Title : Nur wer die Sehnsucht kennt ...
Roman
Author : Ida Boy-Ed
Release date : March 9, 2023 [eBook #70248]
Language : German
Original publication : Germany: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger
Credits : Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
Nur wer die Sehnsucht kennt ...
Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger
in Stuttgart und Berlin
Ida Boy-Ed
Die säende Hand. Roman. 4. .Auflage
Geheftet M. 3.50 In Leinenband M. 4.50
Um Helena. Roman. 3. Auflage
Geheftet M. 3.50 In Leinenband M. 4.50
Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman
13.-15. Auflage Geheftet M. 4.— In Leinenband M. 5.—
Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Auflage
Geheftet M. 3.50 In Leinenband M. 4.50
Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 6. u. 7. Aufl.
Geheftet M. 3.50 In Leinenband M. 4.50
Die große Stimme. Novellen. 3. Auflage
Inhalt: | Die große Stimme — Der Dorfdiplomat — Treulose Treue — Nur im Kreise — Eine Brutalität — Das letzte Wort — Die Moral ist gerettet — Ein Testament — A — Ein Handel |
Geheftet M. 2.— In Leinenband M. 3.—
Roman
von
Ida Boy-Ed
6. u. 7. Auflage
Stuttgart und Berlin 1911
J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger
Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1910 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger Stuttgart
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart
Jeanne Gräfin Bernstorff
zu eigen
Lübeck, 1. April 1911
Auf dem Jachtklubball in der Marineakademie, der wie immer die Kieler Woche abschloß, gewährte die herkömmliche Überzahl von Herren jeder Dame das Vergnügen, sehr gesucht und umschwärmt zu sein. Aber die Dringlichkeit, mit der in den Tanzpausen die schöne Frau Jutta von Verehrern umworben wurde, wirkte selbst hier so auffallend, daß sie sich als Königin des Festes hätte fühlen dürfen.
Es schien jedoch, als nähme sie alles mit einem erzwungenen oder zerstreuten Lächeln hin: die brüderliche Fürsorge der Crewkameraden ihres fernen Gatten und die feurige Verehrung der jüngeren Seeoffiziere.
Sie stand eben im Vorsaal des ersten Stockwerks, vor einer der Säulen, die den hohen Plafond trugen. Die etwas grelle Helligkeit, die von überall her das aufstrebende Rund des grauen Marmors traf, überstreute ihn mit gleißenden und unruhigen Reflexen, so daß ihm die gerade Linie eines Glanzlichtes fehlte. Das gab einen zu flimmernden Hintergrund für den dunkelhaarigen Frauenkopf, dessen Umriß dadurch etwas Verwischtes bekam.
Frau Jutta war ein wenig bleich, wie es manche Frauen vom Tanzen werden. Ihre Gestalt, trotzdem sie über Mittelgröße war, wirkte zart. Aus dem blassen Goldgelb ihres Chiffonkleides hoben sich in feinen Linien die Schultern hervor. Das Bestimmende an ihrer Erscheinung war vielleicht die Art, wie der schlanke Hals den Kopf trug: erhoben, in unbewußt herrischer Haltung.
Von den jungen Herren, die sich gerade um Jutta Mühe gaben, bemerkte keiner, daß ihr Gesicht vom Fest mehr abgespannt als angeregt erschien, daß sich unter ihrem Lächeln ein Zug von Schärfe verbarg. Und sie spürten auch nicht, daß der Blick aus diesen großen, dunkeln Augen zuweilen an ihnen vorbeiging und das Gewühl der Menschen rasch suchend überflog.
In einer wichtig fröhlichen Bewegung schob sich die Menge vorüber. Aus dem Hauptsaal kam sie und zog die imposanten Treppen hinab, zum unteren Vorsaal oder zum Gartensaal. Von unten kam sie herauf, dem Schauplatz ihres Vergnügens eine andere Kulisse suchend. Immerfort wechselten die Gruppen, in denen sie sich zusammenfand. Aber diese Menschenfülle wirkte dennoch nicht sehr farbig. Die dunkelblaue Marineuniform mit den goldenen Zieraten beherrschte das Bild. Die Mode begünstigte für das Frauenkleid so sehr das Weiß, daß nur ganz selten bunte Töne auftauchten. Man sah ab und zu einen der weißen Kragen und pastellblauen Röcke von „Seebataillönern“ und zuweilen den schwarzen, ordengeschmückten Frack eines Professors oder Regierungsbeamten.
Die drei jungen Herren, die vor Jutta standen — alle drei in dem kurzen Dinerjackett, das selbst den ältesten Stabsoffizieren noch etwas knabenhaft Flottes gibt — kehrten ihre dunkelblauen Uniformrücken der unruhigen Menge zu, zwischen ihr und der schönen Frau eine Wehr bildend, gleichgültig gegen alle Welt und nur bestrebt, vor der Dame ihrer Verehrung in munterer Unterhaltung zu bestehen.
„Ich finde es eine großartige Stimmung heute abend. Finden gnädige Frau nicht auch?“ fragte der Oberleutnant z. S von Reiswitz, dessen bärtiges und durch Sonnenbrand entstelltes Gesicht vor Freude strahlte.
„ Du bist in großartiger Stimmung,“ sagte sein kurzgewachsener stämmiger Freund Lebus mit Betonung. „Ich sehe nichts wie den Marineball nach Schema F, den man schon so oft abgetanzt hat. Das einzige wichtige und schöne Erlebnis des Abends ist die Anwesenheit der gnädigen Frau.“
Und auch sein Gesicht, das durch eine von keinerlei Haarwuchs mehr gekrönte Stirn sehr groß für seine kleine Gestalt schien, glänzte ganz und gar.
„Nun, Herr von Reiswitz hat alle Gründe, in bester Laune zu sein,“ meinte Jutta und sah den Offizier mit wirklicher Freundlichkeit an. „Im Handikap Eckernförde-Kiel Erster geworden, der ‚Freia‘ einen Prunkbecher ersegelt; bei der Preisverteilung von Majestät ausführlich angesprochen — wem da der Himmel nicht voller Geigen hängt, dem kann das Glück überhaupt nicht mehr aufspielen.“
„Gnädige Frau dürfen mir glauben, daß es mir eine große Genugtuung ist, Ihrer Empfehlung keine Schande gemacht zu haben,“ versicherte Reiswitz voll Selbstgefühl; „ich wußte, daß die allgemeine Aufmerksamkeit sich auf die ‚Freia‘ richtete, und daß ich für die Ehre der deutschen Werft, die sie gebaut hat, und ihres Besitzers, der sie meiner Führung anvertraute, mich mit meinem ganzen segelsportlichen Können einzusetzen hatte.“
„Der Besitzer der ‚Freia‘ ist Ihr Vetter, gnädige Frau?“ fragte der Kapitänleutnant Heidebrecht. Er sah ein wenig dem großen Napoleon ähnlich, und wenn er nur eine Frage tat wie diese ganz gewöhnliche, wirkte es, als forsche er gnädig nach tiefen Dingen.
„Vetter?“ sagte Jutta und machte achselzuckend eine Geste, als lohne es sich nicht, eine ganz nebensächliche und weitläufige Beziehung genau darzulegen. „Herrn von Gambergs Mutter und meine Mutter sind irgendwie verwandt.“
Und ihre Blicke glitten dabei an Heidebrechts massivem Kopf unruhig vorbei und suchten in der Menge.
„Ich kenne Herrn von Gamberg,“ erzählte mit seiner heiseren Stimme Lebus, „das heißt, ich weiß nicht, ob er sich meiner erinnert. Als ich vor zwei Jahren in einem kleinen Ablösungstransport von Ostasien mit heimkam, befand sich auch Gamberg an Bord des ‚König Albert‘. Gamberg hatte, glaube ich, als Sekretär im Generalkonsulat von Schanghai ein Jahr gearbeitet und war ins Auswärtige Amt berufen.“
„Ach ...,“ sagte Jutta.
„Es ist förmlich, als wenn das Wetter wüßte, was es der gnädigen Frau schuldig sei,“ meinte Heidebrecht, „glänzender konnte es nicht sein, und so haben Sie gleich das erstemal den ganzen Zauber der Kieler Woche kennen gelernt und sind ihm für immer verfallen.“
„Nur schade, daß Herr Kapitän nicht selbst die Freude haben durfte, Ihnen die Kieler Woche zu zeigen. Wie er wohl herdenkt! Die ‚Luise‘ ist ja wohl gerade in diesen Tagen in Nagasaki angekommen.“
Jutta ging auf diese Randbemerkung von Lebus nicht ein. Sie antwortete vielmehr Heidebrecht.
„Hier darf man nicht nur, hier muß man vom Wetter sprechen. Ja, es war unerhört schön. Und wenn es so bleibt, Sonnenschein und frischer Nordwest dabei, ersegelt sich Reiswitz übermorgen von Kiel nach Travemünde wieder einen Preis.“
„Pardon, gnädige Frau,“ bat Reiswitz sehr eifrig und mit dem Aberglauben des Seglers, „Wetter muß man nicht loben, Wetter muß man anschnauzen. Und gerade weil gnädige Frau sich etwas für Herrn von Gambergs ‚Freia‘ interessieren ...“
Jutta lachte.
„Ach nein,“ behauptete sie, „ich interessiere mich gar nicht so dringlich für die ‚Freia‘, wie Sie vorauszusetzen scheinen.“
„Gnädige Frau haben nur aus reiner Herzensgüte für Herrn von Gamberg die Situation gerettet?“ fragte Heidebrecht.
„Was heißt das: die Situation retten,“ sagte Jutta achselzuckend. „Gamberg hat sich die Jacht bauen lassen, ich glaube mehr dem Drängen befreundeter Sportleute folgend als gerade aus einer großen Neigung. Man engagierte ihm für die ‚Freia‘ eine fixe Mannschaft und einen Skipper, der eine Perle sein sollte. Und im letzten Moment, das heißt acht Tage vor Beginn der Kieler Woche, stellte sich’s heraus, daß der Skipper ein Trinker ist. Da ich nun zufällig wußte, daß Herr von Reiswitz sich sehr danach sehnte, eine Jacht führen zu dürfen, schlug ich Gamberg vor, er möge sich an Reiswitz wenden.“
„Ich konnte ja Herrn von Gamberg auf meine Erfolge mit der ‚Maria-Clarissa‘ verweisen, die ich voriges und vorvoriges Jahr für den Amerikaner Huston gesegelt habe. Ich hatte mich auch dies Jahr für Huston freigehalten: da hat die ‚Maria-Clarissa‘ Pech und wird bei Cowes angesegelt, und Huston depeschiert mir ab. Aber so geht es: erst ließ ich die Ohren hängen. Nachher stellt sich’s ’raus, daß es ’n Dusel war, denn es war ja natürlich viel interessanter, die ‚Freia‘ zu führen. Neue Jacht, Typ zum erstenmal auf deutscher Werft gebaut — etwaiger Erfolg gewissermaßen Beweis für Leistungsfähigkeit deutscher Schiffsbautechnik, auch auf diesem Spezialgebiet — ich darf sagen: es spannte an! Besonders auch durch den Umstand, daß die Segel noch nicht genügend getrimmt waren. Ja, das kostete Nerven. Aber gottlob: ich kann vor Herrn von Gamberg und, woran mir noch mehr liegt, vor meiner allergnädigsten Gönnerin bestehen.“
„Mit welcher Wendung das Gespräch wieder glücklich bei deinen Seglerqualitäten angelangt wäre,“ sagte Lebus und klopfte den Kameraden wohlwollend ein bißchen auf den Rücken.
„Niemand kann so genau von meinen Vorzüglichkeiten unterrichtet sein wie ich selbst. Deshalb ist es meine Pflicht, bei der herrschenden Konkurrenz, sie unserer gnädigen Frau wiederholt zu Gemüt zu führen,“ antwortete Reiswitz vergnügt.
„Ich finde aber doch, Sie wollen zu viel gelobt und belohnt sein. Deshalb verzichte ich aus erzieherischen Gründen auf den nächsten Tanz mit Ihnen,“ erklärte Jutta mit nervösem Lachen.
„Sehr zu billigen! Frauen sind die geborenen Erzieherinnen,“ lobte Heidebrecht, „und hier steht der Ersatzmann! Ich habe noch keine Dame zur Quadrille.“ Er verbeugte sich.
„Der Weg zur Partnerschaft mit der gnädigen Frau bei der Quadrille geht nur über meine Leiche,“ erklärte Reiswitz. „Gnädige Frau! Auch für die Damen der Marine ist kameradschaftliche Gesinnung und deren fortwährende deutliche Betätigung ein zwar ungeschriebenes, aber absolut zu befolgendes Gesetz. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es unkameradschaftlich wäre, wenn Sie mir die Quadrille verdürben. Ich habe auch schon ein Visavis, das Ihnen zusagt. Dito garantiere ich, daß Ihnen drittes und viertes Paar genehm ist.“
„Wie genau Sie meinen Geschmack kennen!“ spottete Jutta. „Namen, bitte ...“
„Visavis also Kapitän Hochhagen! Was können Sie gegen ihn haben? Er ist der beste Freund Ihres Mannes.“
„Mein Aufseher!“ dachte in jäh aufwallender Bitterkeit Jutta, „mein Beschützer — mein Vormund — mein Gefangenwärter ...“
Aber sie lachte auch schon wie eine, die sehr angenehm überrascht ist, und sagte: „Vortrefflich. Ich zieh’ hiernach meinen Verzicht zurück.“
„Sehen Sie wohl! Und Hochhagen hat das wunderhübsche Fräulein Gervasius.“
„Na — wunderschön ...!“ warf Lebus kritisch dazwischen, als wolle und könne er niemand Schönheit zuerkennen außer der hier gegenwärtigen unerreichten Frau Jutta.
Aber Jutta fragte in wirklichem Interesse nach: „Die reizende Tochter des Professors?“
„Jawohl,“ stellte Reiswitz fast triumphierend fest, „des berühmten Geheimrats entzückende Tochter. Die anderen beiden Paare sind: Kapitän von Rosenfeld mit Frau Konsul Krüger — Hamburger Dame — und mein Crewkamerad Untermeyer mit Baroneß Hollensteen.“
Jutta nickte lobend.
„Eine Quadrille,“ sagte Heidebrecht, „auf die sich der Neid aller richten wird, die nicht dabei sein können.“
„Hochhagen tanzt sehr viel, aber sehr viel mit Renée Gervasius,“ bemerkte Lebus.
Jutta wurde noch aufmerksamer. Ihr Blick verlor das Suchende, Zerstreute, das so im Widerspruch zu ihrem munteren Plaudern stand.
„Wirklich?“ fragte sie, als sei sie auf das glücklichste überrascht, „das ist ein gutes Zeugnis für seinen Geschmack.“
Reiswitz fühlte, daß dies Thema für die schöne Frau irgendwie erfreulich schien, und er spann es deshalb fort.
„Ich will nicht indiskret sein,“ sprach er, „aber als ich mit Fräulein Gervasius tanzte, hat sie sich ausschließlich mit mir über Hochhagen unterhalten.“
„Und du beanspruchst es bekanntlich doch, daß man sich mit dir nur von dir unterhält,“ sagte Lebus, mit seinem Seemannsbaß laut lachend.
„Ich beanspruche bekanntlich, daß meine Freunde sich geistig mal auch anders als nur in Bosheit betätigen,“ äußerte Reiswitz.
In diesem Augenblick schwoll durch alle Räume der eindringliche, vibrierende Klang eines Trompetensignals. Ein Kamerad rief im Vorbeieilen Reiswitz zu: „Antreten zur Quadrille.“
Er gab sogleich seiner Dame den Arm und führte sie in den Hauptsaal, an jenen Platz, den er mit seinen Partnern verabredet hatte.
Es dauerte aber noch viele Minuten, bis das entstandene verworrene Durcheinanderdrängen von Tänzerpaaren leidlich zur Ruhe kam und die einzelnen Karrees vollständig in ihrer Aufstellung wurden. Herren suchten nach ihren Damen hier oben, während die Dame vielleicht unten im Gartensaal wartete. Hilflose und Fremde, die noch gar keine Quadrillenteilhaber gesucht oder gefunden hatten, standen verlegen umher. Wer hier keine genauen Verabredungen getroffen und nicht durchaus sich zu Hause fühlte, war im argen Nachteil. Die den Tanz ordnenden jungen Offiziere eilten mit heißen und verzweifelten Gesichtern hin und her.
Die vier Paare von Juttas Quadrille standen geordnet, geduldig wartend.
Jutta und Reiswitz, gerade gegenüber der Korvettenkapitän Hochhagen, ein Mann mit bärtigem, ernstem Gesicht, das aber jetzt wie vor Freudigkeit verklärt schien. Die schlanke Dame neben ihm, mit regelmäßigen Zügen, in denen noch Weichheit und Frische der blühendsten Jugend war, sprach munter auf ihn ein.
„Sie ist wirklich reizvoll,“ dachte Jutta, „wie unbefangen sie ihre Schwärmerei zeigt! Wie fein der Ansatz ihrer dunkelblonden Haare an Schläfen und im Nacken. Was für ein gutes Profil! Und was für liebe Augen.“
„Ah,“ dachte sie weiter, fast voll Inbrunst, „möchte er sie wählen ...“
Jeder Herr plauderte nun mit seiner Dame, nachdem gleich, als man sich zusammengefunden, Herr von Rosenfeld Frau Konsul Krüger mit Jutta bekannt gemacht.
Frau Konsul Krüger, klein, voll, mit einem wunderhübschen blondhaarigen Kopf auf dem kurzen, dicken Hals, bewegte sich mit einer so auftrumpfenden Sicherheit, daß auf ihren Lippen die Frage zu schweben schien: Ist hier jemand, der ebensoviel Steuern bezahlt wie mein Mann?
Da sie nun wie jede Kieler Marinefrau sich jeder Fremden gegenüber ein wenig zu gastlicher Höflichkeit verpflichtet fühlte, sprach Jutta mit scheinbar großer Lebhaftigkeit und Teilnahme von den ungünstigen Segelresultaten der „Hammonia“ und der nur allzu begreiflichen Verstimmung des Konsuls Krüger über die Nichtplacierung seiner Jacht. Natürlich sei es ärgerlich, sagte Frau Krüger. Es koste so rasend viel, was ja freilich egal sei. Man täte es eben der Mode wegen. Ob das Geld so oder so ausgegeben werde, sei gleichgültig. Ausgeben müßte man, das sei Pflicht reicher Leute. Aber bei dieser Sache kriege man unversehens eine Art dummen Ehrgeiz. Man werde förmlich gierig auf Preise. Und dann verbreitete sich Frau Konsul Krüger mit ganz frisch aufgeschnappter Sachkenntnis darüber, daß eben die „Hammonia“ vermöge gewisser, unauffindbarer Konstruktionseigenheiten vor dem Wind großartig gehe, hingegen beim Kreuzen im Nachteil sei. In Kuxhaven neulich habe sie trotz böiger Nordostwinde den zweiten Preis ihrer Klasse davongetragen. Reiswitz hörte dieser Auseinandersetzung mit Großmut und einem leisen, kleinen, spöttischen Funkeln in seinen Augen zu. Frau Konsul Krüger schloß dann mit der Klage, das Wetter sei auch diesmal in der Kieler Woche zu schlecht.
„Ach,“ sagte Jutta, „schlecht?! Sogar beim Wetter sieht man’s: nichts ist an sich gut oder schlecht. Nichts kommt auf den Wind an — alles auf das Objekt, das er anbläst.“
Frau Konsul Krüger dachte, daß diese Dame, deren Namen sie nicht ganz verstanden hatte, „geistreich“ zu tun wünsche. Sie wandte sich ihrem Tänzer zu und nahm mit ihm ihren Platz ein: als viertes Paar.
„Gegen geistreiche Frauen hab’ ich ein Vorurteil. An die glaub’ ich einfach nicht,“ sprach sie voll Selbstbewußtsein. „Es ist eine fabelhaft schöne Dame, obschon: der Hals ist ein bißchen lang und dünn nach meinem Geschmack. Wie war doch der Name?“
„Frau von Falckenrott,“ sagte Rosenfeld, und man sah auf seinem glattrasierten, klugen Gesicht nur den Ausdruck großer Höflichkeit, „ihr Gatte ist mein Crewkamerad.“
„Nein — so was! Dann hab’ ich ja ’n Haufen von Beziehungen. Ihr Mann ist der Kapitän von Falckenrott? Der jetzt als Erster Offizier auf der ‚Luise‘ in Ostasien ist?“
Rosenfeld nickte, und noch ehe er etwas sagen konnte, durchrauschte Frau Konsul Krüger schon flink den winzigen Platz zwischen den vier, auf den Beginn der Quadrille wartenden Paaren.
„Nein, so was!“ rief sie und streckte Jutta gleich beide Hände auf einmal hin, wobei am Gelenk der Linken ihr Fächer halbgeöffnet lebhaft an goldener Kette pendelte, „nein, dies ist zu reizend! Eben erst lasse ich mir Ihren Namen deutlich wiederholen. Man versteht ja nie beim Vorstellen ... Wissen Sie, daß Ihr Mann bei meiner Schwester Mila in Schanghai wie ein Kind im Hause ist?! Hat er Ihnen nie geschrieben, daß er dort beinahe alle Tage bei einem Herrn Glaubermann eingeladen war? Das ist mein Schwager. Glaubermanns sind fabelhaft gastfrei. Die Herren von der Marine finden dort immer offenes Haus. Glaubermann sagt, das sei patriotische Pflicht. Sie wissen doch: mein Schwager Glaubermann, Chef der ostasiatischen Abteilung des Hamburger Hauses?“
Jutta besann sich mühsam. Ja, es dämmerte ihr auf ... der Name Glaubermann war irgend einmal, vielleicht bei der Erzählung von einem für die Offiziere von S. M. S. „Luise“ gegebenen Diner aufgetaucht ... ein gleichgültiger Name mehr auf diesen Briefblättern, die aus Ostasien kamen ... die Kunde gaben von einem fernen, fernen Leben ... und das doch eigentlich ein Teil ihres Lebens war ... sein sollte ...
Kaum rang sie sich den höflich muntern Ton ab, in dem sie sprach: „Aber gewiß — Glaubermanns — ja, ja — ein hübscher Zufall — ja, die Welt ist so klein.“
„Das muß ich gleich meiner Schwester Mila schreiben, daß ich die Gattin des Kapitäns von Falckenrott kennen gelernt habe! Wenn Sie wüßten, gnädige Frau, wie meine Schwester Mila mir von dem Kapitän Falckenrott vorschwärmt, würden Sie vielleicht eifersüchtig werden.“
„Eine Marinefrau darf keine Eifersucht kennen,“ sagte Jutta.
„Darf nicht — darf nicht — ach Gott, als ob sich Empfindungen an Verbote kehrten. Ich wäre gräßlich eifersüchtig. Ich bin aber auch rasend temperamentvoll.“
„Wie interessant!“ sagte Reiswitz etwas kühn dazwischen.
„Finge doch die Quadrille an,“ dachte Jutta.
„Und sagen Sie mal, gnädige Frau,“ fuhr die Frau Konsul eifrig fort, nachdem sie Reiswitz mit einem kecken Lächeln für seine Zwischenbemerkung mehr belohnt als bestraft hatte, „mir ist doch so ... meine Schwester Mila schrieb davon ... gerade als die Herren von S. M. S. ‚Luise‘ bei ihr zum Diner waren, kam die Depesche, daß dem Ersten Offizier ein Kind geboren sei ... Und meine Schwester Mila schrieb noch: wie schwer muß das für so ’ne junge Frau sein ... Das waren also Sie ...“
„Ja,“ sagte Jutta laut und hart, „das war ich.“
Unbeherrscht, für einige Sekunden ganz und gar unbeherrscht, schlug sie mit ihrem zusammengeklappten Fächer ein paarmal gegen ihre innere Handfläche.
Herrischer noch als sonst erhob sie ihren schönen Kopf und sah über die kleine zudringliche Schwätzerin hinweg.
Da traf ihr Blick zufällig den des Mannes gegenüber.
Der sah sie gut und fest und freundlich an. Aber irgend etwas reizte sie dennoch. Ihre Nasenflügel bebten. Der scharfe Zug um ihren Mund trat deutlich hervor.
In diesem schwülen Augenblick begannen die einleitenden Takte der Musik durch den Raum zu schwirren. Ein Kommandoruf ertönte. Frau Konsul Krüger eilte an die Seite ihres Herrn zurück. Und all die vielen, vielen Paare, die den Raum bevölkerten, immer zu vier und vier je eine kleine Tanzwelt für sich bildend, schienen im Bann einer Suggestion. Alle hörten. Alle warteten, um beim rechten Takt, in der richtigen Sekunde zu zweit zu avancieren. Plötzlich kam rhythmische Bewegung in die Menge. Das fröhliche Hin und Her und wohlgeordnete Durcheinander des Tanzes wickelte sich ab. Bei vielen jungen Paaren wandelte sich das Vergnügen in den ernsthaften und leidenschaftlichen Eifer, alle Figuren der Quadrille in vollkommener Glattheit durchzuführen.
Die Klänge von hundert lachenden Stimmen, das Gleiten von hundert raschen Fußsohlen über den Estrich mischten sich mit den Schallwellen der Musik. Der ganze Raum schien bis zur Verwirrung von Tönen und von Bewegung erfüllt. Die weißen Kleider und die dunkeln Uniformen, die Blumen und die Goldlitzen, kahlgeschorene Männerköpfe und Frauenhäupter mit reichen Haarwellen, nackte Schultern und schwere Silberraupen, goldbefranste Epauletten — das alles glitt aneinander vorbei, kreiste umeinander, in einem Wirbel sich beständig anders schneidender Linien, ein fortwährend geschütteltes Kaleidoskop von Farbenfleckchen.
Über all dies bewegliche Gedränge flutete das Licht. Von der Hauptwand her beherrschte das Bild des Kaisers den Saal. Von der Kommandobrücke aus, als Admiral, sah er mit ehernem Ernst über das Festgewühl hin. Der feine Dunst und Staub, der in der Luft des Saales schwebte, zog einen leisen Schleier vor das Bild, so daß es wie von fern gesehenes Leben wirkte. Es war kein Gemälde mehr — es zauberte die Gegenwart des höchsten Herrn gleichsam in den Saal.
Bei einer der Tanzfiguren sah sich Jutta an der Seite des Kapitäns Hochhagen. Zwischen ihr und seiner eigenen Dame, dem Fräulein Gervasius, vor und zurück schreitend, während Reiswitz einzeln ihnen entgegenkam und wieder vor ihnen zurückzuweichen schien, sagte er rasch: „Ich betrage mich heute pflichtvergessen. Verzeihen Sie mir.“
„Ich bin ja heute mit Rosenfelds,“ sprach sie, „die passen ebensogut auf.“
„Das klingt ja fast erbittert.“
„So? Sollte es nicht ...“
Reiswitz ergriff wieder ihre Hand, man machte eine Ronde und trat an seinen Platz zurück.
Und ein andermal, als Hochhagen wieder ein paar Worte mit ihr wechseln konnte, hörte sie: „Malte hat geschrieben. Über den Brief muß ich mit Ihnen sprechen, darf ich morgen zum Tee kommen?“
„N — ja ...“
„Gnädige Frau,“ sagte Reiswitz, „Sie sind wirklich zerstreut.“
Sie standen und warteten, bis das dritte und vierte Paar die Figur ausführte, die sie selbst eben abgetanzt hatten.
„Aber gar nicht,“ behauptete Jutta.
„Wissen Sie, ob Herr von Gamberg mit an Bord kommen wird für die Fahrt nach Travemünde?“
„Keine Ahnung ...“
„Vielleicht ist es ihm, da er Nichtsegler ist, zu langweilig. Kreuzerklasse zwei, zu der die ‚Freia‘ gehört, geht außen um Fehmarn ’rum — wenn der Wind nicht stick Nordwest ist, kann’s zwölf Stunden und mehr dauern.“
Jutta antwortete nichts. Sie sah hinüber zu Hochhagen, der mit Blick und Ohr an seiner anmutigen Dame hing.
„Möchte er sie wählen — man sieht wohl — sie ist weg in ihn ... Möchte er ... ein so beschäftigter Aufseher ist kein Aufseher mehr ...“
„Gnädige Frau ... Sie sind so gut — sein Sie’s wieder mal ... wenn nämlich Herr von Gamberg nicht mit an Bord geht für die Wettfahrt Kiel-Travemünde, wird ein Platz frei, und da möchte Lebus brennend gern sich ’ranschlängeln ...“
„Er kommt morgen zum Tee zu mir. Dann will ich mit ihm darüber sprechen.“
„Lebus?“ fragte Reiswitz dumm.
„Herr von Gamberg,“ sagte Jutta.
„Ach — pardon — ja, natürlich ...“
„Wieso ... natürlich?“ dachte Jutta.
Und dann begann eine neue Tour.
Frau Konsul Krüger sprach auf den Kapitän von Rosenfeld ein.
„Hören Sie mal — das versteh’ ich nu doch nich. Der Mann ist in Ostasien, und die junge Frau geht allein auf Bälle und macht die ganze Kieler Woche mit!“
„Unter dem freundschaftlichen Schutz von mir und meiner Frau,“ sagte Herr von Rosenfeld.
„Schön. Das Dekorum in Ehren — das weiß ich von selbst, daß das schon irgendwie gewahrt sein wird. Aber wie kann man sich amüsieren, solange der Mann fern ist?“
„Vielleicht ist es auch nur ein Amüsement im Schatten,“ sprach Rosenfeld, „aber es wäre wohl ungesund, eine junge Frau klösterlich einzusperren während eines Auslandkommandos ihres Mannes. Die Crewkameraden umgeben die Einsame mit Schutz und sorgen auch für ihre Zerstreuung. Das ist so Tradition bei uns, meine gnädige Frau.“
„Na,“ dachte Frau Krüger, „das mag manchmal ’ne schöne Beschützerei sein.“
Rosenfeld, als habe er ihren häßlichen Gedanken erraten, fügte noch hinzu: „Vor allen Dingen stehen aber die Crewkameraden einer solchen Strohwitwe in jeder Hinsicht bei.“
„Gott — wie nett.“
Da aber diese Frau die zudringlichste Neugier für die Lebensumstände von Menschen hatte, die sie eigentlich nichts angingen, so kam sie nach ein paar Minuten wieder auf Jutta und deren Lage zurück.
„Hat Frau von Falckenrott denn gar keine Eltern oder Schwiegereltern mehr? Warum ist sie derweil nicht zu diesen gezogen? Ich hab’ mal gehört, daß das in solchen Fällen geschieht.“
„Ich kann Ihnen Genaueres darüber nicht sagen,“ antwortete Rosenfeld etwas kühl, „vielleicht hat Frau von Falckenrott die Empfindung, hier, in der Berufsumwelt ihres Gatten, ihm gewissermaßen näher zu sein. Sie wäre nicht die erste, die so empfände.“
„Ach,“ dachte Frau Krüger, „daß er Genaueres nicht weiß, ist ja Schnack. Er weicht mir aus. Das hat wohl ’n Haken! Und hier dem Gatten sich näher fühlen?! Das klingt innig, sinnig, minnig.“
Und sie seufzte, während sie nun an Rosenfelds Hand dem ihr gegenüber avancierenden vierten Paar entgegenschritt.
„Mein Vetter Hinrichsen hätte auch was anderes tun können, als diese Krügers an uns empfehlen,“ dachte Rosenfeld. Ihm waren Frauen zuwider, die kein anderes Gesprächsthema kannten wie Schicksale und Handlungen ihrer Nebenmenschen.
Endlich ging der Tanz zu Ende.
„Führen Sie mich hinunter,“ sagte Jutta hastig.
Sie war fast seit Beginn des Balles in den oberen Räumen gewesen. Und immer suchten ihre Augen vergebens nach dem einen ... Vielleicht war er in den Sälen unten ... War es Vorsatz, daß er sie nicht seinerseits gesucht hatte ...? Fand er sie nicht?
Nun zog sie an Reiswitz’ Arm in einem dichten Schwarm lebhafter Menschen die große Treppe hinab. Es war wie ein Festzug der Freude, der stufenabwärts wallte.
Unten im Vorsaal bemerkte sie irgendwo das lachende, heiße Gesicht und die rötlichen Haare der Frau von Rosenfeld. Und auch Frau von Rosenfeld sah gerade empor, und sie nickten einander schon von weitem fröhlich zu: die eine von der Treppe her hinab, die andere aus dem Gedränge herauf.
„Da ist Lisbeth Rosenfeld,“ sagte sie, „sehen Sie? Dort an der dritten Säule links.“ So wichtig sagte sie es, als habe sie endlich einen lange und dringlich gesuchten Menschen gefunden.
Und schon ließ sie auch Reiswitz’ Arm los.
Unten, am Fuß der Treppe, sprach sie noch hastig: „Also ... ich spreche mit Gamberg — rede ihm aus, daß er die Fahrt nach Travemünde mitmacht ... dann haben Sie Platz für Lebus ... Ist dies nun kameradschaftlich von mir oder nicht?“
„Gnädige Frau sind ein Engel ...“
Aber dieses dankbare Zeugnis hörte Jutta wohl nicht mehr. Sie wand sich durch die Menge, und wenn Bekannte sie anredeten und aufhalten wollten, sprach sie munter: „Bitte — mich passieren lassen — muß mich mal bei meiner Ballmutter melden ...“
Und die Bekannten lachten mit ihr, denn sie wußten ja alle, daß die „Ballmutter“, die Gattin des Kapitäns von Rosenfeld, eine fast ebenso junge Frau war wie Jutta Falckenrott selbst.
Aber in dem Gewühl war ihr nun doch das heiße, lachende Gesicht und das rötliche Haar ihrer Freundin Lisbeth entschwunden. Vielleicht hatte sie auch nicht den strategischen Überblick gehabt, um sicher jenem Platz zuzustreben, auf dem sie von der Treppe aus Lisbeth Rosenfeld gesehen ... an der dritten Säule links ...
Jutta betrat den Gartensaal. Auf der Schwelle hielt sie ein paar Augenblicke den Schritt an. Ganz unerwartet stand eine Erinnerung vor ihr auf — wie Gespenster auf der Bühne jäh aus der Versenkung emportauchen, während die ganze Szene eine andere Beleuchtung annimmt. Vor etwas mehr als einem Jahr, in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft in der neuen Heimat, hatte ihr Gatte ihr die Marineakademie gezeigt. Und auf der Schwelle dieses Saales stand er lange mit ihr. So fröhlich klang seine Stimme. Und, in seine Jugendgeschichten verliebt wie alle Menschen, denen das Gedächtnis nur Frohes aufzutischen hat, erzählte er ihr sehr ausführlich von den Mittagstunden an den langen Tafeln, die so wirtshausmäßig im Gartensaal standen. Da drüben — ja, da hatten sie zusammengesessen als Fähnriche: er und Hochhagen und Rosenfeld. Vom ersten Schritt an, den sie in der gemeinsamen Laufbahn getan, waren sie zusammen gewesen: in den bangen Tagen der Aufnahmeprüfung hatten sie auf einer Bude gewohnt, bei ihrem ersten Bordkommando waren sie auf das gleiche Schulschiff gekommen und dort alle drei der Steuerbordwache zugeteilt worden. Und all die köstlichen, endlosen Späße aus jenen Tagen ...
Das erlebte Jutta so qualvoll deutlich, daß ihr das Lachen des fernen Mannes im Ohr lag — als sei’s erst eben für sie verklungen ...
Sie kämpfte das nieder. Sie sah sich um.
Jetzt sah der Raum anders aus. Um die verputzten, bemalten Säulen, die vereinzelt in seiner Mitte standen, die Decke tragend, zogen nun Menschen. Flaggenschmuck und Grün rief aus: Hier geht es festlich her ...
Jutta dachte: „Ich bin müde ... ich will nach Haus ... Lisbeth hat zu viel Ausdauer in solchen Sachen ...“
Wo hatte sie Lisbeth Rosenfeld doch noch eben gesehen? Ja, richtig, an der dritten Säule im Eingangssaal ... da war sie wohl noch.
Aber Jutta wußte: wenn sie käme und sagte „ich mag nicht mehr“, würde Lisbeth beinahe schreien: „Liebes, was fällt dir ein! Wir gehen noch lange, lange, lange nicht!“
Lisbeth hatte ja auch ein Anrecht auf die Freuden des Lebens ... auf die großen, tiefen ... auf die kleinen, bunten ...
Lisbeth hatte ihren Mann ...
Und vielleicht, wenn auch er wieder einmal hinaus mußte, hatte sie mehr Gelassenheit ...
Jawohl — nichts kommt auf den Wind an — alles darauf, wen er anbläst ...
Es zog Jutta dennoch weiter. Sie kehrte nicht zurück und suchte nicht nach Lisbeth Rosenfeld. Sie schritt quer durch den Gartensaal.
Die große Tür, die auf die Terrasse führte, stand geöffnet. Ihr mächtiges Halbrund war von einer Balustrade umschlossen. Von ihr hinab führten rechts und links hart an der Mauer Treppen hinab in den Garten.
Auch auf der Terrasse waren viele Menschen. In Korbsesseln lehnten Herren und rauchten Zigaretten. Damen mit ihren Tänzern standen an der Balustrade und sahen über den Garten hinaus zum Wasser.
Beinahe hastig, um hier keine Bekannten zu entdecken, um nicht von ihnen angeredet zu werden, ging Jutta die ihr zunächst gelegene Treppe hinab.
Ein Verlangen nach Einsamkeit peitschte sie förmlich.
Ah — die Sommernacht ... Und so still der Garten. Da waren die glatten Flächen der Tennisplätze ... da das Dunkel der Büsche ... alles für das Auge noch in unsichere Beleuchtung getaucht.
Aus den Fenstern des mächtigen Baues brach jene prunkende Helle, die, gleich Fanfaren des Lichtes, aus Festräumen hinaus in die Nacht die Kunde von Glanz und Freude zu senden scheint.
Die Decke des Himmels hoch droben war von Blaustahl. Und der Mond, seinem Rund noch entgegenwachsend, fast beizend weiß, mit den Schatten und Flecken, die seiner Fläche ein kümmerlich verlegenes Lächeln auftünchten, stand scheinbar auf einem Punkt still. Er überglänzte seine Nähe mit silbriger Helle. Die vielen Lichter auf Wasser und Land bestahlen ihn um seine Wirkung hier unten. Er kämpfte mit ihnen, und seine und ihre Strahlen durchstachen einander. Und dabei siegte keiner, es kam zu nichts, als zu einer schwankenden Belichtung aller Nähe und zu einer verschwimmenden Dunkelheit aller Ferne.
Jutta hörte Lachen drüben, jenseits der Tennisplätze gingen Menschen, und ihre Silhouetten glitten weiter, ihre Stimmen verklangen wieder.
Nun schien der Garten ganz verlassen.
Von irgendwo her kam Musik. Die Töne schwebten bebend und metallisch heran. Es war eine fast brutale Zudringlichkeit in ihnen; sie erregten die Nerven; unbestimmte Mutempfindungen, unklare, schmerzliche Sehnsucht weckten sie auf.
Und doch war es nur die Militärmusik, die aus einem nahen Biergarten in die Nacht hinausschwoll.
Jutta stand und horchte. Bruchstücke aus „Carmen“ ...
Nun drängten sich andere Töne hinein, dumpf und komisch ... die Baßnoten der Tanzmusik im Hause. Die leicht flatternde zärtliche Walzermelodie der Geigen konnte nicht hinausdringen, aber der kräftige und bumsende Dreitakt des Basses stampfte auf, als habe er plumpe Füße.
Kühl zog der Atem vom Wasser heran. Jutta bemerkte seine Schauer nicht.
Sie ging zum Ufer hinab. Dort baute sich die Anlegebrücke, von weißgestrichenem Geländer umschützt, über das Wasser hinaus. Die schimmernd weiße Stationsjacht lag da wie schlafend. Allerlei Pinassen und Barkassen drängten sich wartend Bord an Bord, wie auf dem Platz einer Stadt die Wagen sich ineinander verfahren, im festlichen Gewühl. Die Maaten, die sie zu führen hatten, mochten zusammengekauert auf den Bänken dösen. Man sah niemand.
Geradeaus und drüben am Ufer und hinauf und hinab die Förde, soweit der Blick von dieser Stelle aus ein Bruchstück ihres Bildes beherrschen konnte, schwebten Lichtsignale im Schwarzblau der Nacht.
Still, mit guten, friedlichen Wächteraugen sahen sie aufeinander, gesellig in ihrer Menge. Die letzten Strahlenspitzen des einen trafen auf den äußersten Glanzkreis des anderen. Das gab einen wunderbaren Zusammenhang — als reichten sich wachsame Geister mystische Lichthände. Das war, als schwebe über den schlafenden Wassern, über dem Schlummer der Natur noch ein anderes, geheimnisvolles, niemals ermüdendes Leben.
An ihren Bojen ankerten die Kolosse der Kriegschiffe, die am Tage Riesen gleichen, die mit ihrem Rücken auf dem Wasser schwimmen und über ihren gewaltigen Rumpf empor Arme und Beine luftwärts strecken. Jetzt in der Nacht erriet man die Anwesenheit der weiter hinaus liegenden nur an ihren Lichtern; die grauen Leiber der näheren erkannte man undeutlich; wie auf sehr flüssig gemalten Aquarellen die Farben ineinanderzufließen scheinen, so verschwammen die Grenzen ihrer grauen Formen mit dem Schwarz der Nacht.
Jetzt horchte Jutta auf. Die schmetternde, werbende, beklemmende Carmenmusik war verhallt. Die Dreitaktbaßtöne aus dem Haus kamen nicht bis hierher. Stille hatte sich über die Sommernacht gesenkt.
Aber nun klangen kurze, melancholische Töne auf. Rund und schnell.
Es glaste auf den Schiffen.
Mitternacht ... Mitternacht.
Und drüben, auf der anderen Seite der Weltkugel — was glaste die Schiffsglocke da?
Jutta fühlte: ich bin sehr erschöpft.
Sie sagte es fast hörbar vor sich hin.
Und sie wußte nicht: erschöpft von all den Festen, vom betäubenden Tanz des heutigen Balles — oder erschöpft vom Leben ...
Und in diesem unbestimmten Gefühl einer unerhörten, einer unerträglichen Müdigkeit kam ihr ein ganz einfacher, ein fast kindlicher Gedanke.
Läge ich doch in meinem Bett!
„Da ist Ruhe, da ist Verborgenheit. Ich will nach Hause,“ dachte sie entschlossen.
In der Düsternbrooker Allee, vorn vor dem Gitter der Marineakademie, standen gewiß Wagen, die auf Zufallsfahrgäste warteten.
Sie konnte morgen früh an Lisbeth Rosenfeld telephonieren: „Du, sei nicht böse — aber ich sah, du schwammst in Pläsier, und ich hatte es so satt, da ging ich heimlich. Ich bin ganz gut nach Hause gekommen.“
Plötzlich fühlte sie auch, daß es sehr frisch sei. Und Tritte klangen — ganz nah. Dumpf kamen sie auf dem Boden des Weges näher — und nun klappten sie hohl auf den Bohlen der Brücke.
Jutta, in einem Abwehrgefühl gegen Menschen, stand unbeweglich, als sei sie noch in den Anblick der von träumerischen Lichtflecken gesternten Förde versunken.
Sie bildete sich ein: Der, der da eben die Brücke betreten hat, wird den Takt haben, sich sofort zurückzuziehen, wenn ich mich nicht nach ihm umwende.
Und da hörte sie ihren Namen ...
„Jutta,“ sagte er.
Sie fuhr zusammen, bis zur Fassungslosigkeit erschreckt, obschon es die Stimme des Mannes war, nach dem ihre Augen immerfort gesucht hatten.
So sehr erschrak sie, daß sie ihren Kopf in den Händen verbarg wie eine, die sich fürchtet.
„Ich habe den ganzen Abend beinahe auf der Terrasse gesessen,“ sagte er im Ton eines, der, humoristisch gestimmt, einen harmlosen Bericht erstattet, „ich dachte nämlich so: wenn ich mich an einem Platz behaupte, muß meine liebe und verehrte Base Jutta schließlich einmal vorbeikommen. Nun endlich sah ich Sie.“
Sie horchte in verzehrender Spannung auf diese scherzhaften Worte. Und nun schien ihr, als sei nach dieser Pause von ein paar Herzschlägen seine Stimme vorsichtiger, leiser. Er fuhr fort: „Ich habe einige Minuten gewartet, ehe ich Ihnen folgte.“
Sie fühlte, daß er neben sie trat. Sie spürte, daß er wartend auf sie sah.
Sie nahm sich zusammen, sie richtete sich wieder auf. Daß sie so viel Mut brauchte, um in diesen Augenblicken das Alleinsein mit ihm zu überstehen, machte sie ganz schwach. Sie griff nach dem Geländer. Sie hielt sich daran fest — und lauschte zugleich auf den merkwürdig hastigen Lauf ihres Herzschlages — so klein und so eilig klopften die Töne — überall — in der Brust, im Hals ... in den Schläfen ...
Mit beiden, ausgreifenden Händen hielt sie sich an der obersten Querstange des Geländers und fühlte das harte Holz als schmerzhaften Druck im Kreuz, so fest lehnte sie sich dagegen.
„Ich ... ich hielt die vielen Menschen nicht mehr aus ...“ sprach sie.
Sie sah ihn nun an. Im dürftigen Halblicht erriet sie doch jeden Zug seines Gesichts. Sie kannte es so genau ... fast schien ihr: wie keines sonst auf der Welt ...
Jenes andere Männergesicht, das man auf den Bildern in ihrem Haus sah, das verlor so viel von seiner Wirklichkeit ... jeden Tag mehr ... war eben nur noch ein Bild ... eines, das zu der Geschichte eines Traumes gehört ...
Dieses aber, dies lebendige, kluge, entschlossene Gesicht, aus dessen hellen Augen ein bezwingender Wille sprühte — dieser ganze Mann, schlank und groß, dessen Wesen zähe Energie schien ... der bedeutete Wirklichkeit ... schwüle, drohende, inhaltreiche Wirklichkeit ...
Und mit der Wirklichkeit setzt man sich auseinander — man kämpft mit ihr — sie allein ist Leben ...
Und all ihre tausend Gefahren sind immer noch mehr Gesundheit als diese traumhafte Zusammengehörigkeit mit einem Fernen ...
Sie gibt Mut. Sehnsucht aber, schweigende, duldende Sehnsucht ist wie schleichende Krankheit ...
Das alles dachte Jutta nicht in deutlichen Worten ... Schwer und unklar gärte es in ihrem Gemüt ... Unbewußter Trotz war darin und die Begierde, sich ein Recht zu beweisen — das Recht auf Kampf gegen die Versuchung vielleicht.
Sie wußte nichts Gewisses über sich. Sie fühlte nur, ihr Leben war unerträglich. Und vor allem: diese Augenblicke waren es.
„Ich möchte nach Hause,“ sprach sie.
„Ist das die Antwort auf meine Freude, daß ich Sie endlich gefunden habe?“ fragte er — in erzwungen scherzhaftem Ton ...
„O nein ... die vielen Menschen ... das Fest ... es ist genug.“
„So werde ich Sie an den Wagen bringen.“
Er wartete vor ihr höflich, aufmerksam, als wären hier tausend neugierige Augen, die sein Benehmen belauerten.
Ihr ganzes Wesen war in Aufruhr; weit geöffnet war ihre Seele für ein großes Erlebnis — eine starke Gefahr. Und nichts geschah, daran ihre Kraft sich erproben, daran ihr Stolz sich emporrecken konnte. Sein Ton und seine Art waren wie eingeschnürt in Beherrschung. Nichts geschah ...
Das Elend einer ungeheuren Enttäuschung warf sich auf sie, zerdrückte sie. Das ganze Dasein schien nichts mehr zu sein als graue Leere, stumpfe Inhaltlosigkeit — nicht einmal mehr Kampf war darin ...
Und alles in ihr war bereit dazu gewesen ...
Wie für ein Volk, das in dumpfer Enge hinlebt und von seiner Enge bewußt leidet, der Schrei „Krieg“ Erlösungsklang haben kann, so daß das furchtbarste aller Worte jauchzend durch die Massen getragen wird — so lechzte ihre Seele nach einem weckenden Ruf, der sie nach Waffen greifen ließ. Aber nichts geschah.
Sie raffte sich auf — stand ein paar Augenblicke — und und so fand sie sich äußerlich zu ihrer gewohnten Haltung zurück. Er gab ihr den Arm.
Schweigend schritten sie zusammen durch den Garten, zurück zu dem mächtigen Bau, aus dessen großen Fenstern die gelben Lichtfluten in die Nacht hineinströmten.
Jutta fühlte und dachte nicht mehr klar genug. Sonst wäre ihr dies Schweigen von beklemmender Beredsamkeit gewesen. Sie fühlte nur: das Leben geht an mir vorbei.
Und die Bitterkeit, in der alle Leidenschaftlichen sich gegen dies Gefühl wehren, gärte auch in ihr.
Sie mußten über die Terrasse und durch den Gartensaal, in dem eben der Walzer beendet war. Und hier, zwischen den hin und her wandelnden Paaren, trafen sie auf Lisbeth Rosenfeld. Sie stand vor ihrem Mann, hielt mit den spitzen Fingern der Linken ihn an einem Knopf seines Dinerjacketts fest und fächelte mit der Rechten ihrem heißen Gesicht Kühlung zu. Der kleine chinesische Fächer, den sie dabei brauchte, klapperte in seinem Sandelholzgestell, und sein bunt bemaltes Pergament rauschte.
„Da ist ja Herr von Gamberg mit Jutta! Kinder, helft mir Hektor überreden. Ich soll weg. Das ist Tyrannei. Herr Legationsrat, schützen Sie ein mißhandeltes Weib.“
„Wenn Lisbeth morgen Kopfweh hat, schilt sie mit mir, daß ich nicht strenger gewesen bin,“ sagte der Kapitän.
„Komm mit,“ ermahnte Jutta, „ich bin im Begriff fortzugehen, Herr von Gamberg will mich gerade zum Wagen bringen.“
„Was? Hinter dem Rücken deiner Ballmutter wolltest du auskneifen?“
„Lisbeth, nimm Vernunft an! Du wirst mir morgen danken.“
„Vernunft ist ja eine wunderschöne, großartige Sache. Aber weißt du, Hektor — ich bin gar nicht ehrgeizig. Ich will unvernünftig bleiben.“
Sie lachte laut und stritt munter weiter. Man merkte schon: der Mann ermüdete ein wenig an der Kinderei und war im Begriff, nicht aus Schwäche, sondern um des guten Geschmacks willen nachzugeben.
„Ach,“ dachte Jutta, „wie spielt sie durch die Tage.“
Und wußte selbst nicht, ob es ein neidischer oder ein geringschätziger Gedanke war.
Sie verabschiedete sich etwas kurz. Rosenfelds, im Eifer ihres Kampfes um Bleiben oder Gehen, bemerkten es kaum.
Jutta wurde nun von einer Hast ergriffen, als hänge das Äußerste daran, daß sie rasch, rasch aus diesem Festlärm entfliehe. Und Gamberg, dessen Arm sie losgelassen hatte, folgte ihr so unmittelbar, daß er Vorsicht beobachten mußte, nicht auf ihre schleifende, leichte gelbe Chiffonschleppe zu treten.
Sie warf sich in einem der zur Garderobe verwandelten Nebenräume ihren Spitzenmantel um.
Gamberg wartete unter dem Portal auf sie.
Draußen, auf dem Fahrdamm, jenseits des hohen Gitters, das das Gelände der Marineakademie von der Straße schied, standen Droschken hintereinander, mit ihren dunkeln Kasten auf den unbeweglichen Rädern, einem ins Stocken gekommenen Leichenzug nicht unähnlich. Die Kutscher, mit hintenübergesenkten Häuptern, vorausgestreckten Bäuchen und verschränkten Armen, förmlich wie aufgeplustert, schliefen in Gelassenheit. In stumpfsinniger Geduld ließen die Pferde die Köpfe hängen.
Gamberg öffnete die Tür der ersten Droschke, indem er zugleich den Kutscher durch Zuruf ermunterte.
Jutta stieg ein.
Droben der plumpe Mann auf dem Bock hantierte noch umständlich mit seinem Sitz, der Pferdedecke und den Zügeln.
Gamberg stand am Schlag. Von den Laternen her, die die Pilaster des Gittertors krönten, fiel scharfes Licht auf ihn.
Jutta sah ihn mit großen Augen an. Sie prägte sich noch einmal, wieder einmal, zum hundertstenmal genau seine hohe, blonde Erscheinung ein: das helle Bärtchen auf der Oberlippe, das helle, kluge, lebhafte Auge, die vornehmen, immer von einer gewissen Zurückhaltung beherrschten Züge.
Und auch er sah das völlig beleuchtete blasse Frauengesicht, die herrisch erhobene Haltung ihres Kopfes, den großen Blick, der ihm fast feindselig erschien.
„Ich begleite Sie natürlich.“
„Nein.“
„Es beunruhigt mich, Sie allein einem fremden Wagen anzuvertrauen.“
„Unnötige Sorge. Fünf Minuten Fahrt. Und ein Kieler Droschkenkutscher, der eine Marinedame fährt ...“
Oben der Kutscher war fertig und sah wartend herab auf den Herrn am Schlag.
Jutta fühlte wieder ihr Herz klopfen überall ... überall ...
Sie wagte kaum zu atmen.
Die hellen Blicke sprachen zu ihren Augen.
Unverwandt sahen sie einander an — eine schwüle, endlose, furchtbare Minute lang.
Und dann trat der Mann zurück ... höflich und fremd.
Der Wagen fuhr davon, in unerwartet raschem Zug.
Jutta saß aufrecht darin, erhobenen Hauptes. Ihre Augen starrten auf die draußen, gleich einer Wandeldekoration vorüberziehenden weißen Villen zwischen dem üppigen Laub der Bäume und Büsche in der Sommernacht. Und in ihrem Ohr war als Nachhall das kleine knackende Geräusch der zufallenden Wagentür.
Das ganze Zimmer war erfüllt von blauer Dämmerung, von einer reinen, köstlichen Frische. In ihr konnte das kleine Wesen, von Wohlbehagen wie geschwellt, wohl einen guten Schlaf haben. Nach dem Bade lag es nun, ein appetitliches, rührend hilfloses und unbewußtes Stückchen Leben — mehr ein Pflanzen- als ein Menschenleben noch — in seinem Bettchen. Der Kopf, auf dem ein dunkler Haarwuchs zu flaumen begann, war wie eine schwere, etwas ins Längliche verformte Kugel tief hineingedrückt in das weiße Kissen, das um seine Kontur herum bauschig aufschwoll. Im Schatten der Gardinen, die von einem das Bettchen überwölbenden Krummstab herabwallten, blieben die geschlossenen Augen, das kleine Näschen beinahe verwischt — so weich waren noch die Züge. Nur der Mund war sehr deutlich in dem Kindergesicht — die Lippen bewegten sich instinktiv, lutschend, saugend, als kosteten sie noch den Wohlgeschmack der Flasche.
Mit leichten Schritten, unhörbar, ging Jutta noch umher. Sie sah nach, ob hinter dem Vorhang auch die Fensterklappe geöffnet sei, entdeckte an der Scheibe eine Wespe, die sie furchtlos und fürsorglich mit ihrem Taschentuch überdeckte und griff, um sie dann aus dem Fenster ins Freie zu schütten.
Ein letzter Blick in die Runde zeigte ihr, daß im Schlafzimmer, das auch das ihre war, und in dem neben dem großen Bett traulich das kleine stand, sich alles in feierlicher Ordnung befand. Heilige Schlafensstille webte in dem Raum, und ganz leise, leise, nur dem angestrengt lauschenden Ohr der Mutter erratbar, ging der Atem des Kindes in köstlicher Regelmäßigkeit.
Es schlief. Es schlief sich wieder ein Stückchen weiter ins Leben und in die Kraft hinein ...
Jutta ging in den Nebenraum. Das war eigentlich ihr Ankleidezimmer. Aber nun hatte das Kind seine Ansprüche und seine Herrschaft auch hierher getragen. Und auf dem Teppich stand das Gestell mit der Badewanne, und zwischen all den eleganten Einrichtungsgegenständen des Toilettentisches, auf seinem Spiegelglas und zwischen den Bürsten und Kämmen von dunkelm Schildpatt, standen Puderdöschen und lagen allerlei blauumsäumte Läppchen und Streifen. In einem zierlich mit Schleifen ausgestatteten Korb häufte sich gebrauchtes Kinderzeug.
In diesem Raum war es sehr hell. Weit geöffnet stand sein Fenster, und von draußen herein kam die salzige Sommerluft und vertrieb die lauen Baddünste.
Das Hochviereck des Fensters zeigte einen Ausschnitt aus der freien Natur. Nur in zwei Farben. Ein großes Stück knallblauen Himmels und ein paar runde grüne Wipfel, die aber so grell besonnt waren, daß sie weißlich überflimmert schienen.
Jutta träumte ein paar Augenblicke hinaus, mit unbestimmten Gedanken. Das bedeutete Ausruhen für sie.
Es war immer wie Schonzeit für ihr Gemüt, wenn alles, was es sonst leidenschaftlich bewegte, einmal als unklare Traurigkeit still lag.
Der Sommermorgen war so schön — zu schön. Ganz stiller Glanz erfüllte ihn, alle Winde schliefen.
Jutta dachte flüchtig: „Reiswitz — Freia — Nordwest — Kiel — Travemünde ...“
Aber diese Gedanken zerfaserten. Es war ihr so unaussprechlich gleichgültig, was für Winde die Segel blähten ... oder ob gar keine ...
Hinter ihr bewegte sich jemand ... Wasser rauschte leise.
Jutta wandte sich um. Die sommersprossige Martha räumte auf und goß den Inhalt der kleinen weißlackierten Wanne in einen Eimer, der in seiner Ausstattung Familienähnlichkeit mit ihr hatte.
Mit raschen Händen half Jutta. Alle Geräte, alle Möbel, jeder Zierat zeigte Geschmack, Neuheit, Ordnung.
In wenigen Minuten gab es auch in diesem Raum nichts mehr zu tun. Er glänzte in der schmuckvollsten Sauberkeit.
Jutta band die große, mit russischen Stickereien verzierte Schürze ab, die bis dahin fast ganz Taille und Rock ihres einfachen weißen Kleides verdeckt hatte.
Unbewußt seufzte sie. Nach vollendetem Tagewerk ...
Zehn Uhr war es. Und sie wußte heute wie fast an jedem Tag den Inhalt aller Stunden voraus ... Ein wenig Handarbeit ... Kinderkleidchen sticken und nähen, für die noch ferne Zeit, wenn Baby erst anfinge zu stehen, zu gehen ... ein paar Briefe schreiben ... mit der Köchin das Mittagessen besprechen ... dieses schreckliche Mittagessen, das für eine Person zu kochen und aufzutragen fast lächerlich schien. Und dann ein Nachmittag und Abend ohne Ende ... ohne Zweck ... ohne Freude.
Zwischendurch wachte Baby wohl einmal und lag mit großen Augen, und lallende, drollige Laute erzählte es ... denen die Mutter mit heißer, verzehrender Begier lauschte ... als hätten sie schon Inhalt, als seien sie Stimmen der Liebe ... Aber es waren eben doch nur die unbewußten Töne eines kleinen, noch nicht zum Menschentum erwachten Lebewesens ...
Langsam ging Jutta nach vorn, in ihr Wohnzimmer. Es war nicht sehr groß. Alle Räume des Stockwerks in der Villa am Niemannsweg, das sie innehatte, zeigten angenehme Verhältnisse; sie waren für Menschen bestimmt, die in Behaglichkeit, aber nicht in Luxus zu leben dachten. Nach vorn gab es nur zwei Zimmer, das des fernen Hausherrn und das ihre. Hier öffnete sich eine Tür auf den Balkon, von dem aus man in den dichtverwucherten Vorgarten hinabsah.
An das Herrenzimmer, nach hinten, schloß sich das Eßzimmer, ein länglicher und der größte Raum der Wohnung. Überall an den Wänden und auf den Möbeln sah man Waffen, Stoffe, Vasen, Bronzen von fremdartigen Techniken und phantastischem Farbenreiz. Juttas Gatte hatte als junger Offizier noch die Zeit der reichlicheren Auslandkommandierungen miterlebt und als Kadett zur See, als Oberleutnant und Kapitänleutnant Westindien, Ostasien und die Südsee gesehen. Er hatte allerwärts gekauft, soweit Geschmack und Mittel es erlaubten, und das Gesammelte liebevoll zusammengehalten und gepflegt. Da nun Geschmack wie Mittel im Lauf der Jahre gereifter und reichlicher geworden, war manches schöne Stück, manche wertvolle Stickerei zusammengekommen.
Jutta hatte als junge Frau mit Stolz und jubelndem Staunen von all diesen bunten Sachen Besitz ergriffen und mit erstaunlichem Geschmack verstanden, alles so zu ordnen, daß die moderne Einrichtung sich harmonisch als Basis dieses fremdländischen Krams erwies.
Jetzt, wenn sie durch die Räume ging, kam es ihr zuweilen vor, als lebe sie zwischen Theaterdekorationen, als sei dies nur eine Szenenausstattung ... das Stück, das darin gespielt worden war, war aus ... Warum stand nun noch immer die Kulisse da? ... die Bühne war leer ... die Handlung hatte sich weiter entwickelt ... Und immer noch die gleiche Dekoration ...
Sie hatte Stimmungen, in denen sie all diese bunten Dinge haßte.
Am liebsten war sie auf dem Balkon. Ein Glasdach und zwei schmale Seitenwände von Glas schützten ihn gegen Wind und Regen. Er war geräumig und krönte den ziemlich weit vorspringenden Erkerausbau des Erdgeschosses. Sein Geländer ringsum glich einem von Blumen reichlich gemusterten grünen Pelz. So dicht hatte Jutta es mit gut gepflegten blühenden Pflanzen verstellt.
Die Glaswände waren mit einem Leinenstoff von altrosa Farbe glatt verhangen. Ein paar weiße Korbsessel standen um einen Tisch. Über ihm hing, an dünner Schnur oben aus dem gußeisernen Mittelstern des Glasdaches kommend, eine elektrische Birne. Aber sie war ganz versteckt in einem faltenreichen Schirm von altrosa Seidenstoff. Rechts und links von der Tür zum Zimmer standen schmale Blumentische, von denen Ranken hingen und Ranken an Gitterwerk aufstiegen.
Dies alles war sehr behütet und bildete recht eigentlich Juttas Spielzeug. Sie liebte Blumen bis zur Leidenschaft.
Jetzt, am Vormittag, mußte die Sonne durch eine halb herabgelassene Persienne abgehalten werden. Dann schien dieser Raum vollends wie ein Versteck. Man konnte ganz vergessen, daß man hier nahe einer Straße war.
Von unten aus dem Haus und Garten kam niemals Lärm herauf. Da wohnte der Eigentümer, Professor Doktor Krämer mit Frau und Schwester, und die hatten keine Zeit und kein Interesse für Welt und Menschen. Den Garten ließen sie nur auf das notdürftigste zurechtmachen, denn jedes Herbarium war ihnen wichtiger als er, Gelehrsamkeit größer als die Natur.
Jutta durfte abschneiden, was da an Rosen und was da sonst an Büschen und auf Beeten wuchs und wurde.
Wegen der Geburt der Kleinen hatte Jutta den drei Krämers gegenüber so etwas wie ein schlechtes Gewissen gehabt; aber da Baby als sehr gesundes und ausnehmend sorgsam gehaltenes Kind nur gerade so viel schrie, als die Lungengymnastik es wohl nötig machte, hatten Krämers sich noch nie beschwert.
Ja, einmal sogar, als Jutta selbst den leichten, dunkeln, englischen Kinderwagen durch den Vorgarten schob, war der Professor herangetreten und hatte zerstreut ein wohlwollend gemeintes Wort gesagt. Und Fräulein Krämer und Frau Professor Krämer hatten ihre alten Gesichter von rechts nach links über die Wagenkissen geneigt. Fräulein Krämer wischte neckisch mit der zu langen und vom Zeigefinger nicht mehr ausgefüllten Spitze ihres grauen Zwirnhandschuhs ein bißchen auf Babys runder Wange hin und her. Frau Krämer sagte erstaunt: „Ich dachte, kleine Kinder wären hübscher.“
Aber Jutta nahm es nicht übel, sondern schätzte diese ganze Szene richtig als eine ungewöhnliche Herablassung bedeutender Menschen zu unbedeutenden Nebensachen ein ...
Auch an diesem Morgen war unten alles so still, als wohne dort kein Mensch. Der Professor, der irgendwann einmal bei einer Berufung übergangen war, hatte sich aus dem Staatsdienst zurückgezogen und lebte der Fertigstellung eines Werkes. Frau und Schwester halfen ihm — Jutta sah es förmlich im Geist, wie sie alle drei bei engverschlossenen Fenstern saßen und schrieben, kopierten, registrierten ...
Aber sie waren glücklich dabei, diese drei ... sie arbeiteten zusammen ... Sie trugen nicht einsam an den Pflichten des Daseins ... Und wenn man auch nicht verstand, wie ihnen das reizvoll und wichtig und ein Lebendiges sein konnte, womit sie ihre Tage füllten — das sah man, das verstand man: sie trugen einander, sie halfen einander voll Liebe ...
Und so wandelten auch diese drei vertrockneten, von allem blühenden Menschentum geschiedenen Gestalten als ein Aufreizendes an den Grenzen von Juttas Alltag hin. —
Nun setzte sich Jutta auf ihren Balkon. Da stand das Glas Milch, und da lag die Zeitung. Sie griff mechanisch nach beiden.
Die Post hatte nichts gebracht ...
Und Hochhagen sprach doch von einem Brief, den er bekommen habe, dessen Inhalt so wichtig schien, daß er heute nachmittag ihn mit ihr zu besprechen wünschte?
Aber ganz ohne Zweifel würde für sie selbst auch noch etwas kommen. Mit dem Eintreffen der Auslandpostsachen ging es ja zuweilen willkürlich. Was drüben an einem Tag aufgegeben und ganz gewiß mit dem gleichen Schiff expediert worden und in Bremerhaven angekommen war, langte hier tropfenweise, auf die Post von zwei, drei Tagen verstreut, an.
Jutta wußte nicht mehr, ob sie sich nach diesen Briefen sehnte oder sich vor ihnen fürchtete ...
Drunten ging die Gartenpforte — man hörte sie aufklinken und wieder zufallen und dann einen raschen Schritt auf dem gepflasterten Weg, der von der Pforte her an der rechten Seite des Vorgartens bis an die Haustür führte.
Ganz flüchtig horchte die junge Frau diesem lebhaften Gang nach. Aber es war ihr nicht der Mühe wert, sich aus ihrem Stuhl emporzurecken und hinabzusehen.
Sie las den Bericht über die letzte Regatta und versuchte etwas von dem zu begreifen, was sie las.
Da erschien Martha in der Tür. Freudig stand sie, ihr von Sommersprossen beinahe bräunliches Gesicht glänzte. Hell war ihre Erscheinung mit dem straffen weißblonden Haar, in dem rosa Kattunkleid vor dem dunkeln Hintergrund. Und sie meldete: „Kapitän Hochhagen.“
Jutta fuhr auf. Ein kurzes Erstaunen verwirrte sie. Jetzt? So früh? Hatte er nicht heute nachmittag kommen wollen?
Und die rasche Ahnung, die Frauen in bedrängtem Gemütszustand so leicht befällt, kam ihr: Eine Unglücksbotschaft!
„Ich lasse bitten,“ sagte sie und ging ihm schon entgegen.
Da er wähnte, jederzeit in diesem Haus der willkommene Besucher zu sein, war er dem meldenden Mädchen auf dem Fuße gefolgt. So traf Jutta mit ihm schon in ihrem Wohnzimmer zusammen, in dem tiefen Schatten, der es durchdämmerte, weil draußen auf dem Balkon die grüne Persienne fast ganz herabgelassen war.
„Was ist geschehen?!“ rief sie zitternd.
„Mein Gott,“ sagte er betroffen. Einzig sein Erscheinen zu ganz ungewöhnlicher Tageszeit genügte, um sie zu entsetzen?! Ja, sie war aus den Fugen! Seit langem, langem.
„Liebe gnädige Frau! Etwas sehr Schönes ist geschehen. Ich habe mich mit Renate Gervasius verlobt, und Sie sollen die erste sein, die es erfährt.“
„Oh,“ murmelte sie, wie erloschen — die Flamme ihrer Erregung sank in sich zusammen — aber sie fühlte ihre Knie beben und setzte sich.
„Nichts,“ dachte sie, „nichts ist geschehen. In meinem Leben nichts ...“
Der vor Glück strahlende Mann stand vor ihr. Sie reichte ihm die Hand empor. Er hielt sie fest umschlossen.
„Ja,“ sprach sie, „das ist schön. Das freut mich. So ein liebes, wundervolles Kind ...“
„Ja,“ sagte er, mannhaft eine Weichheit niederzwingend, die Rührung werden wollte, „ich fühle auch — so was wie ein Wunder ist dies — — nun hat man eine Zukunft, nun weiß man, warum man lebt und strebt.“
„Und Renée — die junge Renée — sie — sie fürchtet sich gar nicht?“ fragte Jutta leise.
„Wovor fürchten?“ fragte er erstaunt zurück.
„Vor dem Los der Seemannsfrau.“
Sie sagte es flüsternd, als fürchte sie sich vor ihren eigenen Worten.
„Oh, das ...“ und stolz und freudig, nach einem ganz kurzen Stutzen über ihre Frage, fuhr er fort: „Sie liebt mich. Sie hat ein gesundes, tapferes Herz. Wenn es einmal auch für mich als verheirateten Mann heißt, hinauszuziehen und in der Ferne meine Pflicht erfüllen, da wird sie sich eben als Seeoffiziersfrau, als deutsche Frau sagen: es ist sein Beruf! Und sie wird stolz und stark meiner Rückkehr warten. Wie ...“
Wie Sie der Ihres Gatten, hatte er schließen wollen.
Aber es war, als lege sich ihm eine Hand auf den Mund. Und der unvollendete Satz sprach dennoch weiter — wie von selbst — mit unhörbaren Stimmen — drangen auf Jutta ein. Sie fühlte sich wie von Vorwürfen überhäuft — herabgesetzt — mißhandelt.
„Die Naturen sind verschieden,“ sprach sie trotzig.
Aber er dachte nicht daran, ihr weh tun zu wollen. Seit Monaten waren seine Gedanken voll brüderlicher Sorge und Mitleid.
So kostete es ihn keine Überwindung, über ihre Worte und ihren Ton hinzugehen, als habe er nichts in sich aufgenommen davon.
Er setzte sich zu ihr.
„Gestern abend noch, gleich nach der Quadrille, haben wir uns ausgesprochen. Ich bin schon ganz früh heute bei ihren Eltern gewesen,“ erzählte er fröhlich, „eigentlich war es eine Verlobung beim Morgenkaffee, in der Veranda bei Geheimrats. Ich verkehre ja schon lange vertraut im Hause, und Renées Eltern haben wohl wachsen sehen, was werden wollte, und nun haben sie mir ihr liebes Kind gern gegeben. Ich kann natürlich heute nachmittag nicht zu Ihnen kommen. Aber ich bringe die Bitte meiner Schwiegereltern: Nehmen Sie heute abend an der ganz kleinen, improvisierten Verlobungsfeier teil, die Gervasius’ veranstalten. Sie sind die Frau meines liebsten Freundes, meines nächsten Kameraden. Als Malte ging, hat er Sie vor allem meiner Obhut vertraut. Und meine Braut, später meine Frau wird Ihre Freundin werden. Ich hoffe es von Herzen. Und sehen Sie, liebe, liebe Frau Jutta — mir ist so, als ob meine Verlobung Sie auch ein bißchen aus Ihrer Einsamkeit befreite, an der Sie so schwer tragen — als führte ich Ihnen eine Schwester zu, die Ihnen in Fröhlichkeit manche Stunde erhellen wird. Und Renée, das kann ich sagen, schwärmt bereits für Sie — ist voll Bereitschaft, Sie zu lieben.“
„Ich danke Ihnen — ich danke Ihnen,“ flüsterte sie und drückte wieder seine Hand. Tränen drängten sich in ihre Augen. Aber sie bezwang sich. Und es schien, als wandle sich ihr die Rührung doch in schwere Gedanken. Sie zog die Brauen zusammen wie in Schmerz.
„Sie werden kommen heute abend?“ bat er drängend.
„Gewiß. Ja. Gern.“
„Liebe gnädige Frau,“ begann er wieder, „mein Herz läuft über. Alles kommt heraus und breitet sich vor Ihnen hin — all das große Glück. Aber auch ein bißchen Kümmernis. Ja, heute muß auch das heraus. Offen: mir war’s manchmal in der letzten Zeit, als käme so was wie Feindschaft gegen mich angestürmt aus Ihren Blicken und Ihrem Ton. Stellen wir’s klar. Hab’ ich was versehen? Bin ich nicht aufmerksam genug gewesen? Verzeihen Sie’s dem rauhen Seemann, der auf Freiersfüßen ging. Man ängstigt sich vor seinem Ungeschick, traut sich keine Zartheiten zu ... Aber nun bekomme ich die holdeste Vertreterin. Die wird, wo ich’s etwa nicht träfe, meine herzliche Ergebenheit immer in zarte Tat umsetzen.“
„Nicht aufmerksam genug gewesen?“ wiederholte Jutta langsam, „oh, niemand konnte mehr für eine Verlassene tun als Sie für mich. Sie können vor Malte bestehen ...“
Und sie dachte: „Ich kann es ihm nicht ins Gesicht sagen, daß ich mich bewacht und bevormundet fühlte ... bis zur Qual ...“
„Vor Malte bestehen? ... Ich will auch vor Ihnen bestehen!“ erklärte er herzlich.
„Manchmal,“ begann sie vorsichtig wie eine, die in weitem Bogen um die Dinge herumgeht, sie nur von ferne, mit zusammengekniffenen Lidern, anblinzelnd, „manchmal hatte ich das Gefühl, Sie schätzten mich als eine ein, die der Bewachung sehr bedürfe.“
Sie sprach das „sehr“ gedehnt und betont.
Er sprang auf. Ganz betroffen lief er einigemal im Zimmer hin und her. Sie verfolgte ihn mit ihren Blicken, wartend, gespannt.
„Ja,“ dachte er, „ja — und doch auch wieder nicht so, wie sie es zu fühlen schien ...“
Er war zornig auf sich.
So bin ich doch wohl täppisch gewesen, fühlte er. Wie sollte er da herauskommen und sich ihr erklären?
Man kann einer armen Frau, von der man glaubt, daß sie vor Sehnsucht auf dem Punkt ist, gemütsleidend zu werden, nicht zu viel Wahrheiten ins Gesicht sagen. Nicht, daß für ein so schönes, so leidenschaftliches Geschöpf in solcher Stimmung jeder dumme, leichtfertige Kerl zum Versucher werden kann. Nicht, daß man mit den treuen Rosenfelds oft kummervoll zusammengesessen hat und beriet: wie zerstreuen wir sie? Nicht, daß sie förmlich infolge eines liebevollen Komplotts in die Festlichkeiten der Kieler Woche gezogen wurde. Nicht, daß man manche Stunde, die man brennend gern der einen, Liebsten, sie umwerbend, gewidmet hätte, hier verplauderte, um der Einsamen den fernen Gatten im Gespräch ein wenig lebendiger nah zu bringen. Nicht, daß man seinen gänzlichen Unverstand zu verhehlen getrachtet und alle Tage mit den sachverständigsten und erfreutesten Mienen das Wachstum Babys bewundert hatte ... Nein, nichts konnte man von alledem sagen.
