The Project Gutenberg eBook of Wie es Licht geworden!

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Title : Wie es Licht geworden!

Roman

Author : Marie Louise von Suttner

Release date : April 15, 2023 [eBook #70560]

Language : German

Original publication : Germany: G. Pierson's Verlag

Credits : The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WIE ES LICHT GEWORDEN! ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1898 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche und mundartliche Passagen wurden nicht korrigiert.

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Original-Einband

Wie es Licht geworden!

Dekoration

Wie es Licht geworden!

Blatt

R o m a n

von

Maria Louise von Suttner.

Verlagssignet

Dresden und Leipzig
G . P i e r s o n s V e r l a g
1898

Alle Rechte vorbehalten.
Unberechtigter Nachdruck wird gerichtlich verfolgt.

Dekoration

Meiner lieben Tante und Lehrmeisterin

Bertha von Suttner zugeeignet.

Harmannsdorf , im Frühjahr 1898.

[S. 1]

Kopfvignette Seite 1

Erster Abschnitt.

„Ich mag nicht.“

„Dieses Wort kennt man hier nicht, mein Kind: Du mußt.“ Die Klosterfrau mit dem strengen blassen Gesicht drückte mir den Löffel so fest in die Hand, daß es mich schmerzte. Ich würgte die verhaßte Suppe hinunter und mit ihr die Frage, weshalb ich denn eigentlich „müsse.“

Zu Hause, da hatte es immer geheißen: „Tu’s mir zuliebe, Mimi“, und da aß ich den ganzen Teller blank und war reichlich belohnt, durch das freundliche Lächeln meiner Eltern.

„Du mußt.“ Jetzt erst gewahrte ich die schadenfrohen Blicke der Schülerinnen, mit denen ich nun Tag für Tag beisammen sein sollte. Eine stieß mich ganz besonders ab. Es lag ein böser, harter Zug um ihren Mund und in den grünen Augen blitzte es höhnisch auf. Da fühlte ich mich mit einemmale so grenzenlos verlassen und mit der Kindern eigenen Intensivität, malte ich mir [S. 2] meine Zukunft an diesem Orte in den düstersten Farben aus.

Bis zu diesem Augenblicke hatte ich mich den neuen Eindrücken hingegeben, wie jemand ganz Unbeteiligter. Der kahle, weißgetünchte Saal mit den langen Pultreihen und dem erhöhten Sitz für die „Aufsicht“, das Alles kam mir so seltsam vor.

Noch mehr aber verwunderte mich die Frage „ob ich mich freue, ob ich gern gekommen sei?“ Ich besann mich nicht erst lange, sondern erwiderte rundweg: „Nein.“ Mein Blick schweifte zu den Mädchen hinüber. Sie hatten wie auf Commando die Zähne auf die Unterlippe gepreßt und ein vernehmliches „Mais vraiment“ gemurmelt. Wer nur auch so unverschämt aufrichtig sein konnte! Damit kommt man nicht weit; ich blieb es auch nicht lange.

Wie träge die Stunden dahinschlichen; noch nie hatte mir ein Tag so endlos lang geschienen.

Christine, das Mädchen mit den bösen Augen schlich sich in einem unbewachten Moment an mich heran und riß mir das Band vom Zopfe.

„Du garstiges Ding“, es war mir unwillkürlich entschlüpft. Sie aber flugs bei Mère Walter. „Mimi sagt mir „Du“ und ist grob.“

Nun erfuhr ich, daß man sich nicht „Du“ sagen und nicht empfindlich sein dürfe. Christine hätte es ganz zufällig gethan.

[S. 3]

„Das ist nicht wahr.“

„Mein Kind, geh’ in den Winkel.“

Diese Ungerechtigkeit erweckte meinen Zorn. „Ich will nicht“ und dabei stampfte ich mit dem Fuße auf. Mère Walter machte kurzen Proceß; sie packte mich mit festem Griff am Arme und schleifte mich in die Ecke. „So.“

Nun löste sich mein Widerstand in Tränen auf und ich empfand die Ohnmacht des Schwachen dem Starken gegenüber. Und zugleich mit dem Bewußtsein meiner Hilflosigkeit loderte es in meinem Innern auf, gleich einer zündenden Flamme, etwas Wildes, Dämonartiges — der Haß.

Das war mein erster Tag im Kloster, nur ein dünnes Glied der langen, langen Kette.

Ich sprach das Abendgebet nicht mit, denn ich kam mir vergessen, von Gott verlassen vor und lügen konnte ich damals noch nicht.

„Papa“ — weshalb hatte er mir das, gerade das angethan? Tiefe Sehnsucht nach dem alten lieben Heim trat an die Stelle der Auflehnung; es wurde ruhig in meiner Seele und ich weinte mich still in den Schlaf.

* *
*

Wir standen im Halbkreis, mit den dunkelblauen Sonntagskleidern angetan, endlos lange Bandschleifen [S. 4] um den Hals, und warteten auf die Notenverteilung. Allwöchentlich wurden nämlich kleine Karten mit „sehr gut“, „gut“ und „ziemlich gut“ ausgegeben, je nach dem Verdienste der Schülerinnen.

Ich war lächerlich klein für meine acht Jahre und befand mich als Allererste vor dem Platze, den bei dieser Gelegenheit die Oberin einzunehmen pflegte.

Pünktlichkeit schien nicht gerade ihre starke Seite zu sein. Wir warteten schon eine geraume Weile, als Mère Walter hereingestürmt kam und uns geheimnisvoll zuflüsterte: „ Attention mes enfants, la révérende Mère. “ Gleichzeitig intonierte das Harmonium ein frommes Lied und die Zöglinge stimmten mit ein.

Tiefe Verbeugung beim Eintritt der Erwarteten. Alle setzen sich. Mère Walter klappt ein großes dunkles Heft auf, lächelt mit verbindlicher Miene der Oberin zu, und beginnt dann die Verlesung. Eine endlose, immer gleichförmige Litanei von lauter „Sehr gut“, „sehr gut“, „gut“, die mich bei Weitem weniger fesselt, als das Gesicht der ehrwürdigen Mutter. Um ihren zahnlosen Kiefer zuckt es wie unausgesetzte Blitze und der große Kopf baumelt im Takte auf und ab. Es erinnert mich an die chinesische Pagode auf unserem Kamin zu Hause und diese Ähnlichkeit macht sie mir sympatisch. Ob sie wohl besser, sanfter ist als die Anderen? Da plötzlich werde ich aus meiner Betrachtung aufgeschreckt.

„Mimi Steindorf, ziemlich gut.“

[S. 5]

Mechanisch stelle ich mich vor den Tisch, mache einen ungeschickten Knix und streckte meine Hand aus, um die Karte in Empfang zu nehmen.

„Es sind Klagen über Dich eingelaufen, Kind“, — wie rauh und unangenehm ihre Stimme klingt — „Du mußt Dein Benehmen ändern und Mère Walter um Verzeihung bitten,“ und da ich zögere: „Nun, wird es? — schnell.“

„Ich habe nichts getan.“

„Was? — Schäme Dich. Ich verbitte mir solche Antworten. Senke den Blick. Mère Walter, halten Sie ihr heute eine Vorlesung über die christliche Demut; sie scheint es dringend zu benötigen.“ Rote Flecke zeigen sich bei diesen Worten auf ihren fahlen Wangen und lassen das Gesicht geradezu abschreckend erscheinen. Es gleicht der gepuderten, clownartigen Maske eines Perlhuhnes.

Nach diesem Vorgang spürte ich nicht die geringste Reue. Im Gegenteil: ich nahm mir vor, „wirklich schlimm“ zu sein, so daß sie es nicht länger mit mir aushielten und mich zurückschicken müßten. Ich lernte absolut nichts, schnitt Mère Walter Grimmassen und schrieb einen kläglichen Brief an Papa, der aber nie an seine Bestimmung gelangte, da er der strengen Censur nicht Stand gehalten hatte.

Meine Eltern besuchten mich nach einem Vierteljahre und durch meine Bitten schwach gemacht, erlösten sie mich zum Teil von meiner Qual, indem sie mich „Externe“ [S. 6] werden ließen. Vielleicht empfanden sie auch Gewissensbisse, als sie mein blasses Gesicht, die schlechte Haltung gewahrten.

Freilich, ich hatte die Disteln nicht gerade gegen Rosen vertauscht. Gleich zu Anfang schienen mir meine Eltern gänzlich verändert. Die alte Zärtlichkeit war einem lauernden Mißtrauen gewichen, und ich wußte nur zu wohl, wer dieses Gift in ihre Seele geträufelt hatte. Von Natur aus zurückhaltend in meinen Liebesbeweisen, wartete ich unbewußt auf Entgegenkommen. Doch vergeblich.

Es geschah nicht selten, daß, wenn ich irgend eine komische Situation aus dem Klosterleben in ganz harmloser Weise schildern wollte, Papa mir das Wort mit dem Bemerken abschnitt: „Ich dulde nicht, daß Du Dich über die würdigen Schwestern lustig machst.“

Und so hütete ich ängstlich meine Zunge, legte jedes Wort auf die Wagschale, wurde scheu und verschlossen.

Wenn man aber eine junge lichtdürstende Winde in den Schatten stellt, läßt sie das Köpfchen hängen und verkümmert.

* *
*

Wie das weh tut, wenn man noch halbverschlafen aus den Federn muß! Jeden Morgen setzte es förmliche Kämpfe ab zwischen Clara, der Zofe, und mir.

[S. 7]

„Nur noch eine Viertelstunde, nur noch zehn Minuten, bitte, liebe gute Clara; ich bin so schrecklich müde.“ Ich hätte ihr in meinem Schlafbedürfnis ein Königreich angeboten für diesen kurzen Genuß. Und je nach ihrer Laune und vermutlich nach dem Inhalte des Briefes, den sie tags zuvor von ihrem „Gefreiten“ erhalten, ließ sie sich erweichen oder bestand auf ihrer Forderung.

Dieses unbeschreiblich wohlige Gefühl des bewußten Schlummerns, des traumlosen Träumens, wer hätte es nicht ungezähltemale selbst empfunden!

Doch wie kurz währte die Gnadenfrist! Clara entzündete die Kerze und zog die Jalousien auf. Und jedesmal, namentlich im Winter, verspürte ich tiefes Unbehagen, eine Art von Katzenjammer, wenn ich durch halbgeöffnete Lider in den farblosen Morgen blinzelte. Doch Clara schien wenig Sinn für meine Stimmungen zu haben. Sie zog mir mit energischem Ruck die Decke herab und installierte sich mit dem Elektrisier-Apparat an meinem Bette.

Auch ein Erfolg des Klosters. Die storchbeinigen Stühle und die niederen Pulte bewirkten die ersten Symptome einer Rückgrat-Verkrümmung. Ich zuckte wie ein Frosch; dieses Prickeln und Stechen wie von scharfen Nadelspitzen war mir gräßlich. Dann kam das Eisenmieder an die Reihe. Auf diese Weise eingepanzert, fühlte ich mich beengt und unbeholfen, unfähig, mich zu bücken. Mère Walter machte mir einmal eine arge Scene, da ich [S. 8] ihr den herabgefallenen Zwirnknäuel nicht aufgehoben. Ich duldete lieber die Strafe, als einfach zu erklären, das Mieder sei schuld daran, denn ich schämte mich halb zu Tod und zitterte vor der Entdeckung. Da würden sie dann ihre Witze über mich machen, mich verhöhnen, Christine an der Spitze, — nur das nicht. Ich litt ja ohnedies gering an den Regungen unbefriedigter Eitelkeit, da meine Eltern von krankhafter Sparsamkeit waren und oft die allernötigsten Auslagen scheuten.

„Mama, ich möchte so gerne ein paar Knopfstiefletten haben“ und ich zeigte ihr die durchlöcherten Sohlen.

„Man kann sie doppeln lassen. Und was hast Du denn gegen die Zugstiefletten; sie thun genau denselben Dienst, nur daß sie billiger sind. Wozu denn so verschwenden?“ Ich mußte also die geschmacklosen Chaussüren forttragen, zur heimlichen Freude Christinens, die mich nächstenliebend „das Bettlerkind“ getauft hatte.

Auch das Kleid mußte ich solange benützen, bis die Ellenbogen durchgewetzt waren und der Rücken glänzte. Neue Handschuhe und Haarbänder gab es nur alle heiligen Zeiten einmal, und wenn der Mantel nicht mehr paßte, wurde solange der Kreuz und Quere nach angesetzt, bis von der ursprünglichen Façon nichts mehr zu erkennen war. Was Wunder da, wenn ich stets nur „ungenügend“ in der Ordnung bekam! Papa hielt mir dann lange Strafpredigten, „ich sollte mich zusammennehmen, Andere brächten es ja auch fertig.“

[S. 9]

Andere! Wie leicht das gesagt war. Da war eben nicht jede Neuanschaffung von Vorwürfen und Lamentationen begleitet, während bei mir! — Nicht einmal ungebrauchte Bücher hatte ich; lauter beschmutzte Einbände mit Fingerspuren und überklebten Stellen. Wie beneidete ich meine Nachbarin, die große Gertrud, um die vielen nagelneuen Bände! Überdies besaß sie ein Gebetbuch, das von den feinsten französischen Spitzenbildern strotzte, und einen Federnbehälter aus papier mâché mit einer Veilchenguirlande darauf. Ich rechnete und überlegte, wie lange es wohl dauern würde, bis ich mir ähnliche Gegenstände kaufen könnte. Ein paar Jahre gut, wenn Papa mein Monatsgeld von 30 Kreuzern nicht erhöhte. Und selbst dieser minimale Betrag hing von den erhaltenen Klassen ab. Also blutwenig Aussicht! Diesmal würde es ohnedies wieder nur „gut“ geben.

Mère Walter ließ mich auf ihr Zimmer rufen. Mein Herz klopfte zum Zerspringen und ich starrte noch immer in tötlichem Schreck den Zettel an, der meine Nummer trug. Ja „17“, da gab es keinen Ausweg.

Ich legte die Schürze ab und setzte mich auf das „Folterbankerl“ vor ihrer Thüre, um zu warten, bis meine Vorgängerin herauskäme. Wäre sie doch ewig drin geblieben, oder gleich erschienen, schon im nächsten Moment, damit es überstanden wäre. Meine Wangen brannten, die Hände glühten und förmliche Krämpfe befielen mich. Was sie nur wieder sagen würde? Vielleicht gar nichts [S. 10] Besonderes, oder wegen der französischen Aufgabe, dem Stockfisch. Schließlich wichen die klaren Gedanken einer maßlosen Furchtempfindung. Ich blickte hinüber zu den arbeitenden Gefährtinnen, die gesammelt der Lektüre lauschten. O daß ich doch an ihrer Stelle gewesen wäre, nur nicht gerade „ich“, oder überhaupt weit weg, ganz anderswo.

Jetzt hörte ich Schritte. Ich raffte mein bischen Mut zusammen, blickte zum Himmel, machte hastig ein Kreuzzeichen nach dem anderen und gelobte dem lieben Gott, „brav zu sein“, der heiligen Jungfrau, „fleißig zu lernen“, der heiligen Filomena, „das Stillschweigen zu beobachten“, lauter Dinge, von denen ich nachträglich keine Ahnung mehr hatte.

Übrigens pflegten mich meine Heiligen in der Regel schmählich im Stich zu lassen. Und am Ende verdiente ich ja ihre Hilfe gar nicht, wenn ich wirklich so schlecht war, wie Mère Walter behauptete. „In der Kirche eingeschlafen, 6 schlechte Punkte wegen Unaufmerksamkeit in der französischen Stunde und des Ungehorsams am Freitag.“

O dieser Freitag, wie verabscheute ich ihn. Schon beim Eintritt ins Refektorium drang mir der penetrante Geruch von Einbrennsuppe und Stockfisch entgegen. Ich versuchte zu essen, doch schon beim ersten Bissen meinte ich, ersticken zu müssen. Ich zog den Atem an, um den abscheulichen Geschmack weniger zu spüren. „Mir [S. 11] wird schlecht. Darf ich es stehen lassen?“ — „Nein, Du wirst essen.“ Ich nahm die Bissen in den Mund, schluckte sie aber nicht, sondern schob sie in die Wangenhöhlung und behielt sie da bis nach beendigtem Mittagsmale. Dann stahl ich mich in den Garten, drückte das Taschentuch an den Mund und warf es mitsammt dem Stockfisch in die geöffnete Kellerluke.

Hierauf ging es in die Kirche, um den „Kreuzweg“ zu beten. Es war eisig kalt, wir traten uns beim Aufstehen auf die Füße, stießen an den Bankecken an und beteten etwas Lateinisches, das wir auswendig gelernt hatten, ohne den Sinn zu verstehen:

Sancta Mater, istud agas;
Crucifixi fige plagas
Cordi meo valide.

Mein Magen knurrte und der Kopf that mir weh. Den ganzen Nachmittag über fühlte ich Schwindel und eine eigentümliche Beklemmung. Zu Hause wurde es noch ärger; ich klagte über Hitze und Kälte und hatte heftige Üblichkeiten. Man schickte nach dem Arzte, einem noch jungen Manne und Freund Papas.

Er stellte mir die gewöhnlichen Fragen der Doktoren an die Patienten und als er hörte, daß man mich zum Essen gezwungen habe, geriet er in Zorn. „Solch’ ein Unsinn! Ich lasse den ehrwürdigen Schwestern sagen —“

Papa räusperte sich bedeutungsvoll und führte ihn in ein Nebenzimmer. Ich hörte deutlich, wie er meinen [S. 12] Eltern auseinandersetzte, daß es unverantwortlich sei, Kinder auf diese Art zu quälen. Gegen Idiosynkrasie lasse sich nichts machen; Zwang sei eine völlig falsche Methode, nur geeignet, den gesunden Organismus zu untergraben. Die Engländer seien viel vernünftiger in dieser Beziehung. „Vor Allem soll sich der Körper kräftigen, entwickeln, dann lernt es sich von selbst. Schicken Sie die Mimi hinaus aufs Land zur Großmama. Im Freien sein, herumspringen den ganzen Tag, das ist das Richtige.“

Wie hüpfte mir das Herz bei der bloßen Vorstellung. Ein weiches, warmes Dankgefühl gegen meinen Anwalt stieg in mir auf; ich hätte seine Hände fassen und sie küssen mögen. Ja, hinaus nach Steindorf, das war mein Traum und ich jubelte innerlich auf. Doch alsbald sanken meine Hoffnungen auf Null.

„Ein großer Irrtum, ich kann mir als Freund diese Bemerkung schon erlauben,“ sagte der Doktor — Papas Erwiderung war mir entgangen — — „Die Kinder sind nicht für die Eltern da, im Gegenteil.“

Zu viel für meinen Kopf. Was das eigentlich hieß, faßte das Begriffsvermögen der Achtjährigen noch nicht. Später freilich erinnerte ich mich — o wie oft — an diese Worte. Wie hatte er doch Recht gehabt, der gute Doktor Vogler.

* *
*

Von nun an durfte ich eine halbe Stunde später aufstehen und wurde von der Freitagsabstinenz freigesprochen. [S. 13] Sonst fanden keine wesentlichen Veränderungen zum Bessern statt; viel Lernen und recht trockenes Zeug mitunter, blutwenig Erholung.

Um 8 Uhr Morgens versammelten wir uns zur Messe in der kleinen Hauskapelle. Wir sangen aus großen grauen Büchern Kirchenlieder und da nur die Wenigsten Gehör und Notenkenntnis besaßen, ging es oft jämmerlich daneben. Eine wahre Katzenmusik.

Meine Aufmerksamkeit galt ganz anderen Dingen, als dem Gebete selbst. Ich bewunderte die heilige Filomena, die, eine lebensgroße Wachspuppe, in einem Glasschrein ruhte. Bald hatte sie ein fliederfarbenes, bald ein rotes goldgesticktes, dann wieder ein weiß und grünes Kleid, da sie über eine sehr zahlreiche Garderobe verfügte. Auf dem blondgelockten Haupte, das etwas zurückgebogen in den Kissen lag, trug sie eine massive Goldkrone, mit echten Rubinen besetzt. Es war die Gabe einer reichen Gräfin, die ihre Genesung der Fürsprache unserer jugendlichen Heiligen verdankte.

Und die vielen duftenden Wachskerzen! Ich zählte sie gewissenhaft ab, schloß dann die Augen halb und gewahrte nur einen bläulichen Schimmer, ganz rund, wie eine kleine Sonnenscheibe; keine deutlichen Flammen mehr, Alles floß ineinander, vermengte sich, nur wunderlich-schillernde Arabesken.

Oder ich vertiefte mich in den Anblick der künstlichen Blumenstöcke. Steife, königliche Lilien wechselten mit purpurnen Malven und dunklen Pensées ab.

[S. 14]

Die Schwester-Pförtnerin lieferte diese Kunstwerke. Ich hatte ihr zugesehen, wie sie, ganze Berge bunten Stoffes vor sich, zuschnitt und klebte. Warum sollte es mir nicht auch gelingen? Ich verfertigte eine Rose aus Seidenpapier, fand sie sehr schön und schenkte sie Mama. Tags darauf lag sie mit anderm Kehricht auf der Schaufel. Kinderherzen sind empfindlich. Von nun an behielt ich meine Blumen für mich oder ich schmückte meinen kleinen Zimmeraltar damit. Natürlich nur aus Nachahmungstrieb, denn vorderhand war mir die Frömmigkeit im wahren Sinn des Wortes ein Buch mit sieben Siegeln.

Ich plapperte mein Morgen- und Abendgebet in Papas Gegenwart herunter wie ein Papagei, mit den Gedanken Gott weiß wo. Oft blieb ich mitten drin stecken, wiederholte, oder vergaß auch, für Daisy Clairvinceau, Anna Auerbach und Sektionschef Kalb — verstorbene Freunde der Eltern — die „ewige Ruhe“ zu erflehen. Ein verweisender Blick Papas genügte, um mich vollends aus der Fassung zu bringen; ich stotterte und verhaspelte mich umsomehr.

Damit wir während der Andacht nicht gestört wurden, mußte ich die Thür verriegeln. Mama vergaß bisweilen nach der Stunde zu sehen und drückte vehement die Schnalle nieder. Papa murmelte dann etwas, das einer Verwünschung nicht unähnlich war.

Darauf mußte ich Tag für Tag dieselben Gedichte [S. 15] ableiern. „Der Sperling“, „Kommt die Nacht mit ihren Sternen“ und „Die Uhr“.

„Die Sonne sinkt,
Der Vollmond blinkt,
Der Bauer schließt die Scheune,
Denn auf dem Turme schlägt es Neune“,

und so weiter, alle Stunden des Tages und der Nacht durch.

Dieses endlose Poëm hatte mir den Haß eines alten Herrn eingebracht, der in mir eine gefährliche Concurrentin erblickte. Er sprach für sein Leben gern und verzieh mir niemals, daß er eine halbe Stunde nicht zu Wort gekommen. „Kinder gehören nicht in den Salon“, äußerte er wütend.

Um diese Zeit wünschte ich mir sehnlichst ein Gebetbuch in Leder gebunden, wie das von Gertrud. Nein, wenn ich das hätte! Wie die Blätter rauschten und knisterten — es mußte eine Wonne sein. Ich schüttete Wasser auf mein Büchlein und verklebte die Seiten mit Gummi — jetzt rauschte es auch.

Mit wie wenig gibt sich doch solch’ kleines Ding zufrieden und wie unsinnig ist die Freude am erfüllten Wunsch. Ich hatte mir das Bitten abgewöhnt; ich kannte die abschlägigen Antworten im Voraus. Eine Zeitlang verzichtete ich und dann — der Wahrheit zuliebe sei’s gesagt — dann stahl ich. Einen Monat blieb es unentdeckt, dann brach die Catastrophe los, die mich in Aller Augen zur Diebin stempelte.

* *
*

[S. 16]

Als ich eines Morgens den Studiensaal betrete, wirft mir Mère Walter einen Blick zu, der mir das Blut in den Adern erstarren macht und sagt mit dröhnender Stimme: „Folge mir.“

Mir ahnt nichts Gutes. Totenblaß tripple ich durch eine lange Zimmerflucht hinter ihr her. Die Knie zittern mir vor Angst und ich meine in den Boden versinken zu müssen vor Scham. „Vorwärts!“ befiehlt meine Führerin.

Jetzt stehen wir stille; sie klopft. „Entrez.“ Ich wünsche mich tot. Die Erkenntnis des begangenen Unrechts, das ich erst jetzt in seiner vollen Größe erfasse, lastet mir mit Centnerschwere auf der Seele. Ich bin halb besinnungslos vor Angst. Einen Moment blitzt mir der Gedanke auf, zu leugnen, doch da liegen sie ja alle aufgestappelt, die corpora delicti — nicht eines etwa, nein ein halber Tisch voll — und grinsen mich verzweifelt überzeugend an. Ach Gott, was war mir da nur eingefallen?

Ich stehe vor der Oberin, mit Armensündermiene, am ganzen Körper bebend wie Espenlaub. Bevor sie noch ein Wort gesprochen, sinke ich in die Knie: „Verzeihung“ — ich presse die Worte mühsam unter Tränen hervor.— „das eine — einzigemal, — ich werde nie wieder — so was thun. Gewiß — ich will mir — viel Mühe geben — nur nichts Papa sagen — das eine Mal.“

[S. 17]

„Steh’ auf, kleine Comödiantin. Wer stiehlt, der lügt auch. Ich glaube nicht an Deine Vorsätze. Du bist ein grundverdorbenes Geschöpf und mußt gestraft werden. Geh’! Mère Walter, da sie dem ganzen Pensionat Ärgernis gegeben, bestehe ich darauf, daß sie öffentlich Abbitte leistet. Der Brief an ihre Eltern ist unterwegs. Ein arger Schlag für ihren rechtlich gesinnten Vater.“ Damit bin ich entlassen.

Wir kehren in den Studiensaal zurück. Es flimmert mir nur so vor den Augen. Jetzt würden es Alle erfahren.

„Meine Kinder“, beginnt Mère Walter salbungsvoll, „ich habe Ihnen eine sehr traurige Mitteilung zu machen. Mimi Steindorf, sag’ dreimal laut und deutlich hintereinander: „Ich habe gestohlen; meine Schwestern in Christo, verzeihen Sie mir.““

Ein Zischen der Entrüstung dringt an mein Ohr — dann spreche ich mit einer mir völlig fremden Stimme die anklagenden Worte nach.

Alles geht mir aus dem Wege. Ich sitze in der hintersten Reihe und wage nicht den Blick zu erheben. Ich suche mir einzureden, daß nicht mein „Ich“ das Schreckliche gethan, nein, eine ganz andere Person, die in gar keinen Zusammenhang mit mir steht und die ich ihrer unglaublichen Dummheit halber verachte. Da sie sich schon fremdes Eigentum angeeignet, hätte sie es doch weniger plump anstellen sollen. Die böse Handlung an [S. 18] und für sich schmerzt mich weit weniger als die Entdeckung.

Ich hatte mit der Zeit einen recht ansehnlichen Vorrat aufgespeichert, was mir eben zufällig unter die Hand kam. Bücher, Lehrgegenstände, einen Spielball und vier Paar Bedientenhandschuhe, das Alles verschwand in meinen Taschen, während diensteifrige Commis Mama ihre Waaren anpriesen. Heute wollte ich gerade die Handschuhe zerschneiden und meiner Puppe Strümpfe daraus machen. Es fällt mir inmitten meiner ernsten Reflexionen ein und die Vereitelung des Spaßes erfüllt mich mit Ärger. Wer weiß, was mir überhaupt nach Schulschluß bevorstand?

Genug, um es mir zu merken mein Leben lang.

Ohne erst viel Worte zu verlieren, legte mich Papa aufs Bett und bläute mich so unbarmherzig durch, daß ich die Schmerzen eine volle Woche spürte. Ich schrie aus Leibeskräften, strampfte mit den Füßen und schlug mit den Händen um mich; es half Alles nichts. Dann sperrte er mich in eine stockfinstere Kammer, von der er mir erzählt, es gehe darin um. Eulen, Ratten, Schlangen und noch viel Ärgeres.

Ich schloß die ganze Nacht kein Auge und was ich damals empfunden, war so haarsträubend gräßlich, daß ich es auch nicht annähernd zu schildern vermag.

Die Rute stand permanent in Salzwasser, für den allfälligen Bedarf. Wir kamen noch wiederholt in Berührung [S. 19] und gewöhnten uns aneinander. Auch das Fasten, das stundenlange Knien auf Erbsen, es machte mir keinen Eindruck mehr. Völlig gleichgültig ließ ich Alles über mich ergehen, wie das liebe Vieh, das die Prügel erträgt, ohne sich zu wehren. Dumpfe Schwüle legte sich mir aufs Gemüt; ich fürchtete die Menschen und wagte sie nur mehr scheu von der Seite anzublicken.

Dabei sehnte ich mich unsäglich nach einem Wesen, das mich verstehen, mir Trost zusprechen und helfen sollte, mich zu bessern. Allein brächte ich es ja doch nie fertig. Ich war nicht schlecht aus Lust am „Schlechtsein“, sondern aus Schwäche, aus Mangel an einem Ansporn zum „Gutsein“.

Oft, wenn ich allein war, streckte ich die Hände aus, nach dem unerreichbaren Phantom. Und ich jubelte laut auf, als es Gestalt annahm, mir näher und näher kam und mich anblickte mit den Augen des Mitleids und der unendlichen Güte.

* *
*

„Tu’s mir zu Liebe, Mimi!“ Tante Laura’s Hand hatte mich unter’s Kinn gefaßt und ich sah ihr in’s Gesicht. Und was ich in ihren Zügen las, drang mir wie heller Sonnenschein in’s Herz. Ein armes geängstigtes Vöglein, huschte es durch die geöffnete Käfigtüre, schwang sich wie neubelebt zum blauen Äther empor und schmetterte hoch in den Lüften seiner Befreiung Lied „Tu’s [S. 20] mir zu Liebe, Mimi!“ Dieses eine sanfte gute Wort trieb die Dämonen aus und gab den guten Mächten Raum.

Endlich, endlich! Der kindliche Übermut, die alte Daseinsfreude kehrten wieder. Ich sprang auf, drehte mich herum wie ein Kreisel, unaufhaltsam, rastlos, bis ich erschöpft auf einem Stuhle niedersank.

„Nein, so ein Wildfang. Was hast Du denn nur?“ Und noch ganz atemlos erwiderte ich: „Ich bin so froh Tante, so froh. Nicht wahr, Du bleibst recht lange hier bei uns, — bei mir?“

„Wenn Du brav bist.“

„Ja, Tante, Dir zu Liebe.“ Sie blickte mich betroffen an; ich hatte es so eigens feierlich gesagt. Dann nahm sie ihre Arbeit wieder auf; ich ließ mich mit einem Spielzeug zu ihren Füßen nieder. Wir sprachen Beide nichts, aber eine Flut von Gedanken wälzte sich durch meinen Kopf. Mir war mit einem mal so wohl, so leicht zu Mute, wie nach einem lauen parfümierten Bad. Alle Hindernisse schienen mir wie weggeblasen und neue Zuversicht erfüllte mich. Und das Alles, weil mir ein Mensch begegnet war, der mir wohlwollte und mich nicht quälte wie die andern. Von meinen Eltern trennte mich eine Kluft — ich empfand es deutlich — ihnen Freude zu machen, dazu fehlte mir die Begeisterung. Sie zankten stets und ich fürchtete sie.

Im Studiensaale hing hinter Glas und Rahmen der goldgedruckte Spruch: „Alles zur Ehre Gottes“ und [S. 21] vor jeder Stunde wiederholten wir die gute Meinung. Lippensprache, weiter nichts, die kein Echo weckte in der Tiefe der Seele.

Die Entfernung war so weit. Der liebe Gott wohnte im Himmel und ich konnte mir nicht vorstellen, daß mein schwaches Stimmlein bis zu ihm dringe. Ich hatte mir ein ganz bestimmtes Bild von ihm gemacht. Ein alter Herr mit wallendem weißen Bart, der in eine blaue Draperie gehüllt auf einem Fauteuil sitzt. Er hat schrecklich lange fellige Ohren, die bis zur Erde reichen. Wie soll er denn sonst hören? Bisweilen runzelt er die Stirn und stampft mit dem Fuße, wenn gar zu viel Geschrei da unten ist und er aus dem Durcheinander nicht klug wird. Christine bittet, daß ich etwas anstellen und gestraft werden möge, Papa will Ministerialrat werden und Mama „Ruhe, Ruhe“ haben. Ich weiß nicht was es war, ich hegte kein besonderes Vertrauen zu ihm.

Wir saßen noch immer beim offenen Fenster; schillernde Wölkchen zogen über den Abendhimmel und sachte schlich die Dämmerung heran. Laue Frühlingsdüfte umwehten unser Haar und ein Schwalbenpaar schnäbelte auf dem gegenüberliegenden Dache. Ich blickte die Tante an und erschrack. Sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben und weinte bitterlich. Und das duldete der gerechte, barmherzige Gott? Also auch die Guten mußten leiden! Arme Tante.

* *
*

[S. 22]

Wir hatten unsere schwarzen Winter-Capuchons gegen helle Leinwandhauben vertauscht, die unser Gesicht beschatteten und die grellen Sonnenstrahlen abwehrten. Ich beteiligte mich mit großem Eifer am Ballspiel und entschädigte mich so einigermaßen für das lange Stillsitzen. Übrigens, man gewöhnt sich an Alles und die angenehme Aussicht, daß meine Gegnerin Christine demnächst austreten sollte, versöhnte mich völlig mit meinem Schicksal.

Papa steckte bis über den Ohren in seiner Arbeit und Mama klagte ununterbrochen über die verschiedensten Zustände, die Doktor Vogler als hochgradige Nervosität bezeichnete. So blieb ich unter Tante Lauras Aufsicht und damit gab ich mich gern zufrieden.

Der Juni ist wunderschön in Wien. Wir setzten uns in das Gärtchen hinter dem Haus, sie mit einem Buch, ich mit meiner Puppe „Clementine“, die mit verständnislosen Glasaugen vor sich hinstarrte. Sie hatte eine zerquetsche Nase und eine Glatze, aber ich war ihr herzlich zugetan, trotz aller Mängel. Ich traktierte sie mit Sandkuchen und Maulbeeren, dann streute ich den Spatzen kleine Semmelkrummen auf. Zwitschernd, mit breitem Behagen picken sie die Stückchen an, sträuben das Gefieder und sind voll Übermut. Einer sucht dem Andern zuvorzukommen, ihn zu verdrängen und den eroberten Bissen im Notfall zu entreißen. Manche tragen einen Brocken ihrer Familie zu, die Ledigen halten an Ort und Stelle Tafel.

[S. 23]

Sie kannten mich und kamen mir sehr nahe; das blinde Zutrauen dieser Tierchen rührte mich.

Tante Laura sprach wenig und blickte oft mit einem Ausdruck ins Leere, der mir in das Herz schnitt. Es lag etwas darin, das ich mir nicht zu erklären wußte und das mich seltsam berührte.

Papa war doch so gut mit ihr; wenn sie für mich bat, verzieh er gleich. Was wußte ich davon, daß sie ein einzigesmal für sich gebeten und — vergeblich. Liebe, Sehnsucht und Entsagung! Das Kloster ist bloß der Beginn; manche gehen aber den Dornenweg ihr Leben lang. Wenn ihre Kräfte nicht mehr reichen, dann legen sie sich hin und sterben, oder sie machen eine Agonie durch, die tausendmal schlimmer ist als Tod.

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Sechs Gulden, 20 Kreuzer; es war das Ergebnis meiner Sparbüchse und schien mir ein Vermögen. Ich entwarf eine ausführliche Liste der Einkäufe für die bevorstehenden Ferien. Obenan, gewissermaßen als das Unentbehrlichste: Stoff, Spitzen und Bänder — Clementine brauchte dringend ein paar Kleider — dann Lern- und Schreibsachen, Nadeln, Seife und eine Menge anderer Dinge. Man kannte mich in den „27 Kreuzer-Bazars“ wie falsches Geld; die Ladenfräuleins lächelten sich zu, wenn ich eintrat, beantworteten geduldig meine ungezählten Fragen und da ich eine gute Kunde war, behandelten sie [S. 24] mich mit großer Zuvorkommenheit. Einmal weigerte ich mich, eine Vase zu kaufen, obwohl sie billig war und mir sehr gut gefiel: ich hatte nämlich 25 Kreuzer dafür bestimmt und sie kostete — nur 18. Ich neigte überhaupt ein wenig zur Pedanterie: Papa besaß diese Eigenschaft in hohem Grade, ich mochte sie von ihm geerbt haben.

Ich zeigte Dr. Vogler die wohlvermachten Päckchen und ließ ihn raten, was sie enthielten: mit engelgleicher Geduld unterzog er sich dieser schwierigen Aufgabe und brachte mir selbst allerlei Tribute.

Von Tag zu Tag wuchs meine Ungeduld. Noch 6 Tage, noch 48, noch 24 Stunden. Bei der Preisverteilung ging ich natürlich leer aus: das vermochte mir aber die Laune nicht zu trüben. Beim feierlichen Schlußsegen in der Kirche dankte ich Gott aus übervollem Herzen für die bevorstehenden Genüsse. Im Bette noch klatschte ich so laut in die Hände, daß Mama, die nebenan schlief, hereinrief, ich möge doch den Leuten wenigstens in der Nacht Ruhe geben.

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Ich lag schon lange wach. Durch die Ritzen der Läden drangen einzelne Lichtstrahlen, sie wuchsen, dehnten sich aus und ließen die Gegenstände deutlich erkennen.

Der dumpfe Lärm des Wagenrollens und das Aufschieben der Fallthüren drang an mein Ohr. Jetzt endlich [S. 25] schlug es 6 Uhr; Clara konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Mit dem Ankleiden gieng es recht langsam von Statten. Ich tanzte im Zimmer herum, machte die gewagtesten Luftsprünge und beutelte mit dem Kopfe. Der häßliche rote Kautschukkamm, an dem so viele Zähne fehlten, wanderte in die Ecke und als Clara mir die modernen „Ponnys“ geschnitten, besah ich mich mit pfauenartiger Wendung von allen Seiten. Wie gut mir das stand und im großcarrierten dünnen Zephirkleid fühlte ich mich „zum Fliegen“ leicht und frei. Ich trank nur widerwillig eine Tasse leeren Thee, schon das brannte mich wie Feuer in der Kehle.

Dann verabschiedete ich mich bei Mama, die über „Migräne“ klagte. „Sei brav, schreib’ mir — aber erzähle lieber nichts von mir in Steindorf.“ Ich grübelte nicht weiter nach über diese seltsame Ermahnung, doch geriet ich gänzlich aus der Fassung, als sie zwei conventionelle Tränen weinte. Wie sollte ich mich dazu verhalten? Mir war so gar nicht trübselig zu Mute und ich atmete erleichtert auf, als Papa verkündete, der Fiaker warte schon. Ich stieg mit Tante Laura ein: er konnte erst nachkommen, wenn er Urlaub erhielt; Mama reiste nach Venedig.

Fort geht es durch die bekannten Straßen, an den alten düsteren Bauten vorbei, und den noch geschlossenen Gärten. Die grauen Klostermauern winken mir entgegen — da kann ich nicht länger an mich halten — ich stoße [S. 26] einen lauten „Jucherzer“ aus, so daß sich ein paar Passanten erstaunt nach mir umwenden.

„Am Hof“ herrscht bereits reges Treiben. Der Markt ist in vollem Gange. Eine kleine Zeltstadt ragt keck empor und die Verkäuferinnen stehen erwartungsvoll vor ihren Tischen. Köchinnen in hellen Cattunkleidern, das gekolbte Häubchen auf dem kokett frisierten Haar, mustern mit Kennermiene die ausgestellte Ware. Die Körbe füllen sich mit Gemüse und Früchten, die gelb und rot aus appetitlichen Papierdüten hervorlugen. Etwas abseits stehen Blumen in farbenprächtiger Mischung: Hortensien, Nelken und Reseden in Stöcken und in Büscheln.

Ein Schusterbub geht pfeifend vorbei und dreht der Öbstlerin vom ersten Stand eine lange Nase, was ihm mit einem kräftigen Puff heimgezahlt wird.

Unter einem Hausthor spielt ein Leiermann mit sehr viel Verve den „Radetzkymarsch“, als ahne er, daß binnen Kurzem die Töne zur steinernen Wahrheit würden. Dazwischen die schrillen eintönigen Rufe der Lavendelfrau: „Kauft’s Lavendel — Lavendel kauft’s — das Schipperl nur 5 Kreuzer. Kauft’s Lavendel, kauft’s.“

Eine Abteilung Bosniaken, das rote Fez schief auf die sonngebräunten Köpfe gestülpt, marschiert in strammer Haltung vorbei, bei jedem Schritt eine Staubwolke aufwirbelnd. Das große Wasserfaß stäubt sein kühlendes Naß auf das graue Pflaster und die ersten matinalen Damen führen kunstvoll kleine Sprünge aus, die Röcke [S. 27] bis über die Knöchel geschürzt, um nicht in eine Lacke zu geraten.

Dieses Momentbild mit all’ seinen Einzelheiten prägte sich so tief meinem Gedächtnis ein, daß ich es jedes Mal vor mir sehe, wenn „vom Hof“ die Rede ist.

Der Wagen hält vor dem Bahnhof. Diensteifrige Träger besorgen das Gepäck und geleiten uns in den Wartesaal. Auch da kenne ich Stück für Stück das Inventar. Olivegrüne Sammetmöbel, eine massive Pendeluhr aus Eichenholz und ein Spiegel, durch dessen Mitte ein Sprung geht und die darauf gemalte Psyche unbarmherzig in zwei Hälften teilt.

Erstes Läuten. „Einsteigen zum Schnellzug nach Nußdorf, Klosterneuburg, St. Andrä-Wördern, Absdorf, Limberg-Maißau, Felsried, Hainberg.“

Wir machen es uns bequem im Coupé; nochmaliges Läuten, Pfeifen und pustend setzt sich die Lokomotive in Bewegung.

Ein wundervoller Tag. In sanfter Bläue strahlt der Himmel auf die saftiggrünen Fluren und mit goldenen Krallen greift die Sonne in das Herz der Ährenfelder; farbensatter Mohn und stille Kornblumen biegen die schlanken Körper im Morgenwind. Hoch in den Lüften beschreibt die Lerche kühne Bögen und trillert ihr lustiges Lied. Auf den Telegraphendrähten sitzt eine große Schwalbengesellschaft beisammen — von Weitem nimmt es sich aus, wie ein weißer beschriebener Notenbogen — [S. 28] und tauscht zwitschernd Bemerkungen aus über das dahinsausende Ungetüm.

Hier, unter dieser Rasenfläche mit dem Monumente, liegt Vater Radetzky begraben und dort halten hinter einer Gartenmauer steinerne Soldaten Wach. „Salming“, das Schloß meines Onkels und da das Kirchlein inmitten der Gräber; so einsam und abgeschlossen. Nur einmal im Jahre betritt es der Fuß eines Priesters, am „Allerseelentage“.

Seit ich denken konnte, hatte mich Papa auf das Bemerkenswerte bei jeder Station aufmerksam gemacht.

Das ungewöhnte Fahren und der Kohlenstaub machten mich schwindlig. Etwas Wein und Backwerk erweckten die erschlafften Lebensgeister.

Wie lang es dauerte! Man wartet ja oft Jahre ohne zu murren — in den letzten Minuten aber wird man ungeduldig. Es hält mich nicht auf meinem Platze; ich stecke den Kopf zum Fenster hinaus und erkenne die Umrisse der kleinen historischen Stadt Hainberg. Ja, das ist die Burg, der Kirchturm, das Stationsgebäude — und der lichte Phaeton steht auch schon da.

Eins, zwei, drei geht’s über die kleine Treppe.

Wenzels breites Affengesicht legt sich in freundliche Falten. „Je, wie die Baroneß Mimi groß geworden ist; und gut ausschauen tut’s auch. Was wird denn da der Herr Großpapa sagen?“

„Wie geht es denn Allen? Gesund?“

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„Ja. Aber die Baroneß Nina geht schon eine Woche nicht aus ’n Zimmer, weil’s eine Eichelkatzel krank ist.“

„Schade. Und Hannerl?“

„No die treibt’s! Gestern hat’s ’n ganzen Tag von nix andern geredt, als daß d’Baroneß Mimi kommt.“ Unterwegs muß die alte treue Haut noch über so Manches Auskunft geben.

Die Bauern auf dem Felde blicken auf, als sie das Gefährt heranrollen hören und grüßen höflich. Das Mähen ist so hübsch mit anzusehen; ich wollte es nächstens auch versuchen.

Vier Pferde ziehen an einem schweren Leiterwagen: die Nüstern blähen sich und das Fell schimmert feucht vor Anstrengung. Wir haben eine Hitze von 24 Grad. Unten im Steinbruch arbeiten sie fleißig darauf los. Eine Anzahl fertiger Platten ist zum Verladen aufgeschichtet und dort legen die Leute noch die letzte Hand an die Glättung eines breiten Sockels.

Auch das gefällt mir. Aus einem eleganten Wagen, von oben herab betrachtet, nimmt sich das Alles so hübsch und so leicht aus. Vorstellung und Wirklichkeit decken sich aber gar selten und die unten dachten wohl ganz anders.

Wir kommen an einem halbverfallenen Schlößchen vorbei, von dem die Sage geht, daß nächtlicherweile Geister erstehen und allerlei Unfug treiben. Jeder, der [S. 30] einmal dort geschlafen, weiß Schauerliches zu berichten. Papa hatte mir erst kürzlich die Geschichte von den drei protestantischen Fräulein erzählt, die in der offenen Säulenhalle im Mondenschein lustwandelten. Brr! wie das grauenhaft war; ich bekam eine Gänsehaut bei der bloßen Vorstellung. Dann biegen wir in die Kastanienallee ein.

„Da schaun’s hin, Baroneß“, ruft mir Wenzel mit bezeichnender Peitschenbewegung zu. „’S Hannerl wartet schon.“

Da steht sie richtig, im schwarzen, glatten Wollkleid, das um Hals und Ärmel mit hellem Grätenstiche eingefaßt ist. Ein grelles Kopftuch verbirgt ihr halbes Gesicht, das weiß und rosig ist und so kugelrund wie ein Vollmond. Sie lacht und zeigt dabei eine Zahnlücke: in den Händen dreht sie in sichtlicher Befangenheit einen steifen Feldblumenstrauß. Wir lassen sie einsteigen. Die freudige Aufregung hat sie gänzlich verwirrt; es ist kein vernünftiges Wort aus ihr herauszubringen. Plötzlich bricht sie ohne jegliche Veranlassung in lautes Schluchzen aus. Wenzel weiß darüber Bescheid. „S’is so eine Gewohnheit von dem Mädel. Solang’s z’ Haus war; hat’s der Vater jeden Tag prügelt, g’rad um die Zeit, da is aus der Schul kommen und er hat auch schon sein Rausch g’habt. Da glaubt’s halt noch immer, es g’schieht ihr was.“

„Aber geh’ Hannerl, sei g’scheit“, tröstet sie die Tante. „Mimi hat Dir was Schönes mitgebracht.“ Das wirkt.

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Der Wagen macht eine Biegung und wir fahren durch das breite Tor, auf dem der Reichsadler prangt, noch von Lehenszeiten her.

Vor mir liegt mein schönes, altes Steindorf. Zarter Lindenduft umweht uns und auf der ehemaligen Zugbrücke erwartet uns die ganze Familie. Das Herz klopft mir zum Zerspringen vor Wonne und doch unerklärlicher Angst. Ich wäre am liebsten jedem Einzelnen um den Hals gefallen und hätte ihm in beredten Worten meine namenlose Freude schildern mögen. Statt dessen fühle ich, wie mir brennende Röte die Wangen färbt und mir die Augen übergehen vor Verlegenheit.

„Also kommt, Ihr seid gewiß hungrig“, und Großmama geleitet uns in die Veranda. Entzückt betrachte ich das Wandgemälde; es hatte mir schon von jeher so besonders gut gefallen: Flora sitzt lächelnd und schön in einem Muschelwagen, den vier Genien an Seidenbändern ziehen. Ihr nach schweben noch andere Göttinen, mit Früchten und Ähren beladen. Es schmeckt mir vorzüglich. So ein schwarzes Landbutterbrot, Thee und Kirschen dazu — ich hätte mit keinem König getauscht.

In gehobener Stimmung betrete ich mein Zimmer. Ein ideales Nestchen, ganz weiß-rosa, so frisch und sommerlich. Blumen überall, zarte Schlingrosen auf den etwas verblaßten Tapeten und vollerblühte Centifolien in den Vasen. Über all dem schwebt jener unbeschreibliche Duft von Reinlichkeit und würziger Atmosphäre, wie [S. 32] er gutgelüfteten, lange nicht bewohnten Räumen eigen ist. Ist es Wirklichkeit oder träume ich? Ach, immer, immer hier bleiben; es wäre das Paradies!

Mit großer Umständlichkeit packe ich die Koffer aus und drücke Hannerl verschiedene Geschenke in die Hand. Sie ist außer sich vor Freude. Wir sind unzertrennlich. Aber endlich müssen wir doch zur Ruhe gehen.

„Gute Nacht, Hannerl.“

„Gute Nacht, Mimi.“

„Wenn’s nur schon morgen wäre!“

„Das möcht’ ich auch.“

Förmlich berauscht von den empfangenen Eindrücken und wohl zum Teil auch von der köstlich-herben Luft schlafe ich ein, die Hände unter dem Kopf gefaltet, ein „Mein lieber, lieber Gott, ich danke Dir,“ auf den Lippen.

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Fräulein Auguste, die Bonne, war eine lebensfrohe junge Person, die es vorzüglich verstand, unsere Spiele in Gang zu bringen.

Bald tummelten wir uns auf den Wiesen herum, verrichteten Gartenarbeit, oder wir zogen in den Wald hinaus, um zu botanisieren. Dabei sangen wir allerlei Lieder, Hannerl zum Erschlagen falsch, aber sie meinte es gut und war gar zu herzig. Das gestreifte Waschkleid umhüllte lose den dünnen Engerlingskörper, auf dem der große, runde Kopf wie ein echter, rechter Bauernknödel saß.

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Wenn wir Kaffee getrunken — Fräulein Auguste konnte nur über die unglaubliche Menge staunen, die in der bodenlosen Tiefe unserer Magen verschwand — arbeiteten wir für unsere Puppen. Wir statteten sie vom Kleinsten bis zum Größten aus — ja sie besaßen sogar Alle Geradehalter und Sonnenschirme.

Ich war stets die Tonangebende, während sich Hannerl mehr passiv verhielt. — Bisweilen freilich trug sie einen gewissen Widerstand zur Schau, eine verächtlich-ungläubige Miene, so zum Beispiel, wenn ich ihr französische Stunden geben wollte. Es ging ihr nun einmal absolut nicht ein, weshalb sie mehr lernen sollte, als die übrigen Kinder. Pauline konnte auch nicht französisch und war doch Stubenmädchen geworden. Darin aber gipfelte Hannerl’s Sehnen und Trachten. Im Grunde genommen begriff ich es ganz gut: ja es gab Momente, wo ich um mein Leben gern mit ihr getauscht hätte.

Was gab es aber auch auf der weiten Welt Behaglicheres, als Jungfer Paulinens Zimmer. Weißgetünchte Wände mit vielen Bildern behangen, blütenweiße Vorhänge, blitzblanke Fensterscheiben, von roten Bohnen umrankt, die bis auf den Fußboden herabkrochen; ein Messingbauer mit einer Kanarien-Menage und das Prunkstück, ein Glasschrank, in dem sich Alles dreimal spiegelte.

Sie schien indes nicht besonders erbaut über meine häufigen Besuche, denn ich begnügte mich nicht, den Gesammteindruck ihres reizenden Heims mit Kennerblicken [S. 34] zu genießen; sie mußte mir die Albums, die Schachteln mit den Bändern und Muscheln zeigen und mir gestatten, ab und zu etwas besonders „schön“ zu finden, was dann regelmäßig in mein Eigentum übergieng.

Hannerl war furchtbar ungeschickt beim Nähen. Ein paarmal versuchte sie es, dann nahm sie die Haltung eines störrischen Maultieres an: Ich reizte sie. „Hannerl, Du bist doch schrecklich dumm. Eigentlich will ich gar nicht Deine Freundin sein.“

„Dann laß nur bleiben. Ich mach’ mir nix aus einer Baroneß.“

Ich fühlte mich beleidigt: das sollte sie bereuen. Es fand sich noch am selben Tage Gelegenheit, ihr eine Kränkung zuzufügen. Wir erhielten Besuch aus der Nachbarschaft; mein Vetter Robert und der zehnjährige Alfons, Sohn des Fürsten Weitzperg schlossen sich uns an. Auguste saß abseits und wir spielten Verstecken, ohne von Hannerl die geringste Notiz zu nehmen. Sie war einfach nicht für uns vorhanden; wir behandelten sie als Luft und sprachen zur Verschärfung der Situation nur französisch. Dabei wußte ich es so einzurichten, daß sie ihren Namen hören, und verstehen mußte, daß ich nur Häßliches von ihr sagte. Als ich das Wort „Ochsenknecht“ — diese Stelle hatte ihr Vater bekleidet, fallen ließ, schleuderte ihr Robert ein „Pfui, wie gemein“, in das Gesicht. Hannerl wurde über und über rot und große Thränen traten ihr in die Augen. Da stieg es wie Scham und Mitleid [S. 35] in mir auf, aber ich zeigte nichts davon und spielte weiter.

Als Alfons sich verabschiedete, pflückte ich eine schöne Rose und gab sie ihm mit dem Bemerken: „Für Deine Mutter.“ Die Hand, die sich nach der Blume ausgestreckt, zitterte: „Ich werd’ sie auf den Friedhof tragen.“

Das hatte ich vergessen und um meine Ungeschicklichkeit zu bemänteln, frug ich: „Du hast sie wohl gern gehabt?“

„Sehr.“

Es wollte keine rechte Unterhaltung mehr in Gang kommen, zwischen Robert und mir. Ich schlich mich an Hannerl heran und schüchtern ihren Arm betupfend, bat ich: „Sei nicht bös Hannerl, es war nicht so gemeint.“ Sie lächelte schon und wir besiegelten unsere Versöhnung durch einen herzhaften Kuß. Robert meinte, so etwas sei unschicklich, ich dürfe nicht vergessen, daß ich „Baronesse“ sei. Doch das Gute hatte in mir gesiegt und behielt die Oberhand.

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Es lag irgend ein Geheimnis in der Luft.

Ein fremder, vornehm aussehender Herr war auf Besuch gekommen, doch nur eine Stunde lang geblieben. Tante Laura gieng eine zeitlang blaß und verweint umher und verschloß sich dann ganz auf ihrem Zimmer. Wenn [S. 36] Papa nach ihr fragte, meldete sie sich krank. Er schüttelte unwillig den Kopf, ergriff Hut und Stock und gieng in den Wald hinaus. Er war reizbar, leicht ungeduldig, in denkbar schlechter Laune.

Meine kindliche Neugier war auf das höchste gespannt: eines Abends stellte ich mich schlafend und hörte, wie Fräulein Auguste und Pauline mit einander flüsterten. Das also war’s gewesen! Tante Laura hatte eine Liebe im Herzen getragen — aber eine hoffnungslose Liebe — denn der Mann ihrer Wahl war ein Jude gewesen und gegen eine solche Verbindung sträubte sich die Familie mit allen Mitteln. Vor wenigen Tagen nun war die Nachricht gekommen, daß er im Duell gefallen sei.

Wie nichtig schienen mir die eigenen kleinen Sorgen im Vergleich zu diesem Schmerz. Hätte ich zu ihr eilen, sie umfassen, mit ihr weinen dürfen! Nicht helfen können!

Und die Großeltern hatten es nicht zugegeben, nur aus dem Grunde, weil er ein Jude war. Die hatten Christus an’s Kreuz geschlagen: doch das war lange her. 2000 Jahre. Und er mußte dafür büßen! Nein, das konnte der gerechte Gott nicht wollen! Und schlecht war jener gewiß nicht gewesen, sonst hätte ihn die arme Tante nicht so geliebt. Jetzt war Alles vorbei. Oh, Tante Laura, das hast Du nicht verdient!

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Eine ältere Dame, Madame Berger, die Erzieherin der Tanten gewesen, und die schöne Jahreszeit in Steindorf verbrachte, erteilte mir auf Großmamas Wunsch Klavierunterricht. Ich mußte bei den Anfangsgründen beginnen und langweilte mich schrecklich dabei. Meine Unaufmerksamkeit erboste die Lehrerin; bei jedem falschen Ton versetzte sie mir einen Klaps mit ihren spitzen, gichtischen Fingern. Oft mußte ich denselben Takt zwanzigmal wiederholen und wünschte Madame sammt dem Klavier zum Kuckuck. Da ich keine Spur von Lust fühlte, blieben natürlich auch die Fortschritte aus. Ich liebte die Musik, aber nur, wenn sie einschmeichelnd, melodienreich mein Ohr berührte. Papa spielte schön: Großmama und ich saßen allabendlich auf dem runden Kanapee beisammen und hörten zu. Gar häufig legte sie die Zeitung beiseite und wischte sich unter dem Augenglase eine Träne weg: ihr Blick ruhte dann mit unaussprechlicher Zärtlichkeit auf dem blonden Kopfe ihres Ältesten und Lieblings.

Aber Madame Berger, die kleine, geschäftig herumtrippelnde Person sollte lieber „ de petits corsets de batiste nähen.“ Sie litt an der fixen Idee, daß man nur handgenähte Dinge tragen könne: Maschinenarbeit war „Schlamperei“.

Gewöhnlich erstarb sie in Liebenswürdigkeit; allein mit mir, nahm sie sich kein Blatt vor den Mund. Ich aber konnte sie nicht leiden und war auch nicht ganz [S. 38] so arglos wie „die berückende Frau“ meinte. Ein schlauer Fotograf hatte ihr diesen Bären aufgebunden und sie so veranlaßt, einige Dutzend Bilder zu bestellen. Sie machte allen Ernstes trotz ihrer sechzig Jahre und des Hexengesichts noch Anspruch auf Schönheit und kokettierte mit den Herren. Mit „Don“ einer engelsguten Haut, dem Gesellschafter Großpapas geriet sie häufig in Conflikt, weil er ihr mit rührender Offenheit die derbsten Wahrheiten sagte. Das aber vertrug sie nicht.

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Großmama verordnete mir kalte Waschungen und wies Auguste eigenhändig an, wie sie meinen Rücken behandeln müsse. Sie nahm ein ellenlanges Stück Rosenseife zwischen Daumen und Ringfinger und fuhr dreimal mit der scharfen Kante sehr energisch über die Wirbelsäule. Dann rieb sie mich mit Handtuch und Nägel trocken. Das kitzelte abscheulich, gerade so wie beim „Geschichten“ erzählen. Da setzten Hannerl und ich uns auf Schemeln zu ihren Füßen und sie hielt unsere Hände fest. Im Anfang streichelte sie sie leise, im weiteren Verlauf der Erzählung aber, wenn sie in Affekt geriet, oder gar Räuber vor uns aufmarschieren ließ, bohrte sie sich förmlich mit den Fingern in die Innenflächen ein, und krabbelte und kitzelte solange, bis wir uns vor Lachen schüttelten.

Hannerl verdaute die Geschichten schwer, besonders die von der „grauen Frau“ und den „geschluckten Nasen [S. 39] und Ohren“. Sie fuhr des Nachts in ihrem Bette auf und schrie um Hilfe, bis Pauline Licht entzündete und sie beruhigte.

