The Project Gutenberg eBook of Schiller in Rudolstadt This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Schiller in Rudolstadt Author: Berthold Rein Illustrator: Willi Geissler Release date: October 1, 2022 [eBook #69083] Language: German Original publication: Germany: Greifenverlag Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHILLER IN RUDOLSTADT *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Thüringer Heimatbücher Veröffentlichungen des Thüringer Heimatbundes Band 2 Berthold Rein Schiller in Rudolstadt [Illustration] 1 · 9 · 2 · 5 Der Greifenverlag zu Rudolstadt (Thür.) Berthold Rein Schiller in Rudolstadt [Illustration] 1 · 9 · 2 · 5 Der Greifenverlag zu Rudolstadt (Thür.) Ausstattung von Willi Geißler »Die Stätte, die ein guter Mensch betrat!« Alle Rechte vorbehalten. Copyright by Greifenverlag Rudolstadt 1925. Gedruckt von Mänicke & Jahn A.-G., Rudolstadt, in der Ehmcke-Fraktur. Buchbinderarbeit ebenfalls von dort. Inhalt Titel 1 Vorwort 5 Der 6. Dezember 1787 7 Im Sommer 1788 17 Der 7. September 1788 33 Die Stadtkirche und die Glockengießerei 37 Charlottes Jugendheim 42 Der Herbst 1789 50 Das Frühjahr 1791 61 Schillers Familie in Rudolstadt 67 Rundgang an den Schillerstätten vorüber 73 Bilder: Schillershöhe 5 Charlotte von Lengefeld 13 Schillerstraße 25: Wohnung des Ehepaares von Beulwitz 32 Das Gartenhaus an der Allee: Wohnung der Frau von Lengefeld 33 Die Schillerglocke 48 Charlottes Jugendheim 49 Das Schillerhaus in Volkstedt 68 An der Saale zwischen Volkstedt und Rudolstadt 69 Karoline Junot, geborene von Schiller 76 Vorwort Unter den Orten, die für Schillers Leben bedeutsam waren, nimmt Rudolstadt eine besondere Stellung ein. Hat doch hier sein Dichten und Trachten eine Richtung eingeschlagen, die für seine ganze Lebensbahn entscheidend werden sollte. Der Fürstenhof und seine Umgebung war empfänglich gestimmt für seine Gedankenwelt. Aus dem geistigen Geben und Nehmen entstand dem bis dahin ruhelosen Flüchtling die Aussicht auf eine bleibende Stätte. Charlotte von Lengefeld, das Kind der Rudolstädter Heimat, fühlte sich dem Schwaben und seiner Eigenart nahe. Der Lengefeldsche Familienkreis vermittelte ihm die Begegnung mit Goethe, die bald darauf zu dem geistigen Austausch führte, an dem beide gleiche Freude empfanden. In die Landschaft um Rudolstadt rettete sich Schiller, anfangs in Wirklichkeit, später in Gedanken, wenn ihm »des Zimmers Gefängnis« zu enge wurde. [Illustration: Schillershöhe] Die Schillerliteratur erwähnt oft die Häuser, wo er in Rudolstadt verkehrte, unterscheidet sie jedoch nicht immer deutlich. Dichtung und Wahrheit fließen dann durcheinander. Schriftliche Berichte von glaubhaften Augenzeugen sind vorhanden, liegen aber zerstreut in Lebensbeschreibungen und Briefsammlungen. Mündliche Überlieferung braucht daneben nicht wertlos zu erscheinen, ist doch in jeder Sage leicht ein geschichtlicher Kern zu erkennen. Die älteren Rudolstädter Gelegenheitsschriften und Aufsätze führen ein verborgenes Dasein in Bibliotheken und werden nur noch selten aufgeschlagen. Die anerkannten Quellenwerke von Urlichs, Hase, Karoline von Wolzogen, Fielitz und Karl Schmidt habe ich benutzt. Schriftliche und mündliche Nachrichten übermittelten mir Augustin Regensburger und Emilie Schreck aus ihrem Verkehr mit Karoline von Schiller. Archiv und Schloßmuseum boten manche Ergänzung. Mit besonderem Dank führe ich die Rudolstädter Häuserchronik von Hugo Trinckler an, sie ist die Frucht jahrzehntelanger liebevollster Heimatforschung, die hoffentlich bald im Druck erscheinen kann. Das Haus Schillerstraße 25 ist mir in seinen Räumen vertraut, da ich sieben Jahre dort gewohnt habe. Liebevolle Ehrfurcht seiner Besitzer hat das ganze Anwesen vor entstellender Neuerung bewahrt. Auch für räumliche Erinnerungen einer Heimatstadt gilt das Wort: »Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!« Wenn der Lenz beginnt, ziehen sehlustige Wanderer gern bei uns durch Flur und Stadt. Gehen sie auf Schillers Pfaden, dann möchte ihnen ebenfalls mein Büchlein als Führer dienen. Rudolstadt, Ostern 1925. Dr. Berthold Rein. Der 6. Dezember 1787 Als Schiller im Jahre 1787 nach Rudolstadt kam, war er für die allgemeine Menschheit noch ein Unbekannter. Wer in den Schriftwerken der letzten Jahre bewandert war, kannte seine Jugenddramen, die einen ganz überraschenden Ton auf der Bühne angeschlagen hatten. Wer tiefer blickte, beobachtete den gesellschaftlichen Hintergrund, von dem sich die Räuber und Kabale und Liebe abhoben. Dem einen stand dann der stürmisch begeisterte Schwabe in leuchtendem Glanze als Verkünder einer neuen Zeit da, dem andern in verdächtigem Dunkel als Vertreter von Empörung und Umsturz. Die Inschrift auf der zweiten Auflage der Räuber: »~In tyrannos~«, gegen die Unterdrücker, erhielt sich eben im Gedächtnis. Alle die Kreise, denen er persönlich nahegetreten war, wußten zu erzählen, wie zurückhaltend, ja zaghaft er ihnen anfangs erschienen war, bis sich schließlich der Zauber seines liebenswürdigen, fesselnden und hingebenden Gemüts aufgetan hatte. Zu diesen Bekannten gehörten die Wolzogens von Stuttgart und Bauerbach her und in gewissem Sinne die Damen von Lengefeld in Rudolstadt, denn sie waren ihm, wenn auch nur flüchtig, auf der Rückreise aus der Schweiz in Mannheim bereits begegnet. Schiller hatte seit seiner Flucht aus Stuttgart wiederholt verzweifelt gerungen, um festen Boden unter die Füße zu bekommen, war aber trotz aller Hoffnung, die er nun zuletzt auf den Herzog Karl August in Weimar gesetzt hatte, immer noch heimatlos. Jugendlich unbefangen und harmlos im Vertrauen war er Töchtern angesehener Familien nahegetreten, dennoch indes nicht zu einem Bund für das Leben gelangt. Sein Studiengenosse aus der Karlsschule, Wilhelm von Wolzogen, hatte einen Besuch in Meiningen abzustatten. Für Schiller war die Werrastadt bedeutsam als neue Heimat seiner Schwester Christophine. Eine Reise hoch zu Roß lockte den leidenschaftlichen Liebhaber der Reitkunst, also folgte er dem Rufe des Freundes. Auf dem Rückwege nach Weimar schlug Wolzogen vor, die Richtung über Rudolstadt zu wählen, dort wollte er die »superklugen Kusinen« aufsuchen und mit dem Dichter des Don Carlos bekannt machen. Über Suhl, Ilmenau und Königsee erreichten sie das Saaltal. In einem Hause der Neuen Gasse vor den Mauern der kleinen Residenz Rudolstadt saß Charlotte von Lengefeld am Fenster und hatte eben in das Tagebuch eingetragen: Der erste Schnee ist gefallen!, als die ländliche Stille durch Hufschlag unterbrochen wurde. Überrascht sah sie hinaus und erblickte zwei Reiter in graue Mäntel gehüllt. Erschrocken fuhr sie zurück, als die beiden scharf zu ihr aufschauten, und der eine schelmisch vertraut winkte: Ich komme gleich! Das Tagebuch nahm nun noch die Ergänzung auf: Eben ritt Vetter Wolzogen vorbei mit einem anderen Reiter, ich möchte wohl wissen, wer das ist! Der 6. Dezember sollte ein Schicksalstag für sie werden und das schlichte Haus eine bedeutsame Stätte. Das Grundstück, jetzt Schillerstraße 25, hatte um 1720 der Hofjäger Wolfgang Rühm aus Bayreuth als Bauplatz für ein gemütvolles einfaches Wohnhaus erworben. Sein Nachfolger, der Landrentmeister Rühm, oder dessen Witwe hatte im Garten dahinter ein »Zwillingshaus« errichtet, das schließlich durch Zwischenbauten mit dem Vorderhaus verbunden wurde. Ein kleiner Hof in der Mitte blieb frei. Nach der Sonnenseite reichte ein großer Garten noch bis an das Nachbarhaus. Auf der Abendseite führte eine junge Lindenallee vorüber. In das zweistöckige Zwillingshaus war die Frau Landjägermeister von Lengefeld mit ihren kleinen Töchtern eingezogen, nachdem ihr der Tod den Gemahl 1775 frühzeitig entrissen hatte. In dem Obergeschoß des Vorderhauses richtete 1785 die ältere der beiden Töchter, Karoline, ihren Haushalt ein, als sie sich mit Ludwig von Beulwitz vermählte. Das Haus war weder Eigentum der Familie von Beulwitz, noch der Familie von Lengefeld, es ging 1796 durch Kauf aus dem Rühmschen Besitz an den Kammersekretär Andreas Christoph Johann Werlich über. Die beiden adeligen Familien wohnten nur zur Miete darin. Friedrich Wilhelm Ludwig von Beulwitz, dessen Grabplatte links im Eingang zum Alten Friedhof zu finden ist, führte zwar im vertrauten Bekanntenkreise den Beinamen Ursus, der Bär, aber die Verteidiger seiner Gattin haben später doch zu Unrecht sein Bild entstellt, als sie das Für und Wider der Ehescheidung verhandelten. Er war zehn Jahre älter als seine stark und feurig veranlagte, jetzt vierundzwanzigjährige Frau. Als Hofbeamter, als Landeshauptmann in Königsee, als Freund von Kunst und Wissenschaft führte er ein arbeitsames Leben, wobei ihm freilich wenig Zeit und Neigung übrigblieb, seiner Gattin seelisch nahezutreten, und das Führeramt auszuüben, das ganz besonders sie nötig gehabt hätte. Bald mußte er wiederum längere Zeit auf Reisen gehen als Begleiter der Prinzen Ludwig Friedrich und Karl Günther, die einen Studienaufenthalt in Genf nehmen wollten. Charlotte von Lengefeld war bereits einmal durch Neigung und Entsagung hindurchgegangen. Ein englischer Hauptmann Heron, mit dem sie noch ab und zu geneckt wurde, hatte ihr nahegestanden, sein Beruf zog ihn aber nach Indien, wo er für sie verschollen blieb. Beide Schwestern nahmen an den Neuerscheinungen des Geisteslebens regen Anteil. Etwas gemäßigt wurde ihr Verlangen nach Unabhängigkeit und ihre freigeistige Modebestrebung durch die streng religiöse Lebensauffassung der Mutter. Diese war als Witwe hart geprüft worden und empfand hohe Verantwortung für die vaterlosen Töchter. Sie war Hofdame, erwartete bei nächster Gelegenheit das Amt einer Oberhofmeisterin auf der Heidecksburg und erhoffte für ihre jüngere Tochter einen ähnlichen Ruf nach Weimar. Das alles sprach entscheidend mit auch in den kleinen Tagesfragen und bestimmte den Ton in den gesellschaftlichen Umgangsformen. In diesen Familienkreis trat Schiller am Abend des 6. Dezember ein. Dem Kenner griechisch-römischer Literatur, die gerade wieder stark in Aufnahme gekommen war, fehlte es nicht an Unterhaltungsstoff, und der Jünger neuester Philosophie verfügte über die Gabe, zufällig entstandene Gespräche in einer überlegen bewußten Richtung zu lenken. Dabei wurde seine unverfälschte schwäbische Mundart nicht als Störung, sondern als treuherzige reizvolle Beigabe empfunden. Den Zauber, der von Schillers Person ausging, hat Wilhelm von Humboldt später treffend gewürdigt: »Was jedem Beobachter an Schiller am meisten als charakteristisch bezeichnend auffallen mußte, war, daß in einem höheren und prägnanteren Sinn, als vielleicht je bei einem andern, der Gedanke das Element seines Lebens war. Anhaltend selbsttätige Beschäftigung des Geistes verließ ihn fast nie. – Sie schien ihm Erholung, nicht Anstrengung. Dies zeigte sich am meisten im Gespräch, für das Schiller ganz eigentlich geboren schien. Er suchte nie nach einem bedeutenden Stoff der Unterredung, er überließ es mehr dem Zufall, den Gegenstand herbeizuführen, aber von jedem aus leitete er das Gespräch zu einem allgemeinen Gesichtspunkt, und man sah sich nach wenigen Zwischenreden in den Mittelpunkt einer den Geist anregenden Diskussion versetzt. Er behandelte den Gedanken immer als ein gemeinschaftlich zu gewinnendes Resultat, schien immer des Mitredenden zu bedürfen, wenn dieser sich auch bewußt blieb, die Idee allein von ihm zu empfangen, und ließ ihn nie müßig werden. – Schiller sprach nicht eigentlich schön. Aber sein Geist strebte immer in Schärfe und Bestimmtheit einem neuen geistigen Gewinne zu. – Schiller hielt immer den Faden fest, der zum Endpunkt der Untersuchung führen mußte, und wenn die Unterredung nicht durch einen Zufall gestört wurde, so brach er nicht leicht vor Erreichung des Zieles ab.« Überraschend schnell gedieh die flüchtige Bekanntschaft in wenigen Abendstunden zu einem Freundschaftsbund, der die Damen von Lengefeld mit ihrem Gaste verband und zu einer Verabredung für den folgenden Sommer führte. Die Schwestern versprachen, ihm einen ländlichen Aufenthalt für seine Schriftstellerarbeiten auszusuchen. Wie dieser Abend im Geiste Karolines weiterlebte, läßt das Erinnerungsbild erkennen, das sie davon entwirft: »Damals ging noch keine Kunststraße durch unser kleines Tal, ein Fremder war ein Phänomen hinter den grünen Bergen. Oft erschienen wir uns selbst als verwünschte Prinzessinnen, auf Erlösung aus dieser Einförmigkeit hoffend. Dennoch erfrischte uns immerwährend der Zauber dieser Berge. Schiller fühlte sich wohl und frei in unserm Familienkreise. Entfernt vom flachen Weltleben, galt uns das Geistige mehr als alles. Wir umfaßten es mit Herzenswärme, nicht befangen von kritischen Urteilen und Vorurteilen, nur der eigenen Richtung unserer Natur folgend. Dies war es, was er bedurfte, um sich selbst im Umgang aufzuschließen. Wir kannten seinen Don Carlos noch nicht. Ohne alle schriftstellerische Eitelkeit schien es ihm am Herzen zu liegen, daß wir ihn kennen lernten. Ich erinnere mich nicht, daß unsere Gespräche noch etwas anderes aus der Welt seiner Dichtung berührten, die Briefe von Julius an Raffael und die auf diese sich beziehenden Gedichte der Anthologie ausgenommen. Der Gedanke, sich unserer Familie anzuschließen, schien schon an jenem Abend in ihm aufzudämmern, und zu unserer Freude sprach er beim Abschiede den Plan aus, den nächsten Sommer in unserm schönen Tale zu verleben.