The Project Gutenberg eBook of Yussuf Khans Heirat This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Yussuf Khans Heirat Author: Frank Heller Translator: Marie Franzos Release date: April 20, 2022 [eBook #67885] Language: German Original publication: Germany: Georg Müller Credits: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK YUSSUF KHANS HEIRAT *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1919 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Zitate und Ausdrücke wurden nicht korrigiert. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden durch ihre Umschreibungen dargestellt (Ae, Oe, Ue). Die Seitenzahlen des Inhaltsverzeichnisses wurden, falls notwendig, entsprechend des jeweiligen Kapitelanfangs in der Buchausgabe korrigiert. Die dort aufgeführten Kapitelüberschriften stimmen nicht in allen Fällen mit den Überschriften im Text überein; dies wurde aber so belassen. Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: _Unterstriche_ #################################################################### Frank Heller / Yussuf Khans Heirat Autorisierte Uebertragung aus dem Schwedischen von Marie Franzos [Illustration] Frank Heller Yussuf Khans Heirat Roman München 1919 bei Georg Müller 1. bis 10. Tausend _Copyright 1919 by Georg Müller in München_ Inhalt Erstes Kapitel Lyrischer Prolog 7 Zweites Kapitel Vorsicht bei Eisenbahnfahrten 21 Drittes Kapitel Das große Hotel 57 Viertes Kapitel Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad 82 Fünftes Kapitel Das große Hotel (Fortsetzung) 92 Sechstes Kapitel Das Loch in der Wand und das Loch im Boden 108 Siebentes Kapitel Ein Verschwinden mit Nebenumständen 143 Achtes Kapitel Mynheer van Schleetens Erlebnisse 162 Neuntes Kapitel Yussuf Khans Wiederkehr 187 Zehntes Kapitel Die Nachwirkung einer tollen Nacht auf Fürsten und Poeten 211 Elftes Kapitel das seinen Zweck erfüllt, den Leser zu verwirren 239 Zwölftes Kapitel Ein Fest und sein Abschluß 256 Dreizehntes Kapitel Yussuf Khans Heirat 269 Vierzehntes Kapitel Einfach, Nasirabad 286 I Lyrischer Prolog Held eines Romans, Held einer Folge von Abenteuern -- klingt das nicht wie törichter Nonsens? Wer glaubt an Romane im wirklichen Leben, wer glaubt daran, daß es noch Abenteuer gibt? Die Abenteuer, sagte man im achtzehnten Jahrhundert, sind vor zweihundert Jahren ausgestorben. Zur Zeit der Renaissance, +da+ gab es Abenteuer! Sie sprechen heute von Abenteuern, wiederholt man im neunzehnten Jahrhundert, ha ha! Sie entschuldigen schon ... Die Abenteuer sind mit Napoleon ausgestorben, dem leibhaftigen Abenteuer in Fleisch und Blut. Zu Napoleons Zeit gab es Abenteuer. Aber +jetzt+! Nein wirklich, Sie müssen schon entschuldigen. Herrn Allan Kraghs Zeit fiel in das zwanzigste Jahrhundert, das heißt jener Teil seines Lebens, den er wirklich so nennen konnte. Er war nämlich 1885 geboren; und wenn auch die ersten fünfzehn Jahre unseres Lebens später fast immer mit einem Seufzer zu den glücklichsten gerechnet werden, ist es zweifelhaft, ob sie während ihres Verlaufes auch in dieser Weise aufgefaßt werden. Höchst zweifelhaft. Ja, warum sollte man Haeckels berühmte These vom Leben des Individuums als Resumé des Lebens der Gattung nicht darauf anwenden können? Genau wie es für die meisten Menschen ein Glaubensartikel ist, daß alles Romantische sich zur Zeit Roms, zur Zeit der Renaissance, zur Zeit der Revolution zugetragen hat und auf jeden Falls jetzt, seit der eigene kleine Privatlebensbetrieb des Betreffenden begonnen hat, so ferne und tot ist, wie ein geologisches Zeitalter -- genau in derselben Weise denkt man mit dreißig Jahren an die Zwanzig zurück (+da+ war es noch eine Freude zu leben), mit Fünfzig an die Dreißig, und überhaupt die ganze Zeit, seit man lange Hosen oder Röcke zu tragen bekommen hat, an die unaussprechlich fröhliche, spannende, romantische Kindheit, die jetzt tot und begraben ist, und nie zu einem armen Teufel wiederkehrt, der in einem grauen, uninteressanten Alltagsleben verkümmern muß. Und dabei sind die ganze Zeit die Abenteuer da, für den, der sie zu finden weiß. Sie sind überall da, wie Sonnenschein und Regen, aber im Gegensatz zu diesen mehr oder weniger ungleichmäßig verteilt auf Gerechte und Ungerechte. Es gibt Individuen, in deren Leben die Abenteuer sich geradezu häufen, ohne daß sie eigentlich etwas dafür können, und es gibt andere, die in die Grube fahren, ohne daß ihnen ein Abenteuer begegnet ist. Wer weiß? Vielleicht begegnet es ihnen dort! Daß Allan Kragh Abenteuer erlebte, lag sowohl an ihm selbst wie an den Umständen, deren Verlauf wir in Kürze skizzieren wollen. Sein Dasein begann so uninteressant als nur möglich; denn was ist uninteressanter als ein junger Mann, dessen Leben im Alter von einundzwanzig Jahren schon Punkt für Punkt arrangiert vor ihm liegt, wie ein Konzertprogramm? Zuerst ein Einzugsmarsch: einige flotte Studienjahre; ein Walzer: eine bessere Verlobung; Stimmungsstück: die Ehe beginnt, und so weiter bis zum Schlußmarsch hinter dem Sarg. So sah es aus, als sollte Allan Kraghs Leben sich gestalten, und dann kam von dem ursprünglichen Programm eigentlich nur der Einzugsmarsch zur Ausführung. Jetzt fragt wohl der Leser: Wie konnte Herrn Allan Kraghs Leben schon im Alter von einundzwanzig Jahren so wohlgeordnet aussehen? Es steht in der Regel, Gott sei’s geklagt, um die jungen Männer nicht so gut. Sollte Herr Kragh vermögend gewesen sein? Auf diese Frage beeilen wir uns wahrheitsgetreu zu antworten: Herr Allan Kragh war vermögend. Und er war sogar mit einundzwanzig Jahren Herr über sein Vermögen, da seine Eltern tot waren. Und in diesem Alter finden wir ihn an der Universität, ohne beschützende Verwandte, als Herr über fünfzigtausend Kronen und im übrigen als einen etwas trägen, gutmütigen, ziemlich begabten, hübsch gewachsenen schwedischen Jungen; außerdem (oder folglich) so wie König Erik XIV., leichtsinnig und mit einer Umgebung von nicht gerade trefflichen Ratgebern. Herrn Allan Kraghs Studien interessieren uns nicht im besonderen Grade. Schon zur Zeit Mäcenas’ gab es solche, die Freude daran hatten, den olympischen Staub der Rennbahn mit dem Rade aufzuwirbeln; andere wiederum, die größeres Interesse daran fanden, in wechselndem Metrum den von Königen herstammenden Mäcenas zu preisen. Allan Kragh zeigte sich bald von der erstgenannten dieser beiden Tätigkeiten gefesselt; er wirbelte recht viel Staub auf seiner akademischen Rennbahn auf, während Personen seiner Umgebung, ohne seine Genealogie von so hohem Ursprung wie die Mäcenas’ abzuleiten, ihn doch als geeigneten Gegenstand für Huldigungsoden erkannten und ihn ihren Schutz und Schirm nannten. Was sagt doch der Dichter von einem achtjährigen rauschenden Gelage? Allan Kragh brachte es nicht weiter als bis zu sechs Jahren an der Universität, aber daß diese von rauschenden Festen erfüllt waren, hätte nur ein sehr weitgehender Jünger Zenos bezweifeln können. Jedenfalls nicht die Kellner der Universitätsstadt oder ihrer Umgebung, auch nicht die Kellermeister, auch nicht die Schneider. Und schon gar nicht die Bank, wo seine Fünfzigtausend standen und sich nicht nur hartnäckig weigerten, sich zu verzinsen, sondern vielmehr eine unheimliche Tendenz zeigten, zum Kassagitter hinauszurutschen. Schon in seinen ersten Studienjahren lernte er Hermann Bergius kennen, der der Feldmarschall bei den Feldzügen von Allans sechsjähriger Glanzzeit wurde. Hermann Bergius war ein spätgeborener Sprößling der großen Freibeuterführer; die verweichlichten Zeiten hinderten ihn, gleich diesen mit dem Schwert zu kämpfen und sich zu bereichern; er stritt deshalb mit der Zunge. Jahr um Jahr war vergangen, eine Generation war der anderen an der Universität gefolgt, der ungestüme Strom der Zeit war vorbeigebraust, und jede neue Generation fand Hermann Bergius da, wo er, wenn nicht tausend, so doch fünfzehn runde Jahre gestanden hatte, den Blick, zwar nicht in den trüben Strom der Zeit, so doch in den des Punsches versenkt. Wie gewisse griechische Philosophen vor Sokrates teilte er den Weg in eine unendliche Anzahl kleiner Teilchen; und so wie jene auf diese Art nachwiesen, daß Achilles die Schildkröte nicht einholen konnte, bewies Hermann Bergius auf seine Weise, daß die Zeit ihn nie zu erreichen vermochte. Seine Bildung war umfassend, sein Humor ungewöhnlich, sein Appetit unermeßlich, sein Durst noch größer; seine Fähigkeit, Strapazen und Ausschweifungen gleich gut zu ertragen, des Größten aller Römer würdig. In seiner Armee spielte Allan Kragh hauptsächlich die Rolle des Quartiermeisters; er bezahlte die Tagesrationen aus, sorgte für die Verpflegung und das Nachtlager der Truppen und hatte nach der Regel des siebzehnten Jahrhunderts vor allem dafür einzustehen, daß sie, wenn schon nichts anderes, so doch jeden Tag einen tüchtigen Trunk erhielten. Dank dem freundschaftlichen Fuße, auf dem er mit den Banken stand, war dies ein zwar schwieriger, aber doch zu bewältigender Posten. Seine Belohnung war die Freundschaft des großen Feldmarschalls und verschiedentliche Erwähnungen in den Tagesrapporten. Es würde zu weit führen, alle Helden der Armee der großen Zeit aufzuzählen. Da war John Peter S., Hermann Bergius’ nächster Mann und Adjutant. Da war eine unzählige Schar Kombattanten und Nichtkombattanten, Freibeuter aus allen Teilen des Reiches, Söldner für längere oder kürzere Zeit. Da war O. B., ein alter Spartaner, wie Bergius sagte, der sich auch in gebettete Betten nur mit den Kleidern legte. Da war der Amanuensis, unabsetzbarer Amanuensis in den Kaffeehäusern, aber von der Institution in dieser Eigenschaft längst verabschiedet. Sein Wahlspruch war: „Kreuzdonnerwetter, was ein alter Feldwebel ist, der kann immer noch eins vertragen.“ Abgesehen vom Amanuensis war er nämlich auch Feldwebel, und zwar mit ebenso großem Recht, ganz wie der König von Dänemark in seinen Kundgebungen noch immer über Dithmarschen, Lauenburg, Venden und weiß Gott was regiert. Da war Aistjerna, der eine kurze Gastrolle gab, bevor ihn seine hochadelige Familie noch rasch rettete, und dessen berühmtester Ausspruch fiel, als er Hermann Bergius über seine schon längere Zeit andauernde Obdachlosigkeit trösten wollte: „Ja, lieber Hermann, auch ich -- äh -- habe die Schrecken des Bohemelebens kennen gelernt -- es hat Nächte gegeben, -- äh -- wo ich mich nicht nach Hause traute, sondern -- äh -- tatsächlich im Bristol übernachten mußte.“ Berühmt waren auch seine Reflexionen über die Spatzen: „So ein Spatz -- äh -- das ist wohl so ’ne Art Müller oder Schulze in der Vogelwelt.“ -- Eine kurze, vielversprechende Laufbahn, so lautete Hermann Bergius’ Grabschrift für ihn, als die hochadeligen Verwandten ihr Rettungswerk vollendet hatten. -- Da war noch der berühmte Baron vom Altmarkt, der Schrecken errötender Jungfrauen und die Sorge weinender Mütter, ein Casanova, fehl an Zeit und Ort -- ja es war ein buntes Gefolge, und es waren bunte Erlebnisse, die Allan in ihrer Gesellschaft hatte. Natürlich immer in einem engen geographischen Kreis: Von Langfahrten war eigentlich nur die große Expedition nach Berlin zu verzeichnen, hauptsächlich denkwürdig durch den von Allan meisterlich geleiteten Rückzug: Fast ohne Geld, bedroht von der Meuterei der erregten Truppen und zu beständigen Hinterhutgefechten mit der rachedurstigen Bevölkerung genötigt, hatte er eine nichts weniger als leichte Aufgabe. Endlich stand man tiefbewegt wieder auf schwedischem Grund und Boden, wo Allan bei der großen Festmahlzeit vom Feldmarschall mit einer Umarmung vor den Truppen ausgezeichnet wurde, worauf man telegraphischen Rapport über den Rückzug an Seine Majestät den König absandte, an das deutsche Departement des Aeußern und den Sultan von Marokko, dem es augenblicklich auch dreckig ging. Sechs Jahre von goldenen Sekunden waren auf diese Weise verronnen, da kam ein schöner Tag, der Allans großer Zeit ein katastrophales Ende bereitete. Und die direkte Ursache war so unbedeutend, daß sie auf den ersten Blick lächerlich erscheinen kann. Es begab sich, daß Allan am ersten Tage des Wintersemesters des siebenten Jahres an einen Ort kam, den er schon sehr lange nicht gesehen hatte -- die Universität. Die Vorlesungen in den Sälen sollten eben beginnen. Der Gedanke, eine davon zu besuchen, berührte Allan höchst humoristisch und barock -- eine gute Geschichte für den Freundeskreis. Es waren gut drei Jahre her, seit er zuletzt da oben gewesen war. Er ging in den ersten besten Hörsaal, ohne auch nur nachzusehen, was in seinen Mauern verkündet wurde. Er nahm Platz; der Vortragende kam und begann. Es erwies sich, daß Allan zu dem englischen Lektor der Universität geraten war. Als Allan das merkte, gab es ihm einen Ruck. Gerade die Vorlesungen der fremden Lektoren hatte er während seiner ersten Jahre an der Universität tatsächlich besucht ... Er besaß Sprachentalent und hatte sich in den ersten Jahren das Deutsche und Englische in anerkennenswerter Weise angeeignet. Erinnerungen erwachten in ihm. Der jetzige Lektor war ein athletisch gebauter junger Mann mit klaren, kühnen Augen. Er hielt einen einleitenden Vortrag über die englische Kolonialliteratur; er war selbst rings um die halbe Erde gewesen und verflocht in seinen Vortrag persönliche Erinnerungen und Beobachtungen. Allan merkte, daß er noch genügend Englisch konnte, um ihn vollständig zu verstehen; er war, wie gesagt, nicht auf den Kopf gefallen. Er hörte zu, er fühlte sich interessiert, ja mehr als das, gefesselt von den Schilderungen der Länder dort draußen, und plötzlich spürte er, wie ihm eine heiße Röte ins Gesicht stieg. Was war das eigentlich für ein Leben, das er und die anderen hier führten! Was war das doch für ein Provinz-Sybaris! Wie konnte man nur Jahr für Jahr in diesem engen Kreis totschlagen? Wie konnte man! ... Jahr für Jahr ... Jahr für Jahr ... Was dachte er sich eigentlich, was wollte er? War es denn überhaupt amüsant? ... Was er und die anderen da trieben, waren ja doch Kindereien, ohne Spannung, ohne Interesse. Schließlich war die Vorlesung zu Ende, und das Publikum strömte heraus. Allan blieb als letzter zurück und ging, von Gedanken erfüllt, die wie Blasen in ihm aufstiegen, aber zerstoben, bevor sie sich noch ganz geklärt hatten. Gleich vor der Universität stieß er mit der ganzen Armee zusammen und wurde mit Jubelrufen begrüßt. Es gab ein Mittagessen im Park; es gab Kaffee und Punsch. Der Abend verging, und das große Hauptquartier der großen Armee begann die Pläne für den Feldzug des kommenden Jahres zu entwerfen. Es war das erstemal, daß man sich nach den Sommerferien traf. Die kommende Jahreskampagne sollte alle vorhergegangenen der Kriegsgeschichte schlagen; man erörterte ihre Einzelheiten unter mehr oder weniger formeller Befragung des Quartiermeisters, der stumm und grübelnd vor seinem Whiskyglas saß, die Ohren erfüllt von dem Geplauder der Kampfgenossen, den Kopf voll von einem Gefühl, das neu schien, alt war und sehr rasch allmächtig wurde: Jetzt ist Schluß! Schluß für immer. Das war die letzte Revue der Truppen; Fontainebleau; Abschied ohne Tränen, Umarmungen oder Ueberreichung des Degens; und dann fort, sei es auch nach Elba oder Sankt Helena! Mit anderen Worten: Eine Pflanze, deren Keim schon lange in Allans Herz gelegen war, hatte an diesem Tage endlich die Hülse gesprengt, die Wurzeln ausgebreitet und war zum vollen Tageslicht hinaufgedrungen. Das einzige Verwundernswerte war, daß dies nicht schon längst geschehen war. Sein ganzes Leben lang hatte Allan eigentlich den Zug hinaus gehabt, den Zug zum Fernen, Neuen, Unbekannten. Vielleicht war es Hermann Bergius gerade dadurch, daß er diese Saite berührte, gelungen, ihn zum Quartiermeister des sechsjährigen Krieges zu machen. An diesem Abend merkte er, wie es ihm vorkam, plötzlich, mit einem Male, wie unbefriedigt ihn alle Eskapaden dieser sechs Jahre eigentlich gelassen hatten. Kinderstreiche ... ohne Bedeutung ... ohne Spannung ... Er dachte all der Morgen, an denen er durch irgendeine dämmergraue Straße einer fremden Stadt, in die der Zufall und Bergius ihn verschlagen hatten, heimwärts gewandert war, und der Lust, die er auf diesen einsamen Morgenwanderungen verspürt, von den anderen zu desertieren und von dem ganzen großen Frühschoppen am nächsten Tage, der der Clou dieser Eskapaden war. Jedesmal war dieser Impuls von irgendeinem anderen verdrängt worden. Jetzt begriff er, was dies eigentlich bedeutet hatte. Er durchforschte sein Gedächtnis und verstand auch andere kleine, fast kindische Züge an sich selbst, seine Lust (zu Bergius’ großem Verdruß), mit exotischen Gestalten anzubändeln, die man zufällig in Schenken und auf Dampfern traf; sein Versinken in trockene, dicke, ausländische Fahrpläne, Henschel und Bradshaw, die er in den Vestibüls der Hotels fand; seine Manie für die großen ausländischen Zeitungsdrachen ... Und während man die Becher leerte, die die Ouvertüre zu einem weiteren Jahr kriegerischer Heldentaten und Idyllen bilden sollten, saß Allan da, ohne sein Glas zu berühren. Die verheißenen Idyllen erschienen ihm mit einem Male überaus banal und der Wein der Freudenbecher schal geworden ... Fort, auf neuen Straßen, fort, um die Sonne über Städten zu sehen, wo noch etwas Neues geschah und wo man dem Abenteuer begegnen konnte! Denn was war er eigentlich alle diese sechs Jahre nachgejagt, wenn nicht den Abenteuern, dem Neuen? Morgen! ... So dachte Allan Kragh, weil er eine jener Naturen war, die dazu bestimmt sind, Abenteuer zu suchen; während er, wenn er das nicht gewesen wäre, daran gedacht hätte, ein neues Leben zu beginnen und die weiteren Vorlesungen des englischen Lektors zu besuchen. Die Uhr zeigte am nächsten Morgen halbzehn, als Allan auf dem Trottoir vor dem großen Hotel der Universitätsstadt seine Pläne in dem Septembersonnenlicht einer Musterung unterzog. Und während er dasaß und überlegte, ob ein gesunder und normaler Mensch den Schritt, den er machte, machen konnte, ohne verfolgt zu werden, entdeckte er so allmählich noch einen Grund, seinen unklaren Plan ins Werk zu setzen, einen Grund, der möglicherweise etwas unkameradschaftlich war, aber dafür in gewissem Maße das sonst recht Phantastische seines Vorhabens aufwog. Allan Kragh und seine Freunde waren schwedische akademische Bürger; damit ist gesagt, in welcher Weise Allan seine Quartiermeisterschaft in den berühmten Heerzügen der sechs Jahre ausgeübt hatte. Selbst war er ja durch vorsorgliche Eltern von der Notwendigkeit befreit, aus eigener Vernunft oder Kraft Geld aufzubringen; aber die Eltern seiner Freunde waren nicht ebenso vorsichtig gewesen, und darum war es auf Allans Los gefallen, ihnen in der erwähnten Hinsicht durch verschiedentliche Autogramme zu Hilfe zu kommen. „Nicht der Endossent allein gewinnt die Schlachten, die namenlosen Reihen gewinnen sie ihm,“ pflegte Hermann Bergius jedesmal zu versichern, wenn er, wie er sich ausdrückte, Allan wieder einmal einen Ehrenposten zugedacht hatte; aber in der Regel hatte Allan gefunden, daß der Endossent sich wie die Feldherren früherer Zeiten selbst ins Kampfgewühl stürzen mußte, um die Feinde nicht triumphieren zu lassen -- in diesem Falle die Banken. Mit einem Wort: er hatte sich auf Dokumenten von einer Anzahl, die er selbst nicht näher kannte, verewigt; und obgleich er zu dem Zeitpunkt, zu dem der Feldzug des siebenten Jahres beginnen sollte, noch nicht völlig erschöpft war, war er doch nicht allzu weit davon entfernt. Wenn er nun, dachte er mit einem stillen Lächeln, seinen rasch entstandenen Plan verwirklichte, und er schon zu gar nichts anderem führte, konnte er doch wenigstens zur Folge haben, daß die namenlosen Reihen sich gezwungen sahen, sich auf eigene Hand ohne den Feldherrn durchzuschlagen -- bekanntlich der erstrebenswerteste Höhepunkt, den die militärische Erziehung erreichen kann ... und das wäre ja immerhin ein gewisser Vorteil für den in sechs Kriegsjahren geprüften Feldherrn, für den Fall, daß sein eigener Kriegszug in unbekannte Länder mit Niederlage und Rückzug enden sollte ... Allan war boshaft genug, sich bei dem Gedanken an die nicht sehr platonischen Dialoge, denen die namenlosen Reihen sich hingeben würden, wenn sie die Niedertracht ihres Führers erkannten, ein Lächeln zu gönnen. Dann klopfte er dem bejahrten, rotnasigen Kellner, der seine einstündige Morgengrübelei an dem Trottoirtisch ehrfurchtsvoll beobachtet hatte. Als dieser Allans Klopfen vernahm, stürzte er, wie aus der Kanone geschossen, herbei. „Wieviel?“ „Zwei Pilsner, sechzig Oere.“ Allan legte das Geld auf den Tisch und stand auf. „Soll ich drinnen ein Frühstück für den Herrn Doktor bestellen?“ Allans Doktorpromotion hatte in den Hotels, nicht in der Universität, stattgefunden. Allan schüttelte den Kopf. „Herr Doktor warten vielleicht auf die anderen Herren Doktoren?“ „Das glaube ich nicht,“ sagte Allan, „sagen Sie ihnen, sie können auf mich warten!“ Er warf einen Blick auf die Uhr. Halb elf; das Schiff ging um ein Uhr; die Bank, das Packen, ein Paß -- er hatte gerade noch Zeit! Zweiundeinehalbe Stunde später sah das Vaterland Herrn Allan Kragh an Bord eines kleinen weißen Raddampfers steigen, einer von jenen, die während der sechsjährigen Kriegsfahrten in das näher gelegene Ausland oft als Wikingerschiffe gedient hatten. Die Taue wurden gelöst; die Dampfpfeife tutete mit einem heiseren, versoffenen Baßton; die Räder schaufelten das Wasser auf, und Herr Allan Kragh hatte mit zwölftausend Kronen Bargeld (dem Rest eines einstmals fürstlichen Vermögens) sowie zwei wohlgefüllten Reisekoffern und einem Spazierstock seine große Reise in die Welt angetreten. Vorwärts! Den Abenteuern entgegen! Schicksal _en garde_! II Vorsicht bei Eisenbahnfahrten! „Diner, meine Herrschaften! Wünschen die Herrschaften zu dinieren? Diner, meine Herrschaften, zweites Service jetzt fertig.“ Der Zug flog über die blinkenden Stahlschienen, Köln zu. Die Wagen schlingerten in den Kurven und neigten sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite. Die Landschaft flog vorbei, flach und nichtssagend; vor ein paar Stunden hatte man Osnabrück passiert. Der Septemberhimmel war klar, blau, unendlich hoch, mit leuchtenden, weißen Wolkenmassen, die einander jagten; der Wind war frisch, kühl mit einem feinen, schon vernehmlichen Herbstduft. Ab und zu, wenn man an irgendeinem Fluß oder Kanal vorbeiflog, war sein Wasser durchsichtig grün, und hier und dort segelten früh abgefallene Blätter auf seinem Spiegel. Der Zug hastete weiter und weiter; und Allan Kragh stand in private Meditationen versunken, den Kopf halb zu einem Korridorfenster hinausgestreckt, ohne sich daran zu kehren, daß der Wind ihm ins Gesicht peitschte und hie und da Rußflocken von der Lokomotive mitbrachte. Die Stimme des Speisewagenkellners weckte ihn aus seinen Grübeleien; er sah auf seine Uhr, die etwas über eins zeigte und erinnerte sich plötzlich, daß er seit den zwei Eiern und dem Kaffee im Hauptbahnhof in Hamburg nichts gegessen hatte. Zugleich mit diesem Gedanken verspürte er mit einem Male einen vortrefflichen Appetit. Er nickte dem Mann in der weißen Jacke zu und bekam von ihm eine Platzkarte. „Ganz besetzt heute, für alle Diners,“ vertraute er Allan an, wie um diskret anzudeuten, daß das Trinkgeld danach sein sollte. „Hat das Service schon begonnen?“ fragte Allan. „In zwei Minuten, mein Herr.“ Der Abgesandte des Speisewagens eilte weiter, und Allan ging durch den schwankenden Korridor in die Toilette am anderen Ende des Wagens. Aus welchen Anlässen Allan Kragh sich in diesem Zug befand, ist eigentlich nicht leicht zu erklären -- richtiger gesagt, der einzige Anlaß, der vorlag, war so bizarr, daß er lächerlich wirkt, wenn man ihn erzählt. Am frühen Morgen dieses Septembertages war er nach Hamburg gekommen, ohne die leiseste Ahnung, wohin er seine Schritte lenken oder was er zunächst unternehmen sollte. Er machte aufs Geratewohl einen Spaziergang um das Viertel gegenüber der Ankunftseite des Hauptbahnhofes, befand sich nach einigem Herumirren unten an der Alster, und dachte schon daran, bis auf weiteres in Hamburg zu bleiben, das eine schöne und anziehende Stadt zu sein schien. Dann verabschiedete er diesen Gedanken wieder und kehrte durch die noch morgenleeren Straßen (die Uhr war etwas über sieben) zum Hauptbahnhof zurück. Er fand ihn mit allen modernen Bequemlichkeiten versehen, ließ sich rasieren, wechselte etwas Geld und nahm ein hastiges Frühstück in dem großen Restaurant ein. Fünf Minuten vor halb acht Uhr wurde von einem galonierten Bediensteten ein Zug nach Paris ausgerufen; Allan verließ das Restaurant, noch immer im Unklaren, was er tun sollte, und ging zu den Billettschaltern. Fahrpläne bedeckten die Wände in militärischen Kolonnen; keine verlockenden Affichen mit Bildern des blauen Meeres und der grünen Wälder, nur Betriebsverordnungen und Ziffern. Vor einem der Billettschalter für den Fernverkehr standen drei Personen, die plötzlich Allans Aufmerksamkeit erregten: Ein junger Mann von vielleicht dreißig, etwa von seiner eigenen Statur, mit einem glattrasierten dunklen Schauspielergesicht, kurzen Koteletten und goldgefaßtem Zwicker; ein alter Herr mit roter Raubvogelnase, gelben, stechenden Trinkeraugen und einem gelbgrauen Schnurrbart; ferner eine junge Dame in grünem Reisekostüm, um den Hals ausgeschnitten, über die Hüften knapp anschließend und so fußfrei, daß zwei Knöpfelschuhe mit grauen Gamaschen zu sehen waren. Ihr Gesicht hatte einen etwas hochmütigen Ausdruck, mit zwei großen grauen Augen und einer etwas geschürzten Oberlippe. Es war äußerst frappierend unter dem Reisehut in schwarz und grün, der wie ein Musketierhut auf ihrem rotblonden Haar saß. Sie hatte drei oder vier amerikanische Zeitschriften in der Hand. Allan verschlang sie mit den Augen: Sie hätte d’Artagnans Geliebte sein können oder eine der schönen blonden Agentinnen des Kardinals. Jetzt eilte der jüngere Herr vom Billettschalter fort; der ältere nahm seinen Platz ein, auf dem Fuß gefolgt von der auffallenden jungen Dame, die einige Goldmünzen zwischen ihren behandschuhten Fingern hielt. Nun ging der ältere Herr, und sie nahm seinen Platz ein. Allan kam ein Einfall, und er folgte nach. Er hörte sie in vollkommen korrektem Deutsch sagen: „Erste einfach, Paris.“ Sie stellte noch ein paar Fragen, die der Mann am Schalter beantwortete. Sie war also eine Deutsche, obwohl sie so amerikanisch aussah. Nun hatte sie ihre Fahrkarte. Allan verließ den Billettschalter und folgte ihr in einiger Entfernung. Er sah sie etwas Reisegepäck aufgeben und die Treppe zum Perron hinuntergehen. Sie war in ihrem raschen, elastischen Gang noch schöner, als wenn sie stille stand. Er sah sie noch dort unten den Zug entlang gehen, dann war sie außer Sehweite. Der galonierte Mann kam durch die Bahnhofshalle gewandert und schrie mit Stentorstimme: „Schnellzug nach Paris und Holland! Eine Minute!“ Da kam Allan eine barocke Idee. Ohne zu überlegen, was er tat, oder weshalb er es tat, stürzte er zum Billettschalter zurück, an dem er die drei gesehen, riß eine Banknote heraus und rief dem Mann dahinter, der ihn vorhin, als er gegangen war, ohne eine Karte zu lösen, erstaunt angestarrt hatte, zu: „Paris, einfach, erste!“ „Sie müssen sich aber eilen!“ schrie der Mann zurück. „Der Zug geht um sieben Uhr neununddreißig. -- Sie haben gerade noch vierzig Sekunden.“ Allan stürzte zurück, das Billett in der Hand, während in seinem Kopf sich die Gedanken kreuzten. Das war der helle Wahnwitz ... Sein Gepäck stand in der Garderobe deponiert; er hatte unmöglich Zeit, es herauszubekommen; er mußte natürlich diesen geistesgestörten Einfall aufgeben. -- Oder sollte er das Gepäck hier lassen und später telegraphieren? Das war offenkundig vollkommen irrsinnig ... Es gingen ja noch Züge, aber ... aber sie fuhr mit diesem! Wenn es ihm gelang, ihr von dem Opfer zu erzählen, das er um ihretwillen gebracht, würde sie das vielleicht rühren ... Ohne daß er wußte wie, hatte er die Kontrolle passiert, stürzte Hals über Kopf eine Treppe hinunter, zu einem Zug, der sich eben in Bewegung setzte, während die Schaffner die letzten Türen zuschmetterten. -- Da, gerade noch in der letzten Sekunde war er mit einem Sprung in einem der rückwärtigsten Waggons. Glücklich hinaufgekommen, zauderte er wieder. Das war ja der reine Wahnsinn! Sollte er wieder abspringen? Dann zuckte er die Achseln mit einem Lächeln über sich selbst. „Fahre ich mit,“ murmelte er vertraulich dem Korridorfenster zu, „dann brauche ich wenigstens keine Polizeistrafe wegen unerlaubten Abspringens zu bezahlen.“ Nachdem er sich überzeugt hatte, daß er sich im letzten Personenwagen befand, machte er sich auf die Wanderung durch die Korridore, um nach der Unbekannten auszuschauen. Der Wagen, in dem er gelandet war, war ein Waggon dritter Klasse; er ging durch, ohne sich die Passagiere näher anzusehen. Darauf folgte ein durchgehender Waggon zweiter Klasse nach Amsterdam, er drängte sich mit einer gewissen Schwierigkeit hindurch, so voll war er von Passagieren. Darauf kam ein direkter Wagen nach Süddeutschland, beinahe ganz besetzt. Daran schloß sich der Speisewagen. Hier war es verboten, zu passieren, da man sich durch die Küche hätte drängen müssen. Allan versuchte es mit Bestechungen, deren Annahme verweigert wurde, und erhielt den Bescheid, daß er bis Bremen warten müsse, wo man eine Minute Aufenthalt hatte. Er setzte sich an einem Fenster im Korridor des süddeutschen Wagens zur Ruhe, wo er sich von dem Morgensonnenschein durchrieseln ließ und nach Herzenslust die kühle Septemberluft einatmete. Er dehnte die Brust und lachte in sich hinein; das war doch etwas anderes, als auf den ausgetretenen Straßen dieses Provinz-Sybaris herumzustampfen! Plötzlich begannen die Wagen gegeneinanderzurasseln, der Zug wurde langsamer und rollte durch eine Vorstadt von roten Ziegelvillen in Bremen ein. Im Handumdrehen war Allan draußen in der Bahnhofshalle, kaufte sich ein Päckchen Zigaretten, etwas Obst und einige Zeitungen und sprang in das nächste Coupé nach dem hinderlichen Speisewagen. Er wartete, bis der Zug sich in Bewegung setzte, bevor er seine Forschungen wieder aufnahm. Dieses Mal waren sie von besserem Erfolg gekrönt. Der Wagen hinter dem, in den er aufgesprungen war, war ein Wagen erster und zweiter Klasse nach Paris, und in der dritten Coupéabteilung der ersten Klasse saß die Unbekannte. Leider war sie nicht allein. Der alte Herr mit der roten Raubvogelnase und dem buschigen, graugelben Schnurrbart, saß ihr gegenüber am Fenster; sie fuhr zurück, er in der Richtung des Zuges. Sie schienen einander fremd zu sein. Allan sah einen Augenblick zögernd in den Wagen; der alte Herr mit der feinen Rotweinnase hatte das Netz auf seiner Seite mit einer Menge Gepäck beladen -- _suitcases_, _gladstone-bags_, Reiseplaids, Fernstecherfutterale und weiß Gott was -- es stand im Verhältnis zum vornehmen Aussehen seines Riechorganes. Die Unbekannte ihm gegenüber hatte zwei kleine Täschchen, eine Hutschachtel und einige Reisekissen. Im Augenblick saß sie in einer künstlerisch berechneten Pose zwischen vier Stück der letzteren hingegossen und schien zu schlafen. Allan starrte bewundernd ihr Rasseprofil an und den Schatten, den ihre Wimpern auf der feinen Wange bildeten; ihr rotblondes Haar, das wellig und reich war, schien ein wenig derangiert. Der fußfreie Reiserock war ein bißchen hinaufgeglitten und zeigte eine schlanke, aber volle Wade über der grauen Gamasche. Nach ein paar Augenblicken andächtiger Versunkenheit trat er ein und setzte sich auf das Sofa des alten Herrn. Dieser begrüßte sein Erscheinen mit einem Blick des herzlichsten Widerwillens. Er schlug sein Auge zum Netz auf, wie um anzudeuten, daß, wenn Allan (der sich zu allen Teufeln scheren mochte) sein ganz unerwünschtes Reisegepäck dort placieren wollte (was Gott verhüte), er genötigt wäre, seine eigenen, dort befindlichen Habseligkeiten fortzuschieben. Allan zuckte die Achseln mit einer Miene, die der der Rotweinnase an Mitreisendenverachtung nur wenig nachgab, und kundgeben sollte, daß er (der nach internationalen Konventionen das volle Recht hatte, in der Klasse zu reisen, für die er eine Karte gekauft hatte) es aus einer Laune vorzog, während er in diesem preußisch-hessischen Wagen fuhr, sein Reisegepäck, das den Vergleich mit dem des bordeauxnasigen alten Herrn in diesem Zug keineswegs zu scheuen brauchte, von der Garderobe des Hamburger Hauptbahnhofs verwahren zu lassen. Nach diesem Austausch von Florettblicken ließen sich die beiden Herren in Ruhe auf ihren Plätzen nieder; die Raubvogelnase im Schutze des Hamburger Fremdenblattes, Allan ohne Bedeckung. Die Augenwimpern der jungen Dame, die sich ein paar Sekunden eine Ahnung gehoben hatten, ohne daß jemand es gesehen, nahmen ihre frühere entzückende Lage auf den Wangen wieder ein. Der Zug sauste weiter, und die Wolken leuchteten im Septembersonnenschein. Allan versank in vage Träumereien, während seine Augen über sein Visavis hin und her wanderten. Man war nun etwa auf halbem Wege von Bremen nach Osnabrück (die Uhr zeigte ungefähr zehn), als plötzlich ein Kondukteur erschien, um die Billette zu markieren und Platzkarten auszufertigen. Allan reichte sein Billett hin, das besichtigt wurde; der alte Herr mit der Raubvogelnase desgleichen. Die Unbekannte in der Fensterecke schlief noch immer. Der Kondukteur räusperte sich und ließ ein paar vergebliche „Gnädige!“ hören. Sie rührte sich nicht. Allan glaubte eine Chance zu sehen. Er beugte sich vor und legte seine Hand vorsichtig auf jene Stelle ihres grünen Reisekostüms, wo man die Rundung des Knies ahnte. Sie schlug die Augen auf, starrte einen Augenblick Allans Hand an, die dieser noch nicht zurückgezogen hatte und fuhr mit einer Miene so unverkennbaren Widerwillens auf, daß Allan zurückprallte, während eine lebhafte Röte sich über sein Gesicht verbreitete. Der Kondukteur lächelte diskret und wiederholte sein: „Gnädige!“ Die Unbekannte reichte ihm ihre Fahrkarte, während ihre Augen damit beschäftigt waren, Allan zu morden; worauf sie plötzlich vom stummen Spiel zur Sprechszene überging. Und zwar auf englisch. -- Allan war ein wenig erstaunt, da sie auf dem Bahnhof in Hamburg perfekt deutsch gesprochen hatte. Sie mußte doch voraussetzen, daß er ein Deutscher war. Sie wandte sich an den alten Herrn mit der Raubvogelnase. „Sir, ich vermute, Sie verstehen meine Sprache? Ich spreche die Ihre nicht.“ Lüge, dachte Allan, aber warum? „Ich spreche Ihre Sprache,“ sagte der alte Herr. „Danke. Wissen Sie, ob dieser junge Mensch dort sich noch andere Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich geschlafen habe?“ Der alte Herr warf Allan einen Dolchblick zu und sagte: „Das weiß ich nicht, ich habe Zeitung gelesen.“ „Es ist gut. Ich danke Ihnen.“ Sie brach in einen Strom von indigniertem Amerikanisch aus: Eine Dame konnte also in Europa nicht allein mit der Eisenbahn fahren, ohne vom ersten besten beleidigt zu werden? -- Warum gab es keine Damencoupés? Man sollte glauben, daß Leute, die die Mittel hatten, erster Klasse zu reisen, Gentlemen wären. Der alte Herr hörte ihr mit sichtlicher Billigung zu. Allan, der kaum wußte, ob er schlief oder wachte, begann eine stammelnde Entschuldigung: „Madame, gestatten Sie mir, Ihnen zu erklären ...“ „Wie können Sie es +wagen+, mich anzusprechen?“ rief sie. Das war Allan doch zu stark. Er erhob sich mit der ironischsten Miene, die er aufbringen konnte -- er fühlte, daß seine Wangen vor Verblüffung und Zorn noch ganz rot waren -- und sagte mit einer untertänigen Verbeugung: „Gestatten Sie mir, Sie in einem Punkte zu korrigieren, Madame. Wenn Sie es vermeiden wollen, noch mehr Gentlemen von meiner Art zu treffen, steht dem kein Hindernis im Wege: Das nächste Coupé ist ein Damencoupé.“ Mit so viel Würde, als man aufbringen kann, wenn man mit einem Stock, vier Zeitungen und einem Obstsack beladen ist, verließ er das Coupé. Ein langes, eiskaltes „_im--per--ti--nence_“ der Unbekannten durchbohrte seinen Rücken mit einem letzten Stich. Der erste Mensch, den er im Korridor erblickte, war zu seiner Ueberraschung niemand anders als der dritte des Trios, das er beim Billettschalter in Hamburg gesehen -- der dunkle Mann mit dem Schauspielergesicht, den Koteletten und dem goldgefaßten Zwicker. Als Allan aus der Coupétür trat, hatte er einen Augenblick den Eindruck, daß dieser Herr die ganze Szene drinnen verfolgt hatte und daß ein halb unmerkliches Lächeln um seine Mundwinkel zitterte. Aber im nächsten Augenblick waren seine Augen schon gerade durch die offene Türe seines eigenen Coupés gerichtet, in fernschauende Bewunderung der Heidelandschaft dort draußen versunken. Allan warf ihm einen kurzen Blick zu und ging an ihm vorbei den Korridor hinunter. Die anderen Wagenabteile waren mehr oder weniger voll, mit Ausnahme des Damencoupés, über dessen Existenz er die Unbekannte eben aufgeklärt hatte. Er kehrte zu dem Abteil zurück, vor dem der Mann mit dem Zwicker postiert war und fragte mit einer leichten Handbewegung: „Sie gestatten?“ „Natürlich.“ Der Mann mit dem Schauspielergesicht neigte artig den Kopf. Allan ging hinein, warf sich auf das unbesetzte Sofa und zündete eine Zigarette an, nachdem er sich vorsichtig vergewissert hatte, daß er sich in einem Rauchcoupé befand. Solch eine kleine, unverschämte Hexe! Amörrica, Amörrica! Hol’ der Teufel Amörrica und alle Amörrikanerinnen. Ferner mochte der Teufel ihn selbst holen und alle anderen Idioten, die sich auf sogenannte Abenteuerfahrten einließen, von falschen Irrlichtern gelockt. Und schließlich mochte er ihn selbst noch einmal holen, weil er von seinem Gepäck in Hamburg weggereist war, um sich ohne allen Anlaß von einer unverschämten, kleinen, schönen, verdammten Hexe beschimpfen zu lassen.... Seine ärgerlichen Betrachtungen dauerten ein paar Stunden. Der Zug sauste durch Osnabrück mit einigen Augenblicken der Pause in dieser friedenschließenden Stadt; er brauste weiter gegen Köln; Leute wanderten dem Speisewagen zu, um sich an dem Zwölfuhrdiner zu erquicken; unter anderen sah er die Amerikanerin und den alten Herrn mit der Raubvogelnase hinpilgern, jetzt im eifrigen Gespräch; aber Allan hatte das Interesse für das Ganze verloren. Die Septemberluft, die eben noch klar und blau gewesen, wie die Luft bei einem Abenteuer sein muß, war nunmehr kalt und von abstoßender Farbe; die Sonne ohne jede Wärme. Der Herr mit dem Zwicker kam in den Wagen und vertiefte sich in das Studium eines illustrierten Katalogs. Hie und da warf er einen verstohlenen Blick auf Allan, den dieser jedesmal mit einem herausfordernden Starren erwiderte. Schließlich ging Allan in den Korridor hinaus und hatte da wohl dreiviertel Stunden lang den Kopf zu einem Fenster heraushängen lassen, als der Agitator des Speisewagens ihn mit seinem: Wünschen die Herrschaften zu dinieren? aus seiner mißmutigen Laune riß. Er machte eine rasche Toilette und steuerte durch die Korridore dem Speisewagen zu. Im Waggon neben seinem eigenen hatte er noch einen kleinen Chok; die heißblütige Amerikanerin wandelte gerade in ladylikem Balancegang durch den Korridor. Hinter ihr wurde der bordeauxnasige alte Herr sichtbar, dessen Riechorgan leuchtender denn je war; im Munde hatte er eine frischangezündete Havanna, deren rote Spitze neben besagtem Organ nur unbedeutenden Effekt erzielte. Allan trat rasch in ein Coupé, um das Paar vorbei zu lassen; als die junge Dame passierte, entging ihm jedoch nicht ein Blick aus ihren grauen Augen -- aber -- o Wunder! Sah er recht? Diese Augen schienen nun fast freundlich mit der Ahnung eines Lächelns ganz tief drinnen. Sie fegte mit einem Rauschen von Seidenunterkleidern vorbei. Der alte Herr, dessen Augen einen befriedigten Sultanglanz angenommen hatten, watschelte hinter ihr drein, ohne einen Blick für Allan oder überhaupt etwas anderes als den weidenschlanken Rücken der Amerikanerin. Allan starrte ihnen nach, und zuckte zusammen, als er am Ende des Korridors den Herrn mit dem Schauspielergesicht erblickte, der die beiden mit dem hundertsten Teil eines Lächelns durch seinen goldgefaßten Zwicker musterte. Allan sah ihn einen Augenblick an und ging weiter. Der Speisewagen war beinahe ganz besetzt; unten in der Ecke zunächst der Küche fand sich noch ein Tisch für zwei, der frei war. Der weißbejackte Agitator von vorhin wedelte mit einer Serviette quer über den Wagen, um anzudeuten, daß es ihm mit unerhörter Schwierigkeit gelungen war, Allan einen Platz an diesem Tisch zu reservieren. Allan ließ sich nieder, sah die Speisekarte an und ging sodann zur Weinliste über. Er war eben zu der Ueberzeugung gekommen, daß Graacher Auslese der richtige September- und Reisewein ist, als sich jemand an dem anderen Platz am Tisch niederließ. Er sah auf. Mit einer unlogischen Ueberraschung erkannte er in seinem Tischkameraden den Mann mit dem goldgefaßten Zwicker und dem Schauspielergesicht. Dieser lächelte Allan wiedererkennend zu und begann dann zum Fenster hinauszusehen. Allan betrachtete eine Weile die Zirkusnummer des Kellners mit Schüsseln und Tellern zwischen den Tischen; jedesmal, wenn der Zug sich in einer Kurve seitlich neigte und er selbst vom Schwung auf eine Seite geschleudert wurde, dachte er mit einem Kitzeln in der Magengrube: Jetzt geht die ganze Bescherung zum Teufel! Aber kein einziges Mal gab es auch nur einen Fleck auf dem Tischtuch. Plötzlich stand der Kellner mit einem Suppenteller vor seinem Platz. Allan schnitt eine unwillkürliche Grimasse und schüttelte den Kopf. Suppe um diese Tageszeit! Der Mann mit dem Zwicker lächelte wieder leise, während er seinen Löffel in die Suppe tauchte. „Sie sind kein Freund der deutschen Speiseordnung?“ sagte er. „Nein, weiß Gott.“ „Der deutsche Wein sagt Ihnen besser zu?“ „Allerdings. Trinken Sie vielleicht ein Glas mit mir?“ Allans Laune stieg rasch um einige Grade, sowie er den Mund geöffnet hatte; er begann zu erfahren, daß der Mensch ein Gesellschaftstier ist, auch wenn er auf eigene Faust auf Abenteuer auszieht. Der Fremde verbeugte sich leicht. „Mit Vergnügen, wenn Sie mir gestatten, Ihre Liebenswürdigkeit später zu erwidern.“ Allan winkte dem Kellner, ein Glas zu bringen. Er und der Fremde tranken sich zu. „Sie sind Skandinavier?“ „Warum glauben Sie das? Hört man es mir an?“ „Das eigentlich nicht, aber Ihr Aussehen sagt es mir, und dann noch so irgend etwas Unbestimmtes. Ich möchte sogar wetten, daß Sie entweder Schwede oder Norweger sind.“ „So?“ „Die Dänen erlernen nie unser a -- sie meckern. Und da Sie das nicht tun --“ Allan nickte ohne die Hypothese des Fremden zu bestätigen. Allerdings war er ja ziemlich groß und schlank, aber da er dunkel war, hätte ihn das nicht verraten müssen, wenn seine Sprache es nicht besorgt hätte. Der Mann mit dem Zwicker, der nun seine Suppe verzehrt hatte, beugte sich vor und knüpfte die Konversation wieder an. Allan betrachtete sein Gesicht, das energisch und intelligent war; die Augen unter den Zwickergläsern schienen durchaus nicht von Kurzsichtigkeit geschwächt. Es war unleugbar ein sympathisches Gesicht. Einmal, als der Fremde nach einer Aeußerung, die er selbst gemacht hatte, in ein Gelächter ausbrach, bemerkte Allan im Flug, daß einer seiner Backenzähne über und über mit Gold plombiert war. Eigentümlicherweise grub sich dieser kleine Zug, so wie es bei solchen kleinen Zügen oft der Fall ist, in sein Gedächtnis ein; und obgleich er für den Augenblick kaum an die Sache dachte -- er konnte ja nicht ahnen, daß er den Mann je wiedersehen würde -- sollte es bei einer späteren Gelegenheit von einer Bedeutung werden, die er jetzt unmöglich vorausahnen konnte. Plötzlich merkte er, daß er so ganz damit beschäftigt gewesen war, den Fremden zu beobachten, daß er ganz vergessen hatte, zuzuhören, was dieser sagte; er zuckte zusammen, als er das Wort Paris mit fragender Betonung hörte und nahm in der Eile an, daß sein Tischgenosse ihn gefragt hätte, wann man dorthin käme. „Ich weiß nicht,“ sagte er. Der Mann mit dem goldgefaßten Zwicker sah ihn überrascht an. „Sie wissen nicht, ob Sie nach Paris fahren?“ wiederholte er. „Dieser Zug geht auf jeden Fall hin, wenn Sie es nicht wissen sollten!“ Allan wandelte eine plötzliche Lust an, mit sich selbst und seiner heutigen Heldentat zu brillieren. „+Das+ weiß ich,“ sagte er ernst. „Aber ich weiß hingegen nicht, ob ich nach Paris fahre. Ich weiß es ebensowenig, als ich weiß, warum ich überhaupt mit diesem Zug fahre.“ „Sie wissen nicht, warum Sie mit diesem Zug fahren?“ „Nein, oder warum ich überhaupt fahre.“ „Donnerwetter! Sie pflegen ganz einfach in einen Expreß einzusteigen, ohne zu wissen, wohin er geht?“ „Ich habe es wenigstens heute morgen getan.“ „Donnerwetter! Darf ich fragen: Finden Sie bei solchen Reisegewohnheiten Zeit zu vielem Packen?“ „Heute morgens nicht, das muß ich gestehen -- ich war gezwungen, mein Gepäck in der Eile in Hamburg zurückzulassen.“ Und Allan ließ mit einer Gleichgültigkeit, eines Phileas Fogg würdig, die rote Kontramarke aus dem Hamburger Hauptbahnhof durch die Luft flattern. Nr. 374 stand in gotischem schwarzen Druck darauf. Der Fremde starrte den Zettel und ihn mit einer Achtung an, die unter diesen Verhältnissen höchst schmeichelhaft war, und trank nach noch einem Donnerwetter einen Schluck aus seinem Rheinweinglas; Allan füllte es mit Mäzengefühlen nach. Im selben Augenblicke kam der Fisch; nachdem sich der Mann mit dem Zwicker vom Kellner hatte vorlegen lassen, nahm er den Faden wieder auf. „Verzeihen Sie, wenn ich indiskret bin: Sind Sie wirklich aus einer bloßen Laune von Ihrem Gepäck mit einem Zug weggereist, an dem Sie kein besonderes Interesse hatten?“ Er fixierte Allan, der jetzt gerade der Gegenstand der Obsorge des Kellners war und für den Moment für nichts anderes Augen hatte als für das Essen. Es lag ein eigentümlicher Ausdruck der Spannung in den Augen des Fremden; und wenn Allan aufgeblickt hätte, hätte er sehen können, wie sein Visavis dem Kellner eine eigentümliche Grimasse schnitt: ein Vorschieben der Lippen und zwei kurze Signale mit dem Kopf in der Richtung nach Allan. Aber Allan hatte kein Auge für diese Grimasse, und ebensowenig sah er, was darauf folgte: Der Kellner drehte hastig den Kopf, fixierte ihn und zog die Augenbrauen in die Höhe, wobei er den Mann mit dem goldgefaßten Zwicker ansah. Dieser formte hastig ein Wort mit den Lippen, das der Kellner offenbar verstand, denn er zog die Augenbrauen noch höher, und zum ersten Male während des ganzen Mittagessens zitterte seine Hand. Das Ganze hatte kaum fünfzehn Sekunden gedauert. Allan, der noch überlegte, ob er seinem Tischkameraden die Episode mit der unbekannten Dame in Hamburg mitteilen sollte, sah endlich auf. „Eigentlich hatte ich einen Grund,“ sagte er, „mein Gepäck so im Stich zu lassen, aber -- nun ja, ich weiß nicht recht, ob ich wagen kann, ihn Ihnen zu erzählen. Aber es ist derselbe Grund, der mich veranlaßte, diesen Expreßzug zu nehmen -- und der ist etwas delikater Natur.“ Der Herr mit dem Zwicker konnte gerade noch dem Kellner, der aufmerksam gelauscht hatte, eine fast unmerkliche Geste machen, bevor dieser mit den Schüsseln wieder verschwand. Dann hob er sein Glas. „Gestatten Sie mir, zu fragen, ob Sie Bordeaux oder Burgunder vorziehen,“ sagte er. Sie blieben nach dem Dessert noch etwa eine halbe Stunde sitzen und nippten an ihrem Kaffee, während der Zug weiter durch den klaren Herbsttag brauste. Allan empfand mehr und mehr Interesse für seinen Reisekameraden; er war unterhaltend, originell, offenbar viel gereist und wußte Geschichten aus allen Ecken und Enden Europas zu erzählen. Hie und da kam er wieder auf sein Erstaunen über Allans Art, einfach von seinem Gepäck fortzufahren, zurück, und Allan fühlte sich mehr und mehr befriedigt von sich selbst. Einmal verschwand er für einen Augenblick und wechselte in der äußeren, nunmehr leeren Wagenhälfte einige Worte mit dem Kellner, ohne daß Allan dies beachtete oder weiter daran dachte. Als er zurückkam, begann er eine Geschichte, die Allan Gelegenheit gab, seine Theorie, daß er ein Schauspieler sein müsse, zu bestätigen; er erwähnte sogar flüchtig seinen Namen -- Ludwig Koch. Allan erwog eben, ob es korrekt sei, sich vorzustellen oder nicht, als der Zug in eine große Station einfuhr, wo er langsamer wurde und stehen blieb. Der Mann mit dem Zwicker lehnte das Gesicht an die Fensterscheibe, während man dem Perron entlang rollte. Mit der Hand über den Augen musterte er rasch die Menschen auf dem Perron; offenbar erkannte er jemand, denn ein leichter Ausruf entschlüpfte ihm. Er erhob sich von seinem Platz, nickte Allan zu und eilte hinaus. „Komme gleich wieder!“ rief er. „Fahren Sie nur nicht von Ihrem Gepäck weg, wie ich,“ rief Allan zurück. Der Mann mit dem Zwicker verschwand ohne weitere Repliken. Zu Allans Erstaunen waren nach seinem Abgang kaum fünfzehn Sekunden verstrichen, als der Zug mit einem Ruck aus der Station hinausrollte, deren Namen Allan nicht bemerkte, so sehr war er damit beschäftigt, nach seinem Tischgenossen auszulugen. Er sah keine Spur von ihm auf der Plattform; er mußte also in eines der Coupés weiter vorne aufgesprungen sein. Allan drehte den Kopf dem Eingang des Speisewagens zu, bereit, Herrn Koch mit einem Glückwunsch zu begrüßen, daß die Sache noch gut abgelaufen war, aber es vergingen ein und zwei Minuten, ohne daß Herr Koch sich zeigte. Allan setzte sich wieder auf seinen Platz zurecht und begann die Landschaft zu betrachten. Der Zug rollte jetzt durch einen Fabrikdistrikt. Man sah nur hohe Schlote, von denen der fette Rauch in langen, schweren Streifen, die Meertang glichen, über den blauen Himmel wogte; graugelbe Fabrikfassaden, Massen von Seitengleisen, wo schmutzigrote Güterwagen angehäuft standen. Gras und Unkraut wucherte mager und gelb, als hätte es Fieber; die Schlackenhaufen türmten sich darum wie um einen Krater. Das Ganze war beklemmend, trostlos. In einer solchen Umgebung zu existieren, für sein ganzes Leben lang an ein solches Gefängnis gebunden zu sein ... Allan schauderte. Er sah zu dem abenteuerblauen Septemberhimmel empor und freute sich, in diesem Wagen zu sitzen, der in taktfesten Wellenbewegungen dahinrollte, und er zitierte halblaut und pathetisch vier Zeilen von Snoilsky, die den Unterschied zwischen einem Passagier erster Klasse und einem Lokomotivführer hervorheben. Dann fiel ihm wieder Herr Koch ein, und er klopfte dem Kellner. „Ich möchte zahlen, Ober. Ich muß dann hineingehen und mich nach meinem Freunde umsehen.