The Project Gutenberg eBook of Das Gefängnis zum Preußischen Adler This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Das Gefängnis zum Preußischen Adler Eine selbsterlebte Schildbürgerei Author: Bruno Wille Release date: June 22, 2023 [eBook #71017] Language: German Original publication: Germany: Eugen Dieterichs Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS GEFÄNGNIS ZUM PREUSSISCHEN ADLER *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1914 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke und Passagen in Dialekt wurden nicht korrigiert. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) wurden nur teilweise als deren Umschreibungen (Ae, Oe, Ue) dargestellt. Zur Vereinheitlichung wurden letztere in der vorliegenden Bearbeitung in die ansonten überwiegend verwendeten Umlaute umgewandelt. Der Übersichtlichkeit halber wurde das Inhaltsverzeichnis vom Bearbeiter an den Anfang des Texts verschoben. Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### [Illustration: Bartels W. Bölsche Julius Hart Zwei Pennbrüder Bruno Wille im Gefängnis] Bruno Wille Das Gefängnis zum Preußischen Adler Eine selbsterlebte Schildbürgerei Mit einem Bild des Gefängnisses [Illustration] Erstes bis fünftes Tausend Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1914 Kapitelverzeichnis Seite Blüh auf, gefrorner Christ 1 Vom Löweneckerchen 5 Anno dunnemals 14 Der Igel 22 Die Vernehmung 31 Der innere Feind 43 Brotkorb und Maulkorb 50 Milderung des Sittenklimas 55 Die olle Konservenkiste 59 Pfändung der Habe 70 Der Tierkreis 77 Verhaftet 82 Robinson richtet sich häuslich ein 90 Der Kreispfiffikus 98 Doktor fürs Vieh 106 Das Flugblatt 109 Die Grille im Käfig 116 Die Pennbrüder 121 Der Gefangene wildert Grünlinge 124 Das Preußenherz 135 Der Biedermaxe 141 Einsamkeit 151 Italienische Nacht 163 Herbstnachtigall 172 Von Badewannen und Müggelpiraten 177 Schwedische Schüssel mit Konfusionen 184 Goldmacherei und Strindbergs Koffer 191 Mein durchgebrannter Kerkerschlüssel 193 Gardinenpredigt und Lösung des Piratenrätsels 197 Aschenputtel und der Lizentiat 203 Der Fürst dieser Welt und die Schildbürger 211 Dreck--Speck--Zweck überhaupt 219 Was der Teelöffel anstiftete 224 So leb denn wohl 230 Kartoffelkomödie 233 Gedruckt in der Frommannschen Buchdruckerei in Jena Blüh auf gefrorner Christ Ostersonne, welch sanftes Feuer in deinem Kusse! Strahlenselig blinkerst du im feinen Wellenspiel hier vorn beim gelben Ufersande. Weiterhin glatt die mächtige Wasserfläche, blau spiegelt sich darin die Himmelswölbung. Wie blitzende Schneeflocken schweben ein paar Federwölkchen. Am jenseitigen Ufer hingedehnt eine Hügelkette mit Kiefernwald. Veilchenfarbene Schleier sind diese Massen, zart wie Duft ... O Zaubermacht der Ferne, wie weißt du zu verklären! Harte, schwere Körper lösest du auf in stoffloses Leuchten. Und Erlebnisse, die einst peinlich berührten wie kreischendes Geräusch, läutern sich zu friedlich heitrer Stimmung. Osterfeier der Seele -- am Grabe, wo ein hingemarterter Erdensohn in Todesbanden gelegen, lächelt der weißgekleidete Himmelsbote: „Er hat sein Gefängnis verlassen!“ „Blüh auf, gefrorner Christ!“ So klingt es in mir, ein verschollenes Gedicht -- und immer muß ich hinlauschen. Weiß nicht, wie es weiter geht; etwas zärtlich Schönes muß es wohl sein -- etwas wie dies laue Sonnenküssen und dies lichtgrüne Gras, bei dem ich im Ufersande lagre. Durch die blaue Luft flattern Träume von blühendem Schlehdorn, von goldigen Himmelschlüsselchen ... Und wieder jubelt es in mir: „Blüh auf, gefrorner Christ!“ Wer ist es doch, der diese Weise sang? Sie mahnt an alte Frömmigkeit, an einen Heiland, der innen aufersteht. Und deutlicher wird sie mir: ein Auftakt ist sie vom „Cherubinischen Wandersmann“. Schon ein viertel Jahrtausend, seit diesem Poeten seine frommen Sprüche aufgingen. Doch jung bleibt solche Gottseligkeit, jung wie Sonne und Erde, die mir immer wie große Kinder vorkommen. „Blüh auf, gefrorner Christ ...“ Und weiter? Ich weiß nur, daß es in den Versen wie Lerchenlaut zwitschert -- und eben fällt mir noch ein, daß der Frühling den gefrornen Christen ermahnt, die winterliche Erstarrung aufzugeben. Ja, so hat es hier der weitgedehnte See gemacht, an dessen Ufer ich in molliger Aprilsonne schauend schwelge. Vom Tauwind ward seine Eisdecke zermürbt, zerschmolzen, und nun „blüht“ der See. Heiter leuchten die sanften Farben seines Spiegels. Dort in der schilfigen Bucht wimmelt es von verliebtem Wassergeflügel. In das Schnarren der Teichhühner, Haubentaucher und Gänseseeger mischt sich schüchternes Koaksen von Fröschen, glockenhaftes Unken von Kröten. Auch in mir blüht etwas auf, wie ich mich so dem Frühling hingebe. Ein erster gelber Falter taumelt dahin, trunken von Sonne und lauer Luft. Gänseblümchen lächelt ihm zu -- wie ein Bauernkind ist es in seiner gesunden Frische und einfältigen Lieblichkeit. Neben ihm Jungvolk von Grashalmen -- ich lehne meine Wange ans zarte Grün. Da sind auch Huflattichs gelbe Sterne und die Milchtropfen des Hungerblümchens. Das Erlengezweig am sumpfigen Ufer ganz lila -- das machen die Blütenkätzchen, rötlichen Raupen ähnlich. Von den walzenförmigen Blüten der Haselnußstaude stäubt gelber Puder. Und sieh doch, am Saume des Kiefernwaldes bei den Baumwurzeln glimmert’s wie blankes Kupfer: blühendes Moos! Das ernste Dunkelgrün der Moospolster hat einen zarten Flaum zur Sonne emporgetrieben, lauter goldbraune Fäserchen. Und jedes Fäserchen eine Blüte, selig, voller Leben und Zukunft -- jedes Blütenfäserchen ein schimmerndes Kunstwerk. Und der Ufersand, sieh, welch Glitzern und Flirren! Jedes Körnchen ein blitzendes Edelgestein -- Goldpunkte ohne Zahl -- Lichtstaub der Milchstraße -- Wunder wie Sand am Meer! „Klein das Große -- groß das Kleine.“ Wie das Hehrste, das wir uns vorstellen können, klein ist vor der Unendlichkeit, so bedeutet andrerseits jede Winzigkeit eine ganze Welt -- und die Holdseligkeit dieses Frühlingsbildes ist gar nicht auszuschöpfen, sofern du den Sinn öffnest für die Fülle der Schöpfung ... „Blüh auf, gefrorner Christ!“ Der goldige Baldur ist da, ist neu erstanden aus Finsternis und Eis. Baldur ist nicht bloß der Lenz, die Jahreszeit; ich meine zugleich jene erweckende Macht, die aus trübem Geschick dem Herzen, das vom Frost auftaut, Auferstehung bereitet und Himmelfahrt. Und nun erinnere ich mich, wie der Vers weiter geht: „Blüh auf, gefrorner Christ -- der Mai ist vor der Tür!“ Sieh doch, ein Silberfunke sprüht vom Seespiegel ins blaue Luftreich! Hüpft die leuchtende Schönheit des Wassers in lenzlichem Übermut? -- Nur ein Hecht war’s -- der Hungrige hat sein Opfer verschlungen. Und eine Möve kommt geschwebt. Zierlich wiegt sie sich, wie Schnee blitzt die Schwinge über der stahlblauen Flut. Mit sachtem Flattern sinkt sie auf den Wasserspiegel und tunkt den Schnabel hinein, leicht und zierlich. So umgaukelt ein Schmetterling zum Kusse seine blaue Blume ... Nicht doch! Die sanfte Bewegung des weißen Gefieders, dies scheinbare Kosen der Flut ist tatsächlich ein mörderischer Überfall; den zappelnden Fisch im Schnabel strebt schwerfälligen Flügelschlags der Raubvogel zum schlammigen Strande, die Beute zu verzehren. Sirene Natur! Raubtier in lockender Schönheit! Doch ich klage nicht an -- bin selber ja Natur. Ich lächle -- und mag Wehmut im meinem Lächeln sein, so doch kein Weh. Seelenruhe hält mich umfangen, keine Wolke soll Trübung bringen. Mag lieber das graue Gewölk sich verklären zu goldenem Dufte! Sonne, leuchtende Sonne, du freilich tust not zum Verklären. In den trüben Dunst der Gewöhnlichkeit muß etwas rinnen aus jenem Born, dem das ewige Licht entquillt. So erfüllt sich die Verheißung: „Wisset ihr nicht, daß ihr Götter seid.“ -- Ach, wie oft wissen wir’s nicht! Und das sind die Winterzeiten der Seele -- da wähnen wir uns nichts Besseres als trüben Erdenkloß, chaotisch zusammengeklumpt für ein Weilchen -- darauf angewiesen, mit Angst und Gier dies knappe Dasein zu behaupten ... „Der Mai ist vor der Tür!“ O Frühling, der du alles verklärst, wecke mir stets aufs neue zur Heiterkeit den Sinn, daß er aus den Gefängnissen aller Art Ausblicke finde zur Fülle des Lebens. Wo man sonst, weil Staub das Auge trübt, nur garstiges Chaos sieht, nur Zufall und blind tappendes Geschick, wo man sich aufregt über „Glück“ und „Unglück“, wo man grollt und verdammt, von schmeichelnder Hoffnung umgaukelt oder verstört von Sorge, -- da sieht der Erweckte in allem, was die Zeiten bringen, den Bezug zum Unendlichen. Und über sein Gemüt kommt eine Stille, daß er sein Schicksal heiter beschaut, wie dieser See Ufer und Himmel spiegelt. Das ist die „geistige Gottesliebe“, wie Spinoza sagt, ist die „Schau der Ewigkeit“. Tief klingt es und schwer -- und ist doch etwas Schwebendes, Hohes, ist ein seliger Überblick, wie er sogar dem Vöglein ein wenig gelingen mag -- der Lerche, die dort von der Ackerscholle des Forsthauses jubilierend emporsteigt. O lausche doch! Ein schmiegt sich die süße Melodie in die Symphonie des All-Lebens! Schwinge dich auf! Sammle die Kraft zum Emporstieg -- aus deinem Innern schöpfe sie! Forme zur Macht, was dich niederdrücken will! Sein geheimer Beruf ist, deinen Widerstand zu wecken. Des Winters Mission und der tiefe Sinn aller Trübsal heißt Baldur. Sei du ein Auftauen der Eisscholle! Sei du einer, der aus dem Gefängnis ins Freie geht. Sei du Knospe, die aus enger Hülle ihr Sonnenkindlein entwickelt, mündend in unermeßliche Nachkommenschaften. Sei du Frühlingslerche, von Andacht emporgetragen über die dunkle Ackerfurche, hingegeben dem Lichte, dem Klange! Mag doch eine Strecke deines Lebens finster und öde aussehn -- es kommt ein Lenzen, da glimmert es dir auf wie blühendes Moos, da bricht der Lerchentriller hervor, und der bisher verborgene Zusammenhang der Dinge erschließt sich. Mit staunender Andacht erschaust du: ein elendes Stück Dasein, roh und ungefüge, Staub und Schlamm, ordnet sich ins unendliche Leben, wie Dissonanzen in die Symphonie, und hat auf einmal Sinn, Stimmung, Schönheit, gütige Heiterkeit und Weisheit. Und nun fällt mir ein, wie der ganze Frühlingsspruch lautet: „Blüh auf, gefrorner Christ! Der Mai ist vor der Tür; Und ewig bleibst du tot, Blühst du nicht jetzt und hier!“ Vom Löweneckerchen Mit Entzücken lauschte ich -- zurückgelehnt in den molligen Ufersand, so daß mir Halme die Schläfen umschmeichelten. Ich lausche der Lerche, die bei ihrem Taumeln durch den Äther vom Ostwind herübergetrieben wurde. Nicht mehr über dem Forsthaus-Acker stand sie, sondern senkrecht über mir. Deutlich sah ich ihre Flügelchen den Takt wirbeln zum Trillern der kleinen Kehle; die sprudelte wie ein singender Quell. Einen schönen Namen, Lerche, haben dir die Lateiner gegeben: ~Alauda~ -- das heißt: „Lobe aufwärts!“ Dieselbe Bedeutung hat wohl auch dein deutscher Name. Meine niedersächsischen Landsleute nennen dich Lewerken, Löwarke oder Lauberchen, und ich denke, das soll heißen: „Loberchen“. In Hessen sagt man „Löweneckerchen“. Dies Wort hat nichts zu tun mit dem König der Wüste. Allerdings erzählt das hessische Märchen von einem Löweneckerchen, das, auf der Spitze eines Baumes trillernd, von einem Löwen bewacht wird; indessen ist hier der Löwe kein Raubtier, sondern ein verzauberter Königssohn ... Doch zunächst wäre ja wohl der Anfang der Geschichte zu berichten. Also: es war einmal ein Mann, der hatte eine große Reise vor, und beim Abschied fragte er seine drei Töchter, was er ihnen mitbringen solle. Da begehrte die Älteste Perlen, die Zweite Diamanten, die Jüngste aber sprach: „Ach lieber Vater, ich wünsche mir ein singendes, springendes Löweneckerchen!“ Mit dieser Tochter nun bin ich, der Chronist, von Herzen einverstanden, wie ich es überhaupt in den Märchen alleweil mit der dritten Tochter halte, ebenso mit dem jüngsten Königssohne -- die Jüngsten sind des Märchens Lieblinge (wohl weil sie noch ihre Kindlichkeit haben). Auch ich bin von Kindesbeinen an dem singenden, springenden Löweneckerchen überaus hold gewesen. Vom Löwen, wenn es nicht gerade ein verwunschener Königssohn ist, halt’ ich nicht viel und gebe mich lieber der Vermutung hin: das Löweneckerchen hat seinen Namen von: Loben Äckerchen -- weil es lobt sein Äckerchen. Das Äckerchen, dem solch trillerndes Loben behagt, läßt dafür seine Pflanzenkinder hübsch gedeihen: Zum Mittsommerfeste wimmeln die blonden Ähren im Reigen, und Junker Mohn im roten Staatsrock führt zum Tanze Jungfer Kornblum mit dem Krinolinenkleid aus blauer Seide. Während dann Löweneckerchen droben trillert, lauscht von der Ackerscholle sein Weibchen empor. Im Halmenneste brütet es; da platzen die graugesprenkelten Hüllen, und aus jeder schlüpft ein neues Löweneckerchen -- wenn es auch nicht gleich so singen und springen kann wie Väterchen in blauer Himmelsaue. Nun soll ich wohl noch mehr verraten vom Märchen, das so spannend anhebt? Aber haltet euch lieber an die Brüder Grimm, die so manche schöne Heimlichkeit dem Volksmunde abgelauscht haben; dort kann man die Geschichte lesen. Meinerseits habe ich vom Löweneckerchen nur aus dem Grunde angefangen, weil es sozusagen in meinem Herzen ein Nest hat, also zu den Wunderlichkeiten des Mannes gehört, der dies Gedenkbuch schreibt und dabei von seinem Vogel ähnlich beeinflußt wird, wie der Acker vom Lerchenliede. Nach allem, was ich berichtet habe, wird es nicht wunder nehmen, daß der fliegende Sänger, der am Seegestade über mir trillerte, allmählich niedersank, bis er kurz über meinem Kopfe verstummte und sich fallen ließ. Gerade in meinen offenen Mund hinein. Das war ja nun keine Taube, wie sie den Bewohnern des Schlaraffenlandes gebraten ins Maul fliegt, kam mir aber nicht minder alltäglich und selbstverständlich vor. In mich hinein gehörte ja mein Vogel. Ich fühlte denn auch, daß er sofort in mein Herz geschlüpft war und nun ruhig brütend da saß ... Doch ich wittere, daß meine Leser unruhig geworden. Auf natürliche Weise geht es nach ihrer Ansicht nicht zu, daß in einem Menschenherzen ein Vogel nistet. Drum muß ich wohl noch etliche Züge verraten aus der Naturgeschichte meines singenden, springenden Löweneckerchens. Daß ich solch ein Ding beherberge, stellte sich zum ersten Male heraus, als ich noch ein ganz kleiner Junge war. Ich fand es noch nicht unter meiner Würde, auf einem hochbeinigen Stühlchen zu thronen, -- vorn hatte es eine Schranke, um Kindchen vor dem Hinuntergleiten zu bewahren und zugleich als eine Art Tisch zu dienen für Spielzeug oder Blechbecherlein. In diesem Käfigstühlchen also saß ich am Familientisch bei Vater, Mutter, Bruder. Neben der Kaffeekanne, über die eine gemütliche Wollmütze zum Warmhalten gestülpt war, lagen im Gebäckkorbe Martinihörnchen. So nannten wir Magdeburger ein Gebäck in Form eines Hornes oder richtiger Hufeisens, von alters her am Tage Martini gebacken, zu Ehren eines Heiligen, der -- wie ich später erfuhr -- nichts Geringeres ist als der höchste Gott der alten Deutschen; wegen seines martialischen Berufes ist er dann von den christlichen Priestern zum heiligen Martin umgedeutet worden, der ein Reitersmann gewesen wie Wotan und bis in unsre Zeit in Gestalt jener Martinihörnchen einen Bezug auf das Hufeisen des Wotanrosses bewahrt hat. Während mir mein Martinihörnchen mundete, blickte mein Vater träumerisch durchs Fenster und sagte auf einmal lebhaft: „Da kommt Sankt Martin auf dem Schimmel geritten!“ Diese Redensart wandte der Volksmund an, wenn am Martinstage, der in den November fällt, Schneeflocken stöbern. Hier regte sich auf einmal mein singendes, springendes Löweneckerchen: Ich sah nicht bloß die Flocken, die draußen vom grauen Himmel in den engen Hof des städtischen Mietshauses wirbelten, sondern sah in leibhaftiger Wahrheit ein weißes Roß und den rotbärtigen Reiter mit Schlapphut und Mantel, schwertumgürtet -- so wie ich Sankt Martin aus einem Bilderbuche kannte. Gleich darauf war er vorübergesprengt, und nun war alles wieder wie sonst: eine bekalkte Wand, ein Ziegeldach, eine blecherne Dachrinne. „Hast du gesehen?“ fragte mein Vater geheimnisvoll, ich nickte sprachlos. Noch ganz erfüllt von dem Abenteuer, tat ich in der Küche unserm Dienstmädchen Bericht. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, und wie ich nunmehr behauptete, ganz deutlich hätte sich der Schimmel vor der Dachrinne gebäumt und hui, einen gewaltigen Satz übers Dach gemacht, da lachte mir Marie ins Gesicht und tippte mit dem Finger auf ihre Stirn: „Junge, du hast’n Vogel!“ Damals merkte ich, daß es eine Mißachtung sein soll, wenn gewöhnliche Leute so was von jemand sagen. Als ich in die Schule ging, wendeten meine Mitschüler des öfteren diese Unhöflichkeit an, und ich sprach sie gelegentlich wohl nach, obwohl mir die Ahnung schon dämmerte, daß solch ein Vogel manchmal eine Gottesgabe ist, die einer, so sich drauf versteht, lieber mag als Perlen und Diamanten. Unser Hauswirt, der einen Ladenhandel mit Kolonialwaren hatte, vergnügte sich an einer Landwirtschaft im kleinen; auf seinem Hofe gab es Tauben, Hühner, sogar einen Ziegenstall, und die Ziege war meine Freundin. Einst las ich ihr aus meinem Märchenbuche vom Wolf und den sieben jungen Geißlein vor, während sie gemütlich aus ihrer Raufe knupperte -- es war ihr Leckerbissen, grüne Erbsenstauden, daran hingen sogar noch etliche Schoten. Auf einmal hinter mir höhnisches Lachen, und August, der Sohn des Hauswirtes, machte die bekannte Gebärde: „Du hast’n Vogel!“ Damals war ich dumm genug, mich darob zu schämen. Es dauerte aber nicht lange, so ging mir ein Licht auf. August, dem ich mein Märchenbuch anpries, wurde neugierig, und ich lieh es ihm. Als ich etwas später fragte, wie ihm das Buch gefalle, meinte er gleichgültig, er habe bloß darin geblättert. Bald darauf brachte er mir das Buch zurück und sah mich mit einem Blicke an, kalt wie eine Hundeschnauze: „Is ja allens jelogen!“ Gelogen? Verdutzt war ich, ganz bestürzt. Meine lieben Märchen und gelogen? Lügen ist doch was Häßliches, Niedriges; meine Märchen aber sind schöne, edle Prinzessinnen! Ich fühlte, wie ich bei ihnen ordentlich was Besseres wurde. Nun aber August! Spürte er denn gar nichts von all der Herrlichkeit? Nein, wie dumm! Aha! jetzt wußte ich auf einmal, was mir im Herzen nistete; und ich sprach zu August: „Du sagst immer, ich habe ’nen Vogel. Hab’ ich auch! Aber weißt du, was für einer das ist? Ein singendes, springendes Löweneckerchen! Dein Vogel -- na ja, der muß wohl ganz was andres sein!“ -- „Meiner?“ entgegnete August dummstolz -- „ick habe keenen Vogel!“ -- „Es hat jeder seinen!“ gab ich zurück. Und an dieser Überzeugung hab’ ich festgehalten. Ich behaupte auch jetzt noch: jeder hat seinen! Nur freilich merkt es nicht jeder -- oder ist nicht ehrlich genug, es einzugestehen. Schämt sich seines Vogels -- und mag in diesem Gefühl nicht immer ganz unrecht haben. „Aber was soll der Vogel?“ fragt ungeduldig, wenn nicht gar pikiert mancher Leser. „Was hat der Vogel mit der Chronik zu tun, um die es sich hier handelt? Von der seltsamen Gefangenschaft will ich hören!“ -- Gemach! Eins nach dem andern! Ein gewissenhafter Chronist greift an die Wurzeln der Dinge und entwickelt daraus die ganze Geschichte. Um es rund herauszusagen: Der Vogel war’s, der mich in mein Gefängnis zum Preußischen Adler brachte; mit seinen Launen hat er alles heraufbeschworen. Ich meine freilich nicht bloß +meinen+ Vogel, sondern zugleich den Vogel andrer Leute. Ich meine die Vogelhaftigkeit unsres guten Vaterlandes Schilda, -- und ich meine letzten Endes die Vogelhaftigkeit des Weltalls. Weil also die Naturgeschichte des Vogels durchaus zur Sache gehört, so darf ich wohl noch ein bißchen davon plaudern. Aus dem Kapitel meiner Kindheit, das nun einmal aufgeblättert ist, teile ich zwei weitere Erlebnisse mit. Sie sollen dartun, was für ein launischer Kauz der Vogel des Verfassers ist. Man muß beizeiten wissen, was man von ihm zu erwarten hat. Wenn ich an Sommersonntagen mit meinen Eltern nach dem Dörfchen Krakau spaziert war, wo man in einem Garten an der Elbe Kaffee trank, wenn wir dann bei Sonnenuntergang nach der Stadt heimkehrten, kamen wir vor Eintritt in den Festungsgürtel an einem Häuschen vorbei, das von der Landstraße zurückgezogen in einem Obst- und Blumengarten lag. An seiner Mauer blühten Rosen und Malven, zum traulichen Giebelfenster hinan rankte Wein mit richtigen Trauben. Was mich am allermeisten entzückte, war das rote Gleißen der Fensterscheiben. „Mit diesem Haus muß es eine abenteuerliche Bewandtnis haben, weil doch Gold und Purpur aus seinem Innern strahlt, und weil mir dann immer ein süßes Klingen im Herzen anhebt. Da muß eine Fee hausen!“ Diese Vermutung hatte ich dem August nicht verhohlen. Er trat an einem Ferientage zu mir: „Kommste mit? Vater hat jeschäftlich zu duhn -- un weißte wo? Da, wo deine Fee haust!“ Natürlich war ich bereit und war höchst gespannt. Diesmal aber machte das rätselhafte Haus einen völlig andern Eindruck -- schon deshalb, weil wir keine Abendsonne, sondern nebeliges Herbstwetter hatten. Blätterlos hing das Gerank am Giebel, hinter trüben Fenstern lauerte es unheimlich. Der Besitzer des Hauses kam uns entgegen, ein hagerer, ältlicher Mann in Schlafrock und Wollmütze. Er hatte stechend schwarze Augen und einen pfeifenden Atem. Augusts Vater zog tief seinen Hut, und auch August benahm sich unterwürfig vor dem Mann. Es hieß, wir dürften uns im Garten umsehn, und Augusts Vater ging mit dem Manne ins Haus. Im Garten war ja nun diesmal nichts Hübsches -- die Obstbäume standen kahl, welk lag unten das Laub, die Himbeersträucher häkelten mit ihren Dornen, auf den Beeten moderten die Strunke abgeschnittener Kohlhäupter. Ich fühlte mich erleichtert, als Augusts Vater wiederkam. Und dann gingen wir. „Was ist das für einer?“ fragte ich scheu. Verächtlich lautete die Antwort: „Der Olle? Ein Halsabschneider!“ Es überlief mich kalt, und ich dachte zuerst an einen Menschenfresser, wie sie im Märchen vorkommen. Dann zog ich in Erwägung, daß August, der später die Handlung seines Vaters übernehmen wollte, den Ausdruck wohl im kaufmännischen Sinne meinte, und so viel wußte ich ja bereits, daß ein Halsabschneider ein böser Mensch war. „Aber warum habt ihr dann solche Bücklinge vor ihm gemacht?“ -- August zuckte die Achsel: „Jeschäft is Jeschäft!“ Bedrückt schwieg ich, und damals in meiner ärgerlichen Enttäuschung war ich schlecht auf meinen Vogel zu sprechen, der mir vorgefaselt hatte, das Haus sei ein Feenschloß. Doch der Vogel verteidigte sich: „Kann etwa das Haus dafür, daß einer drin wohnt, dem sie Garstiges nachsagen? Jedenfalls sind die Blumen und Weinranken im Sommer wundervoll, und der Goldglanz, der zuweilen aus der Giebelstube strahlt, er ist und bleibt feenhaft, mögen auch die Leute sagen, es sei ja bloß die Abendsonne.“ Und wieder zufrieden war ich: „Schon recht, mein singendes, springendes Löweneckerchen!“ Voll ernster Bedenken schüttelte mancher den Kopf, als Löweneckerchen folgendes anstiftete: Unser Dienstmädchen hatte von meiner Mutter Urlaub bekommen, um ihrem bäuerlichen Vater bei der Getreideernte zu helfen, und da meine Sommerferien waren, durfte ich mit in das Ackerbürgerstädtchen. Bald war ich mit den Bauerjungen bekannt genug, um sie aufs Feld zu begleiten oder abends zur Pferdeschwemme. Einmal umschwärmten sie einen betrunkenen Mann und johlten: „Allzuviel is unjesund, Jakade is ’n Schweinehund!“ Etliche Tage später ging das Gerücht, Jakade, in ewigem Hader mit seiner Frau, habe sich aufgehängt -- wo, wisse man freilich nicht. Mit einem Trupp Jungen kehrte ich von einem Nachbardorfe zurück, und da wir an einem Kiefernwäldchen vorbeikamen, das sie den Hankebusch nannten, streiften wir hinein, nach Pfefferlingen zu suchen. Es dämmerte schon und war lauschig still. Meine Aufmerksamkeit wurde durch eine dunkle Masse im Wipfel einer Kiefer gefesselt, und obwohl das nichts anderes war als ein sogenannter Hexenbesen, täuschte mich die Ähnlichkeit mit einer menschlichen Gestalt, und ich platzte heraus: „Da hängt Jakade!“ Wie eine scheue Schafherde rannten auf einmal die Jungen aus dem unheimlichen Hankebusch, ich ihnen nach. Auf der Landstraße wollte jeder den Jakade deutlich erkannt haben, es hieß sogar, sein Gesicht sei ganz blau und gelb gewesen. Kaum waren wir im Ackerstädtchen angelangt, so flog auch unsere Botschaft hindurch: „Jakade hängt im Hankebusch!“ Als wir zu Mariens Vater kamen, der vorm Häuschen auf der Bank sein Pfeifchen schmauchte, hatte er schon gehört und fragte die Jungen, die bei mir waren: „Wer hät denn nu Jakaden jesiehn?“ -- „Der da!“ antworteten sie und zeigten auf mich. -- „Is dat woahr?“ fragte der Landmann, und sein blaues Auge spähte so durchdringend, daß ich meinte, er müsse in meinem Innern den Vogel entdecken, an dem ich litt. „Oder is et jelogen?“ fuhr er streng fort. Und nun fiel mir diese scharfe Unterscheidung aufs Herz: Wahr oder gelogen! -- Ja, gab es denn nicht wenigstens ein Drittes? -- Kleinlaut klang meine Antwort: „Ich weiß nicht! Ich dachte: da hängt einer! Und die andern haben ihn doch auch gesehen; sie sagten, er wäre ganz blau und gelb im Gesicht.“ -- „War’s denn nu wirklich Jakade?“ Verlegen sah ich mich um und schwieg. Der Landmann sagte weiter nichts als „hm“ -- und paffte seine Pfeife. Als ich andern Tags durch das Städtchen ging, zeigte man auf mich, und ich hörte sagen: „Dä is dat -- mit Jakaden!“ Und auf einmal kam der totgesagte Jakade, wieder angesäuselt, aus einem Hause auf mich losgetorkelt. Er drohte mit einem Stock: „Vafluchtijer Bengel, wat häst du jesacht?“ -- Es traf sich gut, daß meine Ferien zu Ende waren, sonst hätte dieser Jakade mich noch erwischt und am Verleumder ein Strafgericht vollzogen. Da hatte ich nun den greifbaren Beweis, wie wenig Verlaß auf meinen Vogel war. Merkwürdig freilich, daß ein Jahr darauf Marie aus einem Briefe vorlas: „Nu haben se den Jakade wirklich mit eenen Strick um den Hals dot jefunden.“ -- „Na ja!“ wird der kritische Leser sagen, „Zufall, weiter nichts! Jedenfalls läßt sich nicht abstreiten, daß dieser Vogel, wenn er solche Geschichten macht, ein zweideutiges Viech ist.“ Zweideutig? Der Vogel hat allerdings manchmal seine Mucken. Ich glaube bemerkt zu haben, daß es nicht gleichgültig ist, an welcher Stelle meines Innern er sitzt. Manchmal sitzt er mir auf den Lippen und schnarrt wie ein Starmatz -- das kribbelt dann so, man muß lachen, muß rasch die Lippen bewegen, -- und so gibt es zuweilen ein Geschwätz, aus dem man hinterher selber nicht mehr klug wird. Auf den Lippen saß er mir gewiß damals, als ich den Jakade hängen sah. Des weiteren kann er auch im Kopfe sitzen, dann pfeift er hell und scharf wie ein geschulter Dompfaff. Dabei ist einem zumute, als hätte man eine Prise genommen und sich den Verstand so recht klar geniest. Drittens nistet er, wie schon gesagt, im Herzen. Dann ist es voller Sonne, die ganze Welt möchte man lieb haben -- wie damals, als ich der Ziege vorlas und das goldige Feenschloß erschaute. So recht frei aber fühle ich mich, wenn mein Löweneckerchen das Allerschönste tut, wozu es der Himmel berufen: wenn es den blauen Äther durchdringt und durchklingt. Ganz hingegeben sind mir dann Ohr und Auge, Haupt und Herz; und was Menschenlippen nie singen und sagen, hier tönts wie fühlende Flöten und Geigen -- als habe sich Korn und Blumenwiese, Wipfelwogen und Wellenspiel, als habe sich die ganze Sommerwelt mit all ihrer Sonnenliebe und Lebenstrunkenheit zusammengefunden in dem einen jauchzenden Seelchen, dem flatternden Punkte droben. Anno dunnemals Wo bin ich? Ich packe meine Nase und rüttle mit forschem Rucke den Verstandskasten zurecht. Nun finde ich mich wieder in die wirkliche Welt. Ja, ja, ja! Die weite Fläche da vor mir ist der Müggelsee, vom Märker „die Müggel“ genannt. Hat eine Tiefe bis zu acht Metern. Jenseits blauen die waldigen Müggelberge, ganze fünfundneunzig Meter hoch, wie ich aus dem „Touristenführer durch das Oberspreegebiet“ behalten habe. Derselbe Gewährsmann nennt die Müggel den „Bodensee der Mark“. Vielleicht wegen jener südlichen Hügel, die der Niederdeutsche natürlich „Berge“ nennt, die er hier wohl gar mit dem Alpenwall am Bodensee vergleicht. Oder vielleicht, weil die Spree, das Beispiel des Rheins beherzigend, durch einen See fließt. Links, im Osten, wo hinter der Rohrwildnis das alte Kirchlein von Rahnsdorf hervorlugt, tritt die Spree in die Müggel ein. Rechts, weit hinter den roten Ziegelmauern und Schlöten der Wasserwerke, bei der Friedrichshagener Brauerei, fließt sie hinaus. In dieser Länge mißt die Wasserfläche fünf Kilometer, während ihre Breite vom Nordufer, wo ich beobachte, nach den Müggelbergen hinüber halb so groß ist. Zuweilen kann der See offenes Meer vortäuschen; bei dunstigem Wetter verschwindet das jenseitige Ufer, und wenn unter einer Brise Wellen über den Sandstrand spülen, ist der Anblick ähnlich, wie von einer waldigen Ostseedüne. Heute bleibt die Müggel auffallend einsam, -- ein Dampfer schleppt ein paar Zillen, rechts blinkt ein kleines Segel. Noch zu früh ist die Jahreszeit für Ausflügler. In den Sommerferien geht es hier hoch her. Nach Zehntausenden zählen dann die Berliner; durch die Waldung spazieren sie, erquicken sich am Sonnabend und am Freibad Müggelsee oder belagern als Zuschauer in buntem Gewimmel die Sanddüne. Andere machen in gemieteten Booten Ruderversuche, elegisch singend: „Still ruht der See.“ Weht ein guter Wind, so sind die Jachten zur Stelle, mit ihren ausgebreiteten Segeln gleich Schwänen, dabei wie Schwalben hurtig. Dorfgänsen ähneln die langen Lastzillen, die trotz geblähten Segels nicht eben flott vorwärtskommen, so daß der Schiffer mit der Stoßstange nachhilft. Nun von Rahnsdorf her Vergnügungsdampfer mit Musik. Kopf an Kopf wimmeln darauf die Ausflügler aus Berlin. Vorbei geht es an den hübschen Villen, den baumreichen Seegrundstücken von Friedrichshagen, vorbei an der waldigen Landzunge, wo das Wirtshaus Müggelschlößchen zur Beschaulichkeit unter säuselnden Birken ladet. Hier verläßt die Spree den Müggelsee. Dann kommen die Gartenhäuser von Hirschgarten, der Dampfer gleitet unter einer Brücke hindurch zur alten Stadt Cöpenick. Vorbei an ihrem Schloß und dem verwilderten Park, durch die Wuhlhaide zum großen Volkshain von Treptow. Vorbei an Lagerplätzen und Schuppen, in die Riesenstadt hinein ... Doch lieber nicht gedacht an den brodelnden Hexenkessel Berlin. Im Naturfrieden an der Müggel weilt es sich köstlicher -- zumal heute die Störer fehlen und, wofern ich nicht nach den Wasserwerken blicke, mein singendes, springendes Löweneckerchen mir den Traum heraufzaubert, die Weltgeschichte sei noch um ein Vierteljahrhundert zurück. „Anno dunnemals“, wie der olle krumme Kuschel, der Gemeinde-Kuhhirt, zu sagen pflegte -- war Friedrichshagen noch einfältig hübsch. Seitdem hat sich die Jungfer vom Lande städtisch zurechtgemacht -- wetteifert fast mit Rixdorf. Ja ich vermute, wäre Friedrichshagen nicht nach seinem Gründer, dem großen Friedrich, genannt, sondern mit einem ländlich klingenden Namen, es wäre auch wohl der Versuchung erlegen, sich umzutaufen, wie’s Emporkömmlinge zuweilen tun. Hat sich nicht Rixdorf umgetauft in Neukölln? Und Kiekemal in Königstal? Jedenfalls war das alte Friedrichshagen oder -- wie die Eingeweihten es im Gegensatz zu heute nennen -- „Fritzenwalde“ noch ein richtiges Dorf. Die Friedrichstraße, vom Bahnhof zur Brauerei erstreckt, eine breite, sandige Dorfstraße. Ihre alten Maulbeerbäume, in vier Reihen gepflanzt, legten Zeugnis ab von der Seidenzucht, die auf Befehl des alten Fritz von den Kolonisten neben ihrer kleinen Landwirtschaft und Handwerkerei betrieben wurde. Die Zucht der Seidenraupe ließ sich allerdings nicht lohnend gestalten. Aber die Maulbeere wurde vorteilhaft nach Berlin verkauft. Desgleichen die Sauerkirsche, in den sonnigen Hintergärten herangereift und am Hügel der holländischen Windmühle, von wo man im April einen Blick auf all die Blüten hatte. Obwohl zu meiner Zeit die Maulbeerbäume nur noch streckenweise standen, bildeten sie ein ehrwürdiges Wahrzeichen des Ortes, und es gab ein malerisches Idyll, wenn gegen ihre knorrigen Stämme und dunkelgrünen Laubmassen rotgolden die Abendsonne schien. Zwischen den gebuchteten Blättern wie gelbe Perlen die Maulbeeren. Mit Steinen und Knütteln sucht sie ein Kinderschwarm herabzuholen. Auch schwarze Beeren gibt’s; sind sie gefallen und versehentlich zertreten, so sehen sie auf dem Kiesboden wie Tintenkleckse aus; das Gesicht der schleckenden Kinder ist davon fleckig. Der urwüchsige Sandboden von Wagen gefurcht, an feuchten Stellen mit Gras bewachsen. Die Kühe, die soeben mit dem Gemeindehirten von der Waldwiese heimkehren, rupfen sich vor dem Stall noch einen grünen Happen. Den Hintergrund des Gemäldes bilden die einstöckigen Landhäuschen. Auf ihren Rohrdächern Moos. Vor den niedrigen Fenstern Georginen und Sonnenblumen. Buchsbaum umrahmt die Beete, in der Mitte ragt ein Wacholderbusch. Dazu gehören noch watschelnde Gänse, trinkend aus der Pfütze vom nächtlichen Platzregen. An der Gartenpforte seines Häuschens steht ein weißbärtiger Handwerker in brauner Wolljacke, pfeifeschmauchend genießt er den Feierabend. Das schlichte, weißgetünchte Kirchlein mit dem kurzen, breiten Turm wurde unter Friedrich Wilhelm dem Dritten aus den kargen Überschüssen der Spinnerei erbaut. Der Turm sieht den Kindern zu, die um das Kriegerdenkmal spielen. Und zweimal in der Woche schaut er auf ein kleines, nettes Markttreiben, auf Salat, Spinat und Eier in Körben, auf Kartoffeln und was sonst die derben Landweiber mit den sonnverbrannten Gesichtern feilbieten, während die Madamkens die Reihen durchmustern. Sonst sorgt für den Bedarf der Hausfrau ein Gemüsewagen, dessen Inhaber mit gröhlender Marktschreierstimme seine Ware preist: „Äppeläppeläppel! Jurken, Jurken! Pflaumen wie de Puteneier! Jrienä jrienä Heringä! Flundern, Flundern, Flundern -- wer kooft, der wird sich wundern!“ Eine andre Gestalt der sandigen Straße ist der lahme Lumpensammler, der seinen magern Karrengaul immer eine kurze Strecke ziehen läßt, um dann zu halten, ob ihm nicht alte Kleider und Stiefel, Papier, Lumpen und Knochen angeboten werden. Um seine Kunden anzulocken, trillert er auf einer Blechflöte; dann ruft ihm wohl ein Spötter „Rejenwurm“ zu, und Rejenwurm ist so dumm, sich jedesmal zu entrüsten über den Spitznamen, der auf sein im Staube wühlendes Gewerbe anspielt. Neben Hahnenkraht und Huhngegackel waren solche Laute ziemlich der einzige Lärm, der im alten Friedrichshagen erscholl, -- es sei denn, daß dumpfe Tuterohre, blökende „Feuerkälber“, wie sie genannt wurden, die Freiwillige Feuerwehr zu einem Brande herbeiriefen, öfter natürlich bloß zur harmlosen Übung mit nachfolgendem Biertrunke. Nur Sonntagabends ging es etwas lebhaft zu, auf der Friedrichstraße, wenn die Berliner truppweise von einer Landpartie heimkehrten -- zuweilen in bekränzten „Kremsern“, wie ein mit Dach versehenes Fuhrwerk hieß, wo elf bis siebzehn Menschen, dicke und dünne, männliche, weibliche und sächliche, quietschvergnügt (oder richtiger: quetschvergnügt) stundenlang ihre diversen Gebeine durcheinander rütteln und vom Chausseestaub bepudern ließen. Den Sommertag hatten sie im Müggelschlößchen verbracht oder in einem andern Gartenlokal, zu dem die beliebte Aufschrift lockte: „Der alte Brauch wird nicht gebrochen: Hier können Familien Kaffee kochen.“ Abends verzehrten die Familien ihre mitgebrachten Stullen zur „Großen Weißen“, die kommunistisch aus ungeheurem Glasnapf getrunken wurde, unter Beigabe einer „Strippe“: eines Glases Kümmel oder Korn. Wenn nun diese Kleinbürger und Arbeiter mit Kind und Kegel bis in die Nacht auf die Eisenbahnzüge warteten und im Kupee wie Tonnenheringe sich drängelten, so läßt sich ermessen, wieviel das Friedrichshagener Idyll den Berliner Ausflüglern wert sein mußte, da es durch solche Beschwerden erkauft wurde. Und es war ja auch wundervoll, was das Müggelgebiet an Naturreizen bot. Träumen durfte man damals noch -- etwa am Seeranft, auf dem Rasenteppich hinter dem Müggelschlößchen, den Kiefern und Birken zu Füßen -- oder weiter hinten an der Schilfbucht unter dem Haargezweige eines Weidenbaumes. Dotterblumen säumen das Ufer, Binsen und flüsterndes Rohr. Über Stangen gebreitet die Netze der Fischerinnung. Von der Düne schaut man weit auf einen blauen Spiegel oder auf schäumendes Gewoge. Rechts die Kiefernhügel mit dem Aussichtsturm sind die Müggelberge. Drüben das Rahnsdorfer Kirchlein, ganz hinten die Kranichberge. Vorn im Schutze des Schilfwalls sammeln sich zur Paarungszeit Schwärme von Teichhühnchen und Haubentauchern, Enten und Gänseseegern, und ihr verliebtes „Krick“ und „Gork“ mischt sich ins behagliche Orgeln der Frösche. Nördlich von diesem Revier, genauer gesagt: vom Lehnschulzengut „Alte Ziegelscheune“, hatten sich die Kolonisten aus Böhmen und der Pfalz angesiedelt, denen der Alte Fritz eine halbe Quadratmeile Ödland abgetreten hatte. Da sie von der Spinnerei allein nicht leben konnten, rodeten sie Wald aus und beackerten den Boden. Mager gediehen die Ähren, desto besser die Kartoffeln. Durch die sandigen Ackerstücke zog sich ein Feldweg, mit Schlehdornbüschen, Akazien, Birken. Da lagen etliche Granitblöcke, Findlinge aus der Eiszeit. Lieblich prangten die Feldblumen, besonders auf den Ackerrainen. Allenthalben hingesprüht flammender Mohn und Kornblumen. Nach Honig duftete das goldig lodernde Labkraut, und am stillen Sommerabend mischte sich in den harzigen Kiefernhauch vom nahen Forste der scharfe Ruch gelber Strohblumen. Was an diesem märkischen Idyll entzückte, war neben dem bunten Unkraut das Konzert der Lerchen, von denen zur Frühlingszeit immer ein paar im Äther trillerten ... „Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh!“ Das war mein Gefühl von Kindheit an. Kein Wunder, daß ich als Berliner Literatur-Novize in den Frieden der märkischen Landschaft flüchtete, unmittelbar nach meiner Hochzeit mit der Gefährtin, die nächstens mit mir die Silberhochzeit feiert. Auch Freund Wilhelm Bölsche, mit dem ich zuvor eine Berliner Wohnung geteilt hatte, siedelte damals nach Friedrichshagen über. Es schlossen sich noch andere Musenverehrer an, die entweder von ihrer Feder lebten, oder vom väterlichen Vermögen, oder endlich von der frischen Luft. Neben seinen Urbewohnern hatte das alte Friedrichshagen noch ein Paar Fabrikanten, Ärzte, Beamte, einige hundert Arbeiter, in einer großen Bildgießerei beschäftigt. Auch manchen Freund des Wassersports, pensionierte Beamte und Sechsdreierrentiers. Zu den Straßen, wo die Naturschwärmer wohnten, gehörte die Kastanienallee mit meiner Mietswohnung. Mir gegenüber ein verwilderter Laubpark, wo im April die Amsel pfiff, im Fliederbusch Nachtigallen schlugen. Waren die Bäume entlaubt, so sah man vom Balkon durch das Gezweige den Bahndamm und die blauschwarze Wand des Forstes. Das Hinterhaus zeigte Beete mit Blumen und Beeren, Spargel- und Obstgärten. Aus entfernten Birkengruppen lugten die schlichten Villen der noch ungepflasterten Nachbarstraße, die den rätselhaft stolzen Namen „Breestpromenade“ führt. Bis gestern blieb auch die Kastanienallee ungepflastert. Das ist ja nicht immer angenehm -- wenn zum Beispiel im Winter auf hartgefrorenem Boden der nasse Schneebrei nicht weichen will. Doch weil sich Fuhrwerke selten in den Sand meiner Kastanienallee wagten, hat es ein Sinnierer, mit der Feder arbeitend, hier ein viertel Jahrhundert ausgehalten ... Sonst hat sich Friedrichshagen seit Anno dunnemals arg verändert. Am See, wo Kiefernheide war, ragen die Schlöte und roten Ziegelwände der Berliner Wasserwerke. An Stelle der dummen Ackerstreifen mit ihren unrentablen Ähren und nichtsnutzigen Blumen lauter gerade geschnittene Baustellen, von Stacheldrähten umhegt. Straßendämme, aus deren Sande schon die Kopfstücke der unterirdischen Kanalisation ragen. „Aufschwung!“ höre ich ein paar Herren aus Berlin sagen, die sich offenbar auf Bauspekulation verstehen, und mit Ehrfurcht konstatieren, was aus der Feldlandschaft geworden. Überall buddelt man den Naturboden um: jene künstlichen Eingeweide müssen angelegt werden -- abziehen soll durch sie der viele Unrat, den die funktionierende Kultur mit sich bringt. Überall bekommt Mutter Erde einen Panzer vor den Busen. Nicht mehr nach Kuhstall duftet es, sondern nach Benzin; hupende Autos sausen die Friedrichstraße entlang, und die hat nichts mehr von der alten Dorfstraße. Der grasige Sandweg verschwunden; gediegenes Pflaster, Straßenbahnschienen. Keine Vorgärtchen mehr, dafür breite Bürgersteige. Die ländlichen Häuschen abgelöst durch hohe Mietshäuser mit Schaufenstern. Die knorrigen Maulbeerbäume verschwunden, ersetzt durch Bäume von vorschriftsmäßigem Wuchs. Ach, und die holländische Windmühle hinter Conrads Tanzsaal verschwunden. Gänzlich weggeräumt vom märkischen Sande, der früher unverwüstlich konservativ erschien. Und dieser Sand selbst -- wo ist er jetzt? Die Mühle stand doch auf einem Hügel! Wo blieb der Hügel? Mit Kalk vermischt, ward er in all die rings emporgewachsenen Mauermeisterstücke vermauert. Horch, was für ein weltstädtisches Tosen auf der Friedrichshagener Friedrichstraße? Aus dem Berliner Zuge hat sich ein stampfender, schwatzender Menschenstrom ergossen. Diese hastenden Arbeiter, abgespannten Verkäuferinnen und Bürobeamten bringen die dumpfige Luft ihrer Arbeitskasernen mit und all die andern Segnungen des Maschinenzeitalters. Elektrische Flammen bestrahlen ein grellbuntes Plakat. Unter dem Titel eines Theaters hat sich ein Kientopp etabliert, von Stiergefecht und Detektivromantik flimmern seine Filme. Uff, und Grammophone lassen ihre Walzen wetteifern! Bei mildem Wetter sind ihre Besitzer so uneigennützig, die Fenster zu öffnen, damit nur ja die weite Nachbarschaft lauschen kann dem schelmisch quäkenden Damencouplet und der Arie eines Baßbuffo, der Stockschnupfen hat oder sich beim Singen die Nase zuhält. Und wenn auch noch das oberste Luftreich von der neuen Ära bebt! Wenn vom nahen Flugplatze Johannisthal eine Rumplertaube in brummenden Kreisen naht oder ein Parseval wie ein Fabeldrache angeschnoben kommt ... O Himmel, was für einen Aufschwung hast du über das gute Fritzenwalde verhängt! Einen andern Aufschwung meinte ich, als die Osterlerche über dem Forsthaus jubilierte. Doch den will man noch nicht gelten lassen in Preußisch-Schilda. Nach Gesinnung und Verfassung ist lieb Vaterland so geblieben wie Anno dunnemals, als es den Chronisten hinter Schloß und Riegel steckte. -- Ob’s endlich mal anders wird? Ob es Schildbürgern gelingen wird, die Seelen so fliegen zu lassen wie ihre Maschinen? Ein Trost, daß es noch singende, springende Löweneckerchen gibt. Der Igel Den Igel von der Buxtehuder Heide haben wir als Kinder bejubelt -- wie er mit dem langbeinigen Junker Hasen um die Wette lief: seine Frau hatte er am Ziel versteckt, so daß der Hase, als ihm Fru Swinegelin zurief: „Ick bün all hier!“, meinte, nun sei ihm der krüppelbeinige Konkurrent doch zuvorgekommen. Im wiederholten Wettlauf ging dem Hasen die Puste aus, tot streckte er seine Stelzen. Guter Meister Igel, was bist du trotz deiner Stacheln für ein herziger Bursche! Nicht nur der Heidebauer jubelt dir zu, weil du verschmitzter Kerl dir zu helfen gewußt mit deiner wackern Ehehälfte und weil du’s dem Junker Hochmut gründlich eingetränkt hast, daß er zu spotten gewagt über den geringen Mann. Glaube nun beileibe nicht, daß ich dich herabsetzen will, wenn ich deinen Namen einer zweibeinigen Kreatur gebe, die ihn nicht ganz verdient; denn der menschliche Igel, auf den ich zu sprechen komme, besaß deinen charaktervollen Schlaukopf bloß in seiner Einbildung, und seine Ähnlichkeit mit dir erstreckt sich fast nur auf das duckmäuserische Exterieur. Auch stand ihm keine Swinegelin zur Seite, sintemalen er bis in sein sechstes Jahrzehnt den Junggesellenstand beibehalten. Friedrichshagen, wo dieser Igel hauste und waltete, war damals noch dörflich, hatte an ländlichen Häuschen mit Rohrdach und Fliedergärtchen nicht Mangel, besaß noch keine Pflasterung, keine Kanalisation, keinen Kientopp und keinen Bürgermeister. „Es ist schon lange her -- Das freut mich um so mehr“ -- -- und zwar besonders aus dem Grunde, weil man nach so viel Zeit eine Lippe riskieren und ohne Gefahr einer Majestätsbeleidigung verraten darf, besagter Igel von dunnemals sei eine Respektsperson gewesen, gewissermaßen der Statthalter des Königs von Preußen am Müggelsee, nämlich etliche Monde lang stellvertretender Amtsvorsteher von Friedrichshagen. Sein bürgerlicher Name war Friedrich Hegel, und es ist nicht ausgeschlossen, daß er irgendwie verwandt war mit jenem Philosophen, den eines Schwabendichters Loblied wetteifern läßt mit den Guanovögeln: „Trotz meinem Landsmann, dem Hegel, Schafft ihr den vortrefflichsten Mist.“ Um die Kassenführung eines ostelbischen Städtchens war unser Fritz Hegel so verdient, daß ihn die allgerechte Obrigkeit mit dem Kronenorden vierter Güte und dem Titulo Rechnungsrat dekoriert hatte. Anfangs nannten ihn die Fritzenwalder Herr Rechnungsrat. An sein früheres Rechnen schien er freilich nicht sonderlich gern zu denken; er hatte auf diese Anrede zunächst einen stechenden Blick, dann näselte er mit einem Lächeln gemachter Leutseligkeit: „Bitte nennen Se mich einfach Rat.“ O freilich, Rat Hegel, das klingt vornehm; was ist dagegen Amtsvorsteher! Vorstehen kann schließlich jeder Bäckermeister. Aber Rat -- das läßt auf Geist und Bildung schließen; Ratgeber hat man „oben“ nötig. Der Herr Landrat des Kreises Niederbarnim ist auch einfach Rat! Der „Alte Fritz“, Gründer von Friedrichshagen, war Hegels besondere Schwärmerei und ja auch Friedrich getauft; deshalb nannte den Rat sein Stammtisch im „Waldhaus“ gern den „Jungen Fritz“. Allerdings war unser Igel durchaus kein Jüngling mehr; immerhin wäre ja der Große Friedrich, wenn er jetzt noch lebte, jetzt viel älter als der Amtsvorsteher Hegel. Übrigens wollte man ein unterscheidendes Merkmal gegenüber dem Alten Fritz geltend machen. Und schließlich gehörte es zu den Eigentümlichkeiten des Jungen Fritz, immer noch jugendlich aufzutreten, zumal der Damenwelt gegenüber, für die er eine nie versiegende Verehrung empfand. Auch wie er zu dem Spitznamen Igel kam, will ich nicht verschweigen. Schon der Name Hegel hat die Anlage, in Egel, Igel umgewandelt zu werden. Und als ich zum erstenmal mit dem Rate zu tun hatte, ging es mir durch den Sinn: den mußt du schon mal gesehn haben! Wo denn aber? Da ward mir auf einmal klar, daß dieser Würdenträger Ähnlichkeit mit dem wettlaufenden Swinegel hat, wie ihn Ludwig Richter gezeichnet. Hier war ja dieselbe kurze Gestalt, derselbe kleine Duckmäuserkopf mit den listigen Schweinsäugelchen, dieselbe rattenhafte Spitzmäuligkeit -- seine schmalen, rasierten Lippen wurden durch ein paar Nagezähne schräg nach vorn geschoben -- hier war auch der huschende Leisegang des Igels. Was die Pedale des Herrn Rat betrifft, so will ich beileibe nicht andeuten, daß sie krumm waren, wie die Schleichkrüppelchen des Buxtehuder Swinegels. Kurz und zierlich, ja das waren sie, deshalb würdigte sie der selbstbewußte Eigentümer auch einer besonderen Sorgfalt. Auf den Tanzkränzchen der Bürgerressource staunte man nicht bloß über die Elastizität der Hegelschen Hüpforgane, sondern auch über ihre patente Bekleidung. Beim Contretanz, den er mit den nasalen Lauten eines französischen Mäters zu kommandieren pflegte, kokettierte er in Lackstiefeletten, während er sonst gelbe Promenadenschuhe trug, die Beinkleider stutzerhaft aufgeschlagen. Sein Ideal war eine Mischung von Landrat und Friseur, emeritiertem Hauptmann und Tanzmeister. Sein rastloser Ehrgeiz hatte ihn ins Fritzenwalder Amt befördert. Anfangs hatte er nur als Pensionär am Müggelsee leben wollen, als passionierter Angler, Tänzer und sonstiger Lebenskünstler. Dann in den Gemeinderat gewählt, fühlte er immer bestimmter, sein Genie sei noch lange nicht welk, vielmehr zu erneuter Karriere berufen. Damals fügte es sich, daß ein Friedrichshagener Amtsvorsteher, der sonst so tüchtige Herr Drachholz, wegen seines plötzlich gesteigerten Asthmaleidens auf Urlaub nach Ägypten gehn mußte, und nun war ein stellvertretender Amtsvorsteher nötig. Durch geschicktes Aufgebot all seiner Gönnerinnen gelang es dem Jungen Fritz, seinem gefährlichen Mitbewerber, dem reichen Klempnermeister Kuhlicke, viele Stimmen abspenstig zu machen. Nunmehr provisorischer Regent der „Kolonie“, hoffte er, dem Herrn Landrat und „den Herren da oben“ ebenso wie den Spießern bald zeigen zu können, daß Rat Hegel ein ganzer Kerl und Preuße sei, zum definitiven Amtsvorsteher fraglos vorherbestimmt. Wenn der kleine Gernegroß den eleganten und gebildeten Weltmann herauszubeißen suchte, so kamen auch Entgleisungen vor, die dem Bierbankgelächter willkommene Nahrung boten. Als Beispiel mag eine Begebenheit dienen, die nach Errichtung einer biologischen Station für Binnenfischerei am Gestade des Müggelsees vorfiel. Ein fremdländisch aussehender Herr war von Berlin auf dem Bahnhof Friedrichshagen angelangt, als er in sichtlicher Ratlosigkeit, an einen Bahnbeamten gewandt, in gebrochenem Deutsch stammelte: „Wo ist biologische Station?“ -- „Hier ist Station Friedrichshagen“, lautete die Antwort. Der Ausländer blieb bei seiner Formel: „Ich will zu biologische Station.“ -- „Ach, Sie meinen wohl Station Zoologischer Garten?“ Der Ausländer protestierte: „Nicht zo -- sondern bi, bi!“ Dies Zwiegespräch hatte Rat Hegel mit angehört, und um seine weltmännische Gewandtheit darzutun, schüttelte er vornehm mitleidig das Haupt über des Bahnschaffners unbeholfene Art: „Aber Mann! Erraten Sie denn gar nicht, was dieser Pariser will, hä?“ Und er blinzelte den Fremdling an: „Oui oui, monsieur, je comprends! Kommen Sie!“ Vertraulich seinen Arm ergreifend, führte er ihn nach jenem Bretterhäuschen, das von den Reisenden der wenig komfortablen Vorortzüge oft mit sehnsüchtiger Hast erstrebt wird. „Ici bibi! Ici biologische Station!“ Mit einem Blick der Entrüstung wandte sich der Fremdling ab; Rat Hegel, über solche Wirkung seines Ratschlags verdutzt, ratschlagte hin und her, ob er es an Takt habe fehlen lassen, oder ob dieser Pariser doch etwas anderes gemeint habe. Als er sein Abenteuer im „Waldhaus“ erzählte, platzte der dicke Wirt heraus: „Warum haben Se’n denn nich zu +mir+ geschickt, Herr Rat? Er meinte doch offenbar die +Bier+ologische Station!“ Zufällig saß auch der Leiter der biologischen Station am Stammtisch, der schlug die Hände zusammen: „Also Sie, Herr Rat, sind das gewesen? Wissen Sie denn nicht, was für einen Beruf und Posten ich hier in Friedrichshagen habe!“ -- „Sie -- hä? Natürlich weiß ich das! Herr Professor sind Leiter des Instituts für Binnenfischerei am Müggelsee.“ -- „Na das ist doch die biologische Station!“ War das ein Reinfall für unsern Igel! War das ein gefundenes Fressen für die auf Ulk erpichten Bürger des Kreises Niederbarnim! Zu seiner Entschuldigung machte er mit wehmütigem Lächeln geltend: „Wenn ich bei der Frage des Ausländers nicht sofort erraten habe, daß Biologie Binnenfischerei bedeutet, so ist das verzeihlich bei einem Manne, der auf seiner Realschule zwar ein leidlicher Franzose gewesen, aber natürlich kein Lateiner. Auch bin ich eben ein schlicht konservativer Patriot, und in meiner bald vierzigjährigen Amtstätigkeit sind mir immer nur +Preußische+ Formen und Aufgaben vorgekommen, keine kosmopolitischen Probleme. Übrigens weiß man oben schon, was man an Rat Hegel hat, dem die Kolonie des Großen Friedrich anvertraut worden -- oder etwa nicht, hä?“ Ein Patriot -- nun ja, das war Rat Hegel -- was mancher Beamte, um die Gunst seiner Vorgesetzten beflissen, so unter einem Patrioten versteht. Die politische Gesinnung gehört dabei zum Dienst, wie der Soldat vorgeschriebene Uniform zu tragen hat und stramm seinen Griff macht, wenn das Kommando erfolgt „Helm ab zum Gebet!“ Obwohl der Junge Fritz gelegentlich mit Fridericianischer Aufgeklärtheit kokettierte, so war er doch auch von jenem Geist erfüllt, der einem Polizeimenschen zu Anfang der neunziger Jahre, wenigstens einem Preußischen, eigen war, nachdem man durch das Ausnahmegesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen lange genug zum Unratschnüffeln abgerichtet war. So nahe beim blutroten Hexenkessel Berlin hatte Rat Hegel ein klein wenig von dem Grundsatz, den sein Kollege in Erkner, „Wehrhahn“ in Gerhart Hauptmanns „Biberpelz“, mit den schneidigen Worten verkündet: „Meine Aufgabe hier ist mustern und säubern. Was hat sich nicht alles für Kehricht am Orte angesammelt! Dunkle Existenzen, politisch verfehmte, reichs- und königsfeindliche Elemente. Die Leute sollen zu stöhnen bekommen.“ So schlimm wie dieser Bramarbas hatte es Rat Hegel nun freilich nicht vor, dazu liebte er zu sehr seine Ruhe. Ein paarmal raffte er sich indessen zur hurrapatriotischen Attacke auf gegen die erwähnten dunklen Existenzen. Nicht geheuer schien ihm jene Gruppe von Schriftstellern, die in einigen Literaturgeschichten „die Friedrichshagener“ heißen. Als Menschen, die sich im Punkte der Überzeugung keinerlei Vorschriften machen ließen, um vielmehr von ihren Ideen oder mindestens ihrer gutgemeinten Schwärmerei geleitet zu werden, betrachteten sie Ungebundenheit als ihr Lebenselement und waren in Wort und Werk verblüffend unpreußisch. Das Generalquartier der Friedrichshagener, mit denen es auch allerlei Berliner Genies hielten, war jahrelang das Haus der Brüder Streitmüller in der Ahornallee. Zweier Soziologen, die, begeistert von Güte für die Massen armer Volksgenossen, einem Sozialismus huldigten, der selbst den Sozialdemokraten zu frei war, daher „Anarchismus“ genannt wurde. Benno Streitmüller, der jüngere Bruder, verkehrte überdies in Paris und London mit Leuten wie Réclus und Fürst Krapotkin. Persönlichkeiten, die man später, als ihre geistige Bedeutung nicht mehr abzuleugnen war, mit dem entschuldigenden Etikett „Edelanarchisten“ bezeichnet hat, die aber in den achtziger und neunziger Jahren für den normalen Polizeiverstand Hochverräter und Bombenwerfer waren. Kein Wunder, daß der Preußische Statthalter von Friedrichshagen, den auch noch die Berliner Polizei scharf gemacht hatte, ein Auge auf seine Literatenkolonie hatte. In diese amtliche Stimmung platzte eines schönen Tages eine Bombe hinein. Wenigstens ähnlich einer Bombe wirkte eine Postkarte, die aus London anlangte, adressiert an Herrn Benno Streitmüller in Friedrichshagen. Auf einem obskuren, doch wohl einfachen Wege war ihr Inhalt zur Kenntnis des Amtsvorstehers gelangt. Der ging hoch wie ein gärender Vulkan, als er die Worte las: „Produkt wohlgeraten. Zur größern Sicherheit läßt Freund die Kiste lieber von Hamburg abgehen; damit unterwegs nichts passiert, ist Inhalt als leicht zerbrechlich bezeichnet. Wohl bekomm’s! Dein Krapotkin!“ -- Oh! Da war ja nun die Bescherung, die längst von dieser Tintenkulibande zu erwarten war. In der Kiste mußte Dynamit oder so was sein, darauf ließen die Worte wie die Personen schließen. Vollends verdächtig war folgende Nachschrift der Postkarte: „Deinen Gruß an Fifi kann ich nicht bestellen. Denke dir, er hat sich fortgemacht -- vor fünf Tagen fand man seinen Käfig leer.“ Also ein Verbrecher war ausgebrochen; kein Zweifel, dies rebellische Gesindel hatte gefährliche Anschläge. Gott sei Dank war ja nun Rat Hegel rechtzeitig dahinter gekommen, der Himmel hatte ihn zum Retter auserkoren. Ja, ja! Wer hat jetzt noch die Stirn, den Amtsvorsteher eines märkischen Dorfes gering zu schätzen? Der Mann kann ja für den Staat Friedrichs des Großen ähnlich wichtig sein, wie für das römische Kapitol die Gänse waren, die durch ihr Schnattern vereitelten, daß es der Feind bei Nacht überrumpelte. Natürlich überbrachte Rat Hegel seine Entdeckung brühwarm dem Berliner Polizeipräsidium. Mit dem Erfolge, daß ein Dutzend handfeste Detektivs in aller Herrgottsfrühe die Friedrichshagener Anarchistenspelunke umzingelten, und daß der Igel, flankiert von zwei Revolverfritzen, in das Verbrecherhaus eindrang, sobald die erste Post mit der avisierten Dynamitkiste zu erwarten war. Streitmüllers Haushälterin wollte eben mit dem Marktkorb einholen gehn, als ihr der Amtsvorsteher eröffnete, daß Haussuchung stattfinde. Zuerst wurde der Korb der verblüfften Madam visitiert, dann hieß es: „Führen Sie uns zu Herrn Benno Streitmüller, wir wissen, daß er hier ist.“ -- „Ach, der ist ja in Paris!“ -- „Leugnen ist überflüssig -- wenn Sie ihn verborgen halten, werden Sie ernste Unannehmlichkeiten haben.“ So ging die Untersuchung nach allen Regeln der Polizeikunst los. Doch kein Benno Streitmüller, nicht einmal sein Bruder Paul wurde aufgestöbert. Wie dann die Postkiste angelangt war, fanden sich darin Blechdosen. Das war ja nun bedenklich. Darin mochten die Dynamitbomben verwahrt sein. Mit größter Behutsamkeit ging man vor -- konnte doch so’n Dings einem vor der Nase explodieren -- und das Gesicht konfiszieren ... „In Wasser legen!“ krähte Rat Hegel und retirierte, als ein waghalsiger Polizeier eine der Höllenmaschinen öffnete ... Huhu brrr! Es waren rätselhafte Kugeln darin, faustgroß und dunkelrot. Jetzt hatte der heldenhafte Detektiv sein Käsemesser gezogen und wagte in solch eine Kugel -- höchst schauderbar -- hineinzupieken. „Det sieht ja aus wie Paradiesäppel!“ meinte er schnüffelnd -- „Jotte doch, richtije Paradiesäppel, wo neierdings Tomaten heeßen. Wat will die Bande mit Obst?“ Nun bestätigte die Haushälterin, in den Blechdosen seien eingemachte Tomaten, und als man ihr den Inhalt der Postkarte mitteilte, gab sie unter Gelächter die Aufklärung: Fürst Krapotkin, ein passionierter Tomatenzüchter, habe Benno Streitmüller für seine Züchtungsmethode interessieren wollen. Und Fifi, der aus dem Käfig Ausgebrochene, war ein Kanarienvogel Krapotkins -- in seiner Unerfahrenheit hatte das Tierchen sein Freiheitsideal außerhalb des Vogelbauers, im wüsten London gesucht. Nicht ganz so harmlos wie die geschilderte Begebenheit, doch ebenso charakteristisch, verlief jene andere, die mich persönlich mit dem Igel aneinander brachte. Es mochte ihm bekannt sein, wer seinen zoologischen Spitznamen geprägt hatte, der ihn ebenso wurmte, wie der „Junge Fritz“ eine Schmeichelei bedeutete. Vollends gehörte ich zu der Literatursippe und war einer der Schlimmsten. Genug, ich witterte längst, daß er mir nicht grün; ja von Anfang an hatte mich der lauernde Zug in den Schweinsäugelchen ahnen lassen, dieser Igel werde mal einen listigen Gang mit mir tun und trage sich mit dem Vorsatz: „Warte nur, frecher Langbein, ich werde dich noch zur Strecke bringen, wie mein Namensvetter von Buxtehude!