The Project Gutenberg eBook of Meine Reise um die Welt. Zweite Abteilung

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Title : Meine Reise um die Welt. Zweite Abteilung

Author : Mark Twain

Release date : November 5, 2021 [eBook #66673]

Language : German

Credits : The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ZWEITE ABTEILUNG ***

Anmerkungen zur Transkription

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Cover

Mark Twains

Humoristische Schriften

Neue Folge. 4. Band


Meine
Reise um die Welt

Von

Mark Twain

Autorisiert

Zweite Abteilung

Inhalt:
Indien. – Südafrika.

Signet

Stuttgart
Verlag von Robert Lutz
1903.


Alle Rechte vorbehalten.

Druck von A. Bonz’ Erben in Stuttgart.


[V]

Inhalt der 2. Abteilung.

Indien.

Kapitel 1–7. Seite 7–103.

Auf der ›Oceana‹ nach Ceylon. – Colombo. – Trachten und Kleider. – Bombay. – Ein indisches Hotel. – Die indische Krähe. – Lohnverhältnisse. – Manuel und Satan. – Der Besuch des Gottes. – Beim Fürsten des Palitanastaats. – Die Türme des Schweigens. – Eine Dschaina-Gesandtschaft. – Allerlei Hautfarbe. – Eine Hindu-Hochzeit. – Im Bahnhof und auf der Eisenbahn. – Beim Gaikowar von Baroda.

Kapitel 8–18. Seite 104–256.

Die Thugs. – Von Bombay nach Allahabad. – Die Suttis. – Major Sleeman und die indische Witwe. – ›Pyjamas‹. – Indische Dörfer. – Der geduldige Hindu. – Die Messe von Allahabad. – Ein Bungalow in Benares. – Indische Religionen. – Wegweiser für die Pilger in Benares. – Das Gangeswasser. – Der Verbrennungsplatz der Leichen. – Auf der Moschee. – Der Gott Sri 108 und sein Schüler. – Kalkutta und das Denkmal von Ochterlony. – Nach Dardschiling im Himalaja. – Der Bazar der Tibetaner. – Eine Talfahrt [VI] auf der Draisine. – Raubtiere und Schlangen. – Der indische Aufstand. – Tadsch Mahal. – Weitere Reise durch Indien. – Satans Entlassung. – Der Festzug in Jeypore.

Südafrika.

Kapitel 19–23. Seite 257–330.

Wonne und Erholung auf einer Seefahrt in den Tropen. – Die Insel Mauritius. – Verwüstungen des Cyklone. – Europäische Kolonien. – Die Delagoa-Bai. – Im Hafen von Durban. – Ein Trappistenkloster. – Politische Zustände in Transvaal. – Die Johannesburger und Jamesons Einfall. – Südafrikanische Goldfelder. – Die Buren. – Der Diamantkrater bei Kimberley. – Große Diamanten. – Im Bureau der De Beers-Gesellschaft. – Cecil Rhodes. – Kapstadt. – Rückfahrt nach England.


[7]

Erstes Kapitel.

Vergib und vergiß! Das ist nicht schwer, wenn man’s nur recht versteht: Wir sollen unbequeme Pflichten vergessen und uns vergeben, daß wir sie vergessen haben. Bei strenger Übung und festem Willen gewöhnt man sich leicht daran.

Querkopf Wilsons Kalender.

Montag, 23. Dezember 1895. Von Sydney nach Ceylon in dem P. und O. Dampfer ›Oceana‹ abgesegelt. Die Mannschaft besteht aus Laskaren, den ersten, die ich je gesehen habe. Sie tragen weißbaumwollene Unterröcke und Beinkleider, einen roten Schal als Gürtel; auf dem Kopf einen Strohhut ohne Krempe; gehen barfuß; Gesichtsfarbe dunkelbraun, Haar kurz, glatt und schwarz; schöner Schnurrbart, glänzend, seidenweich und tiefschwarz. Sanfte, gute Gesichter; willige, gehorsame Leute, auch arbeitstüchtig. [8] Doch sagt man, daß sie in der Stunde der Gefahr vor Angst völlig den Kopf verlieren. Sie kommen von Bombay und der benachbarten Küste.

Die ›Oceana‹ ist ein großes, prächtig ausgestattetes Schiff, das alle Bequemlichkeit bietet; es hat geräumige Promenadendecks, große Zimmer und eine gut ausgewählte Offiziersbibliothek, was nicht häufig vorkommt … Zu den Mahlzeiten wird man durch Hornsignale gerufen, wie auf Kriegsschiffen; man ist froh das schreckliche Gong einmal los zu sein … Wir haben drei große Katzen an Bord, sehr leutselige Bummler, die sich auf dem ganzen Schiff herumtreiben; die weiße Katze folgt dem Proviantmeister überallhin wie ein Hund; auch ein Korb mit jungen Kätzchen ist da. Wenn das Schiff in den Hafen kommt, sei es in England, Indien oder Australien, so begibt sich der eine Kater ans Land, um zu sehen, wie es seinen verschiedenen Familien ergeht, und man bekommt ihn erst wieder zu Gesicht, wenn das Schiff im Begriff ist, die Anker zu lichten. Woher er das Datum der Abfahrt weiß, kann niemand sagen; vermutlich kommt er täglich nach dem Hafendamm und sieht sich um; wenn viel Gepäck an Bord geschafft wird und die Passagiere sich einfinden, merkt er daran, daß es auch für ihn Zeit [9] ist, wieder das Schiff zu besteigen. Wenigstens glauben das die Matrosen …

Tischgespräche : Ein Passagier äußerte: »Meinen Sie, echter Mokka werde in der ganzen Welt verkauft? Denkt gar nicht daran! Sehr wenige Fremde, außer dem Kaiser von Rußland, bekommen in ihrem ganzen Leben auch nur eine Bohne davon zu sehen.« Ein anderer Mann sagte: »Australischer Wein hat in Australien keinen Absatz. Man schickt ihn nach Frankreich, von wo er als französische Sorte zurückkommt, dann kaufen ihn die Leute.« – Ich habe oft behaupten hören, daß der französische Rotwein, welchen New York trinkt, meist in Kalifornien gekeltert wird. Auch erinnerte ich mich, was mir Professor S. einmal über Veuve Cliquot erzählt hat. Er war bei einem großen Weinhändler zu Besuch, dessen Wohnort nicht weit von jenem berühmten Weinberg lag, und sein Wirt fragte ihn, ob in Amerika viel Veuve Cliquot getrunken würde.

»O ja,« erwiderte S., »außerordentlich viel.«

»Kann man die Marke leicht bekommen?«

»Ohne alle Schwierigkeit; sämtliche Hotels erster und zweiter Klasse führen sie.«

»Was bezahlt man dafür?«

[10]

»Je nach dem Hotel fünfzehn bis zwanzig Franken die Flasche.«

»Was für ein glückliches Land! Hier an Ort und Stelle kostet sie mindestens hundert Franken.«

»Nein!«

»Doch!«

»Sie glauben also, daß wir drüben bei uns nicht echten Veuve Cliquot trinken?«

»Keine Rede. Seit Columbus’ Zeiten ist noch nicht eine einzige Flasche vom echten Gewächs nach Amerika gekommen. Der Weinberg, welcher es liefert, ist so klein, daß er nicht allzuviele Flaschen ergibt, und der Ertrag wird alljährlich einer einzigen Person zugeschickt – dem Kaiser von Rußland. Er kauft die ganze Ernte zum voraus, mag sie klein oder groß sein.«


4. Januar 1896. Weihnachten in Melbourne, Neujahr in Adelaide. Wiedersehen mit den meisten Bekannten in beiden Städten … Jetzt liegen wir hier in Westaustralien vor Albany im König Georgs Sund. Es ist ein ganz vom Land eingeschlossener Hafen oder vielmehr eine Reede – anscheinend sehr geräumig, aber kein tiefes Wasser. Ringsum kahle Felsen und zerklüftete Hügelketten. [11] Die Schiffe kommen jetzt in Menge an, alles strömt nach der Goldgegend. Die Zeitungen wissen wunderbare Dinge zu berichten, wie sie immer im Umlauf sind, wenn neue Goldfelder entdeckt werden. Zum Beispiel: Ein junger Mann hatte eine Parzelle in Besitz genommen, von der er die Hälfte für fünf Pfund verkaufen wollte; aber, es fand sich kein Liebhaber. Vierzehn Tage lang harrte er aus, trotz Hunger und Not, dann stieß er auf eine Goldader und verkaufte die Grube für 10 000 Pfund … Gegen Sonnenuntergang erhob sich eine frische Brise, und wir lichteten den Anker. Aus der kleinen tiefen Wasserlache, auf der wir schwammen, führte ein schmaler, dicht mit Bojen besetzter Kanal ins Meer hinaus. Ich blieb auf Deck, um zu sehen, wie unser großes Schiff bei dem starken Wind die Durchfahrt bewerkstelligen werde. Auf der Kommandobrücke stand der Kapitän, ein wahrer Riese, neben ihm ein kleiner Lotse in prächtiger Uniform mit Goldschnüren; auf dem Vorderdeck ein weißer Maat, ein paar Quartiermeister und eine bunte Menge Laskaren, zur Arbeit gerüstet. Unser Heck war gerade auf den Eingang des Kanals gerichtet, das Schiff mußte also in der Wasserlache eine vollständige Schwenkung machen, und das war bei solchem Wind [12] keine Kleinigkeit. Aber es gelang ganz prächtig mit Hilfe eines Klüvers. Wir wühlten zwar viel Schlamm auf, kamen aber nicht auf den Grund und drehten uns in der eigenen Wasserspur um – anscheinend ein Ding der Unmöglichkeit. Als wir die Drehung glücklich gemacht hatten und der Schiffsschnabel nach dem Kanal zu stand, lag die erste Boje kaum noch hundert Meter vor uns. Es war mir eine Lust gewesen, das Manöver mit anzusehen; die übrigen Passagiere verzehrten inzwischen ihr Mittagbrot, meines kam der P. und O. Gesellschaft zugute … Es zeigen sich noch mehr Katzen. Smythe sagt, das englische Gesetz befiehlt, auf der Fahrt Katzen mitzunehmen; er wußte von einem Fall, wo das Schiff nicht unter Segel gehen durfte, bis man sich ein paar verschafft hatte. Die Rechnung kam auch gleich mit: »Preis für zwei Katzen – zwanzig Schillinge« … Wir haben einen Geier an Bord mit kahlem rotem Kopf von seltsamer Form; am Körper hat er hier und da rote Stellen ohne Federn, seine großen, schwarzen Augen sind von fleischigen, brennendroten Rändern umgeben. Er sieht wie ein vollkommener Wüstling aus, wie ein gewissenloser, eigensüchtiger Räuber und Mörder. Und doch bringt der Vogel nichts Lebendiges um. [13] Weshalb mag ihm die Natur nur eine so grimmige Außenseite gegeben haben, die gar nicht zu seinem unschuldigen Geschäft paßt! Er nährt sich nämlich nur von Aas, das ihm um so besser zusagt, je älter es ist. Trüge er ein schäbiges, schwarzes Federkleid, so wäre alles in Ordnung; er gliche dann einem Leichenbestatter und sein Aeußeres würde mit seiner Beschäftigung im Einklang stehen. Der Geier stammt aus der öffentlichen Menagerie von Adelaide, einer großen und sehr interessanten Sammlung.


5. Januar. Um neun Uhr morgens kamen wir am Kap Leeuwin (Löwin) vorüber und mußten nun, nach der ganz westlichen Fahrt längs dem Südrande von Australien, unsere Richtung ändern. Wir fahren in einer schrägen, nordwestlichen Linie nach Ceylon hinauf. Je höher wir kommen, um so heißer wird es, aber kühl ist es auch hier nicht gerade.


13. Januar. Eine unerträgliche Hitze. Der Aequator kommt immer näher; die Entfernung beträgt nur noch acht Grad. Da ist Ceylon! O, wie wunderschön! Welche tropische Pracht, welcher Reichtum üppigen Laubwerks! Die Hauptstadt Colombo ist ganz orientalisch und unaussprechlich reizend …

In unserm vornehmen Schiff kleiden sich die [14] Passagiere zu Mittag um. Die schönen, buntfarbigen Toiletten der Damen passen ganz zu der hochfeinen Ausstattung aller Räume und dem strahlenden Glanz der elektrischen Beleuchtung. Auf dem stürmischen Atlantischen Ozean sieht man die Passagiere nie im Gesellschaftsanzug. Höchstens einen Mann, der sich aber nur einmal während der langen Reise blicken läßt – am Abend ehe das Schiff in den Hafen kommt, wenn das Konzert stattfindet mit Dilettanten-Geheul und Deklamationen. Er übernimmt meist die Tenorpartie … Sonderbarerweise ist an Bord viel Cricket gespielt worden; das Promenadendeck wurde mit Netzen überspannt, so daß der Ball nicht ins Wasser fallen konnte. Das Spiel nahm einen guten Fortgang und gewährte die nötige An- und Aufregung … Jetzt sagen wir der ›Oceana‹ Lebewohl.


14. Januar. Hotel Bristol. Der Diener Namens Brampy ist ein flinker, sanfter, lachender, brauner Singhalese mit schönem, glänzend schwarzem Haar. Er trägt es wie ein Mädchen zurückgekämmt, in einen Knoten geschlungen und mit dem Schildpattkamm aufgesteckt. Brampy ist schlank und hübsch von Gestalt. Unter der Jacke hat er ein weißes, baumwollenes Gewand an, das ihm ohne Gürtel [15] vom Hals bis zu den Füßen herabfällt. Weder er noch sein Anzug hat irgend etwas Männliches; es ist eine ordentliche Verlegenheit sich vor ihm auszukleiden.

Wir fuhren nach dem Markt und benutzten zum erstenmal den japanischen Jinrickscha, einen leichten Karren, den ein Eingeborener zieht. Anfänglich geht die Fahrt gut von statten, aber für den Mann ist es eine sauere Arbeit, er ist nicht stark genug. Nach der ersten halben Stunde hört das Vergnügen auf, der Mann tut einem leid; man hat Mitleid mit ihm, wie mit einem müden Pferde und kann an nichts anderes mehr denken. Solche Rickschas sind in Menge vorhanden, und die Taxe ist unglaublich billig.

Vor Jahren war ich in Kairo; da ist man im Orient – aber doch nicht ganz, weil man eine unbestimmte Empfindung hat, daß noch etwas mangelt. In Ceylon ist das anders, dort fehlt nichts mehr. Der Orient und die Tropenwelt finden sich da in größter Vollkommenheit vereinigt und unser natürliches Gefühl sagt uns, daß diese zwei zusammen gehören. Nein, man vermißte gar nichts. Alle Kostüme waren echt, desgleichen die schwarzen und braunen Menschen in ihrer unbewußten Nacktheit. Die Gaukler waren da, mit dem unvermeidlichen Korb, den Schlangen, der Manguste und allen Vorkehrungen, [16] um aus dem Samenkorn einen Baum mit Laubwerk und reifen Früchten emporwachsen zu lassen. Ueberall sah man Blumen und Pflanzen, die man zwar aus Abbildungen kannte, aber in Wirklichkeit nie erblickt hatte, weil diese seltenen, wunderbaren und köstlichen Gewächse nur in der heißen Zone, am Aequator, gedeihen. Auch wußte man, daß in der nächsten Umgegend die tödlichen Giftschlangen und grimmigen Raubtiere hausen, samt den Affen und wilden Elefanten. In der Luft lag eine Schwüle, wie sie nur in den Tropen vorkommt, eine erstickende Hitze, von unbekannten Blumendüften geschwängert; dann verbreitete sich plötzlich eine purpurne Finsternis, aus welcher grelle Blitze zuckten; der Donner krachte, der Regen goß in Strömen – gleich darauf lachte wieder alles im Sonnenschein. Und weit ab, im undurchdringlichen Dschungel und dem fernen Gebirge lagen die verfallenen Städte und alten Tempelruinen als geheimnisvolle Ueberbleibsel von der Herrlichkeit vergessener Tage und einer verschwundenen Menschenrasse. Auch dies Bewußtsein war unentbehrlich, wenn es einem wirklich orientalisch zu Mute werden sollte, denn dabei darf vor allem der Eindruck des Düstern, Rätselhaften und Altertümlichen nicht fehlen.

[17]

Die Fahrt durch die Stadt und am Seestrande entlang war wie ein Traumbild von tropischem Glanz, Blütenpracht und orientalischem Farbenreichtum. Die zu Fuß einherwandelnden Gruppen von Männern, Frauen, Knaben, Mädchen und kleinen Kindern glühten wie Feuerflammen in ihrer strahlenden Gewandung. Alle Farben des Regenbogens und leuchtender Blitze mischten sich hier aufs wunderbarste und verschmolzen zur wohltuendsten Harmonie. Nirgends fühlte sich das Auge verletzt durch zu grelle Töne, keine Farbe stach unangenehm von der andern ab; auch wenn verschiedene Gruppen in Berührung kamen, wurde die wunderbare Farbenwirkung nicht im mindesten gestört. Die Kleider waren aus dünnem, zartem, sich weich anschmiegendem Seidenstoff, meist in ganz bestimmten, satten Farben: ein prächtiges Grün, ein prächtiges Blau, ein prächtiges Gelb, ein prächtiges Lila, ein prächtiges Rubinrot von leuchtendem Glanz – so zogen sie in zahllosem Gewimmel, in Massen, scharenweise vorüber, glühend, blitzend, strahlend – dazwischen alle Augenblicke ein so blendendes Feuerrot, daß einem das Herz im Leibe lachte und man den Atem anhielt vor Staunen. Und wie anmutig waren diese Trachten! Oft bestand der ganze Anzug einer Frau nur in der Schärpe, die [18] sie um den Kopf und Leib gewunden hatte, oder der Mann hatte einen Turban auf und ein paar Lappen nachlässig um die Hüften geschwungen. Bei beiden kam die dunkle glänzende Haut dazwischen ungehindert zum Vorschein, und immer erfreute der Anblick der Gestalten Auge und Herz.

Noch heutigen Tages sehe ich dies köstliche Panorama in seiner überschwenglichen Farbenfülle und dem Schmelz der bunten Schattierungen vor mir; die geschmeidigen, halb unbekleideten Gestalten, die schönen braunen Gesichter, die anmutigen Stellungen und freien, zwanglosen Bewegungen, bei denen von Förmlichkeit und Steifheit keine Rede war.

Aber ach, da kam ein schriller Mißklang in diesen paradiesischen Zaubertraum: Aus der Tür einer Missionsschule schritten paarweise sechzehn kleine, fromme, gesetzte, schwarze Christenmädchen in europäischem Anzug. Ganz so ausstaffiert hätte man sie an einem Sommersonntag in jedem englischen oder amerikanischen Dorfe sehen können. Wie namenlos häßlich waren diese Kleider! Abscheulich, barbarisch, geschmacklos, unanmutig, alle Gefühle verletzend! Ich blickte auf die Kleider meiner Damen: sie glichen in vergrößertem Maßstab genau den greulichen Verunstaltungen, mit denen man jene [19] armen, kleinen, mißhandelten Geschöpfe quälte – ich schämte mich, mit Frau und Tochter auf der Straße zu gehen. Nun sah ich meine eigene Kleidung an und schämte mich vor mir selber.

Aber was hilft es – wir müssen uns darein ergeben unsere Kleider zu tragen wie sie sind und können ihre Daseinsberechtigung nicht leugnen. Freilich dienen sie dazu, gerade das auszuposaunen, was wir verbergen möchten – unsere Unaufrichtigkeit und versteckte Eitelkeit. Wir heucheln für Anmut, Wohlgestalt und Farbenglanz eine Geringschätzung, die wir nicht haben, und ziehen die häßlichen Kleider an, um diese Lüge glaubhaft zu machen und weiter zu verbreiten. Doch täuschen wir damit unsere Nächsten nicht, und wenn wir nach Ceylon kommen, werden wir alsbald inne, daß wir uns nicht einmal selbst zu täuschen vermögen. Ja, gestehen wir es nur: wir lieben leuchtende Farben und anmutige Trachten, und wenn wir sie zu Hause bei einem Festzug sehen können, achten wir weder Regen noch Sturm und beneiden die geschmückten Teilnehmer. Wir gehen ins Theater, staunen die Kostüme an und sind betrübt, daß wir uns nicht auch so kleiden können. Beehrt uns der König mit einer Einladung zum Hofball, so betrachten wir die prächtigen Uniformen [20] und strahlenden Ordenszeichen mit wahrem Hochgenuß. Wird uns gestattet, einer kaiserlichen Cour beizuwohnen, so schließen wir uns vorher zu Hause ein, stolzieren stundenlang in unserm schönen Gala-Anzug einher, bewundern uns im Spiegel und fühlen uns unaussprechlich glücklich. Auch jeder Beamte im Stabe jedes Gouverneurs im demokratischen Amerika macht es ebenso mit seiner neuen Staatsuniform, und wenn man nicht aufpaßt, um ihn rechtzeitig zu hindern, läßt er sich gewiß auch darin photographieren. So oft ich die Diener des Lord-Mayors sehe, fühle ich mich unzufrieden mit meinem Lose. Kurz und gut: unsere Kleider sind seit hundert Jahren nichts als Lug und Trug gewesen. Sie sind ebenso unwahr wie unschön und vollkommen geeignet unser inneres Scheinwesen und moralisches Verderben ins rechte Licht zu stellen.

Der kleine braune Junge, den ich zuletzt unter den sich drängenden Scharen von Colombo bemerkte, hatte nichts an, außer einem um die Hüften geschlungenen Bindfaden, aber in meiner Erinnerung bildet der ehrliche Mangel seiner Bekleidung einen wohltuenden Gegensatz zu der widerwärtig scheinheiligen Vermummung, in welche man die farbigen Dämchen aus der Sonntagsschule gesteckt hatte.


[21]

Zweites Kapitel.

Im Wohlstand kann man an seinen Grundsätzen am besten festhalten.

Querkopf Wilsons Kalender.

14. Januar abends. – Die ›Rosetta‹, mit der wir absegeln, ist ein schlechtes altes Schiff, das man versichern und untergehen lassen sollte. Auch hier, wie auf der ›Oceana‹, hält man die Mittagstoilette für eine Art frommer Pflicht. Aber dergleichen vornehme Formen stehen in grellem Gegensatz zu der Aermlichkeit der schäbigen Ausstattung des Fahrzeugs … Wenn man zum Nachmittagstee eine Limonenscheibe haben möchte, muß man erst am Schenktisch eine Anweisung unterzeichnen. Und dabei kostet das Faß Limonen vierzehn Cents.


18. Januar. Nachdem wir das Arabische Meer durchschifft haben, sind wir jetzt dicht an Bombay, das wir noch heute abend erreichen sollen.


20. Januar. Bombay! – wie ein Märchen aus ›Tausend und eine Nacht‹, entzückend, verwirrend, bezaubernd! Es ist eine ungeheure Stadt, mit etwa einer Million Einwohnern, meist braune Leute; die [22] wenigen Weißen, die man zerstreut unter der Masse der Bevölkerung findet, kommen gegen alle die dunkeln Gesichter kaum in Betracht. Hier ist es Winter: ein himmlisches Juniwetter und frisches, köstliches Sommerlaub. Im Schatten der großen prächtigen Baumreihe dem Hotel gegenüber sitzen malerische Gruppen von Eingeborenen beiderlei Geschlechts; der Gaukler im Turban mit den Schlangen und Zauberkünsten ist natürlich dabei. Den ganzen Tag sieht man die verschiedenartigsten Trachten zu Fuß und zu Wagen vorüberziehen; es ist, als könnte man nie müde werden, diese endlosen Wandelbilder, dies glänzende und stets wechselnde Schauspiel zu betrachten … Die fest eingekeilte Masse der Eingeborenen im großen Bazar bot einen wunderbaren Anblick; es war ein Meer von buntfarbigen Turbans und faltigen Gewändern, zu dem die fremdartigen, prunkvollen indischen Bauwerke gerade den richtigen Hintergrund bildeten. Bei Sonnenuntergang folgte ein anderes Schauspiel: eine Fahrt am Seestrande bis zur Malabar-Spitze, wo Lord Sandhurst, der Gouverneur der Präsidentschaft Bombay, wohnt. Auf der ersten Hälfte des Weges, den alle Welt fährt, steht ein schöner Parsenpalast neben dem andern. Die Privatequipagen der reichen Engländer und vornehmen [23] Eingeborenen haben außer dem Kutscher noch drei Bediente in wundervollen orientalischen Livreen. Zwei davon, prächtig anzuschauen, stehen als beturbante Statuen hintenauf. Manchmal nehmen die öffentlichen Fuhrwerke dergleichen überschüssige Diener mit: einen zum Fahren, einen um neben dem Kutscher zu sitzen und ihm zuzusehen, und einen, der hinten auf dem Tritt steht und schreit, wenn jemand im Wege ist; wenn niemand da ist, schreit er auch, um nicht aus der Uebung zu kommen. Das alles bringt Leben und Bewegung mit und erhöht den Gesamteindruck von Hast, Schnelligkeit und Verwirrung.

In der Nähe der ›Läster-Spitze‹ – ein sehr bezeichnender Name – sind Felsen, auf denen man bequem sitzen kann, um nach der einen Seite hin den herrlichen Blick auf das Meer zu genießen und auf der andern die Menge der schön geschmückten Wagen bei der Hin- oder Rückfahrt vorbeirasseln und -jagen zu sehen; dort haben die Frauen wohlhabender Parsen in Gruppen Platz genommen, wahre Blumenbeete voll Farbenglanz, ein unwiderstehlich fesselndes Bild. Trab, trab, trab, kommt es die Straße entlang, einzeln, zu zweien, in Gruppen und Abteilungen – das sind Arbeiterscharen, Männer und [24] Frauen, aber nicht gekleidet wie bei uns. Der Mann, meist eine große, stolze Athletengestalt, hat außer seinem Lendentuch nicht einen Fetzen an, seine Gesichtsfarbe ist dunkelbraun, auf der glatten Haut, die wie Atlas glänzt, treten die Muskeln in Wülsten hervor, als ob Eier darunter lägen. Die Frau ist gewöhnlich schlank und wohlgebildet, kerzengerade wie ein Blitzableiter und trägt nur ein Kleidungsstück – einen langen, hellfarbigen Stoffstreifen, den sie um Kopf und Leib windet, fast bis zu den Knieen herunter, und der sich so fest wie ihre eigene Haut an den Körper schmiegt. Füße und Beine sind nackt, desgleichen die Arme, bis auf die Gehänge von losen, verschlungenen Silberringen an den Armen und Fußgelenken. Auch in der Nase trägt sie Schmuck und glänzende Ringe an den Fußzehen. Beim Schlafengehen wird sie ihr Geschmeide wohl ablegen; mehr kann sie nicht ausziehen, sonst würde sie sich erkälten. Man sieht sie meist mit einem großen, schön geformten Wasserkrug von blankem Metall, den sie mit erhobenem Arm auf dem Kopfe festhält. Aufrecht, würdevoll und doch mit leichtem, anmutigem Gang kommt sie daher; ihr gebogener Arm und der blanke Krug erhöhen noch die malerische Wirkung und machen sie zu einer wahren Zierde für die Straße. [25] Unsere Arbeiterfrauen können es ihr darin auch nicht entfernt gleichtun.

Farben, wohin man blickt, entzückende, bezaubernde Farben, rings umher und längs der gewundenen Straße an der großen, bunt schillernden Bucht, bis man das Haus des Gouverneurs erreicht. Dort stehen, den Turban auf dem Kopf, die großen Chuprassies, die eingeborenen Diener in ihren feuerroten Gewändern an der Eingangspforte gruppiert und bilden den theatralischen Schluß des prächtigen Schauspiels. O, wäre ich doch ein Chuprassy!

Ja, das ist Indien! Das Land der Romantik und der Träume, wo fabelhafter Reichtum und fabelhafte Armut wohnt, das Land der Pracht und Herrlichkeit, der Lumpen, der Paläste und elenden Hütten, der Pest und Hungersnot, der Schutzgeister und Riesen, wo Aladdins Lampe, Tiger, Elefanten, die Kobra, der Dschungel zu finden sind, wo hunderterlei Völker in hunderterlei Sprachen reden, das tausend Religionen und zwei Millionen Götter hat. Indien ist die Wiege des Menschengeschlechts, der Geburtsort der menschlichen Sprache, die Mutter der Geschichte, die Großmutter der Sage, die Urgroßmutter der Ueberlieferung; was für andere Völker graues Altertum ist, zählt zu Indiens jüngster [26] Vergangenheit. Es ist das einzige Land unter der Sonne, das für den Fürsten und den Bettler, den Gebildeten und den Unwissenden, den Weisen und den Toren, den Sklaven und den Freien den gleichen, unzerstörbaren Reiz hat. Alle Menschen möchten es sehen, und wer es einmal auch nur flüchtig geschaut hat, würde die Wonne dieses Anblicks nicht für alles Schaugepränge eintauschen, das der gesamte übrige Erdball zu bieten vermag.

Selbst jetzt, nach Ablauf eines Jahres, ist mir die sinnverwirrende Freude jener Tage in Bombay noch vollkommen gegenwärtig, und ich hoffe, sie wird mich nie verlassen. Es war alles ganz neu und ungewohnt; auch warteten die Ueberraschungen nicht erst bis zum nächsten Morgen, sie waren da, sobald wir das Hotel betraten. In den Hallen und Vorsälen wimmelte es von braunen Eingeborenen mit Turban, Fez oder gestickter Mütze, die in baumwollenem Gewand barfuß durcheinander liefen oder ruhig auf dem Boden saßen und hockten. Einige schwatzten mit großem Nachdruck, andere saßen still und träumerisch da; im Speisezimmer stand hinter dem Stuhl jedes Gastes sein farbiger Aufwärter, angekleidet wie in einem Märchen aus ›Tausend und eine Nacht‹.

Unsere Zimmer waren nach vorn hinaus in [27] einem oberen Stock. Ein Weißer – es war ein handfester Deutscher – führte uns hinauf und nahm drei Hindus mit, um alles in Ordnung zu bringen. Etwa vierzehn andere folgten in langem Zuge mit dem Handgepäck; jeder trug nicht mehr als ein Stück, was es auch sein mochte. Ein starker Eingeborener trug meinen Ueberzieher, ein anderer einen Sonnenschirm, der dritte eine Schachtel Zigarren, der vierte einen Roman, und der letzte kam nur noch mit einem Fächer beladen daher. Sie taten das alles mit großem Ernst und Eifer; von vorn bis hinten war in dem ganzen Zuge auf keinem Gesicht ein Lächeln zu sehen. Jeder einzelne wartete, ruhig, geduldig und ohne die geringste Eile zu verraten, bis er ein Kupferstück erhielt, dann verneigte er sich ehrfurchtsvoll, legte die Finger an die Stirn und ging seiner Wege. Diese Leute scheinen sanften und milden Gemüts zu sein; es lag etwas Rührendes in ihrem Verhalten, das zugleich für sie einnahm.

Eine große Glastür führte zum Balkon hinaus. Sie sollte geputzt oder verriegelt werden – was weiß ich – und ein Hindu kniete auf dem Boden, um die Arbeit zu tun. Anscheinend machte er seine Sache ganz ordentlich, aber das mußte wohl nicht der Fall sein, denn die Miene des Deutschen verriet [28] Unzufriedenheit, und ohne ein Wort der Erklärung schlug er den Hindu plötzlich derb ins Gesicht und sagte ihm dann erst, was er falsch gemacht hatte. Der Diener nahm die Züchtigung demütig und schweigend hin; auch zeigte weder sein Gesichtsausdruck noch sein Wesen überhaupt den geringsten Groll. Mir schien es eine wahre Schande, so etwas in unserer Gegenwart zu tun; seit fünfzig Jahren hatte ich solchen Auftritt nicht erlebt. Urplötzlich fühlte ich mich in meine Knabenzeit zurückversetzt und mir fiel ein, daß dies ja die gewöhnliche Art sei, wie man einem Sklaven seine Wünsche begreiflich machte – eine Tatsache, die mir ganz entfallen war. Damals hatte ich diese Methode richtig und natürlich gefunden, denn ich war von klein auf daran gewöhnt und glaubte, man mache das nirgends anders; aber ich erinnere mich recht gut, daß mir bei solchen stumm ertragenen Schlägen der Empfänger stets leid tat und ich mich für den Strafenden schämte. Mein Vater war ein edler, gütiger Mann, sehr ernst und enthaltsam, von strengster Gerechtigkeit und Redlichkeit, ein rechtschaffener Charakter durch und durch. Zwar war er nicht Mitglied irgend einer Kirche, sprach auch nie von religiösen Dingen und nahm an den frommen Freuden seiner presbyterianischen Familie [29] keinen Anteil, doch schien er das nicht als Entbehrung zu empfinden. Er hat mich, so lange er lebte, nur zweimal körperlich gezüchtigt und gar nicht hart. Einmal, weil ich ihn belogen hatte – was mich höchlich überraschte und mir sein gutes Zutrauen bewies, denn es war keineswegs mein erster Versuch gewesen. Mich schlug er, wie gesagt, nur zweimal und seine anderen Kinder gar nicht; aber unsern kleinen gutmütigen Sklaven Lewis ohrfeigte er häufig für die geringfügigste Ungeschicklichkeit oder ein kleines Versehen. Mein Vater hatte von Geburt an unter Sklaven gelebt, und wenn er sie schlug, so tat er das nach damaliger Sitte, gegen seine Natur. – Als ich zehn Jahre alt war, sah ich einmal, wie ein Mann einem Sklaven im Zorn ein Stück Eisenerz an den Kopf warf, weil er etwas ungeschickt gemacht hatte – als ob das ein Verbrechen wäre. Es sprang von seinem Schädel ab, und der Mensch fiel hin, ohne einen Laut von sich zu geben. Nach einer Stunde war er tot. – Ich wußte wohl, daß der Herr das Recht hatte, seinen Sklaven zu töten, wenn er wollte, aber doch kam es mir erbärmlich vor und eigentlich unstatthaft, wiewohl ich nicht gescheit genug gewesen wäre, um zu erklären, was unrecht daran sei, wenn man mich gefragt hätte. [30] Niemand in unserm Dorf billigte jene Mordtat, aber es war natürlich nicht viel davon die Rede.

Merkwürdig, wie der Gedanke Raum und Zeit überspringen kann! Eine Sekunde lang war mein ganzes Ich in dem kleinen Dorf von Missouri auf der andern Halbkugel der Erde; jene vergessenen Bilder von vor fünfzig Jahren standen mir lebendig vor Augen, und alles übrige versank gänzlich vor meinem Bewußtsein. In der nächsten Sekunde war ich schon wieder in Bombay, während die Backe des knieenden Dieners noch von der Ohrfeige brannte. Bis zur Knabenzeit – fünfzig Jahre – zurück ins Alter – abermals fünfzig, und ein Flug um den ganzen Erdball – alles in einem Zeitraum von zwei Sekunden!

Verschiedene Eingeborene – ich weiß nicht mehr wie viele – begaben sich nun in mein Schlafzimmer, brachten alles in Ordnung und befestigten das Moskitonetz. Dann legte ich mich zu Bett, um meine Erkältung rascher los zu werden. Es war etwa neun Uhr abends und an Ruhe gar nicht zu denken. Drei Stunden lang dauerte das Geschrei und Gekreisch der Eingeborenen in der Vorhalle noch ununterbrochen fort, auch das sammetweiche Getrappel ihrer behenden, nackten Füße hörte nicht auf. Nein, dieser [31] Lärm! Alle Bestellungen und Botschaften wurden drei Treppen hinunter geschrieen; es klang wie Aufruhr, Meuterei, Revolution. Auch noch andere Geräusche kamen hinzu: von Zeit zu Zeit ein furchtbarer Krach, als ob Dächer einfielen, Fenster zerbrächen, Leute ermordet würden. Dann hörte man die Krähen krächzen, hohnlachen, fluchen; Kanarienvögel kreischten, Affen schimpften, Papageien plapperten, zuletzt erscholl wieder ein teuflisches Gelächter, gefolgt von Dynamitexplosionen. Bis Mitternacht hatte ich alle nur erdenklichen Schreckschüsse über mich ergehen lassen und wußte nun, daß mich nichts mehr überraschen und stören konnte – ich war auf alles gefaßt. Da trat plötzlich Ruhe ein – eine tiefe, feierliche Stille, die bis fünf Uhr morgens dauerte.

Dann ging der Spektakel aber von neuem los. Und wer hat ihn angefangen? Die indische Krähe, dieser Vogel aller Vögel. Mit der Zeit lernte ich ihn näher kennen und war dann ganz in ihn vernarrt. Ich glaube, er ist der durchtriebenste Spitzbube, der Federn trägt und dabei so lustig und selbstzufrieden wie kein anderer. Ein solcher Vogel konnte nicht mit einemmal zu dem geschaffen werden, was er ist: unvordenkliche Zeitalter haben an seiner [32] Entwicklung gearbeitet. Er ist öfter wiedergeboren als der Gott Schiwa und hat bei jeder Seelenwanderung etwas zurückbehalten und es seinem Wesen einverleibt. Im Verlauf seines stufenweisen Fortschritts, seines glorreichen Vorwärtsschreitens zu schließlicher Vollendung, ist er ein Spieler gewesen, ein zuchtloser Priester, ein Komödiant, ein zänkisches Weib, ein Schuft, ein Spötter, ein Lügner, ein Dieb, ein Spion, ein Angeber, ein käuflicher Politiker, ein Schwindler, ein berufsmäßiger Heuchler, ein bezahlter Patriot, auch Reformator, Vorleser, Anwalt, Verschwörer, Rebell, Royalist, Demokrat; er hat sich überall eingemischt, sich unehrerbietig und zudringlich benommen, hat ein gottloses, sündhaftes Leben geführt, bloß weil es ihm das größte Gaudium machte. Und das Ergebnis der stetigen Ansammlung aller verwerflichsten Eigenschaften ist merkwürdigerweise, daß er weder Sorge, noch Kummer, noch Reue kennt; sein Leben ist eine einzige Kette von Wonne und Glückseligkeit, und er wird seiner Todesstunde ruhig entgegengehen, da er weiß, daß er vielleicht als Schriftsteller oder dergleichen wiedergeboren wird, um sich dann womöglich als noch größerer Schwerenöter behaglicher zu fühlen denn je zuvor.

[33]

Wenn die Krähe mit großen Schritten breitbeinig einherkommt, dann seitlich ein paar kräftige Hopser macht, eine unverschämte, pfiffige Miene aufsetzt und den Kopf schlau auf die Seite legt, erinnert sie an die amerikanische Amsel. Doch ist sie viel größer und lange nicht so schlank und wohlgebaut; auch ihr schäbiger grau und schwarzer Rock hat natürlich nicht den herrlichen Metallglanz, in dem das Federkleid der Amsel prangt. Die Krähe ist ein Vogel, der nicht schweigen kann; er zankt, schwatzt, lacht, schnarrt, spottet und schimpft beständig. Seine Ansicht äußert er über alles, auch wenn es ihn gar nichts angeht, mit größter Heftigkeit und Rücksichtslosigkeit. Er nimmt sich nicht erst Zeit nachzudenken, weil er keine Gelegenheit vorbeigehen lassen will, ohne seine Meinung zum Besten zu geben, selbst wenn es sich gerade um etwas ganz anderes handelt.

Ich glaube, die indische Krähe hat keinen Feind unter den Menschen. Sie wird weder von Weißen noch Mohammedanern belästigt, und der Hindu tötet schon aus religiösen Rücksichten überhaupt kein Geschöpf; er schont das Leben der Schlangen, Tiger, Flöhe und Ratten. Wenn ich an einem Ende auf dem Balkon saß, pflegten sich die Krähen auf dem Gitter am andern Ende zu versammeln und ihre [34] Bemerkungen über mich zu machen; nach und nach flogen sie näher herzu, bis ich sie fast mit der Hand erreichen konnte. Da saßen sie und unterhielten sich ohne Scham und Scheu über meine Kleider, mein Haar, meine Gesichtsfarbe und vermutlich auch über meinen Charakter, Beruf und politischen Standpunkt, und wie ich nach Indien gekommen sei, was ich schon alles getan hätte, wie viele Tage mir zur Verfügung ständen, warum ich noch nicht an den Galgen gekommen wäre, ob es mir noch lange glücken würde, dem Strick zu entgehen, ob es da, wo ich herkäme, noch mehr Leute meines Schlages gäbe, und so immer fort, bis ich es vor Verlegenheit nicht länger aushalten konnte und sie wegscheuchte. Darauf kreisten sie eine Weile in der Luft, unter Geschrei, Gespött und Hohngelächter, kamen dann wieder auf das Gitter geflogen und fingen die ganze Geschichte noch einmal von vorne an.

In wahrhaft überlästiger Weise zeigten sie aber ihre gesellige Neigung, wenn es etwas zu essen gab. Ohne daß man ihnen erst zuzureden brauchte, kamen sie auf den Tisch geflogen und halfen mir mein Frühstück verzehren. Als ich einmal ins Nebenzimmer ging und sie allein ließ, schleppten sie alles fort, was sie nur tragen konnten, und obendrein [35] lauter für sie ganz nutzlose Dinge. Man macht sich keinen Begriff davon, in welcher Unzahl sie in Indien vorkommen, und der Lärm, den sie verursachen, ist nicht zu beschreiben. Ich glaube, sie kosten dem Land mehr als die Regierung, und das ist keine Kleinigkeit. Doch leisten sie auch etwas dafür, und zwar durch ihre bloße Gegenwart. Wenn man ihre lustige Stimme nicht mehr zu hören bekäme, so würde die ganze Gegend einen trübseligen Anstrich erhalten.


Drittes Kapitel.

Durch Übung lernt man leicht Unglück ertragen – das Unglück anderer Leute, meine ich.

Querkopf Wilsons Kalender.

In unsicherm Glanz, wie das Mondlicht am Rande des Horizonts erscheint, so tauchten die alten Träume von Indiens Herrlichkeit allmählich wieder in meinem Bewußtsein auf. Das Bild, das mir in den Knabenjahren lebendig vor der Seele gestanden hatte, als ich noch in den Märchen des Orients schwelgte, erwachte wieder mit tausend längst vergessenen Einzelheiten. Zum Beispiel, die barbarische [36] Pracht und die großartigen, volltönenden Fürstentitel, bei denen einem das Wasser im Munde zusammenläuft: Nizam von Hyderabad, Maharadscha von Travancore, Nabob von Jubbelpore, Begum von Bhopal, Nawab von Mysore, Raja von Gulnare, Abkoond von Swat, Rao von Rohilkund, Gaikawar von Baroda. Namen wachsen überhaupt dort im Lande wie Pilze. Der große Gott Wischnu hat ihrer hundertundacht ganz besonders heilige – sozusagen nur zum Feiertagsgebrauch. Ich habe die hundertundacht Namen Wischnus einmal alle auswendig gelernt, aber ich konnte sie nicht behalten und weiß jetzt keinen einzigen mehr davon.

Romantische Begebenheiten knüpfen sich noch heutigen Tages an die Namen jener indischen Fürsten, gerade wie in alten Zeiten. Kurz vor unserer Ankunft war ein solcher Roman vor einem englischen Gerichtshof in Bombay zur Verhandlung gekommen: Ein junger sechzehnjähriger Prinz hatte seine Güter, Titel und Würden vierzehn Jahre lang unbehelligt genossen. Da ward plötzlich behauptet, daß er gar kein Fürstensohn, sondern ein armes Bauernkind sei, welches man in die fürstliche Wiege eingeschmuggelt hatte, als der wahre Erbe im Alter von drittehalb Jahren gestorben war. Genau derselbe Stoff, [37] der so vielen alten orientalischen Geschichten zu Grunde liegt.

Umgekehrt ging es mit dem Thron des Gaikawar von Baroda, für den sich eine Zeitlang kein Erbe fand, bis man ihn in der Person eines Bauernknaben erkannte, der, seiner hohen Abkunft unbewußt, im Schmutz der Dorfstraße spielte. Sein Stammbaum war jedoch ganz in Ordnung, er erwies sich als der wirkliche Prinz und herrscht seitdem unangefochten in seinem Reich.

Auf ähnliche Weise ist kürzlich der Erbe eines andern indischen Fürstenhauses aufgefunden worden. Seit vierzehn Generationen hatten seine Vorfahren in niedrigem Stande gelebt. Aber man entdeckte seinen fürstlichen Ahnen in dem Verzeichnis eines der großen Wallfahrtsorte der Hindus, wo die Herrscher ihren Namen und das Datum ihres Besuchs einzuschreiben pflegen. Der eigentliche Zweck dieser Sitte ist, daß man über die religiösen Angelegenheiten der Fürsten Buch führen und ihr Seelenheil sichern kann; aber auch die Richtigkeit ihres Stammbaums läßt sich aus solcher Liste feststellen, wodurch sie noch besonderen Wert erhält.

Wenn ich jetzt an Bombay denke, glaube ich in ein Kaleidoskop zu sehen; ich höre das Klirren der [38] Glasstückchen, wenn die schönen Bilder wechseln und auseinander fallen, um sich zu immer neuen Formen und Figuren zu vereinigen, bei deren Anblick jeder Nerv in mir vor Wonne erbebt und Schauer des Entzückens durch meine Glieder rieseln. Die ganz verschiedenartigen Erinnerungsbilder ziehen immer in gleicher Reihenfolge, rasch wie ein Traum, an mir vorüber; sie lassen mir das Gefühl zurück, als hätte das wirkliche Erlebnis kaum eine Stunde gedauert, während es oft gewiß mehrere Tage in Anspruch genommen hat.

Die Wandelbilder beginnen mit der Wahl eines eingeborenen Dieners, eines ›Trägers‹, bei der man sehr sorgfältig zu Werke gehen muß, denn solange er sein Amt versieht, kommt er uns fast so nahe auf den Leib, wie unsere eigenen Kleider.

In Indien wird der Tag damit eröffnet, daß der ›Träger‹ an die Schlafzimmertür klopft und dazu eine gewisse Formel hersagt, welche ausdrücken soll, daß das Bad bereit ist. Es kommt uns vor als ob sie gar keinen Sinn hätte, aber das ist nur, weil man noch nicht an das Träger-Englisch gewöhnt ist. Erst mit der Zeit lernt man es verstehen.

Wo diese Sprache herstammt, ist ein Geheimnis; jedenfalls wird man auf Erden nichts Aehnliches [39] finden und im Paradiese erst recht nicht – möglicherweise aber unter den Verdammten. Man mietet einen ›Träger‹, sobald man den Boden Indiens betritt, denn niemand, ob Mann oder Weib, kann ohne ihn bestehen. Er ist Bote, Kammerdiener, Zimmermädchen, Aufwärter, Kurier, Jungfer – alles in einer Person. Bei seinem Eintritt bringt er, außer einem grobleinenen Wäschesack auch eine Decke mit; er schläft auf den Steinfliesen vor der Stubentür; wo und wann er seine Mahlzeiten hält, ist unbekannt; man weiß nur, daß er im Hause kein Essen bekommt, mag man in einem Hotel wohnen oder als Gast in einer Privatfamilie. Er bezieht einen hohen Lohn – nach indischen Begriffen – und sorgt selbst für seine Kost und Kleidung. Wir hatten in drittehalb Monaten drei ›Träger‹, der erste erhielt monatlich 30 Rupien – etwa 27 Cents täglich – die beiden andern 40 Rupien den Monat. Eine fürstliche Bezahlung! In Indien erhält der eingeborene Weichensteller auf der Eisenbahn höchstens 7 Rupien monatlich, desgleichen der eingeborene Bediente in einem Privathaus, und der Knecht auf dem Lande nur 4 Rupien. Die beiden ersteren beköstigen und kleiden sich und ihre Familien selbst; ob das der Knecht bei dem Monatslohn von 1 Dollar 8 Cents [40] auch tut, möchte ich bezweifeln. Vermutlich nährt ihn das Land, und mit seinem Verdienst bestreitet er den Unterhalt der Familie, nebst einer kleinen Abgabe für den Priester. Kleidung und Wohnung der Seinigen kosten nichts; sie leben in einer selbsterbauten Erdhütte, für die sie schwerlich Miete zahlen und tragen die ersten besten Lumpen; bei Knaben ist selbst das nicht vonnöten. Uebrigens sind für den Tagelöhner auf dem Lande jetzt gute Zeiten, er hat nicht immer ein so üppiges Leben geführt. Als der Hauptbevollmächtigte der Provinzen des Innern unlängst die Klagen einer Abordnung von Eingeborenen in einem amtlichen Erlaß als unbegründet zurückwies, erinnerte er sie daran, daß vor kurzem der Tagelohn noch eine halbe Rupie monatlich betragen habe, täglich nicht ganz einen Cent, $ 2.90 im Jahr. Wenn ein solcher Lohnarbeiter eine große Familie hatte – und mit diesem Reichtum beschenkt der Himmel die armen Eingeborenen ohne Ausnahme – so konnte er bei strengster Sparsamkeit vielleicht 15 Cents vom Ertrag seiner Jahresarbeit erübrigen. Eine Schuld von $ 13.50 hätte er in 90 Jahren abtragen können, wenn er Leben und Gesundheit behielt. Man stelle sich nur einmal vor, was das sagen will: Indien hat verhältnismäßig [41] wenige Städte; fast das ganze Land ist mit unabsehbaren Feldern bedeckt, die durch Lehmmauern von einander getrennt sind. Die ungeheure Masse der Bevölkerung besteht also einzig und allein aus landwirtschaftlichen Arbeitern. Kennt man diese Tatsachen, so erhält man erst einen Begriff von der grenzenlosen Armut, die sich hier ansammeln muß.

Der erste Diener, der sich bei uns meldete, wartete unten und schickte seine Zeugnisse herauf; es war am Morgen nach unserer Ankunft in Bombay. Wir prüften sie sorgfältig und fanden nichts daran auszusetzen, bis auf das eine: sie waren alle von Amerikanern ausgestellt. Wir sind ein zu gutmütiges Volk und bringen es nicht übers Herz, einem armen Menschen, der sein Brot verdienen muß, durch unser Urteil zu schaden. So erwähnen wir in dem Zeugnis nur seine guten Eigenschaften, ja, wir preisen sie nicht selten über Gebühr, und lassen die schlechten auf sich beruhen. Ueber diese stumme Lüge machen wir uns keine Gewissensbisse, und doch ist sie im Grunde verächtlicher als eine ausgesprochene Unwahrheit, mit der man die Leute nicht so leicht betrügt, weil sie sich durchschauen läßt. In Frankreich ist das anders; dort hat man wenigstens die Entschuldigung, daß ein Herr dem entlassenen Diener [42] ein gutes Zeugnis geben und seine Fehler verschweigen muß , er mag wollen oder nicht. Erwähnt man zum Schutz für den nächsten Brotherrn die Untugenden des Dieners, so kann er auf Schadenersatz klagen, und der Gerichtshof erkennt seine Forderungen an, ja, er erteilt dem wahrheitsliebenden Herrn noch eine derbe Rüge, weil er versucht hat, einen armen Menschen um sein Brot zu bringen und ihm den guten Ruf abzuschneiden. – Ich würde dergleichen nicht behaupten, wüßte ich es nicht aus dem Munde eines berühmten französischen Arztes, eines geborenen Parisers, der mir sagte, das sei nicht nur allgemein bekannt, sondern er selber habe in dieser Hinsicht sehr schlimme persönliche Erfahrungen gemacht.

Die reisenden Amerikaner hatten, wie gesagt, den Manuel X. in seinem Zeugnis so warm empfohlen, daß Sankt Petrus selbst ihn darauf hin zum Himmelstor eingelassen hätte, wenn der Heilige, wie ich vermute, mit den Gepflogenheiten meiner Landsleute nicht gerade sehr vertraut ist. Der Diener war als ein Ausbund von Geschicklichkeit in allen Künsten seines vielgestaltigen Berufs geschildert. Mit ganz besonderem Entzücken wurde seine ausgezeichnete Kenntnis des Englischen erwähnt, was mich sehr [43] freute, denn ich hoffte, es würde doch etwas Wahres daran sein.

Einen Diener mußten wir unverzüglich haben; die Meinigen nahmen Manuel daher für eine Woche zur Probe an und schickten ihn zu mir herauf. Ich hütete wegen meines Bronchialkatarrhs das Zimmer und sehnte mich nach einer kleinen Abwechslung und Unterhaltung. Da kam mir Manuel gerade recht. Er war ungefähr fünfzig Jahre alt, groß und schlank, hielt sich aus gewohnheitsmäßiger Ehrerbietung etwas vornüber gebeugt, hatte ein Gesicht von europäischem Schnitt, kohlschwarzes Haar, ein paar sanfte, fast furchtsame schwarze Augen, eine sehr dunkle Hautfarbe und ein glattgeschorenes Kinn. Anders als barhaupt und barfuß habe ich ihn während seiner Dienstwoche bei uns nie gesehen; die europäischen Kleider, welche er anhatte, waren schlecht, dünn und sehr abgetragen.

So stand er vor mir, verbeugte sich zum Gruß mit dem ganzen Oberkörper nach der feierlichen Art der Inder und berührte seine Stirn mit den Fingerspitzen der rechten Hand.

»Offenbar bist du ein Hindu, Manuel,« sagte ich, »aber du hast einen spanischen Namen – wie kommt das?«

[44]

Der Diener machte ein verblüfftes Gesicht; er hatte nichts verstanden und wollte es sich doch nicht merken lassen.

»Name Manuel. Ja Herr,« antwortete er gelassen.

»Das weiß ich, aber woher hast du ihn?«

»O ja, vermutlich. Wird wohl so sein. Vater heißt ebenso, Mutter nicht.«

Ich versuchte mich einfacher auszudrücken, um von diesem gelehrten Engländer verstanden zu werden, und sprach sehr langsam und deutlich:

»Von – wem – hat – dein – Vater – seinen – Namen?«

»O, der –« sein Gesicht erhellte sich – »er Christ sein, portugiesischer – wohnen in Goa. Ich geboren Goa. Mutter nicht Portugiesin – Mutter Eingeborene – Brahminenkaste – oberste Stufe – keine Kaste so hoch wie diese. Ich auch hochgeborener Brahmine. Auch Christ, wie Vater – hoher christlicher Brahmine, Herr – Heilsarmee.«

Diese Worte brachte er stotternd und schwerfällig heraus. Dann kam es plötzlich wie Begeisterung über ihn und er erging sich in einem langen Schwall unverständlicher Reden.

[45]

»Höre auf,« unterbrach ich ihn. »Hindustani verstehe ich nicht.«

»Nicht Hindustani, Herr – Englisch. Ich sprechen Englisch immer, den ganzen Tag, manchmal.«

»Gut, so lasse ich mir’s gefallen; es ist zwar nicht was ich nach deinem Zeugnis erwartet und gehofft hatte, doch ist es verständlich. Schmücke es nicht weiter aus. Sprachverschnörkelungen, die den Sinn beeinträchtigen, sind mir verhaßt.«

»Herr?«

»Das war nur eine allgemeine Bemerkung. Aber sage mir, wie kommst du zu deinem Englisch? Hast du es gelernt, oder ist es nur eine Gabe Gottes?«

Manuel zögerte mit der Antwort.

