stillstand kam. Das Wasser war hell wie Glas, man sah deutlich den Sand auf dem Grunde, und die Fische schienen im leeren Raum umherzuschwimmen. Rasch wurden die Angeln herausgeholt, aber noch bevor wir den Köder am Haken befestigen konnten, war das Schiff wieder flott und segelte auf und davon. Einunddreißigstes Kapitel. Laßt uns Adam, unserm Wohltäter, dankbar sein, daß er den ›Segen‹ des Müßiggangs von uns genommen und den ›Fluch‹ der Arbeit über uns gebracht hat. _Querkopf Wilsons Kalender._ Am 20. November erreichten wir Auckland und hielten uns einige Tage in dieser schönen, sehr hoch gelegenen Stadt auf; man hat dort einen Ausblick über das Meer, an dem man sich gar nicht satt sehen kann. Wir machten wundervolle Spazierfahrten mit Bekannten in der Umgegend. Von dem grasbewachsenen Kratergipfel des Mount Eden schweift das Auge über eine weite und wechselvolle Landschaft: dicht belaubte Wälder, grüne Hügel, blumige Wiesen und dahinter lange ebene Strecken, auf denen sich hier und da hohe, ausgebrannte Krater erheben. Weiterhin glänzen und funkeln blaue Buchten, und in traumhafter Ferne schimmern die Berge gespenstisch durch ihre Nebelschleier. Gewöhnlich fährt man von Auckland aus nach Rotorua zu den berühmten heißen Seen und Springquellen, welche als große Merkwürdigkeit Neuseelands gelten; aber ich war nicht wohl genug, um den Ausflug zu unternehmen. Die Regierung hat dort ein Sanatorium errichtet, wo für den Touristen sowohl wie den Kranken aufs angenehmste gesorgt wird. Der daselbst angestellte Arzt drückt sich stets sehr mäßig aus, wenn er von dem Heilerfolg der Bäder bei Rheumatismus, Gicht, Lähmung und ähnlichen Uebeln spricht; dagegen preist er die Wirkung des Wassers als unvergleichlich in Fällen von Trunksucht. Der Trinker wird unfehlbar geheilt, selbst wenn die Krankheit bei ihm noch so chronisch geworden ist, ja, er verliert sogar die _Begierde_ nach berauschenden Getränken für alle Zeiten. Sobald es nur erst allgemein bekannt sein wird, daß für die Opfer des Alkoholismus hier sichere Rettung zu finden ist, werden die Leute scharenweise aus Europa und Amerika herbeiströmen. Diese ganze, wegen ihrer Thermalquellen berühmte Gegend Neuseelands umfaßt eine Landstrecke von über 600000 Morgen oder etwa 1000 Quadratmeilen. Rotorua ist am besuchtesten; es bildet den Mittelpunkt des schönen, gebirgigen Seedistrikts und dient den Reisenden zum Standquartier bei ihren Ausflügen. Die Zahl der Kranken ist groß und wächst beständig. Rotorua ist das Karlsbad Australiens. In Auckland wird auch der Kauri-Kopal verschifft, hauptsächlich nach Amerika. Man bringt durchschnittlich 8000 Tonnen des Jahrs zur Stadt. Unassortiert hat er einen Wert von 300 Dollars die Tonne; die feinsten Sorten erzielen aber oft einen Preis von 1000 Dollars. Das Harz kommt in Stücken vor, ist hart und glatt und gleicht dem Bernstein; auch ist es, wie dieser, hellgelb bis dunkelbraun. Unter den hellfarbigen Stücken hätte man einige für ziemlich gute Nachahmungen roher südafrikanischer Diamanten halten können, sie waren so wundervoll glänzend, glatt und durchsichtig. Der Kauri-Kopal dient zur Bereitung von Lack und Firnis, er stammt von der Kaurifichte und wird meist aus dem Boden gegraben, wo das Harz seit Jahrhunderten liegt, da viele von den Bäumen, aus denen es geflossen ist, der heutigen Vegetation nicht mehr angehören. ~Dr.