Mir gieng es einmal auch nicht besser. Auguste und Pauline waren zu einem Fest ins Dorf gegangen und das Nebenzimmer blieb leer. Ich trachtete zu schlafen: vergeblich. Dort in der Ecke knisterte es; ich hielt den Atem an — gewiß, ich täuschte mich nicht. Ich hörte eine Zeitlang nichts, als das laute Klopfen meines Herzens. .. Waren das nicht Schritte? Und jetzt ein Stöhnen, ganz deutlich. Abermals. ... Ich steckte den Kopf unter das Kissen, aber die Angst nahm nicht ab. Ich hielt es nicht länger aus. Suchend tastete ich nach den Zündhölzchen und atmete erleichtert auf, als der Lichtschein das völlig leere Zimmer beleuchtete. Ich hätte also ruhig sein können, aber der Schlaf war mir vergangen; ich sehnte mich nach Gesellschaft, nach Aussprache, warf das Nachtgewand über und begab mich zu Hannerl. Die schnarchte fest. Ich rief sie an, rüttelte, zupfte sie am Ohr, alles umsonst. So wartete ich eine Viertelstunde: dann dauerte es mir aber doch zu lange: ich machte kurzen Proceß, hob die Decke auf, schob Hannerl an die Wand und legte mich an ihre Seite. Endlich schien sie zu merken, daß es nicht mit rechten Dingen zugehe. Sie brummte etwas Unverständliches und als ich ihr in Kürze den Sachverhalt schilderte, erwiderte sie mürrisch: „So geh’ doch schon, ich will ja schlafen.“ Dazu [S. 40] entschloß ich mich aber erst, als die Ausflüglerinnen bei anbrechendem Morgen heimkehrten.

Mit meinem Mut war es überhaupt nicht weit her. Jedes Geräusch, jede fremde Gestalt, ja jeder bellende Hund jagte mir Schrecken ein. Es erfuhr nie eine Seele, was ich bei den Abendspaziergängen mit Papa ausstand. Wenn die Erlen rauschten, das Käuzchen klagend schrie und die Dämmerung die Gegend in dunkle Schleier hüllte, da kam die Furcht, das bange Erwarten etwas Schrecklichen über mich.

Besonders vor einer Stelle graute mir. Papa hatte uns gesagt, es sei die Wolfschlucht, in der mit Samiels Hilfe die Kugeln gegossen wurden. Ich blickte scheu zum Himmel. Wenn jetzt plötzlich die wilde Jagd durch die Lüfte gesaust käme, dann müßte man auf die Knie fallen, das Gesicht auf die Erde drücken und ein Vaterunser beten. „Papa“ — ich klammerte mich an ihn.

„Was hast Du denn?“

„Aber siehst Du denn nicht? — Dort, hinter dem Baum, Du auch nicht, Hannerl?“ Statt aller Antwort hing sie sich zitternd an den andern Arm Papas. „Ein Mann mit braunen Locken, ein Barett auf dem Kopf. Hohe Stiefel, ein Gewehr umgehängt .. ein Wildschütze.“

„Ja, ja, ich hab’ Dir’s immer gesagt!“ bestätigte Papa, dem unsere Angst wohl Spaß machte. Meine erregte Phantasie spiegelte mir die verschiedensten Erscheinungen mit solcher Deutlichkeit vor, daß ich steif und fest glaubte, die Dinge wirklich gesehen zu haben.

[S. 41]

La baronne c’est un paquet de Nerfs “ hatte sich einmal Madame Berger über meine Mutter geäußert. Ich hatte bereits, ohne es zu wissen, die traurige Erbschaft angetreten. Wenn Großmama schlürfend Thee trank und an einer Honigsemmel saugte, als wäre es eine furchtbar zähe Masse, zuckte es mir in allen Gliedern. Ich preßte die Fingernägel ins Fleisch, biß mir die Zunge wund und konnte es nicht erwarten, daß sie fertig war. Dieselben Qualen litt ich, wenn Jemand eine Thüre heftig zuschlug, hustete, sich räusperte. Da lief ich unter irgend einem Vorwand aus dem Zimmer, ballte die Fäuste, stampfte mit den Füßen und weinte Wuttränen, bis ich mich erschöpft und erleichtert fühlte.

Natürlich ahnte niemand etwas von diesen anormalen Zuständen, denn ich hütete mich wohl, etwas zu verraten. Man hätte mich ausgelacht, gestraft oder zu einem Arzt geführt und jede dieser Aussichten war mir schrecklich. Das Verspotten fürchtete ich vielleicht am meisten. Madame Berger benützte jede Gelegenheit, mir kleine Hiebe zu versetzen. „ La petite a l’air d’une cigogne. “ War das wirklich wahr? — Von diesem Moment an wußte ich nicht, was mit meinen Armen und Beinen beginnen; meine Bewegungen nahmen etwas Linkisches, Steifes an, das an die Darstellungen der Altegypter gemahnte und mir vielleicht wirklich eine Storchähnlichkeit verlieh.

O ich war empfindlich! Seit einmal Großmama [S. 42] aus Zerstreutheit frug: „Du, wer ist denn das?“ redete ich nur in einer „selbsterfundenen Person“ mit ihr. „Bitte, das meinen?“ „Bitte, vorlesen“ u. s. w. Alle Vorstellungen vermochten nichts daran zu ändern; ich hätte mir lieber die Zunge abschneiden lassen, als je wieder die alte, vertrauliche Ansprache anzuwenden. Überhaupt, sie imponierte mir und verstand es vorzüglich, alle Welt in gemessener Entfernung zu halten. Sie war in ihrer Art eine Großmacht und hing mit allen Fasern ihres Seins an der Regierung. Nie und nimmer hätte sie einen Eingriff in ihre Rechte als Herrin des Hauses geduldet.

Ich sehe sie noch deutlich vor mir. Eine trotz ihrer siebenzig Jahre stolze, aufrechte Erscheinung, mit edlen, entschiedenen Zügen, deren Ausdruck, je nach Gelegenheit, zwischen unbeugsamer Starre und fast kindlicher Weichheit wechselte. Wo sie ging und stand, begleitete sie ihr Schlüsselbund: sie trug dies Abzeichen ihrer Würde mit einem gewissen Stolz, wie der Herrscher seine Krone. Sie teilte selbst die Vorräte aus und liebte es, in der „Speise“ eine ungestörte Viertelstunde zu verbringen, um die Güte des Proviantes zu erproben, um zu „kosten“. Es waren nicht immer „Mäuse“, die Unfug anrichteten unter Mandeln und Rosinen!

Gieng Großmama spazieren, trug sie sich seltsam genug, in der Art des vorigen Jahrhunderts. Ein breitkrämpiger, helmartiger Strohhut, darüber um das Kinn gebunden ein dünnes Wolltuch, in der Hand einen massiven Schirm, [S. 43] den Griff nach unten gekehrt, den sie bisweilen drohend schwang wie eine Keule. Die hellen Glacéehandschuhe waren stets nachlässig übergestreift, so daß die halben Finger frei blieben und wie abgebundene Würstchen aussahen. Die Füße steckten in viel zu großen Überschuhen und es geschah gar häufig, daß der eine mit ins Freie zog, während sein Bruder mit betrübter Miene aus irgend einer Ecke hervorguckte, in Gesellschaft eines Taschentuches, das, mit vierfachem Knoten versehen, eine prächtige Nachthaube abgegeben hätte.

Mit der Dienerschaft verkehrte sie nie anders, als: „Hat der Kutscher den Wagen geputzt?“ — „Geh’ der Gärtner augenblicklich an die Arbeit“ und das in einem Ton, der von vornherein jeden Widerspruch ausschloß.

Ihr Mann war der „liebe Ferdinand“ und wagte nicht, sie anders anzureden als „Mylady“. Bei Meinungsverschiedenheiten zog er regelmäßig den Kürzeren und mußte sich mit dem bescheiden, was der Gattin nicht behagte. Ein Feld zum Beispiel, auf dem der Weizen schlecht stand, war „Dein Feld“, eine Allee hingegen mit schönen reichtragenden Bäumen war „meine Allee“. Er aber ließ sich dadurch die Laune nicht verderben. Unglaublich rüstig für sein hohes Alter stand er schon um 6 Uhr auf, ging auf die Jagd, aß für Zwei und war unermüdlich im Erzählen alter Anekdoten. Man kannte die Geschichten Wort für Wort, wußte die genaue Reihenfolge und wehrte sich aus Leibeskräften. Es war, als [S. 44] säße er auf einem Birnenbaum und beutle so lange, bis die Darunterstehenden mit Früchten überschüttet waren. Darum hieß es immer: „Birne so und so viel oder Waldberg“, „König von Hannoverbirne“.

„Also; wißt Ihr die Geschichte, wie ...?“

Einstimmiger Chor: „Ja, o ja.“

„No, wie geht sie?“

Jemand erzählt den Anfang.

Kleine Pause. Aufmunternd zu mir gewandt: „Mimi, weißt Du’s auch?“

„Nein, Großpapa.“

Rufe der Entrüstung von allen Seiten. Er triumphierend: „Aha, seht Ihr, sie hat’s noch nicht gehört. Also ich werd’ es Dir erzählen.“

Don: „Die Uhr ist wieder einmal aufgezogen. Der Herr Baron wird noch heiser werden.“ Alles umsonst.

Die Familie spannte im Gedanken Regenschirme auf, sprach durcheinander und ließ die Birnen abprallen. Aber wenn Gäste kamen, wehe! — Mit erkünstelt interessierter Miene, mit der Höflichkeit von Leuten, die „Knigge’s Umgang“ beherzigt haben, hörten sie zu, hier und dort ein „Ach wirklich“, ein zweifelndes Kopfschütteln, ein verständnisvolles Lachen anbringend. Großmama räusperte sich wiederholt, warf ihm vielsagende Blicke zu, und da Alles nicht half, zog sie den andächtigen Zuhörer an ihre Seite und sprach „Landwirtschaft und Industrie“. Sie [S. 45] besaß einen regen Unternehmungsgeist und wußte stets von allen Neuerungen auf diesen Gebieten.

Tante Nilla war nie sichtbar, wenn Fremde kamen. Hörte sie einen Wagen rollen, verschwand sie durch eine Hinterpforte in den Wald. Dort sammelte sie Beeren oder Schwämme, rauchte, las Heiligenlegenden und Missionsberichte. Oder sie hielt Zwiesprache mit ihren Hunden, lauter „Findlingen“, an irgend einer Ecke aufgelesen, wo sie, dem Verhungern nahe, verzweifelt zu ihr aufsahen; lauter Invaliden, Pfründner, die das Gnadenbrot aßen und ihre Tage in Ruhe beschließen durften.

Da war vor Allem Fly, ein ausgedienter Jagdhund, der von seinem früheren Herrn mehr Prügel als gute Worte erhalten hatte und jeder neuen Erscheinung auf zehn Schritte auswich „ serrant la queue et portant bas l’oreil “. Er führte das Dasein eines Rentiers, gieng immer mehr in die Breite und trug seine „Knochen“ auf ein entferntes Feld, um sie später einmal auszugraben.

„Pintschbock“ glich einer „Karricatur“ aus den fliegenden Blättern und machte mit dem unförmig zausigen Körper einen geradezu lächerlichen Eindruck. Er besaß nur eine Schönheit, ein paar Augen, die einen anblicken konnten, daß es einem ordentlich das Herz umdrehte.

Endlich noch „Scheck“, ein plumper Stallköter, mit häßlicher, rauher Stimme. Nach Sonnenuntergang brachte er der züchtigen Grundel, einer Hündin, über deren Alter man nicht reden durfte, Ständchen, daß sie [S. 46] ganz verwirrt wurde. Wie kam sie nur zu solcher Huldigung, sie mit den wackligen Zähnen und dem ewigen Baucherlweh? — Der Geschmack ist eben verschieden, auch in der Tierwelt.

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Mama war mit ihrer Freundin, Frau von Cordi, einer sehr hübschen geschiedenen Frau in Steindorf eingetroffen. Zwischen Letzterer und Madame Berger bestand ein entschiedener Antagonismus und die Beiden begegneten sich mit eisiger Kühle.

Frau von Cordi gefiel mir ungemein. Eine junonische Gestalt mit Grübchen in den Wangen und kornblumenblauen Augen; selbst die Zähne, die gegen alle Schönheitsregeln kühn hervorstrebten, erregten meine Bewunderung. Ich trachtete mir ihren leisen wiegenden Gang anzueignen, strich mir die Augenbrauen schwarz an und malte mir die Wangen so feuerrot, daß Großmama fürchtete, ich habe Rotlauf und mir Zimmerarrest diktierte. Sie behandelte mich als „Große“, was meiner Kindereitelkeit ungeheuer schmeichelte. Ich sann hin und her, wie ich mich ihr angenehm machen könnte und ergriff eifrig die erste Gelegenheit, die sich mir bot. Madame Berger hatte geäußert, daß sie nicht begreife, wie man mit einer solchen Person, die ihrem Manne davongelaufen, verkehren könne. Sie sei eine ganz gewöhnliche Intriguantin und an Großmamas Stelle würde sie ihr das Haus verbieten. Der Augenblick, meine Rache auszuüben, [S. 47] schien mir gekommen. Nochmals das Gehörte vor mich hingemurmelt, um nur ja nichts zu vergessen, und dann schnurstracks zur Geschmähten. Ich war wie von einem Taumel erfaßt, unfähig, mir über mein Vorhaben und dessen Folgen auch nur die geringste Rechenschaft abzulegen. Hätte ich es nicht sagen können, ich wäre erstickt. Kaum aber daß es heraus war, begriff ich, welchen Unsinn ich begangen. Ich setzte mich ans Fenster und blieb auf der Lauer. Das Alarmsignal erfolgte bald; Mama nahte im Eilschritt, das Taschentuch an die Augen gepreßt. Sie machte mir die heftigsten Vorwürfe: „Du bist ein abscheulicher, boshafter Fratz, zu nichts anderm gut, als die Leute übereinander zu bringen. Was ist Dir nur eigentlich eingefallen?“ u. s. w. Dann hielt sie eine Art Monolog, aus dem ich nicht recht klug wurde. „Wär’ ich doch in Venedig geblieben: dieses Steindorf hat mir nie Glück gebracht; jetzt gönnen sie mir nicht einmal das bischen Ruhe. Mir liegt der Ärger auf dem Magen wie ein Berg“ und dabei schluckte sie und machte allerlei Verrenkungen. „Alle führen hier das große Wort, nur ich soll schweigen; ich laß mir es aber nicht länger gefallen. Der alte Drache, die Madame Berger, soll nur schön schweigen, die ist nicht ihrem Mann durchgegangen, bei der war’s umgekehrt. Auch begreiflich.“ Sie schien meine Anwesenheit gänzlich vergessen zu haben. Ein paar Tage ging sie gähnend und seufzend herum, mit dem klagenden Blick einer Mignon, so daß man sich unwillkürlich [S. 48] frug: „Was hat man Dir, Du arme Frau, gethan?“ Dann reiste sie mit ihrer Freundin ab.

Madame Berger begegnete mir von diesem Tage an mit so unterwürfiger, katzenartiger Liebenswürdigkeit, daß ich nur staunte.

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Drückende Schwüle lag auf der Erde. Nun empfand ich doch etwas wie Mitleid mit den Knechten auf dem Felde, die in rastlosem Fleiße Garben aufbanden, während die Sonne glühend heiß auf ihren Scheitel brannte. Nein, ich wollte nicht mehr tauschen. Es hatte doch sein Gutes, „Baroneß“ zu sein. Endlich erhob sich ein kühles Lüftchen. Ich nahm den Hut ab und ließ es über Haar und Stirne wehen; eine wahre Wohlthat. Im Westen ballten sich schwarze Wolken zusammen, und die Schwalben flogen so nieder, daß ihre Flügel die Erde streiften. Aus dem Teiche drang das Schluchzen der Unken und ein Libellenpaar kreiste müde über dem ruhigen Spiegel.

Es rauschte leise in den Zweigen und die kleine „Werner Pepperl“ lockte mit eintönigem Ruf die Hühner, um sie vor Beginn des Gewitters in Sicherheit zu bringen und der alte Gänserich trieb mit Geschnatter seine Damen heim.

Der Himmel verdüsterte sich immer mehr und wir flohen ins Haus. Bald folgte Blitz auf Blitz, Donner auf Donner. Feurigen Schlangen gleich fuhr es am [S. 49] Himmel hin und das dumpfe Poltern brach sich in ohnmächtiger Wut an den alten Mauern, daß es laut widerhallte. Entsetzt schloß ich die Läden und stammelte ein Gebet um das andere. Das Unwetter wütete die halbe Nacht hindurch. Es hatte sich zudem ein Sturm erhoben; er rüttelte an den Fenstern, fuhr heulend um die Ecke und sang im Schornsteine schauerliche Lieder. Es war die Strafe Gottes für meine Sündhaftigkeit: jetzt und jetzt mußte das Schloß zusammenstürzen und uns unter seinen Trümmern begraben. Ich besprengte mich mit Weihwasser, erweckte Reue und Leid, schlüpfte in die Pantoffeln, hüllte mich fest in meine Decke und forderte Fräulein Auguste auf, gleich mir ihre Seelenrechnung zu machen. Als sie mich aber in diesem seltsamen Aufzug erblickte, brach sie in ein so schallendes Gelächter aus, daß ich mich entrüstet entfernte, um allein zu sterben.

Der Tod kam nicht, wohl aber sein Bruder, der Schlaf. Er strich mir sanft über die Schläfen und nahm mich mit sich ins Reich der Träume:

Die Gestalt des dicken Verwalters tauchte vor meinem geistigen Auge auf: bei jedem Schritt taumelte er so, daß man meinte, er müsse umfallen, aber er verlor doch nie das Gleichgewicht. Er lehnte sich ans Billard und erzählte, daß die Bauern einen Grenzstein verrückt hätten: „Mein Jott, ich sach’s ja immer, ’s jiebt so jefährliche Menschen“, dabei rutschte das Billard und er lag der Länge nach da. Auguste hob ihn auf und ließ ihn auf [S. 50] einem Seile tanzen. Fly bellte. Er sagte: „Weil der Mond scheint“ und begann zu singen: „Juter Mond, Du jehst so stille“. Auguste meinte, er solle keinen Unsinn treiben, ihr sei eine „jut jebratene Jans“ viel lieber, worauf er sie zu einem fetten Schinken einlud: „Meine Vorratskammer is jerade jefüllt.“ — „Von unjerechtem Jute, alles jekrippst von der Herrschaft“, kicherte Auguste. Dann riß sie so heftig am Seil, daß er stürzte. Ich verspürte einen Ruck und erwachte an ungewohntem Orte, auf meinem Bettteppich. Als ich Auguste den Traum bis in die kleinsten Einzelheiten erzählte, nannte sie mich geärgert ein „überspanntes Ding“. Gesunde Kinder hätten keine solchen Träume.

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Robert und ich stellten lebende Bilder dar. Ich öffnete mein Haar, daß es mir wie ein Mantel über die schmalen Schultern fiel, schlang wilden Wein darum und legte mich mit geschlossenen Augen ins Gras. Dornröschen schlief. Der Prinz war in einen großkarrierten Plaid gehüllt und eine Pfauenfeder schmückte sein dunkles Sammtbarett. Er nahte schüchtern, kniete vor mir nieder, küßte mich und ich erwachte.

Hannerl war aufgelöst vor Entzücken, obwohl seine Hoheit sie keines Blickes würdigte. Für ihn gab es eben nur „Prinzessinnen“, das hatten ihm seine Tanten schon an der Wiege gesungen.

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Mir gegenüber war er ganz „Cavalier“. Wir feierten gerade „Kirchweihfest“, und da ich in die Nähe der Musik wollte, bot er mir seinen Arm und tanzte eine Tour mit mir. „Blau steht Dir am allerbesten, wie den meisten Blondinen“, äußerte er, indem sein Blick wohlgefällig mein Tüllkleid streifte. Er schenkte mir ein Lebkuchenherz mit flammender Inschrift: „Aus Liebe“. Papa und der Onkel stießen sich an und wir wurden sehr verlegen. Auguste führte mit dem Verwalter einen Tanz auf, wie ihn die Nilpferde nicht schöner zu Stande gebracht hätten. „Du, mir scheint, da fangt sich was an“, bemerkte Robert altklug.

„Was denn?“

„Kleine Unschuld“ und er lächelte protektorhaft.

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Alle taten sehr geheimnisvoll mit den Vorbereitungen zu meinem Namenstag. Ich lief zu Pauline, um sie auszuforschen: verriegelte Thüren; ich bestürmte Hannerl mit Fragen — sie schüttelte den Kopf und Frau Huber, die Köchin, wollte auch nicht mit der Sprache heraus. „I, i darf nix sagen, sonst könnt’s heißen, daß i eine Tratschen bin.“

„Frau Huber“, in der geöffneten Küchentüre erschien Dons kleine, feiste Gestalt und mit gekrümmtem Zeigefinger neckisch drohend: „Frau Huber, der Herr Baron läßt Sie ersuchen, sich ein wenig zu beeilen, weil er sehr hungrig ist.“

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Bei seinem Eintritt schmunzelte die Huberin mit hinreißender Coquetterie. Dieses Gesicht setzte sie jedesmal auf, wenn sie ihren einstigen Verehrer erblickte. Er hatte vor langer Zeit für sie geschwärmt, „o wenn sie ewig grünen bliebe, die Zeit der jungen Liebe“, und erinnerte sich nur noch vague an diese Episode seines Lebens. In fünfundzwanzig Jahren vergißt sich so Manches, namentlich wenn eine Gehirnkrankheit den Gedächtnisapparat geschwächt, wie es beim armen „Don“ der Fall war. Ab und zu erzählte er von seinen Flammen und in diesen Berichten spielte auch die Huberin eine gewisse Rolle. „Zum erstenmal habe ich sie mit einem Einkaufskorb unter dem Arm gesehen und das machte mir gleich einen vorteilhaften Eindruck. Sie sah so nett und appetitlich aus. Ich hob den Deckel auf und sah Rettige und Karfiol, mit einem Worte, lauter gute Sachen“. Später hatten zwei Zwillingsschwestern sein Herz zu neuer Glut entfacht. „Wie die schön und graziös auf dem Trapez turnten, eine Passion, ihnen zuzusehen, und so wohlerzogene, brave Mädchen.“

Er schilderte mit Vorliebe seine Beamtentätigkeit an der Franzjosefsbahn. „Das war ein aufreibendes Leben, diese Verantwortung! Mir stehen noch jetzt die Haare zu Berg, wenn ich daran denke. Mit einem Fuß im Grab und mit dem andern im Criminal. .. Wie damals noch Alles primitiv war und wir uns plagen mußten, bis etwas klappte. Der erste Ball, den wir gaben“ ... [S. 53] und dann stieg er regelmäßig die 4 Treppen zu einer nunmehr berühmten Burgschauspielerin empor und bat sie, das Patronessenamt zu übernehmen. Sie sagte zu, traktierte ihn mit schwarzem Kaffee und war sehr liebenswürdig.

Bisweilen, wenn er Reminiscenzen von anno dazumal auffrischte, erwachte in Großpapa der Concurrenzneid und er ließ es Don bei der Zeitungsvorlesung entgelten.

Don: „Landtagswahl“. Pause.

„Auf was warten’s denn, so lesen’s weiter.“

Nochmals „Landtagswahl“. Unter Gelächter: „Dem König von Portugal, dem ist das ganz egal.“

„Herrgott, ist das ein Chineser.“

„No ja, aber uns geht’s ja eigentlich nichts an, wer gewählt wird. Wir candidieren ja nicht.“

„Deshalb interessiert’s mich doch. Ich bin zum Glück nicht so wie Sie, daß ich für nichts Sinn hab’ als für Zwetschkenknödel.“

„Da irrt der Herr Baron: ich esse Apfelstrudel und Milchreis eben so gern.“

„Also lesen’s schon einmal weiter. Lauter, man versteht ja nichts.“.

„Ich bin schon heiser, Herr Baron, und es wird finster.“

„Jesses, hat der Mensch Faxen!“

Nach einer Weile: „Don, was sind Sie?“

„Ein Aff’.“

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Großmama kannte diese Art der Unterhaltung und fand sie äußerst unpassend. Mir hingegen bereitete es großen Spaß, zuzuhören. Ich saß bei den Mahlzeiten neben ihm und lachte mich halb krank über seine unvermittelten Ideensprünge. Sagte Jemand: „Das ist bequem“, murmelte er vor sich hin: „ Madame sans gêne “, oder irgend etwas Ähnliches und fixierte dabei völlig geistesabwesend eine Person aus der Gesellschaft. War es Tante Nilla, so zog sie geärgert die Augenbrauen in die Höhe und warf ihm einen vernichtenden Blick ob solcher Kühnheit zu. Auf Auguste war sie, seit der Verwalter ihr eine Nußtorte gesandt, nicht mehr gut zu sprechen. Selbst kühl bis ans Herz hinan, haßte sie Alles, was nach Verliebtheit schmeckte.

Endlich kam der Namenstag. Ich konnte es kaum erwarten: als es aber hieß: „Jetzt“ zierte ich mich mit einemmale. Jene Schüchternheit befiel mich, die mit dem Bewußtsein, daß „ein Ereignis“, „etwas Vielbesprochenes“ bevorstehe, in Verbindung war. Dabei empfand ich ein physisches Unbehagen, das mir jeden Genuß bedeutend schwächte. Aller Blicke waren auf mich gerichtet, wie peinlich; ich unterschied nichts deutlich, nur im bunten Durcheinander wie Farbenkleckse auf einer Palette. Erst als ich mit Hannerl allein war, kam meine Freude zum Durchbruch. Wir vergnügten uns mit der Betrachtung der Geschenke und ich war in lustigster Stimmung, bis Madame Berger mir sagen ließ, ich möge in einer halben [S. 55] Stunde zu ihr kommen. Diese Ankündigungen versetzten mich jedesmal in helle Verzweiflung und ich erforschte mein Gewissen, ob ich nicht wieder etwas „angestellt“ hätte und Strafe bekäme.

Nein, ich täuschte mich: sie teilte mir blos mit, daß sie „ du raisin “ für mich bestellt und daß er morgen bestimmt eintreffen müsse. War das eine Erleichterung!

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Großmama nahm uns in die Garderobe mit, damit wir ihr halfen, Bettwäsche zu verteilen. Öffnete man die laut kreischende Eisentüre, so drang Einem der anheimelnd feuchte Moderduft einer längst vergangenen Zeit entgegen. Eine Spinne machte geschäftig die Runde ihres schwanken Netzes, und an den vergitterten Fenstern kletterte dunkler Epheu empor, in dem die Tauben ihre Nester bauten.

Der massiv geschnitzte Leinenschrank nimmt ein Drittel des Raumes ein: an der gegenüberliegenden Wand steht ein Bücherbrett; die Einbände weisen meist farbiges Papier mit steifen Blumensträußchen auf; Großmamas Jugendbibliothek. In scheuer Andacht stehe ich davor und wage kein einziges zu berühren. Wie lange das her war! Noch viel, viel länger als die lebensgroßen Bilder im gelben Salon. Damals war Großmama Braut. Über hellgrauem Rock ein Überwurf aus schwarzem Sammet, wie es Mode war. Der überschlanke junge Hals ist etwas entblößt und lange blonde Locken umrahmen [S. 56] ein sanftes blühendes Gesicht. Ihr gegenüber Großpapa im Jagdkostüm, eine männlich-schöne, elegante Erscheinung. Zwei bildhübsche Menschenkinder, wie für einander geschaffen! Und sie so reden zu hören! Keine Spur von Verweichlichung. Ohne Umhülle, ganz echauffiert vom Tanze, direkt aus dem Ballsaal hinaus in die kalte Winternacht und lustig herumspaziert in dünnen Atlasschuhen, weil es so reizvoll war, durch die leeren Straßen zu wandeln, wenn Alle schliefen.

Sie hielt ein Stück blaßgrünen goldgestickten Brokates gegen das Licht. Es war ein Kleid meiner Urgroßmutter und an einzelnen Stellen von Motten durchlöchert. Mir gieng ein Frösteln durch die Glieder. Dieses Stück Stoff, sonst war nichts von der Frau geblieben, die doch gleich uns geatmet, gelebt hatte. Er spann wie ein Mysterium zwischen der Toten und meinem Gehirne. Etwas Unbeschreibliches erfaßte mich in dem kühlen dämmerigen Raum; es legte sich mir drückend, zentnerschwer aufs Herz und ich wurde es lange nicht los.

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Papa, Auguste, Hannerl und ich, wir machten in aller Morgenfrühe einen Ausflug auf die „Tannenhöh“, die berühmt war wegen ihrer wundervollen Aussicht.

Es hatte tagszuvor geregnet und die Erde strömte feuchte Dünste aus. Die aufgehende Sonne wob Strahlennetze über die blühenden Wiesen und die dunklen Brachfelder. Zarte, bald lila, bald mattrosa Schleier umflatterten [S. 57] die fernen Berge und am Himmel wogten weiße Wölkchen dahin wie eine Heerde Schafe.

In den Dörfern spielten die Kinder auf der Straße. Sie schleiften alte, mit Sand gefüllte Schachteln hinter sich her und ihre Züge spiegelten jene Lust am Leben wieder, jenen Stolz, so schöne Sachen zu besitzen, wie er nur diesem Alter eigen ist.

Eine Schaar Kühe tummelte sich auf der Weide. Die bereits Satten lagen auf der Erde, wiederkäuend im Grünen, mit großen, ausdruckslosen Augen.

Der Postmeister eilte an uns vorbei, die gefüllte Ledertasche auf dem Rücken, eine ellenlange Pfeife im Mund. Tag für Tag gieng er denselben Weg, schon vierzig Jahre lang. Wie eintönig! Und doch habe ich ihn nie anders als heiter gesehen, mit sich und seinem Los zufrieden. Eine genügsame, anspruchslose Natur, die Haß und Neid wohl nur vom Hörensagen kannte. Bisweilen erzälte er, wie das und jenes früher war, Manches besser, Manches schlechter und seine Anschauungen waren merkwürdig richtig für einen Bauer, der sein lebenlang Briefe abgestempelt und in seinen Mußestunden das Schusterhandwerk betrieben. Er trug sein Alter mit Frohsinn und Würde; der energische Gang und das schneeweiße Haupt verliehen ihm etwas Strammes und Rührendes zugleich.

Unser Weg führte uns durch einen prächtigen Buchenwald. Eine Unzahl Schwämme bedeckten den Boden und [S. 58] Cyclamen blühten hier und dort zerstreut. Nun hatten wir unser Ziel erreicht, einen auf der Anhöhe befindlichen Vorsprung, dicht umwuchert von Brombeer und Berberitze, von dem aus man die Gegend im weiten Umkreis übersah. Papa richtete uns das Fernrohr zurecht und wir erkannten in voller Deutlichkeit Steindorf und alle Nachbarschlößer. Ein großartiger Anblick ohne Zweifel, aber so weit, so grenzenlos, als sei es nicht mehr „wahr“. Angesichts dieser Unendlichkeit stand mir der Atem still.

„Warum sagst Du denn nichts? — Mir scheint, Du hast keinen Sinn für Natur?“ frug mich Papa.

Was sollte ich darauf erwidern? Wie die undeutlichen Begriffe schildern, ohne konfuses Zeug zu reden. Jeder nach seiner Art. Die Hunde bellen den Mond an. Weshalb tun es die Menschen nicht? Der Italiener spricht anders wie der Schweizer — der Eine redet viel, der Andere wenig. Und kann ein Kind nicht auch seine eigenen Gedanken haben? Sprechen ist nicht immer nötig; Schweigen hingegen fördert das Gefühl. Freilich, es gibt Leute, die das nicht begreifen. Da heißt es dann gewöhnlich: „Warum sprichst Du nicht?“ „Weshalb bist Du so still?“, als ob sich das mit einem Worte definieren ließe. Törichtes Beginnen, das Meer in eine Nußschale füllen zu wollen.

Im Gasthaus zum „goldenen Löwen“ — einen goldenen Löwen gibt es nämlich überall — nahmen wir mit wahrem Heißhunger ein ländliches Mahl ein. Dann [S. 59] kletterten wir über die steile Bodentreppe und wälzten uns im duftenden Heu, das die Scheune fast bis zur Decke füllte.

Die Nacht verbrachten wir in Sahning und ich durfte mit Hannerl in einem Zimmer schlafen. Wir wollten rechten Unfug treiben, schliefen aber schon beim Abtrocknen ein. Ich hörte noch wie Hannerl quiekte und schrie, als Auguste sie in das große Wasserschaff steckte, war aber viel zu müde, um mich wie sonst an ihrem spündeldürren Schatten zu ergötzen.

Nach gesundem, erquickendem Schlummer besuchten wir die alte Wallfahrtskirche des Ortes. Mit ihren zwei Türmen ragt sie stolz und selbstbewußt in die Höhe, als könne sie Wunderdinge erzählen. Aus aller Herren Länder pilgern sie hierher, die Bedürftigen, die Enterbten des Schicksals, um von Maria, der mächtigen Fürsprecherin Heilung ihrer Wunden zu erflehen. Die Legende berichtet von ganz merkwürdigen Dingen: davon zeugen auch die zahllosen Öldruckbilder, die die Wände bedecken. Sie stellen die Madonna unter ihren verschiedenen Titeln dar und tragen allerlei Widmungen: „Unserer lieben Frau von der immerwährenden Hilfe, zum Danke für die wunderbar erfolgte Genesung ihres Sohnes Alexander.“ Oder blos: „Hab’ Dank, Maria“ und die Initialen der Spender. Und rings um den Hochaltar wächserne Herzen, Hände und Füße, auch ein Krückenstock und ein Lederschuh. Diese Dinge störten meine Andacht, statt sie zu [S. 60] erhöhen und Papas halblautes Gemurmel machte mich vollends zerstreut.

Da fiel mir Tante Laura ein, die man mit einer Gesellschafterin auf Reisen gesandt, und über die keine gerade erfreulichen Nachrichten einliefen. Es hieß, sie sei zum Erbarmen traurig, teilnamslos gegen Alles um sie her. Ich betete ein Vaterunser für sie, damit sie bald wieder ihres Lebens froh würde.

Papa schenkte Hannerl und mir einen Gulden, um in den kleinen Buden „Andenken“ zu kaufen. War das ein Vergnügen! Ach, wär’ ich reich gewesen und hätte wählen dürfen! Doch es hieß warten, sich gedulden bis der „Prinz“ käme, mich auf sein Schloß zu tragen, aus purem Edelstein. Dann wollte ich alle Buden der Welt kaufen. Robert war nur ein kostümierter „Prinz“, es mußte aber ein „echter“ sein und ich blickte mit unerschütterlicher Zuversicht in die Zukunft.

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Die schönen Tage von Aranjuez giengen ihrem Ende entgegen und ich stellte wehmütige Betrachtungen an über die Vergänglichkeit alles Irdischen. Quälende Zweifel bedrückten mich, ob ich die Vergangenheit nicht hätte besser genießen können, und wie sehr ich es in Zukunft täte, wenn es eben eine solche gäbe.

Wenn sich doch nur irgend etwas ereignen wollte, um meinen Gedanken eine andere Richtung zu geben und in meinem kindischen Egoismus war es mir total gleichgültig, [S. 61] welcher Art diese Ablenkung sei. Eine Feuersbrunst, ein Einfall von Dieben, einerlei. Mein Wunsch erfüllte sich. Es hieß, ein wütender Hund mache die Gegend unsicher. Wie unheimlich! Ich malte mir ganze Scenen aus: Er naht, schäumend, mit weitheraushängender Zunge und glühenden Augen. Er dreht sich im Kreise, beschnuppert den Boden, kommt immer näher und näher. In grenzenloser Angst jage ich über die Felder hin, er mir nach. Keine 10 Schritte entfernt knallt ein Schuß. Es ist der Jäger. Oder aber ich klettere auf einen Baum, da würde man mich sicher nicht entdecken und ich müßte nicht mit nach Wien.

Als es ernst wurde mit der Abreise, weinte ich so kläglich, als müßte mir das Herz brechen; es half nichts, weder Trostesworte noch Versprechungen. Das Stationsgebäude starrte mir kahl und fremd entgegen und die Träger schienen mir Folterknechte. Wir setzten uns in die kleine grünverwachsene Laube und Papa bestellte eine Stärkung. Ich hielt Hannerl krampfhaft bei der Hand und verwandte keinen Blick von ihrem traurigen Gesicht, in dem ich einen Widerschein des eigenen Leides zu gewahren meinte. Dann zogen die Kastanienbäume meine Aufmerksamkeit auf sich. Solche gab es doch auch in Wien, und Häuser auch — und Menschen. — Weshalb grämte ich mich eigentlich? Da man allenthalben denselben Dingen begegnete, warum gerade sein Herz an dies eine Fleckchen Erde hängen? So philosophierte ich und biß [S. 62] schon mutiger, mit einer Art Galgenhumor in das Würstel und trank Bier dazu, mich zu betäuben. Ich lachte sogar, machte bleichsüchtige Witze und stieß mit Hannerl auf ein frohes Wiedersehen an.

Nur noch wenige Minuten. Die Lokomotive mit dem glühendroten Auge fuhr zischend in die Station ein. „Hannerl, mein liebes Hannerl, vergiß mich nicht, denk’ recht, recht oft an mich und schreib’ mir bald.“ Wir lagen uns in den Armen, und jegliche Contenance außer Acht lassend, brüllten wir um die Wette, wie zwei zu Tode verwundete Löwen.

Der Kondukteur mahnte zur Eile und Papa schob mich mit festem Ruck vor sich in das Coupé. Hier stand ich am Fenster, solange Hannerl noch zu sehen war. Dann lehnte ich mich in den Sitz zurück und hatte förmliche Weinkrämpfe. Ich bildete mir ein, das unglücklichste Geschöpf auf Gottes weiter Welt zu sein und hätte 1000 mal lieber in Steindorf Schotter zerkleinert und trockenes Brot gegessen als nach Wien zu fahren. Papa blieb nicht ungerührt beim Anblick dieses Schmerzes, den er im Grunde teilte. Er hieng ja auch an Steindorf und an seiner Mutter, der er mit blinder Liebe zugetan war. Er ergriff meine Hand und streichelte sie: „Sei doch vernünftig, Mimi. Wie lang wird’s dauern und Du fährst wieder heraus. Einstweilen heißt es recht brav sein und fleißig Briefe schreiben.“ Ja das wollte ich und ich sah bereits im Geiste das schönste Briefpapier vor mir. [S. 63] Jetzt dauerte es volle 300 Tage. Wenn doch wenigstens schon ein Monat um wäre! Bei jeder Station gab es mir einen Stich durchs Herz. Immer weiter, weiter! Jetzt saßen sie gewiß schon bei der „Jause“. Ob sie von mir sprechen? Ob Hannerl sich sehr einsam fühlte? Gestern um diese Zeit! Ach Gott!

Instinktiv schmiegte ich mich an Papa, der mir nun nahe stand, wie lange nicht. Die gemeinsame Liebe zu einem Orte, zu Personen bildet ein gar mächtiges Band. Ich nahm mir vor, ihm durch mein Betragen Freude zu machen, wollte mich auch bemühen, fröhlich zu erscheinen, um Mama nicht zu kränken.

Wir fuhren über die Donau. Ein kühler Lufthauch und gedämpftes Rauschen drang aus der Tiefe herauf. Ein heller Lichtschimmer. Stolz, mir zum Hohne, hebt sie das diademumstrahlte Haupt, die vielgepriesene Wienerstadt. In den hohen, steifen Häusern sitzen die ehrsamen Bürger beim Abendmahl; eine Mutter wiegt ihr Kind in den Schlaf. Immer wieder muß ich aufsehen, zu den erleuchteten Fenstern — o wie mir graut vor der Nacht, in der aller Kummer vertausendfacht erscheint.

Als wir im Wagen saßen, sagte Papa in selten weichem Tone, der fast wie eine Bitte klang: „Laß gut sein, sei gescheidt, sonst glaubt Mama“, — hier brach er ab, als sei es schon zu viel gewesen.

Dann hielten wir vor einem Eckhause still. Noch immer hoffte ich, daß ein Wunder geschehen müsse, daß [S. 64] Alles nur ein böser Traum sei. Aber nein. Es gieng zwei Treppen hinauf, die matt erhellt waren von einer einzigen Gasflamme. Mama begrüßte uns in der Tür. Wir setzten uns zu Tisch. Mit Mühe würgte ich ein paar Bissen hinunter, dann zog ich mich zurück. Sie hatte Steindorf mit keinem Wort erwähnt, nicht einmal für die Grüße gedankt. Nur ob Papa Butter mitgebracht, ob es viele Schwämme gäbe und daß die neue Bodenfarbe nicht angreifen wolle.

Ich stand in meinem Zimmer, das mit seiner Tapete, grau in grau, den dunklen Vorhängen und hohen Kästen den Eindruck einer Kerkerzelle auf mich machte. Und ich meinte zu ersticken. Hastig riß ich die Fenster auf und sandte mit der Hand ungezählte Küsse in die Richtung, wo ich Steindorf wußte. Alles hatte ich dort gelassen, Raum, Licht und Liebe. Weshalb nur gab es Leid und Tränen? —

Ich wußt’ es nicht zu lösen, das große Rätsel des Lebens.

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Welch’ abscheulich schale Stimme die Uhr des nahen Kirchturms hatte, im Vergleich zum tiefen, vollen Klang der heimatlichen: die näselnde Parodie auf ein wunderschönes Lied. Ich fühlte den Drang nach Bewegung und stand bei Tagesgrauen auf. Es war dunstig im Zimmer und eine Fliege plumpste unablässig an die Scheiben an. Mama war auch schon wach. Ich hörte [S. 65] durch die dünne Tapetenwand, wie sie sich im Bette herumwälzte, das unter ihrer Last abscheulich kreischte. Sie schneuzte und räusperte sich ununterbrochen, wie sie es immer zu tun pflegte, wenn sie sich langweilte.

Ich öffnete den Koffer, entfernte das Seidenpapier und betrachtete zärtlich jedes Stück. Mir war, als entströme der Wäsche Steindorfer Luft, als hafte ihr etwas von dem dortigen Wasser an.

Mama’s erste Frage war: „Haben sie „oben“ nichts von mir erzählt?“

„Aber nein, ich weiß wirklich nichts.“

„Gar nichts?“

Diese Art mich auszuforschen, erweckte arges Unbehagen in mir. Was meinte sie nur eigentlich? ....

Im Kloster gab es viele neue Gesichter; häßliche und hübsche. Einige der älteren Schülerinnen waren ausgetreten und ich vermißte mit Wonne Christinens lauernden Blick.

Meine Pultnachbarin war neu eingetreten. Tiefbrünett mit dunklen, etwas geschlitzten Augen, erinnerte ihre Physionomie an die einer Japanerin. Nach ihrem Mienenspiel zu urteilen, schien sie sich gut zu unterhalten.

Mère Walter kündigte uns als „ grande surprise “ den Besuch der „ révérende Mère “ an und alle Mädchen riefen freudig: „Ah, ah!“

„Was heißt denn das?“ frug Olga ganz erstaunt. „Muß man das sagen?“ und ohne meine Antwort abzuwarten, [S. 66] hüpfte sie dreimal in die Höhe wie ein Hampelmann, den man an einem Schnürchen zieht: „Ah, ah!“

Mère Walter schmunzelte vergnügt. „Ich sehe, Olga Taroli, daß Sie eine gute „ élève “ werden: Sie zeigen schon jetzt „ l’esprit du Sacré-Cœur “.“

„Warum denn, meine Mutter?“ und leise zu mir: „Ja, spricht die spanisch? Ich hab’ in meinem Leben nichts von diesem „ esprit “ gehört.“

Es lag so gar nichts Gemachtes, Erkünsteltes in ihrem Wesen; das zog mich an und dann erzählte sie so interessante Dinge. Sie mußte sehr reich sein, wenigstens nach der Beschreibung des Palais zu urteilen, das sie bewohnte und der eleganten Equipage, die sie abholte.

Ich schämte mich halb zu Tod, wenn ich mit Mama den kleinen Selcherladen betrat, um mein Souper zu besorgen, um 20 Kreuzer Schinken. Wenn sie mich sähe, wie müßte sie es gemein finden und mich verachten.

Und doch war ich noch bei Weitem besser daran, als Franziska Hipperl, die von den Anderen mit souveräner Geringschätzung behandelt wurde, weil ihr Vater Delicatessenhändler war, der seine Kunden eigenhändig bediente. „Pfui, schämen Sie sich, pfui, pfui!“ Ein förmliches Spießrutenlaufen, wenn sie durch den Saal gieng. Selbst Mère Walter setzte eine unnahbare Miene auf, wenn sie mit ihr verkehrte.

Vom obligaten Spaziergang heimgekehrt, hieß es: „Klavierspielen.“ Papa hatte die Chance gehabt, irgendwo [S. 67] einen 50-Kreuzer-Lehrer aufzugabeln, einen Menschen mit zerschlissenen Manschetten, tieftrauernden Nägeln und klapperndem Gebiß.

Während Madame Berger Alles und Jedes getadelt, verfiel er in das entgegengesetzte System des Unterrichts. Er war des Lobes voll über mein Talent, mein Auffassungsvermögen und über meine Finger, die dünnen Spinnebeinen gleich auf den Tasten lagen. Liszt selbst hätte seine Freude an dieser Hand gehabt. Er sprach sehr langsam, jede Silbe betonend, in der Art der Schulkinder, das A besonders klar hervorhebend. „Spie—len wir das schö—ne Lied: „Fah—ret hin, fah—ret hin, geht mir aus dem Sinn, Gril—len sind mir bö—se Gä—ste.“ Er summte mit hoher Fistelstimme den Text vor sich hin, ganz begeistert von der gemeinsamen Leistung. Da Papa fand, daß ich nicht genügend taktfest sei, frug Herr Stolz — so hieß mein Meister —, ob er einen selbstangefertigten Apparat bringen dürfe, der hübsch und zweckmäßig, das teure Metronom ersetze.

Mein Schrecken war nicht gering, als Herr Stolz bei der nächsten Stunde mit großer Umständlichkeit seiner Tasche etwas entnahm, etwas Abscheuliches. Ein alter Knopf an verknittertem Wollfaden. Mir — das!

Mir, der vor nichts so sehr ekelte, als vor alten, verstaubten Knöpfen. Und dazu seine Erklärung: „Ich sammle schon seit Jahren alle alten Knöpfe, und habe bereits eine ganze Schachtel davon. Mein Princip ist: [S. 68] „Nichts umkommen lassen“, da man nie weiß, wozu man die Dinge brauchen kann. Den Faden zum Beispiel lieferte ein zerrissener Socken, den ich nicht mehr tragen konnte. Ich schenkte allen meinen Schülern eine derartige Vorrichtung.“ Er schwang das Pendel mit großer Gewissenhaftigkeit hinter meinem Rücken; ich ließ es mir gefallen, doch als er Miene machte, das kostbare Objekt meiner Obhut anzuvertrauen, schützte ich Nasenbluten vor und ergriff schleunigst die Flucht. Herr Stolz besaß nicht das Zeug, um zu imponieren, ich machte keine Fortschritte und bedauerte, diese Stunde nicht angenehmer verbringen zu können. Immerhin zog ich diese Beschäftigung noch dem darauffolgenden Turnen vor. Das fliegende Reck machte mir den Eindruck eines Galgens, seit ich tagaus tagein dieselben Übungen vornehmen mußte. Aufziehen, so und so viele Schwingungen, nicht eine mehr, nicht eine weniger und dazu das Bewußtsein des „Muß“.

Dabei wurde ich ein Gefühl der „Vereinsamung“ nicht los. Doktor Vogler, der erzählte interessant von seinen Bekannten, seinem Berufe, aber wenn er ausblieb! Dann bekam man nichts anderes zu hören, als daß es ein Hundeleben sei, von früh bis spät im Bureau zu sitzen, daß die Eier furchtbar im Preise gestiegen seien, daß der und jener in Pension gegangen und Venedig Mamas Nerven nicht vertrieben habe. Alles im Tone der Klage, des Mißmutes und der Unzufriedenheit mit dem Schicksal.

Es hätte mich zersteut, ab und zu, wenigstens des [S. 69] Sonntags Altersgenossinnen bei mir zu sehen, aber daran war nicht zu denken. Die Klosterregel verbat jeden Umgang, ebenso wie Theater, und Papa hätte nie eine Mißachtung derselben geduldet. So mußte ich mich mit Hannerls Briefen begnügen, die ich so lange las, bis ich sie auswendig kannte. Was für wichtige Dinge die großen, unregelmäßigen Schriftzüge verkündeten. „Ich habe lauter Einser in der Schule bekommen. Nur im Gesang habe ich einen Dreier bekommen. Pauline hat meiner Puppe einen Mantel gemacht. Ich spiele Domino. Auf den Fly bin ich böse, weil er ein Reh zerrissen hat“ u. s. w.

Es ging ihr also mit dem Lernen besser wie mir. Ich hatte sogar in einem Gegenstande „schlecht“. O dieses Rechnen! Es wollte mir nun einmal nicht in den Kopf. Ich konnte ganz leidlich addieren und subtrahieren, kam aber ein Punkt, ein Decimalbruch vor, breitete sich ein undurchdringlicher Schleier über mein Gehirn. Glaubte ich bisweilen, auf der rechten Fährte zu sein, die Schwierigkeit überwunden zu haben, so war es gewiß Täuschung, und ich gab es auf, den trügerischen Irrlichtern nachzujagen.

* *
*

Ich wurde wieder einmal zu einem Arzt geschleift, der als Specialist für Verkrümmungen etc. ein großes Ansehen genoß.

Bei wie viel Ärzten war ich schon gewesen und Jeder hatte etwas Anderes gesagt. Es wäre eine physische Unmöglichkeit gewesen, ihnen allen gerecht zu werden. Sie [S. 70] ergiengen sich in gelehrten Ausdrücken, Mutmaßungen der verschiedensten Art, stellten Fragen, nahmen ausführliche Protokolle auf und man ging — so klug wie zuvor.

Ich hätte es schon gewöhnt sein können, und doch beschlich mich jedesmal dasselbe intensive Unbehagen, wenn ich den Wartesaal einer Fakultät betrat. Schon der Stil dieser Räume — sie wiesen alle mehr oder minder Ähnlichkeit auf, — machte einen bangen, kalten Eindruck. Peluchegarnitur mit weißen Spitzendeckchen, kunstlose Gemälde, Prachtbände, in denen die Patienten mit erheucheltem Interesse blätterten. Ängstlich horchte ich auf jedes leise Geräusch, auf das halblaute Flüstern im Nebenzimmer und hätte gerne gewußt, ob die gleich mir Wartenden dieselbe Unruhe empfanden.

Endlich kam die Reihe an mich. Mama erzählte jedesmal dieselbe Geschichte, die ich schon zum Überdruß gehört und Doktor Vogler fügte einige wesentliche Erläuterungen hinzu. Ich mußte mich entkleiden — es war mir schrecklich — die verschiedensten Stellungen annehmen, mich bücken, legen, tief atmen — es schien mir eine Ewigkeit.

Der Arzt, den man uns diesmal angeraten, war ein noch junger Mann mit energischen Zügen. „Derlei Fälle kommen häufig bei Kindern vor, die sich infolge zuvielen Sitzens eine schlechte Haltung angewöhnen. Die inneren Organe haben nicht gelitten und die Verkrümmung befindet sich in einem Zustand, wo sich noch Alles geben [S. 71] kann. Es ist nötig, die Kleine in rationelle Behandlung, eventuell in eine ortopädische Anstalt“ und als Mama unterbrechen wollte: „Ich weiß, die Eltern lieben das nicht, aber um meine Meinung befragt, würde ich unverantwortlich handeln, wenn ich Sie nicht darauf aufmerksam machte, daß die Gesundheit wichtiger ist als das Studium.“

Doktor Vogler stimmte ihm durch Kopfnicken bei. Doch äußerte er Zweifel, daß dies durchführbar sei. Sein College sah mich mitleidig an. „Dann versuchen wir es mit dem Lagerungsapparat. Wenn Sie vielleicht sehen wollen“, und er schob den Vorhang etwas zur Seite. Es war ein Ungetüm aus Holz, Leder und Eisen. „Was, da drin soll ich schlafen?“ Ich begriff nicht, daß man mir im Ernste so etwas zumutete.

„Ja, wenn es sein muß.“ Mama war nur besorgt, daß die Kosten zu bedeutend wären; das Andere schien sie kühl zu lassen.

Ich brach in Tränen aus. Doktor Vogler fuhr mir tröstend über das Haar: „Es sieht nur so schrecklich aus. Man gewöhnt sich bald daran und lange wird es ja hoffentlich nicht nötig sein.“

Ach, war das eine Marter: Kerzengerade auf dem Rücken liegen, den Kopf in einer Linie mit dem Körper; die rechte Seite auf einem steinharten Holzviereck, die linke halb in der Luft, an Gurten aufgezogen. Gewöhnlich schlummerte ich erst um 4 Uhr morgens ein und [S. 72] drei Stunden später mußte ich aufstehen. Oft vermochte ich mich nicht aufrecht zu halten vor Müdigkeit und war kaum imstande die Tränen zurückzudrängen. Weshalb mußte ich das durchmachen? — Warum war ich nicht wie Andere? Wenn ich Papa bat, mich wieder wie früher im Bett schlafen zu lassen, geriet er in Zorn und nannte mich „ein boshaftes Ding“. Und Gott half mir auch nicht, der böse, alte Mann.

* *
*

Weihnachten stand vor der Thüre. Wir hielten täglich eine Andacht im Studiensaal, vor der kleinen, leeren Holzkrippe. Mère Walter hatte uns in einer etwas unverständlichen Rede aufgefordert, dem Verheißenen ein Lager zu bereiten in unserem Herzen. Wir sollten unser Inneres läutern und mit Tugenden schmücken. Jede mußte in den Krieg ziehen gegen ihren Hauptfehler und hatte sie am Ende des Tages einen Erfolg zu verzeichnen, durfte sie einen Strohhalm in die Krippe legen.

Meine schwache Seite war die „Geduld“. Ich beschloß mich ins Unvermeidliche zu fügen. Da die Himmlischen mir gegenüber so wenig Zuvorkommenheit zeigten, wollte ich sie verblüffen, beschämen. Nein, sie sollten wenigstens nicht triumphieren; dieser Gedanke erfüllte mich mit Genugtuung. Ohne Murren legte ich mich in den harten Apparat und stand mit einem überlegenen Lächeln auf. Nicht Liebe war mein Führer, viel eher Trotz und Hohn.

[S. 73]

Wir verfertigten Kleidungsstücke für die Armen und sollten die würdige Mutter mit einer Summe für die Afrikamissionäre überraschen. Papa machte ein saueres Gesicht, enthielt sich jedoch jeder Äußerung, um den Respekt vor den Klosterfrauen nicht zu beeinträchtigen.

Die Abende waren mit den Vorbereitungen für das Christfest ausgefüllt. Wir Drei, Doktor Vogler und ein Maler, Pitz mit Namen, verfertigten kleine Bonbonnièren, wickelten Chokolade ein und befestigten am Zuckerwerke Fäden.

Pitz, seines schwarzen Krauskopfes halber auch „Mohr“ genannt, zeigte für diese Beschäftigung bei Weitem mehr Interesse als für seinen eigentlichen Beruf. Er war durchaus nicht talentlos, aber von einer Trägheit, einer Indolenz! Flogen ihm die gebratenen Tauben zu, dann gut, wenn nicht, er kümmerte sich gewiß nicht weiter darum. Ein Bild „auszustellen“ hätte ihm Entwürdigung geschienen. Bedürften die Leute seiner, so würden sie ihn schon holen in seinem Dachstübchen, hinter der Staffelei, wie die Sachsen ihren König, vom Vogelfang. Es holte ihn aber Keiner, da eben Niemand von ihm wußte.

Er verstand sich vorzüglich auf das Restaurieren; er copierte hübsch, aber eigene Ideen — keine Spur. Seine ältesten Bekannten konnten sich nicht entsinnen, daß ihm seine Phantasie mehr als zwei Sujets vorgezaubert hätte, die er bis zum Überdruß verwertete. „Zechende Jäger in der Schänke“ und „ein Bachantenzug [S. 74] von kleinen Kindern“. Selbst auf der Decke seiner Stube schwebten blütenbekränzte Amoretten und die Innenseiten seiner Kleiderkästen zeigten die altbekannten, verwitterten Gesichter unter den grünen Filzhüten.

Papa hatte sich einmal einen Scherz erlaubt und ihn „Herr Zimmermaler“ genannt. Das aber faßte Pitz schief auf: „Der Herr Baron darf sich nicht lustig machen über mich“, erklärte er mit drohender Miene. „Ich habe kein Glück gehabt; bei mir stellte sich der Zufall nicht ein, der einen Makart, einen Canon gemacht. Und mich den Leuten aufdrängen, ah nein, dazu bin ich zu stolz“ und er warf mit herausfordernder Miene den Kopf in den Nacken. Mit der, bornierten Leuten eigenen Zähigkeit, beharrte er bei seinem Standpunkt. Es wäre total fruchtlos gewesen, sich in eine vernünftige Diskussion mit ihm einzulassen, ihm begreiflich machen zu wollen, daß die großen Meister niemals berühmt geworden wären, hätten sie die Hände in den Schoß gelegt und würdevoll gesagt: „Ich warte“.

Aber ebenso wie er jeden harmlosen Spaß, jeden leichten Tadel für bare Münze hielt, ebenso nahm er jede Anerkennung, jedes Lob wörtlich. Er deklamierte für sein Leben gern und man brauchte ihn nur zu bitten, etwas zum Besten zu geben, so war aller Groll im Nu verraucht. Der Künstler verschwand, um in wenigen Minuten mit gepudertem Gesicht in ein weißes Leinentuch gehüllt, zu erscheinen. Mir wurde unheimlich dabei zu [S. 75] Mute. Das verdunkelte Zimmer, der weiße Schatten und die schaurige Geschichte der „Moritaterei“ „Lenore fuhr ums Morgenrot“. „— Dann gieng er in einen heiteren Ton über, sang den „Chevauxlegers“, den „Gondolier“ und „Ich wollt’, ich könnt ein Kätzchen sein“. — Immer dasselbe Repertoire, nie eine Abwechslung. Sein Steckenpferd aber war die Parodie auf den „Handschuh“. Er hatte sich beim Einstudieren seiner Rollen so sehr in die stampfenden, wildbrüllenden Tiere hineingedacht, daß die Nebenparteien den Hausmeister zu Hilfe riefen: „Der Maler muß übergeschnappt sein; er treibt es furchtbar“. Und da auf wiederholtes Klopfen keine Antwort erfolgte, sprengte er die Türe und dem erstaunten Publikum bot sich ein Anblick dar, wie jener, wo Cervantes „Don Quichote“ mit unsichtbaren Mächten kämpft. Pitz kroch auf allen Vieren herum, schlug mit Händen und Füßen um sich und gab die schauerlichsten Töne von sich. — Es kam zur Erklärung der Situation, und von nun an regnete es Einladungen auf ihn „zur Jause“, zu einer „deklamatorischen Soirée“ im 4. Stock, wo er die einzige deklamatorische Kraft war. Was Wunder da, wenn Pitz die Huldigungen zu Kopfe stiegen. Er ließ es sich gut sein bei Braten und Wein und erklärte höchst selbstbewußt: „Jetzt ist so ein Geriß um mich, daß ich ans Malen gar nicht mehr denken kann.“

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[S. 76]

Hell prangt der Christbaum im Kerzenschmuck. Es funkelt und glitzert von Goldstaub und Walkürenhaar und die Äste neigen sich unter der schweren Last.