« [Illustration: Charlotte von Lengefeld] Kaum nach Weimar zurückgekehrt, legt Schiller seinem Gewissensberater und etwas eifersüchtigen Freunde Körner in Dresden ziemlich kühl eine Art Rechenschaft ab über seinen Ausflug: »In Rudolstadt habe ich mich auch einen Tag aufgehalten und wieder eine recht liebenswürdige Familie kennen lernen. Eine Frau von Lengenfeld lebt da mit einer verheirateten und einer noch ledigen Tochter. Beide Geschöpfe sind, ohne schön zu sein, anziehend und gefallen mir sehr. Man findet hier viel Bekanntschaft mit der neueren Literatur, Feinheit, Empfindung und Geist. Das Klavier spielen sie gut, welches mir einen recht schönen Abend machte. Die Gegend um Rudolstadt ist außerordentlich schön. Ich hatte nie davon gehört und bin sehr überrascht worden. Man gelangt durch einen schönen Grund dahin und wird von dem weißen großen Schlosse auf dem Berge angenehm überrascht.« So spricht der Verstand. Was im Gemüt sich bewegte, verraten die Briefe an Charlotte: »Sie können sich nicht herzlicher nach Ihren Bäumen und schönen Bergen sehnen als ich, und vollends nach denen in Rudolstadt, wohin ich mich jetzt in meinen glücklichsten Augenblicken im Traume versetze. – Sie werden in Rudolstadt nun wieder eingewohnt sein und bei diesem schönen Wetter sich Ihrer ländlichen Einsamkeit freuen. – Wie beneide ich Ihre Familie um alles, was um Sie sein darf! Aber auch Sie beneide ich um Ihre Familie; ein einziger Tag war mir genug, mich zu überzeugen, daß ich unter sehr edeln Menschen wäre. Warum kann man solche glückliche Augenblicke nicht fest halten. Man sollte lieber nie zusammen geraten – oder nie mehr getrennt werden.« Im Laufe des Winters kehrte Schiller nicht wieder in Rudolstadt ein, obwohl es verabredet war. Durch seine schriftlichen Grüße klingt die Sehnsucht nach Natur und ländlicher Einsamkeit. Aber dem vertrauten Freunde enthüllt er seinen Seelenzustand: »Ich bedarf eines Mediums, durch das ich die andern Freuden genieße, Freundschaft, Geschmack, Wahrheit und Schönheit werden mehr auf mich wirken, wenn eine ununterbrochene Reihe feiner, wohltätiger, häuslicher Empfindungen mich für die Freude stimmt und mein erstarrtes Wesen wieder durchwärmt. Ich bin bis jetzt ein isolierter, fremder Mensch, in der Natur herumgeirrt und habe nichts als Eigentum besessen. Ich sehne mich nach einer bürgerlichen und häuslichen Existenz. Ich habe seit vielen Jahren kein ganzes Glück gefühlt, und nicht sowohl, weil mir die Gegenstände dazu fehlten, sondern darum, weil ich die Freuden mehr naschte als genoß, weil es mir an immer gleicher und sanfter Empfänglichkeit mangelte, die nur die Ruhe des Familienlebens gibt.« Charlotte und er sahen sich in Weimar mitten zwischen geräuschvollen Veranstaltungen der Hofgesellschaft. Ihn selbst nimmt dieses Treiben nicht in den Bann, und seine Freundin warnt er vor flacher Lebensauffassung: Ein blühend Kind, von Grazien und Scherzen umhüpft – so, Lotte, spielt um Dich die Welt, Doch so, wie sie sich malt in Deinem Herzen, in Deiner Seele schönen Spiegel fällt, So ist sie doch nicht! – Die Eroberungen, die jeder Deiner Blicke siegreich zählt, Die Deine sanfte Seele Dir erzwungen, die Statuen, die – Dein Gefühl beseelt, Die Herzen, die Dein eignes Dir errungen, die Wunder, die Du selbst getan, Die Reize, die Dein Dasein ihm gegeben, die rechnest Du für Schätze diesem Leben, für Tugenden uns Erdenbürgern an. Dem holden Zauber nie entweihter Jugend, der Engelgüte mächtgem Talisman, Der Majestät der Unschuld und der Tugend, den will ich sehn – der diesen trotzen kann! Froh taumelst Du im süßen Überzählen der Glücklichen, die Du gemacht, der Seelen, die Du gewonnen hast, dahin. Sei glücklich in dem lieblichen Betruge, nie stürze von des Traumes stolzem Fluge ein trauriges Erwachen Dich herab. Den Blumen gleich, die Deine Beete schmücken, so pflanze sie – nur den entfernten Blicken, betrachte sie! – doch pflücke sie nicht ab! Geschaffen, nur die Augen zu vergnügen, welk werden sie zu Deinen Füßen liegen, je näher Dir – je näher ihrem Grab. Im Sommer 1788 Als die Pläne für den Landaufenthalt bestimmte Formen angenommen hatten, suchten die Schwestern ihrem Freunde eine Wohnung. Sie sollte nicht gar zu weit von ihrem eigenen Heim abliegen und doch ungestörte Arbeitszeit ermöglichen. Zuerst meinten sie, das Rechte gefunden zu haben bei dem Hofgärtner Callenius in Cumbach. Doch bemerkten sie bald, daß dort nicht die Stille herrschte, auf die es ankam. Der fürstliche Gewächsgarten mit der Orangerie zog täglich Verkehr und laute Geselligkeit an, auch ein Gestüt, das dort gehalten wurde, brachte Geräusch in die Nähe. Darum fiel ihre Wahl auf Volkstedt, wo all diese Bedenken nicht entstehen konnten. Am 24. April meldet Charlotte in aller Eile das Ergebnis ihrer Fürsorge nach Weimar: »Das Dorf hat eine schöne Lage, am Ufer der Saale, hinter ihm erheben sich Berge, an deren Fuß liebliche Fruchtfelder sich ziehen, und die Gipfel mit dunklem Holze bekränzt, gegenüber an der anderen Seite der Saale schöne Wiesen und die Aussicht in ein weites, langes Tal. Ich denke, diese Gegend wird Ihnen lieb sein, mir brachte sie gestern einen Eindruck von Ruhe in die Seele, der mir innig wohltat. Die Stube, die ich für Sie bestimmte, ist nicht sehr groß, aber reinlich, auch die Stühle sind nicht ganz ländlich, denn sie sind beschlagen, eine Kammer daneben, wo das Bett stehen kann, und auch eine für den Bedienten nicht weit davon. Für Betten will der Schulmeister sorgen, dem das Haus gehört, auch wohnt eine Frau darin, die Ihnen Kaffee machen kann, und auch bedienen könnte, zur Not auch kochen, wenn das Wetter zu böse wäre, um es sich aus der Stadt holen zu lassen. Ich denke, es ist alles gut besorgt.« Am 2. Mai erfolgt die Danksagung: »Sie haben die Angelegenheit, deren Besorgung Sie so gütig übernahmen, so ganz nach meinen Wünschen und über alle meine Erwartungen zustande gebracht, daß ich Ihnen unendlich Mal dafür verbunden bin. Der Ort, die Lage, die Einrichtung im Hause, alles ist vortrefflich. Sie haben aus meiner Seele gewählt. Ich habe Ihnen viele Mühe gemacht, aber ich weiß auch, daß Ihnen das Vergnügen, welches Sie mir dadurch verschafften, statt alles Dankes ist. – Ich werde in Ihren schönen Gegenden, in dieser ländlichen Stille mein eigenes Herz wiederfinden, und Ihre und der Ihrigen Gesellschaft wird mich für alles, was ich hier zurücklasse, reichlich entschädigen.« Dem hilfreichen Freund und Berater in Dresden geht die Nachricht zu: »Ich werde mich eine kleine Stunde von Rudolstadt niederlassen. Die Gegenden sind dort überaus ländlich und angenehm, und ich kann da in seliger Abgeschiedenheit von der Welt leben. Das Lengenfeldische Haus, von dem ich Dir nach meiner Rückreise von Meiningen geschrieben habe, wird mir den ganzen Mangel an Gesellschaft hinlänglich ersetzen. Es sind dort mir sehr schätzbare Menschen beisammen, von sehr vieler Bildung und dem edelsten Gefühl. Sie sind auch schon in der Welt gewesen und haben eine glückliche Gemütsstimmung daraus zurückgebracht. Alles was Lektüre und guter Ton einer glücklichen Geistesanlage und einem empfänglichen Herzen zusetzen kann, finde ich da in vollem Maße, außerdem auch viele musikalische Fertigkeit, die nicht den kleinsten Teil der Erholung ausmachen wird, die ich mir dort verspreche. Diesem Zirkel gedenke ich alle Tage einige Stunden zu widmen. Sonst erwarten meiner die mannigfaltigsten und, ich muß leider sagen, die drückendsten Arbeiten. Aber ich gehe ihnen mit ziemlichem Mut, ja selbst mit Vergnügen entgegen.« Körner durchschaut jedoch die innere Bewegung, die sich hinter diesen Plänen und Sorgen verstecken will: »In Deinem Sommeraufenthalt wird Dirs an Vergnügen nicht fehlen. Ist nicht auch ein Interesse des Herzens dabei? Ich bin neugierig, ob Deine Stimmung an dichterischen Arbeiten fruchtbar sein wird.« Die Woche nach dem Pfingstfest ließ Schiller noch vorübergehen, dann kam er, ohne sich besonders anzukündigen, in Rudolstadt an. Am 20. Mai schreibt er aus dem Gasthaus: »In der Hoffnung, daß mein künftiges Logis auf dem Dorfe, dessen Namen ich nicht weiß, durch Ihre Güte berichtigt sei, bin ich ohne weiteres hierher gereist. Seit gestern Abend halb zehn Uhr bin ich hier. – Ich bitte Sie, mich zugleich durch den Überbringer den Namen des Ortes, den Sie für mich bestimmt haben, wie auch des Hauswirts, bei dem ich wohnen soll, wissen zu lassen, weil ich womöglich noch vor Mittag dort sein und jetzt gleich meinen Koffer hinschaffen lassen möchte. Ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß mir der nächste Augenblick, wo ich Sie und die Ihrigen sehen kann, der liebste sein wird.« Die Freude über erfüllte Wünsche und die Pläne und Hoffnungen für die nächste Zeit verrät wiederum sein Brief an Körner: Volkstedt bei Rudolstadt, 26. Mai 1788. »Seit acht Tagen bin ich nun hier in einer sehr angenehmen Gegend, eine kleine halbe Stunde von der Stadt und in einer sehr bequemen heitern und reinlichen Wohnung. Das Glück hat es gefügt, daß ich ein neues Haus, das besser, als auf dem Lande sonst geschieht, gebaut ist, finden mußte. Es gehört einem wohlhabenden Manne, dem Kantor des Orts. Das Dorf liegt in einem schmalen, aber lieblichen Tale, das die Saale durchfließt, zwischen sanft ansteigenden Bergen. Von diesen habe ich eine sehr reizende Aussicht auf die Stadt, die sich am Fuße eines Berges herumschlingt, von weitem schon durch das fürstliche Schloß, das auf die Spitze des Felsens gepflanzt ist, sehr vorteilhaft angekündigt wird, und zu der mich ein sehr angenehmer Fußpfad, längs des Flusses, an Gärten und Kornfeldern vorüberführt. In dem Dorfe selbst ist die Porzellanfabrik, die Du vielleicht kennst. Ich habe zwei kleine Stunden nach Saalfeld, ebenso weit nach dem Schlosse Schwarzburg und zu verschiedenen zerstörten Schlössern, die ich alle nach und nach besuchen will. In der Stadt selbst habe ich an der Lengefeldschen und Beulwitzschen Familie eine sehr angenehme Bekanntschaft, und bis jetzt noch die einzige, wie sie es vielleicht auch bleiben wird. Doch werde ich eine sehr nahe Anhänglichkeit an dieses Haus, und eine ausschließende an irgend eine einzelne Person aus demselben, sehr ernstlich zu vermeiden suchen. Es hätte mir etwas der Art begegnen können, wenn ich mich mir selbst ganz hätte überlassen wollen. Aber jetzt wäre es gerade der schlimmste Zeitpunkt, wenn ich das bißchen Ordnung, das ich mit Mühe in meinen Kopf, mein Herz und in meine Geschäfte gebracht habe, durch eine solche Distraktion wieder über den Haufen werfen wollte. Die Arbeiten, mit denen ich diesen Sommer zustande kommen möchte, sind der Geisterseher, der leicht auf 25 bis 30 Bogen anlaufen dürfte, der zweite Teil meiner Niederländischen Rebellion und der Rest des ersten, ein Theaterstück, noch steht es dahin, ob dieses der Menschenfeind oder ein anderes sein werde, das ich, wie der Schwabe sagt, an der Kunkel habe, und hier und da ein Aufsatz für den Merkur. Aus dem bisherigen Lauf meiner Schreibereien zu schließen, dürfte dieses Unternehmen wohl fast übertrieben sein. Indessen wollen wir sehen. Geschieht auch nicht alles, so ist doch immer das gewonnen, was geschieht. Ganz bin ich hier doch noch nicht zuhause, auch meine Arbeiten strömen noch nicht.« Wie weit der Wille mit seinen Plänen zur Geltung kommen würde, und wie bald das Schicksal die Vorsätze durchkreuzen sollte, geht aus den Briefen und kurzen Grußblättern hervor, die zwischen Rudolstadt und Volkstedt fast täglich gewechselt werden: »Montag, den 26. Mai. Ich hoffe, daß Ihnen allen die gestrige Partie so gut bekommen sei wie mir. Es war ein gar lieblicher vertraulicher Abend, der mir für diesen Sommer die schönsten Hoffnungen gibt. Mehr solche Abende und in so lieber Gesellschaft, mehr verlange ich nicht. Rudolstadt und diese Gegend überhaupt soll, wie ich hoffe, der Hain der Diana für mich werden.