~ Campbell in Auckland erzählte mir, er habe schon vor fünfzig Jahren eine Ladung nach England geschickt, aber ohne Erfolg. Niemand wußte etwas damit anzufangen und man verkaufte es für fünf Pfund Sterling die Tonne zum Feueranzünden. * * * * * _26. November._ 3 Uhr nachmittags abgesegelt. Der Hafen ist schön und ungeheuer groß; noch stundenweit hat man Land ringsumher. Der Tangariwa ragt empor -- das ist der Berg, der, wie in Auckland allgemein behauptet wird, überall gleich aussieht, man mag ihn betrachten von welcher Seite man will. Ganz richtig -- von welcher Seite man will -- mit dreizehn Ausnahmen ... Herrliches Sommerwetter. In der Ferne tummelt sich eine große Schar Walfische. Der Staubregen, den sie emporspritzen, sieht zart und luftig aus in dem rosigen Schein der untergehenden Sonne oder wenn er sich abhebt gegen den dunkeln Hintergrund einer Insel, die im tiefblauen Schatten von Sturmwolken ruht ... Zur Linken erhebt sich ein großer Felsblock mitten im Meer. Vor einiger Zeit stieß ein Schiff, das im Nebel zwanzig Meilen aus seinem Kurs gekommen war, bei voller Fahrt dagegen; 140 Menschen ertranken in den Wellen. Der Kapitän nahm sich auf der Stelle selbst das Leben, ohne sich erst zu besinnen. Mochte er schuld an dem Unfall sein oder nicht, er wußte, daß die Gesellschaft, der das Schiff gehörte, ihn jedenfalls sofort entlassen würde, um mit ihrer Sorge für die Sicherheit der Passagiere Reklame zu machen. Dadurch wurde es ihm aber fast unmöglich gemacht, seinen ferneren Lebensunterhalt zu verdienen. * * * * * _27. November._ Heute kamen wir bis Gisborne und ankerten in einer großen Bucht, eine Meile weit vom Ufer. Die See ging hoch und wir blieben an Bord. Ein kleiner Schleppdampfer, der vom Lande auf uns zufuhr, war ein Gegenstand atemlosen Interesses. Er klomm bis zum Gipfel einer Welle, schwankte dort einen Augenblick als ein grauer Schatten wie betrunken hin und her, in dem vom Sturm zerstäubten Wasser, tauchte plötzlich in die Tiefe und blieb so lange unsichtbar bis man ihn für verloren hielt; dann schoß er auf einmal wieder in ganz schräger Richtung empor, während das Wasser in Strömen vom Vorderdeck herabstürzte. So trieb es der Dampfer die ganze Zeit über, bis er unser Schiff erreicht hatte. In seinem Bauche befanden sich fünfundzwanzig Passagiere, die zu uns an Bord wollten -- Männer und Frauen, meistens Mitglieder einer reisenden Schauspielertruppe. Die Mannschaft war auf Deck in Südwestern, wasserdichten Anzügen von gelbem Segeltuch und hohen Stiefeln. Das Deck stand so schräg wie eine Leiter und schwankte auf und ab; große Wellen sprangen fortwährend an Bord und rollten darüber hin. Wir befestigten ein langes Seil an der Raanocke, hingen einen höchst kunstlosen Korbstuhl daran und ließen ihn im weiten Himmelsraum wie einen Pendel auf gut Glück hin und her schaukeln. Im geeigneten Moment wurde er von geschickten Händen hinabgelassen und drüben fingen zwei Männer am Vorderdeck die gut gezielte Leine auf. Ein junger Bursche von unserer Mannschaft saß im Korbstuhl, um den weiblichen Passagieren herüber zu helfen. Sofort erschienen einige Damen aus der Kajüte, setzten sich ihm auf den Schoß, und wir zogen sie über uns in den Himmel hinauf. Einige Augenblicke warteten wir noch, bis das Schlingern des Schiffes sie herüberbrachte, dann ließen wir das Seil herab und erfaßten den Korb, als er eben das Deck erreichte. So brachten wir alle fünfundzwanzig an Bord und schafften fünfundzwanzig unserer eigenen Passagiere in den Schleppdampfer -- darunter mehrere alte Damen und eine Blinde -- noch dazu ohne den geringsten Unfall. Es war ein schönes Stück Arbeit. Wir sind mit unserm Schiff sehr zufrieden, es ist hübsch und geräumig, auch alles darin bequem und gut in Ordnung. In einem Hotel kommt es wohl vor, daß man auf eine Ratte tritt, aber an Bord haben wir lange nichts von Ratten gespürt, außer vielleicht auf der ›Flora‹; aber da waren wir mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Es ist mir aufgefallen, daß man nur noch auf Schiffen und in Hotels Ratten findet, wo die abscheulichen chinesischen Gongs gebraucht werden. Der Grund kann nur sein, daß die Ratten nicht nach der Uhr zu sehen verstehen, um zu erfahren, in welcher Tageszeit sie leben, und einen Ort fliehen, an dem sie nie wissen, wann das Essen fertig ist. * * * * * _2. Dezember. Montag._ Von Napier nach Hastings benutzten wir den Schnellzug, der in Neuseeland zweimal die Woche fährt. In