“ Ueber das Gesicht des Kellners huschte ein rasches Zucken, aber er sagte nichts anderes als: „Sehr wohl,“ und kritzelte hastig einige Hieroglyphen auf ein Blatt Papier. „Neun Mark, sechzig Pfennig!“ Allan bezahlte und gab ein Trinkgeld. Plötzlich fiel ihm etwas ein. „Aber Herr -- -- -- aber der andere Herr?“ „Hat schon bezahlt.“ „Hat schon bezahlt?“ „Jawohl, schon längst.“ Die Stimme des Kellners war so gleichgültig als nur möglich, und er eilte weiter, sowie er geantwortet hatte. Allan unterdrückte ein hastiges Gefühl des Staunens. Herr Koch hatte bezahlt! Pflegte man im Speisewagen zu bezahlen, bevor man fertig war? Und insgeheim? Er für seine Person hatte Herrn Koch dem Kellner keinen Pfennig geben sehen. Er zuckte die Achseln und ging in sein Coupé zurück, um Herrn Koch zu interviewen, wie die Sache zugegangen war. Der Zug hatte wieder begonnen zu schwanken und zu schlingern, und es brauchte einige Zeit, und nicht wenig Balancierungskunst, um glücklich durch die Korridore zu kommen, die jetzt leer waren. Einmal kam ein so heftiger Stoß von einem Stationswechsel, den man im Eilzugstempo passierte, daß Allan ganz linksum geworfen wurde. Zu seiner Ueberraschung erblickte er am anderen Ende des Korridors keinen geringeren als den Speisewagenkellner, der ihm zu folgen schien. Im selben Augenblicke, in dem Allan den Mann ansah, verschwand er jedoch in ein Coupé. Allan erinnerte sich, daß man sich auch in den Coupés servieren lassen konnte, und vermutend, daß der Mann zu diesem Behufe da war, ging er weiter. Endlich hatte er seinen Wagen erreicht. Er ging an dem Coupé vorbei, das die Amerikanerin und der alte Herr mit Beschlag belegt hatten, und zog die Schiebetüre zu seinem eigenen Abteil zurück. -- Nun, Herr Koch, Sie sind ja gar nicht wiedergekommen! hatte er auf den Lippen, als er plötzlich innehielt. Herr Koch befand sich nicht in dem Coupé. Das Coupé war leer. Allan blieb eine Minute in der Türe stehen, bevor er sich entschloß, einzutreten. Was in aller Welt? Er war gar nicht da? Sehen wir mal, sein Gepäck ... Es war auch kein Gepäck da! Nur eine ganz diminutive Handtasche. Plötzlich kam ihm eine blitzartige Erinnerung: Es war ja auch zu der Zeit, als Herr Koch noch im Coupé saß, kein anderes Gepäck dagewesen. Herr Koch reiste fast ebenso ohne Gepäck wie er selbst ... Er fuhr aus seinen Gedanken bei dem Laut diskreter, beinahe schleichender Schritte im Korridor auf. Bei allen Göttern, war das nicht schon wieder der Speisewagenkellner! Diesmal berührte seine Anwesenheit und sein blitzschnelles Hineinblicken in Allans Coupé diesen als so unnötig, ja geradezu eigentümlich, daß er von seinem Platz aufsprang und in den Korridor hinausstürzte, um mit dem dienenden Bruder ein Wörtchen zu sprechen. Aber dieser war schon in den nächsten Wagen verschwunden, und Allan kehrte mit gerunzelter Stirne zu seinem Platz zurück. Ein paar Augenblicke dachte er daran, den Schaffner aufzusuchen und mit ihm über Herrn Kochs Schicksal zu beratschlagen; dann beschloß er, sich einen blauen Teufel darum zu scheren -- er kannte den Mann ja gar nicht -- und versank in das Studium des einzigen Gepäckstückes, das dieser, abgesehen von der diminutiven Handtasche auf dem Sofa zurückgelassen hatte, einen illustrierten Katalog einer Zauberfirma in Berlin. Es war ungefähr fünf Uhr, als der Zug in die Bahnhofshalle von Köln rollte, wo Allans erstes wirkliches Abenteuer begann. Er vergaß nachher nie das Nachmittagssonnenlicht, das die gewaltige Halle mit gelben Staubgürteln durchzog. Der breite Perron war voll von Menschen, die durcheinanderwimmelten, von Zeitungs- und Bücherkiosken, von Verkaufsständen, wo man Bier, Bananen und Bäckereien bekam. Eine alte Vettel, im Hinblick auf die Gestalt von frappanter Aehnlichkeit mit einem _Ballon captif_, im Begriffe, die Vertauungen zu lösen, hatte die Rolle des Blumenmädchens übernommen. Allan zog den Kopf vom Coupéfenster zurück und streckte die Hand zum Netz nach seinen einzigen Gepäckstücken aus -- einem Hut und einem Stock (der Ueberrock war in Hamburg geblieben). Er wollte aussteigen, um seine Beine ein bißchen auszugraden. Eben hatte er den Hut auf den Kopf gesetzt, als die Türe seines Coupés von drei Gestalten verdunkelt wurde. Der vorderste trug einen diskreten zivilen blauen Sakkoanzug; hinter ihm gewahrte Allan zu seiner unaussprechlichen Verwunderung einerseits den weißbejackten Kellner aus dem Speisewagen, andererseits einen kolossalen behelmten Schutzmann. Allans erster Impuls (wie wahrscheinlich auch der des Lesers) war, einen Schritt zurückzutreten, während er das Trio anstarrte; er hatte Zeit zu einem Schritt, aber nicht zu mehr, denn offenbar befürchtend, daß er zum Fenster hinausspringen könnte, stürzten der Mann in Zivil und der Polizist auf ihn los, legten jeder eine Hand auf seine Schulter und riefen mit Stentorstimme: „Im Namen des Gesetzes, Sie sind verhaftet!“ Allan war zu betäubt, um an Widerstand zu denken. Der einzige Gedanke, den er formulieren konnte, war: Was zum Teufel soll das heißen? Ist das die Rache der Akzeptanten? Lassen sie mich durch diese Schergen heimholen? Nun tat der Zivilist (ein schwammiger Herr mit schwitzenden Händen) seinen Mund auf und sagte hohnvoll: „Machen Sie kein so erstauntes Gesicht, mein lieber Benjamin Mirzl! Man weiß schon, daß Sie sich verkleiden können. Aber es gibt Leute, die Ihre kleinen Kniffe durchschauen. Kommen Sie ohne Aufsehen mit. Sie können sich dieses Mal einen Träger für Ihr Gepäck ersparen.“ „Gepäck? Das ist nicht meine Tasche,“ gelang es Allan hervorzustoßen. „Natürlich nicht! Haha, natürlich nicht!“ „Mein Gepäck steht in Hamburg,“ schrie Allan außer sich, während eine dunkle Ahnung des Zusammenhanges sich aus den Nebeln in seinem Innern kristallisierte. „Haha, ja gewiß, ja gewiß! Warum nicht in Petersburg? Nein, nein, Mirzl, Sie sind in der Schlinge gefangen. Machen Sie gute Miene, das ist wohl das einzige, was Sie tun können.“ „Ich heiße nicht Mirzl, oder was Sie da zum Donnerwetter sagen, ich heiße Kragh, und ...“ „Stillschweigen!“ brüllte der gigantische Schutzmann, dessen Gemütsruhe durch die Lorbeeren des Zivilisten gestört wurde. „Mit aufs Amt, und keinen Ton, dann werde ich mich hinter Ihnen halten.“ „Aber ...“ setzte Allan an und hielt inne; es hatte ja keinen Zweck, +hier+ zu protestieren. Mit einem Achselzucken trat er in den Korridor. Der Zivilist mit Herrn Kochs diminutiver Tasche folgte ihm auf dem Fuße und der Mammut-Schutzmann beschloß die Prozession. Plötzlich hörte Kragh den Kellner rufen: „Aber meine Belohnung! Wo kann ich mir die abholen?“ „Das werden Sie später erfahren!“ rief der Mann in Zivil über die Achsel zurück. „Uebrigens sind Sie ja zwei; der in Essen ausgestiegen ist, wird Ihnen schon nicht das Ganze lassen.“ Mit diesen Worten des Zivilisten im Ohr, ihn selbst an seiner Seite und den gewaltigen Gesetzeswächter hinter sich, passierte Allan das Paar im anderen Coupé -- die Amerikanerin und den alten Herrn mit der Raubvogelnase. Er sah, wie sie ihre feinen Augenbrauen emporzog und dem bordeauxnasigen Alten etwas zuflüsterte -- die waren jetzt offenbar ein Herz und eine Seele. Er senkte den Kopf, um nicht mehr zu sehen und ging nach rechts, in der Richtung, die der Zivilgekleidete angab. Was hatte das Ganze zu bedeuten? Abenteuer, Septemberabenteuer in Sonne und blauer Luft -- das sah mehr nach totaler Sonnenfinsternis und sehr eingeschlossener Luft aus. Was hatte das Ganze zu bedeuten? Kein Philosoph hätte sich diese Frage mit mehr Nachdruck stellen können. -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- „Das ist Ihr Paß? Sie sind Herr Allan Kragh, Student, schwedischer Bürger?“ Allan bejahte diese beiden Fragen mit einem Nachdruck, der nur von seiner Furcht, den kleinen dicken Polizeirichter, der Geijerstam ähnlich sah, unwiderruflich zu verletzen, gedämpft war. Keine schwarzen Fahnen jetzt, nur weiße Friedensflaggen, bis man loskam. Anderthalb Tage im schwarzen Loch! „Warum haben Sie nicht schon früher bei mir protestiert, wenn das Ihr Paß ist?“ Allan fixierte den geijerstamähnlichen Repräsentanten der Gerechtigkeit und schluckte erst einige kernige schwedische Ausdrücke, bevor er erwiderte: „Ich habe doch vom ersten Augenblick an gesagt, wer ich bin, obgleich Ihre verdamm -- -- -- obgleich niemand auf mich hören wollte. Es wurde als mathematisch feststehend angesehen, daß ich Mirzl sein muß -- wer zum Teufel nun dieser Mirzl ist! Mirzl! In meinem Leben habe ich nichts von einem Mirzl gehört.“ „Dann lesen Sie die Zeitungen schlecht, oder auch sind die schwedischen Zeitungen hinter ihrer Zeit zurück. Nun gut, wir werden telegraphisch anfragen. Fällt die Antwort zu Ihren Gunsten aus, werden wir Ihre Sache schon heute nachmittag in Erwägung ziehen.“ „Danke allerergebenst, danke +aller+...“ „Aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß uns die Sache mit der Handtasche sehr bedenklich vorkommt. Sie enthielt allerdings nichts direkt Kompromittierendes, aber es ist bekannt, daß Mirzl eine solche Tasche in seinem Besitz hatte, als er aus Berlin verschwand.“ „Die Tasche! Wie oft muß ich noch sagen, daß das nicht mein Gepäck ist? Daß mein Gepäck in der Garderobe in Hamburg mit dieser Kontramarke steht und ...“ „Sie werden zugeben, daß man nicht gerade häufig sein Gepäck in der Garderobe in Hamburg läßt, wenn man mit dem Expreßzug nach Paris fährt? ... Nun ja, nun ja, wir werden telegraphieren!“ Es vergingen sechs Stunden, bis Allan den Polizeirichter mit dem rundbäckigen Aussehen, den Brillen und dem Schnurrbart wiedersah. Als es dazu kam, war es in einem kleinen, ganz ungestörten Raum des großen Amtsgebäudes. Der kleine Mann mit dem literarischen Aussehen hielt ein paar Telegramme in der Hand und betrachtete abwechselnd eine Karte des Deutschen Reiches und ein Album mit vielen Photographien. „Ja, ja, wir haben untersucht, wir haben telegraphiert ... ich muß sagen, Herr Kragh, Sie haben höchst außerordentliche Erfahrungen gemacht. Ist das Ihre erste längere Reise ins Ausland?“ „Ja“ (erbittert). „Das glaube ich, ich konnte es mir denken. Höchst außerordentliche Erfahrungen, das muß ich sagen.“ „Ist Ihnen meine Identität bestätigt worden?“ (äußert erbittert, denn sechs Stunden der Abgeschiedenheit bei spartanischer Kost tragen nicht gerade dazu bei, die Laune zu verbessern.) „Wir glauben es. Ja, wir glauben, überzeugt sein zu dürfen, daß Sie tatsächlich Herr Allan Kragh aus Schweden sind.“ „Gedenken Sie mich also loszulassen? Gedenken Sie die Bevölkerung von Köln diesem Risiko auszusetzen? Ist das Kölnischwasser eingesperrt? Und der Dom bewacht?“ „Einen Augenblick, Herr Kragh. Wir bedauern den Mißgriff sehr, wir bedauern ihn außerordentlich, und wir wollen Sie gerne, soweit es in unseren Kräften steht, schadlos halten. Natürlich werden Sie sofort in Freiheit gesetzt (die Stimme des Polizeirichters war so sanft und versöhnlich, daß es beinahe klang, als spräche er finnisch). Gestatten Sie mir nur eine Frage: Waren in Ihrem Gepäck in Hamburg große Werte enthalten?“ „Werte? Hm. Das gewöhnliche Reisegepäck, einige Anzüge und dergleichen. Gold und Juwelen nicht.“ „Ausgezeichnet ... Ihr Garderobeschein hatte die Nummer 374?“ „Ja, was meinen Sie?“ „Warten Sie ein bißchen! Hm ... 374. Nun wohl, Herr Kragh, warum sollte ich Ihnen die Sache verbergen: Ihr Gepäck ist gestohlen.“ „Gestohlen? Stiehlt man Gepäck, das einer deutschen Eisenbahngarderobe eingeliefert ist? Ich habe meinen Schein.“ „Ja, ja, Ihren Schein, Nr. 374, drei Kolli. Aber vorgestern, als Sie ... als Sie irrtümlich angehalten wurden, kam ein Telegramm an die Garderobe, die drei Kolli auf Nummer 374 expreß nach Osnabrück zu schicken; der Inhaber habe nicht Zeit gefunden, sie abzuholen. Die Garderobe sandte sie noch am selben Tage ab, sie wurden um sechs Uhr abends in Osnabrück (mit einem falschen Gepäckschein, wie wir allen Grund haben, zu vermuten, ja allen Grund) von einem Herrn abgeholt, der sofort nach Holland weiterreiste ... Ihre zwei Handkoffer und Ihr Ueberrock, Herr Kragh, sind also gestohlen.“ „Putz weg! Donnerwetter ...“ Allan starrte den sanftäugigen Polizeirichter ganz verblüfft an. „Wer in Teufels Namen ...“ „Ja, wer kann die Nummer Ihres Garderobescheines wissen! Hat man Sie im Hamburger Bahnhof darangekriegt? Wir verstehen die Sache ebensowenig wie Sie selbst -- und Sie sollten sie besser verstehen als wir. Ja, das sollten Sie wirklich.“ Allan bog in einen neuen Gedankenkanal ein. „Das sollte ich! Aber wie konnten Sie sich unterstehen, mich zu arretieren? Warum haben Sie diesem Kerl Gelegenheit gegeben, mein Gepäck zu stehlen? Haben Sie die Güte und erklären Sie mir, was hinter dieser anderen Geschichte steckt! Jetzt bin ich nicht mehr Angeklagter!“ „Herr Kragh!“ Die Stimme des Polizeirichters war voll sanftem Tadel, aber Allan hörte nicht mehr auf diesem Ohr, seine erlittenen Verunrechtungen begannen ihm zu Kopf zu steigen. Wie ein Verbrecher arretiert und obendrein noch bestohlen werden! Das war zuviel. Wozu hatte man Konsuln? Er hörte die sanfte, gleichsam bebrillte Stimme des Polizeirichters: „... daß die ganze Geschichte im Speisewagen entstanden ist. Sie haben den Mann nicht gekannt, mit dem Sie zu Mittag gegessen haben?“ „Gekannt? Habe den Kerl noch nie im Leben gesehen. Es ist das erstemal, daß ich im Ausland bin.“ „Hm, ja, ich kann ... nun schön, dieser Mann -- Aber warten Sie, Sie sollen die Geschichte aus erster Hand hören.“ Der Polizeirichter drückte auf einen Knopf, gab einem Bediensteten eine Weisung und begann in der Erwartung, daß sie ausgeführt werde, wieder in dem Album mit den vielen Photographien zu blättern. Hie und da schob er die Unterlippe auf halbem Wege zur Nase hinauf, offenbar in tiefe Grübeleien versunken. Von Zeit zu Zeit fanden diese in einem gedankenvollen p--r--m, p--r--m Ausdruck, das an den Ton erinnerte, den eine Kindertrompete von sich gibt, wenn ihr kleiner Besitzer hineingespuckt hat. Plötzlich öffnete sich die Türe, und der Bedienstete kam mit jemand herein, der sich als der Speisewagenkellner von vorgestern entpuppte. Der kleine Polizeirichter schnitt die untertänigen Bücklinge des Sangmeds mit einer Geste ab und sagte kurz: „Erzählen Sie. Erklären Sie dem Herrn die Sache.“ „Ach, gnädiger Herr, es ist ein Irrtum, ein furchtbarer Irrtum. Man hat mich beschwindelt, man hat mich betrogen, gnädiger Herr. Es war der Herr, der an Ihrem Tische gespeist hat -- hol’ ihn der Teufel. Gerade als ich dem gnädigen Herrn den Fisch serviert habe, machte mir der andere Herr Grimassen: Sehen Sie den Herrn an, das ist ein durchgegangener Verbrecher -- ganz vorsichtig, so daß der gnädige Herr nichts gemerkt hat. Ich sah den gnädigen Herrn an und hörte, wie der gnädige Herr sagte, daß er von seinem Gepäck und allem fortreisen mußte; und der andere Herr nickte mir nur immer zu -- der Teufel soll ihn holen. Auf einmal kommt er zu mir hinaus in den rückwärtigen Teil des Wagens und sagt: Der Herr an meinem Tisch ist kein anderer als Mirzl selbst.“ „Aber wer ist denn dieser Mirzl?“ rief Allan, dem nun schon zum dritten Male dieser Name ins Gesicht geschleudert wurde. Statt aller Antwort reichte der Polizeirichter ihm stumm das Album mit den vielen Bildern und eine zwei Tage alte Berliner Zeitung. Da fand er fett gedruckt die Ueberschriften: -- +Großer Hoteldiebstahl in Berlin W. -- Benjamin Mirzl wieder in Aktion -- der Betrag über siebzigtausend. -- Mirzl entkommt im Auto.+ -- Und im Album fand Allan eine Serie Photographien _en face_, im Profil, von rückwärts, einen dreißigjährigen Herrn darstellend, an dessen Züge er sich dunkel zu erinnern glaubte, vermutlich aus irgendeiner illustrierten Zeitung. -- „Unser größter Schwindler,“ sagte der Polizeirichter. „Er ist noch nie gefaßt worden, aber diesmal ist er mit knapper Not entwischt und mußte das meiste im Stich lassen.“ „Das war am Tage, bevor ich mit dem Expreß abreiste!“ rief Allan. „Ja, so war es.“ Der dienende Bruder setzte unverdrossen seinen Bericht fort. „Ich spitzte natürlich die Ohren; der andere Herr zog eine Visitkarte hervor und sagte: ‚Ich bin Rechtsanwalt Dr. Hauser.‘“ „Aber mir sagte er doch, er hieße Koch und sei Schauspieler!“ rief Allan. „Er hat den gnädigen Herrn irreführen wollen. ‚Mein Name ist Rechtsanwalt Dr. Hauser,‘ sagte er zu mir. ‚Ich springe in Essen ab, um einen Detektiv zu holen und Mirzl zu arretieren. Komme ich nicht zurecht, so lassen Sie ihn um Gottes willen in Köln festnehmen! Auf dem dortigen Bahnhof sind immer Polizisten. Bedenken Sie, daß nur für seinen letzten Streich allein fünftausend Mark Belohnung ausgesetzt sind!‘ So sagte der gottverdammte Mensch, und in Essen sprang er ab. Er kam nicht wieder. Ich behielt den gnädigen Herrn im Auge, und in Köln ...“ „Das übrige weiß ich,“ sagte Allan. „Ach, gnädiger Herr, ich bin ein armer Mann, verheiratet, Familienvater mit vier Kindern, wie sollte ich ahnen, daß dieser elende Mensch mich ins Verderben stürzen wollte. Nicht einmal sein Mittagessen hat er bezahlt, bevor er in Essen abgesprungen ist.“ „Ich bezahle es nicht. Aber ich unternehme auch nichts gegen Sie. Ich rate Ihnen nur, ein andermal mehr an das Service und weniger an die Gäste zu denken. Das ist eine gute Regel für einen Kellner, glaube ich.“ „O gnädiger Herr ...“ „Es ist schon gut. Kann ich gehen, Herr Polizeirichter?“ „Aber -- aber natürlich. Und Sie -- Sie gedenken die Sache nicht weiter zu verfolgen?“ „Diesmal nicht. Ich zog aus, um Abenteuer zu suchen, wenn ich sie auf den Hals bekomme, kann ich nicht klagen. Falls mein Gepäck noch auftauchen sollte -- aber das kommt wohl nicht in Frage. Darauf wird Herr Mirzl wohl auch Beschlag gelegt haben.“ „P--r--m -- ach nein, der bewegt sich in einem höheren Genre.“ „Ich bin ebenso gespannt, seine nähere Bekanntschaft zu machen, wie Sie, Herr Polizeirichter. Leben Sie wohl.“ Allan verließ das kleine Zimmer des großen Gebäudes; der kleine Polizeirichter folgte ihm durch die Korridore bis zum Ausgang, wo Allan und er sich voneinander unter tiefen Verbeugungen verabschiedeten. Allan ging nun durch die Straßen, etwas wirr im Kopf von all den Ereignissen, ohne daran zu denken, welche Richtung er einschlug. Es war nun, wie ein Blick auf die Uhr ihm sagte, fast vier Uhr nachmittags. Plötzlich, als er an einer Straßenecke stehen blieb, um zu überlegen, was nun zu tun sei, spürte er eine Hand auf seiner Schulter und zuckte zusammen. Eine neue Arretierung? Das wäre doch zuviel des Guten. Er drehte sich um. Ein junger Mann im Strohhut grüßte ihn lächelnd und reichte ihm einen Brief. „An Sie,“ sagte er. Bevor Allan ihn noch aufhalten konnte, war er verschwunden. Allan starrte ihm in dem Volksgewühl nach, ohne zu wissen, was er eigentlich glauben sollte. Er lief einige Schritte in der Richtung, die der Unbekannte eingeschlagen hatte, aber ohne ihn zu erblicken; der Verkehr war im Augenblicke überwältigend. Dann sah er den Brief an, der die Aufschrift trug: „Herrn Allan Kragh aus Schweden“, und riß ihn auf, von einer plötzlichen Ahnung gepackt. Was er las, war dies: „Lieber Herr Kragh! Sie haben ohne Zweifel viele Flüche auf mein Haupt herabbeschworen, seit wir uns zuletzt sahen, obwohl es fraglich ist, ob Sie diese Flüche richtig adressieren konnten. Verzeihen Sie mir, daß ich Ihre Freundlichkeit, mir im Speisewagen Graacher Auslese vorzusetzen, so schlecht gelohnt habe; verzeihen Sie mir in noch höherem Grade die Unannehmlichkeiten, die ich Ihnen späterhin verursacht habe -- Unannehmlichkeiten, deren Charakter ich selbst nur zu gut einzuschätzen verstehe. Ich weiß, daß der Verlust Ihres Reisegepäcks auf den Garderobeschein 374 des Hamburger Hauptbahnhofes, den Sie so unvorsichtig waren, mir beim Diner zu zeigen, gegen die eben erwähnten anderen Unannehmlichkeiten nicht ins Gewicht fällt. Leider war ich wirklich durch die Verhältnisse gezwungen, so zu handeln. Seien Sie überzeugt, daß es eine zwingende Notwendigkeit war. Sollten Sie geneigt sein, mich sämtliche Unannehmlichkeiten sühnen und Ihnen natürlich in erster Linie Ihr elegantes Gepäck zurückstellen zu lassen, so können Sie mich Freitag abend, den zwölften dieses, um zehn Uhr in The Leicester Lounge am Leicester Square in London treffen. Seien Sie überzeugt, daß ich Sie erkennen werde, wenn Sie sich einfinden, auch wenn Sie mich nicht erkennen sollten. Ich mache Ihnen diesen Vorschlag, um zu sehen, ob ich den Charakter eines Mannes, der ohne weiteres einer Laune wegen sein Gepäck im Stiche läßt, richtig beurteilt habe. Also auf Wiedersehen! Ihr ergebener Ludwig Koch, alias Dr. Hauser, alias ..... (nach Belieben von Ihnen selbst auszufüllen.)“ _P. S._ Daß ich Ihren Namen in Erfahrung gebracht habe, werden Sie hoffentlich nicht übelnehmen.“ Wie oft Allan, mitten im Gewühl der Jülichstraße stehend, diese Epistel durchlas, ist ungewiß. Schließlich sahen doch die Passanten dieser Straße, wie er sich aufraffte, den Brief in die Tasche steckte, einen Polizisten über irgend etwas befragte und in der Richtung zum Bahnhof forteilte. Es war über vier Uhr; er hatte eine knappe Stunde, um den Zug zu erreichen, über dessen Abgang er eben den kölnischen Wächter des Gesetzes konsultiert hatte. Diese Stunde mußte genügen, um seinen Magen nach den Prüfungen im Arrest zu befriedigen. „Es fängt an!“ murmelte Herr Kragh für sich. „Das war ja eine feine Reisegesellschaft, die ich hatte! Auf diese Weise sind die Koffer also fortgekommen. Nun wollen wir vor allem das tun, was Hermann Bergius als das oberste und unveräußerlichste Menschenrecht erklärte -- Frühstück essen. Es ist spät und wohlverdient. Und dann auf nach London, um mit Herrn Benjamin Mirzl Bekanntschaft zu machen! Das dürfte interessant sein.“ III Das große Hotel Einmal hatte Allan die größte der großen Turbinenanlagen in Südschweden besucht. Es war ihm, als wäre er in ihre maschinendruckvibrierende und dröhnende Luft gekommen, als er am 11. September spät abends in London eintraf. Er rieb sich die Augen, wie er da in seinem Taxi saß. Das war eine Stadt! Hier mußten die Abenteuer zu Hause sein; hier mußten sie gerade an jeder Straßenecke lauern. Was war dagegen Hamburg und Köln! Was war die unbeschreibliche Atmosphäre von jagender Eile, raffiniertem Luxus und unerhörtem Geldzustrom, die sein Eindruck des Luxuszuges von Köln nordwärts war, gegen dieses London! Schon die Luft war neu, eine phantasiereizende Mischung von tausend Ingredienzien: Dem Geruch des heißen Steinpflasters, von parfümiertem Virginiatabak, Benzindämpfen der zahllosen Autos, deren Gummiräder über den spiegelblanken Asphalt zischten; dem Duft des parfümierten Reichtums der ganzen Welt und all ihres unaussprechlichen stinkendsten Elends. Die Häuser jagten wie im Traum an seinem Auto vorbei; gigantische Fassaden verloren sich nach oben zu in der nebligen Abendluft; es flammte und zuckte von unzähligen Lichtern; die Reklamen krochen wie regenbogenfarbene Schlangen die Mauern auf und ab; der Himmel über den offenen Plätzen brannte schlackenrot wie vom Widerschein einer kolossalen Feuersbrunst oder dem Ausbruch eines Riesenkraters. Und der Menschenstrom brauste und brauste. Das Auto, das Herrn Allan Kragh aus Schweden auf der Suche nach Abenteuern und eventuell einer Zukunft umschloß, eilte lautlos durch das Gewirr, vermied es zu kollidieren, vermied es, jemand zu töten, zog hier und da an einer Straßenecke eine augenblickliche Ritze durch die Menschenfluten; stürzte dahin, scheinbar ebenso sinnlos, wie die tausend anderen Autos, denen es begegnete, hundertmal schneller als die dahinströmenden Menschenfluten, aber ebenso sinnlos. Plötzlich bog es in einen offenen Platz, der weniger lichtflammend war, als die vorhergehenden Straßen und hielt vor einer Fassade, an der die Lichter sich zu einem gewaltigen Feston zusammengeballt hatten. „Grand Hotel Hermitage“ sagten die Lichtkränze; der Chauffeur wiederholte es, indem er die Türe des Autos aufriß, und Herr Allan Kragh ging über eine breite Treppe hinauf, in eine große Halle, die nach dem Souza-Marsch der Straßen unerhört still wirkte -- die ungeheure Drehtüre des Vestibüls schnitt den Lärm der Außenwelt ab wie eine Klosterpforte. Das war also das berühmte Grand Hotel Hermitage. Hundertmal hatte Allan diese drei Worte im Henschel, Bradshaw und den großen ausländischen Zeitungen gesehen; jedesmal hatte er gedacht: Wer doch da wäre; und als er nun auf seiner großen Reise vom Zufall und Herrn Mirzl nach London verschlagen wurde, da war es ihm ganz selbstverständlich erschienen, dem Chauffeur die Adresse des großen Hotels anzugeben. Auf dem Wege von Köln hatte Allan sich in Belgien mit den notwendigsten Reiseeffekten versehen -- man durfte vielleicht Herrn Mirzls Versprechen nicht allzu ernst nehmen; aber andererseits wäre es töricht gewesen, sich mit einer doppelten Ausstattung zu belasten; und er war folglich nicht ganz gepäcklos, als er, den Hotelträger hinter sich, durch die Drehtüre eintrat. Dennoch war es nur natürlich, daß der ernste Portier des Luxushotels (dessen Figur am ehesten an eine Benediktinerflasche erinnerte) ihn mit einer etwas herablassenden Nuance im Ton empfing. Hinter dem Portier bemerkte Allan im Kontor einen vierschrötigen Herrn mit graugesprenkeltem Yankeebart ohne Schnurrbart, der Direktor des Hotels, wie er später erfahren sollte. Hätte der Direktor und der Portier die Ereignisse vorausahnen können, die sich während Allans Aufenthalt im Grand Hotel Hermitage abspielen sollten und die Rolle, die Allan darin zu spielen bestimmt war, hätten sie ihn vermutlich mit Grüßen ganz anderer Art aufgenommen als die, mit denen der Portier Allan jetzt empfing. „Das ist Ihr ganzes Gepäck, Sir?“ „Ja. Ich erwarte noch mehr. Ich möchte ein Zimmer haben.“ Der Portier musterte ihn noch einen Augenblick, und weichere Gefühle erlangten die Oberhand. „Kleines Zimmer für diesen Gentleman, Jones. Ist 417 frei?“ Es stellte sich heraus, daß 417 frei war. Ein uniformierter magerer junger Mann übernahm Allans unbeträchtliches Gepäck und geleitete ihn zum Lift. Dieser machte sich mit der würdigen Langsamkeit eines alten Herrschaftsdieners auf den Weg und blieb mit derselben Würde im vierten Stock stehen. Der uniformierte Herr führte Allan über einen teppichbelegten Korridor in das kleine Gemach, das geeignet befunden worden war, ihn zu beherbergen. Es war wirklich klein, das heißt, in der Breite, denn die Höhe ließ nichts zu wünschen übrig. Es wurde zum größeren Teil von einem Bett und einem Toilettetisch ausgefüllt und erinnerte infolge seiner architektonischen Gestalt in hohem Grade an eine Grabkammer in einer ägyptischen Pyramide. Dahinter befand sich, wie Allan sah, ein Badezimmer. Aber Allan hatte von Hermann Bergius gelernt, daß nichts gleichgültiger ist, als das Zimmer, das man auf seinen Reisen bewohnt, da man sich ja doch nie in wachem oder nüchternem Zustande darin aufhält. Er erklärte sich folglich mit der ägyptischen Grabkammer zufrieden, drückte dem uniformierten Herrn einen Schilling in die Hand und ging dazu über, Toilette zu machen. Als er eine halbe Stunde später, ohne sich wegen seines Reiseanzuges zu genieren, in den Speisesaal des großen Hotels wanderte, fand er Gelegenheit, zu konstatieren, daß nicht nur die Zimmer für Reisende mit unbedeutendem Gepäck klein sind, auch die Welt selbst ist überaus klein. Ja, offenbar, denn als er sich an einem Tisch niedergelassen, die Speisekarte verlangt hatte und sich im Speisesaal umzusehen begann, wen erblickte er an dem Nebentisch rechts, wenn nicht die Dame, die ihn vom Hamburger Bahnhof in die Welt hinausgelockt hatte, und als ihren Kavalier den alten Herrn mit der Raubvogelnase und dem gelbgrauen Schnurrbart. Allan fixierte sie überrascht. Es war unleugbar kurios, dieses Paar gerade hier zu treffen! Es gab doch tausend Hotels in London. Nun, es war natürlich ein Zufall, aber ... das Freundschaftsbündnis, das er im Expreß beginnen gesehen und zu dem er selbst teilweise die direkte Ursache gewesen, war offenbar von nachhaltigerer Art geworden, als Reisebekanntschaften zu sein pflegen. Er konnte die alte Bordeauxnase gut verstehen ... trotz des Grolls, den er noch gegen die junge Dame wegen ihres Auftretens im Coupé hegte, mußte er sich selbst gestehen, daß sie eine Messe wert war ... sie schien ihm sogar mehrere Messen wert. Es bedurfte der Phantasie einer Pariserin, dachte er, um sich eine solche Toilette, wie sie sie heute abend trug, auszudenken, und der Courage einer Amerikanerin, um sie zu tragen. Seine Blicke irrten über die Linie des Ausschnittes um ihren weißen Busen, der so herausfordernd entblößt war wie auf einer Zeichnung von Rops, und wenn sie nicht da umherirrten auf der Grenzlinie zwischen der weißen Haut und der grünen Seide, ist es möglich, daß sie etwas weiter hinabschweiften, wo der knapp anliegende Rock fast bis zum Knie aufgeschlitzt war ... Welche Linie ist mystischer und verlockender zu verfolgen als die Linie einer schönen Frauenwade? Namentlich wenn sie von einem Strumpf von jener diskreten Durchsichtigkeit umschlossen ist, wie sie Madame offenbar bevorzugte ... Die Wellenlinie ihrer Wade zeichnete sich durch den grünen Strumpf ab wie Marmor durch den adriatischen Wasserspiegel. Allan starrte, ganz im klaren darüber, daß er zudringlich war, und plötzlich drehte Madame den Kopf nach Allans Seite (sie saß im Halbprofil) und ließ den Blick über ihn hingleiten; Allan sah, daß sie ihn erkannte. Im selben Augenblick stand der Kellner an seinem Tisch, mit Speisekarte und Weinliste, und er war genötigt, seine Augen von ihr loszureißen. Wer konnte sie sein, und wie kam es, daß sie in dieser Gesellschaft hier war? Diese Frage summte Allan im Kopf, während er ein paar Gerichte der Speisekarte und einen Bordeaux von der Weinliste wählte. Der Kellner verschwand, und er hatte die Aussicht auf den anderen Tisch wieder frei. Man sprach dort ziemlich eifrig. Ueber ihn? Nicht unmöglich, denn eine flüchtige Sekunde flog ihr Blick wieder zu ihm hinüber; der alte Herr mit der Raubvogelnase bekundete hingegen kein Interesse für ihn, wenn nun wirklich über ihn gesprochen wurde. Allan nahm seine bewundernde Betrachtung ihrer Person wieder auf, ohne daß sie sie nunmehr zu berühren schien, und war noch damit beschäftigt, als der Kellner mit der Omelette und dem Wein, den er bestellt hatte, erschien. Er machte einen Schluck aus seinem Glas und begann zu essen, während seine Gedanken von dem geheimnisvollen Paar dort drüben zu Herrn Benjamin Mirzl schweiften. Plötzlich kam es ihm, eigentümlicherweise zum erstenmal, zum Bewußtsein, daß er gerade dieses Trio in seiner Gesamtheit -- den alten Herrn, die junge Dame und Herrn Mirzl -- vor dem Billettschalter in Hamburg gesehen hatte. Allerdings schienen sie damals ganz unabhängig voneinander, aber ... Herr Mirzl war ein internationaler Schwindler, wenn auch vielleicht ein exzentrischer, wohlwollender; waren die beiden anderen von derselben Sorte? Das war natürlich nicht ausgeschlossen, und Allan beschäftigte sich mit dieser Möglichkeit, während er vom Poulard und Bordeaux zum Dessert und einem Glas Madeira überging (man mußte doch die Bekanntschaft mit der Mutter aller Städte feiern), aber verwarf sie nach dem zweiten Glas Madeira als unwahrscheinlich. Er bestellte Kaffee und Likör, wobei das Wesen des Kellners ebenso milde zu werden begann, als wenn er im _evening-dress_ gewesen wäre, und blieb bei diesen angenehmen Getränken sitzen, auch als das Paar, das ihn intrigierte, den Speisesaal verlassen hatte. Zu seiner nicht geringen Ueberraschung sah er, als die Rechnung beglichen wurde, daß sie für beide bezahlte; der alte Herr war also offenbar von ihr eingeladen. Kontinental, dachte Allan. Sie passierten seinen Tisch ohne ein Zeichen des Wiedererkennens -- oder sah er recht, als er ein kleines Blinzeln zu merken glaubte, die Ahnung eines spöttischen Lächelns in ihren Augen? Es war unmöglich zu entscheiden. Um halb elf Uhr, als Allan sich zu einem Abendspaziergang mit Zigarre durch London entschlossen hatte, zeigte es sich, daß die Stadt ihrerseits entschlossen war, seine Ankunft mit einem undurchsichtigen, gelbgrauen, brandrauchduftenden Nebel zu feiern, der zur Folge hatte, daß er (nach zwei Whisky mit Soda, zu Ehren der Riesenstadt) in der ägyptischen Grabkammer zu Bette ging. Er schlummerte sofort ein und schlief wie ein Stück Holz. London ist eine wunderbare Stadt, voll Ueberraschungen, unerforschlich wie das Menschenherz, mehr Dinge bergend als die Philosophie sich träumen läßt oder Baedeker in seinen roten Büchern mit Sternen bezeichnet hat. Und Herr Allan Kragh fand in seinem bescheidenen Maße Gelegenheit, diese Binsenwahrheiten schon im Laufe des folgenden Tages bestätigt zu finden. Die Nebel des Abends waren von einem sanften Sonnenschein, der von einem milden, veronikablauen Himmel erstrahlte, abgelöst, als er am Vormittag seine Streifzüge vom Grand Hotel Hermitage antrat, und, Goethe gehorchend, ins volle Menschenleben der Straßen hineingriff. Seine Streifzüge gehen jedoch diese wahrheitsgetreue Erzählung nichts an, und wir begnügen uns damit, den Kontakt mit ihm wieder aufzunehmen, als er gegen ein Uhr nachts ins Grand Hotel Hermitage heimkehrte. Da beschäftigten ihn nicht die Geheimnisse von London, sondern das Geheimnis Benjamin Mirzl. Was hatte Herr Mirzl mit dem Brief beabsichtigt, den er Allan durch einen seiner Helfershelfer vor zwei Tagen in Köln hatte zustecken lassen? Ein Bluff? Aber warum? Konnte einem Herrn seines Schlages etwas derartiges Spaß machen? Es war ja denkbar, aber paßte nicht zu der Vorstellung, die Allan sich von Herrn Mirzl gemacht hatte. Es war ja auch möglich, daß dieses Vorstellungsbild Herrn Mirzl ebensowenig ähnlich sah, wie dieser sich selbst in seinen verschiedenen Verkleidungen. Auf jeden Fall: Schlag neun Uhr, eine Stunde vor der angegebenen Zeit, hatte sich Allan in dem von Mirzl bezeichneten Kaffee „The Leicester Lounge“ eingefunden. Seine Londoner Eindrücke waren dadurch um noch einen vermehrt worden, aber als er gegen halb ein Uhr aus dem Kaffee hinausgeworfen wurde (Polizeivorschrift), war dies auch seine einzige Ausbeute. Dem Kaffee hatte sein dreiundeinhalbstündiger Besuch etwas mehr Ausbeute gebracht. „The Leicester Lounge“ erwies sich als ein Kaffee von der Art, wo Maria Magdalena auch vor ihrer Reue Zutritt hat. Es gab dort ein paar Dutzend Magdalenen vor der Bar und ein halbes Dutzend innerhalb derselben. Der Raum im übrigen, der sehr beschränkt war, wurde von dem leichtlebigen männlichen London in Anspruch genommen. Die Losung sowohl für das leichtlebige männliche London wie für die Direktion des Lokales war fixe Expedition. Das größtmöglichste Glück der größtmöglichsten Anzahl: ein schöner Leitsatz. Die Zirkulationsgeschwindigkeit war bewunderungswürdig: Entree, ein Drink, Bekanntschaft, noch ein Drink, Sortie. Herren, die keine Bekanntschaften machten, wurden über die Achsel angesehen. Herr Allan Kragh wurde über die Achsel angesehen. Es nützte nichts, daß er, so oft das dunkle Auge des Kellners ihn traf, einen Drink bestellte, oder daß eine unbestimmte Anzahl Magdalenen sich an seinem Tisch bezechten; er blieb sitzen und wurde folglich über die Achsel angesehen. Und Herr Mirzl kam nicht. Oder gab sich wenigstens nicht zu erkennen. Konnte es ihn amüsieren, Allans drinkerfüllte Erwartung in einer Verkleidung zu beobachten? Konnte er (da war der Kellner mit dem Auge schon wieder -- _Whisky and soda, please!_) -- konnte er vielleicht von der weltlichen Gerechtigkeit arretiert sein? Die Polizisten Londons waren ja so flink. Reichte Herrn Mirzls Schlauheit nicht hin, um sie zu überlisten? Sherlock Holmes, _you know_. Auf jeden Fall (_Whisky and soda please_, der Kellner mit dem Auge) -- reichte sie für Allan Kragh aus. Nach einer dreiundeinhalbstündigen Whisky-Orgie verließ Herr Allan Kragh (auf Grund der polizeilichen Bestimmungen und Müdigkeit in der Kehle) The Leicester Lounge, durchdrungen von der eben erwähnten Ueberzeugung. Und das erste, was er in der ägyptischen Grabkammer Nr. 417 erblickte, waren seine ehrlichen schwedischen Handkoffer. Es fehlte nicht viel, und er hätte geglaubt, eine Säufervision zu haben. Aber faktisch; da standen seine beiden Handkoffer, der aus braunem Rindsleder und der aus eisenbeschlagenem Holz ... Sein Klingeln rief in weniger als einer Minute einen uniformierten Herrn in die Grabkammer hinauf. „Diese Koffer?“ „Wurden heute abend um halbzehn Uhr von einem Träger abgegeben, Sir. Es liegt ein Brief an Sie auf dem Toilettetisch, Sir. Wünschen Sie noch etwas, Sir?“ Allan machte eine stumme Handbewegung. Jetzt wurde die Sache aber doch zu mystisch. Wie in -- -- konnte Herr Benjamin Mirzl denn wissen, wo er wohnte. -- Er stürzte sich über den Brief auf dem Tisch, ohne seine verwirrten Fragen zu Ende zu denken. Er enthielt zwei Schlüssel und folgende Zeilen: „Lieber Herr Kragh! Entschuldigen Sie, daß ich Sie vergeblich in The Leicester Lounge warten ließ. _Business, you know_; unmöglich für mich, abzukommen. Hoffe, Sie waren nicht gezwungen, allzu viele Whisky mit Soda zu nehmen; kenne das Lokal; sollte mir leid tun. Füge die Schlüssel bei, die ich während der Zeit, als ich Ihr prächtiges Gepäck inne hatte, zu verwenden pflegte; hoffe, Sie können sie als Reserveschlüssel brauchen; danke Ihnen nochmals für die freundliche Ueberlassung des Gepäcks; bitte Sie um Entschuldigung wegen all der Mühe, die ich Ihnen verursacht habe und verbleibe in aller Eile Ihr ergebener Ludwig Koch, alias Dr. Hauser, alias ...... (nach Belieben auszufüllen.)“ Es ist unnötig, die Ausrufe, Fragen und Gesten zu verzeichnen, mit denen Allan Kragh diese Epistel kommentierte. Das Leben ist kurz, wie schon Mark Twain sagte; es war drei Uhr, als er sich nach der dritten Visitierung der Koffer -- nichts fehlte -- und der achtundneunzigsten Lektüre von Benjamin Mirzls Brief zu Bett legte. Es dauerte noch eine Stunde, bis er einschlief, und als er es tat, war sein Schlummer unruhig. Er hätte gar zu gerne Herrn Mirzl getroffen. Es war bestimmt, daß er seinen Willen in dieser Hinsicht durchsetzen sollte, aber das dauerte noch eine Weile. * * * Es war spät, als Allan am nächsten Tag die Augen aufschlug. Sein erster Blick galt den Koffern und sein zweiter Herrn Mirzls Brief, den er nun schon auswendig wußte, wie einen Bibelspruch im Katechismus. Erst sein dritter Blick galt der Uhr. Sie zeigte fünf Minuten vor zwölf. Allan flog aus dem Bett und begann sich anzukleiden. Unmittelbar vor dem Einschlafen war ihm etwas eingefallen: Es gab eine Möglichkeit, Herrn Mirzl aufzuspüren, durch den Dienstmann, der die Koffer gebracht hatte! Allan runzelte die Stirn und entwarf in Gedanken einen Kriegsplan, der auf besagtem Dienstmann aufgebaut war, und durch den Herr Mirzl sich wohl bald in seiner Höhle aufgespürt sehen sollte. Aber ach, schon der erste Faden riß, als er gegen halb ein Uhr sein Verhör im Hotelbureau anstellte. Der Dienstmann? Ein gewöhnlicher Träger. Nummer? Weiß Gott, was für eine Nummer er hatte. Er hatte ganz einfach die Koffer niedergestellt, erklärt, daß sie dem Herrn auf Nr. 417 gehörten, dessen Namen auf beifolgendem Briefe stand, und daß alles bezahlt sei, worauf er sich ohne weiteres entfernt hatte. Nun, wenn man es sich recht überlegte, hatte er wohl überhaupt keine Nummer gehabt. Es war vermutlich ein gewöhnlicher Arbeitsloser gewesen. Stimmte etwas mit den Koffern nicht? Hatte der Mann etwas gestohlen oder verschlampt? Allan beeilte sich, nein zu sagen und verschwand. Es war nicht so leicht, die Sachlage mit einem unromantischen Hotelkontoristen zu diskutieren. Er versuchte sich vorzustellen, was Sherlock Holmes in seiner Lage getan hätte, und da kam ihm plötzlich eine Idee. Eine Annonce! Das war es. Sherlock Holmes hätte eine Annonce eingerückt und dem unnumerierten Dienstmann eine Belohnung in Aussicht gestellt. Allan erkundigte sich und suchte das Zeitungsbureau des Hotels auf; er fand es in einer kleineren Halle rechts von dem großen Entree gelegen. Es war eine weitläufige Anlage, wo alle Zeitungen der Welt verkauft, Annoncen für sie, Abonnements auf sie und (gegen eine kleine Abgabe) persönliche Notizen für sie über den Aufenthalt der Betreffenden im Grand Hotel Hermitage, ihre Gewohnheiten, ihren Lieblingssport, aufgenommen wurden. Allan erhielt ein Blankett und formulierte nach einiger Gedankenarbeit folgende Annonce: Träger! Zwei Pfund Belohnung erhält der Träger, der am Abend des 12. dieses, halb zehn Uhr, drei Gepäckstücke im Grand Hotel Hermitage abgegeben hat, wenn er sich ehestens im besagten Hotel einfindet. Der Kontorist des Zeitungsbureaus war ein ernster junger Mann vom Detektivtypus. Er nahm Allans Annonce ohne jeden Kommentar entgegen und fragte nur, in welche Zeitungen Allan sie aufgenommen wünsche. Allan überließ ihm selbst, dies zu bestimmen, worauf der hagere junge Mann dekretierte, daß Star, Daily Mail und Daily Citizen am besten seien, und einen Betrag für die zweimalige Einschaltung in jeder derselben entgegennahm. Sehr zufrieden mit sich selbst begab sich Allan in die Stadt, um sein Lunch einzunehmen. Im Laufe des Nachmittags, während er in Pall Mall promenierte, kam ihm jedoch eine Idee, die zur Folge hatte, daß er eine Viertelstunde später aus einem Auto vor dem Grand Hotel Hermitage sprang. Er hatte ja ganz verabsäumt, in Erfahrung zu bringen, wer seine mystische Reisegenossin war, die Dame aus Hamburg! Und sie wohnte doch in demselben Hotel! So ist es, wenn man den Kopf mit einer Sache voll hat. Der benediktinerflaschenähnliche Portier selbst führte den Befehl im Hotelbureau, als Allan hereinkam, um sein Verhör anzustellen. Die Wärme seines Tones war seit der Ankunft von Allans Gepäck um fünf Grad gestiegen. „Wünschen Sie ein größeres Zimmer, Sir?“ fragte er. „Vielleicht später,“ sagte Allan. „Ich möchte Sie gerne etwas fragen, Portier.“ Er wühlte einen Augenblick in seinen Erinnerungen an Sherlock Holmes. „Ich glaube hier im Hotel eine Bekannte gesehen zu haben, eine Dame. Ich bin meiner Sache aber nicht ganz sicher und möchte nicht zudringlich erscheinen, Sie verstehen, Portier. Sie ist blond, schlank, von Mittelgröße oder etwas darüber, sieht sehr gut, aber ein bißchen hochmütig aus und speiste vorgestern mittag im Speisesaal -- -- --“ Ein plötzliches Rauschen von Seidenröcken neben ihm ließ ihn zusammenzucken. Er wandte sich seitwärts und da stand die Unbekannte selbst! „Ich hörte zufällig Ihre freundliche Anfrage,“ sagte sie. „Sollte am Ende ich es sein, die Sie dem Portier beschrieben haben?“ Diesmal konnte kein Zweifel über ihren Gesichtsausdruck herrschen, wie vor zwei Tagen im Speisesaal. Jetzt war es genau dieselbe Miene, die er vom Expreß her kannte; und ihre grauen Augen hatten einen Blick, der ihm kalt über das Rückgrat lief. Endlich gelang es ihm, sich zu fassen. „Sie, Madame? Soviel ich weiß, habe ich nicht das Vergnügen, Sie zu kennen.“ „Ich Sie auch nicht -- dem Namen nach.“ Es lag eine vernichtende Betonung auf den letzten zwei Worten, die nur zu gut ausdrückten, was sie meinte -- die Szene in Köln, wo sie ihn vor fünf Tagen arretieren gesehen hatte. Allan nahm eine hübsche Preißelbeerfarbe an, aber es gelang ihm zu sagen: „Sie haben gewiß etwas mit dem Portier zu besprechen. Ich will mich außer Hörweite zurückziehen, damit ich Sie nicht zu belauschen brauche.“ Er wußte, daß dieser Abschiedspfeil sie in das Tiefste ihrer anglosächsischen Seele treffen mußte, aber trotzdem empfand er seine Sortie aus dem Bureau nicht als eine _Sortie d’éclat_. Er kreuzte die Halle so rasch, als es seine Würde zuließ. -- Was er hauptsächlich befürchtete, war, daß sie ihn zurückrufen und bitten würde, das Interview mit dem Portier fortzusetzen; er fühlte sich dieser Aufgabe jetzt nicht gewachsen. Und plötzlich fand er sich im Konversationssalon des Hotels, in den seine Beine ihn, ohne daß er es selbst wußte, getragen hatten, und hörte ein _damn and confound_, das mit ungeheurer Energie in seiner unmittelbaren Nähe ausgestoßen wurde. Erst im nächsten Augenblick dämmerte es ihm auf, daß ihm selbst diese Worte entschlüpft waren; und noch ganz erstaunt über seine rasche Akklimatisierung hörte er eine schrille Stimme, die sagte: „Hallo, junger Mann! Solche Worte pflegt man nicht in Damengesellschaft zu sagen.“ Allan drehte sich um. Trotz der wenig menschenfreundlichen Laune, in der er sich für den Augenblick befand, mußte er lächeln. Auf einem der roten Lederstühle saß eine alte Dame mit dem New York Herald in der Hand -- sie wäre von der Zeitung verdeckt gewesen, wenn sie sie nicht gesenkt und Allan über den Rand angeguckt hätte. Ihr Gesicht glich auf das I-Tüpfelchen einem alten, schlauen Papagei. Sie hatte graues Haar, das von den Ohren abstand, zwei scharfe kohlschwarze Augen und eine Nase, die den Rest des Gesichtes ebenso gründlich ausfüllte, wie die Sankt Paulskathedrale den offenen Platz, an dem sie liegt. So wie die Kathedrale kam sie architektonisch nicht zu ihrem vollen Recht, aus Mangel an Perspektive ... Man sah jedoch einen breiten Mund mit schmalen und offenbar sehr scharfen Lippen, und ein Kinn, das napoleonisch zu wirken versuchte. Die kohlschwarzen Augen fixierten Allan schräg, ganz wie die eines Papageis. Allan verbeugte sich ehrfurchtsvoll: „Ich bitte Sie tausendmal um Entschuldigung, Madame! Ich dachte wirklich nicht daran, was ich sagte, und ich wußte kaum, wo ich mich befand.“ „Warum haben Sie geflucht?“ sagte die alte Dame. Sie betonte das Wort geflucht so, daß es klang, wie gemordet oder falsches Zeugnis abgelegt. Allan wandelte die barocke Lust an, ihr alles zu erzählen. „Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären,“ begann er. „Sind Sie Amerikanerin, wenn ich fragen darf?“ „Ja. Haben Sie deshalb geflucht?“ „Nicht weil +Sie+ Amerikanerin sind. Gott bewahre mich. Aber aufrichtig gesagt, war es eine Ihrer Landsmänninnen, die mich zum Fluchen brachte.“ „Ein Gentleman flucht nie über eine Dame oder in Damengesellschaft.“ „Sie haben recht. Ich bereue aus der Tiefe meines Herzens. Sehen Sie, diese Dame überraschte mich gerade, als ich dabei war, den Portier auszufragen ...“ „Hat sie gehorcht? Dann ist sie keine Dame. Dann haben Sie das Recht zu fluchen.“ „Hm, sehen Sie, ich war eben im Begriff, den Portier nach ihr selbst auszufragen ...“ „Sind Sie in sie verliebt? Dann haben Sie ein Recht dazu. Dann verstehe ich Sie.“ „Sie interessiert mich. Und Sie begreifen, daß ...“ „Haben Sie vom Portier erfahren, wer sie ist? Sind Sie ein Engländer?“ „Sie kam gerade zurecht, um mich daran zu verhindern. Nein, ich bin ein Schwede, Madame.“ „Warum fluchen Sie dann auf englisch?“ „Ja, wer das sagen könnte! Das Klima, vermute ich. Nochmals, ich bitte Sie um Entschuldigung, Madame.“ „Oh, _demmit_, ist nicht nötig. Ich fluche selber, wenns sein muß. Setzen Sie sich nieder, Sie interessieren mich. Was machen Sie in London?“ „Ja, wenn ich das wüßte. Eigentlich bin ich hier, um einen Herrn zu treffen, der meine Koffer gestohlen hat.“ „Die kriegen Sie nie zurück. In London kriegt man nie etwas zurück, nicht einmal das Geld, das bei den Rechnungen übrig bleibt. Ich kenne die Engländer. Hat er Ihre Koffer hier in London gestohlen?“ „Nein, im Expreß in Deutschland; und sehen Sie, das Lächerliche ist --“ „Was ist das Lächerliche? Da ist Helen. Grüß Gott, mein Kind. Was ist das Lächerliche?“ „Daß er sie mir unversehrt hierher zurückgeschickt hat.“ „_Now demmit_ ... ich meine, sitzen Sie da und machen Sie sich über mich lustig, junger Mann? Helen, komm her, dann wirst du etwas hören. Hier ist ein junger Mann, der Märchen aus Tausendundeiner Nacht erzählt. Außerdem flucht er in Damengesellschaft.“ Allan sah auf und erblickte ein junges Mädchen von zwanzig Jahren, die jetzt auf die alte Dame im Klubsessel zukam. Sie war schlank, blond und unaussprechlich amerikanisch. Allan fühlte eine instinktive Sympathie, die, wie er ebenso instinktiv empfand, verschieden von dem war, was er sonst für junge Damen zu empfinden pflegte. Sie hatte graue Augen und sehr reine Züge. War sie die Tochter der alten Dame auf dem Klubfauteuil, dann mußte sie wohl mehr ihrem Vater nachgeraten sein ... „Das hier ist meine Tochter, junger Mann, ob Sie es glauben oder nicht.“ Die kohlschwarzen Papageienaugen hatten offenbar seine Gedanken gelesen. Allan verbeugte sich und zog eine Visitkarte hervor. „Ich weiß nicht, was in Amerika korrekt ist,“ sagte er ein bißchen befangen. „Gestatten Sie?“ Die alte Dame erfaßte seine Karte mit einer krallenähnlichen Hand, hielt sie vorsichtig auf Armeslänge von sich ab (in diesem Falle keine besonders große Distanz) und betrachtete sie mit schräggelegtem Kopf. „K--r--a--g--h, Kragh, ist das ein komischer Name! Well, mein Name ist Mrs. Bowlby aus Worcester, Massachusetts, Sir!“ Sie sprach Allans Namen aus, als bedeutete er Kreide[1]. [1] Auf englisch _Cray_. Vorsichtige Bemerkung. Allan versuchte, ihr eine skandinavischere Aussprache beizubringen. „_Now demmit_, glauben Sie, ich bin nach England gekommen, um Schwedisch zu lernen? Wenn Sie auf englisch fluchen, können Sie sich auch auf englisch titulieren lassen. _There_, fahren Sie in Ihrer Erzählung fort.“ Seine weiteren Erlebnisse in Mrs. Bowlbys Gesellschaft hatte Allan folglich als Mr. Cray. Unter einem Regen von Interpellationen berichtete er seine Abenteuer im deutschen Expreßzug, in Köln und in London. Plötzlich schweiften die Gedanken der alten Dame zum Ausgangspunkt zurück. „Und die Dame, die Sie am Hamburger Bahnhof sahen, ist dieselbe, die hier im Hotel wohnt?“ „Ja.“ „Wie kann das Hotel so etwas zulassen, das ist doch natürlich eine Hochstaplerin. Schon die Art, wie sie einen feinen jungen Mann wie Sie behandelt, beweist es.“ „Mrs. Bowlby, ich war sehr unbescheiden ...“ „Gewiß nicht. Absolut nicht. Das ist eine Schwindlerin, denken Sie an meine Worte! Wie sieht sie aus?“ „Sie ist ein bißchen mehr als mittelgroß und etwas hochmütig. Mit grauen Augen wie Miß Bowlby und recht kurzer Oberlippe. Sie sieht aus wie eine blonde spanische Infantin, wenn Sie verstehen, was ich meine, Mrs. Bowlby.