»Ja,« sagte er dann in frommem Ton. »Er sehr gut. Christengott sehr gut, Hindugott auch sehr gut. Zwei Millionen Hindugott, ein Christengott. Gehören alle mein, zwei Millionen und ein Gott – ich haben sehr viele. Manchmal ich beten zu sie allezeit, gehen jeden Tag an Altar, geben Geld; gut für mich – macht mich besserer Mann, gut für meine Kinder auch, verdammt gut.«

Nun fing er wieder an, allerhand unzusammenhängendes Zeug zu schwatzen, bis ich unserm Gespräch ein Ende machte und ihm befahl, das Badezimmer [46] in Ordnung zu bringen und den Boden aufzuwischen – ich wollte ihn los sein. Er tat als verstünde er mich, nahm meine Kleider aus dem Schrank und begann sie zu bürsten. Endlich, nachdem ich ihm meine Wünsche noch mehrmals in immer einfacheren Worten kundgetan, begriff er was ich wollte. Er ging hin und holte einen Kuli, um die Arbeit zu tun. Wenn er sie selbst verrichtete, erklärte er mir, würde er das Gesetz seiner Kaste übertreten und sich verunreinigen. Er könne sich dann nur mit großer Not und Schwierigkeit wieder zu Ehren bringen. Dergleichen Arbeit sei den höheren Kasten streng verboten, sie müßte von den Hindus der untersten Kaste, den verachteten Sudras getan werden.

Darin hatte Manuel vollkommen recht. Auch haben sich die armen Sudras anscheinend seit Jahrhunderten in ihr elendes Los ergeben, das sie sozusagen von Anbeginn der Welt dem Schimpf und der Bedrückung preisgibt. In den Verordnungen des Manu (900 v. Chr.) steht, daß wenn sich ein Sudra nicht auf einen niedrigeren Platz setzt als der Höhergestellte, er verbannt und gebrandmarkt werden soll … beleidigt er ein Mitglied der höheren Kaste, so wird er mit dem Tode bestraft . Hört [47] er zu, wenn die heiligen Bücher vorgelesen werden, so soll ihm siedendes Oel in die Ohren gegossen werden ; lernt er Stellen davon auswendig, so bringt man ihn um ; verheiratet er seine Tochter an einen Brahminen, so fährt der Gatte in die Hölle , weil er sich durch die Berührung mit einem so unendlich tief unter ihm stehenden Weibe verunreinigt hat. Auch ist es dem Sudra verboten, Reichtum zu erwerben . »Der Hauptbestandteil der indischen Bevölkerung« (heute auf 300 000 000 geschätzt) sagt Bukle »sind die Sudras – die Arbeiter, Landbauer und Erzeuger des Wohlstands, und doch hat schon der Name Sudra eine verächtliche Bedeutung.«

Den armen alten Manuel konnten wir nicht gebrauchen; er mochte wohl schon zu bejahrt für uns sein. Ueber seine Langsamkeit wollte man schier verzweifeln und seine Vergeßlichkeit überstieg alle Grenzen. Um eine Besorgung in der nächsten Straße zu machen, blieb er zwei Stunden aus und vergaß unterwegs, was er holen sollte. Zum Packen eines Koffers brauchte er eine Ewigkeit und wenn er schließlich damit zustande kam, war der Inhalt ein unbeschreibliches Chaos. Auch die Aufwartung bei Tische besorgte er schlecht, und das ist ein sehr wesentlicher [48] Mangel, denn wer sich in einem indischen Hotel nicht auf seinen eigenen Diener verlassen darf, ist übel dran und muß meist hungrig von Tische aufstehen. Sein Englisch verstanden wir ebensowenig wie er das unsrige, und als sich herausstellte, daß er selbst nicht verstand was er sagte, war es hohe Zeit uns von ihm zu trennen. Fortschicken mußte ich ihn, das ließ sich nicht ändern, aber ich tat es so sanft und freundlich, wie ich irgend konnte. »Wir müssen scheiden,« sagte ich, »doch hoffe ich, daß wir uns in einer bessern Welt wiederfinden.« Die kleine Unwahrheit nahm ich mir nicht übel, sie kostete nichts und ersparte ihm eine Kränkung.

Sobald er fort war, fiel mir eine Last vom Herzen, ich fühlte frische Kraft und neuen Mut, meine Unternehmungslust wuchs und ich war bereit zu allen Taten. Da kam auch schon Manuels neu gemieteter Nachfolger hereingeflitzt; er berührte seine Stirn, flog hierhin und dorthin auf sammetweichen Sohlen, brachte in fünf Minuten das ganze Zimmer in die musterhafteste Ordnung und stand dann ehrerbietig da, weitere Befehle erwartend. Potztausend, was war das für ein rühriges Kerlchen! Eine wahre Erquickung nach der schläfrigen alten Schnecke, dem Manuel. Vom ersten Augenblick an hing mein [49] ganzes Herz voll Liebe und Bewunderung an dem zweibeinigen, flinken, schwarzen Geschöpfchen, diesem Inbegriff von Tatkraft, Schnelligkeit und Zuversicht, diesem klugen, freundlichen, reizenden kleinen Teufel mit den blitzenden Augen. Das flammendrote Fez mit der feurigen Troddel, das ihm oben auf dem Kopfe saß und wie eine brennende Kohle glühte, kleidete ihn zum Entzücken.

»Wir werden gut zusammen auskommen,« sagte ich mit innerlichster Befriedigung. »Wie heißt du?«

Er wickelte seinen Namen der ganzen Länge nach mit geläufiger Zunge ab.

»Warte, laß mich meine Auswahl treffen, zum täglichen Gebrauch – den Rest versparen wir uns auf den Sonntag. Sage mir’s noch einmal, aber abteilungsweise.«

Er tat es; doch war kein kurzer Name darunter, außer Mausa, was mir nicht passend schien; es erinnerte an Maus und war zu sanft und still und viel zu unscheinbar für sein prächtiges Wesen.

»Mausa ist kurz genug,« sagte ich nach einiger Ueberlegung, »aber es gefällt mir nicht; es hat weder Saft noch Kraft und ist nicht bezeichnend genug – in solchen Dingen bin ich sehr empfindlich. Was meinst du, wenn wir dich Satan nennten?«

[50]

»Ja Herr – Satan, sehr guter Name.«

Es klopfte an der Tür; mit einem Sprunge war Satan dort, ein paar Worte auf Hindustani wurden gewechselt, dann schlüpfte er hinaus. Drei Minuten später stand er in militärischer Haltung wieder vor mir und wartete auf meine Anrede.

»Was gibt es, Satan?«

»Gott ist da, wünschen Sie zu sprechen.«

»Wer?«

»Gott. Ich ihn sollen hereinführen?«

»Wie ist denn das möglich? – ich – ich weiß wirklich nicht – so ganz unvorbereitet – erkläre mir doch – ein so ungewöhnlicher Besuch –«

»Hier seine Karte, Herr.«

War es nicht merkwürdig, schrecklich und staunenerregend, daß eine so hohe Persönlichkeit mich armen Sterblichen besuchen wollte, und mir wie ein gewöhnlicher Mensch seine Karte hereinschickte – obendrein durch Satan? – Es schien mir ein völlig verwirrendes, undenkbares Zusammentreffen. Aber wir waren ja in Indien, dem Märchenlande; es gibt nichts, was dort nicht geschehen könnte!

Die Unterredung fand statt. Satan hatte ganz recht. Mein Besucher war in den Augen seiner Anhänger wirklich ein Gott und wurde von ihnen als [51] solcher in aller Demut verehrt und angebetet. An der Göttlichkeit seines Amtes und Ursprungs zu zweifeln, liegt ihnen ferne. Sie glauben an ihn, bringen ihm Gaben und Opfer dar und erlangen von ihm Vergebung ihrer Sünden. Seine Person und alles was diese betrifft, ist ihnen heilig; sie kaufen sich von dem Barbier die abgeschnittenen Fingernägel des Gottes, fassen sie in Gold und tragen sie als kostbare Amulette.

Ich versuchte eine ruhige Unterhaltung mit ihm zu führen, aber ich brachte es nicht zustande. Hättet ihr es tun können? – Meine Aufregung, Verwunderung und Neugier waren zu groß; ich verschlang ihn förmlich mit den Augen. Es war ein Gott, ein wirklicher, anerkannter und beglaubigter Gott, den ich da vor mir sah; seine Person, sein Anzug bis in die kleinsten Einzelheiten, hatte ein überwältigendes Interesse für mich. »Was für ein Unterschied!« dachte ich: »selbst der höchstgestellte Mensch muß sich am Zoll der Ehrerbietung und Höflichkeit genügen lassen, den man ihm darbringt, aber er ist der Empfänger weit köstlicherer Geistesgaben – vor ihm kniet man, ihn betet man an! Männer und Frauen legen die Sorgen und Kümmernisse eines schwerbeladenen Herzens ihm zu Füßen nieder und er verleiht ihnen Trost [52] und Frieden, so daß sie geheilt von dannen gehen.«

In diesem Augenblick sagte mein erhabener Gast im einfachsten Tone von der Welt:

»Was mir an der Lebensweisheit Ihres Huckleberry Finn am besten gefällt, ist –« und dann fuhr er fort, mir sein literarisches Urteil auf klare und verständige Weise auseinander zu setzen.

O, was für wunderbare Ueberraschungen erlebt man doch in Indien! Ich gestehe, daß ich nicht ohne Ehrgeiz bin und gehofft hatte, Könige, Präsidenten und Kaiser würden mich lesen – aber so hoch hatte ich mich in meinen Erwartungen nie verstiegen. Wollte ich leugnen, daß mich das unendlich beglückte, so wäre es falsche Bescheidenheit. Selbst die größte Anerkennung von seiten eines Menschen hätte mir nicht solche Freude gemacht, das bekenne ich ganz offen.

Mein Gast blieb über eine halbe Stunde da und war sehr höflich und liebenswürdig. Die göttliche Würde besteht schon lange in seiner Familie, seit wann weiß ich nicht. Er ist eine mohammedanische Gottheit und nimmt auf Erden den Rang eines persischen Prinzen ein, der in gerader Linie vom Propheten abstammt. Er ist hübsch und noch recht jung – für einen Gott – fünfunddreißig [53] bis vierzig Jahre alt. Die göttliche Größe trägt er mit Ruhe und Gelassenheit, wie es sich für seinen erhabenen Beruf ziemt, und dabei sprach er das Englische geläufig und rein, wie ein geborener Engländer. Ich glaube nicht, daß ich übertreibe; ich hatte vorher noch nie einen Gott gesehen, und er machte mir einen sehr günstigen Eindruck. Als er sich erhob um Abschied zu nehmen, ging die Tür auf, ich sah draußen ein rotes Fez aufleuchten und hörte die ehrerbietige Frage:

»Soll Satan Gott hinausbegleiten?«

»Ja.« – Die beiden unzusammengehörigen Wesen verschwanden vor meinen Blicken, Satan ging voraus und der Andere folgte ihm.

Dekoration

[54]

Viertes Kapitel.

Glück zu ertragen verstehen nur wenige. Ich meine andrer Leute Glück.

Querkopf Wilsons Kalender.

Das nächste Bild in meiner Erinnerung ist das Gouverneurshaus auf der Malabar-Spitze, wo man von den Fenstern und großen Balkons weit ins Meer hinausblickt. Seine Exzellenz, der Gouverneur der Präsidentschaft Bombay, wohnt dort ganz nach europäischer Art, in einem Staatspalast, der zugleich ein behagliches Heim ist; nur die Leibwache und die Diener sind Eingeborene. Da war England vertreten mit seiner Macht und den Errungenschaften seiner modernen Zivilisation; überall herrschten stille Farben und gediegener Geschmack, ruhige Würde und Vornehmheit.

Nun folgte ein Bild altindischer Kultur in der Behausung von Kumar Shri Samatsinhji Bahadur, [55] dem Fürsten des Palitana-Staats. Bei unserm Besuch sahen wir auch dessen Sohn und Erben nebst seinem Schwesterchen. Die hübsche braune kleine Elfe war zart gebaut, sehr ernsthaft, reizend anzuschauen und gekleidet wie der zierlichste Schmetterling. Sie machte uns zwar ein freundliches Gesicht, doch zog sie es anfänglich vor, ihres Vaters Hand nicht loszulassen, um die Fremden erst näher kennen zu lernen und zu sehen, wie weit man ihnen trauen dürfe. Die niedliche kleine Märchenprinzessin mochte etwa acht Jahre alt sein; in drei oder vier Jahren mußte sie also nach indischem Brauch heiraten. Dann war ihr freies Leben in Luft und Sonnenschein zu Ende und von einem Verkehr mit männlichen Besuchern durfte nicht mehr die Rede sein. Gleich ihrer Mutter wird sie sich auf Lebenszeit im Frauengemach einschließen, sich aus angeerbter Gewohnheit glücklich fühlen und ihre Beschränkung weder als lästigen Zwang noch als trübselige Gefangenschaft ansehen.

In seinen Mußestunden unterhält sich der Fürst mit einem Spiel – aber davon will ich lieber nicht reden; ich könnte es doch nicht so beschreiben, daß man es versteht. Es ist sehr verwickelt, und obgleich ich mir alle Mühe gab es zu begreifen, gelang es mir doch nicht; man sagt, daß nur ein Inder das [56] Spiel erlernen kann. Meine Frau und Tochter besuchten unterdessen die Fürstin im Frauengemach – eine liebenswürdige Dame, die fließend Englisch spricht. – Auch einen Turban zu winden war ich nicht imstande; es sieht so einfach und leicht aus, als wäre es gar keine Kunst, das beruht jedoch auf Täuschung. Der Inder nimmt das eine Ende eines vierzig bis fünfzig Fuß langen und etwa einen Fuß breiten, dünnen, zarten Gewebes in beide Hände, windet es sorgfältig fest um den Kopf, wobei er den Stoff mehrmals dreht – in ein paar Minuten ist das Kunstwerk regelrecht vollendet und sitzt wie angegossen.

Wir interessierten uns sehr für die fürstliche Garderobe, die Edelsteine und das schön geformte, prächtig verzierte Silbergerät. Letzteres wird bei den Mahlzeiten gebraucht und im übrigen stets verschlossen gehalten; nur der erste Diener und der Fürst selber haben Schlüssel zum Silberschrank. Der Zweck dieser Maßregel ist aber keineswegs den Silberschatz zu hüten, sondern vermutlich den Fürsten vor einer Verunreinigung zu schützen, welcher seine Kaste ausgesetzt wäre, wenn Diener aus einer niederen Kaste die Gefäße berührten; vielleicht fürchtet seine Hoheit auch Gift! Ich glaube ein besoldeter [57] Vorkoster muß jede Speise versuchen, ehe der Fürst sie genießt. Das ist eine alte, weise Sitte im Orient, die gar manchen Vorkoster an Stelle seines Herren ins Jenseits brachte, denn natürlich ist es der Koch, der das Gift in das Essen tut. Wäre ich ein indischer Fürst, so würde ich mit dem Koch speisen und die Stelle des Vorkosters eingehen lassen.

Alle Zeremonien flößen mir stets Interesse ein; auch mit dem indischen Morgengruß ist eine solche verbunden: Der Sohn berührt dabei ehrfurchtsvoll des Vaters Stirn mit einem kleinen silbernen Röhrchen, das in Saft getaucht wird, welcher einen roten Punkt zurückläßt; hierauf segnet der Vater den Sohn. Wenn wir uns damit begnügen, Guten Morgen zu sagen, so paßt das zwar zu unsern formlosen Gewohnheiten, aber für den Orient wäre es lange nicht umständlich und feierlich genug.

Beim Schluß unseres angenehmen Besuchs legte man uns noch, wie es die Sitte verlangt, große gelbe Blumenkränze um den Hals und versah uns mit Betelnüssen zum Kauen. Dann begaben wir uns aus diesem farbenprächtigen, sonnigen Leben nach einem Schauplatz ganz anderer Art, nach den ›Türmen des Schweigens‹, wohin die Parsen ihre Toten bringen. Der Name hat einen erhabenen eindrucksvollen [58] Klang, über dem die Stille des Todes schwebt. Wenn wir von Grabhügel, Grabgewölbe, Gottesacker und Friedhof reden, so haben diese Wörter zwar auch, durch die sich daran knüpfenden Gedanken, eine feierliche Bedeutung für uns gewonnen, aber so majestätisch tönen sie doch nicht an unser Ohr.

Auf einer Anhöhe, mitten in einem tropischen Paradies von Blumen und Laubwerk, fern vom lärmenden Weltgetriebe, standen die ›Türme des Schweigens‹ da; ringsum breiteten sich große Haine von Kakaopalmen aus, dann die Stadt in meilenweitem Umkreis, dahinter das von Schiffen wimmelnde Meer, und über allem schwebte dieselbe lautlose Stille, welche droben den Platz der Toten umgab. Die Geier hatten sich eingestellt; sie saßen am Rande des niedrigen festen Turmes in einem großen Kreise dichtgedrängt, regungslos, wie aus Stein gemeißelt – und warteten. Man war fast versucht, sie für leblose Bildwerke zu halten. Plötzlich traten die Anwesenden – es mochten etwa zwanzig Personen zugegen sein – ehrfurchtsvoll beiseite, und das Gespräch verstummte. Ein Leichenzug bewegte sich durch das große Gartentor nach dem Turme hin. Der Tote lag auf einer flachen Bahre mit einem weißen Tuche bedeckt, sonst aber unbekleidet; zwischen den [59] Leichenträgern und dem Trauergefolge ließ man einen Abstand von dreißig Fuß. Die paarweise einherschreitenden Leidtragenden, in weiße Gewänder gehüllt, waren je zwei und zwei mit Stricken oder Tüchern zusammengebunden – das heißt, im bildlichen Sinne – eigentlich hielt nur jeder ein Ende in der Hand. Hinter dem Zuge führte man einen Hund an der Leine. Als die Trauernden unweit des Turmes angelangt waren – es darf außer den Trägern mit der Leiche kein Mensch näher kommen als bis auf dreißig Fuß – kehrten sie wieder um und begaben sich nach einem kleinen Tempel im Garten, um für den abgeschiedenen Geist zu beten. Die Träger schlossen indessen die Tür auf, welche den einzigen Gang zum Turme bildet und verschwanden drinnen vor unsern Blicken. Nach einer Weile kamen sie wieder heraus, Bahre und Leichentuch tragend, und verschlossen die Tür. Nun erhoben sich die Geier im Kreise, schlugen mit den Flügeln und schossen in den Turm hinunter, um die Leiche zu verzehren. Als der ganze Schwarm wenige Minuten später wieder davonflog, blieb nur das völlig abgenagte Skelett zurück.

Der Gedanke, welcher bei einem Parsenbegräbnis allen Bestimmungen zu Grunde liegt, ist die [60] Reinheit. Nach den Lehren des Zoroaster sind die Elemente Erde, Feuer und Wasser geheiligt und dürfen nicht durch Berührung eines Leichnams befleckt werden. Daher kann man die Toten weder verbrennen noch begraben, auch ist jedem untersagt, eine Leiche zu berühren oder den Turm zu betreten, in dem sie liegt. Nur den von Amtswegen dazu bestimmten Männern wird dies gestattet; sie erhalten hohen Lohn, führen jedoch ein einsames, trübseliges Leben, denn sie müssen allen Umgang mit andern Genossen meiden, weil sie sich durch ihren Verkehr mit den Toten verunreinigen; wer sich zu ihnen gesellt, wird gleichfalls befleckt. Bei ihrer Rückkehr aus dem Turm wechseln sie ihre Kleider in einem innerhalb der Tore gelegenen, besonders dazu bestimmten Gebäude. Den Anzug, welchen sie getragen haben, lassen sie dort zurück, denn er ist unrein und darf nicht mit hinausgenommen, noch überhaupt wieder benützt werden. Zu jedem Begräbnis kommen die Träger in neuen Kleidern. Kein menschliches Wesen, außer den angestellten Leichenträgern, hat je einen ›Turm des Schweigens‹ nach dessen Einweihung betreten, bis auf einen einzigen Fall. Es ist jetzt gerade hundert Jahre her, da drang einmal ein Europäer hinter den Trägern ins Innere des [61] Turmes, um seine rohe Neugier an dem verbotenen Anblick des geheimnisvollen Ortes zu sättigen. Name und Stand des frechen Eindringlings sind unbekannt geblieben; da er jedoch für sein schweres Vergehen keine andere Strafe seitens der Regierung der Ostindischen Kompagnie erhalten hat, als einen öffentlichen Verweis, so liegt die Vermutung nahe, daß es ein Europäer aus angesehener Familie war. In dem amtlichen Schreiben, welches jene feierliche Rüge enthielt, wurde zugleich jedem, der sich künftig einer ähnlichen Uebertretung schuldig machte, angekündigt, man werde ihn, falls er im Dienst der Kompagnie stehe, sofort entlassen; Mitglieder des Kaufmannsstandes dagegen sollten ihre Handelsberechtigung verlieren und aus Indien verbannt werden.

Die ›Türme des Schweigens‹ sind im Verhältnis zu ihrem Umfang nicht hoch. Will man sich einen ungefähren Begriff von ihrer Form machen, so stelle man sich einen Gasometer vor, der bis zur Hälfte seiner Höhe mit festen Granitsteinen ausgemauert ist, durch welche man in der Mitte einen breiten und tiefen Schacht gebohrt hat. Ringsum auf dem Mauerwerk liegen die Toten in flachen, rinnenartigen Vertiefungen, welche wie die Speichen eines Rades in schräger Richtung nach dem Brunnen zu auslaufen [62] und ihm das Regenwasser zuführen, das durch unterirdische Kanäle mit Kohlenfiltern wieder abgeleitet wird.

Hat das Skelett einen Monat lang, dem Regen und der glühenden Sonne ausgesetzt, im Turm gelegen, so ist es vollkommen trocken und rein. Dann kommen dieselben Träger behandschuht wieder, fassen es mit einer Zange an und werfen es in den Schacht, wo es in Staub zerfällt. Andere Völker scheiden ihre Toten voneinander und bewahren die Standesunterschiede noch im Grabe. Sie bestatten die Leichen von Königen, Staatsmännern, Generälen, in Tempeln und Pantheons, wie es ihrem Range gebührt, und die Leichen der Armen und gemeinen Leute an Orten, die ihrem niedern Stande angemessen sind. Die Parsen dagegen glauben, daß im Tode alle Menschen gleich sind. Zum Zeichen ihrer Armut trägt man sie nackt in die Grube, zum Zeichen ihrer Gleichheit wirft man die Gebeine der Reichen, der Armen, der Berühmten und der Unbekannten zusammen in denselben Brunnenschacht. Bei einem Parsenbegräbnis sieht man keine Wagen; wer sich daran beteiligt, sei er reich oder arm, muß zu Fuße gehen, mag die Entfernung auch noch so groß sein. Seitdem die Parsen vor zweihundert Jahren, durch die [63] mohammedanischen Eroberer vertrieben, aus Persien nach jener Gegend Indiens eingewandert sind, hat sich in den fünf vorhandenen ›Türmen des Schweigens‹ der Staub aller ihrer Männer, Frauen und Kinder vermischt, die in Bombay und dessen Umgegend gestorben sind.

Was der Hund bei dem Begräbnis bedeutet, weiß niemand mehr recht zu erklären; er soll bei den alten Parsen ein heiliges Tier gewesen sein, das die abgeschiedenen Seelen zum Himmel geleitete. Der Hund, den ich damals sah, machte mir einen tiefen Eindruck, er war ja ein Rätsel, zu dem der Schlüssel verloren gegangen ist. Traurig und mit gesenktem Kopf kam er daher, als sei er bemüht, sich das Sinnbild ins Gedächtnis zurückzurufen, welches vorzustellen man ihn vor grauen Jahren beauftragt hatte. Das heilige Feuer, das in der Nähe brennt, bekam ich nicht zu sehen; die ursprüngliche Flamme soll seit zweihundert Jahren nicht erloschen sein.

Die Parsen behaupten, daß ihre Art der Totenbestattung der wirksamste Schutz für die Lebenden ist. Weder Krankheitskeime noch Fäulnis, noch irgend welche Unreinigkeit wird dadurch verbreitet; keine Hülle, kein Kleidungsstück, das dem Toten angehört [64] hat, darf wieder mit einem Lebenden in Berührung kommen. Nichts geht von den Türmen des Schweigens aus, was der Welt draußen Schaden zu bringen vermöchte. Wir können den Parsen nur recht geben. In gesundheitlicher Beziehung hat ihr System dieselben Vorzüge wie die Leichenverbrennung. Wir nähern uns jetzt langsam aber sicher dieser Bestattungsart. Daß sich die Wandlung rasch vollziehen wird, kann man nicht erwarten, aber wenn sie nur allmählich und stetig fortschreitet, so genügt das vollständig. Ist die Leichenverbrennung erst einmal zur allgemeinen Regel geworden, so wird unser Grauen davor verschwinden; auch die Toten zu begraben würde uns Schauer erregen, wenn wir uns vergegenwärtigen wollten, was im Grabe vorgeht.

Die Parsen sind eine merkwürdige Volksgemeinde. In Bombay leben etwa 60 000 und halb so viel im übrigen Indien, aber was ihnen an Zahl abgeht, ersetzen sie durch ihre Bedeutung. Sie sind hochgebildet, tatkräftig, unternehmend, reich, dem Fortschritt huldigend, und nicht einmal die Juden zeigen sich so freigebig und wohltätig gegen jedermann ohne Unterschied. Viele Hospitäler für Menschen und Tiere sind von den Parsen erbaut und mit reichen Geldmitteln ausgestattet worden. Sie sowohl [65] als ihre Frauen haben eine stets offene Hand, wo es sich um irgend einen großen und guten Zweck handelt. In politischer Hinsicht bilden sie eine Macht, welche der Regierung wesentliche Unterstützung gewährt. Die Lehren ihrer Religion sind rein und erhaben, sie halten unverbrüchlich an ihnen fest und richten ihr ganzes Leben danach ein.

Ehe wir den Garten der ›Türme des Schweigens‹ verließen, warfen wir noch einen Blick auf die wundervolle Aussicht, welche Ebene, Stadt und Meer uns boten. Das letzte, was mir dabei ins Auge fiel, war ein natürliches Sinnbild des Todes: auf einem freien Platz im Garten saß ein Geier auf dem abgesägten Stumpf eines hohen, schlanken Palmbaums. Er verharrte regungslos in seiner Stellung, wie ein Steinbild auf einer Säule; dabei hatte er einen förmlichen Grabesblick, der ganz zu der Stimmung des Ortes paßte.


[66]

Fünftes Kapitel.

Es gibt einen alten goldenen Spruch, welcher lautet: »Wohl dir, wenn du beim Aufstieg zum Hügel des Glücks keinem Freunde begegnest.«

Querkopf Wilsons Kalender.

Zunächst wurden wir von Bekannten nach einem Dschain-Tempel mitgenommen; er war nicht groß und mit vielen flatternden Wimpeln geschmückt, die an Flaggenstangen befestigt sind; auf den Zinnen des Daches stehen ringsum eine Unmenge kleiner Götzenbilder. In der Mitte des innern Raumes sagte ein einsamer Dschain laut seine Gebete her und ließ sich durch unsere Gegenwart in keiner Weise stören. Seine Andacht galt einem kleinen, sitzenden, rosig gefärbten Götzen, der sich etwa zwölf Fuß vor ihm befand und einer schlecht geformten Wachsfigur glich. Mr. Gandhi, der dem Kongreß der Weltreligionen in Chicago als Abgeordneter beigewohnt hat, setzte uns die Lehren der Dschaina in trefflichem Englisch auseinander, aber was er sagte ist meinem Gedächtnis entschwunden. Ich weiß nur noch, daß sich ihre religiösen Vorstellungen in erhabene Formen [67] kleiden, und grobe Sinnlichkeit ihnen fremd ist. Wie sich das mit der Anbetung des rohen Götzenbildes vereinbaren läßt, kann ich nicht erklären. Vermutlich stellt dieses ein Wesen dar, das nach vielhundertjährigen Seelenwanderungen, bei stetiger Zunahme an Frömmigkeit und Tugend, zuletzt zu einem Heiligen, einer Art Gottheit geworden ist, welche die Anbetung stellvertretend entgegennimmt, um sie der Himmelsbehörde zu übermitteln. So denke ich es mir wenigstens.

Von dort begaben wir uns nach Mr. Premchand Roychands Bungalow im Love Lane, Byculla, wo ein indischer Fürst, der kürzlich von der Kaiserin Viktoria zum Ritter des indischen Sternordens ernannt worden war, die Abgesandten der Dschaina empfangen wollte, welche ihm wegen dieser hohen Ehre ihre Glückwünsche darbrachten. Selbst der größte indische Fürst verschmäht die Auszeichnung nicht; er erläßt seinen Untertanen die Steuern und gibt viel Geld aus zur Verbesserung der öffentlichen Zustände, wenn er dafür die Ritterwürde erlangen kann. Alljährlich verleiht die Kaiserin verschiedenen einheimischen Fürsten zum Lohn für ihre Verdienste den Stern von Indien und teilt zugleich Kanonen an sie aus, welche sie beim Salutschießen abfeuern [68] dürfen. Ein kleiner Fürst hat drei oder vier Kanonen, die ihm den Ehrengruß bringen, und mit der Bedeutung des Fürsten nimmt auch die Zahl seiner Kanonen zu, bis auf elf Stück, ja vielleicht haben manche noch mehr, aber das weiß ich nicht bestimmt. Mir ist gesagt worden, daß wenn ein vier Kanonen-Fürst die fünfte erhält, seine Umgebung sehr darunter leidet, denn solange ihm die Sache noch neu ist, möchte er bei jeder Gelegenheit Salutschüsse haben, und die ohrenzerreißende Musik will gar kein Ende nehmen. Wie viele Kanonen so große Herrscher wie der Nizam von Hyderabad und der Gaikawar von Baroda haben, vermag ich, wie gesagt, nicht anzugeben.

Als wir das Bungalow betraten, fanden wir die große Halle im Erdgeschoß bereits voller Menschen, und noch immer kamen neue Wagen vorgefahren. Die Versammlung bot ein hübsches Schauspiel; alles funkelte und blitzte wie bei einem Feuerwerk, so bunt waren die Kostüme und so glänzend die Farben. Ganz besonders merkwürdig fand ich die Ausstellung der verschiedenen Turbans. Ihre wunderbare Mannigfaltigkeit erklärte sich dadurch, daß die Mitglieder der Dschaina-Gesandtschaft aus allen Teilen Indiens stammten und jeder einen [69] Turban trug, wie er in seiner Gegend Sitte war.

Ich würde dort gern eine Konkurrenz-Ausstellung von christlichen Trachten und Kopfbedeckungen veranstaltet haben. Dazu hätte ich nur alle indische Herrlichkeit aus einer Hälfte des Raumes zu entfernen und diese mit Christen aus Amerika, England und den Kolonien anzufüllen brauchen, welche Hüte und Kleider trugen, wie sie vor zwanzig, vierzig, fünfzig Jahren Mode waren oder wie man sie heutzutage hat. Es wäre eine greuliche Sammlung gewesen, ein Anblick von ausgesuchter Scheußlichkeit. Auch die weiße Gesichtsfarbe hätte ihr Teil dazu beigetragen. Sie kommt uns zwar nicht gerade unleidlich vor, solange wir uns unter lauter Weißen befinden, sehen wir sie aber zusammen mit einer Menge brauner oder schwarzer Gesichter, so wird uns augenblicklich klar, daß nur die Gewohnheit sie erträglich macht. Eine schwarze oder braune Haut ist fast immer schön, eine weiße nur sehr selten. Will man sich hiervon überzeugen, so braucht man nur an einem Wochentage in Paris, New York oder London eine Straße hinunterzugehen – nicht gerade im vornehmsten Viertel – und sich zu merken, wie vielen Menschen mit gutem Teint man auf einer etwa meilenlangen Strecke begegnet. Neben dunkeln Gesichtern [70] sehen die weißen ausgewaschen, ungesund, oft förmlich gespensterhaft aus. Schon als Knabe hatte ich daheim, zur Sklavenzeit vor dem Bürgerkrieg, Gelegenheit gehabt diese Beobachtung zu machen. Wahrhaft bewundernswert erschien mir aber die prächtige schwarze Haut der südafrikanischen Zulus aus Durban, die wie Atlas glänzte. Ich sehe sie noch vor mir, diese schwarzen Athleten, wie sie mit den Rickschas vor dem Hotel auf Kundschaft warteten. Die schönen Gestalten waren nur wenig verhüllt durch die leichte Sommerkleidung, deren schneeiges Weiß das tiefe Schwarz der Neger um so mehr hervortreten ließ. In Gedanken vergleiche ich jene Zulu-Gruppe mit den Bleichgesichtern, die soeben an meinem Fenster in London vorübergehen:

Erste Dame : Gesichtsfarbe: neues Pergament.

Zweite : Altes Pergament.

Dritte : Weiß und rot; sehr hübsch.

Ein Mann : Graues Gesicht mit roten Flecken.

Ein anderer Mann : Ungesunde, schuppige Haut.

Mädchen : Blaßgelb mit Sommersprossen.

Alte Frau : Weißlichgrau.

[71]

Metzgerbursche : Stark gerötetes Gesicht.

Gelbsüchtiger Mann : Helle Senffarbe.

Aeltere Dame : Farblose Haut mit zwei großen Muttermälern.

Aelterer Mann (dem Trunk ergeben): Kartoffelnase in einem welken, von feuerroten Falten durchzogenen Gesicht.

Gesunder junger Herr : Schöner, frischer Teint.

Kranker junger Herr : Weiß, wie ein Gespenst.

Die Hautfarbe unzähliger Menschen ist nur eine matte, charakterlose Abschattierung dessen, was wir fälschlich ›weiß‹ zu nennen pflegen. Manche Gesichter sind mit Pusteln bedeckt oder tragen sonstige Zeichen eines ungesunden Blutes, während andere grell abstechende Narben und Flecken haben. Im Gesicht des weißen Mannes läßt sich nichts verbergen; durch alle erdenklichen Zufälligkeiten werden seine Reize beeinträchtigt. Die Damen schminken und pudern sich, brauchen Schönheitswasser, Arsenik, und mancherlei Mittel um die Haut zu glätten; sie streicheln und schmeicheln, sie schmieren und wirtschaften an ihr herum und geben sich unsägliche Mühe sie zu verschönern. Alles umsonst. Doch [72] liefern ihre Anstrengungen uns den besten Beweis, welche geringe Meinung sie von der Beschaffenheit der Haut im allgemeinen haben. Was sie sich nachzuahmen bestreben, gewährt die Natur nur sehr, sehr wenigen. Von hundert Personen haben neunundneunzig gewiß einen schlechten Teint, und wie lange vermag der Hundertste, dem ein guter verliehen ist, sich denselben zu erhalten? Höchstens zehn Jahre.

Nein, der Zulu ist entschieden im Vorteil. Er hat von Anfang an seine schöne Gesichtsfarbe und behält sie, solange er lebt. Und wie angenehm und wohltuend für das Auge ist erst das bestimmte, glatte, fleckenlose Braun des Inders; es braucht keine Farbe zu scheuen, es paßt zu allen und erhöht ihren Reiz. Daß sich der Durchschnittsteint des Weißen mit dieser wundervollen, köstlichen Färbung auch nur entfernt vergleichen ließe, davon kann gar keine Rede sein.

Doch kehren wir zum Bungalow zurück. Am prächtigsten gekleidet waren einige Kinder. Von den leuchtenden Farben ihrer kostbaren Stoffe und den Edelsteinen, mit denen sie behangen waren, ging ein förmlicher Strahlenglanz aus. Man hielt sie für Mädchen, und doch waren es Knaben, Natsch-Tänzer von Beruf. Einzeln, zu zweien oder zu vieren standen [73] sie auf und tanzten und sangen zu den unheimlichen Klängen der Begleitung. Ihre Stellungen und Bewegungen waren höchst anmutig und kunstvoll, aber die Stimmen scharf und unangenehm und die Melodien größtenteils sehr eintönig.

Nicht lange, so erhob sich draußen ein lautes Hurra und Jubelrufen. Es galt dem Fürsten, der mit Gefolge seinen feierlichen Einzug hielt. Er war ein stattlicher Herr in wundervollem Kostüm, bedeckt mit Schnüren von Perlen und Edelsteinen; unter letzteren befanden sich einige Smaragde von erstaunlicher Größe, die in ganz Bombay wegen ihrer Schönheit und Kostbarkeit berühmt sind; das Auge konnte sich gar nicht satt daran sehen. Auch der kleine Prinz, der den Fürsten begleitete, war eine strahlende Erscheinung.

Langwierige Zeremonien fanden nicht statt. Der Fürst schritt mit ernster Würde und Majestät auf seinen Thron zu, neben welchem der des Prinzen stand. Feierlich saßen die beiden da, während sich rechts und links von ihnen das Gefolge gruppierte. Es war das getreue Abbild einer Schaustellung, wie wir sie oft in Büchern beschrieben finden. Seit Salomo einst die Königin von Saba empfing und seine Schätze vor ihr ausbreitete, haben die Fürsten [74] aller Zeiten es für ihre Pflicht gehalten, sich mit solchem Gepränge zu zeigen.

Der Führer der Dschaina-Abordnung verlas seine Glückwunschadresse und steckte sie dann in ein schön verziertes Silberrohr, das er dem Fürsten ehrfurchtsvoll überreichte, worauf dieser es ohne weiteres einem seiner Beamten einhändigte. Ich will die Adresse hier mitteilen, denn es ist interessant zu sehen, wofür die Untertanen eines indischen Fürsten unter der heutigen englischen Herrschaft ihrem Monarchen alles zu danken haben. Zur Zeit seines Großvaters, vor anderthalb Jahrhunderten, als sich England noch nicht in die indische Verwaltung einmischte, hätte man sich bei der Dankadresse sehr kurz fassen können. In jenen Tagen der Freiheit würde das Volk dem Fürsten gedankt haben:

1. Daß er nicht aus bloßer Laune zu viele seiner Untertanen erschlagen habe.

2. Daß er sie nicht durch Erhebung willkürlicher Abgaben gänzlich ausgesogen und der Hungersnot preisgegeben habe.

3. Daß er nicht unter nichtigem Vorwand die Reichen getötet und ihr Vermögen eingezogen habe.

4. Daß er die Angehörigen des Königshauses nicht getötet, geblendet, eingekerkert oder verbannt [75] habe, um seinen Thron gegen Verschwörungen zu sichern.

5. Daß er sich nicht habe bestechen lassen, irgend einen seiner Untertanen heimlich den Banden berufsmäßiger Thugs zu überliefern, damit sie ihn im Hinterhof des Fürstenschlosses nach Belieben ermorden und ausplündern konnten.

Das waren die gebräuchlichsten Maßregeln der Fürsten in alter Zeit; aber diese sowohl wie einige andere, nicht minder harte, sind unter der englischen Herrschaft schon längst abgeschafft worden. Bessere Mittel und Zwecke sind seitdem an ihre Stelle getreten, wie uns die Glückwunschadresse der Dschaina sofort beweisen wird. Dieselbe lautete:

»Allergnädigster Fürst! – Wir, die unterzeichneten Mitglieder der Dschaina-Gemeinde von Bombay, nähern uns Eurer Hoheit mit aufrichtiger Freude, um wegen der kürzlich erfolgten Ernennung Eurer Hoheit zum Ritter des erhabenen Sternordens von Indien, unsere herzlichsten Glückwünsche darzubringen. Vor zehn Jahren durften wir Eure Hoheit unter Umständen in dieser Stadt willkommen heißen, welche in der Geschichte Ihrer Herrschaft eine denkwürdige Episode bezeichnen; denn ohne die Besonnenheit und Großmut, welche Eure Hoheit in den Verhandlungen zwischen dem Palitana Dunbar und der Dschain-Gemeinde an den Tag [76] legten, hätte der versöhnliche Geist unseres Volkes keine Frucht tragen können. Das war der erste Schritt Eurer Hoheit bei Uebernahme der Verwaltung, durch welchen Sie sich nicht nur die dankbare Anerkennung der Dschain-Gemeinde, sondern auch der Regierung von Bombay gesichert haben. Nachdem nun Eure Hoheit zehn Jahre lang alle Erfahrung, Kraft und Fähigkeit in den Dienst der Verwaltung gestellt hat, ist Eurer Hoheit verdientermaßen die erhabene und ehrenvolle Auszeichnung der Ernennung zum Ritter des Sternordens zu teil geworden, den kein anderer Fürst vom Range Eurer Hoheit, soviel wir wissen, je zuvor erhalten hat. Wir können Eurer Hoheit die untertänige Versicherung geben, daß wir auf diese Ehrenbezeigung aus der Hand Ihrer Majestät, unserer gnädigsten Kaiserin und Königin, nicht weniger stolz sind als Eure Hoheit selbst. Wir verdanken Eurer Hoheit während dieser zehn Jahre die Einrichtung vieler Faktoreien, Schulen, Hospitäler und dergleichen im Staate, und wir hoffen, daß Eure Hoheit noch lange mit Weisheit und bewährter Umsicht über das Volk herrschen werde, um die vielen von Eurer Hoheit gütigst angebahnten Reformen auch künftig in Gnaden zu fördern. Indem wir nochmals unsere wärmsten Glückwünsche aussprechen, verharren wir als Eurer Hoheit untertänigste Diener.«

Faktoreien, Schulen, Hospitäler, Reformen! Das sind die Sachen, welche die Fürsten Indiens [77] neuerdings unterstützen und wofür sie Orden und Kanonen erhalten!

Auf die Adresse antwortete der Fürst kurz und bündig, dann unterhielt er sich noch ein paar Augenblicke mit dem einen oder andern der Gäste auf Englisch und mit mehreren Beamten in einer indischen Sprache; zuletzt wurden, wie gewöhnlich, Kränze verteilt und die Festlichkeit war zu Ende.


Sechstes Kapitel.

Jeder Mensch hat ein Geburtsrecht auf etwas, das alle seine andern Besitztümer überdauert – es ist sein letzter Atemzug.

Querkopf Wilsons Kalender.

Am selben Abend, gegen Mitternacht, wohnten wir noch einem andern Feste bei, nämlich einer Hindu-Hochzeit, oder richtiger gesagt, einer Verlobungsfeier. Bisher hatte sich auf den Straßen, durch die wir fuhren, stets ein buntes, malerisches Schauspiel entfaltet, sie waren von einer zahlreichen, lärmenden Menge angefüllt gewesen; jetzt fand nichts dergleichen statt. Es herrschte überall Totenstille; selbst das Geschrei der Krähen war verstummt. Aber [78] leer konnte man die Straßen doch nicht nennen, denn auf dem Boden lagen schlafende Eingeborene zu Hunderten, der Länge nach ausgestreckt und bis über den Kopf fest in Decken gewickelt. So starr und regungslos lagen sie da, daß man sie für Tote halten konnte.

Damals hatte die Pest, welche jetzt in Bombay wütet, noch nicht ihren Einzug in die Stadt gehalten. Heute [1] stehen die Läden verödet da, die Hälfte der Bewohner hat die Flucht ergriffen und die Zurückgebliebenen kommen massenhaft an der Krankheit um. Ohne Zweifel sehen die Straßen jetzt bei Tage so aus wie damals zur Nachtzeit. Als wir immer weiter in dem Hindu-Viertel vordrangen und in enge, düstere Gassen gelangten, mußten wir sehr behutsam fahren, weil der Wagen beinah nicht Raum genug fand, um zwischen den Schläfern durchzukommen, die sich allenthalben gelagert hatten. Von Zeit zu Zeit huschte eine Schar Ratten in dem ungewissen Dämmerschein dicht vor den Hufen der Pferde vorüber – dieselben Ratten, welche jetzt in Bombay die Pest von Haus zu Haus schleppen. Die Kaufläden sind nur eine Art Verschläge – kleine Buden, die nach der Straße zu offen stehen. Man [79] hatte die Waren fortgenommen und ganze Familien schliefen auf den Ladentischen, meist beim Schein einer Oellampe. Es sah aus wie eine Totenwacht.

[1] Der Verfasser schrieb dies 1897.

Endlich bogen wir um eine Ecke und hatten eine förmlich strahlende Beleuchtung vor uns. Das Haus der Braut war in ein Lichtmeer von Gasflammen getaucht, welche die mannigfaltigsten Figuren bildeten. Auch drinnen prangte alles in hellstem Glanze – Kostüme, Spiegel, Beleuchtung, Farben brachten im Verein mit der ganzen Ausschmückung der Räume eine so feenhafte Wirkung hervor, als hätte sie Aladdins Wunderlampe hergezaubert.

Die Braut war ein zierlich gebautes, schmuckes kleines Ding von zwölf Jahren, sehr kostbar gekleidet, aber mehr wie ein Knabe. Sie bewegte sich ungezwungen unter den Gästen oder blieb stehen, um sich mit diesem oder jenem zu unterhalten und ihren Hochzeitsschmuck befühlen und bewundern zu lassen. Am schönsten fand ich eine Schnur großer Diamanten, an welcher ein prächtiger Smaragd hing.

Der Bräutigam war nicht zugegen; er beging eine besondere Verlobungsfeier in seinem väterlichen Hause. Wie man mir sagte, mußte sowohl er wie die Braut eine Woche lang alle Abend Gäste empfangen, [80] welche fast die ganze Nacht hindurch im Hochzeitshause blieben. Dann heirateten sich die Brautleute, falls sie noch am Leben waren. Die Kinder zählten beide zwölf Jahre – ein ältliches Paar nach indischen Begriffen – sie hätten schon seit einem Jahre verheiratet sein sollen; einem Fremden kamen sie freilich noch jung genug vor.

Etwas nach Mitternacht erschienen ein paar berühmte und hochgeschätzte Natsch-Tänzerinnen in den prachtvollen Sälen, um ihre Kunst zu zeigen. Zu ihrem Gesang und Tanz machten Männer auf sonderbaren Instrumenten eine unheimliche, lärmende Musik, bei deren Klängen mich eine Gänsehaut überlief. Ein Tanz der Mädchen sollte einen Schlangenzauber darstellen. Mir schien zwar die Flötenbegleitung, welche dazu ertönte, wenig geeignet, irgend etwas zu bezaubern, doch versicherte mir ein vornehmer Hindu, daß die Schlangen solche Musik sehr lieben; sie kommen aus ihren Höhlen heraus und lauschen ihr mit allen Zeichen von Wonne und Wohlbehagen. Bei einer Vorstellung in seinem Garten, sagte er, seien einmal sechs Schlangen von den Tönen der Flöte herbeigelockt worden und man hätte sie nicht bewegen können sich wieder zu entfernen, bevor die Musik zu Ende war. Ihre gefährliche Nähe [81] war zwar keinem Anwesenden erwünscht, weil sie sich frech und allzu vertraulich benahmen, aber natürlich wollte niemand sie töten, denn der Hindu hält es für Sünde, irgend ein Geschöpf umzubringen.

Gegen zwei Uhr morgens verließen wir die Festlichkeit. Unterwegs sah ich noch ein Bild, das sich mir tief ins Gedächtnis eingeprägt hat. Eine glänzend erleuchtete Vorhalle, zu der mehrere Treppenstufen emporführten, überall schwarze Gesichter und gespenstische, weiße Gewänder; in ihrer Mitte eine wahre Riesengestalt, den Turban auf dem Haupte, mit einem Namen, der zu ihrer Größe paßte: Rao Bahadur Baskirao Balinkanje Pitale, Vakeel seiner Hoheit des Gaikawar von Baroda. Der Mann gehörte notwendigerweise zur Vervollständigung des Gemäldes, aber wenn er Smith hieße, hätte es den ganzen Eindruck verdorben. Auf beiden Seiten der engen Straße hatte man die Häuser in der bei den Hindus gebräuchlichen Weise illuminiert. Viele Dutzende von Gläsern mit brennenden Lichtern waren wenige Zoll von einander auf großen Lattengestellen befestigt, so daß sie leuchtende Sterne bildeten, deren Strahlenglanz sich grell von dem schwarzen Hintergrund abhob. Als wir weiter durch die düstern Gassen fuhren, verschmolzen in der Ferne alle Sternbilder [82] zu einer einzigen Lichtmasse, die wie eine große Sonne in der Finsternis glühte.

Dann folgte wieder jene tiefe Stille; Ratten huschten über den Weg, überall lagen unbewegliche Gestalten auf der Erde und rechts und links sah man die offenen Buden gleich Särgen, in denen Leichen zu liegen schienen, welche von flackernden Totenlampen unheimlich beleuchtet wurden. Seitdem ist ein Jahr vergangen, und wenn ich die Kabeldepeschen aus Indien lese, meine ich das alles mit eigenen Augen im voraus gesehen zu haben, wie in einem prophetischen Traum. Die eine Depesche lautet: »In dem Stadtteil der Eingeborenen stocken die Geschäfte, die meisten Läden sind geschlossen. Man hört nur Klagelaute und den Schritt der Leichenträger, alles übrige Leben scheint erstorben.« In einer andern heißt es: »325 000 Bewohner haben die Stadt verlassen, und verbreiten die Pest über das ganze Land.« Drei Tage später kommt die Nachricht: »Die Einwohnerschaft ist auf die Hälfte herabgesunken.« Die Flüchtlinge haben die Epidemie in Karachi eingeschleppt. »220 Krankheitsfälle, 214 Tote.« Tags darauf: »52 neue Fälle, sämtlich mit tödlichem Verlauf.«

So fürchterliche Verwüstungen wie der ›Schwarze Tod‹ vermag keine Krankheit anzurichten, es gibt [83] keine, welche ähnliches Grauen und Entsetzen im Gefolge hat. Wir können uns von dem Schrecken, der in solcher verpesteten Stadt herrscht, nur eine schwache Vorstellung machen. Zwar gibt die wilde Flucht einer halben Million Einwohner Zeugnis von ihrem Seelenzustand, aber wer schildert die Qual und Todesangst derer, die zurückbleiben müssen und sich rettungslos dem unaufhaltsam nahenden Verhängnis preisgegeben sehen?

Indien ist einzig in seiner Art und es hat das alleinige Recht auf verschiedene Spezialitäten von überwältigender Großartigkeit. Wenn irgend ein Land sonst eine Merkwürdigkeit besitzt, ist sie doch nicht sein ausschließliches Eigentum; man findet das Gegenstück in einem andern Lande. Aber Indien hat Wunderdinge erzeugt, die ihm allein gehören, niemand wagt sein Patentrecht anzutasten, Nachahmungen sind gänzlich ausgeschlossen. Und dabei welche Größenverhältnisse, welche Majestät! Wie fremdländisch und unheimlich sind die meisten dieser Erfindungen.

Von dem Schwarzen Tod haben wir schon gesprochen. Er ist Indiens eigenstes Werk. In Indien wurde dieser mächtige Fürst der Schrecken geboren.

Auch den Wagen des Juggernaut hat sich Indien [84] ausgedacht. Desgleichen die Suttis. Es leben noch Menschen, zu deren Zeit sich achthundert Witwen in einem Jahre, freiwillig und unter Frohlocken, mit den Leichen ihrer Ehemänner verbrennen ließen. Noch in diesem Jahre würden es abermals achthundert tun, wenn die britische Regierung es ihnen gestattete.

Auch eine Hungersnot wie in Indien gibt es nirgends. Wenn anderswo Mangel eintritt, ist es ein verhältnismäßig unbedeutendes, vorübergehendes Ereignis; die indische Hungersnot aber bricht herein gleich einer verheerenden Flut und tötet Millionen, wo an andern Orten Hunderte sterben würden.

Indien hat zwei Millionen Götter und betet sie sämtlich an. In religiöser Beziehung sind alle andern Länder Bettler und Indien der einzige Millionär.

Alles nimmt dort einen Riesenmaßstab an – sogar die indische Armut hat nirgends auf Erden ihresgleichen. Der Reichtum aber verfügt über solche Schätze, daß man für die größten Summen ganz kurze Wörter erfinden mußte. Um hunderttausend auszudrücken, sagt man ein lakh , und ein crore bedeutet zehn Millionen.

Im Innern seiner Granitberge hat Indien, [85] mit namenloser Geduld, Dutzende von großen Tempeln in den Fels gehauen, sie durch großartige Säulenhallen und Statuen geschmückt und ihre ewigen Mauern mit stolzen Gemälden bedeckt. Es hat sich starke Burgen von solchem Umfang errichtet, daß selbst die großen Musterfestungen der übrigen Welt dagegen wie Spielzeug aussehen. Seine Paläste sind aus dem erlesensten Baumaterial und mit so viel Feinheit und Kunstfertigkeit ausgeführt, daß man sie anstaunt wie Wunderwerke; um eins seiner Grabmäler – den Tadsch-Mahal – zu sehen, reisen die Menschen rund um die Erde. Achtzig Völker, die achtzig Sprachen reden, bewohnen das Land, ihre Zahl beläuft sich auf dreihundert Millionen.

Und zu Indiens merkwürdigsten Eigentümlichkeiten gehört noch das Kastenwesen und das Geheimnis aller Geheimnisse – die satanische Genossenschaft der Thugs.

Im Anfang aller Dinge hatte Indien einen Vorsprung vor der ganzen übrigen Welt. Es besaß die früheste Kultur, die erste Anhäufung materieller Reichtümer, eine Menge der tiefsten Denker, der größten Weisen, Fruchtbarkeit des Bodens, reiche Bergwerke und große Wälder. Hätte man da nicht meinen sollen, es würde seine Führerschaft auch [86] ferner behaupten und eines Tages, statt sich in Demut einem fremden Machthaber zu unterwerfen, selbst die Welt beherrschen und jeder Nation, jedem Volksstamm der Erde Gesetze vorschreiben? – Und doch ist eine solche Oberherrschaft Indiens von jeher unmöglich gewesen. Wo es achtzig Völkerschaften und Hunderte von Regierungen gibt, kann von einheitlicher Macht nicht die Rede sein. Das Hauptgeschäft des Lebens wird Kampf und Streit, gemeinsame Ziele und Zwecke sind ausgeschlossen; aus solchen Elementen entsteht keine Weltherrschaft. Nicht nur durch die Verschiedenartigkeit der Sprachen, sondern vor allem durch das Kastenwesen mag die Zersplitterung entstanden sein. Dadurch wurde das Volk in einzelne Schichten geteilt und diese wieder in Ober- und Unterschichten, welche kein Gefühl der Zusammengehörigkeit miteinander verband. Bei solchen Zuständen war eine gesunde Entwicklung der Vaterlandsliebe völlig undenkbar.

Hätte es in Indien nicht so viele Reiche und Völker gegeben, so würden auch die Thugs dort schwerlich haben entstehen und gedeihen können. An jeder Grenze wurden Reisende und Kaufleute fortwährend belästigt, denn überall stießen sie auf Wächter und Zollhäuser; Dolmetscher, welche alle Sprachen [87] verstanden, gab es so gut wie gar nicht, auch herrschte ein fortgesetzter Kriegszustand bald in diesen bald in jenen Reichen. Das alles hinderte die Sicherheit des allgemeinen Verkehrs und öffnete dem Räuberwesen Tür und Tor – was jedem gescheiten Menschen, den seine angeborene Neigung zu diesem Beruf trieb, auf der Stelle einleuchten mußte. Da es nun in Indien durchaus nicht an klugen Leuten fehlte, die sich zum Räuberwesen hingezogen fühlten, bildete sich auf ganz natürliche Weise die Genossenschaft der Thugs, um einem längst empfundenen Bedürfnis zu entsprechen.

Um welche Zeit das geschehen ist, weiß niemand; vermutlich schon vor Jahrhunderten. Was uns am meisten dabei Wunder nimmt ist, daß es gelingen konnte, die unheilvolle Verbindung so lange geheim zu halten. Englische Kaufleute hatten schon seit zweihundert Jahren in Indien Handel getrieben, ohne je etwas davon zu hören, und doch wurden alljährlich Tausende in ihrer nächsten Nähe von den Thugs umgebracht.