Waitukurau war zwanzig Minuten Aufenthalt und wir nahmen einen Imbiß. Ich saß oben am Tisch, so daß ich die rechte Wand sehen konnte, während meine Frau, meine Tochter und Mr. Carlyle Smythe, mein Geschäftsführer, der Wand den Rücken zukehrten. Auf dieser Wand hingen einige Bilder ziemlich weit von mir, so daß ich sie nicht deutlich erkennen konnte, aber nach der ganzen Gruppierung der Gestalten nahm ich an, daß eins derselben die Ermordung von Napoleons des Dritten Sohn durch die Zulus in Südafrika darstellte. Ich unterbrach das Gespräch, welches sich eben um Poesie, Kohlköpfe und bildende Kunst drehte und wandte mich an meine Frau mit der Frage: »Weißt du noch, wie die Nachricht in Paris ankam --« »Daß der Prinz ermordet wäre?« (Ich hatte genau diese Worte im Sinn gehabt.) »Welcher Prinz denn?« »Napoleon -- Lulu.« »Wie kommst du eben jetzt darauf?« »Ich weiß nicht.« Höchst sonderbar! -- Wir hatten uns auf keine Weise miteinander verständigt. Die Bilder waren nicht erwähnt worden und meine Frau konnte sie nicht sehen. Vor sieben Monaten waren wir nach einem mehrjährigen Aufenthalt von Paris abgefahren, um diese Reise zu unternehmen und meine Frau hätte an irgend eine Nachricht denken müssen, die in jüngst vergangener Zeit nach Paris gekommen war. Statt dessen dachte sie an ein Erlebnis bei unserm kurzen Besuch in Paris vor sechzehn Jahren. Es war ein deutliches Beispiel von Gedankentelegraphie, von geistiger Wechselwirkung. Ich hatte die Idee aus meinem Hirn an sie telegraphiert. -- Woher ich das so bestimmt weiß? -- Nun einfach deshalb, weil es ein Irrtum war. Es ergab sich nämlich, daß jenes Bild weder die Ermordung Lulus darstellte, noch überhaupt etwas, das sich irgendwie auf Lulu bezog. Ich mußte ihr den Irrtum telegraphiert haben, denn außer in meinem Kopfe war er nirgends vorhanden. Zweiunddreißigstes Kapitel. Der Selbstherrscher von Rußland hat mehr Macht als irgend ein Mensch auf Erden; aber das Niesen kann er doch nicht zurückhalten. _Querkopf Wilsons Kalender._ _Wanganui 3. Dezember._ Unsere gestrige Fahrt war sehr angenehm und dauerte vier Stunden. Meinetwegen hätte der Zug sie auf acht Stunden ausdehnen können. Wenn man sich behaglich fühlt und kein Grund zur Eile vorhanden ist, liegt mir gar nichts an übergroßer Schnelligkeit. Nun kenne ich aber kein bequemeres Beförderungsmittel als einen Neuseeländer Zug. Nirgends findet man außerhalb Amerikas so vernünftig eingerichtete Eisenbahnwagen. Rechnet man dazu noch den unausgesetzten Anblick des reizendsten Landschaftsbildes und den fast gänzlichen Mangel an Staub, so kann man nur jedem raten, der damit noch nicht zufrieden ist, er soll aussteigen und zu Fuße gehen. -- Würde er dadurch aber anderer Meinung werden? Ganz gewiß. Nach Ablauf einer Stunde träfe man ihn sicherlich bescheiden wartend neben dem Schienenstrang, und er wäre froh mit dem Zug weiter fahren zu dürfen. In der Stadt und Umgegend sieht man viele Leute zu Pferde und hübsche junge Mädchen in luftigen Sommerkleidern, auch die Heilsarmee und eine Menge Maori; Gesicht und Körper der älteren sind meist sehr geschmackvoll bemalt. Jenseits des Flusses liegt das Rathaus der Maori, ein großes, festes Gebäude, das von einem Ende zum andern mit Matten ausgelegt und mit reichen, kunstvoll verfertigten Holzschnitzereien geschmückt ist. Die Maori sind auch sehr höfliche Leute. Einer der Volksvertreter gab mir die Versicherung, daß die eingeborene Rasse nicht abnimmt, sondern sich im Gegenteil langsam vermehrt. Dies ist ein neuer Beweis, daß die Maori, als Wilde, auf einer hohen Stufe stehen. Ich weiß mich an keine anderen Eingeborenen irgend welcher Rasse zu erinnern, die so gute Häuser oder so starke, zweckentsprechende Festungswerke errichtet hätten, die den Ackerbau so eifrig betrieben oder bei denen die Kriegswissenschaft und Verteidigungskunst fast bis zu einer Vollkommenheit gediehen wäre, wie man sie sonst nur