Title : Seltsame Käuze
Geschichten aus dem Tierleben
Author : Arno Marx
Release date : September 24, 2023 [eBook #71714]
Language : German
Original publication : Stuttgart: Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde (Franck'sche Verlagshandlung)
Credits : The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
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Seltsame Käuze
Arno Marx
Geschichten aus dem Tierleben
Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde
Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart
Seite
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Schnüffel, der Igel
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Raben
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Unser Eisvogel
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Waldkauz
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Ohreulen
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Rothals und Grauwange
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Vom Hecht
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Die Papierburg
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Hermännchen
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Raubritter
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Fasan
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Neuntöter
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Zwergreiher
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Käuze im Dorfe
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Vom Pionier im Samtrock
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Königin Apis
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Hüttenjagd
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Vom Aal
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Haselmaus
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Frau Duftig und ihre Kinder
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[S. 1]
Am Ende des Dorfes, an seiner schönsten Stelle, liegt die Wassermühle. Der Bach, der lustig über Stock und Stein sprang, dann durch die Felder eilte und im Dorfteiche seine Glieder ein Weilchen ausruhte, muß durch ein enges Bett, über Bretter hinweg und unter einem Schützen hindurch sich zwängen. Zischend und sprudelnd springt er hinunter auf ein großes Wasserrad, das sich ächzend dreht unter seinem Aufprall. Langsam und gleichmäßig dreht das große Rad an der Welle, die knirschende Mahlsteine und klappernde Schüttbretter bewegt. Das Sprudeln und Zischen, das Brummen und Stampfen, das Klappern und Klingeln, wenn ein Gang leer läuft, kurz all der dumpfe, eigenartige Mühlenlärm nimmt Tag und Nacht kein Ende. Doch die Leute in der Mühle vernehmen nichts davon, und auch der Spitz, der an der Kette wie rasend tobt, wenn ein fremder Schritt sich nähert, die Hühner auf dem Hofe und die Tauben, die sich gurrend auf dem Dache herumtreiben, sie alle sind gerade so an das Geräusch gewöhnt, wie die Mäuse und Ratten, die in dem alten Mühlgemäuer hausen und ihren Teil von Getreide, Schrot und Kleie nehmen, ohne um Erlaubnis zu fragen.
Nur einer hat fortwährend über den Lärm und [S. 2] die Unruhe zu klagen, gerade wie er sich beschwert, wenn die Jahreszeiten sich ändern, oder heute, wenn es regnet, und morgen, wenn die Sonne scheint. Will man den Nörgler, den Griesgram besuchen, so muß man sich einige Schritte bachabwärts bemühen. Dort steht ein alter, hohler Kopfweidenbaum, der immer und immer hofft, einmal noch zum Blühen zu kommen, wenn auch zwanzigmal und öfter schon der habgierige Mensch ihm seine schlanken Zweige raubte. Unten dicht über dem Boden führt eine Öffnung in den hohlen Baum, durch die ein dicker Kater bequem durchschlüpfen könnte. Hier hat der Unzufriedene seine Wohnung. Aus dürrem Laub und trockenen Grashalmen ist ein sauberes, warmes Nest gebaut worden.
Wollen doch einmal sehen, ob der Bewohner zu sprechen ist. Tastend fährt ein Stöckchen in den Laubhaufen, jetzt stößt es auf einen tierischen Körper, und zorniges Fauchen tönt uns entgegen. „Bangemachen gilt bei uns nicht, Freundchen!“ Weiter tastet der Stock und deutlich spüren wir ein kratziges, stachliges Etwas im Innern des Nestes. Der Insasse ist entschieden sehr ungehalten über unsern Eingriff, das Fauchen klingt ganz zornig, und jetzt wird gar der Stock weggestoßen. Wir brauchen nicht weiter zu forschen. Daß ein Igel im Baumstumpf steckt, haben wir ja längst erraten. Schnorrer, der dicke Kater, und Spitz, der unbestechliche Wächter, sie kennen ihn längst, den alten Igel Schnüffel, sie kennen alle seine Eigenheiten und wissen auch, wie es kam, daß der früher so gutmütige und zufriedene Igeljüngling zu einem alten, grilligen Einsiedler wurde.
[S. 3]
Vor vier oder fünf Wintern mag es gewesen sein, da erblickte Schnüffel unter einem dichten Reisighaufen das Licht der Welt. Gar komisch muß er damals ausgesehen haben, wenigstens seine Mutter sprach immer davon, daß er der netteste und hübscheste kleine Igel gewesen wäre, den sie jemals gesehen hätte. Seine kleine rosige Schnauze und die weißen Stacheln, die kleinen schwarzen Augen hätten ihn zu einem entzückenden kleinen Bengel gestempelt. Na ja, seine Mutter, die Frau Swinegel — den Namen hatte sie von einem weißen Kater aus Norddeutschland, der Plattdeutsch sprach, erhalten — war ja eine kreuzbrave Frau, aber in bezug auf Kinder ein bißchen eitel. Sicher waren seine Geschwister auch ganz prächtige Kerlchen gewesen, aber weil sie in der Regennacht naß wurden und starben, hatte Schnüffels Mutter gar keinen Grund, sie lieb zu haben; ihre ganze Liebe übertrug sie auf den einzigen Überlebenden, eben Schnüffel. Wie eine halbe Wallnußschale groß war er erst gewesen, aber erstaunlich rasch wuchs er heran. Sein Haarkleid fing an zu sprießen, seine Stacheln färbten sich, und auch seine rosenrote Nase wurde dunkler. Nach vielen vergeblichen Versuchen lernte er es auch, sein Stachelkleid ruckweise über die Nase herunter zu ziehen, ja, bald konnte er sich zu einer richtigen Kugel zusammenrollen wie ein erwachsener Igel. Nun durfte er auch allein ausgehen und selbst bestimmen, was er essen wollte.
Ach hätte ihn doch seine Mutter etwas straffer in Ordnung gehalten, dann wäre er vielleicht nie zu seiner trüben Weltanschauung gekommen.
[S. 4]
Es war ein wunderschöner Herbsttag. Die Sonne lachte und trocknete die Spuren, die der Regen von gestern überall zurückgelassen hatte. Das schöne Wetter lockte Schnüffel, und ohne sich viel um das helle Licht zu kümmern, trollte er hinüber nach Müllers Garten, um zu sehen, ob nicht eine reife Butterbirne gefallen wäre. Wirklich lag eine am Spalier und Schnüffel begann, sie behaglich schmatzend zu verzehren. Da raschelt es plötzlich. Mit einem Ruck zog er seine Stachelhaut über den Kopf und gerade zur rechten Zeit. Schnüffel fühlte, wie etwas heftig an seine Stacheln stieß und dann knurrend zurückfuhr. „Aha, ein Hund“, dachte er, „na, dann hole dir nur eine blutige Nase, ich habe Zeit, bis du es satt hast“. „Wau, wau, waau, wäwäwäwä“, jaulte der Hund und fuhr rasend vor Wut immer und immer wieder auf den Stachelklumpen los. Wohl eine halbe Stunde währte der Lärm, und Schnüffels empfindliche Ohren waren fast taub davon geworden, und ein dumpfes Brummen in seinem Schädel setzte ein. Endlich hatte der Hund sein Kläffen selber satt. „Das wurde Zeit, sonst wäre ich wohl noch krank geworden von dem Lärm“, dachte Schnüffel, rollte sich auf und wollte sich eiligst aus dem Staube machen. Da ging es „Schnapp“, und wie ein feuriger Funken fuhr es dem Igel über die Nase. Der Hund hatte stumm dagelegen und dann dem Igel nach der Nase geschnappt. Bis zur Dunkelheit lag nun Schnüffel fest zusammengerollt da. Ein Glück, daß der Hund einen Augenblick zu zeitig zugefahren war, sonst hätte wohl die Wunde dem Stachelhelden den Tod gebracht, so [S. 5] kam er mit einer runzligen Narbe und dem Schrecken davon.
Die Wunde auf der Stirn verlieh Schnüffels Gesicht etwas Mürrisches, und auch sein Charakter verlor allmählich die Gemütlichkeit, wie sie sonst bei der Sippe Igel die Regel ist. Schnüffel wurde zum Nörgler. Wenn ihm, was selten genug vorkam, ein dicker Mistkäfer vor der Nase wegflog, faßte er das als persönliche Tücke des Schicksals auf. Geradezu unverschämt fand er die Geschwindigkeit der Mäuse, und rächte sich, wenn er eine überrumpeln konnte. Ging er in den Garten, um wie allabendlich seine Fallbirnen zu holen und fand die Früchte schon gepflückt, dann konnte er lange Selbstgespräche halten und über die Schlechtigkeit der Menschen schimpfen, die ihm seine Birnen gestohlen hatten. Den Menschen und ihrer Mißgunst schreibt er es zu, wenn es anfängt, Winter zu werden, ihnen schreibt er auch die Erfindung der Hunde zu. Überhaupt Hunde! Wenn ihn da einer anbellt, der kann ja auf eine zerstochene Schnauze gefaßt sein. Es fällt Schnüffel gar nicht ein, sich völlig zusammenzurollen. Straff zieht er die Stirnhaut zu einem stachligen Helm zusammen und erwartet unter trommelndem Brummen seinen Erbfeind. Sobald der Hund ihm zu nahe kommt, stößt er mit einem raschen Rucke zu und spießt seine Stacheln in die empfindliche Schnauze des Gegners. Je wütender der Hund wird, desto besonnener verteidigt sich Schnüffel, bis er schließlich doch das Feld behauptet und der übel zugerichtete Feind beschämt abzieht.
Schnüffel ist stolz auf seine Kühnheit, Hunden [S. 6] gegenüber; aber auch sonst gibt es Gelegenheit genug, zu zeigen, daß unter seinem stachligen Fell ein tapferes Herz wohnt. Gar manche Ratte, vor der auch Schnorrers tapferes Katerherz ängstlich zu werden begann, ist unter seinem Biß verblutet. Zufassen und nicht loslassen ist die Hauptsache bei der Rattenjagd, und dann schnell wie der Blitz das Stachelvisier herunter, dann kann die erfaßte Ratte rasen und beißen wie sie will. Wenn sie sich dann jämmerlich zerstochen und mattgetobt hat, dann kann ein zweiter und nach einer Weile ein dritter und vierter Biß das Opfer töten, und der Schmaus kann beginnen. Dann ist Schnüffel froh und zufrieden, bis das Mahl beendet ist.
Die ritterlichsten Kämpfe gibt es aber doch im Frühjahr, wenn die Liebe an das Igelherz rührt. Dann zieht Schnüffel hinaus in den Wald, um sich eine oder auch einige Schöne zu suchen; denn betreffs ehelicher Treue nimmt er es nicht sonderlich genau. Zwar versuchen die rechtmäßigen Liebhaber den unliebsamen Eindringling mit der Stirnnarbe zu vertreiben und ihre angestammten Rechte zu behaupten, aber ohne Erfolg. Keiner kann so wuchtige Schläge mit dem Stachelhelm austeilen wie Schnüffel, keiner kann wie er jede Blöße des Gegners zu einem raschen Bisse benutzen. Hat er dann der Minne Sold genossen, dann hat er nichts dagegen, wenn der frühere Galan wieder an seine Stelle tritt, dann eilt er weiter, um neue Abenteuer zu bestehen.
Doch nicht nur Liebeskämpfe, auch andere Sträuße besteht Schnüffel auf seinen Frühjahrsfahrten. Just um die gleiche Zeit, Anfang April, erwachen auch die [S. 7] Kreuzottern aus ihrer winterlichen Erstarrung und kriechen heraus, um Sonnenbäder zu nehmen. Wenn eine aber Schnüffel in die Quere kommt, kann sie ihr Testament machen. Zwar giftfest ist er nicht, aber er verläßt sich auf sein Kleid, klappt den Helm vor und beißt das giftige Reptil einfach tot, um es dann zu verzehren.
Im Frühjahr hält Schnüffel überhaupt auf kräftige Kost. Wenn man vom November bis zum März rein gar nichts genießt, dann bleibt auch beim sparsamsten Atmen von den Fettpolstern des Herbstes nichts übrig. Dann schlittert die Haut um den Körper, aus dem fetten Schweinigel des Herbstes ist ein dürrer Hundeigel geworden. Und dabei ist der Tisch im Frühjahr durchaus nicht etwa allzu reich gedeckt. Dicke Schnecken gibt es noch nicht viel, Regenwürmer sind auch nicht häufig zu finden. Gar viele Mäuse sind in der Nässe des Frühjahrs umgekommen, Eidechsen und Blindschleichen, Ringelnattern und Kreuzottern muß man am Tage suchen. Doch Schnüffel leidet trotzdem nicht Not. Jetzt macht er seinem Namen Ehre und durchschnuppert jeden Winkel nach etwas Genießbarem. Oft sind es nur Käfer und ihre Larven, die er findet, aber in großer Zahl machen sie auch satt. Bald fangen auch Rebhühner und Fasanen an, ihre Eier zu legen, da gibt es oft fette Tage. So ein paar frische Eier schmecken auch dem Igel gut. Wenn auch beim Ausschlürfen etwas vom Inhalt verloren geht, na, das schadet nicht viel, dann versucht man eben seine Zähne an einem andern. Am reichsten aber ist der Tisch in maikäferreichen Jahren gedeckt, wenn [S. 8] am Morgen die von der Kühle der Nacht erstarrten Käfer im Grase sitzen. Dann haben die spitzen Zähnchen Schnüffels fortwährend zu tun, und behaglich schmatzend verzehrt der Stachelheld einen nach dem andern. Wenn dann das feuchte Näschen noch eine Maus entdeckt hat, die durch rasches, bolzenartiges Zufahren erwischt wird oder die aus ihrem flachen Loche ausgescharrt werden kann, dann ist der Igel so ziemlich mit seinem Schicksal zufrieden.
Bald kommen die warmen Sommernächte, in denen die Kleintierwelt so zahlreich umherkriecht, das sind Feste für den Igel. Bald muß eine fette Schnecke, bald ein Regenwurm, dann ein Käfer hinunter in den Magen, bald wieder wird eine unerfahrene Maus erwischt oder eine junge Goldammer verspeist, die zu zeitig dem Neste entflogen war. Bei der reichlichen Kost wird Schnüffel fett, unter seiner Stachelhaut liegen dicke Fettpolster, und das dicke Bäuchlein scheint am Boden zu schleifen. Wenn dann der Herbst heranrückt und die Obstsorten reifen läßt, wendet sich Schnüffel mehr der Pflanzenkost zu. Bald verspeist er eine saftige Birne, bald eine blaue Pflaume, und dabei wird er immer fetter.
Wer aber glauben sollte, der alte Igel würde um so gemütlicher und zufriedener, je dicker er wird, der irrt gewaltig. Der Herbst ist die Zeit, wo Schnüffel am meisten schimpft. Er klagt, daß die Nächte so kalt würden und der leckerste Bissen dann keinen Reiz mehr für ihn hätte. Natürlich sind es die Menschen, denen Schnüffel die Abnahme der Wärme zuschreibt. Aber er will es sie schon fühlen lassen, nicht eine Schnecke, [S. 9] nicht eine Maus will er ihnen wegfangen, das mag tun, wer will, er streikt. Und dann geht er und sammelt abgefallenes Laub. Ganze Büschel voll schleppt er in den hohlen Weidenstumpf, auch dürres Gras trägt er dazu und formt ein warmes Nest, in dem er die ungünstige Jahreszeit verbringt. Wenn einmal Frost und Schnee die Erde in Bann hält, findet man selten einen Igel außer Versteck, erst die Märzsonne lockt sie wieder heraus.
In einem harten Winter hatten sie sich kennen gelernt. Ohne Vorstellung hatten sie gleich gefühlt, daß sie zusammengehörten, wenn er auch einen schwarzen Rock trug und sie eine nebelgraue Robe mit schwarzem Schulterkragen. Schon ihre Mundart hatte so viel Verwandtes, wenn er auch Rabenkrähensächsisch sprach, wie es in der Elbaue üblich ist, und sie den Nebelkrähendialekt der Lausitz. Die vielen Saatkrähen, in deren Gemeinschaft sie sich durch den Winter schlugen, hatten eine ganz andere Sprache. Zwar ihr Schnabel war länger, spitzer und feiner, aber ihre Stimme war rauh und grob, wenn sie nicht in Fisteltöne überschlug. Manchmal gesellten sich auch Dohlen zu ihrer Schar. Bei den Wanderungen waren die dann an der Spitze und ihr Djah, Djah gab den Weg an.
In einer so gemischten Gesellschaft gab es natürlich oft Zank und Streit. Da hatte eine alte Saatkrähe mit grindigem Schnabel eine Maus gehascht, [S. 10] doch die anderen Mitglieder der Gesellschaft suchten sie ihr abzujagen unter vielem Geschrei und Gekrächz. Bei den dampfenden Dunghaufen auf den Feldern ging es friedlicher her. Da war für alle genug zu fressen, ob es nun halbverdaute Haferkörner waren oder ein Heringskopf oder Wurstschalen. Nur besonders große Bissen erregten dann den Neid und die Streitlust der andern. Auch die beiden echten Raben, die Nebelkrähenjungfrau und der Rabenkrähenjüngling, mußten zunächst manchen Bissen an neidische Gefährten abtreten. Bald aber merkten sie, daß eigentlich doch ihre Schnäbel die kräftigeren waren, und nun machten sie selbst oft erfolgreiche Jagd auf fremde Bissen. Ein besonderes Freudenfest war es für die Raben, wenn ein Stück Fallwild gefunden wurde oder wenn Reineke Langschwanz, der Fuchs, einen Hasen gefangen hatte und ihn nun der Dickung zuschleppen wollte. Hei, das machte Spaß, ihm in jähem Schwunge einen Hieb zu versetzen, bis er verschüchtert seinen Raub im Stiche ließ und vor den lärmenden Galgenvögeln die Flucht ergriff. Dann füllten sich die Raben Kropf und Magen, bis nichts mehr hineinging.
Die Saatkrähen zupften und schlangen wohl auch, aber ihre Kost war das nicht; denen waren die Körner an der Fasanenfütterung viel lieber, wenn auch dort manche nach einem wundersam rauchenden Donner in den Schnee stürzte. Dann kam gewöhnlich ein Mann aus dem Fichtendickicht mit einem langen Ding in der Hand, nahm die Geschossene und ging seiner Wege. Dann war laut krächzendes [S. 11] Wehklagen in der Luft, aber lebendig wurde der Gefährte nicht wieder. Danach war die Fütterung einige Tage unheimlich und wurde gemieden.
Aber ein anderer reicher Ersatz bot sich dar. Am Waldrande lag ein Rehkitz, das der Fuchs schon angegangen hatte. Die Bauchhöhle war geöffnet und den Krähen der Weg zum Mahle leicht gemacht. Unter den spitzen Schnäbeln schmolz das Wildbret ganz gehörig zusammen, und nur wenig blieb übrig für den kommenden Tag. Am anderen Morgen war der Rest noch da, und eilig machten sich die Saatkrähen ans Mahl, während die vorsichtigen Raben erst von der hohen Fichte aus Umschau hielten nach dem gefürchteten Grünrock mit der Donnerbüchse.
Auf einmal ertönten laute Schreckensrufe von den am Aase beschäftigten Verwandten. Eine der jungen Saatkrähen ist soeben beim gierigen Mahle tot umgesunken. Strichnin hat der Förster auf das bloßgelegte Fleisch gestreut, jetzt beginnt es zu wirken. Schon liegen zwei weitere zuckende Opfer auf dem Schnee, entsetzt versuchen alle anderen zu entfliehen, aber manche stürzt noch in den Schnee. Furchtbar ist die Wirkung des giftigen Fleisches im leeren Magen, ein Dutzend der betrogenen Krähen fallen nach wenigen Flügelschlägen zu Boden, einige vermögen sich noch bis zu den nächsten Bäumen zu flüchten, die überlebenden aber suchen krächzend das Weite.
Gar harte Tage folgten. Endlich schien die Sonne wärmer, aber die ersten Tage der Schneeschmelze brachten neue Entbehrungen für den Krähenschwarm. Der Schnee wurde zähe und naß, in der Nacht fror [S. 12] er zusammen, und es machte große Mühe, die harte Kruste zu durchbrechen. In diesen Tagen war die Landstraße mit dem Pferdedung stark besucht, sogar in die Nähe der Häuser wagten sich die hungrigen Schwarzen und schlangen die Schweinsborsten und die Hautfetzen gierig hinunter, die vom letzten Schlachtfest an der Miststelle lagen. Doch die Not wich einem wahren Festmahle, als Tauwetter kam und allerorts Hochwasser auf den Wiesen stand. An der Wassergrenze waren Schnecken und Käfer in Hülle und Fülle angetrieben, und mit wohlgefüllten Kröpfen flogen die Krähen an diesem Abend nach ihren Schlafplätzen. Am anderen Tage wurde es noch besser. Das Wasser war zurückgetreten, und in den zahlreichen Pfützen auf der Wiese waren Hunderte von kleinen Weißfischen zurückgeblieben, die den Küchenzettel wesentlich bereicherten.
Die schlimmste Zeit war nun überstanden. Nach einigen Wochen kehrten die Stare aus den Winterquartieren zurück und mischten sich unter die Krähenscharen. Das war das Zeichen, allmählich in die Brutplätze einzurücken und zu sehen, was der Winter für Schaden an den Nestern angerichtet hatte. Die Nebelkrähe und der Rabenjüngling trugen sich mit Abschiedsgedanken. Sie zog es mit Gewalt ostwärts, wie sie sagte, er aber wollte in seiner Heimat bleiben, um hier ein Weib zu freien. Am liebsten wäre ihm ja seine Gefährtin als Gattin gewesen; trug sie auch ein anderes Kleid, sie war doch eine Artgenossin, und in den gemeinsam überstandenen Gefahren hatte er hinreichend Gelegenheit gehabt, ihren Charakter zu [S. 13] beobachten und sich in sie zu verlieben. In gewandtem Flugspiel, durch Augenverdrehen und Bauchrednereien machte er ihr also ganz nach Rabenart seine Wünsche klar, — und er fand Gehör. Ihre Absicht zu ziehen, war nicht so ernst gewesen. Sie neckte sich mit ihm im Fluge, sie ging mit ihm zur Nahrungssuche aus, ja sie duldete es sogar, daß er sich auf dem Schlafbaum an sie schmiegte oder ihr zärtlich die Kopffedern kraute.
Unter Necken und Spielen trieb sich das Pärchen umher, strich einmal nach dem Wald, dann wieder suchte es die Feldgehölze ab, bis es schließlich eine hohle Erle am Bachufer für geeignet zur Anlage des Horstes hielt. Hierhin schleppten die Krähen zunächst starke, dann schwächere Zweige und bauten eine feste Unterlage, dann kamen Gräser und Würzelchen an die Reihe, und innen wurde das Kunstwerk mit Wildhaaren weich und warm ausgepolstert. Die Raben waren nicht wenig stolz auf ihren Bau, frohlockend umkreisten sie ihn oder riefen von der Spitze des Nestbaums ihre Freude in die Welt hinaus.
Das war recht unklug gehandelt, das sollten sie bald merken. Am Abend saß die Nebelkrähe im Nest, um sich immer ein wenig an das unbequeme Sitzen zu gewöhnen; bald würden ja die Eier kommen und bebrütet werden müssen. Da hört sie unter sich leise Schritte; vorsichtig lugt sie ein wenig über den Nestrand und erschrickt zu Tode, als sie den grünröckigen Mann mit der Donnerbüchse heranschleichen sieht. Mit einem kühnen Satze wirft sie sich aus dem Neste, schwenkt zweimal kurz um Baumkronen herum und [S. 14] rettet glücklich ihr Leben. Der nachgesandte Schuß wirft nur einige Birkenzweige zu Boden. Aber es tönt noch ein Doppelschuß, dem Neste hat es gegolten und am Morgen kann sich das Krähenpaar überzeugen, daß sein Kunstwerk zerfetzt und unbrauchbar in der Erle hängt. Und dabei ist das erste Ei beinahe ausgebildet zum Ablegen!
Ratlos streichen die beiden Krähen umher und finden schließlich in einem kleinen Feldgehölz auf einer hohen Kiefer einen vorjährigen Horst. Hier sind im Vorjahre glücklich Junge großgebracht worden, noch liegen ja die Schuppen der Federspulen im Neste. Eilig wird das Innere ein wenig mit Haaren ausgepolstert und nach zwei Tagen ist glücklich auch das erste Ei gelegt. Gebührend wird das grüngelbe Kunstwerk mit den dunkleren Flecken vom Herrn Gemahl bewundert, und gemeinsam gehen beide Gatten hinaus aufs Feld, um als Frühstück einige Engerlinge hinter dem Pfluge des Landmannes aufzulesen. Eine Woche vergeht, und schon ist das Gelege vollständig, und Frau Krähe muß eifrig brüten. Da wird die Zeit gar lang. Doch, der Gemahl kommt von Zeit zu Zeit mit Futter und sucht die Gattin zu zerstreuen, die ihn unter Flügelzittern und Krächzlauten willkommen heißt.
Wohl zwanzig Tage mögen bei dem Brutgeschäft verstrichen sein, da zeigen eines Morgens die Eier kleine Pusteln. Die Schale ist aufgewölbt und auf dem kleinen Huckel führt ein Loch in das Ei hinein. Die Jungen sind am Ausfallen. Endlich hat eins durch kräftiges Picken die Schale zertrümmert und [S. 15] hält unter Beihilfe der Alten seinen Eintritt in die Welt. Man kann nicht sagen, daß es das Licht der Welt erblickt, seine Augen sind noch zugewachsen; bläulich schimmern sie an den Seiten des Kopfes durch die Haut. Ein schnurriges Ding ist so ein frischgeschlüpfter Vogel. Der Kopf ist mächtig dick und baumelt an einem langen, dünnen Halse, der Schnabel ist noch recht kurz und weich, nur der kleine weiße Fleck an der Schnabelspitze, der Eizahn, ist hart. Eine unförmige Blase bildet den Leib. Noch ist das Brustbein, an dem später die starken Flugmuskeln ansetzen, kurz und schwach, noch wird es ja nicht gebraucht, aber der Darm ist gut entwickelt und schimmert durch die Bauchwand.
Fünf dieser kleinen Scheusälchen hocken am Abend unter dem wärmenden Bauchgefieder der Mutter, die von Zeit zu Zeit einen liebenden Blick auf ihre hoffnungsvollen Sprößlinge wirft. Auch der Herr Papa ist voller Wonne über die „reizenden“ Kleinen, und es ist ihm eine angenehme Pflicht, die Gattin auf kurze Zeit abzulösen, damit sie sich ein bißchen Bewegung machen und am Bache den Durst stillen kann.
Am andern Tage beginnt das Füttern; immer muß abwechselnd eins der Eltern wärmen, das andere Futter suchen. Sie überbieten sich gegenseitig in Liebe gegen ihre Brut. Kein Engerling, keine Raupe scheint ihnen zart genug für die kleinen Magen, doch denen scheint es mehr um die Menge zu tun zu sein als um die Zartheit. Sie werden gar nicht müde, immer aufs neue den gelben Rachen aufzureißen und ihn auf zitterndem Halse den Ernährern entgegenzustrecken. [S. 16] Bei so viel Gefräßigkeit auf der einen, und Fürsorge auf der anderen Seite macht die körperliche Entwickelung der Kleinen riesige Fortschritte. Mit besonderer Freude wird das erste Öffnen der Augen, dann der erste Schrei, das Sprießen der Federn, das Üben der Schwingen von den Alten begrüßt. Der Unterricht tut das Seine, und eines Tages sitzt die junge Gesellschaft aneinandergedrängt auf einem wagrechten Aste der Kiefer und glotzt mit ihren blauschwarzen Augen die Welt an.
Daß sie einer gemischten Ehe entstammen, sieht man auf den ersten Blick. Keins ist eine echte Nebelkrähe, keins trägt aber auch ein Rabenkrähenkleid. Das eine gleicht zwar fast völlig der Mutter, aber auf dem grauen Kleide sind wie Tintenspritzer schwarze Federn verteilt. Das andere wieder gleicht dem Vater ziemlich, aber die schwarzen Federn sind grau gesäumt, und der Bauch sieht völlig grau aus. Hübsche, starke Kerle sind sie allesamt, und das ist kein Wunder, sie haben gar nahrhafte Bissen bekommen.
In der Fasanerie gleich beim Dorfe ist alle Tage großer Lärm. Wacholderdrosseln schackern, Amseln warnen, Zaunkönige zetern. Kommt man dann näher, dann sieht man in eiligem Fluge eine Krähe verschwinden, einige leere Eierschalen verraten, was sie hier getrieben hat. Mag der Förster auch eilen mit seinem Schießprügel, er kommt gewiß zu spät. Er weiß nicht, wie es kommt, aber immer sieht er gerade den Störenfried noch wegfliegen, wenn er auch noch so leise und gedeckt sich herangepürscht hat. Er weiß ja nicht, daß in der hohen Fichte, die den Plan beherrscht, [S. 17] ganz oben im Gipfel der andere Krähengatte sitzt und aufpaßt. Dessen Abstreichen ist stets das Zeichen zur eiligen Flucht für den andern.
Und doch ereilte an einem Tage die ganze Familie der Tod durch das rächende Blei. Des Försters Sohn kam in die Ferien und hatte, durch den nötigen Überschuß an freier Zeit unterstützt, binnen zwei Tagen das ganze Geheimnis erforscht. An die hundert Schritte von der Fichte entfernt setzte er sich auf die Lauer, während der Förster unter dem Baum mit den Jungkrähen ein Versteck bezog. Die Geduld der Jäger wurde auf keine allzu harte Probe gestellt. Das Pärchen kam, er flog auf die Fichte, sie auf die Suche nach Eiern. Wie ein Peitschenknall tönte die Fernrohrbüchse des Förstersohnes, und wie ein nasser Sack fiel der Schwarze zu Boden. Nach wenigen Minuten dröhnte vom Feldgehölz der Schrotschuß, der die Graue und zwei Junge tötete, einige weitere Schüsse kündeten das Ende der überlebenden Jungen.
Naßkalt und unfreundlich ist der Wintertag. Kein Vogel im Dorfe ist zu sehen, der eine lustige Miene machte. Die Sperlinge sitzen in der Hecke und schütteln von Zeit zu Zeit einmal die Nebeltropfen aus dem Gefieder. Ein paar Meisen fliegen vom Hühnerhofe zum Birnbaum und wieder zurück. Sie stibitzen den Hühnern Haferkörner und zermeißeln sie auf dem Baume, aber muntere Töne und Lockrufe [S. 18] hört man heute nicht von ihnen. Und draußen im Freien ist es gerade so. Faul sitzen die Krähen auf den tropfenden Bäumen oder suchen die unverdauten Körnchen aus dem Mist auf den Feldern. Die Fichten schütteln von Zeit zu Zeit ihre Äste und lassen einen nassen Schauer zu Boden fallen und die Birke schwenkt ihre dünnen Zweige wie ein Mann seine frierenden Arme. Stumm und emsig nach Kerfen suchend, durchstöbert der kleine Zaunkönig die Baumstümpfe und sperrigen Wurzeln am Bachufer. Heute trägt er sein Schwänzchen nicht so kokett steil aufgerichtet, nicht einmal zum Schnarren und Warnen hat er heute Lust.
Da tönt ein hoher, heller Pfiff, kurz und laut, dann noch einer und in schnurgeradem Fluge fliegt ein Vogel über dem Bache dahin. Genau mitten über dem Wasserspiegel hält er sich und setzt sich dann auf den Weidenzweig, der über den Bach ragt. Korallenrote, kleine Füßchen umklammern den schwankenden Sitz, tief rostbraun ist die Brust, smaragden glänzt der Rücken des Eisvogels. Einen schöneren Schmuck kann sich der Weidenbaum nicht wünschen als den in tropische Farben gehüllten Vogel. Und der scheint zu wissen, wie hübsch er ist. Als wollte er den blaugrünen Scheitel mit den moosgrünen Mondflecken auf jeder Feder recht bewundern lassen, dreht er den Kopf bald nach rechts, bald nach links. Den rostbraunen Zügel durchs Auge, den weißen Ohrfleck, kurz seine ganze Pracht läßt er betrachten. Jetzt blickt er hinunter ins Wasser. Will er im klaren Spiegel seine Schönheit bewundern? Nun fliegt er ab vom Zweige und hält sich rüttelnd wenige Spannen über dem Bache. Doch [S. 19] mit einem Schlage ist er verschwunden, und nur das aufspritzende Wasser zeigt, wo er steckt. Ehe wir noch im klaren sind, was das zu bedeuten hat, erscheint er schon wieder flügelschlagend auf der Wasserfläche, schüttelt sich und fliegt wieder hinauf auf seinen Weidenzweig. In seinem langen, spitzen Dolchschnabel glitzert silbern ein schwänzelndes Fischchen. Zweimal schlägt der glückliche Fischer seine Beute gegen den Sitz, daß es schallt und klatscht und die zuckenden Schwanzschläge aufhören, dann hebt er den Kopf ruckweise nach oben. Noch einmal und dann zum drittenmal führt er die Bewegung aus, dann hat er erreicht, was er will. Mit dem Kopf nach innen hat er das Fischchen im Schnabel und schlingt es mühsam hinunter. Dann streicht er ab, einem andern Lieblingsplatze zu.
In milden Wintern ist es diesem schönsten unsrer Vögel nicht schwer, sich durchzuschlagen, anders, wenn eine Eisdecke die Gewässer verschließt oder wenn fortwährende Regengüsse das Wasser trüb und undurchsichtig machen.
Da sitzt er wieder, der funkelnde Brillant, auf einem Rohrhalm und starrt hinunter in die Flut. Eine dichte Schneedecke bedeckt die Felder, und über alle Bäche und Teiche hat der Frost feste Brücken geschlagen. Doch dem kleinen Fischer sinkt der Mut nicht. Er weiß die Stellen, wo das strudelnde Wasser sich nicht in Eis verwandeln läßt und wo die Forellenbrut hinkommt zum Luftschnappen. Zwei der winzigen Dinger hat der Eisvogel schon im Kropf, er ist schon ziemlich satt und sieht nur zum Zeitvertreib oder aus [S. 20] Gewohnheit hinunter in das Wasser, das glucksend und gurgelnd unter dem Eise dahinströmt. Da ruckt er zusammen und legt das Gefieder glatt. Den Pfiff eines Artgenossen hat er gehört. Jetzt pfeift es näher, und nun hat er den frechen Eindringling, der die Rechte des Eingesessenen verletzen will, erspäht. Schrill und herausfordernd ertönt sein Pfiff, da kann der rechtmäßige Bewohner seine Kampflust nicht mehr bezähmen. In surrendem Fluge saust er dem fremden Fischer entgegen. Doch so leicht läßt der sich nicht vertreiben, der Hunger macht ihn mutig und läßt ihn den Kampf wagen. Wie zwei Ritter in blitzenden Gewändern fahren die Kämpen aufeinander los. Ganz dicht am Kopfe des Gegners fährt der scharfe Dolchschnabel vorüber, und rasch wenden beide um, und wieder sausen sie sich entgegen. Ein herrliches Schauspiel! Aber mehr als ein Schauspiel, ein Zweikampf mit tödlichen Waffen ist es. Zwei- oder dreimal wiederholt sich der Angriff, bis schließlich einer mit einer schweren Verletzung am Kopfe zu Boden taumelt und dann eilig das Weite sucht. Der andre folgt ihm am Bache entlang ein Stück, dann pfeift er seinen Siegespfiff und setzt sich wieder auf dem schaukelnden Rohrhalme nieder.
Im wunderschönen Monat Mai jagen sich wieder zwei Eisvögel am Bache. In rasendem Fluge geht es über dem Wasser dahin, und die hellen Pfiffe wollen den ganzen Tag nicht aufhören. Doch nicht ernsthafter Kampf und Streit auf Leben und Tod beseelt die Herzen der schillernden Vögel. Hat der Verfolger den andern erreicht, dann zaust er ihm nicht mit wütenden [S. 21] Schnabelstößen die Federn, dann neckt er ihn nur durch einen leichten Flügelstreich und versucht ihn aus seiner Bahn zu drängen. Liebesspiele und Neckereien sind die lustigen Turniere. Vor einigen Wochen allerdings mußte ein Rivale durch eine blutige Kopfschramme und einen Schnabelstoß in die Brust belehrt werden, daß Ehebruch streng bestraft wird. Ob der Gegner seinen Wunden erlegen ist, ob er sich ausgeheilt hat und in einem andern Reviere doch noch eine ledige Eisvogelfrau gefunden hat, wer weiß.
Nun ist es auch höchste Zeit, an den Bau einer Nisthöhle zu denken. Doch bachauf und bachab ist nirgends ein genügend hohes Ufer zu finden, in dem der Bau einer Nisthöhle möglich wäre. Auch der nahe Teich hat sumpfige Ufer und keine Steilränder, da ist das Eisvogelpärchen in großer Verlegenheit und weiß nicht, was tun. Tagelang durchstreift es die Gegend, jeder Bach wird in seiner ganzen Länge abgesucht, doch entweder er ist ungeeignet wie das eigne Gebiet, oder er ist schon besetzt, und man wird nach erbittertem Kampfe vertrieben. Endlich streicht einmal das Männchen über das Feld, um vielleicht in weiterer Entfernung etwas Passendes zu finden. Da findet es, wohl drei Kilometer vom heimischen Bache, einen verlassenen Steinbruch im Felde. Ein kleiner Teich hat sich darin gebildet, an dem schon Schilf und Rohr sich angesiedelt hat, auch Weiden und einige Birken stehen dort. Was aber das schönste ist, die Ufer fallen steil zum Wasser ab und bestehen wenigstens in der oberen Hälfte aus sandigem Lehm. Schleunigst wird das Weibchen herbeigeholt, und auch [S. 22] dieses ist nach eingehender Betrachtung des Geländes der Meinung, daß hier der Platz geeignet ist zur Anlage der Kinderstube.
Bald hier, bald da klammern sich die Eisvögel an die Lehmwand, finden hier den Boden zu hart und steinig, dort wieder scheint er ihnen zu bröckelig. Endlich einigen sie sich auf eine Stelle, wo ein größerer Stein sich losgelöst und eine kleine Vertiefung zurückgelassen hat. Hier machen sie sich an die Arbeit. Mit den langen Schnäbeln hacken und bohren sie, kratzen mit den Füßen das losgearbeitete Material weg und bringen schließlich eine spanntiefe Höhle zustande. Damit geben sie sich für heute zufrieden.
