The Project Gutenberg eBook of Rupertsweiler Leut

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Title : Rupertsweiler Leut

Author : Harriet Straub

Release date : March 23, 2023 [eBook #70355]

Language : German

Original publication : Germany: Georg Müller

Credits : The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RUPERTSWEILER LEUT ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1912 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; Dialektausdrücke wurden nicht korrigiert.

Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter der Übersichtlichkeit halber an den Anfang des Buches verschoben.

Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen in Antiquaschrift werden hier kursiv dargestellt.

Rupertsweiler Leut

Original-Einband

Rupertsweiler Leut

von

Harriet Straub

Verlagssignet

1912

München bei Georg Müller

Roßberg’sche Buchdruckerei, Leipzig

Inhalt

Seite
Der heilige Aloysius
Die Alt-Pfarrköchin
D’ Gertrude
Ein verdienstliches Werk
Die Lenebas
Die ehr- und tugendsame Jungfrau Euphrosyne
Das Gespenst
Die Leich’
Wortverzeichnis

[S. 1]

Der heilige Aloysius

I m Dörfchen Rupertsweiler herrscht reges Leben, seit ein paar Tagen schon fahren Wagen hochgepackt mit Tannenreisig aus dem nahen Wald und die würzig duftenden Zweige werden in großen Massen an der Kirche und den ansehnlichsten Häusern abgeladen. Und abends sitzen die jungen Mädchen auf den Bänken vor den Häusern und winden unter frommem Gesang meterlange Gewinde aus Tannenzweigen, während die kleinen Geschwister rote, weiße oder gelbe Papierblumen hineinbinden.

Fronleichnam steht vor der Tür, und wie jedes Jahr wetteifern alle, wer den schönsten Schmuck haben würde zur feierlichen Prozession. In den Häusern ist auch geschäftiges Treiben, die Heiligen werden unter den schützenden Florhüllen oder Glasstürzen hervorgeholt und wo’s nötig ist, die Kronen oder Heiligenscheine neu vergoldet, die Sockel mit Kränzen von leuchtend bunten Papierblumen umwunden. Öllämpchen oder [S. 2] gar Leuchter aus Glas oder Silberblech werden geputzt und gefüllt, um zu Ehren des Allerheiligsten angezündet zu werden, wenn die ganze Gemeinde, was nur laufen kann, mitzieht durch alle Straßen und bis an die äußerste Feldgrenze im Triumphzug des Heilands. Die Küfermarie ist eben fertig geworden mit ihrem letzten Gewinde und reinigt sich jetzt am Bächlein, das an ihrem Haus vorbeieilt, die harzigen Hände, bindet eine frische Schürze vor und geht quer über die Straße zum Kirchplatz, wo das Pfarrhaus steht. Die alte Haushälterin des Pfarrers, Fräulein Theres, öffnete auf ihr Klopfen und begrüßte die Küfern mit einem freundlichen: „Ihr wänn wieder der hl. Aloysius hole zum ziere, i han nen scho runtergeholt us em Gaschtzimmer.“ —

Das war altes Gewohnheitsrecht, daß der Pfarrer seinen Pfarrkindern von seinem Überfluß an Heiligenbildern und Statuen austeilte, und die Küfern, die so nah an der Kirche wohnte, hatte immer den Ehrgeiz gehabt ihre Fenster besonders stattlich auszuputzen, aber eine eigene Statue sich anzuschaffen, dazu hatte es nie gelangt. Der Mann hätte mit seinem Küferhandwerk [S. 3] schon ganz schön verdient in dem weinbautreibenden Dorfe, wenn er nur den Wein nicht gar so gern selber getrunken hätte. Jetzt, auf die freundliche Anrede der Pfarrköchin, stand die Frau verlegen und zupfte am Schürzenzipfel. „Nix für ungut!“ fing sie schließlich an, „aber wenn’s Euch recht wär, möcht’ i gern än andere Heilige, nit der hl. Aloysius.“ Die Pfarrköchin zog die Stirn in Falten: „Jo do komma ner a weng spot, mer hän scho alle hergä — i ha grad nur der hl. Aloysius für Euch ufg’hobe. — Ihr hänn en doch alli Jahr ghät.“ — „Scho, scho, freili,“ meinte zögernd die Küfern, „gar nix hän er meh? Nei, der hl. Aloysius nem i et, lieber stell i gar nix na.“ Trotzig klingt’s, und die Pfarrköchin, die eigentlich ungeduldig war, zu ihren Kränzen zurückzugehen, horchte neugierig auf: „Jo ä Kruzifix hätte mer scho no.“ „Dös han i selber,“ meinte brummig die Küferfrau, „dös hängt mer doch nit gern zum ziere naus am Fronleichnigstag, — a Tafla werdener doch no ha?“ fragt sie drängend, und da sie merkt, wie die Haushälterin eilig ist, setzt sie hinzu: „Wenn Ihr Müh dervo hänt, i ka warte, i bin fertig mit de Kränz, wenn Ihr wänn, kann i helfe kränzle, [S. 4] und derweil überlegt Ihr’s, ob Ihr nix andersch meh hän.“

Die Pfarrköchin, die alle Hände voll zu tun hatte, war froh um die angebotene Hilfe, und die beiden sitzen sich bald im Hof gegenüber unter einem Berg von Tannenzweigen, die noch kunstvoll auf Bretter genagelt werden mußten. Auf dem dunklen Tannengrün werden weiße Papierrosen befestigt, die die Namenszüge J. H. S. und auf zwei andern M(aria) und J(oseph) bilden sollen. Das Ganze wurde dann genau in die drei Frontfenster eingepaßt. Das hatte die Pfarrköchin in der Stadt gesehen und war sehr stolz auf diesen neuen Schmuck, und die Küferfrau war zuerst ganz stumm vor Bewunderung und Neid. „Nei, wo hän Ihr au nur immer die neue Ifäll här,“ sprudelte sie dann los, „do kann usereins sich heimgige lo, immer s’glich, amol rote un amol gäle Rose, aber susch“ — „Do derdrum wän Ihr der hl. Aloysius nimme?“ fragte die Pfarrköchin nun direkt. „Jo, do drum au,“ meint zögernd die Küfern, „aber nei, warum soll i denn lüage, i ha gar nit dra denkt, andersch z’ziere wie suscht — aber wissener — i ha ne Hühnle z’rupfe mit em hl. Aloysius, un [S. 5] do drum will i en nit ha zum ziere dös Jahr, nei wissener, der verdient’s bei Göscht nit,“ setzte sie in ausbrechendem Ärger hinzu. Die Pfarrköchin bekreuzt sich erschrocken, und die Küfermarie schlägt sich auf den Mund: „Gott verzeih mer d’Sünd — i schwätz halt alls, wie mer der Schnabel gwachse isch — jo, aber wenn i verzähl, wie’s mer gange isch — no werdet’s Ihr selber isehe — daß i Recht han. Ihr kenne jo der Karli — mei Ma — er wär ganz ordentli — i kann grad suscht nit kloge — bis ufs suffe — wen er Eine hät, no isch nimme mit em uszkomme. Im Frühjahr, wie n’i uf der Lindeberg gwallfahrtet ha, hän i halt au wieder do dra denkt, un ’s Weine isch mir ko, wenn i dra denkt ha, was i scho bett und bett ha bei nere jede Wallfahrt, un nie nit hät die lieb Mutter Gottes gholfe. Nei wissener, i hann mer jo gsait, daß dös a bsunderi Gnad wär, un daß i deß nit so verlange ka, i bin a arme sündige Mensch, aber i ha grad gmeint, unser lieber Herrgott könnt mer amol a anderi Buß uflege, ’s tragt si lichter, wenn mer amol wechsle ka — un wie n’i so gweint ha — hät mi a Nachbari, i ha se witers nit kennt, se war von der andere Site [S. 6] vom Berg z’Hus, die hät mi agschtoße und hät gmeint: ‚Ha jetzt, was weinener au so? Wenn’s Euch so ’s Herz abdruckt — i ha’s au amol so ghätt — i han dem hl. Aloysius a Noväne globet un a Kerze, un er hät mer gli gholfe. Hän Ihr dös scho amol tua?‘“ — „I hän mir gli denkt, dös isch a Wink vo der Mutter Gottes, si ka do au nit alles selber mache, mer tät jo ganz die andere liebe Heilige hinte dra setze, wenn sie alles mache wot, han i nit recht?“ Und die Pfarrköchin mit ihrer besseren Bildung bestätigte das, indem sie sagte: „Uf dere Welt isch’s ja au eso, der König und die Königin machet au nit alles selber, und jedes hät si Posta, mit sine bsundere Pflichte.“

„Freili jo,“ nickt die Küfern, die’s jetzt eilig hatte, ihr Herz gar vollends auszuschütten, „un wo’n i do scho sit Jahre der hl. Aloysius zum Ziere gno hä, ’s war jo zu dütli ä Wink. No natürli han i au uf der Schtell a Noväne globet un a Kerz, un weil i gar ä so sicher war, daß dös a Wink von der liebe Mutter Gottes war, hän i a silbernes Herz globet — i han’s erscht versproche, wenn mei Ma ganz ’s Sufe si glasse hät, sell isch wahr. — Jetzt höret no [S. 7] — i komm vo der Wallfahrt nach Hus, ame Suntig Obig isch ’s gsi — un wian’i daher komm, hockt der Karli bei Göscht uf em Bänkli vor der Tür. Wo ner doch soscht erscht am Montig in der Fruah usem Wirtshus komme isch.

‚Karli, fehlt der was?‘ hän i’n gfragt. ‚Nit, daß i wüßt,‘ sait er, ‚i ha nur kei Lust ghet i’s Wirtshus z’go,‘ sait er, ‚’s isch so friedli do z’hocke am Suntig Obig.‘ ‚O du gütiger, du süßer hl. Aloysius,‘ han i denkt, ‚dös isch dei mächtige Fürsprach, un glei morn fang i d’Andacht a.‘ Un so han i’s ghalte, un d’Kerz han i an sei Altar gschtiftet, er hät lang kei so große meh ghätt.

Un daß i’s kurz mach, a ganze Monet lang isch der Karli i kei Wirtshus meh ganga, un gschafft hät er im Hof mit de Fässer, daß es a wahri Freud war, un gsunge dabi luschtige Schelmeliedle, un i han nit gwußt, was i dem hl. Aloysius antua soll vor Freuda — jo un dann hätt der Karli au agfange lieb z’tua un mir z’schmeichle, wia i de erschte Woche, wie mer ghirot kha hän, un i ha mi grad gschämt, un Geld hät er mer gä — — do bin i in [S. 8] d’Stadt glaufe i meinere Freud un han dem hl. Aloysius a schön’s silberig’s Herz kauft, des gschenkt Geld vom Karli un mei ganz Gschparts han i hergä derfür — ’s wär nit nötig gsi — i ha’s erscht globet kha, wenn der Karli ganz gbessert gwese gsi wär, un i hätt guat no a Monet oder zwo zuwarte könne — aber i han mi halt so gfreut über die wirksam Fürsprach, jo und wian’i z’Hus komma bin, i bin schneller gsi als suscht, weil i au gar so a lichts Herz kha ha — do han i d’Bscherig gsehe.

Jetzt han i gwüßt, warum der Karli so gern ‚friedli‘ vor dere Hustür ghockt hät un nimmi ins Wirtshus hät wölle. Über der Zaun über hät er mit der nia Magd von’s Vogte scharmuziert, un i han wohl gsähe, daß dös nit zum erschtemal gsi isch, un von wege seim schlechte Gwisse isch er a so duckmäuserig gsi un hät mer flattieret, daß i nix merke soll. Z’erscht isch mir d’Wut über den Duckmäuser ko, ’vor er nur gwußt hät, daß i nen gsehne ha, han i em eis übergwischt, wo’n er dra denke wird, un d’Meinig han i em au gsagt, ihm un dem schlechte Mensch — die were nimmi viel Freud mitenander ha. Der Karli isch in seim Zorn natürli [S. 9] glei ins Wirtshus gloffe, un so bsoffe wia in dera Nacht isch er scho lang nimme gsi, un so goht’s jetzt widersch, ’s isch schier nimma mit em us’ko. — Jo seh’n er, sither han i grad a Zorn, wenn i a der hl. Aloysius denk — Gott verzeih mer d’Sünd, si nitägig Andacht un die großmächtig Kerz hät er gha, un’s silberig Herz han i em kauft, Gottlob han i’s no nit an der Altar ghängt — un ä so bhütet er mer mei Mann. So hän mer nit gwettet — zrucknehme kann i em d’Kerz un d’Andacht nimmi — aber in mei Hus kommt er mer nimme — sell weiß i.“ Zornig schlug sie den letzten Zweig auf das Brett fest und wischte sich dann energisch die Hände an der guten Schürze ab — die Pfarrers-Theres hatte sich auch erhoben und meinte bedächtig: „Hütet Euch der Sünd, Küfern, i mein alls, so derfet Er do nit spreche, — aber i ha mer’s durch de Kopf go lasse, i han no a Tafla vo der hl. Elisabeth, die hät au a Huskrüz ghätt mit ihrem zornmütige Ma, wänn Er die ha? Und wenn Er die vielleicht aruft — vielleicht hilft die ehnder no, die kennt si eher us mit so na Sache.“ Die Küfern zog erfreut mit ihrer Tafel ab, und als am andern Morgen die [S. 10] Prozession an ihrem Haus vorüberzog, nickte sie der hl. Elisabeth verständnisvoll zu: „Gelt, du hütsch mer mei Hus besser, ’s isch gfehlt, wenn mer sich uf d’Mannsbilder verlaßt, die halte alli zsamme, wenn’s gege us Wiber goht.“

[S. 11]

Die Alt-Pfarrköchin

„F räulein Elisabeth“ und die Lene hausten jetzt schon bald zwei Jahre zusammen im kleinsten Häuschen des Dörfchens, das zum Ausgeding der Lene gehörte. Beide waren aus dem Dorf Rupertsweiler gebürtig, beide hatten in einem Pfarrhof gedient. Die Lene als Magd, nur eigentlich mehr für den Viehstall angestellt, auswärts, draußen in der Ebene.

Fräulein Elisabeth war Pfarrköchin beim Vorgänger des jetzigen Dorfpfarrers bis zu dessen Tod.

Arm war die Pfarre gewesen, in der der Herr der Lene amtiert hatte, ihr Lohn war gering, und nach dem Tod des Geistlichen erhielt sie eine Rente von monatlich 15 Mark. Damit zog sie sich, 60 Jahre alt, in das Häuschen zurück, das ihr bei der Erbteilung der Geschwister als Ausgeding zugefallen war. Besser war’s ihrer Freundin Elisabeth gegangen.

Die Pfarre war aus Klosterzeiten noch reich [S. 12] dotiert, und als bald nach der Rückkunft der Lene auch der Dorfpfarrer starb, konnte Fräulein Elisabeth, so wurde sie in ihrer Würde als Pfarrköchin allgemein von den Dörflern angeredet, auf ein sorgenloses Alter rechnen; sie hatte nahe an 100 Mark im Monat zu verzehren. Sie zog zur Lene ins Häuschen, und da sie die Rüstigere war, mit ihren 52 Jahren, gesund und frisch, besorgte sie auch das kleine Gärtchen, worin wuchs, was sie zum Lebensunterhalt brauchten. Und sie behielt die Kirchenwäsche auch unter dem Nachfolger ihres Herrn in ihrer Pflege, das gab ihr außer der Ehre auch noch ein ganz nettes Sümmchen im Monat. Die neue Pfarrköchin konnte überhaupt gegen die „Fräulein Elisabeth“ nicht aufkommen. Das Zieren der Altäre an den Festtagen, keine verstand so wie sie immer neue künstliche Blumenformen zu erfinden aus Wachs und Stoff, die Ausschmückung der Straßen und Brunnen bei den öffentlichen Prozessionen, alles gedieh nur unter ihrer Oberaufsicht, davon war Fräulein Elisabeth überzeugt, und der Pfarrer und die Dörfler fügten sich der Ansicht. Und der alte Meßner, der eigentlich lieber seinem Schneiderhandwerk nachging, war erst recht damit einverstanden, [S. 13] daß ihm nur die Dienste blieben, die eben von Frauen nicht versehen werden durften. Nur die neue Pfarrköchin wollte nicht in die Lage der Dinge sich fügen, bis jetzt stand sie aber allein mit ihrer Meinung, und was sie auch nur vorgeschlagen hatte, war immer zum Übel ausgefallen. Einmal hatte sie’s durchgesetzt, daß zur Auferstehungsfeier Öllämpchen aufgestellt worden waren ums heilige Grab herum, statt der Wachskerzchen, die Fräulein Elisabeth immer angebracht hatte. Bevor aber die Prozession am heiligen Grabe angekommen war, fingen die Lämpchen an fürchterlich zu prusten und zu spritzen, und die Flämmchen erloschen jämmerlich im Wasser. „Ja die Fräulein Martha kennt eben unsere Verhältnisse noch nicht,“ meinte mit betrübtem Kopfschütteln Fräulein Elisabeth, die mit den Dörflern gern hochdeutsch sprach, „die hat halt denkt, es geht so geschwind, wie in der Stadt, und da hat sie halt mit dem Öl sparen wollen, sie isch überhaupt arg tüchtig und sparsam.“ Die Fräulein Martha schwor hoch und teuer, daß sie genug Öl eingefüllt habe, um die ganze Nacht zu reichen; gegen die Tatsache, daß die Lämpchen ausgegangen waren, konnte sie [S. 14] nicht ankämpfen, und die Dörfler spotteten und schimpften, und der Fräulein Martha Behauptung, daß Fräulein Elisabeth Wasser nachgegossen habe, heimlich, wurde von den wenigsten geglaubt. Und als nun gar am Fronleichnamstag die Stufe des Altars am Pfarrhaus, den die Neue allein hergerichtet hatte, unter dem Pfarrer einbrach, als er die Monstranz aufstellen wollte, da wurde sie selber verzagt und tat lange Zeit nichts mehr ohne den Rat ihrer erfahrenen Vorgängerin. Und so hätte die Fräulein Elisabeth ganz glücklich leben können als Alt-Pfarrköchin, wenn sie nur mit der Lene besser ausgekommen wäre. Sie war doch eigentlich aus „purer Gutmütigkeit“ in das kleine Häuschen zur Lene gezogen, weil „der arme Tschole“ sonst so ganz verlassen gewesen wäre; mit den paar Pfennigen hätte sie ja doch nicht leben können, nur durch ihren Beitrag zum Haushalt ging die Sache einigermaßen, und sie besorgte doch den Garten — die Setzlinge bekam sie überall her geschenkt — so hatten sie Gemüse in Hülle und Fülle. Aber die Lene wollte auch wieder nicht recht einsehen, daß es ohne Fräulein Elisabeth nicht gegangen wäre, sondern tat ganz so, als [S. 15] wäre die Fräulein Elisabeth nicht die „Öberschte“ des Dörfchens, gleich nach dem geistlichen Herrn. „Du bisch doch lang gnua Pfarrköchin gsi, i mein alls, du könnsch jetz au der Fräuli Martha Platz gä,“ wiederholte sie immer wieder, wenn sie hörte, wie Fräulein Elisabeth mit dem Meßner beratschlagte über die „äußeren Kirchenangelegenheiten“. „Was hätsch au du gsait, wenn di Vorgängeri grad so gsi wär un di nit dra glosse hätt,“ fragte sie ärgerlich. Aber Fräulein Elisabeth fuhr auf und meinte in ihrer explosiven Art: „I tua’s doch zur größeren Ehre Gottes, weil d’Fräulein Martha ja alles hintere für macht, meinsch denn i hätt nit gern mi Ruah! I han lang gnua gschafft, i tät gern usruha, aber sie verschtoht jo nint, wenn i’s nit mach, glingt jo nix wie’s si soll, denk doch nur an die Blamage mit de Öllämpli. I müßt mi ja vor unserem Herrgott und de liebe Heilige schämme.“ — Und es schlug dem Faß den Boden aus, als die Lene nach einer solchen Rede einmal zur Antwort brummte: „I mein alls, dini Kerzli hätte au nit brennt, wenn mer sie vorher ins Wasser tunkt hätt.“ Danach sprachen die Beiden überhaupt nicht mehr miteinander, außer wenn [S. 16] Besuch da war, denn nach außen ließen sie sich nichts merken, das waren sie ihrer Stellung schuldig. Nur ein Gemeinsames gab’s noch, das sie immer wieder zusammenführte: ihre Furcht vor Gewittern. Die Lene fürchtete sich einfach, schlicht und recht wie ein frommes Kind, sie zündete ihre geweihte Wachskerze an bei jedem Gewitter, schloß Tür und Läden und betete den Rosenkranz. Fräulein Elisabeth war aber zu ihrem Unglück gebildet. Sie hatte einmal eine Abhandlung über Gewitter gelesen, und da war ihr hängen geblieben, daß „ein Gewitter am liebsten in einen feindlichen Pol schlägt“. Und in der populären Abhandlung war das so schön verdeutlicht worden, daß Fräulein Elisabeth ganz genau wußte: „Feindschaft zieht Gewitter an“. Und da das mit dem, was ihr ihr Gewissen sagte, vom Zorn Gottes gegen Menschen, die in Feindschaft leben, so gar genau übereinstimmte, vermehrte ihr „Wissen“ nur noch ihre Angst. Wenn Gewitterwolken aufstiegen, wurde die kleine lebhafte Person noch unruhiger und fahriger als sonst und hantierte mit fieberhaftem Fleiß im Haus herum. Beim ersten Donner zieht sie sich aber in ihr Schlafzimmer zurück, zündet auch die [S. 17] geweihte Wachskerze an und holt den Rosenkranz aus der Tasche; aber lang hält sie’s nicht allein im Zimmer aus. Sie klopft an das Schlafkämmerchen der Lene und tritt zögernd auf das „Herein“ mit ihrer Wachskerze über die Schwelle. „Lene, hänn Ihr was gege mi uf em Herze?“ ist ihre erste Frage. Die Lene läßt sich im Beten nicht stören, sie schüttelt nur mit dem Kopfe. „I mein alls, mer wänn zsamme bete,“ sagt Fräulein Elisabeth. Die Lene betet ruhig weiter. Beim Absatz angelangt, sagt sie: „Stoh it so an der Türe, hock di abi.“ Fräulein Elisabeth setzt sich dicht neben die Lene auf die schmale Ofenbank im Zimmerwinkel. „I bin am zweite Gsätzli vum Schmerzhafte,“ sagt sie dann auffordernd. Trocken erwidert die Lene: „Wenn de mit bette willsch, i bi am vierte vum Trostreiche.“ Fräulein Elisabeth gibt es einen Ruck, aber ein neuer Donner macht sie gefügig, und sie spricht das Gesetzle mit der Lene weiter. Der erste Rosenkranz ist zu Ende, aber das Gewitter dauert fort. „Waisch Lene, wenn i alls so a weng heftig bin, i mein’s nie nit bös; gell mer wänn üs vertrage wieder,“ fängt Fräulein Elisabeth nochmal an auf die Lene einzureden. [S. 18] Die nickt und meint: „I ha nix gegen di, ’s isch mer recht, wem mer üs vertrage.“ Mit erleichtertem Herzen fängt Fräulein Elisabeth nun den Schmerzhaften an, und die Lene gibt die Antwort. Und so beten sie in schöner Eintracht weiter, bis das Gewitter ausgetobt hat oder fortgezogen ist, und zwei, drei Tage lang herrscht dann noch im kleinen Häuschen Friede und Verträglichkeit.

Gewöhnlich ist der Meßner der Störenfried. Ist’s alte Gewohnheit oder Freigebigkeit von Fräulein Elisabeth, oder traut er wirklich der neuen Pfarrköchin keinen Sinn für Kirchenangelegenheiten zu, er kommt nach wie vor mit seinen Anliegen zu Fräulein Elisabeth. Trifft er zufällig die Lene allein in dem Häuschen an, so schickt ihn die gewöhnlich fort mit einem: „Gehnt doch zur Fräuli Martha, die verschtoht des grad so guat.“ Erfährt das Fräulein Elisabeth, so droht sie der armen Lene mit allen Strafen der Hölle. „Du waisch, was des für a Sünd isch, wenn mer jemand verhindert, a guts Werk z’tu. Wenn i unserm Herrgott z’Ehre mich abschaff, wo doch suscht er grad in Unehre kumme tät, mit dere ungeschickte Trine, i wüßt [S. 19] nit, was für a Straf groß gnug wär für die, die des verdienschtlich Werk hindere wolle.“ Aber die Lene blieb verstockt: „Blos nit, was di nit brennt, hätt mer mei Mutter immer gsait un wenn’s d’Fraile Martha nit recht macht, muß sie des mit unserem Herrgott ausmache, aber di Sach isch des jetzt amol nimmi, un doderbi blieb i.“ Das war Anfang und Ende ihrer Rede, und Fräulein Elisabeth gab es auf, sie zu bekehren.