bei den Weißen findet. Zählt man hierzu noch ihre große Geschicklichkeit in der Anfertigung von Booten und ihre Begabung für die dekorativen Künste, so kann man sie höchstens noch als Halb- oder Dreiviertel-Barbaren betrachten und ihnen eine gewisse Zivilisation nicht absprechen. Es ist schmeichelhaft für die Maori, daß die britische Regierung, statt sie auszurotten wie die Australneger und die Tasmanier, sich mit ihrer Unterwerfung begnügt hat. Auch nahmen die Engländer ihnen nicht alles gute Land fort, sondern ließen ein großes Stück in ihrem Besitz und schützten sie sogar vor den Landwucherern, wie es die Regierung von Neuseeland noch heutigen Tages tut. Am schmeichelhaftesten für die Maori ist jedoch, daß sie ihre eingeborenen Vertreter sowohl im Ministerium wie im gesetzgebenden Körper haben, und daß auch das weibliche Geschlecht wahlberechtigt ist. Die Regierung ehrt sich selbst durch diese Einrichtungen, denn bisher war es in der Welt nicht Sitte, daß ein Eroberer mit den Besiegten auf so weitherzige Art verfuhr. Die gebildetsten Weißen, die zuerst unter den Maori lebten, hatten wirkliche Zuneigung für sie und eine hohe Meinung von ihrer Gesittung. Ich will nur den Verfasser des ›Alten Neuseeland‹ anführen, sowie ~Dr.~ Campbell von Auckland. Letzterer hatte mit mehreren Häuptlingen große Freundschaft geschlossen und wußte viel Gutes von ihrer Treue, Hochherzigkeit und Großmut zu berichten. Er erzählte auch, was sie sich für wunderliche Begriffe von der Zivilisation der Weißen machten und wie komisch sie dieselben beurteilten. Einer von ihnen meinte unter anderm, der Missionar greife alles am unrechten Ende an und kehre das Unterste zu oberst. »Hat er doch sogar gesagt, wir sollten aufhören, die bösen Götter anzubeten und um ihren Schutz zu flehen; wir brauchten uns mit Verehrung und Bitten nur noch an den guten Gott zu wenden. Das hat ja weder Sinn noch Verstand! Ein _guter_ Gott wird uns doch keinen Schaden tun!« Unter den Maori herrschte das ›Tabu‹ in so großartigem Umfang, wie es für Polynesien paßte. Von einigen Verboten hätte man glauben können, sie stammten aus Indien oder Judäa. Weder bei den Maori noch bei den Indern durfte der gemeine Mann an einem Feuer kochen, das von einem Mitglied der höheren Kasten benutzt worden war. Ebensowenig gestattete man dem vornehmen Maori oder dem vornehmen Inder sich des Feuers zu bedienen, an dem der gemeine Mann seine Speise bereitet hatte. Trank ein Maori oder ein Inder niederen Ranges aus dem Gefäß, das einem Höhergestellten gehörte, so war das Gefäß verunreinigt und mußte zerschlagen werden. Auch noch in mancher Beziehung erinnert das Maori-Tabu an den Kastengeist der Inder. * * * * * _8. Dezember._ Hier in Wanganui stehen ein paar sonderbare Kriegerdenkmäler. Das eine ist zum Andenken an die Weißen errichtet, die bei »der Verteidigung von Ordnung und Gesetz gegen Barbarei und Fanatismus« gefallen sind. -- Fanatismus -- das Wort sollte unverweilt entfernt werden, denn es ist sicher nur aus Irrtum und Mangel an Ueberlegung auf das Denkmal gesetzt worden; wenigstens möchte ich das zur Ehre der uns stammverwandten englischen Nation annehmen. Man verpflanze einmal die Inschrift: »welche zur Verteidigung von Gesetz und Ordnung gegen den Fanatismus gefallen sind,« an den Ort, wo Winkelried starb, an die Thermopylen oder auf das Bunker-Hill-Monument -- da wird man einsehen, was das Wort bedeutet und wie verkehrt es in jenem Fall angewendet ist. Patriotismus bleibt Patriotismus. Nichts kann ihn herabwürdigen, mag man ihn auch Fanatismus nennen, so viel man will. Selbst wenn er vom politischen Standpunkt aus tausendmal im Irrtum ist, so ändert das nichts an der Sache. Der Patriot ist und bleibt ehrenhaft, edel und groß, er darf getrost das Haupt erheben! Mit Recht preist man die tapfern Weißen, die im Maorikrieg gefallen sind -- sie verdienen alles Lob. Aber das Wort ›Fanatismus‹ stellt die