Fröhlich tönen ihre Pfiffe, neckend jagen sie sich am Teiche und streichen dann wieder über die grünenden Saaten ihrem Bache zu. Am andern Morgen gehen sie wieder an ihre Erdarbeit. — Ist es nur das Männchen oder nur die Gattin, die an der Höhlung arbeitet, oder teilen sie sich in die Mühe, wer weiß es, tragen sie doch beide ein fast ganz gleich buntes Kleid und sind daher von weitem nicht zu unterscheiden. Doch, ob er oder sie oder auch beide arbeiten, fleißig nimmt der kleine Minierer das schwere Werk auf sich. Ja, wenn die Röhre noch kurz ist, mag es gehen. Aber ist sie einmal einen halben Meter tief, dann gehen die Strapazen erst richtig los. Jedes kleine Klümpchen muß mit dem Schnabel hinausgetragen werden vor die Höhle. Kein Wunder, wenn gar bald die kleinen roten Beinchen ermüden und gebieterisch nach einer Ruhepause verlangen. Sie sind ja das Marschieren gar nicht gewöhnt. Immer sitzt [S. 23] ja der Eisvogel und bedient sich zur kleinsten Platzänderung seiner Flügel. Sogar beim Rudern unter Wasser, beim Fangen der kleinen Fischchen dienen in erster Linie die Flügel der Fortbewegung, wenn auch die Beinchen mithelfen.
Kaum eine halbe Stunde vermögen sie daher beim Bau der Nesthöhle Dienst zu tun, dann sitzt der kleine Erdarbeiter auf einem neuerworbenen Lieblingsplatze, einem Baumstumpf am Steinbruchteich und ordnet sein zerzaustes und mit Lehmstaub verunziertes Prachtkleid. Dann eilt er rasch zum Bache, um etwas für den hungrigen Magen zu sorgen und nach längerer Erholungspause nimmt er dann seine Arbeit wieder auf. Volle vierzehn Tage dauert es der vielen Unterbrechungen wegen, bis eine meterlange Röhre vollendet ist. Noch ein oder zwei Tagewerke sind erforderlich, um am Ende eine backofenförmige Erweiterung herzustellen, den Nestraum.
Nach einigen Tagen liegt das erste Ei darin, blendendweiß ist seine dünne, durchscheinende Schale, es ist auch ziemlich groß für einen nicht einmal stargroßen Vogel. Nach etwas mehr als einer Woche ist das Gelege mit sieben Stück vollzählig und nun muß das Weibchen fünfzehn Tage lang stillsitzen und brüten. Der Gatte mag von der langweiligen Beschäftigung nichts wissen, aber er sorgt dafür, daß die Frau wenigstens nicht zu hungern braucht. Emsig trägt er ihr Fischchen zu und legt sie ihr vor. Dabei wird ihm aber täglich immer mehr klar, daß sie sich eine reichlich schwere Aufgabe zugemutet haben, dadurch, daß sie im Steinbruche brüten.
[S. 24]
Im Tümpel ist auch nicht ein einziges Fischchen zu erspähen, höchstens einige Libellenlarven kriechen langsam über den lehmigen Grund dahin. Da heißt es jeden einzelnen Bissen kilometerweit herbeiholen. Frau Eisvogel hat sogar Sorge, sie könnte während des langen Stillsitzens das Fischen verlernen, bis zum Bache wagt sie nicht zu fliegen, damit die Eier nicht verkühlen, und hier im Steinbruchtümpel sucht sie vergeblich nach Wild. Nur gut, daß Er für Nahrung sorgt, sonst stände es schlimm um sie.
Langsam kommt der Tag näher, an dem die Jungen ausfallen sollen. Erst lagen sie auf dem bloßen Lehmboden, denn vom Eintragen von Nistmaterial halten Eisvogels nichts, jetzt aber sind sie auf eine ansehnliche Lage dünner Fischgräten gebettet. Wo kommen die her? Nun sie stammen aus den Gewöllen (Ballen unverdaulicher Speisereste), die die Eisvogelgattin beim Brüten ausgespien hat. Kein Wunder, daß ein traniger Fischgeruch der Höhle entströmt. Im übrigen aber ist Familie Eisvogel reinlich in ihrer Wohnung, der Kot wird stets draußen abgesetzt und auch die Kinder werden reinlich erzogen, ihre Stoffwechselprodukte werden von den Alten aus der Höhle geschafft. Aber wenn sie auch sauber sind, hübsch sehen junge Eisvögel vor dem Ausfliegen doch nicht aus. Ganz nackt sind sie zunächst und der große dicke Kopf baumelt auf einem dünnen, schwächlichen Halse hin und her. Der Leib ist kugelig und dick aufgetrieben, die Därme schimmern durch, kurz, recht unästhetische Gebilde sind die kleinen Dinger. Doch die Eltern sind zufrieden mit ihnen und füttern sie [S. 25] reichlich, mit Libellen zunächst und dann mit Fischbrut, so daß sie rasch heranwachsen. Aber hübscher werden sie zunächst nicht. In langen Reihen beginnen sich stachelartige Gebilde auf ihnen zu entwickeln, die starr nach allen Seiten abstehen vom Körper. Es sind die Federn, die lange in der Federscheide stecken bleiben, so daß man nicht sieht, was eigentlich daraus werden soll.
Kriechen die Jungvögel aber einmal heraus aus ihrem engen Gefängnis, dann sieht man nicht mehr, was für eine Entwicklung sie hinter sich haben. Dann sind sie echte kleine Eisvögel, nur der Schnabel ist kürzer als bei den Alten und die Federn sehen dunkler und kräftiger gefärbt aus als die an der Sonne verschossenen Kleider der Alten. Noch mehrere Wochen vergehen, bis sie das Handwerk ihrer Ahnen ausüben können. Zum Herbste aber werden sie selbständig.
Möge ein gütiges Geschick sie vor der Mordspritze habsüchtiger Menschen bewahren, die ihnen die winzigen Fischchen nicht gönnen und die sich nicht denken können, daß jemandem der Anblick eines Eisvogels mehr Freude macht als die paar armseligen Barsche, die sie verzehrt haben.
Am Franzosengrab, hundert Schritte waldeinwärts, steht eine alte, knorrige Eiche. Zackig ragen ihre alten, abgestorbenen Wipfeläste gen Himmel, und knarrend bewegt der Wind ein Stück abgestorbene Baumrinde. Dort ist es nicht recht geheuer. Allabendlich, [S. 26] wenn alles stumm und still in der Runde, da beginnt hier ein nächtlicher Spuk.
Mit einem verhaltenen Pfiffe beginnt es; einen entfernten Signalpfiff einer Lokomotive vermeint der nächtliche Wanderer zu vernehmen. Aber bald sieht er sich getäuscht. Ein Mensch ist wohl auf die hohle Eiche gestiegen, ganz deutlich klang sein Räuspern von dort. Doch wieder klingt der Pfiff, lauter, näher ertönt er, jetzt geht er in einen jauchzenden Triller über, wieder der Pfiff und nun ein röchelndes Krächzen. — Dem Wanderer wird es kalt auf dem Rücken, was war das nur? Doch gewiß ein Tier, sucht er sich Mut zu machen und geht weiter, bis aufs neue die rätselhaften Töne erklingen oder ein schwarzer Schatten geisterhaft an ihm vorbeihuscht. Da ist das letzte bißchen Mut verschwunden. Überall scheinen dunkle Schemen vorüberzugleiten, bald nahe, bald ferner ertönt der wilde Juchzer, kein Wunder, wenn der Wanderer mit doppelt eiligen Schritten seinen Weg fortsetzt.
Er weiß es ja nicht, daß hier der Waldkauz seiner Gattin von seiner Liebe singt. Er brauchte nur heranzuschleichen an die große Eiche und zu beobachten, dann würde seine Ängstlichkeit gewiß bald in Freude über das sonderbare Gebaren der Vögel verwandelt sein. Auf dem dicken Aste der Eiche zeichnet sich der Umriß des Sängers gegen den Himmel ab. Wie eine abgedrehte Kegelkugel, so rund ist der Kopf und mächtig groß im Vergleich zum Körper. Gerade als wolle er prüfen, wie fest wohl der Kopf auf dem Halse sitzt, wackelt der Kauz damit hin und [S. 27] her, dehnt und verkürzt den Hals und macht Bücklinge. Dann pfeift er wieder sein tiefes und sehnsüchtiges Hu, dem der ansteigende und abschwellende Triller folgt.
Jetzt scheint das Weibchen zu nahen. Mit unhörbaren Flügelschlägen fliegt ein zweiter Waldkauz herbei und läßt sich auf der Eiche nieder. Doch kein Weibchen ist es, ein Nebenbuhler versucht den Familienfrieden zu stören. Auch er beginnt, mit tiefer Stimme seine Balzarie vorzutragen, der erste fällt ein und sucht den Störenfried zu überschreien —, ein wunderlicher Sängerkrieg entbrennt. Immer hitziger werden die verliebten Käuze, die Triller tönen immer lauter, heulender, dazwischen fauchen und schnarchen sich die nächtlichen Liebhaber an, kreischen auf und stürzen schließlich aufeinander los. Gerade als hätten sie die lange Rederei satt, gehen sie zu Tätlichkeiten über. Zwar möchte jeder dem andern eins auswischen, aber auch selbst nicht mit den nadelspitzen Krallen des andern in allzu nahe Berührung kommen. Bald schwingt sich der eine fliehend durch die dichten Äste der Bäume, hitzig verfolgt vom andern, bald wieder geht er zum Angriff über und treibt den andern vor sich her. Geräuschlos geht der Streit natürlich nicht ab. Zwar von den Flügelschlägen vermag auch das feinste Ohr nichts zu vernehmen dank der weichen Federn, aber wenn der eine dem andern zu nahe kommt, geht ein Gekrächze und Gekreische los, daß man glaubt, wenigstens einer müsse sein Leben lassen. Aber nur einige Federn rupfen sie sich aus.
Das Weibchen hat eine Weile teilnahmslos auf [S. 28] der Eiche gesessen dicht vor der Baumhöhle, die sie als Nistplatz erwählt hat. Der Streit der Männchen läßt sie kalt, sie kämpfen um ihren Besitz, doch sie tut gar nicht dergleichen. „Mögen sie sich nur raufen, mich geht das nichts an!“ denkt die herzlose Schöne, schwingt sich ab vom Nistbaume und streicht auf Nahrungssuche aus.
Rund und mollig sieht der sitzende Waldkauz aus mit seinem seidenweichen Gefieder, und auch im Fluge prägt sich die Weichheit aus. Rund sind die großen Schwingen, rund der Kopf, sanft und ohne Ecken werden die engsten Kurven beschrieben, dann wieder ein Stück geschwebt und dann wieder mit den Flügeln gerudert. Dabei spähen emsig die schwarzen Augen hinunter in das Gewirr der Grashalme auf die Wiese, die nur schwach vom fahlen Sternenschimmer erhellt sind. Der Gesichtsschleier aus dünnen borstenartigen Federn ist aufgerichtet, so daß er nur lose die mächtigen häutigen Ohren deckt.
Und wie scharf ist das Gehör der jagenden Eule! Auf hundert Schritt noch hört sie das leise Piepen sich zankender Mäuse, ja sogar die genaue Richtung und Entfernung hat sie mit fast unfehlbarer Sicherheit beim ersten Tone gemerkt. Man braucht nur einmal die Probe zu machen, wenn man beim nächtlichen Anstande in gut verdeckter Stellung sitzt und einen Waldkauz jagen sieht. Beim ersten „Mäuseln“ schwenkt er herum und kommt schnurgerade auf das Versteck zu. Vermag er vom Beobachter nichts zu entdecken, dann fliegt er ihm sicher in Meterhöhe über den Kopf, schwenkt herum und kreist einige Male [S. 29] über der Stelle, wo das Piepen der Lieblingsbeute ertönte. Dann setzt er seinen Jagdzug fort, aber immer wieder kehrt er zurück und sucht das Versteck der Maus zu erspähen.
Unser Waldkauz hält sich auf der Suche nach „Wild“ auf der Wiese nicht lange auf. Er kennt sein Revier und weiß, daß hier die Aussicht nicht besonders groß ist. Deshalb schwebt er am Waldrande entlang dem Wildgatter zu. Dort wird den Fasanen und Hirschen an verschiedenen Stellen Futter geschüttet, da stellen sich die kleinen Nager gern zu Gaste ein. Auf dem Dache der Blockhütte setzt sich die Eule nieder und dreht und wendet den Kopf bald rechts und bald links. Schon haben auch die scharfen Ohren ein leises Wispern und Rascheln vernommen, eine Waldmaus hüpft unter dem Balkenwerk hervor und faßt ein Haferkorn, um damit in ihr Schlupfloch zurückzurennen. Da ist ein schwarzer Schatten über ihr, vier nadelscharfe Krallen fahren ihr durch den Leib und ersticken ihr angstvolles Quieken. Der Waldkauz aber fliegt wieder hinauf auf den Balken, dreht den Kopf rechts und links, nimmt schließlich die Maus aus dem Fange und schluckt sie hinab. Wieder sitzt er und lauert. Lange Zeit regt sich nichts; der leise Todesschrei ist doch nicht ungehört verhallt und hat die Artgenossen gewarnt. Endlich, nach einer halben Stunde etwa, geht das leise Rascheln wieder los unter dem Stroh. Wieder spannt der Waldkauz und schwebt nieder zum Boden. Doch diesmal mißglückt die Jagd. Nur eine Spanne weit war die Maus aus dem Loche gefahren [S. 30] und dann mit einem Ruck in das sichere Loch zurück, so daß die todbringenden Krallen fehlgriffen. Wieder blockt der Waldkauz auf seiner Warte, aber nun läßt sich keine Maus mehr sehen. Viel sind überhaupt nicht mehr da, allzuoft ist schon Jagd auf sie gemacht worden. Darum auf hinüber zur Fasanenfütterung!
Mit gleichmäßigen Flügelschlägen strebt der Kauz dem Walde zu. Obgleich er gar nicht an Jagd denkt, sind seine Sinne doch auf der Wacht wie immer. Am Waldrande schwenkt die Eule mit einemmal und setzt sich auf einen niedrigen Eichast. Auf der Wiese regte sich etwas, was mag das gewesen sein? Eine Lerche kann es nicht sein, die kommen doch nicht auf die Waldwiese, eine Maus war es auch nicht, es raschelte nur einmal, also was war es? Scharf spähen die schwarzen Kugelaugen auf die Wiese hinüber, und nun haben sie auch gefunden, was sie suchen. Ein Maulwurfshügel hebt sich ruckweise, und nun ertönt das Geräusch wieder, ein Erdklümpchen rollt in das raschelnde Gras. So leise das Geräusch auch gewesen war, der Kauz hatte es doch vernommen, ja er hatte sogar gehört, daß es anders klang als das leise Lispeln des Windes im Grase, daß es von einem Tiere herrührte.
Wieder stößt der schwarze Wühler Erde empor und arbeitet emsig, wühlt mit breiten Vorderpfoten und scharrt mit den Hinterbeinen die Erde nach außen. Jetzt erscheint das kurze, borstige Schwänzchen über der Erde, sogar der Samtpelz des Hinterleibes wird sichtbar, und darüber schwebt der Tod. Vier [S. 31] Dolche durchbohren das glatte Fell, vier Eulenzehen schließen sich zur todbringenden Umklammerung. Armer Maulwurf! Dein Todesschrei vermag das Räuberherz nicht zu schrecken, dein Strampeln und Kratzen nützt dir nichts. Das Erdreich ist locker, so daß alles Einstemmen der muskulösen Vorderbeine nichts nützt. Mit einem Ruck hat der Waldkauz seine Beute aus dem Loche gerissen, der zweite Fang greift in die Brust und der Schnabel zermalmt die empfindliche Nase des Opfers. Dann beginnt das Mahl. Das ist nicht so leicht als das Verzehren einer Maus, die einfach verschluckt wird. Mehrmals reißt und rupft die Eule, ehe sie die Haut am Bauche zerrissen hat, aber dann geht es rasch, und nicht ein Stückchen Wolle bleibt zurück, alles wird hinabgeschlungen.
Nun ist Frau Kauz so ziemlich gesättigt. Auch hat sie jetzt Gewissensbisse, daß sie den Herrn Gemahl so treulos im Stich gelassen hat. Sie kehrt deshalb durch den Wald zum Nistbaume zurück. Stampfend eilt unter ihr ein Kaninchen in die Deckung, das den Schatten durch die Bäume hat streichen sehen. „Nanu, was ist denn das, die Karnickelmutter ist schon wieder guter Hoffnung“, faucht Frau Kauz, „dann wird es doch für uns auch Zeit, ans Eierlegen zu denken! Wenn die jungen Karnickel vor den Bauen spielen, dann gibt es immer was zu greifen zur Atzung für unsre Kleinen.“
„Nein, so haben wir nicht gewettet, du kriegst mich schon lange nicht“, das mag das juik bedeuten, das sie dem Männchen zuruft, das die Gattin endlich [S. 32] gefunden hat und spielend nach ihr stößt. Nun beginnt das ewig neue Spiel der Liebe, das spröde Fliehen, die verstohlene Annäherung des Weibchens, das stürmische Werben des Männchens. Hat er das Spiel satt und blockt ausruhend auf einem Aste, dann neckt sie ihn und stößt ihn von seinem Sitze, um dann vor dem Nacheilenden zu entfliehen und die Spröde zu spielen.
Nur wenige Wochen wird es noch dauern, dann sitzt Frau Kauz auf ihrem ersten, weißen Ei, nach ein paar Tagen sind es drei oder vier, die dann drei Wochen bebrütet werden müssen. Sind die Jungen ausgeschlüpft, dann hat aber das beschauliche Stillsitzen ein Ende. Dann heißt es arbeiten, denn die kleinen Schnäbel sind schwer vollzukriegen. Nur langsam wachsen die kleinen, weißen Dunenballen heran, langsam fangen Federn an zu sprießen und Wochen vergehen, ehe der erste zaghafte Versuch gemacht wird, die Nisthöhle zu verlassen. Das größte und gefräßigste wagt sich zuerst an den Eingang der Höhle. Aber Tage vergehen, ehe es sich bis zum nächsten Ast getraut. Dort sitzt es und bettelt mit leisen, hohen Pfeiftönen die Alten um Futter an.
Und die benutzten die Gelegenheit, auch ihre andern Jungen zum Ausfliegen zu bringen: sie füttern nur das ausgeflogene Kind vor den Augen der hungernden andern. Und siehe da, das Mittel wirkt. Am Nachmittag fliegt eines nach dem andern hinüber zum Aste, und dicht gedrängt sitzen bald die vier kleinen Wollknäuel auf dem Eichast und gieren nach Futter. Zwar dauert es nun nicht mehr lange, bis [S. 33] sie ziemlich gewandt fliegen können, aber selbständig werden sie erst viel später.
Sie müssen ja erst noch so vielerlei lernen. Sie müssen ihre Ohren üben, bis sie das Rascheln des Windes vom Knabbern der Maus unterscheiden können, ihre Schwingen müssen kräftig werden und ihre Fänge stark, daß sie leise schweben und kräftig zufassen können, um schließlich einen bissigen Hamster oder eine wehrhafte Ratte zu überwältigen.
Aber sie stellen sich nicht ungeschickt an, und im Laufe des Sommers lernen sie achten auf das Wischern der Mäuse, sie vernehmen das leise Atmen der Ammer im Fichtenhorst, sie trauen sich, Jungkaninchen zu schlagen, und scheuen sich auch nicht, eine junge Fasane im Walde, eine kleine Rebhenne im Felde zu greifen, kurz, es sind echte Waldkäuze geworden.
Leben wir wirklich noch im Februar? Die Sonne lockt und lacht, daß die Knospen die Deckschuppen abwerfen, daß Stachelbeerbusch und Flieder zartgrüne Spitzen zeigen. Buchfink und Goldammer, Kohlmeise und Amsel jubilieren und begrüßen die erwachende Natur, die Lerche trillert, der Grünspecht lacht, es will Frühling werden. Jetzt wird auch den Menschen die Enge der Straßen und Gassen der Großstadt zu drückend, in Scharen ziehen sie hinaus, um die staub- und rußgequälten Lungen in der schmeichelnd warmen Luft zu baden.
[S. 34]
Eine Schar Knaben wandert durchs Feld. Bunte Mützen decken die Köpfe, die von Sorge um Prüfungsarbeit und Versetzung heute nichts wissen wollen. Dem Walde streben die Jungen zu, um irgendeine bluttriefende Indianergeschichte in die Tat umzusetzen. Unter einer großen Eiche machen sie Halt zu ernstem Kriegsrat. Dabei fallen dem einen sonderbare, daumenstarke Ballen zu seinen Füßen auf. Aus grauem Filze scheinen sie gemacht zu sein und weißlich schimmern kleine Knochen daraus hervor. Trocken und appetitlich sieht das Zeug aus, da muß man doch einmal nachsehen, was das eigentlich ist.
Fest und dicht zusammengefilzte Haare bilden die Grundmasse, in die Knochen eines kleinen Tieres eingebettet sind. Sorgsam zerbröckelt der kleine Forscher seinen Fund, während die andern mit den sonderbarsten Vermutungen über das rätselhafte Ding nicht sparen. Jetzt kommt ein Schädel zum Vorschein, dem nur die Schädelkapsel eingedrückt ist, sonst ist er wohlerhalten. Der Größe nach ist es ein Mäuseschädel, die Schneidezähne stimmen auch dazu. Da die Knochen alle weiß und sauber sind, scheuen sich die andern Knaben auch nicht, die Ballen zu zerkrümeln. Bald hat jeder mindestens einen Mäuseschädel herausgefunden, auch ein Vogelschädel findet sich in den Haarpfröpfen, dazu ein paar große, schwarze Flügeldecken eines Käfers. Viel Kopfzerbrechen macht den Jungen ein kleiner Schädel, der mit kleinen, spitzen Zähnchen ausgestattet ist, und der vollkommen unversehrt und heil sich aus der Filzmasse ausschälen läßt. Soviel wissen die Knaben [S. 35] aus ihren Unterrichtsstunden, daß das kein Nagetierschädel ist, denn er hat gar keine Nagezähne, was mag das nur sein? Vielleicht ein Maulwurfsschädel, aber der sollte doch größer sein? Doch halt, die Spitzmäuse haben solch ein Raubtiergebiß, das ist ein Spitzmausschädel.
Die Frage ist zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst, noch bleibt aber die andere offen: wo stammen denn die Ballen her? Daß sie die Überreste vom Mahle eines Raubtiers sind, ist allen klar. Aber Kotballen sind es nicht, dazu sind sie zu sauber und geruchlos. Wiederum ist aber das Fleisch von den Knochen schon völlig abgelöst, also müssen sie schon einmal verschlungen gewesen sein.
Weiter wandern die Knaben, und es scheint, als sollten sie nie zur Lösung ihrer Frage kommen. Aber vergessen haben sie das Problem nicht, und jeder späht auf dem Waldboden nach neuen Filzballen, um doch vielleicht das Geheimnis lösen zu können. Unter einer Kiefer mit dichter Krone finden sich schließlich die rätselhaften Pfröpfe wieder, einige davon sind sogar noch feucht und schleimig, so daß keiner der Jungen sie anfassen will. Der Boden um den Baum herum zeigt ferner noch etwas Eigenartiges. Große Klexe einer kalkig-weißen Flüssigkeit sind umhergespritzt, haben auch den Stamm gefärbt, und auch einige Äste der Kiefer zeigen den weißen Überzug. Und oben, dicht an den Stamm gedrückt, hockt der Urheber dieser Unsauberkeit.
Mit knapp angelegtem Gefieder sitzt die Ohreule auf ihrem Schlafbaum und starrt mit ihren [S. 36] roten Feueraugen hinunter auf die Knaben, die ihre Ruhe stören. Lang und dünn wie ein Aststumpf sieht der Vogel aus, langgezogen ist der Gesichtsschleier, die Federohren stehen nach oben, und dicht nebeneinander verlaufen die Reihen dunkler Spritzflecke auf der lichten Unterseite. Leise gehen die Knaben um den Baum herum, um auch den Rücken des Vogels zu betrachten. Doch siehe da, den gelbbraunen Hinterkopf bekommen sie nicht zu sehen. Als wäre er so angewachsen, zeigt der Kopf mit den Augen nach hinten, wenn die Knaben um den Baum herumgewandert sind. So oft auch die Jungen ihren Standpunkt ändern, immer glotzen sie die Eulenaugen an.
Da kommen sie auf einen pfiffigen Einfall. Sie wollen allesamt um den Baum herumwandern, immer in gleicher Richtung, dann dreht die Eule den Kopf immer nach ihnen und muß sich doch schließlich das Genick verdrehen und ihnen dann zur Beute fallen. Gesagt, getan. Die Prozession beginnt, und immer dreht die Eule den Kopf mit, aber ihr macht das keinen Schaden. Wenn die Knaben hinter dem Stamme verschwunden sind, dann wird mit einem Ruck der Kopf wieder zurückgedreht und starrt dann auf die Schlaumeier hinunter, wie zuvor. Bald sehen die Knaben ein, daß sie durch ihre Marschierübungen nichts erreichen. Um aber wenigstens ihren Ärger zu bezeugen, daß sie so für Narren gehalten worden sind, nehmen sie Kiefernzapfen und werfen nach der Eule, um sie zu verscheuchen. Bald haben sie auch ihre Absicht erreicht. Doch die Jungen sind [S. 37] förmlich erschrocken, daß die Eule so groß ist. Im Sitzen sah sie so klein aus, und jetzt, mit den ausgebreiteten Flügeln, auf deren fast weißer Unterseite ein schwarzer Fleck sich abhebt, kann sie beinahe mit einem Bussard sich messen.
Gewandt schwingt sich die gestörte Freundin der Nacht durch die hell beschienenen Baumzweige, um ziemlich weit entfernt in einer dichten Fichte sich einzuschwingen. Dort sitzt sie und träumt, bis die Sonne schlafen gegangen ist und der Abendstern am Himmel steht. Dann reckt und dehnt sie sich, knackt mit dem Schnabel, blinzelt mit den Augen und ruft. Sonderbar taktmäßig ertönt das tiefe Hu, im Atemtempo eines schlafenden Menschen. Aber lange vergnügt sich die Eule nicht mit ihren Gesangsübungen. Sie ist hungrig und fliegt hinaus auf die Felder, um die Raine nach Mäusen abzusuchen. Kommt ihr dabei ein schlafender Feldsperling im Gestrüpp, eine Goldammer oder Feldlerche zu Gesicht, dann wird der Vogel gleichfalls verspeist. Auch Mistkäfer und Heuschrecken werden verzehrt, wenn sie über den Weg krabbeln oder im Grase musizieren; doch an Insektenkost ist jetzt im Februar noch nicht zu denken.
Wohl aber würde es nichts schaden, wenn sich das Eulenmännchen einmal nach seiner Gattin umschaute, die auch in dieser Gegend sich jagend umhertreibt. Bald kommt der März und spätestens Anfangs April ist das erste Ei gelegt .... Doch auf Feld und Wiese ist von der Gattin nichts zu sehen, vielleicht sucht sie in der Fichtenpflanzung nach Nahrung. Lange braucht der kleine Uhu nicht umherzustreifen, [S. 38] bald sieht er die Gattin über der Waldblöße schaukeln. Eilig strebt er auf sie zu, um ihr für ein Viertelstündchen den Hof zu machen. So zierlich als es ihm möglich ist, umschwebt er das Weibchen, ruhig und taktmäßig die Flügel rührend, um sie mit lautem Klatschen unter dem Leibe zusammenzuschlagen. Aber die Angeschwärmte zeigt durch ihre Teilnahmslosigkeit, daß sie die Werbung für verfrüht hält, und auch er bekommt sein Spiel bald satt. Er schwebt einmal hinüber nach der Kiefer, in der der alte Krähenhorst steht, den sie schon jahrelang zur Aufzucht ihrer Kinder benutzten, seufzt einigemal sein Hu und fliegt dann wieder auf die Jagd.
Oculi — da kommen sie. Die Vögel mit dem langen Gesicht, die Schnepfen, die den alten Weidmann mit unwiderstehlicher Macht hinausziehen ins Revier, sie kommen aus dem Süden zurück in ihre nordische Heimat. Wenn der rußige Rotschwanz sein gepreßtes Lied vom Hausgiebel ertönen läßt, wenn die erste Singdrossel ihren Davidsruf singt, dann ist die rechte Zeit für den Schnepfenstrich. Allabendlich steht dann der alte Forstmann trotz Rheumatismus auf dem Anstande. Dort, wo die Fichtenschonung an die Blöße stößt, auf der Farnkraut und Brombeergestrüpp unter einigen jungen Birken und Eichen üppig wuchern, stellt er sich an. Treff, der rauhhaarige Jagdhund, ist auch dabei, er hat sich gesetzt und harrt der Dinge, die da kommen sollen. Leise senkt sich die Dämmerung auf die Erde nieder, leise schnickert ein Rotkehlchen in den Fichten, eine Amsel [S. 39] warnt und schilt, allmählich verstummt auch dieser Vogellaut. Ganz still wird es, das leise Rauschen des Windes in den Fichtenzweigen ist kaum vernehmbar. Wiwiwiwi klingeln in sausendem Fluge ein paar Stockenten vorüber, die vom Teiche nach dem Bache streichen. Wieder ist alles still. Doch halt, was war das? Wie von einem Schlage getroffen, zuckt der Jäger zusammen, jetzt tönt es wieder, näher schon. Ein tiefes, dumpfes Quarren, ein hohes Puizen, und mit eulenartigem Fluge erscheint die Schnepfe über den Fichten. Ein Feuerstrahl, Donner und Rauch. Schon ist der Hund im Brombeergestrüpp, sucht hier und schnüffelt da, aber er findet nichts. Die Entfernung war wohl zu groß, die Schnepfe ist unverletzt entkommen.
Doch was ist das für ein Vogel über dem Hunde? In weichem, schaukelndem Fluge schwebt ein Vogel dort, schwenkt rechts und links und stößt mit kläffenden Rufen auf den verdutzten Hund. Immer kürzer schwenkt der Vogel herum, immer hitziger greift er an, bellender ertönt sein Käff — Käff — Käff. Langsam schreitet der Förster näher. Sollte das ein Weih sein, der soviel Kühnheit zeigt? Ein Raubvogel ist es jedenfalls, also einen Schuß Pulver wert. Rasch wirft der Förster einen Schuß nach dem Räuber, aber ohne Erfolg; denn er stößt ruhig weiter, als ginge ihn der Blitz und Donner nichts an. Zum zweitenmal schießt der Grünrock fehl dank der tiefen Dämmerung und der unstäten Bewegung des Ziels. Ein dritter Schuß endlich wirft den Vogel tot in das Farnkraut, und der Hund beeilt sich, ihn herbeizubringen. Doch wie [S. 40] erstaunt ist der Förster, als er schließlich eine Eule in der Hand hält, eine hellgefärbte Eule von der Größe einer Waldohreule, deren gelbe Augen noch im Tode feindlich funkeln. Ganz klein sind die Federn, die die Ohrbüschel darstellen.
Arme Sumpfohreule ! In der weiten flachen Heide oder in der Tundra gar hat deine Wiege gestanden. Zwischen deckenden Gräsern bist du groß geworden im bodenständigen Neste. Kaum hattest du gelernt, die flinke Maus, den Lemming vielleicht, zu jagen, da zwang dich der Winter zum Wandern. Und hier, fern der Heimat, mußtest du den Schroten, die eine unkundige Hand nach dir schoß, erliegen. Hoffentlich geht es deinen Brüdern und Schwestern besser, daß sie glücklich wieder in ihre weite, friedliche Heimat kommen. Zwar vor dem Pfahleisen, dem grausamen Mordwerkzeug gewissenloser Menschen, sind sie ziemlich sicher, nur ungern benutzen sie ja Pfähle zum Ruhen. Aber wenn sie einen Uhu sehen, der noch in der Dämmerung neben der Krähenhütte sitzt, dann kann es leicht der ganzen Schar das Leben kosten, wenn ein schießwütiger Mensch dort auf Raubvögel wartet. Mögen ihre Brüder und Schwestern eine nach der andern unter Blitz und Knall tot zu Boden fallen, die Wut verleitet die Überlebenden immer und immer wieder, auf den großen Nachtvogel zu stoßen. Wer vermag zu sagen, was der Grund zu diesem blinden Hasse ist?
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Alljährlich, wenn die Taufrösche im Teiche murren, wenn das Schilf mit einem Wald von Spießen den Wasserspiegel umgibt, dann kommen sie aus dem warmen Süden wieder, Herr Rothals und seine Gattin Grauwange. Die Nächte durch sind sie geflogen, und eines Morgens kommen sie angeschnurrt mit vorgestreckten Hälsen, senken sich nieder zur Wasserfläche und fallen ungeschickt in ihr heimisches Element. Die Muskeln unter dem weichen lockeren Brustpelz schmerzen, die Flügel sind lahm, und deshalb fällt es den Rothalstauchern nicht ein, sich diesen Sommer noch einmal in die Lüfte zu wagen. Sie schaukeln sich auf den Wellen, stecken die schwarzen Schnäbel mit den gelben Mundwinkeln in das Rückengefieder und schlafen und träumen von weiten Reisen von Teich zu Teich, von Fluß zu See, bis sie hier auf ihren angestammten Wässern ankamen.
Reisen macht müde, wenn man auf eigne Kräfte angewiesen ist, reisen macht aber auch hungrig. Und der leere Magen weckt das Taucherpaar und verlangt gebieterisch seinen Teil. Grauwange krümmt den roten Hals, senkt den schwarzen Dolchschnabel zur Wasserfläche, und mit einem leichten Satze verschwindet sie in der Tiefe. Kräftig stoßen die graugrünen Füße mit den Zehen, an denen breite Lappen die Ruderfläche vergrößern; wie ein Unterseeboot mit der Flügelschraube, so saust der Taucher unter dem Wasser dahin. Da schwimmt er wieder auf der Oberfläche. Wie silberne Perlen rollen die Wassertropfen über [S. 42] seinen Rücken, ohne ihn zu benetzen. Ein glitzerndes Etwas zappelt im schwarzen Schnabel des Fischräubers. Zweimal ruckt der Kopf des Tauchers, und der kleine Gründling oder Hecht oder was es sonst war, ist verschlungen. Aber ein kleiner Bissen war es nur, der sättigt nicht. Wieder und wieder verschwinden bald Rothals, bald die Gattin unter dem Wasser, bald sind sie beide nicht zu sehen.
Aber schließlich sind sie doch gesättigt und machen Toilette. Immer und immer wieder ziehen sie die Federn von Rücken und Seiten durch den Schnabel, den sie mit dem Fett der Bürzeldrüse eingeölt haben. Dann kommt Bauch und Brust an die Reihe. Das erfordert allerlei Körperverrenkungen; ganz auf die Seite müssen sich die Vögel legen, um das Bauchgefieder einölen zu können, das wie Atlas in der Sonne glänzt. Ist eine Feder locker geworden und will sie sich nicht mehr einordnen in den Verband ihrer Schwestern, dann wird sie herausgezuft und — verschlungen. Kein Wunder, wenn der Magen der Taucher von den Federn ausgekleidet ist, die sich mit den spitzen Kielen in die Magenwand einbohren und darin haften bleiben. Soll der Pelz im Magen Schutz gewähren vor den spitzen Flossen von Barsch und Stichling, soll er die Gräten abhalten, den Magen zu verletzen? Wahrscheinlich!
Doch was ist das für ein Geschrei, das über dem Wasser zittert? Ist es ein Waldhorn, dem ein Kindermund Mißtöne entlockt, plärrt ein Riesenfrosch im Schilfe? Nein, Rothals ist es, der von seiner Liebe singt! Nur Grauwange hat Verständnis für die [S. 43] Schönheit dieses Liedes, und eilig schwimmt sie hin zum Gatten, um mit höheren, leiseren Tönen in den Sang einzustimmen. Aber auch zweistimmig klingt das Lied der Rothalstaucher nicht sonderlich schön. Im April lassen sie es noch nicht so oft hören wie im Mai; wenn sie ans Nisten denken, dann schreien sie den ganzen Tag. Dafür sind sie bei ihrer Ankunft aber auch beinahe die einzigen Sänger am Teiche, wenn man das zankende Belfern der Bläßhühner und das Naken der Stockenten nicht für voll rechnet.
Nur ein kleiner Sänger, sogar ein Vetter des Rothals, läßt schon seine Stimme aus dem Schilfe erschallen, und deshalb machen sich die großen Taucher auf, und schwimmen dem Rohrwalde zu, wo ein trillerndes bibibibibi den Zwergtaucher verrät. Der kleine schwarze Kerl mit dem roten Fleck auf Gurgel und Hals freut sich sehr über die ihm widerfahrene Ehre. Gern läßt er sich von Frau Grauwange erzählen von der weiten Reise, denn er kann sich so eine Flucht vor dem Winter nicht leisten. Bis zum nahen Mühlbach, der wegen seiner starken Strömung nicht zufriert, ist er gewandert und hat dort auch sein Weibchen kennen gelernt und sich mit ihr schlecht und recht durch den Winter geschlagen. Gewiß kann er auch fliegen, aber das strengt ihn mächtig an und er kommt außer Atem, deshalb bleibt er eben lieber da.
Was die Geschwister machen? Ja, da ist leider nicht viel Gutes zu berichten. Der eine, kleinste, war auf dem Dorfteiche, als er abgelassen wurde. Der kleine Dummrian hatte nicht ans Wegfliegen gedacht, war sitzen geblieben und dann auf dem Schlamme [S. 44] von den Fischern gegriffen worden. Seit der Zeit ist er verschollen, wer weiß, wo er ist. Schlimmer noch gings der Schwester. Die fand im Bache einen Drahtkorb, in dem es wimmelte von Ellritzen und kleinen Forellen. Dreimal versuchte sie, zu der zappelnden Beute zu gelangen, dreimal vergeblich. Endlich hatte sie verstanden, eine Klappe zu heben. Hei, da fuhr sie unter die Fischchen, die nicht entfliehen konnten. Rasch hat sie eins unter Wasser verschluckt und ein zweites gepackt. Mit dem will sie nach oben. Aber wehe! Wo ist der Ausgang? Hier dichter Draht, dort auch, dort ebenso, unten Draht, oben auch, nirgends Luft, nirgends ein Ausweg. Da war sie still geworden, hatte ruhig dagelegen in der Reuße, das silberne Fischchen im Schnabel, bis sie der Fischer in den Brustlatz der Schürze steckte. Silberpelz, die Spitzmaus, hat es dem Bruder erzählt, sonst wüßte niemand von dem Ende der kleinen lustigen Taucherin. Und die andern? Hierhin, dorthin verschlagen, geflohen vor dem Eise, das ihre Heimat in Fesseln schlug.
Soll trübe Stimmung die Taucher befallen, wenn die Sonne lacht und der Frühling webt? Stumm gehen sie auseinander, die Zwergtaucher ins Schilf, die Rothälse ins offene Wasser. Aber bald ertönen im Rohrwalde und auf dem Spiegel die frohen Liebesgesänge aufs neue, fein und trillernd hier, dort laut und grob.
Tage und Nächte vergehen, die Sonne steigt höher. Auf dem See ist eine dritte Taucherart angekommen. Die stolzen, vornehmen Haubentaucher schwimmen still und unnahbar mitten auf dem Wasser und rufen [S. 45] laut ihren Balzruf, daß es schallt. Gröck gröck gäg gäg kruorr. Dabei tragen sie stolz auf elfenbeinweißem Halse ihren helmverzierten Kopf, prangen mit der atlasweißen Brust und schwimmen hoch wie ein Kork im Wasser, wenn sie mitten im See sind, tief tauchen sie ein am unsichern Ufer, daß der braunschwarze Rücken nur wie ein schmaler Strich über den Wellen liegt.