“ Na ja, an Diensteifer ließ er ’s nicht fehlen, als die Reiberei losging. Die Einleitung war ein Schriftstück, das vom Amtsdiener Bolle in meine Wohnung gebracht, mich „zur Vernehmung“ aufs Amt lud. Mein erster Gedanke war: Du hast wohl was Impertinentes in einer Rede gesagt oder durch Druck veröffentlicht? und nun will dir der Staatsanwalt zu Leibe? Aber nein doch! Wohl nur als Zeuge sollst du vernommen werden; vielleicht auch wollen diese Büropedanten einfach das Personalregister berichtigen. Sei’s, wie es sei -- wir werden ja sehen! Die Vernehmung Das Fritzenwalder „Amt“ war einstalliert in einem gemieteten Landhäuschen, das nur ein Erdgeschoß mit einem großen Zimmer und ein paar kleinen hatte. Längs der Wände lagen die Akten aufgestapelt, in den Fächern hölzerner Gestelle ohne Verschluß, dem Staube, der Vergilbung, den Motten preisgegeben. All diesen Akten hing gewissermaßen die Zunge zum Halse heraus, und diese Aktenzunge war gelb, grün, blau, rot, ein Kennzettel, um Rede zu stehen über den Inhalt des Schriftstückes. Ein paar Schreiberseelen hockten an Pulten, und wenn sie nicht frühstückten, rauchten oder plauderten, hörte man ihre Federn kritzeln, dazu im Sommer den ländlichen Fliegenschwarm summen und beim Nachbar die Hühner gackeln. Rat Hegel saß dann -- vorausgesetzt, daß er nicht am Gestade der Müggel die Angelrute schwang -- in einer Art Boudoir, das mit Schreibtisch und Lutherstuhl ausgestattet war, auch mit Teppich, Liegesofa und etlichen Bildern. Hier pflegte der Igel Amtspflichten zu erfüllen, die er nicht der Kritik und Indiskretion aussetzen mochte. Wenn zum Beispiel eine junge Witwe gegen ihre Steuereinschätzung reklamierte, oder wenn die stattliche Frau Mauermeisterin in einer Bauangelegenheit den Vorteil ihres Gatten wahrzunehmen suchte, oder wenn ein hübsches Dienstmädchen ... das heißt, ob das Mädchen hübsch, die Meisterin stattlich, die Witwe jung war, tut eigentlich nichts zur Sache -- lassen wir’s! Genug, in besagtes Geheimkabinett wurde ich von einem Beamten des Vorderbureaus, dem ich meine Vorladung gezeigt, nach zeremonieller Anmeldung geleitet. Der Igel erhob sich von seinem Sessel am Schreibtisch, zog unter Augenzwinkern den Kopf zwischen die Schultern -- was eine gemessene Verbeugung sein sollte -- lud mich durch Handbewegung auf das Sofa und nahm die hochwichtige Schreibarbeit wieder auf, die mein Eintreten unterbrochen hatte. Als mir sein Kritzeln zu langweilig wurde, stand ich auf, die Bilder zu betrachten, mit denen das Boudoir geschmückt war. Das Portrait des greisen Kaisers in Öldruck war mir nicht ganz neu; wohl aber ein großes Gruppenbild, das den Amtsvorsteher darstellte, inmitten des Gemeinderats und der Freiwilligen Feuerwehr. „Hä?“ grunzte der Igel in etwas mißbilligendem Tone, befremdet durch meinen Mangel an Befangenheit. „Sie kommen gleich dran. Die Zeit soll Ihnen nicht lang werden.“ -- „Bitte!“ gab ich im Tone der Wurstigkeit zurück und vertiefte mich nunmehr in die Photographie des Landrats. Doch schon hatte er die Feder hingeworfen und ein Aktenstück aufgeschlagen. Mit nachlässigem Genuschel las er: „Zu vernehmen der Schriftsteller Dr. Bruno Wille zu Friedrichshagen, Kastanienallee neun.“ Stechend blinzelten seine Schweinsritzen zu mir herüber: „Das sind +Sie+ -- hä? Wollen Sie gefälligst wieder Platz nehmen!“ Ich setzte mich, und nachdem er abermals eine spannende Pause gemacht hatte, indem er die Akten durchblättert, fuhr er fort: „Da ist ’ne -- Sache vom -- Königlichen -- Provinzial -- Schulkollegium -- hä?“ Und grausam listig fixierten die Äugelchen ihr Opfer. Ich war nichts weniger als bestürzt. Eine Schulsache? Ich fühlte mich erleichtert, fast übermütig. War ich doch die beklemmende Aussicht los, daß mich der Staatsanwalt wegen einer freimütigen Äußerung belangen wolle. Schule! Kollegium! Na ja, es wird sich um gestundete Kollegienhonorare handeln -- schon recht! Diese alten Studentenschulden müssen abgezahlt werden -- und nun will man mich dringend mahnen. Was könnte ich sonst mit der Schulbehörde zu tun haben? -- Wie? Oder sollte diese Geschichte den Jugendunterricht angehen, den ich in der freireligiösen Gemeinde erteile? -- Meine dämmernde Ahnung wurde rasch zur Wahrscheinlichkeit, getroffen vom nüchternen Lichte historischer Realität. Gehört doch Friedrichshagen zu Preußen, und hier, wo der Gesetzentwurf des Ministers von Zedlitz-Trützschler, eine Verfrommungsattacke auf die Volksschule, soeben von der öffentlichen Meinung abgewiesen war, schlich nun das Dunkelmännertum auf Hintertreppen, um durch administrative Verfügungen Vorteile zu gewinnen. „Ja und --? Was will denn das Provinzial-Schulkollegium?“ erlaubte ich mir, mißtrauisch und etwas ungeduldig zu fragen. Wieder in das Dokument vertieft, wiegte der Rat den Kopf, als wisse er nicht, wie er die Sache anfassen solle. Da er gemerkt hatte, daß sein Amtsgesicht nicht imponiere, suchte er mir auf andre Art beizukommen. Schüttelte also das mit fuchsiger Perücke gezierte Denkerhaupt, als befremde ihn der Inhalt des Schriftstückes. Aufatmend in den Lutherstuhl zurückgelehnt, klatschte er die flache Hand auf das Papier: „P! Was soll unsereins nicht alles! So ’nem Amtsvorsteher werden die schwierigsten Sachen zugemutet. Gewisse hochgestellte Herren scheinen zu denken, man is so’n richtiger Packesel -- für ihre diplomatischen Missionen -- hä?“ -- Mein Lächeln für Beifall nehmend, suchte er diese Stimmung zu begünstigen und fuhr im Tone einer behaglichen Beschaulichkeit fort: „Unser Großer Friedrich hat gesagt: In meinem Staate kann jeder nach seiner Fasson selig werden. Das ist auch mein Grundsatz -- naturgemäß.“ Zustimmend neigte ich ein wenig den Oberkörper, und es fuhr der Igel fort: „Na ja! Darin sind wir einig! Nun aber das da! P!“ Und wieder klatschte er nichtachtend auf das Dokument -- „was soll man +dazu+ sagen, hä?“ „Aber Herr Rat, ich weiß ja noch gar nicht --?“ Beschwichtigend hob er die Hand: „Lassen Sie mich zuvor bemerken, daß +mich+ hier keinerlei Schuld trifft -- nicht die mindeste Verantwortung, als Mensch sozusagen. Auch für mich gilt das Wort jenes englischen Prinzen: Ich diene!“ -- „Ich zweifle nicht, Herr Rat.“ -- „Ja, nicht wahr? Und Sie können sich denken, Herr Doktor -- wenn die Herren oben -- Sie verstehen, wen ich meine! wenn sie vorher bei +mir+ angefragt hätten, ob die Sache opportun sei ...“ -- „Sie meinen die Sache da vom Provinzial-Schulkollegium?“ -- „+Ich+ hätte gesagt: +Nicht+ opportun!“ -- „Aber hat sie denn was zu tun mit dem Grundsatz, daß jeder nach seiner Fasson? Wie? Mit Religion? Ach so, es handelt sich wohl um die Freireligiöse Gemeinde?“ -- „Naturgemäß! Ja und nun sagen Sie mal, Herr Doktor, was +wollen+ denn diese Freireligiösen, hä? Sie möchten wohl ganz ohne Glauben sein? ohne Pastor und ohne Kirche, hä? Na ja, wissen Sie, so’n +bißchen+ freireligiös -- und wenn ich auch ein konservativer Mann bin -- im Grunde unseres Herzens haben wir alle heutzutage so’n Stück Freigeist. Ich selber habe mal im Gemeinderate -- als es sich um die Waldparzelle für die Wasserwerke handelte, -- da habe ich unverfroren gesagt: +Meine+ Kirche -- wissen Sie, meine Herren, was +meine+ Kirche ist? Der Wald! -- Ja wohl, Herr Doktor, das hab ich rund heraus gesagt. Sehn Sie, darin bin ich +auch+ freireligiös ... Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?“ Es fiel mir nicht leicht, den Schein der Ernsthaftigkeit zu wahren. Seine Erwähnung des Waldes brachte mir eine hölzerne Warnungstafel in Erinnerung, die damals am Eingang zum Forst angeschlagen war, unterzeichnet „Amt Friedrichshagen. gez. Hegel.“ Sie enthielt die monumentalen Worte: „Das Betreten dieses Waldes ist nur mit geschlossener Pfeife gestattet.“ -- „Sehr verdienstvoll, Herr Rat,“ -- lächelte ich -- „daß Sie in unserm Friedrichshagen etwas von der friderizianischen Tradition lebendig halten.“ Wie wenn einem Berliner Weißbierphilister die Kohlensäure prickelnd in die Nase steigt, so wurden des Igels Nüstern angenehm geschwellt, und vor Genugtuung funkelten seine Äugelchen. „Aber“ -- so fuhr ich fort -- „darf ich mir die Frage erlauben, inwiefern unser Religionsgespräch, das mir ja an und für sich interessant ist -- ich meine, inwiefern es zur Sache gehört -- zu meiner Vernehmung in Angelegenheiten des Provinzial-Schulkollegiums?“ Er nickte, und mich streifte ein echter Igelblick -- in dem sich Pfiffigkeit und Mißtrauen mischten. „Zur Sache gehört das alles -- ganz naturgemäß. Was nun Ihre Anspielung auf den friderizianischen Geist betrifft, so ehrt sie mich. Indessen muß ich eine Einschränkung geltend machen. Es hat nämlich der geniale Friedrich -- bei aller Freigeisterei -- an gewissen Ideen der Religion festgehalten. Vor allem an der Idee des höchsten Wesens, wissen Sie, hä?“ „Des höchsten Wesens? Hum! Ja, aber es kommt bloß darauf an, was man darunter versteht!“ -- „Ja, verstehen denn die Freireligiösen +überhaupt+ etwas darunter?“ Jetzt begegnete ich dem lauernden Blick des Anglers, wenn er dem anschwimmenden Fischlein den Köder hinwirft, mit dem es den Haken verschlucken soll. Da ich schwieg, so lockte er weiter: „Allerdings, wer unter dem höchsten Wesen einen weißbärtigen Herrn versteht“ ... Unsicher geworden, verstummte er, ich aber nahm seinen Gedanken auf: „An den weißbärtigen Herrn glauben Sie also wohl selber nicht, Herr Rat, wie?“ -- „Immerhin an einen Gott!“ eiferte er mit Salbung -- „an ein höchstes Wesen, das über der Natur waltet -- als Regent, als Persönlichkeit -- darauf kommt es an -- hä?“ „Ja so! Persönlichkeit! Aber müßte ein höchstes Wesen denn nicht +erhaben+ sein über jegliche Beschränkung? Persönlichkeit +ist+ doch Beschränkung!“ Sein Gesicht wurde eisig und simpel, und er murrte: „Beschränkung? hä? Na, das ist denn doch stark! Da muß ich doch bitten ... Mögen +gewisse+ Persönlichkeiten -- mögen sie beschränkt sein -- so gibt es doch andere -- die alles eher, nur nicht beschränkt sind -- sollte ich meinen -- hä?“ Und seine Äugelchen suchte er aufzureißen zur gebieterischen Hoheit seines genialen Vorbildes. -- „Aber nein doch!“ beschwichtigte ich -- „eine bestimmte Persönlichkeit zu verkleinern liegt mir fern -- und Goethe hat ja auch mit Recht gesagt: Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit!“ -- Er wurde wieder friedlich: „Wollt’ ich mir auch ausgebeten haben.“ Dann schien er über das Rätsel der göttlichen Persönlichkeit zu grübeln -- bis er auf einmal erleuchtet deklamierte: „Gott ist -- ein Geist!“ -- „Und die ihn anbeten,“ zitierte ich weiter, „sollen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Schon recht! Doch weshalb müssen dann unsere Schulkinder im wörtlichen Sinne glauben, daß Gott den Menschen nach seinem Ebenbilde geformt, also ebenfalls einen Körper habe? Und daß er im Garten Eden in der Abendkühle lustwandelte? Und dem Abraham als dreifältiger Mann erschien? Und mit Mose auf dem Sinai redete? Und bei Jesu Taufe vom Himmel rief: Dies ist mein lieber Sohn?“ Wiederholt nickte der Igel, als wollt’ er sagen: „Du bist im rechten Fahrwasser!“ Und als ich schwieg, suchte er zu ermuntern: „Na ja, mit dem dreieinigen Gott -- das ist naturgemäß so ’ne Sache. Katechismus war nie meine Stärke, und auch ich bin Freigeist genug, um zum Beispiel ... Wie soll ich sagen, hä?“ -- Ich half ihm: „Nun, im Katechismus heißt es zum Beispiel: Auferstehung des Fleisches. Die Ebenbilder Gottes, im Grabe endlich zu Staub geworden, kristallisieren sich beim Schall der Posaune wieder zum alten Adam, aus den Grüften schlüpft Fleisch und Bein ... Nun denken Sie mal, Herr Rat, Ihr Liebling, der Philosoph auf dem Preußenthron -- Taufe und Katechismus mußte er schon über sich ergehen lassen -- aber geglaubt hat er so was doch nicht! Sie kennen die Geschichte vom Küster, der abgesetzt werden sollte, weil er nicht an die Auferstehung des Fleisches glaubte? Der alte Fritz versah das Aktenstück mit der Randbemerkung: Der Küster +bleibt+, und wenn er nicht an Auferstehung des Fleisches glauben will, kann er ja liegen bleiben am jüngsten Tage.“ Beifällig schmunzelte Hegel, und ich fuhr fort: „Na also, Herr Rat! Aber wo ist heute der friderizianische Geist? In der Kirche sicher nicht! Sie wissen doch, da bekennt jeden Sonntag der Pastor im Namen der Gemeinde: Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben, Amen!“ „Das sind Ammenmärchen!“ platzte mein Gegenüber hochtrabend heraus -- die Rolle des Freigeistes hatte ihn hingerissen, daß er den Amtsvorsteher vergaß. Er merkte zwar an meinem spöttischen Gesicht, daß er zu weit gegangen, und suchte einzuschränken: „Das heißt naturgemäß -- mißverstehen Sie mich nicht ...“ -- „Aber nein! Sie haben ganz deutlich gesprochen. Und warum sollten Sie Ihr Bekenntnis auch verhehlen? Selbst im heutigen Preußen darf man schließlich nach seiner Fasson selig werden, -- wofern man seine Freigeisterei für sich im Geheimkabinett behält.“ Wenn in der Nähe eines ländlichen Gehöftes ein Swinegel vom Kater überrascht wird, rollt er sich zur Kugel zusammen -- krallt nun der Kater nach der Kugel, so piken ihn die Swinegelstacheln in die Pfote. Auch der Amts-Igel zog sich auf seine borstige Schutzstellung zurück. Nach mißtrauischem Lauern bemerkte er gereizt: „Aber erlauben Sie mal, Herr Doktor! +Mein+ Glaube kommt hier ganz und gar nicht im Betracht! Was ich in meinem Boudoir denke -- Gedanken sind naturgemäß zollfrei! Vorausgesetzt -- und darauf kommt’s an --, daß man sie nicht ins Volk trägt! Davor muß man sich hüten! Sie protestieren? Sehen Sie -- das ist eben unsere Meinungsverschiedenheit. Sie haben Ihre Freigeisterei ins Volk getragen -- tun es grundsätzlich -- na also! Und eben diesen Mißgriff verübelt man Ihnen oben. Die Regierung steht naturgemäß auf dem Standpunkte, daß die unteren Schichten des Volkes nicht reif sind für Freigeisterei. Was versteht auch der Proletarier von Kaviar, hä? Dies Bedenken hat schon der große König gehegt -- und dem möchte ich mich auch in dieser Hinsicht anschließen!“ Ich nickte lächelnd. In der Tat, es war, wie ich vermutet hatte: Auch das Betreten seiner Waldkirche gestattet dieser aufgeklärte Despot von Fritzenwalde nur mit geschlossener Tabakspfeife. Ja, ja! So sind die Philister-Freigeister! Für sich nehmen sie die Zollfreiheit der Gedanken in Anspruch -- sie gereicht ihrer religiösen Gleichgültigkeit zum Lotterbett. Aber die Freigeisterei soll beileibe nicht ins Volk getragen werden! „Na also! Und nun wollen wir darüber unser Protokollchen aufnehmen, hä? Sie machen keinen Hehl daraus, daß Sie Atheist sind -- mündlich haben Sie das ja auch schon zugegeben, hä?“ -- Nun wurde mir die Geschichte doch zu bunt, und ich trumpfte auf: „Na hören Sie mal! Zugegeben? +Wer+ hat hier was zugegeben? +Sie+, Herr Rat, haben zugegeben!“ Er starrte mich betroffen an: „Na, da hört doch alles auf! Ich soll Sie hier vernehmen als Ihr amtlich Vorgesetzter, -- und Sie versuchen, den Spieß umzukehren? Bin +ich+ etwa hier der Atheist, oder sind +Sie+ es, hä?“ „Atheist? Ah, ich verstehe! +Das+ ist des Pudels Kern! Um +dies+ Thema also dreht sich die Vernehmung!“ Er wehrte ab und suchte mildere Saiten anzuschlagen: „Aber verehrter Herr Doktor! Veruneinigen wir uns doch nicht! Wie können Sie denn sagen, ich hätte hier was zugegeben. Auf +meinen+ Standpunkt kommt es doch gar nicht an.“ „Sie selber haben ihn geltend gemacht.“ „Na ja doch!“ begütigte er. „Aber das war unter +uns+ gesagt -- rein menschlich! Lassen wir das doch beiseite! Amtlich bin ich hier nur der Vernehmende. Und zu meiner Amtspflicht gehört das Protokoll -- ich will nur objektiv protokollieren ...“ -- „Nette Objektivität!“ -- „Ich kenne Sie nicht wieder, Herr Doktor! Sie sind sonst ein freimütiger Bekenner! Daß Sie Atheist sind, na das ist doch einfach notorisch!“ „Wenn’s notorisch ist, was soll dann noch Vernehmung und Protokoll?“ -- „Über die Vernehmung habe ich dem Provinzial-Schulkollegium zu berichten!“ -- „Berichten Sie immerzu! Aber wenn Sie protokollieren wollen, hier sei irgend etwas eingestanden worden, wie Sie sich ausdrücken -- als wären Sie hier Untersuchungsrichter -- und ich Angeklagter -- so vergessen Sie wenigstens nicht, +wer+ hier eingestanden hat!“ „Eingestanden?“ Hegel wurde blaß. „Ich doch etwa nicht?“ -- „Wer denn sonst? Haben Sie nicht gesagt, auch Sie seien im Grunde Ihres Herzens Freigeist? Ihre Kirche sei der Wald? Und schließlich noch, Auferstehung des Fleisches und so weiter seien Ammenmärchen? Wissen Sie, wenn +ich+ hier so etwas gesagt hätte, +mir+ wäre man mit Paragraph 166 gekommen!“ Das war kein Igel mehr, das war eine sich bäumende, zischelnde Viper. Er war aufgesprungen und machte heftige Armbewegungen. Es war die Wut der Angst. Doch er kämpfte sie nieder, ließ sich geknickt in seinen Sessel fallen und raunte heiser: „Sie werden mich doch nicht denunzieren wollen?“ -- „Denunzieren? Dummes Zeug! Ich denunziere nicht! Aber Sie, Sie möchten den Herren da oben helfen, mich zu verketzern.“ Ächzend wiegte der Swinegel seine Perücke hin und her: „Mein Gott ja! Das ist nun so ein stellvertretender Amtsvorsteher! Da bilden sich die mißgünstigen Herren vom Gemeinderat ein, ich lebe hier wie der große Friedrich in Sanssouci, mein Amt sei eine Sinecure. Hat sich was mit Sinecure! Die Verhältnisse hier werden immer komplizierter! Wenn ich aber eines Tages die Karre hinschmeiße -- naturgemäß, wofern das so weiter geht -- so werden die Herren vom Gemeinderat noch einsehen, +wen+ sie verloren haben. Von denen ist keiner den hiesigen Anforderungen gewachsen! Ein gewisser Herr Blechschmidt, vulgo Klempnermeister, erst gar nicht! Mein Nachfolger müßte schon ein studierter Jurist sein. Ob sie den aber kriegen? Allenfalls einen durchgefallenen Referendar! Aber der schon wird andere Ansprüche machen als ich! Und das werdet Ihr Steuerzahler merken, naturgemäß -- na wartet man!“ „Nun muß ich aber ernstlich ersuchen: zur Sache, Herr Amtsvorsteher! Was hat denn mein Fall mit Ihrer Abdankung zu tun? Wenn Ihnen das Amt verleidet ist, so legen Sie’s doch einfach nieder!“ -- „Ach, ich denke ja gar nicht daran, niederzulegen, freiwillig nicht! Aber gewisse Leute lauern drauf, daß ich mir einen Schwupper zuschulden kommen lasse.“ -- „Na, ich gehöre nicht zu denen -- von mir aus bleiben Sie ungeschoren -- keine Sorge, kein Lamento! Zur Sache endlich! Bitte, teilen Sie mir ohne Umschweife mit, worüber Sie mich vernehmen sollen! Will das Provinzial-Schulkollegium in der Tat wissen, ob ich Atheist bin? Kaum glaublich!“ „Ja -- in der Tat!“ sagte der Igel erleichtert. „Darauf kommt es an. Und nun bitte, äußern Sie sich!“ -- „So mag die Behörde doch einfach meine Schriften lesen -- oder zu mir in meine Vorträge kommen! Und wenn Sie mich schon für einen notorischen Atheisten hält, na gut -- wozu dann noch die Umstände? Atheist! Solch ein Schlagwort paßt mir überhaupt nicht, ist ja rein negativ und inhaltlos!“ Kleinlaut bemerkte mein Gegenüber: „Ich werde also schreiben, daß Sie zur Kennzeichnung Ihres Standpunktes auf Ihre Schriften verweisen, hä?“ Ich murrte weiter: „Amt Friedrichshagen ist doch kein Inquisitionsamt! Und was versteht ein Amtsvorsteher überhaupt von Theologie? Ebensowenig wie von Biologie!“ Der Igel keuchte, als ob ihn ein Schlaganfall bedrohe, und brauchte eine Weile, um sich halbwegs zu fassen. Dann ergriff er mit zittriger Hand die Feder und kritzelte die Worte, die er mir vorlas: „Der Vorgeladene verweigert die Aussage.“ -- „Na wissen Sie,“ erwiderte ich, „+dies+ Ergebnis hätten Sie rascher erzielen können -- und gemütlicher!“ Er sah mir tückisch ins Gesicht, reichte mir die eingetunkte Feder und wies die Stelle, wo ich unterschreiben sollte. Ich lehnte ab: „Bilden Sie sich etwa ein, daß ich etwas Unrichtiges unterschreiben soll?“ -- „Aber Sie verweigern doch die Aussage!“ -- „Umgekehrt, Herr Rat! +Sie+ verweigern die Aussage! Ich frage ja in +einem+ fort: Was +will+ eigentlich das Provinzial-Schulkollegium? Sie aber weichen einer deutlichen Antwort aus. Ich kann doch nicht glauben, daß diese Behörde Ihrer Mitwirkung bedarf, um meinen Atheismus festzustellen! Die Sache hängt offenbar anders zusammen. Das Schreiben des Provinzial-Schulkollegiums wird ja meine religiösen Meinungen berühren -- ich glaubs schon. Es kann aber unmöglich anordnen, daß Sie mich darüber vernehmen sollen. Machen wir die Probe, Herr Amtsvorsteher! Lassen Sie mich das Schreiben einfach lesen! Sie wollen nicht? Das ist bezeichnend, da haben wir’s! Die Untersuchung über meinen Atheismus -- das ist eine Aufgabe, die Sie +selber+ sich gestellt haben. Aus Anlaß einer Anfrage des Provinzial-Schulkollegiums. Sie möchten sich hervortun, möchten bald definitiv Amtsvorsteher sein ... Albernes Zeug! Ich gebe mich nicht her für solche Manöver!“ Da ich mich erhob, um zu gehen, klappte Hegel die Akten zusammen und schmiß sie wütend hin. In Kassandras hohlem Tone sprach er, warnend die Hand erhoben: „Passen Sie auf, Herr Doktor! Das Provinzial-Schulkollegium ist Ihre vorgesetzte Behörde -- die wird Ihnen den +Brotkorb+ höher hängen!“ -- Als ich das amtliche Haus verlassen hatte und das Vorgärtchen durchschritt, wurde mein Auge gefesselt durch die „zur Zier“ zwischen Rosen aufgestellte Spiegelkugel. Betroffen sah ich hier mein Spiegelbild ins Groteske verzerrt -- ich war kurz und breit, die Backen waren wie Buttertonnen, ich sah wie ein Nilpferd aus. Hm! Auf die Art des Sehens kommt alles an, und die ist oft putzig verschieden. Was ist Schein, was ist Sein? -- Spöttisch klang es mir in den Ohren: „Und es schuf Gott den Menschen nach seinem Ebenbilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ Ei ja, Ihr Persönlichkeits-Karikaturen! Es paßt Euch in den Kram, die eigene Kläglichkeit zu beschönigen durch den Hinweis auf das schöpferische Urbild. Dann fiel mir das Goethewort ein: „Wie einer ist, so ist sein Gott. Darum ward Gott so oft zum Spott.“ Ich dachte auch an die Geschichte vom Swinegel un sine Fru, die am andern Ende der Ackerfurche duckmäuserisch saß, ihm zum Verwechseln ähnlich. Ei natürlich! Ist der Mensch ein Swinegel, so hockt drüben im Jenseits sein Konterfei und echot herüber: „Ick bün all hier!“ In solcher Zwickmühle könnte fürwahr dem stolzen Fortschrittshasen die Puste ausgehn. Es ist nur gut, daß er vom Buxtehuder Hasen lediglich die flotten Beine hat, nicht den Dummkopf. Na und so geht’s halt doch vorwärts, oft freilich auf Hasenfüßen. Schließlich haben die Swinegel jeglicher Sorte nur noch die eine Bedeutung, daß man über sie lacht -- und das ist der Humor davon. Damit dieser Humor nicht zu bitter werde, führt der Chronist aus seinem Tagebuch von damals folgende Notiz an: Mein Spiegelbild in der Glaskugel hat mich milde gestimmt, fast demütig ... Sind wir Menschlein nicht alle Zerrbilder? Mit irdischen Augen gesehn, kommen wir einander recht zoologisch vor. Ich bin für das Provinzial-Schulkollegium ein gefährlicher Wauwau. Und der Amtsvorsteher deucht mir ein Igel. -- Mag er doch! Mag der Duckmäuser schleichen! Es ist seine Natur! Übrigens leitet ihn jener Diensteifer, der im Staatsleben, zumal in Preußen, grassiert: Es gibt Beamtenseelen, zur Unterordnung unter Vorgesetzte in einer Weise hergerichtet, daß sie die Vorschrift von oben schlechthin für höchste Pflicht halten und daneben kein eigenes Gewissen spüren. Man soll sie nicht gleich verdammen, weil ihnen Überzeugung und freie Selbstbestimmung verdächtig fremd vorkommen. Die Schnecke kann nicht dafür, daß ihr auf dem Rücken ein Gehäuse festgewachsen ist. Sie kann sich nicht vorstellen, wie man ohne solchen Käfig lebt. Putziger Igel! Erhaben dünkst du dich über die Sünder wider den heiligen Amtsgeist -- brächtest sie gern hinter Schloß und Riegel. Und ahnst nicht, daß du selber in einem Gefängnis steckst: in der Enge deines Banausentums. Der innere Feind Seltsames Summen, melodisch: eine Glocke. Hallt sie aus der Wassertiefe? Liegt im See ein Kloster versunken? Von Rahnsdorf her kommt das Geläute, sanft gleitend über den Wasserspiegel. Vielleicht tragen sie drüben einen Toten zu Grabe -- oder sie hochzeiten ... Rahnsdorf, trautes Wassernest! Im Geiste seh ich deine niedrigen Häuschen ums alte Kirchlein. Buchsbaumgärtchen mit Wacholder und Flieder, an den Fenstern der Wohnstübchen rote Geranienblüten. Rohrgedeckte Ställe und Gerümpel. Ziegen auf einem Rasenfleck. Misthaufen mit scharrenden Hühnern. Bunte Enten auf der strömenden Spree. Die alte Kneipe am Wasser, wo gern die Ruderer einkehren. Tische mit Weißbiernäpfen. Dorfjungen angeln bei bunt bemalten Kähnen. Über Stangen sind Fischernetze gebreitet. Eine Zille streift vorüber, schön wölbt sich das Segel, die Schiffersfrau steuert, neben sich einen kläffenden Spitz. Über die Sumpfwiesen, die weithin das Dorf umlagern, weben sich Dünste. Wie Hexen kauern knorrige, struppige Weiden. In den Schilfwildnissen unermüdlich schwatzende Rohrsperlinge. Aus dunklen Binsen gleitet ein weißer Schwan. So ungefähr hatte ich einem Gaste, der mit mir spazieren ging, Rahnsdorf geschildert, es aus der Ferne betrachtend, vom Forsthaus Müggelsee. Hier bietet sich ein besonders hübscher Blick auf das Dörfchen. Man sieht allerdings kaum mehr als den Kirchturm hinter dem Röhrichtgürtel des Seeufers hervorlugen. Doch gerade dies Ferne, Verhüllte hat einen eigenen Reiz: Rührend unschuldig sieht das Dorf aus, -- und ich fühlte es meinem Gaste nach, wie er, ein passionierter Schwärmer und Seelsorger, ehemals Pfarrer in der Schweiz, die Arme breitete und trunkenen Blickes meinte: „Da möcht ich Pfarrer sein!“ Mit seinem Pathos sprachs der Hüne, andächtig den Kalabreser vom Lockenhaupt gezogen. Bühnenhaft klängen seine Worte, wären sie nicht aus einer echten Schwyzerkehle gekommen. „Kein übler Wunsch,“ gab ich zur Antwort, „und doch muß ich lächeln. Sie Sohn der himmelstürmenden Alpen möchten hier Pfarrer sein? In der norddeutschen Ebene, in einem Sumpfneste der Mark? Die Rahnsdorfer Mücken haben Sie noch nicht genossen -- und das saure Weißbier -- und die rasseechten Söhne der alten wendischen Wasserräuber.“ -- „Halloh! Was haben Ihnen die urwüchsigen Rahnsdorfer getan?“ „Mir nicht das mindeste. Ich lache über die Geschichte. Aber mein Freund Bartels hat nicht gelacht, als sie ihm passiert ist.“ -- „Erzählen Sie!“ „Bartels, ein passionierter Ruderer, schlägt auf der stürmischen Müggel um, nicht weit von Rahnsdorf. Da er sich bei dem Wellengange in Kleidern nicht auf Schwimmen verlassen mag, kriecht er auf das kieloben treibende Boot -- da sitzt er rittlings, pudelnaß im Novemberwetter, bebbert und ruft um Hilfe. Am Ufer stehn Rahnsdorfer -- haben Kähne -- doch die Hände in den Hosentaschen, sehen sie der Not meines Freundes zu.“ -- „Wie? Ohne zu helfen? Ihr Freund wurde doch gerettet?“ „Von einem Dampfer -- nicht von Ihren urwüchsigen Naturkindern.“ -- „Schwefelbande!“ „So sagten auch die Leute, denen mein Freund die Geschichte erzählte. Ein paar Tage später war’s, auf der Eisenbahn -- und eben hatten sich die Zuhörer entrüstet, als aus der benachbarten Wagenabteilung ein Bursche erschien, dunkelrot vor Zorn: „Sie wollen uns Rahnsdorfer schlecht machen? Na warten Se, Männeken! Ihnen werden wir det besorjen! Ick war dabei, wie Sie um Hilfe brillten. Ja woll, Herrschaften! Un wenn Se ooch schimpfen -- wat wissen denn Sie! Und wir Rahnsdorfer duhn +doch+, wat ma wollen. Die Baliner valangen, det wir ihnen retten sollen, wenn se uff unsre Müjjel rumjondeln -- un nischt von’t Jondeln vastehn! Zus Retten is unsereens jut jenuch! Un wahaftijen Jott, manche Jroßschnouze hatte schon feste Wasser jeschluckt, da hammer ihr rausjeholt! Aber nu frag ick: Wat hammer ’n davon jehatt? Nich eenen Dahler! Sehn Se, Herrschaften, so sinn die duslijen Wasserfexe aus Balin -- ihre olle Jondel schmeißen se um, un wir sollen nu Retter sind -- un unsre Sonntagsbuxen naß machen! Aber Drinkjeld? nich in de Hand!“ -- „Gemütsmenschen!“ lachte der Altpfarrer, mit dem Finger drohend: „Jetzt erst recht: Da möcht ich Pfarrer sein!“ Und ich mit einem respektvollen Blick auf seine bärenhafte Tatze: „Den Rahnsdorfern wäre solch ein Seelsorger ja zu gönnen -- aber deshalb brauchen Sie nicht gerade in jenes Rohrnest zu kriechen. Die Rahnsdorfer sind ja kein außergewöhnliches Völkchen -- mit Rahnsdorfern, wie jener Bursch einer war, ist das Erdenrund bevölkert -- und im deutschem Vaterlande haben wir deren sattsam: Das Drinkjeld regiert unsere frumbe Christenheit. Kein Wunder. Wird sie doch dressiert von Kindesbeinen an, einen Platz zu ergattern an der himmlischen Freudentafel.“ -- Mit einem ernsten Blicke nickte der Altpfarrer: „Sonder Zwyfel! Und als junger Theolog hab ich selber dieser Lohnsucht Vorschub geleistet -- meine Konfirmanden haben an den himmlischen Papa geglaubt, der in einer Hand die Zuckerdüte, in der andern die höllische Rute hält. Wenn ich persönlich auch anders dachte, so war ich doch befangen vom Geschwätz der Amtsbrüder. Die Religion Goethes, hieß es, sei bloß für die Gebildeten, das gemeine Volk bedürfe eines gröberen Glaubens, um in Zucht zu bleiben. Was diesen Christen fehlt, ist der Glaube an den Menschensohn, will sagen an die Menschenwürde. Man glaubt, nur +einen+ göttlichen Menschen habe es gegeben, damit basta! Drum betrachtet die herrische Richtung -- in der Religion wie in der Politik -- das Volk als armselige Proles. Das Volk wiederum glaubt +auch+ zu wenig an Menschenwürde. Ließe sich sonst nicht so viel gefallen. Jetzt wieder die Zustände in eurem Preußen! Dies Ministerium mit seinem Volksschulgesetzentwurf! Den Pfaffen möcht es die Jugend, unsere Zukunft, ausliefern. Sie wissen doch, Kollege Wille, daß dies politische Ereignis mich nach Berlin gezogen und mit Ihnen bekannt gemacht hat? Ich will die Bewegung studieren, durch die sich das preußische Volk gegen die einbrechende Reaktion wehrt. Nächsten Mittwoch besuch ich Ihren freireligiösen Jugendunterricht in der Rosenthalerstraße, gelt?“ „Die Kinder sind bereits gespannt auf Sie. Um so mehr, als uns vor drei Wochen eine wunderliche Geschichte passiert ist. Sie kennzeichnet die preußischen Zustände -- geht übrigens auch Sie persönlich an. Sie haben nämlich einen Doppelgänger in Berlin. Er war neulich im freireligiösen Unterricht und ist für Sie gehalten worden. Vor drei Wochen bereits hatten Sie sich brieflich bei mir angemeldet -- Sie erinnern sich ...“ -- „Ja, mir kam damals was dazwischen, meine Fahrt nach Berlin verzögerte sich.“ -- „Jedenfalls erwartete ich Sie schon damals und hatte meinen freireligiösen Zöglingen bei Beginn des Unterrichts gesagt: Heute kriegen wir Besuch, Herr Pfarrer Konrad kommt aus der Schweiz, um zu hören, was Ihr gelernt habt. Nun macht der Gemeinde Ehre! Antwortet besonnen, wenn Ihr gefragt werdet. Sobald der Besucher eintritt, erhebt sich die ganze Klasse artig von den Plätzen. Ebenso, wenn er geht. Verstanden, Kinder? Ein kleines Mädchen lächelte und scheint eine Frage auf dem Herzen zu haben. Na, Emma? Da meinte sie: Wie sieht denn der Herr aus? Ich antwortete: Gesehen habe ich ihn selber noch nicht -- bloß aus Briefen kennen wir uns. Aber er soll ein guter Mann sein, und das ist die Hauptsache. -- Die Kinder waren natürlich sehr gespannt, ich merkte das an der Unachtsamkeit und dem ewigen Getuschel. Auf einmal horch, sie stutzen, draußen nähern sich Schritte der Tür, sie geht auf -- und prompt erhebt sich die Klasse. Herein tritt ein großer, starker Herr, und ich denke natürlich, Sie sind das. Überdies glaubte ich bei der Begrüßung deutlich zu hören: Mein Name ist Konrad! -- Die Kinder erwarten Sie schon -- sage ich -- und wir alle freuen uns, daß Sie gekommen sind, nicht wahr, Kinder? Einstimmiges Ja! -- Ihr Doppelgänger wird verlegen. Ich biete ihm einen Stuhl -- er lehnt ab. Etwas schüchtern scheint dieser Konrad zu sein! Und sieht doch so militärisch aus! -- Wissen Sie, fahre ich fort, eigentlich sieht man Ihnen gar nicht den Schweizer an! -- Der Mann stammelt: Woher wissen Sie, daß ich Schweizer war? -- Sie +waren+ es? Haben Sie sich naturalisieren lassen? -- Immer verwirrter wird der Mann: Ich bin allerdings mal Schweizer gewesen! Haben wir uns damals vielleicht gesehen? In Pommern, auf dem Rittergute Altfinow -- aber das war schon vor meiner Militärzeit. -- Ei, was ist das? Schweizer auf einem pommerschen Rittergut? Das wäre ja ein Kuh-Schweizer! Birgt dieser Konrad hinter seinem hölzernen Wesen Eulenspiegelei? Oder liegt hier eine Personen-Verwechselung vor? Von vornherein kam es mir nicht recht geheuer vor, daß der Altpfarrer aus der Schweiz nach preußischem Unteroffizier aussah. Nun fällt mir noch auf, daß er Kommißstiefel trägt; an ihnen konnte man damals den Polizeispitzel erkennen. -- Wie? bemerke ich argwöhnisch, sagten Sie nicht, Ihr Name wäre Konrad? -- Da antwortet der Mann: Nein, Grunert! -- Ah Grunert! (in der freireligiösen Gemeinde gab es ein Mitglied dieses Namens). Ach, Sie sind Herr Grunert! Und wollen wohl Ihr Kind zum Jugendunterricht anmelden? -- Nun, aber raten Sie, Kollege, was der Kerl entgegnet: Ich komme vom Königlichen Polizeipräsidium! Ich soll anfragen, ob Sie einen Unterrichts-Erlaubnis-Schein haben -- dann möchten Sie den auf Zimmer sechsensiebzig bringen! -- Stellen Sie sich mein Staunen vor, Kollege! Ich hatte geglaubt, +Sie+ seien es, und nun auf einmal ist es ein +Polizeimensch+! Und verlangt von mir einen Unterrichts-Erlaubnis-Schein! Ich wußte nicht mal, was das für’n Dings ist. Dachte zunächst an ein Universitätsdiplom und entgegnete: Wenn ich nicht die Befugnis hätte, hier zu unterrichten, würde ich es nicht tun! Sagen Sie das Ihrem Vorgesetzten! Der Polizei irgendwelche Nachweise darüber beizubringen, bin ich nicht verpflichtet. -- Der Mann zuckt die Achseln, steht ein Weilchen unschlüssig -- und verabschiedet sich mit den Worten: Also nich wahr, Ihren Erlaubnisschein! Präsidium Zimmer sechsensiebzig! -- Die Verlegenheit des Mannes trat besonders hervor, als bei seinem Hinausgehen die Kinder sich abermals von den Plätzen erhoben.“ „Haha! Dieser Doppelgänger ist nicht schmeichelhaft für mich; doch besteht seine ganze Ähnlichkeit mit mir darin, daß er dort erschien, wo ich erwartet wurde. Schweizer -- nun ja, das war er auch; aber Schweizer von der Art dieses abgehalfterten Kuhschweizers, der nun auf den Pfaden der Reaktion den inneren Feind beschleicht, spielen in meinem Vaterlande keine Rolle. Bei euch, ihr Preußen mit eurer stolzen Schneidigkeit, mengt sich die Polizei in alles -- der Kasernengeist dringt in die Religion.“ -- „Widersprechen kann ich leider kaum; doch, mein biederer Eidgenosse, Kantönlifreiheit ist +auch+ nicht das Höchste.“ Lächelnd setzte der Altpfarrer seinen antipreußischen Gedankengang fort: „Wissen Sie, wer der innere Feind ist? Ein Berliner Leutnant hat in der Instruktionsstunde seine Rekruten pflichtschuldigst vor dem inneren Feind gewarnt. Die ausgebildeten Soldaten sollen dem Regimentskommandeur vorgestellt werden, und der Leutnant will ein Paradestückli vorbringen. Wie teilt man den Feind ein? fragt er, und die Antwort erfolgt prompt: In den äußeren Feind und den inneren Feind! -- Schön! sagt der Oberst. Aber Kinder, wißt ihr denn auch, wer das ist, der äußere Feind? -- Das ist der Russ’! -- Na meinetwegen, sagt der Oberst, der könnt’ es ja mal sein! Aber nun die Hauptsache: Wer ist der innere Feind? Das wißt ihr nicht? Na, ich werde euch darauf bringen: Der innere Feind muß einer sein, der in Deutschland wohnt. -- Eisiges Schweigen, alle Lippen wie verrammelt. Ein Kerl schaut unternehmend drein, ein Pfälzer oder Wackes oder so einer aus der Gegend da. Nun, mein Sohn? -- Der politische Rekrut antwortet zuversichtlich: Der innere Feind, das ist der Preuß!“ „In gewissem Sinne stimmt das, Kollege Konrad! Nur steckt diese Art Preußentum auch in anderen Ländern. Jeder Mensch hat was davon in sich; es ist der Kasernengeist, die Sucht, zu kommandieren, zu reglementieren. Besonders heillos ist der innere Feind auf religiösem Gebiete, wo doch alles auf Freiwilligkeit ankommt, auf Entfaltung der Menschlichkeit. Der wahre Kulturkampf muß im Innern ausgefochten werden. Da, Kultursoldat, ist dein Posten, da exerziere und ringe, da sei dein Siegesfeld! Siegen wirst du nur, wenn du glaubst an den freien Menschensohn in dir, wenn du aufhörst kleinmütig zu sein; sonst geht aller Fortschritt den duckmäuserischen Schneckengang. Sehen wir doch die Militärsoldaten an, die auf den Feind dressiert sind. Im Kriege mordet das einander, ohne daß einer dem andern vorher was getan hat. Dabei gibt alle Welt zu, friedliche Verständigung wäre wahre Kultur. Nun also, warum +erfolgt+ denn keine Verständigung? Weil man sich nicht +getraut+, dem bessern Selbst zu folgen. Ich +muß+ schießen, denkt der Soldat -- sonst +werde ich+ totgeschossen. Ja, wenn die +anderen+ zur Besinnung kämen, wenn sie, mir voran, zur Friedfertigkeit übergingen! Aber man kann sich nicht auf die anderen verlassen. -- Glaub’s schon! Doch +warum+ kann man das nicht? Weil man sie hinter demselben Strauche sucht, wo man selber gesessen. An +ihre+ Kraft zum bessern Selbst glaubt man einfach deshalb nicht, weil man nicht an die +eigne+ glaubt. Wer sich +selber+ nicht ernst nimmt, wie kann der +andere+ ernst nehmen! Der kleinmütige Philister hört auf die Stimme der Wahrheit nicht anders, als ob da ein Pastor schöne +Redensarten+ drechsele. Die Gemeinde findet die Predigt wieder mal sehr schön -- man ist aber schließlich froh, wenn man die Erbauung wie den Sonntagsrock ausziehen kann, um dann gemütlich in Hemdsärmeln zu sitzen. Und also, lieber Kollege von der freien Andacht, worauf es ankommt: man muß den Philister abstreifen, diesen Angstmeier und Krämer, diesen ungläubigen Thomas, der nicht vertraut seinem Heiland Menschenwürde!“ Brotkorb und Maulkorb „Den Brotkorb höher hängen!“ Niederträchtig echote durch meinen Sinn dies Swinegelwort. Aus der Angabe, ich sei Sprecher der Freireligiösen Gemeinde, mochte er sich die Vorstellung gebildet haben, ich sei so was wie ein geistlicher Hirt mit einer Pfründe -- oder wie ein Prolet des Lehramts -- werde also hündisch den Maulkorb hinnehmen, sobald eine strenge Behörde den Brotkorb zu entfernen drohe. Brotkorb! Das Gehältchen, das die Freireligiöse Gemeinde aus den Beiträgen ihrer Anhänger zusammenbrachte, sorgte in der Tat für meinen Brotkorb -- und zwar so reichlich, daß die ganze Familie, selbst unter dem Beistande aller Freunde und Gäste, nicht imstande gewesen wäre, all das freireligiöse Brot zu vertilgen. Aber der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern hat gern noch etwas Butter dazu, Fleisch, Gemüse, Obst. Übrigens muß er Miete bezahlen, Schneider- und Schuster-Rechnungen. Genug, eine Schmälerung des Einkommens hätte mir das Gesicht allerdings etwas ins Säuerliche verzogen, das ist menschlich. Damals, als neugebackener Ehemann, hatte ich noch keine Rücklage zusammengehamstert und glaubte mich abgefunden zu haben mit der humorigen Lebensweisheit: Wer nix erheirat’ und nix ererbt, Der bleibt ’n arm’s Luder, bis er sterbt. Immerhin muß ich als gewissenhafter Chronist bekennen, daß der freireligiöse Sprecher außer seinem Sprechorgan noch Feder und Tinte besaß, und daß dies Handwerkszeug allenfalls langte für Butter und Braten, sogar für eine Flasche Wein zu festlicher Gelegenheit. Bekennen muß ich ferner, daß die Andeutung, ich hätte „nix erheirat’“ einer bedeutungsvollen Einschränkung bedarf. Ich mache sie ausdrücklich geltend -- nicht etwa bloß um die Gefühle meiner Frau zu schonen, die mir wiederholt unter die Nase rieb: „Die Frau Deines Freundes Bartels hat bei ihrer Hochzeit nichts gehabt als ein Kopfkissen und ein Sektglas -- wenn man das altväterliche Spitzglas, das überdies einen Sprung hatte, überhaupt so bezeichnen will -- Deine Frau aber hat außer prächtigen Betten und Tafelgeschirren allen möglichen Hausrat in die Ehe gebracht, so daß wir bei der Wohnungseinrichtung fast gar keine Kosten hatten.“ -- Das stimmt! und ist eine Sache von solcher Wichtigkeit, daß sie diese Chronik erst möglich gemacht hat. Wäre unser damaliger Hausrat +nicht+ in die Ehe gebracht worden von meiner -- auch in dieser Hinsicht -- besseren Hälfte, so wäre mein kurios lehrreiches Gefängnis zum Preußischen Adler gar nicht zustande gekommen. Wieso? Das wird sich bald deutlich enthüllen. Der Brotkorb ist insofern ein Ausgangspunkt der Geschichte, als ich längere Zeit nach meiner Vernehmung durch den Amtsvorsteher -- im traurigen Monat November war’s -- ein Schreiben bekam, das schon äußerlich anzeigte, nun erfülle sich des Igels Kassandrawort. Auf dem blauen Papiersiegel sah man den stolzen Adler Preußens nebst der Umschrift: Königliches Provinzial-Schulkollegium Berlin. Der Amtsbrief, bis auf den wirr gekritzelten Namenszug des Dezernenten von musterhafter Handschrift und echtem Lumpenpapier, verfügte klipp und klar, es sei mir hinfüro verboten, die freireligiösen Kinder zu unterrichten. Ein konzessionspflichtiger Unterricht sei meine freireligiöse Jugendunterweisung. Um etwaigen Flausen meinerseits zuvor zu kommen, wurde mir schlechtweg „jede derartige Tätigkeit“ bei Strafe verboten und „für jeden Übertretungsfall eine Exekutivstrafe von hundert Mark, im Unvermögensfalle zehn Tagen Haft“ angedroht. Ich fragte natürlich: Oho, wieso? mit welchem Recht? -- Es fehlte in der Verfügung ein Hinweis auf Gesetzesparagraphen, es war einfach geltend gemacht, ich habe nicht „die erforderliche Konzession zu unterrichtlicher Tätigkeit“. -- Konzession? Bei Hinstarren auf dies Wort machte ich, nach Aussage meiner Frau, jedesmal ein ratlos steinernes Gesicht. Was für eine Konzession vermißte man an mir? Ich hatte wohl von einer Schankkonzession gehört. Doch was ging die mich an! Ich war ja kein Budiker! Oder hielt man die freireligiösen Ideen für Destillenschnäpse? Was tun? Natürlich mußte ich mich mit meinen Gesinnungsfreunden beraten. Schickte also die Verfügung an den Vorsitzenden der Freireligiösen Gemeinde zu Berlin und wurde sofort zu einer Vorstands-Sitzung geladen. Diese fand in einem Nebenraume unseres Versammlungssaals statt, den wir von einem Gastwirt der Rosenthalerstraße gemietet hatten. Da sah ich unsere erwählten Führer um den Wirtshaustisch sitzen und noch ein paar Rechtsanwälte, die man bei der Wichtigkeit des Falles hinzugezogen hatte. Der ehemalige Apotheker Friederici -- ein Mann von seltener Hingabe und Pflichttreue, der bis zu seinem Tode, drei Jahrzehnte hindurch, die Gemeinde geführt hat -- leitete die Beratung, und was er vorbrachte, fand Beifall bei den grauköpfigen wie bei den heißspornigen Matadoren. Als unser Bollwerk betrachteten wir das allgemeine Gesetz und Recht. Natürlich versagte das vielgepriesene Deutsche Reich, wie so oft, auch hier gegenüber dem Sonderwillen Preußens. Doch selbst in diesem klassischen Lande der Bürokratie hatte die Verfassung nicht umhin gekonnt, in ihrem Artikel zwölf die Freiheit der Religionsübung zu gewährleisten, und schon das Allgemeine Landrecht hatte als Befugnis der geduldeten Religionsgesellschaften „die Ausübung der ihren Religionsgrundsätzen gemäßen Gebräuche“ bezeichnet. Zu den geduldeten Religionsgesellschaften aber gehörte die Freireligiöse Gemeinde -- zu deren Gebräuchen die freireligiöse „Jugendfeier“ oder Konfirmation, sowie die unentbehrliche Vorbereitung darauf in Form eines Konfirmandenunterrichts. Diese freireligiöse Tätigkeit war seit dem Bestehen der Gemeinde unbeanstandet von ihren Sprechern ausgeübt worden, unter den Augen der Regierung, die doch stets mißgünstig blickten -- ohne daß man in dem Zeitraum von einem halben Jahrhundert eine besondere Konzession von den freireligiösen Sprechern gefordert hatte. Und nun auf einmal -- --! „Was heißt denn Unterrichts-Konzession?“ brauste ich auf. „Genügt nicht meine Universitätsbildung? mein Studium der Theologie und der Philosophie? Genügt nicht mein Doktordiplom, um zu beglaubigen, daß ich fähig bin, die Jugend einzuführen in den Anschauungskreis der Freireligiösen Gemeinde? Und wenn ich der Aufforderung jenes Polizeibeamten, den ich für den Schwyzer Pfarrer Konrad gehalten, entsprechen und auf dem Polizeipräsidium einen Unterrichts-Erlaubnisschein nachsuchen würde, was wäre die Folge? Spöttisch würde man mir eröffnen, daß ich keinen Erlaubnis-Schein kriege -- und würde dann auch noch geltend machen: Durch Ihr Gesuch haben Sie selber zugegeben, daß Sie einer besonderen Erlaubnis bedürfen! -- Was tun? Eine Konzession nachsuchen? Lieber nicht! -- Nachgeben? Auf keinen Fall! Mit unsrer Jugendunterweisung würde man dem freireligiösen Baume die Wurzelfäden nehmen, er müßte verdorren!“ -- Düster nickten alle Führerköpfe, dann schlug auf den Beratungstisch eine geballte Faust: „Trotzen! Weiter unterrichten! Es bis zum Äußersten kommen lassen! Zum Schutze aber das Gericht anrufen!“ -- „O freilich!“ rief ich entschlossen -- „an mir soll’s nicht fehlen! Ich unterrichte ruhig weiter! Bleibt dem Provinzial-Schulkollegium nichts übrig, als mich einsperren zu lassen.“ „Von wem denn aber? möcht ich wissen,“ eiferte Friederici -- „kein Gericht nimmt Sie in Haft, wenn Sie nicht richterlich dazu verurteilt sind.“ -- „Um so besser! So mag die Schulbehörde nach Belieben drohen -- und mag Strafen verhängen, so viel sie Lust hat -- was tut’s, wenn sich kein Vollstrecker findet, kein Gerichtsvollzieher ... Übrigens, der soll nur kommen! Mit leeren Händen muß er wieder abziehn!“ -- „Wieso das?“ -- „Weil er nichts finden wird, was mein ist! Das Mobiliar ist von meiner Frau in die Ehe gebracht, und da wir nach märkischem Rechte geheiratet haben, besteht keine Gütergemeinschaft.“ Während die anderen pfiffig Beifall lächelten, meinte Friederici in seiner polternden Weise: „Ach was, Gerichtsvollzieher! Unsinn! Der hat in Ihrem Falle gar nichts zu schaffen -- es liegt ja kein Richterspruch gegen Sie vor!“ -- „Gut also! Es wird weiter unterrichtet! Festhalten! Immer fest!“ Aufgeregt erhob man sich von den Plätzen, in ein freies Durcheinander war die Beratung aufgelöst. Und dann saß ich in der polternden Eisenbahn. Draußen auf der Wuhlheide lag dunstig die Novembernacht. Im Finstern lauerte und tappte etwas Unheimliches: Eine Tatze, die mir mit einem Maulkorbe zum Munde fahren wollte. Aber warte nur, täppisches Ungeheuer, -- ob dir nicht Löweneckerchen entwischt und spöttisch eins pfeift! Steht Wahrheit bei Und rühmt sie frei, Laßt euch das Maul nicht binden! Es hang ihr an Jedweder Mann, Und keiner bleib dahinten! Daß diese Trutzweise in der rohen Zeit des dreißigjährigen Krieges erschallen konnte, verdient allen Respekt. Im neunzehnten Jahrhundert kam eine andere Losung auf -- in der Residenz Preußens sang man: Wer die Wahrheit kennet und saget sie frei, Der kommt zu Berlin in die Hausvogtei! Milderung des Sittenklimas Als jemand den wohltätigen Einfluß der christlichen Mission auf die Wilden pries, wandte ein Zweifler ein: „Fressen sie denn keine Menschen mehr?“ -- „Das freilich noch immer, aber schon mit Messer und Gabel.“ In der Tat, mit der Zivilisation ist es vorwärts gegangen -- nur darf man fragen: in welcher Hinsicht vorwärts? Nach der Meinung eines Geschichtsphilosophen beschränken sich die Fortschritte auf das intellektuelle Gebiet, während die Sittlichkeit seit Jahrhunderten kaum besser geworden sei. Was mich betrifft, so bin ich versucht, die These umzukehren und -- wenigstens als Chronist gut preußischer Verhältnisse -- zu bezeugen, daß in unserm braven Staate die Sitten angenehmer geworden sind, während die Geistreichigkeit noch viel zu wünschen übrig läßt. Was ich meine, zeigt das Beispiel der Ketzergerichte -- wenn wir die einstigen vergleichen mit denen von jetzt. Anno eintausendsechshundert wurde auf dem Blumenmarkte zu Rom der freie Denker Giordano Bruno bei lebendigem Leibe geröstet. Der versammelten Christenheit sollte erbaulich zu Gemüte geführt werden, wie es schon auf Erden und vollends im Jenseits einem Ungläubigen ergehe. Die Ketzergerichte von heute zeigen einen entschiedenen Fortschritt -- das moderne Sittenklima ist nicht mehr so hitzig wie zur Zeit der Scheiterhaufen. Wenigstens muß ich dem Strafgericht, das ich in Friedrichshagen erlebte, geradezu liebenswürdige Formen nachrühmen. Nicht brachen in der Kastanienallee nachts gewappnete Schergen ein, mich jäh in Ketten zu werfen, wie weiland den Giordano Bruno -- sondern es klingelte bescheiden, dann erschien grüßend ein wehrloser Uniformbeamter, dem eine Brieftasche umgeschnallt war. Er zückte kein Schwert, bloß ein unschuldiges Papier, und höflich bat er mich, durch einen Zug seines Tintenstiftes den Empfang zu bescheinigen. Nachdem ich den harmlosen Wunsch erfüllt, besah ich mir das Schreiben. Wie ein blaues Auge blickte das bekannte Siegel: der Adler mit der Umschrift „Königliches Provinzial-Schulkollegium“. Ein sanfter Vorwurf sprach daraus, und schon schlug mir das Gewissen. Oh freilich, ich hatte die Schulbehörde, hatte den hohen Minister der Unterrichts-, geistlichen und Medizinal-Angelegenheiten durch bockenden Ungehorsam gekränkt. Freireligiösen Unterricht hatte ich erteilt, wohl mindestens ein dutzendmal. Kein Wunder, daß nun die Vergeltung anhub. In der Tat, da stand es schwarz auf weiß, in preußischer Kanzleischrift: „Nach Auskunft des Königlichen Polizeipräsidiums haben Sie in einer Reihe von Fällen Unterricht an Kinder von Mitgliedern der hiesigen Freireligiösen Gemeinde erteilt ...“ Die Einzelheiten der Verfügung sind nicht weiter bemerkenswert -- bis auf die Kostenrechnung: Achtmal freireligiösen Unterricht -- mehr war einstweilen nicht angekreidet -- und jeder einzelne Fall kostete einhundert Mark. Summa: achthundert Mark. Hm ja! War das nun eigentlich teuer? oder war’s billig? Da ich genau dreihundertvierunddreißig freireligiöse Zöglinge hatte, so war die Unterrichtsstunde für das einzelne Kind mit dreißig Pfennigen berechnet. Man könnte diese Einschätzung einigermaßen hoch finden und darüber erstaunt sein, daß für die preußische Obrigkeit die freireligiöse Lehre derart in die Wagschale fiel. Bedenkt man aber, daß die Unterrichtsstunde sechzig Minuten hat, und daß ich allenfalls die Fixigkeit besaß, den Kindern mindestens +eine+ freie Idee in der Minute zu versetzen, so stellte sich nach Adam Riese der Preis für eine Idee genau auf einen halben Pfennig pro Kopf. Das war denn eine Idee allenfalls schon wert ... Beiläufig: das Volk der Dichter und Denker scheint, trotz seiner Festredner auf Kant, Schiller und Goethe, die Idee für ein unsolides Spinnefädchen oder Sonnenstäubchen zu halten. Etwas Winziges, z. B. ein paar Körnlein Zucker oder Salz, nennt man in Preußisch-Schilda eine „Idee“. Ich überlegte, wie sich die dreißig Pfennig pro sechzig Ideen in der angenehmsten Form zusammenbringen ließen. Zum Beispiel so: Jedes Kind erhält, wenn es zur freireligiösen Stunde kommen will, von der Mutter einen Groschen in Papier eingewickelt. Der zweite Groschen wird den Zinsen des freireligiösen Gemeindevermögens entnommen, so daß hieraus jährlich eintausendfünfhundert Mark aufzubringen wären. Den dritten Groschen zahl ich selber; meine Feder wird schon so ergiebig sein, daß ich mir den Luxus gestatten kann, freireligiösen Unterricht zu erteilen. Aber wo bin ich Träumer? Habe ich das Geld etwa schon in der Tasche? Achthundert Mark verlangt die Behörde, und eine kurze Frist ist mir gestellt. Hm ja! Doch was geht mich überhaupt die Frist an! Und wozu die Träumerei vom Zahlungsmodus! Bin ich denn nicht entschlossen, unter +keinen+ Umständen zu berappen? Na also! Und was dann? Ein Blick ins Schreiben der Behörde bestätigte, was dann zu gewärtigen: „Im Unvermögensfalle“, wenn also das Geld von mir nicht einzutreiben ist, soll für je hundert Mark eine Haftstrafe von zehn Tagen eintreten. Das wären achtzig Tage hinter Schloß und Riegel -- zunächst mal! Und wenn ich fortfahre, zu sündigen, brumme ich mir mit jedem Einzelfalle weitere zehn Tage auf. Das gemahnt nun wirklich ein wenig an den alten Inquisitionskerker. Aber nicht doch! Der Fortschritt in den Sitten ist unverkennbar: Wie human gestaltet sich die Haft eines modernen Ketzers! Was mich betrifft, so muß mir erstens Selbstbeschäftigung vergönnt sein, zweitens ein gewisses Maß von Spazierengehen, drittens Besuchempfangen -- und so weiter. Kurz, ich werde ein beneidenswert geregeltes Leben führen, kann ohne Störung nach Herzenslust sinnieren, lesen und schreiben -- und das alles auf Staatskosten! Muß man mir doch freie Station und Kost gewähren, Heizung, Bedienung, unter Umständen sogar ärztliche Behandlung. Als Sokrates angeklagt war, die Jugend zum Unglauben verführt zu haben, meinte er in seiner Verteidigungsrede naiv, eigentlich verdiene er, öffentlich im Rathause gespeist zu werden. Sollte der stolze Traum dieses Ketzers von Athen nunmehr zu Fritzenwalde in Erfüllung gehn? Ei ja! Und da zweifelt jemand am Fortschritt der Sitten? Solch eine Haftstrafe bedeutet geradezu eine Sinekure, ähnlich dem behaglichen Dasein in einem wohltätigen Altersheim. Wunderschön wird in der stillen Zelle meine Schriftstellerei vonstatten gehn. Was den freireligiösen Unterricht betrifft, so kann ich ihn ja während der +Pausen+ meiner Haft erteilen -- und dabei mein Leben in beneidenswert idealer Weise gestalten. Etwa folgendermaßen: zunächst zehn Tage Haft, besser gesagt: Stiftler-Dasein. Dann geht’s auf vier Tage in die Welt -- den ersten widme ich dem freireligiösen Unterricht; ferner habe ich drei Tage Ferien, kann mich meiner Frau widmen, kann die holden Einsamkeiten der Mark belauschen oder den Rucksack mal über den Kamm des Riesengebirgs schleppen. Durch den neuerteilten Unterricht habe ich für zehn +weitere+ Tage Haft gesorgt und trete diese gern an. Nach ihrer „Verbüßung“, oder richtiger: nach ihrem Genuß, kehre ich abermals in die Welt zurück und -- befolge dasselbe weise Programm. So fließen meine Tage dahin, in einem Turnus von vierzehn Tagen -- ebenmäßig wie der wechselnde Mond, wie Ebbe und Flut, wie die Lebensmusik der Pythagoräer. Die olle Konservenkiste Ein Luftschloß vom idealen Sträflingsleben zerflatterte, als die Wirklichkeit rauh dazwischenfuhr. Wirbel entstehen, wo Bewegungen widereinander prallen. Es gibt Windhosen, Wasser- und Staubhosen. Man könnte sogar von „Ideenhosen“ sprechen, wo nämlich entgegengesetzte Ideen im Ringkampfe herumwirbeln. Auf der Bühne meines Innenlebens spielte sich ein Drama ab, das meine Ideenwelt heftig mit den obrigkeitlichen Verfügungen aneinander brachte: eine Ideenhose. Träume sind nicht immer bloß Schäume. Ein Freund von mir hat mal gesagt, das verständige Denken gehöre zur Oberfläche des Menschen, der wertvolle Kern sei „der Weise im Innern“. Heimliche Weisheit waltet manchmal in Träumen, die der Verstand für albern hält. Hier solch ein Traum. Doch ich muß zuerst berichten, unter welchen Umständen der Traum zustande kam. Nach dem Verbot meines freireligiösen Unterrichts wollte ich herausbringen, ob man gegen mich bloß deshalb vorgegangen war, weil ich eine vorgeschriebene Form nicht erfüllt, nämlich keine Unterrichtskonzession eingeholt hatte, oder ob das Kultusministerium diesen Umstand lediglich zum Vorwand nehme, um die freireligiöse Jugendunterweisung lahm zu legen. Zur Probe sollte meine nun regelrechte Bewerbung um einen Erlaubnisschein für philosophischen Vorbereitungsunterricht dienen. Ich wollte versuchen, ob ich freireligiöse Zöglinge in die Grundbegriffe einer Welt- und Lebensanschauung einführen dürfe. Da verweigerte mir das Provinzial-Schulkollegium die Erlaubnis zum Unterricht an jugendliche Personen +überhaupt+. Es heißt in dem neuen Ukas: „Nach der Staatsministerial-Instruktion vom 1. Dezember 1839 genügt die wissenschaftliche Befähigung allein nicht, um die Erlaubnis zur Erteilung von Privatunterricht zu erlangen. Vielmehr sollen Personen, bei denen in religiöser oder politischer Beziehung Bedenken vorliegen, vom Lehrstande ferngehalten werden. Da Sie, wie die bisher gepflogenen Verhandlungen und der von Ihnen in der Freireligiösen Gemeinde gehaltene, später im Druck erschienene Vortrag ‚Das Leben ohne Gott‘ ergeben, das Dasein Gottes leugnen, auch in politischer Beziehung sich zu derjenigen Partei halten, welche den Umsturz alles Bestehenden anstrebt, so können Sie als eine zum Unterricht jugendlicher Personen qualifizierte Persönlichkeit nicht angesehen werden.“ „Ne dolle Kiste!“ hatte bei unserer Beratung ein Freireligiöser gesagt, derselbe, den man wegen eines Vortrages von beißendem Witz den „Zehn Gebote-Hoffmann“ nennt. „So ’ne richtije olle Konservenkiste! Na jewiß doch! Ich meine so ’ne Kiste, wo die Herren von’ jrünen Tisch ihren Aktenplunder konservieren, damit er späteren Jeschlechtern die Lungen verstaubt.“ Nun hatte unser Rechtsanwalt das Wort ergriffen: „Was hilft all diese Rebellion des Herzens, wo es doch schließlich auf juristische Begriffe ankommt -- vor allem auf den Standpunkt des Verwaltungsrichters! Na, und der ist kaum zweifelhaft -- in der Zeit, wo nach dem Fall des Sozialistengesetzes die Stockkonservativen krampfhafte Versuche machen, den sogenannten Umsturz auf andere Weise niederzuringen, nämlich auf administrativem Wege, der ja in Preußen gangbar ist. Die öffentliche Entrüstung fürchtet man durchaus nicht -- im Gegenteil, es gibt Leute, die möchten eine Revolte herausfordern und den Säbel mal tüchtig hauen lassen.“ -- „Wenn sich der hauende Säbel bloß nicht +ver+haut!“ hatte Hoffmann bemerkt. Und Friederici: „Na und? Wie wird nach Ihrer Meinung der Verwaltungsrichter entscheiden?“ -- „Wird sich diplomatisch aus der Klemme winden. Wird sagen, er sei hier überhaupt nicht zuständig.