Sache so dar, als hätten sie ihr Blut in keinem würdigen Kampfe vergossen, in einem Kampfe gegen unedle Feinde, die des Opfers nicht wert waren. Und doch standen sie wackern Männern gegenüber, mit denen zu fechten keine Schande war, Männern, die für ihre Heimstätten und ihr Vaterland als tapfere Feinde stritten und einen ehrenvollen Tod fanden. Es würde dem Ruhm der braven Engländer, die unter dem Denkmal liegen, keinen Abbruch tun, sondern ihn nur erhöhen, wenn die Inschrift besagte, daß sie in Verteidigung des englischen Gesetzes und ihrer englischen Heimat gefallen sind, im Kampf mit Gegnern, die aller Achtung wert waren -- mit den für ihr Vaterland sterbenden Maori. An dem zweiten Denkmal läßt sich nichts verbessern -- außer mit Dynamit. Es ist ein Irrtum durch und durch und ein Beweis von großer Gedankenlosigkeit. Die Engländer haben es zur Erinnerung an die Maori aufgestellt, die auf Seiten der Weißen _gegen ihre eigenen Landsleute_ kämpften. »Dem Andenken der wackeren Männer gewidmet, die am 14. Mai 1864 gefallen sind etc.,« lautet die Inschrift. Auf der Rückseite stehen die Namen von ungefähr zwanzig Maori. Es ist kein Phantasiegebilde von mir; das Denkmal steht wirklich da und ich habe es gesehen. Welche Lehre für die kommenden Geschlechter! Es fordert mit dürren Worten zu Verrat, Untreue und Verleugnung des Patriotismus auf: »Verlasse deine Fahne,« ruft es, »erschlage deine Landsleute, verbrenne ihre Häuser, sei eine Schande für dein Volk -- solchen Leuten erweisen wir Ehre!« * * * * * _12. Dezember._ Nach zehnstündiger Eisenbahnfahrt von Wanganui aus, erreichten wir Wellington ... Eine schöne Stadt, in stolzer Lage; reger Handel, viel Leben und Bewegung. Ich habe hier drei Tage teils mit Spazierengehen und angenehmem geselligem Verkehr zugebracht, teils bin ich in dem herrlichen Garten von Hutt umhergeschlendert, der eine Strecke weiter am Ufer liegt. Dergleichen sehen wir gewiß sobald nicht wieder! Wir packen heute abend unsere Koffer zur Rückreise nach Australien. Der Aufenthalt in Neuseeland ist zu kurz gewesen, doch sind wir froh, daß wir es wenigstens flüchtig sehen durften. Die tapfern Maori haben es den Weißen ziemlich schwer gemacht, sich im Lande anzusiedeln. Anfangs jedoch empfingen sie die Engländer freundlich und machten gern Geschäfte mit ihnen. Besonders kauften sie Flinten, denn sie führten oft zum Zeitvertreib Krieg unter einander, und die Waffen der Weißen gefielen ihnen weit besser als ihre eigenen. Ich brauche den Ausdruck ›Zeitvertreib‹ mit gutem Bedacht; sie kamen wirklich häufig zusammen, ohne daß irgend ein Streit vorlag und erschlugen einander bloß zum Vergnügen. Der Verfasser des ›Alten Neuseeland‹ erwähnt einen Fall, wo das siegreiche Heer nur seinen Vorteil auszunutzen brauchte, um den Feind zu vernichten und es gleichwohl unterließ. »Denn,« lautete die naive Erklärung, »täten wir das, so gäbe es keinen Kampf mehr.« Ein andermal ließ die eine Armee dem Heer, das ihr feindlich gegenüberstand, sagen, ihr sei das Pulver ausgegangen und sie müsse das Schießen einstellen, falls sie nicht neuen Vorrat erhalte. Man schickte ihr, was sie brauchte, und die Schlacht nahm ihren Fortgang. Wie gesagt, als die Engländer sich zuerst in Neuseeland niederlassen wollten, ging alles gut. Die Eingeborenen verkauften ihnen Strecken Landes, ohne die Bedingungen des Vertrages zu verstehen, und die Weißen kauften von ihnen und kümmerten sich nicht darum, daß die Maori nicht wußten, was sie taten. Als dann letztere allmählich einsahen, daß ihnen unrecht geschah, begannen die Zwistigkeiten. Kein Maori hätte ein Unrecht, das ihm widerfuhr, ruhig erduldet oder sich mit Klagen begnügt. Das Volk besaß dieselbe Ausdauer wie die Tasmanier und daneben noch allerlei militärische Kenntnisse; es stand gegen seine Bedrücker auf und die tapfern ›Fanatiker‹ entfachten einen Krieg, dessen schließliche Entscheidung erst erfolgte, nachdem