Nun nahte aber dem kleinen Dörfchen ein Ereignis: zum erstenmal wieder seit 18 Jahren sollte eine Primiz gefeiert werden. Ein Rupertsweiler Kind war zum Priester geweiht worden und wollte seine erste heilige Messe in der Kirche seiner Heimat feiern. Er war der Sohn vermöglicher Bauern, und so freute sich das ganze Dorf, galt es doch nicht nur den geistlichen Segen, den die erste heilige Messe eines Neupriesters allen Anwesenden und dem ganzen Dorfe bringt; man wußte, daß auch die irdische Freude zu ihrem Recht kommen würde. Festessen, Ständchen und was noch alles stand zu erwarten. Fräulein Elisabeth triumphierte. Die letzte heilige Primiz war unter ihrer Leitung [S. 20] glänzend verlaufen, und ohne sie würde es auch diesmal einfach nicht zu machen sein. Fräulein Martha hatte sie auch wirklich um Rat gefragt wegen der „geistlichen Braut“ des Neupriesters, und von da an schlug Fräulein Elisabeth ihr Hauptquartier im Pfarrhof auf und herrschte und regierte wie zu ihrer Glanzzeit. Die Länge und Anzahl der Kranzgewinde, die Breite und Höhe der Triumphbogen, durch die der Neupriester vom Elternhause nach der Kirche schreiten sollte, die Inschriften aus der Bibel in der Kirche und an den Bögen, die wählte sie mit besonders feinen persönlichen Anspielungen, alles bestimmte sie, die Musikstücke auf dem Zug zur Kirche und beim Ständchen sogar diktierte sie dem Leiter der Dorfkapelle. Das Kissen, auf dem die geistliche Braut des Neupriesters den Myrtenkranz tragen sollte, nähte Fräulein Elisabeth aus weißem Atlas mit schönen Spitzen, und das Kränzchen besorgte sie in der nahen Stadt, und der geistlichen Braut, einem zehnjährigen Mädele, zeigte sie mit unermüdlicher Geduld, wie sie in ihrem weißen Kleidchen vor dem Priester herschreiten sollte, wie sie das Kissen mit dem Kränzchen tragen sollte, das ja nicht herunterfallen [S. 21] dürfte: „Das wär a gar a böses Zeichen für die Reinheit vom hochwürdige Herr Neupriester, aber dodervon verstehst du nix“; und wie und wo sie während der Feier am Altar stehen mußte. Nur über das Zieren des Altars, an dem der Neupriester zelebrieren sollte, brach eine Meinungsverschiedenheit aus. Im Pfarrgarten blühten Hunderte von prächtigen weißen Lilien, und Fräulein Martha, die ein poetisches Gemüt war, meinte, einen schöneren Schmuck als Lilien, das Sinnbild der Reinheit und Unschuld, könnte man nicht finden, und viel schöner als künstliche Blumen würden diese Lilien wirken. Fräulein Elisabeth, die „fürs Symbolische“ war, beharrte aber bei ihrem Plan, den Altar mit Weinreben zu schmücken. „Die Traube ghöre zum Meßopfer, die hän a gar a bsondere geheimnisvolle Bedeutung, und unser Heiland spricht nie von de Arbeiter im Blumengarte mit Lilie, aber von de Arbeiter im Weinberg des Herrn, un ’s letschtemal hän i au Weintrube gnomme, und unser seliger Herr hät in der Festpredigt vom ‚geistliche Weinstock‘ predigt, un dös war gar arg schön und rührend. Von dene Lilie wüßt i nix z’sage, ’s stoht grad nur: [S. 22] ‚Sie säen nicht und ernten nicht, und unser Vater ernährt sie doch‘, un i mein alls, so brucht der jung hochwürdig Herr keiner z’werde, ’s isch besser, er hat der Weinstock vor Auge, der erquickt der Menschen Herz. Und außerdem hän mer nachher alli Kopfschmerze von dem strenge Gschmack von dene Lilie.“ Aber Fräulein Martha ergab sich den schönen Gründen nicht: „Vo wege dem Gschmack kan mer ja d’Staubfäde rauspfetze, no schmeckt mer ga nit meh, un wenn der hochwürdige Herr Neupriester si Lebtig Lilie vor Auge hät un so rein und unschuldig lebt, wie die Blumen auf dem Felde, so wird unser Herrgott au z’friede sei, un i mein alls, mer sotte doch d’Lilie nä.“ „Wenn Ihr alls besser mache wollt, nu so machet’s halt,“ fuhr Fräulein Elisabeth auf. Sie schüttelt die Tannenreisig vom Kränzeln von sich ab, holt ihr Kopftuch und bindet es scheinbar gelassen um: „Also da bin i ja überflüssig, i wasch mei Händ in Unschuld. Ihr wisset ja viel besser wie ich, wie a Primiz gefeiert werden muß, machet au alles recht schön. B’hüt Gott beieinander.“ Und bevor die verblüffte Pfarrköchin viel sagen konnte, war sie zur Tür draußen und eilte zum Meßner. Bei [S. 23] diesem ihrem vertrauten Freund, der in ihr immer noch so etwas wie die rechtmäßig regierende Pfarrköchin sah, weinte sie erst ihre Kränkung recht aus, und der bestärkte sie nur in ihrer Meinung: „Die Fräule Marthe hät halt au gar kei Sinn fürs christliche Symbolium, he jo, für ä Erstkommunion, do ka mer minswege Liliä näme, aber für ä Priester, do sin doch Weirebe halt au viel beditungsvoller.“ „Un krank werde mer alli werde von dem starke Gschmack. Aber des gschieht ere recht, dere eigensinnige Person der,“ schürte Fräulein Elisabeth weiter, „lasset nur alli Fenschter zua; so a schöne Tag, der Ehretag vum ganzen Dorf, a so verderben mit dem sündhafte Eigesinn! Wenn nur a paar ohnmächtig wäre täte, des tät ere grad recht gschäh, i kann’s nit ändere, wenn mi nur unser Herrgott nit stroft, daß i des gschehe laß — aber i kann’s nit ändere. ’s gäb grad Unfriede un Skandal fürs ganz Dorf, zugredet han i ere in christlicher Lieb grad gnug, i han mi so schon verdemütigt gnua, daß i ganzi Täg unter ihrem Bfehl im Pfarrhaus garbeitet ha, i han’s halt im liebe Heiland aufgopfert, aber jetzt muß i’s halt go lo, wie’s goht. Ihr were [S. 24] sehne, ’s gibt a Unglück — aber i wasch mei Händ in Unschuld — aber wie gsagt, sorget derfür, daß Türe und d’Fenschter zua sin, wenn’s a paare so recht schlecht wäre tät von dem starken Gschmack, vielleicht sicht sie dann ehnder ei, wie Unrecht sie ghabt hat, so eigensinnig z’si un mir grad in allem z’wider z’handle. ’s isch jo grad a guats Werk, wenn mer dere verstockte Person zur Einsicht verhilft.“ Und der Küster meinte: „Jo grad a guats Werk tuat mer,“ und versprach dafür zu sorgen, daß alles schön geschlossen sei. Fräulein Elisabeth ging nun zur Lene ins Häuschen, zog Hut und Jacke an und marschierte, ohne eine weitere Erklärung abzugeben als: „I han no ebbes für d’Primiz z’bsorge“, nach der nahen Stadt. Als sie zurückkam, zeigte sie ihren Einkauf nicht, sondern schloß das kleine Paket in die Schublade ihres Sekretärs, ein Erbstück von ihrem Pfarrer, in dem sie ihre Sparkassenbücher und Papiere aufbewahrte. — Am Tag darauf, am Vortag der Feier, schickte Fräulein Martha wiederholt nach Fräulein Elisabeth. Da bis jetzt alles durch ihre Hände gegangen war, fehlte sie jetzt wirklich an allen Ecken und Enden. Beim dritten Boten ließ sie sich auch erbitten und gab [S. 25] alle gewünschte Auskunft, ging auch in den Pfarrhof und half die Lilien abschneiden und in die Vasen richten auf dem Altar. Niemand merkte ihr ihren Groll an, nur daß sie bei jeder, auch der unbedeutendsten, Handreichung erst fragte: „Wänn Ihr’s au so habe? Isch’s Euch so recht, Fräulein Martha?“ wirkte etwas beängstigend auf die Zuhörer. Der Abend kam heran, der Neupriester hatte vom „Trippel“ seines Vaterhauses aus gedankt für das Ständchen, das die Dorfmusikanten ihm gebracht. Hatte allen und jedem, der danach verlangt, die Hand gedrückt und den scheu-vertraulichen Gruß mancher früheren Spielgenossin mit priesterlicher Würde erwidert. Allmählich kam das Dörfchen zur Ruhe in Erwartung des morgigen Festes. Kaum hatte früh die Betglocke geläutet und die ersten Böllerschüsse waren gelöst worden, eilte Fräulein Elisabeth in die Kirche, noch einen letzten Blick auf den Altar zu werfen, ob auch nichts fehle. Zu Hause hatte sie das kleine Paket aus dem Sekretär geholt, es ausgewickelt und drei Fläschchen daraus entnommen, die sie in ihre Tasche versenkte. In der Kirche ging sie zunächst hinter den Hochaltar. Sie mußte wohl [S. 26] an den Vasen noch etwas geordnet haben; auf dem Fußboden um den Altar und auf dem Teppich davor waren feuchte Flecke zu sehen. Auch die Lehnstühle für den Neupriester und den assistierenden Priester befühlte sie noch sorgfältig, und am Betschemel fand sie auch noch etwas zu wischen und zurechtzurücken. Dann ging sie noch die mit rotem Tuch behangenen Bänke entlang, die für die Eltern und Verwandten des Neupriesters aufgestellt waren, und nun schien sie befriedigt zu sein mit ihrem Werk, mit einem so freudigen Gesicht hob sie ihre Nase in die Luft und atmete den üppigen Geruch der Lilien ein. Sie hatte sich entschieden damit ausgesöhnt, warum hätte sie sonst so glücklich gelacht? Merkwürdig war’s, wie der Geruch von Minute zu Minute stärker zu werden schien, nicht nur nach Lilien, nach allen möglichen und unmöglichen Blumen schien es zu duften. Recht mit Wohlbehagen sog Fräulein Elisabeth die Luft ein.

Nun dröhnten die zweiten Böllerschüsse, und die Glocken fingen an zu läuten. Fräulein Elisabeth verschwand mit einem eiligen Knix vor dem Tabernakel aus der Kirche. Gleich würden jetzt [S. 27] die ersten Kirchgänger kommen. Jetzt ging der Pfarrer aus dem Pfarrhaus fort, um den Neupriester aus dem Elternhaus abzuholen. Draußen vor der Kirche verwandelte sich das freudige Gesicht von Fräulein Elisabeth zu einem scheu ängstlichen. Es war ein schwüler Augustmorgen, noch ziemlich klar in der Höhe; aber am Horizont ballten sich schwere weiße Wolken zusammen. „Wenn die no lang so fortlüte und böllere, ziehe se uns noch ’s schönst Gewitter her,“ murmelte sie vor sich hin, mit einem ärgerlichen Blick nach der nahen Halde, wo die Mörser aufgestellt waren. Sie eilte nach Hause, ihren Sonntagsstaat zu vervollständigen, und fand zu ihrer Überraschung die Lene im Werktagskleid auf der Ofenbank. „’s wird jo gli z’sammenlütte, bisch no nit fertig?“ fragte sie erstaunt. Die Lene stöhnte: „’s reißt mer wieder in alle Glieder, i mein alls, i kann’s nit vermache, in d’Kirche z’go, ’s muß hit no ä Gwitter gä, i spür’s.“ — „Geh, schwätz nit,“ fuhr Fräulein Elisabeth auf, „wo wird’s denn hit ä Gwitter gä, ’s isch jo blaue Himmel, un überhaupt, unser Herrgott wird doch ä Primiz nit verderbe lo mit eme Gwitter,“ beruhigte sie mehr sich als die Lene. Die beharrte: [S. 28] „So Riße han i immer, wenn’s ä Gwitter git,“ und brachte die arme Fräulein Elisabeth zur höchsten Unruhe mit dieser Starrköpfigkeit. Sie lief schnell nochmal ins Gärtchen, von wo aus sie die Horizontlinie im Westen sehen konnte, und, war’s nun Einbildung, oder ballten sich da wirklich die Wolken schon dunkler und höher als vorhin? Aufgeregt lief sie ins Haus zurück und holte die geweihte Wachskerze hervor. Da dröhnten von neuem die Böllerschüsse durchs Tal, und bei jedem Knall fuhr Fräulein Elisabeth zusammen und ballte die Fäuste vor Zorn. Jetzt setzte sich der Zug in Bewegung, gleich würde der junge Geistliche vor dem Altar stehen. Und wenn er nun krank würde von dem starken Geruch — der Lilien? Ein Blick nach dem blauen Himmel über ihr gab ihr Mut: „Waisch Lene, wenn’s hit ä Gwitter gäb — oder suscht was passiert — grad ’s Fräule Martha wär schuld.“ — Die Lene sah ihre Freundin scharf an. „Häsch wider emol ä schlechts Gwisse?“ fragte sie. — „Jetzt nei, mit dir isch nimmi z’rede,“ ereiferte sich Fräulein Elisabeth, „i sag der doch grad, i möcht hit nit des schlecht Gwisse vu der Fräule Martha ha.“ „He jo, grad,“ antwortete [S. 29] gelassen die Lene, „aber ’s isch Zit in d’Kirch,“ setzt sie noch hinzu und beobachtet gespannt die Miene von Fräulein Elisabeth. Die zögert, und zwischen Tür und Fenster sucht ihr Blick ängstlich fragend den Himmel. „Bruchst nit der Himmel so az’luage, mei Reiße kenn i,“ sagt die Lene ein klein wenig boshaft, „hit git’s a Gwitter, sell isch sicher.“ Fräulein Elisabeth wirft einen wütenden Blick auf die Lene, nimmt Gebetbuch und Rosenkranz und eilt aus dem Häuschen mit einem knappen: „B’hüt di Gott derweil.“ „Bet au für mi“, ruft die Lene noch nach, und dann schmunzelt sie vergnügt vor sich hin und vergißt ihr Reißen. „I mein alls, die fürcht hit unsere Herrgott wieder ä mol extrig“, meint sie. Fräulein Elisabeth kommt richtig zu spät, der Zug ist schon in der Kirche, eine betäubende Duftwolke schlägt ihr entgegen. Sie bleibt zunächst unter der Empore stehen, sie mag sich nicht durchdrängen zu ihrem gewohnten Sitz in den ersten Reihen, aber die Dörfler machen ihr wie immer so bereitwillig Platz, daß sie gegen ihren Willen doch nach vorne mehr geschoben wird, als daß sie eigentlich ginge. So steht sie an der vierten Bank, der Platz neben [S. 30] Fräulein Martha ist leer. Niemand hatte gewagt, trotz der Überfüllung, ihr den wegzunehmen. Sie kniet nieder, macht mechanisch das Kreuzzeichen, und dann wischt sie sich den Schweiß von der Stirne, es ist unerträglich schwüle Luft in der Kirche. Nun schaut sie nach dem Altar. Der Neupriester fährt sich eben auch mit dem Taschentuch übers Gesicht. „Grad grün sieht er aus“, konstatiert sie innerlich. Aber behaglich ist ihr nicht zumute, ein Blick auf ihre Nachbarin, die auch sichtlich unruhig ist, frischt sie wieder ein wenig auf. Sie kann nicht widerstehen, sie muß ihr zuflüstern: „Ein wenig schmeckt mer d’Lilie doch no.“ Das arme Fräulein Martha ist viel zu unglücklich, um zu protestieren. „Hätt i nur auf Sie ghorcht“, flüstert sie zurück. Gar keine Freude macht dies Zugeständnis dem Fräulein Elisabeth. Verstocktheit, über die sie sich so recht hätte ärgern können, wär ihr lieber gewesen. Eifrig schlägt sie in ihrem Gebetbuch nach, und in bunter Hast liest sie die Gebete: „Für unsere Feinde.“ „Bei einem Gewitter.“ Fast unbeachtet gehen die Zeremonien am Altar an ihr vorüber. Immer wieder studiert sie die Gesichter der Nebensitzenden [S. 31] mit ängstlichen Augen, und dann sucht sie am gegenüberliegenden Fenster das blaue Stückchen Himmel, das von ihrem Platz zu sehen ist. Jetzt besteigt der Domherr aus der Stadt, der dem jungen Mitbruder die Festrede halten will, die Kanzel. Ihr summt’s und brummt’s vor den Ohren, und die Böllerschüsse, die nun die Verlesung des Evangeliums verkünden, jagen ihr neue Schrecken ein. Jetzt geht hinter ihr eine unruhige Bewegung durch die Menge. Eine Frau ist ohnmächtig geworden und muß hinausgetragen werden. Fräulein Martha fängt an zu weinen und greift verstohlen nach der Hand von Fräulein Elisabeth, die flüstert fast zärtlich zurück: „Des isch d’Ufregung un d’Hitz, bildet Euch doch nix ei.“ — Der Geistliche hat eine kleine Pause gemacht, bis alles wieder ruhig ist, und nun spricht er weiter von den erhabenen Pflichten eines Priesters, der ein Bote der Liebe und der Versöhnung sein soll auf dieser Erde, ein geistiger Leiter für seine Schäflein auf dem Wege zum Himmel. Fräulein Elisabeth hört die Worte kaum, denn das Stücklein blauer Himmel, das ihr Trost war bis jetzt, ist verschwunden, grau und dräuend [S. 32] steht eine Wolke hinter der hohen Scheibe. „Wenn jetzt a Gwitter kommt“, fährt ihr durch den Sinn, „un in dere heiße Kirche, bei dere Luft, ’s muß ja eischlage. Wenn der Meßner doch a einzigs mal herschaue wollt, daß i em winke könnt, er soll Türe und Fenster ufmache.“ „Wenn’s doch nur scho vorbi wär“, seufzt Fräulein Martha neben ihr. Im selben Moment rollt ein ferner Donner durch die Kirche. „Jesses, Maria und Joseph!“ entfährt es fast laut Fräulein Elisabeth, und sie bekreuzt sich. Der Prediger ist zu Ende und erteilt seinem neuen Amtsbruder und der Gemeinde den Segen. Alles kniet nieder, und Fräulein Elisabeth flüstert voll Hast ihrer Nachbarin zu: „I bin jo an allem Schuld! Ihr hän do nix uf em Herze gege mi? Gell it? Betet au für mi.“ Fräulein Martha ist viel zu verstört selbst, um die Anklage recht zu fassen, sie drückt nur ihrer Nachbarin die Hand und meint: „Jo, mer wänn bete für enander.“ Endlich kommt der Meßner mit dem Klingelbeutel an ihre Bank, und Fräulein Elisabeth winkt ihm und flüstert ihm zu: „Machet doch au d’Fenster und d’Türe uf, mer verstickt ja.“ Der schaut sie erstaunt an, nickt [S. 33] aber dann bedächtig, zwinkert mit den Augen und meint: „Jo, der Pfarrer het’s au scho gsait, i han’s aber nit tan.“ Fräulein Elisabeth flüstert dringender noch: „Machet ja alles uf, was ufgoht, i bitt Euch.“ Und so geschieht’s auch, und alle atmen erleichtert in dem frischen Luftzug auf, und mit glockenheller Stimme intoniert der Neupriester am Altar das Gloria, und befreit stimmt die Gemeinde mit ein. Alles verläuft schön und würdig, und als die Feier zu Ende ist, stehen die alte und die neue Pfarrköchin noch lange vor der Kirchentüre und beglückwünschen sich gegenseitig, wie schön alles gegangen wäre. Fräulein Elisabeth läuft vor dem Festessen, an dem sie natürlich teilnehmen will, schnell noch mal nach Hause, zu sehen, wie’s der Lene geht. Und auf deren Frage, wie’s denn gewesen wäre, meint sie: „Waisch, Lene, eis hab i mer vorgnomme hit, i will nie nix meh mit sone Sache z’tun ha. D’Verantwortig isch z’groß, s’Fräule Martha hät mi grad duert, wie die zittert un bebt hätt, wie’s einere ohnmächtig wore isch, von wegen dem starke Gschmack vu de Lilie, nei des möcht i nit uf mim Gwisse ha. I bi froh, daß i mei Ruah hab un loß gwiß [S. 34] d’Finger davo — des han i mir globet.“ — „Jo, bis zum nächste Mol“, meinte halblaut die Lene. Aber die Fräulein Elisabeth hörte es nicht, weil sie grad drei leere Fläschchen in die hinterste Sekretärschublade verschloß.

[S. 35]

D’ Gertrude

G ertrud war ein uneheliches Kind; recht und schlecht schlug sie sich durchs Leben in der Spinnerei, die im ehemaligen Kloster Rupertsweiler eingerichtet war. Als der alte Fabrikant starb, der wie ein Vater mit all seinen Arbeitern stand und die Gertrud immer besonders bevorzugt hatte — 37 Jahre hatte sie fleißig und ehrlich in seiner Fabrik gearbeitet — fanden sich alle Arbeiter im Testament bedacht. Auch die Gertrud hatte ein kleines Legat erhalten, und die Möbel aus dem alten Bureau des Herrn, das sie immer selbst in Ordnung gehalten hatte, schenkte ihr die Witwe des Fabrikanten noch dazu. Ein Tisch, ein Schreibpult, zwei Stühle und ein bequemer Fauteuil wurden ihr Eigentum. Die Fabrik wurde zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt, und die Gertrud nahm ihre Entlassung. Sie hatte mit ihren 50 Jahren nicht Lust, sich an andere Verhältnisse zu gewöhnen und sah jetzt [S. 36] die Möglichkeit, einen alten Traum zu verwirklichen.

Oberhalb des Dörfchens, da wo früher die Grenzen des Klosterwaldes waren und die Stadtwaldungen anfingen, stand noch aus Klosterzeiten eine Art Holzhauerhütte. Der Fabrikant hatte sie mitgekauft zur Zeit, als man die Klostergüter im Badischen beinah geschenkt erhielt, und seither stand sie leer und vergessen. Nur die Gertrud war manchmal an freien Tagen hinaufgewandelt, hatte das kleine Gärtchen notdürftig vor gänzlicher Verwilderung bewahrt; Stachelbeeren, Johannisbeeren, Himbeeren wuchsen da in üppiger Fülle, hier und da eine Sonnenblume, etwas Flox, Jungfer im Grün, leuchtende Mohnblumen; die hatte die Gertrud ausgesät, den Samen hatte sie da und dort aus den Bauerngärten geholt. An den Abenden, wenn sie sich müde geschafft, hatte sie sich manchmal auf die kleine Galerie gesetzt, die an der Vorderwand des Häuschens hinlief, und hatte gar gerne in die schöne Landschaft still hinausgeblickt. Direkt unter ihr das Dörfchen mit der wuchtigen Kuppel der Klosterkirche, den spitzen Giebeln der alten Klostergebäude, den vereinzelten [S. 37] Holzhäusern mit den silberigen Schindeldächern, rings eingeschlossen von hochragendem Tannenwald, nach Westen die Talöffnung weit sich ausbuchtend, begrenzt in der Ferne durch die schwachen Linien der Vogesen. Jetzt, wo sie Kapitalistin war, konnte ihr stiller Traum, Herrin des Häuschens zu werden, in Erfüllung gehen, wenn die Witwe des Fabrikanten noch einmal gütig sein wollte. Sie hatte nie in ihrem Leben gebettelt, die Gertrud, und der Gang zur Fabrikantenvilla, wo die Witwe bis zur Übersiedlung nach der Stadt noch lebte, wurde ihr schwer. Aber sie war entschlossen, das ganze Legat und ihre paar Sparpfennige zu opfern, geschenkt wollte sie eigentlich nichts haben. Die Witwe redete der Gertrud zu, das Häuschen gegen einen geringen Mietzins zu beziehen, aber die Gertrud wollte Gärtchen und Häuschen zu eigen haben, und so willigte die gütige Frau denn ein, ihr den Besitz für 800 Mark zu lassen. 500 Mark zahlte die Gertrud an, 300 Mark ließ die Witwe als Hypothek gegen geringen Zins auf dem Häuschen stehen. Und so konnte die Gertrud einziehen. Eine Küche und ein großes Zimmer enthielt das Häuschen und oben zwei [S. 38] geräumige Bodenkammern. Gleich fing die Gertrud an zu zimmern und zu nageln und die gröbsten Reparaturen zu machen. Und dann lieh sie sich einen Karren und holte ihre Möbel vom Burgertoni ab, wo sie bis zu diesem Tage in einem kleinen Dachkämmerchen gehaust hatte.

War es nun die größere Einsamkeit, in der sie jetzt lebte, oder die herrschaftlichen Möbel, oder die Ruhe von der Fabrikarbeit, die in ihr aufweckten, was geschlummert hatte, die Gertrud, die bis jetzt in nichts sich von den andern Weibern des Dorfes unterschieden hatte, wurde „a Bsunderi“, eine die sich absondert. Zunächst fiel den Leuten auf, daß die Gertrud so sehr eifrig betete in der Kirche. Die bis jetzt immer peinlich saubere Person wurde fast verlottert und schmierig im Anzug, weil sie jeden freien Augenblick dazu verwendete, in die Kirche zu eilen und jeden überflüssigen Pfennig für Heiligenbildchen oder Traktätchen, die die Händler ins Haus brachten, ausgab. Ihr Zimmer sah bald bunt genug aus. Am Fußende des Bettes hatte sie das Myrtenkränzchen unter Glas und Rahmen aufgehängt, das sie bei ihrer ersten heiligen [S. 39] Kommunion getragen, darunter waren Bilder ihrer Namensheiligen und von Maria und Joseph angebracht; an der Wand, wo ihr Bett stand, hingen die vierzehn Nothelfer, alle mit ihren Marterwerkzeugen in den Händen, schön bunt gemalt. Auf dem Schreibpult lagen in ganzen Stößen die Heftchen und Aufrufe der Missionen, die sie mühselig genug durchbuchstabierte. Gerne saß sie im Sommer, wenn die Betglocke geläutet hatte, auf der Bank vor der Türe, und bald sammelten sich von den Nachbarhöfen die Bauern um sie, denen sie von den lieben Heiligen oder überhaupt so von der Weltordnung, wie ihr es aufgegangen war, erzählte. Und die Bauern, Männer und Weiber, hörten ihr gerne zu, sie wußte für alles einen Rat und für die vielen unerklärlichen Dinge, die den Bauern aufstießen, immer eine gar einleuchtende Erklärung. Besonders beredt wurde sie, wenn vom Mond die Rede war, von seinem Wechsel und seinem Einfluß auf Pflanzen, Menschen und Tiere.

„Der hät halt si ganzi Kraft vu der Sonn, un wenn er witersch fort isch vu dere, no verliert er alli sini Kräfte un schrumpft grad i, [S. 40] dös könne mer jo an de Pflanze grad au sehe, wenn mer dene kei Sonne zulaßt; wenn er aber wieder in d’Nähi vu der Sonn kummt, — des hän die Aschtrinome so usgrechnet, wie des kummt, daß er bald ä so, bald andersch schtoht — no wird er schtark un kann gra gar nit alli Kraft ufbruche, die er kriegt, no laßt er vu sinere Kraft i de Nächte alles zu uns abi, uf d’Pflanze bsunders, aber wenn ä Mensch in dene Zite vum Mond sich bschiene loßt, no sieht er au Sache, die er suscht mit sim eifache Verstand nie nit sehe tät, der Mond hät em vu sinere Kraft gäh.“ Aber ebenso genau und gut wußte sie auch auf dieser Erde Bescheid.

Des Stollenbauers Kuh gab seit einiger Zeit ohne ersichtlichen Grund fast keine Milch mehr, und er fragte die Gertrud, was sie davon halte. Genau ließ sie sich den Zustand des Tieres beschreiben, dann zögerte sie aber auch nicht mit ihrem Rat: „Jetzt ganget Ihr am früha Morga nach em Neumond in de Diesedobel, am Bächli dort wachst die schönscht Brunnekresse vu der ganze Gegend, do pflücket er ä Hampfle voll ab und sagt derzu schön andächtig nach em heilige Kreuzzeiche:

[S. 41]

Heiliger Wendelin gib Kraft,
Dene Blätter gib Saft,
Daß der Kuh geht fort
Die Krankheit vom Ort,
Heiliger Wendelin steh bei,
Treibs Übel vorbei.