« Er vergleicht sich mit Orestes in Goethes Iphigenie, den die Eumeniden umhertreiben, und hofft, die Schwestern werden ihn vor den bösen unterirdischen Mächten beschützen. Zu Grunde lag dabei eine Eifersuchtsregung. Er weigert sich, in trüber Stimmung die Gesellschaft von Fröhlichen aufzusuchen, und entschuldigt seine wandelbare Laune mit dem Fluch, der auf allen Musensöhnen ruht, bittet aber doch um Nachricht, was für den andern Tag geplant wird, damit er sich anschließen kann. Am 27. Mai redet ihm Charlotte gut zu, heiter und froh zu sein, Knebel, der gefürchtete Nebenbuhler, hat am Morgen Rudolstadt verlassen. Sie bittet, den Geisterseher mitzubringen, der Abend wird in Cumbach den kleinen Bekanntenkreis vereinen. Um sechs Uhr wollen sie den Freund am Wasserdamm erwarten, doch soll er ihnen auch zu jeder anderen Stunde lieb und willkommen sein. Schiller sagt zu, ist aber mit der Örtlichkeit noch nicht vertraut und meint, am Schaalbach die Schwestern erwarten zu sollen. Deshalb bittet ihn Karoline, lieber in ihre Wohnung zu kommen, damit sie einander nicht verfehlen. Hier trifft zwei Tage später der Erbprinz Ludwig Friedrich mit ihm zusammen: »Den 29. Mai machte ich wieder eine neue Bekanntschaft mit einem jungen Gelehrten, der, so jung als er ist, doch schon viel Lesenswürdiges geschrieben hat, mit dem Herrn Rat Schiller. Er war im Beulwitzschen Garten, wo ich bis einviertel elf Uhr des Abends in einer vergnügten Gesellschaft den angenehmen Geruch der schönen Baumblüten genoß.« Im Volkstedter Haus fühlt sich Schiller wohl: »Ich bin auf meine vier Wände reduziert, und wenn nicht manchmal eine Kuh blökte, oder meine Pfauen mir vor dem Hause mit ihrer Silberstimme die Honneurs machten, so würde ich gar nicht gewahr, daß Leben um mich ist.« Wenn kühle Witterung eintritt, klagt er über Erkältung. Dann kann er die Neue Gasse nicht aufsuchen und bittet nur um ein Lebenszeichen durch den Boten, seine Stimmung leidet unter der Trennung. Charlotte tröstet und bedauert, daß er, ein großer Mann, der der Öffentlichkeit so viel in seinen Schriften beschert, auch nur eine trübe Viertelstunde erlebt. Arm und verlassen wie Robinson kommt er sich vor, die Freundinnen so nah, und er kann nicht bei ihnen sein! Wagt er trotz feuchter Luft und Nebel den Gang nach Rudolstadt, so tritt ein Rückfall in seinem Katarrh ein, namentlich die Heimwege am späten Abend verbittern ihm das Landleben, auch der Zeitverlust, den seine Arbeiten erleiden, verdrießt ihn. Charlotte redet gut zu, so gern sie ihn sieht, soll er doch nur bei mildem Wetter ausgehen, wenn es seiner Gesundheit zuträglich ist. Dazwischen erreicht ihn ein Freundesgruß aus Dresden mit der schalkhaften Zustimmung: »Dein Aufenthalt auf dem Lande ist sehr nach meinem Sinn. Freilich ists für Deine Arbeiten besser, wenn Du eine ausschließende Anhänglichkeit an irgend ein Wesen in der Nähe vermeiden kannst!« Die Abendunterhaltungen bei Lengefelds bestreitet Beulwitz, indem er aus Schillers jüngsten Werken vorliest. Sonnabend, den 14. Juni, feiert die Gesellschaft eine italienische Nacht im Baumgarten. Der Erbprinz trägt in sein Tagebuch ein: »Die Frau von Lengefeld hatte mit ihrer Familie und noch mit andern Damen, und mit dem Herrn Rat Schiller da gegessen. Es wurde gesungen, auf dem Schiffchen gefahren und spazieren gegangen. Erst nach elf Uhr ging die ganze Gesellschaft mit uns singend den Schloßberg hinauf und sodann, auch Herr Rat Schiller nebst den übrigen Damen, in die Stadt nach Hause.« Immer einmal wieder vernehmen wir, wie hart und sauer es ihn ankommt, sich für den Heimweg loszureißen. Als der Blitz in Volkstedt eingeschlagen hat, hört Karoline mit Schrecken davon und dankt dem Himmel und allen guten Geistern, daß der Strahl Schillers Haus verschont hat. Das eine Mal versüßt sie ihm das Buchstudium durch Backwerk, das andere Mal durch Aprikosen und Tee. Charlotte begleitet den nächtlichen Wanderer im Geiste durch Sturm und Wolken und hofft, daß ihm nichts zugestoßen ist. Er bittet, in Charlottes Stübchen studieren zu dürfen, weil in Beulwitzens Zimmern viel Unruhe herrscht. Sie geht gern darauf ein, ihn an ihrem Schreibtisch arbeiten zu lassen; das soll ihr eine freundliche Erinnerung bleiben. Des schlechten Wetters wegen übernachtet er in Rudolstadt. Am 2. Juli ist Kirchweih in Cumbach. Die Hofgesellschaft beteiligt sich daran bis zehn Uhr abends. Obschon er derartige Feste am liebsten vermeidet, nimmt er doch daran teil, aber die Eifersucht regt sich, als er andere mit der von ihm geliebten Person tanzen sieht. Den Heimweg legt er allein zurück, geht ziellos durch das Tal in die Berge hinein und gelangt, ohne es zu wissen, nach Schaala. Auf dem Wege kommen ihm dichterische Eingebungen. Sehnsucht nach regerer Verbindung mit der Außenwelt wird laut. Da Rudolstadt noch keinen regelmäßigen Postverkehr hat, werden Briefe oft nur gelegentlich durch Boten befördert und kommen so erst auf Umwegen an ihr Ziel. Der Erbprinz führt das Ehepaar Beulwitz nebst Schiller und Lotte auf das Schloß und zeigt ihnen die neueingerichteten Zimmer, die Bibliothek und das Bilderkabinett. Weil Schiller ein Freund von weiten Ausblicken in die Landschaft ist, besteigen sie den Schloßturm, wo ein schönes Geläut von drei Glocken aus Mayers Gießerei sie erfreut. Im Lengefeldischen Garten wird französische Komödie gespielt, oft auch eifrig gezeichnet. Der Erbprinz, gewandt als Zeichner und geübt als Radierer, entwirft Szenen aus dem Geisterseher. Der Gedanke an die Trennung beschäftigt Schiller in einem Briefe an Körner: »Ich habe mich hier immer noch ganz vortrefflich wohl. Nur entwischt mir manches schöne Stündchen in dieser angenehmen Gesellschaft, das ich eigentlich vor dem Schreibtisch zubringen sollte. Wir sind einander hier notwendig geworden, und keine Freude wird mehr allein genossen. Die Trennung von diesem Hause wird mir sehr schwer sein, und vielleicht desto schwerer, weil ich durch keine leidenschaftliche Heftigkeit, sondern durch eine ruhige Anhänglichkeit, die sich nach und nach so gemacht hat, daran gehalten werde. Mutter und Töchter sind mir gleich lieb und wert geworden, und ich bin es ihnen auch. – Es war recht gut getan, daß ich mich gleich auf einen vernünftigen Fuß gesetzt habe und einem ausschließenden Verhältnis so glücklich ausgewichen bin. Es hätte mich um den besten Reiz dieser Gesellschaft gebracht. – Beide Schwestern haben etwas Schwärmerei, doch ist sie bei beiden dem Verstande subordiniert und durch Geisteskultur gemildert. Die jüngere ist nicht ganz frei von einer gewissen ~Coquetterie d’esprit~, die aber durch Bescheidenheit und immer gleiche Lebhaftigkeit mehr Vergnügen gibt als drückt. Ich rede gern von ernsthaften Dingen, von Geisteswerken, von Empfindungen, hier kann ich es nach Herzenslust und ebenso leicht wieder auf Possen überspringen.« Im August kam das Vogelschießen, ein großes Volksfest mit starkem Fremdenzulauf. Es war die einzige Veranstaltung, bei welcher der Hof sich unter die Stadtleute mischte. Der Ball der vornehmen Gesellschaft wurde im Schönfeldschen Saale, im heutigen alten Rathaus, abgehalten. Schiller klagt, er taugt nicht für laute Gesellschaft, und macht sich Vorwürfe, daß er nicht Stärke genug besitzt, von solchem Getriebe fernzubleiben, sein Geist wirke mehr im stillen, im Umgang mit sich selbst. Vorübergehend wohnt er in Rudolstadt selbst. In dieser Zeit kann er die Wohnung Schloßaufgang II 3 bezogen haben, bis ihn die Anhänglichkeit an Volkstedt und an den fürsorglichen Hauswirt wieder hinauszieht. Allmählich tritt eine gewisse Vorsicht im Verkehr ein. Vielleicht fiel es auf, daß der fremde Gast täglich in dem Hause der Damen ein- und ausging. Er bittet, die Gartentüre aufzuschließen, damit er weniger eifrig beobachtet wird. Als Charlotte ihrer Freundin Frau von Stein in Kochberg einen Besuch abstattet, reitet Schiller ihrem Wagen bis Teichröda entgegen. Als Mutter und Töchter von einer Reise aus Jena zurückkommen, wird das Wiedersehen in Uhlstädt gefeiert bei einem sublimen Kaffee, den Beulwitz auf festlich geschmückter Tafel anrichtet. Endlich ergeht auch eine Einladung zum Sonntagskloß, und Frau von Lengefeld hofft, daß das beliebte Thüringer Festgericht dem Schwaben nicht schaden wird. Der Sommer in Rudolstadt darf nicht zu Ende gehen, ohne daß der Gast Schwarzburg gesehen hat. Dort wird ihm das Fremdenbuch im Wirtshaus vorgelegt, und in der Eile mag ihm das Verlegenheitserzeugnis aus der Feder geflossen sein: Auf diesen Höhen sah auch ich Dich, freundliche Natur, ja dich! Die Fahrt geht über Königsee, wo Beulwitz Amtsgeschäfte zu erledigen hat, nach Paulinzelle, und hier trägt die Stimmung bessere Frucht. In den Anblick der Ruine mischen sich wehmütige Gedanken an die Trennung und an die Ungewißheit danach. Im Kloster Paulinzelle Einsam stehn des öden Tempels Säulen, Efeu rankt am unverschloßnen Tor, Sang und Klang verstummt, des Uhu Heulen Schallet nun im eingestürzten Chor. Weg sind Prunk und alle Herrlichkeiten, Schon enteilt im langen Strom der Zeiten Bischofshut mit Siegel, Ring und Stab In der Vorwelt ewig offnes Grab. Nichts ist bleibend, alles eilt von hinnen, Jammer und erhörter Liebe Glück; Unser Streben, unser Hoffen, Sinnen, Wichtig nur auf einen Augenblick; Was im Lenz wir liebevoll umfassen, Sehen wir im Herbste schon verblassen, Und der Schöpfung größtes Meisterstück Sinkt veraltet in den Staub zurück. Milde Herbsttage gestatten, daß Schiller wieder in Volkstedt wohnt. In alle Freude am täglichen Wiedersehen mischt sich der Abschiedsschmerz, darüber hinaus erhebt der Trost, daß die liebe wohltätige Zeit alles gut zur Reife bringen wird: »Ich weiß und fühle, daß mein Andenken unter Ihnen leben wird, und dies ist eine freudige Erinnerung für mich.« Im Oktober werden die kurzen Briefgrüße häufiger und die Besuche immer mehr vorsichtig abgemessen. Schiller verliert den Mut, auf eine gute Zukunft zu hoffen, aber Charlotte rechnet schon wieder auf seine Anwesenheit im nächsten Sommer. Ihr und den Kochberger Freundinnen in Oberhasel zu begegnen, entschließt er sich nur ungern. Die heitere Freundin bekehrt ihn schließlich doch zu freudiger Verfassung, und er gesteht: »Mein hiesiger Aufenthalt neigt zum Ende; er hat mir viel angenehme Stunden verschafft, und, was das beste ist, er hat mich mir selbst wieder zurückgegeben und überhaupt einen wohltätigen Einfluß auf mein inneres Wesen gehabt.« Die letzten Tage verbringt er wieder im Gasthaus, wenige Schritte von Charlottes Wohnung entfernt. Eine Zeichnung, die ihm die Freundin schickt, soll als sichtbares Zeichen mit unsichtbarer Wirkung künftig auf seinem Schreibtisch stehen. Erst als der Glückwunsch eintrifft, kommt dem Traumverlorenen zum Bewußtsein, daß sein Geburtstag ist, und dieser letzte Gruß aus dem Hause, wo er seine Heimat gefunden hat, preßt ihm Tränen aus. Noch war er nicht entschlossen abzureisen, erst die Gewißheit, daß die Schwestern ihre Fahrt nach Erfurt festgelegt haben, überzeugt ihn, daß auch seine Stunde gekommen ist. Als er sich persönlich verabschiedet hat, ist der am stärksten gefürchtete Augenblick vorüber. Es tröstet ihn, noch erblickt er dieselben Gegenstände, auf denen auch ihr Auge ruht, noch umgeben dieselben Berge die Geliebte und ihn selbst. Am Morgen des 12. November sieht er ihren Reisewagen die Straße hinauf vorfahren, dann besteigt er die Post. Bis Teichröda sucht er noch mit den Blicken einen Gruß zu erhaschen, dann fällt ihm schwer auf das Herz, daß sich die Wege trennen. Einen Geranienstock und eine Porzellanvase mit Blumen hütet er zärtlich, sie sollten der Stube des einsamen Gelehrten einen neuen heimeligen Hauch verleihen. Den Rudolstädter Sommer 1788 faßt Karoline zu einem wohlgelungenen Bilde zusammen: »In unserm Hause begann für Schiller ein neues Leben. Lange hatte er den Reiz eines freien freundschaftlichen Umgangs entbehrt. Uns fand er immer empfänglich für die Gedanken, die eben seine Seele erfüllten. Er wollte auf uns wirken, uns von Poesie, Kunst und philosophischen Ansichten das mitteilen, was uns frommen könnte, und dies Bestreben gab ihm selbst eine milde harmonische Gemütsstimmung. Sein Gespräch floß über in heitrer Laune; sie erzeugte witzige Einfälle, und wenn oft störende Gestalten unsern kleinen Kreis beengten, so ließ ihre Entfernung uns das Vergnügen des reinen Zusammenklangs unter uns nur noch lebhafter empfinden. Wie wohl war uns, wenn wir nach einer langweiligen Kaffeevisite unserm genialen Freunde unter den schönen Bäumen des Saalufers entgegengehen konnten! Ein Waldbach, der sich in die Saale ergießt, und über den eine schmale Brücke führt, war das Ziel, wo wir ihn erwarteten. Wenn wir ihn im Schimmer der Abendröte auf uns zukommen erblickten, dann erschloß sich ein heiteres ideales Leben unserm innern Sinn. Hoher Ernst und anmutige geistreiche Leichtigkeit des offnen reinen Gemüts waren in Schillers Umgang immer lebendig, man wandelte wie zwischen den unwandelbaren Sternen des Himmels und den Blumen der Erde in seinen Gesprächen. Wie ein Blumen- und Fruchtgewinde war das Leben dieses ganzen Sommers mit seinen genußreichen und bildenden Tagen und Stunden für uns alle. Schiller wurde ruhiger, klarer, seine Erscheinung, wie sein Wesen, anmutiger, sein Geist den phantastischen Ansichten des Lebens, die er bis dahin nicht ganz verbannen konnte, abgeneigter. Meine Schwester konnte wohl in jeder Beziehung eine wünschenswerte Verbindung für Schiller sein. Sie hatte eine sehr anmutige Gestalt und Gesichtsbildung. Der Ausdruck reinster Herzensgüte belebte ihre Züge, und ihr Auge blitzte nur Wahrheit und Unschuld. Sinnig und empfänglich für alles Gute und Schöne im Leben und in der Kunst, hatte ihr ganzes Wesen eine schöne Harmonie. Mäßig, aber treu und anhaltend in ihren Neigungen, schien sie geschaffen, das reinste Glück zu genießen. Sie hatte Talent zum Landschaftzeichnen, einen feinen und tiefen Sinn für die Natur, und Reinheit und Zartheit in der Darstellung. Unter günstigern Umgebungen hätte sie in dieser Kunst etwas leisten können. Auch sprach sich jedes erhöhtere Gefühl in ihr oft in Gedichten aus, unter denen einige, von der Erinnerung an lebhaftere zärtliche Herzensverhältnisse eingegeben, voll Grazie und sanfter Empfindung sind.