“ „Natürlich. Und sie ist Amerikanerin?“ „Ja. Ich glaube wenigstens. Das heißt, auf dem Bahnhof sprach sie allerdings deutsch, wie ich Ihnen schon erzählt habe -- aber später ...“ „Haha!!“ Mrs. Bowlbys Lachen war so triumphierend-krächzend, wie das eines Papageis, dem es soeben gelungen ist, einen Feind so recht tüchtig in den Zeigefinger zu beißen. „Haha! Die habe ich schon im Hotel gesehen, ganz richtig. Jetzt weiß ich’s. Sie hätte ebensogut französisch sprechen können, junger Mann. Sie sind in gute Gesellschaft gekommen! Glauben Sie, ich weiß nicht, wer sie ist? Mrs. Langtrey, erinnerst du dich an Mrs. Langtrey, Helen?“ „Ich glaube, du hast von ihr gesprochen, Mama.“ „Ich? Nie im Leben. Ich spreche von solchen Personen nicht. Andere Menschen haben vielleicht mit dir von ihr gesprochen ... Vor vier Jahren sprachen alle Leute von ihr, obgleich sie sich schämen sollten, überhaupt von so etwas zu sprechen.“ „Aber Mama!“ „Sch! Ich weiß, was ich sage. _Dash it_, ich sollte gar nicht zu dir von ihr sprechen, Helen. Sie war mit dem Obersten Langtrey in Boston verheiratet und eine große Modedame. Kurz bevor Langtrey starb, hatte sie einen +gräßlichen+ Flirt mit einem französischen Windbeutel, der sich Baron nannte oder Marquis oder König. De Citrac hieß er. Langtrey hatte kaum die Augen geschlossen, als sie nach Europa verduftete. Natürlich weiß man, was sie da wollte. Seither hat niemand in Amerika von ihr gehört, obwohl alle von ihr gesprochen haben. Aber ich glaubte sie gestern, als wir kamen, hier im Hotel zu sehen, und nun nach Mr. Crays Beschreibung ...“ Mrs. Bowlbys Rede wurde dadurch unterbrochen, daß die Türe des Lesesalons sich öffnete und jemand hereinkam, in strahlender, rosafarbener Nachmittagstoilette, die um sie rauschte, wie der Schaum um eine schlanke Säule. Sie warf einen eisig gleichgültigen Blick auf Allan, ohne die beiden Damen auch nur zu sehen, und ging mit königlicher Grazie auf einen der Tische mit den illustrierten Zeitungen zu. Sie wählte The Queen aus und versank in einem Lederfauteuil im rückwärtigen Teil des Lesesalons. „_Well!_“ Mrs. Bowlbys Interjektion barg eine Welt von Bedeutung -- „ist das nicht sie, die ...“ Allan, dessen Augen in dieselbe Richtung starrten, wie ihre steinkohlenschwarzen Aeuglein, zog langsam seinen Blick wieder zurück. Mrs. Bowlby, die diesen Blick gesehen hatte, erhob sich fünf Fuß hoch aus ihrem Sessel. „Zeit, Tee zu trinken,“ sagte sie. „Wollen Sie mit Helen und mir den Tee nehmen, Mr. Cray? Sie brauchen Schutz und Schirm gegen die Welt, junger Mann, sie ist voll Sünde, und unser eigen Fleisch der Sünde bester Bundesgenosse.“ Allan riß die Tür für sie und Fräulein Helen auf, während er innerlich im stillen bedauerte, daß die Sünde einerseits so verlockend aussehen muß und andererseits nicht immer so geneigt ist, den Menschen zu attackieren, wie die Theologen behaupten. * * * Beim Tee in Mrs. Bowlbys Salon im ersten Stock gesellte sich Mr. Bowlby hinzu. Mr. Bowlby war ein langer, breitschultriger, blonder Mann, offenbar jünger als seine Gattin. Sein glattrasiertes Gesicht erhielt seinen Charakter von dem breiten lustigen Mund. Er sah aus wie ein Schuljunge. Mrs. Bowlby stellte Allan unter der Signatur vor, unter der sie ein für allemal entschlossen war, ihn zu verbergen. Sie entwarf eine farbenprächtige Schilderung seiner Abenteuer und eine noch koloriertere Darstellung von Mrs. Langtrey und ihren Ansichten, wes Geistes Kind diese Dame war. Mr. Bowlby interpunktierte ihre Erzählung mit einer größeren Anzahl _blow me_ und ebenso vielen Tassen Tee. Dann wischte er sich den Mund und sagte: „_Well_, Susan (seine Stimme war laut und lärmend wie die eines großen jungen Hundes), ich habe auch Neuigkeiten. Wir müssen in den zweiten Stock ziehen.“ „Früher siehst du mich am höchsten Ast baumeln,“ sagte Mrs. Bowlby, ohne einen Augenblick zu zaudern. „Ist die Börse zurückgegangen, John? Du solltest sie sein lassen, wenn du auf Ferien bist.“ „Es ist nicht die Börse;“ sagte John. „Es ist ein König.“ „Ein König? Hast du einem König Geld geliehen, John?“ „Unsinn, ich leihe kein Geld aus, das weißt du. Der König soll hier wohnen, ein richtiger König, der übermorgen herkommt, um sich in London zu verheiraten. Der Direktor hat es eben als eine Gnade von mir erbeten ...“ „Ich sage dir eines, John, versuche nicht unser armes Kind an ihn zu verheiraten! Helen! Du darfst nie an derartige Menschen denken, versprich mir das, Kind.“ „Du phantasierst, Susan. Helen mit ihm verheiraten! Ebensogut könnte ich sie mit einem Mormonen-Bischof verheiraten. Der König, der kommt, hat schon hundertfünfzig Frauen.“ „Barmherziger Jesus! Was ist das für ein Untier, das uns aus unserer Wohnung vertreiben will, John?“ „Ein König, ein richtiger König mit fünfzehn Millionen Untertanen, die meisten davon braun, aber, _blow it_, ein richtiger König. Der Direktor war geradezu verzweifelt, daß ...“ „Komme mir nicht mit dem Direktor! Bist du ein freigeborener Amerikaner? Gibt es nicht noch andere Hotels in London?“ „Einige, Susan, aber das hier ist wohl das einzige, wo ein König absteigen kann. Und wir bekommen eine Wohnung einen Stock höher, wo Prinz Hieronymus von Bulgarien wohnte, als er zuletzt in London war.“ „Dann kann sich dieser König auch damit zufrieden geben. Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig.“ „Das ist aber ein regierender Fürst, Susan, und ein regierender Fürst kann nicht höher wohnen als im ersten Stock.“ Mrs. Bowlbys steinkohlenschwarze Augen wanderten von John zu Fräulein Helen und von ihr zu Allan. „Hat er die hundertfünfzig Frauen mit, John?“ „Das weiß ich nicht, liebe Susan. Dann muß er wohl ein besonderes Hotel für sie mieten, oder vielmehr hundertfünfzig besondere Hotels, damit sie ihm das Leben nicht zu sauer machen.“ Mrs. Bowlby wurde weich. „Ich bin überzeugt; daß er sie mit hat, John, ich kenne die Männer. Ziehen wir also in die Wohnung des Prinzen! Ich muß hier bleiben und diesen jungen Mann beschützen. Das ist meine Pflicht, Mr. Cray, denn ich kenne auch die Frauen.“ Mrs. Bowlby stellte ihre Teetasse energisch hin und betrachtete Allan, als wäre er ein junger Papagei vor seinem ersten unsicheren Flug. Dann wendete sie sich an Mr. Bowlby. „Wie heißt das Untier, John?“ „Yussuf Khan,“ antwortete Mr. Bowlby, indem er eine Zigarre ansteckte. „Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad.“ IV Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad Als Ibrahim Khan, selbständiger Maharadscha des Staates Nasirabad, in der nordwestlichsten Ecke Indiens, im Jahre 1885 am Khawakpasse vom damaligen Obersten der angloindischen Armee, Sir George Merriman, besiegt wurde, war es nicht ein Fürst, oder ein Volk, das fiel; es war ein System. Ibrahim Khan hatte sich während einer vierzigjährigen Regierung als der erbittertste Gegner bekannt gemacht, den das englische Regime seit Tippo Sahib gehabt hatte; nur die Kleinheit und Entlegenheit seines Staates hatte seine Feindschaft verhindert, ebenso furchtbar zu werden als sie erbittert war. Als die Nachricht vom Ausgang der Schlacht am Khawakpasse in Nasirabad eintraf, und es klar wurde, daß die Tage von Ibrahim Khans Selbständigkeit gezählt waren, beschloß er, wenigstens selbst über die Anzahl dieser Tage zu bestimmen. Gleich einem berühmten König des alten Testamentes stürzte sich Ibrahim Khan auf sein Schwert, und die Gesänge, die Sir George bei seinem Einzug in Nasirabad begrüßten, waren keineswegs Lobeshymnen. Es ist jedoch wohlbekannt (wir verweisen auf Alexander Carsons vortreffliche Lebensbeschreibung Sir Georges, Heinemann & Co., London 1908), wie gut Ibrahim Khans Besieger die Kunst beherrschte, die Hannibal nie erlernen konnte, den Sieg auszunützen. Zum Administrator des Reiches ernannt, das er der Königin erworben, verwaltete er es mit einer Pflichttreue und einem Eifer, der sogar in Indien wenig Gegenstücke gehabt haben dürfte. Nicht genug damit: er sah sich durch einen Erfolg belohnt, der wohl noch seltener erreicht worden sein dürfte. Als er im Jahre 1905, am Jahrestage der Schlacht am Khawakpasse, die Bergtäler Nasirabads verließ, war es als Vater des Landes, nicht als sein Besieger; aufrichtige Tränen der Bevölkerung aus allen Landesteilen folgten ihm; und diese Tränen verdoppelten sich, als die Nachricht von seinem drei Monate später erfolgten Tode das schlichte Gebirgsvolk erreichte. „Er schlug uns, und er wurde unser Vater; als er seinem Herzen unsere Herzen nicht mehr entgegenschlagen fühlte, hörte es selbst auf zu schlagen,“ sang der alte Hofdichter Abdul Mahbub. Der Schmerz über Sir Georges Hingang wurde einigermaßen dadurch gemildert, daß ein Sohn des alten Fürstenhauses gleichzeitig (unter Oberaufsicht des neuen Residenten, Sir Herbert Layson) die Regierung übernahm. Es war Yussuf Khan, Ibrahim Khans ältester lebender Sohn -- selbst eines der Produkte und vielleicht nicht das glücklichste, von Sir George Merrimans Reformen. Bei Sir Georges Einzug in Nasirabad erst vier Jahre alt, wurde der junge Prinz sofort unter die Leitung eines englischen Hofmeisters gestellt; es war Sir Georges Ueberzeugung, daß die Reformen sowie die Kultur von oben nach unten gehen müssen. Zum Hofmeister des jungen Prinzen Yussuf Khan wählte er einen alten Oxforder Freund namens Bowles. Vermutlich sah Sir George diesen mehr durch die Brillen der Freundschaft, als der Pädagogik; es ist auch möglich, daß er zu sehr von den übrigen Einwohnern Nasirabads und ihren bunten Angelegenheiten in Anspruch genommen war, um viel Zeit für die zahlreichen Angehörigen des fürstlichen Hauses übrig zu haben. Und jedenfalls trug der Nimbus, der den Eroberer Nasirabads umgab, dazu bei, alle Exzesse des jungen Thronfolgers zu verhindern, solange Sir George selbst die Leitung des Reiches inne hatte. Uebrigens war Dr. Bowles dem Prinzen ein so guter Lehrer, daß er die Sprache seines Vaterlandes fast ganz über der der Eroberer vergaß. Sogar mit seinem eingeborenen Lehrer, dem alten Dichter Ali, sprach er meistens englisch. Aber das Jahr 1906 -- Yussuf Khans fünfundzwanzigstes Jahr -- war kaum angebrochen, als er auch schon Sir Herbert Layson verschiedentliche Nüsse aufzuknacken gab. Zu dieser Zeit war sein alter Erzieher Bowles schon aus dem Spiele, mit einer schönen Pension und sämtlichen Orden des Staates Nasirabads an seiner Brust nach England heimbefördert; es war also Sir Herbert selbst, der dem Anprall des ersten Sturmlaufes des jungen Regenten gegen das neue Regime standhalten mußte. Er tat es in seiner eigenen Weise, und vielleicht wäre das, was nun geschah, nie eingetroffen, wenn ein Mann von anderem Charakter Sir Herberts Platz bekleidet hätte, in welchem Falle auch dieses Buch nie das Licht der Welt erblickt hätte. _Habent sua fata libelli_, sagt mit Recht der römische Dichter. Nun war Sir Herbert Layson gerade ein Jünger dieses römischen Dichters sowie seines großen Namensvetters Herbert Spencer; er war ein stiller, ironischer, arbeitsamer, verschlossener Mann, der seine Tagesarbeit verrichtete und es liebte, auf das Leben von einer ebenso kühlen und klaren Höhe herabzublicken, wie er von seinem Palast in Nasirabad auf die Bergtäler unter der Hauptstadt herniedersah. Yussuf Khans jugendliche Heißblütigkeiten fing er wie Wurfgeschosse mit dem Schild seiner Ironie auf; es muß zugegeben werden, daß dieser Schild auf harte Proben gestellt wurde. Es begann mit Regierungsfragen, in denen der junge Regent seinen Willen durchsetzen wollte; die Angriffe auf diesem Gebiet waren von kurzer Dauer. Sir Herbert ließ den jungen Mann bei einer oder zwei passenden Gelegenheiten seinen Willen durchsetzen; das war genug. Die Unruhe und Erregung der Bevölkerung, die sich schon an die maßvollen Verordnungen und Auflagen des englischen Residenten gewöhnt hatte, überzeugte sogar Yussuf Khan sehr bald, daß seine Anlagen nach anderen Richtungen wiesen. Recht bald hatte er auch herausgefunden, welche diese Richtungen waren: Pferdesport und militärische Uebungen. Der Anfall dauerte gut zwei Jahre, von 1907 bis Ende 1909. Daraus folgte eine kurze Periode der Mattigkeit beim Patienten, bis die neue Phase der Krankheit auftrat. Und als dies geschah, wurde Sir Herbert zum ersten Male unruhig. Denn nun hatte das Weib seinen Einzug in Yussuf Khans Leben gehalten, und was schlimmer war, das geträumte, nur mit den Augen des Ideals gesehene Weib. Sir Herbert hatte Grund zur Unruhe. Bei diesem Punkt fragt sich der flüchtige Leser erstaunt: Was weiter? Hat man nicht von diesen indischen Fürsten und ihren Harems gelesen, wo die schönsten, üppigsten Frauen der Welt ausschließlich für ihre Rechnung verwahrt werden, wie eine Bibliothek von Luxusausgaben? Sind nicht ihre mandelförmigen Augen schwärzer und sanfter als die der Gazelle, ihre Glieder geschmeidiger als Schlingpflanzen, ihre Zärtlichkeit berauschender als Haschisch! Gibt es nicht eine schwedische Zenanamission für diese Unglücklichen? Oder war Yussuf Khan schlechter daran als seine Kollegen? -- Dem Leser, der diese elegant formulierten Fragen stellt, können wir nur antworten: Möge er sich selbst in Yussuf Khans Lage versetzen, als souveräner Gatte von einhundertfünfzig schönen Asiatinnen aller Völkerschaften! Was nützt ein Harem und seine arabeskengeschmückten Mauern gegen das Ideal? Das Ideal findet immer eine Ritze in den Arabesken, durch die es sich eindrängt; es ahmt die Stimme der Nachtigallen nach, um von Frauen zu singen, tausendmal verführerischer als die Haremskönigin, es flüstert im Palmenrauschen; sein Sirenengesang klingt aus dem Rieseln der Springbrunnen. Oder, um so prosaisch zu sprechen wie Seine allerchristlichste Majestät Franz I. von Frankreich, auch er Herr eines (höchst christlichen) Harems -- „_toujours perdrix_“! Immer Rebhühner! -- Leben Sie einmal einen Monat von Rebhühnern und Bordeaux, und Sie sehnen sich nach Käse und Brot und einem Schluck Wasser. Leben Sie ein paar Jahre von Rebhühnern, und Sie werden Vegetarianer. Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad war schon um die Mitte des Jahres 1909 definitiv zum Vegetarismus übergegangen, und zu Ende dieses Jahres war seine idealistische Krankheit in ein bösartiges, akutes Stadium getreten. Er wollte eine europäische Prinzessin heiraten! Hatte Sir Herbert Layson Grund, unruhig zu sein oder nicht? Was die Sache noch verschlimmerte, war der Charakter des trefflichen Sir Herbert. Sein Schädel entbehrte gänzlich jener idealistischen Knollen, die ein Phrenologe an dem Yussuf Khans gefunden hätte; als Yussuf Khan seine Gesellschaft aufsuchte und ihn zögernd in die stumme Qual seines Geistes einzuweihen begann, begegnete ihm Sir Herbert mit einem trockenen Lächeln und mit Reflexionen über die europäischen Frauen, die Yussuf Khan vor Empörung aufflammen ließen, wie einen neuen Bayard. Erst als es zu spät war, erkannte Sir Herbert, wie die Dinge standen, und änderte seine Taktik; aber seine Versuche, den jungen Regenten für Polo- oder für Regierungsfragen zu interessieren, hatten keinerlei Erfolg mehr. Seine einzige Hoffnung war, daß der Frühling, der die Liebe im Menschen wieder entzündet, auch seine Wirkung auf Yussuf Khan nicht verfehlen würde. Der Frühling kam; doch anstatt bei Yussuf Khan die Liebe zu den hundertfünfzig Frauen wieder zu entflammen, ließ er seinen Idealismus auflodern wie die Scheiterhaufen an den Landstraßen oben im Gebirge. Und was mehr war: der Frühling brachte ihm einen Plan. Da es unwahrscheinlich war, daß die europäischen Prinzessinnen ihn in Nasirabad aufsuchen würden, blieb offenbar nichts anderes übrig, als daß er sie in Europa aufsuchte. Nun begann Sir Herberts wirkliches Inferno. Endlose Ermahnungen und ironische Ausfälle erwiesen sich als gleich fruchtlos. Den ganzen Sommer streifte Yussuf Khan wie ein unversöhnter Schatten um seinen Palast herum, einen einzigen Wunsch auf den Lippen. Der Sommer Nasirabads, sonst kühl und angenehm gegen den Sommer im übrigen Indien, wurde für Sir Herbert so allmählich heißer als der Bikanirs. Die Quellen seiner Ironie vertrockneten vor Yussuf Khans asiatisch glühender Halsstarrigkeit. Er wurde nervös und reizbar, er verlor seine kühle Erhabenheit gegenüber den Phänomenen des Lebens und seine Arbeitsfreude. Endlich faßte er Ende Juli seinen Entschluß und schrieb an den Vizekönig in Simla: Konnte man es riskieren, einen vom Gifte des Idealismus fieberkranken Himalaya-Löwen auf Europa loszulassen? Waren die heiratsfähigen europäischen Prinzessinnen unfallversichert? Hatte nicht Pasteur irgendeine Behandlungsmethode für diese neue Form der Rabies? Die Antwort des Vizekönigs, die mit bis dahin unbekannter Spannung in Nasirabad erwartet wurde, lautete kurz und bündig: +Lassen Sie den jungen Idioten reisen, aber sorgen Sie für Bewachung.+ Sir Herbert stieß einen Seufzer unsäglicher Erleichterung aus. In einer Woche waren die Arbeiten an Yussuf Khans Ausrüstung in vollem Gange -- dieser Zeitraum war nötig, um die Begriffe des jungen Regenten über die Pracht, die bei der Werbung um eine weiße Prinzessin entfaltet werden sollte, ein wenig zu modifizieren. Nachdem Elefanten, goldschabrackengeschmückte Stuten und eine Eskorte von zweihundert stummen Sklaven aus dem Programm gestrichen waren, blieb noch ein Punkt; in dem er sich unerschütterlich zeigte: Die Kronjuwelen Nasirabads vom ersten bis zum letzten mußten mitgenommen werden. Selbst mit dieser Pracht wußte er nur zu gut, wie unendlich gering seine Aussichten waren, die geträumte stolze Prinzessin zu erringen: ohne die Juwelen waren diese Aussichten winziger als die Eier der weißen Ameise. Sir Herbert zuckte die Achseln; tatsächlich konnte er in diesem Punkte nichts machen, denn die Juwelen waren Yussuf Khans Privateigentum. Er begnügte sich damit, sich die Juwelen zeigen zu lassen; es war ein sehenswerter Anblick. Er wußte vom Hörensagen, welche Schätze der alte Ibrahim Khan in seiner Juwelenkammer aufgestapelt hatte, aber bisher waren sie ebenso sorgsam vor seinen Augen verborgen gewesen, wie die hundertfünfzig Damen in Yussuf Khans Harem. Es war eine Pyramide von Diamanten, Perlen, Topasen, Smaragden, Rubinen und Gold, ein lichtsprühender Wasserfall von Farben. Halb geblendet von dem, was er gesehen, beeilte er sich, für eine möglichst solide Verpackung der Schätze Sorge zu tragen. Wir werden Gelegenheit finden, später von ihnen zu sprechen. Am 15. August ums Morgengrauen verließ Yussuf Khans Freierzug Nasirabad. Die Sonne ging eben hinter den Kämmen des Himalaya auf, und das Schloß Nasirabad mit seinen schlanken Türmen war wie in ein Netz von weißem Licht verstrickt. Die Kanonen der Bastion verkündeten dröhnend die Botschaft von der Abfahrt des Regenten, und das Volk wimmelte in den Straßen, um Yussuf Khan auf seinem Schimmel zum Stadttor hinausreiten zu sehen, durch das Sir George Merriman vor fünfundzwanzig Jahren eingezogen war. Sir Herbert gab dem Maharadscha bis zum ersten Pferdewechsel des Abends das Geleite. Dann kehrte er zu seinem Tagewerk zurück, froh in dem Bewußtsein, daß die Aufsicht über diesen beschwerlichen Schützling seinem alten barschen Freunde, Oberst Morrel, anvertraut war, seit zehn Jahren Militärkommandant von Nasirabad. Außer diesem befand sich keine andere Persönlichkeit von Rang im Gefolge als Yussuf Khans alter eingeborener Lehrer, der sechzigjährige Hofdichter Ali. Der Abendhimmel zwischen den Talwänden, durch die Yussuf Khan mit seinem Gefolge verschwand, war ein feuerlilienflammender Gürtel über einer Region von blendendem Pfingstlilienweiß -- gleichsam ein himmlischer Versuch zu einer Heraldik für seine Rechnung, als er nun seine Freierfahrt in das Land der weißen Prinzessinnen antrat. Mit einem Lächeln über die Aussichten von Yussuf Khans Werbeplänen wandte Sir Herbert seinen Traber wieder Nasirabad zu, froh, in Ruhe seine Arbeit wieder aufnehmen zu können, und seine ironische Betrachtung der Phänomene des Lebens aus den Fenstern der Residenz, die auf die Felsentäler Nasirabads blickten. V +Das große Hotel+ (Fortsetzung) „Waren Sie oben, und haben Sie ihn gesehen, Miß Helen?“ „Gewiß. Nicht alle bleiben bis zum Lunch liegen, wie Sie, Mr. Cray. Einen hübschen Schlips haben Sie da.“ „Sehr erfreut, das von Ihnen zu hören. Aber wie sieht er aus?“ „Prachtvoll. Er hatte weiße Tennishosen und einen Zylinder.“ „Nicht viel für September.“ „Machen Sie keine schlechten Witze! Er hatte noch eine Menge anderer Dinge an. Uebrigens sieht er sehr gut aus, obwohl er ein bißchen dick zu werden anfängt.“ „Wie alt ist er denn?“ „Er sieht aus, wie ungefähr dreißig. Er hat einen schwarzen Schnurrbart und wunderschöne Zähne. Und das Gefolge -- Sie sollten sich wirklich schämen, so lange zu schlafen.“ „Waren Elefanten, Kamele und Nigger dabei?“ „Wenigstens Nigger. Es war überhaupt nur ein weißer Mann in der Gesellschaft, ein alter barscher Herr mit weißem Schnurrbart. Der Portier sagte, es ist ein englischer Oberst, der dazu angestellt ist, das Untier, wie Mama ihn nennt, zu bewachen.“ „Und die übrigen waren Nigger?“ „Wenn man sie so nennen will. Sie haben eine dunkle Gesichtsfarbe, aber ich versichere Ihnen, sie sehen stattlich aus. Er hat so eine Art Leibwache von zehn Mann mit Turbanen und Krummsäbeln, die seine Zimmer Tag und Nacht bewachen sollen. Und dann war da noch ein alter Herr, so irgendeine Art Würdenträger, vermute ich, der war in Zivil und sah so ehrwürdig aus, wie ein Erzbischof. Er hatte einen grauen Bart, der nach beiden Seiten weggekämmt war, ganz wie auf dieser Zeitungsreklame.“ „Die ungarische Pomade?“ „Ja, ganz richtig. Als sie die Eingangstreppe hinaufgingen, sprach er irgend etwas in Versen. Es klang wie eine Beschwörung. Mir wurde ganz andächtig zumute.“ „Kam ein Djinn? Hat er nicht auch irgendeine Kupferlampe gerieben?“ „Das weiß ich nicht. Er hatte so weite Kleider, das konnte man nicht sehen.“ „Asiatische?“ „Jedenfalls nicht aus Newyork. Aber sonst ein stattlicher alter Herr. Er sah ein bißchen wild aus, aber gebildet, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ „Aber sicherlich. Wie ein gebildeter Amerikaner.“ „Herrgott, wie witzig Sie sind, Mr. Cray! Hier kommt Mama.“ Mrs. Bowlby kam in weißer Morgentoilette in die Halle des Grand Hotel Hermitage hereingehopst; es sah aus, als setzte sie, wenn sie ging, beide Füße gleichzeitig vor wie ein Vogel. Sie ließ ein schrilles Zwitschern der Befriedigung hören, als sie ihre Tochter und Allan auf zwei der schwarzen Büffelledersessel der Halle entdeckte. Allan beeilte sich, noch einen herbeizuziehen, in dessen Tiefen Mrs. Bowlby verschwand wie ein Zuckerwürfel in einer Tasse Kaffee. „Gott sei Dank! Ich habe geglaubt, das Untier hat dich schon entführt, Helen.“ „Aber Mama! Er hat ja schon hundertfünfzig Sultaninnen.“ „Ach, ich kenne die Männer! Ob sie hundertfünfzig haben oder eine, immer sind sie gleich bereit, zu betrügen.“ „Aber ich versichere dir, er hat mich nicht einmal angesehen.“ „Wie sieht er aus, Helen?“ „Er sieht sehr gut aus, nur ein bißchen fett.“ „Mit hundertfünfzig Frauen!“ „Er war natürlich ein bißchen exzentrisch angezogen. Aber du hättest die Leibwache sehen sollen. Zehn -- Aber hier kommt Papa. Er sieht aus, als hätte er etwas zu erzählen.“ Mr. Bowlby kreuzte die Halle, das Gesicht voll unerzählter Neuigkeiten. „Guten Morgen, alle miteinander!“ rief er. „_Well!_“ „Nun, John, was gibt es?“ „Sei ruhig, Susan, du wirst es schon erfahren, obgleich es so geheim als möglich gehalten werden soll, der Londoner Diebe wegen.“ „Was ist es, John? Etwas mit den hundertfünfzig?“ „Nicht mit denen, die du meinst. Er hat noch hundertfünfzig Kleinigkeiten mit --“ „Also alles in allem dreihundert!“ „... auf die er wohl bedeutend mehr Wert legt. _By Jove!_ Der Direktor zittert an allen Gliedern. Es gibt ihresgleichen wohl nicht in Europa und kaum in Indien.“ „Wovon sprichst du denn, Papa?“ „Von seinen Juwelen, mein Kind! Hundertfünfzig Schmuckstücke und eine Anzahl einzelner Steine, alle von einer Qualität, die _hors concours_ ist. Oberst Morrel, der alte Engländer, der als sein Beschützer mit ist, sprach davon wie vom achten Weltwunder, sagte der Direktor, obwohl er sonst nicht den Eindruck macht, sich leicht imponieren zu lassen.“ „Er hat sie natürlich dem Hotel zur Aufbewahrung im Safe übergeben, Mr. Bowlby?“ „Nein, junger Freund, das ist eben das Arge. Der Oberst drang darauf, daß sie übergeben werden sollten. Aber der Maharadscha will sie oben in seiner Wohnung haben. Sie werden begreifen, daß der Direktor nervös ist! Denken Sie sich, wenn so irgendeine Hotelratte ...“ „Aber in das Grand Hotel Hermitage kommt doch keine Hotelratte, Mr. Bowlby! Ist das nicht überhaupt eine ausgestorbene Gattung wie Plesiosauren und Pterodaktylen?“ „Glauben Sie das nicht so sicher, Mr. Cray. Ich erinnere mich, wie vor zwei Jahren in Newyork -- aber das tut nichts zur Sache. Nun hat er natürlich seine Leibwache, die Tag und Nacht vor seiner Suite ...“ „Unserer Suite, John.“ „... Wache hält. Die zehn wilden Gesellen mit den Krummsäbeln, die du gesehen hast, Helen. Das wird wohl Schutz genug sein. Aber der Direktor hat mir noch etwas erzählt.“ „Was denn, Papa? Etwas über den graubärtigen Bischof?“ „Bischof? Das ist sein Hofpoet und Lehrer! Ali heißt er, scheint mir. Hast du ihn deklamieren gehört, als er die Treppe hinaufging, Helen? Nein, vom Maharadscha selbst. Der ist noch verrückter als Pierpont Morgan, nur in anderer Art. Pierpont J. sammelt alte Sachen, da das Alte das einzige Neue ist, was er finden kann. Der Maharadscha, der alle Hände mit alten Sachen voll hat, ist ihrer müde, und wißt ihr, was er zu tun gedenkt? Er will die Fassungen aller Diademe ändern lassen! Sonst, glaubt er, würde er von den Europäern ausgelacht werden. _Well!_“ Mr. Bowlbys Ausruf kam ihm vom Herzen. Er sah sich in der Halle um, und kaum hatte er das getan, als er einen neuen Ausruf von sich gab. „_Blow me!_ Wenn man den Wolf nennt ... Da habt ihr schon den Mann, der geholt wurde, um die Aenderungen vorzunehmen. Der Maharadscha hat es aber eilig! Er hat noch kaum Zeit gehabt zu frühstücken!“ „Wo siehst du ihn, Papa?“ „Dort drüben. Der mit dem großen Schnurrbart, der da steht und mit dem Direktor spricht.“ „_By Jove!_“ Nun war es an Allan, einen anglosächsischen Ausdruck des Erstaunens hervorzustoßen. Gerade beim Eingang zum Hotelkorridor, im Gespräch mit dem breitschultrigen, bocksbärtigen Herrn, der, wie er wußte, der Direktor des großen Hotels war, stand kein anderer, als sein alter Bekannter aus dem Hamburger Bahnhof -- der Mann mit der bordeauxfarbenen Raubvogelnase und dem borstigen, graugelben Schnurrbart. Der Direktor sprach überaus ehrerbietig zu ihm und schien Erklärungen abzugeben. Er zuckte unaufhörlich die Achseln, so als erzählte er etwas, wofür er jede Verantwortung ablehnen wollte. „Was ist denn, Mr. Cray?“ Allan wandte endlich den Blick von den beiden Herren ab. Er zögerte einen Augenblick, bevor er mit seiner dramatischesten Stimme erklärte: „Was es ist, Miß Bowlby? Nichts anderes, als daß ich den Mann kenne, von dem Mr. Bowlby eben sprach!“ „Sie kennen ihn? Wie heißt er?“ „Ja ... das weiß ich nicht.“ „Aber ich weiß es,“ sagte Mr. Bowlby, „er ist ein Holländer und heißt van Schleeten. Er ist einer der größten Juweliere oder jedenfalls Juwelenspezialisten Europas. Er hat das große Diadem gemacht, das die französische Republik der Kaiserin von Rußland geschickt hat und Dutzende ähnlicher Dinge. Der Direktor hat es mir erzählt. Er hat mir auch anvertraut, daß der gute Mynheer van Schleeten seiner Zeit ein großer Don Juan gewesen ist. Wie können Sie ihn kennen, ohne zu wissen, wer er ist, Mr. Cray?“ „Das ist eine Spezialität von Mr. Cray! Er kannte ja auch Mrs. Langtrey, ohne zu wissen, wie sie heißt.“ Allan nickte. „Sie haben recht, Miß Bowlby, und das Wunderliche ist, daß ich sie von derselben Gelegenheit her kenne. Ich fuhr damals mit ihnen, Sie wissen, als man mein Gepäck stahl. Sie waren miteinander.“ „Dann ist der Juwelier ein Hochstapler. Langtreys Frau kennt nur Hochstapler. Dann will er die Juwelen des Untiers stehlen.“ „Susan, sei doch vorsichtiger mit dem, was du über die Leute sagst. Ich habe dir doch schon erzählt, wer er ist. Glaubst du, der Direktor würde es wagen, eine zweifelhafte Persönlichkeit in die Nähe der Juwelen des Maharadschas zu lassen, was er doch offenbar jetzt zu tun gedenkt?“ Mrs. Bowlby antwortete nur mit einem verächtlichen Kopfschütteln. Sie fixierte den bordeauxnasigen Juwelier mit einem durchdringenden Blick, während er an der Seite des Direktors durch die Halle zum Aufzug ging. Ihre Nase drückte stumm, aber beredt die Auffassung aus, die sie sich von Herrn van Schleeten nach dem, was Allan von seinen Damenbekanntschaften erzählt, gebildet hatte. Der Direktor und der Holländer verschwanden im Aufzug, und Mrs. Bowlby schnellte aus ihrem Klubsessel empor wie aus einer chinesischen Schachtel. „Zeit zu lunchen,“ dekretierte sie. „Leisten Sie uns Gesellschaft, Mr. Cray, und erzählen Sie uns, was Langtreys Frau mit dem Juwelier zu tun gehabt hat.“ * * * Der Tag brachte noch eine Sensation für Allan, und zwar kam sie von jemand, den er in der Gesellschaft der Familie Bowlby schon fast vergessen hätte, nämlich Herrn Benjamin Mirzl. Die Sensation hatte wieder einmal die Form eines Briefes. Allan hatte eben eine Nachmittagszigarre im Rauchzimmer beendet, als einer der unzähligen dienstbaren Geister des Hotels hereinkam und nach einer kurzen Inspektion des Zimmers auf Allan lossteuerte. „Ein Brief für Sie, Sir.“ Allan sah auf, ein wenig erstaunt. Wer schrieb ihm hier einen Brief? „An mich?“ „An Sie, Sir. Sie sind doch der Herr, der auf Nr. 417 wohnt, nicht wahr?“ „Das stimmt.“ Allan nahm den Brief von dem Tablett des Livrierten und belohnte ihn mit einem Sixpence. Aus alter Gewohnheit prüfte er das Kuvert, das eine verwischt abgestempelte Marke trug und suchte vergeblich zu ergründen, ob Paddington, Kensington oder Kennington daraufstand. Dann riß er das Kuvert auf, das, wie es sich zeigte, folgendes Schreiben enthielt: „Lieber Herr Kragh! Nehmen Sie es nicht übel, wenn ich Ihnen einen guten Rat gebe: Verannoncieren Sie doch nicht Ihr Geld, um diesen Träger zu erwischen. Das einzige Resultat, wenn Sie so fortfahren, wird sein, daß Sie den Besuch irgendeines Schwindlers bekommen, der Ihre zwei Pfund nimmt und Ihnen den Buckel vollügt. Der wirkliche Träger kommt nie; sein Trägeramt währte nur einen einzigen Abend, und seine Ehrlichkeit ist zu groß, als daß er es so machen würde, wie jene Schwindler, vor denen er Sie soeben gewarnt hat. Also, inhibieren Sie weitere Annoncen! In Eile Ihr ergebener Dr. Hauser, alias Ludwig Koch, alias ...... (nach Belieben). _P. S._ Ich freute mich, daß Sie Star, Daily Mail und Daily Citizen für die Annonce gewählt haben und nicht die großen teuren Pennyzeitungen! D. O.“ Allan starrte stumm das kleine Schriftstück an. Das war doch ein Teufelskerl! Der mußte im Nacken und an allen Fingern Augen haben! Die Annonce hatte ja gar keinen Namen enthalten, nur die Adresse Grand Hotel Hermitage, und trotzdem hatte dieser Erzschelm sofort begriffen, von wem sie herrührte. Allan gab sich eine Weile der Bewunderung für Herrn Benjamin Mirzl hin und überlegte, was dieser Herr wohl in London vorhaben mochte. Nicht zum mindesten wunderte es ihn, daß Herr Mirzl sich Zeit nahm, sich mit einer so unbedeutenden Person, wie er es war, abzugeben. Schließlich steckte er den Brief in die Tasche und nahm sich vor, Bowlbys von der Sache zu erzählen. Er fand dazu Gelegenheit, als er gegen sieben Uhr in den Speisesaal des Hotels kam. Mr. Bowlby mit Familie saß an einem der Tische in der Mitte des großen Speisesaales, im Schatten der Palmen rings um den ewig rieselnden Gold- und Marmorspringbrunnen. Er winkte Allan einladend zu, und dieser beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Diese originellen, urwüchsigen Menschen waren ihm höchst sympathisch. Er ließ sich nieder und erzählte Herrn Mirzls neue Leistungen, unter eifrigen Kommentaren von Mrs. Bowlby. „Wollen wir wetten, Mr. Cray, daß dieser Kerl die Leute in London ausplündert! Das ist eine feine Nummer! Warum glauben Sie, hat er Ihnen Ihre Koffer zurückgeschickt?“ „Um das zu erfahren, habe ich ja die Annonce eingerückt, und da sehen Sie nun das Resultat.“ „Ein Erzgauner,“ bestätigte Mrs. Bowlby noch einmal. Dann unterbrach sie sich plötzlich. „Sehen Sie!“ flüsterte sie, „sehen Sie, dort, Mr. Cray! John! Wahrhaftig, wird das wilde Tier nicht mit uns anderen zu Mittag essen! Sieh dir doch ihre Kostüme an, Helen!“ Allan drehte sich hastig um und sah ein Bild, das er nicht sobald vergaß. Im Parademarsch kam über die schweren gelben Teppiche des Dinersaales ein Zug von fünf Personen, wie das Grand Hotel Hermitage sie mit Ausnahme eines einzigen, wohl noch nie gesehen hatte. Voran, mit unnachahmlicher angeborener Grandezza schritt ein junger Mann von dreißig Jahren, etwas beleibt, aber von jener Beleibtheit, die Würde gibt. Sein Gesicht war schön oval mit einem kurzen, glänzenden, schwarzen Schnurrbart über einem unzufriedenen Mund. Der Teint war mattbraun, aber kaum dunkler, als der eines sonnverbrannten Sportsmannes. Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad! Er trug europäische Abendkleidung, aber hatte einen glänzenden weißen Turban auf dem Kopf und um den Hals ein breites Band aus grauen Perlen, das er wie einen Orden trug. In dem Turban stak eine Aigrette aus großen funkelnden Smaragden. Einen halben Schritt hinter ihm kam ein alter, ganz und gar englischer Gentleman mit frischer Gesichtsfarbe und buschigem, weißem Schnurrbart. Seine Augen waren klar blau und leuchteten augenblicklich vor Erregung; von welcher Art diese war, verriet sein Mund, der noch größeres Mißvergnügen ausdrückte als der des Maharadschas von Nasirabad. Es war sonnenklar, daß dieser Einzug im Cortège in das Grand Hotel Hermitage ihm als englischem Gentleman nicht gerade zusagte. Offenbar war dies Oberst Morrel, der die Verantwortung für den Maharadscha hatte. Und im Hinblick auf die drei übrigen Personen des Gefolges konnte man seine Gefühle nicht unberechtigt nennen. Ihm zunächst kam ein Hindu, der in Bezug auf die Jahre wohl ein Altersgenosse des Obersten sein konnte, aber dessen Aussehen im übrigen wenig Aehnlichkeit mit dem dieses Militärs hatte. Sein Gesicht, das von sechzig Jahren der Lebenserfahrungen gefurcht war, war lächelnd und freundlich; es wurde von einem gescheitelten, üppigen, grauen Barte umgeben, und Allan begriff sofort, warum Miß Helen mit ihrer amerikanisch-presbyterianischen Phantasie gesagt hatte, er sehe aus wie ein Erzbischof. Denn offenbar war dies die Persönlichkeit, die Mr. Bowlby als den alten Hofdichter und Lehrer des Maharadschas bezeichnet hatte -- Ali. Gleich seinem Herrn hatte er sich in europäische Gewandung gehüllt, aber es war offenbar, daß er sie zum ersten Male trug, und ebenso offenbar, daß es ihm kein Vergnügen bereitete. Das einzige Kleidungsstück, das ihm zu passen schien, war der Turban. Hinter ihm kamen die zwei letzten Personen der Eskorte, zwei schwarze Krieger in ganz indischer Tracht, mit kurzen, vergoldeten Krummsäbeln in bunten Gürteln. Ihre schwarzen Augen funkelten beim Anblick des Speisesaales des Grand Hotel Hermitage und seiner Gäste. Aber im übrigen zuckten sie mit keiner Muskel ihrer bärtigen Gesichter, während sie in den Fußstapfen ihres Herrn einem rückwärtigen Tisch des Saales zuschritten. Ein rotbefrackter Oberkellner stand mit einer tiefen Verbeugung daneben; Yussuf Khan, Oberst Morrel und der alte Hofdichter setzten sich, und die schwarzbärtige Leibwache faßte hinter dem Stuhl ihres Herrn Posto. Rings an den Tischen in dem großen Saal schöpfte man tief Atem, und ein leises Gemurmel erhob sich. Miß Bowlby war die erste an Allans Tisch, die ihren Gefühlen Worte lieh: „Mama, du kannst sagen, was du willst, aber solche Perlen und solche Smaragden habe ich in meinem ganzen Leben nicht bei Tiffany gesehen!“ „Dacht’ ich mir’s nicht -- Helen! Mir scheint, du bist schon verl...“ „Aber Mama, rede doch nicht so! Sei aufrichtig und sage, ob du je so etwas gesehen hast!“ Mrs. Bowlby schluckte eine Portion Gefrorenes, die ihr Inneres für ewige Zeiten vereist hätte, wenn sie keine Amerikanerin gewesen wäre. Dann kniff sie den Mund zusammen, so daß er ganz im Schatten der Nase verschwand; so geschützt, gab sie zu: „Nein, wenn du es durchaus wissen willst, ich auch nicht. Aber was nützt es dem Menschen, wenn er ...“ Allan war unartig genug zu unterbrechen. „Oberst Morrel scheint nicht gerade erbaut davon zu sein, mit seinem Schützling hier zu essen, oder was meinen Sie, Mr. Bowlby?“ „Anscheinend nicht,“ gab Mr. Bowlby zu. „Er ist ein Engländer, und dieses Perlenband und der schwarze Hofdichter gehen ihm auf die Nerven. Wollen Sie um einen Cent wetten, Mr. Cray, daß er sich gesträubt hat, bevor er in dem Triumphzug mitging! Und ich setze meinen letzten Dollar gegen einen Hosenknopf, wenn er sich oft sträubt, dann gibt es Krach. Yussuf Khan sieht aus, als hätte er seinen eigenen Willen, und den zu zähmen braucht es eine Frau, vermute ich.“ Mr. Bowlby sah auf seine Uhr. „_Well_, Susan, wir müssen aufbrechen, wenn wir zurecht kommen wollen. Sie erinnern sich vielleicht, Mr. Cray, daß ich Ihnen erzählt habe, daß wir beim amerikanischen Gesandten zum Souper geladen sind und wohl erst nach vier Uhr heimkommen werden.“ Allan beeilte sich, Mrs. Bowlby, die nach dem Zugeständnis, das sie ihrer Tochter eben in Bezug auf das Untier gemacht hatte, etwas verstimmt schien, wieder aufzumuntern. „Glauben Sie, daß Mrs. Langtrey auch beim Gesandten sein wird, Mrs. Bowlby?“ „Langtreys Frau!“ Mrs. Bowlbys Mund kam wieder aus seinem Schlupfwinkel hervor. „Die! Wenn die da ist, dann haben Sie uns in einer halben Stunde wieder hier.“ Mr. Bowlby lachte. „Na, Mr. Cray, wenn Sie nichts anderes vorhaben, so schauen Sie doch in mein Rauchzimmer hinauf und trinken Sie dort einen Whisky, bevor Sie zu Bett gehen. Ist doch immerhin gemütlicher als unten in der Bar, nicht?“ Allan verbeugte sich. „Sie sind zu liebenswürdig, Mr. Bowlby ...“ „Keine Zeremonien, junger Freund. Sie gefallen mir, und ich lade Sie ein. Gefielen Sie mir nicht, würde ich Sie nicht einladen. Gehen Sie nur hinauf und machen Sie es sich oben bequem.“ „Aber was wird Ihre Dienerschaft sagen?“ „Ich werde Henry schon verständigen. _Well_, adieu einstweilen, lieber Cray! Ich bin schon neugierig, welche Ueberraschungen der Maharadscha morgen für uns _in petto_ hat!“ Die Familie erhob sich und nickte Allan zu. Allan sah sie in die Vorhalle verschwinden. Er steckte sich eine Zigarrette an und warf einen Blick auf den Tisch des Maharadscha. Oberst Morrels Laune schien während des Mittagessens nicht besser geworden zu sein. Er war krebsrot im Gesicht und richtete hier und da ein Wort, das offensichtlich kein Kompliment war, an den alten Hofdichter, dessen Kenntnisse der verschiedenen Gabeln und Messer bei einem europäischen Galadiner augenscheinlich nicht sehr eingehender Natur waren. Plötzlich fuhr Allan in dem eigentümlichen Gefühl zusammen, das man manchmal hat, daß jemand einen fixiert. Er drehte rasch den Kopf nach rechts und sah zu seinem Staunen am nächsten Tische Mrs. Bowlbys Erzfeindin, Mrs. Langtrey. Sie saß tief im Schatten einer überhängenden Palme, ihre grauen Augen funkelten in dem Dunkel unter den großen grünen Blättern wie die einer Wildkatze. Hatte sie gehört, was Mrs. Bowlby gesagt hatte? Unmöglich, es zu entscheiden; auf jeden Fall saß sie vermutlich schon eine ganze Weile da, denn sie hatte eine Tasse Kaffee und ein Likörglas vor sich und eine Zigarette zwischen den Fingern. Allan sah auf seine Uhr. Es war nach halb neun. Da Bowlbys so spät fortblieben, beschloß er, in irgendein Varieté zu gehen. Eventuell konnte man ja später von Mr. Bowlbys Einladung Gebrauch machen. Er winkte dem Kellner, beglich seine Rechnung und verließ den Saal. Zwei Sekunden, nachdem er gegangen war, ging Mrs. Langtrey. „Ich bin schon neugierig, was für Ueberraschungen der Maharadscha morgen für uns _in petto_ hat,“ hatte Mr. Bowlby im Gehen zu Allan gesagt. Aber weder er noch Allan ahnte, was schon diese selbe Nacht an Ueberraschungen bringen sollte. VI Das Loch in der Wand und das Loch im Boden Aus Diskretion -- sowohl gegen das Etablissement wie gegen die hochgestellte Person, deren Name sich auf dem Titelblatt dieses Buches findet -- müssen wir das Lokal, das den Rahmen um das sechste Kapitel bildet, mit den fünf ersten Worten benennen, die hier oben stehen. In gewisser Weise weicht dieser Name auch nicht so sehr von dem wirklichen Namen ab; und wer London gut kennt, kann vielleicht herausfinden, was für ein Lokal wir meinen und wo Allan Kragh gewisse wunderliche Abenteuer in der Nacht zum 16. September erlebte. Als Allan das Grand Hotel Hermitage nach halb neun verließ, hatte er keinen bestimmten Plan für den Abend. Er schlenderte nach Leicester Square hinunter, ging ins Empire und sah eine Vorstellung, die aufs Haar allen anderen Varietévorstellungen glich. Sie bereitete ihm keinerlei Enttäuschung, aber, wie ein hervorragender Schriftsteller von der Zigarette, dem Typus des Genusses sagt -- sie reizte ihn und ließ ihn unbefriedigt. Er empfand das, was er so oft bei den Eskapaden der Studentenzeit empfunden und was ihn schon soviel Geld gekostet hatte, eine ausgesprochene Unlust, nach Hause zu gehen. Er bog in eines der Gäßchen hinter dem Empire ein, schlenderte da aufs Geratewohl herum, ohne irgendwelche Angst vor den Typen, die das Londoner Abendleben bot, und ohne die zweifelhafte Beleuchtung weiter zu beachten. Wenn wir sagen würden, daß er sich dabei beobachtet oder verfolgt fühlte, so wäre dies eine Unwahrheit; aber trotzdem ist es, wie die Fortsetzung zeigen wird, Tatsache, daß er seit dem Verlassen des Hotels beobachtet und verfolgt und mit infernalischer Geschicklichkeit gerade an jenen Ort gelotst wurde, wo man ihn haben wollte. Urplötzlich befand er sich in, ja, in der Straße, in der +Das Loch in der Wand gelegen+ ist. Er blieb vor der diskret beleuchteten Fassade stehen, die irgendeinem kleinen Café in kontinentalem Stil anzugehören schien. Sollte man nach Hause gehen und Mr. Bowlbys Einladung Folge leisten oder nicht? Ein anderer Herr tauchte plötzlich auf, öffnete die Türe zum Loch in der Wand und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen; Allan sah im Flug einen Raum, der einladend aussah, und faßte seinen Entschluß. Fast in den Fußstapfen desjenigen, der die Türe geöffnet hatte, trat er ein, nachdem er auf seine Uhr gesehen. Sie zeigte zwanzig Minuten über elf. Das „Loch in der Wand“ erwies sich als eine Kombination von englischer _private bar_ und kontinentalem Café, dem Aussehen nach überaus respektabel. Ein mattglänzendes Mahagonibüfett in Halbmondform wölbte sich um die rechte Längsseite des Raumes, dahinter thronten drei diskret gekleidete Barmaids. Alle schön, aber von ebenso respektablem Aussehen wie die Bar, in der sie figurierten. Die linke Hälfte des Raumes hatte Korbstühle und kleine Tischchen. Da war ein offener Kamin, augenblicklich unbenützt, und ein Tischchen mit Zeitungen und Zeitschriften. Die Beleuchtung war ebenso diskret und angemessen wie die übrige Einrichtung. Für den Augenblick waren sämtliche hochbeinige Stühle an der Bar von Herren in Frack und weißer Krawatte besetzt, die offenbar, so wie Allan, auf dem Heimwege vom Theater oder von einer Gesellschaft einen Blick hereingeworfen hatten. Der Mann, der unmittelbar vor Allan eingetreten war, saß an einem der kleinen Tischchen. Allan ließ sich am Nebentisch nieder, bestellte einen Whisky und gab sich der Betrachtung der drei schönen Barmädchen hin. Die eine von ihnen war von schwedischem Typus, mit länglicher Kopfform, schmalem Gesicht und hellblauen Augen. Allan, der eben den ersten Schluck von seinem Whisky getrunken hatte, fühlte sich mit einem Male heimisch und verspürte die Lust, mit jemand zu plaudern. Er wendete sich seinem Nachbar am nächsten Tisch zu und fand, daß dieser ihn beobachtete. Allans Wunsch gleichsam zuvorkommend, beugte er sich lächelnd vor und sagte auf deutsch: „Entschuldigen Sie, wenn ich mich vielleicht irre, aber sind wir nicht Landsleute?“ Allan hatte jetzt lange Zeit immer nur englisch gesprochen und empfand es als eine angenehme Abwechslung, einmal eine andere Sprache zu reden. Er schüttelte den Kopf: „Nein, ich bin kein Deutscher, aber ich spreche Ihre Sprache. Sie finden, daß ich deutsch aussehe?“ Der Fremde fuhr fort ihn zu mustern. „Hm, vielleicht ja, bei näherer Betrachtung vielleicht nein. Sie haben etwas Unenglisches ... ich weiß nicht recht was, und ich bildete mir ein ...“ Allan nickte. „Es ist nicht das erstemal, daß ich für einen Deutschen angesehen werde. Aber das vorigemal war es nicht gerade angenehm!“ „Wieso? War es in Frankreich?“ „Nein, in Deutschland.“ „Aber wirklich? In Deutschland kann es doch keine Unannehmlichkeiten verursachen, für einen Deutschen gehalten zu werden. Das ist ja nur sehr schmeichelhaft für Ihre Sprachenkenntnisse.“ „Es war leider in anderer Beziehung weniger schmeichelhaft. Die Sache verhält sich nämlich so, daß ich für eine bekannte, ja allzu bekannte Persönlichkeit gehalten wurde, von der ich nicht weiß, ob +Sie+ sie kennen, nämlich Benjamin Mirzl. Ja, ich wurde sogar als er angehalten.“ „Von der Polizei? Als Benjamin Mirzl?“ „Allerdings, und mußte fast zwei Tage für Herrn Mirzl sitzen. Sie kennen diesen Mirzl also?“ „Wer kennt Mirzl nicht dem Namen nach? Und da Sie für ihn gehalten wurden, weiß ich jetzt also wie er ausschaut.“ „Er wird wohl nicht lange dasselbe Aussehen beibehalten, damit können Sie also nicht so sicher rechnen. Trinken Sie etwas?“ fügte Allan hinzu, tief wurzelnden nationalen Instinkten folgend. Der Fremde lachte. „Mit Vergnügen, danke, Herr Mirzl.“ Allan lachte. „Ich glaube, Sie können ebenso gut Mirzl sein, wie ich. Zwei Whisky mit Soda, _please_!“ Sein Gegenüber schob seinen Stuhl näher heran. „Wollen Sie nicht diese Geschichte mit Mirzl erzählen?“ sagte er. „Wenn es kein allzu schmerzliches Thema für Sie ist!“ „Keineswegs. Mirzl ist vielleicht ein Schurke ...“ „Sicherlich! Ich kann Ihnen später einiges darüber erzählen.“ „... Aber wenigstens ein Schurke, der sein Handwerk versteht, -- Sie werden es aus meiner Erzählung ersehen -- und der Humor hat. Ich bin ihm gar nicht böse, daß er mir mein ganzes Gepäck gestohlen hat und mich zwei Tage für ihn im Arrest sitzen ließ!“ „Er hat Ihr ganzes Gepäck gestohlen? Und Sie sind nicht böse! Sie sind wirklich freisinnig. Erzählen Sie doch!“ Allan stärkte sich aus dem Glas und wiederholte noch einmal die Geschichte, mit der er schon die Familie Bowlby erquickt hatte. Der Fremde horchte mit weit offenen Augen und stieß hier und da einen Ausruf aus. Als Allan zu Herrn Mirzls Ausbleiben vom Rendezvous in Leicester Lounge kam, zur Zurückgabe der Koffer und dem vergeblichen Versuch, den Dienstmann aufzuspüren, fing er so zu lachen an, daß es in der Bar widerhallte. Als Allan geschlossen hatte, beugte er sich mit Tränen in den Augen vor. „Ein Dienst ist des anderen wert,“ sagte er. „Ihre Geschichte ist das Tollste, was ich seit langer Zeit gehört habe. Haben Sie heute abend Zeit, so möchte ich Ihnen etwas zeigen, das, wie ich glaube, +Ihnen+ ein bißchen Spaß machen wird, da Sie neu in London sind. Haben Sie Lust?“ Allan sah auf seine Uhr. Es fehlten zehn Minuten auf zwölf. „Ich glaubte, man schließt um diese Zeit überall in London?“ „Man schließt spätestens um eins, aber +nicht überall+. Es gibt Orte ... hier zum Beispiel.“ „Hier! In dieser kleinen Bar! Ich finde, es sieht so aus, als ob der Barmann sich schon anschicken würde, uns hinauszubefördern.“ „Das würde er auch mit Ihnen tun, wenn Sie allein wären. Aber zufälligerweise gehöre ich zu den Eingeweihten.“ „Aber in dieser kleinen Bar sitzen zu bleiben ...“ „Urteilen Sie nicht nach dem äußeren Schein, junger Mann. Nur bei den Römern war der Eingang zum Avernus leicht. Hier muß sogar der Eingang zu einer Taverne schwer sein.“ Der Fremde lachte herzlich über sein eigenes philologisches Wortspiel und ging zur Bar, wo der Bartender -- ein dicker glattrasierter junger Mann von dem Aussehen eines Wettrenntrainers -- jetzt allein war und die Kasse überzählte. Die drei schönen Barmädchen waren verschwunden. Allan sah seinem neuen Bekannten interessiert nach. Es war ein kleiner, ziemlich untersetzter Herr mit glänzendem, schwarzem Haar und jener, beinahe blauvioletten Gesichtsfarbe, die vom vielen Rasieren kommt und bei Schauspielern nicht selten ist. Nun kam er zu Allan zurück. „Nun, wie ist es? Haben Sie Lust, sich das kleine Lokal des internationalen Feuerfresserklubs anzusehen?“ „Internationaler Feuerfresserklub?“ wiederholte Allan. „Hat der Klub strenge Eintrittsbedingungen?“ „Ueberaus milde, wenn man von einem Klubmitglied vorgestellt wird. Sonst sehr strenge. Uebrigens heißt der Klub nicht so. Das ist nur ein Kosename unter den Mitgliedern.“ Allan erhob sich. „Führen Sie mich in den Klub ein, wenn Sie wollen,“ sagte er. „Es wird mir ein großes Vergnügen sein, die Gepflogenheiten der Feuerfresser kennen zu lernen.“ Der Fremde rief dem Mann, der eben die Eingangstüre der Bar verriegelte, etwas zu. Der Barmann zog pfeifend eine Draperie zurück, die im Hintergrunde des Cafés hing, und einige Schritte weiter in einem Korridor erblickte Allan einen Aufzug. Der Fremde winkte ihm, vor ihm einzusteigen, und Allan tat es arglos. Als er später über die Abenteuer dieser Nacht nachdachte, wunderte es ihn am meisten, daß man nicht -- aber der Leser wird noch früh genug Gelegenheit finden, seine Verwunderung zu teilen. Der Fremde stieg nach ihm ein und drückte auf einen Knopf. Der Lift glitt hinauf, so überaus langsam, daß er noch die Lifts des Grand Hotel Hermitage bei weitem übertraf, und machte es Allan ganz unmöglich, zu beurteilen, wie hoch er hinaufging -- er war mit mattgeschliffenen Glasscheiben versehen. Allan dachte jedoch im Augenblicke nicht daran, er dachte nämlich an etwas ganz anderes und wandte sich an seinen Begleiter: „Verzeihen Sie mir, aber wie soll ich denn wieder hinauskommen? Die Bar schließt ja.“ Der Fremde lachte. „Dabei werde ich Ihnen schon behilflich sein. Es gibt einen anderen Ausgang. Nun sind wir da.