Daß es auch amtliche Berichte über die Thugs gibt, habe ich erst neuerdings erfahren. Es war mir von großem Wert, das betreffende Schriftstück eine Zeitlang zur Einsicht zu erhalten.


[88]

Siebentes Kapitel.

Feind und Freund müssen zusammen wirken, um unserm Herzen wehe zu tun; der eine streut die Verleumdung aus, der andere hinterbringt sie uns.

Querkopf Wilsons Kalender.

Aus dem Tagebuch. 28. Januar. – Wir machen jetzt Reisevorbereitungen, die hauptsächlich in der Anschaffung von Betten bestehen. Im Schlafwagen der Eisenbahn, manchmal auch in Privathäusern und in neun Zehnteln aller Hotels muß man Betten mitbringen. Das ist unbegreiflich und doch wahr. Die Einrichtung stammt aus alter Zeit und ist jetzt anscheinend unnötig, aber sie hat seltsamerweise alle Zustände überlebt, die sie einst zur Notwendigkeit machten. Als sie eingeführt wurde, gab es weder Eisenbahnen noch Hotels; der Weiße machte seine gelegentlichen Reisen zu Pferde oder im Ochsenwagen und fand die Nachtherberge auf einer der kleinen Poststationen, welche die Regierung in gewissen Entfernungen von einander anlegen ließ – sie boten ein Obdach, weiter nichts. Wer ein Bett haben wollte, mußte selbst dafür sorgen. Jetzt wohnen [89] die ansässigen Engländer in geräumigen, bequem eingerichteten Häusern, und es muß sich ganz sonderbar ausnehmen, wenn ein halbes Dutzend Gäste in solche moderne Wohnung mit Decken und Kopfkissen einziehen, die sie überall herumwerfen. Doch der Mensch findet sich in alles, sobald es Sitte und Brauch ist.

Man kann die Betten, nebst einem Behälter aus Gummistoff im ersten besten Laden kaufen. Das hat nicht die geringste Schwierigkeit.


30. Januar. Vor Abgang des Zuges bot der Bahnhof ein merkwürdiges Schauspiel. Das Gebäude ist sehr groß, aber es war als hätte sich dort die ganze Welt versammelt: eine Hälfte drinnen, die andere draußen, alle mit berghohen Bettstücken und anderm Gepäck beladen. Beide Hälften versuchten zu gleicher Zeit aneinander vorbei durch eine enge Tür zu kommen. Diese zwei Menschenströme bestanden aus sanften, geduldigen, langmütigen Eingeborenen, unter denen sehr wenige Weiße verstreut waren. Nur die Hindu-Diener der Europäer legten zeitweise ihre natürliche Sanftmut ab und maßten sich das Vorrecht der Weißen an, alle Farbigen beiseite zu schieben, um rascher für [90] sich Bahn zu machen. Es war eine Schande, wie herrisch und unverschämt sich zum Beispiel unser Satan dabei benahm. Vermutlich ist er auf einer früheren Stufe der Seelenwanderung ein fanatischer Thug gewesen.

Drinnen im Bahnhof fluteten Massen von Eingeborenen, in sämtliche Farben des Regenbogens gekleidet, nach allen Seiten wirr durcheinander. Voll Eifer und Hast, in der Angst sich zu verspäten, strömten sie nach den langen Wagenreihen hin, wo sie im Innern mit ihren Packen und Bündeln verschwanden, von immer neuen Menschenfluten gefolgt. Und mitten in diesem Wirrwarr und Getöse saßen – anscheinend in voller Gemütsruhe – zahlreiche Gruppen von Farbigen auf den nackten Steinfliesen: schlanke, braune Mädchen, alte, graue, runzlige Weiber, kleine Kinder mit weichen Gliedern, alte und junge Männer und braune Knaben; lauter arme Leute, aber der weibliche Teil, sowohl groß wie klein, mit billigen, glänzenden Ringen an Nase, Zehen, Armen und Beinen geschmückt, die vermutlich ihren einzigen Reichtum ausmachten. Schweigend und geduldig saßen sie da mit ihren armseligen Bündeln, Körben und Hausgeräten und warteten auf ihren Zug, der zu irgend einer Stunde des [91] Tages oder der Nacht abfahren würde. Sie hatten die Zeit nicht gut berechnet, aber was schadete das – vom Schicksal war es so über sie verhängt, wozu sich da beunruhigen? Zeit hatten sie vollauf, endlose Stunden lagen vor ihnen, und was geschehen sollte, würde geschehen – keine Macht der Erde konnte es beschleunigen.

Die Eingeborenen reisten dritter Klasse für ein unglaublich billiges Fahrgeld. Man packte sie eng zusammen in Wagen, von denen jeder etwa fünfzig Personen fassen konnte. So geschah es oft, daß Brahminen der höchsten Kaste in persönliche Berührung mit Leuten aus der niedrigsten Kaste gebracht und folglich verunreinigt wurden, was natürlich jedem in die Verhältnisse Eingeweihten höchst anstößig vorkam. Es konnte sich leicht ereignen, daß ein Brahmine, der keine Rupie besaß, dicht neben den reichen Erbherrn aus einer niedern Kaste zu stehen kam, welcher Inhaber eines alten, mehrere Ellen langen Titels war. Trotz seiner erhabenen Würde mußte der arme Brahmine sich darein ergeben, denn falls einer von beiden Erlaubnis erhielt, bei den geheiligten Weißen Platz zu nehmen, so war es sicherlich nicht er, sondern der unwürdige Reiche. Der Zug hatte eine endlose Reihe solcher Wagen [92] dritter Klasse, denn die Hindus reisen in ganzen Horden. Was für eine erbärmliche Nacht mögen sie da drinnen verlebt haben.

Als wir bei unserm Wagen anlangten, fanden wir Satan und Barney mit ihrem Gefolge von Hindus, welche Bettstücke, Sonnenschirme und Zigarrenkisten trugen, schon in voller Tätigkeit. Barney war eine Abkürzung; unsern zweiten Diener bei seinem eigentlichen Namen zu nennen hätte zuviel Zeit gekostet. Wir fanden die innere Einrichtung des Coupés keineswegs unbehaglich, aber von einer Einfachheit, wie man sie selbst in Frankreich und Italien nicht kennt. Die Wände aus billigen, zum Teil rohen Brettern gezimmert, mit dunkler Farbe angestrichen ohne alle Verzierung. Der Boden war ohne Decke, aber nur zu bald sollte fingerdicker Staub darauf liegen. An einer Seite des Coupés befand sich ein Netz zur Aufnahme des Handgepäcks, auf der entgegengesetzten eine Tür, die immer wieder aufsprang, man mochte sie schließen so oft man wollte; sie führte in einen kleinen Toiletteraum, wo man sein Handtuch aufhängen konnte, falls man eins hatte. Man kauft die Handtücher mit den Betten, auf der Eisenbahn werden keine geliefert. An jeder Seite der Wand lief der ganzen Länge nach [93] ein breites Ledersofa hin, und über demselben hing an Riemen ein flaches Schlafbrett mit ledernem Ueberzug; es wird nachts heruntergelassen und bei Tage an der Wand fest gemacht, wo es niemand im Wege ist. So bleibt der große Mittelraum frei und man kann sich ungehindert darin ausbreiten. Eine so bequeme Einrichtung habe ich noch in keinem Lande gefunden, auch ist man ganz ungestört, weil meistens nur zwei Fahrgäste in einem Coupé sitzen; aber selbst vier Personen haben hinreichend Platz, ohne einander im geringsten zu beengen. Sogar auf unsern amerikanischen Eisenbahnen, die sonst besser sind als alle andern, fühlt man sich nicht so gemütlich wie hier, weil zu viele Reisende in einem Wagen fahren.

Ueber den Sofas befanden sich längs des ganzen Coupés große blaugefärbte Fensterscheiben. Das blaue Licht sollte die Augen vor dem blendenden Sonnenschein schützen, und wer Luft haben wollte, ließ die Fenster herunter. Zwei Oellampen an der Decke brannten so hell, daß man lesen konnte, wollte man es dunkel haben, so zog man einen Schirm aus grünem Stoff davor.

Während wir vor der Abfahrt draußen noch mit Freunden sprachen, ordneten Barney und Satan [94] drinnen unser Handgepäck, samt Büchern, Früchten und Sodawasserflaschen in den Netzen; die Bettsäcke und das schwere Gepäck schafften sie in das Waschkabinett, hingen Mäntel, Sonnenhelme und Handtücher auf die Haken und befestigten die beiden Schlafbretter an der Wand; dann nahmen sie ihre eigenen Betten auf die Schulter und begaben sich nach der dritten Klasse.

So waren wir nun in dem hübschen, großen, hellen, luftigen und behaglichen Raum ganz für uns, konnten nach Belieben auf- und abgehen, uns hinsetzen und schreiben oder bequem ausgestreckt lesen und rauchen. Die Mitteltür am vorderen Ende des Coupés führte in ein zweites, genau ebenso eingerichtetes, das meine Frau und Tochter inne hatten. Als wir gegen neun Uhr abends an einer Station hielten, fanden sich Barney und Satan wieder ein; sie schnallten die großen Bettsäcke auf und ordneten die Matratzen, Bettücher, bunten wollenen Decken und Kopfkissen auf den Sofas beider Coupés zu einem vollständigen Lager. Zimmermädchen gibt es in Indien nicht, offenbar ist weibliche Bedienung dort ganz unbekannt. Zuletzt schlossen die Diener die Verbindungstür, räumten flink bei uns auf, legten unsere Nachthemden aufs Bett, stellten die [95] Pantoffeln zurecht und zogen sich wieder in ihr Quartier zurück.


31. Januar. Mir war das alles ganz neu und ich fühlte mich so behaglich, daß ich solange wie möglich wach blieb und einen Bericht über die merkwürdigen Thugs las. Sie folgten mir auch in meine Träume und wollten mich erdrosseln. Ihr Anführer war der riesengroße Hindu, welcher mir bei meiner Rückkehr von jener Verlobungsfeier um zwei Uhr nachts in der grellen Beleuchtung einen so malerischen Eindruck gemacht hatte – Rao Bahadur Baskirao Balinkanje Pitale, Vakeel des Gaikawar von Baroda. Durch ihn war mir die Einladung seines Herrn überbracht worden, welche mich nach Baroda rief, um dem Fürsten eine Vorlesung zu halten; ich war auf dem Wege dahin, und jetzt behandelte mich der Mensch so schlecht! Aber im Traum ist ja alles möglich.

Baroda. – Wir kamen um sieben Uhr morgens an, als es eben dämmerte. Es war ungemütlich, zu so früher Stunde an einem fremden Orte auszusteigen, zumal die matt schimmernden Laternen im Bahnhof uns den Eindruck machten, als sei es noch Nacht. Allein die Herren, die sich mit großer Dienerschaft [96] zu unserm Empfang eingefunden hatten, ließen uns keine Zeit zum Besinnen. Bald waren wir draußen, dann ging es rasch weiter im milden Dämmerlicht und binnen kurzem hatte man uns alle behaglich untergebracht. Zahlreiche Diener standen zu unserer Verfügung, deren Aufseher so vornehme Beamte waren, daß es uns ordentlich in Verlegenheit setzte. Wir fügten uns jedoch der Landessitte, das Benehmen der Herren war höchst verbindlich und gastfreundlich, sie sprachen einheimisches Englisch, es ging alles vortrefflich und das Frühstück kam uns sehr gelegen.

Jenseits der Wiese sah man durch das offene Fenster einen indischen Brunnen; zwei Ochsen gingen mit langsamen Schritten den allmählich abfallenden Weg herauf und hinunter, um Wasser zu ziehen. Das Klagegestöhn der Maschine unterbrach die Stille, es waren nicht gerade melodische Laute, aber doch lag eine sanfte, träumerische Schwermut darin, als wehklagten abgeschiedene Geister und als würden alte Erinnerungen wieder lebendig; denn natürlich pflegten die Thugs ihre Opfer in jenen Brunnen zu werfen, nachdem sie ihnen den Garaus gemacht hatten.

Nach dem Frühstück begann für uns ein sehr ereignisreicher Tag. Wir fuhren auf gewundenen [97] Pfaden durch einen ungeheuren Park mit stolzen Waldbäumen, dicht verschlungenen Dschungels und einem Gewirr von allerlei reizenden Gewächsen. An einer Stelle stürmten plötzlich drei große graue Affen quer über den Weg. Das war keine angenehme Ueberraschung; solche Bestien gehören in eine Menagerie, in der Wildnis machen sie einen unnatürlichen Eindruck und sind nicht an ihrem Platze.

Mit der Zeit erreichten wir die Stadt und fuhren mitten hindurch. Sie war ganz und gar indisch, vermodert und zerfallen und schien über alle Begriffe alt zu sein. Höchst merkwürdig fanden wir die Häuser, deren ganze Vorderseite mit schön verschlungener Holzschnitzerei geschmückt war, die der feinsten Spitzenarbeit glich, und außerdem mit rohen Bildwerken, welche Elefanten, Fürsten und Götter in den schreiendsten Farben darstellten.

In den engen, winkligen Gassen lag im Erdgeschoß ein Laden am andern; die winzigen Buden waren über und über mit unglaublichem Krimskrams angefüllt, der verkauft werden sollte, oder es hockten darin fast völlig nackte Eingeborene bei ihrer Arbeit; sie klopften, hämmerten, verlöteten und bronzierten allerlei, sie nähten, kochten, maßen Korn ab und mahlten es oder besserten Götzenbilder aus; [98] gleichzeitig wälzte sich eine zerlumpte, lärmende Menschenschar unter den Hufen unserer Pferde und allenthalben umher. Und dazu diese Gerüche, diese Dünste, dieser Gestank! Es war alles wundervoll und entzückend!

Man stelle sich einmal vor, wie es sein muß, wenn ein Zug Elefanten durch solche enge Straßen schreitet, auf beiden Seiten anstößt und die Farbe von den Häusern wetzt. Wie groß müssen die Tiere und wie klein dagegen die Gebäude aussehen! Und wenn die Elefanten gar in ihren glänzenden Hof-Schabracken einherkommen, welcher Abstand gegen diese schmutzige, armselige Umgebung! Liefe nun einmal ein Elefant in rasender Wut durch diese Stadtteile und schlüge nach rechts und links mit dem Rüssel um sich, wie sollten ihm da die Menschenmassen ausweichen? Daß Elefanten manchmal Wutanfälle bekommen ist ja eine erwiesene Sache.

Wie alt mag die Stadt wohl sein? Man kommt an massiven Bauwerken und Denkmälern vorbei, die so zerfallen und abgelebt aussehen, so müde und altersschwach, so verstört und verdummt vor lauter Anstrengung sich an Dinge zu erinnern, die sie längst vergessen hatten, ehe es überhaupt eine Geschichte gab, daß man meinen sollte, sie stünden [99] seit Erschaffung der Welt auf ihrem Fleck. Baroda ist eins der ältesten Reiche Indiens; es hat sich von jeher durch barbarische Pracht und Herrlichkeit und die unermeßlichen Schätze seiner Fürsten berühmt gemacht.

Als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, fuhren wir lange durch offenes Gelände an abgelegenen Dörfern vorbei, die ganz von tropischen Pflanzen überwuchert waren. Ueberall herrschte Sabbatstille und man hatte das Gefühl tiefster Einsamkeit, denn die Eingeborenen glitten wie Geister vorüber, man vernahm keinen Tritt ihrer nackten Füße; andere sah man gleich Traumgestalten in der Ferne verschwinden. Dann und wann zog eine Reihe stattlicher Kamele auf den leisen Sohlen, die ihnen die Natur verliehen hat, geräuschlos an uns vorbei – ein interessanter Anblick. Nur einmal ward die tiefe Ruhe dieses Paradieses unterbrochen, als ein Zug eingeborener Strafgefangener mit dem Aufseher daherkam und wir das Klirren ihrer Ketten vernahmen. An einem entlegenen Orte ruhte ein heiliger Mann unter einem Baum – ein nackter, schwarzer Fakir. Er war nichts als Haut und Knochen und über und über mit weißlichgrauer Asche bestreut.

[100]

Nach einiger Zeit kamen wir zu den Elefantenställen und ich machte einen Spazierritt. Man forderte mich dazu auf; ich selbst hatte nicht das geringste Verlangen danach, aber ich tat es doch, damit man nicht denken sollte, ich hätte Angst – was allerdings der Fall war. Auf Befehl kniet der Elefant nieder – erst mit einem Vorderbein, dann mit dem andern – man steigt die Leiter hinauf in die Howdah, das Zelt auf seinem Rücken, dann erhebt er sich wieder – erst eine Seite, dann die andere – gerade wie ein Schiff über die Wogen fährt; wenn er dann mit Riesenschritten umhergeht, erinnert auch sein Schwanken an die Bewegung eines Schiffes. Sein Treiber, der Mahout, bohrt ihm mit einem großen, eisernen Stachelstock in den Hinterkopf; man verwundert sich über des Mannes Kühnheit und erwartet jeden Augenblick, daß der Elefant die Geduld verlieren wird, aber es geschieht nichts dergleichen. Der Treiber redet dem Elefanten die ganze Zeit über mit leiser Stimme zu; dieser scheint ihn auch zu verstehen und ganz vergnügt zu sein, er gehorcht wenigstens jedem Befehl aufs bereitwilligste. Unter den fünfundzwanzig Elefanten waren zwei so große, wie sie mir noch nie vorgekommen sind. Hätte ich geglaubt, daß ich mir die Furcht abgewöhnen [101] könnte, so würde ich mir einen davon hinter dem Rücken der Polizei angeeignet haben.

In dem Howdah-Haus sah ich viele silberne Sessel, auch einen von Gold und einen von altem Elfenbein; Kissen und Baldachine waren aus reichen, kostbaren Stoffen. Die Garderobe der Elefanten befand sich gleichfalls dort: ungeheuere Sammetdecken mit schwerer Goldstickerei, silberne und goldene Glocken, welche mit Stricken aus kostbarem Metall befestigt werden, und riesige Reifen von massivem Gold, die der Elefant an den Fußgelenken trägt, wenn er sich aus Staatsrücksichten bei einer Prozession beteiligt.

Die Kronjuwelen bekamen wir leider nicht zu sehen, worüber wir sehr enttäuscht waren, denn ihre Menge und Kostbarkeit ist so außerordentlich, daß sie die zweitgrößte Sammlung in Indien bilden. Statt dessen zeigte man uns irrtümlicherweise den neuen Palast, mit dessen Besichtigung wir alle Zeit verschwendeten, die uns noch zur Verfügung stand. Das war sehr schade, denn der neue Palast ist ein europäisch-amerikanischer Mischmasch, von dem sich nur sagen läßt, daß er Unsummen gekostet hat. Nach Indien paßt er ganz und gar nicht; es ist eine Frechheit von ihm, sich dort einzudrängen. Der [102] Baumeister hat zu seinem Glück rechtzeitig die Flucht ergriffen. Hier wären die Thugs am Platze gewesen; man hat doch unrecht getan, sie ganz zu unterdrücken. Der alte Palast dagegen ist orientalisch, wundervoll und wie für das Land geschaffen. Er wäre schon groß, wenn er nur aus der mächtigen Halle bestände, in denen die Durbars, die Staatsaudienzen des Fürsten stattfinden. Zu Vorlesungen ist sie nicht geeignet wegen der verschiedenen Echos, aber für Durbars und sonstige Staatsaktionen, zu denen man sie braucht, ist sie ausgezeichnet. Wenn die Halle mir gehörte, würde ich jeden Tag ein Durbar halten und nicht nur zweimal im Jahre, wie es hier geschieht.

Der Fürst ist ein gebildeter Herr, er besitzt europäische Kultur und ist fünfmal in Europa gewesen. Man sagt, daß dies ein kostbares Vergnügen für ihn ist, da er sich manchmal bei der Ueberfahrt genötigt sieht aus Gefäßen zu trinken, deren sich auch andere Leute bedienen, und das verunreinigt seine Kaste. Um wieder zu Ehren zu kommen muß er nach verschiedenen berühmten Hindutempeln wallfahrten und dort ganze Vermögen opfern. Seine Untertanen sind sehr fromm, wie alle Hindus, und würden sich nicht zufrieden geben, solange ihr Fürst unrein ist.

[103]

Wenn wir auch die Juwelen nicht besichtigen konnten, so haben wir doch die silberne und die goldene Kanone des Fürsten gesehen – es schienen mir Sechspfünder zu sein. Sie werden nur bei ganz besondern Staatsangelegenheiten zum Salutschießen gebraucht. Ein Ahnherr des jetzigen Gaikawar ließ die silberne Kanone anfertigen und einer seiner Nachfolger bestellte eine goldene, um ihn auszustechen. Derartige Geschütze passen vortrefflich nach Baroda, wo man seit alter Zeit Schaugepränge in großem Stil geliebt hat. Für Rajahs und Vizekönige, die dort zum Besuch kamen, veranstaltete man oft Tiger- und Elefantenkämpfe, Illuminationen und Elefanten-Prozessionen von wahrhaft großartiger Pracht.

Was ist dagegen unser Zirkus mit all seiner Herrlichkeit! –


[104]

Achtes Kapitel.

Hätte der Mensch immer Gelegenheit zum Morden, wenn ihn Mordlust überfällt, so kämen viele an den Galgen.

Querkopf Wilsons Kalender.

Auf der Eisenbahn. Vor fünfzig Jahren, in meiner Knabenzeit, drangen in unser entlegenes, schwach bevölkertes Mississippi-Tal sagenhafte Gerüchte von einer Genossenschaft berufsmäßiger Mörder, die in Indien hausen sollte, einem Lande, das uns tatsächlich ebenso fern lag wie die Sterne, die droben am Himmel funkelten. Man erzählte, es gäbe dort eine Sekte, deren Mitglieder sich Thugs nennten und zu Ehren eines Gottes, dem sie dienten, den Wanderern an einsamen Orten aufzulauern und sie umzubringen pflegten. Jeder hörte diesen Geschichten gern zu, aber man glaubte sie nicht, oder doch nur mit Vorbehalt. Man nahm an, daß sie sich auf dem weiten Wege bis zu uns lawinenartig vergrößert hätten, auch waren sie bald wieder verschollen. Da erschien Eugène Sues ›Ewiger Jude‹ und machte eine Zeitlang viel von sich reden. Eine Figur des Romans ist ›Feringhea‹, der [105] furchtbare, geheimnisvolle Inder, ein Häuptling der Thugs, glatt, listig und todbringend wie eine Schlange. Durch ihn wurde das Interesse für die Thugs von neuem erweckt, aber nach kurzer Zeit schlief es abermals ein und zwar auf immer.

Dies mag wohl auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, doch war es der natürliche Lauf der Dinge, wenigstens auf unserer Halbkugel. Was man von den Thugs wußte, stammte der Hauptsache nach aus einem Regierungsbericht, von dem in Amerika schwerlich jemals etwas verlautet ist. Man pflegt dergleichen amtliche Schriftstücke nicht ohne weiteres in Umlauf zu setzen; nur gewissen Leuten läßt man sie zukommen, und ob diese sie lesen ist noch sehr die Frage. Ich selbst habe vor einigen Tagen zum allererstenmal von diesem Bericht gehört und ihn mir zu verschaffen gewußt. Er fesselt mich ungemein und macht jene alten Märchen aus meinen Knabenjahren zur Wirklichkeit.

Major Sleeman, der in Indien diente, hat das Thug-Buch, von dem ich rede, im Jahr 1839 abgefaßt. Es wurde 1840 in Kalkutta herausgegeben, ein dicker, plumper Band, der uns zwar keine hohe Meinung vom damaligen Stand der Buchdruckerkunst beibringt, aber vielleicht als Erzeugnis einer amtlichen [106] Druckerei aus alter Zeit und fernen Landen gar nicht so übel war. Dem Major fiel die Riesenaufgabe zu, Indien von den Thugs zu befreien und er hat sie mit siebzehn Gehilfen, die unter seiner Oberleitung standen, glücklich vollbracht. Die Reinigung der Augiasställe war nichts dagegen.

Damals schrieb Hauptmann Valencey in einer Zeitung, die in Madras erschien: »Wenn der Tag kommt, an dem jenes weit verbreitete Uebel in Indien ausgerottet und nur noch dem Namen nach bekannt ist, wird dies viel dazu beitragen, die britische Herrschaft im Orient auf ewige Zeiten zu befestigen.«

Er hat die Größe und Schwierigkeit des Werkes, durch dessen Vollendung sich England ein unsterbliches Verdienst erworben hat, in keiner Weise überschätzt.

Von dem Vorhandensein der furchtbaren Sekte waren die britischen Behörden schon seit 1810 unterrichtet, doch ahnte kein Mensch ihre weite Ausdehnung; man legte ihr nur geringe Bedeutung bei und erst 1830 wurden systematische Maßnahmen zu ihrer Unterdrückung getroffen. Damals war es Major Sleeman gelungen, den Thug-Häuptling Eugène Sues in seine Gewalt zu bekommen, und der furchtbare Feringhea ließ sich bewegen Kronzeuge zu werden. [107] Die Enthüllungen, die er machte, waren so ungeheuerlicher Art, daß sie Sleeman ganz unglaublich schienen. Er hatte in dem Wahn gelebt, er kenne sämtliche Verbrecher in seinem Bezirk und hatte die schlimmsten höchstens für Diebe und Spitzbuben gehalten. Feringhea machte dem Major jedoch klar, daß er die ganze Zeit über von Scharen berufsmäßiger Mörder umgeben gewesen sei, die ihre Opfer in seiner nächsten Nähe begruben. Sleeman hielt das für Hirngespinste, aber Feringhea sagte: »Komm und siehe selbst!« Er führte ihn an eine Grube, in der hundert Leichname lagen, erzählte ihm alle näheren Umstände ihrer Ermordung und nannte die Namen der Thugs, welche die Tat vollbracht hatten. Sleeman traute seinen Augen kaum; er nahm einige von jenen Thugs gefangen und stellte Einzelverhöre mit ihnen an, nachdem er Sorge getragen, daß sie sich nicht unter einander verständigen konnten. Auf die unbeglaubigten Aussagen eines Inders wollte er sich nicht verlassen. Aber, o Schrecken! die gesammelten Zeugnisse ergaben nicht nur, daß Feringhea die Wahrheit geredet hatte, sondern lieferten zugleich den Beweis, daß die Banden der Thugs in ganz Indien ihr furchtbares Gewerbe trieben. Nun tat die Regierung ernstliche Schritte zur Vertilgung [108] der Sekte und man verfolgte sie zehn Jahre lang mit unerbittlicher Strenge, bis sie gänzlich ausgerottet war. Eine Räuberbande nach der andern wurde gefangen, vor Gericht gestellt und bestraft. Ueberall spürte man die Thugs in ihren Schlupfwinkeln auf und machte Jagd auf sie. Die Regierung brachte alle ihre Geheimnisse ans Licht und ließ die Namen sämtlicher Mitglieder der Banden, sowie den Geburtsort und Wohnplatz jedes einzelnen aufs genauste verzeichnen.

Die Thugs waren Anbeter des Gottes Bhowanee, dem sie alle Wanderer opferten, welche ihnen in die Hände fielen. Die Sachen der Getöteten behielten sie jedoch für sich: dem Gotte war nur an dem Leichnam etwas gelegen. Bei der Aufnahme in die Sekte fanden feierliche Zeremonien statt; jeder neue Bekenner wurde unterwiesen, wie er die Erdrosselung mit dem heiligen Tuch zu vollziehen habe, doch war ihm erst nach langer Uebung gestattet, selbständig handelnd vorzugehen. Nur ein erfahrener Würger war im stande, die Erdrosselung so rasch zu bewerkstelligen, daß der dem Tode Geweihte auch keinen Laut mehr von sich geben konnte; jeder dumpfe Schrei, jedes Stöhnen, Seufzen oder Schnappen nach Luft mußte verhindert werden. In einem Augenblick [109] schlang sich das Tuch um den Hals des Opfers, es ward plötzlich zusammengezogen, der Kopf fiel lautlos nach vorn, die Augen traten aus ihren Höhlen und alles war vorüber. Vornehmlich gaben die Thugs wohl acht, daß sie auf keinen Widerstand stießen, auch forderten sie ihr Opfer meist auf sich niederzusetzen, weil sich das Geschäft so am bequemsten verrichten ließ.

Alle Zustände und Einrichtungen Indiens waren den Thugs ausnehmend günstig: Eine öffentliche Fahrgelegenheit gab es nicht, man konnte auch kein Gefährt mieten. Der Reisende mußte zu Fuß gehen, wenn er nicht einen Ochsenwagen benützen oder sich ein Pferd für die Gelegenheit kaufen konnte. Sobald er die Grenze seines kleinen Fürstentums überschritten hatte, war er unter Fremden; dort kannte ihn niemand, er blieb unbeachtet, kein Mensch vermochte mehr anzugeben, wohin er seine Schritte gelenkt hatte. Weder in Städten noch Dörfern pflegte der Reisende einzukehren; er hielt außerhalb derselben Rast und schickte seine Diener in den Ort, um Lebensmittel zu kaufen. Einzelne Höfe gab es nicht; auf der öden Strecke zwischen zwei Dörfern fiel der Wanderer dem Feinde leicht zur Beute, besonders da er meist bei Nacht weiterzog, um der Hitze [110] zu entgehen. Unterwegs gesellten sich häufig Fremdlinge zu ihm und boten ihm an, zu gegenseitigem Schutz die Fahrt gemeinsam fortzusetzen; das waren meistens Thugs, wie der Wanderer bald zu seinem Verderben erfuhr. Die Güterbesitzer, die eingeborene Polizei, die kleinen Fürsten, die Dorfrichter und Zollwächter steckten oft mit den Räubern unter einer Decke, gewährten ihnen Schutz und Obdach und lieferten ihnen die Reisenden aus, um Anteil an der Beute zu haben. Dadurch ward es der Regierung zuerst fast unmöglich gemacht die Uebeltäter zu fangen, weil die wachsamen Freunde ihnen zur Flucht verhalfen. Und so zogen denn handeltreibende Leute aus allen Kasten und Ständen, paarweise oder in Gruppen, schutzlos, bei schweigender Nacht, auf den Pfaden des weiten Ländergebiets einher, Kostbarkeiten, Geld, Juwelen, kleine Seidenballen, Gewürze und allerlei Waren mit sich führend – es war ein Paradies für die Thugs.

Bei Eintritt des Herbstes pflegte die Genossenschaft ihre zum voraus verabredeten Zusammenkünfte zu halten. Um sich untereinander zu verständigen brauchten die Thugs, selbst wenn sie aus den verschiedensten Gebieten stammten, keine Dolmetscher wie andere Völker. Sie hatten ihre eigene Sprache [111] und geheime Zeichen, an denen sich die Genossen erkannten; alle waren untereinander befreundet, selbst die Unterschiede der Kaste und Religion traten in den Hintergrund, wo Hingebung an den Beruf ins Spiel kam. Der Moslem und der Hindu aus höherer oder niederer Kaste, standen sich als Thugs gleich Brüdern treulich zur Seite.

War eine Bande versammelt, so ward Gottesdienst gehalten und man wartete auf die Omen. Das Geschrei verschiedener Tiere hatte eine gute oder schlechte Vorbedeutung, wie jedermann wußte. Erfolgte ein böses Omen, so gab man das Vorhaben auf und die Leute gingen wieder nach Hause.

Schwert und Tuch galten als heilige Symbole der Thugs. Das Schwert beteten sie daheim an, ehe sie zur Versammlung gingen, und das Tuch, mit dem sie ihre Opfer würgten, verehrten sie gemeinschaftlich. Meist verrichtete der Häuptling der Bande die religiösen Zeremonien selbst, nur die Kaets beauftragten damit gewisse angestellte Erwürger, Chaurs genannt. Diese Kaets hielten so streng an ihren gottesdienstlichen Gebräuchen fest, daß es nur dem Chaur gestattet war, die geheiligten Gefäße und was sie sonst dabei benützten, anzurühren.

Zwei charakteristische Merkmale sind dem Raubsystem [112] der Thugs besonders eigen: die größte Vorsicht, Ausdauer und Geduld bei Verfolgung der Beute und gänzliche Erbarmungslosigkeit im Moment der Tat.

Vor allem richteten sie ihr Augenmerk darauf, daß sie an Zahl der Reisegesellschaft, welcher ihr Angriff galt, mindestens vierfach überlegen waren. Offene Feindseligkeiten vermieden sie und überfielen ihre Opfer nur, wenn diese nichts Böses ahnten. Oft reisten sie tagelang in ihrer Gesellschaft und suchten durch allerlei Künste ihr Vertrauen und ihre Freundschaft zu gewinnen. Sobald ihnen dies gelungen war, gingen sie an ihr eigentliches Geschäft: Zuerst wurden ein paar Thugs vorausgeschickt, um bei dunkler Nacht den günstigsten Schauplatz für die Ermordung zu wählen und die Gräber zu graben . Wenn die übrigen den Ort erreichten, ward unter dem Vorwand, etwas zu rasten und eine Pfeife zu rauchen, Halt gemacht. Man schlug der Gesellschaft vor, sich niederzusetzen. Auf einen Wink des Hauptmanns nahmen einige Thugs den Reisenden gegenüber Platz, andere setzten sich neben sie und fingen ein Gespräch mit ihnen an, während die geübtesten Würger sich, des verabredeten Zeichens harrend, in ihrem Rücken aufstellten. Dies Zeichen [113] war gewöhnlich irgend eine alltägliche Bemerkung: »Bringt den Tabak,« oder etwas derart. Oft verging noch eine beträchtliche Zeit, nachdem jeder der Handelnden seinen bestimmten Platz eingenommen hatte; der Hauptmann wartete erst, ob auch alles ganz sicher sei. Unterdessen spann sich die Unterhaltung einförmig weiter; düstere Gestalten huschten im Hintergrund hierhin und dorthin bei dem ungewissen Dämmerschein; die Nacht war still und friedlich und die Reisenden überließen sich arglos der angenehmen Ruhe, ohne zu ahnen, daß die Todesengel sie von allen Seiten umgaben. Jetzt war der Augenblick da; das verhängnisvolle Wort: »Bringt den Tabak,« wurde gesprochen. Sofort entstand eine rasche aber lautlose Bewegung. Im gleichen Moment hielten die Männer, welche neben den Reisenden saßen, ihre Hände fest, die vor ihnen ergriffen ihre Füße und taten einen kräftigen Ruck, während ein Mörder jedem Opfer von hinten das Tuch um den Kopf schlang und zuzog – der Kopf des Erdrosselten sank auf die Brust, das Trauerspiel war zu Ende. Nun wurden die Leichen ausgeplündert, und in den Gräbern verscharrt; darauf packte man die Beute zusammen, die mitgenommen werden sollte. Nachdem dann die Thugs noch zum [114] Schluß dem Gotte Bhowanee ihren frommen Dank dargebracht hatten, zogen sie weiter, um noch mehr heilige Taten zu verrichten.

Aus Major Sleemans Bericht ergibt sich, daß die Reisenden meist in kleiner Anzahl beisammen waren, in der Regel nicht mehr als zwei, drei oder vier. Die Thugs dagegen zogen in Banden von zehn, fünfzehn, fünfundzwanzig, vierzig, sechzig, hundert, hundertfünfzig, zweihundert, zweihundertundfünfzig Mann umher, ja, es wird sogar eine Bande von dreihundertzehn Mann erwähnt. Bei solcher starken Ueberzahl kann man ihren Fang nicht besonders groß nennen, wenn man bedenkt, daß sie durchaus nicht wählerisch waren, sondern wo und wie sie konnten jeden umbrachten, ob reich oder arm, oft sogar Kinder. Manchmal töteten sie auch Frauen, aber das galt für sündhaft und brachte Unglück. Die günstige Jahreszeit für ihre Raubzüge dauerte sechs bis acht Monate. In einem solchen Jahrgang töteten zum Beispiel die sechs Banden von Bundelkund und Gwalior, welche zusammen 712 Köpfe zählten, 210 Menschen. Die Thugs von Malwa und Kandeisch waren 702 Mann stark und mordeten 232. Die Kandeisch- und Berar-Banden, 963 Mann, brachten 385 Leute um.

[115]

Bettler gelten in Indien für heilig, und manche Banden schonten ihr Leben, andere dagegen mordeten nicht nur sie, sondern sogar den Fakir, diesen Inbegriff aller Heiligkeit, der nichts als Haut und Knochen ist, sich Staub und Schmutz auf das buschige Haupthaar streut und seinen nackten Körper über und über mit Asche bepudert, daß er aussieht wie ein Gespenst. Mancher Fakir verließ sich jedoch allzu fest auf seine unverletzliche Heiligkeit. Von einem solchen Fall wird uns in Sleemans Buch unter andern Großtaten Feringheas berichtet. Er war einmal mit vierzig Thugs ausgezogen und sie hatten schon neununddreißig Männer und eine Frau getötet, ehe der Fakir zum Vorschein kam.

»Wir näherten uns Doregow,« lautete der Bericht, »trafen auf drei Brahminen, dann auf einen Fakir zu Pferde, der sich ganz mit Zucker bekleistert hatte, um die Fliegen herbeizulocken, von denen er über und über bedeckt war. Wir jagten ihn fort und töteten die drei andern.

»Hinter Doregow stieß der Fakir nochmals zu unserer Gesellschaft und zog mit uns bis Raojana; wir begegneten sechs Hindus, die von Bombay nach Nagpore wollten. Den Fakir vertrieben wir durch [116] Steinwürfe, töteten die sechs Leute in ihrem Lager und begruben sie im Gebüsch.

»Am nächsten Tage stellte sich der Fakir wieder ein; erst in Mana wurden wir ihn los. Hinter dem Orte trafen wir drei Sepoys und hatten fast den Platz erreicht, der zu ihrer Ermordung bestimmt war, als der Fakir abermals erschien. Nun endlich riß uns die Geduld und wir gaben Mithoo, einem unserer Gefährten, fünf Rupien, daß er ihn umbringen und die Sünde auf sich nehmen sollte. Alle vier wurden erdrosselt, also auch der Fakir. In seinem Gepäck fanden sich zu unserer Ueberraschung dreißig Pfund Korallen, dreihundert fünfzig Schnüre kleine Perlen, fünfzehn Schnüre große Perlen und ein vergoldetes Halsband.«

Ob wohl Mithoo, der allein die Sünde trug, sich die unerwartete Beute ganz aneignen durfte, oder ob er sie mit den Gefährten teilen mußte und nur die Sünde für sich behielt? – Wie schade, daß der Regierungsbericht uns gerade diesen interessanten Umstand verschweigt!

Feringhea fürchtete sich selbst nicht vor den Mächtigen der Erde. Einen Elefantentreiber des Rajahs von Oodeypore erdrosselte er ohne weiteres. Er hat auf jenem Raubzug nicht weniger [117] als hundert Männer und fünf Frauen umgebracht.

Unter den Unglücklichen, welche den Thugs zum Opfer fielen, waren Personen jeden Standes und Ranges; nur den Weißen taten sie nichts zu Leide. Die Liste verzeichnet:

Eingeborene, Soldaten, Fakirs, Bettler, Träger des heiligen Wassers, Zimmerleute, Hausierer, Schneider, Schmiede, eingeborene Polizisten, Kuchenbäcker, Stallknechte, Pilger, Chuprassies, Weber, Priester, Bankiers, Schatz-Träger, Kinder, Kuhhirten, Gärtner, Ladenbesitzer, Palankin-Träger, Landleute, Ochsentreiber, Diener, die Beschäftigung suchten, Frauen, die sich verdingen wollten, Schafhirten, Bogenschützen, Aufwärter, Bootsleute, Händler, Grasmäher.

Selbst einen fürstlichen Koch verschonten sie nicht, ebenso wenig den Wasserträger des Herrschers über alle Fürsten und Könige, des Generalgouverneurs von Indien. Ja, eine Bande war sogar grausam genug, armen, herumziehenden Komödianten das Leben zu nehmen, und trotzdem sie auf demselben Raubzug auch noch einen Fakir und zwölf Bettler töteten, beschützte sie ihr Gott Bhowanee: Sie wollten einen Mann im Walde erdrosseln, während gerade viele Leute in der Nähe vorbeigingen, [118] zogen aber die Schlinge nicht fest genug, und der Mann stieß einen lauten Schrei aus. Da ließ Bhowanee im gleichen Augenblick ein Kamel durch das Dickicht brechen, dessen Gebrüll den Angstschrei übertönte, und ehe der Mann den Mund wieder öffnen konnte, war sein Atem entflohen.

Die Kuh ist in Indien ein so heiliges Tier, daß schon ihren Hirten zu töten für frevelhaft gilt. Das wußten die Thugs recht gut, aber bisweilen war ihr Blutdurst so groß, daß sie dennoch einige Kuhhirten umbrachten. Ein Thug, der solche Missetat verübt hatte, bekennt:

»Unser Glaube verbietet das aufs strengste; es kann nur Unheil daraus entstehen. Ich lag nachher zehn Tage am Fieber darnieder. Tötet man einen Mann, der eine Kuh führt, so bringt es Unglück; hat er keine Kuh bei sich, dann schadet es nichts.« Ein anderer Thug, der bei dieser Gelegenheit die Füße des Opfers gehalten hatte, fürchtete für sich keine schlimmen Folgen, »weil das Mißgeschick für solche Tat immer nur den Erwürger selbst, nicht seine Gehilfen bedroht, und wenn er deren auch hundert gehabt hätte.«

Während vieler Menschenalter durchwanderten Tausende von Thugs Indien in allen Richtungen. [119] Ihr Räuberhandwerk war zu einem Beruf geworden, der sich vom Vater auf den Sohn und Enkel forterbte. Von sechzehn Jahren an konnte ein Knabe schon Mitglied der Verbindung werden, und siebzigjährige Greise waren noch in voller Tätigkeit.

Was fesselte die Leute aber an ihr Mordgeschäft, worin bestand der Reiz desselben? Teils trieb sie offenbar Frömmigkeit, teils Beutegier dazu, aber das Hauptinteresse scheint doch das Vergnügen an der Jagd selbst gewesen zu sein, die Mordlust, welche auch dem weißen Manne im Blute steckt. Meadows Taylor schreibt in seinem Roman: ›Bekenntnisse eines Thug‹:

»Wie leidenschaftlich liebt ihr Engländer nicht die Jagd! Ganze Wochen und Monate widmet ihr diesem aufregenden Zeitvertreib. Um Tiger, Panther, Büffel oder Eber zu töten, strengt ihr eure ganze Tatkraft an, ja ihr setzt selbst das Leben aufs Spiel. Wir Thugs aber verfolgen ein weit edleres Wild!«

Vielleicht liegt hierin wirklich der Schlüssel des Rätsels, das die Entstehung und Verbreitung der furchtbaren Sekte umgibt. Dem Menschengeschlecht im großen und ganzen ist die Mordgier eigen, es ergötzt sich am Töten lebender Geschöpfe wie an [120] einem Schauspiel. Wir weißen Leute sind nur etwas verfeinerte Thugs, denen ihr dünner Anstrich von Zivilisation wie ein lästiger Zwang erscheint. Als Thugs haben wir uns vor noch gar nicht so langer Zeit an den Metzeleien der römischen Arena ergötzt und später an dem Feuertod, welcher zweifelhaften Christen durch rechtgläubige Christen auf öffentlichem Marktplatz bereitet wurde. Noch jetzt gehen wir mit den Thugs in Spanien oder in Nimes zu den blutigen Greueln der Stiergefechte hinaus. Keiner unserer Reisenden, welches Geschlechts oder welcher Religion er auch sein mag, hat je der Anziehungskraft der spanischen Arena zu widerstehen vermocht, wenn sich ihm Gelegenheit bot, dem Schauspiel beizuwohnen. Auch zur Jagdzeit sind wir fromme Thugs: wir hetzen das harmlose Wild und töten es mit Wonne. Aber einen Fortschritt haben wir doch gemacht. Zwar ist er nur winzig und kaum der Rede wert, so daß wir nicht nötig hätten besonders stolz darauf zu sein, aber es ist immerhin ein Fortschritt zu nennen, daß es uns nicht mehr Freude macht, hilflose Menschen niederzumetzeln oder zu verbrennen. Von diesem höheren Standpunkt aus können wir mit selbstgefälligem Schaudern auf die indischen Thugs herabsehen; auch dürfen wir [121] zuversichtlich hoffen, daß einst der Tag erscheinen wird, an dem unsere Nachkommen in künftigen Jahrhunderten mit ähnlichen Gefühlen auf uns herabschauen.


Neuntes Kapitel.

Der Kummer ist sich selbst genug; aber um eine Freude voll und ganz zu genießen, muß man jemand haben, mit dem man sie teilen kann.

Querkopf Wilsons Kalender.

Wir fuhren mit dem Nachtzug von Bombay nach Allahabad. In Indien ist es Landessitte, das Reisen am Tage möglichst zu vermeiden; dabei ist nur der Uebelstand, daß man sich zwar die beiden Sofas ›sichern‹ kann, wenn man sie vorausbestellt, aber man erhält keinerlei Fahrkarte oder Marke, durch welche man sein Eigentumsrecht zu beweisen vermag, falls dasselbe in Zweifel gezogen wird. Das Wort ›besetzt‹ erscheint am Fenster des Coupés, aber für wen weiß niemand. Kommt mein Satan mit meinem Barney an, ehe ein anderer Diener zur Stelle ist, legen sie meine Betten auf die beiden [122] Sofas und stehen Wache bis wir eintreffen, dann geht alles gut. Verlassen sie aber den Posten um eine Besorgung zu machen, so können sie bei der Rückkehr finden, daß unsere sämtlichen Bettstücke auf die oberen Schlafbretter befördert worden sind, und ein paar andere Dämonen das Lager ihrer Herren auf unsern Sofas bereitet haben, vor denen sie Wache halten.

Dieses System lehrt uns Höflichkeit und Rücksicht üben, doch gestattet es auch unberechtigte Uebergriffe. Ein junges Mädchen pflegt einer älteren Dame, wenn diese später kommt, den Sofaplatz einzuräumen, den die Dame meist mit freundlichem Danke annimmt. Aber bisweilen geht es dabei auch anders zu. Als wir im Begriff waren Bombay zu verlassen, lagen die Reisetaschen meiner Tochter auf ihrem Sofaplatz. Da kam im letzten Augenblick eine amerikanische Dame mittleren Alters in das Coupé gestürmt, hinter ihr die mit dem Gepäck beladenen eingeborenen Träger. Sie schalt, brummte, knurrte und versuchte sich möglichst unausstehlich zu machen, was ihr auch gelang. Ohne ein Wort der Erklärung warf sie Reisekorb und Tasche meiner Tochter auf das obere Brett und pflanzte sich breit auf das Sofa hin.

[123]

Bei einem unserer Ausflüge verließen wir, Smythe und ich, auf einer Station unser Coupé, um etwas auf und ab zu gehen; als wir zurückkamen, fanden wir Smythes Betten im Hängebrett, und ein englischer Kavallerie-Offizier lag lang und bequem ausgestreckt auf dem Sofa, wo Smythe noch soeben geschlafen hatte.

Es ist abscheulich, daß dergleichen unsereinem Spaß bereitet, aber wir sind nun einmal so geschaffen. Wäre das Mißgeschick meinem ärgsten Feinde zugestoßen, es hätte mir kein größeres Vergnügen machen können. Wir freuen uns alle, wenn es andern Leuten schlecht geht, ohne daß wir Unbequemlichkeiten davon haben. Smythes Aerger machte mich so glücklich, daß ich gar nicht einschlafen konnte, weil ich mich in Gedanken zu sehr daran ergötzte. Er glaubte natürlich, der Offizier hätte den Raub selber begangen, während ihn der Diener zweifellos ohne Wissen seines Herrn ausgeführt hatte. Den Groll über diesen Vorfall bewahrte Smythe getreulich im Herzen; er schmachtete nach einer Gelegenheit, sich dafür an irgend jemand schadlos zu halten, und dies Verlangen ward ihm bald darauf in Kalkutta erfüllt. Von dort unternahmen wir eine vierundzwanzigstündige Fahrt nach Dardschiling. Da [124] aber der Generaldirektor Barclay alle Vorkehrungen getroffen hatte, damit wir es unterwegs recht bequem haben sollten – wie Smythe versicherte – so beeilten wir uns nicht allzusehr auf den Zug zu kommen. Im Bahnhof herrschte, wie gewöhnlich in Indien, ein entsetzliches Gewühl, ein unbeschreiblicher Lärm und Wirrwarr. Der Zug war übermäßig lang, denn sämtliche Eingeborene des Landes reisten irgendwohin; die Bahnbeamten wußten nicht, wo ihnen der Kopf stand und wie sie alle die aufgeregten Leute, die sich verspätet hatten, noch unterbringen sollten. Wo das für uns bestimmte Coupé war, konnte uns niemand sagen; keiner hatte Befehl erhalten dafür zu sorgen. Das war eine große Enttäuschung, auch hatte es ganz den Anschein als würde die Hälfte unserer Gesellschaft zurückbleiben müssen; da kam Satan spornstreichs angerannt, um zu melden, daß er ein Coupé gefunden habe, in dem noch ein Hängebrett und ein Sofa leer waren. Dort hatte er unser Gepäck hineingeschafft und uns das Lager bereitet. Wir stiegen eilends ein. Der Zug war gerade im Fortfahren, und die Schaffner schlugen eine Waggontür nach der andern zu, als ein Beamter des ostindischen Zivildienstes, unser guter Freund, atemlos gelaufen kam. »Ueberall habe ich nach [125] Ihnen gesucht,« rief er. »Wie kommen Sie hierher? Wissen Sie denn nicht –«

Indem fuhr der Zug ab, und der Schluß des Satzes entging uns. Jetzt kam für Smythe die Gelegenheit seinen Racheplan auszuführen. Er nahm sofort seine Betten vom Schlafbrett, tauschte sie gegen diejenigen aus, welche herrenlos auf dem Sofa mir gegenüber lagen und begab sich seelenvergnügt zur Ruhe. Gegen zehn Uhr nachts hielten wir irgendwo und ein großer Engländer, der wie ein hoher Militär aussah, stieg bei uns ein. Wir taten, als schliefen wir. Trotz der verdunkelten Lampen war es aber hell genug, daß wir sehen konnten, welche Ueberraschung sich in seinen Zügen malte. Hoch aufgerichtet stand er da, starrte sprachlos auf Smythe herab und versuchte die Lage der Dinge zu begreifen. Nach einer Weile sagte er:

»Nein, so was!« – weiter nichts.

Aber es war mehr als genug und leicht verständlich. Es sollte heißen: »So was ist doch unerhört! Eine solche Unverschämtheit ist mir mein Lebtag noch nicht vorgekommen.«

Er setzte sich auf seinen Koffer; wir aber schielten wohl zwanzig Minuten lang mit halbgeschlossenen Augen zu ihm hinüber und beobachteten, wie ihn die [126] Bewegung des Zuges rüttelte und schüttelte. Sobald wir an eine Station kamen, erhob er sich; wir hörten ihn noch im Fortgehen murmeln: »Ich muß ein leeres Sofa finden, sonst warte ich bis zum nächsten Zuge!«

Bald darauf kam sein Diener, um das Gepäck zu holen.

So war denn Smythes alte Wunde geheilt und sein Rachdurst gestillt. Aber schlafen konnte er ebensowenig wie ich; unser Wagen war ein ehrwürdiger, alter Kasten voller Schäden und Gebrechen. Die Tür ins Waschkabinett zum Beispiel schlug fortwährend an und spottete aller unserer Bemühungen sie zu befestigen. Als der Morgen dämmerte, standen wir wie zerschlagen auf, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Auch jener Engländer war auf der Station ausgestiegen und wir hörten, wie jemand zu ihm sagte:

»Also haben Sie Ihre Fahrt doch nicht unterbrochen?«

»Nein,« lautete die Antwort, »der Schaffner konnte mir ein Coupé anweisen, das zwar bestellt aber nicht besetzt worden war. Ich bekam einen großen Salonwagen für mich ganz allein, wahrhaft fürstlich, versichere ich Ihnen. Ein solcher Glücksfall ist mir noch nie begegnet.«

[127]

Natürlich war das unser Wagen. Wir siedelten sogleich mit der ganzen Familie dahin über. Den Herrn Engländer lud ich jedoch ein zu bleiben, was er auch annahm. Ein sehr liebenswürdiger Mann, Oberst bei der Infanterie. Daß Smythe ihm sein Lager geraubt hat, erfuhr er nicht; er glaubt, Smythes Diener hätten es ohne Wissen seines Herrn getan. Man half ihm zu dieser Ueberzeugung und störte ihn nicht darin.

In Indien werden die Züge ausschließlich von Eingeborenen bedient, auch alle Stationsbeamten – außer an Hauptplätzen – sind Eingeborene, desgleichen die Polizisten und die Angestellten im Post- und Telegraphendienst. Lauter sehr freundliche und gefällige Leute. Eines Tages war ich aus dem Schnellzug gestiegen, um mich mit Entzücken an dem Schauspiel zu weiden, das jede große Station in Indien bietet. Die bunten Scharen der Eingeborenen, welche auf dem breiten Perron rastlos durcheinander wirbelten, fesselten mich dergestalt, daß ich alles andere darüber vergaß. Als ich mich umwandte sah ich, daß mein Zug soeben zum Bahnhof hinausfuhr. Ich wollte mich ruhig hinsetzen, um den nächsten Zug abzuwarten, wie ich es zu Hause getan hätte; an eine andere Möglichkeit dachte ich [128] nicht. Da trat ein eingeborener Beamter, der eine grüne Flagge in der Hand hielt, höflich auf mich zu: »Wollten Sie nicht mit dem Zuge weiter?« fragte er.

Als ich dies bejahte, ließ er seine Flagge wehen, der Zug kam zurück, und er half mir mit solcher Ehrerbietung einsteigen, als wäre ich der Generaldirektor selber gewesen. Ein gutherziges Volk, diese Hindus! Unfreundliche, mürrische Mienen, welche Bosheit und schlechte Gemütsart verraten, sind eine solche Seltenheit, daß es mir oft vorkam, als müsse ich die Mordgeschichten der Thugs geträumt haben. Freilich wird es auch unter den Indern schlechte Menschen geben, aber jedenfalls in großer Minderzahl. Eins ist gewiß: es ist das interessanteste Volk in der ganzen Welt und dabei unerklärlich und unbegreiflich in seinem Wesen wie kein anderes. Sein Charakter, seine Geschichte, seine Religion, seine Sitten sind voller Rätsel, die nur noch unverständlicher werden, wenn man uns Aufschluß darüber gibt. Weshalb und auf welche Weise so seltsame Dinge wie die verschiedenen Kasten, die Thugs, die Suttis entstanden sein können, geht über unsere Begriffe.

Für die Sitte der Witwenverbrennung hat man zum Beispiel folgende Erklärung: Eine Frau, die [129] ihr Leben freiwillig hingibt, wenn ihr Gatte stirbt, wird augenblicklich wieder mit ihm vereinigt, und sie genießen fortan im Himmel zusammen ewige Freuden; die Familie errichtet ihr ein Denkmal oder einen Tempel und hält ihr Andenken in hohen Ehren. Der Opfertod der Frau verleiht auch allen ihren Angehörigen eine besondere Auszeichnung in den Augen des Volkes, die sich dauernd auf ihre Nachkommenschaft vererbt. Bleibt sie dagegen am Leben, so erwartet sie Schmach und Schande; wieder verheiraten kann sie sich nicht, die Familie verachtet sie und sagt sich von ihr los; freundlos und verlassen fristet sie ihr jammervolles Dasein.

