VON DIESEM BUCHE WURDEN 20
ABZÜGE AUF ECHTEM JAPANPAPIER
ZUM PREISE VON ZWANZIG MARK FÜR
DAS EXEMPLAR HERGESTELLT / IN
GANZPERGAMENT GEBUNDEN UND
HANDSCHRIFTLICH NUMERIERT
MAURICE MAETERLINCK
GEDICHTE
VERDEUTSCHT VON K. L. AMMER UND
FRIEDRICH VON OPPELN-BRONIKOWSKI
VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS
JENA 1906
And in his hand a glass which shows
us many more.
Shakespeare
Et torpenti multa relinquitur miseria.
De Imitatione
O Treibhaus in Waldesmitte
Mit dem ewig geschlossenen Tor,
Wie manches birgt deine Kuppel doch,
Was mich an meine Seele gemahnt!
Gedanken einer Prinzessin, die darbt,
Verzweiflung von Schiffern in der Wüste,
Trompetenmusik an den Fenstern Schwerkranker!
Geht in die schwülsten Winkel!
Ist's nicht, als läg' ein Weib ohnmächtig am Erntetag?
Postillone sind im Hof des Hospizes;
Fern geht ein Elenjäger, jetzt Krankenwärter!
Seht nun im Mondenlichte zu!
(Nichts ist an seinem rechten Fleck!)
Wie eine Irre vorm Richterstuhl,
Wie ein Kriegsschiff mit vollen Segeln auf dem Kanal!
Nachtvögel, die sich auf Lilien wiegen!
Totengeläut am Mittag
(Da unter den Glocken!)
Ein Krankenzug in der Wiese,
Äthergeruch in der Sonnenglut.
Mein Gott, mein Gott, wann kommt Regen
Und Wind in das Treibhaus und Schnee!
Barmherzigkeit, mein Gott, Barmherzigkeit,
Dass ich schon an des Wollens Schwelle fehle!
Bleich ist vor Ohnmacht meine Seele,
Vor weisser Ohnmacht und Untätigkeit.
Die Seele mit den halbvollbrachten Taten,
Die Seele, bleich von Weinen und von Klagen,
Sieht vor dem Unerschlossnen ihre matten
Und schwachen Hände zittern und verzagen.
Und während aus dem Herzen veilchenblaue
Traumblasen steigen, hat ein Mondenstrahl
Die schwachen Hände ihr, wie Wachs so fahl,
Benetzt mit seinem müden Silbertaue, —
Ein Mondenstrahl, darinnen schon ein Schimmer
Der welken Lilien künft'ger Tage lebt,
Ein Mondenstrahl, aus dessen bleichem Flimmer
Sich trüb der Schatten ihrer Hände hebt.
Die blaue Starre, ach, im Herzen immer!
Und dieses allzuklare Schauen
Von meinen Träumen, meinen sehnsuchtsblauen,
Im tränenfeuchten Mondenschimmer!
O Starre, wie das Treibhaus blau,
Die tiefen, grünen Scheiben fest verschlossen,
Das Glas von Mondlicht übergossen,
Und nur der Blick durchdringt den Bau,
Sieht draussen Wälder riesenhaft
In nächtlichem Vergessen in den Raum
Aufragen, unbeweglich wie ein Traum,
Der auf den Rosen liegt der Leidenschaft.
Und langsam steigt ein Wasserstrahl,
Darin zu einem ew'gen grünen Weinen
Der Himmel und das Mondenlicht sich einen,
Und wie im Traum eintönig ist sein Fall.
O die Versuchungen, die grün
Im Dunkel meiner Seele aufgeschlossen
Mit ihren Blättern, die mein Ich durchglühn
Wie Flammen, und mit ihren Sprossen, —
Der dunklen Äste dunklen Zierden,
Die in des Bösen Mondenschein
Mit ihren keimenden Begierden
Herbstliche Schatten um sich streu'n!
Die unter ihrer Schleimhaut Schale
Und ihrer Fieberschwären Blühn
Das Mondlicht überziehn, das fahle,
Mit ihres trüben Reifes Grün.
Und ihre frevle Fruchtbarkeit
Geheime Süchte offenbart,
So düster wie das Herzeleid
Von Kranken, welche Schnee umstarrt.
Von ihrer Trauer überflort,
Seh' ich in Wunden voller Blutes
Der Wollust blaues Schwert gebohrt
Ins rote Fleisch des Übermutes.
O Herr, die Träume dieser Welt,
Wann sterben sie in meinem Herzen?
Gib, dass Dein Himmelsglanz erhellt
Das schlimme Treibhaus meiner Schmerzen
Und das Vergessen, das ich nimmer fand!
Und ihrer Fieber dürre Haide!
Die Sterne zwischen ihrer Lippen Rand
Und ihrer Sünden Eingeweide!
Glasglocken ihr!
Seltsame Pflanzen, immerdar geschützt,
Und draussen stürmt der Wind durch meine Sinne!
Ein ganzes Tal der Seele ewig regungslos
Und feuchte Wärme, mittags eingeschlossen!
Die Bilder, die man an des Glases Oberfläche sieht!
Hebt niemals eine auf!
Auf alten Mondschein sind ein paar gestülpt.
Blick' durch das Blattwerk:
Es sitzt vielleicht ein Landstreicher auf dem Thron,
Man meint, Seeräuber lauerten auf einem Teich,
Und Vorwelttiere drohen Überfall den Städten.
Auf alten Schnee sind etliche gestellt,
Gestülpt sind andre über alten Regen.
(Habt Mitleid mit dem eingeschlossnen Dunst!)
Ich hör' ein Fest am Sonntag feiern in der Teurung,
Ein Lazarett ist auf dem Erntefeld,
Und alle Königstöchter irren an einem Fasttag durch die Auen!
Gib acht auf die am Horizont zumal!
Sie decken alte Ungewitter sorgsam zu!
O, irgendwo muss eine grosse Flotte im Sumpfe sein!
Und Schwäne haben, deucht mich, Raben ausgebrütet!
(Kaum sieht man durch den feuchten Dunst!)
Eine Jungfrau begiesst Farnkraut mit heissem Wasser,
Und eine Schar von kleinen Mädchen belauscht den Klausner in der Zelle.
In einer gift'gen Grotte Grund sind meine Schwestern eingeschlafen!
O harrt, bis endlich Mond und Winter
Die Glocken decken, rings im Eis verstreut!
Mein armes Tun bring ich dir dar;
Es ist den Träumen Toter gleich;
Im Sturme scheint der Mond so bleich
Auf meiner Reue Tiereschar:
Auf meiner Träume violette Schlangen,
Die sich durch meinen Schlummer ranken,
Und auf mein schwertgekrönt Verlangen,
Auf Löwen, die im Sonnenschein ertranken,
Und Lilien im fernen Wogenspiele
Und Hände, die auf ewig sich geschlossen,
Und meines Hasses rote Stiele,
Vom trüben Flor der Liebe grün umflossen.