Mit den Krontauchern haben die Rothälse wenig Verkehr, ihm sind sie zu stolz, sie mag nicht ihre eigne Schönheit mit der größeren der Vettern vergleichen lassen und meidet deshalb ihre Gesellschaft. Dagegen halten sie sich gern in Gesellschaft der liebenswürdigen Schwarzhalstaucher auf. Das sind auch sehr hübsche Kerle mit ihren goldenen Pausbacken, aber vor allem sind sie gar nicht stolz, wenn sie auch mit ihresgleichen mehr zusammenhalten als mit den Rothälsen, denn sie brüten in einer Kolonie von fünf oder sechs Paaren auf dem See.
Unter Necken und Spielen, Balzen und Fischen eilen die Tage dahin. Da kommt der Mai und mit ihm die Brütezeit. Jetzt klingen die Liebeslieder den ganzen Tag. Die Gatten umspielen einander, necken und jagen sich, bis sie sich schließlich unter lautem Geschrei mit den Hälsen umschlingend aneinander aufrichten, daß die weißen Bäuche sich berühren. Jetzt gilt es auch ein Nest zu bauen. Dem Rohrsänger, der über ihnen in den Halmen lärmt und dort seine kunstvolle Kinderwiege aufhängt, haben die Taucher die Nestbaukunst nicht abgesehen und auch bei der Stockente, die mit weichem Bauchgefieder das Nest unter dem Brombeerstrauche polstert, sind sie nicht in [S. 46] die Schule gegangen. Sie bauen nach eignem Gutdünken. Sie drücken einige Rohrhalme nieder, schichten andre, trockene darauf, so daß ein an den Rohrhalmen verankertes Floß entsteht. Soweit könnten’s die Taucher auch der zänkischen Blässe abgesehen haben. Aber nun kommt eigne, unpatentierte Erfindung. Auf das schöne, trockene Floß kommen nasse Schilfhalme und Blätter, die Frau Grauwange vom Grunde heraufholt. Und in dieses faulende, nasse Halmennest legt sie dann ihre weißen, grobschaligen Eier, fünf an der Zahl, setzt sich darauf und brütet.
Ab und zu kommt auch Rothals, der Gatte und löst seine Gemahlin ab, daß sie sich Fischchen fangen kann und die steifgewordenen Glieder dehnen. Wenn eine Störung naht, dann taucht der brütende Vogel eilig auf den Grund, deckt nasse Halme auf die Eier und stiehlt sich unter Wasser fort. Dann kann man dem Pflanzenhaufen nicht ansehen, was er verbirgt, die Eier bleiben unentdeckt. Wenn sie einige Zeit bebrütet sind, ist allerdings die Bedeckung nicht mehr so unbedingt nötig, es entwickelt sich nämlich auf den ursprünglich weißen Eiern eine gute Schutzfarbe: die faulenden Pflanzenteile färben sie braun und fleckig, wie ihre Umgebung.
Drei Wochen sitzen die Taucher abwechselnd auf den Eiern; die Wärme, die die faulenden Pflanzenteile entwickeln, hilft tüchtig mit brüten, und eines Tages tönt ein leises Piepen unter dem Brustgefieder von Frau Grauwange hervor. Ein Junges arbeitet lebhaft mit dem harten, weißen Eizahn auf der Spitze seines Schnabels, bis es die Schale durchbrochen hat [S. 47] und es heraus kann aus dem engen kalkigen Gefängnis. Ein kleiner schwarzer, weißgestreifter Wollball arbeitet sich ans Licht. Vier andre junge Dunentaucher tun das nach und am Abend sitzen fünf piepende allerliebste Kinder im Nest und lassen sich von der Mama trocken wärmen.
Doch am nächsten Tage sind sie schon nicht mehr auf dem faulenden Schilfhaufen zu finden. Im Gefieder der Mutter versteckt, schwimmen sie über das Wasser dahin, lassen sich füttern mit zarten Bissen, und leben sorglos in den Tag hinein. Naht Gefahr, geht der Teichaufseher mit seinem ewig geladenen Schießprügel am Schilfrande hin, dann klammern sich die Kinder fest am Gefieder der Alten, sie halten den Atem an und hopsa, geht es hinunter in die Flut und rasch hinein ins Schilf. Hier sind die Kleinen schon selbständiger, sie schwimmen ein wenig umher mit ungeschickten Ruderstößen, haschen hier ein winziges Krebschen aus dem Wasser und schnappen dort eine Mücke weg, die ihre Eier ins Wasser legen will.
Bei Haubentauchers sind jetzt auch Kinder angekommen, und doppelt stolz schwimmen die Eltern am Schilfrande. In ihrer Freude vergessen sie ganz ihre sonstige Wachsamkeit, sie liegen hoch im Wasser, und der Papa singt sogar seinen Kindern, die sich auf dem Rücken der Mama schaukeln, ein dröhnendes Wiegenlied.
Er hört nicht die leisen Schritte hinter dem Deichdamme, hört nicht das Knacken des Gewehrhahnes. Mit einem Male sieht er eine Bewegung am dicken Pappelstamme. Er dreht den helmverzierten [S. 48] Kopf und äugt scharf nach dem Baume. Da blitzt es und wie ein Schauer körniger Hagelstücke peitscht eine Ladung Schrote das Wasser, zerfetzt den Hauptschmuck des Tauchers, durchbohrt seinen Hals, zerreißt sein Lebensmark.
Es plumpst und plantscht im Schilfe, der Jagdhund schwimmt prustend hinüber zum Krontaucher, faßt ihn und bringt ihn zum Ufer. „So recht, mein Hund, hier bring ihn her. Setz dich brav!“ Dann nimmt der junge Jägersmann den Taucher und streicht ihm über die atlasweiße Brust. Der Lockenkopf seines Mädels taucht auf vor seinem Geiste, und ein Taucherbarett darauf, das muß fein passen zu den dunklen Locken und den frischen, roten Wangen. — An das Taucherweib denkt er nicht und ihre Kinderschar, denen er Gatten und Vater entrissen.
„Frühling, Frühling!“ läuten die weißen Blüten des Schneeglöckchens. „Frühling!“ sagt der Haselstrauch und schüttelte leise seine gelben Kätzchen im Winde, daß Staubwölkchen ihnen entschweben. Mit zarten, roten Büschelarmen langen und tasten die weiblichen Blüten nach dem goldenen Staube, dem Liebespfande der Männchen. Wärmender, feuriger lockt von Tag zu Tag die Sonne, Leberblümchen und Veilchen ruft sie. Schmeichelnd badet sie ihre Strahlen im Waldteiche, sie lockt die Pflanzen und ruft die Tiere. Mit knurrenden Tönen schwört der Taufrosch [S. 49] seiner kalten Gattin ewige Liebe, und auch die stummen Fische spüren des Lenzes Macht.
Dort, wo die Ufer breit und sumpfig sind, wo das Wasser wärmer ist, als an den tiefen Stellen, da zeigen rasch laufende Wellen, daß Leben hier pulsiert. Grünhals, der Stockerpel, sucht mit hochgerecktem Kopfe zu ergründen, was hier vorgeht, während seine Gattin lieber die gefährlich scheinende Stelle ganz meidet. Doch die zwei, die sich dort tummeln, die denken jetzt nicht an Mord und Raub, so gefährliche Burschen sie auch sonst sind. Spielend reibt der Hecht seine breite Schnauze an den Seiten des Weibchens, drängt sich dicht an sie, biegt seinen geschmeidigen Leib im Kreise um sie und erweist ihr hundert Artigkeiten. Frisch und glänzend zeichnen sich die graugrünlichen Wellen- und Fleckenornamente auf seinem Körper ab, erscheinen bald heller, bald dunkler, bald schwärzlich, bald rötlich, je nachdem die Sonne ihr Gesicht hinter den Wolken verbirgt oder glänzend hernieder lacht. Abend wird es und noch immer dauert das Spiel, es wird Morgen, die Hechte stehen und spielen noch an der gleichen Stelle. Nach einigen Tagen aber sind sie verschwunden. Wo sie sich tummelten, liegen schleimige Klümpchen zwischen den Pflanzen.
Weiter lockt und wärmt die Sonne. Sie hat jetzt viel zu tun. Große Gallertklumpen liegen im Teiche und wollen gewärmt sein, damit die kleinen Kaulquappen sich gut in ihnen entwickeln. Kleine schwarze Schüppchen treiben auf dem Wasser, kleben an den Pflanzen oder liegen im Schlamme. Wintereier [S. 50] der Wasserflöhe sind es, die auch ausgebrütet sein wollen. Dazu kommt noch das Heer der Pflanzen, die ihre grünen Blättchen entfalten und hungrig die Lichtstrahlen auffangen, damit sie Stärke und Zucker bauen können. Der Wasserhahnenfuß mit seinen dünnen Fiederblättchen, der Fremdling aus Amerika, die Wasserpest, dazu das Heer von Millionen kleiner Kieselalgen, dünner Fadenalgen und rollender Volvoxkolonien, sie alle wollen Licht haben, Licht und Wärme. Und die Sonne strahlt und strahlt, und jeder bekommt sein Teil von ihrer Lebenskraft. In kurzer Zeit hat sie ein Heer kleiner Lebewesen hervorgebracht, die durcheinander hüpfen und schwimmen, krabbeln und klettern, daß es eine Lust ist, zuzusehen.
Was ist unterdessen aus den Schleimklümpchen geworden, die die Hechte am Teichufer liegen ließen? Kleine schwarze Pünktchen bildeten sich in ihnen, die wurden größer. Bald ließ sich ein kleines, zusammengeringeltes Fischchen in ihnen erkennen. Eines Tages sind die winzigen Dinger ausgekrochen, einige kleben noch an den Eihüllen, die andern sind zwischen den Pflanzen verschwunden. Nur selten verlassen die kleinen Hechte den dichten Pflanzenwald, hier finden sie ja alles, was sie brauchen. Wasserflöhe, Mückenlarven und Würmer bilden ihre Nahrung, bei der sie erstaunlich rasch heranwachsen. Einige Wochen mögen sie alt sein, da richten sie ihre begehrlichen Blicke schon auf junge Fischbrut. Ob junger Weißfisch oder Schleie, ob ein Freund der eignen Art, das ist gleich. Wenn er nicht zu groß ist, wird er gefangen und gefressen.
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Ein spannendes Schauspiel ist die Jagd des Hechtes. Am Rande des Teichs, wo die plätschernden Fluten das Erdreich zwischen Erlenwurzeln herausgespült haben, so daß wunderschöne Verstecke und Schlupfwinkel entstanden sind, hat ein dreijähriger Hecht seinen Stand. Wochenlang bekommt man ihn nicht zu sehen. Da eines Tages ziehen drohende Gewitterwolken am Himmel hoch, die Luft ist schwül und drückend. Endlich geht unter Blitz und Donner ein erfrischender Platzregen nieder, die Luft vom Staube reinigend, die Gewässer ausgiebig durchlüftend. Das ist die Zeit, wann der Hecht jagt. Still steht er zwischen den Erlenwurzeln, leise spielen seine Kiemendeckel. Da geht es wie ein Ruck durch seinen glatten Körper. In schnurgerader Richtung ziehen Wellen auf ihn zu, eine Wasserratte durchquert den Teich. In gleichmäßigem Takte spielen die Brustflossen des Raubfisches, er richtet sich etwas auf und krümmt den Rücken. Jetzt ist das Opfer nahe genug, wie ein Pfeil schießt der Hecht vor, das Wasser spritzt auf und die Wasserratte ist zwischen den nadelspitzen Zähnen verschwunden, die kein Loslassen kennen.
Wieder steht der Räuber ruhig und lauert. Die Rohrdrossel lärmt im Schilfe, ein Wasserhuhn zieht vorüber, den Hecht stört es nicht. Schwalben fliegen über dem Wasserspiegel und trinken und baden im Fluge, aber auch die erregen die Aufmerksamkeit des Hechtes nicht. Im Fluge vermag er sie ja doch nicht zu erwischen. Aber im Herbst, wenn sie in Scharen im Röhricht einfallen, um zu nächtigen, da lohnt es eher, ein wenig auf sie acht zu geben. Zweimal schon [S. 52] ist es dem Räuber gelungen, ein niedrig sitzendes Schwälbchen vom Rohrhalme wegzuschnappen. Aber viel war an dem kleinen Federviehzeug auch nicht dran, also guckt der Hecht nach den Schwalben gar nicht mehr. Aber jetzt verrät er wieder Zeichen von Jagdlust, wieder spielen seine Flossen, wieder krümmt sich sein Rücken. Eine breite, leise Welle nähert sich, was ist das? Ein dicker Karpfen ist es sicher nicht, da ist die Welle zu leise und zu breit. Näher und näher kommt die Bewegung des Wassers, eine „Schule“ von fingerlangen Barschen zieht vorüber. Rot glänzen ihre Brustflossen, die stachligen Rückenflossen werden aufgestellt und umgeklappt, die dunklen Querstreifen auf dem Schuppenkleide machen sich leicht kenntlich. Wie ein Ungewitter fährt der Hecht unter die Barsche, daß sie wie Spreu auseinanderstieben und eiligst entfliehen. Leicht wäre es dem Räuber, mit der breiten Schnabelschnauze einen der kleinen Raubfische zu erhaschen, aber er tut es nicht. Barsche schmecken ihm zu stachlig, die nimmt er nur, wenn er sehr hungrig ist. Er hatte sie nur nicht erkannt mit seinen kurzsichtigen Fischaugen, sonst hätte er sich die Mühe und den Kleinen die Aufregung erspart.
Sonderbar, allemal wenn der Hecht Barsche sieht und ihre Stacheln erkennt, dann muß er immer wieder an den kleinen Fisch denken, der bei ihm in schmerzlicher Erinnerung steht. Es war im Frühjahr. Er hatte die Zeit der Liebe hinter sich und mächtigen Appetit nach der entbehrungsreichen Laichzeit. Da hatte er einen kleinen Fisch vor sich gesehen, der vor dem großen Räuber keine Angst zeigte. Leise war er [S. 53] herangeschlichen, genau hatte er gezielt und war dann vorgeschossen wie ein Pfeil und hatte den Kleinen erfaßt. Doch wehe! Scharfe, spitze Stacheln hatten sich in seinen weichen Gaumen eingebohrt, er hatte gespien und geschluckt, aber weder heraus noch herein war der kleine Stachelheld zu bringen. Nach langen, schmerzlichen Bemühungen war es ihm endlich geglückt, den Stichling auszuspeien. Nach denen schnappt er nicht wieder, das weiß er.
Und noch etwas Rätselhaftes war in diesem Jahre passiert. Er bummelte gemütlich über dem Teichgrunde dahin, schnappte hier nach einer Libellenlarve, dort nach einer Kaulquappe. Dann sah er einem Karpfen zu, der langsam und behäbig unter der Wasseroberfläche dahinschwamm und immerwährend schnappte, um sich mit winzigen Flohkrebsen zu mästen. Auf einmal war ein Schatten ins Wasser gefallen, es hatte laut geplatscht und gerauscht, dann war ein großer Vogel ein Stück unter Wasser getaucht, hatte mit acht scharfen Krallen dem Karpfen durch den Leib gegriffen und war dann wieder verschwunden und mit ihm der zappelnde Friedfisch. Aus Angst vor diesem Karpfenheber (Fischadler) hält sich unser Hecht lieber im tiefen Wasser auf, oder unter dem Schutz von Schilf und Baumwurzeln.
Doch vom Philosophieren wird man nicht satt, und ein Hecht von drei Pfund hat Hunger. Sieh da, ein glitzerndes Fischchen ist vorübergeschwommen, er hat es verpaßt. Doch da ist ja wieder eins, es dreht und schlängelt sich durchs Wasser. Mit einem Ruck fährt der Räuber zu und schnappt und schluckt. [S. 54] Doch was ist das? Hart wie Stein ist der Fisch und stachlig obendrein. Also heraus damit. Aber der Bissen sitzt fest. Und was ist denn das wieder Neues. Der Bissen zieht leise und vorsichtig nach dem seichten, sandigen Ufer zu. Mit kräftigen Schwanzschlage steuert der Hecht rückwärts und ruckt und reißt. Immer fühlt er dabei Widerstand, einen sonderbaren nachgiebigen Zug. Hält er ein mit Rucken und Zerren, dann wird er wieder langsam nach dem Ufer gezogen. Hin und her geht der Kampf. Aber schwächer und schwächer wird der Widerstand des Hechtes, noch einen Gewaltversuch macht er, aber um so rascher ermattet er. Schon ist er bis auf wenige Meter dem Ufer nahe, jetzt liegt er gar schon auf dem Sande. Mit letzter Kraft ruckt und schnellt der Hecht, aber zu spät. Ein dichtes Netz legt sich um seinen Leib, hebt ihn auf vom Sande und bringt ihn ins Trockene. Einen dumpfen Schlag fühlt der Hecht noch auf seinem Schädel, dann ist es aus. Zwar zucken seine Muskeln, wenn der kalte Stahl das Hirn durchbohrt, aber fühlen kann er seinen Tod nicht mehr.
Der glückliche Fischer aber löst den doppelten Hechthaken aus dem Maule des Raubfisches, prüft die dünne, feste Seidenschnur und die Rolle, die das Garn zwar auslaufen läßt, aber immer dabei bremst, so daß der gefangene Fisch viel Kraft vergeudet, ohne doch die Schnur zerreißen zu können. Dann legt er wieder den Kätscher bereit, streicht mit dem Messerrücken über den Blechlöffel, der den Fisch darstellt, damit er neuen Glanz bekommt, und wirft dann wieder seine Angel aus.
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Ein Hecht hat zartes Fleisch und dabei wenig Gräten, er ist gut zu essen. Das wissen nicht nur die Angler, das wissen auch die Jungen auf den Dörfern, in deren Bächen sich Hechte aufhalten. Und gar schlau wissen sie die glatten Räuber zu fangen. Die Angel wird von den Knaben wohl nie benutzt, zum langen Warten haben sie wenig Geduld. Im März, wenn die Hechte „stehen“, da ist ihre Fangzeit. Da gehen sie zum Schirrmeister des Ritterguts und betteln sich einige lange Haare aus dem Schweife des Schimmels. Die flechten sie zu einer dünnen, straffen Schnur zusammen und ziehen hinaus vors Dorf. Am Bach schneiden sie eine lange dünne Weidenrute ab, binden ihre Roßhaarschlinge daran und gehen langsam am Bachufer hin. Wo sich die dicken Stämme der Erlen und Pappeln, der Weiden und Birken im Wasser spiegeln, da gucken sie und suchen sie. Da kann man bis auf den Grund des Baches sehen, während sonst die spiegelnde Oberfläche stört. Aber leicht ist ein Fisch zwischen den verwesenden Blättern, den toten Rohrhalmen und Ästen auf dem Bachgrunde nicht zu entdecken.
Endlich macht einer der Jungen Halt. Schnell sieht er noch einmal nach, ob die Schlinge fest an der Rute sitzt. Dann guckt er lange und genau nach dem Hecht, den er stehen sieht. Ja, was ist denn nur hier vorn oder hinten? Vom Kopf ist nichts zu entdecken, der steckt unter einem Blatt, der Schwanz auch. Ganz leise taucht der Knabe seine Rute ins Wasser. Leise schiebt er das Blatt vom Kopfe des Hechtes weg. Der bleibt auch wirklich stehen, aber [S. 56] geheuer ist ihm die Sache nicht, er bewegt die Brustflossen ziemlich rasch, lange wird er nicht mehr ruhig bleiben. Ein Blick nach der Schlinge zeigt, daß sie noch in Ordnung. Vorsichtig zieht sie der Knabe dem Hecht über den Kopf, langsam bewegt er sie nach den Kiemen des Fisches zu. Doch er tut einen Schwanzschlag und ist hindurchgeschwommen.
Wieder wird er aufgespürt. Diesmal steht er günstiger. Wieder taucht die Schlinge ins Wasser und rutscht über den Hechtkopf. Jetzt ist sie hinter den Kiemen; dicht vor den Brustflossen umgibt sie in weitem losen Bogen den Hechtleib. Mit einem Ruck, so rasch und kräftig er ihn tun kann, zieht der Knabe seine Rute aus dem Wasser, ein Hecht von zwei Spannen Länge zappelt in der unbarmherzigen Schlinge. Er kriegt einen Klaps mit dem Taschenmesser auf den Kopf und wird abgenickt. Dann kommt er in den Latz der blauen Schürze. Nach einer halben Stunde hat er einen Leidensgefährten oder zwei, wenn nicht unterdessen der Förster die Jungen erwischt und vertrieben hat. Denn erlaubt ist das Fischen natürlich nicht, deshalb schmecken die Hechte doppelt gut.
Einsam und zwischen hohen Pappeln versteckt liegt die Walkmühle da. Das Wasser plätschert und rauscht lustig an den alten Mauern, fröhlich springt es vorüber, da es das alte Schaufelrad nicht mehr zu drehen braucht; denn die Walkmühle ist schon lange [S. 57] nicht mehr im Betriebe. Holzläden schließen die glaslosen Fenster, aber ohne Mühe kann sie jeder öffnen, wenn er Lust hat, in das baufällige und verschmutzte Gemäuer einzudringen. Eine Anzahl Fledermäuse stieben erschreckt auf und umflattern den Eindringling, wenn er etwa die knarrende Holzstiege hinaufklettert zum Oberboden der Mühle, und das Käuzchen schwingt sich zur Dachluke hinaus, wenn Menschenschritte es aufscheuchen. Aber selten genug kommt das vor.
Im Winter schaut die Sonne alle paar Tage einmal durch die Luke, schickt ein bleiches Bündel Licht in die Ecken des Bodens und schiebt es langsam von Stunde zu Stunde weiter. Je näher der Frühling kommt, desto goldener wird der Sonnenstrahl auf dem Boden der Walkmühle, desto kleiner der Weg, den er geht. Und wie die Sonne so suchend und wärmend über den Boden der Walkmühle wandert, so weckt sie nacheinander die Schläfer, die sich dort vor dem Winter verkrochen haben. Da sind zarte Mücken und grüne Florfliegen mit goldenen Augen, Kohlweißlinge und Pfauenaugen versammelt, die alle zur rechten Zeit geweckt werden, um dann ihr Sommerleben zu beginnen, wenn nicht die zarten Fesseln des Spinnennetzes am Mauerloche ihre schwachen Kräfte lahmlegen, so daß die Hausspinne die Wehrlosen töten und aussaugen kann.
Im März war es. Die Sonne schien warm, und ihr goldener Strahlenstab wanderte langsam über den Boden der Walkmühle. Zögernd glitt er über das Gerümpel, das dort lag, über die zerbrochenen Rohrstühle, das verstaubte Kinderspielzeug, beleuchtete die [S. 58] weißen Häufchen Mauersalpeter, die im Laufe der Zeit vom Dache gefallen waren, und kroch dann über den Haufen alter, morscher Lattenstücke.
Da traf er einen Winterschläfer und störte ihn in seiner Ruh. Zitternd fuhr sich die Hornisse über ihre geknickten Fühler, putzte sich die großen Fazettenaugen, wischte sich den Staub aus den Punktaugen auf ihrer Stirn, bog und dehnte den Hinterleib auf und nieder und marschierte dann mit dem wandernden Sonnenstrahl weiter. Je länger die belebende Sonnenwärme auf den gelben, glatten Leib fällt, desto lebhafter wird sie, probierend hebt sie die braunen, knittrigen Flügel, brummt ein wenig damit und fliegt dann auf. Schwankend und unsicher geht der Flug dahin, bis die Hornisse an der Dachluke sitzt, so recht in der warmen Sonne auf dunklem, warmem Brette. Immer mehr weicht die Trägheit und Steifheit des langen Winterschlafs aus ihren Gliedern, die Fühler spielen, die Kiefer öffnen und schließen sich. Nun ist die Hornisse durchwärmt, sie summt mit den Flügeln und fliegt davon.
Der dürre Ast der alten Eiche, den der Wintersturm abriß und zu Boden warf, hat im Fallen den schlanken Stamm einer Birke getroffen und ein Stück der glatten, weißen Rinde abgeschlagen. Nun quillt der aufsteigende Lebenssaft aus der Wunde und rinnt als süße Träne zu Boden. Ein leiser Duft geht aus vom Birkensafte und zieht mit dem sanften Lufthauch davon. Die Hornisse schwärmt und fliegt durch die Duftwelle, die Fühler tasten in der Luft, und im Nu weiß die Gelbe den Weg zum süßen Tranke. Geradeswegs [S. 59] fliegt sie hin zur Birke, tanzt einmal auf und nieder vor der blutenden Wunde, und dann setzt sie sich hin auf die weiße Rinde zum leckern Mahle. Lange leckt und schlürft sie vom Birkensafte, bis sie gesättigt ist, dann putzt sie sich die Beine und Flügel und brummt in schwerem Fluge weiter.
Hinüber zur glatten Esche geht es. Dort setzt sich die Hornisse nieder und schrotet und schabt mit den scharfen Kiefern an der Rinde. Ein heller Streifen zeigt bald an, wo sie die dünne graue Schicht verwitterter Borke losgeschabt hat. Mit einem kleinen grauen Ballen Holzstoff in den Kiefern brummt dann die Hornisse zurück zur Walkmühle. Sie fliegt zur Dachluke hinein und läuft an den Balken umher. Zögernd macht sie hier einmal Halt und tastet mit den Fühlern, dann läuft sie weiter und wiederholt ihr Spiel. Endlich scheint sie gefunden zu haben, was sie sucht.
Der Balken, der sich quer über den Boden spannt, scheint ihr sehr zu behagen. Er ist halb im Dunkeln, trocken ist er auch, und von der Dachluke zieht ein leiser Lufthauch über ihn hin. Dort sitzt die Hornisse und kaut an dem Ballen Eschenrinde, den sie immer noch zwischen den Kiefern trägt. Dann klettert sie an die Unterseite des Balkens und klebt das gut durchgekaute Klümpchen daran fest, um darauf wieder durch die Dachluke davonzufliegen. Lange dauert es nicht, dann ist sie schon wieder da mit einem Ballen Holzstoff zwischen den Kiefern, kaut ihn und pappt ihn an den Balken. So geht es immer weiter, bis der Abend kommt und die Kühle der Nacht die Glieder der Hornisse steif werden läßt.
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Doch kaum hat die Sonne am nächsten Tage den Tau von den Frühlingsblumen getrocknet, da macht sich die Hornisse wieder an die Arbeit. Bald an der Esche, bald am Fensterladen schabt sie Holzfasern los und kittet und klebt sie an den Balken. Nach einigen Tagen ist eine kleine Scheibe fertig, und auch schon einige sechseckige Zellen sind darauf gebaut. Aber nun will die Hornisse nichts mehr wissen von Papparbeit. Nun sucht sie auf den gelben Blüten des Löwenzahns etwas Blütenstaub zusammen, trinkt auch Nektar, wo sie dazukann, schleckt Birkensaft und gärendes Blut der Eiche. Das alles trägt sie zu ihrem Wabenbau, bricht es wieder aus und stopft es in die Zellen. Eine nach der andern wird so angefüllt, und dann legt die Hornisse ein Ei in die Nahrungsmasse.
Bis jetzt hat sie nur der Zukunft gelebt, nun genießt sie erst einmal ihr Leben. Um ihren Bau kümmert sie sich tagsüber nur wenig. Da schwärmt sie umher, und wo es nach Süßigkeit duftet, da ist sie zu finden. Alle Pflanzensäfte kostet sie, und sie bekommen ihr gut, beinahe feist wird sie bei ihrem Schlemmerleben. Des Abends kehrt sie zurück und setzt sich auf ihr Nest, guckt auch mal in die Zellen und freut sich, wie die Eier darin ausschlüpfen, die Larven fressen und heranwachsen und schließlich zu weißen Mumien werden. Man sieht durch ein weißes Kleid die Fühler und Beine an ihnen schon fertig entwickelt, noch kurze Zeit, und die jungen Hornissen schlüpfen aus.
Weiß und weich sind die jungen Weltenbürger zunächst und viel kleiner als die Mutter. Aber wenn sie ihr auch in wenig Tagen in der Farbe beinahe [S. 61] völlig gleichen, größer werden sie nicht und wenn sie noch so viel zu fressen finden. Das ist ja bei Insekten überhaupt nicht anders. Wenn sie als Larven tüchtig wachsen und eine große Puppe liefern, dann ist das fertige Tier groß, aber wenn es in der Entwicklung zurück war, kann es das Versäumte niemals wieder nachholen. So geht es den Hornissen hier auch. In ihrer Zelle war nicht allzuviel Nahrung zu finden, und deshalb mußten sie sich verpuppen, noch ehe sie völlig erwachsen waren.
Kaum sind die Flügel der jungen Hornissen richtig hart geworden, da fangen sie auch schon an zu arbeiten. Sie nehmen der Mutter alle Last ab, fliegen aus und holen Holzstoff zum Bauen und Nahrung zum Füllen der Zellen, die Mutter, die Königin, braucht nur Eier zu legen und ab und zu etwas Nahrung zu suchen, wenn sie nicht einfach die Zellen ausschleckt.
Bei dem emsigen Fleiße der kleinen Arbeiter wächst das Nest rasch heran. Erst war es nur eine einzige Wabe mit wenig Zellen und eine dünne Kugelhülle spann sich darüber. Jetzt wird an einigen Stielen über die erste Wabe eine zweite errichtet mit vielen Zellen, die schon etwas größer sind als die von der Königin gebauten. Wieder wird darüber eine weite Hülle aus Holzpapier gepappt und darüber eine noch weitere mit neuen Waben. Und alle Zellen werden mit Futter für die Larven vollgestopft, und die Königin legt dann ein Ei hinein.
Der September ist herangekommen. Die Papierburg der Hornissen in der Walkmühle hat sich mächtig verändert. Ein Bau, der weit größer ist als ein [S. 62] Männerkopf, hängt dort am Balken und ein gefährliches Brummen tönt hinter den dünnen grauen Papierwänden hervor. Wehe dem Unglücklichen, der jetzt in der Nähe des Nests den Zorn einer Hornisse erregt. Sie dringt unter eigenartigem Flügelsummen auf den Störenfried ein und versucht, ihn zu stechen. Aber während der Verfolgte noch die eine abwehrt, hat ihr zorniges Flügelsummen Gehilfen herbeigerufen. Zehn, zwanzig und noch mehr eilen herbei, und wenn man auch zehn abwehrt, so setzen sich doch andre zehn auf Arme und Beine, laufen umher und biegen den geschmeidigen Hinterleib. Und wenn sie an eine unbekleidete Stelle kommen, an Hals oder Gesicht, dann kneifen sie ihre Kiefer ein, halten sich mit sechs krallenbewehrten Beinen fest und bohren den langen, spitzen Giftstachel tief hinein ins Fleisch des Feindes. Was nützt es, wenn ein wuchtiger Schlag den kleinen, gelbgepanzerten Feind zu Brei schlägt. Zwanzig, dreißig Rächer stachelt der Blutgeruch zu rasender Wut an und Stich folgt auf Stich. Wer kann es dem Tapfersten verargen, wenn er vor den kleinen, gefährlichen Feinden eilig entflieht, oder sich zu Boden wirft in der berechtigten Hoffnung, daß die Hornissen ihn so nur schwer entdecken und sich bald beruhigen, so daß er unzerstochen entfliehen kann? Denn ein Hornissenstich ist ungemein schmerzhaft, eine riesengroße Beule ist noch wochenlang das Erinnerungszeichen. Es ist auch möglich, daß ein kleineres Tier, wie ein Hund, ja sogar ein Mensch, der nicht entfliehen kann, von den Hornissen getötet wird, obgleich es auch stark übertrieben ist, wenn der Volksmund sagt: Neun töten ein Pferd.
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Doch der schmerzhafte Stich ist jetzt nicht die einzige Unannehmlichkeit der Hornissen. Sie schwärmen weithin über die Felder bis hinüber zum Dorfe. Dort schwelgen sie in den zartschaligen Gartenfrüchten, schroten die süßen Pflaumen und saftigen Birnen und verwüsten vor allem eine große Menge Weintrauben. Die schlechtesten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen, und die Hornissen sind gerade solche Schleckermäuler, wie ihre kleineren Vettern. Doch ihre Gier nach Süßigkeiten ist auch ihr Verderb. Überall in den heimgesuchten Weinspalieren werden weithalsige Flaschen aufgehängt, in die verdünnter Sirup und Fruchtsaft geschüttet worden ist. Nun gärt das Gemisch, und der süßalkoholische Duft lockt die Hornissen an. Wenn sie dann in den Flaschenhals kriechen, werden sie von der Kohlensäure, die sich bei der Gärung bildet, betäubt, sie fallen hinein in den lockenden Saft und ertrinken.
Je mehr die kühlere Jahreszeit heranrückt, um so ruhiger wird es in der Papierburg. Zwar bis weit hinein in den Oktober trotzen die Hornissen der Kühle der Nächte. Junge, große Weibchen schlüpfen noch aus den Zellen und dickleibige Männchen. Sie schwärmen aus zum Hochzeitsfluge, doch je kühler es wird, desto seltener kommen die befruchteten Weibchen zum Neste zurück. Sie verkriechen sich in hohle Baumstämme, in Ställe und Scheunen, legen die Fühler an den Kopf und verfallen in den scheintoten Zustand des Winterschlafs.
Im Mutternest wird die Zahl der Bewohner immer kleiner. Die alte Mutter des Stocks stirbt, die Männchen fliegen fort und verenden draußen, und auch von [S. 64] den Arbeitern, den unfruchtbaren Weibchen, bleibt eine nach der andern weg. Wenn dann die ersten starken Fröste kommen, leben nur noch wenige, und auch von denen sieht keine den kommenden Frühling. Öde und verlassen hängt die große Glocke im Winter am Balken in der Walkmühle. Eine Anzahl tote Arbeiter liegen noch drinnen, in den Waben sind beinahe schlupfreife Larven erfroren, die Papierburg ist ausgestorben.
Doch wenn der Frühling kommt, dann lockt er die überwinterten Königinnen aus ihren Verstecken, und bald entstehen in hohlen Bäumen, in verlassenen Gebäuden neue Kolonien, neue Burgen der gelben Wegelagerer.
Am Waldrande liegt eine alte Ruine, das „wüste Schloß“ heißt sie bei den Landleuten. Nur einige hohe, dicke Mauern stehen noch, einige Fensternischen sind noch erhalten, alles andre bildet einen großen Trümmerhaufen. Und jährlich geht die Zerstörung weiter. Da füllt tauender Schnee die Ritzen zwischen den Steinen mit Schmelzwasser, der Frost in der nächsten Nacht läßt das Wasser erstarren, und das Eis drängt und sprengt die Steine voneinander. Zwischen den Rissen sprießen die Holundersträucher hervor und Birken. Weit hinein senden sie ihre zarten Würzelchen in die Risse des Gemäuers. Aber die erstarkenden Wurzeln stemmen sich mit Titanengewalt gegen die fesselnde Enge der Gesteinsspalten, und der [S. 65] Mörtel, den Jahrhunderte gehärtet haben, muß nachgeben und bröckelt in die Tiefe.
Es ist nicht recht geheuer beim wüsten Schloß. Am Tage drohen fallende Steine den Wanderer zu verletzen, die eine geheimnisvolle Kraft von den Mauern loswuchtet und nach dem vorwitzigen Menschenkind hinunterwirft. Am Abend kann man deutlich wilde Schreie hören, Jauchzen und tiefes Pfeifen; dann wieder dumpfes Seufzen, hu, hu, hu, tönts aus dem alten Gemäuer. Schon am Tage kommt selten ein Mensch hierher und scheucht die zahlreichen Ringelnattern, die ein beschaulich ungestörtes Dasein führen. Am Abend sucht erst recht hier niemand einzudringen in das gruselige Geheimnis der alten Ruine. Deshalb spuken balzende Waldkäuze gern hier, und die Ohreule seufzt ihr schauerliches Liebeslied. Hier treffen sich im Winter die verliebten Füchse und lassen ihr heiseres Bellen erschallen, hier hört man im März das Fauchen und Kreischen liebestoller Stinkmarder, die durch einen schmalen Spalt hinuntersteigen in ihre Schlupfwinkel in den alten, verfallenen Kellern, sobald der Morgen graut. Von dem kleinen, schlanken Vetter, der etwas abseits unter einem großen Steinhaufen haust, hört man selten einen Ton. Das Hermelin ist ein stilles, heimliches Tier.
März ist’s, und das Getreide beginnt zu schießen. Mit leisem Rauschen fährt der Abendwind durch das Gemäuer der alten Ruine. Da schlüpft ein schlankes Tier hervor unter dem Geröll, prüft mit den blauschwarz glimmenden Augen die Umgebung, schnuppert mit dem feuchten Näschen, setzt sich zierlich [S. 66] auf die Keulen und macht ein Männchen, um weitere Umschau zu haben, Hermännchen sichert und macht sich zum Jagdzug fertig. Mit zierlichen Sätzen geht’s durch den Wald auf einem glatten Wechsel, den es selbst ausgetreten hat, dann auf dem Fahrweg in dem Gleis, das die schweren Holzwagen ausgefahren haben, hinaus aufs Feld. Auf dem Grenzstein sitzt Hermännchen wieder ein Weilchen als langer Pfahl und späht nach etwas Genießbarem. Nichts ist zu sehen. Nun eilt das Wiesel in der Ackerfurche entlang, immer in weiten, eiligen Sätzen, denn hier ist keine Deckung und der Waldkauz wird bald auf Raub ausfliegen, vor dem muß man sich in acht nehmen, der hat gar spitze Krallen. Dem Bache eilt der kleine, braune Räuber zu. Schon ist er in den Büschen, die das Ufer säumen, angekommen und schlüpft durch das Gezweig, um eilig in einem alten Kaninchenbau zu verschwinden. Bewohnt ist er nicht, das weiß auch das Wiesel, aber es schlüpft stets in die alte Höhle hinein, wenn es übers Feld gekommen ist. Hier erst fühlt es sich wieder sicher nach dem unangenehmen Springen über den offenen und kahlen Acker.
Da guckt es wieder unter einer Wurzel hervor, nun steckt es Kopf und Hals weit hervor und sichert in alle Winde. Dann schlüpft es heraus, macht zum Überfluß noch ein Männchen, und dann geht es wieder am Bache entlang. Das Wasser hat die Ufer unterhöhlt und einen schmalen, halbverdeckten Pfad unter dem Ufer ausgespült. Den kennt Hermännchen und hüpft auf ihm dahin. Fast armstarke Höhlen führen [S. 67] von hier aus in den Bachdamm, in die schnuppert der kleine Räuber immer hinein. Das Loch ist leer, das dort auch. Weiter geht es. Da ist wieder eine Höhlung. Hier hält sich das Wiesel nicht lange mit Schnuppern und Spüren auf. Es ist wie umgewandelt und im Nu verschwunden in dem glatten, runden Loch. Einige Schritt weiter bachaufwärts ist noch eine Ausfahrt. Dort saust ein braunes Etwas heraus, plumpst ins Wasser und ist verschwunden. Gleich danach erscheint das Wiesel an der gleichen Stelle, stutzt einen Augenblick, und geht dann auch ins Wasser und schwimmt eifrig schnuppernd gegen die Strömung.