« [Illustration: Schillerstraße 25: Wohnung des Ehepaares von Beulwitz] Durch Charlottes Winter gehen die Sommererinnerungen als ständige Begleiter: »Wir waren auch in Hasel zusammen. Der Weg, den ich von Kochberg dazumal machte, mag jetzt recht wüste sein und traurig. Auch die Steine, auf denen wir saßen, waren voll Schnee, der Bach zugefroren, und die entblätterten Bäume gaben mir ein trauriges Bild der Vergänglichkeit. Ach, der Winter ist doch recht unangenehm! Auch der schöne Weg auf den Wiesen hin, den wir doch einigemal zusammen gingen, alles war so leer, so öde, die Weiden hoben ihre entblätterten Zweige empor, und das Geschrei der Raben, die traurig auf den weißen Feldern herumflogen, ließen nur Leben ahnen. Was ist der erfreuende Anblick der grünen Wiesen doch dagegen so schön!« »Heute vorm Jahre waren wir uns fremd. Den sechsten sahen wir uns erst, es war ein schöner Zufall, der Sie eben mit Wolzogen zu uns brachte. Ich weiß noch, daß ich den Tag so ganz in mir verschlossen war, der Regen und Wind machte mir so unheimlich, und den Abend freute ich mich so, ich hätte mir es nie am Morgen träumen lassen.« »Unsere schönen Berge freuen mich jetzt gar nicht, die schwarzen Bäume in der Allee machen so eine traurige Wirkung auf den Schnee, und der dunkle Wald auf die weißen Berge, da ist nichts, was einem liebliche Bilder erwecken könnte.« [Illustration: Das Gartenhaus an der Allee: Wohnung der Frau von Lengefeld] Der 7. September 1788 Eine schon längst gehegte Hoffnung Schillers sollte in Rudolstadt erfüllt werden, seine Begegnung mit Goethe. Im Mai war dieser aus Italien zurückgekehrt. Wenn man vermutet hatte, daß er seinen freundschaftlichen Verkehr mit Frau von Stein nun nicht wieder aufnehmen würde, so widerlegten die Tatsachen sehr bald diese Annahme. Goethe besuchte Großkochberg und kam von da nach Rudolstadt. Charlotte von Lengefeld war seit mehreren Tagen bereits zur Hilfe bei Frau von Stein gewesen. Sie hatte mit ihrer Schwester alles gut vorbereitet und geschickt etwas die Vorsehung gespielt, um ihren Sommergast dem einflußreichsten Manne von Weimar nahe zu bringen. Über ihren Erfolg berichtet Karoline: »Während dieses Sommers sah Schiller Goethen zuerst in unserem Hause. Wie alle rein fühlenden Herzen, hatten uns dieses Dichters Schöpfungen mit Enthusiasmus erfüllt. Alle unsere erhöhteren, echt menschlichen Empfindungen fanden durch ihn ihre eigentümliche Sprache; Goethe und Rousseau waren unsere Hausgötter. Auch floß des ersteren so liebenswürdige Persönlichkeit, die wir bei unserer Freundin, Frau von Stein, kennengelernt, mit dem Dichter in unserem Gemüt in eins zusammen, und wir liebten ihn wie einen guten Genius, von dem man nur Heil erwartet. – Höchst gespannt waren wir bei dieser Zusammenkunft und wünschten nichts mehr als eine Annäherung, die nicht erfolgte. Von Goethen hatten wir, bei seinem entschiedenen Ruhme und seiner äußeren Stellung, Entgegenkommen erwartet, und von unserem Freunde auch mehr Wärme in seinen Äußerungen. Zu unserem Trost schien Goethe von schmerzlicher Sehnsucht nach Italien befangen. – Es freute uns sehr, daß Goethe das Heft des Merkurs, welches die Götter Griechenlands enthielt, und das von ungefähr auf unserem Tisch lag, nachdem er einige Minuten hineingesehen, einsteckte und bat, es mitnehmen zu dürfen.« Schon seit Monaten hatte Körner versucht, Schiller von seinem abwartenden Verhalten loszubringen und zu einem Entschluß zu bewegen: »Wirst Du nicht bald nach Weimar gehen, um Goethe zu sehen? Ich kann Eure Zusammenkunft kaum erwarten.« Aber die Rudolstädter Gemütserlebnisse ließen das nicht zu: »Nach Weimar werde ich doch wohl nicht sobald kommen. Es ist eine kleine Tagereise hin, und es sind der Orte, nach denen ich meinen hiesigen Leuten habe versprechen müssen, Partie mit ihnen zu machen, so viele, daß mir keine Zeit für so große Exkursionen übrigbleibt. Ich bin sehr neugierig auf ihn, auf Goethe, im Grunde bin ich ihm gut, und es sind wenige, deren Geist ich so verehre. Vielleicht kommt er auch hierher, wenigstens nach Kochberg, eine kleine Meile von hier, wo Frau von Stein ein Gut hat.« Wie eine Entschuldigung nimmt es sich aus, wenn er immer wieder darauf zurückkommt: »Goethe habe ich noch nicht gesehen, aber Grüße sind unter uns gewechselt worden. Er hätte mich besucht, wenn er gewußt hätte, daß ich ihm so nahe am Wege wohnte, wie er nach Weimar reiste. Wir waren einander auf eine Stunde nahe. – Goethe bleibt in Weimar. Ich bin ungeduldig, ihn zusehen.« Wenige Tage nun nach der Erfüllung dieser Wünsche erhält Körner ausführliche Mitteilung darüber: »Endlich kann ich dir von Goethe erzählen. – Ich habe vergangenen Sonntag beinahe ganz in seiner Gesellschaft zugebracht, wo er uns mit der Herder, Frau von Stein und der Frau Schardt besuchte. Sein erster Anblick stimmte die hohe Meinung ziemlich tief herunter, die man mir von dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte. Er ist von mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so; sein Gesicht ist verschlossen, aber sein Auge sehr ausdrucksvoll, lebhaft, und man hängt mit Vergnügen an seinem Blicke. Bei vielem Ernst hat seine Miene doch viel Wohlwollendes und Gutes. Er ist brünett und schien nur älter auszusehen, als er meiner Berechnung nach wirklich sein kann. Seine Stimme ist überaus angenehm, seine Erzählung fließend, geistvoll und belebt; man hört ihn mit überaus viel Vergnügen; und wenn er bei gutem Humor ist, welches diesmal so ziemlich der Fall war, spricht er gern und mit Interesse. Unsere Bekanntschaft war bald gemacht und ohne den mindesten Zwang; freilich war die Gesellschaft zu groß und alles auf seinen Umgang zu eifersüchtig, als daß ich viel allein mit ihm hätte sein oder etwas anderes als allgemeine Dinge mit ihm sprechen können. Er spricht gern und mit leidenschaftlichen Erinnerungen von Italien. Im ganzen genommen ist meine in der Tat große Idee von ihm nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden, aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden. Vieles, was mir jetzt noch interessant ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat seine Epoche bei ihm durchlebt; er ist mir soweit voraus, daß wir unterwegs nie mehr zusammenkommen werden; – seine Welt ist nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden. Indessen schließt sichs aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und gründlich. Die Zeit wird das Weitere lehren.« Die Stadtkirche und die Glockengießerei Am 17. Juli 1788 trug der achtzigjährige Fürst Ludwig Günther in seinen Kalender ein: »Diese Nacht ist ein sehr starkes Gewitter gewesen. Den Morgen ¾ auf 4 hat es in den Kirchturm eingeschlagen und ziemliche Verwüstung an den Fenstern und auch an den Mauern angerichtet. Ich ritt dahin, um den Schaden anzusehen.« Zwei Tage darauf meldete das Tagebuch des jungen Erbprinzen Ludwig Friedrich: »Ich war bei Lengefelds. Ich zeichnete mit der Frau Hofrätin. Der Herr von Ketelhodt las uns in der neuen Geschichte des Herrn Schiller vor. Gegen Abend trat der Verfasser dieser Geschichte zur Tür herein und lud die Gesellschaft zu einem Spaziergang ein. Wir gingen über den Damm zur Stadtkirche und sahen die Verwüstungen, die durch das Gewitter entstanden. Auch wallfahrte Herr Schiller als guter Geschichtschreiber zu dem Grabe der heldenmütigen Katharina.« Dieses Grab liegt hinter dem Taufstein unter dem Altarraum und ist mit einer Erzplatte bedeckt. Die lateinische Inschrift besagt, daß Graf Wolrad von Waldeck und seine Gemahlin Anastasia ihrer Mutter und Schwiegermutter, der Gräfin Katharina von Henneberg, verwitweten Gräfin von Schwarzburg, eine selige Auferstehung wünschen. Katharina war auf ihrem Witwensitz, der Heidecksburg, am 7. November 1567 gestorben. Als entschiedene Bekennerin der evangelischen Lehre, als leutselige und fürsorgliche Beschützerin der Armen und Bedrängten, lebte sie in der Erinnerung fort, und mehrere Geschichtswerke erzählten, wie sie unerschrocken und kühn dem gefürchtetsten Heerführer der Reformationszeit entgegengetreten war. Das schlug in die Richtung der Studien ein, mit denen Schiller gerade beschäftigt war. Er ging den Quellenberichten nach und faßte sie zu dem Aufsatz zusammen, der aus seinen Werken oft abgedruckt und weit verbreitet worden ist: Herzog von Alba bei einem Frühstück auf dem Schlosse zu Rudolstadt, im Jahr 1547. Für ihre Ortschaften hatte die Gräfin gesorgt durch einen Sauvegardebrief: die spanischen Truppen verpflegte sie, damit ihre Untertanen nicht durch Plünderung zu leiden hatten. Schilder mit dem Wappen der Gräfin waren in jedem ihrer Dörfer angebracht. Herzog Alba und seine Begleiter saßen bei einem Gastmahl auf dem Schlosse, als die Nachricht eintraf, daß in Hasel und Cumbach geplündert wurde. Rasch entschlossen ließ Katharina Saal- und Schloßpforten durch ihre Bewaffneten besetzen und forderte, daß dem Kriegsbrauch Einhalt getan wurde, widrigenfalls: »Fürstenblut für Ochsenblut!« Mit sauersüßer Miene gaben die Herren Befehl, das geraubte Vieh den Eigentümern wieder auszuliefern. Die mündliche Überlieferung berichtet, daß Schiller wiederholt auch den Turm der Stadtkirche besucht hat, wo vier wertvolle Glocken bis heute erhalten sind. Eine von ihnen soll seine Aufmerksamkeit dabei besonders gefesselt haben. Diese Andreasglocke trägt stark erhaben das Bild des Schutzpatrons der Kirche, um ihren Hals zieht sich zartes gotisches Spitzenwerk und faßt zwei Spruchbänder ein. Das untere Band enthält die Nachricht von der Entstehung der Glocke: »Anno domini 1499. Osanna heis ich, Curdt Kerstan gos mich. Er Cristofferus von Wiczleuben. Pharner.« Sie war in dem angegebenen Jahre auf dem Platz hinter der Kirche von dem bedeutenden Erfurter Meister gegossen worden, und der Pfarrer von Witzleben gehörte der Rudolstädter Reformationsgeschichte an. Das obere Schriftband bringt den Beruf der Glocke in Worte: »~Dulce melos clango, sanctorum gaudia pango, defunctos plango, vivos voco, fulgura frango.~« Süßen Laut klinge ich, Freuden der Gläubigen singe ich, Tote beklage ich, Lebende rufe ich, Blitze wehre ich ab. In mehreren Lesarten findet sich dieser Sinnspruch auf 133 Glocken. Verkürzt um die beiden ersten Glieder, hat ihn Schiller über sein »Glockengießerlied« gesetzt: ~Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango.~ Aus dem Dämmerlicht der Glockenstube schweifte das Auge gern hinaus in die frische leuchtende Landschaft. Unten am Fuß des Kirchhügels lag Charlottes Jugendheim, der Heißenhof, ihm gegenüber die Ludwigsburg, und in deren Nähe, am Ausgang der Stadt die Glockengießerei von Mayer. Hier hatte seit 1715 schon der Schweizer Geschütz- und Glockengießer Johann Feer sein Gewerbe betrieben, und dann seit dessen Tode 1759 der Nürnberger Rotgießer Johann Mayer. Volkstedt und Rudolstadt nehmen in der Geschichte des Thüringer Glockengusses eine hervorragende Stelle ein seit dem Mittelalter. In der Familie Mayer, die ihr Kunstgewerbe bis 1872 ausübte, hat sich von Geschlecht zu Geschlecht in ganz bestimmter Fassung die Kunde vererbt, wie Schiller wiederholt die Gießhütte besucht hat, wie der Ahnherr zunächst gar nicht besonders erbaut war über die Störung der Arbeit, daß der bleiche Gelehrte aber rücksichtsvoll in dem hochlehnigen Stuhl an der Wand Platz genommen hat, um die Arbeit nicht zu stören. Auch Karoline von Wolzogen erinnert sich dessen, als sie das Lied von der Glocke erwähnt: »Lange hatte Schiller dieses Gedicht in sich getragen und mit uns oft davon gesprochen als einer Dichtung, von der er besondere Wirkung erwartete. Schon bei seinem Aufenthalt in Rudolstadt ging er oft nach einer Glockengießerei vor der Stadt spazieren, um von diesem Geschäft eine Anschauung zu gewinnen.