Und am allerwenigsten, daß seit einiger Zeit eine große Angst in seinem Herzen emporwuchs ... Seit dieser Legationsrat von Gamberg so oft in Kiel erschien ... dieser Mann, der ganz gewiß kein dummer und leichtfertiger Kerl und eine Versuchung war ... der mehr werden konnte, viel mehr, vielleicht ein Zerstörer.
Ganz tief hatte er diese Angst versteckt gehabt — nicht mal vor Rosenfelds auch nur mit einem Zucken des Lides, mit einem andeutenden Wort sie aus seinen Gedanken herausgelassen.
Extra hatte er Sorge getragen, nicht wachsamer zu scheinen — —
Und sie — sie hatte doch so etwas empfunden, als umlaure sie Mißtrauen ...
Das erriet er klar. Das erzählte ihm ihr Ton.
Wie schade, wie peinvoll ...
Und er kannte sie genug, um zu wissen: Das hat sie gereizt ...
„Natürlich,“ dachte er, „die Schuld ist mein. So ganz leise und fein denkt man’s und fühlt man’s. Und bringt es doch wohl recht plump an den Tag.“
Und in dieser Stunde, wo er sich erhoben fühlte, wo die Welt ihm geadelt schien, weil er selbst den Glanz einer sehr reinen und sehr starken Liebe auf seinem Leben fühlte, in dieser seiner großen Stimmung erschien ihm auch all seine Angst wie ein Verkehrtes.
Ihm war, als sei sein Mißtrauen gewesen wie eine zudringliche Hand, die ganz zerbrechliche Sachen allzu fest anpackt und sie nur damit verdirbt.
Ja, beinahe schuldig kam er sich vor.
Wie da wieder herauskommen?
Mitten in seine bekümmerten Erwägungen hinein fiel ihm ein humoristischer Gedanke. Das geschah ihm oft. Da platzte irgend so ein drolliger Vergleich unversehens wie eine Rakete in den tiefsten Ernst hinein, und der zersprang daran.
Er stand vor Jutta still.
„Wenn ich mich wie ein Pudel betragen habe und in bemerkbaren Sprüngen Sie umkreiste mit lautem Wauwau, dann verzeihen Sie’s mir. Was? Ja? Denn Sie wissen es von selbst: die Meinung war gut. Ich wollte nicht bewachen. Trösten wollte ich und helfen. Jawohl.“
Jutta sah ihn an, frei und kühn. Seine Art hatte ihr alle Unbefangenheit zurückgegeben. Und sie gewann nun den Mut, wissen zu wollen ... War er wirklich nur so ein harmloser, treuherziger Wächter gewesen? Sah er wirklich nicht, daß da eine Gefahr heranschlich?
„Ich selbst, ich allein kann mit ihr fertig werden,“ dachte sie hochfahrend, „ich brauche keinen Aufseher.“
In ihr lag eine Welt von Kraft, von Leidenschaft, von Gedanken ganz brach. Die große Sehnsucht, die in ihr war, die Sehnsucht nach dem Leben, lechzte nach Ereignissen ...
Nicht andere, nicht die besten Freunde sollten für sie wachen und handeln ...
Er hielt ihrem Blick stand. Gut und offen sah er sie an, und endlich ging eine große Heiterkeit in seinem Gesicht auf.
Er hielt ihr die Hand hin. Und Jutta, zu ihrer eigenen Überraschung, in plötzlicher Aufwallung von seinem humorvollen Wesen bezwungen, schlug ein.
„Na, sehen Sie wohl!“ sagte er. „Und denn überhaupt ... wo ja nun bald all das Sehnen und Grämen ein Ende hat!“
„Wieso?“
Sie stand auf. Ganz rasch — sah ihn an, gespannt, erstaunt ...
„Na, ich denke ... Sind Sie nicht ganz toll vor Freude?“
„Worüber?“
„Über Maltes Idee.“
„Welche Idee?“
„Haben Sie denn keinen Brief?“
„Noch nicht.“
„Nun, der muß also jeden Augenblick kommen. Malte hat uns doch gleichzeitig geschrieben —“
„Was hat er geschrieben? Von welcher Idee? Schon gestern abend sprachen Sie von einem Brief als von einer Wichtigkeit.“
„Ich bekam ihn gestern vormittag. Aber dies ist mir nun beinahe fatal, daß ich durch einen Postzufall früher von der Sache weiß und spreche, als Sie’s selbst aus Maltes Brief erfuhren.“
Es war ihm wirklich leid. Es schien ihm, als nähme er dem fernen Gatten was weg und bestehle auch die Frau um eine Freude, wenn sie die große Überraschung von ihm erfuhr, anstatt daß sie ihr aus den Briefblättern entgegensprang wie lauter Jubel ...
„Von welcher Sache?“ fragte sie, vor Ungeduld vergehend.
„Ja — dann muß ich’s wohl sagen. Also Malte will, daß Sie nach Ostasien kommen.“
„Ich!“ schrie sie auf. Und dann, stammelnd, leiser, wiederholte sie noch einmal und noch einmal: „Ich — ich ...“ Und wurde dann sehr still.
Hochhagen sah die Frau an. Wie bleich war sie geworden. Wie schwer atmete sie. Was war das? Seine wohlwollende, treuherzige Beschützerstimmung verwandelte sich mit einem Schlag in gesammelte Aufmerksamkeit.
Nein, diese Frau schrie so nicht auf, weil die Freude sie überwältigte ...
„Was ist daran so außerordentlich?“ fragte er, „wie manche Marinefrau ist schon zum Besuch ihres Gatten ins Ausland gereist.“
Jutta ging bis an die Balkontür vor. Sie lehnte sich mit der linken Schulter gegen den Pfosten. Unverwandt sah sie gegen die grünen Stäbe der herabgelassenen Persienne.
Hinter ihr wartete der Mann ein paar Augenblicke. Er dachte: sie muß sich erst fassen. Aber als sie fortfuhr zu schweigen, sagte er ganz ruhig: „Vor acht Wochen ist Frau Kapt’enleutnant Rohrbrand nach Sydney gefahren, um ein Rendezvous mit ihrem Mann zu haben.“
Ohne sich zu rühren, sprach Jutta: „Rohrbrands — haben Geld — die können das — reiche Eltern haben sie — ja ...“
„Malte schreibt, daß ihr es gut machen könnt. Und das mein’ ich auch. Wie Malte schon ist: er gibt draußen ja nichts aus jetzt — spart — hat die Bordzulage. Ihr könnt es gut machen.“
Sie kannten doch untereinander ihre Finanzverhältnisse so genau. Hochhagen hatte schon gewissenhaft und vergnügt seinerseits nachgerechnet: jawohl, Falckenrotts können es sich leisten.
„Und das Kind?“ fragte Jutta.
Hochhagen antwortete nicht sofort. Er war etwas perplex. An das Kind hatte Malte offenbar nicht gedacht. Wenigstens hatte er es in dem Brief an den Freund nicht erwähnt.
Aber nun fiel ihm ein: Maltes Mutter war ja da. Und soviel er wußte, stand Jutta sich mit Maltes Mutter sehr herzlich.
„Das Kind?“ sprach er erwägend, „das scheint mir ganz einfach. Das nimmt derweil Maltes Mutter.“
Die junge Frau fuhr herum. Blaß stand sie, zitternd.
„Ich lasse mein Kind nicht von mir. Keinen Augenblick. Es ist mein Kind! Meines. Meins ganz allein,“ sagte sie.
„Nun — es gehört doch auch Malte,“ warf er beruhigend ein.
„Nein. Mir gehört es — mir,“ rief sie, „mir ... Wo war er, als ich fühlte, wie es wurde und wuchs? Wo war er, als ich vor Not und Schmerz zu sterben fürchtete? Wo war er, als es seinen ersten Schrei tat?“
Sie warf sich in den nächsten Stuhl, versteckte ihr Gesicht an der Lehne und weinte — weinte — daß der Mann ganz verlegen wurde, Zeuge solcher Tränen sein zu müssen.
Es erschütterte ihn. Er fühlte, da war eine Verworrenheit, eine Erregung, eine Leidenschaft aller Empfindungen, die noch weit über das hinausgingen, was er gefürchtet hatte.
Er spürte auch, jede Zurede, jedes Wort war schon ein Wagnis.
Aber aus einem ganz einfachen, gesunden Mannesgefühl heraus sagte er doch, fast streng und stolz: „Er war da, wo sein Kaiser und sein Vaterland ihn brauchten.“
Eine Pause entstand.
Ganz jäh hatte Jutta aufgehört zu weinen. Still, mit verstecktem Gesicht verharrte sie.
Er dachte nicht darüber nach, was dies plötzliche Verstummen bedeuten könne. Er fühlte nur: sie muß nun irgendwie mit sich ins reine kommen, und das wird sie ja wohl auch.
All die letzten Monate hatte er gedacht: „Die Frau muß wieder mit ihrem Mann zusammenkommen, die verträgt das Alleinsein nicht.“ Und das gab er denn auch brieflich dem fernen Freund so deutlich zu verstehen, als es möglich war, ohne diesen zu beunruhigen.
Nun sah er: es war noch viel dringlicher gewesen, als er geahnt hatte.
Mit Geduld ertrug er nun diese Pause, solange es ihm schicklich schien, dann sagte er voll Freundlichkeit: „So, meine liebe gnädige Frau — vorbereitet sind Sie — das Genauere, und wie Malte sich alles denkt — das lesen Sie ja wohl besser in seinem Brief. Ich bitt’ bloß: Ruhe, Ruhe, Ruhe! Und vielleicht — könnt’ man ja auch sagen: der Mann geht dem Kind vor. Aber da bin ich noch nicht kompetent ...“
Jutta erhob ihren Kopf, mit einer schweren Gebärde, als wöge er Bleilasten. Sie wandte langsam ihr Gesicht und sah Hochhagen an. Ihre Lippen waren zu einem Lächeln verzerrt.
„Das haben Sie gemacht ...“
Hochhagen wurde rot. Er zauderte — nur einen knappen Augenblick.
„Ja,“ sagte er dann einfach, „weil ich Malte und Sie liebhabe ...“
Ihr strömten die Augen über. Unsicher erhob sie sich.
Sie hielt mit ihren beiden Händen seine Rechte fest.
Er fühlte: das war alles. Dank! Verständnis seiner Treue! Bitte um Verzeihung! Bitte um Halt!
Ganz aufgelöst war die arme Frau — in Weichheit und Gram, und zerrüttet von tausend Nöten, deren Ineinanderwirken er dumpf zu ahnen begann.
„Gott helfe ihr!“ dachte er.
Und fühlte: nun keine Worte mehr! Dieses schwere Schweigen ist heiliger Kampf ...
Und so ging er mit einem festen Händedruck — wie ihn sonst nur ein Mann dem anderen gibt, wenn er ihm eben sagen will: sei ein Mann.
Nur wenige Minuten verflossen Jutta in einem seltsamen, fast gedankenlosen Hinbrüten. Es war beinahe, als ob das, was nun herankam, zu chaotisch war, als daß sie es recht ins Auge fassen und überdenken könne.
Da stürzte Martha wieder herein, mit dem fast lärmenden Wesen einer, die denkt, daß sie etwas Heißerwartetes bringt.
Der Brief — der Brief aus Ostasien war da.
Daß er ganz bestimmt mit dieser zweiten Morgenpost zu erwarten gewesen war, hatte Jutta vergessen. Ihr erschien nun sein Eintreffen wie ein Zufall, der Aberglauben erwecken konnte ... als käme wie auf ein Stichwort, wie herbeigerufen, ein Gespenst ... das Gespenst des in weiter Ferne weilenden Mannes.
Ihre Lider zuckten nervös.
Sie wollte sagen und klagen: „Sie sind sehr laut, Martha.“ Aber sie brachte kein Wort über die Lippen.
Sie sah das stillvergnügte Gesicht des Mädchens — ganz vertraulich lächelte das die Herrin an — ein Weib das andere — das versteht, wie einem zumute ist, wenn ein Brief vom fernen Liebsten kommt ...
Und von diesem Lächeln wandte sich die Herrin stumm ab ...
Sie hatte ein Gefühl, als dürfe niemand sehen und wissen, daß sie diesen Brief läse.
In das Zimmer ihres Mannes ging sie und schloß die Tür hinter sich.
An dem aufgeräumten, nie mehr benutzten Schreibtisch saß sie und starrte den Brief an — den sie zwischen den Fingern hielt und wendete.
Ihr deuchte, sie hielt ihr Schicksal in der Hand.
Als hinge die ganze Zukunft an den weißen Blättern, die dieser kleine Umschlag einschloß.
Erst nach langem, selbstquälerischem Warten las Frau Jutta den Brief ihres fernen Mannes:
„Mein geliebtes Weib! Mein letzter Brief schilderte Dir unsere Reise von Tsingtau nach Tschemulpo und meine ersten Eindrücke von Korea. Ich gab in Tschemulpo jenen Brief zur Post, und Du wirst inzwischen aus der Zeitung ersehen haben, daß wir in Hakodate ankamen. Das ist ja das Angenehme für Euch zu Hause, daß Ihr immer die telegraphische Nachricht unter der Rubrik ‚Marine‘ findet, daß wir da und da ankamen und an Bord alles wohl ist. Dann wißt Ihr doch so ungefähr, wie es um uns bestellt ist.
Also wir liegen zurzeit noch vor Hakodate und werden von hier nach Kobe gehen, um dort ein paar Tage zu bleiben. Da gibt es nämlich ziemlich viel deutsche Kaufleute, meist Hanseaten. Und die Deutschen fühlen sich immer erhoben, in ihren Interessen gefördert, in ihrem Ansehen gestärkt, wenn mal eins von unseren Kriegschiffen sich zeigt. Nachher gondeln wir so um Japan ’rum und werden wohl Ende Juni in Nagasaki ankommen. Also ungefähr, wenn Du diesen Brief bekommst, und wenn Ihr in den mehr oder minderen Wonnen der Kieler Woche schwelgt. Die hast Du diesmal hoffentlich mitgemacht, nachdem Du vorigen Sommer durch Dein damaliges Befinden daran verhindert warst. Ich hab’ es Rosenfelds und Hochhagen auf die Seele gebunden, daß sie Dich nicht einsam und trauernd in Deiner Klosterzelle verkümmern lassen.
Von Nagasaki aus machen wir noch eine Fahrt nach den Philippinen, müssen nochmal nach Schanghai zurück, und dann gehen wir nach Hongkong, wo wir unseren Kahn mal auf Dock bringen müssen.
Und in Hongkong bleiben wir fast zwei Monate.
Meine liebe, süße Frau — ja, da also bleiben wir fast zwei Monate lang!
Kommt Dir nicht auf der Stelle der Gedanke: plenty time , meinen Schatz mal zu besuchen?
Und dazu lade ich Dich hiermit feierlichst ein! Ich rate Dir, schiffe Dich nicht schon in Bremerhaven ein, sondern geh erst in Genua an Bord. Das Alleinreisen braucht Dich in keiner Hinsicht zu schrecken. Du bist an Bord eines Norddeutschen Lloyddampfers. Das sagt alles! Das sagt, daß der Kapitän — wer es auch sei, und wie er auch heiße — Dich wie Vater und Mutter in einer Person betreuen wird. Du bittest Exzellenz Marweg oder auch einfach Rosenfeld, dem betreffenden Kapitän vorher ein Dich an ihn empfehlendes Wort zu schreiben. Und Du sollst mal sehen, mit welcher Fürsorglichkeit, bis zur Stewardeß herab, Dich alles umgibt. So ’n Kapitän von so einem Riesendampfer, mußt Du wissen, ist schon ein Kerl! Der hat für viele Menschenleben und viele Millionen einzustehen, der hat, wohin er kommt, deutsche Art und deutschen Namen imposant zu vertreten. — Er ist eine Art Regent. Und die Welt, die kleine schwimmende Welt, die er regiert, die hat viel zu bedeuten. Wenn Du Dir das so recht klar machst, wirst Du jede Angst vor der weiten Reise verlieren, und das heißt, eigentlich kann ich mir’s gar nicht vorstellen, daß Du überhaupt vor irgend etwas Angst haben solltest. Du hast immer so etwas Kühnes und Sicheres in Deinem Wesen gehabt. Ich weiß noch, ich traute mich damals erst gar nicht recht an Dich ’ran.
Da wir, geliebtes Weib, ja schon beinahe in der Stunde der Verlobung von Geld sprechen mußten und uns darin gottlob immer einig waren, lieber auf etwas zu verzichten, als uns finanziell bedrückt zu fühlen, so denkst Du natürlich gleich an die Kosten. Also: wir können es machen. Von meiner Bordzulage verbrauche ich fast nichts. Gekauft habe ich eigentlich nichts, außer ein paar hübsche Kleiderstoffe für Dich: Rohseide und sehr helle Seidenkrepps. Du selbst, schriebst Du mir, hast im völlig geordneten bescheidenen Budget leben können und Dich seit unserer Heirat nicht von Kiel weggerührt. So dürfen wir die fünf- bis sechstausend Mark — so schätze ich Reise und Aufenthalt hier — wohl daran wenden, uns diese große Freude zu gönnen.
Das Schicksal ist ja eigentlich ein bißchen schikanös mit uns verfahren. Wir lernen uns kennen, lieben, verloben uns. Und erfahren von Deinem Vater, der sich im Jahr vorher, in Dir recht unerwünschter Weise, wieder verheiratet hatte, daß Du, einem testamentarisch geäußerten Wunsch Deiner Mutter gemäß, erst heiraten darfst, wenn Du mündig seiest. Und daß er erst dann verpflichtet sei, Dir Dein mütterliches Erbteil auszuzahlen. Was war da zu machen! Es hieß eben: warten.
Weißt Du, ich habe oft gedacht, Deine Mutter wird wohl nicht so sehr glücklich gewesen sein und hat nachmals ihre urteilslosen achtzehn Jahre, mit denen sie in die Ehe trat, dafür verantwortlich gemacht.
Fast alle Menschen bestimmen ja nach ihren persönlichen Erfahrungen.
Meine Mutter hat uns das Warten — diese gräßlichen drei Jahre — so viel erleichtert, als sie konnte. Und in meinen knappen, ach so knappen Urlaubszeiten haben wir bei ihr köstliche Stunden verbracht. Aber es waren eben doch nur Lichtblicke in dieser langen Zeit voll Sehnsucht. Es war eine Schinderei. Jawohl, das war es.
Und endlich wirst Du einundzwanzig Jahre! Dein Vater — verzeih mir’s — aber ich glaub’, er tat’s mit heimlichem Zähneknirschen — legte Deine zweihunderttausend Mark auf den Tisch des Hauses nieder. Und sozusagen in selbiger Stunde heirateten wir.
Manchmal denk’ ich: sind wir bloß einen Tag Mann und Frau gewesen? Einen verrückten, seligen Tag lang? So schrumpft mir die Zeit zusammen in der Erinnerung.
Wie viele Kameraden sind förmlich gierig auf ein Auslandkommando. Und ich, der ich schon so ziemlich auf allen Meeren ’rumgegondelt bin, ich kann wohl sagen: Ost- und Nordsee hätten mir auf lange hinaus als Schauplätze meiner unsterblichen Seemannstaten genügt.
Aber nein! Da trifft es ausgerechnet mich, Erster Offizier auf S. M. S. ‚Luise‘ zu werden.
Erster Offizier mußte ich ja werden. Dieses schöne Mädchen-für-alles-Kommando, das auch die dicksten Nerven zu Spinnwebfäden zermürbt, blüht ja allen. Warum konnte ich es nicht auf einem der Linienschiffe der Ostseestation werden?
Grad’ ein Vierteljahr haben wir glücklich sein dürfen!
Nun, ich habe nicht zu klagen. Es ist mein Beruf. Um nichts gäbe ich ihn hin. Wer weiß, ob er einem nicht durch solche Opfer nur noch teurer wird. Die Größe des Zwecks wird einem so klar.
Aber zu was schreib’ ich Dir die vielen Bogen Überseepapier voll — das weißt Du ja alles selbst. Ich sollte eigentlich nur ein Wort sagen: Komm!
Depeschiere mir nach Nagasaki. Nur ein Wort natürlich! Taxe: Acht Mark für ein Wort! Nur den Namen des Dampfers. Das sagt ja dann auch alles: daß wir uns wiederhaben werden, daß wir die Tage zählen bis zu Deiner Ankunft in Hongkong. Ich sehe dann bei der Lloydagentur in Nagasaki die Segellisten ein und kann im Geist Deine Reise verfolgen vom Tag Deiner Einschiffung in Genua an.
Mit welcher Spannung ich Deiner Depesche entgegensehe, brauche ich Dir nicht zu sagen. Es umarmt Dich liebend
Dein Malte.
Ja, und Baby fällt mir noch eben ein — es kommt mir doch immer so märchenhaft vor, daß ich eine kleine Tochter haben soll — Baby wird gewiß von meiner Mutter in Obhut genommen. Ich habe mir sagen lassen, so kleine Kinder wüßten noch nichts von ihrer Mutter und schliefen fast den ganzen Tag. Also wird die Kleine Dich nicht entbehren.“
Das war der Brief ...
Sehr genau legte Jutta ihn wieder zusammen. Bogen paßte sie auf Bogen, und das dünne, zähe Papier mußte immer wieder flachgestrichen werden. Dann faltete sie den Packen zusammen und tat ihn wieder in den Umschlag.
Hier war kein Beobachter, und niemand hätte belauern können, was in dem Gesicht der jungen Frau vorgehe.
Aber es ging nichts darin vor. Es war wie versteinert.
Wenn sie einen bestimmten Gedanken gehabt hatte, war es vielleicht der: In einer Nachschrift ...
Ja, das Wort ging wie ein Pendel hin und her, hin und her durch ihren Kopf.
Es tönte immer stärker. Es schwoll so an, daß es rings die Welt wie mit dumpfen Schlägen zu erfüllen schien.
In einer Nachschrift gedachte er auch des Kindes!
Besann sich noch im letzten Moment, ehe er den Brief schloß, daß er auch ein Kind habe ...
Es war nicht das erstemal ...
Zuweilen, im Anfang, hatte Jutta versucht, das ganz gerecht, ganz nüchtern zu nehmen.
Sie erinnerte sich: einmal starb einer ihrer beiden Brüder in Argentinien. Seit vielen Jahren war dieser Bruder nicht mehr in Europa gewesen. Man wußte kaum mehr, wie er aussah. Seine Bilder, die er in großen Zwischenräumen von sich schickte, waren eigentlich die eines fremden Mannes. Man mußte sich ihnen gegenüber in ein Gefühl der Zusammengehörigkeit hineinsteigern. Als die Nachricht kam, er sei tot, hatte die Trauer etwas Erkünsteltes gehabt.
Sie schloß aus dieser Erinnerung: so wenig wie man sich ein fernes Sterben vorstellen kann, ebensowenig kann man sich ein neues, fernes Leben vorstellen. Das ist alles nicht mehr wie eine Geschichte. Sie interessiert ein paar kurze Stunden lang. Nachher ist die zudringliche Wirklichkeit, die uns umgibt, wieder da mit all ihren tausend greifbaren und sichtbaren Ereignissen.
Wenn das Kind stürbe, ehe er es gesehen? Was hätte ihm dieser Tod bedeuten können? Nichts. Selbst sein Mitleid mit ihr, der Mutter, würde in solchem Fall nur eine erzwungene Empfindung sein können.
Man konnte wohl sagen: dieses Kind hatte noch keinen Vater. Die heilige Wissenschaft seiner neuen Würde konnte dem Fernen nicht aufgegangen sein ... Er hatte den offenbarenden, den großen, den unbegreiflichen Augenblick des ersten Schreies nicht miterlebt ...
Aber die Zeit war längst vorbei, wo Jutta das in gerechter Ruhe überdenken konnte ...
Sie war jetzt wie benommen von dem erbitterten Gedanken: In einer Nachschrift! ...
Wie leicht hätte er’s ganz vergessen können ...
Und über diesen monotonen Gedanken vergaß sie fast, daß der Brief ihr eine ungeheure Entscheidung abforderte ...
Heute noch — oder doch in den nächsten Tagen mußte sie ihm das Wort hinüberrufen über Länder und Meere ...
Sie erhob sich. Sie ging ein paarmal langsam hin und her.
„Nein,“ dachte sie, „ich verlasse nicht mein Kind ...“
Aber neben diesem trotzigen, klaren Vorsatz war noch ein anderes Gefühl in ihr: bang und dunkel ...
Gab es nicht einen, der vielleicht unaussprechlich leiden würde, wenn sie sagte: „Ich gehe zu meinem Mann!“
Und sie selbst — ging sie mit Jubel?
War das die Erfüllung all der schweren Sehnsucht in ihr?
Ihre Gedanken flüchteten sich fort von diesem dunkeln und gefährlichen Gebiet ...
„Nein, ich gehe nicht von meinem Kind!“ murmelte sie.
Es klopfte.
Unwillig sah sie nach der Tür. Diesmal kam Martha ganz bescheiden herein — im Bewußtsein, eine Freveltat zu begehen. Die der Störung.
Und sie sagte kleinlaut: „Oh — gnädige Frau möchten man mal eben ’n büschen ans Telephon kommen.“
Jutta ging rasch in den Flur. Dieser Vormittag hatte schon so viel gebracht. ... Kam noch etwas? Noch mehr Erregendes?
Aber nein. Eine ganz kleine, ganz jammervolle Stimme antwortete, als Jutta sich gemeldet hatte: „Bist du es selbst, Liebes? Ach Gott, ich habe grauenhafte Kopfschmerzen.“
„Das tut mir leid,“ antwortete Jutta nicht sehr ergriffen, „aber du kannst das Tanzen ja nun mal nicht vertragen.“
„Und das weiß Hektor doch,“ klagte die hinsterbende Stimme, „und er hätte doch strenger sein müssen. Ich sage dir, Liebes: meine Beine sind Zwirn, und schauderhaft ist mir ganz und gar.“
Jutta brauchte nicht viel Phantasie, um sich Lisbeth Rosenfeld am Telephon vorzustellen: schlapp wie ein Wesen ohne Rückgrat, ohne Knochen, bloß ein Kleiderbündel mit einem schweren Kopf darauf.
„Dann leg dich doch,“ riet sie.
„Will ich auch. Ja, und was ich dir sagen muß, Liebes — du weißt es auch natürlich schon: Hochhagen schrieb eben — er hat sich mit der süßen Renée Gervasius verlobt — eine reizende Crewschwester — nett für uns beide, nicht? Und du bist natürlich auch da heut abend? Improvisierte Vorverlobungsfeier. Liebes, was ziehst du an?“
„Ich denke, du stirbst vor Kopfweh?“ sagte Jutta.
„Ich will mich auch auf der Stelle hinlegen. Und bis zum Abend liegen bleiben, damit ich dann wieder im Gange bin. Und deshalb telephoniere ich. Liebes — sei nicht böse ... aber ich kann nicht zum Tee zu dir kommen heute nachmittag.“
„Ja,“ sprach Jutta etwas heiser in den dunkeln kleinen Schallfänger hinein und wurde rot, als stehe sie einem scharfen Auge gegenüber, „ja — schon’ dich nur ... es läßt sich nicht ändern ...“
„Aber nun bist du ja wohl ganz allein mit Herrn von Gamberg heute nachmittag?“ erinnerte die klägliche Stimme aus dem Unsichtbaren heraus.
„Ich sage ihm ab!“ rief Jutta. „Schluß.“
Aber sie wußte auch schon fast im gleichen Moment, daß sie ihm nicht absagen würde.
Und als sie in ihr Zimmer zurückkehrte, trug sie das Haupt herrisch erhoben.
„Das hat so kommen sollen,“ dachte sie.
Sie fühlte sich wie getragen von großen, entscheidenden Entschlüssen ... nur daß es Entschlüsse waren ins Unbestimmte hinein ... Mehr Stimmung als Wille.
Oberleutnant z. S. von Reiswitz kam vom Jachthafen bei der Seebadeanstalt, ging sehr langsam die Düsternbrooker Allee hinunter und bog in den Schwanweg ein. Da hatte er links den Botanischen Garten und rechts die vornehmen Villen, die sich die Sonne ins Gesicht scheinen ließen. Sacht wand sich die Straße, fast schluchtartig am Fuß der hochliegenden Gärten hin, an Fundamenten entlang, auf denen sich Gitter erhoben. Rosengerank und alles, was es an grünem, sich schlingendem Gewucher gibt, kletterte um die Gitter und an den Hausfronten empor. In den Büschen brütete die Hitze. Über den Rosen bebte sichtbar die Luft in Wellen. An den Baumkronen, die alt, stolz und vielästig den Gartenbildern Wucht gaben, regte sich kein Blatt. Blau war der Himmel, unerhört blau, monoton blau — als sei er mit sehr fetter Ölfarbe glatt auf eine Riesenleinwand hingestrichen.
Das Herz voll Zorn und Erbitterung ging Reiswitz.
Wenn diese faule Sommerprotzerei mit Windstille und Sonnenbrand etwa anhalten sollte, konnte es morgen eine schöne Geschichte werden — die Flaute und Glut von Kiel nach Travemünde ... das wäre, um blödsinnig zu werden.
Aber in dem Gemüt eines Seeoffiziers kann kein Seglerzorn so groß sein, daß er nicht auf der Stelle hinschmölze und sich in das angenehmste Wohlbehagen löste, wenn ein liebliches weibliches Wesen in Sicht kommt.
Reiswitz, aus dem an Temperatur einer überhitzten Ofenröhre ähnlichen, eingeschlossenen Schwanwege kommend, betrat, träge und geschlagen von Ärger, den Klaus-Groth-Platz. Auf diesen kleinen, stillen Platz mündete rechts der Niemannsweg und links die von den Universitätsanlagen herführende Hospitalstraße. Reiswitz nahm Richtung dahin, um in seine Karlstraße zu gelangen, die ihrerseits wieder auf die Hospitalstraße stieß.
Und da raffte er sich plötzlich straff zusammen und trug den Kopf mit der weißen, ein wenig schräg gesetzten Marinemütze wieder hoch.
Denn von der Hospitalstraße her kam Fräulein Renate Gervasius.
„Donnerwetter,“ dachte Reiswitz und gar nichts anderes.
Denn sein Seemannsherz wallte auf vor Entzücken über all die jugendliche Anmut, die da, ihrer erfrischenden Holdseligkeit gänzlich unbewußt, durch den Sonnenbrand leichtfüßig schritt, als sei er lindeste Lenzeslust.
Sie trug ein weißes Kleid und einen großen, weißen Strohhut, auf dem ein Kranz von La-France-Rosen lagerte. Von Rand zu Rand des breiten Hutes, unterm Kinn seiner Trägerin weg, zog sich ein weißes, seidenes Band, das gerade am linken Ohr zu einer sehr kleidsamen Schleife gebunden war. Und unter diesem Hut, von diesem Band umspannt, zeigten sich die weichen Züge in einem Lächeln, vor dem Reiswitz’ Erbitterung einfach in eine Versenkung hinabfuhr.
Er grüßte schon von weither, strahlte und ging schnurstracks auf sie zu.
Da weder Ost noch West wehte, konnte der Wind es nicht auf seine Flügel genommen und weiter getragen haben. Es mußte aber noch andere unbegreifliche Beförderungsmittel für solche wundervollen Neuigkeiten geben. Denn beim Mittagessen im Marinekasino war es schon erzählt worden: der Korvettenkapitän Emmich Hochhagen hat sich mit Fräulein Renate Gervasius, des berühmten Geheimrats Tochter, verlobt.
Reiswitz wußte: natürlich durfte er, konnte er nicht gratulieren. Vielleicht war es doch am Ende bloß Klatsch. Wenn’s aber auch keiner war, schien es immer schicklicher, daß ein Fernstehender wartete mit Glückwünschen, bis es offiziell bekannt gemacht sei.
Aber immerhin: Eine sehr interessante, erfreuliche und belebende Begegnung ...
Und als er ihr näher kam, sah er: Einen ganz verklärten Ausdruck hatte sie ... Na, ja ...
Der große Hut teilte ihr Gesicht in eine obere beschattete und eine untere helle Hälfte. Und in dem Schattenstrich glänzten die Augen zugleich träumerisch und glücklich.
Als er vor ihr die Honneurs machte, sah sie ihn erwachend und sehr fröhlich an.
„Gnädiges Fräulein, an diesem verzweiflungsvollen Tag ein Sonnenstrahl! Wie geht es Ihnen? Wie ist Ihnen der Ball bekommen?“
Renate lachte.
„Ein Sonnenstrahl?“
„Lachen Sie mich nur aus — gut — ja. Aber die viel zu viele Sonne, die heute vom Himmel kommt, ist mehr Strafe als Erquickung. Es sind keine Sonnenstrahlen mehr, es ist Hochofenhitze. Und insofern hatte ich doch recht. Und Ihnen ist der Ball vorzüglich bekommen? Gnädiges Fräulein sehen sehr vergnügt aus.“
„Wie sollte ich nicht! Wenn man das große Los gewonnen hat!“ sagte sie und führte den Rosenstrauß, den sie trug, an ihr Gesicht, um mit Nase und Mund den Duft einzuatmen. Dabei guckten ihre Augen schelmisch, über die Blumen weg, Reiswitz an.
„Ach? Ich spiele nämlich mit Lebus zusammen auch ein Achtel — war denn Ziehung?“
„Muß wohl gewesen sein ...“
Sie lachten beide.
„Also meine allerbesten, allerinnigsten Glückwünsche dazu,“ sagte er.
Sie schüttelten sich die Hände.
„Es ist also wahr,“ dachte er sehr, sehr zufrieden. „Ja, dies Mädchen mußte in die Marine fallen. Die hätte man keinem anderen als einem Kameraden gönnen dürfen. Und Hochhagen ist ja einfach ’n famoser Kerl.“
„Gestatten, gnädiges Fräulein, daß ich Sie bis zu Ihrem Ziel begleite?“
„Gern,“ sagte sie, „ich will zu Frau von Falckenrott — es sind nur noch die paar Schritte den Niemannsweg hinauf.“
„Aha — zur Frau ‚seines‘ besten Freundes,“ dachte er, und da er zufällig genau wußte, daß Fräulein Gervasius bisher nicht bei Frau von Falckenrott verkehrt hatte, war ihm dies der bündigste Beweis.
Seelenvergnügt schwatzten sie zusammen, plötzlich war eine gewisse Zusammengehörigkeit zwischen ihnen.
Renée hatte ihren Gang mit einer heimlichen Unsicherheit, fast ein wenig aufgeregt, angetreten. Aber in Reiswitz’ Gesellschaft kam sie darüber weg, und sie empfand etwas merkwürdig Beglückendes: das Kameradschaftliche. Als wenn ihr selbst dieser im Grunde doch ganz ferne und gleichgültige Reiswitz näher gekommen sei ...
Beinahe hätte sie aus überquellendem Gefühl gesagt: Lieber Reiswitz — ich gehöre nun dazu ...
An der Gartenpforte von Professor Doktor Krämers Haus, wo oben Frau von Falckenrott wohnte, standen sie noch ein Weilchen und sprachen sich noch über das scheußliche, schandbare, nicht ausdenkbare Pech aus, das es für Reiswitz und die von ihm geführte „Freia“ bedeutete, wenn morgen Flaute sein würde.
Und dann fragte Reiswitz sehr plötzlich: „Falls ich zufällig Herrn Kapitän Hochhagen begegnen sollte, dürfte ich ihm einen Gruß vom gnädigen Fräulein bestellen —“
„Herr von Reiswitz,“ sagte Renate, vor großer Heiterkeit ganz übermütig, „Sie sollten Diplomat werden. Hier, ich gebe Ihnen eine Rose. Wenn Sie Hochhagen auf dem Weg zu Ihrer Wohnung in der Karlstraße treffen sollten, überreichen Sie sie ihm als Zeichen meines Respektes. Wenn Sie ihn aber nicht treffen, behalten Sie die Rose selbst als Erinnerung an diesen historischen Augenblick.“
Sie wußten ja beide, daß Hochhagen ganz gewiß nicht in dieser Gegend und Tageszeit auf der Straße angetroffen werden würde.
„Ich danke gehorsamst für das Geschenk dieser Rose,“ sagte er in fröhlicher Feierlichkeit, „und wenn mein Achtel, das ich mit Lebus spiele, auch mal mit dem großen Los herauskommt, lass’ ich zu der Rose eine silberne Kapsel machen.“
„Großartig. Und wenn wir beide alte Leute sind, dann frag’ ich mal: Bewahren Exzellenz immer noch die Rose auf?“
Und wie große Kinder lachten sie hell und fanden all dies sehr unterhaltend.
Oben auf dem Balkon, im Schutz seiner ihn einhüllenden Blatt- und Blütenwirrnis, stand eine Frau und horchte auf jedes Wort.
In der großen, heißen Nachmittagstille wurde jeder Laut so klangvoll, schien zu schwellen, zersprengte das Schweigen. Und die beiden jungen Menschen in ihrer lustigen Unbefangenheit dachten auch gar nicht daran, ihre Stimmen zu dämpfen.
Den Rest des Vormittags, die schweren schleichenden Stunden des Mittags hatte Jutta gelitten wie eine Angekettete.
Immerfort peitschte sie das Bewußtsein: ich muß einen Entschluß fassen! Ich muß das Wort hinaussenden in die weite, weite Welt, das ihn erreichen soll, das ihm meldet: ich komme — ich komme — das Wort, auf das er wartet.
Hochhagen hatte ihr die Segellisten des Norddeutschen Lloyd geschickt. Sein Bursche brachte sie, während Jutta dicht vor ihrer Tischzeit die Kleine frisch bettete und tränkte.
Sie fühlte: es war rührende Aufmerksamkeit. Dieser Mann, der heute in einem Rausch von Glück lebte, dachte doch noch an sie und ihre Angelegenheiten.
Aber sie empfand nicht nur die Fürsorge. Sie empfand wieder darin eine Bevormundung, spürte eine Mahnung. Es hieß ihr: Entschließe dich; depeschiere; ein Nein ist unmöglich ...
Sie sagte sich: jetzt habe ich ja keine Zeit.
Dann, als die Kleine besorgt war und ihr die blanken Augen übergingen vor Schläfrigkeit — als sie eingeschlafen war, satt und von der Hitze schlaff, da dachte Jutta wieder: „Nun will ich erst in Ruhe essen.“
Und genoß doch fast nichts.
Nachher endlich blätterte sie den großen, roten, vielfach gefalteten Bogen der Segellisten auseinander.
Sie betrachtete ihn, als sei er eine Merkwürdigkeit.
Sie las den Fahrplan: Bremen-Neuyork. Eine lange Kolonne von Schiffsnamen und Daten — das sprach von einem unaufhörlichen Hin und Her zwischen hüben und drüben, einer atemlosen Eile von tausend und aber tausend Menschen, von einem Ufer zum anderen hinüberzurauschen.
Und all die anderen Fahrpläne verfolgten ihre Augen, als sei es wichtig, zu erfahren, wann man nach Baltimore oder Galveston, wann nach Kuba, nach La Plata oder Brasilien reisen könne, wie die Dampfer hießen, die den Mittelmeer-Levantedienst besorgten, und nach welchen Daten die Reichspostdampferlinie nach Australien sich regelte. Auch alle Agenturen des Lloyd im Inland wie im Ausland überflog sie. Nur ganz allein über den Fahrplan XV, Bremen-Hamburg-Ostasien, gingen ihre Blicke fort, vielleicht gerade, weil sie dort, ohne sehen zu wollen, doch einen kurzen, dicken Blaustiftstrich bemerkte.
Da hatte ihr Hochhagen den Dampfer angestrichen, den sie nehmen sollte ...
Dieser kleine, blaue Farbenfleck auf dem roten Papier stritt mit ihr.
Er schien ihr wieder ein Beweis, daß sie keinen freien Willen haben solle.
Sie dachte plötzlich: „Ich werde ihn fragen ...“
Eine verzehrende Spannung kochte in ihr auf, brannte in ihrer Brust.
Ja, das war es: ihn fragen!
Das war die einzig mögliche Form, ihm diese Sache mitzuteilen ... die zwangloseste Form ...
Sie machte sich daran, den Teetisch zu ordnen. Auf dem Balkon natürlich. Wo man so verborgen saß und das Gefühl, fast an der Straße zu sein, doch jede Unruhe und Befangenheit ausschaltete.
Die Sonne beschien nun nicht mehr den Balkon, ihre Strahlen strichen an ihm vorbei. Aber Büsche und Bäume des Vordergartens überströmte sie von rechts her mit einem Goldglanz, der etwas stumpf war von dem Staub und der Hitze, die in ihm flimmerte. Und links hinter sich, auf Rasen und Weg, hatten alle Gebüsche blaue, scharfe Schatten.
Nun war der Teetisch fertig — viel zu früh — Jutta übersah noch einmal alle Zierlichkeiten und Appetitlichkeiten. Die Spitzendecke, das blumige Meißner Porzellan, das Silber, die Rosen an den langen Stielen im hohen Glas.
Da hörte sie draußen auf der Straße, die gerade heute nachmittag wie verwunschen still war, Stimmen. Zwei sprachen da, die offenbar das Gefühl hatten: uns gehört die Welt, wir können uns in ihr benehmen, wie wir wollen. Oder vielleicht bewirkte es dies große, heiße Schweigen in all den Gärten, daß die Unterbrechung der sonnendurchbrüteten Stummheit etwas Vorlautes bekam.
Sie sah hinab. Wie denn? Fräulein Gervasius und der Oberleutnant von Reiswitz standen an ihrer Gartenpforte still? Das konnte doch nur die Bedeutung haben, daß eines von beiden sie zu besuchen dachte.
Ihr wurden die Füße schwer — so bleiern befiel die große Enttäuschung ihr ganzes Wesen.
Sie dachte: ich will Martha sagen, daß sie jeden Besuch außer dem einen abweist.
Nein — das ging nicht. Wenn Reiswitz jetzt kommen wollte, trieb ihn seine Ungeduld, die zu erfahren wünschte, ob Herr von Gamberg morgen mitsegeln wolle oder nicht. Und Jutta erinnerte sich: sie selbst hatte Reiswitz gesagt, daß Gamberg heute zum Tee käme.
Und wenn es Renate war, die kommen wollte, so durfte sie unter keinen Umständen abgewiesen werden.
Jutta stand und horchte und wartete. Kein Wort entging ihr.
Wie kindisch kam ihr das vergnügte Gespräch vor.
Mit dem Hochmut der Leidenden dachte sie: „Wie albern ... nun, sie sind jung und sorglos ... Kinder sind sie.“
Dann fiel ihr ein: Renate war höchstens drei, vier Jahre jünger als sie selbst. Darüber verlor Jutta sich in Staunen und erbittertem Sinnen ...
Alt kam sie sich vor. Wie eine, die schon ein zerbrochenes Leben hinter sich hat ...
Und jetzt nahm das Lachen und muntere Sprechen an der Gitterpforte ein Ende, und Renate Gervasius kam herein in den Garten und schritt den Seitenweg entlang, der zur Haustür führte.
Was will sie? Sie kommt zu mir? Schon heute? Und allein? fragte sich Jutta.
Sie sollte es in wenig Minuten wissen.
Mitten im Zimmer stand das befangene Mädchen vor der jungen Frau. Die lustige, etwas überlegene Sicherheit, mit der sie eben noch Reiswitz behandelt hatte, war ganz weggelöscht aus Renates Wesen. Sie hielt das Haupt schräg gesenkt und ihren Rosenstrauß in den gefalteten Händen. Das weiße Band, das sich unter dem Kinn spannte und neben dem linken Ohr geknüpft war, kleidete sie gerade in dieser Kopfhaltung ungewöhnlich lieblich. Das regelmäßige und doch so weiche Gesicht war von einer Verlegenheitsröte angehaucht.
„Mein Gott, wie ist sie reizend,“ dachte Jutta gerührt, während sie sie begrüßte und die Rosen annahm.
„Ich komme ganz heimlich,“ begann Renate fast scheu, „Emmich weiß gar nichts davon.“
„Heimlich? — Du meine Güte — in Gespräch und Gelächter mit Reiswitz den Niemannsweg entlang —“ dachte Jutta und mußte über diese „Heimlichkeit“ schon leise lächeln.
„Und warum? Haben Sie irgend etwas auf dem Herzen, wobei ich Ihnen helfen kann?“ fragte Jutta.
„Ja,“ sagte Renate und stand hilflos. Sie traute sich nicht einmal die Frau anzusehen und fand es doch etwas viel, daß sie so einfach hergegangen sei ... wenn diese ernste, arme, traurige Frau sie nun auslachte — oder oder zudringlich fände ...
Sie seufzte aus Herzenstiefe.
Jutta, weltgewandter und doch neugierig geworden, nahm das Mädchen an der Hand und zog sie neben sich auf das kleine, graue Sofa, das durch einen hinter ihm aufgestellten Wandschirm den Charakter eines traulichen Eckchens bekommen hatte. Auf der zwischen Bambusstäben straff gespannten dunkelbraunen Seide des Schirms stolzierten dickgestickte goldene Reiher hochmütig zwischen Aprikosenblüten von weichem, schimmerndem Weiß. Vor diesem phantastischen Hintergrund neigten sich die beiden Frauenköpfe einander zu.
„Ich bin,“ begann Renate, „ich habe ... ach Gott — soll ich es sagen? Ach ja — liebe, gnädige Frau — ich habe mich schon immer sehr für Sie interessiert — sehr — gleich, als Sie, jung verheiratet, hierher kamen — Sie wissen es gewiß gar nicht mehr — bei Exzellenz Marweg wurde ich Ihnen vorgestellt — bei Rohrbrands trafen wir uns einmal ...“
„Ich weiß es noch gut,“ sagte Jutta herzlich.
„Und dann verschwanden Sie aus der Gesellschaft. Ihr Mann ging fort. Und ich hörte davon sprechen, daß Sie eine kleine Tochter bekamen, und Herr von Falckenrott war so weit, weit weg. Und es tat mir leid, daß ich Sie so wenig kannte. Und deshalb nicht kommen durfte und fragen, ob Sie mir erlauben wollten, Sie liebzuhaben. Ja ...“
Sie seufzte nochmals so recht aus Herzensgrund — im Gefühl der Befreiung, des wachsenden Mutes, des Rechtes ihres Vorhabens.
„Liebes Kind ...“
„So sehr hab’ ich für Sie geschwärmt — schon lange, von weitem ...“
Jutta erinnerte sich: ja, da können junge Mädchen — so unbegreiflich ihre Seelen hingeben, an fremde Frauen, die sie kaum kennen, die ihnen irgendwie merkwürdig interessant scheinen ... Aus einem drängenden, gegenstandslosen Liebesbedürfnis heraus können sie für ferne, schöne Frauen schwärmen.
„Liebes Kind ...“ Sie lächelte weich und drückte Renates Hand.
„Und nun bin ich glückselig. Nun darf ich Sie lieben! Nun muß ich Sie lieben! Emmich hat mir gleich gesagt: Du, Rosenfeld und Falckenrott und ich, wir gehören zusammen, uns trennt nichts, nicht mal die Frauen sollen uns trennen; und mit Lisbeth Rosenfeld kann man sich gut vertragen; und Jutta Falckenrott, die mußt du sehr liebhaben, wie eine Schwester mußt du zu ihr sein. Denn sie ist vor Sehnsucht nach ihrem fernen Mann beinahe krank, und unsere Liebe muß ihr das leichter machen. Jawohl, das hat Emmich gesagt,“ schloß sie.
In Juttas Augen funkelten Tränen. Ihre Nasenflügel bebten. „Und deshalb kommen Sie ...?“
„Ja. Ich wollte Ihnen sagen, daß ich Sie bitten möchte, mich auch etwas liebzuhaben. Sehen Sie — dann ist Emmich glücklich. Stellen Sie sich vor: wenn ich ihn damit überrasche: wir kennen uns schon gut — ja, wir haben uns schon ausgesprochen ... was er wohl für Augen macht!“
Jutta umarmte das Mädchen.
Ein paar Augenblicke konnten sie nichts miteinander reden. Beide bemühten sich, nicht in Tränen auszubrechen.
Der einen zersprengte ihr Glück und die allgemeine Aufregung dieses für sie außerordentlichen Tages die Fassung.
Die andere war erschüttert in dem plötzlichen Gedanken, daß auch diesem zärtlichen, hingebenden, offenen Gemüt einst die gleichen Prüfungen beschieden sein könnten wie ihr selbst.
Und von diesem ihrem Gefühl hingerissen, mehr dem phantasievollen Mitempfinden als dem Verstand gehorchend, sprach sie leidenschaftlich: „Ach, Kind, wir wissen ja nicht, was wir tun, wenn wir unser Leben einem solchen Mann hingeben ... sein Beruf ist zu grausam gegen uns.“
„Dem Beruf des Mannes muß jede Frau Opfer bringen,“ meinte Renate voll wichtiger Ernsthaftigkeit, denn so hatte sie es von klein an ihre Mutter sagen hören. „Denken Sie nur an meine Mama! Wir haben so gut wie nichts von Papa. Die Vorlesungen, die vielen Operationen, die Kranken, die wissenschaftlichen Arbeiten bis in die Nacht hinein ... Mama sagt, wir müssen immer daran denken: es ist für den großen Zweck. Und zufrieden sein in dem Gedanken: er gehört uns doch, er ist da ...“
„Ja, er ist da — er ist da ... das ist es! Ihre Mutter weiß es zu jeder Zeit: Er ist da! Sie hört seine Stimme, sie kann für ihn sorgen — mit all den lächerlichen, kleinen, alltäglichen Dingen — die uns gar nicht lächerlich und klein scheinen, weil wir immerfort damit Liebe zeigen können ... Aber wenn so ein Mann hinausgeht — es ist ja beinahe immer, als hätte man den Liebsten fern im Kriege ... Und wenn man wie ich die höchste, die größte Stunde des Frauenlebens ganz allein hat bestehen müssen ... Mein Kind kam. Und wo war er, dem es gehörte? ... Das war zu hart — für mich, ja. Wie ich nun einmal bin. Und schließlich — in all dem Zittern und dem Entbehren — in was für Unsicherheiten kommt man! Man weiß ja zuletzt nicht mehr ...“
Sie verstummte vor Schreck. Ihre hinstürmende Leidenschaftlichkeit hätte sie beinahe so weit gebracht zu sagen: ... ob man ihn noch liebt!
Sie drückte sehr heftig die Hand des jungen Mädchens. Als sei dieser pressende Druck der Abschluß ihrer Rede.
Renate saß still. Der starke Gram dieser Frau, der fast wie Zorn klang, machte sie unfrei. Es wirkte etwas daraus auf sie hinüber, das über ihr jubelndes Glücksgefühl dahinging wie eine Kältewelle.
Sie war zu unerfahren, um zu unterscheiden, wie Schicksal und Veranlagung und all die zufälligen Fügungen des Lebens hier feindlich gegeneinander kämpfen mochten. Sie fühlte eine unbestimmte Furcht vor eigenen künftigen Leiden ...
Sie wehrte sich dagegen und wußte nicht, daß man einen entscheidenden Augenblick erlebt hat, wenn man sich plötzlich gegen etwas wehren muß ...
Jutta faßte sich. Ihr kam zum Bewußtsein, daß das liebe Kind mit einem Male still und blaß dasaß. Reue wallte heiß in ihr auf. Nein, das hatte sie nicht gewollt, diese junge Seligkeit trüben ...
Sie lächelte erzwungen. Sagte voll künstlicher guter Laune: „Es gibt manche Kameradenfrauen, die das ganz gern mögen — mal so eine Zeit wieder für sich sein — Tochter im Elternhaus oder so ... Und Sie haben ja Ihre lieben Eltern hier, wenn Emmich mal ein Auslandkommando bekäme ... die ja übrigens auch immer seltener werden ... Und heute abend soll ich Ihre Eltern kennen lernen? Ich finde es entzückend, daß sie Rosenfelds und mich gleich als Emmichs ‚Familie‘ aufnehmen ... Aber wollen wir uns nicht beim Vornamen nennen? Lisbeth Rosenfeld und ich — ja, wir duzen uns. Die Stunde dafür wird zwischen Ihnen und mir gewiß auch bald kommen, liebe Renate — Renée nennt man Sie? ... nicht wahr?“
So sprach Jutta mit eiligen Worten, munter — und hing mit ihren dunkeln, brennenden Blicken am Gesicht der anderen — ob da nicht wieder das strahlende Glück aufgehe.
Der Ausdruck von Renate Gervasius wurde wieder heller, und das Mädchen lächelte — wenn vielleicht auch etwas zögernd, aus noch schweren Gedanken herauf, fast aus Gefälligkeit nur für die neue Freundin.
Zugleich, während Jutta sich förmlich drängend bemühte, die Saat, die ihre unbeherrschten Worte vielleicht gestreut, wieder zu vernichten, horchte sie angestrengt mit wachsamen Ohren nach dem Korridor hinaus. Ob nicht die Glocke schrillte, ob nicht ein Schritt erklang. Und hatte doch vor dem Brausen des Bluts in ihrem Kopf alles überhört. So daß sie erschrak, als nun Martha hereinkam und meldete: „Herr von Gamberg.“
Renate schnellte förmlich empor. Sie mußte ja fort. Das ging unmöglich an, daß sie sich hier noch mit einem Besucher aufhielt, mit Tee trank — Mama erwartete sie bald zurück.
Zwischen Tür und Angel wurde der Legationssekretär von Gamberg noch vorgestellt. Man sprach noch zu dritt eine Handvoll Worte. Über Reiswitz und die „Freia“. Daß Reiswitz über die Flaute verzweifelt sei. Ob Gamberg morgen mitsegeln wolle oder nicht? Nein — er habe nicht die Absicht. Also werde der Platz im Boot für Lebus frei. Dann ging Renate. An der Tür umarmte Jutta das Mädchen.
Sie sahen sich in die Augen — sehr ernst — bis ein zärtliches Lächeln ihre Blicke hell machte.
Und nun war Jutta allein mit dem Mann.
Es kam ihr merkwürdigerweise so vor, als ob es das erstemal sei ...
Sie sprach allerlei — ein wenig gesteigert im Ausdruck — mit ungeregeltem Atem — wie reizend dieses Mädchen sei, daß man heute abend ihre Verlobung feiern werde. Und Martha brachte den Tee. Damit konnte man denn noch etwas herumhantieren — fürsorglich sein ... Aber endlich kam doch der Augenblick, daß sie einander in Ruhe gegenübersitzen mußten.
Sehr aufmerksam, kaum die notwendigsten Antworten auf alles was sie vorgebracht gebend, hatte er sie beobachtet. Und nun saß er still, sah sie mit seinen hellen Augen durchdringend an, und mit dem kleinen goldenen Teelöffel, den er zwischen Daumen und Zeigefinger in der Rechten hielt, tippte er unhörbar ein Marschtempo auf den Tisch.
„Das macht mich nun wirklich nervös,“ sagte sie.
Er legte den Löffel förmlich vorsichtig hin.
„Ich spüre in Ihrem Wesen eine große Erregung. Seit gestern abend ist etwas Neues hineingekommen. Stehe ich Ihnen nah genug, liebe Jutta, um Sie fragen zu dürfen: was haben Sie?“
Sie sah ihn an — die Antwort auf den Lippen — doch noch zögernd. Und dann — langsam — von Spannung und Furcht fast entnervt, sprach sie: „Ich habe einen Brief von Malte bekommen. Ich soll in zehn Tagen nach Hongkong abreisen ... zu ihm ...“
Und nun sah sie das, wovor sie sich gefürchtet hatte. Seine Farbe veränderte sich. Rasch flackerte es rot über sein Gesicht. In seinen Augen blitzte etwas auf ... Schreck?
Aber die Pause, die entstand, war nur sekundenlang.
Voll Haltung, seinen Ton ganz und gar beherrschend, fast höflich, fragte er: „Sie werden reisen?“
„Ich bin noch nicht entschlossen.“
Und nach diesen knappen Worten wieder eine Pause. Bis er weicher, leiser fragte: „Und Ihr liebes kleines Kind, Jutta?“
Sie erschauerte. Er dachte daran. Er! Es war sein erster Gedanke fast! Er, den dies Kind gar nichts anging, der es kaum gesehen hatte, der gar keinen Blick haben konnte für das Rührende und Süße in so einem kleinen, knospenden bißchen Menschentum ...
Er dachte daran, weil er begriffen hatte, daß ihr Kind und sie ein Leben seien — ein unzertrennliches ...
Wie es sie rührte ...
„Ja,“ sagte sie, „das ist es auch ... ich kann mich doch nicht von dem Kind trennen.“
Sie war sich nicht bewußt, dies „auch“ betont zu haben. Aber seinem Ohr war es nicht entgangen.
Von der raschen Röte, die ihm vorhin zu Kopf gestiegen war, hatte sein Gesicht eine erhöhte Färbung behalten, die aller Gefaßtheit seines Wesens widersprach.
„Ihr Mann verlangt ein Opfer von Ihnen, das nur höchste Liebe bringen kann.“
Er wartete.
Ihre Antwort entschied über sein Leben.
Sie schwieg.
Sie kämpfte mit sich. Sie wollte ihn nun fragen: Wozu raten Sie mir — zum Gehen oder Bleiben.
Aber sie fühlte: das war eine Unredlichkeit gegen den Fernen! Ach, war nicht schon alles unredlich, schief, unwahr — nur weil es unklar war? Ist nicht in gewissen Gefühlsdingen Unklarheit so viel wie Tod? ...
Aus einer angeborenen Kühnheit des Temperaments heraus trieb es sie, der ungeheuren Wahrheit ins Gesicht zu sehen: vielleicht liebe ich meinen Mann nicht mehr — und vielleicht ist dieser hier mein Glück — er, der mich liebt ... denn er liebt mich — ich fühle es ...
Sie zwang das nieder. Sie hatte den verzweifelten Wunsch, sich so zu halten, daß beide Männer sie achten sollten ...
Sie fühlte: es war ja ihr heißes Verlangen gewesen, tapfer und stolz mit der Versuchung fertig zu werden.
Vielleicht war auch alles anders, als sie es empfand. Vielleicht kehrten nur holde, rührende Erinnerungen zurück und bezauberten ihr Herz ...
Ihre Gedanken, plötzlich wie hypnotisiert von diesen Erinnerungen, verloren sich zu vergangenen Tagen ...
Auch er besann sich schwer.
Er ahnte: sie vermochte nicht freudig zu sagen: ich will das Opfer bringen! Sie hatte aber auch nicht den Mut oder nicht die Klarheit in sich, zu bekennen: ich kann es nicht bringen.
Er wußte: sie ist ein schutzloses Weib! Und der Mann, dessen Namen sie trägt, ist fern. Das macht sie heilig ...
Mir noch mehr als anderen ...
Aber sie ist unglücklich ... sie liebt ihn nicht mehr — gewiß nicht ...
Soll ich ihr, die ich liebe wie nichts mehr auf der Welt, soll ich ihr nicht helfen? ... Unwahrheit ist Unglück ... Ich kann nicht zusehen, wie dies junge Leben zerbricht ...
In solchen Sachen steht das Wort „Pflicht“ wie ein verschwommener Begriff. Wo fängt sie an? Wo endet sie? Gegen wen steht sie am höchsten? ...
Wäre er da, daß ich mit ihm kämpfen könnte, Mann gegen Mann ...
Ich kann nichts tun als warten — warten, ob ihr Herz den Mut hat, zu mir zu kommen. Ich darf nicht der Versucher sein. Ich darf nur der Schutz, die Zukunft, der Hafen sein, wenn sie aus eigenstem Entschluß heraus diese ihre Ehe verläßt ...
Aber indem er dies im jagenden Flug der Gedanken bedachte, hatte er zugleich die dumpfe, quälende Erkenntnis davon, daß vielleicht alles anders sein würde, wenn der Mann zur Stelle wäre ... Daß nur die Sehnsucht die Tore ihrer Seele so weit geöffnet habe, daß Liebe gehen und Liebe kommen konnte ...
Seine ganze Mannespersönlichkeit wehrte sich dagegen auf. In dieser Erkenntnis lag zu viel Demütigendes, als daß er sich in ihr hätte bescheiden können.
Und da waren auch Erinnerungen, schöne, liebe Erinnerungen, die ihm recht zu geben schienen.
Unter dem Zwang einer ihm nicht ganz deutlich zum Bewußtsein kommenden Ideenverbindung fing er an, von ihnen zu sprechen.
„Wissen Sie noch, liebe Jutta — die schönen Sommerwochen, vor sechs und sieben Jahren, in Schmylau?“
Sie sah ihn an — in atemlosem Staunen — von heißer Freude benommen. Das war sein erstes Wort — das ! Nach dem langen drückenden Schweigen zwischen ihnen sprach er geradezu in ihre Gedanken hinein?! Denn auch sie lebte wieder in jenen Sommerwochen und weckte ihren Zauber zum Leben auf.
Plötzlich war’s, als sei ein Quell aufgesprungen. Die ganze schwüle Gegenwart schien überströmt von Frische und Bewegung.
Jutta richtete sich auf. Ihre Augen blitzten.
„Ach, wie fröhlich waren wir da — wir jungen Mädchen auf Schmylau — sechzehn und siebzehn Jahre alt ... Und Sie für uns so etwas wie ein großer Herr — ein Mann, der alle seine Examen so unerhört früh bestanden hatte, von dem es hieß, er werde Karriere machen — vor dem wir etwas scheu waren, weil wir dachten, er würde so gut wie übermorgen Minister oder Botschafter werden. Denn Regierungsassessor und Exzellenz — das lag für uns so ziemlich dicht beieinander. Aber nun weiß ich’s lange: es ist ein weiter Weg. Alle Wege im Leben sind sehr weit ...“
„Und ich? ... Während ich, wenn ich mit den jungen Damen zusammen war, hochmütige Gesten hatte, die ich für fabelhaft wirkungsvoll hielt, und alle weibliche Verehrung von unerreichbarer Höhe herab zu belächeln schien — ich stand oft hinter den Gardinen meines Fensters, lauerte mit unerschütterlicher Geduld, bis ich Sie und die Schmylauer Töchter im Park sah. Dann stürzte ich hinab, nahm in Ihrem Sehfeld steife Schritte an und tat mehr gestört als erfreut über das ‚zufällige‘ Zusammentreffen. Ja, wir waren sehr jung damals. Sehr ...“
Sie lachten.
Und nun nahmen sie einander fast die Worte vom Munde.
„Wissen Sie wohl noch, an jenem Abend ...“
„Als unsere Mütter mit der Frau des Hauses die so verworrenen, unübersichtlichen Verwandtschaftsgrade ausrechneten, die sie mit den Schmylauern verbanden ...“
„Bis ich es nicht mehr ertrug und nach einem heftigen Augengezwinker mit Lu und Fi hinauslief in den Park.“
„Wohin ich den jungen Damen gleich nachging.“
„Was die Schmylauer, Vater wie Mutter, wahrscheinlich gern sahen — denn wir, wir Mädels damals dachten, Sie sollten wohl Lu oder Fi heiraten.“
„Und wie merkwürdig dunkel der Park war — von purpurner Schwärze. Ja, eine seltsame farbige Wärme war in der Sommernacht. Lauter verhüllte Glut. Als sei die Sonne nicht erloschen, nur zugedeckt alles Licht. Man tastete unsicher mit dem Fuß vorwärts. Still standen die Bäume. In den Büschen regte sich nichts. Es war, als sängen die Rosen — als sei ihr Duft ein Lied. Und irgendwo in der Dunkelheit hörte ich Mädchenstimmen ... sie lachten ... das klang, als rollten kleine, silberne Kugeln durch die schwarze Luft ... Es war gar keine Düsterheit, gar keine Drohung in diesem Dunkel. Nur Erwartung, als müsse gleich ein Vorhang zerreißen und ein Strom von roter Glut hervorbrechen. Und da, als ich, so beklommen, berauscht, mich vorwärts taste, dem Klang der Mädchenstimmen zu ... da fühl’ ich plötzlich: nah, ganz nah steht eine vor mir ... ich sah ... wie man in der Dunkelheit sieht ... mit erratenden, wissenden Augen ... Ich spürte, rätselhaft, daß Sie es seien — es wirkte auf mich durch die Dunkelheit hinüber dies Wissen: Sie! Und ...“
Er brach ab. Er stand auf. Er trat an das grün bedeckte Gitterwerk des Balkons und sah ins Unbestimmte.
Jutta rührte sich nicht. Mit geschlossenen Augen saß sie und erlebte den Rausch jener Stunde noch einmal ...
Sie zitterte wieder wie damals. Rasche Männerarme hatten sie umfangen ... heiße Lippen küßten die ihren ... Und schon ließ er sie auch wieder. Und von fern her lachte eine Mädchenstimme eine ganze Tonleiter herunter und zerschnitt voll Übermut das schwere, süße Schweigen.
„Er hat es gewußt, daß ich es war,“ dachte sie. „Er hat es gewußt!“
Sie verschwieg den Freundinnen gegenüber jenen kurzen, heißen Augenblick ... Sie lag nächtelang wach und sann: weiß er wer es war — Lu oder Fi oder ich? ...
Und nun, nach so viel Jahren, gestand er ... Er hat es gewußt, daß ich es war — ich ...
Dies Geständnis hob das bedrängende Glück jenes raschen Erlebens aus der Vergangenheit heraus und stellte es in die Gegenwart. Es war, als sei es eben erst geschehen ... eben erst.
Er wandte sich wieder zu ihr, die mit trockenem Munde fiebernd saß.
„Ich bin ein Narr gewesen,“ sprach er hart. „Weshalb ging ich nicht am anderen Morgen zu Ihrer Mutter und forderte Sie für mich? Aus den tausend Verlegenheiten und Schwerfälligkeiten und Unschlüssigkeiten meiner damaligen Stimmungen und Pläne heraus ließ ich’s. Um all jener Kleinlichkeiten willen, von denen wir uns das Große aus der Hand schlagen lassen. Und Sie waren noch so jung! Ich hatte Ihre Mutter einmal sagen hören: eine frühe Heirat erlaube ich ihr nicht. Ich dachte: es hat Zeit. Man muß sich prüfen. Dies alles ist vielleicht nur, weil die Sommerglut im Blute kocht — Gott weiß, was ich alles dachte: Ich weiß nur eins: es war meine große Narrheit. Als ich von Ihrer Verlobung hörte, da begriff ich’s. Ich war bei der Gesandtschaft in Mexiko — ganz verstrickt von den Reizen der phantastischen und doch so traurigen und monotonen Umwelt ... Und wähnte, daß ich Sie vergessen habe. Bis die Nachricht kam ... da hab’ ich Nächte gelegen und meinen Zustand bedacht ... Ja, Jutta, Sie sagten es: auf weiten Wegen führt uns das Leben herum — manchmal so, daß wir uns vor den Kopf schlagen: mein Gott, du hast ja schon einmal an deinem Ziel gestanden und bist daran vorbeigegangen ...“
Sie schluchzte auf und legte die Stirn auf die gefalteten Hände an der Tischkante.
Er preßte fest den Mund zusammen — zwang sich zur Gefaßtheit.
In das staubige Sonnengold waren draußen unterdessen Schatten gefallen und hatten allen stumpfen Glanz weggelöscht. Fahles Gewölk rückte am Himmel empor und wuchs und stand wie ein gewaltiges Hochgebirgspanorama über den Baumwipfeln. Und aus den Wolkenbildern der Gletscher und Gipfel wuchsen Ungetüme empor, der Alpenzug formte sich um. Nun sah es aus, als ließe eine höllische Riesenesse dicken Dampf hinaufquellen zur Höhe des blauen Himmelsgewölbes.
Und Jutta weinte ...
Er trat an sie heran.
„Weint so das Glück?“ fragte er leise.
Die Stunde trug ihn fort. Er konnte nicht anders.
Sie versuchte ihre Tränen zu trocknen. Es riß sie hin zu sprechen ... sich selbst laut, endlich laut und klar ihr Elend sagen zu hören.
„Nein,“ sagte sie, „ich bin nicht glücklich. Und weil ich es nicht mehr bin, verzweifle ich an mir selbst. Ich liebte meinen Mann — drei Jahre habe ich gewartet, ehe ich seine Frau werden konnte — ich liebte ihn — und und ich kann es nicht fassen, daß die Trennung alles erschüttert hat ... ich dachte, es sei wie Felsen ... Aber seit mein Kind da ist, das keinen Vater hat — so empfinde ich’s — weil er nicht da war — er kennt es nicht — es könnte ihm ja — käme er unverhofft zurück — auf der Straße begegnen und weinen — und er wüßte nicht: es ist mein Kind und meines Kindes Stimme ... Ja, nun ist mir — als sei ich ganz von ihm losgelöst ... als sei alles zu Ende ... Nichts ist in mir wie Bitterkeit. Oft hass’ ich ihn ...“
Sie erhob sich. Hielt sich an ihrer Stuhllehne fest und wollte stark sein.
Ihre Lider schlossen sich geblendet. Denn durch das Gewölk hin zuckte ein Blitz.
„Und ich werde dennoch zu ihm reisen,“ sprach sie mit mattem Entschluß.
„Nein, Jutta,“ sagte er und griff nach ihrer Hand, „das werden Sie nicht tun. Wenigstens nicht aus dieser Stimmung heraus. Warten Sie noch. Prüfen Sie sich. Bedenken Sie die furchtbare Enttäuschung des Mannes, der ein Weib erwartet, das aus Liebe kommt, und er fühlt dann: sie kam nur aus Pflicht. Oh ... wenn zu mir ein Weib, mein Weib so kommen wollte — ich litte — mein Stolz hieße sie wieder gehen ... In diesen Dingen gibt es nur eine Würde, sie heißt: Liebe!“
Seinen beschwörenden Worten rollte ein Donner nach, stolz und mit seinem gebieterischen Schall die Luft erfüllend.
Jutta erbebte. Gewitter gingen ihr auf die Nerven — belästigt von der eigenen Schwäche wehrte sie das mit unwilliger Kopfbewegung von sich ab.
Er fuhr fort: „Ich weiß es wohl, ich von allen Menschen, ich bin der letzte, der Ihnen abraten darf zu reisen ... Jutta, wir wollen nicht lügen ... wir fühlen alles, wie es ist ... Nein, ich darf nicht sagen: bleiben Sie! Ich will niemand bestehlen. Stumm wäre ich wieder aus Ihrem Leben fortgegangen, wenn ich gesehen hätte: Sie sind glücklich! Sie sagen es selbst: Sie sind es nicht ... In solcher Stimmung tritt man eine solche Pilgerfahrt nicht an ...“
„Aus Dankbarkeit muß ich gehen — ja ... darum,“ sprach sie leise.
„Aus Dankbarkeit?“ fragte er erstaunt.
Nun rauschte der Regen. Seine millionenfachen Tropfenschnüre glitten zur Erde, und indem sie jagend durch die Luft herabsausten, nahmen sie aus ihr alle Schwüle und allen Staub mit. Blitze zuckten im grauen Wolkengedränge, und lang und knatternd rollte der Donner aus.
Ah — das war gut. Der Mann reckte sich und atmete tief. Er schmeckte die Frische der feuchten Luft im Munde wie belebenden Trunk.
Jutta wagte nicht zu sprechen während der kurzen Minuten, wo das Wetter in der Nähe und in höchster Kraft lärmte und der Regen, als seien seine Tropfen harte Erbsen, auf dem Glasdach prasselte. Sie sah den Freund an. Wohl tat ihr seine Nähe. Aus aller Einsamkeit schien sie befreit durch ihn. Und auch der große, schwere Kampf, den er durch sein stummes Lieben und Werben in ihr Dasein trug — er war doch Leben!
Sein helles Auge begegnete fest ihrem Blick ...
Sie warteten und schwiegen, bis nun ein Blitz ferner zuckte und die Unmittelbarkeit des Donnerdröhnens ausblieb, während der Regen, als habe er plötzlich allen Mut verloren, wie vor Schreck innehielt.
Da wiederholte Jutta es: „Ja — aus Dankbarkeit!“
Sie saß auf der Kante eines niedrigen Stuhles, die Hände um das Knie gefaltet. Und so erzählte sie ihm ... vielleicht hielt sie sich auch nur alles noch einmal selbst vor ...
„Sie haben meine Mutter gekannt — ihre vornehme apathische Duldermiene. Und Sie wissen, daß sie lange körperlich litt und zu viel Gram in sich hatte, um ihren kranken Körper beherrschen zu wollen. So war sie ganz mit sich beschäftigt. Jetzt erst begreif’ ich, was mir fehlte, woran ich darbte, trotzdem ich eine Mutter hatte: sie forderte von mir, aber sie gab mir nichts. Junge Herzen können verschwenderisch geben. Aber sie müssen auch fühlen: mir wird gegeben. Sonst erbittern sie sich. Sie erinnern sich: Mutter starb früh — gleich nach jenen Sommerwochen ... Vater war rauh und ein Arbeiter — Sie wissen — von jenen Männern, die sich zu viel aufbürden, um sich wichtig zu fühlen — das sah ich damals nicht, wie ich es jetzt erkenne ... Man begreift so viel, wenn man selbst Frau und Mutter wird — sieht, was zurückliegt, dann richtig beleuchtet ... Ja, ich war niemals ganz von meinen Eltern in ihre Liebe genommen ... Und gerade das, weil ich es nicht hatte: alle Schönheit des Lebens schien mir darin zu sein: wenn man nur ein Mutterherz hat! Sehen Sie — und Maltes Mutter, die nahm mich an ihr Herz. Sie hatte mich gleich lieb. Und so sehr liebten wir uns, daß ich mich manchmal besinnen muß: ist sie nicht meine Mutter? Sie spürte gleich, woran es mir fehlte ... Und öffnete mir ihr ganzes Wesen ... Ja — und ich bin voll Dankbarkeit ... Sie soll nicht leiden, diese Frau ... um ihretwillen muß ich mich bezwingen ... um ihretwillen werde ich reisen ...“
Er hatte das Gefühl, als sei ihm unvermutet ein Feind erstanden, einer, von dessen Dasein er bis zu diesem Augenblick keine Ahnung gehabt ... Er spürte plötzlich eine Macht, die stärker war als seine ... Seine erste, impulsive Regung war, sich dagegen zu wehren.
„Kann diese Frau wünschen, daß man ihren Sohn mit Almosen täuscht?“ fragte er erregt. „Sprechen Sie mit ihr — hören Sie ihre Antwort. Ich weiß sie im voraus. Eine alte Frau, die das Leben kennt, die weiß, daß Mitleid und Dankbarkeit und Lüge keine Fundamente sind, auf denen eine Ehe sicher stehen kann.“
Jutta schwieg. „Nein,“ dachte sie, „ich hätte nicht den Mut, mit ihr davon zu sprechen.“
Er ging hin und her, die Hände in den Taschen, so daß der hellgraue Gehrock zurückgeschoben und die weiße Weste ganz sichtbar war. Sein Ausdruck war finster.
Er fragte sich voll Unruhe: Kämpfe ich reinlich? Darf ich überhaupt kämpfen?
Er wünschte vor niemand und am allerwenigsten vor dem fernen Mann dieser Frau die Augen niederzuschlagen. Und zugleich fühlte er deutlich: sie liebt mich — sie ist mein Glück — alles andere war Irrtum. Irrtum, den man nicht endet, wird bewußte Lüge — sie aber ist Verbrechen.