Rings an den Wänden auf weißgedeckten Tischen die Geschenke. Mein Platz ist überfüllt, und es währt geraume Zeit, bis ich die vielen Gaben in Augenschein genommen. Am meisten freut mich das Perlenhalsband, das mir Tante Laura sammt einem lieben Brief gesandt. „Sei glücklich“, schloß das Schreiben, und diese Worte machten mich traurig, ohne daß ich recht wußte warum. Wann ist man glücklich? Wenn man nichts entbehrt, keine ungestillte Sehnsucht mit sich herumträgt, — oder aber wenn man sich mit den Dingen zufriedengiebt, wie immer sie auch seien. Zu ersterem gehört Fortunas ganz spezielle Protektion, zu letzterem ein so hoher Grad von Philosofie, wie er nur wenig Auserwählten eigen ist.

Auch ich war nicht glücklich. Ich stellte die schönen Sachen in meinem Zimmer auf, und in diesem öden grauen Zimmer dachte ich an Hannerl und wie schön es wäre, das Alles mit ihr zu teilen. Ob sie wohl wußte, mit welchem Opfer ich die Süßigkeiten erkauft, die ich ihr geschickt. Die Nacht des Sonntag blieb ich vom Apparat befreit. Papa stellte mir aber einen Gulden in Aussicht, wenn ich auch da viermal hindurch darin schliefe. Es fiel mir schwer, aber Hannerl zu Liebe tat ich es.

Um Mitternacht gieng sie wohl in die Mette. Knirschender Schnee, Sternenhimmel, der Lichtschimmer ungezählter [S. 77] Laternen, vermummte Männer und Frauen. Aus allen Dörfern strömen sie zusammen, um dem Heiland der Welt ein Wiegenlied zu singen: „Stille Nacht, heilige Nacht.“

Brausend fällt die Orgel ein, Weihrauchduft erfüllt den Raum — sie Alle beten.

Wie feierlich! Wie schön!

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Olga hatte das Pensionat verlassen, nachdem es mehr als einen heftigen Auftritt zwischen ihr und der würdigen Mutter abgesetzt. Obwohl wir einander nicht näher gekommen, that es mir doch leid. Sie hatte Leben und Abwechslung in das öde Einerlei gebracht. Welchen Unfug sie in den „Anstands-Stunden“ getrieben! Ihr Lachen wirkte ansteckend und versetzte den Tanzlehrer — das einzig männliche Element in unserem Unterricht in helle Wut.

Kaum wandte er sich um, warf sie ihm Kußhände zu, preßte die Hände aufs Herz und einmal ertappte er sie dabei, wie sie den Zipfel seines Taschentuches aus seinem Rocke zog. Von nun an kam Mère Walter selbst, um uns an Stelle der alten, kurzsichtigen Mère Schale zu beaufsichtigen. Wir standen da, als ob wir Ladstöcke verschluckt hätten und mucksten nicht. Es war unerträglich.

Olga hatte laut geäußert, daß bei Tisch nur deshalb Missionsberichte vorgelesen würden, um einem den Hunger [S. 78] zu benehmen. Sie hatte nicht so Unrecht; diese unappetitlichen Schilderungen mußten Einem übel machen. Der Eine briet am Spieß, den Anderen tranchierten sie bei lebendigem Leibe und ein Dritter war derart Feinschmecker, daß er sich bloß vom widerlichsten Ungeziefer nährte. In der Regel hörte auch außer den beiden jungen Altgräfinnen Niemand zu, und die schienen völlig abgehärtet gegen die Schauderberichte. Sie verschlangen mit durchdrungener Miene doppelte Extraportionen, während ihr Geist, von der Materie losgelöst, in höheren Regionen schwebte. Dünn wie Sardellen, half ihnen selbst die Mastkur nichts — sie aßen nur aus Pflichtgefühl, um ihre Körper widerstandsfähig zu machen, für die Anforderungen der Seele.

Den Ausschlag aber hatte gegeben, daß Olga die fehlenden Seiten ihrer Naturgeschichte verlangte. „Ich weiß ja so, was drin steht. Warum soll denn der Mensch nicht vom Affen abstammen. Die Affen sind oft gescheiter wie die Menschen.“ Bei der Taschenbesichtigung fand sich ein kleines Bändchen „Goethe-Gedichte“ vor. Sie hatte es zu Weihnachten von ihrem Schwager erhalten. Höchste Entrüstung. Mère Walter spielte alle Farben. Sie aber sagte so ganz obendrein: „Warum haben Sie diese schlechten Bücher gelesen? Hat Sie wahrscheinlich doch auch mehr interessiert als die „Nachfolge Christi.“ Ich finde gar nichts so Schreckliches daran.“

Damit war die Sache erledigt und Olga ausgestoßen. Mère Walter legte uns anheim, für sie zu beten: „ Ce [S. 79] n’est peut-être pas tellement de sa faute. C’est une excellente enfant, elle a un cœur d’or, mais elle est malade, oh elle est malade la pauvre!

Olga krank, es war zum Lachen. Solch zweiten kerngesunden Kobold gab es gar nicht mehr. Aber Mère Walter fand offenbar, daß man bei so unerhörtem Benehmen einer Entschuldigung bedürfe.

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Ein entfernter Verwandter war gestorben und hatte Papa zum Universalerben eingesetzt. Ich durfte Trauer tragen und fühlte mich furchtbar interessant. Des Abends beim Gebete, fügte Papa ein Gesetzlein für den Verstorbenen bei und Mère Walter behandelte mich von nun an mit einer gewissen Zuvorkommenheit.

Die altväterische Einrichtung unserer Wohnung wich einer modernen, und an Stelle der häßlichen Ripsgarnitur im Salon trat eine kirschrote Seidenpracht, die mein Auge blendete. Auch mein Zimmer erfuhr eine Bereicherung, d. h. man schob das hinein, wofür man anderswo keinen Platz fand.

Sonst trat keine wesentliche Änderung ein. Papa behielt die alte Lebensweise bei und meine Hoffnung auf Erhöhung des Monatsgeldes erwies sich als trügerisch.

Zwischen meinen Eltern herrschte eine Spannung, die mich überaus peinlich berührte. Bei den Mahlzeiten saßen sie sich stumm gegenüber und Dr. Vogler mußte die Unterhaltung führen.

[S. 80]

Großmama war zum Begräbnis gekommen, hatte uns aber nicht besucht. Als ich meinem Bedauern darüber Ausdruck gab, versetzte Mama mit großer Schärfe: „Ich hoffe, daß sie sich’s überlegt, uns aufzusuchen: ich verlange mir durchaus keinen Verkehr mit dieser Sippe.“

Ich blickte sie erstaunt und mit stummem Vorwurf an.

„Ja,“ versetzte sie, gezwungen lachend, „Du bist auch eine echte Steindorf; das ist eine alte Geschichte. Man braucht Dich nur anzuschauen; Deiner Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten.“

„Da wäre ich wirklich nur stolz“, konnte ich mich nicht enthalten, zu bemerken und verließ das Zimmer. Schon einigemale hatte mich Mama’s Art, Leute anzugreifen, die mir nahe standen, verletzt; in Steindorf war dies nicht Brauch und ich fand es unpassend und wenig zartfühlend.

Die Scheidewand, die mich von Mama trennte, türmte sich immer höher auf. Sie fand nicht den rechten Herzenston und mich kostete es Überwindung, ihr die Hand zu küssen, sie bei dem Namen zu nennen, der jedem Kinde heilig sein sollte: „Mutter.“

* *
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„Der Erzherzog kommt mit seiner Braut.“ Also endlich ein Ereignis. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Neuigkeit im Pensionat.

[S. 81]

Man hatte in aller Eile eine kleine Vorstellung eingeübt, und die Rollen den hübschesten Aristokratinnen — es war gegen alle Regel — zugedacht.

Wir Anderen bildeten Spalier und gaben nur den dunklen Hintergrund ab, von dem die farbenreichen Kostüme sich vorteilhaft abhoben. Die würdige Mutter war selbst erschienen, um uns die nötigen Verhaltungsmaßregeln zu erteilen: „ Surtout baissez les yeux. Il faut toujours avoir quelque chose de modeste dans la tenue. Cela fait une si bonne impression et c’est à cela aussi qu’on reconnait les enfants du Sacré — Cœur dans le monde.

Ich wagte nur verstohlen nach den Hoheiten zu blinzeln. Die Prinzessin nahm lächelnd die Blumen entgegen, die ihr von einer Hofdame abgenommen wurden. Sie war eine liebreizende Erscheinung und die Blicke des Bräutigams ruhten mit Zärtlichkeit und Stolz auf ihr.

„Erzherzogin, Prinzessin sein, von Allen gefeiert, bewundert, welch’ beneidenswertes Los.“

Phantasien eines Kinderkopfes! So mancher Kaiser stöhnt unter seinem Hermelin und risse gern die Krone von der Stirn, die ihn gleich Dornen schmerzt. Und wie manches Arbeiterherz schlägt freudig unter dem zerfetzten Kittel. Er bettet sein Haupt auf Gottes freie Erde: er lacht, er weint, wenn ihm darnach zu Mute ist. Was schert den die Zwangsjacke der Konvention, in der die Großen dieser Welt geboren werden.

* *
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[S. 82]

Zweiter Abschnitt.

„Sie wird jetzt vierzehn Jahre alt und ist im Lernen weit hinter ihren Gefährtinnen zurück. Es ist Indolenz oder böser Wille. Was halten Sie davon, Doktor?“

„Ich glaube keins von beiden, lieber Baron; viel eher geht ihr das rasche Fassungsvermögen ab; sie kann einfach nicht. Derlei Fälle sind mir schon in meiner Praxis untergekommen, da hilft eben kein „Muß“.“

Ich war, ohne es zu beabsichtigen, Zeuge dieses Gespräches gewesen. Doktor Vogler’s Verteidigungsrede erweckte das Selbstgefühl in mir. Hätte er Papa recht gegeben, mich träge, boshaft genannt, — aber schwachköpfig, borniert, — da durfte er nicht Recht behalten. Nein, um keinen Preis. Er sollte mich ganz anders beurteilen. Mein Entschluß stand fest und ich machte mich mit einem Fleiß und einer Energie an’s Studium, daß Alle staunten. Oft saß ich bis in die sinkende Nacht vor meinen Büchern, um das Versäumte nachzuholen und wurde in der Classe irgend eine schwierige Frage aufgeworfen, ich wußte stets Bescheid. Mein Stil besserte sich und die Schrift nahm einen bestimmten Charakter an.

[S. 83]

Papa wußte sich diese plötzliche Umwandlung nicht zu erklären und Mère Walter sagte ihm: „Wenn sich ihrem Lerneifer auch noch die Frömmigkeit hinzugesellt, bleibt nichts zu wünschen übrig. Vorläufig fehlt ihr noch die Freude am Gebet, die Sehnsucht nach dem lieben Gott.“

Frommsein auf Commando, das schien mir eine hohe Forderung. Ob mein Gesicht dann auch einen so „glatten“ Ausdruck bekäme, wie das der Altgräfinnen! Leicht würde es mir keineswegs fallen, aber versuchen wollte ich’s. Mein einmal geweckter Ehrgeiz, zu excellieren in allen Dingen, nahm immer größere Dimensionen an.

Die Verhältnisse kamen mir zu Hilfe. Die Zeit war gekommen, zu der wir alljährlich „Exerzitien“ hielten. Es war eine Art beschaulicher Einkehr, eine Zeit des Schweigens, der Kasteiung, der Sühne und der Bitte um Erleuchtung.

Ein Jesuitenpater, ein anerkannt guter Redner, hielt uns Predigten, um uns in die nötige Weihestimmung zu versetzen. Mit Donnerstimme sprach er von den vier letzten Dingen: Tod, Gericht, Himmel und Hölle.

„Das Leben hienieden ist nur eine Pilgerfahrt, eine vorübergehende Reise, und töricht handeln Jene, die nur der Welt leben, vergessend des eigentlichen Zieles, das uns die göttliche Weisheit gesetzt, der eigentlichen Heimat, zu der dies Jammertal nur eine Brücke bildet.

„Wie Mancher bedenkt nicht, daß er aus dem Nichts hervorgegangen, daß dereinst sein Körper zu Asche wird, [S. 84] zum Fraß der Würmer. Erwacht bisweilen die warnende Stimme des Gewissens, sucht er sie zu betäuben: er stürzt sich in den Strudel der Vergnügungen und speichert Schätze auf, die Rost und Motten verzehren. So lebt er in den Tag hinein, ohne sich zu bessern, ohne zu bereuen.

„Kommt aber das Alter mit seinen Gebrechen, fühlt er seine letzte Stunde herannahen, dann sieht er mit Schrecken zurück auf den Weg, den er gegangen, auf die Zeit, die er so schlecht benützt. Seine Phantasie ergeht sich in den düstersten Vorstellungen, seine Gedanken jagen dahin, durch eine Wüste ohne Oase: kein freundliches Bild, keine lichte Huldgestalt, kein Verdienst, kein gutes Werk. Und der Sünder zittert. Wenn er vor den Thron des Allerhöchsten tritt mit leeren Händen, wenn er nichts in die Wagschale zu legen hat, das zu seinen Gunsten spricht, dann lautet der göttliche Richterspruch: „Gewogen und zu leicht befunden.“ „Herrgott,“ so fleht der Sterbende, „sei barmherzig. Laß mich genesen und ich will Dir dienen als der niedrigste und getreueste Deiner Knechte.“ Aber es ist zu spät. Schon huschen die Schatten des Todes über das fahle Gesicht, der Atem geht schwer und eisige Kälte steigt von den Füßen, immer höher, immer höher. Die glanzlosen Augen weit geöffnet, das Gehör ins Unendliche verfeinert, so liegt er da, unfähig sich zu rühren, und hört, wie sie im Nebenzimmer flüstern. „Er lebt zu lange; er sollte sich beeilen,“ so meinen die lachenden Erben.

[S. 85]

„Das Gefühl ohnmächtiger Schwäche, das Bewußtsein eines nutzlosen Lebens, pressen ihm heiße Thränen aus den Augen, die einzigen vielleicht, die er je geweint. „Nur noch einmal von vorn — beginnen.“ Das Herz steht still und eine mitleidige Hand drückt ihm die Augen zu.

„Und glauben Sie mir, teuere Kinder in Christo,“ fährt der Pater fort, „es gibt keinen Menschen, der nicht im letzten Augenblick bereut, sofern der Allmächtige ihm die Gnade erweist, ihn nicht unvorbereitet abzurufen. Selbst Voltaire, jener Lästerer, jener berüchtigte Freigeist, der in Wort und Schrift seinen Gott verleugnet, ihn frech in den Staub gezerrt, der ein Ausgestoßener aus der kirchlichen Gemeinde, böses Beispiel gab, er schickte um den Priester, als er sein Ende herannahen fühlte.

„Betrachten Sie hingegen einen heiligen Aloysius, einen Stanislaus Kostka, die Jubellieder singend, ihren Geist aufgeben, um in die ewige Herrlichkeit einzugehen! Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, und in keines Menschen Herz ist es gekommen, was Gott Jenen bereitet, die ihn lieben.“

In schwungvollen Worten schildert er die himmlischen Wonnen. Auf lichten Wolken schweben die Seligen dahin, und Cherubime spielen Harfe und streuen Weihrauch ihrem Herrn. Dann versetzt er uns in die Hölle und läßt die qualvollsten Martern vor unserem geistigen Auge vorüberziehen, daß wir uns fröstelnd in unsere Tücher hüllen.

[S. 86]

„Tod und Hölle.“ Es klang furchtbar. Ich wollte nicht daran denken, und doch — immer wieder drängte sich die Frage in den Vordergrund: „Und wenn Du jetzt stürbest, was dann?“ Schwere Sünden auf der Seele — ewige Verdammnis. Ich sah die Flammen züngeln, hörte die Teufel höhnisch lachen und die Höllenuhr schaurig ticken: „Immer, nimmer.“ „Immer, nimmer.“

Wenn ich aber meine Fehler in der Einbildung übertrieb, wenn es nur läßliche Sünden wären, die ein frommer Stoßseufzer, eine kleine Überwindung reinwaschen können? Und bei der Vorstellung des Himmels stieg es mir wohlig warm zum Herzen. Ja, dorthin wollte ich kommen. „Maria und Ihr lieben Heiligen weist mir den Weg.“ Der Pater sprach mit bebender Begeisterung von der unbefleckten Gottesmutter. „Sie blickt voll Liebe auf ihre Kinder herab, möchte sie allesamt in ihre schützenden Arme nehmen, ihnen helfen, ihnen beistehen. Könnte sie weinen, welch’ bittere Thränen würde sie vergießen, wenn Eines ihrer Schutzbefohlenen vom rechten Pfade abweicht. Und hätt’ ich alles Gold, alle Edelsteine der Welt,“ schloß er mit Feuer, „ich wollt’ sie Dir zu Füßen legen, Du immerdar gebenedeite Jungfrau, Du süße Himmelskönigin.“ Eine Weile blieb es ganz still, dann tönte lautes Schluchzen durch den Saal.

Lächelnd sieht Mater admirabilis vom Bild auf uns hernieder. Wie schön es ist, das junge unberührte Mädchen im Tempel zu Jerusalem. Sie sitzt da, im schlichten [S. 87] Rosakleid, sinnend, traumverloren. Den Fuß hat sie auf einen Schemel gestützt; ihr zur Seite stehen Spinnrocken und Arbeitskorb. Ob sie wohl freundliche Bilder sieht, ob düsteres Ahnen sie beschleicht, davon sagen die kindlich frommen Züge nichts. Du zarte Rosenknospe — in einem armen Stall zu Bethlehem, und auf dem Berge Golgotha. Welch’ namenloses Leid!

In gehobener Stimmung traf ich meine Vorbereitungen zur Beichte. Wie leichtsinnig war ich bis dahin gewesen, wie wenig galten mir Reue und Vorsätze. Das mußte sich nun ändern. Eine entsetzliche Angst stieg in mir auf. Wie, wenn ich das Sakrament ungültig empfangen hätte! Ein Glück noch, daß ich bisher nicht zur Communion gegangen. Judas Ischariot hatte seinen Herrn verraten. Tod — Hölle!! Ich warf mich vor Mère Walter auf die Knie: „Mutter, ich weiß nicht, wie mir ist und was ich tun soll?“

„Die Gnade Gottes hält ihren Einzug in Dein Herz, mein Kind. Ich sah es kommen und danke dem Herrn. Betrachte Deinen jetzigen Zustand als wohlverdiente Prüfung, denn, wen Gott liebt, den züchtigt er. Was Deine Befürchtungen anbelangt, so war es ja nicht absichtliche Herausforderung, böser Wille“, tröstete sie. „Ich glaube, Du wirst Dich nun würdig vorbereiten auf Deine erste Communion.“

Augenblicklich beruhigt verließ ich Mère Walter. Aber die Windstille war trügerisch und die Skrupel ließen [S. 88] sich nicht bannen. Die Prüfungen hielten an und böse Zeiten kamen für mich, da ich es nie vermocht, die goldene Mittelstraße einzuhalten, sondern stets von einem Extrem ins andere verfiel.

* *
*

Mir war zu Mute, als gienge ich über eine steinige, unebene Straße und ich blickte bei jedem Schritt ängstlich zu Boden, um nicht zu stolpern. Und je mehr ich Acht gab, desto ängstlicher wurde mein Gang, desto unsicherer mein Blick. Ich sah Gespenster am helllichten Tage, Fehler dort, wo selbst die größte Heiligkeit keine gefunden hätte. Des Sonntags saß ich stundenlang müßig auf dem Canapee und quälte mich mit Betrachtungen über meine Sündhaftigkeit ab. Schreiben, nähen — meine überspannte Phantasie spiegelte mir das als „knechtische Arbeit“ vor. Ja nicht einmal die Goldfische bekamen Futter und die Blumen blieben ohne Wasser. Lesen? Es hätte mich verlockt, aber Mère Walter, der ich meinen Büchervorrat zur Controlle übergeben, hatte ihn als „mauvais genre“ bezeichnet und konfisciert. Und schon in den frommen Erzählungen fanden sich Dinge vor, die meinen Geist unwillkürlich beschäftigten und das waren — Vergehen gegen das sechste Gebot.

Meine Beichten! Ich war unglücklich, da ich immer fürchtete, zu wenig zu sagen und nicht die richtigen Ausdrücke fand: Mère Walter beleidigt, da ich ihren Vorstellungen kein Gehör schenkte. Sie hatte mir gut wiederholen: [S. 89] „Glaub’ mir doch, Mimi, es ist ganz einerlei, ob Du das an einem Sonntag oder einem anderen Tag um 12 Uhr oder um 2 Uhr getan hast. Du ergehst Dich in unnötigen Längen und setzest die Geduld Deiner Gefährtinnen auf die Probe“, sie überzeugte mich doch nicht.

Der Pater wetzte schon und fuhr sich mit seinem Taschentuch wiederholt über die Stirne.

„Ich habe noch etwas getan, aber ich kann es nicht sagen.“

„Doch, doch mein Kind. Dem Beichtvater kann man Alles anvertrauen.“

„Ich weiß aber nicht, wie ich anfangen soll. Bitte, raten Sie, Hochwürden: es ist so schwer.“ Im selben Moment stieg mir aber der Gedanke auf, daß ich ein Sakrilegium begehe, weil ich ihn zu unzüchtigen Vorstellungen verleite. „Gar so arg ist es vielleicht nicht — weil die Klosterfrauen auch nicht — eigentlich habe ich nichts begangen — sondern unterlassen — — ich — es geht nicht — —“

„Ja dann ist’s auch für mich schwer, ich muß doch wissen, worum es sich handelt.“

Mère Walter, die im Hintergrunde saß, machte sich schon geraume Zeit durch Räuspern bemerkbar: das hieß, ich möge mich beeilen.

Nach endlosem Hin und Her bekannte ich dem verblüfften Pater, daß ich nicht den Mut besaß, eine Operation vorzunehmen, wie es das Lexikon von den Amazonen [S. 90] berichtete. Ich hatte so schrecklich Angst davor; ob er vielleicht ein Mittel wisse, das durch bloßes Einnehmen wirke. Jetzt war es endlich heraußen, Ah! Ich wagte wieder den Blick zu erheben — doch wer beschreibt meine Bestürzung, als ich keine Spur von heiliger Sammlung in des Seelsorgers Zügen las, sondern im Gegenteil den Ausdruck höchster Belustigung. Um seine Mundwinkel zuckte es von unbändiger Lachlust und helle Tränen rannen über seine Wangen. „Aber liebes Kind, was fällt Ihnen ein, den Körper, den Gott geschaffen, ändern zu wollen? Nein, da seien Sie ganz beruhigt. So und nun gehen Sie.“

Ich gieng, kehrte aber auf halbem Wege um, um mich noch einer kleinen Eitelkeit anzuklagen. Dann kniete ich nieder, und den Kopf in den Händen vergraben, um nur ja von außen her keine Ablenkung zu erfahren, sagte ich meine Buße her, jedes einzelne Wort artikulierend. „Gegrüßet seist Du, Maria“, dabei stellte ich mir die bunte Marienstatue im Studiensaal vor, das rote Kleid und den blauen Mantel — richtig, auf den Goldsaum hatte ich vergessen und ich strengte meine Kopfnerven an, zwang sie zu solcher Intensivität der Vision, bis sie mir zu Diensten waren. Die Stirne glühte mir und die Lippen bluteten, so fest hatte ich die Zähne darauf gepreßt. „Du bist voll der Gnaden“ — bei diesen Worten mußte ein verzückter Ausdruck über ihre Züge gleiten — „der Herr ist mit Dir“ — da stand sie Hand in Hand [S. 91] mit dem Christus, wie ihn das Altarbild zeigte. Eine krankhafte aufreibende Andacht, nach der sich ein lebhaftes Schlafbedürfniß geltend machte.

Ich zitterte, unwissentlich eine Sünde zu begehen, wieder in den Stand der Ungnade zu verfallen. Hätte ich im Kloster bleiben dürfen, fern dem Weltgetriebe, Mère Walter in meine jeweiligen Bedenken einweihen; einen Halt haben, eine Stütze, nur nicht so mir selbst überlassen, so verloren!

Zu Hause schlich ich mich in Papas Zimmer und kehrte das Bild „Nymphen im Bade“ gegen die Wand; das hatte ich schon längst beabsichtigt.

Von nun an machte ich keinen Gebrauch mehr von der Freitags-Dispens, legte mir bei meinen Lieblingsspeisen Abbruch auf, und wenn Chocoladencrème kam, verzichtete ich gänzlich darauf. Selbst Papa fand das übertrieben, und als er eine diesbezügliche Äußerung fallen ließ, riet ihm Doktor Vogler, mich beizeiten aus dem Kloster zu nehmen, wenn er nicht noch ganz andere Folgen erleben wolle. Tötlicher Schreck erfaßte mich, denn der Wunsch war in mir erwacht, den irdischen Freuden für immer zu entsagen und in den Dienst des Herrn zu treten.

Freilich, wenn ich auf der Gasse gieng und laute Bewunderungsrufe über mein selten schönes Haar vernahm, schien mir mein Entschluß förmlich unausführbar. — — Hinterher schämte ich mich sehr über meine Kleinlichkeit. — [S. 92] Wie, das sollte mir mein himmlischer Bräutigam nicht wert sein, und glückdurchdrungen stellte ich mir vor, wie mein dicker blonder Zopf der Scheere zum Opfer fallen würde. — Dann Ade auf immer, Du sündige Welt!

Sogar über die Wahl des Ordens war ich schon ziemlich im Klaren mit mir. Es lag nahe, in jenem einzutreten, in dem ich meine eigene Erziehung genossen, aber ich fühlte mich zu unsicher, zu häufigen Schwankungen unterworfen, um junge Geschöpfe mit Erfolg zu lehren. Ich besaß noch gesundes Urteil genug, um einzusehen, daß es grausam gewesen wäre, sie mit meinen Skrupeln, meiner schwarzen Intoleranz anzustecken. Nein, ich paßte weit eher in einen „betenden Orden“ und da sagten mir die Trappistinnen am meisten zu.

Ich hatte einmal ein Bild gesehen, eine Nonne, die mit ihrem Heiland spricht. Sie kniet allein in der dämmerigen Kirche; der rötliche Schein des ewigen Lichtes fällt auf ihre müden Züge und scheint ihnen Farbe aufzuhauchen. Teilnamslos für Alles um sie her, gänzlich versunken in ihre Andacht, so stellt sie das Gemälde dar. Ich wollte werden wie jene Beterin, die leichten Herzens ihrem Gotte dient, stumm an ihrem Grabe gräbt und ein „ memento mori “ murmelt, wenn sie einer Mitschwester begegnet.

Als ich einmal von meiner Absicht verlauten ließ, geriet Doktor Vogler in arge Erregung. „Die barmherzigen Schwestern, die leisten Tüchtiges, Hut ab vor [S. 93] ihnen. Die lehrenden Orden haben am Ende auch noch einen Zweck, obwohl — — aber die der „ewigen Anbetung.“ — Tagdiebe, die sich ihnen weihen, hirnverbrannte Köpfe, die reif sind für das Irrenhaus. Es ist eine strafbare Vergeudung der Kräfte, die in dieser Anwendung totes Kapital bedeuten, und der Menschheit nicht den geringsten Nutzen bringen. Eine Schädigung der Gesellschaft ist es, die von Jedermann das Recht hat, zu fordern, daß er ihr seinen Tribut leiste, in physischer oder moralischer Beziehung. Ein zweckloses, widerwärtiges Schauspiel, dieses Absterben bei lebendigem Leibe; ein Fanatismus, unschön und gefährlich, wie der der Derwische. Ja, das Leben soll man genießen, das ist natürlich und vernünftig.“

Welche verkehrte Auffassung der Dinge. Als ob der Körper, die Befriedigung der leiblichen Wünsche Alles wäre! — Eine unbequeme Hülle ist’s, die nur zu häufig unsere Seele hemmt, sich aufzuschwingen in reinere Sphären. Es schien mir so unfaßlich, daß es Leute gab, denen diese kurze Frist hieniden mehr oder gleichwert war mit der Ewigkeit. Eins nur war richtig: Zu büßen für begangenes Unrecht, unsere Schuld nach Möglichkeit abtragen, um der Pein des Fegefeuers zu entgehen; unser Inneres läutern und unausgesetzt fortschreiten auf dem Wege der Vollkommenheit.

* *
*

[S. 94]

„Freue Dich Seele, Dein Heiland ist frei von den Banden,
Glorreich und herrlich vom Tode erstanden.
Der im Triumphe vom Grab sich erhebt,
Christus, Dein Heiland ist Sieger und lebt.“

Ein lautes Jauchzen, drang es vom Chor herab und die Kirche prangte in glühendem Rot, der Farbe der Liebe.

Sechs waren wir an der Zahl, die zum erstenmale an den Tisch des Herrn traten. In bräutliches Weiß gehüllt, lange wallende Schleier und Blütenkränze auf dem Haupte, betraten wir das Gotteshaus, erfüllt von der hohen Bedeutung dieses Tages.

Draußen zwitscherten die Vögel und die Sonne sandte goldige Grüße durch die bunten Glasfenster. — „Ostern, Du herrliches, Du unvergleichlich schönes Fest! O Gott vergib’, daß es mir so gut gefällt auf dieser Welt; träufle Deine Gnade in mein Herz, erfülle es mit Sehnsucht nach Deinem Besitz.“

So flehte ich, so erhoffte und fürchtete ich das Sakrament.

Abermals erscholl die Orgel und der Kardinal im vollen Ornat trat mit seinem Gefolge an den Altar und schickte sich an, die Messe zu lesen. Ich verwandte keinen Blick von der Ceremonie. Wie festgebannt starrte ich auf das Tabernakel, in dem der Erlöser der Welt meiner harrte. „Laß’ meine Bitten aufsteigen zu dem Trone Deiner Majestät, gib mir der Engel Stimme, die Schönheit der Heiligen, um Dir Auge und Ohr zu entzücken, o Herr.“

[S. 95]

Die Opferung hatte stattgefunden: es giengen große Dinge vor und zitternd vor Wonne und Angst sah ich dem heiß ersehnten Augenblick entgegen.

Lied S. 95
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Leise, flüsternd fast, erklang zum erstenmal die Bitte, dann wurde sie immer lauter, eindringlicher, unwiderstehlich. Kalte Schauer überliefen mich, und meine Füße wankten, als ich an der marmornen Communionbank niederkniete.

„O Herr, ich bin nicht würdig, daß Du eingehst unter mein Dach.

Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“

Und während die Hostie meine Zunge berührte, schloß ich die Augen und sprach mit meinem Gotte. „Mein süßer Jesus, ich liebe Dich, Dich ganz allein. Verlaß’ mich nicht, steh’ mir bei und stärke mich in der Versuchung.“

[S. 96]

Dann geht es in feierlicher Procession durch den Garten. Die wallenden Bandschleifen des goldgestickten Himmels in der Hand, so nahe der Monstranz, senkt sich eine weihevolle Ruhe in mein Inneres, als wäre ich nach langer, gefahrvoller Fahrt im sichern Hafen gelandet.

Von Nah und Fern ertönen die Osterglocken; verheißungsvoll und freudig, ernst und kindlich singen diese metalligen Stimmen durcheinander und dazwischen erschallt begeistert, frohlockend das Auferstehungslied. Es liegt nichts von der düsteren Schwermut der meisten Kirchengesänge in dieser Melodie. Jauchzend, beinah übermütig flattern die Töne zum blauen Äther empor, wie lebensfrohe, verliebte Schmetterlinge. Kein Wölkchen da oben — so lieblich blau das weite Himmelszelt und auf der Erde keimt und sproßt es im jungen Gras. Veilchen, Primeln, Butterblumen, so einfach und doch so berückend schön.

„Herr, Gott, der Du die Welt erschaffen, aus dessen Hand die abertausend Meisterwerke hervorgegangen, die Deine Geschöpfe erfreuen, der Du uns den Frühling sendest, die Lande zu schmücken, ich beuge das Haupt vor Deiner Macht. Laß’ mich Deine Schöpfung lieben, aber bewahre mich vor zu großem Wohlgefallen am Irdischen, damit es keine Schranke bilde zwischen Dir und mir. Gib’ mir kund Deine Ratschläge und erleuchte mich, auf daß ich Deinen Willen tue.“

Hierauf nahmen wir am festlich geschmückten Tisch das Frühstück ein. Goldgelbes Backwerk und duftende [S. 97] Chokolade standen bereit; um jeden Teller ein Kranz aus wilden Kirschenblüten. Das schmeckte herrlich. Die übersinnlichen Eindrücke traten in den Hintergrund, aber mit ihnen verflog auch die ruhige Stimmung, — um neuerdings einem peinigenden Grübeln Raum zu geben.

Weshalb wurde ich denn die sündhaften Vorstellungen nicht los? — Es war eine wahre Marter. Das nackte Christkindlein auf Sankt Antonius Arm brachte mich auf die Idee, daß wir Alle so auf die Welt kommen. Was hatte es nur für eine Bewandtnis mit den kleinen Kindern? — Es mußte etwas Unrechtes, Häßliches dabei im Spiel sein, weil man es geheim hielt, nie darüber sprach. Aber dann wäre ja auch die Mutter Gottes — ach, ich hielt es nicht aus!

Des Abends, als ich den weißen Kranz ablegte, schien er mir beim trüben Schein der Kerze gelblich und zerzaust, und ich breitete ein Tuch darüber, um ihn nicht zu sehen.

So schwer war es also, einen einzigen Tag nicht zu fallen.

Mein Gott vergib!

* *
*

Doktor Vogler’s gelegentliche Ausfälle gegen die Klostererziehung hatten offenbar doch Eindruck auf Papa gemacht, denn er ersann kleine Zerstreuungen, um mich aus meinem dumpfen Hinbrüten zu reißen.

[S. 98]

Im Grunde billigte er es sehr, wenn ein Mädchen den Schleier nahm, aber wenn man nur eine einzige Tochter hat, wenn man zudem daran denkt, in Pension zu gehen, sich ganz in seine vier Mauern zurückziehen, da kann man ein wenig Sonnenschein, ein junges frisches Geschöpf schwer entbehren. Gewiß. Mimi sollte brav und fromm sein — er vermochte nicht, diese beiden Begriffe zu trennen — aber nicht in’s Kloster gehen, sondern seine kleine Hausfrau spielen, im halbverfallenen Gespensterschloß bei Steindorf.

Als er mir zum erstenmale davon sprach, konnte ich ein gewisses Staunen nicht unterdrücken. Ich wußte, wie sehr Mama das Leben auf dem Lande haßte, und daß sie diesem Projekte nie zugestimmt hätte.

Übrigens mit der Ausführung des Planes hatte es noch Zeit. Ich brauchte ja noch zwei Jahre, um meine Erziehung zu vollenden.

Vorläufig gab es ab und zu kleine Zerstreuungen und die Evatochter verleugnete sich noch nicht ganz in der künftigen Nonne.

Robert, der in Wien studierte, besuchte uns allwöchentlich. Dann lauschte ich, die Hände im Schoß gefaltet, dem Gespräche der Beiden, das sich um die erbaulichsten Dinge drehte. Als zukünftiger Officier und als guter Katholik lautete sein Wahlspruch: „Mit Gott und mit dem Schwerte.“ Das imponierte mir. Wenn Papa bei festlichen Anlässen die Dragoneruniform trug, [S. 99] da begriff ich sehr gut, daß auch der Neffe den schmucken Rock erwählte. „Es ist doch der schönste Beruf,“ erklärte er bestimmt, und dann, es liegt mir so im Blute. Die Steindorf sind von jeher auf ihrem Posten gestanden, wenn es hieß das Vaterland zu schützen. Oh, es muß herrlich sein, so ein frischer fröhlicher Krieg, wenn die Rosse schnauben, die Kugeln pfeifen und ein lustiges Lagerfeuer brennt. Er hopste vor Begeisterung auf seinem Stuhl herum, klatschte mit den Handflächen auf die dicken Schenkel und stieß heisere Schreie aus, die an das „Schrecken“ eines Rehbockes erinnerten. Robert, mein Märchenprinz, hatte nicht gehalten, was er versprochen. Er machte einen unbedeutenden, etwas komischen Eindruck. Mittelgroß, eher untersetzt, blonde in die Stirn gekämmte Haare, wasserblaue Augen, so sah mein Vetter aus. Dabei aber von sich eingenommen und ein „Hochhinaus“. Wenn er erst Officier wäre! Das nimmt sich doch ganz anders aus als so ein schäbiger Civilist! Ja, glänzen wollte er, eine Rolle spielen, die Freiherrnkrone weithin schimmern machen, die arme Freiherrnkrone, auf der nur mehr eine ganz, ganz dünne Goldschicht lag, so dünn, daß es nur für 10 Gulden Taschengeld reichte und zur Pension bei „Mumelinkele“, so wurde nämlich seine Quartierfrau von ihren Angehörigen genannt. O, sie war eine entsetzliche Hexe und Robert wußte Schaudergeschichten zu erzählen, „die gewiß zu zwei Drittel wahr“ waren, wie er uns versicherte. — Im Aufschneiden war [S. 100] er nämlich unerreichbar: ein Blick zur Decke und er hatte die nettesten Geschichtchen erfunden. „Mumelinkele“ ging in einem Anzug aus Wachsleinwand herum, damit man die Flecke nicht so sehe, „Mumelinkele“ machte den Salat im Lavoir an und tischte ihren Kostgängern Leber von so ehrwürdigem Alter auf, daß selbst die Hunde sie verschmähten.

Mamas Antipathie gegen Alles was „Steindorf“ hieß, ging so weit, daß sie sich nur für ein paar Minuten zeigte, wenn Robert anwesend war. Sie blieb auch zu Hause, wenn wir zu Vieren — denn Doktor Vogler schloß sich uns an, so oft es seine Zeit erlaubte — Ausflüge in den Prater oder weiter in die Umgebung unternahmen. Ich bedauerte es nicht, denn ich entgieng dadurch der mir verhaßten Pferdebahn. Mama, die ungern Bewegung machte und die einen Wagen zu teuer fand, benutzte stets die Tramway. Mir war das Drängen der Menge, das Püffe austeilen und empfangen greulich: lieber wollte ich stundenlang bei strömendem Regen gehen, als mich in diesen dumpfigen Kasten einpferchen.

Die „christliche Demut“ hatte noch nicht vermocht, die böse Hoffart in mir zu ersticken. Und ich wollte den Genüssen der Welt entsagen, ich mit meinem angeborenen Sehnen nach den kleinen Raffinements des Lebens, nach Luxus und Eleganz? Da hieß es mutig kämpfen, lange, unverzagt. So viele Schlacken, so viele niedere Instinkte hafteten mir an; meine Eitelkeit war [S. 101] größer denn je und verfolgte mich bis in die dem Gebet geweihten Stunden.

Großmama hatte mir ein Kleid geschickt, ein Kleid! Weißer Battiste mit Fliedersträußchen und lila Schleifen. Dazu die ausgeschnittenen Schuhe und den Strohut! Wie da die Leute schauen würden! Ach, wenn es nur schon Sonntag wäre!

Meine kühnsten Erwartungen wurden übertroffen. Papa nickte mir sehr befriedigt zu, die Andern zollten mir lebhaften Beifall, nur Robert stand da mit weitaufgerissenem Mund und schien sich noch immer nicht von seinem Staunen erholt zu haben. Endlich fand er die Sprache wieder und benützte sie, um mir die schmeichelhaftesten Dinge zu sagen. Im Grunde genommen, waren es die armseligsten Banalitäten, aber damals! — — Das erste Kompliment! Der Backfisch verliert etwas von seiner Unbefangenheit, beginnt zu ahnen. Die Wangen glühen, die Augen leuchten und er geht so leicht, so schwebend. Weshalb? — Die Puppe, die unter Blättern verborgen, den Winter verbracht, das unbeholfene formlose Ding hat die Hülle gesprengt, und fühlt sich „Schmetterling.“ Der reckt die zarten Flügel und flattert davon in den blauen Morgen, in den nächsten Garten, zu der schönsten Blume. Betäubt von dem Dufte ihres Atems, unwiderstehlich angezogen von der Pracht ihrer Farben, küßt er den rosigen Kelch. — Er küßt und küßt immer wieder — — — er kann es nicht mehr [S. 102] lassen. — Und die Blumen lächeln — und die Blumen weinen.

Robert schien ordentlich stolz auf mich zu sein, denn er wich nicht von meiner Seite, sah die Vorbeigehenden mit herausfordernder Miene an und maß alle jungen Mädchen mit höchst geringschätzenden Blicken.

„Das nennt man Belagerungszustand“, erklärte Doktor Vogler und Papa versetzte belustigt: „Ja, was ein Hacken werden will, krümmt sich beizeiten.“ Er war überhaupt in bester Laune, wie es sich für einen „Wurstelprater Nachmittag“ gehört.

Wir fuhren auf der Rutschbahn und im Ringelspiel, schossen nach der Scheibe, besahen uns Taucher und Zwerge und soupierten in einer Restauration. Die Musik spielte, dienstbeflissene Kellner trugen enorme Tassen herum, und ein Duft von Braten und Citrone verdrängte zeitweilig den würzigen Hauch der frühjahrlichen Natur. Schneeige Kastanienblüten hüpften wie kecke kleine Ballerinen zur Erde und die Gasflammen flackerten unstät in der Abendluft. Das laute Sprechen und Gelächter der zahlreichen Gesellschaft übertönte gar häufig die bald übermütigen, bald schwärmerischen Wienerweisen.

Robert schlang mit Heißhunger und Wonne die gereichten Portionen hinunter, und als er damit zu Ende, sah er mich mit schwimmenden Äuglein an, in denen es wie tröstliche Verheißungen lag: „Jetzt kommst Du wieder an die Reihe.“ Auch mir war der Wein etwas zu Kopfe [S. 103] gestiegen, oder war es die laue Frühlingsnacht, die süßen Melodien, der Siegesrausch, den jedes Mädchen empfindet, wenn es sich seiner Jugend und Schönheit bewußt wird?

Durch die dunklen Laubgänge traten wir den Heimweg an. Der Vetter bot mir galant den Arm — offenbar fühlte er sich wieder mein Beschützer wie in unserer Kinderzeit — und seine Gedanken flogen zurück in die Vergangenheit.

Reminiscenzen „es war einmal.“ Ein Zauber von Poesie liegt über den ängstlich geflüsterten Worten. Man wagt es ja nicht, laut zu sprechen, aus Furcht, das Phantasiegebilde könne bei einer etwas derben Berührung in Staub zerfallen.

Du unerforschliche Hexenmeisterin, von den Menschen Zeit genannt, die Du ewig bist, die Du schon längst im Grabe ruhst, uns wie unser Schatten verfolgst und Dich ins Unendliche verjüngst, wie viel Thorheit, wie viel namenlose Thorheit ruht in Deinem Schoß! — Wärest Du ein lebendes Wesen, Du müßtest lachen, lachen bis Dir die hellen Tränen herunterrinnen, lachen ohne Unterlaß.

„Weißt Du noch wie wir „Dornröschen“ spielten?“

„O ja, aber das ist schon lange her. Du warst der Prinz.“

„Ja, Mimi, und dann — heirateten wir uns.“

„Ja damals!“ Und ich setzte eine würdevolle Miene auf.

[S. 104]

„Warum betonst Du das „damals“? Wäre es denn so unmöglich?“

Sein Beharren irritierte mich und als er versuchte, meinen Arm an sich zu drücken, machte ich mich los. — Die festliche Stimmung war verraucht und der Robert langweilte mich. Es war wohl der bittere Nachgeschmack, der jedem weltlichen Vergnügen auf der Ferse folgt. Ich zürnte dem Vetter, daß er mich aus meinem qualvollen, aber doch gottgefälligen Innenleben herausgerissen und da kam mir wie von selbst die Antwort.

„Ich heirate überhaupt nicht.“

„Das sagt ein jedes Mädchen“, versetzte er mit Überlegenheit.

„Nun gut, Du wirst ja sehen.“

Unsere Wege trennten sich und während ich die steilen zwei Stockwerke zu unserer Wohnung erklomm, wurde ich die Vorstellung nicht los, daß ich neuerlich Sünden begangen, für die mir wieder einmal kein Name einfiel. Und an all’ dem war dieser dumme Robert Schuld gewesen.

* *
*

„Weißt Du auch mein Kind, daß Du auf dem besten Wege bist, eine Egoistin zu werden. Deine Gedanken drehen sich um eine einzige Person, und das bist Du. Sei nicht so kleinlich, vergiß nicht ob dem eigenen „Ich“ die Interessen der streitenden Kirche: bete für die Sünder, die Ungläubigen. Wenn Du dem Heiland eine einzige [S. 105] Seele zuführst, tust Du ein viel verdienstlicheres Werk, als wenn Du Dich mit unnützen Bedenken abquälst.“

Und übereinstimmend mit Mère Walters Ermahnungen lautete das Evangelium, das uns der Geistliche von der Kanzel herab verkündete.

„In der Zeit sprach der Herr Jesus: Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe. Der Mietling aber, der kein Hirt ist, und dem die Schafe nicht zugehören, sieht den Wolf kommen, verläßt die Schafe und flieht; und der Wolf raubt und zerstreut die Schafe. Der Mietling flieht, eben weil er Mietling ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben für meine Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, welche nicht aus diesem Schafstalle sind; auch diese muß ich herbeiführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird Ein Schafstall und Ein Hirt werden.“.

Nie vorher war mir dieses Evangelium so schön erschienen ... Oder hatte es mir nur an dem nötigen Verständnis gefehlt? — — Wie leises Zephirsäuseln, wie das Streicheln einer weichen Hand berührten mich die schlichten Worte: sie lösten die harte Rinde, die mein Herz umgaben und eröffneten es dem Geist der Liebe.

„Doktor Vogler“. Wie eine Eingebung von oben, wie die Stimme einer anderen Welt tönte dieser Name [S. 106] durch mein Inneres. Was hatte es nur für eine Bewandtnis damit? Im ersten Augenblick verblüfft, begriff ich alsbald. — Gehörte doch auch er zur Schaar der „Verlorenen“. Er hatte den Glauben seiner Kindheit, diesen starken Steuermann, über Bord geworfen und leitete allein das Fahrzeug. Früher oder später mußte es versinken in schwarze, schwarze Tiefe. Wie war es nur möglich, daß ich nicht schon längst daran gedacht? Wann mochte er wohl zum letztenmale bei der Beichte gewesen sein? — — Ja, ich wollte, ich mußte ihn den Krallen des Bösen entreißen und in die heilige Kirche führen. — — Noch war es nicht zu spät — er hatte ja selbst wiederholt gesagt, daß jeder Arzt, auch wenn er das unbarmherzige Todesurteil ausgesprochen, einem Hoffnungsschimmer Raum läßt, der erst mit dem letzten Atemzug des Kranken erlischt.

Wie er überhaupt so gütig war, so voll Mitleid gegen seine leidenden Mitmenschen! „Es ist das Schrecklichste, an einem Schmerzenslager zu stehen und nicht helfen zu können.“ Und da er so warm empfand, so oft uneigennützig Hilfe spendete, — wie konnte er so „sündhaft“ sein? Vielleicht bedurfte er gar nicht des Glaubens. — O Gott, vergib den Zweifel — vielleicht war er besser als so mancher Frommer!

Aber, — wenn er plötzlich stürbe! Es war nicht unmöglich: er litt an einem Herzleiden — wenn er — ohne zu bereuen — und bei diesem Gedanken erfüllte [S. 107] mich ein Weh, so peinigend, so tief, daß es mir einen Seufzer erpreßte: „Du lieber, barmherziger Gott, schenk’ ihm die Gesundheit, erhalte ihn am Leben. Dir empfehle ich auch seine Seele: Du, die Vollkommenheit selbst, der Du die Sünder liebst und die Gefallenen stützest, laß auch dieses Schäflein nicht zu Grunde gehen.“

Ja, ich wollte ihn bekehren und lebte nur mehr dieser Idee. Aber wie beginnen? Ein unvorsichtiger Schritt konnte das Ganze verderben. Und dann, würde ich den Mut besitzen, zu sprechen?

Nein, es war klüger, zu warten, bis sich eine geeignete Gelegenheit bot.

* *
*

Ein erdrückend schwüler Nachmittag. Ich flüchtete in das nahe von Steindorf gelegene Wäldchen, in dessen Mitte, von Tannen umwölbt, eine kleine Kapelle steht. Kein Sonnenstrahl drang in dies Heiligtum: es war so kühl und still. Leise knisternd rieben sich die dunklen Zweige an dem Gitterwerk der Fenster, sonst kein Ton, kein Laut, als sei die Welt in weiter, weiter Ferne.

Ich war allein mit meinem Gotte und klagte ihm meine Not. „Hilf, rette, rette ihn.“ Ein Schrei, waren mir diese letzten Worte entfahren und ich hatte gar nicht bemerkt, daß in demselben Augenblicke Jemand die Kapelle betreten.

„Mimi.“ Beim Klang dieser Stimme fuhr ich zusammen. Die Hände auf das stürmisch pochende Herz [S. 108] gepreßt, frug ich kaum hörbar: „Weshalb sind Sie gekommen? Was wollen — Sie — hier?“

„Der Zufall führte mich her, vielleicht auch ein wenig Absicht. Sie schienen mir in letzter Zeit verändert, als ob Sie einen Kummer hätten. — — Und da suchen Sie Trost bei den steinernen Heiligen? Die sollen retten, helfen?“

Ich rang vergeblich nach Worten: die unausgesetzte Spannung meiner Nerven machte sich in lautem Schluchzen Luft. „Seien Sie nicht grausam, quälen Sie mich nicht“, stammelte ich flehend, „ich habe ja — für Sie gebetet“.

„Für mich?“ Einen Moment blieb es still. Dann beugte er sich über mich und frug mit eigentümlich bewegter Stimme, während er meine Hand ergriff: „Sie wollten mich dem Teufel rauben. Ist’s nicht so? Ich gehöre also in die Hölle?“

„Wenn Sie nicht glauben.“

„Und Sie denken immerfort an diese düsteren Dinge, statt sich des schönen Lebens zu freuen?“

„Aber wir können ja jede Minute sterben.“

„Ah, Sie meinen mein Leiden! — Es gibt Leute, die mit einem Herzfehler hundert Jahre alt werden.“

„Nein Sie dürfen nicht in die Hölle kommen“, versetzte ich in kindlicher Beharrlichkeit. „Und sterben auch nicht, noch lange nicht“, und neuerlich rannen mir die Tränen über die Wangen.

„Das täte also diesem kleinen Herzen weh? Liebe, gute Mimi.“ Und ehe ich es verhindern konnte, trocknete [S. 109] er mir mit seinem Taschentuch die Tränen. „Nein, ich will noch lange nicht sterben.“

„Und auch nicht in die Hölle kommen?“

„Aber wenn Sie im Himmel sind. Dort gibt es ja kein Leid und kein Bedauern. Sie würden mich wohl kaum vermissen.“ Er sagte das mit jenem leisen Anflug von Ironie, der ihm eigen war, wenn er von religiösen Dingen sprach.

„Es täte mir nicht leid? — Aber wie“ — — hier unterbrach ich mich, denn es fiel mir ein, daß der Katechismus in der Tat jene Behauptung aufstellt.

„Merken Sie den Widerspruch?“

Doch schon hatte ich meine Festigkeit wiedergefunden. „Es gibt Dinge, die unser Geist nicht faßt. Wir dürfen nicht forschen.“

„Ja wenn man der Vernunft gebieten könnte, Winterschlaf zu halten!“

„Lästern Sie nicht. Es tut mir weh, Sie so sprechen zu hören.“ Und einem Instinkte folgend, löste ich das Goldkettchen mit der Marienmedaille von meinem Halse und reichte es ihm hin. „Bitte, tragen Sie es immer, ja?“

„Gewiß, Mimi“, versetzte er einfach und feierlich zugleich.

Ich hätte aufjubeln mögen. Der wichtigste, der erste Schritt war getan.

* *
*

[S. 110]

Von nun an trafen wir uns wie auf Verabredung fast täglich in Garten oder Wald. Das leise Rauschen in den Wipfeln, der Drosselsang, dieser ganze weiche, schmelzende Chor, der Duft von Harz und Kräutern, es sprach mir zum Gemüt, und mein Begleiter las in meiner Seele.

„Läge es nicht näher, hier seine Andacht zu halten, als in der kalten düsteren Kirche? Können Sie sich einen schöneren Tempel denken, als den grünen Wald? Blicken Sie um sich — Alles so einfach und doch so genial dabei. Keine gekünstelten Effekte, keine unwahren Schattierungen. Ein Bild, von einer kühnen Meisterhand geschaffen. Da ist alles so klar, jeder Strich berechtigt, keine unentwirrbaren Hieroglyphen.“

„Sie spielen auf die Dogmen an.“

„Vielleicht.“

„Nennen Sie mir eines, das Ihnen unwahrscheinlich vorkommt.“ Ich hatte mich im Voraus mit schlagenden Erwiderungen, unanfechtbaren Beweisen gewappnet und konnte es kaum erwarten, ihm zu imponieren.

„Nehmen wir die Dreifaltigkeit zum Beispiel.“

„Das begriff ich auch erst, als Mère Walter es uns durch ein Gleichnis erklärte. Eine Kerze. Die ist ein einheitliches Ganzes, besitzt aber Form, Licht und Wärme, gewissermaßen Eigenschaften, eine, Folge der anderen.“

„Pardon, aber der Vergleich hinkt arg. Die Form besteht, auch ohne Licht — die drei Personen sollen aber [S. 111] unzertrennlich sein, keine älter als die andere. Und nach Mère Walters Auslegung hätte man sie als Großvater, Vater und Enkel zu betrachten.“ Und da er meine Verlegenheit gewahrte. „Suchen wir irgend einen anderen beliebigen Glaubenssatz. Die Unfehlbarkeit des Papstes.“

„Ja. Daran zweifeln Sie auch?“

„Einen Menschen, der nicht dem Irrtum unterworfen ist, gibt es nicht. Christus selbst hatte Momente des Zweifels, der Entmutigung. — Kennen Sie denn die Geschichte der Päpste? — Nein, das dacht’ ich mir. Im Kloster, da zeigt man Ihnen den ganzen kirchlichen Apparat, mit Allem was drum und dran ist, nur von der schönsten Seite. Nicht wahr, man hat Ihnen erzählt, daß die Päpste durchwegs höchst ehrenwerte, tugendhafte Persönlichkeiten waren? Lesen Sie einmal eine unparteiische Schilderung und Sie werden sich vom Gegenteil überzeugen. Hoffahrt, Mißgunst und andere Leidenschaften der niedersten Sorte, sie waren vielen dieser Oberhäupter nur zu wohl bekannt.“

„Sie sind ja auch nicht als „Mensch“ unfehlbar, sondern nur, wenn sie eine Lehre ex catedra verkünden.“

„Wenn sie also heute verkünden, es sei Todsünde, der Kirche die Hälfte seiner Einkünfte zu verweigern?“

„Dann ist es so. Übrigens können sie nie etwas Unrechtes verlangen, da sie der heilige Geist erleuchtet.“

„Aha, und früher haben sie geirrt. Um die Autorität an sich zu reißen, haben sie den heiligen Geist ins Treffen [S. 112] geführt. Sehr klug, sehr schlau erdacht und Sie heißt man das nachreden wie die Papageien. Es ist empörend, wie man Sie als willenloses Werkzeug benützt, Ihre Phantasie mit dem verworrensten unsinnigsten Zeug anfüllt. Sie selber können nichts dafür. Es ist vielleicht sogar Unrecht von mir,“ fügte er milder hinzu, „daß ich den Zwiespalt in Ihre Seele trage — aber dann handle ich auch schlecht, wenn ich dem Blinden das Augenlicht wiedergebe. Wie viel Schönes, wie viel Beglückendes entgeht Ihnen — es ist jammerschade. Da liegen die Schätze aufgespeichert und Sie dürfen nicht zugreifen, weil es Sünde ist. Armes Kind.“ Und da er mein betrübtes Gesicht sah: „Ich wollte Sie nicht kränken; aber wenn ich so bedenke, was bei richtiger Behandlung aus Ihnen werden könnte, — — — sagen Sie, Mimi, Sie haben doch die Überzeugung, daß ich es gut mit Ihnen meine?“

Da, ich weiß nicht wie es kam, hab’ ich seine Hand genommen und mit den Lippen berührt.

„Aber Mimi.“ Er sprach es mit großen staunenden Augen. Sie waren wundervoll, diese Augen, leuchtend und braun.

* *
*

„Weißt Du auch, Bäschen, daß Du mich furchtbar schlecht behandelst?“ fragte mein Vetter Robert entmutigt. „Kaum, daß man Dich alle heiligen Zeiten einmal zu Gesicht bekommt und da bist Du auch schon [S. 113] wieder unter irgend einem nichtigen Vorwand verschwunden. Aber wart nur, jetzt laß’ ich Dich nicht so bald wieder los. Da schau’, ich halte Dich“ und er zupfte mich neckisch am Zopf. Soll ich Dir mein neuestes Gedicht declamieren?“ Und ohne meine Antwort abzuwarten. „An Mimi“ heißt es.

„Von was soll ich denn singen,
Mir ist so weh ums Herz,
Dem Lenz kann ich nur bringen,
Ein Lied von Lieb und Schmerz.
Wohl viele Sänger sangen,
Im Frühling ist ’s gut lieben,
Und Herzen, die nie hangen,
Im Mai doch hängen blieben.
Und wenn der Liebe Wunde,
Nicht deckt mehr weißer Schnee,
In sonn’ger Lenzesstunde,
Da tut sie doppelt weh.
Zu Dir möcht’ ich dann eilen,
Du Lenzeskönigin
Und immer bei Dir weilen,
Nie mehr von dannen zieh’n.“

Ich sah von weitem Doktor Vogler und meine Blicke folgten seiner Gestalt.

„Nun?“ Robert fühlte sich offenbar beleidigt, da ich kein Wort der Anerkennung sagte.

„Ah so, ich hatte den Schluß überhört. Verzeih Robert, jetzt muß ich fort, ich habe dringend mit Doktor Vogler zu sprechen,“ und ich eilte davon. Schon erwachte etwas von der weiblichen Coketterie in mir. Das Mädchen, das sich begehrt weiß, ohne die Neigung zu erwidern, [S. 114] gleicht bisweilen der Katze, die mit der Maus Ball spielt und sich an der Qual ihres Opfers weidet. Ich sah nur noch Robert’s wutverzerrtes Gesicht und hörte ihn spöttisch rufen: „Ah so, das ist’s — ich gratuliere.“

Die Mittagsonne brannte und wir bogen in den Buchengang ein, der sich einer Kuppel gleich zu unsern Häuptern wölbte. Vor einem Beete roter Nelken blieben wir stehen. Es ging eine Glut, ein Leuchten von diesen Blumen aus, die mich fascinierten. Satte, schwüle Farben, üppige, reife Schönheit. Ich bückte mich und pflückte eine, die ich wie spielend durch die Finger gleiten ließ.

Er sah mich lächelnd an: „So teilen Sie auch meine Vorliebe für diese Blumen? Mir scheinen sie eine Verkörperung von Lebenslust, von Frohsinn und Genuß. Wer ihre Sprache versteht! — — Ja, Mimi, glauben Sie mir, es erwartet Sie noch viel, unendlich viel Schönes — da draußen im Leben. Wie alt sind sie eigentlich. Vierzehn Jahre?“

„Schon vorüber.“

„O in diesem Alter gibt man gerne zu: später möchte man abziehen. — Dort, sehen Sie, die melancholische, carrierte Gestalt? Macht Ihnen Ihr Vetter sehr den Hof?“

„Aber!“ Bei dieser unerwarteten Frage schoß mir das Blut siedendheiß in die Wangen. Ich wäre am liebsten auf- und davon gelaufen, und zerzupfte in nervöser Hast die Nelke.