« Weil er seine Kenntnisse von der Technik des Glockengusses noch einmal nachprüfen wollte, schlug Schiller später die ökonomisch-technologische Enzyklopädie von Krünitz auf. Dort fand er eine Glocke in Schaffhausen erwähnt, die den Glockenspruch in der knappen Fassung trägt, wie sie ihm dann geeignet erschien. Diese Glocke selbst hat er nie gesehen. Auch sonst erheben eine Stuttgarter und die beiden Apoldaer Firmen Anspruch darauf, den Dichter als lerneifrigen Liebhaber in ihre Kunst eingeführt zu haben. Sollte ein triftiger Grund für diese Annahmen vorhanden sein, so findet sich leicht eine Erklärung dafür. Glockenguß ist technisch, wissenschaftlich und künstlerisch ein so anziehendes Gewerbe, daß jeder, der sich einmal aufmerksam darum gekümmert hat, gern die Gelegenheit wahrnimmt, seine Beobachtungen fortzusetzen und zu ergänzen. An der heutigen Maschinengießerei, Jenaische Straße 1, fordert eine kleine Schrifttafel, verfaßt von Augustin Regensburger, auf, Johann Mayers und seines Meistergesellen zu gedenken: Steh, Wandrer, still, denn hier erstand, Daß keine zweite möglich werde, Gebaut von Schillers Meisterhand, Die größte Glockenform der Erde. Charlottes Jugendheim Von dem Haus, wo Charlotte ihre Kindheit verlebte, besitzen wir eine gemütvolle Schilderung aus ihrer eigenen Feder: »Die Lage unserer Wohnung war höchst romantisch; an einer kleinen Anhöhe, die mit Obstbäumen bepflanzt war, lag unser Haus. Die vordere Seite hatte einen großen Hof, der mit einem kleinen Garten begrenzt war. Vor uns lag ein fürstliches Lustschloß und rechts eine alte Kirche, deren schöner Turm mir manche Phantasien erweckte, und das Geläute der Glocken, das ich zu allen Stunden hörte, stimmte mich oft ernst und melancholisch. Ich stand stundenlang an meinem Kammerfenster, sah in die dunkeln Fenster des Turms hinein, hörte den Glocken zu und sah die Wolken am Himmel sich bewegen. Mein Horizont war frei. In der Ferne sahen wir schöne Berge und ein altes Schloß auf dem Berge liegen, das oft das Ziel meiner Wünsche war. Ich stellte es mir auch gar zu hübsch vor, über die Heide, so hieß die Reihe der Berge vor meinen Augen, zu wandern und da neue Dörfer, eine neue Welt zu sehen. Auch eine Hängebirke, die in einem der Gärten stand, die ich aus meinen Fenstern, meiner kleinen Welt, übersehen konnte, hat mir viel Anlaß zu Betrachtungen gegeben. Ich hatte Unterricht in den Morgenstunden; ich lernte nicht gern, und es war mir peinlich, wenn ich die Stunde schlagen hörte, und mein Lehrer begann eine neue Materie des Unterrichts. Französisch lernte ich auch nicht gern; Zeichnen und Schreiben wurden mir auch schwer. Aber am aller unangenehmsten war mir die Tanzstunde. Mittags freute ich mich immer an Tisch zu gehen; da saß mein Vater und erwartete uns, er konnte nicht allein gehen, und seine Jäger, deren er viele hatte, mußten ihn stets führen. Er war immer heiter und freundlich bei Tisch, erzählte uns lustige Geschichten, erkundigte sich nach unserm Fleiß, ließ sich auch oft von seinen Jägern erzählen, wie es in der Welt ging, die ihn interessierte. Er hatte die Wälder, die er meistens anlegte, mit Liebe gepflegt. Alles war ihm wichtig; jeder neu erworbene Baum vergrößerte sein Interesse. Ich hörte gar zu gern zu, wenn solche Gespräche kamen, und dachte mir immer, wie es da und dort aussehen müßte. Ich sah die Plätze im Geist und lebte mit den Bäumen der Wälder, mit den Höhen und Tälern, mit den Nebeln, wie Ossian in seiner Welt, am liebsten. Nach dem Essen kam der Lehrer, und wir hatten Unterricht in der Geographie, lasen Zeitungen oder schrieben Briefe. Alsdann kam noch der französische Sprachmeister, und unsere Stunden hatten ein Ende. Der übrige Teil des Tages gehörte uns. Wir gingen auf unserm Berg herum, und ich bildete mir ein, jeder neue Busch, den ich fände, sei auch andern fremd. War es böses Wetter, so setzte ich mich still in einen Winkel und hörte Karolinen und Amalien zu, die eine Art dialogisierter Romane spielten. Eine war immer eine Heldin des Stücks, und statt zu erzählen, wie es geschehen sei, dramatisierten sie die Geschichte. Dieses hatte unendlichen Reiz für mich. Ich saß dabei und hörte alles an und war begierig, wie es enden würde. Wie alle Romane und Theaterstücke, so endete sich dieses auch immer mit einer Heirat. Hatte mein Vater Geschäfte mit seinen Jägern des Abends, so kam meine Mutter und die Kusine, eine fertige Leserin, las uns vor. Ich arbeitete nicht gern in früherer Zeit, so gerne ich jetzt tätig bin. Ich hatte noch eine Art Unterhaltung, die mich besonders anzog. Ich hatte Figuren aus den Kalendern, die ich mir künstlich ausschnitt. Mit diesen spielte ich die Romane nach, die ich hörte. Es gab aber noch wenige zu der Zeit, zumal deutsche. Nach sieben Uhr gingen wir zu unserem Vater, wo wir ein kleines Mahl einnahmen, und nach dem Essen blieben wir noch bei ihm bis um neun Uhr, wo meine Mutter uns begleitete. Die Mädchen im Hause wurden versammelt, die Kusine las einen Abendsegen, es wurde ein geistliches Lied gesungen, die gute Mutter segnete ihre Kinder ein, und so gingen wir gläubig zur Ruhe und erwarteten den andern Morgen, um wieder so zu leben. Noch ehe wir aufstanden, war der geschäftige Vater schon in den Wäldern, besah die Anlagen, ordnete die Holzschläge an, bestimmte die Jagdreviere, und meistens war die Mutter mit ihm. Hatte er keine solchen Geschäfte, so fuhr er mit ihr nach seinen Feldern. Er hatte aus Liebe zur Ökonomie Felder gepachtet. Da besah er, wie jede Pflanzung stand, ließ Anstalten zur Ernte machen, kurz er wies jedes Geschäft des Tages an. Es war uns eine eigene Freude, die Ernte einfahren zu sehen, und an diese wiederkehrende Freude knüpften wir unsere Erinnerung. Bald halfen wir die Gemüse aufzubewahren, bald das Obst für den Winter zu legen, bald halfen wir einmachen und Obst trocknen. Alles wurde uns wichtig, und es wurde mit einer Wichtigkeit behandelt, wovon man nur in einer einfachen Lebensweise einen Begriff hat. Das ganze Haus hatte nur einen Gesichtspunkt bei einem ökonomischen Fest, alles war beschäftigt. Ich zog indes freilich lieber auf dem Berg herum, den sich meine kindische Phantasie vergrößerte, suchte Blumen und Zweige und kam oft recht von Dornen zerrissen zurück und ganz atemlos. Bald wollte ich eine Blume pflücken, die unzugänglich war, bald fiel ich aus Unvorsichtigkeit den Berg hinunter, ohne Wunden ging keine meiner Streifereien ab. Kam zuweilen ein Besuch, der unsere Art zu leben unterbrach, so vernahmen wir nichts Neues, denn jeder lebte auf diese Art. Ein Fest für uns war ein Besuch bei einem alten Geistlichen, dem Beichtvater unseres Hauses, der mit seiner Frau ein patriarchalisches Leben führte. Die runden Fensterscheiben im Zimmer, der große Schrank von Nußbaum mit großen geschliffenen Gläsern besetzt, mit Kirschen von Glas und einer ruhenden Kuh von Porzellan, die eine Butterbüchse war, war mir so lieb und erfreulich als der Kohlkopf in Vossens Luise. Ein schöner bunter Teppich lag auf dem Kaffeetisch. An der Seite des Zimmers war ein Fensterchen, das in die Küche sehen ließ, wo der Kaffee uns entgegendampfte, oder die schönen Kuchen gebacken wurden. Die Hoffnung, die Erwartung, was uns bevorstände, war für mich wichtig. Wenn der Tisch mit den Gaben des Herbstes prangte, saß ich recht gemütlich und hörte den Gesprächen, die mit Einfalt im Gemüt gehalten wurden, zu und verlor mich in dieser Welt. Wenn um sechs Uhr die große Glocke schallte, wir mochten in welchem Gespräch wir auch wollten begriffen sein, so faltete der alte gute Mann seine Hände und betete laut, wir beteten mit. Die alte Frau Pfarrerin ging zu ihm, rief ihm laut ins Ohr, denn er war taub: ›Glückseligen guten Abend, Papa!‹ und das vorige Gespräch begann wieder. Um sieben verließen wir diesen langen Besuch, aber nicht ohne Rührung über die Güte und Einfalt, im edeln Sinn des Wortes, unserer Freunde. Sie kamen auch öfters zu uns, und immer war es die nämliche Unterhaltung. Der alte Pfarrer las wenig, doch die Zeitungen, die zuweilen auch unser Gespräch machten, einige theologische Bücher und gelehrte Zeitungen, die ich immer mit einer Art Neugierde und Ehrfurcht ansah, lagen auf seinem Tische. Besuche unseres Alters hatten wir in dieser Zeit selten. Sonntags gingen wir in die Kirche und der Vater an Hof. Die Mutter ging Donnerstags gewöhnlich hin. Das war auch ein Fest für mich, sie geputzt zu sehen, und ich beschäftigte mich oft in der Vorstellung damit. Sonntags hatten wir meistens oder gaben Besuche. Ein fehlgeschlagener Anschlag auf einen Besuch war immer störend, und die Kusine, die gern ausging, sann oft stundenlang darüber nach, wo man sich nur könne melden lassen. Ein großer schöner mit Bäumen bepflanzter Gang an der Saale war auch an den Besuchtagen unser Spaziergang. Dort versammelte sich die schöne Welt, und dort begegneten wir auch unsern Gespielinnen. Auch der fürstliche Garten unserer Wohnung gegenüber war Sonntags unser Ziel. Alles mir Unbekannte und Fremde dünkte mir wunderbar, dieser Zug ist mir aus meiner früheren Jugend auffallend. Der Garten mit holzgeschnitzten Figuren, mit einer Laube, worin ein großes Bild war, im Geschmack des Gartens, den der Apotheker in Hermann und Dorothea beschreibt: dies waren meine Kunstwerke. Ein plumper Neptun mit einem Dreizack in einem Bassin war mir auch verwunderungswürdig, und er kam mir oft in meinen Träumen wieder vor. Auch ein Labyrinth, in dem ich mich oft zu verlieren fürchtete, war mir bedeutend. So lebte und trieb ich mein Wesen in engen Umgebungen bis in mein neuntes Jahr, wo unser guter Vater uns entrissen wurde.« Karoline befand sich bereits in einem Alter, wo der Gedanke an den Tod schwere Seelenbewegung hervorruft, wie sie selbst bekennt: »In meinem dreizehnten Jahre verlor ich den Vater. Seine Krankheit wurde mir wohl als bedenklich, doch nicht als einen nahen Tod drohend vorgestellt. Noch hatte ich nichts Geliebtes durch den Tod verloren, so daß mir diese grauenvolle Erscheinung in ihrer Macht und Tiefe fremd war. Der Vater starb in der Nacht an einem Stickflusse. Die Diener kamen zu uns herauf in den oberen Stock, mit dem Befehl der Mutter, wir sollten uns ruhig in unserm Zimmer halten. Ihre Klagetöne drangen zu uns herauf, meine Unruhe trieb mich die Treppe hinab, um ihr und dem Vater näher zu sein. Es war am Morgen gegen drei Uhr, eine Lampe brannte schwach auf der Hausflur. Die Zimmer meiner Mutter öffneten sich, man ging aus und ein, ich lehnte auf dem Treppengeländer, um in das Innere derselben blicken zu können. Da hörte ich die Stimme des Vaters. ›Weißt du nicht, daß ein allmächtiger Gott lebt?‹ hörte ich ihn sagen. Die Stimme war mir sonderbar nahe, als töne sie von der Hausflur her. Doch zweifelte ich in dem Moment durchaus nicht, daß der Vater noch lebe und die Mutter zu trösten suche. [Illustration: Die Schillerglocke] Als am nächsten Morgen das traurige Ereignis uns ausführlich mitgeteilt wurde, und meine Mutter äußerte, schon gegen ein Uhr in der Nacht sei der Vater sprachlos gewesen, sagte ich: ›Ich habe ihn ja um drei noch reden hören!‹ worüber alles verwundert war. Vor dem Abgeschiedenen hatte ich übrigens durchaus keine Scheu oder Furcht, ja ich weilte oft lange in seinem Kabinett, wo ich ihn zuletzt gesehn, und bat Gott, er möge mich ihn noch einmal sehen, ihn mir erscheinen lassen.« [Illustration: Charlottes Jugendheim] Der Heyßenhof war im 16. Jahrhundert Sitz einer Familie Heyße, stand in alter Beziehung zum Rittergut Großkochberg, als dessen Inhaber ein Herr von Stein 1720 damit belehnt wurde. Von 1770 bis 1780 war er fürstliches Eigentum, dann ging er in den Besitz einer Müllersfamilie Mallenbeck über. Wann der Jägermeister von Lengefeld sich hier einmietete, und ob seine Töchter im Heyßenhof geboren wurden, kann nicht festgestellt werden. In ihrem Erinnerungsleben spielt aber diese Örtlichkeit eine bedeutsame Rolle, verlebten sie doch hier die Kindheitsjahre, die mit ihren frisch empfundenen Eindrücken am tiefsten und längsten bis in das Alter vorhalten. Der Schönfeldsche Hof gegenüber war ebenfalls seit Jahrhunderten ein Kochberger Vorwerk gewesen. Die fürstliche Hofverwaltung hatte ihn 1706 erworben, und Prinz Ludwig Günther von 1734 an die Ludwigsburg gebaut und mit einem Garten in französischer Mode ausgestattet, wie ihn Charlotte sah. Der Damm am Saaleufer, 1735 angelegt, senkte sich reich mit schattigen Bäumen bepflanzt als Wiese und Weide zum Flusse hinab, und links von ihm dehnte sich der Anger aus als ländlicher Tummelplatz mit Schießstand, Gaststätten und einem Sommertheater. Der Herbst 1789 Schillers Geschichtswerk über den Abfall der Niederlande war im Rudolstädter Sommer abgeschlossen worden und zur Michaelismesse 1788 in den Buchhandel gekommen. Daraufhin konnte sich Goethe für Charlottes Freund und Frau von Steins Schützling verwenden, als die Professur für Geschichte in Jena ganz unerwartet erledigt war. Der Dichter sollte nun Mann der Wissenschaft sein und ein Lehramt mit drückenden Verpflichtungen übernehmen. Das kam ihn hart an, aber die Aussicht auf eine feste Staatsstellung verlieh ihm ein Recht, auf Charlottes Hand zu hoffen. In Lauchstedt bei Halle erhielt er ihr Jawort. Vor der besorgten Mutter mußte das vorläufig noch ein Geheimnis bleiben. Das junge Glück beseelt ihn mit neuem Mut, und zwischen dem Ernst der Tagesarbeit ließt der Scherz in seine Worte: »Die Mohammedaner kehren, wenn sie beten, ihr Gesicht nach Mekka, ich werde mir einen Katheder hier anschaffen, wo ich das meinige gegen Rudolstadt wenden kann, denn dort ist meine Religion und mein Prophet.