“ -- „Aber zum Kuckuck!“ polterte Friederici -- „leben wir denn in Rußland, wo sich die Regierung herausnehmen darf, mißliebige Untertanen auf administrativem Wege zu bestrafen? Ohne daß der Richter angerufen werden kann, wie? Wir haben doch eine Verfassung!“ -- „Das schon,“ erwiderte der Rechtsanwalt, „aber wir haben manche +Lücke+ in der Verfassung. Weil noch kein eigentliches Schulgesetz vorhanden, sieht der Verwaltungsrichter für seine Entscheidung keine andere Rechtsgrundlage, als eine Reihe von uralten Kabinettsordern und Verfügungen preußischer Kultusminister. Das ist eben die Lücke ...“ „Ach so!“ meinte Adolf Hoffmann, „und für diese Lücke soll nu Wille büßen! Echt preußische Auslegung des Wortes Lückenbüßer!“ -- Als ich, von der freireligiösen Sitzung heimgekehrt, im Bette lag, gingen mir diese Gespräche durch den Kopf -- wie im Wirbelwind Staub und Papierfetzen herumtanzen. Ich quälte mich mit Schlaflosigkeit -- gesteigert wurde meine Unruhe noch durch die Aussicht, am nächsten Vormittage einer Theaterprobe beiwohnen zu sollen. Hierzu hatte ich eigentlich keine Zeit, jedenfalls keine Sammlung. Es handelte sich um ein Stück, das in der Volksbühne, die ich gegründet hatte und als Vorsitzender leitete, zur Aufführung gelangen sollte. Lag die Regie auch in den fähigen Händen Emil Lessings, so hatten es widrige Umstände gefügt, daß ich der Generalprobe mit Bedenken entgegensah. So hatten sich auch noch Theaterwirren in die Ideenhose gemischt. Ich schloß die Augen, um den Schlaf herbeizuzwingen, hörte aber die greisenhafte Stimme eines Papageis, der dummes Zeug schwatzte. Dann sagte meine Frau: „Der dumme Vogel will durchaus mit ins Theater. Nimm ihn in deiner Hutschachtel mit!“ -- „Nicht in die Hutschachtel,“ protestierte der Vogel, „in den Souffleurkasten will Papchen.“ Die Worte genügten, um auf einmal die Szene zu verwandeln. Ich saß im Souffleurkasten des Theaters, Papchen neben mir auf der Hutschachtel. Über die Bühne polterten Kulissenschieber, und da gingen Schauspieler in Unterhosen, vom Garderobenmeister hatten sie eben ihr Kostüm erhalten. „Wo ist denn bloß das Regiebuch?“ fragte ich beunruhigt. „Ich suche immerfort -- weiß nicht mal, was für’n Stück gespielt wird.“ -- „Die olle Konservenkiste wird gespielt,“ erwiderte Papchen. -- „Da brauchen wir eine Kiste! Inspizient Lehmann! Die Kiste haben Sie bereit? Nun rasch eine Tafel zusammengebaut, grünes Tuch drüber! Der Kultusminister wird gleich erscheinen, hat mit seinen Räten eine Sitzung am grünen Tisch.“ Stutzig erwiderte der Inspizient: „Der Kultusminister? Er hat ja telephonisch abgesagt!“ -- „Ei verflucht!“ plapperte Papchen. Unwirsch ich: „Ach was telephonisch! Hat er ein Zeugnis vom Theaterarzt? Keine Drückebergerei!“ -- „Theaterarzt?“ Und der Inspizient schüttelte den Kopf: „Wissen Sie nicht aus der Zeitung, daß der Kultusminister den Kaiser nach Posen begleitet hat?“ -- „Ganz egal!“ schnauzte ich. „Ich habe meine Zeit +auch+ nicht gestohlen. Müßte eigentlich schlafen; -- aber ich bin doch zur Stelle. Sagen Sie dem Kultusminister, es gibt Abzüge von seiner Gage. Ja, aber was fangen wir nun an? Wer soll die Sitzung am grünen Tisch leiten?“ Papchen wußte Rat: „Der Ministerialdirektor muß ihn vertreten.“ Blödsinn! Doch es schrillte die Glocke, das Spiel begann. Um den grünen Tisch standen würdige Herren in etwas abgeschabten schwarzen Röcken. Sie hatten Glatzen oder graue Haare, vornehm rasierte Gesichter oder hochgesträubte Schnurrbärte, manche auch weiße Vollbärte. Die Gestalten waren teils behäbig, teils vertrocknet, teils lang, teils kurz und dick. Aus den zwanglosen Gruppen kam brockenweise ihr Geplauder. „Sein Burgunder delikat!“ -- „Zum nächsten Kegelabend pünktlicher!“ Plötzlich rief einer: „Der Olle kommt!“ Und wie Schuljungen hasteten sie auf ihre Plätze. Frei blieben zwei Armsessel an den Kopfenden der Tafel. Durch die von Lakaien aufgerissene Tür traten zwei Herren. Eine spindeldürre Gardefigur in schwarzem Gehrock, Monokel ins knochige Gesicht geklemmt, Orden im Knopfloch. Mit gezierter Höflichkeit führte er seinen Begleiter zu einem der Armsessel und stellte ihn den Beamten vor, die sich ehrerbietig verneigten. „Der Herr Hofprediger gibt uns die Ehre, unserer Sitzung beizuwohnen. Seien Sie uns willkommen, Hochwürdigster, und geruhen Sie, Platz zu nehmen.“ Über des Hofpredigers Gesicht, das bis auf zwei Reste von Backenbart rasiert war, glitt ein stolzes Lächeln ... Hier hielt ich es für angemessen, das Spiel zu unterbrechen: „Halt! Ihre Maske, Hofprediger, könnte feiner sein. Den Jesuitismus sollten Sie ein wenig mildern, dafür muß die Lutherpose deutlicher heraus. Bedenken Sie, daß Sie nicht bloß Hofprediger sind, sondern dabei auch Volksmann. Das Lächeln mehr gewinnend! Gut so! Weiter!“ -- Wie nun die Beamtenschaft am grünen Tische die Ohren spitzte, sprach der Hofprediger, die Hände gefaltet: „Geliebte in Christoph Columbus! Stützen von Thron und Altar! Die alte Schlange, die schon im Paradies die Menschen verführte -- sie erhebt wieder mal ihr Haupt, zischelt und speit Gift. Die Masse des Volkes soll unserer evangelischen Landeskirche abspenstig gemacht werden. Die roten Demagogen brauchen den Unglauben, um den Umsturz alles Bestehenden vorzubereiten. Unsern deutschen Michel, sonst ein leidlich folgsames Tier, reizen sie mit ihrem roten Lappen, daß er die Hörner senkt gegen die göttliche Weltordnung. Auf deren Trümmern möchten die Dämonen der Finsternis triumphieren. Das sind natürlich ...“ -- „Vor allem die Juden,“ plapperte Papchen, und gereizt griff der Hofprediger das Wort auf: „Ja wohl, +die+ stecken hinter jeder Rebellion! Auch hinter dem Getriebe, über das ich ein ernstes Wort mit Ihnen reden will -- ich meine die Freireligiöse Gemeinde! Und das sage ich Ihnen, meine Herren, wenn Sie nicht energisch aufräumen mit diesem glaubenslosen Gesindel, dann sollen Sie mal sehen ...“ Ein Schlag mit der flachen Hand knallte auf den grünen Tisch, so daß der Ministerialdirektor drüben zusammenfuhr und seine Beamten in sich zusammenkrochen, wie wenn eine Schnecke einen Nasenstüber bekommt und die Fühlhörner einzieht. Grimmig nickend musterte der Hofprediger die Versammlung: „Sie schweigen? Antworten Sie klipp und klar: Warum geht der ketzerische Jugendunterricht ganz gemütlich weiter? Warum lassen Sie diesen frechen Bruno Wille nicht einfach durch den Schutzmann abführen, he? Polizei ist doch zum Zugreifen da! Der Minister soll einfach verfügen! Ihre Kanzlei muß doch eine Fundgrube sein für Verordnungen, die sich zu unsern Gunsten ausnutzen lassen! Ausgraben, ausgraben! Kabinettsbefehle, Ministerialerlasse, Instruktionen von Anno Toback. Wo haben Sie denn Ihre Kiste? Warum steht die fromme Kiste nicht auf dem Tisch, he?“ Auf ein Zeichen des bestürzten Ministerialdirektors hastet der Geheime expedierende Sekretär hinaus. Bittend lächelt der Ministerialdirektor: „Die Kiste war beim Faßbinder, ein paar eiserne Reifen mußten drum! Übrigens horch, man bringt sie schon! Platz in der Mitte, Platz für unsere altpreußische Regierungskiste!“ Und mit Gepolter geht die Tür auf -- vier Leichendiener, umflorte Zylinder auf, schleppen auf einer Bahre die Kiste herbei. Wie sie auf dem grünen Tische steht, gleich einer Bundeslade, nähert sich mit der Ehrfurcht eines Altardieners der Geheime expedierende Sekretär, nimmt den Deckel behutsam ab und reicht ihn den Leichendienern. Nachdem er seinen Rock ausgezogen, krempelt er die Hemdsärmel auf und reckt hagere Arme wie eine Spinne. Die krallenartigen Finger sind mit Tinte befleckt. Eifrig greift er in die Kiste, daß Staub aufwirbelt. Schmunzelndes Nicken im Kreise der Bürokraten: „Alte feine Jahrgänge! Wie duften diese Weinchen! Je staubiger, desto adliger!“ Triumphierend hebt der Geheime expedierende Sekretär eine Urkunde heraus: „Allerhöchste Kabinettsordre vom 1. Dezember 1825!“ Alles blickt ehrerbietig. Der Ministerialdirektor: „Oha, wir haben noch ältere!“ Und der Sekretär setzt seine Wühlarbeit fort. Ein neues Dokument hält er: „Dienstinstruktion für die Provinzial-Schulkollegien vom 23. Oktober 1813 -- und hier vom gleichen Tage die Geschäftsinstruktion für die Königlichen Regierungen. Noch weiter haben wir da eine gute alte Kabinettsordre vom Jahre 1808.“ „Gleich nach der Schlacht bei Jena war das also -- wo Preußen seine Kloppe bekam, weil es aus der ollen Konservenkiste rejiert wurde.“ Ich kannte diese Stimme und war ebenso verblüfft wie die Beamtenschaft, als hinter den Leichendienern, die an der Türe harrten, in einer Gruppe von eingedrungenem Volk, Männern im Arbeitskittel, ärmlichen Frauen und Kindern, mein freireligiöser Gesinnungsgenosse Adolf Hoffmann stand. Er war’s, der die Worte gesprochen. Wie Stahl blitzten seine Blicke durch den Kneifer, die leicht ergrauende Mähne erinnerte an einen grimmen Löwen. „Zur Jeschäftsordnung!“ fährt er fort. „Hat denn nich der olle Fritze auch so’n biedern Erlaß herausjebracht? Ich meine, darin heißt es, jeder könne nach seiner Fasson selig werden. Aber den Herren vom jrünen Tisch paßt die Zeit um Jena rum besser. Daß unsere Obrigkeit auf Jahrgänge zurückjreift, die nich jrade jut beleumundet sind, ist ein Zeichen der Zeit.“ Empört eifert der lungenkräftige Hofprediger: „Was redet er von Zeichen der Zeit? Diese böse und verkehrte Art suchet ein Zeichen und soll ihr kein Zeichen gegeben werden, denn das Zeichen des Propheten Jona.“ Hohles Gelächter bei der Volksmenge, die sich durch Nachdrängende vergrößert. Und Hoffmann: „Er redet vom Propheten Jonas. Von dem berichtet die göttliche Offenbarung, er sei vom Walfisch verschlungen und nach drei Tagen lebendig ausgespien. Proste Mahlzeit! Da möcht ich mir mal die Frage erlauben, wie der Jonas denn eijentlich in den Bauch dieses Viechs jelangen konnte -- da doch der Walfisch, wie jedes Kind in der Naturkunde lernt, eine auffallend enge Speiseröhre hat.“ Der Hofprediger, nicht ohne Verwirrung: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Übrigens gibt’s einen Fisch, dessen Schlund weit genug ist, einen Menschen hinunterzuschlucken. Der Fisch, der den Jonas verschlang, war ein Haifisch!“ -- „Hoho!“ johlt die Menge, und Hoffmann triumphiert: „Haifisch! Na ich danke! Der Schlund des Haifisches is ja jespickt mit dolchscharfen Zähnen. Ehe da der arme Prophet hinunterrutschen konnte in den Haifischbauch, war er sicherlich Hackebraten!“ Hatten die Räte bisher wie versteinert gesessen, so sprangen sie jetzt auf, und aus ihrer brausenden Bewegung, die der Hofprediger mit fuchtelnden Armen noch wilder machte, kamen Rufe: „Staatsanwalt!“ -- „Des bin ich Zeuge!“ rief der Hofprediger. „Dieser Aufwiegler hat Gott gelästert! Ich nehm’s auf meinen Diensteid!“ -- „Diensteid?“ höhnte Hoffmann. „Hoho! Ich habe auch einen Diensteid geschworen. Der gilt dem Volke! So steht denn Eid gegen Eid. Mag nun der Herr Hofprediger geltend machen, +sein+ Eid sei so gut wie +mein+ Eid ...“ Wutschnaubend unterbrach ihn der andere: „Er hat gesagt +Meineid+!“ -- „Ich sage sojar +Jemeinheit+!“ ruft Hoffmann unter lustigem Beifall. „Und wenn Sie jlauben, Sie werden im Zeichen der ollen Konservenkiste siegen, denn passen Se mal auf, wie wir Ihren verschluckten Propheten herausholen aus dem Walfischbauch!“ Und seinen Künstlerkopf mit dem grauen Henriquatre keck erhoben, die Rechte drohend geballt, stampft er und singt die Wallfahrerweise: „O du pfi--pfi--pfi ... O du pfiffiger Pfaff! Deinen sau--sau--sau ... Deinen sauberen Plan Holt der hei--hei--hei ... Holt der heilige Hai ...“ Im Takte trampelt dazu die Menge. Nun tritt Hoffmann, während die Beamten scheu zurückweichen, an ihre Bundeslade und hebt wie ein Beschwörer die Hände: „Der Herr der Ratten und der Mäuse, Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse, Befiehlt dir, dich hervorzuwagen -- Incubus, Incubus! Sanktus Bürokratius!“ Und donnernd trifft sein Fußtritt die Konservenkiste. Da fährt eine Staubwolke heraus und formt sich zu einem Gespenst, ähnlich einem schlotternden Aktuarius, grauen hohlwangigen Gesichts, ein Aktenbündel unter dem Arm. Entsetzt ringt Bürokratius die Hände und flüchtet -- als aus der Volksmenge ein Haifisch hervorschießt und mit seinem roten, weißgezahnten Rachen nach dem Aktengespenst schnappt. Dieses wirbelt auf der Bühne herum, vom gierigen Hai verfolgt. Und grausam höhnisch hetzt ihn die Menge zum Schnappen: „Hackepacke hackepacke! Hacke hacke, hackepacke!“ Im Getümmel und Wirbel, zu dem die Volksmenge samt den Beamten zusammenwogt, fällt die Kiste mit den Akten um, auch der grüne Tisch. Schließlich poltern die Kulissen zusammen -- und alles ist eine einzige aufstöhnende, heulende Staub- und Ideenhose: „Huh--uiii!“ Entsetzen durchschlottert mich, Angstschweiß rinnt mir über die Stirn, ich stöhne, als drücke mich der Alb. Aber da kommt durch das schnarrende Geräusch der wirbelnden Ideenhose, wie aus der Ferne, eine beruhigende Stimme: „Bruno! Mann! träumst du? Das macht wieder mal dein spätes Nachhausekommen.“ -- „Pa--Pa--Papchen!“ bringe ich mühsam heraus -- und spüre, wie mein Vogel, der beim Tumult zu mir in den Souffleurkasten geflattert ist, mausartig in meinen aufgesperrten Mund schlüpft. „Du hast furchtbar geschnarcht! Ihr schwatzt so lange in euren Sitzungen -- dann stöhnst du nachts und träumst!“ sagt meine Frau, während ich mich auf die andere Seite lege und beruhigt seufze: „Ach ja -- geträumt!“ Draußen schüchternes Lerchenzwitschern ... -- Daß jene Kabinettsbefehle und Ministerialerlasse, die der Geheime expedierende Sekretär aus der Konservenkiste hervorgeholt, genau die Daten trugen, die ich angegeben, vermag der Chronist nicht zu behaupten. Genug, es ist urkundliche Tatsache, daß meine Gefangenschaft aus der Konservenkiste kam und auf Kabinettsbefehle und Ministerialerlasse aus den Jahren 1839, 1813 und 1808 gegründet war. Obwohl meine verbotene Jugendunterweisung mir keineswegs als konzessionspflichtiger Unterricht erschien, stellte ich sie doch in ihrer bisherigen Form ein und begnügte mich, die freireligiösen Anschauungen durch Erbauungsvorträge zu verbreiten. Da kam eine neue Verfügung vom Provinzial-Schulkollegium: „Nach Auskunft des Kgl. Polizei-Präsidiums sammeln Sie allsonntäglich vormittags die Kinder von Mitgliedern der hiesigen freireligiösen Gemeinde, halten denselben Vorträge über die Grundsätze der letzteren, lesen aus dem Lehrbuche für den Jugendunterricht freireligiöser Gemeinden einzelne Sprüche und Fabeln vor, erläutern dieselben und fordern die Kinder auf, die besprochenen Stellen zu Hause nachzulesen. Wir machen Ihnen hiermit bemerklich, daß diese Kinderversammlungen nicht etwa deswegen, weil sie Sonntags abgehalten werden, als gottesdienstliche Versammlungen angesehen werden können, da die hiesige freireligiöse Gemeinde, deren Grundsätze den Kindern gelehrt werden, infolge ihrer Gottesleugnung eine Religion nicht hat und somit Anhänger dieser Grundsätze Gottesdienst gar nicht halten können. Ihre obenbeschriebene Tätigkeit fällt daher lediglich unter den Begriff der Unterrichtserteilung, die Ihnen durch unsere Verfügung unter Strafandrohung verboten worden ist. Jede weitere Zuwiderhandlung gegen dies Verbot wird nach Maßgabe unserer Verfügung geahndet werden.“ Den Widerstand gegen solche behördliche Unterdrückungstaktik fortzusetzen, war für die freireligiöse Bewegung ein Gebot der Selbsterhaltung. Auch im Interesse des Volkes überhaupt, dessen Rechts- und Freiheitssinn bei allen Gelegenheiten belebt werden muß, schien es mir erforderlich, nicht widerstandslos die Waffen zu strecken. Deswegen hielt ich im Einverständnis mit meiner Gemeinde die Vorträge weiter. Die Folgen blieben nicht aus. Das Provinzial-Schulkollegium diktierte mir eine Strafe nach der anderen zu, und schon kam eine Summe von zweitausendvierhundert Mark oder zweihundertvierzig Tagen heraus -- abgesehen von den Strafen, die ich durch meine frühere Tätigkeit nach Art des Konfirmandenunterrichts verwirkt hatte. -- Als nach meinem Traum die Morgensonne zum offenen Kammerfenster hereinflutete und das Pfeifen der Stare, des Hühnervolkes Gackern, das Summen geschäftiger Insekten, der Säuselwind in den Apfelbäumen zu einem einzigen Jubel verschmolz -- da ließ sich „der Weise im Innern“ über meinen Traum von der ollen Konservenkiste aus: „Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern! Ihr Heuchler, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, die auswendig hübsch scheinen; aber inwendig sind sie voller Totenbein und Unflat. Den Heiland hat man in eine Konservenkiste gelegt, hat einen Stein davorgewälzt -- und da modert der Lebendige für jene, so das Engelwort nicht begreifen: Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?“ Pfändung der Habe Tolstoi hat bemerkt, ein Mensch, der Verse macht, komme ihm vor wie ein Bauer, der mit Tanzschritten hinter seinem Pfluge hergeht. Aber es gibt nun mal solche versfüßelnden Käuze, auch ich gehöre dazu. Besonders in jungen Jahren hielt ich was vom Versemachen -- kam mir vor wie ein Fischer, der aus vorbeirauschender Strömung Perlen fischen möchte. Bunt schillert’s in der Flut, eine Perle scheint dem Poeten manches, dem sein Kinderauge Verklärung leiht. „Sollen all diese Schätze verloren gehn?“ denkt er mit Wehmut. „Nein! du mußt sie festhalten -- in eine künstlerische Fassung bringen -- deinen Mitmenschen zur Erquickung darbieten!“ Mit anderen Worten: der junge Dichter hält es für heiligen Beruf, seine Verse der Unsterblichkeit zu vermachen. Sein Gedichtbuch soll eine neue Epoche der Literatur einleiten. Doch ich will mich nicht einfältiger hinstellen, als ich vor einem Vierteljahrhundert war. Immerhin hegte ich den heißen Wunsch, mich als Lyriker gedruckt zu sehen. Da ein paar Verlagsbuchhändler, mit denen ich verhandelte, nichts als kühle Bedenken vorbrachten und dann sogar das Ansinnen stellten, ich solle die Druckkosten zahlen, so wandte ich mich grollend von der ganzen Verlegersippe ab. Eine Unterhaltung hierüber hatte ich in einem Nachtcafé mit Richard Dehmel, der damals noch zu den Ungedruckten gehörte. Düster hörte er mir zu. Struppig war ihm Vollbart und Haarschopf, zergrübelt die Stirn mit der Studentenschmarre, durch den Kneifer loderte das wilde Auge: „Zum Kuckuck! Wenn man schon die Druckkosten selber tragen soll, so möchte man wenigstens dafür den Reinertrag ungeschmälert ernten. Selbstverlag ist immer noch das beste. Wenn nur die Kritiker nicht gleich mißtrauisch würden! Lesen sie auf dem Titel: Im Selbstverlage des Verfassers, Kommissionsbuchhandlung Leipzig, so denken sie: Aha! wieder so ein grüner Dilettant, der sich seine Eitelkeit etwas kosten läßt.“ Ich brütete mürrisch -- da kam mir ein Aufleuchten: „Heureka! Gründen wir einen genossenschaftlichen Selbstverlag; er soll Freie Verlagsanstalt heißen. Zur Genossenschaft werden Verfasser zugelassen, die ihre Druckkosten zahlen und natürlich einen literarischen Wert haben.“ Die Freie Verlagsanstalt wäre nicht zustande gekommen, hätte ich nicht einen Buchdrucker gekannt, der ebenso gutmütig wie rund und massiv war. Wegen seiner Statur nannten wir ihn den Elephantenwillem, wobei wir aber auch an den treuen Eifer und die Intelligenz des Elefanten dachten. Seine schwere Hand hatte der Elefantenwillem auf meine Schulter gelegt und mit einem freimütigen Blick seiner blauen Augen das Geständnis getan: „Ick schätze Ihnen, Wille -- Sie sind ’n Aas uf de Jeije -- un ick stunde Sie de Druckkosten.“ So wurde es möglich, daß ich wenige Wochen später das berauschende Erlebnis durchkostete, meine Verse für den Druck herzurichten. Eines schönen Tages kam das Paket Bücher -- da lag das Werk wie ein neugebackener Kuchen: „Einsiedler und Genosse ... Freie Verlagsanstalt, Berlin.“ Für meine Chronik kommt der vorliegende Fall insofern in Betracht, als er bei der Pfändung meines Mobiliars mitspielte. Nachdem mir die Geldstrafe seit geraumer Zeit aufgebrummt war, ohne daß ich Zahlung leistete, konnte jeden Tag das Zwangsverfahren eintreten, und ich hatte mit meiner Frau bereits überlegt, wie wir uns verhalten wollten. Es klingelte, und gleich dachten wir: „Der Exekutor!“ Es war aber mein Freund Benno Streitmüller. Sein gutmütiges Lächeln war nicht ohne Schelmerei, als er seinem Portefeuille ein Schriftstück entnahm und auf den Frühstückstisch breitete. Da las ich, daß der Elephantenwillem den Rest seiner Forderung für Druck meines Gedichtbuches an Benno abgetreten hatte. „Sieh mich an!“ sprach Benno, „ich bin jetzt dein Gläubiger -- Junge, Junge! Zahl mal sofort vierhundertachtzig Mark. Ich schicke dir sonst den Gerichtsvollzieher. Mensch, ich presse dich aus wie eine Zitrone.“ Dabei faßte er mich bei den Schultern. Meine Frau starrte ihn an, den Mund geöffnet. „Keine Witze!“ stammelte ich. Benno lächelte grausam: „Witze? Das Fell zieh ich dir über die Ohren.“ -- „Du weißt doch, daß die Wohnungseinrichtung meiner Frau gehört.“ -- „Nicht gänzlich! Zum Beispiel das Gemälde über deinem Schreibtisch ist +dein+ Eigentum. Diese köstliche Kopie des Abendmahls von Leonardo hat dir der Maler geschenkt, wie du mir mal erzählt hast. Auf dies Stück hab ich’s besonders abgesehen. Das lasse ich durch den Gerichtsvollzieher versiegeln und dazu noch die goldene Uhr, die du in Bukarest zum Andenken bekommen hast. Das Gemälde ist gut und gern zweihundert Mark wert, die Uhr ebensoviel. Den Hauptteil meiner Forderung hab ich dann sicher; sonst kommt mir das Amt Friedrichshagen zuvor und pfändet Bild und Uhr -- was du leichtsinniger Mensch wohl nicht bedacht hast -- ja ha ha!“ -- „Ich verstehe dich, Freundchen.“ Lächelnd schüttelten wir einander die Hände, und meine Frau, die jetzt begriff, meinte kopfschüttelnd: „Hätte ich je gedacht, daß Benno so grausam pfiffig ist?“ Bald nach diesem Gespräch erhielt ich richtig vom Amtsgericht Cöpenick den Befehl, vierhundertachtzig Mark an Benno Streitmüller zu zahlen. Da ich +nicht+ zahlte, kam etliche Tage später der Cöpenicker Gerichtsvollzieher zu mir, ein freundlicher alter Herr, die Amtsmütze auf dem Kopfe. Mit bedauerndem Achselzucken kündigte er an, daß er mich pfänden müsse: „Ich bitte um Ihr Portemonnaie -- und die Uhr da!“ Was er im Portemonnaie fand, war nicht der Rede wert; die Pariser Ankeruhr aber besah er mit Hochachtung. Unter den geöffneten Golddeckel klebte er ein rundes Papiersiegel und reichte mir die zugeklappte Uhr zurück. „Na, und? was kann man sonst noch kriegen? Alles nette und leidlich wertvolle Sachen! Ich darf wohl mal durch die Wohnung gehn?“ -- „Das können Sie sich sparen,“ versetzte meine Frau, „nahezu alles gehört mir -- ich hab’s mit in die Ehe gebracht, Gütergemeinschaft ist bei uns ausgeschlossen. Bloß die Uhr gehört meinem Mann -- und das Gemälde -- natürlich auch die Bibliothek -- aber die braucht er ja zu seinem Beruf.“ Der erfahrene Gerichtsvollzieher legte die Hand ans Kinn: „Glaub’s schon! Aber versiegeln muß ich doch. Es steht Ihnen frei, zu intervenieren, indem Sie den Nachweis bringen, daß die Sachen Ihr Eigentum sind.“ Er ging in den sogenannten Salon und klebte mit raschem Kunstgriff unter die Möbel und Teppiche seine blauen Papiersiegel. Schließlich nahm er ein Protokoll auf und verabschiedete sich. Bald kündigte die Flurklingel neuen Besuch an. Benno Streitmüller war’s; schalkhaft strahlten die blauen Augen des edlen Jünglings. „Eben bin ich ihm begegnet. Nun wäre ja wohl alles in Ordnung, und du bist deine letzte Habe los, Jungeken!“ -- „Blutsauger!“ deklamierte ich hohl. Er amüsierte sich über die angeklebten Papierdinger, da er sowas noch nie gesehen. „Und nun, Frau Lieschen, lassen Sie ruhig den anderen Exekutor kommen! Er findet alles bereits versiegelt. Wenn er gleichwohl glaubt, pfänden zu dürfen, so mag er sich an +Ihre+ Sachen halten. Dann los mit Ihrer Interventionsklage gegen das Amt Friedrichshagen! Das kann ja die Kosten tragen.“ Und er kicherte. -- „Aber die Sachen +sind+ doch schon alle versiegelt,“ wandte ich ein. -- „Macht nichts,“ versetzte Benno, „ich gebe sie frei, großmütig, wie ich nu mal bin. Bloß die Uhr und das Gemälde behalte ich, lasse dir aber den Gebrauch dieser beiden Stücke -- zunächst bis Ende dieses Jahres. Hier hab ich schon den Leihkontrakt. Kannst gleich unterschreiben. Wenn dann morgen jemand vom Amte pfänden will, zeig ihm den Kontrakt.“ -- „Morgen schon?“ fragte meine Frau, und Benno erwiderte: „Ich habe vor zehn Minuten den jüngsten Leutnant getroffen, gleich hinter dem Gerichtsvollzieher kam er. Na, jüngster Leutnant? hab ich gesagt, geben Sie man Herrn Rat Hegel einen Wink! sonst kommt ihm der Cöpenicker Onkel da bei Doktor Wille zuvor. Sie wissen doch? Andere Leute könnten +früher+ aufstehen als das Amt -- verstehen Sie? So sagte ich, und nun paßt mal auf, Kinder, der jüngste Leutnant erzählt die Geschichte brühwarm dem Igel, dann schickt dieser schleunigst +seinen+ Exekutor.“ Notabene: der jüngste Leutnant war ein Amtsdiener, der vor wenigen Monaten frisch vom Militär gekommen war und sich in seiner nagelneuen Uniform benahm wie ein Äh-bäh-Stutzer. Andern Tages erschien in der Tat in meiner Wohnung ein Amtsdiener, es war der olle Schäffer, der mit seinem Biedergesicht, seiner Brille und dem grauen Vollbart an meinen alten Oberlehrer erinnerte. Auch Schäffer begann seine strenge Rolle durchaus human. Er redete gut zu, ich solle auf die geforderten Strafgelder doch wenigstens eine Anzahlung machen: „Denn sehen Se, sonst muß ick Sie Ihre Möbel nehmen.“ -- „Die sind aber +mein+ Eigentum,“ entgegnete meine Frau. -- „Wenn Sie det jerichtlich nachweisen können, jut! Aber vorleifich muß ick vasiejeln.“ „Die Sachen +sind+ ja schon versiegelt,“ wandte ich ein und kehrte einen der Stühle um, so daß man das untergeklebte Siegel sah. Schäffer wurde schweigsam und schien die Schlacht bereits aufzugeben. Da entstand durch mein Verhalten eine Verwicklung. „Ich muß Ihnen allerdings gestehen, daß Herr Streitmüller, der die Sachen gestern versiegeln ließ, schon alles wieder freigegeben hat. Bloß diese Uhr und ein Gemälde hat er behalten, und darüber haben wir einen Leihkontrakt; hier ist er.“ -- „So?“ meinte Schäffer gedehnt und las das Schriftstück. „Darf ick mal de Uhr sehn?“ Ich zeigte das Siegel im Innern. „Nu bitte det Jemälde!“ Als ich vor meinem Schreibtisch auf das „Abendmahl“ wies, nicht ohne Befriedigung über die treffliche Wiedergabe des Meisterwerkes, zeigte er gar kein Interesse für die Kunst, nahm das Bild von der Wand und suchte nach dem Siegel. Doch sieh, ein Siegel war hier gar nicht vorhanden -- der Gerichtsvollzieher hatte es vergessen oder das Bild allzu gering geschätzt. Schäffer blickte spitz: „Denn muß ick det Bild +fänden+, un nu wollen wir ooch mal die übrijen Sachen untasuchen.“ Er lehnte das Bild an die Wand, und los ging ein Durchschnüffeln der ganzen Wohnung. Unter die Tische kroch er, um die Siegel zu finden. Sofa und Diwan mußte er hochkippen, weil sein Vorgänger aus Cöpenick in zarter Rücksicht seine Zettelchen +versteckt+ angebracht hatte. Ob der ungewohnten Arbeit schnaufte der ältliche Amtsdiener. Als meine Frau ihr Lachen nicht verhalten konnte, gab er weitere Bemühungen auf und begnügte sich, von den reichlich mitgebrachten Siegeln des Amtes Friedrichshagen eins hinten auf das Bild zu kleben. Nachdem er sein Protokoll aufgenommen, verabschiedete er sich kühl und ergriff das Bild. Ich protestierte: „Sie haben kein Recht, zu nehmen, was nicht mir gehört, sondern Herrn Streitmüller.“ Und Schäffer: „Wenn Herr Streitmüller anfechten will, so ist det eene Jerichtssache zwischen ihn un det Amt Friedrichshagen.“ Resolut setzte er die Amtsmütze auf und zog mit dem Bilde ab. Ich hatte Mühe, unsern Terrier Schuftel, der ein Vorurteil gegen Uniform-Menschen hatte, von Angriffen auf die Staatsgewalt zurückzuhalten. Als ich den Köter eingesperrt hatte, vernahm ich einen Wortwechsel auf dem Hofe: unsere treue Schaffnerin Frau Pape redete auf den Amtsdiener ein. Aus dem Fenster beobachtete ich, wie sie ihm ein Paar olle Stiebel hinhielt und spöttisch antrug, auch die mitzunehmen. Keine halbe Stunde nach diesem Auftritt, und Schuftel, den ich wieder freigelassen, verriet durch Straßengekläff, daß er abermals Händel habe. Die scheltende Menschenstimme gehörte dem Amtsdiener Schäffer. Mit raschem Griff hatte ich den Teppichklopfer, der mir gerade in die Quere kam, und eilte die Treppe hinab. Fürchterlich anzusehen, wie der Amtsdiener sich des Hundes erwehrte. Mit seinen glotzenden Augen und dem weißgezahnten Rachen gemahnte das Vieh an den Haifisch meines Traumes, wie er nach dem retirierenden Aktengespenst schnappte: „Hacke hacke!“ Der olle Schäffer, die Augen starr auf den Feind, nahm sich zusammen, um keinen Biß abzukriegen, und teilte fortwährend Fußtritte in der Richtung des Schnappenden aus. Ich staunte über die Gelenkigkeit der ältlichen Oberlehrerbeine. Da, mit einem Schwupp, hatte sich der Köter am Absatz des Amtsdieners festgebissen, daß dieser nicht loskam und auf einem Beine hüpfte, wobei er jämmerlich schrie. Sofort traf mein Teppichklopfer die Bestie, daß sie losließ und sich fletschend trollte. An den Gartenzaun gelehnt, hielt der Amtsdiener sein Bein hoch und betrachtete den Stiefel. „Hat er durchgebissen?“ fragte ich bestürzt. „Det nich, aber der Stiebel is kaputt.“ -- „Bedaure sehr, Herr Schäffer, doch Hauptsache, daß Sie keine blutige Wunde haben. Den Stiefelschaden ersetze ich. Na, und was führt Sie denn nochmals zu mir?“ -- „Ick habe mir eenen Schwupper zu schulden kommen lassen.“ -- „So? Na denn kommen Se man wieder rauf!“ Oben spendierte ich dem Polizeimann einen herzstärkenden Trank, und nun gab er folgende Erklärung: „Ick habe also den Herrn Rat allens berichtet. Da wird e’ janz wild: Aber Schäffer, Mensch! Sie bringen so’n wertlosen Trödelkram? Wat soll ick mit det +Bild+? Man schleunigst retur, un bessere Stücke versiejelt. Ja, sehen Se, Herr Dokter, so leid et mich duht, den Schwupper muß ick nu wieder jut machen.“ Und nochmals durchmusterte er die Wohnung, nochmals mußte er Sofa und Diwan hochkippen und unter die Tische kriechen, seine Zettelchen anzubringen. Zu solchen Scherereien gesellten sich andere, die schon verdrießlicher waren. Hin und wieder sah ich meiner Frau an, daß sie sich mit Sorgen trug, und auf mein Zureden gab sie den Bescheid: „Sowas ist doch keine Kleinigkeit! Wir haben noch nie mit Polizei und gar Gerichtsvollzieher zu tun gehabt -- da kommen nu Männer mit Amtsmütze un blamieren einen im ganzen Ort. Die Nachbarn schwatzen, warum hier wohl versiegelt wäre, un nächstens soll ich in Cöpenick schwören -- und weiß gar nicht, wie man das macht.“ Der Tierkreis In diesen Tagen des ersten Frühlings wurde unsere Unruhe durch Stimmungen geheilt, wie sie der Natur eines märkischen Dörfchens eigen sind. Über den Kiefernforst kam lauer Brausewind geflogen, und die Sonne schien auf die sprießende Wintersaat der schmalen Feldstücke, auf die Obst- und Blumengärtchen, wo an molliger Stelle Veilchen blühten. Drüben im verwilderten Laubpark schlüpfte die schwarze Amsel am Erdboden hin, Nahrung mit dem gelben Schnabel pickend. Zufrieden saß sie abends auf der Spitze einer Pappel, von wo sie das Frühlingsreich überschaute, ihre Pfiffe in den gelben Himmel jauchzend. Wenn wir über die Feldlandschaft spazierten, so sahen wir hin und wieder einen Kleinbürger, der nach getaner Berufsarbeit seinen Kartoffelacker umgrub. Bei dieser Tätigkeit fanden wir am ersten April nach Feierabend unsern Hauswirt Krause. In dem Häuschen, wo er wohnte (die zwei anderen Häuser, die er besaß, dienten ihm lediglich zum Vermieten), hatte ich ihn nicht angetroffen, als ich die Miete zahlen wollte. „N’Abend, Herr Krause! Ich möchte bei Ihnen mein Geld los werden.“ Mit latschigen Schritten kam Krause heran und reichte mir schweigend die Arbeitshand. Ohne den kalten Zigarrenstummel von den Lippen zu tun, nuschelte er: „Jeben Sie det Jeld man meine +Frau+!“ -- „Die ist nicht zu Hause. Und was man +doch+ zahlen muß, wird man gern +rasch+ los; sonst kommt wohl gar über Nacht ein Spitzbube.“ -- „Zu Sie kommt keener,“ lächelte Krause. -- „Aber vielleicht wieder mal der Amtsdiener!“ -- „Ach so! +Denn+ man +her+ mit den Draht!“ Ich zählte das Geld auf das Quittungsbuch, er sackte ein, ich reichte ihm den Tintenstift zum Unterschreiben. Er machte drei seltsam gekritzelte Kreuze. „Soll das Krause heißen?“ -- „Anders ha’k nich jelernt; aber die Kreize haben et +in+ sich. Ibrijens brauchen ma nischt Schriftlichet! Wat +wir+ zwee beede sinn, da heest et eenfach: Topp!“ Daß Mangel an Schulbildung das Heil der Seele nicht immer beeinträchtigt, dafür bildet mein Hauswirt ein leuchtendes Beispiel. Sein bienenhafter Fleiß, seine Rechtschaffenheit und Friedfertigkeit waren jedem Kenner wert. Obwohl sein Vermögen mit sechs Ziffern geschrieben wurde, war seine Lebenshaltung die eines Tagelöhners. Beifall verdient sein Verhalten in meiner Pfändungsangelegenheit. Wie prophezeit war, erschien am zweiten April vormittags bei mir ein Amtsdiener -- diesmal war es der Jüngste Leutnant. Nicht exekutieren wollte er -- brachte bloß eine Vorladung aufs Amt, wo ich vernommen werden sollte. Als ich hinging und an Krauses Häuschen vorüberkam, trat dieser heraus. Sonst wie der ärmlichste Landarbeiter gekleidet, trug er diesmal seinen schwarzen Sonntagsanzug und einen altmodischen Zylinder. Den lüftete er in seiner gemessenen Art: „Moo--arn!“ -- „Na, Herr Krause?“ fragte ich munter, „wo soll es denn hingehn?“ -- „Nach de Breestpromenade,“ antwortete er kurz. „Doch nicht etwa aufs Amt?“ Schweigend nickte er. Mir schwante, er werde in meiner Angelegenheit vorgeladen sein. Und richtig! Als mich nach dem üblichen Warten im Vorderbüro der Schreiber ins Budoar des Herrn Rat lud, fügte er hinzu: „Un Sie, Herr Krause, jehn Se man jleich mit!“ Rat Hegel empfing uns mit kühlem Kopfnicken, ohne sich vom Sessel zu erheben. Dann zwinkerte er mit den Igelaugen: „Zu diesem Verhör, Herr Dokter, habe ich Ihren Hauswirt geladen, um Sie beide zu konfrontieren.“ -- „Nanu?“ gab ich zurück. -- „Und jetzt, Herr Krause (dabei blickte er gebieterisch), sagen Sie frei heraus: Gehört das Mobiliar in der Wohnung des Herrn Dokter +ihm+ -- oder seiner +Frau+?“ Krause hielt den Amtsblick aus und zuckte die Achsel: „Weeß ’k nich!“ Um Igels schmale Lippen huschte spöttische Pfiffigkeit: „Das wissen Sie nicht? P! Denn geben Sie mal den Mietskontrakt her! Sie haben ihn doch mitgebracht, hä?“ Krause schüttelte den Kopf. „+Nicht+ mit? P! Das ist stark! Ich habe Ihnen doch sagen lassen, Sie sollen ihn vorlegen. Was steht denn drin? Sie haben doch wohl das Formular des Hausbesitzervereins? Darin heißt es: Mieter versichert, daß die von ihm eingebrachten Möbel sein ausschließliches Eigentum sind. Wer hat denn nu Ihren Mietsvertrag unter+zeichnet+ hä? Etwa die +Frau+ Doktor Wille? +Er+ doch natürlich! hä? Raus mit der Sprache!“ Krause blickte mit unerschütterlicher Gelassenheit. Als er schweigend den Kopf schüttelte, krähte Rat Hegel voreilig: „Aha! Also +nicht+ Ihre +Frau+, Herr Doktor! +Sie+ haben unterschrieben! Haben sich also als Eigentümer des Mobiliars bekannt. Ihre Frau kann gegen die Exekution nichts machen, basta! Oder wollen Sie etwa +leugnen+, daß Sie den Kontrakt unterschrieben haben? Ich könnte ja sofort eine Haussuchung anordnen, damit der Kontrakt beschafft wird. Also +nu+, was sagen Sie +nu+, hä?“ Ich war etwas verwirrt, wußte nicht, was im Mietskontrakt stand. „Kontrakt hebben ma ieberhaupt keenen!“ wandte Krause mit Seelenruhe ein. Der Igel stutzte und knurrte mißtrauisch: „Überhaupt keinen? Na, das wäre eine dolle Wirtschaft! Sie, Eigentümer zweier Mietshäuser, wollen mir einreden, daß Ihr Mieter nichts Schriftliches mit Ihnen ausgemacht hat, hä?“ -- „Det is so!“ nickte Krause. Jetzt wurde der Igel wild und fuchtelte mit den Armen: „Aber Mann! was machen Sie für Streiche! Sie vermieten an den Herrn da -- und haben nichts Schriftliches von ihm, hä? wissen nicht mal, ob die Möbel ihm gehören oder wem sonst, hä? Das ist ein Unrecht! ein Unrecht gegen Ihr Kapital -- gegen die guten Sitten!“ Mein Hauswirt, bockig geworden, trumpfte auf: „Det jeht Ihnen +jar+ nischt an! Se wollen mich woll’n +Loch+ in’n Kopp reden?“ -- „Das heißt,“ gab der Igel streng zurück, „Sie dürfen nicht vergessen, daß ich Sie amtlich vernehme. Also geht mich die Sache +wohl+ an! Hier liegt bei Ihnen ein gewisser Leichtsinn vor. Wenn Ihnen nun dieser Mieter keine Miete zahlt? Sein Mobiliar liegt bereits unter Siegel. Da ist er Ihnen ja nicht mehr sicher!“ -- „+Der is+ mich sicher! Bei +uns+ zwee beede heeßt et: Topp, een Mann, een Wort! Un nu will ’ck man +jehn+! Ick habe keine +Zeit+ for hier mit Sie zu brabbeln!“ Und er stand auf, nahm den Zigarrenstummel und nickte seinen Gruß. „Halt!“ rief der Igel, in seiner höhnischen Kälte an den Landvogt Geßler gemahnend, „erst müssen Sie Protokollchen unterschreiben, hä?“ -- „Nischt unterschreib’ ick -- hechstens mach ’ck drei +Kreize+!“ -- „Ah so!“ staunte Rat Hegel und lächelte hochmütig. „+Sie+ also sind der letzte Analphabet in der Kolonie des großen Friedrich? Na, denn +gehn+ Se man! Wir kommen zurecht auch +ohne+ Kreuzelschreiber.“ So rief er ihm nach und bemerkte unter spöttischem Zwinkern seiner Schweineritzen: „Wer ohne Kopf geboren is, bleibt zeitlebens ein Krüppel -- hä?“ Das Protokoll, das der Igel nun aufsetzte, ging einfach dahin, daß ein schriftlicher Mietsvertrag nicht vorhanden und keinerlei Erklärung darüber erfolgt sei, +wem+ das Mobiliar gehöre. Als ich unterschrieben hatte, bemerkte ich mein Bild, das an der Wand lehnte und sein Siegel zeigte. „Bei dieser Gelegenheit,“ sagte ich, „möchte ich Sie ersuchen, Herr Rat, daß mir das Bild da zurückgegeben wird. Das Amt hat kein Recht darauf; es ist Eigentum des Herrn Streitmüller, und ich habe es zur Verwahrung erhalten. Ich wünsche, daß das Bild baldigst wieder an die alte Stelle kommt -- über meinen Schreibtisch; sonst komme ich nicht in Stimmung und bin bei der Arbeit gestört.“ Neugierig erhob sich der Igel: „Was Sie sagen! Lassen Se das Dings mal besehn!“ und lehnte das Bild an einen Stuhl, so daß es vom Fenster beleuchtet war. Beim Betrachten feixte er spöttisch: „P! Ein Atheist, un so’n Kirchenbild! Sie wollen mir einreden, daß Sie diese Schilderung des Abendmahls zu Ihrer Erbauung benötigen? Glauben Sie denn überhaupt an Christus, hä?“ -- „Wenn Sie wieder ein Religionsgespräch belieben, so will ich Ihnen verraten: Wer den Christusgeist +betätigt+, der allein glaubt an ihn! Ob Christus der geschichtlichen Wirklichkeit angehört, kommt dabei nicht in Betracht ...“ Der Swinegel unterbrach mich mit staunender Heiterkeit: „Also Sie halten es für möglich, daß Christus gar nicht mal gelebt hat, hä?“ -- „Für mich +lebt+ er -- ist das bessere Selbst, das Licht der Welt, die geistige Sonne in der Menschheit wie im All. Im Bilde der Sonne hat man ihn schon damals verehrt als die Mythe von den zwölf Jüngern entstand. Die Zwölf bedeuten die Himmelszonen, die der Sonnenlauf in den einzelnen Monaten berührt -- die zwölf Tierzeichen des Kalenders.“ Hier lachte der Igel krähend: „Tierzeichen ist gut! Ein Tier also ist Sankt Peter, hä? ein Tier Sankt Johannes und so weiter! Ein Tier, wie’s im Kalender steht: Widder, Stier, Krebs, Skorpion ... hehehe! Diese Viecher empfehle ich ganz besonders Ihrer atheistischen Andacht. Und Sie können an Ihrem Schreibtisch nicht produzieren, nicht wahr, wenn Sie nicht Ihren Tierkreis betrachten, hihihi! Na ich fühle ein menschliches Rühren, Sie sollen Ihren Willen haben. Das Bild hat ja auch keinen Wert. Ich habe meinem Amtsdiener gleich gesagt: Da haben Se sich schön anschmieren lassen! Kommt der Mann angepustet mit einem Bild, das auf der Auktion nicht einen Taler bringt. Wer kauft denn bei uns Heiligenbilder un so ’n frommen Kram, hä? Also Ihren Tierkreis lasse ich Ihnen noch heute bringen! P! Zum Dank könnten Sie mir verraten, welche Tiere mit den einzelnen Jüngern Christi gemeint sind. Wer ist denn hier der Widder, hä? Wer ist der Stier? hihihi!“ Er glaubte mich vernichtet zu haben und lachte mir schadenfroh ins Gesicht. „Wer mit den Tieren gemeint ist, müssen Sie sich schon selber herausdividieren, Herr Rechnungsrat -- machen Sie sich nach Belieben Ihre Gedanken über den Widder und den Stier. Das sind übrigens respektable Wesen -- wir haben Grund, bescheiden zu sein den Tieren gegenüber, die uns oft beschämen durch ihre Unschuld, Gutmütigkeit und Treue. Wissen Sie, was Schopenhauer zu seinem Pudel sagte, wenn er ihn schelten wollte? Nicht etwa: du Vieh! Sondern mit durchbohrender Überzeugung: Du Mensch! Dann kniff der Pudel den Schwanz ein und versteckte sich.“ -- „Ach so! P!“ höhnte der Igel bösartig, „und unsereins hat sich eigentlich zu verstecken vor Ihrem verhimmelten Viehzeug, hä? Naturgemäß! Der Mensch stammt ja vom Affen ab -- lehrt Ihr atheistischer Affenprofessor! P! Is vielleicht auch der Affe in Ihrem Tierkreis? hihihi!“ -- „Der Affe? nein! Auch der Igel nicht! Dieser Duckmäuser paßt nicht in den Sonnenkreis.“ Wütend schlug der Igel auf den Tisch und keifte: „Beamtenbeleidigung!“ Ich ging. -- Ein Stündchen später brachte mir der jüngste Leutnant das Bild zurück -- da hing es wieder über meinem Schreibtisch. In dem Kreuzzug, den die preußische Behörde gegen einen Ketzer unternommen hatte, war die erste Heldentat die Pfändung eines Christusbildes. Verhaftet Dies neue Religionsgespräch war eine der letzten Amtshandlungen des Rates Hegel. Mochte er nun dem Aufschwunge des Ortes und den immer verwickelteren Geschäften nicht gewachsen sein, oder mochten die Fritzenwalder die Wichtigtuerei dieses jungen Fritzen peinlich empfinden -- genug, am ersten Juli trat er als durchgefallener Kandidat schmollend wieder in den Stand der Ruhe. In seinem Boote saß er nun mit der Angelrute, abends in einem Tanzlokal, wo er seinen Lieblingen zulächelte, gelegentlich sogar das berühmte Tanzbein schwang. Im Amte war an seine Stelle nicht etwa der Klempnermeister Kuhlicke getreten, sondern Herr Kloß, dessen ganze Art durchaus anders war, als die des Vorgängers. Suchte dieser seinem großen Friedrich gleichzukommen, so schwärmte Kloß für Bismarck -- und an Gestalt war er ihm nicht unähnlich. Eins freilich hatte Kloß an Bismarck auszusetzen -- zu barsch sei er immer aufgetreten, während der Diplomat schmiegsam sein müsse, um sich keine Feinde zu machen. Mich hat der Amtsvorsteher Kloß stets nach diesem Grundsatze behandelt. Es fiel ihm nicht ein, mir mit Scherereien zu kommen, und so ließ er der Interventionsklage meiner Frau ihren glatten Verlauf, ohne irgendwelche Einrede zu tun. Nicht einmal, daß meine Frau nach Cöpenick zitiert wurde -- den Schwur besorgte Freund Bartels; er konnte bestätigen, sie habe das Mobiliar in die Ehe eingebracht. So mußten die Siegel des Amtes Friedrichshagen wieder abgenommen werden. Begegnete ich nun auf der Straße Herrn Amtsvorsteher Kloß, so zog er tief den Hut und blinzelte augurenhaft mit dem grauen Auge, als wolle er anerkennend sagen: „Bist ein Filou!“ Nun war’s wieder mal Herbst, und es zogen die Wildgänse. Vor einbrechender Dunkelheit kamen sie in keilförmigen Geschwadern über den weiten Kiefernforst. Auf den mit Wintersaat bestellten Äckern nördlich der Wuhlheide hatten sie tagsüber gegrast und kehrten abends zum Müggelsee zurück, um darauf zu übernachten. Da sie zu Hunderten dort schwammen und nicht viel Schlaf bedurften, so war in stillen Nächten ihr Geschnatter weithin vernehmbar. Im Morgengrauen ging es mit Geschrei wieder fliegend zur Weide. Beim Kommen und Gehen der Wandervögel hörte man das Gewehr des Försters knallen. „Heute früh haben sie wieder arg auf Wildgänse gefeuert,“ sagte ich zu meiner Frau, als sie den Morgentee einschenkte. „Ja, nicht wahr?“ antwortete sie -- „bei jedem Schuß gibt es mir einen Stich, und am liebsten möchte ich den Gänsen zurufen: Fliegt doch höher -- daß euch die Schrotkörner nicht erreichen!“ -- „So ist das Leben! Einer gönnts dem andern nicht. Haustier muß man sein, um geduldet zu werden. Eine zahme, dumme Watschelgans, die dem Herrn des Hofes ihre Federn ins Bett legt -- ihre Jungen in die Bratpfanne. So was nennt sich Kultur! Regt sich aber irgendwo eine freie Schwinge, gleich geht’s piff paff.“ -- „Ach, laß doch!“ wiederholte meine Frau -- „der Morgen ist so unschuldig!“ „Das ist er eben +nicht+!“ entgegnete ich -- und in diesem Moment, gleichsam wie gerufen, kam das Unheil -- schrill ging die Flurklingel, und Schuftel, unser Terrier, der in der Küche war, begann ein grimmes Gekläff. „Der Briefträger!“ sagte meine Frau; Schuftel konnte ja keinen Uniform-Menschen leiden -- eine Ausnahme machte nur der Geldbriefträger -- und da behaupte einer, Tiere hätten keinen Verstand! Gleich darauf trat Frau Pape zu uns ein, die haushälterische Stütze meiner Frau -- sie meldete, der Amtsdiener Bolle wünsche mich zu sprechen. „Halten Sie den Hund in der Küche, machen Sie ihm zur Sicherheit den Maulkorb an -- Herrn Bolle lassen Sie eintreten.“ Seinen Namen führte Bolle insofern mit Recht, als seine Statur, übrigens auch seine Nase, in die Breite geschwollen war wie jenes Knollengewächs. Gutmütig hätte man sein rundes Gesicht nennen können, wenn nicht das Mißtrauen des Philisters darin gezwinkert hätte. Als der Amtsdiener mit seiner schwarzen Aktenmappe eintrat, ließ seine verdrossene Miene erraten, daß er etwas Peinliches bringe. „Herr Dokta un Frau Doktan, nu is die Sache doch mies -- Se wissen ja, von wejen den freireljeesen Unterricht -- wo man die ville Strafe von Sie verlangt. Dadermit wird’s nu Ernst -- un nu schickt mir der Herr Amtsvorsteha -- un Se mechten so jut sind -- un wenichstens mal +wat+ zahlen. Ick soll zweedausend Märker infordern -- wie det hier anjeordnet is. Aber der Herr Amtsvorsteher saacht: wenn’s ooch bloß hundert Märker wären, un Se zahlten +die+ wenigstens -- denn wäre doch der jute Wille erwiesen, un det jenüjte. Denn wissen Se, die Herren wollen bloß ihren Kopp durchsetzen -- bloß ihren Kopp!“ -- „Glaub’s schon,“ gab ich zur Antwort. „Ich habe aber +auch+ einen Kopp -- und Geld gibt’s keins -- das habe ich doch schon längst mit aller Deutlichkeit erklärt.“ „Ja aber um Jottes Willen -- denn soll ’ck Ihnen ja verhaften -- saacht der Herr Amtsvorsteha -- Jeld soll ’ck bringen oder Ihnen persönlich -- saacht der Herr Amtsvorsteha.“ -- „Ach so! Die Börse oder das Leben! Na also die Börse kriegen Se nich!“ -- „Aber Herr Dokta, nee, nee! Kränken Se mir doch nich mit Ihre Ausdrucksweise. Ick bin doch keen Schinderhannes!“ -- „Sie persönlich meine ich nicht, Herr Bolle, und natürlich auch nicht den Amtsvorsteher und die Herren Geheimräte vom Provinzial-Schulkollegium; das ganze System meine ich. Na, machen Se keine Leichenbittermiene, Bolle! Es handelt sich um keinen Beinbruch. Wenn Sie mich verhaften sollen, ich stehe zu Diensten. Aber erst lassen Sie mich in Ruhe meinen Tee trinken. Sie nehmen schon so lange Platz -- wie? und frühstücken ein bißchen mit, Herr Bolle!“ Sein Gesicht wurde sonnig, da die Sache eine so gemütliche Wendung nahm. Meine Frau, die anfangs verdutzt dagestanden, zeigte Fassung. Und wie nun Frau Pape das Gedeck für den Amtsdiener aufgetragen hatte und jeder sich Tee mit Buttersemmel munden ließ, hatte die Szene bei aller Seltsamkeit etwas Anmutendes -- zumal jetzt draußen das Kastanienlaub in der Morgensonne herbstgolden leuchtete. Zum Abschied küßte ich meine Frau und meinte zuversichtlich: „Ich werde mal mit dem Amtsvorsteher sprechen -- vielleicht bin ich schon in einer Stunde wieder zurück.“ Tat also meinen Mantel um und ging mit Bolle aufs Amt. Der kluge Amtsvorsteher Kloß begrüßte mich mit seiner gewinnenden Höflichkeit. „Und nicht wahr, verehrter Herr Doktor? Sie schaffen den peinlichen Fall aus der Welt -- und beweisen Ihren guten Willen .... Sollte Ihnen aber für heute oder morgen die Zahlung nicht passen -- na gut, das macht nichts -- ich berichte einfach an die Behörde, daß Sie willig sind -- und wer weiß, ob sich damit nicht die ganze Geschichte in Wohlgefallen auflöst.“ Und die väterliche Güte, die aus dem Antlitz dieses Amtsvorstehers strahlte, war so verführerisch, daß ich an die Fabel vom Wanderer dachte, der sich seinen Mantel nicht vom Sturmwind abtrotzen, aber von der warmen Sonne abschmeicheln ließ. Indessen bedeutete ich Herrn Kloß: „Sie meinen’s ja freundlich. Aber Sie könnten sich eigentlich selbst sagen, daß ich die Geschichte nicht angefangen habe, um bei der Entscheidung umzukippen. I bewahre! hier ist keine Spur von freiwilliger Unterwerfung. Nichts zahle ich, bin ganz und gar nicht willig.“ Mit einem Ausdruck von Fassungslosigkeit starrte er mich an, als zweifle er sacht an meinem Verstande. Nach einem Seufzer lächelte er süß, legte die Hand auf’s Herz und verbeugte sich: „Aber mein Verehrtester! Sie bringen mich in die peinlichste Verlegenheit -- ich müßte Sie ja -- bedenken Sie doch -- verhaften müßte ich Sie! Tun Sie mir so was nicht an! Bedenken Sie auch, was Sie Ihrem Stande schuldig sind! Es geht doch nicht, daß Sie ins Gefängnis spazieren! So was macht man doch mit Geld ab! Und Sie haben ja nicht mal Kosten davon -- die freireligiöse Gemeinde wird Sie schadlos halten, selbstverständlich! Also nicht wahr? machen wir’s so! Sie wollen nicht? wie? ab-so-lut -- nicht? Ja, +dann+ kann ich nicht helfen! nicht helfen!“ Und aufseufzend berührte er den Knopf der elektrischen Klingel. Der Amtsdiener trat in strammer Haltung ein: „Bolle, der Herr ist Ihr Arrestant!“ Noch einen wehleidigen Blick gab mir der Amtsvorsteher mit auf den Weg und wimmerte: „Daß +mir+ so was passieren muß -- ausgerechnet +mir+!“ Ich konnte mich eines Lächelns nicht erwehren: „Sie tun ja, als wären +Sie+ der Arrestant!“ -- „Oh! Lachen Sie nicht! oh!“ stöhnte der Amtsvorsteher. „+Kennen+ Sie unser Gefängnis? Zu meinem Leidwesen sei’s gestanden, das ist verflucht unbequem!“ Ich wehrte mit der Hand ab: „Als ich Militärsoldat war, hab ich auf der Wachtstube eine harte Holzpritsche zum Schlummern gehabt -- hab auf Manöver in Scheunen und Ställen gepennt -- und beim nächtlichen Biwakieren war’s kalt und naß, war +auch+ verflucht unangenehm. Und doch hab ich’s mit guter Laune hingenommen. Jetzt bin ich abermals Soldat und auf dem Manöver -- es handelt sich gar um einen Dienst, den ich mir selbst, meinem Gewissen leiste -- also los, Herr Bolle!“ „Noch eins, Herr Doktor! Sie können jederzeit wieder raus -- sobald Sie mir erklären, daß Sie Zahlung leisten ... Nicht wahr, Sie kommen recht bald!“ Mich verbeugend, begegnete ich noch einmal seinem flehenden Blick; dann sagte er achselzuckend, verdrossen kalt: „Also, Bolle! Der Herr Doktor ist Ihr Arrestant -- führen Sie ihn ab!“ Als ich mit dem Amtsdiener an der Kirche vorbeiging -- damals war sie noch das altmodische Dorfkirchlein -- und als wir in die Müggelstraße einbogen, war mir leicht zu Sinn. Die Sache war ja nun endlich entschieden und im reinen. Ich empfand etwas von der Neugierde eines Kindes, das vor dem Theatervorhang sitzt und sich ausmalt, was jetzt für seltsame Bilder und Geschicke kommen sollen. Als ich halblaut vor mich hinlachte, warf mir Bolle von der Seite einen verdutzten Blick zu. „Nu sagen Se bloß, Herr Dokta, wat soll +nu+ werden! Ick muß Ihnen int Hotel inhaftieren. Wenn’t wenijstens int Vordahaus jinge, bei Onkel Pofken -- aber nee, daderzu will der Herr Amtsvorsteha keene Erlaubnis nich erteilen -- det kennte man ihn iebel nehmen.“ -- „Was für ein Hotel und Vorderhaus meinen Sie denn?“ -- „Na aber! Sie haben Ihnen noch nicht mal informiert über det Lokal, wo wir Ihnen unterbringen duhn? Nee so wat!“ -- „Keine Ahnung!“ -- „Und kennen woll noch nich mal den Preißischen Adler? Ach du meine Jiete! Det is doch der Jasthof von Onkel Pofken. Int Vordahaus is de Kneipe un der Jasthof jarnie -- wenn mal Loschierjäste kommen. Ick un Onkel, wir wohnen selbstmurmelnd ooch int Vordahaus. Wat nu aber der Hof is, da ha’ mer so’n kleenen Bau -- erst war et Waschkiche un Heiboden -- aus die Waschkiche hat man die drei Arrestzellen jemacht -- un det nennen se nu spaßhaft det Hotel. Oben uf’n Heiboden is de Herberje -- wissen Se, fier reisende Sonnenbrieder un wat sonst keene bessere Penne berappen kann.“ „Ich komme also in eine der Arrestzellen? Und wer haust in den andern?“ -- „Momentan keene Katze! Iberhaupt ha’ mer selten Arrestanten -- meist bloß so’n Fechtbruda oder ne Tippelschickse, wo sich von den Schandarm hat fischen lassen.“ -- „So! hm! Aber ich -- Sie wissen doch, daß ich Anspruch auf Selbstbeköstigung habe?“ -- „Aber feste! Mein Onkel, der Hoteljeh, liefert Sie, wat Küche un Keller halten.“ -- „~À la bonheur!~ Das Essen wird mir natürlich von meiner Frau geliefert -- die gewohnte Hausmannskost, wissen Sie, ist immer das Bekömmlichste. Tee und Kaffee bereite ich mir auf dem Spirituskocher -- na, und wenn ich dann erst gemütlich bei meinen Büchern sitze ...“ -- „Sie wollen sich also richtig heislich inrichten?“ Und er schüttelte sorgenvoll sein Haupt mit der Amtsdienermütze. „Gasthof zum Preußischen Adler“ stand an einem Häuschen, das im Erdgeschoß Kneipe war und darüber noch ein Stockwerk hatte. Vorn hinein gingen wir nicht, sondern durch die Tür eines Bretterzauns unmittelbar in den Hof. Zur Linken befand sich eine Kegelbahn, das Hinterhaus war offenbar besagtes „Hotel“, denn die drei Fenster des Erdgeschosses hatten Kerkersprossen. Davor lag ein ländlicher Düngerhaufen in einer Senkgrube, wo Hühner scharrten. Bolle rasselte mit Schlüsseln, die er aus seiner Uniform geholt hatte, und öffnete die Gefängnistür. Wir traten in den schmalen Flur; rechter Hand lagen die drei Zellen, die mittelste schloß Bolle auf. Da war nun mein Heim: Ein weißgetünchter Raum, sehr unfreundlich, dumpfig und dunkel, dazu von ungewöhnlicher Enge -- neben dem Backsteinofen hatte eine Pritsche nebst einem Stuhle noch eben Platz. Bolle sah die Unzufriedenheit in meiner Miene. „Ha’ck Ihnen nich jesaacht? Wat dise drei Zellen sin, uf +die+ war +nich+ det Bibelwort jeminzt: Hier is jut sind, hier laßt uns Hütten baun. Un ick bleibe dabei, Herr Dokta -- +duhn+ Se, wat der Herr Amtsvorsteha Sie jeraten hat -- +zahlen+ Se den Schwindel, +fort+ mit Schaden! un wir sin die faule Jeschichte +los+. Sonst nimmt die keen jutet Ende nich.“ -- „Wieso?“ fragte ich verdutzt. -- „Aber, Herr Dokter, selbstmurmelnd! +Die+ Politik liecht doch nah -- uf +so+ ne Sache sin +mir+ doch nich injericht -- dafier is doch unser Hotel nich komfortabel! Det liecht ebens dadran, det wir hier ne andre Art von Vapackung haben!“ -- „Das sehe ich,“ bemerkte ich unwirsch -- „aber diese Verpackung lasse ich mir nicht zumuten!“ Nun sah Bolle vollends ratlos aus: „Na da ha’ mer ja de Bescherung! Nu wird’s Tach in de Bodenluke! Aber, Herr Dokta, duhn Se mich bloß den eenzichsten Jefallen un -- un -- schlagen Se keenen Lärm nich von wejen de Lokalletät! Schließlich kommt et noch dahin, det unser Jemeindeamt een neiet Jefängnis bauen muß.“ -- „+Muß+ es auch!“ trotzte ich -- „hier fehlt ja jede sanitäre Fürsorge!“ -- Bolle’s Mienenspiel drückte hilflosen Mißmut aus: „Ja +Sie+, det sagen +Sie+! Aber ick jebe Sie den juten Rat: wenn Se sich hier durchaus heislich niederlassen wollen, jut! Wir werden Sie die Haft so behaachlich wie meechlich machen. Aber man +bloß+ keenen effentlichen Lärm nich schlagen -- bloß nischt in de Presse bringen! saacht der Amtsvorsteha! -- Ick muß Ihnen jetzt einsam lassen, Herr Dokta! Aber nu vasprechen Se mich det -- nehmen Se Rücksicht, un so weiter!“ Seine Eröffnungen kamen mir gelegen, diese Verhältnisse ließen sich dazu benutzen, meine Haft zu erleichtern. „Will mir’s überlegen,“ antwortete ich. -- „Ja, duhn Se det! ick vertraue uf Ihre Bildung! Na, un wenn Se wat winschen -- oder wenn Se in Freiheit jelangen mechten -- denn rufen Se man aus et Fenster -- int Vordahaus is immer wer, wo Ihnen heert.“ -- „Gibt es hier keine Klingel?“ Er lächelte über meine Naivetät. -- „Aber wenn nu bei Nacht ... wenn zum Beispiel Feuer ausbricht ...“ -- „Hier +bricht+ keen Feia aus! Zu Ihre Sicherheit aber bleibt Ihre Türe nach’n Korridor uff -- un draußen steht ’n Emmer -- un fier det Feia ’n jroßer Kruch mit Wassa ... Haben Se man keene Bange! Ma sin’ ja nich in Rußland! Aber nu muß ’ck fiers erste jehn -- adchee also, Herr Dokta, adchee!