[S. 115]

„Was kann denn die arme Blume dafür?“ Er bog den Rand meines Hutes etwas auf und sah mir forschend ins Gesicht: „Und Sie, ahnen Sie, was Liebe ist?“

Ich schwieg, aber in meinen Augen las er die Antwort. Er trat einen Schritt zurück, und frug dann mit unendlich weicher Stimme: „Wirklich, Mimi?“

„Ja.“

Sonnenfunken zitterten in den Zweigen und eine Lerche schwang sich in die Luft, dem Herrn der Welt die Botschaft zu verkünden, daß sich seinem uralten Gesetze zufolge zwei Menschenkinder in Liebe gefunden.

Der erste Kuß! — Noch in späten Jahren verklären sich die Züge der Greisin in sanfter Wehmut, wenn sie der Vergangenheit gedenkt. Ein seliges Vergessen, ein Traum, ein Rausch, eine Wonne ohne gleichen. Der Himmel lacht, die Engel weinen Freudenthränen.

Ja, war’s denn möglich? Ich blickte scheu zu ihm empor, die Hände auf die Brust gepreßt, wie um es festzuhalten, das große, große Glück.

* *
*

„Ob es wohl Sünde war?“ Diese Idee verfolgte mich unablässig. Bei Tag trieb sie mich hinaus aus dem Zimmer, fort, fort ins Freie. Ich meinte zu ersticken. Stundenlang irrte ich im Wald herum, rastlos, ziellos. Des Nachts setzte sich das Quälgeistchen an meine Seite und gab mir keine Ruhe. Es kicherte, zog mich bei der Decke, daß ich mir nicht zu helfen wußte.

[S. 116]

Tante Laura merkte, daß etwas Ungewöhnliches mit mir vorgehe: „Mimi, hab’ Vertrauen zu mir.“ Und wie ich in dies abgehärmte, ergebene Gesicht blickte, da schüttete ich ihr mein Herz aus, gerade so wie damals, als ich noch ein kleines Mädchen war.

„Sünde ist die Liebe niemals“, versicherte sie mir ernst. „Um in Deinem Sinne, in Deiner Sprache zu reden, Gott selber hat diesen Trieb, die Sehnsucht nach einem zweiten Wesen in unser Herz gelegt und es wäre unnatürlich, wenn er sich nicht früher oder später äußerte. „Heimlichtuerei“ meinst Du? Deine Fragen sind oft schwer zu beantworten. Der Zauber der Poesie liegt gar häufig im Verborgenen, im Geheimnis. — — Übrigens so eine erste Neigung lebt oft nicht länger wie eine Eintagsfliege“, und da ich eine protestierende Geberde machte: „Wozu sich über Dinge den Kopf zerbrechen, die zu keinem Resultate führen. In einigen Jahren reden wir darüber, ja? Bis dahin kann sich Manches geändert haben.“

„Also Sünde ist es nicht?“

„Nein, nein. Aber wenn ich Dir einen guten Rat geben soll, trachte Dir Vincenz aus dem Kopf zu schlagen. In denke, mit etwas gutem Willen wird es gehen, jetzt leichter wie später. Eine im Keim erstickte Neigung gleicht einer leichten Operation, während, wenn sie Wurzel faßt, das geht oft tief. Du stehst mir ja nahe, Mimi, und ich möchte Dich vor trüben Erfahrungen bewahren. [S. 117] Besser die Wunde blutet tüchtig, als die Narbe heilt nie. — Übrigens, es ist ein wohlgemeinter Rat.“

„Ach Tante, ich hab’ ihn so lieb. Ich will ja nichts Anderes, als daß es immer so bleibt.“

Wenn er mich mit bebendem Arm umschlang, dann lehnte ich beseligt den Kopf an seine Schulter. Ich hörte das ungestüme Pochen unserer Herzen und ein heißer Strom, durchrieselte es meine Adern. Und doch, ich hätte nicht vermocht, den eigentümlichen Zauber zu definieren, den er auf mich ausübte. Lag es in seinem Blick, seiner Stimme, der nonchalanten Art seiner Bewegungen? Alles im Verein vielleicht; selbst das etwas herbe Parfum, das seinem Taschentuch entströmte, der Schnitt seiner Anzüge, die eleganten Hände.

Und er sollte dem Bösen verfallen sein? Mehr denn je beseelte mich der Wunsch, ihn zu befreien. Doch hatten wir die Rolle bei unseren Diskussionen vertauscht. Er sprach mehr, ich immer weniger; er war zu höflich um direkt zu widersprechen, aber er zwang mich zu denken und da zerfiel unmerklich mein Kartenhaus. Es hatte auf zu lockerer Basis gestanden: der erste Sturm fegte es spielend hinweg. Noch gestand ich mir’s nicht ein, doch ich fühlte das Herannahen der Katastrophe. Unaufhörlich nagte der Wurm des Zweifels an meinem Innern: die so lange zurückgedrängte Vernunft war erwacht und machte ihre Rechte geltend. — Wie eine Ertrinkende rang ich mit den Wellen: es war ein ohnmächtiger Kampf mit dunklen [S. 118] Gewalten. In meiner Verzweiflung rief ich die Heiligen zu Hilfe, doch sie erhörten mich nicht. Und wie, wenn Vincenz Recht hätte, wenn ich bis dahin in finsterer Nacht gewandelt war, in ein Lügennetz verstrickt und erst jetzt der Erlösung entgegengieng, der Erlösung durch die Wahrheit? — — — Und wenn ich lange meinen Kopf angestrengt, breiteten sich dichte Nebel vor mein Auge und eine Müdigkeit überkam mich, wie ich sie bis jetzt nicht gekannt.

* *
*

Es war ein heißes, blutiges Ringen gewesen um den Glauben, ein Ringen auf Leben und Tod — und ich unterlag. Monat um Monat war vergangen und der Tag gekommen, an dem ich das Kloster verließ.

O, endlich, endlich frei! Du junges Morgenrot, Du große schöne Welt, jetzt seid ihr mein! Wie eine Zentnerlast fiel es mir vom Herzen; vorbei die Zeit der Verstellung und der Heuchelei. Wie schwer war es mir oft geworden, mich zu beherrschen, nicht mitten in der Predigt aufzuspringen und zu rufen: „So glaubt doch nicht, es ist nicht wahr!“

Die Flut war hoch gegangen und hatte anfänglich mit ihrem Toben und Brausen alles Andere übertönt: jetzt trat die Ebbe ein und ich fand kostbare Perlen am Meeresstrand. Sie schillerten und strahlten in den schönsten Farben und ihr Besitz beglückte mich. Ich hütete meinen [S. 119] Schatz, verbarg ihn sorgfältig vor aller Augen, sagte nicht einmal Vincenz davon. Doch er erriet mein Geheimnis mit dem Blick der Liebe, die auf dem Grunde der Seele zu lesen versteht. Mit der neuen Erkenntnis kam tiefe Ruhe und Zufriedenheit über mich: sie spiegelten sich in meinem Gesichte, in meinem ganzen Wesen wieder. — Ich fürchtete keinen zürnenden, rächenden Gott: ich wollte gut sein, nicht des Lohnes halber, sondern aus Freude daran und ich betrachtete die ganze Welt in neuem Lichte. Ich wandelte nicht mehr auf steinigem, zerklüftetem Wege, nein vor mir lagen sie, die verlockenden, sonndurchglückten Blumenpfade. Das Labyrinth, in dem ich mich zu verirren gedroht, war vom Erdboden verschwunden und es schien mir unfaßlich, daß ich der plumpen Falle so spät entkommen war.

Himmel und Hölle! Daran hatte ich geglaubt. Spuckgeschichten, Ammenmärchen. Und all das Andere!

„Mimi Steindorf“, ich sagte mir mit einer gewissen Ironie, „nicht mehr Mittelpunkt des Weltalls, um den sich Alles dreht; nur ein verschwindend kleiner Teil des Ganzen, und doch niemals „Nichts.“ Du verlierst das individuelle Bewußtsein, aber verschwinden kannst Du nicht. Was in Dir den geistigen Menschen, Dein höheres Ich ausmacht, nenn’ es Seele, wenn Du willst, aber denk’ Dir darunter kein Schemen, das beim letzten Atemzug vor Gottes Richterstuhl fährt und den Körper erst am jüngsten Tage wieder bezieht. Heiße es „Kraft“ und [S. 120] versuche nicht, den Stoff, die Materie davon zu trennen — es wäre sinnloses Vorgehen; denn eins bedingt das andere. Im Grunde genommen, bist Du nichts anderes als eine Uhr. Ein zu heftiger Druck, ein Stäubchen, das zufällig ins Gehäuse geraten: die Feder ist abgedreht, die Uhr bleibt stehen, ohne daß sie deshalb aufhört, zu sein. Man kann sie in ihre einzelnen Bestandteile zerlegen, sie auf ihre ursprünglichen Stoffe zurückführen: die Form erleidet eine Veränderung, die einzelnen Teilchen aber können nicht vernichtet werden.

„Findest Du dieses Gedicht nicht schön, Mimi? Der jüngere Dumas hat Recht. So will ich’s auch einmal“, und Vincenz las mir vor:

Je ne veux pas, quand je mourrai,
Que l’on me mette au cimetière.
Au milieu d’un champ labouré
Sous un sillon, que l’on m’enterre!
Vivant, je n’aurai su rien faire,
Mais je m’en irai consolé
Si mort, je puis rendre à la terre
De quoi produire un grain de blé.

Nein, keine Pilgerfahrt durch das Thal der Tränen, ein dauerndes Sein. Das mußte zu edlen Taten aneifern, bewirken, daß wir uns heimisch fühlen hieniden; das mußte das Bewußtsein der Verwandtschaft mit der ganzen Natur, einer engen Zusammengehörigkeit erzeugen, stark genug, die düsteren Schreckensbilder auf immer zu verscheuchen.

* *
*

[S. 121]

Der Winter hatte seinen Einzug gehalten. Ein eisiger Wind wehte: er seufzte und stöhnte, wie ein Geist, der keine Ruhe findet. Unaufhörlich wirbelten die weißen Flocken nieder, regelmäßig, nimmermüde. Und ringsumher, so weit das Auge reichte, eine hohe Schneedecke. Ab und zu lugte die Sonne hinter Wolken hervor, und dann funkelte es auf Baum und Strauch, als hätte eine verschwenderische Hand Millionen Diamanten ausgesäet. Krächzende Raben flogen auf und umkreisten unsern Schlitten. Die rauhe Luft versengte mir Wangen und Finger. Ich hüllte mich fester in die Pelzdecke und lauschte der lustigen Schellenmusik. — So ein Winter auf dem Lande, das mußte herrlich sein ... Schade, daß es nur ein kurzer Besuch war.

Im gemütlichen Billardzimmer saßen Großmama und Hannerl am Kamin und banden schwarze Schleifen an die Wachskerzen der Kapelle, für die Allerseelenmesse.

Nächtlicherweile wandte sich der Wind und tagsdarauf trat Tauwetter ein. Papa holte mich zu einem Spaziergang ab, und wir giengen durch den Wald. Es war fast lau, und von den Bäumen rieselte es im Takte nieder.

„Eine ungesunde Temperatur; um diese Zeit gibt es die meisten Krankheiten“, bemerkte Papa. „Eine abscheuliche Sache, das Kranksein.“

Wir waren auf dem Friedhof angelangt. Wie seltsam dieser Garten mitten im Winter! An den Frühling [S. 122] mußt’ ich denken, wenn der Flieder blüht und Leuchtkäfer schwirren. — — Das ganze Dorf war hergepilgert, um seinen Toten ein inniges Gebet zu weihen, eine stille Träne nachzuweinen. Kränze, Perlenkronen, Lichter um jedes Kreuz. —

Ganz abseits aber, hart an der Mauer, lag ein verwahrlostes Grab, ohne Inschrift, ohne Blumenspende. Ich äußerte mein Befremden darüber.

„Es ist ein Jägerjung, der einen Selbstmord begangen und darum kein Anrecht auf geweihte Erde hat“, erklärte mir Papa.

„Sich umgebracht. Der Arme! Da muß er wohl recht unglücklich gewesen sein?“

„Die Leute sagen so — eine Liebesgeschichte.“

Es war zum erstenmale, daß Papa dieses Wort vor mir ausgesprochen: bisher hatte er es fast ängstlich vermieden. Ich blickte ihn unwillkürlich an. Er brach ein Tannenreis ab und legte es in sein Notizbuch. Ein weicher, gütiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht — er wandte sich nochmals um — dann traten wir den Heimweg an.

„Mimi.“

„Ja, Papa.“

Er schob seinen Arm unter den meinen. „Du bist doch jetzt ein großes verständiges Mädchen, mit dem man über ernste Dinge reden kann?“ In seinem Ton lag etwas, das mir wehe tat. „Es ist nur für alle Fälle, [S. 123] erschrick nicht,“ fügte er beschwichtigend hinzu. „Wenn mir nämlich etwas zustoßen sollte —“

„Nein, nein, sprich nicht davon,“ fiel ich ihm ins Wort und Tränen traten mir in die Augen. Da er so vertrauensvoll, fast zaghaft zu mir redete, erwachte zum erstenmale die Kindesliebe in mir. Ich wollte ihn verteidigen, schützen gegen den Sensenmann.

„Sei gescheit, Mimi. Einmal wird es ja doch sein, das bleibt Keinem erspart, und da ist’s immer besser, so lange es noch Zeit ist. — — Du weißt, daß ich nicht reich bin — — aber ich hinterlasse Dir doch genügend, um eine angenehme, sorgenfreie Existenz zu führen. Du bist auf Niemandes Gnade angewiesen und brauchst keinem Menschen zur Last zu fallen. — — Ich habe für Dich gespart, wenn Du Dich auch innerlich darüber aufhieltest. — — — Und wenn Du einmal Einen vom Herzen gern hast und er ein braver, ehrenhafter Mensch ist — nimm ihn. Sieh nicht nach Geld aus — wenn er einen Beruf hat und genügend zu leben, dann heiratet Euch.“

„Papa.“ Ich drückte seinen Arm. Einen Moment kam mir die Idee, daß er an Vincenz dachte, doch ich wagte nicht zu fragen. — „Ja, dann heiratet Euch und wenn er einen andern Glauben hätte, dann — — trachte ihn der heiligen Kirche zu gewinnen. — — — Ich habe — — früher einmal die Andersgläubigen gehaßt — — es war schweres Unrecht — und ich bereue es.“ Er seufzte tief. „Ja, die Verblendung.“ Dann fuhr er fort: [S. 124] „Falls Deine Mutter ein zweitesmal wählt, leg’ ihr kein Hindernis in den Weg. Sie ist ja am Ende noch jung und ich glaube nicht, daß sie ihr Anrecht auf Lebensglück verleugnen wird.“ Er hielt inne und fügte dann zögernd hinzu: „Ich möchte ohne Prunk, in aller Stille zu Sahning begraben werden. Ich erwähne es übrigens noch ausdrücklich in meinem Testament. Dort in der Gruft werd’ ich mich heimisch fühlen. Es schläft schon lange Jemand dort — — es hat nicht sollen sein.“

Übermannt von den Eindrücken, die so unerwartet auf mich einstürmten, und mir meinen Vater in so schönem Lichte zeigten, weinte ich still in mich hinein. So war die Gleichgültigkeit, seine mißmutige Art nur Maske — das Schicksal hatte sie ihm aufgedrängt. Armer Papa, hätt’ ich das früher gewußt: aber Du hieltest mich so ängstlich Deinem Innenleben fern. Er faßte mich am Kinn und streichelte mein Haar. „Sei mein braves, starkes Mädchen. Die Schwachen kriechen stets zu Kreuz, wenn die Schicksalsschläge wuchtig auf sie niedersausen — ein ganzer Mensch aber, der steht aufrecht, mitten im Donnergrollen und Sturmesbrausen. — Schau’, wie der Himmel schwarz ist. Wir bekommen wieder Schnee. — — — Und jetzt sprechen wir von heiteren Dingen“, setzte er mit einer Art Galgenhumor hinzu. „Was würde Dir denn zu Weihnachten eine Freude machen? — — Weißt Du, an was ich dachte? Eine kleine hübsche Reisetasche. Die kannst Du sehr gut brauchen, wenn [S. 125] Du“, — — seine Hand zitterte in der meinen und ein Ausdruck von Schmerz huschte über sein Gesicht. „Es ist nichts. Nur ein leichtes Unbehagen, wie ich es in den letzten Tagen öfters verspürte. Das vergeht“.

„Und davon hast Du gar nichts gesagt!“

„Wozu denn? Solange man nicht ins Bett muß!“ Ein Schüttelfrost überkam ihn bei diesen Worten, daß die Zähne aufeinanderschlugen.

„Du hast Dich wahrscheinlich erkältet.“ Meine Stimme klang unsicher. „Und es ist noch so weit nach Hause.“

Da bog, wie gerufen, ein Schlitten in die Allee ein, und ich erkannte auf den ersten Blick Vincenz, der einen kurzen Urlaub genommen, um uns in Steindorf zu überraschen. Er hatte sofort die Sachlage begriffen und drängte uns, rasch einzusteigen. „Es ist nichts von Belang, aber Sie müssen vorsichtig sein. Die Influenza grassiert gerade jetzt, und wenn man die Pflege zu Beginn vernachlässigt, kann es die schlechtesten Folgen haben.“

Nach einigem Sträuben legte sich Papa zu Bett, und wir leisteten ihm Gesellschaft. Er blätterte in seinen Einschreibbüchern, und es berührte mich peinlich, als er bemerkte: „Wirklich große Auslagen, das Trinken und das Rauchen. Eine schlechte Gewohnheit; es könnte vielleicht in Zukunft wegfallen.“

* *
*

[S. 126]

„Meine arme Mimi, ich kann Dir nicht verhehlen, daß es schlecht, sehr schlecht steht mit Papa. Ich habe Deiner Mutter telegrafiert: sie kann in ein paar Stunden da sein.“ Vincenz war blaß und erregt. „An Wunder glauben wir ja Beide nicht. — Doch jetzt geh’ Dich etwas auszuruhen, Du brauchst neue Kräfte.“

Ich vermochte mich in der Tat kaum mehr auf den Füßen zu erhalten. Vier Nächte lang gewacht — das nimmt her, wenn man es nicht gewöhnt ist. Ich versuchte zu schlafen, doch es gelang mir nicht. Unstät irrten meine Gedanken umher, bis sie beim Worte „Wunder“ Rast machten. Und wenn doch — — aber ich konnte ja nicht mehr beten. — — Versuchen! Ich faltete mechanisch die Hände und murmelte halblaut vor mich hin: „Sei gegrüßt, Du Königin, Mutter der Barmherzigkeit“. Und plötzlich lag ich auf den Knien, und, das Gesicht auf die Hände gestützt, fielen mir die Worte ein; sie strömten mir von den Lippen, ein unaufhaltsam sprudelnder Quell, und mit ihnen kehrte der alte Kinderglaube wieder.

Es war dunkel im Zimmer: matt flackerte das Feuer im Kamin, bis es erlosch. Ich lag noch immer in derselben Stellung und beschwor Maria, mir zu helfen. „Du kannst nicht so grausam sein, Du Gute, Gnadenreiche. Erhalt’ ihn mir am Leben. Maria hilf, und ich will Dir’s ewig danken. Meinen Zopf, auf den ich so eitel bin, bring’ ich Dir zum Opfer — nur erhöre mich. Ich [S. 127] hab’ ja so viel gut zu machen, da ich ihn bis jetzt so falsch beurteilt. Auch fromm sein will ich wieder, Maria hörst Du?“

„Mimi, Mama ist da. Willst Du nicht hinunter?“ Tante Laura kam mich fragen. Sie hatte längst verziehen und pflegte ihren Bruder mit rührender Sorgfalt.

„Tante, steht’s sehr schlecht?“

„Mut, Kind!“, und sie drückte mir die Hand.

Tiefe Stille herrschte im Krankenzimmer. Großmama saß da mit gefalteten Händen, den Blick auf das Kruzifix an der Wand geheftet. Sie sagte leise Gebete vor sich hin, und ab und zu entrang sich ein tiefer Seufzer ihrer Brust. Mama kauerte mit scheuer Miene in einer Ecke, die Augen halb geschlossen. Auch die Übrigen schwiegen.

Papa saß mehr im Bette, als er lag. Sie hatten ihm Kissen untergeschoben, um ihm das Atmen zu erleichtern. Als ich zu ihm trat und ihn flüsternd frug, ob ich etwas für ihn tun könne, machte er eine sichtliche Anstrengung zu sprechen, aber es war nur ein undeutliches Lallen. Er hatte den Mund geöffnet, und die Hände begannen ein unheimliches Spiel auf der Decke. Wie abgemagert sie waren in den paar Tagen, und wie weiß! Und wie kalt sie sich anfühlten, wie eisig kalt. Wenn das das Ende wäre, oder die Agonie! Ich verlor alle Selbstbeherrschung, umklammerte ihn schluchzend und beschwor ihn, nicht zu gehen, mich nicht zu verlassen. Ich küßte ihm den kalten Schweiß von der Stirne, [S. 128] streichelte seinen Kopf, befahl ihm, zu bleiben. — Ich hatte ja gebetet — ich erwartete das Wunder. — Da, er atmete tief auf, immer rascher — das war vielleicht das wiederkehrende Leben — rascher — aber so seltsam, so unregelmäßig, ein gequältes, mühsames Röcheln. — Er rang nach Luft, schnellte in die Höhe, als ob jemand ihn mit ungeheurer Kraft emporrisse; dann gellte ein Schrei durch das Gemach, so klagend, so unbeschreiblich schmerzlich, seine Züge verzerrten sich wie im Krampfe, dann fiel er schwer zurück. Noch ein letzter, schwacher Atemzug, und es war vorbei.

Das hab’ ich lange nicht begriffen.

Mama geberdete sich wie eine Wahnsinnige, tobte und jammerte. Großmama drückte einen langen Kuß auf das wachsbleiche Gesicht ihres Lieblings. „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen — er weiß am Besten, was er tut.“ Dann gieng sie zur Schwiegertochter, und ihr die Hand hinhaltend: „Ich denke Helene, in einem solchen Moment vergißt man allen Groll“, und nun umarmten sich die Beiden.

In leisen, feinen Schlägen verkündete die Wanduhr die zwölfte Stunde. Die Kerzen waren herabgebrannt und warfen dunkle Schatten über das marmorne Gesicht des Toten, über das nun tiefe Ruhe ausgebreitet lag. So schön, so mild war er mir früher nie erschienen. Das rötlichblonde Haar hob sich wie Gold von der blaßen Hautfarbe ab und die Hände lagen wie zum Gebet verschränkt, auf der Brust.

[S. 129]

„Wie zufrieden er aussieht, Mimi“, sagte die Großmama. „Der liebe Gott meint es recht gut mit ihm. Dort droben ist’s ja viel, viel schöner — da finden wir uns Alle wieder: da gibt es keinen Abschied.“

* *
*

Ein schwarzverhangenes Zimmer, in dem es so still ist, so schaurig still. In der Mitte steht der erhöhte Catafalk, neben dem in riesigen Kandelabern Wachskerzen brennen. Kränze auf dem Boden und an der Wand, Kränze, wohin der Blick fällt. Und in all’ den Blumenaugen steht die stumme Klage um zu früh entflohenes Leben. Sie seufzen und ihr duftender Atem vermengt sich mit dem Geruch der Wachskerzen, mit der dumpfen Moderatmosphäre des Todes. O dieser Geruch, er verfolgt Einem, man wird ihn nicht los, wohin man auch flieht.

Tränen und Seufzer — — kein Sonnenstrahl, kein lautes Wort.

„Wie eng und kalt Du es nun hast, mein armer Papa. Könnt’ ich Dir nur etwas Gutes tun, Dir noch einen letzten Liebesdienst erweisen! Du schweigst. Wo bist Du? Weshalb hast Du uns verlassen? — — Du bist wirklich tot? — Ja, tot!! Du wirst mir kein einziges Wort mehr sagen — — ich faß’ es nicht — — — mir ist, als müßte im nächsten Augenblick die Thür aufgehen, und dann kommst Du herein und wir plaudern miteinander aber viel inniger, viel zärtlicher wie früher. Ich küsse [S. 130] Deine Hand, o sie ist eisig kalt, wie eine Geisterhand, — — Dein Gesicht, so mager und — — die goldenen Haare — — nein, Du warst anders, aber ich seh’ Dich immer so vor mir. — Nein, laß mich, geh, berühr’ mich nicht. — Ich fürchte mich, wenn Du mich holst. — — Es ist so schwarz, so dunkel, ich will nicht sterben, nein, ich will nicht — ich — o — — —“

Ich lag mit heftigem Fieber danieder und als ich die Besinnung zurückerlangt, standen Tante Laura und Vincenz an meinem Bett. Sie nötigten mich zu essen, da ich in den letzten Tagen kaum ein paar Bissen genossen. Ich durfte auch nicht mit zum Begräbnis: sie wollten mir Gesellschaft leisten, die Beiden, die nun meinem Herzen am nächsten standen. Vincenz suchte meine Gedanken von dem traurigen Ereignis abzulenken: er erzählte mir dies und das, versuchte zu lächeln, aber es mißlang ihm kläglich. Dann ergriff er meine Hand, hielt sie vor seine Augen und weinte, wie ein Kind: „Das war mein bester Freund — trotz Allem — ein goldenes Herz. Ja Mimi, ein harter, entsetzlicher Schlag“, und sein Gesicht überzog sich mit fahler Blässe. „Vincenz, was ist Dir?“ Er war sich mit der Hand an die Brust gefahren. „Bitte Wasser. So. Nur ein momentaner Schwindel.“

Großmama, dicht verschleiert, setzte sich zu mir und sprach in überaus gütiger Weise auf mich ein. „Wir fahren jetzt nach Sahning — ich werde Deinem guten Papa einen Gruß bringen. Glaub’ mir, Mimi, er schaut immerfort [S. 131] auf Dich herab, er hat Dich ja so lieb gehabt und wenn Du brav und fromm bist, freut er sich.“

Das Thor wurde mit polterndem Geräusch geöffnet; ich hörte schwere Männertritte, undeutliche Stimmen — Schlittenschellen — und jetzt läuteten sie auf dem Schloßturm — ja, es war der tiefe klagende Ton unserer alten Glocke, immer neue tönten mit, von nah und fern — aus allen Ortschaften. — „Bim—bam, bim—bam“, so klang es mir unaufhörlich in den Ohren und doch hatte sich der ernste Zug schon seit geraumer Weile in Bewegung gesetzt.

„Du wirst Dein Steindorf nie wiedersehen. Leb’ wohl, leb’ wohl für immer!“

* *
*

Wie traurig gähnten mir die schon halbgeleerten Laden entgegen und jedes einzelne Ding erinnerte mich an den Verstorbenen. Wie genau hatte er in seiner peinlichen Ordnungsliebe darauf geachtet, daß jedes Stück an seinem bestimmten Platz zu liegen kam und allen, selbst den wertlosen Gegenständen ein erläuterndes Zettelchen beigelegt. Und jetzt dies Durcheinander! Die Liste aller Jener, die ein Andenken begehrten, nahm kein Ende und es hieß auf specielle Wünsche Rücksicht nehmen.

Des Nachts fuhr ich häufig erschreckt zusammen. Mir war, es lege sich eine kalte Totenhand auf mein Herz, und in den Möbeln krachte es. Dann rief ich Tante Laura und schmiegte mich fest an sie, bis ich ermüdet [S. 132] Schlummer fand. Mama steigerte meine Erregung, indem sie mir ihre Träume und Visionen schilderte, Karten aufschlug, und das Traumbuch zu Rate zog. Ich hatte ihr Bücher aus der Bibliothek gebracht, aber sie las kein einziges. Sie gähnte fortwährend und sah nach der Uhr, worauf sie regelmäßig bemerkte: „Erst: ich dachte, es sei schon viel mehr.“ Erst bei unserer Rückkehr nach Wien taute sie ein wenig auf. Wir bezogen eine andere Wohnung und das Ordnen und Einrichten schien sie zu zerstreuen. Sie zeigte neues Interesse für den Haushalt und verwandte große Sorgfalt auf ihr Äußeres. Keine Spur mehr von der früheren Vernachlässigung und das stand ihr vorteilhaft. Wenn wir auf der Gasse giengen, wandten sich die Leute nach ihr um, und wenn wir Bekannten begegneten, hieß es stets: „Sie sehen brillant aus Baronin; wirklich man könnte Sie für Schwestern halten.“ — Mama lächelte dann vergnügt in sich hinein, schnürte sich noch fester und ließ sich noch gewagtere Hüte machen.

* *
*

Die Trauerzeit war um, und ich hatte das achtzehnte Jahr erreicht. Mama, deren lauter Jammer sich in kürzester Zeit überlebt hatte, vermochte die Sehnsucht nach Abwechslung nicht länger zu unterdrücken.

Wir giengen also in die Welt. Davon hatte ich mir nach den bisher gelesenen Romanen eine ganz andere Vorstellung gemacht.

[S. 133]

Bei den „ jours “ herrschte ein so steifer, ungemütlicher Ton, als träte man bei der pompe funèbre ein, und die Soireen waren nicht viel anders. Man würgte gezwungen eine Tasse Thee hinunter, aß ein Stückchen Sandwich und sprach so leise, als fürchte man seine eigene Stimme zu hören. — Man hatte sich eben nichts zu sagen, und wenn es ab und zu lebhaft zugieng, so war gewiß das Capitel der médisance aufgeschlagen worden. Ich mußte stets an eine Uhuhütte denken. Von Nah und Fern stürzen sich die kecken Vögel auf das wehrlose Tier, rupfen und picken ohne Unterlaß. Keins will zurückbleiben, und Jedes meint, etwas Besonderes vollbracht zu haben, wenn es gehörig losgefahren. Und wie bald war man über die Grenzen der harmlosen Stichelei hinaus!

Einmal — ich erinnere mich noch sehr genau daran, — bildete eine Skandalgeschichte in allen Salons das Tagesgespräch. Es waren nicht bloß „Klatschschwestern“, die sich daran beteiligten, — im Gegenteil — die Herren der Schöpfung nahmen womöglich noch regeren Anteil.

„Comtesse X von Herrn N. N. entführt.“ In Kürze war die Geschichte folgende: Das junge, ziemlich exaltierte Mädchen hatte die Bekanntschaft eines eleganten, geistreichen Causeurs gemacht und sich sterblich in ihn verliebt. Die Eltern wollten von der Sache nichts wissen, und eines schönen Tages war das Pärchen verschwunden. Man fand es nach längerem Suchen in einem Vorstadthôtel, und zum Überfluß stellte sich heraus, daß der [S. 134] Betreffende ein verheirateter Mann war, der Weib und Kind verlassen, aus Speculation auf das Vermögen der Kleinen.

„Unerhört. So ein Fratz! Sie hat sich in der guten Gesellschaft unmöglich gemacht. Man müßte ihr ja die Türe weisen.“

Wie da die Köpfe zusammengesteckt wurden, wie die Augen leuchteten und jeder Einzelne vor Begierde brannte, noch ein klein wenig mehr zu wissen, als die Andern, noch ein paar pikante Details hinzuzufügen.

Ich sah mich im Kreise um. War denn da Keiner, der ein Wort der Entschuldigung, des Mitleids fand, Keiner von denen, die als gute „Freunde“ im Hause der Gräfin verkehrten? — Nein. — Es war erbärmlich, ekelhaft feig. Wie konnten sie nur in ihrem Innern so schonungslos verdammen? Weshalb also schwiegen sie, weshalb wagten sie nicht, frei ihre Ansicht zu bekennen? Fühlten sie sich selbst so fleckenlos?

Mein Herz begann so heftig zu pochen, daß ich es bis in den Hals hinauf spürte, und die Fingerspitzen zuckten mir. Mit einer Festigkeit, die mir sonst nicht eigen war, trat ich auf Mama zu und sagte: „Gehen wir“.

„Nein, ich möchte noch bleiben.“

„Gut, so geh’ ich allein.“

Die Nebensitzenden waren aufmerksam geworden, und die Hausfrau lenkte begütigend ein: „Was haben Sie denn, liebes Kind? Freilich, die Klostererziehung! Da [S. 135] kommen Einem eben solche Dinge befremdend vor. Man muß sich an Manches erst gewöhnen; mir gieng es ebenso.“

„Ich werde mich an gewisse Dinge nie gewöhnen. Irren ist menschlich. Man kann bedauern, aber nicht verdammen. Wer kann wissen, ob er in genau denselben Verhältnissen nicht ebenso gehandelt hätte?“ Tiefes Schweigen. Aller Blicke waren auf mich gerichtet, teils mit Staunen, teils mit überlegener Ironie; ich ließ mich aber nicht beirren. „Wenn Sie einen Blutstropfen sehen, werden Sie ohnmächtig, — daß aber hier ein Opfer unter Ihren Händen verblutet,“ .... Mama zog mich am Ärmel und murmelte ein paar entschuldigende Phrasen: „Sie ist so leicht erregt, aber sie meint es nicht so“. Zu Hause aber erklärte sie mir ohne Umschweife, daß sie einen weiteren Verkehr mit Dr. Vogler nicht mehr dulde. Sie wisse schon längst, daß er mir diese verrückten Ideen in den Kopf setze, und bedanke sich dafür, daß ich sie vor aller Welt lächerlich mache.

„Also Papas Freund willst Du die Türe weisen?“

„Ja, sonst erleb’ ich auch noch eine Geschichte, wie die Gräfin X. Du bist ja so schon ganz vernarrt in den kranken Menschen. Was denkst Du Dir denn eigentlich dabei? Will er Dich vielleicht heiraten, dieser Ritter von Habenichts?“

„Ich bitte Dich, laß es genug sein. Du könntest es bereuen. Du weißt, Steindorf steht mir jederzeit offen.“

Sie schien meinen Widerstand zu fürchten und versetzte [S. 136] ruhiger: „Es ist schrecklich mit Dir. Man wird doch noch seine Meinung sagen dürfen.“

„Solange es bloß meine Person betrifft, ja. Aber über Leute, die hochzuschätzen, die zu verehren ich allen Grund habe, lasse ich nun einmal nichts kommen.“

„Aber Deine Mutter kann doch Bedenken äußern, wenn es sich um so Wichtiges handelt. Dein Wohl liegt mir ja doch am Herzen“, und sie begann zu weinen.

„Aber ich bitte Dich.“ Ihre Tränen ließen mich kalt und ich fand kein versöhnendes Wort. Mit einemmale sollte ihr mein Glück am Herzen liegen! Weshalb war ihr das nicht früher eingefallen? — Wie töricht handelt doch das Schicksal, wenn es mit den festesten Banden Solche verknüpft, die sich so weltfern sind!

Das Argument: „Weil es die Mutter ist“, genügte mir nicht. Ich habe überhaupt nie Menschen aus purem „Verwandtsschaftsgefühl“ geliebt, sie immer nur nach persönlichem Wert und Verdiensten taxiert. Daran, daß man dieselben Vorfahren besitzt, aus ein- und derselben Familie stammt, ist ja am Ende nichts so Anerkennenswertes.

Ich hatte mit Vincenz über diesen Punkt gesprochen, und er teilte meine Ansicht.

Daß die Eltern ihre Kinder lieben ist nur zu begreiflich: der natürlichste Egoismus. Daß sie das hilflose Würmlein hegen und pflegen, es mit allem Nötigen versehen, das begehrt die Stimme der Natur, die will, daß [S. 137] man sein Fleisch und Blut hochhält. Das ist eine kleine Abtragung der riesigen Verantwortung, die mit dem Augenblick beginnt, wo man einen Menschen in die Welt setzt. Die Tatsache, daß uns die Eltern das Leben gegeben, verpflichtet durchaus nicht zu Dank. Sie tun es ja doch nicht aus Liebe zu den Ungeborenen! Wie viele elende, erbärmliche Existenzen gibt es, die lieber nie das Licht des Tages geschaut hätten. Im Grunde genommen, stehen die Eltern, so seltsam es auch klingen mag, in der Schuld ihrer Kinder. Das eigentliche Verdienst beginnt erst, wenn im kleinen Geschöpfe das Denkvermögen, das bewußte Gefühlsleben erwacht. Dann heißt es den engen Ideenkreis erweitern, lehren, Interesse am Guten, Schönen wecken, aus dem Schatze der Erfahrungen mitteilen, raten, und erklären. Die Liebe soll ihre Wurzel weder in der Furcht, noch im bloßen Schicklichskeitsgefühl haben — sie soll Bedürfnis sein, unwiderstehlicher Drang. Glücklich jene Eltern, die das begreifen — sie ziehen sich Freunde heran.

Und was hatte meine Mutter getan? Meine Erziehung Andern überlassen, weil es so bequemer war. Nie das geringste Bestreben, mir etwas von den Dingen beizubringen, deren man im Leben so nötig bedarf. — Das hätte sie aus ihrer Ruhe gebracht, folglich kam es gar nicht in Betracht. Sie selbst besaß weder Sinn noch Verständnis für die weltbewegenden Fragen, keine Interessen höherer Art, keine Ideale. Wenn ich bisweilen an solche [S. 138] Dinge rührte, versetzte sie mit erstaunlicher Offenheit: „Das ist fade, davon versteh’ ich nichts: es ist mir zu hoch.“ Und nicht genug daran, jetzt wollte sie mir auch den Einen rauben, der mich begriff. Ich trug übrigens den Sieg davon. Es blieb ihrerseits bei der Drohung und Vincenz kam nach wie vor. Doch unser schönes Verhältnis war getrübt — die beständige Anwesenheit Mamas legte uns einen Zwang auf: wir fühlten uns beobachtet und die mißtrauischen Blicke einer Dritten wirkten wie ein eisiger Wasserstrahl.

Und warum das Alles? Die Zeiten ändern sich: die Liebe sinkt im Werte. Heutzutage gilt nur mehr das Geld. Er war eben „keine Partie“, mein Vincenz.

* *
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Der erste Ball! Freute ich mich darauf oder nicht, ich hätte es nicht zu sagen gewußt. Die Friseurin macht mir Complimente und der Spiegel auch. Das weiße Illusionkleid mit den Maiglöckchenguirlanden steht mir gut: ich kann mich sehen lassen.

Als ich aber den hellerleuchteten Ballsaal betrete, beschleicht mich solche Bangigkeit, daß ich am liebsten auf und davon möchte! Das Licht, die Edelsteine, das eigenartige Parfum, es hat eine betäubende Wirkung. Schöne Frauen, zarte Farben, berauschende Musik. Ich muß ans Feenmärchen denken, wo es plötzlich lebendig wird, wo im verwunschenen Garten die Blumen durcheinanderwandeln, singen und klingen.

[S. 139]

„Also doch Cousine, ich dachte schon, Du hättest es Dir überlegt und kämest nicht mehr. Nun, wie gefällt es Dir?“ — „ Oh pardon! “ — da er einer Dame auf die Schleppe getreten. Er blickte ihr nach: „Reizend.“

„Kennst Du sie, Robert?“

„Nur vom Hörensagen. Eine Ausländerin. Fabelhaft reich, soll Millionen haben, — aber kühl bis ans Herz. — Hier, erlaube, daß ich Dir meinen Kameraden, Grafen Scheuregg, vorstelle — entschuldige, ich muß fort, ich bin für den Walzer engagiert.“

Mama gesellte sich zu einer Schaar bekannter Damen, und Roberts Freund gab mir den Arm. „Haben Sie heuer schon viel mitgemacht? Nein? Schade. Hatten ein paar sehr fesche Tanzereien.... Sechsschritt oder gewöhnlichen Walzer?“

„Ich weiß nicht.“ Ich hatte tatsächlich nie einen Schritt getanzt und keine blasse Ahnung von diesem oder jenem. Ich hatte mich darauf verlassen, daß ich es schon treffen würde, aber auf eine bestimmte Frage war ich nicht gefaßt. Dabei kam ich mir so ungeschickt vor: die Klosterschüchternheit erfaßte mich: ich hielt den Blick beharrlich gesenkt, tanzte elend und wünschte mich weit, weit weg. Ich glitt meinem Partner fortwährend aus dem Arm, und er hatte alle Mühe, mich festzuhalten. Der Atem gieng mir aus; ich brachte kein Wort hervor, als er mir eine Frage stellte, und hatte doch nicht Mut genug, ihn zu bitten, mich auf meinen Platz zu führen. [S. 140] Die Leute traten mir auf die Füße, und mir wurde schwindlig. Ich rastete ein wenig. Es kamen noch Andere. Jeder tanzte gewissenhaft seine Pflichttour ab, jeder sagte mir dieselben abgedroschenen Dinge in den Pausen. Man führte mich ans Büffet, gab mir Blumen, murmelte „allerliebst“. Und doch fühlte ich mich steinunglücklich; der Boden brannte mir unter den Füßen. Ich flüchtete in einen verlassenen Winkel und von mitleidigen Palmen halb verdeckt, stellte ich meine Betrachtungen an.

Mama wirbelte am Arm eines schwarzen Offiziers vorbei, strahlend, entzückt. Und all’ die Andern bewegten sich so frei und unbefangen. Sie lächelten, machten so fröhliche Gesichter, daß man meinen mußte, sie unterhielten sich. Wirklich? — Daran also finden die Menschen Vergnügen? Nun denn, dann hatte ich eben mit der Menge nichts gemein. Nein, wahrlich, nach dem Lorbeer einer Ballkönigin dürstete mich nicht.

„Vincenz!“ Meine Gedanken flogen in das kleine Zimmer, das er mir beschrieben. Dort saß er am Schreibtisch, bis spät in die Nacht hinein in seine Bücher vertieft. Ab und zu wirft er wohl einen Blick auf mein Bild, auf die Braut, die niemals sein Weib wird. Er will es nicht: „Kranke Menschen handeln gewissenlos, wenn sie heiraten“. So werd’ ich verblühen, hinwelken, denn mein Gärtner pflückt mich nicht.

Die Kehle wird mir trocken, die Lider fallen mir [S. 141] schwer über die Augen; ich höre noch Roberts meckerndes Lachen, dann schlafe ich ein.

Ein leichter Schlag auf meine Schulter, und ich fahre aus meinen Träumen auf. Mama steht vor mir, glühend, noch erhitzt vom Tanz, und merkt nichts von meiner Verstimmung: „Es ist gut, daß Du Dich abkühlst; wir fahren bald.“ Als aber ein Offizier heranhüpft und mit unwiderstehlicher Miene bittet: „Nur noch eine Tour, Baronin“, läßt sie sich neuerdings entführen. Es folgte noch gar manche Tour. Der Morgen lugte bereits farblos durch die Bogenfenster, und das Orchester spielte träge — als „Baronin Mutter“ ausgetanzt hatte.

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Ein dünnes, schwarzes Büchlein. Ich habe es in Papas Lade gefunden und an mich genommen. Jetzt begreife ich so Manches! Du armer Toter! Du hast meine Mutter geliebt: Du, hast Dein warmes Herz an einen Marmorfelsen gebettet, bis es erstarrt. Immer mehr entfremdete Dich das schale, oberflächliche Wesen Deiner Frau, und dann kehrtest Du zu Emilie zurück: dann hast Du bei der Toten gesucht, was Dir die Lebende versagt.

Welch’ tiefes, reines Gemüt sich in seinen Gedichten offenbart. Einer strengen Censur hätten sie kaum Stand gehalten, aber ich fand sie unvergleichlich schön. Eine förmliche Chronik seiner Liebe. Das zagende, halb unbewußte [S. 142] Erwachen, die Unsicherheit, die Zweifel am eigenen Glück, das allmähliche Anwachsen der Flut, das wilde, rücksichtslose Aufschäumen. Das ganze „Ich“ gerät in Aufruhr, eine neue Welt ersteht den Zweien, die außer sich nichts sehen, eine Welt so zauberumflossen, so traumhaft schön, daß das Jauchzen auf den Lippen erstirbt und Tränen in den Augen schimmern: „Zu viel, zu viel“. — Da ein Krach, ein Getöse mitten in die wonnevolle Lenznacht, ein jähes Aufleuchten, plötzliche Finsternis — eine öde Wüste ohne Ende und im Sand ein Grabstein, darauf geschrieben steht: „Vorbei“.

„Emilie.“ Ich betrachte das Miniaturbild und kann mich nicht losreißen von dem bezaubernden Gesicht. So jung und morgenfrisch, so blendend schön — und fort zu müssen — mit ewig ungestilltem Sehnen. — —

Mama unterbrach meine Betrachtung: „Glaubst Du, daß Oberst von Bittau mir einen Antrag machen wird?“

„Ja, das weiß ich wirklich nicht. Denkst Du daran, zu heiraten, jetzt schon, so bald nach — — —“

„Immer diese übertriebenen Sentimentalitäten! — In meiner ersten Ehe hab’ ich nur Böses erfahren; ich möchte auch einmal das Leben von der angenehmen Seite kennen lernen. Oder soll ich vielleicht warten, bis ich alt bin und mich Keiner mehr nimmt? Ich finde das sehr sonderbar. — — — Der Oberst“, fuhr sie fort, „ist sehr vermögend, hat eine Stellung und ich — gefalle ihm.“ Letzteres mit gretchenhaft-verschämtem Blick. „Er sagte mir, [S. 143] daß ich einen selten kleinen Fuß habe und unergründliche Nixenaugen.“ In dieser Art gieng es fort. Wahrlich, ich gönnte ihr den Triumph, aber es irritierte mich über die Maßen, daß sie so wenig fond und Geist besaß, um so „naiv“ zu sein. Und Papas Bild blickte uns so traurig an, als wollt’ es sagen: „So bald vergessen? So bald schon? Ich dacht’ mir’s wohl.“

„Sie aber blieb unerbittlich. Sie baute Luftschlößer und malte sich ihre zukünftige Existenz bis in die kleinsten Details aus. Sie würde Equipage haben und zweimal wöchentlich empfangen — in weißen Glacéhandschuhen.“

„Aber das sind doch nur Nebensachen.“

„So, also mein Glück ist Nebensache?“ Sie gieng mit erregten Schritten im Zimmer auf und ab. „Wann endlich wird man mich in Ruhe lassen? Ich bin doch kein Kind mehr“ und sie pflanzte sich vor mir mit der Miene einer Prophetin auf: „Und ich werde doch heiraten.“

„Natürlich, wie Du willst. Ich gehe dann nach Steindorf.“

„Meinethalben. Übrigens wäre es klüger, Du bliebest bei uns. Wir würden ein großes Haus machen und trachten, daß Du einen Mann bekommst.“

Jetzt war es aber zu Ende mit meiner Geduld. „Gib’ Dir deshalb nur keine Mühe. Ich teile gar nicht Deine Ansicht, daß es das höchste Glück ist „einen Mann“ zu finden. Auf den Heiratsmarkt lasse ich mich nicht schleppen, da mußt Du schon allein gehen.“

[S. 144]

„Du abscheuliche Person! Das hat man davon, wenn man es gut mit Dir meint. Du wirst mich noch ins Grab bringen.“ Ein paar Staffagetränen, gerungene Hände, zugeschlagene Thüren, damit endeten in der Regel unsere unerquicklichen Diskussionen.

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Mama, im Banne ihrer fixen Idee, ließ uns mehr Freiheit. Wir lasen und plauderten miteinander wie in alten Zeiten und doch schwebte unheildrohend über unserem Glücke eine dunkle Wolke. Wenn sich unsere Hände berührten, zuckten wir zusammen und wenn er seine leuchtenden Augen in die meinen senkte, durchlief es mich heiß. — Unsere Liebe hatte jenen Grad erreicht, wo die Sehnsucht nach dem Besitz erwacht und wir wußten Beide, daß wir einander nie gehören durften.

Vincenz Leiden hatte sich verschlimmert und dazu kam, daß er sich aufrieb im Kampfe zwischen Pflicht und Leidenschaft. — Er suchte mich zu täuschen, konnte aber nicht verhindern, daß er oft jählings erbleichte und nach Atem rang.

Diese bösen Symptome machten mir große Angst. Ich beschwor ihn, seine Praxis aufzugeben, sich eine zeitlang zu schonen und in einem wärmeren Klima Heilung zu suchen. Lange sträubte er sich gegen diesen Plan — die Idee einer Trennung schien ihm unerträglich, aber schließlich gab er nach.

„Weißt Du noch Mimi, wie Du betetest um meine Gesundheit? Damals in der Kapelle. Ich war tief [S. 145] gerührt. Jetzt stehen die Dinge anders. Du warst eine gelehrige Schülerin: es werden Dir’s Wenige nachmachen. Und glaubst Du, verdiene ich einen Vorwurf, daß ich Dir Licht und Erkenntnis brachte?“

„Du nahmst mir einen Halt, Vincenz und anfänglich schien es mir grausam. Jetzt bin ich Dir dankbar, daß Du das Wahngespinnst zerrissen und mir die Wahrheit gezeigt hast.“

„Ja, es war nur der erste Schritt, der Dir schwer wurde. Aber dann muß es Dir wie eine Erleichterung geschienen haben. Früher, da führten sie Dich am Gängelband, da durftest Du nicht rechts und nicht links sehen. Immer gradaus hieß es marschieren, und keine von den Blumen pflücken, keine der Früchte brechen, die Dir so verführerisch entgegenwinkten. — Jetzt darfst Du Dich frei bewegen und beiseite schleudern, was sich Dir hemmend in den Weg stellt. — Jeder Grashalm, jeder Käfer erzählt Dir eine Geschichte und jedes neue Blatt im Buche der Natur enthüllt Dir große Wunderdinge. Früher Sklave, jetzt frei. — — Und um wie Vieles consequenter sind wir, als Jene, die nicht zwei übereinstimmende Erklärungen für ihre Thesen aufbringen können. Sie wissen, daß der Mensch an Gottes unerforschlichen Ratschlüssen nichts zu ändern vermag, und versuchen ihn durch Gebet und Gelübde. — Sie rufen den Barmherzigen an und preisen den Grausamen. Sie fürchten, zu hohen Genuß am Leben zu finden, sich durch irdische Gesinnung [S. 146] die Thore des Himmels zu verschließen: dabei beben sie vor dem Tod, obwohl gerade der sie ihrem Ziele näher bringt.“

„Ja, Du hast Recht.“

„Wir denken viel logischer. Es fällt uns nicht ein, Gnade von der „Natur“ zu erflehen, und wenn uns Böses trifft, dann ziehen wir sie auch nicht zur Verantwortung. Unsere Göttin ist viel zu erhaben, sie steht auf viel zu hohem Piedestal, um sich mit den kleinlichen Wünschen der Einzelnen zu befassen. Lächelnd oder zürnend, handelt sie nach ewigen Gesetzen, stets das Ganze im Auge behaltend. Sie schafft mit Feenhänden und zertrümmert mit Keulenschlägen, sie ist Gott und Dämon zugleich. „Lernt mich kennen, forschet“, ruft sie uns zu „und wir entdecken täglich neue Reize an der Uralten, Ewigjungen. — Wir wissen, daß wir nur ein positives Gut, die Gegenwart, besitzen, und darum verstehen wir zu genießen.“

„Es ist wahr. Jede neue Entdeckung auf diesem Gebiet erfüllt mich mit einer Freude, die ich früher nicht gekannt. — Es kommt mir vor wie Blitze, die ins Dunkel leuchten und ich bin Jenen tief dankbar, die unser Wissen bereichern. Es ist kein unsicheres Tasten mehr auf trügerischem Boden, sondern ein ruhiges, angstloses Gehen.“

„Nun, dann kann ich mit meinem Werk zufrieden sein.“

* *
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[S. 147]

Robert umschwärmte seit geraumer Zeit seine Ballbekanntschaft, die exotische Marquise. Alles an ihr war eigenartig — Name, Erscheinung und auch die verschiedenen Legenden, die sich um ihr kleines, puppenhaftes Figürchen rankten. Sie war Spanierin von Geburt, nach dem fernen Westen übersiedelt, und man faselte von ihren ungeheuren Schätzen — Plantagen sagten die Einen — Goldminen behaupteten die Andern und wichen nicht von ihren Fersen.

Früher hatten nur blonde, blauäugige Frauen für ihn existiert, jetzt galt nur mehr der südliche Typus. — — Er schien allerdings etwas piquiert über die Bereitwilligkeit, mit der ich meiner Nachfolgerin das Feld räumte, im Übrigen besaß er nun zu wenig Zeit, um darüber nachzudenken. Der Kopf schwirrte ihm von Hofbällen, diplomatischen Soiréen und von seiner ersten Audienz — einem inhaltschweren Ereignis im Leben eines Lieutenants. Das würden noch sicher seine Kindeskinder zu hören bekommen, etwas ausgeschmückt natürlich.

„Ich habe mit Vergnügen gesehen, daß Sie zu unseren eifrigsten Tänzern zählen.“

„Kaiserliche Hoheit“, versetzte er schneidig „es ist aber auch eine Passion, mit unseren Aristokratinnen zu walzen“, worauf die Hoheit scherzend mit dem Finger drohte: „Ja, solch’ junges Blut!“

Roberts pausenloses Geschnatter ermüdete mich stets. Das gieng in einer Leier fort wie eine Mühle, ohne [S. 148] Beistriche, ohne Punkte, immer im nämlichen Tonfall. Und wie kindisch er war! Glaubte er denn wirklich, daß Donna Trinidad die weite Reise über’s Meer gemacht, um gerade ihn zu erorbern? Es gab ja so viele Lieutenants in der Armee: da half weder das verschwenderisch pomadisierte Flachshaar, noch die funkelnden Lackstiefletten und das Goldbracelet. Damit wollte er nämlich ihre Eifersucht wecken.

Merkwürdig blieb nur die Tatsache, daß sich kein wirklich reicher Bewerber fand und sie die Anderen in Bausch und Bogen mit souveräner Geringschätzung behandelte.

Donna Trinidad war wie so manche exotische Größe, über die man keine bestimmten Anhaltspunkte besitzt, aufgetaucht wie ein Meteor, um alsbald zu verbleichen. Sie glänzte mit erborgtem Lichte und hatte Uneingeweihte zu blenden vermocht, darunter Robert. Eines schönen Tages war sie verschwunden auf Nimmerwiedersehen; der Hôtelier war um ein paar tausend Gulden ärmer und um eine Erfahrung reicher.

Der Vetter wetterte und tobte über die Blamage und bedachte sich einsichtsvoll mit dem Attribute „Wurze“, und die anderen Courmacher wußten auf einmal die ärgsten Schaudergeschichten über die „Talmi-Marquise“ zu erzählen.

„Ja, ein Pechvogel muß man sein“, resumierte der enttäuschte Robert sein Abenteuer, „unter einem Unglücksstern [S. 149] geboren, wie ich. Ich kann schon einmal unternehmen, was ich will, es wird mir immer mißlingen.“

Mama, die ihre Taktik ihm gegenüber geändert, suchte ihm Mut zuzusprechen. Sie hatte ihm großmütig verziehen, daß er ein „Steindorf“ war, denn sie bedurfte seiner, um Reclame im Regiment zu machen.

Es ist etwas Eigentümliches um den Ruf, den Einem die Leute machen. Zuerst sagt Einer so ganz obenhin etwas Lobendes, die Andern sprechen es ihm nach; Keiner zweifelt mehr daran, oder wenn er es tut, so schweigt er. Das Urteil wächst, verbreitet sich nach allen Richtungen, und eines schönen Tages ist es zur öffentlichen Meinung geworden: auf dieselbe Art wie das Klatschspiel, das Volkslied. Alle singen sie die nämliche Weise, die Menschen, und die Spatzen auf dem Dache.

Damit rechnete Mama. Wenn dem Oberst nur Gutes, Schönes über sie zu Ohren kam, mußte ihn das erweichen, zur Entscheidung bringen. Und Robert war leicht zu gewinnen: ein paar gute Diners, ein paar Schmeicheleien, und gar wenn man ihn mit einigen Gräfinnen bekannt machte, hatte man ihn auf seiner Seite.

Von ausländischen Marquisen wollte er nichts mehr wissen: es war doch weniger riskiert, sich an den einheimischen Adel zu halten.

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„Ja, ja die Intoleranz! Du wirst sie nirgends häufiger antreffen, als bei den unteren Schichten. Das [S. 150] Pharisäertum ist ein weitverbreitetes Übel. Es verursacht ein so angenehmes Prickeln, in unnahbarer Tugend die Schwächen Anderer zu verurteilen.“

„Aber da sollte doch der Pfarrer“ — —

Gewiß, als der Berufenste den Leuten ins Gewissen reden. Doch sieh’ Dich um, wer bekleidet in den Landgemeinden das Seelsorgeramt? Bauernsöhne, die sich durch das kurze Studium einen gewissen Schliff angeeignet haben, eine halbe Bildung. — Wie oft sind ihnen nicht einmal die schönsten Worte verständlich: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“ — „Und“, fuhr Vincenz mit Wärme fort, „hat doch gerade dieser einzige Satz den größten Reformator aller Zeiten unsterblich gemacht. „Liebe, Nachsicht und Vergeben“; wie viel ließe sich darüber sagen. Hast Du den Schwanberger näher gekannt?“

„Seid ich ungehindert mit den Steindorfer-Leuten verkehrte. Ich hörte zu seinen Lebzeiten auch nur Lobendes über ihn. Er war ein harmloser, arbeitsamer Mensch und hatte eine kindische Freude mit seinem Haus und seinem Gärtchen.“

„Und da kam die Krankheit? Und sie wollten keinen andern Arzt, als den gewohnten. Vielleicht hätt’ ich ihm helfen können. Ja, das Mißtrauen.“

„Also seit der Zeit war er wie ausgewechselt. Die Frau erzählte mir, daß er stumm vor sich hinstarre und zeitweise vor Schmerz brülle. Es sei nicht zum Anhören.“

[S. 151]

„Da ist’s doch nichts so Unbegreifliches, daß er sich erhenkte. — Die erste Regung, sollt’ man meinen, müßte die des Mitleids sein. Statt dessen, nicht einmal aufgebahrt.“

„Die Tante schreibt’s genau“ und wir suchten die betreffende Stelle des Briefes. „Was sie plötzlich Alles über ihn wußten. Er sei auch Keiner von den Saubersten gewesen, hätte oft die Elle zu teuer angerechnet u. s. w.“ Die Huberin konnte sich von ihrem frommen Entsetzen kaum erholen: Sie schlug ein Kreuz um das andere. „Na so a Sünd, i sags ja alleweil, wann der Mensch kein Glauben mehr hat, nachher verlaßt ’n unser Herrgott.“ Und der comble — hielte man solche Roheit für möglich? — der eigene Bruder versetzte dem Leichnam eine schallende Ohrfeige. „Da hast es für die Schand’, dies’t uns antan hast.“ Alle weichen der Witwe aus und Niemand will bei ihr kaufen. Ich hatte den Pfarrer ersucht, die Leute ein wenig zur Einsicht zu bringen, doch da kam ich schön an: „Das darf man ja nicht entschuldigen, sonst machen es die Andern nach.“

„Brillantes Argument, wirklich wahr“, bemerkte Vincenz spöttisch. „Am Ende hängt doch auch der Elendste am Leben und wenn er es von sich schleudert, muß er über alle Begriffe verzweifelt sein. — Da sollte sich dann kein Stückchen geweihte Erde — die armen Leute halten so viel darauf — finden, nicht ein paar erbarmungsvolle Hände, die den Hügel mit Blumen schmücken — ist das nicht unmenschlich?“

[S. 152]

„Und Christus hat doch gesagt: „Richtet nicht“ — mir scheint, Du hast Recht, Jedes macht sich seine eigene Religion zurecht.“

„Das ist eben die Heuchelei. Es gibt leider so erschreckend viel Morsches in der heutigen Zeit: sowohl Menschen als Ansichten. Alles angefressen, baufällig. — Wenn jetzt der Messias käme, mit der Geißel in der Hand, seinen Tempel zu reinigen — der fände viel zu tun.“

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Beharrlichkeit führt zum Ziel. Mama hatte sich mit dem Obersten verlobt. Jetzt, da sie alle Rechte auf meine Person aufgab, freute ich mich sogar im Geheimen darüber. — Unser Zusammenleben war mir eine wahre Qual geworden. Meine Nerven rebellierten schon, wenn ich sie im Nebenzimmer hörte. — Wir Beide paßten nun einmal nicht zu einander.