Des müsset’r dreimol sage, un dann machet’r wieder ’s heilige Kreuzzeiche un ganget nach Hus un gebet a Hampfle voll der Kuh uf einmol ins Mul. Ihr weret säh, am Obig ischt d’Kuh gsund.“

Der Erfolg, den Gertrud mit diesen und ähnlichen Ratschlägen hatte, stachelte sie an, und sie verlegte sich aufs Studieren. Die Sympathie durchzustudieren, war nun ihr Ziel. Sie steckte Heiligenbilder und Traktätlein in ihre Tasche und wanderte von Bauernhof zu Bauernhof. Überall ein gerngesehener Gast, da sie für ihre Ratschläge nie Geld nahm, und in Eiern und Chriesewasser zahlt der Bauer im Schwarzwald immer gern ohne zu rechnen. Wo sie nun einen alten Kalender oder gar ein Sympathiebuch aus Großvaters Zeiten vorfand, da versuchte sie einen kleinen Tauschhandel. Gegen ihre [S. 42] bunten Heiligenbilder oder löschpapiernen Heiligengeschichten handelte sie die alten Schmöker ein. Stieß sie doch mal auf Widerstand, so „verdlehnte“ sie doch wenigstens das Buch zum Durchstudieren. Großen Wert legte sie scheinbar gar nicht auf die alten „Fetze“. „Wissen ’r,“ pflegte sie zu sagen, „wenn mer halt au gar so allei z’ Hus hockt am ä Obig, no ka mer halt au nit immer de Rosekranz bette, no liest mer halt menchmol gern so Gschichtli.“ Und meistens erreichte sie ihren Willen, und verstohlen schmunzelnd schob sie die alten Bücher in ihre tiefe Tasche. Zu Hause versenkte sie sich dann in die Weisheit der alten Kalender, besonders die astronomischen Tafeln versuchte sie mit heißem Eifer sich anschaulich zu machen. So eifrig war ihr Studium, daß die Kirchgänge bald anfingen darunter zu leiden. Werktags wurde sie überhaupt nicht mehr in der Kirche gesehen. Am Fenster ihrer Stube saß sie im Winter, im Sommer unter dem Holunderbaum ihres Gärtchens auf einer Bank, die der Burgertoni ihr gezimmert hatte, als Dank für Befreiung von Zahnschmerzen durch ihre Sprüchlein. Immer strickend und lesend; nur wenn das Studieren [S. 43] ganz besonders schwierig wurde, ruhten die Nadeln; dann kraute sie sich wohl minutenlang mit der kühlen Stahlnadel die immer noch starken Haare an der Schläfe und las immer wieder mühsam und langsam die gar so schweren Worte. Aber einen Sinn fand sie immer heraus, und oft verblüffte sie dann am Abend die Bauern auf der Hausbank mit ihrer neuen Weltanschauung. Aber das Studium war schwer, immer mehr Zeit brauchte sie, und in ihrem Eifer saß sie bald auch an Sonn- und Feiertagen hinter ihren Kalendern und Sympathiebüchern und versäumte Messe und Predigt.

Drei, vier Wochen sah der Pfarrer geduldig zu. Aber dann, als er sie einmal abends eifrig disputierend auf der Hausbank sitzend traf, blieb er einen Moment stehen, nicht ohne Erstaunen über die Gesellschaft, die um das alte Weiblein versammelt war. Seine besten Bauern saßen und standen um sie herum. Er fand die Gelegenheit gerade günstig, ein Wörtlein mit seinem saumseligen Schäflein zu reden. „No,“ meinte er nach dem üblichen Gruß, „ich hab gmeint, die Gertrud wär krank, weil sie gar nicht mehr in die Kirch kommt.“ Aber der Gertrud [S. 44] paßte die Vermahnung vor all den Zuhörern gar nicht, nur alter Respekt band ihr die Zunge. „’s zieht au so fürchterli in der Kirche,“ murmelte sie, „i han halt s’ Riße in de Glieder.“ Der Pfarrer hatte eine Entschuldigung oder Erklärung erwartet, die gegebene klang doch gar zu sehr nach Lüge. „Ich mein doch,“ hub er deshalb noch einmal an, „Eurem Reißen tät die Kirch besser als das Herumlaufen zu Nacht in den Wäldern.“ Das hatte die Gertrud wirklich öfters in letzter Zeit in mondhellen Nächten getan. Sie wollte die „Kraft vom Mond“ in sich aufnehmen, und auch allerlei Kräuter sammelte sie, und Rezepte aus ihren Sympathiebüchern probierte sie aus dabei. Die Pfarrköchin hatte das dem Pfarrer erzählt. Nun wurde aber die Gertrud zornig, der Pfarrer brauchte ihr keine Vorwürfe zu machen. Resolut hob sie den Kopf und sah dem Geistlichen scharf in die Augen: „Was i scho lang hab frage wolle, Herr Pfarrer,“ sagte sie laut, „hän die Lüt uf dene andere Schterner au sonigi Kirche — und so Pfarrer?“ setzte sie in ihrem Ärger halb für sich noch zu. Dem Pfarrer gab’s einen kleinen Ruck, und die Bauern sahen sich mit eingekniffenen [S. 45] Augen an, nur einander, beileibe nicht den Pfarrer. Einer stellte sich breitbeinig, die Hände in den Hosentaschen, einen Schritt aus dem Kreis heraus, einer spuckte aus und zertrat die Sache mit großer Sorgfalt im Grund. Stolz auf die Gertrud lag in der Luft und gespannte Erwartung auf des Pfarrers Antwort. Der kannte seine Leute wohl, aber er sah doch nicht ein, wieviel von seiner Antwort abhing; er dachte nicht, wie oft die Gertrud schon unentgeltlich in Viehstall und Familie geholfen hatte, wo er und seine Gebete versagt hatten. Es schoß ihm durch den Kopf, daß er in eine seiner nächsten Predigten wohl einmal über diese neuen Theorien ein paar Sätze einflechten könne, aber laut sagte er nur: „Aber Gertrud, wo habt Ihr denn den Blödsinn aufgeschnappt. Bewohnte Sterne! Und gar schon viele! Davon versteht Ihr nun wirklich nichts, sonst müßtet Ihr wissen, daß kein Himmelskörper, außer unserer Erde, die physikalischen Bedingungen erfüllt, die es Menschen ermöglichten, darauf zu leben. Der Mond ist wie ein ausgebrannter Krater, und viele andere Sterne sind in halbflüssig feurigem Zustande. Nein, nein,“ unterbrach er sich, „schlagt Euch das [S. 46] aus dem Kopf, das ist dummes Zeug. Kommt fleißig in die Kirche und betet, das ist besser für Euch.“ Er rührte an den Hutrand und ging mit einem „Gutnacht miteinander“ weiter. Ein paar gemurmelte „Gelobt sei Jesus Christus!“ und „Gutnacht au Herr Pfarrer!“ folgten ihm nach. Dann setzte aber sofort wieder die Stimme der Gertrud ein: „So meinet ’r i wär jetz ufs Mul gschlage, meinet ’r des wär a Antwort gsi? Blödsinn aufgschnappt? Jo weggerle, e schöner Blödsinn. I han’s glese in äme Buch, ä langi Gschicht vu nem Professor gschriebe, die sin halt doch noch andersch glehrt als unser Pfarrer; der saits und bewist’s, ä Kuh könnt’s verschtoh, daß uf em Mars, wisse ner, des isch der Schtern, der als am Obig gege d’Rhinebene zu so rot ufblitzet, jo der isch bewohnt, un mit große Lichter hen d’Lüt dort uns scho Zeiche gä, durch d’Ferngläser hät mer’s gsähe. Sie wisset nur no nit recht, die Professore, wie mer soll än Antwort gä. Große Lichter hän sie au scho anzunde, aber’s schint, sie sin nit hell gnua. Jo, un jetz hän ’r ghört, was der Pfarrer gsait hät: In halbflüssig feurigem Zuschtand wäre die Schtern! Jetz denket doch au nur selber, wenn [S. 47] des wohr wär, no täte se jo doch runtertroppe. Hänget Sie doch ämol ä Honigkugle an der Himmel ufi, Herr Pfarrer!“ Ein beifälliges Murmeln erhob sich. Der Stollenbauer sagte: „Ihr hän bigelt ä dundersgschite Kopf, Gertrude.“ Aber der bedächtigere Burgersepp meinte doch: „Aber der Pfarrer hät doch die Sach au schtudiert.“ Die Gertrud war aber mutig heute, und angefeuert von der Anerkennung des angesehenen Stollenbauers trumpfte sie nun auf: „Wissener, im Vertrauen gsait, die Pfarrer schtudiere halt doch nit so älles, die hän d’Bibel immer vor der Nase, und do schtohn doch au gar bsunderi Sache drin ...“ Sie merkte die Mißbilligung dieser ihrer Behauptung, aber nun war sie im Zug: „Im Vertraue gsait, wissener, so um Wihnächte rum hät der Pfarrer ämol uf der Kanzel so ä Schtückle us der Bibel verzellt vom Josua, uf dem sei Gebet d’Sonne schtillgschtande isch; wissener ’s no?“ „He jo“, murmelten die Zuhörer. „No also,“ fuhr die Gertrud fort, „do driber han i mänchi schloflosi Nacht nachsinniert. ’s klingt au gar so gwaltig, aber wenn i mers so recht eindringli vorgschtellt hab, no isch mer’s immer mehr wie [S. 48] ä Lug vorkomme, akkurat so wie uf em Jahrmärkt der Mann mit em Kitt immer schreit: Wenn ihr eure zerbrochene Häfe mit dem Kitt leimt, so kann ein Riese sie nit mehr auseinanderbreche. Un wenn mer denn so ä Fläschle voll nach Hus nimmt un ä zerbrochene Vase mit kittet, no hängt’s z’samme wie ä liderliche Noht. Ma ka höchschtens no trockeni Blume in d’Vase neischtelle.“ „He aber au Gertrude, wie schwätze ner denn au,“ tadelte der Burgersepp wieder, „unser Herrgott kann doch ä Wunder tue.“ Die Gertrud gab keine Antwort. Nach einer kleinen Weile sagte sie: „Hän Ihr schon emol in äre Uhr ei Rädle aghalte, ei einzigs? Was meint ’r, goht d’Uhr dann no witers? Oder schtoht alles schtill, ’s ganz Werk? Un i mein alls, d’Sonn wär au so ä Rädli“, schloß sie nachdenklich. „Aber jetz isch gnua dischputiert,“ setzte sie hinzu und stand auf; „’s isch schpot. Gutnacht mitenander, än andersmal wieder.“

Sie zog sich in ihr Zimmer zurück, das jetzt ein ganz anderes Aussehen hatte, als in den ersten Monaten ihres Darinhausens. Die Heiligenbilder waren von den Wänden verschwunden, [S. 49] nur ein Marienbild und die heilige Gertrud hingen noch über dem Myrtenkränzchen. Statt dessen waren die Wände voller astronomischer Karten, ausgeschnitten aus Kalendern, schön säuberlich auf Pappe aufgezogen. Aus einem neueren Kalender hatte sie sogar eine der Schiaparellischen Marskarten mit den Kanälen ausgeschnitten und, mit den Köpfen von Schiaparelli und Flammarion auf einem Blatt vereinigt, in einen der Rahmen eingefügt, die früher ein Heiligenbild enthielten. An der Kaminwand hingen Dutzende von Kräuterbündeln, in den Fensterchen nach Osten standen Medizinflaschen, worin Kräuter, einzelne Tiere, besonders Spinnen, auch eine Eidechse, im Spiritus unter dem Einfluß der Sonne „ihren Geist“ einfangen lassen sollten. Und das Schreibpult lag nicht mehr voller Traktätlein und Heiligenlegenden, sondern Kalender und altaussehende dicke Bücher waren da aufgehäuft und eine Unzahl von Steinen, die wohl wegen des Katzengolds, das sie enthielten, gesammelt zu sein schienen.

Die Gertrud war sehr eifrig, als sie in ihr Zimmer gekommen war. Heute hatte sie noch einen großen Hauptschlag vor. ’s Annemai, [S. 50] die arme Witwe eines Holzhauers, war von einer Mücke gestochen worden, der Arm angeschwollen, eine böse Blutvergiftung war in dem entkräfteten Körper ausgebrochen, und morgen in der Frühe sollte sie in die Klinik geholt werden, man wollte ihr den Arm abnehmen. Und ’s Annemai hatte gar nicht an ihre Schmerzen gedacht, nur immer an ihre drei kleinen Kinder, und hatte gejammert und sich gewehrt; nur nicht den Arm ihr abnehmen, lieber wolle sie sterben, dann kämen die Kinder doch ins Waisenhaus, aber wenn sie, die Mutter, am Leben und nur noch den linken Arm habe, wie solle sie dann die Kinder ernähren; jetzt mit ihren fleißigen zwei Armen könne sie nur grad ’s trockene Brot und Kartoffeln aufbringen. Und Bettelleute wollten sie nicht werden. Die Gertrud hatte von dem Jammern der Annemai ganz das Herz schwer, und schließlich schlich sie sich heimlich zu ihr. „Annemai, wenn Ihr den Glaube an mich hän, könnt i Euch scho helfe; aber bschraue darf’s nit werde. Wenn Ihr niemand was verzehle wollt, no komm i in der Nacht un kurier Euch.“ ’s Annemai griff mit Jubel zu. „Jo Gertrude, Ihr könnt mir sicher andersch helfe als die Professore. [S. 51] Nei, gwiß sag i niemend nix, kommet jo au gwiß un vergelt’s Gott tusigmol.“ Und die Gertrud war nach Hause geeilt und hatte gekocht und geprozelt und unter ihren Kräutern gewählt und immer wieder in dem Buch nachgesehen, wo das unfehlbare Rezept stand: gegen verdorbene Säfte und bösartige Geschwülste. Und jetzt war der Kräutersaft fertig und ausgekühlt. Sie steckte das Fläschchen zu sich, wählte noch einige Farrenkräuter aus einem Bündel, und mit dem Buch zusammen steckte sie alles in ihre Tasche. Nun noch in den Wald an eine feuchte Stelle, die sie kannte, wo die großen Huflattichblätter wuchsen. Drei große Blätter wählte sie aus. Kein Insektenstich durfte daran sein, und lange mußte sie suchen, bis sie ganz tadellose Exemplare fand. Jedes einzelne leuchtete sie genau mit ihrer kleinen Laterne ab, und feierlich murmelte sie beim Pflücken:

„Huflattich du kalter,
Du Hitzezerspalter,
Üb’ deine Kraft,
Halt’ deinen Saft
Zur Kühlung der Wunde,
Daß ’s Annemai gesunde.“

[S. 52]

Dann löschte sie ihr Laternchen, denn sie wollte nicht gesehen werden, und eilte zur Wohnung der Annemai. Beim Eintritt in deren Kammer legte sie den Finger auf den Mund, gesprochen durfte jetzt nicht werden. Rasch löste sie den Umschlag, der auf dem kranken Arm befestigt war. Drei Kreuzzeichen machte sie über sich, drei über den kranken Arm der Annemai, dann rieb sie den dunkelgrünen, zähflüssigen Kräutersaft auf den geschwollenen Arm und sprach:

„Sieben Kräuter,
Sieben Schmerzen,
Maria hilf.
Bilsenkraut und Erdbeerblüten,
Müßt des Herzens Schlagen hüten.
Knabenkraut und Eisenhut
Schüttet Kraft ins kranke Blut.
Holderblüt und Minzekraus
Treibt das Fieber mir hinaus.
Mit Johanniskraut so lind
Hilf Maria deinem Kind.
Sieben Kräuter,
Sieben Schmerzen,
Maria hilf.“

[S. 53]

Dann legte sie kreuzweise um den Arm zwei Huflattichblätter und band sie mit einem weißen Faden fest. Das dritte Blatt legte sie der Kranken aufs Herz. Nun holte sie noch aus der Tasche die Farrenkrautblätter und schob sie unter das Kopfkissen mit dem gemurmelten Spruch:

„Farrenkraut den Schlaf dir schafft
Durch des Schlangensamen Kraft.
Wenn Schlangenmutter dich bewacht,
Hat kein böser Dämon Macht.“

Nun hat sie das Ihre getan. „So Annemai,“ meint sie nun in ihrem gewöhnlichen Ton, „jetz müsset ’r schlofe. Schlofe!“ wiederholt sie noch einmal nachdrücklich, und die erschöpfte Frau, die mit ängstlicher Spannung den geheimnisvollen Worten und Manipulationen gefolgt war, schloß auch willig die Augen und versank in ein dämmerndes Schlummern.

Die Gertrud saß Stunde um Stunde am Fensterchen der engen Stube und lauschte den immer ruhiger werdenden Atemzügen ihrer Patientin. Mit dem ersten Hahnenschrei wachte das älteste, siebenjährige Mädele, ’s Liesele, auf und sah mit Angst nach der Mutter hinüber. [S. 54] Bis jetzt hatten die drei Kinder eng gekauert in ihrem kleinen Bettchen am Ofenwinkel geschlafen; nun wurden sie unruhig. Die Gertrud schlich sich leise zu ihnen hin und redete dem Liesele zu: „Ihr müsset ganz schtill si, d’Mutter derf nit ufwache. Lieget ganz schtill un bettet au für d’Mutter.“ Und die verängstigten Kinder lagen mäuschenstill in dem Bettchen, falteten die Händchen und flüsterten leise, leise ihre kleinen Gebetchen, bis sie wieder einschliefen. Die Gertrud saß wie aus Holz geschnitzt am Fenster und sah dem lichter werdenden Himmel entgegen. Um fünf Uhr wurde es lebhaft im Häuschen. Die Bäuerin, bei der ’s Annemai zur Miete wohnte, rumorte im Stall, die Kühe brüllten, nun ließen sich auch die Kinder nicht mehr halten. Das Kleinste weinte, und die Kranke wachte auf. Und die Gertrud sprang geschäftig hin und her, die Kinder anziehen, die Milch wärmen, das Zimmerchen herrichten; flink ging ihr alles von der Hand. Dann erst nahm sie vorsichtig die Huflattichblätter vom Arm. Sie hätte beinah geheult vor Rührung, als sie sah, daß die Röte am Arm wirklich etwas geschwunden war und die Haut sich auch gar [S. 55] nicht mehr so prall und heiß anfühlte. „I mein alls,“ sagte sie bedächtig, „Ihr bruchet nit in d’Schtadt. D’Gschwulscht isch scho e weng ufgsoge. Wenn Ihr mir glaubet, no trinket Ihr jetz no ä Holdertee un derno schwitzener, un morge schtohn Ihr gsund uf.“ ’s Annemai hatte die Augen voll Tränen: „Jo, Gertrude, vergelt’s Euch Gott, i tua, was Ihr saget, i gschpür selber, daß es mir besser goht. Ihr hän meine Kinderle d’Mutter grettet, durchs Feuer ganget i für Euch.“ Die Gertrud war geschäftig fortgeeilt, um Tee zu kochen, und was an Federbetten aufzutreiben war, das wurde dann aufgetürmt über die geduldige Annemai. Nun dauerte es nicht mehr lang und man hörte Wagengerassel draußen. Dann ein energisches Klopfen an der Tür, und ein Krankenwärter mit einer Schwester traten herein. „Die Frau Annemaria Kohler sollen wir holen. Sind wir hier recht?“ fragte die Schwester. „Sell schon,“ antwortete Gertrud, „die Frau Annemaria Kohler tät schon hier wohne, aber hole, sell bruchen ’r nit.“ Die Schwester sah auf. „Gestorben?“ fragte sie leise. „Nei, sell nit,“ meinte wieder die Gertrud, die breitspurig den Eingang ins Zimmer versperrte, [S. 56] „aber gsund isch sie oder wird sie, in d’Klinik brucht sie nit un will sie nit.“ Die Schwester sah den Wärter an, der Wärter die Schwester. „Wir haben den Auftrag und — ja, gute Frau, was wissen Sie denn, ob die Frau gsund ist“, meinte die Schwester. „Weil i nit blind bin, do drum weiß i’s,“ entgegnete grob die Gertrud, „un zwinge könnet Ihr die Frau nit un sie will nit in d’Klinik. Annemai,“ rief sie mit lauter Stimme, ohne sich von der Tür verdrängen zu lassen, „saget’s au selber, daß Ihr dobliebe wollet.“ „I dank au für d’Müh,“ kam die schwache Stimme aus den Federbetten, „aber gwiß nit will i do furt, nit in d’Klinik“, steigerte sie sich voller Angst. „Aber Frau Kohler,“ rief nun die Schwester, die absolut nicht an der stämmigen Gertrud vorbeikam, „überlegen Sie sich’s doch, Sie wollen doch gesund werden! Das können Sie doch nur bei uns in der Klinik.“ „Nei,“ schrie die Kranke, „nei, i laß mer der Arm nit abschnide, lieber will i schterbe, aber mit meine beide Ärm. Wenn i schterbe soll, mit meine beide Ärm, no kann i doch d’Mutter Gottes mit beide Ärm anflehe, daß sie mir meine Kindli bschützt. Nei, i gang nit. Un wenn’s [S. 57] Gotts Wille isch, no werd i au do gsund. Un dobliebe will i, dobliebe“, jammerte sie still für sich weiter. Die Gertrud griff die Schwester fest am Arm: „Kommet usi in de Gang, i will Euch was sage, Schwester,“ flüsterte sie rasch; und als sie Schwester und Wärter draußen hatte, und die Tür hinter ihr einschnappte, sagte sie: „Jetz fahret nur mitenander wieder in d’Schtadt un saget dene Herre vergelt’s Gott, un i sag Euch au für’s Annemai vergelt’s Gott, aber mitgoh tut sie nit, sie will nit und i lids nit. Un i weiß, morge isch sie gsund un hät ihre Ärm, un doderzue brauche mer keine gschtudierte Herre. Mit Gwalt kenne ner sie nit fortführe, un gutwillig goht sie nit.“ Nach einigem Zögern und Reden fuhren die beiden denn auch wieder zurück, und die Gertrud sah ihnen vom Trippel des Hauses sehr befriedigt nach. Und dann eilte sie zur Kranken zurück, ermahnte sie zur Ruhe und predigte dem Liesele, sie solle ja keinen Menschen ins Zimmer lassen: „Wenn einer nit höre will un doch in d’Schtube will, no schrausch, daß i’s im Wald obe hör, i gang nit wit weg, i hol nur drei neue Huflattichblätter, die kühlet no gar de Brand usi.“ Und [S. 58] eilig wuschelte sie fort. Als sie nach einer knappen Viertelstunde zurückkam, stand der Pfarrer aufgeregt schimpfend im Zimmer, dem hatte das Liesele doch nicht den Eintritt zu weigern gewagt. Auch zu schreien nach der Gertrud wäre ihr als Sünde erschienen. Die Ehre! Kaum war die Gertrud im Zimmer, drehte sich der Pfarrer scharf nach ihr um: „Da wäret Ihr ja,“ polterte er sie an, „höret emal Gertrude, jetzt hab ich Eure Narrenspossen aber satt, das geht denn doch zu weit. Was fällt Euch denn ein, die Frau da ohne Hilfe sterben zu lassen, eigenmächtig die Leute aus der Klinik fortzuschicken?“ Der Pfarrer schöpfte Luft, und die Gertrud fiel ihm schnell ins Wort: „I mein alls, Herr Pfarrer, vor Ihr so schimpfet, guckener Euch ’s Annemai erscht emol a. Gsund wird sie, un ihr Arm behaltet sie un ....“ „Unsinn,“ wehrte der Pfarrer ihr eifriges Reden ab, „Ihr meint, Ihr wärt der einzig gscheite Mensch auf der Welt, so scheint mir. Macht meinetwegen Eure Teufelskuren bei den Kühen und Schweinen der Bauern; wenn die so dumm sind, ist das ihre Sache, aber von Menschen habt Ihr Eure Finger zu lassen. Seid froh, wenn ich [S. 59] Euch nicht anzeige, ins Zuchthaus könntet Ihr kommen. Und wie Ihr das Menschenleben, das Ihr da in Lebensgefahr gebracht, vor dem lieben Gott verantworten wollt, das weiß ich nicht. Ich hab den Löwenwirt gebeten, den Wagen anzuspannen, er wird bald hier sein, und daß Ihr mir dann nicht wieder Geschichten macht, das rat ich Euch, sonst bekommt Ihr’s mit mir zu tun.“ „Liesele,“ wandte sich die Gertrud an das Mädele, „geh, lauf zum Löwewirt, was de laufe kahsch, wenn de dei Mutter lieb häsch, un sag em, ’s brucht de Wage nit, der Herr Pfarrer heb sich g’irrt.“ Und sie schob das zögernde Kind mit einem harten: „Lauf, oder wilsch, daß dei Mutter uf der Gottesacker kommt?“ zur Tür hinaus. Dem Pfarrer hatte es die Sprache verschlagen. Jetzt wetterte er los: „Ins Zuchthaus kommet Ihr. Meint Ihr, so kann man mit Menschenleben umspringen und mit Eurer geistlichen Obrigkeit? Meint Ihr, Ihr könnt mit Euren Hexenkünsten das ganze Dorf rebellisch machen? Ich hab den Geist des Aufruhrs schon an allen Ecken bemerkt, das geht von Euch aus. Meint Ihr ich sei blind? Aber das Handwerk soll Euch gelegt werden, Ihr Hexe [S. 60] Ihr. Ins Zuchthaus mit solchem Gesindel wie Ihr.“ „I han Euch rede lo, Herr Pfarrer,“ sagte die Gertrud nun sehr ruhig; „aber ’s wird Euch g’raue, was Ihr gsagt hän. Im Beichtschtuhl könnet Ihr mir meintswege der Marsch mache, wenn i zu Euch kumm no mol, aber hier hän Ihr kei Recht uf mi z’schimpfe, hier in dere Schtube han i mehr Recht als Ihr. I han im Annemai gholfe, un mit Gotts Hilf han i ner gholfe, un nit mit Hexekünschte. Un des isch Husfriedensbruch un Beleidigung, soviel weiß i au no vom Recht. Un wenn’s druf akummt, mein i alls, Ihr hänt Dreck am Schtecke un nit i. Un i mein alls, Ihr hänt hier nix verlore. ’s Annemai hät nit nach Euch verlangt, un händle am e Krankebett tu i nit.“ Sie machte dem Pfarrer höflich die Tür auf und stand wartend da. Der hob drohend die Faust. „Ich gehe, ich gehe Euerm ungewaschenen Mundwerk aus dem Weg, aber das sollt Ihr mir büßen.“ Und ohne einen Blick nach der Kranken, ohne einen Gruß ging er.

Als wäre nichts geschehen, wickelte die Gertrud der Kranken die neuen Huflattichblätter um den Arm, legte das dritte ihr aufs Herz und beruhigte [S. 61] die leise Jammernde: „Schauet nur, d’Gschwulscht isch scho fascht völlig gschwunde, i sag Euch, morge seid Ihr gsund.“ Und die Kranke fühlte selber, wie sehr der Arm besser geworden war, und lag schließlich mit glücklichen Tränen in den Augen beruhigt unter ihren Federbetten.