In einem rauhen Wunsch, ganz selbstlos zu sein, fragte er mit harter Stimme: „Und warum sind Sie nicht bei dieser Frau, die Sie lieben? Warum nicht zu ihr geflüchtet, als Malte ging? Um bei ihr zu sein, in Ihrer schweren Stunde?“
„Sie ist arm, Maltes Mutter — hat in einer kleinen Wohnung knapp ihr Auskommen — als vermögenslose Witwe eines Beamten ... mir ist erst später klar geworden: wenn ich als Braut oft und lange bei ihr war — sie hat’s nachher mit Entbehrungen wieder hereinsparen müssen — das auch, ja, das auch macht mich so klein vor ihr ...“
Ihre Augen standen voll Tränen.
„Und warum kam sie nicht zu Ihnen?“ forschte er weiter.
„Ich weiß es nicht,“ sagte Jutta, „ich verstehe so oft nicht: warum hab’ ich dies getan und das gelassen ... Ich glaube, es war dies: ich litt so sehr, weil Malte ging, und wollte nicht, daß Mutter mitlitt, und ich dachte: ich will erst allein zur Fassung kommen ... Aber ich kam nie zur Fassung ... immer wuchs eine schwere Stimmung in mir zu einer neuen Unsicherheit aus ... Ich mochte Mutter nicht hineinsehen lassen ... Und zuletzt, als mir so war, als habe ich alles nur geträumt, als habe ich gar keinen Mann mehr und keine Liebe und kein Glück ... ja, da hab’ ich mich vor ihr gefürchtet ... Und immer geschrieben: komm nicht — ich bin stärker allein ... und war doch krank vor Sehnsucht. Und wenn Mutter mich gefragt hätte: vor Sehnsucht nach ihm? Was konnte ich ihr sagen? Ich weiß es nicht ... Jetzt kommt mir manchmal so vor, als sei das schon immer gewesen — auch als er noch bei mir war — immer schien mir, es müsse hinter dem wirklichen Leben noch ein anderes stehen — das eigentliche — ich litt so sehr von diesem Gefühl, weil es so unbestimmt war, so unklar ... ich dachte oft: Wenn mir dies nur jemand erklären könnte, warum ich solche Sehnsucht habe — und wonach ...“
Er schloß kurz die Augen. Er war sehr bleich. „Sie liebt mich,“ dachte er, „sie hat mich immer geliebt. Und hat es nicht gewußt. Das ist das Geheimnis ihrer Sehnsucht.“
Seine Leidenschaft für sie konnte gar keinen anderen Schluß ziehen als diesen ...
Nun glaubte er seine Pflicht deutlich vor sich zu sehen. Die Art ihrer Erfüllung durfte aber nicht von seinen heißen Wünschen bestimmt werden, sondern nur von der Achtung vor dem fernen Mann und vor dieser schutzlosen Frau, die er für sich zu erringen hoffte ...
Jetzt, nach all ihren Geständnissen, hoffte er es ganz gewiß ...
„Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit,“ sprach er, „wollen Sie auch mir gestatten, offen zu sein — Ihnen zu raten — zu sagen, wie ich Ihre Lage sehe?“
Sie nickte stumm und sah ihn beinahe glücklich an. Ja, wenn er ihr Leben in seine Hand nehmen und ihr sagen wollte, was sie tun müsse, dann müßte alles klar und sicher werden.
„Nach dem, was Sie mir von Ihren Gefühlen der Mutter gegenüber erklärten, darf ich Ihnen nicht mehr raten: Gehen Sie zu ihr. Umgekehrt — nein: Sie dürfen ihr so und jetzt nicht begegnen. Denn anstatt durch sie zur Klarheit zu kommen über das, was Ihr Herz will und muß, würden Sie vielleicht auf einen falschen Weg gedrängt ... Und Sie, nein, Sie dürfen nichts, nichts tun, was für immer Ihr aller Leben verderben kann, ob es gleich im Augenblick eine Tat der Pflicht scheint.“
Sie hörte voll Spannung ...
„Erkämpfen Sie sich Klarheit ... Darauf kommt nun alles an. Für Sie selbst. Und für die, die Sie lieben ...“
Sie nickte langsam vor sich hin.
„Und mein Rat ist dieser: Gehen Sie fort von hier ... von all diesen Freunden gehen Sie fort, deren liebevolle Fürsorge Ihnen unwillkürlich die Freiheit nimmt ... Gehen Sie fort aus dieser Umwelt, die Ihnen Ihre Sehnsucht vielleicht beunruhigt und unklar gemacht hat — diese Umwelt, die fortwährend für und gegen den fernen Mann sprach. Gehen Sie fort, und versuchen Sie zu verstehen, was denn Ihre Sehnsucht eigentlich will.“
„Und wohin?“ fragte sie leise. Das kam wie eine Klage heraus — der Schmerz der heimatlos gewordenen Seele war darin.
„Nehmen Sie Ihr liebes, kleines Kind und diese treue Martha, die an Ihnen zu hängen scheint ... suchen Sie neue Bilder, die groß zu Ihnen sprechen ... das gibt so viel Fähigkeit, sich unbefangener selbst zu sehen ... gehen Sie in die Berge — später nach Italien ... ich werde Sie nicht sehen, Jutta ... ich muß es mir versagen ... obschon ich in Ihrer Nähe sein würde ... ich bin zur Botschaft in Rom versetzt. Sie verstehen — ich müßte es mir versagen, Sie zu sehen ... Aber ich wäre doch da ... Und wenn eine Stunde käme, wo Sie mich brauchten ... eine Stunde, die größer wäre als alle Rücksichten auf die Welt ... Sie könnten mich rufen ... Dieser Gedanke erlöst Sie vielleicht ein wenig aus der Furcht vor Einsamkeit ...“
„Ja,“ sprach sie, „ja ... alles will ich ... alles soll geschehen, wie Sie sagen.“
Diese vollkommene Unterordnung unter seinen Willen ergriff ihn.
Heiße Worte wollten sich auf seine Lippen drängen.
Er schwieg. Sie standen einander gegenüber. Er rang hart mit sich. Seine Arme hätte er öffnen mögen, ihr leise sagen mögen ... komm ... komm.
Und sie zitterte — erriet ihn — bebte vor Begierde nach seinem Kuß und wehrte sich zugleich. „Nein, nein, nein,“ dachte sie.
Ein paar schwere, schwüle Augenblicke lang ... die Versuchung lähmte sie fast ... noch ein Atemzug ... Und sie wichen voreinander zurück ... voll Furcht vor sich selbst — und dennoch stark ...
Er wandte sich ab und trat an das grün überdeckte Gitter.
Er sah nichts von der Welt draußen, die, übergossen vom raschen, starken Regen, nun geduckt und gewaschen stand. Die Blätter an Busch und Baum waren niedergestrichen vom schweren Naß.
Nein, er sah nichts und fühlte immer nur dies eine als stolzen Wunsch: standhaft handeln.
Und doch, da er bestrebt war, das heiße Blut zum ruhigen Fluß zu zwingen, doch nahm er mechanisch auf, was geschah: Auf gelbem Rad ritt draußen ein Mann heran und stieg ab. Die betropfte eiserne Gartenpforte gab, als man sie öffnete und schloß, einen hellen, klirrenden Ton, der durch die saubere Luft besonders metallisch sich schwang. Auf dem Seitenweg des Gartens führte der Mann mit der rotgeränderten Mütze sein gelbes Radroß neben sich.
Und zwei Minuten später hatte Jutta eine Depesche in der Hand.
„Morgen abend acht Uhr treffe ich in Kiel ein. Innigst
Mutter.“
Du hast es bequemer getroffen als ich,“ sagte Rosenfeld, da er seinen Freund Hochhagen einmal zu einem knappen Gespräch unter vier Augen stellen konnte; „wenn ich noch an den Apparat denke bei meiner Verlobung! O je! Es waren die typischen Begleitumstände, die so vielen Junggesellen den Entschluß graulich machen: Feierlichkeit mit würdigen Reden, programmäßig vorgesehene Rührung, endlose Familienrücksichten.“
„Ja,“ lachte Hochhagen, „man geht eher über Leichen zu einer Frau, als über ein Dutzend von Wichtigkeit aufgeplusterter Tanten.“
„Mit deinen Schwiegereltern wirst du leben können,“ prophezeite Rosenfeld.
Sie gingen nach dem Abendessen im halbhellen, frischen Garten umher, auf dessen Kieswegen von der Nässe des nachmittägigen Gewitterplatzregens nichts mehr zu spüren war. In der breiten Veranda hinter dem Hause bewegte sich die Gesellschaft, noch in der ersten Unruhe nach dem beendeten Mahl, bei Kaffee, Schnäpsen und Zigarren. Helles Licht strömte von dort her in den Garten.
Das herzliche Lachen von Lisbeth Rosenfeld erhob sich manchmal über das allgemeine Stimmengeschwirr und stieg, Ton gewordene Fröhlichkeit, empor wie eine funkelnde Rakete. Sie war begeistert vom Geheimrat Gervasius und wußte seinen geistreichen und boshaften Munterkeiten auf das vergnügteste zu begegnen.
„Hör mal,“ sagte Hochhagen, „wie deine Frau lacht.“
„Und um halb sieben kam sie aus ihren Kissen empor wie eine, die nach vielwöchigen Leiden mit äußerster Anstrengung ihre letzten Kräfte zusammensammelt,“ erzählte Rosenfeld. „Ich dachte: es geht nicht, diesmal geht es wirklich nicht. Und nun ist sie obenauf.“
„Sie hat mir schon erklärt, daß sie total verliebt in meinen Schwiegervater sei.“
Rosenfeld lächelte.
„Ja, das ist ihre Stärke und ihre Schwäche: diese völlige Hingabe an den Eindruck. Nun sprüht sie vor Lebendigkeit. Heute vormittag wollte sie vor Kopfweh sterben. Und natürlich, ich hatte schuld. Warum hatte ich sie nicht mit roher Gewalt vom Ball geschleppt? Wenn ich ein Herr und Mann wäre ... Na, du bist ja manchmal Ohrenzeuge gewesen. Ja, langweilig geht es in meiner Ehe nicht gerade zu. Das kann ich wohl sagen.“
Das klang ein bißchen zweideutig. Hochhagen wußte: Zuweilen wurde der Freund etwas mutlos gegenüber den beständigen Barometerschwankungen in Lisbeths Wesen.
„Was willst du! Quecksilber. Steigt und fällt. Aber man sieht es steigen und fallen. Das ist es: immer bleibt sie dir in ihrer Art ganz übersichtlich!“
„Nun — freilich — Rätsel und Dunkelheiten wie in Maltes Frau gibt es in Lisbeth nicht. Aber als abgearbeiteter Mensch möchte man eben zu Hause seine Ruhe haben.“
„Ich habe es am besten getroffen von uns dreien,“ dachte Hochhagen, in der begeisterten Zuversicht des Mannes, der seit vierundzwanzig Stunden verlobt ist.
„Du — sag mal — deine Braut scheint sich hingebend an Jutta Falckenrott zu schließen.“
„Ja. Sie hat so eine rechte Mädchenschwärmerei für Jutta. Findet sie unerhört interessant. Bemitleidet sie leidenschaftlich. Es ist mir recht lieb. Zunächst wird Jutta ja nach Ostasien reisen. Aber wenn sie von dort heimgekehrt sein wird, liegt immer noch fast ein Jahr weiterer Einsamkeit vor ihr. Was könnte ihr die besser erleichtern als eine schwesterliche Freundschaft mit meiner Frau. Lisbeth und Jutta stehen sich gut. Aber du weißt: für traurige Herzen hat Lisbeth nicht sehr viel Zeit. Und Renate ist eins von den weiblichen Wesen, bei denen man gleich spürt: sie sind zum Trösten geboren.“
Seine Stimme klang ganz warm und bebte ein wenig. Die Andacht vor der reinen Jugend seiner Braut war so neu und stark in ihm, daß sein Gemüt sich noch nicht ganz damit eingerichtet hatte und heute beständig aus dem Lot kam.
Rosenfeld fuhr aus längerem Nachsinnen auf.
„Wird sie denn reisen?“ fragte er langsam.
„Ich denke doch. Warum sollte sie nicht?“
„Nun vielleicht wegen der Kleinen.“
„Das war ihr erster Gedanke — natürlich. Aber die Sehnsucht nach dem Mann wird stärker sprechen als diese Sorge. Und das Kind kann so vortrefflich bei Maltes Mutter untergebracht werden.“
„Glaubst du? Und du glaubst, daß es wirklich ganz ungemischt die Sehnsucht nach Malte ist, die ihrem Wesen diese Note von leidenschaftlicher Verschlossenheit gibt — es ist eine gefährlich anziehende Note ...“
„Was sollte es sonst sein?“
Sie sprachen sehr vorsichtig. Rosenfeld wagte nicht deutlicher von seinem sorgenvollen Unbehagen zu reden; der andere traute sich nicht einmal vor dem nächsten Kameraden seine Furcht auszusprechen. Worte geben den leisen, fernen Dingen oft eine brutale Gestalt — die steht dann breit und plump im Wege, und man muß mit ihr, als mit einer häßlichen Wirklichkeit, rechnen.
„Hektor — Hektor,“ rief, auf den Stufen der Verandatreppe stehend, Lisbeth über den Garten hin.
In einer Pünktlichkeit des Gehorsams, dessen Rosenfeld sich gar nicht bewußt war, kehrte er auf der Stelle um und wandte sich dem Hause zu.
Lisbeth, Zigaretten rauchend, was sie übrigens gar nicht vertragen konnte, brauchte Hilfe. Gegen den Geheimrat sich zu verteidigen, ging über Frauenkraft, und sie habe doch sonst den Mund auf dem rechten Fleck. Aber so ein Spötter ... und man unterscheide nie: Kompliment oder Bosheit ...
So gingen ihre lachenden Reden, und der kleine, bartlose Geheimrat mit dem glatten, graublonden Haar und mit seinen beunruhigend klugen, durchgearbeiteten Zügen schmunzelte, und hinter seinen Brillengläsern blitzten seine Augen scharf.
Emmich Hochhagen ging zu seiner Braut.
In der rechten Nische der an beiden Seiten abgerundeten Veranda saß eine kleine Gruppe, die Hochhagens Augen sehr erfreulich schien. Da war die noch jugendliche Geheimrätin, der man ihre zwei- oder dreiundvierzig Jahre nicht ansah. Sie hatte jene ausgeglichene Freundlichkeit im Wesen, die nur Menschen aufbringen können, die sich ganz in Harmonie mit ihrem Leben fühlen. Ihre angenehme Art, im Verein mit ihren sicheren Formen und der geschmackvollen Sorgfalt ihrer Kleidung, machte ihre Erscheinung so günstig, daß man sie im allgemeinen unter die hübschen Frauen rechnete. Emmich brachte ihr eine starke Sympathie und Dankbarkeit entgegen. Wie gern sah er, daß seine Schwiegermutter sich eifrig mit Jutta beschäftigte.
Die saß neben der Geheimrätin und schien mehr zu hören als selbst zu sprechen. Er konnte aus ihrem Gesicht nicht klug werden diesen Abend. Soweit es seine Stellung als Held des kleinen Festes und als ganz und gar glückseliger Bräutigam zuließ, hatte er die Freundin beobachtet. Und dann immer voll Sorge gedacht: Sie ist ja gar nicht hier! Wo waren diese Gedanken, die oft dem dunkeln Auge einen so zerstreuten, suchenden Blick gaben? Weshalb fuhr sie oft wie im Schreck zusammen, wenn man sie anredete? Aus welchem Grunde blieb ihr Lächeln so erkünstelt?
Er hatte noch gar nicht mehr mit ihr sprechen können als die Worte, die zwischen ihr und seinen Schwiegereltern und den wenigen anwesenden Bekannten und Verwandten des Hauses vermitteln sollten.
Nun zog er sich einen Stuhl heran. — Kante an Kante mit dem Renatens, die neben dem Korbsofa saß und dem Gespräch der Mutter mit Jutta zuhörte. Sie hatte dabei liebkosend Juttas Hand gehalten und manchmal zärtlich gestreichelt. Das ließ sie nun und lehnte leise die Schulter an die Emmichs und schob ihre Hand unter seinem Arm durch.
Für die Geheimrätin hatte die Welt einen sicheren Mittelpunkt: ihren Mann. Nicht nur ihre Liebe machte ihn dazu. Jeden Tag, seit vierundzwanzig Jahren, sah sie, daß ein ganzes System um ihn kreiste, dessen Sonne er war. Studenten, Patienten hingen voller Respekt an seinem Wort. Er war da ein so unbedingter und autoritativer Herrscher, daß ein Blick, eine flüchtige Anordnung genügte, sein Reich in Ordnung zu halten. Sie hatte auch schon so oft erlebt, daß Hoheiten, königliche und andere, sich in unbedingtem Gehorsam diesem Treiben einfügten, daß sich in ihrem Bewußtsein dies festgesetzt hatte: Wo meines Mannes Herrschaft anfängt, hört jede andere auf. Danach hatte sie, wie von selbst, ihr ganzes Frauenleben und ihren ganzen Hausstand gebildet und zurechtgelegt. Sie hatte das starke Gefühl: Mir liegt es ob, seine kostbare Persönlichkeit für das Heer der Leidenden frisch und leistungsfähig zu erhalten.
Von diesem allen sprach sie zu Jutta und brachte viele Einzelzüge als Beweise bei, wie wenig sie eigentlich auf den Geheimrat als Gatten, Vater und Gesellschafter rechnen könne, sich aber ganz so eingerichtet habe, ihn nie zu beanspruchen und doch immer für ihn da zu sein. Ein unschuldiger Stolz auf ihre Kunst, sich seinem Berufsleben anzupassen, zeigte sich. Wie rührte dieser Stolz den Mann, der in diesem gesegneten Hause als Sohn aufgenommen worden war. Er drückte Renatens Arm an sich — in einer Bewegung des Dankes — als habe auch das holde Kind schon überreiches Mitverdienst an all dem Klug- und Warmabgestimmten.
„Wie beneidenswert,“ sagte Jutta; „es muß doch wundervoll sein, dem Mann so in seinem Beruf beistehen zu können. Wenn es auch, wie Sie sagen, hinter den Kulissen ist. Wie ruhig kann er auf der Szene handeln, wenn er weiß: hinter den Kulissen geht alles glatt.“
„Aber Liebste, Beste, das gleiche tun doch Sie. Wenn auch in anderer Form,“ meinte die Geheimrätin eifrig.
„Ich? ...“
„Na ja doch ... oder ist das nichts, wenn so eine junge Marinefrau ganz allein, standhaft und geduldig den Herd bewacht — während der Mann weit draußen ist? Muß ich erst sagen, was alles darin liegt?“
Sie nickte ihrer Tochter zu, der künftigen Marinefrau. Und Renate erwiderte dies mütterlich stolze Lächeln mit aufstrahlendem Blick.
Hochhagen vermied es, Jutta anzusehen ...
„Das ist anders, wie Sie sich das vorstellen,“ sprach Jutta, „Ihre Pflichten schließen Leben und Bewegung in sich. — Sie dürfen aktiv sein. Ich habe nur zu warten.“ Mit so schwerem Ausdruck sagte sie es, daß er der Geheimrätin auffiel.
Eine rasche Gutmütigkeit wallte in dem Herzen der Frau empor — ein flüchtiges Mitleid und Ahnen, so wie es Menschen anwandeln kann, die eigentlich zu sehr ausgefüllt sind, um noch Anteilnahme für andere Schicksale aufbringen zu können.
„Gott — ja,“ dachte sie, „wenn man verliebt, jung und temperamentvoll ist, muß es wohl schwer sein.“
Und sie hoffte im Vorbeigehen, daß Emmich nicht so bald ein Auslandkommando erhalten würde. Später mal, sehr gern. Dann bekam man seine liebe Älteste ein bißchen wieder als Tochter ins Haus, und das müßte wundervoll sein ... Als Freundin mit der verheirateten Tochter sich gut stehen, das hatte sich die Geheimrätin immer wie einen Gipfelpunkt des Frauenlebens ausgedacht ...
Und Renate seufzte ein wenig. Ganz zuversichtlich hatte sie noch eben das stolze Lächeln der Mutter mit glücklichen Blicken beantwortet. Nun fiel ihr plötzlich ein, wie zornig und gramvoll Jutta heute nachmittag von ihrem Los gesprochen hatte.
So leise, so andeutend nur der Seufzer gewesen war: Emmich hatte ihn doch gehört. Und er sah auch, daß über das Gesicht der Mutter ein Ausdruck von Mitleid ging.
All das schien ihm feindselig — als bedrohe das auch ihn und seine Glücksicherheiten.
Er sagte sehr liebevoll und vielleicht wieder ein wenig bevormundend: „Das Warten hat ja nun ein Ende. Frau von Falckenrott wird nach Hongkong reisen.“
Jutta erhob ihr Haupt.
„Nein,“ sprach sie klar und fest, „ich werde nicht nach Hongkong reisen.“
Sie sah ihn an. Ganz gerade. Wie eine, die unerschütterlich geworden ist.
Hochhagen wurde rot. Er erschrak. Und ihr Ton erregte ihn. Es schien versteckter Trotz darin.
„Ich hoffe, es ist nicht Ihr letztes Wort.“
„Ich gehöre nicht zu den Frauen, die heute nein und morgen ja sagen.“
„So haben Sie schon an Malte depeschiert?“
„Nein. Das nicht. Es kommt ja auf den Tag nicht an.“
„Oh, Sie wollen nicht zu ihm?“ fragte Renate erstaunt, „ich — ich reiste gleich, wenn Emmich riefe und und wenn ich nach Yap sollte ...“
Die Geheimrätin spürte mit dem feinen Ohr der Weltdame, daß ein harter Klang in den raschen Worten war, die zwischen Jutta und Emmich hin und her flogen. Sie begriff nicht ... dachte auch diskret daran vorbei ... wollte nur gütig alles ins gesellschaftlich Freundliche lenken und sprach beinahe lobend: „Es tut Ihrem Gemüt wohler, hier in der Heimat still Ihrem Kindchen zu leben und tapfer weiter zu warten?“
„Ich will mit der Kleinen fortgehen — schließe meine Wohnung zu — gebe sie vielleicht auf — ich weiß noch nicht — aber fort will ich — in die Berge vielleicht — das findet sich.“
Und dabei sah sie immer Hochhagen an, als teile sie ihm Dinge mit, die hinter ihren Worten standen ...
Er erhob sich.
„Was ist geschehen?“ dachte er.
In diesem Augenblick kam Lisbeth Rosenfeld heran, mit ihren eifrigen Bewegungen, ganz erfüllt von einem Einfall. Sie war wieder einmal getragen von glühender Lebenslust. Ihr Mann lächelte ein bißchen ergeben, und der Geheimrat, mit einem undeutbaren Pläsier, das ihm in feinsten Fältchen um die Mundwinkel und Augen saß, rieb sich die feinen Operateurhände.
„Frau Geheimrat, süße Renate und du, Liebes, hört mal zu. Die Tatsache, daß Emmich uns mit Geheimrats so eng zusammengeführt hat, muß extra gefeiert werden. Bei uns natürlich. Morgen. Ausgemacht. Ja?“
„Morgen hast du wieder Zwirnbeine und im Kopf einen großen Ballon, der platzen will, und bist sterbenskrank,“ neckte Jutta, die sich plötzlich ganz in der Gewalt hatte und eine trotzige Fröhlichkeit in sich aufschäumen fühlte. Es war gesagt — gesagt — es schien, als seien Würfel gefallen ... wohin? Vielleicht rauschte ihr Fall nur ins Unbestimmte hinein — aber Jutta spürte doch die Bewegung — ihr Schicksal stand nicht mehr still ... Und die Stärke ihres Temperaments blitzte durch ihr Wesen.
„So, so,“ sagte der Geheimrat amüsiert, „das kommt also vor? Ein Lendemain mit Zwirnbeinen.“
„Ach,“ prahlte Lisbeth mit heißem Gesicht, „nur wenn ich zu viel tanze. Warum läßt Hektor das zu! Heute tanz’ ich ja nicht. Also morgen bei uns.“
Und da es ihr unmöglich war, einen Tisch zu decken, ohne ihn fort und fort zu vergrößern und so viel heranzuladen, als die Räume nur fassen mochten, zählte sie auf: „Natürlich müssen die Crewkameraden kommen, soweit sie im Moment in Kiel stationiert sind und uns näher stehen. Und dann Exzellenz Marweg — Herr Geheimrat, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich mich glänzend mit Exzellenz vertrage, einfach glänzend. Hektor ist aber nicht eifersüchtig. Hat er auch nicht nötig. Und Herr von Gamberg, Juttas Vetter. Liebes, wird er können? Segelt er morgen mit? Ach so — du hast ihn nicht gesprochen.“
Jutta dachte nicht, daß es ihr unmöglich gewesen wäre, den Besuch des Mannes zu verleugnen, weil Renate noch mit ihm zusammengetroffen war. Dieses Zusammentreffen hatte sie schon vergessen. Sie wollte wahr sein und sagte sehr ruhig: „Doch, ich habe ihn gesprochen. Er war zum Tee bei mir ...“
„Ah ...“ dachte Hochhagen, „er — er ... das ist es.“
„Na — segelt er mit?“
„Nein.“
„Famos: also Gamberg ... Und dann noch ...“
Sie erwog rasch: Die beiden Ehepaare aus Gervasiusscher Freundschaft und Verwandtschaft, die hier anwesend waren und jetzt in der entgegengesetzten Verandanische plaudernd zusammensaßen, mußte sie die nicht auch einladen? Eigentlich fand sie den langen Professor Lüdermann etwas trocken, und es verletzte ihr ästhetisches Gefühl, daß so eine winzig kleine Frau wie ein Anhängsel neben ihm hertrippelte; und an der arroganten Ruhe des Konsuls Thyssen, des Bruders der Geheimrätin, war ihre Lebendigkeit fast zerschellt, während Frau Thyssen sich immerfort zu bemühen schien, keine Überlegenheit zu zeigen ... Aber Lisbeth war eben von so unbegrenzter Gastfreudigkeit, daß sie hinzusetzte: „Und natürlich, liebe Frau Geheimrat, Ihren Herrn Bruder und Frau und Lüdermanns.“
„Beste Frau Lisbeth! So viel Menschen können Sie gar nicht setzen,“ warnte Hochhagen.
„O doch ... und wenn Sie mir Ihren Judeit leihen — Hochhagen hat einen großartigen Burschen — ostpreußischer Fischer — kann aber alles — serviert wie ein Diener im Schloß ... Ja, ach, es kann reizend werden. — Ganz einfach geht es aber zu bei uns, Frau Geheimrat — gerade das Improvisierte macht Spaß. Also morgen abend acht Uhr ...“
Sie war unwiderstehlich in ihrem Verlangen, alles, was an Menschen in ihren Dunstkreis kam, sich zu einer Bundesgenossenschaft der Lebensfreude zu werben. Sie wandte sich schon, um Thyssens und Lüdermanns ihre Einladung vorzutragen, und hatte keine Ohren mehr für das, was Jutta noch sagen wollte.
Und so mußte Jutta es dem Mann mitteilen.
„Lieber Rosenfeld,“ sprach sie, „ich kann morgen abend nicht zu Ihnen kommen.“
Hochhagen merkte auf.
„Aber das ist schade,“ sagte Kapitän von Rosenfeld, „das gibt’s nicht — solche Absage nimmt Lisbeth einfach nicht an.“
„Meine Schwiegermutter kommt morgen abend.“
„Maltes Mutter!“ rief Hochhagen.
„Ja!“
Er atmete ordentlich auf. Ganz unverhohlen. Über sein männliches Gesicht ging ein Freudenschein.
Jutta sah es, es ärgerte sie geradezu.
„Ich war sehr überrascht, als ich das Telegramm bekam,“ sagte sie und sah ihn mit prüfenden Blicken an. Und diese Blicke fragten ihn: Warst du das? Ist das auch deine Regie?
Er fühlte wohl, was ihr Ausdruck zu bedeuten hatte, und sagte ganz ehrlich: „Ich bin auch überrascht. Und ich freue mich riesig, daß wir Maltes liebe alte Dame wiedersehen sollen.“
Und er dachte: „Nun wird ja alles gut ...“
Er hatte eine unbestimmte, aber riesengroße Vorstellung von der Macht einer Mutter ... Als die seinige noch lebte, hatte sie alles über ihn vermocht. Und ob er gleich schon ein gereifter Mann war, da sie vor wenig Jahren starb, hatte er ein kindliches Gefühl des Verwaistseins in sich entdeckt, so voll schmerzlicher Wehmut, daß er sich fast hätte schämen mögen ...
Am anderen Abend fuhr Jutta zum Bahnhof. Eine große Mattigkeit lag ihr in den Gliedern. Sie war abgespannt bis zur Erschöpfung, ganz widerstandsunfähig. Sie schob es auf den Tag voll Hausfrauenarbeiten. Die hatte sie vor sich aufgebauscht und übertrieben, mit einem Aufwand von Zurüstungen sich förmlich betäubt. Es war in der Wohnung zugegangen, nicht als solle eine anspruchslose alte Frau kommen, sondern als müsse man mit äußersten Anstrengungen trachten, vor einer pomphaften und kritischen Dame zu bestehen.
So konnten die zitternde Rührung und die angstvolle Beklommenheit, die abwechselnd Juttas Gemüt beschweren wollten, niemals ganz Herrschaft über sie gewinnen.
Aber nun rächte es sich, daß sie nicht den Mut gehabt hatte, sich zu sammeln, daß sie sich mit Vorsatz durch die Stunden gehetzt hatte.
In ganz verworrenen Empfindungen ließ sie sich dem Wiedersehen entgegentreiben. Bald von dem harten Bedürfnis zur Wahrhaftigkeit erhoben, bald von dem weichen Wunsch ganz ergriffen, dem Mutterherzen nicht weh zu tun.
Müde lehnte sie in der Wagenecke. Der große Federhut, so leicht er war, schien ihr den Kopf zu belasten; in ihrem Schoß lag ihr Täschchen aus Silbermaschen. Sie hielt es mit ihren Fingern umklammert.
Die Fahrt hatte nichts Erfrischendes. Der Sommerabend war dunstig. Die salzig feuchte Seeluft durchwirkten die Dampfsäulen, die tagsüber aus den Essen der Werfte, aus den Schornsteinen der hin und her rauschenden Dampfer emporgequollen waren, mit feinen Atomen. So stand sie grau und schwer über der Stadt und der Förde und hing wie ein Schleier vor dem Bilde des jenseitigen Ufers, daß es mit all seinen hohen Hellingen, mit seinen gewaltigen Glasbauten, seinen seltsamen Gerüsten etwas Mystisches bekam. Das Zauberland moderner Schiffstechnik war da drüben, und die stehenden Dunstnebel wischten all seine drohenden Linien weich ineinander. Die Abendsonne glühte und setzte in dies feine, verschwommene Bild brennende Punkte, die an Metallteilen der Schiffe, auf einzelnen kleinen Fenstern glitzerten wie vom Zufall hingestreute Kupferflecke auf einem blaugrauen Florgewand.
Der Trott des Wagens, ein Rhythmus und keine Melodie, wirkte merkwürdig auf die Ohrnerven. Seine stumpfe Einförmigkeit hatte etwas Hypnotisierendes. Jutta hörte immerfort zu, wie die Räder rollten und die Hufe des Pferdes klappten.
Daraus schreckte sie auf. In der Nähe des Schlosses, auf dem Bürgersteig, der sich unter seiner Mauer hinzog, kam jemand gegangen.
Ein hoher, schlanker Mann, im hellgrauen Gehrock und in ebensolchem Zylinder. Vor ihm waren allerlei Fußgänger — ein paar Kinder, zwei Matrosen, eine Frau — die bildeten in ihren willkürlichen Bewegungen eine Schranke vor ihm, die sich bald öffnete, bald schloß. Jutta erkannte ihn aber schon von fern.
Sie hatte ihn heute nicht gesehen. Nur Rosen schickte er, dunkelrote; kein Wort dabei — nicht einmal seine Karte — aber sie wußte: ja, das kam von ihm! Ein Gruß der Liebe. Schweigsam und von fern ...
Sie richtete sich auf — belebt von dem Wunsch: sähe er doch! Erbebend in dem raschen Gedanken: wenn er so vorübergeht ...
Schon waren sie sich nahe, der Fußgänger und die Fahrende.
Da sah Gamberg auf — vielleicht geheimnisvoll bezwungen von dem ihm entgegenbrennenden gespannten Blick. Er sah auf — jäh — wie jemand, der sich aus schwersten Gedanken gerissen sieht ...
Und er sah ein Frauengesicht, das erblaßte — weil diese flüchtige Begegnung schon ein Erlebnis war ...
Er machte Front und grüßte. Und stand, bis sie vorüber war.
Ihre Blicke hatten sich getroffen, rasch und heiß.
Die Räder rollten, die Pferdehufe klappten, und alles war vorbei.
Die rasend emporgewallte Aufregung sank in sich zusammen. Es blieb nichts zurück wie das Gefühl einer seltsamen bleiernen Ermüdung. Die war ein körperlicher Schmerz.
Jutta hatte einen Gedanken — der schauerte durch sie hin ... Vielleicht hasten wir für immer so aneinander vorüber?
Gestern hatte er gesagt: versuchen Sie sich klar darüber zu werden, was denn Ihre Sehnsucht eigentlich will.
Und sie fühlte auch wohl: wer das Leben mit unsicheren Händen anfaßt, kann es nie meistern — wer das Leben mit unklaren Blicken überschaut, kann in seinem Treiben nie den richtigen Platz für sich herausfinden. —
Der Wagen hielt. Jutta empfand den Ruck wie eine peinliche Roheit. Nun hätte sie immerfort, immerfort so weiterfahren mögen, bis das Rollen der Räder ihr die Gedanken verblödet hätte ...
Auf dem Bahnsteig ging sie hastig hin und her, mit den Schritten nervöser Ungeduld.
Sie stellte sich ihres Mannes Mutter vor. Die Photographie von ihr, die zu Haus auf dem Schreibtisch stand, neben der von Malte, die hatte ihr das Bild der alten Frau mehr gestohlen als lebendig erhalten. Es war ein so dummes Bild. Von einer Art, wie man sie nur noch selten sieht: eben ein Mensch, der sich zum Photographieren extra hingesetzt und ein Gesicht gemacht hat.
Ja, eine kaum mittelgroße Frau war sie, mit einer breiten Taille und raschen mütterlichen Bewegungen, immer schwarz gekleidet, und auf den noch dunkeln Haaren trug sie eine Spitzenhaube, nach verflossener Mode. Und ihr Gesicht? War denn so gar kein starker Zug darin, daß Jutta es sich durchaus nicht vorstellen konnte?
Das machte ihr die Stirn heiß. Mein Gott — wenn ich sie nun nicht wiedererkenne!
Aber das war natürlich ein wahnwitziger Gedanke ... Sie würde sie selbstverständlich unter Tausenden erkennen, wenn nur erst das Gesicht hinter dem Fenster des Abteils erschiene ...
Und nun sah sie plötzlich auch Einzelheiten aus ihm ganz genau ... Sehr aufmerksame, wimpernlose, dunkelbraune Augen hatte die Mutter; und im Mund, wenn sie sprach, wurden zwischen ihren eigenen, starken und gewölbten Zähnen vier ganz flache, kleine, gleichmäßige Schneidezähne sichtbar, die ihre Künstlichkeit durchaus erkennen ließen.
Es ärgerte Jutta geradezu, daß sich ihrer Vorstellung in diesem Augenblick voll großer Spannung nun ein so kleines Merkmal so überaus deutlich aufdrängte.
Jetzt brauste der Zug heran, ein Fabeltier mit dampfschnaubendem Mund.
In der Halle dröhnte Lärm und polterte unter dem Glasgewölbe hin. Die Reihe der dunkeln, von der Patina des Kohlenstaubes monoton gefärbten Wagen hielt.
Jutta stand, und ihre Augen suchten ... Hinab, hinauf — bis eine heftig winkende Hand gerade vor ihr in einem Fensterrahmen ihr sagte: hier, hier bin ich ...
Ein paar Sekunden noch, und die Frauen lagen sich in den Armen. Sie weinten beide leidenschaftlich. Wenn dies ein Wissender gesehen hätte, würde er erstaunt gefragt haben: warum weinen sie? Aber die Frauen selbst empfanden es als das Natürliche. Keine wunderte sich über die heiße Tränenflut der anderen.
Die alte Frau hatte sich jämmerlich nach der Schwiegertochter gesehnt, die doch ihren Sohn so leidenschaftlich liebte und ihr deshalb ein Teil seines Lebens war. Vielleicht weinte sie auch aus Wichtigkeit, weil ihr Sohn ihr geschrieben hatte: reise sofort nach Kiel, hole das Kind und hilf Jutta. Und das kam ihr großartig und verantwortlich vor. Etwas weinte sie auch aus der Ankunftsbefriedigung heraus, denn unterwegs war sie immer noch erregt, in dem Bewußtsein, daß sie binnen zwei Tagen mit solchem Reiseentschluß und mit allen Reisevorbereitungen fertig geworden sei. Sie fühlte sich deshalb sehr heldenhaft und modern und hatte den Genuß gehabt, daß das Staunen und die Teilnahme ihrer Freundinnen in ihrer kleinen Heimatstadt sie an die Bahn geleiteten.
Und Jutta weinte aus ihrer allgemeinen Erschöpfung heraus. Vielleicht brach auch eine Hochflut schöner Erinnerungen jäh über sie herein, als sie die Mutter wiedersah ...
Dann kamen die prosaischen kleinen Sorgen um Gepäck und Wagen. Und all die Taschen und Schachteln schienen sich gleichsam an die hohe Stimmung zu hängen und zerrten sie herab.
Man saß im Wagen zusammen, man fuhr nach Haus.
Da war das Bett der Kleinen. Eine Stätte, wo alle Rührung wieder aufwallte und die Großmutter vor Entzücken weinte.
Es war schummerig in dem von Schlafensstille durchwobenen Raum. Nur ein Nachtlicht brannte, eine träge kleine Flamme, die auf winzigem Ölbassin wie eine blanke, gelbe Schwimmblume erblühte.
Man sah nicht viel von dem bißchen Menschentum da im zierlichen Bett. Ein rundes Schädelchen war sichtbar, dunkel überflaumt; schwer lag es in den sich aufbauschenden Kissen. Ein winziges Näschen war zu erkennen, das gegen die Leinwand des Bettuches stieß. Und noch ein Fäustchen, festgeballt — das streckte sich ein wenig unter dem Deckbett hervor.
Die junge Mutter stand daneben, ihre Hand umschloß die gebogene Stange, von der herab die Gardinen über das Bettchen fielen.
Stolz und wartend stand Jutta und sah zu, wie die alte Frau sich über das Lager bückte.
Und nachher saßen sie zusammen, gerade da, wo gestern nachmittag Jutta mit dem Mann gesprochen hatte ...
Draußen sank der lange Tag in die leise, blasse Dämmerung hinüber. Der Abendwind schlich ein wenig durch die Blätter und stieß sie zag an, aber sie waren so schwer vom Vollsaft ihrer Sommerreife, daß sie sich kaum rührten.
„Mir schien,“ sagte die Mutter, „man sah so wenig — aber doch — mir schien: die Kleine gleicht Malte ganz und gar.“
„Nein. Nicht ein bißchen. Du wirst es morgen sehen.“
Der Ton, in dem die Ähnlichkeit abgeleugnet wurde, tat der alten Frau unbestimmt weh.
„Gott, mir war, als seien sechsunddreißig Jahre versunken, und mein Malte läge wieder in seinem Bettchen vor mir.“
Und sie trocknete ihre Tränen.
Jutta schwieg.
Nun fing die Mutter ein eifriges Fragen an. Unter ebenso eifrigem Essen. Denn sie war schon früh am Tage fortgereist und hatte ihrem Proviant, den sie im Körbchen mit sich führte, nicht recht zusprechen mögen, weil ihr beim Fahren und in der Aufregung der Appetit vergangen war.
Alles wollte sie nun wissen: wie das Kind gehalten werde, und ob es schon mit seinen Fingerchen greife. Wieviel es wiege, und ob es die Nächte durchschlafe. Ob es tags viel schreie und reichlich in die Luft komme.
Juttas Briefe an die Mutter waren in den letzten drei Monaten nichts gewesen wie Tagebuchaufzeichnungen über jede das Kind betreffende Kleinigkeit. Die alte Frau war also unterrichtet. Aber das Thema hatte ja seine Unerschöpflichkeiten. Mit Kameradenfrauen, die gleich ihr junge Mütter waren, konnte Jutta es endlos besprechen.
Dies nun war Maltes Mutter. Und sie hatte ein Recht, ihr heißes Interesse an diesem jungen Leben in dringlichen Erkundigungen zu betätigen.
Sie hatte ein Recht ... Das sagte Jutta sich, das wußte sie — es war die einfachste, naturgemäßeste Tatsache von der Welt. Und dennoch war es gerade dies Anrecht , gegen das sich in Juttas Herzen ein undeutliches Gefühl wehrte.
Unruhig, von grenzenlosem Erstaunen auf das Schwerste bedrängt, fand sich die junge Frau der alten Frau gegenüber nicht zurecht.
Seit einem Jahr, genauer, seit dreizehn Monaten, hatten sie sich nicht gesehen. Eine Frau von Sechzig verändert sich in einem solchen kurzen Zeitraum nicht mehr. Ihr Wesen ist vom Leben schon so festgefügt, daß keine Linie mehr ins Schwanken kommt.
Hab’ ich denn damals andere Augen gehabt? fragte sich Jutta.
Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, daß sie damals, in glückseliger Dankbarkeit, zärtlich, voll kindlicher Ergebenheit, sich an diese Frau geschmiegt.
Nun, damals war die Frau die Mutter des geliebten, ersehnten Mannes gewesen — und die Sehnsucht nach dem Sohn hatte um seine Mutter einen verklärenden Schimmer gewoben. Und das unklare Gefühl: als habe die Mutter den Sohn wegzuschenken, als sei sie die Glückspenderin — dies überkommene Restgefühl von dem uralten, primitiven Wissen mütterlicher Oberhoheit, das hatte die Braut blind und demütig gemacht ...
Das dachte Jutta ungefähr. Ihre in Leid und Kämpfen reifer und dennoch zugleich krank gewordene Seele begriff den Wechsel ...
Die alte Frau hatte sich gewiß nicht verändert.
Nur die Augen waren andere geworden, die sie sahen ... Und die Zusammenhänge waren andere ...
Und dann: Jutta fühlte, daß diese Mutter hier saß als Sachwalterin des fernen Sohnes ... Hier saß, fast an seiner Statt.
Jutta starrte sie an — sie forschte in dem alten Gesicht.
Ja, das waren die gleichen aufmerksamen Augen, die Malte hatte ... das die gleiche Form der Stirn, obschon ihre Breite bei der Frau durch die glatten, gebogenen Scheitel etwas verdeckt wurde; das seine gerade Nase und sein länglich rundes Wangenprofil. Und da war auch ein Klang in ihrer Stimme — oder vielleicht nur die Übereinstimmung im Gebrauch dieser und jener sprachlichen Wendung ...
Das wunderbare Spiel der Ähnlichkeiten äffte — gab seine ironischen Späße zum besten ... holte die wenigst ansprechenden Züge des einen Menschen herbei, hielt sie neben die gewinnenden des anderen und zeigte auf, wie sie sich glichen. Und entadelte ...
„Kind, was siehst du mich denn so an?“
„Wie sehr du Malte gleichst ...“ meinte Jutta mühsam.
„Ja,“ sprach die Mutter stolz, „man hat es mir immer gesagt.“
Die Äußerung hatte der alten Frau sehr wohl getan. Das bedeutete ihr: Bewunderung! Liebe! Und machte ihr das Herz wieder wärmer und freier.
Denn auch sie war benommen und beklommen — von Viertelstunde zu Viertelstunde mehr. Sie klammerte sich aus Verlegenheit an das Kinderpflegegespräch — nicht als ob es sie nicht von ganzem Herzen interessierte — o nein. Aber sie wußte ja aus den Briefen alles ... und man konnte noch so viel davon sprechen ... es gab andere Dinge, die im Moment stärker auf der Zunge brannten: wann Jutta reisen wolle? Ob sie sich nicht unaussprechlich freue? Ob der Gedanke dieser Reise in Juttas Herz entstanden sei, weil sie sich zu sehr nach dem Mann sehnte? Oder ob Malte den Wunsch gehabt habe, weil er es nicht mehr ohne Jutta aushalte? ... Das wollte ihr mütterliches Gemüt wissen. Sie wollte in die Seele der Tochter hineinsehen und die Leiden, Seligkeiten und Sehnsüchte junger Gattenliebe nachempfindend mitgenießen. Ja, das wollte sie: von der Liebe und der unzerstörbaren Zusammengehörigkeit ihrer Kinder viel erfahren — weil ihr das eine schöne Ernte eigener Lebensmühen schien ...
Ein Anspruch auf viel Rührung war in ihr ... Und der blieb unerfüllt ...
Da war irgend etwas in Juttas Wesen, was ihr neu deuchte, fremd, abweisend — trotz all der zärtlichen Fürsorge, die in der feierlich anmutig hergerichteten Fremdenstube, am festlichen Abendtisch, in jedem Wort voll Aufmerksamkeit sich kundgab.
Die Mutter staunte auch ihrerseits in wachsender Unsicherheit die Tochter an.
Wie hatte Jutta sich entwickelt! Nun, das war natürlich! Man hatte sich zuletzt am Hochzeitstage gesehen. Inzwischen war dieses schöne, begabte Geschöpf Frau und Mutter geworden, und die aus dem Beruf des Mannes herausgewachsenen Umstände hatten ihr auch auferlegt, sich in Zeiten allein zurechtzufinden, wo ein junges Weib des Gatten besonders bedarf.
Die Mutter hatte es ja auch aus den Briefen herausgefühlt, daß in Juttas Gemüt keine klare Zuversicht sei. Sie kränkte sich, daß die Tochter nicht nach ihr rief. Aber sie legte es sich, und vor allen Dingen vor ihren guten Bekannten daheim legte sie es so zurecht: Es ist schonendste Rücksicht, Jutta fürchtet, durch ihren Kummer mich mit kummervoll zu machen.
Denn im Grunde genommen dachte sie immer mit einigen zagen Hühnergefühlen an den Sohn, der auf fernen Meeren mit seinem Schiff schwamm. Und ihr war eine so weite Trennung jedesmal etwas Phantastisches gewesen, unter dem sie litt. Sie stellte sich deshalb den Zustand Juttas als den einer beständigen ängstlichen Ruhelosigkeit vor.
Aber nun kam ihr die Empfindung: diese Entwicklung hatte sich nicht auf der geraden, gegebenen Linie bewegt. Sie spürte mit der im Untergrund aller Mutterherzen sprungbereit liegenden Eifersucht, daß in Juttas Gemüt Zustände waren, die sie, die Mutter, nicht verstehen und erkennen konnte, und die allein schon deshalb ihr bedrohlich schienen und sie mit feindseligen Vorurteilen erfüllten.
Die Mutter hatte gar nichts anderes erwartet, als daß Jutta ihr schon im Wagen um den Hals fallen und vor Freude glühend sagen werde: Ich soll zu ihm reisen! Ist es nicht himmlisch?
Kein solcher Ausbruch hatte stattgefunden. Im Gegenteil war etwas in Juttas Wesen und in der Art, wie sie in den Gesprächen an der Hauptsache vorbeiglitt, daß die Mutter sich noch nicht einmal getraut hatte, ihrerseits davon anzufangen.
Aber nun, nach der Äußerung über die Ähnlichkeit, nun nahm sie sich ein Herz.
„Liebes Kind,“ begann sie und faltete dabei auf das sorgsamste ihre Serviette zusammen, um sie dann in den silbernen Ring zu stecken, „liebes Kind — das ist ja wohl kein kleiner Entschluß? Malte schrieb so kurz und bündig davon. Bloß so ungefähr: hol das Kind, Jutta soll gleich zu mir kommen, wir können uns in Hongkong treffen. Aber wenn man zu seinem liebsten Mann reisen kann, ist ja alles egal: Seekrankheit und die weite Tour. Wirst du seekrank? Du bist doch mal als Backfisch mit deinen Eltern nach Schottland gefahren und nach ’m Nordkap.“
„Das wäre ja egal,“ sagte Jutta zerstreut.
Die alte Frau wischte sich die Lippen nochmals mit der vom Ring zusammengehaltenen Serviettenrolle ab, legte sie dann entschlossen hin und fuhr eifrig fort: „Du kannst mir Baby ruhig anvertrauen. Das weißt du ja auch. Zu meiner Zeit waren andere Methoden. Aber ich werde mich ganz an die halten, die du bisher mit Baby befolgt hast. Frau Oberst Ruhland wunderte sich immer so. Ihre Enkel werden immer das erste Jahr in Kleie gebadet. Nun kann sie mal sehen, daß ein Kleines auch ohne das stramm wird. Frau von Brechta ist ganz gegen Baden. Ihre Enkel werden bloß kalt abgewaschen. Sie sind aber auch skrofulös. Wir sprechen oft bei unserer Whistpartie von diesen Sachen. Man kann ja verschiedener Meinung sein. Aber das muß ich doch mal sagen: du glaubst nicht, wie rechthaberisch die Brechta wird. Was ihre Kinder und ihre Enkel haben und tun, ist immer besser als das, was unsere sind. Ja ...“
Diese Worte stießen für Jutta kein Fenster auf, durch das sie hineingesehen hätte in ein rührendes kleines Idyll, wo alte Frauen, Daseinskämpferinnen a. D., ausgeschaltet aus allem weiblichen Erleben, von fern in bescheidener, vielleicht auch stillschmerzlicher, entsagender Zuschauerfreude ihrer Kinder und Enkel Tage in endlosen Gesprächen nachkosteten. An diesem Whisttisch, dessen blanke Platte die starkgeaderten, blassen, alten Hände, die die Karten hielten, widerspiegelte. Und wo eigentlich jede Frau nur Monologe sprach und den Reden der Genossinnen nur scheinbar aufmerksam zuhörte, um damit für die eigenen Mitteilungen Aufmerksamkeit zu erkaufen.
Nein, Jutta dachte nur in flüchtiger Verwunderung, was diese fremden alten Frauen mit ihrem Kinde zu tun hätten. Und sie fühlte: sie müsse sprechen.
„Mutter,“ sagte sie sanft, „es ist noch nichts entschieden.“
Die Mutter öffnete den Mund.
„Wir sprechen morgen darüber,“ fuhr Jutta fort, „ich glaube nicht, daß ich es über das Herz bringe, mich von meinem Kind zu trennen. Und auch sonst ...“
Die Mutter kannte nur ganz einfache Gefühlszustände. Für sie bestand das Leben eigentlich aus lauter Vierecken, die man, gleich Mauersteinen, glatt aneinander bauen kann.
Diese Äußerung war ihr gar nichts Rätselhaftes. Sie sah sofort einen Haufen Gründe, die ihr auch Juttas verhaltenes, unfreies Wesen mit einem Schlage klar machten.
Mit Blick und Rede drang sie nun auf Jutta ein, sehr lebhaft, gar nicht beleidigt, sondern voll Gerechtigkeit.
„Fühl’ ich dir nach, Kind. Ganz und gar. Du denkst: was wird Mutter für Last haben, sie ist es nicht mehr gewohnt mit so einem Kind! Und du denkst, das kostet Mutter ja auch zu viel, denn die Martha muß doch mit. Und du meinst auch: so ’ne Reiserei nach China ist zu teuer, man darf sich solchen Luxus für sein Gefühl mit gutem Gewissen nicht gönnen, man muß tapfer sein. Und du bildest dir ein, nachher schmeckt das Alleinsein doppelt schlecht und fürchtest: wer weiß, vielleicht kann ich’s dann nochmal erleben müssen, ein Baby zu bekommen, wenn mein Mann fern ist. Aber sieh mal ...“
Und nun widerlegte sie selbst all diese einfach derben Gedanken, die sie für selbstverständlich als die die Tochter beherrschenden annahm, und verbreitete sich darüber, daß es ihr keine Last, sondern ein unaussprechliches Vergnügen sein solle; daß man ja die Mehrkosten ihres Haushaltes, die entständen, ganz ungeniert verrechnen könne; daß junge Leute, die sich liebten, auf ein paar tausend Mark nicht sehen sollten, um so weniger, als sie es doch dazu hätten. Und zu dem letzten Punkt der Erwägungen, die sie bei Jutta vermutete, brachte sie allerlei Beispiele vor von Frauen, die sich durch den unruhevollen Beruf des Mannes drei- und viermal hintereinander in ihrer schweren Stunde allein gesehen ...
Ihr Leben war klein und eng. In solchem Leben drängt schon die Notwendigkeit, alles mit plumper Genauigkeit zu erwägen ...
Und aus dieser ihrer Gewöhnung heraus sprach sie eifrig, gutherzig, voll Verstand ... dem freundlichen Hühnerhofverstand ... für den es innerhalb seines Gitters keine Diskretion und außerhalb keine Bewegung und Wichtigkeit mehr gibt ...
Dem Strom dieser Redeflut, die aus dem Ackergelände einer platten Auffassung sich heranwälzte, fühlte Jutta sich nicht gewachsen. Wie hätte sie ihm begegnen sollen? Mit dem Geständnis ihrer Unklarheiten und ihrer Not?
Der bloße Gedanke erschien hiernach beinahe grotesk ...
„Morgen, Mutter, morgen,“ sagte sie matt.
Und in der Nacht lag sie und sann den Brutalitäten der Entwicklung nach.
Ist denn von Mensch zum Menschen keine Sicherheit? Stellt die Trennung jeden in ein anderes Licht?
In uns bleibt das Bild des Fernen fest ... Er aber ändert sich — und kehrt er zu uns zurück, so stimmt sein Gesicht und Wesen nicht überein mit dem Bild von ihm, das unsere Seele in sich trug.
Oder ist es noch anders: wandelt sich in unserem Gedächtnis alles leise und stetig? Gibt es da ein geheimes Wachsen und Umgestalten? Geht es über unsere Kraft, eines Menschen Wesen in klaren und genauen Farben in uns lebendig zu erhalten? Ändern wir es unbewußt, im Maß, wie wir uns selbst ändern und weiterwachsen? Passen wir die Fernen uns etwa an? Nur um sie auf unserem Weg mitnehmen zu können — um sie nicht zu verlieren?
Käme das nicht darauf hinaus, daß man die Fernen nur als Herzensbesitz behalten kann, wenn man sie niemals wiedersieht? ...
Die Trennung zerreißt jedes Band ... Zerrissene Bänder kann man wieder zusammenknüpfen ... ja — es ist dann aber kein glattes, festes Band mehr — es ist eben ein Knoten darin ...
So grübelte Jutta und konnte es nicht begreifen, daß diese brave, prächtige Frau, daß sie die teure, gütige, aufopfernde Mutter aus den Tagen sehnsüchtigen bräutlichen Glückes sein sollte ... Und es wirkte aus ihrer Erscheinung, aus ihren Gesten, Blicken, Worten noch so vieles peinvoll auf Jutta hinüber ...
Die Ähnlichkeit mit dem Sohn war es — kleine, ungünstige Ähnlichkeiten — am Mann Züge, die sich ganz unauffällig oder gar harmonisch in seine Art eingefügt hatten — die, ins Weibliche, Gealterte, Vernachlässigte übertragen, aber nicht sympathisch berührten — die man übersehen hätte, wenn sie nicht eben durch die Anklänge aufgefallen wären ...
Und Jutta fragte sich mit Entsetzen: „Wenn ich ihn wiedersähe, sähe ich ihn dann auch anders ... als damals ...“
In Tränen ausbrechend, drückte sie ihr Gesicht in das Kissen. Sie begriff: alles war noch unklarer und drohender geworden. Es war beinahe, als wenn die Mutter mit ihrem breiten, nüchternen Wesen sich vor das Bild des Sohnes stellte, das, ach — nur noch ein unsicherer Schatten gewesen war ... und nun gar nicht mehr zu erfassen schien ...
Im Hause der Gervasius mußte man nun den neuen Zustand mit der wichtigen und bestehenden Ordnung der Dinge in Einklang zu bringen suchen. In das um den Geheimrat kreisende System paßte eine bräutliche Tochter mit ihren gerechten Ansprüchen nicht so ohne weiteres hinein. Er selbst machte sich hierüber nicht die geringsten Gedanken. Nach Art genialer und übermäßig beschäftigter Männer hatte er von der Möglichkeit von Kollisionen und Schwierigkeiten im Familienleben und Hausstand keine Ahnung. Seine Frau täuschte ihm jederzeit einen leisen, geölten Gang der Maschine des Alltags vor.
Auch jetzt war die Geheimrätin ihrer selbst und ihrer strategischen Künste ganz sicher. Alles würde schon irgendwie klappen, ohne daß ihr Mann spürte: da kamen Störungen heran ... die Telephondrähte des glatten Berufsbetriebs könnten ihm verwirrt werden ... Die bloße Furcht davor erzeugte in ihm schon eine Nervosität, und sie ließ es nicht einmal zu dieser Furcht kommen.
Mit der gewohnten heiteren Seelenruhe saß sie beim Morgenbrot mit den Ihrigen.
Das belaubte Geäst der großen Ulme, die nahe bei der Veranda stand, besprenkelte den Kaffeetisch drinnen hinter der Glaswand mit Schattenflecken. Mutter und Tochter, in weißen Hemdblusen und knappen grauen Röcken, hatten nicht das allermindeste von einem Morgenprovisorium in der Kleidung. Frisch und stramm waren sie angezogen.
Die beiden Jungens, Philipp und Heinrich, beide im Alter, wo man zu lange und zu viele Arme und Beine zu haben scheint, verhielten sich ziemlich schweigsam und frühstückten mit einer ungemeinen Energie. Noch vor drei Tagen hatten sie sich beständig dadurch geärgert und in ihren Menschenrechten beeinträchtigt gefühlt, daß Renate erwachsen war. Sie sahen in diesem Umstand kein Verdienst der Schwester, die ihnen nicht für zehn Pfennig imponierte, wie sie zu sagen pflegten. Sie waren auch in ihrem tiefsten Gemüt überzeugt, daß Renate der übrigen Welt ebenfalls nicht imponiere, und daß es ein großer Erziehungsfehler der Eltern sei, „das Mädchen“ schon in Gesellschaften und auf Bälle gehen zu lassen, so daß sie nicht mehr, wie sonst, allabendlich mit den Brüdern spielen und lesen konnte. Auch kam es oft vor, daß die Mama warnend über den Garten rief: „Renée!“, wenn man sich mal wieder himmlisch lustig mit ihr prügelte — als ob ihr das was schade! Nee, von einer Etepetete-Schwester hatte man kein Vergnügen und wenig Nutzen — höchstens daß sie einmal mit Taschengeld aushalf oder bei Mutter abbettelte, was die für die Jungens nicht gleich erlauben wollte.
Nun aber hatte ihre rauhe und streng kritische Haltung einen Stoß bekommen, und das Gleichgewicht ihrer respektlosen Jungensseelen hatte sich noch nicht wieder eingefunden. Sie waren — niemals hätten sie es sich oder irgendeinem Menschen eingestanden — schlechtweg verlegen vor der Braut! Mit Hochhagen waren sie soweit einverstanden. Sie besprachen ihn unter sich und stellten fest: er hatte sich famos benommen! Ganz gemütlich und brüderlich streckte er ihnen die Hände entgegen und sagte: „Na — Fips und Heinz, wir wollen uns fein vertragen — was?“ Sie fühlten auch schon eine leise Ahnung in sich aufsteigen, daß so ’n Schwager und eine verheiratete Schwester ihnen allerlei Vorteile bedeuten könnten. Aber noch sträubten sie sich, in ihrer Haltung die Schwenkung von Respektlosigkeit zum Respekt offen zu vollziehen.
Nun saßen sie und genossen es, daß sie ausnahmsweise gar nicht beachtet wurden und mit Löffel und Silbermesser in die Butterdose und Kristallschale voll Pfirsichmus wahre Schächte graben konnten.
Außer Mutter, Tochter und den beiden Jungens war da noch eine Zeitung am Tisch. Eine große entfaltete Zeitung, und am Fuß ihrer Wand stand auf der Tischdecke eine Teetasse und eine Eierplatte, von der jemand die Spiegeleier schon abgegessen hatte. Da nun diese bedruckte Papierwand auch von feinen, weißen Fingern gehalten wurde, bestand begründete Vermutung, daß sich hinter ihr wohl der Geheimrat befinden möge.
„Aber Kind,“ sagte die Geheimrätin, „Fips und Heinz kommen doch immer in Pension während der Universitätsferien.“
„Ich dachte,“ wandte Renée ein und bettelte sehr mit Stimme und Augen, „daß Fips und Heinz diesmal nicht zu Doktor Habels brauchten, daß sie hier bleiben könnten ...“
Ihre Blicke begegneten sich mit denen der Brüder. Sie lächelten sich alle drei sehr pfiffig zu. Fips und Heinz begannen Schlaraffentage zu ahnen: die Eltern weg — bloß das Brautpaar als Aufsicht! Donnerwetter, das konnte nett werden ...
„Liebling,“ sagte die Geheimrätin, „was denkst du nur: Vater und ich können doch nicht auf Reisen gehen und ein Brautpaar hier unbeaufsichtigt lassen. Was sollte man davon denken.“
„Wir wollen wohl auf Emmich und Renée passen,“ sagte Fips eifrig.
„Es ist völlig schnuppe, was die Leute denken,“ stellte Heinz voll Weltverachtung fest.
„Tante Adele könnte uns bemuttern!“ schlug Renate dringlich vor.
„Mein Ängel ...“ äffte Fips der altjungferlichen Tante Adele nach, die so zärtlich und getragen die Geheimrätin, ihre Jugendfreundin, anzureden pflegte.
„Unmöglich. Stell dir vor: wie lästig für Emmich. Er soll doch Rücksichten auf sie nehmen. Ihm müssen all ihre sentimentalen und anspruchsvollen Schrullen ungenießbar sein. Wir haben Geduld, weil wir das langsam sich wie Moos ansetzen sahen. Und den treuen Menschen darunter wissen. Nein, nein. Auch will Adele im August zu ihren Geschwistern.“
„Und wenn ...“ Renate mochte es ja wirklich kaum sagen. Aber der heiße Wunsch ... die erste junge Brautglückseligkeit ... „Und wenn — Vater allein ...“
Die Geheimrätin setzte mit Entschiedenheit, fast klirrend, ihre Tasse hin, aus der sie gerade hatte trinken wollen.
„Aber Liebling ... Kind! Ich soll Vater allein reisen lassen! Bist du bei Trost! Die Universitätsferien im Hochsommer sind die einzigen Wochen, wo Vater uns hat, wo wir ihn haben. Im Frühling arbeitet er meist durch — oder gönnt sich mal ein, zwei Wochen. Von Anfang Juli bis September gehört er doch einigermaßen sich und uns. Sieh mal, ich denke so: du gehst mit! Übers Jahr bist du Frau. Nun haben wir noch einmal unsere Tochter. Lockt dich denn die Schweiz nicht? Lockt dich Italien nicht?“
„Da bin ich ja schon allerwärts gewesen,“ sagte Renate betrübt.
„Und verlobt ist sie noch nicht gewesen!“ gab Fips zu bedenken.
Im Hinblick auf die möglichen Schlaraffentage waren sie wieder eins mit der Schwester.
„Ach — Naseweis,“ sagte die Mutter und mußte lachen.
In diesem Augenblick sank knisternd die hoch auseinander gespannte Zeitungswand zu einem unordentlichen und widerstrebenden Faltengehäuf von Druckpapier zusammen, auf dem die feinen Operateurhände ruhten.
Der Geheimrat, schmunzelnd und überlegen, mit pfiffigen Blicken seine Tochter anguckend, sagte erwägend: „Was meinte Fräulein Tochter, wenn wir den Kapitän Hochhagen einlüden, Urlaub zu nehmen und uns als Gast zu begleiten? Da der alte Papa offenbar keine Gesellschaft von Anziehungskraft mehr für seine Tochter ist, werden ihr vielleicht die Schweiz und Italien durch dieses ausgezeichneten Mannes Begleitung etwas sehenswerter vorkommen.“
„Papa!“ jubelte Renate und stürzte auf ihren Vater zu, einen umgepolterten Korbsessel hinter sich lassend.
Heinz und Fips sahen Schlaraffenland in die Versenkung fahren.
Und die Geheimrätin war beinahe starr: ihr Mann hatte zugehört! Sonst, wenn er hinter seiner Morgenzeitung saß oder mit einem Buch in der Hand, hätte man einen Mordanschlag auf seine eigene Person verabreden können, und er würde es nicht gemerkt haben. Er hatte hinter seiner Papierwand gesessen und dem Gespräch zugehört! Nein, so etwas ...
Der Geheimrat ließ in wohlgefälligem Behagen die Küsse der Tochter über seine Wangen ergehen und spürte die Kraft ihrer jungen Arme, die seine Schultern umpreßten.
Aber dieser Jubelsturm stockte plötzlich.
„Wenn er aber keinen Urlaub bekommt!“ sagte sie in schweren Sorgen.
„Das mußt du mit Exzellenz Marweg ausmachen — oder oder wer sonst die gnadenspendende Instanz für Emmich sein kann — ich bin in den Wirrnissen der Rang- und Kommandoverhältnisse gänzlich unorientiert. Aber wer es auch sei: ich denke mir, wenn du dem betreffenden großen Mann so zu Leibe gehst wie eben mir, kann er nicht widerstehen.“
Die Jungens pruschten.
„Du machst immer schlechte Witze, Papa,“ sagte Renate, noch umwölkt. Aber da sie, im Gegensatz zu ihrem Papa, schon in allen Marineangelegenheiten sehr orientiert war und von dem Tag an, wo sie in bezug auf den Kapitän Hochhagen empfunden hatte: „den oder keinen“, sich durchaus identisch mit der K. M. fühlte, so fuhr sie belehrend fort: „Emmich ist zur Verfügung des Chefs der Ostseestation ...“
„Na also ... man erbitte, daß der Chef verfügt ...“
„Ach, Papa,“ fiel Renate ihm in die Rede, „du kannst dir keinen Begriff davon machen, wie es an Offizieren mangelt! Die Urlaubsverhältnisse sind schrecklich — einer muß schon halbtot gearbeitet sein, ehe er mal loskommt.“
Die Geheimrätin und ihr Mann lächelten sich an. Diese frische, drollige Weisheit rührte sie. Die Geheimrätin dachte an ihre Brautzeit, wo sie, nachdem sie einen halben Tag eines Klinikers Verlobte gewesen, mit nicht minderer Autorität von seinen Berufskomplikationen sprach.
Drinnen im Haus schlug eine Uhr acht. Sie schlug sehr anspruchsvoll, als habe sie Bedacht, daß nur ja recht weithin ihr pastoraler, feierlich gemessener Ton den Leuten melde: eine Stunde sei zwar ins Meer der Zeit zurückversunken, aber man könne ruhig sein, sie, die Uhr, bleibe standhaft auf dem Posten.
Und dieser weise Klang, der achtmal in die köstliche Morgenfaulheit hinausdröhnte, störte sie denn auch gründlich.
Fips stopfte den letzten Happen seiner Semmel — er hatte zwei mehr gegessen, als sonst sein äußerstes Maß war — in den Mund; Heinz hielt, mit stark zurückgelegtem Kopf, den Tassenrand zwischen den Lippen, damit der dicke Zuckerbodensatz noch hineinrutsche.
Die Geheimrätin klappte in die Hände und mahnte zur Eile. Renate lief ins Haus, auf den Flur, um nachzusehen, ob die Bücherriemen der Brüder auch alles Nötige umschlossen; dies Amt war ihr, zum Zorn von Fips und Heinz, seit zwei Jahren von der Mutter auferlegt, und sie erfüllte es so gewissenhaft, daß auch heute die Jungens auf dem Flur von ihr mit der raschen Mahnung empfangen wurden: „Wo ist dein deutsches Aufsatzheft, Fips? Heinz, dein Vocabulaire fehlt, du hast doch heute Französisch!“
Draußen gab der Geheimrat seiner Frau einen Kuß auf die Stirn. Halb neun fing er an zu operieren, es war also Zeit, in die Klinik zu gehen und sich vorzubereiten.
„Hast du viel heute?“
„Nur drei Sachen, eine davon etwas schwerer!“
Aus solchen Antworten zog die Geheimrätin dann ihre Schlüsse: Er kommt präzise, verspätet oder gar nicht zum Gabelfrühstück. Und hiernach richtete es sich, ob er mit von den allgemeinen Schüsseln zu essen bekam, ob besonders gekocht wurde für ihn, oder ob man in sein Studierzimmer einen nahrhaften und leichten Imbiß stellte. Sie hatte auch in ihrem Gedächtnis ein Register. Da stand: Gestern ist eine sehr, sehr schwere Operation gewesen, und solange Gefahr ist, darf man ihn nicht anreden, muß sein Schweigen nicht unterbrechen, muß abwarten, ob er spricht. Oder: Heute entläßt er geheilt eine Patientin, die ein halbes Jahr gelegen hat, es ist eine arme Frau, man muß daran denken, ihr noch eine kleine Freude zu machen, dann freut er sich auch. Oder: Er hat vor ein paar Tagen Ärger mit Doktor Berthold gehabt — erwähne nur nicht, daß du die Frau Doktor Berthold gestern trafst, und daß sie sich unterstand, schnippisch zu sein.
Sie hatte auch herausgefunden, daß aus unbegreiflichen Gründen an einigen Tagen der Woche die Sprechstunden überlaufener seien als an anderen; als gäbe es geheime Gesetze, denen zufolge Leidende sich vor allen Dingen am Montag, Mittwoch und Sonnabend konsultationsbedürftiger fühlten. Sie hegte einen adressenlosen Zorn in sich, wenn für diese Tage auch noch schwere Operationen angesetzt waren.
Einladungen zu Diners und Soupers besprach sie nie. Sie verfügte völlig. Für die Tochter nahm sie an, für sich und den Geheimrat behielt sie die Entscheidung bis zur letzten Stunde vor. Die Bekannten waren dazu erzogen worden, mit dieser Unbestimmtheit zu rechnen. Fühlte sie: Er wird unter keinen Umständen Zeit und Lust haben, in Gesellschaft zu gehen, erfuhr er überhaupt gar nicht, daß man ausgeladen gewesen war. Übersah sie am Mittag, daß es ihres Mannes Stimmung entsprach und ihm eine wohltätige Ablenkung sein werde, unter Menschen zu sein, so sagte sie ihm einfach: Wir werden heute abend da und da speisen.
Über diese paradoxe Wirkung, daß aus der höchsten Unterordnung eine Form von Frauenregiment sich ergeben hatte, konnte der Geheimrat amüsiert spaßen, und Wendungen, wie „wenn ich darf“ — „falls meine Frau erlaubt“, kamen bei ihm vor.
Nun ging er also; im Zimmer stieß er noch auf die vom Flur zurückkehrende Renate, die ihn mit der zärtlichen Dreistigkeit, die junge Töchter den berühmtesten Vätern gegenüber haben können, noch flink mal umarmte und um sich selbst drehte.
Dann war sie schon draußen und räumte den Tisch ab, während nun die Mutter hinter der Zeitungswand verschwand.
Renate sang ein bißchen vor sich hin. Dann unterbrach sie ihr Liedchen. Schon mit dem beladenen Teebrett in den Händen, das sie vor sich hielt, sagte sie: „Bitte, Mama — sieh mal nach — der Bericht muß doch schon drin sein — Wettfahrt Kiel-Travemünde — unter Jachten der Kreuzerklasse II — ist ‚Freia‘ placiert — Erste? Ja? Hurra. Na, das freut mich für Reiswitz — das Gewitter vorgestern — das hat die Flaute behoben — du, die ‚Freia‘ gehört dem Legationssekretär von Gamberg, der gestern abend mit bei Rosenfelds war. Er ist ein Vetter von Jutta Falckenrott. — Mama, wen magst du lieber leiden: Lisbeth Rosenfeld oder Jutta ...“
Die Geheimrätin ließ etwas ergeben die Zeitung sinken und sagte milde: „Kind, ich kenne die beiden Damen noch so wenig.“
„Aber so was weiß man doch sofort! Lisbeth ist ja lustig und lebendig — denk mal, sie hat mir gestern abend schon gesagt, daß wir uns du nennen wollen — aber für Jutta, weißt du, Mama, für Jutta schwärme ich! Sie ist so schön. Und es ist so etwas Geheimnisvolles in ihren Augen und in ihrem Wesen.“
„Es ist das Vorrecht deiner Jahre, zu schwärmen,“ sprach die Geheimrätin nachsichtig.
Renate setzte das Teebrett wieder hin.
„Glaubst du, Mama, daß Emmich Urlaub bekommt und mit uns reisen kann?“
Die Mutter lächelte.
„Kind, was kann ich davon wissen. Wir wollen es hoffen. Ich finde Papas Idee sehr glücklich.“
„Ach ja,“ sagte Renate aus vollem Herzen und machte sich zum Schoßkind bei der Mutter, zugleich beide Arme um ihren Hals legend, „es wäre zu schön. Sieh, wie genau lerntet ihr euch kennen — Emmich und ihr — wer weiß, ob ein so tägliches und nahes Zusammensein sonst jemals im Leben wieder sein könnte. Und wir lernten uns kennen! Er und ich! Jetzt ist es alles so wie ein glückseliges Ahnen — manchmal denk’ ich, es ist Traum oder Rausch — ich fühle wohl, Mama, daß es nicht diese Stimmung ist, in der man durch das Leben geht. Jetzt ist alles so heiß, so aufgeregt in mir, ich weiß manchmal nicht, ob ich lachen oder weinen soll ... Ich weiß, allmählich kommt das zur Ruhe, und dann kommt wohl so ein heiliges Wissen von Liebe und Zusammengehörigkeit wie bei Papa und dir.“
Die Mutter zog ihr Kind noch fester an sich. Und das Kind, auf der Schwelle des Frauenlebens, staunend, erregt und doch etwas furchtsam stehend, fragte flüsternd am Ohr der Mutter weiter: „Mama, ist es noch schöner, verheiratet zu sein als verlobt zu sein?“
Die Mutter schluckte ein wenig, nahm sich zusammen und wich scheu der Antwort aus, die, klar und für jedes Herz gültig zu geben, über Frauenvermögen ist.
„Kind, man kann eins nicht über das andere steigern und nicht den einen Zustand mit dem anderen vergleichen. Wer die Feierzeit des Brautstandes nicht nur durchjubelt, sondern auch zu ernster Einkehr nutzt, tut gute Vorarbeit für eine glückliche Ehe.“
Sie blieben ganz still. Der junge, blonde Kopf lag auf der Schulter der Frau, die in ernster Rührung vor sich hinsah. Und indem sie so zusammen schwiegen, fühlten sie sich in einer unzerreißbaren Einigkeit verbunden. Ihnen war, als seien Schranken zwischen ihnen gefallen, als seien sie nicht so sehr Mutter und Tochter als Trägerinnen eines Geschicks, Genossinnen in ein und der gleichen Bestimmung.
Um die Mittagszeit, wie es verabredet gewesen war, kam Emmich. Die Braut in ihrem Rosenhut, den von Rand zu Rand unter dem Kinn weg ein weißes, am linken Ohr geknüpftes Band hielt, stand schon bereit und zog sich gerade die weißen Handschuhe zum weißen Kleid an. Sie kannte es nicht anders als: Männer darf man nicht warten lassen, erstens mögen sie es nicht, und zweitens haben sie dazu keine Zeit.
Das Brautpaar wollte zu Jutta gehen, um die Mutter des fernen Kameraden respektvoll zu begrüßen.
Emmich küßte der Geheimrätin die Hand.
„Was sagst du — Reiswitz ist Erster geworden!“ rief Renate.