« Als der Semesterschluß winkt, nehmen die Pläne für den Ferienaufenthalt bestimmte Form an: »Ich mache mir meine Ferien so gut zunutze, als ich kann. Es sind die ersten, die ich erlebe, und es kommt mir wunderlich vor, daß mir eine Zeit vorgeschrieben ist, wo ich frei über mich disponieren kann. Kommenden Winter lese ich die Woche fünf Stunden Universalgeschichte, von der fränkischen Monarchie an bis auf Friedrich II., und eine Stunde Geschichte der Römer.« Zwischen den Gedanken an die Arbeit belebt ihn die Freude auf die Nähe der Braut: »Jena, Dienstag, den 1. September. Wie wird es mit unsern Abenden gehen, wenn ich in Volkstedt wohne? Ich will es so einrichten, daß ich gegen drei gewöhnlich in Rudolstadt bin, und zuweilen bleiben, bis die ~Chère Mère~ wieder geht. Zuweilen komme ich auch den Vormittag. Bei schlechtem Wetter kann ich zur Not im Wirtshaus oder sonst ein Absteigequartier finden. Den Tag, wann ich komme, weiß ich noch nicht bestimmt. Ich vermute, daß ich morgen über 14 Tage mein letztes Kollegium lese.« Etwas bange stimmt ihn der Gedanke, daß sie die Sorgen der Mutter nicht steigern durch eine vorzeitige Kunde von ihrem Verlöbnis: »Die ~Chère Mère~ müßt Ihr bei ihrer Zurückkunft und, wenn ich da bin, eher fleißiger als nachlässiger besuchen, sonst gewöhnt Ihr sie, mich und eine unangenehme Erfahrung in ihrem Gemüt zusammen zu denken.« Er muß zweierlei Briefe schreiben, solche die geheim bleiben, und »ostensible«, die von Hand zu Hand gehen dürfen, und erwirbt sich Anerkennung dafür: »Du bist recht artig, daß Du sogleich den Brief geschrieben hast, und so schön, so fein angelegt, daß es aussieht, als überträfst Du uns noch in List. Nun im Ernst, mein Lieber, glaube nicht, daß es meine Mutter so sehr beunruhigen kann, wenn Du uns nahe bist. Sie soll nicht mißmutig sein, wenn wir uns freuen. Aber ich kann mir doch auch nicht denken, daß es sie zu sehr betrüben könnte. Sie hat Dich doch auch lieb, findet, daß man Deinen Umgang schätzen muß, dazu hat sie doch zu viel Verstand, um es nicht zu finden, und fühlt doch auch, daß wir so einsam sind, und uns Deine Gesellschaft wohltun wird. Sie soll morgen den Brief sehen. Daß wir Dich nachmittags von drei Uhr bis gegen sechs oder sieben immer sehen wollen, haben wir auch schon ausgedacht, und wir gehen immer abends um acht Uhr nach dem Essen bei Hof. Da können wir immer zwei Stunden bleiben. Alle Tage kommt meine Mutter nicht zu uns, also werden wir uns oft ungestört sehn können. Lieber, wie freut sich mein Herz dieser Aussicht!« Am 18. September trifft der sehnlichst Erwartete ein, und fünf Wochen, reich an Arbeit, hell durch Freude, getrübt von mancherlei Sorgen, vereinigen den Rudolstädter Kreis in der Neuen Gasse. Karoline, die Schwester und Freundin, weiß in allem Bescheid: »Endlich kamen die Ferien. Schiller bewohnte wieder sein Haus in Volkstedt und brachte Morgen- und Nachmittagsstunden bei uns zu, da die Abende größtenteils der Mutter gehörten. Das Geheimnis der glücklichen Liebe zwischen ihr und uns, welches zu ihrer Ruhe nötig war, empfanden wir als eine ungewohnte Störung doppelt schmerzlich in dieser goldenen Zeit, denn immer hatte Offenheit unter uns gewaltet. Doch tröstete uns der Mutter sich stets gleich bleibende Achtung und Freundschaft für Schiller. Dieser arbeitete an seinen Vorlesungen, an der Thalia und dem Geisterseher und schweifte in den schönen Herbsttagen in der Gegend umher, in der Erinnerung und Hoffnung ihn anlächelte. Auch manche poetischen Pläne und Stimmungen entsprangen diesen Wanderungen, auf denen wir ihn oft begleiteten. Die Liebe und die sichere Aussicht auf ein glückliches häusliches Leben, welches immer der Gegenstand seiner Sehnsucht gewesen war, bildeten einen lichten Grund in seinem Gemüte. Aber die Ungewißheit der Epoche, wo Lottchen mit ihm leben könnte, erzeugte oft Sorge und Unruhe. Es graute ihm vor der Einsamkeit in Jena. Der günstige Moment, seine Bitte dem Herzog von Weimar vorzutragen, lag noch fern, und an ihrer Erfüllung konnte man doch noch zweifeln. Da alles an der Festigkeit der Existenz, die die Mutter beruhigen konnte, hing, so erging sich unsere Phantasie in tausend Plänen, die dazu führen konnten. Städte, Länder und Verhältnisse mit wohlgesinnten Menschen, die nur der Gestaltung bedurften, lagen immer bereit.« Unter den Plänen, die erwogen wurden, beschäftigte auch der ernsthaft die Gemüter, nur auf die schriftstellerische Tätigkeit den Hausstand, und zwar in Rudolstadt, zu gründen. All diesen Überlegungen kommt Frau von Stein zuvor, indem sie den Herzog bestimmt, für Schiller ein kleines Jahresgehalt zu versprechen. Nun gilt es ihm als erste Pflicht, der Mutter seiner Braut sein Herz und seine Lage zu eröffnen: »Jena, den 18. Dezember 1789. Wie lange und wie oft, seit mehr als einem Jahre, gnädige Frau, habe ich mit mir selbst gestritten, ob ich es wagen soll Ihnen zu gestehen, was ich jetzt nicht mehr zurückhalten kann. Ich muß Sie bitten, verehrungswürdigste Freundin, sich jetzt alles gegenwärtig zu machen, was je in Ihrem gütigen Herzen für mich sprach. Ich selbst muß mir jedes Ihrer Worte zurückrufen, worin ich Wohlwollen für mich zu erkennen glaubte, um in diesem Augenblicke Mut und Hoffnung zu fassen. Es gab Augenblicke, unvergeßlich sind sie meinem Herzen, wo Sie mich vergessen ließen, daß ich ein Fremdling in Ihrem Hause sei, ja, wo Sie unter Ihren Kindern auch mich mit zu zählen schienen. Was Sie damals ohne Bedeutung sagten, was nur eine vorübergehende Bewegung Ihres Herzens Ihnen eingab, wie tief ergriff es mein Herz, wo lange schon kein anderer Wunsch mehr lebte, als Ihr Sohn genannt zu werden. Sie haben es in Ihrer Gewalt, jene Äußerungen in volle selige Wahrheit für mich zu verwandeln. Ich gebe das ganze Glück meines Lebens in Ihre Hände. Ich liebe Lottchen, ach, wie oft war dieses Geständnis auf meinen Lippen, es kann Ihnen nicht entgangen sein. Seit dem ersten Tage, wo ich in Ihr Haus trat, hat mich Lottchens liebe Gestalt nicht mehr verlassen. Ihr schönes edles Herz habe ich durchschaut. In so vielen froh durchlebten Stunden hat sich ihre zarte sanfte Seele in allen Gestalten mir gezeigt. Im stillen innigen Umgang, wovon Sie selbst so oft Zeugin waren, knüpfte sich das unzerreißbarste Band meines Lebens. Mit jedem Tage wuchs die Gewißheit in mir, daß ich durch Lottchen allein glücklich werden kann. Hätte ich diesen Eindruck vielleicht bekämpfen sollen, da ich noch nicht vorhersehen konnte, ob Lottchen auch die meine werden kann? Ich hab es versucht, ich habe mir einen Zwang vorgeschrieben, der mir viele Leiden gekostet hat. Aber es ist nicht möglich, seine höchste Glückseligkeit zu fliehen, gegen die laute Stimme des Herzens zu streiten. Alles, was meine Hoffnungen niederschlagen könnte, habe ich in diesem langen Jahre, wo diese Leidenschaft in mir kämpfte, geprüft und gewogen, aber mein Herz hat es widerlegt. Kann Lottchen glücklich werden durch meine innige ewige Liebe, und kann ich Sie, Verehrungswürdigste, lebendig davon überzeugen, so ist nichts mehr, was gegen das höchste Glück meines Lebens in Anschlag kommen kann. Ich habe nichts zu fürchten, als die zärtliche Bekümmernis der Mutter um das Glück ihrer Tochter, und glücklich wird sie durch mich sein, wenn Liebe sie glücklich machen kann. Und daß dieses ist, habe ich in Lottchens Herzen gelesen. Wollen Sie, teuerste Mutter, o lassen Sie mich bei diesem Namen Sie nennen, der die Gefühle meines Herzens und meine Hoffnungen gegen Sie ausspricht, wollen Sie das Teuerste, was Sie haben, meiner Liebe anvertrauen? Meine Wünsche durch Ihre Billigung in Wirklichkeit verwandeln, wenn es auch die Wünsche Ihrer Tochter sind, wenn wir uns beide in dieser Bitte vereinigen? Ich werde Ihnen mehr zu danken haben, als ich einem Menschen danken kann. Sie werden glücklich sein in der Glückseligkeit Ihrer Kinder. Unsere Dankbarkeit wird geschäftig sein, Ihr Leben zu verschönern und Ihnen das Geschenk der Liebe durch Liebe zu erstatten. Ich erlaube mir keine weitre Erklärung, bis Sie über die Wünsche meines Herzens entschieden haben werden. Steht nur in Ihrer Seele meinem Glücke nichts entgegen, so werden keine Hindernisse von außen ihm im Wege stehen. Mit welcher Unruhe und Sehnsucht erwarte ich von Ihnen den Ausspruch über mein ganzes Glück! Aber Liebe allein wird Sie leiten, und darauf gründe ich frohe Hoffnungen. Ewig der Ihrige mit der innigsten Ehrfurcht und Liebe.« Nur ein gutes treues Mutterherz konnte eine Antwort geben, wie die, deren Inhalt ihn nun von Zweifeln erlöste: »Rudolstadt, den 21. Dezember 1789. Ja, ich will Ihnen das Beste und Liebste, was ich noch zu geben habe, meine gute Lottchen, geben. Die Liebe meiner Tochter zu Ihnen und Ihre edle Denkungsart bürgt mir für das Glück meines Kindes, und dieses allein suche ich. Verzeihen Sie aber der Sorgsamkeit und der Pflicht einer Mutter: Können Sie Lottchen neben Ihrer zärtlichen Liebe, nicht ein glänzendes Glück, sondern nur ein gutes Auskommen verschaffen? Beruhigen Sie mich über diesen Punkt, und ich nenne Sie mit Freuden Sohn. Wäre ich reich, könnte ich Ihnen mit meiner Tochter ein ansehnliches Vermögen geben, wie gern würde ich Ihnen da zeigen, daß Verdienst und ein Herz, so wie ich das Ihrige kenne, die schätzbarsten Güter der Erde für mich sind. Da mein Vermögen aber nicht groß und unser jetziges Leben diese Frage verlangt, weil ohne hinlänglichen Unterhalt kein Familienglück bestehen kann, so müssen Sie mir meine Ängstlichkeit vergeben. Die ich mich mit wahrer Ergebenheit und Freundschaft nenne Ihre treue Freundin von Lengefeld.« Zwei gute und treuherzige Briefe von Rudolstädtern in der Ferne trafen ein, der eine noch an Fräulein von Lengefeld in der Neuen Gasse, der andere bereits an Frau Hofrätin Schiller in Jena. »Genf, den 27. Januar 1790. Daß ich an der Entscheidung Ihres Schicksals, liebes Lottchen, den lebhaftesten Anteil nehme, dafür bürgt Ihnen meine Freundschaft für Sie. Mögen Sie mit dem Manne, den Sie sich gewählt haben, in allen künftigen Lagen Ihres Lebens immer so glücklich sein, als es Ihr gutes edles Herz verdient. Einer meiner sehnlichsten Wünsche wird dadurch erfüllt werden. Schiller, der mir bereits für seinen Geist die größte Achtung eingeflößt hat, soll mir auch in dem neuen Verhältnisse, in welches ich mit ihm durch Sie gesetzt werde, herzlich willkommen sein, und ich bitte Sie, ihn von meiner aufrichtigsten Freundschaft zu versichern. Es ist freilich eben so gar artig nicht, daß Sie so mit einem Male Ihrem alten Lehrer aus der Schule laufen und mich, Ihren alten Freund, verlassen. Allein ich würde zuviel Eigennutz verraten, wenn ich mich zu sehr darüber beschweren wollte, und Knebeln muß es doch eigentlich recht wohl tun, seine Schülerin nun als hochgelehrte Professorin auf der Hohen Schule zu wissen. Ich will nun von Ihnen recht viel lernen, vorzüglich rechne ich sehr darauf, durch Ihre Vermittelung bisweilen etwas von Schillers historischen Vorlesungen zu erhalten. Seine erste im Merkur eingerückte Vorlesung habe ich kürzlich gelesen. Sie ist ganz meisterhaft und hat mir außerordentlich gefallen. Schiller behandelt die Geschichte genau so, wie ich immer gewünscht habe, sie behandelt zu sehen. Jede einzelne Geschichte wird durch seine Darstellung ein schöner Teil von einem großen harmonischen Ganzen, von der Geschichte der Menschheit. Daß Sie uns in Rudolstadt nicht ganz vergessen, und daß Sie sich so einrichten werden, daß Sie alle Ferien bei uns mit Ihrem Freunde zubringen, darauf zähle ich sicher. Leben Sie wohl, liebes Lottchen, und lassen Sie bald wieder etwas von sich hören. von Beulwitz.« »Genf, den 15. März 1790. Bestes Schwesterchen, wie sehr Ihr Wohl und Glück Ihrem Brüderchen am Herzen liegt, wie sehr er sich jetzt freut, Sie in derjenigen Lage zu sehen, die Sie sich selbst wünschten und wählten, können Sie sich leicht vorstellen. Nichts konnte mir mehr Vergnügen machen, als Sie mit einem so braven Mann, als Herr Schiller ist, verbunden zu sehen. Erlauben Sie mir, mich bei dieser Gelegenheit zu fernerer Freundschaft zu empfehlen. Recht oft hoffe ich Sie mit Ihrem lieben Mann in Rudolstadt zu sehen, und so manche angenehme Stunde soll uns im freundschaftlichen Zirkel verfließen. Dann singen wir Herrn Schillers Lied an die Freude! Jetzt muß unser Lieblingsdichter diese Stelle doppelt fühlen: ›Wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein!‹ – Darf ich bitten, mich Herrn Schiller zu fernerer Freundschaft zu empfehlen. Bald werde ich Ihnen mündlich sagen können, wie sehr ich Sie verehre, und bin Ihr aufrichtiger Freund und Diener Ludwig Friedrich.