Am Nachmittag kam der Doktor aus der Stadt, und wenn er auch wetterte und fluchte auf die Altweiberwirtschaft, er mußte doch zugeben, daß jede Gefahr für die Kranke vorüber war. Er zuckte die Achseln, sprach von Selbsthilfe der Natur und verließ kopfschüttelnd die Stube. Draußen fing ihn die Bauersfrau auf und erzählte ihm, was die Gertrud gewagt hatte, denn sie hatte natürlich an der Türe gehorcht bei dem Disput mit dem Geistlichen. Der Arzt hörte ihr zuerst etwas ungeduldig zu, dann aber lachte er doch laut auf, als die Bäuerin die resoluten Worte der Gertrud wiedergab, und er klinkte die Tür noch einmal auf und rief fröhlich der Annemai zu: „Ich laß auch die Gertrud schön grüßen.“ Und immer noch lachend sprang er die Treppe hinunter in seinen Wagen und fuhr davon.

Als ’s Annemai am dritten Abend richtig bei [S. 62] der Gertrud auf der Bank saß, da hätte die Gertrud nicht mit einer Königin getauscht. Die Bauern machten nicht viel Worte, aber sie wußte, sie war die Erste im Dorf jetzt, und ohne ihren Rat und ihre Hilfe geschah nichts mehr, und wenn einer den Pfarrer erwähnte oder ängstlich fragte: „Wird er wirklich d’Gertrude verklage?“, dann sagte sie nur mild: „Der arm Tschole.“ Und bei den Bauern, die von Anfang an zu ihr gehalten hatten, fügte sie wohl noch hinzu: „Es wundert mi eigentli doch, daß Ihr Euch so ä bschränkte Mensch als Pfarrer gfalle losset. ’s Dorf hätt au ä anders Ansehe, wenn mer e weng ä gschitere Herr hätte.“

Der Pfarrer, der ein etwas cholerischer Mann war, sonst aber gern seine Ruhe hatte, unternahm nichts gegen die Gertrud, was die natürlich auf ihre Weise den Bauern ausdeutete: „Gellener,“ sagte sie, „der hüt sich, er hät Angscht.“ Die Bauern glaubten’s gern, und der Pfarrer hatte nur noch wenig Anhänger im Dorf. Denn wenn sie auch alle einen großen Respekt vor Gertruds Weisheit hatten, daß der Pfarrer sich auch vor der Gertrud zu fürchten schien, das schadete seinem Ansehen doch sehr. Und die Gertrud [S. 63] herrschte immer unumschränkter im Dorf, die Kirche wurde immer leerer, und selbst die Feldprozessionen, die sonst immer mit großem Zulaufe abgehalten worden waren, waren dieses Jahr armselig: ein paar Kinder, die von Zwangs wegen mitmußten und ein paar alte Männlein und Weiblein. Die Bauern erwarteten viel mehr vom Spruch der Gertrud, die auf Bitten hin gerne in Mondscheinnächten über die Felder ging und den Bauern volle Scheunen herabzog mit dem kräftigen Mondsprüchlein, das da heißt:

„Mondsichel steige,
Belade die Zweige
Mit quellender Frucht.
Wenn du rundest dich wieder,
So falle hernieder
Der silberne Tau
Auf die blühende Au.
Bis im Dunkeln du ruhst,
Behüte den Blust.“

Im Dorfe gärte es immer mehr, und die Gertrud triumphierte immer bescheidener. Der Pfarrer, dem die gute, bequeme Pfründe ans Herz gewachsen war, wetterte gelegentlich von der [S. 64] Kanzel, aber wenn er seinem Zorn wieder Luft gemacht hatte, dann ließ er seine rebellische Gemeinde laufen, wie sie wollte. Aber der Pfarrköchin, der Fräulein Martha, der brach’s schier das Herz, daß ihr Herr so wenig Macht und Ansehen mehr hatte; man kam ja kaum mehr zu ihr ins Pfarrhaus um Rat und Hilfe zu bitten, was hatte sie denn jetzt von ihrem Pfarrköchinnentum. Jede simple Bauersfrau hatte genau soviel Einfluß wie sie, und da war nur diese gottlose Schwäche ihres Herrn daran schuld. Das wollte ein Diener der heiligen Kirche sein! Sie, die einfache, bescheidene Pfarrköchin, sie wußte besser, was der liebe Gott und die heilige Kirche verlangten. Nicht umsonst sollte sie der Bischof bei der heiligen Firmelung zum Streiter Gottes geweiht haben; wenn ihr Herr das vergessen konnte, dann mußte sie eben kämpfen. Das war sie unserer lieben Mutter, der Kirche schuldig. Soviel war ihr in diesen Wochen der Vernachlässigung klar geworden. Nun hieß es zunächst, unauffällig sich dem Feinde nähern und dessen Position kennen lernen. Dann würde ein Feldzugsplan ihr schon klar werden. Sie wollte sich krank stellen und scheinbar um Hilfe bitten; [S. 65] irgend eine Blöße, wo sie angreifen konnte, würde die Gertrud ihr dann schon bieten.

So ging sie denn mutig an einem hellen Nachmittag zur Gertrud ins Häuschen. Sie begrüßten sich ein wenig feierlich, die entthronte Fürstin und die regierende Fürstin, sie reichten sich die Hände, und die Gertrud schob dem Gast den geerbten Lehnsessel hin und setzte sich erst auf einen Holzstuhl, als die Fräulein Martha wohl plaziert war. Dann wartete sie auf die Eröffnung des Kampfes; denn daß es sich darum handelte, war ihr schon gleich klar geworden, als sie die Pfarrköchin auf ihr Häuschen zukommen sah.

„Behaglich und gar still habt Ihr’s aber hier,“ eröffnete Fräulein Martha das Gespräch, „wer doch auch so in beschaulicher Ruhe leben könnte.“ Die Gertrud verzog keine Miene. „Jo, i bin scho z’friede,“ hielt sie für eine genügende Antwort. „Ich wär schon lang gern komme, Euch in Euerm neue Häusle zu besuche, aber Ihr wißt ja, unsereins, man ist halt nicht sein eigener Herr.“ „He jo frili,“ schaltete die Gertrud ein. Fräulein Martha unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer. So kam sie nicht vorwärts. Sie gab sich einen Stoß und meinte: „Ihr werdet [S. 66] lache und denke, so sind die Mensche, und Ihr habt eigentli recht, wenn ihr schimpfet: erst die Not treibt mich zu Euch.“ „He des wär,“ nahm die Gertrud teil. „Ja,“ beteuerte Fräulein Martha, „i weiß mer nimmer z’helfe, und Ihr wißt ja: wenn die Not am höchsten, ist die Hilfe am nächsten, das kann man hier wohl sagen. Ihr seid mir eingefallen in meiner Not, i kenn ja Euer gscheite Kopf von früher her, und da hab i mir denkt, wenn einer helfe ka, wenn’s Gotts Wille isch, dann isch es die Gertrud.“ Wenn das Fräulein Martha in Eifer kam, vergaß sie manchmal ihr Hochdeutsch, und sprach gut Rupertsweilerisch. „Ja, aber des wär,“ meinte wieder die Gertrud, „was könnt denn ’s Fraile Martha drucke, wo sie doch die bescht Hilf im Hus hät; un wenn einer e gute Rat brucht hät, no hät er doch nur zum Fraile Martha z’goh g’het, un g’holfe war em.“ Fräulein Martha schluckte etwas an dieser Vergangenheit in Gertruds Satz; aber Gertruds Ernst und das Geheimnisvolle im Häuschen, der starke Duft der Kräuter, die Tiere in den Spiritusflaschen, die merkwürdigen Zeichnungen an den Wänden, all das fing an, auf Fräulein Martha zu wirken. Gertrud erschien ihr [S. 67] stark, wie noch nie, als die Mächtige, in deren Händen wirklich das Wohl und Wehe des Dörfleins ruhte. Das ward ihr klar, mit List war da nichts zu erreichen. Helfen konnte die Gertrud, das fühlte sie, aber nur wenn sie gerne helfen wollte. Und so verwarf sie mit einem Ruck ihren ganzen vorsichtigen Plan, sie fühlte sich zu unsicher, und die abwartende Ruhe der Gertrud brachte sie ganz aus der Fassung. Wirkliche Tränen kamen ihr in die Augen, und sie ergriff Gertruds Hand und bat: „Gertrude, helfet us.“ Gertrud horchte auf, das klang ehrlich. „Gertrude,“ begann die Pfarrköchin noch einmal, „schau, Ihr seid doch so e gscheite Person, Ihr mißt doch des selber isehe, des kann kei guets End nehme. Der Pfarrer im Ort darf doch nit alle Reschpekt verliere; wenn seine Pfarrkinder lache über de Pfarrer, no isch’s us, und er ka nimmi zu Gottes Ehre wirke in sim Dorf. Un entweder die Lüt verkomme grad im Dreck un Elend, oder er muß halt go. Un schau, Gertrude, wenn unser Herr fortgeht, was hän Ihr denn eigentli gwonne? Es kummt jo nur ä anderer, un ob ä bessere, des wisse mer au nit. Un Ihr seid doch immer fromm gwese, un habt doch sicher nix gege [S. 68] unsere heilige Kirche. Denket au, wenn’s emol ans Schterbe got, ’s schtirbt sich doch au viel lichter, wenn mer sei Pfarrer bei sich hät, bei dem mer sei erschte heilige Kommunion gnomme hät, der eim au kennt. Ihr könntet unserm Herr sei Ansehe wiedergebe, wenn Ihr nur wolltet. Gellener Gertrud, Ihr helfet?“ Die Gertrud hatte die ganze Rede mit unbeweglichem Gesicht über sich ergehen lassen. Nun stand sie auf und ging, an ihrem Pult ein Buch langen. Sie fürchtete, der Schalk in ihrem Auge könnte sie verraten. Ihr kam die Bitte der Pfarrköchin gar nicht so ungelegen. Sie hatte sich selber schon gefragt, wozu das alles führen sollte. Ihr wuchs die Bewegung über den Kopf. Sie wollte den Pfarrer ja eigentlich gar nicht aus dem Dorf forthaben. Sie hatte nur den Weg nicht gefunden, mit Anstand zurückzugehen. Den bot ihr nun die Pfarrköchin, und sie stand noch groß da als Helferin und großmütige Feindin. Und einen kleinen Schabernack wollte sie dem Pfarrer schon noch antun. Als sie ihre Miene wieder in der Gewalt hatte, kam sie zu der in ängstlicher Atemlosigkeit harrenden Pfarrköchin zurück. „Fraile Martha, i will Euch was sage. Des was [S. 69] Ihr mir do verzählt, des han i mer alles scho lang gsait. I hät scho lang gern e Sympathiemittel angwendet, um unsere Herr wieder wohlan si zlasse bei de Bure, aber i ka’s nit allei mache. Un daß Ihr zu mir komme sin, des isch grad e Fügung Gottes. Aber —“ und sie zögerte lange — „aber, aber i sag Euch glei, Fraile Martha, ’s isch e schweri Sach un ob Ihr’s werdet durchführe könne —?“ Die Fräulein Martha fuhr eifrig auf: „’s mag si was es will, i werd ’s scho mache.“ „Wenns nämli nit ganz gnau durchgführt wird,“ meinte die Gertrud eindringlich, „no bfallet den Betreffende, für den mer’s tut, böse Schmerze, un d’Sach schtoht schlechter als vorher. ’s erscht wär licht. Ihr müsset nur von der Kirche, vom Schulhus, vom Rathus un von de angsehnschte Burehüser ä Schnipfeli Holz abschnide. Sell könnet er licht so nach un nach mache.“ „Ja natürlich,“ nickte die Fräulein Martha voller Spannung. „Wenn Ihr denn alle bienander hänt,“ fuhr die Gertrud fort, „no müssener domit in der Fruah ’s Herdfüer azünde un im Pfarrer druf si Kaffee koche, ’s derf aber niemed suscht vu dem Kaffee trinke. Un e weng vom Wasser hebener uf un traget’s unbschraue [S. 70] in d’Kirche un schüttet’s ins Wihwasser.“ „Ja, ja, das will ich schon gewissenhaft ausführe“, sagte zögernd das Fräulein Martha. „Jo weggerle, wenn Ihr jetzt scho zappelt,“ meinte schmunzelnd die Gertrud, „des isch’s Lichtescht an dere Sach. Also höret: Drei Nächt lang, bschtimmti Nächt, wenn Vollmond isch, muß der Pfarrer im Bett von ere Jungfrau schlofe. Jo bhüt Gott,“ wehrte sie der entsetzt aufspringenden Pfarrköchin, „bhüt Gott, daß i was Unrechts mein; natürlich im ä Bett, wo e Jungfrau drin gschlofe hät; was denkener denn au.“ Die Pfarrköchin setzte sich tief aufatmend. „Grad in dem Fall isch ’s meini gar nit so schwer zmache, Fraili Martha, Ihr weret scho irgend e Usred finde, daß der geischtlich Herr drei Nächt in Euerer Kammere schloft.“ Die Pfarrköchin nickte und meinte nachdenklich: „Jo jo, das ging schon z’ mache.“ „Un des isch grad bsonders gut, wie sich des in Euerm Fall trifft,“ fuhr Gertrud fort, „denn wissener, sunscht hät i schier Angscht des zrote. Denn im Buch schtoht mit menge Bischpiel, wenn’s ebe kei reine Jungfrau isch, no schtirbt der Ma im nächschte Mond.“ Wieder drehte sich die Gertrud geschäftig nach ihrem Pult um und [S. 71] blätterte in einem Buch. Fräulein Martha saß versunken in Gedanken. Nun hob sie den Kopf und sprach zu dem breiten Rücken der Gertrud hin: „Meinet Ihr, des mit dem Verbrenne von de Spänli dät nit allei scho helfe?“ „Jo bhüt,“ sprach die Gertrud, „Ihr wisset jo, was e reine Jungfrau für e bsunderi Kraft un Gwalt im Himmel un uf der Erd hat, un die Kraft muß in der Pfarrer übergoh, daderdurch, daß er drei Nächt in dem Bett schlofet; sunscht hilft die ganzi Sympathie nix. Un wie i scho gsait hab, in Euerm Fall ...“ „Ja,“ unterbrach die Pfarrköchin, „sell scho. Natürli könnt i des scho so einrichte ...“ Sie wand sich auf ihrem Stuhl, zupfte imaginäre Stäubchen von der Armstütze ihres Sessels; endlich fiel ihr ein triftiger Grund ein: „Aber denket au, die böse Müler! Wir Pfarrköchinnen könne nit vorsichtig genug sei. Wenn jemand davon erführ, der Herr in meim Zimmer sehe tät, mei Zimmer liegt nach der Straße zu. Nein, das geht nicht.“ Die Gertrud blätterte immer noch in ihrem Buch. „Ja, wie denket Ihr des sonscht zmache,“ meinte sie nun, „in änem fremde Hus, do wird’s halt schwer zmache si. Un des Mittel isch e so sicher. Do [S. 72] lies i grad e Bischpiel, wie si e Bürgermeischter in äre große Stadt grad uf Hände trage hänt, nachdem er die Sympathie angwendet hät, un vorher hen sie em d’Fenschter igschmisse.“ Fräulein Martha schlug auf die Lehne ihres Sessels: „So goht’s, so mache mer’s.“ Gertrud spitzte die Ohren. „Wissener,“ erklärte Fräulein Martha, „mei Bäsle, ’s Eva, siebzehn Jahr isch’s alt. I hab’s in d’Schtadt in d’Nähschul tue. Da leg i d’Hand ins Feuer, eine reine Jungfrau isch es noch. Scho als kleins Mädele hat sie für kei andere Mensche so viel übrig ghabt, wie für unsere Lehrer, vor eme Jahr scho hätet sie sich gern ghürotet, die zwei; deshalb hab i sie in d’Schtadt tue. Der Herr will’s nit ha, der Lehrer isch so e Liberaler; sonscht e ordentlicher Mensch. I hät’s dene zwei gunnt, daß sie e Pärle worde wäret. Wenn i der Eve schreib, sie dürf auf e paar Woche heimkomme, die isch selig. Un derno, wenn sie ä paar Tag da isch, dann kann ich ja in des Herrn Zimmer irgend eine Reparatur mache lasse, und ihn ins Ev sei Zimmer umquartiere, des geht scho.“ Die Gertrud hatte sich umgedreht und große Zufriedenheit strahlte aus ihrem Gesicht. „Nei, Fraile Martha, Ihr hän [S. 73] der Kopf am rechte Fleck, des isch gar ä gute Ifall. Natürli, ’s Ev. Aber hörener, im Ev si Kammere isch jo nur vom Garte us übers Trippel zugängli.“ „Ja,“ nickte Fräulein Martha erstaunt. „No müsset Ihr’s irgend dem Herr bibringe, daß er jo recht heimli in d’Kammere goht, ’s derf niemet sehe, ’s derf niemet dervu wisse. Soviel wissener jo au vu dene Sache. Bschraut mer si, no isch’s vorbi mit aller Kraft un allem Sege.“ „Jo, i muß halt dem Herrn sage, daß er wege de Leut vorsichtig sei soll; des mach i denn scho,“ beruhigte die Pfarrköchin. „Hejo,“ beschloß Gertrud, „mehr kann i nit dabei tue. Ihr müsset Spänli sammle und im Bäsle schribe, un derno sag i die Nächt, die mer wähle müsse. In vierzehn Täg hän mer Vollmond, derno isch die recht Zit. Aber redet nit drüber. Un wenn’s Gotts Wille isch, no goht alles guet us.“ Fräulein Martha hatte sich erhoben und schüttelte der Gertrud dankbar die Hand. „Vergelt’s Gott tusigmol, und an mir soll’s nit fehle. Ich bin nur froh, daß ich den Mut gefaßt hab, Euch meine Sorgen zu klage. Bei Euch findet man immer Hilfe.“ „Gern gschähe isch’s, gern,“ versicherte die Gertrud und begleitete ihren Besuch bis vors Häusle. [S. 74] Und dann sah sie der eilig Davoneilenden noch lange mit sehr vergnügtem Schmunzeln nach. „So, Herr Pfarrer, ne kleine Denkzettel krieget Ihr jetzt doch noch, oder i will nit d’Gertrude heißen. Aber dann isch Friede.“ Sie nickte sich selbst bestätigend eifrig mit dem Kopf, und ging ins Häusle zurück an ihre Arbeit.

Das Bäsle kam ins Dorf, und in dem Lehrer wachte die Hoffnung wieder auf, seine Ev doch noch zu erringen, und gar gefühlvoll spielte er die Orgel am Sonntag, so daß der Pfarrer ganz freundlich ihn grüßte nach dem Gottesdienst, denn schöne Musik liebte er auch. Der Vollmond kam, und Fräulein Martha hatte der Gertrud noch einen Besuch im Häusle gemacht. Und am Morgen nach der Vollmondnacht traf die Gertrud den Lehrer an der Kirchhofsmauer, sie kam scheinbar vom Wald zurück, sie hatte große Kräuterbündel im Arm. Der Lehrer wollte, noch bevor er in die Schule ging, den Pfarrgarten, der an den Kirchhof stieß, ein bißchen inspizieren, ob er keinen heimlichen Gruß von seiner Eva erhaschen könnte. Die beiden begrüßten sich, und die Gertrud knüpfte geschickt ein Gespräch an. Ganz gelegentlich kam dann die Frage: „Han se eigentli [S. 75] im Pfarrhus Herrebsuch?“ „Nit daß ich wüßte,“ meinte der Lehrer. „So, so,“ sagte die Gertrud, „i han geschtern Obig, ’s war scho arg schpot, han i e Mannsbild uf em Trippele gseh un in d’Fremdekammer ni goh.“ Der Lehrer lachte. „Aber Gertrud, ich glaub gar, Ihr seht Gspenster. ’s Ev ist doch da, die wohnt doch oberm Trippel.“ „So, so, ’s Ev,“ murmelte die Gertrud scheinbar mißtrauisch, „aber blind bin i nit,“ setzte sie trotzig zu. „Des war nit d’Ev, geschtern z’Nacht.“ Dann, als sie den Argwohn im Gesicht des Lehrers aufleuchten sah, sagte sie harmlos schelmisch: „Herr Lehrer, Herr Lehrer, so, ’s Ev wohnt da; no i will nix gseh habe.“

Und lächelnd und kopfschüttelnd ging sie eilig fort und ließ den armen Lehrer mit seiner Eifersucht stehen. Und es kam, wie sie erhofft hatte. Am Abend stand der Lehrer Schildwache, sie beobachtete ihn, gedeckt hinter einem Stein des Friedhofs. Bald darauf sah sie den Pfarrer schnell und scheu um die Ecke huschen und die kleine Treppe hinaufeilen. Erkennen konnte man ihn nicht; plötzlich war er aufgetaucht und schnell schon hinter der Tür verschwunden, und die Seite des Hauses lag im tiefen Schatten der großen [S. 76] alten Nußbäume. Dann sah Gertrud den Lehrer über die Mauer klettern und nach dem Trippel zueilen. Erst fürchtete sie, er würde Lärm schlagen, aber die Eifersucht machte den armen Kerl klug. Er duckte sich in den Schatten und setzte sich auf die Bank unter dem Trippel. Wieder hatte die Gertrud richtig gerechnet. Der Lehrer wollte den Eindringling abpassen, und der derbe Knotenstock, den er in der Hand hielt, der würde wohl dann mitsprechen. Die Gertrud beschloß auch zu warten. Ihr machte das gar nichts, eine kurze Sommernacht im Mondschein zu sitzen. Ihre Gedanken würden sie schon wachhalten, und dem Lehrer gönnte sie die Qual dieser Stunden, er hatte doch manchmal etwas hochmütig zu ihr gesprochen. Und der Mond ging langsam nach Westen und bald erhob sich ein leiser Wind, im Osten flammte lichte Röte auf, und der rosige Schein verschlang die bleiche Kugel im Westen, bis sie nur noch wie ein helles Wölkchen über dem Horizont stand. Da erklang auch schon die Betglocke im Kirchturm, und andächtig faltete Gertrud die Hände. Friede sollte heute werden zwischen ihr und dem Pfarrer, Friede in der ganzen Gemeinde. Sie wollte es ganz dem lieben Gott [S. 77] anheimstellen, ob der Lehrer den Pfarrer rechtzeitig erkennen würde, ober ob ein paar Hiebe noch erst den unschuldigen geistlichen Herrn treffen würden. Das stellte sie in Gottes Hand, ob er das Unrecht, das ihr, der Gertrud, geschehen war, noch strafen wollte, oder ob er dem Lehrer die Augen noch früh genug öffnen würde. Aber dann würde sie dazwischentreten und alles erklären und versöhnt fortan dem Pfarrer sein Recht einräumen im Dorf. Die Betglocke verklang, und gespannt richtete sich die Gertrud auf, nach dem Pfarrhaus zu sehen. Der Pfarrer mußte jetzt jeden Augenblick heraustreten, es wurde bald Zeit zur Frühmesse. Der Lehrer hatte sich ganz in die Ecke des Lattenwerks unter dem Holzgang gedrückt, kaum konnte sie ihn erkennen. Da knarrte oben die Tür, und eiligen Schrittes stieg der Pfarrer die Stufen herunter. Er war in Hemdsärmel und Hosen, die Soutane hatte er über dem Arm hängen. Gerade wollte er um die Ecke biegen, als er von hinten gefaßt wurde und eine von Erregung heisere Stimme aufbrüllte: „Hab ich dich, du Lump du!“ Und ein derber Hieb mit dem Knotenstock saß da auf dem breiten Rücken des Pfarrers. Der versuchte vergebens [S. 78] sich frei zu machen, sein unbekannter Gegner hielt ihn mit eiserner Faust im Genick fest. Bevor aber noch ein zweiter Hieb fiel, stand die Gertrud wie aus dem Boden gewachsen vor dem ergrimmten Lehrer: „Ums Jesu Wille, Herr Lehrer, was machet Sie au!“ schrie sie den Verblüfften an. „Was packet Sie de Herr Pfarrer, so kommet doch zu Euch.“ Der Lehrer war aber durch die Erklärung, wer der nächtliche Besucher im Zimmer seiner Ev sei, keineswegs beruhigt. Er ließ allerdings los und trat zurück, aber sein Gesicht sah finster genug aus. Der Pfarrer rieb sich ergrimmt die schmerzende Schulter und suchte nach Worten, seine Entrüstung zu äußern. Aber die Gertrud war schneller bei der Hand. „Ihr Hansnarr Ihr,“ sprudelte sie den Lehrer an, „schämet Euch au, von unserm Herrn Pfarrer so zdenke. Un au no mit der Ev, wo doch sei ... Ihr wisset jo. Un von der Ev, von Euerm Bräutle. — Ganget doch ufi ins Kämmerle, wenn Ihr mir nit glaube went, da isch die Ev nit. Wenn Ihr nit so hochnäsig wäret un au mit de Leut rede tätet, no wüßtet Ihr, wie mir alle im Dorf, daß im Pfarrer sim Zimmer sit zwi Täg der Schriner isch, die Diele sind ufgrisse, un so [S. 79] isch er usquartiert worde ins Bäsle sei Kammer. Un ’s Bäsle schloft bei der Fraili Martha. He, ’s isch nur au grad e Schickung, daß i vom Kräutersammle grad zrück kumme bi un Euer Schraue ghört hab, ’s het jo grad e Unglück passiere könne.“ Der Pfarrer schaute ziemlich verdutzt drein, er verstand von der Sache sehr wenig und der Lehrer wußte auch kaum, was nun tun. Da kam, von dem erregten Sprechen angelockt, Fräulein Martha und die Ev aus dem Haus heraus und sahen mit Staunen die drei Menschen da stehn. Dem Lehrer schwanden nun die letzten Zweifel, und verlegen und sehr herzlich bat er den beleidigten Pfarrherrn um Verzeihung ob des Überfalls. Die Gertrud erklärte mit ein paar rasch geflüsterten Worten dem Fräulein Martha soweit möglich den Vorfall und gab ihr noch ein paar weitere Verhaltungsmaßregeln. So ging denn Fräulein Martha und half die beiden versöhnen und äußerte zum Schluß: „Aber Herr Lehrer, ich hoffe doch, wir dürfen uns auf Ihre Diskretion verlassen, davon darf nichts in die Öffentlichkeit dringen.“ Und da die Gertrud Gelegenheit gehabt hatte, dem Lehrer auch zwei Worte ins Ohr zu flüstern, so verstand er auch, [S. 80] wie er die Lage zu seinem Vorteil wenden konnte. Er trat noch einmal zu dem Pfarrherrn vor und machte einen ehrerbietigen Kratzfuß: „Herr Pfarrer, Sie haben ’s Eve mir emal abgeschlagen, ich mein alls, wenn ich Ihr ... wenn Sie mir ’s Bäsle von der Fräulein Theres zur Frau geben würden, dann wäre diese ganze traurige Sache am besten begraben. Als Ihr ... als Mann vom Bäsle von der Fräulein Martha können Sie doch meiner ganz sicher sein, und meiner Treue und Ergebenheit.“ Die Fräulein Theres stupfte den Pfarrer in die Rippen, und der zögerte auch nur eine ganz kleine Weile, dann reichte er der Ev die Hand und zog sie zum Lehrer und legte die Hände der beiden ineinander. „Meinetwegen, meinen Segen habt ihr.“ Er rieb sich noch einmal die schmerzende Stelle und fügte dann hinzu: „Und wenn’s mal not tut, dann verteidigt mich auch so tapfer wie ihr ...“ Auf einen erneuten Rippenstoß von Fräulein Martha schluckte er den Satz hinunter. „’s isch höchste Zeit zur Frühmesse,“ schaltete Fräulein Martha eilig ein, „nachher sprechen wir weiter; der Herr Lehrer ist ja doch unser Gast beim Mittagessen, und ich mein, auch die Gertrud [S. 81] gehört heute dazu.“ Die Fräulein Martha wußte, was sich schickte. Mit einem Knicks bedankte sich die Gertrud, und „Vergelt’s Gott, und b’hüt’s Gott miteinander“ murmelte sie noch, und dann eilte sie ihrem Häuschen zu.