Zehn Schritt vor ihm taucht ein andrer Schwimmer auf. Eine Wanderratte, größer und dicker als das Wiesel, rudert dort aus Leibeskräften, denn sie weiß den Todfeind hinter sich. Kaum hat der kleine Räuber sein Wild erblickt, da ist er auch schon heraus aus dem Wasser und eilt in mächtigen Sätzen am Ufer hin. Schon ist er neben der Ratte und springt nach ihr. Das Wasser spritzt hoch auf, und dann sieht man von dem Räuber und auch von seinem gehetzten Wild nichts mehr.
Noch einmal ist es der Ratte gelungen, dem Verfolger zu entkommen. Schwer atmend sitzt sie unter dem Wurzelwerk der Erle und glotzt angstvoll nach dem Wasserspiegel. Naß kleben ihr die braunen Haare am Körper und lassen sie häßlich und abstoßend erscheinen. Nun endlich taucht auch Wieselchen wieder auf und schwimmt einigemal suchend und schnuppernd hin und her. Jetzt haben die scharfen Augen die [S. 68] zitternde Ratte erspäht und schnurstracks strebt das Hermelin auf sein Wild zu. Der Ratte ist der Weg zum Wasser abgeschnitten. Sie setzt sich auf die Keulen, hebt die zierlichen Vorderpfoten zur Abwehr und bewegt die Oberlippe zuckend auf und nieder, daß die meißelscharfen Nagezähne drohend aufblitzen.
Jetzt ist der Todfeind am Ufer, noch ein Satz und noch einer, dann wälzt sich ein quiekender und strampelnder Knäuel auf dem Schlamme, rollt hin und her, plumpst ins Wasser, aber löst sich nicht, kommt wieder aufs Trockne, wird ruhiger und stumm. Dann zerrt das Wiesel sein Opfer ganz aufs Ufer und kaut und zupft am Rattenhalse, bis es rot sprudelt und fließt, und dann leckt es und zupft wieder und kaut, bis kein Tropfen Blut mehr hervorsickert. Wiesel, mordgieriger Teufel, wie siehst du jetzt aus! Naß kleben die Haare am Körper, das Näschen und Mäulchen sind rot vom Blut, auch das weiße Vorhemdchen ist besudelt, und der weiße Bauch ist schwarz vom Schlamm!
Nur wenige Bissen reißt der kleine Räuber los von seiner erkaltenden Beute und kaut sie hinter, dann läßt er alles liegen, schwimmt durch den Bach und setzt sich drüben auf den umwachsenen Stumpf der Pappel, um sich ein wenig zu trocknen. Er schüttelt sich, daß die Haare starr nach allen Seiten stehen, dann beginnt er nach Katzenart sich zu säubern. Wieselchen leckt das weiße Vorhemdchen glatt, aber der rote Fleck will nicht verschwinden, immer und immer wieder taucht er hervor und wird breiter. Dort hatte wohl die Ratte gefaßt und eine Schmarre [S. 69] geschlagen. Unter stetem Lecken bringt das Hermelin das Blut schließlich doch zum Stehen, dann fährt es sich mit der Zunge noch einigemal über den Balg, juckt und kratzt sich, sträubt das Haar und schüttelt sich und ist beinahe wieder trocken.
Husch, ist es herunter vom Pappelstumpf und eilt in langen Sätzen dem Walde zu, aber diesmal oben, im Gestrüpp, nicht mehr am Wasserrande. Dort steht eine alte, hohle Weide. In Meterhöhe über dem Boden hat sie ein rundes Loch, das in den hohlen Stamm hineinführt. Das Wiesel reckt sich am Stamm in die Höhe, schnuppert und lauscht, dann krümmt es den geschmeidigen Rücken. Wie eine Feder schnellt der schlanke Räuber hoch am Stamm in die Höhe, klammert sich fest mit spitzen Krallen und steckt den Kopf in das Baumloch. Darin flattert es wild und zetert ängstlich, aber der Räuber läßt sich nicht bange machen. Bald hat er zugefaßt und springt mit dem erhaschten Feldsperling auf den Boden herab. Dann rupft und kaut das Wiesel, zermalmt den Schädel und frißt das Gehirn, leckt jedes Tröpfchen Blut auf, verzehrt etwas vom Muskelfleisch der Brust, dann leckt sich’s das Mäulchen und ist gesättigt. Dann schüttelt es sich einige Tautröpfchen aus dem Pelz und macht ein Männchen, um sich umzuschauen.
Der Wind scheint ihm eine interessante Witterung zugetragen zu haben, Hermännchen hüpft in zögernden Sätzen am Bachufer hin und macht öfter Halt, um prüfend die Luft einzuziehen. Dann bückt es sich zum Boden, tupft leise mit dem Näschen auf eine feuchte [S. 70] Stelle und zieht durch die gefitzte Nase den süßen Duft ein. Dann nimmt es die gefundene Fährte auf und folgt ihr auf allen Widergängen und Haken am Bache entlang, durch die Roggensaat, den jungen Klee, am Rain entlang in einen Steinhaufen, von da zur Steinbrücke am Feldweg, unter der es verschwindet. Da kommt es schon auf der andern Seite wieder hervor und rennt den Feldweg entlang. Doch nein, das ist unser Freund ja gar nicht, ein zweites, etwas kleineres, schlankeres Hermelin ist es, und unser Bekannter saust auf der Fährte des Weibchens dahin. Das aber scheint sich noch spröde der Werbung zu widersetzen, lange jedoch wird es nicht mehr dauern, da findet der stürmische Liebhaber Gehör.
Und richtig. Im Juli spielen fünf halberwachsene Wiesel mit der Mama in den Trümmern des wüsten Schlosses. Bald hier, bald da gucken die kleinen Schelmengesichter unter den Steinen hervor, hier und da huscht eins der geschmeidigen Kerlchen durch die Steinwüste. Und wie man den besetzten Fuchsbau schon in einiger Entfernung am Raubtiergeruch erkennt, so ist jetzt das ganze wüste Schloß durchduftet von dem süßlichen Parfüm der Hermelinfamilie. Sogar der Geruch der Speisereste, der Mäusefelle, Kaninchen- und Junghasenknochen wird verschleiert von diesem Duft.
Und die Zahl der Überbleibsel ist nicht gering. Eine so zahlreiche Familie will viel haben, ehe jeder satt ist. Da heißt es tüchtig arbeiten, hier ein Jungkaninchen hetzen durch dick und dünn, bis es in den Bau fährt und dort in einer Sackgasse nicht weiter kann oder bis es sich drückt, so daß es mit einem Sprung [S. 71] erreicht werden kann, dort einem Hasen auflauern und ihm an den Rücken springen. Und wenn ein Wiesel einmal gefaßt hat, wenn es die nadelspitzen Zähne eingehauen hat in die Nackenmuskeln, dann hilft kein Bäumen und Rennen, dann sitzt es fest, läßt sich hierhin und dorthin schleudern und macht einen Ritt mit auf dem Opfer. Und die spitzen Zähnchen arbeiten und reißen, bis eine Schlagader aufgebissen ist und der rote Lebenssaft rinnt. Dann ist der Widerstand der Beute gebrochen, seine Lebensgeister schwinden, und das Wiesel sitzt und trinkt, bis es vom Blut förmlich berauscht ist. Dann schleppt es die Beute den Kleinen zum Fraße zu.
Später begleiten die Sprößlinge die Mutter auch auf ihren Streifzügen, bis sie allmählich selbständiger werden und gegen den Herbst hin sich in die Umgegend verstreuen. Sie beginnen umherzustreifen, messen sich bald auf den Stoppelfeldern mit jungen Hamstern, bald fangen sie die braune Wühlmaus im Walde. Sie kehren auch zu Zeiten mal wieder in den Trümmerhaufen des wüsten Schlosses zurück, aber bestimmt kann man sie nirgendwo antreffen, unstet betreiben sie bald hier, bald da ihre Jagd. So kommt es, daß hier eins vom Jagdhund gewürgt wird bei der Hühnersuche, dort eins im Stall des Bauern erschlagen wird, weil es sein Interesse für Kaninchenbraten allzu unverblümt gezeigt hat.
Mögen auch einige einen frühen Tod sterben, die Mehrzahl schlägt sich doch durchs Leben, ihre Vorsicht und Schlauheit bewahrt sie doch meist vor einem Unglück. Und wenn dann der Winter kommt und mit [S. 72] weißen Flocken Mutter Erde einhüllt, dann zieht auch das Hermelin eine weiße Jacke an, und die schwarze Schwanzspitze guckt noch darunter hervor. Gegen den Frühling, wenn es wieder wärmer wird, dann legt es auch stückweise den alten Rock wieder an, ist eine Zeitlang weißbraun gefleckt, bis es wieder den braunen Sommerflaus trägt, der es verschwinden läßt auf dem braunen Acker, auf dem laubbedeckten Waldboden.
Ein Räuber ist das Wiesel, ein blutgieriger sogar, aber kein Naturfreund kann ihm dauernd gram sein, dazu ist es viel zu hübsch, man verzeiht ihm immer wieder auch die blutigste Übeltat.
Eine milde Märznacht beginnt zu weichen. Noch läßt der Waldkauz seine jauchzende Balzarie hören, noch tönt das „Guuk“ des Käuzchens aus den Kopfweiden am Bachufer. Doch bald verstummt das nächtliche Konzert. Im Dorfe kräht ein Hahn, bald antwortet ein zweiter, der östliche Himmel schmückt sich mit rosigen Tinten. Vom Kirchendache begrüßt der Hausrötel den erwachenden Tag mit seinem komischen Liede, am Bachufer erwacht das Rotkehlchen und schnickst traumverloren. Jetzt erwacht auch der Frühwind und fährt flüsternd durch das Laub der Steineiche, dann knarrt er ein wenig mit ihrem losen Aste, bläst in den Kobel des Eichhorns, verkündet ihm einen neuen Tag und eilt weiter, andre Schläfer zu wecken. Zum Spechtloch bläst er hinein, aber die [S. 73] Meise will noch nichts vom Aufstehen wissen, auch der Feldspatz im hohlen Apfelbaume plustert sich nur noch etwas mehr auf beim Morgengruß des Windes und schilt leise über die Störung. Und weiter eilt der lose Geselle. Dort nimmt er der Waldmaus das dürre Eichenblatt weg, unter dem sie eben eine keimende Nuß zerknabbern wollte, dann wirbelt er ein wenig im Stangenholze und verdirbt Langschwanz, dem Fuchs, die Jagd. Stampfend schlüpft das Kaninchen in den Bau, das noch rechtzeitig die Witterung des Schleichers in das wachsame Näschen bekam. Rastlos weiter eilt der Wind hinaus auf die Wiese, jagt die Nebelschwaden durcheinander, kost der jungen Magd des Försters die Wangen und spielt mit ihren Löckchen, dann geht es zum Feldgehölz. In den Fichten schlafen die Goldhähnchen und wollen geweckt sein, einer Elster ist eine wichtige Botschaft auszurichten, und vor allem der Herr Baron muß begrüßt werden, der dort seine Wohnung hat.
Ärgerlich über den dummen Wind, der ihm so unzart die Nackenfedern zaust, öffnet der Sperber seine gelben Augen. „Wahrhaftig, es ist schon ganz hell, die Sonne geht schon auf“, so denkt er. Er schüttelt sein Gefieder, reckt die runden Fittiche, fächert den gebänderten Stoß, ordnet die rostbraunen Federn der Brust, juckt in den blaugrauen Schulterfedern und bringt einige quälende Federläuse zur Ruhe, — der Herr Baron macht Toilette. Jetzt wäre eigentlich ein kleines Frühstück am Platze, aber wo ist das am leichtesten zu holen? Die Lerche, die sich soeben singend von der Scholle aufschwingt, wäre [S. 74] ja ein ganz guter Bissen, aber sie ist zu schnell in den Wolken verschwunden, und man muß sich mächtig anstrengen, um sie zu fangen. Meisen wieder sind leicht zu fangen, wenn sie über freies Feld fliegen, aber das tun sie selten; die Sperlinge im Dorfe sitzen noch im Weinspalier an der Pfarre und machen Frühkonzert, sehr fraglich, ob man da einen kriegt. Aber halt, an der Feldscheune waren gestern Ammern und Finken, dort ist es nicht allzu schwer, einen plumpen Finken zu fangen. Zur Not wimmelt es dort von Feldmäusen, sie schmecken zwar nicht besonders, aber sie machen auch satt. Also auf zur Feldscheune!
Mit einem raschen Schwunge wirft sich der Sperber von seinem Aste, und tief am Boden streicht er dahin, quer über die Felder zunächst, dann am Raine entlang. Gedeckt durch einen Rosenstrauch, kommt er ungesehen in die Nähe, aber als er sich in jähem Bogen unter die vermeintlichen Opfer stürzen will, findet er sich in seiner Berechnung betrogen: keine Ammer, kein Fink, nicht einmal eine lumpige Maus ist zu sehen. Geduldiges Abwarten verhilft vielleicht eher zu einem Frühstück. Dort der Balken ist ein schönes Ruheplätzchen, die Sonne scheint so warm dorthin, und versteckt sitzt man dort auch; dort setzt sich der Sperber hin und reckt und räkelt sich in der Sonne. Sein Sonnenbad gefällt ihm so, daß er fast seinen knurrenden Magen vergißt. Eine wispernde und raschelnde Feldmaus erweckt kaum seine Aufmerksamkeit. Doch plötzlich ruckt er zusammen. Gääb, gääb, lockt es aus der Luft. [S. 75] „Ei, fette Böhämmer“, denkt der Sperber und sitzt stockstill. Wirklich, eine Schar Bergfinken kommt im hüpfenden Bogenflug herbei und schwenkt über der breitgewehten Spreu. Gierig funkeln die gelben Augen des Strauchritters auf dem Balken, tief zwischen die Flügelbuge eingezogen ist der Kopf, jeder Muskel in den langen gelben Fängen (Beinen) strafft sich. Jetzt nahen sich die arglosen Finken wieder und lassen sich einzeln auf der Spreu nieder, da fährt in brausendem Fluge der Todfeind unter sie. Erschreckt stieben die Fremdlinge aus Lappland auseinander; doch zu spät. Ein prächtiges Männchen mit schwarzem Kopf, rostgelber Brust und schneeweißem Bürzel bildet ein gutes Ziel. Schon ist der Räuber neben ihm, jetzt eine kurze Drehung, ein sicherer Griff von der Seite her, und ein letzter Angstlaut des Opfers erstirbt unter dem furchtbaren Drucke.
Der glückliche Jäger eilt mit seiner Beute einem verborgenen Fleckchen zu, um ungestört kröpfen (fressen) zu können. Dort am Raine, wo Rainfarn und Disteln mit ihren überwinterten dürren Stengeln sich über die Ackerfurche neigen, kann keine Krähe so leicht dem Schmause zuschauen; dort läßt sich der Sperber nieder. Hastig rupft er die langen, schwarzen Schwanzfedern, die Schwungfedern, die gelben Unterflügelfedern ab, dann verschlingt er Kopf mit Schnabel, auch die Beine des Bergfinken wandern in den Kropf, dann etwas von den Eingeweiden, ein wenig Brustfleisch, und der Räuber ist für den Augenblick gesättigt.
Die warme Luft, der Sonnenschein, das leckere Mal, dies alles stimmt den Sperber froh; er schwingt [S. 76] sich auf und schraubt sich hoch und höher, um sich an Flugspielen zu ergötzen und ein wenig nach der Gattin auszuschauen, die im Nachbarrevier den Winter über der Jagd oblag. Ja, besonders fest sind außer der Brutzeit die ehelichen Banden der Familie Sperber nicht, aber jetzt fühlt der Gatte das Herannahen der Minnezeit in allen Gliedern, es treibt ihn fort, die Gemahlin zu suchen. Doch, siehe da, auch sie scheint die gleichen Empfindungen zu hegen; dort naht sie in raschem Fluge. Sogar zum Spielen ist sie heute aufgelegt, in elegantem Bogen stößt sie auf den Herrn Gemahl, der gewandt ausweicht, dann selbst zum Angreifer wird. Hin und her geht das Necken, oft durch längeres Kreisen unterbrochen. Voller Stolz ruht das Auge des Männchens auf seinem Weibchen. Wahrhaftig, eine stattliche Schöne! Fast doppelt so groß wie ihr Gemahl erscheint sie; die lichte Brust ist mit schmalen, dunklen Binden verziert, der Rücken in stumpfes Grau gekleidet.
Doch lange hält die Lust zum Spielen nicht an; eine trübe Wolke schiebt sich vor die Sonne, die Luft geht etwas kühler, und eilig entfliehen alle Liebesgedanken. Vor dem Mai denken ja die Sperber noch nicht an Nestbau und Kindersegen. Ein neuer Jagdzug beginnt. Frau Sperber hat bis jetzt noch nicht viel im Magen. Einen Sperling schlug sie im Pfarrgarten; doch sie hatte nur eben erst mit dem Frühstück begonnen, da schob sich zu einem offenen Fenster ein schwarzes Rohr heraus, ein Knall ertönte, und dicht neben ihr spritzte die Erde auf — da war sie eilend geflohen und hatte den Sperling liegen lassen. Pastors [S. 77] Hans aber hatte ärgerlich sein Teschin beiseite gestellt; wieder war seine schöne Trommeltäubin ungerächt geblieben, die gestern Madame Sperber eben noch erwischte, als sie sich im Schlage vor dem hitzigen Verfolger retten wollte. Da hatte kein Pfeifen, kein Schreien des Besitzers etwas genützt, der geworfene Stein pfiff weit vom Räuber durch die Luft, der mit seiner schweren Beute mühsam dem Walde zustrebte. Hei, das war ein Streich, eines starken Sperberweibs würdig, noch heute freute es sich über die ohnmächtige Wut des Menschenkindes; aber allzuoft darf man die Tauben nicht heimsuchen, denn wenn die Klagen zu des Försters Ohren dringen, dann ist die Gefahr groß.
Deshalb soll der nächste Beutezug hinausgehen aufs Feld. Dort beginnt der Stoppelklee sich von den Schäden des Winters zu erholen. Plumpe Feldmäuse knabbern an den jungen grünen Blättern, Lerchen suchen dort nach Räupchen, Stare laufen hastig mit nickendem Kopfe durch die Pflanzen, um Eulenraupen und Regenwürmer zu suchen oder einen hurtigen Laufkäfer zu haschen. Dort ist Aussicht auf einen guten Braten.
Wie ein erfahrener Jäger pürscht Frau Sperber den Jagdgründen zu, geschickt benutzt sie jede Deckung, vorsichtig weicht sie jeder Begegnung mit Amsel oder Meise aus; denn die warnenden Angstlaute verraten weithin jedem Kleinvogel das Nahen des Feindes, zu fangen sind dabei die Warner im dichten Gestrüpp fast nie. So eilt das Sperberweibchen tief am Boden jetzt durch das Tal dahin, jetzt überspringt es förmlich die Schneeschutzmauer, um ein Stück dem Schienenstrange der Eisenbahn zu folgen, jetzt ein kurzer Bogen, [S. 78] und unbeweglich blockt (sitzt) der Räuber auf einer hochgestellten Egge. Langsam wandern die gelben Augen über das Feld, keine Bewegung entgeht der Beobachterin. Da, was ist das, dort an der feuchten Stelle, wo der Klee schon kräftig zu sprossen beginnt? Dort hüpft es, dann rennt es wieder, dann zerrt es etwas aus dem Boden, das sieht doch beinahe aus wie Drosseln. Da gilt kein Zaudern. Mit einem kräftigen Sprunge wirft sich der Sperber in die Luft, um wie ein Blitz aus heiterem Himmel unter die Ahnungslosen zu fahren. Doch schon ist er bemerkt. Mit lautem „Tuiik, schack schack“ fliehen sie dem Walde zu. Als Wacholderdrosseln oder Krammetsvögel verraten sie sich durch diesen Ruf.
Fast haben sie schon das schützende Holz erreicht, da hören sie die Flügelschläge des Verfolgers dicht hinter sich. Ein prachtvolles Männchen mit aschblauem Kopf und Bürzel ist schon längst als Opfer erkoren. Mit angstbeschleunigten Flügelschlägen saust es dahin, dicht hinter ihm der Sperber. Jetzt bietet die dichtbelaubte Krone der Steineiche etwas Aussicht auf Rettung, ein enger Durchschlupf bietet sich der Drossel, doch auch der Räuber schwingt sich hindurch, er schleudert sich förmlich mit seinem lange Stoße vorwärts, die kühnsten Schwünge, die schärfsten Kurven führt er ebenso gewandt aus, wie der verfolgte Singvogel. Jetzt geht die tolle Jagd durch das Stangenholz; zwar stehen die Erlen dicht, kaum scheint ein rascher Flug hindurch möglich, in rasender Eile schießt die Drossel dahin, doch dicht hinter ihr eilt der Tod. Jetzt lockt der dichte Fichtenhorst. Mit letzter Kraft wirft sich [S. 79] das gehetzte Opfer hinein in eine dichte Krone, doch zu spät. Mit weitvorgestreckten Fängen saust auch der Sperber in die Zweige hinein. Hier, wo sie sich geborgen glaubte, fassen die langen Krallen die Drossel, in krampfhaftem Drucke schließen sich die langen Sperberzehen, und ein kleines Herz hört auf zu schlagen. Ein hastiges Mahl beginnt. Die rostgelben Brustfedern mit dem dunklen Schaftstriche, die weißen Bauchfedern werden über den Boden verstreut, ein paar rostbraune Flügelfedern kommen dazu, und dann wandern große Bissen in den leeren Kropf, bis er strotzt, und nur kärgliche Reste bleiben zurück für Igel und Spitzmaus.
Doch was ist unterdessen mit den Finkenüberresten geworden, die Herr Sperber am Raine zurückließ? — Quer über die Felder fliegt ein Vogel der Feldscheune zu. Sollte das Sperbermännchen nach erfolgloser Jagd zurückkehren zu den früher verschmähten Resten seiner Beute? Doch nein, ein Sperber ist das nicht, der dort fliegt; viel weicher und weniger kraftvoll sind die Flügelschläge, die Flügel sind schmal und spitz, keine Lerche oder Ammer verrät Angst und Besorgnis vor diesem Raubvogel. Doch jetzt unterbricht er seinen Flug, mit raschen gleichmäßigen Flügelschlägen hält er sich an einem Punkte, sanft schwebt er nieder und fußt. Ein Turmfalk ist es, der zur Mäusejagd auszog und jetzt sich bei den verschmähten Überresten vom Sperbermahle niederläßt, um sich daran gütlich zu tun. Sieh dich vor, harmloser Vogel, daß dich kein Forstmann bei deinem Tun belauscht. Er weiß nicht, daß du nur [S. 80] nahmst, was ein ärgrer Räuber übrig ließ, und fällt dann das Todesurteil über dich und deine Sippe. Zwar würdest du sicher gern dann und wann auch mal Vogelfleisch essen, wenn — nur die Trauben nicht so hoch hingen. Aber mit deinen Flugtalenten braucht dich kein Singvogel zu scheuen, du mußt wohl oder übel mit Mäusen zufrieden sein, wenn du nicht mal einen Maulwurf ertappst, oder ein junges Kaninchen sich fürwitzig am Tage aus dem Baue wagt, so daß du es haschen kannst. Kein einsichtsvoller Weidmann wird dir so einen Gelegenheitsdiebstahl übel nehmen, belebst du doch mit deinem anmutigen Flugbild die Landschaft, ob du nun im Freien rüttelnd den lästigen Nagern und brummigen Mistkäfern nachstellst oder hoch über dem Hasten der Großstadt deine Flugspiele ausführst um die Spitze der Peterskirche. Deine Paarungsrufe, so unschön sie auch einem musikalischen Ohre erscheinen mögen, bringen Abwechslung in das Knattern der Benzinfahrzeuge und das Klingeln der Straßenbahnen. Und was für einen prachtvollen Anblick bietest du dar, wenn du dich aus der Nähe belauschen läßt. Wie anmutig drehst du dein aschgraues Köpfchen mit den dunklen Augen, wie fein stimmt das Rostbraun der Flügel zu dem Aschgrau des Schwanzes, den die schwarze Endbinde ziert. Geh! Tummle dich mit deinem rostbraunen Weibchen, jagt euch und wiegt euch im blauen Äther, voller Freude wird das Auge des Naturfreundes auf euch ruhen. Grüßt den Wald von mir und Wiese und Bach und Feld, der ich euch nur mit dem Auge folgen kann. Grüßt auch euren [S. 81] großen Vetter von mir, den Bussard , dessen Leumund womöglich noch schlechter ist als eurer.
Er ist ja viel zu groß, um als harmloser Mäusevertilger angesehen zu werden. Auf seinen langsamen, fast plumpen Flug gibt niemand acht, auch die stumpfen Krallen, die er zum Mäusefangen, aber niemals zur Hasenjagd verwenden kann, vermögen vielen Jägern seine Harmlosigkeit nicht zu beweisen. Dort kreist er über dem Felde, schwerfällig rüttelnd macht er Halt und stößt. Doch die Maus ist rascher, eilig ist sie im Loche verschwunden. Doch bald guckt sie wieder hervor, rasch fährt sie ein paarmal aus dem Loche heraus und sofort wieder zurück. Dann hält sie die Umgebung für sicher, der große braune Fleck auf dem Maulwurfshaufen stört sie nicht mehr, hastig beginnt sie an der jungen Saat zu knabbern. Da ist plötzlich ein Schatten über ihr, sie quiekt noch einmal auf und ist erfaßt und verschlungen.
„Der Posten war günstig“, denkt der Mauser und wackelt in komischen Schritten auf seinen Maulwurfshaufen zurück. Vorsichtig dreht er den runden Kopf mit den braunen Augen bald nach rechts, bald nach links; da huscht wieder eine Maus in einer „Fahrt“ dahin. In großen Sätzen eilt er ihr nach, immer mit den Flügeln schlagend und balanzierend. Ein sicherer Griff, die Schädelknochen brechen unter dem Schnabeldrucke des großen Räubers, und auch diese Maus ist besorgt und aufgehoben. Während der Bussard noch schluckt und schlingt, beginnt auf einmal seine bisherige Warte sich zu bewegen: der Maulwurfshaufen hebt sich, und Erdbrocken rollen [S. 82] von ihm herab. Mit vorsichtigen Schritten nähert sich der Raubvogel dem wachsenden Hügel. Da schiebt sich plötzlich das kleine Stummelschwänzchen des emsigen Maulwurfes ein klein wenig aus der Erde hervor, und schnell springt der Bussard zu. Doch es ist zu spät, nur ein Erdballen zerkrümelt unter dem Griffe; erschreckt flüchtet der schwarze Pionier in seine tiefsten Gänge, der erfolglose Jäger aber breitet ärgerlich seine Schwingen und schwebt dem Walde zu.
Auf dem höchsten Zacken der uralten Eiche blockt er und übersieht sein Jagdrevier. Er sieht dem Sperber zu auf seinen Beutezügen, er folgt dem rüttelnden Turmfalken mit den Augen; die Jagd der beiden interessiert ihn nicht. Der Turmfalk macht nur kleine Beute wie er, und dem Sperber etwas wegnehmen zu wollen, ist eine etwas gefährliche Sache, da er auch zu Fuß ein geschickter Fechter ist. Aber wenn ein Wanderfalk in sausendem Fluge der Taube nachstürmt oder der Wildente, dann heißt es aufpassen. Ein Leichtes ist es, dem raschen Jäger die Beute abzunehmen; denn gewandt ist er nur in der Luft, am Boden kann oder will er nicht einmal mit einem Mauser streiten. Oft läßt er sein Opfer fallen, sobald Krähen oder ein Bussard ihm nur nacheilen und sucht eine andre Beute zu schlagen. Doch heute zeigt sich kein Wanderfalk.
Vor dem wartenden Räuber tummeln sich furchtlos die Meisen in der Birke. Die Schwanzmeise schaukelt kopfunter an dem dünnen Zweige, die Blaumeise trillert ihr Frühlingslied, und die Sumpfmeise zetert „zie-tä-tä tä“, weil ihr der Wind einen leckeren [S. 83] Bissen fortgeblasen hat. Allzeit munter und fidel ist dieses Völkchen. Ob gestern der Sperber ein unvorsichtiges Mitglied der Bande schlug, ob ein Wiesel im Sprunge eine badende Freundin erwischte, „heute wieder lustig!“ lautet die Parole. Und der denkende Mensch, er handelt nicht anders; wenn auch ein Erdbeben Tausende vernichtet und die Mitwelt bei dem entsetzlichen Unglück schaudert — nach wenigen Wochen herrscht doch der Karneval mit seinem Freudentaumel, als sei nichts vorgefallen.
Seit Wochen schon weckt und lockt die Frühlingssonne die schlafenden Pflanzenkinder, langsam und verschlafen tut eins nach dem andern die Blütenaugen auf. Dem Krokuschen ist es schon zu warm geworden, das hat schon seine Blüten welk zu Boden fallen lassen. Aber eine Fülle andrer Pflanzen hat dafür jetzt das Schmücken der Natur übernommen. Das Buschwindröschen läßt seine weißen Blüten im Winde schaukeln, goldig leuchten die Sterne des Scharbockskrauts, Veilchen und Himmelschlüssel prangen und duften. Mit Farbenpracht und Wohlgeruch locken sie alle die brummenden, borstigen Insekten zu Gaste. Und während die Leckermäuler noch süßen Nektar schlemmen, pudern sie die Staubfäden ein mit Pollen, dem Pfand der Liebe, damit er hinübergelangt auf die Narbe der Nachbarblüte, die schon gierig die Äste breit gemacht oder klebrigen Saft ausgeschieden hat zum Auffangen und Festhalten des Blütenstaubs. Buhlen um die [S. 84] Gunst der Insekten, ihrer Liebesboten, bei den Blüten der Pflanzen, heißes Liebeswerben in der Vogelwelt, das ist des Frühlings Werk.
Da schmettert auf einem Baumstumpf der Zaunkönig sein Liebeslied mit einer Fülle und Kraft, als wolle er die winzige Brust zersprengen. Ganz steil stellt er sein kleines Schwänzchen, dick plustert er die Federn auf und zwischen dem dünnen Schnäbelchen läßt er Strophe auf Strophe seines Liebesliedes hervorperlen. Der Buchfink wieder legt alle Federn knapp an, er zieht die schwarzen Stirnfedern zurück und legt den blauen Scheitel an, der Schwanz hängt unter dem grünen Bürzel fast ganz senkrecht herab. Nur die rotbraunen Federn der Kehle sind gesträubt, wenn der Fink sein stereotypes Lied singt, wenn er schlägt. Hoch auf der Spitze des Baumes sitzt der Amselhahn und flötet ernst und feierlich sein Orgellied. Die Zeit stürmischen Werbens, die eigentliche Minne, ist für ihn schon vorüber, vorbei die Poesie der Brautzeit, das Weibchen sitzt ja schon im halbkugeligen Neste auf fünf Eiern: Prosa der Brütezeit. Das Amselpärchen hat es immer sehr eilig mit dem Brutgeschäft, zu Pfingsten möchte es am liebsten schon zur zweiten Brut schreiten, wenn Pirol und Gartensänger just mit der ersten beginnen.
Doch zurück zu unserm Frühjahrskonzert im Walde. Meisen, Rotkehlchen, Amseln und Drosseln, sie alle singen und flöten jetzt beinahe den ganzen Tag, aber am lebhaftesten doch bei Sonnenuntergang und Aufgang. Dann ist ein Zwitschern und Rufen durcheinander, daß alles zu einem einzigen Tongewirr verschwimmt [S. 85] und man kaum die einzelnen Sänger erkennt. Nur einige Künstler im Waldkonzert lassen sich nicht übertönen. Laut schallt das flötende Lachen des Grünspechts, rasselnd das knarrende Trommeln seines bunten Verwandten, scharf erklingt das Schirken des Turmfalken über den Baumwipfeln.
Dort, wo das kleine Fichtendickicht an undurchdringliche Wildnis krallender Brombeerranken stößt, ertönt von Zeit zu Zeit ein Schrei, der gar wenig hineinpassen will in das melodische Tongewirr der deutschen Vogelstimmen. Es mahnt eher an Hühnerhof oder Zoologischen Garten, das laute, krähende Gack gack, das dort erklingt. Was mag das für ein sonderbarer Sänger sein, der dort den Schrei ausstößt? Ganz langsam, ganz leise und vorsichtig schleichen wir näher, daß kein Ästchen unter dem Fuße knackt, kein dürres Laubblatt raschelt. Schon haben wir die Fichtengruppe erreicht, ganz in der Nähe erscholl der Ruf. Ganz versteckt unter den hängenden Zweigen der Fichte stellen wir uns an und warten. Eine Singdrossel schwingt sich auf die Spitze der Fichte, die uns verbirgt, sitzt ein Weilchen still und beginnt dann ihr Lied. David David tilit tilit tilit tönts munter bald pfeifend, bald schwätzend über uns. Ein Goldhähnchen schlüpft nahe vor uns durchs Nadelgezweig, ganz dünn und fein klingt sein pfeifendes Locken. Bald dreht es uns den olivgrünlichen Rücken, bald den goldig glänzenden schwarzen Scheitel zu, denn es kann ja keinen Augenblick still sitzen. Es pickt hier etwas vom Zweig, rüttelt am Baumstamm und erhascht ein winziges Insekt und ist dann im Nadelmeer verschwunden.
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Da raschelt es leise vor uns im Brombeergesträuch. Ganz langsam und ruckweise schiebt es sich hervor. Ein Hühnervogel im prächtigsten Kleide steht da und strahlt in der Sonne. Hoch richtet er den Kopf mit der lichtgrauen Platte auf dem smaragdgrün blitzenden Halse in die Höhe, daß der weiße Halsring leuchtet. Aufmerksam sichert der Vogel rechts und links. Nichts Verdächtiges in der Runde! Jetzt verändert sich sein Gesicht. Der nackte Korallenfleck um seine Augen dehnt sich aus und schwillt, eine große rote Rose leuchtet an Stelle der Wangen grell wie Siegellack auf. Gack gack ruft der Ringfasan und schlägt dann mit den harten Fittichen einen trommelnden Wirbel. Kupfern leuchtet die Brust, golden die Bauchseiten, grüngolden der Bürzel des balzenden Hahnes. Wieder schreit und schwirrt der bunte Vogel mit den Flügeln, aber keine Henne zeigt sich.
Doch jetzt raschelt es leise. Sollte es eine Henne sein? Dort schiebt sich der Ankömmling aus dem Gesträuch. Auch sein Hals glänzt grün, aber kein Halsring ziert ihn. Das Gefieder ist weit düsterer gefärbt, wie poliertes Kupfer glänzen Brust und Rücken. Jetzt haben sich die beiden Vögel veräugt. Jäh schwillt auch dem dunklen Kupferfasan die rote Rose am Kopf, die Augen fangen an zu funkeln und mit trommelnden Kehllauten schreiten beide einander näher, um schließlich wie Bolzen zuzufahren. Ein hitziger Kampf entspinnt sich. Hochauf springen und fliegen die Kämpen, die Flügel schwirren, die Rosen glühen. Mit hartem Schnabel und spitzem Sporn sucht jeder den andern zu verletzen. Immer und immer wieder [S. 87] stehen sie einander gegenüber, senken und heben den Kopf, als wollten sie eine Blöße beim andern erspähen, und immer wieder springen sie hoch auf und hauen aufeinander los. Immer deutlicher zeigt sich der Ringfasan überlegen. Stets springt er höher als sein Rivale, hitziger ist sein Angriff, gewandter sein Ausweichen. Eine dunkle, kupferrote Feder wirbelt zu Boden, ein roter Tropfen perlt von der Rose des Kupferfasans, da weicht er zurück, und mit prasselndem Fluge streicht er gackernd ab. Der Sieger aber glüht und funkelt im Siegestaumel, laut tönt sein Balzschrei, rasselnd sein Flügelwirbel.
Ganz leise und verschämt tönt aus dem Brombeergewirr ein Lockruf, du du dudu. Mit langsam schleichenden Schritten tritt eine Henne auf den Balzplatz. Zwar vermag sie an Farbenpracht mit dem Gatten nicht zu wetteifern. In die schlichten Farben dürren Laubes ist sie gekleidet und nur über dem Brustgefieder liegt ein leichter Hauch wie ein Abglanz japanischer Bronze. Aber für den Fasan ist sie doch in das schönste Kleid gehüllt. Eilig läuft er hinzu, entfaltet die Rosen zur höchsten Glut und spreizt die Flügel und prangt mit seiner Farbenpracht, kein Wunder, daß er bald Gehör findet.
Weiter balzt der Hahn. Eine zweite, dritte Henne kommt zu ihm. Schließlich ist es zu warm geworden, und Hahn und Hennen verschwinden vom Balzplatz. Sie gehen hinaus auf die Saatfelder, um keimende Körner, grüne Halmspitzen oder fette Schnecken zu äsen. Erst gegen Abend kommen sie zurück zum Balzplatz. Einigemale tönt das Gagack, dann ist die [S. 88] Schlafenszeit gekommen. Mit prasselnden Flügelschlägen und lautem Gegacker baumen die bunten Vögel auf, um an windgeschützter Stelle, in der Fichtenkrone oder auch auf kahlem Laubholz die Nacht zu verbringen.
Ein paar Wochen sind vergangen. Die Saaten sind so aufgeschossen, daß ein alter Hase sich gut darin verstecken kann, und die Kleefelder harren der Sense, ja stellenweise ist das saftige Futter schon geschnitten. Der alte Förster geht mit seinem Hunde durch die Felder. Die Flinte blieb heute zu Hause, heute trägt der Grünrock einen Korb, in dem weiche, wollene Lappen liegen. Den Rain zwischen Korn und Klee geht der Förster entlang, während Treff, der Hund steifbeinig durch den Klee stelzt. Der weiß genau, worum es sich handelt, dem herausrutschenden Hasen sieht er kaum nach, hin und her galoppiert er und sucht. Mit einemmal geht er langsam, vorsichtig rückt er Schritt vor Schritt auf und steht dann fest vor. Sein Herr watet durch den hohen Klee, geht der Hundenase nach und sucht im Klee. Mit lautem „pips“ steht eine Fasanenhenne auf und streicht mit surrendem Flügelschlag dem Walde zu. Der Förster aber bückt sich und nimmt die acht Eier aus dem Neste, packt sie sorglich in die wollenen Lappen in seinem Korbe, und dann geht die Suche weiter. Wieder steht der Hund, und diesmal sind es dreizehn Eier, die der Förster aufhebt, dann wird ein Nest mit neun gefunden. Dreißig Eier sind so vor dem Untergang gerettet durch Kahlmähen des Nestes.