Sie gab sich mit großem Eifer den Vorbereitungen für die Hochzeit hin. Mir fielen schon die Augen vor Müdigkeit zu und sie erzählte mir noch immer von ihrem Bräutigam. „Er ist so rücksichtsvoll“, versicherte sie mir „und wenn er zu den Leuten von mir spricht, sagt er immer nur die „Gräfin“. Und am Ende, man bleibt ja auch das, als was man geboren ist.“

Ich fühlte mich zu schläfrig, um ihr zu erwidern, daß ich das höchst seltsam finde. — Es ist gewissermaßen [S. 153] herabsetzend für den Mann. Wenn Vincenz — — dann hätte ich mich gewiß nicht „Baronin“ titulieren lassen.

„Die Wohnung wollen wir uns sehr schön einrichten,“ berichtete sie weiter, „aber ich kann doch nicht nur annehmen und nicht selbst dazu beitragen. Findest Du nicht?“

„Das weiß ich nicht. Das mußt Du doch besser verstehen!“

„Besser verstehen! Hm, das ist leicht gesagt.“ Sie zupfte nervös an ihrem Taschentuch. — — „Ich habe gehofft, Du würdest mir mehr Entgegenkommen zeigen.“

„Wieso? — Ah, Du meinst, ich soll Dir meine Einrichtung überlassen. Das kann ich aber nicht. Es ist ja jedes einzelne Stück inventarisch aufgenommen.“

„Nun deshalb? Es kann ja heißen, Du habest die Sachen zu mir in Depôt gegeben. Doch besser, als die Motten zerfressen sie. Und wenn Du großjährig bist, kannst Du darüber nach Gutdünken verfügen, sie mir nehmen oder lassen. Es ist eigentlich sehr sonderbar von Papa gewesen.“ —

„Bitte, laß Papa aus dem Spiel. Nimm’ die Möbel. An so was hängt mein Herz nicht mehr. Ich schenk’ sie Dir.“

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Der Tag, an dem Vincenz nach Veldes reisen sollte, war gekommen. Wir saßen stumm nebeneinander, und schwül schwebte das Unausgesprochene zwischen uns. Er [S. 154] brach zuerst das Schweigen, und wir sagten uns jene Dinge, die sich Liebende stets zu sagen pflegen, wenn sie von einander Abschied nehmen.

„Versprich mir, schone Dich, lebe nur Deiner Gesundheit, Vincenz. Die Ärzte sagten doch, daß Du noch ganz geheilt werden kannst?“

„Die Ärzte“, erwiderte er sinnend, „ja, ja, die sagten es“.

„Warum dieser seltsame Ton. Bist Du nicht überzeugt davon?“

„Und wenn ich dann also ganz gesund zurückkomme — und Du gib nur auch recht Acht auf Dich.“

„Und schreib’ mir oft, aber nur, wenn es Dich nicht ermüdet.“

„Und Du mir auch. Als ob Du zu mir sprächest. Du weißt, mich interessiert Alles, was mit Dir im Zusammenhang steht.“

„Versprich’ mir, daß Du oft an mich denken wirst.“

„Mimi, ist das wirklich nötig? Glaubst Du denn, ich könnte anders.“ Er stand auf und trat ans Fenster. „Es ist schwül, findest Du nicht?“ Dann betrachtete er mich aus der Entfernung. „Wie Du wieder hübsch bist, Mimi.“ Und plötzlich kniete er vor mir, und den Kopf in meinem Schoß geborgen, stöhnte er auf wie in namenloser Qual. Feurige Küsse brannten auf meinen Armen, meinem Hals, und er stammelte trunkene Liebesworte. — So hatte er sich nie hinreißen lassen. Ich wehrte mich [S. 155] nicht — es war ja Sommer — und zum letztenmal. — Dann kam ihm die Besinnung wieder. Er sah mich an mit einem Blick, in dem sich Zärtlichkeit und Mitleid spiegelte, und flüsterte: „Verzeih“. Noch ein Kuß, ein Händedruck, und ich war allein.

Da machte sich mein tapfer verhaltener Schmerz Luft. Ich warf mich auf den Boden und küßte die Stelle, auf der sein Fuß gestanden. Ich preßte meine Lippen auf seinen Sessel, da wo sein Arm geruht, und heiße Tränen stürzten mir aus den Augen. „Du mein Geliebter, kehr’ mir wieder — ich kann nicht sein ohne Dich, ich kann nicht.“

Und die Zimmer wurden schon ausgeräumt; auch dieses kam bald daran. Hier, wo wir so viel trauliche Stunden verbracht, wo unsere Geister, unsere Herzen eines waren, wo wir uns so nahe gewesen. — — Alles aus — — Alles verloren, bis auf die Erinnerung.

Mein Herz hieng doch an diesen Dingen!

* *
*

Mamas Hochzeit hatte stattgefunden, und Tante Laura zog mit mir ins Hôtel, da ich noch vor meiner endgiltigen Übersiedlung nach Steindorf Einiges in Wien zu tun hatte.

Die ganze Zeit über konnte ich ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit nicht loswerden. Es zog mich mit Übermacht zu Vincenz: dort wäre ja mein Platz [S. 156] gewesen — aber nur so etwas nicht! Die Satzungen der Gesellschaft hätten mich verdammt — es gibt eben Schranken, die man nicht überschreiten darf.

Dumpfe Bitterkeit erfüllte mich: zum erstenmale empfand ich Haß gegen meinen Stand. Wie beneidete ich die Armen an Geist, die Einfältigen, die als einzige Richtschnur ihres Handelns das Gefühl kennen. Ja das erste beste Bauernmädchen durfte tun, was mir versagt blieb. Zum Geliebten eilen, ihn pflegen, während so — — „o die verwünschte Krone“, — ich fuhr mir mit den Händen ins Haar, als ruhe dort das Ungetüm, als könnt’ ich es mit festem Griff erfassen, zur Erde schleudern und mit Füßen treten.

In wahrem Fieber erwartete ich die tägliche Post und wenn ein Brief kam, hielt ich ihn doch zagend und uneröffnet in der Hand. Ich befühlte, besah ihn nach allen Richtungen und las, wenn der Umschlag entfernt, vorerst nur einige Worte. Dann schloß ich mich in meinem Zimmer ein, vertiefte mich in die geliebten Schreiben, las und las immer wieder, bis ich sie auswendig konnte. Es waren stille süße Träumereien, an die wir Beide nicht glaubten und die uns doch so wohl taten, so unendlich wohl.

„Ist’s nicht töricht“, schrieb er unter Anderm, „an Dinge sich zu klammern, auf die man kein Recht hat. Ein junges frisches Reis darf sich nimmer an einen kranken Baum lehnen. Du bist der Frühling, die Jugend und [S. 157] Gesundheit — ich begnüge mich damit, wenn ein Strahl aus Deinem Wesen das meine verklärt. — — Es scheint mir gerade das die Weihe unseres Verhältnisses — es wird ewig Knospe bleiben, rein und unbefleckt.

Und doch, wenn’s anders wäre, anders sein dürfte! In stillen Dämmerstunden, wenn der Tag Abschied nimmt von der Erde, da mal’ ich helle Bilder. Du weißt, ich lieb’ das Licht. Mein Ideal — etwas hausbacken und altmodisch zwar, aber so lieblich, so ewigwährend. Ich bin Deine Stütze, Du mein guter Geist und meine gute Stunde. Die Tage gehen dahin so wolkenlos, so friedlich — und doch so reich.

Doch plötzlich rückt dies sonnige Bild in weite, weite Ferne. Nein, die Rose darf nur blühen, uns entzücken durch Duft und Farbe. Aber Früchte tragen, Brennholz liefern für den häuslichen Herd! Es wär’ ein unsinniges Verlangen. — — Das Unerreichbare! Mein Mädchen, wir werden uns nie gehören.“

Was das aber heißt, sich lieben und — entsagen, das vermögen nur Solche zu begreifen, die es selbst durchgemacht. — Es ist ein langsamer, aber sicherer Tod — ein Absterben bei lebendigem Leibe. — Tante Laura wußte davon zu erzählen und sie verstand mich. „Siehst Du, ich hätte Dir so gern das Leid erspart: aber es gibt Kräfte, die stärker, zwingender sind, als guter Wille. — Du siehst sehr angegriffen aus und da Dein Doktor nicht da ist, um seinen Rat zu erteilen, muß ich wohl seine [S. 158] Stelle vertreten.“ Sie sagte es mit ihrem sanften müden Lächeln. „Ich verordne Dir eine Praterfahrt. Komm’, der Wagen wartet schon.“

Ich tat wie sie mich hieß: die frische Luft und das heitere Treiben der Menge taten mir gut. Für Momente entriß es mich den quälenden Vorstellungen.

„Also in einer Woche fahren wir nach Steindorf?“

„Ja und bis dahin mußt Du wieder rote Wangen haben und lustig sein, denn sonst — Du weißt schon — da werden allerlei Bemerkungen gemacht und es heißt am Ende, ich hätte Dich vernachlässigt.“

„Aber Tante. — Es ist doch eine Wohltat, daß ich mit Dir sein kann, gerade jetzt. — Wenn ich denke, wie es früher war, mit Mama. Nein. Überhaupt die vergangene Zeit. — Die schönen roten Nelken. — Die muß ich kaufen.“ Ich stieg aus und nahm der Blumenfrau ab, was meine Hände fassen konnten. „Ein Duft zaubert mir bisweilen Momentbilder vor — — es hat doch auch schon schöne Stunden gegeben in meinem Leben: es wäre undankbar gegen das Schicksal, wollt’ ich es vergessen.“

Die frohe Stimmung verflog sofort, als wir das Hôtel betraten. Der Portier überreichte uns eine Depesche. „Bitte umgehend kommen. Habe Sehnsucht zu sehen: Zustand nicht unbedenklich.“

„So?“ Ich frug es in erstauntem Tone, als erführe ich da etwas, was mir im Grunde gleichgültig war. „Das heißt also „Gefahr“?“

[S. 159]

„Wann geht der nächste Zug?“ frug die Tante. „In anderthalb Stunden.“ „Bitte ordnen Sie an, daß der Wagen bereit ist.“

Mir war, als hätte man mir einen Hieb auf den Kopf gegeben. Ich wankte die Treppe hinauf, in mein Zimmer, setzte mich, und der Kopf fiel mir schwer auf die Tischplatte. So verharrte ich minutenlang. Die Tante sprach kein Wort. Sie mochte fühlen, daß Trostesworte hier nichts fruchten würden.

Dann trat ich ans Fenster und betrachtete mechanisch das lebensvolle, lichtdurchflutete Straßenbild. Ich hörte auf das gedämpfte Murmeln und bemerkte die nebensächlichsten Dinge. Ein Dienstmann rannte an die Ecke an und ließ sein Packet fallen. Ob wohl etwas Gebrechliches darin war und was nun geschehen würde? Zwei Bekannte begrüßten sich. Was sie wohl zu einander sagten?

„Tante!“

„Was denn Mimi?“

„Glaubst Du nicht, daß er doch noch gesund werden kann?“

„Die Hoffnung darf man nie verlieren, Mimi.“

„Aber, er wird doch nicht — nicht“ — nein das Wort wollte mir nicht über die Lippen. „Oder wenn wir zu spät, — ach Gott, ach Gott, wozu, wozu das Alles?“ Der Gedanke an diese Möglichkeit machte mich halb verrückt.

[S. 160]

Fort sauste der Zug durch die schweigende, laue Nacht. Vorbei gieng es an alten grauen Bergriesen, deren Häupter gespenstig zum Himmel ragten. Und ich gedachte der Fahrten nach Steindorf und zurück ins Kloster, der letzten, namentlich mit Papa. Die Tränen, der närrische Kinderschmerz — o wie gern hätt’ ich das Alles nochmals durchgemacht: wie schien es mir beneidenswert gegen diese Fahrt. Was wußt’ ich damals vom Leid und Ernst des Lebens: was waren alle meine kleinen Sorgen im Vergleich zu dem, was ich jetzt empfand.

Das Bewußtsein, daß er litt, er der Beste, Edelste war mir unerträglich. Lieber, tausendmal lieber wollte ich krank sein. — — Ich bemühte mich etwas zu finden, das ihn mir weniger liebenswert erscheinen ließe. Umsonst. Nie, nie hatte er mir auch nur ein einziges unfreundliches Wort gesagt, mich niemals wissentlich gekränkt. Ich war fest überzeugt, daß er überhaupt nicht fähig war, irgend Jemand weh zu tun. Und er, der Gute, er. — —

„Tante.“ Ich rüttelte sie aus dem Schlaf. „Er darf nicht sterben, er darf nicht.“

Sie trachtete mich zu beruhigen und das Rollen der Räder, dieser gleichmäßige Lärm lullte mich in einen bleiernen Schlaf, aus dem ich erst erwachte, als greller Sonnenschein durch die Coupéfenster drang.

Ich wußte mich nicht gleich zu orientieren. Was war geschehen und wohin wollte ich? Ach ja, ich entsann [S. 161] mich. Von neuem trat mir die ganze unerbittterliche Tragik meines Geschicks vor Augen und ich wünschte, ich wäre nie erwacht.

Auf dem Perron eilten die Leute durcheinander, meist elegante Damen, die eine Vergnügungsreise machten. Sie lachten so lustig — wie konnte man nur lachen?

Heiterer Himmel, jubelnde Vögel, fröhliche Menschen, das Alles vermocht’ ich nicht zu fassen. Es lag ja ein schwarzes Tuch über die Erde gebreitet — und über ein frisches Grab. — Darin ruhten die Wünsche, die armen Träume meiner 18 Jahre.

* *
*

Über das, was folgte, besitze ich keine Aufzeichnungen. Ich hätte meine Feder ins Herzblut tauchen müssen, denn es gibt Empfindungen, die sich nicht in Worte fassen lassen, Dinge die wiederzugeben, keine Sprache der Welt fähig ist. Ein unbeschriebenes Blatt sagt oft mehr, als wäre es bis an den Rand mit Buchstaben angefüllt.

Heute wo ich überwunden, will ich das Versäumte nachholen.

„Du mein ärmstes Mädchen, ich mach’ Dir solchen Kummer!“ Mit diesen Worten begrüßte er mich. Sie hatten seinen Stuhl nahe ans Fenster gerückt, an das dunkle Schlingrosen die vollen, duftschweren Häupter lehnten. Ein sanftes Lüftchen kam vom See herauf und trieb sein Spiel mit meinem Haar.

„Weißt Du noch Mimi, wie ich Dir die Verse [S. 162] Victor Hugos zum erstenmale sagte? Willst Du sie nochmals hören?“

„Ja, Vincenz.“

Les rayons du soleil vous baisent trop souvent,
Vos cheveux souffrent trop les caresses du vent “ —

„Ja, ich war eifersüchtig damals, ich wollte nichts hergeben von dem — — das — — und jetzt muß ich es doch lassen.“

„Vincenz sprich nicht so. Du wirst ja bald ganz gesund sein.“ Er las den Zweifel in meiner Seele. „Nein, geben wir uns keiner Täuschung hin — seien wir wahr, wahr bis zum Schluß.“

Da legte es sich mir wie ein eiserner Reif um die Brust, immer enger, immer fester, bald eisig kalt, bald glühend heiß. Ihn so reden zu hören! Und er fuhr fort:

„Wir haben uns geliebt wie Wenige, und wenn ich jetzt fort muß, so nehme ich nur schöne Erinnerungen mit. Vielleicht ist’s besser so. Ein warmer Sommertag — ein voller Akkord, ohne falsche Note ohne Dissonanz. Sieh’, wie die Sonne untergeht!“ Es war ein großartiges Schauspiel, und in dieser Minute wirkte es überwältigend auf mich.

Im fernen Westen taucht die Tagesherrin ihr glühendes Antlitz in die kühle Flut, und der Horizont färbt sich im weiten Umkreis purpurn. Goldige Strahlen breiten sich netzartig über die Wasserfläche, bald ruhig gleitend, bald dahin tanzend wie tausend und abertausend Kobolde. [S. 163] Die den See umrahmenden Felsblöcke scheinen mit einemmal belebt; rötliche und lila Reflexe huschen dahin: es ist, als ob sich ein Regen von Veilchen und Flieder über die starre graue Masse ergösse: jeder Stein, jedes Sandkörnchen scheint in diesen warmen Farbentönen gebadet, und die fernen, schneeigen Gipfel haben den zarten Schimmer des Amethyst.

Kein Mißton, kein schrilles Geräusch. — Eine Weihe liegt auf all’ dem — — — wie eine Ahnung der Unendlichkeit.

Unsere Blicke tauchten ineinander und Vincenz legte mir seine Hand aufs Haar. „Es ist nichts Schreckliches ums Sterben — es ist nur — so traurig — besonders für die Zurückbleibenden. — — Ich habe den großen Trost, daß ich meine Pflicht erfüllte, indem ich Dich der Wahrheit gewann. Kopf hoch, mein Mädchen; immer mutig vorwärts, unentwegt nach dem Rechten gestrebt.

Du bist noch sehr jung, und die Versuchung kann unter mancherlei Gestalt an Dich herantreten. Sei nicht zu vertrauensselig — nicht Alle wissen solches Entgegenkommen zu schätzen. Wenn Du eines Rates bedarfst, so wende Dich an Tante Laura. Da bist Du in guten Händen.“

So ermahnte er mich, die Verzweifelte, die schluchzend vor ihm kniete.

„Mach’ mir’s nicht zu schwer“, und dabei schimmerte es feucht in seinen Augen. „Mimi — und nun — laß [S. 164] uns Abschied nehmen. Du warst mein Sonnenstrahl — mein Alles.“ Ich wollte ihn umfangen — doch ein Krampf durchfuhr ihn und verzerrte seine Züge. Er rang mühsam nach Atem — dann sahen mich die braunen Augen nochmals an — zum letztenmale, voll unendlicher Liebe. „Hab’ Dank“ hauchte er matt. Er saß ruhig da — und doch fühlte ich, daß er mir genommen war.

Silberner Mondenschein. Flüstern der Wellen, berückender Rosenduft. Im nahen Busch klagt die Nachtigall.

„Wie ein welkes Blatt vom Baume fällt,
Geht ein Leben aus der Welt.
Die Vögel singen weiter.“

Ich eilte in den Garten, pflückte ganze Garben roter Nelken und als meine Hände die Menge nicht mehr zu fassen vermochten, tat ich sie in mein Kleid: ich pflückte sie alle, die ich fand, und streute sie ihm zu Füßen, daß es sich vor ihm auftürmte, wie ein glühendroter Berg.

Dann stand ich am Seeufer. Der war so blau und tief. Wer das Vergessen suchte! — — Mir war, als riefen mich geheime Stimmen. — „Ja, Ihr sollt nicht vergeblich rufen — ich komme.“ Schon hob ich die Arme, schon stand ich im Begriff, den tötlichen Sprung zu tun [S. 165] — da hielt mich eine Stimme, eine menschliche Stimme zurück. „Denk’ an ihn — keine Feigheit — sei ein ganzer, starker Mensch.“

Tante Laura hüllte mich in ihren Shawl und ich ließ mich willenlos ins Haus führen.

„Sag’ mir Tante, klingt es nicht wie Hohn — oder ist es eine Fabel? „Sommer, Jugend — Glück!““

* *
*

[S. 166]

Dritter Abschnitt.

Mein erster wilder Schmerz war einer stillen Wehmut gewichen. Kein Grauen, keine Furcht, wie damals bei Papa’s Tode mengte sich in das Andenken des geliebten Verlorenen. Ich hatte seine Möbel in mein Zimmer bringen lassen und vertiefte mich oft stundenlang in den Anblick der Dinge, die ihn einstmals umgaben.

Ich konnte mich noch immer nicht entschließen, meine früheren Beschäftigungen aufzunehmen: es kam mir Alles so reizlos, so überflüssig vor. Wozu denn auch? Für wen?

Da, eines Tages erwachte ich aus meiner Apathie. Die Tante sang — zum erstenmale wieder seit langer Zeit. Sie besaß keine besonders starke, aber eine gutgeschulte, ungemein sympatische Stimme. Voll und ernst schwebten die Töne durch den einsamen Raum — es war das vielgeschmähte und doch so schöne „Behüt’ Dich Gott.“ Ich fühlte, daß sie ihre Seele hineinlegte in das Lied, denn es klang daraus wie klagender Verzicht, ergebungsvolle Trauer. Und meine Gleichgültigkeit schwand, um einem, [S. 167] noch undeutlichem Verlangen Platz zu machen, zu arbeiten, zu leisten.

Als sie geendet, saß sie eine Weile gedankenversunken vor dem Instrument. Es lag eine Weihe in diesem Schweigen. Dann sagte sie wie für sich: „Die Musik, wie Vieles dank’ ich ihr! Sie weckt das Schöne, Edle in uns, sie tröstet, verleiht uns Tatkraft, — vermehrt unsere Zuversicht — sie,“

„Nicht wahr Tante, gerade in diesem Moment hab’ ich Ähnliches empfunden. — Tatkraft — ich glaube, das ist es. Ich möchte auch anfangen, wie soll ich nur sagen, etwas unternehmen,“

„Ich verstehe, was Du meinst. Komm’, gehen wir in den Garten; dort spricht sich’s besser.“

„Gehen wir“, und ich schob meinen Arm in den ihren.

„Weißt Du Mimi“, begann sie nun, „daß ich diesen Augenblick mit einer gewissen Ungeduld erwartet habe? — — Ich sah, wie Du Dich in aufreibenden Träumereien ergiengst, und fand es doch grausam, Dich gewaltsam wachzurütteln. Aber jetzt, da Du den Anfang machst, wollen wir uns ruhig besprechen. Mir war ja einmal gerade so zu Mut wie Dir, — vielleicht noch schlimmer. Auch ich klagte innerlich über die Nutzlosigkeit des Daseins, bis ich begriff, daß es keinen schöneren Zweck gibt, als immerfort zu handeln in den Intentionen eines geliebten Toten. — „Ein ganzer Mensch, der geradaus geht, immer [S. 168] dem Rechten nach, ohne nach rechts und links zu sehen,“ das war ja sein Vermächtnis. — Was hindert Dich, die Erbschaft anzutreten?“

„Tante, ich danke Dir.“ Dem was nur vague und verschwommen mein Inneres erfüllt, hatte sie Ausdruck verliehen, und wie mit einem Zauberschlag den Bann gebrochen. Und die Beiden, die nun schon lang geschwiegen, Willenskraft und Pflichtgefühl, erwachten in erneuter Stärke. „Du mußt mir helfen, Tante. Ich will trachten, Dir’s nicht schwer zu machen.“

Wir waren in eine Seitenallee eingebogen, und machten dort Halt, wo von blühendem Buschwerk halb verdeckt, ein weißes Marmordenkmal stand. Hier ruhte die Urne mit seiner Asche. Leise drang das Schluchzen der Nachtigall zu uns herüber, und die Nelken, die roten Nelken, die den kalten Stein umgaben, glühten in stillem Feuer.

Ich blickte auf zum blauen Himmel — dort funkelte es goldig. Und diese Myriaden Welten ziehen ruhig und unbekümmert ihrer Wege. Heute strahlen sie im hellsten Licht, und morgen schon vielleicht sind sie zersplittert, zertrümmert in Atome.

Leuchtend taucht der Mond hinter den Buchenwänden auf und wirft seinen magischen Schimmer auf die weißen Steinfiguren in den Nischen. Ein weiches Lüftchen umweht uns, und um die duftenden Betunienbeete schwirren lüsterne Nachtfalter, summend, surrend.

[S. 169]

Mir ward mit einemmal so wohl und leicht um’s Herz, als gäb’ es keine Trennung.

„Versprich ihm Mimi, daß Du Deinen Vorsatz halten willst. Schließ ab mit dem Alten: mach’ einen Strich darunter, wie nach einem fertigen Capitel. Dann soll morgen ein neuer, und wir wollen hoffen, schöner Abschnitt Deines Lebens beginnen.“

* *
*

„Zur Einleitung muß ich Dir eine traurige Geschichte erzählen, die Du genau noch nicht kennst“, begann die Tante tagsdarauf. „Ich war ein Mädchen, nicht besser und nicht schlechter, als die einmal geltende Schablone es von gewissen Gesellschaftsklassen erfordert. Ich lebte in den Tag hinein, sprach mein Morgen- und Abendgebet, gieng Sonntags in die Kirche und fügte mich in Allem und Jedem den Beschlüssen meiner Eltern, wie es die gute Sitte erfordert.

Ich war 23 Jahre alt. Da lernte ich ihn kennen — in einer größeren Gesellschaft. Wir sprachen nur wenige Worte und doch war es mir, als ob wir zu einander gehörten, Eines wären schon seit Langem.

Im ersten Rausche überlegte ich nicht lange. Wenn die Meinen sahen, wie sehr wir uns liebten, würden sie ihre Einwilligung geben und sich darüber hinwegsetzen, daß er ein Jude war.

Wir trafen uns von nun an häufig. Dann kam er und hielt um mich an.

[S. 170]

Mir wurde es zu eng im Zimmer; ich eilte in den Garten, um dort das Ende der Unterredung abzuwarten. Es dauerte nicht lange. Er kam über die Terrasse, leichenblaß, und wollte an mir vorbei. Ich rief ihn an; er fuhr zusammen:

„Du hier? — — Nun denn, leb’ wohl. Wir dürfen einander nicht gehören; es ist soeben im Familienrat beschlossen worden.“ Dabei zuckte es schmerzlich um seine Mundwinkel.

„Du sprichst doch nicht im Ernst?“

„Es wäre wohl ein schlechter Scherz. Du kannst Dich ja selbst überzeugen. Sie sitzen Alle beisammen im Ahnensaal, die Großeltern und Dein Bruder. Es paßt ihnen nicht — ich bin ein frecher Eindringling — wir sollen nicht glücklich werden.“

Ich hatte seinen Arm gefaßt. „Ja, es heißt Abschied nehmen, Laura — vergessen“, setzte er mit bebender Stimme hinzu. „Gib mir — doch nein — nicht einmal die Hand — Du würdest Dich besudeln.“ Und alle Selbstbeherrschung beiseite lassend, barg er das Gesicht in die Hände und stöhnte laut auf.

Ich küßte ihn und versprach, niemals von ihm zu lassen.

„Armes Kind, Du versprichst mehr, als Du halten kannst. Es gibt Gesetze, die stärker sind als Liebe. Bisweilen ist es Ehre, in den meisten Fällen aber Vorurteil. Leb’ wohl, vergiß mich.“

[S. 171]

„Du verlangst Unmögliches. Schreiben wir uns.“

„Wozu diesen qualvollen Zustand verlängern?“

Doch ich wußte ihn schließlich zu überreden, und durch Vermittelung meiner Freundin entstand ein reger Briefwechsel.

Es wußte Niemand um die Dauer des Verhältnisses, und eines Tages teilte mir Mama mit, Graf X. habe um mich angehalten. Ich war wie aus den Wolken gefallen, denn ich hatte ihm auch nicht die geringste Beachtung geschenkt und nicht im Entferntesten daran gedacht, daß er sich mit dieser Absicht trage. Zuerst lehnte ich entschieden ab, aber man schürte und arbeitete so lange, bis ich schon der Ruhe halber einwilligte.

Sie nannten mich „vernünftig“, weil ich eingesehen, daß eine Steindorf keine mesalliance machen dürfe.

Willenlos und betäubt, ließ ich den Dingen ihren Lauf. Ich war so ungewohnt, mit Hindernissen zu kämpfen, zudem hatten mich die Aufregungen der letzten Zeit völlig fühllos gemacht. Ich schrieb Hans einen logischen und ziemlich kühlen Brief; doch kaum hatte ich ihn abgesandt, bereute ich meine Handlungsweise und depeschierte ihm: „Brief ungültig; erwarte Sie Morgen Früh“. Nein, zu heucheln verstand ich doch nicht.

Er kam. Wir zogen uns in einen stillen Winkel des Gartens zurück, wir schmiedeten neue Pläne, und er, selig, mich wiederzuhaben, umschlang und küßte mich.

Da plötzlich steht Graf X. vor uns. Er kannte [S. 172] Hans, ohne indessen von unseren Beziehungen zu wissen. Meines Ermessens nach hatte ich dem Grafen erst als angetraute Frau die Treue zu bewahren und gegebenen Falles Rechenschaft abzulegen.

Eine Sekunde starrte er uns sprachlos an. „Da gehen ja schöne Dinge vor sich. Sie werden mir Satisfaktion geben.“

„Ich sehe mich nicht dazu veranlaßt.“

„Schurke — — Feiger Judenhund.“

Um Gotteswillen! — Das war zu viel. Ich traute meinen Ohren nicht.

„Morgen sende ich meine Sekundanten“, versetzte Hans anscheinend gleichmütig. Weiter nichts. Ich fühlte selbst, daß er, um nicht falschen Schein auf sich zu laden, diesen Schimpf nicht annehmen dürfe — — und doch — — die Furcht vor etwaigem bösen Ausgange ließ mir alles Andere gering erscheinen. „Ehre“. Ein Phantom. Und ich sank vor ihm auf die Knie: „Nein, Hans, schlag’ Dich nicht.“

„Sei nicht kindisch, Laura. Du mußt es doch einsehen: ich kann nicht mehr zurück.“

Und er hatte Recht, so dachte ich damals und war stolz aus ihn. Seit undenklichen Zeiten waren Ehrenhändel unter Männern nur mit der Waffe in der Hand ausgetragen worden. „Aber“ — und mein Herz erbebte bei dieser Vorstellung — „wenn ich Dich verliere, Hans?“

„Dann muß Dich das Bewußtsein aufrecht erhalten, [S. 173] daß ich meine „Ehre“ verteidigte — — obwohl ich nur ein Jude bin. O, es geht so verrückt, so ungerecht zu auf der Welt. Du armes süßes Kind, ich wollt’, ich könnte Dir weniger Leid bereiten.“

„Die Nacht, die folgte, dieses beständige Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung — — wozu so Schreckliches heraufbeschwören? — — Es bleibt besser begraben. — — Nun und das Weitere — — das weißt Du ja. — — Wie schwer sich Manches vergißt — und es sind doch viele Jahre her!“ —

Wir schwiegen eine Weile, denn auch meiner hatte sich eine tiefe Bewegung bemächtigt, und es dämmerte mir ein Ahnen auf, wie es kam, daß Tante Laura groß und stark aus diesem Kampf hervorgegangen. Sie war ein Charakter, wie man selten einen findet, voll Güte und unerbittlicher Gerechtigkeit zugleich. Es flammte heiß in ihren dunklen Augen auf. Wie mußte sie geliebt haben, und wie mußte sie hassen können.

„Ja damals“, fuhr sie fort, „hätt’ ich den Mörder kalten Blutes erwürgen können, und namenlose Verachtung für all’ das, was mir bis jetzt den Inbegriff des Rechten, Selbstverständlichen gebildet, erfüllte mich. Vor sie, die mich um mein Glück betrogen, vor sie Alle hintreten und ihnen zurufen: „Ihr erbärmlichen Philisterseelen, die Ihr keine Ahnung habt, was wahre Größe, wirklicher Adel ist, schämt Euch, errötet“.

„Mein ganzes Wesen war in Aufruhr, das Blut [S. 174] schäumte mir in den Adern, und der einzige Wunsch nach Rache und Vergeltung erfüllte mich.

„Es war der erste Impuls und die Reaktion folgte alsbald. An Stelle der leidenschaftlich-wilden Gefühle, trat eine fast unheimliche Ruhe. Ein Schleier riß mitten entzwei, vor meinem geistigen Auge und ich sah zum erstenmale klar in meinem Leben. — — Keine Träumereien mehr, nein, sehr bestimmte Ideen, die sich durch weiteres Ausspinnen und Lesen immer mehr befestigten.

„Und je lichter es in mir wurde, in dem Maße, als ich begriff, wuchsen mein Mitleid, meine Nachsicht mit dieser närrischen Welt; mit diesen armen, verblendeten Menschen.“

Sie hielt inne, dann fuhr sie fort: „Es hatte dieses Impulses — der traurigen Anregung von außer her — bedurft, um mich aus meiner wohlerzogenen Verschlafenheit zu rütteln. So wurde ich das, was ich bis dahin nicht gewesen: „ein freier Mensch.“ Der Schmerz ist so recht eigentlich das Samenkorn, aus dem sich die Individualität entwickelt. Großes leisten fast nur immer Jene, die in physischer Beziehung viel durchgemacht — die Anderen zählen zu den seltenen Ausnahmen. Und es ist ja am Ende auch begreiflich. Wenn man zu den Schoßkindern des Glückes zählt, nach dem Ersehnten die Hand bloß auszustrecken braucht, wozu sich mühen und ereifern? — — Und so, in dem Netze kleinlicher Alltagsinteressen verstrickt, erlahmt der Sinn für eine weite [S. 175] Weltanschauung, und man schreckt ängstlich zurück vor Allem, was Einem aus dem Geleise bringen, die Augen öffnen könnte, man wird Egoist.

Speciell in unseren Kreisen gilt eine gewisse Nonchalance und Sorglosigkeit für „ bon ton .“ Sich streng an die Traditionen halten, wenig wissen, — und nur ja nicht denken. Das wäre nämlich zu gefährlich. Seit Generationen hielt man es so — das beweisen die heutigen Durchschnittstypen zur Genüge. Sieh’ Dir nur einmal so einen jungen Majoratsherrn an. Blasiert, verlebt mit 20 Jahren, kennt er keinen anderen Zeitvertreib als Trinken und Spielen. Über die Frauen besitzt er — falls er überhaupt jemals welche besessen, — keine Illusionen mehr. — — — Und nur ja keine vernünftige Beschäftigung — davor schreckt er zurück, als wär’ es eine Schande, und wenn er des ewigen Einerlei satt ist, sucht er das träge Blut künstlich zu erhitzen. Er wettet, beginnt Händel, macht Schulden, die der Papa bis zu einer gewissen Grenze geduldig bezahlt, und dann — nun dann sucht er eben eine „Partie“ um sich zu rangieren, „den Namen nicht in Mißkredit zu bringen“, kurz er verkauft sich.

So die Männer. Wir sind um kein Haar besser daran. Der englischen Gouvernante entwachsen, die Alles „ shocking “ findet, was ihr nicht behagt, verheiratet man uns, wenn wir ein gewisses Alter erreicht haben. Die Liebe spielt nur selten eine Rolle dabei: sie ist nur Surrogat, und Hauptsache bleiben doch immer die geordneten [S. 176] Verhältnisse. — — Was sind die Folgen? Allmähliche décadence , Menschen ohne Mark und Kern, die keine andere Bestimmung kennen, als „Gigerl“ oder „Modepuppe.“ Ein Sumpf von ungeahnter Tiefe, in dem wir rettungslos verkommen, wenn wir die Gefahr nicht beizeiten erkennen und uns gewaltsam herausreißen. — Auch ich fand erst in letzter Stunde den Mut dazu. Uns Frauen nimmt man eine Auflehnung gegen das Althergebrachte ganz besonders übel. Es ist ein hartes Stück Arbeit für ein Mädchen, einen gewissen Grad von Selbstständigkeit zu erlangen. Es gehört ein unbeugsamer Wille, eine eiserne Ausdauer und auch ein bischen Philosofie dazu. Wie Manche kehrt schon auf halbem Wege um, da man sie einen „Blaustrumpf“ genannt, oder liebevolle Zweifel an ihrer Vernunft ausgesprochen.

„Was mich anbelangt, so wurde mir’s recht schwer gemacht, aber schließlich brachte ich es doch dahin, daß man meinen Standpunkt respektierte. Der Kampf war die Errungenschaft schon wert. Und ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich meine Freiheit nicht mißbrauchte. Die Pflichten, die sie mir auferlegte, hab’ ich keinen Augenblick vergessen. Darum hab’ ich mich auch in die Reihen Jener gestellt, die der Menschheit den Anbruch eines neuen, schönen Tages verkünden. Sie wachrütteln, ihnen die Binde von den Augen reißen, sie unterscheiden lehren, zur Begeisterung entflammen!“

„Ja, Du müßtest ein guter Apostel sein, Tante.“ [S. 177] Wie sie hoch aufgerichtet vor mir stand, mit leuchtenden Augen, durchglüht von edlem Eifer, war sie fast hübsch. Es lag Leben und Ausdruck in diesem Gesicht: keine Spur von dem kalten Gleichmut der Madonna. Doppelt rührend klang es, als sie fast leise sagte: „Ich möchte ja nur, daß Alle, Alle glücklich werden.“

„Das wäre wohl schön — aber ich denke es mir schwer, furchtbar schwer. Wo soll man denn beginnen?“

„Auf fester Grundlage natürlich. Man muß das Übel mit den Wurzeln ausrotten — die Wurzel aber ist: das Vorurteil.“

* *
*

Es gab kaum eine Frage von universeller Bedeutung, die wir in unseren Plauderstunden nicht erörterten. Es war mir ein wahrer Genuß, der Tante zuzuhören, wie sie in kühnen, sicheren Umrissen ein Bild der herrschenden Zustände entwarf, den Kern bloslegte und dann immer weitere Kreise darum zog. Nichts entgieng der Schärfe ihres Blickes und niemals verlor sie sich in Nebensächlichem. Ich lernte immer etwas Neues und mit jedem Tage steigerte sich mein Wunsch, auch ein wenig in ihrem Sinn zu leisten.

„Wie schade, Tante“, sagte ich in ehrlicher Betrübnis, „um die verlorene Zeit meiner Erziehung. Gesetzt den Fall, ich käme um mein Vermögen — besäße ich denn die nötige Bildung, um mir mein Brot selbst zu verdienen? — Ohne Sprachkenntnisse — denn das bischen Französisch, [S. 178] das man uns eingetrichtert, reicht gerade für den Hausbedarf — weiß ich ja auch sonst sehr wenig.“

„Das ist eben die unverantwortliche Art der Erziehung. Und das „Nichtswissen“ ist noch lange nicht das Schlimmste, für viel gefährlicher halte ich das „halbe Wissen.“ Damit richtet man den größten Schaden an. Und dann, wenn man die gewöhnliche Bildung besitzt — als Grundlage ist sie allerdings erforderlich — soll man seine Kräfte nicht zersplittern, sondern sie auf ein einziges Ziel concentrieren und dabei verharren. — Freilich die Männer im Allgemeinen, sehen es nicht gern, wenn wir uns noch ein anderes Feld der Tätigkeit sichern, als den häuslichen Herd. Angeblich leidet unsere Weiblichkeit darunter, in Wirklichkeit aber fürchten sie die Concurrenz, und wohl auch, ihr Prestige als Schützer des schwachen Geschlechts zu verlieren, denn es entstünde ein ganz anderes gegenseitiges Verhältnis, und wir könnten sie viel eher entbehren.“

„Also Du bist für die Emanzipation?“

„Im guten Sinne, ja. Das heißt, soweit sie sich von sinnloser Knechtschaft losmacht und „freie Menschen“ schafft. Auf die damit in Zusammenhang gebrachten Äußerlichkeiten halte ich nichts. Männerkleidung, kurzgeschnittene Haare und burschikoses Auftreten finde ich überflüssig und unschön. „Im Herzen Weib, im Kopfe Mann“, dieses Recept wäre beiden Geschlechtern dringend anzuraten. Das Rechte suchen, es instinktiv empfinden, und dann die Energie besitzen, es durchzuführen.“

[S. 179]

„Also wir haben dieselben Fähigkeiten wie der Mann? Aber warum werden dann verhältnismäßig so wenig Frauen berühmt?“

„Ja, wir besitzen dieselben intellektuellen Fähigkeiten wie der Mann, nur mit dem Unterschiede, daß sie bei uns lange Zeit hindurch brach gelegen. Was sie vom „Vogelgehirn“ des Weibes sagen, ist pure Fabel. Weil man uns seit jeher vorgepredigt, dem sei so, glaubten wir es schließlich, ohne daran zu denken, die Richtigkeit dieser These zu erproben. Und schon beim ersten Versuch erwies sie sich als falsch.

„Es bedarf zu Allem der Übung, für manuelle sowohl als für geistige Fertigkeiten. Eine Hand, die man niemals gebraucht, wird eine gewisse Ungelenkigkeit verraten, ein Körper, der nie Gymnastik betrieben, weniger biegsam sein, als der eines Trapezkünstlers. Mit dem Verstand und seinen verschiedenen Kundgebungen ist es genau dasselbe. Wer von Kindheit an die Mühe des Denkens nicht scheut, wird in späteren Jahren ein rascheres Auffassungsvermögen, ein positiveres Urteil, eine schlagendere Logik bekunden, als Jener, der sein Leben lang gedankenfaul gewesen — und was eine natürliche Folge ist — mehr Selbstbewußtsein besitzen.“

„So denke ich mir’s eigentlich auch. Eine Maschine, die nicht geölt und gebraucht wird, arbeitet schwer. — — — — Und heute ist die Gleichberechtigung ein Allgemeinwunsch der Frauen?“

[S. 180]

„Die große Mehrheit sehnt sich darnach. Ausnahmen gibt es freilich auch da — und dann bedürfen ja durchaus nicht Alle der Emanzipation, sofern es sich um die Beteiligung am öffentlichen Leben handelt. Eine Mutter hat in erster Linie die heilige Pflicht, tüchtige, nützliche Menschen in ihren Kindern zu erziehen, als Gattin ihren Mann, falls er das Rechte will, zu unterstützen. In diesem Falle soll sie seinen Bestrebungen Verständnis entgegenbringen, gleichen Schritt mit ihm zu halten trachten. Vor solchen Ehen allen Respekt.“

„Und die Einsamen — ich meine die, die aus irgend einem Grunde allein durch’s Leben gehen?“

„Auch die finden reichlich Beschäftigung, wenn sie nur zugreifen wollen. Es gibt so manchen Beruf, in dem weibliche Kräfte nötig wären — Doktoren in erster Linie; Manche freilich würden sich nie und nimmer dazu verstehen, dem Wohle der Gesammtheit die eigene Bequemlichkeit zu opfern. Der Lauheit begegnet man gar häufig — — und dann dürfen wir nicht an den Ausschuß vergessen, jene Armen nämlich, die mit irgend welchen Gebrechen behaftet sind, und deren Kräfte einer angestrengten Arbeit nicht Stand halten, die wirklich nicht können.“

„Nun, und die Vorteile der Selbstständigkeit?“

„Vor Allem, daß wir nicht auf das Heiraten „angewiesen“ sind. Die Ehe wird dann nicht mehr als „Versorgung“ betrachtet werden, sondern sie kehrt zu ihrer ursprünglich schönen Bestimmung zurück, dem Gipfelpunkt [S. 181] der Liebe. Keine Convenienz-Ehen mehr, keine kleinlichen, unwürdigen Intriguen.“

„Eigentlich ist’s merkwürdig, daß man so spät auf diese Idee verfiel.“

„Du hast einfach früher nicht davon gehört. Die ersten Anfänge datieren weit zurück und heute schreitet die Frauenbewegung mit Riesenschritten vorwärts. Mit einem Male geht es natürlich nicht. Große Dinge, weltgeschichtliche Entwickelungsphasen bereiten sich in der Regel langsam vor, aber einmal in Gang gebracht, gibt es keinen Stillstand mehr.

„Im grauen Altertume wurde dem Weibe eingeprägt: „Du hast Dich als Dienerin Deines Herrn zu betrachten“, mußt eifrig auf sein Wohl bedacht sein, seine Launen geduldig ertragen, seine Wünsche erfüllen. Erkühne Dich ja nicht, einen eigenen Willen zu haben, oder gar dem Mann zu folgen, wenn er sich auf Adlerfittigen in geistige Höhen, in die Sphären der Gedankenwelt erhebt. — So, in dieser sklavenhaften Befangenheit, stellen sie auch die Gemälde der damaligen Zeit dar. Mit Rosen bekränzt sie die Stirne des Gebieters, der träge hingestreckt, auf schwellendem Pfühle ruht, und reicht ihm knieend die Schale mit dem Weine. Oder, später noch, sitzt sie am Spinnrocken und webt den Stoff seiner Gewänder, und bringt ihm Schild und Speer, wenn er hinauszieht in die blutige Schlacht.

„Heutzutage steht die Frau auf höherer Stufe — [S. 182] nicht mehr Magd, sondern Gefährtin des Mannes. „Ein Herz und eine Seele“, fügte sie träumerisch hinzu. — — Wem dieses schöne große Glück des Zusammenwirkens versagt bleibt, der findet einen teilweisen Ersatz nur — in der Arbeit. Sie allein hat mich gestützt, mich wieder zufrieden gemacht. Ein dorniger Weg im Beginn, doch so verlockend, so reichlich lohnend. — —

„Wenn man sich resigniert und mit der Liebe abgeschlossen hat, findet man den größten Trost in der Pflichterfüllung. — Das Leben liegt noch vor Dir, mein Kind, und doch frag’ ich Dich: „Willst Du meine Gefährtin sein, mit mir ziehen in den Krieg gegen unseren ärgsten Feind: „das Vorurteil?““

„Ja Tante, ich will.“

* *
*

In der Nacht war der erste Reif gefallen. Wie überzuckert starrten die Bäume zum Himmel, der grau in grau, an den Hintergrund eines Gemäldes im beliebten guache-genre erinnerte. Nur ein paar Hagebutten und braungefrorene Chrysantemen standen auf dem Parterre des Gartens.

Das war der Winter.

„Jetzt kann ich’s kaum begreifen, daß einmal der Flieder blühte und die Amsel sang. Es scheint mir eine Ewigkeit her und so unwahrscheinlich, daß diese Zeit je wieder kommen wird. — Die vielen Rosen — und die Leuchtkäfer.“

[S. 183]

Ja und doch — die tausend schönen Sommerblumen, die sagen uns weniger als so ein Gräschen unter’m Schnee. „Da sieh, das hab’ ich heut gepflückt.“ Sie hielt mir ein armseliges, blasses Blättchen hin. „Was selten, was schwer zu erlangen ist, darnach strebt unser Sinn. Erst in der Gegenwart wissen wir die Vergangenheit zu schätzen.“

Robert unterbrach unsere Betrachtung. Er weilte infolge einer Verletzung, die er sich beim Reiten zugezogen, seit einigen Wochen in Sahning und sprach während dieser Zeit öfters bei uns vor.

Es war, als suche er neuerdings eine Annäherung, doch ich taxierte seine Gefühle richtig: „ein kleiner Intermezzo-Flirt“, so etwas um die Tage totzuschlagen.

„Zum Sterben langweilig, zu dieser Jahreszeit auf dem Lande“, versicherte er uns stets von Neuem. Man weiß nicht, was man anfangen soll. Mein einziges Vergnügen, die Jagd, ist mir jetzt auch verdorben, weil uns der S—jud die schönsten Streifen vor der Nase weggepachtet hat. „Jetzt schießen’s herum an der Grenz, der Samuel und der Itzig, und wie se sonst noch Alle heißen, die noblen Herren“, parodierte er in höchster Wut. Dann schüttelte er sich: „Brr, ein Graus, ein Skandal! Wenn ich was zu sagen hätt’, Alle peitschert’ ich sie hinaus aus dem Land, Alle; nicht einen einzigen würd’ ich dulden. Es ist schon das zu viel. Über den Haufen schießen sollt’ man das grausliche Gesindel.“

[S. 184]

„Das sind ja recht humane Ansichten. Bei uns darfst Du jedenfalls nicht auf Verständnis rechnen.“

„So? Das wundert mich, speciell in diesem Falle. Jeder Cavalier denkt heutzutage so — muß so denken.“

„Es kommt eben darauf an, was Du unter „Cavalier“ verstehst.“

„No erlaub’ mir. Meine Regimentskameraden zum Beispiel. Frag’ sie der Reihe nach. Sie werden Dir Geschichten erzählen, daß Dir die Haare zu Berg stehen. Namentlich die in den polnischen Garnisonen. Wie der Jud nach allen Seiten hin beschummelt, keinen christlichen Concurrenten aufkommen läßt, sich festsaugt wie ein Vampyr und Einen um den letzten Groschen bringt.“

„Lieber Robert, wenn man die Falle sieht, ist’s jedenfalls recht plump, hineinzugehen. Du bist ja nicht der Erste, der in diesem Sinne spricht. Solange der Jude Geld leiht, ist Alles schön und gut; wenn er aber auf der Rückgabe besteht, dann ist er Wucherer und Räuber.“

„Und findest Du es vielleicht keine Gemeinheit, wenn man die Zwangslage seines Nächsten in dieser Weise ausbeutet? Soll man sich das am Ende ruhig gefallen lassen?“

„Man soll eben rechtzeitig seine Vorsichtsmaßregeln treffen, und sich keine Gefälligkeiten von Leuten erweisen lassen, die man verachtet. Was das Übervorteilen anbelangt, so stimme ich Dir bei. Es ist nieder, gemein. Aber ehrlicher Weise mußt Du zugestehen, daß auch so [S. 185] mancher Christ betrügt, wenn er es unbemerkt anstellen kann. Hier zum Beispiel haben wir keinen einzigen Juden in der Gegend, und die Leute gehen doch auch zu Grunde — nur mit dem Unterschied, daß sie ihr Hab und Gut den christlichen Sparkassen verschreiben.“ Und da Robert verlegen schwieg: „Du siehst also — das Generalisieren ist ein ganz falsches Princip. Es gibt gute und schlechte Menschen in allen Ständen, allen Nationen und Confessionen. Will man ein berechtigtes Urteil fällen, muß man sich persönlich überzeugen: das bloße Hörensagen führt in der Regel zu Trugschlüssen. — — — Und daß die Semiten manche gute Eigenschaft besitzen, die auch uns zur Ehre gereichen würde, kannst Du doch nicht leugnen. Es herrscht eine Eintracht, ein Geist der Zusammengehörigkeit unter ihnen, der gegenseitigen Verantwortung, möcht’ ich fast sagen, der rührend ist, und zu großen Taten führt. Wenn es sich darum handelt, einen der ihren aus Not und Elend zu befreien, den bedrängten Glaubensgenossen beizustehen, leisten sie fürstliche Beiträge. Während bei uns — —! Die humanitären Institutionen vermögen sich oft mit der größten Mühe kaum zu halten. Mit welch’ unerhörten Schwierigkeiten hat die „Rettungsgesellschaft“ zu kämpfen und welch’ schmachvolle Gleichgültigkeit erfuhr die „adelige Hochwacht“ von Seite der Standesgenossen? Jener Edelgesinnte, der die schöne Idee ins Leben rief, wartete vergeblich auf Unterstützung, und der Gram hierüber brachte ihn vorzeitig ins Grab.“

[S. 186]

„Wir haben eben kein Geld. Alles gestohlen.“

„Beides unrichtig. Wieder eine Beschuldigung ohne triftigen Beweis. Einer sagt’s in unzurechnungsfähigem Zustand, und die Andern beten’s nach.“

„Geh’, geh’, Du bist ja eine Judenfreundin.“

„Eine Menschenfreundin ja, und bemüht, gerecht zu sein. Mir gilt nur der persönliche Wert.“

„Aber Du mußt doch zugeben, daß die semitische „Rasse“ — denn nur die, nicht die Religion kommt bei unserer Abneigung in Betracht — zahllose widerwärtige Eigenheiten hat. Sprache, Haltung, Blick, Gesichtsschnitt.“

„Das mag unangenehm berühren — meinethalben — man hat schon so seine Aversionen — ich mag’ wieder den gewissen semmelblonden Typus nicht — aber solcher Äußerlichkeiten halber werd’ ich die Leute nicht verfolgen und verleumden.“

„Du willst mich nicht verstehen. Übrigens, wenn Du so sprichst, wirst Du es Dir in unseren Kreisen gründlich verderben.“

„Das würde ich verschmerzen. Die Überzeugung vor Allem.“

Robert sah meine Tante sprachlos an. Er gehörte zu jenen Schwächlingen, deren Waffe hohle Phrasen, von der Mode, der herrschenden Strömung sanktioniert, einer gesunden Logik nicht Stand zu halten vermögen. Ließ man sich einschüchtern, verlor man die Geistesgegenwart, [S. 187] dann triumphierte er. Widerlegte man hingegen seine Argumente, trat man ihm mit Sicherheit entgegen, dann räumte er beschämt das Feld.

Und plötzlich überkam mich die Lust, auch eine Bemerkung zu machen, ihn in die Enge zu treiben.

„Wenn Dir Rothschild heute eine Million gäbe, was dann?“

„Das fällt ihm gerade ein.“

„Ich glaub’ es auch nicht. Aber gesetzt den Fall, was dann?“

Und da er mir die Antwort schuldig blieb: „Du würdest sie mit tiefem Bückling einstecken, und wenn es sein müßte, dem Juden die Hand küssen.“

„Na hörst Du, Du bist wirklich.“ —

„Ja oder nein? Du schweigst?“

„Was sagtest Du eigentlich?“ Er spielte den Begriffsstützigen. „Ich hab’ an ganz was Anderes gedacht.“

* *
*

Hannerl hatte sich in den letzten Jahren sehr zu ihrem Vorteil verändert und war eine allerliebste Zofe geworden. Sie hält nicht wenig auf ihr Äußeres, und stets „wie aus dem Schachterl“, richtet das hübsche Ding wahre Verheerungen unter der männlichen Dienerschaft an. Sie trägt vielleicht darum das Stumpfnäschen so hoch und findet es nur natürlich, daß man sie „Fräulein“ tituliert. — Und für Jeden hält sie eine schnippische Antwort [S. 188] bereit. Bisweilen klagt sie auch mit komisch-tragischer Geberde: „Ich hab’ kein Herz“.

Das schreckt indes den Jägerjung nicht ab. Fertel Amselzwitscher scheint seiner Sache sicher. Er wird sie doch erringen; er zweifelt nicht im Entferntesten daran: jedermann kann es lesen in seinem selbstbewußten Blick. Die Mädchen waren immer Alle hinter ihm drein gewesen, und daß gerade diese Eine ihm Widerstand leistet, reizt ihn. — Er, mit seinem „feschen Äußern“, seiner vornehmen Ausdrucksweise, würde sie sich schon gefügig machen. Er spricht das reinste Hochdeutsch und notiert sich jede eigenartige Satzwendung, die er irgendwo gelesen, um sie gelegentlich anzubringen.

„Jungfer Hannerl, beabsichtigen Sie, meine Geduld noch lange auf die Folter zu spannen?“

„Wissen’s, das ist eine Keckheit. Hab’ ich Ihnen vielleicht schon einmal was Dergleichen getan?“

„Unbewußt gewiß. Sie haben so gewissermaßen ein gefallsüchtiges Gesicht. Wie steht es mit Ihrem Naturell? Ich meine, sind Sie sehr, ‚schanschierend‘?“

„Was? Das versteh’ ich nicht.“

„Ob Sie Ihre Neigung häufig wechseln, oder ob Sie gewissermaßen verläßlich sind?“

„Daß ich in Sie nicht verliebt bin, darauf können sie sich ja verlassen. Überhaupt sind’s nicht bald fertig mit Ihrer Fragerei? Was wollen’s denn?“

„Das.“ Und kaum hatte sie sich’s versehen, umschlang er sie und drückte einen Kuß auf ihre frische Wange.

[S. 189]

„Nein, so ein impertinenter Mensch!“ Sie war zuerst ganz starr, dann aber lächelte sie neckisch. Seine Kühnheit imponierte ihr: von nun an zeichnete sie ihn vor den Andern aus, und die Chancen des Gärtnergehilfen Florian sanken immer mehr. Im Gegensatz zu seinem zarten Namen, der ihn schon von vornherein zur Gärtnerei bestimmte, war er die plumpste, unappetitlichste Erscheinung, die man sich nur denken kann. Ein verschwollenes Gesicht, aus dem gelbe Elefanten-Äugerln schimmerten, und ein Paar enorme, purpurrote Tatzen. Unbeholfen in einer Art! Ein wahrhaft lächerlicher Anblick beim Piquiren und anderen Arbeiten, die Geschicklichkeit und leichten Griff erfordern. Aber verliebt bis über die Ohren.

Als er Jungfer Hanni zum erstenmal erblickt, sank er vor lauter Bewunderung so tief in die weiche Mistbeeterde, daß man meinte, er müsse Wurzel fassen, und starrte ihr so voll Entzücken nach, als hätt’ er eine Fee gewahrt.

Er nahte sich ihr schüchtern, in voller Ehrerbietung, und als sie scherzhalber seine Huldigung entgegennahm, ward er kühner. Er verehrte ihr eine Blumensprache, in der die auf seine Leidenschaft bezüglichen Verse rot angestrichen waren.

Jedes Wort aus ihrem Munde versetzte ihn in den siebenten Himmel, und wenn er sie nach Feierabend in der Bügelstube wußte, brachte er ihr die schönsten Ständchen.

[S. 190]

„Hannerl, Hannerl, Mädchen ohne Gleichen,
Hannerl, lasse Dich erweichen,
Hannerl, Hannerl, höre doch mein Fleh’n,
Ich liebe Dich, erhöre mich,
Wenn nicht, müßt’ ich betrübt von dannen geh’n.“

Worauf von innen mit furchtbar falscher Stimme die ermunternde Aufforderung erklang:

„Um Dir nur zu gefallen,
Versteh’ ich mich zu Allem,
Ach komm, Geliebter, komm,
Ach komm, Geliebter, komm.“

Beseligt drückte Florian die Hände auf sein Herz. Sie hatte ihn ja kommen geheißen — endlich. Nun, er würde gewiß nicht zögern. Doch was war das, die Schnalle wollte nicht nachgeben, wie sehr er auch daran drückte: „Aber Freiln Hannerl, seiens so gut. Ich kann ja nicht herein.“ — Alles umsonst, kein Lebenszeichen.

Dann raschelte es ganz leise, Hannerls gestärktes Cattunkleid, und das schelmische Ding hielt sich die Hüften und lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen rollten.

Er zog ein Briefchen aus der Tasche und schob es unter die Türspalte hinein. Er hatte es ihr schon früher einmal geben wollen, als sie ihn kühl behandelt.

„Hochwollgeborn Freilein Johanna Patschek.

Ich habe lange mein Herz aus dem Laibe gerissen und vor Ihren Füssen geleckt, — sie lachten auf mich u. ich klaube, Sie mögen mich nicht. Eine große betzweifflung für mich, daß das Frailein Johanna böse ist. Ich bin soeben trostlos u. möchte sterben, weil sie [S. 191] nix zu mir gesprochen, denn ich füll mich ganz undschuldig. Ich habe nichts gedahn und Ihnen niemals nie eine Witterede gegeben, und alles mit Freude gedahn, nur daß sie nicht bösse sind. Denn ein bösses Gesicht und nichts rehten, das duht mir Weh, darum bitte ich hochachtungsfohl und mit faltenden Händen nicht bösse sein

Ihr geliebter Florian.“

„Rosen, Tulpen, Nelken, alle diese Blumen welken,
Stahl und Eisen bricht, doch unsere Liebe endet, so hofe ich, nicht.
Sie sind mein einziger Trost, bitte, das werden sie woll einsehen.“

„Nein, so ein Narr“, entschied sie, als sie zu Ende gelesen. „Da Fertl“, und sie schob ihm den Brief hin, „was sagst denn Du dazu?“

„Curaschi muß man haben. Beim bloßen Anschmachten sieht sich nichts heraus. Wenn ich so delikat gewesen wäre — — à propos — wann machen wir denn Ernst?“

„Mußt Dich schon noch eine kleine Weil gedulden. Und jetzt geh, weil ich abräumen muß im ersten Stock.“

* *
*

Es gibt Leute, deren Gegenwart kalmierend wirkt, die Ruhe und Frieden bringen und wieder solche, bei denen man die Kampfeslust wittert und unwillkürlich selbst in Harnisch gerät.