Daß sie es vorzieht solchem Elend durch den Tod zu entfliehen, ist sehr begreiflich. Aber was der Ursprung dieser seltsamen Sitte ist, bleibt trotzdem ein Rätsel. Vielleicht wurde sie auf Befehl der Götter eingeführt; aber haben diese auch bestimmt, daß man eine so grausame Todesart wählen sollte? Hätte ein sanfterer Tod nicht dieselben Dienste getan? Kein Mensch weiß darauf eine Antwort.

Man wäre geneigt anzunehmen, daß die Witwen sich überhaupt nicht freiwillig verbrennen ließen, sondern es nur nicht wagten sich der öffentlichen [130] Meinung zu widersetzen. Dieser Standpunkt läßt sich jedoch unmöglich festhalten; er stimmt nicht mit den geschichtlichen Tatsachen überein. Major Sleeman erzählt in einem seiner Bücher einen höchst charakteristischen Fall:

Als er im März 1828 die Verwaltung am Nerbuddastrom übernahm, beschloß er kühn, dem Zug seines mitleidigen Herzens zu folgen und die Suttis auf eigene Verantwortung in seinem Bezirk zu verbieten. Daß sie acht Monate später auf Befehl der Ostindischen Regierung gänzlich untersagt werden würden, konnte er nicht voraussehen. Am 24. November – einem Dienstag – starb Omed Sing Opaddia, das Haupt einer der angesehensten und zahlreichsten Brahminenfamilien der Gegend, und eine Abordnung seiner Söhne und Enkel erschien vor Sleeman, mit der Bitte, der alten Witwe zu gestatten sich mit der Leiche ihres Gemahls verbrennen zu lassen. Der Major drohte jedoch, jeden streng zu bestrafen, der seinem Befehl zuwider handeln und der Selbstverbrennung der Witwe Vorschub leisten würde. Er stellte eine Polizeiwache am Nerbudda-Ufer auf, wo die fünfundsechzigjährige Witwe schon seit dem frühen Morgen bei ihrem Toten saß und wartete. Als die abschlägige Antwort [131] eintraf, blieb sie Tag und Nacht am Rande des Wassers sitzen, ohne zu essen und zu trinken.

Am folgenden Morgen wurde die Leiche ihres Gemahls in einer etwa acht Quadratfuß breiten und drei bis vier Fuß tiefen Grube in Anwesenheit von mehreren tausend Zuschauern verbrannt. Hierauf watete die Witwe nach einem nackten Felsen im Bette der Nerbudda; alle Fremden hatten sich zerstreut, nur ihre Söhne und Enkel blieben in ihrer Nähe, während die übrigen Anverwandten des Majors Haus umringten, um ihn zu überreden, sein Verbot zurückzunehmen. Die Witwe widerstand allen Bitten der Ihrigen, die sie sehr liebten und ihr Leben zu erhalten wünschten, sie verweigerte jede Nahrung und blieb auf dem nackten Felsen sitzen, der sengenden Sonnenhitze bei Tag und der strengen Kälte bei Nacht ausgesetzt, nur mit einem dünnen Stück Zeug über der Schulter. Am Donnerstag setzte sie, zum Beweis, daß nichts sie von ihrem Vorhaben abbringen könne, die Dhadscha, einen groben, roten Turban auf und brach ihre Armbänder in Stücke, wodurch sie gesetzlich für tot galt und auf immer aus ihrer Kaste ausgeschlossen war. Hätte sie jetzt noch das Leben erwählen wollen, so konnte sie nie mehr zu ihrer Familie zurückkehren. Sleeman wußte sich [132] keinen Rat. Wenn sich die Frau zu Tode hungerte, so war ihre Familie beschimpft und die Aermste starb unter langsameren Qualen, als wenn man ihr gestattete sich zu verbrennen. Als der Major sie am vierten Tage nach dem Tode ihres Mannes noch mit der Dhadscha auf dem Kopfe an derselben Stelle sitzen fand, redete er sie an. Sie sagte ihm mit großer Gelassenheit, daß sie entschlossen sei, ihre Asche mit der ihres verstorbenen Gatten zu mischen; sie würde geduldig seine Erlaubnis abwarten, überzeugt, Gott werde ihr Kraft geben, ihr Dasein bis dahin zu fristen, obgleich sie weder essen noch trinken wolle. Dann blickte sie nach der Sonne, die eben über der Nerbudda aufging und sagte ruhig: »Meine Seele weilt schon fünf Tage lang bei der meines Gatten, in der Nähe jener Sonne, nur meine irdische Hülle ist noch übrig, und ich weiß, du wirst bald gestatten, daß sie sich in jener Grube mit seiner Asche vermischt, weil es nicht in deinem Wesen und Brauch ist, die Qual einer armen, alten Frau mutwillig zu verlängern.«

Sleeman versicherte ihr, es sei sein Wunsch und seine Pflicht sie zu retten und zu erhalten. Er wolle den Ihrigen die Schmach ersparen für ihre Mörder zu gelten. Doch sie erwiderte, deswegen [133] sei sie unbesorgt. Ihre Kinder hätten alles mögliche getan, um sie zu bewegen unter ihnen zu leben. »Hätte ich eingewilligt, so würden sie mich geliebt und geehrt haben, das weiß ich. Doch übergebe ich sie alle deiner Obhut und gehe zu meinem Gatten Omed Sing Opaddia, mit dessen Asche die meinige sich schon dreimal auf dem Scheiterhaufen vermischte.«

Dies bezog sich auf die Seelenwanderung. Sie waren nach ihrer Ueberzeugung schon dreimal als Mann und Weib auf Erden gewesen. Seit sie ihre Armbänder zerbrochen und den roten Turban aufgesetzt hatte, hielt sie sich für bereits gestorben, sonst hätte sie nicht so unehrerbietig sein können, den Namen ihres Gatten auszusprechen. Es war das erstemal in ihrem Leben, daß sie dies tat, denn in Indien nennt keine Frau, aus welchem Stande sie auch sei, jemals den Namen ihres Mannes.

Sleeman hoffte noch immer sie zu überreden. Er drohte ihr, die Regierung werde die steuerfreien Güter, von denen ihre Familie so lange gelebt habe, einziehen; auch werde kein Stein den Platz bezeichnen, wo sie sterbe, im Fall sie auf ihrem Entschluß beharre. Bliebe sie aber am Leben, so solle eine glänzende Wohnung unter den Tempeln ihrer Ahnen [134] für sie gebaut und eine schöne Summe zu ihrem Unterhalt bestimmt werden. Aber sie lächelte nur, streckte den Arm aus und sagte: »Mein Puls hat lange aufgehört zu schlagen, mein Geist ist entwichen; ich werde bei dem Verbrennen nicht leiden. Wenn du einen Beweis willst, so laß Feuer bringen und sieh, wie es diesen Arm verzehrt, ohne daß es mir Schmerz verursacht.«

Da der Major erkannte, daß alle seine Bemühungen vergebens waren, ließ er die Oberhäupter der Familie rufen und erklärte ihnen, er werde gestatten, daß sich die Witwe verbrennen dürfe, wenn sie sich alle durch eine feierliche Urkunde verpflichten wollten, in ihrer Familie nie wieder eine Sutti zu halten. Sie gingen darauf ein und die Schrift ward aufgesetzt und unterzeichnet. Als man der Witwe am Sonnabend gegen Mittag den Beschluß verkündete, zeigte sie sich hocherfreut. Um drei Uhr waren die Zeremonien des Badens vorüber, und in der Grube brannte ein helles Feuer. Fast fünf Tage hatte die Frau ohne Speise und Trank zugebracht; als sie vom Felsen ans Ufer kam, netzte sie erst ihr Tuch im Wasser des heiligen Stromes, denn ohne diese Vorsichtsmaßregel wäre sie durch jeden Schatten, der auf sie fiel, verunreinigt worden. Von [135] ihrem ältesten Sohn und einem Neffen gestützt schritt sie nach dem Feuer hin, eine Entfernung von etwa 150 Metern.

Wachen waren aufgestellt, und niemand durfte sich auf fünf Schritt nähern. Sie kam mit ruhigem freudevollem Gesicht herbei, blieb einmal stehen, schaute aufwärts und sagte: »Warum hat man mich fünf Tage von dir, mein Gatte, entfernt gehalten?« Als sie zu den Wachen kam, blieben ihre Begleiter zurück; sie schritt noch einmal um die Grube, hielt einen Augenblick inne und während sie ein Gebet murmelte, warf sie einige Blumen ins Feuer. Dann trat sie ruhig und standhaft bis an den Rand, stieg mitten in die Flamme, setzte sich nieder und lehnte sich zurück als ruhe sie auf einem Lager; ohne einen Schrei auszustoßen oder ein Zeichen des Schmerzes von sich zu geben, wurde sie vom Feuer verzehrt.

Das ist schön und großartig! Es erfüllt uns mit Ehrfurcht und Hochachtung. Was der altgewohnten Sitte ihre unwiderstehliche Macht verlieh war die Riesenkraft eines Glaubens, welcher durch immer neue Todesopfer lebendig erhalten wurde. Aber, wie die ersten Witwen dazu kamen, die Sitte einzuführen, bleibt in Dunkel gehüllt.

Sleeman sagt, daß bei der Witwenverbrennung [136] gewöhnlich einige Musikinstrumente spielten, aber nicht, wie man gemeinhin glaubt, um das Geschrei der Märtyrerin zu ersticken, sondern um zu verhüten, daß ihre letzten Worte gehört werden; denn diese galten für prophetisch, und wenn sie Unglück weissagten, hielt man es für besser, daß die Lebenden darüber in Unkenntnis blieben.


Zehntes Kapitel.

Er hatte viel mit Aerzten zu tun gehabt und sagte: Es gibt nur ein Mittel um gesund zu bleiben, man muß essen was einem nicht schmeckt, trinken, was man nicht mag und tun, was man lieber bleiben ließe.

Querkopf Wilsons Kalender.

Es war eine lange Reise, zwei Nächte und anderthalb Tage von Bombay ostwärts nach Allahabad, aber sehr interessant und nicht ermüdend. Das heißt, zuerst fühlte ich mich höchst unbehaglich, aber daran waren die ›Pyjamas‹ schuld. Dieser lästige Nachtanzug besteht aus Jacke und Beinkleidern; er ist entweder von Seide oder aus einem rauhen, kratzigen, dünnen Wollstoff, der einem die Haut reibt wie Sandpapier. Die Hosen haben Elefantenbeine [137] und eine Elefantentaille, keine Knöpfe am Bund, sondern eine Schnur, um die überflüssige Weite zusammenzuziehen; die lose Jacke wird vorn zugeknöpft. In einer warmen Nacht sind einem die Pyjamas zu heiß, und man friert darin, wenn die Nacht kalt ist. Ich wollte nicht gegen die Sitte verstoßen und versuchte es mit dem Kleidungsstück, aber es war mir unerträglich, ich mußte es wieder ablegen. Der Unterschied zwischen Tag- und Nachtanzug ist nicht groß genug. In einem Nachthemd fühlt man sich wohlig und erfrischt, von beengendem Zwang erlöst, frei und ungebunden. Statt dessen hatte ich die erstickende, bedrückende, aufreibende und quälende Empfindung, angekleidet im Bette zu liegen. Während der warmen Hälfte der Nacht bekam ich von der rauhen Wolle ein solches Jucken auf der Haut, daß ich wie gekocht und im Fieber dalag; verfiel ich auf kurze Zeit in Schlaf, so peinigten mich Träume, wie die Verdammten sie haben mögen – oder haben sollten. In der kalten Hälfte der Nacht fand ich aber keine Zeit zum Schlafen, weil ich genug damit zu tun hatte, mir wollene Decken zu stehlen. Aber was nützen wollene Decken unter solchen Umständen? Je mehr man aufeinander häuft, um so fester korkt man die Kälte ein, daß [138] sie nicht heraus kann. Die Beine werden einem zu Eisklumpen und man weiß genau, wie es sein wird, wenn man eines Tages im Grabe liegt. Sobald ich einen Augenblick zu Verstande kam, entledigte ich mich der Pyjamas und genoß mein Leben fortan auf vernünftige und behagliche Weise.

Der Tag fängt auf dem Lande in Indien früh an. Endlos dehnt sich die vollkommen flache Ebene im grauen Dämmerlicht nach allen Seiten aus. Schmale, festgetretene Fußpfade durchziehen sie überall; nur von Zeit zu Zeit ragt auf der ungeheuern Fläche eine Gruppe gespenstischer Bäume empor, zum Zeichen, daß da ein Dorf liegt. Auf den Pfaden sieht man allenthalben braune, hagere, nackte Männergestalten und schlanke Frauen, die an ihr Tagewerk eilen; die Frauen mit kupfernen Wassergefäßen auf dem Kopf, die Männer mit der Hacke in der Hand. Uebrigens ist der Mann nicht ganz nackt, einen weißen Lappen hat er immer um; dies Lendentuch ist eine Art Binde, ein weißer Strich auf seiner braunen Person, wie der Silberbeschlag, der mitten um ein Pfeifenrohr läuft. Trägt er noch einen luftigen, bauschigen Turban, dann ist das der zweite Strich. »Ein Mensch, dessen Kleidung aus einem Turban und einem Taschentuch besteht,« so beschreibt [139] Miß Gordon Cumming sehr richtig den Eingeborenen.

Den ganzen Tag lang fährt man durch die einförmige, staubfarbene Ebene, an den verstreuten Baumgruppen und den Lehmhütten der Dörfer vorbei. Daß Indien nicht überall schön ist, läßt sich nicht leugnen, und doch übt es einen unwiderstehlich bestrickenden Zauber aus. Woher das kommt ist schwer zu sagen; man hat nur das unbestimmte Gefühl, daß es der uralte, geschichtliche Boden ist, dem dieser Reiz entspringt. Die Wüsten Australiens und die starren Eisfelder Grönlands besitzen keine solche Macht über uns; wir sehen sie in ihrer ganzen Kahlheit und Häßlichkeit, weil sie keine ehrwürdige Geschichte haben, die uns von menschlichen Leiden und Freuden in längst vergangenen Jahrhunderten erzählt.

Auf der langen Fahrt bis Allahabad kamen wir nur an Dörfern vorbei, die innerhalb verfallener Mauern lagen. Ein solches indisches Dorf ist nicht schön; ein Teil der schmutzfarbenen Lehmhütten ist meist vom Regen verwittert, so daß sie vermoderten Ruinen gleichen. Auch Viehherden und Ungeziefer leben innerhalb der Mauern, wie mir scheint, denn ich sah dort Kühe und Ochsen ein- und ausgehen, und so oft ich einen der Dorfbewohner gewahrte, [140] juckte er sich. Letzteres ist zwar nur ein Indizienbeweis, aber ich glaube, daß er schwerlich trügt.

Mich interessierten die indischen Dörfer, weil ich in Major Sleemans Büchern allerlei darüber gelesen hatte. Er schildert die Teilung der Arbeit, die unter der Bevölkerung herrscht. Der Grund und Boden Indiens, sagt er, bestehe aus lauter einzelnen Feldern, die zu den Dörfern gehören. Neun Zehntel der ganzen Einwohnerschaft sind Ackerbauer und wohnen in den Dörfern. Doch hält sich jedes Dorf auch gewisse bezahlte Arbeiter, Handwerker und andere Leute zum allgemeinen Dienst, deren Geschäft in der Familie bleibt und sich von Vater auf Sohn weiter erbt. Solche Berufsarten sind: Priester, Grobschmied, Zimmermann, Rechnungsführer, Waschmann, Korbflechter, Töpfer, Wächter, Barbier, Schuhmacher, Klempner, Zuckerbäcker, Weber, Färber u. a. m. Zu Sleemans Zeit gab es auch viele Hexen, und aus praktischen Gründen ließ niemand seine Tochter gern in eine Familie heiraten, zu der keine Hexe gehörte. Man brauchte ihre guten Dienste, um die Kinder vor dem Unheil zu schützen, das ihnen sonst die Hexen der Nachbarfamilien ohne Zweifel angetan hätten.

Der Beruf der Hebamme blieb stets in der Familie [141] des Korbflechters. Seiner Frau gehörte das Amt, mochte sie etwas davon verstehen oder nicht. Ihre Einnahme war nicht so groß: für einen Knaben erhielt sie 25 Cents, und halb so viel für ein Mädchen. Die Geburt einer Tochter kam unerwünscht, wegen der furchtbaren Kosten, die sie mit der Zeit verursachen würde. Sobald sie alt genug war, um der Sitte gemäß Kleider tragen zu müssen, galt es für eine Schande, wenn die Familie sie nicht verheiratete. Den Vater brachte jedoch die Heirat der Tochter an den Bettelstab, denn er mußte, nach altem Herkommen, beim Hochzeitsgepränge und dem Festschmaus alles verausgaben, was er besaß und entlehnen konnte, so daß er vielleicht nie wieder im stande war sich emporzuarbeiten.

Aus Furcht vor solchem unvermeidlichen Ruin tötete man in früherer Zeit viele Mädchen gleich nach der Geburt, bis England die grausame Sitte mit eiserner Strenge abschaffte. »Bei dem Spiel der Dorfkinder,« sagt Sleeman, »hörte man niemals Mädchenstimmen.« Schon aus dieser gelegentlichen Bemerkung läßt sich entnehmen, wie allgemein der Mädchenmord in Indien verbreitet war.

Das Hochzeitsgepränge besteht nach wie vor im Lande, weshalb auch noch hie und da neugeborene [142] Mädchen umgebracht werden, aber ganz heimlich, weil die Regierung sehr wachsam ist und jede Uebertretung des Gesetzes mit strengen Strafen bedroht.

In einigen Teilen Indiens gibt es in den Dörfern noch drei besondere Angestellte. Erstens den Astrologen, der dem Bauer sagt, wann er säen und pflanzen, eine Reise machen oder ein Weib nehmen soll, wann er ein Kind erwürgen, einen Hund entlehnen, auf einen Baum steigen, eine Ratte fangen und seinen Nachbar betrügen darf, ohne die Rache des Himmels auf sein Haupt zu ziehen. Auch die Träume legt er ihm aus, falls der Mann nicht klug genug ist, sie sich selbst aus der Mahlzeit zu erklären, die er vor Schlafengehen zu sich genommen hat. Die beiden andern Angestellten sind der Tiger- und der Hagelbeschwörer. Ersterer hält die Tiger fern, wenn er kann und bezieht auf alle Fälle sein Gehalt; letzterer beschützt das Dorf vor Hagelschlag oder gibt an, aus welchem Grund sein Geschäft mißlungen sei und läßt sich denselben Lohn bezahlen, mag der Hagel kommen oder ausbleiben. Wer in Indien seinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann, muß wirklich auf den Kopf gefallen sein.

Auch die Gewerkvereine und der Boykott sind alte indische Einrichtungen. Es gibt eben nichts, [143] was nicht dort seinen Ursprung hätte. »Die Straßenkehrer,« sagt Sleeman, »zählen zur niedrigsten Kaste; alle andern Kasten verachten sie und ihr Amt, aber sie selbst sind stolz darauf und dulden keine Eingriffe in ihr Monopol. Das Recht, in einem gewissen Stadtteil die Straßen zu kehren, gehört einem bestimmten Mitglied der Kaste an; wagt sich ein anderes Mitglied in diesen Bezirk, so wird es ausgestoßen – niemand darf mehr aus seiner Pfeife rauchen oder aus seinem Kruge trinken – der Missetäter kann die Wiederaufnahme in die Kaste nur dadurch erlangen, daß er für sämtliche Straßenkehrer ein Festmahl veranstaltet. Beleidigt ein Hausbesitzer den Straßenkehrer seines Bezirks, so bleibt aller Abfall und Kehricht solange bei ihm liegen, bis er den Mann wieder versöhnt hat, kein anderer Straßenkehrer getraut sich den Schmutz fortzuschaffen. Die Bürger der Städte müssen sich von diesen Leuten oft unglaublich viel gefallen lassen; ja die Tyrannei, welche die Innung der Straßenkehrer ausübt, ist noch heutigen Tages eins der größten Hindernisse aller sanitären Reformen in Indien. Zwingen kann man diese Menschen nicht, denn kein Hindu oder Muselmann würde ihre Arbeit verrichten, und sollte es ihm das Leben kosten; [144] nicht einmal prügeln würde er den widerspenstigen Straßenkehrer, um sich nicht zu verunreinigen.«

Allahabad bedeutet die ›Stadt Gottes‹. Das Hindu-Viertel habe ich nicht gesehen; der englische Teil der Stadt hat schöne, breite Alleen und auf Raumersparnis ist gar keine Rücksicht genommen. Alle Einrichtungen lassen auf Luxus und Bequemlichkeit schließen; mir scheint, die Leute führen dort ein so heiteres, sorgloses Leben, wie man es nur bei einem guten Gewissen haben kann, wenn diesem ein genügendes Konto auf der Bank zur Seite steht.

Am Morgen nach unserer Ankunft in Allahabad stand ich in aller Frühe auf und ging auf der Veranda, die rings um das Haus läuft, an den schlafenden Dienern vorbei, die bis über die Ohren in ihre wollenen Decken gewickelt, vor der Tür ihrer Herren lagen. Ich glaube, kein indischer Diener schläft jemals in einem Zimmer. Vor einer Tür sah ich einen Hindu kauern. Die gelben Schuhe seines Herrn waren geputzt und bereit gestellt; nun hatte er nichts mehr zu tun als zu warten, bis er gerufen würde. Es war bitter kalt, aber der Mensch blieb geduldig und regungslos wie ein Steinbild auf demselben Fleck. Ich konnte es kaum mit ansehen. Gern hätte ich zu ihm gesagt: »Stehe doch auf [145] und mache dir Bewegung, um dich zu erwärmen, was hockst du da in der Eiseskälte, das verlangt niemand von dir.« Allein mir fehlten die Wörter. Die einzige Redensart, die mir einfiel war »Jeldy jow,« und was sie bedeutete, wußte ich nicht. So ging ich denn notgedrungen stumm vorbei, entschlossen nicht mehr an den Menschen zu denken; aber seine nackten Beine und Füße kamen mir nicht aus dem Sinn und zwangen mich immer wieder, die Sonnenseite zu verlassen und bis zu dem Punkt zurückzugehen, wo ich ihn sehen konnte. Eine Stunde verging, ohne daß er seine Stellung auch nur im geringsten veränderte. Ob das Sanftmut und Geduld, Seelenstärke oder Gleichgültigkeit verriet, will ich nicht entscheiden; aber der Anblick quälte mich und verdarb mir den ganzen Morgen. Nach zwei Stunden riß ich mich endlich aus seiner Nähe los; mochte er sich nun allein weiter kasteien so viel er wollte. Bis dahin war er um keines Haares Breite von seinem Platz gewichen; ich sehe ihn noch immer deutlich vor mir und werde die Erinnerung wohl ewig mit mir herumtragen. Wenn ich von der Geduld und Ergebung der Inder bei ungerechter Behandlung, in Schmerz und Unglück lese, so steigt sein Bild vor mir auf. »Jeldy jow!« (mach daß du weiter kommst!) ruft man dem [146] Inder in seiner Not seit ungezählten Jahrhunderten zu. Hätte ich es nur damals auch gesagt, es wäre gerade das Richtige gewesen; aber leider war mir, wie gesagt, die Bedeutung des Wortes entfallen.

Im Morgenlicht unternahmen wir eine lange zum Teil wunderschöne Fahrt nach der Festung. Der Weg führte unter hohen Bäumen an Häusergruppen und am Dorfbrunnen vorbei, wo man zu andern Tageszeiten malerische Scharen von Eingeborenen fortwährend lachend und schwatzend hin- und hergehen sieht. Diesmal trafen wir sie bei ihren Waschungen; die kräftigen Männer ließen das klare Wasser reichlich über die braunen Körper strömen, ein erfrischender Anblick, der meinen Neid erregte, denn die Sonne hatte sich schon an ihr Geschäft gemacht, den Tag über tüchtig in Indien einzuheizen. Viele Hindus nahmen ein solches Morgenbad; die Frühstückstunde nahte heran, und kein Hindu darf essen, ehe er die vorgeschriebene Waschung beendet hat.

Als wir in die heiße Ebene kamen, wimmelte es auf allen Pfaden von Wallfahrern und Wallfahrerinnen. Hinter der Festung, wo die heiligen Ströme Ganges und Jumna ineinander fließen, sollte eine der großen religiösen Messen Indiens [147] gehalten werden. Eigentlich gibt es drei heilige Ströme; der dritte fließt zwar unter der Erde und niemand hat ihn gesehen, aber das schadet nichts, wenn man nur weiß, daß er da ist. Die Pilger stammten aus den verschiedensten Gegenden Indiens; einige waren monatelang unterwegs gewesen; arm, hungrig und abgemattet, waren sie bei Staub und Hitze geduldig weiter gewandert, von unerschütterlichem Glauben und Vertrauen gestützt und aufrecht erhalten. Jetzt strahlten alle vor Glück und Zufriedenheit, denn bald winkte ihnen der reichste Lohn für ihre Mühsal. Sie sollten Läuterung von jeder Sünde und Unreinheit in dem heiligen Wasser finden, welches alles was es berührt, sogar Totes und Verwestes, rein machen kann. Wie wunderbar ist doch die Kraft eines Glaubens, welcher Alte und Schwache, Junge und Leidende treibt, ohne Zaudern und ohne Klage die unerhörten Anstrengungen einer solchen Reise, samt allen Entbehrungen, die sie mit sich bringt, geduldig auf sich zu nehmen! Ob es aus Furcht geschieht oder aus Liebe, weiß ich nicht, aber was auch immer der Beweggrund sein mag, die Sache selbst ist für uns kühle Verstandesmenschen vollkommen unbegreiflich. Nur wenige auserlesene Naturen unter den Weißen besäßen einen ähnlichen [148] Opfermut; wir übrigen wissen genau, daß wir außer stande wären, uns dazu aufzuschwingen. Da wir aber alle die Selbstaufopferung gern im Munde führen, so darf ich hoffen, daß wir wenigstens groß genug denken, um sie bei dem Hindu würdigen zu können.

Jedes Jahr strömen zwei Millionen Eingeborene zu dieser Messe herbei. Wie viele die Reise antreten und unterwegs vor Alter, Mühsal, Krankheit und Mangel sterben, weiß niemand. Alle zwölf Jahre ist ein besonderes Gnadenjahr, und die Pilger kommen in noch größeren Massen gezogen, das ist schon seit undenklichen Zeiten so gewesen. Man sagt übrigens, daß es für den Ganges nur noch ein zwölftes Jahr geben wird, dann soll dieser heiligste aller Flüsse seine Kraft verlieren und erst nach Jahrhunderten werden die Pilger wieder zu seinen Ufern wallfahrten, wenn die Brahminen verkünden, daß er seine Heiligkeit wiedergewonnen hat. Was die Priester damit bezwecken, daß sie sich diese Goldmine verschließen, kann ich nicht sagen. Aber mir ist nicht bange, sie werden wohl wissen was sie tun. Ehe man sich’s versieht werden sie dem Volk der Inder eine Ueberraschung bereiten, welche beweist, daß sie ihren Vorteil nicht aus den Augen gelassen haben, als sie auf den Marktwert des Ganges verzichteten.

[149]

Wir begegneten vielen Eingeborenen, welche heiliges Wasser aus den Flüssen geholt hatten. Man bietet es in ganz Indien zum Verkauf aus, auch soll es oft bei Hochzeiten becherweise verteilt werden.


Die Festung ist ein ungeheueres, altes Gebäude und hat in religiöser Beziehung Erlebnisse der mannigfaltigsten Art zu verzeichnen. In dem großen Hof steht seit über zweitausend Jahren ein Monolith mit einer buddhistischen Inschrift. Vor dreihundert Jahren wurde die Festung von einem mohammedanischen Kaiser erbaut und nach dem Ritus seiner Religion eingeweiht; auch ein Hindutempel mit unterirdischen Gängen voller Heiligtümer und Götzenbilder befindet sich daselbst, und seitdem die Festung den Engländern gehört, besitzt sie eine christliche Kirche. So ist für das Seelenheil aller gesorgt.

Von den hohen Wällen schauten wir auf die heiligen Flüsse hinab, die sich an diesem Punkt vereinigen. Das Wasser des blaßgrauen Jumna sieht klar und rein aus, der schlammige Ganges aber ist trübe, gelb und schmutzig. Auf der schmalen, gebogenen Landzunge zwischen den Flüssen erhob sich eine Zeltstadt mit zahllosen, wehenden Wimpeln und großen Scharen von Pilgern. Man hatte Mühe [150] dorthin zu gelangen, aber interessant war es, sobald man unten ankam, wenn auch sehr unruhig. Eine ganze Welt bewegte sich dort in rastloser, lärmender Tätigkeit, teils mit religiösen, teils mit kaufmännischen Angelegenheiten beschäftigt. Die Mohammedaner fluchen und verkaufen, während die Hindus kaufen und beten, denn die Messe ist zugleich ein Jahrmarkt und ein religiöses Fest. Eine Unmenge von Leuten badete, betete und trank das heilige Wasser; kranke Pilger kamen von weither im Palankin, um durch ein Bad Heilung von ihrem Uebel zu finden oder an den gesegneten Ufern zu sterben und sicher in den Himmel zu kommen. Auch viele Fakirs waren da; sie hatten sich ganz mit Asche bestreut und ihr Haar mit Kuhdünger zusammengeklebt, denn die Kuh und alles was von ihr stammt ist heilig. Der gute Hindubauer malt oft die Wand seiner Hütte mit dem Dünger an oder formt daraus allerlei Figuren, mit denen er den Estrich des Fußbodens verziert. In den Zelten saßen auch ganze Familien bei einander, die schrecklich und wunderbar bemalt waren und nach ihrer Stellung und Gruppierung zu urteilen, die Angehörigen großer Gottheiten vorstellten. Ein heiliger Mann saß dort schon Wochen lang nackt auf spitzen [151] Eisenstäben und schien sich gar nichts daraus zu machen. Ein anderer Heiliger stand den ganzen Tag auf einem Fleck und hielt seine abgezehrten Arme regungslos in die Höhe; er soll das schon seit Jahren tun. Neben jedem dieser frommen Büßer lag ein Tuch am Boden, auf das milde Spenden gelegt wurden; selbst die ärmsten Leute gaben eine Kleinigkeit in der Hoffnung, das Opfer werde ihnen Segen bringen. Zuletzt kam noch eine Prozession nackter, heiliger Männer singend vorbeigezogen – da riß ich mich los und ging meiner Wege.


Elftes Kapitel.

Wer sich seiner Sittsamkeit rühmt, gleicht einer Statue mit dem Feigenblatt.

Querkopf Wilsons Kalender.

Die Reise nach Benares nahm nur wenige Stunden in Anspruch. Wir machten sie bei Tage; der Staub spottete aller Beschreibung – er legte sich in einer dicken, aschgrauen Schicht auf den Menschen und verwandelte ihn in einen Fakir, bei dem nur der Kuhdünger und die Heiligkeit fehlte. Nachmittags hatten wir in Mogul-Serai Wagenwechsel [152] – ich glaube, so heißt der Ort – und mußten zwei Stunden auf den Zug nach Benares warten. Wir hätten auch einen andern Wagen nehmen und nach der heiligen Stadt fahren können, aber dann wären wir um die schöne Wartezeit gekommen. In andern Ländern ist ein langer Aufenthalt auf einer Station unangenehm und ermüdend, aber in Indien hat man kein Recht, sich über Mangel an Unterhaltung zu beklagen. Das Gewimmel der Eingeborenen in ihrem bunten Schmuck, das Gedränge, das Leben, der Wirrwarr, der stets wechselnde Glanz der verschiedenen Trachten – wo fände man Worte, um diesen Anblick in seinem ganzen Zauber zu schildern! Die zweistündige Wartezeit verging nur allzu schnell. Ein besonders interessantes Schauspiel gewährte uns noch ein eingeborener kleiner Fürst aus den Hinterwäldern mit seiner Ehrengarde, einer Bande von fünfzig dunkeln Barbaren, zerlumpt aber sehr farbenprächtig und mit rostigen Feuersteingewehren bewaffnet. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß die bunte Mannigfaltigkeit des Gesamtbildes noch irgend welchen Zuwachs erhalten könnte, als aber dieser ›Falstaff mit seinen Gesellen‹ anmarschiert kam, trat alles andere dagegen in den Hintergrund.

Mit der Zeit fuhren wir ab und erreichten bald [153] die Vorstädte von Benares, dann mußten wir wieder warten. Auch hier gab es etwas zu beobachten, nämlich eine Gruppe kleiner Palankins. An solchem Leinwandkasten hat man nicht viel zu sehen, wenn er leer ist; sitzt aber eine Dame darin, so erwacht unser Interesse. Die Kasten, welche etwas abseits standen, waren dreiviertel Stunden lang den erbarmungslosen Strahlen der Sonne preisgegeben. Ihre Insassen mußten kerzengerade darin ausharren, sie hatten keinen Raum, um ihre Glieder zu strecken; da es jedoch Haremsdamen waren, die ihr Lebtag in der Gefangenschaft ihres Frauengemachs schmachten müssen, so machte es ihnen vielleicht weniger aus. Wenn die Haremsdamen auf Reisen gehen, trägt man sie in solchen Leinwandkasten bis zur Bahn, und im Zuge werden sie vor allen Blicken verborgen. Viele Leute bedauern sie, und früher tat ich das auch ganz aus freien Stücken, doch jetzt zweifle ich stark, ob das Mitgefühl überhaupt angebracht ist. Während wir in Indien waren, machten einige gutherzige Europäer in einer Stadt den Vorschlag, man möchte den Haremsdamen einen großen Park zur Verfügung stellen, wo sie in sicherer Abgeschlossenheit unverschleiert umhergehen könnten, um sich an Luft und Sonnenschein zu erfreuen, wie noch nie in [154] ihrem Leben. Obgleich man die wohlwollende Absicht nicht verkannte, welche dem Plan zu Grunde lag, so wurde er doch im Namen der Haremsdamen auf das entschiedenste abgelehnt. Sie hatten den Gedanken offenbar höchst anstößig gefunden, etwa wie wenn man Europäerinnen auffordern wollte, sich in mangelhafter und wenig anständiger Bekleidung in einem abgelegenen Privatpark zusammen zu finden. So verschieden sind die Begriffe von Schicklichkeit!

Major Sleeman schildert einmal die Entrüstung einer Dame aus vornehmer Kaste, als sie ein paar englische Mädchen unverschleiert über die Straße gehen sah. Der Anblick verletzte ihr Anstandsgefühl aufs tiefste und sie begriff nicht, wie jemand so schamlos sein könne, sich über alle Regeln hinwegzusetzen und seine Person auf solche Art zur Schau zu stellen. Dabei waren aber die Beine der sittlich empörten Dame bis weit über die Kniee entblößt. Kein Zweifel, sowohl die jungen Engländerinnen als die indische Dame waren die Lauterkeit und Sittsamkeit selbst; sie betrachteten die Sache nur von verschiedenem Standpunkt aus. Da es nun Millionen verschiedener Regeln über Sitte und Anstand gibt, so ist auch der Standpunkt der Menschen ein millionenfach verschiedener und keiner kann den [155] seinigen ohne Schaden mit dem eines andern vertauschen. Ich glaube, alle menschlichen Regeln sind mehr oder weniger blödsinnig, aber das schadet nichts. Wie die Sachen jetzt stehen ist in den Irrenhäusern nur so viel Platz als man für die vernünftigen Menschen brauchen würde; wollten wir alle Verrückten einsperren, so würde uns bald das nötige Baumaterial mangeln. –

Man hat eine weite Fahrt durch die Vorstädte von Benares, ehe man das Hotel erreicht. Ueberall sieht es trübselig aus. Staubiges, dürres Land, zertrümmerte Tempel, eingesunkene Gräber, verfallene Lehmmauern, ärmliche Hütten; wohin man blickt Altersschwäche und Dürftigkeit. Zehntausend Hungerjahre sind vonnöten, um einen solchen Zustand hervorzubringen. Das Hotel sah recht behaglich aus, aber wir zogen vor, in einem etwas entfernten Nebenbau zu wohnen, der einstöckig war wie ein Bungalow und rings von einer Veranda umgeben. Es gibt zwar Türen in Indien, aber ich möchte wohl wissen wozu! Schließen kann man sie nicht, und gewöhnlich hängt ein Vorhang in der Oeffnung, zum Schutz gegen die grelle Sonne. Doch dringt hier niemand unbefugt in die Privatgemächer ein und man ist sicher, nicht gestört zu werden. Weiße Leute [156] lassen sich natürlich vorher anmelden, und die eingeborenen Diener zählen nicht mit. Sie gleiten barfuß und geräuschlos herein und stehen mitten im Zimmer, ehe man sich’s versieht. Zuerst bekommt man einen Schreck und gerät manchmal in Verlegenheit, aber man muß sich darein finden und wird es mit der Zeit gewöhnt.

In unserm ›Compound‹, dem eingezäunten Hof, stand ein heiliger Feigenbaum, auf dem ein Affe wohnte. Für den Baum interessierte ich mich anfangs sehr, denn es war der berühmte ›Peepul‹, in dessen Schatten man keine Lüge sagen kann; er bestand jedoch die Probe nicht, und ich ging enttäuscht von dannen. Nicht weit davon war ein Brunnen, aus dem ein paar Ochsen stundenlang, unter leisem Knarren der Winde, Wasser heraufzogen; die Kleidung der beiden Hindus, welche dies Geschäft beaufsichtigten, bestand wie gewöhnlich aus ›Turban und Taschentuch‹. Außer dem Baum und Brunnen war im Hofe nichts zu sehen, und mir machte die vollkommene Ruhe und Einsamkeit nach dem ewigen Lärm und Gewirr den wohltuendsten Eindruck.

Wir bewohnten unser Bungalow ganz allein und gingen zu Tische in das Hotel, wo die übrigen [157] Gäste abgestiegen waren. Angenehmer hätten wir es gar nicht haben können. Zu jedem Zimmer gehörte das gewöhnliche Bad, ein Raum von zehn bis zwölf Fuß im Quadrat, mit einer ausgemauerten und gepflasterten Vertiefung in der Mitte. Wasser gab es so viel man wollte und es wäre herrlich gewesen, hätte man nur bei der Hitze das warme Wasser ganz fortlassen und ein kaltes Bad nehmen dürfen, aber das war verboten, weil es der Gesundheit schädlich ist. Man warnt den Fremden davor, in Indien kalt zu baden; doch selbst die klügsten Fremden sind töricht genug, den guten Rat nicht zu befolgen und müssen es büßen. Ich war der klügste Tor, der in jenem Jahre des Weges kam. Zwar bin ich jetzt noch klüger – aber leider zu spät!

Benares hat mich nicht getäuscht. Es verdient seinen Ruf als große Sehenswürdigkeit. An einer tiefen Bucht des Ganges amphitheatralisch auf einem Hügel erbaut, den es ganz bedeckt, bildet es eine feste Masse, die nach allen Richtungen hin von labyrinthartig verschlungenen Spalten durchzogen wird, welche Straßen vorstellen. Mit seinen hohen schlanken Minarets und den beflaggten Tempelkuppeln und Spitzen gewährt die Stadt vom Fluß aus gesehen einen höchst malerischen Anblick. Es wimmelt darin [158] wie in einem Ameisenhaufen; ein Wirrwarr ohne gleichen herrscht in den engen Straßen. Auch die heilige Kuh läuft dort nach Belieben umher, holt sich ihren Zehnten aus den Kornläden, ist überall im Wege und eine große Plage für alle Welt, weil man sie nicht belästigen darf.

Benares ist zweimal so alt wie die Geschichte, Ueberlieferung und Sage zusammengenommen. In Mr. Parkers klar und übersichtlich geschriebenem ›Führer durch Benares‹ steht, daß nach Anschauung der Hindus die Erschaffung der Welt dort ihren Anfang genommen hat. Mitten in das uferlose Meer stellte der gute Gott Wischnu ein aufrechtes ›Lingam‹ hin, das zuerst nicht größer war als ein Ofenrohr; allmählich erweiterte er es, bis es zehn Meilen im Durchmesser hatte. Da ihm aber das noch immer nicht genügte, baute er die ganze Erdkugel herum. Also liegt Benares in ihrem Mittelpunkt, und das wird als ein Vorzug angesehen.

Die Geschichte der Stadt ist sowohl in geistlicher als in weltlicher Beziehung höchst wechselvoll gewesen. Ursprünglich herrschten die Brahmanen dort viele Jahrhunderte lang, dann trat in neuerer Zeit, vor etwa 2500 Jahren Buddha auf, und während zwölf Jahrhunderten war Benares buddhistisch. Die [159] Brahmanen bekamen jedoch abermals die Oberhand und haben sich seitdem nicht wieder verdrängen lassen. In den Augen der Hindus ist die Stadt unbeschreiblich heilig, aber sie ist auch ebenso ungesund und riecht ganz pestilenzialisch. Benares gilt als Hauptquartier des Brahmanismus, und die Priester bilden ein Achtel seiner Gesamtbevölkerung, doch sind ihrer nicht zu viel, da ganz Indien für ihren Unterhalt sorgt. Aus allen Himmelsgegenden drängen sich die Pilger herbei, um mit ihren Ersparnissen die Taschen der Priester zu füllen. Der Strom der frommen Spenden versiegt nie. So eine Priesterstelle am Ufer des Ganges ist der einträglichste Posten von der Welt. Ihr heiliger Inhaber sitzt sein Lebenlang in großem Staat unter seinem Regenschirm, segnet alle Pilger, steckt seine Gebühren ein und wird fett und reich dabei; die Stelle erbt sich von Vater auf Sohn weiter und weiter durch alle Zeiten hindurch und bleibt als dauernder, gewinnbringender Besitz in der Familie.

Als mir ein amerikanischer Missionar in Bombay sagte, die Zahl aller protestantischen Missionare in Indien beliefe sich auf 640, kam mir das zuerst sehr viel vor. Nachher überlegte ich mir die Sache. Ein Missionar auf 500 000 Eingeborene, das ist ja so gut wie nichts; wenn die 640 gegen das wohlverschanzte [160] Lager von 300 000 000 anmarschieren, ist doch das Verhältnis gar zu ungleich, die Uebermacht zu groß. In Benares allein hätten 640 Missionare alle Hände voll zu tun, um gegen die 8000 Brahmanenpriester aufzukommen, die ihnen feindlich gegenüberstehen. Unsere Missionare haben von jeher in alle Teile der Welt eine starke Ausrüstung von Hoffnung und Vertrauen mitgenommen. Die besitzt auch Mr. Parker, sonst würde er nicht aus statistischen Angaben, welche andern Mathematikern höchst bedenklich erscheinen, so günstige Schlüsse ziehen. Er sagt zum Beispiel:

»Während der letzten Jahre haben die Scharen der Pilger fortwährend zugenommen, wie wir aus sicherer Quelle wissen. Aber diese religiöse Erweckung – wenn man den Ausdruck gebrauchen darf – trägt alle Spuren des Todes an sich. Es ist nur noch ein krampfhaftes Ringen, ehe die völlige Auflösung eintritt.«

Auf ähnliche Weise hat man bei uns seit Jahrhunderten den Untergang der römisch-katholischen Macht vorausgesagt. Oft schon waren wir ganz bereit sie zu Grabe zu tragen, und doch mußte die Bestattung aus allerlei Gründen – weil das Wetter zu schlecht war oder dergleichen – immer wieder verschoben [161] werden. Durch diese Erfahrung klug geworden, sollten wir, meine ich, erst abwarten, bis sich der Leichenzug in Bewegung setzt, ehe wir den Hut in die Hand nehmen, um uns am Begräbnis des Brahmanismus zu beteiligen. Eine Religion zu Grabe zu tragen ist offenbar eine der ungewissesten Unternehmungen auf dieser Welt.

Gern hätte ich mir irgend welchen Begriff von der Theologie der Inder gemacht, aber die Sache war allzu verwickelt und die Schwierigkeiten unüberwindlich. Nicht einmal über das Abc kommt man hinaus. Es gibt eine Dreieinigkeit – Brahma, Wischnu und Schiwa – scheinbar von einander unabhängige Mächte, aber ganz sicher ist das nicht, denn in einem Tempel steht ein Bildwerk, das alle drei Gottheiten in einer Person zusammenfaßt. Jeder der drei Götter hat mehrere Benennungen, er hat auch Frauen mit verschiedenen Namen und Kinder, die bald so bald so heißen; dadurch entsteht eine heillose Verwirrung, aus der man sich in keiner Weise zurechtfinden kann. Ein Versuch, sich die Scharen der niederen Gottheiten einzuprägen, ist nicht der Mühe wert; ihre Unmenge ist allzu groß.

Will man sich einiges sparen, so könnte man füglich den obersten von allen Göttern, Brahma, [162] ganz beiseite lassen, denn er scheint keine große Rolle in Indien zu spielen. Am meisten Verehrung genießen Schiwa und Wischnu nebst ihren sämtlichen Angehörigen. Schiwas Symbol, das ›Lingam‹, mit welchem Wischnu die Schöpfung begann, wird allgemein angebetet; man begegnet ihm in Benares auf Schritt und Tritt, das Volk bekränzt es mit Blumen und bringt ihm Gaben dar. Meist sieht es aus wie ein aufrecht stehender Stein in Form eines länglichen Fingerhuts und Mr. Parker sagt, daß es mehr ›Linga‹ als Einwohner in Benares gibt.

Die Stadt hat viele mohammedanische Moscheen, und Hindutempel ohne Zahl. Diese wunderlich geformten, mit reichen Steinornamenten versehenen Pagoden füllen alle Straßen. Aber auch der Ganges selbst, ja jeder einzelne Wassertropfen darin gilt als Heiligtum. Das Hauptprodukt von Benares, dieser heiligsten aller heiligen Städte, für welche der fromme Hindu eine unbegrenzte Liebe und Verehrung empfindet, ist Religion . Alle andern Erzeugnisse des Bodens oder Gewerbefleißes haben im Vergleich hierzu nicht die geringste Bedeutung.

»Wenn der Pilger,« sagt Mr. Parker, »der sich vor Alter und Müdigkeit fast nicht mehr auf den Füßen zu halten vermag, schweißtriefend, vom Staub [163] geblendet und halbtot vor Erschöpfung, der Backofenhitze seines Eisenbahnwagens entsteigt und kaum den heiligen Boden berührt hat, so hebt er die abgezehrten Hände empor und ruft mit frommer Begeisterung: ›Kaschi ji ki jai – jai – jai! Heiliges Kaschi (Benares), sei mir gegrüßt! Heil, Heil dir!‹ Erwähnt ein Europäer in irgend einer fernen Stadt Indiens gelegentlich im Bazar, daß er früher einmal in Benares gewohnt hat, so werden gleich Stimmen laut, welche Glück und Segen auf sein Haupt herabwünschen. Denn, wer in Benares geweilt hat, ist der Seligste aller Sterblichen.«

Liest man diese rührende Beschreibung, so erscheinen dagegen unsere eigenen religiösen Gefühle farblos und kalt. Da nun aber die Religion ihr Leben aus dem Herzen schöpft und nicht aus dem Kopfe, so werden wir das von Mr. Parker angekündigte Begräbnis des Brahmanismus wohl noch auf unbestimmte Zeit vertagen müssen.


[164]

Zwölftes Kapitel.

Wer einem Volk seinen Aberglauben vorschreibt, hat mehr Einfluß als wer ihm seine Gesetze macht, oder seine Gesänge.

Querkopf Wilsons Kalender.

Die Stadt Benares ist eine einzige große Kirche, eine Art religiöser Bienenstock, in dem jede Zelle als Tempel, Altar oder Moschee dient. In diesem großen theologischen Vorratshaus kann man sich alle nur erdenklichen irdischen oder himmlischen Güter verschaffen.

Ich will hier einen Wegweiser für den Pilger zusammenstellen, aus dem sich erkennen läßt, wie brauchbar, wie nützlich und vollständig dieses Religions-System ist. Wer mit dem ernstlichen Wunsch, seine geistliche Wohlfahrt zu fördern, nach Benares geht, wird es mir Dank wissen. Daß die Tatsachen, die ich angebe, richtig sind, unterliegt keinem Zweifel; ich habe sie teils in Mr. Parkers ›Führer durch Benares‹ gefunden, teils hat er sie mir bei unserer mündlichen Unterhaltung mitgeteilt.

1. Reinigung. – Bei Sonnenaufgang gehe zum Ganges hinab, bade dort, bete und trinke etwas Wasser. Dies dient zur allgemeinen Läuterung.

[165]

2. Schutz gegen den Hunger. Um dich im Kampf gegen dies traurige Erdenübel zu stärken, verrichte eine kurze Andacht im Tempel der Kuh. Am Eingang steht ein Bildnis von Ganesch , einem Sohne des Gottes Schiwa, das einen Elefantenkopf auf einem menschlichen Körper trägt, Gesicht und Hände sind aus Silber. Bete es an und gehe dann weiter auf eine bedeckte Veranda, in der roh geschnitzte, häßliche Götzenbilder stehen. Dort findest du Andächtige, die mit Hilfe ihrer Lehrer in den heiligen Büchern lesen. Gib eine Beisteuer zu ihrem Unterhalt und betritt dann den Tempel, einen düstern, übelriechenden Raum voll heiliger Kühe und Bettler. Letzteren spende ein Almosen und küsse allen Kühen, die frei herumlaufen, ehrfurchtsvoll den Schwanz, denn dieser ist ganz besonders heilig; tust du das, so wirst du an selbigem Tage keinen Hunger leiden.

3. Der Freund des armen Mannes. – Diesen Gott mußt du zunächst anbeten. Er wohnt im Grunde eines steinernen Brunnens im Tempel zu Dalbhyesvar, der im Schatten eines hohen Peepul-Baumes auf einem Felsvorsprung am Ganges steht. Gehe daher zum Fluß zurück. Der ›Freund des armen Mannes‹ ist der Gott weltlichen Glückes [166] im allgemeinen und außerdem auch ein Regengott. Er wird dir irdische Güter gewähren, wenn du ihn anbetest, oder einen Regenguß – vielleicht auch beides. Er ist Schiwa unter fremdem Namen und weilt in Form eines steinernen ›Lingam‹ auf dem Grunde des Brunnens. Begieße ihn mit Gangeswasser und er wird dir zum Dank für die Huldigung seine Gaben spenden. Kommt der Regen nicht gleich, so gieße immer mehr Wasser in den Brunnen, bis er ganz voll ist. Dann bleibt der Regen gewiß nicht aus.

4. Fieber. Der Kedar Ghaut ist eine breite steinerne Treppe, die zum Fluß hinabführt. Auf halber Höhe findest du einen Behälter, in dem das Schmutzwasser zusammenläuft. Trinke davon soviel du willst, es vertreibt das Fieber.

5. Blattern. – Gehe von da geradeswegs nach dem Haupt-Ghaut. Stromaufwärts kommst du an ein kleines weißgetünchtes Gebäude; es ist ein Tempel, welcher der Göttin der Blattern, Sitala, geheiligt ist. Doch findest du nur ihre Stellvertreterin, dort hinter einem Metallschirm, eine rohe menschliche Gestalt, der du Anbetung erweisen sollst.