In der Försterei sitzen Glucken (brütende Haushühner) auf Toneiern, denen werden die gefundenen [S. 89] Fasaneneier untergelegt. Willig nehmen die Brütelustigen die zehn untergelegten Stiefkeime an und wärmen sie, als wären es die eignen Kinder, denen sie Leben einbrüten. 25 Tage lang müssen die Hühner still sitzen, ehe leises Picken und Piepen unter der grünlichen Schale verrät, daß die Jungen ausfallen wollen. Endlich zeigt eins oder das andre der Eier kleine Pusteln und strampelnd und zappelnd arbeitet sich ein niedlicher kleiner Federball mit dunklen und hellen braunen Längsstreifen ans Licht. Eins nach dem andern der kleinen Küken tut den ersten Schritt ins Leben und bald hocken sieben oder acht kleine, wärmebedürftige Geschöpfe piepend unter dem dichten Federkleid der Glucke. Aber lange wollen sie nicht ruhig sitzen. Bald lugt hier oder da eins unter den Flügeln der Stiefmutter hervor und dann traut sich gar eins ganz weg und bald umtrippeln die Dunenjungen die scharrende Henne. Hirsekörner und vor allem Ameiseneier werden ihnen hingestreut und unsicher zuerst und besser von Mal zu Mal lernen die Kleinen picken und fressen. Und wie sonderbar, die ganz ungewohnte Stimme der Glucke, das Locken und Warnen, sie verstehen es und folgen.
Ganz unmerklich wachsen sie heran. Das niedliche, wollige Dunenkleid wird struppig, Federn wachsen und eines Tages können die kleinen wachtelgroßen Dinger schon ein bißchen fliegen. Nun werden sie selbständiger von Tag zu Tag. Der August kommt heran und die Fasanen haben die Größe von Rebhühnern erreicht. Da fangen die Geschlechter an, sich zu unterscheiden. Die jungen Hähne beginnen, ein gesprenkeltes Kleid anzulegen, die einzelnen metallfarbenen [S. 90] Federn wachsen verstreut durch das Jugendgefieder. Der Stiefmutter folgen sie schon längst nicht mehr, abends baumen sie auf, wie ihre Ahnen, und die jungen Hähne machen die ersten Versuche, ihre Stimme hören zu lassen. Das klingt freilich noch sehr nach „Stimmbruch“.
Näher und näher kommt der Herbst. Die Fasanen halten sich nicht mehr am Forsthause auf. Sie streichen umher, über den Teich, um im Schilfe Schnecken und Käfer zu suchen, hinaus auf die Felder, um ausgefallene Weizenkörner zu naschen. Der Oktober naht, die Jagdzeit der Fasanen. Aber hier im Heimatsrevier wird so früh mit dem Abschuß nicht begonnen. Schade um die kleinen, scheckigen Dinger, es ist ja noch gar nichts daran, mögen bis zum November bleiben, sagt der Jagdherr und läßt täglich Futter streuen, damit die bunten Gesellen nicht nach Nachbarrevieren auswandern auf der Nahrungssuche.
Endlich ist der große Tag gekommen, der letzte für manchen bunten Hahn, der Tag der Fasanenjagd. Schon vom frühen Morgen an sind die Fasanen durch Wachen gehindert worden, in die Felder zu bummeln, sie halten sich alle in der „Fasanerie“ mit ihren Brennesseldickichten, den Schilf- und Rohrbeständen auf. Gegen zehn Uhr begeben sich die wenigen Schützen auf ihre Stände an den Schneisen. Die Treiber sind schon angestellt und auf das Hornsignal des Jagdherrn setzen sie sich in Bewegung. Langsam treiben sie auf die Schützen zu, schlagen auf jeden Busch mit dem Stock, und treten jeden Grasbüschel nieder. Lärm darf nicht gemacht werden. Sonderbar, wo sich sonst [S. 91] Fasanen in Hülle und Fülle umhertrieben, da ist heute noch keiner zu sehen. Sie laufen vor den Treibern, ohne aufzufliegen. Der junge Treiber wird schon ungeduldig. Da endlich steht mit lautem Pips und Flügelschlag eine Henne auf und streicht über die Treiber zurück. Und jetzt geht gackernd der erste Hahn hoch. Rasch und rascher fliegt er vorwärts. Jetzt ist er im Zuge und streicht ohne Flügelschlag und doch gar rasch über die Schützen. Bumm, fällt der erste Schuß, aber nur eine Feder im langen Stoß (Schwanz) des Hahns ist geknickt. Bumm, der war besser. Wie ein nasser Sack fällt der fette Vogel zu Boden und schlägt auf, daß die bunten Federn stieben. Ein Hahn nach dem andern fliegt hoch, passiert die Schützenkette und fällt zu Boden. Schon sind die Treiber ziemlich nahe an die Schützen heran, da fliegen auf einmal zwanzig, ja dreißig Fasanen auf. Jetzt fordert es ein scharfes Auge, rasch Hahn und Henne zu unterscheiden. „Langsam treiben, laden lassen, langsam, langsam,“ mahnt der Förster die Treiber. Jetzt stiebt es förmlich von Fasanen. Gackernd fliegen die Hähne hoch. Der wird schon im Auffliegen von den Schroten ereilt, der wieder gerade über den Schützen, ein andrer ist schon ziemlich zwischen den Stämmen des nächsten Bestandes verschwunden, da wirft ihn der nachgesandte Schuß zu Boden. Wahrlich, man versteht, daß früher Fasanenjagd zur Hohen Jagd gerechnet wurde! Ein bunteres Bild ist nicht zu denken. Allenthalben rasseln und prasseln die Vögel auf, wie Salven knallen die Schüsse. Dazwischen huschen Kaninchen über die Schneise und schlagen Rad oder laufen weiter auf den Schuß. Der [S. 92] sicherste Schütze steht am Graben und schießt wie jedes Jahr so auch diesmal den Fuchs, der Fasanenbraten über alles schätzt. Geängstigt stieben Rehe in rasender Flucht über die Schneise. Endlich ist der Trieb zu Ende. Von allen Seiten schleppen die Treiber das Wild herbei. Kupfer- und Ringfasanhähne, wohl an die sechzig, keiner reinrassig, jeder mit etwas Blut vom andern, einige Hennen, die ein „Frauenmörder“ versehentlich erlegt, ein paar Kaninchen und Hasen und ein Fuchs, das ist die Strecke vom ersten Triebe.
Wie Bronze, Gold und Smaragd, so flimmert es über den Vögeln, die friedlich auf dem grünen Rasen ruhen neben dem Fuchs, ihrem Todfeind im roten Rocke. Dazu der Wald im herbstlichen Gewande und die Jäger in ihren oft humorvollen Trachten, die Treiber in ihren ältesten Kleidern — denn beim Durchkriechen der Fichtendickichte und Brombeergestrüppe ist gutes Zeug nichts nütze —, wie Räuber beinahe anzuschauen, ein herrliches, buntes, unvergeßliches Bild.
Das Nixloch ist ein kleiner Steinbruch, in dem ein Wassertümpel steht. Schon jahrzehntelang hat man dort keinen Stein mehr geholt, denn viel taugen die alten Tonschiefer nicht, höchstens zum Beschottern der Straßen lassen sie sich verwenden. Nun haben sich Pappeln und Weiden darin angesiedelt, einige Birken auch, und der Holunder, den die Amsel hier säte, sprießt und wuchert. Auf den sandigen Lehm, [S. 93] den die Kaninchen durchwühlt haben mit einem Labyrinth von Gängen, hat sich Schwarzdorn eingenistet und bildet einen kleinen Urwald für sich.
Kein Weg führt bis ans Nixloch heran, von der Landstraße sieht man nur die Bäume und Sträucher über das Getreide weggucken, ung und ong tönt der Unkenruf am Abend herüber; eine verzauberte Welt meint man hinter dem Halmenwalde versteckt. Und wahrlich, wie ein Zaubergarten mutet auch der alte Steinbruch an. Wie Silberglocken tönt das Fallen der Wassertropfen, die vom übermoosten Steine ins Wasser hinuntertränen. Dazu das Trillern der Wechselkröte, das Plärren des Laubfrosches, der Märchenlaut der rotbauchigen Unke, das Wispern von Schilf und Rohr, das Klappern der Espenblätter, eine träumerische Stimmung herrscht im Nixloch. Kein Wunder ist es, daß hier gern die Fasane unter Brombeerranken ihr Gelege bergen, daß das kleine, grünbestrumpfte Teichhuhn mit dem roten Strumpfband hier die Kinderschar groß zieht, daß der starke Rehbock, der immer über der Grenze steht, sein Mittagsschläfchen gern hier abhält. Kein Wunder auch, daß der Neuntöter nun schon seit vielen Jahren hier seinen Erbsitz hat.
Im Mai kommt er an aus dem Süden, wenn die meisten Vögel schon Junge füttern. Dann setzt er sich auf die Kirschbäume an der Landstraße, dreht langsam mit dem langen Schwanz, daß man die weißen Federhälften und ihre schwarzen Enden deutlich sehen kann. Im Bogenfluge geht es weiter, wenn man ihm nahe kommt; dann zankt er gedämpft mit ga, ga. Immer sitzt er auf den äußeren Zweigen des Baums, ganz [S. 94] oben auf der Spitze oder an der Seite, denn freie Umschau will er haben.
Da schwebt er nieder zum Boden, dicht über dem Grase rüttelt er ein kleines Weilchen, dann fällt er mit hochgehobenen Flügeln nieder, packt den erspähten Laufkäfer und fliegt mit ihm zum nächsten Baume. Dort sitzt er in der Sonne. Wie sein aschgrauer Scheitel leuchtet, wie schmuck der schwarze Bartstreifen aussieht! Kastanienbraun schimmert der Rücken, weißlich mit rosigem Anflug Brust und Bauch. Jetzt nimmt der kleine Räuber seine Beute zwischen die Zehen und beißt und reißt mit dem schwarzen, zahnbewehrten Schnabel und schluckt die genießbaren Teile seiner Beute hinunter. Den Rest läßt er fallen. Ein Maikäfer brummt vorüber, dem ist er gleich auf den Socken. Schnapp hat er ihn und verzehrt ihn dann auf dem gleichen Flecke wie den ersten Fang. Wieder schwebt er zum Boden. Diesmal hat er eine Grille gefangen, danach wieder eine Heuschreckenlarve. Aber nun ist er satt. Er putzt sich zunächst ein wenig, knabbert in den Flügelfedern, ordnet in den Bürzeldecken und zieht die Schwanzfedern einzeln durch den Schnabel.
Aber dabei hat er seine Augen überall, sein Ohr ist jederzeit bereit, etwas Auffälliges zu melden. Jetzt fährt der Kopf herum. Lauschend sitzt der Würger. Dann fliegt er ein Stückchen an der Straße entlang und stößt dann heftig nach unten. Es scheint etwas Großes zu sein, was er gefangen hat. Er fliegt auf und läßt sich mitten auf die Straße nieder. Vor ihm zappelt ein graues Ding, das mit kräftigen Schnabelhieben bearbeitet wird. Eine Feldmaus hat er gehascht, [S. 95] die beinahe so groß ist wie er. Sie piept und zappelt und will fort, aber Hieb auf Hieb saust nieder auf ihren Kopf, daß sie bald ruhig wird, noch einige Male mit den Hinterbeinen zuckt und dann still liegt.
Nun, Würger, du Strauchdieb, was willst du denn mit so großer Beute machen? Der Dorndreher zerrt sie hin und her, kneipt hier ins Fell und da, hebt die Maus prüfend in die Höhe, und dann schlägt er mit doppelter Kraft seine Flügel und fliegt auf zum Kirschbaum. Frohlockend schlägt er mit dem Schwanz, er ist sicher zufrieden mit seiner Leistung. Dann geht’s zum nächsten Baum und nach einer Ruhepause wieder weiter. Nun fliegt er gar mit seiner Beute ganz hinauf auf die Spitze des Kirschbaums. Dann kommt eine lange, lange Pause. Der Räuber will die dreißig Schritt bis zum Nixloch fliegen, er sammelt Kräfte. Und nun geht’s munter los. Zwanzig Schritt wagrecht sind zurückgelegt, jetzt geht es schräg abwärts, aber bis zum Busche langts noch. Sieh, da sitzt Freund Neuntöter auf dem Schlehbusch und hat die Maus noch im Schnabel!
Nun fliegt er zu seinem Lieblingssitz, dem dürren Dornbusch, der alle andern überragt. Wie ein spitzer Nagel, so spießt aus dem Sitzast des Würgers ein Dorn heraus. Der Dorndreher schwenkt seine Beute in die Höhe, läßt sie niederfallen auf die Dornspitze und gibt ihr zuletzt einen kräftigen Ruck, daß sie festgespießt am Dorne sitzt. Dann zupft der Würger und rupft am Mausefelle, bis er hinzukann zum saftigen Fleisch. Einige kleine Stückchen reißt er ab und schluckt sie hinter, das Gehirn und einige kleine Knöchelchen wandern in den Kropf, dann ist der schmucke Kerl [S. 96] gesättigt. Nun sitzt er faul und dick in der Sonne, dreht den Kopf rechts und links und verdaut.
Neuntöter, wo hast du denn deine Frau? Sie ist wohl noch nicht eingetroffen, bummelt noch ein wenig an der Riviera umher oder sonstwo in Italien? Du bist mir ein schöner Kerl, läßt deine Frau allein durch die Welt reisen, wie nun, wenn sie unterwegs andre Bekanntschaften anknüpft und irgendwo anders einen Ehebund eingeht?
Doch sieh, wir haben dein treues Weib umsonst verdächtigt, nach einigen Tagen kommt sie an. Zwar ist ein hübscher, schmucker Würgerjunggeselle bei ihr, aber dem hat sie wohl nur „für unvorhergesehene Fälle“ erlaubt, sie zu begleiten. Nun sie sieht, daß du noch heil und munter bist, daß kein Schlagnetz deiner Freiheit, kein gelber Sperberfang deinem Leben ein Ende gemacht hat, ist sie die treue Gattin wieder und hilft dir den Reisebegleiter aus dem Revier hinausbeißen. Und der arme Kerl, der sich so in seinen schönsten Träumen betrogen sieht, macht nur einen schüchternen Versuch, das zarte Verhältnis, das er auf der Reise knüpfte, fortzuspinnen. Dann hat er die eifersüchtigen Schnabelhiebe des rechten Ehemanns satt, er mag auch das abwehrende Beißen seiner Schönen nicht mehr erdulden und sucht deshalb das Weite, um anderswo vielleicht doch noch Liebesfreuden zu finden.
Nun heißt es aber, eilig ein Nest bauen, durch die Streitereien mit dem Nebenbuhler ist schon Zeit verloren worden. Nun schleppt Frau Würger Halme und Würzelchen in den Dornbusch. Eine Unterlage bieten die quirligen Schlehenäste. Das viele Ab- und [S. 97] Zufliegen strengt an, deshalb versucht Frau Würger eine schüchterne Bitte beim Eheliebsten, er solle doch ein bißchen mit zutragen helfen. Aber da kommt sie schön an. Er sollte sich wohl seinen schönen, bunten Hochzeitsrock verderben, wenn er am Boden umherkröche. Sie hätte doch nun einmal das einfarbige braune Arbeitskleid, und wenn auf die gewellte Brust noch einige Schmutzspritzer kämen, dann täte das doch auch weiter nichts. Und fort fliegt er zur Landstraße, um in dicken Mistkäfern und grünen Grashüpfern zu schwelgen und der Frau die Arbeit zu überlassen. Na, schließlich wird sie doch beendet und eines Morgens liegt das erste grauweiße Ei mit einem Kranz von Flecken am stumpfen Ende im Nest.
Nun ist Herr Würger wieder der liebenswürdigste Gatte von der Welt. Voll Stolz betrachtet er das gelegte Ei, dann steigt er in den Dornen in die Höhe, um seiner Gattin ein Lied vorzusingen. Er erinnert sich an die Gesänge der Lerche und der Grasmücke, des Rohrsängers und der Schwalbe, stiehlt aus allen einige Laute und komponiert ein allerliebstes Potpourri, das er mit leiser, etwas belegter Stimme singt. Er scheint zu fürchten, daß ihm die Zugluft den Sang ganz verderben und ihn heiser machen könnte, deshalb macht er den Schnabel nur wenig auf und singt gedämpft. Seine Gattin hört’s schon und freut sich darüber.
Mit Freude und Gesang vergehen so die nächsten Tage, und immer liegt ein Ei mehr im Neste. Bald sind’s sechs, und nun ist’s genug. Den Dorndreher macht die Freude über das vollendete Gelege weich, [S. 98] und er läßt sich sogar herbei zu dem Versprechen, auch ein wenig mit brüten zu helfen.
Da auf einmal ist die freudige Stimmung verflogen, ein grauer Vogel, der beinahe wie ein Sperber aussieht, nur daß er schwache Füße und einen Drosselschnabel hat, der kommt herbeigeflogen und guckt in das Würgernest hinein. Da packt das Dorndreherpaar die Wut. Sie stürzen sich unter laut zeterndem Gäckgäckgäck auf den Fremdling, zausen ihm die Federn und zwicken ihn, so sehr sie können. Da fliegt er auf und davon, noch ein Stück verfolgt von den Würgern.
Heute abend soll das Brüten beginnen, da macht sich Frau Dorndreher noch einmal auf mit ihrem Mann, und beide unternehmen einen kleinen Jagdflug, die Landstraße entlang. Mancher Käfer wird erbeutet, manche Fliege muß sterben, dann eine kleine Eidechse, und auch die dicke Raupe eines Weidenbohrers, die aus dem Stamme der Pappel herausguckt, wird gefangen, ein Mäuschen auch. Dann kehrt das Würgerpaar wieder zum Neste zurück. Die Eidechse und die Maus haben sie mitgebracht und spießen sie auf die Dornen. Dann sehen sie sich die Kinderwiege an.
Doch was ist denn das? Das Nest sieht so unordentlich aus, einige Halme spießen heraus, der Rand ist niedergedrückt, weiß der Kuckuck, wer hier sein Spiel getrieben hat. Und dort liegt gar ein zerschlagenes Ei am Boden. Aber es scheint auch keins zu fehlen, nur eins sieht etwas kleiner aus als die andern, ist auch mehr grünlich gefärbt.
Lange betrachten die Vögel die Veränderung, jeder wirft dem andern vor, er hätte besser aufpassen sollen, [S. 99] beinahe wäre es zum Streit gekommen. Doch noch zur rechten Zeit gibt die Gattin das Keifen auf und setzt sich aufs Nest zum Brüten. Zehn Tage sitzt das Weibchen fest. Da piept und pickt es unter ihrem Brustgefieder, am elften kriecht ein Junges aus. Ihr kommt die Zeit etwas kurz vor, sie bleibt deshalb noch sitzen, der Gatte muß das ausgeschlüpfte Junge einstweilen füttern. Zwei Tage dauert es noch, dann kommen auch die andern Kleinen zur Welt. Ihr Bruder ist unterdessen schon recht gewachsen, unaufhörlich schreit er nach Futter. Kommen die Alten herbei, dann springt er ungestüm empor und reißt den gelben Rachen auf, und dabei fällt dann eins der Spätgeschlüpften nach dem andern aus dem Neste. Schließlich ist der kleine Nimmersatt allein übrig und schlingt und wächst. Nach einiger Zeit ist er schon größer als die Eltern.
Nun wird denen aber die Sache unheimlich, sie fliegen zur Sperbergrasmücke, die am andern Ende des Dornbuschs ihr Nest hat. Und siehe da, die klagt über das gleiche Übel: alle Kinder tot bis auf eins, das gar nicht satt werden will und immer weiter wächst. Der Kleine im Sperbergrasmückennest sieht ihrem eigenen Kinde zum Verwechseln ähnlich, aber von Familienähnlichkeit ist keine Spur zu entdecken. Immer weiter wächst das Junge, es ruft mit seinem Piepen unausgesetzt nach Nahrung. Schließlich fliegt es hinaus aus dem Neste und klammert sich auf einem Zweige fest. Verwundert begucken die Würger ihr Kind. Es sieht so dunkel aus mit grauen Binden auf dem Rücken, der Bauch ist weißgrau mit dunklen Binden. Und dann die Füße, zwei Zehen nach vorn, zwei nach hinten [S. 100] gedreht. Das ist nicht von mir, zetert der Würgervater; ich bin seine Mutter nicht, zankt die Würgerfrau. Aber wir haben es aufgezogen, da wollen wir es nur auch vollends auffüttern.
Und der Dank? Im nächsten Jahre legt vielleicht der kleine Kuckuck sein Ei in ihr Nest und verdirbt ihnen ihre Brut, weil sie ihn so selbstlos ausgebrütet und aufgepäppelt haben.
Mai war es. Der Flieder blühte und duftete im Garten, und der Goldregen prahlte mit seinen herrlichen Giftblüten. Die Kastanien, die den Weg am Teiche überschatten, hatten sich mit Blütenkerzen geschmückt, die Wiesen waren bunt von gelben und roten Blüten. Zwischen dem alten, gelben Schilfe schossen die saftig grünen Hellebarden des jungen Rohrs empor, und die Schwertlilie wickelte ihre gelben Blüten auseinander.
Im dichten Walde der Rohrhalme herrschte reges Vogelleben. Der große Rohrsänger lärmte und schrie sein Karre kiet von früh bis spät, und die kleineren Verwandten sangen dazwischen. Mit leisem Piepen umschwammen junge Stockenten die Mutter, fingen Mücken vom Wasserspiegel und paßten auf jedes Würmchen auf, das die Alte durch Wassertreten vom schlammigen Boden aufwirbelte. Auf dem Wasserspiegel jagten sich die zänkischen Blässen, der Rothalstaucher brüllte sein Liebeslied, von der seichten Bucht im Rohre klang [S. 101] das Trillern des Zwergtauchers, das hohe Kurr des Teichhühnchens.
Am Abend wird das vielstimmige Konzert etwas leiser. Da tönt ein sonderbarer Laut über das Wasser. Ist es die Stimme eines Kettenhunds, die vom fernen Dorfe herüberklingt, man könnte es fast meinen. Und doch ist der Sänger nicht so weit entfernt. Dort, wo das vorjährige Schilf ganz dicht steht, dort rauschen und zittern die Halme, ein Tier scheint sich zwischen ihnen zu bewegen. Jetzt ertönt der sonderbare Laut wieder, aber in der Nähe klingt es doch ganz anders als Hundegebell. Rur, rur, tönt es, ganz ähnlich, wie es die Haustauben hören lassen, wenn sie im Schlage gestört werden, nur lauter. Die Halme bewegen sich wieder. Und nun erscheint der sonderbare Sänger über dem Rohre. Aber leicht ist er nicht zu sehen. Genau so fahl wie das verwitterte alte Schilf ist das Kleid der kleinen Rohrdommel, nur der Scheitel ist schwarz und der größte Teil der Flügel. Aufmerksam spähen die gelben Augen in die Runde, schnell wird der Kopf mit dem gelben Dolchschnabel nach allen Seiten gedreht.
Nichts Verdächtiges ist zu entdecken. Drum wandert der Zwergreiher weiter. Die langen, grünen Zehen an den runden, grünen Beinen umfassen drei oder vier Rohrhalme zu gleicher Zeit, am liebsten da, wo sie sich schon zusammenneigen, so daß sie fast gar nicht rauschen und zittern, wenn die Rohrdommel an ihnen klettert. Dazu kommt noch, daß der kleine Reiher sehr leicht ist. Er erscheint zwar ziemlich groß, aber das macht das lockere Gefieder, in Wirklichkeit ist er [S. 102] nicht schwerer als das zierliche Turteltäubchen. Kein Wunder, daß sich das Schilf nur leise bewegt, wenn der Zwergreiher seinen schmalen Körper hindurchschiebt.
Vom nahen Fichtenhorst löst sich ein Schatten, schaukelt hierhin und dorthin und naht sich dann dem Teiche. Eine Waldohreule ist es, die an den Teichdämmen nach Fahrmäusen suchen will. Tief schwebt sie über den nassen Wiesen und schwingt sich dann übers Schilf, um den Teich zu überfliegen. Was wird die Rohrdommel zu ihr sagen? Vergebens suchen wir jetzt nach ihr. Leise bewegen die Schilfhalme ihre dunkeln Wedel hin und her im Abendwinde. Dort, wo die drei Halme geknickt sind, saß sie, ehe unsre Aufmerksamkeit durch die Eule abgelenkt wurde. Und was ist das für ein dunkler Fleck, der sich dort findet und langsamer im Winde schaukelt als die Rohrwedel? Ein gutes Glas zeichnet die verschwommenen Umrisse schärfer. Es ist wirklich der Zwergreiher. Er hockt auf den Fersen und hat den Kopf mit dem Schnabel steil auf dem eingezogenen Halse nach oben gereckt. Wahrlich, eine bessere Schutzstellung gibt es für den rohrfarbigen Vogel nicht, er verschwindet völlig in seiner Umgebung, und da er still sitzt wie aus Stein gemeißelt, ist er beinahe unsichtbar.
Eine Viertelstunde mag verflossen sein, die Eule ist längst außer Sicht und alles still und ruhig rings. Da endlich wagt der kleine Angsthase auf seiner Rohrwarte, sich zu bewegen. Langsam rückt er den Kopf höher, reckt den Hals gerade und schaut sich lange nach allen Seiten um. Alles erscheint sicher. Da streckt die Rohrdommel die Beine, greift sich noch vorsichtiger [S. 103] als vorher an den Halmen weiter und zieht sich ins dichte Röhricht zurück. Dort, wo sie sich sicher fühlt, läßt sie auch wieder ihre Stimme erschallen: rur, rur, rur.
Nacht ist es, und unsere Freundin ist hungrig geworden. Sie steigt im Rohre in die Höhe und fliegt auf. Gewandt weiß sie die Flügel zu gebrauchen, wie eine Dohle sieht sie beinahe aus, da sie den Hals ganz eingezogen trägt im Fluge und die Kehle auf der Gurgel ruhen läßt. Sie fliegt über das Rohr dahin, schwenkt um die alten Weiden und strebt der seichten Bucht zu, wo die Fischer bisweilen den Kahn an einem dicken Pfahle anbinden, wenn sie Reusen gelegt haben. Dort, in dem seichten Wasser tummeln sich Scharen kleiner Fischchen, die Bucht ist schön versteckt zwischen den hohen Schilfbeständen, dort jagt die Rohrdommel am liebsten. Sie fällt zunächst in das Rohr ein und sichert lange nach allen Seiten. Dann fliegt sie zur Schlammbank. Hochauf schürzt sie ihr Federkleid und watet langsam und bedächtig ins Wasser. Jetzt sieht der kleine Reiher beinahe wie ein Teichhühnchen aus, er trägt den Körper wagrecht, ja, er wippt sogar mit dem kleinen Schwänzchen nach Teichhuhnart.
Ein kleiner Gründling schwimmt langsam durchs Wasser und schnappt nach den dicken, roten Wasserflöhen, die taktmäßig auf und nieder hüpfen. Ganz vertieft ist er in seine Beschäftigung und ahnt nicht, wie nahe sein Todfeind steht. Arglos macht er eine Wendung und kommt der Rohrdommel noch näher. Da zuckt wie ein Blitz der gelbe Schnabel vor, das Fischchen ist erfaßt und rutscht durch den weiten Schlund des Zwergreihers. Frohlockend wippt und zuckt der glückliche [S. 104] Jäger mit dem Schwänzchen, schüttelt die Wasserperlen aus dem weichen Halsgefieder und watet weiter.
Die dicke Larve des Taufroschs, die mit ihrem Hornschnabel den Algenüberzug vom Rohrstengel abgenagt hat, schwänzelt sich zur Wasseroberfläche, um Luft zu schnappen. Doch wie sie auftaucht, ist sie auch schon vom spitzen Schnabel erfaßt und ohne Umstände verschlungen. Einer Libellenlarve, die das Atemrohr aus dem Wasser hebt, geht es gerade so. Dann kommt eine kleine Schleie daran und dann noch eine. Nun der Zwergreiher Schleien gefressen hat, mag er für heute nichts anderes. Die schmecken ihm besonders gut und dann lassen sie sich auch so leicht verschlingen, sie haben gar nichts Kratziges an sich wie der Barsch mit seiner stachligen Rückenflosse und den sperrigen Kiemendeckeln oder gar der kleine, dürre Stichling mit seinen feststehenden Rückenspießen. Eine Weile watet der kleine Reiher noch im Wasser umher, guckt eine Kaulquappe verächtlich an und läßt sie schwimmen und macht es mit einem Gelbrand geradeso. Schleien will er haben. Aber es kommen keine mehr. Deshalb rührt die Rohrdommel die Flügel und sucht einen andern Fischplatz.
Quer über den Teich fliegt sie, dem Rittergute zu. Dort, wo die Hausenten sich am Tage umhertreiben, wimmelt es von Wasserflöhen, und deshalb ziehen die Jungfische gern hierher. Dort fischt und jagt der Zwergreiher bis gegen Morgen, bis der Himmel sich rötet und im Dorfe die Hähne krähen. Dann eilt er wieder seinem Versteck im Rohr zu. Der Förster aber wundert sich über die sonderbaren Spuren, die er im [S. 105] seichten Wasser neben Abdrücken von Entenbeinen findet. Er weiß ja gar nichts von dem heimlichen Gast im Rohr, da er dessen Stimme nicht kennt und ihn am Tage nicht zu sehen kriegt.
Der August ist gekommen. Die Felder stehen kahl, die Ernte ist beinahe beendet. „Die schönste Zeit des Jahres ist vorüber, die Hirsche fegen!“ sagt der Förster, als er auf seinem Reviergange einige übel zugerichtete Fichtenbäumchen findet. Der Teich scheint völlig ausgestorben zu sein. Selten nur treibt sich eine Blässe oder ein junger Taucher am Schilfrande herum. Aber das scheint nur so. Die Enten sind noch in der Mauser, die meisten können überhaupt nicht fliegen, da ihnen die Schwungfedern alle auf einmal ausgefallen sind. Doch schon streichen am Abend die jungen ausgefiederten umher. Die Zeit der Entenjagd ist gekommen, man darf nicht mehr zögern, wenn nicht alle fortstreichen sollen. Die Vorbereitungen sind schon in den letzten Wochen getroffen. Allenthalben unterbrechen breite Schneisen den Rohrwald.
Und eines Morgens nahen sich die Grünröcke, ein Dutzend Jäger, jeder mit einem oder zwei Hunden, wandern rauchend und plaudernd dem Teiche zu. Still verfügt sich dann jeder auf den Platz an der Schneise, der ihm angewiesen wird, der Förster aber steigt mit seinem Hunde und einem bevorzugten Schützen in den Kahn, um an den Schilfrändern hinzufahren und die Enten aufzustöbern. Ein Hornsignal ertönt, langsam schiebt der Förster den Kahn am Saume des Rohrbestandes hin, während der Hund plätschernd und prustend im Schilfe stöbert. Die Enten suchen der [S. 106] Störung auszuweichen, sie fliegen auf oder, wenn sie das nicht können, schwimmen sie vom Kahne fort oder suchen sich durch Tauchen und Verstecken zu retten. An der Schneise fällt ein Schuß, einige Enten stieben auf und werden vom Hagel getroffen oder — öfter noch gefehlt; die Jagd ist im Gange. Der Schütze im Kahn macht die reichste Beute. Manche Ente steht nahe genug auf, daß sie, von den Schroten ereilt, ins Schilf stürzt, und der Hund sie apportieren kann. Aber nur die steintot heruntergeplumpsten findet er, die geflügelten tauchen sofort, schwimmen unter Wasser weg und stecken dann nur den Schnabel zum Atemholen über den Spiegel. „Die beißen sich am Grunde fest,“ sagen die meisten Jäger, während es den Vögeln gar nicht einfällt, auf diese Weise Selbstmord zu verüben. Im Gegenteil retten sie sich durch ihr Versteckenspiel, denn der angeschossene Flügel heilt wieder und wird auch oft wieder zum Fliegen tauglich.
Ruhig und gleichmäßig schiebt der Förster den Kahn vorwärts, und der Hund plantscht im Wasser, da fliegt ein Vogel hoch. Erst glaubt der Schütze im Kahn, es wäre eine junge Ente, aber der Flug ist ganz anders. Ehe er sich soweit besonnen hat, daß er eigentlich hätte schießen sollen, ist der Vogel weit weg. Nun erkennt der Jäger auch, daß es ein gelbbrauner Vogel mit schwarzen Flügeln und einem großen, hellen Fleck auf den Schwingen war. Aber weder er noch der Förster können sagen, was es war. Allzu weit flog der Vogel nicht, etwa hundert Schritte entfernt ist er wieder eingefallen. Nun, dann wird er einfach wieder hochgejagt. Der Hund sucht, der Förster [S. 107] schiebt den Kahn ins Schilf, so schwer auch das zähe Rohr das Eindringen macht. Ein altes, halbverfaultes Nest eines Bläßhuhns finden sie, aber den gesuchten Vogel können sie nicht aufstöbern. „Er muß raus“, sagt der Ehrengast im Kahn. „Aber er will nicht“, denkt die Rohrdommel, die kaum zwei Meter neben ihm in Schreckstellung an den Schilfstengeln sitzt.
Immer weiter schiebt der Förster seinen Kahn ins dichte Schilf. Da findet er auf umgeknickten Schilfstengeln einen Haufen von Schilfblättern und andern dürren Pflanzenteilen aufgetürmt mit einer Mulde oben drauf. Ein altes Nest ist es, das sehen die beiden im Kahn, aber daß es von der gesuchten Rohrdommel erbaut wurde und daß die Verschwundene hier ihre vier Kinder groß zog, das wissen sie nicht. Ärgerlich müssen die beiden schließlich abstehen von ihrem Suchen nach dem Vogel, sie trösten sich, daß er doch vielleicht wieder abgeflogen sein könnte. Weiter geht die Jagd, und gar manche Patrone verschießt der Schütze im Kahn. Aber er schießt jetzt merklich schlechter, er zögert stets, wenn Enten hochgehen, und sieht sich erst um, ob nicht der Unbekannte mit aufgehen könnte. Aber die Jagd geht vorbei, ohne daß der gesuchte Vogel wieder erschienen wäre. Schließlich macht man Strecke. Eine Anzahl Stockenten, einige Tafelenten, auch eine Löffelente sind erlegt. Der letzte Schütze kommt heran, aber keine Ente hat er. Mit einem gewissen Stolz bringt er dann hinter dem Rücken einen schilfbraunen Vogel hervor mit dunkleren Flecken, mit grüngelben, langen Beinen, einem langen Hals und einem gelbgrünen Reiherschnabel. Eine junge Rohrdommel ist [S. 108] über eine Schneise geflogen und hat sich auf der andern Seite gleich am Rande niedergelassen, so daß sie der Schütze bequem herunterholen konnte.
Die drei Geschwister und die beiden Eltern sind diesmal mit heiler Haut davongekommen. Im nächsten Jahre werden sie wieder hier brüten oder in den Schilfbeständen der Ziegeleilachen oder im Rohr eines kleinen Tümpels hinter dem Dorfe. Wenn nur viel Deckung da ist, dann sind ja die Zwergreiher nicht wählerisch in der Wahl ihres Brutplatzes. Wer ihre Stimme kennt, wird sie in unserm Vaterlande wohl nirgends vergeblich suchen, er wird sie an warmen Juniabenden sicher hören, wer sie sehen will, muß — Glück haben und Geduld.
Pfingsten ist es und Mitte Mai, dazu warm und mild wie im Juni. Die springenden Knospen duften durch das offene Fenster, Frühlingshauch zieht hinein zu dem Manne, der vor der Lampe über ein Buch gebeugt sitzt und liest. Aber nicht eine Spur von Frühlingsfreude spiegelt sich auf dem Gesicht des Studierenden, Groll und Erbitterung scheint es vielmehr auszudrücken; gewiß ist er zornig über das Buch vor ihm, das mit seinen Vorurteilen und Unwahrheiten ihm die Laune vergällt.
Doch mit einem Schlage sind die Falten von seiner Stirn verschwunden, und freundlich, ja beinahe zärtlich blickt er hinaus zu dem Vogel, der soeben auf [S. 109] dem Birnbaumast vor dem Fenster sich niedergelassen hat. Zwei helle, gelbe Augen blicken zutraulich aus dem runden Köpfchen, komisch nickt und knixt der kleine Nachtvogel, winkt mit den Augenlidern und knappt mit dem Schnabel, richtet den Gesichtsschleier auf, daß sein Kopf kugelrund ist, legt dann wieder alle Federn knapp an und sieht dünn und schlank aus, kurz, er macht hundert Grimassen. Dann ruft der Kauz gedämpft und melodisch Ghuk und macht aufs neue ein Komikergesicht. Da macht der Beobachter eine unvorsichtige Bewegung, im Nu ist das Käuzchen lang und dünn; wie ein dürrer Aststumpf sieht es aus; dann macht es zwei tiefe Bücklinge und ist verschwunden. Nach dem Obstgarten ist es hinübergestrichen und läßt von dort sein Ghuk erschallen. Jetzt läßt sich sein Weibchen zu einem Duett verleiten, es antwortet auf den sanften Ruf des Gatten mit höherem Kuwiff, Kuwiff, wohl zehnmal hintereinander den gleichen Ton ausstoßend.
Doch dieser Laut übt auf den Mann im Studierzimmer die entgegengesetzte Wirkung aus als das Ghuk des Männchens. Er erinnert ihn immer aufs neue an den unüberwindlichen Aberglauben der Bauern, die das arme, gutmütige Käuzchen als Leichenvogel verschreien und seinen Ruf mit: „Komm mit, komm mit nach dem Kirchhof“ übersetzen. Erst im vorigen Jahre, als die Frau vom Ortsschulzen so krank war, haben die Bauern drei der unschuldigen Mäusejäger getötet, um den gefürchteten Ruf nicht hören zu müssen. Natürlich hatte dann das einzige überlebende Weibchen auf der Suche nach dem gemordeten Gatten Nacht [S. 110] für Nacht vor den erleuchteten Fenstern geschrien, so daß sinnlose Todesfurcht den Zustand der Kranken bedenklich verschlimmerte und schließlich ihren Tod verursachte. Da hatte man wieder deutlich gesehen, was der Ruf des „Kommitchen“ zu bedeuten hat, und daß alles nichts hilft, wenn einmal sein Todesruf vor den Fenstern erschallt ist.
Es ist nur ein Glück, daß das Käuzchen nicht auf die hohen Apfelbäume im Dorfe angewiesen ist, wenn es Anstalten zur Brut treffen will, sonst würde es wohl noch weit häufiger der Nachstellungswut abergläubischer Leute zum Opfer fallen. Wird aber die kleine, zutrauliche Eule im Dorfe gestört, dann versucht sie in einer Weide am Bache ihre Brut aufzuziehen; geht das nicht, nun, dann ist vielleicht eine Kaninchenhöhle in der steilen Sandwand geeignet dazu. Am liebsten ist ihr aber doch der alte morsche Obstbaum im Schulgarten. Dicht an den Stamm gedrückt verbringt hier das Männchen den Tag, während die Gattin brütend auf den vier reinweißen Eiern sitzt.