“ Er ging, klappte die Tür zum Korridor zu -- dann hörte ich, wie die rasselnden Schlüssel die Haupttür verschlossen. Ich war allein -- nachdenklich saß ich auf meiner Pritsche. Robinson richtet sich häuslich ein In diesem Loche Monate zuzubringen, war eine grämliche Aussicht. Keine vier Schritte konnte ich tun, und an Luft mangelte es. Das Fenster reichte mir von der Brust bis zum Scheitel und war draußen mit vier Eisensprossen versichert. Der Scheibenrahmen hatte nur eine Klappe zum Lüften. Vor dem Fenster eine Müllgrube, wo Hühner scharrten. Damit nicht jemand nachts hineintappte, war um diesen landwirtschaftlichen Bezirk ein Lattengehege. Daneben die Wasserpumpe, ein Kübel für Hühnerfutter, ein Hackeklotz mit Stubben, die zerkleinert werden sollten. Die Hinterfront des Gasthofs hatte zwei Türen mit ein paar Seitenfenstern, darüber eine Fensterreihe. Da war auch eine Glocke -- sie erinnerte an die Hofglocke meiner Klippschule; auf dem Blechschild stand „zum Amtsdiener“. Nebenher führte die Dachrinne ins Regenfaß. Die Straße war abgesperrt durch eine hohe Bretterplanke mit eingefügter Tür. Etwas angenehmer blickte man nach rechts: längs der Hofmauer eine Kegelbahn, der Stand für die Kegel war beim Eingang zu meinem Gefängnis. An den Borden der Kegelbahn sproß Rasen; wilder Wein umrankte die Laube, von wo geschoben wurde. Über die Mauer lugte der Giebel des Nachbarhäuschens und ein Akazienbaum -- aus seinem noch dunkelgrünen Wipfel zitterte das späte Zirpen einer Heuschrecke. Abermals musterte ich meine Klause -- aber da gab es nichts als Pritsche, Ofen, vier kahle, weißgetünchte Wände. Darauf Inschriften und Zeichnungen, mit Bleistift gekritzelt. Meine Vorgänger hatten sich mit Namen verewigt, auch durch Darstellungen, wie sie ein roher Geschmack auf Wänden anbringt. Da war eine Prügelei; ein Gendarm mit Helm und Säbel wurde verhauen von einem Kerl mit ungeheurer Faust; darunter die Verse: ihr kricht mir doch nich unter vafluchtichte Blechkopp-Limmel, ick halte mir mit Fechten munter un drinke Rum mit Kimmel. Neben solcher heroischen Kunst gab es auch komische. Wiederholt kam ein Mann mit Amtsmütze, verschmitzten Äugelchen und einer Kartoffelnase vor. Viel von dem Gekritzel behandelte Gefühle der Minne. Eine Tippelschickse hatte das sentimentale Bekenntnis abgelegt: In Hamburg, da bin ich gewesen In Sammet und Seide gehüllt -- -- Meinen Namen, den darf ich nicht nennen, Denn ich bin nur ein Mädchen für Geld. Die übrigen Kritzeleien waren garstig, für die Dauer unerträglich; schon die Kalkflächen hatten etwas Quälendes. An diesem ersten Gefängnistage habe ich empfunden, was es heißt, in öden vier Wänden zu hausen -- ohne Bild, ohne Farbigkeit. So darf das hier nicht bleiben! Ein Häftling hat doch gewisse Rechte -- die lasse ich mir nicht schmälern! Mein Entschluß stand fest, ich überlegte, wie sich am zweckmäßigsten vorgehen ließe. Ich wollte nicht bloß mein eigenes Bett und Selbstbeköstigung fordern, sondern auch tägliche Spaziergänge und die Erlaubnis, beliebig Besuch zu empfangen. Und wie Robinson, auf die wilde Insel verschlagen, seine Höhle traulich ausstattete, indem er vom Wrack des gescheiterten Schiffes allerlei Kulturdinge einheimste, so wollte ich dies Gefängnis zur fidelen Klause gestalten. Aus meiner Häuslichkeit sollte meine Frau ... Ach ja, meine Frau! Aber die wußte ja nicht mal, was aus mir geworden! Ich mußte sie benachrichtigen. Sah nach der Uhr ... Himmel, waren die Stunden verflogen! Ich spürte Hunger und Durst. Ob ich mir vom Gasthause was bringen ließe? Es kam mir wie eine Demütigung vor, was auszubitten. Zudem hegte ich den Verdacht, Bolle halte sich geflissentlich fern und werde, im Einverständnis mit dem Amtsvorsteher, alles aufbieten, mich am ersten Tage mürbe zu machen, damit ich in +Geld+ die Strafe entrichte. Na wartet, ihr Schlauberger! Ihr verrechnet euch in mir! Wieder auf der Pritsche, nahm ich mein Notizbuch und schrieb an meine Frau: „Nun doch in Haft! Im Hinterhaus des Gasthofs zum Preußischen Adler, Müggelstraße. Bitte laß auf einem Handwagen folgende Sachen herschaffen: Mein Bett nebst Matratze. Schreibzeug und Papier. Goethes Gedichte. Das allgemeine Landrecht, links im Oberfache des Bücherschranks. Böcklins Bild: Der Einsiedler. Das Ziegenfell aus meinem Schreibzimmer. Die rote Plüschdecke. Chamissos Gedichte. Den Wandteppich, mit dem wir mal die Flurtür verkleidet hatten. Nagelkasten, kleine Eisenringe für den Wandteppich. Bindfaden, Nadel und Zwirn. Ein Quadratmeter Stoff zu einem Fenstervorhang, recht bunt. Ein Beefsteak mit Bratkartoffeln und Gemüse. Eine Flasche Weißbier. Das Tischchen aus Bambusrohr. Meine Zither nebst Noten. Blumentopf vom Gärtner. Papierampel aus Japan. Eine Flasche Wermut di Torino! Nun sieh, daß ich bald was zu essen kriege!! Übrigens geht es mir gut.“ Die Blätter, auf die ich den Brief geschrieben, riß ich aus dem Notizbuch und hüllte sie in ein Zeitungsblatt. Gelegen kam soeben von der Straße ein Knabe mit einem Schulranzen. Durch die Fensterklappe rief ich ihn her: „Heda, Junge! Wie heißt du?“ -- „Anton Bolle.“ -- „Ich gebe dir zwei Groschen, wenn du einen Brief zu meiner Frau bringst.“ -- „Erst muß ’ck zu Mittach essen!“ -- Und Anton verschwand im Vorderhause. Mit noch kauenden Backen kehrte er zurück und erhielt den Brief. Kaum war er weg, so fielen mir weitere Wünsche ein, und ich notierte: „Dringlicher Nachtrag: Meine grüne Studierlampe!!! Tee nebst Spirituskocher!! Teller, Tassen, Gläser! Grimms Kinder- und Hausmärchen. Hausschuh und Hausanzug. Handkoffer mit Wäsche. Reisetoilette, Seife ...“ Ach, was hat der Kulturmensch doch alles nötig! Nicht lange und Anton Bolle war zurück. „Na, was sagte meine Frau?“ -- „Et wäre jut!“ Ich gab ihm seine Groschen. „Du kriegst aber noch zwei, wenn du nochmals zur Kastanienallee läufst; willst du?“ -- Anton nickte und bekam den zweiten Brief. Die Stunde, die ich zu warten hatte, bis meine Frau erschien, dehnte sich, mein Magen auch. Wer hat nicht schon eine Hyäne bedauert, wenn sie die paar Schritte trottet, die der knappe Käfig zuläßt, sich dreht, zurücktrottet -- und so fortfährt, ruhelos. Ähnlich suchte ich meine Ungeduld auszutoben. Schließlich hatte ich eine Vorstellung von jener Drehwurmkrankheit, die Schafen so scheußlich wird; schwitzend saß ich auf meiner Pritsche. Die Hoftür ließ sich vernehmen -- endlich! Meine Frau, einen Korb am Arm. An der Bretterplanke tat Frau Pape einen Riegel weg, es öffnete sich eine breite Pforte nach der Straße. Da stand der Handwagen mit den begehrten Sachen. Durch die Fensterklappe rief ich meiner Frau einen Gruß zu -- sie erwiderte wehmütig, versunken in den Anblick meines Gefängnisses. „Drüben klingeln!“ rief ich. Frau Pape zog die Glocke. Als Bolle den bepackten Wagen sah, war er stutzig. Dann kam er, das Gefängnis aufzuschließen. Er sah mich groß an. „Ick denke schon, det wir Ihnen +entlassen+ kennen -- un +Sie+ ... ja wat wird denn +nu+?“ -- „Entlassen?“ -- „Na Se werden doch endlich +zahlen+! Oder nee? Himmelkaldaunen! Se wollen Ihnen heislich inrichten?“ Ich sah ihn fest an: „Was ich Ihnen jetzt sage, Herr Bolle, gilt dem Amtsvorsteher. Wenn Sie sich einbilden, ich werde mir dies Loch gefallen lassen, das weder auf Gesundheit noch auf Anstand Rücksicht nimmt ... Hier fehlt der vorschriftsmäßige Luftgehalt -- fehlt rechte Ventilation -- fehlt ein anständiger Hof zum Spazierengehen. Dann diese Senkgrube unmittelbar vor meinem Fenster -- diese Zeichnungen und Inschriften, -- +der+ Toback ist mir denn doch zu ruppig! Und wenn nicht umgehend für Anständigkeit meines Gefängnisses gesorgt wird, richte ich ein Flugblatt an die Öffentlichkeit.“ Und Bolle kleinlaut: „En feinet Jefängnis is et ja +nich+ -- aber nu sagen Se selbst, wat soll denn hier jescheh’n?“ -- „Das hätten Sie sich früher überlegen sollen. Warum hat mich das Amt in Haft genommen, wenn es keine Vorsorge getroffen hat, und dies Lokal in einem so saumäßigen ...“ -- „Ach nee, Herr Dokta! Keene Amtsbeleidejung!“ -- „Beleidigend sind Ihre Zumutungen.“ -- „Det is ja zum Piepen! Sollen wir etwa frisch kalken lassen? Un wat fangen ma derweile mit +Sie+ an? Nebenan die beeden Zellen sinn +ooch+ keene Sakristei nich -- un haben nicht mal Heizung. Also wat --?“ „Will ich Ihnen sagen. Auf dem Wagen draußen sind Teppiche, Decken -- damit werden die Wände bekleidet.“ Bolle machte ein bedenkliches Gesicht. „Ferner verlange ich Bewegung in freier Luft, täglich zwei Stunden.“ -- „Hier uff disen Hof? Wat mechten Se denn da anstellen?“ -- „Na zum Beispiel Kegelschieben!“ Schweigend kratzte sich Bolle am Kinn. „Dann verlange ich, daß Besucher jederzeit eingelassen werden.“ -- „Na ja, scheeneken! Machen Se man een Jesuch an Ihre jemietlichen Provinzial-Schulkollejen von wejen de Kegelbahne un de Teppiche ...“ -- „Gesuch? Es geht +ohne+ Gesuch, und zwar sofort!“ Und ich ging an ihm vorbei auf den Hof -- begrüßte meine Frau und sagte zu Frau Pape: „Danke schön! Nun wollen wir mal gleich die Teppiche anmachen.“ -- „Die Ringe zum Anhängen haben wir schon angenäht,“ sagte meine Frau. Wir trugen Teppiche und Decken ins Gefängnis, und los ging das Hantieren. Bolle schlich hinweg wie ein begossener Pudel. „Aber Mann!“ wandte meine Frau vorwurfsvoll ein. „Nicht so hastig! Das Essen wird ja kalt!“ Und wie sie aus dem Korbe auspackte, stieg mir der Duft von Gebratenem in die Nase. Nach dem Essen fand ich Anlaß, in einen Winkel des Menschenherzens hineinzuleuchten: Wir geraten in Verlegenheit, wo wir glauben, die Achtung der Leute vor uns könne sich verringern, wenn wir uns nicht nach ihnen richten. Ungezählte Keime tüchtigen Lebens, Wahrheiten und Reformen, werden erdrosselt durch die Formel: So was sagt man nicht! so was schickt sich nicht! Und mancher Geist, der sonst selbständig, gebildet, ja erleuchtet ist, weiß sich nicht freizuhalten von der Autorität des Üblichen. Besuch’ doch mal eine Abendgesellschaft, wo alle Herren Frack tragen, während du Gehrock anhast. Oder du willst ein Kaffeehaus betreten -- und da bemerkst du, daß du den Schlips vergessen hast -- und kehrst um, wagst nicht einzutreten. Es gibt Träume, die es darauf abgesehen haben, uns in Verlegenheit zu bringen; hemdärmelig treten wir zur Prüfung vor das Professorenkollegium; in Unterhosen müssen wir über die Straße. Wie sich die Leute genieren, wo sie sich in ihrem Ansehen gefährdet fühlen, kannst du experimentell feststellen: Hast du in einer Kleinstadt jemand besucht und willst abreisen, und die Familie oder der Freund hat dich auf den Bahnsteig begleitet, so steige doch mal, Spaßes halber, in die +vierte+ Klasse ein! Während deine Begleiter bis zur Abfahrt auf dem Bahnsteig harren, mußt du vergnügt und recht auffällig zum Fenster raussehen und ein Gespräch durchhalten. Da kannst du was beobachten! Schamrot wie am Pranger steht man -- oder man drückt sich schleunigst. Mit einem Menschen, der vierter Klasse fährt, zu verkehren, ist blamabel! Niedlich ist auch die Wirkung, wenn du in „guter“ Gesellschaft zu erzählen anhebst: „Es war im Jahre -- na, ich kam gerade aus dem Gefängnis ...“ Bei diesem Wort, ich wette, geht ein Engel durchs Zimmer, man räuspert sich und lenkt rasch von dem heiklen Thema ab -- hem, hem! Frau Pape gehörte nicht Kreisen an, wo der Reserveoffizier den Ton angibt, ihr Vater war ein biederer Handwerker. Und doch, im Benehmen dieser Witwe zeigte sich jene Verlegenheit, deren Art ich geschildert habe. Beim Einrichten meines neuen Heims vermied diese treue Schafferin, mir gerade ins Gesicht zu seh’n. Sie schämte sich! Daß ein Mann, in dessen Haushalt sie Stütze war, im Gefängnis saß, war ein fataler Schein. Was ein anständiger Mensch sein will, darf sich eben nie so benehmen, daß die Frau Postsekretär sagen kann: aber so was! Beileibe nicht darf man irgendwelche Schererei mit der Polizei kriegen! Und wenn einem die Leute erst nachsagen können, man habe „gesessen“, so gehört man fast schon zum Abschaum der Gesellschaft. Während mir das Essen mundete, stand Frau Pape nachdenklich vor einem Bilde, das ich herbestellt hatte; es war Böcklins Einsiedler, der nachts in seiner Klause geigt, von Engelchen belauscht. In meinem Haushalte hatte die gute Frau sich kaum abgegeben mit Nachdenken über ein Bild. Nun war, durch meine Verhaftung, ihre Ideenwelt aufgerüttelt. „Na Frau Pape? Was interessiert Sie denn an dem Einsiedler?“ -- „Ach ’n Einsiedler is det?“ -- „Was dachten +Sie+ denn?“ -- „Na, ick dachte Sankt Peter.“ -- „Wieso?“ -- „Ick habe in de Schule jelernt, den Sankt Peter hätten se int Jefängnis injestochen.“ -- „Ach so! Die Eremitenklause haben Sie für ein Gefängnis angesehen?“ -- „Na ja, eng jenuch is se schon, un drin is ooch nischt.“ -- „So wie hier!“ -- Frau Pape nickte bedeutsam: „Un da ha’k mich jesaacht: Wenn se jar den heiligen Sankt Peter injespunnt haben, ... aber nu +is+ et jar keen Sankt Peter!“ -- „Ich verstehe, Frau Pape! Wie Sie das Wägelchen mit meinen Sachen herbrachten, haben die Nachbarinnen getuschelt: ‚De Papen is bei Dokter Willes, wo se doch den Mann injespunnt haben -- un kiek mal, jetzt holen se die Betten int Jefängnis!‘ War’s nich so, Frau Pape? Sie werden ja rot wie’n junges Mädchen. Sie haben sich geniert! Aber das Geschwätz soll Ihnen nicht nahe gehn. Die Leute halten sich ans Äußerliche -- denken nicht darüber nach, daß man auch wegen einer gerechten Sache ins Gefängnis kommen kann.“ Frau Pape nickte bewegt: „Det ha’ck de Kunzen ooch jesaacht!“ -- „Ach so, die Kunzen war’s; die Betschwester?“ -- „Ja woll, eene olle Betschwester is se! Die wohnt an ’n Katholschen Bahnhoff jleich links -- un wenn Ochsigkeit weh dähte, +ihr+ hörte man brillen bis Potsdam!“ -- „Der erzählen Se man vom Gefängnis Sankt Peters -- Sie können auch daran erinnern, daß Christus einer war, den sie ins Gefängnis steckten.“ -- „Hurrejott, det is ooch wahr! Sojar +der+ hat jesessen!“ -- „Weil er nicht glaubte, was die Pfaffen sagten, und weil er nicht mundtot leben wollte! Hätte die Kunzen im alten Zion gelebt, die wäre unter der verblendeten Rotte gewesen, die einen Gerechten anspie. Ach ja, Frau Pape! Die Erde zwar dreht sich vorwärts. Nur mit dem Fortschritt der Erdenkinder hapert’s -- sie +trauen+ sich nicht recht vorwärts, wo sie mal aus dem Herkommen raus sollen. Es gibt zu viel fromme Verlegenheit in der Welt! Gefängnis von Schilda, dein Bolle heißt Angstmeier!“ Der Kreispfiffikus Drüben am Vorderhause gellte die Glocke. Wie ich trotz der einbrechenden Dämmerung erkannte, stand da eine mir willkommene Persönlichkeit: der Arzt des Ortes. In Friedrichshagen, wo jetzt mindestens ein halbes Dutzend Jünger Äskulaps wetteifern, praktizierten damals zwei Ärzte, einer immer besser als der andere. Doch eben aus diesem Grunde gab es für meinen Freundeskreis nur diesen einen; sintemalen wir keinen Geschmack fanden an Apothekerei, desto mehr aber an den Geistes- und Herzensvorzügen des Herrn Doktor Jacoby. Gern hatten wir seine Freimütigkeit, die er unter Spießern mit Derbheit und Spott behauptete. Auch schätzten wir seine stete Bereitschaft, in seine harte, oft grämliche Berufsarbeit ein Viertelstündchen Scherz einzuschalten. Wenn er Patientenbesuche machte und sein Wagen im Sande der Dorfstraße einem von uns begegnete, schwenkte er grüßend seinen Schlapphut und ließ anhalten, um dem willigen Opfer einen Kalauer zu versetzen. „Hurra, da kommt der Kurierzug!“ sagte mal ein Freund, als der Doktorwagen nahte. In anderer Weise uns zu kurieren, war kaum Gelegenheit -- die literarische Kolonie bestand damals aus lauter blühenden Männern und Frauen, und wohl nur, wo Elternfreuden in Aussicht standen oder das bereits vorhandene Kleine Leibschmerzen hatte, wurde Jacoby zitiert. Nicht als ärztliche Autorität trat er dann auf, sondern als ein Naturdeuter und freundschaftlicher Seelsorger. Eine Beruhigung, die schon etwas Heilendes hatte, ging von ihm aus, wenn er beim Fühlen des Pulses gemütlich vor sich hinlächelte, so daß man erraten konnte: Jetzt wird er kein Gift, sondern einen Trunk aus dem Humorquell reichen, der schon zu Zeiten des lachenden Demokrit als ein ebenso wirksames wie angenehmes Mittel galt, üble Dämonen aus Leib und Seele zu scheuchen. In allerlei Verhältnisse hatte dieser Physikus des Kreises Niederbarnim hineingeleuchtet -- weswegen wir ihn den Kreispfiffikus nannten -- und mephistophelisch dürfte man seine Kenntnis der Männlein und Weiblein nennen, wäre nicht Güte dabei gewesen! Er belachte menschliche Schwächen, weil er sie verstand; wo aber Entschuldigung nicht am Platze schien, hielt er sein Strafgericht bloß als Spötter, nie als Eiferer: „Menschen, Menschen sein mir alle“ -- dies geflügelte Karnevalswort trällerte er gern, wenn er mit schalkhaftem Blinzeln und diskreter Dämpfung der Stimme ein Stückchen aus dem Schatze seiner Lebenskunde zum besten gegeben. Was unsere literarische Kolonie mit ihrem sozialen Sinn an Jacoby besonders verehrte, war eben die gütige Menschlichkeit. Aus dem Herzen kam ihm sein Beruf, und so widmete er ihn weniger den zahlungsfähigen Kreisen der Bürgerressource, als denen, die für Arzt und Apotheker nichts andres haben als ihre Bedürftigkeit. Nicht bloß, daß er unbemittelte Patienten unentgeltlich behandelte, er schenkte ihnen auch noch Binden und Pflaster und stärkenden Rotwein. Seine Gutmütigkeit suchte er in verschämter Weise zu rechtfertigen, indem er auf die Apothekerpreise schimpfte. „So ’ne Pulle, für die man zwei Mark zahlen soll, is keene drei Sechser wert. Un diese Jiftmischer sollen wir noch reicher machen?“ Daß mir besagter Menschenfreund höchst gelegen kam, als er die Glocke beim Amtsdiener zog, hatte noch einen besondern Grund, und auch für den paßte das Wort: „Menschen, Menschen sein mir alle.“ In plötzlicher Erleuchtung nämlich sah ich, wie dieser Arzt eine Rolle zu meinem Gunsten spielen könne. Als der Amtsdiener zum Fenster heraus fragte, wer da sei, antwortete Jacobys joviale Stimme: „Kommen Se man, Bolle -- und bringen Se jleich den Schlüssel mit! Den Schlüssel zu Ihrem Inferno, zu Ihrer Besserungsanstalt. Möchte mal inspizieren.“ Unten erschien der Amtsdiener mit Laterne und rasselndem Schlüsselbund. Das Kerkerschloß ächzte, und nun reichte mir der wackere Doktor die Hand -- -- ein Fünfziger, noch stramm, doch zu behaglicher Fülle geneigt; den alten Korpsstudenten sah man ihm an. Mit seinem langen, ergrauenden Bart und üppigem Haupthaar, den markigen Zügen, der kräftigen Nase und den klugen, gütigen Augen unter kühn geschwungenen, buschigen Braunen hatte er etwas von einem Patriarchen, besonders wenn er das melancholische Gesicht aufsetzte. Das behauptete sich freilich selten und wurde auch diesmal bald aufgehellt. Meine Hand haltend, blickte der Kreispfiffikus zunächst kondolierend wie ein Leichenbitter: „Nicht bloß als Freund bin ich hier, sondern zugleich in meiner Eigenschaft als Amtsarzt. In dies Gefängnis sind Sie eingeliefert -- ob mit Recht oder Unrecht, habe ich nicht zu verantworten, mein Gewissen bezieht sich lediglich auf die sanitäre Seite der Angelegenheit. Also, womit kann ich Ihnen dienen? Haben Sie irgendwelche Wünsche, die zu erfüllen in meiner Macht steht? Wie ist das Befinden?“ Gewohnheitsmäßig fühlte er mir den Puls, ließ sich sogar die Zunge zeigen. „Appetit?“ -- „Bedeutend!“ antwortete ich. „Geradezu krankhafte Gelüste spüre ich nach Kempinskis Speisekarte. Aber die Gattin, die teure, die bald kommen wird, beschert mir vielleicht zur Feier des Tages einen Knalleffekt ihrer Kochkunst.“ -- „Potztausend! Was denn zum Beispiel?“ fragte er mit ungeheuchelter Teilnahme, setzte aber gleich wieder die Amtsmiene auf: „Das heißt, Freundchen, Sie dürfen sich hier nicht auf eine Mastkur verlegen! Bei Ihrer Anlage zur Korpulenz, in dieser scheußlich engen Zelle ...“ Bedenklich musterte er die vier Wände und schüttelte den Kopf. Dann lachte er schalkhaft und wandte sich an den Amtsdiener, der bei der offenen Zellentür im schmalen Flur stand: „Na, wissen Se, Bolle -- Ihr Jefängniswesen scheint mir nich jrade den Bedürfnissen der Neuzeit zu entsprechen -- das können Sie dem Amtsvorsteher dreist wiedersagen.“ -- Der Amtsdiener zuckte die Achseln: „Uff bessere Herrschaften is unser Hotel nich injericht.“ „Wenn das Hotel nicht drauf eingerichtet ist“ -- nahm ich pikiert das Wort -- „so soll es sich so ’ne Sache lieber nicht zutrauen -- oder aber es muß die Konsequenzen tragen.“ Der Kreispfiffikus prüfte meine Miene, ob sich darin nicht Spaßmacherei verrate. Ernsthaft fuhr ich fort: „Glauben Sie etwa, ich soll mir gefallen lassen, daß ich in so eine Kiste gesperrt werde? Da is ja kaum ein Luftloch -- nur eine bibelgroße Klappe ...“ -- „Bibelgroß is gut!“ schmunzelte der Kreispfiffikus, „auf diese Weise wird dem Ketzer das Buch der Bücher mahnend vor die gottlose Seele gehalten. Doch Scherz bei Seite, was soll nach Ihrer Ansicht hier geschehen? Möchten Sie vielleicht lieber nach Cöpenick ins Amtsgericht? Ich warne Sie -- man spricht von Insekten ...“ „Die Keepenicker nehmen den Herrn Dokter nich“ -- erlaubte sich der Amtsdiener zu bemerken -- „det jinge nicht, saacht der Herr Amtsvorsteher, weil doch eben keen Jerichtsurteil vorliecht.“ -- „Bleibt nichts übrig, als daß man in Friedrichshagen eigens für Sie ein Lokal baut“ -- und des Arztes Bäuchlein wackelte -- „oder daß Sie hier vorlieb nehmen.“ „Wenn’s nicht ein Drittes gäbe!“ wandte ich ein. „Und das wäre?“ -- „Ha, wenn dies Lokal nicht meiner Lebensweise angepaßt ist, so muß meine Lebensweise den Rahmen solch scheußlicher Verhältnisse sprengen. Die frische Luft und die Bewegung, die in dieser drangvoll fürchterlichen Enge fehlen, will ich mir draußen verschaffen. Eine gewisse sanitäre Fürsorge gehört selbst für den Gefangenen zu den Menschenrechten. Jedes preußische Gefängnis muß doch einen anständigen Hof haben, wo der Gefangene spazieren gehen kann. Sie erwähnen meine Anlage zur Korpulenz -- also muß ich Bewegung haben, viel Bewegung -- ein paar Stunden täglich laufen -- im Walde ’rum -- oder rudern -- auf dem See ’rum ...“ Mit großen Augen sah mich der Kreispfiffikus an und echote: „Auf dem See ’rum? Sie sind wohl ein Anhänger der neuen Serum-Therapie?“ Mein Gesicht verzerrte sich bei diesem Kalauer; er aber fuhr fort: „Nu verstehe ich die Konsequenzen, von denen Sie sprechen. Na ja, Bewegung müssen Sie haben -- keine Behörde darf Ihnen zumuten, daß Sie sich hier ein Fettherz anhocken ... Der Sache wollen wir mal gleich auf den Grund spüren. Bitte, machen Se mal Ihre Weste auf.“ Und der eifrige Arzt zog sein Stethoskop hervor. „Vata“ -- es war der Knabe des Amtsdieners -- „Mutta saacht, de Bratkartoffeln werden kalt.“ -- „Quatsch keen Kaleika!“ antwortete Bolle -- „saach Muttern, ick komme jleich!“ Mit Interesse hatte sich der Kreispfiffikus dieser Szene zugewandt, nun betrachtete er den Amtsdiener von oben bis unten: „Wieso jleich? Was berechtigt Sie zu der Annahme, daß Sie jleich abkommen?“ Der Amtsdiener geriet in Verlegenheit: „Ick dachte man bloß, Herr Dokta!“ -- „So so! Sie dachten! Dieser ungewöhnliche Fall legt mir die Frage nahe: +was+ dachten Sie denn? Dachten Sie vielleicht, ich solle meine Inspektion übers Knie brechen? bloß damit Ihnen Ihre Bratkartoffeln nicht erkalten? Menschlich zwar entbehrt Ihr Wunsch nicht einer gewissen Berechtigung. Menschen, Menschen sein mir alle! Unser verehrter Herr Arrestant gebrauchte den Ausdruck: Menschenrechte. Ob nun freilich das warme Abendessen gerade zu den Menschenrechten gehört, bleibe dahingestellt. Jedenfalls bin ich kein Unmensch, drum entscheid’ ich: Begeben Sie sich in den Kreis Ihrer Lieben, zur warmen Atzung! Wir legen auf Ihre Anwesenheit nicht den mindesten Wert.“ -- Der Amtsdiener stutzte: „Aber ick muß doch zuschließen! Darf man denn eenen Inhaftierten bei offene Türe lassen?“ -- „Man darf es!“ erwiderte der Kreispfiffikus gewichtig. „Oder bilden Sie sich etwa ein, dieser Häftling wird Ihnen ausreißen? Der +wollte+ ja hier hinein! Ist geflissentlich hierher gekommen und hat dafür seine respektablen Gründe. Ihm könnten Sie dauernd seinen Kerkerschlüssel anvertrauen, er wird kein Ausreißer. Übrigens übernehme ich, eine Amtsperson, für ihn die Bürgschaft. Wissen Sie, wie es in Schillers Bürgschaft heißt? So laß mich -- als Freund -- für ihn bürgen! Mich magst du -- entrinnt er -- erwürgen ...“ In diesem Moment erschien Frau Bolle mit einem Dorfjungen, der die Backe verbunden hatte. „Himmel!“ klagte der Arzt, „hat man nich mal in dieser Klause Ruhe vor Patienten? Frau Bolle, das war nich woljetan, mir noch mehr leidende Menschheit aufzuhalsen.“ -- „Ick kann nischt dafier! Eben is der Junge jekommen -- hat stundenlang int Sprechzimmer bei Sie jewartet, un jetzt hält er’t vor Zahnschmerz nich mehr aus. Ei sprich doch selber, Bengel!“ Die Augen des Jungen füllten sich mit Tränen, er hielt die Hände an die Backe gepreßt. „Na, zeich mal, Jungeken,“ meinte der Kreispfiffikus gutmütig und suchte die Hände von der Backe wegzuziehen. „Dummer Lümmel, halt still! Sonst laß ick dir von de Pollezei festhalten. Dir wer’k uff’n Zopp spucken!“ Der Junge wußte nicht, soll er retirieren oder bleiben. Nun griff der Kreispfiffikus in seine Tasche. „Na, komm her! Zeichste’n Zahn, so kriste’n Jroschen.“ Der Junge hielt eine Seite seines Gesichtes hin. „Still gehalten, törichter Affe! Mund auf! Ich tue dir nischt -- bin doch kein Dentist -- oder hälst du mich für einen Dentisten, he? Der Schafskopp weiß nich mal, was das ist, ein Dentist. Auf Dentist reimt sich Hinterlist. Det is einer, wo schon de Zange heimlich in der Hand hält! Junge, zeich die Wange! Hab man keene Bange -- ick habe keene Zange! Laute +adlige+ Reime! sind nämlich +von+ Jacoby ...“ „Au!“ schrie der Junge und spie Blut, während der Kreispfiffikus triumphierend ein weißes Zähnchen zwischen den Fingern hielt. „Na, siehste, Jungeken, da is er schon! Und nu bin ick wohl +doch’n+ Dentist -- wie? Der Bengel is janz wild!“ Allerdings lohte der Junge vor Empörung: „Jemeinheit“, brüllte er, „Ihnen kennen ma!“ Der Kreispfiffikus lachte und zog sein Portemonnaie: „Verjiß deinen Jroschen nich! Der is für de Kur -- und hier is noch’n zweeter Jroschen -- für’t Schimpfen! Nu kannste nach Kempinski’n jehn! Aber keen Zuckerwerk koofen! Sonst wird auch die andere Backe dick -- un denn komm mir ja nich wieder!“ -- Der Junge hielt seine Beute in die Hand geklammert und wischte mit der anderen die Tränen: „Danke ooch scheen!“ Während er forteilte, wandte sich der Kreispfiffikus an mich und schlenkerte seine Hand in der Luft, die Melodie vom guten Kameraden trällernd: „Kann dir die Hand nicht geben -- der Bengel hat sie im Maul gehabt. Amtsdiener kommen Sie mal zur Pumpe, ich will mir die Hände in Unschuld waschen ... Und was tun denn Sie noch hier, Frau Bolle? Na ja, die Weiblichkeit sieht jern zu bei Jrausamkeiten!“ Und er ging mit dem Amtsdiener zur Pumpe, als sei diese Form der Reinigung ganz in der Ordnung. Die Frau Amtsdiener eilte nach einem Handtuch. Wie sich der Kreispfiffikus abgetrocknet hatte, schob er den Amtsdiener und seine Frau ab; mich wies er mit scherzender Drohung in meinen Kerker, wie man ein Huhn in den Stall scheucht. Meine Einladung, auf dem Stuhle Platz zu nehmen, lehnte er ab und holte sein Stethoskop heraus. -- „Sie wollen mich wirklich untersuchen?“ -- „Selbstverständlich!“ Und er behorchte, beklopfte meinen Brustkasten: „Eine Lunge wie eine Kirchenorgel. Dieser Vergleich berührt Sie hoffentlich nicht peinlich, was? Auch das Herz ist gesund -- obwohl ihm tüchtige Bewegung, womöglich schwere Körperarbeit, not täte. Zum Beispiel Holzsägen, Stubbenzerkleinern ...“ -- „Ach, gehn Sie nur! Auf diesem ländlichen Hofe Stubben klein machen -- wo Hühner im Miste scharren und Eier legen und sonst noch was -- da wäre der Sport denn doch etwas ...“ -- „Etwas zu mystisch, meinen Sie, göttlicher Atheist!“ -- Ich fuhr fort: „Aber die Kegelbahn haben Sie wohl bemerkt -- der Gastwirt ließe schon mit sich reden -- -- ich würde gern drauf abonnieren, -- der Junge des Amtsdieners könnte ja den Kegeljungen machen.“ Mit zärtlichem Lächeln sah mir der Doktor ins Gesicht: „Dann schieben wir hier eine Gans aus -- und laden den Amtsvorsteher dazu ein und Ihr Provinzial-Schulkollegium, wa? Nein, Schäker, die Kegelbahn ist ebenfalls mystisch, auch darauf klettern die Hühner rum. Aber freilich, Bewegung müssen Se haben. Täglich zwei Stunden spazieren! Ich spreche morgen mit dem Amtsvorsteher. Spazierengehen können Se verlangen -- und natürlich geht das nicht auf diesem Hühnerhof.“ Gerührt schüttelte ich dem Kreispfiffikus die Hand. Mein stiller Plan war so gut wie gelungen, da dieser Gönner die Rolle, die ich ihm zugedacht, mit dem Instinkt seiner Menschenfreundlichkeit übernommen hatte. „Menschen, Menschen sein mir alle!“ -- -- -- Viele Jahre sind seit dieser Szene verflossen, und Jacoby, oder, wie er in seinen letzten Lebensjahren hieß, der Sanitätsrat, hat noch manche brave Tat verrichtet, bevor er zum Orkus fuhr. Wenn der Stil des Chronisten, sonst nicht elegisch, nun etwas Nekrologstimmung annimmt, so bringt das die Verehrung für diesen Mann mit sich, der wie ein gutes Pferd in den Sielen starb. Ein hoher Sechziger war er bereits, als er noch mit eigensinniger Treue seinen Beruf ausübte. Es galt, die Todesart einer Selbstmörderin festzustellen. Ermüdet und durch den traurigen Schicksalsfall erschüttert, legte sich Jacoby, um nicht wieder aufzustehen. Nur aufge+richtet+ hat er sich noch einmal, als er spürte, daß es zu Ende gehe. „Halte dir feste, Herr Jacoby!“ scherzte er -- und röchelnd sank er zurück. Bevor er seine letzte Reise antrat, um durch die Flamme bestattet zu werden, hallte an seiner Bahre glockentief der Akkord dieses tüchtigen Lebens. Eine Begebenheit, die ihn kennzeichnet, wurde erzählt. Der schon bejahrte Jacoby wurde in einer Winternacht herausgeklingelt. Ein Mann aus Rahnsdorf war zu Schlitten über den gefrorenen Müggelsee gekommen; seine Frau drohte im Wochenbett zu verbluten. Ohne Zögern machte sich der Arzt fertig, bestieg den Schlitten und wagte die Fahrt übers Eis. Die Pferde gerieten auf eine Fläche so spiegelblank, daß die Hufeisen fortwährend ausglitten. Ein Verzug von Minuten konnte der Wöchnerin den Tod bringen! Doch der treue Arzt ließ sich Schlittschuhe, die er vorsorglich mitgenommen, an seine Füße schnallen, die doch nicht mehr die Elastizität der Jugend hatten. Und wagte den einsamen Lauf durch Nacht und schneidenden Ost. Über glattes Eis, das sich noch weit erstreckte -- und in der Rahnsdorfer Gegend hatte es, wie gewöhnlich, offene Stellen. Der Menschenfreund kam knapp zurecht, um die Gattin und Mutter zu retten. Diese Tat funkelt als ein Stern in einem ganzen Gewimmel. Wenn es nachtet, erglimmen die Sterne: So sieht man die Tugenden eines Menschen in voller Pracht, wenn er gestorben -- am Himmel seiner Verewigung. -- Im Kurpark zu Friedrichshagen hat Jacoby ein Denkmal -- das erzene Antlitz verschmilzt die humorvolle Schelmerei Eulenspiegels mit der Güte und Seelenruhe jenes weisen Nathan, der von den drei Ringen erzählt. Doktor fürs Vieh Im Traum war ich Robinson -- aus dem Versteck belauschte ich die Mahlzeit der Kannibalen -- dicht bei mir briet ein Wilder etwas über prasselndem Feuer. Ich blinzelte -- und sah nun, daß jemand vor dem Ofen kniete. Es war die Frau Amtsdienerin, und das Ofenfeuer strahlte über die Diele meines Gefängnisses. Daß Frau Bolle -- ein gemütlich rundes, munteres Weibchen -- beflissen war, leise zu hantieren, berührte mich angenehm; ich fühlte mich wie in meiner Knabenzeit, wenn in winterlicher Frühe unser Dienstmädchen Feuer machte, während ich mich in den Kissen noch mal zurechtlegte, weil Ferien waren. Ferien! Ein Weilchen gab ich mich der Stimmung hin, dann begann ich: „Guten Morgen, Frau Bolle!“ -- „Scheen juten Morjen, Herr Dokta! Nu ha’k Ihnen doch woll jesteert? Un ha’m Se denn ooch jut jeschlafen de erste Nacht?“ -- „Wie’n Stück Holz.“ -- „Det is man scheene!“ Die Amtsdienerin erhob sich. -- „Ist es denn überhaupt nötig, daß heute geheizt wird, Frau Bolle? Bei dem milden Wetter, das wir all diese Tage haben? Ist der Himmel wieder so klar?“ -- „Der Morjenstern hät scheen jeleicht’, un jetzt is wieder so’n richtijer Olleweibersommer.“ -- „Frau Bolle, heute geht’s aber spazieren! Sagen Sie doch Ihrem Mann, ich lasse den Amtsvorsteher dringend ersuchen!“ -- „Hm!“ meinte Frau Bolle -- „un wo soll’t denn hinjehn?“ -- „In den Wald natürlich! Ich werde Grünlinge suchen und Ziegenlippen.“ -- „Wa? Ziejenlippen, wat is’n det?“ -- „Gelbgraue Pilze, wirklich zart wie Ziegenlippen. Haben Sie Pilze gern?“ -- „Bloß Feffalinge. Aber ooch mang de Feffalinge jibt et falsche, wo jiftig sinn. Unsereens kann se nich sicher unterscheiden. Aber Sie haben woll druf studiert? Und kennen alle det Jiftzeich? Da machen Se woll Medezin draus?“ -- „Wieso Medizin? Davon verstehe ich nichts!“ -- „Na, aber Se sind doch’n Dokta!“ -- „Kein Doktor der Medizin!“ -- „Ach so, drum ebens! Denn jibt et woll +so’ne+ Doktas und +solche+ Doktas? Ick wundere mer jestern, wie der Dokta Jacoby Ihnen untersuchen kommt, wo Se doch +selber’n+ Dokta sind. Denn sind Se also ’ne +andere+ Sorte Dokta? +Wat+ denn fier eener?“ -- „Ich bin Doktor der Philosophie!“ -- „Ach so, Dokta fiers Vieh! Det ist ooch’n janz jutet Doktajeschäft!“ -- „Hü-ihi-hih!“ Frau Bolle war gegangen, und ich wollte mich erheben, als sich draußen die Stimme meiner Frau vernehmen ließ, und dann sagte Frau Bolle: „Wie niedlich! So’n kleenet Viehzeich!“ Was für Viehzeug sie meinte, verriet ein helles Stimmchen. Mein Kätzchen mußte das sein! Richtig, meine Frau trat ein, begleitet von der Mutterkatze Henneken, die erhobenen Schweifes an ihr empormauzte -- das Katzenkind, unser Füchschen, hatte meine Frau im Korbe. Sie setzte es mir auf die Bettdecke, Henneken sprang herzu, und schnurrend vor Behagen räkelten sich Mutter und Kind auf dem Pfühl. Das Kleine begann zu saugen, die beiden Frauen sahen zärtlich zu. Bei dieser Szene kam sich der Gefangene vor, als sei er nicht in Eisen gelegt, sondern in Watte. Frau Bolle schwankte, ob sie das Gefängnis auflassen dürfe, und meine Frau erwiderte naiv: „Die Katze läuft nicht weg!“ -- „Ick frage bloß von wejen den Herrn Dokta, weil doch der innjespunnt is!“ -- „Läuft auch nicht weg!“ versicherte ich und meine Frau: „Is ja nich mal angezogen!“ Die Amtsdienerin ging also, ohne zuzuschließen. „Nu kannst du auch noch ’n Weilchen liegen bleiben, sonst störst du die Katzen. Ich mache Tee und leiste dir ein Viertelstündchen Gesellschaft. Dann muß ich die Katzen wieder nach Hause bringen. Ich habe unterwegs mit ihnen meine liebe Not gehabt. Füchschen war ja artig im Korbe, aber Henneken etwas schwierig -- nicht auf meinem Arm zu halten. Da hab ich sie frei laufen lassen -- ich dachte: wenn sie schon ihrem Frauchen auf der Straße nachläuft, so tut sie das erst recht, wo ihr Kleines getragen wird. Und richtig, sie trottet mit. An der Ecke der Müggelstraße aber spielen Jungens -- die sehen kaum die Katze, so kommt einer gelaufen -- -- du weißt ja wie solche Bengels sind. Und Henneken geht an mir hoch wie an einem Baumstamm -- hier am Arm hat sie durchgekrallt. Und wie sie auf meiner Schulter sitzt, faucht sie den Bengel an. Ich denke: zanken macht die Sache bloß schlimmer. Da hab ich freundlich gesagt: Kinderchen, die Katze hat ein Kleines, seht mal hier im Korb! Und habe Füchschen gezeigt. Da sind die Kinder ganz kirre geworden -- bei denen hab ich nu gewonnenes Spiel. Wären bloß die Hunde nich!“ -- „Das ist ja ein ganzer Roman. Auf all den Schrecken mußt du dem guten Hennecken Milch geben. Weißt du übrigens wie ich mir mit dem anhänglichen Viehzeug vorkomme. Wie’n Doktor fürs Vieh.“ Und ich erzählte meiner Frau von der Meinung der Amtsdienerin. -- „Hü-ihi!“ Dann nahmen die gestreichelten Katzen dankbar schnurrend Abschied, Füchschen kam wieder in den Korb, und meine Frau zog los. Die Mutterkatze zögerte ein Weilchen und spähte geduckt umher; dann trollte sie meiner Frau mauzend nach, zur geöffneten Hoftür hinaus. Das Flugblatt Nun aber aus den Federn! Es war an der Zeit, was Ernstes zu tun! Mein Gefängnis ließ sich ja ziemlich fidel an, doch blieb es immer ein Gefängnis, und ich saß ohne Richterspruch! Dagegen galt es aufzutreten! Als ich Toilette gemacht, kam die Amtsdienerin mit der vom Briefträger gebrachten Post. Übrigens wollte Frau Bolle mein Gefängnis in Ordnung bringen. Während sie säuberte und frische Luft durch Zelle und Flur ziehen ließ, ging ich im Hof umher und besah die Post -- es waren Zeitungen, auffallend viel Karten und Briefe. Auch eine Broschüre war dabei: Fichtes Appellation an das Publikum gegen die Anklage des Atheismus. Auf der Kegelbahn spazierend, vertiefte ich mich in die Schrift, die vom Herausgeber mit interessanten Anmerkungen über den Gottglauben versehen war. Fichte, eine tief religiöse Natur, versteht unter der Gottheit kein persönliches Wesen, hält den Glauben an seine Persönlichkeit vielmehr für eine Verengung Gottes. Gott ist die sittliche Weltordnung. Fichte wurde deshalb von einer rückschrittlichen Regierungspartei des Atheismus beschuldigt. In seiner Verteidigungsschrift führt er aus: In seiner unmittelbaren Beziehung auf die Welt des Guten hat der Mensch Gott; wozu soll er ein Sein Gottes noch außer dieser Beziehung annehmen? Von seinen Anklägern, die sich Gott als den Geber alles Genusses und Verhänger des Unglückes, als Belohner und Bestrafer denken, sagt er: „Wer Genuß will, ist ein fleischlicher Mensch, der keine Religion hat, ja keiner Religion fähig ist. Die erste wahrhaft religiöse Empfindung tötet in uns die egoistische Begierde. Ein Gott, der dem Egoismus dienen soll, ist ein verächtliches Wesen; denn er unterstützt, er verewigt das menschliche Verderben und die Herabwürdigung der Vernunft. Ein solcher Gott ist ganz eigentlich der Fürst dieser Welt, der schon längst durch den Mund der Wahrheit gerichtet ist. Was sie Gott nennen, ist mir ein Götze; sie sind die wahren Atheisten ... Mein Atheismus besteht lediglich darin, daß ich meinen Verstand behalten will.“ Während ich philosophierte, von Hühnern umgackert, fühlte ich den Drang, die Arme zu regen, die Fäuste. Dazu war ja nun die Kegelbahn gut. Ich stellte die Kegel auf und packte eine Kugel. Zuerst schob ich einen Versager, dann forsch alle Neune. Als ich abermals aufstellte, kam Frau Bolle: das Gefängnis wäre fertig. „Un Sie +beklagen+ Ihnen noch ieber disen Hof? Aber +lassen+ Se man lieber det Kejeln! Von wejen de Nachbarsleite! Die klatschen un kujenieren zu ville -- und wat so’n Amtsdiena is, uff den hacken se alle los.“ Ich sah mir die Nachbarschaft an. „Wer wohnt denn drüben in der kleinen Giebelstube?“ -- „Ach, der tut nischt! Det is der olle Kuschel, wo morjens immer de Kiehe zusammentuten tut.“ -- „Von Ansehen kenne ich ihn, natürlich auch von seiner Tuterei. Wie ich noch neu in Friedrichshagen war, dachte ich, Soldaten wären hier einquartiert.“ -- „Der Kuschel war bei’s Milletär Hornist, ebens dadrum tut er immer det Signal tuten: Habt ihr denn noch nich jenuch jeschlaa--feen! Un denn kommen de Kiehe heidi von selber aus’n Stall; un abends trotten se wieda rinn ... Aber nu, Herr Dokta, nu hat et jeschnappt, und Sie missen +ooch+ wieder rinn!“ Im Gefängnis nahm ich meine Post vor. Eine Reihe von Freunden und Gesinnungsgenossen drückte Teilnahme aus, sowie Empörung über das Vorgehen der Behörde. Ich beschloß, aus meinem Gefängnis die öffentliche Meinung anzurufen -- ein Flugblatt wollte ich loslassen. Und schrieb folgende Notizen in mein Tagebuch: „Das Rechtsgefühl unseres Volkes verlangt, daß jede vom Staate verhängte Strafe einen Richterspruch zur Grundlage hat. Wo man sich herausnimmt, zu bestrafen, ohne dem Angeklagten ein über den Parteien stehendes Gericht einzuräumen, da liegt für unser Fühlen und Denken eine Ungeheuerlichkeit vor. Mit Entrüstung lesen wir von jener unumschränkten Fürstenherrschaft, die einen Schubart, einen Trenck und andere im Kerker verschwinden ließ, ohne daß ein Gericht entschieden hatte. Und der Inbegriff des Knutenregiments liegt in der Formel: Auf administrativem Weg nach Sibirien verschickt. So was kommt bei uns nicht vor! denkt der preußische Staatsbürger. Aber ich bin im Gefängnis infolge einer administrativen Verfügung, ohne richterliche Entscheidung. Und was habe ich verbrochen? Ich habe in sonntäglichen, polizeilich gestatteten Versammlungen, die jedermann zugänglich waren und auch von Minderjährigen auf Wunsch ihrer Eltern besucht wurden, über die freireligiösen Grundsätze Vortrag gehalten. Nicht wird mir zur Last gelegt, etwas Ungesetzliches gesagt zu haben. Doch es behauptet die Behörde, die Anwesenheit minderjähriger Personen verwandle meine Vorträge in Jugendunterricht. Einen solchen zu erteilen, verbietet mir das Provinzial-Schulkollegium, weil ich ‚das Dasein Gottes leugne‘ und daher nach Ansicht der Behörde überhaupt keine Religion habe. Wie darf diese Behörde behaupten, zur Religion gehöre der Glaube an einen Gott, an einen persönlichen und außerweltlichen? Der Buddhismus, der dem Christentum an Zahl überlegen ist und -- wie selbst Kirchenchristen zugeben -- an sittlichem Werte schwerlich nachsteht, läßt keinen Gott gelten. Unter den ernsten Religionsforschern rechnet kein einziger den Gottglauben zum Wesen der Religion. Und an +welchen+ Gott müßte man glauben, um Religion zu haben? Ist nicht das Wort Gott unendlich vieldeutig? Welches ist der +rechte+ Gott? Als man den Philosophen Fichte wegen seines Atheismus maßregelte, sagte der Theologe Schleiermacher, es drohe gefährlich zu werden, über die Gottheit zu reden, bevor eine Begriffs-Bestimmung von Gott ans Licht gebracht und im Staate sanktioniert sei. Man solle doch vom Kurfürsten von Sachsen eine zu Recht bestehende Definition von Gott und dessen Dasein verlangen. Die amtliche Formel, die Schleiermacher spöttisch vermißte, ist immer noch nicht erfolgt, auch nicht in Preußen, dem Musterstaate des Verordnungswesens. Wie kann also der brave Untertan wissen, an +welchen+ Gott er glauben soll? Schleiermacher war kein sogenannter Atheist wie Fichte, war ein heller Stern der Landeskirche, auf den sie stolz sein kann. Die Gläubigen aller Bekenntnisse mahnt Schleiermacher daran, das ganze Gebiet der Religion sei ein unendliches und könne die verschiedensten Gestalten annehmen. Wahre Religiosität sei nicht unduldsam. Nur die Anhänger des toten Buchstabens haben die Welt mit dem Geschrei und Getümmel der Religionsstreitigkeiten erfüllt; die wahren Beschauer des Ewigen waren immer ruhige Seelen, allein mit sich und dem Unendlichen, und wenn sie sich umsahen, jedem seine eigene Art gerne gönnend. Religion haben, heißt das Universum anschauen. Die Religion ist keine bestimmte Lehre, also nicht etwa der Glaube an einen persönlichen Gott oder an Unsterblichkeit, an Wunder und Offenbarungen. Sie dreht sich nicht um Begriffe, sondern ist eine Gemütsrichtung. Schleiermacher gesteht geradezu, eine Religion +ohne+ Gott könne +besser+ sein als eine andere +mit+ Gott, und erteilt den Gott-Fanatikern den Denkzettel: ‚Auch gab es unter wahrhaft religiösen Menschen nie Eiferer, Enthusiasten oder Schwärmer für das Dasein Gottes; denn Gott ist nicht alles in der Religion -- und das Universum ist mehr.‘ Trotz alledem erklärt mich die preußische Regierung für religionslos und setzt mich ins Gefängnis, der ich im Bewußtsein verfassungsmäßigen Rechts, in Ausübung der verbürgten Religions- und Gewissensfreiheit, meine Überzeugung meinen freireligiösen Konfirmanden vermittelt habe. Das Provinzial-Schulkollegium -- so schrieb mir der Kultusminister Bosse -- sei befugt, die Aufsicht über das gesamte Schulwesen in Berlin zu führen und nach § 11 der Regierungs-Instruktion vom 23. Oktober 1817 ‚instruktionsmäßig berechtigt, seinen Verfügungen durch Zwangsmaßregeln Nachdruck zu verleihen.‘ Die ministerielle Auffassung wäre kaum der Rede wert, träte sie nicht mit dem Anspruch auf, einer Entscheidung der Streitfrage durch ein Gericht nicht zu bedürfen. Den obrigkeitlichen Verfügungen alter, beim Volke nicht gut beleumdeter Zeiten, nämlich der Jahre 1808 und 1817, entnimmt die Unterrichtsbehörde die Befugnis, nicht nur Klägerin, sondern gleichzeitig Richterin und Rächerin zu sein. Da sie das darf, ohne daß Gericht und Volksvertretung Einspruch erheben, so haben wir im ‚Rechtsstaat‘ Preußen Zustände, die gewissen russischen ähneln und die knappe Bezeichnung rechtfertigen: +Sibirien in Preußen+. Ein Versuch, meine Angelegenheit beim Oberverwaltungsgerichte anhängig zu machen, wurde abgewiesen mit der Begründung: ‚Verfügungen, wie die den Gegenstand des Klageangriffs bildende, unterliegen nicht der Anfechtung mit den (im Gesetz über die Landesverwaltung vom 30. Juli 1883) vorgesehenen Rechtsbehelfen und sind auch nirgendwo sonst der Kontrolle des Verwaltungsgerichts unterstellt. Das Verwaltungsstreitverfahren findet lediglich statt, soweit es durch besondere gesetzliche Bestimmungen zugelassen ist.‘ Also das Gericht erklärt, in meinem Falle sei es +nicht zuständig+! Ich habe mich der Haft unterzogen, um in eindrucksvoller Weise zu zeigen, was für Zustände wir haben. Wenn die Herren oben sich herbeilassen sollen, Wünsche des Volkes zu erfüllen, so muß dieses eine laute Sprache reden, muß seinen Willen in einem Sturme öffentlicher Meinung kundgeben ...“ Nun warf ich die Feder hin und sprang auf. Umherlaufen wollt’ ich, hätte mich gern ein wenig ausgetobt. Doch mein Fuß stieß an -- seit ich die Zelle mit dem Tischchen und Stuhl teilte, konnte ich nicht mal die drei Schritte tun, die mir gestern den Spaziertrab eines Käfigtiers vergönnt hatten. Stutzig über die eingekeilte Enge, ergab ich mich ins Unvermeidliche und nahm seufzend wieder Platz. Verrückte Welt! Warum sitze ich hier im Käfig, eingesperrt wie ein wildes Tier? Als ob nicht auch mein Atheismus lediglich darin bestände, daß ich meinen Verstand behalten will! Das ist doch so natürlich, so gesund, wie das Saugen der jungen Katze an der Mutterbrust. Und daß ich meine Überzeugung nicht aufgebe, darf nicht strafbar sein, ist vielmehr so rechtschaffen, wie die Anhänglichkeit der Mutterkatze an ihr Junges. Aber freilich, kaum werden die Bengels der Katzen ansichtig, so geht’s hinter ihr drein: „Hetz, hetz!“ Ihr blöden Tapse! Höret auf, einen heiligen Trieb zu stören! Angenommen, meine Überzeugung wäre ein Irrtum. Dann bin ich immerhin ein Sucher der Wahrheit. Ist es recht, mich dafür zu bestrafen? Was soll dieser Appell an meine Scheu vor Unbequemlichkeit, an meinen Egoismus? Gesetzt, er habe den Erfolg, daß der Ketzer zu Kreuze kriecht, o pfui! dann erstickt man in ihm die Religion; die ist ja nichts anderes als Ehrfurcht vor der Überzeugung, vor dem nach Wahrheit strebenden Selbst! Ist aber solches Ersticken seiner Wahrhaftigkeit euer „Sieg“, ihr Perücken von Schilda, so habt ihr in der Person des Ketzers, der ja vom innern „Gott“ zu seiner Überzeugung bevollmächtigt wurde, Gott selber bestraft! Lagen diese Zusammenhänge auch klar wie der sonnige Tag vor meinen Augen, so war doch zweifelhaft, ob die Volksgenossen denken würden wie ich. Die Regierung dachte +nicht+ wie ich. Es fehlte am richtigen Unterscheidungsvermögen. Doch halt! wie stand es mit +meinem+ Unterscheidungsvermögen? Wenn ich nun hier Ideal mit Wirklichkeit verwechselte? Wenn ich Perlen vor die Säue würfe? Und mit Weltanschauung von Fichte, Schleiermacher, mit all der hohen Philosophie schließlich doch nur so etwas wäre wie ein Doktor fürs Vieh? O Kerker der Selbsttäuschung! Bin ich von dir umgittert? Ist mein Heiligstes Illusion? Das wäre die furchtbarste Gefangenschaft! Ich, dem der Katechismusgott zur Fabel geworden, glaubte an die unmittelbare Macht des Rechts. Vertraute dem Feldgeschrei, von dem sich Leutehaufen hinreißen lassen -- vertraute auch etwas dem Schlagwort, mit dem das seelische Beharrungsvermögen überwunden werden sollte. Beharrungsvermögen oder, wie es der Mechaniker ebenfalls nennt, Trägheitsmoment! Ein Menschenkenner hat das Wort geprägt: „Öffentliche Meinungen -- private Faulheiten.“ Und ich -- rief die öffentliche Meinung an! Aufs Papier hatte ich noch das Schlagwort geworfen: Sibirien in Preußen. Nun ja, es stimmte. Wehmütig bekennt freilich der Chronist neuerdings: Das Feuer der Märzrevolution, das damals in mir aufloderte, hat außen nur die Friedrichshagener Handlaterne zu entzünden vermocht, mit der ein Menschensucher, für manchen komisch wie Diogenes, in allerlei staubigen Kram hineinleuchtete. Hier hätte auch das Schlagwort gepaßt: Preußen in Schilda. Und es paßt noch immer; heute noch ist in Preußen möglich, was damals geschah! Die Grille im Käfig Eine noch unverblichene Laubkrone hob der Akazienbaum des Nachbarhofes in den Sonnenschein. Reglos träumten die Zweige in der stillen Luft, und wenn am Nachmittag die Sonne rötlich schimmerte, hoben sich vom Dunkelgrün der schattigen Massen die verklärten Blättergruppen ab, deren gefiederte Laubform hervortrat. Auf dem Baume zirpte noch immer die Grille. In ihre wunschlose Beschaulichkeit zu versinken, war mir wehmütiges Glück. Die Besucherglocke läutete, und da stand mein Freund Eckehart, der schlanke Germane mit dem Christusbarte. Er winkte mir freundlich zu. Frau Bolle brachte den Schlüssel, und auf ihre Frage, wie lange der Herr bleiben wolle, gab er den Bescheid: „Muß gleich wieder fort. Nach Berlin auf die Bibliothek. Wollte Ihnen bloß was bringen.“ Und einen Gegenstand, in Papier eingeschlagen, enthüllte er vorsichtig. Eine Pappschachtel von der Größe eines Vogelbauers. Die eine Wand herausgeschnitten und durch Netzgewebe ersetzt. Oben ein Türchen zum Aufklappen. In diesem Käfig hockte bei Blättern von Runkelrübe eine Grille. „Uh!“ meinte Frau Bolle in einer Mischung von Bewunderung und Abscheu -- „nu kiek doch eener, so’n Biest.“ Ein stattliches Exemplar, fast daumengroß, bräunlich grün. Beine und Silberflügel unverletzt. „Uh! Wie e’ jlotzt mit sein Ferdekopp!“ Altklug sah mich die Grille an, mit ihren niedlichen Augenperlen. Sie tat mir leid, fragend blickte ich auf Eckehart. „Damit Sie doch lebendige Gesellschaft in Ihrem Gefängnis haben, und weil Sie ein besonderer Freund der Heuschrecke sind.“ Also gut! die Grille ward aufgenommen. Den Faden der Schachtel befestigte ich am Wandteppich, nahe dem Fenster. „Freitag“ nannte Robinson seinen freitags gefundenen Gesellschafter. Heute war erst Donnerstag; aber auch dieser Tag paßte zur Benamsung des grünen Insekts. Ich brachte mein Gesicht an das Gittergewebe und schäkerte: „Wo ist denn mein Grüner Donnerstag?“ Mit Glotzen antwortete er -- das war ja seine Natur. Da er mit Futter versehen war, blieb mir nichts übrig, als ihm Ruhe zu gönnen. Zunächst war der Grüne Donnerstag mäuschenstill -- er schien sich zu orientieren im neuen Heim. -- Indessen dachte ich zurück an zauberische Septembertage, die ich jüngst genossen. Dachte an die edle Grillenjägerei mit Eckehart auf seinem „Rittergute“. Nicht als ob Eckehart Rittergutsbesitzer gewesen. Privatgelehrter war er, ein faustischer Sinnierer. Als Naturschwärmer hatte er sich im verwilderten Laubpark des Gutes Rahnsdorf, hinter dem Dorfe, ein Plätzchen für den Sommer gemietet und zu einer Laubenwohnung hergerichtet. Köstlich abgeschieden liegt das Gut, versteckt zwischen Kiefern und Akazien. Im Westen und Osten unpassierbare Sumpfwiesen mit wallendem Rohr; auf der Nordseite des Laubparks fließt die Spree. Im Wirtschaftsgebäude, das schon verfallen, haust eine friedliche alte Frau, von ihren Bekannten Großmutter genannt. Sie hat eine Enkelin, ein auffallend schönes Mädchen. Eckehart nennt sie „Diotima“ und schwärmt für sie, wie Hölderlein für seine schöne Helena und Madonna. An Sommerabenden hört der Wandrer aus dem verwilderten Park den Zaubergesang einer weiblichen Stimme mit Flötenbegleitung. Die Bewirtschaftung des Gutes beschränkt sich auf Gemüsebau, Heuernte und eine kleine Molkerei, -- zehn, zwölf Kühe, ein paar Ziegen. Ungestörtes Behagen ist der Herde beschieden, die auf der fetten Moorwiese grast und wiederkäuend unter Erlen lagert. Eckeharts Tuskulum liegt auf einer Erhebung des Ufers unter einer mächtigen Eiche. Aus Balken und Brettern ist es zimmert, grün gestrichen, von wildem Wein umwoben. Durch Tür und Fensterlein sieht man ein Gärtchen, Unkraut, bunte Blumen, dann die Spree, Schilf, blaue Waldhügel. Als ich diese Gemütlichkeit bewunderte, sagte Eckehart: „Auch auf Daches Zinnen kann ich steigen wie weiland der glückstrunkene Inselkönig. Mittels dieser Leiter erklimmt der Fürst bei gutem Wetter das pappene Dach, sein Reich zu überschauen. In der Hängematte am wagerecht übergereckten Eichenast lauscht er der Windharmonika, die in der Eichenkrone summt. Ach, und jetzt im Herbst die Heuschrecken!“ -- „Sie sind ein Lebenskünstler, Eckehart,“ hatte ich geantwortet. „Aber tun Sie mir den einzigen Gefallen und sagen Sie nicht Heuschrecke. Ich finde den Namen gräßlich! Er stammt gewiß von einer zimperlichen Stadtmamsell, die in idyllischer Anwandlung einen Heuhaufen zum Sessel erkor, um kreischend emporzufahren, die Augen starr gerichtet auf unsern unschuldigen Insektendäumling im grünen Frack. Als wäre er ein Ungetüm! Dummes Zeug! Ein liebes Tierchen! Ich nenne es nicht Heuschrecke, sondern Grille. Eine Art Zirpen klingt in diesem Namen.“ „Kommen Sie!“ sagte Eckehart. „Ich will Sie in meinen herbstlichen Jagdsport einführen. Kennen Sie die Tierschutz-Flinte? Ein Tierschutz-Verein hat sie erfunden. Man zielt damit auf das Tier, das man beschleicht, und drückt los. Die Flinte knipst bloß -- im Kolben sitzt eine photographische Platte, und als Beute hat man das Momentbild.“ -- „Und Sie haben so’n Dings?“ -- „Nein, ich ziele nicht mit dem Auge, sondern mit dem Ohr. Es ist gar nicht so einfach, die Stelle zu treffen, wo eine Grille geigt. Kommen Sie -- wir wollen mal Grillen beschleichen.“ Eckehart wies mit der Hand auf eine Kartoffelstaude. „Scharf mit dem Ohre aufpassen!“ Ich drauf los. Aber nun verstummt das Tierchen, mäuschenstill bleibt es minutenlang. Wieder beruhigt durch mein Stillstehen, zirpt es von neuem. Ich horche und spähe hin. Da zittert was Grünes, nun kann ich drauf losgehen; und jetzt fortzufliegen, ist nicht Grillenart. Das war die Grillenjägerei, die wir vor vierzehn Tage betrieben hatten. Ich durchlebte sie noch einmal in der Erinnerung. Dachte auch an Diotimas Stimme, als sie auf meinen Wunsch Beethovens „Adelaide“ gesungen, begleitet von Eckeharts Flöten und dem Grillengezirp. Als das Mondlicht niederfloß, hatte Eckehart seine Diotima in die Arme geschlossen -- verstohlen, nur von mir bemerkt ... O du Grillenfänger! -- „Selig bist du, liebe Kleine, Die du auf der Bäume Zweigen Von geringem Trank begeistert, Singend wie ein König lebst ...“ So hat Goethe das Grillenlied Anakreons verdeutscht. Umsonst wartete ich auf das königliche Singen -- mein Grüner Donnerstag blieb stumm. Ach ja, Gefangenschaft ist ein bös Ding! Ich ging mit dem Plane um, meine Grille zu der andern bringen zu lassen, die in der Akazie zirpte. Da ich aber beobachtete, wie sich der Häftling die geschabte Mohrrübe munden ließ, dachte ich: „Schmeckt das Essen, wird das Herzchen nicht gleich vor Trauer brechen.“ Ich zündete den Spiritus meiner Teemaschine an -- das Wasser summte. Dieser elfenhafte Singsang hat etwas vom Zirpen der Grille. Meinen Zellengenossen begeisterte er, daß er die Gefangenschaft vergaß -- und horch, leise begann er zu geigen -- es klang, als ob ein Flageolett-Ton auf der ~E~-Saite zittere, oder als ob gläserne Zwergpantöffelchen den Walzer schleifen im Saale von Kristall. Bald war der Grasmusikant so zahm, daß er sich beim Fiedeln beobachten ließ. Die Silberflügel reibt er, sie zittern wie gestrichene Saiten. Sonst ist das Tierchen schwerfällig. Zwischen Fressen und Singen teilt es sein Dasein. Daß es noch ein Drittes gäbe, wurde ich abends gewahr. Die Grille auf dem Akazienbaum hatte wohl erlauscht, daß eine andere in der Nähe hause. Als dem warmen Herbsttage eine schier sommerliche Nacht folgte, ward ihr Lied ein herausforderndes Schmettern. Ich saß bei der Lampe, über Schreibpapier gebeugt. Notierte Anakreons Lied auf die Grille, den griechischen Text, den ich mal auswendig gelernt hatte. Und dann versuchte ich eine Nachdichtung. Durchs offene Gefängnisfensterchen strömte lau der Nachtodem. Plötzlich tippt was an die Scheibe wie ein Nachtschmetterling. Dann schwirrt eine Grille herein -- mir gerade aufs Papier. Die Diotima vom Akazienbaum! Angelockt vom Grünen Donnerstag, hat sie den Spruch beherzigt: Es ist nicht gut, daß ein Geschöpf allein sei. Um den angebändelten Roman nach dem beliebten Schema „sie kriegen sich“ zu enden, packe ich den hergeschwirrten Amor bei seinen Flügelchen und tue ihn in den Schachtelkäfig. Die beiden Grillen sind nun stumm. Vor neugieriger Betrachtung kommen sie nicht zum Singen. Die Grillenpoesie hat mich begeistert, und ich bringe eine Verdeutschung des anakreontischen Liedes zustande: Grillchen hoch im Baumgezweige, Ei du quietschvergnügte Geige! Diedel diedel zirpt die Fiedel -- König Lustig liebt sein Liedel; Ist begeistert wie von Sekte, Weil er Taugeträufel schleckte. Und nun schau, Herr König, schaue Stolz vom Laubthron deine Gaue! Dein ist all die grüne Runde, Dein ist jede Sommerstunde! Dir, mein Grillchen, bleibt gewogen, Wer durchs Feld den Pflug gezogen. Heilig bist du allen Leuten, Die sich je der Sonne freuten. Darum weihten dir den Busen Gott Apoll und seine Musen; Und so hast du für das Schöne Deine süßen Silbertöne. Niemals rostig, niemals greise, Ewig jung ertönt die Weise. Erdenkind! Nein, Mittelwesen, Halb der Geisterwelt erlesen -- Erdenlust im Dichterherzen, Aber frei von Erdenschmerzen! Ohne Fleisch und Blut geboren, Seelchen, zum Olymp erkoren, Unschuldsvoll und wonnereich, Bist du bald den Göttern gleich. Die Pennbrüder Es dunkelte, die Gaststube drüben war erleuchtet, und es lärmten die zum Bier erschienenen Gäste. Was in ihren Taschen klimperte, mußte ja wohl vertan werden. Jetzt trat aus dem Hause, eine brennende Laterne in der Hand, Onkel Pofke -- so nannte man den Gastwirt, dem der Preußische Adler gehörte nebst dem als Gefängnis an das Amt vermieteten Bau. Der niedrige Dachraum über den drei Zellen war von Onkel Pofke zu einer Herberge für Reisende hergerichtet -- zwei Groschen die Schlafstelle. Hatten die Pennbrüder bei Tage ihren Draht zusammengeholt, so ließen sie abends was draufgehn. Besagter Onkel also kam drüben aus dem Gasthause mit brennender Laterne und ging zur Kegelbahn, die neben meinem Gefängnisse war. Da sein Gesicht beleuchtet war, konnte ich ihn beobachten. Der Graukopf mochte ein Sechziger sein, war aber noch kräftig und behende. Sein glattrasiertes, faltiges Gesicht hatte einen biedern und gemütlichen Ausdruck, seine Nase war rot, eine sogenannte Tulpe, listig waren die Schweinsäugelchen. Die Laterne an einen Haken der Kegellaube gehängt, betrachtete er einen Gegenstand, den er zwischen den Fingern hielt. Als ein Gast aus der Kneipe zu ihm trat und vertraulich raunte, antwortete der Onkel abweisend: „Wenn ick doch sage, der Stein is unecht! Det bisken Jold lohnt nich. Eene Mark achtzig will ’ck uff deine Zeche anrechnen.“ -- „Wat?“ entgegnete der Pennbruder patzig. „Eens achtzig for so’n teiret Andenken? -- an meine verflossene Braut? Nich in de Hand!“ Jetzt kamen johlend drei andere Gäste nebst dem ältesten Jungen des Amtsdieners: „Also los, der Ring wird ausjeschoben! Flott, Bengel! Kejel uff! Un hinten de Laterne anjestochen!“ Wie nun die Kegelbahn hell genug war und Onkel Pofke mehrere Glasnäpfe mit Weißbier hergeschafft hatte, trat der erste Kegler vor, ein Bursche mit einer hohen, etwas glucksenden Stimme. Die Kegelkugel in der Hand wiegend, streckte er das linke Bein vor, knickte mit dem rechten ein und holte zum Wurf aus. Forsch rollte die Kugel, die Kegel prasselten, der Junge rief: „Achte +um+!“ Der König war allein stehn geblieben, das war ein guter Wurf. „Hurra!