Am Abend war der Zulauf zu ihrer Bank besonders stark; denn die Ehre, die der Gertrud widerfahren war, hatte sich schnell herumgesprochen. In ihrem höchsten Staat war Gertrud um die Mittagszeit in den Pfarrhof gewandert und erst um zwei Uhr wieder fortgegangen, in heiterm Gespräch mit dem Herrn Lehrer, der dann hell lachend in das Schulhaus verschwand. Und nur am Abend erzählte die Gertrud von der Verlobung im Pfarrhaus, die nun kein Geheimnis mehr war. „Un wissener,“ schloß sie ihren Bericht, „unser Pfarrer isch recht, alles was recht isch, mer ka nit anders sage. Er isch in dere letzschte Zit e weng ufg’hetzt gsi vo dene ganz Schwarze in der Stadt un het nimme recht gwußt, wonaus und wonei. Aber mir hän üs usgschproche, un wie gsait, alles was recht isch, ’s isch e braver Herr. Un daß er ’s Ev em Lehrer gibt, der doch e Liberaler isch, do sehener doch, daß er e guts Herz hät un kei so stockvernagelte [S. 82] Schwarze isch, wie mer gmeint hät. Wie gsait, mir hen üs so recht usgsproche hüt, dodrum hät er mi emol im Pfarrhus ha wolle, daß mer so recht gmütli dischkuriere könne, un i kann nur sage: ’s isch e rechte, brave Herr. Jetz wo er wieder weiß, weller Weg er geh soll.“

Und die Rupertsweiler fügten sich ihrem Urteil, und bald genug hieß es einstimmig im Dorf: „Unser Pfarrer? Jo des isch e rechte, brave Herr.“

[S. 83]

Ein verdienstliches Werk

„G ell Lenebas, du denksch au ans Mariele bei seinere erschte Kommunion? I kan em jo die fine Sache un alles nit anschaffe. Der Pfarrer hett mer vom Kommunikanten-Verein der Stoff zum Kleidli gä, un dem Lehrer si Frau ’s Betbuch und der Rosekranz, aber ’s ander alls fehlt no.“ Die alte Sailern war das Bitten und Betteln gewohnt, seit ihr Mann sie früh als Witwe in dem kleinen winkligen Häusle mit vier kleinen Kindern zurückgelassen hatte. Hier und da konnte sie in die nahe Stadt als Waschfrau gehen oder ein paar Eier den Stadtfrauen verkaufen, im Sommer brachten die Kinder Beeren aus dem Wald für den Markt; aber doch war Bargeld eine rare Sache, und wenn die Paten der vier Maidele nicht hier und da ausgeholfen hätten, wäre es wohl gar nicht gegangen, den [S. 84] kleinen eigenen Winkel zu behalten. Die Lenebas nickte auch freundlich zu der vorgetragenen Bitte: „He freili jo, wenn eins zum erschtemol zu unserem Herrgott geht, des isch e gar guet Werk, wenn mer doderzu hilft, dös tu i gern. Schick’s Mariele nur her, i gang so morn i d’Stadt, no kann’s am Obig sei Sach hole.“ Die Sailern empfahl sich mit vielen „Vergelt’s Gott tusigmol“ von der wohlhabenden Bas und ging ein paar Häuser weiter, dieselbe Bitte vortragen, und am Abend hatte sie so ziemlich die Runde bei allen reichern Bauernfrauen gemacht und war ihrer Sorgen wieder einmal ledig. Alle hatten gern versprochen, ihr Scherflein für die kleine Erstkommunikantin beizutragen. Am andern Abend schickt die Sailern denn auch das Mariele zur Bas: „Un vergiß au nit z’sage, daß de an dim Ehretag recht bette wilsch für deini Wohltäter.“ Und die Lenebas hatte auch richtig ein paar feine Knopfstiefel fürs Mariele gekauft, mit schönen Lackspitzen. ’s Mariele hätt vor lauter Freud über die „glänzige“ Stiefel fast sein Sprüchle vergessen „vom bette für seine Wohltäter“. Vergnügt zeigt’s die Stiefel, „schönere het’s Bürgermeisters Marie au keine g’hätt“, der [S. 85] Mutter, und die schickt’s gleich weiter zur Patin, zur Burgerbäckin: „Paß uf, die schenkt ders Kränzli und der Schleier und am End gar no d’Kerze.“ ’s Mariele geht den steilen Weg zu dem stattlichen Hof mit ungeduldigen Hopsern hinauf, und die Bäuerin winkt ihr vom Eckfenster schon zu mit freundlichem Lachen. „Grüß Gott, Mariele, jo du kumsch gerad zrecht, i ha der dei Sach scho gricht. Waisch, i tu’s gern, ’s isch gar e verdienschtlichs Werk“ ... und damit wickelte sie ein Paket auf, „wenn mer em Erstkommunikantli d’Stiefel schenkt, mit dene ’s zum erschtemol zum Tisch des Herrn geht.“ Dem Mariele kamen fast Tränen in die Augen, wie’s hörte, daß es schon wieder Stiefel bekommen sollte, aber als die Bäuerin ihr das Paar entgegenhob, verschlug’s ihr fast den Atem: weiße Lederstiefel! So fein war nur ’s Doktors Tochter zur ersten heiligen Kommunion gekommen vor drei Jahren. „Jo gell, do schaust,“ meinte die freundliche Patin, „i han mer’s ebbes koschte losse. Weisch, nochher kansch se schwarz mache — aber unser Herrgott wird’s mir anrechne, so ä arm Maideli muß doch au ämol im Läbe si Ehretag ha — bett halt schön für mi, wenn de unser Heiland [S. 86] zum erschtemol in dim reine Herzle häsch. ’s isch kei Gebet so kräftig, wie des von so enem unschuldige Erstkommunikantli.“ Die Sailern machte ein betroffenes Gesicht, als ’s Mariele strahlend zurückkam, aber die selige Freude ihres Kindes mochte sie doch nicht verderben, und so ging sie zur Lenebas und erzählte der von dem zweiten Paar Stiefel. Die erboste sich aber arg, nachdem sie die Sache begriffen: „Was! meini Stiefel sind der Rotznas jetzt nimi schön gnug, weil die hochnäsig Burgerbäckin dem Maidli der Kopf verdreht hätt mit wiße Stiefel! I loß mir vo dere nix wegnehme. Wenn mer d’Stiefel schenkt, mit dem eins zum erschtemol zur Kommunion geht, so rechnet des unser Herrgott eim ganz bsonders a, dös laß i mir nit nehme, und in meine Stiefel geht’s Mariele in d’Kirch, oder i will nix mehr von euch Bettelpack wisse — so, jetzt waisch’s.“ — Die Sailern wollt’s nicht verderben mit der sonst gutmütigen, kinderlosen Lenebas und ging auf ihre Seite über: „Jo i ha’s glei gsait, ’s isch verruckt, dem arme Maidli wißi Stiefel zgä, i gang jetzt zu ner, un ’s Mariele muß dine Schuh anziehe, un unser Herrgott soll’s der vergelte.“ Die Burgerbäckin nahm aber das Anliegen der [S. 87] Sailern, die Stiefel gegen irgend ein anderes nötiges Stück umzutauschen, erst recht ungnädig auf. „I ha’s gut gmeint, un dös isch jetzt mei Lohn, so geht’s uf dere Welt. — D’ Lenebas hätt gar kei Recht, d’Stiefel z’schenke, des kommt mir zua, i bin d’Patin, un unser Herrgott tät’s mir nit verzeihe, wenn i meim Patekind nit d’Stiefel zu seinere erschte heilige Kommunion schenke tät. Des laß i mir nit nehme, des ghört zu meine geischtliche Pflichte, un uf em Sterbbett tät i’s im Mariele nit verzeihe, wenn’s nit mit meine Stiefel ’s erschtmol zu unserm Herrgott geh tät.“ — Die Sailern nickte mit bekümmertem Herzen und stimmte der reichen Patin zu, gab ihr in allem recht und verschwand aus der Stube mit einem „Tusigmol vergelt’s Gott“. Und ’s Mariele bekam eine derbe Ohrfeige, als sie bei der Heimkunft der Mutter mit den weißen Stiefeln im Zimmer vorsichtig herumstolzierte. „Des mag unser Herrgott wisse, wie i aus dem Schlamassel rauskomme soll,“ meinte sie ernstlich besorgt zur ältesten Tochter, „i mein alls, i frag der Pfarrer drum.“ Zunächst schickte sie aber ’s Mariele zu den andern Wohltätern; der Schleier, die Kerze, ’s Kränzle, die Handschuh, Strümpfe [S. 88] und Wäsche mußten noch kommen. Wie’s mit den beiden feindlichen Stiefelspenderinnen werden sollte, das mußte der Herr Pfarrer und der Herrgott halt entscheiden. Als aber ’s Mariele vom dritten, vierten und fünften Bittgang auch je mit einem Paar Stiefel, verschieden nur an Güte und Feinheit zurückkam, mit der Versicherung von jeder Spenderin, daß „d’Stiefel, mit dem eins zum erstemal zum Tisch des Herrn geht, halt a ganz a besonderi Gnad vom Himmel der Spenderin in Aussicht stellen“, da jammerte sie mit dem Mariele um die Wette, und es war kein „Vergelt’s Gott tusigmol“, was sie an dem Abend für die „Wohltäter“ gen Himmel aufschickte. Der Pfarrer, dem sie am Morgen ihr Leid klagte, machte ihr wohl den Vorschlag, die Stiefelpaare dem Verein zur Ausstattung von Erstkommunikanten zu geben und dagegen die andern Gebrauchsstücke einzutauschen; damit war allerdings ’s Mariele angezogen aber der Zorn der Wohltäterinnen nicht abgewendet. Der kleinen buckligen Schneiderlene klagte sie schließlich ihre Not, und die wußte in ihrem hellen Kopf einen Rat: „Wissener, i mach ’s Kleid vom Mariele so lang, daß mer d’Stiefel gar nit sieht — [S. 89] in der Stadt hän sie jetzt au immer d’Kleider vorne und hinte so lang, daß mer druftritt“, und sie zeigte der ungläubigen Sailern ein farbiges Modebild, wo wirklich das Kleid ringsum zehn Zentimeter auf dem Boden lag — „ganz so lang nit“, beruhigte sie die Mutter, die zweifelte, ob ihr „gaschpliges Mariele“ drin würde gehen können, „aber a so, daß mer halt d’Stiefel nit sehne kann.“ Die Sailern wollte sich schon beruhigen, als ihr einfiel: „Jo, aber die wiße Schuh von der Burgerbäcki.“ Aber auch dafür wußte die Lene Rat. „Jetzt gangsch no amol zur Burgerbäcki und saisch zu nere: du tätsch natürli im Mariele ihre Schuh lo, aber der Pfarrer hätt’s verbote im Mariele, ’s derf nit in wiße Schuh komme, von wege weil das Neid bi de andere un Hoffart bim Mariele erwecke könnt. Du müscht se gli anschwärze und sie soll der’s doch jo nit verüble und em Mariele nix davu sage, dem tät’s so scho schier’s Herz abdrücke, daß es sie nit wiß anziehe könnt. Aber der Verdienst von seinere liebe Patin vor unserem Herrgott, der blibt si jo glich.“ Und so geschah’s, und ’s Mariele ging in einem so langen „vürnehme“ Kleid zur Kirche, daß es die Treppe hinaufstolperte, und die verschiedenen [S. 90] Wohltäterinnen verlangten alle vom lieben Gott ihre Extrabelohnung, weil sie so schön fürs Mariele gesorgt hatten und die Stiefel geschenkt hatten, mit denen ’s zum erstenmal zur heiligen Kommunion gegangen war.

[S. 91]

Die Lenebas

D ie Lenebas war nicht immer die bestgeachtetste Frau im Dorf Rupertsweiler gewesen. Lange hatte man ihr sehr verdacht, daß sie es durchsetzte, ihren Hof ganz ohne Knecht besorgen zu wollen. Ein Abweichen von der Regel liebt man auf dem Dorf gar nicht, und auf ein Gut von der Größe des der Lenebas gehört ein Großknecht. Und selbst, daß sie bald Preise heimbrachte von den Geflügelausstellungen, und daß das Gespinst von ihr und ihren Mägden auf der Großherzoglichen Landesausstellung den ersten Preis errang und sie von der Großherzogin die Brosche erhielt, die für fleißige Spinnerinnen von der hohen Frau gestiftet worden war, das alles half ihr im Dörflein Rupertsweiler nichts, man zuckte die Achseln über sie und meinte: „So e einschpännigs Frauezimmer isch halt gschupft, un ’s wird schon noch e bös End nähme.“ Erst als die Großherzogin bei einer Besichtigung des neuen Waisenhauses, das in dem ehemaligen [S. 92] Kloster eingerichtet worden war, auch einen Besuch bei der Lenebas machte und fast eine halbe Stunde lang deren Geflügelhof besichtigte und sogar ein „Strüweli“ annahm und am Kaffee, den die Lene ihr anbot, nippte, da schlug die Stimmung um, und die Bauern rückten die Zipfelmütze, wenn sie an der Lenebas vorbeikamen, fast wie beim Pfarrer, und sagten hinter ihr drein: „Die Lenebas, die schafft wie zwei Mannsbilder, dös isch e tüchtigs Frauezimmer.“ Und von da an kamen sie Rat holen zur Lenebas; eine Frau, von der sogar die Großherzogin sich hatte zeigen lassen, wie man die Ställe und Nester für Hühner und Enten einrichtet, die mußte schon über alles Bescheid wissen. Aber einmal hätte sie doch fast wieder ihren ganzen Einfluß verloren, und wochenlang tobte der Kampf im Dörfchen zwischen den Verteidigern, die sehr in der Minderzahl waren, und den Anklägern der Lenebas, und es gab erhitzte Köpfe. Nur grad die Lenebas selber blieb ruhig und ging ihren Weg weiter und schien es gar nicht zu merken, daß sie die meistbeschimpfte Person im ganzen Dörflein war. Die Lenebas hatte nämlich den Pfarrer zu ihrem Hause hinausgewiesen, [S. 93] richtig hinausgewiesen, wie einen lästigen, gefährlichen Strolch. Die Großmagd erzählte es immer wieder im Dorf: „Dagschtande isch se, wie der heilig Erzengel Gabriel, mir hän uns grad gfürchtet, un zum Pfarrer hät sie gsait: ‚Ganget usi, uf der Schtell ganget er, oder bigelt, i nimm e Schtecke und trieb euch usi‘.“ Und die Großmagd und die Zuhörer bekreuzigten sich jedesmal, wenn sie in der Erzählung wieder an diesem Höhepunkt angelangt waren. Die Mägde hatten ernstlich unter sich beraten, ob sie nicht allesamt der Lenebas kündigen wollten; denn das Strafgericht Gottes mußte ja das Haus treffen, wo so was geschah, und da wären sie unschuldig mitgehangen. Aber der Erdboden verschlang das Haus merkwürdigerweise nicht, auch kam kein Hagelwetter und zerstörte alle Ernte, nicht einmal unter dem Federvieh brach eine Seuche aus; die legten ihre Eier, als wäre nichts geschehen. Die Großmagd prophezeite zwar, es würden Basilisken aus den Eiern ausschlüpfen, die die Hennen grade bebrüteten — solche Gottesgerichte standen in ihrem Gebetbuch viele angezeichnet — aber es kamen gesunde und lustige Kücken und Entlein heraus wie immer, [S. 94] und da legte sich allmählich die Unruhe der Mägde, und an deren Stelle kam ein gewisser Stolz, auf einem Hof zu dienen, wo so eine Frau Bäuerin war, die nicht nur die Großherzogin zu Kaffee und Sträuble bei sich sah, sondern sogar den Herrn Pfarrer ungestraft aus dem Haus jagen durfte. Und gut war die Stelle, und gut war die Lenebas immer gewesen, die Mägde hingen eigentlich alle an ihr und standen denn auch bald tapfer auf ihrer Seite, wenn jemand wagte, in ihrer Gegenwart ihre Bäuerin anzugreifen. Und nach und nach wurde die Auffassung der Mägde vom ganzen Dorf angenommen, und man war jetzt doppelt stolz auf das „Dunderswib“, die Lenebas.

Und daß die Lenebas den Pfarrer aus ihrem Haus gejagt hatte, das war so gekommen: Als sie einmal um Weihnachten herum spät abends noch nach dem Weiher gegangen war, um eine Marderfalle frisch zu stellen — der Räuber hatte ihr zwei Prachtshennen weggefangen in den letzten Nächten — da sah sie ’s Marei, die Magd vom Schulzenhof, durch den dichten Schnee auf den Weiher zukommen. Fast wie betrunken stolperte sie daher, und als die Lenebas sich ihr in [S. 95] den Weg stellte und mit der Laterne ihr ins Gesicht leuchtete, da sah sie ein verweintes, verstörtes Gesicht und ein paar Augen, die kaum zu erkennen schienen, was um sie vorging. Kurz entschlossen, nahm die Lenebas ’s Marei am Arm, schwenkte sie herum und wollte sie ins Haus führen. Da wehrte und sträubte sich aber ’s Marei und fing an zu jammern: „Lasset mi los, i muß ins Wasser, des überleb i nit.“ Aber die Lenebas hielt nur um so fester und sagte: „Schtill bischt, Maidli, ins Wasser kannsch immer noch, erscht kommsch jetz emol zu mir in e warmi Schtube un verzehlsch mer, wenn de ufgfrore bisch, bisch jo de reinscht Isklumpe, was de für Schmerze häsch. I halt keins, wenns us dere Welt dervolaufe will, aber erscht musch emol wie e vernünftige Mensch dei Sach vom Ofewinkel us mit ere warme Suppe im Leib aschaue. Wenn de derno immer no meinsch, ’s isch kei Plätzli meh für di do, sell isch denn en anderi Sach; aber in dere Verfassung ka mer keini Bschlüß fasse.“ Und während sie so redete, hatte sie die immer weniger Widerstrebende bis ins Haus gebracht, installierte sie im Ofenwinkel und eilte nun, ihr warme Strümpfe [S. 96] und Schuhe und einen trockenen Rock zu bringen.

’s Marei ließ alles mit sich geschehen; als sie trocken und warm angezogen war, rückte die Lene nahe zu ihr auf die Ofenbank und sagte: „Glei kommet jetz d Mägd mit der Obedsuppe in d Schtube rei. Du bisch e ordentli Mädli, i kenn die vo klei uf un hen dini Eltere, Gott hab sie selig, kennt, des ware bravi Lüt. Hüt Nacht schlofsch in der Schrankkammere nebe meiner, un morge dischkuriere mer derno wieder über dei Sach. Aber solang d Mägd in der Schtube sind, nimmsch di z’samme un tusch nit dergleiche, des versprichsch mer.“ Und sie streckte der Marei die Hand hin, und die schlug ein, und damit war die Lenebas befriedigt. Und bei der Abendsuppe wurde über die täglichen Verrichtungen gesprochen wie sonst auch, und nur ganz beiläufig sagte die Lenebas: „’s Marei will no was von der Hühnerzucht zulerne. Annastasi, du richtesch derno ’s Bett für’s in der Schrankkammere, bruchsch d’Pfulbe nur us der Truhe nemme, ’s liegt alles bienander.“ Und dann wurde das gemeinsame Abendgebet gesprochen, und die Mägde schoben mit einem „Gut Nacht au“ zur Tür hinaus. [S. 97] Die Bäuerin hielt ’s Marei einen Augenblick zurück: „’s Annastas zeigt der dei Kammere, un schlof guet die erscht Nacht im Maidlihof, un halt di tapfer.“ Und damit reichte sie dem Marei die Hand und nahm dann die Stalllaterne vom Türpfosten, ihren üblichen Rundgang noch zu machen.