[S. 192]

Die Ankunft meines Vetters versetzte mich jedesmal in gereizte Stimmung. Nicht ein Punkt, in dem wir übereinstimmten, keine gemeinsame Empfindung, und bei der gänzlichen Verschiedenheit unserer Ansichten, entfremdeten wir uns immer mehr.

Tante Laura sah in unseren Discussionen eine gesunde Denkübung, denn nichts schärft den Verstand so sehr, als improvisierte Wortgefechte. Gewöhnlich war der Sieg auf meiner Seite, was ich mir in Anbetracht des Umstandes, daß Robert durchaus kein Kirchenlicht war, nicht sonderlich hoch anrechnete.

Momentan verbrachte er seine Zeit damit, die verschiedenen Stifte der Umgebung unsicher zu machen. Er wurde nicht müde die Gastfreundschaft und das wirklich charmante Entgegenkommen der Herren zu rühmen.

„Wir verstehen uns vortrefflich“, versicherte er uns ein über das anderemal, „und ich fühle mich wirklich ganz außerordentlich wohl in ihrer Gesellschaft.“

„Sind wohl auch Antisemiten?“ frug die Tante.

„Versteht sich — und wie.“

„Sonderbar und traurig.“ Und was sie jetzt sagte, erinnerte mich so lebhaft an ein Gespräch mit Vincenz, daß ich unwillkürlich seufzte. „Das sollen „Stützen“ der Kirche sein, die in ihrem Herzen dem Hasse Raum geben! Oder ist vielleicht irgendwo in der Schrift ein Commentar zu finden, in dem es heißt: „Natürlich nur den Nächsten im engeren Sinne?“ Nein so kleinliche Unterschiede hat [S. 193] Christus nicht gehabt. Sein edles Herz schloß Keinen aus: es schlug und blutete für Alle. „Liebe, Nachsicht und Vergeben.“ Und statt stolz zu sein auf ihren Meister, in seinem Sinn zu predigen, verzerren, verstümmeln sie seine Lehre bis zur Unkenntlichkeit.“

„Aber bitt’ Dich, Tante, wer wird denn gleich Alles so tragisch auffassen“, unterbrach sie Robert gelangweilt. Sie aber ließ sich nicht beirren und fuhr fort:

„Geht schön des Sonntags in die Kirche, beobachtet die Fasten, aber wenn Euch Euer Bruder nicht zu Gesichte steht, dann beschimpft, verleumdet ihn.“ Fühlst Du den Widersinn? — — — Die Perle, die man Solchen zuwirft, die ihren Wert nicht verstehen. Pfui über die Augendienerei. Die Messe lesen, Sakramente austeilen — — Trinkgelage feiern, bis man alle Selbstbeherrschung verliert, und den häßlichsten Lastern fröhnen. Wem spielen sie eigentlich die Comödie vor? Das Volk hat gar gute Augen, ist auch nicht so einfältig, wie es sich ausgibt. Es beobachtet und findet schließlich, daß es nicht nötig habe „heiliger zu sein, wie die Pfaffen.““

„Was hast Du denn gegen die armen Geistlichen? Ich kann Dich versichern, daß Du ihnen sehr Unrecht tust. Du solltest einmal mitkommen. Eine Gemütlichkeit, sag’ ich Dir! Immer großartige Diners, die besten Weine, — kurz ein Leben wie der Herrgott in Frankreich. Immer guter Dinge, kreuzfidel. Geh’ komm, [S. 194] Tante — Mimi“, an mich gewandt — „nicht wahr, es wäre fesch? Du hast doch Lust?“

„Nein: dafür bin ich nicht zu haben.“

„So, so?“ In seinen Zügen spiegelte sich eine Verblüffung wieder, die das unbedeutende Gesicht nicht gerade geistreicher erscheinen ließ.

„Schade!“ Und mit bedeutungsvollem Blick zu mir: „Daß wir so verschiedenen Geschmack haben müssen! Ich fühle mich, wie gesagt, ganz zu Hause unter den Herren — und mir ist sogar schon die Idee gekommen, selbst Geistlicher zu werden.“

„Weshalb denn das?“

„Weil mir schon Alles Andere zu fad ist. Eine Hundeexistenz.“

„Und das fändest Du einen hinreichenden Grund?“

„Dann brauch’ ich mich wenigstens nicht mehr abzurackern um die paar Gulden Gage, brauch’ mich um nichts mehr zu kümmern.“

„Hast Du Deinen Ehrgeiz zu dienen, so plötzlich auf den Nagel gehängt?“

„Offen gestanden, ja. Schaut nichts dabei heraus. Laues Avancement. Das haben wir vom Frieden.“

„Ja, ein Krieg wär’ freilich äußerst wünschenswert“, unterbrach ihn Tante Laura ironisch, „und zwar schon in allernächster Zeit, damit Baron Robert Steindorf zu seinem zweiten Sterne kommt.“

„Nicht nur deshalb. Ich spür’s aber, ich bedarf der [S. 195] Anregung, der Begeisterung, sonst verkomme ich. Ein Ereignis, etwas Besonderes. Ein Nervenkitzel.“

„Du weißt eben nicht zu beurteilen, was die Ruhe wert ist. Du bist noch sehr kindisch, lieber Robert.“

In seiner Eitelkeit tief verletzt und innerlich wütend, weil er kein Wort der Entgegnung fand, verließ er uns.

Nachdem er gegangen, saßen wir noch eine Weile schweigend vor dem Kamin, vertieft in den Anblick der roten Feuerschlangen, die gierig an den massiven Buchenscheitern leckten, daß es prasselte und knallte.

„Der wird kein gutes Ende nehmen“, sagte die Tante seufzend. „Heutzutage bedarf es eines anderen Empfehlungsbriefes, als eines alten Wappenschildes. — — Übrigens bei ihm ist das Standesbewußtsein noch ein relatives Glück, sonst sänke er immer tiefer. Ein bedauernswerter Mensch, der wie mit Gewalt immer nur die Schattenseiten der Dinge aufstöbert, immer unzufrieden, unglücklich.“

„Ich kann mir eigentlich gar nicht denken, daß es Menschen gibt, die den Krieg wollen.“

„O doch, es gibt schon solche Egoisten, die ihn aus rein persönlichen Gründen wünschen. Daß der Krieg ein Unglück, ein Verbrechen ist, daran zweifelt heutzutage kein vernünftiger, rechtlich denkender Mensch mehr, — wohl aber daran, daß man ihn abschaffen kann.“

„Ja, aber dann müßte es überhaupt keinen Fortschritt geben.“

[S. 196]

„Ganz richtig. Dann würden wir jetzt noch Höhlenbewohner und Menschenfresser sein.“

Roberts Kopf zeigte sich wieder in der Türe. Er schien seinen Ärger verwunden zu haben und frug, um was für schreckliche Dinge es sich handle — er habe etwas von Menschenfressern gehört.

„Wir reden gerade davon“, erwiderte die Tante, „daß mit fortschreitender Civilisation die rohen Urzustände weichen müssen, und dazu gehört der Krieg.“

„Natürlich“, versetzte er spöttisch.

„Eigentlich würde es mich interessieren zu hören, wie ein Marsanbeter — denn das bist Du ja, — die Unvermeidlichkeit des Krieges motiviert.“

„Die liegt doch auf der Hand.“ Tante Laura blinzelte mir verständnisvoll zu, und er fuhr fort: „Unsere ganze Existenz ist auf den Kampf begründet. Das Eine frißt das Andere auf. So war es seit jeher und so wird es immer sein.“

„Ja, der Kampf ums Dasein ist Naturgesetz und kann in mancher Beziehung ein Ansporn zum Guten sein. In seiner ursprünglichen brutalen Bedeutung aber kann er sich jedenfalls nur auf die Geschöpfe niederer Gattung beziehen. Gerade Ihr Strenggläubigen, die Ihr Euch soviel zugute tut auf Euere Vernunft, müßtet Euch doch scheuen, auf eine Stufe mit dem Tiere gestellt zu werden, das zur einzigen Triebfeder seiner Handlung den Instinkt hat. Und selbst die wilden Tiere lassen sich zähmen. [S. 197] Weshalb sollten wir die Bestie in unserem Innern nicht zum Schweigen bringen? Und dann, auch die Gesetze ändern sich nach der Zeit; die Menschen von heute haben ganz andere Bedürfnisse als die von früher. Die Vorschriften, die vor tausend Jahren am Platze waren, taugen jetzt nicht mehr: man ändert und regelt ja fortwährend daran. Was noch im Mittelalter als Heldentat gegolten, was die Raubritter so berühmt gemacht, der Sieg des Stärkeren, das Faustrecht, das ist nun ebenfalls verpönt.“

„O das waren himmlische Zeiten! Ich bin entschieden um ein paar Jahrhunderte zu spät auf die Welt gekommen.“

„Hättest wohl auch gerne Heldentaten in dieser Art vollbracht?“

„Natürlich.“

„Also Du verteidigst den Mord an und für sich.“

„An und für sich — nein. — Aber ich verstehe nicht recht, wo Du hinaus willst“, versetzte er unsicher.

„Du weißt’s recht gut. Das fünfte Gebot lautet: „Du sollst nicht töten.“ Es ist also Sünde.“

„Ja, ja — das heißt im Allgemeinen.“

„Aha, ein Hinterpförtchen. Doch bleiben wir beim Gegenstand. Der vorsätzliche Totschlag ist Sünde und zwar vom religiösen und rein menschlichen Standpunkt. Der Körper ist der Sitz der Seele, die Gott nach seinem Ebenbild geschaffen. Dem Schöpfer allein steht das Recht [S. 198] zu, sein Werk zu vernichten, so hält Ihr es doch für richtig, nicht wahr?“

„Ja, das schon, aber —“

„Bitte laß mich vollenden. Dann bin ich bereit, Deine Einwendung zu hören. Kommt ihm also ein Anderer zuvor, ist er ein Frevler, ein Verbrecher und wird dem Gerichte ausgeliefert. Dann sitzen sie beisammen im Namen der Gerechtigkeit und sind ganz Entrüstung und Staunen, wie es nur möglich ist, daß ein Mensch genug Rohheit besitzt, um seinem Mitbruder das höchste Gut zu rauben. Es hat bisher noch Niemand zu behaupten gewagt, der Mord sei kein „Verbrechen“. Für Jenen, der ihn begeht, gibt es nur wenige Milderungsgründe: Zwingende Not, Geistesstörung im Moment der schrecklichen That, oder wenn die Umstände diese Vermutung ausschließen, böses Beispiel, mangelhafte Erziehung. Man könnte freilich auch behaupten, — nach Deiner Auffassung wenigstens — daß der böse Instinkt, seine eigentliche Natur den Menschen dazu treiben — von dieser Eventualität aber sehen die Richter gänzlich ab. Sie sagen auch niemals: „Ja, was ist da zu machen, es hat immer Morde gegeben und daher wird es immer so bleiben.“ Der Mann, der seine Hände mit Blut besudelt, ist ein Gezeichneter, ein Ausgestoßener, der Grauen und Abscheu — oder doch wenigstens tiefes Mitleid einflößt. — Das Leben des Einzelnen ist geheiligt: die Massen jedoch sind nur gut genug, um einem Wahne geopfert zu werden.“

[S. 199]

Sie hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort: „Im Kriege ist der Mörder „Sieger“ und wird in dem Maße gefeiert, als er dem Feinde schonungslos begegnet. Er wird mit Ehren überhäuft, gelangt zu Ansehen und auch oft zu Reichtum, und wenn er auch schon lange unter der Erde modert, so lebt doch die Erinnerung an ihn fort. Sein Name steht mit Goldlettern verzeichnet in den Annalen der Geschichte, als eines Großen, Ruhmeswerten. Der Lehrer schildert in beredten Worten seine Heldentaten und weckt im andächtig lauschenden Knaben Sehnsucht nach ähnlichen Werken, glühende Bewunderung für den Unsterblichen. Im kleinen Herzen keimt, künstlich großgezogen, die Giftblume des Hasses gegen Feinde — von denen es sich nur eine vage Vorstellung macht. Und statt daß Seele und Verstand des jungen Wesens sich das Gleichgewicht halten, wird dieser mit unnützem Tande angefüllt, während jene verkümmert. — Es weiß genauen Bescheid über den achten Glaubensartikel und kann eine perfekte Erklärung des Parallelopipedons geben, und wenn man es fragt, warum Karl der Große und Napoleon große Helden waren, wird es erwidern: „Der Eine hat 4000 Sachsen den Kopf abhauen und ganze Heidenstämme gewaltsam taufen lassen, und Napoleon hat in sechs Schlachten gesiegt.“ Soldatenspielen, mit Gewehren hantieren, das ist ihre Lieblingsbeschäftigung, und die Mädchen umgeben in reger Fantasie den Vaterlandsverteidiger mit einer Aureole: Dereinst die [S. 200] Frau eines Officiers zu werden, das schwebt ihnen als Ideal vor. — Das tut dieselbe Erziehung“, fügte sie halblaut hinzu, „die beim Einzelmörder als Entschuldigung angeführt wird. Welche Logik.“

„Aber Tante, Du wirst doch einen Unterschied machen zwischen einem Schenk und einem Radetzky. Und dann, Gott selbst erlaubt, will den Krieg. Es heißt ja doch im Katechismus: „Zur Verteidigung des Vaterlandes.““

„Wenn’s Euch genehm ist, laßt Ihr immer Euern Gott aufmarschieren. „Du sollst nicht töten“, heißt’s im Dekalog ganz klar und deutlich, in voller Übereinstimmung mit den Geboten der Moral. Und im neuen Testament? Kannst Du mir etwa eine Stelle citieren, in der Christus den Krieg gutheißt?“

Robert betrachtete angelegentlich die Spitzen seiner Stiefel. „Momentan fällt mir gerade nichts ein.“

„Das begreife ich: weil ein solcher Passus überhaupt nicht existiert. Soweit der göttliche Standpunkt. Aber ich denke, auch ohne göttliche und weltliche Gesetze müßte uns das angeborene Menschlichkeitsgefühl abhalten, eine ausgesprochen schlechte Tat zu begehen. Das Gute ist ja an und für sich ein Gesetz; in unseren Herzen soll es eingegraben stehen; dann brauchen wir nicht in Folianten nachzuschlagen, den Katechismus zu befragen. Gut bleibt gut, da hilft kein Zurechtstutzen und Mystificieren. Es ist etwas so Häßliches um die gewollte Zweideutigkeit, um die Politik in der Religion. Doch da sind wir vom [S. 201] eigentlichen Thema etwas abgekommen.“ Sie hielt einen Augenblick inne, wie um neue Kraft zu schöpfen, und begann dann von Neuem. „Du hältst also den Krieg für gerechtfertigt und unvermeidlich, weil die Existenz des Menschen auf Kampf beruht, weil die Kriege immer waren, weil Gott sie gutheißt. Diese Argumente erweisen sich aber sehr wenig stichhaltig, wie Du siehst, oder weißt Du mir vielleicht sonst noch etwas anzuführen, was für Deine Behauptung spricht?“

„Aber das ist ja das reine Examen, liebe Tante“, bemerkte Robert gezwungen lächelnd, plötzlich aber — es schien ihm eben eine gute Idee gekommen zu sein — nahm sein Gesicht einen triumphirenden Ausdruck an. „Weil die Menschen sich sonst zu sehr vermehren würden.“

„Da muß man also von Zeit zu Zeit eine kleine Jagd veranstalten. Ich denke, Ihr könntet das in aller Seelenruhe der Natur überlassen. Sie rafft durch Krankheit und andere Katastrophen fortwährend Tausende hinweg, ohne daß sie noch Euerer Hilfe bedarf. — Ihr tut ja rein, als ob Ihr angestellte Mordknechte wäret. Und dann, es gibt noch soviel übrigen Platz, noch so viel schöne Wildniß, die nur darauf wartet, urbar, dem Menschen untertan gemacht zu werden.“

„Zudem“, sagte Robert, „das Menschengeschlecht würde verweichlichen, degeneriren, wenn es keine Gelegenheit fände, seinen Mut zu erproben.“

„Vergleichen wir die Jetztzeit mit dem Altertum. [S. 202] Obwohl die Kriege bedeutend seltener geworden, sind wir in geistiger Beziehung entschieden vorgeschritten, durchaus nicht degeneriert. Und sieh’ Dir nur einmal die friedliebendste aller Nationen an, die Engländer, was für starke, markige Gestalten. Von persönlicher Tapferkeit kann überdies nicht mehr die Rede sein. Heute entscheidet nur mehr der blinde Zufall. Das ist das Verdienst der unglaublich raffinierten Waffentechnik. — Wenn Dir heute Einer sagte: „Stell’ Dich daher, denn ich sprenge Dich mit einer Bombe in die Luft“, wirst Du Dich sicher gegen diese Zumutung wehren, nicht?“ —

„Gewiß, das hätte ja keinen Sinn, für nichts und wieder nichts.“

„Das ist’s, was ich hören wollte. Und wofür setzest Du im Kriege Dein Leben ein?“

„Ja erlaube mir, da sind doch wichtige Interessen im Spiel. Die Aufrechterhaltung der Dynastie, die — das heißt gewöhnlich die Verteidigung.“

„Ja, aber wenn Alle sich verteidigen — das behauptet nämlich ein Jeder von sich — wer greift dann an? — Du siehst, ein Hirngespinnst, dem zuliebe wir solche Unmassen an Geld und Arbeitskraft opfern.“

„Man muß aber doch vorbereitet sein.“

„Daran liegt es eben. Immer dieses Mißtrauen.“

„Was sollen wir denn tun? Abrüsten vielleicht und warten, daß uns der Feind aus dem Lande jagt? Verzeih’, liebe Tante, Du meinst es ja gewiß recht gut, und [S. 203] es paßt auch viel besser für eine Frau, mitleidig als grausam zu sein — aber Du urteilst da über Dinge, die wir Männer naturgemäß besser verstehen.“

„Und doch gibt es manche Frauen, die viel vernünftiger und klüger sind, als manche Männer“, konnte ich mich nun nicht enthalten, zu bemerken.

Jetzt hielt er es für geraten, einzulenken. „Du nimmst mir immer Alles übel. — Wie denkst Du es Dir eigentlich möglich, den Krieg abzuschaffen?“

„Ich denke, daß sich durch guten Willen und festes Zusammenhalten Alles erreichen ließe.“

„Aber praktisch durchgeführt?“

„Hast Du noch nie etwas von der Friedensbewegung gehört?“ erwiderte mit bewunderungswürdiger Geduld an meiner Statt die Tante. „Sie strebt die Vereinigung aller europäischen Völker zu einem einzigen großen Bunde an, und an Stelle des Krieges soll ein permanentes Schiedsgericht treten, durch das allfällige Streitigkeiten auf unblutigem Wege ausgetragen werden.“

„Aber die Menschen werden sich nie einem solchen Urteil fügen, wenn es sich um eine Existenzfrage handelt.“

„Die Einzelnen wollen ja gar nicht den Krieg.“

„Aber sie gehen doch.“

„Weil sie eben nicht gefragt werden. Und zudem wenden die paar Schreier, denen es daran liegt, ihre selbstischen Zwecke zu erreichen, alle nur möglichen Mittel an, um die Menge zu betören, sie ihres gesunden Urteils [S. 204] zu berauben. Eine Art Hypnose, diese ansteckende plötzliche Begeisterung. Die Meisten sind Herdentiere, die hinter dem Leithammel dreinfolgen.“

„Nun eben. Da siehst Du’s ja selbst. So werden sie es immer machen.“

„Bis ihr Selbstgefühl, ihr „Menschenbewußtsein“ stark genug ist, sie vor solcher Torheit zu schützen. Und das zu heben, daran sollen wir nach Kräften arbeiten. Und heute ist schon ein großer Schritt vorwärts getan. Ich zweifle gar nicht an dem Erfolge der Friedensbestrebungen.“

„Und Du glaubst wirklich, das Du das erleben wirst.“

„Es könnte wohl sein, aber wahrscheinlich ist es nicht. Die Verwirklichung jedes großen Gedankens erfordert Zeit, viel Zeit. Unser Auge verträgt kein zu grelles Licht, es muß sich erst langsam daran gewöhnen. Jede neue Lehre, jede große Idee hat im Beginn mit Hindernissen zu kämpfen.“

„Ja, also dann“ — —

„Begreifst Du nicht, daß man sich für solch’ ein Ding erwärmen kann.“

„Offen gestanden nein. Wenn man so gar nichts davon hat.“

„Wenn man immer nur arbeiten wollte, des Lohnes halber! In einem normalen Menschen wohnt der Drang, etwas zu leisten, ein klein wenig zum Wohle der Gesammtheit beizutragen. Eine innere Stimme sagt uns: [S. 205] „Du mußt“, und dann können wir einfach nicht anders. — Hätten unsere Vorfahren so gedacht, dann stünden heute nicht die vielen herrlichen Bäume im Garten, dann gäbe es nur Haideland und keine Wälder.“

„Ja — das schon“, sah sich Robert nun gezwungen, beizupflichten. „Die Idee vom Schiedsgericht ist auch jedenfalls gut ausgedacht, genial, aber — hm“, und er schüttelte lächelnd den Kopf.

„Was aber?“

„Undurchführbar.“

Wir schwiegen Beide, da wir einsahen, daß ein weiteres Wort die Mühe nicht gelohnt hätte. Mit welch’ impertinenter Überlegenheit er es gesagt, das: „Undurchführbar!“

* *
*

Tante Laura und ich, wir standen ziemlich allein da mit unseren Ansichten und vermieden es, darüber zu sprechen. Großpapa stack bis über den Ohren in den alten Traditionen und fand an jeder Neuerung etwas auszusetzen. In gewisser Beziehung erinnerte er an Robert, nur besaß er mehr Liebenswürdigkeit wie dieser und eine durch nichts zu trübende Heiterkeit. Er führte stets das große Wort und war genau informiert über die Vorgänge in der Welt. Aus einer Art Pflichtgefühl ließ er sich täglich die Zeitung vorlesen, denn im Grunde ärgerte er sich mehr dabei, als er sich freute. „Ich sag’s ja immer, die neue Schule. Das sind die Resultate“, wenn [S. 206] ein Liebespärchen sich aus dem Staub gemacht, oder: „die Herren Socialdemokraten“, das kommt davon, wenn man den Leuten solche Dummheiten in den Kopf setzt.“

„Die Socialdemokraten sind“, hub Don an — —

„Na ja, Sie sind ja selber Einer, Sie Chineser.“

„Weil der Herr Baron immer glauben, nur früher war Alles gut“, stieß er lachend hervor. Diese kleinen Dispute waren seine einzige Unterhaltung. „Früher sind die jungen Leute auch schon miteinander durchgegangen. Vide „Conradine Romana.““

„A so. No ja, sie hat’s aber auch büßen müssen. Oder haben wir nicht neulich in der Urkunde von 1746 gelesen, daß die Maria Teresia sie einfangen und ins Kloster sperren ließ?“

Dieses Gespräch bezog sich auf eine Steindorf, deren Portrait im Speisesaale hieng. Ein hübsches Gesichtchen, dem der Schelm aus den Augen sah. Mir hatte es immer den Eindruck gemacht, als sei der steife Seidenstoff zu schwer für diese frische, rosige Jugend, als strebe sie, heraus zu schlüpfen und als wollten die übermütigen, krausen Löckchen nichts wissen von einer regelrechten Frisur. Und so war es in der Tat. Das siebzehnjährige Mädchen war sterblich verliebt in ihren Vetter, und da der Vater nichts wissen wollte, und sie nur umso strenger überwachen ließ, nahm sie ihre Zuflucht zu einer List. Die kurzsichtige Erzieherin ahnte nicht, daß sie den Abendsegen über einen verkleideten Haubenstock gesprochen, und [S. 207] als sie am nächsten Morgen ihren Irrtum entdeckte, war das edle Fräulein über alle Berge.

Großmama mengte sich niemals in politische Gespräche, dennoch war es nicht zu verkennen, daß auch sie die jetzigen Zustände nicht billigte, und die Zeiten vorzog, wo Robbot und Zehent an der Tagesordnung war, und die „Herrschaft“ noch etwas galt. Und Großpapa stimmte ihr bei.

„Ich weiß mich noch ganz genau zu erinnern, wie ein jeder Bauer seinen Tribut gebracht hat. Der Getreideboden, der Keller sind das ganze Jahr nicht leer geworden. Und in unserer Gegend hat es einen berühmt guten Wein gegeben. Stark wie der Teufel und moussierend wie Champagner. Da hat die Mama einmal einen kleinen Tampus bekommen. Als junges Fräulein hat sie nämlich nie einen Tropfen getrunken.“

Er sucht mühsam die Bissen auf dem Teller zusammen, wobei gewöhnlich die Hälfte zurückfällt. Großmama hackt so energisch darin herum, um ihm die Stücke zurecht zu schieben, als wäre das Fleisch ein Walfisch, und die Gabel eine Harpune. „Geh’ lieber Ferdinand, so nimm’ Dich doch ein wenig zusammen. Es ist ja eine Schande, wie Du ißt.“

„Du darfst nicht vergessen, daß ich blind bin“, erwidert er ruhig.

„Ich weiß schon, aber wenn Andere es können. Der König von Portugal, der war ja auch stockblind, und wenn ich nehme, wie der appetitlich aß!“

[S. 208]

Don für sich: „Der König von Portugal, der ist mir ganz egal.“

„Aha hörst Du was der Don sagt. Ich find’, der Mensch ist schrecklich keck.“

„Wenn Du den Don nicht hättest! Nicht wahr, Fellner“, fuhr sie zum Gesellschafter gewandt fort, „ich weiß wirklich nicht, was mein Mann ohne Sie anfangen würde.“

Don tut solches Lob sehr wohl. Er verlangt ja nichts, als dieses bischen Anerkennung. Überhaupt ein anspruchloses, kindliches Gemüt. Er fühlt sich wohl, trotz seines Automatenlebens. Mich aber ergreift bisweilen etwas wie Mitleid, wenn ich ihn betrachte. Nicht, daß er einen überarbeiteten Eindruck macht! Nein, wahrlich nicht. Sein rundes, gerötetes Gesicht, und die über das Maß behäbige Gestalt erinnern vielmehr an die lustigen Mönche auf den Grütznerbildern. Es kommt daher, weil er fast keine Bewegung macht und seinen Teller stets bis an den Rand füllt. Vom Morgen bis Abend muß er trockene Geschäftsdiktate schreiben, aus alten Urkunden vorlesen, förmlich Verzicht leisten auf seine Individualität. Für solche Menschen wird das selbstständige Denken Luxussache, sie gestatten es sich nur in den seltensten Fällen, gewöhnen es sich schließlich ganz ab und leben dahin, wie das liebe Tier.

„Na ja natürlich. Es ist immer Alles recht, was Dein lieber Fellner tut“, versetzt Großpapa in eifersüchtigem Ton.

[S. 209]

„Es ist schon gut. Jetzt ein bissel ruhig sein, lieber Ferdinand, sonst überzuckst Du Dich.“

„Du hast aber viel an mir auszusetzen. Früher, da hast Du immer nur die guten Seiten gesehen.“

„Du warst aber auch ganz anders. Aussehen und Manieren wie ein Prinz“, versicherte sie mir.

„Natürlich, man wird alt.“ Und dann intoniert er mit zitternder Stimme die schöne schwermütige Melodie aus dem „goldenen Kreuz“: „Jenun, man trägt, was man nicht ändern kann.“ Ja, das waren Zeiten damals. Soll ich Euch erzählen, wie ich die Mama kennen lernte? Und trotz einstimmigen Protestes beginnt er die Geschichte von Neuem:

„Ich habe mit ihrem Bruder am Gymnasium studiert. Wir waren sehr gut miteinander und er hat mich im Hause meiner nachmaligen Schwiegereltern aufgeführt. Constanze saß am Fenster neben ihrer Mutter und arbeitete an einer Stickerei. Damals haben die Damen Locken getragen, und ich schwärmte seit jeher für blondes Haar. Und sie hat so herrliches gold-blondes Haar gehabt, — eine Locke, die ihr bis unter die Taille hieng. Sie sehen und mich verlieben war eins. Mein Vater war ganz wild, weil ich ihm erklärte, daß ich bereits meine Wahl getroffen hatte. Die oder Keine. „Dummer Bub“ hat er gesagt, „lern’ Du lieber. Mit dem Heiraten hat es schon noch Zeit.“

„Das glaub’ ich“, mengte sich Don höchst respektswidrig [S. 210] ins Gespräch. „Der Herr Baron sind ja noch vor der Schultafel gestanden.“

Großmama, die sich zuerst ablehnend verhalten, lächelte nun doch etwas geschmeichelt, und er fährt fort:

„Vier Jahre, sage vier Jahre — beinahe so wie der Jakob um Rebekka, hab’ ich um die Mama geworben. Und weil mein Vater sah, daß ich meinem Entschlusse treu blieb, gab er nach. Aber er sekierte mich in einemfort und sagte: „Geh’ bild’ Dir nur ja nichts ein: die Constanze mag Dich ja gar nicht.“ Die Mama wollte mir nämlich nie öffentlich einen Kuß geben, aus übertriebenem Schicklichkeitsgefühl. Schließlich mußte er seine Vermutung doch aufgeben.“

„Genug, genug, lieber Ferdinand,“ bestimmte Großmama, doch diesmal fügte er sich ihrem Wunsche nicht: „O nein Mylady: jetzt kommt gerade das Piquante.“

„Schämst Du Dich denn nicht, vor dem Kind?“ Ich war nämlich noch immer das Kind.

„Nein, gar nicht. Es war bei einem Spaziergang. Die Eltern giengen ein Stück voraus und ich schlich zu Constanze, die etwas im Zimmer vergessen hatte. Wir benutzen die Gelegenheit, und wie wir mit einander schnäbeln, steht plötzlich mein Vater vor dem Fenster und ruft in seiner ungenierten Art herein: „Ah, da schaut’s nur einmal her: Tut’ immer als ob’s nicht Drei zählen könnt’ und laßt sich dann von ihm abbusseln.“ — Wie die Mama erschrocken und verlegen war! Ganz feuerrot. [S. 211] Geweint hat sie vor Verzweiflung. Gelt Mylady?“ und er tastet nach ihrer Hand.

Um Ruhe zu haben, reicht sie ihm die Fingerspitzen und während er sie an seine Lippen führt, murmelt sie, den Blick himmelwärts gerichtet, als riefe sie unhörbare Zeugen an: „Nein — nein diese Fadheiten.“

Und Tante Nilla rümpft die Nase und ißt stillschweigend weiter. Sie spricht jetzt womöglich noch weniger als früher. — Man sieht und hört sehr wenig von ihr. Nur wenn die Turmuhr Mittag verkündet, tritt sie in einen dicken Mantel gehüllt, das Gesicht mit einem Schleier so vermummt, daß man gar nichts von ihren Zügen sieht, auf die Terrasse. In der einen Hand trägt sie einen Marktkorb, in der anderen eine enorme Gießkanne. Rechts und links von Hunden in einer abenteuerlichen Uniform — marineblau mit grauen Borten — flankiert, so findet sie sich bei ihren Schützlingen ein.

An einer entlegenen Stelle des Gartens ragt eine stattliche Colonie empor, an der beständig hinzugefügt, vergrößert wird. Nie haben altersschwache Eichkätzchen, flügellahme, hinkende Krähen eine fürsorglichere Pflegerin, ein comfortableres Heim besessen.

Und hier taucht die schweigsame Tante auf. Sie spricht mit diesen stummen Geschöpfen, als wenn es ihresgleichen, vernünftige Wesen wären, und legt eine Zärtlichkeit in ihre Stimme, wie sie nur weichen Gemütern eigen [S. 212] ist. Sie tadelt und lobt, streichelt sie, und lacht fast übermütig auf, wenn Eines oder das Andere Allotria treibt. Es ist nicht mehr dieselbe, etwas düstere Erscheinung, wie wenn sie unter Menschen weilt. Nichts von jener unnahbaren Haltung, die von vornherein jedes herzliche Verhältnis ausschließt.

Und es ist, als ob die Tiere sie verständen. Jedes kennt seinen Namen und niemals meldet sich ein falscher. „Nirps!“ und der Doyen der Krähen, ein einäugiger, ziemlich zerzupfter Gesell kommt herangetänzelt und dienert vor ihr, oder „Stutzl“, das Eichhörnchen mit dem angeschossenen Bein versucht einen Purzelbaum zu schlagen. — Im Großen und Ganzen eine traurige Gesellschaft. Mir tut ihr Anblick weh.

Ich blicke mit einer Art Staunen zur Tante hinüber: sie ist eine von Jenen, aus denen man nicht klug wird. Vielleicht war ihr einmal Böses widerfahren und der alte Groll lebt in ihr fort und macht sie fühllos den Menschen gegenüber. Wer weiß! Ich hätte etwas darum gegeben, dieses Problem zu lösen, doch es gelang mir nie. Tante Nilla wußte ihre Persönlichkeit und alles was damit zusammenhieng, in das undurchdringlichste Dunkel zu hüllen. Sie war und ist mir immer ein Rätsel geblieben. Ihre Liebe zu den Tieren bildete sozusagen das einzige Bindeglied zwischen uns. Denn auch ich schwärmte für so etwas Kleines, Vierbeiniges, das wir im Garten hatten, ein junges Reh. Es ist eine Waise und — namenlos.

[S. 213]

Wir nennen ihn nur: „Er.“ — Das sagt aber auch Alles. Er ist eines jener bevorzugten Wesen, die sich die Herzen Aller im Flug erobern, ohne selbst etwas dazu zu tun. „Er“ ist, „er“ existiert und das genügt vollkommen, dadurch erfüllt „er“ seine Pflicht. Nicht, daß er sich etwa keiner äußeren Vorzüge rühmen darf: ganz im Gegenteil, er ist in Allem und Jedem der comble der Vollkommenheit. Welche Anmut, welch’ hinreißende Grazie er besitzt, das hält nur Jener für möglich, der ihn selbst gesehen. In seiner Haltung, dem stolzen Tragen des Kopfes, dem leicht gewiegten Gang liegt eine Poesie ohnegleichen. Er hat eine Art und Weise, Einen anzublicken, die wie Sonnenschein ins Innere dringt; im feuchten Glanz der großen dunklen Augen liegt etwas, das zum Guten mahnt, und einem Jünger Apoll’s die lieblichen Worte entlockte.

„Hat diese Welt als einz’gen Lohn
Für mein Bemühen, Spott und Hohn,
Kann nichts mein Herz so tief erquicken,
Als in Dein arglos Aug’ zu blicken.“

Und er war tatsächlich im Zeichen der Poesie geboren. „Im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen, da war sein Lebenslichtlein aufgegangen.“ Im Waldesschatten, nahe dem murmelnden Bach, hatte seine Wiege gestanden; bemooster Boden, um den sich zartgrünes Brombeergestrüpp schlang, und dort habe ich „ihn“ gefunden.

Sein Vater hatte sich in Ermangelung jeden Sinnes [S. 214] für Familienpflichten auf und davon gemacht, und da „ihm“ ein tückisches Schicksal die natürliche Ernährerin von der Seite gerissen, stand „er“ allein und hilflos da, inmitten der weiten Welt.

Wie er zitterte in seinem Versteck und mit der weichen Sammetschnauze meine Lippen beschnupperte! Dann begehrte „er“ infolge einer optischen Täuschung stürmisch nach meinem Handschuh, den ich ihm auch bis auf Weiteres willig überließ.

Ich drückte das liebe kleine Ding mit dem gefleckten Fell zärtlich an mich, mit der Empfindung, einen Schatz gefunden zu haben. Aber mit zärtlichen Gefühlen allein nährt man kein monataltes Reh, und so hieß es denn, die materielle Seite in’s Auge zu fassen. Ich machte mich mit meiner leichten Bürde auf den Heimweg und sah der Zukunft frohgemut entgegen, denn die Adoption schien mir, wenigstens vorderhand, mit keinen unüberwindbaren Schwierigkeiten verbunden. Ein eingezäunter Platz der Obstwiese sollte sein neues Heim werden, und zur Wärterin bestellte ich mich selbst. Die Bedürfnisse meines kleinen Kostgängers waren recht bescheidene, und der Dank, mit dem er jede Aufmerksamkeit entgegennahm, verdoppelte die Freude, für ihn zu sorgen.

Wenn ich ihn in den Armen hielt und er heißhungrig die mit warmer Ziegenmilch gefüllte Saugflasche bearbeitete, bot sich mir Gelegenheit, ihn bis in’s Detail zu studieren, und ich gewahrte Schönheiten, die mir im [S. 215] ersten Augenblick entgangen waren. So weich und harmonisch war Alles an ihm, so rührend der Ausdruck des Köpfchens, mit den langen, aufgebogenen Wimpern und den seidigen Losern. Dann stellte ich ihn auf die Erde und er machte kleine, furchtsame Schritte, wobei er jedoch die übermäßig langen Beine mit einer Behutsamkeit und Grandezza voreinander setzte, als wäre er ein Tanzmeister in Lackschuhen. Er folgte mir auf Schritt und Tritt, benahm sich immer gut und würdevoll. — „Er“ ist zum Tagesgespräch geworden und es machte uns Spaß, ihn im Geiste in den verschiedensten Verkleidungen vor uns zu sehen. Bald stellten wir ihn uns als Troubadour vor, an der Mandoline zupfend, bald wieder im kleidsamen Rokokocostüm mit Zweispitz und Hackenschuhen, auch im Spitzhut des Touristen, bis wir zum Resultate kamen, daß er überhaupt nicht mehr schöner sein könne, als er war.

Wir erfanden ganze Geschichten, die wir zum Schlusse für wirklich wahr hielten und in denen „Mutzamein“, eine zarte, weiße Katze, die Hauptrolle spielte. Es gieng das Gerücht, daß „er“ sie zur Wirtschafterin engagiert habe und wenn wir vor der Thür ihr „Miau“ vernahmen, frugen wir, als ob es sich von selbst verstände: „Was will denn der gnädige Herr?“ — „Gnädiger Herr?“ Im Grunde aber hegten wir die feste Überzeugung, daß er bedeutend höher auf der socialen Leiter stünde, etwa „Chevalier“ war, Marquis oder spanischer Grand. Alles [S. 216] sprach dafür, wenn man auch keine bestimmten Tatsachen nachweisen konnte. Sein elegantes Auftreten, sein vornehmer Geschmack. Er nahm nur Delicatessen zu sich, das Erste, Saftigste, was die jeweilige Jahreszeit bot — Veilchen, frische Rettigblätter, die er mit Kennermiene verzehrte, Rosen, Erdbeeren und geschnittene Äpfel.

Sehr komisch war es anzusehen, wenn er Baumäste und niederes Buschwerk attaquierte und dazu die tollsten Sprünge machte. Er konnte eben tun, was er wollte, wir fanden Alles „herzig“, unnachahmlich.

Robert schien sein Anblick zu ergötzen und das stimmte mich milder gegen ihn. Ich hatte mich indes getäuscht.

„Im nächsten Frühjahr kann er ein ganz passabler Bock sein. Dann lassen wir ihn hier im Garten aus und veranstalten eine Jagd.“

Obwohl es halb im Scherz gesagt war, empörte mich die Äußerung. Es lag so viel Taktlosigkeit darin, so viel Rohheit des Gefühls.

* *
*

Ein Tag vergieng wie der andere, — und die Jahre flossen dahin in ruhiger Gleichmäßigkeit. Ich merkte es kaum — es war mir zur zweiten Natur geworden, dieses Leben, arm an Ereignissen und reich an Arbeit.

Ab und zu kam Besuch aus der Nachbarschaft und da erzählten dann die jungen Mädchen von den Erlebnissen im Fasching und in der Stadt. Bälle, Rennen, Toiletten und Courmacher. Sie kannten kein anderes [S. 217] Thema, ich wußte nicht mitzureden und so blieben wir uns fremd.

Und doch, wenn sie gegangen, beschlich es mich wie leise Wehmut. Eine so eigentümliche Empfindung. Ich kann nicht sagen, was es ist. Es lehnt sich etwas in mir auf. Es fehlt mir etwas. Dann eile ich, von innerer Rastlosigkeit getrieben, von einem Zimmer in das andere, hinaus in den Wald, und da wird mir leichter.

Es ist so ruhig und friedlich um mich her. Ich schließe wie unbewußt die Augen und atme in langen Zügen die würzige Harzluft ein. Das Rauschen der Bäume klingt wie Musik an mein Ohr. Welch’ eigentümlicher Zauber liegt doch in dem Zusammenklang dieser mannigfachen Töne, welche Harmonie in dem bald nahen und lauten Flüstern, bald weit und leise schallendem Echo!

„Tok-tok“ tönt es in regelmäßigem Rytmus vom nahen Baumstamm herüber. Meister Specht hat wohl eine Postarbeit zu vollenden, und unwillkürlich muß ich über die Geschäftigkeit des bunten Vogels lächeln. Die alten Tannen neigen zustimmend das Haupt, und die zwei Eichkätzchen, auf deren Fell gerade ein Sonnenstrahl fällt und es goldig schimmern macht, halten in ihrem Haschen inne, als schämten sie sich ihrer Spielsucht, aber schon im nächsten Moment beginnt die tolle Jagd von Neuem. Leichtfertige, schnelle Dinger! — Glückliche Geschöpfe, die nichts ahnen vom schnellen Entschwinden der Zeit, nur die Lust des Augenblickes kennen, ohne Furcht [S. 218] und Reue. Wer weiß, sie sind vielleicht klüger als Jene, denen so manches Vorurteil das volle Genießen verbittert.

Ein welkes Laub wirbelt mir in den Schoß und ich schrecke nicht zurück vor der Berührung mit dem bleichen Gespenstchen; es will mir fast wie ein Widerspruch scheinen, denn auch hier weht mir kalter, erbarmungsloser Todeshauch entgegen. Auch in diesen zarten Äderchen hat noch vor Kurzem Leben pulsiert, frisches, warmes Leben, das ein einziger Windstoß, ein leiser Ruck vernichtet hat. Ich seufze auch nicht, während ich es zu Boden gleiten lasse. Mag es hier auf der feuchten Erde liegen bleiben und vermodern, mögen achtlose Menschenfüße es zu Staub zertreten, es hört nicht auf zu sein, wenn auch in anderer Form und Weise. Mutter Natur hat ein zu großes, liebendes Herz, sie hängt auch am kleinsten ihrer Kinder und will sich von ihm nicht trennen.

Alles um mich her strömt intensive Lebensfreude aus. Ein schillernder Schmetterling wiegt sich im Cyclamenbecher und schlürft berauschenden Trank.

Die kleinen naseweisen Ameisen summen etwas von „fleißig sein.“ Offenbar behagt ihnen mein müßiges Träumen nicht. „Nun laßt aber auch sehen, ob ihr vollkommen genug seid, um Anderen gute Lehren zu erteilen?“

Behutsam nähere ich mich dem aus Erde und Tannennadeln gebildeten Haufen, in dem es schwarz wimmelt. Ich halte den Atem an und sehe gespannt dem regen Treiben zu. Was das für geschickte Baumeister sind! [S. 219] Wie klug und systematisch die Strohhalme, Nadeln und Holzspähne auf einander geschichtet sind! Aus der winzigen Baumhöhle schöpfen sie unermeßliche Reichtümer aus selbstfabricierten Sägespähnen. Eine Ameisenabteilung steht auf dem balconähnlichen Vorsprung und wirft aufrecht stehend, mit den Vorderfüßen den unten harrenden Cameraden staubähnliche Splitter zu. Jene Anderen, welchen die Sorge für die Mittagstafel obliegt, schleppen mühsam einen Käfer, ein totes Würmchen herbei; sie keuchen gewiß unter der schweren Last, aber Entmutigung kennen sie nicht. Nach minutenlanger Rast nehmen sie die Bürde wieder auf und frisch geht es dem Ziele zu. „Nur nicht verzagen“, das ist ihr Motto.

Ich lasse mich auf einen Reisigbündel nieder und meine Betrachtungen schweifen von der emsigen Colonie dem blauen, wolkenlosen Himmel zu. Wie gleichmäßig spannt er sein Zelt aus, wie unergründlich ist sein Lächeln, das er auf so viel Glück und auf so viel — Elend herabsendet! ... Ich kehre wieder zur Erde zurück und lenke den Blick auf die vor mir liegende Waldpartie. Nicht ohne Wohlgefallen wende ich das Auge von den alten hundertjährigen Buchen- und Eichenbeständen zu den Kindern späterer Zeit, deren Prachtentfaltung der Zukunft gehört. Es macht einen angenehmen Eindruck, dieses frische, saftige Grün, im Gegensatz zu dem ernsten Dunkel, das wie ein Schatten, eine erfahrungsreiche Mahnung zur Jugend hinübersieht. „Was könnten wir [S. 220] Euch erzählen, wie trefflich Euch raten; noch verschmäht Ihr unsere Warnungen, einstens aber werdet Ihr an uns denken.“ — Vergeßt Ihr wieder einmal, Ihr Alten, daß auch Ihr in Jugendfülle und Übermut dastandet, den Lenzhauch in Eueren Ästen rasten ließet und die gefiederten Liebespaare in Eueren Zweigen beherbergtet?“

Im Grase zu meinen Füßen schimmert es in schillernder Taupracht. Es zittert und weht hin und her, wie der zarteste mit Goldfiligran verwobene Spitzenschleier. Bedächtig zieht sie einen Faden um den andern, die langbeinige Spinnerin, ganz unbekümmert um die arme gefangene Eintagsfliege, die Todesqualen leidet. „Warte nur, Du grausamer Tyrann! Wir leben nicht mehr in der Zeit des Faustrechtes; einer schöneren Periode geht es entgegen, wo es keine Hinterlist, keinen Betrug und — keinen Krieg mehr giebt.“ Ich fahre mit der Schirmspitze in den flimmernden Dunst und jetzt ist es mir leichter. „Lebe, kleine Fliege und schwing’ Dich mit den glashellen Flügeln in den blauen Äther empor.“

Brombeerstauden umschlingen die Baumstümpfe des Holzschlages und die schwarzen Früchte blicken mir verlockend entgegen. Ist es denn so lange her, daß ich an diesem Plätzchen gekniet und Erdbeerlese gehalten habe? — Ja, das Rad der Zeit rollt unaufhaltsam fort. Auch der Frühling, die Jugend entflieht und der Herbst meldet sich. Doch es gibt ein schönes, frohes Alter, es entsprießen ihm süße, erquickende Früchte, wenn ein Lenz [S. 221] der Gewissenhaftigkeit, ein Sommer treuer Pflichterfüllung vorausgegangen.

* *
*

Die Tante und ich, wir nahmen seit längerer Zeit regen Anteil an der Friedensbewegung und waren mit vielen Gleichgesinnten in schriftlichen Verkehr getreten. Und wir hätten es nur natürlich gefunden, wenn das gesammte weibliche Geschlecht sich verbündet hätte, um der Kriegsfurie Einhalt zu gebieten. Mußte denn nicht jedes Mutterherz bluten, bei der Vorstellung, daß sein Kind eines Tages verstümmelt, zerfetzt, unter namenlosen Qualen zugrunde gieng? — Doch nein, es war noch immer Mode, die Söhne altadeliger Familien in militärischen Anstalten erziehen zu lassen, und wer es wagte gegen den Strom zu schwimmen, wurde mit scheelen Blicken angesehen.

Zudem gab es mehr als einen Retrograden, der aus Princip ein wütender Gegner der Bewegung war, sich mit Händen und Füßen wehrte, und ihr mit beißendem Hohn begegnete.

In unserem Dorfe selbst verhielten sich die meisten Leute, namentlich zu Beginn, ziemlich mißtrauisch. Wenn sich einmal ein Bauer etwas in den Kopf setzt, läßt er es sich nicht so leicht wieder ausreden, und sie hatten von jeher an dem Grundsatz festgehalten: „Nur ja schön vorsichti sein, sonst sitzt mer mir nix, Dir nix in der Patschen. Und gar wann’t Herrschaft d’ Hand im Spüll [S. 222] hat — die kunnt an ausnutzen und dabei no profitieren.“

Diesen Leuten gegenüber mußte man also eine eigene Taktik einschlagen. Ihnen schroff begegnen, hätte sie abschrecken geheißen von allem Anfang an, und sie bitten, wäre ebensowenig das Richtige gewesen. Es blieb nur eine Möglichkeit: sie selbst zum Denken zu bringen. Wir verteilten Flugschriften unter die Erwachsenen und beschenkten die Kinder mit kleinen hübschen Geschichten. Und war gerade der Büchervorrat erschöpft, so erhielten sie Spielzeug und andere Kleinigkeiten. Hin und wieder nahm ich die Vernünftigeren auf einen Spaziergang mit, und das schmeichelte den Eltern ungemein: „Mußt schön fleißi sein und Dein G’setzel auswendi lernen, nachha darfst an ein Sunndag mit der Baroneß Mimi gehen“, und die Kinder folgten gern.

Und im Verkehr mit diesen jungen Geschöpfen fühlte ich mich selbst in meine Kindheit zurückversetzt. Meine Lieblingspuppe „Clementine“ hatte ich dem kleinen Hauer-Reserl geschenkt und die trennte sich nicht mehr von ihr. „Wissen’s Baroneß, ich hab’ die Tini so gern, weil’s Ihnen g’hört hat“, versicherte sie ernst. „Überhaupt, wann Sie mir was schaffen, so freut’s mi immer. Das war so schön, was mer neuli zum Lesen geben haben.“

„Was war das Reserl? Ich erinnere mich nicht mehr.“

„No die G’schicht vom Soldaten, der stirbt, und wie [S. 223] sei kleine Tochter ins Spital kommt und sagt, daß ohne Vattern nit leben will.“

„Ja, Reserl, gelt’ das is traurig, wenn’s so anem Kind sein Liebstes erschießen!“

„Und ob.“ Drauf ward sie schweigsam. — — Sie gieng mit zaghaften Schritten neben mir her; das Köpfchen hielt sie etwas gesenkt und die langen schwarzen Wimpern warfen dunkle Schatten auf ihr blasses, schmales Gesicht. Sie war kein schönes Kind, aber eigenartig durch und durch. Für mich hatte sie eine große Schwärmerei, — ich glaube sie hieng noch mehr an mir als an den Eltern — und dann noch für die dunklen Pensèes, die in mannigfachen Farbenzusammenstellungen unsere Gartenbeete zierten.

„Goldblumen“ so nannte sie sie, meine stummen Rivalinnen. Ich habe die Kleine einst belauscht. Sie kniete, winzig wie ein Käferchen, vor einer Gruppe der genannten Blumen, den Oberkörper etwas nach vorn gebeugt, die Arme wie segnend ausgebreitet, während ihre Augen in unbeschreiblicher Verzückung an den dunklen und gelben Köpfchen hiengen. Ein Lächeln, das ich nie vorher an ihr gewahrt, verklärte ihre Züge und dann plauderte sie mit den sammtenen Geschöpfen. „O wie schön Ihr seid, meine lieben Goldblumen, schöner, viel schöner als die Rosen und Nelken, — ein Jed’s ein anderes G’sichterl. Ihr solltet’s nie verdorren. Habt’s nur keine Angst. Ich pflück’ Euch nicht: ich tu’ Euch nichts zu Leide.“ Und [S. 224] dann küßte sie jede einzelne auf das sanfte Blumengesicht.

Ich lauschte stumm und tiefergriffen. Es gab also Kinder mit angeborenem poetischen Empfinden, das der Schlamm, der Schmutz, in dem sie ausgewachsen, nicht zu ersticken vermocht. Was konnte aus einem solchen Wesen werden, wenn es in die richtigen Hände geriet — und umgekehrt. — — —

Die paar Stunden in der Schule und dann sich selbst überlassen, den lieben langen Tag. — — Wieviel schöne Anlagen, die nie zur Ausbildung gelangen, wieviel Talente, von denen Niemand ahnt. — Aber freilich, wo soll der Staat das Geld hernehmen für die Erziehung, wenn er es so nötig braucht für neue Uniformen und Gewehre.

Sie war nur eine der Vielen, die den trostlosen Verhältnissen zum Opfer fallen und ich wurde unendlich traurig bei dem Gedanken. „Armes, armes Reserl.“

* *
*

Bei meinem Vetter gieng etwas nicht mit rechten Dingen zu: wir merkten es ihm deutlich an, und schließlich rückte er mit der Sprache heraus. Um doch irgendwie die Zeit totzuschlagen, hatte er sich dem Spiritismus gewidmet. Er befaßte sich mit Tischklopfen und Geisterschrift und gab sich alle erdenkliche Mühe, uns für seinen neuesten Sport zu gewinnen. „So versucht es doch nur [S. 225] einmal. Ich begreife gar nicht, wie man an dem Einwirken überirdischer Mächte zweifeln kann.“

„Wir läugnen auch gar nicht, daß es noch unerforschte Kräfte gibt, in der Natur: ich selbst glaube — d. h. bis zu einem gewissen Grade an Suggestion, und an Hypnose: doch das hat mit Deinen Geistern nichts zu tun“, erwiderte Tante Laura.

„Du willst also nicht zugeben, daß welche existieren. Wir haben aber Beweise dafür.“

„Du bist jedenfalls sehr genügsam, Robert, wenn Du Dich damit zufrieden gibst, daß sich im finstern Zimmer ein Tisch bewegt, oder wenn Du fragst, Antworten erteilt, die Dir der erste beste Bauer geben könnte. Ich verlange da schon etwas mehr.“

„Was sollten sie denn sagen? Sie müssen ja auf das Niveau unserer Vernunft herabsteigen, um sich uns verständlich zu machen.“

„Sie müßten im Gegenteil unseren Geist erleuchten, unser Auffassungsvermögen erweitern, damit wir ihnen über die Alltäglichkeit hinausfolgen könnten. Uns ganz ungeahnte, verblüffende Dinge enthüllen, uns von der Zukunft prophezeien. Kannst Du mir etwas in dieser Art anführen?“

„Es ist sehr schwer mit Solchen zu discutieren, die von vornherein nicht glauben wollen.“

„Wenn es Dir gelänge, mich zu überzeugen, würde ich mich gewiß nicht sträuben: aber bis jetzt habt Ihr [S. 226] nichts Markantes aufzuweisen. Im Gegenteil, es ist ja nachgewiesen, daß die paar Haupteffekte, mit denen sich die Spiritisten so gerne brüsten, auf schwindelhaften Manipulationen beruhen. Weshalb scheuen Euere hohen, freien Geister das Tageslicht? Soll nur einmal Einer eine séance bei Sonnenschein halten! Das versuchen sie aber wohlweislich nicht: „im Dunkeln ist’s gut munkeln.“ Und, soll ich Dir offen meine Meinung in dieser Frage sagen?“

„Gewiß“, versetzte er zögernd.

„Ich halte es geradezu für ein Unrecht, für einen Betrug, der dummen, leichtgläubigen Menge solchen Hokuspokus vorzumachen, sie auf den Holzweg zu führen.“

„Aber Du, die Du so viel auf Ethik gibst, siehst Du denn nicht das veredelnde, erhebende Moment? Die Leute werden sich mit ihrem Schicksal viel eher aussöhnen, wenn sie in der Erwartung eines idealen Jenseits leben.“

„Robert Robert, Du tust mir wirklich leid. Ich finde keine Spur von Ethik, noch von Ästhetik in wandelnden, weißdrapierten Gerippen, die um Mitternacht in den Möbeln rumoren, und furchtsame Leute an den Ohren zupfen.“

„Immer die realistische Auffassung.“

„Aber doch mit Recht. Und Scherz beiseite, nur Leute im höchsten Grade der Nervenzerrüttung, anormale und schwache Menschen, die einen Profit erhoffen, die nicht Mut genug besitzen, sich in das Unabänderliche einer [S. 227] Trennung zu fügen, sind Euere Genossen. — Ja, wenn die Lieben widerkämen“, fügte sie in Selbstvergessenheit hinzu, „dann freilich wär’ der Abschied nicht so bitterhart. Aber bloß weil wir es wünschen — das genügt nicht.“

Auch ich seufzte auf und Robert trachtete meine Stimmung auszunützen: „Du hast kein Wort gesagt? Du hältst es doch wenigstens nicht für unmöglich?“

„Ich glaube nicht daran.“ „Wahr, wahr in allen Consequenzen, und wenn das Herz darüber bricht“, es war sein heiliges Vermächtnis.

„Das reine Echo Deiner Tante“, versetzte er spitz und gieng.

* *
*

Mein Geburtstag. Ich bin 24 Jahre alt geworden. Wie ist das nur gekommen, so rasch, so unvermerkt? Was war mein Leben bis jetzt gewesen, und was würde es in Zukunft sein? — —

Es klopft.

„Herein!“

Hannerl in ihrem besten Staat wünscht mir alles erdenkliche Gute. Ihr Gesicht strahlt vor eitel Wonne, seit Großmama auf unser Zureden, ihre Einwilligung zur Heirat mit Fertel gegeben, der nun zum Förster avanciert war.

Im Winter sollte Hochzeit sein, und täglich nach Feierabend arbeiteten sie an der Einrichtung ihres neuen Heims. Hannerl wurde nicht müde, mir darüber zu berichten:

[S. 228]

„Das erste Zimmer soll lichtgrün werden — der Plafond mit Blumen in den Ecken — und der Glaskasten soll“ — — „Ein weißes Haar“ — „da schauen Baroneß“, und mit naivem Interesse hielt sie mir die eine Flechte hin. „Aber nicht ausreißen“, bat sie, als ich es herausziehen wollte — — „das ist ja schön“, und sie plauderte weiter.

Ich aber war nachdenklich geworden. Und wieder kam es über mich, jenes ängstliche, beklemmende Gefühl, das mich in letzter Zeit so häufig beschlich. Eine Art Schwindel und dabei ein Prickeln unter der Haut wie von 1000 Nadelstichen. — — Ich fühlte mich abgespannt und müde; dabei ward es mir zu eng im Zimmer, ich meinte zu ersticken.

Vor dem Tor erwartete mich die Schar der kleinen Gratulanten aus dem Dorf. Sie waren komisch anzusehen, wie sie dastanden, geschniegelt und gestriegelt, und in sichtlicher Befangenheit an ihren Schürzen zupften. Atemlos, als jage Jemand hinter ihnen drein, plapperten sie ihren Vers herunter und seufzten erleichtert auf, als sie damit zu Ende waren.

Nur Reserl hielt mir stumm einen Strauß Reseden hin und küßte mir die Hand. Da stieg es mir heiß in die Augen und ich wandte mich rasch ab — — es sollte Niemand sehen, wie unaufhörlich mir die Tränen über die Wangen rannen, hinab auf die Hände, die hellen, salzigen Tränen.

[S. 229]

Das Laub prangt in den glühenden, satten Farben des Herbstes, und feuchte Nebel rieseln herab. Ein eigentümlicher Modergeruch erfüllt die Luft, und zahllose welke Blätter bedecken die Erde. — Ein winziger Vogel hüpft von Ast zu Ast und singt — — es klingt so traurig und gemartert.

Graue Wolken jagen am Himmel dahin: eine unerklärliche Lust erfaßt mich; sie zu haschen, die so rasch entfliehen. „Bleibt, eilt nicht so!“ — — Alles vergeht, ich komme mir so alt vor, und erst später — wie lang wird’s dauern!

Namenlose Traurigkeit erfüllt mich. Ich möchte mich hinlegen zu den toten Blättern und mit vergehen im großen Sterben der Natur.

Müde lassen die letzten Blüten ihre Köpfchen hängen, als hätten sie gar Schweres zu tragen. Wer weiß! Es kann ja Niemand in einer Rosenseele lesen!

Auf den Wiesen spannt der Altweibersommer seine Fäden aus. — — Langgezogen und schwermütig tönt der Pfiff der Eisenbahn zu mir herüber, wie der letzte, jammervolle Aufschrei einer gequälten Seele.