« * * * * * »An einem Montag, den 22. Februar 1790, wurden wir in Wenigenjena vom Diakonus Schmidt getraut. Schiller kam einige Tage vorher nach Erfurt, wo ich und Karoline war, uns abzuholen. Wir kamen Sonntag abends nach Jena. Den Montag früh fuhren wir drei zusammen nach Kahla, wo wir meine Mutter abholten. Es war ein Frühlingstag wie heute, wo ich dieses mit Schmerzen niederschreibe. Von Kahla fuhren wir gegen 2 Uhr ab und kamen um 5 Uhr ganz in der Stille in Wenigenjena an, stiegen an der Kirche aus, niemand war bei der Trauung zugegen, als meine Mutter und Karoline. Den Abend brachten wir still und ruhig miteinander in Gesprächen zu beim Tee. So verging der Tag, der so viele Freuden in seinem Gefolge hatte und so viele Schmerzen. Jeglichen Menschen erwartet sein Tag, auch meiner wird kommen!« Aus Charlottes Tagebuch. Das Frühjahr 1791 Das Jahr 1791 begann mit Not und Sorge. Am 3. Januar bei einem Hoffest in Erfurt war Schiller zusammengebrochen. Der Arzt schaffte wohl Linderung, aber nicht Heilung. Am 9. Januar erfolgte die Reise nach Weimar, am 11. die Rückkehr nach Jena. Im Briefwechsel des Freundeskreises ist die Sorge und die Hoffnung zu erkennen, mit der alle die Ereignisse im Befinden Schillers begleiteten. Erst am 22. Februar führt der Genesende selbst wieder die Feder und berichtet dem Dresdener Freund seinen Zustand und seine Pläne für den Sommer. Schon am Krankenlager hatte sich ein Wetteifer gezeigt: nicht nur Verwandte und altbewährte Freunde hatten einander übertroffen in ihren Bemühungen, auch neue Anhänger bewarben sich, wenigstens einmal eine Nachtwache leisten zu dürfen. Schillers philosophische Studien hatten ihm Schüler in reiferen Mannesjahren zugeführt, die nur vorübergehend Jena aufsuchten, um seinen persönlichen Verkehr zu genießen. Im Anfang des April folgten ihm einige dieser neuen Freunde auch in seine Erholungszeit nach Rudolstadt. Geselliges Leben entwickelt sich hier, drei- bis viermal die Woche wird ein Spazierritt unternommen. Am 24. April folgt Schiller einer Einladung zur Hoftafel, die Umgebung ist heiter, aber er selbst beurteilt seinen Zustand mit klarem Blick: ›Ich mag niemand sagen, daß ich meine Beschwerden behalten muß. – Es soll mir nicht an Mut fehlen, wenn auch das Schlimmste über mich kommen wird.‹ Zu dem neuen Kreise gehörte der fünfundzwanzigjährige Mediziner Benjamin Erhard aus Nürnberg, Kantischer Philosoph, Mathematiker, Zeichner und Musiker, ein bestimmt auftretender, humorvoller Mensch, dessen Wesen Schiller mit fühlbarem Anteil schildert. Er berichtet in seinen Denkwürdigkeiten: »Durch Schillers Bekanntschaft wurde ich veranlaßt, ihn in Rudolstadt bei seinem Schwager zu besuchen. Ich verlebte hier einige der glücklichsten Tage meines Lebens, unter lauter gebildeten Menschen, die mich an äußerer Bildung alle übertrafen, und die doch Güte genug hatten, mir meine innere als Ersatz für die äußere anzunehmen. Die Prinzen und Prinzessinnen kamen beständig in dieses Haus, und meine geringe Fertigkeit im Zeichnen und Kenntnis des Generalbasses erwarb mir ihre Gunst. Der Ton, der hier herrschte, war die unschuldigste Geselligkeit, die ich bisher gesehen hatte. Ich war eines Abends auf dem Schlosse und phantasierte auf Verlangen auf dem Fortepiano; meine Laune gab mir deutsche Tänze ein, und diese wirkten auf die Gesellschaft so, daß sie zu tanzen anfing, und ich meine Tänze fortspielen mußte. Reinhold, der auch auf Besuch hier war, sagte mir ins Ohr: ›Nun erfahre ich, was ich in meinem Leben nicht erwartet habe, daß ein Hof nach der Musik eines Philosophen tanzt.‹ Das hörte aber doch ein Nahestehender, der Scherz wurde in der Gesellschaft verbreitet und gefiel jedermann. Mit dem Buchhändler Göschen ging ich zu Fuß nach Jena zurück und fand auch in ihm einen Freund.« Aus dem Bekanntenkreis, zu dem auch der Freiherr von Hardenberg, der Dichter Novalis, gehörte, nennt Schiller noch einen Klagenfurter Fabrikanten Baron von Herbert und zwei Livländer, Baron von Adlerskron, Offizier und Philosoph, und Karl Gotthard Graß, der sich als Theolog, Philosoph, Dichter und Maler betätigte. Aus dessen Feder besitzen wir die Schilderungen von Schillers Krankheit, die ihn am 7. Mai überfiel. Aus seiner Heimat schreibt er 1795 an Schiller: »Es sind vier Jahre, vier Jahre! verflossen, seit ich in Rudolstadt von Ihnen ging; nur wenn ich auf die Lebhaftigkeit meiner Rückerinnerungen an jene Augenblicke sehe, scheinen es mir so viele Tage zu sein. Ich sehe noch jeden einzelnen Moment unverrückt und deutlich vor mir. Wie wir am Bett saßen und Ihnen vorlasen, und was wir lasen; wie wir die Mondlandschaft vor Ihnen aufstellten; dann wieder, wie Ihre Gattin an Ihrem Bett kniete und die Tränen verbarg, und Ihre Hände sie umschlangen; wie Sie mit mir Malaga und auf Wiedersehen tranken; dies alles, und was Sie mir sagten, und was ich empfand, dies alles ist mir so gegenwärtig, wie von gestern her. Ich kenne jeden Zug Ihres Gesichts, ich höre Ihre Stimme, und die leiseste Berührung dieser Erinnerungen durchdringt meine ganze Seele!« Aus Neapel beantwortet er die Nachricht von Schillers Tod, unter der er zusammenbrechen wollte; dabei fließt ihm in die Feder: »Erinnern Sie sich noch eines Augenblicks, der mir unvergeßlich ist, als Schiller in Rudolstadt so krank war: Ich befand mich in seinem Zimmer und hatte, indem ich am Fenster stand und las, mir das Bild des Leidenden und das Edle und Große, welches seine Form und seine Züge umschwebte, tief eingeprägt. Er hatte, soviel ich weiß, etwas Opium genommen, die heftigen Krämpfe zu stillen, und lag da, leicht entschlummert, wie ein Marmorbild. Sie befanden sich im Nebenzimmer, wo ich Ihnen die Schillersche Übersetzung des vierten Buchs der Äneide vorgelesen hatte, und von Zeit zu Zeit kamen Sie an die Türe, sich nach Schiller umzusehen. Sie sahen ihn also da liegen und nahten leise auf bloßen Strümpfen, und ebenso leise knieten Sie mit gefalteten Händen vor sein Bette hin. Ihr loses dunkles Haar floß über die Schulter. Still weinte Ihr Auge. Sie hatten es wohl kaum bemerkt, daß noch jemand im Zimmer war. Der ohnmächtige Kranke schlug indessen etwas die Augen auf. Er erblickte Sie; mit Leidenschaft umschlangen plötzlich seine Arme Ihr Haupt, und so blieb er auf Ihrem Nacken ruhen, indem ihn die Kraft von neuem verließ. Verzeihen Sie, daß ichs wagte, Ihnen eine Szene zu schildern, die so heilig und himmlisch war, daß nur Unsterbliche sie belauschen sollten. Begreifen Sie nun, daß ich Schiller und Sie nie vergessen konnte?« Treuer Pflege, der Hilfe der Rudolstädter Ärzte Conradi und Beythan, sowie des Jenaer Hofrats Stark gelang es, den Leidenden zu retten. Am 9. Juli reiste er mit Frau und Schwägerin nach Karlsbad, von wo Lotte meldet, daß die Kur guten Erfolg hat. Karoline wurde nach Rudolstadt zurückberufen, denn am 21. Juli fand die Vermählung des Erbprinzen Ludwig Friedrich mit der Prinzessin Karoline Luise in Homburg statt, und am 5. August sollte der feierliche Einzug des jungen Paares in Rudolstadt erfolgen. * * * * * »Am 10. April 1805. Jeder Mensch sollte die Geschichte seiner Empfindungen für sich selbst aufsetzen, nicht sich ängstlich beobachten und immer mit seinem Gewissen sich abfinden, sondern sich mit freiem Sinne prüfen, wie die äußern Gegenstände auf uns wirken. – Je länger man in der Welt lebt, je näher man die Menschen beleuchtet, je mehr flüchtet man sich in sein eigenes Herz zurück. Welche Zwecke, welche Neigungen leiten die, die wir beobachten! Falsches Streben nach unerreichbaren Dingen ist beinah die ganze Existenz mancher Naturen. Wo ist der Friede zu finden, wenn er nicht in uns ist? Je gebildeter die Natur, je näher den Abwegen! Kein Mittelweg führt zu dem Genuß einer ruhigen Existenz. Haben wir das Schicksal beschworen, so entsteht in uns selbst der Kummer. Immer das Unerreichbare zu erringen strebt die Natur. Immer in jeder Lage, in jedem Moment des Lebens ist nur Hoffnung nach etwas Besserem, für etwas Besseres der einzige Stab, auf den wir unsere wankende Existenz stützen. Soll dieses ewige Streben nach dem Besseren zwecklos sein? Soll es nicht dem Geist die Deutung geben, daß es einen Ort gibt, wo endlich alles Hoffen erfüllt wird?« So schrieb die ehemalige Rudolstädterin in ihrem Heim an der Esplanade zu Weimar, als der Gatte hoffnungslos darniederlag. Vier Wochen darauf trat das Ereignis ein, das die ~Chère mère~ in einer Urkunde bezeugt: »Den 9. Mai, abends zwischen 5 und 6 Uhr ist mein Schwiegersohn, Hofrat von Schiller, Mitglied der Witwensozietät, mit Tod abgegangen.« Eine schwache, achtunddreißigjährige Witwe, brach Charlotte am Sterbebette in der Dachstube zusammen, dann nahm sie die Last auf sich, die eine gütige Vorsehung sonst nur den Armen eines Menschenpaares zumutet: Unmündige zu tragen und zu führen, bis sie ihren Lebensweg aus eigener Kraft weitergehen können. Schillers Familie in Rudolstadt Nach Schillers Verheiratung löste sich bald der Hausstand in der Neuen Gasse auf. Frau von Lengefeld hatte schon 1789 ihr Amt als Erzieherin der Schwestern Ludwig Friedrichs angetreten und bezog eine Wohnung auf der Heidecksburg. Karoline von Beulwitz trennte sich von ihrem Gemahl, verließ Rudolstadt und ging 1794 eine neue Ehe mit Wilhelm von Wolzogen ein. Über den Verkehr Schillers und der Seinen enthalten die Hoffurierbücher trockene, aber genaue Auskunft, da jede Mahlzeit und jedes Nachtquartier eingetragen ist. »Herr Schiller und Frau Hofrätin sind vom 2. bis 12. September 1799 mittags an Erbprinzen Tafel und abends bei fürstlicher Tafel gewesen.« Bis 1803 wohnt »Frau Hofrätin Schiller« wiederholt bei ihrer Mutter, dann tritt eine Pause ein bis 1810. Als zwölfjähriger Knabe besingt Ernst von Schiller romantisch schwärmerisch die Kapelle im Mörlagraben und dichtet eine Ballade: Der Ritter und die Saalnixe. Bald erscheint »Herr von Schiller«, der siebzehnjährige Sohn Karl, als Gast an der fürstlichen Tafel. Am 23. Februar 1811 nimmt Ernst an einem Maskenfest auf dem Schlosse teil als Marquis Posa und fällt auf, wegen seiner großen Ähnlichkeit mit dem Vater, die kleine Karoline gesellt sich zu den fürstlichen Kindern. Karl verkehrt als »Herr Leutnant von Schiller« bis 1815 an der Familientafel, Ernst »der Herr Kammerassessor« bis 1818, dann führt der Beruf sie beide in die Ferne. Von 1819–1823 feiert »Frau Hofrat von Schiller mit zwei Fräulein« regelmäßig den Geburtstag der Mutter am Hofe, Emilie hat Beziehungen zu Familien in der Stadt, Karoline findet sich am 28. November 1822 als »bleibender Gast« auf dem Schlosse ein. Am 11. Dezember 1823 verschied die ~Chère mère~, und die Fürstin Karoline Luise wurde den drei vereinsamten Frauen aufrichtige Freundin und treue Beraterin. [Illustration: Das Schillerhaus in Volkstedt] Drei Jahre später, am 9. Juli 1826, starb Charlotte in Bonn. Sie hatte den Augenarzt von Walther daselbst aufgesucht, um ihr Starleiden heilen zu lassen. Die Operation gelang, aber Schwindelanfälle und Atemnot traten ein. Ernst von Schiller zeigt der Fürstin Karoline Luise den Tod der Mutter an: »Ich fand sie phantasierend, doch mit helleren Momenten, in deren einem sie meine Anwesenheit erkannte und einige, doch schwache Teilnahme zeigte. Die Bilder ihrer Phantasie waren mild, es war der Regen, der die Blumen erquicken würde. Ich holte Walther, der mir gleich sagte, daß sie rettungslos verloren sei, es sei ein Nervenschlag, der durchaus unerwartet gekommen wäre. Um halb 5 Uhr hörte sie auf zu sprechen. Ohne irgendein Zeichen ihres Bewußtseins zu geben, hauchte die Vortreffliche morgens gegen 6 Uhr ihr edles Leben aus. Emilie und ich waren zugegen. Euer Durchlaucht kennen den Schmerz und werden den unsrigen begreifen.« [Illustration: Die Saale zwischen Volkstedt und Rudolstadt] Emilie war ein hochstrebendes Wesen und fühlte schwer den Kampf zwischen ihren Idealen und der Wirklichkeit. An ihren Bruder Ernst schloß sie sich eng an. Seelsorgerin in allen Gewissensangelegenheiten blieb ihr die Fürstin in Rudolstadt, bis Adalbert von Gleichen sie 1828 als Gattin heimführte. Über Karolines Verkehr und ihren Aufenthalt in Rudolstadt ist die zuverlässigste Kunde erhalten geblieben. Schon als Kind hatte sie gern mit jüngeren Kindern verkehrt. Noch bei Lebzeiten der Mutter war sie in das Katharinenstift zu Stuttgart eingetreten, um Erziehung und Unterricht gründlich kennenzulernen. Krankheit und Tod der Mutter bestimmten sie, sich eine eigene Stellung im Leben zu suchen. Bei allen Entscheidungen war auch ihr die »Fürstin Mutter« in Rudolstadt eine treue und nimmermüde, vielerfahrene Freundin. In die Familie des württembergischen Herzogs Eugen zu Karlsruhe in Schlesien trat sie ein, um diesem eine achtjährige Tochter zu erziehen. Als die Tätigkeit dort zu Ende war, legten die alten Beziehungen der Eltern zu Hof und Stadt sowie die neuen Verbindungen der Schwester Emilie zu der Familie von Gleichen den Gedanken nahe, nach Rudolstadt zurückzukehren. Vor Not blieb sie bewahrt, da sich der geistige Nachlaß des Vaters in Barbesitz der Erben verwandelte. Nun trat eine arbeitshungrige dreißigjährige Dame in das Leben der kleinen Residenz ein. Studium und Lektüre befriedigten sie nicht. Die philosophischen und dichterischen Werke des Vaters beherrschte sie vollkommen, und anderen davon mitzuteilen durch Vortrag oder Einübung von Rollen bereitete ihr Genuß und Freude. Eine Entscheidung im Gemütsleben hatte sie standhaft überwunden und »durch herrliche, edle Menschen Trost und Erquickung in der Freundschaft empfangen.