Und am Morgen nach der Frühsuppe, als jeder an seine Arbeit gegangen war, blieb die Lenebas mit dem Marei im Herrgottswinkel sitzen. „So,“ meinte sie, „jetz hen mer e Schtündli für uns, jetz könne mer schaue, ob’s wahr isch, was de geschtern gmeint hesch, daß kei Plätzli meh für di uf derer Herrgottswelt isch; aber alls schön der Reih nach. Hesch dei Sach no uf em Schulzehof?“ Das Marei nickte nur. „Hesch bündeled?“ fragte die Lene weiter. Dem Marei kamen doch wieder die Tränen in die Augen: „Er hät mi fortgjagt, i hätt scho Zit gha z’bündle, aber i hen ghült, un derno wie’s dunkel worde isch un der Schulzebur a mei Kammere klopft hät, no bin i grad wie ni war an nem vorbigrennt, alls fort ...“ Sie stockte und die Lene ergänzte gelassen: „Glücklicherwis der Lenebas grad in d’Arm neigrennt.“ Und nun fragte sie bündig: [S. 98] „’s Kind isch vom Bur, nit vom e Knecht?“ ’s Marei guckte erstaunt auf. Das wußte die Lenebas also schon. Wie zur Antwort nickte die Lenebas: „Worum hättscht denn suscht ins Wasser renne wolle. Aber i verschtoh do nit recht, worum hät der Bur di denn fortgjagt? D’Frau liegt krank un schtoht au kaum meh uf, bis mer sie mit de Füeß vorweg zum Hof naustraget. Die hät’s doch nit erfahre un nit verlangt; un der Bur ... hät der scho wieder en anderi wolle?“ „Nei, sell nit,“ erzählte nun ’s Marei, „wenn i em Bur zwille wär, so könnt i grad e Herrelebe führe uf em Hof.“ Und jetzt brach’s aus ihr heraus, der ganze Jammer, und die Worte überstürzten sich fast, mit denen sie der Lenebas klar machen wollte, wie sie in die elende Lage gekommen sei. „Jo schauet, der Bur isch mer nachgange vom erschte Tag, wo ni uf em Hof war, i hän mer lang nix derbi denkt, i war halt au no e dumms Ding un hab gmeint, wo ner doch verhürotet isch, no solt’r do nit nach de Mädli luege. Aber derno hän’s die andere gmerkt un hän gschpöttelt und gschtichelt un händ alles tue, um im Bur d’Glegeheit z’mache. Si hän mer e Kammere gä, ganz ab vu de andere Mägdekammere, [S. 99] si hän gsait, daß i nächer bei der kranke Büeri si soll. Wie ni emol uf em Heubode z’ tue ghabt hab un der Bur au rufgschtiegen isch, no het der Großknecht unte d’Leiter ewegzoge. Un derno hän i deutli gmerkt, was der Bur vu mer will; blaui Flecke han i ghabt, no acht Däg lang, so han i kamplet mit em, aber ’s het mer nix gholfe, er het si Wille ghet. I will nit lüege, Lenebas, i han mi gwehret, sell isch wohr, aber ’s isch e Moment gsi, wo ni mi nimmi gwehrt hab, un i het jo au glei derno bündle könne, aber i bin dobliebe, un i han em am Obig d Kammeretüre nit zugmacht. Aber derno, wie ni d’Büeri wieder gsehe hab uf ihrem Siechbett, un wie die Huslüt alli so schiech guckt hän, oder au gar so um mi rumg’schmeichelt hän un mi schier scho wie d’künftig Büeri um alles gfragt hän, wo doch d’recht Büeri no lebig isch, do han i en Ekel kriegt. I han der Bur nimmi sehe könne un hab mi gschämt, daß d’Sonn mi ascheint. Der Bur hät bettelt un hät mer bei alli Heilige versproche, daß i sei Büeri wir, wia die ander tot isch; aber wenn er bei mer i der Kammere gsi isch, no isch grad immer d’Büeri mit ihrem breschthafte Lib zwische uns [S. 100] gsi, so daß es mer graust het, un i hans nimmi könne ushalte, i hab nei gsait un nei, un wie i’s Kind gmerkt hab, derno hab i erscht recht gwußt, daß i der kranke Büeri des nit antue ka. Der Bur het in sim Zorn brüllt un gsait, wenn i nem nit z’wille bi, so gibt er der Büeri grad Rattegift. Derno han i mer nimmi z’helfe g’wußt andersch, i han em gsait, daß i en Andere gern heb, un er soll mi in Ruh losse. Jo, un derno hät er mi verschlage un hät mi dervog’jagt; un wie ’r am Obig wieder komme isch un bettlet hät un mer alles möglich versproche hät, un i soll em nur sage, daß des von dem Andere e Lueg isch, do bin i fortg’rennt un hab mer denkt: lebe kann i nimmi.“ Die Lenebas hatte den ganzen Ausbruch ruhig mit angehört und ihr Spinnrad gedreht: „So han i m’r d’Sach ug’fähr scho selber denkt, i kenn jo de Schulzebur“, meinte sie jetzt gelassen, „daß de weggange bisch vom Schulzehof isch recht, du hetsch ’s a weng früher tue könne, ’s wär besser gsi, aber was g’schehe isch, isch g’schehe. Nur Maidli, do verschtoh i kei Schpaß, du bisch zu dem Kind komme, nit viel anders, wie ne Henne en Ei legt; ’s isch der halt so komme, un i sag der g’wiß nix dergege, [S. 101] aber jetz häts en End mit dem in Dag neilebe, jetz bisch für des Kind do un nit für di. Jetz häsch derfür z’sorge, daß des Kind e warms Plätzli uf dere Welt findet, un wenn de nix andersch häsch als dini Ärm, no häsch halt dini Ärm um so fester um des klei Wurm z’samme z’halte, daß es nit gar z’frue merkt, wia kalt d’Welt suscht isch. Un helfe will i der derbi, do de mer grad in d’ Ärm neigrennt bisch. Jetz blibsch uf em Hof un hilfsch mer bei der Arbet, un was witers wird, des wolle mer unserm Herrgott überlasse.“ Und ’s Marei sagte „Vergelt’s Gott viel dusigmol“ und weinte noch ein Weilchen, und dann nahm sie ihr Leben wieder in zwei Hände und ging an die Arbeit. Und es wäre alles gut gegangen, denn die Mägde des Maidlihofs nahmen die Sache natürlich und gutmütig, und die Lenebas war die letzte, die sich um Gerede gekümmert hätte, wenn geredet worden wäre. Aber ’s Marei fand sich doch nicht immer mit dem gleichen Mut in ihre Lage; oft genug ertappte die Lenebas sie, wie sie mit verweinten Augen vor sich hinstarrte. Und da der Lenebas eine Aussprache mit ihrem Herrgott immer geholfen hatte, so riet sie der Marei eines Morgens: [S. 102] „I mein alls, dir täts guet, emol bichte z’goh; du bisch jetz scho zwei Monet bei mer un häsch in dere Zit dei Friede nit g’funde. I ganget jetz emol, wenn i di wär, un tät unserm Herrgott ’s Herz usschütte, un e gueti Bicht hilft mengesmol, wenn mer e schwers Herz hät.“ Und da ’s Marei in den zwei Monaten gelernt hatte, die Lenebas wie eine Mutter zu verehren, so folgte sie auch jetzt, und eilte gleich am nächsten Samstag zur Beichte. Aber das Resultat war anders, als die Lenebas erhofft hatte. ’s Marei kam verstört und halb von Sinnen aus der Kirche zurück und erzählte der erschrockenen Base, der Pfarrer habe sie so hart beschimpft, daß sie nicht mehr wisse, wie sie weiter leben solle. „O die Mannsbilder,“ fuhr die Bäuerin auf, „die elendige Mannsbilder, wenn die nur alles hinterefür aschtelle könne! Schau Marei, was so a Mannsbild sagt, un wenn’s der Herr Pfarrer isch, des gilt grad gar nix; was verschtoht denn so a Mannsbild, noch derzue so e einschichtigs, vu uns Wibervölker. So laß en doch schwätze un halt dich an unsere liebi Mutter Gottes; jetz häsch dei Pflicht tue, wie ’s d’Kirche vorschreibt, un jetz bettescht zum liebe Gott, un derno wird’s d’r scho [S. 103] besser were. Was der Pfarrer gsait hät, des schlagsch d’r aus em Kopf, der schwätzt halt wie’r ’s verstoht un wie’r meint, daß er muß; aber des musch nit schwerer nehme, als wenn unser Geißbock dir e Stoß mit de Hörner gibt, ’s tut e weng weh, aber so em e uverninftige Tier ka mers do nit verdenke, un derno lacht mer drieber.“ Es schien, als würd’s der Marei etwas leichter ums Herz unter dem Zuspruch der Lenebas, aber es hielt nicht an. Ihr Gemüt war verstört und wurde es immer mehr. Als sie gar erfuhr, daß die Schulzenbäuerin gestorben sei, da wuchs ihre Aufregung so, daß die besonnene Lenebas sich fragte, ob das Mädel nicht besser in einem Krankenhaus untergebracht würde. ’s Marei schrie laut, sie habe die Schulzenbäuerin getötet, und die Lenebas konnte ’s Marei nur mit Mühe davon abhalten, vor dem ganzen Dorf und vor dem Gericht sich des Mordes anzuklagen. ’s Marei war geisteskrank, das wurde der Lenebas klar, aber sie vertraute immer noch auf die gute Natur des Mädchens, und ein Arzt, den sie aus der nahen Stadt hatte rufen lassen, gab ihr im Grunde recht und tröstete sie mit der Behauptung, daß diese Verstörung mit der Schwangerschaft [S. 104] zu Ende gehen werde. Die letzten Tage vor der Niederkunft wich die Lenebas dem Marei fast nicht von der Seite. Ein kleiner Bub kam zur Welt, und ’s Marei hörte auf zu jammern und zu schreien und lag still in ihren Kissen und hätschelte den kleinen Kerl. Und die Lenebas atmete auf und ging nun wieder mit erleichtertem Gemüt ihren etwas vernachlässigten Geschäften nach und überließ ’s Marei sich selbst und dem Einfluß ihres Kindes. Und da geschah das Unheil. Als die Lenebas eines Nachmittags ihre Geflügelställe inspizierte, kam plötzlich die Anastas gelaufen und meldete ihr: „Der Herr Pfarrer isch kumme, er hät nach em Marei gfrogt un ’r isch drin bi n’ re.“ Die Lenebas eilte was sie konnte nach dem Haus zurück; da hörte sie schon auf dem Gang zu Mareis Stube lautes Weinen und dazwischen die erregte Stimme des Pfarrers. Ohne Zaudern riß die Lenebas die Tür auf und stand vor dem erstaunten Geistlichen. Mit einem kurzen „Grüß Gott, Herr Pfarrer“, ging sie an ihm vorbei zur weinenden Marei und nahm sie tröstend in ihre Arme. „Bäuerin, Ihr tut Unrecht, den Trotz dieser Verworfenen noch zu stützen,“ fing der Pfarrer an, „ich bin mit den [S. 105] besten Absichten hergekommen der Schulzenhofbauer hat mich beauftragt, Geld für das Kind, für dieses Kind der Sünde, zu bringen. Seine Verirrung reut den Mann, und er will ’s Marei wieder zu Ehren bringen und, soweit möglich, gutmachen, was er gefehlt und wozu er doch wohl von dieser Person eigentlich ist verführet worden, denn er war immer ein braver Sohn unserer heiligen Kirche; aber er will ’s Marei zu seiner christlichen Ehefrau machen. Das hab ich ausgerichtet und der Marei gesagt, sie soll in Demut unserm Herrgott danken, daß er sie aus ihrem tiefen Fall wieder sich erheben lassen will.“ Geduldig hatte die Lenebas bis jetzt zugehört, die erregte Kranke mit leisem Zuspruch zwischen hinein tröstend; nun war ihre Geduld zu Ende: „Un mit Verlaub, Herr Pfarrer, i mein alls, Sie könnte jetz dodervu ufhöre; ’s Marei isch krank, un ob sie eine Sünderin un eine Verworfene isch, des könnet Sie doch unserm Herrgott überlasse un meinswege im Beichtstuhl mit e’re usmache. Aber jetz scheint’s m’r nit grad die recht Zit dazue, un was Sie vom Schulzebaur z’sage händ, des könnet Sie mir sage, aber in meine’re Schtube; i sag derno scho im [S. 106] Marei, was se z’wisse brucht.“ ’s Marei rief dazwischen: „E Sündekind isch der Klei, so hät der Pfarrer gsait, un i bin schlecht un in der Schand. O himmlischer Heiland, brenne müsse mer alle zwei im höllische Feuer, o heilige Mutter Gottes hilf, un e Mörderin bin i, i han d’Schulzebäueri umbrocht; i, i hans tue, schterbe will i, so schlaget mer doch de Kopf ab ...“ „Was liegt da noch vor,“ fragte der Pfarrer, „da scheint ja noch die irdische Gerichtsbarkeit einschreiten zu sollen.“ „Marei, jetz bisch schtill,“ wandte sich die Lenebas zunächst an die Kranke, „e arme Tschole bisch un witers nix, un do hesch dei Kindli,“ und sie legte ihr den Kleinen in den Arm; „jetz sei verninftig un red nit so, ’s Kind wird jo no krank, un mir meine’s guet mit dir alli, un nix Böses häsch tue, du arme Tropf du, nix ...“ „So darf man doch wohl ...“ wollte der Pfarrer unterbrechen; aber jetzt wandte sich die Bäuerin ihm zu: „Händ Sie no nie e Fieberkranks dumms Zeug schwätze höre, Herr Pfarrer? Kommet Se jetz, ’s witer verzell i ne in meinere Schtube,“ und sie drängte den Pfarrer in den Gang hinaus. „I bin glei wieder bei d’r,“ rief sie dem Marei noch zu. Und dann [S. 107] führte sie den Geistlichen in ihre Stube. Was die beiden da sprachen, konnte selbst die hellhörige Anastas nicht erfahren; als kleine Befriedigung ihrer Neugierde bemerkte sie nur, daß Bäuerin wie Pfarrer nach einer kleinen halben Stunde mit ziemlich roten Köpfen herauskamen und die Verabschiedung recht kurz war. Die Lenebas eilte dann schnell zur Marei zurück, da fand sie Bett und Wiege leer. Voller Angst eilte sie aus dem Hause in den Hof und in banger Ahnung nach dem Weiher. Da sah sie rasch genug, was passiert war. Das Kind lag fast am Rand des Weihers, die Kräfte hatten ’s Marei wohl verlassen, sie hatte es fallen lassen, es war mit dem Köpfchen auf einen Stein gefallen und war tot, das sah die Lenebas auf den ersten Blick. Nicht weit davon im flachen Wasser, deutlich erkennbar, lag ’s Marei in einem Gewirr von Wasserpflanzen, die sie niederhielten. Ein paar Augenblicke stand die Lenebas, unfähig sich zu rühren; dann eilte sie zum Nachbarhof, Hilfe zu holen. Und nun setzte das Räderwerk der Staatsmaschine sich in Bewegung. Polizei und Schulze machten die nötigen Notizen und Berichte, und erst nach langen, langen Stunden konnte ’s Marei mit [S. 108] ihrem Kind in den herbeigeschafften Sarg gelegt werden.

Am andern Nachmittag kam der Pfarrer auf den Hof, von der Bäuerin den Hergang zu erfragen. Die Lenebas empfing den Geistlichen zuerst ruhig, als er aber nach den ersten Worten von „Selbstmörderin“ sprach, da riß sie die Tür zum Nebenzimmer auf, wo der Sarg stand und wo die Anastas mit zwei andern Mägden den Rosenkranz für die armen Seelen beteten, und zeigte auf die Tote: „Herr Pfarrer, nix für ungut, aber i mein alls, an dere Lich täte Sie besser, nit vo Selbstmord z’rede; wenn Einer in dere Schtube Schuld hät, no sind Sie’s, Herr Pfarrer, un wenn g’mordet worde isch, no hän Sie g’mordet, Herr Pfarrer! Des Maidli wär e bravs Wibervolk worde, wenn mer em über die schweri Zit nüberg’holfe hät; aber uf si schwere Weg auch no Schtei z’werfe, des het i nit g’meint, daß des e Mensch tue könnt, wenn i Sie, Herr Pfarrer, nit rede hät höre am Bett vu dem arme Maidli.“ „Was Sie da reden, werd’ ich überhören, weil Sie in begreiflicher Aufregung sind,“ sprach der Pfarrer, „aber ich spreche im Namen unserer heiligen Kirche und an Gottes Statt: ich verweigere [S. 109] der Marei das christliche Begräbnis als einer Selbstmörderin.“ „No sprech ich im Name vo unserm liebe Heiland un verzehl am Grab, wenn’s sei mueß, wer sie zu dem triebe hät,“ sagte die Lenebas gelassen; „aber mir zwei sind fertig miteinander, Herr Pfarrer,“ und sie richtete sich in ihrer ganzen Größe auf, „jetz ganget usi un kommet mer nimmi ins Hus, un wenn i uf em Totbett lieg nit. Ganget usi, oder i trib Euch mit em Stecke usi, wie e Räuber und Mörder.“ Der Pfarrer ging, und die Lenebas stand an der Leiche und betete ein andächtiges „Gott gebe ihr die ewige Ruh, und das ewige Licht leuchte ihr. Amen.“

[S. 110]

Die ehr- und tugendsame Jungfrau Euphrosyne

S eit etwa einem halben Jahr ging die Euphrosyne vom Plattenhof auch schier gar nicht mehr aus der Kirche heraus, und im Dorf munkelte man allerlei, und nicht gar freundliche Randglossen machte man. Die drei Geschwister, die „einschichtig“ auf dem abseits an steiler Halde liegenden Plattenhof hausten, waren nicht beliebt bei den Dörflern. Man verdachte ihnen ihr besonderes Wesen. Die drei hatten bei dem frühen Tod der Eltern beschlossen, gemeinsam den Hof zu behalten, um die Erbteilung, die jedem wenig gelassen hätte und den Hofbesitzer mit Schulden belastet hätte, zu umgehen. „Der Karli hät halt in en Hof ihirote solle, ’s Euphrosyne in e Dienscht gehe un der Gottlieb eini mit Geld uf de Hof nehme. No wär’s scho gange. Anderi maches au eso,“ meinten die Dorfweisen, und die Plattenhofbuben und ’s Maidli, wie die drei ihres ledigen Standes wegen immer noch [S. 111] genannt wurden, obwohl der Karli fünfzig, die Euphrosyne achtundvierzig und der Gottlieb, der Jüngste, [1] sechsundvierzig Jahre alt war, wurden ziemlich gemieden von den Nachbarn. Nur der geistliche Herr besuchte sie öfters auf ihrer Höhe, weil sie halt gar so fromm waren und für die Kirche immer einen offenen Beutel hatten. Aber gerade das, daß man wissen wollte, der zuletzt Überlebende solle den Hof der Kirche hinterlassen, das machte erst recht bös Blut unter den Bauern. „E paar hundert Märkli für Seelemesse, sell scho, wenn mer’s mache ka, aber e Hof braucht d’ Kirche nit,“ meinte wieder die Dorfweisheit. Und schadenfroh sah man jetzt zu, wie die Euphrosyne gar so viel betete, seit die junge frische Magd auf dem Hof war; nur damit konnte ihr bekümmertes Wesen erklärt werden, darüber waren die schlauen Frauen vom Dorf nur einer Meinung. Und sie hatten recht mit ihrer Vermutung. Dem Gottlieb war plötzlich eingefallen, daß er eigentlich noch jung genug sei zum Heiraten. Der Hof war in den langen Jahren der sparsamen Geschwisterwirtschaft besser geworden, [S. 112] manch Stücklein Acker war dazugekommen; er hätte jetzt die Geschwister schon auszahlen können, ohne sich selber zu ruinieren. Und die Resi „isch halt gar e schaffigs und luschtigs Maidli,“ meinte er, „das wär doch ein ander Leben, als mit der fromme Schwester.“ „’s druckt mer schier ’s Herz ab,“ sagte die Euphrosyne zu ihrer alten vertrauten Magd, die noch von Elternzeiten her auf dem Hof war, „wenn i denk, daß i g’schafft un g’rackert habe soll für des herg’laufe Mensch. Un jetz uf mei alti Täg no unter fremdi Lüt soll, un die setzt sich grad nei in Fetthafe. Un wo ni do gschafft hab für unser Herrgott, daß mer doch au e Fürbitt hät, wenn’s ans Schterbe geht, un jetz soll die’s ha für ihre Bube, die sie, wer weiß woher, dem alte Narr, dem Gottlieb, ufschwätze wird, des Mensch, des schlecht. Gott verzeih mer d’Sünd, wenn i er ’re Unrecht tue, i hät’s gern fortg’jagt, scho lang, aber no wär der Unfriede erscht recht do, un der Gottlieb tät se mer grad z’leid nit goh lo un vom Fleck weg hürote. Alli Wallfahrte han i jetz mitg’macht i dem Johr, im heilige Joseph han i’s ans Herz g’legt, daß er doch au d’Keuschheit vom Gottlieb hüte soll, un der Muttergottes uf em Lindeberg [S. 113] han i e Kerze g’opfert. Du weisch’s jo, fascht ’s ganz’ Wachs vom obere Bienestock han i derzu hergä, sie soll mer do e Licht ufstecke, wie ni des Maidli us em Hus bring, eso, daß d’Bube selber dermit iverschtande sin. Was meinsch, ob villicht mei Traum hüt Nacht m’r vu der Mutter Gottes g’schickt isch: i han träumt, der Pfarrer hät ’s Resi mit em Weihwasserwedel zum Hus naustriebe, un der Gottlieb hät er ’re no d’Sau hintenoch g’hetzet. I mein alls, i will emol mit em Pfarrer rede über d’Sach; i han mer nie recht traut, weisch, in so Sache; unser Pfarrer in Ehre, aber da haltet d’Mannslüt doch alli z’samme. Aber wenn mer d’Mutter Gottes hilft, wird er doch am End isehe, wenn i em recht schön klar mach, was für e G’fahr droht — unser Hof isch doch jetz uf siebzigtusend Mark g’schätzt — un der Unfriede im Haus, wo mer doch so gut z’samme g’lebt hän. Grad verhext muß sie en ha, Gott verzeih mer, wenn i er ’re Unrecht tue.“

Und so setzte sie beim nächsten Besuch des Pfarrers ihr bestes Kirschenwasser und Sträuble von zwölf Eiern gemacht und ihren schönsten Schinken ihm vor, und als er behaglich im Herrgottswinkel installiert war, brachte sie ihr Anliegen [S. 114] an. „I mein alls, Herr Pfarrer,“ schloß sie ihre lange Rede, „Sie könnte’s im Gottlieb in der nächste Bicht sage, daß des nit recht isch, im e christliche Hus so e schlechts Bispiel z’gä. Un ’s Maidli duret mi, wenn er’s so in Unehre bringt. Er soll sie in Gottesname hürote — d’Kirche verliert jo e schöns Schtückli Geld, aber die gute Sitte isch jo doch meh wert.“ Der Pfarrer unterbrach sie nun doch erstaunt: „Ja, Euphrosyne, was sagt Ihr da, das Maidli ist doch brav. Ihr wollt doch nit sagen, daß da schon ein unehrbares Verhältnis im Gang ist?“ Die Euphrosyne nahm erstmals einen tüchtigen Schluck Kirschenwasser ehe sie antwortete. Es war doch nicht so leicht, dem geistlichen Herrn so geradezu ins Gesicht zu lügen, aber der gute Zweck, und sie hatte ihren Plan, und den hatte sie der Mutter Gottes vorgelegt, und die hatte ihr im Traum ganz deutlich gesagt: „Mach das nur so, Euphrosyne, du tust ein gut Werk, und Gottes Wege sind dunkel. Du mußt das so anpacken, daß die nit merken, daß der liebe Gott sich deiner als Werkzeug bedient. Von wegen deiner Bescheidenheit, daß die nicht Not leidet.“ So antwortete sie denn: „Ja, Herr Pfarrer, Sie fraget au gar e so [S. 115] g’nau, für mich als ehrsame Jungfrau isch des halt e schenierlichi Sach, aber wie ni g’sagt hab, halte Sie’s im Gottlieb nur vor in der Bicht, daß des Maidli durch ihn in Unehre komme isch — Gott verzeih mer, wenn i e Unrecht tue — aber saget Sie’s em nur scharf, Sie wüßte’s aus sicherer Quelle, jo des isch e so.“ Der Pfarrer versprach nach ihrem Wunsch zu handeln und lobte sie ob ihres tugendlichen Verzichtes. „Jo, Herr Pfarrer, ’s isch scho schwer, unter fremdi Lüt z’müsse, aber alles mueß recht si, in Unehre soll ’s Maidli nit komme.“

Am nächsten Samstag kam der Gottlieb mit hochrotem Kopf aus dem Beichtstuhl, und ohne seine auferlegte Buße abzubeten, eilte er aus der Kirche dem Plattenhof zu. Die Euphrosyne fing ihn unter der Tür ab. „Bisch scho wieder do vu der Bicht?“ „Jo, los, i möcht di grad was froge; was isch mit em Resi?“ fragte Gottlieb dagegen. Euphrosyne nestelte an ihrer Schürze und schlug schämig die Augen nieder: „I mein alls, sell müßt i eigentlich di froge.“ „Bigelt,“ wetterte Gottlieb, „fangsch au mit dene Verrücktheite a, der Pfarrer hät mer scho der Kopf heiß g’macht. ’s Maidli muß bigöscht Dreck am Stecke ha, der [S. 116] Pfarrer muß es do wisse, er hät gsait, er wüßt es aus sicherer Quelle, daß des Maidli durch mich in Unehre komme wär. Nit mit em kleine Finger han i sie agrührt. Hürote han i’s wolle, jo gell, do schausch, i ha der no nix dervo gsait, vor i im klare bin mit dem Maidli, han i niemed nix sage wolle. Aber des hät scho ä andere Gspusi, scheint mer. Was weisch du vun derene Sach?“ „Jo weisch, wenn de mi so grad uf de Kopf frogscht, i hät mer suscht lieber d’Zung abbisse, aber d’Wohrheit mueß mer alliweil sage, ’s Maidli isch mer komisch vorkomme i de letzte Woche. I ha mer halt denkt, du hesch am End Absichte. Un i mueß der grad sage, i hab viel bettet für di, weil du vor der Hochzit scho ...“ Sie machte eine verschämte Pause. „I hab halt alls g’meint, du wärsch es, wenn i in der Kammere vum Maidli rumore g’hört hab. Aber sell soll mer nit, uf e bloße Verdacht hi, des Maidli verschimpfiere, ’s hät jo au d’Katz si könne ... ’s Maidli isch b’sunders in de letzte Woche, aber nei, nur nit vu andere Böses denke, ’s Maidli isch am End doch brav, hürot sie nur.“ „Jo weggerli,“ fiel der Gottlieb ein, „sell paßt mer nimmi, woher denn soll der Pfarrer wisse, daß i sie in Unehre [S. 117] bracht hab, jo des hät ’r mer gsait, sie muß em doch bichtet ha?“ „Jo, wenn der Pfarrer sait, daß sie in Unehre isch, du bisch’s gwiß nit gsi?“ „Nei, bigelt.“ „I glaub der jo, du häsch nie nit g’loge, aber wenn’s der Pfarrer doch sait, mer hän doch niemed suscht uf em Hof. Der Mathes, unser Knecht, der macht keine so Sprüng meh mit sine fünfundsechzig Johr ... Isch’s am End der Karl gsi?“ setzte sie tastend hinzu. Gottlieb fuhr aus seinem Brüten auf und starrte die Schwester an. „Der Karli?“ „Hei jo, ebber muß ’s doch si, wenn’s der Pfarrer sait,“ bestätigte Euphrosyne, „wenn der Karli ’s Maidli hürote will, musch em uszahle. Aber mer wennt nit Rede halte, vor mer’s g’wiß wisse; unnütze Rede müsse mer verantworte am jüngste G’richt. Weisch Gottlieb, der Pfarrer soll der Karli ushorche, un i will uf ’s Maidli ufpasse, wenn du’s hürote willsch, isch des mei Pflicht, denn d’zukünftig Büeri uf em Plattehof muß e ehrsame Jungfrau si; aber laß der nix amerke, mer wennt erscht höre, was der Pfarrer zum Karli sait.“ Der Gottlieb war damit einverstanden, aber es rumorte in ihm, und nachts schlich er ums Haus herum und horchte an der Kammer, und er vernahm [S. 118] ein leises Murmeln drin und manchmal ein Seufzen, und mit geballten Fäusten schlich er zurück in seine Kammer. Und die Euphrosyne ging am andern Tag beichten und klagte sich an, unbedacht ihren lieben Bruder Gottlieb verleumdet zu haben: „Der isch’s gwiß nit, ’s muß der Karli sei, hät ’r g’meint, aber i will kei übli Nachred mehr halte, Gott verzeih mer d’ Sünd. I leg d’Sach in Gotts Hand, der wird’s scho recht mache; gelle Sie, Herr Pfarrer, Gotts Wille g’schicht, was mir armi sündigi Mensche au plane.“

Der Pfarrer hatte es recht eilig, den Plattenhof zu besuchen. Der schöne Hof lag ihm doch recht sehr am Herzen, und daß der Karli auf seine alten Tage noch solche Streiche machen sollte, wollte ihm gar nicht in den Kopf. Es gab eine heftige Auseinandersetzung, und die Euphrosyne, die hinter der Tür horchte, rieb sich vergnügt die Hände. Der Karli trumpfte ordentlich auf, und der Pfarrer ärgerte sich über den verstockten Sünder und sprach von Ärgernis für das ganze Dorf und von dem Kummer der braven tugendsamen Jungfrau Euphrosyne, die immer zum Guten rede, gar erbaulich. Der Karli verstummte schließlich verstockt, und Euphrosyne fand [S. 119] es nun an der Zeit, mit unbefangener Miene in die Stube zu kommen, um die beiden mit guter Manier auseinander zu bringen. Ihr Samen würde jetzt schon aufgehen, mehr Eifer von Seiten des Pfarrers konnte ihr nur schaden. Und sie überschüttete den Pfarrer mit einem Redeschwall und komplimentierte ihn zur Tür hinaus, nicht ohne eine ansehnliche Geldgabe für heilige Messen: „Sie wisset scho, fürs b’sondere Aliege, daß alles guet usgoht.“

Und ein paar Nächte darauf sah der Gottlieb im Dunkeln den Karli um die Kammertür der Resi herumschleichen, aber der Karli sah auch den Gottlieb, und er blieb lauernd stehen, um zu sehn, ob der wohl hineinginge. Und wie sie so lautlos im Dunkeln warteten, hörten sie ganz deutlich hinter der Kammertür ein leises Kichern, dann eine unterdrückte tiefe Stimme und ein hastiges Tappen und Huschen, und unwillkürlich machten beide einen Schritt nach der Kammer zu und blieben dann verlegen voreinander stehn. „O des Mensch, des schlecht,“ sagte Gottlieb. Karli nickte bedächtig: „Also bischt du’s nit gsi!“ „Jo, wo denksch au hi,“ meinte leis der Gottlieb, „i werd mi do nit uf mini alti Däg so zum Narre [S. 120] halte lo von so me junge Mensch ... Aber us em Hus muß se mer, morge no,“ setzte er in erneutem Ärger hinzu. „Jo, ’s wird ’s G’schitescht si,“ meinte der Karli, „weisch, mer sind in de Müler vom ganze Dorf, mir händ si’s gsait geschtern,“ und er lachte leise in sich hinein, „der Pfarrer hät g’meint, i hät se uf schlechte Weg brocht.“ „Us em Hus mueß se mer,“ wiederholte der Gottlieb, „d’Euphrosyne soll se morge in der Frueh fortschicke, i will’s gar nimmi sehe, des schlecht Maidli des; in unserm christliche Hus so e Lotterlebe z’führe.“ Brummend zogen sich die Brüder jeder in seine Kammer zurück.

Und drin in der Kammer der Resi streckte sich die Euphrosyne recht behaglich unter das dicke Federbett. Sie hatte sich ohne Wissen der Brüder für ein paar Nächte bei der Resi einquartiert. „Weisch, i han au so ängstliche Träum in der letzte Zit, un do möcht mer doch gern e lebigi Seel um si habe,“ hatte sie der Resi als Vorwand gesagt. Sie hatte das Knarren der Diele und das Flüstern der Brüder gehört und ihre Schlüsse draus gezogen. Sie wußte, daß sie jetzt auf dem Hof bleiben konnte bis zu ihrem Sterbestündlein, und ein guter Platz im Himmel war ihr auch [S. 121] sicher, wo doch der liebe Gott den schönen Hof bekam. Eine große Kerze gelobte sie noch der lieben Mutter Gottes, die ihren Plan, ohne Unfrieden das fremde Mädel fortzukriegen, hatte gelingen lassen. Und der Resi sollte auch nichts passieren. Sie hatte sich das schon zurecht gelegt. Am Morgen wollte sie sich mit ihr aufs Bernerwägeli setzen und zur Bas über den Berg fahren; die suchte eine Hilfe, bei ihrer Gicht konnte sie so schon lang ’s Vieh nicht mehr ordentlich besorgen. Daß die Resi gleich dort blieb, das wollte sie schon einrichten. Dann schlief die ehr- und tugendsame Jungfrau Euphrosyne befriedigt ein, und so gut und traumlos hatte sie schon seit Monaten nicht mehr geschlafen wie diese Nacht. Das ruhige Gewissen und das gute Einvernehmen mit dem lieben Gott und seinen Dienern auf Erden verlor sie nicht bis sie achtundsiebzigjährig als letzte der drei Geschwister selig verstarb.