Hör' in Erbarmen, was die Lippe spricht,
Und dulde, dass mein düsteres Gebet
Und das im Gras verstreute Mondenlicht
Die Nacht am Himmelsrande mäht.
Meiner müden Schwermut blaues Glas
Deckt den alten, unbestimmten Kummer,
Dessen ich genas,
Und der nun erstarrt in seinem Schlummer.
Sinnbildhaft ist seiner Blumen Zier:
Mancher Freuden düstre Wasserrose,
Palmen der Begier,
Weiche Schlinggewächse, kühle Moose.
Eine Lilie nur in all dem Flor,
Bleich und starr in ihrer Kränklichkeit,
Richtet sich empor
Über all das blattgewordne Leid.
Licht sind ihre Blätter anzuschauen,
Weissen Mondesglanz sie um sich sät.
Zum Kristall, dem blauen,
Sendet sie ihr mystisches Gebet.
Ihr Augen mein, von Finsternis erleuchtet,
Die alle meine Süchte überwand!
Das Herz, das allen Träumen offen stand
In Nächten, da die Seele Schweiss befeuchtet!
Ich hab' die Rosen der verdorrten
Erwartungen versenkt in mein Gemüt,
Und meine Wimpern schlossen ihre Pforten
Über den Wünschen, die umsonst geglüht.
Allabendlich tun meine ohnmachtsstarren
Und bleichen Finger ab das Glockenglas
Der grünen Hoffnung von dem dürren Gras
Der Dinge, die nicht sind und die nicht waren.
Und meine matte Seele lauscht mit Beben
Den Traumesworten, die die Lippe spricht
Im Flor der Lilien, die mich umgeben;
Und meines Herzens Finsternis wird Licht! ...
O meine Seele!
O meine allzusichre Seele!
Und diese Herden von Wünschen in einem Treibhaus!
Die eines Gewitters über den Wiesen harren!
Tritt zu den Kränksten:
Sie hauchen seltsame Dünste aus!
Mir ist bei ihnen, als beträt ich mit meiner Mutter ein Schlachtfeld!
Man begräbt einen Waffenbruder zur Mittagszeit,
Indess' die Wachen ihr Mahl verzehren.
Tritt auch zu den Schwächsten:
Sie liegen in seltsamem Schweiss.
Sieh hier eine kranke Braut,
Dort einen Verrat am Sonntag
Und kleine Kinder im Kerker.
(Und weiter weg, durch all den Dunst)
Ist's eine Sterbende an der Küchentür?
Eine Krankenschwester, die am Sterbebett Gemüse liest?
Tritt endlich zu den Traurigsten:
(Zuletzt zu ihnen, denn sie sind vergiftet.)
O meine Lippen spüren den Kuss von Verwundeten!
Alle Schlossfräulein starben vor Hunger
Diesen Sommer in den Türmen meiner Seele!
Sieh, der junge Tag tritt hinein in das Fest!
Ich sehe Lämmer an den Ufern entlang
Und einen Schleier vor den Fenstern des Spitals!
Ein weiter Weg ist es von meinem Herzen bis zu meiner Seele!
Und alle Wachen sind auf ihrem Posten tot!
Es war einmal ein armes kleines Fest in den Vorhöfen meiner Seele!
Man mähte dort den Schierling eines Sonntag-Morgens;
Und all die Jungfrau'n aus dem Kloster sahn die Schiffe
Auf dem Kanal vorüberziehn; es war an einem sonn'gen Fasttag.
Indess' die Schwäne litten unter einer gift'gen Brücke,
Schlug man die Bäume rings um das Gefängnis.
Man bracht' an einem Juni-Nachmittag Arznei,
Und Krankenmahle breiteten sich aus nach allen Seiten!
O meine Seele!
Wie traurig ist das alles, meine Seele!
Wie traurig alles!
So starr sind ihre Augen und erblindet,
Dass ihre Lippe nicht die Stelle findet.
Nur noch versenkt in ihren stolzen Traum
Schaun sie wie Hunde, die am Wiesensaum
Verträumt die weissen Lämmer schreiten sehen,
Wie sie des Mondes Silber auf der Au
Abweiden, überdeckt vom Himmelsgrau, —
Grau wie ihr Leben; stumpf und ohne jähen
Wunsch nach dem Rosenflor in ihren Spuren
Und achtlos dieser tiefen stillen Fluren.
O meine Seele fühlt so krank sich heut'!
Sie krankt an allem, was nicht ward,
Am Schweigen, das nichts offenbart,
Und meine Augen klären sie mit Leid.
Ich seh' ein regungsloses Jagen,
Seh' der geheimen Süchte Meute
Auf müden Spuren folgen ihrer Beute,
Und der Erinn'rung Geisseln schlagen.
Die Hunde meiner Träume irren
Durch schwülen Wald in langen Zügen
Und nach dem weissen Hirsch der Lügen
Der Reue gelbe Pfeile schwirren.
O Gott, mein atemlos Verlangen,
Der Augen schwüles Wünschen hält
In allzublauem Dunst gefangen
Den Mond, der meine Seel' erhellt.
O die verrauschten Leidenschaften!
Der Tränen Flut, des Lachens Klang!
Unter dem welken Laub erschlafften
Mit halbgeschlossnen Lidern, krank,
Die gelben Hunde meiner Sünden
Und meines Hasses schielende Hyänen,
Und auf verdrossnen bleichen Wiesengründen
Seh' ich die Löwen sich der Liebe dehnen!
In ihres Traumes Ohnmacht hingekauert
Und müde unter schlaffem Himmel,
Der trüb und farblos niedertrauert,
So seh' ich ihren Blick auf dem Gewimmel
Der Lämmer der Versuchung haften,
Die langsam, eines nach dem andern,
Im stillen Mondschein weiterwandern —
Und stille ruhn sie, meine Leidenschaften ...
Wie ein Weib verzagt ist meine Seele!
Gott, sieh gnädig nieder auf das Tun
Meiner Hände, Lilien der Seele,
Meiner Augen, drin des Herzens Himmel ruhn!
Herr, erbarm dich meiner Nöte!
Ring und Palmenzweig hab' ich verloren.
Herr, erbarm dich meiner Angstgebete;
Schwache Blumen sind sie, die im Glas verdorren.
Mitleid, Herr, wenn arg die Lippen sprechen,
Mitleid, Herr, mit meiner Reue!
Lilien auf meine Fieber streue,
Säe Rosen auf die Sümpfe der Gebrechen!
Gott, den Himmel meiner Augen füllt
Trübend alter Stunden Taubenflug.
Hab' Erbarmen mit dem Lendentuch,
Das mit seinen blauen Falten mich umhüllt.