“ johlten die Kegelbrüder, und der Erfolgreiche trällerte im Fisteltenor: „Det Fechten is ’ne edle Sa--ache; Luft is fier alle Menscher frei.“ Dann stärkte er sich aus dem kommunistischen Weißbiernapfe so tief, daß man rief: „Verheirate dir man nich drin!“ Nun donnerte Wurf um Wurf, und immer lauter wurde die Gesellschaft. „Das wird ja nett!“ seufzte ich, „die Kerle kriegen fertig, bis Mitternacht zu skandalieren. Aber es muß doch auch hier sowas wie Polizeistunde geben. Sonst, bei Gott, wende ich mich an den Amtsvorsteher, zum Donnerwetter!“ Indessen blieb das Donnerwetter auf der andern Seite, bei diesen hahnebüchenen Sprößlingen des deutschen Michel, der wohl schon zu Zeiten des alten Donnergottes gekegelt haben mag und im Grollen des Wolkenwetters das Kegelschieben Donars belauschte. Jedesmal, wenn einer alle Neune geworfen hatte, wurde von den Pennbrüdern im Chor ein „Versch“ gesungen: „Ick walze meinen Schlendrian Und drinke meinen Korn, Und wat ick nicht berappen kann, Det hat der Wirt verlor’n. Un hau ick hier det Jlas In hundertdausend Trimmern, So hat sich doch keen Mensch, Keen Mensch dadrum zu kimmern.“ Das Gespräch der Pennbrüder kam wiederholt auf den Ring, und man war über den Stein geteilter Meinung. Dabei wurden Vorkommnisse erwähnt, die mir nicht ganz koscher vorkamen, obwohl ich sie fast gar nicht verstand, weil sie im Rotwelsch der Walz- und Fechtbrüder verhandelt wurden. Da hörte ich Ausdrücke wie „Schucker“, „dufte Winde“, „Penneboos“ und „Pickus“. Bei einem Wortwechsel meinte einer patzig: „Oller Hammelkopp! Wat is zu machen, wenn du keene Flebbe hast! Un ieberall lauert und luchst de Polente!“ Ein Anderer bemerkte: „Hättest du bloß nich immer Schandarmen, un een bisken Kurage! Du bist ’n Kerl wie’n Stücke Wurscht!“ Ein guter Kegelwurf schnitt den Disput ab, und weiter sang man: „Ick walze meinen Schlendrian, Zieh an, wat mich jefällt; Un wat ick nich mehr dragen kann, Bei’n Juden kriech ick Jeld! Und sollte ooch mein Hemd In dausend Löcher schimmern, So hat sich doch keen Mensch, Keen Mensch dadrum zu kimmern.“ Mich um die zerlumpten Hemden dieser Bummler zu kümmern, lag mir fern. Bloß ihr Radau kümmerte mich, und ich gelobte mir schon, mit der Beschwerde bis zum Kultusminister zu gehn. Weil aber auch hier der Himmel hoch und der Zar weit, blieb mir nichts übrig, als zu lachen und mich in meine Klappe zu verfügen. Gern hätte ich mein Fensterventil geschlossen, um den Lärm ein wenig zu dämpfen; aber dann hätte ich zu spüren bekommen, daß unser Kulturstaat hier nicht mal dem bescheidenen Glaubenssatz des Walzbruders Rechnung trug: „Luft is fier alle Menscher frei!“ So ließ ich die Ventilklappe auf. Wie ich im Bette lag und noch ein wenig las, mußte meine Lampe einen von der Kegelbruderschaft hergelockt haben. Behutsame Schritte vor dem Fenster, und durch die bibelgroße Klappe nahe bei meinem Kopfe kam, mich zu erschrecken, der jähe Ausruf: „Puh!“ Ich antwortete nicht -- um die Kerle nicht noch zu ermuntern -- und auflachend ging der Witzbold wieder zum Kegeln. Mein Gefängnis, das war begreiflich, mußte den Leuten wunderlich vorkommen. Hinter den schwarzen Kerkersprossen tat der blutrote Vorhang, bei Lampe noch greller, nach außen eine abenteuerliche Wirkung. Dazu kam das Gerede über den sonderbaren Heiligen, der an keinen Gott glaubte, gewiß auch an keine Hölle. Mit der Hölle schienen es übrigens selbst die Pennbrüder nicht sonderlich ernst zu nehmen; denn vor dem Einschlafen hörte ich ihren letzten „Versch“: „Ick walze meinen Schlendrian, Bis an mein kühlet Jrab, Un schlächt mich ooch der Sensenmann Den Sterbesejen ab, Ja, sollt ick ooch dereinst Noch in die Hölle wimmern, So hat sich doch keen Mensch, Keen Mensch dadrum zu kimmern.“ Im Halbschlummer kam es mir vor, als wäre unter den Männerstimmen noch eine weibliche, und dann rief man: „Schmalzjuste!“ Wie ich später erfuhr, war das eine junge Tippelschickse, die wegen Bettelei aufgegriffen und fürder dem Onkel in der Gastwirtschaft behilflich war. Schließlich hörte ich die Pennbrüder über mir im Dachraum trampeln, zur Ruhe begaben sie sich. Und dann krähten die Hähne. Traulich war mir der Gedanke, es seien dies dieselben Hähne, die ich daheim in der Kastanienallee nachts belauschte. Der Gefangene wildert Grünlinge „Unerhörte Bummelei! Jetzt aber mucke ich auf! Da hockt man nun in dieser Enge schon den vierten Tag! Und immerfort das goldigste Herbstwetter draußen! Ich sehne mich ins Freie -- aber mein Antrag, Spaziergänge machen zu dürfen, ist immer noch unerledigt. Bitte, geh’ doch mal zum Kreispfiffikus und melde, daß ich schon anfange, dahinzusiechen.“ In dieser klagenden Weise hatte ich soeben mein Herz ausgeschüttet, als meine Frau sagte: „Da kommt ja Bolle -- stell ihn doch zur Rede.“ Man sah dem Amtsdiener an, daß er etwas Angenehmes bringe. „Mahlzeit, Herr Dokta un Frau Doktan! Na scheeneken! det jeht hier allens wie jeschmiert. Ihr Jesuch, Herr Dokta, is nu ooch jenehmigt!“ -- „Ich kann also spazieren gehn?“ -- „Der Herr Amtsvorsteha is keen Spielverderber nich. Ick muß natierlich dabei sind.“ -- „Wieviel Stunden?“ -- „Na, sagen wir mal een bis zwee Stunden!“ -- „Zwei bis drei Stunden mindestens muß man bei sitzender Lebensweise laufen, um nicht krank zu werden. Schon den vierten Tag bin ich ohne Bewegung. Warum hat man mich so lange warten lassen?“ -- „Aber Herr Dokta! Der Herr Amtsvorsteher mußte doch erst an Herrn Landrat berichten -- und der bei die Provinzial-Schulkollejen anfragen -- un die wieder kriejen Bescheid von den jeistlichen un Medezin-Minister. Hinter den Rücken des Staates kann det Amt Friedrichshagen doch nich erlauben, det Sie als Staatsjefangena hier in de Müjjelhaide den Freischitz spielen -- durch die Wälder, durch die Auen .... Allens mit Takt!“ -- „Wieso mit Takt?“ -- „Sie sollen mit Takt spazieren gehen -- un ooch Besuche sollen Se immer mit Takt empfangen. Dadruf ha’k zu halten!“ -- „Sie sollen auf Takt halten? Sind Sie Musikus gewesen beim Militär, Tambourmajor oder so was?“ -- Pikiert gab Bolle zurück: „Se brauchen mir nich zu vakohlen. Der Herr Amtsvorsteha saacht: Machen ma den Dokta seine Haft leicht -- seien ma menschlich. Bolle, saacht e’, jenehmigen Se nach Menschenmeechlichkeit jede Vajinstijung -- aber bloß det wir keene Nackenschläge nich riskieren. Ma wer’n beobachtet, Herr Dokta! Janz Balin hält de Oogen uf Friedrichshagen jeheftet. Ick sage Sie, den janzen Tach bimmelt unser Tellefong uffs Amt. Bald frächt ne Zeitung, bald ’n Reporta, bald ’n Neijierijer: Wie jeht’s Ihren Jefangenen? Stimmt et, Herr Amtsvorsteha, det er in een Hotel unterjebracht is? Weil ma nu so umlauat sinn, heeßt et hier: Takt halten! Tu du mich nischt, ick tue dich ooch nischt! Aber haust du meinem Juden, denn hau ick deinem erst recht! Solange wie Se keenen Radau in de Presse schlagen, Herr Dokta, über det hiesige Jefängniswesen, drücken ma jern een Ooge zu.“ -- „Habe ich keinen Anlaß, so brauche ich meine Zuflucht nicht zur Presse nehmen. Bloß ein Flugblatt gegen die Verfügungen des Kultusministers lasse ich los -- hab’s eben fertig geschrieben, da liegt es!“ Mit einem scheuen Seitenblick auf das Manuskript schrak Bolle zusammen: „Haste Töne? Det is jejen meinem Takt! Ick habe nischt jeheert -- ick weeß von nischt!“ „Also gut, Sie wissen von nichts, Ihr Name is Hase! Übrigens geht Sie gar nichts an, was ich hier schreibe! Sie sind ein Philister, Bolle! Aber das geht wieder mich nichts an. Nur +ein+ Punkt interessiert mich noch, den Sie erwähnt haben: Ich soll mit Takt Besuche empfangen? Wie ist das gemeint? Wenn Besucher kommen -- oft in wichtiger Angelegenheit -- na, so müssen Sie doch zu mir +herein+!“ -- „Selbstmurmelnd! Nu aber versetzen Se Ihnen mal in mein Amt! Ick muß Ihnen doch inschließen! Na also! Nu aber, wie soll ’ck det mit Ihre Besuchers halten? Soll ’ck etwa jedesmal warten, bis die fertig sinn mit ihr Anliejen? Meine Zeit ha’k +ooch+ nich jestohlen! Oder soll ’ck det Jefängnis ufflassen? ohne jede Uffsicht? Oder aber soll ick Ihre Besuchers mit Sie inschließen? Un denn denungziert mir een Besucher von wejen Freiheitsberaubijung! Na ick danke! Wat sagen Se +nu+? Wat is hier Takt?“ -- „Wenn Sie mir nicht trauen, können Sie meine Besucher ruhig +mit+ mir einschließen. Keiner wird was dagegen einwenden. Und das sollen Sie sogar schriftlich haben. Ich verfasse eine Urkunde: Die gehorsamst Unterzeichneten erklären hiermit, daß sie auf ihr ausdrückliches Verlangen in das Amtsgefängnis zu Friedrichshagen eingeschlossen sind, daß also in bezug auf ihre Person keine Freiheitsberaubung vorliegt. Das muß jeder Besucher unterschreiben. Das sichert Sie, Bolle! Seh’n Sie, das nenne ich Takt!“ -- Der Amtsdiener war es zufrieden. -- „Abgemacht, Bolle! Wir werden uns schon vertragen. Und nicht wahr, heute Nachmittag ziehn wir mitsammen in den Wald!“ -- „Heite schon? Heite kann ick bei’n besten Willen nich -- Amtsjeschäfte!“ -- „Ich +muß+ spazieren!“ -- Nun eiferte auch meine Frau: „Ja wahrhaftig, Herr Bolle! Er kränkelt schon! Ich laufe sofort zu Doktor Jacoby -- der wird auftrumpfen.“ -- „Und ich schlage Radau in der Presse!“ drohte ich, -- „morgen früh steht’s im Tageblatt und gar im Vorwärts.“ Bolle schlug die Hände zusammen: „Heeren Se uff! Die Sache is erledigt: Wenn +ick+ heite nich mit Sie jehe, denn muß mir Onkel Pofke vatreten. +Der+ kann mit Sie in de Heide.“ -- „Sie meinen den Gastwirt drüben?“ -- „Jewiß doch! Frieher is er +ooch+ Amtsdiener gewesen -- un seine Dienstmitze hat er noch, die kann er uffsetzen, denn sieht die Kiste doch amtlich aus. Iebrigens duhn Se jut, einsame Waldweje zu jehn ...“ -- „Das eben will ich ja! Ich möchte mit meiner Frau Pilze suchen ...“ Meine Frau unterbrach mich: „Heute? Ich habe ja die Schneiderin!“ -- „Nu fang du auch noch an!“ gab ich vorwurfsvoll zurück. „Aber natürlich, wenn’s nicht anders ist. Herr Pofke soll mir recht sein. Hauptsache, daß ich in den Wald komme. Pilze will ich suchen, Grünlinge, Kremplinge.“ -- „Abends brate ich sie dir!“ begütigte meine Frau. Mögen Schützen und Angler ihre Weidmannslust preisen, die einzige Jagd, für die +mein+ Herz schlägt, ist die Pilzjagd. Gemeinsam mit aller Jägerei hat sie die versunkene Hingabe an das heimliche Weben im Freien, die Reize des Umherstreifens, Suchens, Erbeutens. Dabei ist meine Jagd unschuldig -- weh tut sie den Pilzen schwerlich -- die bluten nicht, mit Ausnahme des Blutreizkers -- schreien oder zucken tun sie erst gar nicht. Das Unrecht, das der Pilzjäger begeht, beschränkt sich höchstens darauf, daß er unterlassen hat, einen Sammelschein zu lösen -- oder daß er durch eine Schonung streift -- wo es ~notabene~ die allerbesten Pilze gibt! Aus der Müggelstraße unbeobachtet in den Wald gelangt, ging ich mit Onkel Pofke über Moos und Adlerfarn. Er hatte richtig seine alte Dienstmütze auf und sah komisch aus. Auf meine Frage, ob er Bolles richtiger Onkel sei, gab er den Bescheid: „Von die +Frau+ bin’k der Onkel -- ha! det Bolle ihr jenommen, war for ihm een feinet Jeschäft: weil se eene Waise war, hat er seine Schwiejereltern +kalt+ jenossen. Onkel Pofke aber is keen Unmensch -- det werden ooch Sie schonstens wittern, wah’ Herr Dokta?“ In einer Lichtung des Forstes liegt die Försterei Krummendamm, eine Wagenspur leitet durch feuchtes Wiesenland. An schwarzen Wasseradern kauern Weiden, Haselbüsche; vergilbte Blätter rieseln nieder, während an hohen Erlen das Laub noch dunkelgrün hängt. Vereinzelte Kiefern auf Wiesenhügeln. Ausladend das Astwerk, buschig die Nadelwipfel. Mit ihrem Goldschimmer leiht ihnen die Nachmittags-Sonne ein braunes Grün, indessen Borke und Zweige erglühen. Wolkenlos darüber der mattblaue Himmel. Einförmig zirpen letzte Grillen. Wie Träumen alles, die Zeit steht still. Nun kommt das Wehr, von dem das Fließ zu einem Mühlteich gestaut wird. Mit leisem Rauschen schießt das überlaufende Wasser ins untere Bett. Der Teich, auf dem die breiten Blätter der Seerose schwimmen, ist von dunklen Binsen und verblichenem Rohr umkränzt. Es schläft die alte Wassermühle. Dahinter andere Wirtschaftsgebäude, zum Rittergut des Herrn von Beeskow gehörig. Um bäuerische Häuschen trippeln Hühner und Enten, aus Stallungen muhen Kühe. Ein Storchnest krönt das Strohdach der großen Scheune. Vor dem Verwalterhaus, das an einer Uhr zu erkennen ist, prangt die Goldgrube aller Landwirtschaft, der Misthaufen. Als wir beim Backofen waren, trat der Förster von Krummendamm hinter Akazienbüschen vor. Nicht weidmännisch gerüstet, sondern eine Wagenpeitsche in der Hand. Sein schwitzendes Gesicht hatte etwas Unsicheres. Pustend stand er vor uns, fuhr mit dem roten Taschentuch über seine Stirn und meinte kleinlaut: „Haben Se meinen Jänter nich jesehn?“ Fragend blickte ich auf den Onkel: „Jänter? Was ist das?“ Der erfahrene Onkel versetzte: „Seinen Jänserich meint er! Wat +is+ denn mit Ihren Jänter, Forstmeester?“ -- „Wechjelaufen is das Biest! Das is so seine Manier -- allemal entwischt er über de Moorwiese rüber und pussiert mit de Heidemühlschen Jänse. Nu such ich schon eine jeschlagene Stunde, aber nischt zu finden. Keene Katze hat’n jesehn. Bei Heidemühle sind bloß’n paar Kinder un olle Weibsleite -- da weiß keener wat von mein’ Jänter. Haben +Sie+ denn nischt jesehn?“ -- „Keen Watschelbeen!“ erwiderte der Onkel, und ich fügte hinzu: „Bloß Enten!“ -- „Na, entschullijen die Herren!“ Und weiter suchte der sorgenvolle Grünrock nach seinem Federvieh. Wir überquerten einen brachen Sandacker, wo Unkraut stand, struppige Königskerzen mit Samenkolben, betraten dann den moosbedeckten Waldboden. Kiefern von Mittelwuchs, streckenweise niedrige Schonungen. Das Netz, das ich zum Einsammeln der Pilze mitgenommen, befestigte ich am Rockknopf, mein Taschenmesser klappte ich auf. Schon sah ich die erste Beute -- bückte mich und stach einen speckigen Grünling los. Von der graugrünen Kappe hob sich grell das Grüngelb der Fächer ab. Dem Onkel zeigte ich das schöne Exemplar, ihn zum Mitsuchen zu reizen. „Fier unsereens paßt besser ’ne +Zieh+jarre!“ -- „Ich will Ihnen eine geben. Verboten ist das Rauchen hier allerdings. Sogar das Betreten dieses Forstes. Doch bewährt ist die Losung: Tun darf man’s -- darf sich bloß nicht erwischen lassen!“ Mit Seelenruhe steckte sich der Onkel den Glimmstengel ins Gesicht und qualmte: „Heite bin ick uff Landpartie -- un der Beeskowsche Forstmeester, wenn er nu wirklich käme, der sieht nischt -- ick bin doch schließlich +ooch+ ’n Uniformkolleje.“ -- „Sie meinen, eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus? Aber wenn nu Herr von Beeskow in eigener Person käme? Er reitet hier öfter.“ -- „Ick bin heite amtlich -- bejleite eenen Staatsjefangenen.“ -- „Bei Herrn von Beeskow kommen Sie damit nicht durch, der ist schneidig. Wissen Sie, wie er gegen die Weibsleute verfährt, die sein Förster beim Holzsammeln abfaßt? Die müssen die Strafe abarbeiten. Nu denken Sie mal, wenn er uns fischte, und wir müßten dann Forstarbeit tun.“ -- „Ick bin schon zu steif fier Forstarbeet!“ meinte der Onkel mit Seelenruhe; „un ieberhaupt, Herr Dokta, ick habe det Marschieren nu dicke! Ick strecke mer hier zu Mutter Jrien -- un passe Achtung, det keen Beeskow kommt. Un Sie stechen derweile Ihre Jrienlinge ab.“ Und der Leichtsinn warf seine Amtsmütze hin und saß im Moose, den Rücken an eine Kiefer gelehnt. Behaglich qualmte er. Eine Schonung von doppelter Manneshöhe. „Da ist gute Jagd, und da bin ich auch verborgen.“ Und ich schlüpfte hinein. Die armdicken Kiefern standen so gedrängt, daß ich mühsam zwischendurch konnte. Weiterhin wurde das Dickicht gangbar, obwohl ich nur geduckt vorwärts kam. Spinnefäden umwoben mich, eine Kreuzspinne kroch über mein Gesicht. Es knackten dürre Äste, die ich von den Bäumen streifte. Fernes Schnarren ziehender Wildgänse. Eine Gruppe von Grünlingen! Ich kauerte nieder und sammelte ein. Dann fand ich Kremplinge -- mit ihrer schmutzig braunen Hutkrempe sehen sie reizlos aus, machen auch die Finger braun, als hätte man Nüsse ausgepahlt -- aber würzig sind sie. Rehpilze waren auch da, oben borkig, unten wie Rehfell. Schwer bereits von Beute war mein Netz, doch mit immer neuem Eifer strichen die Blicke durch die schmalen Gassen zwischen den braunen Stämmen. Der ganze Mensch war verloren in den Reiz des Suchens. Da mahnte Onkel Pofkes Stimme: „Herr -- Dok -- ta? Et is Zeit!“ -- Noch dies eine Grünlingsvolk wollte ich einheimsen und kauerte nieder. „Herr -- Dok -- ta?“ Ich schwieg und lächelte vor mich hin, aus Jägerglück. Wie ein Wilderer kam ich mir vor, einer von jenen Söhnen der Einöde, die nicht dulden, daß sich zwischen sie und ihren geliebten Wald eine Papierverordnung schiebe. Hier kauerte ich, umwoben von Bäumen, unter leuchtendem Äther, ein Freibeuter, ein gottverlassener Ketzer, verdonnert vom Minister. Und er nebst seinen Geheimräten glaubte mich hinter Schloß und Riegel. Auf meine Hand blickte ich, die das Messer hielt -- ihre fünf Finger waren fünf Sünden. Erstens sammelte ich Pilze, ohne durch Sammelschein berechtigt zu sein. Zweitens war ich in verbotener Schonung. Drittens war ich Staatsgefangener und sollte eigentlich hinter Schloß und Riegel hocken. Viertens hatte ich meinen Aufseher zur Mitschuld verleitet. Fünftens ihn mit der gefährlichen Zigarre traktiert. Die hergezählten Sünden kostete ich, als wären es lachende Äpfel vom verbotenen Baum. Endlich steckte ich mein Messer ein, zog das Netz zu -- es war prall und schwer, und nahm die Richtung zum Onkel, von dem ich nichts weiter vernommen hatte. Eben wollte ich aus der Schonung schlüpfen, als ich sah, wie hinter Onkel Pofke, der noch immer qualmend im Moose saß, ein Mann in Jägertracht geschlichen kam. Kuckuck, war das nicht Herr von Beeskow? Wenn man vom Teufel spricht, dann kommt er! Jetzt hatte auch Onkel Pofke was gemerkt und sprang auf. Die Erinnerung an seine Soldatenzeit beherrschte ihn automatisch, daß er seine Amtsmütze aufstülpte und stramm stand vor Herrn von Beeskow, der eine Jagdflinte hielt, während sein Hund den Onkel verächtlich beschnupperte. „Wer sind Sie?“ fragte streng der Herr des Waldes. „Ick heiße Pofke, Jastwirt zur Preißischen Krone -- un heite vatret ick den Amtsdiena Bolle von’t Amt Friedrichshagen.“ -- „Und was machen Sie in meinem Forst?“ fuhr scharf der Herr fort -- „was? Sie qualmen gar? Das kann ja Waldbrand stiften!“ -- „Enschullejen Herr Baron! Aus Jesundheitsricksichten -- ick neije zu Fieba, wenn mir die Micken stechen!“ -- „Dummes Zeug! Wie kommen Sie mir vor? Was führt Sie hierher?“ -- „Ick habe eenen Staatsjefangenen!“ -- „Wo denn?“ -- Verlegen sah sich der Onkel um, und wie ihn der Grundherr anfuhr: „Keine Flausen!“, rief er kläglich zur Schonung herüber: „Herr -- Dok -- ta?“ Zwischen Farnen und Kuscheln hielt ich mich gut versteckt. „Wo haben Sie Ihren Staatsgefangenen?“ -- „Ach, der sucht sich bloß een Jericht Jrienlinge -- die eßt er so jerne.“ -- „Mensch, Sie sind wohl nicht ganz richtig, wie?“ -- Und von neuem rief der Onkel: „Herr -- Dok -- ta? Ein Herr -- fracht -- nach Sie!“ -- „Warum rufen Sie immer nach dem Doktor?“ meinte Herr von Beeskow; und etwas milder: „Fühlen Sie sich krank?“ -- „Det is keen Dokta fier Krankheiten,“ belehrte der Onkel -- „det is ’n Villesoff!“ -- „+Sie+ scheinen mir ein Villesoff zu sein!“ -- „Nee doch, Herr Baron! Et hat allens seine Richtigkeet -- wat meine Dochta is, die meent freilich, et wäre een Dokta fier’s Vieh -- aber det stimmt nich -- er is ’n Doktavillesoff von die freie Jemeinde -- det sollen allens Rote sind.“ -- „Na und weshalb ist er Staatsgefangener?“ -- „Uff Befehl des Herrn Kultesministas fier Medizinanjelejenheeten.“ -- „Ach, quatschen Se nich!“ -- „Jewiß doch, Herr Baron! Der Doktavillesoff jloobt an keen’ dreieinichten Jott nich!“ -- Herr von Beeskow war fassungslos: „Ja was bedeutet das alles? Treiben sich hier in meinem Wald entsprungene Narrenhäusler rum, was? Holen Sie mal Ihren Doktorphilosophen! Ist hier wirklich jemand versteckt? Doch nicht in der Schonung? Na das fehlte noch!“ Jetzt durfte ich nicht mehr in der Nähe bleiben -- der Hund hätte mich ausgespürt. Ich tat einige Schritte rückwärts, ging dann geschwinder, das Knacken von Ästen vermeidend. Als ich die Schonung durchquert hatte, wandte ich mich nach Heidemühle und war, den Kiefernforst verlassend, wieder auf dem brachen Acker mit den Königskerzen. Da auf einmal Peitschenknall und Gänseschrei. Ich dachte gleich: der Förster hat seinen Jänter! Und richtig! Bei Gänsen, die unter Flügelschlagen enteilten, balgte sich der Förster mit dem Gänserich. Die Linke hielt einen Jänterflügel an den äußersten Federn, die Rechte schwang die Peitsche. Der starke Jänter schlug kreischend mit dem andern Flügel, und die Aufgeregten drehten sich umeinander wie ein tanzendes Paar. „Helfen Sie!“ schrie der Förster, als ich herzulief. „Den andern Flügel packen!“ Ich bekam einen Hieb ans Bein, packte aber zu und hielt nun den andern Flügel. Der Förster schimpfte: „Kreatur! Karnalje! Komm du bloß nach Haus! Halten Se feste, Herr!“ Der Jänter rannte und suchte uns die Fittiche zu entreißen. Wir aber hielten fest, als ob wir einen störrischen Gassenjungen, der ausgerissen, heim zu transportieren hätten. Mit empörtem Gickgack schwebte der Widerspenstige zwischen uns beiden, die wir seine ausgebreiteten Fittiche straff zogen. So schleiften wir den Verhafteten im Eilschritt nach Heidemühle. Ein wunderliches Bild. Und das zog nun auf einmal vor Herrn von Beeskow vorüber und vor dem Onkel. Am Waldessaum standen sie, Pofke riß Mund und Augen auf, Herr von Beeskow krümmte sich vor Lachen. Unbeirrt deichselten wir das Federvieh an der Mühle und am Wehr vorbei. Wie wir auf der Moorwiese waren, sagte der Förster: „Nu lassen Se man los, Herr! Nu kann er nich mehr entwischen, un mürbe is er ooch!“ Ja, mürbe waren wir alle drei; schnaufend blieben wir Männer stehen und wischten den Schweiß. Der losgelassene Jänter torkelte verwirrt. „Nu haben wir jewonnen -- nu folcht er schon de Peitsche! Un nu kommen Se man mit int Forsthaus, Herr! Trinken wir ne Weiße auf die dolle Jachd.“ Den nunmehr kirren Gänserich trieb er vor sich her -- ich ging mit. Eine Strecke hinter mir kam Onkel Pofke -- Herr von Beeskow war zurückgeblieben. „Herr Dok -- -- ta!“ Ich erwartete ihn. Mit dem Ausdruck der Bestürzung sah er mich an: „Wat nu?“ -- „Wieso denn? Das ist doch kein Beinbruch, und schön war’s über alle Maßen -- sehn Sie mal meine Grünlinge!“ -- „Teier sinn die erkooft!“ seufzte der Onkel -- „meine Schank-Konzession steht uffs Spiel!“ -- „Ach was! Wegen der Zigarre stellt dieser konservative Mann keinen Träger einer Amtsmütze bloß. Sie haben hoffentlich nicht eingestanden, daß ich in der Schonung war?“ -- „Ick habe bloß jesacht, det Se so’ne Art Naturdokta sinn uff Jrienlinge. Nu meente er, Se seien woll nich janz richtich in’n Kopp.“ -- „Recht liebenswürdig! Ihnen hat er übrigens dasselbe zugetraut -- ich habe alles gehört, kauerte ja dicht bei Ihnen, bis er die Schonung ins Auge faßte. Da freilich dachte ich: jetzt marsch marsch! er hetzt den Hund!“ -- „Wollt’ er ooch! Un ick hatte bandijen Bammel, wie der Baron saachte: Wenn Se den Mann in meine Schonung gelassen haben, denn zeige ick Ihnen an, denn hat’t geschnappt!“ -- „Es hat aber +nicht+ geschnappt. Die Jäntergeschichte hat ihm doch mein Alibi nachgewiesen.“ -- „Na ja, det stimmt! Un da war er ja ooch versehnt. Un wissen Se, weshalb? Weil er vor Lachen bald de Platze jekricht hat -- wie Sie mit den Jänter anjesaust kamen. Ick rufe: det is e’ -- det is mein Dokta-Villosoff! Der Baron zeicht bloß mit den Finger uff Ihnen -- wie Se den Jänter so bei’s Schlafittchen halten, un det Vieh hippt so zappelig zwischen Sie Beede, un trötet so albern durch seine lange Jurgel, un der Ferster knallt mit de olle Peitsche, un det Netz mit de Jrienlinge bammelt vor Ihre Beene. Un der Baron wiehert: Dokta fier’s Vieh! Doktavillesoff ... Et war aber ooch zum Piepen!“ „Na also!“ sagte ich, „da muß der Baron eigentlich noch was ausgeben für den Spaß. Jedenfalls ist die Geschichte allerseits befriedigend abgelaufen. Ich habe die prächtige Wilderei -- sehn Sie mal die schwere Masse! Der Förster hat seinen Jänter! Der Baron den unbezahlbaren Spaß ...“ -- „Un ick?“ meinte Onkel Pofke mit wehmütigem Vorwurf. -- „Sie haben das schöne Bewußtsein, einem Gefangenen ein paar glückliche Stunden verschafft zu haben. Das dankt er Ihnen -- und sorgt schon dafür, daß kein peinliches Nachspiel kommt. Das Nachspiel wird nichts andres sein, als ein köstlich duftendes Abendessen. Zunächst aber ein guter Trunk beim Krummendammer Förster. Der hat auf all den komischen Schrecken zu Weißbier eingeladen -- ich lechze schon nach diesem märkischen Sekt -- und nun heißt es nicht: Sibirien in Preußen, sondern: Champagne in der Mark.“ Das Preußenherz Der anbrechende Sonntag versprach wieder Sonnenwetter, und ich nahm mir vor, heute in Begleitung meiner Frau und womöglich eines Freundes zu spazieren. Aus dem Gasthof kam Onkel Pofke und trug einen Stuhl. Neben die Pumpe setzte er ihn, nahm Platz und knüpfte ein Tischtuch vor seinen Hals. „Pechhengst!“ rief er zur Penne herauf. Der Bursche mit der hohen Stimme, den ich gestern auf der Kegelbahn beobachtet, kam herunter und machte vor Onkeln einen scherzhaften Bückling. Dann seifte er ihm das untere Gesicht ein, schwang wie ein Bartkünstler das Rasiermesser, hielt mit der Linken leicht die Nase des Onkels und schabte Oberlippe und Wangen. Schließlich wurde Wasser in eine Schüssel gepumpt und der Rasierte abgewaschen. Bald nach diesem Genrebilde sah ich Pofken im Sonntagsstaat und überlegte, aus welchem Anlaß er zum schwarzen Bratenrock noch die weiße Binde angetan habe und gar seinen Zylinder glätte. Auch der Amtsdiener erschien im vollen Wichs. Mit dem burgunderroten Kragen, den funkelnden Knöpfen und dem lackierten Extrahelm sah er wie ein Hauptmann außer Dienst aus, der zu Kaisers Geburtstag den bunten Rock hervorgeholt hat. „Na, Herr Hauptmann von Bolle?“ sagte ich, wie er schneidig in meine Zelle trat, „Sie wollen wohl in die Kirche?“ -- „I wo! Nach Balin! Un ick wollte Ihnen bloß fragen, wann heite Ihr Besuch kommt. Die Sache is nämlich die: ma missen zu meine Baliner Tante, Jeburtstach hat se -- un denn will se immer de janze Familie um sich haben, die jute Seele. Meine Frau muß ooch mit -- un die Kindabagage. Sojar wat der Eenjährich-Freiwillije is.“ -- So nannte Bolle den „kleenen Matz“, weil er ein Jahr zählte und -- nach des Vaters mysteriöser Behauptung -- freiwillig gekommen war. „Na und? Sie lassen Ihren Gefangenen doch nicht hilflos allein? Ihr Onkel scheint ja auch Ausgehtag zu haben.“ Der Amtsdiener nickte: „Onkel kommt mit! Um Uhre zehne ziehn ma los. Onkel will in Balin wat koofen, da muß ick bei sind ...“ -- „Kaufen?“ fragte ich nicht ohne Neugier. -- „Na ja! Et is nämlich ein Jeldschrank ..“ „Unsinn! Was braucht ein kleiner Gastwirt einen Geldschrank?“ -- „Onkel is nich bloß Jastwirt, ooch Pfandleiha un Althändla. Un det Jeschäft floriert so sachteken. Wat aber Wertsachen sinn, die missen feiasicha vawahrt werden. Ibrigens is der Jeldschrank een Jelegenheitskoof. Wat der kost’, kricht Onkel alle Dage mit Kußhand retur.“ „Na, das wären ja Ihre eigenen Angelegenheiten. Mich interessiert bloß, wer Sie hier vertreten soll. Meine Frau muß doch eingelassen werden, und Gäste kommen sicher schon vormittags.“ Bolle nickte: „Dadrum ebens will ick mit Sie reden. Rund heraus, ick weeß keenen, den ick die Jefängnisschlissel anvertrauen mechte. Denn wat die Schmalzjuste is, die hat in de Wirtschaft zu duhn, schickt sich woll ooch nich recht fier den Jefängnisdienst. Wissen denn nu Herr Dokta keenen Auswech nich?“ Belustigt wies ich nach der offenen Tür: „+Das+ da ist der Ausweg! Geben Sie doch einfach +mir+ die Gefängnisschlüssel! Mißbrauch treib ich nicht. Bloß daß ich meine Gäste einlassen kann!“ Prüfend sah mir Bolle in die Augen; er schwankte zwischen Mißtrauen und Zuversicht: „Hm! ick ha’ schon selba dran jedacht -- und hab ooch Vertrauen zu Sie. Denn wenn Se ausreißen +wollten+ ...“ -- „Ausreißen? Wozu denn? Freiwillig bin ich hergekommen, und es geht mir ja auch leidlich gut hier.“ Befriedigt nickte Bolle: „Sollt ick ooch meenen! Na abjemacht und Streisand druf! Die Schlissel bleiben also in Ihren Jewahrsam -- un nu kann ’k mir woll empfehlen ...“ „Erst möchte ich wissen, wer heute Nachmittag mit mir spazieren geht. Mein Ausgehrecht lass’ ich mir nicht verkümmern. Bei diesem herrlichen Wetter schon gar nicht.“ Der Amtsdiener, etwas verlegen, meinte nach etlichem Besinnen: „Bei die Tante sind ma bloß zum Diner -- wissen Se, in de Brauerei Feffaberch, Uhre zwelfe. Un so kennen ma um drei retur sind. Aber offen jestanden, will’k nachmittachs selber eenen Spazierjang machen, mit meine Familie. Ick dachte so nach de Rawensteina Miehle. Da jiebt et Kaffeeklatsch mit frische Fannkuchen.“ Dies Vergnügen, auf das sie sich schon gespitzt hatten, mochte ich Bolles natürlich nicht nehmen. Doch ich wußte Rat: „Vorschlag zur Güte! Sie nehmen mich einfach +mit+ nach Rawenstein!“ Bolle blickte unschlüssig, meinte aber schließlich: „Scheeneken, scheeneken!“ Dann führte er mich zur Kerkertür und steckte den Schlüssel nach innen: „Riejeln Se eenfach zu! Un wenn Besuch kommt, heern Se ja de Klingel.“ Ich wünschte viel Vergnügen und sah Bolle bald losziehn, nebst seiner geputzten Frau, die den weißgekleideten Einjährig-Freiwilligen trug. Dem Knaben Anton folgte Onkel Pofke mit seinem hohen Zylinder. Keine halbe Stunde nach Abzug der Familie, und es ging die Glocke. Durchs Fenster sah ich den Vorsitzenden der freireligiösen Gemeinde. Sein Gesicht, gewöhnlich von unerschütterlichem Ernste, hatte einen besonders düstern Ausdruck. Wie er so wartend zu Boden starrte, das Kinn mit dem ergrauenden Knebelbart auf die Brust gesenkt, sah er aus wie jemand, der am offenen Grabe eine Rede halten soll. Ordentlich leid tat er mir, ermunternd rief ich: „Heda Friederici!“ Er fuhr zusammen und blickte sich nach der Stimme um. Wie er mich hinter meinem Fensterlein erkannte, errötete er. „Friederici! Hier bin ich! Kommen Sie doch!“ Er tat einen scheuen Wink, als wolle er andeuten: Auf Unterredungen in so formloser Weise darf man sich nicht einlassen! Und zog wieder die Glocke. „Der Amtsdiener is ja nicht zu Hause!“ rief ich, -- „is ausgegangen, mit der ganzen Familie! Keiner sonst is da, als höchstens die Schmalzjuste. Aber die hat in der Kneipe zu tun. Ich bin heute Herr im Hause. Kommen Se man zu mir ’rein!“ Unsicher hatte er sich mir zugewandt. Ich ging in den Gefängnisflur, schob den Eisenriegel von der Tür und trat munter auf den Hof, dem Besucher die Hand entgegengestreckt. Außer Fassung hielt er starr die Arme vor, wie zur Abwehr: „Aber wa? was is denn +das+?“ Lachend ergriff ich seinen Arm und zog ihn in meine Zelle. Als narre ihn ein Traum, sah er sich um und schüttelte empört den Kopf: „Wa--was sind denn das für +Zustände+!“ -- „Was haben Sie, Friederici? Dieser grollende Blick? Zunächst nehmen Se mal Platz -- un schönguten Morgen!“ Zerstreut erwiderte er den Gruß, setzte sich aber nicht und fuhr fort zu eifern: „Sie wundern sich noch? Na ich danke! Sie werden doch zugeben, sowas sind keine geordneten Verhältnisse!“ „Ah so! In den Höfen der Gefängnisanstalt Moabit habe ich Posten gestanden als Einjähriger. Man muß scharf aufpassen, sogar auf Schießen gefaßt sein. Unerlaubtes Geplauder streng verboten. Daran dachten Sie wohl, Friederici? Na, leugnen Sie nicht! Als Sie mir abwinkten, besorgten Sie, von einem Posten eine blaue Bohne in den Leib zu kriegen. Keine Bange! Wir sind hier nicht in Moabit, mein verwöhnter Berliner! Hier sind Sie auf dem Dorfe!“ -- „Aber doch in Preußen!“ trumpfte er auf. -- „O natürlich! Unter den Fittichen des Preußischen Adlers. Aber was wollen Sie? Die Verhältnisse hier sind simpel. Hier gibts keine Ablösung für den Gefängniswärter. Das ist ein einziger Amtsdiener, und der hat noch sonst eine Menge Geschäfte. Und ist doch schließlich +auch+ ’n Mensch, der mal seinen Sonntag haben will ...“ „Er darf aber seinen Gefangenen nicht allein lassen“ -- bullerte Friederici -- „bei offener Tür! Da hört doch die Weltjeschichte auf!“ -- „Sagen wir lieber: die Preußengeschichte! Seien Sie friedlich! Der Amtsdiener ist mit Frau und Kindern nach Berlin -- seine Tante hat Geburtstag, die ganze Familie ist zu Mittag eingeladen. Rührt Sie das nicht? Sie sind doch +auch+ verheirateter Mann mit Frau und Kindern. Na, und nun lächeln Se mal, Sie strenger Cato! Sie Preußenherz!“ -- „Ach was, Preußenherz! Auf das Preußentum poche ich bloß insofern, als es auf straffe Ordnung hält.“ -- „O Sanktus Bürokratius!“ entgegnete ich mit Augenaufschlag, „nun geht dein Gespenst gar bei den Freireligiösen um!“ Friederici verwahrte sich: „Die Freireligiösen lassen Sie lieber aus dem Spiel! Die sollten hier mal Zeuge sein! Gestern Abend hatten wir Sitzung. Ein Andrang, sage ich Ihnen -- und alles in wilder Bewegung. Über den Kultusminister ging es her, daß ich schon dachte: jetzt bauen sie in der Rosenthalerstraße eine Barrikade! Oh da hätten Sie hören sollen, wie alles Sie bedauerte! Wie man die trostlose Lage des Gefangenen ausmalte! Im düstern, feuchten Kerker sitzt er, hinter Eisensprossen, dicken Riegeln ...“ -- Ich unterbrach ihn: „Wollen Sie sich gefälligst überzeugen? hier sind in der Tat Eisensprossen -- und den dicken Riegel haben Sie bemerken können, als ich aufriegelte ...“ -- „Ja aufriegelte!“ spottete Friederici -- „wenn +das+ unsere Freireligiösen wüßten! Die haben mir noch auf die Seele gebunden, daß ich vor keinem Hindernis zurückschrecken soll, um nur ja Zutritt zum armen Gefangenen zu finden. Man bildet sich ein, Sie schmachten in grausamer Verlassenheit. Der gefühlvolle Papa Falk hat sogar das Lied angestimmt: Zu Mantua in Banden ...“ Scherzhaft zog ich das Taschentuch: „Ach Jotte doch! Ich bin aufrichtig -- muß bloß lächeln, weil hier wieder mal die Wirklichkeit abweicht von der Phantasieschablone. Aber nun trösten Sie die mitleidigen Seelen! Erzählen Sie, wie Sie mich gefunden haben ...“ -- „Niemals!“ protestierte Friederici, „wenn ich ihnen +das+ erzähle, gibt es einen kalten Wasserstrahl auf die Begeisterung. Man steinigt mich -- Ihrer kann man ja nicht habhaft werden.“ -- „Aber was hat man denn gegen mich?“ -- „Na, ich danke, einen Märtyrer stellt man sich doch anders vor!“ -- „Ach so! Sie möchten einen Märtyrer haben? Im Sinne der düsteren Kulissenromantik! Und nun enttäusche ich Sie. Bin eben kein blutender Glaubensheld, kein Giordano Bruno! Aber +freuen+ wir uns doch, daß unser Sittenklima milder ist als dazumal! Ein Mensch fühlt das hier, ein lebendiger! Und lächelt über das Ansinnen, daß er sich foltern lassen soll, damit seine Partei einen Märtyrer hat ...“ „So ist es nicht gemeint!“ versetzte Friederici versöhnlich. „Ich wollte bloß sagen: unsere Gemeinde war gestern noch stolz auf Ihr Martyrium -- und nun soll sie morgen lange Gesichter machen? Darin liegt doch was Fatales!“ -- „Fatal für solche, die nicht Humor genug haben -- und die nicht in erster Linie das Leben gelten lassen, sondern ihre Schablone vom Leben. Die Schablone ist ein Gefängnis, das sich die Menschen selber zurecht machen. Schon des Kindes Innenleben wächst in lauter Käfige ein. Kein Wunder, wenn später alles Denken, Fühlen, Handeln Schablone bleibt. +Ich+ habe wenigstens den +Schlüssel+ zu meinem Gefängnis und spaziere gemütlich hinaus. Aber der Gefängnisphilister wird +verwirrt+, wenn er ausschlüpfen darf -- wie ein Kanarienvogel, der immer nur im Käfig steckte und sich eingewöhnt hat.“ -- „Überheben Sie sich nicht!“ meinte verdrossen mein Besucher. -- „Fällt mir nicht ein!“ gab ich zurück. „Auch ich gehöre ja der großen Zivilisationsfabrik an. Meine ganze Überhebung besteht darin, daß ich gewisse Dinge überschaue. Und nun schauen auch Sie, guter Freund! Schauen Sie hier das Leben! Es ist +immer+ anders als unsere Schablone -- ist immer einzig. Es spottet jeden Käfigs. Der Zivilisationsphilister glaubt nicht an das Leben, er glaubt an sein Reglement. Hier könnten die Vertreter des Reglements was lernen! Der Kultusminister und seine Räte. Und auch Sie, braves Preußenherz. Kränken Sie sich nicht, weil ich Sie so nenne! Ich weiß, wie pflichttreu Sie sind! Aber nun lassen Sie’s gut sein! Mäßigen Sie mal Ihren Korrektheitseifer! Schon schlüpft ein schüchternes Lächeln durch die Eisensprossen Ihres Ernstes. Jetzt gefallen Sie mir. Und jetzt lassen Sie uns fidel sein im fidelen Gefängnis! Tun Sie mir mit einem Gläschen Bescheid! Mein Amtsdiener delektiert sich an Pfefferberger Bier. Halten wir uns an diese Pulle Wermut! Bittersüß ist der Trank -- wie mein Gefängnis! Bittersüß, wie der Humor -- und wie eigentlich das ganze Leben.“ Der Biedermaxe Der freireligiöse Führer hatte sich verabschiedet. Auf dem Hofe erschien meine Frau nebst Frau Pape, die den Korb mit meinem Mittagessen trug. Lachend wurde ich begrüßt, wie ich so ganz ohne Aufseher auf den Hof trat. Die Seltsamkeit meines Gefängnisses wurde schon wie eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Beim Verzehren des Sonntagsbratens kündete ich an, wir würden heute einen Waldspaziergang machen. „Da ist wer! Vielleicht Besuch für dich!“ Durchs Fenster sah ich einen kurzen Mann; nach der Kleidung hätte man ihn für einen Liebhaber des Segelsports halten können; doch das fahle Gesicht, die schwammige Gestalt verriet den Stuben- und Wirtshaushocker. Sein marineblauer Anzug und die Seemannsmütze waren wohl Renommisterei. In die Brust geworfen, den Kopf hoch, die Augen rollend, den dicken Schnurrbart forsch gesträubt, suchte er sich das Ansehen eines Kapitäns oder ehemaligen Militärs zu geben. Etwas lächerlich Widerwärtiges war an ihm, als wäre er die Karikatur eines Feldwebels, der Kasernenstuben inspiziert und seine Augen wie ein Luchs umhergehen läßt, Unregelmäßigkeiten zu entdecken. Der Mann mit der Kapitänsmütze wandte sich bald hier-, bald dorthin, drehte den Kopf zur Amtsdienerglocke, zur Regentonne, ging hastigen Schrittes zur Kegelbahn, wieder zur Pumpe. Alles geschah mit ruckartigen Bewegungen und einer hochmütig strengen Miene. Sein Aufmerken war nun mißtrauisch auf den Gefängnisbau gerichtet. Hinter den Eisensprossen mußte er zwei Gesichter bemerkt haben; denn plötzlich starrte er durchbohrenden Auges und tat ein paar stramme Schritte nach meinem Fenster. Wie er die Glotzaugen aufriß, um seinem Gesicht einen majestätischen Ausdruck zu geben, erinnerte er an den Frosch der Fabel, der sich aufblies, bis er platzte. Der Mann mit der Kapitänsmütze platzte nun freilich nicht, doch explodierte seine Geschwollenheit in einem Hohngelächter: „Hohoho!“ Und wie man jemand verächtlich von Kopf bis zu den Füßen mißt, wandte er das Gesicht schadenfroh vom Kerkerfenster niederwärts zur Müllgrube und spie herausfordernd aus: „Pfui Deibel!“ Auf dem Absatz umgewendet, stolzierte er, wie nach einer Heldentat, zur Straßenpforte. Ehe er sie hinter sich zumachte, wiederholte er sein hohles Gelächter. Was war das? Mit dieser stummen Frage blickte ich meine Frau an, sie mich. „Das muß ja ein niederträchtiger Kerl sein,“ sagte sie, „er wollte dich verhöhnen.“ Ich wiegte langsam den Kopf: „Was es doch für Menschen gibt! Das heißt, Menschen sollte man sie gar nicht nennen, sondern Leute.“ -- „Kennst du ihn?“ forschte meine Frau, „hast du ihm was getan?“ -- „Nicht daß ich wüßte! Keine Ahnung, wer er ist! Wohl ein Spießer, der im Käseblättchen gelesen hat, daß ich hier Gefangener bin. Aus Neugier schnüffelt er nun hier herum -- oder will sich dicke tun -- weil er nicht ist, wie so ein Lump hinter Schloß und Riegel. Aber lassen wir den aufgeblasenen Frosch! Wir wollen lieber den wundervollen Herbsttag genießen. Ich strecke mich noch ein Stündchen hin und lese im Chamisso. Du könntest derweilen zu Spornreutters gehn und sie einladen, den Spaziergang mitzumachen. Aber pünktlich drei Uhr hier sein!“ Meine Frau ging -- ich versank in Nachdenken über die menschliche Natur. O Mensch, du kleiner Gernegroß! Wie komisch, wenn du neben deinesgleichen das Figürchen um Strohhalms Breite höher recken möchtest! Und wie häßlich, wenn du den andern duckst, bloß damit du dir groß vorkommen kannst, und wenn du ihn unter deine Füße zwingen möchtest. Schadenfreude ist des Menschen schlimmste Blamage. Sieh da, die Familie Bolle war zurück! Ich verließ mein Gefängnis und wiederholte dem Amtsdiener, daß ich nun den Spaziergang machen möchte. Er murrte, er sei müde vom Geburtstag, müsse mindestens eine Stunde schlafen. „Aber Mann!“ wandte Frau Bolle ein, „denn is ja die scheene Sonne wech!“ Borstig erwiderte er: „Komm du mich nich mang die Amtsjeschäfte! Ick nehme eich ieberhaupt nich mit.“ -- „Friedlich, Herr Bolle! Ich mache Ihnen das Zugeständnis, Sie legen sich jetzt aufs Ohr, aber nur eine halbe Stunde! Schlummern Se mal etwas rascher als sonst, hernach sind Sie besser ausgeruht, als nach langem Schnarchen. Bedenken Sie: Frische Pfannkuchen zum Kaffee!“ Es blieb ihm nichts übrig, als sich zu fügen, zumal seine Frau energisch geltend machte, bei dem milden Wetter müsse sie mit den Kindern ins Freie. Bald kam meine Frau mit dem jungen Ehepaar Spornreutter, das in Friedrichshagen wohnte. Spornreutter, Herausgeber einer Zeitschrift, hatte viel Sinn für Landschaft, für Kunst und künstlerische Volksbildung, wie er denn in der Volksbühne mein wackerer Helfer war. Seine Frau, stillvergnügt, eine zierliche Blondine von der Waterkant. Im Hofe richtete Frau Bolle nebst dem Knaben Anton den Kinderwagen für den Einjährig-Freiwilligen her. Als der Amtsdiener seine Verschlafenheit überwunden hatte, zog unsere Karawane los. Ich mit Spornreutter voran, dann unsere Frauen, drittens Anton, der den Kinderwagen schob, zuletzt das Ehepaar Bolle. Der Herbstnachmittag war goldig und süß wie ein vollkommener Apfel. Nach Westen gesunken, hauchte die Sonne noch warm über Stoppelfeld und vergilbtes Kartoffelkraut. Ein Herbstfaden schwamm wie blitzendes Silber in der stillen Luft. Nun tauchten wir in den Kiefernforst, der sich meilenweit erstreckt. Auf verschwiegenen Gestellwegen ging es gemächlich, zuweilen pfadlos über Moospolster. Weite Strecken waren von Adlerfarn bedeckt, die gefiederten Blattwedel vergilbt. Teppiche von Preißelbeerkraut, wildverrankte Brombeerhecken. Hin und wieder leuchtete aus dem Moose ein roter Fliegenpilz. „Au kuck mal, Rehe!“ rief Anton. Die geschmeidigen Tiere hüpften mit langen Sätzen über die Farne, zwischen den Stämmen blinkte der weiße Fleck am hellbraunen Hinterteil, dann waren sie entschwunden. Nun raschelt’s an einer Kiefer: Eichhörnchen rennt fauchend die Baumborke hinan, hüpft von Wipfel zu Wipfel. Der Wald lichtet sich -- eine Schonung. Über die niedrigen Nadelbüsche ragen vereinzelte Riesen, knorrig, die Wipfel gebreitet. Schon verklärt sich der Himmel, und rötlichgolden fließt der Sonnenduft schräg über den Forst. Kiefernäste erglühen. Hoch im Äther zieht drohende Kreise der Habicht -- in der Schonung hat er eine Kaninchensippe erspäht. Auf das Kreischen des Räubers antwortet zankend der Häher. Dann trommelt ein Specht mit dem Schnabel seinen Borkenwirbel. Sonstige Vogelstimmen sind selten, nur daß schleppenden Flugs eine Krähe krächzt oder winzige Meisen, um die roten Beerendolden der Eberesche schlüpfend, wie Mäuschen piepen. Entferntem Meeresrauschen ähnlich, wogt ein Seufzen durch die Nadelwipfel, die sich kaum regen. So recht für Träumer ist dieser märkische Kiefernforst. In Grübelei versinkt der Wanderer, seine ernste Stimmung wird durch die einförmige Öde zusammengehalten. Erst als wir auf dem üblichen Wege nach Rawenstein waren, wo noch andere Leute spazierten, kamen wir ins Geplauder. Ich erzählte von dem sonderbaren Gast, der heute den Gefängnishof besucht hatte, und dann blieben wir stehn, um Bolle darüber zu befragen. Gar nicht erbaut von meinem Bericht, wiegte er den Kopf: „Au Backe, det war der Biedamaxe!“ Wir lachten über den Namen. „Erzählen Se, Bolle, was für einer das ist!“ -- „Kommissionär schimpft e’ sich, un eene Baustelle hat er am See, wo die Holzbaracke steht. Dadrinne lauert e’ uff Kooflustije, wo e’ rinlejen kann. Leben dut e’ von’t Jeldjeschäft. Wissen Se, meine Herren, wenn ick heite, un hätte +Kapetal+, ick machte +ooch+ Jeldjeschäfte. Det Jeldjeschäft ...“ -- „Schon gut! Aber weshalb nennen Sie Ihren Kommissionär Biedermaxe?“ -- „Den Namen hat e’, weil er immer den Biedermann rausbeißen dut. Wie se mal Kaisers Jeburtstach in de Brauerei jefeiert haben, erhebt sich unsa Maxe un redet uff de deitsche Treie, un zum Schluß hebt e’ drei Finger der rechten Hand zum Schwur, rollte seine Jlotzoogen un jröblt: „Der Schwur erschallt, de Woge rinnt, De Fahnens flattahn hoch im Wind, Der Deitsche, bieda, fromm un stark, Beschirmt de heilje Landesmark.“ Wir lachten: „Aha, seitdem nennen Sie ihn Biedermaxe.“ -- „Ja, un wer ihm kennt, hat nich jern wat zu dun mit ihn. Wenn er heite unsan Hof inspiziert hat, is det bloß, weil e’ wat ausschniffeln will, um Ihnen zu denungzian oder mir. Im Denungzian is der Biedamaxe stark. Den Briefdräjer hat er denungziat, weil der den Briefkasten mal etwas zu frieh abjeholen hat; un eenen Bahnschaffner, weil der vajessen hatte, ihn det Billet abzunehmen. Dabei jeheert sich doch Nachsicht fier Beamte, wo ohnehin ihr Dienst schwer jenuch is. Un wissen Se, wat der Biedamaxe saacht, wenn man ihm zur Rede stellt? Denn wirft e’ sich in de Brust un schnauzt: Jeder deitsche Mann von Bildung hat darieber zu wachen, det die unterjeordneten Orjane in jebührende Ordnung funksjenian.“ -- „Und ist das aufrichtig gemeint?“ -- Bolle antwortete: „Bei seine Jeldgeschäfte sind die jebührende Ordnung zwanzig Prozent. Selbstmurmelnd!“ Eine Moorwiese durchquerte den Kiefernforst. Einst mußte hier ein See gewesen sein, der Wasserrest schlich als Fließ durch ein schwarzes Bett. Zum Teiche gestaut, hatte das Wasser die Rawensteiner Mühle getrieben; seit aber das Mühlrad nichts mehr einbrachte, hatte sich der Pächter auf die Gastwirtschaft verlegt. Ein Garten mit alten Erlen, Kuhställe, eine Scheune mit Storchnest, Taubenhaus und gurrende Tauben, Hühner und Enten, schilfumkränzt der Mühlteich, ein Ausblick auf Moorwiesen und Kiefern. Da es bei dem aufsteigenden Abenddunst nicht ratsam schien, im Freien zu sitzen, begaben wir uns in die große Gaststube. Nur noch ein Mitteltisch war frei, und hier nahmen wir Platz, obwohl es nicht angenehm war, so auf dem Präsentierteller zu sitzen. Bald stand vor uns eine gewaltige Kaffeekanne und eine Schüssel mit Pfannkuchen. Meine Frau füllte die Tassen und lud ein, zuzugreifen. War nun das nicht ein gemütliches Bild? Der Gefangene mit seinem Kerkermeister Kaffee schlürfend im ländlichen Wirtshause? Die Frauen schmausen Kuchen, der Polizeisprößling im Kinderwagen saugt an seiner Milchflasche. Wir plaudern harmlos, als ob es in der Welt nichts Schlimmes gäbe, nichts Verbotenes und keine Strafen! Als wäre das Friedensreich gekommen, wo neben dem Löwen das Lamm ruht. Je argloser wir uns gaben, desto mehr wurden die Blicke der übrigen Gäste kalt und finster. Die Frau eines Drogenhändlers, nebst Töchtern und Schwiegersöhnen wie eine Gluckhenne, musterte entrüstet unsern Tisch und war im Einvernehmen mit einem Sattlermeister, der den Kopf schüttelte, als wolle er mit Hebbels Meister Anton sagen: „Ich verstehe die Welt nicht mehr!“ Wäre die spiritistische Lehre, daß konzentrierte Seelenkräfte auch im Schweigen die Menschen bestimmen und sogar Tische rücken können, zutreffend gewesen, das einmütige Aufbegehren der Spießergesellschaft hätte den frechen Gefangenen und seinen frivolen Kerkermeister nebst dem ganzen Mitteltische jählings hinausbefördert. So aber blieben wir mit der Seßhaftigkeit materieller Wesen, bis all das Unsere verzehrt war. Als dann Frau Bolle den Kinderwagen hinausschob und ihr Mann, die Hand an den blanken Helm gelegt, seinen Schutzbefohlenen den Vortritt ließ, brach die verhaltene Empörung hinter uns los: „Nee, so wat! Haste Worte?“ -- „Haben Sie gehört?“ meinte Spornreutter, und ich entgegnete: „Der Biedermaxe geht um!“ Draußen war es dunkel und die Gegend des Moors derart nebelig, daß kaum noch Dämmerlicht vom Himmel kam. Der Knabe Anton hatte die Führung, hinter ihm schob der Amtsdiener den Kinderwagen. Ich verbiß mich mit Spornreutter in ein grimmes Gespräch: „Haben diese Bürgersleute denn nicht die mindeste Solidarität mit mir? Ich bin doch nicht gefangen, weil ich ihr Eigentum oder sonst ihre Lebensinteressen geschädigt habe.“ Spornreutter unterbrach: „Erstens haben Sie das doch! Ungläubigkeit ärgert die Leute. Zweitens ist es ihnen schnuppe, aus welchem Grunde Sie dem Gefängnis verfallen sind. Sie sind jedenfalls ein polizeiwidriges Subjekt, Sie müssen sitzen -- das genügt! Da Sie also hinter Schloß und Riegel gehören, so geraten diese Spießer aus dem Häuschen über das Schauspiel, das sich eben unter ihren Augen abgespielt hat. Statt im Kerker zu büßen, macht der Gefangene gemütliche Waldspaziergänge nach einem öffentlichen Lokal, und die Polizei geht mit als Vergnügungsmeister und Lakai. Bezahlt man +dafür+ seine Steuern, he?“ -- „Aber haben diese Leute denn gar keinen Sinn für die +lustige+ Seite meines Gefängnisses? Warum hat kein einziger +geschmunzelt+? Was hat ihre Herzen der Mitfreude so +verschlossen+?“ -- „Unschuldswurm!“ meinte Spornreutter, „trauen Sie diesen Leuten solche +Mit+freude zu? +Schaden+freude ist ihnen eigen! Das haben Sie am Biedermaxe erlebt, der höhnisch über Sie lachte.“ „Hier ist es ja stockfinster,“ meinte Spornreutter, „passen Sie auf, wir sind vom Wege ab, hier sind gar Dornen.“ Gleich darauf rief Anton: „Aua! Et piekt mir!“ Und der Amtsdiener: „Au Backe! Ick habe mir verheddert -- der Kinderwagen sitzt feste, mang de Brombeean! Streichhelza hea!“ -- „Ich habe keine!“ versetzte Spornreutter, „nu sitze ich selber fest. Wille, wo sind Sie?“ Ich war einige Schritte weiter gegangen und blieb stehen, da auch ich Dornranken spürte. Frau Spornreutter rief: „Wat is ’n los, Mann?“ -- „Ick wollte, ick wäre los!“ -- Der Einjährig-Freiwillige brüllte. Ich kicherte. Nun wurde Bolles Stimme mißtrauisch: „Herr Dokta? Sind Se auch noch +da+?“ Offenbar war er bange, ich könne mich fortgemacht haben. Der Zeitpunkt wäre ja famos gewählt gewesen. Rings finsterer Wald und hilflos verheddert die Polizei. Jetzt gerade schwieg ich; auch ich wollte mal schadenfroh sein. Harmlos freilich war die Rache, die ich an der Menschennatur nahm. Nur Bolle war das Opfer, seine Stimme drückte Angst aus: „Herr Dokta? mein Jott, wo +sin+ Se denn? Antworten Se doch! Herr Spornreutta, wo is mein Arrestant? Is +det+ der Lohn fier meine Jutmietigkeet? Frau! det is een Unjlicksdag, un du bis schuld! Du hast zujeredt zu diese Landpartie. Mich schwante schon so wat. Nu is mein Arrestant futsch, un ick lieje in’ Wurschtkessel!“ -- „Ach Unsinn!“ antwortete Spornreutter, dann rief er in den Wald: „Wille! wo stecken Sie denn?“ Auch meine Frau beteiligte sich an dem Rufen: „Bruno! mach keine Witze!“ Damit nun des grausamen Spiels genug sei, antwortete ich barsch: „Wozu das Geschrei? Ich bin doch hier, -- habe selber mit den verflixten Dornen zu tun. Zurück, Herr Bolle, in der Richtung, woher Sie gekommen sind, Sie verheddern sich sonst noch mehr.“ -- „Ick bin schon wieda los,“ antwortete er; „aber mein Jott, wie ick mir verschrocken habe! In sone Finsternis kricht selbst ein Polizeimann grauliche Jedanken.“ Als wir den Weg wiedergefunden hatten, ging es vorsichtig durch die Dunkelheit. Auf einmal wich der Nebel, auf der Moorwiese lag er nur. Spornreutter kam auf eine Gefängnisstrafe zu sprechen, die er selber durchgemacht hatte. Am Himmelfahrtstage war in einer Arbeiterversammlung ein Geistlicher erschienen und hatte in der Diskussion auf die Frage, wie Christi Himmelfahrt zu verstehen sei, die Antwort erteilt: „Wörtlich, wie die Bibel es beschreibt -- leibhaftig ist unser Heiland aufgefahren, sitzet zur Rechten Gottes.“ Durch solche Glaubensstarrheit gereizt, hatte Spornreutter erwidert: Der Sternenraum ist so unermeßlich, daß vom Nebelfleck der Andromeda das Licht eine Million Jahre braucht, um zur Erde zu gelangen. Wenn also die Fahrt gen Himmel mit der größten uns bekannten Schnelligkeit, mit der des Lichts, stattgefunden hat, so ist sie zurzeit noch lange nicht über den Sternenraum hinaus; erst in neunhundertachtundneunzig Jahrtausenden, von heute an, wird der Himmelsfahrer beim Nebelfleck der Andromeda angelangt sein -- und wer weiß, wie lange er dann noch zu fliegen hat, bis die Welt mit Brettern vernagelt ist und das übernatürliche Reich anfängt! Der Gendarm, der die Versammlung überwachte, mißdeutete die Heiterkeit, die auf diese Ausführung laut wurde, und die Folge war Spornreutters Verurteilung zu acht Wochen Gefängnis wegen sogenannter Gotteslästerung. „+Mein+ Gefängnis war +nicht+ so fidel, wie das Ihre,“ erzählte er, „dennoch möchte ich es nicht +missen+ in meiner Lebensgeschichte, schon deshalb nicht, weil ich so schöne Ruhe zum Lesen und Schreiben hatte. Ich habe im Gefängnis neugriechisch gelernt und Werke des Dichterphilosophen Polytropos übersetzt. Wissen Sie, was der zum Beispiel sagt? Ein Gott, der sich schämen muß über den Zustand seiner Anbeter, +ist+ kein Gott! Der Gott eines Volkes in +Lumpen ist+ kein Gott!“ -- „Und erst recht nicht, wenn’s ein Volk +von+ Lumpen ist,“ fügte ich hinzu; „doch lassen wir die Bosheiten! Erzählen Sie von Ihrem Gefängnis! Besuch war Ihnen wohl selten gestattet?“ Spornreutter erwiderte: „Ich fühlte mich nicht einsam -- habe soviel mit Gefangenen geplaudert, daß es mir oft zuviel wurde. Kennen Sie die Klopfsprache? Mit ihr verständigt man sich durch die Kerkerwände. Besonders eignen sich hierzu die Heizungsröhren. Wenn unten, oben oder nebenan ein Gefangener daran klopft, so hört man’s in den Nachbarzellen. Das Abc wird so abgeklopft, daß Worte rauskommen. Das ist zwar etwas umständlich, aber bald geht die Unterhaltung ziemlich flott, zumal angefangene Sätze oft erraten werden. Was haben wir uns nicht alles auf diese Weise erzählt!“ Schweigend schritten wir den Waldpfad dahin. Sterne leuchteten. Ein Käuzchen schrie. Dann kam wieder das aufstöhnende Sausen der Kiefern. „Wissen Sie, woran mich Ihre Geschichte in Verbindung mit dem Biedermaxentum gemahnt?“ fragte ich. „Der Mensch ist in die +Ichform+ eingesperrt wie in ein Gefängnis. Wohl ihm, wenn er wenigstens Klopflaute findet zur Verständigung mit seinesgleichen. Aber es gibt auch Isolierzellen -- gibt isolierte Ichlinge, die gar nicht aus ihrem dicken Fell herauswollen. Am besten hat es ein Gefangener, der über den Kerkerschlüssel verfügt, beliebig aufschließen, sogar Sparziergänge ins Freie machen kann. Reizt euch das nicht, ihr Gefängnishocker? Wann werdet Ihr Lust zur Freiheit kriegen? Sehn Sie mal, Spornreutter, da oben ist Ihr Sternenbild Andromeda -- mit dem Nebelfleck, dessen ketzerische Betrachtung Sie ins Gefängnis brachte. Wissen Sie, was Sie den Leuten über die Himmelfahrt +auch+ hätten sagen können? Jeder Mensch steckt in einer Höhle, soll aber gen Himmel fahren. Wie man das +macht+? Dazu braucht man nicht den Flug des +äußern+ Lichts, sondern den Gedanken, der die Trennungen überwindet. Heute im Walde sind wir aus uns herausgegangen. War’s nicht köstlich, wie wir uns in die Landschaft vertieften? So soll man sich in die Mitmenschen einfühlen, soll kein Gemütskrüppel sein wie der Biedermaxe. Wie aus seiner Puppenhülse der Schmetterling, soll aus dem Ichgefängnis ein besserer Mensch hervorgehen. Wenn wir einander +verstehen+, +dann+ ist das Friedensreich da, wo das Lamm neben dem Löwen schlummert.“ -- „Aber nun der Biedermaxe! Sollen wir auch +ihn+ duldsam verstehen? Und nicht lieber zum Kuckuck jagen?“ -- „Tun Sie +Beides+! Schwingen Sie die Geißel wie Christus, als er das Gesindel aus dem Tempel trieb. Tun Sie’s aber ohne Haß -- tun Sie’s lachend! Mit Humor!“ Einsamkeit Auf sein Bett gestreckt, fühlte sich der Gefangene vereinsamt, der graue November weinte ihm etwas vor. Kalter Wind schnob -- der Regen rann, mit Schnee und Schloßen untermischt. Die Blechrinne schluchzte, in die untergestellte Tonne plätscherte das Naß. Um noch verlorener zu erscheinen, war dieser Tag ein Sonntag. Alle Welt sucht sich feiertags eine besondere Freude, mit der Geselligkeit wird dann geradezu ein Kultus getrieben. Der Gefangene blieb heute ganz allein. Seine Frau war erkältet und hütete das Zimmer; kein Freund ließ sich sehen, kein Hund, keine Katz. Na ja, verständlich war’s; bei dem unwirtlichen Wetter hockte jeder gern zwischen seinen gemütlichen Pfählen, Kaffee schlürfend bei der Hausfrau oder bei seiner Freundschaft. Die Gefährten der literarischen Kolonie schwatzten gewiß, wie gewöhnlich, bei Streitmüllers, und ihnen ging der Humor nicht aus. Vielleicht hatte einer den Vorschlag geäußert: „Besuchen wir Bruno!“ Aber dann war eingewendet: „Ach wir sitzen so gemütlich beisammen -- und bei Bruno war ich erst vor einer Woche. Dem wird’s ja auch nicht fehlen an Besuch -- heut’ am Sonntag ist seine Zelle selbstverständlich voll wie eine Heringstonne! Bleiben wir also hier -- Prosit!“ Ich hörte mich seufzen -- immerfort wimmerte draußen die Rinne, der Abend dämmerte schon, und ich blieb allein. Es kam mir in den Sinn, daß der gutmütige Eckehart zu Beginn meiner Gefangenschaft angedeutet hatte, mit Diotima wolle er mir ein Ständchen bringen. Der wimmernde Wind war nun mein Ständchen. Weil aber Schwermut bitter, Bitterkeit mißtrauisch macht, so kamen mir argwöhnische Gedanken. Im Geiste sah ich den Freundeskreis, hörte einen Witz über mich, der mir boshaft vorkam -- und alles lachte. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Und die Krähen hacken drauf los, wo eine anders aussieht als die andern. Manchem ist es nicht völlig ernst, wenn er mir die Hand drückt: „Wacker!“ Sitzt er dann mit andern zusammen, so kommt der Herdensinn heraus, und nun heißt es von oben herab: „Kurios, was Wille da auf sich nimmt! Mein Geschmack wär’s nicht, den Märtyrer zu spielen.