mehrere Generationen zu Grabe gegangen waren. Dreiunddreißigstes Kapitel. Es gibt mancherlei Schutzwehr gegen die Versuchung, aber die wirksamste ist Feigheit. _Querkopf Wilsons Kalender._ _Freitag 13. Dezember._ Um drei Uhr nachmittags in der ›Mararoa‹ abgesegelt. Eine Sommersee und ein gutes Schiff -- was kann es Besseres auf Erden geben? -- * * * * * _Montag._ Drei Tage im Paradies. Die See war sonnig, glatt und glänzend blau wie das Mittelmeer ... Man liegt den ganzen Tag lang auf Deck im Klappstuhl unter dem Sonnenzelt und liest und raucht im wohligsten Behagen. * * * * * _17. Dezember._ Wir sind in Sydney. * * * * * _19. Dezember. Auf der Eisenbahn._ Ein Mensch von dreißig Jahren stieg mit vier Reisetaschen ein. Der Mund des schmächtigen Kerlchens sah aus wie ein verfallener Kirchhof, so vernachlässigt waren die Zähne; sein Haar bestand aus einer festen Schicht, die mit Pomade zusammengeklebt war. Er rauchte die wunderbarsten Zigaretten, die wohl aus einer Art Dung bestehen mußten, denn sie strömten zusammen mit dem Haar einen ganz ›eingeborenen‹ Geruch aus. Unter seiner tiefausgeschnittenen Weste kam ein großes Stück des verknitterten, zerrissenen und beschmutzten Hemdeinsatzes zum Vorschein, mit Knöpfen von Talmigold, welche schwarze Ringel auf der Leinwand gemacht hatten. Dazu trug er große unechte Manschettenknöpfe, bei denen man das Kupfer durchsah und eine schwere Talmi-Uhrkette, die ihm vermutlich nicht verriet, was die Glocke geschlagen hatte, denn er fragte Smythe, wieviel Uhr es sei. Einstmals mochte sein Rock wohl auch jung und hübsch gewesen sein, jetzt war er aber außerordentlich schmutzig, und die hellen Sonntagnachmittags-Beinkleider, die er anhatte, desgleichen; sein gelber Schnurrbart war an den Enden kühn in die Höhe gewirbelt, seine Schuhe von unechtem Glanzleder sahen fuchsig aus. Er war für mich eine völlig neue Erscheinung -- ein nachgemachter Gigerl; hätten es ihm seine Mittel erlaubt, so wäre er ein echter gewesen. Jedenfalls war er mit sich selbst zufrieden, das konnte man an seinem Gesichtsausdruck sehen, an jeder Bewegung, die er machte, an jeder Stellung, die er einnahm. Er lebte in einem Gigerl-Traumland, wo all sein schmutziges Scheinwesen echt und er selbst keine Lüge war. Wenn man sah, wie er seine kleinen nachgeäfften Künste und Gebärden, seinen falschen Schmuck und jede seiner gezierten Bewegungen mit Wonne genoß, so verlor die Kritik ihren Stachel und der Zorn besänftigte sich. Mir schien es klar, daß er sich einbildete, er wäre der Prinz von Wales und sich ganz so benahm, wie er glaubte, daß sich der Prinz benehmen würde. Dem Dienstmann, der ihm seine vier Reisetaschen nachtrug und ins Netz legte, gab er vier Cents für die Bemühung und entschuldigte sich wegen der geringfügigen Summe, mit einem leisen Anflug der königlichsten Herablassung. Dann rekelte er sich auf dem Vordersitz, legte den Arm unter seinen pomadisierten Kopf, steckte die Füße zum Fenster hinaus und begann die Rolle des Prinzen zu spielen, wie sie ihm vorschwebte. Mit erkünstelter Abgespanntheit sah er den blauen Qualm sich von seiner Zigarette emporkräuseln, sog den Gestank ein und machte ein beglücktes Gesicht; dann streifte er mit einem zierlichen Schwung die Asche fort und ließ dabei ganz unabsichtlich seinen Messingring am Zeigefinger mit der größten Auffälligkeit funkeln. Kurz, er machte alles so täuschend nach, daß man sich wirklich nach Marlborough House versetzt glaubte. Auf der Fahrt war auch sonst viel zu sehen: Die wunderschöne Gegend im Nationalpark am Hawksbury-Fluß, wo die Waldberge einen stolzen Rahmen um die von See und Strom bewässerte Landschaft bilden und dem Beschauer in immer neuer Gruppierung die entzückendste Szenerie vorführen. Weiterhin grüne Ebenen, spärlich mit Gummiwäldern bedeckt; hie und da eine vereinzelte Hütte, wo die Farmer sich fleißig der Kinderzucht widmeten; dann dürre, trübselige Strecken