Dann ist es still. Das Ende. Wie öde, wie leer! Und plötzlich kommt mir ein Lied in den Sinn, das ich die Tante singen gehört, das Tosti’sche „Ninon“:

Ninon, Ninon, que fais-tu de la vie?
Rose ce soir, demain flétrie.
Comment vis-tu?
Toi qui n’as pas d’amour?

[S. 230]

Morgen schon „vorbei“. — — Jede Minute arbeitet langsam aber sicher am Zerstörungswerk. Unaufhaltsam treibt die Natur ihr grausames Spiel. Sie schafft mit Feenhänden, um mit Keulenschlägen zu zertrümmern.

Nichts bringt uns das Heute zurück. — Das Leben ist so kurz — und im Weibe wohnt der Drang — sich hinzugeben in der Rosenzeit. Es ist so traurig, dahinzuwelken, ohne geblüht zu haben.

„Vierundzwanzig Jahre“, und ich betrachtete mich lang im Spiegel. — Ich sah bedeutend jünger aus. — — Aber es war doch nicht mehr der taufrische Teint, der leuchtende Blick von früher. — Und dann auf der Stirne, um die Mundwinkel — die ersten Fältchen, unmerklich dünne Linien noch — aber wie lange?

Vielleicht war ich überhaupt nie jung gewesen? Eine Scheintote, die plötzlich aus dem Sarge steigt um die Rechte der Lebenden zu fordern „Glück und Liebe.“

In der Arbeit liegt Befriedigung: ich hatt’ es selbst erfahren. — — Aber alles ersetzen — nein — — das hat sie nicht vermocht.

Mein Herz begann zu klopfen, so laut und bang. Ich hörte seine Stimme deutlich: sie sprach von „Leben und Genießen.“

* *
*

Der Winter zeigte sich ganz besonders hartnäckig in diesem Jahr und die Post hatte infolge der argen Verwehungen [S. 231] wieder einmal Verspätung. Der alte Witzelsberger lädt uns ein, in der Wohnstube Platz zu nehmen, und wir folgen der Aufforderung gerne, denn er ist ein guter Mensch, und einer von den Wenigen, die Schritt zu halten wissen mit ihrer Zeit, so weit man es von einem simplen Bauer verlangen kann. In seinen Mußestunden — d. h. wenn er nicht amtlich zu tun hat — betreibt er das Schusterhandwerk, und während er auf seinem Dreifuß sitzt und die Ahle durch das spröde Leder gleiten läßt, schweift sein Geist in höheren Regionen. Er dichtet nicht, wie Hans Sachs, hat aber einen offenen, empfänglichen Sinn für Alles, was die Welt bewegt. Eine gesunde, derbe Vernunft leuchtet durch jede seiner Äußerungen, und unter dem groben Barchentkittel steckt ein braves, ehrliches Herz.

Eben befestigt er eine Sohle an winzigen Kinderschuhen: „Die san für die klane Bucher-Lisi aus Polenz“ erklärt er uns. „S’ war ja eh nimmer zum Anschaun, was das arme Hascherl g’froren hat. Blaurote Füß und kein Feuer im Ofen! — Ja, wenn mer so in die Häuser einerschauert, da hätt’ mer bald g’nua. S’ Armsein, ja!! — Wann eins no g’sunde Glieder hat, und was verdienen kann, aber so an Existenz wie die sieche Hablarin — kan Menschen zur Pfleg, und nit allemal a Stückel trockenes Brot im Haus — wahrhafti, s’ Herz kunnt’s Einem im Leib umdrahn. — Und da kauft si so a Millionarstochter um 30000 Gulden (nochmals, und sehr [S. 232] gedehnt) um dreißigtausend Gulden eine seltene Pflanzen. Ja, versteh’ns denn dös? I hab’s rein nöt glauben wollen, wier’ is g’lesen hab’. — Die Blumen, und wenn’s a no so schen is, wie lang dauert’s denn, und sie laßt ’n Kopf hängen? Und herentwegen, wie vüll Gut’s ließert si mit dem Geld machen. Die wissen’s Alle miteinander nicht, die reichen Leut’, was für a furchtbare Verantwortung als’ haben.

Vor ein paar Täg’ is in der Zeitung g’standen, daß ein Abgeordneter — der Namen fallt mir nit glei ein — von an Steuerzuschlag g’sprochen hat. Viel macht’s für’n Einzelnen nit aus, — die paar Kreuzer mehr, die tun auch Unsereins nit weh — und z’sammenkommen tät halt do hübsch was, und die armen Leut’ braucherten doch wenigstens nit zu derhungern. Da wüßt’ mer do für was, mer hätt’ was davon. Es is ja a Schand — in an ordentlichen Staat darf ja so was gar nicht vorkommen. Das Richtige g’schieht so nit alleweil — — no freili, ma traut si’s nit z’ sagen, sonst kommert mer in Verruf. — — Zu was denn um Herrgottswillen, das viele Müllitär? — — Anfangen mag do Keiner, weil Jeder si fürcht’, — no ja, selbstverständli — no also, jetzt steh’ns da — und warten — — is dös vielleicht a a Beschäftigung? — Und leben müssen’s do — Geld brauchen’s — her damit.“

„Ja, Recht hab’ns Witzelsberger,“ versetzt die Tante. „Nicht nur, daß das Rüsten ins Blaue hinein, Unsummen [S. 233] kostet, — es erregt vor Allem Mißtrauen, und das ist eine große Gefahr.“

„No freili — so hab’n sie die großen Krieg no immer ang’fangen. Mannigsmal schielt a der Ane oder der Andere von die hohen Herren über die Grenz, und wann ihm halt beim Nachbarn a Stückerl gar z’ gut g’fallt — nachher geht’s los. — Bitt’ Ihnen, für a Fleckerl Erden — is denn dös im Verhältnis — wenn mer denkt, wie viel tausend drunter leiden? Wir hab’n do nix davon — na uns fragt mer aber a nit. — Sonst, wier’s Volk heutzutag is, a jeder Anzelne tat Ihnen antworten: „Ah na, i bin nit für n’ Krieg, — i nit.“ S’is ja a Jammer, wann die Burschen fort müssen — drei Jahr lang dienen — wann’s nachher hamkommen, da hab’ns das Bissel, was konnt haben, a no verlernt; spielen si auf ’n nobligen Herrn aus, trinken, machen Schulden, tun den Dirn’ schön und lassen’s sitzen, wenn se ’s ins Unglück bracht haben. Na ja, von vorn anfangen, das g’freut’s net; so is kommoder — und a Posten zu an Officiern find’ si a nit allemal.“

Er war plötzlich nachdenklich geworden. — „Ja wann i mi so an’s Jahr 66 erinner’“, fuhr er nach einer kleinen Pause fort — „die Herrschaft war dazumal auf Reisen — weil mer kei Kirchen im Ort g’habt haben, da san mer’s ganze Dorf an ein Sunndag in die Meß übrigangen nach Blauenstein. I hab’ früher Flöten blasen auf’n Chor, und war immerdar der Eifrigste im Gotteshaus. [S. 234] Wie aber dann der Herr Pfarrer — jetzt tut ihm a kan Zahn mehr weh — ang’fangt hat in’s Hetzen, daherzureden, als wann die Preußen kane Menschen nit wären, da hat’s mer nimmer g’fallen. Nachha bin i ausblieben. „Pfarrer“, hab’ i simuliert, „Pfarrer, is denn dös in der Urdnung, is denn dös a Christlichkeit, daß’t machst, als dürft’ mer an Fremden hassen? Hat do der Herr Jesus Christus selber g’sagt: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst — tue Gutes Deinen Feinden.“ Der Bischof hat’s bald derfahren, na dem war’s halt a nit Recht und drum hat er uns an andern Seelsorger verschrieben. Das war ein Mann, sag’ i Ihnen, Frau Baroneß, den hätten’s sollen predigen hören! „Vor unserm Hergott san mer Alle gleich — nur durch gute Werke und rechtschaffenes Leben können mer uns vor seine Augen wohlgefälli machen. Alle san mer unserm himmlischen Vater sei Kinder, ob mer aus Frankreich oder Deutschland kommen, Juden oder Christen sind. Keiner darf’n Andern was z’ leid tun, a Jeder soll schön staat vor seiner Tür kehren. Da hat er nur Recht g’habt, der geistliche Herr — Gott hab’n selig. — Wenn der heut aufständ’, der möcht’ dem Lueger, der ganzen Antisemitenpartei urdentlich den Text lesen. Na i gunnert’s ihnen, s’ war ihnen recht g’sund.

Ja alsdann — vom Jahr 66 hab’ i Ihnen derzälen wollen. War dös a Zeit — i wollt’s nimmer mitmachen, na i nöt. Aber i siehs vor meiner, akkarat [S. 235] als ob’s gestern wär. Im Frujahr, da san die Burschen wie g’wönli assentiert worden. Jeder hat zum Müllitär wollen, weil’s als was B’sonders golten hat. — Na, und die Madeln haben’s trieben! Wann Aner mit’n farbigen Büschel auf’n Hut z’ruckkommen is, no nachha war’s aus. Busseln hat’s geben, uje — und Augen verdraht haben’s, wie nit recht g’scheit. Ganz selbstverständli hat si da so a junger Mensch einbildt’, daß er was Extra’s is. No und mei Hannes, der hat’s halt a nit derwarten können, und die Freud, wie’s ihn g’halten haben! I hab’ in der G’huam immer g’hofft, sie nehmen ihn viellei do nit. — Aber er war a g’sunder starker Mensch: wir hab’n unsere Freud’ an ihm g’habt. Ja, dös hätt’ mer a nit denkt“, setzte er mit verschleierter Stimme hinzu und fuhr sich mit der rauhen Hand über die Augen. „Selbigs Jahr hat er mitmüssen, — na z’ruckkommen is er a — aber wie — mir wär’s meiner Söll lieber g’wesen, wenn ihn a Kugel glei mitten nei’ ins Herz troffen hätt’. Bei der Schlacht von Königgrätz hab’ns ihm an Fuß wurz abg’schossen und den Arm so verwundt, daß er’n hat in der Schlingen tragen müssen. — Er war schon so tüchti in der Wirtschaft g’west; hat Alles verstanden, i hab’ mi um nix net z’ kümmern braucht; — mit’n Arbeiten war’s halt dann aus, in Dienst hat’n a kaner mehr g’nommen und froh — dös is er sei Lebtag nimmer g’worden. Mit die paar Kreuzer, die ein Invalid auf’n Tag kriegt, — da wird er nit satt [S. 236] davon. Ganz schwermüti is er g’worn, der Hannes, zu trinken hat er ang’fangt, um net alleweil an sein Unglück zu denken. Was wir ihn beten hab’n: „Geh, sei g’scheit, laß’ stehen, thus Dein’ Eltern z’Lieb!“ All’s umasunst. S’hat nix g’nutzt, er hat net aufg’merkt — und am End’ is er d’ran zu Grund gangen. Dös hat „uns“ der Krieg bracht.“

Ich blickte mich scheu um in dem armseligen Raum, wo sich eine Tragödie abgespielt, wuchtiger, düsterer vielleicht, als auf mancher Großstadtbühne. Auch hier war der Todesengel eingekehrt, um ein blühendes Leben zu fordern: Schmerz und Verzweiflung folgte seinen Spuren.

„Wie san’ mer an den Buab’n g’hangen! — Kan Arbeit war uns zu schwer und wie er aufg’schossen is und so fleißi g’lernt hat, da hab’n mer uns net auskennt vor Freud. — — Nur, wenn er mit die Holzsoldaten g’spielt hat, und „Schießen“ kommandiert, da is mer urdentli bang g’worn. Wann’st mer Du nur net a anmal so derschossen wirst.“

„Von die Sieben san im Ganzen Dreie hamkommen; i war net der Anzige, den’s troffen hat. Ja, ja, Frau Baroneß, so geht’s schon. — Zwa san auf’n Schlachtfeld blieben — wer weiß, wo die begrab’n san! Dutzendweis habn’s es in die Gruben g’worfen, die Preußen und die Österreicher kunterbunt durcheinand — jetztan haben’s si halt do vertragen müssen. No, und die andern Zwa san an der Cholera g’storben. Die Sterblichkeit dazumal [S. 237] war ganz erschrecklich. — Keine Famüli, wo’s nit a paar Tote geben hat.“

„Ja schrecklich, schrecklich — und für was?“, schaltete die Tante ein.

„Dös sag’ i a. Mer bringert ja gern an Opfer, wenn mer an Zweck hätt’, wann mer meint, si oder an Andern damit z’helfen, was Gurt’s z’tun. — Aber All’s hergeben für nix und wieder nix! — — Na — wer dös begreifert! — I hab’ drum mein Vaterland nit weniger lieb und wann Aner von uns was leist’, wann mer von ihm redt, nachher bin i ganz stolz. „Schau, Witzelsberger is halt a an Österreicher“, denk i dann. Der Verstand, dös is ja, was’n Menschen ausmacht. — Wann wilde Viecher si zerschinten und auffressen, — das is was anders, aber der Mensch, der dürft’ do nit vergessen, daß er Gottes Ebenbild is. — Und dien’ i denn mein Vaterland besser, wann i mir die graden Glieder abschießen lass’ und Krüppel werd? Was kann i dann no leisten, was denn? — Und praktisch g’nommen, Profit, daß der Anzelne a was davon merket, das hat do Kaner, nit der Sieger und net der g’schlagen wird. — Steuerzahlen muß mer grat a so, und besser leb’n turt mer do nit. Reich werden höchstens a paar Leut: der Müllitärschneider und die Waffenfabrikanten — und dadafür — ah’s is ja verruckt. — — Segn’s Frau Baroneß, in mancher Weis waren die Menschen früher gescheiter. Da hat do no der Krieg an Sinn g’habt, weil’s persönliche [S. 238] Tapferkeit geben hat, aber irzt? — — S’Gewehr laden und’n Hahn losdrücken, das bringt bald Aner zu Stand, auch der Feigste. — Und wenn’s schon net anders geht, wenn schon absolut g’stritten sein muß, so sollen halt Zwa die Sach’ austragen. — Da waß i aus maner Kinderzeit, hat uns amal der Lehrer derzölt, oder is in der G’schicht standen, dös was i nimmer — da haben’s es akkarat a so a getan.“

„Ja natürlich ist’s vernünftiger. Übrigens kann man einen Streit auf ganz unblutige Weise entscheiden“, und sie setzte ihm in wenigen Worten die Schiedsgerichtsidee auseinander.

„Sölchs war das Richtige“, erklärte er bestimmt, „na und warum sollert’ mers denn nit dahin bringen? S’ wär’ ja nur a Woltat“.

„Ja lieber Witzelsberger, gewiß. Wenn aber nur Alle so dächten wie Sie.“

„No wegen dem war’s nöt. I bin der festen Manung, daß a Jeder hier im Dorf — is wer der wüll, vor’n Bettgehen sein G’setzel hersagt: „Lieber Hergott, bewahre uns vor jedem Übel, vor Krankheit, Hungersnot und Krieg.“ Nur trauen’s si halt nit, offen zu bekennen. Wann mers fragert, a Jeder schauert auf’n Andern, und Kaner muxert si. Bei si aber, in sein Innern da denkt er do, daß der Krieg an Unsinn is, a Sünd. — Ja, wann’t Menschen g’scheiter wär’n, wird si a Mannigs ändern.“

[S. 239]

„Vater, die Post kommt.“ Es ist seine Tochter, ein bildhübsches Geschöpf von 18 Jahren. Das Haar umgibt in goldiger Fülle ein blasses Gesichtchen, aus dem ein paar traurige Rehaugen blicken.

„Ja, Franzel, geh’ nur — i kumm glei nach.“ — „Das Madel will mer nit gefallen — vielleicht a a Liebschaft. Jetztan laßt’s alleweil den Kopf hängen, hats Lachen ganz verlernt.“

„No aber, Sie können doch eine Freud’ haben mit so einer hübschen Tochter.“

„Dös wol. Freili bin i stolz — nit weg’n der Schönheit — das vergeht — sondern weil’s a so a braves, rechtschaffens Ding is. Hat mer, so lang i denken kann, no niemals keine böse Stund’ nit g’macht“, und damit rückt er die Hornbrille fester auf die Nase und begibt sich in die Amtsstube.

„Der brave Alte.“ Einer momentanen Eingebung folgend, nähert sich ihm die Tante und drückt die arbeitsharte schwielige Hand.

* *
*

Langsam, ruckweise löst sich der Schnee von Bäumen und Dächern und klatschend fallen die Tropfen zur Erde. Nur noch an einzelnen Stellen bildet er eine schmutzigbraune Maße, die seltsam von dem jungen Grün absticht, das wie ein weicher Teppich den Grund bedeckt.

Verheißend weht ein laues Frühlingslüftchen, und [S. 240] die knorrigen Weidenbäume scheinen in hellen Flammen zu stehen. Die Sonne läßt ihre kahlen Äste erschimmern wie pures Gold, die Tausendkünstlerin, die liebe, liebe Sonne.

Die ersten Palmkätzchen recken die flaumigen Köpfchen und die ungestümen Kibitze flattern auf, mit klagendem Geschrei.

Paarweise und in Gruppen, dicht aneinander geschmiegt, fest in die Silberpelzchen gehüllt, stehen die Anemonen da und ab und zu gewahrt man auch schon eine Primel.

Wie lange noch, und Alles steht in Blüte! Mir wird so weich, so warm um’s Herz — eine eigentümliche Rührung überkommt mich und treibt mir die Tränen in die Augen. Ich weine jetzt so leicht. — Es überläuft mich kalt. Die bösen Nerven. Und so müde: so schwer die Glieder. Vielleicht dachte ich zu viel an mich? Und dann empfand ich plötzlich ein intensives Bedürfnis, Jemand ein paar gute Worte zu sagen, eine Freude zu bereiten.

In der Entfernung taucht eine dunkle Gestalt auf. Es ist die Witzelsberger-Franzel. Welch’ anmutiger Gang, welch’ elegante Haltung. Ein schöner Edelstein in plumper Fassung. In zehn Jahren, vielleicht schon früher würde sie ein welkes, abgearbeitetes Bauernweib sein, ohne jeden Reiz.

Sie war auch mir in letzter Zeit still und traurig erschienen. Sollte sie auch ihren Kummer haben?

[S. 241]

„Franzel.“

Sie beschleunigte ihre Schritte, und vermied es, nach meiner Richtung zu sehen. Ich rief mechanisch noch ein zweitesmal, und da war’s, als besänne sie sich. Sie blieb einen Augenblick stehen, und kam dann langsam auf mich zu.

„Wo warst denn Franzel?“

„In Sahning“, kam es stockend zurück.

„Muß schön gewesen sein im Wald. Gelt’ wir haben’s halt doch besser als die Stadtleut, die den ganzen Tag im finstern Zimmer sitzen müssen. Oder möchtest gern nach Wien?“

„O Gott, mir is’ alles eins — am liebsten wär’ ich tot.“

„Aber geh Franzel, wer wird denn so reden? Was tät denn Dein Vater ohne Dich?“ Jetzt erst fielen mir ihre verweinten Augen auf. „Is Dir denn was Unangenehmes geschehen?“

Sie blickte beharrlich zu Boden.

„Ja, wenn Du’s nicht sagen willst.“ —

„Es nutzert ja nix. S’ is Alles — Alles aus.“ Dabei brach sie in krampfhaftes Schluchzen aus. „I hab’n halt so vüll gern und hab glaubt an ihn, wie an’ Herrgott selber.“

„Dein Schatz, Franzel? So ist er Dir untreu geworden?“

„Ja, jetzt, wo’s Unglück über mich kommt, will er [S. 242] nix mehr von mir wissen. Früher, da hat er mir schön tan und immer g’sagt: „Franzel, ich versprech’ Dir, daß ich Dich heirat’, verlaß Dich nur ganz auf mich!“

„Das ist nicht recht von ihm. Hat er nicht gesagt, warum er nicht mehr will?“

„Weil er fort muß. Sein Urlaub is aus — Sie wissen’s ja so.“

„Aber Franzel, woher soll ich es denn wissen? Ich weiß ja gar nicht wer er ist.“

„Das haben’s wirkli nit gewußt?“ Sie fragte ganz erstaunt. „Weil’s ihn so oft im Schloß drin sehen, hab’ i mer denkt, daß er Ihnen was g’sagt hat. Jesses nein — i trau mich gar nicht z’ Haus, zum Vater — der jagt mich noch am End davon.“ Sie sah mich verzweifelt und hilfesuchend an, als erwarte sie ihre Rettung von mir.

Ich aber war so empört, so erbittert über Robert, daß ich kein Wort des Trostes fand. Und dann, was war zu tun? Ich sann hin und her, ohne einen Ausweg zu finden. Schweigend standen wir uns eine Weile gegenüber, dann ergriff ich Franzels Hand: „Hast’n wirklich so gern?“

„Seh’ns das ist auf einmal so kommen. Zuerst hab’ ich ihn gar nit mögen. Dann aber, wie er so viel bettelt hat, daß er ohne mich nicht leben kann, hat er mir erbarmt. Und jetzt — jetzt“ — —

„Armes Ding! Vielleicht, daß sich doch was machen [S. 243] läßt. Ich will nachdenken. Eigentlich, wenn er Dir’s versprochen hat, muß er Dich ja heiraten.“

„Das hab’ ich auch geglaubt. Er sagt aber s’ist ein Unsinn.“

„Sein Wort halten, ein Unsinn? Da irrt er sich. Sei ruhig, Franzel — er muß es gut machen.“

„Glauben’s wirkli?“ Sie fiel mir um den Hals und jubelte unter Tränen „wirkli?“ Dann plötzlich mit unheimlicher Entschlossenheit: „Na ja, sonst blieb’ mir nur eins übrig. Dem Vater könnt’ ich ja die Schand’ nit antun.“

Es war plötzlich finster geworden. Graue Wölkchen ballten sich zu einem Klumpen zusammen, verhüllten die Sonne, und ein feiner Regen sprühte uns in’s Gesicht.

„Muß schon spät sein. Wenn ich nicht schnell geh’, komm’ ich nicht zu Mittag nach Haus.“

„Ja, geh’ Franzel und sei ruhig.“

Die Dorfuhr schlug dumpf die zwölfte Stunde, und so oft sie zu neuem Schlage aushub, gab es mir einen Stich in den Kopf. Was ich da soeben gehört, schien mir wie ein dunkler Fleck auf blendenden Rosenwolken, etwas so Häßliches, Düsteres. Da hatte man mir wieder ein Stückchen Illusion geraubt. Ich wußte ja, wie es zugieng in der Welt — ich konnte es tagtäglich in der Zeitung lesen, und dennoch sträubte ich mich, daran zu glauben. Und dann lag es vielleicht auch daran, weil das Echo der Großstadt nur gedämpft zu mir herüberdrang, [S. 244] während ich heute dem Elend gegenübergestanden, ihm ins Auge geblickt.

Mit einemmale überkam mich ein solcher Ekel vor den Menschen; ich fühlte kein Mitleid mehr mit ihnen, nur unsägliche Verachtung.

Ich war dem Dorfe näher gekommen und hörte das schrille Gebrüll eines Schweines. Es tat mir in den Ohren weh; ich bog rasch um die Ecke, und was ich jetzt sah, erfüllte mich mit solchem Entsetzen, daß ich mich an einen Baum halten mußte, um nicht umzufallen.

Unter einem geöffneten Haustor wurde ein Schwein geschlachtet. Das Tier lag gebunden, blutüberströmt im Trog und ein Mann versetzte ihm mit Wonne Stiche, ermutigt von den Zurufen der Umstehenden: „Nur zu, a so, recht fest eini.“ Zwei kleine Buben verfolgten mit Spannung den Vorgang. Ich wollte auf sie zulaufen, sie wegreißen, ihnen sagen, daß das abscheulich sei, aber ich vermochte keinen Schritt zu machen. Ich hörte nur das verzweifelte, gellende Schreien, zuerst laut und fortgesetzt, dann immer seltener und schwächer — in meinem Kopfe wirbelte Alles durcheinander, bis ich nichts mehr wußte.

Ich wahr ohnmächtig vor dem Tor zusammengefallen und ins Schloß getragen worden. Abends jedoch hatte ich mich bereits vollständig erholt und erzählte der Tante die Geschichte mit der armen Franzel, in der Robert eine so erbärmliche Rolle gespielt. Sie war so empört und [S. 245] außer sich, daß ich erschrack. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, untersagte sie mir jedwede Einmengung, da sie es für angezeigter hielt, daß ich mich von solchen Dingen fernhalte — sie selber wolle mit ihm reden, an seine Ehre appellieren, falls er überhaupt noch einen Funken dieses Gefühles besaß.

Während die Tante mit ihm verhandelte, bemächtigte sich meiner eine große Unruhe. Was wird er sagen und wie soll es enden? Es war eine böse, traurige Geschichte und unaufhörlich schwebte mir Franzel’s verweintes, angstvolles Gesicht vor. Es gab nur einen Ausweg, das begangene Unrecht zu sühnen: er durfte nicht anders handeln, es war seine heilige Pflicht und Schuldigkeit. Die Tante kam zurück, blaß und erregt. Die Augen sprühten Funken und die Fingerspitzen zuckten nervös. Sofort begriff ich, wie es stand: „Er will also nicht?“

„Nein. Er weigert sich — der Elende. Von heute ab sind wir geschiedene Leute. O, man könnte oft verzweifeln an den Menschen! Diese verkehrten, hirnverbrannten Ansichten, diese Gemeinheit der Gesinnung. Wahrlich, wir Aristokraten haben’s not, uns aufzublähen, uns was zu Gute zu tun auf unsere Noblesse. Ein armer Flickschuster ist oft tausendmal mehr wert, als so ein vornehmer Taugenichts.“

Dann schilderte sie die Unterredung. Wie er zuerst — ahnungslos, daß sie um die Sache wisse — sondiert, ob ich ihn nicht vielleicht doch nehmen wolle. Sie solle [S. 246] mich bei der Gefühlsseite, beim Mitleid packen: er müsse jetzt wieder zum Regiment, in ein entlegenes Nest, sei allerlei Versuchungen ausgesetzt, denen er erliegen würde. „Mimi kann mich retten, mit mir tun, was sie will: ich wäre Wachs in ihrer Hand.“

„Würdest ihr zu Liebe wohl auch Deine Ansichten zum Opfer bringen? Denn wie Du jetzt denkst, ist ja eine Verständigung nicht möglich?“

„Alles, was sie will.“

„Nun, das spricht nicht zu Deinen Gunsten. Sie müßte ja einen Mann verachten, der seine Überzeugung für irgend einen Vorteil hingibt.“

„Wie Du immer Alles drehst. Es scheint übrigens, daß Du an meiner Ehrenhaftigkeit zweifelst. Ich wüßte nicht daß ich Dir Grund dazu gegeben.“

„So? Wie vergeßlich! Nun da muß ich Deinem Gedächtnis schon etwas nachhelfen. Es ist gar nicht so lange her — — übrigens vielleicht täusche ich mich in Dir. In diesem Falle würde ich Dir das Unrecht herzlich gern abbitten.“

„Aber worum handelt es sich denn?“ Er zupfte verlegen an seinem Schnurbart.

„Du mußt die Franzel heiraten.“

Er schnellte von seinem Stuhl empor. „Bitt’ Dich, laß doch jetzt solche Spässe beiseite. Mir ist wirklich nicht zum Lachen zu Mute.“

„Das begreife ich. Weinen solltest Du im Gegenteil. [S. 247] Ich denke, Du kennst mich genügend, um zu wissen, daß es mir bitterer Ernst ist mit dem, was ich sage.“

„Ja, aber seid Ihr denn Alle miteinander“ — er hielt es für angezeigt, das letzte schmeichelhafte Wort zu unterdrücken.

„Wenn „anständig handeln“ verrückt ist, dann bist Du allerdings superweise.“

„Aber um des Himmels Willen, Du wirst mir doch nicht zumuten, ein Bauernmädchen zu heiraten. Wo denkst Du denn nur hin? Das verstößt ja gegen alle Familientraditionen.“

„Da hätte ich beinahe meine Selbstbeherrschung verloren und ihm einen Schlag ins Gesicht gegeben“, fuhr Tante Laura fort, „doch ich bezwang mich und frug, ob er nicht absichtlich diese falsche Auffassung vorschütze. Ob die Ahnen es ehrenwerter fänden, wenn ihr Abkömmling schlecht handle und keine Reue empfinde, als wenn er sich bemühe, den Mackel von seinem Namen zu tilgen.“

„Aber geh’, so denkt ja kein Mensch. Es ist Gang und Gäbe bei den jungen Leuten, Liebeleien anzuknüpfen, wo sich ihnen Gelegenheit bietet. Aber Verpflichtungen? — — —“

„Du hast ihr Dein Wort gegeben.“

„Aber doch nur pro forma . Könnte mir nicht im Traum einfallen, sie zu meiner Frau zu erheben.“

„Das ist ein kurioser Ausdruck. Wenn Dich Eine [S. 248] nimmt, wird sie herabsteigen müssen — und zwar sehr tief.“

„Sehr liebenswürdig. Und das Alles, weil ich mich weigere, diese Gans zu heiraten. Nein, den Großeltern, der Familie, mir selbst diese Schmach anzutun, dazu gebe ich mich nicht her.“

„Ich kann nur staunen über diese neue Moral, die jedem Anstandsbegriff ins Gesicht schlägt. Ein Mädchen, das nichts hat als ihren anständigen Namen, unter falschen Vorspiegelungen ins Verderben stürzen, sein Wort brechen, sie im Stich lassen und dann stolz von dannen ziehen mit dem Mäntelchen „Ehrenhaftigkeit“ um die Schultern, ich muß schon sagen, da gehört eine Gewissenlosigkeit sondergleichen dazu.“

„Du bist der Person ganz einfach aufgesessen. Ich wett’, die prahlt vor dem ganzen Dorf damit, daß sie einen „Baron“ gehabt habt. Das passiert nicht einer Jeden.“ Er sagte das mit einem Cynismus, der mir das Blut erstarren ließ. Ich verließ das Zimmer.“

Der armen Franzel konnte also nicht geholfen werden. Sie gestand dem Vater Alles und er versetzte Robert inmitten der Dorfstraße eine schallende Ohrfeige. Es war dies die letzte Erinnerung, die Baron Steindorf von seinem Urlaub mitnahm. Wir hörten noch ab und zu von ihm, sahen ihn aber nicht wieder.

Es hieß, daß er Schulden mache und seine militärischen [S. 249] Pflichten sehr nachlässig erfülle. Schließlich wurde er ein Trinker und gieng in noch jungen Jahren am delirium tremens zu Grunde.

Niemand weinte um ihn. Das einzige Wesen, das ihn geliebt, Franzel, starb, nachdem sie ein totes Kind zur Welt gebracht.

* *
*

[S. 250]

Vierter Abschnitt.

Palazzo Dario , am 15. Mai.

„Venedig.“ Ich flüstere es vor mich hin, in scheuer Andacht. Stahlblau liegt die Lagune vor mir und muntere Wellchen plätschern an die Stufen des Palazzo. Lautlos gleiten die Gondeln dahin und lachend strahlt der Himmel nieder auf dieses Feenland, das sagenumwoben ist, wie kein zweites.

Bella Venezia, stolze Königin, die Du lächelnd das Blut Deiner Söhne trankest, dieser glühenden, leidenschaftlichen Geschöpfe, die lieber sterben wollten als unterliegen, die Du den Dichter zu höchster Begeisterung entflammst, die Du selbst das Merkmal ewiger Poesie auf Deiner Stirne trägst, ich neige mich vor Dir.

Ach es ist doch schön zu leben, — bewußt zu leben! Schon scheint mir die böse Krankheit, die ich durchgemacht, Alles was hinter mir liegt, so nebelhaft verschwommen, in unendlich ferne Vergangenheit gerückt. Sechs volle Wochen dagelegen, zerschlagen, völlig gleichgültig, in einer Art Halbschlummer, dann wieder wild phantasierend, fieberheiß, besinnungslos.

[S. 251]

Auch Vincenz war bei mir im Traum. Einen Kranz von violetten Sternen trug er um das Haupt. Ich frug ihn, wo die Nelken seien. „Verblüht“ erwiderte er — und was die Sterne bedeuten? „Erinnerung.“ Da flammten sie plötzlich auf in rotem Schein — und dann wurden sie immer heller, immer blasser. —

Das war in der Nacht, wo die Gefahr am größten schien. Von da an gieng es besser ...

Jetzt fühl’ ich mich wie neugeboren, mir ist so leicht zu Mute als ob ich Flügel hätte.

Keine Spur mehr von der Überreizung, wie ich sie früher so oft empfunden, die mich verbittert und betrübt gemacht. Jetzt lache ich über meine überspannten Ideen. — Alt! Mit vierundzwanzig Jahren, bei solcher Eindrucksfähigkeit!

Wie erfrischend, dieser salzige Meereshauch! Man möchte ihn recht tief einsaugen, die Lungen damit füllen. Das stärkt, belebt, ist besser als alle Medikamente.

Die eigentliche „Stagione.“ Alle Hôtels und Pensionen bis auf den letzten Platz besetzt. Es wimmelt von Fremden. Wir können wirklich von Glück sagen, was unsere Wohnung anbelangt. Zwei allerliebste Schlafräume, in hellen Farben gehalten, mit großgeblumten Tapeten, ein Arbeitszimmer, und ein ungemein gemütlicher Salon. Nichts von der steifen Einförmigkeit der vermieteten Zimmer, sondern ein wohnliches Kunterbunt, mit lauschigen Ecken, eingelegten Möbeln, Teppichen und schönen Bildern.

[S. 252]

Noch nie war ich so wunschlos froh, so stillvergnügt wie jetzt. Alles und Jedes bereitet mir Genuß. — Die Gondelfahrten, die guten kleinen Diners — immer Landesspeisen — meine Gesundheit, das wiedererlangte Gleichgewicht.

Ich möcht’ mit keinem König tauschen.

* *
*

Am 21. Mai.

„Das ist aber eine gute Nachricht! Da, lies nur Tante“ und ich schob ihr das Blatt hin. Hier stand es schwarz auf weiß, daß sich eine Liga gegen das Duell gebildet.

„Endlich.“ Sonst hat sie nichts gesagt, wie dieses eine Wort. — — Nur ich, die ich sie kenne, habe die Erwartung, die Sehnsucht, die Mühe vieler Jahre herausgehört. — Diesen Unfug zu bekämpfen, den Zweikampf aus der Welt zu schaffen, das war ihr, die so namenlos darunter gelitten, noch mehr am Herzen gelegen, wie der Friede. — — Doch sie fühlte instinktiv, daß es klüger sei, zu warten. Wenn sie, als Frau, die Initiative ergriffen, hätte sie nichts erreicht, nur sich und die Sache lächerlich gemacht, statt ihr zum Siege zu verhelfen.

Ja, es wird langsam hell in den Köpfen. Es ist ja auch wirklich lächerlich. Was beweist das Waffenglück? An ein Gottesurteil glaubt doch heutzutage Keiner mehr. — Wie oft büßt gerade Der sein Leben ein, der im [S. 253] Rechte ist. — Und aus welchem Anlaß schlägt man sich? — Eines unbedachten Wortes, einer Lappalie wegen! — — Ist aber die Ehre wirklich verletzt, dann muß natürlich Sühne sein. — In diesem Falle gibt es aber noch andere Mittel als solche, wo unschuldige Familien um den Ernährer gebracht werden.

Jener, der aus Princip ein Duell refüsiert, ist noch lange kein Feigling. Im Gegenteil. Wie nun einmal die Dinge liegen, gehört mehr moralischer Mut dazu, als sich vor die Mündung einer Pistole zu stellen.

Die Engländer haben doch auch ihre Ehre und bei ihnen ist der Zweikampf eine Unmöglichkeit geworden.

Die Liga weist eine beträchtliche Zahl der angesehensten Namen auf. An der Spitze: „General Graf Deuchtestum.“ — — Das klingt fast wie ein Stück Geschichte und gar nicht friedlich nebenbei. — Blinkende Waffen und Kanonendonner, und er Allen voran im Kampfe um die Freiheit. — Wie reimt sich das?

Jetzt weiß ich es. Er war bei uns. Der schönste alte Herr, den man sich denken kann: einen Maler müßte dieser Kopf entzücken. So mögen die Ritter von ehedem ausgesehen haben, nur daß keine Spur von Wildheit in seinen Zügen liegt: die blauen Augen strahlen in fast überirdischer Güte und eine Welt von Milde tut sich kund in seinem Lächeln. Mein Blick hieng noch immer wie gebannt an der Hünengestalt mit dem edlen Gesicht, dem wallenden weißen Bart. Ich fuhr erschreckt auf, als [S. 254] die Tante mich vorstellte und ärgerte mich noch nachträglich über mein Erröten.

Die Beiden plauderten wie alte Bekannte, obwohl sie sich niemals zuvor gesehen. Ich schwieg: eine gewisse Scheu hatte sich meiner bemächtigt. Ich wollte etwas sagen, fand die Worte nicht, kam mir so dumm und unbedeutend vor. Vermutlich weil ich nicht gewöhnt bin, mit Fremden zu verkehren.

Aber ich habe gut zugehört und mir jedes Wort gemerkt, das er gesprochen. Er hat ein ungemein sympatisches Organ, weich und metallig zugleich: zu dieser Stimme paßt auch Alles, was er sagt:

„Wenn man wie ich, sein halbes Leben auf dem Schlachtfelde zugebracht, verlernt man es gründlich, für den Krieg zu schwärmen. Ich habe das furchtbare Elend der Menschen, ihr Blut, ihre Tränen gesehen, ich habe ihre Klagerufe, ihre Seufzer gehört, und bin über Leichen hinweggeschritten, dem Siege zu. Wir zogen ein mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel. Die Menge jubelte uns zu. Ein Hochgefühl erfüllte da auch mich — eine Art Taumel — solange die Trompeten schmetterten und die Leute jauchzten. Ja, ja.“ Er fuhr sich mit der Hand über die Stirne. — — „Irren ist menschlich — aber wenn man sein Unrecht eingesehen, soll man nicht starrköpfig sein. — Dreimal hab’ ich es mitgemacht und nur weil ich es wollte. Wie betäubt. Hab’ nicht gehört auf das Gewissen, lange Zeit. — — — Wenn ich allein [S. 255] war, da hab ich immer eine Stimme vernommen, ernst und traurig — zuerst nur selten, dann immer häufiger und lauter: zuletzt fand ich keine Ruhe mehr bei Tag und Nacht. Gerungene Hände, verstümmelte Jammergestalten, mit verzerrten Zügen und noch einem letzten Fluch auf ihren Lippen. — — — Da hab’ ich die Orden heruntergerissen von meiner Brust und mich geschämt. — — Ja, ja, lassen wir’s gut sein. Geschehen ist geschehen. Wie? Das Einzige, was in meiner Macht lag, habe ich getan. Meinen Sohn abgehalten, in meine Fußtapfen zu treten. Ist mir übrigens nicht schwer geworden. Hat selber nie was wissen wollen von den Massacres. Reist viel herum: ist eben wieder in Amerika gewesen. Kopf voll Socialismus. Will ein Buch schreiben über die Zustände dort. Gefallen ihm besser als bei uns zu Hause. Wie? Ganz international.“

Er spricht gewöhnlich in kurzen Sätzen und springt oft unvermittelt von einem Gegenstand zum andern über, was zuweilen bei Leuten vorkommt, denen vielerlei Gedanken auf einmal durch den Kopf schwirren. Auch wendet er das Wörtchen „Wie“ sehr häufig an, und sieht dann fragend umher, als erwarte er die Bestätigung.

„International“, wiederholte die Tante, „das ist heutzutage der einzig richtige Standpunkt. Freilich, Solche, die stets an der Scholle geklebt, die haben sich gewöhnt, das Stückchen heimatlicher Erde als Centrum zu betrachten, und alles außerhalb der Grenzen Liegende als Barbarei. [S. 256] Sie urteilen nicht aus Eigenem, denn es fehlt ihnen am Vergleich. — Würden sie hingegen näheren Verkehr mit den Nachbarvölkern, mit fremden Nationen pflegen, sie kämen gar bald zur Überzeugung, daß es auch dort Menschen und Einrichtungen gibt, die sehr vernünftig sind, und bei deren Nachahmung man nur profitieren kann. — Erwachsene Leute zeigen sich in der Regel weniger biegsam, schwerfälliger in ihren Anschauungen als Kinder. Es wäre darum sehr wünschenswert, die Letzteren für die Zeit ihrer Erziehung in ein anderes Land zu geben. Außer dem Vorteil des Erlernens einer fremden Sprache, wäre dies das beste Mittel zur Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen, was wieder nur den Frieden fördern könnte.“

„Ja, ja, wär’ eine gute Sache, wie? — Soll ein Gesetz werden.“

Dann kamen sie auf die momentan am wichtigsten Frage zurück, die Abschaffung des Duells. — — Der Graf legte uns eine Zeitungsnotiz vor, die zufällig einige Tage vorher in München, seiner Vaterstadt, erschienen war:

„Der Prinzregent von Bayern gegen das Duell.“

„Von allerhöchster Seite ist entschieden worden, daß das Urteil hinfällig ist, welches bestimmt, daß in einem speciellen Fall ein Officier vom Ehrengerichte zur Entlassung mit schlichtem Abschiede genötigt werde, weil er sich als principieller Gegner des Duells erklärt. Es ist durchaus kein Grund vorhanden, daß ein Officier, der einen solchen Standpunkt einnimmt, entlassen werde. [S. 257] Das bayerische Kriegsministerium hat in dieser Hinsicht eine Änderung der betreffenden Ehrengerichtssatzungen verfügt und so ist der Weg angebahnt, daß das Duell in der bayrischen Armee allmählich zu den Seltenheiten gehören wird.“ —

„Die Mächtigen können so viel leisten, wenn sie nur wollen“, bemerkte Tante Laura.

„Ja freilich. Sollen mit dem guten Beispiel vorangehen. Ist ja nicht schwer. Kostet sie nur ein Wort. — Dann sollen sie Alle ruhig auf ihren Tron bleiben, nicht wie mir erst gestern Einer sagte: „Monarchen abschaffen, Alle miteinander!“ Dazu ist die Zeit noch nicht da. Kann auch so gehen ohne Streit, wie? — Schwert in die Rumpelkammer, Palmenzweig so“, und er machte die Bewegung des Schwingens. „A ja, ja, schöne Sachen, wie? — Und nun verzeihen Sie, daß ich so lang geblieben bin — — auf Wiedersehen!“

Die Tante ist ganz übermütig lustig.

Wir tranken eine Flasche Asti auf den Tod des Krieges und Duells.

* *
*

Am 24. Mai.

Die beiden Schwestern aus der Nebenwohnung haben uns besucht. Diese Visite muß ich schildern: es war zu komisch. Sie sind Italienerinnen, capricieren sich aber, deutsch zu sprechen. „Weil ’s is eine Heflichkeit, die was wir haben für jedermann, das kommt in unsere Land.“

[S. 258]

Da läßt sich also nichts einwenden.

Sie haben ihre Jugend bereits zu Grabe geläutet und geben sich auch durchaus keine Mühe, über diese Tatsache hinwegzutäuschen. Von Eitelkeit keine Idee: dessenungeachtet lieben sie es, in den Erinnerungen der tempi passati zu schwelgen. Das Gesicht Corona’s, der Älteren, zeigt noch die Spuren einer gewissen, rasch verflüchtigten Schönheit, das, was man „ beauté du diable “ zu nennen pflegt. Die Augen sind dunkel und groß, die Nase ist scharf gebogen und zu lang, die Gestalt breit und untersetzt.

Pepi’s Äußeres ist sehr nichtssagend. Sie scheint es zu wissen und hat es sich zur Pflicht gemacht, über die eigene Person zu schweigen und nur die Vorzüge der Schwester zu rühmen.

Eines aber haben sie gemein: im Schnattern sind sie Meisterinnen.

Corona entschuldigt sich, daß sie in Filzschuhen erschienen ist. „Weil’s in diese Winter so eine Kälten gehabt hat, da hab’ ich mir alle Finger von die Fiß gefrört. Es tut noch immer weh.“ Und Pepi lieferte die mimische Begleitung zu diesem Geständnis, indem sie von einem Bein auf das andere hüpft und mit zusammengekniffenen Lippen murmelt: „Arme Corona! Uh, diese Schmers.“

Wir kommen auf die Geselligkeit zu reden. Sie gehen häufig in’s Theater, im Übrigen leben sie abgeschlossen, ohne etwas mitzumachen. Sie erklären auch ohne Umschweife, warum:

[S. 259]

„Es is so eine eigene Sach’! Wenn man in unsere Alter auf Soiréen geht, schauen Einen die Leut’ so komisch an und denken sich: „Was wollen denn Die da? Warum habens nit früher geheiratet, die Gredeln?“ Es is ja grad so, als ob man eine Sünd’ auf die Körper hätt’. Ein paar so Cavaliere, die was kein Geld in der Taschen haben, meinen am End’, es muß uns eine Ehr’ sein, wenn’s uns schön tun. Möchten uns nehmen, um ein Geschäft zu machen, damit sie uns beerben. Diese Comödi kennen wir. Aber aufsitzen tun wir nicht, weil wir keine Hase sind von diese Jahr. Überhaupt: sind Alle miteinander nix wert, diese Männer. Unsere größte Stolz is, daß wir ledig sind.“

„Ma, Corona“, unterbricht sie Pepi. „Warum sprichst denn so? Grad Du hast zehne gehabt, an eine jede Hand, auch eine Fürst. Ja“, setzt sie mit triumphierendem Lächeln hinzu, „verliebt war er bis über die Ohren, aber der Papa hat nit wollen, daß seine Tochter einen Officieren heiratet.“

„Armer Papa“, seufzt Corona auf, „war immer so lustig, und hat müssen eine so böse Ende nehmen. Betrunken“, flüstert sie.

Diese Aufrichtigkeit versetzte uns doch einigermaßen in Staunen. Sie aber ließ sich nicht beirren. „S’is eine Fatalität, die was liegt in unsere Famili. Alle immer betrunken; auch wir werden an dieses sterben.“

Sie meinen „ertrunken“, und ich kann mir lebhaft [S. 260] die verblüfften Gesichter vorstellen, die diese Mitteilung bei Anderen zur Folge hat. Diskret hinweggehend über den heiklen Punkt, der da in unglaublicher Naivität blosgelegt worden.

„Sie war so schwer zu befriedigen“, fährt Pepi fort. „Gefallen hat ihr bald Einer, aber wenn die Red’ gekommen is zum Heiraten, hat’s nix mehr wissen wollen. O, die hat so eine kalte Hers. — Erst vor zwei Jahren hat sie eine Korb ausgeteilt an eine gewisse Herr Mayer, eine sehr hübsche Mensch, das was selber hat gehabt drei Millionen. Er hat immer gesagt: „Sie soll mit die Schlafrock, das sie auf die Leib hat, meine Frau werden, damits nicht glaubt, ich brauch’ ihr Geld.“ Und weil sie ihn nit mögen hat, hat er in alle Wälder herumgejagt, und in die Hitz kaltes Wasser getrunken; nachher is er an die Abzehrung gestorben und hat noch in sein letztes Stund „Corona“ geschrieen.“

„Warum sagst denn nix von Dir? Hättest ja selber gute Partien machen können.“

„Ja, diese fünf Doktoren! Ich hab’ immer so eine Graus gehabt vor diese Leute, die Menschen aufschneiden und nach die Medicin riechen.“ Plötzlich stößt sie einen Freudenruf aus. Sie hat auf der Etagère die kleine nickende Pagode erblickt. „ Ma prego , schau Corona. Wir haben ganz dasselbe. Früher“, erklärte sie uns eifrig, „haben wir eine Türk gehabt. Es ist immer Alles gut gegangen, bis er gebrochen is. Da war’s Unglück im [S. 261] Haus. Zuerst sind die Eltern gestorben; die Corona hat solche Kopfweh bekommen, daß sie ihr haben die Würmer setzen müssen; und ihre Courmacher is krank geworden von die Lieb. Da hat uns alle Zwei von so eine Chines geträumt, und wie wir’s in die Auslag sehen, so kaufen wir’s.“

Das Alles mit einem Ernst, als ob es sich um die wichtigsten Dinge handle.

Die Tante frägt sie um ihre Meinung über die Bellincioni, die soeben ein glänzendes Gastspiel in Wien absolviert.

„Ja, sie singt ganz gut“, erwidert die Ältere mit einer gewissen Zurückhaltung, und Pepi beeilt sich, hinzuzufügen: „Die Corona kann so schön die Musik machen. Was die hat gehabt für eine Stimme! Viel stärker wie die Bellincioni. Früher hat sie immer Concerte gegeben, daß die Leute sind verrückt geworden. In die Gondel war kein Platz mehr für die Blumen. Seit ihre Kopfweh freut sie’s nicht mehr.“

„Nein weil seit diese Zeit is mir die Migräne in die Hals gestiegen. Und dann is doch mühsam die Begleitung, weil ich so kurz bin von die Finger.“

Ich habe das Lachen nur so hinuntergewürgt. Es ist so merkwürdig, daß die Leute niemals selbst fühlen, wenn sie komisch sind. Und doch, was wär’ die Erde ohne solche Menschen?

* *
*

[S. 262]

Am 28. Mai.

Täglich Neues. Wir besuchen Kirchen und Palazzis, Museum und Galerien. Überall derselbe Reichtum. Ein Leuchten der Farben, ein Glänzen von Gold und Edelsteinen und eine heilige Ruhe über diesen Stätten, die der Genius umschwebt; man meint förmlich seinen Flügelschlag zu hören, die holde Lichtgestalt zu sehen, wie sie sich herabbeugt, um die Stirne eines Rafael, eines Michelangelo zu küssen. Die Phantasie zaubert mir den Künstler vor, wie er vor der Leinwand sitzt und liebdurchglühte Bilder malt. Es ist etwas Erhebendes, Überwältigendes um die Schöpferkraft im Menschen, um die freie Kunst.

Anders ist’s wenn sie geübt wird zum Erwerb. — Dann verliert sie das Sonnige, das Gott-Ähnliche, möcht’ ich fast sagen.

In der Spitzenfabrik: Schweigend, mit müden blassen Gesichtern und gekrümmten Rücken sitzen die Frauen da und verarbeiten die haardünnen Fäden. So ein winziges Blättchen bedarf oft vieler Tage zur Vollendung.

Für diese armen Geschöpfe gibt es keinen Frühling, keine Blumen. — Was kümmert sie’s, daß die Sonne scheint, die Vögel singen?

Die kostbarsten Gewebe entstehen unter den fleißigen Händen, die Fabrikbesitzer werden reiche Männer und die kleine Arbeiterin rechnet an ihren Fingern nach, ob sie den Zins bezahlen kann für das Dachstübchen und wie lange es noch währen wird, bis sie erblindet.

[S. 263]

Und unten wogt das Leben. Der Reichtum! Da packt es sie mit unwiderstehlicher Gewalt, treibt sie hinaus, in die hellerleuchteten Gassen, unter die elegante Menge. Nur einmal noch genießen, bevor die dunkle Nacht hereinbricht — ein einzigesmal. Sie steht und wartet und hofft — und bettelt um Liebe. — — Dem Ersten Besten wirft sie sich an den Hals, verschreibt sich ihm mit Leib und Seele. Ein kurzes Fest. Küsse und Champagner — — dann um so größeres Elend. — — Das ist das Los der Meisten. Die Reichen ohne Fehl, die mögen den ersten Stein auf sie werfen, wenn sie es wagen, und wenn es sich verträgt mit ihrem Gewissen.

Die zweite Auflage hab’ ich gefunden in Murano. Jeder Fremde sieht sich die Wunder der Glaserzeugung an, um sie nachher in seinen Erzählungen als „interessant“ zu schildern. Ich wüßte einen ganz anderen Ausdruck dafür.

In den unteren Räumen, da wo die zähe Masse geformt wird, herrscht eine Siedehitze. Ein Schar Männer mit aufgedunsenen Gesichtern und verschwollenen Augen, umsteht das offene Feuer, aus dem die roten Flammen züngeln. Sie kneten und blasen aus Leibeskräften, tun sie es doch um das tägliche Brot.

„Ist das denn nicht sehr anstrengend und gesundheitsschädlich?“ konnte ich mich nicht enthalten zu fragen.

„Ja gewiß, aber was will man machen?“ entgegnete der Aufseher lachend. „Sonst gäbe es eben keine Perlen [S. 264] und kein Glas. — — Älter als 45 Jahr wird übrigens Keiner.“

„Mein Gott“, entfuhr es mir.

„Ja Signorina, das ist gar nicht so schlimm. Sonst müßten sie noch früher verhungern. Die sind froh, wenn sie sich ihre 70 Centesimi im Tag verdienen.“

Siebenzig Centesimi! Die armen Teufel. Und haben wohl noch Weib und Kinder daheim.

In den Schaufenstern prangen die schönsten Vasen und Spiegel, die teuersten Luxusgegenstände. Sie funkeln und schillern in allen Regenbogenfarben: ihr Anblick ergötzt uns, wir bewundern die edlen Formen und merken nicht, daß Blut und Schweiß daran klebt, sonst müßte es uns frösteln vor Unbehagen.

Im oberen Stockwerk ist’s lichter und kühler. Jedem Arbeiter ist seine bestimmte Beschäftigung zugeteilt, unabänderlich dasselbe, jahraus, jahrein. Ein graues, monotones Dasein, in dem die Stunden sich aneinanderreihen so gleichmäßig wie die Perlen an den langen Schnüren.

Da hab’ ich unwillkürlich aufgeseufzt. Ein eleganter junger Mann, auch ein Besucher, wandte sich nach mir um, und sein Blick sagte mir, daß er mich verstanden habe.

Des Abends fuhren wir auf die Soirée der Marchesa Berloni. Ich war einsilbig und zerstreut, das Gesehene wollte mir nicht aus dem Sinn. Das war wieder einmal ein schwieriges Problem. Die Eleganz, die ich doch liebe, auf einer Seite — das nackte Elend auf der andern. [S. 265] Da Überfluß, dort Mangel; den Vorschlag, zu teilen, hätte Keiner angenommen. — Oder wäre ich etwa bereit gewesen, mich meines Besitzes zu entledigen, auf die tausend kleinen Raffinements zu verzichten, die dazu beitragen, das Leben angenehm zu machen? — Ich gesteh’ es offen — nein. — Ich würde sicher keinen Bettler von der Türe weisen, aber alles Unnötige herschenken — das ist doch ein anderes Ding. — — Wie wenig weiß ich noch vom Socialismus, von dieser Zwillingsschwester des Friedens! Ich will mir Bücher kaufen und mich eingehender damit beschäftigen. — Es muß ja doch Mittel und Wege geben — vielleicht auch ohne Gütergemeinschaft.

Die Gesellschaft bestand aus circa 400 Personen. Darunter war Keiner, mit dem ich hätte sprechen können, wie mir ums Herz war. — — Ich blickte mich um, — immer in der uneingestandenen Hoffnung, eine Spur von meinem Unbekannten zu entdecken. Vergeblich.

Die Herren, die sich um mich bemühten, sind kaum der Erwähnung wert. Ein kleiner Spanier, der mich anschmachtete, mir nicht von den Fersen wich, aber die ganze Zeit über keine zehn Worte sprach. Dann ein ältliches, pergamentgelbes, eingeschrumpftes Männchen mit gefärbtem Bart, das sich über Alles und Jedes moquirte. Eine mir unsympatische Erscheinung. Man sieht ihm die eingebildete Überlegenheit von Weitem an.

Wir kamen auf die Friedensfrage zu sprechen, der gegenüber er sich mehr als skeptisch verhält. „Übrigens [S. 266] ein ganz reizender Apostel“, bemerkte er, das Monocle ins Auge klemmend. „Also Sie glauben wirklich an den Frieden?“

„Ja, ich bin eine begeisterte und überzeugte Anhängerin.“

„Letzteres ist viel gesagt, mit Anwendung auf eine Sache, die, hihi — nun ich möchte Sie nicht verletzen — aber es ist doch mehr eine schöne Spielerei.“

„Vielleicht fassen Sie es so auf. Ich meinerseits glaube fest an das Gelingen. Mein Glaube ist meine Überzeugung.“

Er aber gab nicht nach, sondern versetzte in pädagogischem Tone: „Sie mögen es so empfinden, aber logisch ist es nicht. Nein, meine liebe Signorina. Glauben und Überzeugung das sind zwei so grundverschiedene Dinge, die man ohne krassen Widerspruch nicht in einem Atem nennen darf. Ich will Ihnen erklären, warum: Glauben heißt vermuten, und nur „Wissen“ ist Überzeugung. Jene, die mit Positivem rechnen, ereifern sich nie. Am fanatischesten benahmen sich seit jeher die, die „glaubten“,“ fügte er mit souveräner Geringschätzung hinzu.

„Ja, ich weiß sehr gut, daß man uns Utopisten und Schwärmer nennt, die auf Wolken durch das Leben schweben, ohne die Erde zu berühren, jeder reellen Grundlage entbehrend. Aber sind es nicht gerade immer die Träumer gewesen, die Großes geleistet haben? — Sie [S. 267] sind sogar unentbehrlich, denn sie liefern die Idee, den Stoff, den andere praktisch verwerten.“

„Praktisch, hihi. Praktisch sind nur die Kanonen, die verbesserten Waffen überhaupt. Die sprechen noch am ehesten für den Frieden. Das andere ist alles nichts — das bloße Wort — Sie haben noch so wenig Erfahrung, kleine Signorina. Das ist charmant, das kleidet Sie ganz vorzüglich.“

Ich war so geärgert über den Schulmeisterton und die impertinenten Blicke, mit denen er seine Complimente begleitete, daß ich keine Erwiderung fand. Nachträglich fielen mir die treffendsten Antworten ein — das ist ja immer so — und ich hielt ganze Dialoge mit mir selbst, in denen ich das „Für und Gegen“ vertrat.

In einem einzigen Punkte teile ich seine Ansicht. Er hat sich lustig gemacht über ein paar übertriebene Toiletten und die „Mode“ in neun Fällen von zehn, als Löschhorn des guten Geschmackes bezeichnet. Ich finde es nämlich auch einen Unsinn, etwas zu tragen, das man selbst unmöglich schön finden kann, aus dem bloßen Grunde, weil es Mode ist. —

Von den jungen Mädchen hat sich Keine um mich gekümmert. Aus verschiedenen Andeutungen hab’ ich den Grund entnommen. Sie vermeiden absichtlich jede Annäherung an Ausländerinnen, sobald sie meinen, es könnten gefährliche Rivalinnen sein, umsomehr als in den letzten Jahren so mancher junge, reiche Italiener sein Herz an [S. 268] eine Fremde verlor. „Nur ja sich keinen épouseur wegschnappen lassen“ und sie schließen einen um so festeren Ring unter sich.

Also auch hier wie allenthalben das Durchschnittsmädchen: einziges Ziel — — einen Mann bekommen.

* *
*

Am 30. Mai.

„Nun ja, der dort unter dem Baume steht, — links.“

„Das also ist der junge Deuchtestum? Ich habe mir ihn eigentlich ganz anders vorgestellt.“

„Warum? Weil ich Dir gesagt habe, daß er ein seltsamer Kauz ist? Du findest wohl“ — das Weitere hab’ ich nicht mehr hören können, da die beiden Damen schon zu weit waren. Ich folgte mit dem Blick der angegebenen Richtung und unterdrückte nur mit Mühe einen Ruf der Überraschung. Da war er ja, mein Unbekannter von Murano, an der Stelle selbst, wo wir den General erwarteten.

Hier merkte man nichts von dem Gewimmel, das in dem vorderen Teil der Giardini herrschte; nur wenige vereinzelte Spaziergänger verloren sich bis an diesen Platz.