Und der Pfarrer hielt ihr eine so erbauliche Grabrede, daß das ganze Dorf Rupertsweiler einsehen mußte, wie sehr es im Unrecht gewesen war mit seiner Abneigung und wie wohl verdient die Inschrift auf dem Grabstein war:

[S. 122]

Hier ruht
bei ihrem Heiland
die ehr- und tugendsame Jungfrau
Euphrosyne Platner.
Sie lebte ohne Lug und Fehl,
Und gut geht’s ihrer armen Seel;
Auch weil sie all ihr Gut und Hab
Dem lieben Gott zu eigen gab.
Sonst wollt’ sie nur den Grabstein haben.
Gott möge ihre Seele laben.
Amen.

[1] Im Schwarzwald übernimmt der Jüngste den Hof.

[S. 123]

Das Gespenst

B eim Walzenbauer geisterte es; die Knechte und Mägde des Hofes flüsterten es sich untereinander zu und erzählten es, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, bald da bald dort einem Knecht oder einer Dirn vom Nachbarhof. Der Bauer und die Bäuerin wußten es auch, das hatten die „Völker“ schon gemerkt; aber es war nicht gut Kirschenessen mit dem Walzenbauer, und so hüteten sich die Leute wohl, laut darüber zu sprechen. Und gar so fromm war der Bauer und die Bäuerin, und der Pfarrer kam jedes Jahr in der Dreikönigswoche und segnete Haus und Stall und Hof und zeichnete die drei Buchstaben C M B † über Haus- und Stalltür. Und im Herrgottswinkel steckten hinter dem Kruzifix die geweihten Palmbuschen vom Palmsonntag, und in der Schlafstube stand riesengroß die Statue vom heiligen Joseph, dem Namenspatron des Walzenbauern. Und doch — gerade in der Schlafstube hatte das Gespenst zuerst sich [S. 124] gezeigt, wie die Mägde sich zu erzählen wußten, und von der Schlafstube aus kam’s immer, wenn sich’s bald da bald dort im Haus verzeigte. Der Bauer war sichtlich gedrückt von dieser Gespenstergeschichte; sein Hof war immer ein Musterhof gewesen, und wie’s seine Großeltern auf dem Hof gehalten hatten, so ward’s jetzt gehalten, und seine Großeltern und seine Eltern waren brave, fromme Leute gewesen und hatten sich nichts zuschulden kommen lassen in ihrem Leben; die brauchten nicht als friedlose Seel’ jetzt in ihrem Hof herumzugeistern, und wenn’s eine fremde Seel’ war, die hatt’ erst recht nichts auf dem ehrbaren Hof zu suchen. Und der liebe Gott meinte es nach des Bauern geheimster Herzensmeinung überhaupt nicht gut mit ihm, der doch rechtschaffen lebte und niemand ein Unrecht tat.

Seine Frau hatte ihm statt des Stammhalters, der mal den schönen Besitz hätte übernehmen können, eine einzige Tochter geboren.

Wie oft hatte er’s dem Pfarrer vorgeklagt: „No ja, klage kunt i nit, recht wär sie, die Resi, schaffig un immer lustig un zum Anschauen wär sie au nit übel, i wüßt im Dorf kei schöneres un kei braveres Maidle z’nenne, wenn i eini [S. 125] hätt’ nennen sollen, als ’s Resi, des müssener selber sage, Herr Pfarrer, daß dös so isch. Aber a Stammhalter isch’s halt doch nit, un des war nit recht vom liebe Gott, Gott verzeih mer d’ Sünd. Un gar jetzt, wo des Resi en riche Buresohn hirate sollt, jetzt hat sie sich der Waltertoni in de Kopf g’setzt, der Großknecht, he jo, alles was recht isch, schaffig isch er un a brave Bua. Aber gleich g’hört zu gleich, Herr Pfarrer, un der Waltertoni isch a Häuslerbua, un des paßt mer nit für’s Walzebauereresi.“ Oft schon hatte der Pfarrer gut zugeredet, der hätte dem Resi und dem Toni gern geholfen, aber der Bauer blieb hartnäckig bei seinem „Gleich g’hört zu gleich“. — Und als die Resi immer hartnäckiger auf ihrem Willen bestand, da hatte der Walzenbauer zwar nicht den Großknecht fortgeschickt, der war nicht so bald zu ersetzen, denn er schaffte für drei jetzt in der Erntezeit; aber ’s Resi hatte er hergenommen und es mit allen Strafen des Himmels und der Erde bedroht, wenn er sie noch einmal ein Wort mit dem Toni sprechen sehen würde.

Und ’s Resi durfte nimmer mit der Großmagd zusammen schlafen in den Mädlekammern, das [S. 126] kleine Kämmerle hinter der ehelichen Schlafstube wurde der Resi eingeräumt, mit dem einzigen Ausgang durch die Schlafstube der Eltern, und das Fenster nagelte der Bauer eigenhändig zu, nicht das kleinste Schieberchen ließ er offen. Ein paar Tag lang lief ’s Resi mit verschwollenen Augen herum, aber dann warf’s wieder den Kopf in die Höh wie in guten Tagen und sang im Haus herum, so lustig wie immer. Und gerad da, wie im Hof scheinbar aller Unfriede wieder aufgehört hatte und der Bauer stillvergnügt sich die Hände rieb und zu seiner Frau sagte: „Siehsch Annelies, mer muß dem Maidle nur zurede, no läßt’s die Narreposse scho si“, gerade in den Tagen fing die Gespenstergeschichte an. Und die Bäuerin hatte bald Grund über ihr Resi den Kopf zu schütteln, ihr schien immer mehr, als wär’s mit der Heiterkeit der Resi nit gar weit her. Als der Bauer wieder einmal sein diplomatisches Talent gar sehr rühmte, meinte sie: „I weiß it, au gar so schreckhaft isch des Maidli, heut hän i mit em de Rosekranz bettet un beim letzschte G’setzli han i noch a Bittgebet ag’hängt, daß uns au der heilig Joseph behüte un bewahre soll vor dem G’schpensterwese, do hatt’s z’hüle ag’fange, [S. 127] so daß es gar nit hät mit bette könne, grad der Bock hät’s g’stoße. Mir g’fallt ’s Maidle nit,“ schloß die Bäuerin bedächtig. Aber der Bauer wollte nichts davon wissen; „warum soll’s nit hüle,“ meinte er brummig, „’s isch au grad a Schand für unsere Hof, ’s hät ganz recht, des Maidle, wenn’s braiget, un bigoscht, i hann’s au satt, un wenn der heilig Joseph uns nit besser b’schütze ka, Gott verzeih mer d’Sünd, no kann er mer g’schtohle werre,“ setzte er in vollem Zorn hinzu. Die Bäuerin bekreuzigte sich voller Entsetzen. „Jesus, Maria und Joseph, Gott verzeih der d’Sünd. Dei heiliger Namenspatron! Bauer, so b’sinn di doch au!“

Aber der Bauer blieb verstockt und sein Entschluß, im Zorn gefaßt, sollte nun durchgeführt werden, die Geisterei duldete er nicht mehr auf seinem ehrbaren Hof. Am nächsten Samstag war Sichelhenke, dann war Zeit, er würde den Pfarrer bitten, am darauffolgenden Montag das Haus auszuweihen und dem Spuk durch den Segen der Kirche ein Ende zu machen. Und Samstag in aller Früh fuhr er in seinem Bennewägele nach der nahen Stadt, und das riesengroße Paket, das er auf dem Sitz neben sich mit zurückbrachte, [S. 128] das ließ er, ohne auf die Neugier seiner Frau zu achten, unausgepackt ins Schlafzimmer tragen. Der Pfarrer mochte dem angesehenen Bauern seine Bitte, das Haus neu auszuweihen und den Geisterspuk zu vertreiben, nicht abschlagen. Am Sonntag früh ging der Bauer und seine Frau zur Beicht und Kommunion. Einen Strich durch seine Rechnung machte das Resi dem Bauern, die konnte vor argen Halsschmerzen nicht mit zur Kirche, sie war so heiser, daß sie kein Wort hervorbringen konnte. Aber der liebe Gott würde schon mit dem guten Willen zufrieden sein, er und sein Haus wollten bereit sein, daß die Segnungen der Kirche am Montag auch Kraft hätten. Am Sonntag abend nach dem gemeinsamen Abendgebet verkündete der Bauer seiner Frau und Tochter und dem Gesinde: „Morge glei nach ’em Nüniesse kommener alli do in die Stube, mit änem subere Häs, i wer euch dann was verkündige. Un jetzt gut Nacht mitenander.“ Das Gesinde verteilte sich in die Kammern und wunderte sich, was wohl morgen „verkündigt“ werden würde. Frau und Tochter bestürmten den Bauern um Auskunft. Der wehrte aber mit einem ruhigen „I gang jetzt schlofe, bhüt [S. 129] Gott Resi“ alle Fragen ab, und Resi mußte in ihr Kämmerle schlüpfen. Im Ehebett mußte der Bauer seiner Frau wohl Rede stehen; denn einmal hörte die Resi einen Ausruf der Mutter, der fast nach Schreck klang, aber mehr konnte sie, so nah sie auch ihr Ohr an die solide Holztür anlegte, nicht hören. Und der Morgen kam heran, und die Arbeit auf dem Hof wollte heute keinem recht von der Hand gehen; wo zwei zusammenstießen, tauschten sie immer wieder ihre Meinung aus, was wohl geschehen würde. Aber endlich kam die neunte Stunde, das Nüni wurde schnell verschluckt, alle vertauschten den Arbeitsanzug mit dem Sonntagsgewand, und verlegen, oder, je nach Gemütsart, mit geheucheltem Gleichmut trat Gesinde und Frau und Tochter in die Stube zum Bauern, der im Herrgottswinkel saß, auch in seinem Kirchenrock.

„I han euch herbschtellt,“ fing der Bauer an, „weil i will, daß alli dabei sin, wenn jetzt der Herr Pfarrer kommt un unsere Hof neu ausweiht.“ Eine kleine Pause machte er, dann fuhr er fort: „I han no nit mit euch dodrüber g’sproche, aber ihr werret’s alli wisse, daß sitener a paar Woche sich Eins verzeigt, un dem will i a End [S. 130] mache. Mir Walzebauere sin alli ehrbare Lüt gsi, solang der Hof steht, un i wüßt nit, wodermit mer so ne Heimsuchung verdient hätte. Mir hän alliweil der Kirche gä, was der Kirche g’hört, un so soll denn jetzt au d’Kirche helfe un dene Spuk vertreibe. So, un bis der Herr Pfarrer kommt,“ der Bauer sah nach der großen Standuhr in der Ecke, — „er muß äneweg gli do si, so lange bette mer jetzt no d’Litanei von alle Heilige. Resi bett vor“, schloß der Bauer. Aber ’s Resi war nicht imstand vorzubeten. Als der Bauer sagte, daß der Geistliche zum Austreiben des Spuks kommen würde, war ’s Resi totenbleich und halb ohnmächtig auf die Ofenbank gesunken, und da kauerte es noch und stierte nach dem Großknecht, als wär’s von Sinnen. Der machte einen Schritt nach dem Ofen zu, als wollte er ’s Resi an sich reißen, aber er blieb dann doch stehen und winkte unmerklich mit der Hand. Der Bauer wollte auffahren, als er das Mädle sah, aber die Bäuerin kam begütigend dazwischen: „I hab der ja gsait, daß des Maidle so schreckhaft isch, wenn von dem Geistersach d’Red isch, laß es nur si.“ Und resolut fing sie an: „Herr erbarme dich unser. Christus erbarme dich unser“, und das Gesinde mit dem [S. 131] Bauer fiel ein mit den Antworten. Und dann sahen sie den Pfarrer im Chorrock zum Hoftor hereinkommen mit zwei Ministranten, der eine trug den großen Weihwasserkessel, der andere das Rauchfaß. Der Bauer stand auf mit Frau und Gesinde und ging dem Pfarrer bis unter die Haustür entgegen. Auf seinen Wink betete die Bäuerin weiter und der Pfarrer respondierte, so gingen sie, der Pfarrer voran, in die Stube zurück und beteten erst die lange Litanei ganz zu Ende. Beim letzten Amen trat der Bauer auf den Geistlichen zu und sagte: „I dank au schön, daß Ihr komma seid, Herr Pfarrer.“ Und der sagte: „Ich bin gern gekommen, Walzenbauer, um Euern frommen Wunsch zu erfüllen; aber bevor ich weitergehe, muß ich doch von Euch und von Euern Leuten bestätigt erhalten, was ich bis jetzt doch nur sehr ungenau gehört. Sonst weiß ich nicht, wie ich vorzugehen habe, mit was für einer Art Erscheinung wir hier zu tun haben. Wollt Ihr, Walzenbauer, also zuerst Euere Beobachtungen erzählen, und wer dann noch etwas bemerkt hat, der rede dann.“

„Jo, Herr Pfarrer, i kann Euch nit viel anders verzähle, als i Euch scho gsait ha, wie i bei Euch [S. 132] war. ’s wird jetzt so zwei Monet her si, do bin i in der Nacht am a Grumpel in der Schlofstube verwacht, i han grad kei leise Schlof, ’s muß also scho a übernatürlichs Grumpel gsi si, daß i dervo verwacht bin. I han mer aber nix denkt z’erscht. I han nur grufe: ‚Wer isch do?‘ ’s hät kei Antwort gä und ’s isch müslischtill im Zimmer gsi. No han i Licht mache wolle, derweil isch aber d’Büeri ufg’wacht un hät mi am Ärmel zupft. Wie i mi zu ere dreh, um z’froge, was sie will, zeigt sie ufs Bettend, un do stoht was Langs, Wißes, des grad uf un abi zuckt. ‚Alli guti Geischter lobe Gott‘, murmelt d’Büeri und zieht mi mit G’walt unter d’Bettdecke. No höre mer nur no a Krach, wie wenn mer a Türe mit aller G’walt zuschlagt. No war’s schtill. Noch ere Wile hän i mer denkt, ’s wär am End die Türe zur Maidlikammer gsi, i han also g’rufe, aber ’s Resi hät kei Antwort gä. Erscht wia ni schier überlaut gschraue hab, no hät’s Maidli g’rufe: ‚Jo Vater, was isch?‘ ‚Häsch du nix g’hört?‘ han i g’fragt. ‚Nei, Vater, i han g’schlofe, was isch au?‘ fragt’s. Un da han i g’wußt, daß des a übernatürliche Erscheinung gsi isch, denn wenn des Maidli nix g’merkt hat vo dem Grumpel un dem Türeschlage, no isch des [S. 133] grad nur für mi so laut gsi. I han ’s Resi beruhigt, un d’Büeri un i, mir han a G’setzli bettet für die abgschiedene Seele. Ja, un derno, Herr Pfarrer, war’s a paar Nächt wieder ruhig, aber dann hät’s wieder spektakelt, un immer ärger isch’s worre, d’Bettdecke wegzoge hät’s uns, d’Leuchter vom Nachttischli runterg’worfe, kalt anblose wie aus ere Totegruft raus hät’s uns. ’s war schier nimmi usz’halte, was mir in dene Nächt usghalte hän, Herr Pfarrer. Un dann han i au no g’merkt, daß die Sach widersch goht. D’ Mägd hän’s im Resi gsait, daß es in de Nächt bald da bald dort rumort, der Büeri hät’s d’Großmagd gsait. I han dergleiche tu, ’s wär dumms G’schwätz, i han nix davo wisse wolle, denn i han g’merkt, wie d’Leut d’Köpf z’sammeschtecke, un derno isch mer’s doch z’arg worre, i will nit ha, daß unser Hof in Verruf kommt, un so han i mer denkt, der Herr Pfarrer muß her, un dere Sach muß e End g’macht werre.“ So schloß der Bauer. Und dann erzählte die Großmagd, daß sie schlürfende, tappende Schritte durch den Gang vor ihrer Kammertür gehört hätte. „Un“ sagte sie, „i han mer denkt, ’s isch eini von de Mägd, die uf urechte Weg isch; i bin ufgschtande [S. 134] un han d’Türe ufg’macht; kaum han i aber der Kopf in der Gang nausgschtreckt, do isch mer was Kalts, Weichs übers G’sicht g’fohre, un i ha nix meh g’sehe un nix meh g’hört, un in de andere Nächt, wenn i wieder was g’hört ha, han i halt für die arm Seel a G’setzli bettet.“ Und die Mägde und Knechte wollten alle ähnliche Sachen gehört oder gefühlt haben. Nur ’s Resi wußte von nichts; sie war sichtlich unruhig und verstört, aber selbst das Zureden des Pfarrers brachte nichts aus ihr heraus. Der wandte sich denn auch ohne weiteres Zögern an den Bauern: „Wenn’s Euch recht ist, Walzenbauer, so wollen wir jetzt tun, was unsere heilige Kirche für solche Fälle vorschreibt.“ „I möcht schön bitte, Herr Pfarrer,“ sagte der Bauer, „daß Sie in unserer Schlofschtube afange, do hätt’s sich’s z’erscht verzeigt, do muß es au z’erscht ustriebe werre.“ Ohne Antwort abzuwarten ging er voran und machte die Tür zur Schlafkammer auf. Der Pfarrer folgte mit den beiden Ministranten und die übrigen drängten nach. Und die Bäuerin und die Resi sahen zuerst: der heilige Joseph war von seinem Postament verschwunden, und auf einem Stuhl stand, neu, in goldschimmerndem Gewand, ein Jesuskind [S. 135] mit der Krone auf dem Haupt, die Weltkugel in der einen Hand, die andere segnend erhoben. Noch einmal trat der Bauer vor: „I tät au bitte, Herr Pfarrer, daß Sie des Jesuskindli weihe täte, des soll unser Schlofkammer b’schütze un b’hüte; der heilige Joseph, der bis jetzt do war, han i fort, wie Ihr sehe.“ Der Pfarrer nickte und begann nun seine Gebete aufzusagen, und andächtig sekundierten die übrigen. Feierlich schritt der Pfarrer von Ecke zu Ecke des Zimmers, in jede spritzte er Weihwasser aus dem großen Kessel, den der Ministrant ihm hinhielt, legte dann noch Weihrauch auf die glühenden Kohlen des Rauchfasses, das ihm jetzt der andere zureichte, schwang es in Kreuzesform dreimal nach den Himmelsrichtungen, und beschwörend klangen die lateinischen Worte, mit denen er jeden bösen Geist bannte. Zuletzt trat er vor die neue Statue und weihte sie und stellte sie auf das Postament, dann fing er die Litanei der Kindheit Jesu an, und die Anwesenden gaben ergriffen von der Weihe des Moments die Antworten. Nach den ersten Bitten schritt der Geistliche mit den Ministranten voran durch die Tür in den Gang und die übrigen schlossen sich betend an. So gingen sie durch alle Gänge [S. 136] und Kammern des Hauses, und vor jeder Tür machte der Pfarrer das heilige Kreuzzeichen und besprengte in Kreuzform Schwelle und Tür mit Weihwasser und räucherte mit Weihrauch. Als jedes Winkelchen des weitläufigen Hofes geweiht war, entließ der Bauer das Gesinde wieder zur Arbeit, und mit Weib und Tochter setzte er sich zum Pfarrer in den Herrgottswinkel, und die Großmagd trug Speck und Kirschenwasser auf und schnell gebackene Sträuble.

Dem Pfarrer war das verstörte Wesen der Resi schon aufgefallen während des Umgangs; jetzt saß sie gar da, wie ein Häuflein Unglück. Irgend etwas war da nicht in Ordnung, und da wäre er gar gerne dahintergekommen, ein bissel neugierig war er schon. Nachdem sie lang genug übers Wetter und die Kornpreise geredet hatten, stand der Pfarrer auf, und bevor er sich verabschiedete, sagte er beiläufig: „Ich mein, Walzenbauer, Ihr könntet für die Ruhe von der armen Seele noch eine Novene halten, und so wie Ihr mit der Frau am Sonntag zur Kommunion komme seid, könntet Ihr zum Samstag d’Resi und die übrigen Hausleute zur Beicht schicken. Wir wollen doch nix versäumen, daß Ihr dann [S. 137] jetzt auch ganz Ruh habt.“ Der Bauer dankte für den guten Rat und gelobte die Novene und sagte auch für’s Resi und sein Gesinde zu. Soviel Zucht war auf dem Hof, daß keiner einem solchen Gebot zu widersprechen gewagt hätte.

Nur ’s Resi lief mit verschwollenen Augen herum, minutenlang konnte sie mitten in der Arbeit bewegungslos stehenbleiben und vor sich hinstarren oder gar in Tränen ausbrechen. Vater und Mutter ging sie soweit wie möglich scheu aus dem Weg. Am Donnerstag nachmittag saß sie mit den Mägden beim Flachshecheln und lustig sangen und lachten die Maidli, denn abends gab’s Freitrank, um den Staub hinunterzuspülen, und ’s Hecheln selbst war gar lustige Arbeit, so schön wirblig und übermütig wurd’s einem im Kopf dabei, gerad, als hätt’ man ein bissel schon getrunken. Aber ’s Resi sang heute nicht mit, wie sonst wohl, verdrossen saß sie da, und schließlich stand sie auf, schüttelte den Staub so gut’s ging ab, nahm das Tuch von Kopf und Hals, das zum Schutz gegen die Fasern umgebunden war und ging zur Mutter in die Stube. „I han Kopfweh, Mutter,“ meinte sie kurz, „i kann nimmi mit hechle, i mein alls, i gang a weng zur Lenebas, [S. 138] der bin i scho lang wieder amal a Bsuch schuldig, un ’s wird mer gut tue.“ Das Maidle sah wirklich schlecht aus, und so mochte die Mutter nichts einwenden: „Jo, so gang halt un grüß mer ’s Lene’, und sie soll au sich wieder amol bschaue lasse bi uns,“ und sie schüttelte erstaunt mit dem Kopf, als das Resi wie sie ging und stand zur Tür hinauseilte, ohne Gruß. Sie sah ihr nach, bis sie aus dem Hoftor verschwand. „Dem Maidli isch was,“ brummelte sie vor sich hin, „itzt lauft sie gar ohne Kopftuch ins Dorf nei.“ Und sie schüttelte bei ihrem Spinnrad noch oft den Kopf wegen dem Maidli. Die rannte unterdessen wie gejagt ins Dorf hinein. ’s Lenebas, ihr Götte, daß sie daran nicht früher gedacht hatte, die konnte helfen, wenn eines helfen konnte! Die Lene war die unverheiratete, ältere Schwester der Walzenbäuerin; sie saß auf ihrem eigenen Hof, den sie nur mit Mägden regierte und bestellte. Man munkelte, daß sie den, den sie gern gehabt hätte, nicht bekommen hätte, und so war sie ledig geblieben und hatte zuerst voll Trotz den Menschen zeigen wollen, daß ein „einschichtiges“ Frauenzimmer auch was leisten kann und zufrieden werden kann. Und sie hatte das Gut, das bei der [S. 139] Erbteilung ihr zufiel, zur Musterwirtschaft gemacht, und ihre Geflügelzucht war bald weitberühmt und brachte ihr schönen Ertrag und manch Ehrung durch Preise und Diplome. Aber mehr noch als durch ihre Hühner, Enten und Tauben war sie im Dörfle geehrt als Friedensstifterin. Wenn irgendwo zwischen Eheleuten oder zwischen Kindern und Eltern Meinungsverschiedenheiten waren, ging immer eins oder ’s andere zur Lenebas, und die wußte immer einen Rat oder das rechte Wort, und es fiel immer zum Guten aus, was sie sagte. Es gab keinen im Dorf, der nicht schließlich nachgegeben hätte, wenn die Lenebas einmal ihre Meinung sagte. Sie mischte sich nie ungerufen in Dinge anderer Leute, aber wenn sie gefragt wurde, nahm sie die Sache in die Hand und hatte immer mehr ausgerichtet als selbst der Herr Pfarrer.