6. Der Schicksalsbrunnen. – Den suche zunächst auf. Er gehört zum Dandpan-Tempel, der in der Stadt liegt. Durch ein viereckiges Loch im [167] Mauerwerk fällt von oben das Licht herein. Tritt mit scheuer Ehrfurcht herzu, denn es handelt sich hier um die wichtigsten Dinge. Beuge dich nieder und schaue hinein. Sind die Schicksalsgötter deinem Leben günstig, so erblickst du dein Antlitz tief unten im Brunnen. Haben sie dein Verderben beschlossen, so verhüllt plötzlich eine Wolke die Sonne und du kannst nichts sehen. Dann hast du kaum noch ein halbes Jahr zu leben. Vielleicht stehst du schon an des Todes Tür. Verliere keine Zeit, laß ab von dieser Welt, bereite dich auf das Jenseits. Dazu bietet sich dir die beste Gelegenheit dicht nebenan. Wende dich um und bete zu dem Bilde des großen Schicksalsgottes Maha Kal, das sichert dein Glück im künftigen Leben. Ist dein Atem noch nicht entflohen, so mache einen letzten Versuch, ob dir nicht eine kleine Verlängerung deines Lebens auf Erden gewährt wird. Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, denn in dem wundervoll eingerichteten Vorratshaus für weltliche und geistliche Güter kann man alles haben. Laß dich

7. – nach dem Lebensbrunnen tragen. Er ist im Vorhof des verfallenen ehrwürdigen Briddhkal-Tempels, der zu den ältesten Heiligtümern von Benares gehört. An einem Steinbilde des [168] Affengottes Hanuman vorbei, gelangt man auf den mit Trümmern bedeckten Höfen zu einer seichten Zisterne mit stehendem Wasser. Sie riecht wie der beste Limburger Käse; der Schmutz von den Waschungen aller Kranken und Aussätzigen hat sich dort angesammelt. Aber was tut das? Bade dich darin mit Dank und Andacht, denn dies ist der Jungbrunnen, das ›Wasser des langen Lebens‹. Dein graues Haar wird verschwinden mit allen Runzeln; Gliederweh, Sorgenlast und Altersschwäche werden von dir abfallen; jung, frisch, elastisch, und begierig den Wettlauf des Lebens von neuem zu beginnen, entsteigst du dem Bade. Natürlich stürmen nun auch die mannigfachen Träume und Wünsche der holden Jugendzeit wieder auf dich ein. Deshalb gehe dahin, wo du

8. – die Erfüllung der Wünsche findest, nämlich in den Kemeschwar-Tempel, welcher Schiwa, dem Herrn der Wünsche geweiht ist und hole dir die Gewährung der deinigen. Liegt dir etwas an Götzenbildern, so kannst du dort in den zahllosen Tempeln genug zu sehen bekommen, um ein ganzes Museum auszustaffieren. Vermutlich wirst du nun mit neuem Eifer anfangen Sünden zu begehen; ich kann dir daher nur raten, häufig eine Stätte aufzusuchen, wo du

[169]

9. zeitweilige Reinigung von Sünden erhältst. Dies ist der Brunnen des Ohr-Rings, der weihevollste Ort in ganz Benares, das Allerheiligste in der Vorstellung des Volkes, dem man sich nur in tiefster Ehrfurcht nahen darf. Das Wasserbecken ist mit einem Gitter umgeben, zu dem steinerne Treppen hinabführen. Natürlich ist das Wasser nicht rein; wie wäre das möglich, da fortwährend Menschen darin baden. Wie lange man auch dort stehen mag, immer sieht man die Sünder in ununterbrochener Reihe hinab- und heraufsteigen. Mit Sünde beladen gehen sie hinunter und frei von Schuld kommen sie wieder herauf. »Der Lügner, der Dieb, der Mörder, der Ehebrecher, waschen sich hier und werden rein,« sagt Mr. Parker in seinem Buch. Gut, daß ich Mr. Parker kenne und glaube was er sagt; hätte jemand anderes das behauptet, so würde ich ihm raten, sofort ins Wasser hinunterzusteigen und sich tüchtig abzuwaschen. – Jugend, langes Leben, Sündenreinheit sind zwar köstliche Gaben, aber das ist noch nicht genug. Vor allem mußt du dich

10. deiner Seligkeit versichern . Das kannst du auf mancherlei Art. Erstens, wenn du im Ganges ertrinkst, aber das ist nicht angenehm. [170] Oder du stirbst in Benares; dabei ist jedoch zu bedenken, daß du gerade außerhalb der Stadt sein könntest, wenn dein letztes Stündlein kommt. Am sichersten ist eine Wallfahrt rund um die Stadt. Du mußt sie barfuß machen und der Weg ist vierundvierzig Meilen lang, weil er eine Strecke weit über Land führt, so daß der Marsch wohl fünf bis sechs Tage dauern kann. An Gesellschaft wird es dir aber nicht mangeln. Scharen beglückter Pilger ziehen dieselbe Straße; der Farbenglanz ihrer Kleider gewährt dir ein schönes Schauspiel, auch erheitern ihre Loblieder und heiligen Triumphgesänge dir das Herz und lassen dich keine Ermüdung spüren. Von Zeit zu Zeit triffst du auf einen Tempel, wo du ausruhen und dich mit Speise erfrischen kannst. Ist deine Wallfahrt zu Ende, so hast du dir die Seligkeit sicher erworben. Aber du wirst ihrer doch vielleicht nicht teilhaftig, außer wenn du

11. deine Erlösung eintragen lässest. – Dies kannst du im Sakhi Binayak Tempel tun. Du darfst es ja nicht versäumen, weil du sonst nicht beweisen kannst, daß du die Pilgerfahrt wirklich gemacht hast, falls man es dir einst bestreiten sollte. Ueber der Tür dieses Heiligtums, das hinter dem Kuh-Tempel liegt, ist ein rotes Bildnis von [171] Ganesch mit dem Elefantenkopf, dem Sohn und Erben des Gottes Schiwa, der sozusagen Kronprinz des theologischen Kaisertums ist. Der Gott im Tempel hat das Amt deine Wallfahrt einzutragen und sich für dich zu verbürgen. Ihn selber bekommst du zwar nicht zu sehen, aber ein Brahmane empfängt dich, besorgt dein Geschäft und läßt sich das Geld dafür auszahlen. Falls er letzteres vergißt, darfst du ihn daran erinnern. Er weiß jetzt, daß deine Seligkeit gesichert ist, aber natürlich möchtest du es auch gern selbst erfahren, dazu brauchst du nur

12. an den Brunnen zur Kenntnis der Seligkeit zu gehen. Er ist dicht beim Goldenen Tempel. Da steht ein Stier aus einem einzigen schwarzen Marmorblock gemeißelt und viel größer als irgend ein lebendiger Stier, der dir jemals vorgekommen ist; auch ein Bildnis von Schiwa wird dort gezeigt, eine große Seltenheit! Sein Lingam hast du vielleicht schon fünfzehntausendmal gesehen, aber dies hier ist Schiwa selbst und man sagt, das Porträt sei sehr ähnlich. Es hat drei Augen; so viele besitzt kein anderer Gott. Ueber dem Brunnen ist ein schöner steinerner Baldachin, der auf vierzig Säulen ruht; wie allenthalben in Benares, beten auch hier Scharen von andächtigen Pilgern. [172] Das heilige Wasser wird ihnen eingelöffelt, und dabei durchströmt sie zugleich die klare und feste Zuversicht ihrer Erlösung. Man sieht es ihnen am Gesicht an, daß sie das höchste Glück gefunden haben, welches es auf Erden gibt, dem sich keine andere Freude vergleichen läßt. Wer das Wasser getrunken und seine Einzahlung gemacht hat, was sollte der noch begehren? Gold, Edelsteine, Macht oder Ruhm? – In einem Augenblick ist das alles nichtig und wertlos geworden und zu Staub und Asche zerfallen. Die Welt hat dem Menschen nichts mehr zu bieten, sie muß sich ihm gegenüber für bankerott erklären. –

Ich will nicht behaupten, daß alle Pilger ihre Andacht immer genau in der Reihenfolge verrichten, wie mein Wegweiser sie angibt, aber es wäre gar nicht so übel, wenn sie es täten. Sie hätten dann einige feste Anhaltspunkte, ein bestimmtes Ziel und brauchten ihre gottesdienstlichen Uebungen nicht aufs Geratewohl zu betreiben: Das Gangesbad am Morgen erregt des Pilgers Eßlust; sie vergeht ihm, wenn er die Kuhschwänze küßt. Nun sehnt er sich nach weltlichen Gütern; er eilt hin und gießt Wasser auf Schiwas Symbol. Das sichert ihm sein irdisches Glück, bringt ihm aber auch einen Regenschauer, von [173] dem er das Fieber bekommt. Zur Heilung trinkt er das Schmutzwasser am Khedar Ghaut, das Fieber verläßt ihn, aber er bekommt die Blattern. Um zu wissen, welche Wendung es mit ihm nehmen wird, geht er zum Dandpan-Tempel und sieht in den Brunnen hinab. Die Sonne umwölkt sich, sie zeigt ihm, daß er dem Tode nahe ist. Was kann er da Besseres tun, als sich seine Seligkeit im Jenseits zu sichern? Das geschieht mit Hilfe des großen Schicksalsgottes. Nun ist ihm der Himmel gewiß, er wird daher vermutlich Sorge tragen, noch solange wie möglich auf Erden zu bleiben. In dieser Absicht geht er zum Briddhkal-Tempel und gewinnt Jugend und langes Leben durch ein Bad in der scheußlichen Pfütze, die selbst eine Mikrobe umbringen würde. Die Sündenlust erwacht mit der Jugend von neuem; er sucht den Tempel der ›Erfüllung der Wünsche‹ auf, um sein Verlangen zu stillen. Im Brunnen des Ohr-Rings reinigt er sich dann von Zeit zu Zeit von Sünden und stärkt sich zu ferneren verbotenen Genüssen. Da er aber ein Mensch ist, kann er sich der Zukunftsgedanken nicht entschlagen. Deshalb macht er die große Wallfahrt rund um die Stadt, sichert sich seine Erlösung, läßt sie eintragen und verschafft sich noch die persönliche Gewißheit seines künftigen [174] Heils durch einen Gang nach dem Brunnen zur ›Kenntnis der Seligkeit‹. – Nun ist er aller Sorgen ledig, er kann tun und lassen was er will und genießt einen Vorzug, den er einzig und allein seiner Religion verdankt: Sollte er hinfort auch noch Millionen Sünden begehen, so schadet es nichts und niemand kann ihm etwas dafür anhaben.

So ist das ganze System klar und übersichtlich zusammengestellt und läßt an Vollständigkeit nichts zu wünschen übrig; ich möchte es allen empfehlen, denen die andern Religionen zu anspruchsvoll in ihren Forderungen erscheinen und zu beschwerlich für die kurze Spanne unseres mühevollen Erdenlebens.

Aber ich will niemand durch falsche Vorspiegelungen täuschen und so muß ich noch eines Umstands erwähnen, der in meinem Wegweiser fehlt. Trotz aller Mühe und Kosten, die sich der Pilger gemacht hat, kann sein ganzes Werk zu Schanden werden, wenn er zufällig auf das andere Ufer des Ganges gerät und dort stirbt. Er würde dann sofort wieder lebendig werden, jedoch in der Gestalt eines Esels. Gegen die Verwandlung in einen Esel hat der Hindu aber eine merkwürdige Abneigung – und doch wäre es für ihn gar kein schlechter Tausch. Er fände dadurch Erlösung aus der sklavischen Abhängigkeit [175] von 2 000 000 Göttern und 20 000 000 Priestern, Fakirn, heiligen Bettlern und andern frommen Bazillen; auch der Hindu-Hölle könnte er entfliehen und desgleichen dem Hindu-Himmel. Würde sich der Hindu nur aller dieser Vorteile bewußt, er ginge sofort über den Ganges und stürbe am andern Ufer.

Benares ist ein religiöser Vulkan. In seinen Eingeweiden sind die theologischen Kräfte schon seit Jahrtausenden geschäftig; es donnert und grollt und kracht, es wühlt und erbebt, es brodelt und kocht, es flammt und raucht darin ohne Unterlaß. Am Fuß des Kraters aber haben kleine Gruppen von Missionaren voller Hoffnung Posten gefaßt. Sie gehören zu den Missionsgesellschaften der Baptisten, der Wesleyaner, der Londoner Mission, der Kirchenmission, der Zenana-Bibelmission und der Heilsmission. Die Haupterfolge erzielen sie in ihren Schulen unter den Kindern. Das ist auch sehr natürlich, denn erwachsene Menschen halten sich überall mit Vorliebe an das Religionsbekenntnis, in dem sie erzogen worden sind.


[176]

Dreizehntes Kapitel.

Runzeln sollten nur die zurückgebliebenen Spuren des Lachens sein.

Querkopf Wilsons Kalender.

In einem der Tempel von Benares sahen wir einen frommen Mann, der auf seltsame Weise »schaffte, daß er selig würde«. Er hatte einen ungeheuern Klumpen Lehm neben sich liegen und knetete daraus winzige Götter, kaum größer als eine Erbse; in jeden steckte er ein Reiskorn, vermutlich an Stelle des Lingams. Die Arbeit ging ihm bei der großen Uebung, die er hatte, sehr schnell von der Hand; täglich verfertigte er zweitausend solche Götter und warf sie dann in den heiligen Gangesstrom. Für dies fromme Werk wurde ihm hohe Anerkennung von allen Gläubigen zu teil – und viele Kupfermünzen. So hatte er ein sicheres Einkommen auf Erden und erwarb sich zugleich einen Ehrenplatz im Jenseits.

Von der Flußseite gesehen, gewährt Benares einen herrlichen Anblick. Drei Meilen weit sind die hohen Felsenufer von oben bis hinunter zum Wasserspiegel mit lauter prachtvollen und malerischen Bauwerken besetzt; der Fels selbst ist ganz verschwunden, Tempel, Hallen, Paläste wechseln miteinander [177] in bunter Reihe und viele breite Treppen aus Marmorquadern führen zum Fluß hinab. Ueberall ist Leben und Bewegung; in alle Farben des Regenbogens gekleidet, strömt die Menge die Stufen herauf und hinunter, oder drängt sich auf den langgestreckten Terrassen am Uferrand, wie ein großer wandelnder Blumengarten.

Alle jene Prachtbauten sind Werke der Frömmigkeit. Die Paläste gehören eingeborenen Fürsten, deren Heimat meist fern von Benares ist. Doch kommen sie von Zeit zu Zeit zur heiligen Stadt, um sich Seele und Leib durch den Anblick ihres angebeteten Ganges und ein Bad in seinen Fluten zu erquicken. Auch die schönen Treppen sind fromme Stiftungen, so gut wie die zahllosen, reich geschmückten kleinen Tempel, durch deren Errichtung sich die wohlhabenden Hindus irdisches Ansehen und die Hoffnung auf künftige Belohnung erwerben. Ein reicher Christ, der bedeutende Summen für religiöse Zwecke verwendet, ist eine Seltenheit; aber unter den Hindus lebt niemand, der seiner Religion nicht die größten Geldopfer brächte. Auch bei uns gibt der Arme etwas für die Kirche aus, behält jedoch noch das Nötigste zu seinem Lebensunterhalt zurück. Der arme Inder bringt sich dagegen täglich für seine [178] Religion an den Bettelstab. Trotz seiner vielen frommen Spenden bleibt dem reichen Hindu noch immer genug an weltlichen Gütern übrig und er erntet obendrein hohen Ruhm; aber der arme Hindu ist wirklich zu bemitleiden: er gibt alles hin, was er hat, und es trägt ihm doch keine Ehre ein.

Wir machten zwei- bis dreimal die gebräuchliche Fahrt flußaufwärts und abwärts, wobei wir auf dem Deck der großen Arche, die mit Rudern fortbewegt wird, unter einem Zeltdach auf Stühlen saßen. Ich hätte noch vielmals so hin- und herfahren können und zwar mit stets gesteigertem Interesse und Genuß, denn je öfter man die Paläste und Tempel sieht, um so mehr bewundert man sie, was ja bei dergleichen Prachtgebäuden der Fall ist. Auch den Badenden hätte ich gern noch länger zugeschaut; es war ein Vergnügen zu sehen, wie geschickt sie aus ihren Kleidern hinaus und wieder hereinschlüpften ohne zuviel von ihrer bronzefarbenen Haut zu zeigen; ihr frommes Gebärdenspiel und die andächtige Art, wie sie die Gebetskügelchen durch die Finger gleiten ließen, wäre mir nicht zum Ueberdruß geworden.

Nur eins konnte ich kaum noch mit ansehen, nämlich wie sie sich den Mund mit dem scheußlichen Wasser ausspülten und es tranken. An einer Stelle, [179] wo wir eine Weile anlegten, ergoß sich ein stinkender Strom aus einem Abzugskanal und machte das Wasser rings umher trübe und schmutzig; auch ein angeschwemmter Leichnam kreiste darin und tauchte auf und nieder. Zehn Schritte unterhalb aber, standen Männer, Frauen und hübsche junge Mädchen bis an die Brust im Wasser, schöpften es in der hohlen Hand und tranken. Ja, der Glaube kann Wunder wirken, davon erhielt ich hier den Beweis. Die Leute tranken das greuliche Zeug nicht etwa um ihren Durst zu löschen, sondern um Seele und Leib inwendig zu läutern. Nach ihrer Lehre macht das Gangeswasser augenblicklich alles was es berührt vollkommen rein. Deshalb nahmen sie weder an dem Schmutz des Abzugskanals noch an der Leiche den geringsten Anstoß; das heilige Wasser hatte sie ja berührt, sie waren so rein wie frisch gefallener Schnee und konnten niemand besudeln. Jener Anblick wird mir ewig unvergeßlich sein – aber sehr gegen meinen Willen.

Noch ein Wort über das schmutzige Gangeswasser, das doch alles zu reinigen vermag: Als wir mehrere Wochen später nach Agra kamen, hatte sich dort gerade ein Wunder zugetragen – den Gelehrten war eine große wissenschaftliche Entdeckung [180] geglückt. Durch dieselbe wurde festgestellt, daß das von uns vielgeschmähte Gangeswasser wirklich das mächtigste Reinigungsmittel der Welt ist. Eine bedeutende Errungenschaft der modernen Naturkunde! Man hatte sich schon längst darüber verwundert, daß die Cholera zwar in Benares häufig wütet, sich jedoch nie über den Stadtbezirk hinaus verbreitet. Mr. Henkin, ein von der Regierung zu Agra angestellter Naturforscher, beschloß das Wasser zu untersuchen. Er ging nach Benares und schöpfte Wasser am Ausfluß der Abzugskanäle in der Nähe der Badetreppen. Die Probe ergab, daß ein Kubikzentimeter dieses Wassers Millionen von Cholerabazillen enthielt; nach Ablauf von sechs Stunden waren sie alle tot. Nun zog Henkin einen schwimmenden Leichnam ans Land; in dem Wasser, das von diesem abtropfte, wimmelte es von Cholerakeimen, aber nach sechs Stunden lebte kein einziger mehr. Auch sämtliche Bazillen, die Henkin in großer Menge in das Gangeswasser brachte, starben unfehlbar innerhalb sechs Stunden. Er wiederholte denselben Versuch mehrmals mit reinem Wasser, das gänzlich bakterienfrei war. Sobald er Cholerakeime hineinbrachte, vermehrten sie sich massenhaft, und nach sechs Stunden lebten viele Millionen darin.

[181]

Jahrhunderte lang sind die Hindus fest überzeugt gewesen, daß das Gangeswasser nicht nur vollkommen rein ist und durch nichts beschmutzt werden kann, sondern auch unfehlbar alles läutert, was damit in Berührung kommt. Weil sie das auch heutigen Tages noch glauben, trinken sie es und baden darin, ohne sich um schwimmende Leichen oder den scheinbaren Schmutz zu kümmern. Durch die Wissenschaft belehrt, werden wir die Hindus jetzt wohl kaum noch deswegen verspotten dürfen, wie wir es seit vielen Generationen getan haben. Wie mögen sie wohl vor grauen Jahren hinter das Geheimnis des Wassers gekommen sein? Hatten sie vielleicht schon damals Bakteriologen? – Wir wissen es nicht. Nur soviel wissen wir, daß sie bereits eine Zivilisation besaßen, als wir noch tief in der Barbarei steckten.

Doch jetzt möchte ich von etwas anderem reden, nämlich von dem Verbrennungsplatz der Leichen. Fakirs pflegt man nicht zu verbrennen; sie bekommen, dank ihrer Heiligkeit, auch ohnedies im Jenseits einen guten Platz, wenn man sie den Wellen des geweihten Stromes übergibt. Wir sahen, wie man einen solchen frommen Bettler bis in die Mitte des Ganges ruderte und dort über Bord warf. Er [182] war zwischen zwei großen Steinplatten festgeklemmt.

Eine halbe Stunde lag unser Boot am Verbrennungsghat und wir sahen neun Leichen von den Flammen verzehren. Dann hatte ich ganz genug. Das Trauergefolge begleitet die Bahre durch die Stadt und bis hinab zum Ghat; dort überlassen die Träger den Toten mehreren Eingeborenen aus einer niederen Kaste, ›Doms‹ genannt, und die Trauernden begeben sich auf den Heimweg. Ich hörte kein Schluchzen, sah keine Tränen, der Abschied ging ruhig vor sich. Alle Ausbrüche von Kummer und Schmerz werden offenbar in häuslicher Zurückgezogenheit abgemacht. Die toten Frauen bringt man in einer roten, die Männer in einer weißen Umhüllung. Man legt sie am Uferrand ins Wasser, während der Holzstoß bereitet wird.

Der erste Tote, welchen die ›Doms‹ auswickelten um ihn zu waschen, war ein wohlgenährter, stark gebauter, schöner alter Herr gewesen, dem man keine Krankheit ansah. Aus trockenem Holz wurde ein Haufen lose zusammengeschichtet, der Leichnam darauf gelegt und mit brennbaren Stoffen bedeckt. Dann begann ein nackter heiliger Mann, der etwas abseits auf einer Erhöhung saß, mit großem Nachdruck zu reden und zu schreien. Der Lärm dauerte eine ganze [183] Weile und stellte vermutlich die Leichenpredigt vor. Einer der Leidtragenden war zurückgeblieben, als sich die andern entfernten, nämlich der Sohn des Verstorbenen, ein hübscher, brauner etwa zwölfjähriger Knabe mit ernster, gefaßter Miene. Er war in ein weißes, wallendes Gewand gekleidet und hatte die Pflicht, seinen Vater zu verbrennen. Man gab ihm eine Fackel in die Hand, und während er siebenmal langsam um den Holzstoß schritt, predigte der nackte Schwarze auf der Anhöhe noch lauter und ungestümer als zuvor. Als der Knabe den siebenten Rundgang beendet hatte, berührte er mit der Fackel zuerst seines Vaters Haupt und dann die Füße. Helle Flammen sprangen scharf knisternd empor, und der Knabe zog sich zurück. Der Hindu wünscht sich keine Tochter, weil ihre Hochzeit unerschwingliche Kosten verursacht, er wünscht sich einen Sohn, um einst im Tode auf ehrenvolle Art aus der Welt scheiden zu können. Und eine größere Ehre gibt es nicht für den Vater, als wenn ihm sein Sohn den Scheiterhaufen anzündet. Wer keinen Sohn hat, ist übel daran und sehr beklagenswert. Im Hinblick auf die Unsicherheit des menschlichen Lebens heiratet der Hindu schon als Knabe, um einen Sohn zu bekommen, der ihm nach dem Tode den letzten Dienst [184] erweisen soll. Wird ihm kein Sohn geboren, so nimmt er einen Knaben an Kindesstatt an. Das genügt für alle Zwecke.

Unterdessen nahm die Verbrennung jenes Leichnams und einiger andern ihren Fortgang. Es war ein grausiges Geschäft. Die Heizer blieben dabei nicht müßig; sie liefen flink umher, schürten das Feuer mit langen Stäben und warfen von Zeit zu Zeit mehr Holz hinein; auch hoben sie oft Schädel und Knochen in die Höhe, um sie zu zerschlagen und wieder in die Flammen zu stoßen, damit sie rascher von der Glut verzehrt würden. Ein widerwärtiger Anblick! Für die Hinterbliebenen hätte er unerträglich sein müssen. Mein Verlangen, die Leichenverbrennung zu sehen, war ohnehin nicht groß gewesen und wurde bald gänzlich gestillt. Aus Gesundheitsrücksichten wäre es zwar ratsam, die Feuerbestattung allgemein einzuführen, aber diese Form derselben wirkt höchst abstoßend und ist durchaus nicht empfehlenswert.

Natürlich gilt das Feuer für heilig und muß bezahlt werden. Gewöhnliches Feuer ist verboten, weil es kein Geld einbrächte. Man sagte mir, daß eine einzige Person – vermutlich ein Priester – das Monopol besitzt, alles heilige Feuer zu liefern, für [185] das er einen beliebigen Preis fordern kann. Mancher Leidtragende hat für eine Feuerbestattung schon tausend Rupien entrichtet. Von Indien aus ins Paradies zu kommen ist wirklich ein sehr kostspieliges Ding; man muß jede einzelne Kleinigkeit, die dazu gehört, teuer bezahlen, um die Priester zu mästen.

In der Nähe des Verbrennungsplatzes stehen ein paar altersgraue Steine aus der Zeit, als die Sutti noch gestattet war. Ein Mann und eine Frau, die Hand in Hand miteinander gehen, sind roh in den Stein geschnitten, der die Stelle bezeichnet, wo die Witwe ehemals den Feuertod erlitten hat. Mr. Parker sagt auch, daß sich die Witwen noch heutigen Tages verbrennen lassen würden, wenn die englische Regierung es nicht strengstens untersagte. Jede Familie, die auf einen der kleinen Denksteine zeigen und sagen kann: »Hier hat sich unsre Ahnfrau verbrannt!« wird von allen beneidet.

Ein seltsames Volk, diese Hindus! Alles Leben ist ihnen heilig, nur das des Menschen nicht. Selbst das Ungeziefer verschonen sie, und der fromme Dschain setzt sich auf keinen Stuhl, ohne ihn vorher abzuwischen, um ja auch nicht das winzigste Insekt zu töten. Es betrübt ihn, daß er Wasser trinken muß, weil der Inhalt seines Magens vielleicht den [186] Mikroben nicht zuträglich sein könnte. Und doch ist Indien die Heimat der Thugs und der Sutti. Es wird unsereinem schwer, das zusammen zu reimen.

Wir gingen auch zu dem Tempel der Thug-Göttin Bhowanee oder Kali oder Durga – sie trägt alle diese Namen und noch viele andere. Sie ist die einzige Gottheit, der etwas Lebendiges geopfert wird; man schlachtet ihr Ziegenböcke. Affen wären billiger und sind überreichlich vorhanden. Da sie heilige Tiere sind, benehmen sie sich sehr unbescheiden und klettern überall herum, wo sie wollen. Der Tempel und die Vorhalle sind mit wunderschönen steinernen Ornamenten geschmückt, desto häßlicher ist das Götzenbild. Es ist wirklich kein Vergnügen Bhowanee anzusehen; sie hat ein Gesicht von Silber mit einer heraushängenden, hochrot angemalten, geschwollenen Zunge und trägt ein Halsband von Totenschädeln.

Ueberhaupt sind die zahllosen Götzenbilder in Benares alle roh, häßlich und mißgestaltet. Die ganze Stadt ist voll davon; sie ängstigen einen nachts im Traum, und nirgends hat man Ruhe vor ihnen. Kann man ihren Anblick in den Tempeln nicht länger ertragen und geht zum Strom hinaus, so findet man dort riesengroße, mit bunten Farben [187] bemalte Götzen nebeneinander am Ufer hingestreckt, und wo irgend noch Raum ist, steht ein Lingam. Schwerlich hat Wischnu vorausgesehen, was aus seiner Stadt werden würde, sonst hätte er sie Götzenheim oder Lingamburg genannt.

Die höchsten Türme von Benares sind die beiden schlanken, weißen Minarets auf der Moschee des Aurengzib, die einem überall zuerst ins Auge fallen. Die Aussicht von oben ist wundervoll, doch wurde sie mir ganz durch einen großen, grauen Affen verdorben, der auf dem Dach der Moschee die wildesten Sprünge machte. Es ist kaum zu glauben, wie unvernünftig ein solches Tier ist! Der Affe schwang sich über dem gähnenden Abgrund durch den leeren Raum bis zu irgendeinem steinernen Vorsprung, der viel zu weit entfernt für ihn war, so daß er ihn nur mit knapper Not erreichte und sich mit den Zähnen festhalten mußte. Mich machte das so nervös, daß ich immer nur nach dem Affen hinsah und die Aussicht ganz darüber vergaß. So oft er einen seiner tollkühnen Sätze ins Blaue hineintat, verging mir der Atem; wenn er nach einem Anhalt griff, klammerte ich mich selbst aus Mitgefühl krampfhaft fest und schnappte nach Luft, während er sich ganz gleichgültig und unbekümmert [188] stellte. Wohl ein Dutzendmal kam er nur gerade noch mit dem Leben davon und beunruhigte mich dermaßen, daß ich ihn am liebsten auf der Stelle totgeschossen hätte; doch ging mich die Sache im Grunde ja gar nichts an.

Die Aussicht möchte ich allen Fremden aufs dringendste empfehlen, was man davon genießt ist prachtvoll. Ganz Benares, der Fluß und die Gegend ringsum liegen ausgebreitet vor unsern Blicken da. Wenn nur der Affe nicht wäre! – Mein Rat ist also: nehmt eine Flinte mit und seht euch die Aussicht an!

Der nächste Anblick, der sich uns bot, war weniger aufregend: Ein Eingeborener malte ein Bild auf Wasser – eine mir ganz neue Kunstleistung. Der Mann streute verschiedenfarbigen feinen Staub auf die Oberfläche eines Wasserbeckens und daraus entwickelte sich allmählich ein hübsches, zartes Gemälde, das durch einen Hauch wieder zerstört werden konnte. Es kam mir vor wie ein Gleichnis und Sinnbild, welches die Unbeständigkeit alles Irdischen predigt. Nach meinem vielen Umherstöbern unter den verfallenen Tempeln, die auf Ruinen standen, welche wiederum auf den Trümmern und Ruinen früherer Zeitalter erbaut gewesen waren, lag mir [189] der Gedanke nahe, daß alle die gewaltigen Steinbauten in ihrer Art ganz ebenso vergänglich sind, wie Bilder, die man auf Wasser malt.

In Benares ist es auch gewesen, wo der kühne Generalgouverneur von Ostindien, Warren Hastings, im Jahre 1781 mit knapper Not einer großen Gefahr entging. Mit einer Handvoll eingeborener Soldaten und drei jungen englischen Offizieren hatte er den Rajah Cheit Singh in seiner eigenen Festung gefangen genommen, weil dieser sich weigerte, eine Geldstrafe von 500 000 Pfund Sterling zu bezahlen, die Hastings im Namen der Ostindischen Kompagnie über ihn verhängt hatte. So fest war damals seine Herrschaft in Indien begründet und so zuversichtlich rechneten die Engländer auf die oft erprobte Unterwürfigkeit des indischen Volkes, daß sie bei dem Zug in das entlegene Fürstentum, wo sie von aller Hilfe abgeschnitten waren, nur leere Kanonen mitnahmen und ihren Pulvervorrat zurückließen. Durch einen Zufall ward dies jedoch verraten, und nun brach ein Aufstand los, bei dem die drei Engländer samt den hilflosen Sepoys erschlagen wurden. Hastings selbst entkam im Dunkel der Nacht glücklich aus Benares. Vor Ablauf eines Monats kehrte er jedoch mit genügenden Streitkräften zurück, stellte [190] Ruhe und Ordnung wieder her, entthronte den Rajah und gab dem Fürstentum einen andern Herrscher.

In eine so kritische Lage hat sich Hastings nie wieder gebracht. Er war ein hochbegabter Mann, und wenn auch an seinem Namen mancher Flecken haftet, den nichts zu tilgen vermag, so läßt sich doch nicht bestreiten, daß er das indische Reich für England gerettet hat. Einen bessern Dienst hätte er aber zugleich auch der indischen Nation nicht leisten können, welche seit Jahrtausenden unter dem Druck einer erbarmungslosen Tyrannei geschmachtet hatte.


Vierzehntes Kapitel.

Es zeugt von Mangel an Ehrfurcht, wenn man den Gott anderer Menschen mißachtet.

Querkopf Wilsons Kalender.

In Benares besuchte ich auch einen lebendigen Gott; es war der zweite, den ich zu sehen bekam. Von allen großen und kleinen Weltwundern, die mir je vorgekommen sind – und ich habe, so viel ich weiß, fast alle besichtigt – hat mir, glaube ich, [191] nichts einen so überwältigenden Eindruck gemacht wie diese beiden Götter. Eine Erklärung hierfür zu finden fällt mir nicht schwer: Wenn wir etwas ein Wunder nennen, so tun wir das in der Regel nicht, weil es uns außergewöhnlich erscheint, sondern weil andere Leute etwas Besonderes darin sehen. Fast alle Wunder bekommen wir erst aus zweiter Hand. Ist ein Ding berühmt, so brennen wir vor Verlangen danach und wenn wir es sehen, erfüllt es stets unsere Erwartung. Der Anblick eines Gegenstandes, welcher in den Herzen einer großen Menschenzahl Begeisterung und Ehrfurcht entzündet oder ihre Liebe und Bewunderung weckt, gewährt uns einen Genuß, den wir mehr als alles andere schätzen. Wir fühlen uns hoch beglückt und dauernd bereichert, wir möchten die Erinnerung daran um keinen Preis hergeben.

Wie manche Sehenswürdigkeit der Welt haben wir von tausend Schriftstellern unser Lebenlang mit Entzücken preisen hören! Wir pilgern um den Erdball, sind von ihrem Anblick berauscht und halten die Gefühle, welche uns überwältigen, für unsere eigenen, während wir nur von der Blume eines Weines trunken sind, der andern Leuten gehört. Aber alle Erdenherrlichkeit, die wir staunend erblicken, ist [192] doch nichts im Vergleich zu einer Person, die lebt, atmet, redet, und von vielen Millionen Menschen in frommem, aufrichtigem, unerschütterlichem Glauben für einen Gott gehalten und in Demut angebetet wird.

Als ich den Gott sah, war er sechzig Jahre alt. Er heißt Sri 108 Swami Bhaskarananda Saraswati; doch ist das nur eine Form seines Namens, eine Abkürzung, wie man sie etwa im Gespräch mit ihm wählen würde. Wollte man ihm einen Brief schreiben, so würde es sich schon aus Höflichkeit empfehlen, eine längere Anrede zu gebrauchen; nicht etwa den ganzen Namen, aber wenigstens so viel davon:

Sri 108 Matparama­hansapa­rivraia­kacharyas­wamibhaska­rananda­saraswati.

Hochwohlgeboren auf der Adresse hinzuzufügen ist unnötig. Das Wort Sri, mit dem der ganze Schwall beginnt, ist an sich schon ein Ehrentitel. ›108‹ gibt, glaube ich, die Zahl seiner übrigen Namen an. Da auch Wischnu 108 Namen hat, die er nur bei besonderen Gelegenheiten braucht, wird es wohl eine beliebte Sitte im Orden der Götter sein, sich solchen Extravorrat anzulegen. Aber auch ohne die 108 andern ist der abgekürzte Name schon ein [193] recht hübsches Besitztum; er besteht aus 58 Buchstaben, wenn ich mich nicht verzählt habe. Dagegen können selbst die längsten deutschen Wörter nicht aufkommen und sind ein für allemal vom Wettbewerb ausgeschlossen.

Sri 108 S. B. Saraswati hat erreicht, was die Hindus den ›Zustand der Vollendung‹ nennen. Andere Hindus gelangen dazu nur durch zahllose Seelenwanderungen, bei welchen sie wieder und immer wieder in den verschiedensten Gestalten auf Erden geboren werden. Das ist eine langwierige Arbeit, die oft Jahrhunderte oder Jahrtausende in Anspruch nimmt, und bei der man allerlei Gefahr läuft. Man kann zum Beispiel, wie bereits erwähnt, das Unglück haben, einmal auf dem falschen Ufer des Ganges zu sterben und als Esel wieder zur Welt zu kommen, so daß man einen ganz neuen Anlauf nehmen und viele Entwicklungsstufen nochmals durchmachen muß. Von alledem ist Sri 108 S. B. S., als er zur Vollendung hindurchdrang, auf immer erlöst worden. Er nimmt nicht länger teil an dem Wesen dieser Welt; alles Irdische ist von ihm ausgeschieden, er ist vollkommen heilig und rein. Ja, er gehört überhaupt nicht mehr der Erde an, sondern steht ihr fremd gegenüber, ihre Schmerzen, Kümmernisse [194] und Sorgen erreichen ihn nicht. Seine Heiligkeit kann durch nichts mehr entweiht, seine Reinheit durch nichts befleckt werden. Wenn er stirbt geht er zum Nirwana ein, wird in das Wesen der höchsten Gottheit mit aufgenommen und hat Frieden in Ewigkeit.

Die heiligen Schriften der Inder lehren, wie man zu diesem Zustand emporklimmen kann, aber es kommt höchstens einmal in tausend Jahren vor, daß ein Prüfungskandidat ihn wirklich erreicht. Sri 108 hat sämtliche vorgeschriebene Stufen von Anfang bis zu Ende durchgemacht, und ihm bleibt nun nichts mehr zu tun übrig, als zu warten, bis er aus dieser Welt abberufen wird, von welcher sein Los getrennt ist und die ihm nichts mehr zu bieten hat. In der ersten Stufe war er ein Schüler und erwarb Kenntnis der heiligen Bücher. In der zweiten wurde er Bürger, Hausvorstand, Gatte und Vater. Dann nahm er, wie geboten ist, auf immer Abschied von seiner Familie und wanderte fort. Er zog in eine ferne Wüste und brachte die vorschriftsmäßige Zeit als Einsiedler zu. Darauf wurde er zunächst Bettler, »wie es die Schrift befiehlt«; er durchwanderte Indien und nährte sich von den Gaben der Mildtätigkeit. Vor einem Vierteljahrhundert [195] erreichte er die höchste Reinheit, welche keines Gewandes bedarf, denn Nacktheit ist ihr Symbol. Er legte daher das Lendentuch ab, dessen er sich zuvor bedient hatte. Jetzt könnte er sich nach Belieben wieder damit gürten, denn ihn kann nichts mehr beflecken – für gewöhnlich verschmäht er es jedoch.

Ich glaube, das sind noch nicht alle Stufen, aber die andern fallen mir gerade nicht ein; jedenfalls hat er sie durchgemacht. Während seiner langen Prüfungszeit hörte er nicht auf, sich in frommer Weisheit zu vervollkommnen und Erklärungen der heiligen Bücher zu schreiben. Auch in religiöse Betrachtungen über Brahma hat er sich versenkt und das tut er noch.

In ganz Indien wird sein Bildnis aus weißem Marmor verkauft; er bewohnt ein gutes Haus in Benares, das von einem schönen, großen Garten umgeben und eingerichtet ist, wie es seinem hohen Range zukommt. Auf der Straße kann er sich natürlich nicht blicken lassen. Für Götter wäre es in allen Ländern mit Unbequemlichkeiten verbunden, wenn sie frei umhergingen. Wollte jemand, den wir als Gott anerkennen und verehren, durch unsere Stadt spazieren und man erführe an welchem [196] Tage, so würden alle Geschäfte stillstehen und der Verkehr ins Stocken geraten.

Das Wohnhaus des Gottes ist zwar behaglich, aber doch in Anbetracht der Umstände sehr bescheiden. Er brauchte nur den Wunsch zu äußern, so würden ihm seine Anhänger mit Freuden einen Palast bauen. Manchmal empfängt er die Gläubigen einen Augenblick, spricht ihnen Trost zu und gibt ihnen seinen Segen; darauf küssen sie ihm die Füße und gehen beglückt von dannen. Da er ein Gott ist, legt er auf Rang und Stand keinen Wert, vor ihm sind alle Menschen gleich. Er empfängt wen er will oder verweigert seinen Anblick. Manchmal läßt er einen Fürsten vor und schickt den Bettler fort; ein andermal empfängt er den Bettler, und der Fürst muß seiner Wege gehen. Doch nimmt er überhaupt nur wenige Besucher irgendwelcher Klasse an, da er die Zeit für seine Betrachtungen zu Rate halten muß. Mr. Parker, den Missionar, würde er, glaube ich, jederzeit empfangen, weil er ihm leid tut. Er selbst tut aber Mr. Parker ebenso leid, und dies Mitgefühl ist gewiß ein Segen für alle beide.

Bei unserer Ankunft mußten wir noch eine Weile im Garten herumstehen; die Aussichten waren nicht sehr günstig, denn Sri 108 S. B. S. hatte an diesem [197] Tage alle Maharajas fortgeschickt und nur den gemeinen Pöbel empfangen; da wir nun weder das eine noch das andere waren, ließ sich nicht voraussagen, was wir zu erwarten hatten. Bald erschien jedoch ein Diener und sagte, es wäre schon recht, der Gott würde kommen.

Ja, er kam wirklich und ich habe ihn gesehen, diesen Gegenstand der Anbetung für Millionen. Mich durchbebte ein nie gekanntes Gefühl – ich wollte, es strömte mir noch durch die Adern. Und doch war er für mich kein Gott, sondern nur ein Schaustück. Der heilige Schauer, der mich durchzitterte, war nicht mein eigener; ich empfing ihn aus zweiter Hand von den unsichtbaren Millionen seiner Anbeter. Durch die Berührung mit ihrem Gott war ich in elektrische Verbindung mit ihrer Riesenbatterie geraten und bekam die ganze Ladung auf einmal zu fühlen.

Sri 108 S. B. S. war groß und hager. Sein scharfgeschnittenes Gesicht hatte einen ungewöhnlich durchgeistigten Ausdruck und er sah mich mit dem tiefen Blick seiner Augen gütig an. Er schien viel älter als seine Jahre, aber das mochte wohl von seinen Studien und Betrachtungen, dem Fasten und Beten und dem harten Leben herrühren, das er [198] als Einsiedler und Bettler geführt hatte. Empfängt er Eingeborene hohen oder niederen Ranges, so geht er ganz nackt; aber jetzt trug er ein weißes Tuch um die Lenden, ein Zugeständnis, das er vermutlich den Vorurteilen der Fremden machte.

Sobald sich meine Verzückung etwas gelegt hatte, kamen wir gut miteinander aus, und er erwies sich mir als ein sehr angenehmer und freundlicher Gott. Er hatte viel vom Religionskongreß und der Weltausstellung in Chicago gehört und sprach mit großem Interesse darüber. Wenn die Leute in Indien auch von Amerika sonst nichts wissen, dies Ereignis ist ihnen bekannt, und sie werden Chicago sobald nicht vergessen.

Zu meiner Freude schlug der Gott mir vor, ob wir nicht unsere Autographen austauschen wollten. Zufolge dieser zarten Aufmerksamkeit glaubte ich an ihn, wenn ich auch vorher meine Zweifel gehabt hatte. Er schrieb mir eine Widmung in sein Buch, das ich stets mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachtete, obgleich die Wörter von rechts nach links gehen und ich es daher nicht lesen kann. Diese Art Bücher zu drucken, halte ich für ganz verkehrt. Das Werk enthält die von ihm verfaßten, umfangreichen Erklärungen zu den heiligen Schriften der Hindus; [199] könnte ich sie entziffern, so würde ich selbst versuchen nach der Vollendung zu streben. Ich überreichte ihm ein Exemplar von Huckleberry Finn, weil ich glaubte, es würde ihm zur Abwechslung von seinen Betrachtungen über Brahma eine kleine Erholung sein. Er sah recht müde aus, und wenn ihm mein Buch auch vielleicht nichts nützt, so wird es ihm doch gewiß nichts schaden.

Sri 108 S. B. S. hat einen Schüler, der unter ihm seine Studien betreibt – Mina Bahadur Rana – doch bekamen wir ihn nicht zu sehen. Er trägt Kleider und ist noch sehr unvollkommen. Eine kleine Abhandlung, die er über seinen Meister geschrieben hat, habe ich mir angeschafft. Es ist auch ein Holzschnitt darin, welcher Lehrer und Schüler zusammen auf einer Matte im Garten sitzend darstellt. Das Bild ist sehr gut getroffen und die Stellung genau dieselbe, welche Brahma mit Vorliebe einnimmt; man braucht dazu lange Arme und geschmeidige Beine; nur Götter können diese so übereinander schlagen – Götter und der Kautschukmann. In der gleichen Stellung ist auch im Garten ein Marmorbild von Sri 108 S. B. S. in Lebensgröße zu sehen.

Eine sonderbare Welt, in der wir leben – und [200] am allermerkwürdigsten geht es in Indien zu. Jener Schüler, Mina Bahadur Rana, ist ganz und gar kein gewöhnlicher Mensch, er besitzt eine außerordentliche Begabung und hohe Bildung; eine glänzende weltliche Laufbahn lag vor ihm. Noch vor zwanzig Jahren stand er im Dienst der Regierung von Nepal und nahm am Hofe des Vizekönigs von Indien eine hervorragende Stellung ein. Er war tüchtig in seinem Beruf, ein tiefer Denker, wohlhabend und kenntnisreich. Da ergriff ihn plötzlich das Verlangen, sich einem religiösen Leben zu weihen, er legte sein Amt nieder, wandte der Eitelkeit und allem Behagen dieser Welt den Rücken, zog sich in die Einsamkeit zurück und lebte in einer armen Hütte. Dort studierte er die heiligen Schriften und vertiefte sich in Betrachtungen über Tugend und Frömmigkeit, die er zu erringen strebte. Diese Art Religion gleicht der unsrigen. Christus hat den Reichen geboten ihre Güter den Armen zu geben und ihm nachzufolgen, nicht in weltlichem Wohlleben, sondern in Dürftigkeit. Unsere amerikanischen und englischen Millionäre tun das täglich und bezeugen so vor aller Welt den ungeheueren Einfluß der Religion; aber von manchen Leuten werden sie wegen dieser Entsagung und Pflichttreue verhöhnt und auch über [201] Mina Bahadur Rana wird man spotten und sagen, er sei verrückt geworden. Gleich vielen Christen von edlem Charakter und hohen Geistesgaben hat auch er sich das Studium seiner heiligen Schriften und die Abfassung von Büchern zu ihrer Erklärung und Auslegung als Lebensaufgabe gewählt; er hat sich diesem Beruf mit aller Liebe hingegeben und ist fest überzeugt, daß es keine törichte, nutzlose Zeitverschwendung, sondern die würdigste und ehrenvollste Beschäftigung ist, der er sich widmen kann. Dennoch gibt es viele Leute, welche jene Christen verehren und preisen, den Inder aber einen Narren schelten. Das tue ich nicht. Er besitzt meine vollste Hochachtung und die biete ich ihm nicht als etwas Gemeines und Alltägliches dar, sondern als eine große Seltenheit und Kostbarkeit. Die gewöhnliche Hochachtung und Ehrfurcht, wie sie gang und gäbe ist, kostet nichts. Ehrfurcht vor dem, was uns selbst heilig ist: vor Eltern, Religion, Gesetz, Vaterland, Achtung vor unsern eigensten Ueberzeugungen, sind uns so natürliche Gefühle, daß wir ohne sie ebensowenig leben könnten, wie ohne zu atmen. Das Atemholen rechnet man sich aber nicht als persönliches Verdienst an. Schwer und verdienstvoll ist dagegen eine andere Art der Ehrfurcht, nämlich die Hochachtung, [202] die wir aus freien Stücken den politischen und religiösen Anschauungen eines Menschen zollen, obgleich sie nicht die unsrigen sind. Wir können seine Götter nicht anbeten und seine Politik nicht teilen – das erwartet auch niemand von uns; aber seinen Glauben an sie könnten wir doch achten, wenn es uns auch sauer wird; ja, wir könnten ihn selber achten, wollten wir uns rechte Mühe geben. Freilich, schwer ist es, ganz entsetzlich schwer, fast ein Ding der Unmöglichkeit, und deshalb versuchen wir es lieber gar nicht. Glaubt ein Mensch nicht wie wir glauben, so nennen wir ihn einen Toren, und dabei bleibt es. Das heißt in unsern Tagen, weil wir ihn jetzt nicht mehr verbrennen können.

Als wir von dem Gott in Benares Abschied nahmen und uns entfernten, trafen wir am Gartentor mit einer Gruppe von Eingeborenen zusammen, welche ehrerbietig warteten – ein Rajah, der aus einem entlegenen Teil Indiens kam und einige weniger vornehme Leute. Der Gott winkte sie zu sich heran, und im Hinausgehen sahen wir noch, wie der Rajah vor ihm kniete und demutsvoll seine heiligen Füße küßte.

[203]

Eine bequeme Eisenbahnfahrt von siebzehn und einer halben Stunde brachte uns nach Kalkutta, der Hauptstadt Indiens, die zugleich auch die Hauptstadt von Bengalen ist. Die Bevölkerung besteht wie in Bombay aus fast einer Million Eingeborenen und einer kleinen Zahl Weißer. Kalkutta ist eine riesengroße und schöne Stadt, man nennt es die Stadt der Paläste. Es ist reich an geschichtlichen Erinnerungen und reich an britischen Errungenschaften auf militärischem, politischem und kaufmännischem Gebiet. Man bekommt dort die Früchte des Wirkens der beiden großen Helden Clive und Hastings zu genießen, aber das 250 Fuß hohe Monument, welches man meilenweit in der Runde sieht, trägt den Namen Ochterlony. Mag man in Kalkutta sein wo man will, überall muß man an Ochterlony denken und sich den Kopf darüber zerbrechen, was das Denkmal wohl zu bedeuten hat. Gut, daß Clive nicht von den Toten zurückkommen kann, er würde sonst glauben, es sollte seinen Sieg bei Plassey verewigen und müßte zu seiner Kränkung erfahren, daß er sich geirrt hat. »Mit dreitausend Mann,« würde er sagen, »habe ich sechzigtausend bezwungen und das Reich gegründet, aber man hat mir kein Denkmal gesetzt. In der Schlacht bei Ochterlony [204] hat der General vielleicht mit einem Dutzend Soldaten eine Billion Feinde geschlagen und die Welt errettet.«

Aber das ist nicht richtig. Ochterlony war ein Mann, keine Schlacht. Er hat dem Lande auch gute und ehrenhafte Dienste geleistet, wie hundert andere tapfere, rechtschaffene und hochbegabte Engländer. Indien ist ein fruchtbarer Boden, um Männer zu erzeugen, die groß sind im Kriege wie im Frieden und bescheiden bei all ihrer Größe. Daß man ihnen Denkmäler setzt, erwarten sie nicht; auch Ochterlony hat das schwerlich getan – wenigstens sicherlich nicht, ehe Clive und Hastings versorgt waren.

Wollte man in Indien jedem zum Lohn für ausgezeichnete Taten, treue Pflichterfüllung und fleckenlosen Lebenswandel ein Denkmal setzen, es würde der Gegend ein einförmiges Ansehen geben. Die Handvoll Engländer regieren die Myriaden Inder anscheinend mit Leichtigkeit und ohne daß irgend welche Reibung entsteht. Sie können das, weil sie richtigen Takt, Tüchtigkeit und treffliche Verwaltungskunst besitzen, welche von gerechten, freisinnigen Gesetzen unterstützt wird, und weil sie den Eingeborenen stets Wort halten, wenn sie ihnen ein Versprechen gegeben haben.

[205]

England liegt weit von Indien; man erfährt dort wenig von den großen Diensten, welche die indischen Beamten dem Lande leisten; denn der Ruhm wird durch Zeitungskorrespondenten verbreitet, und diese schickt England nicht nach Indien, sondern nach dem europäischen Festland, um über die Taten aller kleiner Fürsten und Herzöge Bericht zu erstatten, damit man weiß, wo sie auf Besuch sind und wen sie heiraten. Ein britischer Beamter kann oft dreißig oder vierzig Jahre in Indien gelebt haben und wegen seiner hohen Verdienste von einer Ehrenstufe zur andern gestiegen sein, bis er Vizekönig wird und ein großes Reich mit vielen Millionen Untertanen regiert. In jedem andern Lande wäre er ein berühmter Mann, aber, wenn er wieder nach England kommt, ist er im Grunde so gut wie unbekannt und zieht sich in ein bescheidenes Eckchen zurück. Erst nach seinem Tode liest man mit Staunen den Bericht über seine glänzende Laufbahn in irgend einer Londoner Zeitung.

In Kalkutta gab es viel zu sehen, aber wir hatten nur wenig Zeit dazu. Die von Clive erbaute Festung, der große botanische Garten, die Spazierfahrt der vornehmen Welt auf dem Maidan und eine glänzende Revue der Garnison nebst den Manövern [206] der eingeborenen Soldaten, bei denen alle Waffengattungen große militärische Tüchtigkeit bewiesen und deren Schluß die Erstürmung eines indischen Forts bildete – das waren die Hauptsehenswürdigkeiten, die wir in Augenschein nahmen. Dann machten wir noch eine Lustfahrt auf dem Hugli und teilten unsere übrige Zeit zwischen geselligem Verkehr und dem indischen Museum. Letzteres ist eine wahre Schatzkammer für indische Altertümer, zu deren Besichtigung man mindestens einen Monat haben sollte; ja, ich könnte diese schönen und wunderbaren Dinge ein halbes Jahr lang ansehen, ohne daß sie ihren Reiz für mich verlieren würden.

Es war Winter in Kalkutta, ›kaltes Wetter‹, wie uns jedermann versicherte. Aber, wer an 138° im Schatten gewöhnt ist, hat kein Urteil über dergleichen. Jedenfalls war dies kalte Wetter zu warm für die Fremden, und wir brachen deshalb nach Dardschiling am Himalaja auf. Es ist eine Reise von vierundzwanzig Stunden.


[207]

Fünfzehntes Kapitel.

Es gibt 869 verschiedene Arten der Lüge; aber nur eine von allen ist ausdrücklich verboten: »Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.«

Querkopf Wilsons Kalender.

Aus dem Tagebuch. 14. Februar. Wir reisten nachmittags um 4.30 ab und fuhren bis zur Dämmerung durch tropische Vegetation; dann bestiegen wir ein Boot, das uns ans andere Ufer des Ganges brachte.


15. Februar. – Mit der Sonne aufgestanden. Ein strahlender, frostkalter Morgen. Doppelte Flanellunterkleider machen sich notwendig. Die Gegend ist vollständig eben und dehnt sich in verschwommenen Farben weiter und immer weiter, bis ins Unendliche aus. – Wie üppig, wie hoch und mächtig ist doch der Bambus mit seinem duftig zarten Laub! Wohin das Auge blickt, sieht man die baumartigen Gräser gleich riesigen Pflanzengeysern emporschießen, bis ihr grüner Sprühregen sich in der Ferne in Dunstwolken zu verwandeln scheint. Auch an Bananenfeldern kamen wir vorbei, wo der Sonnenschein [208] die glasierte Oberfläche der großen niederhängenden Blätter streifte. Häufig sahen wir Palmenhaine und vereinzelte Exemplare dieser malerischen Familie, die eine wirkungsvolle Abwechslung in das Landschaftsbild brachten. An den hohen schlanken Stämmen hingen die Blätter zerrissen und zerfetzt umher, als wollte die Natur einen Regenschirm darstellen, der unversehens in einen Wirbelsturm geraten ist und es sich nicht merken lassen will. Und überall sahen wir im gedämpften Morgenlichte Dörfer auftauchen, zahllose Dörfer, die kein Ende nehmen wollten. Mit Stroh gedeckt, aus reinen, neuen Rohrmatten aufgebaut, lagen sie dichtgedrängt zwischen Palmengruppen und Bambusgräsern. In Abständen von kaum dreihundert Metern kamen immer neue dutzendweise zum Vorschein. Es war eine mächtige, viele hundert Meilen lange und breite Stadt, die aus lauter Dörfern bestand. Eine so ungeheure Stadt habe ich noch nie gesehen, es gibt keine zweite auf der ganzen Erde, und eine Einwohnerzahl hat sie, wie ein europäisches Königreich. Wir sahen diese Menschen auf beiden Seiten der Eisenbahn und vor uns, soweit das Auge reichte – eine endlose Menge nackter Gestalten. Meile auf Meile flogen wir dahin, aber immer waren [209] sie da, auf beiden Seiten und vor uns, die braunen nackten Männer und Knaben, die auf den Feldern ackerten und pflügten. Wir gewahrten kein einziges Weib, kein Mädchen bei der Feldarbeit, während der ganzen zweistündigen Fahrt.

Wenn wir den armen Heiden die neueste Zivilisation bringen, sollten wir zugleich die Gelegenheit benützen, auch unsere Kultur durch einige ihrer barbarischen Sitten zu bereichern. Das Recht hierzu kann uns niemand bestreiten. Heben wir jene Völker auf eine höhere Stufe, so sind wir auch befugt, uns selbst mit ihrer Hilfe um neun oder zehn Grade aufwärts zu bringen. Vor Jahren verlebte ich einige Wochen in dem bayrischen Bade Tölz. Die Gegend ist katholisch, und nicht einmal in Benares ist die Bevölkerung so durch und durch religiös und so eifrig in ihrer Frömmigkeit, das erkennt man auf den ersten Blick. Damals schrieb ich in mein Tagebuch: »Gestern machten wir eine wunderschöne Spazierfahrt über Land; doch wurde mein Vergnügen durch den Anblick ehrwürdiger Großmütter mit grauen Haaren, die im Felde arbeiteten, sehr beeinträchtigt. Siebzig- und achtzigjährige Frauen mähten Korn, banden Garben oder luden das Heu auf den Wagen.«

[210]

An andern Orten in Bayern sah ich, wie Weiber schwere mit Bierfässern beladene Karren zogen. In Oesterreich fand ich oft eine Frau neben einer Kuh an den Pflug gespannt, den ein Mann führte. Ich sah ein altes gebücktes Weib, zusammen mit einem Hunde angeschirrt, einen beladenen Schlitten über gepflasterte und ungepflasterte Straßen ziehen, während der Fuhrmann, ein kräftiger Mensch von kaum dreißig Jahren, nebenher ging und seine Pfeife rauchte. Auch die Wäscherinnen in Frankreich kann ich nicht vergessen, die bei strömendem Regen und so naßkaltem Wetter, daß man keinen Hund hinausjagen würde, in ihrer gewöhnlichen Kleidung vor meinen Hotelfenstern in der Rhone wuschen, bis die Dunkelheit ihrer Arbeit ein Ende machte. Dann kam ein starker Bursche – vielleicht der Enkel der alten Großmutter – im sichern Schutz seines Regenschirms, trocken und wohlbehalten auf einem Eselwagen gefahren und befahl den Weibern in herrischem Ton, die sechs schweren Körbe mit nasser Wäsche aufzuladen, die ein Mann kaum von der Stelle gebracht hätte. Die bis auf die Haut durchnäßten Frauen gehorchten ohne Murren, und während der Franzose vom Wagen stieg und ins Wirtshaus ging, wo ich ihn später bei einer Flasche Wein sitzen [211] sah, trabten sie geduldig heimwärts hinter dem Karren drein.

Doch ich kehre nach Indien zurück. Im Lauf des Nachmittags näherten wir uns dem Gebirge. Wir verließen den Hauptbahnzug und stiegen in eine Zweigbahn, die aus kleinen mit Leinwand gedeckten Wagen bestand, von denen jeder etwa für zwölf Personen Platz hatte. Wurden die Vorhänge aufgezogen, so saß man ganz im Freien, fühlte sich äußerst behaglich, konnte die frische Luft einatmen und sich nach allen Seiten umsehen. Es war eine Vergnügungsfahrt, nicht nur dem Namen nach, sondern in Wirklichkeit.