Aber oft ist Herr Steinkauz genötigt, seinen Platz zu wechseln. Da schlüpft eine Kohlmeise durch die Obstbäume auf der Suche nach Nahrung. Bald hängt sie kopfunter an dünnen Zweigen, bald klammert sie sich an die Rinde, um Räupchen und Käfer aus den Ritzen zu ziehen. Ganz vertieft ist sie in ihre Beschäftigung. Jetzt hüpft sie auf dem Apfelbaum von Ast zu Ast und klammert sich am Stamme fest, um plötzlich wenige Spannen von sich die gehaßte Eule sitzen zu sehen. Erschreckt fliegt sie zum nächsten Zweige. Zidä, Zidädädä, zetert sie und schnarrt tärrrärrrr so [S. 111] laut und wütend, daß gleich eine Blaumeise dazukommt und unter Zerr zerr zerr mitschimpfend hilft. Nun wird auch die Bachstelze aufmerksam und stößt unter lautem Zilli-Zilli auf das Käuzchen. Schon ist auch der Hausrotschwanz dabei und geht schnabelklappernd dem Nachtvogel zu Leibe, einige Feldsperlinge glauben, auch mittun zu müssen, so daß das Gewirr der zankenden Kleinvogelstimmen schließlich dem Käuzchen zu toll wird. Quer durch die zeternde Vogelschar fliegt es und eilt schleunigst dem nahen Friedhofe zu mit seinen Lebensbäumen, um dort ein Versteck zu suchen.
Ganz eigenartig und gar nicht wie andere Eulen fliegt der Steinkauz. Im hüpfenden Bogenflug erinnert er sehr stark an einen Specht oder eine Haubenlerche; niemals würde ein Unkundiger vermuten, eine Eule vor sich zu haben. Die zankenden Kleinvögel sind dem Käuzchen ein Stück nachgeflogen, aber bald bleiben sie zurück, so daß es ihm leicht wird, ungestört ein verschwiegenes Plätzchen auf einer dicken Linde zu finden. Wird es dort wieder aufgestört von den Staren, die in den Höhlungen nisten, dann fliegt es wieder hinunter auf seinen Lieblingsfleck auf dem Apfelbaum, um dort bis zum Abend zu träumen. Die Dämmerung begrüßt es dann mit seinem Ghuk, während das Weibchen in der Nisthöhle mit Kuwiff antwortet.
Doch eines Abends ertönen ganz andre, zankende Stimmen im Obstgarten. Ein dicker, schwarzer Kater hat ein leises Rascheln im Apfelbaum vernommen und eiligst klimmt er am Stamme in die Höhe, um zu sehen, was es gibt. Tastend steckt er seine Pfote in die Höhle, um vielleicht einen Jungvogel herauszuhäkeln. Doch [S. 112] mit einem Male fährt er aufkreischend zurück. Vier Krallen, schärfer und spitzer noch als seine, haben ihm ins Fleisch gegriffen. Im Nu ist auch das Kauzmännchen da und stößt mit lautem käfkäfkäf auf den Störenfried, der sich eiligst aus dem Staube macht. Lange dauert es, ehe sich die Käuzchen wieder beruhigt haben und wieder ihr gemütliches Ghuk ertönen lassen.
Auch die andere Eule des Dorfes, die Schleiereule, die im Balkenwerke des Kirchturmes ihr Quartier aufgeschlagen hat, darf sich nicht in der Nähe von Käuzchens Nistplatz sehen lassen, sie wird sofort unter laut zankendem Kläffen angegriffen und vertrieben. Dabei tut sie gewiß den Kleinen nichts zuleide, aber sie hat nun einmal im Obstgarten nichts zu suchen und wird also vertrieben. Gewöhnlich wartet sie aber gar nicht erst den Angriff des kleinen, mutigen Artgenossen ab, sondern macht sich schleunigst aus dem Staube, sobald die Käuzchen ihr zu nahe kommen. Dann läßt sie ihre halb fauchende, halb kreischende Stimme hören und fliegt zum nächsten Scheunengiebel. Von dorther tönt von Zeit zu Zeit ihr Chchvaaihch, wie gedämpfter Katzenschrei anzuhören. Bald lauter, bald leiser, bald länger, bald kürzer wird der Ruf ausgestoßen, aber immer nur der gleiche unmelodische Schrei.
„Je schöner der Vogel, desto häßlicher die Stimme“, sagt das Volk und denkt dabei an Pfau und Nachtigall. Wenn man aus dem Eulengeschlecht Beispiele für den Volksausspruch sucht und als besten Sänger den Waldkauz oder auch den Steinkauz ansieht und mit dem musikalischen Stümper, dem Schleierkauz vergleicht, dann findet man das Wort wieder bestätigt. Unscheinbar [S. 113] erscheint der kleine graue Steinkauz mit seinen weißen Tropfflecken, nicht viel schöner der graue Waldkauz, schöner schon die rotbraune Varietät des großen Kauzes, sie alle können sich aber mit einer Schleiereule nicht messen. Der seidig glänzende Gesichtsschleier mit seiner sonderbaren Herzform und dem dunklen Saum, und mitten drin die beiden schwarzen funkelnden Augen, schon das würde genügen, den Schleierkauz zur schönsten Eule zu machen. Es bedürfte gar nicht der aschigen Oberseite mit den weißen Sprenkeln, der isabellfarbigen Unterseite mit den dunkeln Makeln. Zart und fein ist die Seide, mit der ein Mensch seine Geliebte schmückt, um ihre Schönheit zu heben, aber grob und derb ist das feinste Gespinst von Menschenhand gegen das Federkleid, das die Natur ihrem Stiefkind, der Schleiereule, verlieh. Wollte sie es damit wieder gut machen, daß sie dem armen Vogel das gräßlichste Geschick nicht ersparte, nämlich dem Aberglauben des Volkes verfallen zu sein?
Gehe nur hinaus aufs Dorf und mustere die Bauernhöfe und sieh, wie Dummheit und Aberglauben ihre Blüten treiben! Die treueste Verbündete im Kampfe gegen die gehaßten Mäuse und Ratten, die Schleiereule, die fängt oder schießt der Bauer und nagelt sie als Wahrzeichen seines Bildungsgrades an die Scheunentür, „weil sie das Feuer vertreibt“. Man hat wohl bei Bränden gesehen, wie Mutterliebe den Vogel immer und immer wieder antrieb, durch Qualm und Rauch einen Zugang zu suchen zu den kleinen Dunenjungen, die auf dem Balkenwerke der Scheune kläglich kreischten in ihrer Todesangst. So entstand [S. 114] zunächst die Sage, der nächtliche Vogel sei feuerfest, bis man ihn schließlich als Vertreiber des Feuers ansah und durch Kreuzigen der Eule an der Scheunentür das Feuer verbannen zu können glaubte. Zwar wird heute kaum jemand noch ernstlich dieses Ammenmärchen für wahr halten, aber der „alte, gute Brauch“ der Väter erbt sich fort, und schließlich hört man einen zur Rede gestellten Alten sagen: „Äh, hilft’s nicht, na, dann schad’s auch nicht.“ — Die „Aufgeklärten“ aber werfen dem Schleierkauz vor, er habe ihre Tauben gefressen, Taubeneier ausgetrunken und ähnliches. Dabei beachten aber die Tauben die Eule gar nicht und umgekehrt. Oft findet man beide friedlich nebeneinander brüten und die Jungen großziehen, ohne daß auch nur den unbeholfenen Dunenjungen der Tauben das geringste Leid geschähe; setzt man einer gefangenen Eule Eier vor, dann stirbt sie eher am Hungertode, als daß sie ein Ei, ganz oder angeknickt, anrührte.
Und wenn wirklich eine Schleiereule ihren Hunger mit Tauben zu stillen sich angewöhnt hat, dann kann doch abends der Taubenschlag geschlossen werden! Aber wegen einer gemutmaßten Übertretung einer einzelnen wird die ganze Sippe mit dem Tode bestraft. Die Folge ist schon jetzt recht fühlbar geworden. Die Schleiereulen werden seltener und seltener, man muß in manchen Gegenden unseres Vaterlandes, z. B. bei Leipzig, lange vergeblich suchen, ehe man ein Dorf findet, in dem der schönsten deutschen Eule noch eine Freistatt gewährt wird. Sollen wirklich die Tage gezählt sein, da sie noch in unsrer Heimat zu finden ist? Ein gut Stück Poesie ginge mit ihr zu Grabe.
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Kein Garten hat mir je wieder so gut gefallen wie der Schulgarten in Z. Erscheint er mir nur so schön, weil ich so manche Stunde meiner Kindheit dort verträumt habe? Das mag sein. Aber so viel steht fest, nicht leicht kann ein zweiter Garten von so winzigem Umfang eine solche Fülle von Vogelarten beherbergen wie eben unser alter Garten. In der Hecke und in den dichten Beerensträuchern nisten Müllerchen und Plattmönch, Hänfling und Gelbspötter. Vom Dach herab grüßt das ruhige Hausrotschwänzchen mit seinem gepreßten Liedchen, wenn es nicht mit Vetter Baumrötel einen kleinen Streit ausficht um den Nistplatz im Taubenschlag, den die weiße Bachstelze aber auch gern haben möchte.
Eine mächtige Linde beschattet einen Teil des Gartens. Sie stand wohl schon, als der eckige Kirchturm noch als Kapelle diente und weite Teiche sich um das alte Wendendörfchen streckten. Nun ist sie etwas altersschwach geworden. Manchen Ast hat der Sturm abgerissen, der Stamm ist durchhöhlt, unsre Linde ist schon ein etwas baufälliges Haus. Aber Jahr um Jahr treibt sie neue Blätter, duftet mit Tausenden von Blüten und streut tausend Samennüßchen in alle Winde. Jahr um Jahr bietet sie mit ihren zahlreichen Spalten und Löchern der Vogelwelt aufs neue sichere Brutstätten. Hier und da zwängen sich Spatzen und Stare durch eine Ritze zu der hungrigen Brut, Blaumeischen hat ein enges Astloch gefunden, das ihr kein grober Spatz streitig machen kann, und der Kleiber hat ein Loch so [S. 116] eng geklebt, daß er eben noch hinein kann in die Bruthöhle. Oben in der Krone baut der Wildtauber mit seiner Gattin die Kinderwiege, und unten in den Ranken des Efeus, der mit zäher Umarmung den alten Lindenstamm umschlingt, flicht und pappt die Amsel ihr halbkugliges Nest. In das dichte Gewirr der Efeuranken am Boden schleppt der Igel Laub und Halme; dort führt er ein stilles und beschauliches Dasein, wenn ihn die Flöhe nicht gerade zu sehr jucken und die Holzböcke zwicken.
Viel weiter noch, als die Krone in blauer Luft sich breitet, ist der Erdboden durchzogen von den Wurzeln der alten Linde. Hier haust der sonderbarste Geselle, der sich des Schutzes des Baums erfreut. Mag der Igel auch prachtvoll geschützt sein durch sein Stachelkleid, mögen seine Gesichtszüge noch so spaßig erscheinen, wenn er sich aufrollt, mit dem Wühler im schwarzen Samtpelz, dem Maulwurf , kann er sich nicht messen in bezug auf glückliche Anpassung an die Lebensbedingungen.
Im Mai war’s, da machte ich seine Bekanntschaft. Ich sah einem Starenvater zu, der mit einem Schnabel voll Käfer an die Nisthöhle flog, dann hurtig der schreienden Brut das Futter in den Schnabel stopfte. Eben war der Vogel wieder abgeflogen mit einem weißen Kotballen im Schnabel, da ertönte am Fuße der Linde ein eigenartiges Rascheln. Es klang wie Wispern einer Maus, die an dürrem Laube knappert, und doch ein wenig anders. Da ist es wieder. Langsam und vorsichtig schnuppernd erscheint ein spitzer, rosiger Rüssel aus der Tiefe, ein samtiger Kopf kommt nach und dann ein Paar fleischfarbiger Hände; breite, muskulöse Arbeitshände mit scharfen Krallen sind es. Prüfend arbeitet die [S. 117] Nase und erforscht die Umgebung. Alles erscheint sicher. Da arbeitet sich der dicke Walzenleib des Maulwurfs ganz ans Licht empor. Wie der Samtpelz glänzt in der Sonne! Am Kopfe schimmert rechts und links ein Punkt gläsern durch die Samthaare, wie schwarze Stecknadelkuppen sehen sie aus: die Augen des Maulwurfs. Von Ohren kann man gar nichts sehen, die stecken unter dem Pelz. Emsig rutscht der schwarze Kerl über den Boden dahin. Jetzt packt er ein dürres Lindenblatt, das noch vom Herbst daliegt, rutscht zurück zu seiner Röhre und verschwindet eilig unter dem Boden. Aber bald ist er wieder da und holt ein andres Blatt oder einen dürren Grashalm und schleppt ihn in die Tiefe. Immer und immer wieder erscheint der Pionier an der Erdoberfläche, trabt mit seinen Hinterbeinen und krakelt mit den Grabschaufeln seiner Hände über den Boden dahin und trägt dürres Laub hinunter in die Röhre.
Ein Maikäfer sitzt auf dem Rosenbäumchen vor mir und „plumpt“; eben will er fortfliegen, da greife ich ihn. Dann werfe ich ihn unter den Lindenstamm an das Loch des Maulwurfs. Gut getroffen! Gerade vor dem Loche liegt er auf dem Rücken, krabbelt und arbeitet, bis er endlich seine Fußkrallen einhakt in einen dürren Zweig und sich herumdreht. Dann regt er eilig seine sechs Beine und wandert fort. Zwei Spannen weit ist er schon weggekommen, da taucht der Maulwurfsrüssel wieder in der Röhre auf. „Maikäfer, mach dein Testament, jetzt bist du geliefert!“ Ein Weilchen schnuppert der Schwarzrock umher, dann kriegt er den Käfer in die Nase. Noch höher als sonst stellt er vor Eifer sein kleines Schwänzchen auf und drückt es gegen den Rücken. [S. 118] Dabei läuft er gar rasch auf den Käfer zu, packt ihn mit den spitzen Zähnchen, beißt und kaut, daß das Skelett des Käfers kracht und mummelt ihn dann hinter. Im Handumdrehen ist er verschwunden, nicht eine Spur mehr zu sehen. Hierhin, dorthin schnuppert der Maulwurf, packt schließlich wieder einen dürren Grasbüschel und verschwindet in seinem Loche.
Ist er mit dürrem Gras zufrieden, wenn kein Käfer zur Stillung des Hungers aufzutreiben ist? Wer einmal einem Kaninchen zugesehen hat, wie es einen dicken Büschel von dürrem Gras ins Maul genommen hat, immer und immer noch einen Halm dazupackend, bis es mit einem borstigen Bart in seiner Höhle verschwand, der wird unwillkürlich die Ähnlichkeit in dem Gebaren von Maulwurf und Nager herausfühlen. In beiden Fällen handelt es sich um das Eintragen von weichem Material zum Bauen des Nests, zum Auspolstern der Kinderwiege. Unser Maulwurf unter der Linde ist ein Weibchen, sein dicker Leib läßt sogar auf interessante Umstände schließen. Jetzt scheint Mama Maulwurf zufrieden zu sein mit der Menge des eingetragenen Laubs, sie erscheint nicht wieder. Vielleicht verarbeitet sie erst einmal ihre Beute und baut und polstert am Nest, vielleicht geht sie auch jagen, wer weiß.
Am Wiesenrand entlang schlendert ein Schulknabe. Er hat einen großen Drahtring um den Hals gehängt, an dem sonderbare Stahlgeräte baumeln. Maulwurfsfallen sind es. Von der Kunst zunftmäßiger Maulwurfsjäger, aus einer elastischen Weidengerte und einigen Stellhölzchen einen Schnellgalgen zu stellen für den armen, schwarzen Wühler, davon versteht der Junge [S. 119] nichts. Der hat seine zangenartigen Fallen, die durch einen Drahtring aufgehalten und fängisch gestellt werden. Wühlt ein schwarzer Pionier in seinem Laufgang und arbeitet, um den Gang passierbar zu machen, dann drückt er den Stellring weg, die Zange schnappt zu und quetscht ihm den Brustkasten zusammen. Armer Maulwurf, der du dich in den Schutz unsrer Linde geflüchtet hast. Der Knabe hat den Erdhügel gesehen, den du aus deinem Laufgang herausgeschafft hast. Nun sucht und drückt er mit dem Spaten, bis er glücklich die „Fahrt“ entdeckt hat. Dann sticht er ein viereckiges Stück Rasen los und schiebt die gräßlichen Zangen in die Röhren. Dann deckt er das Rasenstück wieder darauf, ebnet den Boden und geht weiter.
Soll ich es zulassen, daß du ahnungslos in dein Verderben rennst, Freund Maulwurf? Nein, du stehst unter dem Schutz unsrer Linde, unter meinem Schutz! Soll ich die Zangen zuschnappen lassen? Dann stellt sie der Junge morgen wieder fängisch, dann ist nichts gewonnen, einmal erwischt er dich doch, denn er hat Engelsgeduld. Doch halt, Petroleum! Ganz weit hinein in jede Röhre wird ein Lappen, mit dem stinkenden Öl getränkt, geschoben, da geht der Maulwurf sicher nicht darüber hinweg. Und siehe da, am nächsten Morgen sind die Fallen noch unberührt, am Abend auch, am nächsten Tage sind sie verschwunden. Der Maulwurfsjäger hat wahrscheinlich doch die Röhre trotz des frischen Hügels für unbewohnt gehalten, da nicht ein einziges Mal die geringste Spur der Anwesenheit eines Maulwurfs zu finden war. Mein Schützling ist gerettet.
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Nach einigen Tagen sehe ich ihn wieder unter der Linde. Er ist recht schlank geworden, wahrscheinlich liegen die Jungen im Nest unter den Lindenwurzeln. Was hat der nur hier oben herumzuschnüffeln? Er krabbelt auf die Efeuranken zu, hinter denen der Igel sein Nest gebaut hat. Aha, eine junge Goldammer hat der Stachelheld erwischt und sie bis vor seine Haustür getragen. Dort hat er sie liegen lassen, weil er satt gewesen ist. Nun ist aber der Braten dem Maulwurf in die Nase gekommen, und er holt ihn schleunigst weg, ohne daß der rechtmäßige Besitzer etwas davon merkt. Wie komisch das aussieht, wenn der schwarze Walzenleib des unterirdischen Wühlers sich krümmt und anstrengt, um die steif gewordene Goldammer durch die Efeuranken hindurchzuzerren. Immer wieder bleibt sie hängen und will sich nicht bewegen lassen, dann ruckt und zerrt der Maulwurf wie ein junger Hund, der in die Leine beißt. Schließlich ist der leckere Bissen doch ins Freie geschleppt, und nun geht es hurtig dem Loch zu und hinunter in die Tiefe.
Am nächsten Abend verunglückte eine Feldmaus im Maulwurfsloch. Der Igel hat sie abgeschnitten von ihrem Schlupfloch und saust hinter ihr her. In ihrer Angst fährt sie hinein in die schützende Höhle des Maulwurfs. Aber o weh! Gerettet ist sie nicht deswegen. Ganz fein klingt ihr erschrecktes Piepen aus der Tiefe, sie ist dem rechtmäßigen Bewohner geradeswegs vor die Nase gelaufen. Da hilft keine Flucht. Eine Maus ist flink, aber in seinen Röhren ist der Maulwurf noch rascher, wie ein Bolzen saust er durch seine wohlgeglätteten Gänge, und gar bald ist auch die behendeste [S. 121] Maus eingeholt und von den nadelspitzen Zähnen verwundet und getötet. Unsre Petersilie ist gerächt.
Eine Salatpflanzung in unserm Garten macht von Tag zu Tag einen erbärmlicheren Eindruck. Einige Pflänzchen fallen um, andre kränkeln und werden welk. Was ist da nur los? Zieht man eine Pflanze heraus, dann fehlen die Wurzeln, gewöhnlich kann man auch noch einen bleistiftstarken Gang erkennen, der in die Erde führt. Durch den muß der Wurzelfeind gekommen und gegangen sein. Am nächsten Tage sieht es wüst aus auf unserm Salatbeet. Alles ist zerwühlt, die Pflanzen sind halb aus dem Boden geworfen, Erdhügel sind aufgetürmt. Freund Maulwurf, du ungestümer Gast, das ist dein Werk. Eilig wird alles wieder geebnet, die Pflanzen festgedrückt, die Hügel mit dem Rechen breitgezogen, damit Mutter nichts sieht und nicht den Maulwurf wegfangen läßt. Aber sonderbar, die Pflanzen gedeihen jetzt ganz anders, keine wird welk, keine fällt um. Das hat der Wühler im Samtpelz getan. Die Engerlinge, die die Wurzeln vom Salat fraßen, die haben ihn hergelockt, überall hat er sie aufgespürt, und nicht einer ist mehr zu finden. Nun ist natürlich der Maulwurf glänzend gerechtfertigt.
Einige Wochen sind vergangen. Der Garten ist erfüllt von dem würzigen Duft reifender Monatserdbeeren. Die Sonne ist eben untergegangen, im Dorfe ist es schon still geworden. Da raschelt es unter dem Buchsbaum, und unser Maulwurf wird sichtbar. Schnüffelnd trippelt er zwischen den Erdbeerpflanzen umher, wendet sich rechts und links und hat immer etwas zu schmatzen und zu kauen. Haben’s ihm die Erdbeeren [S. 122] angetan? Scheinbar nicht, denn eben ist er an einer glühend roten Frucht vorbeigewandert; aber die andre dort scheint er verzehren zu wollen. Er hebt sie mit dem rosigen Rüssel und frißt und kaut an einer Schnecke. Der Erdboden scheint ihm jetzt zu hart zu sein zum Wühlen und Suchen. Tagelang hat es nicht geregnet, die Regenwürmer haben sich zusammengerollt und eingekapselt, deshalb sucht Freund Maulwurf über der Erde.
Nun wart einmal, darf ich dich vielleicht zu einem kleinen Abendessen einladen? Dort auf dem Gange steht die große Kiste mit weicher Erde, in der die Gurkenpflanzen gezogen sind, dort will ich dir was auftafeln. Zwei leise Schritte, ein schneller Satz, ein kräftiger Griff, da habe ich dich. Aber nicht so strampeln, Kleiner, ich kann dich ja kaum halten! Unmöglich ist es, deine Vorderbeine zusammenzudrücken, man muß nachlassen. Dann nehme ich dich lieber beim Fell. Das willst du auch wieder nicht leiden? Gar beißen willst du, so unangenehm ist dir mein Griff? Na, dann rein mit dir in die Kiste. Im Nu ist er verschwunden, förmlich untergetaucht in der lockeren Erde. Eine junge Amsel ist ertrunken in unsrer Regentonne, die hole ich herbei, schneide kleine Stückchen Fleisch ab und lege sie oben auf die Erde in der Kiste. Nun heißt es mäuschenstill sein, damit der Maulwurf sich sicher fühlt. Nur wenige Minuten dauert es, dann hebt sich die lockere Erde in der Kiste, gerade neben einem Stückchen Fleisch. Da erscheint auch der emsig windende Rüssel, aber gleich ist er wieder weg und das Fleisch auch. Ein Bissen nach dem andern wird so in die Tiefe gezogen, bald ist nichts mehr von dem Vogel übrig.
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Was wird der Gefangene nun tun, wird er hervorkommen aus der Erde und über den niedrigen Rand der Kiste klettern! Es knackt verdächtig. Da hat Herkules schon einen Ausweg gefunden. Zwei Bretter schließen nicht ganz dicht, der Maulwurf kann die Grabschaufel einstemmen und drückt und preßt, bis das morsche Holz nachgibt. Dann ist er seinem Gefängnis entronnen, er bohrt und wühlt sofort auf dem Beet mit dem Rüssel, kratzt mit den Vorderpfoten und gräbt und arbeitet, bis er unter dem Erdboden verschwunden ist. Leb wohl und freu dich deines Lebens, schwarzer Kobold; möge der Schutzengel der Maulwürfe dich bewahren vor Galgen und Zange, vor den Krallen des Bussards und des Iltis Raubtierzähnen!
Juli war es, und ein besonders heißer Tag dazu. Die Sonne sengte und strahlte, sie kochte den Honig aus den letzten Blüten der Linde im Garten, so daß der süße Duft mit dem leisen Lufthauch davonzog. Ein paar Fliegen saßen plattgedrückt im Weinlaube und ließen sich die Hitze gut sein, unter der Fetthenne am Boden dehnte eine grüne Zauneidechse den Leib im Sonnenschein, träge flog ein Kohlweißling durch den Garten und setzte sein Eihäufchen an ein Kohlrabiblatt. Sonst war von Lebewesen fast nichts zu entdecken. Nur ab und zu klang die plärrende Stimme junger Stare aus den Höhlungen der Linde, verträumt drang der Laut durch die heiße Stille.
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Ein leises, fernes Summen klingt in der zitternden Luft, ganz fein vertönt’s, wie wenn die Kirchenglocke summt, die ein fallendes Sandkorn anschlug. Was ist es? Täuscht nur der hämmernde Pulsschlag das ferne Summen ins Ohr? Doch nein, es wird stärker und lauter. Ist es der Wind, den die weiße Wetterwolke am Westhimmel ausschickt, der so drohende Töne erzeugt? Doch es regt sich kein Blatt am Baume, kein Windhauch stört die winzigen Mücken, die als flimmernde Punkte einen verschlungenen Reigen tanzen. Näher und drohender braust es, wie wenn fern hinter dem Berge prasselnde Schloßenschauer herniederstürzten, und doch ist der Himmel blau und die weiße Wetterwolke fern.
Und nun zieht unter Summen und Brummen eine Wolke über den Garten, jetzt langsam, jetzt rasch, jetzt hoch und dann niedrig, eben war sie rund, nun ist sie lang und schmal. Apis, die Bienenkönigin , und ihr Volk brummt über den Garten. Sie fliegt in weitem Bogen um die Linde herum, ihre Getreuen tun’s ihr nach, sie stürzt sich zehn Meter hinab, und ohne Kommando folgen ihre Vasallen, sie schwärmt im Zickzackfluge, und hinter ihr wogt der Schwarm, wie von Geisterhand geleitet. Am Hausgiebel zieht die Königin langsam hinauf bis zum First und dann wieder hinab bis zum Dachrand, und mit ihr steigen die Bienen und senken sich.
Apis sucht einen Ruheplatz, doch das Haus dünkt ihr unpassend, drum geht es hinüber zur Linde. Ein glatter Ast kommt aus dem dicken Lindenstamme dort, wo er sich zum ersten Male teilt. Fast wagrecht ragt der Ast in die Luft, nur seine Zweige hängen etwas [S. 125] nach unten. Hier gefällt es Frau Apis, die Sonne brennt nicht zu heiß hierher, aber der Schatten ist auch nicht zu dicht. Die Königin setzt sich auf den erwählten Platz, sofort haben sich neben ihr eine Schar Getreue niedergelassen, neue kommen dazu und krallen sich mit ihren sechs Beinchen an die glatte Rinde, die nächsten setzen sich auf die Rücken ihrer Schwestern, um wieder andern als Ruhesitz zu dienen. Größer und größer wird die Traube aus Bienenleibern, immer weniger Insekten schwärmen noch umher, bis schließlich fast alle Platz gefunden haben.
Doch dauernd ist natürlich die Ruhe beim Bienenvölkchen nicht. Da löst sich ein faustgroßer Ballen vom Schwarme, entwirrt sich im Fallen, und die emsigen Honigsucher fliegen hinauf zur Bienentraube, die sich schon wieder abgerundet hat, und setzen sich darauf nieder. Der Abend kommt, und über den Wiesen braut der Nebel, die Bienen summen, fallen nieder und steigen auf; die kühle Nacht senkt sich auf die Erde, und das Käuzchen schreit in den Weiden an der Mühle, der Bienenschwarm summt immer noch. Der Morgenhimmel rötet sich, und die Sonne guckt mit rotverschlafenem Auge aus dem Wolkenbette, die Bienen brummen noch immer rastlos am Lindenast.
Höher und höher steigt das Tageslicht, seine warmen Strahlen trinken durstig die glitzernden Tauperlen von Blatt und Gras. Nun werden die Bienen noch lebhafter. Eine nach der andern löst sich von der Traube los und summt tanzend auf und nieder, schwärmt hin und her und fliegt dann weiter herum im Garten und Dorfe. Bald hier am Hausgiebel, bald dort am hohlen [S. 126] Apfelbaume sieht man sie suchend umherirren, hineinfliegen in Baumlöcher und dann wieder weiter eilen. Die größte Zahl ist aber an der Linde geblieben und untersucht die zahlreichen Höhlungen ihres Stammes.
Zu zweien, dreien fliegen sie ein und aus, bis schließlich die große Höhle am Stamme, die halb unter Efeuranken versteckt liegt, von vielen umflogen wird. Hin und her geht es zwischen dem Schwarm und dem Loch im Stamme, bis schließlich alles nur ein Hin- und Herfluten ist. Und dann zieht Bienlein auf Bienlein unter lautem Summen hinein in den hohlen Stamm; wie wenn rieselnde Erbsen aus dem Sack ins Maß rollen, so ist’s anzusehen. Apis und ihr Volk haben eine Wohnung gefunden, sie bleiben in der Linde.
Schimpfend sehen die Sperlinge, wie die schöne, große Höhle von den kleinen Summern bezogen wird, aber eine dunkle Ahnung sagt ihnen, daß hier Zanken und Beißen nichts hilft, und Star und Rotschwanz, die vom Schelten der erbosten Gassenvögel angelockt werden, wissen auch nur den einen Rat, sich mit den Kleinen nicht zu verfeinden. So wird es denn weiter getragen von Schnabel zu Schnabel, was für Gäste jetzt in der Linde wohnen, und auch die Menschen sehen es und sprechen einige Tage darüber; dann ist die Sache nichts Neues mehr.
Doch beim halbvergessenen Bienenvolke wird gearbeitet mit Bienenemsigkeit, und gar mannigfach ist die Arbeit, die zu tun ist. Da sitzt eine Schar aus dem Volke der Apis dicht geknäult. Sie sind gut genährt, und man könnte glauben, sie täten nichts, als ein Mittagschläfchen halten. Doch haben sie eine [S. 127] wichtige Beschäftigung, sie — schwitzen. Eine wärmt sich an der andern, so daß zwischen den Ringen ihres verschnürten Körpers Wachs hervorquillt. Spurwenig ist es natürlich, was eine Biene täglich an Wachs hervorbringen kann, und doch sieht man an den Waben, die aus dem Wachse gebaut werden, daß die Gesamtmasse gar nicht so gering ist.
Und wenn die einen schwitzen, dann kommen andre, putzen ihnen das Wachs ab, kauen es mit kräftigen Kiefern und kleben den winzigen Ballen an das Bauwerk, das andre begonnen haben, noch andre fertig machen werden. Keine fragt, was nun zu tun ist, jede weiß es von selbst. Mit den geknickten Fühlern messen und tasten sie, kneten und kleben mit den Kiefern, und bald reiht sich eine sechseckige Zelle an die andre. Und in der ganzen Wabe ist ein Kämmerchen so groß wie das andre, alle sind gleich hoch und breit, alle haben die gleiche Tiefe.
Zwischen den bauenden Bienen läuft die Königin umher, als wollte sie sich überzeugen, daß ordentlich gearbeitet wird. Doch das scheint nur so, sie versteht ja von der Arbeit herzlich wenig und läßt ihr Volk tun und treiben, was es will. Doch wenn eine Anzahl neuer Kammern fertig ist, dann legt sie ein Ei in jede Zelle. Das ist ihre einzige Arbeit, aber man darf nicht denken, es wäre eine leichte Aufgabe, mehr als dreitausend kann sie an einem einzigen Tage legen. Dafür wird sie aber auch von ihrem Volke gepflegt und beschützt, gefüttert und gewärmt, jede Biene ist bemüht, ihr den leisesten Wunsch an den Fühlern abzulesen. Und während die einen kleben und bauen, andre die [S. 128] Königin geleiten und bedienen, summt die größte Zahl der Bienen im Freien umher. Geschäftig eilen sie von Blüte zu Blüte, stecken den Rüssel ganz tief hinein zwischen Staubfäden und Griffel und schlecken und trinken das winzige Tröpfchen Nektar, das dort geboten wird. Und dabei stäuben und pudern die Staubfäden die emsigen Insekten über und über mit gelbem Pollen ein, der zwischen dem Pelz hängen bleibt. Ein kleiner Teil wird davon in den nächsten Blüten wieder abgestreift, bleibt an den Blütenblättern hängen, um zugrunde zu gehen, oder an der Narbe des Griffels, um seinen Zweck zu erfüllen und die Eizellen zu befruchten. Doch in jeder neuen Blüte kommt neuer Staub in den Pelz der Biene und macht ihr das Fliegen schwer. Darum setzt sie sich auf ein Blatt und kämmt und bürstet den gelben Puder von Rücken und Bauch und packt ihn in das Haarkörbchen am Hinterbein, bis sie dicke falsche Waden hat wie ein Hochtourist.
Ist dann das Kröpfchen voll von süßem Nektar, sind die gelben Höschen so dick, daß nichts mehr hineingeht in das Körbchen, dann summt das Bienlein in schwerem Fluge zum Stock zurück. Es wandert über die Waben dahin, und wo eine junge Bienenlarve steckt, dort stopft die Arbeiterin etwas von ihren Vorräten in die Zelle, Blütenstaub und etwas Nektar wird der Brut als Nahrung angeboten.
Wenn dann die weißen Madenlarven erwachsen sind und sich verpuppen wollen, dann decken die Bienen einen Wachsdeckel auf ihre Zelle; sie machen das kleine Kämmerlein zu, damit die weiße Mumie ungestört ihrer Auferstehung als fertige Biene entgegenschlummern [S. 129] kann. Wenn dann zwanzig Tage seit der Ablage des Eies verflossen sind, dann regt sichs unter dem Deckel und die junge Arbeiterin schlüpft aus. Noch ist sie in ein weißes, weiches Morgenkleid gehüllt, aber das wird bald hart und färbt sich dunkel, und dann fängt die junge Biene an, sich an den Arbeiten am Stock zu beteiligen, als hätte sie schon monatelang gelernt. Gleich weiß sie überall Bescheid, weiß wie Zellen gebaut, wie Honig gesammelt, der Stock rein gehalten wird. Woher weiß sie das? Sie hat ihre Kenntnisse geerbt von ihrer Mutter, der Königin, obgleich die wieder ganz andre Instinkte besitzt als die Arbeiter, von Arbeiten nichts versteht, nur Eier legt und sich von ihren Töchtern füttern und pflegen läßt. Ein Wunder ist es, wer vermag es zu erklären , nicht nur zu beschreiben ?
Der Herbst kommt heran, der Bienenschwarm wird stiller von Tag zu Tag. Nur wenige Brutwaben hängen im Stocke, die meisten sind angefüllt mit goldklarem, süßem Honig, dem Wintervorrat. Kälter werden die Tage. Die Bienen kleben das Flugloch unter der Efeuranke enger, sie kriechen dicht zusammen und wärmen sich, verschlafen gehen sie, um etwas Honig zu naschen, nur leises Knistern, kein Brummen und Summen tönt aus dem Lindenstamme. So träumen und dämmern die Bienen den ganzen Winter hindurch.
Doch wenn im März die Sonne warm ans Flugloch scheint, dann kommt Bienlein auf Bienlein herausgekrochen ans warme Licht. Sie putzen sich und streichen sich über die Fühler, wischen über die großen Netzaugen, reiben die drei Punktaugen auf der Stirn und fliegen ein Stückchen umher, um die Glieder zu üben [S. 130] und um einem monatelang unterdrückten Geschäft obzuliegen. Und nach dem ersten, dem Reinigungsausflug, beginnt die Arbeit dort, wo sie im Vorjahre liegen gelassen wurde. Die Königin legt Eier, die Arbeiter reinigen den Stock, tragen die Leichen der im Winter Verstorbenen aus dem Stocke und fliegen umher, zu sehen, ob Blauveilchen schon das Wirtshaus offen hat und die Weide den Honig in Strömen fließen läßt.
Dann geht es ans Ausbessern der alten und an das Bauen neuer Waben, doch dann, wenn es wärmer wird, dann scheint es, als ob die Bienen mitunter das rechte Maß für die Wabenzellen vergessen hätten. Mitten zwischen den gleichmäßigen Sechsecken der normalen Kämmerchen bauen sie große Zimmer ein und am Rande der Brutwabe lassen sie noch größere Zellen entstehen. Und die Königin kommt und legt in die gewöhnlichen Kämmerchen Eier und in die größeren dann auch.
Doch die bevorzugten Larven in den großen Kinderstuben müssen etwas besonderes vorstellen, sie werden viel reichlicher und besser gefüttert als ihre Schwestern in den engen Kammern. Und wirklich, ganz dicke, rundköpfige Bienen mit breiten Hinterleibern schlüpfen aus den Kammern. Sie arbeiten nicht, stehen immer im Wege, betteln fortwährend um Honig, kurz, recht unnütze Geschöpfe sind es. Wenn die Sonne recht warm scheint, dann spielen sie unter lautem Gebrumm vor dem Flugloch, aber die erste trübe Wolke jagt sie wieder in den Stock. Bienenmänner, Drohnen sind es.
Wieder vergehen einige Tage, da regt sich’s und bewegt sich’s in einer der großen Zellen am Rande der [S. 131] Brutwabe. Ein heißer, sonniger Tag ist’s, und die Bienen sind aufgeregt und stechlustig wie nie. Wie eine Wolke tanzen sie vor dem Flugloche auf und nieder, immer mehr kommen dazu, keine denkt an Arbeit, keine an Honigsammeln. Da kommt Apis aus dem Stocke, tastet mit den Fühlern, brummt mit den Flügeln und fliegt dann auf und davon. Und hinter ihr brummt und summt ihr Bienenvolk. Die Bienen schwärmen; sie ziehen aus, denn im Stocke will eine junge Königin herrschen.
Aus der dicken Zelle am Wabenrande, der Weiselwiege, schlüpft am nächsten Tage eine schöne große, schlanke Biene. Kaum sind ihre Flügel fest und die Ringe ihres Leibes verhärtet, da fliegt sie hinaus zum Flugloch, schwingt sich hoch in weicher, warmer Luft, und hinter ihr brummt und summt ein wildes Heer stürmischer Freier. Hoch oben im Äther wird Hochzeit gehalten. Nach kurzem Liebestaumel stirbt der Prinzgemahl, die junge Königin kehrt zurück zum Stock.
Zwar soll sie künftigen Generationen das Leben geben, doch ihr erstes Werk ist Mord. Sie läuft von Weiselwiege zu Weiselwiege und tötet ihre königlichen Geschwister, sich so die Herrschaft über alle Arbeiterinnen sichernd. Und die Bienen setzen das Blutbad fort, das die Königin begonnen. Sie stürzen sich auf die dicken Fresser, die unnützen Schmarotzer, die Drohnen, stechen und beißen sie im Stocke oder vor dem Flugloche, so daß sie todkrank zu Boden taumeln, eine leichte Beute für Rotschwanz und Fliegenschnäpper.