“ Ein anderer meint superklug: „Ein Märtyrer für seine Überzeugung -- wie Sokrates, der den Giftbecher trank -- ~à la bonheur~! Das war ein Kerl! Aber Fritzenwalde ist kein Athen -- nicht mal ein Abdera -- und Bruno Wille kein Sokrates.“ -- „Nicht Schierling trinkt er, sondern Grog!“ rief jemand -- alles lachte, und dann hieß es: „Ein fideles Gefängnis! Solch ein Martyrium ist ja ein wahres Vergnügen, ein Studentenulk!“ Zwar machte ich mir selber dies Gerede vor, doch ich glaubte daran. Ich tat, was man vom Hasen sagt, ich schlief mit offenen Augen, und meine innerlichen Gesichte hatten eigenes Leben ... Im Lehnstuhl thronend, genehmigt Otto Erich Hartleben einen Schluck und meint blasiert: „Ich wußte mir von je bessere Studentenulke. Daß Wille ins Gefängnis ging, finde ich einfach geschmacklos.“ Gereizt entgegnet Paul Streitmüller, der ältere der Brüder: „So’n einseitiger Ästhet wie du will natürlich immer genießen; aber sind wir denn dem tätigen Leben nicht +auch+ was schuldig?“ -- Hochtrabend Hartleben: „Meinen Gläubigern bin ich was schuldig, das muß ich schon anerkennen, sie schicken mir ja den Gerichtsvollzieher. Aber das Leben soll mir nicht kommen mit idealen Forderungen! Um die bessere Zukunft zu düngen, euren sozialen Staat, dazu bin ich mir denn doch zu gut!“ „Prosit“ stimmt ein anderer Gast bei, ein Nietzscheaner und Individualist -- „mögen sich die Sozialisten oder Christen -- das ist ja im Grunde ein und dasselbe -- verbrauchen lassen von ihren Genossen oder Nächsten, -- ich lasse mich nicht vom Leben verbrauchen, sondern ich verbrauche das Leben -- wie es mir beliebt!“ -- „Weißt du, guter Streitmüller, was mein Ästhetentum bedeutet?“ fuhr Hartleben fort -- „ein ganzer Künstler will ich sein!“ -- „In Schönheit sterben!“ ulkt Streitmüller -- „und Cerevisia von Pilsen heißt Otto Erichs vornehme Schönheit, Prost Kinder!“ Hartleben läßt sich nicht aus seiner Sicherheit bringen und blickt herausfordernd im Kreise umher: „Cerevisia von Pilsen, so heißt allerdings meine Dame -- daß Otto Erich ihr Ritter ist, weiß also selbst der Adel von Berlin-Ost und die Fritzenwalder Ritterschaft vom Geiste. Aber noch nicht scheint sie zu wissen, daß ich diese Dame nur aus dem Grunde liebe, weil sie meiner Königin aufwartet. Die Königin heißt Träumerei. Cerevisia, der goldige Stoff aus Pilsen, dient meiner Träumerei. Nach meinem Geschmack träumen will ich, das ist mein wahres Leben. Ihr Banausen begreift nicht, warum ich saufe. Die Wirklichkeit ist mir zu pöbelhaft -- das ist mein tiefer Grund! Heil!“ -- „Heil!“ echoen die Spezialjünger und schlucken eifrig. Einer intoniert: „Meine Mus’ ist gegangen In des Schänken sein Haus ...“ „Haltet die Mäuler, Füchse!“ ruft Paul Streitmüller -- „die Diskussion ist noch nicht zu Ende. Was Otto Erich Träumerei nennt, ist eigentlich Schlemmerei. Ich gönne euch allen ja etwas davon und ihm noch seinen Extrakübel mit dem prickelnden Labequell von Pilsen. Wenn aber der flotte Jenenser Bursch zum Riechfläschchen greift und sich in den Artistendusel der Nurkünstler hineinschwindelt -- dann freilich wird Goethe zum Bierjungen -- und Stephan George zum Schönheitspapst! Ein ganzer Kerl soll im Dichter stecken, einer der Menschentum offenbart, höheres ...“ -- „Mein lieber Genosse!“ entgegnet Hartleben von oben herab -- „schreibe du über die Gewerkschaft der Steinträger und andere Sozifragen -- auch über Ethik und so was Höheres -- davon verstehst du was. Von klingender Traumkunst aber ...“ -- „Versteh ich allerdings nicht die Bohne!“ pariert Streitmüller. Hartleben setzt nun erst recht die Meistermiene auf -- herausfordernd blickt er im Kreise umher: „Sind hier etwa noch +mehr+ solcher Barbaren, die ein lyrisches Gedicht +verstehen+ wollen?“ -- Streitmüller läßt sich nicht verblüffen: „Kokettiere nicht! Wer ein Drama in philistros geschrieben, braucht sich nicht darüber aufzuhalten, daß Wille die Philister auf +seine+ Art bekämpft -- indem er unter den gegebenen Verhältnissen ein Karzer auf sich nimmt, das allerdings kein Tempel der Schönheit ist. Aber das war euer Jenenser Karzer auch nicht! Und dahin ließet ihr euch sperren wegen einer besoffenen Lappalie. Wille hingegen ...“ -- „Ist Giordano Bruno redivivus -- foltern läßt er sich -- bei lebendigem Leibe verbrennen“ -- spottet Hartleben, dem es willkommen sein mag, einen Blitzableiter gegen Streitmüllers Donnerwetter zu haben. -- „Na gut! Aber wenn unser Bruno sich mit Bravour hineingestürzt hat, so kann ich nur sagen: Er kommt mir ein wenig wie Fritzchen vor, als der sich bei Hundekälte die Pfoten erfrieren ließ, um anklagend zu heulen: Geschieht meiner Mutter ganz recht! Warum läßt sie ihren Jungen ohne Handschuh! Wille hat sein Ideal, na ja! Idealismus heißt das wunderlichste Menschengefängnis -- freiwillig begibt sich der gute Schwärmer hinein -- und mag gar nicht mehr ’raus, vor lauter Verachtung für das Gesindel, das sich draußen wohl sein läßt ...“ -- „Spuk und Sparren!“ ruft ein Jünger Stirners und ein Ibsenide: „Lebenslüge!“ -- Aber Paul Streitmüller: „Mancher scheint +die+ Lebenslüge nötig zu haben, +sein+ Ich sei etwas einzig Kostbares, erhaben über die dämlichen Sozialpflichten. +Sein+ Gefängnis ist wie eine Schachtel voll Watte, drauf er als Perle ruht -- ist faule Gewohnheit!“ -- Otto Erich tut, als habe er nichts gehört, und spottet weiter: „Heine erzählt von einem wunderlichen Matrosen, der plötzlich vom Gipfel des Mastes schrie: Ich sterbe für den General Jackson! drauf kopfüber aufs Deck sprang und -- prompt das Genick brach. Wie dem General mit solchem Sterben gedient sei, hat niemand begriffen, man wußte nicht mal, wer der General Jackson war.“ -- Allgemeines Gelächter, in das auch meine Freunde einstimmen. So ging das Spiel meiner Phantasie, und alles war, als ob es sich wirklich so zutrüge. Beim Spott der Gefährten blutete mir das Herz. Und was das Peinlichste war, meinen eigenen Zweifel liehen sie Worte -- ich stöhnte. Und in einem fort das Regenplätschern draußen -- und niemand kam, mich zu trösten -- ich blieb mutterseelenallein. Nicht weil ich im Gefängnis war, fühlte ich Vereinsamung, sondern weil jedes Ichwesen eigentlich in Einzelhaft gebannt ist, mag es sich auch darüber hinwegtäuschen durch Geselligkeit. Was innerlich im Einzelnen vorgeht -- sein Fühlen und Begehren, sein Träumen und Sinnen -- erlebt in unmittelbarer Weise nur er selbst, der Vereinzelte! Oft ist er sogar sich selbst ein Rätsel. Um wieviel mehr den anderen, die ihn doch nur äußerlich beobachten! Seine Mienen und Geberden sehen sie, seine Stimme hören sie -- und das heißt: rein äußerliche Wirkungen empfangen sie von ihm, nichts unmittelbar Geistiges! Nur Wellenzüge des Äthers und der Luft! Zugegeben natürlich, daß ich die Mienen meines Mitmenschen seelisch deute. Doch schließlich nur aus meinem eigenen Ich schöpfe ich diesen Sinn, lege mir das Benehmen des Mitmenschen nach meinem Muster zurecht, finde immer nur mich selbst im Mitmenschen wieder; nichts anderes weiß ich von seinem Innern, als was ich von mir selbst hineinspiegele. Niemals kann ich der Schlange gleichen, die sich häutet. Kann nie aus der Haut meiner Subjektivität schlüpfen. Mit mir allein bin ich immerdar -- und eben darin besteht meine tiefste Vereinsamung. Als der Weltgeist die Kreatur aus dem Garten Eden trieb, da hat er sie verbannt in die Einzelzelle „Ich“. Nun seufzen wir und sehnen uns zurück nach der verlorenen All-Gemeinschaft. Und schmachten nach fremden Seelen, -- bleiben aber im Grunde isoliert. Es war längst Nacht -- doch ich mochte die Lampe nicht anzünden -- lieber im Dunkeln weiter träumen. Auskosten bis auf den Grund den Kelch der Vereinsamung -- um dann einmal ganz fertig zu sein mit dieser Bitternis. Ich ahnte, daß in allem Leid ein Durchbruch gelingen müsse zu Schatzkammern der Seele. Meine heiße Schläfe lehnte ich an die Gefängniswand, der Novemberwind schnob lauter, immer noch wimmerte die Regentraufe ... Und horch, auf einmal kam ein Laut aus einer geheimnisvollen Welt -- ein Gruß vom ersehnten Reiche freier Geister: Dumpfer Hufschlag -- das war er ja wieder, der rätselhafte Reiter, den ich manche Nacht belauscht. Und er galoppierte dunkle Wege dahin -- stürmte in die Weite -- während ich im Gefängnis einsam seufzte. Nachtodem braust mit Regen und Schloßen Und haucht herein durch die Kerkersprossen. Drin lehnt ein heißes Haupt an der Mauer, Das kostet die Kühle mit süßem Schauer. Es lauscht dem wilden Rütteln und Dröhnen Des Sturmes, dem langgezogenen Stöhnen. Es lauscht, wie der Regen von Dache rinnselt, Wie die Traufe im Hofe schluchzt und winselt. Es lauscht, wie ferne die Föhren sausen Und am Seegestade die Wellen erbrausen. Nun horch, da nahen hurtige Schläge Von Rossehufen auf nächtigem Wege. Vorüber stürmt galoppendes Reiten Hinaus in geheimnishüllende Weiten ... So lauscht ein heißes Haupt an der Mauer Und kostet die Kühle mit süßem Schauer. Nachtodem braust mit Regen und Schloßen Und haucht herein durch die Kerkersprossen. Ach, wer so fliegen könnte ins Schrankenlose -- wie dieser Reiter! Und wie der wilde Novemberwind! Einmal war’s, da durft ich so ins Freie galoppieren: Um die Mitte meiner zwanziger Jahre begleitete ich den Geographen Kiepert auf einer Expedition durch Anatolien, und zu Pferde ging es Tag für Tag. Da gab es keinen Gram -- jeder Laune meines Zügels, dem herrischen Druck meiner Schenkel gehorchte das zottige Pferdchen -- und ich schaute in heiliger Heiterkeit; wie dem Auge des Äthers lag mir frei und offen das Wunderland Homers. Über Ilion reisten wir nach Pergamon. Als ich vom hochgelegenen Amphitheater eine Aussicht schaute, deren einfach große Formen die Inschrift bezeichnete: „Im Angesicht des Landes und des Meeres“, -- empfand ich die selige Ruhe eines kraftvoll harmonischen Menschentums. Und fühlte innig, weshalb Faust, mittelalterlicher Enge und Dumpfheit entwachsen, sich nach Helenas Heimat sehnt und den Rücken jenes centaurischen Pferdemenschen Chiron besteigt, der einst sie trug und der mit seinem Saitenspiel Heroen erzog ... Während ich so in meinem Gefängnis sann, hielt ich es für angebracht, das Gedicht vom freien Reiter aufzuschreiben, damit es nicht dem Gedächtnis entfalle. Ich wollte Licht machen; doch etwas lähmend Berauschendes hatten die Erinnerungen an Pergamon -- noch ein Weilchen gab ich mich ihnen hin ... Da war mir, als rege sich jemand draußen am vergitterten Fenster, und es kam mir der Gedanke: Jetzt haben sich die Freunde besonnen und wollen dir wohl gar eine Serenade bringen! O diese Witzbolde! Aus trostloser Vereinsamung möchten sie den Gefangenen in ein Elysium von Wohllaut, von liebreicher Geselligkeit versetzen. Da lauern sie nun und kichern in Verstecken über meine Verblüffung. Gute Schelme! Also losgeschossen! Artig will ich auf euer Programm eingehen. -- Ich lausche -- nur den Wind höre ich und das Regenrieseln -- irgendwo klappert ein offenes Fenster. Habe mich also wohl getäuscht! Wer wird denn auch solch eine Regennacht zum Ständchen aussuchen! Doch horch, ist das nicht Flötenmusik? Und sieh, da glüht es rot! Wahrhaftig, nun kommen sie! Gar mit einem Fackelzug! Ein Mummenschanz, eine dramatische Szene. Lauter Griechenvolk -- famose Gestalten. Im Halbkreis gruppiert um mein Gitterfenster. Ich erkenne sie alle -- Willi Bölsche, am Arme hängt ihm eine Mänade, Julius Hart mit einer flotten Schauspielerin vom Residenztheater -- Heinrich Hart, die Eulenspiegelkappe über den Kopf gezogen. In der Mitte der taumelnde Hartleben als Gott Dionys, mit Epheu umkränzt, einen Pokal in der Hand, sucht er Halt an einem Greis -- das ist Sokrates. Und es winkt der olympische Schlemmer mit dem Thyrsosstab, alles lauscht: „Pfahlbürger! Zu Ehren unseres Bruno Wille, den wir wegen seines freiwilligen Kerkers hier zum Ehrenpfahlbürger ernennen, lasset die Serenade höhern Stumpfsinns erschallen, den mit Recht so beliebten Pfahlbürger-Reigen!“ Sich in den Hüften wiegend, hebt nun Hartleben Thyrsosstab und Pokal und beginnt im Baß: „Ra--ria--rulla! Ra--ria--rulla! Dreck--Speck--Zweck überhaupt! Reia, reia, reia, humpa, humpa ...“ Dröhnend schwillt der Gesang, unter Lachen und Stampfen ordnet man sich zur Fackelpolonäse. „Nicht zu laut, Kinder!“ rufe ich -- „sonst blasen die Feuerkälber, und die Fritzenwalder Feuerwehr kommt uns mit kalten Wasserstrahlen über den Brausekopf. Ihr dürft nicht vergessen, daß hier ein Gefängnis ist!“ -- „Dummes Zeug!“ schilt der dionysische Hartleben. „Ich schwinge hier das Skeptron der Freude und Freiheit. Du bist zur Stunde frei und kommst mit! Vernimm, erhabener Volkserzieher, Gründer der freien Volksbühne, wir überstrahlen dein Verdienst. Haben etwas gegründet, das all der Muffigkeit heutzutage ein Ventilator ist: die freie +Luft+bühne! Wir führen dich hin, wohlan!“ -- „Aber ich bin ja eingesperrt.“ -- „Dieser Weise wird deine Kerkertür sofort entriegeln“, entgegnet Hartleben würdevoll. Auf seinen Wink tritt Sokrates vor; wie der ein wohlbekanntes Schlüsselbund emporhält, geht mir ein Licht auf: „Der Tausend! Das ist ja unser Jacoby!“ Schlagfertig kalauert er: „Ich Greis Und Metaphysikus, Bin hier vom Kreis Der Pfiffikus.“ Beifallsgelächter. Nun rasselt er mit den Schlüsseln und kommt mir aufzutun. Wie ich eben das Gefängnis verlassen will, rufen die Versammelten: „Platz da! Der freie Reiter kommt!“ Indem sie eine Gasse öffnen, vernehme ich den geheimnisvollen Hufschlag. Näher stampft es, und auf einmal galoppiert ein Centaur in den Hof, bäumt sich und steht nun schnaubend. „Chiron!“ ruft man, und Hartleben-Dionys: „Bravstes Vieh der klassischen Walburgisnacht! Nimm diesen Fritzenwalder Faust auf deinen Rücken, dann fort mit ihm zum alten Griechenland, wo du mit deiner Musik-Magisterei Helden und Halbgötter erzogen hast.“ Von etlichen Händen gepackt, sitze ich auf dem Rücken des Pferdemannes, halte mich an seiner Mähne fest, und los geht die wilde Jagd ... Dann ist die Szene verwandelt: Vom blauen Himmel flutet goldner Äther auf ein Amphitheater. Wie Blumen in endlosem Kranzgewebe schimmern auf den Rängen die bunten Gewänder des schautrunkenen Griechenvolks. Unter Tubaschmettern tritt eben ein Grieche auf, schön wie Apoll, blondlockig -- und ein Flüstern geht durch die Versammlung: „Hölderlin, er ist’s! Er wird Flöte spielen -- Diotima trägt dazu eine seiner gotterfüllten Oden vor.“ In der Tat hebt Hölderlin, der niemand anders ist als mein Freund Eckehart, die Flöte an die Lippe, und ein Präludium stimmt zu süßer Wehmut. Während dieses Vorspiels ist Diotima aufgetreten -- alles versinkt in ihren Anblick. Der Sixtinischen Madonna ähnlich, überschaut sie, an den Altar gelehnt, das versammelte Volk. Träumende Sehnsucht im dunkeln Auge. Und zu den Flötenklängen spricht ihre Altstimme: „Rosen kränzen den Berg, heiliges Frührot lacht. Auf, gefangener Mann! Suche, was adlig macht! Brich die Kette! Laß schnarchen Gassenbürger in Winkelnacht! Dir zu Füßen die Welt, klimme den Fels empor Zu Heroen! Erweckt werden dir Aug und Ohr! Tief das murrende Chaos Droben tönt es wie Sternenchor.“ Diotimas Augen sind geweitet, aus ihrer Rätseltiefe leuchtet die Vision der Seherin. Tausend Blicke bohren sich glühend hinein -- und wie fragend sind der Versammelten Lippen halb geöffnet, schmachtend nach dem Wasser des Lebens. Und sieh, während Hölderlins Flötenhauche zitternd ersterben als verglimme Abendgold, hebt Diotima ihr Antlitz und breitet seufzend die Arme empor ... Da hat ein Zauber alles verwandelt. Nur noch eine Ruine das Amphitheater. Öde, von allem Leben verlassen. Und Finsternis hält alles umfangen, mit riesigen Fledermausflügeln. Ein Glied der dumpfigen Erde haben die schwarzen Trümmer etwas von einer Höhle, von einer Gruft, einem Kerker. Und auf einmal kommt es mir vor, dies sei mein Gefängnis. Durch die Eisensprossen des Fensters erkenne ich den Gefängnishof mit der Pfütze -- vom Regenguß ist sie vergrößert, Sterne spiegeln sich darin. Klar ist nun der Himmel. Über dem Dache des Vorderhauses leuchtet das Sternbild Orion -- wie ein Krondiadem. Oder wie Tauperlen, sie flimmern gelb und blau, grün und rot. Die Sternstrahlen sind haarfeine Saiten einer Harfe. Sie summen, es klingt wie eine Mondscheinlerche. Von meiner Lippe beben rhythmische Hauche und formen sich zum Gedicht: Es wühlt und tappt in dumpfiger Höhle blind Der Maulwurf; ihn verschüchtert die Oberwelt. Mir gab ein Gott dies Auge: aufblühn Soll es, versippt mit den Sternen droben. Dein Funkenzauber, hoher Orion, sprengt Den Kerker mir. O selig, wer dorthin schwebt, Wo Träume, hier noch Spott der Leute, Könige sind und das Reich vollenden! Wer in dieser rauhen Novembernacht das Gesicht des schlafenden Einsamen beobachtet hätte, wäre inne geworden, wie nicht bloß über dem Nachtgewölk, sondern auch hinter Gefängnisgittern Sterne blühn, sehnsüchtige Träume, die das Reich vollenden ... Als mich andern Tages Bölsche besuchte, erzählte ich meinen Traum. „Die Verse, die ich im Traum gedichtet, vom Olymp und vom Maulwurf, habe ich gleich nach meinem Erwachen zu Papier gebracht. In voller Genauigkeit ließen sie sich nicht erfassen und verkümmerten bei der Niederschrift -- unsere Vernünftigkeit scheint unzulänglich, wo das Wundersamste aus unserer Tiefe hervor soll.“ -- „So bleibt alles Schöne schließlich Mystik“, antwortete Bölsche. Dann zergliederte er meinen Traum: „Mit Hölderlins Liebe zum Griechentum fühlt sich dein Humanismus verwandt. Auch du sehnst dich nach Menschen, die in Freiheit schön und stark sind.“ -- „Aber nicht bloß sehnen soll man sich, auch handeln, praktisch arbeiten!“ -- „Schon recht!“ lächelte Bölsche -- „na, du +hast+ ja auch praktisch gearbeitet an der Volkserziehung, +so+ praktisch, daß du ins Gefängnis gekommen bist! In einsamer Zelle spinnst du nun wehmütige Vergleiche zwischen preußischen Barbaren und den alten Griechen. Übrigens ist deine klassische Walpurgisnacht ein Gegenstück zu jenem andern Traum, den du mir neulich erzählt hast -- ich meine den Traum von der ollen Konservenkiste. Während dieser das Gespenst der Vergangenheit zeigt, wie es unheimlich in der modernen Zeit herumspukt, hat dich jetzt jene +Sehnsucht+ nach der Vergangenheit gepackt, der süße Traum von entschwundener Jugend, von Helden lobebären, vom goldenen Zeitalter. Aber hast du nicht aus Goethes Faust gelernt, daß die schöne Helena ein Gespenst bleibt, das kein Totenbeschwörer zu leibhaftiger Gegenwart zwingen kann? Du hast des öftern reflektiert über mancherlei Gefängnisse, in die man sich eingesperrt fühlt. Zähle dazu auch das Gefängnis Zeitlichkeit! Klüfte im Raum lassen sich überbrücken -- unüberwindlich bleiben Schranken, mit denen das Jetzt uns vom Ehedem absperrt.“ „Schon recht! Aber kennst du das Bild von Schwind: der Traum des Gefangenen? Im Kerker liegt ein bärtige Mann. Sehnsüchtig verfolgt sein Auge, wie ein Zwergenkönig von seinen Heinzelmännchen das Fenstergitter durchfeilen läßt. Dieser Zwergenkönig existiert -- erlösen kann er aus dem Kerker Gegenwart, eine Brücke schlagen über Klüfte der Zeitlichkeit. Die Vergangenheit ist eben doch nicht eigentlich tot.“ -- „Tot -- und auch wieder lebendig! Ich habe mal die Vermutung ausgesprochen: Was wir Erinnerung nennen, ist ein Sinn neben den fünf Sinnen, eine Art Schauen: es dringt in eine heimliche Welt, entdeckt aufs neue eine Existenz, die wir entschwunden nennen -- alles Vergangene existiert noch irgendwo.“ -- „Und darum ist das Erlösende, was uns aus diesem Kerker der Zeitlichkeit erlöst, die Ewigkeit“, folgerte ich mit Bestimmtheit. „Wann denn aber? Muß man erst zum Nirwana eingegangen sein?“ -- „Das wäre radikale Erlösung. Sokrates, der den Giftbecher trinkt, freut sich auf die Gespräche, die er mit den Weisen der Vorzeit führen wird. Weil aber die Heinzelmännchen die Sprossen unseres Kerkers noch nicht zerbrochen haben, nehmen wir vorlieb mit einem Durchblick durch unsere Kerkersprossen. Idealismus heißt der Durchblick. O selig, wer dorthin schwebt, Wo Träume, hier noch Spott der Leute, Könige sind und das Reich vollenden!“ Italienische Nacht „Die Ausgabe meines Flugblattes soll im Rahmen eines Festes erfolgen. Auch muß meine Bude eingeweiht werden. Übermorgen abend acht Uhr! Aber schleppt nicht zu viel Leute her, sonst gibt’s Krach mit dem Hotelier.“ Andern Tages brachte der Briefträger nebst der Flugblattkorrektur ein Schreiben, das meine Freunde als Einladung an die Gäste versandt hatten. Ein Fries von Karikaturen, ein echter Bölsche, deutete vielversprechend an, wie die „Italienische Nacht im Kerker der Inquisition“ verlaufen sollte: Ich sitze lächelnd auf einem Scheiterhaufen, in der Linken eine Wurst, den schäumenden Krug zur Ministerloge erhoben, wo besternte Würdenträger durch Monokel und Opernglas die Szene bestaunen. Mitglieder meines Freundeskreises tanzen um den Scheiterhaufen, den Hartleben aus einer Flasche Aquavit tränkt. Ein Kerl in Ballonmütze verteilt das „Flugblatt an die Menschheit“, ein Kater kaut an einem Hering. „Illumination des Kerkers und Pickenick, unter Verwendung mitgebrachter Liebesgaben. Ausgabe des Flugblatts, Anzünden der Volksbegeisterung.“ Die unheimliche Großartigkeit dieses Festplans ließ mein Herz höher schlagen -- nur daß mich eine Gänsehaut überlief, wenn ich die Platzfrage erwog. „Frau Bolle, seien Sie ein rettender Engel!“ -- „Wat is’n los?“ -- „Ich habe heute Geburtstag!“ -- „Na also! Warum machen Se denn da so’n schiefet Jesichte?“ -- „Ach Frau Bolle! Ich möchte doch gern ein bißchen feiern, und nun wollen so’n Stücker zehn oder zwanzig Freunde auf den Abend kommen -- wo soll ich die alle unterbringen?“ -- Die Amtsdienerin prüfte den Raum: „Drei uff’s Bett -- zwee bis drei uff Stiehle -- also sechse zur Not lassen sich rin quetschen. Die andern missen schon in den Flur bleiben -- det heeßt, mehr wie sechse finden da ooch nich Platz.“ -- „O jehmineh, Flur! Der ist gar zu öde! Und da wollte ich das Bierfaß auflegen!“ Nun kam der Amtsdienerin der Einfall: „Die Zellen hier neben sinn ja frei -- da kennte man eene uffmachen.“ -- „Beide!“ sagte ich entzückt -- „gute Frau Bolle, ach schließen Sie doch mal auf!“ Der Raum dieser Zellen übertraf meine Erwartung, da sie keinen Ofen hatten. „Nun aber, Frau Bolle, sorgen Sie dafür, daß unser Amtsdiener kein Störenfried ist.“ -- „Der weeß von nischt! Ik wer’ schon machen -- der verduftet heite Abend.“ Es würde zu weit führen, wollte ich schildern, was alle zu besorgen war und mit welcher Hingabe meine Frau, Frau Pape, selbst Frau Bolle sich den Vorbereitungen des Festes widmeten. Genug, um acht Uhr abends sah das Gefängnis aus, als wäre ein verwunschenes Schloß entzaubert. In allen Winkeln hatte es geknackt; lockender Flitter verhüllte die graue Öde. Wacholderbüsche flankierten den Gefängniseingang wie Ehrenposten. Oben hing umkränzt das Transparent: „Willkommen, Kerkergäste, Zum flammenden Freiheitsfeste!“ Den Flur, wo neben Blumenschmuck ein schwungvoller Karton von Fidus angebracht war, durchsprühte rotes Licht von einer Papierlaterne. Hinten das bekränzte Bierfaß in Eis gebettet, Gläser in Reih und Glied auf weißgedecktem Wandbrett. Da gab es Schüsseln und Teller, Messer und Gabeln. Die Nebenzellen mit Ampeln, Girlanden und Bildern geschmückt, die Pritschen von Plüschdecken verhüllt. Der Eingang meiner Mittelzelle drapiert mit rotem Fahnenstoff, gegenüber der Fenstervorhang von gleichem Knallrot. Nach außen mußten die Eisenstäbe auf dem flammenden Grund wirken, als sei hier eine Abteilung der Hölle. Doch war innen alles gemütlich und nett. Mein Bett durch die übergebreitete Plüschdecke und etliche Sofakissen zum Pfühle hergerichtet. Von oben strahlte eine bunte Japanlaterne. An der Wand ein Tierfell und Böcklins Einsiedler, daneben ein Wandbrett mit Büchern. Die gegenüberliegende Wand hüllte ein Perserteppich. Der Leuchter mit den drei Kerzen neben der Tür hatte etwas Feierliches. Die Zither auf dem Tischchen beim Fenster schien zu sagen: „Mein Stimmchen ist dünn, doch fröhlich wird es mit Fröhlichen singen.“ Ich weiß nicht, ob ich von meiner Hantierung heiß geworden oder ob der Ofen es zu gut meinte -- genug, ich suchte durch Aufhalten der Gefängnistüren etlichen Durchzug herzustellen. Jetzt erschien meine Frau nebst Frau Pape. Aus Körben holten sie einen Napf Heringsalat, Platten mit belegten Brötchen, auch Pfannkuchen und eine Kaffeemaschine. Als meine Frau ihr Festgewand enthüllte, war kein Platz zum Ablegen der Garderobe. Wohin nun mit den Wintermänteln und Hüten all der Gäste? „Uff de Kejelbahne! Aus det Restaurang hol’n ma een’ Jarderobenstända un Stiehle in de Kejellaube.“ Und die treuen Helferinnen gingen ans Werk; in ihren weißen Schürzen machten sie sich blitzsauber. Kaum war die Garderobe hergerichtet, so erschienen Gäste. Julius Hart mit seiner Gattin und seinem Bruder Heinrich. Mit ihrem stillen Lächeln händigte mir die zartschöne Frau Martha eine Chrysanthemumstaude mit weißlodernden Blüten ein, Julius unter Bücklingen eine Papierdüte mit Zigarren. Heinrich hielt es für angebracht, den vereinsamten Katzenfreund durch eine Porzellankatze zu trösten. Willi Bölsche hielt mir eine Flasche Burgunder vor die Nase und las lächelnd das Etikett: „Sei klug und neige die Nase Nicht nieder zum Erdenkot! O färb’ im duftigen Glase Sie lieber burgunderrot!“ Benno Streitmüller, als Biedermeier gekleidet, widmete mir eine alte Ausgabe von Kants Schrift „Religion in den Grenzen bloßer Vernunft“. Aufsehen erregte seine Versicherung, eine beigeklebte Haarlocke sei auf dem Haupte jenes preußischen Ministers Wöllner gewachsen, der dem Königsberger Philosophen verbot, die Schrift drucken zu lassen, weil sie gewisse Grundlehren der Bibel und des Christentums herabwürdige. „Sei dir die Locke Amulett! Wenn in der Homöopathie ein brauchbarer Kern steckt, so mag das eine Ministerübel das andere verscheuchen!“ Unter Halloh langte ein Haufen Gäste an -- es waren die Berliner, von meinem Friedrichshagener Freund Bartels hergeleitet. Außer dessen Frau waren da noch ein paar Damen, besondere Verehrerinnen des Dichters Marcus Fischlen, mit dem sie gekommen. Otto Erich Hartleben fehlte nicht -- sein Nerogesicht mit dem Doppelkinn fahl, durch das dunkle Glas des Schildpattkneifers lugte mürrische Schwermut, wie Beileid machte sich sein Händedruck. „Nanu?“ fragte ich, „du wärst der erste, der mein Gefängnis tragisch nimmt.“ -- „Wieso?“ meinte er finster. „Na, du siehst so elegisch aus.“ -- „Doch nicht deinethalben!“ gab er patzig zurück -- „ich bin immer elegisch, solange ich noch nüchtern bin.“ -- „Dies aufrichtige Wort sei uns Signal, mit schäumendem Trunk die Festlichkeit zu beginnen!“ Meine Klause musternd, trat die Gesellschaft ein und staunte belustigt: „Ah!“ Als geschickter Regisseur zapfte Bartels die Gläser voll, mit guten Wünschen trank man die Blume und verteilte sich unter Geschwätz. Kichernd kam Frau Martha zur meinigen: „Denke dir, Paulchen Scharbock hält das für eure +richtige+ Wohnung.“ Wir drängten uns in Scharbocks Nähe. Diesen Dichter habe ich noch nicht beschrieben. Einer aus Keenichsbarch, der mit seinem phantastischen und schwelgerischen Polackentum die tiefsinnige Schwärmerei des Deutschen verband, eine gewisse Mystik -- die sich humoristisch gab, weil die ganze Art den spielerischen Launen eines gutmütigen Kindskopfes gehorchte. Dabei sah er wunderlich ernsthaft aus: Unter der breiten Grüblerstirn loderten hinter dem Kneifer blaue Augen, schmachtend groß, und der blonde Vollbart, niederwallend und zugespitzt, vervollständigte den Eindruck eines Zauberers. Scharbock wäre dem Wüstenprediger Johannes ähnlich, hätte dieser nicht mit Wasser getauft, sondern eine stärkere, mehr innerlich wirkende Flüssigkeit beliebt. Dieser Dichterprophet wandte sich mit Begeisterung mir zu: „Häil, mäin Liebä! Du housest janz idyllisch, Mansch! Aber Frou Leeschen! Wo is dann die Küche, wo so köstlich für uns sorcht? Un noch äins -- antschuldigt! Wo habt Ihr öier Schlafjemach? Ach woll oben! Ich sah droußen so was wie’ne Trappe. Da jeht es also, met Erloubnes zu sagen, zu öiren Batten?“ Kopfschüttelnd starrte alles den Poeten an. „Aber Scharbockchen!“ gab ich zur Antwort, „das ist doch mein Gefängnis!“ Das Auge aufgerissen, spähte er stutzig im Kreise umher: „Was bedöitet das?“ Staunend entgegnete Marcus Fischlen: „Aber Mensch! Woischt denn Du wirkli net? Unterwegs han i dir doch gsagt, was los isch. Den Bruno Wille hät der Minischter ei’glocht! Dees da isch sei Gfängnis! Scharböckle! bisch goischtesabwesend?“ In der Tat blickte Scharbock fast einfältig: „Ich höre da ümmä was von Jefängnis -- aber wir sind doch nech in Moabit!“ -- „Dee’scht ja grahdezu badologisch!“ -- „Ech tröüme doch nech!“ trumpfte Scharbock auf -- „wir sind doch zur italienischen Nacht jeladen -- und das sind Lampions -- das is doch rechtijes Bier -- un wir knäipen in Willes Jartenhous -- wir sind fräie Manschen!“ Brüllendes Gelächter -- und der weltfremde Träumer, der nicht mal Zeitungen las, wurde zum Fasse geführt. Nun boten die Damen Imbiß an. Von Hartleben war eine gewaltige Blechdose mit Hummermajonnaise gestiftet. Dazu wurde Chartreuse gereicht, man schlürfte auch Bölsches alten Burgunder. Erneuter Tumult. Der Setzerlehrling brachte die Flugblätter. Man riß sich drum. Bei der Flurampel las Bartels vor. Er kam freilich nicht weit -- Zwischenrufe platzten los, aufgeregt debattierte alles durcheinander. „Ein Pantheist oder Atheist darf in Preußen keinen Jugendunterricht erteilen!“ „Darauf läuft die Maßregelung hinaus.“ „Pantheist is antschieden jedä Poet! Saacht nicht Schiller: Jott un Natur send äins? Un Joethe ...“ „Chaja natürlich Choethe und so weiter!“ sprühte Julius, der Westfale. „Stellen wir uns vor, Choethe möchte seinen Knaben in seine Weltanschauung und so weiter einführen. Und Choethe hätte das Pech, preußischer Untertan zu sein. Dann müßte der Kultusminister Bosse einwenden: Bei aller Verehrung für Ihre Dichtung, Herr Choethe, verbiete ich Ihren Chuchendunterricht. Sie haben dazu nicht die erforderliche Sittlichkeit und Korrektheit der Chesinnung -- denn Sie sind Pantheist -- chaja natürlich Choethe!“ -- Hohl deklamierte Scharbock: „Wer darf ihn nannen -- und wer bekannen: Ich jloub ihn?“ -- Doch Hartleben machte Gretchens Einrede geltend: „Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen -- steht aber doch schief darum -- denn du hast kein Christentum.“ -- „Ja zum Teufel, welcher Gott gilt denn in Preußen? Muß man, um Kinder unterrichten zu dürfen, an den Greis mit dem langen Bart glauben? Oder ...“ -- „Hier kommt er ja mit seinem langen Bart!“ rief Hartleben -- „Jehovah, wie er im Garten Eden wandelte, in der Kutte aus Kamelshaar ... Doch nein, unser Peter sieht eher dem Wotan ähnlich, zumal wenn er seinen Schlapphut aufhat.“ -- Der Ankömmling war der Dichter Peter Hille. Weltfremd stand er vor dem Eingang meiner Zelle, eine hagere Gestalt in braunem Havelock. Unter dem breiten Hut wallten braune Locken, und vom wachsbleichen Gesicht, in dem nur das Auge Leben hatte, floß der weiche Bart nieder. Verlegen nahm Peter den Hut ab und bot den Gruß, mit dem er sich gern an sein Vagabundieren in Italien erinnerte: „Bona sera!“ Bartels nahm ihn sofort zum Büffet; Speis und Trank waren immer angebracht bei diesem Literaturzigeuner, der von den Gaben seiner Verehrer lebte. Auf einmal im Hof ein Zischen und Knattern -- Funken sprühn. Wir stürmen auf den Hof -- da wirbelt vor meinem Fenster eine Funkenspirale, ein sogenanntes Feuerrad, befestigt an der Holzschranke, die den Müllhaufen umhegt. Und es hüpfen knatternde Frösche. „Bist du toll?“ fahre ich Bartels an, der um die Feuerwerkskörper bemüht ist -- er antwortet trocken: „Im Programm heißt es doch: Anzünden der Volksbegeisterung!“ -- „Den Unwillen des Amtes wirst du mir anzünden! Du alarmierst die Leute!“ Und in der Tat! Nicht bloß, daß Frau Bolle und Onkel Pofke zeterten, auch ein ältlicher Mann war auf dem Hof erschienen, er trug ein dütenförmiges Rohr aus Leder. Als stiller Beobachter lungerte er herum. Der Kuhhirt Kuschel war’s, der den Giebel des Nachbarhauses bewohnte. Er hatte die Funken gesehn und war sofort mit seinem „Feuerkalb“ gekommen, wie man das Tuterohr zum Alarmieren nannte. Ich trat ihm entgegen: „Nicht blasen! ja nicht!“ Begütigend winkte Kuschel: „Ick wollte man bloß sehn, ob hier nich ’ne Mark locka is -- wer fix tuten tut, kricht bei uns Feiertutas ’ne Extrawurscht!“ -- „Hier is Ihre Extrawurscht!“ Und Bartels drückte ihm Geld in die Hand. „Was ist dann das für äin Dings?“ fragte Paulchen Scharbock und nahm dem Alten das Tuterohr ab. „Det is ’n Feierkalb!“ -- „Was für’n Kalb? Wird das Kalb jeschlachtet? Dazu schäint es mir etwas zu zäh! Ach so, +Fäiä+kalb sagen Sie! Se mäinen, es paßt zu unsrer Fäiä? Es wird woll hinäinjetutet? Hier oben bäi dä Schnouze?“ Und ehe man ihn hindern konnte, hatte der Unselige aus voller Lunge ins Tuterohr gestoßen: „Puh!“ Mich verblüffte nicht bloß dieser schnöde Mißbrauch des Fritzenwalder Feuerkalbs, sondern noch mehr die Kraft der Scharbockschen Lunge; dann aber die verheerende Wirkung, die von ihr ausging. Kaum eine halbe Minute später antwortete es von einer nahen Straße: „Puh!“ -- dann mehr entfernt: „Puh!“ Schließlich scholl es nah und fern: „Puh!“ -- „Puh!“ -- „Puh!“ Das Feuerkalb war dem Attentäter entrissen; mit kindischem Lachen hob er die Hand und deklamierte: „Unhäil! du bist em Zuge! nemm walchen Louf du wellst!“ „Meinen Sie mich?“ sagte der Kreispfiffikus, der plötzlich in unsrer Mitte stand. „Man nennt mich Heilkünstler, doch bin ich ehrlich genug, mich getroffen zu fühlen, wenn es hier heißt: +Un+heil, du bist im Zuge. Gegen Zugluft bin ich allerdings kaum empfindlich.“ -- „Um Jotteswillen, Herr Dokta!“ kam Frau Bolle händeringend -- „helfen Se! Mit’s Feierkalb hat eena jetutet, aus Jebamut, eena von die Jäste!“ -- „Aus Übermut?“ versetzte Doktor Jacoby und schnüffelte: „Aber hier riecht es doch nach Rauch. Ich spiele nicht auf die anwesenden Herren Raucher an, sondern meine etwas minder Edles. Es riecht nach angebrannter Müllgrube. Ich ahne, da hat jemand einen Zigarrenstummel reingeworfen. Was starren Se mich an, Herrschaften? Bin ich’s etwa gewesen? Dann entschuldigen Se!“ Und der Kreispfiffikus lief zur Hoftür, die eben aufgerissen wurde. „Wech da!“ herrschte er die Eindringenden an. „Blinder Lärm! Hier hat keener wat zu suchen, Bengels! Ihr sollt euch lieber nützlich machen! Lauft mal jleich de Feuerwehr entjejen. Schönen Jruß von mir, un es wäre blinder Lärm -- sie sollen sich den Weg sparen -- das Tuten muß aufhören, schleunigst aufhören!“ -- Die eifrige Dorfjugend verfuhr nach der Weisung des beliebten Mannes, und nicht lange, so kam ein Junge gehastet, um stolz zu melden, er habe die Feuerwehr zurückgeschickt. Dann verstummte das Tuten. Doch nun kam eine neue Verwickelung: Der Biedermaxe stand plötzlich unter uns und schnüffelte mit Polizeiblicken herum: „Was geht hier vor?“ -- „Was wollen +Sie+ denn hier?“ wandte sich der Kreispfiffikus an ihn -- „gehen Sie lieber nach Haus -- ich habe jemand für Ihr Grundstück interessiert. Der wird gleich kommen. Oder war er etwa schon da?“ -- Der Biedermaxe stutzte: „Wegen meines Grundstücks?“ -- „Na ja doch -- und ich vermittle den Kauf. Ich erwähne das, um mir die Provision zu sichern. Ich nehme doch an, -- wie?“ -- „Aber mit Kußhand!“ erwiderte der Biedermaxe wie umgewandelt. -- „Na denn jehn Se man fix! Sonst verpassen Se den Koof! Hier is ja doch nischt weiter los, als daß ick ne Ziehjarre in de Mülljrube jeworfen habe.“ Und der Kreispfiffikus schob den Biedermaxe ab. Als ihm das gelungen war, wandte er sich zu uns: „Nun aber, meine Herren, muß einer die Rolle des Kauflustigen übernehmen und zu dem Biedermaxe hin. Das ist sonst ein gefährlicher Kunde -- der zeigt an, was hier für ne Bescherung war. Den müssen wir engagieren.“ -- „Paulchen!“ sagte Hartleben zu Scharbock, „geh du mit Petern hin! Peter Hille soll den Kauflustigen mimen -- muß sich das Grundstück dieses Biedermaxen besehn.“ -- „Also los, Kinder!“ sagte Bartels -- „ich bringe euch hin und instruiere euch des Näheren. Übrigens, Onkel Pofke, legen Sie doch ein Achtel Freibier auf, für die Feuerwehr.“ Mit schelmischer Liebenswürdigkeit reichte der Kreispfiffikus zwei Damen den Arm: „Aber Herrschaften, hier verkühlt man sich. Rinn ins Verjnüjen!“ Und lachend kehrten wir ins Gefängnis zurück. Einen hübschen Einfall hatte Frau Martha: wir machten uns Kränze aus dem geröteten Laube des Wilden Weins und aus Epheu, der bei der Kegellaube rankte. Bald saß alles bekränzt, wie Griechen beim Symposion, lauter frohe Gesichter, es duftete aus den Pokalen. Passend zur italienischen Nacht klimperte meine Zither die Sicilianerweise Santa Lucia, und wir sangen Fischlens Lied: „Sind es nicht Toren, Die da stets zittern Und sich das fröhliche Leben verbittern? Wein-, lieb- und liederfroh Horas non numero Nisi serenas!“ Herbstnachtigall Die Farbe rosa kennzeichnet eine Gemeinde von Gläubigen: Mädchen gehören ihr an, die gern eine seidene Schleife im Haar tragen; Jünglinge, die beim Buchbinder unter Erröten zartbuntes Briefpapier kaufen; Matronen, die bei einer Trauung an der Kirchenpforte harren, um die Braut im Schleier zu sehen. Diese Rosagläubigen möchten natürlich vernehmen, was des weiteren aus dem Grillenroman geworden. Zwar sind sie davon überzeugt, daß die Hauptfrage zweier Herzen bereits gelöst ist, sobald sie einander kriegen. Indessen hat man es gern, wenn der Roman auch noch einen Ausblick eröffnet auf das Familienglück, das selbstverständlich nun anhebt. Auch meinerseits ein wenig befangen von solcher „Selbstverständlichkeit“, hatte ich meinen Grillen die Namen gegeben „Philemon und Baucis“. Wie dies weltberühmte Paar in seiner Hütte, sollten meine Grillen in glücklicher Gemeinschaft zirpen bis ins äußerste Alter. Auf das Rosapapier dieser Erwartung fiel freilich am Tage nach der Grillentrauung ein dicker, schwarzer Klecks. Ich sah, wie Baucis stumpfsinnig am Gittergewebe saß, während Philemon zum Fressen aufgelegt schien. Schließlich hatte Philemon der geschabten Mohrrübe in einer Weise zugesprochen, daß sie ihm nicht bloß Embonpoint verlieh, sondern auch noch durch sein Eingeweide hindurchschimmerte. Wo war nun der Grüne Donnerstag geblieben? Ziegelrot sah er aus. Baucis wie eine vertrocknete Jungfrau, dabei so mürrisch und geistlos, daß ich den Futterexzeß ihres Verlobten verständlich fand. Der Exzeß sollte ihn dafür entschädigen, daß er mit der Braut reingefallen. Was aber das Elendeste an diesem Conjugium war: das Singen hatte aufgehört; weder Philemon noch Baucis brachte auch nur ein einziges „Zirp“ heraus. „Das geht zu weit! Zur Lästerung wider Apoll und seine Musen darf eure Ehe nicht ausarten. Laßt euch scheiden!“ Und ich machte kurzen Prozeß: Durch Anton Bolle ließ ich die vertrocknete Jungfer Baucis zurück auf den Akazienbaum bringen. Meinen entarteten Donnerstag sollte eine Fastenkur wieder schlank, grün und poetisch machen. Und sieh, das half! Nicht bloß, daß er am nächsten Tage schon etwas vergeistigt aussah, er kroch auch lebhaft umher und hüpfte ein paar Mal. Und wie mittags die Sonne durch den Herbstnebel drang, legte er mit seiner silberhellen Geige wieder los. Da horch, vom Akazienbaum antwortete Baucis. Bravo! Unermüdlich schmetterte das Duett. Ich sah nun ein, daß die Grillen nicht mit Philemon und Baucis zu vergleichen seien, sondern mit Pyramus und Thisbe, rührenden Vertretern einer „Distanceliebe“, wie Bölsche so was nennt: ohne einen Kuß oder auch nur einen Händedruck liebt man einander und wispert zärtlich durch den Spalt der trennenden Wand. Sankt Plato, wie fein hast du das Wesen der Liebe gedeutet! Vom göttlichen Eros lässest du deine Diotima sagen, er sei der Sohn des Reichtums und der Armut, schwärme daher immer für etwas, das ihm fehlt. Nicht, wo man hat und satt ist, nein, wo man darbt, sich nach Entferntem sehnt, nur da zittert das Beten der Liebe zur Ätherwelt empor. Es ist üblich, für den Mai zu schwärmen, und ich will blühende Syringen, Nachtigallenflöten und verzückte Pärchen im Mondschein nicht verachten. Doch der erfahrene Feinschmecker des Lebens schwelgt in den letzten Sommertagen, im Vergilben und Erröten des Laubes. Noch immer Sonnengold und Milde haben diese Novembertage. Der wilde Wein über der Kegelbahn hat blutrote Blätter. Von den schneeweißen Seidengespinsten schwebt noch eins durch die stille Luft zur vergilbenden Akazie. In deren Krone sitzen zu Dutzenden die Stare, versammelt zur Wanderschaft südwärts. Sie schwatzten, daß es wie Blech rasselt. In hoher Luft aber raunt es, schnarrt und krächzt; keilförmige Geschwader, Schulter hinter Schulter, rudern Wildgänse mit surrenden Fittichen durch mattblauen Äther. Horch, nur noch wie ein Säuseln singt meine Herbstnachtigall. War ihre Weise ehedem dionysischer Taumel, jetzt ist sie seraphisches Schweben. Und überhaupt eine andere ist sie geworden. Keine Nahrung nimmt sie mehr, ihr Körper ist verschrumpft und verfällt vor Altersschwäche; ein Bein ging bereits verloren und ein halbes Fühlhorn. In der Ekstase fühlt sie sich erhaben über Körpergebreste. Die Außenwelt ist ihr versunken, ihr Zirpen ist alles -- sie geigt pianissimo, mit abgewetzten Flügeln. Als summe eine Greisin mit heiserer Stimme. Auch an jenen Derwisch muß ich denken, dem ich in Kleinasien begegnete -- in mystischer Hingabe neigte sich der Alte unaufhörlich wie ein wankender Halm und lallte immerfort: „Allah! Allah!“ -- Verglommen das Abendrot, kühl bricht die Nacht herein. In den Gefängnishof lugen erglimmende Sterne. Verstummt ist die gute Grille Baucis; wer weiß, ob sie nicht morgen erfroren unter der Akazie liegt, während Rauhreif an den Blättern hängt. Aus meinem Sinnen weckte mich die Besucherglocke. Freund Eckehart war’s. In seinem bretternen Tuskulum war’s ihm zu kalt geworden, und so hatte er sich in Friedrichshagen ein Stübchen gemietet. Ich erriet, was ihm der Abschied vom Gute Rahnsdorf bedeute: Seine Diotima war ihm ferner gerückt. Ich erzählte ihm von Pyramus und Thisbe und der Distanceliebe. Er lächelte, als fühle er sein süßes Geheimnis durchschaut. Da ich ihm somit näher gekommen war, schien er mich belohnen zu wollen: „Ich wüßte eine Ablösung für Ihre beiden Grillen, die verstummt sind. Was meinen Sie, wenn nächstens ein paar andere Zirper dem Gefangenen eine Serenade brächten? Das heißt: der eine Musikant ist ein Flötist, der andere ...“ Da er verstummte, ergänzte ich: „Diotima?“ Seine Antwort war freudiges Erröten: „Ich sprach schon mal davon.“ Ich wollte danken und Näheres vereinbaren -- indessen hatte es das geheimnisvolle Walten, in dem wir leben, weben und sind, ganz anders gefügt. Onkel Pofke war eingetreten, er sah verstört aus und stammelte: „Hier is -- ob hier Herr Eckehart --? ’ne Dame fraacht nach Sie -- hier is se.“ Indem er sich zurückzog, trat eine weibliche Gestalt ein, schlank, in Wintermantel und Pelzbarett. Es war Diotima -- aufschluchzend warf sie sich an Eckeharts Brust. Er hielt sie umschlungen und blickte angstvoll. Das Taschentuch vor die Augen gepreßt, wimmerte sie: „Großmutter!“ -- „Was ist mit Großmutter?“ Da kam ihr Aufschrei: „Tot!“ Krank war die gute Alte nicht gewesen -- nur daß heute ihre Mattigkeit und Wortkargheit aufgefallen war. Als gegen Abend die Wildgänse geflogen kamen, hatte sie gewünscht, vors Haus geführt zu werden. Am Arm der Enkelin hatte sie emporgelauscht, wie das Keilgeschwader schattenhaft am Himmel dahinzog, Rufe der Sehnsucht raunte und schwirrend mit den Fittichen ruderte. Zufrieden war sie dann ins Stübchen zurückgekehrt und auf dem Lehnstuhl eingenickt. Als der lautlos starre Schlaf das Mädchen befremdete, war die Greisin ohne Atem und kalt. In ihrem ratlosen Weh war Diotima sofort nach Friedrichshagen geeilt und hatte in Eckeharts eben gemieteter Wohnung vernommen, er sei bei mir. Jetzt drückte mir Eckehart schweigend die Hand zum Abschied -- weinend hing ihm Diotima am Arm ... Am dritten Tage ging ich zu Großmutters Begräbnis, begleitet von Onkel Pofke, der die Amtsmütze trug. Hinter der Rahnsdorfer Mühle brachen wir abgeblühtes Heidekraut und einen stattlichen Wacholderzweig. Als Leidtragende waren fast alle Bewohner des Dörfchens und der Rahnsdorfer Mühle erschienen. Die Männer trugen den Sarg über den Wiesenweg nach dem wacholderumhegten Friedhof. Diotima weinte an Eckeharts Arm. Der Prediger sprach von den Ähren, deren Bestimmung es sei, unter der Sichel zu fallen. Mag das zeitliche Gewand vergehen, die Ernte kommt, wohin sie gehört: zur Scheuer der Ewigkeit, zu den Schätzen, die nimmer schwinden. So zu herbsten, ist alles Lebendige berufen. Drum rette dich aus dem Taumeln des Novemberlaubes, fühle dich heim zum Frieden! -- Als Abschiedsgruß warfen wir Heidekraut und Wacholder ins Grab. Eine Kindergruppe sang: „Es ist bestimmt in Gottes Rat ...“ Als ich mit Onkel Pofke heimging längs des Müggelsees, erblühten am klaren Himmel die Sterne. Onkel Pofke meinte weich: „Da liecht se nu in ihren helzernen Schlafrock -- un det is unsre nobelste Uneform ...“ Die Herbstnachtigall schwieg ... Schlafe! Bist jetzt abgelöst von einer Genossin -- einer himmlischen. Die singt wie Orgelsummen; droben aus dem Reigen der Funken singt sie -- und ladet meine Seele zum Flug ins Grenzenlose. Und wie vor Wochen zu meiner Grille eine angelockte sich gesellte, so antwortet jener Friedensstimme, die vom Sternenhimmel flötet, als Echo noch eine andere. Hienieden in meinem Gemüte hat sie sich niedergelassen -- gehört aber beiden Welten an, der Erde und dem Himmel. Eine Prophetin ist sie höchsten Menschentums; sie wohnte einst in einem schönen, beschaulichen Greise, der es verstand, aus seinen Lebenstagen Musik zu machen; und das feierliche Finale ist sein hohes Lied von der Lebensreife: „Was fruchtbar ist, allein ist wahr.“ Ja Fruchtbarkeit -- der Baum, der aus vergilbten Wipfeln köstliche Keime in den Schoß der treuen Erde wirft -- das ist die Wahrheit im Wahn des Lebens, ist aller Wesen und aller Welten ewiger Sinn. Drum jubelt sieghaft die weise Herbstnachtigall: „Dann ist Vergangenheit beständig, Das Künftige voraus lebendig -- Der Augenblick ist Ewigkeit!“ Von Badewannen und Müggelpiraten In meiner Kindheit ging das geflügelte Wort, ein Gradmesser der Kultur sei der Verbrauch von Seife. Der deutsche Michel war stolz, daß auf Geheiß seiner Hausfrau jeden Samstag nicht bloß Ausklopfen der Teppiche und Scheuern der Dielen stattfand, sondern auch große Reinigung der ganzen Familie. Wenn dabei die Seife üppig schäumte, hatten die Kleinen viel Spaß. Damals reichte die Wasserleitung -- in den Städten, die sich dazu aufgeschwungen hatten -- nur bis zum Straßenbrunnen, der sogenannten „Kunst“. Hatten dort die Mägde das Wasser in ihre Eimer gelassen, so plantschten sie ein Drittel wieder heraus, während sie es die Treppen heraufschleppten. Man kann ermessen, wie umständlich es damals war, die Badewanne zu füllen. Doch was sage ich? Eine Wanne war ja schon Luxus. Die meisten Familien benutzten zum Baden den großen Wäschezuber aus Holz, eimerweise mit dem dampfenden Naß versehen. Der alte Kaiser Wilhelm hatte -- wie aus seinen Haushaltungsbüchern hervorgeht -- keine eigene Wanne, sondern ließ Sonnabends vom benachbarten Hotel de Rome eine holen, und dafür wurde Leihgebühr entrichtet. In den Gemächern, die Friedrich der Große in Sanssouci bewohnte, sieht sich der Besucher vergebens nach einer Badegelegenheit um, und so sparsam wandte man damals das Wasser an, daß die Waschschüssel in der Schlafkammer nicht viel größer war als ein Vogelnapf. Hinein war ja auch nur ein Schwämmchen zu tauchen, um Augen und Nase zu netzen -- mehr Waschung hatte ein waschechter Aristokrat damals nicht nötig, zumal Puder und Schminke die Creme seiner Toilette ausmachten. „Eins zwei drei, im Sauseschritt Läuft die Zeit -- wir laufen mit.“ Bei solchem Fortschrittstempo nimmt es nicht Wunder, daß ein Jahrhundert nach dem Tode des Alten Fritz in seiner Kolonie am Müggelsee der obrigkeitliche Sinn für Waschen und Baden schon annähernd so entwickelt war wie am Hofe des alten Kaisers Wilhelm. Will sagen, daß das Amt Friedrichshagen wenigstens grundsätzlich zugestand, ein Sonnabendbad gehöre zu jenen Menschenrechten, auf die selbst ein armer Gefangener Anspruch hat. Für ihn geliehen wurde allerdings keine Badewanne. Zuerst war das Amt Friedrichshagen überhaupt etwas schwerhörig ~in puncto~ „Baden“. Doch auch in dieser Hinsicht „Umstürzler“, räumte ich auf mit der „verdammten Bedürfnislosigkeit“. Bereits in den ersten Tagen meiner Gefangenschaft hatte ich dem Amtsdiener eröffnet: „Hören Sie mal, bester Bolle -- wie steht’s in Ihrem Hotel mit der Badegelegenheit?“ Er lächelte, als wolle ich scherzen. Als er merkte, daß sich ernstlich eine Kulturforderung geltend mache, brachte er eine Kanne warmes Wasser. „Sehr angenehm, Bolle, -- aber hoffentlich mutet das Amt einem Manne von meiner Länge und Breite nicht zu, in dieser Waschschüssel zu baden.“ -- „Ja, aber nee, Herr Dokta! Se wollen doch nich wirklich ne Badewanne? Die ham’ ma selbst in det Hotel nich -- un hier hinten is ja kaum Platz fier Bett un Ofen un Emmer. Wat muten Se uns zu?“ -- „Was muten Sie +mir+ zu, Bolle? Melden Sie gefälligst dem Herrn Amtsvorsteher, daß ich auf Sauberkeit halte und hier nicht verkommen will -- widrigenfalls ich die Flucht in die Öffentlichkeit nehme.“ -- Sein Amtsgesicht war plötzlich versteinert: „An Flucht denken Se, an Flucht? Un bloß von wejen de Badewanne?“ -- „Ich denke daran, daß meine Freunde von der Presse demnächst öffentlich beleuchten werden, was für Zustände hier herrschen.“ -- „Himmelkaldaunen, man bloß nich! Un mit det Baden wer’ ma schon Rat schaffen. Vielleicht jenehmijen se bei Dokta Jacobyn een Zellenbad -- wenn Se fufzig Fennije rieskian wollen.“ -- „Riskier’ ich gern! Ist aber nicht nötig. Ich habe ja in meiner Wohnung eine Badestube.“ -- „Na ja doch! Sehen Se! Bade zu Hause! Koche mit Jas! Drinke Lippentriller! Warum ha’m Se det nich +jleich+ jesaacht? So wird et jehn! Jedenfalls sprech ick noch heite mit’n Herrn Amtsvorsteha.“ Und richtig, bald darauf meldete mir Bolle, ich könne jeden Sonnabend in meiner Häuslichkeit baden, er müsse mich allerdings hinbegleiten. „Schön! Sagen Sie dem Herrn Amtsvorsteher meinen Dank. Ha, wie sehn’ ich mich danach, den Kerkerstaub von mir abzubrausen! Und darauf, Herr Bolle, tun Sie mir Bescheid! Nehmen Se man ein Gläschen auf Ihren Diensteid!“ Solche bescheidenen Genüsse sollten für ihn die Korinthen im nüchternen Teige der Amtlichkeit sein. Doch dieser altpreußische Spartaner entgegnete: „Bloß keene Beamtenbestechung!“ Übrigens verdient er auch nicht den Verdacht materialistischer Genußsucht; denn die Wonnen des Geistes fanden in ihm einen dankbaren Verehrer -- wie er beispielsweise in meinem Schreibzimmer, während ich badete, alte Jahrgänge der „Fliegenden Blätter“ mit Hingabe studierte und hinterher rühmte: „Et war zum Piepen!“ In solcher Gemütlichkeit hatte sich das Baden etlichemal abgespielt, als an einem Dezembersonnabend ein Abenteuer geschah. Kaum war ich in die laue Flut getaucht, als an der Flurklingel gerissen wurde. Ich hörte, wie Frau Pape die Flurtür öffnete und wie weibliche Stimmen aufgeregt verhandelten. Dann der Amtsdiener: „Wat is denn los?“ -- „Du mußt jleich nach’n Kurpark!“ Das war Frau Bolles Stimme -- „aber flott -- da treten alle Amtsdieners an, ooch die Schandarme -- Klempnermeester Kuhlicke veranstaltet eene Razzia uff de Müjjelpiraten -- die ha’m wieda wat ausjefressen -- bei Rahnsdorf eenen Renntieh ausjeplindat -- un treiben sich nu bei Scheeneiche rum -- von da is tellefonniert -- un nu soll de Heide abjesucht werden -- du mußt fix nach’n Kurpark, von da jeht de Razzia los.“ In die örtlichen Verhältnisse eingeweiht, begriff ich die Bedeutung dieser Worte. Kuhlicke war Stellvertreter des zur Zeit beurlaubten Amtsvorstehers Kloß. Als Vorsitzender des Kriegervereins fühlte er den Beruf, mit soldatischer Schneidigkeit einen Schrecken der Umgegend hinwegzufegen: jene Bande halbwüchsiger Burschen, die im Gebiet der Oberspree unter dem Namen „Müggelpiraten“ Einbrüche und Räubereien verübte. Dem Amtsdiener kam der Befehl seines Vorgesetzten recht ungelegen; da sollte er nun sein behagliches Lesestündchen vertauschen mit einem Streifzug durch winterlichen, finstern Wald. Ich hörte sein nörgelndes Brummen, er habe doch einen Arrestanten zu versehen. Frau Bolle entgegnete: „Ach, det macht nischt! Der Herr Dokta kann +alleene+ in seinen Arrest jehn.“ Aber nun hatte Bolle ein ernstes Bedenken: „Hurre Jott! Ick habe nich mal meine Pistole! Nee, so wat, Karline! Warum haste mich meine Pistole vajessen! Ick muß mir doch vateidijen jejen de Piraten. +Die+ Brieder fackeln nich, die schießen unsaeenen paff ieban Haufen.“ Ich hörte, wie Frau Bolle die Hände zusammenschlug und weghastete: „Ick +hole+ die Pistole, ick bringe se +eejal+ nach’n Kurpark.“ -- Bolle rief ihr nach: „Un nich de Patronen vajessen! Ick trolle mir so sachteken nach’n Kurpark -- Ordnung rejiert de Welt, un der Knüppel de Leite.“ Nun hörte ich meine Frau mit Frau Pape aufgeregt über die Piraten verhandeln. Dann klopfte es an die Tür des Badezimmers. „Se haben woll jeheert, Herr Dokta,“ sagte Bolle, „ick muß Ihnen leider im Stich lassen, von wejen det vadammtichte Piratenjesindel.“ -- „Habe alles gehört, Bolle! Meinetwegen können Sie getrost auf Ihre Räuberjagd gehn -- ich finde mich allein ins Hotel zurück.“ -- „Na ja doch, +sind+ Se so jut! Un wat de Arrestschlüssel sinn, die leje ick hier vor Ihre Badestube -- uf de Schwelle in de Ecke.“ Und ich hörte die Schlüssel klappern. „Schon gut, Bolle! Übereilen Sie sich nicht! Meine Frau soll Ihnen eine Herzstärkung mitgeben -- ein paar Stullen und einen guten Tropfen -- das ist Seelenpatrone -- die Seele muß mit Feuer geladen werden.“ -- „Nehm ick ausnahmsweise an, als patriotische Liebesjabe. Man kann ja nich wissen ...“ Bald stapfte Bolle die Treppe hinunter, während ihm Frau Pape nachrief: „Kommen Se man heil retur!“ -- „Du hast es doch nicht eilig,“ meinte meine Frau, als ich nach dem Bade meine Absicht äußerte, bald ins Gefängnis zurückzukehren. Ich gab die brave Antwort: „Möchte mir nicht nachsagen lassen, ich hätte die Situation ausgenutzt. Und du bist ja heute Abend bei Norskeborgs eingeladen.“ -- „Damit hat es noch gute Weile -- ich habe gesagt, daß ich erst nach dem Abendessen komme, auf ein Stündchen. Übrigens passe ich nicht zu diesen ausländischen Literaten. Norskeborgs haben als Logiergast einen Schweden -- er wird dir wohl dieser Tage einen Besuch im Gefängnis machen.“ -- „Wie heißt er denn?“ -- „Na, so’n verkannter Dichter soll er sein -- Stinte, glaub’ ich, heißt er.“ -- „Du meinst doch nicht etwa Strindberg?“ -- „Ganz recht! so war der Name! Und denke dir, einen höchst wertvollen Koffer hat man ihm auf einem Berliner Bahnhof gestohlen -- und er soll ohnehin schon ein armer Teufel sein.“ -- „Na, dann wird der Koffer nicht gar so wertvoll gewesen sein.“ -- „Der Koffer enthielt ein Manuskript, sonst nichts.“ -- „Ha ja, dann natürlich --“ „Und Frau Norskeborg sagt, das Manuskript handelt von der Kunst, Gold zu machen.“ -- „Es scheint ihm aber noch nicht gelungen zu sein, Gold zu machen.“ -- „Etwas seltsam ist er, sagt Frau Norskeborg -- aber der bedeutendste Dichter Schwedens.“ -- „Wenn ihr Mann so urteilt -- er versteht natürlich was davon.“ -- „Norskeborgs sind doch selber Schweden, wie?“ -- „Er ist Schwede -- sie Deutsch-Russin. Olaf Norskeborg hat als Kritiker wie als Dichter etwas los. Frau Norskeborg ist zwar eine geistreiche Frau, versteht aber nicht alles, wovon sie schwätzt. Von Strindberg kenne ich eine hübsche Schilderung der Insellandschaft bei Stockholm -- außerdem Dramen, die das weibliche Geschlecht grimmig beurteilen.“ -- „Stimmt! Frau Norskeborg nannte ihn einen Weiberfeind -- sie hat ihre liebe Not mit seinem Mißtrauen.“ -- „Um so mehr ist es anzuerkennen, daß Norskeborgs ihm Gastfreundschaft gewähren. Es ist auch nett von ihnen, daß sie mich dabei haben möchten, und es tut mir recht leid -- ich verpasse da was. Bedanke Dich bestens für mich und grüße allerseits! Und wenn Norskeborgs mir ihren Gast in mein Gefängnis bringen, möchten sie sich doch vorher anmelden. Schwedens größtem Dichter müssen wir einen gebührenden Empfang bereiten, mindestens mit schwedischem Punsch. Na also -- viel Vergnügen und gute Nacht!“ Wie gewöhnlich ging ich, um nicht aufzufallen, einsame Wege. Als ich in die Müggelstraße bog, stutzte ich: Die Gefängnisschlüssel! Die habe ich ja vergessen! Vor der Badestube sind sie liegen geblieben! Nun muß ich wohl wieder umkehren? Zum Kuckuck nein! Vielleicht ist in Bolles Wohnung ein zweites Paar Schlüssel. Sonst mag jemand für mich zurücklaufen! Ein zweites Paar Schlüssel hatte Frau Bolle nicht -- aber sie sagte zu ihrem Anton: „Hopp nach de Kastanien-Allee und von Frau Doktan de Schlissel jeholt!“ Für den Fall, daß meine Frau schon weggegangen wäre, gab ich dem Jungen die Adresse Norskeborgs an. Meine Wartezeit bei Frau Bolle wurde natürlich durch ein Gespräch über die Müggelpiraten ausgefüllt. Grauliche Einzelheiten berichtete sie über die Ausplünderung des Rentiers -- einen Knebel im Mund sei er im Forst bei Schöneiche an einen Baum gebunden und fast erstickt gewesen. Aber der Klempnermeister Kuhlicke werde die Müggelpiraten schon fassen -- er habe auch Freiwillige aufgeboten, vom Kriegerverein und von der Feuerwehr. Der Knabe kehrte zurück -- aber die Schlüssel hatte er nicht. Weder in meiner Wohnung noch bei Norskeborgs habe er meine Frau angetroffen, bei mir sei überhaupt keiner zu Hause. -- „Meine Frau wird gegangen sein, um noch irgend was zu besorgen. Dumme Geschichte! Was ist da zu machen, Frau Bolle? Ich kann Sie doch hier nicht länger stören. Obdachlos will ich aber auch nicht sein.“ -- „Aber wat kann denn ick dafier, Herr Dokta, det Se den Schlissel ...“ -- „Soll ich meines Kerkerschlüssels Hüter sein? Das geht zu weit! Und nun beachten Sie, Frau Bolle: Sie sind in meinen Augen jetzt die Polizei. Wohlan, hier stelle ich mich pflichtschuldigst meiner Polizei. Nimmt sie mich an? Oder weist sie mich ab? Tut sie das letztere, so ist sie für die Folgen verantwortlich. Mir soll man keinen Vorwurf machen.