Nach einer Weile hielten wir an einem kleinen hölzernen Bahngebäude mitten im dichten Walde unter großen Bäumen, Gebüsch und Schlingpflanzen in der Nähe eines düstern Dschungels. Hier haust der bengalische Königstiger in großer Menge und benimmt sich sehr frech und rücksichtslos. Von der einsamen kleinen Station wurde einmal folgende Depesche an den Bahnhofsinspektor in Kalkutta abgesandt: »Ein Tiger frißt eben den Bahnwärter auf der vorderen Veranda. Telegraphieren Sie mir Verhaltungsmaßregeln.«

Ich ging dort zum erstenmal auf die Tigerjagd [212] und tötete vierzehn Stück. Bald fuhren wir weiter, und der Zug klomm den Berg hinauf. An einer Stelle kamen sieben wilde Elefanten über die Schienen, aber zwei von ihnen liefen davon, ehe ich sie erreichen konnte. Die Fahrt im Gebirge beträgt vierzig Meilen und dauert acht Stunden. Sie sollte eine ganze Woche in Anspruch nehmen, weil sie so interessant, aufregend, wild und entzückend ist. Die tropische Vegetation war vollständig vertreten. Ich glaube der Dschungel enthielt Exemplare jeder seltenen oder merkwürdigen Baum- und Buschart, von der wir jemals gehört haben. Aus dieser Schatzkammer der Pflanzenwelt muß der ganze Erdball mit allen Gewächsen versehen worden sein, die für uns am köstlichsten und wertvollsten sind. Es ist reizend, wie sich der Weg fortwährend dreht und windet. Er führt bald unter hohen Felsenklippen hin und her, die in Laubwerk und Schlingpflanzen förmlich begraben sind, bald am Abhang unergründlich tiefer Schluchten entlang. Dabei begegnet man fort und fort endlosen Reihen malerisch aussehender Eingeborener, welche Lasten den Berg hinauftragen oder von ihrer Arbeit in den Teegärten droben zurückkehren. Einmal trafen wir auch auf einen Hochzeitszug im bunten Flitterstaat. Die [213] hübsche, kindliche Braut guckte zwischen den Vorhängen ihres Palankins heraus und zeigte ihr Gesicht mit solchem Vergnügen, wie es nur junge und glückliche Menschen empfinden, wenn sie etwas Verbotenes tun.

Wir kamen allmählich bis zu den Wolken hinauf und schauten von unserer luftigen Höhe hernieder auf ein wunderbares Bild: Von Wolkenschatten gefleckt, mit glänzenden Strömen durchzogen, lag die indische Ebene vollkommen flach, aber weich und anmutig in der glühenden Hitze da. Gerade unter uns, tiefer und immer tiefer, bis zum Tal hinab, schob sich ein Gewirr kahler Bergspitzen durcheinander, über welche sich Straßen und Pfade, gleich mattgelben, schmalen Bändern, in zahllosen deutlich erkennbaren Krümmungen und Windungen schlängelten.

Als wir die Höhe von 6000 Fuß erreichten, umgab uns eine dichte Wolkenschicht, welche die übrige Welt vor unsern Blicken derart verhüllte, daß sie überhaupt nicht wieder zum Vorschein kam. Wir klommen nun noch 1000 Fuß höher, dann senkte sich der Weg und wir erreichten Dardschiling, das 6000 Fuß über der Ebene liegt.

Auf unserer Fahrt hatten wir in vielen Gebirgsdörfern [214] eine ganz neue Gattung Eingeborener zu sehen bekommen, die größtenteils dem kriegerischen Stamme der Ghurkas angehörten. Sie sind nicht groß, aber stark gebaut und voll Tatkraft, auch liefern sie die besten Soldaten unter den eingeborenen britischen Truppen. Ihre Frauen kamen uns scharenweise entgegen; sie kletterten den steilen Weg vom Tal bis zu ihrer Wohnstätte in den Bergen vierzig Meilen weit empor und hatten dabei noch schwere Körbe auf dem Rücken, zu deren besserem Halt sie ein Gurtband um die Stirn trugen. Wieviele hundert Pfund die Last wog, will ich gar nicht erst sagen; es würde mir doch niemand glauben. Es waren noch junge Frauen, die unter ihrer zentnerschweren Bürde so leicht einherschritten, als ob sie zum Tanze gingen. Man sagte mir, eine Frau könne ein Klavier auf dem Rücken den Berg hinan tragen, und das hätten schon viele getan. Wären es alte Frauen gewesen, so würde ich die Ghurkas für ebenso unzivilisiert halten wie die Europäer.

Am Bahnhof von Dardschiling warten auf den Reisenden statt der Droschken eine Menge offener Särge, in die man steigt, um sich von Männern auf der Schulter die steilen Wege zur Stadt hinan tragen zu lassen.

[215]

Oben fanden wir ein ziemlich behagliches Hotel, dessen Besitzer die Bequemlichkeit und Sorglosigkeit selber war. Er überläßt die Wirtschaft dem Heer seiner indischen Diener und kümmert sich um nichts. Das heißt, nein – die Rechnung sieht er doch durch, und der Fremde wird wohl daran tun, seinem Beispiel zu folgen. Ein Bewohner des Hotels sagte mir, daß der Gipfel des Kinchinjunga oft von Wolken verhüllt wird, so daß die Fremden schon manchmal drei Wochen lang gewartet haben und zuletzt doch fortgehen mußten, ohne ihn zu Gesicht zu bekommen. Trotzdem waren sie nicht enttäuscht, denn als man ihnen die Hotelrechnung einhändigte, fanden sie diese so hoch, daß sie überzeugt waren, es könne überhaupt nichts Höheres auf dem Himalaja zu sehen geben. Doch das halte ich für erlogen.

Nach meiner Vorlesung ging ich noch abends in das Klubhaus, wo es mir sehr gut gefiel. Wegen seiner hohen Lage bietet es umfassende Aussicht; man kann dreißig Meilen weit bis zur Grenze sehen, wo drei oder vier Länder zusammenstoßen, Nepal glaube ich und Tibet, die beiden andern weiß ich nicht mehr.

Am nächsten Morgen, es war Sonntag, kamen Bekannte in aller Frühe mit Pferden, und unsere [216] Gesellschaft unternahm einen Ritt nach dem Aussichtspunkt, von wo sich Kinchinjunga und Mount Everest am vorteilhaftesten darstellen. Ich zog jedoch vor, zu Hause zu bleiben, denn ich fand es kalt, und die Pferde waren mir so wie so fremd. Mit ein paar wollenen Decken und meiner Pfeife saß ich zwei Stunden lang am Fenster und sah wie die Sonne die Morgennebel vertrieb, wie sie die Schneespitzen eine nach der andern blaßrot und goldig malte und zuletzt den ganzen mächtigen Gebirgsstock in ein Meer der herrlichsten Farben tauchte.

Der Kinchinjunga kam zwar nur dann und wann zum Vorschein, doch hob er sich jedesmal mit großer Klarheit gegen den Himmel ab. Er ragte 28 000 Fuß über der Meeresfläche in das blaue Gewölbe hinauf, meilenweit über mir, so hoch wie ich mein Lebtag kein Land gesehen hatte. Mount Everest ist noch 1000 Fuß höher, doch gehörte er nicht zu dem Haufen von Bergspitzen, die sich da vor mir auftürmten. Daß ich ihn nicht zu sehen bekam, machte mir keinen Kummer; ein Berg von so übermäßiger Höhe würde mir unangenehm gewesen sein.

Von den Hinterfenstern des Hauses ging ich dann nach der Vorderseite, wo ich den Rest des Morgens damit verbrachte, die dunkelfarbigen Genossen [217] der verschiedenen Stämme vorbeifluten zu sehen, die aus ihren fernen Heimstätten im Himalaja kamen.

Jedes Alter und Geschlecht war vertreten und die Rassen waren mir ganz neu, obwohl die Tibetaner durch ihre Tracht an Chinesen erinnerten. Daß die Gebetsmühle häufig in Anwendung kam, brachte mir die Leute näher – ich fühlte mich ihnen verwandt. Auch wir lassen uns oft beim Gebet durch unsern Pfarrer vertreten; zwar wirbeln wir ihn nicht um einen Stock herum, doch ist das kein wesentlicher Unterschied. –

Stundenlang sah ich den Strom an mir vorübereilen; schade, daß das seltsame, fesselnde Bild dort so gut wie verloren war. Hätte sich der bunte Schwarm durch die Städte Europas oder Amerikas ergossen, welches Labsal wäre es für die Menschen gewesen, denen das ewige Einerlei der Zirkusvorstellungen nicht mehr genügt. Was führte aber die Eingeborenen in solcher Unmenge herbei? – Sie hatten sich aufgemacht, um den Bazar zu besuchen, wo sie Waren zum Verkauf ausbieten wollten. Später nahmen wir diesen fremdartigen Kongreß wilder Völkerschaften gleichfalls in Augenschein. Wir drängten uns hier und da durch die Menge und [218] kamen zu dem Schluß, daß es schon allein um dieses Schauspiels willen der Mühe wert sein würde, von Kalkutta herzureisen, selbst wenn es keinen Kinchinjunga und Mount Everest auf der Welt gäbe.


Sechzehntes Kapitel.

Es gibt zwei Zeiten des Lebens, in denen der Mensch sich hüten sollte zu spekulieren: wenn seine Mittel es ihm nicht erlauben, und wenn sie es ihm erlauben.

Querkopf Wilsons Kalender.

Am Montag und Dienstag genossen wir bei Sonnenaufgang eine mittelgute Aussicht auf die großartige Gebirgslandschaft. Inzwischen hatten wir uns erfrischt und abgekühlt, so daß wir uns stark genug fühlten, es wieder mit der Hitze der unteren Welt aufzunehmen.

Wir fuhren mit dem gewöhnlichen Zug noch die fünf Meilen bis zum höchsten Punkt hinauf, um von da aus die 35 Meilen lange Rückfahrt anzutreten. Wir bestiegen eine kleine sechssitzige, mit Leinwand überspannte Draisine, welche die Größe eines Schlittens hatte und so niedrig war, daß sie den Boden [219] zu berühren schien. Eine Lokomotive oder sonstige Triebkraft brauchte sie auf den abschüssigen Wegen nicht, nur eine starke Bremse, um ihre Fahrgeschwindigkeit zu mäßigen, und damit war sie versehen. Man erzählte uns von einer Unglücksfahrt, die der Generalleutnant von Bengalen einmal mit solcher Draisine gemacht hat: Der Wagen war aus den Schienen gekommen und hatte die Insassen in den Abgrund geschleudert. Zwar ist die Geschichte gänzlich erfunden, doch verfehlte sie ihre Wirkung auf mich nicht, denn sie machte mich ängstlich. Ein Mensch der Angst hat ist aber nicht schlafmützig, sondern munter und aufgeweckt; seine Spannung bei einem neuen und gewagten Unternehmen wird durch die Furcht wesentlich erhöht. Daß ein Unfall leicht möglich war, lag auf der Hand: ein kleiner Stein, der aus Zufall auf die Schienen geriet oder in böswilliger Absicht dorthin gelegt wurde, genügte, um den Wagen an irgend einer scharfen Biegung zu entgleisen und nach Indien hinunter zu befördern. War auch der Generalleutnant der Gefahr entgangen, so gab mir das noch keine Bürgschaft dafür, daß ich ebensoviel Glück haben würde. Als ich dastand und von meiner luftigen Höhe hinabsah auf das indische Kaiserreich, das 7000 Fuß unter [220] mir lag, kam es mir doch recht unangenehm und halsbrecherisch vor, aus dem Wagen in eine solche Tiefe geschleudert zu werden.

Für mich war übrigens die Gefahr nicht groß. Wenn uns Unglück drohte, so befiel es jedenfalls Mr. Pugh, den Inspektor der indischen Polizei, unter dessen Schutz wir von Kalkutta heraufgekommen waren. Er hatte lange als Artillerieoffizier gedient, war nicht so ängstlich wie ich, und wollte uns, mit einem Ghurka und einem andern Eingeborenen, als Lotse in einer Draisine vorausfahren. Sahen wir seinen Wagen in den Abgrund stürzen, so brauchten wir nur so rasch wie möglich zu bremsen und uns nach einem andern Lotsen umzutun. Das war eine höchst zweckmäßige Einrichtung. Auch daß Mr. Barnard, der erste Ingenieur des Bergbezirks, die Leitung unseres Wagens übernahm, diente mir zu großer Beruhigung, denn er hatte die Fahrt schon sehr oft gemacht.

Anscheinend war alles sicher, nur ein Punkt blieb unentschieden: der fahrplanmäßige Zug sollte unmittelbar nach unserm Wagen abgelassen werden und konnte uns leicht über den Haufen rennen. Ich war im stillen überzeugt, es würde geschehen.

Vor uns fiel die Straße steil ab und wand sich [221] dann wie ein Korkzieher, um Klippen und an Abgründen entlang, tiefer und immer tiefer hinunter. Eine steile Rutschbahn, die in endlosen Krümmungen abwärts führt, hätte nicht ungemütlicher aussehen können.

Jetzt ließ Mr. Pugh seine Flagge wehen und flog davon, wie der Pfeil vom Bogen, und ehe ich noch Zeit hatte, aus dem Wagen zu springen, fuhren wir ihm nach. Mich durchrieselte ein Schauer, wie ich ihn ähnlich nur bei meiner allerersten Schlittenfahrt von einem steilen Berggipfel empfunden habe. Der Atem verging mir, aber doch war es ein Gefühl himmlischer Lust, eine plötzliche ungeheuere Aufregung, eine Mischung von Todesangst und unaussprechlichem Entzücken, die für uns Menschen, glaube ich, die höchste Wonne auf Erden ist.

Wie eine Schwalbe im Flug über den Boden schießt, so glitt der Lotsenwagen den Berg hinunter; leicht, rasch und anmutig schwebte er auf den geraden Strecken dahin und überwand spielend alle Biegungen und Krümmungen. Wir jagten ihm nach und flogen mit Blitzesschnelle an Vorgebirgen und Klippen vorbei; zuweilen hatten wir ihn fast eingeholt – wir hofften schon, es würde uns gelingen. Aber der Lotse trieb nur seinen Scherz mit uns; [222] kaum kamen wir ihm in die Nähe, so ließ er die Bremse los, der Wagen tat einen Satz um die Ecke, und wenn wir ihn ein paar Sekunden später wieder zu Gesicht bekamen, sah er nicht größer als ein Schubkarren aus, so weit war er entfernt. Auch wir machten uns einen ähnlichen Spaß mit dem Eisenbahnzug. Oft stiegen wir aus, um Blumen zu pflücken oder am Abgrund sitzend die Aussicht zu bewundern; dann hörten wir plötzlich ein dumpfes Brüllen, das immer lauter wurde, und sahen den Zug hinter und über uns in Schlangenwindungen heranstürmen. Wir brauchten jedoch erst abzufahren, wenn die Lokomotive dicht bei uns war – im Nu blieb sie weit dahinten. Sie mußte bei jeder Station Halt machen, und das gab uns immer wieder einen Vorsprung. Unsere Bremsvorrichtung war so ausgezeichnet, daß wir den Wagen auf dem steilsten Abhang augenblicklich zum Stillstand bringen konnten.

Das wunderschöne Landschaftsbild bot die großartigste Abwechslung, und wir hatten alle Muße es zu betrachten, ohne daß uns der Zug dabei hinderlich war. Brauchte er die Straße für sich, so bogen wir rasch in ein anderes Geleise, ließen ihn vorbeifahren, holten ihn dann später ein und stachen ihn [223] unsererseits wieder aus. Einmal hielten wir an, um den Gladstone-Felsen zu betrachten, auf dem die Natur im Laufe der Jahrtausende ein sprechend ähnliches Bildnis des ehrwürdigen englischen Staatsmannes gemeißelt hat, das als Huldigung für ihn gerade rechtzeitig fertig geworden ist.

Wir sahen auch einen Banianen- oder Götzenbaum, welcher von seinen sechzig Fuß hohen Zweigen herab, säulenförmige Stützen zur Erde sandte; ganz wie der große, spinnebeinige Banianenbaum mit seiner Wildnis von Pflanzensäulen, den wir im botanischen Garten zu Kalkutta bewundert hatten. Auch ganz laublose Bäume fielen uns auf, deren zahllose Aeste und Zweige von einer Unmenge feurig leuchtender Schmetterlinge bedeckt schienen. Es waren aber in Wirklichkeit Blüten, welche scharlachroten Schmetterlingen täuschend ähnlich sahen.

Als wir einige Meilen bergab gefahren waren, machten wir Halt, um eine tibetanische Theatervorstellung mit anzusehen, welche am Bergabhang unter freiem Himmel stattfand. Die Zuhörerschaft bestand aus Ghurkas, Tibetanern und andern absonderlichen Leuten. Ebenso fremdartig wie das Stück selbst, waren auch die Kostüme der Darsteller. Sie traten einer nach dem andern vor und begannen [224] sich mit ungeheuerer Kraft und Schnelligkeit im Kreise zu drehen, was von den übrigen mit furchtbarem Lärm und Getöse begleitet wurde. Zuletzt wirbelte die ganze Truppe wie der Wind tanzend und singend umher und wühlte den Staub auf. Es war ein altes, berühmtes, geschichtliches Schauspiel, das die Leute aufführten; ein Chinese erklärte es mir auf Pidgin-Englisch, während es vor sich ging. Das Stück war schon ohne die Erklärung unverständlich genug, aber durch diese wurde sein Sinn erst recht dunkel. Als Drama mochte das alte, historische Kunstwerk wohl seine Mängel haben, aber betrachtete man es als wilde, barbarische Darstellung, so spottete es jeder Kritik.

Weiter abwärts stiegen wir wieder aus, um zu beobachten, welche merkwürdige Schleife die Bahn hier macht. Als der Zug in die Kurve einbog, sahen wir die Lokomotive unter der Brücke verschwinden auf der wir standen, gleich darauf kam sie wieder zum Vorschein und jagte ihrem eigenen Schwanze nach; sie erreichte ihn, überholte ihn, lief an den letzten Wagen vorbei und begann nun ein Wettrennen mit dem hintern Ende des Zuges. Es kam mir vor wie eine Schlange, die sich selber auffrißt.

[225]

Auf halber Höhe des Berges hielten wir eine Stunde Rast in Mr. Barnards Hause und nahmen Erfrischungen ein. Während wir auf der Veranda saßen und durch eine Lichtung des Waldes nach dem fernen Gebirgspanorama hinüberblickten, hätten wir fast gesehen, wie ein Leopard ein Kalb zerriß, (er hatte es tags zuvor getan). Es ist eine wilde, reizende Gegend. Ringsum in den Wäldern ertönte Vogelgesang, auch ein paar Vögel, die mir damals noch unbekannt waren, ließen ihr Lied erschallen: der Gehirnteufel und der Kupferschmied. Der Gehirnteufel fängt leise an zu singen, aber sein Ton wird beständig lauter und lauter, er steigt in spiralförmigen Windungen in die Höhe, immer schärfer, immer schneidender, quälender, schmerzhafter, unleidlicher, aufdringlicher, unerträglicher; zum Wahnsinn treibend, bohrt er sich tiefer und tiefer in des Hörers Kopf, bis zuletzt bei ihm eine Gehirnentzündung eintritt, die den Tod zur Folge hat. Ich bringe einige dieser Vögel mit nach Amerika, wo sie ohne Zweifel großes Aufsehen erregen werden; man glaubt, daß sie sich in unserm Klima so rasch vermehren lassen, wie die Kaninchen.

Der Gesang des Kupferschmieds klingt in gewisser Entfernung wie Hammerschläge auf Granitgestein; [226] geht man weiter, so nimmt das Hämmern einen metallischen Klang an, man meint, der Vogel bessere einen Kupferkessel aus. In noch größerer Entfernung klingt es zwar auch laut und kräftig, aber ganz als würden Fässer verspundet; merkwürdigerweise tönt das Klopfen in nächster Nähe sanft und melodisch, doch hört es gar nicht auf und wird zuletzt so einförmig, daß man aus der Haut fahren möchte; man fühlt sich unsäglich elend, der Kopf schmerzt einem zum Zerspringen und man verliert den Verstand. Auch diesen Vogel nehme ich mit und will ihn bei uns einbürgern.

Neu gestärkt stiegen wir wieder in die Draisine und fuhren weiter den Berg hinunter; bald flogen wir, bald machten wir Halt, bis wir die Ebene erreichten und in den gewöhnlichen Personenzug nach Kalkutta einstiegen. Das war der genußreichste Tag, den ich auf Erden verlebt habe. Es gibt kein himmlischeres, aufregenderes, entzückenderes Vergnügen, als eine Fahrt in der Draisine vom Himalaja hinunter. Nichts, gar nichts läßt der wonnevolle Ausflug zu wünschen übrig, außer daß er statt fünfunddreißig Meilen mindestens fünfhundert Meilen lang sein möchte.


[227]

Siebzehntes Kapitel.

Gib deine Illusionen nicht auf. Hast du sie verloren, so magst du zwar noch dein Dasein fristen, aber leben im eigentlichen Sinne kannst du nicht mehr.

Querkopf Wilsons Kalender.

So weit ich es beurteilen kann, hat sich der Mensch mit der Natur um die Wette bemüht, Indien zu dem merkwürdigsten Lande zu machen, welches die Sonne bescheint. Unter all seinen Wundern habe ich bis jetzt eines noch unerwähnt gelassen, nämlich den großen Reichtum an blutgierigen Raubtieren, den es besitzt.

Seit vielen Jahren ist die britische Regierung unausgesetzt bemüht gewesen, die gefährlichen wilden Tiere in Indien auszurotten. Sie hat es sich große Summen Geldes kosten lassen, doch kann man aus den jährlich von ihr veröffentlichten Listen ersehen, wie schwierig das Unternehmen ist.

Diese amtlichen Berichte weisen eine ganz ähnliche Gleichförmigkeit auf, wie die statistischen Angaben über die Todesfälle und Todesarten in den Hauptstädten der Welt. Man braucht sich nur mit [228] der betreffenden Statistik der letzten Jahre vertraut zu machen, um fast genau vorhersagen zu können, wie viele Menschen in London, Paris oder New York nächstes Jahr durch Selbstmord enden oder an der Schwindsucht, dem Krebs, der Tollwut sterben, wie viele aus dem Fenster fallen oder von Droschken überfahren werden. So läßt sich auch im indischen Reich mit Sicherheit aus den Verzeichnissen früherer Jahre schließen, wie viele Leute durch Bären, Wölfe oder Tiger im laufenden Jahre umkommen oder wie viele dieser Bestien von der Regierung erlegt werden. Ja man kann diese Zahlen mit ziemlicher Genauigkeit auf fünf Jahre im voraus berechnen.

Mir liegt ein statistisches Verzeichnis aus sechs aufeinander folgenden Jahren vor, aus dem sich ergibt, daß der Tiger in Indien alljährlich 800 und einige Personen tötet und die Regierung doppelt so viele Tiger. In sechs Jahren hat der Tiger 5000 Menschen weniger 50 umgebracht und die Regierung 10 000 Tiger weniger 400.

Der Wolf tötet etwa 700 Personen im Jahr, und 5000 von seinem Stamme fallen dafür zum Opfer; der Leopard bringt durchschnittlich 230 Leute um, verliert aber 3300 Anverwandte, und dem [229] Bären kosten die 100 Personen, die er im Jahre tötet, 1250 seiner eigenen Familie.

Den gewaltigsten Kampf mit dem Menschen besteht jedoch der Elefant, der König des Dschungels; er verliert jährlich vier von seiner Genossenschaft, rächt sich aber durch den Tod von 45 Personen. Tiere bringt der Elefant nur wenige um, vielleicht 100 in sechs Jahren, meist die Pferde der Jäger; in demselben Zeitraum tötet der Tiger mehr als 84 000 Stück Vieh, der Leopard 100 000, der Bär 4000, der Wolf 70 000, die Hyäne mehr als 13 000, andere Raubtiere 27 000 und die Schlangen 19 000, was die großartige Gesamtsumme von 300 000 oder durchschnittlich 50 000 Stück im Jahr ausmacht. – Die Regierung vertilgt während der nämlichen Zeit 3 201 234 Raubtiere und Schlangen. Zehn für eins.

Die Schlangen töten viel lieber Menschen als Tiere, und es wimmelt in Indien von gefährlichen Giftschlangen. Die schlimmste, die es überhaupt gibt, ist die Kobra; gegen sie erscheint die Klapperschlange als das harmloseste Geschöpf von der Welt. Bei meinen statistischen Ermittelungen bin ich zu dem Ergebnis gelangt, daß die Raubtiere in sechs Jahren 20 000 Personen töteten und die Schlangen 103 000. In demselben Zeitraum vertilgt die Regierung [230] 1 073 546 Schlangen. Es bleiben noch immer genug übrig.

In Indien schwebt man beständig in Todesgefahr und kommt oft nur knapp mit dem Leben davon. In jenem Dschungel, wo ich so viele Elefanten und sechzehn Tiger erlegt habe, wurde ich von einer Kobra gebissen; die Wunde heilte jedoch wieder, was alle Welt in Erstaunen setzte. So etwas kommt in zehn Jahren höchstens einmal vor. Im gewöhnlichen Lauf der Dinge wäre schon nach einer Viertelstunde der Tod eingetreten.


Von Kalkutta aus verfolgten wir bei unserer Fahrt durch Indien eine Art Zickzackweg in nordwestlicher Richtung. Wir fuhren durch lange Strecken, die wie ein einziger Garten aussahen: viele Meilen weit war alles mit den schönen Blumen bedeckt, aus deren Saft das Opium bereitet wird, und bei Muzaffurpore gerieten wir mitten in die Indigokultur. Eine Zweigbahn sollte uns in der Nähe von Dinapore an den Ganges bringen, doch sie hielt an jedem Dorfe an, ohne daß jemand einstieg oder Fracht verladen wurde; überall schwatzten die Eingeborenen wer weiß wie lange mit ihren Freunden, die Zeit verstrich, und wir machten uns [231] schon darauf gefaßt, statt sechs Stunden, eine Woche unterwegs zu bleiben. Da beschlossen die englischen Offiziere, diese Schneckenbahn in einen Schnellzug umzuwandeln. Sie gaben dem Lokomotivführer eine Rupie, und das Mittel half. Es ging nun wie der Wind; der Zug machte neunzig Meilen in der Stunde. Im Morgengrauen fuhren wir über den Ganges und erreichten noch glücklich unsern Anschluß. Bald waren wir wieder in Benares, und nach einem vierundzwanzigstündigen Aufenthalt an diesem merkwürdigen Hauptsitz der Frömmigkeit, setzten wir unsere Reise nach Lucknow fort, wo die Engländer während des indischen Aufstands im Jahre 1857 die großartigsten Beweise von Mut und Standhaftigkeit gegeben haben, welche die britische Geschichte jemals zu verzeichnen hatte.

Die Hitze war unbeschreiblich, alles Gras auf der weiten Ebene versengt und verdorrt von der glühenden Sonne, der Boden mit gelblichem Staub bedeckt, der in Wolken durch die Luft wirbelte. Aber zu jener Schreckenszeit, als die Entsatztruppen nach dem belagerten Lucknow marschierten, herrschte noch eine ganz andere Temperatur – 138 Grad Fahrenheit im Schatten.

Es scheint jetzt eine ausgemachte Sache zu sein, [232] daß eine der Hauptursachen des Aufstandes die Besitzergreifung des Königreichs Oudh durch die Ostindische Kompagnie war, eine Tat, welche Sir Henry Lawrence »die größte Ungerechtigkeit« nennt, »die je verübt worden ist«. – Schon im Frühling 1857 machte sich ein aufrührerischer Geist in vielen eingeborenen Regimentern bemerkbar, der mit jedem Tag weiter um sich griff. Die jüngeren Offiziere nahmen die Sache sehr ernst; sie hätten den Ungehorsam gern sofort im Keime erstickt, doch fehlte ihnen die nötige Machtbefugnis. Die höheren Militärs waren meist bejahrte Männer, die längst nicht mehr hätten im aktiven Dienst sein sollen. Sie legten den etwaigen mißlichen Vorkommnissen wenig Wert bei, da sie große Stücke auf die eingeborenen Truppen hielten und nicht glaubten, daß diese sich durch irgend welche Umstände zur Empörung treiben lassen würden. Lächelnd hörten die Greise das unterirdische Grollen des Vulkans, auf dem sie standen und meinten, es habe nichts zu bedeuten.

So hatten denn die Anstifter des Aufstandes völlig freie Hand. Ungehindert zogen sie von einem Lager zum andern, schilderten den eingeborenen Soldaten, wie ungerecht die Bedrückung des Volks durch die Engländer sei und fachten unversöhnlichen Groll [233] und Rachedurst in allen Herzen an. Sie wurden überdies in ihrem Vorhaben durch zweierlei sehr wesentlich unterstützt: Zu Clives Zeiten waren die eingeborenen Truppen nur ungeordnete, schlecht bewaffnete Haufen gewesen, gegen welche die gutgeschulten englischen Soldaten, trotz ihrer Minderzahl, leichtes Spiel gehabt hatten. Jetzt bestand fast die ganze britische Kriegsmacht aus eingeborenen Regimentern, die wohlgeübt, trefflich bewehrt und von den Briten selbst in der Kriegführung unterrichtet waren; sie hatten alle Macht in Händen, denn die wenigen englischen Bataillone, über welche Indien verfügte, waren im ganzen Lande zerstreut. Noch größeren Einfluß auf die unzufriedenen Gemüter übte aber eine alte Prophezeiung, welche besagte, daß genau hundert Jahre nach der Schlacht, durch welche Clive das Reich gegründet hatte, die Macht der Briten in Indien von den Eingeborenen zerstört und ihrer Herrschaft ein Ende gemacht würde. Die eingeborenen Truppen hatten im allgemeinen eine heilsame Furcht vor den englischen Soldaten und würden vielleicht allen Ueberredungskünsten der Aufwiegler widerstanden haben, aber einer Prophezeiung vermag kein Inder sein Ohr zu verschließen.

Der indische Aufstand brach am 10. Mai 1857 [234] zu Mirat aus und hatte eine lange Reihe von Greueltaten im Gefolge. Nana Sahibs Niedermetzelung der wehrlosen Besatzung nach der Uebergabe von Cawnpore fand im Juni statt, und dann begann die lange Belagerung von Lucknow. England hat eine alte, ruhmvolle Kriegsgeschichte hinter sich, aber in keinem Abschnitt derselben erscheint es uns größer, als bei der Unterwerfung des Aufstandes. Die Briten wurden sozusagen im Schlafe überfallen; sie waren unvorbereitet und zählten nur wenige Tausend in einem Meer von feindlichen Völkerschaften. Monate mußten vergehen, bis die Nachricht England erreichte und Hilfe kam. Aber die tapfern Offiziere verloren keinen Augenblick durch Zaudern und Schwanken. Mit heldenhafter Entschlossenheit und Hingebung leisteten sie Widerstand gegen die erdrückende Uebermacht und führten den scheinbar völlig aussichtslosen Kampf zum glänzenden Siege.

Ich habe alle denkwürdigen Orte besucht, welche damals Zeugen der entsetzlichsten Schreckensszenen und des größten Heldenmutes gewesen sind; auch das kostbare Denkmal über dem Brunnen in Cawnpore habe ich gesehen, in welchen Nana Sahib die verstümmelten Leichen der hingemordeten Frauen und Kinder werfen ließ. Das Andenken an die [235] furchtbaren Leiden und Großtaten jener Zeit wird von den Nachkommen heilig gehalten und in treuer Erinnerung bewahrt.

In Agra und später in Dehli sahen wir viele Forts, Moscheen und Grabmäler aus der Glanzzeit der mohammedanischen Kaiserherrschaft, welche an Größe, Pracht und Reichtum alles übertrafen, was die übrige Welt in dieser Beziehung zu bieten vermag. Die Kostbarkeit des Baumaterials und der Ausschmückung machen sie zu Wunderwerken ersten Ranges. Zum Glück hatte ich noch nicht viel darüber gelesen und folglich auch meine Phantasie nicht übermäßig erhitzt; ich konnte einen natürlichen und vernünftigen Maßstab anlegen und mich durch den herrlichen Anblick innerlich ergreifen, beglücken und erheben lassen, ohne Trauer und Enttäuschung zu empfinden.

Ich will ihre Pracht und Schönheit nicht eingehend beschreiben; nur von einem dieser weltbekannten Bauwerke, dem berühmtesten von allen, dem Tadsch Mahal bei Agra möchte ich noch ein Wort sagen. Ich hatte mich im voraus viel zu viel mit den verschiedenen literarischen Ergüssen über den Tadsch beschäftigt. Jetzt sah ich ihn bei Tage und sah ihn im Mondlicht, von nah und von ferne; ich [236] wußte, daß er ein Weltwunder war und seinesgleichen weder auf Erden hatte noch jemals haben würde – aber mein Tadsch war es nicht. Meinen Tadsch hatte ich mir nach den Phantasiegebilden einer Schar leicht erregbarer Literaten erbaut, und er hatte sich so fest in meinem Kopfe eingenistet, daß er durch nichts wieder herauszubringen war.

Wie hatten mir diese Schriftsteller aber den Tadsch geschildert? – Ich will nur einige Auszüge wiedergeben: »Die innere Ausschmückung,« heißt es, »besteht aus kostbaren Steinen, Achat, Jaspis und dergleichen, mit denen jede vorspringende Stelle geschmückt ist – in dekorativer Beziehung steht der Tadsch einzig in der Welt da – er bildet die Grenze, wo die Baukunst aufhört und die Juwelierarbeit beginnt – der Tadsch besteht ganz aus Marmor und Edelsteinen – er ist mit reicher Mosaikarbeit aus Juwelen verziert, welche köstliche Blumenmuster bildet – der Tadsch ist ein Kunstwerk von vollendeter Schönheit – ein Mausoleum von ungeheuerer Größe – ein Marmor-Wunder mit Blumen aus Edelgestein u. s. w. –«

Das ist alles wahr und richtig. Auch wissen die Schriftsteller selbst recht gut, wie es gemeint ist, denn sie kennen den Wert ihrer Worte. Der Leser [237] aber faßt diese ganz anders auf. Er nimmt seine Einbildungskraft zu Hilfe, und ehe er sich’s versieht, erhebt sich vor seinen Blicken ein über und über mit Juwelen bedeckter Tadsch, so hoch wie das Matterhorn.

Es ist mit solchen Beschreibungen ein eigenes Ding; sie stimmen zwar mit der Wahrheit überein, aber doch dienen die Worte meist nur dazu, die Tatsachen zu verdunkeln.

Als ich den Niagarafall zum erstenmal sah, schaute ich gen Himmel, denn ich erwartete einen mindestens sechzig Meilen breiten und sechs Meilen hohen Wassersturz zu erblicken – ein Atlantischer Ozean sollte sich meiner Meinung nach von einem Gipfel so hoch wie der Himalaja ergießen. Als ich statt dessen die kleine nasse Schürze gewahrte, die man zum Trocknen aufgehängt hatte, überwältigte mich die spielzeugartige Wirklichkeit dergestalt, daß ich auf der Stelle in Ohnmacht fiel.

Niemals hätte ich weder dem Niagara noch dem Tadsch Mahal in die Nähe kommen sollen! Wäre ich meilenweit fortgeblieben, so würde ich mir meinen eigenen mächtigen Niagara, der vom Himmelsgewölbe herabstürzt, unversehrt erhalten haben, und mein Tadsch würde sich noch jetzt aus farbigen Nebelgebilden [238] auf Regenbogen von Edelsteinen erbauen, die auf Säulenhallen aus Mondschein ruhen. Wer seiner Phantasie nicht Zaum und Zügel anlegen kann, sollte niemals ausziehen, um eins der berühmten Weltwunder mit Augen zu sehen. Seine Vorstellung davon wird immer mindestens vierzigmal besser und schöner sein als die Wirklichkeit.

Vor vielen vielen Jahren habe ich mir in den Kopf gesetzt, daß der Tadsch unter den Kunstschöpfungen des Menschen, was Anmut, Schönheit, Glanz und Pracht betrifft, genau denselben Platz einnimmt, auf den unter den Schaustellungen der Natur der Rauhreif ein Anrecht hat. Ich habe den Tadsch niemals mit irgend einem Tempel oder Palast verglichen, welchen Menschenhand erbaut hat, er war für mich nichts mehr und nichts weniger als die architektonische Verkörperung des Rauhreifs.

Hier in London sprach ich neulich einmal voll Begeisterung mit meinen englischen Freunden vom amerikanischen Rauhreif; aber sonderbarerweise hatten sie nie etwas davon gehört und verstanden mich nicht. Ein Herr sagte, er habe den Rauhreif noch in keinem Buch erwähnt gefunden. Das ist sehr sonderbar, aber ich erinnere mich auch nicht, je etwas darüber gelesen zu haben, während sich doch andere [239] Naturerscheinungen – zum Beispiel die Färbung des amerikanischen Herbstlaubs – der allgemeinsten Aufmerksamkeit erfreuen.

Und doch erregt der Rauhreif jedesmal bei uns das größte Aufsehen. Wenn er kommt, fliegt die Kunde durch das ganze Haus von Zimmer zu Zimmer, und selbst der trägste Schläfer springt aus dem Bette, um ans Fenster zu eilen. Meist tritt er mitten im Winter ein und treibt sein Zauberwesen bei nächtlicher Stille und Dunkelheit. Ein feiner Sprühregen fällt viele Stunden lang auf die kahlen Zweige und Aeste der Bäume und gefriert daran fest. Bald ist der Stamm und das ganze Geäst, ja selbst das kleinste Zweiglein mit einer Kruste von klarem Eis überzogen, der Baum sieht aus wie ein Skelett aus kristallhellem Glas. Ueberall hängen Fransen von kleinen Eiszapfen herab, manchmal auch nur runde Perlen, gleich gefrorenen Tränen.

In der Morgendämmerung hellt sich das Wetter auf, die Luft ist frisch und rein, der Himmel wolkenlos, es herrscht tiefe Stille, kein Windhauch erhebt sich. Schnell ist die Nachricht verbreitet; Große und Kleine kommen in Decken und Tücher gehüllt an das Fenster gestürzt, wo sie dicht aneinander gedrängt [240] regungslos verharren und schweigend die feenhafte Erscheinung in den Anlagen betrachten. Alle wissen, was jetzt kommen wird und warten auf das Wunder. Man vernimmt keinen Laut, außer dem Ticken der Wanduhr, und eine Minute nach der andern verrinnt. Da schießt plötzlich die Sonne feurige Strahlen auf jeden der Geisterbäume und verwandelt ihn in lauter glitzernde funkelnde Diamanten. Die Zuschauer halten den Atem an, die Augen werden ihnen feucht, doch ihre Spannung läßt nicht nach – es kommt noch mehr. Die Sonne steigt höher, sie überflutet den Baum vom höchsten Gipfel bis zum niedrigsten Ast mit einem weißen Strahlengewand, und dann geschieht urplötzlich ohne jede Vorbereitung das Wunder aller Wunder, das seinesgleichen nicht auf Erden hat: ein Windstoß bewegt auf einmal die Aeste und der ganze weiße Baum zerstäubt und sprüht nach rechts und links und überallhin funkelnde Edelsteine von allen nur denkbaren Farben. Wie er sich rüttelt und schüttelt wirbeln blitzende Rubinen, Smaragde, Diamanten und Saphire durch die Luft. Es ist das glänzendste, köstlichste, blendendste, feenhafteste Schauspiel, das man auf Erden haben kann – eine Erscheinung von so göttlicher, berauschender Schönheit und so unaussprechlichem, überirdischem [241] Glanz, wie man sie außerhalb der Himmelstore schwerlich wieder zu sehen bekommt.

Warum hat denn kein Maler je versucht, den Rauhreif auf die Leinwand zu zaubern? – Farben und Pinsel müssen wohl außer stande sein, die Herrlichkeit dieser sonnendurchglühten Juwelen naturgetreu wiederzugeben. Eine größere Strahlenpracht findet man nirgends im Reiche der Schöpfung; unter den Menschenwerken aber läßt sich, nach meinem Gefühl, nur der Tadsch Mahal mit der Schönheit des Rauhreifs vergleichen.


Achtzehntes Kapitel.

Nimm dir vor, an jedem Tage etwas zu tun, wozu du keine Lust hast. Dann wird dir die Erfüllung deiner Pflichten bald keine Last mehr sein.

Querkopf Wilsons Kalender.

Wir wanderten nun zufriedenen Sinnes weiter durch das indische Land. In Lahore lieh mir der Vizestatthalter einen Elefanten. Eine so großartige Aufmerksamkeit hatte mir noch niemand erwiesen, und da es ein schönes, wohlerzogenes, leutseliges [242] Tier war, fürchtete ich mich auch nicht vor ihm. Ich ritt sogar ganz zuversichtlich durch die engen Gassen im Stadtteil der Eingeborenen, wo alle Pferde beim Anblick meines Elefanten vor Schrecken scheu wurden, und die Kinder ihm fortwährend vor die Füße kamen. Er schritt mit mir majestätisch mitten auf der Straße einher und zwang alle Welt ihm auszuweichen oder sich die Folgen selbst zuzuschreiben. Ich glaube, mit der Zeit würde ich einen Ritt auf dem Elefanten jeder Beförderungsart vorziehen. Wer auf seinem Rücken thront, dem braucht vor keinem Zusammenstoß zu bangen, wie gewöhnlich beim Reiten oder Fahren. Auf dem hohen Platz genießt man das Bewußtsein großer Würde und eine wunderschöne Aussicht ins Weite; man kann aber auch allen Leuten in die Fenster sehen und wissen, was sie in ihren Familien treiben.

Wir fuhren bis nach Rawal Pindi an der afghanischen Grenze und dann wieder zurück nach Dehli, um die alten wundervollen Bauwerke in Augenschein zu nehmen, ohne sie zu beschreiben. Wir suchten auch den Schauplatz des tollkühnen Angriffs auf, durch den die Briten beim indischen Aufstand Dehli mit Sturm nahmen und sich unsterblichen Ruhm erwarben. In dem Hause, wo damals das [243] Hauptquartier des englischen Generals war, fanden wir gastliche Aufnahme und konnten uns von allen Reiseanstrengungen ausruhen. Die Besitzung gehörte jetzt einem Engländer, der so gänzlich zum Orientalen geworden war, daß er sogar einen Harem hatte. Ein weitherziger Mann, wie es wenige gibt: für seinen Harem hat er eine Moschee gebaut und für sich eine englische Kirche. Sein historisch interessantes Wohnhaus steht in einem großen Garten und ist von stattlichen Bäumen umgeben, in denen Affen hausen. Die Affen sind unverschämt und unternehmungslustig, sie kennen keine Furcht, überfallen das Haus bei jeder Gelegenheit und schleppen alles fort, was ihnen in die Hände fällt – lauter Dinge, die sie nicht brauchen können. Eines Morgens, als der Hausherr sein Bad nahm, war das Fenster offen geblieben, und auf dem Sims stand ein Topf mit gelber Farbe, in welchem der Pinsel steckte. Ein paar Affen zeigten sich am Fenster, und um sie zu verscheuchen warf der Herr seinen Schwamm nach ihnen. Statt zu erschrecken kamen sie ins Zimmer gesprungen, bespritzten ihn über und über mit dem Farbenpinsel und jagten ihn hinaus. Darauf strichen sie die Wände, den Fußboden, den Wasserbehälter, die Fenster und Möbel gelb an; sie wollten eben auch [244] noch das Ankleidezimmer auf gleiche Weise malen, als die Diener herbeikamen und sie vertrieben.

Zwei dieser ungezogenen Gesellen stahlen sich morgens früh in mein Zimmer durch ein Fenster, dessen Läden ich nicht geschlossen hatte. Als ich aufwachte, sah ich den einen vor dem Spiegel stehen und sein Haar bürsten, während der andere sich meines Taschenbuchs bemächtigt hatte, die humoristischen Notizen las – und weinte. Der Affe mit der Haarbürste kümmerte mich nicht, aber das Benehmen des andern kränkte mich tief; es kränkt mich heute noch. Ich warf meinen Schuh nach ihm – das hätte ich nicht tun sollen, denn unser Wirt hatte mir gesagt, man dürfe sich nie mit den Affen einlassen. Aus Rache bombardierten sie mich nun mit allen Sachen, die sie aufheben konnten, dann wollten sie noch mehr aus dem Badezimmer holen, aber ich warf rasch die Tür hinter ihnen ins Schloß.


Zu Jeypore in Rajputana machten wir einen längeren Aufenthalt. Wir wohnten dort in der kleinen Vorstadt der europäischen Beamten, welche einige Meilen von der Hindustadt entfernt liegt. Es waren überhaupt nur vierzehn Europäer da und wir fühlten uns ganz wie zu Hause.

[245]

Der indische Diener ist in mancher Beziehung ein wahrer Schatz, nur muß man ihn beaufsichtigen, und das tun die Engländer. Wenn sie ihn ausschicken um eine Besorgung zu machen, genügt ihnen nicht, daß der Mann sagt, er hätte den Auftrag erfüllt. Schickte man uns Obst oder Gemüse, so kam immer eine Quittung mit, die wir unterzeichnen mußten, sonst hätten die Eßwaren vielleicht nicht den Ort ihrer Bestimmung erreicht. Stellte uns ein Herr seinen Wagen zur Verfügung, so stand auf dem Papier von dann und dann, bis dann und dann – so daß der Kutscher und seine zwei oder drei Untergebenen uns nicht mit einem Teil der festgesetzten Zeit abspeisen konnten, um sich selbst mit dem Rest eine lustige Stunde zu machen.

Wir wohnten sehr angenehm in unserm zweistöckigen Gasthaus mit dem großen Hof, den eine mannshohe Lehmmauer umgab. Die Gasthofsbesitzer, neun Hindubrüder, waren mit ihren Familien in einem einstöckigen Gebäude einquartiert, das auf einer Seite des Hofes lag; die Veranda sah man stets von Scharen hübscher brauner Kinder besetzt, zwischen denen mehrere Väter eingekeilt saßen und ihre Huka rauchten. Neben der Veranda stand ein Palmbaum, auf dem ein Affe sein einsames [246] Leben führte; er sah immer traurig und schwermütig aus und die Krähen plagten ihn sehr.

Daß die Kuh frei umherlief gab dem Hof ein ländliches Ansehen; auch ein Hund war da, der stets in der Sonne lag und schlief, so daß er den allgemeinen Eindruck von Ruhe und Stille verstärken half, wenn die Krähen einmal durch Abwesenheit glänzten. Diener in weißen, faltigen Gewändern gingen zwar fortwährend ab und zu, aber sie glitten nur wie Gespenster lautlos auf ihren nackten Füßen vorüber. Ein Stück die Gasse hinunter hauste ein Elefant unter einem hohen Baum. Er wiegte sich hin und her und streckte den Rüssel aus; bald bettelte er um Speise bei seiner braunen Herrin, bald schäkerte er mit den Kindern, die zu seinen Füßen spielten. Auch Kamele waren in der Nähe, aber sie gehen auf sammetweichen Sohlen und paßten ganz zu der friedlichen Heiterkeit der Umgebung.

Nur eines machte mich unglücklich: Wir hatten unsern Satan verloren; er war zu meinem tiefsten Kummer kürzlich von uns geschieden und meine Trauer um ihn war groß. Noch jetzt, nach vielen Monaten, vermisse ich ihn schmerzlich. Nie werde ich vergessen, wie er alles im Umsehen fertig brachte, er flog nur so von einem Geschäft zum andern. [247] Zwar machte er es nicht immer recht, aber gemacht wurde es jedenfalls und zwar urplötzlich, ohne Zeitverlust. Man sagte ihm zum Beispiel: »Packe die Koffer und Handtaschen, Satan!«

»Ja, Herr!«

Dann entstand rasch ein Klopfen und Hämmern, ein Sausen und Brausen – Kleider, Jacken, Röcke und Stiefel wirbelten eine Zeitlang durch die Luft, und schon im nächsten Augenblick berührte Satan seine Stirn und verbeugte sich:

»Alles fertig, Herr!«

Es war unglaublich; mir wurde ordentlich schwindlig davon. Zwar zerknitterte er die Kleider sehr und hatte anfänglich keinen andern Plan bei der Arbeit, als jedes Ding in den falschen Koffer zu tun. Aber darin besserte er sich bald, obgleich er es sich nie ganz abgewöhnte. Noch bis zuletzt pflegte er in die der Literatur geheiligte Reisetasche allen Kram hineinzupfropfen, für den sich sonst kein bequemer Platz fand. Verbot man ihm das bei Todesstrafe, so geriet er nicht im geringsten aus der Fassung; er machte ein freundliches Gesicht, sagte: »Ja, Herr!« und tat es schon am nächsten Tage wieder.

Satan war immer geschäftig; rechtzeitig waren die Zimmer aufgeräumt, die Stiefel glänzend gewichst, [248] die Kleider gebürstet, die Waschschalen mit reinem Wasser gefüllt. Schon eine Stunde, ehe ich meinen Gesellschaftsanzug zur Vorlesung brauchte, lag alles für mich bereit und Satan kleidete mich von Kopf bis zu Fuß an, trotz meines festen Vorsatzes dies selbst zu tun, wie ich es mein Lebenlang gewohnt gewesen war.

Er schien zum Herrschen geboren und tat nichts lieber als mit Untergebenen zu streiten, sie herunterzumachen und zu überschreien. Am meisten in seinem Element war er auf der Eisenbahn. Durch die dichteste Masse der Eingeborenen stieß und drängte er sich, bis der Weg für ihn und die neunzehn Kulis in seinem Gefolge frei war; jeder von ihnen trug irgend ein kleines Gepäckstück, einen Handkoffer, Sonnenschirm, Schal, Fächer oder dergleichen, keiner mehr als einen Gegenstand, und je länger der Zug, um so zufriedener war mein Satan. Meist steuerte er auf irgend einen bestellten Schlafwagen los, verschwor sich hoch und teuer, daß er uns gehöre und fing an des Besitzers Sachen hinauszubefördern. War unser eigener Wagen gefunden, so hatte er in zwei Minuten die Bündel aufgeschnallt, die Betten gemacht und alles zurecht gelegt; dann steckte er den Kopf zum Fenster hinaus und verschaffte sich den [249] köstlichen Genuß, auf seine Bande Kulis zu schimpfen und mit ihnen nach Herzenslust über die Bezahlung zu streiten, bis wir ankamen, dem Lärm ein Ende machten und ihm befahlen, die Leute zu befriedigen.

Ich glaube, der kleine schwarze Teufel war der größte Krakeeler in ganz Indien, und das will viel sagen. Mir persönlich war sein Lärmen sehr angenehm, aber die Meinigen gerieten oft ganz außer sich darüber. Sie konnten sich nicht daran gewöhnen und fanden es unleidlich; es verstieß gegen alle ihre Begriffe von Wohlanständigkeit. Wenn wir noch sechshundert Meter weit von einem der großen Bahnhöfe waren, hörten wir oft einen wahren Heidenlärm, ein gellendes Geschrei und Gekreisch, ein Poltern und Wüten. Ich ergötzte mich dann sehr über den Höllenspektakel, aber meine Familie sagte voll tiefer Beschämung:

»Da kannst du’s wieder hören – das ist Satan! Weshalb gibst du ihm nicht seinen Laufpaß?«

Und richtig – mitten in dem riesigen Menschengewühl stand der kleine schwarze Knirps und zappelte an allen Gliedern, wie eine Spinne, die Bauchgrimmen hat. Seine schwarzen Augen blitzten, die Troddel auf seinem Fez tanzte in der Luft und sein Mund strömte ganze Fluten von Schelt- und [250] Schimpfwörtern über die erstaunten Kulis aus, die um ihren Lohn bettelten.

Ich war ganz verliebt in ihn, das leugne ich nicht; aber meine Angehörigen konnten kaum mehr von ihm sprechen ohne sich aufzuregen. Noch heutigen Tages bin ich untröstlich über seinen Verlust und wünsche ihn mir zurück, während bei ihnen das gerade Gegenteil stattfindet. Er war aus Surat gebürtig; zwischen seiner Vaterstadt und Manuels Geburtsort lagen zwanzig Breitegrade, aber der Abstand zwischen ihren Charakteren, ihrer beiderseitigen Gemütsart und Handlungsweise war noch unendlich viel größer. Manuel hatte ich gern; aber meinen Satan liebte ich. Sein wirklicher Name war so recht indisch, daß ich ihn nie recht begriffen habe, er klang wie Bunder Rao Ram Chunder Clam Chowder; für den Alltagsgebrauch war eine Abkürzung entschieden bequemer.

Als er etwa zwei oder drei Wochen bei uns war, fing er an allerlei Mißgriffe zu begehen, die ich nur mit Mühe wieder gutmachen konnte. In der Nähe von Benares stieg er zum Beispiel auf einer Station aus, um zu sehen, ob er nicht mit irgend jemand Streit anfangen könnte. Nach der langen, ermüdenden Fahrt bedurfte er einer Erholung. Er [251] fand auch was er suchte, setzte jedoch sein Spektakeln etwas zu lange fort, und der Zug fuhr ohne ihn ab. Da waren wir nun in der fremden Stadt und hatten kein Zimmermädchen – eine große Unbequemlichkeit! Wir sagten ihm, das dürfe nicht wieder vorkommen, worauf er sich verbeugte und »Ja, Herr!« sagte, so lieb und freundlich wie immer.

In Lucknow beging er den großen Irrtum sich zu betrinken. Ich sagte, der arme Mensch hätte das Fieber bekommen, und die Meinigen gaben ihm aus Mitgefühl und Besorgnis ein Chininpulver ein, das ihm wie Feuer in den Eingeweiden brannte. Die Gesichter, welche er dabei schnitt, brachten mir einen bessern Begriff vom Erdbeben in Lissabon bei, als alle Gemälde und Beschreibungen dieses Naturereignisses. Auch am nächsten Morgen war sein Rausch noch nicht verflogen, doch hätte ich der Familie seinen Zustand gewiß verbergen können, wäre er nur zu bewegen gewesen, noch ein Chininpulver einzunehmen. Aber obgleich er nicht recht bei Sinnen war, kam ihm doch dann und wann wieder ein lichter Augenblick. Er machte einen ungeschickten Versuch sich zu verbeugen und lallte mit unbeschreiblich dummem Lächeln: »Bitte nicht, Mem Saheb, bitte nicht, Missy Saheb, kein Pulver für Satan, bitte.«

[252]

Eine innere Stimme verriet ihnen, daß er betrunken sei, und nun wurde ihm aufs bestimmteste angekündigt, man werde ihn augenblicklich entlassen, falls so etwas wieder vorkäme. »Bitte, bitte«, murmelte er in rührselig weinerlichem Ton unter vielen Verbeugungen.

Es verging kaum eine Woche, da hatte sich der Unglücksmensch schon wieder betrunken und diesmal, o Jammer, nicht im Hotel, sondern im Privathause eines englischen Herrn und obendrein in Agra! Also mußte er fort. Als ich es ihm ankündigte, sagte er demutsvoll: »Ja, Herr!« machte seine Abschiedsverbeugung und verließ uns auf Nimmerwiederkehr. Gott weiß, ich hätte lieber hundert Engel hergegeben als diesen einen reizenden Teufel. Wie vornehm sah er aus, wenn er in einem feinen Hotel oder Privathaus Staat machen wollte! Er war dann vom Kopf bis zu den nackten Füßen ganz in schneeweißen Musselin gekleidet, hatte einen feuerroten, mit Goldfaden gestickten Gürtel um die Hüften, und auf dem Haupt einen seegrünen Turban, wie ihn nur der Großtürke trägt.