Unnütz sind die Bienenmänner, sobald die Königin ihren Hochzeitsausflug gemacht hat; nur einmal im [S. 132] Leben begattet sie sich, um dann Tausende von Eiern zu legen, befruchtete in die Arbeiterzellen und Weiselwiegen, unbefruchtete in die Drohnenkammern. Man hat beobachtet, daß sich die unbefruchteten Eier trotz reichlicher Nahrung sehr langsam entwickeln, es fehlt ihnen ja der männliche Teil Zeugungsmaterial, vierundzwanzig Tage vergehen während der Entwicklung. Die Weiseleier brauchen dagegen nur sechszehn Tage, während die Kümmerweibchen, die Arbeiterinnen, bei ihrer geringen Nahrung zwanzig Tage nach Ablage des Eies ausschlüpfen.
Forscher haben genau nachgeprüft, welche Umstände die Königin veranlassen, immer die richtige Art Eier in die Zellen zu legen, welche Sinneseindrücke die Bienen zum Suchen von Honig, zum Pflegen der Brut veranlassen; man hat die Nervenapparate der Bienen ins feinste untersucht und ist beim Lösen alter Fragen auf immer noch neue gestoßen. Der Mensch kann ja nicht über die Grenzen seiner Erkenntnis hinaus, er ist schon stolz, wenn er sie um ein Kleines weiter geschoben hat.
Mit einem Sack voll Mais und Weizenspreu auf dem Rücken geht der alte Förster hinaus in die Fasanerie, um die bunten Vögel aus Kleinasien zu füttern, damit sie nicht in Nachbarreviere auswandern auf der Suche nach Nahrung. Treff, der Hühnerhund, durfte nicht mit, um die Fasanen nicht zu stören, sogar die Doppelflinte [S. 133] blieb zu Haus, weil das Körnerfutter gerade schwer genug zu tragen war. Vornübergebeugt unter der Last schreitet der alte Graubart durch den Mischwald, wo die Bäume weitläufig stehen, um dem Unterholze Licht genug zu üppigem Wachstum zukommen zu lassen. Nun nähert er sich der langgezogenen Fichtendickung, dem Futterplatze. Da ertönt ein tiefer, rauher Warnlaut, und eine Schar Krähen schwingt sich eiligst aus der dichten Deckung, um unter lautem Gekrächz das Weite zu suchen. Sie haben sich gütlich getan an dem Getreide, das die Fasanen übrig gelassen haben. „Na warte“, knurrt der Förster, „euch will ich’s zeigen, daß der Mais nicht für euch bestimmt ist. Hundert Fasanen durch den Winter füttern und auch noch Hunderte fremder, ungeladener Gäste, das wird zu teuer. Gleich morgen will ich mit dem Uhu einmal mein Glück versuchen und euch schwarzem Gesindel das Handwerk legen.“
Noch vor Tagesanbruch zieht er denn auch wirklich hinaus mit Jockel, dem Uhu. Langsam schreitet er vorwärts, um nicht warm zu werden in der dicken Kleidung, wie sie für den langen Ansitz nötig ist. „Trüb und neblig, dabei Südwestwind; sollte mich wundern, wenn ich heute keine Geschäfte machen würde“, murmelt er. Die braungetigerte Dine umkreist in weiten Sätzen ihren Herrn und freut sich, daß sie auch einmal mit ins Revier genommen wird. Wenn sie wüßte, daß sie heute Stillsitzen lernen soll, wenn’s knallt, und dann die unangenehm riechenden Krähen artig herbeibringen muß, würde doch vielleicht ihr jugendlicher Übermut bedeutend gedämpft werden. Jetzt macht der Herr schon [S. 134] Halt und schließt die Türe zur Erdhütte auf. Dann nimmt er den Jockel aus seinem Korbe und bindet die Leine, die an den dicken Fängen (Beinen) des Uhu befestigt ist, an eine Sitzstange, die etwa zwanzig Schritt von der Hütte für die große Eule errichtet ist. So, nun ist alles fertig, der Förster geht in die Hütte und ruft auch den Hund herein, der auf einer Schütte Stroh kuschen muß. Dann öffnet er das Schußloch, durch das man stehend das Sitzholz des Uhus gerade noch sehen kann, und das hoch genug ist, um einen Schuß steil nach oben zu gestatten. Auch die kleine Klappe, die seitlich angebracht ist und auf eine Birke hinausgeht, wird geöffnet, falls sie etwa klemmen oder nur unter lautem Kreischen sich bewegen lassen sollte. Dann lädt der Förster sein Gewehr und stopft sich eine Pfeife.
Bis jetzt hat der Uhu verdutzt am Boden gesessen, jetzt blickt er eine Weile sein Sitzholz starr an und fliegt schließlich hinauf. Dann schüttelt er sein Gefieder, plustert sich stark auf, schüttelt sich noch einmal, knappt mit dem Schnabel, reißt die feurigen Augen auf und gibt sich schließlich mit seiner Umgebung zufrieden. Nach einer Weile sperrt er seinen Schnabel weit auf, drückt die Augen krampfhaft zu, dreht und wendet den Kopf, als wenn ihm was im Halse stecken geblieben wäre, würgt und würgt, bis schließlich sein Gewöll (ein Ballen unverdaulicher Nahrungsüberreste, Haare von Kaninchen und Federn einer Krähe) ausgeworfen wird. Dann ist er sichtlich erleichtert und blinzelt in die eben aufgehende Sonne.
Auch der Förster steht am kleinen Guckloch in der Hüttentür und betrachtet das Erscheinen des Tagesgestirns. [S. 135] Ein schmaler, rotgoldener Streifen begrenzt die Wolkenwand, die den Horizont verhüllt. Langsam wird er breiter, färbt sich purpurn und bedeckt den östlichen Himmel. Der Wolkensaum beginnt kräftiger zu glühen und zu strahlen, und pechschwarz mit goldigen Rändern erscheinen die Umrisse der Eichen und Erlen gegen den Morgenhimmel. Jetzt blitzt es hell am Wolkenrande auf, langsam erscheint die feurige Scheibe. Im Nu sind alle Farben verändert, ein goldiger Schimmer liegt über dem Purpur der Wolken, und in reinem Blau erstrahlt der Himmel. Höher und höher rückt der rote Feuerball, blässer werden die Farben am Himmel, lebhafter die der Bäume und Saaten. Jetzt steht die Sonne frei und leuchtend über dem Horizont, und geblendet schließt der Förster seine Augen und wendet sich ab. Er sieht nach dem Uhu hinaus, aber seine Augen sind überreizt, ein blauer Sonnenball tanzt über dem Auf (Uhu). Eine Weile muß der Förster mit geschlossenen Augen sitzen, um die lästige Sehstörung zu überwinden.
Da tönt ein tiefes, rauhes „Ga, ga“ in der Luft über der Hütte, zögernd und ängstlich klingt es. Saatkrähen haben ihren Erbfeind erblickt und kreisen hoch in der Luft, als wollten sie Mut fassen zum Angriff auf die Eule. Immer mehr kommen dazu, dreißig mögen es schon sein, noch immer aber trauen sie sich nicht in die Nähe. Da mit einem Schlage fangen sie alle an zu schreien, krah, krah, zornig und angriffslustig, und nun saust eine in wildem Schwunge dicht am Kopfe des Uhu vorüber. Eine zweite und dritte macht es nach, und bald macht die ganze Schar gleichzeitig [S. 136] einen Angriff. Vorsichtig hat der alte Grünrock nach der Birke geguckt, aber Saatkrähen setzen sich selten, das weiß er. Noch einmal winkt er dem Hunde gebieterisch Ruhe zu, dann fliegt seine Doppelflinte an die Backe. Gerade im Schwenken ist der Krähenschwarm, da kracht der Schuß, und bumms, hat auch das zweite Rohr gesprochen. Zwei Krähen hat der erste Schuß zu Boden geworfen, und der andre hat noch einer dritten das Leben gekostet. Geschwind ist wieder geladen, und dann darf der Hund hinaus. Faß apporte, Dine! Gleich packt er die eine, die noch mit den Flügeln schlägt, und bringt sie herein und schon ist er wieder draußen, um eine zweite zu holen.
Stumm und hoch haben die Krähen gekreist, nachdem ihre Genossen gefallen; der Doppelschuß hat sie erschreckt, aber woher er gekommen ist, wissen sie nicht. Nun sehen sie den Hund ihre Freunde fassen, und wütend über den nicht gefürchteten Gehilfen des Menschen stoßen sie unter wildem Geschrei auf die verdutzte Dine. Darauf hatte der Förster gerechnet. Wiederum knallen zwei Schüsse, doch nur eine Krähe ist tödlich getroffen, die andre läßt beide Ständer (Beine) hängen und fliegt und fliegt mit langsamen, matten Flügelschlägen der Fasanerie zu. Dann schwebt sie im Bogen zur Erde nieder, schlägt auf und ist tot. Die Schrote hatten sie weidwund getroffen. Der Förster zieht ein grimmiges Gesicht. Daß die Krähe noch auf freiem Felde gefallen ist, paßt ihm gar nicht, sogar ein Fehlschuß wäre ihm lieber gewesen. Natürlich sammelt sich bald der Krähenschwarm um die gefallene Genossin, und krächzend stoßen die Krähen nach der toten Freundin. Wetternd muß [S. 137] sich schließlich der Förster bequemen, die „Schwarze“ herbeizuholen, sonst würde wahrscheinlich überhaupt keine wieder über den Uhu kommen.
Und richtig, auch das hatte er vorausgesehen. Kaum hat er die Krähe aufgenommen und blickt nach der Hütte zurück, da sitzt ein Vogel auf der Birke. Er hat den Kopf nach vorn gebeugt und glotzt nach dem Uhu. Die kräftigen Flügel lassen den Vogel oben ziemlich breit erscheinen; wie ein Keil sitzt er auf dem dürren Wipfel. Daß ein Wanderfalke auf der Birke sitzt, das wird dem vogelkundigen Graubart bald klar. Es bleibt ihm nichts übrig, als das zu tun, was jeder Jäger in solchen Lagen tut, nämlich, einen kernigen Ausdruck zwischen den Zähnen zu murmeln und sich mit den unabänderlichen Tatsachen abzufinden.
Jahr für Jahr kommt nun der Falke in sein Revier, Jahr für Jahr liegt unter der großen Eiche auf der Wiese ein geschlagener Vogel, bald Rebhuhn, bald Fasan, Jahr für Jahr paßt der Förster auf den prächtigen Räuber, immer ohne Erfolg. Und heute verscherzt sich er alter Esel selber den kinderleichten Schuß, einiger lumpiger Krähen willen, da soll doch gleich ... Lange hat der Förster Zeit zu seinen Selbstgesprächen, wie angewachsen sitzt der Wanderfalke auf der Birke. Jetzt rückt er zusammen, und jetzt schwingt er sich abwärts nach dem Uhu, der zur dicken Kugel aufgeblasen seinen Angreifer erwartet. Dicht über den Kopf der zusammenfahrenden Eule hinweg streicht der Falke, dann eilt er mit hastig zuckenden Flügelschlägen davon, wird kleiner und kleiner, um schließlich als Punkt am Horizont zu verschwinden.
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Na, der ist fort, denkt der Jäger und geht mißmutig zur Hütte. Immer starrt er nach jenem Punkte, wo der Wanderfalke verschwunden ist, immer regt sich noch die Hoffnung, er könnte vielleicht wiederkommen. Da geht es „krah, krah“, hell und zornig tönt der Schrei einer hassenden Krähe. „Krähen mag ich nun nicht mehr, es muß schon etwas Besseres kommen“, denkt der Förster, und ungehindert stoßen die Krähen auf den Uhu. Schließlich wird es dem Jäger aber doch zu bunt. Es sind Rabenkrähen, der Stimme nach, da ist es schade um jede verpaßte Gelegenheit, einer die Räuberseele auszutreiben. Jetzt setzt sich gar eine auf einen Maulwurfshaufen, so recht günstig in schönster Schußentfernung. „Bumm“ raus ist der Schuß und — fort die Krähe. Der Schuß war so kinderleicht, Zielen erschien überflüssig, und deshalb ging der Schuß in den Acker. Ein Glück, daß der Förster allein in der Hütte ist. So wütend war er gewiß nie. Er ist sprachlos vor Zorn, und sinnend überlegt er genau, ob ihm nicht eine alte Frau über den Weg gelaufen sein könnte oder ob ihm jemand „viel Glück!“ nachgerufen hat. Denn mit rechten Dingen geht doch so ein Mordspech nicht zu. Am liebsten würde er heimgehen, einen tüchtigen Grog trinken und auf dem Sofa von glücklicherer Jagd träumen. Aber der Wanderfalke läßt ihm keine Ruh, der könnte doch vielleicht wiederkommen, und gerade zur rechten Zeit, daß er ihm beim Hereinholen des Uhu zugucken würde. Nein, das soll nicht vorkommen, lieber will er noch eine Stunde vergeblich sitzen.
Und gar so langweilig ist das nicht, wie es immer erscheinen mag, zumal für einen Forstschutzbeamten. [S. 139] Was kann man nicht alles beobachten, wenn man in einem guten Versteck sitzt, von dem niemand weiß, daß es besetzt ist. Da schreitet der Windmüller auf der Landstraße, und sein Dackel ist dabei. Sonst tun die beiden immer so harmlos, als wenn sie nicht wüßten, was ein Hase oder ein Reh ist, heute springt der Dackel von Steinbrücke zu Steinbrücke und prüft mit der Nase, ob es sich lohnt, hindurchzukriechen. Jetzt springt sein Herr in den Graben und steht ein Weilchen ruhig da, dann bückt er sich und hebt etwas auf. Aha, denkt der Förster, ein Kaninchen. — Der Dackel ist mit Passion eingefahren in den Durchschlupf, sein Herr hat auf der andern Seite eiligst den Ausweg mit seinen Beinen versperrt, und dann hat der Hund das Wild erfaßt und zu des Müllers Füßen totgebissen. — Jetzt durchsucht der Müller seine Taschen. „Der sucht ein Sackband“, denkt der Förster, und hat recht. Der Müller bindet das Band an die Hinterläufe des Kaninchens und schnürt sich dann den Nager um den Leib. „Na warte, Krause, ich treffe dich schon einmal, wenn du einen dicken Magen hast, vielleicht ist es dann ein Hase“, knurrt der Förster und stopft sich eine neue Pfeife.
Lange Zeit ist nichts zu sehen, und das Schmauchen der Pfeife und das Pappen der Lippen das einzige Geräusch. Da tönt es wieder „Arr, arr, kräh, kräh“, und ein paar Krähen stoßen wie rasend auf den Uhu. Der Stimme nach könnten es Rabenkrähen sein, die Saatkrähen haben tiefere Laute, aber die graue Weste, die die Vögel tragen, verrät die Nebelkrähen. Die bäumen oft auf, das weiß der Förster, und deshalb [S. 140] spart er zunächst seine Patrone. Nicht lange dauert es, dann läßt die Wut nach, und mit den Flügeln balancierend sitzt eine auf der Birke. Eine zweite, dann dritte macht es nach, und bald schaukeln alle fünf auf den schwanken Zweigen. Sorgsam zielt der Förster, diesmal muß er die böse Schlappe wieder auswetzen, zwei müssen mindestens fallen auf den ersten Schuß, und vielleicht bringt auch der zweite noch einen Treffer. Bumms, kracht der Schuß, wirres Flattern und Stürzen folgt, und ehe es möglich war, noch einmal Dampf zu machen, sind die Überlebenden aus dem Schußfeld entschwunden. Zwei Nebelkrähen liegen tot am Boden, und da läuft wahrhaftig noch eine dritte mit zerschossenem Flügel; die darf Dine holen.
Aber nun ist wieder Ruhe. Nirgends eine Krähe oder ein Raubvogel zu sehen. Gedankenlos raucht der Förster seine Pfeife und blickt dem Rauche nach. Dann tritt er wieder einmal von einem Beine auf das andre und macht einige trippelnde Schritte am Orte, um warme Füße zu bekommen. Dann guckt und starrt er wieder in die Ferne. Plötzlich fährt er vom Schußloch zurück und greift nach seinem Gewehr. Aber er kann sich bücken und drehen und durch alle Luken spähen, einen Raubvogel sieht er nirgends. Wieder tritt er ans Schußloch, und wieder hat er die Empfindung, als wäre oben grade noch sichtbar ein Vogel vorübergezogen. Und nun merkt er auch, daß es eine Mücke ist, die ihren Winterschlaf in der Hütte des ungewohnten Lichtes wegen unterbrochen hat und am Schußloche auf und niedertanzt und hin und her. Wie oft hat sich der Förster schon täuschen lassen, [S. 141] auch früher schon, als seine Augen auch für die Nähe gut waren. Aber klug geworden ist er nicht, immer wieder fällt er auf den gleichen Scherz hinein, mag nun eine Fliege an seinen Augen vorüberfliegen, oder eine Spinne sich an einem Faden schaukeln.
Jetzt merkt der Förster auch, daß er Hunger hat, mit Pfeifenrauch läßt sich sein Magen nicht besänftigen. Da packt er denn seine Sachen zusammen. Er steckt die Krähen bis auf eine in den Rucksack, um sie an der Fasanenfütterung als abschreckendes Beispiel aufzuhängen, holt den Uhu herein und pflockt ihn in der Hütte an, nimmt sein Gewehr und geht.
Am Nachmittage will er noch einmal sein Heil versuchen, Krähen hat er zwar genug, und die stoßen auch nachmittags schlecht, aber Raubvögel will er schießen, vielleicht kommt der Wanderfalke wieder.
„Ach was, lumpige Krähen, einen Wanderfalken will ich schießen, Frau! Ich bin ja warm angezogen, und Jockel friert auch nicht. Rasch noch eine Tasse Kaffee!“
Wieder wandert der Förster an der Fasanerie entlang über die Wiese nach der Hütte. Der Himmel hat sich umzogen, und der Südwest weht kalt und feucht, lange wird es nicht mehr dauern, dann setzt es Schnee. Der Hüttenjäger ist noch nicht ganz bis zur Krähenhütte gekommen, da tanzen schon einige weiße Flocken zur Erde nieder, wirbeln wieder hoch und senken sich, bis sie schließlich als nasse Tropfen am Grase hängen. So ein Schneegestöber stört nicht sehr bei der Hüttenjagd. Auch der alte Grünrock läßt sich durch die fallenden Schneesterne nicht beirren, er [S. 142] holt den Uhu aus der Hütte und setzt ihn auf die Jule (Sitzholz für den Uhu vor der Krähenhütte). Dann macht er sich zum warmen Empfang der gefiederten Räuber fertig.
Zwei Uhr schlägt es vom Dorfe her. Es ist nichts zu sehen als fallende Flocken, nichts zu hören als das leise Tropfen von Tauwasser, das vom Hüttendache ins Stroh hinabfällt. Dann wieder tönt das Knallen einer Peitsche von der Landstraße herüber, der Pfiff des Dampfwagens unterbricht einmal die Stille, das ist alles.
Aber eintönig ist das Warten für den Förster nicht, Langweile kennt er überhaupt nicht. Jetzt kann er ja ganz ungestört die wundervollsten Jagden in seiner Phantasie mitmachen, Jagden, auf denen er keinen Fehlschuß tut, wo seine Hunde den Neid aller Mitjäger erwecken und wo der dicke Bäckermeister Schulze durch ganze Serien von Fehlschüssen die Spottlust der Jäger herausfordert. — Oder er geht pürschen im Geiste. Am Bachufer schreitet er hin und schaut bald da, bald dort hinaus aus den Büschen auf die Wiese und den Klee nach dem roten Rehbock. Da sieht er ihn stehen mit den hohen dicken Stangen, er sieht ihre weißen Enden blitzen und den Dampf vor dem feuchten Geäse des Bockes. Dann malt er sich die Wirkung seines abgezirkelten Blattschusses aus, wie der Bock aufspringt in einer jähen Flucht und dann verendend zusammenbricht.
Drei Uhr schlägt es vom Dorfe herüber. Das Schneewetter hat nachgelassen, die Bäume der Landstraße werden durch die spärlicher fallenden Flocken hindurch sichtbar. Wie ein riesiges, weißgeflecktes Fell [S. 143] liegt die Erde da, der Himmel spannt sich grau und grießelig darüber aus. Jockel schüttelt sich die Flocken aus den Federn und tritt ein wenig auf dem Sitzholze hin und her, um dann wieder das eine Auge halb zu schließen und zu duseln und träumen, wie sein Herr.
Die Stimmen von Kleinvögeln ertönen aus der Luft, und der Förster sieht nach der Birke hinaus. Ein Flug Feldsperlinge läßt sich eben nieder. Hell und silbern klingt ihr Schilpen, und terrerrerr zetern sie dazwischen. Prachtvoll rotbraun glänzt ihr Scheitel, und schmuck sehen die weißen, schwarz gesäumten Backenflecken aus, weiß strahlt auch der Halsring. Eilig sucht der Förster eine Patrone mit feinen Schroten. Die Frettchen haben ihre Semmelmilch und Tag für Tag nichts als Semmelmilch satt, denen kann einmal etwas zartes Vogelfleisch nichts schaden. Wie ein Spreuhaufen stieben die kleinen Kerle auseinander beim Knall des Schusses, wie fallende Blätter stürzen viele aus der dichtgedrängten Schar zu Boden. Scharf guckt der Förster nach dem Fuß der Birke, immer und immer wieder nimmt er jeden der gefallenen Spatzen in Augenschein. Endlich hat er sich überzeugt, daß keiner mehr lebt, daß kein angeschossener sich aus dem Staube machen kann, um elend und qualvoll umzukommen. Dann lacht der Förster auf. Einen Wanderfalken wollte er schießen, und nun ist er befriedigt, wenn er sechs oder sieben armselige Spatzen mit einem Schusse erlegt.
Wieder guckt er zum Schußloch hinaus. Halb vier muß es schon sein, und nicht ein einziger Raubvogel hat sich sehen lassen. Zwar kann jeder Tag ein Jagdtag sein, ein Fangtag ist er deshalb noch lange nicht, [S. 144] sagt eine alte Jägerweisheit. „Ich glaube, das meiste habe ich,“ knurrt der Alte. Da huscht ihm ein Schatten über die Augen. Mücke oder Raubvogel? Er weiß es nicht und guckt zunächst nach der Mücke. Doch nein, diesmal war’s wirklich ein Räuber, mit elegantem Schwunge stößt er auf den gehaßten Uhu. Doch der Jäger läßt sein Gewehr in Ruhe. Schon an der Art des Angriffs und am gellenden Kampfrufe „ki ki ki“ hat er den Turmfalken erkannt. Er hat seine Freude an dem munteren Falken. Ein Männchen ist es, denn Blaugrau ziert Kopf und Schwanz und Bürzel. Mit angelegten Flügeln saust es in jähem Schwunge über die Eule hinweg, wendet kurz und im Nu stößt es wieder. Dann schwenkt es ab, rüttelt, als wenn es ganz genau zielen wollte und neckt den Feind aufs neue. Vielemale erneuert es seinen Angriff, aber schließlich verliert es doch seinen Reiz für den Falken, der Uhu kennt den Spaß von früher und tut nicht, als wenn ihm das Necken lästig wäre. Fälkchen schwenkt deshalb ab und setzt sich auf die Birke, um von oben aus die Welt zu besehen. Zunächst gilt seine Aufmerksamkeit noch dem Uhu, dann aber beginnt es, in den Federn zu nesteln und sich zu putzen. Auf einmal hört es mit seiner Tätigkeit auf, dreht das runde Köpfchen nach unten und guckt mit den dunkelbraunen Augen nach den Sperlingen. Dann schwenkt es um die Baumzweige herum und greift mit seinen weit ausgestreckten gelben Fängen einen der kleinen Spatzen, dann braucht es wieder die braunen Flügel und eilt davon mit seiner Beute, um sie in Ruhe zu verzehren.
Freudig und neidlos hat der Förster dem kleinen [S. 145] Diebe zugesehen, das seltene Schauspiel, einen Räuber so nahe und so ungestört beobachten zu können, hat ihn gar nicht daran denken lassen, daß seine Frettchen nun mit einem Sperling weniger sich begnügen müssen. Für ihn hätte es des gesetzlichen Schutzes nicht bedurft, die Turmfalken waren seine Lieblinge von je, und drei Pärchen durften unter seiner Aufsicht in diesem Sommer ihre zahlreichen Jungen auffüttern.
Mit dem Stoßen des Turmfalken scheint überhaupt das Erscheinen von Raubvögeln begonnen zu haben. Über der Fasanerie kreist ein Räuber. Fast ohne Flügelschlag zieht er seine Kreise, schwebt hin und her an dem Wäldchen und blockt schließlich auf der Spitze einer Eiche. „Na ja, sitze nur, bis es finster ist, Lump, feiger!“ schimpft der Förster, aber er tut dem Vogel unrecht. „Hiäh, hiäh“ pfeift er und dann kommt er. Bald kräftig mit den Flügeln schlagend, bald schwimmend in der Luft nähert sich der Räuber, dann — schwenkt er ab und kehrt nach dem Walde zurück. Aber auf dem Wege dahin überlegt er sich’s wieder anders und kommt wieder näher. So geht es hin und her, hinauf und herunter, gerade als sollte der Jäger zum Narren gehalten werden. Dann fängt der Mäusebussard an zu kreisen, schraubt sich hoch und höher und fliegt schließlich aufs freie Feld, um Mäuse zu fangen.
Zwar ist der Bussard vom Gesetz als nützlicher Vogel geschont, aber der Förster hat einen Groll auf seine Sippe, weil einer ihm mal einen eben geschossenen Fasan vor der Nase weggenommen hatte. Das war in dem mäusearmen Jahre 18.. gewesen, und der [S. 146] arme Mausfänger hatte gewiß nur in der höchsten Not nach dem bunten Vogel gegriffen, denn Hunger tut weh. Er brachte damals sein Leben in Sicherheit. Ehe der Förster sich von seiner Verblüffung erholt hatte, war er längst außer Schußweite gewesen. Nun aber muß jeder Bussard sterben, der dem Grünrock nahe genug kommt; denn es könnte doch vielleicht der Fasanendieb sein. Auch der, der sich jetzt nicht an den Uhu herantraut, hat gewiß schon einmal Feuer bekommen, sonst würde er wohl die gehaßte Eule nicht ungeneckt lassen.
Aufmerksam guckt der Förster bald hier, bald da hinaus, um ja keinen nahenden Raubvogel zu verpassen. Wenn auch gewöhnlich Jockel, der Uhu, durch sonderbare Bücklinge und Grimassen das Nahen eines Räubers angezeigt, manchmal sitzt er auch stockstill, wenn einer seiner Quälgeister vorüberfliegt. Jetzt blickt er scharf nach einem Punkte des Horizonts, wackelt eigenartig mit dem Kopfe und zieht die Flügelbuge hoch. Kein Zweifel, seine scharfen Augen haben einen Feind entdeckt. Nun sieht ihn der Jäger auch. Er hat erst an einer falschen Stelle gesucht, sonst hätten seine weitsichtigen Augen den schwarzen Punkt am Himmel nicht übersehen. Langsam wird der Vogel größer, und bald ist er nahe genug, so daß der Förster mit dem Glase den Vogel ansprechen kann. Die Flügel sind spitz, also ist es ein Falke. Der Stoß (Schwanz) ist kurz. Der Vogel fliegt sehr rasch und fast in gerader Linie, er scheint auch bedeutend größer zu sein als ein Turmfalke. Des Jägers Herz klopft rascher und das Gefühl, das er als Knabe hatte, als er heimlich [S. 147] seinen ersten Sperling schoß, beschleicht ihn, denn nun ist kein Zweifel mehr, der Wanderfalke, das Hochwild des Hüttenjägers, zieht heran.
Wird er auf den Uhu stoßen, wird er gut genug kommen, daß der Schuß aus dem engen Loch auf den vorbeisausenden Räuber auch nicht fehlgeht? Die Spannung, die Erwartung und Ungewißheit, dazu der Anblick des nahenden Vogels und des schnabelknappenden Uhus, das alles wirkt mächtig auf die Nerven. Der höchste Genuß des Weidmanns ist dieser Reiz, das Jagdfieber vor dem Schusse. Mag mancher auch noch so oft diese Aufregung verwünscht haben, wenn die Büchse wankte in seiner Hand und das Ziel zu verschwimmen begann, er muß doch zugeben, daß ein Schuß ohne Spannung und Erwartung viel reizloser ist, wie der Schuß auf eine Scheibe beinahe.
Hundert Schritt etwa mag der Wanderfalke noch entfernt sein, noch immer kümmert er sich nicht um den Uhu, geradeswegs auf die Fasanerie steuert er zu. Doch jetzt biegt er ab und saust schnurgerade auf den schnabelknappenden Jockel zu. Dicht über den Kopf der Eule stößt er hinweg und biegt steil nach oben ab. Dann wendet er, um seinen Angriff zu erneuern. Wieder schwingt er sich nach oben und verschwindet schon beinahe am Rande des Schußlochs, da dröhnt der Schuß. — Da liegt er nun, der stolze Räuber der Lüfte, der die Taube einholte im rasenden Fluge und der die streichende Ente fing, noch ehe sie sich ins schützende Schilf werfen konnte. Krampfhaft schließt er die mächtigen Fänge mit den nadelspitzen Krallen, einmal noch schlägt er mit den blaugrauen Schwingen, [S. 148] dann sinkt sein Kopf zurück, der Beherrscher der Lüfte ist verendet.
Stolz und mit freudestrahlenden Augen tritt der glückliche Schütze an seine Beute heran. Tastend fährt seine Hand über den dunkeln Scheitel des prachtvoll ausgefärbten Wanderfalken. Freudig betrachtet er den schwarzen Bartstreifen unter dem dunkelbraunen Auge, das Weiß auf Wangen, Kehle und Hals, die Brust, die auf rostfarbenem Grunde schwarze Querbänder zeigt, die zartgrauen, dunkelgewellten „Hosen“. Prüfend versucht er die Schärfe der Krallen an den gelben Fängen, dann breitet er die Schwingen aus, einen Meter etwa klaftern sie.
Bei einem berühmten Meister will der Förster seine Trophäe präparieren lassen, in möglichst lebendiger und naturgetreuer Stellung. Auf dem vorteilhaftesten Platze in der guten Stube soll sie prangen, für gewöhnlich verhüllt von einem Schutzmantel aus Glaspapier. Nur wenn Ehrengäste kommen, soll der Wanderfalke frei in seiner ganzen Schönheit an der Wand prangen. Dann können fünfzig und mehr Jahre vergehen, ehe Staub und Licht das Präparat unscheinbar gemacht haben.
Kühn stößt unterdessen ein Turmfälkchen auf den Uhu. Zornig ertönt sein Schrei, und heftig sind seine Angriffe. Voll Wohlgefallen betrachtet der Förster das Flugbild, die Gewandtheit und Lebendigkeit des kleinen Räubers. Dabei muß er an den Wanderfalken denken, der noch mutiger, noch gewandter und kühner war. — Und dabei kommt ein ungeahntes Gefühl in seine Brust. Fast ist es ihm leid, daß er das Ziel seiner [S. 149] jahrelangen Sehnsucht erreicht hat. Gewiß wird er mit Freude auf seinen Wanderfalken blicken jederzeit, aber immer wird er den leisen Vorwurf in sich spüren, daß er doch die ganze Schönheit dieses Vogels beinahe völlig zerstört hat. Denn was bedeutet die armselige Trophäe an der Wand gegen das Schauspiel, das ein Wanderfalke im Leben bietet. Wie kann der Verlust von einigen Rebhühnern oder Tauben überhaupt in Frage kommen, wenn man das herrliche Schauspiel eines jagenden Falken damit erkauft.
Die Freude an der Hüttenjagd ist dem Graubart mit einem Male verleidet. Lange wird es zwar nicht dauern, dann sitzt er doch wieder draußen mit dem Uhu, um Raubvögel zu erlegen, aber er nimmt sich fest vor, seltene Vögel zu schonen. Dann packt er den Uhu in seinen Korb, nimmt sein Gewehr und seine Beute und wandert heimwärts.
Oktober ist es. Warm scheint noch die Sonne am Tage, den letzten Äpfeln rote Bäckchen zu malen. Kalt sind die Morgen, daß das Laub zittert und locker wird am Gezweig und rote und gelbe Sterbegewänder anlegt. Das vergilbende Schilf am Teiche rauscht und lispelt. Aber aus dem Teiche plätschern ihm die Wellen nicht Antwort. Trüb und schlammig steht noch ein wenig Wasser an der tiefsten Stelle, gurgelnd drängt sich ein schlammig trübes Bächlein unter dem Schützen hindurch. Der Teich ist abgelassen zum Fischen.
[S. 150]
Mit dicken runden Rücken furchen die Karpfen die Lache, Hechte plätschern, und Barsche arbeiten heftig mit den Kiemen, um etwas von dem spärlichen Sauerstoff der Schlammflut für sich zu haben. Am Abend flackern mächtige Holzfeuer auf und beleuchten die zappelnden Fische, einige Männer stehen dabei und wachen. Sie schließen bald den Schützen, um das Wasser wieder anzustauen, damit die Fische nicht ganz trocken liegen, bald lassen sie wieder etwas ab, damit am Morgen das Wasser nicht mehr zu tief ist. Vor allem aber geben sie Obacht, daß nicht Diebe hier leichte Ernte halten.
Endlich brennen die Feuer bleicher, der Himmel rötet sich, der Fangtag bricht an. Große Fässer mit frischem Wasser werden bereit gestellt, und auf schlittenartigen Fahrzeugen ziehen Pferde Wasserbütten über den knirschenden Sand zum Teiche. Dann kommen Männer mit hohen Wasserstiefeln und Lederschürzen. Sonderbare Netze mit zwei Handgriffen und Weidenkörbe tragen sie. Dann waten sie hinein in den gurgelnden und schmatzenden Schlamm, fangen die Fische und legen sie in die Körbe. Wohl zucken und schnellen die schuppigen Karpfen, wohl springen die glatten Hechte hin und wieder aus dem Korbe. Aber immer wieder werden sie eingefangen und schließlich in die Butten geschüttet und fortgefahren. Am Forsthause werden sie wieder ausgeladen, gezählt und in die Heller geworfen, in deren klaren, schlammfreien Fluten sie einige Zeit bleiben, bis sie den Schlammgeruch verloren haben und wirklich schmackhaft geworden sind.
Weniger und weniger wird das Zappeln und [S. 151] Springen im Teiche. Die Karpfen sind schließlich eingefangen, noch einige Hechte werden aus dem Schlamm gezogen, dann ist das eigentliche Fischen beendet. Die Nachfischerei beginnt. Alles, was nun gefangen wird, ist Eigentum der Arbeiter, die beim Fischen geholfen haben. Meist sind es Barsche, die noch im Wasser zappeln, aber auch kleine Schleien und Hechte werden gefunden, denn jetzt wird noch gründlicher gesucht als vorher. Ein wahres Wunder muß man es fast nennen, wenn ein Krebs oder ein noch genießbares Fischchen übersehen wird.
Aber einer hat es doch verstanden, sich zu verbergen. Wohl eine Spanne tief hat er sich in den Schlamm eingewühlt mit seinem langen, schlangenähnlichen Körper, kein Wunder, daß der Aal nicht aufgefunden wird. Ganz ruhig liegt er da und regt sich nicht. Erst am Abend, wenn alles ruhig ist, dann schlängelt er sich hervor und wühlt sich durch den Schlamm, der tiefsten Stelle zu. Unruhig durchfurcht er das Wasser, das von den Leichen der abgestorbenen und zertretenen Kleinfische verdorben ist und sucht nach einem Ausweg. Schließlich findet er den Abfluß und untersucht gewissenhaft die Weite des Gitters an allen Stellen. Schon ist seine spitze Schnauze beinahe wund, da endlich findet er eine Stelle, wo die spülenden Wasser einen kleinen Stein losgearbeitet haben. Weit ist die Öffnung nicht, ein starker Männerdaumen würde gerade hindurchgehen, aber ein Aal hat eine schlanke Figur, und so zwingt und drängt er seinen schwärzlichen Körper durch die Öffnung und ist frei.
[S. 152]
Das frische Wasser des Abzugsgrabens umspült seine Kiemen und frischt seine Lebenslust auf, und munter schlängelnd wandert der Aal bachabwärts, bis aufs neue ein Eisengitter ihm den Weg versperrt. Doch er kennt nun schon die Weise, wie man um eiserne Rechen herumkommt, er benutzt die Fahrt der Wasserratte und badet bald seinen schlanken Leib in den weiten Fluten eines andern Teichs. Weicher, schwarzer Schlamm bildet den Boden, Erlen und Pappeln stehen am Ufer und bilden mit ihrem Wurzelwerke dunkle Verstecke, Schnecken und Würmer sind auch zur Genüge da, deshalb gefällt es dem Aale hier und er bleibt da.
Allabendlich beginnt er seinen Jagdzug und wandert an den Ufern entlang, um Genießbares zu finden, Bekanntschaften mit andern Fischen zu schließen und ein bißchen Unterhaltung zu suchen. Einige Barsche findet er wieder, die gleich ihm einen Ausweg aus dem abgelassenen Teiche gefunden haben, einige Hechte, die etwas kleiner sind als er und ihm deshalb nichts tun können. Aber die meisten Teichbewohner sind doch Karpfen, fette, träge Tiere, die keinen Verkehr mit ihm mögen, weil sie zu stolz oder zu dumm sind. Die neue Umgebung, die neuen Bekanntschaften lassen den Aal ganz vergessen, wie rasch die Tage vergehen, und nur am Nachlassen des Hungers und großer Müdigkeit und Schläfrigkeit merkt er, daß es kalt, daß es Winter geworden ist. Tag für Tag liegt er nun im Schlamme. Zu fressen gibt es nichts, und er mag auch nichts haben, er spürt keinen Hunger, er schläft und schläft. Endlich wird er wach und spürt, [S. 153] daß er jetzt einen Wurm nicht verschmähen würde oder eine Mückenlarve.
Gleich macht er am Abend einen kleinen Rundgang. Aber auf dem Schlammgrund findet er nichts und wendet sich deshalb dem schilfigen Ufer zu. Da kommt mit wilder Hast ein Fisch auf ihn losgeschwommen, stößt ihn mit der Schnauze und beißt gar nach seiner Schwanzflosse, so daß er sich eiligst davonschlängelt. Als seinen Freund, den Hecht, muß der Aal den ungeschliffenen Patron erkennen. Betrübt gleitet er durchs Wasser, den nächsten Barsch hält er an und fragt, was in den Hecht gefahren wäre. Der Gefragte zieht ein höhnisches Maul. „Das wißt Ihr nicht, die Hechte laichen doch jetzt, und das Männchen verjagt jeden, der in seine Nähe kommt!“ Aber Fortpflanzungsgeschäft, Eifersucht und was der Barsch noch alles nennt, das sind neue Ausdrücke für den Aal, er weiß nicht einmal, ob er Männchen oder Weibchen ist. Nicht die mindeste Lust hat er, Eier zu legen oder Männchen zu spielen, und er macht sich über das sonderbare Tun und Treiben lustig. Aber innerlich fühlt er sich doch unglücklich, daß er nicht einmal weiß, ob er zum Eierlegen oder Eierbefruchten geboren ist. Er fängt an zu grübeln und zu denken, ja, er wird ganz tiefsinnig dabei. Aber für seinen Leib zu sorgen vergißt er auch nicht, den ganzen Sommer über faßt er zu und schluckt, wenn er etwas Genießbares sieht. Aber je länger und feister er wird, desto unruhiger wird er. Was es ist, weiß er nicht, aber eine unwiderstehliche Macht juckt in seinem Körper und zuckt in jeder Faser. Unruhig schlängelt er sich [S. 154] in seinem Teiche umher, aber er findet keine Ruhe. Und eines Tages faßt er den Entschluß, auszuwandern.