“ -- „Ach, vakohlen Se mir nich! Wat soll denn weiter sinn? Se brauchen bloß Ihre Frau zu suchen, un wenn Se den Schlissel haben, denn kommen Se rasch, wohin Se jeheeren. Mit Ihre Obdachlosigkeit is det nich weiter schlimm. Mein Mann, +det+ is der Bedauernswerte. Da muß er nu nach Piraten schnüffeln -- in de finstre Haide -- un die Brieder kriejen fertig, ihm anzuschießen ... Mein Jott, wenn ick mich det so vorstelle ...“ -- „Mag er selber doch schießen! Seine Patronen hat er ja! Na also! Legen Sie sich getrost schlafen!“ -- „Schlafen? Keen Auge kann ick zuduhn, solange mein Mann nich heil zurick is. Ohne Mann is de Frau wie’n Hund ohne Schwanz!“ Stillvergnügt warf ich die Tür, die vom Hofe zur Straße führte, in ihr wackeliges Brettergestell. Auf, zu Olaf Norskeborg und Schwedens größtem Dichter! Wie einem Studenten, der bummeln geht, hüpfte mir das Herz bei der Aussicht auf die gemütliche Gasterei. Ich war skrupellos; ohne mein Zutun fügte sich alles, als habe sich Fortuna kapriziert, mir diesen Urlaub aufzudrängen. Fortünchen, du Schelm, was führst du im Schilde? -- Um nicht erkannt zu werden, zog der Durchgänger den Schlapphut in die Augen und vermummte sich in den Mantelkragen, was auch sonst angebracht war, da die Nacht frostig schnob. Schwedische Schüssel mit Konfusionen Strindberg -- so ging es mir durch den Sinn -- kann hoffentlich deutsch. Diese Skandinavier sind zurzeit Mode. Ob sie wirklich so viel Talent haben? Bei den Tannen und Birken der Mitternachtssonne gedeiht künstlerische Urwüchsigkeit allerdings besser als im Nachtcafé von Berlin-W. Auch ist der nordische Naturalismus insofern gangbar, als der deutsche Verleger ihm nur geringe Honorare zahlt -- oh, ein wichtiger Punkt! Denn hat ein Journal einen Roman von Bjarne Knudsen für ganze dreihundert Mark erworben, so erfordert es natürlich des Verlegers Geschäftsinteresse, daß besagter Bjarne Knudsen der gläubigen Lesewelt als neuster Stern der Weltliteratur angepriesen wird. Übrigens liebt unser Michel grundsätzlich das Ausländische -- und heißt einer Runeholm oder Sigurdson, so stellt sich das deutsche Publikum darunter gleich einen ollen Skalden vor. Unter solchem Sinnieren war ich zu dem Häuschen gelangt, das Olaf Norskeborg gemietet hatte. Da er sich in Schweden nicht hinreichend anerkannt fühlte, so hatte ihn seine lebenskluge Frau nach Berlin gebracht, wo das Skandinavische gerade Trumpf war. Durch Bölsche, der die Zeitschrift „Freie Bühne“ herausgab, war Norskeborg für Friedrichshagen interessiert und Mitglied der „Kolonie“ geworden, um sich, was ihm keiner übel nimmt, in Deutschland entdecken zu lassen, wo schon mancher Prophet, der bei den eigenen Landsleuten wenig galt, den Grundstein zu seinem Ruhmesmonument gefunden hat. War nun Strindberg in solcher Absicht gekommen? Nicht doch! Das wäre zu klein gedacht von diesem Wickinger, den man naiv, nicht raffiniert nennen mag. Übrigens war er nur vorübergehend hier, wie meine Frau sagte -- sonst in Paris ansässig. Als ich bei Norskeborg die Türklingel gezogen, öffnete mir die Haushälterin Fröken Ingrid, eine stattliche Bauerntochter aus Schonen. Von dort stammte auch Olaf Norskeborg, der Sprosse eines alten Bauerngeschlechts. Eben trat er zu mir auf den Flur, wo ich den Mantel ablegte. Ein schlanker Dreißiger, blauäugig, mit blondem Schnurrbart, etwas nervös. Die Röte seiner durchsichtigen Wangen ließ merken, daß er animiert war -- sonst bewahrt das Angesicht dieser Skandinavier frostige Unbeweglichkeit. Seine Augen drückten Staunen aus: „Ssie ßind nicht im Gefängnis? Ihre Frau ßagte doch, wie?“ -- „Ich gehöre allerdings hinein -- doch es behielt mich nicht -- hat mich ausgespieen wie der Walfisch den Propheten Jonas -- und, was komisch ist, momentan kann ich nicht zurück -- der Kerkerschlüssel ist verlegt.“ -- „Ssonderbare Ssasche,“ lächelte Norskeborg -- „aber famos! Kommen Sie! Strindberg ist da -- auch Przscki -- Sie kennen doch den Polen?“ -- „Aus der Freien Bühne, ja! Und wie steht es mit meiner Frau? Ist sie da?“ -- „Noch nicht -- hat aber zugeßagt.“ -- „Immer noch nicht? Welche Verwicklung! Doch spaßhaft, sich treiben zu lassen von diesem krausen Wellenspiel!“ Norskeborg führte mich ins Speisezimmer, es war eng, wie das ganze Häuschen. Mit lärmender Heiterkeit empfing mich Frau Lina Norskeborg. An dem Ehepaar war ersichtlich, wie sich die Extreme anziehen und verbinden. Jedenfalls ergänzte sie seine Mädchenhaftigkeit durch männliche Massivität, seine sanfte Stimme und Wortkargheit durch eine derbe Beredsamkeit. August Strindberg, dem ich nun vorgestellt wurde, war mittelgroß und kräftig, schlank und elastisch, obwohl er hoch in den Vierzigern war. Hinter seiner felsenhaften Stirn lauerte finstres Grübeln. Die Locken verrieten rebellische Wühlerei. Das graublaue Auge schien nicht nach außen gerichtet, sondern mit verstecktem Innenleben beschäftigt; wenn es aber die Außenwelt fixierte, fehlte selten ein Zug des Mißtrauens. Die kartoffelförmige, oben etwas platt gedrückte Nase ließ auf lappländisches Blut schließen. Eine Mischung von Trotz und Geziertheit sprach aus dem kleinen, dicklippigem Munde. Nach oben spreizte sich ein kurzes Schwedenbärtchen, eins aus dem Dreißigjährigen Kriege, während über dem zurückliegenden Kinn, das winzig wie ein Knopf war, eine sogenannte Fliege saß. Darf man Persönlichkeiten mit Getränken vergleichen -- und in mancher Gesellschaft liegt dieser Vergleich gewiß nicht fern -- so hätte für Strindberg das schwere und zähe, dunkle, bittere Porterbier gepaßt. Was ferner den Polen Przscki betrifft, so würde ihm moussierender Schnaps entsprechen, wenn es welchen gäbe. Ich meine etwas brennend Prickelndes und Aufrüttelndes. Wenn er zu mir sprach, kitzelte es in meiner Nase wie Kohlensäure oder Schnupftabak. Schon sein Name wirkte so -- sieben zischende Konsonanten mit dem Fistelgezwitscher des einen Vokals -- in echter Aussprache klang es fast wie „pschih!“ Als ich ihm zum erstenmal begegnet war und er sich mir vorstellte, meinte ich, dieser Herr, der sich vor mir verneigte und dabei „pschih“ sagte, wäre von einem +Nies+-Kobold überfallen, und so hatte ich mit lächelnder Höflichkeit erwidert: „Pröstchen!“ Übrigens tränten die mattblassen Augen des Polen, als habe er Schnupfen. Paßte das Schlagwort Decadence nicht im mindesten auf Strindberg, so desto besser auf Przscki. Seine schmächtige Gestalt hatte etwas Zusammengesunkenes. In den bleichen Zügen des schmalen Blondkopfes verschmolzen slawische Sinnlichkeit und romantische Träumerei mit dem ironischen Aufbegehren eines geknechteten Edelvolkes, und es war, als müsse dieser polackische Byron seine schwermütige Schlaffheit immer von neuem aufpeitschen durch einen Ruck seines Motors -- will sagen durch einen Schluck aus dem Weinglas, das er hin und wieder mit Kognak füllte. Überhaupt hatte an Norskeborgs Tafel die Abstinenz nichts zu schaffen, zumal sie auch sonst in jener guten alten Zeit fast bedeutungslos war. Da ich die Tafel erwähnt habe, so interessiert es vielleicht, daß sie schwedisch hergerichtet war -- als Buffet, wo bei einem Rondell von Tellern, einem Wall von Messern und Gabeln pikante Konserven und allerlei kalte Schüsseln den Appetit herausforderten. Der Fisch spielte die Hauptrolle; es gab Ölsardinen, Sylt und Geleefisch, geräucherten Lachs und sogar ein Kleckschen Kaviar, dann natürlich Hering, viel Hering -- Hering in verschiedener Bereitung: salzig, sauer, geräuchert, gebraten, auch als Salat. Neben all diesem zarten Fleisch der See war auch solches von Land- und Lufttieren vertreten: Bratenreste, Schinken, kaltes Huhn ... Obwohl es Winter war, hatte Frau Flora eine Deputation gesandt: Sellerie als Salat, rote Rüben, Salzgurken, sogar etliche Scheibchen Gurkensalat, dazu Petersilie als garnierende Augenweide. Den Haupteffekt dieser Schlemmertafel bildete ein warmer Gang, den plötzlich die Walküre Ingrid auftrug; ihre Wangen glühten vor Stolz über ihre Leistung. Für Gulasch hielt ich dies geschmorte Fleisch, doch sonderbar, nicht pfeffrig war’s, sondern süß -- und Strindberg liebte es +noch+ süßer, er tat aus einer Streubüchse Zucker darüber. Vollends wie in Schweden fühlte er sich, als Ingrid gezuckerten Käse und selbstgebackenes Anisroggenbrot anbot. Fleißig ging die Aquavitflasche herum; für den massiveren Durst sorgte eine Bierbatterie. Während dieser Schlemmerei blieb die Unterhaltung einsilbig auf Seiten der Herren, die sich ans Materielle hielten. Unermüdlich haspelte Frau Lina allerhand Geistreichigkeit herunter. Von nordischen Literaturgrößen plauderte sie. Vom apothekerhaften Analytiker Ibsen mit der beobachtend scharfen Brille und den verkniffenen Satirikerlippen. Vom deklamierenden Freiheitsprotzen Björnson. Vom dänischen Literaturdiktator Brandes und seinem Lieblings-Café in Kopenhagen. Nun sprang Frau Lina auf die Geschichte der deutschen Dichtung über. Ich hatte den Hainbund erwähnt, da orakelte sie von der „Pariser Matratzengruft“, wo es nicht so viel Rückenmark gebe, wie in den „Barden-Konventikeln von Göttingen“. Als ich um Deutung dieses Tiefsinns bat, stellte sich heraus, daß sie Heine für den Gründer des Hainbundes hielt. In seiner Pariser Matratzengruft habe er immer noch Esprit genug besessen, um dem Barden Klopstock, der sich von abgefallenen Eicheln deutscher Urwälder gemästet habe, endlich den verdienten Genickfang zu versetzen. Przscki, der genug von deutscher Literatur verstand, prustete in diesem Momente, daß wir glaubten, Aquavit sei ihm in die unrechte Kehle gekommen. Dann faßte sich der edle Pole aus der Polackei und wollte der Dame des Hauses seine jubelnde Huldigung zu Füßen legen. Olaf Norskeborg, wie ein junges Mädchen errötet, berichtigte die phantasievolle Gattin dahin, daß der Hainbund ja bereits dreißig Jahre vor Heines Geburt, in einem Haine bei Göttingen, gegründet worden -- und so weiter. Frau Lina machte große Augen und meinte in ihrer ostsee-russischen Mundart: „Näin, werklich? Ech dachte ümmä, der Häinbund wäre von Häine jejründet ... Abä Olaf, was starrst de mech an wie Jrillparzers Ahnfrou? Schräib lieber äin Feuilleton über däine phänomenalen Kanntnisse!“ Verlegen zuckte Olafs Schnurrbart über der schmollenden Oberlippe. Das Peinliche der Situation suchte ich wegzuscherzen: „Solche kleinen Verwechslungen sind oft lustig. Sie beruhen auf einer Ideen-Assoziation, die an Stelle einer Vorstellung eine ähnliche schiebt -- was bei geistreichen Leuten vorkommt. Die Geschichte vom Oranienburger Bürgermeister gehört hierher -- kennen Sie die?“ -- „Ach bette, Dokterchen, scheeßen Se los!“ -- „Na also! Es war zu den Zeiten, als Amadeus Hoffmann mit seinem Freunde Devrient nach dem Theater in der Weinstube von Luther und Wegener kneipte. Hier fanden sich allerlei Musenjünger zusammen, es kamen auch Neugierige aus der Provinz. In einer süffigen Sommernacht, als die Wellen der Unterhaltung gemütlich plätscherten, wandte sich ein Fremdling, ein Aktuarius, an seinen Nachbar: ‚Hären Se, mei Kudester! Wer is Sie tenn eechentlich der keistreiche Herr triebn, der son Kopp hat wie Alegsander von Humpoldt?‘ -- ‚Ah, Sie meinen den Tieck!‘ -- ‚+Was+ saachen Se? Ter Dieck is tas? Ter beriehmde Ginstler? Ei Herrjemersch! Un ta pleibt alles meisjenstill? Keener, der sich uffschwingen duht zu eenem gleenen Doaste uff Diecken un die scheenen Ginste? Mer wärn uns toch nich lumben lassen!‘ Und entschlossen klingte er an sein Glas, erhob sich und sprach mit verzücktem Lächeln: ‚Wenn geener nich ne Lippe riehren duht, nähmen Se mersch nich iepel, ich pin so frei -- un tie Kefiehle, die uns pei tiesem eenzichen Rendezvous erläsener Scheenkeister besälichen duhn, lassen Se mich tiese Kefiehle zusammenfassen in tas wunterscheene Schillerwort: Seid umschlungen Millichonen! Stoßen Se alle prieterlich an -- un verstehn Se meine zarde Anspielung, wenn ich nu eenfach rufe: Fifat Oranichenburch!‘ Willig erhob sich alles -- obwohl man nur stutzig in das rätselhafte Vivat einstimmte. Mit stolzer Begeisterung aber sprang unverzüglich ein dickes Männchen auf, das wie ein wohlhabender Ackerbürger aussah: ‚Meine Herren! Ihr Vivat ehrt un rührt mir. Ja doch, ick bin der Bürjermeester von Oranienburch, wo heite Jeburtstag feiert, un bin aus mein obskuret Städtken nach Berlin jereist -- un wollte mal diesen illustren Kreis von Schenies sehn. Meine Herren, ermessen Se meine Freide, wie mir nu so unerwartet diese Ovation widerfährt! Meine Herren, ick lade Ihnen alle zu eene Punschbowle in, von die wir uns schließlich abkühlen wollen mit een Jläsken Schlampagnerwein.‘ Allerseits frohe Bewegung. Um den Aktuar, der mit seinem Toaste diesen Erfolg zustande gebracht, bildete sich eine raunende, staunende Gruppe, doch man hörte ihn protestieren: ‚Ich +genne+ geenen Berchermeester von Oranichenpurch! Wie soll ich’n taderzu gommen, eene so elentichliche Gleenstadt läpen zu lassen? Ich meene toch nadierlich tas +perihmde+ Oranichenburch!‘ Was er mit dem ‚berühmten‘ Oranienburg meinte, kam erst heraus, als sich bei dampfender Bowle der zierliche Kammergerichtsrat Hoffmann erhob, während seine Kateraugen funkelten und über sein nervöses Gesicht ein Wetterleuchter guter Laune zuckte: ‚Meine Herren! Wir kommen zu dieser Bowle wie die Magd zum Kinde. Doch weil sie nun einmal ihr lockendes Arom in unsre Nüstern haucht, wollen wir dankbar trinken auf das Wohl des Geburtstagskindes und seiner ehrenfesten Stadt. Aber das Vivat Oranienburg, das vorhin der Herr Aktuarius ausgebracht hat, beruht auf einer Kette von Verwechslungen. Anlaß dazu gab der an unserer Tafel sitzende +Bildhauer+ Tieck. Als der Herr aus Leipzig diesen zwiefach berühmten Namen hörte, verwechselte er ihn mit dem +Dichter+ Tieck, verwechselte diesen auch noch mit dem Dichter +Tiedge+, verwechselte Tiedges Dichtung ‚+Urania+‘, die heutzutage in aller Munde ist, mit +Oranien+ -- verwechselte dieses endlich mit dem reizenden Städtchen +Oranienburg+ -- dessen Bürgermeister zufällig -- doch nein: der nach dem feinsinnigen Ratschluß der olympischen Tafelrunde heute seinen Geburtstag feiert, ausgesucht an dieser Stätte, und ...‘“ Hier unterbrach mich Frau Linas robustes Gelächter. Goldmacherei und Strindbergs Koffer Da Przscki aufsprang und mir einen schelmischen Wink gab, folgte ich ihm ins Nebenzimmer: „Hörren Sie!“ sagte er lebhaft, „ich habbe serr einen gutten Witz -- Sie müssen dichten parr Verse auf Strindberg ... Sie habben doch gehörrt von sein Koffer -- den man soll habben gestollen --? Abber is nich warr -- is sich geblibben stehn auf Bannhof Friedrichstraß -- und hirr is er nun! Jetz abber der Strindberg! Das alles er weiß nicht! Soll sein Überraschung. Wirr machen dramattische Szenne.“ Vergnügt ging ich auf den Plan ein, während Fröken Ingrid die Tür nach dem Speisezimmer abschloß und mit dem Polen das festliche Arrangement des Koffers vornahm. Außer den gewünschten Versen verfaßte ich noch einen Brief, mit dem der Dieb die Rücksendung des „wertlosen“ Koffers begleitete. Przscki schmunzelte: „Serr gutt“, und nach Verabredung der Rollen kehrten wir ins Speisezimmer zurück. Hier fand ich nun endlich meine Frau. Bei einem Abendbesuche, den sie Streitmüllers Tante gemacht hatte, war sie etwas lange verweilt. Daß sie mich hier antraf, stimmte sie zu lebhafter Lustigkeit, und selbst die trockenen Schweden waren davon angesteckt, nachdem sie die Einzelheiten des Schlüsselabenteuers vernommen. „Der Karkerschlüssel liecht also noch ümmä vor Ihrer Badestube?“ fragte Frau Lina. „Ja doch“, versetzte ich, -- „und so konnte ich nicht in mein Gefängnis zurück -- man hätte den Schlosser holen müssen -- aber das hätte Aufsehen gemacht.“ Przscki erhob eins der dampfenden Toddygläser, die Ingrid jetzt auf einem Präsentierteller nebst Zucker und Zitronenscheiben anbot: „Feiern wirr also Heimkerr von verlorrene Sohn -- verlorrene Kerkerschlüssel -- und, hoffen wirr, auch von verlorrene Koffer.“ Aus seiner siegesgewissen Miene entnahmen Norskeborgs, die ja in unsern Plan eingeweiht waren, daß die Vorstellung beginne, und Frau Lina meinte mit gespielter Wehleidigkeit: „Ja dänken Se sich, Dokterchen, Strindbarjen säin Koffer is ouf em Bahnhof Freedrichstraße jestohlen.“ -- „Wirklich gestohlen?“ antwortete ich zweifelnd -- „haben Sie denn schon auf dem Fundbüro angefragt?“ -- Düster winkte Strindberg ab, als sei die letzte Hoffnung entschwunden. -- „Werr kann wissen!“ Und der Pole stimmte eine Gitarre. „Ach ja! Speelen Se!“ animierte Frau Lina, und Przscki deutete auf mich: „Hirr derr freie Voggel, aus Käfig ausgeschlüpft, muß singen -- ich begleite -- singen wirr Volkslid schweddisches mit Text deitsches -- frisch verfaßt von deitsche Lirriker.“ Und sein Präludium leitete die schwedische Weise ein: „Mägdelein hielt Tag und Nacht -- traurig an dem Spinnrad Wacht ...“ An des Polen Seite sang ich die improvisierten Verse: „Strindberg hielt Tag und Nacht -- grübelnd an dem Schreibtisch Wacht ...“ Ich schilderte seine Sehnsucht nach dem Liebchen Gold, wie er in Paris das alchymistische Rezept zu Papier gebracht habe und siegesgewiß gen Osten gereist sei, um mit seinem Freunde Olaf im verschwiegenen Fritzenwalde ganze Klumpen Goldes zu bereiten. Tremolierend besang ich, wie ihm dicht vor dem Ziel ein Berliner Spitzbube den Koffer samt dem Goldrezepte gestohlen habe, und wie er diese Untat wohl noch übertrumpfe, indem er die Manuskriptblätter als Fidibus für seine Tabakspfeife verwende ... In tiefer Schwermut schloß das Lied unter harfender Begleitung: „Hoffe, Alchymiste mein! Morgen kommt der Koffer dein! -- Strindberg sann, die Zähre rann -- nie doch kam der Koffer an!“ Da saß nun der Goldmacher am Grabe seiner Hoffnung und zerwühlte die Lockenmähne. War bei den ersten Strophen ein gequältes Lächeln über sein Gesicht geschlichen, so rann jetzt eine wahrhaftige Zähre herab. Da war es an der Zeit, das grausame Spiel in Wohlgefallen aufzulösen. Auf einen Wink des Polen öffnete Fröken Ingrid die Tür -- und sieh, auf einem Schemel stand der betrauerte Koffer, mit Tannenreis umkränzt, mit brennenden Lichtlein besteckt, daß man meinen konnte, es sei hier Weihnachtsbescherung. Ungläubig staunend starrte Strindberg auf den Koffer und auf das beiliegende Manuskript, streifte die Anwesenden mit einem durchbohrenden Blick und schlich mißtrauisch zum Koffer. Aufleuchtenden Auges ergriff er das Manuskript, blätterte hastig darin, drückte es an sein Herz und begann einen stampfenden Tanz, den sein Landsmann Olaf sofort verständnisvoll begleitete. Mein durchgebrannter Kerkerschlüssel Von Stund an war Strindberg verwandelt. Seine Augen lächelten kindlich, heimische Weisen trällerte er vor sich hin, seine mürrische Schweigsamkeit war einer verbindlichen Plauderei gewichen. Nun ließ er auch in sein Ideenreich blicken. Zur Begründung seiner Lehre von der Goldbereitung führte er an, Gold sei kein Element, es gebe im Naturreiche kein starres Gefängnis, alles entwickele sich, lasse sich umwandeln. Silber in Gold. Auf Norskeborgs Zureden holte Strindberg, der sich Veranlagung zur Malerei zutraute, ein Ölgemälde, mit dem er der unverstandenen Genialität der Stoffe seine Huldigung darbringen wollte. Eine Stranddistel wuchs auf bleicher Düne. Silbergrün glomm sie durch die Nacht, als lodere hier ein mystisches Sehnen des geringen Sandes, zum milden Silber des Mondes umgewandelt zu werden. Strindberg war befriedigt, als ich den Cherubinischen Wandersmann zitierte: „Mensch, was du liebst, in das Wirst du verwandelt werden: Gott wirst du, liebst du Gott, Und Erde, liebst du Erden ...“ „Oh jö-hö, gewiß“, versicherte Strindberg, „wenn der Mensch sich transmutiert zu Gott, das ist oberste Alchymie.“ Mir war noch ein ähnlicher Spruch desselben Mystikers eingefallen: „Die Goldheit machet Gold, Die Gottheit machet Gott -- Wirst du nicht eins mit ihr, So bleibst du Blei und Kot!“ -- Strindberg wurde wieder tiefsinnig und meinte fast düster: „Blei und Kot! Jö, das sind wir -- wollen aber nicht bleiben so! Und die einsame Silberdistel -- wissen Sie, was die ist? Unsere Sehnsucht.“ Seufzend fügte er hinzu: „Und ist meine Dornenkrone -- jö-hö!“ Was nun den Polen betrifft, so schien er die Transmutation seines Wesens mehr auf flüssigem Wege erreichen zu wollen, und Olaf vertraute mir die Hypothese an, nach dem Rezepte des Cherubinischen Wandersmanns werde dieser Kognakfreund im Himmelreiche ein Destillierkolben sein. Indessen bewährte sich rührend der musische Adel, der die Söhne Apolls -- und Przscki gehörte ja zu ihnen -- auch in ihrer Bezechtheit irgendwie an das Schöne gefesselt hält. Przscki behauptete, er müsse jetzt unbedingt ein Klavier haben, um die mystische Stranddistel in Tönen zu feiern. Übrigens sei es an der Zeit, daß man sich in Pilsener abkühle, und ich solle die Gesellschaft in eine Kneipe führen. Da selbst die Dame des Hauses geneigt war mitzutun, so zogen wir allesamt ins Waldhaus, wo unter der hingebenden Obhut des dicken Wirtes ein tadelloser Urquell verzapft wurde und selbst zu vorgerückter Stunde ein fideler Kreis willkommen war. Diese Nachsitzung erquickte auch insofern, als der musikalische Pole dem Klavier seltsame Welten wühlender Töne entlockte, Schöpfungen Chopins. Von der dionysischen Nachtfeier erwähne ich nur noch, daß Strindberg mit Przscki Schmollis trank, weil beide den Russen haßten, der die Finnen wie die Polen tyrannisiert. Nun sollte Strindberg ein deutsches Lied nach der Melodie des Chopinschen Trauermarsches verfassen. Nachdem er seine Notizen gemacht, sang er zu den schleppenden Akkorden mit dem Ausdruck heißer Empörung -- die Scheltworte wurden durch Stampfen hervorgehoben --: „Jetzt woll’n wir legen einen Schuft zu seinem Grab -- Speit ihm eure Flüche in den Höllenschlund hinab! Der Tyrann ist mausetot Und zu Ende unsre Not. Jö, begießen wir die Freiheit bis ins Morgen-Morgenrot!“ Wär’s Sommerzeit gewesen, so hätte in der Tat das Morgenrot zu unsrer Freiheit geleuchtet; doch mit ihrer langen Finsternis hielt die Winternacht unsre Schwärmerei nachsichtig verhüllt. Es war mir nun doch lästig, ins Gefängnis zurück zu sollen, und ich entwickelte meiner Frau rebellische Ideen. Sie aber wies auf Gesetzlichkeit und Ordnung hin. Bei der Ankunft vor unsrer Wohnung wollte ich mir das Treppensteigen ersparen, meine Frau sollte den Kerkerschlüssel auf die Straße werfen. Harrend blickte ich zum Balkon -- die kahlen Äste der Kastanienallee zeichneten sich vom Wolkenflor ab, den matt der Mond durchleuchtete. Nun ging die Balkontür, meine Frau sagte: „Hier ist der Schlüssel! In ein Taschentuch gewickelt! Achtung!“ Und fliegen sah ich das schimmernde Tuch. Verdächtig war es, daß es flatternd niederschwebte, ohne daß etwas Schweres gefallen war. „Da ist nur das Taschentuch! Wo bleibt der Schlüssel?“ „Ich habe ihn doch eingewickelt!“ -- „Dann ist er unterwegs rausgefallen.“ -- „Na, das fehlte noch! Warte, ich komme mit der Lampe!“ Sie tat es; aber die Lampe wurde vom Wind verlöscht -- und wie wir auch suchten, kein Schlüssel zu finden! Als habe er beim Fluge durch die Luft einem Freiheitsgelüst nachgegeben und sich wie ein Vogel davongemacht. Vergnügt brummte ich: „Auch das eine Transmutation! Jö, begießen wir die Freiheit bis ins Morgen-Morgenrot!“ -- „Es klingt doch kaum glaublich, daß der Schlüssel abhanden gekommen ist; für eine faule Ausrede wird man das halten. Hilft nichts, Bruno -- du mußt zurück -- mußt Bolle rausklingeln. Wenn er’s erlaubt, kannst du ja zurückkommen und hier schlafen.“ Mir blieb nichts andres übrig, und ich trollte mich. Traulich, begehrenswert kam mir jetzt mein Gefängnis vor, wie es mondbedämmert mich grüßte mit seinen Gitterfenstern, und wie ich mir die mollige Robinsonklause ausmalte. Und jetzt sollte ich nicht hinein können? Sollte frieren wie ein Obdachloser? Ich zog die Glocke, gleich darauf wurde es hell bei Bolles, und aus dem geöffneten Fenster fragte der Amtsdiener scharf: „Sinn +Sie+ det? Na, endlich!“ Als ich mein Mißgeschick gebeichtet hatte, meinte er: „Det fehlte noch! Die Schlissel fort! Is +det+ ne Zucht!“ Dann klappte er das Fenster zu, redete unwirsch mit seiner Frau und kam mit einer Laterne herunter: „Bleibt nischt iebrig, Herr Dokta, Se missen int Vorderhaus kampia’n un det Hotel jarnie bei Onkeln berappen. Verrickt und drei macht neune!“ Er führte mich eine Treppe hoch, öffnete ein Zimmerchen und zündete die Kerze an. Vergebens suchte ich ein Gespräch über die Müggelpiraten in Gang zu bringen, er blieb einsilbig und verließ mich murrend. Na ja, du geplagter Ordnungshüter, die Böcke deiner Herde haben dir heute arg zu schaffen gemacht. Bis in die späteste Nacht haben sie dich herumgehetzt, all diese frechen Rebellen, jö-hö ... Wir begießen unsre Freiheit bis ins Morgen-Morgenrot! Aber nun ist ja alles ziemlich wieder in der Reihe. Strindbergs Koffer mit dem Goldrezept, das uns vielleicht das Goldene Zeitalter zurückzaubert, hat sich eingefunden; gerührt durch dies Tugendmuster bin ich zu meinem Kerkermeister heimgekehrt; dieser endlich, den Gefahren des dustern Räuberwaldes entronnen, ruht bei der getrösteten Ehehälfte ... Bloß der Kerkerschlüssel, der verflixte! Böse Beispiele verderben gute Sitten. Ich habe den Schlüssel zur Durchbrennerei verleitet! Und jetzt kichere ich noch über meine Schandtat? Ich pustete das Licht aus und bettete mich in die Federn: „Jetzt woll’n wir legen einen Schuft zu seinem Grab! speit ihm eure Flüche in den Höllenschlund hinab.“ -- „Jö-hö!“ krähten die Hähne -- „jöhöhö höhö!“ Gardinenpredigt und Lösung des Piratenrätsels Im Traum hatte ich mit den Müggelpiraten zu tun. Strindbergs Koffer nebst dem Goldrezept war in ihren Händen -- ich war als Parlamentär der schwedischen Regierung zu ihnen gegangen. Während wir verhandelten, hörte ich meine Frau lachen ... Ich erwachte; verdutzt betrachtete ich die mir fremde Tapete und die Waschschüssel in dem Gußeisengestell. Wo bin ich? Einen Moment glaubte ich, in der Krone zu Alt-Strelitz zu logieren, aus Anlaß eines Vortrages, den ich dort im Technikerverein gehalten. Doch ich orientierte mich, als ich draußen Frau Bolles Stimme vernahm. Sie sprach mit meiner Frau -- gleich darauf klopfte es an der Tür, und richtig, da stand meine Frau. In Hut und Mantel. Sie lachte mich an -- und hinter ihr erschien Frau Bolle, eine Kaffeekanne auf dem Präsentierteller. „Na aber!“ drohte meine Frau mit dem Finger. „Das müßte dein Kultusminister wissen!“ Dann nahm sie Frau Bolle den Präsentierteller ab und stellte ihn auf das Nachttischchen. „Nicht wahr, Frau Bolle? wenn’s drüben warm is, geht mein Mann rüber.“ Ich richtete mich auf und sah meine Frau erwartungsvoll an: „Na und?“ -- „Was für’n Und meinst du? Die Piraten oder den Schlüssel?“ -- „Zunächst den Schlüssel! Du hast ihn also? Wo war er denn?“ -- „Wie heute früh Frau Pape kommt, schicke ich sie gleich auf die Straße, um den Schlüssel zu holen. Die Straße sucht sie ab und den Vorgarten, Schritt für Schritt. Kein Schlüssel ist da, und sie meint, der Bäckerjunge wird ihn aufgegriffen haben. Ich ziehe mich an und gehe auf den Balkon. Da sehe ich den Schlüssel -- nein, zwei Schlüssel, große, dicke, richtige Gefängnisschlüssel -- und der Ring, der sie zusammenhält, ist über einen Zacken des Kastanienbaumes geglitten -- da hängen nun die Schlüssel wie an einem Nagel. Dann ist Frau Pape mit dem Besen hingegangen und hat die Schlüssel runtergeholt. Und ich sagte: nun muß ich rasch hin -- damit er endlich wieder in sein Gefängnis kommt. Aber nun hast du ja hier ein passables Logis gehabt. Laß den Kaffee nicht kalt werden -- wie schmeckt er denn? Zichorienbrühe? Brauchst ihn nicht zu trinken. Mach dich lieber fertig. Inzwischen gehe ich auf den Markt. Wenn ich eingekauft habe, komme ich wieder, und wir trinken unsern Tee in deiner Robinsonklause.“ Ich war’s zufrieden, sie ging. Als ich angekleidet war, fand ich auf dem Hof den Wirt zum Preußischen Adler. Auf dem Hackeklotz zerkleinerte er einen Stubben. Ich benutzte die Gelegenheit, mein Logis zu zahlen, und ging vergnügt in meine mollige Klause. Auf dem Arbeitstischchen lagen die eingelaufenen Postsachen, ich vertiefte mich hinein. Eine Zeitungsnotiz über den neusten Raubanfall erinnerte an die Müggelpiraten. „Na Frau Bolle? wie ist denn die Razzia abgelaufen?“ Sie erhob sich von ihrer Ofenhantierung. „Weeß ’k denn? Et muß woll Essig jewesen sind -- sonst, wenn se wen hätten erwischt, denn wäre mein Mann schon janz jewiß jesprächig. Nich een Sterbenswort war aus ihn rauszuquetschen, immer bloß jebrummt hat e -- un wie e nu heerte, det +Sie+ noch nich zu Hause wären, da war e nu erscht recht finsta. Jradezu unheimlich war e -- un wie e in de Fedan laach, hat e sich immer so jewälzt und jeröchelt, als ob ihm son Pirat an de Jurjel hätte. Det is ooch keene Kleenigkeit -- so ’ne Treibjagd uf Piraten durch den dustan Wald. Ach richtig, det muß ick noch varaten -- jeschossen hat e mit seine Pistole -- janz schwarz is se von Pulverschleim, un ick soll ihr nu putzen. Scharf muß det zujejangen sind. Hauptsache, det e heil zurick is! Aber da kommt e ja!“ Und Frau Bolle hastete weg. Bald darauf trat der Amtsdiener zu mir ein. Sonst sagte er immer „Scheenen juten Morjen, Herr Dokta“ -- diesmal nur kalt: „Morjen!“ -- „Schönen guten Morgen, Herr Amtsdiener Bolle!“ Er stutzte -- schon milder kam es heraus: „Det Ibelnehmen jeheert doch woll uf +meine+ Seite.“ -- „Wieso denn? Ich kann doch nichts dafür, wenn die Müggelpiraten ... Oder wollen Sie mich dafür verantwortlich machen, daß der Herr Amtsvorsteher Sie beordert hat, Ihren Häftling sich selbst zu überlassen?“ -- Bolle geriet in die Wolle: „Nu aber brat mich eena’n Storch! Sich selbst? So war et nich jemeent! Sie sollten doch jleich in Ihre +Zelle+ zurick, scheen +ordentlich+, wie sich det +jeheert+. Aber wat jeschieht? Um Uhre zwee klingeln Se mir aus Morpheus Arme -- un denn haben Se ooch noch det amtliche Schlisselbund valoan! un ick, ick ... Denken Se mal an, wenn ma nu so’n Piraten erwischt hätten, un hätten ihm inhafti’an sollen -- un ick hätte hier wie’n oller Dussel jestanden -- un keen Schlissel da --? Un ick hätte sagen missen, det ick +Sie+ den Schlissel iebajeben hätte, Sie aber wären denn +ooch+ noch futsch jewesen! Denken Se bloß det Theata! Un da soll man zu +schweijen+? Un keene Jardinenpredigt halten?“ -- „Bedenken Sie, ich habe eine +rote+ Gardine -- bin ein Ketzer! +Mein+ Gewissen kriegen Sie so leicht nicht unter. Was ich wollte, war ja ganz brav -- daß die Geschichte anders ablief, war ~Force majeur~! Haben Sie nicht vernommen, wo der Kerkerschlüssel war? Im Kastanienbaum hängen geblieben! Ist das nicht höhere Gewalt? Sie wissen doch aus der Bibel, daß kein Sperling vom Dache, kein Haar von unserm Haupte fällt ... Sehn Sie, Bolle, nu bin +ich+ der Fromme!“ -- „Keene Zicken, Herr Dokta! Der Fall is ernst! Ick will zujeben, mit die Schlissel, det mag Forsse jewesen sind ... Aber wat jing denn vorhea? +Jekneipt+ haben Se -- int Waldhaus haben Se +Pilsena+ jekneipt -- un +jesungen+ haben Se un +jestampft+. War det +ooch+ Forsse? +Leichtsinnig+ war det! Denn nu hören Se mal, wat jeschehn is! Uff die Stunde, wo Sie kommerßi’an wie’n Studente, kommen wir Beamtens von unsere Razzia zurick -- und wie ma nu in’t Restorang det Singen un Klawezimbeln heeren, da kricht unser stellvatretender Amtsvorsteha nich iebel Lust, +ooch+ een Pils zu jenehmigen. Mein juta Jeist raunt mich zu, det ick abraten soll. Erlauben Se, Herr Amtsvorsteha: de Polizeistunde is längst vorbei, un wenn Sie inkehren täten, könnten unsre Friedrichshäjer skandali’an von wejen det beese Beispiel ... Ja sehn Se, Herr Dokta, det hat jeholfen -- Kuhlicke stand von sein Vorhaben ab -- un ick war jerettet. Aber um +een+ Haar ... Ja ja, Herr Dokta, stellen Se sich vor, unsa Staatsjefangena, wo den doch janz Balin un de deitsche Presse ins Ooge behält, der wäre, statt hinta Schloß un Riejel zu brummen, von den Amtsvorstand nachts quietschverjnügt in de Kneipe anjetroffen! Haste Töne? Hurrejott, eenen Weltskandal hätte det jejeben! Un Ihnen? ja wat meenen Se woll, wohin man +Ihnen+ jestochen hätte?“ -- „Ergreift ihn, Knechte, bindet ihn!“ deklamierte ich -- „bringt ihn zu Schiff nach Küßnacht -- wo weder Mond noch Sonne ihn bescheint!“ -- „Spotten Se man noch! Wenn ick nu die janze Zicke zur Meldung brächte, wat? Un wenn der Amtsvorsteha nu selbstmurmelnd saachte: jetzt hat et jeschnappt mit de Vajinstejungen? Wat meenten Sie denn +da+derzu, Herr Dokta, wat?“ -- „Ich würde protestieren -- würde laut erklären: das ist ungerechtfertigt! Daß ich mich nicht absichtlich von meiner Haft gedrückt habe, liegt auf der Hand. Bedenken Sie doch, Bolle, wie brav ich mich gehalten habe, als Sie mir damals, ganz aus freien Stücken, den Kerkerschlüssel eingehändigt hatten -- wenn ich das nun geltend machte?“ Ängstlich starrte mich Bolle an und meinte bitter: „Kiekste aus +die+ Luke? Ha’k Ihnen nich jebeten, halten Sie det jeheim?“ -- „Will ich ja auch, Bolle! Aber Sie selber rollen diese Akten auf.“ -- „Ach, ick rolle nich!“ In diesem Augenblick erscholl es vom Gefängnisflur wie Echo, in männlichem Baß nach bekannter Opernmelodie: „Ich ’rolle nich! Dreimal verlornes Lieb, ich grolle nicht!“ Der Kreispfiffikus natürlich. „Was is denn los bei Ihnen? Ich traue meinen Ohren nicht, wie ich dieser Klause nahe. Ein Lyriker freilich haust darin -- aber daß er nun auch noch unsern Bolle angesteckt hat, und daß der Reime macht wie Rolle auf Bolle ... Was gibt es denn hier zu rollen? Diese Zelle war allerdings früher eine Waschküche -- wollen Sie auch noch eine Rollkammer draus machen, wie?“ Bolle belächelte die Kalauer des Arztes und sah ihn forschend an -- ob er auch nicht zuviel gehört hätte. „Ja gucken Se man, Bolle! Sie haben allen Grund, mißtrauisch zu spähen, ob man’s Ihnen gegenüber nicht despektierlich meint. Ach Himmel, erbarm dich! Sind +Sie+ ein forscher Polizeier! Und überhaupt Ihr von der Greifgarde! Nein, diese nächtliche Treibjagd auf Müggelpiraten! Unser Häftling ist natürlich Unschuldswurm -- in die Klausur seiner Eremitage dringt nicht das Lärmen der wüsten Welt -- wo man nachts in den märkischen Wäldern mit Pistolen Löcher in die Natur schießt ... Also vernehmen Sie, stiller Klausner, was für Romane unsre sonst unromantischen Landsleute von Abdera anrichten! Klingelt da gestern Abend im hiesigen Amtsbüro wie besessen das Telephon. Klempnermeister Kuhlicke, von diesem Lärm gleich aufgeregt, fragt: was is denn los? Da meldet jemand, bei Rahnsdorf hätten die berüchtigten Müggelpiraten einen Rentner ausgeplündert, und es wäre nötig, eine Razzia auf sie zu veranstalten -- von Osten her würden Freiwillige aus Schöneiche den Wald absuchen, von Westen her sollten die Friedrichshäger kommen. Also gut! Von heiligem Eifer besessen, sammeln sich Gendarme, Amtsdiener, Feuerwehrleute unter der Führung unseres schneidigen Kuhlicke. Scharf geladene Pistolen sind dabei -- und man zieht los -- mit zwanzig Schritt Abstand -- wie eine Treibjagd. Rehe und Karnickel haben sie aufgescheucht, von Piraten keine Spur. Wie schließlich unser tapferer Bolle seine Pistole losgebrannt hatte, gab die Obrigkeit die letzte Hoffnung auf, eines Piraten habhaft zu werden.“ -- „Ei, Herr Bolle?“ fragte ich, „auf wen haben Sie denn geschossen?“ Zögernd kam die Antwort: „Na, wenn man so im Dustern nach Raibers sucht un pletzlich wat kauern sieht, da soll man nich jraulich werden? Ick also rufe an -- un damit der Pirat mich nich zuvorkommt, brenne ick los. Nu kommen meine Kameraden jerennt: Wo denn? Die Jestalt kauat noch immer un riehrt sich nich.“ -- „Na und? Haben Sie ein Tier totgeschossen?“ Und Bolle mit wehmütigem Lächeln: „Een’ Wacholdabusch! In die Finsternis sieht so’n Aas wie’n Indevidejum aus.“ Das Lachen des Kreispfiffikus klang hinterhaltig. Dann stand er breitspurig vor Bolle: „Ist das alles? Offenbar haben Sie noch keine Ahnung von dem, was jetzt als Gerücht wie ein Steppenfeuer durch Fritzenwalde eilt und bereits von den Setzern des Lokalanzeigers schnellfingerig verarbeitet wird. Eben, wie mein Wagen durch die Wilhelmstraße fährt, ist neben dem Hause des Klempnermeisters Kuhlicke ein Auflauf. Da ist doch die Villa der emeritierten Sängerin, die bloß im Sommer hier wohnt. Und ich höre von den Leuten: Erbrochen ist die Villa -- gründlich ausgeplündert -- und alles ist sich darüber einig, kein anderer war das als die Müggelpiraten. Um euch Ordnungshüter abzulenken, haben sie selber ans Amt telephoniert -- und während ihr Greifpolypen auf Wacholderbüsche knalltet, haben sie in aller Gemütlichkeit ihr Handwerk ausgeübt.“ -- An den Kopf griff sich Bolle: „Au Backe!“ und stürmte fort. Nicht einmal, daß er die Frage erledigte, wer denn mein Gefängnis abschließen solle. Aschenputtel und der Lizentiat Als Aschenputtel nach seinem Tanz mit dem Königssohn das Ballkleid zum Grabe seiner Mutter zurückgebracht hatte, saß es wieder in seinem grauen Kittelchen am Küchenherde, wo es in der Asche schlafen mußte, und klaubte beim trüben Öllämpchen die verschütteten Linsen aus der Asche. -- Dies Märchen handelt von der ganzen Welt. Träumen wir nicht von einem Reiche Gottes, wo alles, was Menschenantlitz trägt, von Verachtung erlöst, mit Hoheit bekleidet wird? Der Mensch unserer Wirklichkeit aber, wofern er nicht wie Aschenputtels Stiefschwestern Gold und Diamanten hat, darbt in Schmach, und da mag er selber sehen, wie er sich aufrafft. Anlaß zu solchen Betrachtungen bietet nicht bloß ein großes Gefängnis, wo massenhaft Krüppel unserer Gesellschaft hausen, sondern selbst ein dörfliches Arrestlokal, wie ich eins bewohnte. Während des milden Spätherbstes war ich der einzige Insasse. Als ich meine Verwunderung darüber äußerte, meinte Bolle: „Warten Se man! De Kundschaft wird schonstens kommen. Wo jetzt noch so’n richtija Olleweibasomma is, da sinn de Walzbrieda noch bei Mutta Jrien oder uff’n Heiboden. Spaß macht det Fechten bloß in de +milde+ Jahreszeit. Wenn se aber Schnee riechen, denn beißen se in den sau’an Appel un kriechen zu uns -- wie Kieken bei ihre Klucke untakrauchen. Also uffjepaßt, Herr Dokta, wenn’t kalt is, denn blüht hier det Jeschäft.“ Ich glaubte bereits, das Geschäft beginne zu blühen, als ich durch Getümmel aus dem besten Schlafe gescheucht wurde. Und doch war noch laues Wetter, nicht einmal Regen -- der Mond beleuchtete den Gefängnishof. Am lärmenden Wortwechsel, der hier stattfand, merkte ich, daß ein Widerspenstiger in Haft kommen sollte. Zwei Nachtwächter hielten ihn gepackt, mit Fußtritten wehrte er sich, die Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt. Ein fortwährendes Stoßen, Balgen und Schimpfen. „Ihr Hunde, ick habe mit eich noch nich de Schweine jehüt’t. Bin een +ordentlicha+ Kerl! Wat duht ihr eich dicke mit eire Uneform? Der eene Nachtrat is in Balin Kanalrutscha jewesen -- un der andere ...“ -- Diesen Zornerguß unterbrachen ein paar schallende Hiebe; der Verhaftete hatte sie weg. Nun war Bolle mit der Laterne da, dann rasselte das Gefängnisschloß. Von den Nachtwächtern gestoßen, flog der Verhaftete brüllend vor Wut in die Nebenzelle -- auf die Pritsche krachte er hin, als prassele ein gefällter Baum. Die Beamten hatten sich nicht aufgeregt, raunend entfernten sie sich, Bolle schloß zu, der Laternenschimmer, durch einen Spalt des Fenstervorhangs sichtbar, erlosch. Der Kerl nebenan tobte noch immer, schimpfte in Kraftausdrücken und heulte vor ohnmächtiger Wut. Allmählich wurden seine hervorgestoßenen Worte undeutlich, dann hörte ich ein Geräusch, als ob er an seiner Tür herumsäge. Er schnarchte -- der Schlummergott hatte seinen Mantel über ihn gebreitet. Als morgens Bolle aufschloß, war der Häftling kirre. Bolle, der ihm Mehlsuppe brachte, redete ihm gütlich zu, und der Häftling bat um seine Freilassung. „Blechen Se man -- denn is allens jut! Sonst missen Se weitabrummen.“ -- „Drei Mark is zu ville, +eene+ will ick zahlen.“ -- „Se sinn woll überkandidelt?“ Nachdem der Disput noch eine Weile fortgegangen, klimperte das Strafgeld, und der Bestrafte trollte in seine Freiheit zurück. Bolle kam zu mir herein: „Wat +hat+ nu so’n Schafskopp dadervon?“ -- „Was hat er denn angestellt?“ -- „Ruhesteerenden Lärm! In seine Besoffenheit macht det Luda allemal Krach. Un denn will e’ nich blechen. Nu is e’ seinen Dahler los -- aber freilich bloß seine Familie hat den Schaden. De Frau schuftet, un de Kinder ham keen Schmalz uff de Stulle.“ -- „Der Nutzen Ihrer Strafanstalt kommt mir ziemlich fragwürdig vor.“ Der Amtsdiener zuckte die Achseln. -- Der Winter war hereingebrochen. Verschneit lag der Hof, im pfeifenden Winde stöberten Flocken aus finsterem Gewölk. „Son richtijet Wetter for arme Leite! Nu jeht det Arrestjeschäft los.“ Und Bolle brachte einen Landstreicher. Als ich das Gesicht zu sehen bekam, war ich erstaunt. Dieser Greis hatte etwas Ehrwürdiges -- mit dem langen, weißen Bart sah er wie Lear aus, der irre König bei Regen und Wind. In die Zelle seines Vorgängers eingeliefert, benahm er sich still. Bolle kam zu mir herein. Auf meine Frage nach dem Ankömmling gab er den Bescheid: „Wat soll so’n oller Mensch anders machen als betteln, wo ihn +doch+ keener zum Arbeeten annimmt.“ -- „Warum bleibt er nicht am Orte, wo er Heimatsberechtigung hat?“ wandte ich ein. Der Amtsdiener schüttelte den Kopf: „Seine Verwandten sinn doht -- un eene Flebbe hat e nich -- will sagen, keenen Ausweis ieba seine Personalien. In ein Dorf bei Kistrin will e geboren sind, aber da antworten se: det kann +jeda+ sagen! ma wissen von nischt!“ -- „Er hätte doch eine +neue+ Heimatsberechtigung erwerben können.“ -- „Ja, wenn e’ zwee Jahre an eenen Ort jearbeet hätte -- aba so lange hat e keen Sitzefleisch nich gehatt -- oda man hat ihm nich behalten -- un nu heeßt et: een jewohnheitsmäßija Landstreicha -- un alt un jrau is e dabei jeworden -- un bleibt ihn nischt iebrig als zu fechten. Wenn e denn nu jefischt wird, denn wird e injespunnt un wird zu Arbeetshaus vaknackt. Kaum is e’ wieda frei, denn jeht det Jeschäft uffs Neie los -- imma so im Kreise rum, wie son olla Jaul, wo den Jeepel von die Dreschmaschine dreht.“ -- Düster fügte ich hinzu: „Mit dem Unterschied, daß im vorliegenden Falle der Göpel leeres Stroh drischt. Bei dieser Art, das Volk zu bessern, kommt nichts heraus als Unsinn, gesteigertes Elend, völlige Zerrüttung der Sitten.“ Bolle mochte nicht widersprechen, ich fuhr fort: „Sind in Ihrer Praxis mehrere solcher Fälle vorgekommen? so verzwickter, verzweifelter Art?“ -- „Dausende un aber Dausende von sonne arme Leite walzen durch de Welt, un wenn all ihre vajossenen Tränen zusammenkämen, eenen +See+ jäbe det wie unsre Müjjel. Wenn +mich+ so wat passierte wie den ollen Mann, ick wüßte bloß +eenen+ Ausweg: +Strick+ um ’n Hals!“ Das Schicksal, das auf meinem Zellennachbar lag, erstreckte seinen Druck gewissermaßen auf mich. Ich war den Rest des Tages trübsinnig, bis mich schließlich Goethe tröstete, das Lesen in seinem Faust: „Solch ein Gewimmel möcht’ ich seh’n -- auf freiem Grund mit freiem Volke stehn!“ Aus dem Schlafe weckte mich lautes Jammern einer männlichen Stimme. Über Faust eingeschlummert, mußte ich an den Türmer denken, wie er, zum Schauen bestellt, von seiner Warte soeben gejubelt hat: „Es sei, wie es wolle, es war doch so schön“ -- und wie er dann auf einmal wehklagen muß, weil dem alten Ehepaar freventlich die Hütte eingeäschert ward. Jetzt wurde mir bewußt, die Wehklage komme von dem Greise nebenan. Der Morgen dämmerte. Das Schluchzen war herzzerreißend -- zwischendurch erfolgten grollende Flüche. O welch ein Morgengebet! Ich konnte das nicht untätig anhören und fuhr in die Kleider. Da meine Tür nicht verschlossen war, ging ich auf den Gefängnisflur und klopfte an die Nebenzelle. Das Weinen verstummte, und ich fragte: „Kann ich etwas für Sie tun?“ Kleinlaut kam die Antwort: „Wer sind Se denn?“ -- „Ich bin der Arrestant nebenan!“ -- „Ach so! Da ha’k Ihnen woll +jesteert+ mit mein ollet Jeflenne?“ -- „Ich meine bloß, ob man Ihnen irgendwie helfen kann? Mit etwas Geld?“ Hohl wie aus einer Höhle scholl es zurück: „Mich kann keener helfen! Int Arbeetshaus schon wieder! Un +immer+ wieder! Un ick bin schon so’n +oller+ Mensch -- helfen kann mich bloß der +Dod+.“ Er schluchzte auf und weinte vor sich hin. Erschüttert schwieg ich. Dann meinte er etwas ermutigt: „Von Jeld sprachen Se? Aber wat ha’k jetzt dadervon! Meine Barschaft muß ick doch +abliefan+. Wenn wenigstens noch wat in meine +Pulle+ wäre! Haben Sie denn keenen Droppen?“ -- „Den sollen Sie haben, sobald der Amtsdiener kommt -- das heißt, wenn er’s erlaubt. Aber halt! Hat Ihr Fenster eine Klappe? Dann greifen Se mal raus, nach unten! Ich werde die Flasche an einen Faden binden und aus dem Fenster raus zu Ihnen rüber schwenken.“ -- „Duhn Se det, juter Herr!“ Wieder in meiner Zelle, nahm ich eine Flasche Turiner Wermut, die ich gerade vorrätig hatte, wickelte sie in Packpapier und schlang einen Strick herum, mit dem ein Paket verschnürt gewesen. Dann ließ ich die Flasche aus meinem Fenster hängen und schwang sie pendelartig. „Höher!“ rief mein Nachbar -- nun wurde der Strick mir aus der Hand gezogen, die Flasche war angelangt. Ich ging abermals auf den Flur und hörte den Alten lachen: „Jesehn hat keena wat -- so’n Rotkragen is +doch+ ’n dummet Luda! Ha, is +det+ n’ Droppen! Der wärmt! ’n Jlühstrumpf is jut for Eisbeene!“ So war der Sorgenbrecher nebenan eingekehrt -- vielleicht der einzige, den es im vorliegenden Falle gab. Doch nein -- es sollte noch ein anderer kommen. Als mein Nachbar lange Zeit still geblieben war, kam mir der Verdacht, er könne sich ein +Leid+ angetan haben. O weh, ich hatte ihm mit der Flasche einen +Strick+ beigebracht! Ich mußte Gewißheit haben -- und für den Fall, daß noch nichts Schlimmes geschehen, wollte ich mir den Strick zurückgeben lassen. Nicht doch, das hätte den Mann stutzig machen und erst recht auf Selbstmord-Gedanken bringen können! Ich horchte -- da hörte ich ihn schnarchen -- tief atmete ich auf. Gleich darauf kam Bolle und ließ zu mir einen Herrn eintreten. Es mochte ein Dreißiger sein, er war lang und hager, trug einen nagelneuen Überzieher und, bei dem Schneegestöber etwas befremdend, Zylinderhut und Glaceehandschuhe. „Szteinßpängler ist mein Name!“ sagte er mit einer Verbeugung. Ein freundliches Gesicht. Bis auf den blonden Backenbart rasiert. An einen Lakai zu den Zeiten des alten Wilhelm hätte er gemahnt, wäre nicht ein kindlicher Zug gewesen und das Kennzeichen des Gelehrten, die Brille. „Lizentiat Szteinßpängler!“ fügte der Besucher hinzu. Ein Theologe? Was wollte der von mir? War auch er der Kirche abtrünnig? Oder wollte er mich zurückbekehren? -- „Legen Sie gefälligst ab, Herr Lizentiat!“ sagte ich, und Bolle fügte gönnerhaft hinzu: „Ja woll, hier is injekachelt, da kann man sich de Lamängs anwärmen. Aber draußen, hu hu, da jibt et Eisbeene jratis!“ Steinspängler ließ sich seine Garderobe abnehmen, Bolle hing sie auf den Flur und verließ uns. „Womit kann ich dienen?“ fragte ich, als der Gast auf dem Stuhl Platz genommen hatte, während ich auf meinem Bette saß. Verwundert glitten seine Blicke über die Ausstattung meines Gefängnisses. „Ihren Konflikt mit dem Kultusministerium habe ich verfolgt. Wir bedauern lebhaft -- das heißt, wenn ich sage: +wir+, so meine ich die Familie, wo ich als Hauslehrer angeßtellt bin -- ein Sztaatsbeamter in hoher Sztellung! Ungewöhnlich liebe Menschen! Die Mutter meiner Zöglinge, eine gemütvolle Dame, interessiert sich sogar für Ihre soziale Lyrik. Der Hausherr, mein väterlicher Freund, hat alle Achtung für Ihr Verhalten ... Näheres möchte ich nicht verraten -- seine Sztellung ist der Kritik ausgesetzt, er kann nicht immer, wie er möchte, muß gewisse Rücksichten nehmen -- ist aber ein wahrhaft christlicher Mann -- zuweilen kommt es mir vor, er hat den inneren Christus ... Sie ßtutzen?“ -- Befremdet mochte ich nicht zurückhalten mit der etwas unhöflichen Einrede: „Den inneren Christus? Glauben Sie, daß Christus gewisse Rücksichten genommen hat? Hat nicht der Bergprediger gesagt, man solle sein Licht, also die innere Überzeugung, nicht unter den Scheffel stellen?“ -- Nach etlichem Schweigen versetzte Steinspängler mit leiser Stimme: „Aber Christus hat auch gesagt: Richtet nicht und verdammet nicht! +Sie+ haben gut reden, Sie sind ein +freier+ Mann.“ -- Ich mußte lächeln: „Ein freier Mann -- im Gefängnis? Nun ja, dahin gehören heutzutage -- so scheint’s -- die freien Männer. Wissen Sie, was der Amerikaner Thoreau sagte, als er wegen Steuerverweigerung im Gefängnis saß und sein Freund Emerson ihn besuchte?“ Da der Lizentiat aufhorchte, fuhr ich fort: „Emerson meinte: Es tut mir leid, daß du im Gefängnis bist! Thoreau erwiderte: Und +mir+ tut es leid, daß du +nicht+ im Gefängnis bist. Als anständiger Kerl gehörst du heutzutage ins Gefängnis, wie auch ich hingehöre.“ -- Der Lizentiat machte ein verdutztes Gesicht -- lächelte dann schalkhaft: „Na! Wissen Sie, Ihr Gefängnis ist nicht grade das schlimmste -- lernen Sie mal andere Gefängnisse kennen!“ -- „Ich weiß,“ gab ich zurück, „hier nebenan wartet ein Stiefkind unserer Gesellschaft darauf, wieder mal ins Arbeitshaus abgeführt zu werden -- es ist ein hilfloser Greis!“ Mit echter Teilnahme entgegnete der Lizentiat: „Ein Greis? traurig! Ich will mich erkundigen, vielleicht kann ich helfen. Ach ja, Arbeitshaus ist hart. Doch als ich von Gefängnissen ßprach, dachte ich an etwas anderes. An die Zellen, von denen Menschen eingeengt sind, die jene gewissen Rücksichten nehmen sollen. Der Vater meiner Zöglinge ist in solch einer. Wollte er sich ganz frei äußern, er würde oben anßtoßen, würde unten anßtoßen, nach allen Seiten anßtoßen. Da muß er sich mit einem anderen Wort unseres Heilandes trösten: Seid klug wie die Schlangen! Im vertrauten Kreise ist er offen wie ein Kind, sonst freilich Diplomat. Zu Ihnen komme ich mit seiner Billigung, und ich darf Ihnen mitteilen, daß er unter Ihrem Fall geradezu gelitten hat. Sein Gewissen ... Man muß eben seine Sztellung bedenken -- er ist ein hoher Sztaatsbeamter ...“ Da wurde die Nebenzelle aufgeschlossen, und Bolle sagte: „Nu machen Se sich man fertich so sachteken.“ -- „Kommen Sie, Herr Lizentiat!“ meinte ich aufstehend, „Sie sind geneigt, etwas für den Mann zu tun. Ich höre da eben, daß er gleich abgeführt wird.“ Willig sprang Steinspängler auf und folgte mir auf den Flur. Da sah er nun den weißbärtigen Alten und fragte freundlich: „Na Großvater? zur Arbeit langen wohl die Kräfte nicht mehr?“ Der Alte begann zu schluchzen: „Zu +leichte+ Arbeet +doch+ woll noch! Aber +mir nimmt keener+!“ -- „Soll ich Ihnen Arbeit +verschaffen+?“ fragte der Lizentiat, „Sie hätten es ganz erträglich. Haben Sie mal von Bielefeld gehört? von Pastor Bodelschwingh? Sie machen ein langes Gesicht. Sie denken wohl, da sollen Sie ein Duckmäuser werden und immerfort frömmeln? Weit gefehlt!“ Etwas mißtrauisch blickte der Alte und zuckte die Achseln: „Wie soll ’k denn nach Bielefeld kommen? Det is doch hinter Hannover? Un det Fahrjeld?“ -- „Kriegen Sie von +mir+. Aber Sie müssen auch wirklich hinfahren! Aufgenommen werden Sie, auch wenn ich Ihnen +keine+ Empfehlung mitgebe. Doch das soll +auch+ geschehen. Also +wollen+ Sie? Sie werden ein neuer Mensch, auf Ihre alten Tage.“ Nun mischte sich Bolle eifrig ein: „Jreifen Se zu, Jroßvata! Weisen Se de Rettahand nich zurick!“ Und zum Lizentiaten gewandt: „Fier den Momang allerdings muß die Sache den Amtswäch loofen, un ick bringe den Ollen nach Ceepenick. Wenn Se mich aber Ihre Adresse jeben, will ick Meldung duhn, det Se den Mann nach Bielefeld schaffen mechten.“ -- „Einverstanden!“ sagte der Lizentiat und gab seine Visitenkarte. Nachdem er nochmals dem Greis zugeredet, wurde dieser abgeführt, und wir andern zwei kehrten in meine Zelle zurück. Der Fürst dieser Welt und die Schildbürger Der Lizentiat hatte Platz genommen und hielt sein Gesicht in den Händen. Das Erlebnis hatte ihn bewegt, er schien sich zu sammeln. Ich sah durch’s Fenster, wie der Schnee immer dichter stöberte -- Regentonne, Hackeklotz, Kegellaube, alles hatte weiße Kapuzen auf. „Da stapft nun der alte Mann mit der Polizei nach dem Gerichtsgefängnis! Stapft durch dicken Schnee, der den lebendigen Busen der Erde verschüttet. Auch das Herz der Menschheit liegt unter einer frostigen Hülle -- sie heißt Egoismus, Genußsucht, Habgier ... Und das schon halb erstarrte Herz bildet sich noch was darauf ein, daß es kühl und hart ist.“ Wie zu mir selber hatte ich so gesprochen. Das Schweigen des Lizentiaten nahm ich für Zustimmung und fuhr fort: „Die Ordner unserer Gesellschaft sind in der Schätzung des Egoismus so weit, daß sie ihn ziemlich als einzige Triebkraft ansehen und ihre große Maschinerie immer mehr nach dem vermeintlich klugen Prinzip organisieren. Das nennen sie Zivilisation. Der gläubigen Menge reden sie vor, ihre Art Politik verbessere unsere Glückseligkeit. Doch ich kann mir nicht helfen, unsere Zivilisation hat etwas schaurig Ödes, erbarmungslos Gewalttätiges, unnatürlich Enges, geradezu Gemeines. Unsere Zivilisation ist eine Zuchthauszelle, und sie bleibt es, wenn sie auch den Bedürfnissen der Neuzeit entspricht, wie die Hotelbesitzer von ihren ‚erstrangigen‘ Häusern zu sagen pflegen. Heutzutage wird die Persönlichkeit immer mehr ausgeschaltet. Es gibt keine Wirte, sondern Hotelbesitzer.“ -- Jetzt nickte der Lizentiat und fügte hinzu: „Schließlich wird es nur noch Hotel-+Aktionäre+ geben! Das Geld verdrängt die Persönlichkeit.“ -- „Ich rede aber nicht bloß vom Hotelwesen,“ fuhr ich fort -- „das ist nur ein Symptom. Ich meine Staat und Gesellschaft. Sie, Herr Lizentiat, sagten von dem Herrn, bei dem Sie Hauslehrer sind, er sei Diplomat. Da wird er also nach den Gesetzen regieren, wohl gar selber Gesetze machen. Alle Gesetze aber wenden sich an die Ichsucht und sind von der Ichsucht diktiert. Egoismus heißt der Fürst dieser Welt, seine Herrscherfaust hält alles Leben unterjocht. Es liegt mir natürlich fern, Ihrem väterlichen Freunde einen persönlichen Vorwurf zu machen -- auch die Schuld wird heutzutage immer unpersönlicher, wir stecken eben alle in dem furchtbaren Getriebe ... Aber der innere Christus ...“ Wie mahnend hob der Lizentiat die Hand und sah mich traurig an: „Als ich sagte, er habe den inneren Christus, wollte ich nicht verhimmeln -- ich dachte eher an die Dornenkrone ... Der Vater meiner Zöglinge hat mich in sein Herz blicken lassen, und ich muß sagen, er leidet bitter unter dem Widerßpruch zwischen Ideal und Wirklichkeit. Aber hat denn er allein Grund zu leiden? Sie machen geltend, er diene dem Fürsten dieser Welt. Aber dem müssen wir ja alle Tribut zollen. Wozu einander Vorwürfe machen! Seien wir lieber positiv! Hauptsache, daß man sich sehnt, ein Arbeiter für das Reich Gottes zu sein.“ -- Er sah mich schüchtern an; gerührt legte ich ihm die Hand auf die Schulter: „Sie sind solch ein Arbeiter. Das zeigt Ihre Fürsorge für unser Aschenputtel ... Das Reich Gottes, wo das mißhandelte Menschenkind zur Geltung kommt und sein Kittelchen vertauscht mit einem Strahlenkleide, dies Ideal bedeutet uns kein Beschwichtigungsmittel für das darbende Volk -- nicht wahr, Herr Lizentiat? -- bedeutet uns ein Leben in unserer +Brust+, das wir entwickeln sollen, damit es aus uns heraus schöpferisch wirke und das ganze Dasein neu gestalte. Die Schöpfung ist ja noch lange nicht perfekt. Es werde Licht!“ Kindlich lächelnd machte der Lizentiat eine Gebärde, als ob er eine pfiffige Antwort vorbereite: „Der Fürst dieser Welt, wie Sie sagen, ist nicht immer tragisch zu nehmen, auch komisch kann sein Geschäftsbetrieb anmuten. Die Eitelkeit ist eine seiner Triebkräfte. Bodelschwingh führte mal einen beßternten Minister durch die Anstalt. Als ein zerlumpter Landßtreicher dem hohen Herrn etwas nahe kam, trat dieser scheu zurück. Bodelschwingh aber meinte mit seinem gutmütigen Lächeln, indem er den Minister beim Knopfloch faßte: Würden Euer Exzellenz im Samariterdienste eine Laus auflesen, die wäre im Reiche Gottes eine höhere Dekoration als Ihr Schwarzer Adlerorden.“ Ich lachte: „Das Gesicht des Ministers hätte ich sehen mögen! Faßlicher wäre ihm die Geschichte von jener +königlichen+ Laus: Am Messer, mit dem sie zerteilt war, leckte der Küchenjunge und ward davon ein Adliger einfachen Grades. Bielefelder Tierchen haben ja nicht so hohe Kraft. Doch vielleicht hat der Minister Belehrung profitiert von Bodelschwingh? Ich bin nicht genau unterrichtet über die Bielefelder Methode. Nach dem, was ich gehört habe, ist sie ein Fortschritt über die Schildbürger-Methode hinaus ...“ Der Lizentiat stutzte: „Schildbürger? Sie brauchen da ein harmloses Bild für eine unheimliche Sache. Arbeitshaus, Zuchthaus -- das ist keine Schildbürgerei. Vorhin sagten Sie: Fürst dieser Welt. Das paßt eher.