Ein Lügner war er nicht; doch wird er wohl mit der Zeit einer werden. Einmal sagte er mir: als Knabe hätte er die Kokosnüsse immer mit den [253] Zähnen aufgebissen. Als ich ihn fragte, wie er sie habe in den Mund stecken können, antwortete er, damals sei er sechs Fuß hoch gewesen und habe einen ungewöhnlich großen Mund gehabt. Um ihn in die Enge zu treiben, erkundigte ich mich, wie ihm denn der sechste Fuß abhanden gekommen wäre, worauf er erwiderte, ein Haus sei auf ihn gefallen und er habe seitdem seine frühere Statur nie wieder erlangen können. – Wenn ein sonst wahrheitsliebender Mensch sich einmal derartige Abschweifungen von dem wirklichen Sachverhalt gestattet, gerät er leicht immer tiefer in die Unwahrheit hinein, bis er schließlich zum Lügner wird.

Satans Nachfolger war ein Moslemin – Sahadat Mohammed Khan, ein sehr dunkler, sehr großer und sehr ernster Mann. Er trug lange faltige weiße Gewänder, schlich geräuschlos umher, sah aus wie ein Gespenst und sprach mit leiser Stimme. Wir waren mit ihm zufrieden, denn er tat seine Pflicht, aber wo er schaltete und waltete schien die ganze Woche über Sonntag zu sein. Das war zu Satans Zeit anders gewesen.


Jeypore ist eine ganz indische Stadt, zeichnet sich aber durch mancherlei Einrichtungen aus, die [254] es der europäischen Wissenschaft und dem europäischen Interesse für das Gemeinwohl verdankt. Ich erwähne nur eine reichliche Wasserversorgung durch Leitungen, welche auf Staatskosten angelegt sind; allerlei hygienische Vorkehrungen, die Jeypore zu einem für indische Verhältnisse ungewöhnlich gesunden Orte machen; einen herrlichen Lustgarten, wo der Eintritt an bestimmten Tagen nur den Frauen gestattet ist; Schulen, in denen die eingeborene Jugend in allen schönen und nützlichen Künsten unterwiesen wird, sowie einen neuen, prächtigen Palast, der ein höchst wertvolles und interessantes Museum enthält. Wenn der Maharaja kein Verständnis für solche wohltätige Einrichtungen hätte und sie nicht mit Geldmitteln unterstützte, würden sie nicht bestehen können; aber er gilt für einen aufgeklärten und großmütigen Mann, der jedem Fortschritt zugänglich ist.

Die Bauart von Jeypore ist höchst eigentümlich; es liegt innerhalb einer hohen mit Türmen besetzten Mauer und wird durch vollkommen gerade, über hundert Fuß breite Straßen in sechs Teile geteilt. Die lange Front der Häuser zeigt viele sehr anziehende architektonische Eigenheiten; kleine malerische Altane mit Säulen und mancherlei Zieraten unterbrechen überall die Einförmigkeit der geraden [255] Linie; lauschige Nischen, Simse und vorspringende Erker fallen bald hier bald da ins Auge; auch sieht man an manchen Häusern merkwürdige Malereien, und das Ganze hat eine Färbung von schönem, zartem Rosa, wie Erdbeereis. Wer die breite Hauptstraße hinunterblickt, kann sich kaum vorstellen, daß sie aus wirklichen Gebäuden besteht. Man hat den Eindruck, als sähe man ein Gemälde oder Theaterkulissen.

Diese Illusion war besonders stark an einem großen Tage, den wir in Jeypore erlebten: Ein reicher Hindu hatte auf seine Kosten eine Menge Götzenbilder anfertigen lassen, die um zehn Uhr morgens in feierlichem Zuge durch die Stadt gefahren wurden. Die langen Reihen der Dächer, die zahllosen Balkone, die phantastischen Vogelkäfige und behaglichen kleinen Nestchen an der Vorderseite der Häuser, waren dicht mit Eingeborenen besetzt. Jede dieser Gruppen bildete eine feste Masse, die in den glänzendsten Farben strahlend, sich prächtig gegen den blauen Himmel abhob und von der Sonne Indiens in ein feuriges Flammenmeer verwandelt wurde. Auch die breite Straße selbst war, so weit das Auge reichte, mit bunt geschmückten Menschen angefüllt, die alle durcheinander wimmelten, sich hierher [256] und dorthin wälzten, sich bald vom Strom vorwärts treiben, bald im Kreise drehen ließen. Und dabei diese wundervollen Farben! Von den zartesten, blassesten, weichsten Schattierungen, bis zu den stärksten, lebhaftesten, grellsten und glänzendsten Tönen, als käme ein Riesenschwarm bunter Wickenblüten auf den Flügeln der Windsbraut einhergestürmt. Plötzlich teilte sich dieses Farbenmeer, um den majestätischen Zug der Elefanten durchzulassen, die mit ihrem prächtigsten Schmuck angetan, schwankenden Schrittes daherkamen, gefolgt von langen Reihen phantastischer Wagen und Karren, welche die verschiedenen Gruppen der ebenso seltsamen wie kostbaren Götzenbilder trugen. Den Schluß bildete der zahlreiche Nachtrab stattlicher Kamele mit ihren malerisch gekleideten Reitern.

Alles war so neu und fremdartig, so unbeschreiblich eindrucksvoll und farbenprächtig, daß wir uns von dem fesselnden Anblick kaum loszureißen vermochten. Es war der sinnenberückendste Aufzug, den ich je gesehen habe, und etwas Aehnliches zu erblicken, wird mir schwerlich noch einmal im Leben zu teil werden.


[257]

Neunzehntes Kapitel.

Katzen haben ein zähes Leben,
Lügen ein noch viel zäheres.

Querkopf Wilsons Kalender.

Ende März segelten wir von Kalkutta ab, hielten uns einen Tag in Madras, drei Tage in Ceylon auf und fuhren dann westwärts, nach der Insel Mauritius.


Aus dem Tagebuch, 7. April. – Wir sind jetzt weit draußen auf der glatten Wasserwüste des Indischen Ozeans. Unter dem großen Leinwandzelt sitzt sich’s behaglich und friedlich im Schatten; wir führen ein Leben, das ganz ideal genannt werden kann.

Unser Kapitän hat die Eigentümlichkeit, daß die Wahrheit in seinem Munde immer unglaubwürdig klingt, während ein ernster Schotte an unserer Tafel jede Lüge, die er vorbringt, wahrscheinlich zu machen weiß. Tut der Kapitän eine Aeußerung, so sehen sich die Zuhörer fragend an, jeder denkt: »Ist das auch wahr?« Stellt der Schotte eine Behauptung auf, so liest man in allen Blicken: »Wie interessant, wie merkwürdig!« Diese Tatsache läßt sich nur aus der verschiedenen Art und Weise beider [258] Männer erklären. Der Kapitän trägt aus Schüchternheit und Mangel an Selbstvertrauen, bei den einfachsten Angaben, die er macht, eine ängstliche Miene zur Schau. Der Schotte sagt die offenkundigsten Lügen mit einem Schein strengster Wahrhaftigkeit, so daß man, selbst gegen besseres Wissen, gezwungen ist ihm zu glauben.

Einmal erzählte uns der Schotte, er habe sich im Springbrunnen seines Gewächshauses einen zahmen fliegenden Fisch gehalten, der selbst für seinen Unterhalt sorgte, und sich in den umliegenden Feldern, Vögel, Frösche und Ratten zur Nahrung fing. Man sah deutlich, daß keiner der Tischgäste an dieser Geschichte zweifelte.

Als dann später von Zollbelästigungen die Rede war, und der Kapitän berichtete, wie es ihm einmal in Neapel ergangen sei, tat er es mit so unsicherem Wesen, daß niemand seinen Worten Glauben schenkte.

Er sagte: »Der Beamte fragte mich mehrmals, ob ich etwas Verzollbares bei mir hätte und sah mich sehr zweifelnd an, als ich es verneinte. Nun forderte mich ein Passagier auf, zum Abschied ein Glas Wein mit ihm zu trinken, was ich jedoch mit dem Bemerken ausschlug, ich hätte soeben an Bord einen Schluck Cognac genommen. Das hörte der Beamte [259] und ließ sich einen Sixpence Zollgebühren für den Cognac bezahlen, ferner fünf Pfund Sterling als Strafe für undeklarierte Ware, fünf Pfund wegen falscher Angabe, daß ich nichts Verzollbares hätte, fünf Pfund, weil die Ware verborgen worden sei und fünf Pfund wegen unerlaubten Schmuggels. Alles in allem fünfundsechzig Pfund und Sixpence für solche Kleinigkeit.«

Ich bin überzeugt, der Schotte sagt lauter Lügen und man glaubt ihm alles, während der Kapitän, so viel ich weiß, immer die Wahrheit spricht und doch für einen Lügner gehalten wird. Das ist fast so merkwürdig wie die Erfahrung, welche ich selbst als Schriftsteller in dieser Beziehung gemacht habe: ich konnte nie eine Lüge sagen, welche Zweifel erregte, noch eine Wahrheit, der jemand Glauben schenkte.


10. April. – Die See ist blau wie das Mittelmeer, und das ist wohl eine der himmlischsten Farben, welche die Natur besitzt. –

Wie wunderbar ist doch die verschwenderische Großmut, mit welcher die Natur ihre Geschöpfe bedacht hat! Das heißt, alle, mit Ausnahme des Menschen. Für die, welche fliegen, hat sie ein Haus gebaut, das vierzig Meilen hoch ist, den ganzen [260] Erdball umgibt und ihnen kein Hindernis bietet. Denen, welche schwimmen, weist sie ein Gebiet an, wie es kein Kaiser besitzt, ein Gebiet, das vier Fünftel der Erde bedeckt und meilenweit in die Tiefe geht. Den Menschen dagegen speist die Natur mit allerlei Brocken und Ueberbleibseln der Schöpfung ab. Sie hat ihm nur die obere Schicht gegeben, die magere Haut, mit welcher ein Fünftel der Erde so dünn überzogen ist, daß überall die nackten Knochen hervorragen. Obendrein liefert die Hälfte seines Gebietes nichts als Schnee, Eis, Sand und Felsgestein. So verbleibt ihm denn nur noch ein Zehntel des ganzen Familienerbes als wirklich wertvoller Besitz. Er kann im Schweiße seines Angesichts kaum genug erwerben, um sein Leben zu fristen, denn er muß außerdem noch für den Unterhalt der Könige und Soldaten sorgen, und Pulver herbeischaffen, damit die Segnungen der Zivilisation weiter ausgebreitet werden. Und doch glaubt der Mensch, weil er nicht zu rechnen versteht, in seiner Einfalt und Selbstgefälligkeit, daß die Mutter Natur ihn als das wichtigste Glied der Familie betrachtet, daß er ihr Lieblingskind ist. Es müßte doch wahrlich selbst seinem blöden Verstande zuweilen auffallen, welche sonderbare Art sie hat, ihre Vorliebe zu beweisen.

[261]


Nachmittags. – Der Kapitän hat uns soeben erzählt, es sei auf einer seiner Fahrten im Nördlichen Eismeer so kalt gewesen, daß der Schatten des Schiffsmaats auf dem Deck festfror, und man nur mit Gewalt zwei Drittel davon wieder loseisen konnte. Alle schwiegen bei dieser Mitteilung, niemand äußerte ein Wort, und der Kapitän ging ganz betreten davon. – Er wird noch alle Lust verlieren, überhaupt etwas zu sagen.

Es gibt doch nichts Ruhevolleres als einen Tag auf dem Tropenmeer: die blaue See ist glatt und ohne Bewegung, nur die schnelle Fahrt des Schiffes erzeugt einen frischen Lufthauch, und bis zum fernsten Horizont kann man nicht das kleinste Segel erspähen. Es kommen keine Briefe an, die gelesen und beantwortet werden müssen, man wird nicht durch Zeitungsnachrichten aufgeregt, durch Telegramme beunruhigt und erschreckt; die Welt liegt weit abseits, sie ist für uns nicht vorhanden – anfangs verblaßte sie wie ein Traum, jetzt ist sie ins Wesenlose versunken. All ihr Arbeiten und Streben, ihr Glück und Unglück, ihre Wonne und Verzweiflung, ihre Freuden und Kümmernisse, ihre Sorgen und Qualen, haben nichts mehr mit unserem Leben zu schaffen, sie sind vorübergezogen wie [262] ein Sturm, auf den tiefe Windstille gefolgt ist.

Die in schneeweißes Linnen gekleideten Passagiere versammeln sich in Gruppen auf dem Deck; sie lesen, rauchen, spielen Karten, plaudern, halten ein Mittagsschläfchen, kurz tun was sie wollen. Auf andern Schiffen stellt man fortwährend Berechnungen an, wie lange die Fahrt noch dauern wird, auf diesen Meeren geschieht das höchst selten. Kein Mensch kümmert sich um das Anschlagebrett, wo die tägliche Fahrgeschwindigkeit verzeichnet wird, auch wettet man natürlich nicht auf den Lauf des Schiffes, wie das bei Reisen über den Atlantischen Ozean zu geschehen pflegt.

Mir selbst ist es vollständig gleichgültig, wann wir in den Hafen kommen; auch habe ich noch keinen der andern Passagiere darnach fragen hören. Wenn es nach mir ginge, würden wir überhaupt nie mehr landen; denn dies Leben auf dem Wasser hat für mich einen unaussprechlichen Reiz. Da gibt es weder Ermüdung, noch Abspannung, noch Mißstimmung, man hat keine Sorge, keine Arbeit, keine Verantwortlichkeit. Wo wäre wohl auf dem Lande solches Behagen, solche Heiterkeit, solcher Friede und ein so volles Genügen zu finden? Hätte ich die Wahl, ich segelte endlos weiter auf diesem wundervollen [263] Meer und schlüge meinen Wohnsitz nie wieder am festen Lande auf.


Mittwoch 15. April. – Mauritius. – Um zwei Uhr nachmittags gingen wir bei Port Louis vor Anker. Die Klippen und Spitzen der zerklüfteten Felsengruppen sind bis zum höchsten Gipfel hinauf bewaldet; auf der grünen Ebene liegen die Wohnhäuser zwischen tropischen Gebüschen verstreut. Hier ist der Schauplatz der Geschichte von Paul und Virginie.


Donnerstag 16. April. – In Port Louis ans Land gegangen. Wir fanden in der kleinen Stadt die mannigfaltigsten Nationalitäten und Hautschattierungen, die uns bisher vorgekommen waren: Franzosen, Engländer, Chinesen, Araber, Afrikaner mit Wollköpfen oder glattem Haar, Ostindier, Mischlinge, Quadronen in den verschiedensten Trachten und Farben. – Die Geschichte von Mauritius verzeichnet offenbar nur eine wichtige Begebenheit, und diese hat sich obendrein niemals zugetragen. Ich meine den romantischen Aufenthalt von Paul und Virginie, welcher jedermann mit dem Namen der Insel vertraut machte, während ihre geographische Lage aller Welt verborgen blieb.

[264]


18. April. – Dies ist das einzige Land auf Erden, wo man den Fremden nicht fragt: »Wie gefällt Ihnen unsere Gegend?« Alles Reden über die Insel geht von den Bewohnern selbst aus, der Reisende braucht nur zuzuhören und erhält allerlei Belehrung. Von einem Bürger erfährt er, daß Mauritius zuerst erschaffen wurde und dann der Himmel nach dem Vorbild von Mauritius. Ein anderer erklärt das für Uebertreibung und behauptet, man lebe in Mauritius durchaus nicht wie im Himmel; wer zum Beispiel nicht gezwungen wäre in Port Louis zu wohnen, würde sich den Aufenthaltsort gewiß nicht wählen.

Ein Engländer sagte mir:

»Die Insel ist bekannt wegen der ungewöhnlich langen Quarantäne, welche die Schiffe für nichts und wieder nichts halten müssen; dieselbe dauert oft drei bis vier Wochen. Einmal wurde sogar die Quarantäne über ein Schiff verhängt, weil der Kapitän als Knabe die Blattern gehabt habe. Außerdem war er auch Engländer. Der französische Einfluß ist von früherher noch immer am vorherrschendsten auf der Insel; die Zahl der Engländer ist gering und der Gouvernementsrat besteht fast nur aus Franzosen.

[265]

»Die Bevölkerung beträgt etwa 375 000. Die meisten sind Ostindier; außer ihnen gibt es Mischlinge und Neger, welche Abkömmlinge der Sklaven aus der Zeit der französischen Herrschaft sind; ferner Franzosen und Engländer. Die Mischlinge stammen aus Verbindungen von Weißen und Schwarzen, Mulatten, Quadronen oder Quarteronen; es sind daher alle nur denkbaren Schattierungen vertreten: ebenholzschwarz, mahagoni, kastanienbraun, fuchsrot, syrupfarben, dunkelbernsteingelb, hellgelb, crêmefarben, elfenbeinweiß und aschgrau. Letzteres ist die Farbe, welche der Angelsachse bei längerem Aufenthalt im Tropenklima annimmt.

»Die meisten Bewohner von Mauritius kennen nichts als ihre Insel und haben weder viel gelernt noch gelesen – außer der Bibel oft nur Paul und Virginie. Von diesem Roman werden jährlich viele Exemplare verkauft, und es gibt Leute, welche glauben, er wäre ein Teil der Bibel. Es ist das berühmteste Buch, das je über Mauritius geschrieben worden ist – aber auch das einzige. Die drei Hauptländer der Erde sind nach Ansicht der Bürger: Judäa, Frankreich und Mauritius, und daß sie in einem der drei geboren sind, erfüllt sie mit Stolz. Rußland und Deutschland gehören, ihres Wissens, zu [266] England und von letzterem haben sie keine große Meinung. Wer über die Vereinigten Staaten und den Aequator etwas hat verlauten hören, glaubt, das seien zwei Königreiche.

»Der Buchhandel auf der Insel ist unbedeutend; für Bildung und Unterhaltung des Volks müssen die Zeitungen sorgen, welche aus zwei ureinfach gedruckten Seiten bestehen, die eine mit französischem, die andere mit englischem Text. Die englische Seite ist eine Uebersetzung der französischen; einen Korrekturleser gibt es nicht – der Mann ist gestorben.

»Und was steht darin? Wo nimmt man auf der kleinen, entlegenen Insel mitten im indischen Ozean täglich den Stoff her, um eine ganze Druckseite zu füllen? – Den muß Madagaskar liefern, Madagaskar und Frankreich. Ratschläge, die man der Regierung erteilt und abfällige Bemerkungen über die englische Verwaltung bilden den übrigen Inhalt der Tagesblätter, deren Besitzer und Herausgeber französische Kreolen sind.

»Das Französische ist Landessprache. Jeder muß es sprechen, er mag wollen oder nicht. Besonders ohne das Mischlings-Französisch, das die Leute mit den vielen verschiedenfarbigen Gesichtern reden, [267] kann man sich hier gar nicht verständlich machen.

»Mauritius war früher sehr wohlhabend, denn man macht hier den besten Zucker in der ganzen Welt. Aber zuerst verdarb der Suez-Kanal die Handelsverbindungen der Insel, und dann verschloß ihr der Rübenzucker mit Hilfe der Zuckerprämien den europäischen Markt. Viele der größten Zuckerpflanzer befinden sich in Geldverlegenheit und würden ihre Besitzungen gern für die Hälfte der Summen hergeben, die sie hineingesteckt haben. Wenn ein Land erst anfängt die Teekultur zu betreiben, so ist das ein sicheres Zeichen für den Rückgang seines Hauptprodukts, dafür liefern Bengalen und Ceylon den Beweis. Auch in Mauritius macht man jetzt Versuche mit der Teekultur.«


20. April. – Der jährliche Cyklone richtet oft große Verwüstungen in den Zuckerfeldern an. Im Jahre 1892 wurden Hunderte von Menschen durch den Cyklone getötet oder zu Krüppeln gemacht, und der sündflutartige Regen, der dabei Port Louis überschwemmte, erzeugte großen Wassermangel. Das ist buchstäblich wahr, denn er zerstörte das Wasserwerk und die Leitungsröhren, und als sich die Flut verlaufen hatte, herrschte eine Zeitlang arge Not, weil man kein Wasser bekommen konnte. – Die Wut [268] jenes Wirbelsturms war fürchterlich; er machte ganze Straßen von Port Louis zu Trümmerhaufen, entwurzelte Bäume, deckte Dächer ab, schmetterte einen Obelisken zu Boden, riß Schiffe vom Anker los und schleuderte ein amerikanisches Fahrzeug bis in den Wald hinauf. Ueber eine Stunde lang krachte der Donner ohne Unterlaß, die Blitze zuckten und der Wind heulte – es war ein Höllenlärm ohne gleichen. Dann trat plötzlich Ruhe ein, heller Sonnenschein und völlige Windstille; die Menschen wagten sich hinaus, um den Verwundeten beizustehen und nach ihren Freunden und Angehörigen zu suchen. Da brach der rasende Sturm unvermutet aus einer andern Himmelsgegend von neuem los und richtete vollends alles zu Grunde.

Die Wege auf der Insel sind fest und eben, die Bungalows bequem ausgestattet, die Höfe sehr geräumig; längs der Fahrstraßen wachsen hohe grüne Bambushecken, und – was ich noch nie gesehen habe – Hecken von roten und weißen Azaleen, die sich wunderhübsch ausnehmen. Mauritius ist ein einziger, großer, gartenähnlicher Park. Die wogenden Zuckerrohrfelder mit ihrem frischen Grün tun dem Auge wohl; überall entfaltet sich tropischer Pflanzenwuchs in üppigster Fülle, helles und dunkles [269] Grün, dicht verschlungenes Unterholz von hohen Palmen überragt, große schattige Wälder mit klaren Flüssen, die sich bald im Dunkel verlieren, bald lustig wieder ans Tageslicht gesprungen kommen; auch kleine Berge mit spielzeugartigen Klippen und Felsengruppen hat Mauritius aufzuweisen und dann und wann einen Durchblick auf das Meer mit dem weißen Schaum der Brandung. Die Insel ist sehr hübsch in ihrer Art, doch fehlt ihr das Erhabene, Großartige, Geheimnisvolle, wie es unersteigliche Bergeshöhen mit Gipfeln, die in den Himmel ragen, und weite Fernsichten einer Gegend verleihen; der Gesamteindruck ist reizend, aber nicht überwältigend, er berührt uns angenehm, dringt aber nicht bis in die Tiefe der Seele.

Als die Franzosen noch Mauritius besaßen, belästigten sie von dort aus die indischen Kauffahrteischiffe; deshalb nahm ihnen England die Insel fort und auch das benachbarte Bourbon. Letzteres gab es jedoch wieder an Frankreich heraus und ließ sich auch Madagaskar fortschnappen, was sehr zu beklagen ist. England hätte mit geringer Anstrengung die harmlosen Eingeborenen vor dem Unheil der französischen Zivilisation schützen können. Leider hat es das unterlassen, und jetzt ist es zu spät.

[270]

Vor der Sünde, einen Raub an Frankreich zu begehen, hätte sich England schwerlich gescheut. Aller Grundbesitz sämtlicher Staaten der Erde – Amerika natürlich nicht ausgeschlossen – besteht aus gestohlenem Gut, aus Ländereien, die andern Nationen gehörten, denen man sie entrissen hat. In Europa, Asien und Afrika ist jeder Fußbreit Land schon Millionen mal wieder und wieder gestohlen worden. Ein Verbrechen aber, das seit Jahrtausenden verübt wird, hört auf ein Verbrechen zu sein und wird zur Tugend. Das Gewohnheitsrecht ist stärker als jedes andere Gesetz. Auch werden ja heutzutage unter den christlichen Regierungen die allseitigen Pläne solchen Länderraubs ganz frei und offen verhandelt.

Ohne Frage lassen die Zeichen der Zeit deutlich erkennen, welchen Verlauf die Sache nehmen wird: Alle noch unzivilisierten Länder der Erde müssen unter die Herrschaft der christlichen Staaten Europas kommen. Mir macht das keinen Kummer, im Gegenteil, ich freue mich darüber. Vor zweihundert Jahren wäre dies unabwendbare Geschick noch ein Unheil für die wilden Völker gewesen, aber jetzt wird es, unter gewissen Umständen, für manche ein Segen sein. Die Europäer sollen nur je eher je lieber alles Land in Besitz nehmen, damit Friede, [271] Ordnung und Gerechtigkeit an die Stelle der Bedrückung, des Blutvergießens und der Gesetzlosigkeit tritt, unter der die Wilden Jahrhunderte lang geschmachtet haben. Wenn man bedenkt, was zum Beispiel Indien zu der Zeit gewesen ist, als die Hindus und die Mohammedaner es beherrschten, und wie es jetzt um das Land steht, wenn man an das frühere Elend der Millionen zurückdenkt, die heutzutage Schutz und eine menschenwürdige Behandlung genießen, so wird man zugeben müssen, daß es für Indien kein größeres Glück geben konnte, als unter britische Oberherrschaft zu kommen. Geht nun alles Land der wilden Völker in europäischen Besitz über, und müssen sie selbst sich den fremden Herrschern auf Gnade oder Ungnade unterwerfen, so wollen wir von Herzen hoffen und wünschen, daß alle Wilden bei dem Tausch nur gewinnen möchten.


[272]

Zwanzigstes Kapitel.

In der Staatskunst bringe alle Formalitäten in Ordnung und kümmere dich nicht um die Moralitäten.

Querkopf Wilsons Kalender.

28. April. – Nach Afrika abgesegelt. – ›Arundel Castle‹ ist das schönste Dampfboot, in dem ich auf diesen Meeren gefahren bin, es ist durch und durch modern und das will viel sagen. An einem Mangel, den man überall trifft, leidet aber auch dieses Schiff: die Betten lassen zu wünschen übrig. Es ist ein großer Fehler, daß man die Auswahl der Betten stets dem ersten besten Mann mit starkem Rückgrat anvertraut, statt einer zarten Frau dies Amt zu übertragen, die von Kindheit auf an Schlaflosigkeit und Gliederweh gelitten hat. Nichts ist sowohl diesseits wie jenseits des Ozeans eine größere Seltenheit, als Betten, welche allen Anforderungen entsprechen. Zwar sind sie in einigen Hotels der Erde zu finden, aber auf keinem Schiff, weder jetzt noch in vergangenen Zeiten. In der Arche Noäh waren die Betten geradezu niederträchtig, und darin liegt die Wurzel des Uebels. Noah hat die Mode eingeführt [273] und die Welt wird sie mit geringen Abänderungen bis zur nächsten Sündflut beibehalten.


8 Uhr abends. – An der Insel Bourbon vorbeigesegelt; ihr zerklüftetes, vulkanisches Gebirge hebt sich klar gegen den Himmel ab. – Wie töricht ist es doch, erholungsbedürftige Menschen nach Europa zu schicken. Das Rasseln von Stadt zu Stadt bei Rauch und Kohlendunst, das ewige Besichtigen von Schlössern und Galerien, ist doch kein Ausruhen zu nennen! Man trifft fortwährend alte und neue Bekannte, wird zum Frühstück, zu Mittag, zum Tee ausgebeten und erhält aufregende Briefe und Depeschen. Auch die Fahrt über den Atlantischen Ozean nützt nichts; die Reise ist zu kurz und das Meer zu unruhig. Wahre Heilung für Seele und Leib findet man nur auf dem friedlichen Indischen und dem Stillen Ozean, wo sich die Zeit so behaglich lang ausdehnt.


2. Mai nachmittags. – Ein schönes großes Schiff in Sicht – fast das erste, das wir auf der wochenlangen einsamen Seefahrt erblickt haben. Wir sind jetzt im Kanal von Mozambique zwischen Madagaskar und Südafrika und steuern in westlicher Richtung nach der Delagoabai.

[274]


Montag 4. Mai. – Wir dampfen langsam in die ungeheure Bai hinein; ihre Arme erstrecken sich weit ins Land, bis sie den Blicken entschwinden. Hier wäre Raum genug für sämtliche Schiffe der Welt, aber die Bai hat nur geringe Tiefe; oftmals zeigte unser Senkblei nicht mehr als viertehalb Faden.

Eine 150 Fuß hohe und etwa eine Meile breite Felswand von stark rötlicher Färbung steigt senkrecht vor uns auf. Auf dem Tafelland über den roten Felsen sieht man Gruppen hübscher Häuser und Bäume, dazwischen die grüne, wellenförmige Ebene, wie in England. Siebzig Meilen lang, bis zur Grenze, gehört die Eisenbahn den Portugiesen – täglich fährt ein Personenzug – weiterhin ist die Bahn Eigentum der Niederländischen Kompagnie. Haufenweise lagen die Frachtgüter am Strande umher; Schuppen, um sie unterzubringen, waren nicht vorhanden. Das ist echt portugiesisch – Trägheit, Frömmigkeit, Armut und Unfähigkeit im schönsten Verein.

Die Mannschaft der kleinen Boote und Schlepper besteht aus sehr muskulösen, kohlschwarzen Wollköpfen.


Winter. – Der südafrikanische Winter hat eben angefangen, aber nur Sachverständige können [275] ihn vom Sommer unterscheiden. Mir ist das sehr recht, denn ich habe den Sommer herzlich satt, der jetzt für uns schon ununterbrochen elf Monate lang dauert.

Den Nachmittag brachten wir in Delagoabai am Ufer zu. Der Ort ist klein; er hat keine Sehenswürdigkeiten, keine Wagen. Die drei Rickschas waren Privateigentum, wir konnten sie nicht mieten. Die Portugiesen hier haben eine schöne braune Hautfarbe, wie einige unserer Indianerstämme; man sieht auch Schwarze mit länglicher Kopfform und sehr langem Kinn, wie die Neger in den Bilderbüchern, aber die meisten gleichen den Schwarzen in unsern Südstaaten, haben runde Gesichter mit platten Nasen und sind gutmütige, lustige Geschöpfe.

Scharen schwarzer Weiber zogen vorüber mit zentnerschweren Frachtstücken auf dem Kopf. Sie waren Packträgerinnen und arbeiteten wie die stärksten Männer; doch mußten sie ihre ganze Kraft anstrengen, um die Last zu bewältigen, man sah, wie ihnen jedesmal beim Aufsetzen der Füße die Beine zitterten. Wenn sie unbeladen einherkommen, haben sie einen aufrechten Gang und eine ebenso schöne und stolze Haltung wie die Indianerinnen. Die Gewohnheit Lasten auf dem Kopf zu tragen, [276] bringt das mit sich. – Man sah keine bunten Farben, obgleich es hier viele Hindus gibt.


6. Mai. – 3 Uhr nachmittags. Ganz allmählich machte das Schiff langsamere Fahrt und dampfte vorsichtig und bedächtig in den hübschen Hafen von Durban in Südafrika ein.


Aus dem Tagebuch. Hotel Royal. – Sehr behaglich; gutes Essen, gute Bedienung von Eingeborenen; ein sonderbares Gemisch von Altem und Neuem, Dorf und Stadt, Ureinfachheit und ihrem Gegenteil. Die elektrischen Glocken geben keinen Ton; der Aufseher im Bureau sagte mir, sie wären vermutlich in Unordnung geraten, weil einige klingelten und andere nicht. Als ich ihn fragte, ob es nicht ratsam wäre, sie in Ordnung zu bringen, sah er mich zweifelnd an, wie jemand der seiner Sache nicht gewiß ist – stimmte mir dann aber doch bei.


7. Mai. – Um sechs Uhr klopft es laut an meine Tür: Ob meine Stiefel geputzt werden sollen? Eine Viertelstunde später wiederholtes Klopfen: Ob wir Kaffee wünschen? Nach abermals fünfzehn Minuten: das Bad für meine Frau ist fertig; gleich [277] darauf: mein Bad ist fertig. Es klopft noch zweimal, weshalb weiß ich nicht mehr. Die Diener lärmen draußen und schreien einander bald dies bald das zu – gerade wie in einem indischen Hotel.


Abends. – Um vier Uhr nachmittags herrscht drückende Schwüle; eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang zieht man den Sommerüberzieher an, um acht Uhr den Wintermantel. Daß Durban eine hübsche, saubere Stadt ist, sieht der Fremde von selbst, man braucht ihn nicht darauf aufmerksam zu machen. – Die Rickschas werden von prächtig gewachsenen schwarzen Zulus gezogen, mit so überschüssiger Kraft, daß es ein wahres Vergnügen ist ihnen zuzusehen. Gutmütige Menschen – wie sie lachen und ihre Zähne zeigen! Die Stunde kostet für eine Person 2 Schilling, für zwei Personen 3; jede Fahrt drei Pence für die Person. Ein Rickscha-Mann darf nicht trinken.

Die Polizei besteht nur aus heidnischen Zulus; christliche werden nicht angestellt. Nach dem Abendläuten darf kein Eingeborener ohne Paß ausgehen. In Natal kommen auf einen Weißen zehn Schwarze. Die Weiber sind handfeste, rundliche Gestalten. Sie kämmen ihre Wolle auf dem Kopf in die Höhe [278] und machen sie mit rotbraunem Lehm steif, daß sie stehen bleibt. Ist dieser Turm bis zur Hälfte gefärbt, so bedeutet es Verlobung; die verheiratete Frau färbt ihn ganz.


9. Mai. – Gestern machte ich mit Bekannten eine Ausfahrt. Sehr schöne Straßen über die Hügel, von wo man einen herrlichen Blick auf die ganze Stadt, den Hafen und das Meer genießt. Ueberall Wohnhäuser, von grünem Rasen und Buschwerk umgeben; hie und da bildet die brennend scharlachrote Euphorbia einen scharfen Gegensatz zu dem saftigen Grün ringsum; Kaktusbäume der verschiedensten Art in Kandelaberform und einer, dessen Zweige so verrenkt und gekrümmt sind, daß sie aussehen wie lauter graue, sich windende Schlangen. Auf allen Seiten sieht man eine Menge der prächtigsten, uns völlig unbekannten Bäume, einige mit so dichtem, dunkelgrünem Laub, daß sie sofort ins Auge fallen, trotz der vielen Orangenbäume daneben. Ein Baum hat wunderschöne rote, aufrechtstehende Büschel, die zwischen seiner grünen Blätterpracht leuchten wie feurige Kohlen. Auch Gummibäume sind da, und ein paar hochgewachsene Norfolktannen strecken ihre grünen Wedel himmelan, dann kommt wieder hohes Bambusgebüsch. [279] Ich sah nur einen Vogel; sie sind hier selten und singen nicht. Die Blumen haben wenig Duft, sie wachsen zu schnell. Nirgends habe ich eine so große Mannigfaltigkeit der herrlichsten Bäume gesehen wie hier, außer in der Nähe von Dardschiling im Himalaja. Vermutlich ist Natal der Garten von Südafrika, aber ich habe noch niemand dies Land so nennen hören.


Colenso war Bischof von Natal, als er durch seine Schriften einen solchen Sturm in der theologischen Welt erregte. Noch jetzt sind alle religiösen Angelegenheiten hier von großer Wichtigkeit. Die Sonntagsruhe wird eifersüchtig bewacht. Museen und dergleichen gefährliche Vergnügungsorte sind geschlossen. Eine Fahrt auf der Bai ist gestattet, aber das Cricketspiel gilt für sündhaft. Eine Zeitlang fanden Sonntags-Konzerte statt, bei denen kein Eintrittsgeld bezahlt wurde, sondern der Klingelbeutel herum ging. Dadurch kam jedoch so beunruhigend viel zusammen, daß man die Sache wieder eingehen ließ. In betreff der Säuglinge ist man sehr streng. Ein Geistlicher verweigerte einem Kinde das kirchliche Begräbnis, weil es nicht getauft worden war. Da ist der Hindu weitherziger. Er verbrennt kein [280] Kind unter drei Jahren, weil er glaubt, daß es noch nicht der Läuterung bedarf.

Zwei Stunden von Durban entfernt liegt ein großes Trappisten-Kloster, das ich in Gesellschaft von Mr. Milligan und Mr. Hunter, dem Generalinspektor der Staatseisenbahnen von Natal, in Augenschein nahm. Die beiden Herren kannten die Vorsteher des Klosters.

Es war wirklich alles da, was man für so unglaublich hält, wenn man es in Büchern liest: die harte Arbeit, das Aufstehen zu unmöglichen Stunden, die karge Nahrung, das grobe Gewand, das harte Lager, das Verbot der menschlichen Rede, des geselligen Verkehrs, der Gegenwart irgend eines weiblichen Wesens, jeder Erholung, Abwechslung und Unterhaltung. Alles wurde durchgeführt – es war kein Traum, keine Lüge. Aber selbst wenn man die Tatsache leibhaftig vor sich hatte, blieb sie ebenso unerklärlich. Es streitet zu sehr gegen die Natur, die Individualität des Menschen so gänzlich zu unterdrücken.

Wie mag La Trappe nur herausgefunden haben, daß es Menschen gibt, die in solchem Elend einen Genuß finden? Hätte er mich oder dich um Rat gefragt, wir würden ihm versichert haben, daß sein [281] Plan zu sehr aller Reize entbehrte und niemals verwirklicht werden könnte. Aber, da steht das Kloster und liefert den Beweis, was für ein Menschenkenner La Trappe gewesen ist. Er hat alles aus dem Leben verbannt, was das Herz wünscht und begehrt, und dennoch hat der Erfolg seit zweihundert Jahren sein Werk gekrönt und es wird ohne Zweifel auch ferner blühen und gedeihen.

Wir Menschen lieben persönliche Auszeichnung – dort im Kloster gibt es nichts dergleichen. Wir sind wählerisch in betreff der Speisen – die Mönche erhalten Bohnen, Brot und Tee und nicht einmal genug um sich satt zu essen. Wir betten uns gern weich – sie liegen auf Sandmatratzen und haben zwar ein Kissen und eine Decke, aber keine Leintücher. Bei Tische lachen und plaudern wir gern in Gesellschaft von Freunden – hier liest ein Mönch während der Mahlzeit laut aus einem frommen Buche vor und niemand spricht ein Wort. Wenn wir mit vielen Gefährten zusammen sind, so machen wir uns einen lustigen Abend und gehen spät zur Ruhe; hier begeben sich alle schweigend um acht Uhr zu Bett und obendrein im Dunkeln; sie brauchen nur die lose, braune Kutte abzulegen, da wäre ein Licht ganz unnötig. Wir schlafen gern in den Tag hinein [282] – hier stehen die Mönche nachts zweimal auf zum Gottesdienst und gehen um zwei Uhr morgens an ihr Tagewerk. Wir wünschen uns leichte Arbeit oder gar keine – hier wird den ganzen Tag auf dem Felde geschafft oder in der Schmiede und andern Werkstätten, wo man Sattler-, Schuhmacher-, Tischlerarbeit und dergleichen betreibt. Wir lieben die Gesellschaft von Frauen und Mädchen – die fehlt hier gänzlich. Wir sind gern von unsern Kindern umringt und scherzen und spielen mit ihnen – Kinder gibt es hier nicht. Es ist kein Billardtisch vorhanden, man hat keine Spiele im Freien, weder Konzert noch Theater, noch gesellige Freuden. Auch das Wetten ist hier verboten; wer in Zorn gerät darf seinen Aerger nicht am ersten besten auslassen, der ihm gerade in den Weg kommt; man darf sich kein Lieblingstier halten. Nicht einmal das Rauchen ist gestattet. Weder Tageblätter noch Zeitschriften werden hier gelesen. Wenn wir fern von der Heimat sind, möchten wir wissen, wie es unsern Eltern und Geschwistern ergeht und ob sie sich nach uns sehnen – hier erfährt man das nicht. Wir lieben freundliche Wohnungen, eine gefällige Einrichtung, hübsche Möbel, allerlei niedliche Sächelchen und schöne Farben – hier ist alles kahl, armselig und düster. Was [283] wünscht sich der Mensch nicht alles – führt die Liste selbst weiter fort! – Aber was ihr auch nennen mögt, in diesem Kloster ist es nicht zu finden.

Und zum Lohn für alle diese Entbehrungen kann man dort weiter nichts erwerben, wie mir gesagt wurde, als die Rettung seiner Seele.

Es ist wirklich höchst sonderbar und unbegreiflich. Aber La Trappe kannte, wie gesagt, das Menschengeschlecht und den mächtigen Reiz, der in diesem reizlosen Dasein lag. Er wußte, daß auf manche Leute ein solches Leben um so größere Anziehungskraft übt, je abstoßender und unbehaglicher es ist.

Das Mutterkloster wurde vor fünfzehn Jahren von deutschen Mönchen gegründet, die arm und fremd waren und keine Unterstützung fanden; jetzt besitzt es 15 000 Morgen Land, baut Korn, Obst und Wein und betreibt alle möglichen Gewerbe. In seinen Werkstätten werden eingeborene Lehrlinge in den verschiedensten Handwerken unterrichtet, mit denen sie sich nach der Entlassung ihr Brot verdienen können, auch lehrt man sie Lesen und Schreiben. Elf Zweiganstalten des Klosters sind in ganz Südafrika verbreitet, in denen 1200 eingeborene Knaben und Mädchen christlich erzogen und zu tüchtigen Handwerkern ausgebildet werden. Von dem Wirken der [284] protestantischen Mission unter den Heiden hat man in den kaufmännischen Kreisen der weißen Kolonisten meist keine hohe Meinung; ihre Zöglinge tragen den Spitznamen ›Reis-Christen‹, womit ungelernte Müßiggänger gemeint sind, die sich nur um äußerer Vorteile willen in die Kirche aufnehmen lassen. An der Tätigkeit dieser katholischen Mönche wird sich aber schwerlich etwas aussetzen lassen, und ich glaube, es hat auch noch niemand gewagt, sich abfällig darüber zu äußern.


Dienstag 12. Mai. – Die Transvaal-Politik ist in große Verwirrung geraten. Zuerst jagte die schwere Verurteilung der Johannesburger Rädelsführer England einen großen Schrecken ein. Unmittelbar nachher veröffentlichte Krüger die Korrespondenz in Chiffreschrift, aus welcher hervorgeht, daß der Einfall in Transvaal von Cecil Rhodes und Beit mit der Absicht geplant worden ist, sich des Landes zu bemächtigen, um es dem englischen Reich einzuverleiben. Dies brachte einen Umschwung in den Gefühlen Englands hervor und entfesselte einen Sturm der Entrüstung gegen Rhodes und die Chartered Company, weil sie der britischen Ehre zu nahe getreten seien.

[285]

Lange war ich außer stande klug aus der Sache zu werden – sie war mir zu verwickelt. Aber endlich glaube ich durch Geduld und Nachdenken doch dahinter gekommen zu sein: Soviel ich verstehe, waren die Uitlanders und die andern Holländer unzufrieden, weil die Engländer ihnen nicht gestatteten an der Regierung teil zu nehmen, nur ihre Steuern durften sie bezahlen. Da geschah es, daß Dr. Krüger und Dr. Jameson, denen ihr ärztlicher Beruf nicht genug einbrachte, in das Matabeleland einfielen mit der Absicht, die Hauptstadt Johannesburg zu erobern und Frauen und Kinder als Geißeln gefangen zu halten, bis die Uitlanders und andere Buren ihnen und der Chartered Company die politischen Rechte zugestehen wollten, die man ihnen bisher vorenthalten hatte. Dieser kühne Plan wäre sicherlich gelungen, hätten sich nicht Cecil Rhodes, Mr. Beit und andere Häuptlinge der Matabele eingemischt und ihre Landsleute aufgereizt sich zu empören und Deutschland den Gehorsam aufzusagen. Nun stachelte letzteres wieder den König von Abessynien auf, die italienische Armee zu vernichten und Johannesburg zu überfallen. Das alles hatte Cecil Rhodes aber angestiftet, um die Aktien in die Höhe zu treiben.


[286]

Einundzwanzigstes Kapitel.

Man soll des Buren Fell nicht verkaufen, man fange ihn denn zuvor.

Querkopf Wilsons Kalender.

Als ich vor einem Jahr den letzten Paragraphen des vorigen Kapitels in mein Notizbuch kritzelte, tat ich es, um auf drastische Weise zweierlei zum Ausdruck zu bringen: Erstens, wie widersprechend die Berichte sind, welche der Fremde von den Einheimischen über die südafrikanische Politik erhält, und zweitens, was für ein Wirrwarr dadurch im Kopfe des Fremden entsteht.

Ich sehe jetzt ein, daß ich damals den Zustand der Dinge naturgetreuer geschildert habe, als ich selber wußte. In jener unruhigen und aufgeregten Zeit konnten die dortigen Bürger unmöglich die südafrikanische Politik klar und vernünftig auffassen; nicht nur ihre persönlichen Interessen, sondern auch ihre politischen Vorurteile standen ihnen sehr dabei im Wege. Der Fremde aber war natürlich nicht im stande aus ihren verworrenen Mitteilungen klug zu werden und den Zusammenhang der Ereignisse zu begreifen.

[287]

Mein Aufenthalt in Südafrika war nicht von langer Dauer. Als ich ankam befand sich das Land noch in der größten politischen Gärung. Vier Monate waren vergangen, seit Jameson mit 600 bewaffneten Reitern zum »Schutz der Frauen und Kinder in Johannesburg« die Grenze von Transvaal überschritten hatte. Am vierten Tage nach seinem Einmarsch besiegten ihn die Buren in einer Schlacht und führten ihn mit seinen Leuten gefangen nach der Hauptstadt Prätoria. Jameson und seine Offiziere waren zur Bestrafung an Großbritannien ausgeliefert und nach England eingeschifft worden, wo ihr Verhör stattfand. Inzwischen wurden in Johannesburg vierundsechzig der angesehensten Bürger als Jamesons Mitverschworene festgenommen. Präsident Krüger verurteilte die vier Haupträdelsführer zum Tode, die übrigen zu Gefängnis; er verwandelte jedoch die Strafen in längere oder kürzere Kerkerhaft, in welcher die vierundsechzig Leute damals noch schmachteten. Vor Mitte des Sommers waren alle wieder in Freiheit, außer zweien, welche sich weigerten ein Begnadigungsgesuch zu unterzeichnen. Achtundfünfzig von ihnen mußten eine Geldbuße von je 10 000 Dollars zahlen und die vier Rädelsführer 125 000 Dollars per Mann; auf [288] immer aus dem Lande verbannt wurde nur einer.

Das war eine hochinteressante Zeit für den Fremden; ich schätzte mich glücklich, mitten in die Aufregung hineingekommen zu sein. Jedermann äußerte ohne Rückhalt seine Meinung und ich hoffte bestimmt, daß mir die ganze Angelegenheit, wenigstens von einer Seite, binnen kurzem verständlich sein würde.

Darin täuschte ich mich jedoch. Die Sache hatte so viel Eigenartiges, Schwieriges und Unerklärliches, daß ich ihrer nicht Herr wurde. Persönliche Beziehungen zu den Buren besaß ich nicht, die Anschauungen ihrer Partei blieben also für mich ein Geheimnis, soweit ich sie nicht aus den öffentlichen Bekanntmachungen erfuhr. Bald empfand ich denn auch das tiefste Mitgefühl für die Johannesburger, die im Kerker von Prätoria lagen, sowie für ihre Freunde und Angehörigen. Durch eifrige Erkundigungen bei letzteren hatte ich mich über alle Einzelheiten des Streits in Kenntnis gesetzt und glaubte sie zu verstehen; das heißt, von ihrem Gesichtspunkt aus und bis auf einen Umstand: Was die Johannesburger durch eine bewaffnete Erhebung zu erreichen gedachten, schien niemand zu wissen.

Im Laufe des folgenden Jahres wurde in die [289] Verwirrung jener Tage genügendes Licht gebracht. Dr. Jameson ist vor den englischen Geschworenen erschienen; auch Cecil Rhodes und andere an dem feindlichen Einfall in Transvaal direkt oder indirekt beteiligte Personen haben ihre Aussage vor Gericht erstattet, desgleichen Lionel Philipps und sonstige Mitglieder der Johannesburger Reformpartei, welche die Revolution als totgeborenes Kind zur Welt brachten. Weitere Aufklärung erhielt ich auch durch verschiedene Bücher, deren Verfasser entweder für die Buren oder für Cecil Rhodes oder für die Johannesburger Partei nahmen. Nachdem ich nun alle jene Aussagen voreingenommener Zeugen nebst den einseitigen Darstellungen der Bücher gesammelt hatte, mischte ich sie gut durcheinander, knetete alles tüchtig durch und tat den Teig in meinen eigenen (vorurteilsvollen) Backtrog. Durch dies Verfahren bin ich schließlich der verwickelten südafrikanischen Frage doch noch auf den Grund gekommen. Ich weiß nun, daß es sich damit in Wahrheit folgendermaßen verhielt:

1. Die Kapitalisten und sonstigen angesehenen Bürger von Johannesburg litten unter gewissen politischen und finanziellen Unbilden und Lasten, welche die Transvaal-Regierung ihnen auferlegte. Die Uitlanders [290] bezahlten vier Fünftel aller Steuern, hatten kein Wahlrecht, konnten erst nach längerem Aufenthalt im Lande Staatsbürger werden und nach vierzehn Jahren in den ersten Volksraad gelangen, während die Buren alle höheren Aemter bekleideten und schon im Alter von sechzehn Jahren das volle Bürgerrecht hatten. So suchten denn die Uitlanders durch verschiedene Eingaben, Bittschriften und Vorschläge zu Gesetzesveränderungen auf friedlichem Wege eine Verbesserung ihrer Lage herbeizuführen.

2. Cecil Rhodes, Ministerpräsident der Kapkolonie, Millionär, Gründer und Direktor der sogenannten Chartered Company, verfolgte schon seit einigen Jahren den Plan, alle südafrikanischen Staaten zu einem großen Reich unter dem Schutz und Schirm der britischen Flagge zu vereinigen. So benutzte er denn die Unzufriedenheit der Johannesburger Reformpartei, um sie zur gewaltsamen Empörung gegen die Burenregierung zu bewegen. Wenn es zu einem blutigen Zusammenstoß kam, konnte sich Großbritannien ins Mittel legen; das würden sich die Buren nicht gefallen lassen, und um sie für ihren Widerstand zu strafen, besetzte dann England selbstverständlich Transvaal und vereinigte es mit seinem übrigen südafrikanischen Länderbesitz. Der Plan war [291] keineswegs aus der Luft gegriffen, sondern ganz verständig und ausführbar.

Von seinem fernen Posten in Kapstadt aus wußte Rhodes die Mißstimmung der Uitlanders von Johannesburg auf geschickte Weise zu schüren; er half auch, sie mit Waffen zu versehen. Mehrere Kanonen und fünfzehnhundert Gewehre wurden, in großen Oelbehältern und Kohlenwagen versteckt, in die Stadt geschmuggelt. Im Dezember 1895 war das Reformkomite schon von Bitten zu Drohungen übergegangen, und der Ausbruch der Revolution schien nicht mehr fern.

Rhodes hatte mit Jameson, dem Befehlshaber der Truppen der Chartered Company verabredet, daß dieser über die Grenze gehen und mit sechshundert Mann in Johannesburg einrücken solle. Vorher verlangte Jameson jedoch – wahrscheinlich auf Veranlassung seines Herrn und Meisters – das Reformkomite solle ihm eine förmliche Aufforderung schicken, der Stadt zu Hilfe zu kommen. So erhielt er den berühmten Brief, in dem er gebeten wird nach Johannesburg zu eilen, um sich der »schutzlosen Frauen und Kinder anzunehmen«. Das war kein schlechter Gedanke, denn die Verantwortlichkeit für den feindlichen Ueberfall wurde dadurch zum größten [292] Teil der Reformpartei zugeschoben. Die Führer derselben mochten dies wohl zu ihrem Schrecken einsehen, denn sie wollten das verfängliche Schriftstück schon den Tag nach dessen Absendung an Jameson wieder zurück haben. Es wurde ihnen jedoch bedeutet, dazu sei es zu spät. Das Original des Briefes war schon an Rhodes nach der Kapstadt abgegangen. Doch hatte Jameson wohlweislich eine Abschrift zurückbehalten.

In Johannesburg versuchte man nun mit aller Anstrengung, Jameson von der Ausführung des Planes abzubringen. Es herrschte Uneinigkeit in der Stadt; einige wollten Krieg, einige Frieden. Manche stimmten für eine neue Regierung, andere wünschten die alte beizubehalten und zu reformieren. Zu Gunsten einer kaiserlich-britischen Kolonialherrschaft die Regierung in Prätoria zu stürzen, hatten nur ganz einzelne im Sinn. Und doch trat das Gerücht von Stunde zu Stunde bestimmter auf, daß dies der Zweck sei, den Cecil Rhodes mit seinem unwillkommenen Beistand verfolge.

Drei Tage lang ließ sich Jameson zurückhalten, dann beschloß er nicht länger zu warten. Ohne Befehl – Rhodes hüllte sich in vorsichtiges Schweigen – zerschnitt er die Telegraphendrähte am 29. [293] Dezember und ging im Dunkel der Nacht über die Grenze. Er hatte 150 Meilen bis Johannesburg zurückzulegen und hoffte die Stadt ohne Hindernisse zu erreichen. Allein die Nachricht von seinem Einfall verbreitete sich wie ein Lauffeuer – man hatte übersehen, daß ein Telegraphendraht nicht zerschnitten worden war. Schon wenige Stunden später kamen die Buren von allen Seiten in Windeseile herbeigeritten, um ihn am Vordringen zu hindern.

In Johannesburg herrschte Furcht und Schrecken; Frauen und Kinder wurden bei dem Nahen ihrer Retter eiligst nach Australien eingeschifft und die friedliebenden Bürger flüchteten scharenweise auf die Eisenbahnen. Wer zuerst da war hatte es am besten, er konnte sich einen Platz im Zuge sichern, wenn er ihn acht Stunden vor der Abfahrt besetzte.

Rhodes telegraphierte den Johannesburger Brief mit dem rührenden Hilferuf ohne Zeitverlust an die Londoner Presse. Ein so altersgraues Dokument hatte das Kabel noch nie befördert; der Brief war schon vor zwei Monaten geschrieben, doch das wußte niemand, das falsche Datum lautete ja auf den 20. Dezember.

Am Neujahrstag wurde Jameson von den Buren geschlagen; tags darauf streckte er die Waffen. [294] Er trug die Abschrift des Briefes bei sich, und wenn er die Anweisung erhalten hatte, im Notfall dafür zu sorgen, daß das Schriftstück den Buren in die Hände fiele, so führte er den Befehl pünktlich aus. Man fand den Brief auf dem Schlachtfeld in Jamesons Satteltasche – er war ohne jegliche Geheimschrift in englischer Sprache abgefaßt und mit dem Namen der beteiligten Personen unterzeichnet. Die Schuld an dem Einfall wurde dadurch auf die Reformpartei gewälzt, so paßte es in Rhodes’ Berechnung. Das Original war ja überdies in Amerika, in England und dem übrigen Europa bekannt, ehe Jameson seine Abschrift auf dem Schlachtfelde verlor. Letzterer wurde dadurch im Lauf einer einzigen Woche in England zu einem berühmten Helden gestempelt, in Prätoria zu einem Räuberhauptmann und in Johannesburg zu einem Narren und ehrlosen Verräter – das alles hatte jener alte Brief bewirkt!

Die Mitglieder der Reformpartei waren in einer schwierigen Lage gewesen. Hindernisse und Verwicklungen engten sie auf allen Seiten ein. Wie sollten sie ihren vielen und mannigfaltigen Obliegenheiten nachkommen? –

1. Mußten sie Dr. Jamesons widerrechtlichen [295] Einfall verdammen und ihm trotzdem beistehen.

2. Waren sie genötigt der Burenregierung Treue zu schwören und den Rebellen Reitpferde zu liefern.

3. Mußten sie alle offenen Feindseligkeiten gegen die Burenregierung verbieten und Waffen unter deren Gegner verteilen.

4. Durften sie nicht in Zwiespalt mit der englischen Regierung geraten, mußten Jameson unterstützen und der Burenregierung entblößten Hauptes den neuen Fahneneid leisten.