Er lächelte. „Reiswitz steht offenbar in Gunst und Gnaden bei dir.“
„Und wie! Denk mal, er war der erste von der Marine, der mir Glück wünschte. Und er machte es so nett. Es war vorgestern nachmittag ja gewissermaßen noch nicht offiziell.“
„So kommen Männer zu Meriten,“ scherzte Hochhagen.
„Nur noch die Knöpfe ... ach, ich nehme keinen Sonnenschirm ... ich will Emmich einhaken ... sag mal, Emmich: Kriegt nun Reiswitz den Silbergewinn oder Herr von Gamberg?“
„Den bekommt Herr von Gamberg. Aber der Besitzer der ‚Freia‘ wird wohl, wie üblich, dem, der sie zum Sieg geführt hat, eine Aufmerksamkeit schicken. Korb Sekt — Zigarettenetui —“
„Der Legationssekretär ist ein Vetter von Frau von Falckenrott?“ fragte die Geheimrätin.
„Durch sieben Scheffel Erbsen, wie man hierzulande sagt,“ antwortete Hochhagen und half bei den Handschuhknöpfen, was die Arbeit aber nicht förderte, da er mehr in Renatens Augen als in ihre Handfläche sah.
„Er ist eine sehr interessante Erscheinung. Vornehm. Fast auffallend beherrscht in Wort und Haltung. So, daß es wie vorsätzliche Verschlossenheit wirkt. Wie bei Menschen, die sich nur äußerlich ihrer zeitweiligen Umgebung schenken. Und sehr ernst.“
„Wer weiß warum!“ dachte Emmich.
„Ach, Mama, mach du die Knöpfe zu,“ bat Renate.
„Ja, ich bin in so was noch so unerfahren,“ entschuldigte er sich.
„Na, na ...“
„Lieber Emmich, unterwegs hat Renée Ihnen etwas vorzutragen. Sie hat sich’s ausgebeten, es Ihnen selbst und allein sagen zu dürfen. Ich möchte nur vorweg bemerken: es war meines Mannes eigenster Gedanke, und wir, mein Mann und ich, wären glücklich, wenn sich das verwirklichen ließe,“ sprach die Geheimrätin.
„Das klingt verheißungsvoll,“ meinte Hochhagen. „Ich habe Renée auch etwas vorzutragen — nur, ich fürchte ... es wird sie nicht sehr erfreuen ...“
„O Gott — was Unangenehmes!“ rief die junge Braut. Und unfähig zu warten, aus einem Gemisch von Angst und Neugier heraus, fragte sie — und war doch ein bißchen blaß: „Mußt du morgen nach Samoa?“
Er lachte sie herzlich aus.
„Nein, Liebling, so flink kommt dergleichen dann doch nicht ... Zahnbürste einstecken ... Abschiedskuß ... auf Wiedersehen in zweieinhalb Jahren ... Aber ein bißchen unregelmäßig könnten meine Besuche in den nächsten Wochen immerhin werden ...“
„Lieber Emmich, sagen Sie’s nur schlank und klar heraus. Das mögen wir Frauen bei unangenehmen Sachen am liebsten. Wir haben ja alle zu viel Phantasie, und die arbeitet während einer Vorbereitung blitzschnell und malt gleich tausend Schrecknisse aus. Sie hörten es: Das Kind sah Sie schon nach der Südsee abfahren.“
„Na ... denn ... Also: der Erste Off’zier auf der ‚Thuringia‘ ist so kaputt — nervös — überarbeitet — daß er wohl auf ein paar Wochen oder länger in ein Sanatorium muß, sich mal gründlich kurieren ... Ich soll ihn ersetzen. Zunächst gehen wir nur die Woche über zu allerlei Schieß- und anderen Übungen hinaus und kommen Freitag abends wieder herein. Aber dann geht’s in die Nordsee — ein kleines Manöverpräludium bei Helgoland. Hieran schließen sich die großen Manöver in der Ostsee. Ob ich die auch noch mitmachen muß, kann ich heute nicht vorweg wissen und sagen. Krietzow — den ich vertreten soll — legt alles daran, sich rasch zu erholen — sein spezieller Landesherr, zu dessen Dynastie die Krietzows immer nahe Beziehungen hatten, will vom Bord der ‚Thuringia‘ aus den Manövern zusehen ... Also das schwebt im ungewissen — hängt von Krietzows mehr oder minderer Erholung ab — erst mal aber bin ich da fest ...“
In raschem Überblick, sowohl als Hausfrau wie als Mutter und Gattin, dachte die Geheimrätin, daß es gar kein ungünstiger Zustand sei, wenn so ein Verlobter fünf Wochentage sich nicht allabendlich zum zärtlichen Beisammensein einfinden könne.
Aber da Renate wirklich ein bißchen verhagelt aussah, klopfte sie ihr ermutigend die Wange und sagte heiter: „Also im Ernst gar keine Trennung, sondern nur eine kleine Übung — auch fürs Kind — um sich auf die Marinefrau vorzubereiten.“
„Ja, Mama — aber siehst du denn nicht — damit ist das andere doch auch entschieden ...“, sprach Renate. Schwer vor Enttäuschung war ihr das Gemüt.
„Jetzt geht nur ... das kannst du mit Emmich unterwegs besprechen ... geht nur, sonst stört ihr Frau von Falckenrott noch bei Tisch.“
Und sie drängte das Brautpaar förmlich fort. Denn sie hatte alle Hände voll zu tun und fühlte sich schon sehr gestört. Dennoch war eine Minute übrig, um hinter der Gardine verborgen dem Paar in stolzer Befriedigung nachzusehen. Renate, lang und schlank, war nur ganz wenig kleiner als der Mann, der fest und stattlich neben ihr schritt, in guter Harmonie des Ganges. Die Geheimrätin machte gern so ihre kleinen Schlüsse aus dem Gang eines Menschen. Männer, die trippelnd oder ungleichen kurzen Schrittes gingen, solche, die immer nur das eine Bein voransetzten und das zweite nachzogen, in dieser allgemeinsten Form des Gehens, flößten ihr kein rechtes Vertrauen ein. Sie mochte Männer, die stolz und geradeaus, im sicheren Wohlmaß der Bewegung schritten. Und das tat der Kapitän Hochhagen, trotz jener leisen, fast unbestimmbaren Nuance, die den Seemann verriet.
Renate hatte ihre Hand unter den Arm des Verlobten geschoben, aber sie stützte sich dennoch nicht eigentlich, sondern schritt leichtfüßig und selbständig neben ihm einher.
„Ach ja,“ dachte sie immerfort, „es fängt schon an!“
„Sag, Süße, verstimmt es dich so schwer, daß ich während der nächsten Wochen fort sein werde? Dies Kommen und Gehen ist aber doch keine wirkliche Trennung.“
„Doch, Emmich, doch! Aber ich werde natürlich tapfer sein. Es wäre kindisch, wollt’ ich’s nicht. Trennung ist es aber doch. Du denkst wohl nicht daran: Heute haben die Universitätsferien begonnen ... Papa hat noch ein paar schwere Operierte, die erst außer Gefahr sein müssen, ehe er sie den Assistenzärzten überläßt — aber so in vierzehn Tagen reisen wir ... Das tun wir immer in den großen Ferien Papas — da muß er eine total andere Umgebung haben — zwar, er arbeitet auch dann oft und viel wissenschaftlich ... aber es ist doch eine andere Art des Lebens ...“
„Und ihr reist immer alle mit?“ fragte Hochhagen in einem ihn selbst überraschenden Gemisch von Empfindungen. Es war einerseits gut, wenn diese Reise nun gerade mit seinem vorübergehenden Bordkommando zusammenfiel. Aber anderseits schien es ihm, als sei ihm Renate näher, wenn sie hier in Kiel in ihrem Elternhaus von seinen Briefen erreicht und seinen Gedanken gefunden werden konnte. „In was man sich alles reinfühlt,“ dachte er erstaunt; war es nicht gerade, als ob man in eine völlig veränderte Stellung zu Dingen und Menschen gekommen sei?!
„Nein. Fips und Heinz kommen immer zu Doktor Habel in Pension. Habels gehen erst mit ihnen an die See, solange Schulferien sind. Papa bleibt gewöhnlich bis zum achten Oktober fort und beginnt erst dann zu lesen. Ich bin immer mitgekommen — ich bin Papas Liebling — so ein bißchen — es ist ja auch anders — ich brauchte ja auch nicht wie Fips und Heinz aufs Abiturium loszubüffeln. — Na, und jetzt ...“
Er erriet.
„Diesmal wolltest du lieber hier bleiben!“ sagte er voll zärtlicher Dankbarkeit und streichelte die Hand, die auf seinem Arm lag.
„Natürlich. Aber Mama sagt: Unmöglich. Und Papa hatte eine himmlische Idee! Ich sollte dich einladen, die ganze Zeit solltest du mit uns reisen als Papas Sohn. Jawohl.“
Nun zitterte ihre Stimme und es kostete etwas, das Enttäuschungstränlein zurückzuhalten. An den Wimpern hing es aber doch.
„Oh ...“ Er war ganz betroffen. Ob das schön gewesen wäre! Und wie hätte man sich kennen gelernt! Miteinander eingelebt! — — Aber man war kein Luxusmensch. Man hatte einen rauhen, wichtigen Beruf. Man gehörte nicht sich, sondern einer grandiosen Sache. Und man war gewohnt, ohne Wimpernzucken zu verzichten.
„Das ist rührend von Papa ... Und du sagst, bis Anfang Oktober bleibt ihr fort ...“
Sie nickte seufzend.
„Ich könnte Urlaub nehmen — sowie Krietzow wieder dienstfähig ist — nur dumm, daß man heute nicht weiß: ist das vor oder nach ’m Manöver. Jawohl ... wenn ich dir sage, daß ich seit drei Jahren nie wirklichen Urlaub hatte — mal so zwei, drei Tage für eine Kameradenhochzeit, das war eigentlich alles. Was meinst du? Wenn ihr nicht irgendwo am anderen Ende der Welt sitzt, könnte ich doch noch nachkommen. Ja, sogar noch nach dem Manöver. Sonst früher. Alles hängt von Krietzow ab. Aber wie? Wenn’s denn auch nur nach dem Manöver anginge. Es wäre doch immer was?“
Ob es etwas wäre! Leider war man jetzt auf der Straße, ging gerade über den Klaus-Groth-Platz auf den Niemannsweg zu. Deshalb konnte Renate dem liebsten Mann nicht jubelnd um den Hals fallen. Nachdem schon alle Freude verloren gegeben war, erschien nun dieser Bruchteil davon, der doch noch vielleicht den Umständen abgerungen werden konnte, wie ein überwältigendes Geschenk.
Renate tanzte beinahe neben ihrem Kapitän einher. Und all ihre Freude strömte wie Liebesbekenntnis beseligend zu ihm hinüber.
Und allerlei Gedanken gingen, schwer von Glück und schwer auch von Mitleid und fast von Furcht, andächtig durch ihn hin: Welch ein Rückschlag für eine solche jubelnde, liebessehnsüchtige Seele, wenn sie sich plötzlich in Entsagung und Einsamkeit versetzt sieht. Ja, da mußte man wohl milde richten, wenn so eine Seele dann aus dem Gleichgewicht kam ... Arme Jutta! Und er fühlte: eine ganz besondere, reine Kraft — eine große, heilige Einfältigkeit muß ein Frauenherz haben, um Einsamkeit ertragen zu können ...
Sie, die Eine, Süße, die hier, beschwingt von Freude, in stillem Jauchzen neben ihm ging — sie hatte solche klare Kraft. — Er glaubte es ...
Zwei Seeoffiziere kamen ihnen entgegen: Die Gesichter beider Herren hatten den Glanz neugieriger und erfreuter Teilnahme. Es waren Bekannte Hochhagens. Man stand still, Glückwünsche wurden dargebracht, Renate sagte, kaum daß sie vorüber waren: „Wie sind sie nett.“
Nun kam auf dem Bürgersteig Tante Adele in Sicht. Sonst dachte Renate wohl manchmal: „Du lieber Gott, schon wieder Tante Adele.“ Heute sagte sie: „Da kommt ja Tante Adele — ach, sie ist zu nett.“
Die Dame, die heranschritt, hielt schon von weitem ihre beiden, in bräunlichen, halbdurchsichtigen Trikothandschuhen steckenden Hände mit gespreizten Fingern dem Paar entgegen. Schmachtende Freude verklärte ihr kleines Gesicht, in dem zwei blanke, braune Augen unter merkwürdig dicken Lidern auffielen. Unter dem winzigen Kinn saß das Polster eines rilligen, weißen Fettlagers. Da nun auch Tante Adelens Mund von stattlicher Breite und in seinen Winkeln ein wenig nach oben gezogen war, mußte man eigentlich Fips und Heinz in einem gewissen, ruchlosen Vergleich recht geben. Und als sie einmal, bei Tante Adelens Eintritt ins Zimmer, sachte und scheinbar ganz unbeabsichtigt „quak — quak“ vor sich hingesagt hatten, konnte ihnen die Mutter nicht einmal einen Klapps geben, damit ihr die Jungens nicht, nach der Logik der bekannten Anekdote, mit der frechen Frage kamen: „Wen meintest du denn?“
„Mein Ängel!“ sagte Tante Adele überwältigt.
Renate stellte ihren Verlobten vor. Er küßte ritterlich den Trikothandschuh und sagte Verbindliches, worauf Tante Adele ihm innig die Hand drückte und ihn bedeutungsvoll mit schwimmendem Blick ansah, als schlösse sie ein schweigendes Bündnis mit ihm, das Zeit und Ewigkeit überdauern solle.
Hochhagen und Renate hörten Tante Adele zu.
„Vorgestern ist bei euch Verlobungsfete gewesen? — Ich nehme es nicht übel, daß ich nicht zugezogen wurde — Lüdermanns sind dagewesen? Es ist mir ja nur deshalb unangenehm, weil Frau Professor Lüdermann denken könnte, ich stehe nicht mehr so nahe ... Ach, Herr Kapitän, machen Sie das Kind glücklich. Sie ist ein Ängel ... Ich bin auf dem Weg zu deiner Mutter, um ihr Glück zu wünschen, obschon ich noch keine offizielle Anzeige erhalten habe. Ich störe Mama doch nicht? In so neuen Lebensverhältnissen werden die alten Freunde zuweilen lästig empfunden. Ich habe mir vorgenommen, ganz zurückhaltend zu sein und nichts übelzunehmen.“
Renate versicherte, daß Mama nicht gestört, sondern erfreut sein werde, und daß noch heute beim Frühstück von Tante Adele die Rede gewesen sei. Und dann setzte man seine Wege fort. Renate hatte unbestimmt das Gefühl, daß Tante Adele keinen sehr bestrickenden Eindruck gemacht haben konnte, und erklärte und entschuldigte: „Sie ist so lieb und gut. Aber weißt du: verkümmert. Nie hat ein Mann um sie angehalten, ihr den Hof gemacht, Wünsche auf sie gerichtet, Gefallen an ihr gefunden. Mama sagt, das habe ihr was Isoliertes gegeben. So, als stehe sie draußen am Gitter, und drinnen sei das Leben. Sie ist aber doch sehr nett ...“
Hochhagen sah schon: sein geliebtes Mädchen war jetzt allen Menschen gut. Denn er bezweifelte nicht im mindesten, daß sie ehedem, mit Fips und Heinz, übermütige Kritik an dieser gefühlvollen und beleidigten Dame geübt habe.
Aber er verstand ihre Stimmung: diesen Kuß der ganzen Welt ... Und das war wieder wie eine verborgene Liebeserklärung an ihn, die sein Gefühl nur immer noch steigerte.
Noch zweimal wurden sie von Kameraden angehalten, die nicht vorübergehen wollten, ohne Glück zu wünschen. Und während Hochhagen spürte, man denke: „Donnerwetter!“ und: „Der hat Dusel,“ sah er, daß Renate einen lachenden, naiven Stolz zeigte, darauf, daß er sie gewählt habe, vor allen Frauen sie ...
Wie das alles merkwürdig war: Rührend vor allen Dingen, aber doch auch verpflichtend, voll geheimen Ernstes — voll verborgener Tragweite ...
Endlich betraten sie Juttas Wohnung. Sie fanden schon Besuch vor: den Legationssekretär von Gamberg.
Gezwungen, in kühler Unterhaltung saß man dann im Balkonzimmer. Die alte Frau thronte auf dem Sofa, vor der bräunlichen Seidenwand, auf der Reiher von Goldstickerei lächerlich vornehm zwischen weißen, schimmernden Aprikosenblüten stelzten. Sie trug ein schwarzes Kleid mit einem schmalen, lila Westeneinsatz, der durch Haken geschlossen war, aber infolge ihrer Rundlichkeit zwischen den Haken ein wenig klaffte. Aus einer dieser Spalten kam das Schlänglein einer goldenen Uhrkette heraus, daran eine Troddel hing. Während des Sprechens nahm Frau von Falckenrott oft diese Troddel zwischen Daumen und Zeigefinger der Linken und spielte nervös damit.
Sie hatte einen gespannten Ausdruck voll versteckter Erregung. Wie jemand, der sich nicht am Platz fühlt, dadurch aber mehr gereizt und beleidigt als gerade unsicher geworden ist.
Jutta, in ihrem schlichten, weißen Kleid, sah sehr bleich aus. Sie tat genau das, was man „Konversation machen“ nennt. Sie versuchte unaufhörlich ein Gespräch zu unterhalten, das alle Anwesenden irgendwie zur Teilnahme daran bewegen mußte.
Hochhagen und Renate erfuhren, daß Herr von Gamberg gekommen sei, um Abschied zu nehmen.
„Ja,“ sagte er, „seit einigen Monaten habe ich mir das Vergnügen machen dürfen, nach Kiel zu fahren — die Montierung meiner Jacht zu verfolgen — ihre ersten Segelversuche — das hat mich unterhalten ...“
Hochhagen dachte, daß das nur ein Vorwand gewesen sei ... Herbert Gamberg war in der Vermögenslage, sich solche „Vorwände“ leisten zu können.
„Und das hat nun alles ein Ende? Die Fahrten nach Kiel? Das Interesse an der Jacht?“ fragte Hochhagen in gut erzielter Unbefangenheit.
„Ich trete jetzt meinen Urlaub an und nach seinem Ablauf meinen neuen Posten.“
„Ah — Sie sind versetzt.“
„Ja.“
Es war merkwürdig, daß Gamberg vermied, jetzt und hier zu sagen wohin. „Nun,“ dachte Hochhagen, „diplomatische Versetzungen sind kein Staatsgeheimnis, man wird es ja lesen ...“
Renate sprach mit der alten Frau.
„Als Ihr Bräut’jam eben hereinkam, ergriff es mich ... der Rock meines Malte, sein Bart, fast seine Figur — Gott, doch eine große Ähnlichkeit — und er ist immer ein treuer Freund meines Malte gewesen.“
Ihre Stimme bebte.
„Die Trennung ist Ihnen schwer?“ fragte Renate so liebevoll, als sie konnte. Denn in einer raschen, vorurteilsvollen Empfindung fühlte sie sich enttäuscht von der alten Dame.
„Doch ja ... besonders nun, wo ich hier in seiner Häuslichkeit bin ... und immer denken muß, er sehnt sich nach Frau und Kind.“
„Nein, Mutter, nach dem Kind kann Malte sich gar nicht sehnen,“ sprach Jutta unerwartet dazwischen, „er kennt es ja gar nicht. Es ist ihm eine Geschichte, daß er eins hat. Er vergißt es auch fast immer — das Kind ist sozusagen eine P.-S.-Angelegenheit für ihn.“
Sie sagte es ganz ohne Schärfe. Nur feststellend.
Aber das vielleicht war es gerade, was die alte Frau reizte. Sie sah an der Schwiegertochter vorbei und richtete Blick und Wort geradezu an Hochhagen, der bei Juttas Bemerkung sein oberflächliches Gespräch mit Gamberg abbrach und in plötzlich aufwallendem Unbehagen den Frauen zuhörte.
„Glauben Sie mir, lieber Herr Kapitän, für ganz kleine Kinder haben Männer nie eine so eifrige Teilnahme wie wir — ob sie nun im Haus sind oder weit weg — das ist gleich. — Aber man muß deshalb nicht denken, sie hätten kein Gefühl dafür. Das wäre ja unnatürlich, wenn sie es nicht hätten.“
„Es wäre vielleicht Pose, vielleicht Lüge, wenn sie von Vatergefühlen sprächen, in einem Fall wie diesem,“ sagte Jutta und bekam langsam ein heißes Gesicht; „ich glaube nicht an die sogenannte Stimme der Natur oder des Blutes. Tausend und aber tausend Beispiele sprechen dagegen. Ebensoviele dafür, daß sich Elternliebe nur aus der beständigsten und genauesten Erfüllung der Elternpflicht gebiert. Aber das ist ja eine ungeheuer umfassende Frage. Da wir sie nicht beantworten können, wollen wir sie auch nicht anschneiden.“
Und dann setzte sie noch hinzu, im gewaltsamen Versuch zu scherzen: „Ja, Malte ist eben dienstlich nicht in der Lage, sich Vaterfreuden hinzugeben.“
Den Scherz hörte die alte Frau gar nicht. Sie hatte ein eifervolles Gefühl, daß sie diese allerpersönlichste Angelegenheit nicht zu einer großen, allgemeinen Frage umbiegen lassen wollte.
Sie spürte in ihrem Empfinden: das beraubte den fernen Sohn und damit auch sie — bestritt ihr geradezu das ganz enge Anrecht an dies kleine Kind. Ihr kam es, seit sie hier war, vor, als müsse sie sich in ihrer Großmutterschaft betonen, während sie vorher, in der Heimat, sich einfach als die Hauptperson, als die Nächste zu dem Kindchen gefühlt hatte.
„Es ist beinahe immer,“ sprach sie mit sehr weinerlicher Stimme, „als mache Jutta meinem Sohn einen Vorwurf daraus, daß er weg ist.“
Sie lächelte, in einer eifrigen, künstlich freundlichen Art, damit man glauben möge, daß es scherzhaft gemeint sei, was sie sagte, während in ihrer ängstlich bebenden Stimme doch eine schwere Anklage mitschwang.
Renate sah sie fast furchtsam an. Von dieser alten Frau ging etwas Feindseliges aus — unbestimmt und unerquicklich.
Herr von Gamberg stand langsam auf und trat in die Balkontür.
„Aber liebe gnädige Frau, Sie verstehen Jutta gewiß falsch,“ sagte Hochhagen voller Herzlichkeit, „Ihre Schwiegertochter war, trotz all unserer Freundschaft, doch sehr einsam. Sie ist in den Fehler aller Nachdenklichen verfallen und hat sich die einfachsten Dinge kompliziert.“
Er sah Jutta an, bittend, aufmunternd — als wolle er ermahnen: schone die alte Frau.
Obgleich er schon begriff: diese beiden konnten einander weder schonen noch wohl tun. Obgleich er schon erkannte: die Ankunft der Mutter hatte die Lage nicht geklärt, hatte sie nur bedrohlicher gemacht.
Rechte und Art beider Frauen waren zu verschieden.
Hochhagen hatte des Freundes Mutter kennen gelernt, als unter allen Formen des Gefühlsüberschwangs Hochzeit gefeiert wurde. Als sich in dieser Mutter für das Hochzeitspaar eben alles Mütterliche verkörperte, weil auf der anderen Seite nur ein befangener Vater und eine unsicher sich gebende Stiefmutter stand. Damals hatte Freude und Rührung diese Frauentype zu einer besonderen Erscheinung von Tiefe und Würde gestaltet.
Nun schien ihm, als sei dies eine brave, liebevolle Frau aus jener Enge, in der man den Lauf des Lebens nur versteht, wenn er sacht zwischen dem Faschinenbau des Herkommens hinrinnt.
Nein, diese hatte gewiß nicht die feste, kluge Hand, die halten kann, ohne merken zu lassen: ich leite dich ...
Diese alte Frau konnte wahrscheinlich das Außergewöhnliche nicht mit Verständnis, sondern nur mit Lamentationen begleiten ...
Jetzt sprach die Mutter: „Alles ändert sich ja wohl mit der Zeit. In meiner Jugend las man ergreifende Geschichten von Frauen, die jahrelang warteten und spannen und ihre Kinder erzogen und still bereit in der Kemenate saßen, bis der Gatte aus dem Kreuzzug heimkam. Die Frauen von heute können nicht mehr so viel Geduld aufbringen, glaube ich.“
„Romantik liest sich immer besser, als daß sie sich erlebt,“ sagte Jutta.
„Ich hab’ immer gedacht, wenn’s mir so naheging, daß mein Junge so weit weg war: ja, an die Frauen aus der Franzosenzeit hab’ ich gedacht. Mein Mann hatte es von seiner Mutter und Großmutter erzählen hören: ihr Haar und ihren Trauring hat die Cornelie von Falckenrott auf dem Altar des Vaterlandes geopfert. Solche Opfer, auf einmal, wenn einen alles so hinreißt, das ist ja wohl immer leichter als die, die stille sind und lange währen. Aber ich hab’ mir dann gesagt: es hat ja einen großen Zweck.“
„Ganz gewiß,“ sprach Hochhagen warm, „das war gut und groß gedacht und gefühlt.“
„Ja, Mutter, du hast recht mit jedem Wort,“ sagte Jutta langsam.
Man wußte nicht recht, was man aus dieser Zustimmung machen sollte. Aber die alte Frau suchte einen Blick der Zufriedenheit an Hochhagen zu richten. Ihr war doch, als habe sie sich eben einen kleinen Sieg der Erfahrung und Weisheit über unbegreifliche Stimmungen der Jugend ersprochen. Das tat ihr wohl.
Sie wandte sich nun wieder zu Renate.
„Liebes Fräulein, Sie haben so ein ernsthaftes Gesicht bekommen. Ängstigen Sie sich nur nicht davor, daß Ihr Gatte in spe mal hinaus muß. Trennung facht Liebe meistens nur an. Das weiß ich aus Erfahrung. Wenn mein seliger Mann eine Inspektionsreise gemacht hatte — er war Oberforstmeister — Gott, ja, es ist doch eigentlich zu komisch, daß mein Malte so ganz in den Gegensatz gegangen ist. Meer und Wald ...“
So erzählte sie behaglich weiter und breitete ihre Gefühle von ehedem gern vor der jungen, respektvoll zuhörenden Renate hin.
Unterdes hatte Herr von Gamberg sich gezwungen, höflich zum Gespräch zurückzukehren.
Er erzählte Hochhagen einiges aus dem depeschierten Segelbericht, den Reiswitz wichtiger- und überflüssigerweise über den Sieg der „Freia“ geschickt. Man lächelte ein wenig und fand ein paar Handvoll Worte über die noch ausstehenden Sportveranstaltungen — Gamberg sagte, er werde nach Warnemünde fahren, um dort seine Jacht wiederzutreffen, die er mit nach Rügen zu nehmen denke — für kurze Zeit — man konnte aus seinen Worten, wenn man wollte, schließen, daß er vielleicht den Urlaub auf Rügen verleben wolle ...
Und dann errieten sich Hochhagen und Renate aus einem raschen Blick, mit dem sie gleichzeitig einander sagten: Nun können wir wohl gehen.
Man verabschiedete sich. Hochhagen kämpfte die Frage nieder: Wie wird es denn? Reisen Sie? Bleiben Sie? War das vorgestern abend Ihr letztes Wort in der Sache?
Er fühlte, es kam ihm nun nicht mehr zu, für den fernen Kameraden einzutreten.
Hier war seine Mutter! Wie sie auch für des Sohnes Rechte focht: klug oder töricht, man mußte ihrer Hand alles überlassen.
Die alte Frau von Falckenrott mochte nicht so schnell den Freund ihres Sohnes wieder verschwinden sehen. Sie hätte ihn am liebsten am Rockknopf festgehalten. Er war doch wie ein Teil vom Leben jenes fernen Lebens ...
Sie stand also mit auf, geleitete das Brautpaar durch das Zimmer und hielt es vor einem Zierschränkchen auf, wo ein Bild des Sohnes zwischen allerlei chinesischen Nippes aus einem blanken, japanischen Lackrahmen heraussah. Renate mußte es sehr aufmerksam betrachten, um die einzelnen Ähnlichkeiten in den Gesichtern von Mutter und Sohn festzustellen. Voll Genugtuung machte Frau von Falckenrott sie auf die gleiche Form der Stirnbogen und der Nase aufmerksam.
Auf den Flur ging sie mit hinaus und fing an der Klinke der Etagentür noch mit ausführlichen Kadettengeschichten an, deren sie sich aus ihres Maltes damaligen Briefen genau erinnerte. Man sah, Hochhagens und Rosenfelds junge Streiche standen noch frisch in ihrem Gedächtnis, als sei alles erst gestern gewesen, was diese drei mitsammen ausgefressen hatten. Und noch immer liebkoste ihr mütterlicher Stolz dankbar und bewundernd die Tatsache, daß es lauter harmlose Jünglingstaten gewesen seien.
Dies alles war unaussprechlich rührend. Und das alte Mutterherz befand sich bei diesen Gefühlsschwelgereien nur in seinem Recht. Renate schämte sich, daß sie die Frau nicht gern leiden mochte, und um dies vor ihrer Selbstkritik gutzumachen, zeigte sie nun ein dringliches Interesse an diesen alten, lachenden Geschichten.
Hochhagen aber erkannte gequält, daß die Mutter wohl in leidenschaftlicher Aufdringlichkeit der jungen Frau den Mann nahebringen wollte, in einem Augenblick, wo sie von ihm zurückzuweichen begann. Er wußte: das vertragen wenige Menschen — ermattende Liebe hat noch nie durch Zureden neue starke Kraft gewonnen.
Er war erleichtert, daß Renate ihm gutmütig und lebhaft das Gespräch mit der alten Frau fast ganz abnahm, bis man nach endlosen Verabschiedungen sich endlich trennte.
Unterdessen waren sie allein geblieben — Jutta und der Mann, der nun solchen bedeutungsvollen Abschied nahm.
Kaum daß die Tür sich hinter den dreien schloß, so trat er rasch an die junge Frau heran und nahm ihre Hand, sie mit pressendem Druck haltend.
„Daß dies meine letzten Minuten mit Ihnen sein müssen — vor solcher Trennung!“ sprach er in leidenschaftlichem Zorn.
„Ach, nichts ist mehr zu sagen — nichts,“ flüsterte Jutta ganz erschöpft von der Anstrengung. Sie fühlte nur: immerfort muß ich mich verteidigen — gegen alles und alle und gegen mich selbst — ich kann nicht mehr ...
„Sie werden mir schreiben — Ihre Entschlüsse, Ihre Stimmungen,“ drängte er.
Sie schien nicht zu hören. Sie sprach vor sich hin.
„Schuldig komme ich mir vor — und bin mir keiner Schuld bewußt. Die alte Frau setzt mich ins Unrecht ... irgendwie — von selbst ... Nur, weil sie da ist ...“
„Trennen Sie sich von ihr, so rasch, als es mit Schicklichkeit geht — ganz unbeeinflußt von ihr und von mir sollen Sie über sich entscheiden — darum flieh’ ich ... Eine Flucht, die mich etwas kostet ...“
Er küßte ihr die Hand, heiß und schweigend.
Er brauchte ihr nicht noch einmal zu sagen: willst du mein sein, erstreite ich dich von dem Mann und seiner Mutter — in offenem Kampf ... Glück, hinterrücks gestohlen, verbietet sich uns ...
Sie stand zitternd. Sie fühlte wohl — ihr Leben und das der Männer lag in ihrer Macht — Macht? Ach nein — Unschlüssige haben keine Macht ... Und als dumpfe Angst drückte sie das Gefühl, daß der Stärke ihres Temperaments keine klare Stärke des Willens beigesellt war ...
„Lebe wohl,“ sprach er ganz leise.
Sie sahen sich an. Mit ehernem Ernst. Zwei, die mehr die Drohungen als den Rausch der Liebe empfinden.
In diesem Augenblick erschien die alte Frau wieder in der Tür.
Sie sah die Blicke, die voll schweren Ausdrucks tief ineinander wurzelten zu letzter, stummer Aussprache ...
Ihr Gesicht wurde ganz grau. Sie wollte etwas sagen, bewegte nur die Lippen. —
Herbert Gamberg verneigte sich noch einmal tief vor Jutta.
Dann ging er, sehr ernst, auf die alte Frau zu, um in respektvollem Handkuß sich von ihr zu verabschieden.
Sie aber, linkisch halb, halb betäubt vor Zorn, verbarg vor ihm ihre Hand. Er verbeugte sich, in fremder Ehrfurcht, gemessen und doch ohne Befangenheit ... Und ging ...
„Was war ... was war das? ... Was will dieser Mann ... Und du? Du?“ stotterte sie und kam, fast besinnungslos, auf Jutta zu.
Sie wich ein wenig zurück, wie vor drohendem Angriff — das war unwillkürlich — dann faßte sie sich, sah der alten Frau gerade in das weiße Gesicht und sagte laut und stolz: „Du hättest ihm deine Hand geben dürfen.“
Mein lieber Malte! Nun hast Du meine Depesche erhalten, die Dir sagt, daß ich nicht kommen kann. Von was für lächerlichen Bedenken läßt man sich bestimmen. Warum habe ich nicht ein paar hundert Mark in die Hand genommen, um Dir eine sehr lange Depesche zu senden — eine, die von Gründen spricht?
Aber ich denke wiederum: wäre sie unverstümmelt angekommen? Hätte nicht ein entstelltes Wort eine Reihe von falschen Vorstellungen in Dir erwecken können? Dich in namenlose Bestürzungen und Sorgen bringen können? Vielleicht hat mich diese Erwägung bestimmt, Dir nur zu telegraphieren, daß ich mein kleines Kind nicht verlassen kann. Und Du ergänzt diese Mitteilung aus Deiner Phantasie heraus. Nimmst an: vielleicht ist das Kind kränklich; vielleicht ist Mutter doch schon zu alt, als daß man ihr mit solcher Unruhe kommen dürfte.
Nein, das Kind ist wohl. Mutter hätte es gern genommen. —
Als Du ausreistest, lieber Malte, gabst Du mir vorher einige Lehren über das Korrespondieren nach anderen Weltteilen. Es waren gewissermaßen Fundamentalsätze für den Briefverkehr mit fernen Familienmitgliedern. Du sagtest mir: dies dünne Überseepapier hat einen eigenen Charakter, es verträgt gewissermaßen nur Chronik, keine Psychologie. Du erklärtest mir: man muß keine Stimmungen über den Ozean hinweg mitteilen wollen. Bis die Mitteilung zu dem Herzen kommt, an das sie gerichtet ist, hat das Herz, das sie machte, sich schon längst wieder beruhigt. Kleinere seelische und körperliche Unpäßlichkeiten, sagtest Du, meldet man nicht an die andere Globushälfte. Man erweckt dort schmerzliche Sorgen zu einer Stunde, wo hier schon alles überwunden und vergessen ist.
Ich habe es vollkommen verstanden und mich nach besten Kräften danach gerichtet. Ich sah ein: es war eine kluge Grausamkeit — grausame Klugheit. Die Gemütsruhe des Fernen muß erkauft werden mit der beständigen Selbstbeherrschung des Zurückgebliebenen.
Und so habe ich mein Gefühl zurückgedämmt, wenn es hinströmen wollte; ich habe meine Seele zur Stummheit gezwungen. Ich habe versucht, Dir nur Berichterstattungen über meine Tagesläufe zu geben. Und ich habe verschwiegen, was in mir sich an seltsamen Kämpfen und Rätseln zutrug. Denn ich, lieber Malte, bin vielleicht eine von den unglücklichen Naturen, die mehr in sich erleben, als sie jemals mit Menschen und Welt erleben können.
Ich versank in ein Einsamkeitsgefühl beinahe ungeheurer Art, als Du fortgegangen warst. Und es kommt mir vor, als sei ich schon ein ganzes Menschenalter in dieser Einsamkeit ... eine lange, lange Zeit schon ... Und in dieser Zeit hat sich so viel in mir verändert, und mir scheint, ein ganz neuer Mensch ist aus mir geworden. Einer, den Du vielleicht gar nicht mehr liebhaben würdest, der fremd, der abstoßend auf Dich wirken kann.
Und nun muß ich doch viele Bogen Überseepapier vollschreiben. Denn mit der bloßen nüchternen Mitteilung von allerlei wichtigen und unwichtigen Tatsachen bleibe ich nicht mehr wahr.
Vielleicht hätte ich noch unbestimmbare Zeit mich von meiner inneren Unsicherheit niederdrücken lassen und mutlos weiter geschwiegen. Aber nun riefst Du mich ‚komme‘, und ich antwortete ‚nein‘. Und dafür willst Du Erklärungen. Es ist Dein Recht, sie zu erwarten. Ich will versuchen, sie zu geben, soweit man das Unerklärliche deutlich machen kann.
Laß mich bei dem beginnen, was ganz gewiß erst in zweiter Linie steht.
Ich meine, mein Verhältnis zu Deiner verehrungswürdigen Mutter. Aber ich kann Dir und mir vielleicht daran beweisen, wie Empfindungen und innerste Stimmung zu einem Menschen sich ändern können, ohne daß man den Grund aufzeigen kann. Ja, das Grundlose ist das eigentlich Furchtbare daran, das jäh Überraschende, das aus Tiefen unseres Wesens aufsteigt, von denen wir nichts wußten, und die wir deshalb auch nicht bewachen konnten.
Unser alter Hausarzt sagte oft: niemals kann man sich besser gegen Krankheiten schützen als bei Epidemien, denn man ist gewarnt; man ist nur waffenlos gegen noch nicht erkannte Gefahren.
Wie sollte ich mein Gemüt mit Pietät, mit Dankbarkeit bewaffnen? Ich wußte gar nicht, daß die ergebene Liebe, die es gehegt hatte, in Gefahr sei.
Weit zurück, einer Vergangenheit gleich, die nie wiederkehrt, mit der mich nichts mehr verbindet als eine Erinnerung, ist es mir, daß ich als Deine Braut Deiner Mutter glücklich dankbare Tochter war. Wie nun Deine Mutter wieder vor mir stand, die ich inzwischen vielleicht ein ganz anderer Mensch geworden bin, da schien mir alles fremd an ihr, und ich konnte es nicht begreifen, daß zwischen uns eine allernächste Gemeinsamkeit der Lebensinteressen sein sollte. Sie aber empfand diese Gemeinsamkeit als ihren gerechten Anspruch, obgleich auch in ihr eine Feindseligkeit gegen mich war oder erwachte.
Sie ist Deine gute, rührende, treue, opferfreudige Mutter. Kein Wort kann warm und groß genug in meinem Munde sein, sie zu loben.
Aber sie fand in mir nicht die elementare Sehnsucht nach Dir, nicht das Trennungsleid, wie es nach ihrem Maßstab sein sollte. Und sie fühlte sich gekränkt, weil ich, gerade wie sie, zuerst Mutter bin — nur Mutter. Weil ich mein Kind nicht verlassen will und kann um Deinetwillen, und weil ich es ihr nicht und niemand anvertrauen mag. Weil mir meine Mutterpflichten schmerzlich und bedrängend sind — denn mir ist mein Kind wie ein vaterloses Kind!
Nun ist es aber unter Frauen wohl so: eine will der anderen immer die Art ihres Gefühls aufzwingen. Und wo das unmöglich ist, entfernen sie sich rasch voneinander.
So haben Mutter und ich uns ganz rasch voneinander entfernt. Und gestern morgen, lieber Malte, ist sie wieder abgereist. Wir weinten, als die letzten Minuten herankamen. Bis dahin waren wir gezwungen, gereizt, unfrei miteinander. Aber in jenen allerletzten Augenblicken brach über uns eine leidenschaftliche Trauer herein, und wir weinten, als ständen wir an einem Grab.
Seit diesen kummervollen Augenblicken prüfe ich mich immerfort und suche nach meiner Schuld. Denn so ist mir: als sei ich schuldig vor diesem einfachen, eifrigen, treuen Mutterherzen.
Aber ich weiß meine Schuld nicht zu nennen. Heißt sie Treulosigkeit? Nein, gewiß nicht. Denn mein Herz ist voll Dankbarkeit für die Liebe, die Mutter mir einst gab. Heißt sie Unduldsamkeit? Ach, wie gleichgültig ist es in großen Krisen des Lebens, ob ein Mensch kleine Engigkeiten in seinem Auftreten und was für Angewohnheiten, was für Ansichten er hat.
Ich weiß nicht, was Mutter Dir schreiben wird, und wo Mutter die Gründe sieht, daß wir schmerzlich befremdet voreinander standen.
Vielleicht bin ich krank. Meine Seele ist vor Sehnsucht so müde geworden, daß sie nicht mehr kraftvoll empfinden kann.
Nun wirst Du sprechen: deshalb gerade riefest Du mich! Damit ich, von Sehnsucht befreit, wieder in heiterer Sicherheit ins Leben sehen lerne.
Aber jetzt, lieber Malte, jetzt muß ich Dir das Allerschwerste sagen. Gewiß verstimmt es Dich, daß Mutter und ich nicht mehr in Liebe uns fröhlich zueinander halten können wie einst. Aber Du denkst: das kommt vor — Schwiegertochter — Schwiegermutter — jung und alt — da findet sich schon einmal ein Übergang zu neuem Akkord, wenn’s denn auch andere Tonart wie ehedem ist. Du könntest recht haben. Wer weiß es.
Das, was ich jetzt sagen muß, ist viel ernster.
Ich weiß nicht mehr, ob ich mich nach Dir sehne!
Nun ist es geschrieben. Ich fühle: es ist furchtbar. Es ist gerade das, was man niemals einem Fernen über den Ozean hin schreiben soll: von innerem Kampf soll man schweigen.
Aber ich soll, ich muß, ich will wahr bleiben.
Verlörst Du nicht jeden, auch den letzten Anteil an mir, wenn ich Dir diese Kämpfe noch länger versteckte?
Sie begannen, wenn ich es selber recht weiß und erkenne, mir das Gemüt zu beschweren, von dem Tag an, wo mein Kind geboren war.
In dem Übermaß der Erregungen, die dieses Neue mir gab, war ich allein. Es kam mir vor, als gäbe es nichts auf der Welt, was so wichtig, so heilig sei, als Mutter werden. Und das ist auch gewißlich wahr. Nur weil ich allein war, wurde aus dem Jubel Schwere, aus dem Glück eine übermäßige Verantwortung. Mir kam vor, als sei das Kind mir ganz allein gegeben, und es war, als ströme all meine Liebe von Dir fort dem Kinde zu.
Ich weiß nicht, ob in jeder Frau in solcher Zeit die Gefahr solchen Gefühlswandels ist, und ob dann die liebevolle Gegenwart des Mannes für sein Recht spricht.
Immerfort denke ich seitdem darüber nach. Und je mehr ich dachte, je mehr bestritten meine Gedanken Dir Anteil an dem Kind, an mir.
Es kann wohl sein, daß die nächsten Freunde erraten haben, wie schwer ich an den Aufgaben des Lebens herumlöste. Denn Hochhagen hat es nicht vor mir verleugnet — von vollkommener Ehrlichkeit, wie er ist — daß er Dir die Idee anregte, mich nach Hongkong zu berufen. Auch Lisbeth und Rosenfeld redeten zuweilen weise und liebevoll auf mich ein. Aber zum Glück ist Lisbeth viel zu dringlich mit dem Amüsement des Daseins beschäftigt, als daß sie mich oft und zu sehr mit Trost gequält hätte. Nichts ist unerträglicher, als wenn einem Wohlmeinende verständig in Stimmungen hineinreden, die einem selbst noch völlig unverständlich sind. Aber andere Menschen erheben ja in aller Unbefangenheit oft den Anspruch, sie verständen uns ganz genau!
Meine Lage ist in den bisher bestandenen Formen meines Lebens nicht mehr ertragbar.
Ich habe beschlossen, meinen Hausstand aufzulösen und auf Reisen zu gehen. Ich werde alle Möbel, die ganze Einrichtung verpacken und in einem Speicher verwahren lassen. Erinnerst Du Dich noch an Martha? Sie war zu Haus schon meine Jungfer gewesen, seit Babys Geburt hat sie umgesattelt und wirkt auch als Kindermädchen, soweit ich die Kleine nicht selbst besorge. Martha ginge mit uns bis nach Feuerland, sagt sie, was ihr aus irgendeinem Grunde die unwirtlichste Gegend auf dem Erdball zu sein scheint.
Wir gehen aber nur nach der Schweiz und Italien.
Dieser Umwelt muß ich entrinnen. Sie läßt mich niemals zu einer freien Betrachtung meines Seelenzustandes kommen. Hier haben wir unser erstes, kurzes Eheglück gelebt. Hier begegne ich auf Schritt und Tritt Deinen Kameraden, die nach Dir fragen, die mich an Dich durch jene allgemeine Ähnlichkeit erinnern, die ein so stark charakterisierender Beruf und solche Uniform wie die Eurige ausprägt. Hier treffe ich andere Frauen, die in ganz unerschütterter Gemütsruhe von ihrem fernen Mann reden können, die es gar nicht als etwas schreckhaft Großes empfinden, ein Kind in die Welt zu setzen, während der Gatte bei den Antipoden ist. Und diese Gleichmütigen machen mich vor mir selbst zu einer Krankhaften, einer Ausnahme. Ich frage mich dann: bin ich so überfein, so sehr leicht verwundbar? ...
Wenn ich es bin, dann hätte ich Dich niemals heiraten dürfen, denn ich wußte ja: dies Opfer konnte an mich herantreten! Und als ich damals in der Theorie davon sprach, schien es mir groß und erhebend.
Vor mir tut sich die furchtbare Frage auf: hab’ ich nicht genug der Liebe in meinem Herzen gehabt?
Und mir ist, als müßte ich wandern, wandern, damit meine Seele Klarheit fände über sich — ob sie denn wirklich von Dir fortgegangen ist — und wohin sie will.
Denke nicht, lieber Malte, daß ich mir gar keine Mühe gegeben habe. Freundlich lebte ich mit Deinen Freunden. Ich habe mich durch Lisbeth und Rosenfeld und auf Hochhagens Zureden in die Vergnügungen der Kieler Woche hineinzerren lassen. Ich habe mich nicht einsiedlerisch und melancholisch gehen lassen: gezwungen habe ich mich, an jedem Alltagsgeschehen teilzunehmen, immer in dem Wunsch, festzustellen: ja, die Welt ist in Ordnung, nur in mir ist etwas aus der Ordnung.
Ja, das ist es gewiß. Ich will Dir als Beispiel davon gestehen, daß ich oft die brüderliche Fürsorglichkeit Hochhagens als eine Art Wachtdienst empfand, den er in Deinem Namen ausübte. Mein Verstand sagte es mir immer ganz klar, daß Emmich nur aus seinem warmen, redlichen Herzen heraus tat, was er als Dein bester Kamerad Dir schuldig zu sein glaubte. Und meine überreizten Nerven wehrten sich gegen seine Treue, weil mir war, als beleidige mich sein Schutz — als werde ich dadurch zu einer Frau gestempelt, der man einen Schritt vom Wege wohl zutrauen könne.
Ja, siehst Du es hieran? Ich bin auf irgendeine Weise aus dem Gleichgewicht.
Und ich muß den Weg suchen, der mich zur Klarheit, zur Ruhe zurückführt. Ich hoffe ihn zu finden, indem ich mich von hier entferne.
Daß ich mit meinem Kind nicht in mein Vaterhaus mich flüchten kann, weißt Du wohl. Vater und seine Frau waren ja vor acht Wochen zur Taufe von Baby hier, Vater zerstreut, feierlich, eilig. Mit der Miene eines, der viel wichtigere, größere Dinge verlassen hat, als die sind, bei denen er im Moment aus unumgänglichen Familienrücksichten repräsentieren muß. Mit mehr verlegenem Erstaunen als mit Verständnis und Rührung in der neuen Würde. Mit kaum ertragener Ungeduld in der fremden Umwelt, darin andere Werte gelten als in der seinen. Du weißt ja: autokratische Männer leiden förmlich in einem Kreis, in dem ihre Autokratie nichts gilt, nicht verstanden, nicht einmal gekannt ist. Und Vaters Frau kam aus lauter Vorsicht nicht zu einem natürlichen Gespräch. In ihrer beständigen Angst, sich Blößen zu geben, war sie geziert. Und das ist ja das letzte, was einem derbgearteten Wesen von bescheidener Herkunft gut ansteht. Wenn sie unbefangen ihren gesunden Menschenverstand sprechen läßt, hat sie wohl Augenblicke, wo man ihr Respekt nicht versagen kann.
Ich bemühte mich, ihr zu helfen. Ich sehe so gar nicht in ihr die Nachfolgerin meiner Mutter, daß ich beinahe ohne Vorurteile mit ihr verkehren könnte. Alle meine Versuche, sie frei und sicher im Verkehr zu stimmen, blieben aber erfolglos. Es war immer, als habe sie vor mir ein schlechtes Gewissen, weil sie meines Vaters Frau geworden ist. Dies war vom ersten Tag an so, es war zu meiner Brautzeit so, so ist es geblieben auch jetzt, wo ich ihr, losgelöst vom Vaterhaus, als Frau, als wirtschaftlich selbständiger Mensch gegenüberstand. Und also ist es unabänderlich.
Mit diesem Vater, der keine Zeit und Stimmung für mich hat, mit dieser Frau, die in einer ganz anderen Gefühls- und Bildungszone lebt als ich, kann ich nicht auf dem Land zusammenwohnen.
Das bedarf auch vor Dir keiner weiteren Begründung.
Du hast mich allein lassen müssen. Die höhere Sache, die wichtiger ist als das Einzelschicksal einer Frau, die nicht leicht mit sich zurechtkommen kann, die verlangte das von Dir.
Meine Lage bringt es demnach mit sich, daß ich nun durchaus selbständig über die Formen meines Lebens mich zu entscheiden habe. Du bist zu fern, um mich beraten zu können. Aus solcher Ferne kann man in das Herz und in die Tage einer Frau nicht deutlich hineinsehen.
Aber wenn Du auch nicht mit Deinem Rat bei mir sein kannst, so bist Du doch in einer anderen Weise allgegenwärtig in meinem Leben: mit Deinem Namen, Deiner Ehre!
Mir ist, als müßte ich Dir das wie ein Gelöbnis in einem Augenblick sagen, wo ich meine unklaren Gefühlszustände Dir eingestehe.
Für das, was in meinem Herzen, mir selbst ein trauriges Rätsel, vorgeht, bin ich nicht verantwortlich.
Aber für meine Handlungen bin ich es und will es bleiben, damit ich immer Dir und Deiner Mutter frei in die Augen zu sehen vermöchte.
Deshalb wünsche ich, Dir genau meine nächsten Schritte zu erklären. Deshalb habe ich Dir noch einmal ins Gedächtnis zurückgerufen, was wir ja schon so oft vor Deiner Ausreise besprachen, daß ich bei meinem Vater eine Zuflucht nicht suchen kann.
Ich sagte: ich wolle fort, weil ich, unter ganz fremden Menschen, unter neuen Eindrücken einsam lebend, mich recht prüfen zu können hoffe.
Nun fügt es sich aber so, daß ich doch nicht einsam sein soll, und daß ich die Gesellschaft, die sich mir anbietet, nicht abweisen kann, ohne undankbar, ja, ohne auffallend zu erscheinen.
Ich werde mit Emmichs Braut und deren Eltern nicht geradezu reisen, aber doch mich mit ihnen an benachbarten und an gleichen Orten zusammenfinden.
Mit dieser selben Post schreibt Dir natürlich Emmich Hochhagen von seinem großen Glück, und an ausführlichen Hymnen über seine Braut wird er es nicht fehlen lassen. Auch Rosenfeld oder vielmehr Lisbeth wird Bericht erstatten, denn sie hat von damals her, wo Du noch nicht verheiratet warst und gleich anderen Kameraden von ihr an ihren Wagen gespannt wurdest, eine gewisse Eile, Dir bei jeder Gelegenheit zu schreiben. Man wird nur in Superlativen sprechen. Du weißt, daß ich mich nicht rasch anschließe, und daß auch andere Frauen gegen mich meist eine abwartende Haltung einnahmen. Als spürten sie, daß sie mir fast immer gleichgültig bleiben, oder daß ich da, wo ich mich zu interessieren anfange, leicht zu viel erwarte und dann in die erkältendste Enttäuschung falle ... so daß es für sie und mich beinahe gefährlich ist, wenn ich mich interessiere ...
Aber zu Renate Gervasius fühle ich mich in einer Weise hingezogen, wie es mir noch nicht vorgekommen ist. Ich habe wenig Gelegenheit gehabt, nah mit jungen Mädchen und Frauen zu verkehren. Wenn ich mit meiner Mutter im Sommer auf Schmylau zu Besuch war, verstand ich mich gut mit Lu und Fi. Durch unsere Heiraten kamen wir wie von selbst auseinander. Wir heirateten sozusagen in alle Wind- und Kulturrichtungen hinein. Hier wurde mir dann Lisbeth als ‚Freundin‘ in mein Dasein eingereiht. Lisbeth ist ein Bruder Lustig und eine gutherzige Frau, mit der man aber doch nicht ernsthaft sich über wichtigere Fragen auseinandersetzen kann.
Renate ist mir mit einer großen Liebe entgegengekommen, die noch den kleinen Zusatz von grundloser Schwärmerei hat, wie ganz unerfahrene Herzen sie hegen können. Renate ist wirklich sehr hübsch. Ihre regelmäßigen Züge mögen vielleicht nach ein paar Jahren eben durch Linienreinheit auffallen. Jetzt bezaubern sie durch die Weichheit. Obgleich ich ja nun Renate erst seit acht Tagen kenne, habe auch ich sie schon sehr lieb. Und der Gedanke, doch mit Menschen aus der hiesigen Welt zusammen zu sein, der mir noch vor acht Tagen unerwünscht schien, ist mir angenehm geworden, weil dies holde Mädchen meine Freundin sein will. Frau Geheimrat Gervasius ist eine sympathische Frau. Ein wenig Kristallkugel: sehr klar und abgerundet für sich, aber nicht mehr aufnahmefähig für Menschen und Dinge, die nicht schon, zugleich mit ihrem Werdegang, in ihr eigenes Leben fest mit einbeschlossen wurden. Der Geheimrat ist sehr bedeutend — nun, das versteht sich ja von selbst, das sagt sein Wirken, seine Stellung — ich meine: man spürt seinen beweglichen Geist, und es ist ein heiterer Geist in ihm — im merkwürdigen Gegensatz zu seinem Beruf.
Sie haben es mir angeboten, daß ich mich an sie anschließen darf. Vielleicht ist es wieder die Regie von Emmich. Aber in diesem Fall sehe ich nichts Erbitterndes darin.
Ich werde also zunächst in die Schweiz gehen. Die Wahl des Ortes war schwer. Der Geheimrat sah mich gestern abend, als ich zum erstenmal allein dort war, so oft beobachtend an. Er meinte, mir täte Hochalpenluft sehr not, ich sei wohl noch etwas erschöpft vom Wochenbett, habe mir nachher nicht genug Schonung gegönnt. Aber ich glaube, ich bin ganz wohl. Ich kann dem fremden Mann, der weder mein Arzt noch mein Freund ist, sondern nur erst ein Bekannter, der mir gütig begegnet, ich kann ihm nicht sagen, daß nur meine Seele krank ist, von all der Mühe, die Wahrheit und das Ziel des Lebens zu suchen.
Die Rücksicht auf mein kleines Kind muß immer das erste sein. Man darf das Experiment nicht machen, ob so eine kleine Lunge Hochalpenluft vertragen kann. Gervasius’ gehen nach Caux, hoch über dem Genfersee. Ich bleibe in der Nähe seiner Ufer. Es gibt da auch Plätze, die kühl sind, selbst im Sommer. Es ist die Rede von einer kleinen Pension, die hoch über der Uferstraße, im Schatten eines gewaltigen, bewaldeten Felsvorsprungs, unter Tannen fast versteckt liegt, oberhalb Chillon. Später, Anfang September, gehe ich nach Italien. Den Winter möchte ich in der Nähe Roms verleben. Nicht in der Stadt selbst, in Frascati vielleicht, oder wo sich mir sonst die Gelegenheit zu einer vorübergehenden Heimat bietet, die mir angenehm scheint. Aber im September bleibe ich noch mit Gervasius’ zusammen; die Geheimrätin, die eine Disposition zu rheumatischen Zuständen hat, denkt die heißen Höhlen von Monsummano zu benutzen; sie befinden sich in der Gegend bei Pistoja.
Es ist natürlich unmöglich, Dir Briefadressen zu notieren. Wie könnte ich mich von hier aus und schon jetzt dafür verbürgen, daß sie zutreffend bleiben. Unberechenbare Zufälle können mich, können uns bestimmen, Pläne und Plätze zu wechseln. Schreibe also nach Kiel. Ich werde die Post von meiner Adresse stets unterrichten. —
So weit, lieber Malte, kam ich gestern. Die halbe Nacht hatte ich geschrieben. Und nun ist es wieder still um mich her, und ich will versuchen, den Brief zu schließen. Wie unmöglich es mir auch scheint — denn es ist ja kein Brief — es ist ein Teil meines Lebens — ich möchte fortfahren zu sprechen und zu sprechen, bis ich eine unerschütterliche Wahrheit an sein Ende setzen könnte.
Alles, was ich schrieb, kommt mir dürftig vor. Besonders weil ich mir sagen muß : Du kannst es nicht begreifen. Wie solltest Du auch! Für Dich steht ein Bild fest: das von mir und unserer Liebe, wie alles war, da wir uns trennten.
Aber nur in der Erinnerung steht ein Wesen und ein Gefühl fest — im Leben wächst und wandelt alles weiter.
Und wir waren nicht Hand in Hand, als neue, große Dinge über mich kamen. Das ist es.
Leb wohl. Ich tue Dir weh. Ich wäre glücklicher, wenn ich Dir wohltun könnte. Aber ist in einer schmerzlichen Wahrheit nicht mehr Würde als in einer Lüge?
Leb wohl.
J.“
Als dieser Brief geschlossen und fortgesandt war, hatte die junge Frau einen kurzen Rausch von Genesungskräftigkeit. Nun war es gesagt! Dies einfache Gefühl: wahr gewesen zu sein, schien schon fast alle Fragen gelöst zu haben. Sie genoß die Empfindung, ihre Last von sich fort auf eine andere Seele gewälzt zu haben. Dies erste, unbewußt egoistische Fühlen, das einer Aussprache folgt. Sie dachte immerfort: „Daß mein Herz sich von ihm wendet, mußte ich ihm sagen. Wohin es sich wendet, das darf ich ihm nicht sagen. Sein Anteil an meinem Leben, sein Anrecht an mich endet mit meiner Liebe.“
Sie begann den Aufbruch vorzubereiten. Nach Art temperamentvoller Frauen konnte sie ein Gefühl der Befriedigung haben, wenn Arbeiten, die Überblick und ein gewisses organisatorisches Talent forderten, sie ganz in Anspruch nahmen.
Und immer wieder erzählte sie es mit halblauter Stimme dem kleinen Kind und nickte ihm zu, liebkosend, als verstehe es schon den Inhalt menschlicher Rede: „Wir gehen fort — in die schöne weite Welt gehen wir — da finden wir vielleicht das Glück ...“ Und das Kind lag in ihrem Schoß und trank aus der Flasche und sah mit blanken, stillen Augen zu dem hellen Fleck empor — den es noch nicht bewußt als das Gesicht der Mutter empfand — so lag es, von Behagen erfüllt, reinlich und angenehm, bis ihm vor Sattheit die Lider sanken.
„Wie rasch ist doch die Poesie eines Heims zerstört,“ dachte Jutta voll Beklemmung. Alles, was den Reiz einer Wohnung ausmacht, ist ja nicht vom Tapezier geliefert. Die Sachen allein haben den Zauber nicht in sich. Die Hand, die voll Liebe und Geschmack alles stellte und ordnete, nach zahllosen Versuchen und zärtlichen Berechnungen, die hatte alles gemacht ... „Meine eigene Hand,“ dachte sie.
Und plötzlich, indem das Haus zerfiel, begannen die Dinge zu reden. Es war förmlich, als seien in allen Ecken und Winkeln Geister versteckt gewesen, die sich aufgestört fühlten und in dringlichen, empörten Vorstellungen zu der Zerstörerin sprachen: Weißt du noch — weißt du noch? ...
Mit wieviel Vergnügen und Neckerei hatte Malte das oft erneute Umstellen der Möbel, die stets veränderte Anordnung der bunten Reiseerinnerungen begleitet. Immer, wenn er vom Dienst heimkam, sah er, daß an der Zierlichkeit und Gemütlichkeit des eigenen Nestes weitergeschafft worden war. Und er staunte die Erfindungsgabe der jungen Frau an — er lobte sie, wie nur verliebte Ehemänner loben können. Er genoß die Wohnlichkeit, Sauberkeit und Ordnung, wie nur Männer vermögen, die schon lange angefangen hatten, unter der Burschenwirtschaft zu leiden.
O ja — Jutta wußte noch ...
Und mit einem Male fühlte sie: das tat weh. Es war, als töte man ein Lebendiges ... Als beleidige und verleugne man ein Stück des eigenen Daseins, indem man dieses Heim umwarf ...
Der Gedanke kam ihr, es stehen zu lassen. Verschlossen und verhängt. Als Tempel der Erinnerung. Als Zufluchtsstätte.
Die stillen, gelehrten Leute unten im Haus würden sehr zufrieden damit sein und die Schlüssel wohl hüten.
Aber da war die harte Wirklichkeit, die sprach: das kostet zu viel Geld.
Ein Reiseleben wurde begonnen auf unbestimmte Zeit — das wurde teurer vielleicht als die bisherige Art der Wirtschaft. Die Ersparnis an Miete und Steuern glich es aus.
Aber wenn das auch nicht gewesen wäre: ja — auf unbestimmte Zeit zog sie hinaus — unbestimmten Zielen entgegen — hinein in die Wirrnis des Lebens — kein sichtbarer Halt darin als das kleine Kind — keine zwingende Pflicht als diese allein — frei zu jeder neuen Gestaltung der Zukunft, wenn das Kind darin seinen gerechten Platz fände ...
Wer wußte was von Rückkehr? Ob? Wann?
„Niemals!“ sagte eine Stimme.
Es war Jutta, als habe das hier jemand laut ausgerufen.
Weinend sank sie in sich zusammen und legte ihr Gesicht in die verschränkten Arme auf den Tisch.
Lisbeth Rosenfeld kam.
„Ach, Liebes,“ sagte sie, „dies ist ja schrecklich! Wie oft sind wir hier himmlisch vergnügt gewesen. Weißt du noch auf eurer ersten Gesellschaft? Malte hatte Lampenfieber. Man sah es. Ich freute mich halbtot. Denn wie Männer so sind: anderswo war er immer gewaltig kritisch, wenn er merkte, daß der Hausherr oder die Hausfrau Unruhe hatten. O — und euer Bursche — es war himmlisch — wie im Lustspiel — weißt du noch, er hielt die Hand oben auf die Sektflasche, damit nichts heraussprudle — wir kamen um vor Pläsier — er merkte, der arme Kerl, daß wir über ihn lachten ... Hör’ mal, überhaupt: du bist ein Geizkragen. Ich hätte alles stehen lassen bis zur Rückkehr nach einem Jahr oder so ... Malte ist ja wohl nicht sentimental — aber ich denk’ mir: es wäre mehr Heimkehrstimmung gewesen, wenn er dich in diesen vier Pfählen wieder vorgefunden hätte. Und du denkst an Sparen von Steuern und Miete.“
„Ich würde mir einen Vorwurf daraus machen, wenn meine Reise mein Budget in Unordnung brächte.“
„O Gott, wie weise! Hör’ mal, du Liebes: ich sagte, Malte sei ja wohl nicht sentimental — ich will dir mal ’ne Beobachtung anvertrauen: alle sind sie ein bißchen sentimental — so in ’ner letzten geheimsten Gemütsecke. Ist dir noch nie aufgefallen, daß nirgends so viel Blumen verschenkt werden wie in der Marine? Ja — an Bord wächst das Blümlein Poesie nicht, und auf dem Meer grünt kein Frühling ... Da ist ihnen, als müßten sie an Land alles Schöne und Liebe in die vollen Hände nehmen. Na — und so, in ’ner gewissen Ideenverbindung mit sentimental und so weiter: aufrichtig: Malte findet sich vielleicht schwer zurecht, wenn er heimkommt: ’ne neue Wohnung — ’n Kind — fabelhaft viel neue Bekanntschaften auf einmal.“
Jutta lächelte mit Mühe. Sie machte eine Handbewegung, die ungefähr auszudrücken schien: Ach, das ist noch so lange hin ...
„Könnt’ ich dir bloß meine Lebensauffassung beibringen! Du bist zu schwerblütig, Liebes. Man muß das Leben nehmen, wie es ist, und die Feste feiern, wie sie fallen. Du bist immer so gewissermaßen in den schwarzen Mantel der Tragik eingehüllt.“
„Das ist wohl Temperamentsache.“
„Gewiß. Aber so ’n bißchen kann man sich auch was abtrotzen. Ich weiß recht gut: die Trennung, und daß deine Kleine kam, während Malte fort war, das hast du so merkwürdig mühsam getragen. Herrjes — er kommt ja wieder. So ’n Ehemann, der’s gut zu Haus hatte, der läuft einem nicht weg. Und dann Baby ...“
Sie lachte hell auf. Ihr fiel ein riesiger Spaß ein.
„Das hab’ ich dir ja wohl nie erzählt, die berühmte Geschichte mit meiner Lite? Die war doch in Erscheinung getreten, als Hektor in Westindien war. Na, als das Schulschiff heimkam, heckte ich mir was Famoses aus. Wir wohnten damals mit Platows in einem Haus. Ich hole mir also die kleine Platow, die war zwar ’n paar Wochen älter als Lite — aber was weiß ’n Mann davon ... ich pack’ beide Gören in ein Bett und sage: ‚Lieber Hektor, suche dir gefälligst Fräulein von Rosenfeld, deine Tochter, aus!‘ Und er sagt — kannst du es wohl glauben? — sagt schlankweg: ‚Die!‘ Und tippt mit kolossaler Unfehlbarkeit auf das Platowsche Wurm. Es sah natürlich schon nach mehr aus als unsere kleine Lite, die kaum sechs Wochen war. Nu, und da hatte seine Männereitelkeit das Gefühl: das beste Exemplar von diesen zwei Wickelkindern gehört selbstverständlich mir! Ach, was haben wir gelacht! Noch immer muß ich lachen, wenn’s mir wieder einfällt.“
„Du hast viel Talent, aus dem Leben ein Vergnügen zu machen,“ sagte Jutta.
„Gottlob. Deshalb würde ich auch zum Beispiel nie mit einem kleinen Kind reisen. Liebes — ernsthaft — findest du es richtig?“
„Warum sollte es nicht richtig sein?“ fragte Jutta überrascht, „ich gehe ja mit dem Kind in ein Klima, das besser ist als das von Kiel.“
„Klima? — Na ja, das wohl. — Na, das ist auch deine Sache. Also, Liebes: warum ich hauptsächlich komme: wir planen ein Abschiedsfest für dich.“
„Nein,“ bat Jutta mit heißem Gesicht, offenkundig entsetzt. „Das tut mir nicht an.“
„Sonnabend muß es sein, dann sind die Schiffe im Hafen.“
„Ich flehe dich an ... nein. Ich käme nicht.“
Und zuletzt mußte Lisbeth Rosenfeld das Unfaßliche wohl einsehen: Jutta wollte kein Fest.
Aber da ihr während der Debatte einfiel, daß man ja ebensogut zu Ehren von Renate und Emmich, vor Abreise der Braut, ein paar Freunde zum Abendessen bitten könne, tröstete sie sich. Wenn ihr nur von irgendwoher aus der Ferne eine Fiedel im Ohr klang, war sie mit der Welt und sich zufrieden.
Das war also Lisbeth.
Und Renate kam und wollte durchaus helfen. Sonst, sagte sie, müsse sie der Mama tüchtig an die Hand gehen, wenn die in den Vorbereitungen zur großen Ferienreise stecke. Aber diesmal heiße es: Du bist Braut, hast Festtage. Und so habe Mama Heinz und Fips ganz allein wegbesorgt, und sie seien schon mit ihren Pensionseltern nach Sylt abgereist. Mama sei doch unbegreiflich tüchtig, klug und aufopfernd.
Voll Begeisterung für die Eigenschaften ihrer Mutter sagte sie es.
Nun sei es merkwürdig still im Haus. Störenden Lärm dürften Heinz und Fips ja nie machen, aber es wäre immer solch drolliges, unterdrücktes Rumoren. Und man könne gar nicht beschreiben, was für ehrliche und couragierte Jungens es seien.
Vor zärtlicher Schwesterliebe glänzten ihr die Augen.
Jutta wollte aber nicht erlauben, daß man ihr beistehe: fremde Hände könnten nie helfen; ehe man sie leite, habe man alles selbst getan.
Die junge Braut bedurfte aber irgendwie der Nähe der neuen Freundin. Hier fand sie für alle ihre Fragen und all ihr unersättliches Interesse am Beruf des Verlobten gewissermaßen sachverständige Antworten. Sie sagte: Papa necke sie schon sehr. Ehedem habe er sich für einen leidlich unterrichteten und autoritativen Mann auf einigen nicht unwesentlichen Gebieten des Wissens gehalten, aber jetzt sehe er ein, daß er sich vor seiner Tochter nicht mehr behaupten könne, weil ihm die Abzeichenunterschiede zwischen einem Steuermannsmaat und einem Obermaschinenmaat nicht geläufig seien.
Sie erzählte es mit strahlendem Lächeln, verliebt in den munteren Humor ihres berühmten Papas.
Jutta dachte: „So viel fröhliche und zärtliche Harmonie in einer Familie habe ich noch nie gesehen.“
Und weiter dachte sie: „Warum verläßt das holde Geschöpf diesen ihren sicheren, hellen, warmen Platz — zu welchen Schicksalen? Ach, das Leben fängt für uns erst richtig an, wenn wir es als Frauen verantwortlich zu tragen haben.“
Aus ihrem eigenen schweren Herzen heraus hätte sie warnen mögen: bleibe die lachende und behütete, geliebte Tochter deiner Eltern — noch lange, lange ...
Renate dachte nicht daran, daß sie vielleicht störe, indem sie zwischen den Körben und Koffern herumsaß. Zuweilen löste sich aus der Fülle der Dinge, die hier geschichtet und verpackt wurden, eine Kleinigkeit los, die ihr als Schatz in den Schoß fiel: da waren ein paar Jugendbilder: Emmich Hochhagen als Leutnant z. S, ein Gruppenbild: Emmich, Rosenfeld und Malte, mit noch fünf Kameraden, als Seekadetten in den Steinbrüchen bei Syrakus; ein silberner, schmaler Becher, unter dessen Boden eingraviert stand: E. H. s. l. M. v. F. Und noch viele andere kameradschaftliche Erinnerungen an das gemeinsame Leben der Freunde.
Renate lachte alles an — machte aus jeder Sache eine Quelle der Freude. Alles sprach doch von ihm.
Aber schließlich wurde sie still. Der ernsthafte und schweigende Eifer, mit dem die junge Frau ihr Heim zerstörte, bedrückte sie.
Sie fing an, sich allerlei träumenden, vergleichenden Gedanken zu ergeben.
Als Kind hatte sie einmal eine große, sehr schöne Spieldose gehabt, auf der sich beim Klang der Töne Tänzerpaare anmutsvoll bewegten. Ihr fiel eines Tages ein, die Paare umzustellen, neu zu ordnen. Sie nahm die Mechanik auseinander. Als sie dann mit großer Sorgfalt neu zusammengefügt wurde, klangen die zarten Töne nicht mehr, und die Tänzerpaare kreisten nicht wieder. Das fiel ihr jetzt so wunderlich deutlich ein. Und in ihrem Ohr war ganz genau die zierliche, leise, melancholische Melodie des alten Wiener Walzers — ja, in Moll war sie gesetzt gewesen ...
„Jutta,“ begann sie etwas scheu, „tut es dir nicht weh? Ich meine: daß dies hier nun alles aufhört? Es war so hübsch. Und es hatte doch eine Geschichte für dich — hatte es nicht?“
Jutta richtete sich von der Kommodenschublade auf, über die sie gebückt gestanden. Sie strich die Haare aus dem Gesicht und sagte: „Ja, es tut weh.“
Der Ton war hart und kurz.
Warum? wollte Renate fragen, warum denn sich selbst weh tun?
Ach, immer weniger konnte sie es begreifen. Die Geschichte ihrer eigenen Liebe war noch so jung und für Fremde ganz alltäglich; aber dennoch hütete sie schon in ihrem Schubfach Erinnerungskleinode, von denen sie sich um keinen Preis getrennt hätte: das waren doch nicht Tisch- und Tanzkarten, nicht welke Blumen und Schiffsbänder — das waren eben Dokumente ihrer Herzenserlebnisse.
Und hier warfen die Hände, die ihn selbst errichtet, den ganzen Tempelbau zusammen?
Aber sie wagte nicht näher nachzufragen. Jutta dachte angstvoll: ich muß es ihr irgendwie erklären. Ihr war, als gehe hier ein Unrecht vor, und eine junge unschuldige Seele werde des Zeuge.
„Ja, weil dieses Heim Geschichte, zu viel Geschichte für mich hat, mag ich nicht mehr darin bleiben,“ sprach sie. „Ich habe mich in der letzten Zeit sehr unglücklich darin gefühlt.“
„Das kann es geben,“ dachte Renate bestürzt. Zwischen ihr und dem Leben hingen goldene Schleier. Sie hatte immer gewähnt: Glück, wenn man es einmal besaß, hat ewige Kraft, wirkt in alle Zukunft hinein — läßt nie Leere aufkommen.
Immer kam Renate in strahlender Fröhlichkeit. Und still, das ganze Wesen von Mitleid und Nachdenklichkeit erfüllt, ging sie davon.
Aber für ihr wie für jedes junge Herz hatte alles geheimnisvoll und leidenschaftlich Traurige eine unwiderstehliche Anziehungskraft.
Jeden Tag kam sie deshalb wieder. Emmich hatte sein Bordkommando angetreten und war wochentags mit der „Thuringia“ zu Schießübungen auf See.
Die Geheimrätin ließ die Tochter gern gehen. Sie begriff: Kameradenfrauen — das war nun neu und wichtig für Renate. Und dann hatte sie auch Mitleid für Frau von Falckenrott. „Die ist ja krank vor Sehnsucht nach ihrem Mann,“ dachte sie herzlich.
Und Renate hatte so viel köstliche Gesundheit in sich. Die mußte jeder kranken Seele wohltun. Gerade die Geheimrätin hätte wissen können, daß die Kranken zuweilen die Gesunden vergiften ...
Nun war es keine Häuslichkeit mehr. Nun waren es nur noch Wände, vor denen die Stücke aus Holz und Polsterwerk standen, die vom Möbelhändler aus zu einer Einrichtung gehören.
Lauter klang der Schrei des Kindes in diesen kahlen Räumen. Und es war der jungen Mutter, als sei dringende Klage darin.
Härter hallte der Schritt vom teppichlosen Estrich wider. Ein Wanderschritt ...
Von den Wänden sahen merkwürdige helle Flächen. In den mildgetönten Tapeten gab es Quadrate, hoch und quer, klein und groß — da war das Papier noch stärker gefärbt — all diese Stellen halfen dem Gedächtnis, dort noch die Bilder zu sehen, die doch nicht mehr dahingen.