« Nunmehr folgt sie dem Zuge des Herzens, »um das Ideal ihres Lebens ins Werk zu setzen«. Am 26. Mai 1832 veröffentlicht sie ihr »Anerbieten. Wenn es einigen Eltern erwünscht sein könnte, ihre Töchter unter weiblicher Aufsicht unterrichten zu lassen, so erbiete ich mich gern, sie vom siebenten Jahre an täglich 5–6 Stunden bei mir aufzunehmen.« Am 25. Juni beginnt der Unterricht, außer ihr selbst ist ein Kandidat und eine Handarbeitslehrerin an der Klasse beschäftigt. Vom Jahre 1834 an erteilt der Theologe und Mathematiker Augustin Regensburger den wissenschaftlichen Unterricht, und mit ihm tritt ein Geistesverwandter in die Gefolgschaft der Stifterin ein. Unter den Schülerinnen des Jahres 1835 wird Franziska Junot genannt, ihr Vater war der Bergrat Junot in Katzhütte. Vornehme, heitere Ruhe wird ihm nachgesagt. Aus erster Ehe Witwer geworden, mag er sich nach einer mütterlichen Versorgerin für seine sechs Kinder umgesehen und dabei das feinsinnige Erziehertalent Karolines erkannt haben. Am 26. Juli 1836 fand die Trauung statt in der Kirche von Volkstedt, auf der 48 Jahre vorher das Auge des Vaters täglich geruht hatte. Am 1. April 1839 gab Karoline einem Söhnchen das Leben. Es erhielt die Namen Felix Karl, trug das goldleuchtende, wallende Schillerhaar und wies vielversprechende Anlagen auf; aber eine jäheintretende Krankheit setzte seinem Dasein ein frühes Ende. Er starb am 27. April 1844 in Rudolstadt. Sein Grab liegt auf dem alten Friedhof links, gegenüber der Friedhofshalle. Als Junot in das Kammerkollegium nach Rudolstadt berufen wurde, bezog die Familie im Hause Augustenstraße 10 eine Wohnung. Ihre Nachbarn erinnerten sich noch lange gern des stattlichen, würdevollen Paares, das seine abendlichen Erholungsgänge auf und ab in der Straße unternahm. Durch Freude und Sorge des täglichen Lebens klingt aus den Briefen Karolines ein tiefbegründetes ideales Streben, das in religiösem Trost über die Wirklichkeit erhob. Bald sollte ihr neue Prüfung auferlegt werden, die Kirchennachrichten melden am 4. Januar 1846 »Gestorben: der Fürstliche Bergrat, Herr Franz Karl Emanuel Junot, 60 Jahre, 8 Monate und 12 Tage alt.« Karolines Privatanzeige schließt: »Wir werden die vielfachen Beweise der Liebe und Achtung gegen den Geschiedenen stets in dankbarem Herzen bewahren.« Auf einer Reise zum Besuch der Schwester auf Greifenstein bei Bonnland in Unterfranken erkrankte Karoline, und der Tod erfüllte ihr Sehnen am 19. Dezember 1850 in Würzburg. In Rudolstadt, so hatte sie gewünscht, sollte ihr Herz beigesetzt werden, und es fand seine Ruhe an der Stelle, wo Sohn und Gatte bestattet lagen. * * * * * Das Bild Seite 13 ist die Wiedergabe einer Bleistiftzeichnung, die die Unterschrift trägt: »Frl. Lottchen von Lengefeld. 1788.« Sie fand sich, bisher unbeachtet, im Schloßmuseum unter Hunderten von Blättern aus der zeichenfreudigen Zeit Ludwig Friedrichs. Das Profil ist mit sicherer Hand, vielleicht unter Benutzung eines Schattenrisses, festgehalten worden, während Haare und Gewand nicht die gleiche Bestimmtheit erkennen lassen. Das H als Busennadel könnte Bezug haben auf die Neckerei mit dem englischen Hauptmann Heron. Die Schriftzüge können die Ludwig Friedrichs oder seines Lehrers, des Hofmalers Franz Cotta, sein. Das Bild Seite 76 gibt eine Bleistiftzeichnung wieder, die unterschrieben ist: »Rudolstadt d. 31. Decbr. 1839. Mathilde, Pr. zu Schaumburg-Lippe.« Von der Hand der Fürstin Elisabeth zur Lippe stammt der spätere Zusatz: »Caroline Junot, geb. von Schiller.« Ein anderes Blatt vom 28. Dezember zeigt die Dargestellte mit einer Strickarbeit beschäftigt und die Unterschrift dazu von der Fürstin Karoline Luise. Rundgang an den Schillerstätten vorüber Das Doppelhaus Schillerstraße 25 blieb als weihevoller Ort erhalten. Der Hausgarten daran war zum Bauplatz für eine Kirche bestimmt. Der spätere Besitzer, Kreisgerichtsrat Wolle, löste die Gerechtsame ab. Sein Sohn, Landgerichtspräsident Wolle, dessen Witwe jetzt Besitzerin ist, war ein feinsinniger Schillerverehrer und hielt jede entstellende Neuerung fern. Das Obergeschoß an der Schillerstraße war Wohnung des Ehepaares von Beulwitz von 1785 bis 1794. Das Gartengebäude nach der Allee bewohnte Frau von Lengefeld von 1775 bis 1789 und Charlotte bis zu ihrer Verheiratung. Das Schulgrundstück gegenüber, Große Allee 5, war der Lengefeldsche Garten, den die ~Chère mère~ 1786 gekauft hatte. Hier fanden die Teeabende und Komödienspiele statt. Für diesen Garten hatte Karl August die Bäume unter scherzhaften Anspielungen gestiftet. Ein zweistöckiges Gartenhaus mit Geräteschuppen war der »grüne Pavillon«, den Schiller von Volkstedt aus mit dem Perspektiv erkannte. Als 1835 das »Schwesterngäßchen« von der Allee zur Augustenstraße durch den Garten gelegt wurde, mußten die beiden Häuschen etwas nach Süden hin versetzt werden. Augustenstraße 10 war die Wohnung von Karoline Junot, als sie mit ihrem Gemahl 1839 von Katzhütte nach Rudolstadt umgezogen war. Im Hause Augustenstraße 17 hatte sie 1832 ihre Mädchenschule gegründet. Das Gasthaus »Zur Güldenen Gabel«, Schillerstraße 1, bildete mit dem Grundstück Schwarzburger Straße 12 das vornehme Absteigequartier der Stadt. Das Wochenblatt vom 11. Dezember 1787 zählt unter den Fremden, »so sich teils hier aufgehalten, auch nur durchgereist sind,« Herrn Architekt Harles und Herrn Doktor Schiller aus Meinungen auf. Wolzogen reiste demnach ›inkognito‹. Am 27. Mai 1788 wird Herr Rat Schüler aus Weimar, am 22. September 1789 Herr Professor Schüler aus Jena genannt. Schloßaufgang II,3 gehört zu den kleinen Anwesen, wie sie Bediensteten des Hofes überwiesen wurden, damit diese am Fuß des Schloßberges jederzeit leicht zu Tage- oder Nachtwerk anzurufen waren. Das Haus gehörte 1788 einer Hofratwitwe Roß und wird als Herbstwohnung Schillers genannt. Die Stadtkirche ist ein wertvolles Denkmal für Heimat- und Kunstgeschichte. Auf die Anschauung deutscher mittelalterlicher Bauformen war aber die Zeit Schillers noch wenig eingestellt. Die Mayersche Glockengießerei Jenaische Straße 1 war bis 1872 in Betrieb, sie wird jetzt als Maschinenfabrik vom Schwiegersohn des letzten Glockengießers Robert Mayer betrieben. Der Heißenhof Lengefeldstraße 1 war eine Zeit lang Brauerei und führt im Volksmund seitdem den Namen Bergschlößchen, er ist jetzt Eigentum der Stadtgemeinde. Der Baumgarten war im 18. Jahrhundert ein Englischer Park mit 2 Teichen, einem Fischerhäuschen und einer Einsiedelei, wurde von Fürst Ludwig Friedrich liebevoll ausgestattet, ist in der Neuzeit aber bis auf spärliche Reste verschwunden, da er als Gebiet für Neubauten gebraucht wurde. Auf dem Schloß erinnern die Lengefeld-Zimmer noch an die Frau Oberhofmeisterin. Im Jägerhof wohnte vor seiner Verheiratung der Landjägermeister von Lengefeld. Ein Spaziergang die Schloßstraße hinab gewährt einen guten Überblick über die Flur zwischen Rudolstadt und Volkstedt. Das Haus des Kantors Unbehaun lag zu Schillers Zeit als erstes Gehöft des Dorfes rechts am Wege, gegenüber der Porzellanfabrik und der Kirche. Es hat durch Umbau Veränderung erfahren, aber Hof und Nebengebäude zeigen noch die alte Stimmung. Hier sorgte der treue Hauswirt, wenn nötig mit dem Fliegenwedel in der Hand, daß die Kuh den Herrn Doktor nicht störte. Alles Liebe und Gute wurde dem braven Manne dankbar dafür nachgerühmt, und 1791 hielt Graß in einer Zeichnung seine Züge fest, aus denen Treue und Redlichkeit sprechen. Die Nachkommen Unbehauns, die Familien Stauch, haben das Zimmer und dessen Einrichtung pietätvoll geschont. Schillererinnerungen beleben die ganze Flur Volkstedt. Der Weg nach Rudolstadt hat Umänderungen erlitten. Er führte einst durch eine Wiesenmulde zum Schaalbach und von da auf den Hain zu. Die Richtersche Fabrik und die neuen Stadtteile sind dort entstanden. Nur die Schillerquelle im Rudolspark erinnert noch an alte Zeit, wenn auch versteckt an dem schluchtartigen Philosophenweg. – Nach Zeigerheim zu führten Spazierwege den Dichter oft, und es heißt, der Bergvorsprung an der Prinzeneiche sei ein Lieblingsplatz von ihm gewesen. Hier folgte sein Blick der Länder verknüpfenden Straße und der Pappeln stolzem Geschlechte bis Saalfeld und Rudolstadt. – Den Gefahren einer Seereise setzte er sich aus, indem er oberhalb des Wehres einen Kahn benutzte oder unterhalb den Fluß durchwatete. So erreichte er die Große Wiese mit weithin verbreitetem Teppich. Aus der Ferne grüßte die Burg. Unter den Linden erwarteten ihn die Freundinnen und führten ihn nach Cumbach, wo um den Hofgarten französischen Stils deutsches Landleben sich abspielte. [Illustration: Karoline Junot, geborene von Schiller] An den steilen Sandsteinfelsen des Mühlbergs errichtete im Jahre 1830 der Kammerrat Karl Werlich die Anlagen der Schillershöhe mit der Danneckerschen Büste und den Schlußversen des »Spaziergangs«. Es wäre mehr als kühn, zu behaupten, daß Schiller dieses philosophische Gedicht lediglich hier als Eingebung empfangen habe. Die landschaftlichen Bilder dazu mögen aus vielen Erinnerungen des Dichters bis 1795 zusammengeflossen sein. Immerhin kann doch geraten werden, den Pfad von Schillershöhe über Unterpreilipp zur Preilipper Kuppe zurückzulegen. Dabei werden sich Natureindrücke und Landschaftsbilder bieten, die für das Verständnis der Dichtung willkommen sind. Die Saale selbst ruft uns Schillerworte zu: »Kurz ist mein Lauf und begrüßt der Fürsten, der Völker so viele; Aber die Fürsten sind gut, aber die Völker sind frei.« Auch die Schillerverehrung früherer Rudolstädter Geschlechter sollte nicht der Vergangenheit anheimfallen. Eine Tafel auf Justinshöhe über Volkstedt trug die Verse Augustin Regensburgers: »Wandrer! dich grüßt die Natur in lieblich erhabener Anmut, Schaust du vom Bergeshang sinnig ins friedliche Tal. Sieh, wie der silberne Strom, ein Bild des Lebens, dahinrauscht, Dort an der Schillershöh küssend geweihtes Land! Hier der Wiese Grün, dort der Saat sich kräuselnde Woge! Wie majestätisch das Schloß thront bei der freundlichen Stadt! Wann nun spähend dein Blick sich verliert in die duftige Ferne, Spiegelt im seligen Aug wonnig das himmlische Blau.« Der Greifenverlag zu Rudolstadt Bei uns erschien: Thüringer Heimatbücher, Band I Berthold Rein Die Friedensburg bei Leutenberg Eine thüringische Grenzfeste und ihre Bewohner Mit 8 Lichtbildern – Fein kartoniert Mk. 3.– _Landeszeitung Rudolstadt_: Die Thüringer Heimatbücher sind wegen ihres heimatkundlich wertvollen Charakters durchaus zu begrüßen. Die bei allem sachlichen Ernst und aller historischen Treue fesselnd geschriebene Abhandlung läßt uns einen Blick in die dunklen Tage des Mittelalters, in die Entstehung der alten, auf einem Bergkegel herrlich gelegenen Burg tun, in den romantischen Zauber ihrer düsterwinkligen Gänge, Erker, Lauben und Säle. Die Arbeit aus der Feder des Schulrats Dr. Rein, dessen sorgfältige Behandlung wissenschaftlicher und historischer Fragen bekannt ist, zeugt von gründlichem Studium der Archivalien, der alten schweinsledernen Folianten und Pergamente, der Urkunden und Fachschriften. Das mit Bildern versehene Büchlein ist in jeder Beziehung wirklich zu empfehlen. _Rudolstädter Zeitung_: Ein Heimatbuch, wie es sein soll: schlicht und allgemein verständlich. All denen, die sich liebevoll in die Vergangenheit romantischer Burgenherrlichkeit versenken, will das geschmackvoll ausgestattete Büchlein ein treuer Führer sein. Es ist Goldschlägerarbeit, die der Verfasser geleistet hat. Heimatsinn und Heimatliebe führten dem Sohne der Thüringer Scholle die Feder, so daß wir dem ersten Band der Veröffentlichungen des Heimatbundes nur warme Worte der Empfehlung mit auf den Weg geben können. Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Unterschiedliche Schreibweisen von Namen wurden wie im Original beibehalten. Der Schmutztitel wurde entfernt. Das Inhaltsverzeichnis wurde zur leichteren Orientierung an den Anfang des Buches verschoben. Die Bildunterschriften wurden gemäß dem Bildverzeichnis hinzugefügt. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHILLER IN RUDOLSTADT *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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