ohne Leben. Endlich Newcastle mit reger Geschäftstätigkeit, die Hauptstadt des reichen Kohlenbezirks. In der Nähe von Scone viel Landwirtschaft und Weideland, dazwischen häufig ein sehr lästiges Gewächs, eine kleine stachlichte Birnensorte, welche der Farmer täglich zu allen Teufeln wünscht. Sie soll von einer gefühlvollen Dame eingeführt und der Kolonie zum Geschenk gemacht worden sein ... Den ganzen Tag über eine wahre Siedehitze. * * * * * _20. Dezember._ Wieder nach Sydney zurück. Noch eben solche Glut. Ich habe mir in der Zeitung und auf der Landkarte eine Menge absonderlicher Namen von Städten Australiens zusammengesucht, um ein Gedicht daraus zu machen. Hier ist die Liste: ~Tumut~ ~Takee~ ~Murwillumba~ ~Bowral~ ~Ballarat~ ~Mullengudgery~ ~Murrurundi~ ~Wagga-Wagga~ ~Wyalong~ ~Murrumbidgee~ ~Wollongong~ ~Woolloomooloo~ ~Bombola~ ~Coolgardie~ ~Bendigo~ ~Coonamble~ ~Cootamundra~ ~Woolgoolga~ ~Mittagong~ ~Jamberoo~ ~Goomaroo~ ~Wolloway~ ~Wangary~ ~Wanilla~ ~Worrow~ ~Koppio~ ~Yaranyacka~ ~Yankalilla~ ~Waitpinga~ ~Goolwa~ ~Nangkita~ ~Myponga~ ~Penola~ ~Nangwarry~ ~Kongorong~ ~Comaum~ ~Killanoola~ ~Naracorte~ ~Binnum~ ~Wirrega~ ~Kondoparinga~ ~Kuitpo~ ~Tungkillo~ ~Onkaparinga~ ~Talunga~ ~Yatala~ ~Parawirra~ ~Moorooroo~ ~Munno Parah~ ~Kapunda~ ~Keoringa~ ~Koolywurtie~ ~Muloowurtie~ ~Wallaroo~ ~Yackamoorundie~ ~Mundoora~ ~Woolundunga~ ~Coomooroo~ ~Booleroo~ ~Pernatty~ ~Geelong~ ~Paramatta~ ~Toowoomba~ ~Taroom~ ~Goondiwirdi~ ~Narrandera~ ~Jerrilderie~ ~Deniliquin~ ~Oohipara~ ~Whangerou~ ~Kawakama~ ~Whangarei~ ~Kaiwaka~ ~Hauraki~ ~Rangiriri~ ~Tauranga~ ~Teawamut~ ~Taranaki~ ~Tongariro~ ~Kaikoura~ ~Wakatipu.~ Vielleicht tue ich am besten, gleich mit dem Aufbau des Gedichts zu beginnen; das Wetter soll mir dabei behilflich sein: Gluthitze in Australien. (In leisem Flüsterton zu lesen, wenn die Lichter gelöscht sind.) Die ~Bombola~ schmachtet im ~Bowral~ Baum, Wo ~Mullengudgerys~ Feuerbrand Vom Hauch ~Coolgardies~ berührt wie im Traum Gespenstisch noch glüht’, als der Tag verschwand. Und ~Murriwillumbas~ Klagelied Tönt in den Lauben von ~Woolloomooloo~ ~Wollongong~ sehnt sich im öden Gebiet Nach den wonnigen Gärten von ~Jamberoo~. Das ~Wallaby~ seufzt nach dem ~Murrumbidgee~, Nach dem samtweichen Rasen von ~Munno Parah~, Wo die heilenden Wasser von ~Muloowurtie~ Vorüberfluten bei ~Yaranyacka~. Um ~Wolloway~ trauert des ~Koppios~ Herz, Er sehnt sich heimlich nach ~Murrurundi~. Der ~Whangerou Wombat~ in bitterm Schmerz Sieht sich verbannt aus ~Jerrilderie~. Der ~Teawamut Tumut~ vom ~Wirrega~-Tal, Die ~Nangkita~ Schwalbe, der ~Wallaroo~ Schwan, Sie hoffen auf ~Timarus~ Schatten zumal, Auf ~Mittagongs~ Duft und der Ruhe Nahn. Der ~Keoringa~ Büffel verschmachtet schier, Der ~Hauraki~ keucht in der Sonnenglut, Der ~Kongorong~ floh ins Schattenrevier, Doch im Todesschlaf der ~Goomaroo~ ruht. Auf ~Moorooroos~ Flur in dem Höllenbrand Stirbt, ach! der ~Yatala Wangary~ hin; Und den ~Worrow Wanilla~ zum Waldesland Von ~Woolgoolga~ sieht man verzweifelnd fliehn. ~Nangwarry~ irrt einsam, ~Coonamble~ vergeht, ~Tungkillo Kuitpo~ legt Trauerkleid an. Kein rettender Windhauch aus ~Whangarei~ weht, Kein West zieht aus ~Booleroo~ kühlend heran. ~Myponga~, ~Kapunda~, o schlummert nicht mehr! ~Yankalilla~, ~Parawirra~, erwacht! Vernimm’s ~Killanoola~ -- der Tod schleicht umher Auf ~Penolas~ Warnung gib acht! Schon sind ~Tongariro~ und ~Wakatipu~, ~Cootamundra~, ~Kaikoura~, verbrannt, Von ~Onkaparinga~ bis ~Oamarou~ Steht in Flammen ~Toowoombas~ Land. ~Paramatta~ und ~Binnum~, sie gingen zur Ruh’, ~Mundoora Taroom~ ward ihr Grab. ~Kawakama~, ~Takee~ -- der Rasen deckt zu, Was es Schönstes auf Erden einst gab. ~Narrandera~ trauert; dem liebenden Laut, Gibt ~Camaroo~ Antwort nicht mehr; Wo einst man ~Goolwa~, ~Woolundunga~ erschaut, Ist alles öde und leer. Die Wörter sind für die Poesie wie geschaffen; bessere habe ich mein Lebtag nicht gehört. Die Liste umfaßt