Alles, was auf Borden, in Schranknischen, auf Ziertischen gestanden an indischem Silber, chinesischem Porzellan, japanischem Cloisonné, war zwischen Heu in tiefen Kisten verschwunden.
Nur auf dem sonst schon kahlen Schreibtisch stand einsam das Bild des Mannes, der einmal hier der Hausherr gewesen war.
Es sah in all die Unwirtlichkeiten hinein.
Und Jutta wagte nicht, es anzutasten.
Vor diesem Bild hatte sie einst gesessen und sehnsuchtsvoll Lebendigkeit hineingesehen — bis ihr war, als leuchte aus diesen Augen Liebe, als kämen, vernehmbar, herzliche Trostesworte aus diesem Mund.
Dann waren Zeiten gekommen, in denen sie scheu an dem Bild vorbeisah.
Und zuletzt Tage, in denen es sie beleidigte, weil es nur noch die ungünstigen Ähnlichkeiten mit der Mutter aufzuzeigen schien.
„Was sind Karikaturen?“ dachte Jutta; „gar nichts Gefährliches sind sie. Sie entadeln uns wohl wie unter huschendem Blitz diesen oder jenen charakteristischen Zug; aber die Übertreibung löst alles so auf, daß das Komische einem doch die wahre Erscheinung nicht verdirbt. Verderblich sind nur die Ähnlichkeiten mit dem Banalen. Ein geliebter Mensch kann ohne Gefahr einem Raubvogel, aber darf nicht einem Haushuhn ähnlich sehen.“
Nun stand das Bild da und forderte einen Entschluß.
Es konnte hier nicht bleiben. Wenige Stunden noch, und derbe Männerfäuste würden den Schreibtisch forttragen.
Ich will es nicht mitnehmen, fühlte Jutta. Ihr war: dann reist die ganze Vergangenheit mit und alle diese marternden Fragen, die mich nicht zur Klarheit kommen lassen.
Sie wollte ja ganz frei sein. Ihr Frauenleben sollte noch einmal von vorn anfangen. Durch den Brief an Malte, deuchte ihr, hatte sie ihre seelische Freiheit auf eine ehrliche Art zurückgenommen.
Sie mußte noch einmal über sich entscheiden, ob sie ihres Mannes Frau wieder werden wollte — konnte — wenn er heimkam. —
Und wußte doch schon unter all diesen Gedanken, daß sie es nicht wollte — nicht konnte.
Nein, das Bild mußte zurückbleiben.
Es sollte gleichsam mit begraben werden in dieser tiefen Kiste, darin all die bunten und anmutigen Dinge ruhten, die ihm gehört hatten.
Und plötzlich, in all diese Empfindungen, die überschwer waren von Not um die höchsten Dinge ihres Lebens — ganz plötzlich tat es ihr leid, daß all die hübschen fremdländischen Sachen ihr nicht mehr mit gehören würden. Sie stand wie benommen vor Staunen, fast vor Entsetzen. Das gab es? Durch das von Trauer ganz erfüllte Gemüt konnte solcher Gedanke gehen? ...
Blitzte die Wahrheit vom ewig Gestrigen warnend auf? Würde sie immer und immer, und ginge sie ganz aus Maltes Leben fort, die phantastisch bunten und doch so traulichen Räume vor sich sehen, in denen sie mit ihm gewohnt hatte?
Wozu hatte sie sie dann zerstört? Sie begriff mit einem Male das Uneingestandene: sie hatte gewähnt, etwas ganz auslöschen zu können, als sei es niemals dagewesen. Und wußte jetzt: das kann man nicht ...
Sie nahm sich zusammen. Raffte sich aus der jammervollen Wehmut auf, die sie fassungslos machen wollte. Und schlug das einsame Bild sorgsam in Seidenpapier, damit es geschont und geschützt läge zwischen dem Heu, obenauf in der Kiste, die schon fast voll war von den hübschen bunten Dingen ...
Mit zitternden Händen mußte Jutta ein wenig umhertasten — ob nicht da unter dem Heu verborgen kantige Gegenstände waren, die das Glas des Bildes durchstoßen konnten ...
Nun war ein Platz geschaffen — eine sichere kleine Mulde — wie ein Bett ...
Sie paßte das Bild hinein ... da konnte es wohl sicher liegen ... Jahre und Jahre ... denn wer wußte, ob der Mann, dem dies alles gehörte, jemals den — Mut haben würde, diesen Kistendeckel, diesen — Sargdeckel zu öffnen ...
Sie schluchzte auf — sie stand noch zaudernd. — Und nahm das Bild und ging raschen Ganges, es in ihren Reisekoffer zu verstecken ...
Über das gewaltige Bild des Sees, der ihn umschrankenden Alpen und des Himmels, der kein blaues Gewölbe war, sondern ins Unbestimmte verschwebender Äther, schien Silberstaub ausgeschüttet, der, von der Luft getragen, ruhig in ihr stand.
Das gab der Landschaft die Zartheit und das Unwahrscheinliche einer Vision. Vielleicht konnte sie sich jeden Augenblick in Dunst auflösen. Die dünnen Farben, die hinter dem Silberstaub angedeutet schienen, konnten ganz verlöschen, das blasse Blau dort oben, das tiefere hier unten versiegen. Und das, was zwischen beiden Welten von leichtem Blau stand, die phantastischen Silhouetten, die Riesenberge eines fernen Traumlandes sein mochten, konnten sich in nichts auflösen.
Dies Gemälde, das leise auf schimmernden, weißgrauen, rosig angehauchten Flor hingetuscht schien, hatte in der Nähe des Ufers einige kräftigere Töne. Da schuppten auf der überdünsteten Flut stählern blitzende Lichter auf und verloschen sofort wieder. Sie hielten dem Blick nicht stand. Sie zuckten da und dort und überall.
Die herbe Morgenluft roch nach Wasser. Aber es war auch der kräuterige Duft in ihr aus den Tannenwäldern, die den felsigen Berghängen grüne Farbe gaben.
Auf der Anlegebrücke von Territet standen wartende Menschen. Der Dampfer kam von Montreux her, und mit ihm sollte die Fahrt, an Villeneuve und der Rhonemündung vorbei, an all die Küstenorte des französischen Ufers gehen. Es war ein buntes Gemisch von Gestalten: Touristen im bekannten Aufzug der praktischen Häßlichkeit; Badegäste in blütenweißer Eleganz, Landleute mit Sack und Pack.
Frau Gervasius, in einem sandfarbenen Schneiderkleid, mit einem lila Hut voll Blumen und Fittichen, wirkte fast wie die ältere Schwester der beiden jungen Damen, was ihr Gatte auch schmunzelnd attestiert hatte.
Renate und Jutta hatten kurze weiße Kleider an und einfache flotte Strohhüte. Der Morgenkühle halber trug die junge Frau noch einen rohseidenen Staubmantel. Und es war niemand auf der Brücke, der die schlanke, blasse Frau nicht mit einem bewundernden Blick gestreift hätte.
Auch der Geheimrat, im Panamahut und hellgrauen Anzug von allerbestem Schnitt, wirkte, ohne es zu ahnen, sehr auffallend. Die weltmännische und diskrete Vornehmheit seiner Erscheinung war auf den ersten Blick ganz und gar Durchschnitt bester Gesellschaft. Aber sowie man das bartlose, kluge und sehr durchgearbeitete Gesicht und die scharfen Augen hinter den Brillengläsern sah, dachte man: das ist jemand!
Er fühlte sich höchst behaglich als Hüter seiner drei Damen und legte eine Kunst an den Tag, die Ferienstimmung zu genießen, daß man mit ihm guter Laune werden mußte, man mochte wollen oder nicht.
Und Jutta — wollte eigentlich nicht!
Sie verstand sich selbst nun vollends gar nicht.
In dieser neuen Umwelt, wo die Schönheiten jubelten wie allzu rauschende Musik, betäubten wie allzu starker Wein, hier, wo alles fast brutal auf die Sinne eindrang und sich ihrer bemächtigte — hier schien es Jutta, als seien die letzten Monate voll Kampf und Not nur ein Traum gewesen.
Und sie glaubte es sich schuldig zu sein, unter ihrer Wirklichkeit fortwährend zu leiden. Sie begriff nicht, daß das menschliche Herz sich gegen einen gleichmäßig fortdauernden Druck wehrt und ihn zeitweise abstoßen muß, um überhaupt weiter schlagen zu können.
Der Geheimrat gab sich besondere Mühe mit ihr, das merkte sie bald. Dafür wollte sie dankbar sein, ihm das Lächeln zeigen, das er zu sehen wünschte. Die Güte hatte auch etwas Beschämendes — sie war wie ein Geschenk an die unrichtige Adresse. Denn Jutta spürte wohl: man ging von dem Glauben aus, daß sie sich nach ihrem Gatten sehne. Daß sie unter einem zwar starken, aber ganz klaren Gefühl leide.
Und sie versuchte die Wahrheit tief zu verstecken ...
Acht Tage hatte man sich der tatenlosen Freude ergeben, hier zu sein. Das Bewußtsein: Ferien! genügte. Das Auge war von dem in jeder Beleuchtung neuen Bild bis zur Anstrengung beschäftigt.
Aber bei dem Hinaufschauen war besonders den beiden Jungen, Renate und Jutta, der Wunsch gekommen, all diese lieblichen Stätten, die sich im blauen Seewasser spiegelten, nach und nach zu besuchen.
Und heute waren Geheimrats in der Morgenfrühe von Caux mit der Drahtseilbahn herabgekommen, und Jutta, ihr Kindchen in Marthas eifervolle Hut gebend, hatte sich im scharfrasselnden Einspännerchen herabfahren lassen.
Nun standen sie hier und sahen in den dünnflüssigen, silbrigen Schimmer des Morgenbildes hinaus, indes mit emsigem Puckern und geschwätzigem Rauschen das Dampfschiff herankam, mit dem derben Weiß seines Ölfarbenanstriches ein plumper Fleck in all dem zarten Zusammenklingen und Ineinanderfließen.
„Merkwürdig,“ sagte Jutta, „es ist mir, als wäre es ein großes Erlebnis, daß wir nun an das andere Ufer fahren. Ich hatte eine förmliche Sehnsucht danach.“
„Das ist vielen Menschen eigen,“ bemerkte der Geheimrat, „sie sehnen sich immer ans andere Ufer. Und fühlen sich um was betrogen, wenn sie da angekommen sind. Das sind die mit den wandernden Seelen. Sollte meine liebe verehrte neue Freundin auch solche Wanderseele haben?“ fragte er neckend.
Jutta wurde rot.
Sie sprach ein paar ableugnende Worte. Der Lärm, den der Dampfer machte, verschlang sie. Das Wasser brodelte grünweiß. Man wurde ein bißchen gedrängt und gestoßen und fand sich dann in einer Reihe, wie auf der Schulbank sitzend, wieder. Das Sonnensegel war gespannt. Man saß sehr angenehm. Renate schob leise ihren Arm in den der Freundin. Der Geheimrat hatte Jutta rechts, seine Frau links.
„Die Vorstellung kann unsertwegen beginnen,“ sagte er. „Wir haben bezahlt und warten auf das Klingelzeichen!“
Die Schiffsirene stieß einen greulichen Wutlaut aus, und wie ein störrisches Pferd begann das Boot sein Hinterteil zu drehen. Die Ufer glitten. Sie lagen im Schatten. Nur dort, über Villeneuve hinaus, in der östlichen Ecke des Sees, kam aus dem Rhonetal ein Sonnenstrom, er brach heraus zwischen den himmelanragenden Schranken der Gebirge, die ihn zu leiten und zu bändigen schienen, als seien sie ein Riesenkanal des Lichtes. Und im Bande dieses Sonnenstromes wälzte sich die gelbe, weißkochende Wassermenge des Flusses und strudelte hinein in das Blaugrün des Sees. Ein kurzer Kampf der Farben, umschäumt von aufbrodelndem Gischt. Und dann hatte der Riesenmund den breiten Faden des Stromes ganz verschluckt.
Eine Zeitlang unterhielten Jutta und Renate sich damit, an der schroffen, bewaldeten Bergwand, hinter dem wasserumspülten, klobigen, grauen Gemäuer des alten Schlosses Chillon, das Dach und ein paar Fenster ihrer Pension herauszufinden.
Aber die Landschaft drehte sich, als sei sie eine Wandeldekoration, die um den festen Mittelpunkt des Schiffes sich in langsamem Schwung hinziehe. Und das kleine Baufragment, das zwischen den Wipfeln herausgeschaut hatte wie ein Gesicht, das halb über den Zaun guckt, verschwand.
Im selben Moment bekam Jutta eine Angstempfindung. Weil sie das Dach nicht mehr sah, unter dem ihr Kind schlief ... Vielleicht deshalb. Sie wußte es nicht. Sie fuhr auf.
„Könnte ich aussteigen, könnte ich zurück, mir ist mit einem Male, als müßte etwas geschehen ...“
„Aber, liebe Frau! Ihre Martha ist eine Perle, die paßt wie ein Wachthund auf,“ tröstete die Geheimrätin.
„Pomade!“ mahnte der Geheimrat und ergriff Juttas Arm. „Nur immer Pomade!“
Er wußte ja Bescheid mit den grundlosen Nervositäten von Frauen.
Renate drückte sich schmeichelnd an die Freundin.
„Das Kind ist unruhiger, als es früher war,“ sprach Jutta vor sich hin.
„Die neue Nahrung ...“
„O nein — das kann nicht sein ... ich habe den Apparat mit — ich mische und sterilisiere die Milch selbst — ganz nach Vorschrift — heute bin ich um fünf aufgestanden, um es noch vorher zu machen.“
„Sie sind eine prächtige Mutter!“ lobte Frau Gervasius, „aber übertrieben muß man auch nicht mit der Angst sein.“
„Ja — ja — es ist Unsinn ...“ murmelte die junge Frau ...
Der feine Silberduft über dem See und den nahen Ufern löste sich mehr und mehr auf. Nur die Ferne blieb in der zarten Ungewißheit, in bläulich heller Verschwommenheit.
Jetzt kam Bouveret. Im Schatten lag es. Man sah ausdrucksvolle weiße Hausgesichter unter dunkelgrünen Kastanienriesen. Und dahinter das aufsteigende Massiv des Gramont.
Am Ufer ging die Straße hin, steigend und fallend, je nachdem sie dem Gelände den Raum abtrotzen konnte. Wie Spielzeug, von Maultieren gezogen, die Führer als kleine Figürchen daneben, bewegten sich Karren auf der Straße entlang.
Der feine Turm von St. Gingolph kam in Sicht. Am abschüssigen Ufer klammerte sich das Städtchen an die Felsen.
Die Reisenden saßen schweigend und nahmen die Bilder in sich auf. Gervasius’ hatten nicht die Angewohnheit der Ellbogen und der stimmkräftigen Bewunderung. Sie stießen sich nicht auffordernd an und sagten nicht mit Augenaufschlag „o Gott“ zu den überraschenden Schönheitsakzenten. Sie fühlten von selbst, einer auf den anderen die Stärke seiner Empfindung übertragend, daß sie gemeinsam sich dankbar und staunend erhoben.
Einmal sahen Mutter und Tochter sich an und wußten, daß sie sich nicht nur mit ihren Blicken trafen. „Wäre Emmich hier,“ dachte Renate. „Wie wollte ich ihr gönnen, daß sie Emmich hier hätte,“ dachte die Mutter.
Und Jutta spürte, daß sie, obgleich Arm in Arm mit der Freundin sitzend, doch allein war.
Die beklemmende Unruhe, die sie vorhin so jäh und grundlos überfallen, wollte nicht still werden. Sie wußte gewiß, in einem starken Vorgefühl: es wird etwas passieren.
Sie wollte es niederzwingen. Ja, wirklich — es war Unsinn — was sollte denn geschehen?
Das Kind war gut betreut.
War vielleicht der ferne Mann von einem Unheil bedroht? Ja, ein kleiner, unscheinbarer Wanderer war unterwegs nach ihm — der Brief — er reiste jetzt über Länder und Meere und brachte ihm Kummer ... Aber es waren erst vierzehn Tage, seit sie ihn geschrieben hatte ... Er war noch ahnungslos ...
Die tausend Gefahren, mit denen sein Beruf jeden Tag den Mann bedrohte, waren in Juttas Vorstellung infolge der Gewohnheit nicht mehr etwas so schreckhaft Deutliches, daß sie dadurch beunruhigt wurde ...
Ich bin nervös, fühlte Jutta.
Sie dachte mit Vorsatz immer vorbei an dem einen, dem vielleicht in Wahrheit all ihre Unruhe galt.
Gerade in diesen Tagen konnten ihre Gedanken ihn nicht präzise suchen.
„Wir werden, wir dürfen uns nicht sehen. Aber ich bin immer in Ihrer Nähe —“ hatte er gesagt.
Bei ihrer Ankunft in der Pension hatte sie einige wenige Zeilen von ihm gefunden. Aus Genf. Zeilen, in denen alles, was zu sagen war, zwischen den Worten stand. Und er berichtete ihr, daß er eine kleine Reise zu machen habe, dann nach Genf zurückkehren und von dort über Bonneville nach Chamonix fahren wolle.
„Mit ängstlichem Vorsatz an mir von fern vorüber ...“ dachte sie. Ihn in der Gegend zu wissen, hatte zugleich etwas Beruhigendes und Aufreizendes.
Und manchmal schien ihr, als sei ja nun schon alles anders geworden, als sei der Zwang, sich meiden zu müssen, aufgehoben, weil sie ihrem Mann die Wahrheit gestanden ...
Emsig rauschte das Schiff. Die Uferbilder zogen langsam vorbei wie Schaustücke, in denen alle Reize gehäuft erscheinen.
Man näherte sich dem Ziel. Evian lagerte sich lachend und imposant an dem hier breiteren Rand hin. Am Kai, der sich über die Stadt hinaus zur Promenade verlängerte, standen die Platanen in endloser Reihe. Ihre dicken, hellen, bizarr moosgrün- und braungefleckten Stämme glichen einer unabsehbaren Säulenlinie. Weiße, palastähnliche Bauten reihten sich dahinter aneinander. Straßeneingänge öffneten sich zu emporführenden Gassen mit schmalen Bürgersteigen. Die Stadt schien sich steigend bis zum Prunkgebäude eines Hotels zu gipfeln.
Munteres und malerisches Leben war am Strand. Fischerbarken lagen da, auf denen eifrig hantiert wurde — in schweren Körben schaffte man die silberschuppige Frühbeute landwärts. Segeljachten, schlank und leicht, mehr für Spiel als für ernsten Sport, fast nur wie große Skier anzusehen, wiegten sich leise an ihren Ringen. Ein Dampfschiff löste sich gerade strudelnd von der Brücke, um dem ankommenden Platz zu machen. Auf der Anlegebrücke und auf dem Kai standen und gingen Badegäste. Sehr helle Farben beherrschten das ganze Bild, und es schien, als käme vom See her ein beständig vibrierender Reflex und gäbe ihm flimmernde Unruhe und vermenge doch zugleich alle Farbenwerte auf das unentwirrbarste.
Der Geheimrat übersprach noch einmal das Programm: „Also ihr, meine Damen, ihr tut das eurem Herzen doch allernächste: ihr guckt euch die Läden an ... Pariser Ableger — leider — Frau, ich baue auf deine vielbewährte Selbstbeherrschung ... zügle die Gelüste deiner Tochter. Um dein Ansehen zu wahren, sage ich nicht: auch deine eigenen! Eine Mutter hat keine Gelüste — wenigstens in der Meinung der Kinder. Sie, meine verehrte Frau, haben Ihr Baby nicht bei sich — können also so unvernünftig sein, wie es Ihnen beliebt.“
„Papa, ich hab’ nur noch zwanzig Franken — aber die geb’ ich aus, wenn ich was Niedliches für Emmich finde.“
„Wenn du meinst, daß rauhe Seemänner geeignete Empfänger für Niedlichkeiten sind! Und wenn du sicher bist, morgen eine neue Geldquelle zu finden ...“
„Todsicher!“ und Renate hängte sich in ihres Papas Arm, um ihm vorweg seine angestammten Bankierspflichten angenehm zu machen.
„Ich sehe mir mal unterdessen die hydrotherapeutische Anstalt und die Bäder an. In einer Stunde können wir uns oben im Hotel treffen. Aber mehr als das akademische Viertel gebe ich euch nicht. Wenn ihr dann nicht da seid, esse ich allein.“
„Wir sind präzise,“ versprachen Frau Gervasius und Jutta aus einem Munde.
So trennte man sich. Der Geheimrat ging den Kai entlang, an dessen äußerstem Ende, auf hohem Sockel, der General Dupas mit feldherrnmäßiger Geste den bronzenen Arm in die Seite stemmte, während hinter seinem metallenen Dreimaster die duftige Ferne blaß dämmerte. Hier am Kai lagen die Anstalten, die der Geheimrat besuchen wollte.
Sehr langsam wanderten die Damen in die Stadt hinauf. Sie sahen bald: die Prachtbauten am Ufer waren wie eine neue Fassade vor einem alten Haus. Drinnen im Städtchen, im krassen Gegensatz zu allem breiten architektonischen Prunk, gab es noch schmale, düstere, kleine Gassen. Und ganz eng war die, die sich auf mittlerer Höhe hinzog und Laden an Laden zeigte. Wäre dieser merkwürdige Rahmen nicht gewesen: die Gasse mit dem bedrängten Raum, die Fronten kümmerlicher Häuser, die Schmalseite der Auslagen: man hätte sich wirklich nach Paris versetzt fühlen können. So viel Luxus lag hinter den Fenstern für Käufer bereit: Schmuck und Antiquitäten und alles, was überkultivierte Menschen zur Pflege ihres Körpers etwa brauchen könnten.
Eine weltstädtische Menge drängte sich in der schmalen, verschatteten Straße. Sie hatte den ausgesprochenen Charakter der Pariser auf Reisen. Merkwürdige Morgenanzüge sah man bei den Herren — Rock, Weste und Sakko von drei verschiedenen Farben und Stoffen; viele trugen auch nur das seidene, farbige Hemd mit buntem Gürtel unter dem Rock, den die Hände, die in den Hosentaschen stachen, zurückrafften. Andere waren ganz in Weiß gekleidet. Die Eleganz der Damenwelt hatte mehr Einheitlichkeit und war von einer farbenfröhlichen Grazie bestimmt. Man stand in lachenden Gruppen zusammen und war unbegreiflich laut. Man flanierte hin und her.
Die drei Damen standen vor den Schaufenstern. Frau Gervasius schlug vor, man wolle straßauf, straßab erst einmal alle Auslagen betrachten.
Die Verlockungen waren stark. Überall schien eine Fülle großartiger Gegenstände für die volle Börse bereit; überall auch eine unübersehbare Menge von entzückenden Kleinigkeiten, an denen überraschend niedrige Preise standen.
Aber wenn die kauflustige Renate dann in den Laden selbst kam, erwies es sich, daß man gar nichts fand. Das Schöne war phantastisch teuer, das Wohlfeile von plattem Geschmack, spielerisch, von übler Unechtheit des Materials. Auch zeigte es sich, daß sich in den Magazinen keine Vorräte häuften, daß eigentlich, außer den im Fenster ausgestellten, nichts da war. Renate zeigte Enttäuschung und Ungeduld, die ihre Mutter und Jutta zu teilen begannen. Man mußte doch irgend etwas finden ...
Und in dem Shoppingeifer vergaßen die Frauen Zeit und Hunger.
Bis es plötzlich der Geheimrätin zum Bewußtsein kam, daß es gewiß lange zwölf Uhr sei. Natürlich! Nun hieß es rennen.
„Papa darf nicht den Triumph unserer Unpünktlichkeit haben.“
„Ach, Mama, es ist gleich halb eins,“ sagte Renate.
Nun, wenn die Sache also doch verloren war, konnte man sich die Eile bergan sparen.
In schicklichem Tempo wanderten sie die Wege zur Terrasse des Hotels hinan.
Da oben, unter der weit vorspringenden, orange und weiß gestreiften Markise, an deren Fransenbehang ein Lüftchen entlang spielte und leise Bewegung unterhielt und die vielen gedeckten Tischchen in den Schutz ihres Schattens nahm, da oben saß der Geheimrat barhäuptig. Sein Panamahut hing an einem Pfeiler der Glaswand, die hinten in seinem Rücken war.
Er war aber nicht allein.
„Papa ißt richtig schon,“ schrie Renate beinahe.
„Wer mag da bei ihm sitzen?“ fragte sich die Geheimrätin — „er findet auch überall Bekannte.“
„Vielleicht hat einer der Ärzte aus der Anstalt sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit Papa mal zu sprechen,“ meinte Renate. „Ja, wahrhaftig — Papa ißt ...“
Jutta sah es auch: der Geheimrat schien zu speisen — er sprach aber nebenbei zu dem Herrn, der den emporsteigenden Damen den Rücken zuwandte ...
Ein hochgewachsener Herr — im ganz hellen Vormittagsanzug — einen modisch zurechtgebogenen, kleinen Panama auf dem blonden Kopf.
Und Jutta folgte den beiden Frauen mit schweren Füßen, mit versagenden Knien.
Denn sie wußte es auf der Stelle, wer das sein müsse ... sie wußte es, noch ehe sie wirklich die Ähnlichkeit der Silhouette hatte mit festem Blick nachprüfen können ...
Nun hatten sie die oberste Terrasse erreicht. Und der Geheimrat winkte ihnen schon mit der Hand entgegen.
Sie schritten über den fast leeren Platz, durch die Gasse der noch unbesetzten Tische, denn die Speisestunde der ständigen Gäste lag ein wenig später.
Der Geheimrat erhob sich. Mit ihm der andere — den Gelehrten weit überragend.
„Herr Legationsrat!“ sagte Frau Gervasius überrascht. „Welch ein Zufall.“
Der Geheimrat, der den in der am Kai spazierenden Menge von ihm Aufgefischten wohlwollend und gewissermaßen vorführend am Arm gefaßt hielt, nahm die Antwort vorweg.
„Zufälle negiere ich. Auch hier. Nichts konnte natürlicher sein, als daß ich Herrn von Gamberg traf ...“
„Der von seinem neuen Vorgesetzten zu einer Besprechung herberufen wurde,“ ergänzte Gamberg selbst und küßte den Damen die Hand. „Exzellenz Plaß braucht hier die Kur.“
Nun hielt er Juttas Hand in der seinen. Er fühlte: ihre kalten Finger zitterten ... Ihre Blicke trafen sich. Die seinen hatten ihr sagen wollen: „vergib — dies ist nicht meine Schuld.“ Er las in dem ihren eine vollkommene Fassungslosigkeit.
Um ihr zu helfen, wandte er sich gleich sehr lebhaft an die Geheimrätin, die schon eifrig fragte, ob die Gräfin Plaß auch hier sei, und ob sie die zwanglose Liebenswürdigkeit des Umganges sich bewahrt habe, mit der sie früher in Kopenhagen alle Menschen zu bezaubern verstand.
„Papa, ich finde es schändlich, daß du ohne uns zu essen begannst.“
„Mein Kind,“ sprach der Geheimrat, „ich hatte euch das akademische Viertel gelassen. Es war überschritten. Zu Hause habe ich nichts zu sagen. Ich genieße es als Ferienerholung, meine Herrenstellung zu betonen.“
„Alles dreht sich zu Hause um ihn, einfach alles,“ versicherte lachend die Geheimrätin.
Inzwischen entdeckte Renate aber, daß ihr Papa keineswegs das Menü des Gabelfrühstücks in Angriff genommen hatte, sondern sich zur Beruhigung seines dringlichen Appetits nur mit einigen Ölsardinen befaßt haben konnte.
Man scherzte lebhaft, und der Geheimrat sprach von Pseudomännlichkeit, die sich zu keiner freien Herrentat mehr aufzuraffen vermöge und nur leer drohe. Jutta sah auch, daß fünf Gedecke auf dem Tisch standen, und begriff, daß Herbert die nächsten Stunden mit ihnen verbringen werde.
Sie hörte es auch gleich.
„Aus der Dringlichkeit, mit der ich Herrn von Gamberg einlud, mit uns zu frühstücken, muß er geschlossen haben, wie schlecht es mir allein unter drei Frauen geht. Macht-, willen-, hilflos — ganz und gar.“
„Glauben Sie ihm kein Wort,“ sagte Jutta. Sie hatte sich in die Hand bekommen — ihre Miene, ihre Stimme.
„Mit Frau und Tochter würde ich schon fertig. — Als man mir verhieß, ich dürfe unsere Freundin ein wenig mit an — ich sage nicht: in ! — meinen Vaterarm nehmen, war ich sehr befriedigt. — Nicht wahr? Das versteht sich. Wer so viel mit brüchigem Weibstum sich abplagen muß, kann wohl schmunzeln, wenn er mal eine schöne Dame behüten darf. Aber mit dieser schönen Dame werde ich auf das unerhörteste tyrannisiert! Immer, wenn ich zu irgendeiner Sache keine Neigung habe, heißt es: aber Papa — wegen Frau Jutta mußt du ... Und muß dies und muß das. Und mußte heute früh um sieben Uhr vom Hochgebirge niedersteigen, weil die schöne Dame Sehnsucht ans andere Ufer hat.“
Und diese Klage wurde eine Huldigung durch Ton und Blick. Man lachte.
Der Geheimrat unterbrach den Vortrag über seine schlechte Stellung durch eine Frage.
„Sollte Frau von Falckenrott in ihrer ahnungsvollen Nervosität vorausgefühlt haben, daß sie hier einen besseren Kavalier fände, als ich einer bin? Bei der neuen Freundin abgesetzt! Bei der Tochter abgesetzt! Frau, mein vielenttäuschtes Herz flüchtet zu dir.“
„Ich bin aber keine Lustspielfrau, die verzeihend im Schlußbild die Arme öffnet, wenn der Schwerenöter faut de mieux reuig begeistert ausruft: Alte!“
Jutta saß mit blassen Lippen. Sie wußte, der Geheimrat scherzte harmlos. Er jonglierte gern ein bißchen mit einer Neckerei.
Und doch traf es sie. Ja, sie hatte es gewußt ... daß man einem Erlebnis entgegenfahre ... Solch drohendes Vorgefühl hatte sie jäh übermannt.
Die Mahlzeit wurde aufgetragen. Gang um Gang. Sie war für feinschmeckerische Menschen gefällig anzusehen und zu essen. Der schwerflüssige, duftende Ivorne, der die Feurigkeit des weißen Bordeaux mit der Poesie der Rheinweine vereint, leuchtete gelbgolden in den feinen Gläsern.
Ein linder Hauch, kaum Wind zu nennen, spielte durch die Luft und blies ihre Hitze fort.
Drunten stieg das am Hang klebende Gehocke der Häuser nieder und wurde von den Wipfeln der Platanen wie von einem grünen Strich gegen den See abgegrenzt.
Der blaute weit hinaus, eine Fläche von durchleuchtetem Glas. Und ganz fern, mehr geahnt als gesehen, am Jenseitsufer, schimmerte Lausanne.
Der Himmel war nun ein saphirnes Gewölbe geworden und prangte in den Vollfarben der Mittagshöhe. Ja, das war eine gute Ferienstunde. Aber vielleicht wurde sie doch nur von dem Ehepaar in ihrer völligen Schönheit genossen.
Renate verstummte allmählich. Und Jutta hatte sich von vornherein nur gezwungen, zuweilen ein karges Wort, das unbefangen klingen sollte, in die Unterhaltung zu werfen.
Die führte nun Herr von Gamberg mit dem Geheimrat unter der aufmerksamen und mitsprechenden Teilnahme seiner Frau. Sie redeten eifrig über einige politische Fragen, die eben den Tag bewegten.
Renate sah die Freundin an. Wie blaß sie wieder war. Und ein wenig senkrecht zusammengezogen war die Stirn — zwischen den Brauen, über der Nasenwurzel stand wieder diese Falte, die dem Gesicht jenen Ausdruck strenger Leiden gab ...
„Wüßte ich nur, was diese unruhige und geheimnisvolle Traurigkeit bedeutet,“ dachte sie. „Sie hat doch auch gejubelt — damals, als sie Braut wurde ... und gedacht, sie könne immer froh bleiben in Liebe, auch wenn er weit, weit fort sei.“
Es war so beängstigend, zu sehen, daß Liebe nicht immer zum Glück führt ...
Und seltsam beklemmend mischte sich dies in die starke Sehnsucht, die sie nach dem fernen Verlobten hatte ...
Zuweilen ging ihr Blick von dem bleichen, ausdrucksvollen Gesicht fort und verlor sich in die Weite ... und all die weitgespannte Schönheit, die dann auf sie zuzuwallen schien, überwältigte sie. Wo war Emmich jetzt?
Tränen traten in ihre Augen ...
Jutta sah vor sich hin. Sie horchte der ruhevollen, männlichen Stimme und dem politischen Gespräch nach, ohne bestimmte Worte aufzunehmen. Ihr, der heimlich Zitternden, tat es wohl, zu spüren: der Mann beherrschte sich und die Lage.
Allmählich stieg ein heißes Glücksgefühl in ihr auf. Er war da ...
Das Leben hieß nicht mehr: warten!
Ungern schnitt der Geheimrat in die für ihn harmonische Stunde mit einem Gedanken an die davonlaufende Zeit hinein. Aber Programme, sagte er, müßten innegehalten werden, wenn man von Zug- und Dampferverbindungen abhinge, und wenn eine junge, übersorgliche Mutter schon bei Antritt der Fahrt von allerlei Ängsten befallen wurde, also gewiß Wert darauf lege, pünktlich heimzukommen.
Und dabei sah er Jutta herzlich und zugleich voll Achtung an.
„Diesen Mann geben wir aber nicht sogleich wieder frei,“ bestimmte er heiter, indem er seine Hand auf Gambergs Schulter legte. „Ihre Rückreise nach Genf hängt von gar nichts ab als von Ihrer Laune. Ihren Botschafter haben Sie ausführlich gesprochen, Ihrer Botschafterin einige Tage lang getreulich die Schleppe getragen. Was zieht Sie nach Chamonix? Ich rate Ihnen dringlich ab. Ich versichere Sie, der Montblanc ist schon im Begriff grau zu werden vor Entsetzen über all die Hotelküchendüfte, die das Tal zu seinen Füßen erfüllen. Wegen der durchrasenden Autos können Sie kaum auf der Straße spazieren gehen. Auf den Höhen aber ist Jahrmarkt. Ein Schützenfest ist eine Nachtstille gegen den Trubel auf Montanvert am Mer de glace. Bleiben Sie hier, oder vielmehr — kommen Sie zu uns nach Caux, oder nehmen Sie Wohnung in Glion, da sind Sie halbwegs zwischen uns und Ihrer Frau Cousine, die übrigens keine verwandtschaftlichen Gefühle an den Tag legt. Sonst würde sie ihre Überredungskünste spielen lassen ...“
„Ja, wirklich,“ sagte die Geheimrätin anstatt ihrer. „Bleiben Sie ein paar Tage in unserer Nähe. Ich meine auch, es würde die oft so ernste Stimmung unserer lieben Freundin aufheitern, wenn Sie sich einmal mit einem Verwandten aussprechen kann.“
Er fühlte: dieser Aufforderung mußte augenblicklich Antwort werden — entweder ein freundlich begründetes Nein oder ein zwangloses, unauffälliges Ja.
Er sah Jutta an ...
Und er sah in ihren Augen ein heißes, dringendes: Bleibe!
„Die Gemeinde Chamonix wird Sie verklagen, Herr Geheimrat, weil Sie den Zustrom von Fremden ablenken,“ sprach er; „nach solcher Schilderung würden Sie mich ja für geschmacklos halten, wenn ich nicht mit Ihnen führe.“
Man stand auf. Der Geheimrat ging ins Hotel, um zu bezahlen und den Weg nach dem Bahnhof zu erfragen.
„Weit. Heiß. Ansteigend!“ verkündete er dann. „Also Wagen.“
Und es schien, daß Gervasius’, ohne Worte darüber zu wechseln, aus einer selbstverständlichen Annahme heraus, es für Juttas Wunsch hielten, mit dem Mann zu fahren, der ein wenig ihr Verwandter, aber jedenfalls auch ein Jugendbekannter war.
Die Geheimrätin verteilte die fünf Personen auf die beiden vorfahrenden offenen Wagen, und so stiegen Jutta und Gamberg in den zweiten, während im ersten der Geheimrat, auch gegen die eigene junge Tochter galant, auf dem schmalen Rücksitz sich unterbrachte, wobei sein Panamahut sich am Rocksaum des Kutschers scheuerte.
Bergab und -auf zog sich das weißstaubige Band der chauffierten Straße, über zehn Minuten hatte man zu fahren. Die Stadt blieb zurück. Ab und zu klebte eine Villa am jäh zum Wasser sich senkenden Hang; mit ihrem Dach und ihren obersten Stockwerken sah sie über den Waldessaum empor, mit ihrem Fundament wurzelte sie tief darunter im Felsen. In der beizenden Helle lag tiefab der See, und ein Silbergeriesel ging in zartem Gleichmaß der Bewegung über seine Fläche.
Jutta fühlte sich wie betäubt. Ihr war, als sei dies mehr, als sie zu bewältigen vermöge: der Überreichtum dieser Landschaft und darin die Nähe des geliebten Mannes ...
„Verzeihen Sie mir — ich habe diese Begegnung nicht gesucht ...“
Er nahm ihre Hand und drückte sie und ließ sie rasch wieder.
„Ich weiß es.“
„Und ich habe Ihren Blick verstanden? Nun, da es sich so getroffen hat — nun darf ich in Ihrer Nähe bleiben?“
„Ja.“
„Wenige Tage — geschenkte Tage — die Gegenwart der gütigen, vornehmen Menschen, die Ihre Freunde sind, gibt uns diese Freiheit.“
„Ja.“
Sie wußten es beide: tausend Rücksichten waren ihnen auferlegt, sie durften nicht in stolzer Leidenschaft, die Welt verachtend, aufeinander zustreben.
Nicht Feigheit band sie — Achtung vor einem, der fern war und noch an sein Glück glaubte.
Sie dachten beide an ihn. Das zwang sich ihnen auf, ungesucht, fast gegen ihren Wunsch. Kein Gedanke hatte ihn gestreift, als sie gespannt, in jener unerträglichen Steigerung der Sehnsucht zueinander, die die Gegenwart ahnungsloser und hemmender Menschen großstachelt, bei Tisch zusammengesessen. Da war ihr Blut schwer gewesen vor Angst, daß sie auseinandergehen müßten, ohne sich zeugenlos sprechen zu können.
Und kaum war ihnen das bißchen Einsamkeit geschenkt, das ein offener, emsig die Straße entlang klappernder Wagen gibt, so waren sie wie beherrscht von dem einen Gedanken an den Mann ...
„Ich habe an Malte geschrieben,“ sagte sie, aus diesen Gedanken heraus.
„Die Wahrheit?“ fragte er rasch.
Schon fühlten sie beide, als ob es eine solche gäbe ...
Und waren doch vor drei Wochen in quälender Ungewißheit auseinandergegangen, damit ihre Seele sich Klarheit suche ...
„Ich habe ihm gesagt, daß ich glaube, mein Herz sehnt sich nicht mehr nach ihm ...“
„O — du ...“
Es riß den Mann hin — ihm war, als habe sie sich mit diesen Worten ihm schon versprochen ...
Er preßte ihre Hand — vereint blieben ihre Hände in den Falten ihres Kleides, auf dem Sitz zwischen ihnen ...
„Aber er,“ flüsterte Jutta, „er weiß es noch nicht ... Wie seltsam ... wie es alles schwer macht ...“
„Ja. Hart. Für ihn und uns. Phantastisch fast ... wie das Fallen eines Sterns — wenn das Auge es erblickt, ist der Sturz längst vorbei ...“
Er sah in schwerem Sinnen vor sich hin.
Und Juttas Gedanken wanderten dem kleinen papiernen Unheilsboten nach ...
„Solange er nicht weiß , was ich ihm sagte, habe ich es noch nicht für ihn gesagt,“ dachte sie.
„Mein Leben ist nun, als schwebe es haltlos,“ sann sie weiter, „haltlos zwischen zwei Zuständen. Ich habe etwas hinausgerufen — aber der Schall ist noch nicht angekommen.“
Und mit ihrem ganzen Wesen horchte sie gleichsam ins Unbestimmte hinaus ...
Wie das alle Nerven anstrengte und überreizte ...
„Aber wir wollen uns dieser Tage freuen,“ sprach Herbert.
„Schön ist es ... schön ...“ und mit einem furchtsamen Ausdruck, erschauernd setzte sie hinzu: „Fast zu schön.“
Das Üppige aus dieser Umwelt kam auf sie zu wie lauter Versuchung.
Sie sahen sich an.
„Du bist mein!“ sagte sein Blick mit einer ruhigen, großen Bestimmtheit.
Um sie her ging aber der Tag und seine Regie weiter. Für dieses Mal war der Geheimrat der Spielleiter. Und er stand schon da, um Jutta die Hand zum Aussteigen zu reichen, als der Wagen am niedrigen, langgestreckten Bahnhofsbau vorfuhr.
Man war ein wenig knapp vor Einfahrt des von Thonon kommenden Zuges angelangt. Und nun wurde in aller Hast, beim Einsteigen und noch aus dem Coupéfenfter heraus, besprochen, daß also Herr von Gamberg morgen — nein, nicht schon morgen, er müsse sich bei Exzellenz Plaß abmelden und in der Tat ein Wiedersehen mit seinen Koffern in Genf feiern — schön, also übermorgen mit Frau Jutta und den drei Gervasius zusammen einen Ausflug nach Rocher de Naye machen werde. Er könne in dem Hotel absteigen; es liege zehn Minuten von Juttas Pension entfernt und gleich ihr scheinbar im Bergwald versteckt, während man doch einen zauberischen Blick über den See habe.
Der Geheimrat, um seine derzeitige Befehlshaberstellung auszukosten, wie er sagte, ordnete alles genau an: wann Herr von Gamberg übermorgen früh mit dem Wagen Frau Jutta abholen solle, um mit ihr nach Glion hinaufzufahren, wo man die Zahnradbahn nach Rocher de Naye zu nehmen habe; sie, die drei Gervasius, würden an der Station zur Stelle sein und sich zu den Freunden gesellen.
Neben dem Kopf des Geheimrats, der das Fenster besetzt hielt, sah Jutta ein wenig von dem auf dem Bahnsteig Zurückgebliebenen. Und dann schien er einfach fortzugleiten, als schöbe man ihn wie ein Versatzstück weiter. Der Zug rollte davon.
Sie sank, eine ganz Erschöpfte, in eine Ecke der Polsterbänke.
„Wir sind allein. Also jedem eine Ecke zur verspäteten Mittagsruhe bis Bouveret,“ befahl der Geheimrat, dem es selbst sehr um ein halbes Stündchen in Gedankenlosigkeit und mit geschlossenen Augen zu tun war.
Ja, denken, denken — nicht mit Blick und Lachen und Wort heucheln müssen, ersehnte Jutta.
Jeder saß in seiner Ecke. Renate blinzelte noch einigemal lustig zu ihrem Vater hinüber, weil er aus seiner Tasche ein frisches weißes Tuch nahm, entfaltete und über seinen Kopf deckte, ehe er wagte, ihn anzulehnen. Seine Tochter wußte: er pflegte ungefähr in jeder Tasche ein Tuch zu haben, und sie neckte ihn mit seinem Widerwillen gegen Dinge, an denen jedermann seine Spuren lassen konnte, und meinte: „Papa, du solltest auch im Leben die Gummihandschuhe tragen, die du beim Operieren anhast.“
Er drohte ihr mit dem Finger und sagte: „Du Krabbe!“
Dann waren sie alle still, und die Geheimrätin schlief sogar mit bemerkbaren Atemzügen, von denen ihr Mann nachher verleumderisch sagte, es wäre Schnarchen gewesen.
Jutta besann sich — ja, es war kein Phantasieerlebnis — sie hatte ihn gesehen, gesprochen, den Druck seiner Hand gefühlt. Er würde kommen — all diese betäubende Schönheit der Welt war wie ein tumultuarisches Vorspiel gewesen, alles würde nun klar und groß und sicher: er kam! ...
Aber wie: wenn es ihn reute? Wenn er nur zum Schein, um nicht durch eine Weigerung aufzufallen, weil ihm keine Gründe zur Hand gewesen waren, gesagt hatte: ich komme!
Wenn nun morgen ein Telegramm käme — ein Brief — eine Telephonnachricht — daß er fortbliebe!
Aus Vorsicht — wegen der Welt — um auch nicht von fern den Anlaß zu einem Gerede zu geben? Oder aus Rücksicht auf Malte? ...
„Oh,“ dachte Jutta leidenschaftlich, „ich habe ihm ja die Wahrheit gesagt, ich bin ja frei ... frei ist wieder mein Weg ins Leben ... Malte muß gefühlt haben, daß es eine Vorbereitung war zu der unerschütterlichen Forderung: gib mich frei.“
Ganz vergessen war es plötzlich, daß der ferne Mann ja noch nicht wußte ... Er und seine Ansprüche und sein Dasein waren nichts. Es gab nur eines: die bedrängende Furcht, daß Herbert ausbleiben könne ...
„Wie soll ich diese Spannung ertragen,“ dachte sie.
Sie fürchtete sich vor dem Abend, vor der Nacht.
Zwischen der Langsamkeit der Stunden und der leidenschaftlichen Ungeduld in ihrer Brust klaffte eine Disharmonie, die beklemmend war.
Auf dem Dampfschiff, zwischen Bouveret und Territet, bat Jutta flehentlich: „Darf Renate bei mir bleiben? Ich bringe sie selbst morgen hinauf. In der Pension ist ein Zimmer frei.“
„Ach ja,“ stimmte diese bei, „wir können dann zu Fuß hinauf — es muß herrlich sein durch den Wald und über die Alm — weißt du, Mama — die so in der Mulde liegt, mit der silbergrauen Hütte auf dem grünen Grund.“
„Kind, du hast ja keine Sachen mit.“
„Jutta leiht mir alles — und Kamm und Schwamm und Zahnbürste kaufen wir gleich in Territet.“
„Federleicht ist mein Gepäcke,“ zitierte der Geheimrat. Seine Frau hatte noch Bedenken. Wahrscheinlich aus mütterlicher Politik, meinte er, um ihre Zustimmung als wichtigen Akt erscheinen zu lassen.
Sie hatten dann beinahe ein Gefühl wie Mädchen, die die Schule schwänzen, als sie, nach Abfahrt der Eltern, noch in Territet herumliefen.
So jung waren sie in ihrer Stimmung — auch Jutta — plötzlich ganz voll übermütiger Jugend.
Dann fuhren sie im Einspännerchen bergan, durch düstere und doch heiße Tannenstrecken. Bis sie zur Pension kamen, wo Jutta ein Wiedersehen mit der Kleinen feierte, als läge eine lange Trennung hinter ihr.
Sie konnte das Kind noch für die Nacht zurechtmachen und es waschen und tränken und Martha loben, daß nichts passiert sei, und dem kleinen Wesen, das zufrieden lag und mit seinen tiefen, rätselvollen Blicken guckte, erzählen, daß Mutti einen herrlichen Tag erlebt habe ... alles bekam Baby zu hören, in ausführlichen, flüsternden Worten, die von heimlichem Jubel durchglüht waren. Bis Baby die Augen zufielen ...
Da verlosch auch die Jubelstimmung im Herzen der Frau.
Nur Unruhe blieb und das Gefühl, als habe plötzlich alles eine enttäuschende Wendung genommen.
Man wurde zum späten Diner in den Speisesaal gerufen. Da waren noch einige Pensionäre, allerhand Menschen, denen Jutta die kargen Höflichkeiten gönnte, die erforderlich sind, wenn man unter dem gleichen engen Dach schläft, an einem Tisch miteinander speist. Mit angezogenen Ellbogen saßen sie und handhabten die Bestecke geziert, aßen Brotbrocken zwischen den Gängen und erstatteten einander Bericht über die Ausflüge, die sie, jeder für sich, gemacht hatten. Und alles war von einer so unaussprechlichen Leere und Gleichgültigkeit erfüllt. Und wenn einer der Tischgenossen eine Bemerkung von bescheidener Heiterkeit machte, lächelte man wichtig, als sei es amüsant.
Bei jeder Mahlzeit, die Jutta noch hier eingenommen, hatte sie die Furchtbarkeit dieses Zwangs gefühlt, mit zusammengewürfelten Menschen zu sitzen und Blick und Miene auf diese Leerheit abzustimmen. Förmlich verzehrt hatte sie sich vor Verlangen nach ihren einsamen Mahlzeiten in ihrem eigenen hübschen Speisezimmer ... Aber das gab es ja nicht mehr — dahin war keine Rückkehr — sie selbst hatte es zerstört ...
Heute ertrug es sich gut. Die liebe Renate war da. In ihrer köstlichen Unbefangenheit, die sich durch Farcen nicht gestört fühlte, weil sie sie als solche noch nicht erkannte.
Und dann kam der Abend.
Auf Juttas Balkon saßen sie und staunten in die rasch wachsende Dämmerung hinaus. Dieses merkwürdig schwebende Grau wuchs von allen Seiten in die Welt hinein, es schien aus der Fläche des Sees emporzusteigen, es wallte leise vom Himmel herab, es breitete sich aus den Bergwänden hervor und wurde tiefer und tiefer. Am weiten Kreis der Ufer blitzten Lichterketten, und in ihnen war ein Verlöschen und Wiederaufzucken, als spielten da unsichtbare Finger auf leuchtenden Tasten. Blanke Raupen krochen über die dunkle Fläche des Sees, fremdartige Raupen, deren Sirenenschrei bis hier herauf tönte durch die feierlich weite Stille. Aus dem Rhonetal, das in dem Schwarz der gigantischen Gebirgsmauern hinweggelöscht schien, kam, wie aus einem Tunnelmund, ein Zug mit feurigem Zyklopenauge und verschwand sogleich wieder dem Blick, weil er den Weg nah am Fuß des Hanges entlang nahm.
Jutta mußte an eine andere Sommernacht denken. An jene ferne, da sie im purpurnen Dunkel des Parks, in seinem schwülen Rosenduft, sich von zwei Armen umschlossen gefühlt hatte ...
Ganz deutlich, durch die Kraft ihrer Sehnsucht Gegenwart geworden, spürte sie den Kuß auf ihren Lippen ... seinen Kuß.
Und aus der weiten, heißen Sommernacht, aus ihrem von Liebesgeheimnissen überfüllten Schweigen stieg ein Rausch auf und verführte die Frau. Sie vergaß ihre Ehe. Ihr Kind. Alles.
Die Jungfräulichkeit war ihrer Seele zurückgegeben und sehnte sich nach Erfüllung und nach all dem wonnigen Erleben des Weibtums.
Phantastische Vorstellungen bedrängten sie.
Wie — wenn er nur gesagt hatte „übermorgen“, um zu verstecken, daß er meinte: „diese Nacht!“ Wenn er dort zwischen dem Dunkel der Stämme wartete — von Sehnsucht ruhelos wie sie, von Verlangen krank wie sie ...
Heiße Reue kam. Weshalb nahm ich mir eine Gefährtin mit hinein in diese Sommernacht?!
Wär’ ich allein! Vielleicht rief’ er leise: komm — komm ... Und ich huschte hinab zu ihm — in seine Arme — an seinen Mund ...
Purpurn war wieder die Sommernacht, und ein heimliches Brennen war in ihr, das alle Nerven anspannte und alles Leben steigerte, so daß es schien, als müsse ein Blitzstrahl der Erlösung niederflammen — irgendwoher ...
Sie zitterte — sie seufzte. Und legte die Stirn auf die harte Kante des Geländers.
Da fühlte sie einen Arm um ihre Schultern, eine Wange legte sich gegen ihr Haar, und ganz leise, vor Zärtlichkeit und Mitleid förmlich vorsichtig, fragte die junge Stimme: „Sehnst du dich so sehr nach deinem Mann ...“
Jutta fuhr empor.
Ihre Leidenschaft vergaß alles: Verschwiegenheit, Schonung, Vernunft ...
Sie warf sich in die Arme des Mädchens und brach in Tränen aus.
„Nein — nicht nach ihm — zurück sehn’ ich mich — zurück in meine Jugend — noch einmal möcht’ ich über mein Leben entscheiden — frei — wissend. — Ach Kind — geliebtes Kind — wir verstehen uns selbst ja nicht — nichts wissen wir von uns — nichts — als bis es zu spät ist ...“
„Du liebst Malte nicht mehr?“ fragte Renate entsetzt — fast lautlos.
„Nein! Ich weiß nicht — nein — gewiß nicht — ich weiß jetzt nicht: habe ich ihn je geliebt? Aber siehst du — dies dumpfe Gefühl von Täuschung — von Enttäuschung, das mag in hundert Frauen schlummern — im Untergrund ihres Wesens liegt es — und kommt nie herauf. Niemals, denn der Mann ist ja immer da, mit seinen Rechten, seinen Ansprüchen, seiner Gegenwart, die zugleich immer die Vergangenheit und die Zeit erster, holder Illusionen frisch hält. Da kann das nicht erwachen, nicht wachsen, geschweige denn laut werden. Andere Frauen sind nicht so lange allein und können sich nicht umsehen und nicht besinnen. Aber ich ... ich habe Zeit gehabt — Einsamkeiten hab’ ich gehabt — allein waren wir, ich und mein Kind — —“
Sie begann von neuem zu weinen.
Es tat wohl, zu weinen — es war zugleich wie Anklage und Trost — als ließe sich mit diesen leidenschaftlichen Tränen das Glück ertrotzen ...
Und Renate weinte mit ihr — sie weinte aus Furcht vor dem Leben und aus Entsetzen darüber, daß große Liebe enden kann. Und gegen die ihre kam, wie ein Gespenst, eine drohende Unsicherheit heran ...
*
*
*
„Und was macht sie jetzt?“ fragte der Geheimrat.
„Schreibt.“
„Du hättest sie zwingen sollen, sich aufs Bett zu legen.“
„Zwang auf erregte oder abgespannte Nerven ausüben wollen, halte ich für ganz verkehrt.“
„Im allgemeinen wohl. Aber wenn wie hier die Ursache am Tage liegt ...“
Die Geheimrätin stickte auf einem hellgrauen, in Taschenform zugeschnittenen Stück Brokat das Blumenmuster nach. Die dazu nötigen blassen, grünen und rosa Seidenfäden lagen auf dem Tisch.
Das hohe Halbrund einer Koniferenwand umschrankte ihren Platz, von dem aus, zwischen den Rahmenpfeilern zweier glatt verschnittenen Tujas, sie das paradiesische Stück Welt überblicken konnte.
Jetzt wandelte die Gestalt ihres Mannes, der seine Zigarette rauchte, als Vordergrundfigur immerfort hin und her vor der Fernsicht, deren Reize in diesem Moment die Geheimrätin übrigens ganz kalt ließen. Ihretwegen hätten sich da tellerplatte märkische Kartoffelfelder anstatt des Genfersees hinbreiten können. Denn sie dachte an gar nichts als an ihre Tochter und deren unbegreiflichen, höchst beunruhigenden Gemütszustand.
„So,“ sagte sie jetzt und beäugte mit größter Genauigkeit den dornenbesetzten Rosenstengel, den sie eben fertig bekommen hatte. „So? ... für dich liegt die Ursache am Tage ...?“
Er stand still.
„Nun, sie waren von der Pension bergan gestiegen und hatten dazu beinahe drei Stunden gebraucht. Es war heiß gewesen, sie brachen zu spät auf und kamen fast in die Mittagsglut hinein. Sowie nun Renée zu dir ins kühle und schummrige Zimmer kommt, löst sich die Übermüdung in einen Tränenausbruch.“
„Ach Mann — wir kennen doch das Kind besser — die kann doch acht Stunden wandern und kommt ebenso lustig an, wie sie ausgegangen ist, und schmaust wie ’n Bauernjunge und braucht keinen Schlaf ... Und heut: nicht mal zum Lunch wollte sie — ins Zimmer mußte man ihr das Essen bringen — und aß nichts — und immer von neuem kamen Tränen. Und Jutta hält sich gar nicht auf — nimmt sofort den Zug bergab, der, ihr offenbar sehr gelegen, noch gerade zu erwischen war — voll Eile zu ihrem Kind zurückzukommen. Na ja, sie ist ja ’ne treue kleine Mutter ... Aber diesmal, weißt du — diesmal wirkte es doch etwas wie schlechtes Gewissen.“
„Schlechtes Gewissen! Ich bitte dich! Inwiefern?“
„Ach — ich bekomm’ so ein Gefühl: Jutta Falckenrott ist kein Umgang für Renée. Sie setzt ihr was in den Kopf. Beunruhigt ihr Gemüt. Nimmt ihr was von ihrer Unbefangenheit. Und die ist doch schließlich das Beste, was die Jugend hat. Die hab’ ich unserem Kind gehütet und geschont ... Und nun zerstört mir eine fremde Hand das alles.“
Voll Sorge und Unmut war sie, und immer flinker gingen dabei Nadel und Faden auf und nieder.
Das mochte der Geheimrat aber durchaus nicht haben. Er wollte nicht nur die Worte, er wollte auch die Blicke seiner Frau, wenn er mit ihr sprach. Er setzte sich zu ihr auf die Bank und nahm ihr einfach die Stickerei fort.
„In dem Augenblick, wo sich das Kind verlobte, gabst du sie dem Leben und lauter fremden Händen hin,“ sagte er voll tiefen Ernstes.
„Und sie zerstören mir, was ich gebildet habe,“ schluchzte sie auf.
Er zog sie voll Güte an sich.
„Denke nicht so klein von deiner mütterlichen Arbeit,“ sprach er, „ich vertraue ihr, ihren Resultaten und dem gesunden Wesen unserer Tochter besser.“
Sie trocknete eifrig ihre Tränen, schluckte und wollte sachlich sein.
„Man sieht wohl: die arme Frau ist voll heimlicher Erregung. Die sehnt sich krank nach ihrem Mann. Es ist Unsinn, daß sie nicht zu ihm gereist ist. So kleine Kinder haben an jeder Pflegerin dasselbe. Die großen Kinder — die sind’s, die einen notwendig brauchen ... Ja, und was ich sagen wollte ... Nun fürcht’ ich — wirkt das entweder wie von selbst hinüber auf Renée, oder die Frau klagt ihr leidenschaftlich was vor und verleidet dem Kind schon vorweg den Beruf des Mannes.“
„Du kannst recht haben,“ gab er ihr zu, „ich glaube sogar: du hast recht. Aber sieh: wenn die freudige Zuversicht unserer Renate überhaupt zu erschüttern ist , ist es da nicht gesünder, sie kämpft das jetzt mit sich durch? Zu dieser oder jener Klarheit hin?“
„O Gott ... du willst sagen?“ fragte sie erschreckt.
„Nichts will ich sagen als dies: wenn Renate erkennt, daß sie nicht in fester Haltung die Opfer zu bringen vermag, die ihres Mannes Beruf vielleicht einmal von ihr verlangen kann, dann ist sie nicht wertvoll oder nicht reif genug, ihn zu heiraten. Sie muß sich sagen, daß sie nicht nur den Mann heiratet, den sie liebt, daß sie sich zugleich auch gewissermaßen einer großen Sache angliedert, die etwas von ihr verlangt. Hat sie dazu nicht die Kraft, ist es besser, sie tritt zurück. So sehr wir das auch um des Mannes willen beklagen müßten. Denn ich mag ihn leiden. Und ich denke: du auch.“
Eine Pause entstand. Dann sagte die Geheimrätin zaghaft, mit einer förmlich kleinen Stimme: „Vielleicht ist sie doch nur von dem Bergansteigen übermüdet ...“
„Sieh, sieh — meine kluge Frau ...“ dachte der Geheimrat, und in seinen geistvollen Zügen kamen wieder allerlei kleine Boshaftigkeiten auf und sprühten aus seinen Blicken. Er lächelte in einem Gemisch von Güte und Spott. Und mit dem sechsten Sinn, den sie für ihren Mann und seine Kritik hatte, spürte sie, was in ihm vorging, und wie ihre Frauenseele vor ihm lag mit all ihren unbewußten und unlogischen Zickzackempfindungen.
Ja, ganz und gar fühlte sie sich wie von durchsichtigem Glas vor ihm. Und das beschämte sie ein wenig und beglückte sie unaussprechlich. Sie kuschelte sich noch enger an ihn und drückte ihre Wange fester gegen seine Schulter, als wolle sie durch dies nahe Anschmiegen sagen: gibt es wohl einen besseren Platz auf der Welt als diesen!
Er saß still und hatte ein gutes Gefühl von Liebe und auch von Respekt.
Oben in ihrem Zimmer aber beugte sich die junge Renate über ihren Schreibtisch, der ganz im Schatten stand. Schräge, feine Lichtlinien gingen durch diesen Schatten und streiften über den blonden Kopf, über das Papier und über die Tuchplatte des Tisches. Die Stäbe der Persienne schlossen nicht eng aneinander und ließen all diese schmalen Bänder von Sonnenschein durch.
Renate schrieb an ihren Verlobten. Sie konnte gar nicht anders, als Emmich alle Not ihres Herzens darlegen. Auf eine merkwürdige Art war ihr, als litte sie die Leiden der anderen Frau mit — als sei dies etwas Allgemeines — ein Frauenlos, das ganz gewiß auch ihrer harre, vor dem es kein Entrinnen gab, und dem sie schon voll Angst entgegenklagte.
Die herzhafte und gesunde Sehnsucht, die sie nach dem geliebten Mann empfand, wurde das Fundament, darauf sich ganz unkontrollierte und verworrene Empfindungen aufbauten. — Die Sorgen vor allem, daß es ihr ergehen könne, ja müsse wie der lieben armen Freundin.
Das Mitleid mit dieser wandelte sich, indem die Feder es beschrieb, unversehens in die Furcht vor eigenen Erlebnissen und Enttäuschungen, die sich bis zu Zweifeln an der Sicherheit ihrer Liebe steigerten.
Sie bedachte ihre Worte nicht sehr. Sie folgte nur dem zwingenden Bedürfnis nach möglichst erschöpfender und befreiender Aussprache.
Sie unterschied noch nicht zwischen gesprochenen und geschriebenen Worten und wußte nicht, daß gerade die, die lautlos nur auf dem Papier stehen, wuchtigere und härtere Stimme haben können als die anderen, deren Klang ein Blick begleitet ...
Es tat ihr wohl zu schreiben. Es tröstete mehr als alle liebevollen Reden Juttas. Denn Jutta hatte leidenschaftlich bereut, ihren Gemütszustand der jungen Freundin offenbart zu haben. Aber Renate meinte unter Tränen: „Wäre es sonst Freundschaft?!“
Und alles, was Jutta gesagt hatte, um ihr Geständnis zu mildern, um glauben zu machen, es sei ja ein ganz ungewöhnlicher Einzelfall — alles hatte Renate nur bekümmerter gemacht. Es war eben jene Art von Abwiegeln gewesen, die mehr steigert als alles Aufwiegeln. Aber das wußte Renate natürlich nicht.
Sie wußte nur: Jutta ist unglücklich, und ich werde es ganz gewiß auch werden.
Aber nebenher ging auch eine entschlossene und mutvolle Empfindung, dies Unglück ertragen zu wollen ...
Sie las den langen Brief nicht wieder durch. Ihre Feder war all diese vielen Zeilen entlanggelaufen wie über eine Brücke, die zu „ihm“ führte. Und als unter den vielen Bogen das Schlußwort stand „Deine Renate“, da war ihr: ich bin da!
Und nun erst legte sie sich auf ihr Bett, weil ihr die Eltern befohlen hatten, sie solle sich ausruhen. Sie war noch gewohnt zu gehorchen und ordnete ihre Pflichten jetzt in drolliger Naivität so, daß sie erst ihren Stimmungen nachgab und dann artig war.
Als die Mutter später hereingeschlichen kam, fand sie ihr liebes, schönes Kind fest schlafend, mit verschränkten Armen, gerunzelter Stirn und einem leidvollen Zug um den Mund ... so wie Menschen schlafen, denen ihre Erregungen noch in die Träume hinein Schrecknisse bringen.
Und noch vor kurzem hatte dies Gesicht im Schlummer immer den kindlichen Ausdruck aus allerfrühesten Jugendtagen zurückgewonnen ...
Ergriffen stand sie und dachte: „Nein — es ist kein Kindergesicht mehr ...“ An der Türspalte lauschte ihr Mann. Sie trat von dem Bett hinweg, um ihm den Blick freizugeben.
Lange sah er die Tochter an. Seine Augen funkelten — von dem Naß, das sie füllte. Denn dieser spöttische Mann war merkwürdig weich dem Weh und Ach der Frauen gegenüber. — Wie sollte es ihn nicht bekümmern, daß sein Liebling sich mit Schatten herumplagte.
Still gingen die Eheleute fort. Sie sprachen sich gegeneinander nicht über ihre Empfindungen aus. Aber sie wußten es nun beide: ihre Tochter war ein Mensch geworden, der seine Erlebnisse für sich hat.
Das war der Lauf der Welt.
Sie sagten es sich im stillen und wollten philosophisch darüber lächeln ... Und ein ganz merkwürdiges Gefühl von Altwerden erwuchs ihnen daraus ... Die Erkenntnis: unsere Nachfahren recken sich schon neben uns empor ... Denn vielleicht mehr noch als durch eigene Freuden zeigen Kinder durch eigene Leiden, daß sie nun ihren Lebensgang für sich haben ...
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*
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Am anderen Tag schien alles wieder im Gleichmaß zu sein. Der Geheimrat sah: „das Kind ist doch etwas blaß und hat einen gespannten Zug im Gesicht — hoffentlich merkt meine Frau es nicht.“ Die Geheimrätin dachte: „Keiner soll mir ausreden, daß das Kind Kummer hat, es ist Unruhe in ihrem Blick — hoffentlich merkt mein Mann es nicht.“
Und sie waren, ohne es selbst zu wissen, um ihre Tochter herum wie Hofstaaten um eine Prinzessin.
Renate spürte erhöhte Liebe und Pflegsamkeit. Und das tat so wohl, ein bißchen schmerzlich wohl — machte weich — stimmte zu gerührter Dankbarkeit. Sie hing sich mit kleinen Zärtlichkeiten an die Eltern — machte dem Papa förmlich den Hof, schenkte ihm Tee ein, strich ihm Brötchen, hielt das Zündholz für die Zigarette, war mit dem Sitz seiner Krawatte nicht zufrieden, obgleich der Geheimrat sich einbildete, ein Künstler im Krawattenknüpfen zu sein; der Mama konnte sie nicht so viele kleine Dienste tun, aber sie streichelte ihr manchmal ganz grundlos und unvermutet die Hand und nickte ihr zu.
Trotz dieser gesteigerten Temperatur in der gegenseitigen Hingegebenheit vermieden die Eltern jede Frage. Mit einer Delikatesse ohnegleichen gingen sie ganz an den unbegreiflichen und starken Gemütserschütterungen vorbei, die sie gestern an der Tochter beobachtet hatten.
Man mußte die Verabredungen innehalten, die vorgestern mit Herrn von Gamberg in Evian besprochen worden waren. Der Geheimrat selbst hatte sie angeregt, und obgleich seine Frau wünschte, daß die Tour unterblieb, weil ihr jede Stimmung dafür fehle, so fand er doch, daß ihrerseits eine Absage unmöglich sei, da keinerlei Krankheit oder drohende Wetter Hindernisse hergäben.
Um elf Uhr standen sie bereit auf dem kleinen, schmalen Bahnsteig im Schattenstreifen, den das von dünnen Eisensäulen getragene Dach hergab. Der Geheimrat in seinem grauen Anzug und Panamahut; seine Damen in hellen, kurzen Kleidern, wie zu flotten Märschen bereit. Aber er hatte vorweg die Parole ausgegeben: Anstrengungen erlaube ich heute nicht!
Der Himmel war sehr blau, wenn auch nicht ganz wolkenlos. Es sah aber schön aus, wenn die großen Wolkenschatten rasch über die besonnten Grashalden der Gebirgsabhänge zogen oder ganze Strecken der Tannenwälder plötzlich verdüstert erschienen. Droben der Felsgipfel des Rocher de Naye erhob sich unumwölkt in die glänzende Luft; man erkannte hier unten die kleine flatternde Fahne des Hotels dort oben.
Hart am Bahnsteig entlang, über den eisernen Schwellen und der gezahnten Schiene, zogen sich die dicken Drahtseile hin. Sie vibrierten heftig. Und nun kroch auch der aus zwei Wagen bestehende Zug herauf, ganz steil kam er empor wie ein kleines Ungetüm, das mit klammernden Organen keuchend bergan klimmt.
Ja, und da war Jutta. Sie errötete. Herr von Gamberg und sie saßen — zwei Touristen scheinbar — unbefangen — unter den vielen Menschen, die gedrängt die blanken Holzbänke der offenen Wagen einnahmen.
Sie grüßten schon von weitem höflich, so wie sie der in Reih’ und Glied stehenden Familie Gervasius ansichtig wurden — grüßten lachend, mit winkender Hand, mit gelüftetem Hut.
Und Jutta wurde rot ... Sie fühlte es, zu ihrer größten Verlegenheit. Und begriff sich nicht ... „Merkwürdig,“ dachte sie, „solch sinnloses Erröten.“
Jutta Falckenrott fühlte undeutlich, daß Erröten vielleicht niemals sinnlos ist, daß aus uneingestandenen Wünschen, Wissen, Schuldgefühlen, Befürchtungen — kurz aus ganz starken, aber im dunkeln bleibenden Unterströmungen die Aufwallungen kommen, die das Blut in die Wangen jagen.
Fahrgäste stiegen aus. Andere, die neben Gervasius’ auf dem Bahnsteig gewartet hatten, stiegen mit ein. In dem Hin und Her konnte man nicht Plätze nebeneinander erobern. Der Zufall drückte jeden irgendwohin. Mutter und Tochter saßen sich gegenüber vorn im Wagen. Der Geheimrat hatte noch ein Unterkommen in dem Abteil bei Jutta und dem Legationsrat gefunden. Das gefiel ihm gut, der schönen Frau gegenüberzusitzen. Sie interessierte ihn in jeder Hinsicht.
Im allgemeinen konnte keine Frau mit ihm verkehren, ohne ihm geschwind etwas vorzuklagen und gewissermaßen einen ärztlichen Rat so nebenbei von ihm zu erfischen. In der allerhöchsten Gesellschaft, in Ballsälen, auf Diners bekamen ihn die Damen in einer Fensternische, in einer Saalecke fest, und brachten das Gespräch auf ihre Kinder oder auf ihre Leiden. In aller Unschuld knöpften sie ihm kleine Gratiskonsultationen ab. Und es war schon vorgekommen, daß er, wenn die Betreffende zu zudringlich wurde und — sehr häßlich war, mit seinem allerschlimmsten Lächeln gesagt hatte: „Meine Gnädige, auch hier kostet ein derartiges Gespräch mit mir zwanzig Mark. Denn die Konsultationen beim Punsch Romain und bei Gänseleberpastete gehen zugunsten meiner armen Kranken.“
Jutta hatte ihm noch nie etwas vorgeklagt, und das mochte er haben. Auch war sie sehr intelligent und sprach gut. Das mochte er auch haben, denn immer wieder fiel es ihm auf, wie wenig gewandt deutsche Frauen ihre Muttersprache meisterten. Es gab die Gewählten und Gezierten. Und es gab die Nachlässigen. Aber frei und sicher aus dem unendlichen Wortschatz schöpfen, gewandte Sätze formen, das verstanden nur sehr, sehr wenige.
Sie war auch sehr schön, und das mochte er drittens haben. Weil er von Berufs wegen mit so viel Unästhetischem umzugehen hatte, konnte er große Freude an geschmackvoll gemeisterter Schönheit finden. Und er sah: Jutta brachte die ihre voller Harmonie zur Geltung.
Ihre seelischen Unruhen, die er ja erraten mußte, von denen auch sein Schwiegersohn voll Sorge gesprochen, beschäftigten ihn ebenfalls. Und so hätte er alles in allem wohl wissen mögen, was für ein Mensch sie eigentlich sei.
Er taxierte, so wie er’s ihr auch vorgestern auf der Brücke gesagt: eine wandernde Seele.
Eine von den Sehnsüchtigen, für die es nie und nirgendwo eine wahre Erfüllung gibt. Die sich ermatten in der ewigen Begierde nach einem Glück, das ihnen nur in ungewissen Linien vorschwebt.
Und das tat ihm leid.
Denn er wußte: die Art hat es schwer mit sich. Besonders wenn sie vornehm und anständig bleiben will.
Er hatte gesehen, wie Jutta errötete, als man einander ansichtig wurde.
„Ei, ei,“ dachte er.
Doch schlechtes Gewissen? Wegen Renée? Fühlt, weiß sie, daß sie ihr was in den Kopf setzte?
Es war doch recht unbehaglich. Er mochte im allgemeinen nicht, wenn Frauen sich so leidenschaftlich befreundeten, wie Jutta und Renate es getan hatten. Er hatte noch nie gesehen, daß junge Wesen dadurch klarer und zufriedener geworden waren. So ein bißchen Freundschaft obenhin, zum Lachen und zur Freude — ja. Aber Unreife sollen nicht miteinander in die Nebel und Abgründe des Lebens hinabwollen — das war immer eine unbekömmliche Geschichte; sie machen sich gegenseitig nur furchtsam. Frauenfreundschaft ist nur was für Geprüfte, dachte er.
In seiner munteren Art fragte er allerlei und erfuhr vom Legationsrat von Gamberg denn auch, daß dieser gestern abend erst mit dem letzten Zug von Genf über Lausanne eingetroffen sei, so spät, daß er sich nicht mehr habe erlauben dürfen, sich noch bei Jutta zu melden. Dafür habe er sich heute morgen mit fast unbescheidener Pünktlichkeit in der Pension eingestellt.
Und während dieses Berichtes sah er, Gamberg zuhörend und nach Gleichgültigem fragend, immer beobachtend Jutta an.
Sie fühlte es. Und errötete wieder. Ihr war, als durchschaue dieser kluge Mann sie ganz und gar. Sähe es ihr an, daß sie wieder bis in die Nacht hinein auf ihrem Balkon sich in Erwartung und Verlangen zerquält — daß ihr Schauer über die Haut rieselten, wenn in den nahen Tannen leise ein Schritt klang — daß ihr Herz rasend schlug, als sie einmal glaubte, wie einen Hauch nur, ihren Namen rufen zu hören — daß sie entnervt, fiebernd, von Ungeduld zermürbt, monoman immer dachte: „Käme er doch — käme er doch ...“ Aber er war nicht gekommen ...
Ihre Unruhe hatte das Kind förmlich angesteckt. Es schrie in der Nacht. Das war nicht mehr vorgekommen seit den allerersten Wochen. Es wurde so gut genährt und gehalten, daß es schlief, schlief, still, mit stetigem Atem, fast ohne sich zu rühren ...
Und heute morgen, als Herbert kam — früher als sie ihn erwartet hatte — da sah sie ihn nicht allein. An den Tischen auf der kleinen Terrasse frühstückten auch die anderen Gäste der Pension und saßen interessiert und bewachten Mienen und Worte. Daheim in ihren Pflichtkreisen waren sie vielleicht tüchtige und angenehme Menschen. Im Nichtstun aber offenbarten so viele ihre Inhaltlosigkeit. Es war gerade, als ob nur die Bewegungen der anderen Menschen ihnen ein wenig Bewegung bringen könnten ... und sie lauerten hungrig.