Wo das Wasser aus dem Teiche fließt, versucht er, sich durch den Eisenrechen zu zwängen. Aber er ist viel zu dick dazu. Auch ist nirgends eine Lücke, nirgends ein Ausweg. Zwei Tage sucht der Aal vergeblich. Aber am dritten wird er kühn, wagt sich hinaus aus den heimischen Fluten und schlängelt sich durchs nasse Gras in den Abzugsgraben. Eilig geht es weiter bachabwärts. Da teilt sich das Wasser, ein schmales Bächlein springt über ein Wehr und eilt dann weiter talwärts, die größere Wassermasse aber stürzt sich tosend über ein großes, stampfendes Wasserrad zu Tale. Der Aal vertraut sich dem schmalen Wässerchen an, kommt unverletzt über das Wehr und eilt weiter. Da kommt ein zweiter Wasserlauf und vereinigt sich mit dem Bache, und siehe da, auch ein Artgenosse des Aals findet sich, der ebenfalls von innerer Unruhe erfaßt mit dem Wasser reist. Ein Fluß nimmt den Bach auf und führt Wasser und Aale dem Meere zu. Immer neue Artgenossen finden sich, alle wandern mit dem Wasserstrome. Neue, unbekannte Fische schwimmen an ihnen vorüber, Scharen von Weißfischen am Tage, einige Neunaugen des Nachts. Aber die Aale haben keine Zeit, mit ihnen Bekanntschaft zu schließen, es treibt sie unwiderstehlich flußabwärts.
Ein kleines, stinkendes Bächlein wälzt bunte, farbige Fabrikabwässer dem Flusse zu. Unaufhaltsam schwimmen die Aale hindurch. Aber wehe, der eine, der sich aus dem abgelassenen Teiche gerettet hatte, findet sich nicht rasch genug heraus aus den giftigen [S. 155] Fluten. Schon ist er am Ersticken, da umspülen ihn frische Wasser, die ein Wiesenbach dem Flusse zugeführt hat. Erschöpft macht er Halt. Da sieht er einen großen Raubfisch, der gleich ihm in dem reinen Wasser sich erholt. Ein Lachs ist es. Es treibt ihn auch zum Wandern, aber er muß stromaufwärts. Zum zweitenmal macht er schon den Weg. Im kalten Winter des vorigen Jahres hat er schon gelaicht im seichten sandigen Flußoberlauf, und jetzt ist er wieder auf der Wanderung dahin. Er weiß auch zu sagen, daß alle wandernden Aale Weibchen sind. Am Meeresufer warten die Aalmännchen auf ihre Schönen, der Lachs hat sie gesehen und soll ihre Grüße bringen.
Und er hat recht gesprochen. Noch einige Tage dauert die angestrengte Wanderung. Schon vermag unser Aal nicht mehr zu sagen, wie breit der Strom ist, in dem er wandert. Da fängt das Wasser an, fremdartig zu schmecken. Langsam gewöhnt sich der weitgereiste Fisch an das neue Wasser, dann aber wandert er kühn hinein in die salzige Flut. Und siehe da, er kann sie ohne Schaden ertragen.
Zwei kleine Aale haben sich zu ihm gesellt. Sie umspielen ihn und schmiegen sich an ihn; Männchen sind es, die um die Gunst des Weibchens werben. Und das hat gegen die Annäherung nichts einzuwenden. Tagelang wandern die drei vereint über den Boden der Nordsee dahin. Immer dicker und rundlicher wird der Leib des Weibchens. Der Laich beginnt zu reifen. Aber noch immer finden die Fische nicht die geeignete Stelle zum Ablegen der Eier, noch immer ist ihnen das Wasser zu flach. Endlich haben sie gefunden, [S. 156] was sie suchen. Eine Wassermasse von mehr als tausend Meter Höhe lastet auf ihnen, weit entfernt sind sie vom heimischen Gestade. Da legt das Aalweibchen seine Eier ab, und die Männchen schwimmen darüber hin und befruchten sie.
Langsam beginnt sich Leben zu zeigen in den Eiern, die dort am Meeresgrunde liegen. Schließlich schlüpfen die Jungen aus. Aber was für sonderbare Tiere sind das, sind es wirklich junge Aale, die aus den Eiern kommen? Glashell sind sie und schmal wie ein Band. Sie leben auch nicht wie ihre Eltern. Sie treiben sich schwimmend hoch über dem Boden umher und vermeiden es, im Schlamme zu wühlen, sie führen ein pelagisches Leben. Bei der guten Ernährung im Ozean wachsen sie rasch heran, bald haben sie die Länge eines Fingers erreicht. Da geht auf einmal eine sonderbare Veränderung mit ihnen vor. Sie werden wieder kleiner, sie werden kürzer und bekommen eine runde Gestalt. Noch sind sie glashell, aber allmählich beginnt ihre Haut sich dunkler zu färben. Sie wandern den Küsten zu, und die Weibchen fangen an, in den Flußläufen aufwärts zu steigen. Es sind jetzt richtige kleine Aale geworden. Ihr Leib ist dünn und rund wie eine Stricknadel, ihre Haut schwärzlich. Aus den Flüssen wandern sie in die Bäche, aus den Bächen in die Teiche. Schließlich leben sie, wie ihre Mütter lebten, bis sie ziemlich geschlechtsreif sind, um dann wieder dem Meere zuzuwandern.
[S. 157]
Dick aufgeplustert sitzt Goldschnabel, der kohlschwarze Amselhahn mit den goldigen Ringen um die braunen Augen auf dem Ebereschenbaum und verdaut. Er hat die Beine ins Bauchgefieder gesteckt, denn der November läßt sich schon recht kalt an. Na, aber solange noch korallenrote Beeren auf den Bäumen hängen und es leicht ist, eine dicke Fettschicht um den Körper zu erhalten, da hat’s keine Not. Und obendrein ist ja der Boden noch offen, und die Würmer sind noch nicht so tief unter der Erde, da gibt’s auch noch Fleischkost.
So weit ist eben Goldschnabel mit seinen Gedanken gekommen, da hat er auch schon Appetit auf Wurm. Faul schlägt er die Flügel und fliegt durch’s Unterholz. Dort, wo der Wind das dürre Laub von Eiche und Linde, von Birke und Ahorn unter den Haselbüschen zusammengefegt hat, dort weiß der Amselhahn den Tisch gedeckt. Er setzt sich aufs raschelnde Laub, hüpft rechts und links, wirft mit wilder Hast die dürren Blätter auseinander, trippelt einige Schrittchen vor, hält den Kopf schief und lauscht, fährt dann zu und ruckt und zerrt den erschreckten Wurm aus der Erde, schüttelt und stößt ihn auf den Boden und schluckt ihn dann hinter. Und weiter sucht er schon nach einem andern Bissen. Er räumt das Laub vom Wurzelstock des Haselstrauchs und schluckt, was er findet.
Und wie er so die Blätter umherwirft, da kommt er auf eine Kugel, die eingefügt ist zwischen die Haselwurzeln und fest und glatt aus Eichenblättern gefertigt. Goldschnabel guckt mit dem rechten Auge, dann mit [S. 158] dem linken, springt einen Satz zurück und dann wieder vor. Dann rupft er an den Blättern, denn vielleicht ist etwas zu essen da versteckt. Und wie er so reißt, da tönt ein feines, hohes Pfeifen aus der Blattkugel; als wenn ein Goldhähnchen da mitten drin säße, so klingt’s. Erschrocken ist die Amsel zurückgeprallt, aber die Neugier treibt sie wieder vor. Lange lauscht sie, dann rupft sie wieder, und wieder pfeift’s Sssiii. „Dack dack dack, das ist unheimlich,“ denkt Goldschnabel, „giggiggigg, komme doch mal jemand her, hier ist was,“ ruft er.
Und nicht lange dauerts, da kommt auch wer. Markwart, der Holzschreier, hat das Zetern der Amsel gehört, und gleich fliegt er herbei, zu sehen, was los ist. Laut kreischend meldet er sein Kommen, sieht sich von der Steineiche aus erst mal um, ob alles sicher ist, und gleich darauf sitzt er neben dem Amselhahne. „Ga—he freut mich, daß ihr mich gerufen habt, ga—he, freut mich,“ schwätzt Markwart, und er sträubt die schöne Holle auf dem Kopfe und wippt mit dem Schwanze, daß der weiße Bürzel aufblitzt. Und dann reißt er Blatt für Blatt von der Laubkugel ab, dann kommt er auf Grashalme, die alle sauber nach einer Seite gedreht sind wie die Haare auf einem Zylinderhutdeckel. Aber auf die ordentliche Verpackung achtet der Eichelhäher nicht, ihm ist es um die Sache selber zu tun. Er faßt hinein in das saubere Nest und langt eine ockerfarbene Wollkugel heraus. Rechts und links wendet er sie mit dem Schnabel, ehe er unterscheiden kann, was das für ein Wollknäuel ist. Und dann plötzlich sieht er mit Verständnis die Lösung des Vexierbildes. [S. 159] Da ist der Kopf mit den fest zugekniffenen Augen, da das zierliche Schnuppernäschen mit den langen, zuckenden Schnurrhaaren. Die winzigen Ballen sind die krampfhaft geschlossenen Vorderpfoten, die dicht an die Backen gedrückt sind. Und der lange, wollige Schwanz ist über das ganze Tier gedeckt. Leise hebt sich die Brust des kleinen Schläfers, ein Atemzug füllt die Lungen mit Luft, dann liegt er wieder da wie tot. Nur wenn Markwart mit dem Schnabel zwickt, dann hebt sich die Brust wieder und leise ertönt das ärgerliche Pfeifen.
Doch was kehrt sich der Holzschreier daran, ob seine Beute ärgerlich ist oder nicht. Er zwickt und kneipt mit dem Schnabel so oft, daß die Atemzüge immer rascher sich wiederholen, das braune Tierchen munter wird. Es dehnt sich und streckt sich und macht dann blinzelnd die Augen auf. Groß und erschrocken gucken sie in die Welt; als wären schwarze Siegellacktropfen auf den Pelz gefallen, so sehen sie aus. Und dann stellt sich die Haselmaus mit leisem Pfeifen auf die zitternden Beine und macht einige träge, verschlafene Schritte.
Staunend hat die Amsel der Entwicklung der Dinge zugesehen, jetzt hüpft sie näher heran, das reizende Tierchen zu betrachten. Doch entsetzt fährt sie wieder zurück. Die Pupillen in den weißen Augen des Eichelhähers wechseln rasch ihre Größe, werden enger und weiter, dazu legt der Holzschreier seine Holle glatt und öffnet den Schnabel ein wenig; er ist böse, das sieht Goldschnabel sofort. Nun holt er aus und haut mit kräftigen Schnabelhieben auf die arme, verschlafene Haselmaus ein, daß sie nur einmal noch laut und [S. 160] klagend pfeifen kann und dann alle viere von sich streckt. Laut zetert die Amsel und schilt den Häher einen Mordgesellen, einen Räuber, einen Wegelagerer. Aber der läßt sich nicht stören, sondern verzehrt die Haselmaus mit Haut und Haar. Dann wischt er sich zierlich den Schnabel am Boden ab, putzt und wetzt ihn am Haselzweige und fliegt mit höhnischem Hiäh, das er dem Bussard abgelauscht, dem Fichtenwalde zu. Die Amsel aber fliegt zum Ebereschenbaume und erzählt der staunenden Wacholderdrossel, was Markwart getan, und sie kann sich kaum genug tun in Schimpfnamen wie Mörder und Schinder, während noch der letztverschluckte Wurm sich in ihrem Magen windet.
Wochen sind vergangen und der Amselhahn hat sein Erlebnis längst vergessen. Es hat hoher Schnee gelegen einige Tage, der ist dann wieder weggetaut, der Sperber hat die Wacholderdrossel gefressen und eine Meise, die Ebereschenbeeren werden schon recht knapp. Und wer alle Tage etwas Neues erlebt, denkt nicht mehr ans Vergangene. Doch eines Tages findet Goldschnabel wieder eine Laubkugel unter Birkenwurzeln versteckt. Wieder zupft er an den dürren Blättern, doch dann erinnert er sich plötzlich, was darin steckt, als das feine Pfeifen ertönt. Da nimmt er sich vor, niemand etwas zu sagen von seinem Funde. Nur von Zeit zu Zeit einmal sieht er danach und zupft an den Blättern, bis das ärgerliche Sssiii ertönt, dann weiß er, daß sein Schützling noch lebt im Winterneste.
Mit Eis und Schnee kommt der gestrenge Herr Winter, macht den Erdboden erstarren bis tief hinein und schließt so der Amsel Speisekammer ab, daß sie [S. 161] sich im Dorfe mit Küchenabfällen behelfen muß. Schlecht und recht schlägt sie sich durch die magere Zeit, bis sie sich auf ihre Stimme besinnt und von der nebelnassen Birke ihr Kirchenlied flötet. Noch klingt es schwach und zaghaft, doch von Tag zu Tag wird es voller und lauter.
Heute hat’s die Sonne wirklich gut gemeint und hat mancher schlafenden Blumenknospe Lebenslust eingestrahlt. Nun steigt sie mit müdem, rotem Gesicht ins Wolkenbette, während Goldschnabel sein schönstes Lied als Nachtgesang anstimmt. Dann fliegt er herunter in’s Gebüsch, einen Wurm als Abendbrot zu verspeisen. Und wie er wühlt und sucht im dürren Laube, da raschelt es leise und verloren am Birkenstamme. Langsam hebt sich ein Blatt und ein gelbes, schnupperndes Näschen, von zuckenden Schnurrhaaren wie von einem Glorienschein umgeben, schiebt sich vor. Dann kommen zwei große schwarze Augen, dann niedliche Ohren, dann huscht auf winzigen Beinen die Haselmaus ganz hervor. Auf zitternden Füßchen trippelt sie einher, tastet mit den Schnurrhaaren, schnuppert mit dem Näschen und guckt mit strahlenden Augenperlen in die Runde. Und dann putzt und leckt sie den Wollpelz glatt. Wer ein halbes Jahr lang mit dem Pelz im Bette träumt, der verdrückt ihn. Aber die emsig kratzenden und reibenden Händchen bringen bald Ordnung in die Haartoilette, und wie aus Watte gezupft trippelt das winzige Eichhörnchen über den Boden.
Arg hungrig ist es nach der langen Ruhe; wer sechs Monate nichts ißt, der behält nicht viel Fett auf den Rippen. Auch wenn er nur ganz langsam und [S. 162] sparsam atmet, ganz unterbrochen ist der Stoffwechsel nicht, wenn er auch auf das denkbar kleinste Maß zusammengedrückt ist. Was mag Haselmäuschen nur suchen auf dem kahlen Boden, dort scheint doch wahrlich nichts Genießbares zu liegen. Doch da hält es schon irgendeinen Bissen zwischen den Pfötchen, setzt sich artig auf die Keulen und stützt sich auf den wolligen Schwanz. Rapp, rapp, rapp, knappern die Nagezähne am Birkennüßchen, das Zeisig oder Blaumeise zu Boden warf. Da sitzt ein Falter und bewegt langsam seine lahm gewordenen Flügel. Den hat sie gleich beim Wickel und knappert und mummelt ihn hinter. Dann schleckt sie einen Nebeltropfen, dann nagt sie wieder einen Birkensamen hinter. Und dann kommt der Festschmaus. Eine Haselnuß liegt vergessen am Boden. Die Feuchtigkeit des Frühjahrs hat ihren Keim schwellen lassen, daß er die Schale sprengte und mit rotem Arm nach dem Boden greift, um Wurzel zu schlagen. Den packt die kleine Fresserin und nimmt ihn zwischen die Zähne, und hopp, hopp, hopp, sitzt sie vor ihrem Nest, raspelt und nagt die Hülle vom Nußkern und nascht vom zarten, süßen Fleische. Ganz vertieft ist sie in ihre Beschäftigung und denkt nicht an ihre Umgebung, sieht Goldschnabel nicht, der ganz glücklich seinem Schützling zusieht, nur den leckeren Nußkern sieht sie und schwelgt nach der langen Fastenzeit.
Da schreit scharf und gellend der Warnruf der Amsel, und in wilder Flucht eilt sie durch’s Unterholz, daß die Ohreule bald absieht von ihrer Verfolgung und abschwenkt. Aber sie mag die Birke umkreisen, immer und immer wieder, wo sie so deutlich das Knappern [S. 163] von Mäusezähnen hörte, sie hört nichts vom Lieblingswilde und sieht nichts.
Heute kommt die Haselmaus sicher nicht wieder aus ihrem Verstecke und wenn morgen die Sonne nicht warm scheint, verschläft sie wieder einige Tage. Doch so fest wie zur kalten Winterszeit, wo sie niemand munter kriegte, schläft sie jetzt nicht mehr. Sonst wäre sie auch verloren gewesen, als eines Abends der Igel ihr Nest fand und zerkratzte, weil er warmes Fleisch darin roch. Da war sie eilend herausgefahren, am verblüfften Stachelhelden vorüber und am nächsten Haselzweige in die Höhe, von da zum Rüsterstamm und von dem zur hohlen Eiche. Dort bleibt sie einige Wochen wohnen, bis der Haselstrauch Blätter kriegt und die Brombeersträucher auch, dann zieht sie wieder aus. Sie schwärmt einige Tage umher, bleibt tags bald im hohlen Weidenstamme, bald im leeren Mäuseloche, bis sie eines Tages mit einer andern Haselmaus wieder zurückkehrt an ihren Heimatsort.
Nach einigen Tagen, wenn die Fremde die Gegend richtig durchstreift hat, dann kann man nicht sagen, welches die Einheimische, welches die Zugezogene ist. Genau so wenig wie man sagen kann, welches das Männchen, welches das Weibchen ist, wenn man auch am verliebten Treiben beider erkennt, daß es ein Pärchen ist. Im Stammausschlag der Rüster, der so dicht und struppig aussieht wie ein ungepflegter Vollbart, dort bauen die Haselmäuse aus dünnen, geschmeidigen Grashalmen und Blättern ein großes, lockeres Nest, dort, wo es vom zarten Grün der jungen Rüsterblätter völlig versteckt ist. Ein günstiges Plätzchen haben sie sich ausgesucht, [S. 164] die Haselgerten neigen sich zum Rüsterstamme, so daß man nicht zum Boden braucht, wenn man weiter will, zur Buche ist’s auch nicht weit und auch die Eiche kann man kletternd erreichen. Da braucht es den beiden wirklich nicht angst zu werden, wenn eines Tages so drei oder vier kleine, nackte Kinder im Neste liegen und mit leisem, hohem Piepen nach der Mutterbrust verlangen. Wer so im Vollen sitzt und so nahe hat von einem schönen Vorratsplatz zum andern, braucht keine Nahrungssorgen zu haben.
Goldschnabel hat den ganzen Sommer nicht Zeit, sich um seine Schützlinge zu kümmern. Er würde sie wohl auch nicht zu sehen bekommen, wenn er sie besuchen wollte. Denn wenn die Haselmäuse aufstehen, ist die Sonne längst untergegangen und auch die Amsel schläft schon. Aber im Winter, als der Amselhahn so nach und nach fünf Winternester seiner Freunde bloßscharrt, da sieht er, daß es seinen Schützlingen gut gegangen ist. Von Zeit zu Zeit rupft er mal an den Blättern, um am Pfeifen zu sehen, ob alle noch leben und freut sich, wenn’s der Fall ist.
Nur einmal muß er trauern, die eine Kugel, die so frei im scharfen Ostwind gelegen hat, die pfeift nicht, wenn man sie rupft. Da warnt Goldschnabel wieder, bis Markwart kommt und den Fund auspackt. Eine kleine, zusammengetrocknete Mumie kommt zum Vorschein, die sogar dem Häher zu zähe ist, wenn sie auch kein bißchen riecht.
Und so kommt die kleine, erfrorene Haselmaus sogar zu einem ordentlichen Begräbnis. Denn Goldschnabel läßt es sich nicht nehmen, Laub und Erde auf [S. 165] sie zu häufen, und wenn er im Frühjahr wieder bei Stimme ist, singt er sein schönstes Lied über ihrer letzten Ruhestätte.
Mitten zwischen den großen Feldschlägen des Ritterguts Z. liegt in einer kleinen Talsenkung ein Hölzchen. Fichten sind dort angepflanzt und Dorngestrüpp, und wenn das Wetter rauh und windig ist, suchen Rebhühner, Hasen und Rehe dort einen Unterschlupf. Der Boden ist sandig und nicht zu feucht, und deshalb sind auch gar viele Kaninchenbaue in der Remise. Ein Mensch kommt selten hierher, desto öfter aber der Fuchs; denn der hat hier oft schon erfolgreiche Jagd gemacht. Und ist nichts zu fangen, dann liegt doch das veraaste Reh im Graben, auf dem er sich mit wohligem Knurren wälzt, um sich mit einem mehr eigenartigen als lieblichen Dufte zu versehen.
Vor ein paar Jahren ließ der Förster die Dornbüsche wegschlagen, da sie zu hoch und sperrig gewachsen waren und nicht dicht genug, um Deckung zu geben. Zwar bot er dann den Dornhaufen jedermann zum Geschenk an, aber niemand wollte ihn haben, und da blieb er liegen. „Schließlich brütet einmal ein Fasan oder eine Rebhenne darunter“, dachte der Grünrock, sonst hätte er den sperrigen und stachligen Haufen an Ort und Stelle verfeuert. Wenn er gewußt hätte, wem er dadurch Unterschlupf bieten würde, dann hätte er die Dornen sicher nicht liegen lassen.
[S. 166]
Im April mag es gewesen sein, da humpelte und hüpfte ein Tier von Kaninchengröße in dem Graben hin, der zur Remise führt. Von Zeit zu Zeit erklimmt es die Grabenböschung, um einmal die Gegend nach allen Richtungen hin zu durchspähen, dann setzt es seinen Weg fort. Aber rasch kommt es nicht vom Fleck, wahrscheinlich erwartet es in den nächsten Tagen Junge, der Leib ist stark angeschwollen. Bald setzt es sich wieder hin, läßt die dunkeln, blaugrünlich schimmernden Augen die Runde machen, streicht sich mit der dunkeln Pfote über die feuchte, von weißem Fell umgebene Nase, spitzt die Ohren und humpelt weiter. Was für ein sonderbares Tier mag es nur sein, das dort im Graben hinhüpft? Sein dichter Pelz hat oben gelblichbraune Unterwolle und die dichten Grannenhaare ragen wie schwarze Striche darüber hinaus, unten sieht das Kerlchen dunkelbraun aus, beinahe schwarz. Dunkel ist auch der buschige Schwanz, und ebenso die Kehle. Ein Marder kann es also nicht sein, die haben weiße oder gelbe Vorhemdchen, aber die Bewegung ist wieder ganz marderartig, nur unbeholfener.
Ein trächtiges Iltis weibchen ist es, das ein Wochenbett sucht. Bald kommt es in der Remise an. Natürlich untersucht es erst einmal oberflächlich das Hölzchen, um zu wissen, was eigentlich ihre Nachbarn für Leute sind. „Aha, ein Kaninchenbau, und auch befahren, na, da geht es ja an, bei denen müssen nächstens auch Kinder kommen, wenn noch keine da sind.“ Weiter schnuppert Frau Iltis. Frisches „Geläufe“ von Rebhuhn und Fasan findet sie und Fährten von Reh und Hase. Nach Kleinvögeln riecht es hier auch und [S. 167] Mäuselöcher, die warm nach Fleisch duften, sind vorhanden. „In ein ganz armes Land bist du sicher nicht gekommen, hier dürfte es nicht zu schwer sein, eine zahlreiche Kinderschar groß zu ziehen, Konkurrenz ist noch nicht vorhanden, und wenn welche kommt, dann bin ich auch noch da“, denkt Frau Iltis. Dann sucht sie sich ein Versteck.
Zwar sind Kaninchenhöhlen zur Genüge vorhanden, aber mit denen hat Frau Iltis einmal schlechte Erfahrungen gemacht. In einem weitverzweigten Bau hatte sie sich niedergelassen, da tönte eines Tages ein sonderbarer Laut durch die Röhren ihrer Wohnung. Und ehe sie noch recht wußte was los war, kam ein weißes Tier, dessen Augen rot leuchteten und das beinahe roch wie ein Genosse der eigenen Sippe. Am Hals des sonderbaren Wesens hing ein gelbes Ding, das ganz hell immerwährend bimmelte. Da war Frau Iltis geflohen und wollte mit einem Satz zur nächsten Röhre hinaus; da sah sie noch zur rechten Zeit, daß das nicht ging. Ein Netz war darüber gedeckt, das roch nach Mensch und nach Kaninchen. Also rasch zurück, im wilden Anprall am weißen Tier vorbei und durch eine lange Röhre, die in einen Brombeerbusch mündete! Da hörte Frau Iltis gerade, wie ein Jäger zu seinem Gehilfen sprach: „Der Bau scheint unbefahren zu sein, dort ist das Frettchen. Nehmen Sie es auf, daß er nicht in eine andre Röhre fährt und vielleicht ausreißt!“ Und wieder hatte das Glöckchen geklingelt. Da hatte sich die Mama Iltis schleunigst aus dem Staube gemacht und war glücklich entkommen. Seit der Zeit mochte sie am Tage nicht mehr in Kaninchenhöhlen [S. 168] bleiben, geschweige denn darin ihr Lager aufschlagen, der Schreck lag ihr immer noch in den Gliedern, sobald sie daran dachte.
Hier in der Remise braucht sie nach einem andern Versteck nicht lange zu suchen, der Reisighaufen kommt ihr ganz wundervoll passend vor für ein Wochenbett. Einmal umkreist sie ihn und prüft mit der Nase, ob etwas Verdächtiges darin stecken könnte. Da riecht sie, daß schon ein andrer hier heimisch ist, der auch am liebsten ungestört lebt, ein Igel. Der kann ihr und auch ihren Kleinen nichts tun, sie kann ihn aber auch nicht vertreiben, also steht einer nachbarlichen Duldung nichts im Wege. Daher schlüpft sie auf dem Pfade, den der Igel getreten hat, hinein in den Dornhaufen. Der rechtmäßige Eigentümer dieser Wohnung ist zwar nicht sonderlich erbaut über die fremde Dame, die in seine Behausung eindringt, aber als Mann von Bildung stellt er sich gleich vor. „Mein Name ist Borstig, mit wem habe ich die Ehre.“ „Ich bin Frau Iltis und möchte hier in so ehrenwerter Nachbarschaft meine Kinder groß ziehen.“ Schnüffelnd hat der Igel die Luft durch die Nase gezogen und die Stirne in krause Falten gelegt; dann aber erklärt er, nichts dagegen zu haben, denn er würde nächstens auswandern, etwa im Mai, wenn die Nächte warm würden, um den Sommer in den Getreidefeldern zuzubringen. „Bis dahin getreue Nachbarschaft! Doch verzeihen Sie, Ihren Namen habe ich schon wieder vergessen, haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie Frau „Duftig“ nenne, denn ein bißchen einen eigenartigen Geruch strömen Sie schon aus, Rose und Veilchen duften anders.“ [S. 169] „Ja, in einem sonderbaren Geruch steht unsre ganze Sippe“, wird ihm zur Antwort, „deshalb bin ich mit Ihrer Namensgebung einverstanden. Sie halten vielleicht unsern Duft für eine schwache Seite unsrer Persönlichkeit, aber er ist im Gegenteil unsre Stärke. Sie werden sich vielleicht noch davon überzeugen können, wenn ich es auch nicht hoffe!“ Damit war die Freundschaft geschlossen. Dann machte sich Frau Duftig daran, ihre neue Wohnung genau zu besichtigen. Eine alte Fichte mochte an der Stelle gestanden haben, wo der Dornhaufen liegt, die hat dann der Wind umgebrochen. Eine ganze Tafel von Erde hat das Wurzelwerk losgebrochen, und jetzt ist unter der Riesenscholle eine geräumige Höhle, in deren einer Ecke Borstig sich eingerichtet hat. Frau Iltis bezieht den hinteren Teil und nimmt einige zweckmäßige Änderungen vor. Sie räumt die losgebrochene Erde weg und hat bald eine schöne runde Wölbung freigemacht, die das Nest aufnehmen soll. In den nächsten Tagen wird dann die Kinderstube fein ausgepolstert. Weit braucht die Frau Duftig nach Baumaterial nicht zu suchen, der Igel hat zum Bau seines Winternests im vorigen Herbst viel zu reichlich Laub und dürres Gras eingetragen und gibt gern seiner Nachbarin etwas davon ab. Aber auf den Bau eines warmen Nestes beschränkt sich die Vorsorge der Frau Iltis nicht. Die ersten Tage nach dem Werfen läßt sie die Jungen am liebsten keinen Augenblick allein, deshalb muß für genügend Proviant gesorgt werden.
Mit ihren schwerfällig aussehenden humpelnden Sätzen stöbert sie vom Einbruche der Dunkelheit bis [S. 170] gegen Morgen umher. Zur Erlangung größerer Beute ist sie jetzt etwas zu schwerfällig. Deshalb gilt allabendlich ihr erster Ausgang der Feldscheune. Dort wimmelt es förmlich von Mäusen. Die langgeschwänzte braunrote Brandmaus, die so nett aussieht mit ihrem dunklen Streifen auf der Rückenmitte, die Feldmaus mit dem kurzen Schwänzchen, sogar die großäugige Waldmaus ist dort anzutreffen. Da gibt es eine fröhliche Jagd. Sorgsam beobachtet Frau Iltis das Rascheln im Stroh. Ganz langsam und vorsichtig schleicht sie näher. Da schiebt sich ein schnupperndes Näschen aus dem Stroh, die ganze Maus kriecht hervor und knappert und raschelt. Nur einen schwarzen Schatten sieht sie noch in der Luft, noch einen leisen Pieps kann sie ausstoßen, und da ist sie schon zwischen den scharfen Iltiszähnen zerdrückt. Zweien oder dreien geht es ebenso, aber nur eine wird gefressen, die andern werden als Vorrat in die Wochenstube getragen.
Dann geht es im Graben entlang hinunter auf die feuchten Wiesen am Teiche. Mit trippelnden Sätzen hüpft hier Frau Iltis dahin. Sie nimmt sich nicht die Mühe, vorsichtig zu schleichen, denn die Beute, der es gilt, ist zu stumpfsinnig, rechtzeitig zu fliehen. Jetzt hat Mama Duftig erspäht, was sie sucht, sie hüpft zu und zwischen ihren Zähnen quäkt ein Frosch gar erbärmlich. Und er wird zwar raffiniert, aber gar grausam behandelt. Der Stinkmarder zerbeißt ihm das Rückgrad oder die Hinterbeine, so daß er nicht entfliehen kann. Einen ganzen Vorrat von solch armen halb- oder ganz toten Beutetieren trägt Frau Iltis ein.
Doch eines Abends fühlt sie, heute kann sie nicht [S. 171] mehr fort. Und in der Tat. Am andern Morgen trifft Borstig beim Heimkommen von seinem Nachtbummel auf eine zahlreiche Familie. „Na, glücklich vorüber, Frau Nachbarin, meinen Glückwunsch“, sagt er, „wieviel sind’s denn?“ „Sieben Stück“, wird mit schwacher Stimme geantwortet. „Etwas reichlich ist der Segen, das letztemal hatte ich bloß drei“! „Dafür sind auch in diesem Jahre die Mäuse nicht schlecht geraten, und Sie haben doch erzählt, Sie könnten sogar Kaninchen und Fasanen fangen, da werden Sie die kleinen Dinger schon groß kriegen,“ tröstet der Igel. Dann guckt er sich die junge Gesellschaft genauer an. Zwar hat er nur lobende Worte für die „prächtigen Kerle,“ im Innern aber schilt er sie häßlich und prophezeit ihnen kein hohes Alter. Um seine eignen Kinder hat er sich auch nie sonderlich gekümmert; erst wenn sie ein paar Monate alt waren, traf er sie gewöhnlich zufällig mit ihrer Mutter, und dann waren sie schon hübsch groß und echte kleine Igel. Kein Wunder, daß ihm die lichtgefärbten, blinden Dinger nicht gefallen. Volle vierzehn Tage soll es dauern, bis sie sehen lernen, na da, und dabei murren und schmatzen sie fortwährend beim Saugen, da will er sich nur gleich aus dem Staube machen und in die Feldscheune übersiedeln.
Volle drei Wochen läßt er verstreichen, ehe er wieder einen Besuch bei Duftigs macht, und da ist er allerdings überrascht. Das sollen dieselben Wechselbälge sein, die ihn jetzt mit ihren schwarz-blauen Augen verwundert angucken und die schon fauchen, wenn er näher kommt. Auch seine Freundin hat sich recht verändert, allerdings nicht zum guten. Der Balg ist schäbig [S. 172] geworden und die eingefallenen Flanken zeigen, daß es keine leichte Arbeit ist, für sich und noch sieben andre hungrige Mäuler zu sorgen.
Lange Zeit hat Borstig keine Gelegenheit, die Familie Duftig zu besuchen, erst im September trifft er Frau Iltis wieder. Natürlich ist die Freude auf beiden Seiten groß. Sie sieht wieder wohler aus, konstatiert er, der ist aber fett geworden, denkt sie. Dann sprechen sie von den Kindern. Vier davon sind fortgezogen und haben sich selbständig gemacht, drei haben sich bis jetzt zur Mutter gehalten. Den ganzen Winter über wollen sie im Dornstrauch verbringen, wenigstens wenn sie nicht gerade auf Jagdzügen in abgelegenen Gegenden unterwegs sind.
„Vater, wir haben heute abgefährtet. An der Remise haben wir viel Iltisfährten gefunden. Kantors Paul war auch dabei. Ach Vater, da mußt Du sie schießen, heute nachmittag, ach bitte, Vater!“ „Nein, Kinder“, sagt der Förster, „heute zum Weihnachtsfeiertag schieße ich nicht. Aber nehmt doch die Hunde mit, Treff und Seppel, den Dackel. Kantors Paul mag den Fox mitbringen. Aber seht euch vor, daß die Hunde sich nicht beißen. Die Stänker werden wohl in Kaninchenbauen stecken!“ „Nein Vater, die stecken unter dem Reisig, ach bitte, komm doch selber mit, da folgen die Hunde besser, bitte Vater!“ „Na meinetwegen denn!“
Am Nachmittag setzt sich der Jagdzug, der Förster und Karl, sein Junge und Kantors Paul und die drei Hunde in Bewegung. Der Schnee ist weggetaut und von Fährten nichts mehr zu sehen. Eine leise Anspielung [S. 173] des Försters, die Jungen hätten vielleicht Kaninchenfährten für Iltisfährten angesehen, wird mit wahrer Entrüstung zurückgewiesen. So dumm wären sie doch nicht, und Kaninchenspur und die vom Marder wären doch ganz verschieden. Schließlich nähert man sich der Remise. Seppel ist natürlich der erste, der riecht schon lange in jedes Kaninchenloch und zieht die süße Witterung ein. Aber er muß zurück und ebenso der Rowdy, der Fox, Treff weiß das von allein. Bald ist man am Reisighaufen. Einen Augenblick stehen Dackel und Terrier, als müßten sie sich erst besinnen, was der Geruch zu bedeuten hat, dann fahren sie beide mit gesträubten Rückenborsten in den Haufen hinein. Seppel kennt den Raubzeuggeruch, aber Rowdy, der nur Ratten und Hamster würgen durfte, braucht einige Zeit, bis er begreift, daß er lustig losraufen kann, ohne Schläge zu bekommen. Jetzt geben die kleinen Hunde Laut, Seppel tief und grollend, der Fox giftig und hell, aber zum Angriff gehen sie nicht vor, wenn auch der Laut immer wütender wird. „Aha“, sagt der Förster, „die Stänker haben den Hunden etwas vorgestunken. Hui faß, Seppel, kiß, kiß, Rowdy!“ Wütendes Kläffen antwortet, und nun ertönt das gurgelnde Knurren des Terriers, er hat gefaßt. Auch Seppel will nicht mehr zurückstehen, er packt einen zweiten und zaust sich mit ihm herum. Das Kreischen und Fauchen der gepackten Räuber, das Knurren der Hunde, ein Mordsspektakel. Den möchte sich ein dritter Iltis zunutze machen. Leise drückt er sich unter dem Haufen hinweg und versucht, nach dem freien Felde zu entkommen. Beinahe wäre es ihm geglückt, aber ehe er noch in den Schollen [S. 174] des Sturzackers verschwunden ist, hat ihn Karl erblickt. Der reißt den verdutzten Treff am Halsbande herum und stürmt dem flüchtenden Stinkmarder nach. Da hat auch Treff die Situation erfaßt. Einige Sekunden nur dauert es, da ist der Flüchtling eingeholt. Ein Griff über die Schulterblätter, und Mama Duftig fliegt dem Hunde um die Behänge, daß ihre Knochen knacken und die Räuberseele entweicht. Mittlerweile ist auch der geräuschvolle Kampf im Dorngestrüpp beendet, die Sieger zerren ihre Beute hervor und lecken sich ihre geringfügigen Beiß- und Kratzwunden.
Dann zieht ein Siegeszug nach dem Dorfe zurück. Die Knaben sind stolz auf ihre Spurkenntnis; denn ohne die wäre die Jagd nicht unternommen worden, der Förster aber freut sich, daß seine Unterweisungen von den Jungen gemerkt und in der Praxis angewendet worden sind. Die Helden des Tages sind aber natürlich die Hunde, die gestreichelt und geliebkost werden wie lange nicht.
Verlag Haupt & Hammon · Leipzig
Die Glücksbude
Eine Erzählung von
Ernst Preczang
Geheftet Mk. 2.— Gebunden Mk. 2.60
Eine tapfere, freudige Lebensauffassung spricht aus Preczangs Buch, dieser Erzählung von der prächtigen, resoluten Frau, die ihren aus der Bahn geworfenen Mann stützt und ihm, sich und ihrem Jungen eine Existenz außerhalb der bürgerlichen Welt im Reiche der fahrenden Leute gründet. Das Werk schildert ein hartes Geschick, aber durch warmen Humor gemildert und von moderner Romantik, hier der Romantik modernen Landfahrerlebens , umwoben. Eine echte Jugendschrift , an der sich auch die Erwachsenen erfreuen und erfrischen werden!