O sieh die alten Wünsche ziehen,
Und wieder müde Träumerei,
Und wieder Träume, die entfliehen:
O sieh, der Hoffnung Tage sind vorbei!
Zu welchen soll ich nun entrinnen?
Kein Stern mehr an des Himmels Weiten!
Eis liegt auf allen Traurigkeiten
Und unterm Mond schwimmt blaues Linnen.
Und wieder Tränen, die ich überrasche!
O sieh die Lämmer, die den Schnee abweiden,
Sieh Kranke frieren bei verglomm'ner Asche!
O Gott, erbarm dich aller ihrer Leiden!
Lass mich nicht länger des Erwachens harren,
Nicht länger harren auf des Schlummers Ende!
Der Sonne harren meine Hände,
Die in dem kalten Mond erstarren.
Die trägen Pfau'n, die weissen Pfau'n entwichen,
Die weissen Pfau'n flohn des Erwachens Leid.
Ich seh' die weissen Pfau'n, die Pfau'n von heut',
Die Pfauen, die im Schlaf sich fortgeschlichen.
Die trägen Pfau'n, die weissen Pfauen schreiten
Lässig zum sonnenlosen Teich im Garten.
Ich hör' die weissen Pfau'n der Traurigkeiten
Lässig die sonnenlose Zeit erwarten.
Krankenhaus am Ufer des Kanals!
Krankenhaus im Juli!
Und dennoch macht man Feuer an im Saal,
Und grosse Dampfer pfeifen schrill auf dem Kanal!
(O tretet nicht ans Fenster!)
Auswandrer gehn durch einen Prunkpalast!
Ich sehe eine Yacht im Sturm!
Ich seh auf allen Schiffen Herden!
(Tut lieber nicht die Fenster auf,
So ist man fast geschützt vor allem Draussen!)
Man meint, ein Treibhaus liegt im Schnee,
Man meint, dass eine Wöchnerin
Den ersten Kirchgang tut bei stürmischem Wetter.
Man sieht auf eine wollne Decke Blumen ausgestreut.
Ein Brand brach aus an einem Sonntag
Und einen Wald betret' ich voll Verwundeter!
O, endlich kommt der Mond!
Ein Wasserstrahl steigt mitten auf im Saal!
Ein Schwarm von kleinen Mädchen öffnet die Tür!
Ich seh' auf einer grünen Insel Schafe weiden
Und schöne Blumen blühn auf einem Gletscher!
Lilien in einer Marmorhalle!
Ein Fest, das man im Urwald feiert!
Und eine morgenländische Flora blüht in einer Eisgrotte!
Horch, die Schleusen tun sich auf!
Die grossen Dampfer schlagen Wellen im Kanal!
O die barmherzige Schwester schürt das Feuer!
Das schöne grüne Schilf am Ufer brennt!
Ein Schiff voller Verwundeter kämpft mit der Flut im Mondenschein!
Die Königstöchter alle sind in einem Boot im Sturm!
Und die Prinzessinnen sterben in einem Schierlingsfeld!
O lasst die Fenster zu!
Hoch, horch, noch pfeifen fern die grossen Dampfer!
Im Garten wird jemand vergiftet!
Und bei den Feinden feiert man ein Fest!
Es rennen Hirsche durch eine belagerte Stadt!
Eine Tierbude mitten in Lilien!
Eine Tropenflora im Schoss eines Kohlenschachtes!
Eine Schafherde zieht über eine eiserne Brücke!
Und die Lämmer der Herde betreten traurig den Saal!
Jetzt zündet die Schwester die Lampen an;
Sie bringt den Kranken das Essen.
Sie schliesst die Fenster auf den Kanal
Und alle Türen vor dem Mondenschein.
Mein nächtliches Gebet ist müd'
In Sehnsuchtsträumerei'n erschlafft.
Ich fühl's, wie jähe Leidenschaft
Und schlimme Wollust mich durchglüht!
Ich seh' des Mondes helles Flirren
Im nächt'gen Kummer meiner Träume;
Ich sehe über giftige Räume
Die Fleischeslust verloren irren.
Ich fühle, wie nach grünen Fernen
Die Gier in meiner Brust erwacht,
Und in der wolkendunklen Nacht
Lechz' ich verdürstend nach den Sternen.
Ich fühle, wie mein Geist sich füllt
Mit bösen, schwarzen Zärtlichkeiten,
Und über sumpfbedeckten Weiten
Verfinstert sich des Mondes Bild.
Dein Groll, o Herr, macht mich zunichte!
O hab Erbarmen, Herr, und beue
Dem Kranken, Schweissgebadeten aufs neue
Das Grün, das er erblickt im Mondenlicht!
Und all den Schierling, Herr, es eilt, es eilt,
Der ringsum wuchert, heiss' ihn niedermähen!
Durch meiner Hoffnung Dunkel muss ich sehen,
Wie grün der Mond auf Schlangenleibern weilt!
Und all die schlimmen Träume dringen
In meinen Blick mit ihren Sündenqualen;
Ich höre blaue Wasserstrahlen
Empor zum kalten Monde springen!
Ich weine über Lippen ohne Farben,
Auf denen keine Küsse je geboren,
Und über Wünsche wein' ich, die verloren
In hingemähten Traurigkeiten starben.
Und immer ist der Himmel regenblass,
Und immer deckt der Schnee die Meeressäume.
Und Wölfe sind gelagert in das Gras
Vor der geschlossnen Schwelle meiner Träume.
In meine matte Seele, ganz verschwommen
Von fernen Tagen, ist ihr Blick gesenkt;
Sie sehn sie von der Lämmer Blut getränkt,
Die eines Tags im Eise umgekommen.
Und endlich tritt der Mond hervor
Und starrt mit seinem Strahl, dem trübsalschweren,
Darin des Herbstes welkes Laub gefror,
Auf all mein krankes, hungerndes Begehren.
Ich stimme bleiche Lieder an
Von Küssen, die nicht wiederkehren;
Ich sehe Sieche Liebe sich gewähren
Auf dem verstreuten Wiesenplan.
In meinen Schlummer eingesponnen,
Auftauchen hör' ich Stimmen so gelassen!
Und Lilien öffnen sich auf dunkle Gassen,
Die Sterne nie geschaut noch Sonnen.
Und dieses Streben mit noch zagem Herzen,
Und diese Wünsche, die ich nur gefasst,
Sind Bettlern gleich in einem Prunkpalast,
Im Morgenrot gleich matten Kerzen.
Ich warte, dass der Mondschein mild
Mein Auge füllt, das offen lag im Sinnen
So manche Nacht, dass er mit seinem Linnen,
Dem stillen, blauen, meine Träume stillt.
Die Stunde naht, o Herr; nun benedeie
Den ausgelöschten Schlaf der Knechte.