“ Der Fahrstuhl blieb so vorsichtig stehen, als hielte er vor einer Krankenwohnung. Der Fremde zog die mattgeschliffene Doppeltüre auf und schob Allan in eine große Vorhalle, deren Boden mit dicken Teppichen belegt war. Ein Diener in orientalischem Phantasiekostüm kam herbeigeeilt und verbeugte sich, als er Allans Begleiter erblickte, sehr tief. „Die Loge Nummer fünf steht bereit, Sir,“ sagte er. Das ist eigentümlich, dachte Allan, hat er die Loge schon vorher reserviert? Oder kommt er jeden Abend her? Sein Begleiter hatte sich rasch zu dem Diener herabgebeugt und flüsterte ihm etwas zu. Der Diener erwiderte etwas, worauf der Schwarzhaarige einen Pfiff hören ließ. „Schon in der Loge Nummer sechs!“ „Ja, Sir, sie sind vor einer halben Stunde gekommen.“ „_All right._ Ist die Passage frei?“ „Ja, Sir.“ Allans Begleiter drehte sich lächelnd zu ihm um. „Entschuldigen Sie, wenn ich geheimnisvoll wirke,“ sagte er. „Ich habe mich nur nach einem Bekannten erkundigt.“ „Sie müssen oft herkommen,“ sagte Allan, „da eine Loge für Sie reserviert ist.“ „Ja, ich komme hie und da her. Wollen Sie nicht den Ueberrock ablegen? Es pflegt hier sehr warm zu sein.“ Allan legte Rock und Hut ab und reichte sie dem Diener; sein Begleiter tat das gleiche und ging auf eine Türe zu, die einen vergoldeten Fünfer zeigte. Allan ging ihm nach, aber folgte halb unbewußt dem orientalisch gekleideten Diener mit dem Blick. Er sah ihn auf einen Knopf drücken, wobei die Türe zu einer Art Garderobe aufsprang, in der er die Ueberkleider unterbrachte, die er in Empfang genommen hatte. Rechts in der Garderobe sah Allan flüchtig eine halb geöffnete Türe mit einem schmalen Treppenaufgang dahinter. Alles dies nahm kaum drei Sekunden in Anspruch; aber wie es sich später zeigte, hing von diesen drei Sekunden der Ausgang der Abenteuer des Abends ab. Nun war er wieder an der Seite seines Begleiters. Dieser drehte sich lächelnd zu ihm um. „Ich habe das Vergnügen, Sie in den Klub der internationalen Feuerfresser einzuführen,“ sagte er und öffnete die Türe, die die vergoldete Ziffer 5 zeigte. „Treten Sie ein!“ Allan trat vor ihm ein. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, zuckte er erstaunt zusammen. Er hatte sich irgendein kleines Klublokal von halb zweideutiger Sorte erwartet, aber was er sah, war unleugbar etwas ganz anderes. Die „Loge“, in der er stand, war eine Art Mittelding zwischen gewöhnlicher Theaterloge und Tribüne -- sie lag ein paar Fuß über dem Boden der großen Halle und war von dieser durch eine Rampe von flackernden Kerzenflammen getrennt, die der Halle zugekehrt waren. Die Beleuchtung der Loge kam von oben, aus einem Netz von Geißlerschen Röhren, durch die ein regenbogenschimmerndes Licht in feinen, lautlosen Fluten strömte. Die Wände waren ganz unter schweren Draperien verborgen. Es stand ein gedeckter Tisch da, mit Kuverts für zwei Personen. Der Tisch hätte jedoch reichlich Platz für sechs gehabt. Drei große Champagnerkühler auf hohen Silberfüßen standen daneben. Die Stühle waren durch orientalische Diwane ersetzt. -- Auf der anderen Seite der beständig flackernden Lichtrampe lag ein großer Saal in groteskem Rokokostil mit einem mattgeschliffenen, durchsichtigen Glasboden. Die Beleuchtung kam von tief unten in rhythmischen Kaskaden von verschiedenfarbigen Lichtern, die aufwallten und erloschen und den Paaren, die dort drinnen tanzten -- denn der Saal war offenbar als Tanzsaal gedacht -- ein wunderliches Cachet der Unwirklichkeit gaben. Eine Menge Menschen, Herren und Damen in bunten Kostümen, morgen- und abendländischen, ethnographischen und rein phantastischen, weitwallenden und zuweilen mehr als leichten, bewegten sich über den regenbogenschimmernden Glasboden zum Takt einer Kapelle, die Allan schließlich am entferntesten Ende des Saales entdeckte. Diese Kapelle, in roten Mänteln, an jene erinnernd, mit denen die Inquisition ihre Opfer ausstaffierte, saß auf einer Art schwarzen Insel des leuchtenden Glasbodens. Das Ganze machte einen so verwirrenden Eindruck, daß Allan sich mit beiden Händen an den Kopf griff. War er wach? Wie konnte ein solches Lokal seinen Zugang durch das unscheinbare Loch in der Wand haben? Er wendete den Blick seinem Begleiter zu und fand, daß er ihn von einem der Diwane mit einem amüsierten Lächeln betrachtete. „Das kleine Lokal der Feuerfresser macht Ihnen Eindruck?“ sagte er. „Ich habe nie in meinem Leben etwas Aehnliches gesehen,“ sagte Allan wahrheitsgemäß. „Aber wie --“ „Keine Fragen, lieber Freund. Sie begreifen, ein Klub wie der unsrige ist exklusiv und will keine fremden Personen in seine Geheimnisse einweihen. Sie haben mich dort unten amüsiert, und es hat mich amüsiert, Ihnen einen kleinen Gegendienst zu erweisen. Aber keine Fragen!“ Allan verbeugte sich. „Gestatten Sie,“ sagte er, zum zweitenmal tiefverwurzelten Trieben folgend, „daß ich mich vorstelle?“ „Ach, was ist ein Name! Lassen Sie mich Mirzl zu Ihnen sagen, wenn es schon eine Ansprache sein muß. Name ist Schall und Rauch. Setzen Sie sich und kosten Sie, was der Klub vermag. Trocken oder halbtrocken?“ „Trocken, danke,“ stammelte Allan und sank auf den Diwan gegenüber seinem wunderlichen Begleiter. Dieser fuhr fort: „Ich weiß nicht, ob es Sie interessiert, aber ich kann mir Ihre Abenteuer mit Mirzl nicht aus dem Kopf schlagen. Würde es Sie amüsieren, ihre Lösung zu hören? Ich glaube, merken Sie wohl, glaube, daß ich sie gefunden habe.“ Allan riß die Augen auf und vergaß im Nu das wunderliche Lokal, in dem er sich befand, sowie die tanzende Schar draußen auf dem Glasboden. „Sie glauben, Sie haben die Lösung?“ „Ach, eigentlich ist sie doch ganz naheliegend. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß Mirzl vor acht Tagen in Berlin einen größeren Coup gemacht hat.“ „Man sagte es mir in der Polizeikammer in Köln. An dem Tage, bevor ich mit dem Expreß reiste. Hunderttausend Mark in irgendeinem Hotel des Westens, nicht wahr?“ „Auf jeden Fall gut siebzigtausend. Er war diesmal ein bißchen gar zu tollkühn gewesen. Er entkam gerade noch mit knapper Not, aber sein Gepäck mußte er im Stich lassen. Nun können Sie sich denken, daß er am liebsten aus Deutschland heraus wollte, und dabei wußte er, daß die Polizei überall Spione hatte. Seine Helfershelfer wagte er nicht aufzusuchen. Kam er an die Grenze und wollte sie ohne Gepäck passieren, war er sofort verdächtig und wurde hoppgenommen. Suchte er sich Gepäck von genügenden Dimensionen und entsprechender Qualität zu kaufen, so war sein Signalement so verbreitet, daß er höchstwahrscheinlich hängen blieb. Und der Boden brannte ihm unter den Füßen! Es handelte sich um Stunden. Er war im Auto nach Hamburg geflohen, er stieg ohne irgendeinen Plan in den Expreß, traf Sie -- und das übrige wissen Sie. Aber nachdem er einmal glücklich in London war, brauchte er Ihre Sachen nicht mehr. Und da er ein Freund von Exzentrizitäten ist, stellte er sie eben zurück. -- Sie trinken nichts? Was sagen Sie zu meiner Erklärung?“ Allan starrte seinen Begleiter mit weitgeöffneten Augen an. Das war wirklich ein Sherlock Holmes! Er hob sein Glas, um ihm seine Anerkennung auszusprechen, als eine Unterbrechung kam. Die Draperien links begannen zu wogen, sie wallten auf und nieder wie ein Wasserspiegel bei einem Unterseebootangriff und teilten sich endlich. Jemand tauchte aus ihnen empor, wie Neptun aus den Fluten, taumelte ein paar Schritte in die Loge, wo Allan und sein Begleiter saßen, und blieb endlich auf ein paar nicht allzu festen Beinen mit dem Rücken gegen sie stehen, während er mit der einen Hand die Draperien festhielt, durch die er aufgetaucht war. Zu seinem Staunen merkte Allan, daß gar keine Wand zwischen den Logen war; die Draperien waren das einzige, was sie trennte. Offenbar waren sie schwer genug, um alle Laute zu dämpfen, wenn man sie ruhig hängen ließ, denn während er bisher keinen Ton aus der Nebenloge vernommen hatte, drang jetzt ein Stimmengewirr heraus. Aber was war denn das für ein ungebetener Gast? wollte er eben seinem Begleiter zurufen, als der Mann, der hereingetaumelt war, ihnen plötzlich das Gesicht zukehrte. Allans Ausruf sank zu einem Flüstern herab: „Yussuf Khan! Der Maharadscha!“ Es war wirklich und unzweifelhaft der Maharadscha von Nasirabad, und ebenso zweifellos war es, daß dieser mohammedanische Herrscher an diesem Abend das Gebot des Propheten gröblich übertreten hatte: er war sichtlich das, was man in höflicher Sprache angeheitert nennt und wofür man in weniger höflicher Sprache eine Unzahl anderer Bezeichnungen hat. Es war jedenfalls offenbar, daß sein Schwips von der guten sanguinischen Sorte war. Jetzt wandte er sich mit einer vorsichtigen Kreisbewegung Allan und seinem Begleiter zu, machte ein feierliches Salaam und sagte mit Würde, wenn auch ein bißchen undeutlich: „Edelgeborene Sahibs, ein armer Sohn eines toten Paria bittet euch um Entschuldigung ob dieses Eindringens in euer königliches Z--z--ze--l--“ Er kam nicht weiter. Die Anstrengung war zu groß gewesen. Er fiel sanft auf einen der Diwane und schloß seine Rede in sitzender Stellung ab: „... Ze--zelt. Ich, Yussuf, der Sohn von tausend unwürdigen Vorvätern, bitte euch um Entschuldigung.“ Allans Begleiter hatte sich hastig erhoben und eine Champagnerflasche aus einem der silberfüßigen Kühler genommen. „Yussuf, Sohn himmelgeborener Eltern, geruhe mit dem verächtlichsten der weißen Männer zu trinken.“ Er schenkte ein Glas ein, das der Maharadscha mit einem wohlwollenden, aber abwesenden Lächeln automatisch ergriff und austrank. Er blieb mit dem Glas in der Hand sitzen, als die purpurroten, gelbgeflammten Draperien zum zweitenmal zu wogen begannen, diesmal jedoch planmäßiger als früher, worauf ein graubärtiger Kopf im Turban (der Maharadscha hatte seinen verloren) sich in einer Spalte zeigte, so allmählich folgte sein Besitzer nach, der sich als der alte Hofdichter Ali entpuppte. Er rief dem Maharadscha etwas zu, der nur mit einem Winken des Champagnerglases und einem herzlichen Lachen antwortete, worauf er sich wohlbehaglich seiner ganzen Länge nach auf dem Diwan ausstreckte. Der alte Hofdichter, der selbst in aufgeräumter Stimmung zu sein schien, zog die Draperie zurück und rief in die andere Loge hinein: „Stanton Sahib, er hat sich hier drinnen zur Ruhe gelegt. Er weigert sich, meinen weisen guten Ratschlägen Gehör zu schenken.“ Die Folge dieses Rufes war, daß eine dritte Person sich zwischen den Draperien zeigte, ein junger blonder, scharfäugiger Engländer, mit dem denkbar korrektesten Scheitel und dem denkbar reinsten Rasseprofil. Auch er schien in brillanter Laune zu sein. Er puffte lächelnd den alten Hofdichter in die Loge Nr. 5 und kam selbst nach. Dann wandte er sich mit einem tiefen orientalischen Salaam an Allans Begleiter und sagte mit singender Stimme: „Edelgeborene Feuerfresser, verzeiht diese Zudringlichkeit meiner zwei Schützlinge und meiner selbst, dem unwürdigen Sohn von zehn Generationen von Sklaven! Salaam, edle Feuerfresser! Möge euer Schatten stets zunehmen und eure Widersacher keine andere Speise finden als den Schmutz der Erde.“ Allan beobachtete diesen Auftritt mit offenem Munde. Er blickte in den Saal hinaus, wo der Tanz auf dem Glasboden herumwirbelte, um sich selbst zu bestätigen, daß er wach war. Der Anblick der Tanzenden in dieser phantastischen Beleuchtung trug nicht gerade dazu bei, sein Zutrauen zu seinen Sinnen zu stärken. Yussuf Khan hier in dieser Gesellschaft! Sein mystischer Begleiter aus dem ‚Loch in der Wand‘ war aufgestanden und hatte den Gruß des jungen Engländers mit einigen ebenso orientalischen Wendungen erwidert, indem er erklärte, daß sein Zelt (womit die Loge Nr. 5 gemeint war) der Ehre, die ihm von diesen erhabenen Fremdlingen, deren Aussehen zur Genüge ihre Geburt und ihre Tugenden bezeugte, erwiesen wurde, gänzlich unwürdig sei; doch wenn sie sich in besagtem Zelt niederlassen wollten, wage er ihnen vorzuschlagen, einen Becher elenden und essigsauren Weins zu leeren. Der junge Engländer sank laut lachend auf einen Diwan und akzeptierte ohne Umstände ein Glas; der alte Hofdichter trank das seine auf einen Zug aus und erhob sich dann. Trotz des Weines stand er ziemlich sicher. Der Maharadscha lag auf seinem Diwan und betrachtete sämtliche Anwesende mit einem Lächeln des äußersten Wohlwollens. Der alte Hofdichter hob die Hand und begann zu sprechen: „Erhabene Sahibs! Sicherlich ist London die wunderbarste Stadt der Welt. Ihre Schönheit ist märchenhaft, wenn auch von Nebeln verhüllt, und die Tugenden und die Liebenswürdigkeit ihrer Einwohner übertreffen die aller anderen Städte so wie der Koran alle anderen Bücher übertrifft. Wisset (er wendete sich an Allan und seinen Begleiter), erst heute morgens kam ich in Gesellschaft meines jungen Schülers, der uns alle von seinem Diwan mit einem seligen Lächeln betrachtet, hier an. Erst heute morgen trafen wir in dieser Stadt ein, wo wir niemand kannten, und noch vor dem nächsten Morgen haben ich und mein Schüler so viele Freunde gefunden, und sind in diesem Hause der Zehntausend Freuden bewirtet worden, alles durch Stanton Sahibs Verdienst. An diesem Abend, als wir uns von der Tyrannei, die ein alter Sahib, dessen Namen ich nicht nennen will, gegen uns ausübt, befreit hatten, machten mein Schüler und ich uns insgeheim auf einen Streifzug durch London auf (Allan zuckte zusammen), um seine tausend Reize kennen zu lernen, von denen wir in den Lehmhütten, die uns zur Welt kommen sahen, soviel gehört haben. Kaum, o fremde Sahibs, waren wir hundert Schritte gegangen, als wir uns schon verirrt hatten, verwirrt durch die Nebel, die Londons Schönheiten zu verhüllen suchen, und von dem Getöse der zehntausend Feuerwagen. Wir waren verirrt wie die Gottlosen, die die Wahrheit außerhalb des Korans suchen (gepriesen sei sein Name). Wie Abdul Mahbub, mein alter Lehrmeister, singt: ‚Weh dem, der die Wahrheit anderwärts sucht.‘ So verirrt waren wir, als Stanton Sahib, dessen Namen auf dem ganzen Erdenrund gerühmt werden wird, uns auf der Straße sah, sich unser erbarmte (Allan zuckte wieder zusammen), und uns in dieses Haus der Zehntausend Freuden führte. Immer und allezeit wird Stanton Sahibs Name ob dieser Guttat gegen zwei arme Wanderer gepriesen werden. Lasset uns auf Stanton Sahib, den edelsten der Engländer, mit diesem Wein trinken, der frischer ist als Morgentau und kitzelnder als die Lippen eines Weibes. Lasset uns dabei bedenken, was der göttliche Zeltmacher sagt: O trinke Wein, die Sorgen dir zu brechen, Die zweiundsiebzig Sekten durchzurechen! -- Nie trenne dich von dieser Alchimie, Ein Men davon heilt tausend von Gebrechen![2] [2] Diese und die folgenden Verse nach der Uebersetzung von Maximilian Rudolf Schenck. Erhabene Sahibs, lasset uns ...“ Der alte Hofdichter kam nicht weiter; die Anstrengung war zu viel für ihn gewesen, und mitten in seinem letzten Satz plumpste er plötzlich auf einen Diwan, trank die letzten Tropfen aus dem Glas und sah sich mit einem unsteten Lächeln um. Allans Begleiter füllte die Gläser wieder und ließ sich bei dem jungen Engländer nieder, den man Stanton genannt hatte. Allan saß da, in Grübeleien versunken, während seine Augen auf die Tanzenden draußen auf dem Glasboden geheftet waren; das war doch ein mehr als eigentümliches Zusammentreffen, daß er, der nie von diesem Lokal gehört, und die beiden Hindu, die den ersten Tag in London waren, alle drei von wohlwollenden Fremdlingen hier eingeführt wurden ... Er starrte seinen Begleiter an, der mit dem jungen Engländer beschäftigt war. Plötzlich kam ihm eine flüchtige Idee: Hatte er den Mann, der ihn hier eingeführt hatte, nicht in dem Varieté im Leicester Square gesehen? Unmöglich es zu sagen, man sieht ja an einem solchen Ort tausend Gesichter, und das seines Begleiters war nicht besonders auffallend. Und wenn er ihn auch in dem Varieté gesehen hatte? ... Er fuhr unwillkürlich fort, darüber nachzugrübeln, was ihm eigentlich daran, daß gerade +er+ und die beiden Hindu hier im Feuerfresser-Klub saßen, so eigentümlich vorgekommen war. Plötzlich sah er, wie der alte Hofdichter sich erhob und auf etwas unsicheren Beinen zu seinem Platz herankam. „Junger Mann,“ sagte er und setzte sich auf den Diwan neben dem Allans, „ich will Ihnen etwas anvertrauen.“ Allan neigte lächelnd den Kopf. „Ich will Ihnen etwas anvertrauen,“ wiederholte der alte Poet. „Dieser Wein, der frischer ist als der Morgentau auf den Berghängen und kitzelnder als die Lippen eines Weibes, ist auch ebenso hinterlistig wie das Herz eines Bewohners der Ebene. Ach, was haben wir von den Frauen, die wir lieben, und dem Wein, den wir trinken? Beide Räusche verschwinden mit dem Morgen. Doch weiß ich nicht, ob der Rausch dieses kitzelnden Weines, der wie ein Frühlingsbach perlt, morgen mit dem Morgen verschwinden wird. Ich bin fast geneigt, es zu bezweifeln; aber wenn es der Fall ist, so denke ich daran, was der göttliche Zeltmacher sagte: Wein trinken will ich! Trinken, daß der Duft, Wo ich begraben, füllet einst die Luft; Daß all die Waller, trunken noch vom Abend, Im Rausche sinken rings um meine Gruft. Junger Mann, hüten Sie sich vor dem Wein und den Frauen. Nehmen Sie diesen Rat von dem alten Sänger Ali. Vernehmen Sie, daß mein Schüler, der uns von seinem Diwan aus mit einem milden glücklichen Lächeln betrachtet, über das große Wasser hergekommen ist, um sich zu vermählen. Es ist eine Folge seiner jugendlichen Torheit, daß er zu diesem Zweck einen so weiten Weg macht. Er ist wie der Steinbock, der mühsam ins Dschungel herabwandert, um dort von den Tigern gefressen zu werden. Das beweist, daß ich ihm ein schlechter Lehrer gewesen bin. Lasset uns trinken!“ Allan erhob sein Glas. „Verehrungswürdiger Dichter,“ sagte er, „wissen Sie, daß wir im selben Hotel wohnen?“ Der alte Poet sah ihn mit Augen an, die vom Wein verdunkelt waren. „Und wenn dem so ist?“ sagte er. „Ein Wohnort, was ist ein Wohnort? Je mehr ich von diesem gelben Wein trinke, desto besser verstehe ich den göttlichen Zeltmacher, und wenn Sie von Hotels sprechen, junger Mann, denke ich daran, was er gesagt hat: O alte Welt! Du altes Herbergshaus, Wo Tag und Nacht gehn ewig ein und aus, Du warst die Bettstatt schon von tausend Dschemschids, Der Rest von tausend Behrams reichem Schmaus. Was bedeutet es, ob wir im selben Hotel wohnen. Ein anderer liegt morgen in dem Bett, das noch von uns lau ist.“ „Gottlob ist der Champagner für uns noch kalt,“ sagte Allan. „Prost! Seine Königliche Hoheit dort auf dem Diwan scheint ein bißchen ermüdet.“ „Mein Schüler“, sagte der alte Hofdichter, indem er sein Glas austrank, „ist noch nicht recht vertraut mit dem Wein der weißen Sahibs. Seine verräterische Süßigkeit hat ihn überwältigt. Bei der Erkenntnis dessen schaudere ich, wenn ich an die blauäugigen weißen Frauen denke, von denen er träumt. Sicherlich hat Nasirabads letztes Stündlein geschlagen, wenn eine von ihnen ihn in ihre Arme schließt. Woher wissen Sie, wer mein Schüler ist?“ „Ich habe ja schon gesagt, daß wir im selben Hotel wohnen.“ Kurz nach dieser letzten Antwort mußte auch Allans Bewußtsein sich umnebelt haben. Auf jeden Fall war es das Letzte, was er am nächsten Tag aus seiner Erinnerung hervorzuholen vermochte. Auch in die Handlungen, die er und die anderen Anwesenden darnach vornahmen, konnte er keine Klarheit bringen. Er erinnerte sich undeutlich, daß er, nachdem er noch ein paar Gläser getrunken, aufgestanden und unter der heiteren Zustimmung seines eigentümlichen Begleiters, der noch immer im Gespräch mit Mr. Stanton dasaß, durch die Draperien in die Loge Nr. 6 gewankt war, aus der Mr. Stanton und seine Schützlinge gekommen waren. Ein paar Augenblicke starrte er die Loge an, die ebenso eingerichtet war wie die andere, und den Tanz, der draußen auf dem Glasboden unablässig weiterging. Dann legte er sich auf einen Diwan. Das nächste, woran er sich dann erinnerte, war, daß sein Begleiter und Mr. Stanton durch die Draperie zu ihm hineinguckten; sie sahen auf ihre Uhren, lächelten und zogen sich in die Loge Nr. 5 zurück; er fing noch den Laut der Stimme des alten Hofdichters auf, der irgend etwas rezitierte, und ein Schnarchen, das vermutlich von Yussuf Khan kam. Vermutlich war er selbst gleich darauf eingeschlummert, aber es ist unsicher, wie lange er geschlafen hatte, als er mit einemmal klar wach war, so wie es manchmal vorkommt, von einer Idee gepackt, einer halben Ahnung, wie man sie im Schlaf hat, einer Idee, die ihn dazu brachte, sich kerzengerade auf dem Diwan aufzusetzen und vor sich hinzustarren. War +das+ der Zweck des Ganzen. Waren deshalb gerade er und die beiden Inder in dieses eigentümliche Lokal geführt worden? Hatte deshalb sein Begleiter eine so plausible Erklärung für Herrn Mirzls Vorgehen geben können? ... Dann war +eine+ Sache sicher -- er mußte sich eilen, wollte er ihre Pläne durchkreuzen; und eine andere Sache beinahe noch sicherer -- er mußte mit äußerster Vorsicht zu Werke gehen, wenn es ihm gelingen sollte ... Noch wirr im Kopf von dem Champagner und unsicher auf den Beinen nach dem Schlaf erhob er sich von dem Diwan und schlich, so leise er konnte, zur Logentüre. Dort angelangt, blieb er stehen und sah vorsichtig nach den Draperien zur Loge Nr. 5. Sie hingen regungslos, kein Laut war von dort drinnen zu hören. Er drückte vorsichtig die Klinke nieder. Sie gab lautlos nach. Gott sei Dank, die Türe war also nicht verriegelt, wie er schon befürchtet hatte. Er öffnete sie so behutsam er konnte, und guckte mit einem Auge in die Halle. Sie war leer; von dem orientalisch gekleideten Diener war nichts zu sehen. Mit noch einem gemurmelten Segensspruch auf den Zufall oder die Vorsehung ging er zur Türe hinaus, schloß sie hinter sich zu und schlich auf den Zehen zu zwei großen Doppeltüren mit elegant vergitterter Glasfüllung. Nur fort, so rasch als möglich. Er sah hastig auf seine Uhr, die fast zwei zeigte -- keine Zeit, an Ueberrock und Hut zu denken -- als er eine Entdeckung machte, die ihn zurücktaumeln ließ. Die großen Hallentüren waren ebenso fest und unerschütterlich verschlossen wie eine Gefängnispforte! Für einen Augenblick stand er wie gelähmt da, fast bereit, in die Loge zurückzukehren und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Dann jedoch gewann die Empörung die Oberhand, und er begann mit zusammengebissenen Zähnen nach einer Möglichkeit zu suchen, den Leuten dort drinnen ein Schnippchen zu schlagen. Er grübelte und grübelte, während seine Augen rings um die Halle irrten, jeden Augenblick darauf gefaßt, den Diener auftauchen zu sehen. Die Halle bog sich nach rechts und links zu Korridoren um, die die Logen rings um den Saal mit dem gläsernen Boden umschlossen. Vielleicht war dort irgendein Ausgang? Er verjagte den Gedanken an diese Möglichkeit ebenso rasch, als er aufgetaucht war. Fand sich dort irgendein Ausgang, so war er sicherlich ebenso fest verrammelt wie der Hauptausgang. Der Diener in der orientalischen Gewandung hatte natürlich dafür zu sorgen, daß kein Unberufener herein oder heraus kam; und diesem Diener wollte er keinesfalls begegnen. Er hätte darauf schwören mögen, daß er seine Weisungen hatte! -- War das Spiel also verloren? Schon waren drei Minuten vergangen, seit er die Loge verlassen hatte -- hallo! Mit einem Male fiel ihm etwas ein. Er sah die Szene wieder, als er mit seinem wunderlichen Begleiter herausgekommen war; der Diener hatte ihre Ueberkleider genommen und sie in die Garderobe hinüber getragen, deren Türe er durch den Druck auf einen Knopf geöffnet hatte. Und drinnen in der Garderobe hatte Allan einen Augenblick eine halb offene Türe gesehen, die zu einer Hintertreppe führte. ... Ohne diesen Gedanken zu Ende zu denken oder die Chancen zu berechnen, ob er auch den Knopf zur Garderobetüre entdecken und die andere Türe geöffnet finden würde, stürzte Allan quer durch die Halle zur Garderobetüre. Er ließ die Finger über die Wand fahren, auf die er den Diener drücken gesehen hatte; Sekunde für Sekunde verging, von seinem Herzen mit einem Hämmern markiert, das man seiner Empfindung nach durch das ganze Haus hören mußte; seine Finger flogen über die Wand hin und her, ohne jedes Resultat. Halb verzweifelt ließ er die Hände sinken und starrte die Wand an. Seine Verzweiflung ging in kindische Erbitterung über; er versetzte der Wand einen Faustschlag, der dumpf krachte und weh tat, aber -- o Wunder! -- im selben Augenblicke öffnete sich die Türe. Im nächsten war Allan in der Garderobe und zog die Türe hinter sich zu, ohne zu bedenken, daß er keine Zündhölzchen bei sich hatte. Er tappte zu den Ueberkleidern, die er dort drinnen hängen gesehen hatte, und durchsuchte mit fiebernden Händen eine Tasche nach der andern: Die internationalen Feuerfresser schienen den Gebrauch von Zündhölzchen abgeschworen zu haben, und sie hätten doch die Nächsten dazu sein sollen! Ohne daran zu denken, was er in Gestalt von gebrochenen Beinen und ähnlichem riskierte, gab er seine Nachforschungen in den Ueberrocktaschen auf und tastete sich zu jener Ecke der Garderobe, wo er am Abend die offene Türe gesehen hatte. Eigentümlicherweise fand er sie so gut wie gleich, und zwar noch immer angelehnt. Er öffnete sie ganz und machte mit ausgestreckten Händen ein paar vorsichtige Schritte über die Schwelle. Er fand ein eisernes Geländer und konstatierte, daß da eine Wendeltreppe sein mußte. Er trat einen Schritt zurück und schloß die Türe zur Garderobe wieder, um keinerlei Spuren zu hinterlassen; dann begann er die Wendeltreppe herabzusteigen, so rasch er es bei dieser Dunkelheit wagen konnte. Wenn der Leser je eine dunkle Treppe in einem fremden Hause ohne andere Richtschnur als das Gefühl hinauf oder hinunter gegangen ist, dürfte dem Leser eines aufgefallen sein: Sie erscheint ebenso endlos wie ein Satz eines besseren lateinischen Schriftstellers. Wenn der Leser diese Beobachtung nicht gemacht hat, hat der Leser nie einen besseren lateinischen Schriftsteller gelesen. Allan Kragh, der in dieser Hinsicht zu den Bevorzugten gehörte, hatte Gelegenheit zu konstatieren, daß die Wendeltreppe, die er gefunden, gut und reichlich so lang war, wie der Satz, wo Livius seine Reflexionen über die Schlacht bei Cannae beginnt. Er glaubte Aeonen gegangen zu sein und fragte sich schon, ob die Treppe zu den Verließen des Feuerfresserklubs führte, zum Inferno oder zu irgendeiner Station der Londoner Untergrundbahn, als die Treppe plötzlich ein Ende nahm und er vor einer Türöffnung stand, durch die graues Nachtlicht hereinrieselte. Er eilte so eifrig hinaus, als sei es die Pforte zu einem verzauberten Garten. Sie führte jedoch nur zu einem dunklen Brunnen -- wenigstens kam es ihm so vor. Himmelhohe Hausgiebel und Feuermauern erhoben sich auf allen Seiten, mit oder ohne Reihen von dunklen Fenstern. Er suchte die Finsternis rings um sich mit den Blicken zu durchdringen. Sollte er seine Flucht nur unternommen haben, um in eine Falle geraten zu sein? Er begann sich zwischen den Gegenständen auf dem Grund dieses Schachtes, der sich nach links ausbuchtete, weiterzutasten. Er folgte der Hausmauer. Nun kam eine Biegung im rechten Winkel, dann wieder eine in der früheren Richtung. Plötzlich fand sich Allan, mit einem Ruf der Erleichterung, vor einem Gitter zwischen zwei hohen Hausgiebeln, von denen der eine mit Efeu bewachsen war. Ohne eine Sekunde zu zögern, begann er das Gitter zu überklettern und kam mit einem zerrissenen Hosenbein auf die andere Seite hinüber. Die Straße, in der er nun stand, war kurz und sah sehr vornehm aus. An ihrem einen Ende war ein offener Platz, undeutlich beleuchtet; und auf diesem entdeckte Allan zu seiner unbeschreiblichen Freude nichts Geringeres als ein Cab. Der Cabby unterzog ihn einer genauen Okularbesichtigung und stellte die Forderung eines Vorschußerlages, bevor er das Pferd aus seinem beschaulichen Schlummer riß und es dem Grand Hotel Hermitage zutraben ließ. Herren ohne Hut und Ueberrock um diese Tageszeit flößten ihm offenbar gemischte Gefühle ein. Allan drinnen im Cab kam es vor, als rührte sich dieser gar nicht vom Fleck; Straße um Straße passierten in unendlicher Prozession vorbei, Häuser, Häuser und Häuser, Firmenschilder und Schilder, die eine rotgelbe Gaslaterne nach der anderen. Er starrte die Zeiger seiner Uhr an, wie sie dahinkrochen -- immerhin bedeutend schneller als der Cab, schien es ihm. Hier und da sandte er durch die Dachluke dem Cabby einen flehentlichen Ruf zu; jedesmal kam ein Ruck der Zügel als Antwort und eine schwache Reaktion in der Mähne des Pferdes. Es wurde zehn Minuten vor halb drei, fünf Minuten vor halb drei. Jetzt kam er sicherlich zu spät ... Endlich bog der Cab in eine breitere asphaltierte Straße ein, die er erkannte, und stand auf dem Monmouth Square. Das Grand Hotel Hermitage lag stumm und schlummernd da, kaum ein Fenster der großen Fassade war beleuchtet; es schien Allans Ahnungen wenig Berechtigung zu geben. Und doch dauerte es kaum so lange, bis er in die Halle gekommen war, als ihm auch schon die Bestätigung wurde, die er zugleich befürchtet und ersehnt hatte. Der Nachtportier, der den Seiteneingang mit einem erstickten Gähnen geöffnet hatte, erstickte dieses gänzlich, als er Allan erblickte. Er prallte zwei Schritte zurück und starrte Allan wie ein Gespenst an. „Wer sind Sie?“ rief er. „Nr. 417!“ rief Allan. „Rasch! Kommen Sie mit! Es ist keine Minute zu verlieren.“ „Aber ich habe Sie doch vor zwei Stunden nach Hause kommen sehen ...“ „Ich weiß! Ich weiß! Ich werde Ihnen schon alles später erklären. Man hat ein Verbrechen geplant -- ist Mr. Bowlby mit seiner Familie schon nach Hause gekommen?“ „Nein, aber -- --“ „Kein Aber! Die Stiege hinauf in ihre Wohnung, und rasch, wenn wir verhindern wollen, was man geplant hat!“ Ohne sich auf weitere Erklärungen einzulassen, packte Allan den verblüfften Portier beim Arm und zog ihn die Treppe hinauf, zur Suite der Familie Bowlby im zweiten Stockwerk. Als sie den großen Treppenabsatz im ersten Stockwerk passierten, warf Allan einen Blick in den Korridor, wo die Zimmerflucht lag, die Bowlbys früher inne gehabt hatten und die nun vom Maharadscha bewohnt wurde. Er sah seine Annahme bestätigt: Fünf Mann von Yussuf Khans zehn Mann starker Leibgarde hielten vor den Türen seiner Wohnung Wache. Diesen Weg hatten also die Betreffenden nicht einschlagen können, und deshalb hatten sie eben -- -- er verdoppelte seine Schritte. Würde er noch zurecht kommen? war der einzige Gedanke, für den er Raum hatte. Den Portier hinter sich herschleppend, erreichte er die Türe zu Mr. Bowlbys Privatrauchzimmer -- dem Zimmer, das infolge seiner Lage und aus anderen Gründen das sein mußte, das die Betreffenden für ihre Operationen gewählt hatten. Der dicke Teppich im Korridor dämpfte den Laut ihrer Schritte; und richtig, als sie die Türe erreicht hatten, und einen Augenblick davor stehen blieben, war drinnen eben jenes Geräusch zu hören, das Allan erwartet hatte, ein gedämpftes Scharren wie von einer Feile oder Säge ... Allan packte die Klinke. Die Türe war verriegelt. „Ich verdammter Esel,“ murmelte Allan heiser. „Portier, haben Sie Doppelschlüssel? Uebrigens was wollen wir mit Doppelschlüsseln? Ein Stemmeisen, und zwar rasch!“ „Ein Stemmeisen?“ Der Portier starrte Allan wie einen Wahnsinnigen an. „Ich sage,“ flüsterte Allan atemlos, „hier wird ein Attentat begangen, das das Hotel für immer in Verruf bringen wird! Wissen Sie, was für ein Zimmer unmittelbar hier darunter liegt?“ Der Portier dachte eine Sekunde mit weit aufgerissenen Augen nach. „Das Privatschlafzimmer des Maharadscha!“ murmelte er schließlich. „Wo er alle seine Juwelen hat! Verstehen Sie jetzt? Begreifen Sie, daß dieser Herr, der vor zwei Stunden herkam, nicht ich war, sondern ein verkleideter Einbruchsdieb! Rasch, ein Stemmeisen, und lassen Sie ihn uns fangen, so lange es noch Zeit ist.“ Endlich ging dem Portier ein Licht auf. Er schoß wie ein Pfeil die Treppen hinunter, und Allan stand allein vor der verriegelten Türe, die er mit den Augen verschlang. Der verdammte Mirzl! +Wenn+ Allan nicht auf die Gedanken verfallen wäre, dies ihm im Feuerfresserklub gekommen waren, hätte jetzt wohl +er+ die Ehre des Einbruchs ... Allan kam in seinem Gedankengang nicht weiter. Urplötzlich, ohne daß er einen Laut gehört hatte, wurde die Türe vor ihm aufgerissen; Jemand im _evening-dress_, der ihm selbst ähnlich sah, packte ihn bei den Armen, drehte ihn im Kreise herum wie ein Kind und warf ihn in das Zimmer hinein, vor dem er gewartet hatte. Er wurde einfach hingeschleudert wie ein toter Gegenstand und konnte noch gar nicht daran denken, sich zu erheben, als das elektrische Licht im Zimmer erlosch und er sich in abgrundtiefer Finsternis befand. Sein Kopf tickte und summte wie ein Uhrmacherladen, und seine Augen sahen mehr Sterne als sich je auf einer Kognakflasche befunden haben. Endlich war er wieder auf den Beinen und tappte, so rasch er konnte, zur Türe. Sie war versperrt. Er warf sich dagegen, ohne daß sie nachgab. Es gelang ihm, den elektrischen Kontakt zu finden, und er drehte ihn herum, so wie man eine Uhr aufzieht, ohne daß auch nur ein Lichtfünkchen kam. Endlich hörte er eilige Schritte dort draußen, ein Rütteln an der Türe und die Stimme des Portiers: „Haben Sie ihn drinnen? Haben Sie den Hauptkontakt abgedreht?“ Allan bemühte sich die Worte zu unterdrücken, die ihm auf der Zunge lagen. „Um Gottes willen!“ schrie er, „so lassen Sie ihn doch nicht entwischen! Versperren Sie den Ausgang! Telephonieren Sie der Polizei! Er hat mich hier drinnen eingesperrt!“ Er hörte den Portier die Treppe hinunter verschwinden, ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, den elektrischen Kontakt aufzudrehen, und es verging eine Ewigkeit, während der er, vor Ungeduld schnaubend, vor der verriegelten Türe auf und ab tanzte. Von Zeit zu Zeit unternahm er einen neuen Versuch, sie zu sprengen. Immer vergeblich. Es mochten vielleicht zehn Minuten vergangen sein, die ihm wie zehn Jahrhunderte vorkamen, als er zum zweiten Male draußen Schritte hörte, diesmal von mehreren Personen. Das Zimmer füllte sich plötzlich mit Licht, und ein Schlüssel drehte sich im Schloß. Er riß selbst die Türe auf und fand draußen den Portier, atemlos vor Erregung, in Gesellschaft von zwei Polizisten. Er setzte zu Erklärungen und Fragen an, aber ein Ausruf des einen Polizisten kam ihm zuvor. „Nanu! Einbruchsversuch, todsicher! Sehen Sie mal!“ Allan drehte sich nach der Richtung um, in die der Konstabler wies. Wenn es noch eines Beweises für die Richtigkeit seiner Ahnungen bedurft hätte, so hatte er ihn nun. Eine Oeffnung von etwa sechzig Zentimeter im Durchschnitt klaffte im Fußboden, daneben lag ein geschlossener Regenschirm und eine Anzahl Holzscheiben und etwas Mörtel. Er starrte verständnislos den Regenschirm an, bis der eine Polizist auf das Loch im Boden zueilte und den Regenschirm aufhob. Er spannte ihn auf; es zeigte sich, daß er eine Quantität Sägespäne, Mörtel und Gips enthielt. Der Polizist nickte: „Der gewöhnliche Trick, damit der Mörtel nicht in das Zimmer darunter fällt! Seine Strickleiter hat er glücklich mitgenommen.“ Endlich fand Allan die Sprache wieder. „Ist er entwischt?“ Der Portier nickte düster. „Er hat sowohl den Hauptkontakt abgedreht wie den Etagenkontakt für dieses Stockwerk. Die sind beide hier drüben in der Treppenhalle. Ich stand unten im Bureau und klingelte die Polizei an. Als es plötzlich dunkel wurde, stürzte ich die Treppe hinauf. -- Sie brauchen mich nicht so anzusehen, Sir; was hätten denn Sie getan? In solchen Fällen ist man immer nachher am klügsten. Ich merkte in der Dunkelheit nichts, bis ich den Hauptkontakt aufgedreht hatte -- den Etagenkontakt vergaß ich ganz. Im selben Augenblicke sehe ich jemand die Treppe hinunter verschwinden. Ich stürze nach --“ „Ist er denn +erst dann gegangen+?“ rief Allan, „warum ist er so lange dageblieben?“ „Da müssen Sie einen anderen fragen, Sir. Ich stürzte ihm nach, aber es war zu spät. Er war, bevor ich nur mau sagen konnte, schon draußen und in einem Auto, das in der Nähe des Hotels stand. In diesem Moment kamen die Konstabler --“ Der eine der erwähnten Konstabler unterbrach ihn. „Wir müssen ein Protokoll aufnehmen,“ sagte er. „Ist das notwendig?“ murmelte der Portier. „Der Maharadscha -- Bedenken Sie den Ruf des Hotels!“ „Wir halten einstweilen alles geheim, wenn Sie selbst nicht darüber sprechen.“ Noch halb wirr im Kopf nach seinen Erlebnissen, mußte Allan den Polizisten erzählen, was er wußte. Bei seinem Bericht über den Feuerfresserklub schüttelten sie den Kopf. „Sicher, daß Sie nüchtern waren, Sir? Nichts für ungut, aber --“ Allan wiederholte seine Schilderungen mit einer gewissen Heftigkeit. „Und die Adresse des Lokals, Sir?“ Allan wich einen Schritt zurück. Er hatte weiß Gott bei seiner Flucht aus dem betreffenden Lokal solche Eile gehabt, daß er ganz vergessen hatte, sich den Namen der Straße anzusehen, in der es gelegen war. „Denn Sie sagten doch,“ fuhr der Polizist gelassen fort, „daß dieser indische Prinz, dem die Juwelen im Zimmer unten gehören oder gehörten, noch da war, als Sie fortgingen?“ Allan nickte stumm. Gütiger Gott, was würden die Verbrecher mit dem Maharadscha beginnen, wenn sie merkten, daß der andere Plan mißlungen war -- falls er nun mißlungen war. „Der Maharadscha war noch dort, als es mir gelang, mich aus dem Staube zu machen,“ stammelte er schließlich. „Mein Gott, wenn ich den Einbruchsversuch nur verhütet hätte, um ...“ „Ob Sie den Einbruch verhütet haben, werden wir wohl kaum heute nacht erfahren. Oder wollen Sie es auf Ihre Kappe nehmen, Portier, uns in die Wohnung des Maharadscha zu bringen?“ Der Portier schüttelte energisch den Kopf. Nach einigen weiteren Fragen steckte der Konstabler sein Notizbuch in die Tasche. „Lassen Sie das Zimmer unberührt stehen. Die Detektivs kommen morgen in aller Frühe, wenn nicht noch früher,“ sagte er und nahm mit seinem Kollegen Abschied. Allan wankte die Treppen in sein Zimmer hinauf, nachdem er den Portier gebeten hatte, Mr. Bowlby mit einigen vorsichtigen Worten von dem Vorgefallenen zu verständigen. Er war todmüde nach all dem Champagner, der Spannung und dem Ringkampf mit Mirzl -- wenn es nun Mirzl gewesen war. Hatte er in diesem Punkte noch irgendwelche Zweifel gehegt, so sollten sie jedoch behoben werden, als er glücklich in der ägyptischen Grabkammer Nr. 417 angelangt war. Das Zimmer lag, als er die Tür öffnete, in voller Beleuchtung da; und das erste, was er sah, war sein einer Reisekoffer, in dem er außer auf Eisenbahnfahrten unpraktischerweise sein Geld unter Schloß und Riegel zu verwahren pflegte -- er hatte noch nicht die kluge Gewohnheit angenommen, es im Bureau des Hotels, wo er wohnte, zu deponieren. Der Deckel, der durch zwei gute Hängeschlösser geschützt wurde, stand offen, und der Inhalt des Koffers -- allerlei Kleinigkeiten, darunter eine Kassette, die seine Reisekasse enthielt -- lag in völliger Wirrnis da. Von einer düsteren Ahnung ergriffen, stürzte er auf den Koffer zu und riß die betreffende Kassette heraus -- ein kleines Silberkunstwerk, das er einmal in Dänemark gekauft hatte. Sie hatte noch am Morgen elftausendsechshundert Kronen in schwedischem Geld enthalten. Davon waren jetzt nur fünftausendsechshundert da ... Es dauerte etliche Minuten, bis er seine Sinne genügend in Ordnung hatte, um auch den Rest des Zimmers zu sehen; und das erste, was er da erblickte, war ein Brief, der an das elektrische Lämpchen auf seinem Nachtkästchen gelehnt war. Er riß ihn mit einem wütenden Knurren auf: „Lieber Herr Kragh! Vielleicht finden Sie mein Vorgehen heute abend unlogisch und ungentlemanlike. Unlogisch, weil ich Ihnen früher, nach dem Dienst, den Sie mir in Deutschland erwiesen haben, Wohlwollen bezeigte; ungentlemanlike, weil ich Ihnen sechstausend schwedische Kronen raube. Es war, nebenbei gesagt, der reine Zufall, daß ich sie gefunden habe; es war nämlich nur meine Absicht, Ihnen hier oben in Frieden und Ruhe einige Zeilen zu schreiben. Aber lassen Sie mich Ihnen eines sagen: Sie haben heute abend meine Pläne durchkreuzt, und man durchkreuzt meine Pläne nicht ungestraft. Ihre Strafe für das erstemal ist sechstausend Kronen Buße -- das halbe Vermögen im Koffer. Sollte das Vergehen sich wiederholen -- aber ich bin überzeugt, daß Sie jetzt klug genug sind, es nicht zu wiederholen. In Eile Dr. Hauser, (alias Ludwig Koch, alias Benjamin Mirzl).“ VII Ein Verschwinden mit Nebenumständen Es war Mr. Bowlby, der Allan am nächsten Morgen etwas nach halb neun Uhr weckte. Allan schnellte aus dem Bett, schlaftrunken und ganz überzeugt, daß es Herr Benjamin Mirzl war, der kam, um sich sein übriges Geld zu holen. „Sie, Mr. Bowlby!“ „Allerdings ich, junger Freund. Ich erhielt Ihre Botschaft durch den Portier, als ich heute nach vier Uhr nach Hause kam. Entschuldigen Sie, daß ich so in Ihr Schlafgemach eindringe -- _damn it_, es ist eines der kleinsten, das ich je gesehen habe! -- aber Sie werden doch meine Neugierde begreifen! Ein Loch in meinem Rauchzimmer, groß genug, um einen Indianer drinnen zu fangen! Das Zimmer voll von Detektivs, die mich verhört haben und Sie zu verhören gedenken, und eine tolle Deliriumsgeschichte des Nachtportiers von +zwei+ Herren auf Nr. 417. Ich hatte erwartet, Sie schon früher zu sehen, aber Helen vertraute mir eben an, daß Sie nie vor dem Lunch aufstehen.“ „Miß Bowlby ist zu strenge in ihren Urteilen. Gestatten Sie, daß ich Toilette mache, dann will ich versuchen, Ihnen das Ganze zu erzählen. Aber Sie wissen doch, daß alles vorderhand geheim bleiben muß?“ „Die Detektivs faselten irgend etwas vom Maharadscha.“ „Ich fürchte, es ist kein Gefasel, Mr. Bowlby.“ Allan hüpfte aus dem Bett und begann ungeniert seine Waschungen vor den Augen des Amerikaners, während er die Abenteuer der Nacht erzählte. Die Beschreibung des Feuerfresser-Klubs entlockte Mr. Bowlby eine Serie Pfiffe, eines durchgehenden Expreßzuges würdig. Als Allan zu dem Bericht über seine Flucht kam und wie es Mirzl gelungen war, ihn und den Portier zu überlisten, unterbrach er ihn mit dem Ausruf: „Aber das muß ja ein Teufelskerl sein, dieser Mirzl? Eine solche Kaltblütigkeit! Das ist doch das Frechste, was mir noch im Leben untergekommen ist!“ „Warten Sie einen Augenblick mit Ihrem Lob!“ sagte Allan. „Was glauben Sie, tat der Mann, als er mich in das Rauchzimmer eingesperrt und die Kontakte abgedreht hatte?“ „Verduftete, natürlich.“ „Verduften! Da kennen Sie Mirzl schlecht. Er ging in mein Zimmer hinauf und setzte sich nieder, um mir eine Warnung zu schreiben, mich nicht mehr in seine Angelegenheiten einzumischen --“ „Da hört sich aber alles auf!“ „Und als er dabei zufällig fand, daß ich einen verriegelten Koffer hatte, der nach wertvollem Inhalt aussah, öffnete er ihn. Bedenken Sie, daß der Portier die ganze Zeit dastand und der Polizei telephonierte. Im Koffer hatte ich meine Reisekasse, elftausend schwedische Kronen und etwas darüber --“ „Sie sind aber höchst unvorsichtig! Und die nahm er?“ „Von diesen nahm er die Hälfte oder ein bißchen mehr, worauf er sich niedersetzte und mir diesen Brief schrieb.“ Allan reichte Mr. Bowlby nicht ohne einen gewissen Stolz Herrn Mirzls Brief. Der Amerikaner las ihn langsam durch und gab eine neue Serie betäubender Expreßsignale von sich. „Sie haben doch natürlich der Polizei telephoniert?“ „Der Polizei! Warum nicht gleich einer Kleinkinderbewahranstalt und habe sie um eine Amme gebeten? Ich ging zu Bett.“ In das Gesicht Mr. Bowlbys trat ein Ausdruck von ehrlichem Respekt. „_Well!_ Ich muß sagen -- --!“ Er starrte Allan an, während dieser sich das Jackett anzog. Allan öffnete ihm die Türe, und sie gingen die Stiege hinunter. Mr. Bowlby wiederholte: „Ich muß sagen! Und gedenken Sie die Sache jetzt nicht anzuzeigen?“ „Da die Detektivs schon hier sind, werde ich ihnen die Sache natürlich anzeigen, aber es ist nur der Form wegen.“ „Mirzl scheint Ihnen Respekt eingeflößt zu haben!“ Allan nickte zustimmend. Im selben Augenblick erblickten sie Mrs. Bowlby und Miß Helen, die in der Treppenhalle des zweiten Stockwerks saßen. Mrs. Bowlby, die ein grellgrünes Kleid trug und papageienähnlicher aussah denn je, begrüßte Allan mit einem kleinen Schrei, der des erwähnten Vogelgeschlechtes durchaus nicht unwürdig war. „Mister Cray! So! Also auf diese Art verbringen Sie die Nächte, wenn ich außer Sehweite bin! Ein großes Loch im Boden, und die Detektivs darum geschart wie Fliegen um eine offene Marmeladendose. Sie wollten mich nicht einmal in die Nähe lassen. Sie glaubten wohl, ich gedächte in das Schlafgemach des Untiers hinunterzuspringen. -- Na, was haben Sie zu sagen? Setzen Sie sich und lassen Sie uns hören, aber +alles+, verstehen Sie? Sie waren natürlich in irgendeinem entsetzlichen Lokal? Haben also +Sie+ das Loch in den Boden gemacht?“ „Wenn Sie zwischen halb eins und halb drei in Mr. Bowlbys Rauchzimmer gekommen wären, hätten Sie es sicherlich geglaubt, Mrs. Bowlby.“ Allan begann zum zweiten Male seine Erzählung. Mrs. Bowlby beehrte seine Beschreibung des Feuerfresser-Klubs nicht mit denselben Expreßpfiffen wie ihr Mann, aber ihre Kommentare waren darum nicht weniger ausdrucksvoll. Als Allan zum Schlusse von Herrn Mirzls Leistungen gekommen war, ergriff sie das Wort: „Ja, dieser Herr ist natürlich ein Schurke. Aber ich sage Ihnen eines, ich würde tausendmal lieber das Untier hoppnehmen sehen als ihn.“ „Ich für mein Teil sechstausendmal lieber Herrn Mirzl,“ meinte Allan. „Denken Sie nur, den +ersten+ Abend, den er in London verbringt, in +solche+ Lokale zu gehen,“ setzte die alte Dame ihren Anklageakt fort. „Natürlich war er in Damengesellschaft -- versuchen Sie das nicht zu leugnen, ich glaube Ihnen ja doch nicht. Natürlich, obwohl er daheim bei sich das Haus voll und +mehr+ als voll hat. Und natürlich ist es furchtbar unrecht von Ihnen, in ein solches Lokal zu gehen, aber ein verheirateter Mann, ein Mann, der +hundertfünfzigfach+ verheiratet ist -- -- Und dieser alte, graubärtige Wüstling -- --“ Allan wagte sie zu unterbrechen. „Sind sie noch nicht nach Hause gekommen, Mrs. Bowlby?“ „Die! Die werden sich nicht beeilen, nach Hause zu kommen, da seien Sie ganz beruhigt! Ich kenne die Männer.“ Mr. Bowlby hatte gedankenvoll dem Reglement des Hotels getrotzt und während Allans Erzählung eine Zigarre geraucht. Jetzt nahm er sie plötzlich aus dem Mund und hinderte Allan, seine Befürchtungen über das Schicksal des Maharadschas auszusprechen, nun der Einbruch mißlungen war. „Da sind zwei Dinge,“ sagte er, „die ich nicht begreife, wie durchtrieben auch dieser Gauner und seine Bande sein mögen. Sie haben Sie natürlich von dem Augenblicke an, in dem Sie das Hotel verließen, beobachtet. Aber wie konnten sie Sie gerade in das Haus lotsen, wo sie den Maharadscha hatten?“ „Hm, Mr. Bowlby, das ist ja nicht so merkwürdig. Zufälligerweise marschierte ich ja in Gesellschaft des Helfershelfers in jenes Café, und wurde von ihm angesprochen. Das war ein Zufall. Aber in einem anderen Lokal wäre das Resultat dasselbe gewesen. Im Notfall wären sie wohl auch nicht vor Gewalt zurückgeschreckt.“ „_Well_, soviel kann ich zugeben, aber da ist noch eine Sache. Sie haben natürlich im Hause und außer dem Hause nach dem Maharadscha Ausschau gehalten. Aber +Sie+ sind ja in keinerlei Verbindung mit dem Maharadscha oder jemand aus seiner Gesellschaft gestanden, und Ihr eigenes Zimmer liegt im vierten Stock. Gestern abend forderte ich Sie allerdings auf, bei mir einen Whisky zu trinken ... Aber wie zum Teufel konnten die Kerls das wissen und sich darnach richten? Das frage ich. Wir saßen doch, soweit ich sah, allein an dem Tisch.“ „Und woher konnten sie wissen, daß wir die halbe Nacht wegbleiben würden, Papa?“ „Das ist keine Kunst, liebe Helen, wenn sie Spione im Hotel haben. Aber als ich diesen jungen Mann zu mir einlud, war, soviel ich mich erinnere, keine Seele in der Nähe, und ich habe ein gutes Gedächtnis.“ „Sie brauchten es ja nicht zu wissen, Papa. Sie hätten das Attentat auf die Juwelen auf jeden Fall unternehmen können. Sie haben gesehen, daß Mr. Cray und wir verkehren, sie haben ihn den ganzen Abend beobachtet, wie er selbst sagt und ihn aus dem Wege geschafft, und dann hat sich dieser Mirzl als Mr. Cray verkleidet --“ Miß Bowlby kam in ihrer Erklärung nicht weiter. Allan war von seinem Stuhl aufgesprungen und hatte Mrs. Bowlby beim Handgelenk gepackt. Die alte Dame schnellte, den Kopf im streitbaren Papageienwinkel schräg gelegt, in die Höhe: „Was fällt Ihnen ein, Sir? Glauben Sie, Sie sind noch in diesem Lokal?“ „Mrs. Bowlby! Sie haben bestimmt mit dem, was Sie über Ihre Landsmännin sagten, recht gehabt! Jetzt verstehe ich, oder glaube wenigstens zu verstehen! Aha! Sie gehörten also doch zusammen!“ „Meine Landsmännin? Wer?! Was verstehen Sie?“ „Mrs. Langtrey! Jetzt erinnere ich mich. Gerade als Sie gestern vom Speisen aufstanden, sah ich zufällig nach rechts, und da, tief im Schatten der Palmblätter, saß Mrs. Langtrey. Sie wissen, Sie machten einige ... hm, offenherzige Bemerkungen, bevor Sie gingen, wie groß die Aussichten dieser Dame wären, auf den Gesandtschaftsball zu kommen. Als ich sie erblickte, sah sie aus wie eine Tigerin. Seien Sie sicher, sie hat sowohl das gehört, was Sie über sie sagten, wie das, was Mr. Bowlby zu mir sagte, ich möge heraufkommen und einen Whisky trinken. Ihr Mann versprach mir ja sogar, den Bedienten von meinem Kommen zu verständigen. Und sie hat eben -- -- Sie wissen doch, daß ich sie und Mirzl zusammen auf dem Hamburger Bahnhof sah, wenn ich auch damals nicht glaubte, daß sie sich kannten -- --“ Allan hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Mrs. Bowlby aus ihrem Sessel aufflog wie der Habicht aus seinem Horst und mit raschen Flügelschlägen die Stiege hinuntersauste. Ihre Augen strahlten vor Triumph. Mr. Bowlby zuckte philosophisch die Achseln und steckte eine neue Zigarre an. Allan, der über die Kampfesmiene der alten Dame lächeln mußte, wollte eben seine Erklärungen ergänzen, als ein Hotelangestellter auf ihn zukam. „Der Detektivinspektor ist in Mr. Bowlbys Rauchzimmer und möchte Ihre Aussage hören, Sir.