Dies erzählte Jutta jetzt. Und indem sie dem geliebten Mann zu verstehen geben wollte, daß sie ihm unter vier Augen Unendliches zu sagen gehabt hätte, machte sie eine humoristische Darstellung daraus.
„Ja,“ sagte der Geheimrat, „früher dacht’ ich manchmal, man kennt einen Menschen nicht, ehe man nicht mit ihm in der Arbeit zusammen war. Hiervon bin ich abgekommen. Arbeit hebt so sehr, daß auch Unbedeutende von ihr zu etwas gemacht werden können. Beobachte jemand beim Faulenzen, und du wirst wissen, ob du einen Menschen von höherer Kultur vor dir hast. Die Arbeitsstunde zügelt, die Feierstunde entzügelt. Da zeigt sich’s, ob einer blöde, leer, roh oder von feinsten Bedürfnissen ist.“
Der kleine Zug kroch unterdes steil bergan. Die Landschaft, indem sie zurückzusinken schien, wurde immer gewaltiger.
Voraus erhoben sich zwei kolossale Höcker: links das grasbenarbte Horn des Jaman, links der willkürlich gebuckelte Gipfel des Rocher de Naye.
Man besprach die „Aussicht auf Aussicht“. Das unermeßliche Blau erschien schöner und tiefer, weil weiße Wolken darüber hinwegsegelten — so vereinzelt — jede in stolzer Verlassenheit. Und unter ihr auf dem mächtigen Stück Erdenrücken und seinem bizarr gehaltenen Riesenmantel von Wäldern, Almen, Felsenkahlheit zogen ihre Schatten lautlos mit.
Jutta konnte von ihrem Platz aus, an etlichen Lodenhüten vorbei, gerade Renate ins Gesicht sehen und signalisierte ihr nun zu: sie möge auf die ziehenden Schatten achten.
Der Geheimrat erkundigte sich nach dem Ergehen des Töchterleins.
„O gut ...“ sagte Jutta. Ihr war, als dürfe sie nicht erzählen: es schrie die Nacht — als heiße es ihre eigene Unruhe eingestehen.
Herr von Gamberg fragte, ob alle jungen Mütter sich so um ihre kleinen Kinder abmühten; heute morgen habe er, kaum daß Frau Jutta ihm fünf Minuten am Frühstückstisch geschenkt hatte, noch allein warten müssen, weil sie vor der Abfahrt noch die Kleine versorgen wollte.
„Leider ist es nicht allgemein,“ sagte der Geheimrat.
„Meine Verantwortung ist aber auch besonders groß.“
„Weil der glückliche Vater dieses Wickelkindes das Zipfelchen Vaterland in China festhält?“ fragte der Geheimrat spaßig.
„Weil es ...“ sie brach ab. Sie hatte wieder und abermals sagen wollen: weil es nur mein Kind ganz allein ist ...
Sie fühlte sich ein wenig beruhigt, weil es ihr gelungen war, das Wort noch auf der Lippe zurückzuhalten ... Vor diesem klugen Mann hätte sie es merkwürdigerweise nicht aussprechen mögen.
Gamberg ahnte, was in ihr vorging — sein Wissen von ihr befähigte ihn, die abgebrochenen Worte sich zu ergänzen.
Er vermied es, sie anzusehen.
Sie fühlten voneinander: Diese unerhörte Erregung war jäh wieder da, die ihnen die Gegenwart von Menschen zur Qual machte. Die ihre Nerven bis zur Unerträglichkeit anspannte.
Nun verschlang ein Tunnel den keuchenden kleinen Zug, der, in seine seltsam klappernden und surrenden Geräusche förmlich eingehüllt, lärmvoll durch die Dunkelheit klomm, das Gebiß seines kleinen Mittelrades hart in die Eisenzähne der Schiene schlagend. Unter dem von eisigem Hauch durchschauerten Gewölbe führten all die Schallwellen einen wühlenden Kampf miteinander.
Und in dieser lauten Dunkelheit, die jedermann benahm, so daß alles Aufmerken nur auf sie gerichtet war, fühlte Jutta einen kurzen, starken Händedruck.
Er sollte ihr zu ihren unterbrochenen, nicht vollendeten Worten Tröstliches sagen.
Sie verstand ... Wie tat ihr das wohl. Ihr Verlangen, sich mit ihm aussprechen zu können, wuchs.
Jenseits des Tunnels empfing sie eine andere Welt. Eine, die kein Lächeln hatte und keinen Glanz. Die Starrheit eines von Steingeröll fast übersäten, im Schatten liegenden Hochtals, dessen längliches Rund Felsenschroffen umstanden. Und aus ihm heraus führte ein zweiter Tunnel in die kühne Freiheit des breiten, gebuckelten Gipfels des Rocher de Naye.
Da war Leben — nur zu viel Leben; Licht — nur zu beizendes Licht. Und außer dieser seltsamen Hochstation von Hotel, Terrassen, Aussichtstribünen und Menschengewimmel auf grüner Vegetationsnarbe die weite, ungeheure Welt.
Es wirkte, als sei vielleicht ein Ballon von da unten emporgestiegen und habe hier ein ungewähltes Stück Zivilisation abgesetzt. Nun schnurrte das gewohnheitsmäßig seine Funktionen ab, auf die es eingestellt war. Der Gegensatz schrie, wie Farben schreien, die nicht zueinander passen.
Vom Zug hasteten die Touristen zum Gerüst der Aussichtstribüne, als würden sie den Anfang des Schauspiels versäumen, für das sie voll bezahlt hatten, wenn sie sich nicht eilten. Kellner standen in der Tür des Hotels und taxierten, wie viele von den Vorbeiströmenden wohl zum Lunch kommen würden. Im riesigen Speisesaal, aus Holz und Glas, warteten die Tische wie zu schützenfestlicher Generalabspeisung.
Aus irgendeinem Grunde wurde vor dem Hotel eine neben dem Türpfosten befestigte, grelltönende Glocke geläutet, der Kellner, dem dies oblag, zog an dem Strick mit einem leidenschaftlichen und genauen Rhythmus. Dicht dabei, an einem mit schon geleerten Weinflaschen bestandenen Tisch, hielten sich kreischende Frauen die Ohren zu und taten empfindlich, während ihre freudeheißen Gesichter den Männern breit zulachten, davon einer gerade sein rot gefülltes fußloses Glas hoch emporhob zum Wohl der sonntäglich geputzten derben Schönen.
Der Geheimrat brauchte sich mit seiner Gesellschaft nur durch Blicke zu verständigen — sie waren einig in dem Wunsch, sich von dem Treiben recht weit zu entfernen. Langsam spazierten sie auf dem Gelände dahin; es stieg und fiel ab und war doch alles der fast hufeisenförmige Gipfel des Berges.
Sie fanden einen grünbenarbten kleinen Hang, der wie ein amphitheatralischer Sitz einlud. Und der Geheimrat zog wieder eins seiner berühmten Reservetaschentücher heraus, breitete es säuberlich hin und setzte sich darauf, obschon der Bewuchs der Erdkrumen ein aus Rasen und Kräutern ineinanderverfilztes trockenes Lager geboten hätte.
Neben ihm suchten sich Jutta und Herbert Gamberg ihren Platz, Jutta zwischen den beiden Herren. Ganz wie von selbst blieb man zusammen, wie der Zufall es bei der Herauffahrt gefügt.
Die Art, wie Frau Gervasius ihre Tochter eng neben sich behielt, hatte fast etwas Demonstratives — in aller Unbewußtheit — als wolle sie sich und unwillkürlich damit auch den anderen zeigen: noch ist es mein Kind! Noch bin ich die Nächste zu ihrem Vertrauen, ihren Kümmernissen. Und Renate, ein wenig schweigsam und oft von einem ganz bohrenden Nachdenken wie hinweggeführt aus dem gegenwärtigen Zustand, hing sich an die Mutter und suchte sich auch mit ihr zusammen einen Platz, fern von den anderen, und als sie dann saß, legte sie ihren Hut in den Schoß und ihren Kopf an die Schulter der Mutter. Still träumten sie beide hinaus. Und indem sie das große Bild zu bewundern schienen, waren ihre Gedanken doch eigentlich stark beschäftigt. Die Mutter wartete, voll Vorsicht, aber doch auch voll Begierde, ob die Tochter nicht sprechen würde. Aber der Tochter war es Zuflucht und Vertrauen genug, in all ihrer Furcht diesen guten, sicheren Platz zu haben, wo man ohne Erklärungen fest sich anlehnen durfte.
Gewiß — so fühlte sie — verstand die Mama von selbst, daß es viele, viele Dinge und Fragen gab, über die eine Braut schwer nachzudenken hatte. Denn einmal sagte sie es doch selbst: man müßte die Brautzeit nicht nur durchjubeln, sondern auch zur ernsten Einkehr benutzen.
Manchmal seufzte Renate, ohne es zu wissen. Und die schweigende Mutter horchte bekümmert dem Seufzer nach.
Der Geheimrat bog sich ein wenig zurück, um mal zu konstatieren, wo Frau und Tochter sich denn eigentlich niedergelassen hatten. Er fühlte wohl: die zwei freimauerten heute ein wenig zusammen — schlossen ihn und alle Welt von ihrem Bündnis aus. Er streifte es mit keinem Wort. Aber er dachte: gut so — gut so! Er wußte ja: zwischen Müttern und Töchtern gibt es merkwürdige Dinge: ein Verstehen, bloß aus dem Gefühl heraus, ohne Worte, das ans Wunderbare grenzt ... als seien da Fäden, die nichts zerreißen konnte ...
Nun saß man lange schweigend. In diesem gigantischen Weltbild da vor ihnen war keine Einheitlichkeit der Stimmung. In ruhevoller, ernster Pracht stieg zu ihren Füßen der Berg hinab, mit grünen Matten und tiefen Wäldern. Über ihrer Linie sah man den See, im beizenden, blitzenden Blau bestrahlter Edelsteine — die zierlichen Ufer überlächelte der Sonnenschein. Das war von so versucherischer, sündhafter Grazie, von so gesteigerter Schönheit, daß man in begehrlichem Verlangen die Arme hätte ausbreiten mögen, um in ihr zu vergehen.
Zur Rechten und geradeaus verschwamm diese glänzende Üppigkeit ins Grenzenlose, ihre Abschlußlinie ging unter im Duft der Ferne, so daß es schien, die ganze Erde sei von ihrem Herrlichkeitswesen. Aber zur Linken und geradeaus traf der Blick auf die harte und düstere Mauer der Hochalpen. Über der Wucht des grauen Felsenmassivs des Dent du Midi erstreckten sich Gletscher, waren wie weißblaue Fetzen zwischen Felsschroffen geworfen und eingeklemmt; dahinter drängten sich, fern und immer ferner, eisige Gipfel — da ahnte man eine Welt von tödlicher Leere und Kälte — ein Durcheinander von furchtbaren Einöden.
Der Himmel hielt das Bild zusammen — spannte sich über all diese Töne hinüber. Sein Blau war von solcher Tiefe, daß es dem hinauf sich bohrenden Blick zuletzt schwarz erschien ... Und weiße, einsame Wolken zogen ...
Tief unter ihnen zog ihr Schatten mit ...
Diesem lautlosen Riesenspiel des Lichtes mit den Wolken sahen sie, wie bezaubert davon, zu.
Jutta saß schweigend, von einer an Andacht grenzenden Wonne halb betäubt. Sie genoß die schöne Stunde zusammen mit dem Mann, der sie liebte! Dies Wissen: geliebt zu sein, das werbende Sehnen und Begehren neben sich zu spüren, erhöhte ihr noch die Gewalt dieses Blickes in unerhörte Naturwunder.
„Wären wir allein hier!“ dachte sie in heißem Wunsch — „Hand in Hand, hoch über der Welt ...“
Fühlte er nicht das gleiche? Sagte er nicht aus dieser Notwendigkeit heraus plötzlich halblaut: „Es wäre schöner, zu Fuß hinabzusteigen.“
„Ja, ja ...“ gab sie hastig zu.
„Ob es schöner wäre!“ sagte der Geheimrat. „Wenn Sie Lust dazu haben, ich bitte Sie, unabhängig zu sein. Wir können da heute nicht mithalten ... mein Töchterlein scheint ein wenig flau — ist still — sie soll sich nicht anstrengen ...“
„Wollen wir?“ fragte er.
Sie sahen sich an. Rasch, in aufjauchzendem Entzücken: „Ja — ja ...“
Und wieder Schweigen.
Nun war Jutta wie trunken von der Erhabenheit der Welt ... Bereit, in all der Schönheit unterzugehen — widerstandslos — und sei es Sünde — und sei es Tod ... Allein mit ihm ... endlich und zum erstenmal wirklich allein ...
Der Geheimrat sah den gleitenden Schatten nach und suchte eine Erinnerung festzunageln.
„Schopenhauer,“ sagte er, „mein Gott, so etwas kann quälen ... helfen Sie doch ... oder können Sie’s nicht? Sie sind aus der Generation, die ihn nicht mehr las ...“
Aber Herbert Gamberg konnte aushelfen.
„Im Kapitel von der Nichtigkeit und den Leiden des Lebens,“ sprach er; „die Gegenwart ist einer kleinen dunkeln Wolke zu vergleichen, die der Wind über die besonnte Fläche treibt: vor ihr und hinter ihr ist alles hell, nur sie selbst wirft stets einen Schatten. Sie ist demnach allezeit ungenügend, die Zukunft aber ungewiß, die Vergangenheit unwiederbringlich.“
„Das nenn’ ich ein genaues und präsentes Gedächtnis haben,“ lobte der Geheimrat.
„Nein,“ dachte Jutta, „meine Gegenwart ist nicht mehr dunkel ... nicht mehr ...“
Und zugleich hatte sie jenen kleinen, rührenden und kindlichen Stolz, den liebende Frauen haben können, wenn der Geliebte gelobt wird.
Die beiden Männer sprachen weiter, mit gelassenen Stimmen, in einem durch den wohligen Genuß am Augenblick etwas trägen Fluß der Gedanken oder doch der Worte. Der Geheimrat erzählte, daß er seinen Stil an Schopenhauer zu bilden versucht habe, daß er dessen Prosa noch über die Goethesche stelle, daß man es nicht genug beklagen könne, wie ganz aus der Mode es gekommen sei, in Schopenhauer noch den Sprachkünstler zu ehren. Herbert Gamberg meinte, man sei hier am Genfer See mittelbar ein wenig in seinem Dunstkreis. Der Name Grisebachs, des Schopenhauer-Jüngers, fiel; von dessen „Neuem Tannhäuser“ war die Rede, und Gamberg wußte einige Lyriker zu nennen, deren Ernten seiner Ansicht nach auf Grisebachs Acker gewachsen waren.
Im Geheimrat wurden Stimmungen aus der Jugend wach. Er war vergnügt, daß Gamberg Halbvergessenes in ihm aufstöberte ... allerlei Reime erhoben ihr anmutiges Geklingel; aus dem unendlichen Bergwerk von ernstem Wissen, in dem tief versteckt sie am Leben geblieben waren, fuhren flink leichtsinnig holde Verse auf. Er zitierte — tastend — mit suchenden Worten — ungenau — Herbert Gamberg half aus.
Und endlich hatten sie es beisammen, und der Geheimrat fühlte jene drollige Freude, die auch verständigste Menschen haben, wenn es ihnen gelingt, eine Gedächtnislücke auszuflicken, schon scheinbar Verschollenes wieder lebendig vor sich zu sehen. Er las dem jüngeren Mann nun, lautlos sie nachsprechend, förmlich die Silben von den Lippen, als Herbert mit halber Stimme aufsagte:
„Die letzte Strophe,“ drängte der Geheimrat, „kriegen Sie sie noch zusammen?“
Und während so der alternde Mann, in der weichen Freude, die die Stimmung dieser prangenden Welt auch in ihm aufwallen ließ, zärtlich mit dem Geschmack seiner Jugend liebäugelte und nachkostete, was ihn damals entzückt hatte — horchte die junge Frau den Worten nach ...
Sie hörte den Klang der Leidenschaft in der halblauten Stimme.
Sie fühlte, daß er es ihr sagte, dies flehend sehnsüchtige: Wärst du mein eigen!
Sie erlebte wieder jene kurze Minute in der purpurdunkeln, rosenduftigen Sommernacht, wo er sie geküßt.
Und ihr deuchte, als sei dies nicht ein rascher Kuß gewesen — als hätten sie sich damals feierlich einander gegeben — und alles, was nachher kam, sei Irrtum, sei Treulosigkeit gegen ihn ...
„Wärst du mein eigen!“
Alles ging weiter ... die Stunden spannen sich ab. Ein Weilchen noch sprach der Geheimrat von den Göttern und Götzen seiner Jugend, hielt eine allgemeine Revue über die Trümmer, die man so hinter sich läßt — meinte: je mehr einer rückwärts liegen weiß, desto heller ist’s vor ihm.
Dann stand man auf. Die Prosa kam, und man mußte essen und saß, merkwürdig von grundlos plötzlicher Heiterkeit getragen, um die Spitze einer jener langen Generalabfütterungstafeln im Saal. Der war nun wieder leer, und nur die Kellner schlüpften wie schwarze Hechte hin und her und räumten ab.
Nachher saß man noch lange am Haus im Freien und ließ den Geheimrat in Ruhe zu seinem Kaffee und seinen Zigaretten kommen. Bei dieser Gelegenheit wurde es dann auch festgestellt: Gervasius’ fuhren mit der Bahn hinab in ihr Hotel in Caux, und der Legationsrat von Gamberg schwor dem Geheimrat, als dem derzeitigen Beschützer der schönen Frau Jutta, zu, daß sie mit heilen Gliedmaßen bis an die Pension gelangen solle. Der Geheimrat nahm seine Verantwortung humoristisch wichtig — denn im Ernst konnte von irgendeiner Gefahr bei diesem geplanten Abstieg nicht die Rede sein.
Dann standen Jutta und Herbert Gamberg auf dem offenen, mit gelbem Kies bestreuten Bahnsteig, der fast aus dem schwarzen Mundloch des Tunnels herauszukommen schien, einer langen, schmalen Zunge gleich.
Sie lächelte ganz freundlich zu den drei Abfahrenden hinauf — ein unverdächtiges Lächeln. Sie wechselte verständliche Worte mit ihnen, die Sinn und Zusammenhang hatten, und denen niemand angehört haben würde, daß ein Wesen sie sprach, das eigentlich nur Maske war.
Dahinter, die wahre, die eigentliche Frau lächelte nicht und sprach nicht, sondern dachte einen einzigen fanatischen Gedanken: „Nun sind wir gleich allein.“
Herbert, in einer beklemmenden Vorfreude darauf, endlich Stunden ungestörter Aussprache vor sich zu haben, verbarg seine Erleichterung über die Abfahrt der Freunde unter immer wachsender Höflichkeit und strengem Ernst des Ausdrucks. Nichts war seiner zurückhaltenden Art gemäßer als dies. Wenn er heimliche Erregungen zu verstecken hatte, wurde er steif.
„Er ist ein merkwürdiger Mann,“ dachte der Geheimrat, „wenn man recht gemütlich mit ihm gewesen ist, scheint er es nachher gewissermaßen dadurch zurückzunehmen, daß er sich in formelle Haltung hüllt.“
So bekamen, nach den wohlgelungenen Stunden des Tages, diese letzten Minuten etwas Konventionelles.
Noch ein letztes Grüßen — und sie standen allein.
Sie sahen sich an — kurz atmend — verlegen beinahe, von dem halbdeutlichen Wunsch beherrscht, voreinander ihre heiße Freude zu verbergen ... als sei etwas Plumpes darin, das unterdrückt werden solle ...
„Gehen wir gleich?“
„Das müssen wir wohl,“ sagte Jutta, „es ist jetzt halb fünf. Vor Einbruch der Dämmerung möchte ich unten sein.“
„Oh — wir sind es früher ...“
„Desto besser.“
„Also ...“
Das sollte wie muntere, harmlose Aufforderung klingen. Und kam nur gepreßt heraus.
Sie schritten aus. Hintereinander her. Der Mann voran.
Hart unterm Gipfel, in ganz geringer Senkung, zog sich über feines Geröll, das rieselte und rutschte, ein Pfad hin. Wie eine Wand stand zur Rechten der grünbenarbte Fels, links unten lag die Welt.
Zuweilen wandte Herbert sich zurück und sah die geliebte Frau an — was sie mit einem strahlenden Lächeln beantwortete.
Leicht schritt sie einher — in grundlos seliger Fröhlichkeit.
Nichts hatte sich an den Umständen ihres Lebens geändert.
Und doch schien ihr, als sei nun jede Not vorbei — als wandere sie mühelos, freudig hinein in die Erfüllung all ihres Sehnens.
Die im Grenzenlosen verschwimmende Herrlichkeit der schönen Welt schien ganz allein für sie da zu sein, lachte für ihre lachende Seele.
Es war keine menschliche Mühe, es war göttliche Lust, zu leben.
In den Rausch dieser Stimmung drängten sich keine schwülen Beängstigungen — es war etwas ganz Freies — Reines.
Das bloße Gefühl, von jeder Heuchelei befreit zu sein, gab eine vollkommene Zufriedenheit und Erholung.
Schweigend wanderten sie. Nur der Widerklang ihrer Schritte und das leise Rieseln des Weggerölls, das ihr Fuß in Bewegung setzte, ging immer mit ihnen. Hinter ihnen her kam der laue Wind und strich die Frauenkleider nach vorn. Zuweilen holte ein Wolkenschatten sie ein, huschte über sie hinweg und eilte ihnen voraus am Hang hin.
Sie kamen an die einzige wirklich mühevolle Stelle des Abstiegs. Für einen Kamin zu weit, für eine Schlucht zu eng — eine Art steil abfallender Rinne, angefüllt mit kleinen Blöcken, zwischen denen zuweilen ein kümmerlich grünendes Buschgestrüpp seine Reiser herausstreckte und ein Wasser rann, doch so dürftig, daß es nicht rieselte, sondern nur feuchtete.
Herbert stieg voran. Er prüfte mit dem Stock die Liegefestigkeit jedes Steines, ehe er darauf trat oder seinen Fuß in die Spalten und Lücken zwängte. Dann hielt er seine Rechte der nachkommenden Jutta hin. Mit einer gewissen feierlichen Emsigkeit überwanden sie die Strecke, ganz fürsorglich sich nur gegen ihre kleinen Tücken vorsehend.
Und dann standen sie ausatmend und vergnügt einander gegenüber. In der glücklichsten Unbefangenheit. Und dachten nur erstaunt, warum sie vorhin voreinander verlegen gewesen seien.
„Von nun an ist es ein Spaziergang,“ sagte er.
„Wir können bis dicht vor Caux auf dem Hauptweg bleiben und dann den kleinen Pfad nehmen über die Alm, nachher durch den Wald hinab, nach Montfleury. Ich kenn’ mich da aus — ich bin mit Renate schon da gegangen!“
Wirklich, es war ein Spaziergang. Ein gutes Wandern war es in der leichten, unbegreiflich reinen Luft, die nach Schneefrische und würzigen Kräutern zugleich roch. Die wohlig warm war und zugleich so stark.
Und immer lag fern drunten der See, im blausilbernen feinschuppigen Gerinnsel seiner weit hingestreckten Fläche.
Nur eine Überraschung bot dies Spazierengehen. Der Weg zog sich so merkwürdig um all die Falten des Bergmantels — ein und aus bog er sich, rundete sich hinein, daß man wie umschlossen von grünen Bergwänden war, rundete sich hinaus, daß man steil und hoch über der Gegend zu wandern schien.
„Es ist weiter, als ich dachte,“ sagte Jutta einmal.
„Da auf der Alm können wir rasten.“
„Sie ist nicht bewirtschaftet.“
„Das sieht man schon von hier — es weidet nirgends Vieh.“
„Dort hab’ ich gestern auch mit Renate gesessen.“
Nun war es, als hätten sie ein Ziel. Sie gingen rascher. Bergab lief der Weg und schien sie fast zu stoßen — immer mußte sie sich im Gleichgewicht halten gegen jene seltsam fallenden Vorwärtsbewegungen, zu denen der Körper beim Absteigen gedrängt wird.
„Warum sind wir so schweigsam,“ fragte Herbert einmal, in guter, unbefangener Laune.
Ja, warum? — So fieberhaft hatten sich ihre Wünsche dem Alleinsein entgegengedrängt, um endlich miteinander sprechen zu können, über den Ernst ihrer Lage — über ihre Wünsche — ihre Zukunft.
Und nun wußten sie nichts zu sagen und schienen ganz ausgefüllt von der Lust am zweisamen Wandern in der schönen Welt.
Da vor ihnen lag die Alm — ein Idyll — fast in Bilderbogenfriedlichkeit. Lieblich und still. Leer lag sie, eine große, lang sich hinabziehende Matte, von dem Saum des Tannenwaldes umgrenzt. In ihrer Mitte kauerte gedrückt das Blockhaus. Die dicken Stämme, aus denen es gefügt war, hatten Sonne und Wetter silbergrau gefärbt. Nun schimmerten sie metallisch, und das Schindeldach, das sie schirmte, von Steinen beschwert und dunkel gefleckt, gleißte. Ein alter Holunderbusch drängte sich an die rückwärtige linke Ecke und umschattete sie. Daneben rann, aufgefangen in einem halben, gehöhlten Baumstamm, ein blankes Wasser unter einem den Rasen durchbrechenden Felsbrocken hervor. Jetzt entließ diese Rinne das Wasser ungenützt; dünnstrahlig und blitzend entfloß es ihr und suchte sich einen Weg talwärts, durch das Wiesengras, darin sich einen schmalen Lauf zu tiefen ihm auch durch Stetigkeit gelungen war.
Gestern war Jutta hier gewesen — aber nun erst entdeckte sie die Stätte wahrhaft, in ihrer Feld- und Wald- und Welteinsamkeit unter dem grandiosen Himmel und der Nachbarschaft der von weitem herschauenden Gebirgskolosse.
Die Eingangstür lag zwischen Pfosten tief zurück. Das waren grob behauene Stämme, in dürftigster Baukunst errichtet. Sie umschlossen die verrammelte Tür derart, daß eine breite, geräumige Nische entstand, in der der Schwellbalken einen Sitz hergab.
Besser konnte man nicht sitzen. Den Rücken hielt man gegen die Wand, die Füße voraus gestreckt. Der Rahmen der derben grauen Stämme, klobig und fest, umschloß die Stätte und verbarg sie allen Menschen.
Aber wo waren Menschen? Fern und fingergroß sah man zuweilen einige auf dem sich ein- und ausrundenden Weg droben vorwärts krabbeln. Gerade klomm auch die Zahnradbahn, zwei schräge Kästchen, bergan — winzig wie ein dunkler Käfer, der Mühe hat, sich mit klammernden Beinen beim Emporkriechen zu halten.
Sonst nur die wartende, schwüle, duftende Einsamkeit.
Auch der See war verschwunden — von der Mulde dieser Alm, die die Wälder bergabwärts begrenzten, konnte man ihn nicht sehen.
Und daß man ihn nicht sah, gab völlig den Zauber der Einsiedelei.
Im Wandern war das Schweigen so natürlich gewesen. Der gleichgestimmte Schritt, die frohgemute Gesundheit der gemeinsamen Bewegung hatten kraftvoll wie Gespräch und unbedrängte Mitteilsamkeit von einem zum anderen hinübergewirkt.
Und jetzt, in der gleichen Sekunde, als sie nach einigen scherzenden Reden über den pastoralen Reiz dieses Platzes sich niedergelassen hatten — jetzt züngelte das Schweigen zwischen ihnen empor wie eine Flamme.
Jutta legte ihren Hinterkopf gegen die Tür. Mit nervösen Fingern spielte sie an dem Hut in ihrem Schoß. Sie hörte zu, wie ihr Herz klopfte. Und bei diesem Horchen wurden auch die Finger still.
Schwer schlug es und rasch zugleich ...
Wie eins, das nicht mehr warten kann ...
Die Kühnheit ihres Temperaments loderte in ihr und verzehrte ihre Besinnung.
Jene Verderberwut war in ihr, die eine leidenschaftliche Frau vorwärts treiben kann, zur Sünde und Verdammnis.
Der Trotz, dem es ein lachendes Spiel scheint, Vergangenheit zu verleugnen, Zukunft zu zerschlagen, um des einen süßen, trunkenen Augenblicks willen.
Jutta von Falckenrott war mit Gamberg allein in der weiten schweigenden Einsamkeit.
Und der Mann, der dieses Weib liebte, spürte ihr begehrliches Warten. Von diesem Warten ging eine Versuchung aus, die ihn betäubte ...
Seine Ehre hatte so genau gewußt, auf welchen Wegen und in welcher Haltung er und die Geliebte durch ihren schwierigen Liebeskampf gehen mußten, um in freiem Gefühl, unbeschädigt zueinander gelangen zu können.
Aber jetzt wußte er nichts, als daß er nur den Arm auszustrecken brauchte, um die süße Frau, die Frau, die ihm zitternd entgegenglühte, an sich zu nehmen ...
Die erhabene Einsamkeit ringsum schien den Atem anzuhalten ... Eine unerhörte Bedrängnis erfüllte die Welt ... zu seligem Tumult mußte sich alles lösen ... die Vorahnung jubilierender Wonne brauste heran.
Er tastete nach ihrer Hand. Er sah ihr in die Augen.
Kraftlos lag ihr Haupt zurückgelehnt — unter seinem heißen, bittenden Blick schlossen sich halb ihre Augen — in wehrloser Hingebung.
Noch das Zögern und Zittern von Sekunden ... Nein, kein bewußtes Zögern ... die Begierde lähmte, weil es ungeheure Tat ist, die Wonne ihrer Spannung zu lösen ...
Und in diese Hemmung hinein drängte sich jäh etwas Zerstörerisches — — —
Mit dem gleichen Herzschlag spürten sie es — jeder von ihnen anders — und doch in einer beklemmenden Einheit des Entsetzens ...
Die Frau sah plötzlich ein Männergesicht vor sich ... es gehörte nicht dem, dessen Arme sie schon umschlossen.
Es war ein bärtiges Gesicht, braun von Wetterunbilden. Und blaue, tiefe und doch freundliche Augen standen darin, in denen Güte und Zärtlichkeit leuchteten. Und so viel Zutrauen war in diesem Gesicht — nichts von lauernder Besorgnis — nichts von gespannter Eifersucht — es sah sie an, wie es sie damals angesehen in der Abschiedsstunde — als er sprach: „Kind, ich glaube an dich; es ist ja auch gar nicht wahr, daß die Abwesenden unrecht haben — im Gegenteil, ihre Abwesenheit macht sie für anständige Herzen heilig.“
Dies Gesicht näherte sich jetzt dem ihren ... Dieses ... und in seinen Augen war die gleiche Unergründlichkeit wie in den Augen ihres kleinen Kindes ...
Und auf den Mann warf sich ein Phantom und rief ihm etwas zu — ein scharfes, höhnisches Wort ... Ein Wort, das ihm die Ehre zerbrechen wollte ... mit einem Fernen kann man nicht im offenen Kampf sich messen — aber bestehlen kann man ihn so leicht — ja, zum Dieb werden kann man an ihm ...
Sie ließen voneinander, als habe eine gewaltige Faust sie voneinander gerissen.
Jutta brach in Tränen aus.
Der ferne Mann hatte sie besiegt. Gerade durch seine Abwesenheit ...
Vielleicht saßen sie noch lange, schwerer und unklarer Not hingegeben ... um mit dem jähen Rückschlag all ihrer Empfindungen fertig zu werden ...
Als die Tränen der Frau endlich still wurden, stand Herbert auf.
Er sagte sanft, sehr schonend, doch ohne sie anzusehen: „Wollen wir nun weitergehen?“
Sie kam hastig in die Höhe.
Ja, weiter wandern — fort, fort — hier konnte man nicht bleiben ...
Und doch war es ihr, als hätte sie auf dieser harten Schwelle sitzenbleiben mögen — um zu weinen und zu denken ...
Still gingen sie. Zwei Gedrückte — Mutlose ...
Der Mann litt unter einem Zwiespalt der Empfindung, der ihm ungeheuerlich war.
Eine Art Scham wollte aufkommen darüber, daß er sie aus seinen Armen gelassen — daß er sich ihr nicht als der Mann bewährt habe, der für den Kuß der Geliebten einer Welt trotzt ... Der Besonnenheit hat, anstatt sich mit ihr in den Tod zu stürzen ...
Und doch, zugleich auch begann eine stolze Genugtuung ihn zu erfüllen ... Unversehrt war seine Ehre aus dieser schwülen Stunde hervorgegangen ...
Er hatte den fernen Mann nicht beleidigt ... diesen Mann, vor dessen Angesicht er nicht augenblicklich hätte treten können, um ihm Genugtuung zu geben ...
Diese unbezwingliche Leidenschaft, die schweren Kampf in sein bis dahin so wohlgeordnetes Leben gebracht, war nicht sein Verderben geworden ...
Die geliebte Frau, die er sich zu erringen, der er einst seinen Namen zu geben hoffte, würde gleich ihm eines Tages dankbar und befreit an den Augenblick der Gefahr zurückdenken ...
Aus dieser Empfindung heraus stand er einmal still, ergriff Juttas Hand und küßte sie in scheuer Liebe ... voll Respekt ...
Sie sahen sich an ... Tief und schmerzlich.
Und schritten weiter. So sehr damit beschäftigt, den Aufruhr ihres Gemütes in eine erträgliche Gefaßtheit zu bringen, daß ihnen der Weg gar nichts und die Zeit etwas Unbemerkbares war.
Bis sie auf einmal vor der Pforte der Pension standen — einer hohen Pforte aus Drahtnetz, zwischen Eisenstäbe gespannt, von der aus das Gitter weiterging, die Tannen des Waldes von den Tannen des Gartens scheidend. Hier war es sonnenlos. Auf ihren sachten Füßen hatte die Dämmerung sich schon aus den Schluchten der Berge herausgeschlichen und lief nun über den See und warf die grauen Schleier der Abendstille über ihn hin.
Noch einmal, zu wortlosem Abschied, küßte er die Hand der Frau. Und sein herbes, feierliches Schweigen gelobte ihr mehr zu, als Worte gekonnt hätten.
Ein letzter Blick und gute Nacht.
Drinnen stand auch schon das Schicksal und wartete, um mit einem harten Anruf diese erschöpfte Seele zu erschrecken. Als Jutta ihr Zimmer betrat, fand sie einen fremden Mann darin, der über das Lager des Kindes sich beugte, neben dem Martha auf den Knien lag.
Dieser Mann war ein Arzt.
Und ihr kleines Kind war sehr krank.
Niemand wäre auf die Vermutung gekommen, daß der Legationsrat von Gamberg ein Mann sei, der in schweren Kämpfen stehe. In seinem Hotel richtete sich die Aufmerksamkeit vieler auf ihn; seine vornehme Erscheinung sowohl wie seine ihm eigentümliche Haltung von etwas ablehnender Steifheit forderten die Neugierde heraus. Aber zu denken, daß dieser korrekt aussehende Mann in harter Seelennot sei, hätte kein Mensch sich unterstanden. Die kleine, strenge Falte auf seiner Stirn, der etwas scharfe Zug um den Mund wirkten auf die ihn Beobachtenden als Hochmut. Daß seine hellen Augen mit so leerem Ausdruck über die anderen Gäste gingen, als nähmen die Blicke an nichts Anteil, verschärfte den Eindruck des Stolzes. Nun gibt es überall Menschen, die durchaus wissen müssen, wer der andere ist. Die die Fremdenbücher oder den Portier befragen und ein dringliches Interesse nach Nam’ und Art von Gestalten haben, die gar nicht zu ihrem Lebenskreis gehören. Deren eigentlichster und Hauptreisezweck zu sein scheint, sich den Begriff Publikum in Einzelwesen zu zerlegen, und die sich erst zu unterhalten meinen, wenn sie einen Hinz entdecken, zu dem sie durch einen Kunz Beziehungen haben.
So blieb auch Gamberg nicht von Annäherungen verschont. Gerade weil er so sehr in sich verschlossen durch die Menge ging, schien es doppelt zu reizen, dennoch mit ihm ins Gespräch zu kommen. Auch hat es — undeutlich — stets etwas Auszeichnendes, von einem Einsamen in seine Einsamkeit aufgenommen zu werden.
Es fand sich ein Herr, der mit gelüftetem Strohhut in der Veranda an Gamberg herantrat. Der nahm, in scharfes Nachdenken versunken, seinen Morgentee — von den Ermüdungen der schlaflos durchwachten Nacht soeben ein wenig durch Bad und sorgsame Morgentoilette erholt. Die Anrede erschreckte ihn beinahe und störte ihn empfindlich. Aber in seiner beherrschten, kühlen Höflichkeit nahm er die Vorstellung des Zudringlichen entgegen.
„Sie gestatten? Herr Legationsrat von Gamberg, nicht wahr? Sie gestatten: Wilmers!“
Die freudige Zuversicht, in der der Mann, der groß und doch untersetzt war, dies „Wilmers“ vorbrachte, verhieß von vornherein Ansprüche auf Bekanntschaftmachen. Aber Gamberg konnte bei seinem zuverlässigen Gedächtnis für Namen wie für Gesichter keinen Wilmers in seiner Erinnerung auftreiben.
Der Mann hatte ein rötliches, starkes, bartloses Gesicht, mit sehr intelligenten Augen. Und die angeborene Plumpheit der Gestalt war durch elegante und gut-getragene Kleidung zu einer besonderen Note gekommen. Die anspruchsvolle Sicherheit des Auftretens schien dafür zu sprechen, daß Herr Wilmers nicht gewohnt und nicht gewillt sei, sich übersehen zu lassen.
„Sie wünschen?“ fragte Gamberg aber trotzdem aus einer sehr großen Entfernung.
„Nichts, als Ihnen die Hand zu drücken, damit meine Schwägerin nachher nicht sagt: und du bist ihm so vorbeigegangen?!“
„Ihre Schwägerin?“ fragte Gamberg voll mißbehaglichen Erstaunens.
„Sie gestatten,“ sagte Herr Wilmers jovial und erfaßte schon die Lehne des Stuhls, der untergeschoben dem Platz Gambergs gegenüber stand.
Die ganze Veranda sah ja zu, und da alle diese Menschen im Augenblick sein Publikum waren, wollte Wilmers es auch befriedigen, indem er ihm das Schauspiel einer rasch sich entwickelnden Bekanntschaft gab.
Herbert von Gamberg machte eine schwache Geste, worauf Herr Wilmers mit der Leichtigkeit der Bewegungen, die große, dicke Menschen oft haben, sich setzte.
„Der Bruder meiner Frau ist doch mit einer Schmylauer Tochter verheiratet! Das wissen Sie doch, Herr Legationsrat?! Na, und Lu ist ja so was wie ’ne Cousine von Ihnen. — Wenn Sie damals, als Lu heiratete, nicht überseeisch gewesen wären, hätten wir uns auf ihrer Hochzeit kennen gelernt — na, und nun dacht’ ich: so ’ne versäumte Gelegenheit muß man nachholen. Ich muß doch Lu ’nen Gruß von Ihnen bringen können.“
Gamberg sagte halblaut und sehr förmlich, daß er in der Tat über die Familie, in die Lu, jetzt Frau von Lemkow, hineingeheiratet habe, nicht näher unterrichtet gewesen sei. Er drückte die Hoffnung aus, daß es Lu Lemkow gut ergehe, und daß sie glücklich geworden sei.
Damit hatte er gleichsam einen Vogelkäfig geöffnet. Die Mitteilungen flatterten nur so heraus und ihm um die Ohren. Sie hätten ihn in ihrem raschen Durcheinander verwirren müssen, wenn er überhaupt recht zugehört haben würde. Er verstand die Kunst, in aufmerksamer Haltung auf sich einsprechen zu lassen, ab und zu durch eine steife Kopfbewegung, eine überall passende, weil ganz inhaltlose Zwischenbemerkung Anteil zu zeigen und doch mit seinen Gedanken wo anders zu sein.
Wilmers, für den das Leben sozusagen eine Angelegenheit mit Pneumatik zu sein schien — manchmal platzt sie, aber man kann ja andere Gummireifen umlegen, und nach kurzer Störung geht’s famos weiter — Wilmers verbreitete sich genau über die Umstände und Charaktere der Lemkows. Es waren großartige Menschen. Konnten alles, wußten alles, wollten alles. Und Gentlemen durch und durch. Nichts fehlte ihnen wie der Nervus rerum . Und da war es ja ihr Glück, daß sie einen Mann in die Familie gekriegt hatten, der Geld besaß und es mit liberaler Hand hergab, wo er sah, daß man klug damit arbeiten würde.
So kam Lus Mann auf der Domäne hoch, die zu pachten er von Haus aus natürlich kein Geld gehabt hätte. So kultivierte ein anderer Lemkow mit bedeutendem Gewinn Ländereien in Südsibirien; das Kapital hatte er unter den günstigsten Bedingungen bekommen. Daß er selbst, der hier gegenwärtige Wilmers, der sich übrigens in keiner Hinsicht damit herausstreichen wollte, das „Glück“ der Lemkows sei, erhellte aus dem Vortrag von selbst. Wilmers wehrte vorweg jedes Lob und alle Bewunderung ab, die Herr Legationsrat ihm etwa würde zollen wollen. Er war ein ganz einfacher Mann — er hatte bloß ’n offenen Kopf und ein gutes Herz und ’n Blick dafür, wie weithin man nützen kann, wenn man Fähigen Mittel gibt. Ja, so war er. Aber er mochte nicht, daß viel davon gesprochen wurde.
Unterdes kämpfte Herbert ein peinliches Gefühl nieder, das beinahe ein Schmerz war.
Er hörte Namen nennen, in denen ein Klang von Erinnerungen mitzitterte. Gerade jetzt ertrug er sie nicht ...
Ganz derb, ganz ahnungslos hing dieser Mann mit jenen fernen, holden Hochsommertagen zusammen ... Wo er an der jungen Liebe der Geliebten vorübergegangen war. Wo sein Verstand, seine Pläne dagegen gesprochen hatten, aus Sommerträumen Lebensernst zu machen ...
Dieser Mann, der der Familienbankier der Lemkows zu sein schien, hatte auch offenbar ungewöhnliches Gedächtnis, Überblick und Interesse für all ihre Beziehungen. Es waren ersichtlich seine Renommierverwandten. Herbert hörte, dann und wann ein Detail aus der Fülle der Vertraulichkeiten erfassend, daß Wilmers genau Bescheid wußte, wie gastfrei es ehemals auf Schmylau zugegangen sei, und wer dort alles zu Sommerzeiten eingeladen zu werden pflegte.
Er bebte davor, daß nun gleich auch Juttas Name fallen werde. Daß er dann sagen müsse: sie ist hier, wohnt zehn Minuten von uns in einer Pension.
Aus dieser Furcht gewann er so viel Lebendigkeit, um wirklich mit Wilmers zu sprechen, ihm nicht nur, in die Abwehr kalter Höflichkeit gehüllt, zuzuhören.
„Sie sind als Passant hier?“
„I bewahre. Wie Sie mich da sehen, so unglaublich es klingt: ich bin nervös. Soll subalpin bleiben, aber dennoch so gewissermaßen in Hochalpenstimmung leben. Man hatte mir irgend so ’n Nest in den Bergen drinnen verordnet — war mir zu eingesperrt — auch die Gesellschaft — second — wissen Sie, Herr Legationsrat, ich lege den äußersten Wert auf beste Gesellschaft ... Ich habe hier einen höchst schicken Kreis ... Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie einzuführen — wo wir — man kann ja beinahe sagen über die Schmylauer weg, fast verwandt sind ...“
„Verzeihen Sie, Herr Wilmers, aber ich bin auf Reisen, um mich von der Gesellschaft zu erholen.“
„Ah — na ja — verstehe vollkommen — wo sie zu Ihrem Metier gehört! Mit allem, was mit ’m Metier zusammenhängt, mag man unterwegs nichts zu tun haben. Lassen wir also alle meine Bekannten weg. Wir können allein mal was zusammen unternehmen, Tagespartien — ich halte Ihnen alle zudringlichen Menschen fern, darin hab’ ich ’ne förmliche Kunst. Wenn es etwas gibt, das ich hasse, ist es Zudringlichkeit!“
„Leider reise ich schon heute ab,“ sagte Herbert Gamberg mit so viel Nachdruck, daß der andere ein großes Bedauern heraushörte und nachher seinem schicken Kreis erzählen konnte: der Legationsrat war todunglücklich, daß er ausgerechnet in einem Moment abreisen muß, wo man sich eben gefunden hatte.
Er selbst erschrak beinahe, als er es gesagt. Mit dem lauten Wort war nun der Entschluß unwiderruflich geworden, an den er in den schweren Stunden der letzten Nacht immer wieder gedacht hatte.
Es war nicht ganz einfach, Herrn Wilmers zu dem Gefühl zu bringen, daß es Zeit sei, den Besuch am Tisch zu beenden. Das bewährte Mittel, Gesprächspausen eintreten und auffällig werden zu lassen, konnte Herbert nicht anwenden; die Lebhaftigkeit des Herrn Wilmers wurde immer behaglicher und intimer; er führte die Unterhaltung mit einer sprachlichen Rüstigkeit unerschöpflicher Art.
Es blieb nichts weiter übrig, als zu sagen: meine Zeit ist knapp.
Dann gab es einen Abschied, aus dem Herbert schließen durfte, daß er für den Rest seines Lebens unter die nächsten Freunde des Herrn Wilmers gezählt werden würde.
In der Erleichterung, daß es überhaupt nur endlich zum Abschied kam, lächelte er hell. Und hiervon war nun Wilmers völlig bezaubert und erklärte seinem schicken Kreis, daß die hochmütige Außenseite nur für die Welt sei, daß in der Intimität eine hinreißende Liebenswürdigkeit zutage trete.
Wenige Minuten nachher ging Herbert auf den Waldwegen dahin. Kühl und feucht war die Luft unter den Tannen, von kräuterigen und moosigen Gerüchen schwer. Zuweilen schimmerte durch die breithängenden Nadelzweige das Geblitze des Sees auf.
Er ging, um Abschied zu nehmen.
In dieser letzten Nacht war es ihm klar geworden: er hätte sich nicht verführen lassen dürfen, hierherzukommen.
Was hatte ihn verführt: Blick und Wunsch der geliebten Frau?
Die eigene Sehnsucht nach ihrer Nähe? Vielleicht diese üppige Schönheit der Natur — die so stark in all den vollen Tönen ihrer Lebensfülle auf die Nerven wirkte, daß man ein aufpochendes Anrecht in sich fühlte, auch zu jauchzen, in ihr mit erhöhten Daseinswonnen aufzugehen —
Vielleicht dies alles ...
Er dachte daran, wie sehr er sich in der Hand gehabt hatte, noch damals beim Abschied in Kiel — als er ihr und sich die Haltung vorzeichnete ...
Und nun hatte die Leidenschaft sie doch fast überwältigt. — Wie kam das?
Vielleicht so: Wenn das Schicksal mit dem gleichen Erlebnis zu uns zurückkehrt, hat es verdoppelte Kraft: zur Macht der Gegenwart gesellt sich die Macht der Erinnerung —
Und das ist: Feuer im Rücken, Feuer von vorn ... Wer kann sich gegen solchen Ansturm behaupten! ...
„Es ist würdiger,“ dachte er, „wir gehen jetzt auseinander — um uns später mit freiem Bewußtsein gehören zu können ...“
Er fühlte: dies war seiner Art notwendig!
Nicht nur aus Achtung vor der Geliebten, vor dem Gefühl, das sie zueinander zwang — auch um seines eigenen, zukünftigen Stolzes und Gleichmaßes willen. Wenn die schwülen Augenblicke gestern sie zusammen fortgerissen hätten? ... Er wußte heute: es würde ihm furchtbar, unvergeßlich würde es ihm gewesen sein ...
Die Scham vor dem fernen Mann hätte ihm das Gemüt vergiftet ...
„Wär’ er hier!“ dachte Herbert inbrünstig. „Seine Abwesenheit macht mich von ihm abhängig ...“
Ja, solange er nicht weiß , daß seine Frau ihn nicht mehr liebt, so lange sind wir wie in Ketten ...
Allerlei Stimmen hatten in der Nacht auf ihn eingesprochen: daß es auf die geliebte Frau wie Feigheit wirken könne, wenn er fliehe; daß er sich gerade als Mann beweisen müsse, indem er bleibe.
Er erkannte: dieser ganze Liebesroman war nicht seinem eigentlichsten Wesen gemäß, das der ruhigen Entwicklung aller Lebensfragen zuneigte.
So wollte er doch trachten, das Unerwartete und Leidenschaftsvolle dahin zu meistern, daß es ihm und der geliebten Frau und vor allem jenem fernen Mann das bürgerliche Ansehen nicht zerbräche!
Sein noch in allerlei Widerspenstigkeiten verstrickter Vorsatz, abzureisen, hatte durch die Begegnung mit diesem lauten und andrängerischen Mann nun ganz sichere Gestalt bekommen.
Die ernste Lage, die nur durch die Größe ihres Gefühls und durch heiligste Schonung aller Empfindlichkeiten ertragbar war, mußte unertragbar werden, wenn nun ein plumper und nicht in sie hineingehörender Mensch ihnen seine Gesellschaft antrug.
Am Gitter der Pension zögerte er kurze Augenblicke.
Er fühlte sich von einer Befangenheit benommen, die ihm unfaßlich war — so, als sei es eine Verlegenheit, vor die Geliebte hinzutreten.
Zusammen schuldig Gewordene erröten voreinander — kann das Unfaßliche, Unlogische sich begeben, daß man errötet, weil man nicht schuldig war?
Ist für eine Frau eine Leidenschaft nur groß und echt, wenn sie keine Grenzen achtet?
Was mochte alles in der Geliebten vorgegangen sein seit gestern abend?
Eine sinnlose Furcht, gegen die er sich nicht wehren konnte, kam plötzlich über ihn, daß nun sie, unschlüssig und von ihrer Sehnsucht zu ermüdet, sich von seiner Liebe doch noch abwenden könne.
Wie er einst, unschlüssig und mit klugbedachten Lebensplänen beschäftigt, an der ihrigen vorbeigegangen war.
Und in dieser jäh in ihm aufwallenden Angst fühlte er schmerzhaft: ich kann sie nicht wieder verlieren ...
Das gäbe einen Riß, den nichts mehr verheilen könnte ...
Rasch trat er ein.
Leer waren Korridor und Treppe. Die kleine Familienpension ließ ihren Eingang nicht von einem Portier bewachen. Im Bureau war Madame, die dort sonst schrieb und huldvoll die Anliegen ihrer Pensionäre entgegennahm, nicht anwesend. Durch offene Türen und Fenster kam die Waldluft herein und durchwürzte das Haus.
Er stieg treppan.
Da, am Kopf der Treppe, aus dem rechten Arm des Korridors kommend, rannte Martha fast gegen ihn an. Sie sagte: „Ach Gott ...“
Vielleicht zur Entschuldigung. Atemlos und kläglich sagte sie es.
„Melden Sie der gnädigen Frau, daß ich hier sei.“
Martha, deren sommersprossiges Gesicht ganz schlechtfarbig aussah, und die überhaupt einen fast zerzausten Eindruck machte, sah ihn betrübt an.
„Ach, Herr Legationsrat — das Kind ist uns krank geworden — sehr krank — wenn es man nich stirbt!“
„Diese Nacht?“ fragte er betroffen und sich verfärbend.
„Nein, schon gestern. Wo ich allein mit der Kleinen war. Aber ’n Versehen hab’ ich nicht gemacht, ganz und ganz gewiß nicht,“ beschwor Martha und begann zu weinen.
„Das wird Frau von Falckenrott Ihnen auch nicht zutrauen,“ sagte er tröstend.
Er dachte: „Kleine Kinder sind ja manchmal krank — erholen sich rasch.“ — Er erinnerte sich: da und dort in den Kinderstuben seiner verheirateten Freunde gab es zuweilen schreckhafte Erregungen. Und nach ein paar Tagen sah man die jungen Mütter wieder strahlend auf Bällen ...
„Kann ich die gnädige Frau wohl einen Augenblick sprechen?“ fragte er.
„Ach — ich glaub’ nicht — nein — es ist wohl nicht möglich ...“
Aber sie lief doch zurück, um zu fragen.
Er stand am Treppenkopf. Als würde es schon zudringlich und voreilig sein, wenn er sich der Tür mehr näherte.
Er dachte immerfort: „Nun muß ich hierbleiben — in ihrer Nähe — bis ihr Kind genesen ist ...“
Martha kam wieder, machte schon, kaum daß sie die Tür hinter sich schloß, abwinkende und zur Stille ermahnende Handbewegungen und schlich heran.
„Ach nein. Sie schüttelte nur den Kopf — ach, sie sieht beinahe ebenso aus wie das Kind — rein um bange zu werden.“
„Was fehlt dem Kind?“ fragte er.
„Ich weiß nicht. Wir verstehen es nicht. Es fing gestern an zu erbrechen, viele Male, ich flehte gleich Madam’ im Bureau an, daß ’n Doktor kommen solle — er spricht mit der gnädigen Frau Französisch — ach, Herr Legationsrat, wenn ich es mal so sagen darf — ich glaub’, sie hat kein Vertrauen zu ihm — sie mag sein Gesicht nicht leiden — sie hat wohl schon sechsmal gesagt: ‚Martha, er kann ja ganz tüchtig sein!‘ Wissen Sie wohl — wie man so spricht, wenn man es ganz inwendig eigentlich nich denkt.“
„Haben Sie nicht an den Geheimrat telephoniert?“
„Er ist kein Kinderarzt, sagt die gnädige Frau.“
„Nun, er würde aber doch ...“ Herbert Gamberg dachte nach, während Martha mit ihren wasserhellen Augen andächtig an ihm hing — als müsse von ihm, nur weil er der einzige Mann war, den sie hier kannten, unbedingt Trost kommen. Und sie berichtete es nachher auch ihrer Herrin: man sah wohl, wie nah’ es ihm geht, er war weiß wie der Kalk an der Wand.
Er stand und erwog: ihr ein Wort der Ermutigung schreiben? Nein. Nichts. Sie wußte von selbst: er sei zur Stelle, wenn sie ihn brauchte. Er fand es zarter, zu schweigen. Aber helfen — das einzige tun, was hier Trost geben konnte. Sie mochte den Arzt nicht, sagte Martha. Und begründete das in aller Einfalt ganz richtig mit dem grundlosesten aller Gründe: sie mag sein Gesicht nicht leiden. Wer kennt so etwas nicht, man wehrt sich stark gegen Helfer und Kluge und Gute, weil vielleicht eine kleine Linie in ihrem Angesicht einem widerstrebt ... Er traute Jutta eine große Kraft des Widerwillens in solchem Fall von Antipathie zu.
„Hören Sie, liebe Martha ...“
Sie war nichts wie Ohr und Auge.
„Sagen Sie: ich würde nach Lausanne telephonieren. Dort gibt es unter allen Umständen einen erfahrenen Kinderarzt, dem wir völlig vertrauen dürfen. Vielleicht kann er in zwei, drei Stunden zur Stelle sein. Ich kehre jetzt in mein Hotel zurück und telephoniere Ihnen, wen ich herbekomme und wann. Ich werde den Herrn von der Bahn holen und herbegleiten. Mein Diener kann sich hier einquartieren und Ihnen zur Hand sein.“
„Ja,“ sagte Martha, „ja, das ist schön.“
Ihr schien, als sei nun schon die Besserung auf dem Wege. Sie hatte auch nicht gedacht, daß dieser stolze Mann, vor dessen Haltung ihr etwas unbehaglich gewesen war, so zutraulich mit ihr sprechen könne ...
Nun gab er ihr noch die Hand ...
Dann ging er. Von einer Eile getrieben, die geradezu Wohltat war. Sie hinderte ihn, den Tumult seiner Empfindungen zu sondern und jede einzeln zu betrachten. Dunkles und Beglückendes in unerhörtem Durcheinander ging durch ihn hin.
Wenn das Kind starb? ... Dann war vollends ihre kurze Ehe mit dem anderen Mann nur noch wie ein Traum ...
Er war gewiß keine dämonische Natur — nicht von fern. Und dennoch wollten Gedanken kommen ... der Verstand sprach von Erleichterung ... von größerer Klarheit der Zukunft ... Er scheuchte das in schwerem Schreck hinweg ...
Er war glücklich, noch in ihrer Nähe zu sein, ihr beistehen zu können, ihr zeigen zu dürfen: ich sorge mich mit dir um dein Kind. — Er arbeitete sich in das Gefühl hinein: so kann ich ihr schon zeigen, daß ich es als teure Pflicht empfinde, an ihres Kindes Ergehen teilzunehmen ...
Er erfuhr in seinem Hotel den Namen und Ruhm eines Kinderarztes und ließ sich sogleich mit diesem Professor Lequint verbinden. Alles ging glatt, und der Professor war bereit, um halb eins in Territet einzutreffen, wo Herbert ihn empfangen würde.
Darauf versuchte er an den Geheimrat nach dem Hotel in Caux hinauf zu telephonieren. Aber die Nachricht kam zurück: die Herrschaften seien gerade ausgegangen.
Als dies alles getan war, kam eine Pause voll Unbehagen — das Warten ... für Beherrschte vielleicht noch zehrender als für die Ungeduldigen, die sich in Worten und Gesten Luft machen können.
Herbert traf auch wieder unfreiwillig mit Herrn Wilmers zusammen und sollte erklären: ob er seine Abreise auf den Nachmittag verschoben habe? Mit welchem Zuge nun? Er — Wilmers — würde auf eine geplante Partie verzichten und es sich nicht nehmen lassen, ihn an die Bahn zu geleiten. In einer dem Legationsrat bekannten Familie sei plötzlich ein ernster Krankheitsfall eingetreten? Das ging Herrn Wilmers sehr nahe. Ja, Kranksein im Hotel wäre etwas Entsetzliches. Und teuer! Die betreffende Familie solle sich nur auf schauderhafte Rechnungen gefaßt machen. Es scheine beinahe, als sei ein Haferschleim mühseliger herzustellen als eine getrüffelte Geflügelgelatine.
Die Mühlräder dieser Gesprächigkeit sausten lange und monoton. Und schließlich bekam Herbert sogar ein Gefühl von matter Dankbarkeit. Der breitschultrige Mann, der sich und seine Mitteilungen für wichtig hielt, hatte ihm über eine Stunde fortgeholfen durch die beruhigende Macht, die allem Gewöhnlichen zuweilen eigen sein kann.
Dann konnte er auch schon zum Bahnhof fahren.
Kaum aber hatte er den Professor aus dem Häuflein der Aussteigenden herausgesondert — die Männer fanden sich an dem Gebaren von Suchenden, das sie beide unwillkürlich annahmen — kaum saß er mit ihm im Wagen, so gab es ein knappes Gespräch, das Herbert qualvoll war.
Professor Lequint nahm seinen runden, weichen Filzhut ab, strich sich mit der Hand durch sein dickes, schwarzes Haar, das ihm in die Stirn fiel, und fragte: „Sie hatten schon einen Arzt aus Territet zu Ihrem Kind berufen?“
„Es ist nicht mein Kind.“
„Ah —“
„Die Mutter des Kindes ist mir befreundet — verwandt.“
„Es ist ein kleines Kind?“
„Vier Monate.“
„Ah ... Warum reiste die Dame mit einem so kleinen Kind? Oder ist die Mutter leidend?“
„Nein.“
Herbert dachte: er wundert sich über alles; Ärzte sind gewohnt, daß Angehörige von Patienten sie gleich mit laienhaft erzählten Symptomen überfallen; es muß ihm erstaunlich sein, daß ich nichts zu sagen weiß.
Und plötzlich teilte er mit: „Das Kind hatte starkes Erbrechen in der Nacht.“
„So ... wir werden sehen.“
„Er wird sehen, daß die Mutter eine junge, schöne Frau ist — daß ich nicht unbefangen ihr Zimmer betreten darf — daß ich ihr vor der Welt ziemlich fernstehe. — Er wird vielleicht denken, daß ...“
Vielleicht dachte der Professor nichts. Hatte gar kein Nachdenken übrig für die Umwelt des kleinen Patienten, war nur gespannt auf diesen selbst.
Aber das unselige Gefühl, daß in seinem Eintreten für Jutta etwas sie Bloßstellendes läge, bedrängte Herbert plötzlich stark.
Er hatte die Empfindung, als müsse er diesem fremden Mann Erklärendes und Entschuldigendes sagen.
Und das verletzte seinen Stolz — seine ganze hochmütige Unantastbarkeit war dahin ... er litt schon durch ein „Vielleicht“.
Nachher hatte er die große Aufreizung der Spannung. Ihm schien natürlich, als bleibe der Professor eine ungewöhnlich lange Zeit oben in dem Krankenzimmer.
Jeder andere wäre rastlos auf und ab geschritten, sich die Zeit durch Bewegung verkürzend. Er saß, in vollkommener Haltung, unbeweglich, bleich und sah leer ins Unbestimmte.
Er faßte sich auf das, was der Professor verkünden werde: Leben oder Tod.
Und als er dann endlich in der Verandatür erschien, erhob sich Herbert aus dem geflochtenen Stuhl, in dem er neben einem Gartentisch gesessen. Scheinbar gelassen schritt er ihm entgegen.
Ja, Professor Lequint konnte vorerst nur die Achsel zucken. Das Kind hatte ganz gewiß irgendeine Mageninfektion — es erbrach. — Trotz der verständigen und in solchen Fällen bewährten Mittel, die der Herr Kollege schon verordnet hatte, fuhr es noch fort zu brechen. Man mußte seine Bemühungen darauf richten, die Kräfte des Kindes zu erhalten. Was aber eben schwer sei, wenn der Magen alles verweigere. Uralter Malaga sollte halbteelöffelweise eingeflößt werden. Kräftigende und die Körpertemperatur belebende Einreibungen sollte man versuchen. Aber immerhin ... Ob Madame nicht nahe Angehörige habe, die ...
Herbert fühlte: der Professor mochte nicht fragen: hat sie einen Mann? ...
Er sprach mit wahrhaft eisiger Miene: „Herr von Falckenrott befindet sich dienstlich im Ausland. Madame ist aber unter dem Schutz sehr naher, älterer Freunde hier, des Professors Gervasius und Frau, die oben im Hotel wohnen. Sie sind bereits benachrichtigt. Ich selbst bin erst seit gestern hier und wollte heute weiter. Aber ich werde jetzt bleiben, um Frau von Falckenrott beizustehen, falls sie meiner bedürfen sollte.“
Dies alles war dem Professor recht gleichgültig. Er hatte keine Zeit, über die Lebensumstände seiner internationalen Patienten nachzudenken. Aber die Schönheit und Verzweiflung der jungen Frau hatten ihn einen Moment gedauert, und er dachte flüchtig: ob die niemand hat außer dem höflichen und kalten Herrn, der mich herbrachte?
Der Professor hatte nun Eile, um den nächsten Zug zu erreichen. Morgen, sagte er, würde er wiederkommen. Herbert wollte mit hinunterfahren nach Territet, um alles selbst zu besorgen, was der Professor verordnet hatte.
Gerade als sie einsteigen wollten, kam Martha angestürzt. Sie drückte Gamberg einen gefalteten Zettel in die Hand und lief wieder zurück ins Haus.
Der Wagen rollte in dem kurzen, gehaltenen Trab der Bergabwärtsfahrt unter den Tannen hin.
Herbert hielt das kleine Papier zwischen seinen Fingern.
Mit Bleistift stand darauf geschrieben: „Dank! Dank! Ich hoffe wieder. J.“
Wie beredt Juttas blasse eilige Schriftzüge waren. Sie sagten Gamberg, daß der Arzt, den er herbeigeholt hatte, ihrem verzweifelnden Herzen Mut zurückzugeben vermochte. Daß sie dafür ihm dankbar war — wie es Frauen sind, die alle Verdienste gern auf den geliebten Mann häufen ... Ja, ein Liebesgeständnis, ein Beweis unerschütterlichen Zusammengehörigkeitsgefühls waren diese kurzen Worte ...
Die junge Frau droben am Bett des Kindes glich nun einer, die auf einer rasenden Flucht zum erstenmal den Mut hat, stillzustehen, zurückzublicken, aufzuatmen, sich darauf zu besinnen, daß man mit seinen Kräften haushalten muß, weil noch viele Kräfte nötig sind.
Sie dachte gesammelter nach, ließ auch ihren Verstand sprechen.
Sie zerrieben sich beide in Wachsamkeit und Angst, sie und die treue Martha. Es war klüger, abwechselnd zu ruhen, um zuverlässigere Nerven zu behalten.
„Iß und schlaf dann zwei Stunden. Dann werde ich mich hinlegen, um die Nacht durch wieder wach zu sitzen,“ befahl sie.
Gerade so grundlos wie sie gestern abend und heute früh den Anordnungen des einen Arztes zweifelnd gehorcht hatte, gerade so impulsiv war sie von blinder Zuversicht erfaßt: dieser wird mein Kind retten.
Nun saß sie im niedrigen, bequemen Rohrstuhl neben dem Wagen des Kindes. Man hatte natürlich das Gitterbettchen nicht mit auf die Reise nehmen können. Und ganz gewiß lag das kleine Wesen in seiner rührenden Unselbständigkeit ebenso geräumig, warm und weich in diesem schönen englischen Wagen.
Aber es quälte Jutta. Ihr schien, es läge stiller, geborgener, wenn nur das Gitterbett zur Stelle sei, mit den sanften blauen Seidenfalten, die vom gebogenen Stab über das Kopfende herabfielen. Wenn man nur die ganze, von träumerischer Schlafensfeierlichkeit durchwobene, frischduftende Behaglichkeit des heimatlichen Kinderzimmers hierher zaubern könnte!
Ach, in der Heimat wäre es vielleicht gar nicht krank geworden ...
Lisbeth Rosenfeld fiel ihr ein. Hatte nicht sogar die lustige, unbesorgt durchs Leben trällernde Lisbeth so etwas wie einen warnenden Ton in der Stimme gehabt, als sie damals fragte: mit einem so kleinen Kind willst du reisen? ...
Nun aber kamen ruhigere Gedanken: es war ein Unglück, das daheim ebenso plötzlich hätte hereinbrechen können.
Dieser sympathische Professor mit seinem sicheren Wesen und tiefernsten Blick, der beruhigenden Stimme und dem festen Händedruck, der würde helfen ...
Gestern abend noch und immer wieder in der Nacht hatte sie die arme Martha mit Fragen gefoltert. Und Martha weinte und sagte: sie wolle lieber selbst sterben, damit das Kind am Leben bleibe, wenn die gnädige Frau dächte, sie habe ein Versehen gemacht. Nein, beschwören konnte sie es: sie hatte die von der gnädigen Frau selbst im Apparat sterilisierten Flaschen jedesmal unter Thermometerkontrolle erwärmt.
Und endlich ließ Jutta von ihr ab. Sie wußte es auch im Grunde ganz bestimmt: eine Nachlässigkeit war ausgeschlossen ...
Es war eben ein Verhängnis. Man würde die Ursache nicht feststellen. Vielleicht war trotz allen Sterilisierens doch ein Giftstoff in der Milch gewesen.
„Und ich war fort unterdes — war mit — ihm.“
Das kam immer wieder. Schloß jede Grübelei ab.
Das Kind war nicht unter ihren eigenen Händen erkrankt ... Sie, ja sie ging indessen Hand in Hand mit dem geliebten Mann ...
Das wollte ihr eine furchtbare Last aufbürden. Sie wehrte sich: nein, nein — so schwächlich muß man nicht denken ... Das sind Zufälle. Sinnlos, brutal. Aus solchem Zusammentreffen soll man sich nichts aufbauen, als sei ein geheimnisvolles Walten um uns und halte Abrechnungen ...
Wofür auch Abrechnung? Sie war sich keiner Schuld bewußt.
Sie wagte nicht, deutlich an den beängstigenden Rausch jener Minuten zu denken, wo die Begierde sie beinahe verbrannte ...
Aber dennoch errötete sie, heiß, bis in die Augen hinein ... Und sie seufzte — dankbar — erleichtert ...
Sie erinnerte sich ihrer Vision ... Wie das Gesicht ihres Gatten so plötzlich vor ihr gewesen war ...
Sie begriff, was das zu bedeuten gehabt hatte ...
Ja, seine Abwesenheit machte seine Ehre heilig. Es war die Ehre eines Mannes, der zu hartem Opfer, aufreibender Arbeit, unendlicher Verantwortung in die Ferne gezogen war, dem Vaterland zu dienen.
Eine scheue Ahnung war in ihr, daß in dem Geliebten Ähnliches vorgegangen sei wie in ihr ...
Und das, gerade das verband sie nur enger ...
Sie konnte ihn nicht sehen — sie wagte nicht seinetwillen, gerade seinetwillen nicht ihr Kind auf einige Minuten zu verlassen.
Aber was Martha ihr berichtete, von seinem Schreck, seiner tätigen Fürsorge, erfüllte sie mit Glück.
Sie weinte still vor sich hin ... Ja, das war Liebe ... sie fühlte: er würde ihr Kind, das vaterlose Kind, gütig an sein Herz nehmen ... eines Tages, wenn es so weit war, daß er das Recht dazu bekam.
Wo war jetzt Malte? Was wußte er von der Todesangst dieser Stunden? Und daß das Kind, das er nie gesehen, dessen Dasein für ihn keine Wirklichkeit war, sich in Gefahr befand?
Nichts wußte er ... Aber der andere Mann war zur Stelle, schützend, helfend ...
Und von Dankbarkeit überwältigt, schrieb sie, kaum daß der Professor das Zimmer verlassen hatte, die eiligen Worte auf das kleine Papier ...
Zwei Stunden später waren auch Gervasius’ zur Stelle.
Was konnten sie tun? Mit dem Bestreben, Schritt und Bewegung ganz unhörbar zu machen, schlichen Renate und ihre Mutter herein und küßten die blasse junge Frau und sahen bekümmert auf das jämmerliche kleine Menschenkind, das in seinen Kissen lag und zu kraftlos schien, die Augen aufzuschlagen oder zu schreien.
Die Frau Geheimrat bot keine Hilfe bei Pflege und Wachen an. Sie wußte von selbst: das wäre nicht angenommen worden.
Der Geheimrat hörte die ganze kurze und doch so beängstigende Krankengeschichte an. Er war Spezialist auf anderem Gebiet und wies ausdrücklich Urteilsfähigkeit und Verantwortung ab. Dennoch aber war es Jutta ein Trost, zu hören, daß ihm scheine: alles läge klar, und die Anordnungen der Ärzte seien die vernünftigsten und allein möglichen.
Die Frau Geheimrat flüsterte liebevoll: sie und Mann und Tochter würden sich den Nachmittag und Abend über in der Pension aufhalten; ja, sie sei bereit, im Hause zu übernachten. Damit Jutta wisse: Freunde seien in der Nähe. Aber das lehnte Jutta beängstigt ab. Es würde ihr geradezu ein Gefühl von Unruhe erregen, wenn sie wisse, die Freunde träten aus dem Rahmen ihres Ferienbehagens heraus, um hier nutzlos herumzusitzen. Sie sagte, sie werde ganz gewiß sofort nach ihnen rufen, sobald ihr das Verlangen nach ihrer Gegenwart komme.
Der Geheimrat fand, daß ihr Gefühl das Richtige sei. Mit Herbert von Gamberg, den sie im Garten der Pension trafen, saßen sie noch ziemlich lange zusammen. Und der Geheimrat setzte seiner Frau und seiner Tochter — die sich treulos vorkamen, weil sie nicht helfen konnten — herzlich auseinander, daß ihr Anerbieten, in der Nähe bleiben zu wollen, fast das naive Zugeständnis gewesen sei: wir halten das Kind für verloren.
Gamberg saß mit zusammengepreßten Lippen; er wagte nicht zu fragen: glauben Sie, daß es stirbt?
Auf irgendeine ganz unbestimmbare Weise hatte er das Gefühl: vom Leben oder Tod dieses Kindes hängt meine Zukunft ab. Er haßte undeutliche Empfindungen, sie schienen ihm immer etwas von seiner inneren Sicherheit zu nehmen. Aber dies drängte sich ihm beklemmend, spannungsvoll mehr und mehr auf. Und doch hätte er seinem Aberglauben nicht einmal so genau ins Gesicht sehen können, um zu wissen: das Kind muß sterben, oder es muß leben, damit die Geliebte gewiß mein wird.
Was er nicht fragte, besprach nach Frauenart ausgiebig die Frau Geheimrat. Aber ihr Mann konnte ihr auch nur sagen, daß es bei so kleinen Kindern schließlich alles auf die Zähigkeit ankäme. Renate saß verschüchtert und mit angstvollen Mienen dabei. Sie hätte am liebsten immerfort weinen mögen ... Wegen ihres Vaters nahm sie sich zusammen ... Er wollte, wenn man weinte, immer so ganz genau wissen: warum denn? Und grenzte damit stets so merkwürdig rasch den Kummer ab ... Jetzt hätte Renate auf dies „Warum?“ nicht wahrheitsgemäß antworten können: „aus Mitleid mit Jutta“, denn eigentlich war ihr, als gäbe es außerdem noch viele, viele Gründe zum Weinen, man wisse sie nur selbst nicht genau ...
Endlich entschlossen Gervasius’ sich, wieder hinaufzufahren, und Herbert versprach ihnen, noch zweimal einen Bericht zu telephonieren, denn er natürlich, er werde sich vorzugsweise hier aufhalten. Geheimrats fanden es auch ganz selbstverständlich.
Dann schien eine große Pause in dem Gang der Ereignisse einzutreten, die nachmals vielleicht dem Gedächtnis der Beteiligten ganz entschwand. Es zogen Tage in dumpfer Krankenstubenschweigsamkeit vorüber. Das Kommen und Gehen der Ärzte, Flüstergespräche, kurze Schlummerstündchen, angstvolles Wachen. Und diese seltsam rasche Gewöhnung an solchen Zustand: als habe es eigentlich niemals einen anderen gegeben, als werde er nie ein Ende nehmen.
Dabei im tiefsten Herzen immer ein leises Mahnen an die schweigsame und unauffällige Fürsorge des liebenden Mannes. Das stete Wissen: er ist da, ich könnte ihn rufen ... Das war wie Wohltat, die man nicht recht an sich herankommen lassen mag und an deren Möglichkeit nur zu denken doch stützt.
So gingen Tage, so gingen Nächte. Und in wunderbarer Zähigkeit hielt das kleine Kind sein bißchen Leben fest.
Dann, eines Abends, als die Dämmerung mit ihrer Schwermut die Welt leise zu füllen begann, brachte Martha einen Brief. Sie brachte ihn strahlend, denn sie kannte ja die Handschrift, die Freimarken auf dem Umschlag.
Und sie dachte in ihrer Unbefangenheit: der kommt gelegen — der kommt als Trost.
Ein Brief! Von Malte? Jetzt? Unmöglich! „Über Sibirien“ stand auf dem Umschlag. Wie denn? Er hatte damals aus Hakodate geschrieben: Komm! Danach mußte er doch schweigend warten, bis ihre Antwort zu ihm kam ... Und die — die war ja unterwegs — sie hatte wohl noch ein, zwei Wochen zu wandern, bis sie ihn erreichte — diese Antwort, die ihm sagte: vielleicht liebe ich dich nicht mehr. — Und wenn er dann wieder schrieb, so vergingen wieder lange Wochen, bis sie seine Worte lesen konnte. — — Wie von selbst, durch die seltsam sich hindehnende Zeit des Schweigens, schien er schon aus ihrem Leben sich entfernt zu haben — ganz ausgeschaltet von der Teilnahme an ihren Tagen ...