Wir setzten uns auf eine Bank, und während die Tante las, betrachtete ich mir den Einsamen genau.

Er stand an eine Cypresse gelehnt, die Arme über der Brust verschränkt, und sein Blick schweifte weltvergessen über das Meer.

[S. 269]

Ich sah ihn lange an und doch bin ich nicht klug geworden aus seinem Gesicht. Die Augen sind die eines Träumers, der bemüht ist, Alles im rosigsten Licht zu schauen — und der an Ideale glaubt. Und hingegen lagert ein spöttischer, ja fast verächtlicher Zug um den Mund. Es ist, als hätten diese Lippen Alles gekostet, und nirgends Süßigkeit, überall nur bitteren Nachgeschmack gefunden, als müßten sie sich plötzlich öffnen, um ein „Brrr“ des Abscheues auszustoßen.“

Sonst hatte ich die Leute, die mich beschäftigen, sofort in eine bestimmte Categorie eingereiht — da aber bracht’ ich’s nicht zu Stande. Ich forschte auch vergebens nach einer Ähnlichkeit mit dem General. Die hohe, elegante Figur, das war auch Alles.

„Ah, das ist schön. So pünktlich — ganz wie beim Militär.“ — Der alte Graf war auf uns zugekommen, im weiten, dunklen Radmantel, den grauen, weichen Filzhut auf dem Kopf. — Er trug sich nie anders und es gab wohl auch nichts, was besser zu ihm paßte. Es war originell, durchaus charakteristisch.

„Hab’ meinen Sohn herbestellt“, fügte er hinzu. „Möcht’ ihn mit den Damen bekannt machen, wenn es gestattet ist. — — Ah, mir scheint, dort ist er — — Egon.“

Der Gerufene stand im nächsten Augenblick vor uns. Der Vater stellte ihn uns vor. „Hat wieder geträumt; ist nicht zufrieden mit der Welt; lieber in den Wolken, wie? Hab’ ich Recht, wie?“

[S. 270]

Der neue Ankömmling unterhielt sich längere Zeit mit der Tante, deren tapferes Wirken er sehr bewunderte. „Wir Socialisten sind ja sammt und sonders Friedensfreunde. Wir verfolgen ganz dasselbe Ziel, nur auf verschiedenen Wegen.“ Dann sprach er von seinen Reisen, und später giengen wir voran. Es fügte sich wie von selbst, und doch wurde mir eigentümlich bange. Wovon wird er reden?

„Eigentlich kennen wir uns schon“ begann er. „In der Glasfabrik von Murano. Erinnern Sie sich noch?“

„O ja. — — Hat es auch einen so traurigen Eindruck auf Sie gemacht?“

„Gewiß. Ich habe Ihren Seufzer vernommen, als Echo meiner eigenen Empfindungen, so etwas wie Seelenverwandtschaft herausgespürt. Die Meisten betrachten es als Curiosum. In ihrer Gleichgiltigkeit entgeht es ihnen ganz, daß sich da wie nirgends anders die Ungerechtigkeit zeigt, die die Welt beherrscht.“

„Ja, daran hab’ ich auch gedacht — und bin dabei in eine Sackgasse geraten. — Können Sie mir kein Werk anraten, das mir Aufschluß erteilt. — Ich bin leider viel zu wenig bewandert, auf diesem Gebiet. Aber jetzt, wo mein Interesse erwacht ist“ — —

„Gewiß. Ich will Ihnen gern einige Titel nennen. Aber die Anfangsgründe darf doch ich Ihnen beibringen, nicht wahr?“

„Ich werde Ihnen sehr dankbar sein.“

[S. 271]

Hierauf entwickelte er mir mit wenigen leichtfaßlichen Worten die ganze Idee. — Ich glaube, er hat beiläufig das gesagt:

„Wir sind keine Revolutionäre und Umstürzler im schlechten Sinn. Was wir anstreben, werden wir auf friedliche, unblutige Weise erreichen, indem wir die Menschen zum vernünftigen Denken zwingen — die Unterdrücker und ihre Opfer. Und dieser Kampf der Geister muß notwendig die Reformen mit sich bringen.

Es handelt sich uns nicht darum, die Reichen auszuplündern und ihr Hab’ und Gut unter die Armen zu verteilen. Nein, nur die schroffen Gegensätze sollen gemildert werden — durch die Gesetze. Man verwechselt uns so häufig mit den Communisten, und das ist ganz unrichtig. Wir wissen sehr gut, daß eine völlige Gleichheit ausgeschlossen ist. Es wird immer Unterschiede geben, sowohl in körperlicher als in geistiger Beziehung. Das Gegenteil wäre gerade so unsinnig, als wenn man vom geborenen Dichter verlangen wollte, daß er Sohlen an die Schuhe heftet, vom Crétin, daß er Astronomie betreibt, oder vom Krüppel, daß er Lastkarren schiebt.

Die Leute müssen eben immer reden, ob sie etwas von einem Ding verstehen oder nicht. So hat sich einmal ein Gegner folgendermaßen geäußert:

„Geld wird es natürlich keins mehr geben: wir werden Jedes mit einem Schein in der Hand unser Stück Fleisch, unsere Schuhwichse und überhaupt Alles, was wir brauchen — abholen: Niemand wird mehr im Wagen [S. 272] fahren, um es den Anderen nicht voraus zu tun. — Volle Gleichheit. Und schon nach einem Jahr wird der Streit losgehen, weil der A — wie es ja unvermeidlich ist — wieder mehr haben wird wie der B.“

Und darauf hinzuarbeiten, eine solche heillose Confusion heraufzubeschwören, liegt uns doch wahrlich fern. Jedem Menschen sein Stück Brot sichern, ihm die Möglichkeit bieten, es zu verdienen, das wollen wir. Der Eine mag Champagner trinken, der Andere sich bei Tafelwein genügen lassen, aber was nicht mehr sein darf, das ist: hier Berge von Gold und dort der Hunger, Crösusse und Bettler. Mit dem Verein gegen Verarmung und Bettelei ist uns nicht gedient, ebensowenig mit Wohltätigkeitsbazaren, die nun so sehr en vogue sind. Damit macht man dem Strike, dem Aufruhr kein Ende. Leute, aus denen man Nutzen zieht, müssen auch menschenwürdig behandelt werden. Es ist ja haarsträubend, in welch’ entsetzlichen Verhältnissen die unteren Classen leben. Wie das Vieh zusammengepfercht in dumpfen, lichtlosen Kellerwohnungen. Mit 50, 60 Kreuzern soll eine Familie von einem halben Dutzend Köpfen ihr Auskommen finden. Sie müssen ja da zu Grunde gehen und sind in jenem Alter, wo Kraft und Arbeitstüchtigkeit am größten sein sollten, Greise, weil das Maß der Sorgen zu schwer war für ihre Schultern. Jeder blutig erworbene Heller wird controliert, die Steuer dafür eingezogen, und dazu die ewig steigenden Preise! Man treibt sie ja gewaltsam dem [S. 273] Laster in die Arme. Diebstähle, Trunksucht, Selbstmorde, das sind die natürlichen Folgen.

Man hat leicht Geduld und Ergebenheit predigen, wenn man selbst in geordneten Verhältnissen lebt, — — ich aber finde, daß die guten, die „neidlosen“ Armen bewunderungswürdig sind. Und wenn der Funke der Unzufriedenheit zu lichterloher Flamme wird, wenn sie schließlich genug haben, sich zur Wehr setzen, ich würde denken: „Sie haben Recht“.

Wenn man immer und ewig Nieten in der Schicksalslotterie zieht, wie soll man da nicht verzagt werden und unwillkürlich fragen: „Warum gerade ich?“ Denn sich zu philosofischer Lebensanschauung aufzuschwingen, ist in diesen Kreisen ein Ding der Unmöglichkeit.

Die Reichen aber lügen, wenn sie mit treuherzigen Mienen versichern, daß sie ihr Geld zusammenscharren zum Wohle der Allgemeinheit. „Verwalter unseres Vermögens“ — „nutzbringend für den Staat.“ Ja, schöner Nutzen das! Die Armen hungern und frieren, dieweil der Fiskus, dieses Ungeheuer mit dem bodenlosen Schlund, sich ins Fäustchen lacht.

Freiwillig geben die Besitzenden nicht nach: sie mit dem Schwerte in der Hand gefügig zu machen, wäre Unrecht. Moralisch also müssen sie gezwungen werden durch die legislative Gewalt. Dazu aber ist es erforderlich, daß sie sich in den Händen wohlmeinender Männer befinde, die die Interessen des Volkes auch wirklich wahren.

[S. 274]

Bei der Mißwirtschaft, wie sie momentan in fast allen Parlamenten eingerissen hat, ist nichts für unsere Zwecke zu erreichen. Sie lesen doch die Zeitung?“

„Gewiß.“

„Nun da werden Sie ja wissen, wie es dort zugeht. Man streitet sich stundenlang um Bagatellen herum — vernünftige Vorschläge, das gehört zu den Seltenheiten. Freilich, zur Zeit der Canditatur versprechen die Herren den Leichtgläubigen Sonne, Mond und Sterne und ködern sie mit Bier und Geld. Sitzen sie aber einmal fest und warm im hohen Haus, haben sie auf Alles vergessen bis auf die Diäten: die stecken sie noch gewissenhaft ein. Es ist eine einfache Spekulation. Der Zufall, die Bestechung entscheidet mehr, als das persönliche Verdienst und daher kommt es so häufig vor, daß total unfähige Menschen die wichtigsten Stellen bekleiden. Darum strebt unser Programm in erster Linie das allgemeine, direkte Wahlrecht an. Dieses erstreckt sich auf alle Reichsangehörigen beiderlei Geschlechts, die das zwanzigste Jahr zurückgelegt haben. Das Volk soll aus seiner Mitte heraus bewährte Männer, zu denen es Vertrauen hat, zu seinen Abgeordneten bestimmen.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Volkswehr an Stelle der stehenden Heere, und die Schlichtung aller Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege. Sie sehen also, daß wir sehr friedliebende Menschen sind. Doch ich ermüde Sie wohl?“ setzte er fragend hinzu; da ich ihn jedoch des Gegenteils versicherte, fuhr er fort:

[S. 275]

„Auch wollen wir die Abschaffung jener Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung einschränken und jener die die Frau im öffentlichen oder privaten Leben, dem Manne gegenüber benachteiligen.“

„Also Sie finden es natürlich, daß auch die Frauen, einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Beruf wählen, sich am öffentlichen Leben beteiligen?“

„Das ist doch nur gerecht: nur die Schwächlinge fürchten die Concurrenz: aber die werden ja bald zum Schweigen gebracht werden.“

„Ist das das ganze Programm?“

„O nein. Wir sind keine so bescheidenen Leute: wir streben noch so Manches an, z. B. die vollkommene Trennung von Kirche und Staat: Weltlichkeit der Schule, Unentgeltlichkeit des Unterrichtes und der Lehrmittel und Ausbildung der Talente, da wo sich welche zeigen.“

„Das wäre für Viele eine Wohltat. Ich habe mir so oft vorgestellt wie traurig es für einen Menschen, der an seine Begabung glaubt, sein muß, wenn ihm die Hände gebunden sind, wenn er nicht vorwärts kann, weil ihm die Mittel fehlen, um sein Ziel zu erreichen.“

„Sie sollen noch mehr beanspruchen können. Die unentgeltliche Rechtspflege, die Entschädigung unschuldig Verurteilter, die Abschaffung der Todesstrafe. — Ärztliche Hilfe und Heilmittel, das sollen sie ebenfalls umsonst haben.“

„Und dieses Programm, das so gut, so logisch [S. 276] zusammengestellt ist, soll nicht die Wünsche Aller befriedigen?“

„Nicht wahr? Es ist kaum zu begreifen, und doch gibt es leider gar Viele, die nichts davon wissen wollen.“

„Wie ist es eigentlich mit den großen Abgaben, über die man alle Welt jammern hört? — Läßt sich denn da nichts machen, oder gehört das nicht hierher?“

„Und ob. Auch da wollen wir Rat schaffen. Wir beanspruchen nämlich die stufenweise steigende Einkommensteuer, von der dann alle öffentlichen Ausgaben bestritten werden sollen. Erbschafts- und Vermögenssteuer bleiben, wenn auch anders geregelt, bestehen, hingegen sollen alle indirekten Steuern, die Zölle, überhaupt alle jene wirtschaftspolitischen Maßnahmen abgeschafft werden, welche die Interessen der Allgemeinheit den Interessen einer bevorzugten Minderheit opfern. Das klingt trocken, nicht wahr? Die Anfangsgründe jeder Wissenschaft sind so. Aber wenn man das ABC überwunden hat, macht das Weiterspinnen Freude.“

„Mir scheint Alles ganz klar und einfach. — Freilich, was das Letzte anbelangt, die Abschaffung der zu weit ausgedehnten Vorteile der Bevorzugten, kann ich mir denken, daß Sie auf Schwierigkeiten stoßen.“

„Nun ja, natürlich fehlt es uns nicht an Widerstand, doch wir werden ihn schon brechen. Und im Innern können am Ende auch unsere Gegner, sofern sie denken [S. 277] wollen, die Vorteile einer solchen Reorganisation nicht leugnen.

Dadurch, daß das tote Capital aufhört, das heißt die Aufhäufung der Zinsen zu Unsummen — kommt mehr Geld in Umlauf, wobei die Wohlfahrt des Landes steigt, und jeder Einzelne profitiert.

Für alle öffentlichen Bedürfnisse wird die Gemeinkasse, der Staat sorgen, ebenso für den Unterhalt der Kinder und der Arbeitsunfähigen. Er wird auch das Eigentumsrecht von Grund und Boden an sich bringen, das heißt, es durch Kauf erwerben und die Leute damit belehnen, mit anderen Worten: sie wären gegen mäßige Zinsen Pächter.

Jeder wird für sich selbst arbeiten und nach dem Maße seiner Leistungen entlohnt werden. Keine Millionenerben mehr, und die Zahl der Müßiggänger, der Drohnen wird sinken.“

„Aber“, habe ich da eingewendet, „wird die Freude, der Eifer, zu erwerben, nicht abnehmen, wenn man nicht mehr für seine Kinder, sondern für die Allgemeinheit arbeitet?“

„Das ist Ansichtssache. Vernünftigen Eltern wird jedenfalls der Gedanke, daß ihre Nachkommen durch redlichen Fleiß ihr Schärflein zum Weltbau beitragen, mehr Genugtuung bereiten, als der, daß sie auf der faulen Haut liegen und sich durch vornehmes Nichtstun zu unnützen Gliedern der Gesellschaft stempeln. Im Übrigen wäre ein [S. 278] „weniger auf Erwerb des Mammons bedachter Sinn“ nur wünschenswert, weil dann das Laster „Geiz“ keine so unerquicklichen Dimensionen mehr annähme, wie heute. — Auch die Geldheiraten würden abnehmen und die Liebe als Regentin ein besseres, für das Ideale begeistertes Geschlecht hervorbringen.

Freilich wird es immer kleinliche Schreier geben, denen die eigene Bequemlichkeit mehr am Herzen liegt, als das Wohl der Gesammtheit. Aber mit der Zeit wird es der verschwindend kleine Teil sein. Der Ruf nach Gerechtigkeit wird mächtig anschwellen und als brausender Orkan das All durchzittern — und dieser Tag steht, glaube ich, in nicht all zu weiter Ferne.“

Er hatte sich in Eifer geredet und seine blauen Augen strahlten in sanftem Feuer. Wir waren nahe an das Hôtel gekommen, das der Graf mit seinem Sohn bewohnte. „Ich könnte Ihnen noch so Manches über diese Sache sagen — von den speciellen Forderungen der Arbeiterklasse habe ich Ihnen noch gar nicht gesprochen.“

„Wir werden doch Gelegenheit finden, das heutige Thema fortzusetzen — so schnell dürfen Sie mich nicht im Stiche lassen.“

„Das will ich auch durchaus nicht. O nein, ich habe ganz gut bemerkt, daß Sie einen klaren Kopf haben und solche Leute können wir nur zu gut brauchen.“

„Was hat der Ihnen Alles erzählt?“ frug nun der General. „Schöne Sachen, wie? — Möcht’ gern eine [S. 279] Socialistin aus Ihnen machen, wie? A ja, ja, kleine, schöne Socialistin, wie?“

„Das wird ihm leicht gelingen.“

Egon gab mir die Hand. „Wir werden Freunde sein, nicht wahr?“

„Wir sind es schon“, wollt’ ich erwidern, doch ich nickte nur zustimmend mit dem Kopfe.

* *
*

2. Juni.

Das Venedig vom Canal grande ist wesentlich verschieden von dem in den Mercerien. Das bunte Durcheinander, das hier herrscht, contrastiert lebhaft mit der majestätischen Ruhe des eleganten Viertels.

Der General machte unseren Cicerone, und es war unterhaltend, als eine Schar kleiner Gassenjungen sich vor ihm aufpflanzte und rief: „ Un soldo, san Nicolo, prego un soldo “, und er verteilte lachend Kupfermünzen unter sie.

Ma no “, ließ sich jetzt eine weibliche Stimme vernehmen, „ non è san Nicolo, è il nostra Generale. Buon giorno Eccelenza .“ Es war ein bildhübsches Weib, das diese Worte gesprochen. In Fetzen stand sie da: ihr dichtes, blauschwarzes Haar fiel ihr in Strähnen über die Brust. — Die Augen funkelten und in der Haltung des Kopfes lag etwas von einer Königin.

An allen Ecken, und wo es angeht auch unter den [S. 280] Toren stehen Orangenverkäufer, Zeitungsausrufer, Blumenmädchen. Ein sich gegenseitig Überschreien, ein Anpreisen der Waren, ein Handeln und Gemurmel: ein ohrenzerreißender Lärm.

Il secolo “ — „ popolo romano — tre rose per una mezza lira — ma compra — belle arranci, fresche, dolci — il giornale di Milano “ und dazwischen das Gebell der Karrenhunde, das Schäppern der kleinen Marktwagen.

Um in dieser Gegend zu wohnen, muß man wirklich gute Nerven haben: ich glaube auf die Dauer hielte ich das nicht aus.

Der General führt uns in ein stilleres Seitengäßchen, wo die Antiquare ihre Buden aufgeschlagen haben. — Es gibt da Prachtstücke, an denen man sich gar nicht satt sehen kann. Besonders reich vertreten sind die eingelegten und geschnitzten Truhen, Goldstickereien und Miniaturen. Eine, die mir besonders gefiel, hab’ ich erstanden. Eine Frau in Empirecostüme, ein schlankes Figürchen mit einem Paar großer flehender Augen. Zwischen Daumen und Zeigefinger hält sie einen Schmetterling. Die Inschrift auf der Goldleiste des Rahmens hab’ ich erst später entdeckt. In winzig kleinen Lettern steht darauf: „ Puisse l’excès de mon amour fixer le volage. “ Eine kleine Fürstenkrone daneben.

Ich war entzückt über meine Entdeckung und zeigte dem Grafen das Bild. Da schien mir’s, als ob eine [S. 281] seltsame Bewegung über seine Züge geglitten wäre. — — — „Ja, ja, — ist jetzt vorbei — vergeht so schnell das Leben, wie? Kaum daß man vernünftig geworden, ist es aus.“ — Und um sich blickend: „Alte Kunstschätze und moderne Menschen. Junge Menschen, wie? — — Ah ja, ja, das Alte taugt nichts, das muß fort. Immer Neues drängt zum Licht, muß sich frei bewegen können. Ist natürlich. Bei mir wird’s auch nicht mehr lang dauern, wie?“

„Aber sprechen Sie nicht so,“ bat die Tante, und mir wurde ganz weh ums Herz. Vom ersten Moment an hat er sich meine Sympatie erworben, und ich weiß, daß wenn er gienge, es eine Lücke bilden würde in meinem Leben. Du lieber, alter General! Was macht’s, daß die Jahre sich mit Runenschrift in Deinen Zügen eingegraben, tiefe Furchen gezogen haben, der Kreuz und Quere: bis an Dein eigentliches Wesen ist die zerstörende Zeit doch nicht gedrungen. Noch immer stehst Du da, so unbeugsam und wetterfest wie eine Eiche, die den Stürmen trotzt, die stolz und sicher ihr Haupt zum Himmel hebt.

„Ein Mann, halb Engel und halb Löwe“, so hat ihn der ältere Dumas genannt.

„Ah, diese trifft sich gut.“ Die Schwestern Trevatti waren uns förmlich in die Arme gelaufen. „Wir haben uns geholt eine neue Gondelier,“ erläutert Pepi, „weil das frihere is in Liebe gefallen zu die Corona, — und [S. 282] die besen Zungen hier! S’is schrecklich: wir sind ganz krank. Jetzt gehen wir in die Gemalerei, weil dort sind schene Bilder — eine Porträt, was soll sein die ganze Corona.“

„Da, Signorina,“ sagt die Ältere, mir eine Rose reichend. „Diese ist von eine schene Geburt,“ fügt sie, nicht ohne Wichtigkeit hinzu.

Ich war froh, daß sich keine anderen Leute in der Nähe befanden. Der Aufzug dieser Beiden spottet jeder Beschreibung. Was man an Farben und Uniformen ersinnen kann, das laden sie auf sich. Eine buntbeklexte Palette ist nichts dagegen. So etwas tut mir in den Augen weh. Meine Überwindungskraft geht nicht so weit, daß ich mich über Derlei hinwegzusetzen vermag. Ich weiß, es ist kleinlich: die wahre Klugheit besteht darin, die Menschen zu nehmen, wie sie sind, mit ihren Schwächen und Absonderlichkeiten. Ob ich das je erlernen werde?

Nachmittag sind wir herumgefahren auf dem Meer. Es war schwül; die ganze Natur strömte eine gewisse Mattigkeit aus. Wie Gazeschleier lag es über dem Firmament und selbst die Glocken von San Marco hatten einen müden, gedämpften Klang. In all’ den Farben und Tönen eine schüchterne Weichheit, die mich so seltsam bewegte.

Und der General erzählte aus seinem Leben. — Alles war Romantik in diesem Dasein. Ich lauschte mit geschlossenen Augen. — Wie stürmisch wild da mit einemmale [S. 283] die See wurde! — Die Wogen brandeten, schlugen schäumend an die Gondel, warfen sie hoch in die Luft, daß sie in allen Fugen krachte. — Es war die Illustration zu der Geschichte des Greises, der an unserer Seite saß.

Seine zügellose Phantasie, sein Drang nach Erlebnissen und Abenteuern hatten ihn noch als halben Knaben hinausgetrieben in die Welt. — Allenthalben wo es Kampf gab, war er dabei. — — Pulverdampf und Kugelregen, das sind die Erinnerungen seiner Jugend. — Seit jeher empfand er besondere Vorliebe für das sonnige Italien und dort war es auch, wo zum erstenmale die Frau entscheidend in sein Leben trat. Er fand Gegenliebe bei der jungen Fürstin, der er seine Neigung widmete — die Eltern waren einverstanden und die Regierung zeigte sich hocherfreut. Dennoch gab es Mißgünstige, die diese Heirat hintertreiben wollten. Da machte er aber kurzen Proceß, nahm seine Braut in die Arme und ließ sie sich bei Fackelschein antrauen in stiller Nacht. — „Meine Division erwartete uns im Wald, wo in aller Eile ein Altar errichtet wurde und dem Bischof wußte ich plausibel zu machen, daß es seine Pflicht sei, uns die Hindernisse aus dem Wege zu räumen. — — Sie ist bald gestorben, die Arme. Ja, ja, war ein Engel, eine wirkliche Heilige.“

Tiefen Eindruck hat mir auch folgende Episode gemacht, die er uns aus seinem Schlachtenleben mitgeteilt:

„Es war im Mai 1860. Unter dem heiteren Himmel von Italien trug sich das Grauenhafte zu. Wir zogen [S. 284] mit tausend Helden Garibaldi’s gegen Palermo. In der Nähe des Marktfleckens Partenico erblickten wir am Straßensaume einen Leichenknäuel, und als wir näher traten, sahen wir, daß es zehn bis zwölf Bourbonensoldaten waren, an denen die Hunde nagten. Garibaldi geriet in fürchterlichen Zorn und donnerte die jubelnden Einwohner mit den Worten an: „Schämt Euch über solch’ barbarisches Treiben. Die Anhänger der Freiheit kämpften nie so; nie wüteten sie auf so unmenschliche Weise.“

Die Partenicoer hörten in tiefer Stille diesen Ausbruch der Entrüstung an. Dann trat Einer aus der Gruppe vor den General:

„Ja, wir haben ungerecht gehandelt, aber bevor Sie uns verurteilen, sehen Sie selbst, was hier geschah“, und sie führten uns in vier bis fünf Häuser, in denen eine Schar von Frauen und Kindern lag, versengt, zu Kohle verbrannt.

„Das haben die Bourbonensoldaten getan“, schrien sie. „In die Häuser trieben sie die Frauen und Kinder, zündeten sie an, bis die Unglücklichen in den Flammen starben. Wir hörten das Wehgeschrei und eilten herbei. In unserer Verbitterung vollbrachten wir den Racheakt.“

„Damals überkam mich zum erstenmale namenloser Ekel vor der Grausamkeit der Menschen, vor der Häßlichkeit des Krieges, der alle Dämonen entfesselt. Ähnliches gieng im Innern Garibaldi’s vor, wie er mir später gestand. [S. 285] — A ja ja, das waren Zeiten. Wie?“, und er fuhr sich mit der Hand über das weiße Haar. — „Hab’ aber noch nicht genug gehabt. Auch den 66er Feldzug mitgemacht. Weiß der Teufel, warum ich keine Ruhe hatte. Wurde am linken Arm verwundet; war eine sehr gefährliche Geschichte — hätten ihn bald amputieren müssen. Da bin ich denn gelegen sechs Monate und hab’ Zeit gehabt, nachzudenken. — Oft hab’ ich Nächte lang kein Auge zugemacht — immer eine weiße Frau an meinem Bett sitzen gesehen, die fortwährend murmelte: „Ich bin der Tod.“ — War mir nichts passiert mitten in der Schlacht und hab’ ruhig sterben soll’n im Bett, wie? — Hab’ keine Lust gehabt, — der weißen Gestalt gesagt: „Ich will leben — geh’ fort“ — dem Tod getrotzt. — Muß leben, um gut zu machen, meinem kleinen Buben andere Ideen beizubringen — ja ganz natürlich — er soll vernünftiger werden, wie sein Vater. A ja ja. — Kleiner Bub. Ist heut’ ein erwachsener, tüchtiger Mensch, der Egon. Wie? — — Schreibt den ganzen Tag — wird hoffentlich gelingen das Werk, wie?“ und ein stolzes Lächeln verklärte seine Züge.

* *
*

5. Juni.

Aus welchem Anlaß er Socialist geworden. Ob er den Standpunkt, den er heute vertritt, seit jeher eingenommen, oder ob ihm die Gegensätze früher als etwas [S. 286] Selbstverständliches erschienen waren? Das Alles hab’ ich Egon Deuchtestum gefragt.

„Mein Vater“ — und in diesem Worte lag große Zärtlichkeit — „hat mich in den Principien der Nächstenliebe und Gerechtigkeit aufgezogen. So viel ich mich erinnere, war es mir als Kind Bedürfnis, den Armen zu geben. Damals hab’ ich’s instinktiv getan — später aus Gewohnheit und weil es mir wirklich Freude machte. — Dabei aber ließ ich mir nichts abgehen, legte mir keinerlei Entbehrung auf. — — Ich sollte mein Freiwilligenjahr absolvieren und meine neuen Kameraden forderten mich auf, an einem Bankett, das sie veranstalteten, teilzunehmen. Ich gieng. Am Sylvesterabend war’s. Ein Wetter, daß man keinen Hund hätt’ auf die Gasse jagen mögen. Drin im Restaurant war’s behaglich warm; eine elegante Gesellschaft füllte den Raum; Alles war lustig, guter Dinge. Unser Tisch stand knapp am Fenster — — wir ließen es uns gut sein, plauderten, aßen die besten und seltensten Dinge, tranken Punsch und dann kam der Champagner an die Reihe. Ich war nie ein Freund solcher Gelage gewesen und auch diesmal nur gekommen, um nicht als Spaßverderber zu gelten.

Schon stand eine ganze Batterie geleerter Flaschen auf dem Tisch — der gewöhnliche Grad der Gemütlichkeit war überschritten. Und da kein irgendwie fesselndes Thema berührt wurde, hieng ich meinen eigenen Gedanken nach — und sah unwillkürlich durch das Fenster. — Gerade [S. 287] gegenüber war eine Delikatessenhandlung. Ein ärmlich gekleideter Mann stand davor und studierte die ausgestellten Leckerbissen. Die Züge vermochte ich nicht deutlich zu unterscheiden. Ein paar Minuten später trat er in unser Restaurant. — Zaghaft, mit einem so flehenden Ausdruck, den ich nie vergessen werde, näherte er sich einer Gesellschaft. Ein paar geputzte Damen rückten ihre Stühle beiseite und eine hielt ihr Taschentuch an die Nase: „Puh, dieser Geruch!“ Und ein dicker Herr rief den Kellner: „Was will der Mann hier? — Sorgen Sie dafür, daß die Besucher nicht durch solches Gesindel belästigt werden.“

„Herr, ein krankes — —“

„Nichts da — packen Sie sich fort, sonst hole ich den Wachmann“, und der Kellner drängte ihn zur Tür. — — Er wankte mehr, als er gieng. Dann ballte er die Faust — wie man es tut, wenn man einen Fluch ausstößt.

Der ganze Auftritt hatte keine fünf Minuten gedauert. — Hatte mich nun der Champagner gelähmt, mich eingeschläfert — ich verfolgte die Scene mit dem Blick des gleichgültigen Zuschauers. Erst als mein Nachbar sich über den „unverschämten Kerl“ beklagte, kam ich zu mir.

Ich nahm mir kaum Zeit, in meinen Mantel zu schlüpfen — ich eilte hinaus, dem Verjagten nach. — Seine Hand hab’ ich genommen und ihm Abbitte geleistet. — In seine elende Kammer bin ich ihm gefolgt; sein Weib und seine vier Kinder waren blau vor Kälte. Auf einem Strohlager lag das Jüngste — tot. Es war gestorben [S. 288] in seiner Abwesenheit. — Da hat sich der Mann über die kleine Leiche geworfen und Dinge gebrüllt, die mir durch Mark und Bein drangen. — —

„Gelt, daß die Reichen sich überfressen können, muß Unsereins arbeiten wie a Viech. — — Wir verdienen’s und sie verprassen’s. Von Mitleid keine Spur — drum hast krepieren müssen, armes Hascherl — — kein’ Doktor hab’n mehr zahlen können, und jetzt is aus. — Wahrli, man dürft’ keine Kinder haben, ’s wär’ besser für die Würmer — so an Luxus kann sich nur a Reicher gestatten. — Besser war’s, wann das ganze G’schlecht aussterbert — sollen sich dann selbst helfen, die nobligen Leut’.“

Lang hat’s gedauert, bis er zur Ruhe kam. — — Und ich stand da — und schämte mich — im Namen meiner Genossen. Es schlug Mitternacht, das neue Jahr hielt seinen Einzug. — Da hab’ ich es dem Manne gelobt in seine rauhe Hand: „Ich will für Euch kämpfen — — meine Kraft, mein Streben weih’ ich von dieser Stunde an den Unterdrückten.“

„Ich —“ — weiter kam ich nicht — Tränen erstickten meine Stimme und noch jetzt, wenn ich daran denke, zittert mir die Feder in der Hand. — — Danken wollt’ ich ihm, ihm sagen, wie gut das gewesen, und habe doch kein Wort hervorgebracht. Aber meine Tränen haben mich verraten, die sind mir unaufhaltsam herabgerollt.

Er sah mich bestürzt an. „Ich habe Sie nervös gemacht. Verzeihen Sie.“

[S. 289]

„Sie haben mir wohl getan. So wohl.“

Der Garten, in dem wir wandelten, mit seinen dunklen Laubgängen, mit den plätschernden Fontänen, mit dem Dufte der Magnolien schien mir plötzlich so wundervoll. Der ganze Zauber des Südens stürmte auf mich ein, atemraubend überwältigend.

Wir näherten uns einer Gruppe von spielenden Kindern. Ein etwa eilfjähriger Knabe schien seinen Kameraden etwas zu zeigen, was sie offenbar sehr interessierte, denn sie reckten die Hälser und verwandten keinen Blick von ihm. Jetzt sahen auch wir es. Das kleine Monstre hatte ein junges Vöglein in der Hand, das hilflos zappelte, denn es hatte die Füße mit einem Schnürchen zusammengebunden: die Federn waren ihm teilweise ausgerupft und aus den Augenhöhlen träufelte Blut. Mir wurde ganz schwindlig bei dem Anblick. Egon war feuerrot geworden: die Stirnader trat hervor und die sanften Augen sprühten Zornesblitze. Er sagte kein Wort, sondern trat auf den Missetäter zu, riß ihm das zuckende Tier aus der Hand und versetzte ihm einen so heftigen Schlag, daß er taumelte. Aber gleich darauf hörten wir ihn höhnisch lachen.

Egon atmete tief auf: „Es war eigentlich unerlaubt — aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Wenn ich sehe, wie man ein armes wehrloses Geschöpf mutwillig quält, bin ich nicht Herr meiner selbst. — — — — So etwas entmutigt mich auf Tage hinaus, es erregt mich [S. 290] so, daß ich nicht einmal schreiben kann. Alle Worte, die derbsten Ausdrücke sind mir noch zu gering. — Es ist ein so weiter Weg, den der Gedanke zurücklegt vom Augenblicke, da wir ihn empfangen, bis zu jenem, da wir ihn zu Papier bringen. — — Er verblaßt uns unter der Feder, was als Flamme aufgelodert im Gehirn, das ist nur mehr verlöschende Glut, sobald wir es niedergeschrieben.

Man möchte ja helfen — ach Gott, wie gerne — — — aber die Verzagtheit drückt uns zu Boden. Keine andere Waffe zu haben gegen so viel Roheit als diese Hände und den guten Willen. — — Nicht an die eigene Kraft glauben, an sich selbst verzweifeln. — Das Martyrium des Zweifels, der aufreibende Zwiespalt zwischen Riesenwollen und Zwergkönnen. Es ist eine Qual.“

So hatte er noch nie zu mir gesprochen: es war als fühle er das Bedürfnis aus sich herauszutreten, einer teilnehmenden Seele sein „Ich“ zu enthüllen.

„Ich bin sicher, Sie werden es zu Stande bringen.“

„Sie glauben wirklich?“ — Er sagte es ganz freudig, „Ach, wenn Sie recht behielten. — Bisweilen denke ich ja selbst: Es muß mir gelingen. Ein Schrei, der aus dem innersten Herzen kommt, muß der nicht widerhallen in den Anderen, sie bewegen, erschüttern? In solchen Momenten bin ich voll Zuversicht. Meine Arbeit scheint mir ein Kinderspiel — was ich sage, kommt mir so eindringlich, so überzeugend vor. Das ist dann Seligkeit.“

[S. 291]

Darum also nennen sie ihn einen „seltsamen Kauz?“ — Sie haben nicht so Unrecht — wie wollen „Die“ ihn verstehen! — Diese heiße Dichternatur mit ihren 1000 Nuancen, mit dem ewig wechselten Colorit, so tief, wie das Meer, so schillernd wie das Gefieder der kleinen Colibris in den Tropen, so fascinierend für den, der sie erfaßt, wie die Musik des Südens.

„Ja, ich gestehe“, fuhr er nach einer Pause fort, „daß ich etwas wie Neid fühle gegen die Menschen mit beschränktem Horizonte. Sie sind relativ glücklicher als wir, die der Drang erfüllt, nach Neuem, Gewaltigem, nach himmelhohen Zielen. Sie gleichen stillen, durchsichtigen Wässern, ohne brausende Wogen — denn sie sind seicht. Niemals treten große Entschlüsse, mächtige Leidenschaften an sie heran, oder sie ziehen vorüber, ohne sie zu berühren. Sie stehen auch nie auf schwindelerregender Höhe, und wenn sie fallen, wird ihr Sturz ein sanfter sein. — — Freilich — es entgeht ihnen auch viel Schönes. Ein reicher Teil ihres „Ich“ bleibt ihnen verborgen — sie ahnen nicht einmal die eigene Genußfähigkeit. Niedere Gewächse, die im Schatten auf der Erde weiterkriechen, ohne glühende Farben, ohne berauschenden Duft. Kein Sonnenstrahl zieht sie zu sich empor: sie wissen nicht, wie lieblich der blaue Himmel ist, wie berückend der schwüle Sommer.“

Er ist ein Adler, die Anderen sind Schnecken. Ihn tragen seine Flügel weit — — wenn ich ihm folgen könnte!

[S. 292]

Und wie richtig er die modernen Menschen definiert hat. — Ein Bekannter schrieb ihm einmal: „Ich kann das Gefühl nicht los werden, daß Einer hinter mir dreinjagt auf feurigem Rosse. Ich höre ihn atmen — er kommt immer näher mit rasender Geschwindigkeit, und da laufe und laufe ich, solange mich meine Füße tragen.“ — Und an dieses Gleichnis hat er angeknüpft: „Ja, es ist wahr, man möchte zehn Dinge auf einmal erledigen — die Tageszeit verdoppeln. Es gäbe so unendlich viel zu tun gerade in unserem Jahrhundert, dessen charakteristisches Merkmal ein ununterbrochenes Hasten und Drängen ist. Diese ewig vibrierenden Nerven, dieses heiße Streben, diese wechselnden Stimmungen, bald zuversichtlich zum Aufjauchzen, bald verzagt bis zur Verzweiflung. Selten ein Augenblick wirklicher Ruhe, inneren Gleichgewichts. Leben wir denn jemals in der Gegenwart? Unser Geist eilt stets voran, der Zukunft entgegen, schwingt sich in lichte Sonnenhöhen. — In unsren Träumen Götter, und beim Erwachen — Menschen, Spielball des Schicksals, so armselig und so nichtig. — Dann machen wir uns mit einer Art Galgenhumor daran, das eigene Ich zu analysieren; mit dem Blicke des unparteiischen Kritikers die verborgensten Winkel unsrer Seele zu durchstöbern, und was wir mit dem freien Auge nicht sehen, das entdecken wir sicher durch das Mikroskop. — Wir quälen uns unbewußt — auch das hat seinen herben Reiz: es ist die Lust der Qual.

[S. 293]

Wenn wir dann erschöpft mit heißem, schmerzenden Kopfe innehalten, wenn die Reaktion eintritt, die betäubende Ermattung, dann fragen wir uns: „Wozu dies Alles?“ — Für die Überreiztheit, für die Compliciertheit des heutigen Geschlechtes fehlt uns der richtige Ausdruck.“

Stundenlang könnt’ ich ihm zuhören, wenn er spricht. Alles, was er sagt, hat ein eigenes Interesse für mich, und dann schmeichelt es auch meiner weiblichen Eitelkeit, daß er sich so ausschließlich mit mir befaßt.

Die jungen Damen warfen mir zuerst mißgünstige Blicke zu, dann änderten sie plötzlich ihr Benehmen. Sie machen mir jetzt Avancen, besuchen mich, laden mich ein und lassen so ganz obenhin die Bemerkung fallen, ob denn Graf Deuchtestum nirgends hingehe, weil man ihn nie zu sehen bekommt in der Gesellschaft.

Wenn sie wüßten, wie nutzlos ihre Bemühungen sind. — Die Schablonensoiréen sind ihm ein Gräuel, er hat es mir offen gestanden.

„Früher, als ich noch in den Salons verkehrte, hab’ ich keine Befriedigung gefunden. Was wollen denn die Menschen? Diese Frage drängte sich mir stets von Neuem auf. — — Die Zeit totschlagen — sie mit Banalitäten, mit hohlen Phrasen ausfüllen? Stundenlang nebeneinander sitzen, ohne sich etwas zu sagen zu haben. Oder ist’s nicht so? Es kommt mir ungefähr vor, als stellte ich mich vor den Spiegel, um die Cravatte gerade zu schieben, während das Haus in Flammen steht. Ich bringe [S. 294] das nicht fertig. Und Sie — Sie können sich auch unmöglich unterhalten. — Weil Sie so grundverschieden sind — von den Andern.“

„Gute Nacht.“

Das klang so aufgeregt und hastig — — und er drückte mir die Hand so heftig, daß mir’s wehe tat.

Es ist spät. Ich will mich niederlegen. Schlaf aber verspür’ ich keinen.

Die Sterne blinken goldig. Es war ein lila Stern, dann glühendrot. — Es regt sich nichts — — weil Alles ruht. — — Ruht wirklich Alles? — Gute Nacht, Egon Deuchtestum — — gute Nacht.

* *
*

9. Juni.

Der Ostwind. Wie er sägt an meinen Nerven! Heut’ bin ich elend. Von Minute zu Minute ändern sich meine Stimmungen. Mein ganzes Wesen ist in Aufruhr. Siedend heiß jagt mir das Blut zu Kopfe. Alles Denken und Fühlen ist zu höchster Intensivität gesteigert. Ein Chaos, eine glühendrote Finsternis, ein Hämmern, ein Pochen zum Verrücktwerden. Der Atem geht mir aus, ich meine zu ersticken — dann wieder schüttelt’s mich vor Kälte, als ob ich Fieber hätte. — — Eine Unruhe, ein Bedürfnis zu gehen, mich zu bewegen! Wie wenn der Tod schon seine eisige Hand auf’s Herz legt und die Füße noch tanzen möchten — nur ein einziges Mal noch — bis — sie — erstarren.

[S. 295]

Gleich darauf wird es still, unheimlich still in mir. Mir ist’s, als sei ich mir eine Fremde und nur zu Gast auf dieser Erde. Mir graut — denn was ich ahne, ist mein anderes Ich — mein Doppelgänger.

Die düsteren Phantasien weichen einer großen Abgespanntheit. — Ich fühle mich müde wie ein geprügelter Hund, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Saison morte im Kopfe.

O, er hatte Recht. — — Mit welcher Gier ich meine Sensationen zergliedere. — — Ich war also nur scheintot gewesen, ich hatte mich für abgestumpft gehalten. — Zum Lachen. Mich nie anders gesehen wie als Matrone, etwas gebeugt, auf einen Stock gestützt, mit weißen Scheiteln und einem Spitzentuch darauf. — Und „Tante Mimi“ haben sie mich genannt, nie anders als „Tante Mimi“. —

Das hatte ich wirklich geglaubt, ich, mit meiner Eindrucksfähigkeit? Mein Ohr hört Töne, und ich sehe Farben, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Nuancen und Abstufungen, die man nicht festhalten kann, weil sie zerflattern, verschwinden, wie jene Blumen auf den Wiesen, die der leiseste Hauch hinwegfegt.

Warum bin ich auch hingegangen zu den lebendig Toten? Man hatte mich gewarnt. Nun wollen sie mir nicht aus dem Sinn, die armen Irren von San Clemente.

Wie ihr starrer Blick zu fragen schien: „Wer bist Du, und was willst Du?“ — — Doch nein, ihnen ist’s [S. 296] ja einerlei. Sie fragen nicht, sie wissen nichts. Was sie zu Menschen machte, das existiert nicht mehr.

Ich ließ mich überall herumführen. Hinter einem eisernen Gitter hält eine Frau mit wildem Pathos einen Vortrag: „Ich bin eine Königstochter und mit dem Prinzen Ottavio verlobt. Ich hab’ ein Riesenschloß und Diener und viel, viel Geld in großen Kisten. Wollt Ihr welches? — Da.“ Und sie macht die Bewegung des Ausstreuens.

Eine Greisin kauert mit blöder Miene auf dem Boden und macht ununterbrochen das Kreuzzeichen, klopft an ihre Brust und ruft: „Geh’, geh’ hinweg“. Dann verbirgt sie das Gesicht in den Händen, weil sie meint, den Teufel gesehen zu haben.

Der Krankensaal ist bis auf’s letzte Plätzchen angefüllt. Ein junges, schönes Mädchen ist darunter. — Sie dauert mich besonders. Weshalb? — Auch eine der unwillkürlichen Ungerechtigkeiten, daß wir mit schönen Menschen am meisten Mitleid haben.

In einer Einzelzelle sitzt eine Frau mit gefesselten Füßen auf dem Bett. Sie hält den Kopf gesenkt und scheint mit Jemand zu flüstern, während sie in den Händen unablässig ein schellenartiges Spielzeug dreht. Sie singt dazu mit klagender Stimme ein Lied. Die Wärterin streicht ihr das Haar aus der Stirne und frägt sie etwas. „Ma no, ma no“ erwidert sie beharrlich.

„Die Arme!“ Und die Wärterin erzählte uns, daß [S. 297] sie früher ganz normal war, bis die Eltern sie zu einer verhaßten Ehe zwangen. Seit dieser Zeit war die Schwermut über sie gekommen.

Mir wird unheimlich. Es drängt mich hinaus aus diesem düstern Kerker, hinaus in die freie Natur. Dort wird mir leichter und ich frage mich, ob sie, die nichts empfinden, nicht vielleicht besser daran sind, als wir, die wir uns jeden Genuß verbittern und die, wenn wirkliches Leid über uns hereinbricht, so furchtbar schwer daran tragen. Das Gute, das uns widerfährt, betrachten wir als einen, uns von der Natur geschuldeten Tribut, das Böse als ungerechtfertigte Insulte. — Wir lehnen uns auf, wir ringen uns die Hände wund, wir verzweifeln an unserer Ohnmacht, wir leiden — leiden.

Die Sonne brennt mit versengender Glut und scheint mit den kühlen goldigblauen Wellen zu kämpfen. Weiße Möven schießen pfeilschnell über den Spiegel dahin — von Weitem könnt’ man sie für Wasserrosen halten.

Scharenweise haben sich die müden Arbeiter am Ufer dahingestreckt, um ihre Polenta zu verzehren, oder Siesta zu halten. Bloßfüßige Männer waten bis über den Knöcheln im weichen Sand, um nachzusehen, was ihnen die Flut bescheert. Und jedesmal, wenn sie statt einer Muschel eine Krabbe erwischen, werfen sie mit verächtlicher Miene das Ding in das Meer zurück, wo es lustig weiterzappelt.

Ein freundliches, sonniges Bild. Ich aber kann das [S. 298] frühere nicht vergessen: das Dunkle verblaßt langsamer als das Helle.

Auf dem Lido bin ich ausgestiegen. Ich suchte ein einsames Plätzchen auf und starrte vor mich hin.

„Signorina — Sie hier?“ — und der kleine Spanier stand vor mir.

Etwas ärgerlich versetzte ich: „Ja, wie Sie sehen.“

„Nicht wahr, das Meer ist schön.“

„Gewiß.“

„Und groß — und tief.“

Ich staunte über seine ungewohnte Gesprächigkeit. Dahinter mußte etwas stecken. Dabei sah er mich so traurig an mit seinen Hundeaugen, daß er mir erbarmte.

„Tief auch, natürlich.“

„Und wenn man hineinfällt. — —“

„Kommt man schwer heraus — außer wenn man schwimmen kann.“

„Da unten schlafen, ewig — — mit Ihnen. — — Ich liebe Sie ja, — ich — —“

Ich entfernte mich rasch. „Sie wissen nicht was Sie reden — und mit wem.“

Das arme, dumme Männchen — — — Warum hatte gerade er mir das gesagt? — — — Und unwillkürlich dachte ich mir einen Andern an seine Stelle — groß und blond. — Ich sah die lieben blauen Augen voll Zärtlichkeit auf mich gerichtet — — und eine Sehnsucht [S. 299] überkam mich, eine Sehnsucht riesengroß, seinen Mund sprechen zu hören — von Liebe.

Vielleicht hat er nicht so Unrecht gehabt, der kleine Spanier. — Ruhen da unten auf dem Meeresgrund, wo Alles schweigt.

Die armen Irren!

Nicht mehr die Folter ungestillter Wünsche!

* *
*

10. Juni.

Auf meinem Tische steht ein Rosenstrauß in einer Opalschale. Kleine Sonnenfunken huschen über den irisierenden Stein, über die duftenden Blumen. Purpurn die einen, blaß und zart die andern. Sie sind von ihm. Und auch das Buch daneben. „Das Evangelium Buddhas“, die schönste, die poetischste der Religionen, die Religion der Güte. Ich schlage es auf und lese auf’s Geradewohl diese Stelle:

„Erbarme Dich Derer, die mühselig und beladen sind. Habe Mitleid mit den Leidenden. Hilf den Geschöpfen, welche hoffnungslos darniederliegen in den Fallstricken der Trübsal. Der Wohltäter hat den Pfad der Erlösung gefunden. Er gleicht einem Manne, der ein Bäumchen gepflanzt hat und sich dadurch Schatten, Blüten und Früchte sichert“.

Gerade diese Stelle hat er mir früher einmal genannt. Ich glaube, es ist sein Motto.

[S. 300]

Ich habe das Buch geschlossen, mich zurückgelehnt im Schaukelstuhl und den Duft einer Rose eingesogen. — — — Dann bin ich traurig geworden. — Morgen wird die Glut verbleichen — und nichts bleibt übrig als ein welkes Blätterhäufchen. Es war. — Wenn man so nimmt, man müßte weinen über die Schönheit eines Blumenlebens, das man in Händen hält. — —

Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ist das dieselbe vernünftige Mimi, deren Herz erstarrte, weil es zur Maienzeit ein Frost getroffen? — Oder ist’s die Andere, die Fremde?

Früher waren’s Nelken, jetzt sind es Rosen.

Es ist noch nicht so lange her.

O über unsere Unbeständigkeit!

* *
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Am 12. Juni.

Der General hat mir seine Photografie gegeben. „ Cosa sarebbe la vita senza speranza? Dunque speriamo “ steht darauf.

Ja, wenn man könnte!

* *
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Am 14. Juni.

Egon hat viel zu tun mit seinem Buch und einer Arbeiterversammlung, der er nächstens präsidieren soll. — Ich seh’ ihn selten und wenn, dann scheint er mir einsilbig [S. 301] und zerstreut. Zum Concert aber, heute Abend, bei Solfini, will er kommen.

„Ob mir denn nicht wohl sei“, frug die Tante, „weil ich so blaß aussehe.“

Ich glaube, sie muß etwas gemerkt haben. Ich bin ihr dankbar, daß sie nicht darüber spricht.

Traurig ist’s, das Leben ohne Hoffnung.

* *
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Am 15. Juni.

Die Nachbarinnen haben uns zum Thee geladen. — Eine Schaar verblühter Mädchen sitzt um den Tisch, auf den eine gehäkelte Decke gebreitet ist. So zwischen dreißig und fünfzig Jahren — Herbstzeitlosen; die meisten sind recht häßlich. — — Sie schauen in das Leere, mit dem Blick des Leides und der getäuschten Erwartung.

Sie trinken aus großen, altmodischen Schalen Thee. Wenn sie sich bewegen, entströmt ihren Kleidern ein leiser Duft von Lavendel und getrockneten Rosen.

Sie flüstern, leise, furchtsam.

Ein hageres Fräulein sitzt am Spinett und spielt eine wehmütige Melodie. — In Moll. Gedämpft. — Die Tasten schäppern.

Laut wie gewöhnlich, schreiend fast, sprechen nur die Hausfrauen. Sie haben möglichst grelle Kleider angelegt zum Empfang — und Corona trägt eine Art Sandalen; die Lederriemen sind aber nicht festgemacht, sondern sie [S. 302] schleifen nach, und die metallenen Schnallen erzeugen einen Lärm wie Sporengerassel, wenn sie geht.

Keine hat einen Beruf. Es sind verfehlte Existenzen.

Entsetzlich.

Dann fuhren wir in’s Concert.

Das war schön.

Zuerst sang ein Österreicher — ein gewisser Link — von dem wir bis dahin nie etwas gehört haben. Nun ja, Niemand ist Prophet in seinem Vaterland. Der Mann verdient es, daß man ihm einige Aufmerksamkeit schenkt.

Sein Lied „Der Abendfriede“, mutet an wie ein Stimmungsbild vor Sonnenuntergang. Wie es mich ergriffen hat in seiner Zartheit und Farbenpracht! Man atmet förmlich den Duft dieser stillen Landschaft ein, den tiefen Frieden der Natur. Ein Schlummerlied, so leise und so weich.

Und die närrischen Leute applaudierten; ich hätt’ es nicht vermocht. Das höchste Glück, der größte Schmerz, — leidenschaftliche Liebe, tötlicher Haß, kurz alle auf’s Höchste getriebenen Sensationen erfordern Schweigen. — Das ist eventuell noch eine Steigerung.

Man soll den Zauber auf sich wirken lassen, still, hingebungsvoll, entzückt.

Und dann das Brahm’sche: „Wie bist Du meine Königin.“ — Wonnevoll, wonne — wonnevoll. Wie ich dieses Lied liebe!

[S. 303]

Um mich her Sprechen und Surren wie in einem Bienenschwarm. — —

In meinem Innern gieng etwas Seltsames vor. Diese Musik hatte ungeahnte Tiefen in meiner Seele aufgewühlt, Schätze zu Tage gefördert, die im Grunde schlummerten. Die starren Bande, die Fesseln meiner Phantasie sind gelöst; ein Wunderland, ein prächtiges Bild nach dem andern entrollt sich vor meinem schönheitsdürstenden Auge. Eine Art Trunkenheit überkommt und entrückt mich in weltferne Regionen.

Das haben die Töne bewirkt, diese Fülle von Wohllaut, die meine Sinne umschmeichelten, — die einzelnen schrillen, wilden Klänge dazwischen, die sich wie scharfe Krallen in mein Herz verfiengen, es umklammerten — und zerfleischten.

Tomagno sang noch italienisch das „ Vieni a l’amore .“ Das ist ein Künstler von Gottes Gnaden.

Ich schwelgte in den süßen Melodien — ich habe diesen Abend doppelt genossen, weil ich Egon in der Nähe wußte. Nach den musikalischen Vorträgen bat er mich, mich in den Wintergarten führen zu dürfen. Es ist ein Bau mit Säulen — im antiken Stil. Die Luft war schwer vom Dufte der Orangen und Tuberrosen. —

Wir standen uns gegenüber — allein.

Ich hatte den Kopf an eine der Säulen gelehnt und wartete, daß er spreche, irgend etwas sage, etwas Gleichgültiges.

[S. 304]

„Sie passen hier herein. Wenden Sie den Kopf etwas zur Seite. — Ja so — — ich habe einmal eine Kamee gesehen — die trug Ihre Züge — nur weniger seelenvoll. Und gerade die Seele ist der Hauptreiz in einem Gesicht, die Seele ist das, was uns so mächtig anzieht, uns niederzwingt auf die Knie. Und darum“ — — — Einige lustwandelnde Paare kamen in unseren Bereich und maßen uns mit erstaunten Blicken: „ Elle a de la chance, cette petite autrichienne “, hörte ich eine Dame sagen — — sein Satz blieb unvollendet.

Wir giengen bald.

Ach wenn ich wüßte! Was gäbe ich darum.

Mich selber, ganz und gar.

Und immer wieder hör’ ich das „wonne — wonnevoll“, zuerst laut, dann immer leiser, — schwächer — ersterbend.

* *
*

Am 16. Juni.

Einmal wollte ich Venedig sehen — bei Nacht. Wir fuhren den Canal grande entlang. Es war, als hätte eine schöne Frau ihr herrlichstes Geschmeide angetan, ihr bestrickendstes Lächeln angenommen, um die Schar ihrer Verehrer zu blenden.

Geisterhaft bleich ragen die Palazzis zum Himmel und die Sterne durchfurchen ihn wie feurige Garben. Die bunten Papierlampions schaukeln hin und her im Abendwind.

[S. 305]

Musik. Wir folgten in der Richtung, aus der die Töne drangen. — Anfänglich waren sie leise wie ein Flüstern, das Kosen des Zephirs in blütenbeschneiten Bäumen, plötzlich anschwellend, rauschend, brausend wie der Föhn, wenn sein glühender Hauch die Lawinen von den Bergen wälzt und talwärts schleudert.

Es war versengendes Feuer, das diesen Kehlen entströmte: eine unbeschreiblich ergreifende Melodie, die weithin zitterte über die stille Flut.

Da waren mit einemmale die trüben Bilder vergessen: ein warmes Glücksgefühl kam über mich. Ich faltete stumm die Hände und: „Liebe — Liebe“ — durchbebte es mich.

* *
*

Am 17. Juni.

Laß mich vor Dir knien, laß’ mich die Arme um Dich schlingen und den Kopf an Deine Brust legen.

Denn ich gehöre Dir. Ich bin Dein Eigen mit Leib und Seele: mein ganzes Wesen drängt sich Dir zu, Du Unvergleichlicher.

Du hast mein Herz versengt. Deine Ketten sind weich und Dein Dienst ist wonnevoll.

Ach Gott, wie ich ihn liebe!

Wenn sie mich zum Schaffote führten, in seinem Auftrag, weil er es wollte, ich gienge frohen Sinnes, — in einer Art Hypnose. Mit ihm leben — für ihn sterben [S. 306] — Andres gibt es nicht für mich. Ohne ihn kann ich nicht sein: ich bedarf seiner wie des Atems.

Komm’ ich beschwör’ Dich, komm! —

Laß’ uns wandeln Hand in Hand, durch ein Dasein, das ewig währt, in dem es keine Trennung gibt. — Blumen sprießen auf unserem Weg und Schmetterlinge umgauckeln uns.

Komm’ laß’ uns glücklich sein und laß uns Andere beglücken.

Komm’ ich befehl’ es Dir.

„Ich denk’ an Dich mit tiefer Leidenschaft,
Ich denk’ an Dich mit meiner Seele Kraft,
Ich will mein Denken,
So ganz in Dich versenken,
Daß Du gezwungen bist
An mich zu denken.“

Er hat mich gehört, er ist gekommen!

Ich wollte die Feder in mein rotes Herzblut tauchen, ins flammende Sonnengold um das Unfaßliche niederzuschreiben.

Ist denn möglich? Er liebt mich.

Das höchste Glück hat keine Worte.

„Egon!“

Schlussvignette

Albanus’sche Buchdruckerei Dresden.


G. Pierson’s Verlag in Dresden und Leipzig.

Bertha von Suttner’s Werke:

Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte 28. Aufl.

2 Bände. M. 6.—, geb. M. 8.—.
Volksausgabe M. 2.—, geb. M. 3.—.

Schriftsteller-Roman. M. 3.—, geb. M. 4.—.

Erzählte Lustspiele. Neues aus dem High Life. Dritte Auflage. M. 3.—, geb. M. 4.—.

Dr. Hellmuts Donnerstage. M. 3.—, geb. M. 4.—.

Ein Manuskript. Dritte Aufl. M. 3.—, geb. M. 4.—.

Verkettungen. Novellen. Zweite Auflage. M. 3.—, geb. M. 4.—.

Inventarium einer Seele. Dritte Aufl. M. 4.—, geb. M. 5.—.

Eva Siebeck. Roman. Dritte Auflage M. 5.—, geb. M. 6.—.

Die Tiefinnersten. Roman. M. 5.—, geb. M. 6.—.

Trente-et-Quarante. Roman. M. 5.—, geb. M. 6.—.

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Es Löwos. Eine Monographie. M. 1.50, geh. M. 2.50.

Hanna. Roman. M. 5.—, geb. M. 6.—.

High Life. Roman. Zweite Auflage. M. 5.—, geb. M. 6.—.

Einsam und arm. Erzählung. 2 Bände. M. 8.—, geb. M. 10.—.

Schmetterlinge. Novelletten und Skizzen. M. 3.—, geb. M. 4.—.

La Traviata. Riviera-Roman. Zweite Auflage. M. 5.—, geb. M. 6.—.

Schach der Qual! Ein Phantasiestück. M. 2.—, geb. M. 3.—.