Ich harre, Herr, dass deine Rechte
In Kellerhöhlen Rosen streue.
Ich höre, dass von deinem Hauch gesunde
Mein Herz, nun endlich sicher vor Verrat,
Ein Osterlamm, das sich im Sumpf vertrat,
Und tief in warmen Fluten eine Wunde.
Ich harre, Herr, auf Nächte sonder Ende,
Auf eine unheilbare Schwäche,
Dein Ebenbild auf schwüler Wasserfläche
Und streck' nach deinem Schatten meine Hände.
Und deiner Nächte, Vater, will ich harren,
Auf dass sich die Begierden all, die schwülen,
Und Träume in dem feuchten Abend kühlen
Und dann in einem Eispalast erstarren ...
O Taucher, ewig unter der Glocke!
Ein ganzes Meer von ewig warmem Glas!
Ein ganzes regungsloses Leben mit langen grünen Pendelschlägen!
Und so viel fremde Wesen durch die Scheiben,
Die zu berühren ewig untersagt ist,
Wo so viel Leben draussen herrscht im klaren Wasser!
Gib acht! Der Schatten grosser Segelschiffe fliegt
Über den Blumenflor der Meereswälder!
Und plötzlich bin ich unterm Schatten grosser Wale,
Die nach dem Pole ziehn!
Jetzt löschen wohl die Andern in dem Hafen
Die Ladung der beschneiten Schiffe!
Ein Gletscher, der noch starrt auf Sommerwiesen!
Sie schwimmen rückwärts durch die grüne Flut der Meeresbucht!
Am Mittag dringen sie in düstre Grotten
Und Meeresbrisen fegen die Terrassen!
Gib acht! Das sind des Golfstroms Flammenzungen!
Halt' ihre Küsse fern den Wänden des Verdrusses!
Man tat den Fieberkranken keinen Schnee mehr auf die Stirn!
Die Siechen haben Freudenfeuer angezündet
Und werfen grüne Lilien mit vollen Händen in die Glut!
Lehn' deine Stirn an, wo die Wände kühler sind,
Und warte, bis der Mond die Glockenspitze trifft,
Und schliess die Augen fest vor jenen Wäldern
Von blauen Pendelschlägen und von violettem Gallert:
Und bleib den Flüsterworten taub der lauen Flut!
Dann trockne deine schweissgeschwächten Wünsche.
Tritt erst zu denen, die der Ohnmacht nahe sind:
Es ist, als ob sie Brautnacht feierten im Keller,
Als ob sie mittags einen unterirdischen Gang, mit Lampen ausgehängt, beträten.
Sie zieh'n im Festzug durch ein Land, das einer Waise Kindheit gleicht.
Tritt dann zu denen, die im Sterben liegen.
Sie kommen an wie Jungfraun nach einem langen Weg im Sommer an einem Fasttag.
Sie sind so bleich wie Kranke, die den Regen
Sanft auf die Gärten des Spitales rieseln hören,
Sie sind wie Überlebende, die auf dem Schlachtfeld Mahlzeit halten,
Und wie Gefangene, die wissen, dass alle Wächter sich im Flusse baden,
Und hören, dass man Gras im Kerkergarten mäht.
Ach, meine Wünsche tragen
Die Seele nicht mehr an den Strand der Lider
Zur Ebbe von Gebet und Klagen
Sank sie hernieder.
Tief im geschlossenen Auge sie ruht.
Nur ihr Odem treibt matt und weiss
Noch empor an den Rand der Flut
Lilien von Eis ...
Ihre Lippen im Schmerzabgrunde
Schliesst unendliches Wellenspiel;
Und doch blühen aus ihrem Munde
Blumen auf blauem Stil.
Vor ihren Händen mein Blick erbleicht,
Wenn er der Lilien Spur nachzieht,
Die, von einander unerreicht,
Sich tot geblüht.
Und ich weiss, dass der Tod ihr naht,
Faltet sie nur ihre matten Hände,
Allzu schwach zu der Blumen Mahd,
Die keiner mehr fände ...
Ich betrachte alte Stunden
Unterm Brennglas meiner Reue,
Seh' von neuem Flor entbunden
Ihre tiefgeheime Bläue.
O dies Glas auf dem Verlangen,
Das die Seele mir durchdrungen!
Nah ich's den Erinnerungen,
Welke Gräser Feuer fangen!
Den Gedanken aufgehalten,
Seh' ich durch das blaue Glas
All das Leid, das ich vergass,
Neue Blätter nun entfalten,
Bis zu jener Nächte Ferne,
Die mir längst im Geiste starben,
Trübend mit den Trauerfarben
Meiner Seele Hoffnungssterne.
Wie des Traumes Fluten schwellen,
Meine Seele bebt, meine Seele bebt
Und mein Herz, versenkt in Traumesquellen,
Wird von Mondenschein durchwebt.
Tief im düstren Schilf, dem regungslosen,
Seh' ich tiefe Spiegelbilder weinen:
Schlanke Palmen, Lilien und Rosen,
Die sich in dem Wasserschoss vereinen.
Blüt' auf Blüte streut den Blätterkranz
Auf des Himmels Widerschein.
In des Traumes Flut, in den Mondenglanz
Gehen sie für ewig ein ...
Ich seh' in meinen Träumerei'n
Die Tränen, die ich je verschwendet,
Die Küsse, die mein Herz verblendet,
Vorüberziehn in langen Reih'n,
Wie Mondlicht auf dem Wiesenrain,
Wie farbenlose Blumensterne,
Wie Wasserstrahlen in der Ferne,
Wie Lilien, welk im Mondenschein.
Dem schweren Schlummer matt entstiegen,
Seh' ich durch die geschlossnen Lider,
Wie Raben sich auf Rosen wiegen
Und Sonne lacht auf Kranke nieder.
Und langsam auf die matte Seele fällt
Die Schwermut all der unbestimmten Liebe,
Ganz still, als ob ihr keine Regung bliebe:
So ruht der stille Mondschein auf der Welt.
Herr, du weisst, wie elend all mein Mühn!
Sieh die Opfer, die ich dir geboten,
Schlechte Erdenblumen, die verblühn,
Sonnenlicht auf einer Toten.
Sieh auch meine Mattigkeit!
Schwarz das Frührot, ohne Mond die Nacht!
Träufle nieder deine Himmelspracht,
Und befruchte meine Einsamkeit!
Lass mich finden deine Spuren,
Schenke Licht der müden Brust;
Trübsal liegt auf meiner Lust,
Wie das Eis auf grünen Fluren.
O diese armen müden Blicke!
Die euren und die meinen!
Die nicht mehr sind und die noch kommen werden!
Die niemals kommen und die dennoch sind!
Die Sonntags Kranke zu besuchen scheinen;
Und manche sind wie Kranke ohne Haus,
Wie Lämmer auf der Bleiche voller Linnen.