einundachtzig Stück, aber ich habe nicht alle gebraucht und mir nur vierundsechzig herausgegriffen. Mir scheint, das ist ein gehöriges Bündel für jemand, der nicht Dichter von Beruf ist. Vielleicht wäre es einem Hofpoeten besser gelungen, aber ein Hofpoet bezieht auch Gehalt. Wenn ich Verse mache, bekomme ich nichts dafür, im Gegenteil, es kostet mich oft noch Geld. Das beste Wort im ganzen Verzeichnis, das auch am melodischsten girrt und gluckst ist Woolloomooloo. So heißt ein Ort in der Nähe von Sydney, ein Lieblingsziel für Vergnügungsausflüge. Es sind nicht weniger als acht o in dem Namen. _Schluß der 1. Abteilung._ Fußnoten: [1] Forbes, Zwei Jahre auf den Fidschi-Inseln. [2] N.S.W. Blaubuch. [3] D. M. Luckie. [4] Ebda. [5] N.S.W. Blaubuch. [6] Der berühmte Detektiv in den C. Doyle’schen Erzählungen; siehe die _Sherlock Holmes-Serie_, illustr. Ausgabe in 6 Bänden. [7] Die Marsupialia sind Sohlengänger und Wirbeltiere, deren Eigentümlichkeit in ihrem Beutel besteht. In einigen Ländern sind sie ausgestorben, in andern kommen sie nur selten vor. Die ersten amerikanischen Beuteltiere waren Stephen Girard, Jakob Astor und das Opossum; auf der südlichen Halbkugel sind die hauptsächlichsten Cecil Rhodes und das Känguruh. Ich selbst bin das neueste Marsupial, auch könnte ich damit prahlen, daß ich den größten Beutel von allen habe -- aber, es ist nichts darin. Verlag von =Robert Lutz= in =Stuttgart=. Klassische Dramen und ihre Stätten. Von =Robert Kohlrausch=. Mit Text- und Vollbildern von _Peter Schnorr_. 18 Bogen Großoktav. Brosch. M. 5.--, eleg. in Lwd. geb. M. 6.--. _Aus dem Vorwort_: »Weit umher bin ich gewandert, um die Blätter zu sammeln, die nun hier vereinigt sind. Stets hatte ich Begleitung von bester Art. Denn unsere großen Dichter waren an meiner Seite und ihre Gestalten wiesen mir den Weg. Die Erdenheimat dieser Gestalten aufzusuchen und sie zu vergleichen mit ihrer Dichterheimat, das war mein Ziel. Wo der Poet seinem Werk einen realen, fest bezeichneten Ort zum Hintergrunde gegeben hatte, da wallfahrtete ich zu dieser durch eine große Dichtung geheiligten Stätte, um sie auf ihren eigenen Charakter und auf ihre Beziehung zu jener Dichtung zu prüfen. Mit einem reichen Schatz von Anregung und Genuß bin ich heimgekehrt und ich hoffe, daß etwas davon durch dieses Werk auch auf andere übergeht.« Die Abhandlungen sind mit feinem kritischem Verständnis und großer Wärme geschrieben, und der schöne, formvollendete Stil Kohlrauschs trägt noch besonders dazu bei, die Lektüre des Buches zu einem wirklichen Genuß zu machen. Dazu kommt eine ganze Anzahl von stimmungsvollen Federzeichnungen nach =Originalaufnahmen des Verfassers=, so daß die »Klassischen Dramen und ihre Stätten« ein =Buch von dauerndem Wert= darstellen. Mark Twains Ausgew. humoristische Schriften. Inhalt: Bd. I. Tom Sawyers Streiche und Abenteuer. Bd. II. Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn. Bd. III. Skizzenbuch. Bd. IV. { Leben auf dem Mississippi. { Nach dem fernen Westen. Bd. V. Im Gold- und Silberland. Bd. VI. Reisebilder u. verschiedene Skizzen. Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden. Preis aller 6 Bände, zusammen bezogen, M. 13.50 gebunden. _Neue Folge_: Bd. I. Tom Sawyers _Neue_ Abenteuer. Bd. II. Querkopf Wilson. Bd. III./IV. Meine Reise um die Welt. 2 Abt. Bd. V. Adams Tagebuch u. a. Erzähl. Bd. VI. Wie Hadleyburg verderbt wurde u. a. Erzähl. Preis des _einzelnen_ Bandes M. 3.-- gebunden. Preis _aller_ 6 Bände, zusammen bezogen, M. 17.-- gebunden. Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Korrekturen: S. 143: die → die der stärker sind oder {die der} anderen Völker S. 214 durchschritten → durchschnitten ausgetrockneten Flußbett {durchschnitten} wird *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ERSTE ABTEILUNG *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. 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