“ Allan folgte ihm in den Raum, der am vorhergehenden Tage Zeuge von Herrn Mirzls Niederlage gewesen -- und seiner eigenen. Er war nicht ganz so mit Detektivs angefüllt, wie Mrs. Bowlbys Worte ihm Anlaß gegeben hatten zu vermuten. Aber er beherbergte auf jeden Fall doch die respektable Anzahl von vier Kollegen Sherlock Holmes’. Der unter ihnen, der dem Aussehen nach seinem berühmten mageren Kollegen am ähnlichsten sah, war offenbar auch der Inspektor; denn bei Allans Eintreten bat er ihn, Platz zu nehmen und begann dann ihn zu verhören. Er saß an einem kleinen Tischchen, das mit Dokumenten und mystischen Dingen in Kuverts und Schachteln bedeckt war. Allan appellierte an seine Sherlock Holmes-Erinnerungen und zog den Schlußsatz, daß die Kuverts und Schachteln die „Spuren“ enthielten, die man gefunden hatte. Der magere Mann blätterte ein paar Seiten in seinem Notizbuch um und brachte die Füllfeder in Ordnung. „Sie sind Mr. Allan K--r--a--g--h?“ Er buchstabierte den Zunamen, offenbar gänzlich abgeneigt, sich in irgendwelche phonetische Fallen zu verstricken. „Ja. Aus Schweden.“ „Aus Schweden. Ja. Sie wohnen auf Nr. 417?“ „Ja.“ „Sie waren derjenige, der gegen halb drei Uhr nachts nach Hause kam und in Gesellschaft des Nachtportiers einen Versuch machte, die Einbruchsdiebe zu überraschen?“ „Ich war es.“ „Erzählen Sie, wie es kommt, daß Sie überhaupt eine Ahnung hatten, daß ein Einbruchsdieb hier war.“ Allan begann zum dritten Male an diesem Morgen seine Erzählung in derselben Form wie früher, er beschrieb seinen Besuch im ‚Loch in der Wand‘, den Fremden, der ihn dort angesprochen, den Lift, der sie in den Feuerfresser-Klub geführt, das Erscheinen des Maharadschas in ihrer Loge, und wie ihm plötzlich der Verdacht aufgestiegen war, der ihn dann dazu gebracht hatte, aus dem Klub zu flüchten. Offenbar hatte der Detektivkommissar die Erzählung schon durch die Polizisten gehört, die in der Nacht dagewesen waren; denn er verglich sie mit einem Papier, das er bei sich hatte. Hier und da machte er eine Notiz. Er ließ Allan zu Ende sprechen, bevor er sein Verhör begann. „Wollen Sie den Mann, der Sie im ‚Loch in der Wand‘ ansprach, so genau Sie können, beschreiben.“ „Er war ziemlich untersetzt, hatte ein viereckiges Gesicht, glänzende schwarze Haare und eine blauviolette Schattierung am Kinn und an den Wangen. Ich fürchte, nicht viel, wonach man sich richten kann. Er war in Abendkleidung. Er behauptete ein Deutscher zu sein; auf jeden Fall sprach er fließend Deutsch.“ „Sie sprechen selbst Deutsch?“ „Ja.“ „Und der Mann, der in Gesellschaft des Maharadscha war?“ „Das war ein Engländer, wenigstens sagten es die anderen; sie nannten ihn Stanton. Er war blond, scharfäugig und überaus korrekt seinem ganzen Aussehen nach -- eine ungewöhnlich typische Rasseerscheinung, wenn ich so sagen darf.“ Der Detektivinspektor blätterte einen Augenblick in seinen Papieren. „Sie hatten gestern abend die Adresse des mystischen Hauses vergessen. Sie ist Ihnen nicht etwa heute nacht eingefallen?“ „Nein, ich hatte, als ich fortlief, zu große Eile, um daran zu denken, aber wenn Sie wissen, daß die kleine Schenke das ‚Loch in der Wand‘ heißt --“ „Es gibt hundert Bars mit diesem Namen und von diesem Aussehen in London. Wo war sie denn ungefähr gelegen?“ „Etwa eine halbe Stunde weit von Leicester Square. Ich kenne mich in London nicht aus, aber ich glaube, so lange brauchte ich im gemächlichen Schlendern, um hinzukommen. -- Darf ich eines fragen, Herr Inspektor?“ „Lassen Sie hören!“ „Der Maharadscha ist also nicht zurückgekommen?“ „Nein, wir haben seit halb vier Uhr nachts Nachforschungen angestellt, aber sie mußten so diskret als möglich durchgeführt werden. Sowohl des Maharadschas, wie auch des Hotels wegen. Was uns freut, ist, daß der Einbruchsdiebstahl verhütet wurde.“ Allan flog auf: „Darf ich fragen, woher Sie das wissen?“ Der Detektivinspektor lächelte zum erstenmal. „Ich weiß es durch einen ... hm ... eigentümlichen Zufall ... Wie ist es denn, haben Sie nicht auch für Ihre eigene Person eine Anzeige zu machen?“ Allan zuckte heftig zusammen. Das schlug jeden Rekord. Von solchem Detektivscharfsinn hatte er noch nie gelesen oder auch nur geträumt! Hatte der magere Inspektor seinen Geldverlust an der Art gemerkt, wie er sein Schuhband knüpfte, oder an irgendeinem Fleck auf dem linken Rockärmel? Er starrte den Inspektor an, ohne etwas zu sagen. Dieser zog lächelnd ein Papier aus dem Haufen vor sich und reichte es ihm. „Bitte lesen Sie,“ sagte er. „Das ist mit der ersten Morgenpost gekommen.“ Allan nahm das Papier, das ihm gereicht wurde, und durchflog die Zeilen mit ihrer nur allzubekannten Schrift: „An die Scotland Yard! Herr Allan Kragh aus Schweden, wohnhaft Zimmer Nr. 417 Grand Hotel Hermitage, wurde heute nacht zwischen halb drei Uhr und drei Uhr in seinem Zimmer um eine Summe von sechstausend schwedischen Kronen (in Tausendkronenscheinen) bestohlen. Der Verüber des Diebstahls möchte darauf aufmerksam machen, daß dies die überaus milde Strafe ist, die Herrn Kragh aufzuerlegen für angemessen befunden wurde, wegen seines Eingreifens in die andere Affäre, die sich in derselben Nacht im Grand Hotel Hermitage abspielte. Für den Fall, daß Herr Kragh die Sache noch nicht angezeigt haben sollte, gestatte ich mir hiermit Sie davon zu benachrichtigen. Herr Kragh ist ein liebenswürdiger junger Mann, der Ihre eifrigen Bemühungen verdient. In Eile Benjamin Mirzl. _P. S._ Die Zeit gestattet mir nicht ‚alias‘ hinzuzufügen.“ Der Detektivkommissar beobachtete lächelnd Allans Mienenspiel bei der Lektüre dieser Epistel. „Sie kennen Mirzl offenbar nicht, da Sie so überrascht sind,“ sagte er. „Ich kenne ihn nicht? O doch, ein bißchen, wie schon aus dem Brief hervorgeht. Und Sie? Kennen Sie ihn?“ „Ich kann antworten wie Sie, ein bißchen! Er hat uns vor drei Jahren hier in London das Leben zur Hölle gemacht -- die zehn Einbrüche in Regent Street, die Entführung des Ascotpokales, die Eskamotierung der irländischen Kronjuwelen und ein Dutzend anderer Dinge, die man ihm allerdings nicht direkt nachweisen kann, aber von denen wir schwören möchten, daß er dahinter steckt. Ja, wir kennen Herrn Mirzl ein wenig. Gottlob verließ er das Land nach den Ascotrennen und ging dazu über, sich den Behörden seiner Heimat unangenehm zu machen. Jetzt hat er das wohl satt bekommen und --“ „Und wäre wohl nie über die Grenze gekommen, wenn ich ihm nicht dazu verholfen hätte!“ Allan konnte es nicht unterlassen, diesen kleinen Trumpf auszuspielen. Die Detektivs hörten schweigend die Schilderung seines Abenteuers im Expreßzug an. Als er zu Ende gesprochen, sagte der Inspektor: „Ich will Ihnen einen guten Rat geben: sprechen Sie drüben nicht von dieser Geschichte, ich bezweifle, daß Sie eine Medaille dafür kriegen werden.“ „Und welchen Dank ich von Mirzl selbst habe, haben Sie gesehen. Darf ich fragen: Da Sie nun wissen, daß Mirzl im Spiel gewesen ist, und so gründliche Untersuchungen angestellt haben, haben Sie doch wohl Hoffnung, ihn wenigstens diesmal zu fangen?“ „Offiziell, offiziell,“ nickte der Detektivinspektor, „haben wir überaus günstige Hoffnungen. Aber was uns für den Augenblick beinahe noch mehr am Herzen liegt, als Herrn Mirzls habhaft zu werden, ist, Se. Königliche Hoheit Yussuf Khan zu finden.“ Der Detektivinspektor verstummte und schlug mit gerunzelter Stirn sein Notizbuch ein Mal ums andere auf den Tisch. Allan fing einen gemurmelten Fluch auf, der sich den Weg aus seines Herzens Tiefen bahnte. Im selben Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und ein grimmiger alter Herr mit weißem Schnurrbart kam hereingestürzt. Allan erkannte in ihm den europäischen Mentor des Maharadscha, Oberst Morrel. „Na!“ rief er. „Neuigkeiten? Spuren?“ Der Detektivinspektor schüttelte den Kopf. „Wir hoffen, im Laufe des Tages ...“ begann er. „Im Laufe des Tages, im Laufe der Woche, warum nicht gleich im Laufe des Jahres!“ brüllte der alte Oberst und stampfte auf den Boden, daß alles dröhnte. „Sie müssen, hören Sie, Sie müssen meinen schwarzen Ado -- Seine Hoheit vor heute abend finden. Wir sind zum Empfang beim Minister für Indien gebeten, diesem Ziviltrott -- hm, -- für fünf Uhr. Tee, und der Himmel weiß was! Sie +müssen+ ihn bis dahin hier haben, hören Sie, sonst schlage ich alles kurz und klein --“ „Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Herr Oberst, ich würde eine Absage schicken. Unbedingt. Wenn wir noch irgendeinen Zweifel gehegt haben, daß Benjamin Mirzl im Spiel ist, so ist er nach der Aussage dieses jungen Herrn zerstreut; und Mirzl, der die irländischen Kronjuwelen gestohlen hat, hat wohl auch nichts dagegen, einen regierenden Fürsten zu stehlen --“ „Dieser junge Herr! Wer, zum Geier, ist dieser junge Herr?“ Der Oberst starrte Allan an wie einen kleinen renitenten Trommelschläger. „Mr. Allan K--r--a--g--h,“ buchstabierte der Kommissar aus seinen Papieren, „aus Schweden.“ „Schweden, Norwegen, ist mir total schnuppe. Wer zum Henker ist Mr. Allan K--r--a--g--h?“ „Der Herr, der seine Fürstliche Hoheit in dem mystischen Klub, von dem Sie gehört haben, Herr Oberst, zuletzt gesehen hat!“ „Ah--h--h!“ Der Oberst brüllte auf, wie ein zuschanden geschossener Tiger. „Sie waren es, Sir, der meinen schwarzen Ado -- Se. Hoheit durch Gassen und Gäßchen in dieses verdammte Lokal hinaufgelockt hat, wo er jetzt ausgeraubt und ermordet liegt. Sie waren es, versuchen Sie nicht zu leugnen! Sie waren es!“ Allan, der aufgestanden war, hatte alle Mühe, ernst zu bleiben. Der Oberst war burgunderrot vor Wut bei dem Gedanken an Allans Schurkenstreich. Wahrlich, es lohnte sich, gute Werke zu tun und die Kronjuwelen indischer Fürsten vor dem Gestohlenwerden zu retten! Es schien eine ebenso dankbare Sache, wie den Personen, welche besagte Juwelen zu stehlen wünschten, behilflich zu sein, sich ihrem allzu anhänglichen Vaterland zu entziehen. „Nicht ich habe Seine Hoheit dorthin gelockt --“ „Doch, Sie! Das sieht man Ihnen an. Ich pfeife auf alles, was Sie da zusammenreden!“ „Ich nicht,“ sagte Allan, der schon befürchtete, daß den Oberst bei seinem hartnäckigen Leugnen der Schlag treffen könnte. „Es war ein Mithelfer von Mirzl, von dem Sie den Herrn Inspektor sprechen gehört haben. Ich wurde selbst in den Klub hinaufgelockt --“ „Haha! Hahaha! Hinaufgelockt! Arretieren Sie ihn doch, Inspektor! Er war es, zu allen Teufeln, das müssen Sie doch sehen und hören.“ „Ich wurde selbst von einem anderen Genossen Mirzls in den Klub hinaufgelockt. Wir wurden freigebig mit Wein bewirtet, ich und der Maharadscha und der alte Hofdichter, die nach einer Weile in die Loge kamen, in der ich saß. Darf ich fragen, Herr Oberst, kennen Sie jemand, der Stanton heißt?“ „Stanton? Stilton? Wer zum Teufel ist dieser Stanton?“ „Das war der Mann, der Se. Hoheit dort hinaufgelockt hatte.“ „Haha! Natürlich! Inspektor --“ „Nach einiger Zeit gelang es mir durchzubrennen, und ich kam glücklicherweise noch zur rechten Zeit, um den Einbruch hier zu verhindern, der von Mirzl selbst in höchsteigener Person ausgeführt wurde. Er hatte sich so kostümiert, daß er mir ähnlich sah --“ „Gütiger Gott im Himmel, Inspektor, hören Sie, oder sind Sie taub? Können Sie noch mehr Lügen dieses Menschen hinunterschlucken ohne daß Sie daran ersticken? Kostümiert wie +er+. Da will ich doch gleich tot niederfallen, wenn ich je etwas Aehnliches gehört habe! Er +war+ es, natürlich, er +war+ es, wie ich Ihnen jetzt schon seit einer Stunde in die Ohren schreie!“ „Lieber Oberst, darf ich Sie eines fragen: Kann man zugleich hinter und vor einer Türe sein?“ „Natürlich, wenn man will!“ „Das ist nämlich die einzige Möglichkeit dafür, daß der Portier diesen jungen Herrn einerseits durchs Eingangstor entfliehen sah und ihn andrerseits, als er mit den Konstablern heraufkam, übel zugerichtet hier im Zimmer fand.“ „Dann ist er einfach durch das Loch im Boden wieder heraufgeklettert.“ „Und ist also an den Wächtern vorbei in das Schlafgemach des Maharadscha gekommen und ohne Leiter durch das Loch im Boden hier herauf, um den Polizisten in die Arme zu laufen?“ Der Oberst verstummte endlich. Die Möglichkeiten, die der Inspektor dafür dargelegt hatte, daß Allan der Verbrecher war, schienen sogar seiner bereitwilligen Phantasie etwas zu vage. Er sank auf einen Stuhl und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirne. „Aber gütiger Gott im Himmel,“ stöhnte er, „der Minister erwartet uns um fünf Uhr mit Tee und der Himmel weiß was noch! Und mein Ruf! Und die Regierung in Indien!“ „Sie sollten diesem jungen Mann dankbar sein,“ fuhr der Kommissar sanft, aber unerbittlich fort, „daß er doch wenigstens verhindert hat, daß die Juwelen gestohlen wurden. Es hing an einem Haar. Dankbar, ganz gewiß.“ Der Oberst heftete ein blutunterlaufenes Auge auf Allan, das gerade keine lebhaftere Potenz von Dankbarkeit ausdrückte. Er murmelte etwas Unhörbares, sprang auf und stürzte zur Türe hinaus. Allan sah den Kommissar an, der sein Lächeln erwiderte. Im selben Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und Mrs. Bowlby sauste herein wie eine grüne Bombe. Sie erblickte Allan und pflanzte sich vor ihm auf. „Haben Sie ihnen von Langtreys Frau erzählt?“ rief sie, sich bald zu Allan, bald zum Kommissar umwendend. „Ja?“ „Langtreys Frau?“ fragte der Kommissar. „Wer ist denn das?“ „Eine gräßliche Person,“ rief Mrs. Bowlby triumphierend. „Gräßlich. Sie steckt hinter der ganzen Geschichte, Sie werden schon sehen.“ „Darf ich einen von Ihnen bitten, zu erzählen, aber so klar als möglich,“ sagte der Kommissar und ergriff die Feder. „Darf ich, Mrs. Bowlby?“ sagte Allan. Mrs. Bowlby nickte, indem sie sich triumphstrahlend bereit hielt, alle erforderlichen Randbemerkungen beizusteuern. Allan begann: „Unmittelbar vor dem Verhör ist mir eine Sache eingefallen, die mir zu denken gegeben hat, Herr Inspektor. Offenbar hat Mirzl und seine Bande über alles, was im Grand Hotel Hermitage vorging, durch Spione genaue Kontrolle ausgeübt. Es können ja Bediente, Kammerjungfern, Kellner, Laufburschen gewesen sein, von denen es hier wimmelt. Durch sie wußten sie Bescheid über die Lokalitäten, und auch, daß ich mich mit der Familie Bowlby, die die Zimmerflucht über Seiner Hoheit hat, angefreundet habe. Sie haben erfahren, daß Mr. Bowlby mit Familie gestern bis spät nachts ausbleiben würde. Diese Sache war schon Freitag bestimmt, und sie haben sofort ihren Coup geplant. Daß er unter normalen Verhältnissen diese Form angenommen haben würde, nämlich daß Mirzl sich gerade in meine Gestalt gehüllt hätte, ist wohl nicht ausgemacht, wenn auch immerhin möglich. Aber nun kam hinzu, daß Mr. Bowlby mich gestern, bevor er vom Mittagstisch aufstand, freundlich aufforderte, ungeniert in sein Rauchzimmer hinaufzukommen, wenn ich Lust hätte, einen Whisky mit Soda zu trinken. Dies war gegen acht Uhr, und Mr. Bowlby versprach sogar, seinen Diener zu verständigen, daß ich vielleicht kommen würde. Frappiert Sie dieses Detail? Wir waren damals allein bei Tisch; es war niemand vom Personal in der Nähe. Sollte Mirzl das im letzten Moment erfahren haben, hat es ihn natürlich in seiner Wahl der Verkleidung bestimmt. Aber wie konnte er es erfahren haben? Wie ich Ihnen schon sagte, war niemand von der Dienerschaft in der Nähe. Aber kurz nachdem Mr. Bowlby mit seiner Familie gegangen war, warf ich zufällig einen Blick nach rechts, von unserem Tisch aus gerechnet; und da, tief im Schatten der Palmen, die diesen Teil des Speisesaales dekorieren, und so gut wie von ihnen verborgen, saß eine Dame, von der Mrs. Bowlby behauptet, daß sie von zweifelhaftem Charakter ist, eine Amerikanerin aus guter Familie, die vor mehreren Jahren aus Amerika durchgegangen ist und sich vermutlich hier in Europa mit einem Abenteurer zusammengetan hat. Ihr Name ist Mrs. Langtrey ...“ „Und heute,“ ertönte Mrs. Bowlbys schrille Stimme wie ein Trompetenton, „heute um halb acht Uhr morgens ist Mrs. Langtrey aus dem Hotel verschwunden, nachdem sie ein Lokal-Expreßtelegramm bekommen hat!“ VIII Mynheer van Schleetens Erlebnisse Mynheer van Schleetens Leben hatte seine Wechselfälle gehabt; das Angenehme daran für Mynheer van Schleeten war, daß sie sich in einer stets aufsteigenden Kurve bewegt hatten. Aus einem Unbekannten war er eine europäische Berühmtheit geworden; aus einem armen Schlucker ein reicher Mann, aus einem reichen ein noch reicherer. In dem Jahre, in dem Yussuf Khan von Nasirabad seinen ersten Besuch in dem Weltteil machte, war Herr van Schleeten in demselben der berühmteste Juwelenspezialist. Wie Mr. Bowlby schon Allan Kragh mitgeteilt hatte, hatte er das Diadem angefertigt, das die französische Republik bei einem denkwürdigen Anlaß der Kaiserin von Rußland sandte, und noch ein Dutzend ähnlicher Dinge. Sein Hauptgeschäft war in Amsterdam, aber sein Beruf brachte es mit sich, daß er sich fast ebensoviel in Berlin, Paris und London aufhielt wie in seiner Heimatstadt. In allen diesen Städten hatte er Filialen oder Korrespondenten. Ende August des obenerwähnten Jahres hatte er in Berlin (wo er sich im Auftrage eines später geadelten Finanzmannes befand, dessen Name mit B. anfängt) einen Brief von seinem Korrespondenten in London erhalten, daß ein gewisser Oberst Morrel seine Dienste für seinen Schützling, den Maharadscha von Nasirabad wünsche. Mynheer van Schleeten, der noch nie mit orientalischen Fürsten zu tun gehabt, aber um so mehr von ihren Juwelen gehört hatte, hatte sich beeilt, das Anerbieten anzunehmen, namentlich da es von einem sehr schmeichelhaften Honorarvorschlag begleitet war. Er teilte seine Freude den Zeitungen mit, die sich in mehreren Notizen mit ihm freuten. Es handelte sich um neue Fassungen und Aenderungen der Edelsteine des Maharadscha. Der junge Fürst war etwas exzentrisch, und war der Dinge, die seit tausend Jahren dasselbe Aussehen hatten, müde geworden. Anfangs September reiste Mynheer van Schleeten nach Hamburg, wo er ein kleineres Geschäft hatte; und am selben Tage, an dem Herr Allan Kragh aus Schweden in dieser Stadt ankam, verließ Herr van Schleeten sie mit dem Morgenexpreß nach Paris, wohin ihn eine kleine Angelegenheit rief, die ihm gestattete, ganz bequem zur festgesetzten Zeit in London zu sein. Mynheer van Schleetens Erlebnisse begannen im Expreß. Er war als Holländer ein phlegmatischer Herr; die Erfolge, die er in seinem fast sechzigjährigen Leben gehabt, hatten dazu beigetragen, dieses holländische Phlegma noch zu erhöhen. Er ereiferte sich selten; er hatte nur zwei Passionen, denen er sich in passender, phlegmatischer Weise hingab. Die eine, die mit den Jahren gekommen war, galt altem molligem Bordeaux; die andere, die mit den Jahren etwas abgenommen hatte, jungen molligen Frauen. Mynheer van Schleetens Jugend war von verschiedenen lustigen Soupers in Damengesellschaft belebt gewesen; sein phlegmatisches Temperament hatte ihn jedoch abgehalten, so oft zu soupieren, daß es ihm die Fähigkeit oder die Freude am Dinieren geraubt hätte. In späteren Jahren hatte Herr van Schleeten viel häufiger diniert als soupiert. Das ging auch aus seinem Aussehen hervor; seine Nase war groß, gebogen, und hatte allmählich die Farbe des guten französischen Weines angenommen, in dem er sie am liebsten spiegelte. Sein gelbgrauer Schnurrbart war bei diesen Libationen gewachsen wie ein Baum, am Bachesrand gepflanzt; und wenn Herr van Schleeten jetzt trank, hing er auf das Bordeauxglas herab wie ein Grasbüschel über ein Bächlein. Diese Bemerkungen werden vorausgeschickt, um Herrn van Schleetens Abenteuer im Expreß Hamburg-Köln und später zu erklären. Sogleich, nachdem Herr van Schleeten seinen Platz in einem Coupé erster Klasse eingenommen hatte, -- seiner Gewohnheit gemäß den Fensterplatz in der Fahrtrichtung -- kam eine Dame ins Coupé. Sie betrachtete einen Augenblick Herrn van Schleeten, der sie seinerseits betrachtete. Er konstatierte, daß sie jung, ziemlich mollig war und sehr hübsch aussah, wenn auch ein bißchen hochmütig, und daß er folglich in der Zeit seines Leichtsinnes nichts dagegen gehabt hätte, mit ihr zu soupieren. Welche Resultate ihre Prüfung seiner Person ergaben, ist unbekannt; jedoch waren sie offenbar befriedigend, denn sie placierte ihre Reiseeffekten in das Netz und sich selbst auf dem Sitz gegenüber Herrn van Schleeten. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, und Herr van Schleeten versenkte sich, um seine phlegmatische Natur zu dokumentieren, in das Studium der Morgenzeitungen. Es dauerte bis Bremen, bevor sich etwas ereignete. Kaum war der Zug in dieser Station stehen geblieben, als Herr van Schleeten Schritte im Korridor hörte und sah, wie die Türe seines Coupéabteils von einem jungen Manne geöffnet wurde, der auf der Suche nach einem Platz zu sein schien. Herr van Schleeten konstatierte, daß der junge Mann ein ganz sympathisches Aussehen hatte; aber da er es höchst ungerne sah, wenn das Coupé, in dem er reiste, mehrere Personen beherbergte, betrachtete er den jungen Mann mit einer bestimmten, barschen, abweisenden Miene, die ausdrücken sollte: Gehen Sie in das nächste Coupé, junger Freund. Ohne sich im geringsten daran zu kehren, ließ sich der junge Mann ungeniert auf Herrn van Schleetens Sofa nieder, ihm dadurch alle Chancen raubend, sich nach dem Lunch auszustrecken und ein kleines Schläfchen zu machen. Herr van Schleeten repetierte seinen barsch abweisenden Blick und legte noch eine Portion wohlerzogenen Staunens über ein solches Betragen hinein. Leider merkte er, daß dieser Blick an den jungen Mann (der übrigens gar kein Gepäck hatte) verschwendet war; dieser war ganz und gar damit beschäftigt, Herrn van Schleetens schönes Visavis mit den Augen zu verschlingen; sie ihrerseits schien eingeschlummert zu sein. Herr van Schleeten gab sich selbst seine Ansichten über die jungen Leute von heute kund, und nahm nach einer Weile sein Studium der Morgenblätter wieder auf. Die nächste Episode ereignete sich, als der Zug etwa eine halbe Stunde weitergesaust war. Die Coupétüre wurde plötzlich wieder geöffnet, diesmal zu Herrn van Schleetens Befriedigung vom Kondukteur, der die Fahrkarten zu sehen wünschte. Der junge Mann wies die seine vor, die zu Herrn van Schleetens Enttäuschung in Ordnung zu sein schien. Der Schaffner wendete sich nun an Herrn van Schleeten, betrachtete seine Fahrkarte und hustete dann zweimal ein „Gnädige“, um die Aufmerksamkeit der jungen Dame zu erregen, die Herrn van Schleeten gegenüber saß. Dies erwies sich jedoch als vergeblich. Sie schlief noch immer. Der junge Mann schien einen Augenblick nachzudenken, dann beugte er sich vor und tätschelte Herrn van Schleetens Visavis sanft das Knie. Die Wirkung war eine momentane. Die junge Dame schnellte von ihrem Platze auf, warf ihm einen furchtbaren, empörten Blick zu, starrte um sich, reichte dem Schaffner die Karte und brach dabei in eine Sturzflut von englischen Worten aus: Wie konnte dieser junge Mann es wagen? Was meinte er eigentlich? Konnte man nicht in Europa reisen (sie war also Amerikanerin), ohne beleidigt zu werden? Herr van Schleeten fand ihren Zorn etwas übertrieben, in Gedanken an die Damen amerikanischer Abstammung, die er sowohl am Knie wie auch anderswo getätschelt hatte; aber als er bedachte, daß er durch eine feindselige Haltung den jungen Mann möglicherweise von seinem (Herrn van Schleetens) Sofa vertreiben konnte, hütete er sich wohl, sie zu unterbrechen. Plötzlich wendete sie sich an ihn: „Sir, haben Sie gesehen, ob dieser junge Mensch sich noch andere Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich schlief?“ „Ich weiß nicht,“ sagte Herr van Schleeten diplomatisch, noch immer in Gedanken an sein kleines Mittagschläfchen. „Ich habe Zeitungen gelesen.“ „Es ist gut!“ Sie setzte ihre Ausfälle gegen den jungen Mann fort, der zuerst ganz verblüfft zugehört hatte und nun zu einer Entgegnung ansetzte. Sie unterbrach ihn sofort. „Wie können Sie es wagen, mich anzusprechen?“ Nun wurde es ihrem Widersacher zu toll. Er erhob sich zu Herrn van Schleetens Entzücken von dem Sofa und verschwand in den Korridor. Im selben Augenblick verspürte Herr van Schleeten eine leise Reue, daß er dazu geholfen hatte, ihn in die Flucht zu jagen: es würde wohl nicht sehr angenehm sein, allein mit solch einer empfindlichen, streitsüchtigen, kleinen Xantippe zu reisen. Kaum war jedoch der junge Mann zur Türe hinaus, als sie ihr Aussehen veränderte wie ein Aprilhimmel und sich mit dem sonnigsten Lächeln der Welt Herrn van Schleeten zuwendete: „Ich war vielleicht ein bißchen heftig,“ sagte sie, „aber ich kann nun einmal die Zudringlichkeit solcher junger Laffen nicht vertragen.“ Sie legte einen Akzent auf „solche junge Laffen“, der Herrn van Schleeten angenehm berührte. Er konstatierte, daß sie weiße starke Zähne hatte, und daß ihre Augen, wenn sie lächelte, ungewöhnlich anziehend waren. Der Farbe nach waren sie grau; grau war mit den Jahren Herrn van Schleetens Lieblingsfarbe geworden, nachdem er in allzuviel blaue und schwarze Augen zu tief gesehen und dafür hatte büßen müssen. „Madame,“ sagte er, „die Zudringlichkeit dieses jungen Mannes war einfach unerhört.“ Bald waren sie in ein interessantes Gespräch vertieft, das nur dadurch unterbrochen wurde, daß der Speisewagenkellner in ihr Coupé kam und meldete, daß das Diner serviert sei. Obgleich Herr Van Schleeten jetzt mit sich schon darüber einig war, daß er gar nichts dagegen hätte, mit seinem Visavis zu soupieren, schob er den Gedanken daran doch bis auf weiteres auf, und schlug ihr vor, mit ihm zu dinieren. Sie nickte gnädig: „Natürlich unter der Voraussetzung, daß ich selbst für mich bezahle.“ Herr van Schleeten verbeugte sich. Nach dem Mittagessen, das bei gutem alten Bordeaux auf das angenehmste verstrichen war, vergingen einige Stunden, bis Herr van Schleeten wieder etwas von dem jungen Mann sah, der gedroht hatte, ihn seines Mittagschläfchens zu berauben. Gegen die junge Dame, die ihm diesen Genuß nun tatsächlich geraubt hatte, hegte er keinerlei Groll; sie hatte ihm durch ihre höchst flirtoyante Konversation soviele andere bereitet. Der Zug stand in Köln, als Herr van Schleeten und die junge Amerikanerin, deren Name, wie er jetzt wußte, Mrs. Langtrey war, durch aufgeregte Stimmen im Korridor mitten aus einem interessanten Meinungsaustausch, ob gemeinschaftliche Schulen für Knaben und Mädchen ratsam seien, gerissen wurden. Sie blickten hinaus und sahen den jungen Mann, der sie beide zum Zorn gereizt hatte, in Gesellschaft eines Polizeikonstablers und eines Zivilisten verschwinden, den Herr van Schleeten sofort als Detektiv agnoszierte. Herr van Schleeten sah Mrs. Langtrey an. Mrs. Langtrey sah ihn an und rief: „Sehen Sie, was habe ich gesagt! Ich habe es förmlich im Gefühl, wenn ich in der Nähe eines Verbrechers bin!“ Während Herr van Schleeten ihr seine Bewunderung für diese Clairvoyance ausdrückte, mußte er sich selbst gestehen, daß seine Gefühle für sie durchaus nicht telepathischer Natur waren. Bei der Ankunft in Paris um halb elf Uhr abends machte es sich ganz natürlich, daß sie im selben Hotel abstiegen. Herr van Schleeten wählte ein ruhiges Familienhotel in der Nähe der Madeleinekirche, und sie erklärte sich damit einverstanden. Wie sie sagte, war sie noch nie in Paris gewesen. Sie war mit einem der Schiffe der Hamburg-Amerika-Linie herübergekommen und reiste nur, um den Schmerz über den Verlust ihres ersten Mannes zu betäuben, der gestorben war, und einem zudringlichen Freier auszuweichen, der sich einbildete, daß sie ihn liebte. Herr van Schleeten war gerne bereit, ihr schon am ersten Abend in Paris behilflich zu sein, alle Schmerzen zu vergessen, aber er fand keine Gelegenheit dazu. Nach einer Tasse Tee verschwand Mrs. Langtrey in ihr Zimmer. Zwei Tage später fuhren sie nach London, noch immer zusammen. Sie hatte ein Telegramm bekommen, das sie zwang, am selben Morgen wie Herr van Schleeten hinzufahren; sie würde im Grand Hotel Hermitage absteigen. Bei der Ankunft in Charing Croß drückte sie Herrn van Schleeten so ungeschminkt herzlich die Hand, wie es nur eine junge Amerikanerin wagt, und bat ihn am nächsten Tage zum Diner im großen Hotel ihr Gast zu sein. Dieses Diner war entzückend; vor allem dekretierte sie mit Prinzessinnenmiene, daß nur sie allein bezahlen dürfe. Herr van Schleeten war der Gastgeber vieler junger Damen gewesen, doch nie der Gast einer Dame. Es war ein eigentümlich prickelndes Gefühl, so etwa wie ein neuer holländischer Likör. Er beeilte sich zu betonen, daß dies nur unter der Voraussetzung denkbar sei, daß sie sobald als möglich mit ihm im Savoy soupieren wollte. Sie akzeptierte, immer mit derselben freimütigen Prinzessinnenmiene. Beim Abschluß dieses Mittagessens entdeckten Herr van Schleeten und seine Partnerin zu ihrem Staunen an einem Tisch im Speisesaal des Hotels keinen Geringeren als den jungen Mann aus dem Eisenbahnzug. „Sollten wir nicht eigentlich die Polizei verständigen, Mrs. Langtrey?“ sagte Herr van Schleeten. Mrs. Langtrey schüttelte ihr schönes Haupt. „Ich liebe meine Nächsten immer, wenn ich Champagner getrunken habe,“ sagte sie. Herr van Schleeten beschloß, daß beim Souper im Savoy Champagner und nicht Bordeaux serviert werden sollte. Dies war Donnerstag, den 11. September. Herrn van Schleetens Geschäfte zwangen ihn zu einer Spritztour nach Amsterdam, die auf die nächsten drei Tage Beschlag legte. Als er Montag, den fünfzehnten, zu früher Morgenstunde nach London zurückkehrte, erwartete ihn die Mitteilung, daß Seine Hoheit, der Maharadscha von Nasirabad am selben Tage in der Weltstadt eintreffen sollte, und, um sobald als möglich mit präsentablen Juwelen auftreten zu können, sein sofortiges Erscheinen im Grand Hotel Hermitage wünschte. Herr van Schleeten empfand einen Augenblick Verwunderung, daß Seine Hoheit und Mrs. Langtrey dasselbe Hotel gewählt hatten, aber vergaß sie bald über der angenehmen Perspektive, sie im Hotel zu treffen und das Datum für das kleine Souper festzusetzen, das er nun halb und halb an einen bedeutend diskreteren Ort als das Savoy zu verlegen gedachte, beispielsweise seine eigene überaus diskrete Privatwohnung. Er verfügte sich ohne Aufschub in das Hotel. Der Direktor empfing ihn selbst und führte ihn in die Suite des Maharadscha im ersten Stock. Nach ein paar Minuten des Wartens wurde Herr van Schleeten in die Privaträume des Maharadscha geleitet, und sah sich einem bräunlichen, etwas korpulenten, jungen Manne mit dunklem Schnurrbart gegenüber, offenbar Sr. Hoheit, einem graubärtigen alten Hindu, dessen Identität ihm unbekannt blieb, und einem Engländer von militärischem Typus mit weißem Schnurrbart. Der letztere ergriff das Wort: „Sie sind Mr. van Schleeten aus Amsterdam, Spezialist in Juwelen?“ „Ja.“ „Seine Hoheit wünscht Sie wegen Aenderungen einiger besonders wertvoller Schmuckstücke zu konsultieren. Sie verstehen, besonders wertvoll!“ „Wertvoll!“ unterbrach der junge Maharadscha, „Morrel Sahib, wie könnt Ihr sie wertvoll nennen! Sie sind ebenso unwürdig der weißen Fürstinnen wie ich selbst. Vielleicht können sie ihrer würdig werden durch die Hilfe dieses Mannes, dessen Belohnung und Ehre in solchem Falle nicht gering sein werden.“ „Kann ich die Schmucksachen sehen?“ sagte Herr van Schleeten, der fand, daß dieser Meinungsaustausch den Juwelen kein gutes Prognostikon stellte, und der an Mrs. Langtrey dachte. Auf einen Ruf von Oberst Morrel öffneten sich die Türen zu einem inneren Gemach, und zwei schwarze Diener von ernstem und drohendem Aussehen kamen herein, eine eisen- und kupferbeschlagene Mahagonikassette von ansehnlichen Proportionen schleppend. Die schwarzen Diener verschwanden wieder, Herr van Schleeten wurde aufgefordert, sich abzuwenden und hörte einiges Knirschen und Knacken. Offenbar wurde diese Kassette durch ein verwickeltes Sesam geöffnet, in das man ihn nicht einweihen wollte. Nun, wenn die Steine nicht besser waren, als der Maharadscha meinte, dann! Glaubten sie vielleicht, daß er das erstemal Juwelen sah? Nun wurde er aufgefordert, sich umzudrehen. Er tat es und wäre fast umgefallen. Natürlich hatte er von den Juwelenkammern der orientalischen Fürsten gehört und hatte selbst die Mehrzahl ihrer europäischen Kollegen gesehen, aber das übertraf seine wildesten Phantasien. Das war Tausendundeine Nacht. Das war der Todesstoß sogar für sein holländisches Phlegma. Eine Flut von verschiedenfarbigen Steinen, von denen ein jeder würdig war, ein Kronjuwel zu sein; ein Springbrunnen von Licht; schwere blaue Trauben von Saphiren; Perlenschnüre, die sich durch das Juwelengewühl ringelten wie matt blinkende graue Schlangen; Smaragden, brennend wie Raubtieraugen; ein Blutgeriesel von Rubinen über dem Ganzen, so, als wäre irgendein unredlicher Wächter über der Truhe geköpft und gezwungen worden, sein Blut über ihren Inhalt sprühen zu lassen -- und überall zwischen die anderen versprengt, Diamanten und Diamanten, deren kaltes Feuer wie Wintersterne und Nordlicht flammte. Diese ganze Eruption von farbenstrahlendem, aus sich selbst geborenem Licht, die Herrn van Schleeten entgegengeschleudert wurde, benahm ihm fast den Atem. Erst nach einiger Zeit sah er die Einzelheiten, die seltenen Steine, deren Ton von dem normalen abwich; schwarze Diamanten und Diamanten, deren blaue Farbe die Morgenbläue um die Bergfirne des Himalaya war; Smaragden, deren grüner Glanz in einen Opalton überging wie ein eben entflammter Abendhimmel, Rubine, deren rotes Blut einen Stich ins Blaue hatte, wie um ihren uralten Adel zu zeigen -- schließlich auch die Goldfassung um die Steine. Sie war schwer, phantastisch, zuweilen grotesk, aber welcher Gedanke, sie zu modernisieren! Herr van Schleeten schöpfte tief Atem und stammelte an den Maharadscha gewendet: „Und Hoheit wollen, daß ich das ändere?“ „Natürlich,“ sagte Yussuf Khan würdevoll. „Warum hätte ich Euch sonst durch Oberst Morrel Sahib rufen lassen? Er hat mir gesagt, daß Ihr in Europa der erste unter jenen seid, die edle Steine behandeln. Obwohl die meinen von geringem Werte sind und Euch nicht fesseln können, bitte ich Euch doch, sie der weißen Fürstinnen so würdig zu machen, als sie werden können. Wisset, daß ich in Europa bin, um eine Sahibprinzessin zu erringen. Und denkt daran, wenn Eure Hand an diesen Steinen arbeitet. Euer Lohn und Eure Ehre werden groß sein.“ Herr van Schleeten, dessen Augen an der Kassette und ihrem Inhalt hingen, wie die des Vogels am Reptil, wollte eben neue Einwände erheben, als Oberst Morrel ihm zuvorkam. „Die Sache ist durch den Willen Seiner Hoheit entschieden,“ sagte er scharf. „Wollen Sie die Arbeit übernehmen oder müssen wir uns an einen anderen wenden? Lassen Sie mich das gleich wissen.“ Herr van Schleeten stand noch einen Augenblick stumm da, bevor es ihm gelang zu erwidern: „Natürlich ... wenn es der Wille Seiner Hoheit ist ... Aber darf ich fragen, in welcher Richtung Seine Hoheit wünscht, daß ...“ „Welche Richtung immer,“ unterbrach der Oberst. „Bestimmen Sie selbst. Es ist ja Ihre Spezialität.“ Herr van Schleeten stand einen Augenblick stumm da und hörte den Oberst in sich hineinmurmeln: „Welche gottverdammte Richtung immer, kommt schon auf eins heraus.“ Herr van Schleeten begann zu verstehen, wie die Dinge standen, und fuhr fort: „Ist es gestattet, daß ich die Juwelen Seiner Hoheit in mein Atelier hier in London bringe, oder --“ „Sie müssen hier arbeiten,“ sagte der Oberst. „Sie bekommen ein Zimmer zu Ihrer Verfügung, und dorthin müssen Sie die Instrumente, die Sie brauchen, schaffen lassen. Außerdem müssen Sie schon entschuldigen, wenn vor dem Arbeitszimmer von der Leibgarde Sr. Hoheit Wache gehalten wird. Es ist nicht Ihretwegen, sondern um einem Attentat von außen vorzubeugen.“ „Ich verstehe,“ murmelte Herr van Schleeten, den Blick auf die Kassette und ihren Inhalt geheftet. „Und wann soll ich anfangen?“ „Sobald als möglich, sobald als möglich!“ rief der Maharadscha eifrig. „Am besten heute.“ „Heute, fürchte ich, muß ich mich damit begnügen, meine Instrumente herzubringen,“ sagte Herr van Schleeten, „aber morgen.“ „Nun gut, morgen! Und Ihr versprecht, so rasch zu arbeiten, als Ihr könnt, nicht wahr? Eure Ehre und Eure Belohnung werden nicht gering sein, so wahr ich Yussuf Khan von Nasirabad bin, Sohn des Ibrahim Khan.“ „Ich werde mein Möglichstes tun, Hoheit,“ sagte Herr van Schleeten und verabschiedete sich unter tiefen Verbeugungen. „Wenn es notwendig sein sollte, werde ich Tag und Nacht arbeiten.“ Der Maharadscha klatschte vor Freude in die Hände, als er zur Türe hinausschritt. Herr van Schleeten sah die schwarzen Diener auf einen Ruf ihres Herrschers hereineilen. Zu seiner Enttäuschung fand er, daß Mrs. Langtrey ausgegangen war, als er sich beim Portier nach ihr erkundigte. Er schrieb einige Zeilen, in denen er sie fragte, ob er sie nicht treffen könnte, bevor er am nächsten Tage seine Arbeit in der Wohnung des Maharadscha begann, und bat den Portier sie zu übergeben. Dies war am 15. September. Dienstag, der 16., brachte für Herrn van Schleeten ungeahnte Ueberraschungen. Schon aus dem Gesicht des Portiers konnte er, als er sich gegen zehn Uhr im Grand Hotel Hermitage einfand, sehen, daß nicht alles so war, wie es sein sollte. Er war kaum zur Türe herein, als der Portier den Direktor anklingelte und ihn bat, ins Kontor hinunterzukommen. Herr van Schleeten beugte sich diskret zum Portier vor. „Ich habe Ihnen gestern ein Briefchen gegeben,“ sagte er mit einem bedeutungsvollen Blick und strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart. Der Portier schien einen Augenblick nachzudenken. „Ach ja!“ sagte er, „gewiß. An die Dame auf Nr. 320/21. Sie ist abgereist, ohne eine Antwort zu hinterlassen.“ „+Sie ist abgereist!+“ In seiner Verblüffung und Enttäuschung sprach Herr van Schleeten in gesperrten Lettern wie ein Schauspieler. „Sie ist heute morgen abgereist,“ sagte der Portier, „so gegen halb acht. Kurz zuvor ist ein Expreß-Telegramm gekommen.“ „Aus Amerika,“ murmelte Herr van Schleeten, plötzlich überzeugt, daß der zudringliche Freier aufgetaucht war. Was würde nun aus dem Souper werden? „Nein, aus Paddington,“ sagte der Portier. „Ich habe es zufällig auf dem Blankett gesehen. Hier kommt der Herr Direktor.“ Herr van Schleeten, der in diesem Augenblick den Direktor des großen Hotels durch die Halle herankommen sah, war von dem Schlage, den der Portier ihm ahnungslos versetzt hatte, so betäubt, daß er weder denken noch sprechen konnte. Es dauerte darum eine Weile, bis er merkte, daß der Direktor ebenso aufgeregt war wie er selbst. Er blieb vor Herrn van Schleeten stehen und schien nach Worten zu suchen. Endlich fiel es Herrn van Schleeten auf, wie eigentümlich es doch war, daß man den Direktor überhaupt gerufen hatte. Er hatte ja gar nichts mit ihm zu tun. Er wollte eben fragen, was denn los sei, als der Direktor sich zu einem Entschluß aufzuraffen schien. „Wollen Sie mit mir zum Herrn Oberst kommen, Herr van Schleeten,“ sagte er. „Sprechen Sie mit ihm selber; das wird das beste sein.“ „Ja, was gibt es denn?“ fragte Herr van Schleeten erstaunt. „Sie müssen über das, was ich Ihnen sage, Diskretion bewahren, Herr van Schleeten, aber Sie müssen doch in die Sache eingeweiht werden. Der Maharadscha ist verschwunden, und in seiner Wohnung ist heute nacht ein Einbruch verübt worden.“ „Einbruch!“ stammelte Herr van Schleeten, für den Augenblick Mrs. Langtrey und alles andere vergessend, als die wunderbaren Juwelen. „Sind die Juwelen gestohlen?“ „Nein, glücklicherweise wurde der Diebstahl im letzten Moment von einem jungen Manne verhindert, der hier im Hotel wohnt. Aber der Maharadscha ist verschwunden, und Gott weiß, wann wir ihn wiedersehen.“ Herr van Schleeten brachte kein Wort der Erwiderung hervor. Was waren das für Mysterien? Sowohl Mrs. Langtrey wie der Maharadscha verschwunden! Waren sie zusammen durchgegangen? Hatte er sie entführt? Dann, bei allen Mächten der Unterwelt, wollte sich Herr van Schleeten mit den Juwelen nicht mehr abgeben, als mit dem Schmutz der Straße. „Wann ist er verschwunden?“ stammelte er. „Gestern abend. Er wurde an irgendeinen infernalischen Ort gelockt und konnte nicht wieder gefunden werden. Aber um Gottes willen, seien Sie diskret!“ Herr van Schleeten atmete wieder. Herrn van Schleetens Unterredung mit Oberst Morrel auf dessen Zimmer in der fürstlichen Suite war summarisch. Er fand den Oberst von einer Wand zur anderen rennend, wie ein frisch gefangener Tiger und kaum weniger blutdürstig anzusehen. „Was zum Geier gibt es?“ war sein artiger Begrüßungsruf. „Dies ist Herr van Schleeten, Herr Oberst,“ sagte der Direktor. „Der Juwelier, der --“ „Juwelier her, Juwelier hin! Wenn mein schwarzer Diamant beim Teu--“ Herr van Schleeten begann sich verletzt zu fühlen. Er hatte augenblicklich selbst seine Sorgen und fand sie groß genug, um nicht noch mit denen anderer belastet zu werden. Er machte einen Schritt auf die Türe zu. „Ich werde meine Instrumente wieder holen lassen,“ sagte er mit eiskalter Stimme, „gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, Herr Oberst, daß ich nicht --“ „Gut! Gut! Zum Teufel hinein!“ rief der Oberst, aber hielt dann inne, von einem Gedanken gepackt. „Ja, richtig -- es ist ja doch eine Möglichkeit, daß die Blindschleichen dort oben (offenbar Oberst Morrels Kosename für die Detektive) meinen schwarzen Ado -- Sr. Hoheit finden ... Also arbeiten Sie nur nach Belieben, mein bester Herr van Schleeten, ganz nach Belieben. Dann erweisen Sie meinem schwar... Sr. Hoheit einen großen Dienst. Adieu!“ Der Oberst stürzte zur Türe hinaus und schlug sie mit einem Krach zu, der an einen Felssturz gemahnte. Der Direktor wendete sich mit einem entschuldigenden Lächeln Herrn van Schleeten zu. „Der Oberst ist ein bißchen erregt,“ sagte er. „Nehmen Sie es nicht krumm, Herr van Schleeten, Sie wissen, ein alter Soldat ... er hat es momentan nicht sehr angenehm.“ „Das ist kein Grund, mich zu behandeln wie einen Kutscher, der falsch gefahren ist,“ sagte Herr van Schleeten mit gerunzelter Stirne. „Ein jeder hat seine Sorgen.“ „Herr van Schleeten, Sie sind doch ein Weltmann. Beachten Sie den schlechten Humor eines alten Herrn nicht. Gestatten Sie mir, Sie in das Zimmer zu führen, das für Sie reserviert ist.“ Noch etwas grollend wurde Herr van Schleeten in den Arbeitsraum geleitet. Der erste Anblick der märchenhaften Edelsteine war genug, um ihn sowohl den Obersten wie Mrs. Langtrey vergessen zu lassen. Er verbrachte eine Stunde damit, sie einen nach dem anderen zu bewundern; zwei damit, nachzudenken, wie er die Fassungen „ändern“ sollte, damit sie nach dem Geschmack des Maharadscha ausfielen. Dann klingelte er und ließ sich ein leichtes Frühstück mit einer halben Chateau-Lafitte bringen und machte sich dann gegen zwei Uhr an die Arbeit. Er blieb bis sieben Uhr dabei und merkte kaum, wie die Zeit verflog, so hypnotisiert war er von den Steinen; was er hingegen, als er seine Instrumente weglegte, merkte, war, daß er eine Hilfskraft haben mußte, wenn er die Arbeit in annehmbarer Zeit fertig bringen sollte, ganz abgesehen von der nervösen Eile des Maharadschas. Gegen halb acht Uhr verließ er das Hotel. Die schwarze Leibgarde hielt noch immer treue, stumme Wache vor den Türen des Arbeitsgemaches. Herr van Schleeten sprach sie im Vorüberstreifen auf englisch an, aber bekam keine Antwort. Offenbar verstanden sie nur ihre Muttersprache. Unten auf der Straße angelangt, ging er anfangs halb abwesend durch das Menschengewühl. Der Septemberabend war etwas kühl, mit einem herbstlichen Ton in der Luft. Herr van Schleeten, dessen Kopf ganz von den wunderbaren Steinen erfüllt war, wurde sich erst nach einiger Zeit bewußt, daß er Hunger hatte. Er ging in ein kleines französisch-italienisches Restaurant, an dessen Türe er gerade vorbeikam, setzte sich nieder, und wählte einige Gerichte _à la carte_ und eine Halbe Kirwan-Cantenac. Er war zum Kompott nach dem Huhn gekommen, als er aufblickte und sah, daß Mrs. Langtrey an seinem Tische stand, allein, im Straßenkleid. Herr van Schleeten flog in die Höhe. „Sie!“ rief er. „Sie!“ „Ja, ich ...“ murmelte sie. „Ah, daß ich Sie treffe! ... Gott sei Dank! Gestatten Sie, daß ich mich niedersetze?“ Herr van Schleeten riß einen Stuhl unter dem Tisch mit einem Schwung hervor, als wollte er ihn als Wurfgeschoß verwenden und half ihr die Ueberkleider ablegen. Das kleine Souper winkte, und in dem rosigen Wachskerzenschein seiner Hoffnungen sah er sich ihr schon weit mehr ablegen helfen als die Ueberkleider. Sie ließ sich nieder und blätterte zerstreut in dem Menü, das der französische Kellner sich beeilt hatte, ihr zu überreichen. „Aber heute abend müssen Sie mir gestatten,“ sagte Herr van Schleeten hastig. „Geben Sie mir die Weinkarte, Kellner.“ Sie nickte leicht und wählte ein paar Speisen. Herr van Schleeten, der die Champagnerliste durchforschte, bemerkte, daß sie auf französisch bestellte. Er war ein bißchen verwundert, und nachdem der Kellner verschwunden war, sagte er: „Ich habe geglaubt, Sie waren nie in Frankreich, Mrs. Langtrey.“ „In Frankreich?“ wiederholte sie nach einem Augenblick. „Nein, warum denn? Ach so, weil ich Französisch spreche! Das tut doch jeder gebildete Mensch.“ Herr van Schleeten beeilte sich, das einzuräumen. Erst beim Dessert begannen sie von ihm und dem, was er vor hatte, zu sprechen. Die Zeit bis dahin war mit ihren Berichten über die Gründe ihrer überstürzten Abreise ausgefüllt gewesen, und Herrn van Schleetens Sympathieausbrüchen bei der Anhörung derselben. Es war dieser zudringliche Freier! Natürlich! Der brutale Egoist! (Herrn van Schleetens Generalurteil.) Der rücksichtslose Geselle. Ganz einfach telegraphieren: „Ich komme, erwarten Sie mich,“ und sich einbilden, daß alles in Ordnung ist! Daß die Heirat ohne weiteres stattfinden kann! Ach, was für verächtliche Typen es doch in der menschlichen Komödie gibt (Herr van Schleeten); Wie schwer das Leben für eine arme Frau ohne Freunde ist (Mrs. Langtrey); Aber schön für den, der +einen einzigen+ guten Freund hat (Herr van Schleeten). „Wollen Sie wirklich mein Freund sein?“ murmelte sie. Herr van Schleeten erklärte sich bereit, diese Rolle ohne alle Einschränkungen zu übernehmen. „Mein wirklich guter Freund, nichts anderes?“ setzte sie fort. Herr van Schleeten ging auch darauf ein, allerdings nicht so eifrig wie auf das erste Programm. Aber er schenkte noch Champagner in ihr Glas, im Vertrauen auf diesen gelben Wein, im Notfalle auf die Zukunft. Sie war ja Amerikanerin, und die Amerikanerinnen -- man weiß schon. Ein bißchen Belagerung. „Wie froh bin ich, daß ich Sie getroffen habe!“ flüsterte sie und ließ, wie zerstreut, ihre kleinen Finger Herrn van Schleetens etwas volle Hand streifen. „Nein, wie der Zufall einem manchmal helfen kann, wenn man es am schwersten hat. Wenn es nun der Zufall war!“ Herr van Schleeten sprach die feste Ueberzeugung aus, daß es die Vorsehung gewesen, und suchte die kleinen Finger zu erhaschen, die sich rasch aus seinem gierigen Griff retteten. „Sprechen wir von Ihnen,“ unterbrach sie. „Was machen Sie denn jetzt? Sind Sie sehr beschäftigt?“ Herrn van Schleeten wandelte die Lust an, sich interessant zu machen und zu zeigen, was er alles konnte, dieselbe Lust, die der Grund ist, daß er und wir alle, dank unserem Stammvater, nicht mehr im Paradiese wohnhaft sind. Mit einer Beredsamkeit, die sie offenbar ganz und gar bestrickte, beschrieb er den Auftrag, den er vom Maharadscha empfangen, und wurde bei der Schilderung der Juwelen geradezu dramatisch. Plötzlich fiel sie ihm mit funkelnden Augen ins Wort: „Ich +muß+ sie sehen!“ rief sie. „Ich +liebe+ Juwelen! Ueber alles andere auf Erden.“ „Ueber alles andere auf Erden?“ wiederholte Herr van Schleeten enttäuscht. „Ich fürchte, das ist unmöglich, Mrs. Langtrey, es war schon indiskret von mir, Ihnen überhaupt davon zu sprechen.“ „Mir! Haben Sie schon vergessen, daß Sie versprachen, mein Freund zu sein? Wenn es etwas auf Erden gibt, das mehr wert ist als Diamanten, ist es wahre Freundschaft. Und einem Freunde muß man seine intimsten Geheimnisse erzählen können, nicht wahr, Herr van Schleeten?“ Herr van Schleeten gab zu, daß sie recht hatte. Aber ihr die Juwelen zu zeigen -- „_All right._ Wir sprechen nicht mehr darüber,“ sagte sie, mit einem kleinen Unterton kühler Verwunderung in der Stimme, der Herrn van Schleeten einen Schauer über den Rücken jagte. „Sie brauchen sich wegen Ihrer Indiskretion keine Sorgen zu machen. Ich plaudere nichts aus.“ Der rosige Wachskerzenschimmer über Herrn van Schleetens Zukunftsträumen zuckte bei ihrer kalten Stimme wie unter einem Luftzug. Er beeilte sich, einen stammelnden Satz zu beginnen: „Mrs. Langtrey ... liebste Freundin ... sehen Sie ... ja, was soll ich sagen? ... Warten Sie, unterbrechen Sie mich nicht! Es +gäbe+ ja eine Möglichkeit ...“ Ihre Augen begannen ihn warm und strahlend anzusehen. „Lassen Sie mich hören!“ rief sie. „Sie sind ein Engel!“ Herr van Schleeten strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart. „Es ist nämlich so,“ flüsterte er, „daß ich bei meiner Arbeit eine Hilfskraft brauche, das habe ich heute nachmittag konstatiert. Und wenn -- ja das heißt, dann müßten Sie aber Männerkleider anziehen -- und das --“ „Männerkleider! Gott, wie lustig! Was Sie sich alles ausdenken können, lieber Freund! Sie +sind+ ein Engel.“ Herr van Schleeten begann seine Worte schon halb und halb zu bereuen. „Aber das wäre doch eine schwierige Sache,“ sagte er zögernd. „Sie verstehen, wenn jemand im Hotel Sie erkennen sollte, dann wären sowohl Sie wie ich rettungslos kompromittiert.“ „Aber wenn es dunkel wird,“ sagte sie. „In der Verkleidung bei elektrischem Licht wird man mich doch nicht erkennen. Wie lange arbeiten Sie denn dort?“ „So lange ich will,“ gestand Herr van Schleeten. „Gott, da können Sie ja auch in der Nacht dort sein!“ „Das kann ich,“ räumte Herr van Schleeten ein. „Aber dann komme ich eben bei Nacht,“ rief sie entzückt, ganz glücklich über diese einfache Lösung eines schwierigen Problems. Herr van Schleeten erbebte innerlich. Wie wäre es mit einem kleinen Souper, nur von der Glut der wunderbaren Juwelen beleuchtet? „Sie müßten abends kommen, gegen zehn Uhr,“ sagte er, „und ich müßte den Obersten vorbereiten, daß ich jemand zu meiner Hilfe mitbringe. Um diese Zeit sind die meisten Hotelgäste zu Bett oder im Theater.