Und diese ungewohnten Blicke!
In deren Wölbung eine Jungfrau hingerichtet wird
Hinter verschlossner Tür und man muss zusehn!
Und die an unbekannte Trübsal uns gemahnen!
An Bauern in den Fenstern der Fabrik,
An einen Gärtner, der zum Weber wurde,
An einen Sommernachmittag im Wachsfigurenkabinett,
Und an der Königin Gedanken, die einen Kranken sieht im Garten!
An Kampfergeruch im Walde!
Und an ein Fürstenkind, das Feiertags in einen Turm geworfen wird,
An wochenlange Fahrt auf schwülem Kanal.
Erbarmt euch derer, die mit kleinen Schritten ausgehn,
So wie Genesende zur Erntezeit!
Erbarmt euch derer, die wie Kinder blicken,
Die sich zur Essenszeit verliefen!
Habt Mitleid mit dem Blick des Wunden zu dem Arzt,
Er ist wie Zelte im Orkan!
Habt Mitleid mit dem Blick der Jungfrau in Versuchung,
Und mit dem Blick, der Jungfrau, die erliegt!
Wie Fürstentöchter, die im ausweglosen Sumpf verirrt sind!
(O wie die Milch in Strömen durch das Dunkel flieht,
Und wie die Schwäne sterben mitten unter Schlangen!)
Und jene Blicke, die wie Schiffe mit vollen Segeln, lichterstrahlend, hinausziehn in den Sturm!
Das Klägliche in all den Blicken, weil sie nicht wo anders sind!
So viele Leiden, kaum zu unterscheiden, und dennoch so verschieden!
Und die, die niemand je verstehen wird!
Und diese armen, fast verstummten Blicke!
Und diese armen Blicke, die da flüstern!
Und diese armen fast erstickten Blicke!
Die einen wie ein Schloss, zum Krankenhaus verwandelt!
Und so viel andre sind wie Zelte, Lilien des Krieges auf dem kleinen Rasenplatz des Klosters!
Und viele sind wie Kranke, die im Treibhaus liegen!
Und viele sind wie Krankenschwestern ohne Kranke auf hoher See!
O dass ich alle diese Blicke sah!
O dass ich alle diese Blicke aufnahm!
Die meinen, die sie kreuzten, sind erschöpft,
Und seit der Zeit kann ich die Augen nicht mehr schliessen!
Die Seele faltet ihre Wunderhände
Am Himmel meiner Blicke, Herr, und fleht:
O dass mein Träumen doch Erfüllung fände,
Das von den Lippen deiner Engel geht!
In meinen müden Augen harrt sie still,
Den Mund geöffnet zu Gebeten,
Die zwischen meinen Lidern sich verspäten
Und deren Blüte niemals kommen will.
In meines Traumes Schoss ruht sie die Brust,
Die unter meinen Wimpern ihr verblüht,
Und zuckt die Wimpern, der Gefahr bewusst,
Die sie im Garn der Lüg' erwachen sieht.
Die Augen überraschten meine Seele.
O Gott, erbarme dich und sä'
Ein wenig Blätter und ein wenig Schnee
Darüber, dass gedämpft das Feuer schwele!
Auf meinem Bett hab' ich die Sonne brüten,
Und dieser ewig gleiche Stundenschlag!
Und meine Blicke streuen ihre Blüten
Auf Sterbende am Erntetag! ...
Nur welke Gräser hab' ich rings gepflückt,
Und meine Augen sind vom Schlaf so müd'
Wie Kranke, die kein frischer Trunk erquickt,
Wie Kellerblumen, drauf die Sonne glüht.
Ich harr' des Regens, der die Wiesen tränkt
Und meine regungslosen Träume,
Und meine Blicke ziehn durch weite Räume
Der Herde nach, die zu den Städten drängt.
Aus meinen Augen Traumesblüten treiben
Und meine Seele, unter Glas verschlossen,
Hat durch ihr Treibhaus Licht ergossen
Und streift die blauen Fensterscheiben.
O Treibhaus, das die schwüle Seele kettet,
Die Lilien, um die das Glas sich schliesst,
Das Schilf, das unter diesem Glasmeer spriesst,
Die Wünsche all, die nichts mehr rettet.
Durch der geschlossnen Lider Säume
Möcht' ich zu den vergess'nen Blüten dringen,
Die einstmals rosig an den Ästen hingen,
Die offnen Blüten meiner Träume.
Ich harre, dass im Laubwerk, dem verdorrten,
Ein wenig Grün sich zeigen will;
Ich harre, dass der Mond die Pforten
Mit blauen Fingern öffnet, sanft und still.
Hab Mitleid mit den Augen, die verdrossen
Der Seele Hoffen neu erwachen sehn.
Hab Mitleid, Herr, mit dem, was unerschlossen
In Nächten harrt und zaudert aufzugehn!
O Seele du mit deinen leisen Wogen
Und den bewegten Lilien in der Flut,
Von dunklen Wasserstreifen überzogen,
Und was in meinen Augen Edles ruht!
O Gott, der Wasserrosen Hals umstricken
Seltsame Blumen, die ich nie gekannt,
Und deiner Engel unsichtbare Hand
Bewegt die stille Flut in meinen Blicken.
Und ihre unbestimmten Zeichen bringen
Die Blumen in der blauen Flut zum Blühn,
Und meine Seele spannt die weissen Schwingen
Zum Flug, um mit den Schwänen fortzuziehn.
O Händedrücke!
Das Dunkel dehnt sich zwischen euren Fingern!
Trompetenschrillen im Wettersturm!
Und Orgelklang im Sonnenschein!
Alle Herden der Seele in lichtloser Nacht!
Und alles Salz des Meeres im Gras der Wiesen!
Und diese blauen Meteore rings am Himmelskreis!
(Habt Mitleid mit des Menschen Kraft!)
Doch diese sind noch trauriger und müder!
O, diese Händedrücke eurer armen, feuchten Hände!
Ich höre eure reinen Finger sich um meine Finger legen,
Und Lämmerherden ziehn im Mondenlicht an eines Flusses lauer Flut von dannen.
Ich weiss noch all die Hände, die ich je berührte.
Ich sehe wieder, was in dem Schutze dieser Hände war.
Und heute seh' ich, was ich selbst im Schutze dieser lauen Hände war.
Ein Bettler war ich oft, der Brot am Fuss von Thronen isst.
Ein Taucher war ich, der aus heisser Flut sich nicht mehr retten kann!
Ich war ein ganzes Volk, das nicht mehr aus dem Mauerkreis entkam.
Und diese Hände, wie ein Kloster ohne Garten!
Und die, die mich umschlossen, wie ein Glashaus
An Regentagen eine Krankenschar umschliesst!