Dieser Brief war ihr etwas Unheimliches — ganz und gar Unerwartetes. Und darum schon bedrohlich — vorwurfsvoll — ein zorniger, schmerzlicher Anruf — noch ehe sie ihn gelesen ...
„Aber er weiß noch nicht,“ dachte sie, sich ermutigend.
„Über Sibirien?“ — Mein Gott, warum schreibt er denn? Er konnte doch nicht wissen, ob ich nicht zur Stunde schon unterwegs zu ihm bin, ob mich dieser Brief überhaupt noch in Europa träfe ...
Auf einmal, in jähem Verständnis, wußte sie: Dies ist die Antwort auf meine Depesche. Oder vielmehr: nicht die Antwort — all die Fragen sind es, die meine Depesche in ihm aufrührten.
Mit ihren unsicheren Fingern zerriß sie den Umschlag, ihn auseinanderzerrend.
Sie trat an das Fenster, die Vorhänge teilend, die noch geschlossen waren, weil sie vorhin die Sonne hatten absperren sollen, damit die Strahlen nicht die zarten kleinen Lider träfen.
Das letzte bißchen Helligkeit reichte aus zum Lesen.
Und sie las: „Mein geliebtes Weib! Da liegt nun eine Depesche vor mir. Du telegraphierst: ‚Ich kann mein kleines Kind nicht verlassen.‘
Zuerst habe ich gar nichts gefühlt als eine schreckliche Enttäuschung. Sehnsucht hab’ ich nach Dir gehabt — eine Sehnsucht! Möchte wohl den Mann sehen, dem sie ähnlich zusetzt wie mir! Wenn man eine so schöne, geliebte, kluge Frau hat, die auch ihrerseits treu an einem hängt! Und wenn man nach dreijährigem Hangen und Bangen endlich vereint wurde und sich dann gerade nur ein paar Monate gehören durfte!
Alle Tage zehnmal schluckt man das ’runter und gibt sich Rückgrat mit dem Gedanken: der schöne, stolze, große Beruf will das nun mal so — Männer, die im Krieg stehen, sollen kein weiches Heimweh kennen — und wir, an Bord, leben ja immer wie in Kriegswachsamkeit und Bereitschaft. Aber alle Tage zehnmal kommt’s doch wieder hoch. Und dann die Nächte ... Und in dem Klima ... Na ja, also lieber still davon.
Schwer enttäuscht war ich. Hätt’ am liebsten sofort zurücktelegraphiert: ‚Unsinn — Dein Mann geht vor ...‘ Geschrieben war schon so was ... Der Postmaat hatte es schon in der Hand. Aber ich nahm ihm das wieder weg.
Denn weißt Du, geliebtes Weib — wunderbare Gedanken sind mir gekommen. Ob ich Dir sie wohl so recht auseinandersetzen kann? Versuchen wir’s.
Sieh mal — die allerallererste Hoffnung auf das Kind haben wir ja zusammen bejubelt. Aber — Gott, es klingt wohl komisch — das war doch beinahe wie eine Stimmung, so ’n bißchen phantastische Vorfreude. Jedenfalls verwischte sich das in mir, als ich fortging. Wurde wie so ’n Traum. Mir nichts Wirkliches. Mußte mich in den folgenden Monaten oft zwingen, daran zu denken. Dann kam eines Tags die Depesche, daß ich ein Töchterchen bekommen habe. Ich weiß noch, wir hatten ein Diner bei dem Konsul Glaubermann in Schanghai. Da traf die Depesche ein. Ich wurde etwas erregt, hatte so einen heißen Fleck in der Brust, vielleicht sogar nasse Augen (ich glaube wohl), und alle wurden mit aufgeregt, und zu Deinen, meinen und des Kindes Ehren wurde kolossal viel Sekt getrunken.
Von da an war in Deinen Briefen immer viel von dem Kind die Rede, und ich habe ja wohl auch stets in meinen Briefen der Kleinen gedacht — hoffe es wenigstens.
Aber — es war doch wie so ein akademischer Begriff: ich bin Vater, habe ein Kind! Ich mußte es förmlich so vor mich hinstellen, damit ich es nicht vergäße. Ja, so was Unwirkliches war es am letzten Ende.
Und da kommt Deine Depesche! So felsenfest habe ich ein jubelndes ‚Ja‘ erwartet, denn Emmich hat es mir wohl gesteckt, daß Du mehr von der Trennung leidest, wie ich eigentlich von Deiner Einsicht und Deinem Verstand erwartet hatte. Ganz felsenfest; denn ich bildete mir ein: Du flögst am liebsten durch die Luft her.
Und da sehe ich aus der Depesche: es gibt nun etwas in Deinem Leben, das Dich hindert, Deiner Sehnsucht nach mir zu gehorchen. Das kann nur ganz was Heiliges, Großes sein.
Es ging mir auf. Wie eine Offenbarung war das. Ich wußte, was es sei: die Mutterliebe!
Da ergriff mich ein Gefühl, das mich so weich machte, so windelweich ... Herrgott, so gerührt bin ich ja wohl weder bei unserer Trauung gewesen noch bei unserem Abschied.
Plötzlich war meine riesengroße Enttäuschung wie fortgeblasen. Ganz stolz war ich, ganz glückselig.
Nun war es für mich Wirklichkeit geworden: ich hab’ ein Kind. Es steht auf einmal deutlich da in meinem Leben — denn es hat die Macht, mir mein süßes Weib fernzuhalten — also, es muß eine große Sache sein um so ein kleines Kind — nicht einmal meiner guten alten Mutter, die Du so liebst, willst Du es anvertrauen — auf die Reise zu mir willst Du verzichten — —
Wir sind nicht mehr: Du und ich; wir sind unserer drei! Und dieses dritte, kleine Lebewesen ist offenbar die Hauptperson geworden.
Ich muß immerfort in mich hineinlächeln. Es hat so etwas Komisches: ich, der Kapitän von Falckenrott, ich, Dein Malte, ich hab’ einfach nichts zu sagen. Ich rufe: komm! Und denke nicht daran, daß da ein Kind ist, das viel mehr zu sagen hat, das sein Mütterchen nicht fort läßt! Von dem das Mütterchen nicht fort kann!
Laß mir doch die süße, kleine Hauptperson photographieren? Oder geht das noch nicht?
Und sobald sie ein bißchen Verstand hat, erzähl’ ihr was vom fernen Papa. Ich sei ein sehr netter Papa, sag’ ihr, der sich mit Emsigkeit um das Wohlwollen seiner Tochter bewerben werde.
Ja, Du kannst Dein kleines Kind nicht verlassen! Das versteht sich. Verzeih’ mir nur, daß ich in meinem Unverstand anders dachte. Nein, Du mußt es pflegen und hegen und bewachen. Damit es dem Papa als dickes, rosiges kleines Ding entgegentrippeln kann — Dein Geschenk, teures Weib, Deines für mich — hüte es mir wohl!
Bei meiner Heimkehr werde ich es in Deinen Armen finden!
Fest muß ich mich zusammennehmen, wenn ich an diese Heimkehr denke. Das wird ein Glück werden. Du und ich und mein Kind. Mein Kind! Von Dir so für mich behütet, daß Du seinetwegen nicht einmal zu mir kommen kannst.
Mit nächster Post schreibe ich einen vernünftigen Brief. — Leb’ wohl. Küß mein Kind. Ich hoffe, es gleicht Dir.
Innigst Dein Malte.“
Von aller Kraft verlassen stand sie — lehnte sich ans Fensterkreuz, um nicht zu sinken, ging endlich schwankend auf den Wagen zu — sein dunkler Lack machte ihn in diesem Augenblick, wo die graue Dämmerung ins Zimmer schattete, einem Sarg nicht unähnlich. Das Gestell der Räder, sperrig und leicht gebaut, gab diesem Lager das Wesen bedrohlicher Leichtbeweglichkeit ...
Als würde es sofort von gespenstischer Hand fortgestoßen werden — hinweg aus den Augen der Mutter — hinein in eine Nacht, der kein Morgen tagt ...
In den Kissen lag der kleine Kopf — seltsam kleiner geworden, schwer, hart.
Das Kind atmete kaum ... wie zu Tode erschöpft lag es, hindämmernd an den Grenzen seiner Kraft.
Außer sich, von wahnsinniger Angst zerbrochen, fiel die Mutter neben diesem Lager, das ihr unnennbare Furcht einflößte, in die Knie.
„Lebe!“ flehte sie das Kind an. „Lebe.“
Der Strand von Saßnitz war buntscheckig von der gedrängten Menschenmenge. Nicht nur am Kai, sondern vor den vom Bergwald überragten, ansteigenden Häuserzeilen stand sie in Beharrlichkeit. Sie hatte sich lang hinausgezogen, wand sich, einem wandernden Ameisenheer nicht unähnlich, in dünner Linie auch am Ufersaum hin, hart am Meer, dicht unter den steilen Wänden der weißen Kalkfelsen, die auf ihren Häuptern die grünen, tiefen Buchenwälder trugen.
Ein Sommertag voll ruhigen Lichtes und klarer Wärme wollte zu Ende gehen. Das Meer lief im gelassenen Gleichmaß der Bewegung gegen das Ufer an. Das blaue Glas der Wogen zersprang auf ihren Gipfeln und zerschlug sich zu weißem Schaum.
Ganz fern, geradeaus stieg eine Rauchsäule vor dem Horizont. Das Schiff, das sie emporflocken ließ, glitt rasch hinweg; es fuhr in stetiger Richtung nordwärts und versank bald hinter der Linie zwischen dem Wasser und dem zarteren Blau des Himmels. Dann hielt sich an jener Stelle noch eine Weile ein graues Wölkchen. Als sich auch das in der reinen Luft ganz verflüchtigt hatte, breitete sich eine majestätische Leere aus. Die Einsamkeit thronte über den Wassern.
Aber sie wirkte nicht herüber auf die tausend Menschen und stimmte sie heute nicht zur Andacht. Die Unruhe der Erwartung fieberte in der Menge. Und wie hypnotisiert starrte sie westwärts. Die sinkende Sonne stach ihr beizend und blendend in die Augen; hinter den weißen ragenden Felsen von Stubbenkammer ging sie horizontwärts, ihre Strahlen gaben der Silhouette des Waldes hoch dort oben einen Heiligenschein. Und die ganze Seite des Himmels war wie eine Wand von hellem Gold, das ganz allmählich, zur Höhe hin, in das feine Blau der Luft hinüberging und sich in ihr auflöste.
Gleich einer Kulisse stand der weiße Fels mit seiner verschatteten Wand und seiner scharfen, steilen Linie in diesen Hintergrund von Glanz hinein. Gegen seinen Fuß warfen sich in unaufhörlicher Arbeit die Wellen und brodelten weißschäumig.
Plötzlich ging das schon etwas stumpf gewordene Warten der Menschen in freudige Unruhe über.
Hinter der Kulisse hervor schob sich ein schwarzes Tier. Wie ein Walfisch. Und anstatt eines Wasserstrahls ließ es eine düstere Säule von Kohlenrauch steigen.
Es war nicht allein. Es dampfte an der Spitze einer Schar von Genossen, die ihm in Keilformation folgten.
Eine Torpedobootdivision des Aufklärungsgeschwaders.
Seltsamen Ungeheuern glichen sie. Als habe die Hand der Menschen dem Meer die furchtbaren Saurier wiedergeben wollen, die die Natur nicht lebensfähig hatte erhalten können.
Nun schwammen sie durch die schwerflutende See, und aus dem Mund ihrer Dampfpfeifen kam ein mißtöniges Geheul, ein dunkler, warnender Laut gereizter Tiere.
Dann fuhren die Schiffe wie lautlos. Wie ermüdet von harten Kämpfen, gelassen. Sie zogen dem Hafen zu, um einmal eine Nacht zu schlafen. Ihre kohlschwarzen Leiber, so wenig sie auch die Wasserlinie überragten, zeichneten sich bedrohlich ab vor dem goldig glänzenden, glatten Hintergrund des Himmels. Um ihren Bug, so leise sie auch fuhren, schwoll, wie an der Brust dunkler Schwimmvögel, das Wasser hoch, das sie zerteilten. Neben den kurzen, dicken Schornsteinen und dem niederen Aufbau ihrer Kommandobrücken trugen sie seltsame Zeichen — gleich schlanken, kleinen Masten, und daran mystische Figuren — da ein Dreieck, dort ein Quadrat — hier zwei Querhölzer — dort eins, dort ein schräges Kreuz — ihre Male, die sie für das Auge des Kommandanten und der Gefährten unterschiedlich machten. —
So kamen sie heran. Eine düstere Schar, schon jetzt in ihrem friedlichen Tun furchtbar anzusehen — eine Verkörperung von Krieg und Tod — die Phantasie anreizend, so daß man sich wie von selbst diese niedrigen, schwarzen Gesellen vorstellen mußte, wenn sie nachts, von schäumenden Fluten überstürzt, in heulendem Sturm, mit verlöschendem Feuer, den Scheinwerfern des Feindes zu entgehen trachteten — oder sich an ihn heranzuschleichen suchten — selbst des Untergangs gewiß, den sie dem Gegner zu bringen die Selbstaufopferung haben sollten. Kraft, die selbst sterben muß, wenn sie Tod bringt ...
Von dieser ruhevoll vorwärts dampfenden schwarzen Schar ging eine Majestät des Mutes aus, die alle Zuschauer, ohne daß sie wußten warum, verstummen ließ.
Sie suchte den Hafen auf. Die Reede konnte ihr keinen Ankerplatz geben. Sie kannte jenseits der Molen nur eins: Bewegung. —
Und andere Erscheinungen traten aus der Felsenkulisse hervor, als hätten sie dort gewartet, um ihre stolze Wirkung, ungeschmälert durch die kleine, rasche Heldenschar, ganz allein zu genießen.
Groß und grau, in der Langsamkeit von einer stillen und bezwingenden Gewalt, glitten die großen Kriegsschiffe über das blaue Wasser. Ungeheuer voll Grazie. Ruhevoll stieg der feine Dampf aus ihren grauen Essen. In der Takelage ihrer Signalmasten war ein emsiges Huschen von Farbenflecken. Da stiegen und sanken und hißten und tippten allerlei kleine Flaggen, und einige von ihnen blieben hängen, in einer geheimnisvollen Anordnung — beredt für die, die ihre Sprache verstanden — stumme Befehlshaber, die blinden Gehorsam forderten.
Vor dem goldenen Grunde des Abendhimmels kamen die Schiffe, wunderbare Symbole der Macht, in schweigendem Stolz — unnahbar, seltsam abgesondert von der Erde und der atemlos staunenden Menge auf ihr — und doch in der unerklärlichsten Nähe mit ihr verbunden — von einer in jeder Brust aufjauchzenden heißen Liebe begrüßt ... „Unsere Flotte“ ...
Die huschenden Farbenflecke hatten alle ihre Befehle über das auch in Keilformation fahrende Geschwader hin verbreitet. Nun änderte sich die Bewegung. Einige der Schiffe lagen still — andere glitten noch weiter — in einer Stellung zueinander, deren Ordnung und tiefer Sinn den Zuschauenden verborgen blieb, kamen sie endlich alle zur Ruhe.
Und nun lagen sie da, eine undurchdringliche, in sich abgeschlossene Welt.
Aber nicht lange, und es schien, als entstehe ein eiliges Hin und Her zwischen dem Land und dem Geschwader.
Während der goldene Glanz im Westen erlosch, nahm das Meer eine graue, ernste Farbe an; das Heranrauschen der Wogen war kein heiteres Spiel mehr, sondern eine Musik voll Schwermut. Der Himmel entfärbte sich und bekam eine matte Zinnfarbe.
Und in dieser Lichtlosigkeit, ehe die Nacht hereinfiel, wurde es lebendig um die Riesenleiber der Kriegsschiffe herum. Barkassen lösten sich von ihnen und puckerten in eiliger Fahrt zum Hafen. Boote schossen heran, von den sich im präzisen Gleichmaß hebenden und senkenden Rudern getrieben. Die Wasser tropften von den Hölzern, und die Riemen knirschten. In militärischer Ordnung saßen die Maaten auf den Bänken und beugten sich vor und legten sich zurück. Dann warteten sie an den Brücken auf die Post, die der Postmaat holte, während die Menge die Blaujacken umstand und betrachtete und auch wohl mit Biergeld und Zigarren beschenkte.
Die Gig der „Thuringia“ nahm außer der Post auch noch den Kapitän von Krietzow auf, der hier eingetroffen und seit diesem Mittag schon bereit gewesen war, sich wieder an Bord zurückzumelden, um seinen Stellvertreter Hochhagen abzulösen.
Der Abend wandte sich mit Hochsommerraschheit zur Nacht. Auf den Schiffen blitzten Heere von Lichtern auf. Wo vorher die kleinen Gruppen bunter Flaggen gesprochen hatten, zeigten sich nun ebenso geheimnisvolle Gruppierungen verschiedenfarbiger Lichter.
Und ab und zu strich, vom Scheinwerfer des Wachtschiffes herausströmend, ein grellweißer Lichtkegel über das Meer und das Land. Er huschte über jede Erscheinung weg, ließ sie auftauchen und wieder in Dunkelheit versinken. Die Menge am Ufer fühlte sich oft in hellen Tag versetzt, lachte und kreischte — und schon glitt der weiße Schein weiter und ließ, gleich einem Phantom, ein Schiff erscheinen und war blitzgleich wieder anderswo.
Und in diesem flinken Wechsel von krasser Helle und nach ihr gesteigert scheinendem Dunkel sah Emmich Hochhagen einmal, schon ganz nahe der „Thuringia“, die Gig auftauchen und verschwinden. Er erkannte in dem huschenden Moment, daß sein Kamerad Krietzow darin saß. Krietzow hatte sich schriftlich schon angemeldet und war also erwartet worden. Es hätte sich demnach ungefähr ein Weltuntergang ereignen müssen, um Krietzow am pünktlichen Erscheinen zu hindern ... ein deutscher Offizier, der sich dienstlich zur Stelle zu melden hat! ... Dennoch aber fühlte Hochhagen sich so erleichtert, daß er aufseufzte.
Er wartete fast seit Beginn seines vorübergehenden Kommandos schon dringlich auf die Ablösung — was er sich freilich nicht einmal selbst gestand. Und was kein Mensch an Bord ihm angemerkt hätte.
Renatens Briefe ängstigten ihn mehr und mehr. Er spürte, daß die unselige, in ihrer Verlassenheit um alle Haltung gekommene Frau einen immer größeren Einfluß auf sein holdes Mädchen bekam. Das mißfiel ihm höchst. Deshalb ersehnte er den Tag der Ablösung. Er hatte sich einen unmittelbar an sie anschließenden Urlaub von zwei Wochen erwirken können. Und nun, wo die Flotte für einen Ruhetag vor Saßnitz ankerte, um dann in die wirklichen Manöver einzutreten, nun dachte er Krietzow die Geschäfte zu übergeben und sofort, im Morgengrauen, nach der Schweiz abzureisen.
In seiner heimlichen Unruhe hatte er sich eingebildet, Krietzow könne in allerletzter Stunde abermals erkranken. Auch gibt es ja Unfälle auf Eisenbahnen und Gott weiß was sonst noch.
Also da war Krietzow! Endlich, endlich!
In der großen Unruhe an Bord, in der Eile der an Land Beurlaubten, bei all dem Kommen und Gehen fand Krietzows Ankunft doch viel Beachtung. Man sagte ihm, daß er glänzend aussehe, warf ihm noch neidvoll vor, daß er wie ein Gott in Frankreich gelebt, während man sich selbst wieder mal geschunden habe. Dann, nachdem er sich beim Kommandanten gemeldet hatte, zog er sich mit Hochhagen in die Koje des Ersten Offiziers zurück, um die dienstliche Angelegenheit zu besprechen.
Inzwischen war die Post sortiert und wurde an Bord ausgetragen.
Emmich sah, als die Ordonnanz die seinige auf den Schreibtisch legte, vor dem er mit Krietzow saß, obenauf den Brief Renatens.
Aber natürlich, mehr als diesen Blick konnte er den lieben Schriftzügen jetzt nicht gönnen.
Erst der Dienst.
Und in seinem Gedränge mochte er auch nicht lesen. Es war gerade, als hielte eine heimliche, warnende Stimme ihn davon ab, einen kurzen Blick hineinzutun.
Emmich Hochhagen erledigte erst alles, was noch abzuwickeln war, ließ seine Sachen packen, meldete sich beim Kommandanten ab und fuhr dann mit einigen Kameraden an Land. Alles freute sich auf die Abwechslung. Es tat den Nerven schon wohl, sich einmal in hohen weiten Räumen beim Essen aufzuhalten; nicht nur mit Männern in engen, niedrigen, kunstvoll ausgesparten Räumen zusammen zu sein. Es war ein Vergnügen, Frauen zu sehen, die eleganten Frauen eines Badeortes, die mit lächelnden und gütigen Blicken an ihnen vorbeistrichen, zu rascher und mehr oder minder harmloser Anknüpfung merkwürdig bereit.
Man aß zusammen in dem Hotel, in dem Emmich Hochhagen zu übernachten dachte, um den Frühzug nach Berlin zu nehmen. Im Hinblick auf die Anwesenheit des Geschwaders war eine Reunion veranstaltet. Aus dem Saal neben dem Restaurant klang Musik. An der Glastür vorbei drehten sich tanzende Paare. Vorurteilslos und bereit, jede frohe Stunde zu nehmen, wie sie ihnen zufiel, beteiligten sich die jüngeren Offiziere mit leidenschaftlichem Eifer am Tanz, als lägen nicht die aufreibenden Mühen eines spannungsvollen Aufklärungsmanövers hinter ihnen.
Die Kameraden von der „Thuringia“ feierten Hochhagen weg und quälten ihn — ahnungslos — mit ihrem wohlwollenden Neid! Ja, wer solchen Dusel hatte! Zu so einer entzückenden Braut fuhr! Sich so fabelhaft nette Schwiegereltern zugelegt! Ja, der konnte wohl zugeben, daß das Leben immerhin ein Pläsier sei.
Er lächelte etwas mühsam dazu.
Sie wußten ja nicht, daß sein junges Glück von einem Unbehagen umlauert war, das von Post zu Post wuchs.
Und gerade weil er ein beklemmendes Vorgefühl hatte bei dem Gedanken: was mag nun wieder dieser Brief bringen? gerade deshalb blieb er länger noch mit den Kameraden zusammen, als er es vorgehabt hatte.
Das ganze Leben des Badeortes schien rascheren und freudigeren Pulsschlag bekommen zu haben. Viel lauter als sonst gebärdete es sich und wollte der Nacht das Recht auf Stille lange nicht gönnen.
Es war fast zwei Uhr, als der Kapitän Hochhagen sich endlich in seinem Zimmer allein befand — in jener Einsamkeit, die fast unsicher machte, wie festes Land nach bewegter Seefahrt. In all dem Nachhall von Lachen, Musik, Bewegung, Gläserklang können die Nerven sich noch nicht in der Lautlosigkeit zurechtfinden.
Er preßte die Hand gegen die Stirn und besann sich. Ja, da war der Brief. Und morgen — nein, heute — um neun Uhr und? wieviel Minuten doch? fuhr der Zug. Saßnitz ab? — Berlin an? Dort mußte er den Nachtzug nach Stuttgart nehmen ... Über den Bodensee — Zürich — Genf. — — Wo war doch das Reichskursbuch? Natürlich irgendwo tief unten im Koffer, wo man es nie findet, nach jener unergründlichen und wirklich märchenhafterweise sich ewig fortpflanzenden Burschenweisheit, die das Nötige listig verpackt und das Überflüssige handlich obenauf legt ...
Aber der Brief ...
Und plötzlich hatte er ihn geöffnet und stand mitten in dem gräßlichen kleinen Zimmer, zwischen dem häßlichen Bett und dem Sofatisch mit geblümter Plüschdecke, gerade unter der elektrischen Birne, die in ihrem tellerartigen Schirm fest unter der Decke saß. Sie schien ihm grell auf Renatens Schriftzüge und das weiße Papier.
Immer finsterer wurde sein Gesicht und sein Ausdruck hart.
Er setzte sich auf den Stuhl am Fenster. Starrte hinaus — und sah nichts von dem grandiosen Bild da draußen, wo auf dem dunkeln Meer die von Lichtern übersprenkelte Flotte in wachsamer Ruhe lag — sah nur im schwarzen Glas das Spiegelbild der kargen, banalen Stube — die blanke Glühbirne unter dem weißgekalkten Plafond und sein eigenes Gesicht — —
Wußte denn Renate, was sie ihm da alles gestand?
Wenn sie es wußte, hieß es soviel als: ich habe mich doch wohl geirrt!
Nicht in ihrer Liebe. O nein! Das fühlte er wohl.
Ihr Herz drängte sich an das seine voll Angst und Unruhe.
Das war es: voll Angst.
Junge Liebe darf keine Angst kennen. Die soll nur hoffen und glauben.
Was schreibt sie da?
„Wenn ich daran denke, daß Jutta ihren Mann aus leidenschaftlicher Liebe heiratete, und daß all dies Glück sich jetzt schon in Kummer, ja in Verzweiflung verwandelt hat, muß ich weinen vor Angst, daß es auch unserer Liebe ebenso ergehen könnte.“
Und wie zitterte sie vor der Zukunft?
„Ob ich wohl stärker wäre als Jutta? Ob ich wohl während einer so langen Trennung immer freudig bliebe? Ob Liebe wohl durchaus der Gegenwart des Geliebten bedarf, um ganz lebendig zu bleiben? Oder ob man ein wenig oberflächlich sein muß, weniger am Geliebten hängen muß, um seine Abwesenheit gefaßter zu ertragen? Ach, du glaubst es nicht, wie mich alle diese Fragen beschäftigen.“
Und weiter: „Schreckliches Mitleid hab’ ich mit ihr — wir weinen so viel zusammen. Und dabei ist mir manchmal zumute, als weinte ich über uns ...
Ich habe nicht gedacht, daß man als Braut so schwere Gedanken haben könnte. Aber vielleicht muß es so sein. Mama sagte mal, man müsse die Brautzeit nicht durchjubeln, sondern zur ernsten Einkehr benutzen. Und nun frage ich mich immerfort, ob ich auch wohl stark und groß genug bin, die Frau eines Seeoffiziers zu werden. Die braucht viel Tapferkeit und viel Selbstverleugnung ... Ich habe immer gedacht: durch Liebe bringt man das auf. Aber die arme Jutta hatte doch auch Liebe.“
Er las den Brief wieder und wieder.
Zuletzt sonderte er gar nicht mehr die einzelnen Stellen heraus. Alles floß zusammen. Alles hatte im Grunde den einen, den gleichen Inhalt: Furcht vor der Zukunft!
Und was langsam, von einem Brief zum anderen in ihm emporgewachsen war, stand nun als harter Gedanke plötzlich ganz klar vor ihm da.
Lieber jetzt ein jäher Schnitt — ein furchtbares Zerreißen, als eine Zukunft voll Unsicherheit ...
Er fühlte: es würde seine Manneskraft untergraben, seine Berufsfreudigkeit aufzehren, wenn er später in Angst vor dem Gemütsleben seiner Frau zu sein hätte. Er hatte ja die Frau seines fernen Freundes betreut — hatte gesehen, wie haltlos eine Frauenseele werden kann, wenn sie vor Sehnsucht müde wird. —
Das wollte er nicht erleben. —
Lieber ein einsamer Mann bleiben ...
Auch um des holden, zärtlichen jungen Wesens willen, das sich jetzt schon vor bloßen Möglichkeiten fürchtete ... deren Glück, das frische, jubelnde Brautglück, sich schon jetzt in verzehrende Unruhe verwandelt hatte.
Ihr, vor allem ihr, noch mehr als sich selbst, war er es schuldig, als Mann zu handeln.
Er begriff, daß dies vielleicht einer von den Fällen war, wo höchste Härte am letzten Ende höchste Selbstaufopferung ist.
Was mußte er tun?
Ihr schreiben. Ihr das Wort zurückgeben und ihr anheimstellen, sich in Freiheit noch einmal zu prüfen.
Schreiben?!
Er lächelte bitter in sich hinein.
Wo andere Männer handeln, eingreifen und durch die Wucht ihrer persönlichen Gegenwart einen Kampf zu ihren Gunsten entscheiden können, bleibt uns — ein Brief! Der jämmerliche Abklatsch des Gefühls! Erregung, Zorn, Bitte, Liebe aus zweiter Hand — auf dem Papier.
Die Ferne nimmt uns unsere Waffen ...
Aber er — er war hier — saß nicht wie der arme Malte drüben bei den schrägäugigen, gelbhäutigen Chinesen, während hier sein Glück in die Brüche ging, das er nur mit — Papierfeuer hatte heißhalten können. — Er war zur Stelle — hatte nur einen Tag, eine Nacht und noch einen Tag zu fahren, um vor die Geliebte zu treten — Aug’ in Auge mit ihr um sein Glück zu ringen. Ihr streng und stolz, fest und stark zu sagen: Hast du kein Vertrauen zu dir selbst — so leb’ wohl! Was mich betrifft, ich habe den Glauben an mich: es können mich Jahre und Ozeane von dir trennen: ich bleibe dein, freudig und treu. Traust du dir’s nicht zu: leb’ wohl! Begreifst du nicht: eine große Sache fordert Opfer auch von dir — leb’ wohl! Erkennst du nicht: es liegt ein tiefer, heiliger Sinn darin, daß die Frau gefaßt zu warten versteht auf den Mann, der nicht zu selbstischen Zwecken hinauszieht, sondern um dem Vaterland zu dienen — erkennst du es nicht, dann: leb’ wohl! ...
Ja, so wollte, so mußte er vor sie hintreten ...
Aber plötzlich, in den lodernden Zorn dieser Vorsätze, fiel der Schreck: Nein, das kann ich nicht — man reist nicht von weit her zu einer Frau, um ihr zu sagen: wir müssen scheiden.
Er sah ihre Eltern vor sich. Diese Menschen, die er um all ihrer reifen Güte und Klugheit willen so hochstellte.
Er sah sie selbst: das weiche, schöne, liebe Gesicht! So jung! So zärtlich ...
Und noch so lachend war es gewesen vor wenig Wochen — ganz unberührt von allen Seelenkämpfen.
Er sah sie weinen ...
Und die Vorstellung war so beklemmend, daß sich ihm die Stirn feuchtete.
Das war zu hart für beide — für ihre Weichheit — für sein Mitleid — sich in solcher Aussprache gegenüberzustehen ...
Er fürchtete auch plötzlich, daß Hoffnungen und der heiße Wunsch, sie sein zu nennen, ihn schwach machen könnten.
Daß wiederum sie sich nicht frei entscheiden, sondern sich auch von zärtlicher Aufwallung bestimmen lassen könne ...
So blieb wohl nichts als schreiben — als das elende Mittel, das immer nur einem Bruchteil alles Gedachten und Empfundenen auf den anderen hinüberwirken lassen kann ...
„Ich habe ja Zeit,“ dachte er.
Morgen kann ich schreiben — morgen — anstatt in jubelnder Vorfreude auf Wiedersehen zu ihr zu eilen ...
Schlaflos lag er die ganzen Stunden, bis der Tag graute. Es waren ihrer ja nur wenige.
Seine Nerven, überreizt von den großen Anstrengungen der letzten Wochen und Tage, von der Unsumme von Angelegenheiten und Verantwortlichkeiten, die er, als Erster Offizier an Bord, ständig geistesgegenwärtig in seinem Kopf zu halten hatte, wollten sich auf keine Weise zur Ruhe zwingen lassen.
Er versuchte, an die mechanischen Dienstsachen zu denken — an irgendeinen kleinen Ärger, den es da oder dort gegeben hatte — an die drolligen Schrullen einiger Kameraden — —
Umsonst.
Er konnte nichts, als sich in die Vorstellung hineinleben: ich habe mein Glück verloren.
Zuletzt schien es ihm, als trennten ihn schon große Zeiträume von dem Augenblick, wo er von Bord gegangen war — Zeiträume, in denen das Leben über ihn hinweg weitereilte und ihn zurückließ: alt, mutlos, freudlos ...
Eigentlich hatte er ganz vergessen, daß da draußen auf der Reede das Geschwader ankerte. Daß wohl schon jetzt, im Morgengrau, im Dunst der See, die ihre Wärme dampfend an die kühle Luft abgab, daß da schon Depeschenboote über die Wasser schwammen, mit leisem, eiligem Rauschen die glatte Oberfläche zerschneidend.
Als es an seine Tür klopfte, hart und schnell, antwortete er gehorsam „ja“ und dachte, daß er vielleicht befohlen habe, man solle ihn zur Abreise rechtzeitig wecken.
Er wunderte sich, als nun der Maat eintrat, der an Bord sein Bursche gewesen war, und den er gestern abend dort hatte zurücklassen müssen.
„Was vergessen?“
Der Mann stand stramm. Die weiße Tür gab seiner schlanken, blauen Gestalt blanken Hintergrund. Sein bartloses Gesicht konnte trotz allen dienstlichen Ernstes ein freudiges Licht in den hellen Augen nicht verstecken.
„Eine Depesche, Herr Kapitän. Ich soll eine schöne Empfehlung von Herrn Kapitän von Krietzow machen. Sie wär’ in der Nacht gekommen. Er hätt’ sie aus Versehen aufgemacht. Weil die Ordonnanz bloß meldete: an den Ersten Offizier. Und nachgesehen hätt’ er nicht — aus ’m Schlaf ’raus, sagt Herr Kapitän.“
„Bestellen Sie: das machte nichts. Und viele Grüße an Herrn Kapitän ...“
Der Maat machte auf den Hacken kehrt.
Und Emmich Hochhagen nahm die Depesche aus dem Briefumschlag, in den Krietzow sie getan hatte.
„Das Kind der Frau von Falckenrott seit einigen Tagen in größter Lebensgefahr. Gamberg zwar hier, nehme aber an, daß im Ernstfall Du der armen Frau näherer Beistand bist. Erwarten Dich voll Ungeduld. Viele Grüße. Papa Gervasius.“
Er besann sich keinen Augenblick. Er verließ sein Bett. Zog sich mit einer Raschheit an, als seien Alarmsignale gegeben worden. Klingelte und befahl die Rechnung, einen Wagen — nur rasch — nur rasch. — — Er sah: die Zeit war knapp — denn er hatte ja gedacht, er habe keine Eile ... Er hatte ja gedacht: zu einem Abschiedswort — zu einer letzten, ehern ernsten Frage, die vielleicht das Ende des Glücks bedeutet — dazu hastet man nicht ...
Er erreichte den Zug noch. Dann, als er in seiner Ecke saß und draußen die Landschaftsbilder vorbeiglitten, wurde er allmählich frei von dem Gefühl, ein Gehetzter zu sein. Sich auf dem Wege zu befinden, ist schon immer etwas.
Jetzt war keine Schonung möglich — jetzt mußte er seine Auseinandersetzung mit Renate und vielleicht auch ihren Eltern Aug’ in Auge haben.
Aber welchen Stunden voll schmerzlicher Erregung, voll gefährlicher Versuchungen er auch entgegenging — die Pflicht rief ihn.
Der Freund, als er schied, hatte ihm gesagt: sei meiner Frau ein treuer Bruder! Er war es gewesen, hatte versucht, es zu sein, so sehr, daß sie seine fürsorgliche Ergebenheit sogar als bevormundende Wachsamkeit empfand.
Aber mit aller treuen Brüderlichkeit hatte er doch nicht verhüten können, daß die Frau in schwere Kämpfe geriet ...
Und nun war das Kind des Freundes in Gefahr?
Und an der Seite der Frau befand sich jener Mann ... der in all seiner höflichen Ruhe und formvollen Undurchdringlichkeit für Emmich unheimlich war — in dem er den Zerstörer ahnte ...
Dieser, gerade dieser war neben Jutta am Bett des Kindes?
Wenn es nun stürbe? Würde das nicht auf das Gemüt der Frau so wirken, daß sie sich sagte: nun ist jedes Band zwischen Malte und mir zerrissen?
Ganz gewiß!
Mußte nicht ihr leidenschaftlicher Gram sie dem Mann in die Arme treiben, der wartend bereitstand?
Ganz gewiß!
Ihr Herz hatte die Einsamkeit nicht ertragen. Mit förmlich fanatischer Liebe hing sie an dem Kind als an ihrem einzigen Trost — vielleicht war das Kind auch ihr Halt gewesen. — Wenn es ihr geraubt würde, bewies sie sich vielleicht: auf meiner Ehe ruht kein Segen. Ja, sie würde von Malte fortgehen, hin zu dem anderen, wenn das Kind stürbe.
Wenn es doch am Leben bliebe! Es schien durch sein bloßes Dasein die Sache seines fernen Vaters zu führen.
Während der langen Stunden seiner Tag- und Nachtreise dachte Hochhagen sich in all dieses immer stärker hinein.
Ihm war, als sei er unterwegs, um zu helfen, zu handeln. Und er litt vor Ungeduld, wenn er sich klarmachte, daß er im Grunde weder helfen noch handeln könne.
Er durfte Gamberg nicht stellen. Ihm nicht auf den Kopf zusagen: Du liebst sie und willst einen Abwesenden berauben — ich stehe hier anstatt seiner und versperre dir mit den Waffen in der Hand den Weg zu der Frau.
Vor Dingen, die man nur spürt, auf deren Vorhandensein man zwar schwören könnte, und die man doch nicht zu beweisen vermag, steht man ohnmächtig.
Der Legationsrat von Gamberg hatte mit keinem Wort und keiner Miene Kritik herausgefordert, er hatte nicht ein einziges Mal eine Haltung angenommen, die verletzend für die Ehre des Abwesenden genannt werden konnte.
Und gerade deshalb fürchtete Hochhagen ihn.
So beherrschte Naturen sind zielbewußt — gefährlich sind sie durch ihre Unangreifbarkeit.
Ein Mann, der nichts wollte, wie eine temperamentvolle, unter ihrer Einsamkeit leidende Frau trösten, um dann mit dankbaren Siegergefühlen seiner Wege zu gehen, ein solcher Mann würde sich anders benehmen.
Dieser wollte mehr! Das witterte Hochhagen. Gerade diese vornehme, vollkommen besonnene Art des anderen bewies es ihm: der wollte die Frau für immer sich erobern und war vielleicht schon jetzt voll Besorgnis, in ihr die zukünftige Trägerin seines Namens zu schonen.
Hochhagen fragte sich allerlei: ob wohl dies Gemisch von Liebesromantik und äußerster Rücksicht, von verbotenen Wünschen und starker Hochachtung für eine Frau bezaubernd war?
Er gab sich auf diese und andere Fragen keine Antwort. Er wagte es nicht. Er sah wohl: man spricht so erfahren über Frauen und kennt sie in- und auswendig.
Aber sowie man zu ihnen in eine Stellung kommt, von der aus man wirklich in ihre Seele hineinsehen kann, bekommt man die Empfindungen eines Analphabeten: man weiß wohl, da stehen tiefe Dinge, aber man kann sie nicht lesen ...
Mitten in all diesen Grübeleien erlebte er dann auch noch eines Morgens die Sensationen des märchenhaften Szenenwechsels. Er hatte während der Reise kaum auf die Bilder draußen geachtet — stumpf für alles, was draußen sich begab, war die ganze Fahrt mit ihren wechselnden Stationen, lärmdurchbebten Durchgangswagen voll Staubgeschmack, schmalbettigen Schlafcoupés, hastigen Mahlzeiten, tausend fremden Gestalten an ihm vorübergegangen, als stehe er gleichgültig still, und all dies rase unbegreiflich sinn- und zwecklos an ihm vorüber.
Nun sah er auf einmal den Genfer See vor sich und wußte: noch eine Stunde, und ich bin da ...
Der feine Frühnebel, ganz von silbernem Glanz durchwirkt, stand auf der weiten Fläche. Er breitete sich auch zart vor der Wand des Gebirges aus und machte seine Größe mild. Es waren gar keine starken Töne in dem Bild. Wunderbar keusch und leise wirkte es — ein Morgentraum.
Das tat dem Auge wohl. Wie dem Mund die fast herbe und feuchte Luft, die durch das Fenster hereinkam.
Hochhagen atmete sie förmlich mit Vorsatz tief ein. Als könne sie ihm das peinliche, brennende Gefühl in der Brust löschen ...
Er dachte nicht mehr an die unselige Frau, die zu behüten und vielleicht zu retten er gekommen war.
Er dachte nur noch an seine Liebe und seine eigene Not ...
Was „sie“ wohl zu seinem Telegramm gesagt hatte?
Gestern, gegen Abend, von irgendeiner Station aus, hatte er depeschiert, er würde von morgen früh an in Juttas Pension sein. Er bat den Geheimrat, ihn dort aufzusuchen.
Diese Fassung der Depesche mußte Renate gezeigt haben, daß er nicht ihretwegen diese Reise unternommen hatte ...
Begriff sie? War sie sich völlig bewußt, wie ihre Briefe auf ihn gewirkt hatten? Zu welchen Sorgen sie ihn führen mußten?
Freute sie sich auf ihn? Ängstigte sie sich vor ihm?
Ahnte sie schon, daß er lieber auf Glück verzichten als eines gewinnen wolle, neben dem her der Unglaube an die Beständigkeit dieses Glücks ging?
Station Territet ...
Sein Herz klopfte ... das Gefühl, dem geliebten Mädchen nun nahe zu sein, benahm ihn ganz.
Wie Furcht befiel ihn der Gedanke: wie, wenn sie auf dem Bahnsteig steht? ...
Aber er übersah es mit dem einen schnellen, scheuen Blick, den er rasch über den offenen Bahnsteig gleiten ließ: nein, sie war nicht da ...
Als er einem Träger seinen Gepäckzettel in die Hand drückte und mit einem Kutscher über die Fahrt nach der Pension verhandelte, fühlte er eine Hand — sie gab ihm einen leichten, wohlwollenden Schlag auf die Schulter ...
„Na ... gottlob!“ sagte der Geheimrat.
Es erschien Emmich Hochhagen unbegreiflich, daß der Geheimrat gänzlich unverändert war: das kluge, bartlose Gesicht lächelte — freudig — weich — was ihm drollig stand — denn so ein Fünkchen Selbstironisierung war meist dabei, wenn er weich wurde ... Und das war er in diesem Augenblick. Sein zärtliches Vaterherz ahnte, daß das bräutliche Glück seiner Tochter schon aus den Fugen war — die schwermütige Unruhe ihrer Stimmung hatte sich seit dem Eintreffen von Emmichs kühler Depesche zu einer Nervosität gesteigert, wie sie die Eltern an ihrem Kind nicht für möglich gehalten hatten. Ihnen selbst war die Fassung der Depesche nicht ganz geheuer. Aber sie wollten das Vertrauen ihrer Tochter nicht erzwingen und gestanden es sich nur untereinander: zwischen Renate und Emmich war nicht alles in Ordnung, und vielleicht kam er gar nicht als Renatens Verlobter her, sondern nur in Erfüllung der Freundespflicht gegen den fernen Kameraden.
Aber er war da! Das war nun erst einmal die Hauptsache!
Der Geheimrat als erfahrener Mann hoffte immer ... Bloß die Jugend verzweifelt, pflegte er zu sagen.
So klopfte er denn nochmals wohlgefällig, wie um die Tatsache seiner Ankunft zu loben, Emmich auf die Schulter.
„Wie steht es?“ fragte der hastig.
„Nicht gut.“
„Ist noch Hoffnung? Du mußt es doch wissen!“
„Ach lieber Emmich — wie überschätzest du unser bißchen Weisheit! Die beiden tüchtigen Ärzte, der gutwillige, aber nicht ganz angenehme Doktor von hier und der Professor Lequint, den Herr von Gamberg aus Lausanne hat kommen lassen, die hoffen immer noch. Ich will dir was anvertrauen: es gehört das ein bißchen zum Metier ... Mut geben ... die Angehörigen instand halten ... sich selbst suggerieren: es kann noch werden — weil doch nun mal jeder Mensch lieber in Zuversicht als in Entmutigung handeln mag ... Vielleicht ist auch so ’ne Art Sportgefühl dabei: man will denn doch durchaus nicht den Tod Erster werden lassen ... Wenn er es sich aber mal vorgesetzt hat ... Na, genug. — — Bauen wir auf ein Wunder. Welche Redensart, wie du bemerkst, ein Sideroxylon, das heißt ein innerer Widerspruch, ist ...“
Emmich hörte wohl: der Geheimrat glaubte an keinen guten Ausgang.
Nun saßen sie zusammen im Wagen. Der Geheimrat seinerseits fand den Kapitän sehr verändert. Nicht nur braun von der Seesonne. Auch hager fand er ihn, und einen scharfen Zug von Unruhe hatte er im Gesicht. Und noch nicht einmal sah er seinem Schwiegervater gerade und freudig in die Augen. Auch fragte er nicht nach Renate ... Und Freundestreue in Ehren: aber dies wäre doch das natürlichste gewesen! Erst die Braut! Dann Glück und Leid der übrigen Menschheit.
Gervasius dachte: „Dies bleibt abzuwarten.“
Und saß, die Hände auf dem Stockknopf zwischen den Knien, äußerst unbefangen da, während er in der Tat Miene und Ton des anderen gespannt beobachtete.
„Seit wann ist Herr von Gamberg hier?“ fragte Emmich.
„Der Legationsrat? Den trafen wir in Evian — ich las ihn im Gedränge auf — überraschte die Damen mit ihm ... Ich glaube, ich war es, der ihn überredete, sich uns anzuschließen. Er wollte, so viel ich weiß, nur zwei Tage hier bleiben. Gerade da erkrankte das Kind. Er ist dann geblieben, und in all seiner gemessenen Art zeigt er viel Teilnahme — das heißt weniger in Worten als durch die Tat ... hat den Professor gerufen — sorgt für alles ... ich muß sagen: ich mag ihn leiden. Er weiß viel. Und dann: so unauffällige Leute mit sehr viel Takt — die tun direkt wohl.“
Ob das alles so sich entwickelt hatte, wie der Geheimrat es sah? War alles klug angeordnet? Nach versteckten Verabredungen? Um, ohne den Klatsch der Welt zu erwecken, doch an dieser schönen Stätte zusammen sein zu können? Waren Gervasius’ nichts wie Statisten in einer wohlberechneten Szene? Brutal gesagt: die Elefanten?
Jedenfalls konnte Hochhagen aus dem beifälligen Bericht des Geheimrats entnehmen, daß das Betragen der beiden Menschen, die er in geheimer Leidenschaft zueinander verstrickt glaubte, äußerlich ein einwandfreies gewesen sein mußte.
Ja, ungreifbar — nur drohende Schatten. — Wie sollte man da als Freund für den lieben Kameraden in der Ferne eintreten?
„Das Kind darf nicht sterben!“ sagte er schroff.
„Darf nicht! Ach du lieber Gott! Wenn wir was zu erlauben hätten ...“
„Ich muß dir anvertrauen — halte mich nicht für indiskret — ich muß es sagen: rette das Kind — die Ehe der Eltern geht sonst in die Brüche!“
Der Geheimrat faßte den Arm des anderen: „Ruhe, mein Lieber, Ruhe! Wie naiv werden doch alle Menschen, wenn der Tod in Sicht ist! Als könnte man mit ihm handeln! Als gäbe es für ihn Gründe. Die Ehe der Eltern geht hier den Arzt nichts an — um das Leben an sich wird gekämpft — ich will dir sagen: wenn der Tod hinter der Tür steht, gibt es nur das Leben an sich , das verteidigt wird nach besten Kräften. Was Nebenumstände? Was Vergangenheit? Was Zukunft? Um ihretwillen wär’s manchmal besser, man fiele dem Tod nicht in die Arme. Aber das steht nie zur Frage. Immer nur: das Leben an sich! Es ist immer beinahe, als symbolisiere sich in dem einen Leben, das zu Ende gehen will, die Wichtigkeit alles Lebendigen. Ach, so oft man’s auch mitgemacht hat: dagegen härtet man nie ab.“
Er schwieg.
Und Emmich sagte noch, zäh seinen heißen Wunsch verteidigend: „Ja, es muß leben. Es wird auch — es wäre so grausam.“
Nach einer Weile fragte der Geheimrat: „Ich glaube aber, die Pension ist voll?“
„So? Ich habe gestern depeschiert, gebeten, Zimmer zu reservieren, Antwort konnte ich ja nicht erbitten.“
„Weiß Jutta, daß du kommst?“
„Habt ihr es ihr nicht gesagt?“ fragte er zurück.
„Wir fanden deine Depesche, als wir gestern abend von unserem Besuch bei ihr zurückkamen. Nach einer kleinen Meinungsverschiedenheit zwischen meiner Frau und mir kamen wir doch überein, ihr nicht zu telephonieren.“
Plötzlich waren sie ganz verlegen voreinander.
Sie fühlten: nun mußte doch irgend etwas gesagt werden ...
Wie um das gerade zu verhüten, fragte Emmich hastig: „Diese Sache stört euch doch wohl die Ferien? Der Verkehr zwischen dem Hotel da oben und der Pension kann ja nicht kurzerhand abgemacht werden?“
„Das anlangend: wir haben ja Zeit. Und irgendeine Partie machen wir doch alle Tage — nun steigen wir zu Fuß eben täglich herab und fahren zum Diner wieder hinauf. Das ergab sich höchst einfach.“
„Es tut mir aber doch sehr leid — eigentlich kam es ja durch mich ...“
„Nun irgendwie müssen Menschen zueinander kommen — der Mittelsmann braucht nicht betroffen zu sein, wenn was nicht glatt geht ...“
„Ich bin begierig ...“ dachte der Geheimrat; „endlich muß er doch mal nach ihr fragen ...“
Aber Emmich fragte nicht. Eine unbegreifliche und unerträgliche Befangenheit machte ihn unfrei. Nicht um die Welt hätte er Renatens Namen aussprechen können.
Er fühlte deutlich, daß ihr Vater voll Spannung darauf wartete. Wie erstaunlich mußte ihm dies Schweigen sein. Der Wagen fuhr langsam, kopfnickend zogen ihn die Pferde bergan. Zwischen den Tannen war ein grünes, kühles Licht, aber nicht die Abgeschlossenheit der Waldeseinsamkeit. Denn durch jede Lücke sah man das blasse Blau der Fernsicht.
Eine unnatürliche Situation lange zu ertragen, ging wider den Verstand des Geheimrats.
Die feine, weiße Operateurshand legte sich auf die braune Faust, die Emmich auf sein Knie gestemmt hielt.
„Ich habe eine Tochter, sie heißt Renate,“ sprach er lächelnd.
Emmich zuckte ein wenig — beherrschte sich und sagte leise, erbittert: „Und ich leide um ihretwillen ...“
Ganz sanft wie eine Frau, so vorsichtig und liebevoll fragte der Geheimrat: „Darf denn der alte Papa nicht wissen, wie das möglich ist?“
Emmich antwortete nicht gleich. Da fuhr der ältere Mann fort: „Fast seit wir hier sind, ist das Kind verändert. Nur ganz vereinzelt hat es noch sein liebes, sonniges, sorgloses Gesicht — mit all der Weichheit darin, die mich immer so gerührt hat. — Und meine Frau und ich, wir fangen an uns zu fragen: was ist denn das für eine Liebe, die so schnell aufhörte zu strahlen.“
„Das ist es ja, was ich mich auch frage,“ sagte Emmich, in großer Erregung aufwallend.
Emmich sah: die Eltern waren nicht blind — hatten auch schon ihre Beobachtungen gemacht. Er konnte — er mußte offen sein.
Auch war eine merkwürdige Erleichterung dabei ... als lüde er nun einfach dem Vater seine Last auf, der der Nächste dazu war, sie mit zu tragen — als schone er Renate, wenn er seine Sorge nicht in grausamer Deutlichkeit zuerst ihr, wenn er sie vorher dem Vater gegenüber darlegte.
„Vielleicht versteht ihr euch brieflich nicht,“ meinte der Geheimrat. „Ich hab’ es schon erlebt: Menschen, die sich Aug’ in Auge gut begriffen, schrieben sich einfach auseinander! Feder und Tinte sind oft voll geheimer Fährlichkeiten. Hier ist ein erfahrener, gereifter Mann, der schreibt. Da ist ein junges Mädchen, das noch nicht den fast unbegreiflichen Wertunterschied zwischen gesprochenen und geschriebenen Worten erkannt hat. Was meinst du, Emmich? Kann das so etwas zwischen euch sein?“
„Nein, Papa. Es ist mehr. Leider viel mehr. Kein Stilunterschied, wenn du so willst — ein Unterschied in der Liebe, im gegenseitigen Verstehen.“
„Du meinst, daß Renate ...“ er mochte kaum vollenden — sah ja zweifellos: es sollte seine Tochter sein, die weniger liebte ... Er konnte es nicht begreifen.
„Ja, Papa. Ich kann mich keiner Täuschung mehr darüber hingeben: Renate fürchtet sich vor der Ehe mit mir.“
„Das ist unmöglich!“ sagte der Geheimrat festen Tones. So wankelmütig konnte seine Tochter nicht sein, das hätte doch allem widersprochen, was er seit ihrer frühesten Kindheit von ihr erwartete.
„Ja. Man hat ihren Glauben an Glück, an die Zuverlässigkeit ihrer eigenen Liebe, an die Möglichkeit einer befriedigenden Zukunft zerstört. Vergiftet hat man sie. Nicht mit Vorsatz und nicht aus bösem Willen — so wenig wie ein Kranker den Gesunden, der um ihn ist, mit Absicht ansteckt ... aber er steckt ihn eben doch oft an ...“
„Du meinst, daß Jutta Falckenrott ...“ fragte der Geheimrat.
„Das meine ich, daß die unselige Frau aus ihrem zerrissenen Gemüt, ihrem ganzen unbefriedigten Temperament heraus schädlich auf Renate eingewirkt hat. Alle innere, freudige Sicherheit hat sie ihr genommen. Wenn ich schon etwas bereute, ist es dies: sie zusammengeführt zu haben. Ich sehe freilich nicht, wie ich es hätte verhüten können, ohne den fernen Freund unheilbar zu kränken, ohne ein peinliches Aufsehen zu erregen.“
„Daß die Frau leidet, haben wir ja immer gesehen. Aber du meinst, in solchem Grade? ... So aller Selbstbeherrschung bar, daß ihr die junge Glückseligkeit einer Braut nicht Respekt einflößte?“
„Vielleicht,“ sprach Emmich erbittert, „vielleicht hat sie gar geglaubt, als Weib von Erfahrung die Unerfahrene warnen, retten zu müssen — was weiß ich, wie weit Frauen untereinander in ihren Gesprächen und Geständnissen gehen.“
„Mein altes Vorurteil gegen Frauenfreundschaft!“ dachte der Geheimrat.
„Seit langer Zeit bin ich in schweren Sorgen um die Ehe meines Freundes. Dir, nur dir und in der ernsten Lage, in der ich selbst mich befinde, sei es anvertraut: Ich fürchte, daß in der Seele dieser Frau, die in der Einsamkeit ganz mutlos geworden war, Liebe zu einem anderen Mann entstand. Aus deinem Telegramm sah ich zu meinem Schrecken, daß er hier ist. Und deshalb, nur deshalb reiste ich sofort.“
„Gamberg?!“ rief der Geheimrat so völlig überrascht, daß diese Überraschung eigentlich wie ein Zeugnis war ...
Emmich nickte ...
„Wieder sag’ ich: unmöglich! Aber nicht ein Blick — nicht ein Ton verriet, daß ... Selbst jetzt, wo du’s sagst ... wenn ich kritisch zurückdenke ... Nichts. Du irrst! Oder, wenn du nicht irrst, ist das so tief verborgen, so ganz unter der Oberfläche, daß man nur auf raffinierteste schuldvolle Beherrschung oder — schwersten Ernst schließen dürfte ...“
„Gewiß das letztere — ganz gewiß!“ sagte Emmich mit starkem Ausdruck. „Du wirst mir glauben: wenn ich Jutta nur von fern eines leichtsinnigen Abenteuers für fähig hielte, hätte ich den fernen Freund und meinen ganzen Kieler Kreis, ohne zu zögern, brüskiert und sie von Renate ferngehalten ... Aber so! Wie sollte ich — wie konnte ich. Und nun, da ich dem Freund treu mein Versprechen hielt, seiner Frau ein Bruder zu sein suchte, nun ist mir dadurch mein eigenes Glück zerstört worden.“
„Aber lieber Emmich — ich kenne doch meine Tochter — die ist von geradem Wuchs — man kann wohl mal versuchen, sie zu verbiegen — aber das richtet sich fest und stark wieder auf — ihr werdet euch aussprechen! Ihr werdet euch wieder verstehen.“
Aber indem er das mit möglichst zuversichtlichem Ton sprach, fiel ihm schwer ins Gedächtnis, was er seiner Frau gesagt hatte: Hat Renate nicht die Kraft zu dem, was von ihr verlangt wird, so ist es besser, sie tritt beizeiten zurück ...
„Ich fürchte, ich verstehe sie nur zu gut. Sieh mal, Papa — und deshalb — damit du siehst, wie tief das liegt, deshalb sag’ ich dir das von Jutta ... Du wirst es mir nachfühlen: ich kann nicht ertragen, zu denken, Renate ist vielleicht ähnlich veranlagt, könnte, im Fall einer langen Trennung, in die gleichen Leiden und Versuchungen geraten. Das ist eine furchtbare Vorstellung. Macht mich halb verrückt, kann ich dir sagen ... Ich muß begreifen: dann ist es für sie und für mich besser, wir gehen jetzt auseinander. Ich will lieber ein einsamer Mann bleiben, als eine Frau haben, der ich nicht blind vertrauen kann. Ich will ein Mann bleiben, ein ganzer Kerl — ich liebe meinen Beruf über alles in der Welt — ich liebe auch meine Braut über alles in der Welt — entsteht da ein Zwiespalt — mein Gott, er ist ja schon da! Nun, dann muß eben das Herz bluten und verzichten! Dem Beruf hab’ ich mich angelobt mit Ehre und Eid. Ihm untreu zu werden um einer Liebe willen ... was wär’ das, wenn ein deutscher Offizier das könnte ...“
Er schwieg ein paar Augenblicke, von Bewegung übermannt.
Ganz heiß war ihm die Stimme in der Kehle.
Aber fest mußte er bleiben — ganz fest!
„Und — ja — ich muß es dir sagen — es will kaum heraus — und ich wäre nicht gekommen. Und ich hätte Renate geschrieben: hier ist mein Wort zurück. Deine Depesche zwang mich her — ich sah, ich habe hier vielleicht an meines fernen Kameraden Stelle zu stehen — ihm schulde ich Treue ... Und so kam ich ... Aber es ist vielleicht besser, wir sehen uns nie mehr — sie und ich.“
Mit mannhaft ruhigem Druck umfaßte die zarte Hand wieder die starke, braune.
Und sehr liebevoll, fast als spräche er zu einem ganz jungen Menschen, sagte der Geheimrat: „Wir wollen uns besinnen — lieber Emmich, wir wollen uns besinnen. Mit so raschen Worten entscheidet man nicht über Schicksale ...“
In diesem Augenblick hielt der Wagen vor dem zwischen Eisenstäbe gespannten Netzgitter der Pension.
Leider war die Pension ganz überfüllt. Madame mit ihrer künstlichen Frisur und den spiegelnden Glanzlichtern auf den Puffen und Locken des schwarzen Haares, Madame bedauerte verbindlich. Hatte aber doch jenen leisen Ton von ablehnendem Hochmut, den Wirte sofort annehmen, wenn ihr Haus besetzt ist. Ja, wer in der vielbesuchten Pension noch unterkommen wollte, mußte sich eben lange vorher darum bewerben. Daß sie vor einigen Tagen dem Diener des Herrn von Gamberg noch ein Zimmer habe einräumen können, sei Zufall gewesen; es sei auch kein Domestikenzimmer gewesen, Herr von Gamberg bezahle für den Diener herrschaftliche Pension.
Man sah, die Frau war fasziniert von dem Auftreten des Herrn von Gamberg, denn sie führte seinen Namen bei der Auseinandersetzung ganz unnötig wiederholt an.
Natürlich hatte Emmich eine Anwandlung von ungerechtem Ärger.
Aber er konnte unmöglich aufpochen und sagen: jetzt bin ich hier! Ich habe hier nähere Rechte und Pflichten! Herr von Gamberg hat sich und seine Hilfsaktionen zurückzuziehen! Ich stehe hier, um den fernen Vater des kleinen kranken Kindes zu vertreten. Nein, das konnte er nicht sagen.
Man stand ein wenig zweifelnd. Der Geheimrat mochte nicht damit herauskommen: „du gehörst doch zu uns — du wirst mit mir zu den Meinen hinauffahren, sobald du Jutta gesprochen hast.“
Emmich dachte: „In das Hotel, wo Gamberg wohnt, will ich nicht — ich will ihn vermeiden, so viel ich kann — sonst gibt’s noch einen Krach ...“
Unterdes wartete der Kutscher, mit dem Koffer auf dem Bock neben sich, vor der Gitterpforte.
In dieses Zögern unnützen Hin- und Herdenkens hinein kam der Legationsrat von Gamberg.
Emmich sah ihn schon, als er, auf dem Weg unter den Tannen, hinter dem zwischen Eisenstäben gespannten Drahtnetz ging. Wie immer in etwas steifer, sehr gerader Haltung, in seinem hellgrauen Gehrock, ohne Hast einherschreitend.
Emmich biß sich auf die Lippen. Und mit einiger Besorgnis sah der Geheimrat, daß sein Gesicht sich in schwerem Ernst noch mehr verfinsterte.
Nun erschien Gamberg in dem Rahmen der weitgeöffneten Pforte.
Er erkannte den Kapitän Hochhagen.
Und er erblaßte.
Ganz gewiß. Der Geheimrat sah es so genau, daß jeder Zweifel ausgeschlossen war.
„Also — ja!“ dachte er. Denn weshalb hatte Gamberg sonst die Farbe zu verändern ...
Aber beherrscht wie immer kam Gamberg nun näher, um Hochhagen zu begrüßen.
Er reichte ihm die Hand.
„Welche Überraschung, Herr Kapitän! Hat Frau von Falckenrott Sie schon empfangen?“
„Ich komme in diesem Moment an und höre eben von Madame, daß das letzte Zimmer, das noch zu haben gewesen wäre, für Ihren Diener genommen worden ist.“
„Er kann sofort die Pension verlassen. Ich hatte es angeordnet, damit Frau von Falckenrott noch jemand zu ihrer Verfügung habe, falls sie der Hilfe bedürfen sollte. Ich selbst wagte mich ihr dazu nicht aufzudrängen.“
„Zu korrekt, um unverdächtig zu sein,“ dachte Emmich.
Sie sprachen voll äußerster Höflichkeit weiter zusammen. So höflich, daß es dem zuhörenden Geheimrat beklemmend wurde.
„Es gibt so merkwürdige Feindseligkeiten,“ dachte Emmich, während er förmlich weitersprach. „Er hat mir ja eigentlich nichts getan. Und wenn er Jutta liebt und in schwieriger Lage die Haltung eines Ehrenmannes zu bewahren trachtet, sollte ich ihn eigentlich bemitleiden. Gott weiß, woher solche Feindseligkeiten kommen. Wie in eine Wolke davon gehüllt, erscheinen einem manche Menschen. Jeder Blick von ihnen reizt uns. Jedes Wort benimmt uns ... wie von selbst sind wir befangen und geärgert ihnen gegenüber.“
Ja, so von Natur aus, vielleicht nur, weil er ganz anderer Art war, erschien ihm Gamberg als Feind. Und mußte sich doch gestehen: er scheint wieder sehr vorsichtig gehandelt zu haben ... Denn merkwürdigerweise und trotz aller Antipathie dachte er nie: das ist nicht wahr, was er erzählt.
Er glaubte unbedingt, was er hörte, daß Jutta seit der Erkrankung des Kindes ihre Zimmer nicht verlassen habe, und daß Gamberg nicht einmal wagte, bei ihr sich melden zu lassen.
Welche Kämpfe sie wohl mit sich ausfocht in ihrer angsterfüllten, traurigen Einsamkeit!
„Nun vielleicht werde ich es bald wissen,“ dachte Emmich.
In ihm war ein Gefühl, als müsse er auf sein Recht pochen. Es deutlich betonen, daß er hier den Freund und Kameraden vertrete.
„Ich bin, wie jeden Morgen, gekommen, um mich nach dem Verlauf der Nacht zu erkundigen,“ bemerkte Gamberg.
„Sie sollen es gleich erfahren,“ sagte Emmich.
Er stand noch eine Sekunde zaudernd. Ihm fiel ein: hier der Geheimrat war ja unter allen Umständen der berufenste und willkommenste Besuch im Krankenzimmer. Aber er hatte eine große Begierde, Jutta zu überraschen — sie allein zu sehen — plötzlich vor ihr zu stehen — wie eine Forderung, eine Mahnung vor sie hinzutreten — ihm war, als müsse in seiner unvermuteten Erscheinung so etwas wie eine Botschaft liegen — Trost — oder Strafe ... er wußte dies alles selbst nicht genau — er fühlte nur das unbezwingliche Verlangen, der Frau ohne Zeugen in die Augen zu sehen — ihm schien, als müsse dann irgend etwas Klärendes sich begeben — sie werde sich in ihrer Not ihm anvertrauen — vielleicht weinen —
„Du begreifst, Papa ...“ Der Geheimrat machte schon eine zustimmende Geste.
Emmich sah Herrn von Gamberg fest und klar an, fast befehlshaberisch.
„Ich danke Ihnen für alle Fürsorge, die Sie gezeigt haben. Von nun an stehe ich der Frau meines Freundes bei, soweit sie männlichen Beistandes bedürfen sollte,“ sagte er.
Herr von Gamberg machte eine Bewegung, als markiere er eine Verbeugung.
„Wir wollen der gnädigen Frau doch die Freiheit lassen, sich zu wenden, an wen sie will.“
„Jedenfalls,“ scherzte der Geheimrat rasch und erzwungen, „ist sie nicht verlassen, wenn schon Rivalität entsteht, wer ihr beistehen soll. Also, lieber Emmich: sage Frau Jutta, ich sei hier und zu ihren Befehlen ... Kommen Sie, lieber Gamberg, setzen wir uns in den Schatten, bis Hochhagen uns Nachricht herausschickt ...“
Und er nahm Gamberg am Arm und führte ihn fast an den Tisch unter der großen Tanne, den besten Aussichtspunkt des Gartens.
Im Hause, wo Madame schon Befehle gab wegen der Räumung und Reinigung der Stube, die der neue Gast haben sollte, erfragte Emmich die Zimmer Juttas.
„Nummer neun ist das Schlafzimmer der gnädigen Frau, auf zehn ist jetzt das Krankenzimmer; die Zimmer sind im ersten Stockwerk, rechts den Korridor hinunter.“
Er stieg langsam hinan auf den Kokosläufern, die die Holzstufen der Treppe deckten — die Hand griff dabei mechanisch am Geländer vorwärts, als bedürfe er der Stütze.
Was wird sie sagen? Was werde ich ihr sagen?
Er wußte nicht was. Unbestimmte Richtergefühle hatte er. Als sei er auf dem Weg, eine Sünderin zu vernichten.
Sie zu fragen: was hast du aus deiner Ehe gemacht? Was hast du meiner Braut getan? Und damit mir?
Wie friedlich ging der Sonnenstrom den Korridor entlang. Durchs Fenster kam er und füllte mit seinem flimmernden Gold den schmalen Gang zwischen den gelblichen Wänden. Und ganz voll von Tannenduft war er, stark und harzig.
Über den holzfarbigen Türen, deren Rahmen ein gemalter, schlichter Strich umgab, standen in seltsam schnörkeligen arabischen Ziffern die Nummern.
Nummer zehn. Er sah diesen ganz gleichgültigen kleinen Umstand genau: die Null hatte eine Schleife.
Er zögerte noch. Lauschte. Wünschte, daß sich die Tür öffnen möge ... als erleichtere das die Lage, wenn Martha etwa herauskäme oder vielleicht sie selbst ...
Nun klopfte er. Und erschrak zugleich. Vielleicht durfte man an die Tür eines Krankenzimmers nicht so deutlich pochen. Hier durften vielleicht alle Töne nur halb sein.
Er meinte, man riefe „Herein!“, obschon er vor dem Klopfen seines Herzens möglicherweise nicht genau hörte und Einbildung für Tatsache nahm.
Er öffnete die Tür.
Und ihm war, als erklänge ein Aufschrei ...
Er zog die Tür hinter sich zu und stand wie gebannt ...
Denn dort, neben dem dunkeln Kinderwagen, war eine Frauengestalt in die Höhe gekommen — verharrte etwas vorgebeugten Leibes — mit geducktem Kopf und gespreizten Händen — starrte aus Schreckensaugen auf ihn ... Ein paar Herzschläge lang ...
Dann sank sie zurück — fiel wieder in den Stuhl — lachte auf — oder weinte — es war krampfhaft — und verbarg das Gesicht in beide Hände.
Er kam näher. Er sah, wie ihre Schultern zuckten.
Er ahnte: Einen kurzen, furchtbaren, blitzgleichen Moment lang hatte sie gedacht: Malte!
Sie sahen sich ja ein wenig ähnlich! Und überreizte Nerven — von Nachtwachen übermüdete Augen — Gedanken, die vielleicht beständig und schwer mit dem Bild des fernen Mannes rangen — — wie sind die vorbereitet, vor Phantomen sich zu entsetzen ...
Er ging leise an sie heran.
Aber sie sammelte sich schon. Nahm sich in trotzigem Vorsatz zusammen ...
Erhob sich.
„Sie sind es — Sie!“ sprach sie.
Und dann, um sich selbst zu beweisen, daß seine plötzliche Erscheinung doch das Selbstverständlichste von der Welt sei, fügte sie hinzu: „Ach ja — Sie ... Es hieß schon immer, daß Sie Renate besuchen wollten.“
Er küßte ihr die Hand. Vor Erschütterung konnte er sich nicht gleich fassen.
Was für eine schmale, magere, kleine Hand war das geworden.
Und wie verhärmt und elend das schöne Gesicht.
„Ich komme Ihretwegen,“ sprach er ernst, „nicht um Renate zu sehen. Ich weiß nicht, ob sie noch meine Braut ist.“
„Wie ... das?“
„Wir wollen nicht von mir sprechen,“ sagte er. „Sie mußten nur hören: Ich bin einzig und allein Ihretwegen gekommen, um Ihnen in Ihrer Verlassenheit beizustehen, wie es meine Pflicht gegen Malte ist.“
„Ich bin nicht verlassen,“ flüsterte sie.
Sein fester Blick fragte sie: und wer ist es, der dir beisteht? ... Sie wich diesem Blick aus.
Er nahm es für Schuldbewußtsein. Sein Zorn, sein Schmerz wallten wieder auf.
„Warum haben Sie das Herz meiner Renate vergiftet ... warum ihr den Glauben genommen ... ihr bißchen junges Glück verdorben ... und meines mit ... meines mit?“
„Hab’ ich das?“ fragte sie langsam — als müsse sie sich erst auf ganz ferne Dinge besinnen. Unruhe kam in ihr Gesicht. Ihre matte Stimme wurde heiser, indem sie kräftiger sprechen wollte. „Das hab’ ich nicht gewollt — nein — das nicht — o — arme Renate — sagen Sie ihr ...“
Aber er erfuhr nicht, was er ihr sagen sollte.
Aus den Kissen des Wagens kam ein schwacher Ton ... Kaum vernehmbar ...
Schon kniete die Mutter neben dem Lager und beugte sich, mit gierig horchendem Ohr und verzehrend eindringlichen Blicken über das Kind.
Es war nur ein kleiner, dünner Klagelaut gewesen, vielleicht im Schlaf ... denn die Augen blieben geschlossen und der Mund stumm.
Eine merkwürdige Befangenheit machte Emmich auf einmal unsicher. Er begriff: über den Anblick der Frau, die ein Schatten ihrer früheren Erscheinung war, hatte er eigentlich das Kind in diesen ersten Minuten vergessen ...
Er hatte nun Angst davor, an das Kind heranzutreten — eine lächerliche, feige, kleine Angst — er, ein Mann, der schon ernsten Gefahren kaltblütig ins Auge gesehen ...
Es war das Mannesgefühl, das sich vor dem erweichenden Mitleid fürchtet, das Frauen und Kinder nicht weinen sehen kann ...
Und doch spürte er: sie wartet darauf — sie kniete noch immer neben ihrem Kind ... Ihr Warten auf seine Anteilnahme wirkte auf ihn hinüber — bezwang ihn. Der Vorsatz huschte durch sein Hirn: ich werde sagen, das Kind sieht unverändert wohl aus. Er erinnerte sich plötzlich, daß er seiner Mutter, wenn sie sich vor dem schlechten Ausgang ihrer letzten Krankheit fürchtete, immer gesagt hatte: Mutterchen, du siehst sehr gut aus, viel besser als gestern. Und dann hatte sie getröstet gelächelt.
Fast erheiterten sich schon seine Züge. So unmittelbar schwebten ihm schon die guten, tröstlichen Worte auf den Lippen.
Da stand er nun und sah auf das kleine Lebewesen herab.
Er erinnerte sich mit einem Male ganz genau, wie es ausgesehen hatte — wie ein drolliges, rührendes Bild war dies Kinderköpfchen gewesen. Selbst als rauher Mann, der nichts von Kindern verstand, konnte man eine kleine Rührung nicht unterdrücken.
Und nun?
Da lag ein schmaler, kleiner Totenkopf, mit einem unverhältnismäßig großen Schädel über einem ganz winzigen Gesicht. Uralte, greisenhafte Züge hatte dieses unnatürliche Gesicht ...
Er hatte schon Männer gesehen, die in allen Schrecknissen des Berufs umgekommen waren, durch Fall, Brand, Wasser, Explosion ...
Aber dies hatte er noch nicht gesehen: ein Kind, das in vier Monaten den Weg vom Licht zum Dunkel zurückgelegt hatte und in der furchtbaren Eile seines schnellen Lebens schon die Züge des Greisentums gewann ...
Er wußte auf der Stelle: es ist ein sterbendes Kind!
Er stand ganz still. Aufrecht. Schluckte herunter, was ihm in der Kehle hochquoll. Und ohne es zu ahnen, seufzte er schwer auf — in all diesem Bemühen, gefaßt zu schweigen.
Er wußte auch nicht, daß er ganz erschüttert und bleich aussah ...
Er wagte es endlich, die junge Mutter dieses ururalten Menschen anzusehen ...
Sie hatte voll Gier — brennend in Hoffnung — atemlos vor Verlangen nach einem ermutigenden Wort, mit ihren Augen an ihm gehangen ...
Nun begegneten sich ihre Blicke.
Und vor der Wahrheit, die scheu aus dem seinen zu ihr sprach, schrie sie leise auf.
Ihr Kopf sank — sie legte ihn auf den Sitz des Stuhles.
Und weinte ... weinte ...
Ganz sachte kam er heran, hob sie auf und führte sie zu einem Sofa, den sein suchender Blick an der Wand entdeckte ...
Er selbst hatte nasse Augen ...
Er legte sie vorsichtig in die Ecke ...
Dann ging er still hinaus ...
Er hatte keine richtenden und strengen Gedanken mehr.
Nur Mitleid ...
Draußen fand Emmich den Geheimrat allein. Der andere Mann war gegangen. Gottlob.
Er setzte sich schwerfällig an den Tisch und stemmte die Ellbogen darauf. Die gefalteten Hände gegen die Stirn drückend, schwieg er finster.