“ Sie klatschte vor Entzücken in die Hände und drückte über den Tisch hinweg seine Hand. „Gott, wie reizend! Das wird das Reizendste, was ich noch im Leben mitgemacht habe, und Ihnen habe ich es zu verdanken!“ „Aber,“ stammelte Herr van Schleeten wieder reuig und sich an diese letzte Chance festklammernd, „es steht eine schwarze Leibwache mit gezogenen Säbeln vor den Türen, und --“ „Das macht nichts,“ rief Mrs. Langtrey, „gar nichts, wenn ich weiß, daß ich mit einem wirklichen Freund bin!“ Das Souper schloß in scharmanter Stimmung von seiten Mrs. Langtreys. Aber die Hoffnung, die Herr van Schleeten an den Champagner geknüpft, erfüllte sich nicht; trotz dieses gelben und verräterischen Trankes mußte er Mrs. Langtrey an der Türe eines Autos Adieu sagen (sie war in ein kleines Familienhotel irgendwo gezogen, sagte sie). Ein Druck ihrer weichen festen Hand und ein Blick durch den Schleier, versprachen immerhin deliziöse Möglichkeiten für die Zukunft, und während Herr van Schleeten heimwärts ging, gelang es ihm bald, sich selbst zu überzeugen, daß er ein verfluchter Kerl war und daß alles gut gehen würde. Morgen abend, im Zimmer des Maharadscha ... IX Yussuf Khans Wiederkehr Als die Detektivs endlich gegangen waren und die Familie Bowlby unter dem Präsidium Mrs. Bowlbys die Einbruchsaffäre und Mrs. Langtreys Verschwinden zu Ende debattiert hatte, dachte Allan an sein eigenes Privatmißgeschick; aber es wäre unwahr zu sagen, daß er es sehr schwer nahm. Was hatte er sich doch zugeflüstert, als er vor einigen Tagen die Küste der Heimat verbleichen sah? Vorwärts, den Abenteuern entgegen! Schicksal, _en garde_! Unleugbar waren ihm Abenteuer begegnet; aber das Schicksal hatte seine Herausforderung ebenfalls angenommen und zu einem recht fühlbaren ersten Gegenstoß ausgeholt. Wäre Herr Mirzl nicht ebenso exzentrisch gewesen, als er kühn war, so stünde Allan heute ohne Koffer und Kasse da -- und was hätte er dann angefangen? Nach Hause telegraphiert ...? Das Vorstellungsbild der jetzt wohl laut brüllenden Akzeptanten ließ ihn rasch davon abstehen, diesen Gedanken zu Ende zu verfolgen. Auf jeden Fall wollte er einer Wiederholung vorbeugen. Es konnte ja geschehen, daß Herr Mirzl in seiner Exzentrizität sein Urteil kassierte und die Geldbuße in gleicher Weise zurückschickte wie damals die Koffer; aber in der Erwartung dessen war es wohl am besten, den Rest der Reisekasse außer Reichweite für ihn zu placieren. Am Mittwoch deponierte Allan ihn folglich im Bankkontor des Hotels, nur gegen von ihm signierte Schecks oder Quittung zu beheben. Zwei Exemplare seiner eigenhändigen Namensunterschrift wurden dem Bankbeamten eingehändigt. Am selben Abend gegen sieben Uhr sah Allan den alten Herrn mit der Raubvogelnase, der, wie er nun wußte, der Juwelenspezialist Mynheer van Schleeten war, die Treppe von der Wohnung des Maharadscha herunterkommen. Er sah ein bißchen erregt aus. Als der Hoteldirektor etwas später die Halle passierte, nahm Allan seinen ganzen Mut zusammen und ging auf ihn zu. „Darf ich Sie etwas fragen, Herr Direktor?“ Der Direktor, der Allan von dem gestrigen Verhör kannte, nickte wohlwollend. Das war ja dieser junge Mann, dem man es zu danken hatte, daß nicht alles verloren war. „Sie haben noch keine Nachrichten vom Maharadscha?“ Der Direktor schüttelte düster den Kopf. „Leider nicht. Sie sind doch diskret gewesen, hoffe ich?“ „Absolut. Ich habe kein Wort über die Sache zu irgend jemand verlauten lassen außer der Familie Bowlby. Aber darf ich Sie etwas fragen? Ich sah gerade den alten Juwelier, den der Maharadscha berufen hat, aus seinem Appartement herunterkommen. Arbeitet er denn an den Juwelen, obwohl Se. Hoheit verschwunden ist?“ „Ja, er kam heute morgen, und da ich nicht wußte, was ich tun sollte, führte ich ihn zu Oberst Morrel hinauf ...“ Der Direktor brach ab und bemühte sich ein Lachen zu verbeißen. „Ich hatte selbst das Vergnügen, den Oberst gestern morgen zu treffen,“ sagte Allan. „Herr van Schleeten bekam vermutlich die Aufforderung, sich an einen heißen Ort zu verfügen?“ „Etwas Aehnliches. Aber dann reute es den Obersten, und er bat ihn -- na ja, +bat+, hm, -- die Arbeit in Angriff zu nehmen. Herr van Schleeten hat den ganzen Tag oben in der Suite des Maharadscha gearbeitet.“ „Glauben Sie nicht, daß er in der Einsamkeit in Versuchung kommen könnte?“ fragte Allan. „Er geht ganz nach Belieben aus und ein?“ „Er! Er ist ja selbst ein Krösus und einer der bestrenommierten Juwelenspezialisten in Europa! Ebensogut könnten Sie ihn des Einbruchs verdächtigen.“ „Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte Allan, „vermutlich geht mir der Einbruch im Kopfe herum. Und dann ist da noch eine andere Sache, die ich zufällig weiß.“ „Was denn?“ „Ich weiß zufällig, daß Herr van Schleeten intim oder zumindest bekannt mit Mrs. Langtrey war, die gestern früh verschwunden ist.“ „Ich habe Mrs. Bowlbys Insinuationen gegen die betreffende Dame gehört. Aber die Detektivs zuckten nur die Achseln darüber, und weder uns noch ihnen ist etwas Nachteiliges über sie bekannt. Und wenn Sie sie auch im selben Zug gesehen haben wie Mirzl, könnten Sie doch nicht behaupten, daß sie einander kannten. Aber man wird sie natürlich im Auge behalten.“ „_All right_,“ sagte Allan. „Ich wollte Ihnen nur sagen, was ich weiß.“ Der Direktor neigte den Kopf und ging in das Bureau. Kurz darauf wurde Allan Zeuge einer Szene, über die er hell aufgelacht haben würde, wenn er ihren Ernst nicht erkannt hätte. Der alte Oberst kam die Treppen herunter und stürzte mit nervösen Schritten auf das Bureau zu. Im Vorbeieilen warf er Allan einen ergrimmten Blick zu. Offenbar war er noch durchaus nicht überzeugt, daß nicht alle Attentate ihren Ursprung von Allan herleiteten. Bevor er noch das Bureau erreicht hatte, kam der Direktor wieder herausgeeilt; in seinem Gesicht prägte sich die lebhafteste Erregung aus. Bei dem Anblick des Obersten stieß er einen kleinen Schrei aus. Allan sah ihn mit gesenkter Stimme dem alten Krieger etwas mitteilen. Der Oberst starrte ihn regungslos an und stieß dann ein Gebrüll aus, bei dem die Leute rings in der Halle von ihren Klubsesseln emporfuhren. In der nächsten Sekunde stürzte er wie ein Wahnsinniger die Treppen hinauf. Allan eilte auf den Direktor zu, um ihn zu fragen, was denn los sei. Hatten sie den Maharadscha ermordet? „Der arme Oberst Morrel,“ sagte der Direktor. „Mich soll es wundern, wenn nach seinem letzten Geheul nicht das ganze Hotel weiß, wie die Dinge stehen.“ „Was gibt es denn? Ist Seine Hoheit tot aufgefunden?“ „So schlimm ist es nicht -- noch nicht. Aber er ist überhaupt nicht gefunden, und das ist fast ebenso arg.“ „Aber das wußte ja der Oberst schon?“ „Ja, aber wir hatten eben eine telephonische Botschaft vom Inspektor Mc. Lowndes -- Sie wissen, der magere Mann, der Sie gestern früh verhört hat. Seine Leute haben das Lokal herausgeschnüffelt, von dem Sie sprachen!“ „Sie haben den Feuerfresserklub gefunden?“ „Offiziell heißt er irgendwie anders -- englisch-französische Theaterfreunde oder so ähnlich. Feuerfresserklub ist nur ein Kosename unter den Mitgliedern. Ein Mann namens Hardy steht dem Ganzen vor. Die Papiere waren in Ordnung. Hardy hat nie etwas von Mirzl oder seinem Anhang gehört. Vor zwei Tagen erhielt er den Besuch der zwei Herren, die Sie beschrieben haben, Stanton und dem anderen, der unter dem Namen Müller eingeschrieben war. Sie bestellten die Logen Nr. 5 und 6 für den Abend, das war das Ganze, und alles was Hardy wußte oder wissen wollte. Der Diener konnte auch nicht viel mehr sagen. Wie es Ihnen gelungen ist, herauszukommen, war ihm ein Rätsel, da er allein die Gäste ein und aus ließ. Gegen drei Uhr morgens war er durch ein Signal aus Nr. 5 alarmiert worden, wo er sowohl die Gesellschaft von Nr. 6 wie die von Nr. 5 vorfand, mit Ausnahme von Ihnen. Er stellte eine Frage nach Ihnen an Müller, der antwortete, daß Sie drinnen seien und tanzten und solange bleiben könnten als Sie wollten. Er, Stanton und die zwei dunklen Herren, die leider etwas angeheitert waren, wollten jetzt gehen. Sie verstehen, sie hatten nun Ihre Flucht entdeckt und waren erschrocken. Der Diener half ihnen, den Maharadscha und den alten Hofdichter, von deren Identität er keine Ahnung hatte, in den Lift hinauszutragen. Unten auf der Straße bestiegen sie ein Auto, und er sah sie fortrollen. Die Autonummer sah er nicht an, und die Adresse hörte er nicht. -- Das ist das Ganze. Sie verstehen also, daß der Maharadscha in den Krallen der Gauner ist, und Sie verstehen wohl auch, was das bedeutet.“ „Erpressung?“ „Das ist das Geringste, und wir müssen leider sagen, das Günstigste. Erpressung von mir, des Hotels wegen, und vom Obersten Seiner Hoheit wegen. -- Ach, wenn ich doch diese Menschen nie in das Hotel gelassen hätte!“ Der Direktor murmelte etwas, das Allan nicht hören konnte, aber das er ohne Zögern als einen energischen Fluch agnoszierte. Allan wollte noch einige Fragen stellen, aber plötzlich eilte der Direktor auf und davon, ohne auch nur guten Abend zu sagen. Allan ließ sich auf einem Fauteuil in der Halle nieder, bestellte einen Whisky mit Soda und fing an, die letzten Nachrichten zu überdenken. Einiges davon war ihm noch unklar, infolge der abrupten Art des Direktors, die Konversation abzuschließen. Hatte die Polizei die Angelegenheiten dieses Klubs nicht gründlicher durchwühlt? Kannte Hardy die Herren Stanton und Müller als Klubmitglieder? In diesem Falle mußte er doch ihre Adresse wissen. Suchte die Polizei sie durch das Auto aufzuspüren? Allan ging zu Bett, ohne den Direktor wiedergesehen oder eine Antwort auf diese Fragen gefunden zu haben. Bowlbys waren an diesem Abend eingeladen; in ihrer Suite wurde Wache gehalten, um einer Wiederholung von Herrn Mirzls Besuch vorzubeugen. Der nächste Tag war ebenso arm an Ereignissen, als ein paar der vorangegangenen reich daran gewesen waren. Der Maharadscha war und blieb verschwunden, und kein Wort von Erpressung kam von seinen Entführern. Gegen sieben Uhr morgens sah Allan den Obersten wieder und fühlte eine Anwandlung von Mitleid mit dem alten Herrn, so verstört und nervös sah er aus. Kurz darauf, während er am Eingang des Speisesaales stand und mit Mr. Bowlby plauderte, kam der Direktor vorbei. „Wenn die Schurken doch wenigstens schreiben und ihren Preis sagen wollten,“ rief er. „Der arme alte Morrel wird noch verrückt, wenn nicht bald Nachrichten eintreffen.“ Allan benutzte die Gelegenheit, seine Fragen zu stellen. Der Direktor zuckte die Achseln, und die Worte überkollerten sich förmlich in seinem Munde. „Untersuchungen! Natürlich tut die Polizei was sie kann, aber man weiß ja, wieviel das ist! Dem Auto wird nachgespürt, Hardy und der Diener sind heute ein halbes Dutzend mal verhört worden, und man hat die Klubliste mit Argusaugen durchgesehen. Natürlich hatten Stanton und Müller, seit sie sich einschrieben, ihre Adressen ein dutzendmal gewechselt, und keine Menschenseele weiß, wo sie sich aufhalten. Der Mann, der sie in den Klub, der eigentümlicherweise verdammt heikel ist, eingeführt hat, war ein französischer Baron, de Citrac oder so irgendwie --“ „De Citrac!“ Allan zuckte zusammen. „Kennen Sie den Namen, Mr. Bowlby? Der Mann, der nach dem, was Mrs. Bowlby erzählt hat, in Amerika mit Mrs. Langtrey geflirtet hat! Seien Sie sicher, de Citrac ist kein anderer als Mirzl in höchsteigener Person!“ Der Direktor und Mrs. Bowlby starrten ihn an, und Mr. Bowlby ließ ein schrilles, reich moduliertes Expreßsignal als Ausdruck seiner Gedanken ertönen. „_By Jove!_ Sie haben recht, junger Freund! Sicher! Sie haben recht! Ich fühle es!“ Der Direktor zuckte die Achseln. „Auf jeden Fall, behauptet Hardy, daß er steinreich ist und zwei, drei Schlösser in Frankreich hat. Und wenn das auch unwahr ist, so hilft das jetzt nicht viel, wo es so eilt, des armen Morrels wegen. Es wäre eine Gnade des Himmels, wenn die Schurken schreiben und ihren Preis angeben wollten, das sage ich, wenn es auch feige klingt.“ Mrs. Bowlby war nicht so sehr von Mitleid mit dem Maharadscha und seinem Mentor erfüllt wie der Direktor, als man beim Diner die Debatte wieder aufnahm. „Der arme Oberst! Hätte er besser auf das Untier aufgepaßt. +Er+ müßte doch wissen, wie er ist. Wenn man hundertfünfzig zum täglichen Gebrauch hat, gewöhnt man es sich nicht so plötzlich ab. Sie können sagen, was Sie wollen, Mr. Cray, ich +weiß+, daß er in diesem Lokal in Damengesellschaft war. Helen, mein Kind, höre nicht zu, was ich sage.“ „Nein, Mama.“ „Und Langtreys Frau! Denken Sie, diese dickschädligen Detektivs wollten nicht einmal auf das hören, was ich ihnen über sie sagte! Unschuldig! Natürlich ist sie unschuldig, weil sie lange Haare hat. Ich kenne die Männer. Sie hat den Verbrechern rapportiert, daß John Mr. Cray zu sich eingeladen hat. Bitte stellen Sie das nicht in Abrede, Mr. Cray.“ „Nein, Mrs. Bowlby. Sie haben gehört, daß ein Baron de Citrac Mirzls zwei Helfershelfer in den Feuerfresserklub eingeführt hat?“ „In das Lokal!“ „Ja. Und glauben Sie nicht, daß de Citrac und Mirzl eine und dieselbe Person sind?“ „Sicher!! Sie sind genial, Mr. Cray. Sicher! Dann bedauere ich Mirzl. Er war mir früher eigentlich nicht so unsympathisch, aber wenn er einen solchen Geschmack hat. -- Aber +wissen+ Sie, was ich jetzt glaube, Mr. Cray?“ „Nein, Mrs Bowlby.“ „Ja, daß Langtreys Frau den Prinzen für ihre private kleine Rechnung entführt hat! Die ganze Welt weiß ja, wie sie ist, und sie -- Helen, mein Kind, höre nicht zu, was ich sage.“ „Nein, Mama.“ Allan fiel etwas ein. „Weiß jemand, ob der alte Juwelier auch heute dagewesen ist und gearbeitet hat?“ Mr. Bowlby nickte. „Er kam heute morgens wie gewöhnlich und arbeitete hier bis halb sieben. Er sprach mit dem Direktor -- mit dem Obersten ist ja nicht mehr zu reden -- und sagte, die Arbeit sei doch viel langwieriger als er geglaubt hatte. Er bat um die Erlaubnis, am Abend wieder zu arbeiten und einen Mann aus seinem Geschäfte zu seiner Hilfe mitzubringen. Der Direktor sprach mit dem Obersten, und der Oberst gab seine Einwilligung.“ „Ich kann mir denken, wie er sie formuliert hat,“ sagte Allan. Nach dem Diner verfügte man sich in die Appartements der Familie Bowlby, wo sich außer anderen Annehmlichkeiten auch ein amerikanischer Whisky vorfand, der von Mr. und Mrs. Bowlby in hohem Grade goutiert wurde, von der letzteren allerdings nur ferne von der Oeffentlichkeit. Allan blieb bis kurz vor zehn Uhr sitzen, zu welcher Stunde die amerikanische Familie erklärte zu Bett gehen zu wollen, da sie die Nacht vorher lang aufgewesen waren. Allan wurde aufgefordert, sitzen zu bleiben und sich allein zu erfrischen, aber lehnte ab und sagte gute Nacht. In die Halle gekommen, dachte er einen Augenblick nach, was er anfangen sollte. Die große Halle war leer bis auf einen Kellner und ein paar Hotelbedienstete. Er beschloß, einen Abendspaziergang zu machen und zog seinen Ulster an, der beim Garderobier hing. Gerade als er sich anschickte zu gehen, ging die Drehtüre auf, und zum Vorschein kam der alte Juwelier und ein einfach gekleideter Mensch. Offenbar hielt Herr van Schleeten Wort und erschien nun zur Nachtarbeit an den Juwelen des Maharadschas. Es war zu hoffen, daß der Maharadscha Gelegenheit finden würde, ihn für seinen Eifer zu belohnen. Allan trat beiseite, um Herrn van Schleeten und seinen Gehilfen passieren zu lassen. Er musterte sie ohne weiter daran zu denken; Herr van Schleeten erwiderte seine Blicke mit zornigem Funkeln. Was hatte er eigentlich für einen Grund Allan böse zu sein? Es war doch Allans Verdienst, daß er überhaupt in die Lage gekommen war, an den Juwelen zu arbeiten. Allan ging vorbei, mit einem flüchtigen Blick auf den Gehilfen, der durch die Pracht des großen Hotels befangen und geniert zu sein schien, er nahm nicht einmal seine tief hineingezogene Sportmütze ab. Ganz flüchtig kam Allan die Idee, daß er schon einmal ein paar graue Augen gesehen hatte, die denen des Arbeiters glichen. Dann war er zur Drehtüre hinaus und ging die breiten Marmorstufen hinunter. Er blickte zur Hotelfassade empor. In der Suite der Familie Bowlby waren noch ein paar Fenster hell. In der des Maharadscha war alles dunkel bis auf ein einziges Fenster -- offenbar eines von denen, die dem Obersten gehörten. Während Allan noch dastand und vor sich hinblickte, wurden noch zwei Fenster hell. Herr van Schleeten war also mit seinem Gehilfen oben angelangt. Allan wollte eben weitergehen, als sich etwas Eigentümliches ereignete. Eine Hand zeichnete sich seinen Augenblick von der Scheibe ab, die eben erleuchtet worden war, mit ausgespreizten Fingern. Die Finger schlossen sich, öffneten sich und schlossen sich abermals. Dann zeigten sich nur zwei davon, ganz ausgespreizt; dann verschwand die Hand. Alles war mit Blitzesschnelle gegangen. Allan, der noch dastand und hinaufsah, wußte nicht recht, ob er richtig gesehen oder das Opfer einer Halluzination gewesen war. Herrn van Schleetens guter Name und Ruf war ja von keinem Geringeren als dem Direktor des Hotels bezeugt worden. Aber wie sollte diese Hand an der Scheibe aufgefaßt werden, wenn nicht als ein Signal für jemanden draußen? Und warum signalisiert man jemandem draußen, wenn man das ganze Personal eines großen Hotels zur Verfügung hat? Bei aller Achtung vor dem Direktor ... Allan machte mit philosophisch gerunzelter Stirne einige Schritte der Hotelfassade entlang. Verwirrte Gedanken wirbelten wie Schneeflocken durch seinen Kopf. War Mirzl im Komplott mit Herrn van Schleeten? Erst eine halbe Minute nach dem Verschwinden der geheimnisvollen Hand fiel ihm etwas ein, das doch ganz selbstverständlich war: +Wenn+ man von dem beleuchteten Fenster aus signalisierte, in der Hoffnung, von jemand draußen verstanden zu werden, so mußte dieser Jemand in der Nähe sein, um das Signal aufzufangen. Er begann sich auf dem ziemlich matt beleuchteten Square, an dem das große Hotel gelegen war, umzusehen. Massen von Menschen strömten vorbei, obgleich Monmouth Square nicht zu den belebtesten gehört. Die Person, der man eventuell signalisiert hatte, mußte also vor dem Hotel stehen und warten. War irgendeine mystische stationäre Person da? Soweit Allan sehen konnte, war das einzige Stationäre fünf oder sechs Autos. Nun, nichts hinderte ja, daß es eines von ihnen war, dem man ... Allan fuhr mit einem innerlichen Triumphschrei auf. Haha! War das der kleine Plan? War Herr van Schleeten mit im Komplott? Oder war er nur eine Marionette, an der man mit dem Faden manövrierte, von dem sie sich am liebsten lenken ließ? Mr. Bowlby hatte ja von seiner Schwäche für das schöne Geschlecht gehört und erzählt -- war Mrs. Langtrey in Kenntnis dessen und in spezieller Absicht im Expreß so gnädig gegen ihn gewesen und so aufgebracht gegen Allan, der ihr Tete-a-tete zu stören drohte? ... Und war es denkbar, daß ihm darum die grauen Augen des Gehilfen so bekannt vorgekommen waren? Ein Schwarm von Gedanken, deren Ausgangspunkt der letztgenannte war, summte durch Allans Kopf. Und nachdem er rasch die Ueberzeugung erlangt hatte, die sowohl seine Eigenliebe wie seine Revanchelust kitzelte, daß er recht hatte, blieb nur eine Frage: Was sollte er tun? Er ging auf dem Trottoir auf und ab, die Augen bald auf das erleuchtete Fenster geheftet, wo jetzt keine Hand zu sehen war, bald auf die Leute, die vorbeipassierten, um den eventuellen Mitschuldigen zu entdecken. Der Direktor? Ihn aufsuchen? Er würde unfehlbar ausgelacht werden. Der Direktor hatte seinen Glauben an Herrn van Schleeten zu energisch betont, als daß er seinen Standpunkt auf eine unbegründete Einbildung eines jungen Herrn wie Allan ändern würde -- wenn es sich auch schon erwiesen hatte, daß Allan glückliche Einfälle haben konnte. Denn vielleicht war es doch nur eine unbegründete Einbildung, daß es nicht ein Arbeiter war, der mit Herrn van Schleeten hinaufgegangen war, das Signal, das Ganze. Was konnten die Betreffenden eigentlich gegen Herrn van Schleeten unternehmen, +wenn+ Allan recht hatte? Es stand ja eine Wache vor dem Eingang. Ein neuer Gedanke ließ Allan zusammenzucken. Was ihn hervorgerufen hatte, war nichts anderes, als der Anblick von Oberst Morrels Fenster, wo noch Licht brannte. Der Oberst! +Der+ ließ an Bereitwilligkeit nichts zu wünschen übrig, jeden, wer es auch sein mochte, zu verdächtigen -- vermutlich in erster Linie Allan! ... Aber ohne die Zeit mit weiteren Erwägungen zu verschwenden, ob ein anderer Weg geeigneter wäre, oder wie dies ausgehen würde, stürzte Allan die Eingangstreppe des Hotels hinauf und weiter zur Suite des Maharadschas. Er sah die schwarze Leibgarde, die in dem Korridor vor den Räumen, die ihr Herrscher inne hatte, Wache hielt. Das Zimmer des Obersten lag am äußersten Ende des Korridors, und davor stand ein Mann in Livree mit einem Syphon und einer Flasche Whisky auf einem Tablett; er stand, den Knöchel an der Türe, als wenn er eben angeklopft hätte. Offenbar wollte der Oberst versuchen, seine Kümmernisse in einem kleinen Abendrausch zu ertränken. Im selben Augenblick, in dem der Mann die Türe öffnete, stand Allan auch schon davor. „Ich muß mit dem Herrn Oberst sprechen!“ rief er und faßte den Mann am Arm. Der Livrierte betrachtete ihn kalt. „Der Herr Oberst empfängt nicht um diese Tageszeit,“ sagte er und versuchte, sich aus Allans Griff zu befreien. Aber Allan hielt sich fest wie an einer Rettungsboje. „Sie werden es zu verantworten haben, wenn Sie sich weigern, mich anzumelden. Hören Sie, zu verantworten! Mein Name ist Allan Kragh, der Oberst weiß, wer ich bin. Hören Sie!“ Allan konnte nicht zu Ende sprechen. Oberst Morrel zeigte sich plötzlich in der Türöffnung, leichenblaß vor Erregung. Es war unverkennbar, daß der Whisky, den der Bediente jetzt brachte, nicht der erste war, den er heute sah. Es fiel ihm schwer, gerade zu stehen, und seine Augen, die Blicke wie Lanzen um sich schleuderten, konnten nur schwer damit zielen. Als er Allan erblickte, stieß er ein Tigergebrüll aus. „Sie! Was zum Teufel tun Sie hier? Ist es Ihnen gelungen die Juwelen zu stehlen oder haben Sie Nachrichten von Ihren Kameraden, was sie für den Maharadscha bezahlt haben wollen?“ Allan verzichtete auf alle Umschweife. „Oberst Morrel, ich denke nicht daran, auf Ihre Insinuationen zu antworten. Falls es Sie interessiert, daß man wahrscheinlich gerade heute abend die Juwelen zu stehlen beabsichtigt, so wissen Sie es jetzt. Gute Nacht!“ Der Oberst war mit einem Sprung zur Türe hinaus und packte Allan am Arm. „Gute Nacht! Was zum Henker meinen Sie? Gedenken Sie die Juwelen heute nacht zu stehlen, und kommen Sie, um mir das im vorhinein zu erzählen! So wahr mir Gott helfe, Sie werden ...“ Allan heftete einen Blick auf den alten Krieger, der ihn tatsächlich dazu brachte, Allans Arm loszulassen und mitten im Satze zu verstummen. Er starrte einen Augenblick um sich und sah dann Allan an. „Was zum Teufel haben Sie gesagt?“ murmelte er undeutlich. „Was ich Ihnen gesagt habe, Oberst Morrel, war, daß ich glaube, daß man heute nacht den Versuch zu machen gedenkt, die Juwelen zu stehlen. Sie hören, +heute nacht+? Vielleicht gerade jetzt, vielleicht in einer Stunde. Ich weiß es nicht bestimmt, aber ich glaube es. Interessiert Sie das genügend, um diesen Whisky zurückzuschicken?“ Der Oberst richtete sich heftig auf, aber senkte dann wieder den Blick. „Nimm das weg, John,“ sagte er. „Heute abend nichts mehr! Kommen Sie herein, junger Mann.“ Er wies den Weg in sein Zimmer, ging in das Badezimmer und fuhr sich ein paarmal mit einem Schwamm über die Stirn. Dann kam er wieder zu Allan heraus. „Rauchen Sie?“ sagte er „Nicht? Erzählen Sie mir, was Sie zu wissen glauben.“ Allan ging, so langsam und deutlich er konnte, die wenigen Tatsachen durch, auf die er seine Theorie stützte. Der Oberst hörte mit gerunzelter Stirne zu. Ein paarmal zeigten seine Augen, daß es ihm schwer fiel, die Gedanken zusammenzuhalten. Allan wiederholte, bis er glaubte, das Ganze klargelegt zu haben. Als er zum Schlusse gelangt war, schüttelte der Oberst den Kopf. „Ich will Sie nicht beleidigen,“ sagte er. „Das habe ich wohl schon oft genug getan. Aber ... ist das Beweismaterial für Ihre Theorie nicht recht mager im Verhältnis zur Theorie selbst?“ „Ganz wie Sie sagen. Aber wie erklären Sie sich die Hand?“ „Ein Zufall. Und wenn Ihre Theorie wahr wäre, was könnte eine Frau tun? Van Schleeten ist doch kein Kind. Und wie sollte sie mit ihrer Beute wieder hinauskommen?“ „Das kann ich Ihnen nicht sagen; aber van Schleetens Eifer zu arbeiten, sogar um diese Tageszeit?“ „Er wurde dazu von Sr. Hoheit besonders aufgefordert. Und er erklärte sich schon damals zur Nachtarbeit bereit, lange vor dem ersten Attentat.“ Allan senkte den Kopf und überlegte. Der Oberst hatte recht. Seine Theorie war phantastisch, aber dennnoch ... Er wendete sich dem alten Krieger zu. „Oberst Morrel!“ sagte er. „Ich verlange von Ihnen nichts anderes, als eine einfache Probe. Sie verstehen, die Sache geht mich doch eigentlich gar nichts an. Aber gehen wir in das Zimmer, wo van Schleeten arbeitet, und sehen wir, ob dort alles mit rechten Dingen zugeht. Oder gehen nur Sie hinein! Das können Sie ja, ohne das mindeste Aufsehen zu erregen.“ Der Oberst überlegte. Ein paarmal zuckte er die Achseln, und Allan glaubte schon das Spiel verloren zu haben, als er plötzlich von seinem Sessel aufsprang. „_All right!_“ sagte er. „Es wäre unverzeihlich von mir, Ihnen nicht diese einfache Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich gehe gleich hinüber. Sie können mir nachkommen, wenn Sie wollen, so daß Sie ins Zimmer hineinsehen können. Mit hinein möchte ich Sie nicht nehmen, Sie verstehen doch.“ Sie verließen das Zimmer des Obersten unter gegenseitigen Höflichkeitsbezeigungen -- Allan wollte den alten Herrn vorangehen lassen, und dieser wollte seinem Gast diese Ehre geben. Schließlich gewann Allan mit seiner schwedischen höflichen Beharrlichkeit das Spiel. Einige Schritte über den dicken orientalischen Teppich des Korridors, und sie waren an der Türe des Zimmers, das Herr van Schleeten überlassen worden war. Die schwarze Leibwache schulterte bei dem Anblick des Obersten ihre krummen Yatagans. Dieser richtete in einem krächzenden Dialekt einige Worte an sie. „Ob sie etwas Verdächtiges gehört haben,“ wendete er sich erklärend an Allan. „Nun, haben sie das?“ „Nein. Aber nehmen wir die Untersuchung nur vor.“ Er faßte die Türklinke. Die Türe war verriegelt. Bevor Allan es verhindern konnte, hatte er die Hand gehoben und geklopft. „Oberst Morrel!“ flüsterte Allan. „Was tun Sie? +Wenn+ nun --“ Er konnte seinen Satz nicht abschließen. Von drinnen war keine Antwort auf das Klopfen erfolgt, und plötzlich loderte die nur schlummernde Whiskyraserei des Obersten in hellen Flammen auf. Er stieß ein Brüllen aus, riß einen der Säbel der schwarzen Krieger an sich und hatte, bevor Allan noch wußte, wie ihm geschah, den Türspiegel mit einem Hieb gespalten, der wie ein Kanonenschuß durch den Korridor dröhnte. Noch zwei Hiebe, dann warf er sich mit voller Kraft gegen die Türe. Diese stürzte krachend ein; der Oberst flog hindurch, Allan in seinen Fußstapfen und die schwarzen Krieger in einem Strom hinterdrein. Sie erhaschten eben noch sein wunderliches Bild, bevor es, von sechs aufeinander folgenden Revolverschüssen des Obersten begleitet, verschwand. Das Fenster stand offen, und über dem Fensterbrett tauchte in dem Augenblicke, in dem sie das Zimmer betraten, ein einfach gekleideter Mensch auf, oder richtiger der Kopf dieses Menschen, von einer grauen Sportmütze bedeckt. Er verschwand gerade, als sie über die Schwelle kamen, über den Rand des Fensterbrettes, von sechs Revolverkugeln des Obersten gefolgt, und Allan konnte sich noch nicht recht von seinem Staunen erholen, wie er da verschwinden konnte, als er auch schon am Fenster stand und die Lösung hatte. Eine feine Strickleiter fiel die Hausmauer entlang bis auf das Trottoir hinunter; die Person, die sie verschwinden gesehen, war schon unten angelangt; und gerade, als Allan und Oberst Morrel das Fenster erreicht hatten, kam das Ueberraschendste in dieser blitzschnellen Folge von Ereignissen. Der Flüchtling, der mit schlangenhafter Geschmeidigkeit die Strickleiter hinuntergeklettert sein mußte, und nunmehr, offenbar schon ganz im klaren über den Ernst der Situation war, hatte noch Zeit, eine hastige Bewegung mit der Hand zu machen -- es war ein Zündhölzchen, das angerieben wurde. Gerade als Allan die Beine über das Fensterbrett warf um sich die Strickleiter hinunterzuschwingen, stand diese von einem Ende bis zum anderen in hellen Flammen; sie mußte wohl schon früher mit irgendeinem entzündlichen Stoff präpariert worden sein. Allan hatte gerade noch Zeit, sich über das Fensterbrett zurückzuziehen, bevor die Flammen darüber zusammenschlugen. In ohnmächtiger Wut schleuderte der Oberst seinen leeren Revolver dem Entwichenen nach. Er fehlte, und binnen einer Sekunde war der Flüchtling in einem schwarzen blanken Auto, das aus dem Nichts aufzutauchen schien ... Allan und der Oberst wendeten sich einander zu, und ihre Augen riefen dasselbe Wort: Zu spät! -- als sie beide etwas erblickten, das ihren Gedanken eine andere Richtung gab. Und dieses etwas war Mynheer Jan van Schleeten, der berühmte Juwelenspezialist, der sich in einer Ecke des Zimmers auf dem Ellbogen von einer Chaiselongue aufrichtete und mit abwesenden Augen und offenem Munde um sich starrte. Neben ihm stand ein Werkzeugtisch und eine Mahagonikassette, die von glänzenden Edelsteinen überquoll. Und die ersten Worte, die Herr van Schleeten sagte, waren: „Sie! Wo ist sie?“ Jetzt war Allan Herr der Situation. Mit zwei Schritten war er bei Herrn van Schleeten; er nahm ein durchtränktes Taschentuch von der Brust dieses Herrn und schwenkte es gegen den Obersten: „Sehen Sie, Oberst Morrel, was ein schwaches Weib vermag! Chloroform genug für ein Roß! Jetzt gilt es zu sehen, ob wir noch zurecht gekommen sind oder nicht. Herr van Schleeten, auf, helfen Sie uns, und denken Sie daran, daß Ihre Ehre und Ihr Name auf dem Spiele steht!“ Der alte Holländer erhob sich von der Chaiselongue, wankend wie ein Schwertrunkener. Der Oberst war nach der Flucht des Verbrechers plötzlich in einen Zustand der Lethargie versunken und starrte ratlos um sich. Allan mußte das ganze in die Hand nehmen. „Wollen Sie dafür sorgen, daß wir etwas Kaffee heraufbekommen, Oberst Morrel!“ rief er. „Sie sehen, in welchem Zustande Herr van Schleeten sich befindet. Starker Kaffee, das ist das einzige, was ihn auf die Beine bringen kann.“ Der Oberst murmelte einem Mann von der schwarzen Leibwache einige Worte zu, und dieser stürzte davon; eine Minute später goß Herr van Schleeten mit Allans Hilfe eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffee hinunter. Das erste, was er dann tat, war, sich aufzurichten und Allan anzustarren. „Sie kenne ich,“ sagte er mit lallender Stimme. „Sie sind -- Sie sind ein Verbrecher.“ „Mund halten, Kerl,“ schrie der Oberst, plötzlich aus seiner Betäubung erwachend. „Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß dieser junge Mann gekommen ist! Sonst säßen Sie morgigen Tags hinter Schloß und Riegel.“ Herr van Schleeten starrte ihn mit stumpfen Blicken an. „Aber ich sah ihn doch,“ murmelte er, „sah ihn doch auf einer Station -- wie hieß sie nur? -- ja -- K--köln -- und da wurde er arre--arretiert. Er hat n--nämlich --“ „Trinken Sie Ihren Kaffee aus, und halten Sie den Mund!“ brüllte der Oberst. „Und dann zur Kassette, und sagen Sie uns, wieviel fehlt!“ Es verging noch eine Weile, bis es Herrn van Schleeten gelang, diese drei Wünsche zu erfüllen. Die Untersuchung der Mahagonikassette nahm lange Zeit in Anspruch, eine Zeit, während der Allan unten war und einen verstörten Nachtportier an die Polizei telephonieren ließ. Aber als er wieder heraufkam, hatte er die Befriedigung, daß Oberst Morrel ihm entgegenstürmte; der Oberst packte seine beiden Hände, es schien nicht viel zu fehlen, und er hätte sie geküßt. „Die Fassungen sind zu groß und hinderlich gewesen, und sie hat es zu eilig gehabt!“ schrie er. „Es ist möglich, daß eins der Diademe fehlt, aber mehr nicht. Darauf schwört der verdammte Holländer. Ganz richtig, diese kleine listige Hexe von einer Abenteuerin hat ihn bestrickt, und ihr Streich wäre ihr gelungen, wenn nicht Sie --“ Allan versuchte ihn mit schwedischer Bescheidenheit zu unterbrechen. Es dauerte noch lange, bis er diese Nacht ins Bett kam. Denn einerseits mußten alle von dem erschienenen Detektivinspektor Mr. Mc. Lowndes in aller Form verhört werden (nach welchem Verhör Herr van Schleeten die Heimfahrt in Gesellschaft eines Detektivs antreten durfte); andererseits wollte Oberst Morrel nicht zu Bett gehen, ohne seinen morgigen Katzenjammer durch eine Flasche Champagner mit Allan verschärft zu haben. Zu Ende dieser Flasche erklärte er ohne alle Einschränkungen, daß er seines Wissens noch nie einem Menschen begegnet war, auf dessen Stirn alle guten Eigenschaften sich ein so harmonisches Stelldichein gegeben hatten wie bei Allan. * * * Allan wurde am nächsten Morgen gegen zehn Uhr in seiner Morgentoilette dadurch unterbrochen, daß Mr. Bowlby höchst unzeremoniös die Türe zu seinem Zimmer aufriß. Was er zu verkünden hatte, war nichts Geringeres, als daß Yussuf Khan und der alte Ali am selben Morgen gegen halb sieben Uhr im Viktoria-Park im East End in vollkommen bewußtlosem Zustand aufgefunden worden waren, jeder mit der aufgeklebten Etikette versehen: Abzugeben Grand Hotel Hermitage. Allan hatte noch nicht zu Ende gefragt -- Mr. Bowlby wußte übrigens kaum mehr als die Tatsache, die er vom Direktor erfahren hatte -- und selbst noch nicht mehr erzählt als die Konturen der Ereignisse der Nacht, als eine neue Sensation über ihn hereinbrach. Noch immer von Mr. Bowlby begleitet, ging er in das Bankkontor des Hotels hinunter, um einige Pfund seines deponierten Geldes zu beheben. Der junge Mann hinter dem Schalter starrte ihn einen Augenblick an und fragte ihn dann mit halb erschrockenem, halb mißtrauischem Gesichtsausdruck, ob er denn vergessen habe, daß er erst vor einer Stunde dagewesen war und sein ganzes Guthaben an der Kasse behoben hatte. X Die Nachwirkungen einer tollen Nacht auf Fürsten und Poeten Allan starrte Mr. Bowlby an und Mr. Bowlby Allan. Dann gab er ein Expreßsignal von sich, das wie ein Schwert durch alle Stockwerke des Hotels ging und klang wie: Lebensgefahr, alle Bremsen anziehen, augenblicklich stoppen! „Schon wieder Mirzl! _By Jove!_“ Endlich fand Allan die Stimme wieder und wendete sich an den Beamten. „Kann ich mit Ihrem Chef sprechen?“ „Im Augenblick bin ich allein hier, Sir, aber wenn Sie es wünschen, kann ich den Hoteldirektor anrufen. Ich sehe ja, daß da etwas nicht klappt, obwohl ich es nicht verstehe.“ „Danke, rufen Sie ihn sofort.“ Drei Minuten später kam der Direktor in das Kontor gestürzt. Es war schon von weitem unverkennbar, daß er nicht in rosiger Laune war, und die Aeußerung, die er in der Türe Mr. Bowlby zuwarf, verriet sofort die Ursache. „Weiß Gott, warum ich Sie je gebeten habe, aus Ihrer Wohnung auszuziehen, Mr. Bowlby!“ „Gibt es etwas neues?“ „Neues! Nichts anderes, als daß ich diesen Morgen vier Dutzend Journalisten hinter mir her habe. Die Wiederauffindung des Maharadschas im East End in einem solchen Zustande war in zehn Minuten in Fleet Street verbreitet. Die dummen Polizisten, die ihn fanden, hatten natürlich nicht den Verstand, das Maul zu halten ... Und dazu ein Loch im Boden, das geflickt werden muß -- und eine Türe, vom Obersten ärger zugerichtet als der Birnbaum von George Washington. Ein Vergnügen, feine Gäste zu haben, was?“ „Sie haben auch heute Morgen feine Gäste hier gehabt, ohne daß Sie es wissen,“ sagte Mr. Bowlby. „Hören Sie nur!“ Und er erzählte, was Allan widerfahren war. Der Direktor starrte ihn an, wie ein Gespenst. Schließlich stammelte er: „Also ... was meinen Sie? Wer ist hier gewesen?“ „Mirzl! Sie wissen doch, daß er meinem jungen Freunde die Hälfte seines Geldes abgenommen hat, als er sich das erstemal konterkarriert sah. Woher er weiß, daß der Rest hier deponiert wurde, kann ich nicht verstehen.“ „Es ist vielleicht nicht so schwer zu erklären,“ sagte Allan. „Sie sagen (er wendete sich an den Bankbeamten), daß ich vor einer Stunde hier war und mein ganzes Guthaben behoben habe. Erzählen Sie, wie das zuging.“ Der junge Bankbeamte warf einen scheuen Blick auf den Direktor und begann: „Es war eben, als ich öffnete. Da kam ein Herr herein, der Ihnen aufs Haar ähnlich sah, Sir, und wendete sich an mich: ‚Wieviel habe ich doch hier deponiert?‘ ‚Ihr Name, Sir,‘ sagte ich der Form wegen, denn ich erkannte Sie ja ganz gut, Sir. ‚Am besten, ich buchstabiere ihn Ihnen vor,‘ sagte er und lächelte. ‚Allan K--r--a--g--h. Schwer, den Namen auszusprechen.‘ ‚_All right_, Sir,‘ sagte ich und schlug im Buche nach. ‚Sie haben etwas über fünftausend schwedische Kronen deponiert -- dreihundert englische Pfund.‘ ‚Es ist gut, ich nehme sie heraus,‘ sagte er, ‚geben Sie mir eine Quittung, dann werde ich unterzeichnen.‘ ‚Sie haben den Depotschein, den Sie seiner Zeit bekamen, nicht bei sich, Sir?‘ fragte ich. Er suchte in seinen Taschen. ‚Na aber! den muß ich in meinem anderen Anzug vergessen haben. Aber wenn ich einstweilen hier quittiere, kann ich ihn ja später bringen.‘ ‚_All right_, Sir,‘ sagte ich, denn ich dachte ja mit keinem Gedanken daran, daß es jemand anderes sein könnte, als Mr. Kragh. Und die Schrift war ...“ „Der Teufel soll das ganze holen!“ schrie der Direktor. „Ich werde schon bald ebenso verrückt, wie der Oberst. Journalisten, Einbruchsdiebe, andere Diebe, schwarze Regenten, die um sechs Uhr früh in öffentlichen Parks gefunden werden -- man kann ja toll werden! Von heute an müssen die Leute sich einem Polizeiverhör unterziehen, bevor sie die Nase zur Türe meines Hotels hereinstecken dürfen!“ Mr. Bowlby fiel ihm ins Wort. „Sie sollten ein bißchen dankbarer gegen meinen jungen Freund aus Schweden sein,“ sagte er. „Er hat nun schon zweimal die Diebstähle beim Maharadscha verhindert ...“ „Dann sollte er zum Teufel doch auch die Diebstähle bei sich selbst verhindern,“ rief der Direktor. „Dankbar! Gewiß bin ich dankbar. Wieviel hatten Sie doch in englischer Münze?“ „Fünftausendvierhundert in schwedischer -- dreihundert englische Pfund,“ sagte Allan kurz. „Bitte, machen Sie sich keine Gedanken darüber, Herr Direktor. Aber ich muß um einen kleinen Aufschub bei der Rechnung bitten, nachdem Herr Mirzl meine ganze Reisekasse übernommen hat.“ Der Direktor schüttelte ihm die Hand. „Aber, aber!“ rief er, „nehmen Sie es doch nicht übel. Mißverstehen Sie mich nicht. Natürlich ist das Hotel für deponiertes Geld verantwortlich. Aber die Umstände in diesem Falle sind solche, daß ich nicht auf eigene Hand entscheiden kann. Mißverstehen Sie mich nicht. Wenn Sie den Obersten drei Tage lang hinter sich her gehabt hätten, und heute morgen einen Schwarm von Journalisten, die Ihnen die Ohren vollschreien -- bei Gott, da kommt der Oberst. Was ist denn schon wieder geschehen? Was für ein Verbrechen ist denn jetzt im Hotel verübt worden?“ Die Miene des Obersten war wirklich nicht so sonnig, daß der Direktor mit seinen Befürchtungen nicht recht haben konnte. Immerhin erwiesen sie sich als unbegründet. „Ich hörte, daß Sie hier sind, Direktor!“ rief er. „Warum um Himmels willen lassen Sie dieses verdammte Zeitungsschmiererpack nicht hinausschmeißen?! Sie setzen mir nach wie Hunde einem Fuchs. Ob es wahr ist, daß der Maharadscha so gut wie ermordet in einem Park aufgefunden wurde? Ob es wahr ist, daß man ein Attentat auf seine Juwelen und ein anderes auf ihn selbst verübt hat? Welche Ansicht der Maharadscha über London hat? Welche Ansicht ich über das eigentümliche Attentat auf ihn habe -- -- Gentlemen, schrie ich, ich habe die unmaßgebliche Ansicht, daß Sie ein Haufen gottverdammter Vampire sind, und wenn Sie sich nicht augenblicklich packen, werde ich versuchen, sie Ihnen mit meinem Sechsläufigen klarzumachen. Die Ansicht des Maharadscha über London ist, daß es eine entzückende Stadt sein würde, wenn die Londoner nicht wären, und um sie so wenig als möglich zu sehen, pflegt Se. Hoheit jeden Morgen in aller Frühe einen Spaziergang durch die Parks in East End zu machen, wo er heute von einer bedauerlichen Schwindelattacke befallen wurde, die Anlaß zu tausend idiotischen Gerüchten gab, die nur Leute glauben können, die dumm genug sind, Zeitungen zu lesen, die von noch größeren Idioten geschrieben werden als sie selbst; und wenn Sie mit diesem Bescheid nicht zufrieden sind, meine Herren, dann können Sie mir den Bu -- --“ Die Stimme des Obersten kippte vor Gemütserregung um, ohne daß es seinen Zuhörern Schwierigkeiten bereitete, seinen elliptischen Satz zu ergänzen. Mr. Bowlby wischte sich die Augen und sagte: „Sie sollten Minister des Aeußeren sein, Herr Oberst, dann käme doch ein bißchen mehr Schwung in den diplomatischen Verkehr! Haben Sie Herrn van Schleeten heute schon gesehen?“ „Schleeten! Ich habe mit den Tintenkulis genug zu tun gehabt. Er wird schon im Laufe des Tages kommen, und dann werde ich ihm meine Meinung sagen. Heute früh ist mir etwas eingefallen. Wer beweist mir, daß Schleeten nicht mit im Spiel war? Ich glaube, das Ganze war ein Komplott, und ich werde die Detektive davon verständigen.“ „Aber Herr Oberst, einer der ältesten und angesehensten Juwe ...“ „Der sich von einer verdammten kleinen Abenteuerin in Hosen düpieren läßt. Es +war+ ein Komplott. Da können Sie Gift darauf nehmen.“ „Sie ging ja wohl nicht immer in Hosen herum, Herr Oberst. Und was sagen Sie zum Chloroform? Sie haben doch selbst gesehen, daß er betäubt dalag.“ „Als ob das nicht gerade das Komplott beweisen würde! Hat man nicht schon tausendmal gehört, wie Leute falsche Einbrüche arrangieren! Das ist mir nur nicht früher eingefallen. Das werde ich sofort den Detektiven telephonieren! -- Guten Morgen, junger Freund! Wie steht es?“ Er schien Allan erst jetzt zu bemerken. „Danke, Herr Oberst,“ sagte Allan. „Es geht mir so gut, als es einem gehen kann, wenn man eben um seine ganze Barschaft bestohlen worden ist.“ „Ihre ganze Barschaft! Das ist sie und Schleeten!“ „Ich bezweifle nicht, daß Herr van Schleeten ebenso bereit wäre, zu behaupten, daß ich und sie das Attentat heute nacht arrangiert haben. Nein, es war ein anderer ihrer Freunde, den sie in letzter Zeit auch kennen gelernt haben -- Herr Benjamin Mirzl.“ Der Oberst lauschte mit weitaufgerissenen Augen Allans Erzählung, drehte seinen weißen Schnurrbart und sprach in einigen kernigen Worten seine Ansicht über Mrs. Langtrey und Herrn Mirzl aus: „Wielange werden diese Blindschleichen die Herrschaften noch frei herumlaufen lassen? Ich glaube wirklich, dieser Mirzl ist der leibhaftige Teufel!“ Der Direktor unterbrach ihn. „Wie steht es mit Seiner Hoheit, Herr Oberst?“ Die Stirne des Obersten umwölkte sich. „Er und das andere Prachtexemplar liegen noch todbesoffen da,“ sagte er. „Weiß Gott, was die Räuber ihnen eingetrichtert haben. Der Doktor und die Krankenschwestern plagen sich schon eine Stunde lang mit Massage, Injektionen und Elektrizität ab, sie stellen sie bald auf den Kopf, bald auf die Füße, ohne daß sie sich mucksen. Der Doktor glaubt, es wird Aether oder Morphium sein oder vielleicht beides.“ „Ist es nicht eigentlich merkwürdig, daß die Verbrecher sie losgelassen haben, Herr Oberst?“ wagte Allan einzuwerfen. „Ohne den Versuch zu machen, etwas zu erpressen! Und gerade in derselben Nacht, in der ihr anderer Plan mißlungen ist!“ „Das ist mir total schnuppe,“ sagte der Oberst behaglich. „Sobald sie nur wieder die Schnauze in die Luft strecken können, geht es nach Indien zurück, da lassen Sie nur mich dafür sorgen. Ich gehe zum Minister für Indien und erzähle ihm die ganze Sache privatim. Und dann kann sich Se. Hoheit meinetwegen grün und blau protestieren, aber es gibt keinen weiteren Europa-Séjour für ihn und keine Werbungen um schöne weiße Prinzessinnen.“ Der Direktor des großen Hotels wendete die Augen mit einem Ausdruck der lebhaftesten Dankbarkeit himmelwärts und verabschiedete sich, nachdem er dem jungen Bankbeamten die Weisung gegeben, Allan auszuzahlen, was er momentan von ihm haben wollte. Allan wendete sich an den Obersten. „Kann man die Patienten sehen, Herr Oberst?“ „Noch nicht, junger Freund. Jetzt muß ich selbst hinauf und sie ein wenig beaugapfeln. Wir treffen uns noch!“ Er stürzte davon. Mr. Bowlby sah auf seine Uhr. „An der Zeit, etwas zu essen,“ sagte er. „Kommen Sie, wir wollen doch sehen, was Susan und Helen machen.“ Sie fanden Mrs. Bowlby und Miß Helen im Salon der Familie Bowlby. Mrs. Bowlby trug eine purpurfarbene Toilette, die ihr eine frappante Aehnlichkeit mit einem brasilianischen Kakadu gab. „Nun endlich!“ rief sie. „Wo hast du dich so lange herumgetrieben, John? Ich und Helen, wir vergehen ja schon vor Neugierde. Was ist also geschehen? Ist es wahr, daß man das Untier halb tot von Ausschweifungen auf der Straße gefunden hat? Die Dienerschaft sagt es. Und den alten grauhaarigen Wüstling? So erzähle doch, John! Und der Dritte aus der sauberen Gesellschaft soll ja einen Anfall von Delirium gehabt haben, er hat die Leibwache niedergemetzelt und große Löcher in den Fußboden und die Wände gestoßen? So erzähle doch, John!“ „Sobald du mich läßt, liebe Susan. Der Ma...“ „Es ist also wahr, natürlich! Halbtot von Ausschweifungen! Helen, du solltest nicht zuhören, mein Kind, aber es kann ganz gut für dich sein, zu wissen, wie es die Männer treiben. Und der Oberst, John?“ „Liebe Susan, lasse mich doch zuerst nur zwei Worte über den Maharadscha sagen.“ „Natürlich, du willst ihn in Schutz nehmen!“ „Der Maharadscha, geliebte Susan, wurde heute Morgen in einem Park in East End aufgefunden, betäubt ...“ „Von Ausschweifungen!“ „Betäubt mit Aether oder Morphium von der Bande, die ihn und den alten Hofdichter geraubt haben.“ „Behaupten sie selbst, haha!“ „Behaupten sie nicht selbst, da die Belebungsversuche des Arztes bis jetzt weder beim Maharadscha, noch bei dem alten Ali gelungen sind.“ „Haha, John, du bist wirklich +zu+ naiv!“ „_All right._ Aber du hast nach dem Obersten gefragt.“ „Der gestern abend das Delirium hatte, das sagt die Dienerschaft. Ich +will+ ja zugeben, daß der arme Prinz nicht gerade von leuchtenden Beispielen umgeben war. Diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren lassen. Wenn er von einem alten Wüstling seiner eigenen Religion in entsetzliche Lokale gelockt wird und sieht, wie sich ein weißhaariger Heuchler, der sich Christ nennt, bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt, kann man ja verstehen, daß ein Mensch, von schwachem Charakter in Versuchung geraten kann. Und dann fehlt ihm doch auch die Stütze einer Frau.“ „Er hat doch hundertfünfzig, liebe Susan.“ „Solche nenne ich nicht Frauen, John, das weißt du.“ „Aber du hast es doch bisher getan, liebe Susan.“ „Weil ich die Ohren meiner kleinen Helen schonen wollte. Sie bekommt ohnehin genug zu hören, das arme Kind.“ „Geniere dich meinethalben nicht, Mama, ich weiß sehr gut, was für ein Wort du anwenden wolltest.“ „Helen!“ „Liebe Mama, es steht doch im Shakespeare und in der Bibel.“ Mrs. Bowlby wechselte das Gesprächsthema. „Wie ist es also mit dem Obersten, John? Ist er in eine Irrenanstalt gebracht worden?“ „Noch nicht, liebe Susan. Wir trennten uns eben vor einem Augenblick. Er ging zu seinen Schützlingen hinauf. Er war ein bißchen erregt nach seinen Gesprächen mit dreißig oder vierzig Reportern. Sonst befand er sich ganz wohl. Und wenn du Mr. Cray so halbwegs in Frieden erzählen lassen willst, kannst du hören, wie das mit seinem Delirium zusammenhängt. Du glaubst doch Mr. Cray?“ „Soviel ich nach zwanzigjähriger Ehe einem Mann glauben kann, John.“ „Liebe Susan, sei mir nun nicht böse, weil ich dir deine Illusionen über den Maharadscha und die beiden anderen geraubt habe. Erzählen Sie, Mr. Cray!“ Allan wiederholte seinen Bericht über das, was am vorhergehenden Abend passiert war. Mrs. Bowlby hörte halbwegs ruhig zu, bis er zu der Szene kam, die sich dem Obersten und ihm selbst im Arbeitszimmer Herrn van Schleetens geboten hatte. Da stieß sie einen Schrei aus, der der baseballspielenden amerikanischen Nation würdig war. „Der auch! Ein Schwindler! Der alte Roué! Jetzt sind die Juwelen also gestohlen?“ „Noch nicht, Mrs. Bowlby. Der Oberst und ich kamen gerade in der letzten Sekunde, um es zu verhindern, und sicherlich hat die Säbelattacke des Obersten gegen die Türe den Dieb in die Flucht gejagt.“ „Den Dieb? Sie meinen den Mitschuldigen!“ „Sie sind derselben Ansicht wie der Oberst, wenn Sie das sagen, Mrs. Bowlby. Aber sie ist, mit Ihrer Erlaubnis gesagt, nicht richtig. Es war eine Schwindlerin, die Herrn van Schleeten düpiert hatte.“ In Mrs. Bowlbys Gedankennetz trat ein Kurzschluß ein. „+Eine Schwindlerin!+ Sie haben doch gesagt, daß jemand in Männerkleidern mit ihm hinaufging?“ „Ja, aber es war doch eine Schwindlerin, Mrs. Bowlby, verkleidet.“ „In Hosen! Da würde ich doch lieber ... Helen, du siehst, wie Frauen werden können, wenn sie einmal anfangen. Tausendmal ärger als die Männer. Wer war es, Mr. Cray? Weiß man es? Eine Holländerin?“ „Eine Amerikanerin, Mrs. Bowlby. Schöpfen Sie tief Atem, bevor ich Ihnen den Namen sage.“ „Sie meinen doch nicht --“ „Ja, allerdings: Mrs. Langtrey!“ Es war offensichtlich, daß Mrs. Bowlby seiner Aufforderung in Bezug auf das Atmen nachgekommen war, denn der Ruf, den sie ausstieß, ging durch Mark und Bein. „Hatte ich also recht, Mr. Cray?!“ „Es sieht so aus, Mrs. Bowlby.“ „So etwas, dieser alte ausschweifende Schwindler läßt sich verlocken, von einem Frauenzimmer -- Helen, mein Kind, höre nicht zu was wir sprechen -- in Hosen!“ „Er ist seiner Strafe nicht entgangen, Mrs. Bowlby. Sie hat ihn chloroformiert und würde alle Juwelen gestohlen haben, wenn wir nicht rechtzeitig gekommen wären. Nun gelang es ihr zu entkommen, aber die Juwelen mußte sie im Stiche lassen. Es war ihr Glück, daß dem Obersten die Hand zitterte. Er hat ihr sechs Schüsse durch das Fenster nachgeschickt. Aber ich muß gestehen, daß ich ihre Kaltblütigkeit bewundere, die Strickleiter anzuzünden!“ „Sie sollen nie etwas bewundern, was unmoralisch ist, Mr. Cray. Und um die Juwelen ist sie also gekommen?