“ -- „Fürst dieser Welt ist tragisch gesagt,“ entgegnete ich, „doch, wie Sie selber bemerkten, ist an ihm auch was Komisches. Die Medaille hat +zwei+ Seiten -- auf der einen ist der Fürst dieser Welt, auf der anderen das Wappen von Schilda. Sie wissen doch aus den Märchen Ihrer Kindheit? Im Königreich Utopien, hinter Kalkutta, gab es ein Städtchen, dessen Bürger ihre Narrheit in ein System brachten. Beim Bau des Rathauses hatten sie vergessen, Fenster anzubringen. Weil es nun innen finster war, während draußen der Tag flutete, kamen die Schildbürger auf die listige Idee, das Tageslicht in Säcke zu füllen und im Beratungssaal auszuschütten. Eifrig suchte ein jeder den Tag zu erfassen, mit Säcken und Kesseln, Schaufeln und Mistwagen. Ein Schlaukopf fing Sonnenstrahlen in einer Mausefalle. Es wurde nun zwar nicht hell im Rathaus; aber die Schildbürger meinten: Fahren wir nur so fort! Wir tun alles Menschenmögliche -- und +wenn’s+ geriete, wär’s eine feine Kunst! Nun, Hand aufs Herz, Herr Lizentiat, etwas von diesem Schilda-System lebt in unserer Zivilisation. Erst verfinstert man den Menschen, dann will man Licht hineinschaffen mit Säcken und Mausefallen. Denken Sie an den Greis, der jetzt nach Cöpenick eingeliefert wird. Die hohen Herren schelten ihn arbeitsscheu, verkommen. In gesunden Verhältnissen gibt es keine solche Verkommenheit, keine Arbeitsscheu. Da würde jedes Kind beherzigen, daß man arbeiten muß, um essen zu können. Schon aus dem natürlichen Beschäftigungstrieb würde man arbeiten. Aber was ist in unserer Zivilisation aus dem Beschäftigungstrieb, aus der gesunden Natur geworden? Ins vermauerte Rathaus kann der Tag nicht eindringen! Die Menschen werden insofern verfinstert, als Vernunft, Natur, gesunde Sitte in ihnen erstickt. Die Lenker unserer Staaten, die mit Vorliebe Millionäre züchten, ziehen in diesen eine gewisse Scheu vor fruchtbringender Arbeit groß und belohnen sie mit Würden und Orden. Andererseits wird die Masse des Volkes von Arbeitsgelegenheit ausgesperrt, indem Gesetz und Gefängnis, Beamte und Soldaten dafür sorgen, daß der Grund und Boden, den man doch zur Arbeit nicht entbehren kann, nur wenigen gehört, so daß jene Vielzuvielen, die in der Wahl ihrer Eltern nicht vorsichtig waren, keine andere Lebensmöglichkeit sehen, als sich entweder abzurackern -- oder Landstreicher zu werden. Hinweg! heißt es dann -- hinweg mit den Arbeitsscheuen ins Arbeitshaus! Da soll ihnen gewaltsam Arbeitslust beigebracht werden. So fängt man mit der Mausefalle den Tag und schafft ihn ins finstere Rathaus.“ Der Lizentiat hatte geduldig und ernsthaft zugehört. Jetzt stand er unternehmend auf: „Glauben Sie nicht, daß ich diesem Kapitel ein Ende mache, weil mir Ihre Satire unpassend vorkäme. Gewiß, die Schildbürger sind nicht ausgestorben, und sitzen bei uns auf den Höhen der Gesellschaft wie in den Tiefen. Aber diese närrische Welt ist nun mal darauf eingerichtet, daß Weise und Toren, Gerechte und Ungerechte +zusammen+ leben. Weil man sich nicht radikal loslösen kann von den gewöhnlichen Gemeinschaften und Einrichtungen, so bleibt bis zum jüngsten Tage auch den Besten nichts übrig, als mit den Wölfen zu heulen, mit den Schafen zu blöken ... Doch lassen wir dies Kapitel und reden wir von der Sache, die mich zu Ihnen führt. Ich habe sozusagen eine Mission. Nicht amtlich, nicht halbamtlich, sondern persönlich und rein menschlich. Es bekümmert den Vater meiner Zöglinge, daß Sie hier sitzen. Wir möchten, rundheraus gesagt, daß Sie möglichst rasch wieder in Freiheit gelangen. Und nun sagen Sie mal, Herr Doktor, liegt Ihnen etwas daran, hier noch +länger+ zu hausen? Ich meine, weil Sie doch Thoreaus Wort angeführt haben -- als ob das Gefängnis Ihr würdigster Aufenthaltsort wäre.“ Ich konnte meine Heiterkeit nicht verbergen: „Aber natürlich spaziere ich mit Vergnügen in die Freiheit. Weiß bloß nicht, wie ich es anstellen soll, ohne meinem Vorsatz untreu zu werden, die Strafe nicht mit Geld abzumachen. Die Regierung, die an mir ein Ketzergericht verübt, soll’s dabei nicht gar zu bequem haben. Hand aufs Herz, Herr Lizentiat, würde Ihr väterlicher Freund sich auch dann um mich bekümmern, wenn ich die Strafe in Geld gebüßt, oder wenn gar meine Gemeinde für mich gezahlt hätte? Das hätte ihm kein graues Haar gemacht. Sie sehen, wie der Zeitgeist auch in dieser Hinsicht die Persönlichkeit auszuschalten sucht. Ich rebelliere! Bin ein lebendiger Mensch -- und an Lebendige wende ich mich. Ich mache die Sache +nicht+ mit Geld ab.“ Der Lizentiat versuchte, in der Enge umherzulaufen. Nachdenklich griff er an seine Stirn und blieb vor mir stehen: „Was werden Sie tun, wenn Sie wieder draußen sind? Werden Sie aufs neue freireligiösen Unterricht erteilen? Um dann abermals für jede Sztunde zehn Tage Haftßtrafe zu kriegen?“ -- „Nicht doch! Man soll kein Prinzip zu Tode hetzen, sonst wird man komisch. Wille ist ein Don Quijote! würde die Welt sagen; dann nicht mit Unrecht.“ -- „Aber was wird hinfort aus Ihren Konfirmanden? Erhalten sie +gar+ keinen Unterricht mehr?“ -- „Doch! In einer anderen Form! Der Inhalt bleibt natürlich derselbe. Erzählen Sie dem Vater Ihrer Zöglinge, falls er, als hoher Beamter, nicht schon genau darüber unterrichtet ist, daß ich im Gefängnis eine Reihe von Vorträgen für die Jugend schriftlich verfaßt habe, und daß diese Vorträge von Mitgliedern der Gemeinde den versammelten Kindern vorgelesen werden. Natürlich möchte der Kultusminister auch diese Form der Ideenverbreitung womöglich vereiteln. Wenige Tage, nachdem der erste Jugendunterricht auf die neue Art erfolgt war, wurde dem Vorleser behördlich solche Tätigkeit bei Strafe verboten. Doch wir wußten uns auch jetzt zu helfen: nicht er hielt am nächsten Sonntag die Vorlesung, sondern ein anderer Gesinnungsfreund. Als auch diesem die Sache verboten war, sprang ein Dritter in die Bresche, und so fort. Da wir mindestens fünftausend Vorleser haben, könnten wir diese sonntägliche Jugendunterweisung hundert Jahre durchhalten. Wenn ich also nun raus bin aus dem Gefängnisse, geht’s mit dem Unterricht weiter in der +neuen+ Form, in der unpersönlichen ... Sehen Sie, Herr Lizentiat, das System unpersönlichen Lebens zerrüttet sich selbst. Sie lachen? Aber neben der lächerlichen Seite hat die Geschichte auch eine ernste, und die verschweigen Sie +nicht+ dem Vater Ihrer Zöglinge, der doch Verständnis für Pädagogik hat. Weit entfernt, das Interesse an den freireligiösen Vorträgen gelähmt zu haben, hat die Verfügung des Ministers vielmehr hingebende Begeisterung ausgelöst und nur in +einem+ Punkte uns Freireligiösen geschadet: die Pädagogik hat gelitten. Sie werden zugeben, daß der Unterricht von einer innerlich berufenen Persönlichkeit erteilt werden muß, und zwar in sokratischer Art: auf lebendige Darlegung und Fragen des Lehrers sollen die Antworten der Zöglinge erfolgen. Bei der neuen Form geht das nun leider nicht. Also gegen den guten Geist des Unterrichts hat sich das Unterrichtsministerium vergangen -- nichts andres hat es erreicht. Übrigens wäre noch zu erwähnen, daß bei den Kindern und in weiten Kreisen der Bevölkerung der gegen mich geführte Schlag das Ansehen der Regierung und der Kirche nicht gefördert hat. Man muß bloß mal mit einiger Unbefangenheit bedenken, was es heißt, einem sonst berufenen Manne zu verbieten, seine Konfirmanden in seine freireligiösen Anschauungen einzuführen -- ihm aus kirchenpolitischen Gründen die sittliche Qualifikation zum Unterrichten überhaupt abzusprechen -- weil er seine Überzeugung bekennt, indem er nicht an den deistischen Kirchengott glaubt.“ „Mag sein!“ meinte der Lizentiat kleinlaut, „der Mißgriff ist nun mal geschehn. Genug! Sie erklären also, daß Sie den früheren Unterricht +nicht+ fortsetzen werden? +Dann+ wird Ihr Gesuch um Niederschlagung Ihrer Strafe +bewilligt+.“ -- „Und Sie meinen, ich werde mich zu solch einem Gesuch +verstehen+? Habe ich +so+ lange hier gesessen, kommt es mir auf ein paar Monate mehr nicht an.“ -- Der Lizentiat war verdrossen: „Solch ein Gesuch paßt Ihnen nicht?“ -- „Ich will keine Gnade!“ -- „Aber Sie haben doch um gewisse Vergünstigungen nachgesucht, beißpielsweise, daß Sie Besuche empfangen dürfen?“ -- „Das sind +Rechte+ des Häftlings. Wenn ich aber um Niederschlagung der Strafe bäte, würde ich anerkennen, daß sie +begründet+ ist, und begäbe mich vom Standpunkte dessen, der sein Recht begehrt, auf den Weg des +Bittstellers+.“ -- „Würden Sie denn nicht einmal um +Urlaub+ nachsuchen?“ -- „Urlaub? Warum nicht? Unter gewissen Umständen darf der Häftling beurlaubt werden, das ist sein Recht.“ -- „Na also!“ meinte der Lizentiat, und seine Zufriedenheit hatte etwas Listiges -- „dann kommen Sie wenigstens um Urlaub ein!“ -- Ich stutzte: „Warum das? Ich habe keine Neigung, die Erledigung meiner Strafe durch eine +Pause+ zu unterbrechen. Sehn Sie mal, wie nett das hier eingerichtet ist! Und nun sollen die Wandteppiche und fidelen Schnurrpfeifereien +heraus+kommen? Nach vier oder sechs Wochen aber, wenn ich, nach Ablauf meines Urlaubs, wieder ins Gefängnis +zurück+ muß, hat meine Frau aufs +neue+ die Schererei des Einrichtens? Nicht doch! Lieber den Kelch in +einem+ Zuge geleert!“ Mit einer gutmütigen Hinterhaltigkeit fixierte mich der Lizentiat: „Nach vier oder sechs Wochen ins Gefängnis zurück? So meine ich es nicht! Der Urlaub könnte ja +länger+ dauern! Hum! Verstehn Sie mich denn nicht? Ich meine +sehr+ lange! hum hum!“ -- Ich sah ihn groß an -- ein Licht wollte mir aufgehn. „Der Herr, in dessen Hause Sie sind, ist doch nicht etwa gar --?“ Der Lizentiat legte den Finger auf seine Lippen. Dann holte er seinen Mantel, ich half ihm hinein. Die Handschuhe anlegend, meinte er treuherzig: „Also nicht wahr, Sie kommen um Urlaub ein? Sie verßprechen es mir!“ Herzlich drückte ich die dargereichte Hand: „Sie sind ein guter Mensch! Ich werde mir’s überlegen.“ -- Als der Lizentiat fort war, dachte ich über das Rätsel nach, das hinter seinem eigentümlichen Rat steckte. Hatte er wirklich so etwas wie eine Mission? Der Vater seiner Zöglinge war Diplomat, ein hoher Beamter -- war’s vielleicht gar der Kultusminister? Oder ein Dezernent im Ministerium? Warum nicht? Es war auch schon möglich, daß der hohe Beamte aus rein menschlichem Wohlwollen mich in Freiheit bringen wollte. Wozu dann aber bloßen Urlaub geben? Oder halt! War der Urlaub vielleicht ein +Vorwand+? Steckte dahinter die +endgültige+ Befreiung? +Darum+ wohl hatte der Lizentiat bedeutsam gehustet! +Sehr+ lange, hatte er gesagt, könne der Urlaub dauern. Aha! Die Herren möchten mich mit Anstand los werden, mein Fall ist ihnen unbequem! Ich lächelte -- mußte wieder an Schilda denken. Einmal fand ein Schildbürger einen Krebs, und weil ihrer noch niemand solch ein Ungetüm gesehen hatte, das um so unheimlicher war, als es rückwärts kroch, so verhaftete man den Krebs, sperrte ihn in eine Schachtel und machte ihm den Prozeß. Da nun das gereizte Vieh mit seiner Schere einen Schildbürger kniff, bekam man Angst und wollte das Ungeheuer auf irgendeine Weise los werden -- immerhin in aller Form Rechtens. Schließlich entschied man, der Krebs müsse ins Wasser, um elendiglich zu versaufen, und warf ihn in sein Element. Der Krebs bin ich. Der weise Rat von Schilda hat mich erst eingespunnen -- nun wäre er zufrieden, das lästige Ungeheuer los zu werden, ohne sich was zu vergeben. Heureka! Man setze den Gefangenen einfach dahin, wohin er gehört: an die frische Luft. Dreck--Speck--Zweck überhaupt Als ich erwachte, heulte Tauwind und plätscherte es vom Dach. Mit Schaufel und Besen suchte Onkel Pofke auf dem Hof einen Pfad durch den Schnee zu bahnen. Die Geräusche kamen mir garstig vor, ich legte mich auf die andere Seite, obwohl es bereits Tag war und in meinem Ofen frische Heizung bullerte. -- Wozu denn auch aufstehn? Draußen herrschte Matsch und Dreck, hier die Gefangenschaft war trotz meines Galgenhumors im Grunde doch auch etwas Ödes, und nicht bloß das Dasein des alten Landstreichers, sondern das menschliche Leben überhaupt hatte was von jenem Göpel, den Bolle gestern erwähnte: Die hagre Mähre geht immerfort im Kreise herum, gedroschen wird viel leeres Stroh. Und um solch ein Leben sollte ich mich ernsthaft bemühen? Ich sollte das Urlaubsgesuch machen, von dem der Lizentiat meine Enthaftung erwartete? Enthaftung! Als ob nicht all unser Dasein eine triste Gefangenschaft wäre! Nein, da will ich lieber in diesem ehrlich verdienten Loche bleiben, um verächtlich weiterlachen zu können über Schilda und seine Putzigkeit. Meine Robinsonklause ... Ach nein doch, Robinson hatte es besser -- dem ganzen Zivilisationsschwindel entronnen, durfte er sich ein eigen Leben erschaffen in seiner Einsiedelei, und die Menschenfresser, die ihn mal beunruhigten, waren nicht so lästig, wie Europas Gesittungsphilister -- uff! Um meiner Verdrossenheit Luft zu machen, kam mir der Pfahlbürgerreigen auf die Lippen: „Dreck, Speck, Zweck überhaupt! Reia, reia ...“, und dann murmelte ich etwas vom „Deibel“. Plötzlich mußte ich auflachen -- ein Geschichtchen fiel mir ein, das Onkel Pofke neulich berichtet hatte. Durch das Flugblatt war sein Mikrokosmos in Aufruhr geraten, und er liebäugelte geradezu mit meinen Ketzereien. Mit Genugtuung hatte er vernommen, daß Hunderte von Zustimmungsschreiben aus allerlei Schichten der Bevölkerung bei mir eingelaufen waren und ein paar Dutzend Versammlungen gegen das Vorgehen des Kultusministers protestiert hatten. Vorgestern hatte Onkel Pofke solch eine Versammlung sogar besucht. Er war ganz begeistert davon, und ein komisches Vorkommnis erzählte er mit immer neuer Heiterkeit: Ein Redner bekannte sich zum Atheismus, gebrauchte aber am Schluß seiner Ausführungen die Worte: „Muß der Glaubenstrott denn immer so weitergehen? Gott Lob, nein!“ Hier war der Zwischenruf erfolgt: „Wieso Jott Lob? Sie jlooben doch an keenen Jott!“ Begütigend lächelte der Redner: „Ach meine Herren! das ist eine gedankenlose Redensart -- als Kind hat man sie aufgeschnappt, weiß Gott ...“ Lachend echote die Versammlung: „+Wieso+ weiß Jott? Ach Jotteken!“ Achselzuckend suchte sich der Verspottete zu entschuldigen: „Auch ich habe leider Gottes ...“ -- „Hoho! schon wieder hat er’s mit Jott!“ Jetzt riß ihm die Geduld, und er stampfte mit dem Fuße: „Aber erlauben Sie mal! Ich +meine+ es doch, Gott sei Dank, nicht so!“ In dem Gebrüll, das losplatzte, war vom Protestieren des Redners nichts zu verstehn; er mußte abtreten. Adolf Hoffmann, der die Versammlung leitete, goß unter Läuten seiner Glocke glättendes Öl auf die Wogen und nahm selber das Wort: „Der Fall zeigt wieder mal, mit dem Mundwerk muß sich der Mensch höllisch vorsehn ...“ Hier wurde auch er durch Gelächter unterbrochen, und man rief: „Höllisch? Wieso? Adolf jloobt doch an keene Hölle!“ -- Mit seiner schlagfertigen Kaltblütigkeit entgegnete Hoffmann: „Aber natürlich -- an eine +Hölle+ glaub’ ich! Einen lieben Gott allerdings jibt es nich -- der soll sich erst entwickeln! Aber eine Hölle jibt es -- die Menschen nämlich machen sich das Dasein zur Hölle. Wenn man so sieht, wie sich das jejenseitich beschummelt, bemopst und verknutet, patriotisch niederkartäscht und mit Jott verketzert -- gestehn Se, Herrschaften, da findet der menschenfreundliche Atheist manchmal keinen ehrlicheren Ausdruck für seinen heiligsten Jlauben, als so’n recht herzliches: Pfui Deibel!“ -- Das war für Onkel Pofke ein Lichtblitz gewesen, er rühmte Adolf Hoffmanns „Sprechanismus“ und tippte sich mit dem Finger auf die Stirn: „Nanu wird’s Tach unter de Nachtmitze!“ -- „Aber Pofke!“ hatte ich erwidert -- „wie können Sie so über Ihre Amtsmütze sprechen? Sie Sozi, pietätloser!“ Übrigens hatte Onkel Pofkes Amtsmütze einen besonderen Anteil an meiner schlechten Stimmung wie an seiner Rebellion. Und das war so gekommen: Unter dem Vorwande, Reißen in der Schulter zu haben, wogegen nur kräftige Bewegung der Arme helfe, hatte ich Pofke verleitet, mit mir auf dem See herumzurudern, und da er sich diesem Sport mit wilder Begeisterung hingegeben, war seine Amtsmütze ins Wasser gefallen und auf den Grund gesunken. Weil nun die schmähliche Nacktheit seines edelsten Organs auf der Straße, als er mich zum Gefängnis heimbrachte, Aufsehen erregt hatte, war der Unratschnüffler Biedermaxe aufmerksam und, nach Feststellung des Tatbestandes, beim Landrat vorstellig geworden. Ein Staatsgefangener, der auf dem See herumgondle, noch dazu ohne gehörige Aufsicht, ja unter Herabwürdigung eines amtlichen Uniformstückes, sei eine Verhöhnung der öffentlichen Ordnung und der altpreußischen Beamtenehre. War nun der Landrat auch geneigt, wegen dieser Denunziation kein Aufhebens zu machen, so verlangte ein anderer und entschieden ärgerer Fall, daß er doch einschreite. Eines Nachmittags nämlich, als Bolle arglos schlief, hatten meine Freunde einen Photographen gebracht, um ein Bildnis meines Hotels aufzunehmen. Während ich mit meiner Frau durchs Kerkerfenster lugte, standen Wilhelm Bölsche und Julius Hart davor, auch Frau Hart und Frau Bartels, die kleine Freia auf dem Arm. Bartels war im Begriff, aus einer umstürzlerischen Zeitung vorzulesen, und zwei Pennbrüder hatten die Gelegenheit, sich gratis verewigen zu lassen, mit lachender Keckheit wahrgenommen. Der Photograph hatte geknipst und hatte dann die ebenso kompromittierende wie realistische Schilderung eines Staatsgefängnisses von Schilda in seinem Berliner Schaukasten ausgestellt, noch dazu mit der Unterschrift: „Gewissensfreiheit in Preußen“. Nachdem das Bild einen reißenden Absatz gefunden, besonders an Volksschullehrer und Studenten, hatte die Polizei darüber dem Kultusminister Meldung gemacht und dieser beim Amtsvorsteher angefragt. Gestern hatte das Unwetter getobt, Bolle war außer sich gewesen. Von Disziplinar-Untersuchung, ja von Entlassung hatte er gejammert und dem Onkel, den er zum Sündenbock machte, Entziehung der Gasthaus-Konzession in Aussicht gestellt. Mich hatte er geärgert durch die Drohung, Spaziergänge in der früheren Art könnten nicht mehr gestattet werden; hingegen stehe es mir, wenn ich Bewegung haben wolle, frei, ihn auf seinen dienstlichen Gängen durch Friedrichshagen zu begleiten. Gegen diese Zumutung hatte ich mich grimm empört, und so war zwischen uns ein richtiger Krach erfolgt ... Daß ich beim Überdenken dieser Dinge den Deibel zitierte und die Hymne des höheren Stumpfsinns „Dreck, Speck, Zweck überhaupt!“, ist um so begreiflicher, als die Freiheitswelt da draußen sich tatsächlich in Dreck und Speck auflöste. Nachmittags wurde es besser, ein eisiger Nord blies, und taumelnde Flocken legten sanft die Farbe der Unschuld über den erstarrten Schmutz. Als ich meiner Frau eröffnete, ich sei nunmehr gar nicht geneigt, um Urlaub nachzusuchen, redete sie mir gut zu: „Ach was! Mach doch kein Gesicht, als wären dir alle Felle weggeschwommen! Flott raus zum Spaziergang!“ -- „Bolle weigert sich, mitzugehn!“ -- „Unsinn! Ich werde mit ihm sprechen. Wo ist denn diesmal deine Adventsstimmung? Sonst bist du doch immer vor Weihnachten so erwartungsfroh! Gleich gehn wir über den Weihnachtsmarkt -- die grünen Tannenbäumchen sollen dich begeistern -- und wenn du hernach deinen Tee trinkst, mag dir der Teelöffel, den ich dir hier nebst dem gewünschten Teeglas mitgebracht habe, eine Adventsgeschichte erzählen. Achte auf ihn, er ist mein Bundesgenosse!“ Was der Teelöffel anstiftete „Meine enge Klause kann doch nicht zur Aufbewahrung von Tassen, Tellern, Löffeln dienen.“ Das war die Ansicht meiner Frau, und deshalb hatte sie, was ich an Tischgerät brauchte, für jeden Einzelfall aus ihrer Wirtschaft besorgt. Morgens brachte Frau Bolle ein Kännchen und eine Tasse -- hinein tat ich meinen Tee, den ich selbst bereitete. Das dicke Wirtshausporzellan war allerdings barbarisch für den duftenden Nektar des sinnigen Ostens. Wenn man nicht gerade ein Porzellan-Schälchen aus China hat, zart wie ein Blumenkelch, paßt für Tee nur Glas, dünnes Glas. Damit aber beim Eingießen des heißen Trankes das Glas nicht springe, leitet man etwas von der plötzlichen Erhitzung auf Metall über, und diesem Zweck soll der Teelöffel dienen, der also beim Einschenken im Glase sein muß. Es dürfte somit verständlich sein, daß ich meine Frau gebeten hatte: „Bring’ mir doch ein Teeglas nebst Löffelchen mit.“ Diesen Wunsch hatte sie ja nun erfüllt. Als wir unseren Spaziergang über den bescheidenen Weihnachtsmarkt von Fritzenwalde beendet hatten, lud ich meine Frau ein, an meinem Tee teilzunehmen. Sie lehnte diesmal ab, empfahl mir aber, auf den Teelöffel zu achten. Nicht ohne Neugier sah ich mir das Ding an, auf das meine Frau so große Stücke hielt. Sonderbar! Zu dem hübschen, geschliffenen Teeglas paßte er ganz und gar nicht -- er war nicht von Silber. „Du denkst wohl: wo Gefangene hausen, sind silberne Löffel nicht sicher -- wie? Und deshalb bringst Du mir so’n ordinäres Dings!“ -- „Ordinär?“ Meine Frau hatte gelächelt, als ob sie ein Rätsel aufgeben wolle: „Wirst schon sehen, was das für ein Dings ist. Besinne Dich!“ Dies Gespräch ging mir durch den Sinn, als ich einsam in meiner Klause den Tee bereitete. Kopfschüttelnd nahm ich den Teelöffel. Das war ja nicht mal Zinn, sondern Blei -- schwärzlich grau wie eine Gewehrkugel, ohne Glanz, ohne Klang, überdies verbogen. Und das sollte nichts Ordinäres sein? „Besinne Dich!“ Na ja -- etwas Gemütliches, etwas Anheimelndes war daran. Aber ich begriff es nicht ... Schneeflocken wie Daunen taumelten vor den Kerkersprossen. In der Dunkelheit züngelte mein Spiritusflämmchen geisterhaft um den Kocher. Durch den Spalt der Ofentür äugelte die Kohlenglut und malte einen Purpurstreifen auf den Fußboden. Und zu summen begann das Wasser. Meine Herbstnachtigall hätte jetzt zirpend eingestimmt, doch unter der Schneedecke schlummerte sie. Dafür zirpten nun haarfeine Saiten, ein weißes Kinderhändchen schlug die Traumharfe. In melodische Schwingungen geriet meine Klause, die Schnörkel des Wandteppichs schlangen sich durcheinander wie tanzende Elfen, die buntgeblümte Papierlaterne mahnte an den träumerischen Osten, wo Tempel aus Porzellan leuchten, von gläsernen Glöckchen umwispert, und wo die Teestaude grünt. Und der Teelöffel -- ja was war mit dem? Die blaue Flamme hatte ein geheimnisvolles Glanzlicht drauf gesetzt: „Besinne dich!“ -- Bilder aus meiner Kindheit gaukelten schmeichelnd. Ich saß in der Klippschule und malte Buchstaben, während der Lehrer für seine Kleinen Äpfel auf der Ofenplatte briet. Beim Braten zischelten und pafften sie. Wenn einer gar geworden, bescherte ihn der gute Lehrer, zerteilte ihn mit dem Messer, und wir schmausten. Auf dem Klassenschrank harrte um diese Adventszeit ein Nadelbäumchen, und bei jedem Schulschluß sang die Klasse „Ihr Kinderlein, kommet!“ Am Nachmittag vor der Weihnachtsbescherung war’s. Zwischen den hohen Häusern der Straße lag schon Dämmerung, und der Laternenmann ging mit seiner Lunte herum. Von Schnee begann das Pflaster zu schimmern, daunenartig fielen die Flocken -- just wie heute. Ein neunjähriger Knabe war ich. Ungeduldig den Weihnachtsabend erwartend, vertrieb ich mir vor der Haustür die Zeit, indem ich eine Schlitterbahn glättete. Ob der Wunsch, den ich Großmutter anvertraut, wohl erfüllt werden, ob das Kasperletheater auf dem Weihnachtstische liegen würde? Auch das Straßentreiben zog mich an. Da ging ein Herr, vermummt in dicken Pelz, bepackt mit Schachteln und Düten. Eine Frau in ärmlichem Umschlagetuch trug ihr schmächtiges Fichtenbäumchen. Ein Händler mit einem Handwagen voller Äpfel und Nüsse. Ein kleines Mädchen bot Hampelmänner an, das Stück einen Sechser, während ihr Bruder mit Waldteufeln und Knarren lustigen Lärm verübte. Es war zu merken, daß in der Nähe, beim Rathaus, großer Weihnachtsmarkt. Ich hatte Lust, einen Abstecher hin zu machen, als sich eine Hand auf meine Schulter legte: „Höre mal, Junge, hast du Zeit? kannst du mir den Koffer da zum Bahnhof bringen?“ So fragte ein ältliches Männchen in abgeschabtem Überzieher, eine sonderbare Wollmütze auf dem Kopfe. „Du bist ja groß genug!“ Obwohl diese Bemerkung etwas spitzig herauskam, berührte sie das Knabengemüt fast schmeichelhaft. Wie ein gewiegter Gepäckträger ergriff ich den Koffer. Schwer war er, doch ich ließ nichts merken und hastete neben dem Männchen her. War der rechte Arm müde, so trug ich den Koffer auf der andern Seite. Das Männchen mit der Wollmütze beobachtete mich zuweilen von der Seite und kicherte. „Hast es wohl schwer, Söhnchen? Schadet nichts! Vom Tragen wird man stark.“ Ich nickte, an Eifer fehlte es mir nicht. Aber der Koffer wurde immer schwerer, manchmal mußte ich mit beiden Händen gleichzeitig schleppen. „Mach’s doch wie ein richtiger Gepäckträger!“ mahnte das Männchen, und mit seiner Hilfe brachte ich den Koffer auf meine Schulter. „Später wird man dir noch ganz anders aufpacken. Immer fest und getrost!“ Und wie des Männchens Fausthandschuh meine Backe gütig berührte, wurde mir leicht. Da sah ich auch schon die erleuchtete Bahnhofsuhr. Als ich im Wartesaal den Koffer niedersetzte und ein wenig Zittern in den Gliedern spürte, blinzelte das Männchen schelmisch, suchte in einer schäbigen Börse und drückte mir ein Geldstück in die Hand. Verdutzt sah ich hin; es waren Zwei gute Groschen, wie man damals sagte. Und das sollte mir gehören? „Warum nicht?“ meinte das Männchen -- „hast es ja verdient! Oder weißt du nicht, was verdienen heißt? Bist mir wohl so einer, der sich noch von Vatern ernähren läßt? Na, wirst schon noch dahinter kommen: Verdienen schmeckt erst sauer, dann süß!“ Verdient! Zum erstenmal in der Tat hatte ich etwas verdient -- wie Vater das Brot für uns verdiente. Ich war ein richtiger Gepäckträger -- und da hatte ich nun meinen Lohn! Ein Hochgefühl hob meine Brust. Fest in die Hand das Geld gepreßt, eilte ich heim. Über den Weihnachtsmarkt. O wie berauschte das Ausrufen der Verkäufer, der Lärm von Kinderharmonikas, der Schmalz- und Honigkuchenduft, die bunte Fülle der Spiel- und Flittersachen! Und dazu meine Groschen, die mir so wertvoll vorkamen, daß ich schier meinte, den ganzen Jahrmarkt kaufen zu können. Ja, kaufen! Aber was? Die Wahl fiel schwer, zumal mir klar wurde, daß man mit Zwei guten Groschen keine Sprünge machen kann. Sollte ich einen Zauberapparat kaufen? Oder einfach Schmalzkuchen? Türkischen Honig oder einen Pflaumenmann? Mein erster Verdienst war wohl zu schade, um so vertan zu werden. „Vier Silber’roschen! Jreifen Se zu! So wat kommt nich wieder vor! Raus mit die Jroschens! Herrschaften haben doch Jeld wie Hei!“ Das war „der billige Mann.“ Ein Menschenknäuel -- Leute vom Lande -- drängte sich um den Verkaufstisch und staunte ebenso über des Mannes Zungenfertigkeit wie über die fabelhafte Billigkeit der Waren. Er versteigerte sie gewissermaßen abwärts, indem er vom Preise Groschen und Sechser abließ, bis sich ein Käufer meldete. Jetzt hielt er ein halbes Dutzend Teelöffel empor. Sie blitzten verlockend, rosa Seidenpapier umhüllte ihre Stiele, es waren „feinste silberne Teelöffels“. Der billige Mann schwenkte sie, schlug mit der einen Hand schallend in die andere und brüllte: „Also nur vier Silber’roschen det janze halbe Dutzend! Det ist wat for die Aussteier! ... Wat Freilein? Se wollen Ihr Jlick vascherzen? Nur vier Silber’roschen! Mich kosten sie det Doppelte, so wahr ick Jakob heeße. Aber -- Leite -- ick jebe se for -- na, meinetwejen for +drei+ Silber’roschen -- bloß weil heite Weihnachten is. Det is ja ausverschämt billich, det is ja rein vaschenkt! Wer se nu nich will, der läßt et bleiben! Na also, Herrschaften! Wer nimmt se for -- drei Silber’roschen zum Zweiten -- un -- zum ...“ Mir pochte das Herz in fieberhafter Spannung. Oh, wenn er doch nur auf Zwei gute Groschen runterginge! Ich nähme sie gleich! Das wäre ein passendes Geschenk für Mutter und Großmutter! Oh würde doch der billige Mann +noch+ billiger! -- Aber dazu schien er keine Lust zu haben. „Drei Silber’roschen -- das allerletzte Wort -- zum Dritten!“ brüllte er mit heiserer Stimme und legte die Löffel mit ärgerlicher Bewegung auf den Warentisch. Er schien es aufzugeben, seine Perlen vor die Säue zu werfen. Aber noch einmal raffte er sich auf. „Leite, Leite, Leite! kooft mich ab, sonst wer’ ick pleite! Na also, damit ihr seht, det ick der billije Jakob bin, jebe ick zum aller-allerletzten det janze halbe Dutzend silberne Teelöffels for -- Zwei jute Jroschen!“ -- „Hier!“ Triumphierend hob ich die Hand mit meinem Gelde. Der billige Mann zog ein schiefes Gesicht und schnauzte scherzhaft: „Junge, warum haste dir nicht eh’r jemeldt?“ Die umstehenden Bauern lachten listig, als hätte ich einen dummen Teufel geprellt. „Düt is’n Bengel!“ Innerlich jauchzend, als hätte ich das große Los, packte ich meine silbernen Teelöffel, und spornstreichs nach Hause. Als ich ankam, war es zur Bescherung höchste Zeit. Mit einem vorwurfsvollen „na endlich!“ wurde ich empfangen. Doch in der allgemeinen Feststimmung kam Verdruß nicht auf. Und bald erscholl ein liebliches Glöckchen -- in Lichterfülle, Flitterglanz strahlte der Weihnachtsbaum. Beklommen von froher Erwartung näherte ich mich dem Gabentische. Richtig, da lag, was ich ersehnt: das Puppentheater, Kasperle mit seiner Grete, Tod und Teufel, selbst der Schutzmann fehlte nicht, der Kasperle zu verhaften hat. Zum Überfluß fand ich ein kostbares Märchenbuch und die „Robinsonaden“, ganz abgesehen von den Nützlichkeiten, mit denen Mutter für meine Bekleidung sorgte. So lebhaft meine Freude über diese Gaben war, den Gipfel des Hochgefühls bildete die Überreichung meiner Gegengabe. „Hier schenke ich +euch+ was,“ stammelte ich und händigte meiner Mutter wie meiner Großmutter je drei Teelöffel ein. „Aber seht doch! Junge! Wie kommst du daran?“ -- „Die hab ich vom billigen Mann.“ -- „Was kosten se denn?“ -- „Zwei gute Groschen das ganze halbe Dutzend -- feinstes Silber!“ -- „Wirklich? Und woher haste denn das Geld?“ -- Und ich mit stolzer Freude: „Hab ich mir verdient!“ Verblüffte Gesichter. Ich erzählte mein Abenteuer, alles staunte und lachte, ich war der Held des Tages. -- Von damals die Weihnachtslichter sind längst niedergebrannt. Doch nicht ganz verwehte ihr Duft. Heute nach Jahrzehnten berührt er mich mit einem süßen Hauche, und im träumerischen Dämmerstübchen verwandle ich mich in den Knaben, der den Koffer trug und die Teelöffel schenkte und dabei so glücklich war. Noch in einem andern Herzen blieb etwas zurück vom Weihnachtsdufte. Das spürte ich, als ich nach langer Trennung, ein Erwachsener, wieder einmal meine Vaterstadt und Großmutter besuchte. Während wir beim Tee plauderten, ergriff ich in Gedanken den Teelöffel, und Großmutter sagte mit sinnendem Lächeln: „Kennst du den noch?“ Ich sah genauer hin. Wunderliches Ding! Blei und Zinn, verbogen und ohne Glanz. „Als du ein Knabe warst, hast du ihn mir zu Weihnachten geschenkt. Die andern beiden sind nicht mehr; einer ging verloren, der andere zerbrach. Diesen will ich verwahren. Wer weiß, wann du ihn wieder mal zu sehen kriegst.“ -- „Ach ja, ich entsinne mich! Damals war ich neun Jahre alt. Und damals hattest du noch blondes Haar, Großmama!“ antwortete ich, den Löffel wehmütig betrachtend, „damals hatte der Löffel noch Glanz!“ -- „Für mich glänzt er immer,“ hatte Großmutter erwidert. Und das hier war nun derselbe Teelöffel. Aus Großmutters Nachlaß an mich gekommen, war er von meiner Frau in mein Gefängnis gebracht. Seltsame Weberin, die wir Schicksal nennen! Ein vergessenes buntes Fädchen wirkst du ins Gewebe ein, daß es eine artige Linie bildet und fürs Ganze wohl gar bedeutsam wird. Advents-Stimmung, ja nun hatte sie mich bezaubert. Weihnachten lockte mich heim in die Häuslichkeit, mein Gefängnis erschien mir öde -- und so entschloß ich mich zu dem Versuche, meine Freiheit zu erlangen. Am gleichen Abend ging mein Gesuch um Urlaub ab -- als Grund gab ich an, ich möchte das Weihnachtsfest nicht im Gefängnis verleben. So leb denn wohl Der Sonntag vor Weihnachten, der sogenannte „goldene“ war da, und Anton Bolle hatte soeben meine Post gebracht, als mir darunter ein Schreiben mit dem Amtssiegel des Provinzial-Schulkollegiums auffiel. „Anton, warte einen Augenblick!“ Ich öffnete das Schreiben und las die Worte: „Ihrem Antrag vom zwölften Dezember entsprechend, beurlauben wir Sie hiermit aus der Haft auf unbestimmte Zeit.“ Schrumm, da +war+ die Bescherung! Der Lizentiat, dieser Pfiffikus, hatte also +doch+ recht! Und der Teelöffel, der meinen Mißmut geheilt, hatte dazu beigetragen, daß ich mich zum Urlaubsgesuch entschloß. „Anton, bring’ doch wieder mal ein Briefchen nach der Kastanienallee! Hast du Zeit? -- Schön, Junge -- und diesmal bekommst du Zwei gute ... will sagen: eine ganze Mark; gib sie dem Weihnachtsmann als Trinkgeld, wenn er dir nächstens was beschert.“ -- Lebhaft ging Anton hierauf ein, und während er sich des Näheren über seine Wünsche ausließ, schrieb ich an meine Frau: „Komm sofort mit Frau Pape! Und sie soll den Handwagen mitbringen. Hammer und Zange nicht vergessen. Habe Urlaub, ziehe sofort aus.“ Als Anton weg war und ich vom neuen Standpunkt meines Schicksals das alte Gefängnis betrachtete, wurde ich wieder an Robinson erinnert. Jetzt an den Robinson, der seine wilde Insel verlassen und zurückkehren soll in die zivilisierte Welt. Wehmütig musterte ich meine Klause. Nicht wenig Glück hatte ich hier verlebt, stilles Einsiedlerglück, gelegentlich auch Freude der Geselligkeit. Würde ich mich jemals wieder so geborgen fühlen wie in dieser Zigarrenkiste? Gelindes Zagen wandelte mich an, ein Zagen vor der Weite und Freiheit, in die ich hinaus sollte. Und ich begriff, daß entlaufene Mönche Heimweh nach dem Kloster kriegen. Ich erwachte aus meiner Träumerei, als Bolle zu mir eintrat -- er war in Helm und vollem Sonntagswichs. „Een prachtvollet Wintawetta, Herr Dokta, klare Kälte -- un der See is schon feste zu -- heite könnten ma mit Sejelschlitten bis Rahnsdorf fahren -- vorausgesetzt, det Se mir zur Ibawachung ieberhaupt noch beneetigjen -- denn, Herr Dokta, ick soll Sie amtlich ereffnen: wenn Se artig sinn, denn kennen Se heite entlassen wer’n aus Ihr Jefängnis.“ -- „Wenn ich artig bin? wieso?“ -- „Ick meene, wenn Se nischt in de Presse bringen ieba det hiesige Jefängniswesen.“ -- „Und mit welchem Recht stellen Sie diese Bedingung? Haben Sie Auftrag dazu vom Amtsvorsteher?“ -- Ausweichend kam die Antwort: „Uff Ihre Dankbarkeit ham wir doch so’n bisken Anspruch, un Se werden Bollen doch nich +schlecht+ machen?“ -- „Schlecht machen? Wie sollte ich dazu kommen? Und wenn ich mal ein Buch über mein Gefängnis schreibe ...“ -- „Au Backe! Möchten Se Bolles ehrlichen Namen in Deitschland +berichticht+ machen?“ -- „+Funkeln+ soll er als einer der blanksten Knöpfe an der Uniformschaft unseres Musterstaates. Wenn Sie aber so bescheiden sind, daß ihr Name verschwiegen bleiben soll, -- na, das Papier ist ja geduldig, ich könnte Ihnen allenfalls eine Flebbe andichten, daß Sie kein Mensch erkennt. Vielleicht mache ich aus dem wohlbeleibten, von Gesundheit strahlenden Manne, der Sie sind, einen graubärtigen Veteranen und nenne ihn Proppen -- oder wie wollen Sie heißen?“ -- Bolle blickte schief: „Haste Worte?“ -- „Na sehn Sie! das würde Ihnen nicht passen! Kein Mensch möchte anders sein, als er ist; im stillen ist jeder in seine Haut, seine Ichzelle, verliebt. Nichts für ungut, Bolle! Sei’n Se kein Philister, haben Se’n bischen Humor!“ In seiner Sonntagsuniform mit dem blanken Helm reckte sich Bolle und suchte zu lächeln: „Ick sammle feirije Kohlen uff det Haupt des preißischen Beamtenspöttas. Denn kurz heraus jesaacht, ick entlasse Ihnen hiermit aus Ihre Haft, Se sind frei! in diesen Momang!“ Er schien auf freudige Bestürzung gerechnet zu haben, doch ich erwiderte mit kühlem Lächeln: „Weiß schon! Vor einer halben Stunde erhielt ich diesen Brief des Provinzial-Schulkollegiums. Drin steht nun freilich nichts von jener Bedingung, an die Sie meine Enthaftung knüpfen möchten -- sondern rundweg habe ich Urlaub, und zwar auf unbestimmte Zeit!“ Bolle horchte auf und sah mich warnend an: „Da haben Se’t ja! Uff unbestimmte Zeit! Det heeßt mit andre Worte: Wenn Se sich beikommen lassen, Amtspersonen un det hiesige Jefängniswesen schlecht zu machen, so sagen Ihre provinzialen Kollejen eenfach: nu hat et jeschnappt, aus is der Urlaub, un nu, Doktachen, spazieren Se man wieda zu Bollen!“ -- „Hm, meinen Sie wirklich? Na, wissen Sie, dann kehre ich fidel zu Ihnen zurück. Ein Feigenblatt soll ich mir vor den Mund kleben? Lieber bleibe ich gleich hier. Was meinen Sie? Soll ich Frau Papen, die mit ihrem Wagen meine Einrichtung holt -- da ist sie schon -- unverrichteter Sache wieder zurückschicken?“ -- „Au Backe! Lieber nich!“ Durchs Gitterfenster beobachteten wir Frau Pape. Wie am Tage meiner Inhaftierung tat sie an der Bretterplanke, die den Gefängnishof nach der Straße absperrte, den inneren Riegel weg und öffnete die breite Pforte -- genau wie vor Wochen -- nur daß sie diesmal mit +leerem+ Wagen kam und die damaligen Verrichtungen gewissenmaßen umgekehrt zu erfüllen hatte. So war’s denn auch zu erklären, daß ihr gedrücktes Wesen von damals in Munterkeit verwandelt war, und daß meine Frau, die jetzt ebenfalls den Hof betrat, mit stürmischer Freude mir zuwinkte. „Sehen Sie, Bolle, es geht alles vorüber -- und nun, Herr Schwarzseher, mischen Sie keine Unkenrufe in diesen Jubel! Meine provinzialen Kollegen -- wie Sie se nennen -- sind ja froh, daß se mich los werden. Und Sie, Bolle, sind es auch.“ Nicht ohne Rührung schüttelte mir Bolle die Hand: „Nu jehn Se man! Mit Jott! Un den Umzuch will ick alleene besorjen. Mit Jott!“ Mir blieb nichts übrig, als Herrn Bolle und seiner Familie, sowie dem Onkel, herzlich zu danken. „So leb denn wohl, du stilles Haus! Wir zieh’n betrübt von dir hinaus ...“ Kartoffelkomödie Als einfältige Unterhaltung für kleine und große Kinder geplant, wurde dies Kartoffeltheater, weil es zufällig am Tage meiner Enthaftung stattfand, eine Art Festvorstellung und Epilog zu meiner Gefangenschaft. Frisch vom Preußischen Adler war ich mit meiner Frau zu Streitmüllers gegangen, um mich im erneuten Stande der Freiheit dem Freundeskreise zu präsentieren, der hier seinen geselligen Mittelpunkt hatte. Im gemütlichen Wohnzimmer fand ich bei Benno und seinem Bruder Paul noch das Brüderpaar Hart und Frau Bartels. Diese saß nähend in einem Wust bunter Lappen und Flitter, während die Männer Bier tranken und Zigarren qualmten. Neben den Gläsern und Aschenbechern gab es auf dem Familientisch die Überreste eines zerrütteten Puppentheaters, einen Leimtopf, etliche Kastanien und einen Werkzeugkasten. Offenbar sollten die Puppen repariert werden; praktisch beflissen war freilich nur Benno -- die anderen Männer debattierten über Zeitfragen. Mit solcher Hitze, daß die Post von meiner Freilassung von den Kampfhähnen überhört wurde. „Hier hilf mal, Bruno!“ meinte Benno; „Freia Bartels gibt Kinderkränzchen, und wir sollen Puppentheater spielen. Alles ist kaput, und bis Nachmittag muß die Flickarbeit fertig sein. Harts, diese sorglosen Zigeuner, sollen das Puppenspiel dichten und haben noch keine Ahnung. Anstatt sich zur Arbeit zu halten, schwatzen sie Feuilletons über die Wiedergeburt des deutschen Puppentheaters. Haben sich sogar in die Uferlosigkeit der sozialen Frage verloren. Laß dich nicht mit den Schwärmern ein, setz dich her zu mir, und deine Frau kann ja mit Anna Theatergarderobe nähen. Das Fatale an unsern Puppen sind die Köpfe -- sie sind lädiert oder fehlen gänzlich. Bist du Bildhauer genug, um aus den Kastanien hier etliche Köpfe zu schnitzen? Ich habe mich schon in die Pote geschnitten!“ -- „Ach was Kastanien!“ meinte ich wegwerfend und nahm auf dem Sofa Platz. „Kastanien sind zu fipsig, haben auch keine Visage. Machen wir lieber Kartoffelkomödie! Eine Kartoffel wird ausgehöhlt, daß man sie auf den Zeigefinger stecken kann -- da haben wir nun einen Kopf auf einem beweglichen Hals. Daumen und Mittelfinger sind die Arme, das übrige wird einfach mit Stoff umwickelt, mit einer Sicherheitsnadel steckt man die Drapierung fest.“ -- Benno erkannte die Brauchbarkeit meiner Idee, Frau Bartels holte Kartoffeln, und wie wir die Knollenfratzen betrachteten, um ihnen bestimmte Rollen zuzuweisen, mußten wir die Frage aufwerfen: „Ja aber nun das Stück? Was wird denn gespielt? Heda, Poeten!“ -- Die Disputare wurden aufmerksam und starrten auf den Tisch. Nun erschien auch Bartels. Als ich seine Frage, wie es komme, daß ich hier sei, beantworten wollte, unterbrach mich Heinrich Hart, der vom Wortgefecht noch etwas benommen war. Zerstreut streckte er mir die Hand entgegen: „Chott o Chott, Mensch! Wie kommst du hierher? Ich denke, du bist im Chefängnis? Wo ist denn dein Bärenführer?“ -- Wie ich jetzt näheren Bericht erstattete, brach allgemeine Lustigkeit los, und Heinrich wetteiferte mit Julius in der Versicherung, hier sei ja nun auf einmal der prächtigste Stoff für das Theaterstück. Abseits verhandelten die poetischen Brüder; jedem schwebten dramatische Szenen vor, unter Geschrei dichteten sie aufeinander los, fuchtelten mit den Armen und spendeten sich gegenseitig Beifall! „Also, wir sind schon fertig!“ Julius machte eine zappelige Verbeugung, wie ein Herold hob er die Hand: „Hohe Herrschaften -- zur Aufführung chelangt: Der Verbrecher oder der Staat in Verlechenheit -- eine Kartoffelkomödie nach einer wahren Bechebenheit. Und hiermit bechinnt die Renaissance unseres alten deutschen Puppenspiels und so weiter. Schon die Kartoffel natürlich ist ein Zeichen für den vaterländischen Cheist, wir Preußen und so weiter ... Doch ich soll die Rollen bestimmen. Also Personen zum Beispiel: Chlodwig der Dreiundvierzigste, Fürst zu Leuchtenfels-Bücklingsburg ältere Linie. Sein Hofprediger, Cheneral, der Cherichtspräsident -- endlich die Hauptperson Kasper, das ist der Verbrecher, zuvor ehrsamer Schuster und so weiter im Residenzstädtchen. Um das weibliche Element nicht chänzlich zu vernachlässigen, wollen wir seine Frau Rike anbringen und ihre Nebenbuhlerin, die fürstliche Köchin. Neben dem Büttel dürfen Tod und Teufel nicht fehlen und so weiter -- das heißt natürlich der Liebe Chott ... Den Lieben Chott bringt schon Choete auf die Bühne, unsre Polizei freilich erlaubt es immer noch nicht, und so weiter.“ -- „Bravo, bravo!“ klatschte Bartels, und Benno lächelte anerkennend: „Sache! Da haben wir endlich was Präzises! Na und jetzt wollen wir die Masken aussuchen. Die dickste Kartoffel hier mit den listig verkniffenen Äugelchen ist Kasper -- seht mal den herauswachsenden Keim, das gibt die Nase.“ -- „Und hier“ -- ich zeigte eine verschrumpfte Kartoffel -- „haben wir den Hofprediger, er bekommt einen schwarzen Talar mit Bäffchen aus Papier.“ Einem Schafsgesicht gab Heinrich Hart die Serenissimus-Rolle; das Fürstenkostüm sollte blaue Seide sein, mit einem Cotillon-Stern. Aus rotem Tuch der Teufelsmantel, aus Linnen die Kutte für den Tod. Als glotzende, weißfunkelnde Augen waren Perlen und Knöpfchen in die Kartoffeln eingedrückt. Für Bärte und Haare gab’s Watte und Werg. Minder nett als diese Vorbereitung war die Aufführung am Nachmittag. Die Wohnstube überfüllt, das Nebenzimmer von den Puppenspielern besetzt. Als die Kinder wispernd durch den Türspalt lugten, wurde streng abgeschlossen, und die Neugier stieg zum Siedegrade. Wie ein Puck fuhr die kleine Freia herum, und Fritzchen Gröbers, dessen blaue Augen unter den langen Wimpern sonst träumerisch blickten, wurde auf einmal borstig vor Ungeduld, so daß seine Mutter Mühe hatte, ihn zu beschwichtigen. Nun klapperten Tassen, Frau Bartels spendete Kaffee aus riesiger Familienkanne, und die blumenhafte Frau Martha knixte mit einer Schüssel Streuselkuchen. Schwatzend und lachend standen wir Männer beisammen, und als die Korona durch den Kreispfiffikus vervollständigt wurde, grüßte ihn Bölsche, zugleich auf mich, den Freigelassenen, deutend: „Da wäre nun der alte Kreis wieder mal voll.“ Prompt erfolgte der Kalauer: „Ein alter Greis, nun ja, das bin ich -- aber schon wieder mal voll? Wovon? möcht ich wissen! Allenfalls würde das Wort auf mich passen: wessen das Herz voll ... Jedenfalls ist mein Herz voll Freude über die Enthaftung unseres liebwerten Verbrechers. Habe schon gehört, wie die Haupt- und Staatsaktion verlaufen ist -- das is nu +wirklich+ ne Kartoffelkommödie! Urlaub auf unbestimmte Zeit! Famos jesagt! Diese unbestimmte Zeit, das is die Zeit ohne Grenzen. Ein Philosoph nennt sie die +falsche+ Unendlichkeit. Aber die Unendlichkeit dieses Urlaubs, +die+ is +echt+! Und wenn ich längst Asche geworden, unser Häftling hat +immer+ noch Urlaub. Wetten daß?“ Die Tür wurde aufgerissen, und Julius Hart lud marktschreierisch zum Theater ein. Lärmend hasteten die Kinder nach den vordersten Stühlen. Die Puppenbühne war simpel: eine Schranke, mit einem Teppich überdeckt, kulissenartig hängende Gardinen. Von einer Radlerlaterne grell beleuchtet, schmauste der Hofprediger eine Gans und sang: „O Chott! wie ist die Welt so schön, Wenn man chesunde Chlieder hat!“ Auf einmal kommt Serenissimus, um sich zu erkundigen, ob es wahr sei, daß die Zahl seiner Untertanen über Nacht von 319 auf 321 emporgeschnellt sei, daß nämlich Kasper, der Schuster drüben, zur Taufe Zwillinge angemeldet habe. „Zur Taufe?“ entgegnet der Hofprediger -- „der Kasper läßt seine Kinder nicht taufen -- der chlaubt an keinen Chott und keinen Teufel.“ -- „Ich bin sehr unchnädig!“ schnauzt Serenissimus, -- „der Hofprediger hat dem Volke die Relichon zu erhalten, dafür wird er bezahlt. Bring er dem Kasper allen nötigen Chlauben bei! Sochleich! In meiner Chechenwart!“ Kasper wird zitiert, während Serenissimus im Versteck lauscht. Der Hofprediger will den Lieben Gott leibhaftig zeigen und kommt vermummt, mit weißem Bart, im himmelblauen Talar. Da Kasper nicht glauben will, daß der Liebe Gott eine Visage wie der Hofprediger habe, droht dieser, er werde jetzt den Teufel holen. Wie der Rotmantel mit den Glotzaugen, der blutigen Zunge und den Hörnern erscheint, haut ihn Kasper mit seiner Pritsche tot. Als Mörder des Hofpredigers, der ja in der Verkleidung steckte, wird er nun zum Tode durch das Beil verurteilt. Im folgenden Akt stellt sich heraus, daß die Regierung eine Sache übernommen hat, der sie nicht gewachsen ist. Man hat keinen Scharfrichter, der ist zu kostspielig. Ein Fallbeil aber auch nicht billig. Von den 25 Soldaten, die dem Landesherrn dienen, will keiner den Scharfrichter machen -- Menschen zu morden, sei nur dann ehrenhaft, wenn es massenhaft und gegenseitig geschehe. Da der Verbrecher also nicht hingerichtet werden kann, so muß man ihn gefangen halten. Aber Wärter und Verpflegung wollen bezahlt sein. Der Rat des pfiffigen Ministers, den Wärter abzuschaffen und das Gefängnis offen zu lassen, damit der Verbrecher Gelegenheit zur Flucht habe, bewährt sich nicht; der Verbrecher spaziert zwar vergnügt herum, kehrt aber abends in seine Zelle heim und verlangt die ihm zukommende Verpflegung. Um wenigstens eine besondere Gefängnisküche zu sparen, stellt man dem Verbrecher anheim, sich seine Kost aus der Schloßküche zu holen. Da er jetzt auch noch mit der fürstlichen Köchin anbändelt, muß man endlich ein Mittel finden, ihn los zu werden. Umsonst reizt ihn Serenissimus zur Auswanderung nach dem freien Amerika -- das fidele Gefängnis paßt ihm besser. Schließlich einigt man sich dahin, Kaspar solle Urlaub auf unbestimmte Zeit kriegen und ein Jahresgehalt. Ein Stündchen vor der Residenz, verlebt er den glücklichen Rest seiner Tage als pensionierter Verbrecher. Vom Kunstgenuß mußten sich die Männer beim Glase Bier erholen. Alles prostete mir zu, und Bölsche knüpfte an das Lied an, mit dem die Komödie geschlossen hatte: „Kann’s was Schönres geben, als Gefängnisleben?“ Stimmt schon! Auch an Bruno erfüllt sich dies Wort. Denn schlich ein Besucher scheu um das Verließ zum Preußischen Adler, um Kunde zu erhaschen vom armen Dulder, so kam Frau Bolle in weißer Schürze und meinte schnippisch: „Der Herr Gefangene ist nicht zu sprechen -- er sucht im Walde Pilze -- der Herr Gefangene geruht mit Onkel Pofke auf dem See zu gondeln -- mit berühmten Ausländern kneipt er im Waldhaus -- wird von seiner Frau gebadet -- Gefängnisschlüssel ist verlegt. Das war +auch+ ne Kartoffelkomödie!“ -- „Ach ja!“ seufzte ich -- „wir necken -- und es stimmt ja auch, was +mich+ betrifft. Aber die +wirklich+ armen Gefangenen! Vielleicht, daß König Lear glücklich nach Bielefeld gelangt ist. Aber die +anderen+, die Tausende und Abertausende hinter Schloß und Riegel, mag man sie arbeitsscheu nennen oder Verbrecher. Verbrecher? ja was heißt denn das? was ist denn das für’n Tier? Ein Verbrecher ist entweder wie wir alle, bloß daß er Pech hat -- oder er ist ein Abenteurer: für das Außergewöhnliche veranlagt -- oder endlich er gehört zu den Verkümmerten. Was diese betrifft, so ist es unsinnig, sie im Gefängnis vollends verkümmern und versauern zu lassen. Wird etwa ein Gewächs, das auf schattigem, magerem Boden dahinsiecht, im finstern Keller was Besseres? Doch freilich, wer die Sünde für Teufelsbrut hält --! Sie ist eine irre Kraft und kann, richtig gelenkt, Tüchtiges schaffen. Immer aus dem Lebendigen heraus soll man den Menschen bilden, Gefühle nicht unterdrücken, sondern erlösen, alle Kräfte zur Fruchtbarkeit lenken, nicht ängstlich hemmen -- gestaute Fluten brechen den Damm. Wann endlich wird die Menschheit einen Aberglauben verabschieden, der ein Seitenstück ist zum Glauben an Sankt Satans Bratspieß? Ich meine den Glauben ans Gefängnis!“ -- „Kurz, der pensionierte Verbrecher ist nicht bloß lustig, sondern auch lehrreich“, scherzte der Kreispfiffikus; „liquidieren Se man, nach Kaspers Muster, Verpflegungskosten für die Zeit Ihres Urlaubs!“ Die Kinder mußten jetzt nach Haus. Frau Gröbers, deren Mann verreist war, meinte, sie finde sich mit ihrem Fritzchen allein nach Haus, nahm aber meine Begleitung an. Bölsche, der frische Luft schnappen wollte, ging auch mit. Den Knaben, dessen Flachshaar unter der Pelzkappe hervorwallte, hielt ich an seinem kleinen Fausthandschuh; so gingen wir durch die Winternacht und plauderten über die Kartoffelkomödie. „Nächstens zeig ich dir, wie man Kartoffeltheater macht!“ -- „Au ja! Mutti hat viele Tartoffeln.“ -- „Glaubs schon! Aber nu sieh mal, Fritzchen, oben die Sterne!“ Einen versonnenen Blick warf er nach oben: „Die Sterne sind wie Tartoffeln -- machen sie denn auch Tartoffeltheater? Was spielen sie denn?“ -- „Schwer zu sagen -- da kann man nur raten!“ -- „Rate doch mal, Ontel!“ Hier ließ das Kind merken, daß es von seinem philosophischen Vater was wegbekommen hatte. Das Geplauder war zu Ende, da wir in der Seestraße Halt machten. „Nun bedanke Dich bei den Onkels!“ sagte Fritzchens Mutter. Als wir uns verabschiedet hatten, schlug ich Bölsche vor, noch die paar Schritte bis zum waldigen Müggelufer zu tun; dann standen wir auf abfallender Sanddüne am zugefrorenen See. Da lag der märkische Nöck in der Haft des Eises. Im blanken Kristall spiegelten sich die wimmelnden Sterne. Hin und wieder ging ein Stöhnen ruckartig über die weite Fläche, ähnlich dem dumpfen Brüllen eines Stiers -- es wallte die gebändigte Flut, die Kruste bog sich und brach in langen Rissen. Wir schwiegen, erschauernd vor dem geheimnisvollen Leben im Busen der Erde und droben im Sternenmeer. Und ich raunte: „Was die Sterne spielen, wollte Fritzchen wissen -- ob sie ein Kartoffeltheater sind.“ -- „Kindermund, Kindermund!“ scherzte Bölsche -- „mit den Sternen spielt der Liebe Gott Kartoffeltheater -- dann wirft er sie in die Rumpelkiste, und die Komödie ist ex!“ -- Mir ging das Herz auf: „Wir sprachen neulich vom Traum des Gefangenen. Sich ins Geheimnis zu betten, ihm zu trauen, das ist sein heiligster Traum. Und dessen großartigstes Bild der Sternenhimmel. Manchmal durchschauert mich die Bedeutung der Sterne -- ich fühle mich versinken in seligen Tod, abgestorben aller Enge, aller Unrast, geborgen im Schoße des Friedens. Die Sterne sind ein wundervolles Orgelspiel. Keine Kartoffelkomödie. Sie sind Zeugen einer unbegrenzten Möglichkeit. Wie Kolumbus möcht ich fahren zur Neuen Welt. Die alte paßt mir nicht mehr recht. Ist mir zu eng, ein richtiges Gefängnis -- eine Schildbürgerei und Kartoffelkomödie, aus der ich mal beurlaubt werden möchte -- auf unbegrenzte Zeit.“ -- „Ach ja!“ seufzte Bölsche -- „wer in unserer Lebensenge nicht verkommen ist, spürt dies Heimweh nach dem Sternenfrieden. Doch spürt man auch immer wieder, daß man ein Kind der Erde bleibt, gefesselt mit Ketten -- oder mit Rosenketten. Wir Schwärmer alle sind Häftlinge auf Urlaub, sind wie der Kartoffelkasper pensionierte Verbrecher. Auf denn, mit guter Laune! Kann’s was Schönres geben als Gefängnisleben? Wenigstens Schilda hat seine fidelen Molligkeiten ... Hier draußen im Weltall wird’s unwirtlich. Unsere Kerkergenossen haben was von Glühwein gemunkelt -- dicht gedränget Mann und Weib, wärmen sie mit Punsch den Leib.“ -- „Ach ja!“ seufzte ich -- „der Frost beginnt mir die Ohren wegzuschneiden.“ -- „Ha, mit einmal sehnst du dich nach deiner warmen Kerkerklause ... O Fauste, wo blieb deine Sternenmystik? Kehre zurück zu Bollen, es ist alles vergeben! Die Wunden der Knechtschaft schmerzen nicht wie diese Hundekälte. Waren nur leichte Dornenrisse -- von den Rosenketten des Preußischen Adlers. Schon vernarben sie -- schon liegen die paar Gefängnismonde verklärt in deiner Seele ... Es schwellen die Herzen, es blinket der Stern -- gehabte Schmerzen, die hat man gern.“ Eugen Diederichs Verlag in Jena Bruno Wille, Die Abendburg/Chronika eines Goldsuchers. 17. Taus. br. M 5.--, in Leinwand geb. M 6.50 Dies Werk krönten die Preisrichter (Paul Heyse, Rud. v. Gottschall, Gust. Falke, Rud. Greinz, Hans Land) mit dem Dreißigtausend-Mark-Preis, den Phil. Reclams Verlag für den besten deutschen Roman ausgeschrieben hatte. +Wilhelm Bölsche+: Wer mit einem Herzen voll Sehnsucht, Liebe und Müdigkeit aus den Sturm der Welt in der Ebene unten heraufkommt auf die Vorhöhe des Riesengebirges und nun Tag um Tag diese ruhende Weite mit ihren unnahbaren Rauchsäulen erlebt, den muß dieser Anblick zuletzt mit einer schmerzlichen Süßigkeit erfüllen wie ein Symbol der ewigen Ferne selbst, des lieblich Unerreichten, von dem uns ewig tiefe, dunkle, wasserdurchrauschte Klüfte trennen in dieser Welt der Resignationen -- und von dem doch ein milder Frieden uns anweht -- der Frieden des Nichtbesitzes, aber der reinen, beseligenden, wunschlosen Schau. Diese +Stimmung der läuternden Ferne+ ist es, mit der die Dichtung von der Abendburg ausklingt. Um ihre Wirkung, auf der zuletzt die höchste dichterische Bedeutung des Werkes beruht, in ganzer Kraft herauszubringen, bedurfte sie eines dunkelsten Kontrastes. Eine Nacht mit roten Flammen mußte da unten durch den Talgrund geschritten sein, um verständlich zu machen, daß zwei leidenschaftlich brennende Seelen zuletzt nichts mehr suchten als den Frieden solcher im Duft vergehenden Sonnenferne. Vor des Dichters Auge zogen die Motive des Dreißigjährigen Krieges vorüber. Jagd nach vergänglichem Glück, nach Gold, verirrter Glaube, der im vermeintlichen Kampf um das Höchste unschuldige Menschen unter dem Zusammenbruch brennender Kirchen begrub. Oben in den Einsamkeiten des Riesengebirges war aber ein uraltes Goldland so gut wie ein Zauber- und Geheimglaubensland. Hier fanden sich noch die rätselhaften Walenzeichen, auf Geheimsprachen fremder, italienischer Goldsucher gedeutet. Eine Felsengruppe bezeichnet der Volksmund als die „Abendburg“. Natürlich ist sie ihm ein verzaubertes Schloß. Unermeßliche Schätze eines Sagenkönigs ruhen in ihrem Grunde. Ein Schatz, in die Hand eines Goldsuchers gegeben, eine Trutzburg, aufgebaut hier oben im freien Gebirge, -- das waren Motive, die dem Dichter aufsteigen mußten, wenn er einsam im hohen Heidelbeerkraut unter diesen Zyklopenmauern saß. Das Gold war es nicht, was erlöste, auch wenn es wie ein Wunder aus der Erde quoll. Der Glaube war es nicht, einerlei ob Kirchenglaube oder uralter, neu erweckter Naturglaube, wenn er zu Fanatismus wurde und die Liebe immer wieder kreuzigte. Und dann der höchste Einschlag: wie zwei Menschenseelen, die sich aus all diesen Grauen und Enttäuschungen endlich, endlich herausgerungen, sich selber befreit haben von allem Rauch und aller verheerenden Glut des finsteren Tales -- wie diese Menschen doch die Schuld der Welt selber noch darin ganz zuletzt wie eine Erbsünde abbüßen müssen, daß auch ihnen beiden nicht das Glück wenigstens der letzten irdischen Vereinigung nach unendlicher Pilgerfahrt wird. Eugen Diederichs Verlag in Jena Bruno Wille, Offenbarungen des Wacholderbaums Roman eines Allsehers. Fünftes Tausend. Zwei Bände. br. M 8.--, geb. M 10.--. Kunst, Philosophie, Naturwissenschaft und Religion schließt dies Buch zu einer harmonischen Weltanschauung in Romanform zusammen. +Friedrich Paulsen+: Es ist ein eigenartiges, man wird sagen dürfen einzigartiges Buch, Roman, Lebenserinnerungen, philosophische Dialoge, spekulative Reflexionen, Traumbilder, endlich Gedichte, Gedichte von wunderbarer Stimmungskraft und Gewalt der Sprache, alles dies ist hier zu einem erstaunlichen Ganzen verwoben. Th. +Storm+ hat nicht mit größerer Sicherheit und Kraft den Leser die Enthüllung eines furchtbaren Geheimnisses vom ersten Aufdämmern bis zur vollendeten Gewißheit miterleben lassen, als es hier geschieht. Und ein anderes erinnert mich an den Dichter meiner Heimat: die vollendete Meisterschaft, womit Natur, Boden und Menschenschicksal zur Einheit verflochten sind. Der Boden, auf dem diese Geschichte spielt, ist die Mark; die schwermütige Seele der märkischen Landschaft, die Einsamkeit und Stille von See und Wald, von Heide und Moor, von Sumpf und Fließ, sie ist nie so rein in poetisch-musikalische Stimmung umgesetzt als in diesen Schilderungen und Gedichten. Bruno Wille, Der heilige Hain. Gedichte br. M 3.--, geb. M 4.50 +Julius Hart+: „Der heilige Hain“ heißt der Band der Gedichte, in dem Bruno Wille die ganze Ernte seines lyrischen Schaffens darbietet. In voller herbstlicher Reife, mit Früchten behangen, steht der Baum einer Dichtung vor uns. Alles, was der Künstler und Mensch besitzt und uns geben kann, gibt er uns auch in diesem Buche: die Quintessenz seiner Persönlichkeit, seinen Lebensgrund und sein Lebensgrundwerk. Und mit höchstem Rechte redet er vom heiligen Hain. Kein anderes Titelwort gebührt dem Buche so sehr wie dieses. Die Willesche Dichtung, ein Hirten- und ein Schalmeiengesang, eine aus dem tiefsten Naturgefühl und Naturbewußtsein hervorgeholte echt-arkadische Weise, schwärmerischer und naiv-sentimentaler Ausdruck des polytheistischen Pantheismus, der den Anfang und den Urgrund aller unserer Religionen ist, mit dem der Mensch religionschöpfend auftrat -- diese Willesche Kunst ist ein einziges großes Gedicht auf jene älteste Welt, in der alle Dinge beseelt sind. Sie ist durch und durch Naturmythik, der mythologische Ausdruck, wie er eine Rigveda-, eine skaldische Poesie beherrscht. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS GEFÄNGNIS ZUM PREUSSISCHEN ADLER *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that: • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.” • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. • You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.