Nach einer ganzen Weile erst fragte der Geheimrat sanft: „Sie war wohl sehr erschüttert?“
Da ließ Emmich die Hände sinken und sprach: „Nun versteh’ ich alles, was du im Wagen sagtest. Nein, da ist wohl keine Hoffnung mehr, das ist das Ende.“
„Ich wundere mich, daß es noch lebt. Ich dachte diese Nacht ...“
Er erhob sich.
„Ich will zu ihr gehen.“
Aber er ging doch nicht.
„Verzeih’ mir, Emmich — aber dein Ton Gamberg gegenüber war fast gefährlich — an der Grenze dessen, was ein Mann sich bieten lassen darf. Eine Nuance Kälte mehr, nur eine Kleinigkeit, und ein Konflikt zwischen ihm und dir mußte unvermeidlich werden, mußte kommen.“
„Du hast recht — ja — sehr recht,“ gab er nervös und hastig zu, „alles ist ja nur Vermutung — ich muß vermeiden, ihn zu reizen — das hieße Malte schlecht dienen — ob sie seine Frau bleibt, ob nicht — nur keine Zwischenfälle, die zu Nachfragen und Ausdeutungen Anlaß geben ...“
„Und dann — wie hast du dir den Tag gedacht?“ Der Geheimrat legte ganz sacht seine Hand auf Emmichs Schulter. Es waren allerlei versteckte Bitten in dieser Bewegung. Das fühlte er wohl.
„Du weißt ja ...“ sagte er mutlos, „du weißt ja — was soll ich bei Renate? Aus ihrem Mund noch einmal hören, was sie mir so oft geschrieben hat? Sie glaubt nicht mehr an die Zukunft — was ist da noch zu wollen.“
„Und dann,“ fuhr er energischer fort, „dann hab’ ich heute auch kein Recht an mich selbst — ich wage mich nicht fort — keinen Schritt — dies sterbende Kind — und diese Frau, die mir zu allem fähig scheint ... Ich komm’ mir verantwortlich vor, vor einem, der am anderen Ende der Welt sitzt — — Nein, laß mich ...“
Der ältere Mann ging still ins Haus. Er dachte: „Ich muß meiner Tochter sagen: sieh zu, daß du ihn dir noch einmal eroberst ...“ Und weiter dachte er: „Vielleicht macht diese Notwendigkeit sie fest und klar ... Und wenn nicht — nun, dann müssen sie lieber auseinandergehen.“
Der Gedanke an all den Schmerz und all den Lärm, die die Aufhebung eines Verlöbnisses begleiten, tat ihm doch sehr weh. Aber er fühlte: Emmich hat recht. Als Mann begriff er den Mann. Unsicherheiten in der Ehe wirken immer zerstörend auf den Beruf hinüber. Wenn Renate sich nicht die feste Haltung zutraute, die das Leben von ihr fordern konnte, dann war es besser, sie schieden. Der Vater in ihm stritt indes gegen den verstehenden Mann. Es handelte sich doch eben um seine einzige Tochter, seinen Sonnenstrahl, seinen Liebling. Er wollte nicht daran glauben, daß sie irgendwie und -wo versagte.
Während er treppan stieg, grübelte er noch darüber nach, wie merkwürdig alle Eltern ihre Kinder überschätzten; wie man die Unfertigkeit seines Kindes nur nach hartem Kampf zugesteht, während man eigene Unzulänglichkeiten oft mit Humor und Freimut zugibt.
Er beschloß: ich will mit Renate reden.
Und dabei hatte er ein Gefühl, als wolle er ein Komplott mit ihr schmieden, unter dem Gedanken: wie fangen wir diesen prachtvollen Mann wieder ganz fest ein.
Darüber mußte er nun leise in sich hineinlächeln. Ja, was das Leben so aus einem macht! Einen großen Namen hat man. Allerlei geleistet hat man. Und ist doch seiner Nachkommenschaft gegenüber auf keinem höheren Niveau, als daß man sich in einer zerfahrenen Liebesgeschichte einfach zum Spießgesellen eines jungen Mädels macht ... Weil man es nicht erträgt, sie weinen zu sehen ... Das ist es ... Und er mokierte sich über sich selbst.
Draußen unter der Tanne saß Emmich. Er empfand die feierliche und glitzernde Ruhe, in der die weite Landschaft vor ihm lag, mehr als schmerzlichen Widerspruch denn als Wohltat. Der hohe, breite Tannenwipfel über seinem Haupt stand unbewegt, ganz wie von Sonnenlicht durchstäubt, das die Nadeln fast blau erscheinen ließ.
Er dachte: „Nun ist sein Glück zu Ende ...“
Denn es war ihm Gewißheit: das Kind stirbt; und wenn das Kind dahin ist, ist es auch die Ehe ...
Armer Freund!
Und an Renate dachte er, ganz voll Trauer und Entsagung. Durch das Unglück, das er hier vorgefunden hatte, schien ihm sein eigenes Schicksal besiegelter. Es drückte seine Stimmung ganz herab.
Vielleicht rächten sich auch die Strapazen der letzten Wochen, auf die er noch diese lange, hastige Reise gesetzt. Er konnte selbst kaum mehr nachrechnen, seit wieviel Nächten er nicht eigentlich mehr geschlafen hatte. Er fühlte sich ganz zerschlagen. In so dumpfem Hinbrüten saß er, daß es ihm entging, wie lange der Geheimrat fortblieb.
Er vernahm das Aufwiehern eines Pferdes. Das zerschnitt förmlich die Stille. Schritte klangen wieder auf den Wegen des Gartens. Da war allerlei Bewegung.
Aber es deuchte ihn nicht der Mühe wert, sich danach umzudrehen.
Und endlich kam Gervasius zurück. Er erzählte: gerade seien die Ärzte dagewesen, er habe während ihrer Anwesenheit auch bleiben und sie an den Wagen geleiten müssen.
„Nun — und?“
„Sie meinen, das Kind könne vielleicht noch den Tag, gewiß nicht die Nacht überleben.“
Emmich schwieg.
In dem gutmütigen und für allen Jammer des Lebens so empfindlichen Herzen des Geheimrats war ein Kampf.
Es wurde ihm schwer, aus der Nähe der Frau zu gehen, die sich eben mit ihren Händen an seine Hand geklammert hatte. Er fühlte wohl, es war ihr ein wenig Trost, ihn zu sehen. Vermutlich nur um des zufälligen Umstandes willen, daß er Arzt war — daß sein Gebiet ein total anderes sei, kam ihr vielleicht gar nicht zum klaren Bewußtsein.
Aber da oben saß sein liebes, junges Kind, und da war auch seine Frau — zwei Herzen, die in Spannung und Ängsten lebten — die schon mit tausend Fragen auf ihn warteten. Und denen er sehr ernste Dinge zu sagen hatte.
Er sprach aus seinen schweren Bedenken heraus: „Sie gefällt mir nicht — gar nicht gefällt sie mir, die junge Frau — leidenschaftlich, wie sie ist — und ganz mürbe — man könnte ihr wohl eine Verzweiflungstat zutrauen ...“
Emmich sah ihn groß, mit offenem Mund an.
Hin und her dachte der Geheimrat.
„Wenn du mir auch telephonieren würdest, sobald die Lage sich hier verändert — es dauerte doch zwei Stunden, bis wir unten sein könnten ... wir müßten lieber für einige Tage ins hiesige Hotel übersiedeln ... Um ihr nahe zu sein — ja, das müßten wir ...“
„Er sagt immer ‚wir‘,“ dachte Emmich unruhig.
„Ja, es wäre das beste. Ich fahre jetzt hinauf und bereite das vor ... Gegen Abend komme ich wieder.“
Merkwürdigerweise war er ganz umständlich — sprach mehr als nötig über jede kleine Nebensache — konnte gar kein Ende finden.
Emmich mußte zuletzt wohl spüren: ein weiches Wort wurde von ihm erwartet, ein Gruß vielleicht ... Aber er sagte nichts. Er konnte nichts finden — sein Herz schwieg, es schwiegen seine Gedanken.
Er war nur unaussprechlich traurig. So herabgestimmt, körperlich und seelisch, wie er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte.
Und endlich mußte der Geheimrat sich verabschieden. Gebeugt ging er davon.
Emmich suchte sein Zimmer auf und warf sich auf sein Bett.
Vielleicht schlief er ein paar Stunden. Jedenfalls fuhr er erschreckt in die Höhe, als man zum Essen rief. Aus Rücksicht auf das kranke Kind schlug man nicht den Gong.
Emmich trat, ehe er hinabging, wieder bei der jungen Frau ein.
Es war das gleiche Bild wie am Morgen. Nur schien ihm, daß die Aufregung einer unnatürlichen Gefaßtheit gewichen sei.
Ob seine Gegenwart ihr Wohltat oder Qual sei, konnte er nicht erkennen.
Ihr Blick war so leer. Als sähe sie ihn gar nicht wirklich.
Der Tag schlich mit einer Langsamkeit hin, die Emmich unerträglich wurde.
Ihm schien, als sei er plötzlich aus dem Getriebe des Lebens ausgeschaltet.
Die Ansprüche des Dienstes hatten jäh aufgehört. Ein paar Wochen lang war er von ihnen durch die Tage und oft genug auch noch durch die Nächte gepeitscht worden, als sei ein Mensch ein unermüdbares und unerschöpfbares Gebilde aus Maschinenteilen und nicht aus Nerven und Blut.
Die Ansprüche seiner Braut an ihn hatten plötzlich ein Ende gefunden ...
Er fand nicht den Mut, ihr zu schreiben. —
Sie wiederum konnte ihm kein Zeichen mehr geben. —
Er hatte ja ihren letzten Brief nicht mehr beantwortet ...
Zeit und Gelegenheit hatten gefehlt? O nein — man kann einen Gruß, ein verheißendes Wort telegraphieren. Und das wußte sie ja wohl. Und er schwieg ...
Nun schlich der Tag. Und hatte keinen, aber auch gar keinen Inhalt als das unbestimmte Gefühl eines völligen Zerfalls aller bisherigen Lebensreize.
Zweimal sah Emmich den Diener des Herrn von Gamberg in den Garten kommen und ins Haus treten. Sollte sich wohl nach dem Kind umhören ...
Er hatte eine flüchtige Regung, fast von Dankbarkeit, daß Herr von Gamberg nicht selbst kam — ihm jede Begegnung ersparte.
Ja, alles, was dieser Mann tat und ließ, war von der bedachtsamsten Vorsicht bestimmt, das war deutlich.
Das hatte etwas Entwaffnendes. Respekt sprach daraus. Vor dem fernen Gatten der Frau, vor der Frau selbst. Vielleicht auch ein Stolz, der keinen Flecken auf der Ehre duldet ...
Über diese Gedanken hin kam Emmich zu einer Aufwallung des Verständnisses.
Was mochte dieser Mann wohl leiden!
Dem war es ganz gewiß nicht leicht, sich mit einer unbezwinglichen Leidenschaft einzurichten und abzufinden.
„Das wird es keinem,“ dachte Emmich, „und er — er hat doch offenbar alle Hoffnung, sein Ziel zu erreichen — wär’ er sonst hier?“ ...
Er wagte nicht den kürzesten Spaziergang. Zum Lesen fehlte ihm jede Sammlung. Das Mitleid mit Jutta vermengte sich auf das unentwirrbarste mit der Unruhe um sein eigenes Geschick.
Wenn er noch wenigstens die praktischen Anforderungen hätte überdenken können, die die Lage an ihn stellen würde. Wie war denn die Lage?
Er vertrat hier den fernen Freund und Kameraden.
Aber wenn die Frau ihm nun sagte: Dein Freund ist nicht mehr mein Gatte — — ich löse mich von ihm los?
Dann blieb ihm nichts, als sich schweigend zurückzuziehen. Dann hatte er nicht mehr das Recht, ihr beizustehen. Er durfte ihr nicht einmal helfen, ihr Kind zu begraben ...
Aber noch lebte es ... Er fand sich plötzlich roh, daß er es in seinen Gedanken gleichsam begrub. „So eilig macht das spannungsvolle Warten auf den Tod die Phantasie,“ dachte er.
Von Unruhe befallen, ging er wieder einmal hinauf. Jutta hatte sich, so schien ihm, daran gewöhnt, ihn in kurzen Zwischenräumen eintreten zu sehen. Immer fand er sie neben dem Kind sitzen, mit seltsam ausdruckslosen, erschöpften Zügen, unbeweglich. Sie gab auch keine Auskunft, sie überließ es ihm selbst, sich durch Beobachtung davon zu überzeugen: keinerlei Veränderung sei eingetreten.
Manchmal war die sommersprossige Martha im Zimmer, mit irgendeiner Hantierung beschäftigt wie jemand, der seine vollkommene Überflüssigkeit durch Beflissenheit verstecken will. Und ihre scheuen, kummertrüben und ergebenen Blicke hingen an ihrer Herrin, die nichts von ihrer Gegenwart zu bemerken schien.
Als Emmich jetzt zum vierten- oder fünftenmal seit Mittag hereinkam, fand er, daß sich das Bild der starren Wacht aufgelöst hatte.
Die Fenster standen weit geöffnet. Auf das eine traf noch die Abendsonne, die jeden Tag um diese Zeit die Hausfront schräg in ein belichtetes und ein verschattetes Dreieck abteilte.
Die Zimmerwand zur Rechten war vom warmen Glanz des Sonnengoldes fast völlig bestrichen. Es übersprühte auch den dunkel lackierten Kinderwagen und setzte blanke Punkte und Flächen auf seine Räder und seine Wände. Die Kissen in ihm lagen leer.
Hin und her ging die junge Frau und trug in ihren Armen, auf weißen, in unregelmäßigen Enden und Zipfeln herabhängenden Tüchern, das Kind.
Und sie sang. Ganz leise nur. Ein Schlummerlied von einfachen, rührenden Worten.
Emmich trat heran.
Einen Moment stand sie still, blieb mit dem Oberkörper in wiegender Bewegung, ihr Gesang wurde zum bloßen Summen, und sie gönnte ihm einen Blick auf das Kind.
In ihren Augen war mehr Leben. Unsicherheit. Und doch auch Licht.
Er wußte nicht, wie das zu verstehen war. Vielleicht so: die Unruhe, in die das Kind aus fast schon totenähnlicher Schwäche verfallen war, mochte ihr als erstes Anzeichen wieder beginnender Kräfte erscheinen ... aber sie wußte nicht, ob sie wagen dürfe, daran zu glauben ... ob es nicht etwas anderes bedeute ...
Und weil es mühsam atmete — und von unbewußter Angst bedrängt schien, nahm sie es, trug es umher und sang ...
Als Emmich in das kleine Gesicht sah, wußte er: die Stunde war da ...
Bärtige Männer mit braunen Gesichtern, deren Haut grob und rauh war von der See, hatte er im Todeskampf gesehen. Und dies war ein ganz kleines Kind, dessen Verstand noch nicht mit bewußter Tätigkeit die Erscheinungen der Welt erfaßt hatte.
Und dennoch — dennoch — da war eine Ähnlichkeit. Da war jener Zug strenger Bitterkeit, den nur die haben, die vor der letzten Not stehen ...
Die wandernde Frau ließ ihm nur den einen, raschen Blick, als solle auch er sehen: es geht besser — besser ...
Er setzte sich an das Fenster, das leerer schien als das andere, weil keine Strahlenbündel hereinkamen.
„Was ist dies für eine Stunde!“ dachte er. „Hier stirbt ein Kind, und ihm, dem es stirbt, dem hat es eigentlich nie gelebt. Und hier ist eine Frau, die vielleicht nach dem letzten Atemzug des Kindes von dem Mann fortgeht, dem sie es geboren hat ... Ist es nicht, als wäre dies ganze Stück Leben nur ein Traum für ihn gewesen? Wie ging er? Aus einem lachenden jungen Haus, darin Glück war und Hoffnung. Wie kommt er heim? In eine Leerheit — alles aufgelöst — zerstoben — ja nur ein Traum war alles ... Seemannslos — hartes Seemannslos ...“
Er dachte an Renate. Und in einer beinahe eisernen Entschlossenheit sagten seine Gedanken: nein, wenn sie keine Barmherzigkeit und keine Kraft und keine Größe hat, will ich verzichten ...
Summend floß der einwiegende Gesang durch den Raum ... immerfort ...
Und die leichten Schritte bekamen durch ihre Unaufhörlichkeit schon etwas Schreckliches ... wie das rastlose Wandern des Unglücks ...
Der röchelnde Atem des Kindes war schwächer — er übertönte nicht mehr den leisen Sang ...
Und der Kopf der Mutter neigte sich ein wenig mit beruhigterem Ausdruck — als wähne sie, dem Kind Schlummer zu ersingen, und sei darüber glücklich.
In Emmich wurde der dringliche Wunsch stark: Wenn doch Papa Gervasius käme. Er hatte gesagt: gegen Abend.
Hin und her ging die Frau und sang.
Und nun schien es dem Mann, der hier auf trübseligem Wachtposten saß, als sei das Kind ganz seltsam stumm und still. —
In jener unerklärlichen Stille, die sich von aller anderen unterscheidet, weil sie sich niemals mehr zur Bewegung umwandeln kann ... Eine Stille, deren unheimliche Art der Verstehende spürt — die er in einer Aufwallung des Entsetzens ahnt. Emmich erhob sich.
Oben der ausgezerrte Lichtkegel losch fort — wie ein Aufzucken von etwas Körperlichem war es — dieser jähe völlige Schatten im Raum ...
Jutta erschrak. Sie hatte den raschen Vorgang nicht gesehen — spürte nur eine Veränderung ... stand ... sah wie erwachend Emmich an ...
Er trat heran. Sein Mund war ihm trocken vor Aufregung. Ganz zart sagte er: „Wollen wir das Kind nicht hinlegen ...“ Sie ließ es sich fortnehmen ... als sei sie plötzlich wie gelähmt, ganz willenlos ... stand wie träumend — oder wartend ...
Und sah, mit welcher andächtigen Vorsicht die Männerhände das Kind auf die Kissen legten ... Männerhände verstehen es sonst nicht, weiche, warme Glieder so sicher zu heben und zu tragen ... so hart und schwer sinkt kein weicher, warmer, kleiner Körper in die Kissen.
Mit einem Schritt war sie schon neben ihm.
Zerrte ihn am Arm fort ... Stand und sah mit weit aufgerissenen Augen ... Betrachtete wie irr das Kind. Und fiel mit einem Schrei in die Knie ...
„Sein Kind,“ schrie sie, „sein Kind ... Sein Kind ...“ immerfort. „ Sein Kind. “ Sie wollte es wieder herauszerren — es in ihre Arme nehmen ...
„Es schläft!“ sprach Emmich feierlich.
Er legte die Hand über die Augen ...
Eine unaussprechliche Erschütterung ging durch ihn hin ...
Am Boden lag die junge Mutter und weinte ... krampfhafte Zuckungen zitterten durch ihren Körper — schwer lag ihr Haupt in ihren verschränkten Armen ...
Emmich bückte sich, um sie aufzurichten.
Auf einmal waren helfende Hände da: die treue Martha in Tränenfluten. Und gefaßt und voll stiller Sicherheit der Geheimrat.
Sie trugen Jutta nach nebenan, auf ihr Bett ... Ihre krampfartigen Bewegungen ließen nach ... es schien, als sei sie ohnmächtig.
Aber es schien nur so ... denn plötzlich fuhr sie in die Höhe: „Sein Kind!“ rief sie, „sein Kind.“
Der Geheimrat winkte Emmich, daß er fortgehen solle.
Da war ein Frauenarzt — da war eine treue Dienerin. —
Er fühlte wohl: das sind die zuständigen Helferhände.
Was sollte seine unerfahrene Männerhand da leisten ...
Er trat noch einmal in das Zimmer nebenan.
Dämmerung erfüllte es, traurig und beredt zugleich.
Ja, nun war die Sonne ganz untergegangen. — —
Armer Freund —
Vielleicht in diesem selben Augenblick dachte er in stolzer Glückseligkeit an Frau und Kind ... Und ahnte nicht, wie bettelarm diese Stunde ihn gemacht ...
In den Kissen lag der kleine, erkaltende Körper.
Schlaf in Gott, kleiner Engel, sagten seine Gedanken.
Er ging hinaus ...
Da war Licht im Haus ... im Korridor und auf den Treppen brannte es und verkündete, daß der Alltag seine Ordnung beibehalten, und daß man keine besondere Notiz davon nehme, wenn der Tod durchs Haus husche.
Er fürchtete sich vor Begegnungen und vor all den Fragen, die plump und laut und so aufdringlich dem Verhauchen eines letzten Seufzers immer zu folgen pflegen.
Er ging in den Garten.
In Emmichs Ohr lag noch immer der Nachhall jener Worte, die die junge Mutter, einer Besessenen gleich, ausgerufen: „Sein Kind — sein Kind.“ — — Und nur dies — und immer wieder dies ...
War das Reue?
Wie konnte man diesen Schrei deuten?
„ Sein Kind ...“
Emmich erinnerte sich an all die bitteren, überreizten Reden, in denen sie gesagt: „ Mein Kind ...“
„Ich muß es ihn wissen lassen,“ dachte er, „jawohl — schreiben — oder depeschieren — ja, das ... ein Vater muß es doch wissen, wenn sein Kind — — daß er nun kein Kind mehr hat ...“
Emmich ging auf die Tanne zu. Die ragte hoch und schwarz in die nächtliche Luft hinein. Ein ganz dünner, warmer Wind stieß leise in ihren Wipfel, so daß ein feines Knistern in den Nadeln rumorte.
Er stutzte. Da saß ja jemand. Eine Frau.
Und sie erkannten einander — es war mehr ein Spüren und Erraten als ein deutliches Aug’ in Auge.
„Renate!“ sagte er halblaut.
Sie stand zitternd vor ihm.
Sie hätte ihm ja um den Hals fallen mögen und weinen und betteln: „Verzeih’ mir — —“
Ihr Vater hatte in schwerem Kummer zu ihr gesprochen ... von all den Zweifeln und Sorgen, die ihre Briefe in ihm wachgerufen ...
Nun wollte sie ihm zuschwören: „Ich liebe dich doch! Ich will ja alles auf mich nehmen. Alle Prüfungen, allen Gram — nur verlaß mich nicht — niemals will ich dir wieder weh tun — still in mir stark zu werden suchen — nur verlaß mich nicht ...“
Aber sie fühlte: das darf ich nicht!
„Ja,“ stotterte sie, „ich bin es ... ich warte auf Papa. Er bleibt so lange ...“
Und sie wußte kaum noch Haltung zu bewahren in dem schmerzlichen Erstaunen, daß er sie nicht in seine Arme nahm ...
Sie hatten sich doch wochenlang nicht gesehen?
War sie denn nicht mehr seine Braut? War alles zu Ende?
„Das Kind ist tot,“ sagte er.
„O mein Gott.“
Nun stand Renate ganz wie versteinert.
„Und — sie?“ fragte sie endlich.
„Sie — ja, sie! Nun ist sie wie wahnsinnig — was morgen kommt — was die Zukunft bringt — wer weiß es! Sie hatte ja solche Begierde nach Glück ... Vielleicht wirft sie sich nun einem anderen Mann in die Arme, weil ihr die Ehe mit Malte zu schwer schien — weil sie keine Opfer bringen konnte — weil sie gleich müde wurde an ihrer Sehnsucht ...“
„Wie sprichst du bitter,“ sagte Renate leise.
„Wie soll man nicht bitter sprechen, wenn man sieht, wie eine Frau ein Mannesleben zerbrechen möchte, das er ihr gutgläubig in die Hände gab! Das sie mit heißen Schwüren und voll Liebe hinnahm ... Das sie dann nicht zu ehren und zu schonen wußte ... warum? Weil sie es nicht verstand, mit ihrer Sehnsucht fertig zu werden — weil sie die Gegenwart des Geliebten brauchte, um zu lieben — armselige Liebe ist das — besser gar keine als solche.“
Sehr hart sprach er, und Renate fühlte wohl: das war ihr mitgesagt.
Sie schluchzte auf, wollte sich durchaus bezwingen und kämpfte ihre Tränen nieder. Sie hatte auch die Empfindung, sie dürfe, sie müsse sich irgendwie verteidigen, und sie habe diese Härte nicht ganz verdient.
Aber er war von einem blinden Männerstolz und Trotz ganz beherrscht.
„Gottlob,“ sagte er, beinahe triumphierend, „wir sind fest geworden in unserem Beruf. Wir verstehen uns darauf, die Zähne zusammenzubeißen. Jawohl, wetterfest sind wir, ganz und gar. Wir ducken uns nicht, und wenn’s auch zum Untergang zu kommen scheint. Wir sind unser Leben, unsere Kraft, unsere Klarheit höheren Dingen schuldig. Und wenn eine Frau nicht begreift, daß sie daran teilhat, dadurch, daß auch sie Opfer bringen darf — dann ist sie’s eben nicht wert, die Frau eines deutschen Seeoffiziers zu werden! Das hätte auch Jutta sich sagen sollen. — Jede soll sich das vorher klarmachen! Aber wir — wenn wir uns denn schon mal in der Wahl vergriffen — in Gefühlselend versumpfen wir nicht! Auch Malte ist ein ganzer Kerl. Wenn er all dies erfährt — es wird ihn treffen — kann schon sein, daß er’s Lachen für immer verlernt, daß er ein einsamer Mann bleibt für immer — aber er bleibt aufrecht stehen — Ja, stehen bleiben wir ...“
Dieser stolzen Heftigkeit konnte sie nichts entgegensetzen wie ein leises verschüchtertes Weinen.
Jedes Wort galt auch ihr — sagte ihr drohend: „Zerbrechen lasse ich mich nicht.“
Er hörte kaum auf ihr Weinen.
Es rührte ihn nicht. Er war wie emporgetragen von einem hochmütigen Rausch — all die bangen Grübeleien der letzten Wochen — all die Gemütsbewegung der letzten Stunden hatte sich, für ihn unbeschreiblich wohltätig, in dieser Heftigkeit entladen.
Ob das Wetter irgendwo zu schwer getroffen habe, bedachte er in diesem Moment nicht.
Er war förmlich gesättigt von dem Gefühl, daß er beim Wiedersehen seine männliche Haltung bewahrt hatte, daß er weder weich noch zärtlich geworden war.
Und Renate weinte ...
„Besser jetzt weinen als später,“ dachte er noch.
Mit starken Schritten ging er im Dunkeln auf dem kleinen Platz hin und her.
Er erschrak über einen kurzen Lichtschein, der in der Nähe aufblitzte. Beleuchtet von der kleinen, nach zwei Sekunden schon wieder verlöschenden Flamme eines Streichholzes, zeigte sich mitten in all der Finsternis das Gesicht des Geheimrats, der, ein paar Schritt entfernt, sich eine Zigarette anzündete.
Vielleicht nur, um solcherart sein Herankommen anzuzeigen. Er mochte wohl weder lauschen noch überraschen ...
Emmich trat auf ihn zu. „Wie geht es ihr jetzt?“ fragte er rasch.
„Für den Augenblick ist sie zu kraftlos, um etwas anderes zu tun, als still weinend in ihrem Bett zu liegen. Und was ich fragen wollte ... alles, was hier nun nötig tut — zu besprechen ist ...?“
„Besorg’ ich, mach’ ich,“ fiel Emmich ihm schon in die Rede.
Der Geheimrat hörte aus dem Dunkel ein leises, unregelmäßiges Schluchzen, wie wenn jemand sich durchaus bemüht, seine Tränen herunterzuschlucken.
Das war seine Tochter. Ach ja — —
Weil er die beiden nicht Arm in Arm fand, konnte er sich seine Schlüsse machen ...
„Wir wollen in unser Hotel zurückkehren,“ sagte er, „Mama wartet da ... ich hab’ ihr nicht erlaubt, mitzukommen — alle Frauen haben ein Talent, sich in Erinnerungen hineinzusteigern — das ist Nervenkraftverschwendung ...“
„Erinnerungen?“
„Nun ja. Wir haben unser Erstes auch so verloren. Als diese da noch nicht lebte.“ Er erfaßte Renate am Arm, schon auf dem Sprung, mit ihr zu gehen. „Das verwischt sich und vergißt sich — wenn neues, blühendes Leben ins Haus kommt. — Also gute Nacht, Emmich — du benachrichtigst mich wohl, wenn ich hier noch gebraucht werde — gute Nacht — komm, Renate.“
Sie zögerte noch wenige Augenblicke. „Leb’ wohl, Emmich,“ sagte sie dann leise.
Und er antwortete nur kurz, noch in einem letzten Ausklang seiner Heftigkeit: „Leb’ wohl.“
Die plumpen und lauten Dinge, die Emmich in nervösem Unbehagen gefürchtet hatte, warteten schon auf ihn, als er ins Haus zurücktrat.
Da war Madame, mehr vorwurfsvoll und umwölkt als verbindlich, aber doch immerhin mit der teilnehmenden Note im Wesen, die man Leuten schuldig ist, die man für sehr zahlungsfähig hält. Sie tat, als wenn ihre ganze Pension dem Zusammenbruch entgegengeführt werde, falls das tote Kind nicht sofort aus dem Haus gebracht werde. Es zeigte sich auch, daß sie schon die entsprechenden telephonischen Anordnungen gegeben hatte, daß der Arzt unterwegs sei, und daß Beamte jenes düsteren Geschäftsbetriebes, der hier in Frage kam, noch vor zehn Uhr zur Stelle sein würden. Wenn die Pensionäre schlafen gegangen — und dies pflegten sie frühzeitig zu tun — sollte der traurige kleine Transport bewerkstelligt werden.
Emmich hatte Flüstergespräche mit der sommersprossigen Martha, die immer von neuem weinte und deshalb kein praktischer Beistand war. Es schien, als habe sie teils ein allgemeines Grauen, teils wirklichen Kummer und dabei vielleicht auch die undeutliche Empfindung, daß sie der Situation Untröstlichkeit schuldig sei.
Der Arzt kam, und Emmich hörte vielerlei von ortspolizeilichen Vorschriften.
Mit ihm zusammen beschloß er, daß man das Kind leise, ohne Vorwissen der jungen Mutter, fortschaffen müsse.
Jutta lag, körperlich von äußerster Schwäche gebändigt, ganz still — in einem Mittelzustand von Ohnmacht und Schlummer.
Einmal trat Emmich an ihr Bett — er sah: man konnte nicht zu ihr sprechen.
Es mußte gehandelt werden ohne ihre Zustimmung.
Das war alles nicht leicht ... bevormundend in die Tragik eines anderen Lebens einzutreten ...
Herbert von Gamberg fiel ihm ein ...
„Wäre ich nicht zur Stelle, hätte der Mann alles in die Hand genommen,“ dachte er. Und diese Vorstellung erleichterte ihm etwas die schweren Stunden.
Was die Zukunft auch bringen mochte: Maltes Kind sollte nicht von Maltes Todfeind begraben werden ...
Mitten in all dem traurigen Hasten erzählte Martha ihm einmal, daß Herr von Gamberg wieder habe nachfragen lassen, und daß der Diener den Bescheid vom erfolgten Ableben des Kindes mitbekommen habe. Man sah: es war ihr wichtig. Es hatte ihr auch wohlgetan, sich mit dem Diener, der vielleicht ihr guter Freund war, auszusprechen.
„Also nun weiß er es,“ dachte Emmich, „kann sein, daß es ihm leid tut — natürlich, einer Frau, die man liebt, der möchte man Gram erspart sehen — möglich auch, daß dieser Tod so mancherlei Zukunftssorgen auslöscht, noch eh’ sie deutlich wurden — es war immer Maltes Kind — erinnerte an ihn — hielt sein Gedächtnis, seinen Namen im Leben der Frau ganz gegenwärtig ... kann schon sein, daß ein heimlicher kleiner Erleichterungsseufzer sich in die Kondolenz mischt — wäre menschlich.“
Bald nach zehn Uhr fuhren, im vorausgleitenden Licht, das in Strahlenkegeln aus den Laternen am Bock kam, zwei geschlossene Wagen durch die Hochsommernacht. Der Wald stand als Finsternis am Weg. Rasch bergab ging die Fahrt.
Aus dem Schweigen des Waldes führte sie in das hellerleuchtete Schweigen einer schon schlafenden Stadt. Vor einem Tor mit strengen Pfeilern hielten endlich die Wagen. Alles war schattenhaft. Das Dunkel einer Kapelle tat sich auf. Lichter, die einsam wirkten und wie verloren in dem schwarzen Grund, blinkten und bewegten sich. Männer tauchten auf und verschwanden in der Tiefe. Dann schlossen sich Türen. Ein heller, klingender Ton, der Schlag von Eisen gegen Eisen, zitterte kurz auf.
Und Emmich hatte seine Pflicht getan. Nun blieb nur noch die letzte: morgen nachmittag den kleinen Sarg aus der Kapelle zu geleiten und in die Erde betten zu lassen.
Er fuhr zurück. Es war gegen ein Uhr in der Nacht, als er in der Pension eintraf. Das Haus war wie versunken in schonungsvolle Stille. Nur eine Lampe erhellte karg Korridor und Treppe.
Ratlos stand er vor den Türen der unseligsten Frau.
Hatte man drinnen seinen leisen Schritt, sein tastendes Anhalten gehört.
Martha öffnete eine Tür und winkte ihm.
Befangen trat er ein — von der aufwallenden Furcht benommen, einem leidenschaftlichen Ausbruch standhalten zu müssen.
Aber seine Befangenheit wuchs und wurde zur Erschütterung, weil er ein Unbegreifliches fand.
Die junge Frau ruhte, halb aufrecht, in einem Stuhl, am offenen Fenster. Ihre Arme, in ganz gleichmäßiger Haltung, lagen auf den Lehnen.
Sie sah aus wie eine, die zu schwach ist, nur die Hand zu heben, zu sprechen, zu denken — so — als seien alle ihre Kräfte plötzlich und ganz erloschen.
Und dennoch hob sie ihre Hand, mit einer schweren, mühevollen Bewegung — — als er vor ihr stand ...
Er beugte sich tief. Er schluckte hinunter, was ihm in der Kehle hochquoll.
Und küßte voll Ehrfurcht vor der Majestät des Leides ihre Hand ...
„Dank ...“ sprach sie leise ...
Sie sah ihn an ...
Lange und tief ... Er verstand nicht, was dieser Blick voll Ernst und Gram ihm sagen sollte ...
Ihm war, als täte sich eine Welt von Elend vor ihm auf ...
„Dank,“ flüsterte sie noch einmal und legte sich, die Augen schließend, wieder zurück. —
Nachher, als er endlich zu Bett gehen konnte und eine ganz merkwürdige, vollkommene Stille und Nacht ihn gleichsam umwuchs, so daß er sich ganz wie verborgen darin vorkam — nachher sah sein Gedächtnis noch immer in diesen unbegreiflichen Blick hinein ... Und er suchte danach: was wollte er mir sagen? — — Er fand keine Deutung. — So quälte ihn dieser Blick, daß er sich zuletzt einbildete, ein Vorwurf habe darin gestanden.
Wofür? Sie hatte es seltsam gefaßt hingenommen, daß das Kind schon fortgebracht sei, berichtete ihm Martha, die es ihr gesagt, als sie aus ihrem Dämmerzustand zum vollen Bewußtsein gekommen war.
Also nein, ein Vorwurf nicht. Sie flüsterte ihm doch auch zweimal „danke“ zu ...
Eine Frage? Vielleicht die Frage: Du willst mich richten?
O Gott, nein — er wollte nicht richten. Man schlägt nicht noch auf Seelen ein, die schon zerbrochen am Boden liegen.
Aber was war denn seine kalte Heftigkeit gegen Renate anderes gewesen als Richterhochmut und selbstsüchtige Furcht?!
Mit einem Male vernahm er ganz deutlich, was er in der Dunkelheit des Gartens mit zornigem Vorsatz überhört hatte: Renatens Weinen.
All sein männlicher Hochmut schmolz dahin. Verwandelte sich in ein Mitleid, das ihn ganz weich machte.
Sein liebes Mädchen hatte geweint! Und er ließ sie ungetröstet.
Anstatt sie herzlich und ernst an sich zu ziehen und ihr zu sagen: sieh, laß uns von diesem allem lernen — laß uns begreifen, daß es in der Liebe keinen festen Besitz gibt, daß man sie jeden Tag und jede Stunde voll Wachsamkeit beschützen muß. Nicht gegen die Versuchungen, die von draußen kommen, sondern viel mehr und viel ängstlicher gegen unsere eigenen Schwächen.
Anstatt so zu ihr zu sprechen, wie er als der Reifere hätte tun müssen, ließ er sie weinen.
Gefiel sich förmlich in Härte.
Bis sie mit einem stillen „Lebe wohl!“ von dannen ging, hinein in die Dunkelheit.
Dies Lebewohl ängstigte ihn mit einem Male schwer. Er legte allerlei Klänge hinein: den des Schmerzes, der Bitterkeit, des tief verletzten Stolzes. — Es kam ihm plötzlich nachträglich so vor, als sei der Vater in stummem Zorn mit seiner Tochter davongegangen ...
Ja, dies Lebewohl war ein Abschied gewesen.
Einem so heftigen, ungerechten Menschen wollte dieser milde, liebe, erfahrene Vater ganz gewiß sein Kind nicht geben.
Wenn es nur erst Tag werden wollte, damit er zu ihr eilen könne ...
Aber als es Tag war, kamen andere Pflichten.
Gerade saß er bei seinem Morgentee und hatte gewissermaßen eine stille Beratung mit seiner Uhr. Mit ihrer Kette und all ihren kleinen Geräteanhängseln lag sie auf dem Tisch neben der Tasse und gab ihm die Auskunft, daß es erst sieben sei.
Er konnte auch nicht von hier fortgehen, ehe er nach Jutta gesehen hatte. Das verstand sich von selbst.
Da klopfte es, und Martha kam herein. Sie war aufgeregt.
„Herr Kapitän — Herr Kapitän ...“ Sie weinte.
„Liebes Kind,“ sagte er in einem Gemisch von Wohlwollen und Ungeduld, „weinen Sie weniger, fassen Sie sich mehr. Dann machen Sie sich noch verdienter.“
„Aber ich ängstige mich doch so.“
Ja, um ihre Herrin ängstigte sie sich. Die benahm sich wunderlich ...
Und ihr Gebaren hatte Martha auf den schrecklichsten Gedanken, die tollste Furcht gebracht.
Seit es Tag war, kramte sie zwischen allen Sachen herum — ordnete dies und das — Und sagte nicht, was es für einen Sinn habe ... Und antwortete nicht auf Fragen.
Nur einmal hatte sie gesagt: „Du mußt nun allein in die Heimat zurückreisen, Martha — ich — ich gehe anderswohin — weit fort ...“
„Weit fort ... dahin, von wo man niemals wiederkehrt,“ dachte Martha.
Er spürte es wohl —
Aber er faßte es anders auf.
Weit fort ...
Hin zu dem anderen Mann, der sie liebte? Und mit ihm in die Welt hinaus oder lebensscheu in die Verborgenheit hinein?
Konnte das möglich sein? So unmittelbar von dem Grabe ihres Kindes fort?
Der Gedanke war ihm so hart, daß er fast wünschte, die Auffassung dieser treuen, ergebenen Dienerin möchte die richtige sein.
Wär’s nicht milder, dem fernen Mann zu sagen: Dein Weib wollte ihr Kind nicht überleben, sie beging eine Tat des Wahnsinns — als sagen zu müssen: Dein Weib lief sofort mit einem anderen davon, sie beging eine Tat der Unwürde.
„Wir wollen gut aufpassen,“ sagte er nur.
Das war ein übles Amt, und es machte die Stunden nicht kurzweilig, daß er es vor sich und vor der Frau zu verstecken trachtete, wie er hier eigentlich als Spion und Wächter sich herumschlug.
Er sah Jutta nur auf wenige Minuten, um ihr zu sagen, daß er mit ihr am Nachmittag zum Kirchhof fahren werde.
Wieder machte ihn ihre Haltung und ihr Aussehen ängstlich und betroffen.
Eine fast erhabene Ruhe lag über ihrem Wesen. Es war das eines Menschen, für den es Zweifel und Kämpfe nicht mehr gibt.
Zu welcher Gewißheit mochte ihr Leid sie getragen haben?
Und hat schon jemals Wachsamkeit eine verzweifelnde Seele von einer schlimmen Tat zurückhalten können? War er dazu imstande?
Er ging in den Garten, der ja eigentlich nur eine beschränkte Terrasse war, darauf Tische und Stühle standen, und die ein aus Tannenästen gefügtes Geländer gegen den Abhang schützte, aus dem Wipfel an Wipfel sich emporreckten.
Der Tag half nicht seine gequälte Stimmung klären. Wie eingesperrt kam Emmich sich vor, an diesen kleinen Platz gebunden, den kein Windhauch erreichte. Von dem hinaus man in die weite, besonnte Welt sah. Es war sehr heiß. Früh schon flimmerten Luftwellen über dem See. Der Himmel hatte eine fast stechende Bläue.
Emmich sehnte sich bald recht von Herzen nach dem klugen Gesicht des Geheimrats, in dem auch während des tiefsten Ernstes stets ein Lächeln zu warten schien. Aber dies Gesicht, das einen immer wie von selbst zur Frische und zum Mut ermahnte, zeigte sich nicht. Und plötzlich dachte Emmich, es habe ein stolzer und kalter Zurückzug darin gelegen, wie der Geheimrat gestern abend sagte: „Du benachrichtigst mich wohl, wenn ich hier noch gebraucht werde.“
Dies — nachdem er ein paar Stunden vorher extra sich in der Nähe angesiedelt hatte, um zum Beistand bereit zu sein. Natürlich war es ein Rückzug gewesen! Und wie denn auch nicht? ...
„Er sah, daß ich seine Tochter weinen ließ ...“
Und mit einem Male saß Emmich vor einem Briefbogen und schrieb mit dahinrasender Feder:
„Geliebte! Ich kann nicht zu Dir eilen und flehen: verzeih, daß ich Dich weinen ließ. Denn ich muß hier wachsam sein. Ich mußte gestern abend nicht heftig werden. Ich mußte sagen: Laß uns an dem Beispiel der Schwäche und des Leides lernen, daß wir stark und glücklich werden! Bin ich denn noch — ja, immer und ewig bin ich
Dein Emmich.“
Es fand sich zum Glück ein Bote in der Pension, der die größte Schnellfüßigkeit versprach ...
Nun ertrugen sich die Stunden schon leichter.
Er dachte: sie wird ja nicht unerbittlich sein — Und er lächelte manchmal glücklich in sich hinein.
Weil seine Stimmung sich verändert hatte, war er plötzlich wieder von Vertrauen zu ihr erfüllt. — Das Unlogische hiervon wollte sich ihm manchmal aufdrängen. Aber er fühlte, sich entschuldigend: ... in der Liebe! Wer hat schon von ihr Logik gefordert? —
Auch die Begegnung wurde ihm erspart, der er voll Unbehagen entgegensah: der Legationsrat von Gamberg zeigte sich nicht.
Und dann kam endlich der Augenblick, wo er die junge Mutter geleiten mußte, damit sie ihr kleines Kind in das allerletzte Lager betten sähe ...
Ihm schien, als werde sie von Erschütterung ergriffen, als er eintrat — sie schwankte — hielt sich an der nächsten Stuhllehne und faßte sich gewaltsam ...
Erinnerte er sie an den fernen Gatten? Deutlicher als je vielleicht? Weil er, der feierlichen Stunde die Ehre gebend, seine Uniform angelegt hatte ... Den Rock, den auch der Vater des Kindes trug? War es das? ... Aber sie schien sich rasch zu beherrschen.
In aufrechter Haltung ging sie an den Wagen.
Von schwarzen Schleiern ganz umhüllt, in Schweigen, das ihm unnatürlich und bedrohlich schien, saß sie neben ihm. Und doch war es vielleicht nur ein gefaßtes, sanftes Schweigen völligster Ergebung.
Er wagte nicht mit einem Wort der Frage oder des Trostes daran zu rühren.
Ihm fiel wunderlich deutlich ein, was sein Schwiegervater gestern abend gesagt: „Solches Leid verwischt sich und vergißt sich, wenn neues, blühendes Leben ins Haus kommt.“ — Ja, der sprach aus der Erfahrung einer glücklichen Ehe heraus ...
Was für eine Zukunft wollte diese Frau sich aufbauen? Oder dachte sie an keine mehr? ...
Und so, in Schweigen, kamen sie an die Pforte mit den strengen Pfeilern ...
Sie betraten den Kirchhof — jenen wunderbaren Platz aller Melancholien und aller Entzückungen, aller Leiden und allen Trostes.
Die junge Frau, am Arm Emmichs gehend, hielt im Schreiten inne ... Sie sah sich um — sah hinaus — langsam ging ihr Blick von der Ferne zur Nähe ... verweilte wie erstaunt auf dem weißen Marmorbildnis der tragischen Königin, das aus Blumenüppigkeiten unterhalb des Friedhofs sich erhob — ein steinernes Mal, der Menschheit ein Zeichen, daß auch ein Thron keine Zufluchtsstätte vor den Grausamkeiten des Schicksals gewährt ...
Sie seufzte tief auf ... und schritt langsam und schweigend weiter ... Da war eine kleine Kapelle ... da waren Menschen ... Erkannte sie denn keinen?
Auch den hohen, blassen Mann nicht, der neben Renatens Mutter gestanden hatte und nun herankam und ihre Hand küßte und gleich mit Ehrfurcht wieder zurücktrat? Auch ihn nicht?
Es schien, sie sah nichts, außer dem winzigen Sarg, der eigentlich nur ein Gehäuf von Blumen war, auf einem kleinen, mit schwarzem Tuch bedeckten Postament.
Sie hielt sich immer fest an Emmichs Arm ...
Als sei er ihr der Nächste in diesem schweren Augenblick — als sei der hohe, blasse, ernste Mann ihr ganz fremd. Da war ein Priester ... Er sprach ein tröstliches Gebet. Nicht mehr als das ...
Über ein kleines Kind, das gekommen und gegangen war, ohne vom Leben etwas zu wissen, konnte Menschenweisheit nicht mehr sagen ...
Und dann trug ein Mann den länglichen kleinen Berg von Blumen auf vorsichtigen Armen voran.
Es war ein winziger Zug, der folgte. Die junge Mutter wie ein Schatten nur — neben ihr fest und gerade der Mann im blauen Rock, der die Zähne zusammenbiß und so stark und so deutlich an den fernen Kameraden dachte — als könne er ihn dadurch herbeschwören ...
Durch ferne Wasser rauschte sein Schiff — die Flagge wehte — die Möwen flogen — phantastisch fremdartige Ufer dämmerten am Horizont — stark und voll eherner Ruhe klang das Kommando ... am weißen Bug schwollen die Wogen ... Und hier begräbt man dein Kind — das du nie gesehen — dessen Schrei du nie gehört ...
Seemannslos, mein alter Kamerad — Seemannslos.
Aber wir stehen aufrecht! Ja, das tun wir. Und zerbrechen nicht daran ...
Er drückte den Arm der Frau an sich, so fest, so stark, als könne er sie damit halten, an den fernen Mann ketten.
Als hätte dieser Druck ihr weh getan — so zog sie nun ihren Arm aus dem seinen. Vielleicht wollte sie auch allein, ganz allein an die Stätte treten.
Hinter ihnen gingen Renate und ihre Mutter — in jenen leisen Tränen, wie nur Frauenmitleid und Frauenwissen sie weinen können ...
Und dann die beiden Männer: der kleine Gelehrte mit bekümmerter Miene und der andere — in etwas steifer Haltung, beherrscht und undurchdringlich wie immer ... Wie schnell war die letzte Arbeit für das kleine Kind getan ... Emmich empfand es beinahe als etwas Schauriges. So viel Hoffnung und Vorfreude, so viel geheimnisvolles Werden — all die heiße Not der einsamen Mutterschaft, die die Frau erlitten — all die Bitterkeit und Tränen ...
Und nun: ein paar Hantierungen — noch ein Gebet ... Und im Grunde eines engen und nicht sehr tiefen Loches häuften sich Blumen ... Das war alles.
Scheu trat er zurück ... Ihm war: man muß sie wohl allein lassen. Zu einem letzten Blick.
Vielleicht fühlten die anderen Zeugen ebenso ... eine unschlüssige, zögernde Bewegung ging durch die paar Menschen. Da sah Emmich ganz deutlich, daß Jutta eine Hand erhob — ganz leise nur — als wolle sie sie ausstrecken — in der Geste, die man macht, wenn man jemand halten will. Und er sah auch: das galt dem Mann.
Gervasius’ mußten es auch bemerkt haben. Auch sie zogen sich rasch zurück. Emmich fand sich mit ihnen im Hauptweg zusammen. Sie gingen der Pforte mit den strengen Pfeilern zu, und zur Rechten, über die Rosensträuche des Friedhofs hinweg, sahen sie in das gewaltige Schönheitsbild hinaus.
Emmich wurde sich erst jetzt so recht eigentlich der Nähe der Geliebten bewußt. Er nahm leise ihre Hand.
„Verzeih’ mir,“ sagte er, „ich war so ganz bei einem, der weit von hier ist ...“
„Das habe ich gefühlt,“ sprach sie herzlich.
„Willst du denn noch etwas von mir wissen?“ fragte er halblaut.
„Ach, Emmich ...“
Sie drückten sich sehr fest die Hand. So blieben sie stehen und sahen sich nach den Eltern um, die es verstanden hatten, unauffällig zurückzubleiben.
Nun kamen sie heran, und Emmich litt kurz an jener Verlegenheit, die reife Menschen befällt, wenn sie den Zeugen ihrer Kämpfe in die Augen sehen sollen.
Aber die Eltern verstanden sich auf die Zartheit der Blinden. Emmich küßte seiner Schwiegermutter die Hand.
Es schien, als sei gar nichts gewesen.
„Ja,“ sagte der Geheimrat, „wir müssen wohl auf unsere Freundin warten.“
Und er sah an Emmich vorbei. Sie brauchten sich nicht erst durch einen Blick darüber zu verständigen, daß sie beide voll Unruhe dachten: was spricht sie mit ihm?
Zwei Menschen standen an der winzigen Gruft ...
Die Frau atmete schwer — als hindere noch ein Druck sie am Sprechen. Sie weinte nicht. Sehr bleich war ihr Gesicht im Rahmen schwerer schwarzer Kreppfalten.
Sie sah ihn an, mit einem merkwürdigen starren Blick ...
„Ich habe nicht gewagt, dich aufzusuchen,“ begann er halblaut, „ich hatte das Gefühl, als ob ein Feind dich bewache ... Aber du weißt es: dein Leid ist meines ...“
Er hätte auch nicht gewagt, hier an dieser Stelle zu ihr zu sprechen ... Aber sie hatte die Hand nach ihm ausgestreckt — vor all diesen Zeugen — das bezwang ihn ... Wer hätte Selbstbeherrschung von ihr fordern dürfen, in diesem Augenblick ... Sie streckte die Hand aus nach dem Mann, den sie liebte, der ihr Trost war ...
So nahm er es ... Wie konnte er anders ...
„Ich habe gelitten, daß ich dir nicht beistehen durfte. Aber ich verstand es wohl, daß der andere Rechte zu haben glaubte ...“
„Herbert,“ begann sie —
All dies hatte sie gar nicht gehört. Sie hörte nichts wie das, was sie selbst sagen mußte — was in ihren Gedanken schon mit deutlichen, grausamen Worten stand ... „Herbert ... Herbert — wir — du und ich ... wir werden uns niemals mehr sehen ...“
Er machte eine Bewegung — in jähem Schreck ... Sah sie an ... Ihre Blicke starrten ineinander — wie vor Entsetzen. „Niemals ...“ wiederholte sie leise.
Er trat einen Schritt auf sie zu ... Sie wich zurück — hielt sich mit der Linken an eine aufrechte Marmortafel, die, mit schwarzen Buchstaben bedeckt und von Schatten überfleckt, neben der kleinen Gruft stand.
„Besinn dich,“ sprach er halblaut, „besinn dich — Liebe! Nicht hier — nicht jetzt — solche Worte ...“
„Ja — hier — gerade hier.“ Sie faßte sich.
„Dies Grab steht zwischen uns — für immer —“
„Jutta ...“
Sie streckte ihm die Hand hin.
Er faßte sie hastig — mit seinen beiden Händen — noch voll Unglauben — noch voll verzweifelter Abwehr gegen diese Worte — noch in der Hoffnung, sie beschwören zu können ... Sie sah ihn an — lange und stumm ...
Sie sah die leidenschaftliche Bitte in seinen Augen.
Alles war in ihr erloschen — wie weggeweht. — Und dennoch — dennoch tat es weh, zu sagen: leb’ wohl ...
Sie begriff es nicht mehr, daß sie um seinetwillen gezittert hatte ... Und dennoch — das Wort „niemals“ ist wie Tod ... Sie wußte: es verdirbt sein Leben ...
„Ich kann nicht anders, Herbert,“ sagte sie sehr leise und sehr traurig. Und wieder hingen ihre Blicke ineinander. In einem letzten, schweigenden Kampf ...
Und in einer grausamen, tödlich demütigenden Erkenntnis begriff die Frau es plötzlich: ihm verdanke ich es — seinem Stolz und seiner Ehre, daß wir schuldlos scheiden können ... Sie schluchzte auf.
„Leb’ wohl ... Und Dank ... Und vergib ...“
Sie entzog ihm ihre Hand.
Sie brach zusammen ... Die Hände vor dem Gesicht, beugte sie sich und legte ihre Stirn gegen den kalten Stein — der von einem fremden Leben und anderen längst erloschenen Leiden sprach ...
Sonne und Schatten spielten unruhig über sie hin ...
Noch ein paar Herzschläge lang stand er — wartend — vielleicht — vielleicht betäubt von der Gewißheit: verloren — zum zweitenmal verloren — für immer verloren ... Und dann ging er — rasch — unbeherrscht — Form und Schein und Welt vergessend — ganz benommen von dem Wissen: Verloren ...
So kam er an den Freunden vorüber, ohne sie zu grüßen — ohne sie zu sehen ... Ein fassungsloser Mann ... Emmich sah ihm nach. — Was war das?
„Der sah nicht gut aus!“ dachte der Geheimrat voll Unbehagen ... Und die junge Frau? Was war mit ihr. In erwachender Sorge wollten sie zu ihr zurückeilen. Aber da kam auch sie schon gegangen. Gefaßt und aufrecht ... in einer stillen, sicheren Haltung.
Als sie sah, daß Renate an Emmichs Arm hing, wurde ihr Gesicht sogar ein wenig hell — wie in der Andeutung eines Lächelns ...
Sie umarmte Renate. Es war, als wolle sie sagen: verliert euch nie! Sie wandte sich zu Emmich.
„Lieber Emmich,“ sprach sie mit einer ganz kraftlosen Stimme, deren Klang ergreifend war — denn sie verriet all den Gram, den die gefaßte Haltung verbergen wollte, „für so viele Treue habe ich Ihnen zu danken — wollen Sie mir noch einen Dienst erweisen — einen letzten ...“
In einem Gemisch von Rührung und Spannung, das ihn ganz benahm, versprach er: „Jeden. Natürlich.“
Sie wurde rot. Sie schien sich fast zu fürchten vor dem, was sie sagen wollte — mußte ...
„Helfen Sie mir — daß ich auf das nächste, das rascheste Schiff komme, das mich zu — Malte bringt ...“
„Jutta!“ schrie er jubelnd auf. „Gott segne Sie für dieses Wort.“
Sie sah vor sich hin — sprach leise — zu sich selbst mehr als zu den Freunden: „Sein Kind sollte ich hüten — nun muß ich ihm sagen, daß ich es nicht mehr habe ...“
Nur drei Tage später war es. Auf dem Pier des Norddeutschen Lloyd in Genua stand Emmich mit seiner Braut. Auch Renatens Eltern waren dabei. Sie hatten die Scheidende geleitet, um ihr mit Liebe und Fürsorge wohlzutun bis zu jenem Augenblick, wo sie allein ihren Weg weiterwandern mußte in der schweren Einsamkeit ihres Grams.
Und der Augenblick war da. Die Brücke, die Bord und Pier verbunden hatte, war schon zurückgezogen — nach aufklatschendem Fall lag sie nun auf den Steinen.
Der Pier, der sich als steinerner Arm in den Hafen hinein erstreckte, glich beinahe einer hohlen Gasse, zwischen den ragenden Borden der Schiffe, die hüben und drüben an seinem Doppelkai ankerten.
Da lag der aus Australien heimkehrende „Barbarossa“ und dehnte seinen mächtigen Leib an den Quadern entlang, als wolle er sich ein wenig verschnaufen, ehe er weiter ging. Oben auf seinem Promenadendeck war es leer, nur ein paar Stewards in ihren blauen Jacken und ein Koch mit weißer Mütze standen dort und sahen nach dem befreundeten Schiff hinüber, das nun Anker aufgehen wollte. Mittschiffs war emsiges Leben auf dem „Barbarossa“, da holten lautlos mit ihren beweglichen Tintenfischarmen die Dampfwinden Stückgut aus der Tiefe des Raumes und führten es an Stricken mit leisem Pendeln durch die Luft, um es in die Leichter hinabzulassen, die sich an die Planken drängten.
Am Heck flatterte im frischen Wind die schwarzweißrote Flagge. Und ganz oben, am Hauptmast, strich die Luft das weiße Stück Tuch glatt aus, darauf ein blauer Schlüssel und ein blauer Anker sich kreuzten.
Mit diesem selben Zeichen spielte der fröhliche Wind auch auf dem „Prinzen Heinrich“.
Ein blauer Himmel, den weiße, rasch ziehende Wolken belebten, stand über dem Hafen und seinen aneinander gedrängten Schiffen. Bord klemmte sich fast an Bord, dem flüchtigen Blick schien es unmöglich, Masten und Schornsteine noch in ihrem sicheren Zusammenhang mit den neben- und hintereinander liegenden Rümpfen festzustellen. Es war eine Wirrnis von Linien und Farben. Die Menschenansammlung in der hohlen Gasse des Piers zwischen dem „Barbarossa“ und dem „Prinzen Heinrich“ wartete voll Spannung auf den Augenblick, wo sich dieser in Bewegung setzen, und wie es ihm möglich werden solle, aus dem Gedränge sich herauszuarbeiten.
Renate und Emmich, Arm in Arm, sahen mit erhobenen Gesichtern hinauf zu der schwarzen Frauengestalt, die sich an die Reling des Hauptdecks lehnte. Über ihr auf dem Promenadendeck war ein unruhevolles Treiben. Da standen die Musikstewards bereit, den Augenblick der Abfahrt mit schmetternder Blechfanfare und patriotischen Weisen anzublasen. Da liefen Passagiere umher, die noch nicht sich zu orientieren vermocht hatten. Andere standen und winkten letzte Grüße hinab zu den Menschen auf dem Pier.
Jutta stand allein, denn das Hauptdeck war in diesen Minuten wenig belebt.
Emmich hatte sie dem Kapitän zu seiner besonderen Obhut anvertraut. Er fand in ihm einen Kameraden der Reserve, mit dem er, als sie beide Kapitänleutnants waren, im scharfen Dienst und bei fröhlichen Ausflügen sich famos verstanden hatte. Der joviale und ritterliche Mann würde schon alles tun, Jutta mit Herzlichkeit und Takt die Fahrt angenehm zu machen.
Gut aufgehoben war sie — da gab es keine Sorge ...
Aber die Last, die sie in ihrem Gemüt mit hinübernahm über den Ozean, die konnte ihr eben niemand tragen helfen ...
Sie hatte nicht geweint beim Abschied. Es schien Emmich sogar, als habe sie in der Art, ihr Haupt zu tragen, wieder ein wenig von der alten stolzen Haltung — es war immer so etwas Kühnes und Mutvolles darin gewesen. Und wahrlich, es gehörte Mut dazu, den Weg zu gehen.
„Glaubst du,“ flüsterte Renate, wie sie nun so standen und zu der einsamen Frau hinaufsahen, „glaubst du, daß sie sich wiederfinden?“
„Er ist gerecht und gütig,“ sagte Emmich zuversichtlich, „und sie ist vollkommen wahr — ja, das ist sie — sie wird ihm nichts — nichts verbergen — und sie würde nicht zu ihm gehen, wenn da was wäre, was sie verbergen müßte — dafür kenn’ ich sie denn doch ... Wie sollten sie sich nicht wiederfinden ...“
Renatens Mutter trat heran. Sie war fraulich und mütterlich sehr besorgt: eine so schöne, junge Frau und so allein und mit dem Kummer ... Und dann: wenn sie ihren Mann nun gar nicht mehr in Hongkong fände.
„Dann findet sie ihn anderswo ... Du glaubst nicht, Mama, wie klein die Erde ist ... ich hab’s ihm heute früh depeschiert — daß sie zu ihm kommt ...“
„Ach und wenn sie ihn findet — ob es wohl zu ihrem Glück ist? Du sagtest einmal: sie hat eine wandernde Seele — eine, die mit Sehnsucht vergiftet ist — eine von denen, für die es keine Erfüllung gibt.“
„Freilich hab’ ich das gesagt,“ gab der Geheimrat zu, „aber da hatte sie all das Schwere noch nicht erlitten — und und es gibt Seelen, die erst durch einige Narben zu rechter Festigkeit kommen — die erst im Schmerz lernen, was für ein Gut die Freude ist ...“
Er unterbrach sich. Ein heulender Ton — dreimal hintereinander — schnitt ihm und allen das Wort ab.
Und alle horchten diesen dunkeln Wehlauten nach. Sie hatten etwas Menschliches — trotz der mißtönigen Kraft ihres Schalles. Abschied, schrieen sie, Abschied.
Zugleich rührte sich das Schiff — ganz behutsam. —
Vorn, neben seinem Bug, hatte sich der grüne, plumpe, kleine Lotsendampfer angeseilt ... Der führte nun wie eine dicke, kleine, sorgliche Mutter den großen Adoptivsohn durch das Gewühl ...
Und oben vom Promenadendeck schwollen kräftige, metallische Töne, kriegerisch in ihrer Klangfarbe, ruhevoll in ihrem Rhythmus.
„Deutschland, Deutschland über alles ...“ Tücher wehten — flatternde Grüße — zum letzten Lebewohl ...
Die einsame Frau stand unbeweglich. Aber es war ihnen, die ihr mit nassen Augen nachsahen — als grüße ein letzter Blick der Liebe und der Dankbarkeit sie ...
Langsam glitt das Schiff weiter ... Das grüne Wasser des Hafens spielte an seinen weißen Planken entlang ...
Schwächer wurde der zitternde Klang der Blechmusik — man konnte die Melodie nicht mehr erkennen.
Und doch lag sie Emmich noch als Nachhall im Ohr.
„Deutschland — Deutschland über alles.“
Er dachte: „Sie hört es auch!“
Und das gab ihm gute Zuversicht, daß es zu ihr sprechen und ihr helfen werde — daß sie tapfer ihren Weg zurücklegen und ihren Gatten in Wahrheit wiederfinden werde. Er drückte den Arm seiner Braut fester an sich. „Komm.“
Der Geheimrat, um sich über seine Rührung fortzusetzen, hakte seine Frau ein und sagte: „Es wird mir klar — in unserer Ehe ist es zu prosaisch hergegangen. Wie denkst du darüber? Soll ich mal versuchen, ihr etwas romantischen Anreiz zu geben? Gelegenheit ließe sich ja am Ende ...“
„Ich bin durchaus zufrieden im Prosaischen,“ sagte sie lachend. Und dachte: „Na gottlob — sein Humor ist wieder da.“
Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger
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—„— Das Lebenslied. Roman. 43.-47. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Die vom Niederrhein. Roman. 36-40. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Der alten Sehnsucht Lied. Erzähl. 10.-12.Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
—„— Die Wiskottens. Roman. 76.-80. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Die Wiskottens. Roman. 50. Aufl. Mit Porträt | Geh. M. 6.—, Lnbd. M. 7.— |
—„— Das goldene Zeitalter. Roman. 7. u. 8. Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
Heyse, Paul, L’Arrabbiata. Novelle. 12. Aufl. | Geh. M. 1.20, Lnbd. M. 2.40 |
—„— L’Arrabbiata und andere Novellen. 10. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Das Ewigmenschliche. Erinnerungen a. e. Alltagsleben — Ein Familienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Die Geburt der Venus. 5. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— In der Geisterstunde. 4. Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
—„— Über allen Gipfeln. Roman. 10. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Das Haus „Zum ungläubigen Thomas“ und andere Novellen. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Kinder der Welt. Roman. 2 Bde. 26.-28. Aufl. | Geh. M. 4.80, Lnbd. M. 6.80 |
—„— Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Himmlische u. irdische Liebe u. a. Novellen. 2. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Neue Märchen. 4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Martha’s Briefe an Maria. 2. Aufl. | Geh. M. 1.—, Lnbd. M. 2.— |
—„— Melusine und andere Novellen. 5. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Merlin. Roman. 6. u. 7. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Ninon und andere Novellen. 4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 12. u. 13. Aufl. | Geh. M. 7.50, Lnbd. M. 10.— |
—„— Novellen vom Gardasee. 6. u. 7. Aufl. | Geh. M. 2.40, Lnbd. M. 3.40 |
—„— Meraner Novellen. 11. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Neue Novellen. 6. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Im Paradiese. Roman. 2 Bde. 14. u. 15. Aufl. | Geh. M. 4.80, Lnbd. M. 6.80 |
—„— Das Rätsel des Lebens. 4. Aufl. | Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.— |
—„— Der Roman der Stiftsdame. 13. u. 14. Aufl. | Geh. M. 2.40, Lnbd. M. 3.40 |
—„— Der Sohn seines Vaters u. a. Novellen. 3. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl. | Geh. M. 2.40, Lnbd. M. 3.40 |
—„— Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte. 5. u. 6. Aufl. | Geh. M. 2.40, Lnbd. M. 3.40 |
—„— Moralische Unmöglichkeiten u. a. Nov. 3. Aufl. | Geh. M. 4.50, Lnbd. M. 5.50 |
—„— Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Aus den Vorbergen. Novellen. | Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.— |
—„— Vroni und andere Novellen. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Xaverl und andere Novellen. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
Hillern, W. v., Der Gewaltigste. Roman. 4. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— ’s Reis am Weg. 3. Aufl. | Geh. M. 1.50, Lnbd. M. 2.50 |
—„— Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.— |
—„— Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Hobrecht, Max, Von der Ostgrenze. Novellen. | Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.20 |
Höcker, Paul Oskar, Väterchen. Roman. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Hofe, Ernst v., Sehnsucht. Roman. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Hoffmann, Hans, Bozener Märchen. 3. Aufl. | Lnbd. M. 3.50 |
—„— Ostseemärchen. 3. Aufl. | Lnbd. M. 4.— |
Holm, Adolf, Holsteinische Gewächse. | Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.— |
—„— Köst und Kinnerbeer — und sowat mehr. Zwei Erzählungen. | Lnbd. M. 2.40 |
Hopfen, Hans, Der letzte Hieb. 5. Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
Huch, Ricarda, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren. Roman. 11. u. 12. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
Jugenderinnerungen eines alten Mannes. s. Kügelgen | |
Junghans, Sophie, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
Kaiser, Isabelle, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
—„— Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
Keller, Gottfried, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände. 61.-70. Aufl. | |
Geh. M. 9.—, Lnbd. M. 11.40, Hlbfrzbd. M. 15.— | |
—„— Martin Salander. Roman. 39.-43. Aufl. | |
Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 3.80, Hlbfrzbd. M. 5.— | |
—„— Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 69.-73. Aufl. | |
Geh. M. 6.—, Lnbd. M. 7.60, Hlbfrzbd. M. 10.— | |
—„— Züricher Novellen. 63.-67. Aufl. | |
Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 3.80, Hlbfrzbd. M. 5.— | |
—„— Das Sinngedicht. Novellen — Sieben Legenden. 55.-60. Aufl. | |
Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 3.80, Hlbfrzbd. M. 5.— | |
—„— Sieben Legenden. Miniatur-Ausg. 7. Aufl. | Geh. M. 2.30, Lnbd. M. 3.— |
—„— Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. Miniatur-Ausg. 7. Aufl. | Geh. M. 2.30, Lnbd. M. 3.— |
Kossak, Marg., Krone des Lebens. Nord. Novellen. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Kügelgen, Wilhelm v., Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Original-Ausg. 26. u. 27. Aufl. | Geh. M. 1.80, Lnbd. M. 2.40 |
Kurz, Isolde, Unsere Carlotta. Erzählung. | Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.— |
—„— Italienische Erzählungen. | Lnbd. M. 5.50 |
—„— Frutti di Mare. Zwei Erzählungen. | Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.— |
—„— Genesung — Sein Todfeind — Gedankenschuld. Erzählungen. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Florentiner Novellen. 4. u. 5. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Phantasieen und Märchen. | Eleg. kart. M. 3.— |
—„— Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der Florentinischen Renaissance. 5. u. 6. Aufl. | Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.50 |
Lalstner, Ludwig, Novellen aus alter Zeit. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
Langmann, Philipp, Realistische Erzählungen. | Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.— |
—„— Leben und Musik. Roman. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Ein junger Mann von 1895 u. and. Novellen. | Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.— |
—„— Verflogene Rufe. Novellen. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
Lilienfein, Heinrich, Von den Frauen und einer Frau. Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl. | Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.— |
—„— Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
Lindau, Paul, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 Bände. 5. u. 6. Aufl. | Geh. M. 6.—, in 1 Lnbd. M. 7.50 |
—„— Arme Mädchen. Roman. 10. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Spitzen. Roman. 9. u. 10. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Der Zug nach dem Westen. Roman. 11. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
Mauthner, Fritz, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von „Lügenohr“ | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Meyer-Förster, Wilh., Eldena. Roman. 2. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Meyerhof-Hildeck, Leonie, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
—„— Töchter der Zeit. Münchner Roman. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Muellenbach, E. (Lenbach). Abseits. Erzählungen. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Aphrodite und andere Novellen. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Vom heißen Stein. Roman. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Niessen-Deiters, Leonore, Leute mit und ohne Frack. Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von Hans Deiters | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Im Liebesfalle. Buchschmuck von Hans Deiters | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Mitmenschen. Buchschmuck von Hans Deiters | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Olfers, Marie v., Neue Novellen. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Die Vernunftheirath und andere Novellen. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Petri, Julius, Pater peccavi! Roman. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Prel, Karl du, Das Kreuz am Ferner. 3. Aufl. | Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.— |
Proelß, Johs., Bilderstürmer! Roman. 2. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
Raberti, Rubert, Immaculata. Roman. 2 Bde. | Geh. M. 8.—, Lnbd. M. 10.— |
Redwitz, O. v., Hymen. Ein Roman. 5. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Haus Wartenberg. Roman. 7. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
Riehl, W. H., Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl. | Geh. M. 6.—, Lnbd. M. 7.— |
—„— Kulturgeschichtliche Novellen. 6. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Neues Novellenbuch. 3. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
Roquette, Otto, Das Buchstabierbuch der Leidenschaft. Roman. 2 Bände | Geh. M. 4.—, in 1 Lnbd. M. 5.— |
Saitschick, R., Aus der Tiefe. Ein Lebensbuch. | Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.— |
Seidel, Heinrich, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe. 8. Aufl. (41.-45. Tsd.) | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. Aufl. (4. u. 5. Tsd.) | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Heimatgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.) | Geb. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Heimatgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. Gesamt-Ausgabe. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande. 3 Bände. 9. Tsd. | Geh. je M. 3.—, Lnbd. je M. 4.— |
—„— Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. | Geh. je M. 3.—, Lnbd. je M. 4.— |
—„— Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse herausg. v. H. W. Seidel. 2. Tsd. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Skowronnek, R., Der Bruchhof. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Stegemann, Hermann, Der Gebieter. Roman. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
—„— Stille Wasser. Roman. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Stratz, Rudolph, Alt-Heidelberg, du Feine Roman einer Studentin. 11. u. 12. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Buch der Liebe. Sechs Novellen. 4. Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
—„— Die ewige Burg. Roman. 6. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Für Dich. Roman. 16.-20. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Ich harr’ des Glücks. Novellen. 5. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Gib mir die Hand. Roman. 10. u. 11. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Herzblut. Roman. 16.-18.Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Der du von dem Himmel bist. Roman. 6. u. 7. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Die thörichte Jungfrau. Roman. 5. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Der arme Konrad. Roman. 4. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Montblanc. Roman. 6. u. 7. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Du bist die Ruh’. Roman. 6.-8. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Der weiße Tod. Roman. 16.-18. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Es war ein Traum. Berl. Novellen. 5. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Die letzte Wahl. Roman. 4. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
Sudermann, Hermann, Es war. Roman. 47.-49. Aufl. | |
Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.—, Hlbfrzbd. M. 6.50 | |
—„— Geschwister. Zwei Novellen. 30.-34. Aufl. | |
Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50, Hlbfrzbd. M. 5.— | |
—„— Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl. | |
Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.—, Hlbfrzbd. M. 3.50 | |
—„— Der Katzensteg. Roman. 81.-85.Aufl. | |
Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50, Hlbfrzbd. M. 5.— | |
—„— Das Hohe Lied. Roman. 51.-55. Aufl. | |
Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.—, Hlbfrzbd. M. 7.— | |
—„— Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25.Aufl. | |
Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.—, Hlbfrzbd. M. 4.50 | |
—„— Frau Sorge. Roman. 126.-135. Aufl. Mit Jugendbildnis | |
Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50, Hlbfrzbd. M. 5.— | |
—„— Frau Sorge. Roman. 100. Aufl. Mit Porträt. Buchschmuck von J. V. Cissarz | Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.— |
—„— Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 35. u. 36. Aufl. | |
Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.—, Hlbfrzbd. M. 3.50 | |
Telmann, Konrad, Trinacria. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
Trojan, Johannes, Das Wustrower Königsschießen u. a. Humoresken. 2. u. 3. verm. Aufl. | Geh. M. 2.—, Lnbd. M. 3.— |
Vockeradt, Emma, Wanderer im Dunkeln. Roman. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Voß, Richard, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl. | Geh. M. 4.50, Lnbd. M. 5.50 |
—„— Römische Dorfgeschichten. 5. verm. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Du mein Italien! Aus meinem römischen Leben. 2. u. 3. Aufl. | Geh. M. 4.50, Lnbd. M. 5.50 |
—„— Richards Junge. (Der Schönheitssucher). Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 5.—, Lnbd. M. 6.— |
Widmann, J. V., Touristennovellen. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
Wilbrandt, Adolf, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 4.50, Lnbd. M. 5.50 |
—„— Adonis u. andere Geschichten. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Meister Amor. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Das lebende Bild u. a. Geschichten. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Dämonen u. andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Der Dornenweg. Roman. 4. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Erika — Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Fesseln. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Franz. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl. | Geb. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
—„— Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Irma. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Novellen. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— _Opus 23_ und andere Geschichten. 2. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Die Osterinsel. Roman. 5. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Vater Robinson. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Familie Roland. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Die Rothenburger. Roman. 8. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Der Sänger. Roman. 4. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Vater und Sohn u. andere Geschichten. 2. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Villa Maria. Roman. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Große Zeiten u. andere Geschichten. 3. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
Wildenbruch, E. v., Schwester-Seele. Roman. 18. u. 19. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
Worms, C., Aus roter Dämmerung. 2. Aufl. | Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
—„— Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Erdkinder. Roman. 4. Aufl. | Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50 |
—„— Die Stillen im Lande. Drei Erzähl. 2. Aufl. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |
—„— Thoms friert. Roman. 2. Aufl. | Geh. M. 4.—, Lnbd. M. 5.— |
—„— Überschwemmung. Eine balt. Gesch. 2. Aufl. | Geb. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50 |
Zimmermann, M. G., Tante Eulalia’s Romfahrt. | Geh. M. 3.—, Lnbd. M. 4.— |