Bis andre kamen, kühlere, das Tor zu öffnen
Und Wasser auf die Schwelle auszugiessen!
O, seltsame Händedrücke bekam ich,
Die mich nun immerdar umgeben!
Almosen waren es am Sommertag,
Und eine Ernte in tiefem Keller.
Und Seiltänzerlieder hallten rings um ein Gefängnis,
Und Wachsfiguren standen sommers in den Wäldern!
Oder der Mondstrahl mähte nieder die Oasen,
Und manchmal traf ich Jungfraun schweissgebadet im Schoss von Eisgrotten!
Habt Mitleid mit den seltsamen Händen!
Sie halten aller Könige Geheimnisse umspannt!
Habt Mitleid mit den allzu bleichen Händen!
Es ist, als kämen sie aus Mondeshöhlen.
Sie sind vernutzt vom Spinnen: der Wasserstrahlen Spindel spannen sie.
Habt Mitleid mit den allzu weissen, feuchten Händen!
Mir ist, als hätten Königstöchter sich am Mittag hingelegt den ganzen Sommer lang.
Haltet euch fern von allzu harten Händen!
Sie scheinen aus dem Felsen ausgemeisselt.
Doch habt Erbarmen mit den kalten Händen!
Ich seh' ein Herze bluten unter eis'gen Rippen!
Und habt Erbarmen mit den bösen Händen!
Die Brunnen haben sie vergiftet
Und junge Schwäne in ein Schierlingsnest getan.
Ich sah die bösen Engel mittags alle Pforten öffnen.
Nur Toren sind auf einem giftigen Fluss.
Nur schwarze Schafe sind auf sternenloser Trift,
Und Lämmer gehn, die Finsternis zu weiden.
Doch diese frischen, treuen Hände!
Sie bieten reife Früchte dar den Sterbenden!
Sie tragen frisches, kaltes Wasser in der hohlen Hand.
Milch giessen sie auf blutige Schlachtfelder!
Sie kommen, traun, aus wunderbaren, ewigen Urwäldern!
Meine Seele ist betrübt am Ende,
Ist betrübt von all der Müdigkeit,
Matt von ihrer Unzulänglichkeit,
Matt ist sie und auch betrübt am Ende,
Und mein Antlitz harrt auf deine Hände.
Herr, es harrt auf deine reinen Hände,
Harrt auf ihre engelreine Kühle,
Harret auf des Friedensringes Spende,
Harret, dass es ihren frischen Odem fühle,
Einem Schatze gleich im Meeresgrunde.
Und ich harre, dass ich bald gesunde,
Dass ich nicht am Sonnenlichte sterbe,
Hoffnungslos im Sonnenlicht verderbe,
Dass mein Blick sich kühlt, der fieberwunde,
Drinnen so viel Arme Schlaf begehren!
Drinnen so viel Schwäne ziehn auf Meeren,
Schwäne, die ins Ungewisse fliegen
Und den kranken Hals vergeblich biegen,
Drinnen Kranke gehn und Rosen brechen
Auf verschneiten Gartenflächen.
Herr, mein Antlitz lechzt nach deinen Händen,
Die gleich eisigen Engeln Kühlung spenden;
Und nach ihnen lechzen wie nach Wasserbächen
Meiner Blicke dürre Haiden,
Wo so viele müde Lämmer weiden!
I
Sie schmiedeten sie in der Höhle an
Und machten ein Kreuz an die Pforte dann.
Die Maid gedachte des Lichts nicht mehr,
Und der Schlüssel, der fiel ins Meer.
Sie wartete drinnen die Sommerszeit,
Sie wartete sieben Jahr und mehr:
Alljährlich kam einer des Wegs daher.
Sie harrte drinnen die Winterszeit,
Und im Harren ward ihr das Haar so lang:
Das entsann sich des Lichtes Herrlichkeit,
Und suchte das Licht und fand's und drang
Durch die Steine hindurch zum Felsenhang,
Hing nieder von ihm mit Prangen.
Eines Abends kommt noch Einer gegangen,
Weiss nicht, was der lichte Schein da sei,
Und traut sich nicht vorbei.
Er meint, ein Zeichen wär's, gar eigen,
Er meint, ein güldner Born wär' dort,
Er meint, es wär' ein Engelreigen;
Er wendet sich und geht auch fort ...
II
Und kehrt er einst heim,
Was sag ich ihm dann?
— Sag, ich hätte geharrt,
Bis mein Leben verrann.
Wenn er weiter fragt
Und erkennt mich nicht gleich?
— Sprich als Schwester zu ihm;
Er leidet vielleicht ...
Wenn er fragt, wo du seist,
Was geb ich ihm an?
— Mein Goldring gib
Und sieh ihn stumm an ...
Will er wissen, warum
So verlassen das Haus?
— Zeig die offene Tür,
Sag, das Licht ging aus.
Wenn er weiter fragt
Nach der letzten Stund'?
— Sag, aus Furcht, dass er weint,
Lächelte mein Mund. ..
III
Sie töteten einst drei Jungfräulein,
Zu schauen in ihr Herz hinein.
Das erste war voller Glück und Freud',
Und überall, wo sein Blut hinsprang,
Drei Schlangen zischten drei Jahre lang.
Das zweite war voller Lindigkeit,
Und überall, wo sein Blut hinsprang,
Drei Lämmer grasten drei Jahre lang.
Das dritte war voller Harm und Leid,
Und überall, wo sein Blut hinsprang,
Drei Erzengel wachten drei Jahre lang.
IV
Die Mädchen mit den verbundenen Augen
(Tut ab die goldenen Binden!)
Die Mädchen mit den verbundenen Augen
Wollten ihr Schicksal finden ...
Haben zur Mittagsstunde
(Lasst an die goldenen Binden!)
Haben zur Mittagsstunde
Das Schloss geöffnet im Wiesengrunde.
Haben das Leben gegrüsst
(Zieht fester die goldenen Binden!)
Haben das Leben gegrüsst,
Ohne hinauszufinden ...
V
Die drei blinden Schwestern
(Hofft und verzaget nicht)
Die drei blinden Schwestern
Mit goldner Lampen Licht
Steigen hinauf zum Turme
(Sie, ihr und der ich's sag'),
Steigen hinauf zum Turme
Und harren sieben Tag' ...
O, spricht die eine
(Hofft und verzaget nicht),
O, spricht die eine,
Ich höre unser Licht ...
O, spricht die andre
(Sie und wir andern auch),
O, spricht die andre,
Der König steigt herauf ...
Nein, spricht die Reinste
(Hofft und verzaget nicht),
Nein, spricht die Reinste,
Verloschen ist unser Licht ...
VI
Sie kamen und sagten mir ein Wort
(Mein Kind, ich zittre so),
Sie kamen und sagten mir ein Wort:
Sie sagten, er zöge fort ...
Ich nahm zur Hand die Lampe hell
(Mein Kind, ich zittre so),
Ich nahm zur Hand die Lampe hell
Und trat zu den Türen schnell ...
An der ersten Tür, an der ich stand
(Mein Kind, ich zittre so),
An der ersten Tür, an der ich stand,
Erbebte die Flamme in meiner Hand ...
An der zweiten Tür, an der ich stand
(Mein Kind, ich zittre so),
An der zweiten Tür, an der ich stand,
Da sprach die Flamme in meiner Hand ...
An der dritten Tür, an der ich stand
(Mein Kind, ich zittre so),
An der dritten Tür, an der ich stand,
Erlosch das Licht in meiner Hand ...
VII
(aus »Blaubart und Ariane«)
Die sieben Mädchen von Orlamünde
Nach der Fee Verschwinden,
Die sieben Mädchen von Orlamünde
Wollten Tür und Freiheit finden,
Zündeten an die sieben Lampen,
Öffneten Tür um Tür,
Türme, viele hundert Säle,
Fanden nicht zum Licht herfür ...
Steigen in hallende Grotten nieder,
Wagen sich noch tiefer hinab,
Finden eine Tür verschlossen,
Goldner Schlüssel schliesst sie ab.
Sehn im Spalt des Meeres Wogen,
Fürchten alle den Tod,
Wagen sie nicht aufzuschliessen,
Pochen dran in ihrer Not ...
VIII
Sie hatte drei Kronen von lautrem Gold,
Wem gab sie die Kronen, sprich?
Die eine reicht sie den Eltern dar,
Die kauften drei Netze dafür von Gold,
Und hielten sie drin, bis es Frühling war.
Die andre tat' sie den Buhlen weih'n,
Die kauften drei silberne Garne fein
Und hielten sie bis zum Herbst darin.
Die dritte gibt sie den Kindern hin,
Die kauften drei eiserner Fesseln Zwang,
Drin blieb sie gekettet den Winter lang ...
IX
Sie kam zum Schloss gegangen
— Die Sonne erhob sich kaum —
kam zum Schloss gegangen,
Die Ritter blickten mit Bangen
Und es schwiegen die Fraun.
Sie blieb vor der Pforte stehen
— Die Sonne erhob sich kaum —
blieb vor der Pforte stehen;
Man hörte die Königin gehen
Und der König fragte sie:
Wohin gehst du? Wohin gehst du?
— Gib acht in dem Dämmerschein —
Wohin gehst du? Wohin gehst du?
Harrt drunten jemand dein?
Sie sagte nicht Ja noch Nein.
Sie stieg zu der Fremden hernieder
— Gib acht in dem Dämmerschein —
Sie stieg zu der Fremden hernieder,
Die schloss sie in ihre Arme ein.
Die beiden sagten nicht ein Wort
Und gingen eilends fort.
Der König, der hat an der Schwelle geweint
— Gebt acht, wenn der Dämmer scheint —
Der König, der hat an der Schwelle geweint.
Man hörte der Königin Schritte verhallen,
Man hörte welke Blätter fallen.
X
(aus »Aglavaine und Selysette«)
Als ihr Geliebter schied
(Ich hörte die Türe gehn),
Als ihr Geliebter schied,
Da hab' ich sie lächeln sehn ...
Doch als er wieder kam
(Ich hörte des Lichtes Schein),
Doch als er wiederkam,
War ein andrer daheim ...
Und ich sah den Tod
(Mich streifte sein Hauch),
Und ich sah den Tod,
Der erwartet ihn auch ...
XI
Mutter, hast du nicht vernommen,
Mutter, dass sie uns warnen kommen? ...
Tochter, gib mir deine Hand,
Tochter, es ist ein Schiff am Strand ...
Mutter, sei auf deiner Hut ...
Tochter, es fährt bald auf der Flut ...
Mutter, ist die Fährnis nah? ...
Tochter, es zieht in die Ferne ja ...
Mutter, es nähert sich immerfort ...
Tochter, bald ist's nicht mehr im Port ...
Mutter, jetzt ist es schon im Haus ...
Tochter, es zieht in die Welt hinaus ...
Mutter, jetzt kommt es zur Tür herein ...
Tochter, sie ziehen die Anker ein ...
Mutter, jetzt flüstert es neben mir ...
Tochter, es ist schon fern von hier ...
Mutter, es nimmt den Sternen den Glanz ...
Tochter, die Segel beschatten sie ganz ...
Mutter, jetzt pocht's an die Fenster an ...
Tochter, der Wind hat sie aufgetan ...
Mutter, ich sehe fast nichts mehr ...
Tochter, es fährt auf das hohe Meer ...
Mutter, es ist überall ganz nah ...
Tochter, wovon denn sprichst du da? ...
XII
Ihr habt die Lampen angezündet
Und im Garten liegt Sonnenschein!
Ihr habt die Lampen angezündet:
Durch die Spalten seh' ich den hellen Schein.
Tut auf die Türen und lasst ihn ein!
— Die Schlüssel der Türen sind verloren,
Wir müssen warten und uns gedulden;
Die Schlüssel fielen von Turmes Rand.
Wir müssen warten und uns gedulden,
Bis andre Tage kommen ins Land ...
Andre Tage öffnen die Türen,
Deren Riegel sich jetzt nicht rühren.
Der Wald, der hütet sie gut.
Des welken Laubes Feuerglut,
Die brennt auf der Schwelle der Türen ...
— Die anderen Tage sind voller Müh',
Die anderen Tage fürchten sich auch,
Die anderen Tage kommen nie,
Die anderen Tage sterben wie sie,
Und wir, wir sterben auch ...
XIII
Schwestern, ich suchte dreissig Jahr,
Wo mag er verborgen sein?
Schwestern, ich pilgerte dreissig Jahr
Und holte ihn doch nicht ein ...
Schwestern, ich pilgerte dreissig Jahr,
Nun sind die Füsse mir schwer.
Schwestern, er war überall
Und ist nirgends mehr ...
Schwestern, trübe die Stunde blinkt;
Zieht mir vom Fusse die Schuh'.
Schwestern, auch der Abend sinkt
Und meine Seele sucht Ruh' ...
Schwestern, sechzehn Jahre alt,
Pilgert weit fort von hier.
Schwestern, nehmt meinen Stab zum Halt,
Geht und sucht gleich mir ...
XIV
Die drei Schwestern wollten sterben,
Setzten auf die güldnen Kronen,
Gingen sich den Tod zu holen.
Wähnten ihn im Walde wohnen:
»Wald, so gib uns, dass wir sterben,
Sollst drei güldne Kronen erben.«
Da begann der Wald zu lachen
Und mit einem Dutzend Küssen
Liess er sie die Zukunft wissen.
Die drei Schwestern wollten sterben,
Wähnten Tod im Meer zu finden.
Pilgerten drei Jahre lang.
»Meer, so gib uns, dass wir sterben,
Sollst drei güldne Kronen erben.«
Da begann das Meer zu weinen,
Liess mit dreimal hundert Küssen
Die Vergangenheit sie wissen.
Die drei Schwestern wollten sterben,
Lenkten nach der Stadt die Schritte;
Lag auf einer Insel Mitte:
»Stadt, so gib uns, dass wir sterben,
Sollst drei güldne Kronen erben.«
Und die Stadt tat auf die Tore
Und mit heissen Liebesküssen
Liess die Gegenwart sie wissen.
XV
LIED DER JUNGFRAU
(aus »Schwester Beatrix«)
Allen weinenden Seelen,
Aller nahenden Schuld
Öffn' ich im Sternenkranze
Meine Hände voller Huld.
Alle Schuld wird zunichte
Vor der Liebe Gebet.
Keine Seele kann sterben,
Die weinend gefleht.
Verirrt sich die Liebe
Auf irdischer Flur,
So weisen die Tränen
Zu mir eine Spur.
Die Gedichtsammlung
Im Treibhaus
(»Serres
chaudes«, Brüssel 1895) ist übertragen von K. L.
Ammer und in die endgültige Form gebracht durch
Fr. v. Oppeln-Bronikowski, der auch die »
Fünfzehn
Lieder
« übersetzt hat (Quinze Chansons,
Brüssel 1900, in der Neuauflage der »Serres
chaudes«).
Die »Serres chaudes« sind Maeterlincks Erstlingswerk.
Er schrieb sie im Jahre 1887 in Paris unter
dem Einfluss der Decadenten und veröffentlichte
sie z. T. in der von ihm und Charles van Lerberghe
begründeten Zeitschrift »La Pléiade«, welche die
Lyrik reformieren wollte, getreu der
Ars Poetica
Verlaines:
»De la musique avant toute chose ...
Rien de plus cher que la chanson grise
Où l'Indécis au Précis se joint ...
Que ton vers soit la chose envolée
Qu'on sent qui fuit d'une âme en allée
Vers d'autres cieux à d'autres amours ...
Et tout le reste est littérature.«
Maeterlinck ist in der Erfüllung dieses Postulats
noch weiter gegangen als Verlaine; man möchte
diesem Gedichte als Motto einen Spruch aus den
»Fragmenten« des
Novalis
voransetzen, die Maeterlinck
bekanntlich ins Französische übertragen hat:
»...Es lassen sich Erzählungen ohne Zusammenhang,
jedoch mit Assoziation, wie Träume, denken;
Gedichte, die bloss wohlklingend und voll schöner
Worte sind, aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang,
höchstens einige Strophen verständlich,
wie Bruchstücke aus den verschiedenartigsten
Dingen. Diese wahre Poesie kann höchstens einen
allegorischen Sinn im Grossen und eine indirekte
Wirkung wie Musik haben.«
Die
Fünfzehn Lieder
, von denen zwölf auf
vlämischem Boden entstanden sind (Luxusausgabe
»Douze Chansons« mit Illustrationen von Charles
Doudelet, Paris 1897), sind stilistisch von den »Serres
chaudes« sehr verschieden; sie tragen den Stempel
des altfranzösischen Volksliedes mit seinen Refrains,
seiner primitiven Metrik und Reimtechnik, seiner
Schlichtheit und Starrheit, seinen dumpfen Wiederholungen.
So heisst es in Lied VI:
»An der ersten Tür, an der ich stand,
Erbebte die Flamme in meiner Hand.
An der zweiten Tür, an der ich stand,
Da sprach die Flamme in meiner Hand.
An der dritten Tür, an der ich stand,
Erlosch das Licht in meiner Hand.«
Damit vergleiche man z. B. jene von Chamisso mitgeteilte
Ballade »La fille du roi d'Espagne«:
»Der Ritter wirft sein Gewand ab,
Taucht in des Meeres Grund.
Bei seinem ersten Tauchen
Macht er keinen Fund.
Bei seinem zweiten Tauchen
Hat der Ring geblinkt.
Bei seinem dritten Tauchen
Der Rittersmann ertrinkt.«
Arthur Luther hat im »Litt. Echo«, Bd. VIII, 10,
Sp. 748, auch auf die Ähnlichkeit zwischen Dante
Gabriel Rossettis »An old song ended« und Lied II
verwiesen, ebenso auf dessen Anklingen an Ophelias
Lied in Shakespeares »Hamlet«, welch letzteres
Maeterlinck selbst als stimmungbildend anerkennt.
DRUCK VON W. DRUGULIN IN LEIPZIG
EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA
MAETERLINCK, Gesammelte Werke
übersetzt von Friedrich von Oppeln-Bronikowski
I. DRAMATISCHE WERKE
Bd. I—VIII brosch. à Mk. 2.—, geb. à Mk. 3.—
|
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Einzig autorisierte Bühnenausgabe
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|
Band I
|
PRINZESSIN MALEINE. Mit einer Vorrede und dem Bildnis des Verfassers
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|
Band II
|
DREI ALLTAGSDRAMEN: Der Eindringling — Die Blinden — Im Innern. 2. Auflage
|
|
Band III
|
DREI MYSTISCHE SPIELE: Die sieben Prinzessinnen — Alladine und Palomides — Der Tod des Tintagiles. 2. Auflage
|
|
Band IV
|
PELLEAS UND MELISANDE. 2. Aufl.
|
|
Band V
|
AGLAVAINE UND SELYSETTE. 2. Auflage
|
|
Band VI
|
ZWEI SINGSPIELE: Blaubart und Ariane — Schwester Beatrix. 2. Auflage
|
|
Band VII
|
MONNA VANNA. 18.-20. Tausend
|
|
Band VIII
|
JOYZELLE
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|
Band IX
|
DAS WUNDER DES HEILIGEN ANTONIUS. Brosch. Mk. 1.—, geb. Mk. 2.—
|
|
II. PHILOSOPHISCHE WERKE
Band I
|
DER SCHATZ DER ARMEN. 3. verb. Aufl. Brosch. Mk. 4.—, geb. Mk. 5.—
|
|
Band II
|
WEISHEIT UND SCHICKSAL. 3. Aufl. Brosch. Mk. 4.50, geb. Mk. 5.50
|
|
Band III
|
DAS LEBEN DER BIENEN. 4. erw. Auflage. Brosch. Mk. 4.50, geb. Mk. 5.50
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|
|
Preisgekrönt von der Académie française
|
|
Band IV
|
DER BEGRABENE TEMPEL. Brosch. Mk. 4.50, geb. Mk. 5.50
|
|
Band V
|
DER DOPPELTE GARTEN. Brosch. Mk. 4.50, geb. Mk. 5.50
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