Sie entledigten sich dieser Pflichten so gut sie konnten; ja, sie erfüllten sie tatsächlich alle, nur nicht zu gleicher Zeit, sondern nacheinander; die gleichzeitige Erfüllung derselben wäre wirklich ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.

Bei der ganzen Angelegenheit hat für mich die militärische Frage ein größeres Interesse als die politische, denn ich habe immer eine besondere Vorliebe für den Krieg gehabt. Das heißt, ich meine für Reden über den Krieg und Erteilung militärischer Ratschläge. Wäre ich am Morgen nach der Grenzüberschreitung bei Jameson gewesen, ich hätte ihm geraten, wieder umzukehren. Die Truppen, die er befehligte, waren nicht alte, kriegstüchtige Briten, sondern größtenteils ungeübte junge Burschen. Wie [296] sollten sie vom Pferde herab, im Gewühl der Schlacht sicher zielen und treffen? Das war unmöglich, besonders weil es gar nichts gab, wonach man schießen konnte, als Felsen, hinter denen nach altem Brauch und Herkommen die Buren steckten, denn auf freiem Felde kämpften sie niemals. Die dreihundert Scharfschützen der Buren hinter den Felsen konnten aber natürlich Jamesons Reitern übel mitspielen. Um im Kampf gegen die Buren Sieger zu bleiben, brauchten die Engländer nicht allein Mut, sondern auch Vorsicht, ganz wie wir beim Krieg gegen die Rothäute. Die tapfern Briten, die den verborgenen Buren offen entgegentraten, hatten sich die Folgen selbst zuzuschreiben.

Das Land war voller Hügelketten, Klippenreihen, Bodensenkungen, Gräben und Moränen – für Reitergefechte völlig unbrauchbar. Jameson feuerte seine Geschütze auf die Felsen ab – er verdarb die guten Felsen und verschwendete seine Munition – aber wieviel Schaden er auch anrichtete, die Buren zeigten sich nicht. Nun strömten seine Scharen in langer Linie kühn voran, die Buren schossen aus dem Hinterhalt und nach der ersten Salve waren zwanzig englische Sättel leer. Es dauerte nicht lange, so lagen sechzig Prozent der [297] Angreifer tot oder verwundet am Boden; letztere wurden von den Buren gefangen in das Hospital nach Krügersdorp gebracht; sie selbst hatten nur vier Mann eingebüßt, von denen zwei aus Versehen durch ihre eigenen Leute getötet worden waren. Jamesons Truppen kamen den Buren überhaupt nicht nahe genug, um sie »rund um Transvaal herumzujagen«, wie sie geprahlt hatten. Nachdem auch ein letzter verzweifelter Angriff fehlgeschlagen war, ließ Jameson die weiße Flagge wehen und ergab sich.

Die britische Methode der Kriegsführung läßt sich, wie gesagt, den Buren gegenüber durchaus nicht mit Glück anwenden. Wenn mir die Führung eines solchen Feldzugs übertragen worden wäre, hätte ich die Sache ganz anders angefangen. Den Charakter des Buren habe ich studiert: Am meisten schätzt er die Bibel, und sein Lieblingsessen ist ›Biltong‹ – an der Sonne getrocknete Fleischstreifen. Die liebt er leidenschaftlich, und es ist ihm auch gar nicht zu verdenken.

Um die Buren zu bekriegen, wäre ich nur mit Flinten ausgezogen und hätte die schweren Kanonen zu Hause gelassen, die nur unnütz den Marsch aufhalten. Heimlich würde ich mich bei Nacht bis zu einer Stelle schleichen, die etwa eine Viertelmeile [298] vom Lager der Buren entfernt ist, um dort eine fünfzig Fuß hohe Pyramide von Biltong und Bibeln zu bauen und meine Leute dahinter zu verbergen. Am nächsten Morgen würden die Buren Kundschafter ausschicken, der ganze Schwarm käme auf einmal herbeigestürmt, meine Truppen könnten sie umringen und Mann gegen Mann im freien Felde kämpfen. Dann würden sich die Verluste auf beiden Seiten etwas gleichmäßiger verteilen.


Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Selbst die Tinte, mit der die Weltgeschichte geschrieben wird, ist nichts als flüssig gemachtes Vorurteil.

Querkopf Wilsons Kalender.

Der Herzog von Fife hat als Zeuge ausgesagt, daß Mr. Rhodes ihn betrogen habe. Mit den Johannesburgern hat es Mr. Rhodes ganz ebenso gemacht. Er hat sie ins Unglück gestürzt, ist aber selbst weit vom Schuß geblieben. Ein gescheiter Kopf war er von jeher, darüber sind alle einig. Nur einmal hätte man fast an dieser Tatsache irre werden können. Es war zur Zeit seines letzten Raubzugs im Matabele-Land; [299] das Kabel verkündete laut, er sei unbewaffnet dahin gegangen, um einige feindliche Häuptlinge zu besuchen. Als man aber dies tollkühne Beginnen bei Lichte besah, stellte sich heraus, daß eine Dame teil daran genommen hatte, welche ebenfalls unbewaffnet war.

Manche Leute glauben, Mr. Rhodes sei gleichbedeutend mit Südafrika; andere halten ihn nur für einen wichtigen Teil des Landes. Nach ihrer Meinung besteht Südafrika aus dem Tafelberg, den Diamantgruben, den Johannesburger Goldfeldern und Cecil Rhodes. Die Goldfelder sind wirklich höchst wunderbar. In sieben oder acht Jahren wuchs dort in der Wüste eine Stadt von 100 000 Einwohnern empor, Schwarze und Weiße zusammengenommen; aber nicht etwa eine gewöhnliche Bergwerksstadt von hölzernen Baracken, sondern durch und durch aus dauerhafterem Baumaterial. Nirgends in der Welt findet man einen solchen Goldreichtum wie in der Umgegend von Johannesburg. Mr. Bonamici, mein dortiger Geschäftsführer, gab mir eine kleine Goldstufe, auf welcher statistische Angaben über den Goldertrag seit der frühesten Zeit bis Juli 1895 eingeritzt waren. Sie bekunden den Riesenfortschritt in der Ausbeute. Im Jahre 1888 [300] belief sich der Ertrag auf 4 162 440 $; in den nächsten sechstehalb Jahren betrug die Totalsumme 17 585 894 $ und in dem einen Jahr bis Juni 1895 gewann man einen Goldwert von 45 553 700 $.

Das Kapital für den Bergwerksbetrieb stammt aus England, die Grubeningenieure kommen aber aus Amerika; auch bei den Diamantgruben spielen sie die erste Rolle. Südafrika ist das Paradies für den wissenschaftlich gebildeten Hüttenmann. Die Amerikaner nehmen dort die besten Stellen ein und werden sie auch zu behaupten wissen; ihr Gehalt ist so hoch, wie es nicht ein einzelner, sondern eine ganze Familie von Ingenieuren in Amerika beziehen würde.

Die Aktionäre der einträglichen Goldgruben erhalten bedeutende Dividenden, und doch ist das Gestein nicht sehr reich nach kalifornischen Begriffen; wenn eine Tonne den Wert von zehn oder zwölf Dollars liefert, ist man schon zufrieden. Das Gold ist so sehr mit unedlen Metallen versetzt, daß der Ertrag vor zwanzig Jahren nur etwa halb so groß gewesen wäre, als jetzt. Damals machte es sich nicht bezahlt, wenn man aus solchem Gestein noch etwas anderes als das grobkörnige reine Gold gewinnen wollte. Bei dem heutigen Cyanid-Verfahren [301] aber beträgt die Gesamtausbeute an Gold in der ganzen Welt jährlich fünfzig Millionen mehr, die früher zu den Abfällen geworfen wurden.

Das Cyanid-Verfahren war für mich ganz neu und sehr interessant; auch von den großartigen und kostspieligen Bergwerksmaschinen hatte ich manche noch nie gesehen; mit dem übrigen Betrieb der Goldbergwerke war ich jedoch völlig vertraut. Da ich früher einmal selbst Goldgräber gewesen bin, verstand ich gerade so viel davon wie die Leute in Johannesburg, nur nicht, wie man Geld damit erwirbt. Dagegen erfuhr ich viel Neues über die Buren, von denen ich noch nichts wußte. Was man mir dort sagte, wurde mir später auch in andern Teilen Südafrikas bestätigt. Fasse ich nun alle jene Berichte zusammen, so erhalte ich von dem Buren folgendes Bild:

Er ist sehr fromm, entsetzlich unwissend, schwerfällig, eigensinnig, gastfrei, bigott und träge; schmutzig in seinen Gewohnheiten, ehrlich bei Unterhandlungen mit den Weißen, hartherzig gegen seine schwarzen Diener, ein guter Schütze und Reiter, der Jagd sehr ergeben; eifersüchtig auf seine politische Unabhängigkeit, ein guter Gatte und Vater. Die Buren leben ungern in Städten zusammengedrängt, [302] sie lieben die Einsamkeit und Absonderung auf dem großen, entlegenen, menschenleeren ›Veld‹. Ihre Eßlust ist ungeheuer und sie sind nicht wählerisch bei Befriedigung derselben – haben sie Schweinefleisch, Mais und Biltong in genügender Menge, so verlangen sie weiter nichts. Um ein Tanzvergnügen mitzumachen, bei dem auch die Nacht hindurch wacker geschmaust und gejubelt wird, scheuen sie einen tüchtigen Ritt nicht; aber zu einer Gebetsversammlung reiten sie gern noch zweimal so weit. Sie sind stolz auf ihre Abstammung von den Holländern und Hugenotten, stolz auf ihre religiöse und militärische Vergangenheit, auf die Großtaten ihres Volks in Südafrika – ihre kühnen Entdeckungsreisen in feindliche und unbekannte Einöden, wo sie den Belästigungen der ihnen verhaßten Engländer entgehen konnten. Sie rühmen sich ihrer Siege über die Eingeborenen und die Briten, am meisten jedoch der persönlichen und überschwenglichen Gnade und Fürsorge, welche die Gottheit ihren Angelegenheiten allezeit hat zu teil werden lassen.

Die Buren können durchschnittlich weder lesen noch schreiben, Zeitungen sind zwar vorhanden, aber niemand fragt danach; bis vor kurzem gab es keine Schulen, die Kinder lernten nichts. Was in der Welt [303] Neues geschieht, ist dem Buren gleichgültig, es geht ihn nichts an. Das Steuerzahlen ist ihm verhaßt, und er lehnt sich dagegen auf. Seit drittehalb Jahrhunderten hat er in Südafrika stockstill gestanden und würde am liebsten bis ans Ende aller Zeiten auf demselben Fleck bleiben, denn die fortschrittlichen Gedanken der Uitlanders sind ihm ein Greuel. Zwar dürstet er nach Reichtum, wie andere Menschen auch, aber ein reicher Viehstand ist ihm lieber als schöne Kleider und Häuser, Gold und Diamanten. »Hätte man das Gold und die Diamanten doch nie entdeckt,« denkt er, »dann wäre der gottlose Fremdling nicht ins Land gekommen, der Unruhstifter mit seiner Sittenverderbnis!«

Jeder, der Olive Schreiners Bücher kennt, wird was ich hier anführe in der Hauptsache bestätigt finden. Und daß sie ein ungünstiges Vorurteil für den Buren hat, ist ihr noch von niemand vorgeworfen worden.

Was läßt sich nun aber nach alledem von dem Buren erwarten? Was kann aus solchem Stoff entstehen? Eine Gesetzgebung, sollte man meinen, welche die Religionsfreiheit einschränkt, dem Fremden die Wahlberechtigung und Wählbarkeit verweigert, den Bildungs- und Erziehungsanstalten wenig [304] förderlich ist, die Goldproduktion einschränkt, das Eisenbahnnetz nicht erweitert, den Ausländer hoch besteuert und den Buren freiläßt.

Die Uitlanders scheinen indessen ganz andere Dinge erwartet zu haben. Warum weiß ich nicht. Es ließ sich vernünftigerweise nichts anderes voraussehen. Ein runder Mensch paßt nicht gleich in ein viereckiges Loch; man muß ihm erst Zeit lassen, seine Form zu ändern. Gewisse Verbesserungen wurden schon vor Jamesons Ueberfall vorgenommen und seitdem ist noch manche Reform eingeführt worden. Es sitzen weise Männer im Rate der Transvaal-Regierung und ihnen ist der Fortschritt zu danken, welchem die große Masse der Buren bis jetzt noch kaum zugänglich ist. Wäre die Regierung weniger weise, so hätte sie Jameson aufgehängt und aus einem gewöhnlichen Piraten einen heiligen Märtyrer gemacht. Aber auch die Weisheit hat ihre Grenzen, und wenn man Mr. Rhodes jemals fängt, wird man ihn sicherlich aufknüpfen und zu einem Heiligen machen. Diese höchste aller menschlichen Würden sollte ihm noch verliehen werden, nachdem er schon alle übrigen Titel getragen hat, welche irdische Größen bezeichnen.

Den Johannesburgern sind bereits viele ihrer [305] ursprünglichen Forderungen bewilligt worden; auch ihre übrigen Beschwerden dürften mit der Zeit schwinden. Sie sollten froh sein, daß die Steuern, mit denen sie so unzufrieden waren, von der Burenregierung erhoben wurden, statt von ihrem Freunde Rhodes und seiner raubsüchtigen Südafrikanischen Gesellschaft; denn letztere nimmt die Hälfte von allem in Beschlag, was die Opfer ihrer Habgier beim Grubenbau gewinnen, sie begnügt sich nicht mit einem Prozentsatz. Stünden die Johannesburger unter ihrer Gerichtsbarkeit, sie wären längst im Armenhaus. Der Name Rhodesia ist gut gewählt, um das Land zu bezeichnen, wo Raub und Plünderung an der Tagesordnung sind und unter dem Schutz des Gesetzes nach Gutdünken betrieben werden können.

Auf mehreren langen Fahrten lernten wir die Eisenbahnen der Kapkolonie kennen. Alle Einrichtungen sind bequem, man findet die größte Sauberkeit und in den Nachtzügen behagliche Betten. Es war Anfang Juni und Winterzeit: bei Tage eine angenehme Wärme, nachts frisch und kühl. Während man durch das Land fuhr, atmete man den ganzen Tag über mit Wonne die kräftige Luft und schaute auf die braune sammetweiche Ebene hinaus, an deren Horizont mattschimmernde Hügelketten wie [306] in einem fernen Traumland zu verschwimmen schienen. Wie tief blickte man in den Himmel hinein mit seinen fremden, seltsamen Wolkengebilden, wie flutete ringsum der herrlichste Sonnenglanz in verschwenderischer Fülle! Für mich hatte der Veld im ersten Winterkleid einen ganz besonderen Reiz. Wir kamen durch weite Strecken, wo der Boden sich wellenförmig hebt und senkt und sich endlos ausdehnt, gleich dem Ozean. Von dem hellsten bis ins dunkelste Braun waren dort alle Schattierungen vertreten, die sich zum schönsten Orangegelb, Purpur und Scharlachrot wandelten, wo die Ebene mit den bewaldeten Hügeln und den nackten, roten Felsklippen zusammenfließt und der Himmel die Erde berührt.

Ueberall, von Kapstadt bis Kimberley und von Kimberley bis Port Elizabeth und East London haben die Städte eine zahlreiche Bevölkerung von zahmen Eingeborenen. Man hatte sie nicht nur gezähmt, sondern vermutlich auch christianisiert, denn sie trugen die abscheuliche Kleidung, wie sie bei unsern christlichen zivilisierten Völkern Sitte ist. Einige von ihnen hätten sich sonst durch hervorragende Schönheit ausgezeichnet. Die häßlichen Kleider, der ihnen eigene schleppende Gang, das sorglose Lachen und ihre gutmütigen Gesichter mit dem zufriedenen, glücklichen [307] Ausdruck machten sie zu einem täuschenden Ebenbild unserer amerikanischen Schwarzen. Wo nun alles andere vollkommen harmonisch und durch und durch afrikanisch war, kam plötzlich ein Schwarm solcher Eingeborenen gegangen, die gar nicht dorthin paßten. Sie brachten einen Mißklang in die Stimmung, es entstand ein halb afrikanisches, halb amerikanisches Gemisch und der ganze Eindruck war verdorben.

An einem Sonntag sah ich in King Williams Town wohl ein Dutzend farbige Weiber, die nach neuster Mode kostbar und auffallend in die widersprechendsten und grellsten Farben gekleidet waren. Sie kamen über den großen, leeren Platz geschritten und zeigten in Gang und Miene jene schmachtende Vornehmtuerei, jenes innige Wohlgefallen an ihrem Putz, das ich so genau kannte und das für mich stets eine wahre Augenweide ist. Mir war, als sei ich nach fünfzigjähriger Trennung wieder unter guten alten Freunden und ich blieb stehen, um sie herzlich zu begrüßen. Sie brachen in ein kameradschaftliches Lachen aus, ihre weißen Zähne blitzten mir entgegen; alle antworteten auf einmal, doch verstand ich kein Wort von dem was sie sagten. Das verwunderte mich höchlich; es war mir auch nicht im Traum eingefallen, [308] daß sie eine andere Sprache reden könnten als Amerikanisch.

Auch die weichen, wohlklingenden Stimmen der afrikanischen Frauen erinnerten mich an die Sklavinnen aus meiner Kinderzeit. Ich folgte einigen bis in den Oranje-Freistaat, das heißt, durch die ganze Hauptstadt Bloemfontein, nur um den Laut ihrer Stimme und ihr lustiges Lachen zu hören.

Auf unsern Eisenbahnfahrten durch das Land hatte ich Gelegenheit viele Buren zu sehen, die auf dem einsamen Veld leben. Eines Tages stiegen in einem Dorf hundert zusammen aus der dritten Klasse, um sich auf der Station gütlich zu tun. Ihr Anzug interessierte mich. Etwas so Häßliches an Form und unharmonischer Zusammenstellung der Farben war mir noch nicht vorgekommen. Der Anblick regte mich in seiner Art fast ebenso auf, wie das Schauspiel, welches mir die geschmackvollen Trachten und schönen glänzenden Gewänder auf den indischen Stationen bereitet hatten. Ein Mann trug Beinkleider aus geripptem Baumwollzeug von dem abscheulichsten verschossenen Gelbbraun, das ich je gesehen habe, und sie waren obendrein neu, die Farbe war absichtlich gewählt, nicht durch irgend ein Mißgeschick entstanden. Ein langer, vierschrötiger Lümmel hatte [309] einen zerknitterten grauen Schlapphut mit breiter Krempe auf dem Kopf, rosinfarbene Hosen und einen scheußlichen, nagelneuen Tuchrock, der mit seinen wellenförmigen, breiten gelben und braunen Streifen ein Tigerfell nachahmen sollte. Nach meiner Meinung verdiente der Mensch gehängt zu werden; als ich aber den Stationsvorsteher fragte, ob sich das nicht bewerkstelligen ließe, verneinte er es auf grobe Weise und mit ganz unnötiger Heftigkeit. Im Fortgehen murmelte er noch etwas in den Bart, das wie ›Esel‹ klang; auch lenkte er die öffentliche Aufmerksamkeit auf mich und man zeigte mit Fingern nach mir. Das hat man davon, wenn man versucht etwas Gutes zu tun, es ist der Lohn der Welt!

An jenem Tage erzählte mir ein Mitreisender im Zuge noch allerlei von den Buren. Er sagte, daß sie früh aufstehen und ihre Schwarzen an die Arbeit treiben (sie müssen die Herden draußen auf der Weide hüten), dann setzen sie sich hin um zu essen, zu rauchen und zu schlafen; gegen Abend überwachen sie das Melken u. dgl., essen, rauchen und schlafen wieder, und gehen bei Dunkelwerden wieder zu Bett in den wohlriechenden Kleidern, die sie den ganzen Tag über und an jedem Werktag seit Jahren getragen haben. Auch von ihrer bekannten Gastfreiheit [310] wußte er ein Beispiel zu berichten: Einmal machte ein hochwürdiger Bischof von Amts wegen eine Reise durch den Veld, wo es keine Gasthäuser gibt. Zur Nacht kehrte er bei einem Buren ein, und als das Abendessen vorüber war, wies man ihm sein Bett an. Er war müde und angegriffen von seinem Tagewerk, kleidete sich aus und lag bald in tiefem Schlaf. In der Nacht ward ihm so eng und beklommen zu Mute, daß er erwachte; da sah er den alten Buren und seine dicke Frau rechts und links von ihm im Bett liegen; sie hatten alle ihre Kleider anbehalten und schnarchten laut. Ihm blieb nichts übrig als sich still zu verhalten und sein Geschick zu ertragen; er quälte sich wachend bis zur Morgendämmerung, dann schlummerte er noch ein Stündchen ein. Als er die Augen wieder aufschlug, war der alte Bur fort, aber die Frau lag noch an seiner Seite.


[311]

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Es gibt keinen Breitegrad auf der ganzen Erdkugel, der sich nicht einbildet, daß er eigentlich von Rechts wegen der Aequator sein solle.

Querkopf Wilsons Kalender.

Unter den Naturerscheinungen von Südafrika interessierte mich – nächst Mr. Rhodes – der Diamantkrater am meisten. Die Goldfelder im ›Rand‹ sind von erstaunlicher Größe; keine Goldgrube der Welt kann sich neben ihnen blicken lassen, aber, wie gesagt, den Betrieb kannte ich schon. Auch der Veld macht einen gewaltigen Eindruck, doch ist er im Grunde nur eine edlere, schönere Abart unserer großen Prairie. Die Eingeborenen boten mir viel Anziehendes aber wenig Neues, und in den Städten fand ich mich meist von Anfang an ohne Führer zurecht, denn ich kannte die Straßen auswendig, da ich sie unter andern Namen in den Städten anderer Länder genau so gesehen hatte. Nur die Diamantgruben waren für mich eine vollständige Neuheit, die mich ganz und gar gefangen nahm. Es leben nur wenige Leute, die den Diamanten in seiner Heimat besucht haben. Gold findet man an zahlreichen Orten, aber [312] der Diamant ist nur an drei oder vier Stellen in der Welt heimisch; es lohnt wohl der Mühe um den Erdball zu segeln, wenn man dafür die kostbarste und auserlesenste Seltenheit aus der Schatzkammer der Natur zu sehen bekommt.

Die Diamantlager bei Kimberley wurden im Jahre 1869 entdeckt; in Anbetracht der besonderen Umstände muß man sich nur verwundern, daß die Afrikaner sie nicht schon seit fünftausend Jahren kennen und ausbeuten. Man fand die ersten Diamanten offen auf der Oberfläche liegen; sie waren glatt und durchsichtig und schienen Feuer zu speien, wenn die Sonne sie bestrahlte. Hätte man nicht meinen sollen, der Wilde würde sie jederzeit höher geschätzt haben als alles andere auf der Welt, mit Ausnahme von Glasperlen? – Seit zwei oder drei Jahrhunderten haben wir ihm sein Land, sein Vieh, seinen Nachbar und alles was er sonst noch zu verkaufen hatte, für Glasperlen abgehandelt. Es ist daher höchst verwunderlich, daß er sich den Diamanten gegenüber so gleichgültig verhalten hat; denn er muß sie, ohne Zweifel, unzähligemale aufgelesen haben. Daß die Afrikaner nicht versuchten sie an die Weißen zu verkaufen, ist sehr natürlich, denn die Weißen besaßen ja schon Glasperlen von viel [313] gefälligerer Form in Hülle und Fülle. Aber die ärmeren Schwarzen, deren Mittel ihnen nicht erlaubten sich mit wirklichem Glas zu schmücken, hätten sich doch damit begnügen können die glitzernden Dinger zu tragen; sie wären dem weißen Händler aufgefallen, er hätte eine Probe mit nach Hause genommen und nachdem ihre Natur erkannt worden war, würden die Glücksjäger scharenweise nach Afrika geströmt sein. Die Weltgeschichte ist manchmal recht sonderbar, eines ihrer seltsamsten Vorkommnisse ist aber ohne Frage, daß man die Diamanten Jahrhunderte lang auf der Erde funkeln ließ, ohne daß sich irgend ein Mensch darum kümmerte.

Durch einen Zufall wurde die Wahrheit endlich offenbar: In einer Burenhütte auf der weiten, einsamen Ebene bemerkte ein fremder Reisender, daß ein Kind mit einem glänzenden Gegenstand spielte. Man sagte ihm, es sei ein Glasstückchen, das auf dem Veld gefunden worden wäre. Er kaufte es für eine Kleinigkeit, nahm es mit, und da er kein ehrlicher Mann war, machte er einem anderen Fremdling weiß, es sei ein Diamant. Er ließ sich 125 Dollars dafür bezahlen und war so vergnügt über den ungerechten Handel, als ob er ein gutes Werk getan hätte. In Paris verkaufte der betrogene [314] Fremde das vermeintliche Glasstück für 10 000 Dollars an einen Pfandverleiher; dieser ließ sich dafür von einer Gräfin 90 000 Dollars zahlen; die Gräfin verkaufte es einem Bierbrauer für 800 000 Dollars, der Bierbrauer ließ sich dafür vom König ein Herzogtum und einen Stammbaum verleihen und der König verpfändete den Diamanten. So hat sich die Sache in Wirklichkeit zugetragen.

Die Kunde von der großen Entdeckung verbreitete sich mit Blitzesschnelle und das südafrikanische Diamantenfieber brach aus. Jener erste Reisende, der so unehrlich war, erinnerte sich auf einmal, daß er gesehen hatte, wie ein Fuhrmann auf steilem Wege sein Wagenrad mit einem Diamanten gehemmt hatte, der so groß war wie ein Kinderkopf. Sofort gab er alle andern Geschäfte auf und zog aus, um jenen Diamanten zu suchen. Dabei hatte er jedoch keineswegs die Absicht, irgend jemand wieder um 125 Dollars zu betrügen, denn er war unterdessen in sich gegangen.

Wir wollen die Sache nun von ihrer lehrreichen Seite betrachten: Die Diamanten liegen nicht in fünfzig Meilen langen Felsschichten eingebettet, wie das Johannesburger Gold, sondern sie verteilen sich in den Schuttmassen, welche, wenn man so sagen [315] will, den Schacht eines scharf abgegrenzten Brunnens ausfüllen; außerhalb der Brunnenwände finden sich keine Diamanten. Dieser Schacht ist nichts anderes als ein großer Krater, dessen Oberfläche mit Gras überwachsen ist und sich auf keine Weise von der Ebene ringsumher unterscheidet. Das Weideland über dem Diamantenkrater von Kimberley war groß genug, um einer Kuh Nahrung zu geben, und von der Weide, die im Innern verborgen war, hätte sich ein Königreich satt essen können. Aber die Kuh wußte nichts davon und verscherzte ihr Glück.

Der Kimberley-Krater hat einen solchen Umfang, daß das römische Kolosseum Platz darin fände; wie weit sich die Einsenkung in die Tiefe erstreckt, weiß niemand, denn man ist noch nicht bis zum Boden des Kraters gekommen. Ursprünglich war das ganze senkrechte Loch mit einer festen, bläulichen Masse von vulkanischem Tuffstein angefüllt, in welcher sich die Diamanten verteilen gleich den Rosinen in einem Pudding. So tief wie sich das blaue Gestein in das Erdinnere erstreckt, wird man auch Diamanten darin finden.

In der Nähe gibt es noch drei oder vier berühmte Krater, alle in einem Umkreis von kaum drei Meilen Durchmesser. Sie gehören der De Beers-Gesellschaft, [316] die vor zwölf oder vierzehn Jahren von Mr. Rhodes gegründet wurde. Auch noch andere Krater, die zur Zeit das Gras bedeckt, sind Eigentum der De Beers, welche genau wissen, wo sie liegen und sie eines schönen Tages öffnen werden, wenn die Gelegenheit günstig ist.

Anfänglich waren die Diamantenlager im Besitz des Oranje-Freistaats; aber durch eine wohlüberlegte ›Berichtigung‹ der Grenzlinie wurden sie der Kapkolonie einverleibt und kamen unter britische Herrschaft. Ein hoher Beamter des Freistaats sagte mir, man habe der Republik 400 000 Dollars Entschädigung, Schmerzensgeld, oder wie man es nennen will, ausgezahlt, und nach seiner Meinung hätte die Regierung klug daran getan, die Summe anzunehmen und jeden Streit zu vermeiden, da alle Macht auf der einen und alle Schwäche auf der anderen Seite war. Jetzt gräbt die De Beers-Gesellschaft wöchentlich Diamanten im Wert von 400 000 Dollars aus. Das Kapland hat zwar den Grund und Boden erhalten, aber nicht den Gewinn, denn die Gruben sind, wie gesagt, Eigentum von Mr. Rhodes, den Rothschilds und anderen De Beers-Leuten, die keine Abgaben bezahlen.

Heutzutage stehen die Gruben unter Leitung der [317] fähigsten amerikanischen Grubeningenieure und werden nach wissenschaftlichen Grundsätzen ausgebeutet. Großartige Maschinen sind in Tätigkeit, um das blaue Gestein zu zerkleinern, aufzuweichen und solange zu bearbeiten, bis jeder Diamant, den es enthält, aufgefunden und in Sicherheit gebracht worden ist. Ich sah den ›Konzentratoren‹ bei ihrer Arbeit zu; sie standen vor großen Behältern voll Schlamm, Wasser und unsichtbaren Diamanten, und man sagte mir, daß ein Mann täglich dreihundert Wagenladungen aufgeweichtes Gestein – zu 1600 Pfund die Ladung – durchrühren, auspumpen, zubereiten und in drei Wagenladungen Schlamm umwandeln könne. Man brachte in meinem Beisein die drei Wagenladungen Schlamm auf die Siebsetzmaschine, welche sie auf eine Viertelladung reinen, dunkelfarbigen Sandes reduzierte. Dann ging es zu den Sortier-Tischen, wo ich sah, wie die Arbeiter den Sand rasch und geschickt ausbreiteten, ihn hin- und herfegten und jeden Diamanten herausnahmen, den sie aufblitzen sahen. Ich beteiligte mich eine Weile daran und fand einen Diamanten, der halb so groß war wie eine Mandel. Dies Fischen ist sehr aufregend; mich durchbebte jedesmal ein Freudenschauer, wenn ich einen der funkelnden Steine aus [318] dem dunkeln Sand hervorglänzen sah. Könnte ich mir doch dann und wann zum Festtagsspaß diesen Zeitvertreib machen!

Natürlich fehlt es dabei auch nicht an Enttäuschungen. Zuweilen findet man einen Diamanten, der keiner ist, sondern nur ein Stück Bergkrystall oder ein ähnlich wertloses Ding. Der Sachverständige unterscheidet es meist von dem Edelstein, den es nachäffen will. Im Zweifelfall legt er es auf eine Eisenplatte und schlägt mit dem Schmiedehammer darauf. Ist es ein Diamant, so bleibt es heil und ganz, alles andere wird zu Pulver zermalmt. Diese Probe gefiel mir so sehr, daß ich immer wieder mit Vergnügen zusah, wie oft sie auch vorgenommen wurde. Man setzt dabei nichts aufs Spiel, und die Spannung ist ein großer Genuß.

Die De Beers-Gesellschaft läßt täglich 8000 Wagenladungen – etwa 6000 Tonnen – blaues Gestein verarbeiten und gewinnt daraus drei Pfund Diamanten, die in rohem Zustand einen Wert von 50 000 bis 70 000 Dollars haben. Nachdem sie geschliffen sind, wiegen sie weniger als ein Pfund, ihr Wert ist aber vier- bis fünfmal größer als vorher.

Die ganze Ebene in jener Gegend ist einen [319] Fuß hoch mit dem blauen Gestein bedeckt, so daß sie aussieht wie ein gepflügtes Feld. Die Gesellschaft läßt die Stücke ausbreiten, um sie längere Zeit der Luft auszusetzen, weil sie dann leichter zu bearbeiten sind, als wenn sie unmittelbar aus der Grube kommen. Würde der Betrieb jetzt eingestellt, so könnte man von dem Gestein, das dort auf dem Felde liegt, noch drei Jahre lang täglich 8000 Wagenladungen nach den Sortierwerken bringen. Die Felder sind eingezäunt, sie werden bewacht und nachts durch hohe elektrische Scheinwerfer beleuchtet, was sehr zweckmäßig ist, da dort Diamanten im Wert von fünfzig bis sechzig Millionen Dollars liegen und an unternehmungslustigen Dieben kein Mangel herrscht.

Auch im Schmutz der Straßen von Kimberley sind Reichtümer verborgen. Vor einiger Zeit erteilte man den Bewohnern unbeschränkte Erlaubnis sie aufzuwaschen. Von allen Seiten strömten Leute herbei, die Arbeit wurde sehr gründlich verrichtet und eine reichliche Diamanternte gehalten.

Die Grubenarbeiter sind Eingeborene, die zu vielen Hunderten in Hütten wohnen, welche innerhalb eines großen, umzäunten Hofes stehen. Es ist ein lustiges, gutmütiges Volk und sehr gefällig; der Kriegstanz, den sie vor uns aufführten, war das [320] wildeste Schauspiel, das ich je gesehen habe. Während ihrer Dienstzeit, welche, wenn ich nicht irre, in der Regel drei Monate dauert, dürfen sie den Hof nicht verlassen. Sie steigen in den Schacht hinunter, tun ihre Arbeit, kommen wieder herauf, werden durchsucht und gehen zu Bett oder machen sich irgendwo eine Kurzweil auf dem Hofe. Das ist ihr Lebenslauf, tagaus, tagein.

Man glaubt, daß es ihnen jetzt nur selten gelingt, Diamanten zu stehlen. Früher verschluckten sie dieselben oder erfanden andere Methoden sie zu verbergen. Aber der Weiße läßt sich jetzt schwer überlisten. Ein Mann schnitt sich sogar ins Bein und versteckte einen Diamanten in der Wunde, doch selbst dieser Kunstgriff schlug fehl. Wenn die Leute einen schönen, großen Diamanten finden, liefern sie ihn im allgemeinen lieber ab, statt ihn zu stehlen. Im erstern Falle erhalten sie eine Belohnung, im letzteren kommen sie höchstwahrscheinlich in Ungelegenheiten. Vor einigen Jahren fand ein Schwarzer in einer Grube, die nicht den De Beers gehörte, den Diamanten, von welchem man sagt, er sei der größte, den die Welt je gesehen habe. Zum Lohn dafür wurde er vom Dienst befreit, erhielt eine wollene Decke, ein Pferd und 500 Dollars. Das machte ihn zu einem [321] Krösus; er konnte sich vier Weiber kaufen und behielt noch Geld übrig. Ein Eingeborener, der vier Weiber hat, braucht nicht mehr für seinen Unterhalt zu sorgen und keine Hand zur Arbeit zu rühren, er ist ein vollkommen unabhängiger Mensch.

Jener Riesen-Diamant wiegt 971 Karat. Er soll so groß sein, wie ein Stück Alaun oder wie ein Mundvoll Zuckerkant, manche behaupten sogar, wie ein Klumpen Eis. Aber diese Angaben schienen mir unwichtig und obendrein unzuverlässig. Der Diamant hat einen Fehler im Innern, sonst würde er von völlig unerschwinglichem Werte sein. So wie er ist, schätzt man ihn auf 2 000 000 Dollars, folglich müßte er nach dem Schleifen 5 000 000 bis 8 000 000 Dollars kosten; wer den Diamanten jetzt kauft, kann also viel Geld ersparen. Er ist Eigentum eines Syndikats und hat bisher keinen zahlungsfähigen Käufer gefunden, so ist er denn ein totes Kapital, bringt nichts ein und hat, außer dem glücklichen Finder, noch niemand reich gemacht.

Der Eingeborene fand ihn in einer Grube, welche im Kontrakt bearbeitet wurde. Das heißt, eine Gesellschaft hatte sich für eine bestimmte Summe und eine Abgabe vom Ertrag das Vorrecht erkauft, 5 000 000 Wagenladungen blaues Gestein aus der [322] Grube zu holen. Bei der Spekulation war kein Gewinn erzielt worden; doch gerade am Tage, ehe der Kontrakt ablief, kam der Schwarze mit dem Diamanten angegangen. Auch die Diamantenfelder sind nicht arm an überraschenden Episoden, wie man sieht.

Zwar wird der bekannte Koh-i-Noor mit Recht wegen seiner Größe und Kostbarkeit gepriesen, doch kann er sich nicht mit drei andern Diamanten messen, die zu den Kronjuwelen von Portugal und Rußland gehören sollen, und von denen einer den Wert von 20 000 000 Dollars hat, während der zweite auf 25 000 000 Dollars geschätzt wird und der dritte auf 28 000 000 Dollars.

Das sind in der Tat wunderbare Diamanten – mögen sie der Sage angehören oder der Wirklichkeit – aber der Edelstein, mit welchem jener Fuhrmann, von dem ich oben sprach, auf dem steilen Weg seinen Wagen gehemmt hat, war doch noch viel größer. In Kimberley traf ich mit dem Manne zusammen, der vor achtundzwanzig Jahren selbst mit angesehen hatte, wie der Bur den Diamanten unter das Wagenrad schob. Als er mir versicherte, der Stein sei eine Billion Dollars wert, wenn nicht darüber, glaubte ich es ihm aufs Wort. Der Mann [323] hat siebenundzwanzig Jahre seines Lebens darauf verwendet nach dem Diamanten zu suchen und wird wohl seiner Sache gewiß sein.

Wer sich das langwierige, mühevolle und kostspielige Verfahren angesehen hat, durch welches die Diamanten aus der Tiefe der Erde ans Licht gefördert und von den Schlacken befreit werden, die sie einschließen, der sollte zum Schluß nicht verfehlen, dem Bureau der De Beers in Kimberley einen Besuch abzustatten, wo täglich der Ertrag der Gruben abgeliefert, gewogen, sortiert, geschätzt und bis zum Einschiffen in eisernen Schränken verwahrt wird. Ohne besondere Empfehlungen erhält niemand Einlaß an diesem Ort, und aus den zahlreichen Warnungstafeln und Schutzvorrichtungen, die allenthalben angebracht sind, können selbst bekannte und gutempfohlene Personen leicht ersehen, daß sie keine Diamanten stehlen dürfen, wenn sie sich nicht Unannehmlichkeiten aussetzen wollen.

Wir sahen die Ausbeute jenes Tages in glänzenden kleinen Häufchen auf weißen Papierbogen liegen. Zwischen den einzelnen Diamanthäufchen war auf dem Tisch immer ein Fußbreit Raum gelassen. Der Tagesertrag stellte einen Wert von 70 000 Dollars dar. Im Lauf eines Jahres kommen dort auf [324] die Wage etwa eine halbe Tonne Diamanten, welche achtzehn bis zwanzig Millionen Dollars einbringen; der Profit beträgt ungefähr 12 000 000 Dollars.

Das Sortieren wird von jungen Mädchen besorgt; es ist eine hübsche, reinliche, nette, aber vermutlich recht qualvolle Arbeit. Täglich lassen die Mädchen reiche Schätze auf der Hand funkeln und durch die Finger gleiten und gehen doch abends so arm zu Bette, wie sie morgens aufgestanden sind, und das einen Tag wie alle Tage.

Auch in ihrem Urzustand sind die Diamanten wunderhübsch anzusehen; sie haben verschiedene Formen, eine glatte Oberfläche und abgerundete Ränder, niemals scharfe Ecken. Es gibt Diamanten in allen Farben und Schattierungen, vom klarsten Weiß des Tautropfens bis zum wirklichen Schwarz; die meisten sind hell und strohfarben. Wenn sie so glatt und rund, so durchsichtig und schillernd daliegen, meint man einen Haufen Fruchtbonbons zu sehen. Mir schien, als müßten diese rohen Edelsteine weit schöner sein als geschliffene. Erst als eine Sammlung geschliffener Diamanten hereingebracht wurde, erkannte ich meinen Irrtum. Einem Rosen-Diamanten mit natürlichem Farbenspiel läßt sich an Schönheit nichts vergleichen, außer ein Ding, das ganz und gar nicht [325] kostbar ist und ihm doch täuschend ähnlich sieht. Das ist vom Sonnenlicht durchglühtes Meerwasser, dessen Wellen den weißen Ufersand bespülen.


Noch vor Mitte Juli kamen wir nach Kapstadt, dem Endpunkt unserer Reise in Afrika. Nun waren wir ganz befriedigt, denn als wir den hohen Tafelberg über uns thronen sahen, wußten wir, daß wir alle großen südafrikanischen Sehenswürdigkeiten in Augenschein genommen hatten, außer Cecil Rhodes. – Ich weiß wohl, das ist keine unbedeutende Ausnahme. Denn mag nun Mr. Rhodes der erhabene und verehrungswürdige Patriot und Staatsmann sein, für welchen ihn viele halten, oder der Teufel in Menschengestalt, für den ihn die übrige Welt ansieht, jedenfalls ist er die imposanteste Persönlichkeit im britischen Reich, außerhalb Englands: Wenn er auf dem Kap der Guten Hoffnung steht, fällt sein Schatten bis zum Zambesi. Er ist der einzige Kolonist in den britischen Besitzungen, dessen Kommen und Gehen allerwärts auf der Erde besprochen und verzeichnet wird, dessen Reden das Kabel unverkürzt nach allen Enden der Welt entsendet und der einzige Ausländer von nicht königlichem Geblüt, dessen Ankunft in London ebenso viel Aufsehen macht, wie eine Sonnenfinsternis.

[326]

Daß er kein Findelkind des Glückes, sondern ein außerordentlicher Mensch ist, leugnen auch seine liebsten südafrikanischen Feinde nicht, soweit mir ihr Zeugnis bekannt ist. Die ganze Welt Südafrikas – Freund wie Feind – sieht mit ehrfurchtsvollem Schauer zu ihm empor. Dem einen Teil erscheint er als Bote Gottes, dem andern als ein Abgesandter des Satans; das Volk ist sein Eigentum, mit einem Hauch kann er es beglücken oder ins Verderben stürzen; viele beten ihn an, viele verabscheuen ihn, aber kein kluger Mann wagt ihm zu fluchen, und selbst die Unvorsichtigen tun es nur in leisem Flüsterton.

Was verschafft ihm aber diese gefürchtete Oberhoheit? Ist es sein ungeheuerer Reichtum, von dessen Fettöpfen für eine Menge Menschen Lohn und Unterhalt herabträufeln, was sie zu einem willfährigen Untergebenen macht? Ist es seine persönliche Anziehungskraft und Ueberredungskunst, mit der er alles hypnotisiert, was in den Bannkreis seines Einflusses gerät? Sind es seine majestätischen Gedanken und Riesenpläne für die Machterweiterung des britischen Reiches, sein patriotischer und selbstloser Ehrgeiz? Will er den segensreichen Schutz und die gerechte Herrschaft Englands über die weiten Länder des heidnischen Afrikas ausbreiten, damit der dunkle Erdteil [327] vom Ruhme des britischen Namens wiederstrahlt? Oder beansprucht er die Erde als sein Eigentum und halten seine Freunde so standhaft an ihm fest, weil sie glauben, er wird sie bekommen und auch ihnen etwas abgeben? – Was auch immer des Rätsels Lösung ist, das Endresultat bleibt dasselbe.

Jedenfalls steht die Tatsache fest, daß Rhodes tun kann was er will, ohne seine Herrschaft und seinen ungeheuern Anhang zu verlieren. Der Herzog von Fife sagt selbst, ›er habe ihn betrogen‹, doch läßt sich der Herzog in seiner Ergebenheit dadurch nicht irre machen. Rhodes bringt die Reformpartei durch seinen Einfall in Transvaal in große Not, aber die meisten glauben, er habe es gut gemeint. Er beklagt die schwerbesteuerten Johannesburger und macht sie sich zu Freunden; gleichzeitig verlangt er von seinen Ansiedlern in Rhodesia fünfzig Prozent und sichert sich dadurch ihr Vertrauen und ihre Zuneigung in solchem Maße, daß sie in Verzweiflung geraten, sobald sich nur das Gerücht verbreitet, die Chartered Company solle aufgelöst werden. Er fällt ins Land der Matabele ein, die er beraubt, erschlägt, und sich dienstbar macht; dafür wird er von allen Charter-Christen mit Lobsprüchen überhäuft. Er hat die Briten verführt, tonnenweise wertlose [328] Charter-Papiere für Noten der Bank von England zu kaufen, und doch streuen ihm die Beraubten Weihrauch, als dem Gott künftigen Ueberflusses. Er hat alles getan, was sich irgend tun ließ, um seinen Sturz vorzubereiten; ein Dutzend großer Männer wären an seiner Stelle sicherlich zu Fall gekommen. Er aber steht bis zum heutigen Tage auf seiner schwindelnden Höhe unter dem Himmelsdom, als ein Wunder seiner Zeit, als das Geheimnis des Jahrhunderts; die eine Hälfte der Welt hält ihn für einen geflügelten Erzengel und die andere für einen geschwänzten Teufel.

Ich bewundere ihn sehr, das gestehe ich ganz offen, und wenn seine Zeit kommt, will ich mir ein Ende von seinem hanfenen Strick zum Andenken kaufen.


Vierundzwanzigstes Kapitel.

Ich bin mehr gereist als irgend ein Mensch und habe die Entdeckung gemacht, daß selbst die Engel kein reines Englisch sprechen.

Querkopf Wilsons Kalender.

Den majestätischen Tafelberg habe ich jedenfalls gesehen. Er ist 3000 Fuß hoch; hat aber auch eine Höhe von 17 000 Fuß. Man kann sich auf diese [329] Zahlen verlassen, denn ich weiß sie aus dem Munde der zwei Bürger von Kapstadt, welche am besten darüber unterrichtet sind, weil sie sich das Studium des Tafelbergs zum Lebensberuf gemacht haben. Die Tafelbai wird so genannt, weil sie ganz eben ist. Das Schloß des kommandierenden Generals ist vor dreihundert Jahren von der Holländisch-Ostindischen Kompagnie erbaut worden. Auch die St. Simons-Bai habe ich gesehen, wo der Admiral wohnt, ferner war ich im Gouvernements-Haus und im Parlament, wo sich die Abgeordneten in zwei Sprachen stritten und sich in keiner verständigten. Ich besuchte den Klub und fuhr auf den schönen, gewundenen Straßen, die sich am Meeresufer und an den Bergen entlang ziehen, durch das Paradies, wo die Villen liegen. Auch in den hübschen alten holländischen Wohnhäusern aus früherer Zeit, die noch jetzt so behaglich sind, verweilte ich als Gast.


Am 15. Juli traten wir in dem ›Norman‹, einem prächtigen, trefflich ausgestatteten Schiff, die Rückfahrt nach England an, die kaum vierzehn Tage währte, und bei der wir uns nur in Madeira aufhielten. Eine solche Reise ist wie zum Ausruhen geschaffen für müde Leute, und deren hatten wir [330] viele an Bord. Mir war zu Mute, als hätte ich statt ein Jahr lang, Jahrhunderte lang Vorlesungen gehalten, und die meisten Johannesburger auf unserm Schiff waren noch sehr angegriffen von ihrer fünfmonatlichen Einkerkerung im Gefängnis zu Prätoria.

Unsere Reise um die Erde endigte am Landungsplatz von Southampton, wo sie vor dreizehn Monaten begonnen hatte. Eine Weltumsegelung in so kurzer Zeit schien mir eine schöne und große Tat, auf die ich mir heimlich nicht wenig einbildete. Aber nur einen Augenblick. Dann kam ein astronomischer Bericht von der Sternwarte und verdarb mir die ganze Freude: In der fernsten Ferne des Himmelsraumes war erst kürzlich ein neuer großer Weltkörper aufgetaucht, dessen Licht mit solcher Schnelligkeit reiste, daß es in 1 / 7 Sekunde die ganze Strecke durchmessen könnte, die ich zurückgelegt hatte. – Des Menschen Stolz verlohnt sich nicht der Mühe; immer lauert etwas im Hinterhalt, das ihn zu Falle bringt.

Dekoration


Die folgenden Ankündigungen des Verlags werden gefl. Beachtung empfohlen.


Verlag von Robert Lutz in Stuttgart .

Bismarck-Anekdoten. Heitere Szenen, Scherze und Charakterzüge aus dem Leben des ersten deutschen Reichskanzlers. Bearbeitet von Fr. Schmidt-Hennigker . 4. vermehrte Aufl. 239 S. Preis geh. M. 2.50 eleg. i. L. geb. M. 3.50.

Das Buch enthält eine Fülle von Anekdoten, angefangen mit Bismarcks frühester Jugend und fortgeführt bis an seinen Lebensabend, und fesselt den Leser von Anfang bis zu Ende. Der Charakter des großen Deutschen Bismarck kann dem Leser nicht besser offenbart oder näher gerückt werden als durch diese zahlreichen kleinen Züge.

Humor Friedrichs des Großen. Anekdoten, heitere Szenen und charakteristische Züge aus dem Leben König Friedrichs II. Bearb. von Fr. Schmidt-Hennigker . 5. vermehrte Aufl. 192 S. Preis geh. M. 2.–, eleg. i. L. geb. M. 3.–.

Marokkanische Geschichten v. A. J. Dawson . Autoris. Uebersetzung von Hans Lindner . 2 Bände à M. 2.50 brosch., M. 3.50 eleg. geb. – Jeder Band einzeln käuflich.

Das Berliner Tageblatt schreibt: »Diese Geschichten tragen den Stempel der Wahrheit und die echte maurische Farbe. Man liest da von schrecklichen Kerkern, von barbarischen Zuständen, kulturfeindlichen Sitten, seltsamen Menschenschicksalen, von fanatischen Anschauungen, und innerhalb dieser Bücher tauchen stolze Rassefiguren auf, verwegene Scheikhs, opfermutige Mädchen mit glutvollen Augen und hingebender Liebe, heißblütige Haremsdamen und fanatische Muselmänner. Alles, was diesem halbzivilisierten Volke seine Physiognomie gibt, bildet in diesem Buche die Steine zu einem charakteristischen Kulturbilde im farbenprächtigen Rahmen einer vom Sonnenlicht umflossenen Orientlandschaft.«

Bret Harte’s

Ausgewählte Erzählungen.

In 4 Oktavbänden à M. 2.– brosch., M. 3.– eleg. geb.

Jeder Band einzeln käuflich.

Inhalt : Bd. I. Drei Teilhaber. Roman. – Bd. II. Jack Hamlin als Vermittler u. a. Erz. – Bd. III. Das jüngste Fräulein Piper u. a. Erz. – Bd. IV. Das Licht im Felsenkessel nebst einigen kleinen Geschichten.

Bret Harte ist neben Mark Twain in Europa der beliebteste und gelesenste Schriftsteller Amerikas. Er ist unerschöpflich in der Kunst, dem fernen Westen Amerikas eigentümliche Charakterfiguren und originelle Handlungen zu schaffen. Die Sammlung bringt eine Auswahl seiner besten Erzählungen der neueren Zeit und zumeist solche, die zum erstenmale in deutscher Sprache erscheinen. Bd. 3 und 4 befinden sich in Vorbereitung.

Trilby. Roman von G. du Maurier.

Deutsche Ausgabe. 11. Aufl. Brosch. M. 4.50 geb. m. G. M. 5.50.

Der Roman ist von internationaler Berühmtheit und hat namentlich auch in Deutschland einen großen Leserkreis gefunden. Der Reiz des Buches liegt nicht in dem Hypnotismus, der darin eine gewisse Bedeutung erlangt, sondern in der Herzlichkeit und Gemütlichkeit der Erzählung, die das menschliche Interesse in hohem Grade fesselt. Wir lachen und weinen in einer Gesellschaft interessanter und meist liebenswürdiger Menschen, welche sich um die Gestalt der seelenvollen Trilby gruppieren.

Bekenntnisse eines Arztes.

Von W. Weressájew .

Einzige vom Verfasser genehmigte Uebersetzung von
Heinr. Johannson .

286 Seiten, nebst Porträt des Verfassers.
Preis geh. M. 2.–, in Leinwand geb. M. 3.– ,
– 3. Auflage. (6. u. 7. Tausend.) –

Peter Rosegger schreibt:

» Wieder einmal ein Buch, das in der ganzen zivilisierten Welt Aufsehen macht. Und mit Recht, es ist eines der ernstesten, redlichsten und nützlichsten Werke, die je geschrieben wurden. Der Verfasser erzählt mit erschütterndem Freimut seine Erfahrungen als Arzt, seine Enttäuschungen, seine Mißerfolge, seine Verzweiflung an der Medizin und – seine Hoffnung auf sie. Seitdem ich dieses Buch las, steht der ärztliche Beruf in meinen Augen größer da. Weressájew, der junge russische Arzt, gesteht ein, wie unendlich gering sein Können ist trotz unermüdlicher Studien und Forschungen, wie wenigen er geholfen, wie viele er durch sein Irren geschädigt, getötet hat! Und doch möchte ich gerade diesen Weressájew zu meinem Arzt wählen. Wenn alle Aerzte so wären wie der Verfasser dieses Buches, so gewissenhaft und so aufrichtig, dann würde der ärztliche Stand bei allen vernünftigen Leuten höher dastehen als jetzt.

Der Verfasser der »Bekenntnisse eines Arztes« ist – das sieht man auf jeder Seite – ein ganzer, ein guter und treuer Mensch. Aber er ist auch ein großer Schriftsteller. Sein Buch ist glänzend geschrieben. Es hat in kurzer Zeit ungeheure Verbreitung erlangt, die es verdient.«

Sherlock Holmes-Serie

Gesammelte Detektivgeschichten

von

Conan Doyle

Illustriert von Rich. Gutschmidt und anderen.

Vollständig in 6 Bänden (ca. 1800 Seiten).

Preis brosch. M. 12.–, in Lwd. geb. M. 18.– bei Bezug auf einmal; der einzelne Band kostet brosch. M. 2.25, in Lwd. geb. M. 3.25.

Die Ausgabe bringt folgende Werke:

I. Späte Rache.

II. Das Zeichen der Vier.

III. Der Bund der Rothaarigen u. A.

IV. Das getupfte Band u. A.

V. Fünf Apfelsinenkerne u. A.

VI. Der Hund von Baskerville.

Jeder Leser , auch der gebildetste und anspruchsvollste, wird an diesen ausserordentlich fesselnden Geschichten grossen Gefallen finden und den scharfsinnigen Beobachtungen und Schlussfolgerungen Sherlock Holmes’ seine Bewunderung zollen. Wer einmal eine dieser spannenden Erzählungen gelesen hat, der kann es sich nicht versagen, auch die andern kennen zu lernen.


Mark Twains
Ausgew. humoristische Schriften.

Inhalt:

Bd. I. Tom Sawyers Streiche und Abenteuer.
Bd. II. Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn.
Bd. III. Skizzenbuch.
Bd. IV. { Leben auf dem Mississippi.
Nach dem fernen Westen.
Bd. V. Im Gold- und Silberland.
Bd. VI. Reisebilder u. verschiedene Skizzen.

Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden.
Preis aller 6 Bände, zusammen bezogen, M. 13.50 gebunden.

Neue Folge:

Bd. I. Tom Sawyers Neue Abenteuer.
Bd. II. Querkopf Wilson.
Bd. III./IV. Meine Reise um die Welt. 2 Abt.
Bd. V. Adams Tagebuch u. a. Erzähl.
Bd. VI. Wie Hadleyburg verderbt wurde u. a. Erzähl.

Preis des einzelnen Bandes M. 3.– gebunden.
Preis aller 6 Bände, zusammen bezogen, M. 17.– gebunden.


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

Korrekturen:

S. 165: Janesch → Ganesch
Eingang steht ein Bildnis von Ganesch

S. 311: konnte → kannte
denn ich kannte die Straßen auswendig