“ „Ja, und zum Dank dafür bin ich heute durch Herrn Mirzl von dem Rest meines Geldes befreit worden.“ „_Now, demmit lively!_ Was sagen Sie?“ Allan beschrieb, was im Bankkontor passiert war. Mrs. Bowlby hörte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Als er zu Ende war, atmete sie tief und sagte: „Ich muß gestehen, dieser Mirzl ... Nein, daß er Langtreys Frau in die Krallen geraten mußte! Ich bin überzeugt, sie hat ihn auf Abwege gebracht wie diesen alten Roué von einem Juwelier.“ „Glauben Sie, sie hat ihn mit Chloroform betäubt, Mrs. Bowlby?“ „Eine Frau braucht zu so etwas kein Chloroform. Ich muß sagen, daß ich diesen Mirzl auf jeden Fall beinahe bewundern muß.“ „Sie sollen nie bewundern, was unmoralisch ...“ „Keine vorlauten Bemerkungen, junger Mann. _Demmit._ Also jetzt haben Sie es das zweitemal verhindert! Glauben Sie, er wird sich damit zufrieden geben?“ „Wahrscheinlich ist es nicht. Aber sobald der Maharadscha sich erholt hat -- die Schnauze in die Luft stecken kann, wie der Oberst sich so schön ausdrückte -- soll er wieder nach Indien zurückgebracht werden. Darauf schwor der Oberst. Und dann hat Mirzl keine Chancen mehr.“ Nach dem Lunch unternahm Allan einen Ausflug in das erste Stockwerk. Aber die schwarze Leibwache versperrte ihm den Weg mit einem wiedererkennenden Zähneblecken. Vor die Türe, die der Oberst gesprengt hatte, hatte man eine Draperie gehängt. Allan suchte sich den schwarzen Kriegern verständlich zu machen, aber sie antworteten nur mit einem Wort, von dem Allan schließlich begriff, daß es +Oberst+ bedeute. Der Oberst hatte offenbar allen den Zutritt verboten. „Lassen Sie mich mit dem Oberst sprechen,“ sagte er. Sie schüttelten den Kopf und sagten irgend etwas Unverständliches, als sich im selben Augenblicke eine Türspalte öffnete und ein blasser Kopf im Turban sichtbar wurde. Es war der alte Ali. „Verehrungswürdiger Poet,“ rief Allan. „Lassen Sie mich hereinkommen und Ihnen die Hand drücken! Wie geht es Ihnen? Erinnern Sie sich meiner nicht aus dem Hause der Tausend Freuden, auch Feuerfresserklub genannt?“ Der alte Hofdichter fuhr sich über die Stirne. „Das Haus der Tausend Freuden war ein vermummter Eingang zum Palast der Plagen,“ sagte er. „Es kommt mir nun vor, daß ich mich Ihrer erinnere, junger Mann. Von Ihnen hat man uns gesprochen! Sie waren es, dem es gelang, von diesen Söhnen Scheitans zu flüchten und es zu verhüten, daß die Juwelen meines Schülers gestohlen wurden.“ „Es war meine Wenigkeit,“ sagte Allan. „Kommen Sie also herein, und seien Sie gesegnet! Nicht so sehr von mir -- denn was sind wohl Juwelen anderes als farbiger Kies? -- aber von meinem Schüler, dessen Herz in jugendlicher Torheit von den vielfarbigen Lichtnebeln dieser Welt erfüllt ist, von denen diese Steine ein Symbol sind. Beim Propheten, mein Kopf schmerzt. Seit Jamshyd König von Kaikobad war, hat es einen solchen Rausch nicht gegeben, der große Richter sei mir gnädig. Kommen Sie herein!“ Allan passierte ein Spalier von Säbeln. Drinnen fand er den Mann, um den so viele Intrigen gesponnen waren, in derselben Stellung liegen, wie er ihn zuletzt im Feuerfresser-Klub gesehen, auf einem Diwan ausgestreckt, aber mit einem bedeutend matteren und weniger freudigem Lächeln als damals. In der halbgeöffneten Türe zu einem inneren Zimmer sah er eine Krankenpflegerin. Bei Allans Eintritt hob Yussuf Khan beide Hände zum Gruß. „Seid mehr als tausendmal gegrüßt!“ sagte er mit schwacher Stimme. „Verzeiht mir, daß ich mich nicht erhebe, edelster der Sahibs. Man hat es mir verboten. Sagt, was Ihr als Belohnung für das, was Ihr an mir getan, wünschet! Sprecht frei!“ „Wir wollen ein andermal darüber reden,“ sagte Allan, „es ist mehr dem Zufall als mir zu verdanken, daß den Verbrechern ihr Anschlag mißlungen ist. Lassen Sie mich lieber hören, was für Abenteuer Ew. Hoheit und dieser verehrungswürdigste der Dichter, seit wir uns zuletzt sahen, erlebt haben.“ Der alte Ali sank auf einen Stuhl, nachdem er Allan einen hingestellt hatte. „Setzen Sie sich,“ sagte er. „Ich bin, wie mein Schüler, ermattet von der Behandlung, der die Söhne Scheitans uns unterworfen haben. Nach dem, was mir Oberst Morrel Sahib sogleich, als ich hier wieder zum Leben erwachte, anvertraute, habe ich für immer meinen guten Namen und meinen Ruf verwirkt. Mit Recht sagt der göttliche Zeltmacher von sich selbst: Gurt, Kleid und Seele, alles, was mir teuer, Gab ich als Pfand dem Schenken-Ungeheuer. Nun denn, so bin ich frei von Furcht und Hoffen Und los von Erde, Wasser, Luft und Feuer. Dasselbe sagte Oberst Morrel Sahib von mir, nur nicht in so melodischer Sprache wie der göttliche Omar. Ich weiß kaum, was ich erlebt habe, junger Freund, und noch weniger, was mein Schüler erlebt hat. Von dem Augenblicke, wo ich ihn mit mildem, freundlichem Lächeln um die Lippen auf einem Diwan im Hause der Freuden ausgestreckt sah, habe ich ihn nicht wieder gesehen, bis ich heute die bleischweren Augenlider in diesem Zimmer aufschlug. Da war ich von weißgekleideten jungen Frauen umgeben, die mich rieben, so wie der Wucherer sein Gold reibt und beinahe noch eifriger. Außerdem befanden sich im Zimmer ein weißgekleideter Hakim (Arzt) und mein Schüler sowie Oberst Morrel Sahib, der mir sofort sagte, ich sollte geköpft und vor den Stadtmauern Nasirabads aufgehängt werden, als milde Strafe für meine Untaten, für die es in der Sprache der Sahibs gar keinen Ausdruck gibt.“ „Wo ist Oberst Morrel jetzt?“ warf Allan ein. Er konnte sich die Suada des Obersten vorstellen. „Oberst Morrel Sahib ist ausgegangen, um mit dem Minister für Indien über wichtige Angelegenheiten zu sprechen, die er uns andeutete. Mein Schüler und ich, die wir unseren guten Namen und unseren guten Ruf in dieser Stadt verloren haben, die noch nie von ähnlichen Dingen gehört hat, sollen so still und verschwiegen als möglich wieder heimgebracht werden. Das will Oberst Morrel Sahib als eine Gnade vom Minister zu erwirken trachten, der beabsichtigt hat, uns ohne Turbans und mit geschorenen Köpfen fortzujagen.“ „Aber erinnern Sie sich an nichts aus dem Feuerfresser-Klub bis heute?“ rief Allan. „Das ist ja drei Tage her!“ „Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „ich bin ein rechtgläubiger Anhänger des Propheten und habe stets getrachtet, mich unbefleckt von den Irrlehren zu erhalten, die an Nirwana und ähnliche Einfälle einer irregeleiteten Phantasie glauben. Aber wenn ich an den Zeitraum zurückdenke, den Sie eben erwähnt haben, fühle ich eine bedauerliche Neigung zu glauben, daß die Reden dieser Irrlehrer doch etwas für sich haben, so vollständig erloschen war mein Bewußtsein in dieser Zeit, von der Sie sagen, daß sie drei Tage währte. Und mein Schüler, den ich nach seinen Erfahrungen befragt habe, sagt für seine Person das gleiche aus.“ „Das ist wahr,“ kam Yussuf Khans Stimme vom Sofa. „Was mein Lehrer sagt, ist wahr wie der Koran. Ich erinnere mich an nichts anderes, als an eine große Dunkelheit, in der ich auf einem unruhigen Meer zu treiben glaubte und von bösen Träumen gequält wurde. Plötzlich faßte jemand meine Seele, wie man einen Ertrinkenden faßt, und als ich den Kopf wieder über das schwarze Meer hob, befand ich mich in diesem Gemach, umgeben von weißgekleideten Krankenpflegerinnen und einem weißgekleideten Hakim. Die Verbrecher, die uns in das Haus der Freuden gelockt und dann entführt haben, konnten, dank Euch, meine Juwelen nicht stehlen, aber sie stahlen mir drei Tage meines Lebens.“ „Mein Schüler spricht gut,“ sagte der alte Ali bewundernd. „Wenn ich ihm auch, wie Oberst Morrel Sahib versicherte, ein so schlechtes Vorbild gewesen bin, daß diese ganze Stadt darüber empört ist und mich in vier Teile zerstückelt sehen will, merke ich doch, daß es mir einigermaßen gelungen ist, seinen Sinn für Poesie und Beredsamkeit auszubilden. Allah -- dessen Name ewig gepriesen sei -- gebührt die Ehre dafür. Jetzt erinnere ich mich doch an etwas, das ich früher vergessen hatte. Während meine Seele von dieser Dunkelheit umschlossen dalag, wie von einem Gefängnis mit unendlich dicken Mauern, rieselte plötzlich ein kleiner Lichtschimmer durch die Mauer hinein. Wie in einem Traum, oder so wie man durch dichten Nebel sieht, entsinne ich mich, daß ich ausgestreckt auf einem Lager lag, ob entkleidet oder nicht, weiß ich nicht. Nicht weit von mir, auf einem anderen Lager dünkte es mir, daß mein Schüler sich befand. Gerade als ich diese Empfindung hatte, glaubte ich zu sehen, daß ein Mann, der über mich gebeugt dagestanden hatte, von meinem Lager zu dem meines Schülers ging und sich über ihn beugte, mit einem bösartigen Grinsen, wie es die Götzenbilder in den Tempeln der Ungläubigen auf ihrem Antlitz tragen. Und seltsamerweise glaubte ich dicht neben ihm eine Frau zu gewahren. Doch, was wäre daran seltsam? Wo böse Menschen ihren Versammlungsort haben, da ist auch das Haus voll Weiber, sagt das Sprichwort, und der Koran -- der allzeit gepriesen sei -- teilt diese Anschauung.“ „Es ist um so wahrscheinlicher, daß Sie richtig gesehen haben,“ rief Allan, „als eine Frau in das gestrige Attentat verwickelt war. Vielleicht haben Se. Hoheit und Sie noch nicht davon gehört?“ Yussuf Khan, der sich lebhaft auf dem Ellbogen aufgerichtet und seinen Lehrer während seiner Erzählung unverwandt angestarrt hatte, schüttelte den Kopf, und der alte Ali sagte: „Oberst Morrel Sahib nahm sich wenig Zeit zu anderem, als mir meinen Mangel an guten Eigenschaften vorzuhalten, und wie ich ihn sühnen könnte. Dann eilte er zum Minister, um einen Aufschub der Strafen zu erwirken, die dieser mir zugedacht hat. Oberst Morrel Sahib hat ein gutes Herz.“ Ohne dem alten Hofdichter seine Auffassung von Oberst Morrels Maßnahmen zu rauben, erzählte Allan, was sich am vorhergehenden Abend zugetragen hatte. Die Libationen des Obersten hüllte er in einen Schleier, aber machte eine große Nummer aus seiner Attacke gegen die Türe. Die beiden anderen lauschten ihm wie einem Märchenerzähler im Basar. Allan hatte kaum zu Ende gesprochen, als im Korridor Schritte ertönten und die Türe aufgerissen wurde. Es war der Oberst selbst, in Gesellschaft Herrn van Schleetens. Der alte Ali erhob sich mit ängstlicher Miene von seinem Sitz. „Wie ist es abgelaufen, Oberst Morrel Sahib?“ fragte er. „Kann Se. Exzellenz der Minister uns verzeihen, oder sollen wir wie Pferdediebe aus der Stadt gejagt werden?“ Oberst Morrel zögerte einen Augenblick mit der Antwort, während er den Maharadscha und den alten Hofdichter fixierte. Endlich sagte er mit derselben Langsamkeit wie ein Klassenvorstand, wenn er zu zwei schlechten Schülern spricht: „Ich habe ein sehr schweres Stück Arbeit gehabt. Ich fand Se. Exzellenz, den Minister für Indien, meinen hochgeschätzten Freund“ (Allan erinnerte sich, diesen Herrn von Oberst Morrel anders titulieren gehört zu haben), „in äußerst erregter Verfassung. Die Ansichten, die er über das Vorgefallene aussprach, und die ich leider nicht ganz mißbilligen konnte, die Befürchtungen, die er davor hatte, was man Allerhöchsten Orts sagen und denken würde; die Kommentare, die leider in der Presse gemacht werden -- all dies hatte seine Gemütsstimmung derart beeinflußt, daß ich fürchten mußte, meine Aufgabe würde sich als unlösbar erweisen. Nur durch Aufgebot meiner ganzen Ueberredungskunst, nur durch wiederholte Berufung auf unsere alte Freundschaft und nur indem ich heilig und teuer versprach, daß die Abreise Ew. Hoheit augenblicklich erfolgen würde, gelang es mir, zu erwirken, daß Se. Exzellenz ihren Entschluß änderte. Ich kann also mitteilen, daß wir unbehelligt abreisen dürfen, wenn dies längstens übermorgen geschieht. Ein Dampfer nach Bombay geht an diesem Tage um drei Uhr ab.“ Während der alte Ali mit einem tiefen Salaam seine Hand zu fassen suchte, wischte sich der Oberst die Stirne, ermattet von der Anstrengung seiner Rede, und fuhr in einem völlig veränderten Tone fort: „Jetzt habe ich für Ew. Hoheit getan, was ich konnte. Nun ist es Ew. Hoheit Sache, mit diesem Herrn zu tun, was Sie für angemessen finden. Es hängt von Ihnen ab, was mit ihm geschehen soll.“ Der Maharadscha, der nach der Rede des Obersten in die Hände geklatscht hatte und eigentümlicherweise gar nicht enttäuscht darüber schien, Europa so rasch verlassen und alle Träume von weißen Prinzessinnen aufgeben zu müssen, wendete sich an Herrn van Schleeten. „Das ist ja der Juwelenkünstler,“ rief er, „wie weit ist die Arbeit an meinen Steinen gediehen?“ „Ich ... ich habe die Arbeit vorgestern begonnen,“ stammelte Herr van Schleeten, „mit Erlaubnis des Herrn Obersten ...“ „Mit meiner Erlaubnis, an den Juwelen zu arbeiten,“ schrie der Oberst, „aber nicht Frauenzimmer heraufzuschleppen, die Sie betäuben und jene stehlen.“ „Ich ... ich sah mich gestern in die Notwendigkeit versetzt, einen Mitarbeiter heranzuziehen, um ... um die Arbeit so rasch als möglich zu Ende zu führen ... so rasch als möglich ... wie Ew. Hoheit wünschten. Leider fiel meine Wahl auf eine ungeeignete Persönlichkeit, die ...“ „Auf ein Dämchen, in das Sie verliebt waren, das Sie mit Chloroform betäubte wie in einer Klinik und alles in Bausch und Bogen gestohlen hätte, wenn nicht der Zufall und dieser junge Herr dazwischengekommen wäre! Heraus mit der Sprache!“ rief der Oberst. „Bedenken Sie, daß niemand weiß, wieviel Sie von ihr wußten!“ Herr van Schleeten warf einen wütenden Blick auf Allan, getreu dem Prinzip, sich über andere zu ärgern, wenn man sich selbst zürnen sollte. „Es ist ja möglich, daß die Sache sich so verhält, wie der Herr Oberst sagt,“ murmelte er, „aber diesen jungen Herrn habe ich auf jeden Fall vor knapp einer Woche auf einem Bahnhof in Deutschland verhaften sehen. Wer weiß, was er ...“ „Sie sollten sich schämen,“ rief der Oberst, „nun schon zum zweiten Male mit solchem verdammten Gerede zu kommen. Sie wissen, daß es nur Gerede ist. Versuchen Sie nicht zu leugnen!“ „Es ist leider kein Gerede, Herr Oberst,“ sagte Allan und berichtete in wenigen Worten, was er im Expreß erlebt hatte. „Ich fiel Herrn Mirzls List zum Opfer. Aber was Herr van Schleeten nicht unerwähnt lassen sollte, ist, daß er bei dieser Gelegenheit die Bekanntschaft der Dame von gestern Abend machte. Ich war selbst Zeuge davon. Und daß diese Bekanntschaft in ihrem Plane lag, von Mirzl gar nicht zu sprechen, ist wohl recht sicher. In der einen oder anderen Weise haben sie Wind bekommen, welchen Auftrag Herr van Schleeten in London hatte, und waren entschlossen, alle Möglichkeiten wahrzunehmen. Herr van Schleeten ging in die Falle, begreiflicherweise, denn die betreffende Dame spielt ihre Karten geschickt aus und ist ungewöhnlich schön.“ „Hat sie blaue Augen,“ fragte der Maharadscha „und blondes Haar? Ah, daß ich sobald nach Indien zurückreisen muß!“ (Oberst Morrel fuhr von seinem Sessel in die Höhe und starrte ihn an.) „Nein, Oberst Morrel Sahib, ich reise, beglückt über die Gnade Sr. Exzellenz des Ministers. Aber ...“ „Und was sagen Ew. Hoheit zu der Affäre mit Herrn van Schleeten?“ sagte der Oberst wieder beruhigt. „Hoheit wissen, daß man gestern abend eine Anzahl Juwelen gestohlen hat.“ „Ach, ein paar Juwelen mehr oder weniger!“ sagte Yussuf Khan mit einem müden, mißmutigen Kopfschütteln. „Ich kam nach Europa, um mein Herz an eine weiße Frau zu verlieren, wie die Sahibs es tun, und alles, was ich verloren habe, ist mein guter Name und ein paar Juwelen.“ „Mein Schüler spricht schön,“ sagte der alte Ali befriedigt. „Der Aufenthalt in dieser Stadt hat ihm in dieser Beziehung merklich gut getan.“ „Nun, und Herr van Schleeten?“ beharrte der Oberst, der den Holländer ungerne dem Schandpfahl entgehen sah. „Ich sage ja,“ sagte Yussuf Khan, „daß ich diesen Juwelenkünstler beneide, dem es gelungen ist, sein Herz an eine Frau zu verlieren. Ich habe hundertfünfzig Frauen in meinem Palast, schön wie Gazellen und zärtlich wie Turteltauben im Lenzmonat, und noch hat keine von ihnen mich für mehr als eine Stunde bezaubert. Seinen Namen und seinen Ruf für eine Frau zu wagen wie dieser Mann -- das muß wunderbar sein. Der Juwelenkünstler hat meine Vergebung und meinen Neid.“ „Wahrlich,“ sagte der alte Ali, „mein Schüler spricht immer besser und besser! Die Lehren, die ich ihm eingepflanzt habe, tragen späte, aber schöne Früchte. Es muß der Aufenthalt in dieser Stadt sein, der sie zur Reife gebracht hat.“ Herr van Schleeten, dessen bordeauxfarbene Nase sich bei Yussuf Khans Rede, die er als Hohn auffaßte, zornig gerümpft hatte, richtete sich nach seinen letzten Worten erleichtert auf. Er begann etwas zu stammeln, aber Yussuf Khan schnitt seine Danksagungen ab, indem er zum Obersten sagte: „Nun liegen mir noch zwei Sachen am Herzen, Oberst Morrel Sahib, erstens, daß eine angemessene Belohnung diesem jungen Mann überreicht wird, der nun zweimal den listigen Verbrechern zuvorgekommen ist. Wollt Ihr dies besorgen, da ich der europäischen Gebräuche ungewohnt bin?“ Allan wollte protestieren, aber der Oberst schnitt ihm das Wort ab. „Eine Weigerung würde den Maharadscha zwecklos verletzen,“ sagte er. „Was meinen Ew. Hoheit zu einigen der Juwelen, die der junge Mann gerettet hat? Und was sagen Sie selbst, junger Freund?“ Allan murmelte etwas, und Yussuf Khan klatschte in die Hände. „Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!“ rief er. „Man bringe die Juwelen herein.“ Eine Minute später durfte Allan zum erstenmal die Juwelen in ihrem vollen Glanze schauen, die er mitgeholfen hatte, ihrem rechten Besitzer zu bewahren. Es wäre zu wenig gesagt, daß sie ihm den Atem benahmen. Etwas Aehnliches hatte er nie gesehen, ja nicht einmal geträumt. Es war das Morgenland, das ihm aus den Fassetten dieser tausend Steine entgegenstrahlte, wie durch ein vielfarbiges Fenster. Als er sich halbwegs erholt hatte, wählte er befangen ein paar einzelne Edelsteine aus, aber der Maharadscha, in den beim Anblick der Juwelen neues Leben gekommen zu sein schien, nahm ein Diamantenhalsband mit einem blutroten Rubin in der Mitte, in einer Goldkettenfassung, die vom Alter verblichen war, und reichte es Allan. „Nehmt dies,“ sagte er, „wenn Ihr wollt. Es ist ein unwürdiger Beweis meiner Dankbarkeit.“ „Es gehörte einmal,“ schaltete der alte Ali ein, „Mahmud, Sultan von Naishapur, an dessen Hof der göttliche Zeltmacher lebte. Vielleicht hat er es am Halse einer der Favoritinnen des Sultans bewundert und vielleicht besang er dieses Diadem mit den Worten ...“ „Ja, ja! Vortrefflich!“ sagte der Oberst. „Und die andere Sache, die Ew. Hoheit wünschten?“ Es war klar, daß der Oberst die Poesie des göttlichen Zeltmachers nicht im gleichen Grade liebte wie der alte Ali, und auch, daß er in glänzender Laune war, nun er die Abreise gesichert sah. Yussuf Khan erwiderte: „Die andere Sache war, daß ich gerne mit dem Mann sprechen möchte, der diese Karawanserei innehat ... wenn er kommt, werde ich schon erklären, warum. Wollt Ihr ihn rufen lassen, Oberst Morrel Sahib?“ Mit wieder unruhigem Gesichtsausdruck klingelte der Oberst; ein paar Minuten später erschien der Direktor des großen Hotels, von einem Angestellten gerufen. Er begann den Maharadscha zu seiner Genesung zu beglückwünschen. Der Oberst unterbrach ihn: „Se. Hoheit mit Gefolge reist übermorgen, Herr Direktor!“ Der Direktor schlug einen dankbaren Blick zur Höhe auf, während er sich verbeugte. „Nicht so eilig, Oberst Morrel Sahib!“ sagte Yussuf Khan. Der Direktor blieb erschrocken in seiner Verbeugung stecken. „Nicht so eilig! Wir reisen übermorgen, Dank der Gnade Sr. Exzellenz des Ministers, aber vorher wünsche ich noch etwas.“ Er wendete sich an den Direktor: „Zweifelsohne habt Ihr einen Saal, wo Festlichkeiten abgehalten werden? Einen Saal mit Raum für viele, so wie ich ihn in dem Hause der Freuden sah?“ Der Direktor bejahte es. „Gut. Hört also meinen Willen. Dieser Saal soll für morgen abend zu einem Feste bereitet werden, und alles soll dem, was wir in Indien haben, so ähnlich als möglich sein. Da ich nicht mehr von dem Lande der Sahibs sehen kann, will ich den Sahibs mein eigenes Land zeigen. Darum ist es mein Wille, daß alles dem, was wir in meinem Lande haben, so ähnlich als möglich sein soll.“ Der Direktor verbeugte sich tief. „Zu diesem Feste,“ fuhr Yussuf Khan fort, „das so festlich sein soll wie die Vermählung eines Maharadschas, ist es mein Wille, daß alle jene eingeladen werden, die in der Zeit, die ich hier war, unangenehme Erlebnisse gehabt haben.“ Er machte eine Geste, die sämtliche Anwesende umfaßte; Allan murmelte dem Obersten zu: „Dann müßten Bowlbys mit dabei sein.“ „Was sagte der junge Mann?“ fragte Yussuf Khan. „Er meinte, daß eine amerikanische Familie, aus deren Wohnung das erste Attentat unternommen wurde, eingeladen werden sollte,“ sagte der Oberst. „Sie soll eingeladen werden,“ sagte Yussuf Khan ohne Zögern. „Und dieser Mann, dem die Karawanserei gehört?“ Der Direktor erklärte mit einer Verbeugung, daß es ihm erstens unmöglich sei, in seinem eigenen Hotel zu Gast zu sein, daß er sich zweitens undenkbar zu der Kategorie von Personen rechnen könne, die durch die Anwesenheit Sr. Hoheit Unannehmlichkeiten gehabt hatten. Die Anwesenheit Sr. Hoheit im Hotel habe im Gegenteil ... Yussuf Khan unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Der Oberst warf knurrig ein: „Und Herr van Schleeten?“ „Natürlich auch der Juwelenkünstler,“ sagte Yussuf Khan. „Von allen beneidet soll der Mann an der festlichen Tafel sitzen, der sein Herz an eine Frau verlieren konnte.“ Herr van Schleeten verbeugte sich, ohne daß besondere Freude über die Rolle, die ihm bei der Festtafel zugedacht war, sich auf seiner bordeauxfarbenen Nase spiegelte. Der alte Ali rief hingegen: „Mein Schüler spricht immer besser und poetischer! Der Aufenthalt in dieser Stadt, die wir Dank Oberst Morrel Sahib mit unversehrtem Turban und ungeschorenem Kopfe verlassen dürfen; hat ihm in dieser Beziehung wunderbar gut getan.“ XI Das vielleicht seine Aufgabe erfüllt, den Leser zu verwirren In der Ziegelwüste des nordwestlichen Londons liegt, nicht weit von Maida Vale, ein Ziegelkanon Chesterton Mansions genannt. Tatsächlich erinnert er mit seinen steilen hohen Ziegelmauern an nichts so sehr wie an die berühmten Schluchten, die sich die Flüsse im Westen Amerikas gegraben haben. Warum er die Bezeichnung Mansions führt, ist unbekannt; im allgemeinen pflegt dieses Wort anzudeuten, daß eine Straße mit Bäumen bepflanzt ist; aber wenn das bei Chesterton Mansions einstmals der Fall war, so ist jetzt nur mehr der Name als einziges Rudiment übrig. Die siebenstöckigen Häuser der Straße sind in Mietwohnungen geteilt, zwei in jedem Stockwerk, so wie man es bei uns zulande kennt, aber wie es in England etwas relativ Neues ist. Da der Ruf der Straße nicht der beste ist, stehen oft eine Menge Wohnungen leer. In jenem September, in dem die Ereignisse dieses Buches sich abspielten, stand beispielsweise das Haus Nr. 48, das die Mietwohnungen Nr. 659-672 enthält, noch am 11. September leer. Am 12. fand sich jedoch ein Herr beim Hausverwalter ein, stellte sich als Baron de Citrac vor und wünschte eine so ungestörte Wohnung als möglich zu mieten. Er sei wissenschaftlicher Arbeiten wegen nach London gekommen und bringe seine Frau mit, für die er am liebsten eine separate Wohnung gegenüber seiner eigenen haben wolle. Der Häuserverwalter Mr. Markham, beeilte sich, ihm das Haus Nr. 48 zu zeigen. Der Baron entschied sich sofort für die Wohnungen Nr. 661-662 im ersten Stock, bezahlte im vorhinein und bat den Verwalter, ein einfaches, aber solides Ameublement für beide Wohnungen zu beschaffen. Er drückte seine Anerkennung für Mr. Markhams Entgegenkommen durch eine Fünfpfundnote aus, die Mr. Markham zu seinem Sklaven machte, und nahm dann Abschied. Montag, den 15., zog er ein. Der Verwalter war selbst zugegen, und fand Gelegenheit, seine Meinung über den neuen Mieter in einem Punkte zu ändern. Die Reden des Barons von wissenschaftlichen Arbeiten hatte er nur als einen durchsichtigen Vorwand für etwas ganz anderes aufgefaßt, worin die Franzosen eine traurige Berühmtheit besitzen und dem auch Chesterton Mansions nicht fremd war: eine Eskapade mit einer nicht offiziellen Baronin. Er gab den Glauben daran auf, als er die Baronin de Citrac erblickte; denn gewiß war sie schön und pikant, mit grauen Augen und rotblondem Haar, aber dabei sah sie so vornehm aus, daß der Verwalter die ganze Zeit, die sie da war, mit dem Hute in der Hand dastand. Der Baron, der zwei Diener mit hatte, drückte seine Zufriedenheit mit der Möblierung der Wohnungen aus und verabschiedete den Verwalter. Es dauerte bis zum 16., bevor dieser den neuen Mieter wiedersah, denn er wohnte selbst in einer Quergasse; aber als dies geschah, war es unter Umständen, die ihn aufs neue an dem Ernst von Herrn de Citracs wissenschaftlichen Studien zweifeln ließen. Mr. Markham war am Abend des 15. Septembers in einer Gesellschaft gewesen, die sich bedenklich in die Länge gezogen hatte; ein Freund von ihm, der Junggeselle war und ein Geschäft in einer Quergasse von Chesterton Mansions hatte, hatte ihn zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Diese hatte im „Roten Löwen“ in Maida Vale begonnen und war nach Schließung dieses populären Lokales in der Junggesellenwohnung des Freundes fortgesetzt worden. Die Haupterfrischung war irländischer Whisky gewesen, und Mr. Markham war sich des Einflusses dieses Getränkes auf die Balancierfähigkeit ganz bewußt, als er gegen halb vier Uhr morgens heimwanderte. Er nahm den Weg durch Chesterton Mansions aus dem Grunde, weil diese Straße eine unerklärliche Anziehung auf seine Beine auszuüben schien, doch ohne daß diese irgendwelche Parteilichkeit für eine bestimmte Seite derselben zeigten; und er hatte sich eben an einem Laternenpfahl auf dem linken Trottoir verankert, als die Nachtruhe von etwas anderem als dem Trommelwirbel, den seine Stöckel auf dem Pflaster vollführten, unterbrochen wurde. Ein Auto kam nach Chesterton Mansions gesaust und hielt vor dem Hause gegenüber von Mr. Markhams Laternenpfahl. Mr. Markhams irrender Blick hatte soeben konstatiert, daß es das Haus Nr. 48 war. Jetzt sah er zwei Herren mit aufgestellten Rockkragen aus dem Auto steigen und mit großer Anstrengung zwei andere herausheben, die in beträchtlich schlimmerer Verfassung schienen als Mr. Markham selbst. Sie konnten faktisch nicht auf den Beinen stehen. Mr. Markham glaubte zu sehen, daß sie in irgendein exzentrisches Kostüm gekleidet waren. Der Kontrast zwischen den Evolutionen der vier Herren und seiner eigenen sicheren Position am Laternenpfahl erfüllte ihn mit einer Befriedigung, die in einem herzlichen Lachen Ausdruck fand. „Mi--mir scheint, die haben g--genug,“ sagte Mr. Markham. Die Laterne, unter der Mr. Markham stand, war ausgelöscht, und Mr. Markham erregte daher nicht die Aufmerksamkeit der vier Herren. Jetzt sprang der Chauffeur ab und übernahm den einen der beiden übererfrischten Herren, während einer der Herren, die zuerst ausgestiegen waren, das Haustor von Nr. 48 öffnete. Der Mann, den der Chauffeur stützte, fiel seinem Helfer in die Arme, und verlor dabei einen weißen Turban, der auf das Trottoir rollte. „Der ist wohl auf einem Ma--maskenball gewesen,“ sagte Mr. Markham. „Mir scheint, der hat genug. Und jetzt trei--treiben sie es, scheint mir, noch weiter!“ Jetzt öffnete sich die Haustüre, und ein mühsamer Transport begann, dem Mr. Markham unter großer Heiterkeit zusah. Schließlich kehrte der Chauffeur allein zurück, schloß das Tor und fuhr im Auto fort, ohne Mr. Markham gesehen zu haben. „De--der wird sich auch ein schönes Trinkgeld verdient haben,“ murmelte Mr. Markham mit einem verständnisvollen Lächeln und löste sich von dem Laternenpfahl los. Er erreichte die nächste Straßenecke, wo er sich wieder verankerte, um einem Gedanken Luft zu machen, der sich in seinem Innern emporgearbeitet hatte. „Nummer ach--achtundvierzig, hol mich der und jener!“ brummte Mr. Markham. „Die Wohnung des B--barons. Die einzige, die vermietet ist! Wissenschaftliche Arbeiten, hahaha! Go--gott helfe mir, wissenschaftliche Arbeiten!“ Er gewann diesem Gedanken alle Ergötzlichkeit ab, die er bot, bevor er den Laternenpfahl wieder losließ und seinen unsicheren Heimweg fortsetzte. Mr. Markhams Gedächtnis war von jener beneidenswerten Sorte, die auch an einem Morgen nach irländischem Whisky funktioniert. Er erinnerte sich folglich am nächsten Morgen an die vier Herren, die er in das Haus Nr. 48 gehen gesehen hatte; und in der Morgenbeleuchtung erschien ihm dieser Vorfall nicht ganz so ausschließlich humoristisch wie in der Nacht. Nur der Chauffeur war wieder aus dem Hause herausgekommen; waren also die drei Herren die Nacht über beim Baron geblieben? Dann hatten sie sicherlich Lärm gemacht und die Nachtruhe der Nachbarn gestört. Mr. Markham machte einen Vormittagsbesuch in Nr. 46, um sich beim Nachbar des Barons darnach zu erkundigen. Dieser war ein jüdischer Geldverleiher, der immer mit der Sonne aufstand, um soviel als möglich aus seinem fragwürdigen Beruf herauszuschlagen. An diesem Morgen war er schon seit halb sechs Uhr auf, wie er Mr. Markham erklärte, aber durchaus nicht infolge von Lärm im Nebenhause. Er hatte im Gegenteil kaum einen Laut von dort gehört; aber gegen sechs Uhr hatte er einen Herrn mit aufgestelltem Rockkragen Nr. 48 verlassen und die Sutherland Avenue hinuntergehen sehen. „Einen?“ fragte Mr. Markham, „nur einen, Herr Streptowitz?“ „Nur einen,“ bestätigte Herr Streptowitz mit dem melancholischen Tonfall, den seine Stimme bei der Erwähnung so geringfügiger Zahlen annahm. „Nur einer!“ wiederholte Mr. Markham. „Aber ich sah doch vier hineingehen, und da müßten wohl drei wieder herausgekommen sein, wenn der eine der vier der Baron war!“ „Die andern zwei Herren sind wohl vorangegangen,“ sagte Mr. Streptowitz, so melancholisch, als wollte er andeuten, daß die beiden Herren in eine andere Welt gegangen seien. Mr. Markham gab zu, daß dies wahrscheinlich sei, und verabschiedete sich. Am selben Nachmittag sah er den Baron und die Baronin. Sie standen im Stiegenhaus vor der offenen Türe ihrer Wohnung und sprachen eifrig mit gesenkter Stimme. Mr. Markham, der die Treppen hinaufkam, um die leeren Wohnungen zu besichtigen und seiner Gewohnheit gemäß in Gummischuhen ging, kam in Hörweite, ohne daß sie ihn bemerkten. Er fing einige Worte des Barons auf: „Der verdammte schwedische Schlingel! Diese Nacht gehörte ihm, aber übermorgen gedenke ich durch dich Revanche zu nehmen ...“ Er erblickte Mr. Markham und verstummte plötzlich. Mr. Markham, der innerlich zu der Schlußfolgerung gelangt war, daß der eine der Teilnehmer an der Orgie der Nacht -- vermutlich der Herr mit dem Turban -- ein Schwede war und offenbar seinen Gastgebern lästig geworden war, lächelte dem Baron diskret zu, während er grüßte. Er wollte eben eine feine Anspielung machen, um zu zeigen, daß er von den wissenschaftlichen Studien seines Mieters wußte, was er wußte, aber sah aus Respekt vor der Baronin davon ab. Es dauerte bis Freitag, den 19. September, ehe er Anlaß hatte, wieder an die Herrschaften in Nr. 48 zu denken. Früh am Vormittag dieses Tages ging er an Mr. Streptowitz’ Wohnung vorbei. Dieser Herr stand in der Türe und rauchte in Hemdärmeln eine Pfeife. Als er Mr. Markham sah, nahm er die Pfeife aus dem Mund und winkte ihm. „Jetzt sind die aus Nr. 48 abgereist,“ sagte er mit betrübter Stimme. „Abgereist? Der Baron ist abgereist?“ stammelte Mr. Markham. „Das weiß ich nicht, aber die zwei Herren, von denen Sie dieser Tage sagten, daß sie Ihnen fehlten.“ „Was meinen Sie, Mr. Streptowitz?“ „Die zwei Herren, die dieser Tage fehlten. Sie sagten doch, Sie hätten drei fremde Herren hineingehen sehen, und ich sah nur einen wieder fortgehen. Heute morgens um halb fünf Uhr, als ich mich ankleidete, sah ich sie in einem Auto in Gesellschaft eines anderen Herrn fortfahren. Sie sahen aus wie Inder und wie schwer betrunken. Es war noch kaum taghell. Ich stehe am Freitag immer so früh auf, weil die Leute für den Sabbath Geld brauchen.“ „Inder und bis jetzt da!“ rief Mr. Markham, „und um halb fünf Uhr früh schwer betrunken! Das ist ja unanständig, Mr. Streptowitz.“ „Das ist es auch,“ gab Mr. Streptowitz mit einem etwas freudigerem Tonfall zu. „Um fünf Uhr soll man aufstehen und arbeiten, und nicht betrunken sein. Was macht denn der Baron auf Nr. 48?“ „Er studiert!“ rief Mr. Markham mit einem schrillen Lachen. „Studiert die Wissenschaften, Streptowitz! Gott helfe mir, die Wissenschaften!“ „Das ist traurig,“ sagte Mr. Streptowitz, „sehr traurig. Sie werden schon sehen, bei dem kommt noch etwas Merkwürdiges heraus, Mr. Markham.“ Mr. Markham, der sich an seine Fünfpfundnote erinnerte, erklärte energisch, seine Mieter stünden hoch über jedem Verdacht. Am selben Tage etwas später führte ihn sein Weg zum Baron. Chesterton Mansions war bis jetzt nur mit Gas versehen gewesen; nun war die Rede davon, Elektrizität einzuführen, wenn die Mieter sich dafür aussprachen. Mr. Markham klingelte beim Baron an, um sich zu erkundigen. In der Wohnung reagierte niemand darauf. Mr. Markham klingelte bei der Baronin an. Zu seinem Staunen kam sie selbst und öffnete. Sie machte nur einen kleinen Spalt der Türe auf, um zu sehen, wer da war. Sie sah etwas übernächtig aus, ihre grauen Augen waren nicht so ruhig und kalt wie sonst, und Mr. Markham bemerkte, daß sie Ringe unter denselben hatte. Mr. Markham brachte sein Anliegen vor und sagte, daß er schon an der Wohnung ihres Mannes geklingelt habe. „Mein Mann ist ausgegangen,“ sagte sie kurz, aber verbesserte sich sofort: „verreist, meine ich. Nach Oxford, seiner Arbeit wegen.“ Mr. Markham, der sich an Mr. Streptowitz’ Erzählung von den drei Herren erinnerte, die am Morgen abgereist waren, starrte sie an und machte seiner Neugierde Luft. „Hat der Baron Besuch gehabt?“ fragte er. Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Was meinen Sie?“ „Jemand hat heute morgens zu sehr früher Stunde drei Herren abreisen sehen,“ stammelte Mr. Markham. Die Baronin sah ihm fest in die Augen. „Der Baron ist heute früh mit seinen zwei Dienern abgereist,“ sagte sie kurz. „Ich bin bis morgen allein in der Wohnung, aber seien Sie so gut und lassen Sie das nicht bekannt werden. Eine Dame allein kann Unannehmlichkeiten haben.“ „Und die Elektrizität?“ murmelte Mr. Markham mit einer demütigen Verbeugung. „Hat Zeit, bis der Baron in ein oder zwei Tagen wiederkommt. Guten Abend.“ Sie schloß die Türe artig, aber bestimmt Mr. Markham vor der Nase zu. Dieser blieb stehen und starrte die Türe an, und plötzlich zuckte er zusammen. Er hätte es nicht beschwören können -- aber war das nicht eine Männerstimme, die er drinnen aus der Wohnung gehört hatte, in der die Baronin +allein+ war? Nur einen Augenblick, dann war es wieder still ... Mr. Markham machte einer ententefeindlichen Ansicht über die Moral der Franzosen Luft und ging, indem er murmelte: „Streptowitz hat recht, das ist bestimmt eine merkwürdige Gesellschaft, die hier auf Nr. 48.“ Hätte Mr. Markham die Gabe gehabt, in dem Augenblicke, in dem er diese Aeußerung machte, durch die geschlossene Türe zu sehen, wäre sie noch berechtigter gewesen. Mr. Markhams Ohren hatten ihn nicht getäuscht; es war eine Männerstimme, die er soeben aus der Wohnung der Baronin gehört hatte, und was sie gesagt hatte, war: „Wer war das? Der Verbrecherkönig?“ Die Stimme kam von einem jungen Manne, der auf einem Diwan lag. Er war von bräunlicher Gesichtsfarbe mit einem kurzen Schnurrbart, nicht ohne Spuren von Wohlleben, und seine Augen waren von schwarzen Ringen umgeben, die ebenso gut von Wohlleben wie von Entbehrungen stammen konnten. Denn der junge Mann, der auf dem Diwan lag, war an Händen und Füßen gebunden und wurde außerdem durch einen losen Gürtel über der Brust an dem Diwan festgehalten. Die Baronin hatte sich ruhig in einem Fauteuil niedergelassen; der Gefangene auf dem Diwan wiederholte seine Frage: „War das Euer Gatte, der Verbrecherkönig?“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie sind beharrlich in Ihrer Ausdrucksweise,“ sagte sie. „Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, daß der Mann, den Sie den Verbrecherkönig nennen, nicht mein Gatte ist?“ „Aber ihr wohnt doch hier zusammen?“ „Nein, sage ich Ihnen. Wir haben jeder unsere Wohnung. Die seine liegt meiner gegenüber, und der jetzt angeläutet hat, war der Mann, der die Wohnungen vermietet. Er hatte eine Anfrage. Sind Sie jetzt nicht durstig? Soll ich Ihnen Zitrone und Wasser geben?“ Der Gefangene auf dem Diwan runzelte heftig die Stirne. „Ich nehme ebenso wenig von Euch etwas an, wie von ihm, von dem Ihr behauptet, daß er nicht Euer Gatte ist,“ sagte er. Seine Stimme zitterte vor unterdrückter Empörung. „Ihr beide habt unauslöschliche Schmach auf meinen Namen gehäuft und die Pläne ganz durchkreuzt, um deretwillen ich in diesen Weltteil gekommen bin, der ewig verflucht sein möge.“ „Aber ich sage Ihnen, es dauert mindestens zwei Tage, bis Sie frei werden. Sie werden verhungern oder verdursten.“ „Lieber das, als etwas von Euch annehmen.“ Dies junge Frau neigte den Kopf. „Wie Sie wollen,“ sagte sie. „Vielleicht können Sie zwei Tage leben, ohne sich so tief zu demütigen. Die Menschen in Ihrem Lande können sich ja sogar lebend begraben lassen ohne zu sterben. Im übrigen müßte ja Zitrone und Wasser nicht als Salz und Brot gelten.“ Der Gefangene lag mit geschlossenen Augen da, ohne zu antworten. Sie fuhr langsam wie für sich selbst fort: „Als Sie vor einigen Stunden zum Bewußtsein erwachten, tranken Sie zwei ganze Gläser, die Ihnen gut zu tun schienen.“ Er öffnete die Augen und starrte sie an. „Ist das wahr, oder lügt Ihr, um mich in einer Falle zu fangen?“ „Ich bin eine Abenteurerin, aber ich lüge Sie nicht an. Nicht einmal, um Sie in eine Falle zu locken.“ Er starrte sie an ohne zu antworten. Endlich sagte er: „Eine Abenteurerin? Was ist das?“ Sie zog die Augenbrauen empor. „Wie soll ich es Ihnen sagen? Ich war verheiratet, mein Mann starb, ich war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas Neues kennen zu lernen.“ „Und Ihr fandet es?“ Seine Stimme war eifrig, aber ohne die frühere Erregung. „Ich fand wenigstens eine neue Sorte von Mann,“ sagte sie. „Wen? Den Verbrecherkönig?“ „Ja. Er glich keinem anderen Mann, den ich getroffen hatte. Er beging Torheiten, die ihm das Leben und die Freiheit kosten konnten, um einer Laune willen, und er konnte den Gewinn um einer Laune willen hinwerfen, die törichter war, als andere Menschen es sich auch nur träumen lassen können.“ Der Gefangene auf dem Diwan starrte vor sich hin und murmelte: „Auch ich war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas Neues zu suchen, das ich nicht kannte.“ Sie lächelte. „Aber das haben Sie ja unleugbar gefunden!“ „Was ich suchte, war ein Weib, dessengleichen ich noch nie gesehen.“ Sie lächelte wieder. „Und ich suchte einen solchen Mann, vermute ich!“ Er starrte sie verachtungsvoll an. „Und Ihr begnügtet Euch mit einem Verbrecherkönig!“ „Es gilt König auf irgendeinem Gebiete zu sein,“ sagte sie. „Und Ihr, die Ihr es verdient, Königin, wo es auch sein mag, zu sein, entscheidet Euch dafür, die Königin der Verbrecher zu sein. Beim Propheten, ich kann meinen Sinnen nicht glauben.“ „Sie sind artig gegen mich,“ sagte sie. „Sie würden es vermutlich nicht sein, wenn ich Ihnen sagte, daß ich mich nicht wie andere Königinnen damit begnüge, den König regieren zu lassen. Heute nacht unternahm ich einen Versuch, das zu tun, was dem König vor drei Tagen mißlungen ist. Sie haben schon selbst herausgefunden, warum Sie hier sind.“ „Einer Anzahl farbiger Steine wegen; die weißen Sahibs denken nie an etwas anderes als an Gewinn.“ „Einer Anzahl recht ungewöhnlicher, farbiger Steine wegen,“ wendete sie ein. „Aber farbig oder nicht farbig hätten sie für mich nur durch das Bewußtsein Wert gehabt, daß mir gelungen ist, was dem König mißlang.“ „Eurem Gemahl! Dem Mann, den Ihr liebt!“ „Nein, sage ich Ihnen!“ Sie stampfte mit ihrem schwarzen Samtschuh auf den Boden, „ein Bewerber um meine Hand. Nichts anderes. Lassen Sie mich erzählen, was er und was ich getan haben, und sagen Sie mir, wer bisher des Throns würdiger ist.“ Indem sie ihre Finger miteinander verschlang und hie und da nach der Sonne sah, die hinter dem Ziegelhorizont von Chesterton Mansions verschwand und ihr Haar zu einer goldroten Krone machte, begann sie zu sprechen. Der Gefangene auf dem Diwan hörte ihr schweigend zu, während der Blick seiner Augen die ganze Skala von Verachtung bis zum Enthusiasmus durchlief. Nach einiger Zeit verstummte sie und sah ihn an, die Augenbrauen über ihren grauen Augen fragend gehoben. Er schwieg, dann sagte er langsam: „Und alles wegen ein paar farbiger Steine! Wäre ich frei, sie wären in diesem Augenblicke die Euren.“ Sie richtete sich ein wenig auf. „Meinen Sie, was Sie sagen?“ fragte sie. „Könnten Sie Juwelen, die in Geld gar nicht zu schätzen sind, einem Wesen schenken, das alles dazu getan hat, Sie derselben zu berauben? Ach, Sie sprechen wie andere Männer -- der schönen Worte wegen.“ Er sah sie mit einem intensiven und zugleich müden Blick an. „Ihr könnt so etwas nicht für möglich halten,“ sagte er, „seid Ihr doch eine aus dem Volke der Sahibs. In meinem Lande werden Reichtum und edle Steine nur für das geschätzt, was sie sind, und was ein Mann leistet, gilt alles. Aber Ihr seid aus dem Volke der Sahibs, und Euch scheint es undenkbar, daß ich aus einer Laune etwas wegwerfe, was für Euch Ziel und Zweck des Lebens ist.“ Sie erhob sich aus ihrem Fauteuil und glitt zu dem Diwan, auf dem er lag. „Was würden Sie tun, wenn ich jetzt Ihre Bande löste?“ sagte sie. Er sah sie mit derselben Ruhe im Blick an. „Mein Versprechen lockt Euch?“ sagte er. „Ihr wollt sehen, ob eines Königs Wort auch eines Königs Wort ist, wenn es sich um hundertfünfzig Juwelen handelt?“ In ihren Augen blitzte es auf, und sie machte zwei Schritte zurück. „Sie könnten mir die Steine jetzt geben, und ich würde sie Ihnen ins Gesicht werfen,“ sagte sie. „Wenn es mir heute nacht gelungen wäre, mich Ihrer Juwelen zu bemächtigen, für deren Besitz ich viele hundert Meilen gereist bin, ich würde dasselbe damit tun. Sie können mir aufs Wort glauben. So sehr Sie König sind, bin ich Königin.“ Er machte einen Versuch, sich auf dem Diwan aufzurichten, aber wurde von den Banden gehindert und sank zurück. Er starrte sie lange und unverwandt an, wie um sich von dem Gehalt ihrer Worte zu überzeugen. Sie hielt stand und betrachtete ihn mit demselben Licht in den Pupillen und derselben leichtgeschürzten Oberlippe. Endlich sagte er langsam und beinahe demütig: „Ich bin blind gewesen. Verzeiht! Ihr seid das, was Ihr sagtet, und meine Kehle ist trockener als eine Wüste. Aus Eurer Hand empfange ich alles, was sie gibt, wie der Bettler eine Gabe.“ Sie zuckte zusammen; ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, und sie eilte durch das Zimmer zu einem Tisch mit Gläsern und Flaschen. Nach einem Augenblick war sie wieder bei ihm, mit einem Glas, dessen Inhalt er auf einen Zug austrank. Er sank auf den Diwan zurück, sie zog den Fauteuil etwas näher heran und setzte sich. Sie maßen einander noch immer mit den Blicken, und schließlich sagte er: „Erzählt mir noch mehr aus Eurem Leben. Seid Ihr wirklich mehrere hundert Meilen gefahren, um meine Juwelen zu erringen? Ohne sie auch nur um ihres Geldwertes willen zu begehren?“ Sie neigte den Kopf. „Mich dünkt,“ sagte er langsam, „als wäre ich einen noch weiteren Weg gepilgert, oh Maharaneeh, um Euch zu begegnen.“ * * * Am Nachmittag des nächsten Tages, als Mr. Markham bei der Baronin und dem Baron anklingelte, meldete sich niemand. Mr. Markham stürzte zu Mr. Streptowitz hinauf. Dieser nickte bestätigend. „Jawohl, sie ist abgereist. Ich habe sie selbst gesehen. Aber sie war nicht allein!“ „Nicht allein? War sie in Gesellschaft des Barons?“ „Nein,“ sagte Mr. Streptowitz, „sie war mit einem Hindu. Das Haus muß voller Hindu sein. Ich bin überzeugt, das sind Anarchisten. Und dieser Hindu und die Baronin lächelten sich an wie ein verliebtes Paar.“ Und das war das letzte, was Chesterton Mansions von dem freiherrlichen Paar de Citrac sah. XII Ein Fest und sein Abschluß Allan fiel der Auftrag zu, Yussuf Khans Einladung der Familie Bowlby zu übermitteln, einerseits, weil der Maharadscha und der alte Ali noch nicht fest genug auf den Füßen standen, um die fürstliche Suite zu verlassen, andererseits, weil Allan als persönlicher Freund der amerikanischen Familie sich für den Auftrag am besten eignete. Er machte folglich am selben Abend einen Besuch bei ihnen und überbrachte die Einladung. Eine Debatte folgte. Mrs. Bowlby hatte ihn kaum bis zu Ende gehört, als sie von ihrem Sessel aufsprang und erklärte, was sie alles eher sein wollte, als zu einer solchen Veranstaltung zu gehen. „Glauben Sie, ich durchschaue ihn nicht? Er will sich durch uns rehabilitieren, nachdem er durch den heutigen Skandal in aller Leute Mund gekommen ist! Das will er!“ „Aber er reist doch übermorgen ab, Mrs. Bowlby.“ „Und was wird nun mit der Prinzessin, um die er werben wollte?“ „Das muß er aufgeben, und ehrlich gestanden, schien er es ungewöhnlich leicht zu nehmen. Ich hatte Proteste erwartet, aber der Oberst hatte ihn sofort umgestimmt. Das einzige, was er in dieser Richtung sagte, war, daß er Herrn van Schleeten beneide, dem es gelungen sei, sein Herz an ein Weib zu verlieren. Das habe er selbst nie zustande gebracht, obwohl er hundertfünfzig hat, die es ihm stehlen wollen.“ „Das ist wieder echt männlich, ha! Dasitzen und mit seinen Erfolgen bei den armen Geschöpfen und seiner eigenen Gleichgültigkeit zu prahlen! Er sollte hundertfünfzig Rutenstreiche auf die Fußsohlen haben, das sollte er!“ „Sie wollen also nicht kommen, Mrs. Bowlby?“ „Da ginge ich noch eher in das Lokal, wo er und Sie sich kürzlich herumgetrieben haben.“ „Ich werde Se. Hoheit bitten, den Schauplatz dorthin zu verlegen.“ „Keine Keckheiten, _demmit_, junger Freund. Helen, mein Kind, ich hoffe, du hast auch +keinen Augenblick+ Lust gehabt, zu gehen?“ „Ich ginge gerne, Mama, furchtbar gerne.“ „Und ich gedenke, zu gehen, wenn niemand anderer sich entschließt,“ sagte Mr. Bowlby. Mrs. Bowlby konnte nur einen ganz kurzen Entsetzensschrei ausstoßen, als Allan auch schon diplomatisch etwas aus der Tasche zog -- das Halsband, das er am selben Nachmittag von Yussuf Khan erhalten hatte. Mrs. Bowlby blieb ihr Schrei in der Kehle stecken. „Mr. Cray! +Wo+ haben Sie das aufgegabelt? Mirzl hat doch Ihr Geld gestohlen!“ „Das Geld, von dem Mirzl mich befreit hat, hätte nicht einmal gelangt, um die Goldeinfassung dieser Steine zu bezahlen, Mrs. Bowlby. Ich bekam dies heute nachmittag vom Maharadscha als geringen Dank dafür, daß es mir zweimal gelang, Mirzl und seiner Bande zuvorzukommen. Wollen Sie es ansehen?“ Mrs. Bowlbys Arm schnellte gierig und diebisch vor, wie die Klaue eines Papageis. Sie ließ die Juwelen durch ihre Finger rinnen. „Wunderbar,“ flüsterte sie. „Und das haben Sie von ihm bekommen? Und Sie haben seine anderen Juwelen gesehen?“ „Ich habe das von ihm bekommen. Es hat einmal einem persischen Sultan gehört, sagte der alte Ali. Der Maharadscha hat es mir ausgewählt. Selbst hätte ich ein Jahr gebraucht, um unter seinen Juwelen eine Wahl zu treffen. Das einzige, was ich zu nehmen wagte, waren diese einzelnen Steine.“ „Opale! Die Unglück bringen!“ „Wer weiß? Vielleicht bringen sie mir Glück -- ich habe meistens gerade umgekehrt gehandelt, wie vernünftige Menschen.“ „Und wie waren die andern?“ „Bitten Sie mich einen Regenbogen zu beschreiben, Mrs. Bowlby! Wenn Sie einen Begriff davon haben wollen, weiß ich keinen anderen Weg, als daß Sie zum Fest des Maharadscha kommen.“ „Dorthin? Nie! Eher will ich -- gehst du, John?“ „Ja, liebe Susan.“ „Und du, Helen, du machst es wie ich, nicht wahr?“ „Ja, Mama, wenn du Papa folgst. Eheleute sollen einander nahe sein, das haben wir in meiner Schule gelernt.“ Mrs. Bowlby stieß einen Seufzer aus, den sie nur mäßig überzeugend gestalten konnte. „So sagen Sie also dem Untier, daß ich komme,“ sagte sie. „Aber +anständiges Benehmen+ ist meine Bedingung. Und +was+ soll man anziehen, Mr. Cray?“ * * * Wahrscheinlich hatte Yussuf Khan seine Weisungen etwas modifiziert, oder auch war London außerstande gewesen, sie in vollem Ausmaß durchzuführen, denn ganz asiatisch war das Bild nicht, das sich den Eingeladenen -- Familie Bowlby, Herrn van Schleeten und Allan -- bot, als sie am folgenden Abend in einer Prozession in den großen Festsaal des Grand Hotel Hermitage wanderten und dort von Yussuf Khan, dem Obersten und dem alten Ali empfangen wurden. Der Oberst, Herr van Schleeten, Mr. Bowlby und Allan waren im Frack; Miß Bowlby in ausgeschnittenem Tüll und Mrs. Bowlby in einer grünschwarzen Brokattoilette mit einer Schleppe, die ebenso lang war wie sie selbst, mit ihren besten Juwelen geschmückt und fest entschlossen, das Sternenbanner hochzuhalten. Yussuf Khan und der alte Ali waren in ganz orientalischen weißen weiten Gewändern, mit Turbans auf dem Kopfe. Yussuf Khans Turban trug eine Aigrette von Diamanten, alle weiß bis auf einen einzigen großen schwarzen, der wie ein brennender Pechsee flammte. Ueber sein rechtes Ohr hing ein Büschel Smaragden, das Mrs. Bowlbys Lippen ein unwillkürliches Ah! entlockte. Yussuf Khan begrüßte sie mit einem tiefen Salaam. „Willkommen, Gäste des Abends!“ sagte er. „Willkommen zu dieser Festlichkeit, und nehmet meinen Dank, daß ihr sie durch eure Gegenwart beehren wollt. Ich bitte euch, gütigst zu entschuldigen, daß die Anordnungen, die getroffen wurden, euer ganz unwürdig sind, und bevor wir zu dem dürftigen Tische gehen, bitte ich euch, Oberst Morrel Sahib, diejenigen meiner Gäste vorzustellen, mit denen ich noch nicht zusammengetroffen bin.