Das ging dem Resi durch den Kopf, als sie die halbe Stunde vom Hof zum Gute der Lenebas im Dörfle hinuntereilte. Warum hatte sie nur nicht schon längst die Lenebas gerufen! Allerdings, die Lenebas war krank gewesen, und da hatte sie ihr nicht auch noch mit ihren Sorgen ’s Herz schwer machen wollen, und dann hatte [S. 140] sie auch gedacht, sie würde allein zum Ziel kommen. Jetzt war aber alles schlimmer als je, und sie wußte sich keinen Rat mehr. Da stand sie nun vor dem Häuschen der Lene, und dort beim kleinen Weiher sah sie die Bas; inmitten ihrer Enten und Gänse saß sie auf einem kleinen Hocker und hielt ein junges Entlein im Schoß, das jämmerlich schnatterte und kreischte. Resi klinkte die kleine Tür im Gatter auf und schritt auf die Lene zu. „Grüß Gott, Götti,“ rief sie ihr entgegen. Die schaute auf. „Grüß Gott, Resi, schau’sch au amal wieder nach deiner Götti, no b’sonders buschber schausch au nit grad aus. Wo hatt’s denn dir’s Feld verhaglet? Aber komm, wenn de grad do bisch, hilf mer amol des Entli halte, dem hat der Enterich ’s Bein broche der dumm Kerl; sieht nit, daß des Tierli noch z’jung isch für soni Sprüng; hitigetags fangt scho ’s uvernüftig Vieh a dumm z’werre, i will’s grad schiene; derno setze mer’s in Schtall un gange dann a Kaffeeli trinke, dann komme deini brochene Beinli dra.“ Während sie so sprach, hatte sie geschickt dem kleinen Entlein das Bein mit Schindelstückchen geschient und ’s Resi hatte, so gut sie’s vermochte, dabei geholfen. Dann trug die Lene das Tierlein [S. 141] zurück und rief der Magd, die da beim Stall hantierte zu: „’s Liese soll a gute Kaffee koche un au Strübli derzu backe, mer hän B’such kriegt, ’s Walzebauereresi isch do.“ Dann wandte sie sich zum Resi: „Bisch vom Flachshechle fortg’laufe? Häsch noch alles vollere Fäserli! Nei, sag nix,“ wehrte sie ab, als Resi eine Entschuldigung sagen wollte, und ohne ein weiteres Wort führte sie sie durch die Scheuer über den Heuboden in den obern Stock des Hauses, zu ihrem Schlafzimmer. Da beugte sie sich über die große Eichentruhe, die an der einen Wand der Stube entlang stand. „Da hasch a Bürscht,“ meinte sie, „mach di a weng ordentli, i han di hinterum da aufi g’führt, i möcht nit gern, daß d’Mägd dich so sähe täte,“ und als ’s Resi blutrot im Gesicht vor den kleinen Spiegel trat und Rock und Frisur von den Fäserchen säuberte, reichte die Lene ihr noch ein Kopftuch. „Da des nimsch mit, so gangsch mer nit durchs Dorf z’ruck, de willsch doch nit in d’Mäuler vom ganzen Dorf komme, wenn de ohni Kopftuch doher laufsch, des han deini Eltere nit an dir verdient, daß es heißt: ’s Walzebauereresi isch a Schlampe, wenn sie nit no was bessers wisse.“ „O Götti, wenn Ihr wüßtet, wie’s mir [S. 142] z’mut isch,“ brach nun ’s Resi los. „Arms Tschole, i han mir’s denkt, wie i di g’sähe hab, daß do allerlei letz isch, aber schau, Maidli, ordentli un sufer muß eins doch blibe; wenn mer auße immer ordentli un sufer isch, no kommt mer au inne ehr wieder in der Rank. Un schau, so wie ich’s dir an deine verschtrubelte Haar agsehe hab, daß inne was nit sufer isch, so könnte’s anderi Lüt au sehe, un ’s Dorf braucht’s doch it z’wisse, daß ’s Walzebauereresi Dreck am Stecke hät.“ „Nei, Götti,“ fuhr nun ’s Resi auf, „des isch au nit wahr, Angscht hab i, jo, aber Dreck am Stecke han i nit. Dummheite han i g’macht, jo, un der heilig Joseph, jo der, der kann wütig uf mi sei, des isch wahr, aber nix Schlechts nit hab i tu, un i kann nix derfür, daß er jetzt im Winkel uf em Spicher schtoht, un e großmächtige Busche hab’ i ihm nuftrage uf de Spicher un grad gsait hab i’s ihm, daß i nix derfür ka, daß er do schtoht, un der Toni hät gsait, mer stellen nen dann uf de Ehreplatz im Herrgottswinkel, wenn mer der Hof hän ...“ Lachend hielt die Lenebas sich die Ohren zu. „Jo, Resi, willsch mi denn von Verschtand schwätze, i bitt di au, was soll i jetzt von dem verschtoh. [S. 143] ’s g’freut mi, daß de so uftrumpft hesch, un de Dreck am Stecke, den i dir vorg’worfe hab, grad nur so um z’schaue, was de drauf sagsch, i sag dir’s ehrli, daß de der des nit g’falle lasch, des g’freut mi un i glaub’s der. Aber jetzt erzähl mer au vom Afang a. Was hesch mit dem heiligen Joseph?“ „Jo, Götti, Ihr wisset doch,“ fing ’s Resi an, „der Toni un ich ...“ „Jo, des brauchsch mer nit z’verzähle, des weiß i grad gnua“, fiel die Lene ein, „un wenn mer au suscht de Eltere folge soll, do bin i Euch nit z’wider, ’s hät mi scho g’ärgeret, daß du deswegen nit zu mer komme bisch, des isch grad a Vernageltheit von dim Vater, daß er des nit isehe will, daß ihr a guts Pärle wärt, du häsch Geld gnua, mei Sach krigsch au amal, du brauchsch a brave, schaffige Ma, wenn er jetzt au grad nit uf de Geldsäck hockt, un was dei Vater alliweil sait: ‚Gleich g’hört zu gleich‘, der Toni isch a Buresohn, wenn’s au arme Häusler sin, sini Eltere, un d’Gleichheit bschtoht bigott nit i de gleichgroße Geldsäck. Aber i weiß immer no nit, was des mit dem heiligen Joseph z’tua hät.“

„Ja, Götti, lasset Ihr mi denn rede, wenn i’s verzähle soll, muß i doch vom Afang afange, [S. 144] suscht wisset Ihr wieder nit, wo Ihr dra seid,“ lachte nun ’s Resi. „I hab gar nit g’wußt, daß i so a schwatzhafts Weiberstück bin,“ brummte die Lenebas halb ärgerlich, „also verzähl halt, un fang meintswege beim Adam im Paradies a, i bin schtill, aber mach au, daß de fertig wirsch vor d’Strüweli fertig sin, i riech scho der Anke.“ „Also schau,“ fing nun ’s Resi an, „der Vater hät doch gsait, er schlag mer d’Knoche im Leib z’samme, wenn er mi no amal sicht mit em Toni schwätze.“ „O die siebemal g’scheite Mannsbilder die,“ fuhr die Lene dazwischen, schlug sich aber rasch auf den Mund, „i bin scho schtill, mach nur witersch.“ „Ja un derno hät mer der Toni emol gsait, i soll doch au z’Nacht zu em uf der Spicher komme, er hätt mer was Wichtigs z’sage.“ „Jo,“ nickte die Lene schmunzelnd, „sell wissemer, was d’verliebti Mannslüt ime Maidle z’sage hän Wichtigs.“ „O ganget,“ schmollte ’s Resi, „Ihr wisset ganz gut, daß der Toni nix Unrechts nit will. Er hät halt g’sehe, daß es mir schier ’s Herz abdruckt, daß i au gar kei guts Wörtle meh mit em rede ka. Jo, und do hab i mer amal a Herz g’faßt, er hät gsait, er wartet jedi Nacht uf mi, drobe im Heuschober. Wia ni d’Eltere amol [S. 145] au gar so fescht hab schnarche höre, do bin i durch d’Kammere durchg’schlupft un zum Toni uf der Spicher.“ „Jo, un hesch do der heilig Joseph mit nuf g’nomme als Schutzpatron, oder wie isch der sunscht uf der Spicher komme, vo selber wird er doch nit nachg’wandelt si.“ „Jo, triebe nur Gschpött mit mer, Ihr werre glei sehe, daß do nix z’lache isch,“ und ’s Resi fing an zu weinen. Die Lene klopfte ihr beruhigend den Rücken. „I halt scho ’s Mul, Resi, de weisch jo, i mach halt gern mei Gschpäßli; a guts Lache hät mer scho mengis mol g’holfe, wenn i g’meint hab, der Himmel wär über mer eig’schtürzt. Aber schau, i bin ganz grausig neugierig, wie der heilige Joseph uf euer Spicher ufikomme isch.“ ’s Resi schluckte noch ein bissel, dann erzählte sie weiter. „Wie i amol z’ruck komme bin...“ „I sag nix, aber i derf mi doch wundere, daß der Toni also in einere Nacht mit der wichtige Sach nit fertig wore isch. Resi, Resi!“ und halb ernsthaft drohend hob die Lenebas den Finger. „Mer hän uns au viel z’sage ghett; denk doch au, der ganz Tag hän mer jo kei Wörtli mitenander rede dürfe, jo, un do bin i amol übere Schtuhl g’scholpert in der Schlofstube. Der Vater isch verwacht un hät glei [S. 146] g’rufe: ‚Wer isch do?‘ I hab g’meint, d’Knie breche mer z’samme, so verschrocke bin i, un wie i g’merkt hab, daß er Licht mache will, da isch mer grad ’s Herz schtill g’schtande un i hab nix gwußt als: jetzt isch’s us, jetzt schlagt er mi tot un der Toni au. Un do han i, i ha schier nimmi g’wußt was i tua, do han i des Handtuch, was grad nebe mir an der Wand ghenkt isch, des han i mer über de Kopf g’worfe, i han nit grad bitrüge wolle, Götti, aber schau, i han denkt, vielleicht verschreckt der Vater un i kan derweil i mei Kammere schlupfe.“ Ganz erstaunt unterbrach sich das Resi in ihrer eifrigen Erzählung, denn die Lenebas lachte hell auf, lachte, daß ihr die Tränen herunterliefen. „O du Dundersmaidli du,“ rief sie endlich, als sie wieder atmen konnte, „du Dundersmaidli, du bisch also des Gschpenst gsi, des der Walzebur so g’ärgert hätt. Do isch er gsi un hät uf unsere liebe Herrgott un alli heilige Schutzpatrone g’schumpfe, daß in seim ehrbare Hof so a armi Seel rumgeischtere soll. I han’s em glei usrede wolle; weisch, bei mir wärsch dodermit nit an d’Recht komme, i hätt di am Schlafittli kriegt un nit ‚Alli gute Geischter lobe Gott‘ bettet, i hätt dir was andersch gsait. Aber [S. 147] der Walzebur hät mer vu sinere Mannsbildg’scheidheit runter — weisch, drei Kirchtürm höher als mei eifache Wiberverschtand — hät er mer gsait: ‚I ha’s g’sehe, mit dene meine eigene Auge‘. Derno hab i halt ’s Mul g’halte un hab mer mei Teil denkt. No warsch’s du natürli au, die d’Großmagd so verschreckt hät. Dei Mutter hät mer’s verzählt.“

„Jo,“ meinte ’s Resi nun selber lachend, „weisch, die hät ihr Nas immer gern in allem drin un hätt mi immer gern scho usschpioniert; daß i der, i han ere nur ’s Fürtuch im Vorbilaufe um der Kopf g’schlage, daß i der so a Schreck g’macht hab, des raut mi heut no nit.“ Die Lene murmelte wieder ein anerkennendes „Du Dundersmaidli du,“ und ’s Resi war sehr erleichtert, daß die Patin die Sache so auffaßte, aber ganz beruhigt war sie noch nicht. „Jo, aber Götti, ’s Ärgschst kommt noch,“ fing sie verzagt an. „Hän Ihr’s denn nit g’hört, der Vater hät jo der Herr Pfarrer komme lo un ’s Hus uswihe lo un die böse Geischter vertreibe lo, un weil der heilig Joseph nit gut gnug g’hütet hät, hät er en uf der Spicher gschtellt un a Jesusstatue in d’Schtube ...“ Aber wieder konnte sie nicht [S. 148] weiter erzählen, denn die Lenebas war von der Truhe, auf der sie saßen, aufgesprungen und schlug sich mit beiden Händen auf die Knie und rief: „Des gunn i em, des gunn i em, Jesses nei, Resi, warum hesch mer des nit au früher verzählt, daß i do hätt derbi sei könne, wie sie die böse Geischter ustriebe hän, un derno mitte im schönschte Weihe hätt i ne d’Gschicht ins Gsicht gschrie, schau, des hätsch mer au gunne könne.“ „Jesses, Götti,“ schrie die Resi auf, als könnte das noch geschehen, „was denket er au, der Vater hätt mi jo in sinere erschte Wut grad z’sämmeg’schlage.“

„Jo, hesch recht,“ beruhigte die Lene, „er hät kei Sinn für a Gschpaß, der Walzebur. Uf sim ehrbare Hof wachst des Gwächs nit, i bin nur froh, daß du i mei Art schlagsch.“ „Jo, aber Götti, was soll i jetzt mache, der heilig Joseph isch durch mi in Unehre komme, im hinterschte Winkel uf em Spicher stoht er; o nei, lachet nit,“ bat sie, als sie der Lene ins Gesicht sah; „mir isch’s Hölleangscht, un am Samstig solle mer alli uf em Hof bichte go un derno muß es jo der Pfarrer höre, daß i an der ganze Gschpensterg’schicht schuld bi, un die Blamasch, die vergißt er mer nit.“

[S. 149]

„I will der was sage, Resi,“ sagte nun die Lenebas ganz ernst, „du häsch mer a Schpaß g’macht, wie i scho lang keine mehr g’hett hab, so g’lacht han i scho lang nimi, un zum Dank derfür tät i der scho helfe, wenn mer des Gschperr vo deim Vater nit sowieso scho lang z’dumm wär. G’ärgert han i mi, daß du nit zu mer komme bisch, Rats hole, du weisch, i blos nit, was mi nit brennt; aber z’helfe isch dir licht, un scho lang könntesch im Toni sei Büeri sei, wenn de zu mer komme wärsch. Dei Vater hät sich nur grad verstift uf si ‚Gleich ghört zu gleich‘, und weil er ä Mannsbild isch, meint er, dodruf muß er jetzt schto bliebe, wie a Schildwache uf em Poschte. Aber schau Resi, wenn’s dir recht isch, no vermach i mei Sach im Toni un a Ussteuer kann i em glei gä, dazu längt’s mer scho, un dann hät der Toni emol soviel wie a mancher Buresohn nit ..“ Weiter konnte die Lenebas vorerst nicht reden, denn die Resi flog ihr um den Hals und gab ihr einen Kuß nach dem andern ins runzlige Gesicht. Als sie wieder zu Wort kam — so ein kleines Rührungstränlein mußte sie sich erst heimlich aus den Augen wischen — meinte sie mit pfiffigem Schmunzeln: „D’ Hauptsach hätte mer also [S. 150] in Ordning, i will nit d’Lenebas si, wenn dei Vater mine Gründ nit nachgäbet. Vo dere Gschpenschtergschicht sage mer em lieber nix, er hät kei Sinn für a Gschpaß, ’s könnt en höllisch ärgere, ’s wär nur so für der ärgscht Notfall — aber ’s isch sicher nit nötig. Aber jetzt häsch jo noch a Buckel voll Sorge wege dere Bicht. Aber Maidli, du müscht nit mei Göttli sei, wenn de nit wisse tätsch, was de do z’sage häsch. Daß dei Vater sei Maidli für a Geischt asieht un der Pfarrer ihm des glaubt, jo da kannsch du doch nix derfür, des isch doch kei Sünd vo dir, du wirsch im ganze Bichtspiegel kei Frag finde: Hast du gegeistert? Was nit im Bichtspiegel stoht, isch au nit z’bichte. ’s viert G’bot, do häsch dich anz’klage, ung’horsam bisch gsi, des weisch selber. Du häsch mit dem Toni gschproche gege ’s Verbot von dim Vater, un wenn der der Pfarrer recht der Kopf wascht derfür, no gschiehts der recht, denn g’horsam müsse mer si unsere Elter, des stoht im vierte Gebot, un wenn der der Pfarrer verbiet, daß de sowas no amol tuasch, no hätt er recht, aber i hoff, de hesch’s au nit nötig.“ Und wieder mußte die gute Götti sich umhalsen lassen, bevor sie weiterreden [S. 151] konnte. „Jetzt blibt nur no der heilig Joseph, un do weiß i der kei andere Rot, als daß de der vom Toni a schöni, großi Wachskerze kaufe lasch, anschtatt eme andere Kirwikram, un die im heilige Joseph stiftesch, no wird er scho versöhne sich lo, un b’sunders wenn de dann als Büeri ihm der Ehreplatz gisch un di Lebtig brav lebsch, derno wird er scho mit sich rede lo.“

„O Götti, was bisch du für a liabi Götti,“ konnte das Resi nur sagen, und die hellen Tränen standen ihr in den Augen. Aber für Rührung hatte die Lenebas nicht gern Gesellschaft; das zeigte sie nicht gern, und bei andern war sie auch nicht gern Zeuge. So machte sie denn rasch die Tür auf und rief: „I wett, d’Strüweli sin hart wie Ledersohle, so lang hän mer sie warte lo, jetzt komm weidli, a Tasse Kaffee un frischbachene Strüweli, des hält Leib und Seel z’samme.“

Und am andern Tag kam die Lenebas zum Walzenbauern, und als er hörte, daß die Lenebas ihren schönen Hof und die soliden badischen Staatspapiere der Kirche vermachen würde oder aber dem Toni, wenn er der Mann von der Resi würde, da griff er rasch zu. Da war der [S. 152] Toni ein recht annehmbarer Schwiegersohn; „und wenn ’s Resi halt au gar so vernarrt in den Bu isch un doch so brav g’folgt hät un uf der Vater g’hört hät, dann will i au nit hart si, no soll sie halt ihre Wille ha,“ schloß er.

Und in vier Wochen war Hochzeit auf dem Walzenhof, und der heilige Joseph stand in der Schlafstube des jungen Paares, und er tat rechtschaffen seine Pflicht und beschützte den Hof, denn gegeistert hat’s nicht mehr.

[S. 153]

Die Leich’

D er Blasibauer liegt im Sterben. Im Sommer schon hatte der Arzt dringend geraten, in ein Bad zu fahren oder doch wenigstens aus dem luft- und lichtlosen Hinterstübchen auszuziehen. Aber in dem Kämmerchen hatten schon die Urgroßeltern des Bauern geschlafen und waren als alte Leute gestorben, warum sollte er so „nimodische Nücke“ mitmachen und gar die Wohnstube mit dem Glasschrank voll alter Tassen und Kannen und mit dem „Schäppeli“, dem Brautkranz aller Frauen des Hofes seit Urgroßmutters Zeiten, zur Schlafstube herabsetzen. Und jetzt, mit den ersten Herbstnebeln, lag er da und konnt es „schier nimme verschnufe“. Wie er am Morgen gar so schwer atmete, war die Bäuerin zur Nachbarin, zur Lickertsbrigitt, gesprungen, die hatte den Blick für Kranke, die sah jedem gleich an, ob „Zit isch zum Versehe“ oder ob es mit den Sterbesakramenten noch keine Eile hat. Auf deren Ausspruch hin wurde sofort zum Pfarrer [S. 154] geschickt, und als der bald darauf, mit dem klingelnden Küster vorneweg, das Allerheiligste zum Sterbenden trug, folgte fast aus jedem Häuschen des kleinen Schwarzwalddörfchens der eine oder der andere Bewohner zum „schterbe helfe“. Auf der Treppe und im dunkeln Hausflur knieten die Leute nieder, während der Pfarrer allein zum Sterbenden hineinging, seine letzte Beichte zu hören. Mit lauter Stimme beten die draußen die Litanei zu allen Heiligen um einen guten Tod, drin hört das leise Flüstern bald auf, der Pfarrer spricht mit lauter Stimme die Absolutionsworte, und die ganze Schar drängt nun in die Kammer. Wachsbleich und verfallen liegt der Kranke in den buntgewürfelten Kissen. Die Bäuerin stellt sich ans Kopfende des breiten Ehebettes und schluchzt nur leise in sich hinein, um die heilige Handlung nicht zu stören. Ehrfürchtig richtet sie den Sterbenden auf, als der Priester die Hostie ihm reicht. Mühselig schluckt der Kranke, er wird blau im Gesicht vor Anstrengung; ängstlich schaut die Bäuerin eine Weile zu, dann fragt sie leise: „Häsch unseren Heiland scho g’schluckt oder wotsch no a weng Wasser?“ Die Lickertsbrigitt hat ihr schon ein [S. 155] Glas gereicht, und mit einem Schluck Wasser gelingt es dem Blasibauer, die Hostie hinunterzuschlucken. Ganz erschöpft liegt er da, während der Pfarrer geschäftig Öl und Watte richtet zur heiligen Ölung. „ Per istam sanctam unctionem “, murmelt er und betupft mit einem im heiligen Öl getränkten Wattebäuschchen die Augen des Kranken, „ indulgeat tibi dominus, quidquid per visum deliquisti “, und er wechselt das Bäuschchen und betupft die Ohren „ per auditum “, die Nase „ per odoratum “, die Zunge „ per loquelam “, die Hände „ per tactum “, die Füße „ per gressum “. Andächtig hören die Nachbarn dem Murmeln zu und verfolgen die eiligen Bewegungen des Priesters mit aufmerksamen Augen. Der Priester ist fertig, die getränkten Wattebäuschchen werden an der geweihten Kerze verbrannt. Noch einmal macht der Priester das Zeichen des Kreuzes über den mühsam Atmenden, dann verabschiedet er sich mit dem Versprechen, am Abend wiederzukommen. Mit ihm schlupfen zwei Bauern zur Tür hinaus, und während die drei die Treppe hinuntergehen, hören sie schon das Gebetmurmeln der Zurückbleibenden. „Der macht’s nimme [S. 156] lang, was meinet Se, Herr Pfarrer?“ frägt der Burgerbeck. Der zuckt die Achseln, ohne zu antworten; aber der Burgerbeck erwartet auch keine Antwort, er fährt fort: „Ja, wisset, ’s isch wege der Lich; er isch doch üse Füerwehrhauptmann gsi, da mün mer nen do mit der Musi bigrobe, und ’s isch scho grusig lang, daß mer kai Lichemarsch meh gschpielt hän. I mei alls, i go gli zum Lehrer un mer probe hit no.“ — „Scho, scho,“ fiel der andere Bauer ein, „aber der Blasibuer hät jo alliwil de Trompet blose, die Signal un alls, un wenn mer nem Kamerode ’s letzschtmal übers Grab blose hän, hät’s als kainer könnt als der Blasi. Wer soll denn etzt blose? Un ohni Trompet isch’s do kai rechti Füerwehrmusi!“ — „Do mün Er halt der Lehrer froge,“ meinte der Pfarrer und verabschiedete sich von seinen Pfarrkindern. Die beiden Bauern gingen vom Pfarrhof quer hinüber zum Schulhaus.

Auf dem Blasihof schleicht der Tag langsam hin, die Nachbarn wechseln ab im Beten, das Rosenkranzmurmeln dringt den ganzen Tag über vom Hinterstübchen in die kleine Dorfgasse hinaus. In der Kammer ist eine dicke, heiße Luft, und dem sterbenden Bauern stehen die [S. 157] dicken Schweißperlen auf der Stirn. Von Zeit zu Zeit wischt die Bäuerin ihm das Gesicht ab oder gibt ihm einen Schluck Wasser oder Kirschwasser, dann versinkt sie wieder in dumpfes Brüten oder betet ein paar Gesetzel Rosenkranz mit. Der Bauer hat nicht mehr genug Atem zum Sprechen, vielleicht hat er auch nichts mehr zu sagen, nur seine Augen streifen unruhig von einem Winkel der Kammer in den anderen oder suchen die Gebetsworte auf den Lippen der Betenden. Da klingen plötzlich falsch und schrill die ersten Takte des Chopinschen Trauermarsches in die kleine Kammer. Drüben im Wirtshaus, nur durch den Garten vom Blasihof getrennt, üben die Kameraden die Musik ein fürs Begräbnis. Die Betenden verstummen und lauschen andächtig. Der Sterbende winkt und bewegt die Lippen, endlich versteht die Bäuerin: „Machet au ’s Fenschter uf.“ Es geschieht, und in vollem Strom klingen jetzt die grellen Töne ins Zimmer. Es ging mühsam vorwärts drüben im Wirtshaus, immer mußte wieder abgebrochen und die einzelnen Takte von neuem probiert werden, aber geduldig hörten hier in der Sterbekammer die Leute zu. Nur die Bäuerin [S. 158] schluchzte laut auf, als die Musik anfing, und nun weint sie ohne Unterlaß fast schreiend. Die Lickertsbrigitt möchte sie trösten, aber ungeduldig wehrt die Bäuerin ab: „Nei, sag was de witt, des isch emol it rächt, mi Ma hätt’s am End scho no emol überschtande, mit Gottes Hilfe, aber des isch a bösi Vorbedütung, mer bigrobt doch d’Lüt nit, wenn si no läbig sin ... Jessesmaria,“ schreit sie auf, als jetzt polternde Schritte auf der Treppe laut wurden, „sie wänn en scho hole, un er isch jo no läbig.“ Der eintretende Burgerkarl steht erst eine Weile fast verlegen an der Tür, ehe er mit seinem Anliegen herausrückt: „I soll a schöne Grus sage vo der Füerwehr, un wenn’s im Blasibur rächt wär, so möcht er us doch si Trompet gä, mer bruchet se für d’Lich, he jo — un i tät mer scho traue z’blose druf.“ — Der Blasibauer macht eine Anstrengung, zu sprechen, aber ein verständliches Wort kommt nicht mehr heraus, er winkt die Bäuerin, die den Burgerkarl gern barsch abgefertigt hätte, heftig zu sich heran, und in altgewohntem Gehorsam sucht sie nach dem Schlüssel zur Lade, wo die Trompete liegt, schließt auf und zeigt dem Bauern die blanke, [S. 159] leuchtende Trompete; der nickt und nickt noch einmal, als der Burgerkarl fast gierig danach greift und mit einem „Grüß Gott mitenander!“ zur Tür hinauseilt.

Drüben im Wirtshaus haben sie endlich den Trauermarsch ohne Unterbrechung in einem Stück heruntergespielt und stärken sich jetzt nach der schweren Arbeit mit einem tüchtigen Trunk. Man hört laute Rufe und Gläserklingen in der plötzlichen Stille. Der Bauer röchelt schwer, und den Nachbarn fällt ihre Pflicht ein, ihm mit ihrem Beten zu einem guten Tod zu verhelfen. „Wenn do der Pfarrer no emol komme wollt, er hätt am End no ebbes uf em G’wisse, daß er au gar so schwer schterbe will,“ meint die Lickertbrigitt. Ihre Nachbarin, die alte Theres, stupft sie in die Seite und zwinkert nach der Bäuerin hin: „He jo, weisch denn it — d’Großmutter, die hätt sich doch verhängt, weil er ihr’s so wüscht g’macht hätt, die laßt ihn etzt it in Ruah schterbe“ — die Lickertbrigitt nickt nur, und eifrig und laut beten sie jetzt um einen guten Tod.

Da klangen hell und laut die Feuerwehrsignale über die Straße. Der Blasibauer griff hastig um sich: „Mi Trompet, gän mer mi [S. 160] Trompet,“ stöhnte er. „O lasset etzt die Narresposse si,“ meinte die Lickertbrigitt und machte das Fenster zu, „denket etzt an Euere Sünd un ans ewig Himmelreich.“ Der Sterbende hörte sie wohl nicht mehr, er griff mit den Händen noch ein paarmal in die Luft; die Brigitt leuchtete ihm mit der rasch angezündeten Sterbekerze ins Gesicht, drückte sie dem Bauer in die rechte Hand und murmelte, halb zur Bäuerin: „I mein alls, etzt isch’s us.“ Drüben im Wirtshaus spielten sie: „Jetzt woll’n wir lustig sein, lustig sein, tanzen und trinken.“ Denn das mußten sie auch noch einüben, für die Rückkehr vom Friedhof.

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Wortverzeichnis

Die mundartlichen Formen sind nach dem Gehör niedergeschrieben, nicht nach einem wissenschaftlichen System. Die Aussprache ist übrigens nicht die gleiche bei allen Personen und wechselt auch im Munde der einzelnen, weil die Nähe einer größeren Stadt die Individualsprachen beeinflußt hat, je nach Beruf und Bildungsgrad, und weil die einzelnen Menschen ihre Mundart mehr oder weniger unverfälscht sprechen, je nachdem sie es mit Bauern oder mit Städtern zu tun haben. Folgende Worte bedurften wohl einer besonderen Erklärung: