Title : Prinzessin Sidonie (Band 1/3)
Author : Julius Bacher
Release date : November 1, 2023 [eBook #71998]
Language : German
Original publication : Leipzig: Verlag von Friedrich Fleischer
Credits : Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)
Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde in Fraktur gesetzt; offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen wurden übernommen.
Worte in Antiquaschrift sind "kursiv" dargestellt.
Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter geschaffen. Ein Urheberrecht wird nicht geltend gemacht. Das Bild darf von jedermann unbeschränkt genutzt werden.
Roman
von
Julius Bacher.
Erster Band.
Leipzig,
Verlag von Friedrich Fleischer.
1870.
[S. 5]
Der nachfolgenden Erzählung liegen geschichtliche Thatsachen zu Grunde; da dieselben jedoch der neueren Zeit angehören und aus anderen Ursachen haben wir es uns versagen müssen, das Bild der unglücklichen Prinzessin in einen historischen Rahmen zu fassen, überzeugt, daß es dem in die Geschichte der Höfe eingeweihten Leser leicht sein dürfte, die Vorbilder zu den in dem Roman gezeichneten Charakteren zu erkennen.
Es war etwa fünf Uhr Morgens. In dem Palais des Prinzen Albert herrschte, wie gewöhnlich um eine so frühe Zeit, lautlose Stille. Vor acht oder neun Uhr pflegte sich daselbst selten das Tagewerk geltend zu machen, besonders wenn der Prinz in seinem Palais anwesend war; er huldigte der Morgenruhe, da ihm das Nachtleben zusagte.
Anders war es mit seiner Gemahlin, der Prinzessin Sidonie; sie war eine Freundin des frischen Frühmorgens und seiner Sabbathstille, und liebte es, sich, ohne [S. 6] mehr als ihre Kammerfrau zu beanspruchen, allein oder in Gesellschaft der ihr befreundeten Hofdame, Aurelie von Ketten, des ersteren zu erfreuen. Gewöhnlich machte sie alsdann einen Gang durch den an das Schloß grenzenden Park, oder dehnte den erstern wol auch bis in den nahen, von lustigen Vogelstimmen durchtönten würzigen Wald aus, dessen ungekünstelte Naturschönheit sie ganz besonders liebte.
In einem kleinen Gemach des Palais befand sich an diesem Morgen eine Dame von ungefähr dreiundzwanzig Jahren; sie saß an dem geöffneten Fenster und schaute, den schön geformten Kopf in die Hand gestützt, gedankenvoll in den sich vor ihr ausbreitenden Garten und Park. Diese Dame war die Prinzessin Sidonie.
Ueber die Wipfel der von der Kunstscheere unberührt gebliebenen hohen Bäume stieg die Sonne empor und warf ihre blitzenden Lichter durch die Alleen und Gebüsche, vergoldete die hin und her aufgestellten Marmorstatuen und die aufschießenden Strahlen der Wasserkünste, welche in der Nähe des Palais sprudelten und eine verkleinerte Nachbildung der in Versailles befindlichen zeigten.
In der Ferne tönten vereinzelte Vogelstimmen, die allein die Morgenstille in dem einsamen Garten unterbrachen. Niemand vom Hofe noch irgend ein Arbeiter war daselbst zu entdecken.
Schweigend und gedankenvoll hatte die Prinzessin eine kurze Zeit hingebracht, als sich aus ihren tiefblauen [S. 7] Augen Thräne auf Thräne drängte, die langsam über die bleichen Wangen hinabrollten, ohne daß sie es zu fühlen schien, während sich zugleich der Ausdruck tiefen Seelenleidens in ihrem schönen, jugendlichen Antlitz geltend machte. Dieses Leid schien alle ihre Empfindungen und Gedanken gefesselt zu haben, so daß sie die goldene Herrlichkeit des Morgens nicht gewahrte. O, wie tief, wie unendlich tief mußte sie leiden, da ihr die Natur kein Interesse abzugewinnen vermochte, die mit einer Ueberfülle von Reizen ausgestattete Natur, die sie so sehr liebte! — Wie rührend war ihr feines, bleiches Antlitz anzuschauen, das, mit Jugendschönheit geschmückt, die Spuren eines langen, schmerzlichen Kummers trug, der so früh über sie hereingebrochen war und die reizende Frühlingsblume mit seinem winterlichen Reif berührt hatte.
Die in dem Palais herrschende Stille wurde durch keinen Laut unterbrochen; auch befand sich außer Sidonien Niemand in dem Gemach, so daß sie durch nichts in der Hingabe an ihr Leid gestört wurde.
Länger denn eine halbe Stunde mochte sie also hingebracht haben, als sie das feine Spitzentuch gegen die feuchten Augen drückte und alsdann voll der tiefsten Innigkeit ein Medaillon betrachtete, das sie so lange in der Hand verborgen gehalten hatte. Sie versenkte sich in dessen Anblick und bedeckte es mit Küssen, nachdem sie sich vergewissert hatte, nicht belauscht zu sein. Eine feine Röthe färbte dabei ihre blasse Wange, das Auge erhielt einen matten Glanz, und den feinen, lieblichen Mund [S. 8] umspielte ein süßes Lächeln, ein Lächeln, wie innige Liebe lächelt in stillem Glück und dem Angedenken des mit der ganzen Seele umfaßten Geliebten. O, wer sie hätte erlauschen können diese nur von der Seele gesprochenen Dichtungen innigster Liebe! Wie süß, wie köstlich mußten sie sein! Aber das Leid in ihrer Brust schien größer als das Glück der Erinnerung zu sein, denn in die dem Medaillon geschenkten Küsse drängte sich bald und immer rascher und heißer die Thräne; schon versiegt, entquoll sie auf’s Neue dem Auge.
Ein Geräusch in dem Nebengemach schreckte sie auf; rasch glitt das Medaillon in den Busen. Scheu und argwöhnisch blickte sie auf; hastig fuhr sie mit dem Tuch über Augen und Antlitz, lauschte einige Augenblicke, erhob sich alsdann und lehnte sich aus dem Fenster, um an der Morgenluft die gerötheten Augen zu erfrischen und die verrätherischen Spuren des Weinens zu verbergen.
In solcher Weise hatte sie eine kurze Zeit hingebracht, ohne daß jedoch irgend Jemand erschien; dadurch beruhigt, gab sie sich wieder ihrem Nachdenken hin, ohne daß sie jedoch das Medaillon auf’s Neue zu betrachten wagte, obwol die Hand mehrmals darnach langte und im Begriff war, dasselbe hervorzuziehen.
Sie bezwang jedoch ihr Verlangen, wahrscheinlich durch besondere Umstände dazu veranlaßt; doch ließ sie die Hand auf dem Busen ruhen, um sich in solcher Weise wenigstens der Gegenwart des Bildes zu erfreuen. Ihre Vorsicht zeigte sich bald als durchaus begründet; denn [S. 9] unhörbar und von ihr unbemerkt trat, einen Seidenshawl in der Hand, eine bereits bejahrte Frau ein, nahte ihr und bemerkte:
»Wollten Hoheit sich nicht des Shawls bedienen? Die Morgenluft ist feucht und kühl, und Hoheit sind so leicht gekleidet und haben sich meiner beim Ankleiden wieder nicht bedient.«
»Warum sollte ich Dich stören, liebe Marion? Ein Morgenkleid ist bald angethan auch ohne Hilfe, und — Du kennst mich darin,« entgegnete Sidonie in herzlichem Ton, indem sie sich den Shawl umlegen ließ.
»Ich weiß nur zu gut, wie gnädig Eure Hoheit gegen Jedermann, zumal gegen mich, sind; aber ich bitte, schonen Sie mich nicht, wenn es gilt, Hoheit vor Schaden zu bewahren.«
»Gut, gut, Marion. Mache Dir keine übeln Gedanken. Es schadet mir weder Wind noch Wetter; ich habe meinen Körper, wie Du weißt, in der Kindheit nicht verweichlicht, und daher erträgt er wol leicht ein wenig frische Luft, die mir heute ganz besonders zusagt.«
»Eben heute, Hoheit, dürfen Sie am wenigsten unpaß werden, heute, wo Sie so Viele zu empfangen haben und sich nicht wenig anstrengen müssen.«
»Fürchte nichts, liebe Marion. Ich werde gesund und kräftig sein und das Meinige thun. Und der Tag wird rasch vergehen, vergehen — wie alle anderen.«
Theilnehmend, doch schweigend schaute Marion zu ihrer Herrin auf; sie hatte ihre geliebte Prinzessin seit [S. 10] deren Jugend gehütet, hatte sie zur Jungfrau erblühen sehen und sie immer bedient. Mit fast mütterlicher Liebe hing sie an ihr, deren Güte und Freundlichkeit sie stets genossen, und so war sie hocherfreut, als sie dieselbe an den fremden Hof begleiten und in deren Diensten bleiben durfte.
»Ist Fräulein von Ketten schon auf?« fragte Sidonie nach kurzem Schweigen.
»Ich vermuthe; wenigstens bemerkte ich, daß das Fenster ihres Schlafzimmers geöffnet ist, ein Zeichen, daß das Fräulein das Bett verlassen hat.«
»So wird es sein; denn Aurelie weiß, daß ich sie heute früher als gewöhnlich erwarte.«
»Da ist das Fräulein schon!« fiel Marion in diesem Augenblick erfreut ein, als sich die Außenthür öffnete und die genannte Dame eintrat.
»So komme ich also doch schon zu spät!« rief diese, indem sie, sich nahend, hinzufügte: »Es war meine Absicht, Hoheit in diesem Zimmer zu überraschen, und nun erkenne ich bedauernd, daß ich doch nicht früh genug aufgestanden bin. Hoheit sind mir in dieser Beziehung zuvor gekommen.«
»Ihr Besuch, liebste Ketten, ist mir darum nicht minder angenehm und ich danke Ihnen herzlich dafür,« entgegnete Sidonie mit sichtlicher Bewegung, streckte dem Fräulein die Hände entgegen und zog, als sich in diesem Augenblick die Thür hinter der sich entfernenden Marion geschlossen hatte, Aurelie heftig und mit ausbrechenden Thränen in die Arme. [S. 11] Innig und fest drückte diese die Prinzessin an die Brust, und obgleich Aurelie bemüht war, Fassung und Ruhe zu bewahren, füllten sich auch ihre Augen mit Thränen.
Schweigend hielten sich die beiden Frauen einige Augenblicke umschlungen; alsdann erhob Aurelie das Haupt und blickte die Prinzessin voll und innig an, indem sie mit gedämpfter Stimme bemerkte:
»Verlange an dem heutigen Tage kein Wort von mir. Segne Dich der Ewige mit Geduld, Muth und Kraft, und möge er bald, bald Dein Leid enden!«
Mit diesen Worten schloß sie die Prinzessin auf’s Neue in die Arme.
»Ich danke Dir, Aurelie, ich danke Dir aus vollem, innigem Herzen für Deine Liebe und Freundschaft, die mein Trost und meine Stütze in meinem Kummer sind. Wie hätte ich ohne sie die mir aufgebürdete Last ertragen, alles das entbehren können, was das Glück meines Lebens ausmacht?! O, bewahre mir Deine Liebe, ohne sie könnte ich nicht leben! Verlaß mich nicht, meine Aurelie!«
»Wie könnte ich Dich verlassen, verlassen in Deinem Leid? Fürchte das nicht; denn ich will bei Dir ausharren alle Zeit und so lange es Dir gefällt!« fiel Aurelie in dem herzlichsten Ton ein.
»O Du Gute, wie soll ich Dir für Deine seltene Hingabe danken! Doch Du kennst ja die Empfindungen meines Herzens, wozu also der Versicherungen!« entgegnete Sidonie. [S. 12] »Ich kenne sie, meine theure Sidonie, und weiß nur zu wohl, wie innig unsere Herzen verkettet sind,« bemerkte Aurelie und fuhr alsdann fort: »O, ich würde ganz glücklich sein, wollte der Himmel auch endlich Deinem Herzen Frieden und Glück verleihen!«
Die Prinzessin schüttelte traurig das Haupt und entgegnete seufzend:
»Du weißt, ich habe jede Hoffnung darauf begraben; laß’ uns darum nicht mehr des Unmöglichen gedenken, es kann unsern Kummer nur vermehren. Ich will mein Leid so lange tragen, als ich es vermag, des Weiteren mag Gott walten! Hilf- und machtlos, wie ich dastehe, kann er nur helfen.«
Stumm drückten sich die Freundinnen die Hände.
Nach kurzer Pause fragte Sidonie:
»Ist der Prinz gestern nach Hause gekommen?«
Aurelie verneinte, und sichtlich erfreut fuhr die Prinzessin fort:
»Das ist gut, so werde ich ihn wahrscheinlich erst beim Empfang sehen und er wird mich in dem Genuß des schönen Morgens nicht stören. O könnte ich,« fuhr sie in tiefer Bewegung fort, »könnte ich mit der eiligen Schwalbe dahinziehen weit, weit über die Wälder und Berge fort in die Ferne zu anderen Menschen und Gegenden und dort in der Stille mein armes Leben ausleben! Sieh,« bemerkte sie nach einer kleinen Pause und deutete auf das Gesims draußen, »sieh, wie der Vogel dort sein Nest anklebt, ohne zu ahnen, welche Stätte er [S. 13] sich zu seinem Liebesleben gewählt, ohne zu ahnen, daß, während er in der Liebe und Sorge für die Seinen aufgeht, in den Mauern dieser Stätte Liebesglück und Menschenwürde mit Füßen getreten werden und die Selbstsucht allein das Scepter führt. Welch eine Erniedrigung der menschlichen Natur, von einem thierischen Geschöpf übertroffen zu werden! O, suche Keiner das Lebensglück dort, wo die Sorge ihren Fuß scheu von dem goldenen Prunk wendet, wo der Macht die Erfüllung der Wünsche gleich einer Sklavin folgt, um sie zu Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit zu führen; wo die Ueberfülle den Ueberdruß zeugt und die edleren Gefühle des Menschen in dem Sumpf ekler Gemeinheit ertränkt! O, daß ich in diesen Kreis schnöder Selbstsucht, niederer Sittenlosigkeit gebannt wurde und sich der Himmel nicht meiner erbarmte und mir zugleich auch das Gefühl für das Bessere und Gute in der Seele zerstörte, um mit diesen Creaturen einzustimmen in den Hymnus ihres zügellosen Treibens! Aber sie sollen mich nicht herabziehen zu sich; ich habe gekämpft, und kämpfen will ich, um mich zu behaupten, so lange mir noch Kraft bleibt und Odem meine Brust belebt!«
Die Prinzessin hatte mit sich rasch steigernder Aufregung gesprochen, die so groß war, daß sich ihr Antlitz röthete, ihr Auge glänzte und ihre schlanke, hohe Gestalt voll Bewegung erschien. Von der Heftigkeit ihrer schmerzlichen Empfindungen fortgerissen, vergaß sie sogar die nöthige Vorsicht, mit gedämpfter Stimme zu sprechen, um nicht von unberufenen Ohren belauscht zu werden, [S. 14] und die nicht minder tief ergriffene Freundin vergaß es ebenso in ihrem innigen Mitleiden, sie auf den letzteren Umstand aufmerksam zu machen. Fast bedurfte es dessen jedoch kaum. Nur die treue Marion befand sich in der Nähe und konnte die nur zu gerechten Ausbrüche des Schmerzes und Unmuthes vernehmen, die sie nicht überraschten. Sie kannte das Unglück ihrer geliebten Prinzessin nur zu wohl, wie auch die Welt, die Sidonie mit warmem Herzen bemitleidete und den Prinzen verdammte, dessen Verhalten und wildes Treiben alles Unheil herbeigeführt hatte.
Was sich hier in der Familie eines Fürsten enthüllte, wiederholte sich in mancher geringeren Familie und forderte auch das geduldigste und anspruchsloseste Herz heraus. Es waren die natürlichsten und einfachsten Beziehungen zwischen Mann und Weib, und darum hielt sich ein Jeder zu der Theilnahme an diesen Vorgängen berechtigt, so Hoch als Niedrig, denn in den rein menschlichen Interessen vereinen sich nur zu leicht alle Stimmen. Uebersah Fräulein von Ketten in ihrem Mitleiden mit der Prinzessin auch die näher bezeichnete Vorsicht, so fühlte dagegen ihr treues, warmes Herz die Pflicht, die fürstliche Freundin zu trösten, vor Allem zu beruhigen, um sie für einen leicht möglichen Besuch des Prinzen, der wegen des heutigen Geburtstages der Prinzessin zu erwarten war, in die erforderliche Stimmung zu versetzen.
Aurelie kannte ihren Einfluß auf Sidonie, und darum [S. 15] schloß sie diese in die Arme und entgegnete mit bittender Stimme:
»Vergiß, vergiß, meine geliebte, theure Freundin, vergiß wenigstens für einige Stunden, was Dein armes Herz so tief bewegt! Der Prinz könnte leicht früher eintreffen, als wir vermuthen, Du besäßest alsdann nicht diejenige Ruhe, die ein Zusammentreffen mit ihm erfordert. Deine Seele ist so sehr erregt und würde nach einem Ausdruck ihrer Empfindungen verlangen, und die Folge davon wäre ein ähnliches übles Benehmen des Prinzen gegen Dich, wie Du es leider schon oft erfahren mußtest. Du kennst seinen Jähzorn namentlich in Momenten, in welchen er als Schuldiger vor Dir steht und ihn die Nöthigung peinigt, ein versöhnendes Wort vor Dir auszusprechen. Ein Vorwurf von Dir, so gerecht derselbe auch immerhin wäre, könnte daher leicht eine Unterredung zwischen Euch herbeiführen, die Dich zu dem gewöhnlichen Empfang des Fürsten und der übrigen Hof- und Staatspersonen unfähig macht. Dadurch würde der Fürst unangenehm berührt werden, Du weißt es, und die Welt fände darin überdies willkommenen Stoff, sich in Betrachtungen über Dein eheliches Zerwürfniß zu ergehen. Darum bemühe Dich zu vergessen, und ich hoffe, es wird Dir gelingen. Ich habe ein geeignetes Mittel dazu in der Nähe und Du wirst mir gestatten, es zu Dir zu führen.« — —
»Ja, ja, meine gute Aurelie, Dein treues Herz weiß, was mir dient. Geh’, geh’ und bringe mir meinen einzigen [S. 16] Trost, meine einzige Freude!« fiel die Prinzessin beruhigter, wenngleich noch im schmerzlichen Ton ein.
Aurelie beeilte sich, ihren Wunsch zu erfüllen, begab sich in eins der Nebengemächer und kehrte sehr bald mit einem lieblichen Mädchen von ungefähr zwei Jahren, dem treuen Ebenbilde der Prinzessin und deren Tochter, zurück und legte es in Sidoniens Arme. Diese herzte und küßte das Kind unter hervorbrechenden Thränen, während das Letztere ein paar französische Worte lallte, die Aurelie seinem Gedächtniß eingeprägt hatte und deren Bedeutung lautete: »Gott segne Mama!«
Aurelie hatte, wie sie zu ihrer Freude erkannte, das geeignetste Mittel zur Beruhigung ihrer fürstlichen Freundin erwählt, denn indem sich Sidonie mit ihrer Tochter beschäftigte, erheiterte sich ihr Antlitz, und die Freude an dem Antlitz ihres lieblichen Kindes verdrängte allmälig die Bitterkeit aus ihrem Herzen.
In dem Anschauen des Letzteren verloren, bemerkte sie mit freudiger Stimme:
»O, wie beglückt es mich, daß Isabella nur mir gleicht und keinen seiner Züge trägt! Sieh nur, Aurelie, die Farbe und der Schnitt der Augen, die blonden Haare und der ganze Ausdruck des Gesichtchens, sind sie mir nicht abgestohlen?«
»Gewiß, gewiß, und je mehr sich Isabella entwickelt, um so lebhafter tritt diese Aehnlichkeit hervor,« beeilte sich Aurelie zu entgegnen, über Sidoniens ruhigere und angenehmere Stimmung erfreut. [S. 17] Die Prinzessin veranlaßte ihre Tochter, den Glückwunsch noch einigemal zu wiederholen, was auch mit ihrer und Aureliens Nachhilfe so ziemlich gelang und deren innige Freude erzeugte.
Isabella, dadurch angeregt, wurde lebhafter und begann mit der Prinzessin nach Kinderart zu tändeln, wobei es geschah, daß sie das Händchen in dem mütterlichen Busen barg und dabei das Medaillon entdeckte, das sie plötzlich hervorzog.
»Was thust Du?!« rief Sidonie erschreckt und beeilte sich, dem Kinde das Bild zu entziehen; ehe ihr dies jedoch gelang, ließ Isabella das Medaillon fallen, und Aurelie fing es auf und behielt es in der Hand. In diesem Augenblick trat die Wärterin des Kindes ein und näherte sich der Prinzessin, worauf Sidonie, nachdem sie Isabella geküßt, diese der Ersteren mit dem Bedeuten übergab, die Kleine in den Garten zu führen. Dies geschah, und die Frauen blieben allein.
Ein Blick hatte Aurelie genügt, das in dem Medaillon enthaltene männliche Portrait zu erkennen und sie in Folge dessen bestürzt gemacht; dennoch wußte sie ihre Bewegung der Wärterin zu verbergen; als sich diese entfernt hatte, bemerkte sie mit erregtem Ton:
»Welche Unvorsichtigkeit!«
»Zürne mir nicht, Aurelie, und bedenke, wie sehr sich mein Herz an dem heutigen Morgen nach dem Anblick des theuern, geliebten Freundes sehnte,« fiel Sidonie in leisem, bittenden Ton ein. [S. 18] »Wie könnte ich Dir zürnen, ich, die Dich über Alles liebt?! Doch ich beschwöre Dich, sei vorsichtig und bedenke, welche üble Folgen die Entdeckung dieses Bildes bei Dir nach sich ziehen kann! Zwar ist dem Prinzen Deine Liebe zu dem Jugendfreunde, sowie dieser selbst unbekannt, auch zeigte Albert bisher keine Eifersucht; dennoch können Umstände eintreten, die ihn mit dem Original dieses Portraits bekannt machen, und der verrathene Besitz des letzteren müßte alsdann zu gefährlichen Mißdeutungen Veranlassung geben!« —
»Ich will Dir nicht widersprechen, liebe Aurelie, da Deine Vorstellung viel Wahres enthält, das unter anderen Verhältnissen in der That die von Dir bezeichnete Bedeutung und Gefahr für mich mit sich führen könnte. Ich sage, unter anderen Verhältnissen; denn bei des Prinzen Abneigung und Gleichgiltigkeit gegen mich dürfte demselben eine solche Entdeckung kaum von irgend welchem Interesse sein.« —
»Man sollte dies voraussetzen, und dennoch werden wir oft durch die Entdeckung überrascht, daß dies nicht nur nicht der Fall ist, sondern die Selbstsucht und verletzte Eitelkeit eines solchen Mannes dadurch zur heftigsten Eifersucht herausgefordert werden, obgleich er durch die Lieblosigkeit und Vernachlässigung seiner Gattin sich ein jedes Anrecht auf ihre Liebe verscherzte. Dies, fürchte ich, dürfte auch bei dem eigenwilligen und heftigen Charakter des Prinzen zu erwarten sein, und so rathe ich, Du überlässest mir das Portrait, um einem solchen möglichen [S. 19] Fall vorzubeugen. Der Graf ist ja auch mein Freund, und der Besitz seines Portraits darf mir nicht verargt werden. Ich kann es Dir in jedem Augenblick einhändigen, theure Sidonie, und der Werth desselben dürfte sich für Dich nicht verringern, weil es die Hand der Freundschaft bewahrt und Du es aus dieser empfängst.« —
»Gewiß, gewiß, meine Gute, so ist es, und dennoch — — dennoch trenne ich mich so schwer von ihm. Du wirst mich verstehen. Unsere Empfindungen stimmen ja innig überein, und so bedarf es der Erinnerung nicht, daß der Liebe selbst eine wohlgemeinte Vermittlung der Freundschaft wie eine Verringerung ihres stillen Glücks erscheint,« fiel Sidonie ein.
»Ich gebe Dir Recht; doch erwäge, daß Deine Verhältnisse ein solches Opfer erfordern.« —
»Und warum? Der Prinz kümmert sich nicht um mich; meine Verwandten ebenso; warum sollte daher irgend welche Gefahr für mich in dem Besitz des Medaillons liegen, nach welchem Niemand forschen wird und kann, da man, bis auf meinen Bruder, keine Ahnung von dem tiefen Interesse hat, das mich an Bernhard fesselt?« —
»Und dennoch rathe ich Dir dazu, ja ich bitte Dich, Sidonie, laß mir das Bild!«
»Wie sehr Du mich drängst!« fiel Sidonie mit Befremden ein. »Wie Du mich drängst, mich von dem theuern Bilde zu trennen, das mir in meinen finsteren Stunden Trost und das Hoffen auf ein glücklicheres [S. 20] Leben in die Seele lächelt, das mir, wenn ich in meinem Leid verzweifeln will, ermuthigend zuruft: nicht zu verzagen und zu bedenken, daß mir sein Herz in treuer, unwandelbarer Liebe schlägt, das nahe und fern mit mir leidet und lebt, und vielleicht mehr als ich leidet, mich als die Gemahlin eines ungeliebten Mannes zu wissen. Siehst Du, Aurelie, so spricht dies Bild zu mir, und so spreche ich zu ihm, wenn meine beunruhigte, gepeinigte Seele sich zu ihm flüchtet, und ich werde muthiger, ruhiger, und sein Anblick zaubert mir die schöne Vergangenheit der Jugend zurück, und ich plaudere mit ihm über sie und über uns, und alle Ereignisse, geringe und bedeutsame, ziehen an mir vorüber und lassen mich das Leid der Gegenwart wenigstens für kurze Zeit vergessen. Und Du willst mir diesen Trost nehmen, willst mich des einzigen Mittels berauben, mir das Leben erträglich zu machen, wenn sich meine Seele in dem Bewußtsein eines verfehlten, unheilvollen Lebens krümmt, und sich meine Jugend, mein sittliches Gefühl und die Ehre des tief verletzten Weibes gegen die aufgebürdete, entnervende Last empört und sie mit der ganzen Gewalt des pulsenden Lebens von sich abzuwälzen bestrebt ist?«
»In meiner reinen, verzichtenden Liebe finde ich meine Religion, die mein Herz veredelt und ihm durch diese Veredlung Trost und Muth verleiht. Darum, Freundin, laß mir das Bild, ich verspreche Dir, vorsichtiger zu sein und mich dessen nur in der sichersten Einsamkeit zu erfreuen.« [S. 21] Sidonie hatte mit so vieler Wärme und so tiefem Gefühl gesprochen, daß Niemand ihren sanften, bittenden Worten zu widerstehen vermocht hätte, und auch Aurelie empfand die tiefe Wirkung derselben auf ihr Herz. Die in ihren Augen schimmernden Thränen waren redende Zeugen davon; dennoch wies sie diese Empfindungen von sich ab und gab nur der warnenden Stimme der Vorsicht Gehör, und darum entgegnete sie, der Prinzessin Hand ergreifend und an die Brust drückend:
»Verkenne mich nicht, Geliebte, wenn ich trotz Deiner Worte dennoch auf meiner Bitte bestehen muß. Vielleicht wirst Du dereinst, vielleicht bald meine Beharrlichkeit gerechtfertigt und natürlich finden, wenn ich Dir sage, daß ich Dir für den Verlust des Bildes einen Ersatz versprechen darf —«
Sie hielt ein und schaute Sidonie lächelnd an, sich an der Ueberraschung derselben weidend.
»Du sprichst von einem Ersatz! Was meinst Du, Liebe?« fragte die Prinzessin erregt, Aurelie voll Spannung anblickend.
»Bemühe Dich, ruhig zu bleiben, denn eine angenehme Nachricht soll Dich überraschen, auf die Du nicht vorbereitet bist und die Dein Herz daher um so tiefer berühren wird,« fuhr Aurelie freundlich und mit bewegter Stimme fort.
»So sage mir, sage mir schnell, was Du mir Gutes mitzutheilen hast!« rief die Prinzessin in gesteigerter Erregung. [S. 22] »Ich denke, Liebste, Du erfüllst meine Bitte und gestattest mir die Aufbewahrung des Medaillons, wenn ich Dich dagegen durch das Original desselben entschädige« — — bemerkte Aurelie mit Nachdruck.
»Was sagst Du!« rief die Prinzessin, von freudigem Schreck durchbebt. »Bernhard ist hier, ist zurückgekehrt? Ich soll ihn sehen, seine Stimme wieder vernehmen? O, Aurelie, Aurelie!«
Von dieser beglückenden Aussicht überwunden, umschlang sie die Freundin leidenschaftlich und barg das Haupt an deren Busen.
Laut pochte ihr Herz; ein nervöses Beben ging durch ihren Körper, dessen Kraft der unverhofften, so beglückenden Mittheilung nicht gewachsen war.
Aurelie ließ einige Augenblicke vorübergehen, ehe sie antwortete; sie bedurfte selbst der Sammlung; alsdann entgegnete sie:
»Fasse Dich, fasse Dich, meine theure Sidonie! Ja, Bernhard ist zurückgekehrt, ist seit gestern Abend hier und wünscht Dich im Auftrage Deines Bruders, des Herzogs, zu sprechen und Dir ein Glückwunsch-Schreiben zu Deinem Geburtstage zu überreichen.«
»O, welch ein glücklicher Tag!« fiel Sidonie bewegt ein. »Kaum wage ich an seine Wirklichkeit zu glauben.«
»Ueberzeuge Dich selbst. Hier ist Bernhard’s Brief, den ich gestern am Abend empfing und in welchem er mir seine Anwesenheit und Sendung an Dich anzeigt und mich fragt, in welcher Weise er sich der letzteren entledigen soll.« [S. 23] »Gieb, gieb!« rief Sidonie, sich hastig aufrichtend, und nahm mit zitternden Händen das ihr dargereichte Schreiben. »Ja, ja, seine Schrift, ja, ja, seine Worte!« fuhr sie in jauchzendem Ton fort, den Brief mit zärtlichen Blicken betrachtend. »Nach Jahren, nach drei langen, langen Jahren das erste Lebenszeichen von dem Freunde! O, konnte mir der Himmel ein süßeres Geschenk an dem heutigen Tage gewähren?! Nein, o nein! Wie bin ich ihm dankbar für seine Güte, die mir ein Zeichen ist, daß er mein bekümmertes Herz nicht vergessen hat. Lies, lies die lieben Worte, Aurelie; ich vermag es nicht,« bat Sidonie und reichte den Brief der Freundin dar, den sie jedoch mit Aurelien gemeinschaftlich hielt und, während diese mit leiser Stimme las, jeden Satz mit den Blicken verfolgte und unhörbar nachsprach.
Der Brief war kurz und enthielt nur die bereits von Aurelien bezeichnete Mittheilung unter Beobachtung der üblichen Formen, indem er jede, auch die leiseste Beziehung auf das zwischen ihnen bestehende freundschaftliche Verhältniß ausschloß.
»Wie förmlich seine Worte sind und der Freundschaft zu Dir nicht gedenken!« bemerkte Sidonie, nachdem sie die Durchsicht des Schreibens beendet hatten.
»Bernhard konnte nicht anders, und ich lobe ihn seiner Vorsicht halber. Seine Worte sind mit großem Bedacht geschrieben, wie es die Verhältnisse bedingen. Er konnte nicht wissen, ob der Brief außer von mir nicht auch noch von anderen Personen gelesen würde, und zeigt [S. 24] sich daher in diesem Briefe lediglich als den Gesandten des Fürsten, in dessen Auftrag er erschienen ist,« gab Aurelie zu bedenken.
»Ich erkenne, er hat recht gethan, wenn mir auch die Abgemessenheit seines Styls anfangs nicht zusagte. O, mein von dem langen Weh durchkältetes Herz verlangt ungestüm nach dem warmen Liebeswort, um sich daran zu erquicken; darum befriedigten mich seine Worte nicht. Ich sehe jedoch meine Unbilligkeit ein. Gewiß, gewiß, er konnte nicht anders. Was der Gesandte des Fürsten zu sagen hatte, hat er ausgesprochen; was der Freund, was sein Herz zu sprechen hat, durfte nicht durch die Schrift ausgedrückt werden, das mußte von Lippe zu Lippe, von Herz zu Herzen gehen,« fiel Sidonie eifrig ein und fügte alsdann hinzu: »Und was hast Du ihm geantwortet?«
»Ich habe ihm geantwortet, daß es Dein Wunsch ist, ihn um die eilfte Stunde in Gegenwart des Hofes zu empfangen und das Schreiben des Herzogs, sowie die mündlichen Aufträge desselben entgegen zu nehmen,« entgegnete Aurelie mit Betonung.
»O, mein Gott!« seufzte Sidonie bestürzt.
»Beruhige Dich, meine Freundin; es mußte so sein. Ich erkannte jedoch auch die Nothwendigkeit, daß Du ihn vorher sehen und sprechen müßtest,« fuhr Aurelie fort.
»Von Herzen danke ich Dir!« rief Sidonie und umarmte die Freundin. »Du wußtest, wie es sein mußte, sollte ich mich nicht verrathen, was jedenfalls geschehen wäre, hätte ich ihn zum ersten Mal vor dem ganzen [S. 25] Hof empfangen müssen. O, wie süß und schön wird jetzt das Wiedersehen sein! Wie übermannt mich der Gedanke, den lang entbehrten Freund, den ich nicht mehr zu sehen erwartete, nun als Boten der Liebe zu schauen und Auge in Auge der schönen Vergangenheit schweigend zu gedenken. — — Doch wie richten wir es ein, um seinen Besuch zu verheimlichen? Erführe die Oberhofmeisterin diesen Verstoß gegen die Etikette, so würde sie sogleich Argwohn schöpfen. Du weißt, sie beobachtet mich mit der Begier, jede Regung meines Herzens zu entdecken und sich in mein Vertrauen zu stehlen, um Herrschaft über mich zu gewinnen. Verderbt, wie sie und das Leben hier am Hofe und in der Residenz ist, glaubt sie an keine Tugend des Weibes und ersehnt daher den Augenblick, in welchem ich eine Schwäche zeige, um über mich zu triumphiren und ihren Vertrauten in die Ohren zu flüstern, daß ich eine Scheinheilige wäre, wie alle Anderen, und meine Sittlichkeit mir daher keinen Platz über ihnen gestattet. Du kennst das Alles; nun sage, wie soll es mir möglich werden, den Grafen vorher unbeobachtet zu sprechen?«
»Ich habe alle diese Dinge natürlich genau erwogen und den Grafen zugleich gebeten, mich um die neunte Stunde zu besuchen, um ihm noch Näheres über die gewünschte Audienz mitzutheilen,« entgegnete Aurelie, zögerte jedoch fortzufahren, indem sie die Prinzessin bedeutsam anblickte.
»O, ich verstehe, Du Gute!« fiel Sidonie leise und freudig ein und drückte der Freundin die Hand. [S. 26] »Ich bin überzeugt, von Bernhard verstanden zu sein, und so wird er sich bemühen, ohne Aufsehen zu mir zu gelangen. Aus meinem Zimmer werde ich ihn dann nach dem Blumenhaus führen, dasselbe grenzt an den Gartensaal und ist durch eine offene Thür mit dem letzteren verbunden. Der Prinz ist nicht hier und wird wahrscheinlich erst um die Mittagszeit zurückkehren; seine Diener und Beamten betreten den von Dir bewohnten Flügel des Schlosses nicht, eben so wenig den Gartensaal oder das Blumenzimmer. Die Oberhofmeisterin und die übrigen Hofdamen erscheinen erst gegen die zwölfte Stunde und es ist von ihnen daher keine Störung zu befürchten. Komm’, meine theure Sidonie, um die bezeichnete Zeit unter dem Vorwande eines Spazierganges nach dem Saal, und ich hoffe, Du wirst Bernhard dort alsdann ohne Zeugen sehen und sprechen können.« —
Mit glänzenden Augen hatte Sidonie dem Munde der Freundin die mitgetheilten Worte abgelauscht, ab und zu mit dem lieblichen Haupt beifällig nickend; als Aurelie endete, schloß sie diese bewegt und schweigend in die Arme; ihr fehlten die Worte zum Ausdruck des dankbar und freudig bewegten Herzens.
»Ich denke, Du hast nichts zu besorgen und Alles wird sich nach unseren Wünschen fügen,« fuhr Aurelie fort. »Wie sehr freue ich mich über des Prinzen Abwesenheit, die es uns möglich macht, eine solche Begegnung zwischen euch herbei zu führen. O, ich gestehe Dir offen, meine [S. 27] theure Sidonie, der Gedanke, Du solltest den Grafen in Gegenwart des Hofes zum ersten Mal wiedersehen, hat mich schwer beunruhigt, bis ich mich von der Nothwendigkeit überzeugte, die kleinere, unbestimmte Gefahr der größeren und gewissen vorzuziehen. Denn Dein Zusammentreffen mit dem Grafen in dem Gartensaal kann als die kleinere bezeichnet werden; jedenfalls würde Dich für den Fall eines Verraths keine Schuld treffen, sondern diese lediglich auf mich gewälzt werden, und ich denke, ich werde mich zu entschuldigen wissen. Geh’ nun an Deine Toilette, meine Freundin. Es ist bereits acht Uhr; in einer Stunde also führe ich Dir den Freund zu.«
Nachdem die beiden Frauen noch einige leise Worte über diese Angelegenheit gewechselt hatten, begab sich die Prinzessin nach dem Ankleidezimmer, woselbst ihrer bereits die mit der Toilette betrauten Dienerinnen harrten.
Fräulein von Ketten schaute ihr in schmerzlicher Bewegung und gedankenvoll nach und entfernte sich alsdann gleichfalls. In der Hand barg sie das bedeutsame Medaillon, das sie beim Betreten ihrer Wohnung in einer Cassette verschloß, deren Schlüssel sie stets bei sich zu tragen pflegte.
Eine große Sorge schien ihr Herz zu erleichtern, nachdem dies geschehen war.
Ehe sie das Medaillon bewahrte, hatte sie dasselbe mit großer Theilnahme betrachtet und dabei seufzend die bedeutsamen Worte vor sich hingesprochen:
»Armer Bernhard, unglückliche Sidonie!« [S. 28] Diese Worte des innigsten Bedauerns waren leider nur zu sehr gerechtfertigt.
Prinzessin Sidonie war die Tochter eines regierenden Herzogs und seit drei Jahren mit dem Prinzen Albert vermählt. Diese Verbindung war auf den Wunsch des Oheims des Prinzen, des regierenden Fürsten, zu Stande gekommen und konnte keine glückliche genannt werden, da die Neigungen und Charaktere der beiden Gatten eine viel zu verschiedene waren, als daß man von diesem Bunde Heil erwarten durfte. Es war zur Zeit Ludwig des Fünfzehnten, einer Zeit der höchsten Entsittlichung, namentlich an dem französischen Hofe, worin demselben die deutschen Höfe nachzuahmen bestrebt waren, wie in den französischen Gebräuchen und Moden. Dies war auch am Hofe des Fürsten im ganzen Umfange der Fall, und Prinz Albert huldigte dem frivolen Zeitgeist mit ganzer Hingabe.
Sidonie war an dem kleinen Hofe ihres Vaters erzogen und hatte sich, unberührt von jenen Einflüssen, die ihrem Elternhaus fern blieben, zur sittenreinen Jungfrau entwickelt. Ausgestattet mit einer Fülle weiblicher Reize, einem für alles Schöne und Edle empfänglichen Geist und unbekannt mit dem sittenlosen Treiben an den Höfen, hatte sie still und harmlos gelebt, gepflegt von der liebenden Elternhand und der nicht minder liebenden Hand der Freundschaft.
Ihr Herz fühlte sich in dem engen Kreise ihrer Familie, in dem unbeschränkten Genuß der sich ihr in großer Schönheit darbietenden Natur und in dem eben so unbeschränkten [S. 29] Umgang mit ihren Jugendfreundinnen und Freunden vollkommen befriedigt, und es drang nicht die leiseste Ahnung in ihre unbefangene Seele, ihr glückliches Leben könnte jemals enden oder eine unheilvolle Wendung nehmen. Dieser beglückende Glaube fand um so mehr Raum in ihrem reinen Herzen, da sie, fern von aller Eitelkeit und dem Ehrgeiz, eine hervorragende Rolle zu spielen und also einst einem bedeutenden Fürsten verbunden zu werden, sich in der Hoffnung beglückt und befriedigt fühlte, dem Manne ihrer Liebe dereinst angehören zu dürfen.
Graf Bernhard Römer war dieser Mann, der, um etwa zehn Jahre älter als sie, ihre Zuneigung in hohem Grade gewonnen hatte. Ihre Liebe zu ihm keimte bereits in dem Kindesherzen und entwickelte sich in der heranreifenden Jungfrau, durch die eigenthümlichen Umstände begünstigt und genährt, zur schönsten Blüthe.
Der Graf war nämlich ein an dem Hofe von Sidoniens Vater gern gesehener Gast und fand dadurch Gelegenheit, dem aufblühenden Mädchen häufig nahe zu sein, das von seiner edlen, ritterlichen Persönlichkeit, von seinem männlichen, ernsten, durch Milde und Seelengüte verschönten Wesen um so stärker angezogen wurde, da sie ein unbefangenes und für das Edle empfängliches Herz besaß, das in jeder Hinsicht mit dem seinen übereinstimmte. Mit jener vertraulichen Unbefangenheit, welche der reizende Vorzug eines reinen weiblichen Herzens zu sein pflegt, kam ihm Sidonie entgegen, und der Graf nahm das ehrende Geschenk des Vertrauens und der Achtung [S. 30] um so dankbarer an, da er Sidonie schon als Kind geliebt und sich seine Neigung während ihrer reizenden Entwicklung zur Jungfrau nur noch gesteigert hatte.
Er war jedoch besonnen und edel genug, ihr seine Neigung zu verhehlen und sich ihr gegenüber stets als der achtungsvolle Freund zu zeigen, wie es sich für ihn im Hinblick auf ihren fürstlichen Stand geziemte. Fühlte er sich auch durch ihre liebende Hingebung hochbeglückt und verlieh ihm dieselbe einen gewissen Anspruch auf ihren Besitz, so übersah er dennoch nicht, daß ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit sie zu einer hohen Stellung berechtigten, und erachtete es für eine Ehrenpflicht, ihr bei dem Eintreten einer solchen Wendung das Entsagen seiner Liebe durch ein Geständniß oder Entgegenkommen nicht zu erschweren, oder vielleicht unmöglich zu machen. Der Graf liebte zu tief und zu rein, um jemals das Wohl Sidoniens aus dem Auge zu verlieren. Die Eltern der Letzteren ahnten von der gegenseitigen Zuneigung nichts; das zwischen beiden bestehende freundschaftliche Verhältniß erschien natürlich, da es sich bereits seit der Kindheit der Prinzessin gebildet und man sich also mit der Zeit daran gewöhnt hatte.
Ueberdies schätzten sie des Grafen Umgang besonders hoch, da derselbe nicht nur unterhaltend war, sondern auch auf Sidoniens geistige Entwicklung einen nicht unwichtigen Einfluß ausübte.
Denn der Graf bot eine sehr lobenswerthe Ausnahme unter seinen Standesgenossen dar, indem er, was in jener [S. 31] Zeit sehr selten geschah, sich eine wissenschaftliche Bildung angeeignet hatte und den damals üblichen, ziemlich rohen und seichten Belustigungen des Adels nichts weniger als huldigte. Seine ganze Naturanlage hielt ihn davon zurück, ebenso seine Vorliebe für Künste und Wissenschaften. Sein Wesen war ernst und zurückhaltend, doch auch herzlich und entgegenkommend, sobald er sich Gleichgesinnten nahte, die seine Seele sympathisch berührten.
Ein nicht geringerer Vorzug war sein fester, besonnener Charakter und die ihm innewohnende Energie, mit welcher er seine Absichten und seinen Willen durchführte. Trotz der eben bezeichneten edeln Entschlüsse hatte der Graf dennoch nicht auf das Glück der Liebe und den Besitz der Prinzessin verzichtet. Denn welche Liebe wäre ohne alle Hoffnung, ihre heißen Wünsche erfüllt zu sehen! — Von Sidoniens voller Hingabe überzeugt und ebenso überzeugt, daß sie selbst die glänzendste Stellung ihrer Liebe mit Freuden opfern würde, däuchte seinem Selbstgefühl Sidoniens fürstlicher Stand kein unbesiegbares Hinderniß.
Seine Familie gehörte zu dem ältesten und begütertsten Adel, war hochangesehen bei seinem Fürsten und ein Zweig derselben bereits mit einem regierenden Fürstenhause durch Vermählung verbunden.
Was ihn jedoch zu der bezeichneten Zurückhaltung gegen Sidonie ganz besonders bewog, waren die von dem Herzog zufällig gemachten Andeutungen über die Berechtigung seiner Tochter zu einer glänzenden Stellung, zu [S. 32] welcher ihn die sich immer reicher und schöner entfaltenden Vorzüge Sidoniens zu veranlassen schienen.
Es wiederholt sich dasjenige in den fürstlichen Familien, was ein Gegenstand hohen Interesses in allen anderen Ständen zu sein pflegt: man bemüht sich, seinen Kindern eine vornehmere und glänzendere Lebensstellung, als es die eigene ist, zu verschaffen, indem man dadurch für sich selbst ein höheres Ansehen zu erzielen hofft, ganz abgesehen von dem natürlichen Verlangen, seine Kinder dadurch zu beglücken. Der Herzog besaß nur diese eine Tochter und außerdem zwei Söhne, von welchen der älteste ihm einst in der Regentschaft folgte und der jüngere eine militärische Stellung in dem Heere des Oheims des Prinzen Albert einnahm; es konnte also nur durch Sidonie seinem Hofe dereinst ein vermehrter Glanz durch die Vermählung mit einem mächtigen Fürsten verliehen werden.
Dem Grafen war dies Alles bekannt, und es stand der Entschluß daher in ihm fest, bis zu dem Zeitpunkt, in welchem Sidonie ein gereifteres Alter erreicht hatte, ruhig auszuharren und dem Weiteren entgegen zu sehen, ehe er mit seiner Werbung vorging.
Bewahrte sie ihm ihre Liebe und bestätigten sich die Voraussetzungen des Herzogs nicht, so hoffte er alsdann mit um so größerer Sicherheit auf Erfolg seinen Antrag machen zu können.
Ueberdies däuchte ihm das Harren nicht zu schwer.
Seine Besitzung lag an der Grenze des kleinen, in [S. 33] einer Stunde zu erreichenden herzoglichen Hofes und gestattete ihm daher den lebhaftesten Verkehr mit der Geliebten; er entbehrte sie daher nicht und fühlte sich in ihrem Umgange beglückt. In ihrer Liebe besaß er sie ja; jeder neue Tag, den er mit ihr verlebte, überzeugte ihn immer mehr davon, überzeugte ihn, wie weit entfernt Sidonie war, die Pläne ihres Vaters zu theilen, ja nicht einmal zu ahnen.
So hatte die Prinzessin das achtzehnte Jahr erreicht und sich zur reizenden Jungfrau entfaltet, worauf ihre Liebe zu dem Grafen und dessen bildender Umgang einen sehr wesentlichen Einfluß ausgeübt hatten. Mit stiller Wonne ruhte des Grafen Auge auf ihr, sei’s, wenn er mit ihr plaudernd den Garten durchwanderte, oder ihre Pferde auf weiteren Ausflügen neben einander gingen, und vielleicht mehr noch, wenn ein ernstes Gespräch sie vereinte, oder Sidonie ein Lied sang und mit der Harfe begleitete, die sie meisterhaft spielte.
Ein so inniger Umgang war nur zu sehr geeignet, ihre Seelen mit der Zeit immer fester zu verketten und sie mit dem heißen Wunsch zu erfüllen, es möchte ihr Glück nie und nie aufhören.
Sidonie hatte sich darin bereits so ganz eingelebt, daß ihr der Gedanke durchaus fern lag, es könnte jemals anders werden; denn so sehr auch der Graf bemüht war, ihr seine Zuneigung durch ein stets achtungsvolles und zurückhaltendes Benehmen zu verhüllen, hatte sie dennoch [S. 34] mit dem ihr innewohnenden Feingefühl schon lange seine Liebe zu ihr erkannt und gehörte ihm darum mit ganzer Seele an.
Was der Graf vorausgesehen, traf sehr bald ein, Der Ruf von Sidoniens Liebenswürdigkeit verbreitete sich und zog einen und den andern Fürstensohn an des Herzogs Hof, der in der Absicht kam, sich um sie zu bewerben. Alle verließen denselben jedoch, ohne ihre Wünsche erfüllt zu sehen; Sidoniens Benehmen hatte ihnen jede Hoffnung genommen, irgend welchen Eindruck auf sie gemacht zu haben.
Dem Herzog war das durchaus genehm, da die Bewerber nicht nach seinem Sinn und Söhne nur unbedeutender Fürstenhäuser waren.
Diese Bewerbungen übten jedoch auf Sidonie einen besondern Einfluß aus, indem sie durch dieselben zu der Betrachtung geleitet wurde, warum der Graf nicht bei ihren Eltern um ihre Hand warb, um ähnlichen Vorkommnissen vorzubeugen. Was konnte ihn davon abhalten? so fragte sie sich; wußte er nicht, daß sie ihn liebte und ihm angehören wollte, und liebte er sie nicht auch? — Weshalb zögerte er daher, das sie so beglückende Wort auszusprechen? — Sie konnte es nicht begreifen; hegte jedoch [S. 35] zu viel Vertrauen und Achtung vor ihm, um sich seinem Willen nicht gern zu unterwerfen. Gewiß, so sagte sie sich, hatte der Graf bestimmte Gründe, die ihn davon zurückhielten.
So wollte sie sich geduldig fügen, und that dies um so bereitwilliger, da sie überzeugt war, früher oder später ihm anzugehören. Sie ahnte des Grafen Entschlüsse in dieser Beziehung nicht, und wurde in ihren Erwartungen um so mehr befestigt, da ihr Vater die Ablehnung der stattgehabten Bewerbungen billigte, indem ihr dieser Umstand zugleich als der sichere Beweis diente, daß man sie bereits als die künftige Gemahlin des Grafen betrachtete. Um so unbesorgter gab sie sich ihrer Liebe und den angenehmsten Hoffnungen für die Zukunft hin.
Sie sollte leider sehr bald zur Einsicht ihrer lieblichen Täuschungen gelangen.
Des Prinzen Albert Oheim war zwar vermählt, seine Ehe jedoch kinderlos geblieben, auch befand sich das fürstliche Ehepaar in einem so hohen Alter, daß auf eine Nachfolge nicht mehr gerechnet werden durfte.
Der Fürst hatte daher nach dem Tode seines Bruders, des rechtmäßigen Thronfolgers, den ältesten Sohn desselben, den Prinzen Albert, als seinen Nachfolger den Ständen des Reichs bezeichnet, der seitdem als der künftige Regent betrachtet wurde. Diese Bestimmung entsprach zwar dem Staatsgesetz; es fragte sich jedoch, ob sich das Volk zu derselben Glück wünschen durfte. Leider wurde diese Frage im Allgemeinen verneint, und mit nicht eben geringer [S. 36] Besorgniß sah man dem Augenblick entgegen, in welchem Prinz Albert den Thron besteigen würde.
Das bisherige ausschweifende Leben des Prinzen, seine Abneigung für ernste Staatsgeschäfte, noch mehr sein leichtsinniger, jähzorniger Charakter, der sich eben so wechselnd wie seine Neigungen und Launen zeigte, die übelste Schwäche eines Fürsten, Schmeichlern und Heuchlern gern Gehör zu schenken, waren wenig geeignete Momente, um zu der Erwartung zu berechtigen, ein mit dergleichen Schwächen und Fehlern behafteter Mann könnte einst ein guter Regent werden.
Alle die genannten Fehler und vielleicht noch andere mehr waren dem Prinzen eigen, die sich mit dem Augenblick gewiß noch erhöhten, in welchem er sich als einstigen Regenten betrachten durfte. Nicht nur wurde ihm eine namhafte Apanage bewilligt, die ihm die Mittel gewährte, seinen übeln Neigungen nachzugehen, sondern dem künftigen Regenten standen auch alle Kassen offen, und die Geldleute drängten sich an ihn, um sich der Ehre zu erfreuen, denselben unter die Zahl ihrer Schuldner zählen und daraus die besten Vortheile für die Folge ziehen zu können. Der herabgekommene und verarmte Adel, die aus fremden Ländern nach der Residenz geströmten Parvenus, welche daselbst Carrière zu machen hofften und zu denen besonders Paris ein namhaftes, in alle Ausschweifungen eingeweihtes Contingent lieferte, reihten sich den Geldleuten an. Diese Leute drängten sich in die Nähe des Prinzen, um nicht nur sein genußvolles Leben [S. 37] zu theilen, sondern sich ihm auch durch allerlei gewünschte Dienste zu verbinden und diesen fester an sich zu fesseln, um dereinst durch einträgliche Staatsämter ihren zerrütteten Finanzen und dem verblichenen Glanz ihres Hauses aufzuhelfen.
Daß die Frauen dabei eine sehr wichtige Rolle spielten, darf kaum bemerkt werden, und des Prinzen Freunde waren bedacht, seine Vorliebe für dieselben in ihrem eigenen Nutzen zu verwerthen, indem sie ihm nicht nur die galanten Damen des Ballets, sondern auch selbst diejenigen aus ihren eigenen Familien zuführten.
Eine Schaar verführerischer Odalisken hatte sich an des Fürsten Hof gedrängt, und es gehörte nicht zu den Seltenheiten, an einem und dem andern deutschen Hof eine zweite Madame Pompadour zu finden, der, wie am Hofe Ludwig des Fünfzehnten, die rechtmäßige Gemahlin hintenan gesetzt wurde.
Es war damals Hofton, das Beispiel des französischen Königs nachzuahmen, indem man, über jedes Sittengesetz erhaben, dergleichen eben so kostspielige als verderbliche Einrichtungen als selbstverständlich betrachtete, wie man dies hinsichts einer herrschenden Mode zu thun pflegt. Ja, man war nur zu sehr geneigt, diejenigen zu bespötteln, welche die Moral über die gebräuchliche und als vornehm und fürstlich bezeichnete Sitte zu stellen sich bewogen fühlten.
Es darf kaum bemerkt werden, daß die letztere sich nicht auf die Höfe allein beschränkte, sondern in alle [S. 38] Schichten der Gesellschaft drang und so die besseren und edleren Gefühle untergrub.
Die Genußsucht bedurfte zu ihrer Befriedigung Mittel, und so war alles Thun und Trachten auf die Beschaffung derselben gerichtet, um sich der ersteren nach Wünschen hingeben zu können. Alle Wege, dieselben mochten noch so verwerflicher Art sein, wurden dazu eingeschlagen, gleichviel, ob dabei die Ehre verunglimpft, die Unschuld geopfert und die heiligsten Bande zerrissen wurden.
Die Selbstsucht frägt nicht nach den Mitteln zur Erreichung ihrer Zwecke, und diese war damals in erschreckender Weise ausgebildet.
Der Oheim des Prinzen hatte selbst eine stürmisch durchlebte Jugend hinter sich und war daher an den herrschenden Ton gewöhnt und weit entfernt, die Menschen, die er wenig achtete, bessern zu wollen. Ein Freund der Wissenschaften und obenein Cyniker, lagen ihm dergleichen Bestrebungen fern. Trotzdem war er ein vortrefflicher Regent und bei dem Volk beliebt.
Unter den angegebenen Umständen wird es daher natürlich erscheinen, daß der Fürst die Ausschweifungen seines Neffen übersah, der eigenen Jugend gedenkend und im Hinblick auf den herrschenden Zeitgeist.
Mit der Zeit jedoch, als sich des Prinzen zügelloses Leben steigerte, machte sich in ihm die Sorge für die Erbfolge geltend, da dieselbe lediglich auf seinem Neffen [S. 39] ruhte und, falls dieser kinderlos starb, auf eine Nebenlinie des fürstlichen Hauses übergehen mußte.
Das wäre dem Fürsten jedoch sehr unwillkommen gewesen, und darum war es sein Wunsch, seinen Neffen sobald als möglich verheirathet zu sehen. Er verband damit zugleich die wohlmeinende Absicht, den Letzteren dadurch seinem Treiben zu entziehen und durch die Liebenswürdigkeit seiner Gemahlin und das Familienleben einem würdigeren Streben zuzuführen. Denn trotz der seinem Neffen geschenkten Rücksicht übersah er dennoch die Nothwendigkeit nicht, daß der künftige Regent sich mit der Staatsverwaltung näher vertraut mache, um dereinst nicht lediglich von den Ministern und Staatsdienern abzuhängen.
Und so geschah es, daß, nachdem er den Prinzen in einer vertraulichen Unterredung auf alle die näher bezeichneten Umstände eindringlich aufmerksam gemacht hatte, er zugleich den bestimmten Willen aussprach, derselbe sollte sich sobald als möglich vermählen.
Waren dem Prinzen die Vorstellungen seines Oheims, sich um die Staatsgeschäfte fleißiger und anhaltender zu kümmern, schon unangenehm, so widerstrebte ihm der Gedanke einer Vermählung noch viel mehr, indem er in derselben das unwillkommene Hinderniß erblickte, seinen Neigungen unbeschränkt nachgehen zu können.
Der Prinz stand damals in dem vierundzwanzigsten Jahre, war ein kräftiger, schöner Mann, dem die Frauenherzen entgegen schlugen, durch und durch ein Sinnenmensch, [S. 40] dessen Dichten und Trachten lediglich auf die Befriedigung seiner lebhaften Triebe gerichtet war: wie sollte ihm da eine Gemahlin erwünscht sein! —
Doch der Wille seines Oheims gestattete keinen Widerspruch, ebenso erkannte er die Nothwendigkeit der Vermählung, und unterwarf sich daher, wenngleich mit großer Ueberwindung, der getroffenen Bestimmung, jedoch mit dem beruhigenden Vorsatz, sich durch seine künftige Gemahlin in seinem Treiben keine Beschränkung auferlegen zu lassen.
Sein Leichtsinn fand hierin keine Bedenken und war weit entfernt zu erwägen, welche Rücksichten er gegen seine künftige Gattin zu nehmen verpflichtet sei, und welche Berechtigung sie auf dieselben durch die Vermählung mit ihm erhielt. Von ehelichem Glück hatte der Prinz überdies keine Vorstellung, denn ihm war ein solches weder an den Höfen noch unter andern Verhältnissen bekannt geworden und hatte etwa seine Aufmerksamkeit beansprucht. Er betrachtete daher seine Vermählung lediglich als eine Staatsangelegenheit, was sie, wie ihm bekannt, in vielen andern Fällen auch nur war. Daß dabei das Lebensglück der Erwählten in Frage gestellt wurde, war ihm ziemlich gleichgiltig. Seiner Ansicht nach waren die Frauen lediglich nur dazu auf der Welt, um den Zwecken der Männer zu dienen.
Als der Prinz seinen Freunden die Absicht des Fürsten mittheilte und sich ihnen lachend als baldigen Ehemann vorstellte, antworteten ihm cynische Scherze, Unglauben [S. 41] und die Besorgniß, daß es nun mit dem schönen freien Junggesellenleben ein Ende nehmen würde, worauf der Prinz sie mit der Versicherung beruhigte, auch als Ehemann sein genußreiches Leben unverändert fortsetzen zu wollen und zwar im Verein seiner alten, ihm so liebgewordenen Freunde.
Lauter, beifälliger Jubel ertönte auf dieses, wie man es nannte, würdige Versprechen, und die Stunde wurde zum Dank dafür und zu Ehren des Prinzen unter den raffinirtesten Genüssen hingebracht, gleichsam um die Kostbarkeit derselben dem Gemüth des hohen Freundes noch tiefer einzuprägen und sein Begehren nach dessen Wiederholungen wo möglich noch zu steigern.
Die Sorge um des Prinzen künftige Gemahlin hatte der Fürst auf sich genommen, nachdem sein Neffe die Billigung dazu um so lieber ausgesprochen hatte, da er weder irgend eine Fürstin bevorzugte, noch auch die Lust fühlte, die Wahl nach seinen eigenen Neigungen zu treffen. So ließ denn der Fürst durch einen Vertrauten nach einer geeigneten Dame forschen, und der Ruf von Sidoniens vortrefflichen Eigenschaften bewog denselben, auch des Herzogs Hof zu besuchen. Es bedurfte nur einer kurzen Beobachtung von Seiten des Agenten, um zu erkennen, daß so viele Schönheit und Liebenswürdigkeit, wie er sie bei der Prinzessin zu bewundern Gelegenheit fand, des Fürsten Beifall erhalten müßte, und er beeilte sich daher, diesem mitzutheilen, daß die Wirklichkeit das Gerücht in Bezug auf Sidonie noch bei Weitem überträfe. [S. 42] Seinem Bericht von dem vortrefflichen Charakter der Prinzessin an den Fürsten wurde das Portrait derselben beigefügt, und beide gewannen sich den Beifall des Ersteren in so hohem Grade, daß dieser sich beeilte, den Prinzen sofort damit bekannt zu machen und ihm Sidonie zugleich als seine künftige Gemahlin vorzuschlagen. Das liebliche Portrait verfehlte seine Wirkung auf den Prinzen nicht; dasselbe gefiel ihm in so weit, als es ihm den Genuß einer so reizenden Mädchenblüthe begehrenswerth machte und ihn die in dem Bilde sich kundgebende Unschuld und Anspruchslosigkeit zugleich mit der Voraussetzung erfüllte, er würde in Sidonien die einfache, duldsame Gemahlin finden, wie er sie eben im Hinblick auf seine Neigungen bedurfte.
Er gab daher dem Fürsten seine Zustimmung zu der getroffenen Wahl zu erkennen, und der Erstere, erfreut, seinen Wunsch so schnell und in so befriedigender Weise erfüllt zu sehen, ließ die weiteren Verhandlungen durch den Agenten betreiben.
Der Herzog, durch den Letzteren sogleich mit des Fürsten Werbung bekannt gemacht, erklärte sich gern damit einverstanden, da dadurch zugleich seine eigenen Hoffnungen und Wünsche in der besten Weise erfüllt wurden.
Bald waren die beiden Höfe zu dem vollsten Einverständniß in dieser Beziehung gelangt und es war nur noch erforderlich, die künftigen Gatten mit einander persönlich bekannt zu machen. Um diesen Zweck zu erreichen, lud ein gütiges Handbillet des Fürsten den Herzog mit [S. 43] seiner Familie an den Hof, indem der Erstere zugleich die Hoffnung aussprach, bei dieser angenehmen Gelegenheit das Fest der Verlobung feiern zu können.
Erst jetzt fand es der Herzog für gut, Sidonie mit dem Geschehenen bekannt zu machen und ihr zugleich seine Freude über das Glück auszudrücken, welches ihr durch eine so glänzende Stellung, die künftige Regentin eines mächtigen Staates zu werden, geboten wurde. Zugleich händigte er ihr des Prinzen Portrait mit dem Bemerken ein, daß ihr künftiger Gemahl nicht nur ein angesehener Fürst, sondern auch ein schöner Mann sei.
In der tiefsten Seele dadurch erschüttert, stand Sidonie bleich und wortlos vor ihren Eltern, die sie mit Ueberraschung anschauten und dadurch zu erkennen gaben, wie wenig sie mit ihrer Liebe zu dem Grafen bekannt waren.
Ihr Befremden steigerte sich, als Sidonie bestimmt erklärte, den Prinzen nicht heirathen zu können und von dessen Portrait nicht im geringsten angenehm berührt worden zu sein.
Der Herzog forschte nach den Gründen ihrer Abneigung und wurde ungehalten, als Sidonie den Wunsch aussprach, nur dem Gatten ihrer Wahl angehören zu dürfen, eine Abneigung gegen den Prinzen zu empfinden und eben so wenig das geringste Verlangen nach der ihr in Aussicht gestellten glänzenden Stellung zu hegen.
Ihre Vorstellungen waren jedoch vergebens. Der Herzog erinnerte sie, daß ihr Herz den großen Vortheilen [S. 44] gegenüber, die diese Verbindung mit dem angesehenen Fürstenhause seiner Familie verschafften, unmöglich in Frage kommen könne, er dem Fürsten bereits seine Zustimmung zu dieser Vermählung zu erkennen gegeben habe, eine Weigerung von ihrer Seite daher nicht mehr gestattet sei. Er vermochte nicht einzusehen, daß ein so schöner Mann, wie der Prinz, ihren Beifall nicht gefunden haben könnte, und so schloß er seine Erörterungen mit dem bestimmten Verlangen, Sidonie möge sich in die Lage finden und auf die gewünschte Zusammenkunft mit dem Prinzen vorbereiten.
So jäh und unvorbereitet aus ihren süßen Hoffnungen gerissen, das Herz mit aller Innigkeit an ihre Liebe gefesselt, stand Sidonie betäubt, vernichtet, rathlos da.
Ihr däuchte das Vernommene ein wüster, erschreckender Traum, der zu einem lieblichen Erwachen führen müßte; denn wie sollte plötzlich der eisige Winter über den blumigen Frühling hereinbrechen können! — Das wäre gegen jedes Gesetz der Natur, gegen die Liebe des Schöpfers, gegen Alles, was auf Erden athmet und sich der Güte eines allliebenden Gottes erfreut, gewesen.
Aber das gehoffte Erwachen blieb ihr fern; die eisige Wirklichkeit wehte hin über ihre liebliche Frühlingsseele und führte sie an ihrer kalten Hand an das dunkle, unheimliche Grab ihrer Liebe und ließ sie in die Tiefe schauen, woselbst jene ruhen sollte, ruhen auf ewige Zeiten, ohne Licht und Leben, ohne Glück und Freude, ohne Blüthen und Frucht. [S. 45] O wie tief, wie unendlich tief trifft der erste große Schmerz des Lebens das unbefangene, unerfahrene Herz, um wie viel tiefer, wenn dieser Schmerz dem heiligsten Gefühl unserer Jugend, der ersten, reinen Liebe gilt! —
Mit Blumen und Kränzen schmücken wir des Jünglings, der Jungfrau Sarg, die wir so früh gegen das Gesetz des Lebens dem Vergehen anheimgaben; die junge Liebe jedoch, die wir vor ihrem Entfalten gleich der gestorbenen Jugend in der still gewordenen Brust zur Ruhe betten müssen, die nimmt das Beste unserer Seele mit, den ganzen blumigen Frühling unseres Lebens! —
So war es mit Sidonien.
Des freudigen, lebensvollen Herzens Jubel war verstummt, das frische, wechselnde Leben darin verschwunden, die Ueberfülle der Genüsse in der Natur und in der eigenen Seele einer stillen, ängstigenden Einsamkeit gewichen, wie es geschieht, wenn wir einen Geliebten aus unseren Räumen zur Gruft getragen haben.
Aber Sidonie entbehrte nicht den Trost und das Mitgefühl einer treuen, aufrichtigen Freundin, an deren Brust sie sich ausweinen und das Geheimniß ihrer Seele aushauchen durfte.
Diese Freundin war Fräulein von Ketten, ihre Gesellschafterin seit Jahr und Tag und gegenwärtig ihre Hofdame. Aurelie war fast um zehn Jahre älter als die Prinzessin, und ausgestattet mit einem gebildeten Geist, einem reinen und edeln Gemüth.
Von dem lieblichen Fürstenkinde sogleich angezogen, [S. 46] verwandelte sich diese Zuneigung bald in die innigste Freundschaft, in die vollste Hingebung an Sidonie, wofür ihr diese eine nicht mindere Zuneigung entgegen brachte.
Aurelie war der Prinzessin nicht nur eine angenehme Gesellschafterin, sondern auch die rathende und belehrende Freundin, der sich Sidonie gern unterwarf, von der Vortrefflichkeit der gegebenen Rathschläge überzeugt.
So war es denn auch geschehen, daß Aurelie der Prinzessin die Wünsche des Herzogs, sie mit einem angesehenen Fürsten dereinst zu vermählen, bisweilen angedeutet hatte, ohne daß es ihr jedoch gelang, Sidonie davon zu überzeugen.
Gewöhnlich pflegte diese alsdann lächelnd zu entgegnen, daß sie vor dergleichen Bewerbungen hinreichend durch die Unbedeutendheit des Standes sowol als der Person geschützt wäre, und es nur die Vorliebe ihrer Freundin für sie sei, die ihr dergleichen Erinnerungen einflößte.
Fräulein von Ketten wünschte in Stillen, es möchte so sein, denn ihr war die große Zuneigung der Prinzessin für den Grafen nicht entgangen und sie zu sehr überzeugt, daß Sidonie nur als dessen Gemahlin ganz glücklich werden könnte. Eben so wenig war ihr das warme Interesse des Grafen für ihre Freundin verborgen geblieben, wenngleich sie auch seine Zurückhaltung und sein edles, würdiges Benehmen gegen die Prinzessin richtig beurtheilte und nicht nur von ganzem Herzen billigte, sondern auch bewunderte. [S. 47] Dasselbe beruhigte sie in Beziehung auf Sidoniens künftiges Geschick, indem sie sich, durch die beschränkten Verhältnisse des herzoglichen Hofes bestimmt, zugleich der angenehmen Hoffnung hingab, daß Sidonie von den Fürsten in ihrer Abgeschiedenheit nicht aufgesucht werden und daher einst ganz ihrem Herzen würde folgen können.
Es konnte unter den näher bezeichneten Umständen nicht ausbleiben, daß auch sie mit dem Grafen in nähere Beziehungen trat und dieser ihr seine volle freundschaftliche Achtung schenkte, wie sie es verdiente.
In den von Sidonien mit dem Grafen gepflogenen vertraulichen Umgang wurde sie nicht nur durch ihre Stellung, sondern noch viel mehr durch die ihr von der Prinzessin geschenkte Freundschaft gezogen, was dem Grafen durchaus angenehm war, da die herkömmlichen Formen bei Hofe eine solche Theilnahme an demselben durch eine Vertrauensperson erheischten.
Und so geschah es, daß diese drei Menschen, schon durch die Eigenschaften des Geistes und Herzens einander genähert, durch den ungezwungenen und angenehmen Umgang nur noch fester verbunden wurden.
Die Werbung des Prinzen um Sidonie hatte nun das schöne Zusammenleben plötzlich in seinen Grundfesten zerstört, indem ihnen zugleich der Ausspruch des Herzogs jede Hoffnung raubte, es könnte dasselbe jemals wieder in seiner früheren Weise hergestellt werden.
In dem stillen, traulichen Gemach, das so oft ihr fröhliches Geplauder, die ernsten Gespräche vernommen [S. 48] hatte, saßen nun die beiden Freundinnen tief betrübt und rathlos.
Leise tönte Aureliens Zuspruch; sanft streichelte ihre Hand Sidoniens Haupt, das in ihrem Schooß ruhte, während sie zugleich die Thräne zurück zu halten bemüht war, die der Schmerz um ihres Lieblings trauriges Geschick ihrem Auge erpreßte.
Aber mehr als diesen tröstenden und beruhigenden Zuspruch vermochte die Freundin leider nicht zu geben; denn wie durfte sie es wagen, dem Herzog Vorstellungen zu machen, oder ihm gar das Geheimniß von Sidoniens Liebe verrathen, um ihn für deren Wünsche zu gewinnen? — Es wäre um ihre Stellung geschehen gewesen, hätte der Herzog den eigentlichen Grund von Sidoniens Weigerung erfahren, indem man ihr wahrscheinlich den Vorwurf gemacht, die Prinzessin nicht besser behütet oder nicht früher schon die pflichtmäßige Anzeige von deren Zuneigung gemacht zu haben. Ein Aufgeben ihrer Stellung hieß auch, Sidonie der einzigen treuen Freundin, der sie unter den obwaltenden trüben Verhältnissen mehr denn je bedurfte, berauben.
So konnte und mußte sie schweigend mit ihr leiden, und war mit dem ganzen Aufwand ihrer treuen Liebe bedacht, Sidoniens gebrochenes Herz wieder aufzurichten und für das zu bringende Opfer zu kräftigen.
Obwohl der Graf, wie wir wissen, auf eine von dem Herzog gewünschte Werbung um Sidonie seit Jahren vorbereitet war und darum seinen Ansprüchen auf deren Besitz [S. 49] fast entsagt hatte, wurde er dennoch durch das Eintreten des vorgesehenen Falls viel tiefer erschüttert, als er es fürchtete. So lange ihn die Hoffnung noch belebte, seine Wünsche vielleicht einst erfüllt zu sehen, waren ihm die Tage in angenehmer Ruhe dahingegangen; jetzt jedoch, jäh geendet, forderten sie ihn zu den höchsten Seelenanstrengungen heraus, um sich Sidonien und dem herzoglichen Hofe gegenüber in seiner Resignation würdig zu behaupten.
Nachdem ihm des Prinzen Werbung bekannt geworden war, verstand es sich von selbst, daß auch sein Umgang mit Sidonien ein Ende hatte; dies verlangten die üblichen Formen. Er durfte darum jedoch seine Besuche an dem herzoglichen Hof nicht aufgeben, wollte er sein Interesse für die Prinzessin nicht verrathen. Von ihrer Weigerung, sich mit dem Prinzen zu vermählen, hatte er bereits Kenntniß erhalten, ohne daß er daraus irgend welche Hoffnung für seine Liebe schöpfen durfte. Zu gut kannte er des Herzogs Wünsche in Bezug auf Sidonie, um nicht überzeugt zu sein, daß diese für ihn nun auf immer verloren wäre.
Dunkle Stunden gingen an ihm vorüber, Stunden des mächtigen, inneren Kampfes und der Selbstbeherrschung, aus welchem er jedoch siegreich hervorging.
Niemand — Aurelie und Sidonie ausgenommen — gewann jedoch eine Ahnung von demselben, nur sein krankhaft-bleiches Aussehen und das trübe Auge ließen auf ein Leiden schließen, das der Graf auch auf Befragen [S. 50] nicht abläugnete, jedoch als eine vorübergehende Unpäßlichkeit bezeichnete.
Da nahte der Tag, an welchem er in gewöhnter Weise einen Besuch an des Herzogs Hof zu machen pflegte; er durfte nicht ausbleiben und fuhr darum nach der Residenz.
Er wurde von dem Herzog und dessen Gemahlin mit vermehrter Höflichkeit empfangen und ihm die bereits bekannte Nachricht von des Prinzen Werbung mit offener Freude mitgetheilt.
Er stattete dagegen dem herzoglichen Paar seine besten Glückwünsche ab, und es gelang ihm dies um so leichter, da er von dem Herzog vernommen hatte, daß Sidonie einer Unpäßlichkeit halber nicht erscheinen würde.
Er fürchtete von dem Wiedersehen der Letzteren in Gegenwart Anderer weniger für sich als für die Prinzessin, deren geringe Beherrschungskraft er kannte und daher auch mit Bestimmtheit erwarten mußte, sie würde nicht nur ihren Schmerz, sondern auch ihre Liebe zu ihm verrathen, was er zu ihrer eigenen und der Ruhe des Herzogs mit allen Kräften zu verhindern bedacht sein mußte.
Er athmete daher beruhigter bei der obigen Nachricht auf, zugleich erfreut, seinen Besuch abkürzen und sich dadurch der Beobachtung entziehen zu können. Denn sein Aussehen hatte die Herzogin bereits zur Nachfrage nach seinem Befinden veranlaßt.
Von der Nothwendigkeit überzeugt, Sidonien so viel als möglich Zeit zur Sammlung zu gestatten, ließ er eine [S. 51] längere Zeit dahin gehen, ehe er seinen Besuch wiederholte, und that dies erst dann, als er von dem Herzog die Nachricht von Sidoniens besserem Befinden erhielt.
An dem Hofe angelangt, erfuhr er von der Herzogin, die nur allein anwesend war, daß ihr Gemahl sich zu einem Nachbarfürsten zur Jagd begeben, so wie, daß Sidonie den Wunsch geäußert habe, ihn zu sprechen. Zugleich theilte sie ihm mit, daß sich dieselbe mit ihrer Gesellschafterin auf einem Gange durch den Garten befände, und stellte es seinem Belieben anheim, sie in gewohnter Weise daselbst aufzusuchen, oder deren Rückkehr im Schloß abzuwarten.
Nichts konnte dem Grafen in diesem Augenblick erwünschter sein, als die ihm gestattete Freiheit, Sidonie aufzusuchen; dankend nahm er dieselbe an und beeilte sich, die von der Prinzessin gern betretenen Wege zu erreichen, überzeugt, sie daselbst zu finden.
Seine Voraussetzung täuschte ihn nicht; bald entdeckte er sie an dem einsamen, nur von wildem Wassergeflügel bewohnten Weiher, ihr Lieblingsort, an dem er oft mit ihr verweilt hatte.
Schon aus der Ferne erkannte er ihr Gewand, das durch die Gebüsche schimmerte und ihm ihre Nähe verrieth. Laut klopfte sein Herz, so laut und ungestüm wie nie, und er blieb stehen, um sich zu sammeln. Dennoch däuchte ihm jeder Augenblick in der Ungeduld, Sidonie zu sehen, unendlich lang, und so kürzte er die Zeit der Sammlung [S. 52] ab und nahte sich ihr mit nichts weniger als zögernden Schritten.
Hatte ihn die Prinzessin an dem heutigen Tage erwartet, oder war es die gesteigerte Sehnsucht nach seinem Anblick, die ihre Sinne außerordentlich geschärft hatte — wer vermag das Seelenleben, namentlich innig Liebender, zu enträthseln — genug, sie errieth seine Annäherung, ehe sie noch seinen leisen Tritt zu vernehmen vermochte.
Erschreckt und zugleich freudig bewegt fuhr sie auf und unterbrach plötzlich die Unterhaltung mit Aurelien, indem sie das Haupt dem Nahenden zuwandte, und kaum hatte sie ihn erblickt, so streckte sie ihm zitternd die Arme entgegen, während sich die Worte von ihren Lippen stahlen: »Endlich, endlich!«
Ehe diese Worte noch verhallt waren, befand sich der Graf bereits an ihrer Seite, hatte ihre Hände ergriffen und blickte ihr mit nicht mehr zu beherrschender tiefer Bewegung in das blasse, schmerzerfüllte Antlitz.
Welche Veränderung hatten so wenige Tage in demselben hervorgerufen! — Wie ein vom Sturm geknicktes Rohr erschien die kurz vorher noch so lebensvolle, elastische Gestalt, schwach und hilflos.
Mit unendlich traurigen Augen, aus welchen jedoch auch zugleich volle liebende Hingebung sprach, schaute sie ihn an, seine bebenden Hände mit ihren feinen Fingern fest umfassend, und fragte in einem, des Grafen Seele schmerzvoll durchschneidenden, wehmüthigen Ton: »Sie wissen, Graf?« [S. 53] Dieser, keines Wortes mächtig und bemüht, das bebende Mädchen vor dem Niedersinken zu hüten, bejahte nur durch geringes Neigen des Hauptes.
Da erhob sie plötzlich das Antlitz zu ihm auf, schaute ihm mit unendlicher Liebe in die Augen, und rief in ausbrechendem Schmerz der Verzweiflung und unter einem ihren Augen entstürzenden Thränenstrom: »O, retten Sie mich, retten Sie mich!«
Mit diesen Worten sank sie gebrochen an seine Brust, an welcher sie das Haupt mit unbefangener Hingabe barg.
Gleich einem schuldlosen, schmerzbewegten Kinde ruhte sie in seinen Armen.
Aurelie eilte dem tief ergriffenen Grafen zu Hilfe, indem sie mit seinem Beistande Sidonie sanft auf dem Ruhesitz niederließ. Auch ihr fehlten die Worte, und nicht minder tief erschüttert, als der Graf, feuchteten Thränen ihre Wangen.
Sidonie verhehlte ihre Empfindungen nicht, sie vermochte es nicht. Ihrem namenlosen Leid gegenüber galt keine Zurückhaltung mehr, kein Verläugnen ihrer Gefühle, da galt nur die ewige Sprache der Natur und des vernichteten, schuldlosen Herzens.
Der Graf ließ sich neben ihr nieder, ergriff ihre Hand und drückte diese mit Innigkeit an die Brust, indem er in leisem zärtlichen Ton ihren Namen nannte. Mehr zu sprechen war ihm unmöglich.
O, welch ein unbeschreiblich süßes Lächeln rief sein Wort in Sidoniens Antlitz hervor; wie innig dankte ihm [S. 54] der Druck ihrer Hand für diese erste Gabe seiner Liebe.
»Ich wußt’ es wohl!« lispelte sie so leise und heimlich vor sich hin, daß kaum der Graf die Worte vernahm. »Ich wußt’ es, daß er mich liebt!« wiederholte sie.
In diesem Bewußtsein verloren, schien sie ihr trauriges Geschick vergessen zu haben und in der Seligkeit des Momentes aufzugehen. Darauf deutete der freudige Ausdruck ihres ein wenig gerötheten Antlitzes hin, das in diesem Moment wieder in der ganzen ehemaligen Lieblichkeit strahlte.
Der Graf, in der Erkenntniß der Nothwendigkeit, seinen Gefühlen kein Recht einzuräumen, und zugleich in dem Bewußtsein der Pflicht, durch sein Benehmen und seine Worte Sidoniens fast krankhafte Aufregung zu beschwichtigen, um zu einer ruhigeren Besprechung der unheilvollen Angelegenheit zu gelangen, bemühte sich mit allen ihm in diesem so erschütternden Augenblick zu Gebot stehenden Seelenkräften, Fassung zu gewinnen. Dies gelang ihm nach kurzem Kampf auch in der That so weit, daß er, wenngleich mit noch unsicherer Stimme, zu bemerken vermochte:
»Ich weiß, es bedarf meiner Versicherung nicht, wie innig ich mit Ihnen fühle, meine theuerste Sido — — Prinzessin.«
»O nein, o nein! Ich habe Sie ja im Geiste belauscht und Ihnen mein Leid geklagt, und Ihr bleiches Antlitz sagt mir, daß ich darunter nicht allein gelitten habe. [S. 55] O, ich wußte es ja!« fiel Sidonie mit wehmüthigem Ton ein und drückte ihm leise die Hand. »Und was rathen Sie mir, meinem traurigen Geschick zu entkommen?« fragte sie nach kurzem Zögern und hob das treue Auge zu ihm auf. Diese einfache, im Ton des vollsten Vertrauens gesprochene Frage erschütterte den Grafen im Gefühl seiner Machtlosigkeit, ihr helfen zu können, so tief, daß er vergeblich nach einer Antwort rang und erst nach längerer Pause mit leiser Stimme die Worte fand:
»O, wüßten Sie, wie tief und schmerzlich Ihre Frage mich berührt, und um so schmerzlicher, da ich mich unfähig fühle, Ihnen darauf eine befriedigende Antwort geben zu können! O, daß ich es nicht vermag, statt mit Worten, mit der That darauf zu antworten, zerreißt mir die Seele!« —
»So muß ich also dem Willen meines Vaters folgen?« fragte Sidonie rasch und ängstlich in seinem Antlitz forschend.
Die Zustimmung zu dem Unheil der Geliebten und seines eigenen geben zu müssen, rücksichtslos gegen die Stimme des Innern, die sich mit der ganzen Kraft der Liebe, mit dem heißen Wunsch, den Geliebten zu beglücken, in uns erhebt, ist ein Schmerz, dem auch der Stärkste erliegt.
So geschah es auch dem Grafen; er fühlte sich unfähig, das bejahende Wort über die Lippen zu bringen, so sehr er auch überzeugt war, daß es ihm nicht erlassen sein würde. Innig drückte er Sidoniens Hand, während er [S. 56] heftiger athmete und, den Blick von ihr abgewandt, sich bemühte, das letzte, schreckliche Wort auszusprechen, das sie auf immer von ihm trennen mußte.
Aengstlich hing sie an seinem Auge, ängstlicher noch lauschte sie auf seine Antwort, und statt durch sein schmerzliches Schweigen auf seine Zustimmung hingewiesen zu werden, deutete die Unglückliche dies vielmehr als ein Hoffnungszeichen, daß der Freund ein Mittel zu ihrer Rettung besäße, und darum fragte sie hastig:
»Nicht wahr, ich darf es nicht; Sie , Sie werden es nicht zugeben?!«
Leise schüttelte der Graf das Haupt.
»Wie, Sie verneinen das? Sie besitzen kein Mittel zu meiner Rettung?!« rief Sidonie angstvoll, seine Hand fast krampfhaft umfassend.
O, welche unheilvollen, die Seele vernichtenden Augenblicke gingen über diese Menschen hin, über diese Menschen, so edel, so gut und zu dem schönsten Lebensglück berechtigt! Was war der reichste irdische Glanz gegen so schöne herrliche Vorzüge der Seele, und wie wenig vermochten diejenigen deren Werth zu begreifen, die nicht zauderten, sie dem äußeren Prunk und fürstlichem Ansehen zum Opfer zu bringen!
Und dennoch, dennoch, wie oft wiederholt sich Aehnliches im Leben, und dennoch, dennoch, wie oft wird der reine Seelenadel und das ganze Glück des Lebens den äußeren Vortheilen, dem eiteln, leicht verwehenden Schaum eines prunkvollen Daseins hingegeben! [S. 57] Ueberzeugt, daß er Sidonie nicht zu retten vermochte, wollte er sich nicht gewaltsamer Mittel bedienen, die sein Ehrgefühl niemals gebilligt hätte, erkannte der Graf auch die Nothwendigkeit, die ihm durch die Gunst des Zufalls gebotene so günstige Stunde im Interesse Sidoniens benutzen zu müssen.
Er durfte auf eine Wiederkehr derselben nicht hoffen, und so war er entschlossen, das entscheidende Wort zu sprechen, um ihrem Herzen die letzte Täuschung und Hoffnung zu nehmen, damit sie sich ihrem Schicksal geduldig unterwarf. Er war von der Ueberzeugung durchdrungen, daß seine Worte eine tiefe Wirkung auf sie ausüben würden, und so faßte er sich gewaltsam und entgegnete mit sanfter, liebevoller Stimme:
»Sie haben mich bisher, meine theure Prinzessin, mit dem Namen eines Freundes beehrt, und — ich bin bemüht gewesen, denselben zu verdienen. — Sie wenden sich an diesen Freund um Hilfe. — Wäre ich mächtig genug, Ihnen dieselbe gewähren zu können, ich würde glücklich sein, ja mit Freuden gäbe ich Leben und Gut dahin, könnte ich dadurch Ihren Wunsch befriedigen. — Wie die Verhältnisse liegen, würde mein Wort bei Ihrem Vater machtlos verhallen und müßte Ihre Lage nur noch verschlimmern. — — So bliebe uns nur noch der Weg der Gewalt übrig, und so willig ich mein Leben Ihrem Wohl opfern würde, so wenig vermag ich Ihre und meine Ehre preiszugeben, mit deren Verlust oder Befleckung ein Gewaltact verbunden wäre.« [S. 58] »Ich weiß, Sie stimmen darin mit mir überein und weisen denselben, gleich mir, von sich. In den hellen Jubelton des Glücks würde stets und stets der Mißlaut schmerzender Vorwürfe und befleckter Ehre dringen und uns jenes reinen Genusses berauben, der unserm Charakter eine Nothwendigkeit ist.«
»Nicht wahr, Sidonie, theure Freundin, Sie theilen meine Ansicht?« fragte der Graf.
Statt jeder Antwort neigte Sidonie zustimmend das Haupt und drückte ihm leise die Hand.
Darauf fuhr der Graf mit weniger sicherer Stimme fort:
»So muß der Schritt gethan werden, den Ihr Vater von Ihnen fordert.« —
Die Prinzessin zuckte zusammen und ihr Haupt sank auf die Brust.
Der Graf hatte die obigen Worte fast gewaltsam hervorgepreßt, da es ihm so unendlich schwer wurde, sie auszusprechen, was doch geschehen mußte; nach einigen Augenblicken bemerkte er in gefühlvollem Ton:
»Herzen, die sich wahrhaft lieben, sind auf ewig mit einander vereint, mögen sie auch durch irgend welche Verhältnisse, durch Entfernungen oder die äußere Lebensstellung geschieden sein. So denke ich, meine Freundin, und bin überzeugt, Sie theilen meine Ansicht. O, glauben Sie mir, kein Herz ist unglücklich, das liebt und wieder geliebt wird. Denn begegnen sich in dem Bewußtsein der Gegenliebe nicht die Seelen der Liebenden; [S. 59] führt sie die Erinnerung nicht zu einander und läßt sie an ihren Freuden wie an ihrem Leid Theil nehmen, und ist diese Theilnahme nicht die reinste, höchste und edelste Liebe, die der Mensch für den Menschen hegen kann? — O gewiß, gewiß! Und kann uns dieses kostbare Geschenk des Himmels nicht so Vieles, Vieles ersetzen? Entbehren und Entsagen, das ist unser allgemeines Schicksal, vor welchem auch selbst die goldene Fürstenherrlichkeit nicht schützt, das ist der Grundton des Lebens, eines Lebens, das einen grellen Widerspruch seiner Bedeutung in sich trägt, indem es uns auf seinen unruhigen Wogen in das Meer der Vernichtung führt. — Wo sollen wir da Trost finden, wenn nicht in der Religion der Liebe? — Sie gießt erquickliche Ruhe in das bekümmerte Herz, und die schmerzvolle Thräne der Entsagung trocknet das himmlische Bewußtsein beglückender Gegenliebe.« —
Von seinen Empfindungen übermannt, schwieg der Graf, ohne daß er es wagte, den Blick auf Sidonie zu richten. An dem innigen Druck ihrer Hand erkannte er jedoch ihre Beistimmung zu seinen Worten und fühlte sich dadurch beruhigt.
Da Sidonie schwieg und auf weitere Worte von ihm zu harren schien, so fuhr der Graf fort:
»Jeder große Schmerz erweitert unsern Blick und läßt ihn uns auf das unendliche Weltenleben richten, und indem uns dasselbe verständlicher wird, wird es auch das eigene Leben, gewinnen Lust und Leid eine andere Bedeutung, indem wir uns dem großen Ganzen gegenüber [S. 60] erblicken, das uns nöthigt, verzichtend unsere Wünsche und Forderungen zu beschränken.«
»Wohl weht diese Erkenntniß kältend über unser Herz und fordert unsere ganze Seelenkraft heraus, das Unvermeidliche geduldig zu tragen; die Nothwendigkeit läßt uns jedoch keine Wahl, und glücklich der, der sich schon früh mit ihr bekannt machte und sich ihr unterwarf. Diese Seelenkraft, meine theure Prinzessin, besitzen Sie, ich weiß es, und wenn Sie auch, so ungeahnt herausgefordert, von dem Unvermeidlichen überwältigt wurden, so wird sich dennoch Ihr gebeugter Geist wieder erheben und vor dem Opfer nicht zurückbeben, das die Verhältnisse von Ihnen fordern, und so werden Sie auch in dem erhebenden Bewußtsein, dies dem Glück Ihrer Eltern zu bringen, den schwersten Schritt des Lebens thun. Sie werden ihn thun, erhoben durch die Religion der Liebe.«
Der Graf schwieg, der ungeheuern Anstrengung erliegend, die eine so große Selbstverläugnung von ihm forderte und deren nur ein so kräftiger, willensstarker Charakter, wie der seinige, fähig war. Nur auf Sidoniens Beruhigung bedacht, sie mit Kraft für die nahenden bedeutsamen Stunden zu erfüllen und ihr aus allem Unheil wenigstens den Trost der Liebe zu retten, hatte er sein eigenes Interesse ganz und gar aufgegeben. Nicht der Geliebte mehr, sondern der rathende Freund allein sprach zu ihr. Wie unbedeutend däuchte ihm sein Leid dem ihrigen gegenüber; er hatte sich darauf schon lange vorbereitet, sie war ahnungslos davon betroffen worden [S. 61] und mußte — ein Gedanke, unter welchem sich seine Seele schmerzvoll krümmte — nicht nur ihrem Liebesglück entsagen, sondern obenein einem ungeliebten Manne angehören.
Doch er wehrte diese bedrängenden Gedanken kraftvoll von sich ab, um den gewünschten Zweck zu erreichen; und seine Bemühungen waren nicht vergeblich.
Sidonie hatte seinen Lippen jedes Wort abgelauscht, das tief in ihre Seele drang, und wenn auch ihr heißliebendes Herz nur schwer von der Hoffnung ließ, mit dem Grafen das Glück der Liebe zu theilen, enthielt dennoch der Gedanke, in dieser Liebe mit ihm auf immer vereint zu sein, zu viel Beglückendes, um nicht ihre Seele zu trösten und zu erheben und die Nacht ihrer Schmerzen mit strahlendem Licht zu durchleuchten.
Und je länger der Graf sprach, um so überzeugender wirkten seine Worte auf sie und führten sie zu der Erkenntniß ihres unvermeidlichen Geschicks. Seine Aussprüche waren ihr heilig, doppelt heilig, da ihr eigenes Leid sie seinen Schmerz nicht übersehen ließ und ihre Seele sich dadurch zur vermehrten Achtung und Liebe des Geliebten hingezogen fühlte. Vermochte er so stark und willenskräftig zu sein, so sollte er sich in Bezug auf ihre moralische Kraft nicht getäuscht haben.
Aber, während diese Erwägungen ihre Seele durchflogen, rannen ihre Thränen immer reicher und reicher. Die gefalteten Hände in dem Schooß geborgen, das liebliche Haupt geneigt, saß sie da, demüthig und ruhig, gleich [S. 62] einem Kinde, das sich mit Engelsgeduld in das Verlangte fügt.
Niemand von ihnen sprach ein Wort; eine heilige Stille umgab sie, die Keiner zu unterbrechen wagte.
Nach einer längeren Pause erhob Sidonie das Haupt und schaute den Grafen mit ruhigem, jedoch von Thränen umhülltem Blick an, ergriff seine Hand, drückte sie sanft, indem sie mit leiser Stimme und anscheinend ruhig und fest bemerkte:
»Sei es denn so, wie Sie sagten. Ich weiß, es kann nicht anders sein, da Sie es sagen.«
Sie hatte diese Worte hastig gesprochen und schien denselben noch andere hinzufügen zu wollen; als sie jedoch in das bleiche, schmerzerfüllte Antlitz des Grafen blickte, schwieg sie plötzlich, ihr Auge leuchtete in Liebe, und von der inneren Bewegung übermannt, lehnte sie das Haupt an seine Schulter und weinte.
Der Graf hatte diesen Blick vollster Liebe nur zu wohl verstanden; er hatte errathen, daß das, was ihrem Herzen vorher Leidenschaft und Schmerz abgerungen, das Geständniß ihrer tiefen Liebe, die jungfräuliche Scheu jetzt nur noch in dem Blick zu wiederholen vermochte. In diesem Blick lag das Bekenntniß, ihm ewig, ewig in Liebe angehören zu wollen.
So groß Aureliens Theilnahme auch für die Unglücklichen war, hatte sie dennoch die Vorsicht nicht vergessen, ihre Freunde vor einer Ueberraschung, die unter den obwaltenden Umständen sehr gefährlich werden mußte, zu behüten. [S. 63] Glücklicher Weise nahte sich Niemand, und so gewannen sie Zeit zur Sammlung und konnten sich zur Rückkehr zu der Herzogin, die nun bald erfolgen mußte, vorbereiten. Stets für das Wohl ihrer geliebten Freunde sorglich bedacht, that Aurelie den Vorschlag, sich nach einem von Allen gern besuchten Hügel zu begeben, um unter den laubigen Bäumen daselbst dem bald erfolgenden Sonnenuntergang beizuwohnen.
Sie that diesen Vorschlag in der Absicht, Sidonie zu zerstreuen und den oben bezeichneten Zweck zu erreichen.
Der Graf, Aureliens wohlgemeinte Absicht sogleich errathend, stimmte ihr bei, und auch Sidonie nickte und reichte ihm willig den Arm und ließ sich von ihm dahin führen.
Sie hing sich fest an ihn, als ahnte sie, daß es das letzte Mal war, in so inniger Verbindung und Hingabe mit ihm zu leben.
Langsam und schweigend schritten sie dahin, während Aurelie sich bemühte, ihre Sinne und Gedanken auf die Gegenstände außer ihnen zu lenken, jedoch mit nur geringem Erfolg, wie das eben nicht anders sein konnte.
Oft und oft blieb Sidonie stehen und es schien, als ob sie sprechen wollte; doch that sie es nicht, sondern schaute den Grafen nur an und schritt dann still und langsam weiter.
So gelangten sie endlich zu dem Hügel und zwar in dem Augenblick, als die Sonne sich neigte. O, war dieses Scheiden nicht ein Bild ihres Liebesglücks! Es war es [S. 64] und war es doch auch nicht; denn die Sonne kehrte bald in erhöhtem Glanz zurück, während das Gestirn ihres Glücks auf immer in dem düstern Gewölk der Entsagung unterging. Sie empfanden das nur zu wohl, und der schmerzvolle Blick, den sie mit einander austauschten, verkündete ihr Einverständniß. Die Etikette verlangte, noch vor dem völligen Eintreten der Dunkelheit in das Schloß zurück zu kehren, und, von Aurelien daran erinnert, erhob sich Sidonie seufzend. Langsam schritten sie dem Schloß zu, während nur wenige Worte gewechselt wurden.
In der Nähe des ersteren angelangt, blieb Sidonie stehen, schaute den Grafen liebevoll an und bemerkte:
»Ich sprach vor Ihrer Ankunft gegen Aurelie einen lebhaften Wunsch aus, dessen Erfüllung von Ihnen abhängt; o, weisen Sie meine Bitte nicht zurück!«
»Wie sollte ich, meine theure Freundin?! Beglückt mich doch der Gedanke so innig, Ihnen einen Wunsch erfüllen zu können!« entgegnete der Graf, sichtlich erfreut.
Sidonie drückte ihm die Hand und bemerkte mit bewegter, leiser Stimme:
»Wohl leben die Bilder unserer Lieben in der Seele fort und fort, von der Liebe gehegt und gepflegt; aber ich glaube, die Erinnerung allein genügt dem Herzen nicht, und mich beängstet die Furcht, die Zeit und veränderte Lebensverhältnisse könnten die ersteren leicht schwächen, ja vielleicht sogar verwischen, so daß die lieben Bilder uns am Ende ganz aus der Seele scheiden. — O, wie schrecklich müßte das sein! Wie muß es uns daher trösten und [S. 65] beglücken, unser Auge auf das Bild treuer Freunde richten und das Herz an den wohlbekannten und geliebten Zügen erfreuen zu können. — Meinen Sie nicht auch?« — endete sie, indem sie ihn, sanft erröthend, anschaute.
Der Graf hatte sie nur zu wohl verstanden und beeilte sich zu entgegnen:
»Gewiß, gewiß, und gesegnet sei die Kunst, der wir diesen Trost und die Freude verdanken, durch süße Täuschung die entbehrte Wirklichkeit ersetzen zu können!«
»O, wie sehr freue ich mich darauf!« lispelte Sidonie.
»Und darf ich diese Freude theilen?« fragte der Graf mit Betonung, ihre Hand drückend.
»Sie wünschen es?« fragte Sidonie erfreut und verschämt.
»Bedarf es meiner Versicherung?«
»O, nein, o, nein! und ich gestehe Ihnen, Ihr Wunsch erfreut mich auf das Innigste. Weiß ich doch nun, daß Ihr Auge bisweilen die Züge der Freundin suchen wird, um — um sich ihrer zu — erinnern,« fiel Sidonie wehmüthig ein.
In der Ferne ließ sich in diesem Augenblick ein Kammerdiener sehen, der auf dem Weg zu ihnen und wahrscheinlich von der Herzogin abgeschickt worden war, die Prinzessin mit dem Gast nach dem Schloß einzuladen; es war daher die schnellste Sammlung nothwendig, wollten sie sich nicht verrathen und in der erforderlichen unbefangenen Stimmung der Herzogin gegenüber treten.
Aurelie begann sogleich ein Gespräch, an welchem die [S. 66] Prinzessin und der Graf, so viel es ihnen ihre Empfindungen gestatteten, Theil zu nehmen sich bestrebten.
Sidonie, von der Aussicht auf das Innigste beglückt, in den Besitz von des Grafen Portrait zu gelangen und wenigstens in solcher Weise einen Ersatz für das verlorene Glück zu erhalten, war ruhiger geworden, und über das bleiche, wehmüthige Antlitz hatte sich ein Zug stiller Freude gebreitet. Ohne eine Ahnung der Leiden, welchen sie entgegen ging, war dieser Gedanke schon hinreichend, ihr Herz mit sanftem Trost zu erfüllen.
Und so geschah es, daß sie der Herzogin ziemlich gesammelt entgegentrat und diese sie mit sichtlichem Wohlgefallen darüber empfing.
Eine Stunde ging ihnen in der Unterhaltung dahin, an der sich die gesprächige Herzogin und Aurelie vorzugsweise betheiligten; alsdann schied der Graf, und zwar mit der schmerzlichen Gewißheit, Sidonie in der nächsten Zeit nicht zu sehen, da die Herzogin ihren baldigen Besuch an dem fürstlichen Hofe angedeutet hatte.
Ungefähr eine Woche nach des Grafen Besuch trat der Herzog die beabsichtigte Reise an. Auf den Wunsch des Fürsten beeilte er dieselbe, da er überdies die [S. 67] ruhigere und ergebenere Stimmung der Prinzessin in seinem Interesse benutzen zu müssen glaubte. Nach der letzten Unterredung mit dem Grafen hatte Sidonie sich nämlich bereit erklärt, dem Verlangen ihres Vaters nachzukommen, so wie sie sich seit diesem Augenblick allen Anordnungen in dieser Angelegenheit willenlos unterwarf. Diese so sehr gewünschte Aenderung erfreute den Herzog auf das Höchste, und von der Voraussetzung erfüllt, daß das bewegte Leben an dem fürstlichen Hofe und die neue, so glänzende Stellung, welche Sidonie einnehmen sollte, ihren guten Einfluß auf diese bestimmt ausüben würden, blieb ihm die Ahnung von dem schmerzlichen Verzicht fern, zu welchem sich die Prinzessin entschlossen hatte. Um so mehr beglückte ihn daher der Gedanke, in so erwünschter Weise für sie gesorgt zu haben.
Die glänzendste Aufnahme wurde dem herzoglichen Paar an dem fürstlichen Hofe zu Theil; ebenso war der Eindruck, den Sidonie auf den Fürsten und Prinzen hervorrief, ein durchaus vortheilhafter. Die Prinzessin erschien als ein schüchternes, anspruchsloses Mädchen; denn seit dem Entschluß, die Gemahlin des Prinzen zu werden, war eine wesentliche Umwandlung mit ihr vorgegangen. Die ehemalige Jugendheiterkeit und reizende Unbefangenheit, die Regsamkeit ihres Geistes und ihr lebhaftes Gefühl waren einer ruhigen Ergebung gewichen. Da sie ihr Geschick nicht zu ändern vermochte, waren auch alle das Herz belebenden Wünsche erstorben und sie nur noch ein [S. 68] schüchternes, befangenes Mädchen, von dessen geistigen und sittlichen Schätzen man nicht das Geringste ahnte.
Dies war namentlich in Bezug auf den Prinzen und dessen Oheim der Fall, die, wie wir gleichfalls erfahren haben, von Sidoniens eigentlichem Charakter und sittlichen Vorzügen keine richtige Vorstellung gewonnen und sie für das nahmen, als was sie erschien. Man würde sich jedoch in der Voraussetzung täuschen, daß sie dadurch unangenehm berührt worden wären; im Gegentheil erschien ihnen dieser Mangel hervorragender geistiger Befähigung und Sidoniens Anspruchslosigkeit als ganz besondere Vorzüge, die ihren Wünschen und dem Charakter des Prinzen durchaus entsprachen.
So erfolgte denn die Verlobung unter großem Gepränge, und die Freunde des Prinzen, welche den Festlichkeiten beiwohnten, wünschten diesem wegen der schönen und schüchternen Braut, die eine vernünftige, das heißt duldsame, Gemahlin erwarten ließ, von Herzen Glück. Sie vergaßen sich jedoch dabei selbst nicht; denn sie sagten sich, daß von einem so anspruchslosen Mädchen, wie Sidonie, im Hinblick auf ihren späteren möglichen Einfluß auf den Prinzen nichts zu befürchten wäre, und sie demnach mit Sicherheit auf dessen ungeschmälerten Umgang rechnen dürften. So schien man sowol im Besondern als Allgemeinen mit der Wahl der künftigen Fürstin sehr zufrieden gestellt zu sein.
Und die unglückliche Sidonie — Der von dem Herzog mit Bestimmtheit erwartete günstige Eindruck, den des [S. 69] Prinzen Persönlichkeit auf seine Tochter ausüben sollte, blieb aus, wie er bald zu bemerken Gelegenheit fand. Ja, er erkannte, daß, so wenig Interesse Sidonie für das Portrait des Prinzen gezeigt hatte, dies fast noch weniger für das Original selbst geschah. Pflichtete sie ihrem Vater auch bei, daß der Prinz in körperlicher Beziehung sehr bevorzugt sei, so verhehlte sie ihm auch zugleich nicht, daß der sinnliche Ausdruck seines Wesens sie doch von ihm abstieß, indem der Mangel edlerer Empfindungen, der sich darin äußerte, sie unangenehm, ja fast verletzend berührte. Mehr noch als dies Alles verletzte sie jedoch der mehr als freie Ton, in welchem er mit ihr verkehrte und der in des Fürsten Umgebung widerklang.
Der Herzog bemühte sich, sie in dieser Beziehung zu beruhigen, indem er den ungezwungenen Umgangston des Hofes als allgemein verbreitet bezeichnete, und sie aufmerksam machte, daß daher nicht der Prinz, sondern sie selbst die Ursache ihrer Verstimmung wäre. Er sprach zugleich die Erwartung aus, daß sie sich bald daran gewöhnen und Geschmack finden würde, indem er sie zugleich erinnerte, wie es nun ihre Pflicht sei, sich in das ihr allerdings neue Leben zu finden.
Sidonie nahm diese Vorstellungen schweigend hin; sie sagte sich, wie vergeblich es sein würde, ihren Vater zu überzeugen, wie wenig sie sich geneigt und befähigt dazu fühlte, und daß sie die von ihm bezeichnete Pflicht vielleicht niemals oder doch nur mit großer Ueberwindung würde erfüllen können. [S. 70] Was würden auch ihre Einwendungen den obwaltenden Verhältnissen gegenüber gefruchtet oder ihr irgend welche Vortheile verschafft haben? — Die Verlobung war erfolgt, die Vermählung innerhalb drei Monaten festgesetzt; der Schritt konnte also nicht mehr zurück gethan werden, und so erachtete sie es für das Ersprießlichste, dem Künftigen mit Geduld und schweigend entgegen zu gehen.
Wenngleich sie zu diesem Vorsatz gelangt war, so konnte es doch nicht ausbleiben, daß sie ihre Besorgnisse Aurelien, die sie nach dem fürstlichen Hof begleitet hatte, vertraute und mit ihr das im Lauf ihrer Anwesenheit daselbst Erfahrene besprach.
Fräulein von Ketten, deren feiner Sinn in ähnlicher Weise wie Sidoniens Zartgefühl von dem Leben am Hofe verletzt worden war, sah sich leider genöthigt, der Freundin beizupflichten, bemühte sich jedoch auch zugleich, sie in dieser Beziehung zu beruhigen und sie aufmerksam zu machen, daß sie als die Gemahlin des künftigen Thronerben ihre Wünsche und Neigungen würde geltend machen können, und daher die Gestaltung ihres künftigen Lebens in ihre Hand gegeben sei.
Dieser Voraussetzung pflichtete Sidonie um so leichter bei, da sie in dem beruhigenden Glauben lebte, daß dies ihr gutes Recht sei, welches sie dereinst auch zu beanspruchen gesonnen war.
Lag in diesem Gedanken eine wohlthuende Beruhigung für Sidonie, so hatte die erfahrenere und schärfer blickende [S. 71] Freundin doch nur zu bald erkannt, welcher zweifelhaften Zukunft Sidonie entgegen ging. Daß der Prinz weder Hochachtung noch eine zartere Neigung für die Letztere hegte, entging ihrem Blick nicht, und ebenso war sie mit der niederschlagenden Ueberzeugung erfüllt worden, daß ein Charakter wie der des Prinzen mit seinen Neigungen niemals oder kaum zu edleren Empfindungen für die Prinzessin geführt werden würde.
Daher sah sie, abgesehen von Sidoniens Verzicht auf ihre Liebe, mit Bangen in die Zukunft; machtlos, der Freundin Geschick zu ändern, blieb ihr nur das Gebet für das Wohl der Geliebten.
Sie war jedoch vorsichtig genug, Sidonien ihre Besorgniß zu verschweigen, um jede Unruhe von ihr fern zu halten und sie zu befähigen, dem Künftigen mit der erforderlichen Sammlung entgegen gehen zu können.
Sie fand einen besondern Trost in der Gewißheit ihrer Freundin auch in ihrer neuen Lage zur Seite stehen zu dürfen; denn auf den ausdrücklichen Wunsch der Prinzessin war dieser gestattet worden, Aurelie als eine ihrer Hofdamen an des Fürsten Hof mitbringen zu dürfen.
Nach einem fast vierzehntägigen Aufenthalt verließ der Herzog mit Sidonien den Hof und kehrte in seine Residenz zurück, und es begannen nun die zu der Ausstattung der Prinzessin erforderlichen Arbeiten, welche das herzogliche Paar ganz besonders in Anspruch nahmen.
Mit frohem Herzen begrüßte Sidonie die Heimath, die ihr im Hinblick auf ihr baldiges Scheiden doppelt [S. 72] theuer war und die ihr mit verdoppelten Reizen erschien, da sie dieselbe so lange hatte entbehren müssen. Tiefer denn jemals fühlte sie, daß ihr Platz im Leben nicht an einem rauschenden, durch Formenwesen und dem Zwang der Etikette belebten Hof sei, sondern in bescheideneren Verhältnissen, in welchen jedoch die Schönheit der Natur, eine edle Freiheit und die einfache Sprache der Wahrheit und des Herzens galt, über welche die Alles verklärende Liebe ihren glänzenden Schimmer ausbreitete.
Kaum in der Heimath angelangt, eilte sie mit Aurelien in den Garten, um sich der wieder gewonnenen Freiheit und des so beliebten Naturgenusses zu erfreuen. Sie sah sich jedoch in ihren frohen Erwartungen getäuscht; denn was dieser Umgebung früher einen so kostbaren Reiz verliehen hatte, fehlte ja: das Glück der Liebe.
Anders erschien ihr das Bekannte, Beliebte; anders erschien sie sich selbst; verändert däuchte ihr das ganze Leben.
Und so tönte kein freudiges Wort von ihren Lippen, als sie wie einst den Garten durchschritt; traurig und stumm saß sie am Weiher nur kurze Zeit, um, von innerer Unruhe getrieben, weiter zu eilen, in den Wald, auf den Hügel, auf welchem sie einst mit ihm der Sonne Scheiden stumm und schmerzvoll an dem feuchten Auge vorüber gleiten sah.
Und sie seufzte still vor sich hin: »Dahin, dahin, auf immer dahin!«
Länger denn eine Woche war nach ihrer Rückkehr [S. 73] verstrichen, ohne daß der Graf erschien, wie sie das erwartet hatte, und mit jedem neuen Tage steigerte sich ihre Sehnsucht, ihn endlich nach so langer, langer Zeit wieder zu sehen, ohne daß dieselbe jedoch befriedigt wurde. Des Grafen Fernhalten betrübte sie tief, mehr jedoch noch die Ungewißheit, in welcher sie über sein Leben schwebte. Allerlei beängstigende Sorgen quälten sie und raubten ihr die so nothwendige Ruhe, so daß sie darunter körperlich litt. Schon öfter hatte sie Aurelie gebeten, sich um Nachricht über den Grafen zu bemühen, ohne daß diese mehr zu thun vermochte, als bei des Letzteren Bekannten Erkundigungen nach ihm einzuziehen, die Sidonie nicht zu befriedigen vermochten.
Ohne daß die Letztere etwas erfuhr, langte durch einen geheimen Boten in dieser Zeit ein Billet von Römer an Aurelie an, in welchem er ihr mittheilte, daß er zu der schmerzlichen Ueberzeugung gelangt sei, daß es besser sei, Sidonie nicht mehr wieder zu sehen, da er dies für ihre Ruhe als durchaus nothwendig erachtete; Aurelie sollte ihn daher nicht erwarten. Er trug dieser zugleich auf, viele Grüße an Sidonie zu bestellen und als Grund seines Fortbleibens eine weitere Reise zu bezeichnen, die er im Interesse seiner Familie habe antreten müssen. Zu welcher Zeit seine Rückkehr erfolgen würde, sei er nicht im Stande zu bestimmen. Hinsichts des von der Prinzessin gewünschten Portraits sprach er die Meinung aus, daß es vielleicht geeigneter sei, Sidonie dasselbe erst nach ihrer Vermählung einzuhändigen. Zugleich vertraute er [S. 74] der Freundin an, daß, nachdem er zu dem Entschluß gelangt, Sidonie in den ersten Jahren nicht wieder zu sehen, er sich vorläufig nach Paris begeben würde, um von hier aus eine weitere Reise, die ihn voraussichtlich mehrere Jahre von der Heimath fern halten würde, anzutreten. Dies sollte Sidonien jedoch ein Geheimniß bleiben. Er bat Aurelie, ihm zu schreiben, bemerkte aber auch zugleich, daß er es von ihrem Wunsch abhängig mache, ob er ihr später wieder Mittheilungen zugehen lassen sollte. Den Grund dazu bezeichnete er in der Voraussetzung nicht näher, daß Aurelie denselben errathen würde.
Diese wurde durch den Inhalt des Schreibens kaum überrascht; der besondere Charakter des Grafen und sein Fernbleiben hatten sie ein solches Handeln bereits voraussehen lassen.
Sie billigte dasselbe nicht nur mit vollster Ueberzeugung, indem sie dessen Nothwendigkeit erkannte, sondern bewunderte auch die große Selbstverläugnung, die der Graf zu Gunsten der Prinzessin beobachtete.
Jedes Wiedersehen mußte nachtheilig auf die Letztere wirken, indem es zu dem Schmerz auch noch das gesteigerte Verlangen nach des Geliebten Besitz gesellte. Neue, schmerzvolle Kämpfe wären dadurch in Sidonien hervorgerufen worden, deren Folgen nicht zu berechnen waren und ihr den unvermeidlichen Schritt wesentlich erschwert hätten. Die Möglichkeit, ihn noch vor ihrer Vermählung wiederzusehen, mußte sie dagegen beleben, wenn [S. 75] die Gewißheit, daß dies in Jahren nicht stattfinden würde, ihr armes Herz vollständig niedergebeugt hätte.
Auch in Bezug auf die Einhändigung des Portraits, das dem Schreiben beigefügt war, theilte Aurelie des Grafen Ansicht, freilich mit dem nahe liegenden Bedenken, daß Sidoniens Gemüthszustand sehr leicht und wahrscheinlich bald eine Aenderung seiner Bestimmung erfordern würde.
Sie händigte dem Boten eine ausführliche Antwort an den Grafen ein, in welcher sie ihm nicht nur ihre Zustimmung zu seinen Entschlüssen und Maßnahmen, sondern auch ihre dankbare Bewunderung für seine so edle Selbstverläugnung aussprach. Ueber die an dem Hofe des Fürsten gemachten Beobachtungen betreffs des wenig empfehlenden Charakters des Prinzen schwieg sie, um den Grafen nicht noch tiefer zu betrüben und zugleich in der Voraussetzung, daß er in dieser Beziehung wohl besser unterrichtet sein würde, als sie selbst. Denn es darf kaum bemerkt werden, daß man sich wohl hütete, einer Hofdame der Prinzessin Anderes als nur Lobenswerthes über den schönen Prinzen, den Abgott der Frauen, mitzutheilen.
Aurelie täuschte sich in dieser Voraussicht durchaus nicht. Der Graf, obwol seit längerer Zeit den Hof seines Fürsten meidend, dessen Ton ihm nichts weniger als zusagte, stand dennoch durch seine daselbst oder in dessen Nähe lebenden Verwandten mit demselben in einem ziemlich regen Verkehr, und so konnte es nicht fehlen, daß er auch [S. 76] mit des Prinzen leichtsinnigem Leben genügend bekannt gemacht wurde. Die Gewißheit von dem geringen sittlichen Gehalt des Letzteren, der für ihn früher nur höchstens sein politisches Interesse beansprucht hatte, war jetzt ein Grund kummervollster Sorge geworden, welche den Schmerz der Entsagung nur noch erhöhen mußte.
Wäre Sidonie die Gemahlin eines achtungswerthen Fürsten geworden, so würde er leichter auf ihren Besitz verzichtet haben; jetzt jedoch von der Ueberzeugung erfüllt, daß der Prinz niemals Sidoniens Werth erkennen und daher auch nie auf ihr Glück bedacht sein würde, litt sein Herz tausendfach mehr. Darum war er rasch zu dem Entschluß gelangt, fern von der Stätte, an welcher er sein Liebesglück begraben wußte, die Zeit und das Geschick walten zu lassen und seinen Schmerz in abgeschiedener Fremde auszukämpfen. Wenige Tage nachdem er Aureliens Mittheilung erhalten hatte, begab er sich zu einem entfernten Verwandten und von diesem später nach Paris.
Aurelie entledigte sich ihres Auftrages gegen Sidonie mit großer Vorsicht und treu der ihr von dem Grafen gegebenen Rathschläge.
»So ist mir denn auch die einzige Freude geraubt, die mir noch geblieben und auf welche mein Sehnen und Hoffen gerichtet war!« — entgegnete Sidonie, durch das Vernommene schmerzlich überrascht. »Doch ich darf nicht klagen; denn ich habe ja kein Recht dazu. — Ja, ja, er sprach leider nur die volle Wahrheit. Entbehren [S. 77] und Entsagen, das ist das allgemeine Loos der Menschen, und ich muß mich bemühen, diese Wahrheit anzuerkennen, indem ich mich ihr geduldig unterwerfe. — Ich fühle es nur zu wohl,« fuhr sie nach kurzem sinnenden Schweigen fort, »welchen Entsagungen ich entgegen gehe, und wie nothwendig es ist, mich schon zeitig daran zu gewöhnen.« — Wieder schwieg sie und schaute gedankenvoll vor sich hin; alsdann bemerkte sie in wehmüthigem Ton: »Eine wunderbare, unergründliche Welt! Alle Geschöpfe in der Natur scheinen sich eines ungetrübten Glücks zu erfreuen und folgen froh den inneren Trieben; nur das höchste, edelste Geschöpf, der Mensch, schafft sich Qualen und Sorgen, Leid und Verzweiflung, indem er seinen Willen über die Gesetze der liebenden Natur stellt. Ich vermag das nicht zu verstehen, und forsche vergeblich nach den Gründen, warum der Mensch das wahre, einzige Glück des Lebens einem eingebildeten und nur mit schmerzvollen Opfern erkauften vorzieht, das ihm am Ende doch keine Befriedigung gewährt.« —
»Wer vermöchte Deine gewiß schon häufig ausgesprochenen Gedanken zu beantworten! Vergebens haben sich die Weisen darum bemüht, und alle Weisheit lief endlich auf den einen Satz aus, daß des Menschen Leben eben so geheimnißvoll sei, wie das Leben überhaupt,« entgegnete Aurelie, von ihrer Freundin Betrachtung nicht wenig überrascht, da sie dergleichen zum ersten Mal aus ihrem Munde vernahm und Sidonie durch das volle Leben, dem sie sich bisher hingegeben hatte, von allen [S. 78] philosophischen Grübeleien fern gehalten worden war, wozu ihre Natur überhaupt nicht zu neigen schien.
Aber es bewährte sich auch in diesem Falle der Satz, daß Leiden uns zu Philosophen machen, selbst wenn wir nicht die geringste Anlage dazu besitzen. Für unsere Freuden forschen wir nach keinem Grund; der Kummer jedoch, das nicht selbst heraufbeschworene Weh, unter welches wir uns beugen müssen, fordert die Frage an das Unbekannte heraus.
Sidonie hatte Aureliens Worte mit Aufmerksamkeit vernommen; als diese schwieg, ließ sie eine gewisse Zeit vorüber gehen, ehe sie antwortete; alsdann sprach sie sinnend:
»Wie wunderbar! Der Mensch empfindet tiefer als die Gottheit, die ihn geschaffen, und erscheint mir höher als diese, da er ein glückliches Dasein für alle Menschen fordert und oft mehr an dem fremden als dem eigenen Unheil zu Grunde geht. Wie kommt’s, daß ich das Gute empfinde und mit Inbrunst für Alle verlange, obgleich ich nicht allliebend und allgütig genannt werden kann und derjenige, dessen Allmacht wir anerkennen, ja anbeten, sich so lieblos und ungütig seinen Geschöpfen gegenüber zeigt? — Däucht Dir in solchem Fall nicht der Mensch erhabener als die Gottheit? Ohne allmächtig zu sein, schafft er dennoch das Liebevolle, und wo er sich zum Schaffen unfähig fühlt, adeln ihn wenigstens seine edeln Triebe und das Mitleiden mit dem Unglück. — — Ich weiß nicht,« bemerkte sie nach kurzem schweigenden Nachdenken, »ich weiß nicht, wie es zugeht, daß sich solche Betrachtungen [S. 79] mir in die Seele drängen, indem meine Gedanken dem Grafen in die Ferne folgen, ihn aufsuchen an fremden Stätten, um im Geist mit ihm zu verkehren, da ich ihn nicht Auge in Auge begrüßen darf. — Kann uns das Leid so sehr umändern und kann diese Umänderung so ganz ohne unsern Willen vor sich gehen? — Ich verstehe es nicht. Niemals ist es mir bisher eingefallen, die Welt nicht für vollkommen zu halten, und jetzt führt mich mein eigenes Leid zur Einsicht der großen Unvollkommenheiten derselben und erfüllt mein Herz mit nie gekannten Zweifeln an den Gott der Liebe.« —
»Diese Zweifel werden schwinden, wenn Dich das Leben wieder herausfordert, meine Sidonie,« bemerkte Aurelie und war eben im Begriff, der Freundin Gedankengang auf einen freundlicheren Weg zu leiten, als diese, ohne darauf zu achten, fragte:
»Nicht wahr, Aurelie, er wird nicht zu lange fortbleiben und sich mit seinen Geschäften beeilen, damit wir uns noch oft sehen, uns noch oft an einander erfreuen können?« —
»Ich denke, er wird es thun,« sprach Aurelie mit gepreßter Stimme und bemüht, unbefangen zu erscheinen.
»O gewiß, gewiß wird er darauf bedacht sein; denn er liebt mich ja so innig, und so wird er sich auch nach meinem Anblick sehnen, wie ich mich nach dem seinigen sehne!« fiel Sidonie eifrig ein und fuhr alsdann, in der Erinnerung an den Geliebten verloren, mit Innigkeit fort: »Ich habe Dir noch niemals von meiner Liebe zu ihm [S. 80] gesprochen; ich hielt dies für überflüssig und es drängte mich nicht dazu. Du sahst ja meine Liebe keimen und sich entfalten, Du sahst das Glück, das sie mir brachte; wozu also der Worte für das, was sich doch nicht aussprechen läßt. — Welch ein süßes, geheimnißvolles Weben und Leben in der Seele! Wie spinnt sich unbewußt Faden und Faden vom Herzen zum Herzen und knüpft alles Leben, Fühlen und Denken immer fester und fester an einander, bis ein unzerreißbares Gewebe aus ihnen entsteht, das sie auf ewig vereint. Ja, ja, auf immer und ewig!« wiederholte sie mit Nachdruck und fügte sinnend hinzu: »Wie der Ton des Geliebten uns so eigenthümlich berührt, die Seele mit süßem Schauer erfüllt und dieser Schauer sich in lautere Seligkeit und Hingabe umwandelt, wenn wir nun an seiner Seite hingehen und in das geliebte Auge schauen! Ich weiß nicht, ob es einem jeden Mädchen so ergeht, wie mir; ich möchte jedoch jene Empfindungen nicht entbehren, die vielleicht erst dann schwinden, wenn das größere Glück des Besitzes uns mit mächtigeren Gefühlen begeistert.« —
Sie seufzte, von dem Gedanken bedrängt, sich eines solchen Glückes niemals erfreuen zu dürfen, suchte Aureliens Hand, die sie in die ihrige schloß, und fragte, wie es schien, von einem plötzlich in ihr auftauchenden Gedanken ergriffen:
»Glaubst Du, daß er sich vermählen wird?«
Ueberrascht blickte Aurelie sie an und entgegnete nach kurzem Zögern: [S. 81] »Ich bezweifle es.« — —
Sidonie senkte das Haupt, schaute sinnend zu Boden und fragte ängstlich:
»Wird ihm meine Liebe einen Ersatz für sein vereinsamtes Leben bieten können?«
»Ich glaube Deine Frage bejahen zu dürfen und denke, des Grafen Charakter berechtigt mich zu einer solchen Voraussetzung; doch bin ich überzeugt, meine theure Freundin, daß Du weit entfernt bist, einen solchen Verzicht von ihm zu verlangen.« — —
»O gewiß, gewiß!« fiel Sidonie lebhaft ein. »Wie sollte und könnte es auch anders sein! Glücklich, ganz glücklich will ich ihn wissen, und würde mein eigen Leid leichter ertragen, wüßte ich, er wäre es geworden. Ich würde sein Weib mit meinen Armen umschlingen und freudig an das Herz drücken, da es die hohe Aufgabe erfüllt, dem Geliebten das Leben zu verschönern! Freilich,« fuhr sie mit leiser, wehmüthiger Stimme fort: »jenes Glück, das meine Liebe ihm gebracht hätte, jenes Glück wird sie ihm nicht gewähren können! — O, möchte sein Auge wieder in Freude erglänzen und seine edle Seele sich aufrichten in der Liebe edler, treuer Menschen!« — — schloß sie mit erhöhter Stimme und in einem überaus herzlichem Tone, der deutlich bekundete, daß ihr Wunsch den Tiefen ihrer Seele entquollen war.
Alsdann fragte sie nach kurzem Schweigen: »Hat er des Portraits nicht gedacht?«
»Gewiß, und wünscht Dir dasselbe später zu übergeben,« [S. 82] erwiderte Aurelie, eingedenk des von dem Grafen ausgesprochenen Wunsches.
»Später!« seufzte Sidonie und fügte dann hinzu: »Wie sehr hätte mich der Besitz seines Bildes, da ich ihn selbst nicht sehen darf, beglückt! Doch ich will geduldig sein und harren, bis es ihm gefällt, mir sein Versprechen zu halten, und mich bemühen, das ungestüm nach seinem Anblick verlangende Herz zu beschwichtigen.«
Im Lauf der Folgezeit wiederholten sich diese Unterhaltungen und Fragen von Seiten Sidoniens, angeregt durch des Grafen dauerndes Fortbleiben, das sie in der Annahme nicht zu begreifen vermochte, der Geliebte theile ihre Sehnsucht. Und je mehr sich die Zeit bis zu ihrer Vermählung abkürzte, um so häufiger und ängstlicher forschte sie nach ihm, um so häufiger sprach sie die Besorgniß aus, er könnte wol gar durch seine Geschäfte so lange in Anspruch genommen werden, daß ein Wiedersehen in der Heimath unmöglich würde.
Aurelie erschöpfte die Kräfte ihres mitfühlenden Herzens, um Sidonie zu beruhigen und in der bezweckten Täuschung zu erhalten; trotzdem litt die Prinzessin unter dem sich immer mehr und mehr in ihr geltend machenden Gedanken, den Grafen nicht mehr zu sehen, so sehr, daß Aurelie es für besser erachtete, ihr nichts mehr zu verhehlen und zugleich das Portrait einzuhändigen.
Mit großer Vorsicht bereitete sie die Prinzessin darauf vor, indem sie mit ihr gemeinschaftlich erwog, ob dem Fernhalten des Grafen nicht vielleicht ein bestimmter [S. 83] Zweck zu Grunde liegen und dieser Zweck die wohlgemeinte Absicht in sich schließen könnte, sowol Sidonien als dem Grafen selbst den Schmerz der Entsagung zu verringern.
Sie erinnerte die Freundin zugleich, daß eine solche Absicht gewiß eben so edel als durch die Umstände geboten sei, und bat sie, der Rücksichten zu gedenken, die sie dem Grafen zu schenken verpflichtet sei. Sie erinnerte sie alsdann, daß der Letztere nicht minder als sie selbst unter den unheilvollen Verhältnissen leiden müßte, und es daher vielleicht im Interesse Sidoniens und seiner eigenen Ruhe für besser erachtete, ein Wiedersehen vorläufig zu vermeiden.
Aurelie kannte der Freundin Herz zu wohl, um nicht von der guten Wirkung ihrer Vorstellungen überzeugt zu sein, und täuschte sich in dieser Beziehung auch nicht. Sidonie gab trotz ihres Verlangens und Schmerzes die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit zu, welche des Grafen Fernhalten in sich schloß, und die Erinnerung an des Geliebten Leid genügte schon, ihm zu Liebe das Verlangen nach seinem Besuch zu beschwichtigen.
In dem Gedanken seines Kummers vergaß sie fast ihr eigenes Weh und wünschte sogar, er möchte nicht kommen, um sein Leid nicht zu vermehren.
Als Aurelie die guten Wirkungen ihrer Worte auf Sidonie bemerkte, glaubte sie den Zeitpunkt gekommen, ihr des Grafen Portrait einzuhändigen; denn jetzt meinte sie nicht nur keine üble, sondern vielmehr eine wohlthätige Wirkung davon auf die Prinzessin erwarten zu dürfen. [S. 84] Sie täuschte sich auch in dieser Beziehung nicht; es war in der That so.
Sidonie hatte sich in Folge aller der bezeichneten Erwägungen bald mit dem Gedanken vertraut gemacht, den Grafen vor ihrer Vermählung nicht mehr zu sehen, und es fiel ihr dies um so weniger schwer, da sie einen solchen Verzicht im Interesse des Geliebten für nothwendig erachtete. Der Besitz seines Portraits, statt ihre Sehnsucht nach seinem Wiedersehen zu erhöhen, erfüllte sie vielmehr mit einer süßen Ruhe und kräftigte ihre Seele.
O, mit welchem glücklichen Blick begrüßte sie dasselbe, mit welcher Innigkeit heftete er sich an die geliebten Züge! Mit ihrer Freundin vereint betrachtete sie die letzteren und forschte, in wie weit es dem Künstler gelungen war, die Natur wieder zu geben. Sie fand sich freilich nicht ganz befriedigt, denn sie betrachtete das Bild mit den Augen der Liebe, während der Künstler es doch nur als solcher zu gestalten befähigt war. Aber was dieser nicht hineingelegt hatte, verbesserte ihre Erinnerung, und so fühlte sie sich durch seinen Besitz ganz beglückt.
Bald waren auch die letzten Tage, die sie in der Heimath verleben durfte, verflossen, und sie sagte derselben ein schmerzliches Lebewohl, um in Begleitung ihrer Eltern und ihres Bruders sich auf den Weg nach dem fürstlichen Hofe zu begeben, woselbst die Vermählung gefeiert werden sollte. Beim Beschreiten der Grenze des Fürsten wurde sie von dem Prinzen mit einem glänzenden [S. 85] Hofstaat empfangen und nach der Residenz und dem Schloß geleitet, woselbst sie die zu ihrer und der Ihrigen Aufnahme prachtvoll ausgestatteten Gemächer bezog.
Am folgenden Tage fand die Vermählung in der fürstlichen Schloßkapelle statt, der sich eine Menge Festlichkeiten, theils in dem Schloß, theils an anderen Orten anreihten und mit Opern und Ballets abwechselten. Nachdem dieselben ihr Ende erreicht hatten, vertauschten die Neuvermählten das Residenzschloß mit einem Palais in einer, wenige Meilen von der Residenz entfernten, kleinen Stadt, woselbst der Fürst schon seit vielen Jahren lebte. Der Letztere hatte derselben wegen ihrer Naturschönheiten vor der geräuschvollen Residenz den Vorzug gegeben und sie im Lauf der Zeit mit Schlössern und vielen anderen Prachtbauten, Parkanlagen und Wasserkünsten geziert, und lebte hier in einem Kreise geistreicher Männer den Wissenschaften und in einer beschaulichen Ruhe, nach welcher sich gewöhnlich das Alter mit seinen körperlichen Beschwerden zu sehnen pflegt.
Da die Verwandten des fürstlichen Hauses und der Adel theils in der Residenz, theils in der Nähe derselben wohnten, und sich nur die von dem Fürsten bevorzugten Personen sowie einige der Cabinetsbeamten hier dauernd aufhielten, um in jeder Stunde sich ihm zu Diensten stellen zu können, so herrschte sowol an des Fürsten Hof, wie in der Stadt selbst, stets eine an Einförmigkeit grenzende Ruhe, die selten durch ein Hoffest unterbrochen wurde. Der Fürst, über die erfolgte Vermählung seines Neffen [S. 86] sehr erfreut, wünschte dessen Nähe und hatte ihm darum ein prachtvoll ausgestattetes Palais daselbst angewiesen.
Es geschah dies zugleich in der Absicht, den Prinzen von seinen lockeren Freunden zu entfernen und für eine ernste Beschäftigung zu gewinnen. Die wichtigsten Staatsgeschäfte wurden gewöhnlich an dem Wohnsitz des Fürsten erledigt, und so war die dauernde Anwesenheit des Prinzen daselbst um so mehr erforderlich, sollte er in die ersteren eingeweiht werden. Dieser schien sich in die Bestimmungen seines Oheims gern zu fügen, ja es schien sogar, als ob er in dem Besitz seiner Gemahlin weniger Werth auf die so lange mit Leidenschaft aufgesuchten Genüsse legte.
Dies war in der That jedoch nur für kurze Zeit der Fall und währte nur so lange, als der Reiz der Neuheit seine Wirkung auf ihn ausübte; sobald dieser jedoch aufhörte, fühlte der an stete Zerstreuungen gewöhnte Prinz eine peinigende Langweile. Das einförmige Leben wurde ihm unerträglich, wozu sich noch der unangenehme Zwang gesellte, den ihm sein eheliches Verhältniß auferlegte.
An Verlockungen von seinen alten Freunden fehlte es natürlich nicht, und so geschah es, daß er sehr bald und häufig wieder in der Residenz gesehen wurde. Die Höflinge bereiteten zu Ehren seiner Rückkehr ein wahres Freudenfest, das, eben so reich als wohl überdacht, nur zu sehr geeignet war, den Prinzen mit neuen Fesseln an sie zu ketten.
Gewohnheit, mehr noch die angeborene Neigung thaten [S. 87] das Uebrige, und wenige Monate nach seiner Vermählung hatte sich der Prinz seinem ehemaligen ausschweifenden Leben wieder mit ganzer Leidenschaft ergeben.
Aus diesen Umständen ist leicht ersichtlich, wie geringen Einfluß Sidonie trotz ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit auf ihren Gemahl ausübte. Vielleicht würde dies mehr der Fall gewesen sein, hätte sich des Prinzen Charakter zur Entfaltung ihrer sittlichen Vorzüge geeignet und wäre durch die Uebereinstimmung ihrer Naturen jenes Vertrauen in ihr erwacht, das ihre Schüchternheit und Abgeschlossenheit besiegt hätte.
Wir kennen Sidoniens Abneigung gegen den Prinzen, die um so weniger schwinden konnte, da der nähere Umgang mit ihm durchaus nicht geeignet war, dieselbe wenigstens in ein achtungsvolles Gefühl umzuwandeln.
Ihre Schüchternheit und Duldsamkeit verleitete ihn, ihr gleich einem Kinde zu begegnen und nur die nothwendigste Aufmerksamkeit zu schenken, da sie ja überdies von ihm nichts mehr zu beanspruchen schien und sich in einem zurückgezogenen Leben gefiel. Niemals äußerte sie einen Wunsch, niemals erhob sie irgend einen Anspruch auf etwas, obgleich sie ihre Stellung dazu berechtigte. Ebenso schien ihr des Prinzen Fernhalten eher erwünscht, als ungebilligt zu sein, wie das ihre Umgebung zu bemerken glaubte und was ihre schweigende Duldung obenein noch bestätigte. Wir wissen, daß dies in der That der Fall war, wenngleich Niemand die eigentlichen Gründe ihres Benehmens ahnte und dies ihrem einfachen, anspruchslosen [S. 88] Charakter zuschrieb. Wie natürlich, daß der Prinz, von gleicher Täuschung befangen, seinen Neigungen allmälig mehr und mehr die Zügel schießen ließ.
Sidonie ahnte ihres Gemahls Treiben nicht, denn ein Jeder hütete sich, ihr dasselbe zu verrathen, und sie selbst war weit entfernt, nach demselben zu forschen, obgleich ihr des Prinzen Wesen und Benehmen und seine häufigen und längeren Besuche in der Residenz mit der Zeit immer mehr Veranlassung dazu boten.
In dem vertraulichen Umgange mit ihrer treuen Freundin Aurelie und in einem gewählten Genuß der ihr gebotenen Zerstreuungen, sowie in den eifrigen Bemühungen nach geistiger Ausbildung und ihres musikalischen Talents, fühlte sie sich, so weit dies eben sein konnte, befriedigt, und je weniger sie durch das Hofleben in dieser Abgezogenheit gestört wurde, um so angenehmer war es ihr.
Da des Fürsten Gemahlin, von diesem getrennt, ein stilles, zurückgezogenes Leben und er selbst ein ähnliches führte, so konnte es nicht ausbleiben, daß Sidoniens Wünsche ziemlich befriedigt wurden, und dies um so mehr, da der Prinz selbst keine Veranlassung fühlte, seine schüchterne Gemahlin durch geräuschvolle Feste zu zerstreuen, oder sie für sich zu beanspruchen.
Wie manche Stunde saßen die beiden Freundinnen in vertraulichem Gespräch bei einander, sich der Vergangenheit und des gemeinschaftlichen fernen Freundes erinnernd, der, wie sie wußten, die Alpen durchzogen und jetzt in dem sonnigen Italien lebte, wo er Geist und Seele an den [S. 89] Reizen der Natur und reichen Kunstschätzen labte, um sein Leid zu mildern und die zur Thätigkeit nothwendige Ruhe zu finden. Denn der Graf war, seinem Vornehmen getreu, beim Nahen des Herbstes von Paris nach der Schweiz gereist und ging von hier nach Italien, woselbst er sich längere Zeit aufzuhalten gedachte.
Sidonie war durch Aurelie mit alledem bekannt gemacht worden und billigte, wenn auch seufzend, sein Fernhalten, und es beruhigte sie der Gedanke, den Geliebten in Orten zu wissen, die so wohl geeignet sind, der leidenden Seele angenehme Eindrücke zu gewähren. Hatte sie doch früher selbst das Verlangen gehegt, jene Länder zu sehen, und es sich so überaus reizend gedacht, an des Gatten Seite einst dort leben zu können.
Alle die schönen Träume, wie waren sie zerronnen, zerstoben vor einer kalten, lieblosen Wirklichkeit! —
Der Graf hatte nach dem ersten Briefe nur noch zweimal an Aurelie geschrieben und sich von ihr über Sidonie Mittheilungen erbeten, nach deren erfolgter Vermählung er es für besser erachtete, den Briefwechsel vorläufig zu unterbrechen. Bei seiner Ankunft in Rom hatte er zum letzten Mal geschrieben und seitdem nicht wieder.
Etwa fünf Monate waren seit Sidoniens Vermählung dahin gegangen, als neue Interessen ihre Seele erfüllten, Interessen, die jedes weibliche Herz mit ganz besonderen Empfindungen zu erfüllen pflegen. Es war die Hoffnung, Mutter zu werden und dadurch den so heiß gehegten Wunsch des Fürsten zu erfüllen. [S. 90] Diese Hoffnung übte einen tiefen Einfluß auf das stille Leid ihrer Seele aus, indem sie dasselbe durch ihre Bedeutsamkeit verklärte.
Der Fürst empfing die so erfreuliche Nachricht durch den Prinzen, und seine Theilnahme daran war größer als diejenige des Letzteren, dem die Geburt eines Kindes, namentlich wenn es kein Thronerbe war, von keiner Bedeutung erschien. Ihm waren die Gefühle, welche die Hoffnung auf den Besitz eines lieblichen Kindes einzuflößen pflegt, durchaus fremd und wurden auch durch die Aussicht der baldigen Vaterschaft nicht geweckt.
Hatte sein bisheriges Benehmen ihn schon nicht für Sidonie gewinnen können, so war die kaum bemäntelte Gleichgiltigkeit, mit welcher er ihre Mittheilung aufnahm, um so weniger dazu geeignet. Von der Ueberzeugung erfüllt, daß die letzteren ihn mit der höchsten Freude erfüllen würde, sah sie sich in der empfindlichsten Weise getäuscht und erkannte mit Schrecken, daß des Prinzen Gemüthsart noch übler sei, als sie es bisher geglaubt.
Seit diesem Augenblick trennte sich ihre Seele noch mehr von ihm, und es trat eine Kälte zwischen ihnen ein, zu deren Beseitigung der Prinz nichts weniger als bemüht war, indem er, ohne die unter den besonderen Umständen Sidonien schuldende Rücksicht zu beobachten, seinen Neigungen unbeschränkt nachging.
Sidonie, dadurch tief verletzt, forschte zum ersten Mal nach den Ursachen einer solchen Lieblosigkeit und seiner so häufigen und oft Tage währenden Besuche der Residenz, [S. 91] und erfuhr sehr bald, in welchen Genüssen der Prinz Befriedigung fand. Es konnte in Folge dessen nicht ausbleiben, daß sie sich immer mehr von ihm zurückzog und ihr eheliches Leben kaum noch ein solches genannt werden durfte. Sie sah den Prinzen höchstens einmal in der Woche und auch dann nur flüchtig, da er sich selten lange bei ihr aufhielt. In solcher übeln Weise war die Zeit dahin gegangen und Sidoniens Entbindung genaht. Die Prinzessin knüpfte daran so mannichfache Wünsche und Hoffnungen.
Liebte sie auch den Prinzen nicht, so war es ihr doch als seine Gemahlin nicht gleichgiltig, was man über denselben und mit Recht sprach und wie man über ihr eheliches Verhältniß urtheilte. Des Prinzen Ausschweifungen mußten sie verletzen, indem sie dadurch in der Achtung ihrer Umgebung und der Welt herab gesetzt wurde. Sie hatte davon schon mancherlei Beweise erhalten und wünschte daher so viel Einfluß auf den Prinzen zu gewinnen, um dergleichen übeln Erfahrungen für die Folge vorzubeugen.
Was war natürlicher als die Voraussetzung, dies durch die Geburt eines Kindes zu erreichen, und die Hoffnung, daß das Interesse für dieses den Prinzen zum Aufgeben seines wüsten Lebens veranlassen und zu einer achtungsvolleren Annäherung an sie führen würde. Sie sollte sich jedoch in diesen Erwartungen bitter getäuscht sehen.
Denn als sie glücklich eines Mädchens genas, zeigte [S. 92] sich der Prinz um so weniger geneigt, ihre Freude darüber zu theilen, da seine Wünsche hinsichts eines Thronerben sich nicht erfüllt hatten.
Sidonie war untröstlich darüber, und ihr Schmerz steigerte sich, da sie erkennen mußte, daß auch selbst die natürlichsten Gefühle dem Prinzen mangelten, jene Gefühle, die so sehr geeignet sind, die Herzen aneinander zu ketten.
Vielmehr schien ihm Sidonie seitdem nur noch gleichgiltiger geworden zu sein, was auch in der That der Fall war, da er, von den Reizen buhlerischer Frauen umstrickt, sich diesen mit der Zeit ganz hingegeben hatte und in dem Wechsel des Genusses allein Befriedigung fand.
Gewährte Sidonien auch ihr Mutterglück einen ganz neuen, köstlichen Trost in ihrem Kummer, so überwand sie dennoch die erfahrene Ehrverletzung von Seiten des Prinzen nicht. Gern verzichtete sie auf seine Liebe, doch nicht auf die ihr schuldige Achtung, und erkannte das für eine Pflicht gegen sich selbst, sollte sie nicht endlich nur zu einer bemitleideten und belächelten Person herabsinken, der man nach dem Vorbilde des Prinzen immer weniger Achtung zu bezeigen sich erdreistete. Nach den bereits gemachten Erfahrungen drohte ihr diese Gefahr mit aller Bestimmtheit, und dieser Umstand forderte ihr ganzes, verletztes Selbstgefühl heraus.
Sie hatte Aurelien schon oft ihren Kummer darüber vertraut und mit ihr berathen, was sie noch thun könnte, da die bereits näher bezeichneten Umstände nicht den geringsten [S. 93] Einfluß auf den Prinzen ausgeübt hatten. Sie erachtete es für das Zweckmäßigste, dem Prinzen selbst Vorstellungen zu machen und sich dadurch den gewünschten Erfolg zu sichern. Sie glaubte diese Rücksicht beobachten zu müssen, um ihn durch Vermittlung Anderer, etwa des Fürsten, nicht zu verletzen.
Daß sich Sidonie dazu nur sehr schwer zu entschließen vermochte, werden wir im Hinblick auf ihren besondern Charakter erklärlich finden; wir würden uns jedoch in der Annahme täuschen, ihr hätte der erforderliche Muth dazu gefehlt.
Bekanntlich sind die Verhältnisse, in welchen wir leben, zur Entwicklung unseres Wesens von der höchsten Wichtigkeit, und je bedeutsamer dieselben sind, je mehr sie uns herausfordern, um uns ihren Einflüssen gegenüber zu behaupten, um so rascher entfalten sich unsere Seelen- und Geistesanlagen, und der angeborene Charakter des Menschen tritt schärfer und bestimmter hervor. Und so geschieht es, daß uns bekannte Personen nach längerem Wiedersehen oft sehr verändert erscheinen und ihr Wesen uns ganz neue Seiten zeigt, von denen wir früher nicht die mindeste Ahnung gewonnen. Je nach der Besonderheit der Einflüsse und der Naturanlage werden diese Veränderungen verschieden und eben so übel als angenehm sein.
Diese Erscheinungen treten ganz besonders bei dem weiblichen Geschlecht und unter den bei Sidonien angegebenen Umständen hervor, wozu wir noch das jugendliche Alter zählen müssen, in welchem neben der körperlichen [S. 94] auch die sittliche Entwickelung gewöhnlich stattzufinden pflegt.
Dergleichen Veränderungen waren auch mit der Prinzessin vorgegangen, ohne daß dieselben von dem Prinzen beachtet wurden. Ihr Charakter war durch die herausfordernden Verhältnisse rasch gereift, und ihr tief verletztes Ehrgefühl erfüllte sie mit Muth, sich dem Prinzen gegenüber zu behaupten und, was man ihr nicht freiwillig brachte, sich in ihrem guten Recht zu fordern.
Wir haben früher erfahren, welchen nachtheiligen Einfluß des Prinzen Verhalten gegen Sidonie ausübte, indem dasselbe die Umgebung der Letzteren und selbst den Hof verleitete, ihr mit Geringschätzung zu begegnen. Diese Wirkung wurde noch bedeutend dadurch erhöht, als die Prinzessin, von ihrer feinfühlenden Natur bestimmt, es wagte, sich mißbilligend über das sittenlose Treiben auszusprechen, und diejenigen Personen von ihrer Nähe fern hielt, welche sich keines besonders guten Rufs erfreuten. Das wurde ihr in hohem Grade verdacht, denn sie verletzte dadurch die Eitelkeit, und diese ist bekanntlich unversöhnlich.
Sie gab aber auch ihren Widerwillen gegen die unzüchtigen und karikirten Trachten der Frauen zu erkennen, indem sie sich sittsam und stets einfach kleidete und die Benutzung der damals beliebten tausendfachen Toilettenmittel verschmähte, wodurch sich die Damen und auch die Herren zu verschönen bedacht waren.
Damit verstieß sie noch mehr gegen die herrschende [S. 95] Sitte, die sich in der Frivolität wohl fühlte und darum an Züchtigkeit und Sittlichkeit nicht erinnert sein wollte.
Es konnte daher nicht ausbleiben, daß die Prinzessin sehr bald ziemlich allein dastand und nur wenig Nachahmung fand, sich jedoch auch eben so wenig Freunde erwarb.
Sie ließ sich dadurch jedoch nicht zum Aufgeben ihres Verhaltens bestimmen, und that dies um so weniger, da sie ihre sittliche Natur dazu nöthigte.
Ueberdies hatte sie längst erkannt, daß man an einem Hof nicht auf wahre Freundschaft hoffen durfte, und fühlte sich im Besitz ihrer Freundin Aurelie befriedigt. Huldigungen der Welt waren ihr durchaus bedeutungslos, auch war sie nicht eitel genug, darnach zu streben, und bedauerte daher in der ihr gezeigten Abneigung keinen Verlust.
Ihr Verhalten entsprang jedoch nicht etwa aus der bestimmten Absicht, auf ihre Umgebung in solcher Art eine Wirkung auszuüben, sondern lediglich aus den angeborenen Trieben. Doch würde es sie sehr beglückt haben, hätte man sie verstanden und das Bessere anerkannt.
Wir sehen, daß sie sich dadurch in einen Widerspruch mit der sie umgebenden Welt gesetzt hatte, und werden erfahren, in welcher Weise sich derselbe lösen sollte.
Einige Wochen waren dahin gegangen, ohne daß sie den für nothwendig erkannten Schritt zu thun vermochte, bis endlich der Zufall sie darin unterstützte.
Bei einem Hoffest hatte sich die Oberhofmeisterin der Prinzessin gegenüber eine verletzende Freiheit erlaubt, [S. 96] indem sie ihre Mißbilligung über deren Verhalten in wenig passenden Worten gegen diese aussprach.
Hatte sie sich bereits früher öfter in dieser Beziehung gehen lassen, durch Sidoniens ruhiges Hinnehmen der Belehrung verleitet, so überschritt ihr Benehmen in dem angegebenen Fall die zu beobachtenden Rücksichten in vermehrtem Grade.
Welche Ueberraschung malte sich jedoch in ihrem und dem Antlitz der in der Nähe befindlichen Hofdamen, als Sidonie, statt wie gewöhnlich die Belehrung ruhig hinzunehmen, sich stolz aufrichtete und der Oberhofmeisterin mit festen und ruhigen Worten bedeutete, sich künftighin in den ihr vorgeschriebenen Grenzen der Etikette zu halten, um nicht durch ihr Benehmen dem Hofe ein übles Beispiel zu geben.
Die stolze Dame, in solcher Weise und so durchaus ungeahnt von der schüchternen Prinzessin zurecht gewiesen, blieb starr und bestürzt vor dieser stehen, ohne ein Wort der Entschuldigung zu finden, ja sie vergaß sogar die übliche Verneigung, als sich die Prinzessin nach jenen Worten mit den Hofdamen rasch entfernte und sie einsam zurückließ.
Sie würde den Vorfall für eine Vision gehalten haben, hätte sie sich nicht ganz allein in dem Saal gesehen und hätten die zurechtweisenden Worte der Prinzessin nicht in der mißtönendsten Weise noch immer ihre Ohren durchklungen. Die sich über das Erfahrene in ihr erhebende Entrüstung erweckte sie aus der Bestürzung, [S. 97] und kaum wieder so weit gesammelt, um den unerhörten Fall genügend zu erwägen, war sie auch sofort entschlossen, sich bei dem Prinzen darüber zu beklagen und ihn zu bestimmen, der Prinzessin das Ungehörige ihres Benehmens gegen sie vorzustellen und diese zugleich zu einer ihr zu gebenden Genugthuung zu veranlassen. Sie kannte ihren Einfluß auf den Prinzen und die geringe Achtung, die dieser seiner Gemahlin schenkte, nur zu wohl, um des Erfolgs nicht gewiß zu sein. Sie hatte die Prinzessin niemals leiden mögen, und diese Abneigung theilte sie mit einer nicht eben geringen Anzahl Gleichgesinnter. Der Grund dazu lag darin, daß Sidonie durchaus ihren eigenen Willen haben wollte und ihre klugen Worte stets unberücksichtigt ließ. Ueberdies verschmähte sie auch die gebräuchlichen Mittel, die Toilette zu verschönen. Denn sie bediente sich weder der falschen Haare, noch des Puders, färbte eben so wenig die Augenbrauen, noch verschönte sie ihren Teint durch Schminke und Schönpflästerchen. Sie verachtete alle diese Dinge, obgleich der herrschenden Mode gemäß sich die Damen des Hofes und der Aristokratie in solcher Weise zu verschönen für eine Anstandspflicht erachteten. Dieser Umstand diente ihr und ihren Gesinnungsgenossen für einen Beweis, daß sich die Prinzessin klüger als sie Alle dünkte, den guten Ton vom Hofe zu verbannen bedacht wäre und obenein die Absicht hegte, daselbst ein prüdes, moralisches Leben einzuführen, wozu sie wie ihre Freunde nicht die geringste Lust verspürten. [S. 98] Gründe genug in Verbindung mit dem soeben Erfahrenen, die Prinzessin recht von Herzen zu hassen.
Um so mehr war sie daher bedacht, sich Genugthuung zu verschaffen.
Sie sah sich in ihren Erwartungen auch wirklich nicht getäuscht; denn nachdem sie dem Prinzen die Angelegenheit in ihrem Sinne vorgetragen und dabei der ihr obliegenden Pflichten als Oberhofmeisterin der unerfahrenen, einem kleinen herzoglichen Hofe entsprossenen Prinzessin gegenüber gedacht und somit ihr Verhalten gegen diese als durchaus berechtigt bezeichnet hatte, gab ihr der Prinz nicht nur seine Zustimmung zu ihrer Klage zu erkennen, sondern auch das Versprechen, die Prinzessin zu der gewünschten Abbitte zu veranlassen. Er sprach überdies seine Ueberraschung über das Verhalten seiner Gemahlin aus, das er durchaus nicht erwartet, überhaupt nicht vermuthet hatte.
Sehr befriedigt schied die Oberhofmeisterin, ihres Sieges gewiß.
Sidonie glaubte den Prinzen mit dieser Angelegenheit nicht behelligen zu müssen und schwieg darum, ohne den Schritt der Oberhofmeisterin zu ahnen; sie war daher nicht wenig überrascht, als der Prinz sie aufsuchte und ihr in ziemlich verletzender Weise Vorstellungen über ihr Verhalten gegen die Erstere machte und es zugleich als eine Nothwendigkeit bezeichnete, derselben einige entschuldigende Worte zu sagen.
Sidonie hatte ihn, wenngleich mit gesteigerter Ueberraschung, [S. 99] so doch ruhig angehört; als er schwieg und ihre Zustimmung erwartete, blickte sie ihn fest an und entgegnete eben so fest, daß sie weit entfernt sei, sein Verlangen zu erfüllen, und sich dazu durchaus berechtigt glaube. Zugleich setzte sie ihm den Vorfall genau auseinander.
Der Prinz schaute sie mit Ueberraschung an; in solcher Weise hatte die Prinzessin noch nie zu ihm zu sprechen gewagt und ebenso wenig ein so bestimmtes, festes Wesen gezeigt. War dies auch zurückhaltend und ruhig, so verrieth es dennoch nichts von der früheren Schüchternheit und Befangenheit. Was jedoch den Prinzen für seine Gemahlin hätte gewinnen sollen, reizte vielmehr seine Empfindlichkeit, und so geschah es, daß er, statt ihr Recht anzuerkennen, auf seinem Verlangen beharrte.
Jetzt schien Sidonien der rechte Augenblick gekommen, dem Prinzen alle jene Momente zu bezeichnen, durch welche das ungeziemende Verhalten der Oberhofmeisterin hervorgerufen worden war, und ihr volles, tief verletztes Herz zögerte damit nicht. Ihre Worte waren bestimmt, sie bezeichneten nur die nicht abzuläugnenden Thatsachen und deren unausbleibliche Folgen, und drückten endlich das bestimmte Verlangen aus, der Rücksichten eingedenk zu sein, die der Prinz ihr als seiner Gemahlin schulde.
In großer Erregung und sprachlos vor Erstaunen starrte sie der Prinz an. Ihre Vorstellungen erschienen ihm als Vorwürfe, die sie ihm zu machen wagte, indem sie sich erkühnte, ihre Mißbilligung über sein Treiben [S. 100] und Verhalten gegen ihn auszusprechen und von ihm eine Rückkehr zu einem bessern, sittlichen Leben, sowie eine achtungsvollere Begegnung von seiner Seite verlangte. Fest, stolz und nichts weniger als schüchtern stand sie vor ihm da, blickte ihn eben so fest an, und ihre ganze Haltung zeigte, daß sie es sehr ernst damit meinte.
Die Wirkung der letzteren auf den Prinzen war eine um so tiefere, da sie ihn so durchaus ungeahnt überraschte und zugleich erkennen ließ, wie sehr er sich hinsichts Sidoniens Charakter getäuscht hatte. Dieser Umstand diente jedoch leider nur dazu, seinen ganzen, ihm beiwohnenden Jähzorn zu erregen und der Prinzessin in der verletzendsten Weise zu entgegnen, daß ihre Vorwürfe eine Anmaßung wären, die er ein- für allemal zurückweise, worauf er sie in großer Erregung verließ.
Durch diesen so unglücklichen Erfolg ihrer Bemühungen tief gebeugt, durch des Prinzen Jähzorn und heftige Worte beleidigt, fühlte Sidonie die ganze Bedeutungslosigkeit ihrer Stellung, war aber auch zugleich überzeugt, daß damit alle näheren Beziehungen zu dem Prinzen ihr Ende erreicht hätten. Sie befestigte sich um so mehr in dieser Ueberzeugung, da der Prinz seit dieser Unterredung nicht nur nicht an ein Aufgeben seines wüsten Lebens zu denken schien, sondern dieses vielmehr in noch erhöhterem Grade fortsetzte, gleichsam um ihr den Beweis der geringen für sie gehegten Achtung zu liefern.
Sidonie nahm das ruhig und geduldig hin; sie hatte die Pflicht gegen sich und den Prinzen erfüllt; mehr zu [S. 101] thun vermochte sie nicht. Wie groß ihr Schmerz darüber war, darf kaum bemerkt werden.
In der Liebe und der Pflege ihres Kindes und in dem vertraulichen Umgang mit Aurelien fand sie den so nothwendigen Trost, wenngleich sie erkannte, daß mit jener Begegnung des Prinzen der erste Schritt zu einem dauernden Kampfe mit demselben gethan war, wollte sie sich dem ihr gewissen Schicksal nicht für die Folgezeit unterwerfen. Daß sie das nicht durfte und auch ihrem Charakter nach nicht vermochte, stand in ihr fest; in welcher Weise sich jedoch ihre Lage entscheiden würde, war eine in der Gegenwart schwer zu beantwortende Frage.
Zwar hatte der Fürst, dem das eheliche Zerwürfniß nicht unbekannt geblieben war, sowol dem Prinzen als auch Sidonien Vorstellungen darüber gemacht und sich bemüht, eine Aussöhnung zwischen ihnen herbeizuführen; jedoch ohne jeden Erfolg.
Der Prinz zeigte keine Neigung, auf Sidoniens, wie er es nannte, überspannte und ungehörige Forderungen einzugehen, und sie vermochte ihren Widerwillen gegen ihn nicht zu bezwingen, und so blieb Alles beim Alten.
In trüber Einsamkeit gingen Sidonien seitdem die Tage hin, zehnfach kummervoller im Hinblick auf ihr verlorenes Liebesglück und in dem Gefühl der Machtlosigkeit, ihrem Leiden ein Ende zu machen. Wie oft ruhte in jener Zeit ihr von Thränen gefeuchtetes Auge auf den Zügen des fernen, so edlen Geliebten! Welch einen Gegensatz bot dieser zu dem Gemahl! — [S. 102] In dieser Zeit ihrer Leiden sollte sie noch ein neuer tiefer Schmerz treffen und ihre Seelenkraft herausfordern: ihr Vater erkrankte bedenklich.
Sie eilte an sein Lager, jedoch nur, um ihn bald zur Gruft zu begleiten.
Zwei Monate darauf starb auch ihre Mutter.
Wir übergehen den schmerzvollen Kummer, den dieser so rasch auf einander folgende doppelte Verlust in ihrer Seele hervorrief; derselbe beugte sie in dem Gefühl, in ihrem Leiden nun auch noch des elterlichen Beistandes beraubt und der Willkür ihres Gemahls anheim gegeben zu sein, unendlich tief und raubte ihr allen Lebensmuth.
Diese sie betreffenden Ereignisse waren zugleich die Ursache, daß sie des Prinzen zügellosem Leben keine Aufmerksamkeit schenkte und froh war, wenn sie nicht durch irgend welche Umstände daran erinnert wurde.
Obgleich der Prinz mit ihr dasselbe Palais bewohnte, lebte er dennoch von ihr getrennt in dem einen Flügel des Schlosses, während sie den andern Theil benutzte. Es fanden daher persönliche Berührungen um so seltener statt, da der Prinz, wie schon bemerkt, sich überdies häufig in der Residenz oder an anderen Orten aufhielt und bei seiner Rückkehr vorzugsweise im Kreise seiner näheren Freunde befand und Gemahlin und Tochter unbeachtet ließ. In solcher Weise waren die Jahre bis zu dem Zeitpunkt dahin gegangen, mit welchem unsere Erzählung beginnt.
Sidonie war, nachdem sie sich von den sie betroffenen [S. 103] Schicksalsschlägen wieder erholt hatte, bemüht, ihr Leben nach ihren Neigungen zu gestalten, das, an und für sich ziemlich einfach, doch nicht ganz der angenehmen Zerstreuung entbehrte.
Außer den Besuchen ihres Bruders, der an des Fürsten Hof eine militärische Stellung bekleidete, empfing sie einmal in der Woche ein paar Herren und Damen, deren sittliche und geistige Vorzüge ihren Wünschen entsprachen.
Musikalische und Theater-Aufführungen gehörten sodann zu den von ihr beliebten Genüssen, denen sie ein gewisses Interesse schenkte.
Ohne jede Rücksicht auf ihren Gemahl gestaltete sie so ihr Leben durchaus selbstständig und wurde darin durch die frühere Oberhofmeisterin nicht mehr gestört, da ihre Vorstellungen bei dem Fürsten die Entfernung derselben trotz dem Prinzen erzielt hatten. Freilich war sie durch den Ersatz derselben auch nicht besonders erfreut worden, da die neue Dienerin allerdings feinere Manieren und ein achtungsvolleres Verhalten beobachtete, übrigens jedoch nichts mehr war, als was in jener sittenverderbten Zeit eine Dame in ihrer Stellung zu sein pflegte. Steife Formen, ein hohles Herz und ein nicht minder hohler Geist, gemischt mit der Vorliebe für Intriguen und dem Verlangen, sich überall Einfluß, namentlich auf die Prinzessin, zu verschaffen.
Trotz alledem war es Sidonie durch ihr sicheres Benehmen gelungen, sich in ihrer Umgebung Ehrerbietung [S. 104] und Achtung zu verschaffen, die sich bei einzelnen Personen sogar bis zu wirklichem Mitgefühl mit ihrem traurigen Geschick steigerte.
Die Welt nannte sie nun nicht mehr die schüchterne , sondern die unglückliche Prinzessin; denn es konnte nicht fehlen, daß das Gerücht von dem ehelichen Zerwürfniß schon lange über die Hofkreise hinaus gedrungen war.
Mit der aufrichtigsten Theilnahme hing manches Auge an dem bleichen, traurigen Antlitz der Prinzessin, wenn sie sich öffentlich zeigte, und mancher Wunsch zu ihrem Glück und einer befriedigenden Aenderung ihrer Lebensverhältnisse wurde ausgesprochen.
Um wie viel größer würde diese Theilnahme gewesen sein, hätte man eine Ahnung von dem Schmerz gehabt, den Sidonie überdies im Herzen trug.
Doch davon wußte die Welt nichts; denn Sidoniens Liebe war Jedermann unbekannt geblieben, Dank des so vorsichtigen und richtigen Verhaltens des edelsinnigen Grafen. Wie sehr dieser bedacht war, dies Geheimniß zu bewahren, können wir aus der Vorsicht entnehmen, welche er bei dem Wiedersehen der Prinzessin beobachtete.
Sehen wir nun, in wie weit es Aurelien gelang, ihre so wohlgemeinte Absicht auszuführen.
[S. 105]
Die zu des Grafen Besuch bezeichnete Stunde nahte und Aurelie schaute erwartungsvoll durch das Fenster auf die Straße, auf welcher sich der Erstere dem Palais nähern mußte.
Wie war ihr treues Herz doch erfüllt mit Besorgniß, Freude und Kummer, und wie viel hatte sie dem Grafen mitzutheilen, wie viel von ihm zu erfahren! Fast drei Jahre der Trennung lagen ja zwischen ihrem letzten Zusammensein und dem heutigen, so ungeahnten Wiedersehen.
Aurelie hatte die ihr bis zu dem Empfang des Grafen gebliebene Muße dazu benutzt, sich in der ihr eigenthümlichen verständigen Weise alles das zurecht zu legen, was sie dem Grafen mittheilen wollte und wie sie die von ihm jedenfalls zu erwartenden Fragen über Sidonie zu beantworten hätte, um sein edles Herz nicht zu sehr zu betrüben. Sie sagte sich allerdings, daß der Graf mit der Freundin Unglück trotz seiner langen Abwesenheit von der Heimath gewiß bekannt sein würde, ein Verhehlen oder Beschönigen desselben von ihrer Seite daher also kaum einige Wirkung auf ihn ausüben würde; dennoch wollte sie so viel zum Guten beitragen, als in ihren Kräften stand.
Kaum erkannte sie den Grafen wieder, als ihr ausschauendes Auge seine Annäherung gewahrte. [S. 106] Zwar schritt er noch wie ehedem sicher und fest einher; doch zeigte sein durch die südliche Sonne gebräuntes Antlitz einen viel tieferen Ernst als früher, und sein Auge blickte, wenn auch frei, so doch fast düster vor sich hin. Ebenso erschienen ihr seine Züge und die Linien seines Gesichts schärfer ausgeprägt und noch charaktervoller wie ehedem.
In gemäßigtem Schritt und ohne im geringsten die Absicht zu verrathen, seinen Besuch etwa zu verheimlichen, nahte er sich dem Palais. Er trat durch einen Nebeneingang ein und ließ sich von dem daselbst anwesenden Diener zu Aurelien führen. Der Zufall wollte, daß er auf dem Gange zu ihr von Niemand sonst bemerkt wurde. Der festliche Empfang bei der Prinzessin beschäftigte alle Hände in Palais; denn welche Vorbereitungen erforderten damals nicht die übermäßigen Toiletten und wunderlich gestalteten Haartrachten der Damen und auch, wenngleich in geringerem Grade, diejenigen der Herren bis zu dem kleinsten Pagen und Lakaien hinunter. Wie wenig geneigt war man daher, unter solchen Umständen einen so einfach gekleideten Herrn, wie der Graf, dessen Aeußeres seinen vornehmen Stand nicht verrieth, irgend welche Aufmerksamkeit zu schenken, selbst wenn man ihn bemerkt hätte. Eine Menge der verschiedensten Personen aus der Stadt gingen in dem Palais aus und ein, die Aufträge und Geschäfte aller Art daselbst zu erledigen hatten, und so würde man den unbekannten Grafen vielleicht auch zu diesen gezählt haben. [S. 107] Den üblichen Formen gemäß ließ sich der Graf durch Aureliens Kammerzofe anmelden und wurde von der Freundin eben so förmlich empfangen. Alles das geschah in der geheimen Absicht, die stets spionirenden Diener zu täuschen und seinem Besuch jede Auffälligkeit zu nehmen.
Der Graf war mit dem Hofleben viel zu sehr vertraut, um nicht zu wissen, daß in dem vorliegenden Fall eine solche Förmlichkeit eben so nothwendig war, wie eine durch Geschicklichkeit unterstützte Vorsicht. Alle diese Rücksichten endeten jedoch in dem Augenblick, als sie sich allein sahen. Mit der ehemaligen Herzlichkeit und in sichtlicher Bewegung begrüßte der Graf die Freundin. Schweigend drückte er ihr die Hand, und es gingen mehre Augenblicke dahin, ehe er hinreichend gesammelt war, das Wort an sie zu richten.
»Mein Brief wird Sie überrascht haben,« — bemerkte er.
»In der That; denn ich hatte keine Ahnung von Ihrer Rückkehr, noch weniger von Ihrem Besuch hier am Hofe.«
»Ich werde Ihnen die Veranlassung dazu in einer andern Stunde mittheilen; jetzt sagen Sie mir, ist Sidonie wohl und — wie erträgt sie ihr Loos?« —
»Sidonie ist wohl, wenngleich ich leider hinzu fügen muß, daß Sie sie sehr verändert finden werden.« —
»Ich bin darauf vorbereitet,« — entgegnete der Graf finster und fügte hinzu: »Ist es möglich, sie vor dem Empfange zu sehen? Ihre gütigen Worte, beste Freundin, [S. 108] haben mich mit der Hoffnung erfüllt, daß dies geschehen könnte.« —
»Sie haben sich in Ihrer Voraussetzung nicht getäuscht; meine Einladung zu diesem Besuch bezweckte das, und ich wußte, daß Sie meine Worte in meinem Sinn verstehen würden.«
»Sie nehmen meinem Herzen dadurch eine schwere Sorge und ich spreche Ihnen meinen heißen Dank dafür aus,« entgegnete der Graf mit sichtlicher Erleichterung. »So werde ich sie also vorher sehen und sprechen können?« fragte er.
»Ja, mein Freund. Sidonie erwartet Sie, und ich bin sicher, wir werden von Niemand beobachtet werden. Der Prinz ist nicht anwesend, und diesem Umstande verdanken wir die Ermöglichung dieses Wiedersehens.«
»Das Alles giebt mir meinen Muth wieder; denn ich verhehle Ihnen nicht, mich peinigte die Besorgniß, es würde dieses vor dem Hof geschehen müssen.«
»Wir haben das Alles erwogen und sind daher auf einen Ausweg bedacht gewesen. O, wie glücklich ist unsere arme Freundin in dem Bewußtsein, Sie endlich wieder zu sehen!« bemerkte Aurelie und fragte alsdann:
»Sie sind mit Allem — Allem bekannt?«
Der Graf bejahte mit einem schweren Seufzer.
»Ihr Anblick und Ihre Nähe werden ihr Herz mit Muth und Trost beleben, die ihr so nothwendig sind.«
»Möchte der Himmel unser Wiedersehen beschützen und segnen!« — fiel der Graf bewegt ein und fuhr [S. 109] nach kurzer Pause fort: »Ich weiß, daß die Augenblicke für uns kostbar sind, darum bitte ich Sie, mir zu sagen, ob ich Sie an einem andern Ort ungestört sprechen kann, um von Ihnen Näheres über Sidonie zu vernehmen und zugleich die von Ihnen und der Freundin gewünschten Mittheilungen über mein vergangenes Leben machen zu können.«
»Sie kommen meinen Wünschen damit entgegen; denn einen andern Weg giebt es nicht zur Erfüllung unseres Verlangens, da Ihre längeren und wiederholten Besuche bei mir sehr bald bemerkt und besprochen werden würden. Ueberdies sind wir genöthigt, unsere näheren Beziehungen zu einander zu verheimlichen. Denn an unserm verderbten Hofe ist schon das Geringste hinreichend, irgend eine üble Deutung daraus zu ziehen, da man den Werth und das Benehmen Anderer nach sich selbst beurtheilt. Daher gebietet die Vorsicht, uns an einem andern Ort zu treffen, und das soll geschehen. Der heutige Tag nimmt mich, wie Ihnen bekannt, durchaus in Anspruch; doch morgen Nachmittag um die vierte oder fünfte Stunde besuche ich meine Verwandte, Frau von Techow, in der Stadt und werde Sie dort anmelden und erwarten. Frau von Techow ist Witwe und lebt ziemlich eingezogen, und wir werden bei ihr die geeignetste Gelegenheit zum Austausch unserer Gedanken finden.«
»Tausend Dank! Ich werde Sie dort aufsuchen, und es bedarf wol der Versicherung nicht, wie sehr ich mich auf diese Stunde freue.« [S. 110] »So kommen Sie denn, mein Freund. Wir dürfen nicht länger zögern, soll uns unsere Absicht nicht vereitelt werden. Ich führe Sie nach einem Blumenzimmer, zu welchem wir unbemerkt gelangen können, dasselbe grenzt an den großen Gartensaal und dort werden Sie Sidonie sehen. Ich darf Ihnen Ihr Verhalten wol nicht näher bezeichnen, falls wir von irgend einer Seite überrascht werden sollten. Ihr Wunsch, das Palais ein wenig in Augenschein zu nehmen, hat mich bewogen, Sie dahin zu führen. Natürlich müßten dadurch unsere freundschaftlichen Beziehungen verrathen werden; das wäre jedoch in solchem Fall ohne alle Bedeutung. Für Sidonie haben Sie nichts zu besorgen, selbst wenn man Sie im Gespräch mit ihr sähe. Der Zufall und der Ihnen von dem Herzog gegebene Auftrag an die Prinzessin dürften genügende Gründe zur Entschuldigung dieser Annäherung bieten. Ueberdies pflegt Sidonie auch häufig von dem Saal aus nach dem Garten zu gehen, und es dürfte daher nicht auffällig erscheinen, wenn dies auch heute und in dieser Stunde geschieht.«
»Das eben war’s, was mich besorgt machte; nun ich in dieser Beziehung gesichert bin, fühle ich mich ruhiger und bitte, führen Sie mich jetzt zu ihr,« entgegnete der Graf, sichtlich erfreut und beruhigt.
In Folge von Sidoniens Wunsch war Aurelien in dem Erdgeschoß des Palais, und zwar in der Nähe ihrer Gemächer, eine Wohnung eingeräumt worden, damit die [S. 111] Freundin leichter und bequem zu der Prinzessin gelangen konnte.
Aureliens Wohngemach lag neben einigen unbewohnten Zimmern, an welche das Blumenzimmer und der Gartensaal grenzten.
Dieser Umstand ermöglichte es Aurelien jetzt, den Grafen nach dem Ort der Zusammenkunft unbemerkt führen zu können.
Glücklich gelangten sie in das Blumenzimmer, das ihnen einen Ueberblick über den Saal und den Garten gestattete. Die daselbst befindlichen hohen Gewächse schützten sie vor einem zu leichten Erkennen von etwa zufällig Vorübergehenden, indem ihnen dieser Vortheil zugleich gestattete, falls es nothwendig wurde, sich unbemerkt zurückziehen zu können.
Aurelie hatte sich sogleich nach dem offnen Ausgange in den Saal begeben, um sich zu vergewissern, daß daselbst Niemand sei, und zugleich Sidoniens Ankunft zu erwarten, während der Graf zwischen den Pflanzengruppen zurückblieb.
Wie sie es vorausgesehen war der Saal leer, auch deutete die lautlose Stille ringsum an, daß sich in der Nähe kein zu fürchtender Lauscher befand, und so athmete sie froh und beruhigt auf.
Während sie dem Grafen ein Zeichen gab, näher zu kommen, öffnete sich die Thür in Sidoniens Gemach, und die Prinzessin trat mit sichtlicher Erregung ein. Niemand folgte ihr. [S. 112] Sie war bleich und nur das belebte Auge verrieth ihre innere Bewegung. Sie blickte sich forschend um und gewahrte Aurelie und den Grafen.
Sie that wenige Schritte, alsdann blieb sie stehen und lehnte sich auf die ihr rasch genahte Freundin, von der Heftigkeit ihrer Empfindungen überwunden. Mit einem eben so schmerzvollen als innig zärtlichen Blick streckte sie dem nahenden Grafen die Hand entgegen, die dieser ergriff und an die Lippen drückte.
Niemand von ihnen sprach ein Wort. Auge ruhte in Auge, so betrachteten sie sich einige Secunden. Ein unendlich schmerzliches Gefühl zog durch des Grafen Seele, als er die große Veränderung gewahrte, welche die einst so jugendfrische Gestalt der Prinzessin in den wenigen Jahren erlitten hatte.
Die weichen, lieblichen Züge waren einem leidenden Ausdruck gewichen, der sich trotz des liebenden Gefühls, das sie in diesem Moment dem Geliebten gegenüber erfüllte, geltend machte.
Die reizende Jugendfülle war geschwunden und hatte sich in eine auffällige Schlankheit umgewandelt, die um so sichtlicher hervortrat, da ihre Haltung in diesem Augenblick noch hinfälliger als sonst war.
Auch des Grafen Aussehen trug Spuren großer Veränderung; er schien fast um zehn Jahre gealtert; Sidonie bemerkte das sogleich und mit tiefer Wehmuth ruhte ihr Auge auf seiner Gestalt.
O wie schmerzvoll war ihr Wiedersehen! [S. 113] Obgleich von ihren Empfindungen mächtig zu einander gezogen, waren sie dennoch gezwungen, sich fern zu bleiben und mit einem Händedruck zu begnügen. Aber ihre Lage gebot, auch selbst darauf zu verzichten, und bald lösten sich die bebenden Hände von einander und der Graf trat von ihr zurück, um die gewöhnliche ehrerbietige Entfernung zwischen ihnen herbei zu führen.
»O, welche unendliche Freude, Sie endlich, endlich und heute wieder zu sehen!« sprach Sidonie, den Grafen mit inniger Freude betrachtend.
»Ich verdanke dieses nicht gehoffte Glück dem Auftrage Ihres Bruders, dem ich bei meiner Rückkehr einen Besuch abstattete und der mir denselben ertheilte, nachdem er von mir die Absicht vernommen hatte, mich hierher zu begeben,« erklärte der Graf.
»O, wie gut, wie herrlich, daß Sie wieder hier und nicht mehr so weit von mir entfernt sind!« fiel Sidonie ein und fügte alsdann fragend hinzu: »Sie bleiben doch hoffentlich längere Zeit hier?«
»Ich hatte meinen Aufenthalt auf zwei Wochen festgesetzt« — — entgegnete der Graf zögernd.
»Nur zwei Wochen?! O, das ist eine sehr kurze Zeit!« rief die Prinzessin in schmerzlichem Ton. »Nicht wahr, Sie werden ihren Aufenthalt, wenn es sein kann, verlängern und mir dadurch die Gelegenheit verschaffen, Sie öfter und unter günstigeren Verhältnissen wieder zu sehen?«
»Dürfte uns das gestattet sein?« fragte der Graf mit Betonung. [S. 114] »Und warum nicht? Aurelie wird Ihnen mittheilen, in welcher Weise ich hier lebe, und Sie daraus entnehmen, daß ich seit Jahr und Tag mein Leben nach meinem Gutdünken einrichte. Ich empfange in der Woche ein- bis zweimal einige Bekannte, wer wollte es mir verwehren, auch den Freund meines Bruders zu empfangen?« —
»Mir war das unbekannt, und es bedarf wol der Versicherung nicht, wie sehr mich Ihre Güte beglückt,« entgegnete der Graf, eben so sehr überrascht als erfreut.
»Ich setze voraus, Sie stimmen mit meinen Wünschen überein. Warum sollte ich in meiner Lage einer so schönen Freude entsagen, warum den Trost, den mir der Himmel in seiner Güte so unverhofft sendet, zurückweisen? O, ich bin nicht so stark, Uebermenschliches zu ertragen und die Hand nicht nach dem theuren Freunde auszustrecken, der mich in meinem Kummer aufrecht erhält. Die mich umgebende gleißende Herrlichkeit mit ihren Menschen verdient es nicht, ihnen so große Opfer zu bringen. Niemals würde ich mich dazu verstehen. Sie werden Aurelie sprechen und sie wird Ihnen Alles sagen, was Sie wissen müssen, mein theurer Freund, und dann mögen Sie selbst entscheiden,« sprach Sidonie mit festerer Stimme und fügte schmerzlich hinzu: »Ach, wie könnte ich von Ihnen scheiden ohne die Gewißheit des Wiedersehens, eines so oft ersehnten Wiedersehens!«
In tiefer Bewegung ergriff der Graf ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen, während sie freudig erregt fortfuhr: [S. 115] »O, welch eine schöne Stunde wird es sein, in der Sie mir ungestört alles das mittheilen werden, was Ihnen in der langen Zeit unserer Trennung begegnet ist. Wie oft haben wir Ihrer gedacht und Sie auf Ihren Reisen im Geist begleitet! O, wie wahr haben Sie einst gesprochen, daß die Ferne treue Herzen nicht zu trennen vermag, ich habe es an mir erfahren.«
»Wie beglückt es mich, theure Prinzessin, dies Alles aus Ihrem Munde zu vernehmen und Ihnen gestehen zu dürfen, daß meine Einsamkeit in der Fremde stets durch die Bilder der Heimath belebt worden ist,« entgegnete der Graf, indem sein Auge dem ihrigen voll Innigkeit begegnete.
»Ich wußte es ja!« fiel Sidonie ein und fügte hinzu: »Welche wundersame Kraft hat dieses Wiedersehen! Mir ist, als wäre ich dadurch mir selbst wiedergegeben worden und meine gefesselte Seele hätte Flügel der Freiheit gewonnen, um sich über alles Erdenleid fortzuschwingen! Mit wie ganz anderen Empfindungen gehe ich jetzt dem mir sonst so unangenehmen Empfange entgegen, da ich weiß, daß ich dabei meinen lieben Freund wiedersehen werde!«
»So laß mich ihn zurückführen, ehe der günstige Augenblick uns enteilt,« fiel Aurelie mit Besorgniß ein.
»Muß es sein?« fragte Sidonie rasch und besorgt.
»Du kennst die Gründe meines Drängens. Wir müssen jede Vorsicht beobachten,« bemerkte Aurelie.
»Du hast Recht! Sei es denn, und so leben Sie [S. 116] wohl, mein Freund,« sprach Sidonie und war eben im Begriff, dem Grafen die Hand zu reichen, als man das rasche Heranrollen eines Wagens vernahm, der gleich darauf an dem Palais still hielt.
»Das ist der Prinz! Fort, fort in Dein Gemach!« rief Aurelie erschreckt, während sie zugleich des Grafen Hand ergriff und ihn eilig nach dem Blumenzimmer zog.
Kein Lebewohl wurde gesprochen. Gleich einem gescheuchten Reh eilte Sidonie in ihr Zimmer, und ehe sich noch die Thür hinter ihr schloß, hatte Aurelie mit dem Grafen bereits das Blumenhaus erreicht. Dieses sowie die anderen Gemächer wurden hastig und schweigend von ihnen durchschritten, und wenige Augenblicke darauf befanden sie sich in dem Wohngemach der Dame.
»So, jetzt ist Alles gut!« sprach Aurelie tief aufathmend. »Sie ist unbemerkt in ihre Gemächer gelangt; wir haben nichts zu besorgen! O, wie freue ich mich, daß es uns gelungen ist; denn ich habe nur zu wohl erkannt, wie nothwendig diese Zusammenkunft war, sollte sich Sidonie nicht verrathen.«
»Ich theile Ihre Empfindungen, meine theure Freundin, und mein Dank für Ihre Güte ist darum um so heißer. Nichts von dem schmerzlichen Eindruck, den ich von Sidonien empfangen habe. Die Wirklichkeit hat alle meine Erwartungen übertroffen. O, sie ist ja nur noch ein Schatten dessen, was sie einst war!« sprach der Graf in kummervollem Ton.
»So ist es!« seufzte Aurelie und fügte alsdann hinzu: [S. 117] »Doch die Zeit drängt, daher kein Wort mehr! Sie müssen mich sogleich verlassen; Ihr längeres Hiersein in dieser Zeit würde Aufsehen erregen, auch bin ich nicht sicher, durch den Besuch einer der hier wohnenden Hofdamen überrascht zu werden. — Also auf Wiedersehen morgen bei Frau von Techow, mein Freund!« Sie reichte dem Grafen die Hand, die dieser herzlich drückte und sich alsdann entfernte.
Niemand außer Aureliens Dienerin bemerkte sein Fortgehen.
Das Fräulein beobachtete ihn durch das Fenster, um sich zu vergewissern, ob er irgend etwa einer Person von Bedeutung begegnete. Dies war jedoch nicht der Fall, sondern der Graf erreichte unbemerkt die an dem Platz vorüberführende Straße, welche er verfolgte und bald ihren Blicken entschwand.
Durch alle diese Umstände noch mehr beruhigt, ging sie an ihre Toilette, da die Stunde des Empfanges nahte.
Sie hatte sich in ihrer Voraussetzung von des Prinzen Ankunft nicht getäuscht; derselbe war so eben angelangt.
Zitternd und schweißbedeckt von der übermäßigen Anstrengung hielten die Pferde vor dem Palais. Der Prinz hatte, um noch zu guter Zeit daselbst einzutreffen, den mehre Meilen langen Weg von der Residenz in der höchsten Eile zurückgelegt.
Er hatte während der Fahrt geschlafen und erwachte erst, als der Wagen still stand.
»Sind wir da?« fragte er seinen Begleiter und [S. 118] persönlichen Adjutanten, den Major, Baron von Mühlfels. Dieser bejahte. Ziemlich schwerfällig stieg der Prinz aus dem Wagen und ging gähnend an der ihn respectvoll erwartenden Dienerschaft vorüber in sein Wohngemach, woselbst er sich auf einen Divan warf. »Wie viel Uhr ist’s, Mühlfels?« fragte er.
»Eilf Uhr vorüber.«
»So haben wir ja noch mehr denn eine Stunde vor uns! — Kleide mich aus, Henry,« herrschte er dem auf seine Befehle harrenden vertrauten Kammerdiener zu, indem er demselben die Füße hinstreckte.
Henry unterzog sich dem Befehl mit der an ihm bewährten Eile und Geschicklichkeit, und nach wenigen Augenblicken befand sich der Prinz in einer behaglichen Morgentoilette.
»Rasch, Henry, ein Bad, aber heute ein würziges Kräuterbad, wie sonst!« befahl darauf der Prinz, und der Diener, der, in das Leben seines fürstlichen Herrn des genauesten eingeweiht, ein solches bereits hatte vorbereiten lassen, entgegnete, daß dasselbe zu der Hoheit Befehl stände.
»Das ist gut. So geh’ und erwarte mich!« befahl der Prinz und Henry entfernte sich. »Eine verteufelt hübsche Nacht, die wir bei der kleinen Zelia zugebracht haben,« fuhr der Prinz in der Erinnerung des Verlebten fort. »Das Dämchen ist allerliebst und ihre Freundinnen stehen ihr wenig darin nach. Ich denke, Mühlfels, Sie pflichten mir darin bei?«
»Gewiß, Hoheit. Sie besitzt eben so viel körperliche [S. 119] Reize, als die angenehmste Weise, dieselben geltend zu machen,« entgegnete dieser vertraulich und entgegen kommend.
»Sie würden Zelia noch mehr preisen, kennten Sie sie so genau wie ich,« fiel der Prinz lachend ein und fügte dann mit einem cynischen Blick auf den Major hinzu: »Doch ich denke, Sie sind durch die anderen Mädchen für diese Unkenntniß entschädigt worden. Es war eine köstliche Nacht, und ich habe mich schon lange nicht so vortrefflich amüsirt wie dieses Mal. Man muß es Ihnen lassen, Mühlfels, Sie verstehen sich magnifique auf diese Dinge und Ihre Erfindungsgabe verdient alle Anerkennung. Sie wissen überall ’was Subtiles aufzutreiben, so daß immer ein neues Amusement da ist und man keine Langeweile spürt. — — A propos! « fragte er sich besinnend, »wie viel habe ich verloren?«
»Dieses Mal ziemlich viel. Fünfhundert Ducaten an Zelia und fast eben so viel an die anderen Damen und Herren,« entgegnete Mühlfels.
»Bagatelle!« rief der Prinz und fügte hinzu: »Ich dachte, es wäre mehr. Lassen Sie sich das Geld von meinem Schatzmeister geben und händigen Sie es den Leuten ein. Ich denke, meine Kasse wird nicht erschöpft sein. Ich werde selbst mit Tendler — dem Schatzmeister — sprechen. — Doch da fällt mir ein, daß ich der Zelia einen Halsschmuck und Bracelets versprochen habe; ich bin ihr eine Erkenntlichkeit schuldig; sagen Sie meinem Juwelier gelegentlich, daß er für die Spielerei sorgt und sie mir [S. 120] in den nächsten Tagen bringt. Ich will Zelia das Geschenk selbst einhändigen. Nun aber in das Bad, um meinen Gliedern wieder Spannkraft zu geben, denn ich fühle mich doch ein wenig angegriffen. Werfen Sie sich unterdessen in die Staatsuniform, denn wir müssen ja der langweiligen Empfangs-Ceremonie beiwohnen und dabei ein gutes Aussehen haben. Sind Sie angekleidet, so kommen Sie wieder zu mir, damit ich Sie bei der Hand habe.«
Mit diesen Worten erhob er sich, schlug den Schlafrock fester um seine Glieder und begab sich in das Bad, das seine erschöpften Kräfte wieder stärken sollte.
Trotz der schlaffen Haltung, des bleichen, überwachten Antlitzes und der matten, eingefallenen Augen war des Prinzen Erscheinung dennoch keine unangenehme, da sich seine körperlichen Vorzüge selbst noch unter den angegebenen Umständen geltend machten. Er besaß eine hohe, stattliche, schön gebildete Gestalt, ein nicht minder schön geformtes Antlitz, dem neben dem sinnlichen ein gewisser gutmüthiger Ausdruck nicht mangelte, der sich auch in seinen blauen Augen widerspiegelte und Vertrauen erweckte. Dieses Vertrauen wurde auch in der That nicht getäuscht; denn der Prinz war eben so gütig, als leichtsinnig und verschwenderisch, und der Bittende konnte Alles von ihm verlangen, sobald er seine Schwächen zu benutzen verstand.
Dagegen konnte der Prinz eben so rauh und jähzornig werden, sobald man seinen Neigungen und Verirrungen [S. 121] entgegen trat; ebenso übte seine Stimmung einen großen Einfluß auf ihn aus und man mußte sich hüten, ihn in solchen Augenblicken irgendwie zu reizen, wozu oft schon ein nicht gut gewähltes Wort hinreichte.
Seine Umgebung und selbst sein vertrauter Kammerdiener Henry hatten das Alles schon oft erfahren müssen. Sein Zorn konnte sich selbst bis zu Thätlichkeiten steigern, in Folge dessen sich alsdann gewöhnlich sein Unmuth verlor und einer an Schwäche streifenden Gutmüthigkeit wich, die alsdann von den klugen und listigen Leuten zum Nachtheil des Prinzen wieder ausgebeutet wurden.
Diese Zeichnung wird zugleich genügen, des Prinzen Verhalten gegen seine Gemahlin zu erklären. Charaktere, wie derjenige des Prinzen, besitzen bei aller Gutmüthigkeit dennoch eine gewisse Abneigung vor Personen von wahrhaft sittlichem Gehalt, deren Anerkennung und Würdigung ihnen nicht nur höchst unbequem ist, sondern auch zugleich nicht denjenigen Genuß zu gewähren vermag, der von ihrer sinnlichen Natur gefordert wird.
Es bewährte sich auch in diesem Fall die oft gemachte Erfahrung, daß der Mensch sich nur in der seinem innersten Wesen zusagenden Umgebung behaglich fühlt, und damit wird der häufig genannte Satz, daß unsere Freunde unsern sittlichen Gehalt bezeichnen, zugleich bestätigt. Den Beweis dafür liefert, außer den übrigen mit dem Prinzen genauer vertrauten Freunden, ganz besonders der Baron von Mühlfels, des Prinzen intimster Freund seit ungefähr einem Jahre. [S. 122] Der Prinz lernte denselben bei einem seiner häufigen Besuche in der Residenz kennen, woselbst ihm der Baron vorgestellt wurde. Das heitere, sinnliche Wesen, mehr noch die Gabe, allerlei dem Prinzen zusagende Genüsse und Belustigungen zu erfinden, sowie das Ablauschen seiner Wünsche und Eingehen auf seine Neigungen nahmen den Prinzen sogleich für den Baron ein, und es vergingen kaum wenige Wochen, so hatte sich der Letztere das ganze Vertrauen des Prinzen zu erwerben gewußt. Hierauf übten noch andere intime Beziehungen, welche der Baron zwischen sich und dem Prinzen herbei zu führen bemüht gewesen, einen wesentlichen Einfluß aus. Ohne dieselben näher zu bezeichnen, bemerken wir nun, daß sie sehr niederer Natur waren. Der Baron war Kapitän bei einem der in der Residenz stehenden Regimenter und ein Sohn der Oberhofmeisterin der Prinzessin Sidonie. Bei dem vor mehren Jahren erfolgten Tode seines Vaters war die ziemlich zahlreiche Familie in nichts weniger als glänzenden Umständen zurück geblieben, die sich nun bemühte, auf irgend eine Weise ihr Glück und sogenannte Carrière zu machen; die männlichen Mitglieder, indem sie bei Hof oder dem Militär eine Stellung suchten, die weiblichen durch eine vortheilhafte Heirath. Durch des Prinzen Fürsprache wurde Mühlfels sehr bald zum Major und dann zum Adjutanten ernannt. Der Baron war später bedacht, seinen Einfluß auf den Prinzen so weit geltend zu machen, daß bei der Neubesetzung der Oberhofmeisterinstelle bei der Prinzessin diese seiner Mutter anvertraut [S. 123] wurde. Es war Mühlfels im Lauf der Zeit gelungen, den Prinzen so sehr für sich einzunehmen, daß dieser seinen Umgang nicht mehr zu entbehren vermochte und daher selten ohne den Baron gesehen wurde. Ebenso darf kaum bemerkt werden, daß der Baron des Prinzen Ausschweifungen nicht nur theilte, sondern sehr viel beitrug, den Reiz derselben für seinen Gebieter zu erhöhen. Es konnte unter solchen Umständen nicht ausbleiben, daß der Baron in alle Geheimnisse des Prinzen eingeweiht war und diesem zugleich in vielen Dingen als Rathgeber diente. Der Prinz gab viel auf das Wort seines Vertrauten und unterwarf sich demselben selbst in oft sehr bedeutsamen Angelegenheiten und unter Verhältnissen, unter welchen alle übrigen Personen seiner Umgebung, ja sogar der fürstliche Oheim selbst, nicht den geringsten Einfluß auf ihn auszuüben vermochten.
Der Baron hatte in solcher Weise dasjenige erreicht, was er so sehnlich erstrebte: eine angenehme, einflußreiche Stellung mit der vielversprechenden Aussicht, dereinst und sobald der Prinz zur Regierung gelangte, noch bedeutendere Vortheile zu erreichen. Diese Umstände hatten ihn nicht nur zum Liebling seiner Mutter, sondern seiner ganzen Familie erhoben, die durch seinen mächtigen Einfluß die Erfüllung ihrer Wünsche mit Sicherheit erwartete.
Indem der Baron in immer vertraulichere Beziehungen zu dem Prinzen trat, fand er zugleich Gelegenheit, einen tieferen Blick in das eheliche Verhältniß desselben zu thun; ebenso gelangte er öfter in Sidoniens [S. 124] Nähe, indem er durch die Aufträge seines Gebieters zu einem persönlichen Verkehr mit ihr veranlaßt wurde. Ihre Schönheit zog ihn sogleich mächtig an, indem zugleich im Hinblick auf das eheliche Zerwürfniß die Hoffnung in ihm erwachte, es müßte ihm nicht eben schwer werden, sich deren Gunst zu erwerben. Der Prinz hatte ihm überdies die für seine Gemahlin gehegte gänzliche Gleichgiltigkeit so oft zu erkennen gegeben, daß er sich überzeugt hielt, derselbe würde auch eben so gleichgiltig etwaige vertrauliche Beziehungen zwischen ihm und Sidonien betrachten. Bei der herrschenden Verdorbenheit aller sittlichen Zustände und namentlich bei den höheren Ständen als zum guten Ton gehörenden Sitte, daß verheirathete Damen stets über einen Cavaliere servante verfügten und sich selbst mit ihren Eroberungen vor aller Welt brüsteten, däuchte ihm die Erfüllung seines Verlangens durchaus nicht mit besonderen Hindernissen verbunden zu sein.
Die Prinzessin lebte eingezogen, hatte nur wenigen Umgang mit Männern, von denen sich, wie er wußte, keiner ihrer besondern Gunst erfreute, war durch ihr eheliches Leben verstimmt und unbefriedigt; es lag also die Voraussetzung nahe, daß sie bei ihrer Jugend auf das Glück der Liebe nicht verzichtet haben könnte und dieses daher in dem vertraulichen Umgange mit einem ihrer Neigung entsprechenden Manne vielleicht suchte. Seiner Ansicht nach würde sie denselben gewiß schon längst gefunden haben, wenn die Verhältnisse anderer Art oder [S. 125] Jemand muthig genug gewesen wäre, sich der Prinzessin mit offener Verehrung zu nahen. Ihm nun boten sich alle Vortheile durch seine Stellung bei dem Prinzen dar, die überdies noch durch diejenige seiner Mutter bei Sidonien wesentlich unterstützt werden konnten. Alle diese Umstände erhöhten den Muth und die Hoffnung des Barons in hohem Grade.
Er war jedoch eben so vorsichtig als ehrgeizig und daher bedacht, bevor er seine Pläne verfolgte, sich über Sidoniens Gefühle für ihn erst genaue Kenntniß zu verschaffen. Es entging ihm nämlich schon bei den ersten Begegnungen mit der Prinzessin nicht, mit wie wenig gütigen Augen sie den Freund ihres Gemahls betrachtete, von welchem sie voraussetzen konnte, daß derselbe des Prinzen Ausschweifungen theilte.
Er erkannte daher die Nothwendigkeit, bevor er sich selbst der Prinzessin nährte, durch Andere zu seinen Gunsten auf sie wirken zu lassen, indem er sich ihr nicht etwa als den übeln Freund ihres Gemahls, sondern als den guten Engel desselben darstellen ließ, der nur duldete, was er nicht zu ändern vermochte, der dies jedoch lediglich in der edeln Absicht that, den Prinzen auf den Weg der Sittlichkeit zu leiten.
Einer solchen Täuschung durfte er sich um so sicherer bedienen, da er überzeugt war, daß sein wahres Verhältniß zu dem Prinzen von Sidonien nicht erforscht werden konnte. Denn änderte der Prinz sein wildes Leben nicht, so trug nicht er , sondern sein fürstlicher Gebieter die [S. 126] Schuld; er konnte ja trotz alledem dennoch immer seine wohlmeinende Absicht verfolgen, wenn auch das Resultat nicht das gewünschte und erwartete war. Vor allen Dingen war er daher bedacht, seine Mutter in seine Pläne einzuweihen und sie zu veranlassen, Aurelien seine Bestrebungen mitzutheilen. Mit den vertraulichen Beziehungen der Letzteren zu Sidonien bekannt, konnte er mit Bestimmtheit erwarten, daß die Prinzessin durch ihre Freundin von demjenigen unterrichtet wurde, was sie über ihn erfahren sollte.
Zu seiner Freude bemerkte er bald, daß seine so wohlüberlegten Bemühungen die gewünschten Wirkungen ausübten, denn sowol Aurelie als auch die Prinzessin schenkten ihm eine größere Freundlichkeit als bisher. Er erwiderte dieselbe durch die ehrerbietigste Ergebenheit, welche er namentlich der Prinzessin gegenüber an den Tag legte.
Jetzt nährte er sich Aurelien mehr und mehr, benutzte die geeignete Gelegenheit, ihr sein Bedauern über das Unglück der Prinzessin und seine aufrichtigste Theilnahme für diese auszudrücken, indem er zugleich seinen Kummer aussprach, so geringen Einfluß auf den Prinzen gewonnen zu haben, um dadurch in guter Weise auf diesen wirken zu können.
Seine Worte fanden bei Aurelien um so leichter Eingang und Beifall, da der Baron seine Rolle vortrefflich zu spielen und sie durch ein einfaches und offenes Wesen zu täuschen verstand. Ohne seine so verwerflichen [S. 127] Pläne zu ahnen, fühlte sie sich um so weniger zu einem Argwohn bewogen, da Sidoniens Lage zu sehr geeignet war, das Mitleid Anderer heraus zu fordern; vielmehr freute sie sich doppelt, ein solches bei dem Vertrauten des Prinzen zu entdecken. Es konnte nicht ausbleiben, daß sie mit Sidonien darüber sprach und auch diese durch das Vernommene angenehm berührt wurde und Beide dem Baron fortan mit Wohlwollen entgegen kamen.
In solcher Weise gesichert, ging Mühlfels jetzt an die Ausführung seiner Absicht. Er zweifelte an dem Gelingen derselben nicht. Hierzu glaubte er sich nicht nur durch die bereits erzielten Vortheile, sondern noch viel mehr durch seine persönlichen Vorzüge und die ihm von der Frauenwelt geschenkte Zuneigung berechtigt. Er mochte in seinem Sinne Recht haben; denn Mühlfels war in der That ein eben so schöner als von den Damen gesuchter und verehrter Mann. Ueberdies besaß er die Gabe angenehmer Unterhaltung und die Kunst, stets den beliebten Ton anzuschlagen; rechnen wir dazu das von ihm gewöhnlich beobachtete offene und heitere Wesen, so kann es nicht überraschen, wenn es ihm nicht nur gelang, sich beliebt zu machen, sondern auch selbst schärfer Blickende über seinen eigentlichen Charakter zu täuschen.
Erwägen wir dabei noch seine seltene Beharrlichkeit, mit welcher er seine Absichten zu verfolgen pflegte, so werden wir die nicht geringe Gefahr erkennen, der sowol Sidonie als ihre Freundin entgegen gingen, nämlich [S. 128] nicht nur getäuscht zu werden, sondern auch ihr Vertrauen obenein gemißbraucht zu sehen.
Bedurfte es auch einer nicht eben kurzen Zeit, ehe des Barons anscheinend absichtslose Worte Eingang in ihre Herzen fanden, so war die dadurch erzielte Täuschung darum auch zugleich eine um so sicherere.
Ein weiterer Umstand, des Barons Annäherung nicht ganz abzulehnen, war Sidoniens Verlangen, den Prinzen zu einem sittlicheren Leben zurück zu führen. Sie selbst hatte, wie sie zur Genüge erfahren, nicht den geringsten Einfluß auf ihn und fast eben so wenig auch der Fürst; Mühlfels dagegen einen um so größeren.
Wie natürlich also, daß sie die Hand nicht zurückwies, die sich ihr in anscheinend hochachtungsvoller Weise darbot, ein und dasselbe Ziel zu erreichen; denn nachdem sie einmal der Täuschung über des Barons Absichten erlegen war, würde es ja unverständig gewesen sein, die Annäherung des einzigen Mannes abzuweisen, der befähigt war, in ihrem Sinne auf den Prinzen zu wirken.
Durch die anhaltenden Bemühungen seiner Mutter unterstützt, begann nun Mühlfels, sich Sidonien in der Maske des aufrichtigen und theilnehmenden Freundes vorsichtig zu nähern. Er erkannte dabei jedoch sehr bald, wie sehr er sich in der Voraussetzung eines leichten Sieges über sie getäuscht hatte und wie wenig Sidonie geneigt war, die Huldigungen eines selbst so einnehmenden Mannes, wie er, als etwas längst Gewünschtes anzunehmen. Er glaubte den Grund dazu in dem Kummer suchen zu müssen, [S. 129] den Sidonie über ihre unglückliche Ehe empfand, so wie in dem Interesse, das sie, wenigstens in einem gewissen Grade noch, für ihren Gemahl hegte. Es fiel ihm nicht ein, zu erwägen, daß der sittliche Charakter der Prinzessin trotz der dazu herausfordernden Umstände und Sitten dergleichen ablehnen müßte.
Von der obigen Voraussetzung erfüllt, erkannte er daher die Nothwendigkeit, Sidoniens Interesse für den Prinzen ganz und gar zu zerstören, um sich dadurch den Weg zu ihrer Gunst zu bahnen.
Und so geschah es, daß er ihr des Prinzen Treiben mit den schwärzesten Farben durch seine Mutter ausmalen ließ und ihr, wenn er Gelegenheit fand, persönlich mit ihr zu verkehren, nicht nur seinen Kummer, sondern sogar seine Entrüstung über dasselbe andeutete.
Trotz alledem glaubte er aus der Prinzessin Verhalten gegen ihn dennoch entnehmen zu müssen, daß der rechte Zeitpunkt, ihr seine Verehrung offen zu erkennen zu geben, noch immer nicht gekommen sei. Darauf hindeutende Bemerkungen von seiner Seite schien sie nicht zu verstehen oder als Zeichen gewöhnlicher Theilnahme zu betrachten, für welche sie ihm durch ein gütiges, keineswegs jedoch wärmeres Benehmen dankte.
Diese wenig ermunternden Umstände schreckten den Baron jedoch von seinem Vorhaben nichts weniger als zurück, noch weniger veranlaßten sie ihn etwa zum Aufgeben desselben; im Gegentheil wuchs seine Interesse für Sidonie, die ihm in ihrer Unbefangenheit und in ihrem [S. 130] Kummer nur noch reizender erschien. Hierauf übte auch die Entdeckung, einer wahrhaft sittlichen Frau gegenüber zu stehen, keinen geringen Einfluß aus, dieselbe war ihm neu und überraschend. Leichtsinn, Eitelkeit und Gefallsucht waren die Grundelemente derjenigen Frauencharaktere gewesen, die er bisher kennen gelernt hatte, und die neuen Bekanntschaften in dieser Beziehung unterschieden sich in nichts von den früheren. Freilich übersah er dabei, daß er sich nur immer in Kreisen bewegte, in welchen die Freiheit der Sitten eine sehr bedenkliche Höhe erreicht hatte und fast Sittenlosigkeit genannt werden mußte.
Mit der ihm eigenthümlichen Beharrlichkeit verfolgte er daher seinen Plan, durchaus überzeugt, früher oder später, jedoch sicher zu dem gewünschten Ziel zu gelangen, da Sidoniens Interesse für den Prinzen sich in der That namentlich in der letzten Zeit auffällig vermindert zu haben schien. Sie zeigte sich überdies gütiger gegen ihn und beehrte ihn sogar durch eine Einladung zu ihren Abendcirkeln, in welchen der Baron durch sein Unterhaltungstalent zu glänzen sich bemühte, das Sidonie gern anerkannte und sie wahrscheinlich auch zu der Einladung bestimmt hatte.
Dies war der Erfolg, den der Baron zur Zeit des Beginns unserer Erzählung erzielt hatte, und wir nehmen den Faden derselben wieder auf.
Dem Befehl des Prinzen gemäß begab er sich nach seiner Wohnung und bereitete sich zu dem Empfange bei der Prinzessin vor, um bald zu dem Ersteren zurückkehren [S. 131] und die weiteren Aufträge vernehmen zu können. Zu diesen zählte er vor allen den mit Bestimmtheit erwarteten Auftrag, die Prinzessin im Namen ihres Gemahls zu begrüßen und ihr die Frage zu überbringen, zu welcher Stunde es ihr angenehm sein würde, die erwarteten Personen zu empfangen.
Zufolge der üblichen Formen mußte der Prinz dabei anwesend sein, so wie es sich verstand, daß er seine Gemahlin den auf sie harrenden Personen zuführte und ihr vorher seinen Glückwunsch abstattete. Der Baron fand also bei der Ausführung seines Auftrages die sehr gewünschte Gelegenheit, in seinem eigenen Interesse zu wirken, wozu das heutige Fest eine willkommene Veranlassung bot.
Er kleidete sich daher so sorgfältig als möglich und erwog dabei zugleich die Worte, mit welchen er die Prinzessin zu beglückwünschen und in die er zugleich seine Huldigung zu verflechten gedachte.
Während seiner Bemühungen war der Prinz weit entfernt, sich in ähnlicher Weise mit seiner Gemahlin zu beschäftigen; im Gegentheil war ihm das Fest, da es ihm allerlei Zwang und Langeweile brachte, nichts weniger als erwünscht. Aber so lästig ihm auch dasselbe war, konnte er es dennoch nicht gut umgehen und hatte sich also in das Unvermeidliche ergeben.
Nachdem er sich durch ein Bad und ein vortreffliches Frühstück gestärkt, der Hof-Friseur und Barbier ihm die nöthigen Dienste geleistet hatten, ließ er sich von Henry [S. 132] ankleiden, wobei er wie gewöhnlich nach denjenigen Dingen und Personen fragte, für welche er ein gewisses Interesse hegte. Der verschmitzte Diener, mit dem Geschmack seines Gebieters hinlänglich vertraut, wußte allerlei pikante Geschichtchen zu erzählen, deren Inhalt gewöhnlich ziemlich zweideutiger Art und dem Gebiet der Intrigue und Galanterie entlehnt waren und nicht nur am Hofe, sondern auch in sehr gewöhnlichen Gesellschaftskreisen stattgefunden hatten.
Henry übertraf sich im Hinblick der wenig behaglichen Stimmung des Prinzen heute selbst, indem er in dem Bemühen, ihn zu erheitern seine ganze Erfindungskraft anstrengte und dabei die derbsten und schlüpfrigsten Geschichten zu Tage förderte, von welchen nur wenige den Schmuck der Dichtung entbehrten. Aber er kannte seinen Prinzen zu wohl, um den Haut gout zu sparen, und so gelang ihm seine Absicht vortrefflich. Der Prinz belustigte sich, lachte, und ehe noch seine Toilette vollendet war, befand er sich in einer bessern Stimmung.
»Wie geht es dem Fürsten?« fragte er darauf.
»Sie befinden sich heute wohler. Das Podagra hat Sie verlassen und Sie gedenken, mit Ihrer Gemahlin Ihrer Hoheit, der Prinzessin, heute einen Besuch abzustatten,« berichtete Henry.
»So werde ich mich beeilen müssen, damit ich sie empfangen kann. Wahrscheinlich wird der Fürst auch den Festlichkeiten beiwohnen?« — bemerkte der Prinz.
»Ich hörte, daß dies geschehen wird. Nach dem [S. 133] üblichen Festdiner wird im Palais französische Vorstellung und später eine Ballfestlichkeit sein« — fiel der in alle Dinge bei Hofe eingeweihte Leibdiener ein.
»Hast Du etwa erfahren, ob der Fürst nach mir verlangt hat?« fragte der Prinz nach kurzer Pause.
»Sie haben während Ihrer Abwesenheit sich zwei Mal nach Ihrer Hoheit erkundigen lassen.« —
Der Prinz trat ärgerlich mit dem Fuß auf und murmelte einige unverständliche Worte; alsdann fragte er, ob der Baron schon da wäre.
Henry wußte das nicht und begab sich in Folge dessen in das Vorgemach, dann kehrte er mit der Nachricht zurück, daß der Bezeichnete soeben angelangt sei.
Der Prinz befahl, den Baron sogleich zu ihm zu führen.
Als dieser eingetreten war und sich Henry entfernt hatte, bemerkte der Prinz in unmuthigem Ton:
»Der Fürst hat während meiner Abwesenheit nach mir verlangt, und ich vermuthe, es ist wegen des heutigen langweiligen Festes gewesen. Wahrscheinlich setzte er voraus, ich würde mich darum kümmern, und da dies nicht geschehen ist, wird er mir nicht besonders gnädig begegnen. Er schenkt der Prinzessin noch immer viel zu viel Aufmerksamkeit, trotzdem er sie prüde und langweilig findet. Nun, mag’s sein! Ich werde auch mit seiner Ungnade fertig werden. Doch wir müssen an den Empfang denken, denn das ewige Rollen der ankommenden Wagen sagt mir, daß sich die Leute versammelt haben. Gehen [S. 134] Sie jetzt zu der Prinzessin, Mühlfels, und fragen Sie sie, ob es ihr genehm ist, mich zu empfangen.«
»Machen Sie sich keine Gedanken wegen des Fürsten, mein Prinz. Ihre längere Abwesenheit, — ich denke, es sind höchstens sechs bis acht Tage, — kann ja auch durch ernste Angelegenheiten veranlaßt worden sein. Sie haben dem Grafen Renau einen Besuch gemacht, um sich über die dort betriebene Pferdezucht zu informiren, oder schenkten den Exercitien ihre Aufmerksamkeit,« — bemerkte Mühlfels mit einem verständigenden Blick auf den Prinzen.
»Sie haben Recht,« fiel dieser ein und fügte hinzu:
»Ich sehe überdies nicht ein, warum ich nicht nach Belieben über meine Zeit verfügen können sollte.«
»Das ist auch meine Meinung, mein Prinz; indessen dürfte es nichts schaden, dem Unmuth des Fürsten durch eine kleine Täuschung vorzubeugen. Er ist alt und kränklich, da muß man Rücksicht nehmen.« —
»Gut, gut, Mühlfels; ich werde ihm von Exercitien und Pferdezucht sprechen,« fiel der Prinz lachend ein und forderte ihn alsdann auf, zu der Prinzessin zu gehen.
Der Baron begab sich zu derselben und wurde sogleich vorgelassen.
Er entledigte sich in der ehrerbietigsten Weise seines Auftrages, und nachdem Sidonie erwidert, sprach er die Bitte aus, ihr seinen Glückwunsch abstatten zu dürfen.
Mit gütigem Wohlwollen nahm Sidonie denselben an und dankte ihm mit freundlichen Worten dafür.
»Hoheit werden der Versicherung Glauben schenken, [S. 135] wie sehr ich meine lange Abwesenheit beklage, da mich dieselbe des Glücks beraubt hat, in dem Cirkel Eurer Hoheit zu erscheinen,« sprach Mühlfels in betrübtem Ton, und fügte alsdann seufzend hinzu: »Doch Hoheit wissen ja, wie wenig ich den Aufenthalt in der Residenz liebe und wie sehr es mich betrübt, daß meine Vorstellungen fruchtlos sind, obgleich ich es mir stets angelegen sein lasse, den Prinzen an die ihm obliegenden Pflichten und Rücksichten zu erinnern.« —
»Ich weiß es, lieber Baron, und danke Ihnen für Ihre Ergebenheit. Doch, lassen wir das! Sie wissen, wir ändern in dieser Beziehung nichts,« entgegnete Sidonie in einem so unbefangenen Ton und ohne ein Zeichen von Unmuth über die erfahrene Vernachlässigung, daß Mühlfels sie überrascht anschaute, da er weit entfernt war, den Grund ihrer Gleichgiltigkeit zu ahnen und diese aus Sidoniens geringem Interesse für den Prinzen herleitete. Dieser Umstand sowie der Prinzessin gütiges Wesen, das mehr Wärme denn jemals verrieth, erfüllten ihn mit der angenehmen Täuschung, in ihrer Gunst vorgeschritten zu sein.
Durch diese Entdeckung sehr beglückt, und genöthigt zu dem Prinzen zurückzukehren, sprach er die Hoffnung aus, die Prinzessin würde ihm gestatten, das so lange entbehrte Glück in der nächsten Abendgesellschaft bei ihr in verdoppeltem Maße genießen zu dürfen, und entfernte sich alsdann. —
»Nun, Sie sind wol nicht freundlich empfangen [S. 136] worden?!« rief ihm der Prinz bei seiner Rückkehr entgegen.
»Besser, als ich erwartete,« entgegnete der Baron.
»Hoheit befinden sich also in guter Stimmung und sind nicht unmuthig, daß ich erst jetzt bei ihnen anklopfen lasse?« fragte der Prinz in sarkastischem Ton.
»Durchaus nicht, die Stimmung der Prinzessin ist eine sehr gute, und Hoheit scheinen den Gemahl kaum erwartet zu haben,« bemerkte Mühlfels leichthin, in den Ton des Prinzen sogleich eingehend.
»Desto besser! Je gleichgiltiger ich ihr bin, um so lieber ist es mir; denn um so weniger wird sie mich mit ihren Prätensionen belästigen,« warf der Prinz hin und bemerkte alsdann: »Doch ich will zu ihr! Erwarten Sie mich im Empfangssaal!«
Mit diesen Worten begab sich der Prinz zu Sidonien, die er jedoch nicht mehr in ihren Gemächern, sondern bereits in dem Gartensaal traf, woselbst sie ihn, umgeben von der Oberhofmeisterin und den Hofdamen, erwartete, da sie es absichtlich vermied, ihn ohne Zeugen zu sprechen.
Ruhig und gleichgiltig sah sie seinem Nahen entgegen und eben so ruhig und ohne ihn anzusehen vernahm sie seine beglückwünschenden Worte, die eben nur Worte waren und nicht das geringste aufrichtige Mitgefühl verriethen. Sie achtete kaum darauf und reichte, als er ihr die Hand darbot, um sie nach dem Empfangssaal zu führen, ihm mit einer gewissen Ueberwindung und abgewendetem Antlitz die Fingerspitzen hin. [S. 137] Als sie den Saal betraten, fanden sie daselbst mehre dem fürstlichen Hause verwandte Personen, so wie die höchsten Staatsbeamten, Gesandten und Deputationen der Residenzen und andere zu dem Hof gehörige Beamte versammelt, und die Gratulations-Cour nahm ihren Anfang.
Sidoniens Auge hatte sogleich den Grafen gesucht, den sie zu ihrer freudigen Ueberraschung neben ihrem Bruder stehen sah, mit welchem er sich unterhielt. Sie hatte das zu sehen erwartet; denn der Graf war mit ihrem Bruder an dem herzoglichen Hof näher bekannt geworden, und da sie dessen Anwesenheit voraussetzen durfte, so konnte dieses Zusammentreffen nicht ausbleiben, was sie überdies von Herzen wünschte.
Sogleich von den fürstlichen Personen in Anspruch genommen, hatte Sidonie den Grafen nur flüchtig betrachten können; bald jedoch nahte auch für diesen der Augenblick, sich seines Auftrages gegen sie zu entledigen, und mit vermehrtem Herzschlage sah sie seiner Annäherung entgegen. Ruhig trat der Graf an sie heran, begrüßte sie im Namen ihres herzoglichen Bruders mit einigen gewählten Worten und überreichte ihr alsdann das von demselben empfangene Schreiben.
Unbefangener, als sie gefürchtet, nahm sie dasselbe entgegen; ihre Stimme war jedoch nicht ganz sicher, als sie dann dem Grafen ihren Dank dafür ausdrückte und hinzu fügte, wie sehr es sie freue, Nachrichten aus ihrer Heimath zu erhalten. [S. 138] »Sie würden mich sehr verbinden,« fuhr sie fort, »wollten Sie mir später noch einige Mittheilungen darüber machen. Auch habe ich vernommen, daß Sie von einer größeren Reise in fernen Ländern zurückgekehrt sind; da haben sie gewiß sehr viel Schönes und Interessantes gesehen und erlebt, dessen Kenntnißnahme mir sehr erwünscht und den Gästen in meinem Abendcirkel nicht minder angenehm wäre; ich hoffe, Sie werden uns Ihre Erfahrungen nicht vorenthalten.« —
Der Graf sprach die Versicherung aus, daß ihm die Erfüllung ihres Wunsches zur höchsten Ehre gereichen würde, und bat, ganz nach Belieben über ihn verfügen zu wollen.
»So will ich Ihre Güte schon in dem nächsten Abendcirkel in Anspruch nehmen, und werde in der Gewißheit Ihres Erscheinens meine Gäste darauf aufmerksam machen lassen,« fiel Sidonie ein, neigte sich freundlich gegen ihn, und der Graf begab sich nach seinem früheren Platz zurück.
Sidonie hatte den Grafen absichtlich in Gegenwart des ganzen Hofes und des Prinzen eingeladen, theils um diesen mit den Gründen dazu bekannt zu machen, theils allen falschen Muthmaßungen ihrer Umgebung durch ein so offenes Handeln vorzubeugen. Der Prinz hatte dem Grafen eine nur flüchtige Beachtung geschenkt. Ihm gefiel das ernste, fast gemessene Wesen, der feste, überlegene Blick und die Achtung gebietende Gestalt desselben nicht; er hegte gegen dergleichen Erscheinungen geradezu eine Abneigung, und so zog er es vor, sich während des Gesprächs [S. 139] der Prinzessin mit einem in der Nähe befindlichen Verwandten zu unterhalten. Dennoch vernahm er Sidoniens Worte und die Einladung des Grafen zu den Abendcirkeln. Er achtete darauf jedoch nicht, da ihm die Angelegenheiten seiner Gemahlin durchaus gleichgiltig waren und sein Interesse obenein durch die Mittheilung seines Verwandten in Anspruch genommen wurde, der, mit der Vorliebe des Prinzen für die reizende Tänzerin Zelia vertraut, diese über die Maßen pries.
Endlich erreichte die Gratulations-Ceremonie ihr Ende, und die Prinzessin athmete bereits hoch auf, diesem Zwange endlich überhoben zu sein, als eine Bewegung unter den Anwesenden die Ankunft des Fürsten und seiner Gemahlin verkündete.
Bald erschienen die Letzteren und wurden von Sidonien und dem Prinzen empfangen, worauf alsdann die üblichen Gratulationen abgestattet wurden, von welchem diejenige der bereits bejahrten, etwas leidenden Fürstin besonders herzlich war.
Der Fürst liebte dergleichen nicht und faßte sich kurz; er schien sich nicht der besten Stimmung zu erfreuen, wie der scharfe und unmuthige Blick, mit welchem er den Prinzen begrüßte, andeutete.
Nachdem er einige Worte mit der Prinzessin gewechselt hatte, reichte er ihr den Arm und führte sie nach dem Gartensaal zurück und von hier in den Garten.
Der Prinz geleitete die Fürstin, indem er seinem Oheim folgte. [S. 140] »Ich hoffe, liebste Prinzessin, wir werden den heutigen Tag angenehm verleben. Ich habe Arrangements zu einigen Festlichkeiten treffen lassen, und meine, dieselben werden Ihren Wünschen entsprechen,« bemerkte der Fürst, während sie durch eine Allee dahinschritten.
»Sie kennen meine Anspruchslosigkeit in dieser Beziehung, mein gnädiger Fürst« — — entgegnete Sidonie.
»Ich weiß, ich weiß!« fiel dieser ein und setzte dann hinzu: »Aufrichtig gestanden, wäre es mir lieber, Sie beobachteten das Gegentheil davon und zögen sich nicht so sehr in Ihre Abgeschlossenheit zurück; vielleicht würde sich alsdann Manches besser gestalten.« —
Diese Bemerkung bezog sich auf das eheliche Verhältniß der Prinzessin.
»Sie überraschen mich in der That durch Ihre Worte, mein Fürst, die ich heute am wenigsten erwartet hätte!« fiel Sidonie ein und blickte ihn an.
Der Fürst mochte wol fühlen, daß sie sich im Recht befand, und darum fragte er:
»Hat sich der Prinz bei Ihnen entschuldigt?«
»Entschuldigt?!« fragte Sidonie mit Befremden und fügte hinzu: »Wie sollte ich, mein Fürst, dergleichen erwarten dürfen? Sie wissen, wie ich mit dem Prinzen stehe, und kennen seinen Charakter zu gut, um ihm eine Handlung der Höflichkeit gegen mich fähig zu halten, auf welche ich schon seit langer Zeit keinen Anspruch mache.«
»Ich glaube Ihnen das, denn ich habe erkannt, daß Sie resignirter sind, als ich erwartet habe; aber bedenken [S. 141] Sie, liebste Prinzessin, wohin das führen soll! Eine Ehe, die nur dem Namen nach besteht, hat mit Bezug auf die Erbfolge ihre wichtigen Bedenken, besonders wenn die letztere nicht gesichert ist. Wollten Sie das nicht in Erwägung ziehen und mancherlei übersehen, was Ihr vielleicht zu feines Zartgefühl verletzt? Der Prinz ist ein wenig leicht und liebt die heiteren Genüsse, dabei läßt sich nicht immer eine bestimmte Grenze festhalten; das ist einmal nicht anders. Auch ist man an diese Dinge so ziemlich gewöhnt und es bestehen unter ähnlichen Verhältnissen ganz leidliche Ehen, die in Bezug auf die Thronfolge nichts zu wünschen übrig lassen.«
»Bei Ihnen ist das etwas Anderes, und Sie müssen bedenken, daß bei Ehen, wie die Ihrige, mehr die Klugheit als die Neigung maßgebend wird, wenn dergleichen Zerwürfnisse dazwischen treten. Es ist mir lieb, daß Sie sich einen Cirkel von Ihnen angenehmen Personen gebildet haben; der Prinz legt Ihnen in dieser Beziehung nichts in den Weg; Sie sollten dies anerkennen, und ich dächte« — der Fürst sprach die folgenden Worte mit einer eigenthümlichen Betonung — »es müßte Ihnen unter solchen Umständen nicht zu schwer werden, ja vielleicht erwünscht sein, ein leidliches Verhältniß zwischen sich und dem Prinzen wieder herzustellen.«
Sidonie hatte aufmerksam zugehört und schaute ihn, als er schwieg, mit Befremden an.
Des Fürsten Worte hatten eine Praxis entwickelt, welche, wenngleich sie auch in dem Staatsinteresse eine [S. 142] Entschuldigung und scheinbare Berechtigung finden mochte, ihre feingeartete Natur doch viel zu sehr verletzte, um ihre Zustimmung gewinnen zu können. Sie vernahm dieselbe zum ersten mal, und ihre Seele wandte sich um so entschiedener davon ab, da sie, mit dem Glück des Wiedersehens ihres Freundes erfüllt, ein solches Verhältniß für unmöglich erachtete. Wie tief würde sich ihr reiner Sinn verletzt gefühlt haben, hätte sie des Fürsten Andeutung ganz verstanden. Davor bewahrte sie glücklicher Weise der Mangel eines erschöpfenden Einblicks in die ehelichen Verhältnisse anderer Fürsten.
»Ich meine,« entgegnete sie nach kurzer Ueberlegung, »den Wunsch, ein achtungsvolles Verhältniß zwischen mir und dem Prinzen zu erhalten, deutlich genug zu erkennen gegeben zu haben; wenn dasselbe trotzdem nicht zu Stande gekommen ist, so legen Sie, mein Fürst, die Schuld nicht mir, sondern dem Prinzen bei.«
»Ich gebe zu, daß dem so ist; dennoch trifft Sie der Vorwurf, den Prinzen nicht mit mehr Klugheit zu behandeln, wodurch Sie ihn leicht für sich gewinnen würden. Der Prinz ist an den Reiz weiblicher Koketterie gewöhnt, liebt diese; warum wenden Sie dieselbe nicht an? Ich weiß, Sie sind klug genug dazu; es hängt also auch nur von Ihrem Willen ab.«
»Sie täuschen sich in dieser Voraussetzung, mein Fürst. Die Kunst der Koketterie besitze ich nicht und mißbillige sie obenein, weil sie mir als durchaus unwürdig eines Menschen, der auf Achtung Anspruch macht, erscheint.« [S. 143] »Mag dem also sein; darum dürfen Sie jedoch ein Mittel nicht von sich weisen, das durch die Nothwendigkeit geboten wird und Ihnen einen so wichtigen Erfolg in Aussicht stellt.«
»Ich bedaure, mein gnädiger Fürst, Ihren Erwartungen und Wünschen in dieser Beziehung nicht entsprechen zu können, und gestehe Ihnen dies ganz offen, um Sie nicht einer Täuschung preiszugeben. Will der Prinz sich meine Achtung wieder erwerben, so kennt er die Mittel, durch welche er dieses Ziel erreicht; Sie aber, mein Fürst, kennen meinen Charakter viel zu gut, um nicht überzeugt zu sein, mit welcher Befriedigung ich ein solches Bestreben von seiner Seite aufnehmen werde.«
»Nun, nun,« fiel der Fürst wohlgefällig ein, »ich erkenne Ihren guten Willen, freilich aber auch ihre Ansprüche, von welchen Sie nicht abgehen wollen. Ich werde mit dem Prinzen sprechen und versichere Sie, daß es mir eine große Freude bereiten würde, vermöchte ich Sie an dem heutigen Tage mit einander wieder auszusöhnen. Ein solcher Festtag ist ja so sehr geeignet, unsere Empfindungen milder zu stimmen, und besonders in einem Fall, in welchem uns das Recht zusteht, dieses einem edlen Zweck zu opfern. — Lassen Sie uns zu der Fürstin gehen, um meine Absicht mit dem Prinzen sogleich auszuführen.«
Mit diesen Worten führte der Fürst Sidonie seiner Gemahlin zu und wandte sich alsdann an den Prinzen mit der Aufforderung, ihn zu begleiten. [S. 144] Dies geschah, und als sich Oheim und Neffe von den Damen so weit entfernt hatten, daß ihre Worte von diesen nicht vernommen werden konnten, blieb der Fürst stehen, schaute den Prinzen ernst an und bemerkte in gereiztem Ton:
»Ich habe in den verflossenen Tagen mehrmals vergeblich um Ihren Besuch bitten lassen; Sie haben sich so gut in der Residenz gefallen, daß Sie nicht nur fast eine ganze Woche daselbst geblieben sind, sondern sogar den Geburtstag Ihrer Gemahlin vergessen haben.«
»Sie irren, mein Fürst, vergessen habe ich denselben nicht, wie Ihnen das meine Anwesenheit beweist,« entgegnete der Prinz nichts weniger als verlegen.
»Sie sind jedoch erst vor ein paar Stunden hier angelangt, und es hätte sich geziemt, daß Sie wenigstens schon gestern zurückkehrten, wenn überhaupt nicht früher,« fiel der Fürst vorwurfsvoll ein.
»Sie kennen unsere gegenseitige Abneigung; was wäre also durch meine frühere Rückkehr gebessert worden. Die Prinzessin verlangt nicht nach meinem Anblick, und ich, ich gestehe es, eben so wenig nach dem ihrigen.«
»Wenn dem auch so ist, so sind Sie ihr doch eine gewisse Rücksicht vor der Welt schuldig; wenn Sie ihr diese nicht schenken, so können Sie sich auch nicht über ihre Gleichgiltigkeit beklagen.«
»Ich bin weit entfernt, dies zu thun —«
»So ist auch unter solchen Umständen an keine [S. 145] Aussöhnung zwischen euch zu denken!« fiel der Fürst gereizt ein.
»Ich wenigstens habe diese längst aufgegeben,« warf der Prinz hin.
»Das ist eben Ihr Unrecht, und man erkennt daraus, daß Ihnen das Staatsinteresse ziemlich gleichgiltig ist und es Ihnen nicht beliebt, zu erwägen, daß in solcher Weise der Zweck Ihrer Vermählung nicht erreicht werden kann. Ich sage Ihnen, Prinz, das muß anders werden, und erinnere Sie an die Pflichten, die Sie als künftiger Regent haben. Auch, meine ich, könnte eine Beschränkung und Aenderung Ihrer Lebensweise nichts schaden; Sie schädigen dadurch Ihren Körper und lassen sich von den ernsteren Staatsgeschäften abhalten. Das geht so länger nicht, darum kommen Sie zur Einsicht, und vor allen Dingen seien Sie bedacht, wieder ein gutes Verhältniß zwischen sich und Ihrer Gemahlin herzustellen. Ich habe soeben mit der Prinzessin darüber gesprochen und denke, sie ist nicht abgeneigt, das Ihrige dazu beizutragen, sobald Sie selbst ihr in entsprechender Weise entgegen kommen. Sie wissen, ich übersehe Vieles in Ihrem tollen Leben, was ich auch nicht billige; aber Alles muß seine Art und Grenzen haben und dabei nicht das Interesse des Staats in Frage kommen. Ich erwarte daher mit Bestimmtheit, heute nicht vergebens zu Ihnen gesprochen zu haben. Der heutige Tag bietet einen sehr passenden Anknüpfungspunkt zu einer Versöhnung mit der Prinzessin dar, benutzen Sie denselben und Sie werden mich dafür dankbar finden.« [S. 146] Der Prinz blickte schweigend zu Boden; er war viel zu feig, um dem Oheim offen zu widersprechen, obwol er nicht die geringste Neigung fühlte, dessen Wünsche zu erfüllen, und dies um so weniger, da er die Voraussetzung hegte, der Fürst wäre durch die Prinzessin zu der soeben vernommenen Ermahnung bestimmt worden.
Es lag in seiner Natur, dem Mächtigeren gegenüber sich schweigend und leidend zu verhalten, um, von dem Zwange wieder befreit, seinen Neigungen um so mehr die Zügel schießen zu lassen, wie dies alle feigen und leichtsinnigen Charaktere zu thun pflegen.
Der Fürst ließ sich, was unter ähnlichen Umständen schon häufig der Fall gewesen, durch des Prinzen demüthiges Schweigen täuschen und hielt sich überzeugt, daß seine Worte den erwünschten Erfolg erzielen würden. Darum forderte er den Prinzen nach kurzer Pause auf, ihm zu der Prinzessin zu folgen, indem er zugleich seine Freude ausdrückte, aus dessen Verhalten auf seine Folgsamkeit schließen zu können.
Bei den Damen angelangt, ersah der Fürst einen passenden Augenblick und flüsterte der Prinzessin zu:
»Der Prinz erkennt sein Unrecht und wird Ihnen die Hand bieten; ich rechne auf Ihre Milde und — Klugheit.«
Sie begaben sich darauf wieder nach dem Palais, woselbst sich der Fürst und dessen Gemahlin verabschiedeten.
Es war nun für den Prinzen der günstige Augenblick [S. 147] gekommen, den Wunsch seines Oheims zu erfüllen; dennoch war er weit entfernt, dies zu thun, und beeilte sich vielmehr, nach einer stummen Verbeugung vor Sidonien den Saal zu verlassen, ohne ihr einmal seine Begleitung zu dem Festdiner bei dem Fürsten anzubieten.
Die Unterredung mit dem Fürsten hatte seine Abneigung gegen Sidonie statt zu mindern, wesentlich erhöht und seinen Unmuth gegen sie bedeutend gesteigert. Es übte hierauf noch ganz besonders die Voraussetzung, Sidonie habe sich seinetwegen bei dem Fürsten beklagt und diesen zu der unangenehmen Ermahnung veranlaßt, ihren unheilvollen Einfluß aus.
Er ahnte nicht, welche große Wohlthat er durch seine so rasche Entfernung Sidonien erzeigte. Die ihr von dem Fürsten zugeflüsterten Worte ließen sie erwarten, daß der Prinz, sobald sie allein sein würden, sich ihr in irgend einer Weise nähern würde; sie bebte davor zurück, da ihre Empfindungen zu einer Unterredung mit ihm nichts weniger als geeignet waren. Ja, sein Anblick schon war ihr heute doppelt unangenehm, und so athmete sie froh und freudig auf, als er sie so schnell verließ.
Niemals, das fühlte sie tief, niemals konnte wieder ein Verhältniß zwischen ihr und dem Prinzen hergestellt werden, wie es der Fürst wünschte. Ihre innerste Natur sträubte sich mit aller Kraft dagegen; mochte sich ihr Schicksal gestalten wie es wollte, sie fühlte sich stark und kräftig genug, sich in ihren Empfindungen und ihrem Willen zu behaupten. [S. 148] Aus des Grafen festem, ruhigem Wesen hatte sie Muth und Kraft, und aus seinem liebenden Auge die Ueberzeugung geschöpft, nur ihm allein in Liebe angehören zu können. O, wie beseligte sie der Gedanke, daß es doch noch ein Glück, ein süßes, unendlich süßes Glück für sie auf der Welt gab, und dieses Glück war ihr zu heilig, um es einer hohlen Staatspraxis opfern zu können.
Die Geburtstagsfestlichkeiten, denen Sidonie bisher mit keinem frohen Herzen beigewohnt hatte, gewährten ihr diesesmal eine ganz ungewöhnliche Freude, da sie die selben mit dem Grafen theilen durfte, der dazu selbstverständlich Einladungen erhalten hatte.
War es ihr auch bei dem Diner und der Theatervorstellung nicht gestattet, mit dem Grafen zu verkehren, so durfte ihr Auge doch zu ihm gehen und sich an seinem Anblick erfreuen und aus seinem innigen Blick die Ueberzeugung schöpfen, daß sein Herz ihre Freude theilte.
Der der Vorstellung folgende Ball verschaffte ihr alsdann die so ersehnte Gelegenheit, sich mit dem Grafen eine kurze Zeit zu unterhalten. Auf ihren Wunsch führte ihr Bruder ihn zu ihr, und gemeinschaftlich gedachten sie [S. 149] alsdann der Heimath und der daselbst verlebten schönen Tage.
Da Sidonie und auch der Graf nicht tanzten, so konnte ihre verlängerte Unterhaltung um so weniger auffallen, da es natürlich erschien, daß die Prinzessin sich für das Vergnügen des Tanzes einen solchen Ersatz suchte. Uebrigens war man daran gewöhnt; denn Sidonie hatte schon seit mehren Jahren den Tanz unter dem Vorgeben abgelehnt, daß ihr derselbe nicht gut thue.
Das fürstliche Paar und auch Sidonie zogen sich bald zurück; sie pflegten selten lange an dergleichen Festlichkeiten Theil zu nehmen, und mit der beendeten Unterhaltung mit dem Grafen hatte das Fest für die Prinzessin jeden Reiz verloren. Bald nach ihnen verließ auch der Graf das Palais. Der Prinz jedoch blieb zurück, um mit seinen Freunden noch eine Stunde hier und später an einem andern Ort in der gewünschten Freiheit zu verleben, wozu Mühlfels wie gewöhnlich die Anordnungen getroffen hatte.
In ihrem Palais angelangt, ließ sich Sidonie rasch ihrer Staatsgarderobe entledigen und erging sich alsdann mit Aurelien noch lange in einem vertraulichen Gespräch über alle die so besonderen Vorgänge des Tages, zu welchen sie vor Allem das Wiedersehen des Grafen zählte.
Voll der innigsten Theilnahme vernahm Aurelie der Freundin Worte, aus denen die reinste Freude über das süße Glück sprach, das ihr der gütige Himmel in der Wiederkehr des theuern Freundes geschenkt hatte. [S. 150] Von ihren Empfindungen ganz erfüllt, bemerkte Sidonie den gedankenvollen Zug in Aureliens Antlitz nicht, der ihr sonst verrathen hätte, daß sich neben der warmen Theilnahme auch zugleich die Sorge in deren Herzen geltend machte.
So war es in der That, und während Sidonie plauderte, erwog die Freundin bereits, um wie viel schwerer die Prinzessin nach dem Fortgange des Grafen ihr Leid ertragen werde. Zu wohl hatte sie erkannt, mit welcher Innigkeit sich Sidoniens Seele an den Geliebten klammerte und die bereits im Lauf der Jahre unterdrückte Leidenschaft sich mit um so größerer Heftigkeit geltend machte.
Doch sprach sie ihre Besorgniß nicht aus, sondern bemühte sich vielmehr, dieselbe durch ihre Theilnahme zu verhehlen, da sie es nicht über sich vermochte, der Freundin kurzes Glück durch dergleichen betrübende Erinnerungen zu beeinträchtigen. Und so geschah es, daß sie sich heute in sehr verschiedenen Stimmungen von einander trennten.
Der Graf war, gleich Aurelien, mit dem Gefühl der Besorgniß von dem Fest geschieden, das sich um so mehr in ihm geltend machte, da das Wiedersehen eine gleiche Wirkung auf ihn wie auf Sidonie ausgeübt und seine Liebe noch gesteigert hatte.
Hierauf waren Sidoniens unglückliche Tage, der tiefe Kummer, der sich in ihrem so außerordentlich veränderten Aussehen verrieth, und vor Allem die Kenntnißnahme von [S. 151] des Prinzen niederem Charakter von wesentlichem Einfluß. Er sagte sich, daß Sidonie früher oder später diesem unheilvollen Verhältniß erliegen müßte und ihr Untergang um so sicherer wäre, da keine Aussicht zu einer Aenderung desselben vorhanden war. Was sie einem glücklicheren Leben wieder hätte zuführen können, die Trennung von dem Prinzen und die Vereinigung mit ihm, däuchten ihm unerreichbare Dinge, wollte man nicht Sitte und Gesetz unbeachtet lassen.
Der Graf litt um so tiefer unter dieser nieder beugenden Erkenntniß, da er sich als der natürliche Beschützer der Geliebten fühlte, wie dies überhaupt in der Natur des Mannes begründet ist, und zugleich die Unmöglichkeit erkannte, ihr irgend welchen Schutz zu gewähren. Hatte er früher, als Sidoniens Vermählung bestimmt wurde, einen schmerzvollen Kampf durchgekämpft, so forderte ihn die Gegenwart zu einem noch viel gewaltigern heraus. Unwiderstehlich drängte sein Herz zu ihr hin, von dem heißen Verlangen erfüllt, die von Kummer gebeugte Geliebte an seiner Brust zu einem neuen frohen Leben wieder aufzurichten und das von Leid getrübte Auge durch ein Lächeln der Freude zu verschönen, und dennoch mußte er fern von ihr stehen und unthätig zuschauen, wie das Unheil seinen Weg verfolgte.
O, es war wol der schreiendste Mißgriff des Geschicks, der diese herrliche, edle Frau, deren Seelen- und Geistesvorzüge zu dem schönsten Genuß des Lebens berechtigten, [S. 152] an eine so niedere Natur kettete und sie den empfindlichsten Leiden preisgab! —
Der Graf sah sich von dem schmerzlichen Bedauern überrascht, seiner Sehnsucht nach Sidoniens Anblick gefolgt zu sein und sich in ihre Nähe begeben zu haben; daß er sich ihr jedoch in der bereits bekannten Weise nähern sollte, ahnte er nicht, noch lag dies in seinem Vornehmen.
Bei seiner Rückkehr nach einer so langen Abwesenheit erachtete er es für seine Pflicht, dem ihm von früher befreundeten Herzog einen Besuch abzustatten, bei welcher Gelegenheit er diesem die Absicht verrieth, seine Verwandten in der Residenz aufzusuchen.
Dieser Umstand war der Anlaß, daß ihm Sidoniens Bruder den Auftrag für diese ertheilte, den der Graf um so weniger ablehnen durfte, da der Herzog die freundschaftlichen Beziehungen, in welchen der Graf früher mit der Prinzessin stand, kannte und daher voraus setzte, es würde der Erstere seiner Schwester ohnehin einen Besuch machen wollen.
Das lag jedoch nicht in des Grafen Absicht; er gedachte vielmehr seine Verwandten nur ganz in der Stille und für kurze Zeit zu besuchen und dabei die Gelegenheit wahrzunehmen, Sidonie aus der Ferne zu sehen und sich von ihrer Lage zu überzeugen.
Der Auftrag des Herzogs zerstörte seinen Plan, und mit Bangigkeit sah er dem Weiteren entgegen, indem er weniger für sich als für Sidonie fürchtete. Er war daher [S. 153] sehr beglückt, als die Hand der treuen Freundschaft die mit dem Wiedersehen verknüpften Gefahren in der uns bekannten Weise aus dem Wege zu räumen sich beeilte und dieses selbst dann ganz nach ihren Wünschen stattfinden konnte.
Mit dem tiefsten Dankgefühl für Aureliens liebevolles Handeln erfüllt, begab er sich zu der festgesetzten Stunde in das Haus der Frau von Techow; es war ihm ein großes Bedürfniß, sich mit der Freundin aussprechen und ihr seine Besorgnisse mittheilen zu können und aus ihrem verständigen Munde Aufklärung und Rath zu empfangen. Denn er glaubte sich in der Voraussetzung nicht zu täuschen, daß Aurelie die eigenthümliche Lage, in welche sein Besuch Sidonie und ihn selbst versetzt hatte, bereits erwogen und ihm daher die nothwendigen Winke über sein künftiges Verhalten Sidonien gegenüber ertheilen würde.
Er wurde von der Dame des Hauses und der bereits anwesenden Freundin empfangen, und die Erstere, wahrscheinlich mit Aureliens Wunsch bekannt, war bedacht, bald ein ungestörtes Alleinsein zwischen ihnen herbei zu führen.
Nach einigen, das persönliche Interesse betreffenden, Fragen und Antworten fragte der Graf:
»Ist unsere Zusammenkunft unbeachtet geblieben?«
»Gott sei Dank, ja, wenigstens habe ich bis jetzt nichts entdeckt, was auf das Gegentheil schließen ließe, und ich kann Sie versichern, daß, hätte man nur eine [S. 154] Ahnung davon, mir dies gewiß schon durch irgend welchen Umstand verrathen worden wäre. Ich kenne die Mienen und das Gebahren meiner Umgebung zu gut, um sie nicht richtig zu beurtheilen.«
»Ich schöpfte diese Beruhigung allerdings schon gestern aus Sidoniens unbefangenem Benehmen; doch sind mir darum Ihre Worte von nicht minderem Werth, und ich sage Ihnen nochmals für Ihre so edle Freundschaft den innigsten Dank. Jetzt erst vermag ich mich des ganzen Glücks zu erfreuen, das mir der gestrige Tag gebracht. Noch däucht mir Alles wie ein Traum. Wie sehr hatte die langjährige Trennung mich von dem Gedanken an die Möglichkeit entfremdet, in Sidoniens Nähe zu gelangen, und nun ist geschehen, was ich niemals zu ahnen wagte.«
»Es geht mir wie Ihnen, mein Freund; wie konnte das auch anders sein! Oft, sehr oft haben wir gemeinschaftlich erwogen, ob und wann Sie wol zurückkehren würden, ohne daß wir zu hoffen wagten, unsere Wünsche würden sich in solcher Weise erfüllen. Gott sei gepriesen, der Sie wieder in die Heimath gelangen ließ. Die Freude, die ich darüber empfinde, ist um so größer, da ich weiß, wie sehr unsere Freundin dadurch beglückt worden ist: Ihr Wiedersehen hat ihr nach langer, langer Zeit eine wahrhaft glückliche Stunde bereitet,« entgegnete Aurelie und fügte seufzend und mit Betonung hinzu: »Und glauben Sie mir, mein Freund, sie bedurfte einer solchen Freude. — Denn ist sie auch bedacht, dem Leben so viel als möglich [S. 155] Interesse abzugewinnen, so habe ich doch nur noch gestern Gelegenheit gefunden, zu erkennen, daß ihre Liebe doch ihr Alles ist. Sidoniens Charakter hat sich an den sie stets heraus fordernde Verhältnissen und Bemühungen schnell entwickelt und befestigt, mit ihm aber auch alle ihre Empfindungen, vor Allen ihre Liebe, wie das nur natürlich ist. Und die verborgene Liebe wächst doppelt mit dem wachsenden Leid, das sie bedrängt. Strömen doch alle Gedanken und Empfindungen ihr zu, wenn wir mit dem Geschick ringen, ihr, in der uns das tröstende Lächeln erwartet.«
»Ich habe die Wahrheit Ihrer Worte empfunden,« entgegnete der Graf mit einem leisen Seufzer und fuhr alsdann fort: »Doch von mir soll und darf in diesem Fall keine Rede sein; denn was ist mein Leid demjenigen Sidoniens gegenüber! Alle meine Hoffnungen sind zerstört, denn ich gestehe Ihnen offen, meine theure Freundin, ich glaubte an den guten Einfluß der Vermählung, ich hielt mich überzeugt, daß der Prinz durch die Liebenswürdigkeit seiner Gemahlin zu der Erkenntniß gelangen würde, welch ein seltenes Glück ihm durch sie zu Theil geworden, und er in Folge derselben sein Leben ändern und sich bemühen würde, Sidonien würdig zu werden und sie zu beglücken. Wie sehr sehe ich mich nach Allem, was ich vernommen, getäuscht! — Ich begreife die menschliche Natur nicht mehr, wenn es möglich ist, daß so seltene Vorzüge, in der edelsten und zartesten Weise zur Geltung gebracht, auf den Prinzen keine anderen Wirkungen zu erzeugen vermögen. Ich mag diesen Gedanken nicht ausdenken, denn [S. 156] er empört meine Seele, empört sie um so mehr, da ich erfahre, daß der Prinz rücksichtslos seinen übeln Neigungen nachgeht, ohne der seiner Gemahlin schuldenden Achtung zu gedenken. — Ich erkenne mit Schrecken, daß nunmehr auf eine Umkehr zum Bessern nicht mehr zu hoffen ist, mit dieser Ueberzeugung steigert sich jedoch auch meine Besorgniß, daß Sidonie ein Opfer dieses unseligen Verhältnisses werden muß.«
»Wenn nicht ganz besondere Umstände eintreten, welche dieses zu ihren Gunsten ändern, wird es so sein,« entgegnete Aurelie in kummervollem Ton.
»Und kann ich nichts, gar nichts zur Besserung ihrer Lage thun? Vielleicht eine Vorstellung bei Sidoniens Bruder, dem Herzog.«
Aurelie schüttelte verneinend das Haupt und bemerkte: »Was vermöchte dieser diesen Personen und Verhältnissen gegenüber! Wenig oder nichts. Man würde seinen Vorstellungen kein Gehör schenken, ja sie wahrscheinlich sogar übel aufnehmen; darum hat die Prinzessin ihn auch nicht in ihr Vertrauen gezogen, obwol sie weiß, daß ihm ihre Lage bekannt ist!«
»So müßte ich denn mit dem schmerzlichen Bewußtsein von hier scheiden, die Freundin in Leid und Kampf zurück zu lassen; o, das ist schwer, sehr schwer zu ertragen!«
»So wird es sein. Doch was können wir thun? Wir vermögen ja nur mit ihr zu leiden.« [S. 157] »Ein geringer Trost ihrem Unglück gegenüber!« bemerkte der Graf seufzend.
Schweigend schauten sie einige Augenblicke, ein Jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, vor sich hin; alsdann fragte der Graf:
»Werde ich Sidonie in dem Abendcirkel ohne Zeugen sprechen können?«
»Ich hoffe, es wird sich die Gelegenheit dazu finden; doch darf dies nur mit großer Vorsicht geschehen, da, wie ich Ihnen bereits mitgetheilt habe, Sidonie sehr aufmerksam beobachtet wird, um irgend welche Schwächen an ihr zu entdecken. So etwas wäre den Leuten sehr erwünscht. Sidoniens streng sittliches und abgeschlossenes Leben ist ihnen höchst unbequem, indem sie dadurch genöthigt sind, ihrem Treiben einen Zwang aufzulegen und die Rolle der Guten mit größerer Vorsicht zu spielen. Sie dulden diesen Zwang um so unwilliger in dem Bewußtsein, daß es Sidonie ernst meint und jeden Verstoß gegen die guten Sitten nicht ungestraft hingehen läßt. In der ersten Zeit der Vermählung war das freilich anders; Sidoniens Anspruchslosigkeit und Schüchternheit gewährte ihnen die gewünschte Freiheit und die Leute ließen sich gehen, bis sie später durch deren bestimmtes Verhalten zu der unangenehmen Einsicht gelangten, wie sehr sie sich in der Prinzessin eigentlichem Charakter getäuscht hatten. Sie mußten sich fügen, thaten dies jedoch mit der geheimen Hoffnung, sehr bald die eigenen Gebrechen an ihrer Fürstin zu entdecken. Sie werden daher erkennen, [S. 158] welche große Vorsicht Sie in dem Umgange mit der Prinzessin zu beobachten haben. Denn Heuchelei und Gleißnerei schleichen überall umher, und ich gestehe Ihnen, ich vertraue auch kaum jenen Personen, die sich Sidonien anscheinend mit der tiefsten Ergebenheit und Theilnahme nahen. Möglich, daß ich darin zu weit gehe; aber ich kann nicht anders. Es ist das leider die Folge des dem Herzen aufgenöthigten Mißtrauens und des Bewußtseins, daß der sittliche Boden, auf welchem wir wandeln, durchaus unterhöhlt ist.« —
»Welche Ironie des Geschicks, der einen Engel in die Welt der Bösen versetzte!« bemerkte der Graf in schmerzlichem Ton.
»Sie werden morgen Gelegenheit finden, diejenigen Personen kennen zu lernen, deren sittliche und geistige Vorzüge Sidonie veranlaßten, sie in ihre Nähe zu ziehen. Es sind im Allgemeinen achtungswerthe Leute, aber nur wenige von ihnen besitzen besondern Werth. Doch Sidonie mußte sich schon glücklich schätzen, diese für sich zu gewinnen. Der ernste und gehaltvolle Ton, den sie in ihren Gesellschaften zu erhalten sich bemüht, widerstrebt dem Zeitgeschmack und so finden sich nicht leicht die von ihr gewünschten und geeigneten Persönlichkeiten. Diese Bemerkungen werden Ihnen hinsichts Ihres eigenen Benehmens den Letzteren gegenüber genügen; Ihr Scharfblick wird das Uebrige thun. Ob Sie Sidonie auch außer in diesen Cirkeln werden sehen und sprechen können, wage ich in diesem Augenblick nicht zu bestimmen; das müssen [S. 159] wir den Verhältnissen anheim geben. Mögen Ihnen die Stunden Ihrer Anwesenheit hier mehr bringen, als wir erwarten dürfen; ich freue mich von Herzen, Sie mit Ihnen zu genießen und zugleich unserer Freundin Auge wieder von dem Schimmer stillen Glücks erhellt zu sehen.«
So sprach Aurelie und knüpfte an ihre Worte noch mancherlei Andeutungen und Winke, wie sie durch die eigenthümlichen Verhältnisse geboten waren und in des Grafen Lage einen besondern Werth für diesen enthielten. Darüber ging die Stunde ihres Alleinseins rasch dahin. Frau von Techow gesellte sich wieder zu ihnen, in deren Gesellschaft der Graf dann noch eine kurze Zeit verweilte und darauf schied, nachdem ihn die Dame des Hauses durch die Versicherung erfreut hatte, daß ihr Aureliens Freund stets willkommen sein würde.
Am nächsten Tage, als die Zeit zum Besuch bei Sidonien nahte, suchte der Graf deren Bruder auf, um in dessen Begleitung sich zu ihr zu begeben und so gleichsam durch ihn bei der Prinzessin eingeführt zu werden. Er hatte das mit dem Prinzen bereits früher verabredet, und dieser sprach den Wunsch aus, sich zeitig zu seiner Schwester zu begeben, damit sie noch vor Ankunft der übrigen Gäste ungestört ein wenig über die vergangene Zeit plaudern könnten.
Sein Wunsch kam des Grafen Verlangen entgegen und bald befanden sie sich bei Sidonien, und es darf kaum bemerkt werden, wie angenehm diese dadurch überrascht wurde. [S. 160] Sidoniens Bruder — Prinz Leonhard — war ein heiterer, gesprächiger junger Mann, der sich über das Hofceremoniell gern fortsetzte, wie er es an dem Hofe seines Vaters gethan, und so bildete er gewissermaßen den Vermittler einer zwanglosen Unterhaltung, welche sich bald zwischen ihnen entspann. Die zurückgelegten Reisen des Grafen hatten des Prinzen Interesse erregt, und so konnte es nicht ausbleiben, daß der Erstere sehr bald durch ihn zu Mittheilungen derselben aufgefordert wurde. Sidonie hatte den Grafen nicht in dem gewöhnlichen Empfangssalon, sondern in einem ihrer Wohngemächer empfangen, woselbst sie ungestört verweilen konnten, während sich die übrigen Gäste in dem ersteren versammelten. Daß Aurelie ihrem Kreise nicht fehlte, darf kaum bemerkt werden.
Der Graf, durch die Nähe der Geliebten beglückt und durch keinen Zwang beengt, fesselte seine Zuhörer rasch an die lebhafte Schilderung seiner Erlebnisse und der besuchten merkwürdigen Orte, und Alle, besonders Sidonie, lauschten derselben mit der höchsten Theilnahme. Für sie hatte ja Alles von dem Grafen Erlebte eine erhöhte Bedeutung; auch vernahm sie zum ersten Mal aus dem Munde des Gereisten selbst die Schilderungen der Wüste, der Pyramiden, des märchenhaften Nilflusses und der das Staunen und die Bewunderung erregenden Denkmäler längst dahin gegangener Pracht und Herrlichkeit mächtiger Herrscher und Völker, die redenden Zeugen der Vergänglichkeit alles Irdischen.
Zugleich wies der Graf einen kleinen Vorrath von [S. 161] allerlei gesammelten alterthümlichen Dingen vor, die er hergesandt hatte und ihnen erklärte, und knüpfte daran ein und das andere auf seinen Reisen Erlebte, das, voll Reiz, die Theilnahme seiner Zuhörer beanspruchte. Rasch eilte die Zeit unter seinen, mit Interesse aufgenommenen Mittheilungen dahin. Damals staunte man die Personen noch an, die dergleichen mit vielen Gefahren und Beschwerden verbundene Reisen ausgeführt hatten; heute ist das freilich anders geworden. Dampfschiffe, Eisenbahnen und die mit ihnen unzertrennliche Civilisation haben die einst so gefahrvollen und beschwerlichen Wege längst geebnet und sicher gemacht, und das poesievolle Geheimniß der Nilquellen ist von kühnen und nimmer müden Forschern nunmehr enthüllt worden.
Zu früh für die Wünsche Aller traf die Meldung ein, daß sich die Gäste bereits in dem Salon versammelt hätten, und endete des Grafen Mittheilung.
Auf Sidoniens Bitte versprach dieser, auch ihre Gäste in ähnlicher Weise nach seinem Belieben zu unterhalten und ihnen den Anblick der merkwürdigen Gegenstände zu gönnen, da sie denselben bereits einen solchen Genuß in Aussicht gestellt hatte.
Der Graf verstand den geheimen Sinn ihrer Bitte nur zu wohl; die Leute sollten in ihm lediglich den interessanten Reisenden sehen und dadurch von Vermuthungen auf persönliche Beziehungen zu ihr abgelenkt werden, die durch des Prinzen Begleitung, in welcher der Graf erschien, leicht erweckt werden konnten. [S. 162] Die Prinzessin zog sich mit Aurelien zurück und der Graf begab sich mit dem Prinzen durch den gewöhnlichen Eingang zu den Gästen, so daß es den Anschein gewann, als ob sie nur eben erst angelangt wären. Römer wurde mit großer Aufmerksamkeit von Seiten der Gäste empfangen, die, wie wir erfahren haben, auf sein Erscheinen bereits vorbereitet waren und sich einen seltenen Genuß von seinen Mittheilungen versprachen.
Bald darauf erschien Sidonie mit der Freundin, und der Graf war durch sein Verhalten bedacht, den Anwesenden den Glauben aufzunöthigen, als ob er die Prinzessin am heutigen Abend erst jetzt begrüße.
Es fand nun eine zwanglose Unterhaltung statt, wie das stets zu sein pflegte, bis der Vortrag eines Künstlers, gewöhnlich eines Sängers oder Musikers, dieselbe aufhob und mit derselben abwechselte.
An dem heutigen Abend wurde aber in dieser Beziehung eine Ausnahme gemacht, indem Sidonie nach kurzer Unterhaltung mit Römer ihren Gästen verkündete, daß dieser sie durch Mittheilungen über seine Reisen erfreuen würde.
Diese Nachricht wurde mit großer Freude aufgenommen, und der Graf entledigte sich alsdann unter Vorzeigen der fremden Gegenstände des der Prinzessin gegebenen Versprechens.
Unter den Gästen befand sich auch Mühlfels und dessen Mutter, die Oberhofmeisterin.
Der Erstere fühlte sich an dem heutigen Abend in [S. 163] keiner angenehmen Stimmung, indem man ihn über den Grafen vergaß und lediglich diesem alle Aufmerksamkeit zuwandte.
Dieser Umstand verletzte des Barons Eitelkeit. Bisher hatte man gern seinem Wort gelauscht und seine Mittheilungen hatten stets Beifall geerntet; heute jedoch sah er sich wenig beachtet, und was ihn am tiefsten verletzte, selbst von Sidonien, die, wie ihm nicht entging, ihr ganzes Interesse dem Grafen zu schenken schien.
Sein Unmuth wurde freilich später dadurch beschwichtigt, daß er Gelegenheit fand, sich in der gewöhnten Weise geltend zu machen, ebenso durch die Voraussetzung, daß des Grafen ernstes, fast kaltes Wesen ihm wenig geeignet schien, zärtliche Gefühle bei den Frauen zu erregen, ganz abgesehen, daß, wie er sich mit Behagen sagte, sich der Graf hinsichts der persönlichen Vorzüge nicht mit ihm vergleichen durfte.
In diesem angenehmen Bewußtsein zollte er dem Grafen lauten Beifall, obwol es ihm nicht gelang, diesem eine besondere Beachtung für sich abzunöthigen. Vielleicht würde dies geschehen sein, hätte der Graf des Barons Stellung bei dem Prinzen gekannt, was jedoch nicht der Fall war. Da Sidonie, Aurelie und der Graf der zu beobachtenden Vorsicht in ihrem Verhalten zu einander stets eingedenk blieben, so gewann der Baron auch nicht die leiseste Ahnung von dem wichtigen Interesse, das diese drei Personen aneinander fesselte. Seine Täuschung wurde um so mehr befestigt, da Sidonie, durch die Nähe [S. 164] des Geliebten beglückt, ihre Empfindungen auch auf ihre Gäste übertrug und so auch Mühlfels durch vermehrte freundliche Aufmerksamkeit beehrte.
Dieser ihm so angenehme Umstand diente ihm zugleich als Beweis des von Sidonien für ihn gehegten wärmeren Interesses, und so schied er in sehr befriedigter Stimmung.
Dies fand auch in Bezug auf die übrigen Personen statt, namentlich jedoch hinsichts Sidoniens.
Als sie sich zurückgezogen hatte und mit Aurelien allein befand, umarmte sie diese in überwallendem Gefühl, indem sie bemerkte:
»O, Aurelie, welch ein schöner Abend! O, daß ihm tausend und aber tausend solche folgen möchten!«
Nach kurzer Pause fuhr sie dann fort:
»O, daß mein Glück durch den schrecklichen Gedanken getrübt werden muß, wie bald diese Zeit dahin, wie bald er mir wieder fern sein und mich wieder die ganze Oede meines kummervollen Daseins umgeben wird! O, ich mag nicht daran denken! Mein Herz zuckt schmerzvoll zusammen und ich fühle mich entmuthigt bis zum Tode!«
»Wie könnte das anders sein, und ich meine, theure Sidonie, es ist gut, daß Du Dich der raschen Vergänglichkeit Deines Glücks bewußt bleibst, um auf den Verlust desselben vorbereitet zu sein. Zwar fühle ich mit Dir, wie schmerzlich diese Nothwendigkeit ist; aber immer und immer mahnen mich die Verhältnisse, ihrer eingedenk zu sein, damit Du Dich nicht in Deinem Kummer verlierst [S. 165] und sich derselbe nicht noch mehr erhöht!« — entgegnete Aurelie voll der herzlichsten Theilnahme.
»O, Du hast Recht, ganz Recht! Wie könnte es auch anders sein; Deine Liebe sorgt und wacht ja unablässig über mich!« — fiel Sidonie ein und umarmte die ihr so theure Freundin.
»Wenn uns auch der Graf verläßt, wir bleiben darum nicht ohne Trost. Die Gewißheit seiner Nähe, die Hoffnung auf seine Wiederkehr enthalten ja so viel Beruhigendes und Erfreuliches, daß Du seine längere Abwesenheit leichter überwinden wirst.«
»Ich werde es, weil ich es muß . Ach, das Herz hat seine eigenen Forderungen, meine Gute, und eben weil ich mich nach so langer Zeit wieder glücklich fühle, vermag ich den Gedanken an den Verlust des theuern Freundes noch nicht zu fassen. Aber Du hast Recht; ich muß ruhiger werden und mein Glück mit Mäßigung und Beherrschung genießen, und ich werde darauf bedacht sein. Lass’ uns noch einmal seine Geschenke betrachten, die er mir aus weiter Ferne gebracht und die mir sagen, wie er meiner immer und immer gedacht hat, in der Wüste wie an den Stätten der Kunst und der blühenden Natur.«
Und Arm in Arm nahten sie dem Tisch, auf welchem dieselben lagen, und ergötzten sich an ihrem Anblick, bewunderten deren Eigenthümlichkeiten und gedachten dabei des Grafen oft und oft, bis die späte Stunde sie zum Scheiden nöthigte. Diesem angenehmen Abend folgten [S. 166] noch ähnliche. Bald war die von dem Grafen festgesetzte Zeit zu seinem Aufenthalt verflossen, und dennoch vermochte er Sidonien nicht Lebewohl zu sagen. Bei jedem Scheiden von ihr las er ja in ihrem Auge die Bitte, noch zu verweilen und ihr süßes Glück nicht zu stören. Und wie gern erfüllte er ihre Wünsche, von dem eigenen Verlangen und Glück, das ihm ihr Umgang gewährte, dazu genöthigt. Statt nur auf zwei Wochen dehnte er seinen Besuch auf einen Monat aus, dann aber, durch seine persönlichen Verhältnisse bestimmt, reiste er ab. Er schied jedoch mit dem Versprechen, bald zurück zu kehren und alsdann eine längere Zeit zu verweilen.
Während seiner Anwesenheit hatte er Sidonie nicht nur in den Abendcirkeln gesehen, sondern er fand auch außerdem Gelegenheit dazu, indem ihn der Ersteren Bruder bisweilen zu einem Besuch der Prinzessin aufforderte.
Sidoniens abgeschlossenes Leben, das, unbeachtet von ihrem Gemahl, ihr die Freiheit gewährte, sich nach Belieben zu bewegen, nahm dem Grafen allmälig die Bedenken, welche er wegen seiner öfteren Besuche bei Sidonien gehegt hatte. Da er dieselben jedoch nur in des Prinzen Begleitung machte und ihn Sidonie daher nie allein empfing, so däuchte ihm keine Gefahr für sie darin zu liegen, und um so leichter gab er dem Verlangen seines Herzens nach.
Alle die bezeichneten Umstände waren es auch, welche ihm das Versprechen seiner baldigen Wiederkehr abnöthigten. Hierauf übte zugleich die freudige Entdeckung der vortheilhaften [S. 167] Wirkungen seiner Nähe auf Sidoniens Befinden einen wesentlichen Einfluß aus. Sie hatte in der kurzen Zeit seiner Anwesenheit sichtlich an Frische gewonnen und die bisher von Kummer gebleichte Wange einen feinen Rosenschimmer erhalten, ihr Auge war belebter, und sie schien in dem Genuß ihres Glücks selbst ihr trübes Schicksal zu vergessen. Wie hätte da der Graf von ihr scheiden können, ohne ihr die Hoffnung des Wiedersehens zurück zu lassen! Ueberdies waren die Verhältnisse der Art, daß er die Rückkehr ohne Sorge eines Verrathes wagen durfte. Sidoniens Umgebung betrachtete ihn lediglich als den Freund des Prinzen Leonhard, dem die Prinzessin als solchen und als den interessanten Reisenden eine gewisse Aufmerksamkeit schenkte, was man als etwas Gewöhnliches zu bezeichnen für gut fand und den Besuchen des Grafen daher keine Bedeutung beilegte.
Dies kam der Prinzessin sehr zu statten, ganz besonders jedoch die häufige Abwesenheit des Prinzen, wodurch auch zugleich Mühlfels von etwaigen Beobachtungen abgehalten wurde. Der Baron sah den Grafen nur noch einmal und zwar an dem Abende, an welchem dieser sich von der Prinzessin vor allen Gästen in der förmlichsten Weise verabschiedete.
Er vor Allen hätte ihnen unter anderen Umständen gefährlich werden können, da er das größte Interesse für Sidonie hegte, und so war es ein glücklicher Zufall, daß die Umstände sich also gestalteten.
Wir nennen diesen Zufall einen glücklichen , anscheinend [S. 168] war er ein solcher, und dennoch wäre es für Sidoniens und des Grafen künftiges Geschick besser gewesen, hätte ihnen Mühlfels’ Nähe und Beobachtung nicht gefehlt und diese in ihnen Zweifel an ihrer Sicherheit erregt und sie dadurch zugleich veranlaßt, auf ein baldiges Wiedersehen zu verzichten.
Denn es unterliegt keiner Frage, daß sich Mühlfels’ Interesse für die Prinzessin bei den wiederholten Besuchen in so weit verrathen hätte, daß des Grafen Aufmerksamkeit auf ihn dadurch erweckt worden und er veranlaßt worden wäre, den Charakter des Barons zu prüfen und vielleicht Erkundigungen über denselben einzuziehen.
Da dies nicht geschah, so blieben Sidonie und Aurelie in der früheren Täuschung und somit von deren Gefahren bedroht.
Ungefähr drei Monate waren über die näher bezeichneten Vorgänge dahin gegangen. Der Prinz hatte seinem Treiben trotz der erhaltenen Ermahnungen seines Oheims keine Schranken angelegt und eben so wenig das Geringste gethan, um sich mit seiner Gemahlin auszusöhnen, und so war das wohlgemeinte Wort des Fürsten vergeblich gesprochen worden. [S. 169] Alles, wozu sich der Prinz bequemte, bestand darin, sein Treiben dem Fürsten mehr denn früher zu verheimlichen, was ihm jedoch nur zum Theil gelang, da er seinen Neigungen nur zu leicht und zu oft die Zügel schießen ließ und alsdann jede Vorsicht und Rücksicht vergaß. Die Folge davon war nicht nur die Unzufriedenheit des fürstlichen Oheims mit seinem Neffen, sondern auch jene Uebersättigung des Letzteren, die unter solchen Umständen niemals auszubleiben pflegt. Der Prinz befand sich seitdem in einem stets gereizten und unmuthigen Zustand, der ihn im höchsten Grade peinigte und von welchem seine Umgebung und selbst Mühlfels nicht eben wenig zu leiden hatten.
Zwar bemühte sich der Letztere, die Stimmung des Prinzen zu verbessern; indessen vergebens, da demselben alle früher beliebten Arrangements jetzt langweilig und ungenießbar erschienen.
Um seinen Unmuth noch in hohem Grade zu steigern, sprach auch der Fürst immer bestimmter das Verlangen aus, daß der Prinz den Staatsgeschäften ein größeres Interesse zuwenden und sich darum nicht so häufig und auf lange Zeit aus seiner Nähe entfernen sollte. Zu ernsten Dingen fühlte der Prinz jedoch jetzt gerade am wenigsten Neigung und fügte sich daher nur mit Widerstreben in den Befehl seines Oheims. Mühlfels sah sich in Folge dessen veranlaßt, auf Mittel zu denken, durch welche er die Abspannung und üble Laune des Prinzen beseitigen und zugleich ein gutes Einvernehmen zwischen diesem und [S. 170] dem Fürsten herstellen könnte. Und so sehen wir ihn denn in dem Boudoir seiner Mutter, der Oberhofmeisterin der Prinzessin, mit welcher er die bezeichnete Angelegenheit in eingehender Weise erwog. Denn es muß bemerkt werden, daß der Baron in dem eigenen Interesse sowol als demjenigen des Prinzen seine Mutter häufig zu Rathe zog und sie einen nicht unwesentlichen Einfluß auf seine Anordnungen in dieser Hinsicht ausübte.
Die Baronin besaß eine ausgedehnte Damenbekanntschaft und wurde nicht eben selten mit der Bitte angegangen, den Prinzen durch ihren Sohn auf eine oder die andere Schönheit aufmerksam machen zu lassen, oder auch wol die Gelegenheit zu bieten, daß der Prinz diese persönlich kennen lernte. Der Letztere besuchte nämlich mit Mühlfels dann und wann die Baronin, nachdem diese bedacht gewesen, des Prinzen Auge durch angenehme weibliche Erscheinungen in ihrem Hause zu überraschen.
Wir sehen, daß die Oberhofmeisterin neben ihrer Stellung als solche auch noch eine andere, mindestens zweideutig zu nennende, einnahm, so wenig diese sich auch mit ihrem eigentlichen Beruf vereinigte. Sidonie war damit nicht bekannt, noch hegte sie so viel Interesse für die Baronin, um nach deren sittlichen Eigenschaften zu forschen. Des Prinzen Empfehlung hatte ihr dieselbe zugeführt, und es war ihr überhaupt ziemlich gleichgiltig, von welcher Dame diese Stellung eingenommen wurde, wenn dieselbe nur überhaupt ein von ihr gewünschtes Verhalten beobachtete. Und dies war bei der Baronin [S. 171] durchaus der Fall. Mit dem Charakter der Prinzessin bald genügend vertraut, war sie bedacht, sich im Wesen und Benehmen ganz deren Wünschen anzubequemen, und diese Klugheit sicherte ihr eine gute Aufnahme bei Sidonien. Da sie sich überdies auch gegen des Prinzen Verhalten erklärte und darin durch ihren Sohn in der bereits angegebenen Weise wesentlich unterstützt wurde, so zweifelte Sidonie nicht an der aufrichtigen Theilnahme der Baronin und dankte ihr dafür durch ein gütiges Entgegenkommen. Fern lag ihr die Vermuthung, wie sehr sie sich täuschte und daß Mutter und Sohn lediglich ein und dasselbe Ziel verfolgten, und so geschah es, daß sie auch der Baronin gleich deren Sohn den Zutritt in ihre Abendcirkel gestattete. —
Wir kehren nach diesen Erläuterungen zu den Berathungen der Letzteren zurück.
»Der Prinz hat also seine Tänzerinnen satt?« fragte die Baronin.
»Durchaus, wie das vorauszusehen war. Sie kennen ja seinen Charakter und wissen, daß er nur in dem fortwährenden Wechsel der Genüsse Befriedigung findet.«
»Es fehlt also an einem Ersatz?«
»So ist es, und dieser Ersatz wird um so schwerer zu erhalten sein, da der Prinz durch die letzten Debauchen allen Geschmack an Aehnlichem verloren hat.«
»Um so besser, so wird eine Dame aus guter Familie, mit Schönheit und dem erforderlichen Benehmen ausgestattet, leicht seinen Beifall gewinnen.« [S. 172] »Möglich. Kennen Sie eine solche Dame?«
»Allerdings. Es ist Fräulein von Lieben. Sie machte mir neulich in Begleitung ihrer Mutter einen Besuch, und diese deutete in vertraulicher Weise die große Verehrung an, welche ihre schöne Tochter für den schönen Prinzen hege, und dies reicht hin, Weiteres in Deinem Sinn zu veranlassen. Die Liebens sind, wie Du weißt, ziemlich ohne Mittel, ihr Vermögen ist derangirt; eine Liaison mit dem Prinzen würde ihr daher sehr gelegen kommen, auf welche sie es vielleicht auch abgesehen hat.«
»Die Lieben ist also hübsch und in die Künste der Koketterie eingeweiht?«
»Vollkommen. Sie hat den vorigen Winter in Paris zugebracht und scheint diese Zeit dazu vortrefflich benutzt zu haben.«
»Dann könnte es ihr vielleicht gelingen, den Prinzen zu fesseln und ihn von seiner Apathie zu befreien. Das käme mir sehr gelegen, denn ich fürchte fast, der Prinz könnte, verharrte er darin, sich dadurch und durch des Fürsten Ermahnungen am Ende veranlaßt sehen, sich mit der Prinzessin auszusöhnen, und Sie wissen, das würde meine Pläne zerstören.«
»Das fürchte ich nicht. Der Prinz hat eine viel zu bestimmte Abneigung gegen die Prinzessin, als daß jemals eine Aussöhnung stattfinden dürfte, ganz abgesehen, daß die Letztere sich niemals dazu bequemen wird. Ich habe mich bemüht, Sidoniens Charakter zu erforschen, und bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß sie sich immerdar [S. 173] treu bleiben und darum auch niemals eine Annäherung zwischen dem Paar stattfinden wird.«
»Das ist mir allerdings angenehm zu hören; indessen genügt es mir nicht. Sie wissen, ich wünsche Sidoniens Gunst zu erlangen; meine oder vielmehr unsere Bemühungen sind bisher jedoch nur von geringem Erfolg gekrönt worden, und das ist mir unerträglich.«
»Ist es nicht allein Deine Schuld? Du bist zu viel abwesend und vermagst daher Deine Absicht nicht in der entsprechenden Weise zu verfolgen. In solchen Dingen kommt es jedoch darauf an, stets in der Nähe zu sein, um den rechten Augenblick wahrzunehmen. Doch ich darf Dich daran nicht erinnern; Du weißt das eben so gut. Ich sage Dir nur so viel, daß nach meinen Beobachtungen die Prinzessin zärtlichen Gefühlen zugänglich ist. Sie besitzt ein zu gefühlvolles Herz, um nicht der Liebe zu bedürfen, und ich glaube, ich würde bereits Beweise dafür erhalten haben, wäre Graf Römer länger hier gewesen.«
»Was sagst Du?!« rief der Baron überrascht. »Graf Römer?! Sollte dieser ernste, kalte Mann einen tieferen Eindruck auf sie erzeugen können, oder etwa schon erzeugt haben?«
»Nun, nun, beruhige Dich! So weit, glaube ich, ist es wol nicht gekommen, obgleich ich überzeugt bin, daß das nicht gerade unmöglich wäre. Erscheint es Dir nicht ganz natürlich, daß die Prinzessin bei ihrem abgeschlossenen Leben alle jene Personen gern sieht, die ihr in so interessanter [S. 174] Weise die Stunden zu verkürzen vermögen? Das Wohlgefallen an dem Wort geht bei den Frauen nur zu leicht auf die Person über, die es ausspricht, und Du erkennst darin, daß ich mit meiner Vorstellung, Dich nicht häufig genug der Prinzessin zu nähern, durchaus Recht habe. Wenn man sich alle acht oder vierzehn Tage nur einmal und auch nur in Anwesenheit Anderer sieht, kann von einer zärtlichen Annäherung nicht die Rede sein. Die Gelegenheit dazu ließe sich unter den obwaltenden Verhältnissen leicht herbeiführen, da ich dazu die Hand bieten kann. Bedenke das Alles!«
»Ich gebe Ihnen durchaus Recht, meine Mutter, und bitte Sie, mit mir gemeinschaftlich die Mittel zu erwägen, welche geeignet sind, des Prinzen Wünsche zu befriedigen und ihn zugleich mehr an seinen Wohnsitz zu fesseln, damit ich nach Ihrem Rath handeln kann.«
»Das könnte durch die Lieben geschehen; gefällt sie dem Prinzen, so werde ich ihr die Nothwendigkeit vorstellen, ihren Aufenthalt nicht nach der Residenz oder irgendwo anders zu verlegen, um den Prinzen hier zu fesseln und so des Fürsten Wunsch zu erfüllen; da sie sich dadurch des Letzteren Dank sichert, so erfordert es schon die Klugheit, sich um ein solches Arrangement zu bemühen.«
»Ein vortrefflicher Plan! Und glauben Sie, daß es der Lieben gelingen dürfte?«
»Ich zweifle nicht daran. Das Mädchen ist eben so klug als schön, und ihre Mutter hat früher hinreichende [S. 175] Erfahrungen in diesem Punkt gemacht, um ihr dabei nicht würdig zur Seite stehen zu können.«
»So hätte ich ja die besten Aussichten für die Zukunft, besonders da auch der Mann, der, wie Sie meinen, einen gewissen Eindruck auf die Prinzessin gemacht hat, abgereist ist.«
»Ich zweifle nicht daran. Ich werde dem Prinzen in den nächsten Tagen die Gelegenheit verschaffen, die Lieben bei mir zu sehen. Lausche ihm die rechte Stimmung dazu ab und sorge dafür, daß ich seinen Wunsch zur rechten Zeit erfahre, um das Weitere zu veranlassen. Vielleicht nimmt der Prinz das Souper bei mir ein, dabei läßt sich eine nähere Bekanntschaft zwischen den Beiden leicht und bequem einleiten.«
»Ich werde nach Ihrem Rath verfahren und freue mich, daß wir endlich ein Mittel besitzen, das uns die erwünschten Erfolge in Aussicht stellt,« entgegnete der Baron und erhob sich.
In diesem Augenblick trat ein Diener mit der Meldung ein, daß der Castellan Robert des fürstlichen Lustschlosses Waldburg mit seiner Tochter angelangt sei und die Baronin zu sprechen wünsche.
»So, ist der Robert da und seine Tochter auch?« fragte die Baronin und fügte hinzu: »Das ist mir lieb. Lass’ sie hereinkommen!« und bemerkte alsdann gegen ihren Sohn: »Robert war vor einigen Wochen bei mir und bat mich, seiner Tochter, die ein hübsches Mädchen von siebenzehn Jahren ist, eine Stelle als Kammerzofe [S. 176] zu verschaffen. Ich sagte ihm das zu, da ich Robert wegen seiner früheren Dienste bei uns eine gewisse Rücksicht schulde. Wenn mir das Mädchen gefällt, nehme ich sie vielleicht zu mir. Ich habe Robert mit seiner Tochter zu mir bestellt, um mir diese anzusehen. Willst Du vielleicht dabei sein, so begleite mich zu ihnen. Robert wird sich freuen, den ehemaligen Junker nun als Mann wieder zu sehen.«
Der Baron war damit einverstanden, nahm den Arm seiner Mutter und führte sie nach dem Zimmer, in welchem sie von den bezeichneten Personen erwartet wurden.
»Nun, Robert, sind Sie da?«
Also begrüßte die Baronin den ehemaligen Diener und reichte ihm die Hand, die Robert respectvoll küßte. Nach ihm nahte sich ihr das Mädchen, knixte mehrmals und bezeigte ihr ihre Ehrfurcht gleich ihrem Vater durch einen Handkuß.
»Sieh, sieh, das Mädchen hat sich sehr gut ausgewachsen! Die Waldluft und Einsamkeit scheinen dazu sehr geeignet zu sein,« bemerkte die Baronin, Mariane, so hieß das Mädchen, mit Ueberraschung und Wohlgefallen betrachtend, und schaute alsdann ihren Sohn an, der gleich ihr das in der That reizende Mädchen mit ähnlichen Gefühlen anblickte.
Die ganze Jugendfrische ihres Alters lachte aus dem rosigen, lieblich geformten, feinen Antlitz, den dunkeln, blitzenden Augen und der nicht minder schön geformten Gestalt, der ein Anflug von Unbefangenheit und Keckheit [S. 177] einen ganz besondern Reiz verlieh. Mutter und Sohn tauschten einen verständigenden Blick aus, der ihre Uebereinstimmung des Urtheils über das Mädchen verrieth.
»Also Mariane will sich hier versuchen?« fragte die Baronin.
»Sie brennt vor Verlangen darnach, gnädigste Frau Baronin. Das Kind ist so lebhaften Geistes und möchte gleich einem Vogel aus dem Walde fliegen, der ihr schon lange zu enge und einsam ist,« entgegnete Robert mit einem Seitenblick auf seine Tochter, deren lebhafte Mienen des Vaters Worte durchaus bestätigten.
»Ist ihr auch nicht zu verdenken. Denn die Jugend verlangt nach dem Treiben der Welt, und mir scheint, daß Mariane sich auch besser dazu als zu einem eintönigen Leben im Walde eignet,« fiel die Baronin ein und wandte sich alsdann an diese mit der Frage:
»Du möchtest also gern aus Deinem Nest fliegen und Dich an dem glänzenden Leben hier ergötzen?«
»Ach, von Herzen gern!« sprach Mariane rasch und unbefangen und schaute die Baronin mit vor Verlangen funkelnden Blicken an.
»Nun, es könnte sich wol eine Stelle hier für Dich finden,« meinte die Baronin, das Mädchen mit prüfenden Blicken betrachtend.
»Tausend, tausend Dank, gnädigste Frau Baronin!« fiel Mariane ein, nahte sich ihr rasch und küßte ihr unter Knixen wiederholt die Hand.
»Du scheinst ein lebhaftes Gemüth zu haben, Kind, [S. 178] und trotz der Einsamkeit ziemlich unbefangen zu sein. Das gefällt mir, so wirst Du auch klug und verständig genug zu Deinem Dienst sein. Denn mir däucht, Du paßt ganz gut zu einer Kammerzofe und wirst Dich leicht und mit Geschick in die neuen Verhältnisse zu fügen wissen.«
»Glauben die gnädige Frau Baronin?« fragte der Castellan mit sichtlicher Freude.
»Sie kennen ja den Dienst, lieber Robert, und wissen, was man von einer Zofe verlangt, und ich denke, Mariane wird unsere Erwartungen nicht täuschen. Ich werde sie zu mir nehmen.«
»O, die Frau Baronin sind gar so gnädig!« fiel der Castellan ein, sich tief verbeugend. Mariane aber verrieth eine innere lebhafte Bewegung, mit welcher sie auf’s Neue der Baronin Hand küßte; doch sprach sie nichts.
»Ich denke, es soll Dir bei mir gefallen, Kind, und wenn Du Dich bewährst, wer weiß, was aus Dir noch werden kann,« bemerkte die Baronin mit einem eigenthümlichen Blick, indem sie Mariane auf die Wange klopfte.
Nachdem sie alsdann noch Mehres über Marianens künftige Stellung bei ihr besprochen, kündete sie dem Castellan an, daß die Erstere etwa in einem Monat ihren Dienst antreten und sich dazu also mit Bequemlichkeit vorbereiten könnte, wobei sie nicht unterließ, ihr einige Winke über Anzüge und Aehnliches zu geben.
Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit und lebhaften [S. 179] Blicken und Mienen lauschte Mariane ihren Worten und schien von dem Gedanken, künftig nur gute und hübsche Kleider zu tragen und in dem Hause der Baronin zu wohnen, ganz entzückt zu sein.
Hierauf nahm die Baronin das Mädchen bei Seite und unterhielt sich einige Minuten vertraulich mit ihr, wobei sie sich über Mancherlei Aufklärung von ihr geben ließ und dabei deren geistige Anlagen prüfte.
Der Baron sprach währenddessen mit dem Castellan über die Vergangenheit. Alsdann wurden Vater und Tochter entlassen und der Erstere zugleich angewiesen, vor der Abreise der Tochter noch weitere Befehle bei der Baronin einzuholen.
Mutter und Sohn kehrten alsdann in das Boudoir zurück.
»Nun, was sagst Du zu dem Mädchen?« fragte die Erstere, den Sohn mit Befriedigung anblickend.
»Sie ist reizend,« entgegnete dieser.
»Das ist sie in der That; aber sie besitzt nicht nur einen schönen Körper, sondern auch einen lebhaften Geist, ist klug und weiß gewandt zu antworten, wie ich mich überzeugt habe. Ebenso bin ich gewiß, daß sie sich unter einer geschickten Leitung eben so rasch als vortrefflich und ohne ihre Eigenthümlichkeit einzubüßen, entwickeln wird.«
»Ich stimme Ihnen durchaus bei, meine Mutter; denn mir däucht, in diesem Mädchen schlummern die verschiedensten Anlagen, die je nach den besonderen Verhältnissen zur Geltung gelangen müssen.« [S. 180] »Du täuschest Dich nicht. Das Verlangen nach einem bewegten Leben, nach glänzendem Putz sind zugleich mit dem lebhaften Wunsch in ihr vereint, sich geltend zu machen und ihrer Eitelkeit geschmeichelt zu sehen. Aus Alledem dürfen wir mit Sicherheit schließen, daß sie gern bereit sein wird, sich den an sie gestellten Forderungen anzubequemen, sobald sie dadurch die Befriedigungen ihres Verlangens zu erzielen vermag. Denn sie ist viel zu eitel und zu klug, um durch Tugendscrupel belästigt zu werden.«
»Ich glaube Sie zu verstehen, meine Mutter; Sie haben dabei an den Prinzen gedacht,« fiel der Baron ein.
»So ist es. Und warum sollte es nicht sein? Der Wechsel sagt dem Prinzen zu, der besondere Gegensatz vielleicht in diesem Augenblick mehr denn sonst. Warum sollte ihm eine solche wilde Waldtaube nicht gefallen, nachdem er sich an so vielem zahmen Geflügel übersättigte? — Doch das ist nur eine Vermuthung, ohne daß ich eine förmliche Absicht mit Marianen und dem Prinzen verbinde. Lass’ uns abwarten. Sollte ihm die Lieben etwa nicht gefallen, so dürfte uns dieses eigenthümliche Mädchen vielleicht doch noch in unserm Sinne dienen können, besonders wenn die Sache geschickt angefaßt wird. Es ist das ein Gedanke, der in mir durch die Verhältnisse erweckt worden ist.«
Also sprach die in dergleichen Intriguen sehr geschickte Baronin, und ihr Sohn, damit bekannt, fand es nicht für gut, seiner Mutter zu widersprechen, da er ihrer [S. 181] Klugheit durchaus vertraute. Freilich sagte er sich, daß Marianens niedere Herkunft zu einer dauernden Liaison mit dem Prinzen wenig geeignet sei; aber es kam im schlimmsten Fall auch nicht darauf, sondern lediglich auf die augenblickliche Zerstreuung des Prinzen an, und dazu schien ihm das reizende Mädchen sehr geeignet.
Der Baron trennte sich mit dem Versprechen von seiner Mutter, den Prinzen in den nächsten Tagen zu einem Besuch bei ihr einzuladen, damit er das Fräulein von Lieben kennen lernte.
Der Prinz hielt sich bisher sehr viel in seinen Gemächern auf, woselbst er Musik trieb, viel schlief, mit seinen Hunden, deren er mehre um sich hatte, spielte und sich von Henry, der jetzt eine sehr wichtige Person war, frivole Geschichten erzählen ließ. Außer Mühlfels gewährte der Prinz nur wenig anderen Personen noch den Zutritt und zwar solchen, für welche er ein gewisses Wohlgefallen hegte oder die ihm im Augenblick Zerstreuung verschafften. Nur selten fuhr er aus, noch seltener begab er sich zu dem Fürsten, wenn ihn dieser nicht besonders zu sich einladen ließ.
Sidonie floh er geradezu, wenigstens vermied er es, ihr irgend wo zu begegnen. Ebenso zeigte er kein Verlangen nach seiner Tochter und sah dieselbe nur höchstens zufällig und aus der Ferne. Das liebliche Kind erregte nicht die geringsten zärtlichsten Gefühle in ihm und er schien sich von dem Gedanken, der Vater desselben zu sein, ganz entfremdet zu haben. [S. 182] Sidonie wurde, wie das eben nicht ausbleiben konnte, mit des Prinzen Zustand bekannt gemacht; sie konnte ihn nur bedauern; denn sich ihm zu nahen, wäre ihr unmöglich gewesen, nachdem sie erkannt, daß des Fürsten Ermahnungen durchaus fruchtlos geblieben waren und der Prinz sich nicht bequemte, irgend etwas zur Aussöhnung mit ihr zu thun.
Wir haben erfahren, wie schwer ihr eine solche unter den obwaltenden Umständen geworden wäre; sie würde sich derselben jedoch, wenn auch mit großer Ueberwindung unterzogen haben, weil sie dies im Hinblick auf ihre Tochter und den Wunsch des Fürsten für ihre Pflicht erachtete.
So blieb denn das alte Verhältniß zwischen ihnen bestehen und Sidonie ergab sich jetzt in das Unabänderliche um so leichter, da in ihrem Herzen die Liebe mit neuer Frische aufgeblüht war und die Hoffnung sie beglückte, den geliebten Freund bald und für längere Zeit in ihrer Nähe zu sehen.
Der Prinz war in Folge der Aufforderung des Barons mit diesem ausgefahren.
Es war ein heiterer, warmer Herbsttag und sehr geeignet, das Herz zu erfrischen und der Seele neue Spannkraft zu verleihen.
Auf Mühlfels Wunsch dehnte der Prinz die Fahrt mehr als gewöhnlich aus, da ihm dieselbe behaglich war und er sich dabei ziemlich gut unterhielt.
In seinem Palais zurückgekehrt, sprach der Prinz nach [S. 183] langer Zeit wieder das Verlangen aus, den Abend irgendwo in einer heitern Gesellschaft zu verleben, und Mühlfels benutzte diesen Umstand, dem Prinzen den Vorschlag zu thun, das Souper bei seiner Mutter einzunehmen. Er gab vor, daß die Letztere heute außer einigen dem Prinzen angenehmen Personen auch ein paar Musik-Künstler von Ruf bei sich empfangen würde, von denen man sich einigen Genuß versprechen, der Prinz also eine kleine Unterhaltung erwarten dürfte.
Dieser Vorschlag gefiel dem Prinzen und er erklärte sich zur Annahme desselben bereit.
Nichts konnte dem Baron gelegener kommen, und er eilte zu seiner Mutter, um dieselbe des schnellsten mit Allem bekannt zu machen, damit die erforderlichen Anordnungen noch getroffen werden konnten.
Die Baronin wurde durch die erhaltene Nachricht sehr erfreut. Sie besaß die Geschicklichkeit, dergleichen Soupers in der besten Weise zu improvisiren, besonders wenn es galt, den Prinzen zu empfangen und nebenbei nicht eben geringe Vortheile zu erzielen.
Frau von Lieben wurde vor allen Dingen mit des Prinzen Besuch bekannt gemacht und zugleich mit ihrer Tochter eingeladen, indem sie nicht unterließ, ihr über das Verhalten der Letzteren dem Prinzen gegenüber vertrauliche Winke zu geben.
Die Baronin strengte alle Kräfte an, scheute weder Mittel noch Mühe, um das Souper so angenehm als möglich zu machen. [S. 184] Seinem Versprechen gemäß, erschien der Prinz etwa um die neunte Abendstunde; aber obgleich die musikalischen Leistungen auch ausgezeichnet genannt werden mußten, das Souper auserlesen war, so schienen dieselben dem Prinzen doch keinen besondern Geschmack abzugewinnen. Dies war auch in Bezug auf das Fräulein von Lieben der Fall, so viel sie sich auch bemühte, ihre Reize geltend zu machen.
Zwar unterhielt sich der Prinz mit den Damen eine kurze Zeit; sein früher Aufbruch verrieth jedoch das geringe Interesse, das er für diese Schönheit hegte.
So war es in der That. Denn als der Baron an dem nächsten Tage den Prinzen besuchte und die Rede auf das Fräulein leitete, bemerkte der Prinz: »Die Lieben ist ein hübsches Mädchen; aber nicht nach meinem Geschmack! Ich habe alle diese Koketten und Salondamen herzlich satt, bei denen es doch nur auf Eroberungen abgesehen ist. Ueber alle Kunst und Künstelei im Benehmen und Toilette kommt man bei ihnen zu keiner Natur. All’ dieser Flitter, Schönpflästerchen und Schminke, womit sie sich nach ihrer Meinung verschönen, ekelt mich an. Etwas Anderes wäre es mit einer einfachen, frischen Natur, in der noch die ursprüngliche Kraft und Schönheit zu finden ist; das könnte mich reizen und mir Interesse abgewinnen. Davon ist hier aber nicht die Rede. Wie die Hohen so die Niederen! Alle sind sich gleich und alle langweilig!«
»Sie haben Recht, Hoheit, und es ergeht mir wie [S. 185] Ihnen. Aber was bleibt uns unter solchen Umständen übrig, wollen wir uns nicht in das Unvermeidliche fügen? Zum Entbehren werden Sie sich nicht bequemen wollen, dazu sind Sie nicht geschaffen und Ihre Natur eignet sich nicht zum Trappisten; so werden Sie zugreifen müssen.«
»Pah, pah! Zugreifen müssen!« spöttelte der Prinz und fügte hinzu: »Sie sprechen, als ob wir nicht in der Welt lebten und lediglich auf diesen langweiligen Ort angewiesen wären! Wollten wir uns nur ein wenig umschauen, so würden wir manchen Genuß entdecken.«
»Und dennoch bezweifle ich das, nachdem ich erfahren, daß eine so seltene Schönheit, wie die Lieben, keinen Eindruck mehr auf Sie macht.«
»Sie wissen, weshalb, Mühlfels, und damit Basta!« fiel der Prinz mit bestimmtem Ton ein, und der Baron kannte den Letzteren zu gut, um noch länger das Interesse der bezeichneten Dame zu vertreten. Ueberdies sprach der Prinz den Wunsch aus, eine Spazierfahrt zu machen, und schnitt damit alle weiteren Unterhaltungen über diese Angelegenheit ab.
Nach kurzer Zeit führte sie der Wagen aus der Stadt und der reizenden, mit bewaldeten Höhen, stillen Seen und lieblichen Fernsichten ausgestatteten Umgegend zu.
Auch heute war es ein heiterer Tag, der wie früher günstig auf den Prinzen wirkte und seine Stimmung besserte. Nach einer kurzen Fahrt erreichten sie eine an [S. 186] dem Wege gelegene sehr hübsche Villa, die ein zierlich gehaltener Garten umschloß. Vor derselben breitete sich der See aus, der in weiter Ferne die in Duft verschwimmenden Ufer bespülte und dem Auge die mannichfachsten Aussichten gewährte und dadurch dem Landhause einen ganz besondern Reiz verlieh. Man konnte sich zu einem süßen Stillleben keinen geeigneteren Ort als diesen wünschen.
Des Prinzen Aufmerksamkeit wurde darauf hingelenkt, und es erwachte der Wunsch in ihm, sich das Haus und die Gartenanlagen näher zu betrachten. Er ließ den Wagen halten, stieg aus, schritt bis an das Gitter und schaute hinein.
»Sehen Sie, Mühlfels,« sprach er, »ein hübsches Haus, einsam und lauschig gelegen! Da müßte es sich angenehm wohnen lassen, natürlich in Gesellschaft eines Wesens, das demjenigen gleicht, wie ich es mir wünsche. In dieser Ruhe und Abgezogenheit von dem Treiben der Welt müßten sich uns ganz neue Genüsse darbieten, nach denen ich mich sehne und deren ich bedarf, wenn mir nicht das Leben und Treiben schaal erscheinen soll. Doch ich glaube, ich bin sentimental!« rief er lachend und fuhr alsdann fort: »Lassen Sie uns die Herrlichkeit betrachten, vielleicht komme ich dabei zu anderen Gedanken.«
Sie begaben sich in den Garten, um von hier in das Landhaus zu gelangen. Die in dem letzteren herrschende Stille und allerlei Anordnungen deuteten darauf hin, daß es von dem Besitzer bereits verlassen sein müßte. [S. 187] So war es in der That, wie ein bald erscheinender Hüter der Villa erklärte. Die Herrschaft war seit einigen Wochen nach Paris gezogen, um den Winter daselbst zu verleben, und das Landhaus daher unbewohnt.
»Desto besser,« meinte der Prinz, »so kann ich meine Neugier ohne zu stören befriedigen; denn ich bin wirklich gespannt, ob sich meine Erwartung bestätigt und die innere Einrichtung dem äußeren Wesen entspricht.«
Der Diener der Villa beeilte sich, die Thüren zu öffnen und die vornehmen Herren einzulassen.
»Vortrefflich, vortrefflich!« rief der Prinz, nachdem sie einige Zimmer durchschritten hatten; »ganz, wie ich es mir gedacht habe. Reich und geschmackvoll, und was fehlt, kann leicht ersetzt werden!«
Sie traten aus dem Gartensalon auf die Veranda, und der Prinz ließ einen Ruf der Ueberraschung vernehmen, indem sich seinem Auge die reizendsten Aussichten darboten.
»Der Besitzer,« wandte er sich an Mühlfels, »ist in der That wegen dieser Villa beneidenswerth, und ich gestehe Ihnen, müßte ich nicht dort wohnen, so zöge ich hieher . Lassen Sie uns nun auch noch die Zimmer des zweiten Flügels sehen,« sprach er nach kurzem Schauen und ging in das Haus zurück.
Der Diener öffnete die Thür, und sie traten in ein luftiges, mit einer Menge guter Gemälde geziertes Gemach. Daneben befand sich ein ähnliches, jedoch einfach [S. 188] ausgestattetes Zimmer, in welchem in der Nähe des Fensters eine verhängte Staffelei stand.
»Sieh da, auch die Kunst fand hier eine Stätte!« rief der Prinz und näherte sich der Staffelei.
Der Diener beeilte sich zu melden, daß das älteste Fräulein der Herrschaft sich mit dem Malen abgebe.
»So, so,« warf der Prinz hin und wollte, wahrscheinlich in der Voraussetzung, eine gewöhnliche Dilettantenarbeit zu finden, an der Staffelei vorübergehen, als er sich plötzlich besann und die Frage an den Diener richtete, ob unter der Hülle etwa ein Bild sei und er das sehen dürfte.
Der Diener bejahte und bemerkte, während er die Hülle entfernte, daß das gnädige Fräulein dasselbe gemalt hätte.
» Parbleu! Ein reizendes Gesicht, eine kostbare Büste!« rief der Prinz, als er das Portrait erblickt hatte. »Das ist wol eine Dame des Hauses?« fragte er, das Bild mit dem höchsten Interesse betrachtend, das ein junges Mädchen in der damals beliebten Schäfertracht darstellte, wie sie uns der Pinsel Watteau’s aufbewahrt hat.
»Halten zu Gnaden, Hoheit, das Bild stellt nur ein gewöhnliches Landmädchen vor, die auf des Fräuleins Wunsch bisweilen hieher gekommen ist. Wie ich gehört habe, hat das Fräulein das Mädchen irgendwo gesehen und ein so großes Gefallen an ihm gefunden, daß sie es abconterfeit hat.«
»Was sagen Sie, Mühlfels? Ist das nicht ein [S. 189] wundervolles Kind?« fragte der Prinz und fügte leise hinzu: »Ein eigenthümlicher Zufall, der mich hier eintreten ließ; denn ich fand, was ich wünschte: die unverfälschte Natur im Kleide der liebreizendsten Schönheit.«
Mühlfels, dessen Ueberraschung beim Erblicken des Bildes noch größer als diejenige des Prinzen war, beeilte sich, des Prinzen Fragen zu bejahen und zugleich seine Bewunderung für das Bild an den Tag zu legen, während ein selbstgefälliges Lächeln seinen Mund umspielte.
Nachdem der Prinz das Bild nochmals betrachtet hatte, verließ er das Gemach und kehrte in den Garten zurück, um dessen Anlagen näher in Augenschein zu nehmen. Als er sich mit dem Baron allein sah, bemerkte er gegen diesen:
»Wie der Diener sagte, befindet sich das Mädchen wahrscheinlich in der Nähe; ich muß es sehen. Es wird aufzufinden sein, Mühlfels; der Diener wird Ihnen den Wohnort desselben nennen können oder könnte sich zur Erforschung desselben bemühen. Sparen Sie weder Mühe noch Geld, mein Verlangen zu befriedigen. Das ist so ein Mädchen, wie ich es wünsche, und mit solch einem Naturkinde in dieser Villa die Stunden zu verträumen, das wäre ein überaus süßer Genuß. Ich werde erst wieder Geschmack an diesem langweiligen Leben finden, wenn ich mich an diesen sonnigen Augen erlaben, an diesem schalkhaften Lächeln ergötzen kann. Ich verlasse mich auf Ihren Eifer, Mühlfels, und hoffe, Sie werden [S. 190] mich bald, hören Sie, bald , recht bald durch die Nachricht erfreuen, daß Sie das Mädchen aufgefunden haben!«
»Seien Sie versichert, mein Prinz, daß ich keine Mühe scheuen werde!« versicherte Mühlfels.
»Ich werde Ihnen sehr dankbar dafür sein,« fiel der Prinz ein und fuhr alsdann mit erregter Stimme fort: »O, Sie werden mir den Besitz dieses reizenden Kindes verschaffen, dessen bin ich gewiß! Und ist sie mein, dann führe ich sie in diese Villa; denn das Haus muß mein werden um jeden Preis, damit mein Genuß so vollkommen wird, wie ich ihn mir gedacht habe. Wie reizend muß sich die kleine Schäferin in dieser idyllischen Umgebung ausnehmen!«
In solcher Weise erging sich des Prinzen lebhafte Phantasie, durch das Portrait angeregt.
Sie hatten währenddessen den Garten nach allen Seiten durchschritten; denn der Prinz, nur mit seinem interessanten Project beschäftigt, wollte sich zugleich überzeugen, ob der Garten auch ganz nach seinem Geschmack wäre. Dem war wirklich so, und sehr befriedigt ging er nach dem Wagen, indem er während der Weiterfahrt sich vorzugsweise über den bezeichneten Gegenstand unterhielt.
Mühlfels pflichtete ihm in Allem bei, that allerlei Vorschläge in Bezug auf des Prinzen Wünsche, und als sie wieder das Palais erreichten, hegte der Prinz keinen Zweifel mehr, sein Verlangen in jeder Hinsicht erfüllt zu sehen.
Von dieser angenehmen Ueberzeugung erheitert, hatte [S. 191] er seine gute Laune wieder gewonnen und war seiner Umgebung ein gütiger Herr, ja er verstand sich sogar zu einer fleißigeren Theilnahme an den Staatsgeschäften.
Es war spät geworden, als Mühlfels nach der Ausfahrt von dem Prinzen schied; statt jedoch in seine Wohnung zu gehen, begab er sich zu seiner Mutter, die durch seinen so späten Besuch nicht wenig überrascht wurde.
»Es muß eine wichtige Angelegenheit sein, die Dich veranlaßte, mich noch in so später Stunde aufzusuchen,« bemerkte die Baronin, indem sie ihn fragend und erwartungsvoll anblickte.
»Sie täuschen sich in dieser Voraussetzung nicht; es ist in der That so, und es ist mir angenehm, Ihnen mittheilen zu können, daß Ihr Scharfblick keinen kleinen Triumph feiern darf,« fiel Mühlfels ein und erzählte alsdann die bei der Ausfahrt mit dem Prinzen stattgefundenen Umstände.
»Und nun denken Sie sich meine Ueberraschung, meine Mutter,« fuhr er fort, »als ich in den Zügen des Bildes diejenigen Marianens erkannte.« —
»Was sagst Du? Marianens Züge?« rief die Baronin überrascht.
»Durchaus, wenngleich das Bild ziemlich dilettantisch ausgeführt und nur mit einem kleinen Theil aller jener Reize geziert ist, die das Mädchen besitzt und zehnfach mehr geltend zu machen wissen wird.«
»Das ist ja eine ganz unerhörte Nachricht und unter [S. 192] den obwaltenden Umständen für uns von der höchsten Bedeutung, da wir allein die Wege kennen, auf welchen der Prinz in der bequemsten Weise in den Besitz dieses Mädchens gelangen kann. Und wie gut, daß dies Alles geschehen ist, bevor das Mädchen noch ihren Dienst bei mir angetreten hat; wäre dies erfolgt, würde die Sache mißlich und von geringem Werth sein. So aber läßt sich die unbekannte Waldschöne leichter einführen, da der Reiz ihrer Persönlichkeit unter einem dienenden Verhältniß noch nicht gelitten hat und der Prinz sie also ganz nach seinem Wunsch aus der Hand der Natur empfängt. Nur in solcher Weise kann diese Liaison bei des Prinzen Schwärmerei von Bedeutung werden, falls sich das Mädchen bewährt. Ich bin überzeugt, sie wird es. Doch müssen wir diese Angelegenheit mit großer Vorsicht und Klugheit behandeln.«
»Das ist auch meine Ansicht. Vor allen Dingen darf der Prinz nicht erfahren, daß wir das Mädchen bereits kennen, vielmehr muß er durch eine entsprechende Verzögerung dieser Angelegenheit zu dem Glauben gelangen, welche große Mühe ich auf die Entdeckung desselben verwendet habe. Das sichert uns doppelte Vortheile; einmal einen größeren Dank und dann, was wichtiger ist, ein erhöhtes Interesse des Prinzen für das Mädchen selbst, das ihm durch den verzögerten Besitz und die vielfache Mühe um so begehrenswerther erscheinen wird.«
»Gewiß, mein kluger Sohn, in solcher Weise werden [S. 193] wir handeln müssen. Auch meine ich, Du suchst den Prinzen, naht der geeignete Zeitpunkt, ihn das Mädchen sehen zu lassen, zu bestimmen, einen Ausflug nach dem Jagdschloß zu machen, vielleicht um ein wenig zu jagen. Denn ich meine, die Ueberraschung müßte doppelt gute Wirkungen haben. Doch müssen wir sowol Mariane als auch deren Vater in die Angelegenheit einweihen, damit der Prinz unsere Bekanntschaft mit den Leuten nicht erfährt. Zu diesem Zweck wollen wir uns in einigen Tagen nach Schloß Waldburg begeben, um den Castellan anzuweisen, seine Tochter nicht etwa früher in die Stadt zu führen, bevor der Prinz seinen Besuch gemacht hat. Denn ein Zusammentreffen hier würde leicht den Eindruck schwächen, den der Prinz von der Erscheinung des Mädchens erhält, wogegen die Naturumgebung dieselbe vielfach erhöhen muß.«
»Wird Robert auf unsere Vorschläge eingehen?« fragte Mühlfels.
»Du zweifelst doch nicht etwa daran?« fragte die Baronin lachend. »Du hast wahrscheinlich vergessen, daß er mit dergleichen Angelegenheiten genügend vertraut ist, der hohen Ehre nicht zu gedenken, die ihm durch des Prinzen Wunsch zu Theil wird und um welche ihn und seine Tochter die angesehensten Familien beneiden werden, falls es dem Mädchen wirklich gelingt, den Prinzen nicht nur vorübergehend an sich zu fesseln. Ich gedenke ihr bei unserm Besuch die nöthigen Rathschläge zu ertheilen, [S. 194] will mich daher näher mit ihrem Wesen bekannt machen, um zu erfahren, was wir von ihr zu erwarten haben.«
»So zweifle ich nicht an dem besten Gelingen unserer Bemühungen.«
»Das dürfen wir. Das Mädchen verspricht zu viel, als daß es unsere Erwartungen täuschen sollte,« fiel die Baronin ein, und noch lange erwogen Mutter und Sohn diese für sie so hochwichtige Angelegenheit.
Um ihren Besuch des Schlosses nicht zu verrathen, wollten sie sich zu ihren in der Nähe desselben wohnenden Bekannten begeben und bei dieser Gelegenheit ihre Absicht ausführen.
Der Prinz, wie immer in hohem Grade ungeduldig, wenn ihn ein ähnliches Interesse beschäftigte, bequemte sich gern, den Baron zu entbehren, der fortan allerlei Ausflüge machte, nachdem er dem Prinzen gesagt, daß ihm der Diener des Landhauses die gewünschte Auskunft nicht hätte geben können.
In solcher Weise täuschte Mühlfels den Prinzen, dessen Theilnahme und Erwartung er durch ein schlau berechnetes Verhalten immer mehr zu steigern wußte, bis endlich der Zeitpunkt herannahte, in welchem er mit seiner Mutter den Ausflug gemacht hatte, der, von dem besten Erfolg gekrönt, ihm zugleich gestattete, dem Prinzen die beabsichtigte Ueberraschung zu bereiten.
Der Castellan und Mariane wurden durch den Besuch der Baronin und ihres Sohnes nicht wenig überrascht, [S. 195] noch mehr jedoch, als die Baronin dem Ersteren vertrauliche Andeutungen über das seiner Tochter in Aussicht gestellte Glück machte, natürlich ohne den Prinzen zu verrathen. Die Baronin war viel zu klug und vorsichtig, um dem Castellan die volle Wahrheit zu sagen; aber auch schon das Vernommene war hinreichend, den Mann über die Maßen zu erfreuen.
In ähnlicher Weise verfuhr die Baronin mit Marianen und sah sich in ihren Erwartungen auch bei dieser nicht getäuscht. Der Gedanke, daß sie sich des Lebens nicht in einer dienenden, sondern viel angenehmeren und glänzenderen Stellung erfreuen sollte, hatte zu viel Verlockendes für sie, um irgend welchen sittlichen Bedenken Raum zu geben, und wir erkennen daraus, wie tief die sittliche Zerfahrenheit in der damaligen Zeit in alle Gesellschaftsschichten eingedrungen war, da sie selbst in dieser Waldeinsamkeit nicht fehlte.
Erfreute die Baronin schon dieses Entgegenkommen von Vater und Tochter, so wurde sie noch angenehmer durch die Resultate überrascht, welche sie sich durch eine eingehende Prüfung Marianens verschaffte.
Das Mädchen besaß einen geweckten Geist, zeigte viel natürlichen Verstand, war in vielerlei Dingen geschickt und wußte das Alles in einer unbefangenen Weise geltend zu machen. Diese Vorzüge wurden noch durch ein angenehmes, oft keckes Wesen und Benehmen erhöht, in welchem ein eigener Reiz lag, indem er den Stempel lieblicher Natürlichkeit trug. Was jenes Bild in der [S. 196] Villa betraf, so hatte Mariane wirklich der Malerin als Vorbild gedient.
Die Baronin war nach einem mehrstündigen Aufenthalt in Waldburg so sehr von Marianen eingenommen, daß sie mit der Ueberzeugung schied, ihre Hoffnungen und Erwartungen dereinst in der vollkommensten Weise erfüllt zu sehen.
Einen ähnlichen Eindruck hatte auch ihr Sohn erhalten.
Nach der Rückkehr bestürmte der Prinz den Baron mit Fragen, ob seine Bemühungen nicht endlich durch den erwünschten Erfolg belohnt worden wären; Mühlfels wich einer bestimmten Antwort aus, indem er die Hoffnung aussprach, daß dies wol in nächster Zeit geschehen dürfte und sich der Prinz daher ein wenig gedulden sollte. Zugleich schilderte er seinen Ausflug als höchst angenehm und that dem Prinzen den Vorschlag, sich zur Jagd nach Waldburg zu begeben.
Der Prinz zeigte nicht besondere Lust dazu; Mühlfels jedoch wiederholte seine Bitte; das schöne Wetter war überdies zu einem Jagdvergnügen sehr geeignet, so daß der Prinz endlich nachgab, besonders nachdem Mühlfels angedeutet, daß man bei dieser Gelegenheit ja auch zugleich nach dem Mädchen forschen könnte.
[S. 197]
Während der Prinz und dessen getreue Freunde bedacht waren, Sidonien einen neuen Schmerz zu bereiten, sah diese mit angenehmen Gefühlen der nahenden Zeit entgegen, die ihr den geliebten Freund wieder zuführen sollte.
Graf Römer hatte nämlich Aurelien mitgetheilt, daß er mit dem Beginn des Spätherbstes bei ihr einzutreffen und alsdann den Winter daselbst zu verleben hoffe. Von dieser angenehmen Gewißheit angeregt, welche ihr einen genußvollen Winter sicherte, der ihr unter anderen Verhältnissen wie gewöhnlich einförmig und traurig dahin geschlichen wäre, entwarf Sidonie mit der Freundin allerlei Pläne für diese Zeit, um auch dem Freunde angenehme Stunden zu bereiten.
Das neue Glück hatte ihrem Geist neue Spannkraft verliehen und mit dieser ihr zugleich neue Interessen zugeführt, die in dem bisherigen traurigen Dasein allmälig erstorben waren. Es war jetzt wirklich so, wie sie früher versichert, daß sie sich mit des Grafen Wiederkehr wieder frei und in dieser Freiheit und ihrer Liebe ihr Leid weniger fühlte, ja dasselbe sogar für Zeiten vergessen konnte und auch wollte. Während der Berathung gedachte sie des Beifalls, den ihr Harfenspiel früher bei dem Grafen gefunden, und sie nahm sich vor, demselben wieder mit [S. 198] vermehrtem Eifer obzuliegen, um den Freund dadurch wie einst zu erfreuen. Ebenso wollte sie einige berühmte Virtuosen für die Abendcirkel gewinnen, deren Ankunft man während des Winters erwartete.
In solcher Weise beriethen und sorgten die Freundinnen für die Zukunft, und die Hoffnung, den Grafen auch außer in den Gesellschaften noch in den Concerten und Theatervorstellungen bei dem Fürsten, deren es wöchentlich gewöhnlich mehre gab, zu sehen, verhieß ihnen die angenehmste Zukunft. Sidonie fühlte sich durch die näher bezeichneten Aussichten um so beglückter, da der Prinz auch trotz seiner längeren Anwesenheit sie durchaus unbeachtet ließ und auch der Fürst jede Lust verloren zu haben schien, sich irgend wie um ihre Aussöhnung zu bemühen.
Das letztere war durch einen besondern Umstand herbeigeführt worden. Der Prinz hatte nämlich seinem Oheim, als dieser sich erkundigte, wie er jetzt mit der Prinzessin stehe, erwidert, daß in ihrem gegenseitigen Verhältniß keine Aenderung eingetreten wäre, indem er zugleich als Grund dafür die ihm von Sidonien gezeigte verletzende Kälte angab, die ihn von einer Annäherung zurückgeschreckt hätte. Der Fürst schenkte seinen Worten vollen Glauben, wozu er sich durch Sidoniens bisheriges Verhalten berechtigt hielt, und die Folge davon war ein sich steigernder Unwille gegen sie. Er gab es auf, sich noch länger stets fruchtlos zu bemühen. Das war dem Prinzen sehr erwünscht, denn er hoffte, sich nun endlich in dieser Angelegenheit Ruhe verschafft zu haben, und [S. 199] konnte überdies seinem näher bezeichneten Interesse um so ungestörter nachgehen.
So nahte der zum Jagdausflug bestimmte Tag, den das freundlichste Wetter begünstigte. Da das Schloß mehre Meilen entfernt war, sich die Wege dahin nicht im besten Zustande befanden, so brach der Prinz ziemlich früh auf, um zu guter Zeit daselbst anlangen zu können. Auf Mühlfels’ Vorschlag waren nur wenige Personen, darunter Henry, zu des Prinzen Begleitung bestimmt worden, ebenso hatte der Erstere diesen zu veranlassen gewußt, keinen seiner Freunde dazu einzuladen, worauf der Prinz, wie überhaupt auf diesen Ausflug, in der Voraussicht gern einging, den Aufenthalt des Mädchens und dieses selbst zu entdecken. Mühlfels verband mit dem Fernhalten der bezeichneten Personen die geheime Absicht, die Wirkung des Zusammentreffens zwischen dem Prinzen und Marianen durch die leichtfertigen und zudringlichen Freunde nicht abgeschwächt zu sehen und dadurch vielleicht gar den gewünschten Erfolg einzubüßen. Bei der besondern und reizbaren Stimmung des Prinzen mußte Alles vermieden werden, was den romantischen Charakter dieser Angelegenheit irgend beeinträchtigen konnte. Mühlfels kannte seinen Prinzen zu gut, um nicht auf alle Vorkommnisse vorbereitet zu sein, und wir werden später erfahren, mit welcher Sorgfalt er seine Maßregeln getroffen hatte, um sich den Erfolg zu sichern.
Diese neue Passion des Prinzen däuchte ihm nämlich aus dem idyllischen Liebesleben, dem sich einst Ludwig der Vierzehnte hingegeben und in dem er sich so glücklich [S. 200] gefühlt hatte, hervorgegangen zu sein, das der Prinz nun nachahmen wollte. Einfache Natürlichkeit, unbefangene Hingabe, mit dem Reiz des Geheimnisses und der Romantik verwoben, das war es, was er suchte und worin er Genuß zu finden hoffte.
Mühlfels täuschte sich in dieser Voraussetzung wirklich nicht; es war in der That so, was um so weniger befremden darf, da wir des Prinzen Vorliebe für starke Gegensätze kennen gelernt haben.
Das Schloß lag auf einer sanften Anhöhe, von einem alten, prächtigen Laubwalde umgeben, der das seit vielen Jahren darin gehegte Wild beherbergte. Dasselbe war von des Fürsten Vorfahren erbaut worden und hatte denselben dereinst als vorübergehender Sommeraufenthalt gedient. In der Folgezeit fand dies jedoch nicht mehr statt und das Schloß wurde von den Fürsten nur noch bei Gelegenheit der in jenen Waldungen abzuhaltenden Jagden für einige Tage besucht. Seitdem jedoch der Fürst zur Regierung gekommen war, hörten auch diese Besuche auf, da weder er noch der Prinz Geschmack an der Jagd fanden, und so geschah es, daß das Schloß allmälig dem Verfall entgegen ging, da nichts zu dessen Erhaltung geschehen war. Dieser Umstand erhöhte den einsamen, romantischen Charakter dieses Ortes wesentlich, obgleich demselben mancherlei von der Natur gebotene Schönheiten nicht mangelten. Dem durch das geräuschvolle Treiben der Städte abgespannten Ohr that die hier herrschende Ruhe wohl, und das durch Glanz und Pracht übersättigte [S. 201] Auge fand in den anspruchslosen Reizen der Natur, denen der nahende Herbst seinen malerischen Charakter verlieh, einen neuen, wohlthuenden Genuß. Statt der rauschenden Musik der Oper und Concerte schmeichelte sich der von den Luftwellen herüber getragene ferne Glockenton in das Ohr, gewann hier der vereinzelte Vogelgesang und das Schwirren der Insekten eine angenehme Bedeutung, denen man gern und mit Behagen lauschte.
Wir sehen, daß diesem Ort keine jener Eigenschaften mangelte, wie sie des Prinzen Stimmung verlangte; denn ein größerer Gegensatz zu seinem Wohnort konnte kaum gefunden werden.
Je mehr sie sich dem Schloß näherten, um so häufiger führte der Weg durch dichte Waldungen und einsame, nur wenig belebte Gegenden, bis sie, ungefähr eine Meile von dem Ziel ihrer Reise, der fürstliche Wald aufnahm, dessen Kühle und Schatten sie fortan begleitete. Sie genossen diese Annehmlichkeiten in dem vollsten Maß, da der nicht besonders gute Weg die Fahrt bedeutend verlangsamte. Trotzdem zeigte der Prinz keine Ungeduld, sondern schien sich ganz behaglich zu fühlen, was auch in der That der Fall war. Die erquickliche Luft, die Düfte des Waldes und die landschaftlichen Umgebungen hatten, wie das bei Naturen seiner Art zu sein pflegt, auf Körper und Seele ihre wohlthätigen Wirkungen ausgeübt.
Schon sank die Sonne, als sie den Wald verließen und dem von der Abendgluth beleuchteten alterthümlichen Gebäude nahten, das sich mit seinen abgebröckelten Mauern [S. 202] und verschnörkelten Zinnen, seinen verwitterten Eckthürmchen und glitzernden Fenstern von dem tiefdunkeln Walde malerisch abhob. Allerlei verwachsene Gartenanlagen, geschwärzte und mehr oder weniger zerstörte Statuen, Urnen und ähnliche von Gestrüpp umwucherte Zierrathen vor dem Schloß verriethen die demselben einst geschenkte Sorgfalt, von welcher jetzt freilich keine Spur mehr vorhanden war. Denn überall machte sich die Wildniß geltend.
»Das sieht ja wie ein verzaubertes Schloß aus, in dem man allerlei Spuck und Hexerei erwarten muß,« bemerkte der Prinz, von dem eigenthümlichen Bilde angezogen, das auf ihn einen um so größeren Eindruck ausübte, da er das erstere nur in seiner Kindheit besucht hatte und seitdem nicht wieder und daher keine Erinnerung mehr davon besaß. Auch war er damals in einer großen Gesellschaft von Hof-Cavalieren und Edelleuten hierher gekommen, die sein Interesse in Anspruch nahm und ihn daher von der näheren Betrachtung des Schlosses abgezogen hatte.
Das war jetzt anders. Er wurde nur von der Dienerschaft empfangen, befand sich in einer passenden Stimmung mit seiner Umgebung und so geschah es, daß er nach dem Verlassen des Wagens sich das Schloß und die Umgegend genau betrachtete und seinen Beifall darüber gegen Mühlfels zu erkennen gab.
»Ich werde hier eine vortreffliche Nacht haben, wie schon lange nicht, vorausgesetzt, daß mich kein loser Spuck stört,« bemerkte er in heiterer Laune, die ihn auch nicht [S. 203] verließ, als er später die düsteren, hohen und mit einer Menge Jagd-Embleme verzierten Gemächer betrat. Die geöffneten Bogenfenster gewährten dagegen erheiternde Fernsichten auf bewaldete Berge, einen stillen See, der das Abendgold widerspiegelte und an dessen Ufer das Auge eine Anzahl Hirsche unterschied, die daselbst in Sicherheit ihren Durst löschten.
Im Anblick dieser Naturschönheiten wurde das Souper eingenommen, das dem Prinzen nach langer Zeit, wie er gestand, wieder wirklich mundete. Gegen Ende desselben, als sich bereits tiefere Dunkelheit über die Umgegend gebreitet hatte und nur noch ein sanfter Nachschimmer im Abend sichtbar war, erklang plötzlich eine liebliche Hornmusik von dem nahen Walde her. Es waren einfache, ansprechende Melodien, die, über den See fort tönend, das Echo weckten und in dessen Nachhall erstarben.
»Vortrefflich, vortrefflich!« rief der Prinz wiederholt, den Tönen mit Aufmerksamkeit lauschend. »Es war ein kluger Gedanke von Ihnen, Mühlfels, mir diesen Ausflug vorzuschlagen; er thut bessere Wirkungen, als alle Arzneien meines Leibarztes, womit er mich so lange gequält hat. Es gefällt mir hier so gut, daß ich mehre Tage zubringen will, und ich denke, ich werde ganz gesund zurückkehren.«
»Das hoffe auch ich, mein Prinz, und bin glücklich, Sie in einer so befriedigten Stimmung zu sehen,« fiel Mühlfels ein.
»Sie irren, Mühlfels; ich fühle mich zwar ziemlich [S. 204] behaglich, aber nicht befriedigt; Sie kennen den Grund. Bevor ich in den Besitz jenes reizenden Mädchens gelangt bin, kann davon nicht die Rede sein. Es ist wirklich fatal, daß Ihre Nachforschungen bisher fruchtlos gewesen sind. Doch Sie haben mir das Versprechen gegeben, mein Verlangen zu befriedigen, und ich vertraue Ihrem Wort.«
»Sie können das, mein Prinz, und ich hoffe, die Zeit ist nicht mehr fern, in welcher Sie sich des Genusses dieses Mädchens werden erfreuen können,« entgegnete der Baron, und war eben im Begriff fortzufahren, als eine silberklare weibliche Stimme ertönte, die ein heiteres Jagdlied sang.
»Hören Sie doch, mein Prinz, diese liebliche Stimme!« rief Mühlfels aufhorchend.
»In der That, ein seltener Wohllaut, der mir mehr zusagt, als das Gekreisch unserer italienischen Primadonna,« fiel der Prinz ein, von dem Gesange angezogen, und bemerkte, als dieser endete: »Der Stimme nach zu urtheilen, muß die Sängerin ein noch junges Mädchen sein. Der frische, kecke Ton gefällt mir. Es sind hier also auch Frauen?«
»Allerdings, Hoheit. Der Castellan des Schlosses ist verheirathet und wird wahrscheinlich auch Familie haben. Vielleicht ist die Sängerin seine Tochter.«
»Sie singt wie ein Waldvogel!« rief der Prinz, als der Gesang auf’s Neue ertönte, und fuhr alsdann fort: »Ich möchte das Mädchen einmal sehen, ihre Stimme übt eine angenehme Wirkung auf mich aus, und ich denke, sie [S. 205] hat kein übles Aussehen und ihr Wesen ist so frisch wie ihr Gesang.«
»So wird es sein, und ich hoffe, Hoheit werden in Ihren Erwartungen nicht getäuscht werden.« —
»Das wäre mir lieb; denn eine pikante Waldschöne würde mir den Aufenthalt hier noch angenehmer machen. Sorgen Sie dafür, Mühlfels, daß ich morgen das Mädchen sehen, vielleicht sprechen kann, wenn es mir etwa gefallen sollte.«
»Es wird geschehen, Hoheit, und ich würde mich von Herzen freuen, wenn der Zufall mich in dem Bemühen, Hoheit ein wenig zu vergnügen, durch die Sängerin unterstützte.«
»So lassen Sie uns mit dieser angenehmen Hoffnung zu Bett gehen; denn ich fühle mich ermüdet,« sprach der Prinz und erhob sich.
Mühlfels entfernte sich und bald darauf trat Henry ein, um den Prinzen zu bedienen.
»Nun, Henry, wie gefällt es Dir hier?« fragte der Prinz.
»Sehr gut, Hoheit; denn es giebt hier ganz allerliebste Dinge,« bemerkte der Diener.
»Was meinst Du damit?«
»Haben Hoheit vielleicht den hübschen Gesang vernommen?« fragte Henry mit einem bedeutsamen Blick.
»Ja, der Gesang war hübsch.«
»Und ich versichere Eure Hoheit, die Sängerin ist noch zehnmal hübscher,« fiel Henry ein. [S. 206] »Du hast sie gesehen?«
»Ja, Hoheit, und ich schwöre, es ist das schönste Mädchen, das meine Augen je erblickt haben!« rief der Diener in ungewöhnlicher Erregung.
»Du bist toll oder in das Mädchen verliebt!« sprach der Prinz lachend.
»Das erstere gewiß nicht; das letztere will ich nicht abläugnen. Aber ich glaube, Hoheit, ich bin zu entschuldigen, denn ich weiß, es könnte Anderen vielleicht ebenso wie mir ergehen. Das Mädchen ist zu reizend, und man weiß nicht, soll man mehr ihre Schönheit oder ihr keckes, verführerisches Wesen loben!« betheuerte der Diener.
»Sind noch andere Mädchen oder Frauen im Schloß?« fragte der Prinz.
»Die des Castellans und des Försters; doch kein anderes Mädchen, außer Mariane, des Castellans Tochter.«
»So wirst Du wol eine schlechte Nacht haben, Henry, da Dich die Liebe prickelt,« sprach der Prinz lachend, und fügte mit einem cynischen Blick auf den Diener hinzu: »oder vielleicht nicht, wie?«
»O, daran ist bei dem Mädchen nicht zu denken! die ist spröde und scheu, wie ein Reh.«
»Du scheinst also schon Dein Glück bei ihr versucht zu haben?« fragte der Prinz.
»Nun, Hoheit wissen, ich bin gegen das schöne Geschlecht stets höflich.« —
»Aber es half Dir bei dem Mädchen nichts; Deine [S. 207] schönen Redensarten fanden keinen Beifall?« fiel der Prinz lachend ein.
»Ich gestehe es zu meiner Schande, Hoheit, ich bin dieses Mal total durchgefallen,« erklärte der Diener offenherzig.
Dem Prinzen schien diese Mittheilung viel Vergnügen zu bereiten, er lachte anhaltend, während er den Diener wegen seines Fiasco bespöttelte.
»Dir ist ganz Recht geschehen,« sprach er; »wie konntest Du auch vergessen, daß ein so schönes Mädchen vielleicht auch vor anderen Augen Gnade finden dürfte.«
»Sie scheint das zu wissen; denn ich versichere Eurer Hoheit, sie that so stolz wie eine Königin, so daß man sich neben ihr ganz klein vorkam und Respect vor ihr fühlte. Ich bin gewiß, die hat noch Keinem gestattet, sie anzurühren. Es ist eine starrköpfige Creatur.«
»So ist’s recht, so ist’s recht, mache Deinem Aerger Luft, damit Dich der böse Alp im Schlaf nicht drückt und Du durch Deinen Angstgeschrei die Leute hier aufweckst!« rief der Prinz, immer heftiger lachend. Mit diesen Worten begab er sich zu Bett und der Diener in das Vorgemach, woselbst er die Nacht zubringen sollte.
Die Befürchtungen des Prinzen trafen jedoch nicht ein, sondern Henry erfreute sich des gesundesten Schlafes, und das hatte seine guten Gründe, die wir später kennen lernen werden.
Sanfte Hornmusik weckte den Prinzen am nächsten Morgen, und von einem ruhigen Schlummer gestärkt, [S. 208] erhob er sich in der besten Laune und genoß die durch das geöffnete Fenster herein strömende frische Luft mit vollen Zügen. Im Schmuck neuer Reize schaute er die seinem Auge sich darbietende Landschaft, und wenngleich er für dergleichen Eindrücke nicht eben große Empfänglichkeit hegte, thaten sie ihm doch gut.
Er versprach sich von dem heutigen Tage wirkliches Vergnügen. Etwa um die zehnte Stunde gedachte er sich zur Jagd zu begeben, die tiefer im Walde beginnen und in der Nähe des Sees ihr Ende finden sollte. Aber er erinnerte sich sogleich der Sängerin, und kaum war Henry bei ihm eingetreten, so erkundigte er sich, ob seine Voraussetzung eingetroffen und der Schlaf des verliebten Dieners gestört worden sei.
Henry bekannte kleinlaut, daß dem wirklich so gewesen, und erregte dadurch die Lachlust des Prinzen in hohem Grade, und mit Lachen empfing der Letztere später den Baron, dem er sogleich das von seinem Diener Erfahrene mittheilte.
»Ich möchte, wenn es angeht, das Mädchen noch vor Beginn der Jagd sehen; denn ich bin in der That begierig, zu erfahren, in wie weit sich Henry’s Bericht und unsere Vermuthungen in dieser Beziehung bestätigen.« sprach der Prinz.
»Ich sah das Mädchen vorhin in den Wald gehen und bin überzeugt, wir werden es dort treffen. Ich vermuthe, sie wird in der Nähe des Weges sein, um Eure Hoheit vorüberfahren zu sehen.« [S. 209] »Desto besser! Dort finde ich die geeignete Gelegenheit, meine Absicht auszuführen,« meinte der Prinz und bestieg alsdann mit Mühlfels den auf ihn harrenden leichten Jagdwagen, der sie nach dem im Walde gelegenen Forsthause und von hier nach den bestimmten Standorten führen sollte.
Sie waren eine kurze Strecke auf dem Waldwege dahin gefahren, als ihnen aus dem nahen Gebüsch ein ähnlicher Gesang wie am vorigen Abend entgegen tönte.
Der Prinz vernahm denselben sogleich und rief: »Das ist sie!« Zugleich befahl er zu halten, indem er bemerkte: »Lassen Sie uns die Kleine ein wenig belauschen. Hier ist ein Fußpfad, nähern wir uns ihr auf demselben.«
Dies geschah und schon nach wenigen Augenblicken gewahrte der Prinz eine Mädchengestalt, die, zwischen niedrigem Gebüsch auf einem bemoosten Stein sitzend, einen Kranz aus Waldblumen flocht und dazu ein Volkslied sang. Ein Kranz von Epheu und Waldblumen umschlang ihre vollen dunkeln Haare, die durch ein rothes Bändchen zusammen gehalten wurden und in natürlichen Locken auf die gerundeten Schultern und den zierlichen Nacken hernieder fielen.
Das Mädchen saß von den Nahenden abgewandt, so daß man ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie schien die Lauscher nicht zu ahnen, flocht den Kranz emsig weiter und trillerte dazu gleich einer Lerche. [S. 210] »Rufen Sie sie an, Mühlfels, damit ich ihr Gesicht sehen kann,« sprach der Prinz leise und in angenehmer Erregung.
Dies geschah, indem Mühlfels ihr einen guten Morgen wünschte.
Erschreckt schnellte das Mädchen auf und wandte ihnen das tief erröthende Antlitz zu.
»Was ist das?! Das ist ja, bei Gott, die Gesuchte!« rief der Prinz in freudiger Ueberraschung, als er das Mädchen erblickte.
»Ja, mein Prinz, sie ist es!« flüsterte ihm Mühlfels im Ton hoher Befriedigung zu.
»Komm’ näher, mein Kind, komm’ näher!« sprach der Prinz und winkte Marianen mit der Hand.
»Was soll ich?« fragte diese, ohne sich jedoch von der Stelle zu bewegen.
»Wir wollen mit Dir sprechen, mein Kind.«
»Das kann der Herr auch von dort aus,« meinte Mariane keck und schalkhaft.
»Das genügt mir nicht; also komm’!«
»Ich habe keine Zeit, mit Euch zu plaudern, und muß den Kranz fertig machen,« meinte Mariane in dem obigen Ton.
»Hat es denn damit so große Eile?«
»Gewiß. Dieser Kranz ist für den schönen Prinzen bestimmt; ich will ihm denselben in den Wagen werfen, wenn er vorüber fährt.«
»So, so,« entgegnete der Prinz wohlgefällig und [S. 211] fügte hinzu: »Ich erspare Dir die Mühe, nach dem Wege zu gehen; Du kannst mir den Kranz hier geben.«
Mariane erschrak, ließ den Kranz sinken und schaute den Prinzen mit ihren großen dunkeln Augen an, dann aber, durch Mühlfels’ geheimen Wink bestimmt, rief sie:
» Sie sind die Hoheit?!«
»Nun ja; so komm’ nur, damit ich Dich endlich in der Nähe betrachten kann!« rief der Prinz lachend.
Einen Augenblick zögerte Mariane, dann aber kam sie näher. Leicht und gefällig wand sich ihre schlanke Gestalt durch die Büsche. Mit gesenkten Blicken und tief erröthend blieb sie alsdann vor dem Prinzen stehen.
Sie bot einen überaus reizenden Anblick dar.
Die einfache ländliche Kleidung, statt ihre natürlichen Reize zu schmälern, ließ dieselben nur noch mehr hervortreten. Rascher hob sich ihr Busen, die innere Bewegung verrathend, von dem knappen, zierlichen Mieder umschlossen. Auf dem Gange hatte sich das Busentuch verschoben und gewährte den Blick auf den schöngeformten Hals und Nacken.
Mit dem höchsten Wohlgefallen ruhte des Prinzen Auge auf der reizenden Gestalt; er glaubte ein so schönes Mädchen noch nie gesehen zu haben. In Marianen däuchten ihm alle seine Wünsche verkörpert; sie nur gehörte in jene Villa, sie nur sollte seine Schäferin, die Königin seines Herzens sein.
»So komm’ nur näher, reizendes Kind, und gieb [S. 212] mir den Kranz,« sprach der Prinz und streckte ihr die Hand entgegen.
Zögernd und nur ein klein wenig sich nähernd, bot Mariane ihm das Geschenk aus der Ferne dar, ohne jedoch das Auge zu ihm aufzuschlagen.
»Sieh’ mich doch an, damit ich Deine Augen betrachten kann!« forderte der Prinz sie auf, indem er den Kranz empfing.
Sie zögerte, seinen Wunsch zu erfüllen, versuchte es mehrmals vergeblich, bis sie endlich scheu und zugleich schalkhaft die Augen auf ihn richtete.
Wäre der Prinz nicht schon für Mariane eingenommen gewesen, so hätten es jedenfalls ihr liebreizendes Benehmen und der eigenthümliche Blick gethan, mit welchem sie ihn betrachtete.
Der Prinz war über die Maßen entzückt, ergriff rasch ihre Hand, zog sie an sich und steckte einen der kostbaren Ringe, die er trug, an ihren Finger.
»Da hast Du auch etwas für Dein Geschenk, mein lieber Waldvogel. Ich werde Dich wiedersehen, und denke nicht nur heute und morgen, sondern auch in späteren Tagen, und wir wollen gute Freunde mit einander werden. Singe heute Abend, wenn ich zurückkehre, wieder Deine Lieder, sie gefallen mir. Adieu, mein kleiner Vogel, adieu!«
Er drückte ihr wiederholt zärtlich die Hand, schaute sie eben so zärtlich an und begab sich alsdann mit dem Baron nach dem Wagen, indem er noch oft nach ihr [S. 213] zurück schaute. Den Kranz führte er mit sich und ließ ihn später sorgfältig aufbewahren.
Er befand sich in der angenehmsten Stimmung, und kaum hatten sie das Mädchen aus den Augen verloren, so bemerkte er mit Erregung:
»Nun, Mühlfels, ich bleibe für diese Stunde Ihr Schuldner. Sie hätten mir keine größere Freude bereiten können, als durch die heutige Ueberraschung; denn daß Sie es darauf abgesehen haben, ist mir klar. Aber es ist gut so; denn mein Genuß ist dadurch um so mehr erhöht worden. Wie reizend ist dieses Mädchen! Ich hatte bei dem Anblick jenes Bildes keine Ahnung, die Wirklichkeit könnte dasselbe übertreffen, und nun sehe ich es tausend und tausendmal übertroffen. O, hätte ich sie nur erst in der Villa! Welch ein süßes Leben werde ich mit ihr führen!«
Also erging sich der Prinz, von den angenehmsten Empfindungen erfüllt.
»Ich gestehe, mein Prinz, daß mein Vorschlag zu diesem Jagdausflug lediglich die Befriedigung Ihres Verlangens in sich schloß, nachdem ich so glücklich gewesen, Kenntniß von des Mädchens Aufenthalt zu gewinnen. Es erging mir wie Ihnen, Hoheit; meine Erwartungen wurden bei Marianens Anblick übertroffen, und um Ihnen einen ungetrübten Genuß zu verschaffen, erlaubte ich mir die heutige Ueberraschung,« entgegnete Mühlfels, über das so herrliche Gelingen seines Planes sehr erfreut.
»Ich verdanke Ihnen dadurch einen neuen Reiz zum [S. 214] Leben, das für mich in dem Umgang mit diesem Mädchen wieder Werth erhalten wird. Denn ich bin überzeugt, Mariane wird sich für die Folge bewähren und es verstehen, mich dauernd und angenehm zu beschäftigen. Auch wird es mir kein geringes Vergnügen bereiten, dieses Naturkind auszubilden. Sie singt gut, besitzt also musikalische Anlagen; das paßt zu meiner eigenen Vorliebe für die Musik. So kann ich das geträumte Idyll verwirklichen, und das wird mir für lange Zeit Reiz und Zerstreuung gewähren. Alles Uebrige überlasse ich Ihnen und Ihrer Mutter, Mühlfels. Besorgen Sie mir vor allen Dingen die Villa um jeden Preis, hören Sie, um jeden Preis, ja, sollte der Besitzer den Verkauf etwa verweigern, so nennen Sie ihm selbst den Käufer. Ich muß diesen reizenden Käfig für meinen Waldvogel haben. Dem Vater des Mädchens und diesem selbst sichern Sie in meinem Namen alle Forderungen zu, die etwa gethan werden sollten. Lassen Sie sich, sobald wir zurückkehren, eine Summe — zehn-, zwanzigtausend Thaler oder mehr, wie Sie wollen und es für nöthig erachten — geben und händigen Sie diese zur Ausstattung dem Mädchen oder dessen Vater ein. Ich will überdies selbst nach der Residenz und für die Kleine allerlei hübsche Sächelchen einkaufen. Sprechen Sie jedenfalls noch heute mit Robert. Meine Ungeduld ist groß, und ich will über Alles Gewißheit haben.«
Während dieser Mittheilungen hatten sie das Forsthaus [S. 215] erreicht und der Prinz sah sich dadurch von weiteren Erörterungen abgehalten.
Die Jagd hatte längst jeden Reiz für ihn verloren; er fügte sich jedoch und spielte, so gut er es vermochte, den Schützen. Trotz der dadurch gebotenen Aufregung beschäftigte ihn jedoch fortwährend die Erinnerung an Mariane, und so war es ihm angenehm, als sie sich endlich dem See näherten, woselbst die Jagd enden sollte.
Zufälliger Weise erblickte der Prinz von seinem Standort aus das Schloß, und dieser Umstand steigerte seine Ungeduld, sich wieder in Marianens Nähe zu befinden, so sehr, daß er noch vor Beendigung der Jagd nach dem ersteren zurückkehrte.
Mit erhöhter Freude erkannte Mühlfels den Beweggrund zu dieser Eile, aus der er die Ueberzeugung von dem tiefen Eindruck schöpfte, den Mariane auf den Prinzen erzeugt hatte. Nichts hätte ihm erwünschter kommen können; denn diese Ungeduld, besonders aber die Begegnung des Prinzen mit Marianen und das vortreffliche Benehmen der Letzteren ließen ihn mit Bestimmtheit annehmen, daß es dem Mädchen gelingen würde, den Prinzen nicht nur vorübergehend an sich zu fesseln.
Welche Folgen sich an diesen Umstand knüpfen mußten, war für ihn keine Frage mehr, und er sagte sich, daß diese Liaison ihm den Weg zu Sidoniens Herzen eröffnen mußte.
Mit Genugthuung erkannte er die vortrefflichen Wirkungen seiner Rathschläge und Anordnungen, wodurch [S. 216] er des Prinzen romantische Stimmung zu erhalten und für die Begegnung mit Marianen vorzubereiten bedacht gewesen. Denn sowol Marianens Gesang, als auch Henry’s Bericht über sie, der lediglich erfunden war, so wie das Geschenk des Kranzes waren lediglich auf des Barons Angabe erfolgt; ja Mariane hatte sich sogar nach seiner Anweisung kleiden müssen, so wie er ihr dann auch des genauesten ihr Benehmen gegen den Prinzen vorgezeichnet hatte.
Freudig unterzog sich das Mädchen seinen Anordnungen, von dem Gedanken entzückt, sich dem Prinzen angenehm machen zu können; denn den eigentlichen Beweggrund zu den ersteren ahnte sie nicht. Des Prinzen liebreiches Benehmen und kostbares Geschenk hatten ihre Seele in den freudigsten Aufruhr versetzt.
Den blitzenden Ring fest mit der Hand bedeckend, eilte sie nach Hause, um ihren Eltern und Freunden ihr Glück zu verkünden und ihnen das prächtige Geschenk der Hoheit zu zeigen.
Was der Prinz zu ihr gesprochen, war ihr nicht erinnerlich, denn sie hatte seine Worte kaum vernommen, noch weniger deren Sinn begriffen. Denn trotz ihres hellen Verstandes war sie doch noch viel zu unerfahren, um sich des Prinzen Wohlgefallen richtig zu deuten. Sie war wirklich nichts als ein reizendes Naturkind, wenngleich ihr mancherlei Schwächen anhafteten. Wir haben dieselben bereits früher näher bezeichnet.
Sie war daher überglücklich, als ihr Vater, nachdem [S. 217] der Prinz das Mahl beendet hatte, sie beauftragte, die von ihr für die Hoheit gesammelten Walderdbeeren demselben zu bringen.
Sie hatte die Früchte auf Weinblätter gelegt und so in der einfachsten, jedoch zierlichsten Weise geordnet.
Wir übergehen die weiteren Vorgänge während des Prinzen Anwesenheit auf dem Schloß.
Der Letztere dehnte seinen Aufenthalt daselbst bis auf drei Tage aus, in welchen sich seine Zuneigung für Mariane nur noch steigerte, indem diese, nachdem sie die Scheu vor der Hoheit allmälig überwunden hatte, ihn durch ihren natürlichen Liebreiz und die Unbefangenheit und Besonderheit ihres Wesens noch mehr an sich fesselte und seine Ungeduld nach ihrem baldigen Besitz erhöhte.
Der Castellan war durch den Baron mit des Prinzen Wünschen bekannt gemacht worden und es darf im Hinblick auf die eigenthümlichen Verhältnisse wol kaum noch bemerkt werden, wie sehr beglückt er und seine Familie sich durch des Prinzen ihnen und ihrem Kinde erwiesene Gnade fühlten.
Nicht anders war es mit Marianen, die, ohne durch irgend welche sittlichen Bedenken beunruhigt zu werden, lediglich in dem Glück schwelgte, nicht eine Dienerin zu werden, sondern in einem schönen Hause als Herrin zu wohnen und sich bedienen zu lassen, vor Allem jedoch von dem Gedanken geschmeichelt, dem schönen Prinzen, dem ihr Herz sogleich entgegen geflogen war, so sehr gefallen [S. 218] zu haben und nun oft von ihm besucht zu werden. Seit dem Tage, als sie der Prinz selbst mit seinem Wunsch bekannt gemacht hatte, schwellte Glückseligkeit ihre Brust und sie bekümmerte sich wenig über die Abreise desselben. Es verstand sich von selbst, daß das strengste Geheimniß über Alles beobachtet werden mußte, damit nicht etwa durch den Fürsten eine Störung erfolgte.
Bei der Rückkehr beeilte sich Mühlfels, des Prinzen Befehl wegen des Ankaufs der Villa sofort auszuführen. Als dieser nach kurzer Zeit erfolgte, wurde das Landhaus in der prächtigsten Weise eingerichtet, während eine Vertraute des Prinzen, Madame Voisin, die Sorge für Marianens Ausstattung übernahm. Der Prinz ließ darauf ganz außerordentliche Summen verwenden, welche ihm seine Geldfreunde vorschießen mußten, da seine Mittel dazu nicht ausreichten.
Nachdem alle diese Geschäfte erledigt waren, wurde Mariane durch Madame Voisin aus ihrer Heimath abgeholt und langte mit dieser in einem schönen Reisewagen, den ihr der Prinz geschickt hatte, eines Abends in der Villa an. Mariane war gleich einer Dame gekleidet und führte den Namen eines Fräulein von Waldstein, wie es der Prinz gewünscht hatte, um ihre niedere Herkunft zu verbergen. In ihrem Namen war auch die Villa gekauft und für sie verschönert worden. Der Prinz empfing sie, und es gewährte ihm kein kleines Vergnügen, das erstaunte und befangene Mädchen als die Besitzerin des prächtigen Landhauses durch die Gemächer zu führen. [S. 219] Madame Voisin wurde Marianen von dem Prinzen als ihre künftige Gesellschafterin bezeichnet, doch bemerkte er zugleich, daß nur sie hier die Gebieterin wäre.
Das strengste Geheimniß sollte fortan über Alles beobachtet werden. Die Dienerschaft, nur aus den nothwendigsten Personen bestehend, war durch Madame Voisin verpflichtet worden, gegen Jedermann sowol über Marianens Anwesenheit als des Prinzen Besuche zu schweigen, um in solcher Weise jedem Verrath vorzubeugen.
Der Prinz fühlte sich in dem endlichen Besitz Marianens außerordentlich glücklich. Seine Leidenschaft für dieselbe steigerte sich mit jedem neuen Tage. Er führte fortan, wie er es gewünscht, in der That ein idyllisches Leben, und jede Stunde, die er irgend abmüßigen konnte, brachte er in der Villa zu.
Jetzt war auch für Mühlfels der Zeitpunkt gekommen, sich Sidonien zu nähern, und er konnte dies um so bequemer und häufiger thun, da der Prinz ihm die vollste Freiheit und Muße gewährte. Seine Bemühungen, durch seine Mutter unterstützt, waren wohl berechnet und verfehlten darum die beabsichtigten Wirkungen auf Sidonie nicht. Bedacht, ihr die Wünsche abzulauschen und sie durch deren Erfüllung zu überraschen, viel zu vorsichtig und geschickt, seine Absicht zu verrathen, erschien er stets als der ergebene Diener und theilnehmendste Freund der Prinzessin, dem sie ihre Dankbarkeit für seine Ergebenheit nicht versagen durfte. Seine Vorschläge für die Unterhaltungen zum nächsten Winter [S. 220] waren ganz in ihrem Sinn ausgedacht und gewannen ihren Beifall, und so geschah es, daß man den Baron fortan häufiger denn sonst bei der Prinzessin sah.
Die Brust von beglückenden Hoffnungen für die Zukunft erfüllt, war Sidonie um so mehr geneigt, ihren Freunden ein vermehrtes Wohlwollen zu schenken, besonders Mühlfels, dessen Diensteifrigkeit sie zu Dank verpflichtete. Dieser Umstand war jedoch nur zu sehr geeignet, den verliebten Baron immer mehr in der Ueberzeugung der Gunst der Prinzessin zu befestigen und daran die besten Hoffnungen zu knüpfen. Ein wichtiges Mittel zur Erreichung seines Ziels sah er in des Prinzen Verhältniß zu Marianen, indem er im Hinblick auf der Prinzessin leicht verletzbaren Charakter durch den Verrath desselben die letzte Bedenklichkeit zu beseitigen hoffte, die sie etwa noch abhielt, seinen Bewerbungen Gehör zu schenken.
Ende des ersten Bandes.
Druck von G. Pätz in Naumburg a/S.