“ Während der Oberst diese Vorstellung vornahm, hatte Allan Zeit, sich umzusehen. Der Festsaal des Hotels hatte, um nach Yussuf Khans Wünschen angeordnet zu werden, die Voraussetzung gehabt, daß er in einer Art Tempelstil erbaut war, mit sehr breiten Säulen an den Seiten, die eine nicht besonders hohe Decke trugen. Jetzt waren sowohl Decke wie Wände und Boden von ungeheuren schweren Teppichen in phantastischen teheranischen Mustern verdeckt, zwischen denen die grünblauen breiten Marmorsäulen, wenigstens für Allans Phantasie, asiatisch wirkten. Von der Decke sanken die Draperien in einer weichen Kurve herab, in der Mitte des Saales von zehn langen Lanzen gerafft; unter dem so gebildeten Baldachin war die niedrige Festtafel gedeckt. Davor befanden sich an der Stelle von Sesseln förmliche Berge von Kissen. Neben jedem Platz stand ein niedriges Metallgestell, das eine Spülschale aus grünem Porphyr trug. Die Beleuchtung war ein Kompromiß zwischen Europa und der Religion des Propheten: Elektrische Lampen, die zusammen einen gewaltigen Halbmond bildeten, glitzerten an der draperieverhüllten Decke von der einen Längsseite bis zur anderen. In einem entsprechenden Halbkreis stand die schwarze Leibwache, die Krummsäbel im Gürtel rings um den Platz, wo der Maharadscha sitzen sollte und wo die Kissen etwas höher aufgetürmt waren, als auf den anderen Plätzen. Zuletzt erblickte Allan mit einem leichten Schauer in einer Ecke einige halbnackte Tänzerinnen mit goldenen Ringen um Arme und Fußknöchel. Sie hatten breite, groteske Saiteninstrumente und blinkende Tamburine. Was würde Mrs. Bowlby dazu sagen? Er wandte die Aufmerksamkeit von den Tänzerinnen gerade rechtzeitig ab, um zu hören, wie diese Dame zu Yussuf Khan sagte: „Ich muß gestehen, daß ich schwankte, bevor ich Ihre ... Ew. Hoheit (es fiel ihr merklich schwer, den Titel hervorzubringen) Einladung annahm.“ „Und warum?“ sagte Yussuf Khan. „Hat der junge Sahib, der meine Juwelen gerettet hat, meine Einladung so lau oder schlecht vorgebracht?“ „Nein,“ sagte Mrs. Bowlby, „aber ich befürchtete, daß, wenn das Fest so werden sollte, wie die Feste in Ihrem ... in Ew. Hoheit Heimat zu sein pflegen, ich ... hm ... Dinge zu sehen bekommen würde, die eine anständige Frau nicht zu sehen gewohnt ist.“ „Das ist richtig,“ sagte Yussuf Khan, „in meinem Lande kommen ehrbare Frauen nicht zu den Festen der Männer.“ Mrs. Bowlby zuckte bei dieser orientalischen Aufrichtigkeit zusammen. Im Nu vergaß sie Zeremonien und Titel über Dinge, die ihr schon lange am Herzen lagen. „Und in meinem Lande“, rief sie, „hat kein anständiger Mann hundertfünfzig Frauen auf einmal!“ Yussuf Khan überlegte einen Augenblick. „Aber habe ich nicht gehört,“ sagte er ernst, „daß eine Frau hundertfünfzig Männer hintereinander haben kann, wenn sie es darauf anlegt?“ Mrs. Bowlby starrte ihn an. „Wir wollen uns die Hand schütteln,“ sagte sie schließlich. „Das haben Sie gut gemacht! _Demmit_, das ist mir noch nie eingefallen.“ „Jedes Land“, warf der alte Hofdichter ein, „hat seine Sitten, die zwei Meilen von der Grenze lächerlich und unbegreiflich erscheinen. Dies sollte uns lehren, zu bedenken, daß wir alle nichts anderes sind, als Spielbälle des Schicksals, wie der göttliche Zeltmacher es so treffend ausdrückt: Nur Puppen sind wir auf dem Schachbrett Welt, Ein Spielzeug nur, geschoben und gestellt; Ein Zeitvertreib! -- Und hat’s das Schicksal satt, Zum Kasten wandert, Stück an Stück gesellt!“ Er wiederholte eine Zeile für sich selbst in einer Sprache, die Allan nicht kannte und die etwa klang wie: „_U danad u danad u danad u_ ...“ Oberst Morrel beeilte sich das Wort zu ergreifen; Poesie gehörte offenbar nicht zu seiner Vorstellung von _hors d’oeuvres_. „Wäre es nicht an der Zeit zu Tisch zu gehen?“ sagte er. „Ew. Hoheit wissen, daß wir morgen in aller Frühe abreisen.“ Yussuf Khan brach in ein Lachen aus, das Allan überraschte. Eine solche Heiterkeit erwartete man nicht von einem passiven Orientalen. Aber tatsächlich lachte Seine Hoheit so, daß er alle Zähne zeigte, wobei Allan flüchtig bemerkte, daß einer davon ganz überplombiert mit Gold war. Yussuf Khan wischte sich die Augen und sagte noch immer lachend: „Ihr habt recht, Oberst Morrel Sahib, morgen verliert mich diese Stadt für lange Zeit aus den Augen. Gehen wir also zu Tisch!“ Der Oberst, der diese Heiterkeit, deren Ursache ihm offenbar unbegreiflich war, ganz verblüfft beobachtet hatte, zuckte die Achseln. Yussuf Khan wiederholte: „Zu Tisch!“ Er führte selbst die Gäste zu der gedeckten Festtafel und wartete, bis alle unter dem niedrigen Baldachin versammelt waren, um dann zu sagen: „In meinem Lande nehmen wir unsere Mahlzeiten nicht an einem Tische wie diesem ein. Aber als ich mit mir selbst über das Fest zu Rate ging, sagte ich mir zwei Dinge. Ich dachte zuerst: diese edlen Sahibs sind nicht an die Sitten meines Landes gewöhnt, und was das Essen betrifft, so lieben alle Menschen ihre eigenen Sitten am meisten.“ „Das ist wahr,“ sagte der alte Ali, „und mein Schüler spricht gut.“ „Ferner“, fuhr Yussuf Khan fort, „sagte ich mir selbst: was ist schuld daran, daß ich diesen edlen Sahibs Unannehmlichkeiten bereitet habe, die ich sie nun in unwürdiger Weise durch dieses Fest bitten möchte, zu entschuldigen? Ich sagte mir selbst: meine Juwelen, denen von schlauen, kühnen Dieben nachgetrachtet wurde. Wenn nun meine Gäste diese Juwelen zu sehen bekommen, die trotz alldem von einer gewissen Schönheit sind, können sie vielleicht den Grund der Gier der Diebe begreifen und dadurch auch die Unannehmlichkeiten, die sie selbst erdulden mußten. Und deshalb --“ Er brach plötzlich ab und klatschte in die Hände. Im Nu, plötzlich, wie der Nebel bei einem Sonnenaufgang in den Tropen verschwindet, verschwand eine Hülle aus weißer Seide, die über der Festtafel ausgebreitet gelegen war -- wie es zuging, konnte niemand sehen -- und Yussuf Khans Gäste starrten mit halbgeblendeten Augen auf die Juwelen Nasirabads, die sich in einer Pyramide mitten auf dem Tische auftürmten. Eine nette Tischdekoration! Allan, der Oberst und Herr van Schleeten, die sie schon gesehen hatten, standen stumm da, wieder ganz bezaubert von dem phantastischen Glanz der Steine. Aber der Familie Bowlby, die sie noch nicht gesehen hatte, entrang sich ein dreifacher erstickter Schrei. Mrs. Bowlbys Augen irrten von einem Diadem und Halsband zum anderen, halb mit naiver Bestürzung, halb mit Mißtrauen. Endlich wendete sie sich dem Maharadscha zu, der sie ernsthaft beobachtet hatte, und murmelte, indem sie auf die Familienjuwelen wies, die sie trug: „Wollen Ew. Hoheit einen Augenblick warten, ich springe nur hinauf und lege das ab!“ Yussuf Khan winkte majestätisch mit der Hand. „Das wäre töricht, und wir würden Zeit verlieren,“ sagte er, ohne sich auf irgendwelche Versuche zu Höflichkeiten einzulassen. „Nehmen wir Platz!“ Er winkte den Gästen, sich zu setzen. Neben sich placierte er Mr. und Mrs. Bowlby, dann Allan mit Miß Helen, dann den Obersten, Herrn van Schleeten und den alten Ali. Selbst setzte er sich zu allerletzt, indem er den rechten Arm zu dem Baldachin erhob. Im selben Augenblicke tauchten von allen Seiten, wie es schien, aus dem Nichts, Diener mit blinkender schwarzer Haut auf, füllten die Porphyrschalen vor jedem Gaste mit parfümiertem Wasser und stellten vor jeden einen Becher mit einem rosafarbenem Getränk hin. „Das ist Sorbet,“ sagte Yussuf Khan, „später kommen die Getränke, die die Sahibs lieben, aber zum Willkommengruß wünschte ich den Trank meines eigenen Landes.“ Er erhob das Glas mit einer majestätischen Bewegung und trank es aus. „Möchte diese unwürdige Mahlzeit euch alle Beschwerden vergessen lassen, die ihr meinetwegen erduldet habt.“ Im selben Augenblicke, in dem er seinen Becher niederstellte, fiel ein Regen von Rosen auf die Festtafel und die Gäste, und im Hintergrunde des Saales begannen die braunen Tänzerinnen einen wirbelnden Tanz, den sie auf ihren seltsamen Instrumenten begleiteten. Während Mrs. Bowlby von ihren Kissen empor schnellte, um sie anzustarren, beugte Allan sich zu Miß Helen herab, die mit träumenden Augen dasaß, als wüßte sie nicht, ob sie wachte, und sagte: „Se. Hoheit scheint kein weiteres Attentat auf seine Edelsteine zu befürchten, da er sie hier so ausbreitet.“ „Er hat ja die Leibwache um sich,“ sagte sie, ohne ihre Blicke von der Pyramide auf dem Tisch abzuwenden. „Sie haben aber auch gehörigen Respekt vor diesem Mirzl!“ „Ich muß gestehen, daß ich ihn im Verdacht habe, wo immer zwei oder drei versammelt sind und etwas in der Nähe ist, das des Stehlens wert ist.“ „Da müßte er ja hier drinnen sein,“ lachte sie. Allan fuhr bei ihren leicht hingeworfenen Worten zusammen. Was war ihm doch früher am Abend eingefallen? Und nach welcher anderen Erinnerung fahndete er nur? Yussuf Khan, der Mrs. Bowlby mit tiefem Ernst beobachtet hatte, sagte: „Es ist unbestreitbar, daß einige der Tänzerinnen, die der Besitzer dieser Karawanserei aufgetrieben hat, nicht des Reizes entbehren. Aber ich für meine Person finde weit größeres Gefallen an Eurer Tochter, die mir herangewachsen genug scheint, um verehelicht zu werden.“ Mrs. Bowlby stieß einen Schrei aus, wie ein in der Schlinge gefangener Papagei und wandte sich jäh von den Tänzerinnen ab, die in einem Zyklon von nackten Gliedern und blinkendem Gold umherwirbelten. „Helen!“ rief sie. „Helen, du darfst kein Wort von dem hören, was er sagt!“ „Nein, Mama.“ „Sie sollten sich schämen!“ fuhr Mrs. Bowlby an Yussuf Khan gewendet fort. „Sie sollten sich die Augen aus dem Kopfe schämen! Wo Sie hundertfünfzig Weiber haben, die Sie Frauen nennen, Sie sollten sich schämen, meinem armen, unschuldigen Kinde Fallstricke zu legen!“ „Diese hundertfünfzig Frauen“, sagte Yussuf Khan, „sind schon lange in meinem Palast. Ueberdies können sie weggeschickt werden, wenn es nötig ist. Vielleicht ist es leichter, eine Frau zu lieben als hundertfünfzig.“ Mrs. Bowlby umklammerte ihren Sorbetbecher, wie um ihn ihm an den Kopf zu werfen und starrte ihn sprachlos an. Yussuf Khan fuhr ebenso ruhig wie immer fort: „Mein Geschlecht zählt achtundvierzig Ahnen, und von meinem Palast und meinen Besitztümern legen diese Juwelen ein wenn auch unwürdiges Zeugnis ab. Wäre der Juwelenkünstler, der zur Linken meines Lehrers sitzt, nicht von einem Weibe betört worden, worum wir ihn alle beneiden müssen, hätten diese Juwelen ein anderes und gewinnenderes Aussehen.“ „Helen!“ schrie Mrs. Bowlby mit erstickter Stimme, „Helen, höre nicht auf ihn!“ Miß Helen wollte etwas antworten, und die schwarzen Diener erschienen eben in feierlicher Prozession mit einer Reihe Silberschüsseln in den erhobenen Händen, als Allan eine Idee durchzuckte. Die Erinnerung, nach der er gesucht hatte, war aufgetaucht, und im selben Augenblick war die Idee gekommen -- wahnsinnig, aber!! Er beugte sich hinter Miß Helens Rücken zu Oberst Morrel vor. Er flüsterte dem Obersten zwei Fragen zu, worauf dieser ihn anstarrte wie einen Wahnsinnigen, bis er endlich die Sprache wieder fand. „Ja, was zum Henker soll das heißen?“ brüllte er. „Sind Sie denn ganz toll?“ Allan erhob sich von seinem Platz. „Was das heißen soll?“ rief er, indem er mit blitzenden Augen auf Yussuf Khan deutete. „Das soll heißen, daß der Mann, der da sitzt, gar nicht Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad ist!“ Er hatte kaum diesen Satz herausgeschleudert, als an die Eingangstür des Festsaals geklopft wurde. Sie öffnete sich, und drei wunderliche Gestalten erschienen auf der Schwelle. Zuerst kam der Mann, der behauptet hatte, einem Feste in seinem eigenen Hotel nicht beiwohnen zu können -- der Direktor des Grand Hotels Hermitage. Dann kam eine Frau, bei deren Anblick Mrs. Bowlby zurückprallte wie vor dem Anblick einer Klapperschlange, und schließlich ein Mensch im zerdrückten Anzug und nicht ganz reinem Kragen, der eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Maharadscha von Nasirabad aufwies. XIII Yussuf Khans Heirat Der Direktor des großen Hotels brach das Schweigen, das durch seinen und den Eintritt der anderen zwei Personen in den Festsaal entstanden war. Er wendete sich an Oberst Morrel und sagte mit einer entschuldigenden Betonung auf jedem Wort, das er sprach: „Herr Oberst, Sie müssen mein Eindringen in Ihre Gesellschaft verzeihen. Sie können sich denken, daß es nicht ohne zwingende Gründe geschieht. Ich werde das, was vorgefallen ist, so kurz und deutlich erzählen, als ich kann. Vor zwanzig Minuten wurde ich in das Bureau gerufen, mit dem Bedeuten, daß meine Anwesenheit unumgänglich notwendig sei. Ich eilte hinunter und fand diese Dame, in der ich Mrs. Langtrey erkannte, die einige Zeit im Hotel gewohnt hat, und diesen Herrn, der eine gewisse Aehnlichkeit mit Sr. Hoheit hat (der Direktor verbeugte sich in der Richtung von Yussuf Khan). Ich traute meinen Augen nicht, als ich Mrs. Langtrey sah, die, wie wir wissen, vor zwei Tagen ein kühnes Attentat auf die Juwelen Sr. Hoheit versucht hatte, über das einer der Gäste Sr. Hoheit die ausführlichsten Aufklärungen geben kann. (Der Direktor verbeugte sich leicht gegen Herrn van Schleeten, der ganz starr dasaß, die Augen auf Mrs. Langtrey geheftet). Bevor ich noch meine Bestürzung aussprechen konnte, sagte Mrs. Langtrey: ‚Ich weiß genau, was Sie sagen wollen. Es ist unnötig. Ich bin Mrs. Langtrey, die in Ihrem Hotel gewohnt hat; das ist der Maharadscha von Nasirabad, der vor fünf Tagen geraubt wurde.‘ ‚Wie können Sie es wagen, zu behaupten, daß dieser Mensch der Maharadscha ist,‘ rief ich aus, ‚ich weiß doch, daß der Maharadscha gerade jetzt ein Abschiedsfest in meinem Hotel gibt!‘ ‚Der Maharadscha,‘ erwiderte Mrs Langtrey, ‚ein sauberer Maharadscha! Der Mensch, der heute abend in Ihrem Hotel das Fest gibt, ist nicht mehr Maharadscha als Sie selbst oder der Portier hier. Ich verlange augenblicklich in den Festsaal hinaufgeführt zu werden.‘ Jetzt wurde mir die Sache zu bunt, und ich wollte die Dienerschaft rufen, um Mrs. Langtrey aus dem Hotel zu weisen, als sie mir zuvorkam und sagte: ‚Tun Sie nicht etwas, was Sie bereuen würden! Wir wollen nur ungerne mit Hilfe der Polizei eindringen, aber wenn es notwendig ist, werden wir es tun.‘ Nach dieser Aeußerung glaubte ich nichts anderes machen zu können, als die Gesellschaft hierher zu begleiten, wie sie es wünschte.“ Der Direktor verstummte. Der Oberst blickte wie ein Schlaftrunkener um sich, bald starrte er den Direktor, bald Allan an, bald die zwei Personen, die auf den Thron von Nasirabad Anspruch erhoben. Der zuletzt Erschienene, der Mann in Mrs. Langtreys Gesellschaft mit dem zerdrückten Frack, ergriff das Wort: „Wie lange werde ich noch warten müssen, bis dieser Verbrecher, der mein Aussehen gestohlen hat, in Ketten gelegt wird?“ sagte er. „Fünf Tage bin ich in seinen und seiner Bande Händen gewesen, und nun ich wiederkomme und finde, daß er meinen Namen, wenn auch nicht mein Hab und Gut, gestohlen hat, werde ich behandelt, als wäre +ich+ er. Oberst Morrel Sahib, wie lange werde ich noch warten müssen, daß der Verbrecher in Ketten gelegt wird?“ Der Oberst starrte von ihm zum Maharadscha am Tisch, ohne eine Silbe hervorbringen zu können. Er kannte den Maharadscha seit vielen Jahren; am Tische saß ein Yussuf Khan, an den er sich von tausend Gelegenheiten her erinnerte, in der Türe stand ein Mann mit eingefallenen Wangen und zerknitterter Kleidung, der wohl eine gewisse Aehnlichkeit mit dem anderen Yussuf Khan hatte, aber auch nicht mehr als das. Aber dieses Zusammentreffen mit dem jungen Mann aus Schweden, der seine absurde Behauptung fast im selben Augenblicke hinausgeschleudert hatte, in dem sie in so eigentümlicher Weise von anderer Seite vorgebracht wurde! Er stand noch total konfus da, als das Schweigen gebrochen wurde: Der Maharadscha am Tische wollte sprechen, aber Allan Kragh fiel ihm höchst unartig ins Wort. „Oberst Morrel,“ sagte er. „Ich stellte kürzlich zwei Fragen an Sie, die Sie, wie ich sah, wahnwitzig fanden. Gestatten Sie, daß ich sie noch einmal wiederhole?“ Der Oberst nickte starr, vermutlich ohne aufzufassen, was Allan sagte, so verblüfft starrte er noch immer die beiden Kronprätendenten an. „Ich habe Sie gefragt,“ sagte Allan, „ob Se. Hoheit, der Maharadscha, Gelegenheit hatte in Nasirabad seine Zähne plombieren zu lassen? Wollen Sie mir diesmal ausdrücklich darauf antworten?“ Der Oberst wendete seinen starren Blick ihm zu. „Zähne plombieren,“ schrie er. „Das ist wirklich nicht die rechte Zeit für Geschwätz und Dummheiten.“ „Es sind vielleicht nicht solche Dummheiten, wie Sie glauben,“ sagte Allan. „Ich ziehe aus Ihrer Antwort den Schluß, daß Se. Hoheit keine Gelegenheit hatte, seine Zähne in Nasirabad plombieren zu lassen. Und in London?“ „Jetzt hören Sie aber, junger Freund --“ „_All right._ Also auch nicht in London. Nun weiß ich aber, daß der Mann, der hier am Tische sitzt, einen Backenzahn hat, der mit einer Goldplombe überzogen ist. Kann er dies widerlegen, entfällt einer der Gründe für meine Behauptung, daß er nicht der Maharadscha von Nasirabad ist. Ich gebe ihm hiermit Gelegenheit, es sofort zu widerlegen.“ Yussuf Khan sprang mit blitzenden Augen vom Tische auf. „Ich weiß nichts von der Gastfreundschaft der Sahibs,“ sagte er, „wenn sie die Gastgeber sind. Aber wenn jemand in meinem Lande zu mir, seinem Gastgeber, so spräche, wie dieser junge Mann zu mir spricht, ich würde ihn mit Hieben und Schlägen von meinen Dienern aus dem Hause jagen lassen. Bin ich ein Pferd, daß ich mir auf einen Wink in den Mund schauen lasse? Man treibe diese Menschen hinaus, die ich nicht kenne und die sich hier eingedrängt haben wie freche Bettler, und zugleich mit ihnen diesen jungen Mann, der mich beleidigt hat, wie ich noch nie beleidigt wurde!“ Er betrachtete Allan und die ungebetenen Gäste mit blitzenden Augen. Der Oberst richtete sich auf und war im Begriff seinen Wunsch zu erfüllen, als Allan ihn mit einer Geste und einem leisen Lächeln aufhielt. „Oberst Morrel,“ sagte er, „einen Augenblick! Ich will mich gerne in der Weise, wie Se. Hoheit es wünscht, hinausjagen lassen, aber unter einer Bedingung. Ich glaube, daß Mrs. Langtrey und ihr Begleiter sich mir anschließen werden, wenn sie diese Bedingung hören.“ Er wandte sich dem Maharadscha am Tisch zu: „Benjamin Mirzl, du Sonne der Rechtgläubigen und aller Verbrecher König, habe die Gewogenheit, deiner schwarzen Leibwache selbst den Befehl meiner Verjagung zu geben! Ich weiß zufällig, daß sie nicht englisch spricht!“ Die Züge des Maharadscha nahmen, während Allan sprach, einen furchtbaren Ausdruck an. Er verließ seinen Platz und kam mit langsamen Schritten auf die Gruppe zu, die in der Nähe des Eingangs stand. Seine Augen waren durchbohrend auf Allan geheftet und funkelten wie die eines Königstigers. Er blieb vor Allan stehen und fixierte ihn einen Augenblick mit einem Ausdruck solchen Zornes, daß der Oberst eine Bewegung machte, um einzuschreiten; es sah aus, als wollte er Allan auf der Stelle niederschlagen. Im selben Augenblick geschah jedoch etwas ganz anderes. Der Maharadscha machte an ihnen allen vorbei einen Riesensprung, nicht unwürdig des königlichen Raubtieres, dem er glich; und bevor jemand sich noch gerührt hatte, lag der Saal in Stockfinsternis versunken; sie hörten die Eingangstüre zufliegen und das Einschnappen eines Riegels. Für einen Augenblick war alles ein wüstes Durcheinander; Rufe ertönten von Mrs. Bowlby, vom Obersten, von der schwarzen Leibwache, vom Direktor und den eben eingetroffenen ungebetenen Gästen. Dann kam ein Ausruf der Befriedigung von jemand, dem es gelungen war, den Kontakt zu finden, und der Saal lag wieder im Licht da. Ein Gewimmel von Armen und Beinen bearbeitete die Türe mit Schlägen und Stößen; verschiedene Ausrufe des Obersten, der mitten im Kampfgewühl war, deuteten an, daß nicht alle Schläge den Türspiegel trafen. Endlich flog die Türe auf, und eine wilde Jagd begann die Treppe hinunter in die große Halle. Zum Glück für den zukünftigen Ruf des Hotels war die Halle bis auf ein paar Bedienstete und den Portier ganz leer. Der Direktor schleuderte ihm mit Tigergebrüll eine Frage zu, und nach einem Augenblick des erstaunten Starrens kam die Antwort von dem würdigen Portier mit der Benediktinerfigur: „Der falsche Maharadscha? Der Maharadscha ist vor einem Augenblick die Treppe hinuntergekommen und ... nun ja, er schien ein bißchen unsicher auf den Beinen. ‚Will b--bißchen an die f--frische Luft‘, hat er uns zugemurmelt, Sir, und uns ein wenig unsicher angesehen. Wir hörten Rufe oben aus dem Festsaal und dachten uns: Jetzt sind die Gäste in Stimmung gekommen, und --“ Im nächsten Augenblicke waren sie an dem würdigen Portier vorbei, wie ein Koppel Hunde, die die Fährte gefunden haben. Leider führte diese Fährte nicht weiter als bis zum Monmouth Square. Der patrouillierende Polizeikonstabler rapportierte, daß er vor zwei Minuten einem asiatischen Gentleman, der etwas bezecht zu sein schien, in ein Auto geholfen hatte, das dann zur Wohnung dieses Herrn, Grosvenor Hotel, fortgerollt war. Der Oberst sah Allan an, während er sich den Schweiß von der Stirne wischte. „Der verdammte Schurke,“ murmelte er. „Das drittemal! Und auf ein Haar wäre es ihm geglückt ... Hol’s der Teufel -- ich kann nicht umhin, den Kerl zu bewundern.“ „Gehen wir wieder hinauf,“ sagte der Direktor. „Seine Hoheit ... Seine wirkliche Hoheit kann Entschuldigungen und Erklärungen verlangen.“ Er, der Oberst und Allan gingen die Treppe wieder hinauf; Herr van Schleeten hatte an der Jagd auf den falschen Maharadscha nicht teilgenommen. Die Leute auf dem Monmouth Square starrten die drei Herren an, von deren Gesichtern der Schweiß troff, trotzdem sie in Frack und weißer Krawatte waren. Im Festsaal angelangt, bot sich ihnen eine bunte Szene. Links von dem Eingange stand die Familie Bowlby unter dem Präsidium von Mrs. Bowlby, die mit ausgebreiteten Röcken bereit war, ihr Haus zu verteidigen, wie die Henne ihre Küchlein. Sie führte eine eifrige, leise Konversation mit ihrem Mann und ihrer Tochter und schleuderte hie und da einen herausfordernden Blick auf Mrs. Langtrey. Mrs. Langtrey stand mitten im Saale mit stolzer Haltung und einem unergründlichen Lächeln. Ihre Augen hingen an Yussuf Khan -- dem nun anerkannt richtigen -- und auf ein Kissen an der Festtafel gesunken, die Nasenfarbe von Chateau Lafitte in Haut Sauterne verwandelt, saß ein Herr mit dickem, gelbgrauem, jetzt schlaff hängendem Schnurrbart, dessen Augen nichts anderes sahen als Mrs. Langtrey -- Herr van Schleeten. Die schwarzen Diener und die Leibwache hatten sich in einem Kreis versammelt, wie eine Krähenkolonie über das Passierte schnatternd. Yussuf Khan -- der richtige -- stand, noch etwas schlapp, mit einem geleerten Weinglas in der Hand da und war der Gegenstand zärtlicher Worte und entschuldigender Bitten von seiten seines alten Lehrers. „Beim Propheten, mein Sohn, ich schäme mich wie ein Dieb, der im Basar auf frischer Tat ertappt wurde! Ich, ich selbst, dein Lehrer, ließ mich zwei Tage von diesem frechsten unter den Betrügern täuschen. Sogar seine Sprache war die deine, nur poetischer, worin ich eine Frucht der Lehren sah, die ich dir beizubringen bemüht. Mein Hochmut darüber machte mich noch blinder gegen seinen wirklichen Charakter, wofür Allah mir gnädig sein möge. Wahrlich, beim Propheten! Ich schäme mich! Wäre nicht dieser junge Mann mit dem wunderbar scharfen Falkenblick gewesen, du wärest jetzt vertrieben, und er, der Betrüger wäre in wenigen Wochen, wenn wir unser Land wiedersehen, nach dem ich mich sehne, wie der Hirsch nach der Quelle, auf den Thron von Nasirabad erhoben worden. Ueberaus treffend sagt der göttliche Zeltmacher --“ Der Maharadscha unterbrach ihn, ohne die treffende Aeußerung des göttlichen Zeltmachers abzuwarten. „Ohne Zweifel“, sagte er, indem er sich aufrichtete, „hat der junge Mann, der mir unbekannt ist, jetzt das Verdienst, daß der Betrüger entlarvt wurde, aber ich hatte jemanden in meiner Gesellschaft, der bereit war, ihn zu entlarven. Sie wollte nur ihren Zeitpunkt wählen.“ „Mein Sohn, ich bedauere, daß du mir den Schmerz bereitest, den Worten des göttlichen Zeltmachers nicht so gerne zu lauschen wie der elende Betrüger, Sohn Scheitans. Aber du sagtest +sie+? Meinst du die Frau, die in deiner Gesellschaft kam?“ „Wie du sagst. Sie, die in meiner Gesellschaft kam, die von diesem Betrüger und Menschenräuber zu meiner Gefängniswärterin ausersehen war, die sich meiner in meiner Gefangenschaft erbarmte, und von der ich gleich noch mehr mit dir und Oberst Morrel Sahib sprechen werde. Fünf Tage war sie meine Wächterin, nur anfangs von dem Verbrecherkönig abgelöst. Ihre Milde zugleich mit der Festigkeit ihres Willens war bewunderungswürdig, und die Zeit in meinem Gefängnis, wo sie über mich wachte, war mir süßer als alle Stunden, die ich in der Gesellschaft anderer Frauen verbracht habe. Sie war fest wie die Hand des Reiters, wenn sie den Zügel hält, und sanft wie sie es ist, wenn sie das Fohlen streichelt. Heute -- doch später mehr davon. Du sagtest, daß wir schon in einigen Wochen unser Vaterland wiedersehen werden? War denn die Zeit für Eure Abreise schon bestimmt?“ „Sie war von Oberst Morrel Sahib für morgen bestimmt, der es gestern als eine Gnade von Sr. Exzellenz dem Minister erwirkte, daß wir diese Stadt mit unversehrter Ehre und Turbans verlassen dürfen. Von solchen Dingen wie die, die unsere Anwesenheit hier verursacht hat, hat diese Stadt noch nie gehört, und sowohl die Bevölkerung hier wie Oberst Morrel Sahib sind mit Recht über mich empört, der ich dir ein so elendes Vorbild gewesen. Ach, du kannst in Wahrheit auf deinen Lehrer anwenden, was der göttliche Omar von seinen Lehrern sagte: Die hellsten Leuchten von den klügsten Köpfen, Die von den Sternen selbst die Weisheit schöpfen, Da liegen sie ...“ „Da kommt Oberst Morrel Sahib,“ schnitt Yussuf Khan ab. „Das ist gut. Ich will sogleich mit ihm von dem sprechen, was mir am Herzen liegt.“ Er ging dem Obersten entgegen, der sich noch nach der Verbrecherjagd die Stirne wischte und hie und da mit einem gemurmelten energischen Ausdruck die Fußknöchel rieb, die im Kampf gegen die Eingangstüre mitgewirkt hatten. Er starrte Yussuf Khan mit Blicken an, in denen allzu geringe Freude über die Rückkehr des rechten Thronprätendenten zu lesen war. „Eine saubere Geschichte,“ rief er, als trüge Yussuf Khan die Schuld an Herrn Mirzls Missetaten. „Habe ich gesagt eine verdammt saubere Geschichte? Was sage ich, ein ganzer Knäuel von verdammt sauberen Geschichten! Hätte Gott uns nicht diesen jungen Mann gesandt“ -- er wies auf Allan -- „so weiß der Teufel, wie es jetzt aussehen würde.“ „Wer ist dieser junge Mann?“ sagte Yussuf Khan. „Er hat einen Namen, an dem man sich die Zunge zerbricht. Aber das tut nichts. Das ist das drittemal, daß es ihm gelungen ist, den Erzgauner zu überlisten, der sonst gewiß den Satan selbst beschwindeln kann, wenn er es darauf anlegt. Haben sie viele solche in Deutschland, wo er herkommt, dann begreife ich, daß wir Zölle gegen alles brauchen, was aus diesem Lande kommt. Dieser junge Mann -- ja hören Sie nur!“ Er gab dem Maharadscha eine kurze, aber bunte und pittoreske Beschreibung Von Herrn Mirzls und Allans drei Duellen und unterließ es nicht, moralische Reflexionen über Yussuf Khans eigenen Anteil an den Malheurs einzuflechten, die ihn (Oberst Morrel) seit der Ankunft in Europa heimgesucht hatten, einem Weltteil, der vor Scham errötete, daß sich solche Dinge vor seinen Augen abspielten. Yussuf Khan hörte geduldig zu, bis er zu Ende war, und sagte dann: „Mein Lehrer Ali hat mir gesagt, daß es Eure Absicht war, Oberst Morrel Sahib, morgen nach Nasirabad mit diesem Betrüger als König an meiner Statt abzureisen. Ist das richtig?“ Der Oberst knurrte ein halb zorniges, halb verlegenes „Ja“. „Es ist gut. Dasselbe ist nun meine eigene Absicht. Was diesen jungen Mann betrifft, werde ich mir später überlegen, was geschehen soll, um ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen. Vorher kommt etwas anderes. Ich bin über das Meer in dieses Land gereist, um mir eine passende Gemahlin aus dem Volke der Sahibs zu erringen.“ „Eine Prinzessin,“ knurrte der Oberst. „Diesen Plan müssen wir schon auf den Nagel hängen, nach allem, was Ew. Hoheit hier in London angestellt haben. Weiße Prinzessinnen sind ein bißchen heikel.“ „Ihr sprecht töricht, Oberst Morrel Sahib, wir müssen diesen Plan nicht auf den Nagel hängen, wie Ihr sagt. Vielmehr wird schon an diesem Abend meine Vermählung gefeiert werden.“ „Haha! Das ist gut! Wo ist denn die Prinzessin?“ „Hier,“ sagte Yussuf Khan gelassen und wendete sich Mrs. Langtrey zu. So allmählich hatte sich ein Kreis aus allen Personen, die im Saal waren, um ihn gebildet. Bei seinen letzten Worten ertönte ein schriller Schrei von dem Punkt des Kreises, wo Mrs. Bowlby stand, noch immer ihre Familie hinter ihren ausgebreiteten grünen Brokatflügeln schützend: „+Haha! Die wird Königin!+“ Yussuf Khan sah Mrs. Bowlby an. „Wer ist diese Frau, die törichte Worte durch die Nase entsendet?“ fragte er. „Ew. Hoheit müssen das nicht beachten,“ sagte Mr. Bowlby, „wodurch sollte sie sie sonst entsenden?“ „John! Du auch! Du verläßt deine Gattin und beleidigst sie öffentlich!“ „Geliebte Susan. Bist du auf deine alten Tage eitel geworden? Du weißt, daß deine Nase Format zehn ist. Außerdem bist du Gast Sr. Hoheit, und es schickt sich nicht für dich, ihn oder seine anderen Gäste zu beleidigen.“ Mrs. Bowlby schien nahe daran, in ihrem grünen Brokat zu explodieren, aber es gelang ihr, ihre Gefühle in ihren Busen hinabzupressen, und sie schwieg, nachdem sie dem Kreis im übrigen eine tiefe ironische Verneigung gemacht hatte. Yussuf Khan nahm Mrs. Langtrey bei der Hand und wandte sich seinem alten Lehrer zu. „Mein Lehrer Ali“, sagte er, „ist nächst mir selbst Scheik-ul-Islam in Nasirabad. Als solcher ist er bei fürstlichen Vermählungen derjenige, der das Ehepaar verbindet, und auch der berufenste, meiner Gemahlin später Unterricht in der Lehre des Propheten zu erteilen.“ Bei diesen Worten bahnte sich trotz alledem ein heiserer Schrei den Weg aus Mrs. Bowlbys Brust. „+Die wird Mohammedanerin! Und die hundertfünfzig anderen?+“ Yussuf Khan wandte sich ihr wieder mit erstauntem Ernst zu. „Wie töricht spricht doch diese Frau, jedesmal wenn sie sich äußert! Ein Bekenner der Lehre des Propheten hat nur vier Frauen. Ich persönlich habe nur zwei.“ „Zwei! Wie kann man nur ... die ganze Welt weiß doch ...“ „Die übrigen sind nur Nebenfrauen,“ sagte Yussuf Khan. „Und nun werden alle aus dem Palast entfernt und an einen passenden Aufenthaltsort gebracht werden. Von meiner Rückkehr nach Nasirabad an habe ich gleich den Regenten der Sahib nur eine Gemahlin.“ Er machte einen ernsten Salaam vor Mrs. Langtrey, die ihm mit Blicken gefolgt war, aus denen zärtliche Heiterkeit sprach, und wandte sich an den Direktor. „Lasset alles für das Vermählungsfest in meinen Gemächern anordnen,“ sagte er. „Ein Fest von passender Art soll dort nach der Vermählung gegeben werden. In diesem Saal, der von dem Betrüger verunreinigt wurde, will ich nicht länger weilen.“ * * * Trotz alldem besiegte die Neugierde Mrs. Bowlbys übrige Gefühle, und als gegen elf Uhr abends das Vermählungsfest in Yussuf Khans Appartements gefeiert wurde, war sie auch mit dabei, vom Maharadscha eingeladen, der alles, was sie sagte, mit demselben erstaunten Interesse anhörte wie einen Papagei, der sprechen gelernt hat. Das Fest spielte sich diesmal nach europäischer Weise ab, und die Juwelen Nasirabads waren in der Mahagonikassette wohl verwahrt und wurden von der schwarzen Leibwache gegen alle neuen Versuche von seiten Herrn Mirzls geschützt. Der einzige orientalische Einschlag war der alte Ali, der in morgenländischem Kostüm ein hochgestimmtes Poem zu Ehren seines Schülers deklamierte, das nur etwas darunter litt, daß man _Pommery nature_ in ausgedehntem Maße serviert hatte. Mrs. Langtrey feierte ihren letzten Abend in europäischer Tracht mit einer Modestie, die sogar Mrs. Bowlby halb und halb versöhnte. Doch konnte diese Dame es nicht lassen, bei der ersten Gelegenheit auf den Maharadscha Beschlag zu legen, um zu fragen: „Aber wissen Hoheit nicht, daß Ew. Hoheit ... hm ... Gemahlin mindestens einmal verheiratet war?“ „Was bedeutet das für mich?“ sagte Yussuf Khan, „das war ich doch selbst auch.“ Mrs. Bowlby konnte diese Tatsache schwer in Abrede stellen. „Und daß sie die Freundin des Mannes war, der drei Attentate auf die Juwelen Ew. Hoheit und auf Ew. Hoheit selbst unternommen hat?“ beharrte Mrs. Bowlby, die ihren Ohren nicht trauen wollte. „Und daß sie selbst -- --“ „Ich weiß alles. Was macht mir das? Sie ist mein Auge und mein Ohr. Was ich nicht schauen konnte, werde ich durch sie schauen, und was ich nie gehört, wird sie mir erzählen. Nie habe ich süßere Tage durchlebt, als die zwei letzten, wo sie meine Wächterin war und wo sie während unserer Gespräche allmählich etwas anderes wurde und mich wählte anstatt des Mannes, der sie erstrebt hat und an dem sie durch seine Kühnheit Gefallen gefunden. Vielleicht war er durch seinen Mut ihrer würdiger als ich, der ich auch sonst ihrer unwürdig bin. In der Gesellschaft keiner Frau habe ich ein Glück gekostet, wie damals, als sie mir Trank und Speise reichte, und schließlich meine Bande löste. Ihr Wille ist fest wie eine Stahlklinge und weich wie der Brustflaum einer Taube. Vor allen anderen ist sie meine _Maharaneeh_.“ Das Fest hatte etwa eine Stunde gedauert, als der Direktor sich mit einer Verbeugung auf der Schwelle des Speisesaales zeigte, mit einem Silbertablett, auf dem zwei Telegramme lagen. Der Maharadscha kannte die europäischen Gebräuche bei Hochzeiten nicht genügend, um die Bedeutung dieser Gegenstände zu verstehen, aber Oberst Morrel beeilte sich, die Telegramme in Empfang zu nehmen. Er riß das eine auf, starrte es einen Augenblick an und wurde vor Zorn ganz rot. Er wollte es wegwerfen, aber Yussuf Khan kam ihm zuvor. „Was steht auf diesem Papier geschrieben?“ sagte er. „Ich will es wissen. Handelt es von mir?“ Der Oberst räusperte sich. „Es ist ein Telegramm von dem Schwindler,“ murmelte er. „Gut, lasset hören! Wenn dieser Mann auch ein Betrüger ist, so hat er doch Mut. Lasset hören, Oberst Morrel Sahib!“ Der Oberst las: „An das königliche Brautpaar, Grand Hotel Hermitage. Unwürdige Glückwünsche des gestürzten Prätendenten. Möge der legitime Stamm sich allzeit fortpflanzen! Saget Ihrer Majestät, ich begreife, daß es einer Frau interessanter erscheint, über fünfzehn Millionen Mann zu regieren, als über einen einzigen, der allerdings vielleicht die fünfzehn Millionen aufwiegt, und ruhmreicher, die Regentenreihe Nasirabads fortzupflanzen als den Stamm de Citrac! Benjamin Mirzl, Ex-Maharadscha, Ex-Baron de Citrac.“ „Und das andere?“ fragte Yussuf Khan, der den Oberst mit unerschütterlichem Ernst angehört hatte. „Das ist an den jungen Mann mit dem unaussprechlichen Namen.“ „An mich!“ rief Allan. „Ich konnte mir denken, daß ich nicht leer ausgehen würde. Lesen Sie es nur, Oberst Morrel!“ „Wie Sie wollen,“ sagte der Oberst und öffnete das Telegramm: „Mr. Allan Kragh, Suite des Maharadscha von Nasirabad, Grand Hotel Hermitage! Sie haben meine Pläne dreimal durchkreuzt, aber ich bin Ihnen nicht böse. Ich bin ja selbst in die Falle gegangen. Wie Herr van Schleeten ließ ich mich von einer Frau betören. Ich strebte drei Jahre nach ihrer Hand, und sie verschmähte mich, um über fünfzehn Millionen Neger zu herrschen. Aber einen Rat: Lassen Sie uns kein viertesmal zusammentreffen! Mirzl.“ * * * Die Privatauseinandersetzung zwischen Allan und der ehemaligen Mrs. Langtrey gestaltete sich kurz und bestand nur in einem Lächeln und einem Händedruck. XIV Einfach, Nasirabad! Es besteht eine eingewurzelte Ueberzeugung bei alten Alkoholikern, daß kein Katzenjammer schlimmer ist, als der, den man vom Champagner bekommt. Allan Kragh war nicht abgeneigt, dieser Anschauung am Morgen nach Yussuf Khans Vermählung beizupflichten. Eigentlich war seine Lage nicht sehr angenehm. Nun wohl, er hatte Abenteuer gehabt, Abenteuer aus Tausendundeine Nacht, Champagnerabenteuer -- aber an diesem Morgen verspürte er hauptsächlich den Katzenjammer darnach. Seine Kasse hatte Herr Mirzl übernommen, und er wußte noch nicht, ob das Hotel dafür Ersatz leistete. Daß Herr Mirzl es nicht tat, war ziemlich ausgemacht. Yussuf Khan hatte von Belohnung für die Dienste gesprochen, die er dem Herrscher Nasirabads erwiesen, aber nach einer unbestimmten Aeußerung in dieser Richtung hatte er den Abend vorübergehen lassen, ohne daß mehr darüber verlautete. Allerdings hatte er das Halsband aus der Kronjuwelensammlung Nasirabads, aber da er es von Herrn Mirzl während dessen kurzer Regierungszeit erhalten, konnte er offenbar nichts anderes tun, als es zurückerstatten. Und selbst, wenn er vom Hotel Ersatz bekam, was sollte er dann anfangen? Nach den Abenteuern, die er nun gehabt, würden die meisten Erlebnisse schal wirken. Nach Hause reisen? Bei dem Gedanken an die brüllenden Akzeptanten daheim fühlte er einen Schauer wie der Gladiator bei dem Gedanken an die ausgehungerten Löwen der Arena. Nun, fürs erste war wohl nichts anderes zu tun, als zum Direktor zu gehen und zu fragen, wie es mit dem Ersatz für das gestohlene Geld stand. Der Direktor hatte offenbar denselben Champagnerkatzenjammer nach den Erlebnissen des gestrigen Tages wie Allan. Er war verschlossen und nicht besonders entgegenkommend. „Wie ich Ihnen schon gesagt habe, ich kann die Sache selber nicht entscheiden. Natürlich weiß ich alles zu schätzen, was Sie, wenn nicht für das Hotel, so für einen der Gäste getan haben, aber wie gesagt, ich kann nichts Bestimmtes versprechen, bevor ich nicht mit der Direktion gesprochen habe.“ Allan ging mit einem Achselzucken und spazierte ein paarmal durch die große Halle, bis er sich erinnerte, daß Yussuf Khan und sein Gefolge schon zu Mittag abreisen sollte, und daß es daher an der Zeit war, das Halsband des Ex-Maharadschas Mirzl zurückzustellen. Er hatte es im Bankkontor bei dem jungen Manne deponiert, der einmal Herrn Mirzl sein Geld ausgeliefert hatte. Seltsamerweise war es noch da! Aber es brauchte Zeit, bis der junge Bankbeamte genügend von seiner Identität überzeugt war; und die Mühe, ihn zu überzeugen, brachte Allan nicht gerade in bessere Laune. „Wären Sie das vorigemal nur halb so genau gewesen, so wäre ich jetzt um dreihundert Pfund reicher,“ knurrte er den Bankbeamten an und begab sich in den ersten Stock. Die schwarze Leibwache, die im Korridor über die Sicherheit ihres Herrschers wachte, schien nicht unter derselben Depression zu leiden wie Allan. Sie schnatterte und wisperte in ihrem krähenähnlichen Dialekt. Offenbar hatten sie schon von der Heimreise erfahren und freuten sich bereits darauf. Sie ließen Allan mit einem Grinsen ein. Nun kannten sie ihn schon. Im Vorraum befand sich nur der alte Ali. Er begrüßte Allan mit demselben heiteren Lächeln, das die Leibwache draußen zur Schau getragen hatte. „Ah!“ sagte er. „In einigen Stunden befinden wir uns auf dem großen Wasser, von der Krankheit geplagt, die die Dämonen des Wassers die Eigenschaft haben, bei den Reisenden hervorzurufen. Ja, nur einige Stunden, und wir verlassen diese große wunderbare Stadt, von der wir dank dem König der Betrüger so wenig gesehen haben.“ „Sie scheinen nicht gerade betrübt darüber, den Wasserdämonen zu begegnen,“ sagte Allan. „Nein, denn sie müssen mich ja doch in mein Land zurücktragen. Treffend und anmutig sagt ein Dichter, der sich freilich nicht mit dem göttlichen Zeltmacher messen kann: ‚Wer unter Palmen geboren ist, findet die Tannen häßlich, und für die Einwohner Delhis ist der Gestank ihrer Stadt schön.‘“ „Ausgezeichnet, auf Ehre,“ sagte Allan. „Wie sieht es denn jetzt in Delhi aus?“ „Wahrlich, junger Freund, ich kann es Ihnen nicht sagen. Es ist viermal zehn Jahre her, seit ich diese Stadt besucht habe. Und ich erinnere mich tatsächlich nur an einen großen Gestank und an eine Sonne, wie sie sich die Bevölkerung in London nicht träumen läßt, selbst wenn sie Haschisch kaut, und die unerträglich war wie Allahs Augen für den Ungläubigen.“ „Das klingt ja lockend,“ sagte Allan. „Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „verstehe ich recht, Sie sind nie in Delhi gewesen?“ „Sie haben mich recht verstanden,“ sagte Allan, „eigentümlicherweise habe ich total vergessen, Delhi zu besuchen.“ „Aber sicherlich sind Sie in Indien gewesen,“ sagte Ali zuversichtlich. „Ich schäme mich, Ihnen eine Enttäuschung bereiten zu müssen,“ sagte Allan, „aber wie lächerlich es auch klingt, ich bin nicht einmal in Indien gewesen. Ich bin ein unerzogener Esel, mit abgeschnittenen Ohren und Scheuklappen um die Augen. Sagt das nicht der göttliche Zeltmacher irgendwo?“ „Der göttliche Omar hat diese Aeußerung nie gemacht,“ sagte Ali. „Das muß irgendein anderer Dichter von geringerer Bedeutung gewesen sein. Aber wer nie in Indien war, der ist wie ein unerfahrenes Kind, und wer nie in Nasirabad gewesen, wie ein Ungeborener. Da ist der Himmel blauer denn irgendwo und die Luft kühler. Dort scheint die Sonne mit ungewöhnlicher Klarheit, aber sie brennt nicht wie über den Ungläubigen in Delhi. Die Berge sind mit Zedern und Pinien bewachsen, und in ihrem Schatten duftet es süßer als aus dem Haar eines Weibes. Karawanen mit bewaffnetem Schutzgefolge ziehen durch die Pässe auf und nieder, und am Abend duftet es von ihren Lagerfeuern nach gekochtem Hammelfleisch, Reis und guter Butter. Dieser Duft ist köstlicher als andere Düfte, und wer ihn nie geatmet hat, ist wie einer, der nie Wein getrunken oder den Mund einer Geliebten geküßt. Die Frauen in Nasirabad haben schlankere Mitte, üppigere Hüften und kleinere Händchen und Füßchen als andere Frauen, und ihre Augen sind schwarz und funkelnd wie die Nacht im Winter. Nein, wer nie in Nasirabad gewesen, hat nie gelebt.“ „Ich beginne es zu glauben,“ murmelte Allan zu sich selbst; und während der alte Dichter fortfuhr, in langen Sätzen und mit zahlreichen Zitaten aus dem göttlichen Zeltmacher und anderen Dichtern von geringerer Bedeutung sein Vaterland zu beschreiben, sah er vor seiner Seele in einem Blitz den ganzen Orient, bunt flammend von Düften und Visionen, so wie Yussuf Khans Juwelen von Licht und Farben flammten. Er stand noch halb traumbefangen, als die Türe des inneren Gemaches sich öffnete und Yussuf Khan selbst erschien, begleitet von seiner Gemahlin und dem Obersten. Allan verbeugte sich und zog das Halsband hervor, das Yussuf Khan mit erstaunter Miene betrachtete. „Das habe ich von Ew. Hoheit falschem Repräsentanten bekommen,“ sagte Allan, „darf ich bitten, es Ew. Hoheit selbst zurückgeben zu dürfen, bevor er es mir wieder stiehlt.“ „Bekommen?“ wiederholte Yussuf Khan. „Zur Belohnung,“ schaltete der alte Ali ein. „Weil dieser junge Mann ihn zweimal verhindert hat, deine Juwelen zu stehlen, mein Sohn, hat ihm der König der Betrüger dieses Geschmeide geschenkt, ich war selbst anwesend. Die Schamlosigkeit dieses Betrügers wurde durch eine Scherzhaftigkeit gemildert, die ich zuweilen bewundern muß.“ Yussuf Khan sah Allan an. „Und nun wollt Ihr das zurückgeben,“ fragte er. „Warum?“ „Ich habe es doch von einem Schwindler bekommen,“ begann Allan. Yussuf Khan unterbrach ihn: „Es ist gut. Der Betrügerkönig, der meine Juwelen stehlen wollte und zwei Tage hindurch meinen Namen stahl, hat ein Werk getan, das ihm zum Verdienst gereicht. Ich bin Euch, junger Sahib, mehr schuldig, als mit diesem Schmuckstück bezahlt werden kann. Sagt mir, was ich tun kann, um meine Schuld zu tilgen. Sprechet frei, und wisset, daß alles, was Ihr begehrt, im vorhinein bewilligt ist.“ Allan sah das Halsband, das er in der Hand hielt, unentschlossen an. Geschenke und Belohnungen anzunehmen, widerstrebte seinem Nationalinstinkt; aber dennoch wußte er, daß eine Weigerung verletzend wirken würde, und dabei konnte er sich nicht von dem Gedanken losmachen, was er eigentlich anfangen sollte, wenn diese Personen fort waren, in deren Drama er mitgespielt hatte. Der alte Ali sagte zum Maharadscha: „Mein Sohn, denke dir, dieser junge Mann, aus dessen Zügen Begabung und edle Gesinnung sprechen, und der uns große Dienste erwiesen hat, hat in seinem ganzen Leben weder Delhi noch Nasirabad gesehen, ja, er hat nicht einmal Indien besucht. Mit Worten, dem besten unserer Dichter entnommen, zu denen ich für mein eigen Teil viel zu unwürdig bin gezählt zu werden, habe ich versucht, ihm ein mattes Bild von Nasirabads Schönheit zu geben.“ Allan kam eine Idee, die ihn erzittern ließ. Nach diesen Abenteuern aus Tausendundeiner Nacht mußte alles andere als Tausendundeine Nacht einen faden Geschmack haben ... und war Tausendundeine Nacht denn anderswo zu finden als in dem uralten Märchenlande selbst? „Hoheit,“ sagte er, „wollen mir Ew. Hoheit irgendeinen Posten in Ihren Diensten in Nasirabad verleihen?“ Yussuf Khan starrte ihn an. „Ist das alles, was Ihr wünscht?“ fragte er. „Ja,“ sagte Allan, „welchen Platz immer.“ Yussuf Khan betrachtete ihn noch einen Augenblick. „Gut,“ sagte er, „ich habe versprochen, Euren Wunsch zu erfüllen, was immer Ihr begehrt. Von heute an seid Ihr mein nächster Mann in allem, was nicht die Regierung der Sahibs in meinem Lande betrifft. Aber wisset, daß wir diese Stadt in wenigen Stunden verlassen.“ „Ich weiß es,“ sagte Allan, „und ich werde mich mit dem Packen beeilen. Ich packe jetzt meine Koffer zu einer Reise nach Tausendundeine Nacht!“ * * * Dasselbe sagte er ein paar Stunden später zur Familie Bowlby, als er -- obendrein mit seinen dreihundert Pfund vom Hotel in der Tasche -- auf der Eingangstreppe des Hotels von ihr Abschied nahm. Mrs. Bowlby, skeptisch bis zuletzt, sagte: „Ich bin überzeugt, er wird Sie nur dazu verwenden, seine Hundertundfünfzig zu bewachen.“ „Mrs. Bowlby,“ sagte Allan, „ich glaube, daß es Kompetenzbedingungen für eine solche Stellung gibt, die ich nicht erfüllen kann.“ Oberst Morrel, der daneben stand, lachte barsch in seinen weißen Schnurrbart und bemerkte: „_All right_, junger Freund, Indien hat sich seit der Zeit Harun al Raschids ein bißchen verändert. Es ist nicht gesagt, daß Sie dieselben Abenteuer finden, wie in Tausendundeine Nacht. Aber im Notfalle können Sie immer einen Platz unter dem Residenten haben und mit etwas Bekanntschaft machen, worin Sie, wie ich glaube, noch keine große Erfahrung haben, nämlich die Arbeit. -- Es ist Zeit, in das Auto zu steigen.“ „Und die Arbeit“, rief Mr. Bowlby Allan nach, indem er ihm ein Lebewohl zuwinkte -- „ist doch endlich und schließlich das größte Abenteuer.“ Frank Heller Herrn Collins Abenteuer Roman Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos 21.-30. Tausend Geheftet Mk. 5.50 Gebunden Mk. 7.50 +Münchener Neueste Nachrichten+: ... mit dem vergnüglichsten und kurzweiligsten Buch sei begonnen. Herrn Philipp Collins Abenteuer von dem gewandten geschliffenen Schweden Frank Heller ist ein Detektivroman, aber keiner jener dutzendhaften, langweiligen, angelsächsischen Art, die nur mehr Köchinnen und Gymnasiasten gruseln macht. In dem Buche ist Abwechslung, Spannung, unverbrauchter Witz. Blitzschnelle Phantasie, die wie der elektrische Funke um den Erdball springt, wirbelt die Geschehnisse durcheinander; dem Verfasser gelingt die Verblüffung, die schließlich das Kunststück der Detektivgeschichte ist. +Das Literarische Echo+: Es hat nichts mit großer Literatur zu tun, dieses famose Buch, und das ist seine oberste Tugend. Seine zweite ist seine Tugendlosigkeit. Das Böse triumphiert zu unserem Entzücken, und die Bravheit muß mit langer Nase abziehen. Man lacht nicht, aber -- was viel schöner ist -- man wird durch und durch heiter, stillvergnügt, spitzbübisch froh. Es fließt kein Blut, kein Mord muß gesühnt werden; unsere Spannung wird edler erregt. Das ist sympathischer als Doyle, Green, Gaboriau. Also, Herr Heller, es hat uns sehr gefreut. Beehren Sie uns wieder. Georg Müller Verlag, München Frank Heller Die Finanzen des Großherzogs Roman Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos 13.-22. Tausend Geheftet Mk. 5.50 Gebunden Mk. 7.50 +Wiener Abendpost+: Dieser Autor läßt einen nicht zu Atem kommen, bevor man auf der letzten Seite angekommen ist. Er hat ein Buch geschrieben, das man verschlingt, wie man es in der seligen Bubenzeit mit den Indianergeschichten getan hat. Wahrhaftig, dieser Frank Heller ist ein Indianerromancier für Erwachsene, ein glänzend begabter, ideenreicher, witziger, gescheiter noch dazu. +Neue Züricher Zeitung+: So spannend in der Handlung die Romane des jungen Schweden sind, so humorvoll sind sie zu gleicher Zeit. Wie er es fertig bringt, das Ernsthaft-Gefährliche einer Situation und deren komischen Moment stilistisch wiederzugeben, das verdient alle Aufmerksamkeit. Zutiefst kollert immer ein befreiendes Lachen. Und dieser Humor ist nichts Gesuchtes, sondern wirkt selbstverständlich und berechtigt. Die Originalität dieses Kriminalromans stellt ihn auf eine literarische Stufe, die bis jetzt auf diesem Gebiete wohl noch selten oder nie erreicht worden ist. Georg Müller Verlag, München Frank Heller Lavertisse macht den Haupttreffer Roman Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos 9.-18. Tausend Geheftet Mk. 5.50 Gebunden Mk. 7.50 +München-Augsburger Abendzeitung+: Wir bedürfen der leichtern Kunst gegenüber den schweren Lasten des ernsten Lebens, wir brauchen eine Stunde des Untertauchens, wenn unsere Seele oder unser Geist in hochgespannter Arbeit sich heiß gelaufen haben. Der Roman Hellers ist in diesem Sinne sogar ein Kohlensäure-Bad, prickelnd von einem geistigen Fluidum, das erfrischend wirkt, gegossen in das Gefäß eines glatten, blanken, glitzernden Stils und angereichert durch überlegenen Humor von snobistischer Färbung. +Neueste Hamburger Zeitung+: Was die Bücher Frank Hellers so anziehend macht, ist die fast übermütige Darstellung der Gauner- und Heldenstreiche, die famose Ueberlegenheit, mit der hier die Wirklichkeiten durcheinandergeschoben und in immer neue, überraschende Kombinationen gebracht werden. Es fehlt die Betonung des reinen Handwerks (die bei Conan Doyle etwa vorherrscht), er ist nicht vom „Fall“ ausgegangen, sondern vom Charakter des Helden. Das ist viel interessanter als Sherlock Holmes, weil er ein lebendiger, beweglicher, blendender Kerl ist. Georg Müller Verlag, München Druck von Mänicke und Jahn in Rudolstadt *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK YUSSUF KHANS HEIRAT *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that: • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.” • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. • You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.